'^%^'t

m m.ik

V^M

■vfci^-tA^'*i

.CICM-i

^^-

W^^ ^■' '*'.•' Ä'i Ü^'

tM3

't }

^' 1

'M

' ilir" -^'

m^m

'B.M'.WmW

P* '„.. P' ,. . -ip„. -1? ' '" ■' M' .. . W'-

""^^ 1^^%"^%^

'"^rß "p- ^' W.

- . KKMi, U % 1

(f

'■ -^c -

ARCHIV

FÜR

SLAVISCHE PHILOLOGIE.

UNTER MITWIRKUNG

VON

A. BRÜCKNER, J. GEBAIIER, C. JIRECEK, A. LESKIEN,

BERLIN, PI;AG, WIEN, LEIPZIG,

W. NEHRING, ST. NOVAKOVIC, A. WESSELOFSKY,

BRESLAU, BELGRAD, ST. PETERSBURG,

HERAUSGEGEBEN

V. J A G I C,

ZWEIUNDZWANZIGSTER BAND.

500801 BERLIN, ^ /2..T/

WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG. 1900.

t,

i

FC

hl?

Inhalt.

Abhandlungen. Seite

Die Entwicklung serbischer Sätze mit te von Parataxis zu Syntaxis,

von A. Leskien 1

Zur Declination des zusammengesetzten Adjectivums, von W. Von- dräk (>

Einige Streitfragen, 3— 4, von V. Jag ic 11

Zur Renaissance der böhmischen Literatur zu Ende des vorigen

Jahrhunderts, von W. Vondräk 46

Polonica, von A.Brückner 52

Cubranoviö und seine Beziehungen zu der einheimischen und der

italienischen Literatur, von M. Me dl ni 69

Beiträge zur Ethnographie der hannoverschen Elbslaven, von A.

Vi eth (mit Zusätzen von H. Zimmer, V. Jagic, A. Leskienj. . . 1U7

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan, von Const.

Jirecek 144 *^

Das ragusanische Liederbuch aus dem Jahre 1507, von M. Resetar 215 Nachtrag zu Dr. M. Medinfs Aufsatz über Cubranoviö, von M. Re- setar 220

Eine unbekannte Ausgabe Mar ulic's, von M. Resetar 233

Wer war Pseudodemetrius L? von Eugen äcepkin (Schluss) . . . 321

Die Anfänge der ungarisch-slavischen ethnischen Berührung, von

Oskar Asboth 433

Slovenica, V., von Franz II e sie 487

Ueber einen cyrillischen Apostolus serbischer Redaction mit glago- litischen Marginalglossen, von Lj üb. Stojanovic 510^

Bruchstück eines glagolitischen Messbuches, von V. Jagic . . . . 525 ^

Palaeographisches und Sprachliches anlässlich der neuen Publication

der Blätter von Ghilandar, von W. Vond räk 5A2 i/-

»Die irrationalen Vocale«, von V. Jagic 553

Kleine russ.-poln. -litauische Beiträge, von A. Brückner 561

Einige Bemerkungen zur neugefundenen Abschrift des Lebens des

heil. Barbar in bulgarischer Uebersetzung, von K. Radcenko . 575

Einige Bemerkungen über das Leben und die literarische Thätigkeit

Dositej Obradovic's, von K. Radcenko 594

Der Philomelamythus in der kroat. Volksdichtung, v. L M. P e t r o v s k i j 608

IV Inhalt.

Seite

Kritischer Anzeiger. Ursitze der Slaven und Deutschen (Besprechungen der Werke von

Boguslawski, Ketrzynski und Braun), von AI. Brückner . . . 237

äcepkin's Savina kniga, angez. von W. Vondräk 247

Ljapunov's Die altruss. Sprache der I. Novgoroder Chronik, angez.

von V. Jagic 255

Maretic's Grammatik und Stilistik der kroatischen oder serbischen

Literatursprache, angez. von V. Jagic 363

Melnickij's kirchenslav. Grammatik, angez. von Kocowskij . . . 278

Zur Ausgabe der sämmtlichen Werke A. A. Kotljarevskij's, von N.

Petrovskij 286

Dr.F.Hipler, Bogarodzica. Untersuchungen über das dem heil.Adal-

bert zugeschriebene älteste polnische Marienlied, angez. von

Dobrzycki 289

Publicationen der Szewczenko- Gesellschaft, besprochen von AI.

Brückner 291

Parallelen zum folklorist. Inhalt des ethnogr. Zbirnik der Sevcenko-

Gesellschaft I— VI, vonG. Polivka 300

Ausgabe der Werke Dragomanov's, die Midas-Sage von Ciszewski,

serbische Märchen A. Nikolic's, besprochen von G. Polivka. . 311 Loria schlesischer, oberostrawer Dialect, angez. von G. Polivka . 270 Zibrt's Bibliographie der böhm. Geschichte, angez. vonC. Jirecek 316 Ueber Pottenstein von M. Hebelt und T. Klima, angez. von W. Von- dräk 317

Kleine Mittheilungen. Ueber die heutigen hannoverschen Wenden von Prof. Dr. H. Hirt

undGR. Prof. Dr. H. Zimmer 31S

Der Hochzeitsschwank im ragusanischen Liederbuch vom J. 1507,

vonM.Resetar 613

Was bedeutet xavxo-öiäxoi^os? von J. Aranza 617

Eine Notiz zur kroatischen Glagolica, von (fi V. 0 b 1 a k 617

Ein mittelalterliches moralisches Recept, von Tih. Ostojid . . . . 618

Eine cyrillische Urkunde aus dem Jahre 1434, von V. Jagiö. . . . 619/,-- Ein Document des bulgarischen Historikers Paysius aus dem Jahre

1761, von II. Ruvarac 620

Rumänisch-kroatisches Vaterunser und Avemaria aus Poljica auf der

Insel Veglia vor dem Jahre 1825, von V. Jagic 621

Zwei Briefe Dobrowsky's an Kopitar, von L. Pinta r 623

Zwei Briefe Kopitar's an Maciejowski, von Francev 631

Ein Brief Vuk Karadzics an Fessl, von Fr. Pastrnek 633

Zwei Briefe A. Schleicher's an Gj. Danicic, von (f) Dr. G j . Gj o r g j e v i c 634

f Dr. Theodor Elze, vonV. vidic 636

Sach-, Namen- und Wortregister, von AI. Brückner 639

Die Entwicklung serbischer Sätze mit le von Parataxis

zu Syntaxis.

Die slavischen Sprachen sind im Allgemeinen reich an Co- pulativpartikeln mit fein abgestufter Bedeutung und wenden sie an, wo manche andre Sprachen nur ein farbloses »und« haben. Das Serbische hat ^, a, pa [pak)^ te {ter, tere] . Ohne auf alle mög- lichen Fälle einzugehen, kann man im Ganzen und Grossen die Gebrauchsweise so bestimmen :

i verbindet ohne weiteren Nebensinn, gibt also die blosse Nebeneinanderstellung von Wörtern oder Sätzen.

a gibt einer Verbindung die Färbung, dass etwas neues, dem erst ausgesprochenen nicht ganz paralleles eintritt, etwa wie das griech. di^ berührt sich aber mit dem i oft so nahe, dass bei einer Uebersetzung in andre Sprachen häufig nur ein »und«, kein »aber« eingesetzt werden kann. Der Unterschied von i und a bleibt aber immer darin erhalten, dass nur i »auch« bedeuten kann, nicht a, z. B. in dem Sprichwort i kamen hi rijecma podigao^ wo a unmög- lich wäre. Ebenso darin, dass die Parallelsetzung »et-et« nur durch i-i ausgedrückt werden kann, z.B. ija mogu i konj mi moze, all hog ne da (Sprichwort).

pa [pak] bedeutet gemäss seinem ursprünglichen Sinne (iterum) »und dann«, gibt also an, dass das zu zweit Genannte dem Erst- erwähnten zeitlich folgt. Der prägnante zeitliche Sinn zeigt sich in der häufigen Verbindung j9a o7ida^ z. B. posle toga ostanu u nje- zinu doorujos tri dana, pa onda podju k ocu njegovome (Vuk, Prip. S. 63).

te ist die eigenthümlichste Copulativpartikel , was auch die Grammatiker andeuten. Budmanni § 274 übersetzt i und a durch ital. e, te und pa durch e poi. Etwas genauer drückt sich Maretic

Archiv für slavische Philologie. XXn. \

2 A. Leskien,

Veznici § 81) aus, das te komme oft einer consecutiven Bedeutung sehr nahe. In der That hat te wenigstens in der volksthümlichen Rede wohl niemals die Bedeutung eines nur anreihenden «und«, sondern den Sinn von »und so«, «und in Folge davon«, was dann sehr leicht die Wendung nimmt »und darum«.

Zur Veranschaulichung des Bedeutuugsunterschiedes der Par- tikeln vgl. poznao ja njezirai cud a ona moju te asikujemo^ pa se ija mislim^ ako bog da, o Jeseni ozeniti ( ich lernte ihren Charakter kennen, sie aber [und sie] meinen, und so fangen wir eine Lieb- schaft au, und darauf denke ich daran, mich, wenn Gott will, im Herbst zu verheirathen) ; lad ga [huzdovati] u neho, pah (und dann) se poda-nj nacetvero7iozi te (und so) doceka ga u ledja (Vuk, Prip. S. 3).

"Während nun die Satzverbindungen mit i, a, pa keine beson- ders bemerkeuswerthe Weiterentwicklung erfahren haben, ist das in hohem Grade bei den mit te verbundenen Sätzen der Fall. Man kann hier hübsch beobachten, wie eine ursprünglich rein an- reihende, parataktische Verbindung übergeht in das Verhältniss von Hauptsatz und abhängigem Nebensatz, in Syntaxis. Das Ser- bische drückt durch te eine Menge Beziehungen aus, wo das üb- liche grammatische Schema Final-, Cousecutiv-, Relativsätze u. a. findet. Ich glaube, dass es auch für allgemeine syntaktische Be- trachtungen nicht ohne Interesse ist, dies etwas weiter auszuführen.

Im einzelnen und an Beispielen stellt sich die Entwicklung so dar :

1 . te fügt Sätze parataktisch an einander, immer so, dass der Inhalt des zweiten Satzes als eine Folge des ersten erseheint (und so, in Folge davon, und deshalb). Hier genügen ausser den oben schon angegebenen einige Beispiele : lirimjerijednu i drugu stranu te nadje (und findet so), da Je njegov dio tri-cetiri prsta uzi (Vrce- vic, Podrug. S. 25); udovica nije imala poroda te sve imuce svojega muza naslijedila (und in Folge davon [darum] erbte sie die ganze Habe ihres Mannes ; ebd. S. 8) ; postavljam zatjet svoj s vama te (und in Folge davon) od sele ne ce nijedno tijelo poginuti od potopa (1. Mos. 9. 11)^); Jer sa^n go te se sakrih (und darum habe ich mich versteckt; l.Mos. 3. 10).

') Die Bibelcitate beziehen sich auf die Vnk-Danicic'sche Bibel.

Die Entwicklung serb. Sätze mit te von Parataxis zu Syntaxis. 3

2. Von solchen Wendungen liegt der Uebergang zu einem ab- hängigen sogen. Consecutivsatz sehr nahe. Bei einer Menge von Sätzen mit te., die im Serbischen noch als einfach parataktiscli ver- bunden aufgefasst werden können, wird man bei Uebersetzung oder bei gleichen Texten in anderen Sprachen ein »ut, dass« u.s.w. vorziehen, z. B. onaj se kamen pretvorio u zlato te sija kao sunce (Vuk, Prip. S.43, dass er leuchtete wie die Sonne); Ij'ude oslijepüe te ne mogalm naci vrata (1. Mos. 19. 11), vgl. die Vulgata: eos per- cusserunt caecitate, ita ut ostium invenire non possent ; Kautzsch A. T.: die Leute schlugen sie (die Engel! mit Blindheit, so dass sie (die Leute) sich vergeblich bemühten, die Thiir zu finden; Sara Je Stade zlostaviti te ona pohjeze od nje (1. Mos. 16. 6), vgl. Kautzsch : da behandelte Sarai sie hart, so dass sie ihr entfloh. Die Annähe- rung zur Abhängigkeit des zweiten Satzes tritt in den beiden letz- ten Beispielen dadurch besonders hervor, dass die verbundenen Sätze verschiedene Subjekte haben. Ein weiterer Schritt zur Ver- wandlung in einen Nebensatz ist da geschehen, wo die Folge als Wirkung einer im ersten Satze ausgedrückten Handlung erscheint, die ohne Hinzufüguug des Satzes mit te inhaltslos und unverständ- lich bliebe (ut nach verbis efficiendi etc.). Sehr oft nach Verben des Befehlens, Bittens, Bewirkens u. ä., z. B. Faraon zapovjedi Iju- dima za nj te ga ispratise 1. Mos. 5. 45 (befahl, dass . .) ; gospod ucini te (Josif) omilje tamnicaru Gott machte, dass er lieb wurde dem Gefängnisswärter, 1. Mos. 39. 21 (im Griech. entspricht dem serbischen Satze mit te einfach ein Objekt %da)-/.ev ctvx(^ %&^iv ivavxiov %ov aQyjÖ£Guo(pv).ay.og]: natodi je te cini preljuhu ver- führt sie, dass sie Ehebruch begeht, Matth. 5. 32, vgl. tvouI avTijv fiocxevd^f^vai', dogovore se te dozovu Jednu vjesticu Vuk, Prip. S- 112 sie verabreden eine Hexe herzurufen ; nekakav seljak otide u goru da sijece slj'eme, i posto ga odj'ela, digne seljane te ga donesu pred kucu Vrcevic, Podrug. S. 12, ein Bauer ging in den Wald um einen Firstbalken zu fällen und nachdem er ihn zugehauen hatte, bietet er die Dorfleute auf, dass sie ihn vors Haus bringen; bog tvoj dade te izadje preda me 1. Mos. 27. 20, dein Gott gab, dass es mir in den Weg lief. In all solchen Sätzen kann man freilich noch ohne weiteres nachempfinden, dass der ursprüngliche Sinn ist : Gott gab (es) und so . . . Allein das thut nichts zur Sache ; da ein Satz bog dade seinem Sinne nach unvollständig ist, noth wendig ein Objekt

1*

4 A. Leskien,

erfordert, so vertritt eben der Satz mit te das Objekt und ist ein in der üblichen Bedeutung des Wortes abhängiger Satz.

3. Noch deutlicher fühlbar wird die Abhängigkeit, wenn der erste Satz nur ein Geschehen, eine Zeit, einen Zustand angibt, wo- bei eine nähere Bestimmung gegeben werden muss, um einen voll- ständigen und verständlichen Sinn zu gewinnen, z. B. dogodi se te Kai7iprinese gospodu prinos 1. Mos. 4. 3, es begab sich, dass Kain dem Herrn ein Opfer darbrachte ; dodje vrijeme te onaj covj'ek sa- svim ostara Vrcevic, Podrug. S. 7, es kam die Zeit, dass jener Mann ganz alt wurde i/ese Hpri sebi te za smrt molis boga Vrcevic, Prip. II, S. 182, bist du recht bei dir, dass du Gott um den Tod bittest; sta sam skrivio te sime tako zestoko tjerao 1. Mos. 31. 36, was habe ich verbrochen, dass du mich so hart verfolgt hast?; sta je cotjek te ga spominjes ili sin covecji te ga polazis Ps. 8. 4, was ist der Mensch, dass du seiner gedenkest, oder der Sohn des Men- schen, dass du ihn heimsuchest ; sto je tehi jutros na uranku ter se jesi vas preohrazio Nar. pj. matice hrv. I. 56, v. 39, was ist dir heutmorgen in der Frühe, dass du dich ganz verwandelt (entstellt) hast?; u tom mu padne na um te pljune na zemlju Vuk, Prip. S. 61, da fällt es ihm ein auf die Erde zu spucken \fali ti boze te mozemo gosta ugostiii Vuk, Prip. S. 82, Dank dir Gott, dass wir den Gast bewirthen können.

4. Die unter 2 angeführten Beispiele, in denen der Satz mit te Folge oder Resultat einer Thätigkeit ausdrückt, berühren sich schon ziemlich nahe mit den sogen. Finalsätzen (ut finale). Ueber- haupt werden die Kategorien Folge und Wirkung auf der einen, Absicht und Zweck auf der andern Seite in der Sprache nirgends scharf geschieden (vgl. im Serbischen den Gebrauch von da). So empfindet man auch manche Sätze mit te geradezu als Absichts- sätze, z. B. niti se uzize svijeca i mece pod sud nego na svijetnjak, te smjetli svima koji su u kuci Matth. 5. 15, vgl. die Vulgata: ne- que accendunt lucernam et ponunt sub modio, sed super cande- labrum, ut luceat omnibus qui in domo sunt. Das Beispiel ist über- haupt für den Gebrauch der Partikeln lehrreich: im Griechischen steht ovöh Tiialovaiv Xvyvov v.al tl&eccolv avrov vrco rov fj-ööiov, dXX^ €7X1 rrjv XvxvLciv zai Idf^iTtsi näoiVTOlg iv rrj oIkIcc: der Serbe hat das ycal zwischen den beiden parallel stehenden Verben durch * gegeben, das zweite aber anders empfunden, daher te. Vgl. noch:

Die Entwicklung aerb. Sätze mit tc von Parataxis zu Syntaxis. 5

one dolaze svako podne ovde na ovo jezero te se hupaju Vuk, Prip. S. 17, sie kommen jeden Mittag an diesen See um sich zu baden.

5. Am allerdeutlichsten wird die Abhängigkeit der Sätze mit te^ wo sie Relativsätzen andrer Sprachen entsprechen. In Bei- spielen wie ho je to dolje te mumi Vuk Prip. kann mau die Para- taxis allenfalls noch empfinden: wer ist das da unten und brüllt so ; nesto (je) zivo te Jede i pije Vrce vic, Podrug. S. 9, es ist etwas Lebendiges und so (deshalb) isst und trinkt es ; es liegt aber einem Relativsatz »das isst und trinkt« ganz nahe. Völlig zum Relativ- satz wird aber der Satz mit te^ wenn im ersten Satz ein deiktisches Pronomen steht, das erst durch Hinzufügung des ^e-Satzes einen begrifflichen Inhalt bekommt: upita ce oni iz prvoga sela onoga te mu je predjasnju pripovijetku kazao Vrcevic, Podrug. S. 27, fragt der aus dem ersten Dorf den, der ihm die frühere Geschichte erzählt hat; poslju za njegajednoga od onih te su se bili okupili, sie schicken nach ihm einen von denen, die sich versammelt hatten. Es steht daher te auch völlig parallel mit den Relativpronomina koji^ sto, z. B. all tije milija krava koja mlijeko dava^ ali ona, te prevali nogom kabao Vrcevic, Prip. II. 7, ist dir lieber eine Kuh, die Milch gibt, oder eine, die den Kübel mit dem Fuss umstösst ; evo meni za onu fproskuricuj^ sto samja izio, sto dukata, a evo tebi druge statine za onu^ te si ti izio Vrcevic, Prip. II. 10, ich nehme für die Hostie, die ich gegessen habe, hundert Dukaten, du be- kommst andere hundert für die, die du gegessen hast. Verstärkt wird die Abhängigkeit des ^e-Satzes bis zum äussersten, wenn er in den andern Satz eingeschoben ist: pristupi blizu grobapa unu- tra pogleda^ a 0 7ii, te dube grob^ upita ga: sto gledas Vrcevic, Prip. II. 144, er trat ans Grab und sah hinein, der aber, der das Grab grub, fragte ihn : wonach siehst du ; konj dovede ono momce, tejahase, taman pred vrata svoga gospodara Vrcevic, Podrug. 19, das Pferd brachte jenen Burschen, der ritt, gerade vor das Thor seines Herrn.

Ich möchte diese Auseinandersetzung nicht so verstanden wissen, als deckten sich die abhängigen serbischen fe-Sätze genau begrifflich mit den sogen. Consecutiv-, Finalsätzen u. s. w. Ich wollte nur zeigen, wie sich aus einfacher Parataxis syntaktische Gefüge mannigfaltiger Anwendung und Bedeutung entwickeln.

A. Leskien.

Zur Declination des zusammengesetzten Adjectivums.

Miklosicli hat die Formen der zusammengesetzten Declination bekanntlicli in zwei Classen eingetheilt: in solche, bei denen das Adjectiv und Pronomen declinirt werden (Zusammenrückungen), und solche, bei denen das Adjectiv angeblich in seiner thematischen Form auftritt, so dass man es hier mit einer wahrhaften Compo- sition zu thun hätte (vgl. : »Ueber die zusammengesetzte Declination in den slavischen Sprachen« Wiener Sitzungsberichte, phil.-hist. Gl. LXVIII, 133. 1871). Zu den letzteren Formen rechnete er den Instr. Sg. m. und n., Instr. Sg. f., Gen., Dat., Loc. u. Instr. PI. alier Genera und Dat. Instr. Dual.

Ueber die erstere Art der Formen ist kein Wort weiter zu ver- lieren. Anders verhält es sich jedoch mit der zweiten Art. Gegen ihre Theorie protestirte lebhaft A. Leskien: Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen 1876, S. 130 138. Er bestritt es, dass man es hier mit einer Composition zu thun habe und nahm an, dass alle Formen des zusammengesetzten Adjecti- vums ursprünglich Zusammenrückungen aufwiesen und dass dann in jenen Fällen, in denen eine schwere Endung -mh^ -rm, -ma, -ch^, -Jq in beiden Elementen ganz gleich und nahe hinter einander zweimal erscheint, durch Abwerfen des ersten inneren, für die Cha- rakteristik der Formen unwesentlichen der beiden gleichen Be- standtheile eine Dissimilation, eine Erleichterung gemacht ist, wie im Sg. Fem.: Gen. z. B. dohry-Je statt *dohry-JeJq. So wäre aus *dohnmh-Jimh der Instr. Sg. m. und n. dohn-jinih^ nach späterer Lautform und Dehnung des ^ vor/: dohnj-Jimh (;k,OKp'KiHMk) ent- standen. Leskien geht hier freilich irrthümlicherweise von einem Instr. Sg. *dohromh bei den o-Stämmen aus, obzwar er auf S. 131 dohromh als die regelrechte Form ansetzt und dohnrnh einklammert. Damals waren nämlich die massgebenden Denkmäler noch nicht recht bekannt.

Dagegen hat Leskien mit Hecht hervorgehoben, dass der Gen. PI. A^EpT^-HX'*^ ^'^^ Instr. PI. ^obpiü-hmh in die erste der von

Zur Declination des zusammengesetzten Adjectivums. 7

Miklosich aufgestellten Kategorien eingereiht werden müsse, da ;i,ORp'b, und ^OBpi».! die regelrechten nominalen Formen des Ad- jectivs wären. Miklosich hat auch thatsächlich in seiner Vgl. Gramm. Bd. 32 (1876), S. 55 unterdessen den Gen. Plur. aus der zweiten Kategorie ausgeschieden, den Instr. PI. dagegen darin noch be- lassen , wie er denn überhaupt an seiner Theorie hier und auch später festhielt.

Im Masculinum hätten wir bemerkt weiter Leskien be- reits drei Casus, die von Haus aus ^j^^ daraus yji^ oder von vorn- herein -yji aufwiesen: Instr. Sg. dohr^-Jimh^ dohrijjimh (diese Form kann jedoch, wie wir sahen, nicht so aufgefasst werden), Gen. PI. dohn-jicln^ dohry-jiclvh^ Instr. PI. dohry-jimi. Den Loc. PI. hätte man nach dem Gen. und die beiden Dativformen des Plur. und Dual, nach derselben Analogie gebildet.

Wenn auch die Miklosich'sche Hypothese hier mit Erfolg be- kämpft wird (namentlich auch mit Hinweis auf das Litauische und Lettische) , so möchten wir doch in einigen Punkten eine grössere Klarheit haben, als sie uns die Leskien'sche Erklärung bietet.

Bei den verschiedenen Schreibungen der hier in Betracht kom- menden Formen in den altkirchenslavischen Denkmälern handelt es sich zunächst darum, was das Ursprünglichere hier war. Wenn sich auch die Denkmäler in dieser Hinsicht nicht gleichartig ver- halten, so gewinnt man aus denselben doch den Eindruck, dass die Formen HOK'KiHMk, hok'WHY'k, hob'kihm'k u.s.w. die älteren, ur- sprünglicheren sind. So werden sie auch von Leskien in seinem Handbuche (3. Auflage, S. 90) angesetzt. Freilich macht uns hier gleich der Zogr. grosse Schwierigkeiten mit seinem t^i (<«x), da er das y sonst regelmässig mit 'ki (»st) bezeichnet. Man könnte nun geneigt sein, in dem i^i des Zogr. den ältesten vocalischen Ee- präsentanten dieser Formen zu sehen. Mit i («) wird nämlich im Zogr. ein selbständiges anlautendes i bezeichnet und damit würde theoretisch der Gen. PI. ^1,0601^1^1^ = a^^gp'k-hy'k vollkommen übereinstimmen. Man müsste dann freilich annehmen, dass die anderen hier in Betracht kommenden Casus der Analogie dieses Genitivs erlagen und hinsichtlich des vocalischen Elementes dar- nach gebildet wurden. Allein diese Hypothese Hesse sich nicht in Einklang bringen mit der Declination der weichen Stämme. Man müsste nämlich darnach hier auch ganz analog ein -kh- erwarten,

8 W. Vondräk,

doch dieses kommt gar nicht vor, selbst auch im Zogr. ist es als erwartete Parallele zu -'Ki- nicht anzutreffen, sondern es bildet hier -HH-^) die Regel. Leskien meint, der Gegensatz gegen die adjecti- vischen /o-Stämme würde verschwinden, wenn man annähme, dass -'Kl- nur verkürzte Schreibung für -tüi-, d. i. -"ki-i = y-ji sei. Um besser begreifen zu können, was eigentlich mit dieser Schreib- weise zum Ausdrucke kam, müssen diese Fälle im Zogr. näher untersucht werden. Wir bemerken nun, dass diese Formen im Zogr. nicht ausschliesslich sind. Wir finden darin auch solche mit einem echten 'ki = y, die also durch Contraction entstanden sind, z. B. HfMHCT'Ki\"k Matth. 10. 1. Zahlreich werden sie im Lucas: AP^V" rkiM'K 4.43; poH^A^H'^X''^ '^' ^^'' ^"TIHCKtümi 21. 34 u. s.w. (im Lucas kommen etwa 20 solche Formen vor, abgesehen vom Nom. Sg. m.). Im Joh. finden wir etwa 6mal das tu und nur etwa 2malTsLi: CT^iiuik 1. 33; Mp'KTK'KiY'K 12. 9. Ganz analog kommt hier (im Joh.) bei den weichen Stämmen fast ausschliesslich -h- (contrahirt aus -HH-) vor: k'Spoyüriuthiui'k 1. 12 u. s. w., welche Formen im Zogr. auch allmählich häufiger werden, während sie in der ersten Partie selten sind (z. B. aP^i^'^hiim'k Matth. 5. 27). Es herrscht hier also ein Parallelismus, der nichts zu wünschen übrig lässt. Wir müssen demnach die Formen mit -^ki- auf gleiche Stufe stellen mit jenen der/o-Stämme, die ein -n- (-m- oder -m-) aufweisen. Gemäss der Aussprache des Abschreibers oder gemäss seinem Originale wurde Tv mit folgendem anlautenden h als ivi und sogar als liJ-H ausgesprochen, wie uns die Belege b'kih;^ Marc. 5. 5 (Mar. hier ktvI-hh;^) und K'ki-hckh Matth. 14. 29 verrathen. Trotzdem wird aber sonst regelmässig auch hier 'ki geschrieben: B'kiH;^ Luc. (9. 56); 24. 53 u. s. w., ja sogar OTT^iMeTTk Marc. 2. 20; 4. 15 u. s. w. So hat uns der Urheber des Zogr. offenbar auch A'^Kp'KiY'K statt A'^ßp''^"X'^ *i- S- ^- geschrieben und suchte sich womöglich consequent zu bleiben, so dass seine Schreibweise als eine Art gelehrter Combination erscheinen muss. Einmal freilich entschlüpfte ihm auch ein -tüh in HCTHH'KH'KiH Joh. 6. 32, doch muss dieser Nom. (Acc.) Sg. m. von den übrigen Formen getrennt werden, da hier das t^i anders ent-

1) Geschrieben wird es eigentlich mit -Hl- oder -IH- (in der Trans- Bcription).

Zur Declination des zusammengesetzten Adjectivums. 9

standen ist. Daher werden wir auch finden, dass derselbe meist anders behandelt wird, als die anderen Formen mit 'ki. So haben wir gleich in unserem Denkmal im Nom. Acc. Sg. m. häufig ein 'Ki: HCKTü Matth. 11. 19 u. s. w., ja im Luc. und Joh. wird dieses zur Regel, von der es nur wenige Ausnahmen gibt. Es kommt hier auch CTOi (= ckatoh) vor: Luc. 1. 72 (hier auch im Mar. so).

Müssen nun die Adjectivformen des Zogr. mit t^i entsprechend den -HH-Formen der adjectivischeu/o-Stämme als die älteren un- contrahirten 'KiH-Formen aufgefasst werden, so lassen sich damit auch die anderen uncontrahirten Adjectivformen, die wir hier noch sehr häufig antreffen, in Einklang bringen, so dass auch hier ein Parallelismus herrscht. So finden wir hier: c'kB'Kuiafro Matth. 13. 18; ocAaKAfHOVffMOY Matth. 9. 2; AÄ^Kaß-KHOVfiuioif Matth. 12. 45 u. s. w.

In den Kiever Blättern wird das y mit IvH bezeichnet (ähn- lich auch im Assem.). Wir haben hier nur contrahirte Formen: HfKfCkCK'KHjC'K (einigemal), TkiuibH'KHX'T»' Vb 12 u.s.w. (mit einer Ausnahme in der Ueberschrift: HfBfCkCK'KiX"'^ VII !)• ^^^^ analog auch bei den weichen Stämmen: ß-KHiUKHiiuiH III 4; toysim'k IV b 10; npOTHKbÄU.iY'K VI b 1. Analog auch die anderen For- men: KAaJKfHarö, BaajKeHOifMOif, MkCTkHaro, CKATaro, B'kMk- N-kMk u. s. w., also nur contrahirt. Der Nom. (Acc.) Sg. m. ist hier dagegen ganz anders. Dreimal haben wir hier BkCfMor'kii (II 13; IV 2; IV b 2) und sonst wird er mit tu also ganz anders als die früheren Formen geschrieben und zwar ebenfalls regelrecht: BkCfMor-ki IIb 2—3; III 17; V 13; B-feMkH-ki Ib 16; III 1, 17; IV 15; V b 7; VI 10 u. s. w., etwa noch 7 mal. Ausnahme: Mi^^ ck npHHECCH'KH VII 20. Durch diese Schreibweise soll hier also offenbar ausgedrückt werden, dass hier nicht y, sondern etwa ^J oder yj ausgesprochen wurde, wofür auch die Schreibweise cki j^Aßis. VI 2 und cki npHHOCk III b 1 zu sprechen scheint.

Im Mar. kommt 'ki und 'kiH in allen Fällen neben einander vor, ohne dass ein Unterschied, wie es scheint, obwaltet. Nur im Nom. Acc. Sg. m. kommt hier auch -oh vor: o^MepoH Joh. 12. 1; CBATOH Luc. 1. 72; HapHi^aeMOH Joh. 21. 2.

Von den anderen Denkmälern soll hier nur noch der Glag. Cloz. berührt werden. Die uncontrahirten Formen kommen hier nur ausnahmsweise vor : Nom.Sg. HjnpaBfA'*"''»^" 773, der aller-

10 W. Vondräk,

dings anders zu beurtheilen ist, Dat. PI. KAanviHiui'K 548, Instr.Pl. H£Bi^iM'KiHMi 559; voü den weichen Stämmen: npoHHi^'K 239 und c'kiuiOTp'feijRüJTHiivi'k 616. Ganz analog kommen auch die anderen Formen uncoutrahirt nur ausnahmsweise vor: np'k^aHafro

11 38, sonst einige Mal -aaro und regelrecht -aro, im Dat. Sg. nur -OYiiiiOY, imLoc.Sg. einmal HfnoB'S/i.HM'tfivik 780, sonst nur-'SMk. Hier zeigt uns abermals dieser Parallelismus, dass die Formen mit -'KiH- die älteren sind.

Es handelt sich nun um ihre Erklärung. Wie wir oben sahen, lässt Leskien dohry-jimh durch Deduung des ^ vor/ entstehen (Die Declination, S. 134). So meint er auch in seinem Handbuche, der gewöhnlichste Fall einer Dehnung des i». zu "W vor einem mit/ an- lautenden Elemente wären die Formen des bestimmten Adjectivs (S. 39). Allein diese Erklärung ist nur soweit richtig, als sie auf den Nom. (Acc.) Sg. m. bezogen wird, für die anderen Formen kann sie nicht in Betracht kommen. Es ist nämlich nur eine dialek- tische Eigenthümlichkeit des Aksl., nach welcher ^ vor/ in y ('ki) übergehen kann. Neben derselben besteht eine andere, ebenfalls nur eine dialektische, nach welcher dasselbe ?. in o übergeht; daher fanden wir neben cbat'kih auch ein cbatoh. Allein neben einem CK/ÄT'UHY'K kommt kein *cß/ÄTOHYT». vor, und doch müsste dies der Fall sein, wenn das 'ki durch Dehnung des i». vor/ entstanden wäre. Es kommt hier übrigens noch ein anderer Umstand in Be- tracht. Wie ein *]h.- im Anlaute zu i geworden ist (hm;^ aus *jh,mtt), so ist höchstwahrscheinlich auch ein ji in i übergegangen, so dass wir es dann hier mit den Pronominalformen ichi^, imiv etc. zu thun hätten, die also kein/ aufwiesen.

Das 1^1 der bestimmten Adjectiva muss demnach anders er- klärtwerden. Wie A*^Kpa-i€ro, ,A,OEpo\f-i€iuio\" so waren ursprüng- lich alle Formen beschaffen. Im Instr. PI. m. und n. hatte mau daher /k,OKp'Ki-HMH im fem. *AOBpaMH-HiuiH. Die gleiche Prono- minalform für alle drei Genera (hmh) wird wohl auch hier einen Ausgleich herbeigeführt haben, so dass für alle drei Genera die Form .A.OBp'KiHiuiH aufkam. Diese war nun massgebend für die weitere Entwickelung. Zunächst wurde der Gen. für alle drei Genera *a*^kP''^-"X''^ unter dem Einflüsse von A'^'^P'*^"'^" ^J^d vielleicht auch a<^kptsJia zu a«»kpt»^ihy'k. Die gleiche Pronominal- form Hjfk im Loc.Pl. führte auch a<>kP'»^hX't^ als Loc.Pl. für alle

Zur Declination des zusammengesetzten Adjectivums. 1 1

drei Genera herbei. Dann wurde nach demselben Princip auch der Dat. PL, Dat. lustr. Dual, und lustr. Sg. m. und n. gebildet.

Analog verhält es sich mit den/o-Stämmen. Auch hier ist das erste der beiden ii nicht durch Dehnung aus h entstanden, sondern es ist vom Instr. PI. HCKpkHHHMn auszugehen.

W. Vondräk.

Einige Streitfragen.

3. Eine einheitliche slavische Ursprache?

Welchen Zweck verfolgt die vergleichende Grammatik der slavischen Sprachen? Sie will offenbar durch die Vergleichung verschiedener slavischer Sprachen irgend eine Erklärung erzielen. Da die einzelnen Thatsachen unangetastet bleiben und bleiben müssen, so kann ihre Erklärung nur darin bestehen, dass man die früheren Stadien, aus denen die letzte Form hervorgegangen, durch die Vergleichung in irgend einer Weise erschliesst. Z.B. wenn der Slovene und Kroate oder Serbe heute den Gen. Sing, zene sagt und diese Form erklärt werden soll, so will man selbstverständlich daran, dass heute der Genitiv so lautet, nicht rütteln. Man will und darf die Sprache nicht berichtigen wollen: zetie bleibt so als Genitiv sing. Wenn man aber die verwandten slavischen Sprachen heran- zieht und zwar wenn man findet, dass nicht nur altslov. ateuM lau- tete, sondern noch heute im russ. »ceHLi, klr. acorai, poln. zony, böhm. zeny^ Is. iony, so muss diese Abweichung des Slovenischen und Serbokroatischen mit dem Auslaut -e im Gegensatz zu -y aller übrigen slav. Sprachen unsere Neugierde wecken und wir werden die Frage uns vorlegen : hat denn diese Abweichung der besagten südslav. Dialecte von den übrigen west- und ostslavischen immer stattgefunden oder nicht ? und wenn nicht, wo ist da der Uebergang vom ursprünglichen zu einem neueren Zustand anzunehmen ? wel- cher Grund mag die Sprache zu dem Uebergang veranlasst haben /

^) Vergl. Archiv XX, S. 1-54.

12 V. Jagic,

Bei dieser Gedankenoperation muss man gleich eine Voraussetzung zu Hilfe nehmen, die stillschweigend mitwirkt, wenn man sie auch nicht laut ausspricht. Die Voraussetzung lautet: es wird einmal in allen slavischen Sprachen für den Genit. sing, des Wortes ateiia eine und dieselbe Form bestanden haben. Lassen wir diese Vor- aussetzung nicht gelten, so hat die Vergleichung zwischen den ein- zelnen slav. Sprachen gar keinen Sinn. So werden wir also durch jede begründete und zu einem Ziel führen wollende Vergleichung dazu gefuhrt, stillschweigend vorauszusetzen, dass wir endlich und letzlich mit einer ursprünglich einheitlich gewesenen, später aus bekannten oder unbekannten Gründen in verschiedenartig lautende Individualitäten zerfallenen Erscheinung zu thun haben. In der That, es wird z. B. niemandem einfallen, den bulgarischen Genitiv na aceiia, ot-b jKena mit dem acenia oder acene morphologisch ver- gleichen zu wollen, jedermann wird sagen, diese zwei Erscheinun- gen haben morphologisch nichts gemeinsames, aus KesH oder kbhb kann nicht oTt atena, na jKana entstanden sein.

Also die vergleichende Grammatik operirt unter dem Hinter- gedanken, dass sie mit Erscheinungen zu thun hat, die aus ihrer gegenwärtigen Mannichfaltigkeit auf einen Ursprung zurückgeführt werden können. So ist es in der That, die vergleichende Gram- matik der indoeurop. Sprachen bewegt sich im Bereich der Er- scheinungen, die auf gleichem Ursprung basiren, und ebenso die vergleichende Grammatik der slavischen Sprachen befasst sich mit Dingen, die aus der heutigen oder durch schriftliche Denkmäler uns zugänglichen Mannichfaltigkeit auf einheitlichen Ursprung zurückgeführt werden können. Das eigene wissenschaftliche Ziel der vergleichenden Grammatik besteht darin, die Gründe der aus einer ursprünglichen Einheit hervorgegangenen Mannichfaltigkeit auseinanderzusetzen und natürlich auch den Weg und die Reihen- folge des Zerfalls oder Uebergangs aus der Einheit in die Mannich- faltigkeit anzugeben. Also um bei dem angeführten Beispiele zu bleiben, zwischen den beiden Formen des Genitivs meK-hi und ^ene muss die wissenschaftliche Vergleichung eine Vermittlung zu be- werkstelligen trachten. Diese muss zeigen: 1) ob aceiiH oder acene das ältere und ursprünglichere ist, oder 2) ob beide Formen etwa eine dritte, verloren gegangene voraussetzen; sie muss 3) zeigen, wann und warum jene Form, welche man als secundäre anzunehmen

Einige Streitfragen. 1 3

den Grund hat, statt der ursprünglichen aufgekommen ist. Im ge- gebenen Falle antwortet die vergleichende Grammatik. : 1 ) dass sie vom Standpunkte der slavischen Sprachen die Form KeHti nicht nur für älter, sondern auch betreffs aller slavischen Sprachen für ursprünglich hält, folglich 2) dass 'JKene eine spätere, nachträglich ins Leben gerufene Form ist. Jetzt aber entstehen folgende Fragen : 1) wann ist atene im Serbokroatischen und Slovenischen ins Leben getreten, und 2) warum ? Auf die erste Frage kann nur die genaue geschichtliche Erforschung der einschlägigen Sprachen Antwort geben, z. B. in unserem Falle kann man fürs Serbokroatische we- nigstens so viel sagen, dass schon die ältesten uns geschichtlich zugänglichen Sprachdenkmäler solche Formen, die dem Genit. auf ÄBHe entsprechen, aufweisen, z. B. in der Urkunde des Ban Kulin vom J. 1189 lesen wir schon sciqeHne rjrase IlmBana KptcTHTe.ia, betreffs des Slovenischen können wir schon in den Freisinger Denk- mälern den Accus, plur. greche (neben grechi) constatiren und ot zlodeine ohlasti (lU. 71). Auf Grund dieser Thatsache kann man also nur so viel sagen, dass schon zu Beginn der geschichtlichen Zeit dieser Sprachen die Genitivformen auf e statt des k vorhanden waren. Doch kann sich die wissenschaftliche Forschung damit nicht zufrieden geben, sondern 1) möchte man wissen, ob diese Formen damals die allein üblichen waren oder ob daneben noch die andere ältere Form vorkam. Dafür gibt es einen Anhaltepunkt in den Freisinger Denkmälern, wo neben greche als Accus, plur. noch grechi vorkommt (ebenso grefnike neben krouui = krovy). Freilich kann Jemand einwenden, von diesen zwei Formen sei schon damals nur die eine national gewesen, die zweite aber kirchenslavisch-literarisch. Zu diesem Einwurf muss die Wissen- schaft bereit sein Stellung zu nehmen. In der That, es gehörte eine langsam reifende und allmählich erstarkende Einsicht dazu, bis man sich entschloss zu behaupten, grechi (rpfe^) müsse nicht gerade bloss kirchenslavisch sein, sondern es könne ebensogut da- mals noch neben greche als eine vorhandene ältere Doublette der Volkssprache geherrscht haben. Eine gewaltige Stütze gewinnt diese Behauptung durch die moderne Dialectforschung , welche nachgewiesen hat, dass im Cakavischen und im Slovenischen (z.B. bei den Bell kranjci) noch jetzt der Genit. sing, auf i für y lebt. So sieht man, wie einerseits die geschichtliche Erforschung, anderer-

14 V. Jagid,

seits die Dialectforschung der vergleichenden Grammatik zu Hilfe kommen können. Nachdem man das alles erledigt, dann erst ent- steht die wiss. Hauptfrage, warum oder wenigstens wie so die slovenische und serbokroatische Sprache der Form acene vor acen-M den Vorzug gab ? Das ist in der Eegel die schwierigste Frage, das "Warum muss in sehr vielen Fällen leider unbeantwortet gelassen werden, man muss sich mit der Coustatirung der Thatsache zu- frieden geben, höchstens kann man die Vermuthung wagen, was das Emporkommen der Form verursacht haben mag. Im gegebenen Falle hat es die wissenschaftliche Erforschung nur so weit gebracht, dass sie vermuthet, die Genitive auf e mit weichem consonanti- schen Auslaute vor diesem e, das dem altkirchenslavischen a ent- spricht, also duse aus AoyniA haben jene andere Hälfte, die von rechts wegen auf k auslauten musste und auch auslautete, an sich gezogen und sich assimilirt. Man nennt das bekanntlich Ana- logie, d. h. Uebertragung oder Verallgemeinerung einer Casus- endung über das ganze Gebiet derselben Kategorie, Bei der Be- weisführung vermittelst der Analogie kann man nie über die mehr oder weniger wahrscheinliche Vermuthung hinauskommen. Denn auch wenn man sich mit der Annahme einer solchen Analogie- übertragung einverstanden erklärt, könnte man noch immer ein anderes Warum aufwerfen, z. B. im gegebenen Falle könnte man fragen, warum hat eben nur im Slovenischen und Serbokroatischen die Analogie der e-A-Endung jene andere an sich gezogen? oder warum lautet gerade umgekehrt im Russischen der Genitiv von Ayina-AyuiH und im Polnischen dusza-duszij'! Hier kommen wir auf ein weiteres Warum, auf welches bisjetzt keine Antwort er- folgte. So gibt es in der vergleichenden Grammatik sehr viele Warum, auf die man kein Darum geben kann.

Wenn also die vergleichende Grammatik vorzüglich mit den Erscheinungen zu thun hat, die in den Einzelsprachen verschieden- artig lautend oder aussehend zu guter letzt auf einen Ursprung hin- weisen, so könnte man sagen, schon darin sei der Beweis gegeben, dass das ganze Gebäude der vergleichenden Grammatik auf dem Grunde einer einheitlichen Ursprache beruht, also die vergleichende Grammatik der slavischen Sprachen beruhe auf der Voraussetzung einer einheitlichen gesammtslavischen Ursprache. In der That be- herrschte diese Idee bis in die neueste Zeit die gesammte Sprach-

Einige Streitfragen. 15

Wissenschaft. Man sprach und spricht auch jetzt noch von einer indoeuropäischen, von einer germanischen, einer baltoslavischen, zuletzt einer slavischeu Ursprache. Das Bestreben, das Bild einer Ursprache wiederherzustellen, machte sich namentlich in den 50er und 60er Jahren , unter dem Einfluss der Forschungen und Dar- stellungen Schleicher's stark geltend. Es ist bekannt, dass er sogar eine kurze Fabel in der indogermanischen Ursprache praestirte. Doch die Zeit dieser einseitigen Begeisterung für die Wiederent- deckung der Ursprachen sind jetzt schon vorbei. Nach und nach hat man gelernt bescheidener und nüchterner zu sein. Je weiter mau an der Vertiefung in die einzelnen Abschnitte der vergleichen- den Grammatik arbeitete, desto mehr wurde das Gefühl lebhaft, wie verhältnissmässig gering der Umfang des Gemeinsamen oder als gemeinsam Anerkannten ist, wie das Gemeinsame verschwin- dend klein aussieht gegenüber dem in jeder einzelnen Sprache In- dividuellen. Man stand da schon wieder vor einer neuen Frage : ist das der Vergleichung sich nicht unterwerfen Wollende in jeder einzelnen Sprache eine neue Zuthat, ein Gewinn der nachfolgenden Periode oder sind die Mittelglieder, die die Vergleichung ermög- lichen würden, ausgestorben? Viel Licht hat in dieser Kichtung das Studium der romanischen Sprachen in ihrem Verhältnisse zur römisch-lateinischen verbreitet und so kann auch das Studium der modernen slavischeu Sprachen untereinander und im Zusammen- hange mit dem altkirchenslavischen Dialect lehrreiche Schlüsse an die Hand geben betreffs des Urslavischen. Denn einen indoeurop. Text herzustellen ist unendlich schwierig, einen urslavischen schon viel leichter oder verhältnissmässig sehr leicht. Warum ? weil man im ersten Falle mit Herstellungsversuchen bezüglich einer Einheit zu thun hat, die in sehr viele Splitter zerfallen ist, wovon einige ganz oder beinahe ganz zu Grunde gegangen sind; dagegen ist im zweiten Falle die Zersplitterung nicht sehr weit gegangen, und an einem grossen Stück (das ist das Altkirchenslavische) ist der Stil des einstigen Ganzen noch sehr treu erhalten und liefert so viele sichere Anhaltspunkte, dass es verhältnissmässig nicht schwer fällt, auch die übrigen Stücke mit jenem zusammen in ein gut harmoniren- des Ganzes zu verbinden. Wie vieles muss in den romanischen Sprachen als ein nachträgliches Novum abgestreift werden, um bis zum alten römischen Latein zu gelangen ? Nicht gerade so viel.

16 V, Jagic,

und doch auch genug muss in den einzelnen slavischen Sprachen herausgenommen oder auf einen älteren Massstab zurückgeführt werden, damit es in den Rahmen des Gesammtslavischen passt. Aber wie vieles zugleich ging in den einzelnen lebendigen Gliedern verloren, das für den Zustand der gesammtslavischen Einheit un- bedingt als vorhanden gewesen anzusehen ist? Z. B. im Satze Ostrovski's »ü cb poAy TaKoS ne HauiHBajia« ist eigentlich das ein- zige Wörtchen ne und die Präposition ex urslavisch, alles andere sind entweder abgestumpfte neuere Formen oder neuer Ersatz für den verloren gegangenen älteren Vorrath. Statt a hätte der Urslave aBx gesagt ; xaKoä wäre TaKoa oder xaKOBH gewesen und HaimiBajra ist ein neuer Ersatz für das ältere Imperfect Homaaxx; auch ci po- Aoy würde kaum so, mindestens ex po^a gelautet haben.

Wenn in einem aus sechs Wörtern bestehenden Satz ein solcher Unterschied zwischen einer heutigen Sprache und die russische gehört nicht zu den am weitesten von dem Urbild entfernten, und der anzunehmenden Ursprache obwaltet, wie schwer muss es nicht sein, für einen etwas grösseren Umfang die alten Züge mit Sicherheit festzustellen? Nehme man selbst das älteste uns über- lieferte Altkirchenslavische, z. B. den Satz io. 18. 3 npH^e xaMO ei. cBixHj'M H cBiinxaMH H op&2c.HH auch das kann nicht im vollen Umfange urslavisch sein. Der Aorist npiiAe wird wohl schon ur- slavisch so gelautet haben, etwa npiiHAe, allein schon bei xaMo kön- nen Zweifel aufsteigen, ob gerade das die einzige urslavische Form war, da wir in mehreren Sprachen für xaMO die Form tarn haben und nicht bewiesen werden kann, dass tarn erst aus tamo habe ent- stehen müssen. Der Instrumentalis on, cBiTHjna dürfte lautlich wegen der polnischen und böhmischen Form, die noch heute dafür svetidlo^ sioiecicUo gebrauchen kaum urslavisch sein, aber schon wieder entsteht auch hier die Frage, hatte es im Urslavischen nur eine Form »svetidioa gegeben, woraus erst später ein grosser, ja numerisch wahrscheinlich grösserer Theil des Slaventhums cBira.ao machte, oder gab es schon in der urslavischen Zeit zwei Formen nebeneinander, svetidlo und cb^thjio? Derselbe Zweifel wiederholt sich bei cB^uiTaMH, da auch hier das Polnische und Böhmische mit ihrem swieca, svice (älter auch svieca), hier aber auch das rus- sische und slovenische stJeca-cB^qa, serbokr. svijeca mit ihren For- men desselben Wortes gegen die Ursprünglichkeit des altkirchen-

Einige Streitfragen. 17

slavischen ci. cBiiuTaMH Einspruch erheben. Auch hier kann also urslavisch nicht das Wort so gelautet haben, wie es kirchenslaviscb geschrieben, aber auch nicht so, wie es heute russisch-slovcnisch oder polnisch-böhmisch ausgesprochen wird. Welches war also die Urform? Theoretisch, da wir die Wortbildungsgesetze kennen, werden wir die Form *svetja als die urslavische aufstellen. Wer kann aber beweisen, in welchem Stadium der Entwickelung des slavischen Ethnos das Wort svefj'a gesprochen wurde und wie lange diese Form lebte ? Wer kann beweisen, wenn man dieses mit dem anderen Wort zusammenstellt, welches früher, welches später, oder ob beide gleichzeitig aus der theoretisch von uns vorausgesetzten Einheitlichkeit, also *cBiTHAJio, *cBiTJa in die nachher geltende Spaltung, cBiTnA.ao-CBiTHjio, CB'felia-cBi^ia, stoieca, cBiuiTa, getreten sind'.' Wir sind auch nicht im Stande, den Grund anzugeben, warum diese Aenderungen vor sich gingen. Im ersten Falle liegt wenigstens die Erklärung nahe, CBiTH;i;jio sei nicht so bequem aus- zusprechen wie cB^THJio und dieses Motiv bewirkte allerdings in allen Sprachen und zu jeder Zeit grosse Veränderungen aber wer wird in gleicher Weise behaupten können, dass z. B. cBiuiTa leichter, einfacher sei als *svefja, oder dass *svieca weniger An- strengung koste als *svetja1 Und während im ersten Falle nur zwei verschiedene Formen neben einander vorhanden sind, eine mit der erhaltenen Lautgruppe dl, die andere mit dem vereinfach- ten l laufen im zweiten Falle statt der theoretisch zu Grunde liegenden Urform *svetja nicht weniger als vier Abzweigungen neben einander. Wie steht diese Vielheit im Zusammenhange mit den ethnischen Evolutionen? Wann fanden diese statt?

Mit diesen Fragen kommen wir in das dunkle Gebiet der prä- historischen Zustände der indoeuropäischen Völker, in welchem man immer wieder neue Versuche macht, Manches oder Einiges aus der Dunkelheit ans Licht zu ziehen. Ich will den ganzen Complex dieser Fragen gar nicht zur Sprache bringen. Es sind namentlich zwei Fragen, die in neuerer Zeit vielfach behandelt und sehr ver- schiedenartig beantwortet werden : 1) über die Urheimath der Tndo- europäer und ihre Culturzustände, und 2) über die Verwandtschafts- verhältnisse derselben untereinander. Bei diesen Fragen, wie man sie immer beantworten mag, werden natürlich immer auch die Slaven in Mitleidenschaft gezogen. SolcheWerke und Abhandlungen,

Archiv für slavische Philologie. XXII. 2

1 8 V. Jagic,

wie das klassische Bucli Hehn's »Die Kulturpflanzen und Haus- thiere«, das Buch von Schrader »Sprachvergleichung und Urge- schichte«, jetzt das Buch Kretschmer's über die griechische Sprache, die Abhandlung Hirt's »Die vorgeschichtliche Kultur Europas und der Indogermanen« (im IV. Jahrg. der Geograph. Zeitschrift von A. Hettner 1898, S. 369—388) enthalten eine Fülle von Beobach- tungen, die allerdings nicht immer unter einander harmoniren. Ich will aus der letztgenannten Abhandlung mittheilen, dass Hirt die Zeit der indogerm. Gemeinsamkeit etwa bis ins Jahr 2000 v. Chr. zurückdatirt, wohlweislich gibt er hinzu: »doch sind die Ergeb- nisse der Sprachwissenschaft nicht gerade reichhaltig und oft genug umstritten«. In der That kann man auch gegen das Jahr 2000 v. Chr. seine Bedenken haben. Ich z. B. glaube nicht, dass es um das J. 2000 V. Chr. noch eine auch nur annähernd einheitliche »indo- germanische« Ursprache gab.

Man setzt die ältesten griech. Sprachbelege um das J. 1000; die sogenannte mykenische Kultur, welche schon eine grosse Ein- heitlichkeit bei den Griechen veranschaulicht, wird um die Mitte des zweiten Jahrtausends gesetzt. Es ist entschieden zu wenig, einen Zeitraum von 500 Jahren weiter zurückzurechnen, um die Vedasprache und die Homerische Sprache als eine Einheit sich vorstellen zu können. Nein, gewiss viele Jahrtausende zurück muss die Zeit reichen, wo man vielleicht von einer »indogerman. Ursprache« reden könnte. Begreiflicher Weise kann die Trennung nicht plötzlich geschehen sein und braucht sich nicht mit den Wan- derungen zu decken. Zwischen den grauen Zeiten einer ideal anzu- setzenden Einheit und dem Zeitpunkt der vollzogenen Trennung muss man eine sehr lange Epoche dazwischenschieben, die gewiss nicht ohne bedeutenden Culturfortschritt verlief. Die Frage aber nach dem Culturzustande der Indogermanen ist im Grunde ge- nommen ebenso für die uralten Zeiten keiner einheitlichen Beant- wortung fähig, wie gegenwärtig man nicht alle indogerm. Völker auf gleicher Culturstufe vorfindet. Für die Culturstufe der Mensch- heit bieten die Ausgrabungen und Funde der Pfahlbauten und der Höhlenbewohner viele Anhaltspunkte, zum Unglück weiss man jedoch nicht, was für einer Menschenrasse die betreffenden Be- wohner beizuzählen sind. Die Frage z. B., ob die einstigen Be- wohner der Pfahlbauten Europas Indogermanen, wie man sagt.

Einige Streitfragen. 1 9

waren oder nicht ist uicht mit Sicherheit zu beantworten. Eben so wcuig weiss man, welchem Volke man, sagen wir, die verschie- denen Brouzenfunde zuschreiben soll, obwohl da wohl keinem Zweifel mehr unterliegt , dass wir es mit den Producten der alten Culturvölker des Mittelländischen Meeres zu thun haben. Daher kam ein italienischer Gelehrter, Sergi in Rom, auf den Gedanken, zu behaupten, das südliche Europa (stirpe mediterranea) sei von Afrika aus besiedelt gewesen. »Unter den Namen Pelasger, Libyer, Iberer, Ligurer, habe sich diese Kasse vom Nilland, wo sie zuerst Fuss gefasst, östlich nach Syrien und Kleinasien, westlich nach Nordafrika bis zum Atlantischen Oceau ausgebreitet und von den canarischen Inseln Besitz ergriffen. Von Afrika aus hätten Völker dieser Rasse Italien, Griechenland und Spanien besiedelt. Damit sei aber keineswegs die Grenze der alten Ausbreitung des mittel- ländischen Stammes erreicht gewesen, welche vielmehr auch Frankreich, die Schweiz, Grossbritannien und Südrussland be- völkert habe.« Offenbar denkt Sergi dabei an die Zeit vor der An- kunft der Indogermanen. Denn er sagt (Hoernes, S. 55): »Diesem Vordringen sei indess schon in der neolithischen Zeit durch das Auf- treten einer anderen mächtigen und zahlreichen Völkerfamilie, der von Norden kommenden Kelten, ein Ziel gesetzt worden. Diese Hell- weissen seien inFrankreich eingedrungen, hätten die mittelländische Rasse über die Loire zurückgeworfen und den grössten Theil von England, die Schweiz und das Pothal besetzt.« Wir hätten erwartet, dass uns der ital. Gelehrte sagen wird, wann dieselben Hellweissen sich mit den Griechen vermischt und ihnen ihre Sprache aufge- drängt haben. Denn die früher aufgezählten Völker: Palasger, Libyer, Iberer, Ligurer müssen nicht mit den Indogermanen gerade zu einer Sprachenfamilie gehört haben, von den Griechen und Italern dagegen lässt sich dieses nicht in Abrede stellen. Und doch sagt Sergi: »der mittelländische Stamm, dessen Merkmale man in der modernen Bevölkerung Italiens, Griechenlands und der iberischen Halbinsel noch grösstentheils erhalten findet, sei eine dolicho- cephale, brünette, aber nicht aus einer Mischung von Negern und Weissen hervorgegangene Rasse gewesen (f. So spricht ein Anthro- pologe, der den Körper des Menschen zum Ausgangspunkt nimmt, aber auf die Sprache gänzlich vergessen hat Rücksicht zu nehmen. Man muss offenbar die anthropologischen ;Somatischeu) Merk-

2*

20 V. Jagic,

male, ja selbst die CultureinflUsse von den sprachliclien Verwandt- schaftsverhältnissen trennen und auseinanderhalten. Somatisch mögen in der That die Anthropologen um das Mittelländische Meer einen sehr schönen dolichocephalen brünetten Menschenschlag be- wundern, culturell mögen sie in diesen Ländern, namentlich in dem Ländergebiet des Aegeischen Meeres sehr früh merkwürdige Fortschritte in der Kunst wahrnehmen, allein sprachlich kann man die Bewohner Griechenlands nicht mit Babylonien oder Aegjpten, sondern mit den rauhen Bewohnern Germaniens, mit den alten Bewohnern des skythischen Nordens in genetischen Zusammen- hang bringen.

Diesen nördlichen Bewohnern Europas, mögen sie nun aus Asien eingewandert sein, wie das Sergi stillschweigend anzuneh- men scheint, oder in Europa ihren Ursitz gehabt habend, pflegt man schon für die älteste Zeit einen hohen Grad der Cultur zuzu- schreiben, der über das Jägerleben oder das reine Nomadenthum hinaus bereits die Ansässigkeit mit dem Ackerbau als Hauptbe- schäftigung repräsentirte, Hirt sucht das in seiner Abhandlung im Einzelnen auszuführen allein je höher man diese Cultur an- setzt, desto schwieriger kommt man mit der Hypothese von grossen Wanderungen und Eroberungszügen aus. Den höheren Ackerbau treibende Völker und zu höheren Ackerbauern, d. h. solchen, die mit Benutzung der Hausthiere, zumal der Rinder, den Acker- bau betreiben, zählt Hirt die europ. Indogermanen sind in dem Grade sesshaft, dass sie sich schwer zu Raub- und Eroberungs- zügen entschliessen. Das war wohl auch ein Grund, warum man in neuerer Zeit die Indoeuropäer nicht aus dem fernen Asien eingewandert sein lässt, sondern in einer langen, aber schmalen, streifartigen Zone in Mitteleuropa, allerdings bis nach Asien hin ausgestreckt, ansässig gewesen sein lässt. Den Grund ihrer Aus- dehnung von da aus sucht man dann in der Uebervölkerung. Alles

1) Wenn Hirt sagt, die in späterer Zeit aus Asien eingewanderten Völker haben sich nirgends als Culturträger erwiesen, von den Kimmeriern bis auf die Ungarn und Mongolen, so ist damit für eine viel frühere Zeit nichts be- wiesen, geht ja daraus, dass das heutige Griechenland nicht als Ausfluss der europ. Cultur gelten kann, nicht hervor, dass es in alten Zeiten auch so ge- wesen, im Gegentheil, Griechenland und Italien alter Zeiten waren wirklich die über ganz Europa die Wärme der Cultur ausstrahlenden Centren.

Einige Streitfragen. 21

das sind sehr vage Vermuthung-en, gegen die sich sehr vieles ein- wenden lässt. Es ist z. B. sehr schwer zu glauben, dass die Indo- europäer aus diesem mittleren Streifen Europas die sUdeurop. Länder, die ja gewiss in der Cultur den babylonisch-ägyptischen Einflüssen näher standen, erobert hätten, ohne die dort angetroffene Cultur zu schädigen. Und von einer solchen Unterbrechung, wie sie das früheste Mittelalter unzweifelhaft veranschaulicht, hören wir aus jenen alten Zeiten nichts. Hirt, der gegen Hehn ist, dessen Bild nicht so anziehend aussieht, wie es Hirt nach neueren Versuchen von Grosse, »Die Formen der Familie und der Wirthschaft(f, und Leist, »Altarisches jus gentium, Altarisches jus civile« zeichnen möchte, denkt sich in der Abhandlung »Die Verwandtschaftsver- hältnisse der Indogermanen« im IV. B. der Indogerm. Forschungen) die Besitzergreifung Europas durch die Indogermanen (wobei er natürlich sie in Europa selbst uralte Bewohner sein lässt) ungefähr so, wie die mittelalterliche Wanderung der Germanen nach dem Süden Europas. Er fühlt, dass der Vergleich stark hinkt, weil diese südeuropäischen, von den Germanen occupirten und längere oder kürzere Zeit beherrschten Länder doch nicht germanisch ge- worden sind. Dieses Hinderniss, das seiner Parallele stark im Wege steht, sucht er dadurch zu beseitigen, dass er sagt, es sei die höhere Sesshaftigkeit der Eingeborenen gewesen, die den Sieg des nördlichen Idioms verhinderte. Nach dieser Aussage müsste also die höhere Sesshaftigkeit der Indoeuropäer gegenüber den in Europa angetroffenen Autochtonen der Grund gewesen sein, der die Indoeuropäisirung verursachte. Ich glaube nicht , dass damit das richtige getroffen ist, es müsste entschieden mehr Gewicht auf die grössere Stärke und Energie der Kasse und auf die Zahlverhältnisse gelegt werden. Die Ueberzahl, wobei die Fruchtbarkeit der Rasse eine starke Rolle spielt, dann aber die grössere oder geringere Widerstandskraft das sind die entscheidenden Factoren. Wäh- rend die Sesshaftigkeit in dem modernen Zusammenstoss der deut- schen und italienischen, der slavischen und romanischen Rasse ganz gleich ist, zieht doch in den Alpen der Deutsche, in der Donau- ebene der Slawe (Serbe-Bulgare) gegenüber den Italienern und Rumänen den kürzeren. Im früheren Mittelalter war der romani- sirte Einwohner des Balkans sei es von Haus aus, sei es durch den Zwang der Verhältnisse Hirte geworden daher die Bedeutung

22 V. Jagiö,

B.iaxb als Hirte und docb ging er in dem Berührungsprocesse mit den Slaven, mit geringen Ausnahmen, nicht zu Grunde, sondern blieb Sieger. Auch die Entschuldigung mit der Ungunst der klimatischen Verhältnisse hält nicht stich. Gewiss waren die Länder, aus denen die Slaven im frühen Mittelalter die Balkaninsel bezogen, nicht minder rauh und kalt, als die der Germanen und doch blieben die ersteren zum grösseren Theil standhaft, während die letzteren verschwanden.

Ein Körnchen Wahrheit mag immerhin die Hypothese Hirt's enthalten, wenn er sagt: »die grosse Dialectgruppe der indogerm. Sprache erkläre sich in der Hauptsache aus dem Uebertragen der Sprache der indogerm. Eroberer auf die fremdsprachige unter- worfene Bevölkerung.« Allein, wenn man das so verstehen soll, dass die indogerm. Eroberer alle insgesammt und überall Träger einer einheitlichen Sprache ohne irgendwelche dialectische Unter- schiede gewesen, so müsste einer solchen Behauptung aufs ent- schiedenste widersprochen werden. Das that auch, ohne gerade Hirt zu nennen, Kretschmer in seinem Buch über die griech. Sprache, insofern er schon von der dialectischeuDiflFerenzirung der Ursprache spricht. Er sagt: »Die älteste Geschichte des Indogermanischen stellt sich als eine im Princip einheitliche dar, die dialectische Sonderung hat immer bestanden, nur das Maass, die Art, das Ver- hältniss der dialectischen Unterschiede hat sich aller Wahrschein- lichkeit nach im Verlauf einer Jahrtausende langen Entwickelung sehr erheblich verändert« S. 12. Als ein Beispiel solcher dialecti- schen Sonderung gilt ihm die schon von verschiedenen Seiten aus- gesprochene Vermuthung, dass unsere mit m anlautenden Casus- suffixe, die im Slavischen, Litauischen und Germanischen wieder- kehren, uralt sind als eine Varietät, welcher im Arischen, Griechischen, Lateinischen eine andere Varietät mit dem anlauten- den^/<, (p, h gegenübersteht.

Während aber die neueste Sprachforschung unbedenklich die dialectische Sonderung bis in die indoeuropäische Ursprache zu- rückreichen lässt, wurde die Ansicht Hirt's auf die slavischen Ur- zustände, die ja doch uns viel näher liegen und leichter zu erfassen sind, übertragen und so gedeutet, dass die ganze dialectische Son- derung innerhalb des Slavischen erst von dem Zeitpunkte des Auseinandergehens der Slaven in die heute von ihnen bewohnten

Einige Streitfragen. 23

Länder datirt und zwar nicht bei ihnen selbst aus ihrem Inneren, sondern erst aus ihrer Berührung mit den fremdsprachigen Men- schen, die sie in den neu von ihnen bezogenen Ländern vorfanden, liervorgegangen. Diese Consequenz aus Hirt's oben citirter Ab- handlung hat zuerst Prof Stojanovic gezogen in seiner »Pristupna akademska beseda« und da meine und Dr. Oblak's Bemerkungen, die im Archiv XIX, S. 269 fif. dagegen gerichtet waren, eine Er- wiederung Stojanovic s hervorriefen, die im Mai-Heft 1897 der Zeit- schrift »JIbäo« erschienen ist, so entschloss sich Prof. Polivka dar- über im »Vestnik slovanskych starozituosti« , Heft I, zu referiren unter Nr. 14. Ich will dieser Streitfrage etwas näher treten, wobei ich vor Allem die zuletzt gemachten Aensserungen Polfvka's einer Prüfung unterziehe.

Die Frage von einer dialectlosen Einheitssprache der Slaven, die angeblich bis zum Zerfall dieser Einheit in Folge der Aus- wanderung aus der Urheimath dauerte, bringt die Frage über das Verhältniss der heutigen slavischen Sprachen zueinander in Fluss. Da stehen sich nun zwei Ansichten gegenüber, für die eine beruft man sich auf die kleine bereits im J. 1884 erschienene Schrift Baudouins de Courtenay »Uebersicht der slavischen Sprachenwelt«, über die ich im VIII. B. des Archivs referirte (S. 1 34 5) und bereits dort der Behauptung Baudouins, dass es zwischen den Polen und Russen, zwischen den Serben und Bulgaren, zwischen den Polen undSlovaken, zwischen den Polen undCechen, selbst wohl zwischen den Grossrussen und Kleinrussen keinen Uebergangsdialect gebe entgegentrat: »Wir reden allerdings nicht von Uebergangs- dialecten, sagte ich, was ist aber im Grunde genommen das Slo- vakische, wenn nicht ein Uebergangsdialect des Cechischen nach dem Südrussischen und Südslavischen hin, das Macedonische, wenn nicht ein Uebergangsdialect des Bulgarischen nach dem Serbischen und Kroatischen hin, das Kajkavisch-kroatische, wenn nicht ein Uebergangsdialect des Slovenischen nach dem Kroatischen und Serbischen hin, das Kasubische, wenn nicht ein Uebergangsdialect des Polabischen nach dem Polnischen hin oder umgekehrt u.s.w.«. Betreffs der südslavischen Dialecte habe ich im XVII. B. dieser Zeitschrift die Sache weiter geführt und im Archiv XX unter dem Titel »Einige Streitfragen« auch betreffs der übrigen slavischen Sprachen die Frage nochmals zur Sprache gebracht. Der Streit dreht

24 V. Jagi(5,

sich neuerdings um das Kasubische zwischen Baudouin und Ramult einerseits und Kariowicz und Brückner anderseits. Während Ra- muit und Baudouin das Kasubische als einen Zweig' oder Rest der ausgesprochenen pomoranischen Sprache ansehen und es nicht als einen Dialect des Polnischen gelten lassen wollen, sind Karlowicz und Brückner entschieden dafür, dass dieser Dialect zum Polnischen gehört; Brückner geht im Sinne Hilferdings soweit, dass er auch das Polabische dazu zieht und das ganze Sprachgebiet »Lechisch« nennt. Polivka, ohne genau zu wissen, ob Baudouin noch jetzt seine einst schroff ausgesprochene Behauptung »es gebe keine üebergangsdialecte« aufrecht erhält, bekennt sich zu dieser Meinung und sagt auch warum? Er meint, dass die heutigen Zwischen- dialecte zwischen den einzelnen slav. Sprachen, wie z. B. zwischen Böhmisch und Polnisch, zwischen Serbisch und Bulgarisch u. s. w., die man für Üebergangsdialecte hält, jüngeren Datums sind, eine Folge der späteren Mischung der benachbarten Stämme, das seien eigentlich Mischdialecte. Er will mit dem Namen »Mischdialect« offenbar die Bedeutung der Erscheinungen herabdrücken. Man könnte aber fragen, wo giebt es nach seiner Auffassung » reine (t Dialecte ? Wo berühren sich nicht die Menschen , zumal die Nach- barn untereinander? Er meint »das Serbische auf der einen und das Bulgarische auf der anderen Seite seien streng geschiedene Sprachen, jede von ihnen hätte ihre selbständige Entwickelung namentlich in ihren Lauten«, er citirt als serbisch c <? m, als bulga- risch k' zcV %-a-o. Dagegen muss jedoch erwidert werden, dass die wahre Natur der Üebergangsdialecte allerdings nicht nur darin be- steht, dass daselbst in den Grenzgebieten zwei von verschiedenen Seiten kommende Strömungen ineinander fliessen, sondern auch in solchen Erscheinungen sich kundgeben muss, die einerseits den Ausgangs- oder Endpunkt der einen, anderseits den Anfangspunkt der anderen Gruppe abgebeu, wobei man nicht mit einem Merkmal allein, sondern mit einer Summe von mehreren und verschiedenen operiren muss. So ist betreffs der angeführten Merkmale noch gar nicht ausgemacht, ob in der That alle Beispiele mit u für a statt des erwarteten ^-o spätere Serbismen sind. Man kann eben so gut sagen, schon zur Zeit der Entstehung des u aus & kann dieser Lautproeess einen etwas anderen Umfang genommen haben, als irgend ein an- deres Merkmal. Oder man kann eben so sagen, schon zur Zeit als

Einige Streitfragen. 25

ij in einem Centrum und seiner Ausstrahlung st\ in einem anderen Centrum und wieder seiner Ausstrahlung c ergab, kann diese letz- tere Aussprache tiefer in das Sprachgebiet sich erstreckt haben, als einige andere Merkmale, und hier im Grenzgebiete sogar einen eigenthlimlicheu Laut Ä' erzeugt haben. Wer wird leugnen wollen, dass die macedonische Aussprache des i als e und die serbische in Altserbien des t als e nichts anderes ist, als die Fortsetzung der- selben Erscheinung aus einem Sprachgebiet mit einer Summe von Merkmalen in ein benachbartes Sprachgebiet mit einer anderen Summe von Merkmalen, die mit jener ersteren nicht ganz identisch ist. Die Menschen sind die Träger der Sprache, schon der griech. Philosoph nannte den Menschen tdov TtoXixivMv^ das russ. Sprich- wort sagt »Fopa et ropoß iie cABHHeTCH, a ye-ioBiKi on, qejroBiKOMt coH^ieTeH.« Wie ist die Bedeutsamkeit und Verständlichkeit der Lautcomplexe entstanden, als durch gegenseitige Mittheilung? Die Auffassung Polivka's, welche fürs erste jede slavische Sprache für sich als abgeschlossen sich vorstellt, mit einer Summe von selb- ständig entwickelten, ihr allein zukommenden Merkmalen, halte ich für veraltet. Wenn diese Absonderung, wie er sie für alle einzelnen slavischen Sprachen statuirt, denkbar wäre, so mtisste man fragen, ja woher kommt dann überhaupt die Verwandtschaft, woher das Gemeinsame dieser einzelnen Sprachen? Wenn es wahr ist, was er sagt: »die cechoslavische und die polnische Sprache haben jede für sich ihre bestimmten Eigenschaften« was ja als letztes Re- sultat gewiss richtig ist so braucht noch nicht wahr zu sein die etwaige Annahme, dass alle diese Eigenschaften gleichen Umfang oder gleiches Alter haben. Polivka gibt selbst zu, dass im Pol- nischen der Verlust der Vocallänge in geschichtlichen Zeiten vor sich ging, dieses Merkmal ist also gewiss nicht so alt, als der Unterschied zwischen hrad und grod^ und doch rechnet er alle diese Unterschiede zu »urcite zvlästnosti«, wenn man auch weiss, dass grod (resp. lirod] selbst über den lausitz-serbischen und l.rad (resp. grad) selbst über die südslavischen Dialecte sich ausdehnt. Wenn die Ansicht Polivka's von einer abgeschlossenen Entstehung der Einzelsprachen richtig wäre, so müsste man sagen, die Südslaven seien mit ihrem grad ganz unabhängig von den Cechoslaven zu demselben Resultat gelangt, ebenso die Lausitzerserben mit ihrem grod ganz unabhängig von den Polen. Dann müsste man

26 V. Jagid,

aber auch sagen, dass die Polen noc ganz unabhängig von dem böhmischen und laus.-serb. noc zu Wege gebracht haben. Alles das scheint mir aber nichts weniger als wahrscheinlich, scheint mir nicht richtig zu sein. Ich finde mich daher durch die Bemerkungen Polivka's nicht veranlasst von der Ueberzeugung, es gebe in der slavischen Sprachen weit viele Uebergangsdialecte, und es habe einst noch unendlich mehr gegeben, als jetzt, abzugehen. Schon die Streitfrage betreffs des Kasubischen, die neuerdings ausge- brochen ist, spricht für die Richtigkeit meiner Ansicht. Auch die Untersuchungen Broch's über die slovakisch-kleinrussische Sprach- grenze in Ungarn bieten neues Material in dieser Richtung.

Auch die andere Frage, die Application der Hirt'schen Theorie auf die slavischen Sprachen seitens Stojanovic's berührt Polivka. Zur Theorie Hirt's, die er nur mit allgemeinen Worten rühmt, nimmt er keine Stellung, er findet sie beachtenswerth, aber zu irgend- welchen auch nur wahrscheinlichen Resultaten werde sie nicht führen. Ich weiss nicht, warum dann die Theorie eine Beachtung verdient. Richtig ist die Bemerkung Polivka's, dass die dem Pro- fessor Stojanovic als Grundstein dienende Behauptung, es habe in vorhistorischer Zeit nur eine einheitliche slav. Sprache gegeben und die heutige Mannichfaltigkeit sei erst in Folge des Auseinander- gehens aufgekommen , eigentlich in der Theorie Hirt's nicht direct ausgesprochen ist. Wenn er dennoch die Ansicht Stojanovic's, dass die Slaven eine einheitliche allen gemeinsame slav. Sprache auf den Weg in ihre neuen Heimathen mit sich nahmen, einen gesunden Gedanken nennt so möchte ich die Diagnose anders stellen , da ich von der Gesundheit des Gedankens nicht in gleicher Weise überzeugt bin. Von Polivka wundert es mich, nach dem oben ge- sagten, allerdings nicht, dass er glauben kann, das cech. hrad^ hläto sei ganz selbständig und unabhängig von dem südslavischen grad hlato zu diesem Resultat gekommen. Er weist zur Unterstützung seiner Ansicht auf die Unterschiede der Betonung hin, scheint meine Erklärung, warum dass so bei uns hUto und im cech. hläto ergab, nicht zu kennen. Er beruft sich, das scheint ihm zu imponiren, auf die rumänischen Formen halta, gard^ vergisst aber dabei , dass es noch gar nicht ausgemacht ist, ob und von welchen Slaven diese Ent- lehnung und zu welcher Zeit seitens der Rumänen stattfand (vergl. weiter unten). Mir will es scheinen, dass wenn Prof. Polivka in die

Einige Streitfragen. 27

Frage stärker sieh vertieft hätte, er gerade die Annahme, es sei vor der Trennung der Slaven nur eine einheitliche dialectlose slav. Sprache vorhanden gewesen, im hohen Grad unwahrscheinlich gefunden haben würde. Ich sehe ganz davon ab, dass die neueste Sprachfor- schung bereits in der intloeurop. Ursprache dialectische Sonderungen anzunehmen bereit ist (vergl. oben). Und die Slaven, deren Zeitpunkt des Auseinandergehens man frühestens ins III. IV. Jahrh. n. Chr. ansetzen darf, sollten in dieser Zeit, wo sie ja doch schon recht zahlreich gewesen sein müssen, sprachlich einheitlich dastehen? Aber sehen wir auch von dieser theoretischen Unwahrscheinlichkeit ab. Hirt spricht im Sinne seiner Theorie von den indogermanischen Eroberern, und die indogermanischen Dialecte der einstigen ein- heitlichen Ursprache wären eine Rückwirkung der fremdsprachigen unterjochten Bevölkerung auf die den Eroberern abgelauschte Sprache, also eine Art Corrumpirung derselben und die Vererbung dieser Corruptelen durch die Kinder, die statt der correcten Sprache ihrer Eltern jene der Diener, deren Obhut sie anvertraut waren, propagirt hätten. So denkt sich Hirt die Entstehung der indogerm. Sprachen, wobei er die Rolle der Mütter einigermaassen ausser Acht lässt. Wo giebt es aber eine Analogie zu diesen allerdings eingebildeten Vorgängen bei der Wanderung der Slaven nach dem Westen und Süden Europas? Wo traten die Slaven als Eroberer und Unterjocher zahlreicher allophylen Massen auf? Im Westen jenseits der Weichsel waren es die durch den Abgang der deutschen Stämme entvölkerten Gebiete, die sie still, heerdenartig sich aus- breitend, besetzten und als Ackerbauer ihre Arbeit in der neuen Heimath fortsetzten, ganz in der Weise, wie sie es gewohnt waren in der früheren Heimath zu verrichten. Man hört bekanntlich bald nachher von den Unterjochungs versuchen seitens der Deut- schen, aber von den Eroberungen und Unterdrückungen ihrerseits sehr wenig oder gar nichts. Man weiss, dass die Slaven schon in der vorgeschichtlichen Zeit, da sie bekanntlich unter der Herrschaft der Gothen standen, einige Culturwörter von den letzteren entlehnt haben, wie k'lha^i,, oycepArx '-sh), xop^rii u. s. w. Diese trugen sie auch in die neue Heimath; aber von der Veränderung ihrer Sprache unter dem Einfluss des fremdsprachigen Milieu in der neuen Heimath weiss man nichts. Sollen etwa die Böhmen unter dem fremden Einfluss den einstigen Nasalismus verloren haben? warum

28 V. Jagi(5,

behielten ihn dann die Polen, Pomoranen und Polaben, die doch so ziemlich in das gleiche Milieu, das deutsche, kamen? Warumbehiel- ten den Nasalismus die Polen und ihre nächsten Nachbarn nach dem Osten, die Weissrussen, nicht? Wir wissen aus der geschichtlichen Zeit, dass die russischen Slaven, namentlich die Vorfahren der heutigen Grossrussen, viele finnische Stämme verdrängt oder ver- tilgt haben. Wo spiegelt sich diese Thatsache in der russischen Sprache ab, wenn man von einzelnen Ausdrücken absieht? Pollvka meint, nur das Maass des Einflusses einer fremden Sprache sei strittig, nicht das Princip selbst. Das sagt er auf S. 23, zustimmend der Aeusserung Stojanovic's, und auf S. 24 gibt er wieder mir Recht, wo ich diese angebliche Beeinflussung seitens fremdsprachiger Be- völkerung mit Hinweis auf das Polnische und Russische bekämpfe. Wie soll man diese nach zwei entgegengesetzten Richtungen ver- theilte Zustimmung in Einklang bringen?

Doch halten wir uns an das von Stojanovic behauptete. In seiner Antwort wiederholt er selbst, dass es seine Absicht war, den Beweis zu führen, dass die serbische Sprache auf dem heutigen Boden entstanden und dass sie nicht aus der Urheimath mitgebracht wurde. Die Slaven haben, sagt er, auswandernd aus der gemein- schaftlichen Heimath die urslavische Sprache mit sich geführt (wenn differencirt, fügt er in der Antwort hinzu, so sehr wenig, keines- wegs soviel, dass schon in der gemeinsamen Periode die Keime der heutigen slav. Sprachen enthalten wären). Aus dieser gemeinsamen slav. Sprache seien in den heutigen Sitzen die gegenwärtigen slav. Sprachen hervorgegangen unter dem Einfluss der Völker , die im Verhältniss zu den Slaven als Besiegte oder als Sieger auftraten. Prof. Stojanovic glaubt zuerst einen Widerspruch in meiner Abwehr gegen diese Theorie zu entdecken darin , dass ich den postposi- tiven Artikel und den Verlust der Declination vom Bulgarischen dem Einfluss der Walachen, d. h. der Balkanrumänen zuschreiben möchte. Er möchte siegesbewusst ausrufen: nun, da habt ihr den fremden Einfluss. Darauf kann und muss man folgendes erwidern : In der ganzen Streitfrage handelt es sich nicht um die späteren Phasen der Beeinflussung seitens fremder Elemente, sondern nur darum, ob die Balkanslaven, also die Vorfahren der späteren Bul- garen, Serben, Kroaten, Slovenen, eine einheitliche dialectlose slavische Sprache auf die Halbinsel gebracht haben oder nicht.

Einige Streitfragen. 29

Wenn nvan diese Frage beantworten will, darf man nicht die letzten, heutigen Ausläufer der sprachliehen Evolution zu Grunde legen, sondern die ältesten nachweislichen Belege dieser Sprachen. Wie mau dabei weder die Germanismen eines Trüber, noch die Italieuis- men der dalmatinischen Sprache oder die Turcismen des Inner- serbischen u. s. w. in Betracht ziehen soll, sondern nur die älteste Durchschnittserscheinung des Slovenischen und Serbokroatischen zu Grunde legen muss, so ist auch betreffs des Bulgarischen die heutige Phase bei Seite zu lassen und die alte mit der vollen Decli- nation versehene Sprache als Ausgangspunkt zu wählen. Man muss, um concret zu sprechen, die alte bulgarische Sprache irgend eines Denkmals, z. B. einer alten Urkunde, etwa jener Asens aus dem XIII. Jahrh. oder des bologner Psalters ungefähr aus derselben Zeit, die serbokroatische Sprache nach der Urkunde Kulins oder nach der Schenkungsurkunde Nemanjas und vielleicht die slove- nischen Bestandtheile der Freisingerfragmente der Betrachtung dieser Frage zu Grunde legen und fragen, sind die dialectologischen Merkmale dieser Denkmäler alle das Resultat der Beeinflussung, welcher eine und dieselbe nach dem Süden gebrachte urslavische Sprache, in dieser Weise bei den Slovenen, in jener bei den Serben und Kroaten, in dritter bei den Bulgaren seitens der älteren vor- gefundenen Bevölkerung dieses Landes ausgesetzt war. Prof. Stojanovic bejaht das natürlich und muss soweit gehen, dass er behauptet, wenn die altslovenische Sprache, schriftlich fixirt im IX. Jahrb., bevor noch der heutige ethnische Typus der Balkanländer entstanden hier muss man zwar zugeben, dass im IX. Jahrh. nicht alles so war, wie z. B. im XIX. Jahrb., allein die ethn. Haupttypen, deraltillyrische repräsentirt durch die Albanier, der griechische durch die Griechen, der romanisirte autochthone repräsentirt durch die Ru- mänen und der slavische repräsentirt durch die grösste Masse der slav. Stämme waren gewiss bereits vorhanden doch lassen wir ihn fortsetzen, er sagt: Wenn die altslovenische Sprache noch da- mals am nächsten war der urslavischen, so würde sie gewiss, wäre sie um drei Jahrhunderte früher fixirt worden, wo nicht geradezu urslavisch, so wenigstens sehr, sehr nahe der urslavischen gewesen sein. Und ich bin der Meinung, sagt er weiter, dass zu jener Zeit, also drei Jahrhunderte vor der Entstehung des kirchenslavi sehen Schriftthums, die Sprache nicht nur in den südlichen Gegenden der

30 V. Jagic,

Balkanhalbinsel so beschaffen war, sondern überall an der Marica und am Iskar, an der Morava und an der Drina und an der Na- renta kurz überall, wo es slavisehe Ansiedlung gab. Das ist nun etwas, was man leichter behaupten als beweisen kann. Gewiss ist es richtig, dass die slavischen Sprachen noch jetzt im Ganzen sich sehr nahe stehen, viel näher als die romanischen Sprachen zu- einander; gewiss ist diese nahe Verwandtschaft einerseits auf ihr langes Zusammenleben zurückzuführen, wobei sie einen ziemlich hohen Grad des friedlichen sesshaften Ackerbauerlebens erreicht hatten, anderseits aber auch darauf, dass sie auch nach ihrer Tren- nung keineswegs solchen Amalgamisirungsprocessen mit fremd- sprachigen Elementen ausgesetzt waren, aus denen eine neue sla- visehe Sprache in der Art einer heutigen romanischen hätte ent- stehen können. Seien wir nur vorurtheilsfrei und umsichtig in unserer Betrachtung. Eine einzige slavisehe Sprache , das ist das heutige Bulgarische, zeigt einen derartigen Sprachtypus, dass man bei ihr wirklich auf starke fremdsprachige Beeinflussung denken darf. Sonst aber keine. Alle übrigen slavischen Sprachen oder Dialecte haben den alten gemeinslavischen Sprachtypus, allerdings mit allerlei Verlusten oder Modificationen, bis auf die Gegenwart treu und rein erhalten. Es ist aber dabei merkwürdig genug und nicht ausser Acht zu lassen der Umstand, dass gerade die charak- teristischen Merkmale, wodurch wir heute die slavischen Sprachen auseinander halten, meistens in denselben Punkten zusammentreffen und dass diese Unterscheidungspunkte in der Regel über mehrere Sprachen, nur in ungleichen Dimensionen sich ausdehnen. Z. B. um gleich auf die nach Stojanovic noch immer als im Süden, in der heutigen Heimath des Serbischen, entstandenen und in diesem Sinne von ihm vertheidigten Punkte zu kommen, noch in der Ant- wort möchte er den Abfall des t-cl vor l der Entstehung nach dem Serbischen der neuen Heimath zuschreiben und zwar unter dem Einfluss einer fremdsprachigen Bevölkerung. Also Slaven, aus denen die heutigen Serben hervorgingen, hätten ursprünglich noch na^Jit njreT.iri, gesprochen, als sie auf die Balkanhalbinsel kamen, so wie die anderen Slaven , aus denen die heutigen Polen, Böhmen u. s. w. hervorgingen. Man muss betreffs dieses Merkmals vor allem sagen, dass es so leichter Natur ist, dass man kaum eines thrako- illyrischen Einflusses bedarf, um zu erklären, warum der eine Theil

Einige Streitfragen. 31

der Slaven naA^r^, der andere na.Ti. spricht. Im Altrussischen sprach man ja einst wie allgemein r-MiiÄTH-rHiiyrt, j etzt spricht mau rHfinyxb ; oder im Russ. spricht man noch heute ABHiiyTi,, im Serbokr. jetzt dignuf/', in früherer Zeit dvigtitäi, irgend ein fremder Einfluss hat diese Aeuderungen nicht verursacht. Nimmt man aber an, dass die Grup- pen dl, Ü die Vorfahren der späteren Serben und Kroaten aus dem Nordosten brachten, so mtisste man annehmen, dass zu jener Zeit auch die nächsten Nachbarn derselben, die Vorfahren der Russen, ebenfalls tl, dl gesprochen haben. Nun wäre es doch wenig wahr- scheinlich anzunehmen, dass bei den östl. Südslaven und bei den russ. Slaven, die unter ganz anderen Verhältnissen seit ihrer Tren- nung gelebt haben, bei den einen etwa durch den fremdsprachigen Einfluss (thrakoillyrischen), bei den anderen aus den inneren Gründen der eigenen Aussprache t-d ausgefallen wäre. Uud wenn dieser Abfall einer thracoillyrischen Reaction zuzuschreiben wäre, wiewird man sich erklären, dass das Slovenische, sonst so nahe an die übrigen südslav. Dialecte gebunden , t-d vor l bald abfallen lässt, bald nicht? Liegt es nicht viel näher anzunehmen, schon in der urslavischen Zeit habe der Abfall von t-d vor l einen grossen Theil des Slaventhums ergriffen, wie es scheint den südöstlichen (nach der alten Gruppirung) , während der nordwestliche an der Aussprache t-d vor l festhielt ; die Slovenen dürften an der west- lichen Linie die nächsten Grenznachbarn derjenigen Slaven ge- wesen sein, die t-d vor / wahrten und so griff einerseits diese Aus- sprache in ihr Gebiet hinein, anderseits erfasste sie von Südosten kommend jene andere Welle, die t-d yor l abgeworfen hatte. So ragten, was diesen Punkt betrifft, zwei Linien von zwei entgegen- gesetzten Seiten kommend, in das einstige slovenische Sprachgebiet hinein. Man braucht weder mit thracoillyrischen noch mit kelti- schen, weder mit finnischen noch mit deutschen Einflüssen zu ope- riren, um diese Erscheinung zu begreifen.

Was den zweiten Punkt, die Formel tort-trat anbelangt, so findet Prof. Stojanovic den Beweis für die auf dem südlichen Boden entstandene Metathese in dem Umstände, dass im Rumänischen die oben erwähnten zwei Wörter in der Formel alt-ard fortleben, ferner darin, dass die geogr. Namen Lahin, Rah, Skradm lauten. Darauf muss man erwiedern : 1) das rumänische Wort balta ist wahrschein- lich gar nicht direct aus dem Slavischen hervorgegangen, da wir

32 V. Jagic,

auch im Albanischen halt^ halte haben und merkwürdiger Weise auch im Hex. von Johannes Exarch, lesen wir 67 a: so^a cxHHAe ce

T05Ke H CXÖpaHHK ie;i;HHO HMBHOBa H ÖaJI^THHH H ÄtÖpH H KseptCKaM

M^cTa H pitfflaa also in Johannes Exarchus steht noch öajrTHiia, auch im Neugriech. ist ßältrj palus und es hat schon Mikl. in der Abhandlung »Die slavischen Elemente im Neugriech.« (S. 11) die Behauptung aufgestellt, dass das neugriechische wie das rumänische Wort balt^ albanisch und nicht slavisch ist. Es ist also möglich, dass in der bei Joh. Exarch bewahrten Form eher ein rumänischer Einfluss steckt. Man könnte auch auf den Gedanken kommen, dass öjiaTo im Munde der nichtslavischen Bulgaren die den Sprachwerk- zeugen dieses Volkes geläufigere Form *6a.iTo annahm. Das würde in MaiL^AH^Hie, naji"'Ti., eajiHocTL (cf. Archiv XVIII. 598) seine Ana- logien finden. Alles das wären »bulgarische« Doppelformen zu ÖJiaTo, njiaTi., cjiaHoeTii. Auch das andere Wort gard., das nicht Festung, sondern eine Hecke bedeutet, ist in Folge dieser Bedeu- tung wohl nicht aus dem Slavischen entlehnt, sondern stimmt mit dem alb. gerd in der Bedeutung Zaun überein und dieses Wort ist nicht aus dem Slavischen entlehnt. Also diese beiden Ausdrücke beweisen für die Entstehung der serbischen Lautgruppe trat aus tort im Süden gar nichts. Aber ebensowenig kann man aus dem geograph. Wortmaterial etwas ableiten. In alten Zeiten war der Sprachorganismus den fremden Wörtern gegenüber viel machtloser oder unbeholfener als später. Man liebte die Lautgruppe nicht, die man schwer aussprach, und machte aus Albotia Labin^ aus Arhe Rah, eben darum, weil man im eigenen Wortvorrath diesen Umwandlungsprocess durchgemacht hatte. Wenn in urslavischer Zeit die Lautgruppe tort theilweise trat ergab, und zwar ragte diese Linie bekanntlich selbst über das südslavische Sprachgebiet bis zu den Vorfahren der heutigen Slovaken und Cechen hinein so folgt daraus noch nicht, dass, sobald im einheimischen Wortvorrath dieser Process vollzogen war, die Nachwirkung dieser Fähigkeit bei den einzelnen Sprachen verloren ging. Wenn die Beweisführung Stojanovie's richtig wäre, dass man schon Alhona, Arhe gekannt hat, als man, ich weiss nicht unter welchem Einfluss, daraus Labin, Rah machte denn gerade die alte Ueberlieferung Albona, Arhe, Sardike, Sirmium, Aspalathuni, Pelso u. s.w. zeigt, dass weder die Römer noch die Illyrier oder Kelten etwas gegen diese Lautgruppe

Einige Streitfragen. 33

einzuwenden hatten, also etwas, was sie noch nicht hatten (d.h. die Ahneigung gegen die Formel tolt), nicht Anderen übermitteln konn- ten, erst die Slaven fanden etwas daran auszusetzen, sie müssen aber diese Eigenschaft bereits besessen haben, als sie das neue Leben mit Ausdrücken, wie die obenerwähnten, bekannt machte, wobei sie eben die besagte Eigenschaft nöthigte, Umgestaltungen vorzunehmen so müsste man nach derselben Logik auch noch auf die Bekehrung zum Christenthum gewartet haben, um mit dem heil. Martinus bekannt zu werden, da ja bekanntlich der Martins- tag in Mrätin da?i, mrätinshe pohlade^ mratinske cluge noci fortlebt, und ein Spruch lautet Sveti mräta sn'Jeg za vrata. Das ist eine Ein- zelumwandlung, die in anderen slav., Sprachen keine Analogien hat. Ebenso ist MpaMopx eine böhmisch-südslavische Umwandlung, die nicht in die urslav. Zeit zurückreicht, denn sonst hätte der Russe ^opoMopt, der Pole mromor (für marmur) die Russen haben MpaMopt von den Südslaven bekommen. Man sieht an solchen par- tiellen nachträglichen Einfügungen in die Hauptregel, dass der eigentliche Beweggrund zur Aenderung gerade darum in sehr alte Zeiten, weit hinter die letzte Wanderung zurückzuversetzen ist, weil die Aenderungen der Formel tort-toU so allgemein alle slav. Sprachen ergriffen haben. Nur dann, wenn z. B. nur die Südslaven rpaAt oaATb sprechen würden, alle anderen aber bei der Urgestalt geblieben wären, könnte man noch mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuthen, dass diese Metathesis erst auf dem neuen Heimaths- boden vor sich gegangen, wobei man aber auch die Sprache, resp. Völker nennen müsste, welche dieser Aenderung Vorschub leisteten. Wenn aber der Cechoslovake ebenso, vsde der Südslave hlad-hrad seit undenklichen Zeiten spricht, wenn auch der Pole eine Meta- these vornahm, nur im Vocal etwas abweichend, wenn auch die Ostslaven, die wir heute Russen nennen, an derselben Formel eine allerdings etwas andere Aenderung vornahmen so liegt darin für mich ein Beweis, dass dem slavischen Organismus schon sehr früh, in uralten Zeiten, in diesem Punkte eine gewisse Empfind- lichkeit eigen war, in Folge deren er die Formel tort zu beseitigen trachtete. Fast alle Slaven strebten der Lautgruppe voc. -f- r oder / -J- cons. dadurch auszuweichen, dass sie den Vocal zwischen r (oder /) -\- cons. einschalteten durch Platzveränderung oder durch Wiederholung desselben, also rpaAt-^roc^-ropeAi. Der wahre

Archiv für slavische Philologie SXII. 3

34 V. Jagic,

Grund, warum die Slaven bei gardas oder gordos nicht blie- ben, ist uns freilich unbekannt. Vielleicht hängt das mit der Nei- gung aller Slaven, den consonantischen Auslaut aufzugeben und den Vocal, der nun in den Auslaut kam, sehr zu schwächen, irgend- wie zusammen. Denn durch den Wegfall des auslautenden ä, n-m^ t mag der Slave bekundet haben , dass er keinen consonantischen Silbenschluss haben wollte. Das mag ihn dann veranlasst haben, auch im Inlaut dem consonantischen Silbenschluss aus dem Wege zu gehen. Setzen wir als vorslavisch gardas^ getrennt gar\das^ so haben wir zwei consonantisch abschliessende Silben; sagen wir *rpa|A'B, *rpo|A'B, so haben wir zwei vocalisch abschliessende Silben, sagen wir go\ro\d^^ so haben wir drei vocalisch abschliessende Sil- ben. Dies mag das Hauptmotiv dieser Aenderung gewesen sein, das mit den Thrako-Illyriern ebensowenig zu thun hat, wie mit den Finnen oder Kelten. Wann diese Vorgänge vor sich gingen, ist nicht leicht zu sagen aber wenn sie mit dem Consonantenausfall im Auslaut in Zusammenhang sind, so ist schon dadurch ihr hohes Alter einigermassen garantirt. Aber auf eine Thatsache möchte ich noch hinweisen, die für das hohe Alter spricht. Man hat schon längst constatirt. dass im Polabischen und zum Theil im Pomora- nischen auch noch die Form tort theil weise lebt. Polab. korim'c [ko7^vö), kasub. moi'z^ polab. porsang-porssang (npacA). Wie ist das zu erklären ? Ich glaube einfach so, dass die polabischen und pol- nischen Slaven an der äussersten Grenze gegenüber den Litauern (u. Preussen) lebten und dass als sich jene neue Strömung in Be- wegung setzte, sie die äussersten gegen die benachbarten Litauer (u. Preussen) hingestreckten Grenzen schwächer erfasste und desswegen die aus der lituslavischen Periode übrig gebliebene Formel tort vielfach noch fortdauerte.

Eine Bestätigung dieser Ansicht möchte ich auch darin erblicken, dass das Altpoln. ganz auf dem litauischen Standpunkte steht, indem es loilk : lit. ivilkas^pirwszy : lit. pirmas,p i e rs c (aus p ir s c) : lit. pirsz- tas, piers : lit pirszis u. s. w. wahrt. Das sind gewiss uralte Formen. Vielleicht erklärt sich auch das nls.psoso gegennhev prose dadurch, dass das letzte verhältnissmässig spät aus *porse hervorging, weil eben das NLs. in der nächsten Nachbarschaft des Lechischen stand und vielleicht erst unter der aus Böhmisch-OLs. zufliesseuden Strömung diesen ümwandlungsprocess durchgeführt hat.

Einige Streitfragen. 35

Was die verschiedenen Exponenten der Lautgruppen r//', tj, ktj\ gtj anbelangt, so verhält es sich damit in gleicher Weise. Zu behaupten, dass die verschiedenen Reflexe c-z [dz), ö-\), c-z, c-j\ sf-zcf erst in den neuen Heimathen der einzelnen slav. Völker ent- standen sind, ist erstens darum nicht möglich, weil sich mit der Idee der einzelsprachigen Modification die Thatsachen nicht decken. Wenn c-dz {z) in dem ganz nordwestlichen Gebiete wiederkehrt, so ist es doch wohl viel wahrscheinlicher, anzunehmen, dass diese Erscheinung eine alte, aber lange Linie repräsentirt, welche schon in der vorgeschichtlichen Zeit zur Geltung kam, als zu behaupten, im Böhmisch-Slovakischen, im Lausitzserbischen und im Lechischen sei diese identische Erscheinung überall unabhängig von einander und selbständig aufgetaucht. In der aus sehr alter Zeit überliefer- ten Form Weticeskms der latein. Urkunden ersehen wir, dass die böhm. Aussprache c für f/ bereits vorhanden war, als der Nasalismus (cf. Zventibaldus, Szventiepulc) noch nicht geschwunden war. Der Kaiser Constantin Porphyrog., der B?.aaTrji.ieQog schreibt aber ZayJ.ovuoi und BoiGeod-laßog, MovvTL}.if^qog^ 2(pev86jilo-/.og^ hat auch ro MsyvqeTovg^ während in den Eintragungen des Evan- geliums von Cividale (aus der Mitte des IX. Jahrh.) ein Name Liu- tisti vorkommt, offenbar Ljutisth. Uebrigens wozu bedürfen wir dieser dialectisch auseinandergehenden Beispiele, da wir fürs IX. Jahrh. bereits die ganze altkirchensl. Sprache vor uns haben. Es ge- hört aber eine eigene Glaubensseligkeit, die sich auf keine Gründe stützt, dazu, um zu behaupten, dass die Lautgruppen st'-zd'' erst im Süden aus tj-dj hervorgingen. Wir wissen allerdings nicht, was bei einem Theil der südslav. Stämme diese auffallende Lautgruppe her- vorgebracht hat, man muss annehmen, dass so wie im Französischen gegenüber dem Italienischen aus 7iocte nicht notte^ sondern nuit hervorging, d. h. kt ergab y^, so wird im Slavischen tioktis wohl zunächst ein nojtis gegeben haben. Während nun in den übrigen slav. Sprachen y< sich als tj wirkend zeigte, wie svetj'a zu sveca^ sveca, sveca wurde (vergl. mailänd. lac für lade, noc für noche und Span, noche = tioce), muss angenommen werden, dass in einer Sprachgruppe die Laute fj'-kf/ nach beiden Seiten hin Erweichungen ergaben: ßj-sts, dass also sowohl tiostsh (aus nokti-nojtj)^ wie auch svestsa (aus svetja-svejtja) die Form gelautet hat die Lautgruppe sts vereinfachte sich zu st\ wie das auch bei s^/' sichtbar ist : noUh

3*

36 V. Jagic,

und ognisfe. Miklosich, der in der Böhtlingk-Festsclirift »über die Lautverbindung kt in den indoeurop. Sprachen« geschrieben hat, nimmt Metathese an, so dass pesti aus petsi^ svesta aus svetsa [svetja] hervorging. Ich halte diese Erklärung für unwahrscheinlich, sie erklärt nicht die Weichheit der Lautgruppe st\ abgesehen davon, dass man sehr schwer begreift, vrie ein svetsa veranlasst werden sollte, eine Metathese zu svesta vorzunehmen. Wir finden zwar solche Erscheinungen wie kojn statt kon, wie tiaci statt najti (dann auch najci^ dojd^e für dojde oder dode) aber das sind keine ausreichen- den Parallelen. Eine Parallele wäre es, wenn im Bulg. statt *H0^b etwa*Hoj^ii> gesprochen werden würde, nicht aber houitb, nnmx'a, cBiuix'a. Dass aber die Aussprache nHinx'a, CB^niT'a die älteste ist, dafür sprechen 1) die ältesten Sprachdenkmäler, die sehr genau in allen Fällen, wo das angebracht ist, den weichen Charakter der Lautgruppe zum Vorschein treten lassen, 2) die Beobachtung an verwandten Sprachen, so z. B. eine ältere oder wenigstens alter- thümlichere Aussprache ist otpuscati als otpustati^ ognisce als ognisie. Aber auch für die Auffassung des nemTL als hervorge- gangen aus neinTuiL sprechen solche Erscheinungen, wie im Alt- böhmischen die Lautgruppe ske zuerst sce (d. h. 57Äe), dann sfe [ste). Aelter hiess es lucisce, puscen, scastny^ tsce, später lucisfe, pusfen, sfastnyj tste. Ps. Klem. saec. XIV schreibt /czewce (103. 21) und ftenye (16. 12). Wenn man diese Parallelen nebeneinanderstellt, so verliert die Annahme, dass das altkirchenslavische st' zd' späte Erscheinungen sind, erst im Süden entstanden, jede Ueberzeugungs- kraft.

Aber nicht nur diese Merkmale sind uralt, auch andere Er- scheinungen können dafür angeführt werden, dass sie schon in der urslavischen Zeit als dialectische Sonderungen gelebt haben: ich erwähne einige. Während die Gesetze des ersten und zweiten oder hinteren und vorderen Palatalismus offenbar alt urslavisch sind denn alle slav. Sprachen wurden von ihnen im Gegensatz zum Balti- schen gleichmässig ergriffen d. h. alle Slaven sprachen Vocativ oTpoye undNom.plur. oTpoi],H scheint der Dualismus in uiB^Ti. und kvet, 3B'63Aa und gwiazda-Jwezda doch auch urslavisch zu sein. Man sieht auch hier, dass die Formen mit ko für cw, gv für zv nicht nur die ganze nordwestslav. Gruppe umfassen, sondern theilweise auch das kleinruss. Gebiet streifen, man sagt klr. KBHJiiTH, kbit wie

Einige Streitfragen. 37

Polonismen sehen die Worte nicht aus ! Bekanntlich ist auch das /-epentheticum eine urslavische Erscheinung man kann aber nicht sagen, dass die Vertheilung dieses Merkmals durch die slav. Sprachen sich mit irgend einem anderen Merkmal deckt. Denn das Ausbleiben des /-epentheticum ist nicht auf die nordwestslavische Sprache beschränkt, sondern auch im Süden muss es Dialecte (innerhalb des Bulgarischen) gegeben haben, die seit alten Zeiten das Z-epentheticum nicht anwendeten. Man muss hier von den ein- zelnen Worten wie seim. na scmh absehen allein wenn ein so umfangreiches Sprachdenkmal, wie Supr. Cod., dem Z-epenthe- ticum aus dem Wege geht, so muss dahinter ein Dialect stecken. Bekanntlich schreibt Cod. Supr. ocTaB^a, HcnpaBteHHie, npocjiaB&Kiio, cjaBfcMuie, jiioöfcMi, ocjiaöfeKHaaro u. s. w. Es wäre aber sehr schön, wenn wir wüssten, wo dieses alte Sprachdenkmal geschrieben wurde. Ich vermuthete einst, dass es vielleicht in die Gebiete des alten Daciens zu versetzen sei, das würde dafür sprechen, dass der dortige slav. Volksstamm ein nächster verwandter der Donau- bulgaren — das Z-epentheticum nicht kannte. Vondräk wollte es in das russ. Gebiet versetzen ; dann wäre es schon näher irgendwo dort, wo es später gefunden wurde, an die Grenze des weissruss.- polnischen Sprachgebietes zu versetzen doch dafür sind bis auf den Mangel des Z-epentheticum sonst keine Indicien vorhanden.

Ich glaube, dass in der Aussprache der Nasallaute, des Vocals i und vielleicht der Vocale t t k dialectische Nuancen schon in der slav. Urzeit vorhanden waren. Wahrscheinlich war schon da- mals der Hang zur Zusammenziehung der Vocale in verschiedenen Dialecten vorhanden, z. B. Aoöpoie ergab in den nordwestslavischen Sprachen die zusammengezogene Form dobre^ im Osten blieb die unzusammengezogene die üblichste, dennoch erfasste die Zu- sammenziehung des Nordwestens auch einen Theil der Russen (die Kleinrussen), die zusammenziehen in e: -lerKe, ^ÖBre, npH^aHe. Im Süden wird die Zusammenziehung in o vorgenommen : dobro. Nach den altsloven. Denkmalen zu urtheilen müsste man annehmen, dass diese Zusammenziehung in den ersten Jahrhunderten der geschicht- lichen Zeit noch nicht üblich war, allein das scheint nur für das Altkirchenslavische und wohl auch für das gesammte ostslavische (russische) Gebiet richtig zu sein es ist fraglich, ob für das ganze Gebiet des heutigen Bulgarischen kaum für das Serbokroatische

38 V. Jagi(5,

und Slovenische. Fürs letztere haben wir directe Beweise einer uralten Neigung zur Zusammenziehung in den Freisinger Denk- mälern, wo wir sogar lesen: me telo, mo duso, mo veru, tvo milost, vecne veselje, nu je prestupam, klanam se, und im Serbokroat. schon die ältesten Sprachdenkmäler, so in Chiland. typik. aus dem J. 1198: Bt np^KpacHe Aoyuie, i& BipH ejijme, a Apoyro 6^, bl MajioMb H CM^peHOMt oöpaai, wöhm&vmoy MOJiHTBoy, cxa bl hch ctBptmaeMa cTpaiuHa coyxt 8^. Gewiss stellt auch der Genitiv auf -ra einen ur- alten dialectischen Zug dar, der schon in der Urheimath neben -ro sich entwickelt hat. Auch die Beeinflussung der zusammengesetzten Adjectivdeclination seitens der pronominalen dürfte schon in der Ursprache begonnen haben. Wenn in der Urkunde des Kulin ban CBeTora, stjora, wenn in den Freising. Denkmälern nicht nur mno- ffoffa, sondern auch schon nepravdnega, svetemu zu finden ist so spricht das für ein sehr hohes Alter, vergl. auch mrchnemo, vse- mogocemu, zeleznech. Ich vermuthe, dass auch in der Conjugation schon in der vorgeschichtlichen Zeit allerlei dialectische Abwei- chungen sich geltend machten. Z.B. in der ersten Person plur. wird es wohl schon in den ältesten Zeiten neben pe^eMi auch pe- TieMH, oder -ms, und pe^ieMo gegeben haben, das Slovenische und Serbokroat. wird schon damals zur Endung -mo inclinirt haben, ebenso das Böhm, zu -me. Es ist interessant zu beobachten, wie -mo nicht nur sloven. und serbokroat., sondern auch slovakisch und zum Theil kleinruss. ist. Ebenso ist -me nicht nur im Böhmischen das üblichste, sondern es kommt auch im Bulgarischen vor die Endung -wh ist altkirchenslav.-bulgar.- russisch, aber auch altböh- misch — im Poln. ist -my die übliche Endung, ebenso im Ls., gewiss war dieser bunte Wechsel schon in der Urzeit vorhanden. Sehr wahrscheinlich ist die Vermuthung, dass die 2. Fers. sing, in den meisten slav. Sprachen auf -mt lautete, so dass -peyemH nur beschränkt wäre, vielleicht entstanden nach kch, Aacn. Vielleicht haben sich auch betreffs der 3. Pers. sing, schon in der Urzeit En- dungen auf vocalischen Auslaut und auf -tb oder -xi. gekreuzt. . Es ist also mehr als wahrscheinlich, ja man kann sagen, es ist gewiss, dass schon in der vorgeschichtlichen Zeit der slavischen Sprache, wo man von einer Ursprache zu reden pflegt, nicht un- bedeutende dialectische Abweichungen vorhanden waren. Eine urslavische einheitliche dialectlose Sprache hat es nicht gegeben.

Einige Streitfragen. 39

4. Nochmals die Kijever Blätter.

lieber die Provenienz der Kijever Blätter schrieb ich unter Nr. 1 der Streitfragen (Archiv B. XX S. 1 ff.) ziemlich ausführlich. Ich hätte nicht geglaubt, dass es noth wendig sein wird, so schnell nochmals darauf zurückzukommen. Und doch ist das der Fall. Die Veranlassung giebt mir eine lange Anmerkung V. N. Scepkin's, auf S. XVIII XX seiner Vorrede zu der vor kurzem im Sonder- abdruck aus den HsB^cTia erschienenen Abhandlung über die Sprache des bekannten altkirchenslavischen Denkmals ))Savina kniga«. Ueber den ganzen Inhalt dieser beachtenswerthen Monographie wird an einer anderen Stelle dieser Zeitschrift referirt werden, ich beschränke mich auf die besagte Anmerkung. Sie ist so gehalten, dass ich wohl voraussetzen darf, der Verfasser habe meine Beweis- führung gelesen, ohne jedoch von derselben tiberzeugt worden zu sein. Das muss ich freilich beklagen. Doch ich bin weit entfernt von der Einbildung, als mUsste ich immer das richtige getroffen haben und überall das Recht behalten. So auch im gegebenen Fall, wenn ich auch, aufrichtig gesagt, eine Widerlegung meiner dortigen Auseinandersetzung nicht für sehr leicht hielt. Mir schien vielmehr die Sache nach jener Darlegung so einleuchtend zu sein, dass ich selbst bei grosser Vertiefung und allseitigem Nachdenken über diese Frage keinen triftigen Grund ausfindig zu machen im Stande war, der dagegen vorgebracht werden könnte. Um so mehr war ich auf den Widerspruch Scepkin's gespannt. Wollen wir hören. Er sagt wörtlich Folgendes:

»Die Darlegung meiner Ansicht über die altslavische und bul- garische Dialectologie wäre nicht vollständig, wenn ich die Streit- frage über die Sprache der Kijever Blätter mit Stillschweigen über- gehen wollte. In verschiedenen Abschnitten meines Buches sind Citate und Angaben zerstreut, aus denen ersichtlich ist, dass ich dieses Denkmal nicht dem XL, sondern dem X. Jahrb. zuweise und in seiner Phonetik eine altslavische Mundart erblicke. In dieser Weise schliesse ich mich der Ansicht Miklosich's und der Ansicht Fortunatov's an, die letztere wurde jüngst von Ljapnuov im Drucke veröffentlicht. Ich stelle die Behauptung auf, dass niemals und in keiner Weise, weder durch directe Beweise noch durch Analogien aus der Geschichte des slavischen oder irgend eines anderen Schrift-

40 V. Jagid,

thums die Berechtigung jener anderen Ansicht erwiesen werden kann, welche in einem dialectischen Merkmal der Kijever Blätter (in tj^ M =^c, dj=z^ tj\ sk^ = sc) einen westslavischen Charakter- zug erblicken will, der in den altslavischen Text zum Zweck seiner Annäherung an die Volkssprache der Mährischen oder irgend welcher anderen Gebiete , wo die slavische Liturgie Eingang fand, hineingetragen wurde. Von den Grenzen, die der Kraft und Aufmerk- samkeit eines einzelnen Individums gesteckt sind, gar nicht zu reden, d. h, nicht zu reden von der befremdenden Abwesenheit selbst der geringsten Schwankungen zwischen -a, und mx, mq und uit, 3 und atA im Texte der Kijever Blätter, so muss man doch bekennen, dass die consequente Hineintragung eines phonetischen Merkmals dem Geist und den Zielen der Schreiber aller Epochen zuwider- läuft und in der Praxis bei dem Schreiber des X. Jahrh. linguisti- sche Kenntnisse erfordern würde. Ausser dem erwähnten phone- tischen Merkmal verwiesen die Anhänger der von mir bekämpften Ansicht noch auf die in den Kijever Blättern vorfindlichen Formen i^iptK-LBe, i];HpKtHai für i^ptK^Bs, nptK'iBLHai. In ihrer Eigenschaft als Entlehnungen beweisen diese Wörter eben so wenig, wie KpLcxt, ou.bTT,, ojiii, o.in.TapB, KOMtKaxH und andere pannonische Ausdrücke, deren einige ebenfalls phonetische Varianten neben sich haben, wie ojBH, ejiBH, aJitTapt. Die phonetische Form i^ipK- statt irptK- ist sehr charakteristisch für die Epoche der Kijever Blätter, doch auf keinen Fall kann sie als Hinweis auf eine bestimmte Oertlichkeit gelten, da ja gerade die liturgischen Ausdrücke sehr weite Ver- breitung ausserhalb der Grenzen ihrer Entstehung erleben können. Für die Würdigung der Kijever Blätter ist es wichtig, hervorzu- heben, dass Niemand bisher den Muth hatte, sie ganz aus der Classe der altslavischen Denkmäler auszuscheiden, wogegen die ganze Phonetik des Denkmals laut Einsprache erheben würde: die oflFene Aussprache des i (a als i und m), die Zusammenziehung -aro und -oyivioy, die consequente Anwendung des /-epentheticum, die Aende- rung des i in der Richtung nach t, dann das Vorkommen des t und % statt H und h in bestimmten grammatischen, durch den Einfluss der Analogie entstandenen Formen. Nur nach dem Merkmal ^'=i^, dj^z zeigt die Sprache der Kijever Blätter geschichtliche Ver- wandtschaft mit den westslavischen Dialecten, wie die altslavischen Denkmäler des XI. Jahrh. durch das Merkmal mx, ay; geschieht-

Einige Streitfragen. 41

liehe Verwandtsehaft mit dem ostbulgarischen Dialect bekunden. Allein es wäre verfehlt, aus diesem Grund die Sprache der Kijever Blätter für einen westslavischen Dialect zu halten, da die ganze sonstige Phonetik dieser Annahme widerspricht, sie zeigt deutlich, dass die Verwandtschaft mit den westslavischen Dialecten nach dem Merkmal ^' = i^ u. s. w. nur auf eine sehr alte Epoche (aus der Zeit vor der bulgarischen Einheit) zurückgeführt werden könnte. Wenn die Kijever Blätter wirklich dem X. Jahrh. und nicht einer früheren Zeit augehören, was weder durch die Graphik noch durch die Sprache ausgeschlossen ist, so kann auch die consequente Be- wahrung von -i/i nicht als das älteste Stadium der Sprache, son- dern als ein charakteristischer Zug des archaistischen Dialectes angesehen werden. Da uns directe Daten für die territoriale Be- stimmung dieses Dialectes abgehen (seine Mundarten könnten mit- hin zwischen o/e und -i/l zerstreut gewesen sein und ausserdem continuirliche Territorien an den Grenzen zwischen jenen beiden Dialecten oder überhaupt ausserhalb derselben gebildet haben), so sind wir der Nothwendigkeit überhoben, den Dialect der Kijever Blätter irgend einer bestimmten Oertlichkeit zuzuweisen. Einige Wahrscheinlichkeit hat für sich die Ansicht, die diesem Dialect auch für geschichtliche Zeiten einen angrenzenden Platz zwi- schen den Gebieten der westslavischen und südslavischen Dialecte einräumt ;Ljapunov, HeKpojron, OöjraKa in IlaBicTia I. 928), doch darf man nicht ausser Acht lassen, dass das nur eine von den vielen Möglichkeiten ist. Die frühe Nachbarschaft mit den westslavischen Dialecten, die durch das Merkmal cjz gekennzeichnet ist, ent- scheidet nichts in der Frage über die Heimath der Sprache der Kijever Blätter in geschichtlichen Zeiten. Und wenn Geitler und Kaiina ohne hinreichenden Grund die Sprache der Kijever Blätter nach Macedonien versetzten (cf. Oblak im Archiv XV), so sind eben so wenig im Rechte ihre Gegner, die diese Möglichkeit in Abrede stellen nur aus Mangel an überkommenen Thatsachen. Eine alt- slavische Mundart mit dem Merkmal cjz^ vom Schicksal südlich von der Donau verschlagen und dort von den Mundarten eines an- deren Typus umgeben, musste dem unvermeidlichen Nivellirungs- process unterliegen, wenn ihr ein umfangreicher Zusammenhang abging. Als ein sehr scharf hervortretendes Merkmal musste clz vor den Gruppen mx, •&?,, k, f, luy, ka^j, zurückweichen; diese

42 V- Jagic,

Gruppen rerdrängten im Wege der alltäglichen Beziehungen die Laute cjz gleichzeitig in bestimmten, grenzbenachbarten Gegenden und ausserhalb dieser Gegenden in bestimmten, am meisten ge- bräuchlichen Wörtern. Und wenn schwache Spuren des dialecti- schen Merkmals cjz bis auf heute in bulgarischen Mundarten wahr- zunehmen sind, so gebührt diesen in den Augen eines unbefangenen Forschers eine ganz besondere Wichtigkeit. Bisher hat man als eine solche Spur das im Gebiete von Sofia gehörte bh3 (= BnatAt) citirt. Jetzt gesellt sich dazu der Trnover Archaismus öesnaAeseH (für öesHaAe^KABH'L) in der Bedeutung ueoqaKBaH (unerwartet), vergl. Sbornik XIV, lexicogr. Mater, der Trnover Mundart), (r

Ich Hess den kenntnissreichen Jünger Fortunatov's vollinhalt- lich zu Worte kommen. Hoffentlich habe ich den allerdings nicht immer klaren Sinn seiner Worte überall genau wiedergegeben. Gehen wir nun zur Analyse dieser seinen Beweisführung. Ich muss vor allem hervorheben, dass manches davon, was hier gesagt ist, schon längst allgemein als von allen angenommen gilt, einiges wenigstens von mir bereits früher behauptet wurde. So das hohe Alter des Denkmals, das ich selbst bekanntlich entweder in die letzten Jahre der Wirksamkeit Method's oder bald nach seinem Tode versetzen möchte. Eben so gilt als unzweifelhaft die Angehörigkeit des Denkmals nach seinem sprachlichen Charakter dem echten alt- slo venischen Dialect, bis auf die bekannten Abweichungen cjz u. s. w. Die ganze Streitfrage culminirt also darin, ob in der Sprache dieses Denkmals alles, was uns vorliegt, im gegebenen Zusammenhang treue Abspiegelung einer echten volksthümlichen einheitlichen Mund- art bildet oder ob in diesem Denkmal eine Contamination des echten Altkirchenslavischen mit einer an die Sprache einer bestimmten Oertlichkeit bezüglich eines hervorstechenden phonetischen Merk- mals gemachten Concession vorgenommen wurde. Das letztere be- haupte ich, Scepkin stellt dagegen die Möglichkeit einer solchen Annahme mit sehr energischen, leider nur ganz allgemein lautenden Worten in Abrede. Sein Verhalten meiner Ansicht gegenüber er- innert mich an eine in meinen jungen Jahren erzählte Anekdote von einem alten Professor der Theologie, den ich persönlich kannte. Er rühmte sich in einer gelehrten Disputation seinen Gegner gründlich widerlegt zu haben, diese Widerlegung gipfelte in dem Satz: domine, hoc non est verum! So ungefähr geht auch Herr

Einige Streitfragen. 43

Scepkin vor, er erklärt meine und aller anderen Auffassung, dass cjz und sc der Kijevcr Blätter ein in die kireheuslavische Sprache eingetragenes, von einem Individuum der c-2-Sprache herrührendes locales Merkmal sei, für unmöglich, mit Worten, die jenem domine hoc non est verum sehr ähnlich sind! Während ich schon in meiner oben citirten Auseinandersetzung auf andere derartige Modifica- tionen des Altkirchenslavischen, auf Anbringung solcher localer Striche hingewiesen habe, verharrt Herr Scepkin bei seinem domine, hoc non est verum ! Der von ihm perhorrescirte Linguist des X. Jahrh. kehrt doch auch sonst recht häufig in mannigfacher Gestalt wieder. So hat er z. B. in dem glagolitischen Schriftthum der Kroaten sehr früh seine Meisterschaft auf dem Gebiete des Vocalismus (e für a, oy für A, H für 1.1) gezeigt, in den Prager Fragmenten bewährte er sich mit gleicher Folgerichtigkeit betreffs cjz u. ä. Ich möchte Herrn Scepkin bitten, doch zu bedenken, dass wir nur mit schwachen Ueberresten der einstigen Zahl der Denkmäler zu operiren haben, und wenn trotzdem in zwei glagolitischen Denkmälern cjz als ein ohne Zweifel absichtlich in einen nicht böhmischen Text einge- setzter Bohemismus constatirt werden muss, mögen auch die sonstigen Eigenschaften dieser beiden Denkmäler (Kijever Blätter und Prager Fragmente) weit auseinander gehen, bezüglich cjz sind sie gleich so verlieren die Bedenken hinsichtlich der Beschränkung in der Kraft und Aufmerksamkeit eines einzelnen Individuums und bezüglich der linguistischen Routine der Schreiber des X. Jahrh. U.S.W. jedeUeberzeugungskraft, es bleibt von allen Argumenten als Residuum nichts als das domiue hoc non est verum übrig, und ein solches Argument imponirt mir nicht!

Mit Recht hat man neben cjz auch auf ii;HpK- statt i^ptK- hinge- wiesen, beide Erscheinungen decken sich nach meiner Auffassung vortrefilich. Für die Annahme, dass auch in dieser Form eine Con- cession an die locale Umgebung zu erblicken ist, spricht die That- sache, dass noch heute an den zwei entgegengesetzten Grenzen Pannoniens, bei den Slovaken im Norden und den Kajkroateu im Süden das Wort gerade in dieser Form vorkommt: slovak. cirkev, cirkvica, kroat. cirkva, cirkvica u. s. w. Die freisinger Denkmäler, deren pannonischer Ursprung mir mit jedem Jahr deutlicher vor die Augen tritt, geben einen weiteren, durch das Alter hervorragen- den Beleg für diese pannonische Form des Wortes. Ich würde sehr

44 V. Jagic,

bedauern, wenn Herr Scepkin gegenüber der unabweislichen Kraft dieser Argumente seinem leeren Gerede noch immer den Vorzug geben wollte.

Scepkin glaubte freilich mit seiner Weigerung in guter Gesell- schaft zu sein, da er sich auf Miklosich und Fortunatov berufen konnte. Betreffs Miklosich's habe ich bereits a. a. 0. S. 7 aus- einandergesetzt, dass er, der ja auch die Vorfahren der heutigen Slovaken für pannonische Slovenen erklärte und in Pannonien über- haupt die Heimath der kirchenslav. Sprache suchte , auf den von ihm vertretenen Gedanken sehr leicht kommen konnte. Doch Scepkin scheint mit den Prämissen der Miklosich'schen Conclusion nicht einverstanden zu sein. Daher fehlt seiner Berufung auf die Uebereinstimmung mit Miklosich jeglicher Hintergrund. Was aber Fortunatov's Ansichten anbelangt, so muss ich gestehen, sie noch immer nicht zu kennen. So weit sie von Ljapunov vertreten waren, habe ich darüber schon meine Meinung gesagt. Hat er keine bes- seren Gründe, als die hier von Scepkin vorgebrachten, so muss es mir gestattet sein , mich mit ihm in diesem Punkte nicht in Ueber- einstimmung zu befinden. Ich bin ja der Verpflichtung iurare in verba magistri überhoben.

Herr Scepkin denkt sich, wie es allen Anschein hat, die Sprache der Kijever Blätter als einen solchen echten Volksdialect der Balkanhalbinsel, der neben allen sonstigen Merkmalen des reinsten Altkirchenslavischen auch noch i^, 3, lu^ (statt m, >ka, uit) gebrauchte. Schade, dass der Verfasser bei seiner lebhaften Phan- tasie das Bild nicht noch weiter ausmalte. Er beruft sich auf bh3 in Sofias Umgebung und jetzt auf öesHaAestAH in Trnovos Um- kreis. Betreffs des ersten Wortes verweise ich auf Oblak's Aus- einandersetzung (Archiv XVI, 613) ; was aber den trnover Ausdruck anbelangt, so dürfte auch er in ähnlicher Weise zu erklären sein, als etwas local-neues , vielleicht als Anlehnung des zweiten a: an das in der ersten Silbe befindliche 3, also feminin 6e3HaAe3Ha statt 6e3HaAe>KHa. Jedenfalls wäre es ein sehr gewagtes Unternehmen auf Grund dieser zwei Ausdrücke (beide noch dazu aus ganz ver- schiedenen Gegenden stammend) von einem westslavischen Dia- lecte mit ii;-3, sei es bei Sofia, sei es bei Trnovo, träumen zu wollen und ich möchte den talentvollen Forscher darauf aufmerksam machen, dass es zu keinem guten Ende führt, wenn man sich einer-

Einige Streitfragen. 45

seits solchen eingebildeten Hypothesen hingibt, anderseits die nahe liegenden Thatsachen ignorirt. Das thut er, indem er die Beweis- kraft von i^iipK^Be bekämpft und die Bedeutung des vereinzelten BH3 übertreibt. Wo findet man auf der alten slav. Sprachkarte solche Risse, wie sie die Deutung Scepkin's voraussetzt ? Oder will er eine slovakische Colonie im IX. X. Saec. nach Sofia oder Truovo schicken ?

Das Nichteingehenwollen in die über denselben Gegenstand vorgebrachten Gründe seiner Vorgänger erzeugt leicht den üblen Eindruck, dass man an der Kraft der vorgebrachten Argumente irre wird. Man wendet sich nothgedrungen an die bewährten Mit- arbeiter auf demselben Forschungsgebiet. Das that auch ich , in- dem ich mich brieflich an den ältesten Freund und Fachgenossen Prof Leskien in Leipzig wandte, um von ihm zu erfahren, wie er sich zur Sache verhält. Ich bin in der Lage, aus seinem Schreiben vom 23. December folgende Worte mitzutheilen : »Die Stelle bei menKHHx hatte ich gelesen und mich gewundert über die sonderbare Argumentation. Ich brauche darüber nichts weiter zu sagen, als dass ich Ihren Ausführungen im Archiv XX vollkommen zustimme. Es ist bei der Sprache der Kijever Blätter, d. h. ihrem sonst rein altkirchenslavischen Charakter, wie wir ihn aus den anderen Denk- mälern kennen, ganz unmöglich, die c und z anders zu erklären, als durch eine beabsichtigte Aenderung, die das dem Westslovenen besonders auffällige U^ zd beseitigt hat. Ich kann Ihren Argu- menten auch nichts neues hinzufügen. Der Versuch menKHHt's irgendwo einen Punkt zu finden, wo ein so zu sagen urslavischer Dialect auf der einen Seite alle Eigenschaften des uns bekannten Altkirchenslavischen , offenbar also in Berührung mit diesem, aus- bilden und dabei durch eine Berührung von anderer Seite gerade nur das cz entwickeln konnte, schwebt völlig in der Luft. Man kann sich so etwas wohl theoretisch ausspinnen, allein weder durch analoge Fälle beweisen noch innerlich wahrscheinlich machen.ft

Ich kann diesen Worten nichts weiter beifügen als den Wunsch, der Verfasser möge es sich nochmals überlegen, ob er nicht am Ende doch auch uns beitritt. V. J.

46

Zur Eenaissance der böhmisclien Literatur zu Ende des vorigen Jalirliunderts.

Wenn es sich um die Darstellung der böhmischen Literatur seit Ende des vorigen und zu Anfang des jetzigen Jahrhunderts handelt, so kann man mit vollem Rechte von einer Wiedergeburt, von einer Renais- sance derselben sprechen. So hat man es auch immer gethan, immer hat man von einem »znovuzrozeni«, »vzkriseni« u. dgl. gesprochen. Erst in letzter Zeit ist eine andere Ansicht ausgesprochen worden und zwar von dem böhmischen Literarhistoriker Jaroslav Vlcek, der be- kanntlich eine ausführlichere Geschichte der böhmischen Literatur heraus- gibt (Dejicy ceskö literatury). Diese neue Ansicht spricht er zunächst aus auf dem Umschlage zum 7. Hefte seiner erwähnten Literaturge- schichte, dann ausführlicher in dem Artikel: »Nase obrozeni. Pohled s ptaci perspektivy« in den »Rozpravy filologick^ vSnovane Janu Ge- bauerovi« (S. 1 10). Darnach könnte man eigentlich nicht von einer Wiedergeburt, von einer Renaissance sprechen, sondern nur von einer Neubelebung der böhmischen Literatur. Man stelle sich gewöhnlich meint er die 1. Hälfte des XVIIL Jahrh. als die tiefe Bewusstlosig- keit eines Verurtheilten, der scheinbar todt wäre, vor, allein es wäre nur ein Schlummer gewesen. Um nun zu beweisen, dass die böhmische Literatur wirklich nicht ganz im XVHL Jahrh. ausgestorben war, be- handelt er in den beiden Heften 7 und 8 ihre Produkte in einer sehr erschöpfenden Weise, wobei ihm namentlich die Quantität dieser Produkte zu imponiren scheint. So meint er auch in »Nase obrozeni«, dass sich immer noch die Tradition behaupte, das böhmische Schriftthum wäre zu Ende des XVII. und Anfang des XVIIL Jahrh. ausgestorben, so dass seine Wiederbelebung zu Ende des vorigen Jahrh. eine Wunder- erscheinung wäre. Er spricht daher absichtlich immer nur von einem »obrozeni« (Neubelebung, Wiederbelebung) und meidet principiell den Ausdruck « znovuzrozeni (f (Wiedergeburt). Die Differenz in der Auf- fassung könnte unter Umständen nicht einmal so gross sein, denn es handelt sich darum, was man unter einem literarischen Schlummer und

Zur Renaissance der böhm. Literatur des vorigen Jahrhunderts. 47

was man unter Literatur überhaupt versteht, allein ein Unterschied be- steht gewiss. Es muss nun hervorgehoben werden, dass man, wenn von einer Wiedergeburt, von einer Renaissance gesprochen wird, dies selbst- verständlich nicht so versteht, als ob es vor derselben keine Böhmen, keine böhmische Sprache, also auch keine Produkte derselben gegeben hätte, denn dann wäre ja jede Renaissance überhaupt nach menschlicher Voraussicht unmöglich. Wir setzen dabei weiter voraus, dass es keine lebensfähige Literatur gab, oder dass man das, was damals in Böhmen gedruckt wurde, eigentlich nicht als literarische Produkte auffassen kann, dass mit der Renaissance ein neues literarisches Leben begann, dass neue Ideen sich geltend machten, die eben damals ganz Europa bewegten. Es war wirklich etwas Neues. Das Gegentheil davon müsste uns nun Vlcek beweisen, allein dieser Beweis ist ihm nicht gelungen.

So wie wir es hier dargestellt haben, wurde und wird jetzt immer unsere Renaissance aufgefasst. Wir wollen hier beispielsweise auf Tief- trunk's »Historie literatury ceske« hinweisen, die freilich sonst in viel- facher Hinsicht nicht gerade als ein Muster hingestellt werden kann, immerhin aber muss sie beachtet werden. Tieftrunk spricht nicht von einem vollständigen Aussterben der böhmischen Literatur im XVIII. Jahrh., sondern sagt, dass nach Komensky, insbesondere im XVIII. Jahrh. unsere Literatur immer mehr und mehr sank (3. Aufi. v. J. 1885, S. 90) und führt dann als eine charakteristische Erscheinung dieser Epoche die Jesuitenliteratur an. Von den »literarischen« Jesuiten des XVIII. Jahrh. erwähnt er allerdings nur beispielsweise einige, wie Joh. Barner und Ant. Koniäs. Auf S. 92 sagt er vom böhm. Schriftthum der damaligen Zeit, dass es an Reichhaltigkeit und Mannigfaltigkeit immer mehr ein- büsste, bis es im XVIII. Jahrh. einseitig wurde, indem es beinahe aus- schliesslich religiösen Zwecken diente. Dann geht er auf den Inhalt und die äusserst mangelhafte sprachliche Form näher ein. Er setzt also nirgends ein völliges Aussterben des böhmischen Schriftthums voraus und doch leitet er die neue Epoche mit der Ueberschrift ein : » 0 vzkri- seni ireci a literatury ceskö« (wörtlich: lieber die Auferweckung der böhmischen Sprache und Literatur).

Der ausgezeichnete Kenner der böhmischen Literatur, insbesondere in ihrer mittleren Zeit, Ant. Truhlär, der unter anderem auch den be- ü-eflfenden Artikel in Otto's Slovnik naucny schrieb (Bd. 6, 8.289—302), hebt ebenfalls bei der Behandlung des XVUI. Jahrh. die Jesuitenliteratur hervor (Bilovsky, Fab. Vesely, Tucek) ; weiter macht er auch auf die

48 W. Vondräk,

volksthümlichen Dichtungen des G.Volny aufmerksam u.s. w., und doch muss er zugeben, dass hier ein Zerfall eintrat, der eine dem Tode ähn- liche Ohnmacht herbeiführte (S. 300). Daher wird dann auch die Neu- zeit, welche Fz. Bily darstellt, mit Recht als ein znovuzrozeni bezeichnet (S. 302). Derselbe behandelt ebenfalls die neue Zeit in Pamätuik etc. der böhmischen Akademie der Wissenschaften (Prag 1898), S. 111 144. Er gibt zwar zu, dass die böhm. Sprache nicht so gesunken war im XVin. Jahrh. und nicht so ausgestorben im öffentlichen Leben, wie die Mehrzahl der ältesten Schriftsteller allerdings nur im Allgemeinen behauptete und wie es dann später als ausgemacht galt. Dessen un- geachtet spricht er auch hier von einer »Zora vzkriseni« (Morgenröthe der Auferweckungj . Und so noch bei anderen Literarhistorikern wie Jirecek, Pypin u. s. w. Diese Auffassung ist also allgemein. Was be- rechtigt nun Vlcek dazu, dass er eine mehr oder weniger abweichende Ansicht vorbringt. Wenn wir seine beiden Hefte durchgehen, so können wir nichts finden, was uns dieselbe halbwegs plausibel machte. Vlcek zählt uns ausführlich so ziemlich alle die literarischen Produkte des XVin. Jahrh. auf. Natürlich füllen wiederum die Produkte der geist- lichen und insbesondere der Jesuitenliteratur die grössere Partie der Hefte aus. Er geht hier sogar so weit, dass er uns ziemlich ausführlich den theilweisen Inhalt der einzelnen Postillen angibt. Wir wollen zwar nicht engherzig sein, aber wir müssen uns doch verwundert fragen, wie so das alles in eine Literaturgeschichte kommt ? Das kann für den Culturhistoriker ein überaus schätzenswerthes Material sein, aber der Literarhistoriker wird daraus nicht denselben Gewinn ziehen können. Wenn er schon dem Principe huldigt, dass die Literaturgeschichte eine Geschichte der Ideen, nicht aber der Bücher sei, so wird er sich höchst weise auf die Andeutung des Inhaltes eines solchen Werkes beschränken und wird sich hüten, uns mit dem Inhalte von 20, 30 Postillen und Predigtensammlungen näher bekannt zu machen. Es kehren ja eigent- lich doch nur immer dieselben Gedanken zurück. Die mannigfachen Qualen der Hölle werden darin in drastischer Weise geschildert : die bösen Christen werden in der Hölle wie »abgeschlachtete Schafe« oder wie »Häringe« in Tonnen aufgeschichtet, oder wie Ziegel in einem Kalk- ofen, wo sie dann wie glühende Kohle oder glühendes Eisen brennen werden. Die verworfensten müssen gerade zu unterst liegen und werden von den anderen gedrückt. Andere sind an glühende Bänke ange- schmiedet und werden von den Höllenbadern mit brennendem Schwefel

Zur Renaissance der böhm. Literatur des vorigen Jahrhunderts. 49

und Pech übergössen und getränkt. Mit glühenden Zangen werden ihnen einzelne Glieder abgezwickt, sie wachsen aber gleich wieder nach, damit das grause Spiel erneuert werden könnte. Das ist nur eine Probe, in der Art geht es dann weiter. Dazu kommen noch zahlreiche Wunder und Visionen, die auf die Gläubigen entsprechend wirken sollen, und alles, was nicht im Geiste der Gegenreformation ist, wird rücksichtslos verdammt. So ist nun die eine wie die andere der jesuitischen Schriften, so sind auch die damaligen literarischen Produkte der übrigen Geistlich- keit, höchstens dass der eine oder andere noch mehr ins Detail geht. Er gibt z. B. genau an, dass, als der Erlöser gegeisselt wurde, 81 200 Tropfen seines Blutes geflossen sind und dass hierbei seine Geliebten 62 000 Thränen vergossen hätten. Nach diesen Proben wird man es begreiflich finden, dass wir, wenn wir mit dem Inhalte eines derartigen Werkes bekannt gemacht worden sind, gerne auf die weiteren Werke derselben Art verzichten. H. Vlcek wird doch nicht meinen, es komme in der Literatur selbst in diesem Falle auf die Quantität an. Aber der- artige literarische Produkte werden ja nicht nach Kilogrammen gewogen, höchstens wenn man sie zur weiteren entsprechenden Behandlung an einen Greissler abtritt. Wenn man uns mit ganzen Fuhren solcher Pro- dukte käme, würde es an der Sache nichts ändern. Wir mutheten Herrn Vlcek doch einen feineren literarischen Geschmack zu, als dass er uns mit solchen Sachen, die hier in ermüdender Weise breitgetreten werden, käme. Es ist auch zu befürchten, dass bei dieser Ausführlichkeit, die hier gar nicht am Platze war, andere Partien, die wichtiger sind, zu kurz kommen können.

Doch nein, es waren ja nicht ausschliesslich solche religiöse Pro- dukte, die damals das Licht der Welt erblickten, wir haben auch eine Schäferpoesie, die durch die drei Namen Lukas, Wenzel und Georg Volny, ferner durch Gavlovic repräsentirt wird. Doch auch diese meist allegorischen und didaktischen Versificationen können nicht als Poesie gelten.

Böhm. Bücher werden also gedruckt und zwar namentlich noch in der ersten Hälfte des XVHL Jahrb., seltener dann um die Mitte des Jahrhunderts, so dass es selbst auch in dieser Hinsicht nach abwärts geht. Aber bedrucktes Papier macht noch keine Literatur aus, dazu ist ein entsprechender Inhalt , eine entsprechende sprachliche Form noth- wendig. Das erstere haben wir kennen gelernt, über das zweite soll hier gleich gesprochen werden. Fast in allen den erwähnten Produkten

Archiv für slavische Fliilologie. XXII. 4

50 W. Vondräk,

zeigt sich die Sprache in einem kläglichen Zustande. Das bemerken wir aber auch bei Leuten, die den Verfall der böhmischen Sprache selbst beklagten und zu helfen trachteten. So bei Antonin Frozin. Dieser bereiste in den Jahren 1699 1701 ganz Böhmen und hat uns als Frucht dieser Reisen einen Ausweis über den damaligen Stand der böhmischen Sprache hinterlassen. Dieser kommt vor in einer längeren Vorrede zu seinem » Obroviste Marianskeho Atlanta« 1704. Letzteres ist die üeber- setzung eines Theiles des lateinischen Werkes, das der Augsburger Jesuite Kumpenberg geschrieben hatte. Schon damals sagte Frozin, er hätte Stimmen vernommen, die behaupteten, es werde bald keine Böhmen mehr geben. Um sich davon zu überzeugen, hätte er die Reise durch Böhmen unternommen. Er entschuldigt seine Zaghaftig- keit und seine vielleicht zu grosse Kühnheit in der Sprache, zeigt aber durch seine mangelhafte Ausdrucksweise, wie weit es schon damals, also zu Anfang des XVIIL Jahrb., gekommen war. Fast aus derselben Zeit haben wir ein anderes Zeugniss über die böhmische Sprache der damaligen Zeit, das uns zeigt, dass man es geradezu auf die Ausrottung derselben abgesehen hatte. Im J. 1700 wurde aus dem Schosse der Jesuiten eine Beschwerde an den Ordensgeneral nach Rom geschickt, worin über die Zurücksetzung der Böhmen in diesem Orden geklagt wird. Auch die Zahl der böhmischen Predigten werde immer geringer und dgl. mehr. Der Provincial des Ordens nahm denselben in Schutz gegen diese Beschwerde. Nach dem wirklichen Staude der Dinge wäre die böhmische Sprache nunmehr eine Sprache des Bauernvolkes. Aus dieser Schrift ersehen wir, wie auch von Seiten des Jesuitenordens in Böhmen und Mähren germanisirt wurde und wie dieser Orden dem böh- mischen Volke schadete. Unter solchen Umständen begreifen wir auch den Verfall der böhm. Sprache. In den früher erwähnten böhmischen Schriften der Jesuiten ist die Sprache oft geradezu gräulich. Aber nicht viel besser war es auch bei anderen Schriftstellern in dieser Hinsicht. Wer böhmisch schrieb, bildete sich meist die Worte selbst, die mitunter als wahrhafte Monstra erscheinen. Einen Ruf haben sich in dieser Hin- sicht Wenzel Pohl und Simek erworben. Dass überhaupt solche Leute wie Pohl und Simek auftreten konnten, zeugt uns eben von dem voll- ständigen Verfall der bÖhm. Sprache und ohne Sprache gibt es eben keine Literatur. Bei halbwegs normalen Zuständen wären solche Leute absolut unmöglich. Es darf uns nicht Wunder nehmen, wenn schliess- lich selbst viele Patrioten nicht böhmisch schreiben konnten. Pelcl

Zur Kenaissance der böhm. Literatur des vorigen Jahrhunderts. 5 1

musste in einem Briefe an Zlobicky (20. Sept. 1784) bekennen, er wäre nicht im Staude, damals ein böhmisches Buch zu schreiben.

Als Wenzel Thäm im J. 1785 die erste böhmische Gedichtsamm- lung veranstaltete, da fand er wohl, dass das ihm von anderen Dichtern, wenn der Name hier erlaubt und möglich ist, überlassene Material so mangelhaft war, dass er es in der 3. Abtheilung zum Schluss einreihen musste. Um nun überhaupt etwas bieten zu können, musste er ins XVI. und XVII. Jahrh. zurückgreifen (1. Abtheilung) und Einiges aus dem Lat., Deutschen etc. übersetzen (2. Abtheilung). In der Vorrede be- kämpft er den Vorwurf, dass Böhmen keine Poeten hervorgebracht hätte. Mit seiner Sammlung wollte er erst beweisen, dass man in der böhmischen Sprache, wie in anderen Sprachen, alles dichten und singen könne. Man kann aber nicht sagen, dass ihm durch diese Sammlung der Beweis gelungen sei. Einen Anspruch auf den Namen Gedichte hat eigentlich erst eine andere Sammlung, die zehn Jahre später erschienen ist, nämlich die Puchmajer'sche.

Doch wenn wir selbst auch das noch nicht glauben wollten, so haben wir ja klassische Zeugen gerade aus jener Zeit. Wie dachten diese nun über das böhmische Schriftthum? Viele von ihnen haben selbst die Hoffnung aufgegeben, dass die böhmische Sprache je zur Ent- faltung gebracht werden könnte, und doch waren ihnen die Produkte der damaligen böhmischen Literatur bekannt, ja vielleicht besser be- kannt als uns jetzt. Denken wir an Dobrovsky, wie lange bedurfte es, bis ihm die Ueberzeugung beigebracht wurde, dass die böhmische Sprache ihre Lebenskraft nicht ganz verloren habe. Es hat auch Augenblicke gegeben, wo selbst Jungmann die Hoffnung auf bessere Zeiten aufgab, obzwar damals die Verhältnisse schon besser standen. Und da sollte man nicht von einer Wiedergeburt, von einer Renaissance der böhmi- schen Literatur sprechen können?

Uebrigens wäre es nicht von Belang, ob Jemand 4iier von einer Renaissance, von einer Wiedergeburt der böhmischen Literatur spricht oder bloss von einer Wieder- oder Neubelebung, d. h. von einem Er- starken bestehender literarischer Strömungen, die er freilich mit der Lupe suchen musste. An der Sache ändert es nicht viel. Wir glaubten nur hier deshalb protestiren zu müssen, weil Vlcek's Auffassung als etwas Epochales hingestellt wurde. Die böhmischen Zeitschriften freilich nicht alle berichteten darüber, es wäre wieder ein Steinblock aus dem Wege zur wahren Erkenntniss geräumt worden, ein Irrthum

4*

52 W. Vondräk, Zur Renaissance der böhm. Literatur des vor. Jahrh.

wäre gefallen und in anderen ähnlichen, schönen aber billigen Phrasen. Unserer Meinung nach ist das alles übertrieben. Niemand hat nachge- wiesen, dass es in jener Zeit, um die es sich eben handelt, eine wirkliche böhmische Literatur gab, und so werden wir auch fernerhin von einer Renaissance, von einer Wiedergeburt der böhmischen Literatur getrost sprechen. Wem es nicht gefällt, der kann sich für eine andere Modifi- cation entscheiden und etwa den Ausdruck Wiederbelebung u. dgi, ge- brauchen, nur darf er uns nicht damit kommen, dass er etwas Neues, Epochemachendes entdeckt habe. Dieser Vorwurf soll sich ja nicht auf Vlcek beziehen, der ja ein überaus bescheidener und stiller Arbeiter auf dem literarischen Gebiete ist, dessen Verdienste Jedermann aner- kennen muss. Und wir wünschen ihm auch fernerhin den schönsten Erfolg bei seinem Ziele, das er sich gesteckt hat. Aber seine Kritiker gingen zu weit, indem sie dieser Auffassung eine Bedeutung zusprachen, die ihr gar nicht zukommt. Es verschulden freilich die literarischen Verhältnisse in Prag, dass Alles mehr oder weniger übetrieben wird, sei es im guten, sei es im bösen Sinne, je nachdem das Lager ist, aus dem der Autor stammt. Hoffentlich wird auch dies einmal besser werden, wenn man so weit sein wird, dass die Person in den Hintergrund, die Sache aber in den Vordergrund tritt.

W. Vondräk.

Polonica.*)

Unsere Besprechung sei mit den Bearbeitungen älteren Materials begonnen, obwohl gerade hierfür die beiden verflossenen Jahre nicht besonders ergiebig waren.

Das meiste bot das neue Heft der Prace filologiczne (V, S. 309 680, Warschau 1898). Es beginnt mit einer kritischen Ausgabe des Blasiusfragmentes saec. XV durch L. Malinowski, die die sprachliche Seite des Denkmales erschöpft ; es folgen meine Studien über altpolnische Belletristik, d. i. über die Historia Alexandri de proeliis von 1510 (in

*) Vgl. Archiv XX, S. 165—180.

\

Polonica. 53

der Abschrift des Laurentius de Buncza aus der Bibliothek des Königs Sigismund, heute in der Zamoiski'schen in Warschau); die Historia trium regum des Johannes von Hildesheim (vgl. Archiv XI, 468 471) in der abschriftlichen Uebersetzung des Laurentius von task vom Jahre 1544 und, aus derselben Handschrift, eine halbapokryphe Passions- geschichte : die sprachliche Seite beider letzterwähnten Denkmäler war schon von Prof. Kaiina, Archiv HI, 1 66, erörtert worden; ich brachte nunmehr die literarischen Nachweise und Textproben bei. H. Lopacinski bespricht die ältesten polnischen gedruckten Wörter- bücher, die vielen Murmelins, Mimer, den viersprachigen (lat. ital. poln. deutsch) Wokabularz oder Slowarz des üngler (1532?) u.a.; auf die bibliographische Beschreibung dieser gar raren Büchlein folgt eine Er- schöpfung des bei Linde fehlenden Materials derselben; natürlich lie- ferte die Petersburger Oeffentl. Bibliothek den Haupttheil. Derselbe Verf. druckt hierauf ein unicum ab, das älteste erhaltene polnische Schuldrama, Sad Parysa krolowica trojanskiego, 1542, eine Bearbeitung oder richtiger Verflachung des Judicium Paridis des Jak. Locher von einem Ungenannten ; endlich theilt er auch das Fragment einer hand- schriftlichen Uebersetzung des Acolastus (Geschichte vom verlorenen Sohn) des Gnapheus (aus einer Hds. des XVU. Jahrh.) mit. Schrift und Sprache der Marientraktate des Paterek (Anfang des XVL Jahrh.) bespricht Kaz. Nitsch, ohne auf den Inhalt des Denkmals, was un- gleich nöthiger und interessanter gewesen wäre, einzugehen. Es folgen L. Malinowski's letzter Aufsatz, etymologische Miscellen ; dann Re- censionen u. a. ; der Herausgeber, A. Krynski, welcher diesmal nur die Nekrologe für Malinowski und Przyborowski beigesteuert hat, ver- spricht für die Zukunft eine raschere Folge der Hefte; über seine eigene polnische Grammatik vgl. Archiv XX, S. 441 f. Im XXVIII. Bde. der Krakauer Rozprawy filologiczne bespricht eingehend Dr. I. Bystron Graphik und Sprache der polnischen Rechtsdenkmäler des XV. Jahrh. (S. 111 220, 1899), den Swi^tostaw, Maciej von Rozan u. s. w. derselbe sammelt reiches syntaktisches Material aus alter und neuer Zeit und publicirt es, geordnet nach den Rubriken eines Miklosich oder Del- brück, in Programmen, Przyczynki do skiadni polskiej, 1893 und 1899, Krakau .

An die Spitze literarhistorischer Publikationen stellen wir die Fort- setzung der Est reich er 'sehen Bibliographie; es ist jetzt der XVI. Band erschienen (Krakau 1898, VIII und 377 S. sowie XXXIV Bll. Nach-

54 A. Brückner,

träge), die Buchstaben E und F umfassend, immer unentbehrlicher für Jeden werdend, der sich mit älterer Literatur beschäftigt; ein rasches Tempo in dem Erscheinen der einzelnen Bände ist ja durch die ver- schiedenartigsten Schwierigkeiten in der Beschaffung des Materials, in seiner Drucklegung u. s. w. ausgeschlossen; andererseits kommt der volle Werth eines derartigen raisonnirenden Repertoriums erst dann zur Geltung, wenn es vollendet ist. Nur langsam schreitet vorwärts die Herausgabe alter Drucke; so brachte die Krakauer Biblioteka pisarzy polskich in den letzten drei Jahreu nur drei Nummern (34 36). Mar- cina Biazewskiego setnik przypowiesci uciesznych von 1608 gab Dr. Bruchnalski heraus (XI und 117 S.); es ist dies eine üebersetzung der Fabelsammlung des Verdizotti (cento favole bellissime etc. seit 1560 mehrfach herausgegeben i, gleich hervorragend durch die genaue Wieder- gabe wie durch Glätte des Ausdruckes. Des Olbrycht Strumienski, o sprawie sypaniu wymlerzaniu i rybieniu stawöw 1573 (herausgegeben von F. Kucharzewski, 1897, V und 87 S.', sprachlich bereits sehr interessant, wird noch wichtiger für die ökonomische Landesge- schichte — durch die eingehende Schilderung einer einst so wichtigen, heute ganz darniederliegenden Erwerbsquelle, der Teichwirthschaft. Die letzte und kürzeste Nummer, des Jak. Zawisza von Kroczow, wskrö- cenie prawnego procesu koronnego von 1613 (herausgegeben von Dr. A. Winiarz, 1899, 55 S.), ist eine politisch-juridische Brochure, die der Erfahrung und Einsicht ihres Verfassers alle Ehre macht : seine kurzen, knappen Ausführungen enthalten eine Reihe wichtiger Reform- vorschläge und zwar nicht nur für den Prozessgang, wie man nach dem Titel vermuthen könnte; seine Auffassung der unanimitas in den vota ist besonders interessant und wichtig.

Gleichen Schritt hielt die von Prof. T. Wierzbowski allein in Warschau herausgegebene Biblioteka zapomnianych poetöw i prozaiköw polskich; es erschienen die Nummern 8 10. Zuerst des Jan Seklu- cyan, des Vorkämpfers für den Lutheranismus auf polnischem Boden von Königsberg aus, Piesni duchowne a nabozne nowo zebrane i wydane, 1557 (IV und 57 S., 1897), üebersetzungen deutscher und Umarbei- tungen alter poln. Lieder in ziemlich verwahrloster Form ; ein Dialog aus den 20- oder 30er Jahren des XVII. Juhrh., Zwröcenie Matyasza z Podola (II, 24 S., 1898), die komische Schilderung einer verunglückten Heerfahrt, die ihrem Helden nur Prügel einbringt, ein Thema, das schon im XVI. Jahrh. mehrfach bearbeitet war, das aber jetzt mit konfessio-

Polonica. 55

nellen Spitzen (gegen die Protestanten, deren Geistlichkeit und Glauben) versehen wird. Endlich das bei weitem werthvollste: Melchior Pud- iowski i jego pisma, przyczynek do historyi literatury polskiej XVI, wieku (94 S., 1S9S): ein mit Unrecht vergessener Autor, der wieder zu Ehren gebracht wird. Der Name des Verf. figurirte zwar in den Werken eines Wiszniewski oder Maciejowski; seine Dido (aus Vergil und Ovid zusammeugeschweisst) hatte kurz zuvor Adalberg wieder herausgegeben, aber seine übrigen Schriften waren so gut wie ver- schollen, darunter eben das trefflichste, seine Fraszki von 1586, 181 kurze und längere Sinngedichte, den Fraszki des Kochanowski nach- eifernd, satirischen und didaktischen Inhaltes, die wenigsten erzählend ; Zeugnisse einer reifen, edlen Lebensanschauung in gefeilterer Form, mit der sich auch Scherz und Spott vertrug; längere Gedichte (Elegien) sind beigegeben, unter denen eines, Testament Kumelskiego, für die Drastik altpolnischen Humors eine treffliche Probe abgibt.

Diesen Krakauer und Warschauer Bibliotheken reiht sich nunmehr eine dritte und zwar eine Posener an : Nieznane zabytki pismiennictwa polskiego, aus den Fonds der Gesellschaft der Freunde der Wiss. durch ihren verdienten Kustos, Dr. B. Erzepki, herausgegeben, von der das erste Heft vorliegt : Kazania niedzielne i swiateczne nieznanego autora spisane okoio r. 1555 (Posen 1899, XI und 114 S.). Die Predigten, in fliessender und klarer Sprache, leicht fasslichen Inhaltes, halten sich frei von jeglicher konfessionellen Polemik sowohl wie von mittelalter- lichen Märlein (nur die Traditionen des Physiologus spuken noch herein) und prägen hauptsächlich Moralisches ein; da sie weder sprachlich noch sachlich irgendwie hervorragen, hätten wir uns auch mit blossen Proben derselben begnügen können.

Wir gehen zu Einzelpublikationen über, in denen namentlich der alte Key zu Ehren kommt. Nachdem in den letzten Jahren sein Wize- runk (durch Ptaszycki), sein Jözef (durch Zawilinski) und sein Zwierzyniec (durch Bruchnalski) neu herausgegeben worden waren, kommt jetzt sein bedeutendstes und reifstes Werk, das Zwierciadlo von 1567, durch die hingebende Sorgfalt von S. Adalberg an die Reihe. Adalberg scheute nicht Mühe noch Kosten, um ein Hauptdenkmal pol- nischer Prosa in der würdigsten Ausstattung und mit der grössten Sorg- falt so herauszugeben, dass die vortreffliche Originalausgabe völlig er- setzt würde; in die Noten verwies er die Abweichungen der 2. Ausgabe (von 1606). Bisher waren nur einzelne Theile des Zwierciadio, mit-

56 A. Brückner,

unter gräulich verunstaltet, herausgegeben worden; die jetzige Ausgabe, auch typographisch eine Musterleistung, wird den gesammten Inhalt wiedergeben, ein Glossar u. a. beifügen; bisher ist ein Heft erschienen (Krakau 1897, V und 72 S. gr.-4ö), das in das zweite Buch des Zywot cziowieka poczciwego hineinreicht. An zweiter Stelle ist zu nennen desselben Rey: Kupiec to jest ksztalt a podobienstwo sadu bozego osta- tecznego vom J. 1549, dessen Fragmente in einem durch den ungeahnten Reichthum seines Inhaltes geradezu phänomenalen, alten Einbände, der gelehrte und vielseitig thätige Bibliothekar von Kurnik, Director Z. von Celichowski gefunden und herausgegeben hat (Posen 1898, XVI und 149 S.). Es ist dies eine Bearbeitung des lutheranischen dramatisirten Pamphletes, Mercator des Thomas Naogeorgus (Kirchmair) von 1540, in welcher auf furchtbar drastische Weise die Nutzlosigkeit der katholi- schen Gnadenmittel und guten Werke, sowie das Alleinseligmachende des wahren Glaubens erwiesen werden. Die polnische Umarbeitung (eine der frühesten, die existiren), sehr umfangreich (an 10 000 Kurz- verse umfassend) , mildert stellenweise die Krassheiten des Originals, erweitert es andererseits durch ausführlichere Sittenbilder, springt über- haupt recht frei mit der Vorlage um; namentlich sind es einige tief empfundene Ausbrüche wahren Glaubens und Gottvertrauens, die Rey's Werk gegenüber dem Pamphlete charakterisiren. Die Fragmente sind glücklicher Weise für uns über das ganze Werk ausgedehnt, so dass sie uns den Mangel eines vollständigen Exemplars einigermassen ersetzen können. Seklucjan, der dasselbe erhalten hatte, druckte es in Königs- berg, ohne den Namen des Ueberarbeiters, d. i. seines Glaubens- und Gesinnungsgenossen ausserordentlich bezeichnend für Rey ! ! auch nur zu kennen.

Aus demselben Einbände stammen auch Fragmente dreier gleich- zeitiger Dialoge über konfessionelle Themen, wohl auch von Seklucjan herausgegeben, die Dr. Celichowski u. d. T. Trzy nieznane dyalogi z wieku XVI z egzemplarzy biblioteki Körnickiej (Posen 1899, 112 S.) veröffentlichte; dass auch sie von Rey herrühren sollten, Hesse sich kaum erweisen. Sie kommen uns äusserst erwünscht, denn wir kannten bisher nur die katholischen Gegenstücke (eines Korczewski, Kromer u. A.) hierzu. Der erste, dramatischere Dialog behandelt allerlei Miss- bräuche der Priester, ihres Wandels und ihrer Lehre in der Beleuchtung des lutheranischen Studenten; der zweite ist nur ein Zwiegespräch zwi- schen Sünder und Teufel, der durch allerlei Versuchungen und Vor-

Polonica. 57

Spiegelungen jenen in seinem Gottvertrauen wankend machen möchte; der dritte ist das Gespräch zwischen einem ksic}.dz rzymski und einem pop ruski, die sich gegenseitig die Wahrheit über ihre Vorgesetzten und ihre Lehre sagen, des Papstes sowie des Patriarchen (!! ) ungemessenen Ehrgeiz gleichmässig für alles Uebel in der Kirche verantwortlich macheu äusserst interessant und wichtig, schade nur, dass nicht vollständiger erhalten. Durch diese zahlreichen, rein zufällig gefunde- nen Fragmente wird der einstige ausserordentliche Reichthum der pol- nischen Literatur des XVI. Jahrh. so recht ins Licht gerückt ; unwill- kürlich bekommt man Respekt vor dieser Fülle geistiger Arbeit, von der wir oft nur einen schwachen Abglanz noch haben. Man lese z. B. die Verzeichnisse verbotener polnischer Schriften in den römisch-pol- nischen Indices librorum prohibitorum von 1603, 1604 und 1617, über welche Dr. Z. Celichowski unlängst kurz gehandelt hat (Polskie in- deksy ksiazek zakazanych, im X. Bde. des Archivum historyi literatury etc. der Krakauer Akademie, S. 35 45): wie viel Autoren und Schriften werden hier aus einem halben Jahrhundert genannt, von denen auf uns auch nicht eine Zeile gekommen ist.

Als endliche Tilgung einer Art Ehrenschuld möchten wir die Neu- herausgabe der so lebensvollen, urwüchsigen, farbensatten Denkwürdig- keiten des jovialen J. Chr. Pasek bezeichnen, die wir Dr. Br. Gubry- nowicz verdanken (Lemberg 1898, XXI und 440 S.). Wir besassen sie allerdings bereits in 14 verschiedenen Ausgaben; trotzdem bekom- men wir jetzt zum erstenmale den Pasek in seiner unverfälschtesten Gestalt. Man hatte nämlich bisher stets die lateinischen Makaronismen seines Textes ausgemerzt u. dgl. m. ; Gubrynowicz gibt dagegen den wahren Wortlaut der (einzigen, leider unvollständigen) Petersburger Hds. wieder; eine gute Einleitung, Anmerkungen und Register erhöhen den Werth dieser ersten, wirklich kritischen, Ausgabe. Pasek war auch in Dänemark gewesen; den auf diesen Aufenthalt bezüglichen Passus besprach unlängst St. Rozniecki (Polakkerne i Danmark 1659 efter J. Paseks Erindringer, Kopenhagen 1896) und wies nach, wie an der Erzählung die Phantasie des urwüchsigen Haudegens mitgewirkt hat.

Besonders zahlreich waren literarhistorische Arbeiten, die aufs Ganze gingen, oder Monographien. Nach längerer Pause, während der man sich mit Kuliczkowski, Spasowicz-Bem und ähnlichen Werken mehr oder minder behalf, sind wir nunmehr in eine neue Periode eingetreten. in der man sich mit besonderem Eifer auf Bearbeitungen der gesammten

58 A. Brückner,

Literaturgeschichte wirft. Ich übergehe zwei für Schulen bestimmte Compendien , das kürzere von Kon. Woj ciechowski, zwiezty pod- recznik etc. (1899, 189 S.) und das umfangreichere und sehr brauch- bare von Kaz. Kr öl und J. Nitowski, podrecznik do nauki historyi literatury polskiej ^Warschau 1898 1900, X und 537 S.), um zweier Werke von höchst ungleicher Form und Werth zu gedenken. Das eine rührt von Dr. Henr. Biegeleisen her, dem Herausgeber von Mickie- wicz, Slowacki, Fredro : Ilustrowane dzieje literatury polskiej. Litera- tura sredniowieczna. Okres Piastowski (Wien, Bondy; 394 S. in prachtvoller Ausstattung, mit vielen Vollbildern und Illustrationen), äusserst umfangreich angelegt, reicht doch dieser ganze Band nur bis in das XIV. Jahrh. ( ! ! ) hinein : die unmögliche Literaturgeschichte dieser Zeit wird durch eine Kulturgeschichte ersetzt (die beiden ersten Ab- schnitte des Buches behandeln sogar das archäologische Polen und die üeberlebsel seiner Urkultur in Volksliedern u.dgl.): aber dem Verfasser ist mittelalterliches Leben, Fühlen und Denken völlig fremd, sodass er über eine blosse Zusammenstoppelung von allem möglichen Material nicht herauskommt : von der luxuriösen Ausstattung sticht der ärmliche Inhalt traurig ab; der zweite, ähnlich gearbeitete Band umfasst die Zeit der Jagellonen.

Der bekannte Warschauer Literaturforscher und langjährige Kri- tiker des Ateneum, Dr. P. Chmielowski, hat sich der Aufgabe einer populären Literaturgeschichte unterzogen, die streng historisch gehalten, mit Vermeidung bio- und bibliographischen Ballastes, die Entwickelung polnischen Denkens und Dichtens veranschaulichen soll; das Werk ist auf 6 Bändchen berechnet, von denen das erste bereits erschienen ist (Historya literatury polskiej, Warschau 1899, 253 S., mit Illustrationen; Preis für die Abonnenten der «Musterbibliothek« 19 Kopeken ! !, sonst 2 Rubel). Es umfasst noch Klonowic, Szymonowic und P.Kochanowski und bietet reiche Belehrung, besonders schön ist J. Kochanowski darge- stellt worden ; alle neueren Arbeiten sind ausgebeutet und es bedeutet die Darstellung wirklich einen erheblichen Fortschritt gegen alle bis- herigen. Aber das eigentliche Arbeitsfeld des Verf. liegt nur im XVIII. und XIX. Jahrh. (für welches denn auch 4 Bändchen bestimmt sind) ; für die älteren Zeiten, zumal für das Mittelalter, hängt der Verfasser ganz von seinen Vorgängern ab und lässt daher, wo ihn diese im Stiche lassen, die Lücken unausgefüllt; auch sonst haben sich in die Darstel- lung einzelne Fehler eingeschlichen; die ^> Geschichte« zerfällt noch

Polonica. 59

immer allzusehr in Schilderungen einzelner Persönlichkeiten, es fehlt an orientirenden Charakteristiken der einzelnen Literaturgattungen und ihrer Entwickelung. Aber das Buch ist anregend geschrieben, lässt sich mit Genuss lesen und wird Gutes wirken; freilich erwarten wir Bedeu- tenderes erst für die Zeit nach 1750. Wir nennen noch eine Reihe von Werken desselben Verfassers : Zarys najnowszej literatury polskiej (Krakau-Petersburg 1898, vierte Auflage, 516 S.): aus einer kurzen, 1881 erschienenen Uebersicht der neueren literarischen Evolution, des Kampfes zwischen »Jungen« und »Altenc, zwischen Positivisten und Idealisten, wie er sich namentlich innerhalb der Warschauer Presse ab- gespielt hatte, ist ein umfangreiches Werk geworden, das in seinem ersten Theile die Tendenzen selbst, im zweiten Autoren und Werke (bis in die Fachliteraturen hinein, mit Beihilfe von Fachleuten) schildert eine sehr verdienstliche Leistung, die am besten die Kenntniss der mo- dernsten Literatur vermittelt. Nasza literatura dramatyczna (Petersburg 1898, 2 Bde., 521 und 536 S.) ist eine Reihe mitunter ganz loser Skizzen, hervorgegangen aus Recensionen und Einzelaufsätzen, die an einen stellenweise sehr dünnen historischen Faden aufgereiht wurden ; der Löwenantheil entfällt natürlich auf die dramatische Produktion des XIX. Jahrb.; die Darstellung der vorausgegangenen ist oberflächlich und nicht frei von Lücken und Fehlern.

An Monographien seien hervorgehoben die flott geschriebene des Jöz. Barti. Zimorowicz, burmistrz, poeta i kronikarz Iwowski von Dr. Korn. Heck: der Lemberger Stadtrath feierte den 300jährigen Ge- burtstag eines seiner verdientesten Mitglieder und veranlasste sowohl diese populäre Arbeit (Niederschlag der eingehenden und vieljährigen Forschungen des Verf., die zumTheil bereits in den Schriften der Krak. Akademie erschienen sind), die auf 66 Seiten eine treffliche Charakte- ristik der vielseitigen Thätigkeit des Zimorowicz bietet, als auch eine kritische Ausgabe (die erste, da bisher nur unkritische Uebersetzungen vorlagen) seiner lateinischen Chronik Lembergs (Leopolis triplex, d. i. die russische, deutsche, endlich polnische Stadt, von ihren Anfängen bis 1633), der Frucht vierzigjährigen Studiums, derer sich keine andere polnische Stadt rühmen kann 'Jos. Barth. Zimorowicz, opera quibus res gestae urbis Leopolis illustrantur ex mandato senatus eiusdem civitatis edidit Dr. C. Heck, Leopoli 1899, XLIV und 419 S. 4«, ausser der L. triplex S. 1 215 die anderen Schriften enthaltend, mit erklärenden Noten und einem Wörterbuche, wie es die krause Latinität des Zimoro-

60 A. Brückner,

wicz verlangte) . Die Leistung des Herausgebers ist eine sehr verdienst- liche und sehr mühevolle.

In zwei Abhandlungen (Krakauer philolog. Abhandl. d. Akad., Bd. XXVII, 1898, S. 257—375 und XXIX, 1899, S. 214—329) u. d.T. Spuscizna r^kopismienna po WacJawie Potockim, erörterte ich den In- halt des reichen handschriftlichen Nachlasses, der Hunderttausende von Versen, welche die Kais. Oeflfentl. Bibliothek in Petersburg von dem Hauptdichter des XVH. Jahrb. birgt: historische, religiöse, romantische Epen und Novellen, didaktische Verse und Satiren, Gelegenheitsgedichte aller Art, Schwanke u. dgl., zumal die im Ogröd fraszek und in den Moralia vereinten. Die unerschöpfliche Gestaltungskraft und Fabulir- lust des in seinen letzten Lebensjahren ganz vereinsamten Greises ergoss sich in einer Menge von Versen, in der er alles mögliche verarbeitete, Erlebtes und Gedachtes, was er in seinen geliebten Römern gelesen und was er im Volke gehört hatte (einzelne Schwanke sind bekannte Fabel- motive), um zu belehren und zu ergötzen, zu schelten und zu bessern, in einer wunderbar reichen Sprache. Das beste und bedeutendste seiner Produktion blieb jedoch wegen der Ungunst der Zeiten in Hdss. ver- graben, aus denen das XIX. Jahrb. seine Wojna chocimska hervorholte; ich suchte Inhalt und Bedeutung des übrigen zu charakterisiren. Im Anschluss daran seien zwei andere Aufsätze von mir genannt, über den Taniec Rzeczypospolitej Polskiej, ein gleichzeitiges, umfangreiches historisches Gedicht (1655 1669) des Gabr. Krasinski , das weniger durch seine (ganz kunstlose) Form als durch seinen Inhalt für Land und Leute seiner Zeit charakteristisch ist (Przeglad polski, Krakau 1899, Augustheft, S. 189 240), und einen allgemein orientirenden Aufsatz über Schätze alter Poesie, d. i. die des XVII. Jahrb., da die gesammte polnische Gesellschaft, von Königen und Ministern angefangen, Priester und Damen nicht ausgeschlossen, der edlen Verskunst in beiden Sprachen (lat. und poln.) eifrigst huldigte, wovon freilich in den landläufigen literarhistorischen Darstellungen noch recht wenig zu spüren ist, so sehr geriethen die Verse und ihre Verfasser in Vergessenheit, der wir sie erst jetzt wieder entreissen möchten (Biblioteka Warszawska 1899, Juniheft, S. 289 328). Ueber einen dieser vergessenen, leider diesmal ganz talentlosen Dichter, Kaz. Wodzinski (1675 1754), handelte Ant.Wo- dzinski im Warschauer Ateneum, 1899, IV, S. 73 85.

Zur lateinischen Autorengeschichte haben wir manches zu ver- zeichnen, so »ßoyzyusz. Jego zywot i pisma« von Prof. Br. Kruczkie-

Polonica. 61

wicz (Krak. philolog. Abhandll. XXVII, S. 47 182): der spanische Rechtsgelehrte, welcher sein ganzes reiferes Alter in Polen zugebracht und hier als Jurist reiche Verdienste, als Dichter einen weiten Namen sich erworben hat; es ist dies gleichsam Einleitung und Kommentar zur später folgenden Ausgabe seiner poetischen Hinterlassenschaft. Hier erwähne ich eines interessanten Versuches, das todte Capital der so hoch verdienten polnischen Neolatinisten für die Schule flüssig zu machen: Janicii, Cochanovii, Sarbievii carmina selecta edidit, praefatione instruxit, adnotationibus illustravit Dr. M. Jezienicki (Leopoli 1899, 2 Hefte, 122 S.) ein sehr verdienstliches Unternehmen, das der Privatlektüre der Schüler die schönsten Elegien der genannten Dichter erschliessen soll; ein drittes Heft soll lyrica bringen; des Sarbiewski ungemein schwierige Latinität ist durch das interessante Iter romanum vertreten; Einleitung und Anmerkungen lassen nichts zu wünschen übrig 1). Ein anderes Stück Gelehrtengeschichte bearbeitet der junge und tüchtige Kirchenhistoriker Dr. Nepom. Fiaiek, studya do dziejöw uniwersytetu krakowskiego i jego wydziahi teologicznego w XV. wieku (Krak. philolog. Abhandll. XXIX, S. 1 173): Leben und, in geringerem Masse, Schriften der Krakauer Theologieprofessoren, die aus Prag herüberkamen oder in Prag promovirten, Böhmen (Szczekna, Palecz u. a.), Schlesier (Franz Kreisewitz, Joh. Kreuzburg u. a.), Polen (St. de Scar- bimiria, Andr. de Kokorzino u. a.); dazu lieferte, auf Grund Breslauer Handschriften, Gas. v. Miaskowski Beiträge zur Krakauer Theologen- geschichte des XV. Jahrh. (Jahrb. f. Philos. u. spekulat. Theol. 1899, Paderborn, XIII, 479 499); das Jubiläumsjahr der Krakauer Alma mater wird uns für die Gelehrten- und Schulgeschichte des Mittelalters noch reiche Ausbeute bieten.

Ich erwähne noch für das XVIII, Jahrh. einen Beitrag (Bro. Na- iecz Kasinowski, Beiträge zu einem Studium des Lustspieldichters Franciszek Zablocki, 1. Theil, Brody 1897, 48 S., Gymn.-Progr. nach allgemein orientirenden Bemerkungen Prüfung zweier Komödien des besten älteren polnischen Lustspieldichters auf ihre französischen Quellen hin, nämlich des Balik gospodarski und des Zabobonnik), um, mit Uebergehung des XIX. Jahrh., gleich auf die Schulgeschichte des

1) Einen ähnlichen Versuch unternahm gleichzeitig Dr. Vic. Hahn, welcher Simonis Simonidae carmina latina selecta edidit etc. (Colomeae 1899, 53 S. 80), doch reicht diese Ausgabe und Commentar an die Gediegenheit der oben genannten nicht heran.

62 A. Brückner,

Landes einzugehen, welche auch ohne die nahende vierhundertjährige Jubelfeier der Krakauer Universität, von den verschiedensten Seiten aus gleichzeitig in Angriff genommen wird, um das für seine Zeit sehr hervorragende Werk des L. LukaszewicZ; endlich zu erweitern, zu be- richtigen und schliesslich zu ersetzen. Es liegen sowohl Materialsamm- lungen wie Bearbeitungen vor. Unter den ersteren sei genannt Fontes et commentationes historiam scholarum superiorum in Polonia illustran- tes. Anacephaleosis professorum Academiae Zamoscensis, manuscriptum saec. XVII. edidit, supplementa, commentarios adiecit etc. J. Ambr. Wadowski, Varsaviae 1899 1900, 341 8.). Die Akademie von Za- mosc, von dem grossen Kanzler Jan Zamoyski ins Leben gerufen, hat durch eine fatale Verkettung widriger Verhältnisse die grossen Erwar- tungen , zu denen ihre Anlage berechtigte (sie sollte als Gegengewicht der Jesuitenrichtung wirken), nicht erfüllen können, aber ihr zwei- hundertjähriger Bestand verdient eine allseitigere Beleuchtung aus den Quellen, als sie ihr bisher zu Theil geworden ist. Ein altes Verzeichniss ihrer Professoren mit allen Personalien druckt nun der Herausgeber ab und erweitert in seinen, den grössten Theil des Werkes bildenden An- merkungen die Angaben dieser Quelle. Andere Gegenden und Zeiten betreffen die Materialien , welche vom kais. Ministerium der Volksauf- klärung publicirt werden (CöopHHKi. MaTepia.iOBi) ^.la ncTopiii npocBi- ui,eHia BT. Poccin etc.) und auf den Wilnaer Lehrbezirk, seine Geschichte, seine Reform sich beziehen; so enthält der dritte Band einschlägiges Aktenmaterial, dem vorausgeschickt ist eine längere Einleitung (S. I CXXVII) von 0. Kryzanovskij über den Stand von Unterricht und Aufklärung in Polen am Vorabend der Reform der Wilnaer Universität (1803) auf Grund der bekannten Schilderungen von KoWataJ haupt- sächlich — und über die Beziehungen zwischen den Hauptpersönlieh- keiten der Reformzeit Auszüge aus der bekannten Correspondenz zwischen KoWataj und Czacki; diese übrigens wenig objektive Dar- stellung bringt nichts Neues.

Dagegen verdient ein anderes russisches Werk, sowohl durch die Objektivität seiner Darstellung wie durch die aufgewandte Mühe und die Herbeischaffung allen möglichen Materials, handschriftlichen und gedruckten, Bücher und Akten, volle Anerkennung : ich meine K. Xap- jiaMnoBHyi), SanaAHopyccKiü npaBOCJiaBHi.iH mKOiti XVI. h Haqajra XVII. B^Ka, OTHomeme hxx kx HHOCjiaBHLiMt , pe.iHrio3Hoe odyTieme

BT> HHXT. H SSlCäJTU. HXX BI Ji^iÄi SamilTBI npaBOCiaBHOÜ Biptl II II,epKBH,

Polonica. ()3

Kasaiib 1898, XIII, 524 und LXII S. S". Ein Drittel des Buchen ist den polnischen, katholischen (Universitäts- und Jesuiten-^ und pro- testantischen Schulen ausschliesslich gewidmet; es kommen hierauf die orthodoxen (die Ostroger und die Brüderschaftsschuleu), zuletzt die unirten Schulen (hauptsächlich die Reformversuche von Rucki und seiner Basilianer, als Pendant zu den Jesuiten) zur Besprechung. In jedem Abschnitte wird über Zahl und Alter der Schulen, über Lehrmittel und Studiengang, über den Geist dieses Unterrichtes und seine Erfolge, zu- letzt über namhaftere Persönlichkeiten des Lehrkörpers gehandelt. Der Aufmerksamkeit und Belesenheit des Verf. entgeht nur weniges, meist nur solches, was ihm unzugänglich war: so z. B. sind seine Angaben über den Kiever Rektor, nachherigen katholischen Mönch, Kassian Sa- kowicz, eine recht charakteristische Erscheinung der Zeit, unvollständig und irrig; sein Urtheil ist ein wohl erwogenes, sachliches, gerechtes aber freilich, in Einzelnheiten dürfte er befangen gewesen sein, Meletius Smotrycki z. B. ist ihm immer noch der ehrgeizige Intriguant; die mo- nita privata Soc. Jesu sind ihm natürlich eine ächte, officielle Schrift, die Jesuiten sollen an dem Macaronismus der polnischen Sprache des XVII. Jahrh. Schuld tragen; die Leistungen der Sozinianer Schulen werden viel zu gering geschätzt, trotz ihres streng konfessionellen Cha- rakters — gab es denn damals überhaupt Schulen anderer Art? bil- deten sie vielseitig und gründlich. Bei den orthodoxen Schulen wird zu sehr griechische Herkunft, Anlehnung an den Orient, herausge- strichen : nichts ist charakteristischer, als der Umstand, dass die älteste gedruckte slavische Grammatik, der Ostroger Damaskin von 1586, la- teinische Marginalnoten beifügt ! mit dem griechischen T^pus dieser Schulen ist es wirklich nicht weit her. Der kritische Verf. zerstört einige Legenden, entfernt allerlei Missverständnisse (auch eines, dem ich zum Opfer gefallen war).

An die Gründlichkeit und Umsicht der Leistung von Charlampowicz reicht bei weitem nicht heran Dr. Ant. Karbowiak in seiner Arbeit: Dzieje wychowania i szköl w Polsce w wiekach srednich, czesc pierwsza, od 966 do 1363 r., Petersburg 1898, VIII und 339 S. Trotz aller Aus- führlichkeit und schleppender, ja lästiger Wiederholungen, sind ihm wichtige Zeugnisse ganz entgangen, z. B. die beiden im Liber fundationis claustri Heinrichow (er kennt das Buch allerdings, hat es aber nur nach dem Register benützt und da fehlen natürlich diese interessanten An- gaben); anderes ist schief aufgefasst ; dafür verdient der mechanische

64 A. Brückner,

Theil der Arbeit (Sammlung der Daten über Schulen und Scholastiker) Anerkennung.

Da ich schon russische Werke in dieser Rundschau berücksichtigt habe, werden es mir hoffentlich auch die Herren Kleinrussen nicht übel nehmen, wenn ich ihrer Publikationen, die polonorussica betreffen, gleich hier gedenke. Die Szewczenko-Gesellschaft in Lemberg ent- wickelt eine nicht genug zu rühmende Thätigkeit, sie publicirt ausser anderem ihre Memoiren (Zapysky), in 6 zweimonatlichen Heften, jetzt schon 30 Bände, ihre Zerela de istorii Ukrainy-Rusi (4 Bände, 1895 1898) u. s. w. Der erste und zweite Band (VUI, 311 und VI, 314 S. 8°) der letzteren enthält nun in polnischer Sprache die lustracye krölewszczyzn (Güterinventare) des Haliczer, Przemysler und Sanoker- landes von 1565 und 1566; kleinere Lustrationen einzelner Burgen und Territorien, auch noch aus dem XV. Jahrb., sind in den Zapysky Bd. XIX, XXVI u. s. w. enthalten. Sie betreuen russische Gebiete des alten Polen; besonders alterthümliche Verhältnisse beleuchtet die Lustration der Starostei Ratno im chelmischen Waldlande an der Pripet' aus dem Anfange des XVI. Jahrh. (1500 1512): noch ist hier das uralte poludje (des Porphyrogeneten ! ) wohl bekannt, Honig ist die gangbarste Münze, das ius primae noctis heisst drastisch genug pocze- rewczizna oder pohrzucJioivszczyzna n. s. w. ; abgesehen von den Einblicken in sociale Verhältnisse, fällt manches interessante auch für die poln. Sprache ab, ich erwähne hier nur, dass z, B. sqzen seinen gen. plur. auf fünferlei Weise hier bildet, sqioti (nach kamion, kmiot, korzo?i, przyjaciöl ^ imion etc.), sqzeniöw, sqinioiv, sqzeni, sqien u. dgl. m.

Die 250jährige Chmielnickifeier hat eine reichere Literatur ge- zeitigt: der vierte Band der Zereia enthält galizische Aktenstücke von 1648 und 1649 (VI, 411 S.); der XXIU. und XXIV. Band der Zapysky ist demselben Thema gewidmet: wir heben hier nur heraus die aus- führliehe, allerdings unvollständige, Sammlung polnischer und lateini- scher Epen, Lyrika, Satiren, Epigrammen u. s. w., alles Produkte der gleichzeitigen Literatur, die Dr. J. Franko zusammengestellt und ver- ständnissvoll kommentirt hat.

So wären wir auf das Gebiet der Geschichte selbst übergegangen und wollen auch hier ein paar Werke erwähnen. Welches Interesse die Gestalt des Pseudo-Demetrius momentan erregt, braucht man den Lesern des Archivs nicht auszuführen : an der einschlägigen Forschung nimmt

Polonica. 65

nun hervorragenden Antheil Dr. Alex. Hirscliberg, sowohl durch seine eingehende kritische, sehr sachliche Studie : Dymitr Samozwaniec, Lemberg 1S98, IX und 292 S. S", als auch durch Sammlung des reich- haltigsten urkundlichen Materials an Memoiren, Briefen, Urkunden, Reden aller Art in Polen, Schweden, Italien u. s. w. ; herausgegeben ist daraus vorläufig nur der hochinteressante Pami(,^tnik Stanisiawa Nie- mojewskiego (16U6— 160S), Lwöw 1899, XXXII und 336 S. 80; der 1620 verstorbene Kastellan von Kulm, als Vertrauensmann der Prin- zessin Anna und als mehrjähriger Gefangener des Szujskij, entwirft hier ein Bild eigener Leiden und russischer Zustände, wie man es sich nicht farbiger, frischer wünschen kann^). Anderes der Art liegt druckreif bereit und wünschten wir nur es bald veröflFentlicht zu sehen. Die be- kannte Publikation von P. Pierling, der Zarenbrief an den Papst, hat eine Unmasse von Federn in Bewegung gesetzt: das Beste darüber schrieb St. Ptaszycki, IThcbmo nepnaro caM03BaHu;a kx nan'6 Kih- MBHTy VIII, HsB'IcTiH 0x^^.1. pyccK. HS. H cüOBecH. H. Ak. IL 1899, IV, 375 422, mit 8 Schrifttafeln; sonst vgl. Baudouin de Courte- nay im XXIX. Bde. der Krakauer Rozprawy filologiczne, S. 183 213 (Strona JQzykowa oryginalu polskiego listu etc.) alle diese schreck- lich minutiösen Ausführungen haben übrigens meines Erachtens noch kein greifbares Resultat geliefert ; Einzelnheiten sind gar nicht richtig gewürdigt, ich könnte z. B. grosspolnische Hdsclirr. aus dem Anfange des XVII, Jahrh. namhaft machen, in denen, wie im Briefe des Deme- trius zu Anfang, jedes N wie H geschrieben wird, also Hasze für Nasze u. s. w. 2).

*) Dieses Werk war bisher völlig unbekannt und es ist das Verdienst Dr. Hirschberg's, dasselbe aus einer Hds. im Besitze der Mniszech selbst (ausführlichere Eecension) und aus einer Wilnaer Hds. (kürzere Recension, zum ersten Male veröffentlicht zu haben. Was nämlich sonst als Tagebuch des Niemojewski kursirt, so noch von Herrn Scepkin (Archiv XX, 319) be- zeichnet wird, gedruckt bei Turgenev und Ustrjalov vorliegt, ist ein völlig verschiedenes Werk eines anderen Verfassers 'Dyamentowski!!), welches nur durch ein Versehen, ganz irrigerweise, den Namen Niemojewski immer noch trägt.

2j Man hatte die stille Hoffnung gehegt, aus dem Briefe eruiien zu kön- nen, wer ihn geschrieben hätte: ein Weissrusse, der von Sapieha, ein Kiein- russe, der von den Wiszniowieeki, oder endlich ein Grossrusse, der von den Bojaren zu seiner Rolle präparirt worden wäre. Dass man es mit einem Russen zu thun hätte, wusste man vor dem Papstbriefe eben so gut wie nach-

Archiv für slavische Philologie. XXII. 5

66 A. Brückner,

Aus demselben Jahrhundert ragt die Gestalt des Heldenkönigs, Sobieski, hervor : dem in Lemberg errichteten Reiterdenkmal des Königs trat in Krakau ein literarisches zur Seite, ein Leben Sobieski's, in drei stattlichen Bänden, bis zu seiner Königswahl 1629 1674) reichend, auf Grund sorgfältigsten Quellenstudiums anschaulich und lebhaft er- zählt: Tadeusz Korzon,Dola i niedola Jana Sobieskiego, Krakau 1898, drei Bände (X und 586 : VI und 483 ; VII und 542 S.) alles, auch die gleichzeitige schöne Literatur, eines Kochowski und Potocki z.B., wird hier ausgenützt^ während sonst die Herren Historiker einem be- liebigen Stück diplomatischer Unwissenheit und Einseitigkeit grösseren Werth beizulegen pflegen als unverfälschten Zeugnissen öffentlicher Meinung. Sobieski's Gemahlin, die schöne Französin, seine Marysienka, hat der bekannte Biograph Peters und Katherina's, K. Waliszewski, in einem französischen Werke dargestellt, das durch seinen Ton und Inhalt bei den Polen mit Recht Anstoss erregt hat.

Von den Zeiten politischen und moralischen Zerfalles wenden wir uns noch für einen Augenblick den Anfängen zu und ihrer Quelle, dem sog. Gallus. Die vielversprechenden, durch den jähen Tod des jugend- lichen, hochbegabten Forschers abgerissenen Untersuchungen (Max Gumplowicz, Bischof Balduin Gallus von Kruszwica, Polens erster lateinischer Chronist, Wiener Sitzungsber. philos. Gl. CXXXII, 1895, IX, 36 S., vgl. desselben Verf. posthumes Werk, Zur Geschichte Polens im Mittelalter, zwei kritische Untersuchungen über die Chronik des Balduin Gallus, Innsbruck 1898, V und 261 S., darin: der Kampf des slavischen und lateinischen Ritus in Polen 1104 1124, S. 125 ff.!) haben durch eine Neuherausgabe des Annalisten und Forschungen über sein Werk eine Fortsetzung erfahren: Galli Anonymi chronicon rec. Lud. Fiukel et Stan. Ketrzynski, Leopoli 1899, XIX und 123 S., als erstes Bändchen einer Sammlung Fontes rerum polonicarum in usum scholarum; und: St, Ketrzynski, Gall-Anonim i jego kronika, Kra- kau. Abhandl. phil.-hist. Cl. XXXVII, 1899, 40—88. Wir haben jetzt einen verlässlicheren Text gewonnen, die Hdss.-Frage ist gelöst, manche Einzelnheit klargestellt, aber im Grunde sind wir über die Hauptfragen

her; das einzige, sicher dialektische Wort des Briefes ist weissrussisch, aber bei der damaligen Geltung des Weissrussischen ist auch damit nichts anzu- fangen; die ganze Untersuchung interessirt denn auch im letzten Grunde mehr einen Graphologen, als einen Philologen.

Polonica. 67

nach dem Autor selbst im Unklaren. Die Combinationen von Gumplo- wicz können nicht dadurch umgestossen werden, dass die Bezeichnung des Chronisten als Gallus, worauf Gumplowicz fusst, sehr spät erst auf- taucht, denn diese Bezeichnung entspricht dem Thatbestande selbst; K^trzyuski selbst lehnt ja den Chronisten an Bischof Franko von Posen an auf Grund ähnlicher Folgerungen, die er bei Gumplowicz verwirft. Unter den Stellen, die für die Herkunft des Chronisten aus seinem eige- nen Werke herangezogen werden, vermisse ich eine sehr charakteristi- sche, von dem Ruhme der Gallier (nunquam enim fama vel militia Ro- manorum vel Gallorum sie celeberrima per mundum haberetur etc., Buch III Widmungsepistel).

Für noch weitere Anfänge, für archäologische Arbeiten selbst, ist in Warschau nach längerer Pause ein besonderes Organ erstanden, dem ich trotz seines gräulichen, ja abschreckenden Titels den besten Erfolg wünsche. Herr Er asm Majewski, der auch die Redaktion der War- schauer Wisia übernommen hat, gibt heraus : Swiatowit, rocznik poswie- cony archeologii przeddziejowej i badaniom pierwotnej kultury polskiej i siowianskiej . I, Warschau 1899, VI, 210 S. mit Tafeln und Abbildun- gen — vorzüglich ausgestattet, mit reichhaltigen Fundberichten und Literaturangaben, Originalarbeiten iz. B. über die berühmten Ojcower Höhlen u. s. w.): die Hauptlast der Arbeit liegt zwar noch auf dem un- ermüdlichen Herausgeber selbst, doch dürfte sein Mitarbeiterkreis sich rasch erweitern aber die Inschrift, die Inschrift, müssen wir nach Berliner berühmten Mustern klagend ausrufen. Von der Archäologie könnten wir zur Volkskunde übergehen; da jedoch keine grösseren selbständigen Leistungen zu verzeichnen wären, verzichten wir auf die Aufzählung einzelner Beiträge in der Warschauer Wisia, der wir auch unter der neuen Redaktion die Erfolge der früheren wünschen, und des Lemberger Lud (Herausgeber Prof. Kaiina im Namen der Lemberger Gesellschaft für Volkskunde leider wurde die Zeitschrift angeblicher Unmoral beschuldigt und ihr so der Kredit, moralischer wie materieller, erheblich geschmälert, doch hoffen wir, dass die Angriffe der Obscu- ranten sich schliesslich als ungefährlich erweisen werden) ; erwähnen nur noch die sorgfältigen, nach jahrelanger unendlich mühevoller Ar- beit eruirten statistischen Angaben von St. Ramutt über die Kasziiben (herausgegeben von der Krakauer Akademie [Statystyka ludnosci ka- szubskiej etc., Krakau 1899, 290 S. gr.-8" mit Mappe]), welche die landläufigen ganz erheblich übertreffen (200 000 in Europa, 130 000 in

5*

(jg A. Brückner, Polonica.

Amerika) , um unseren schon allzusehr ausgedehnten Bericht mit einigen philologischen Arbeiten abzuschliessen.

Von solchen grammatikalischen und lexikalischen Hilfsmitteln seien genannt Dr. Asmus Soerensen, Polnische Grammatik, erste Hälfte, Leipzig 1899, IV und 256 S., eine ungemein sorgfältige, reichhaltige und zuverlässige Darstellung der Formenlehre (und einer knappen Laut- lehre] , in welcher besonders die eingehende Behandlung des Verbums und seiner Bedeutungen hervorragt. Von dem Slownik jezyka pol- skiego, uiozony pod redakcya J. Karlowicza. A. Krynskiego i Wlad. Niedzwiedzkiego sind bereits fünf Hefte erschienen (Warschau 1898, S. 1 800, lex.-8", doppelspaltig), A G: ein zwar knapp gehaltenes, aber an Worten (auch veralteten und dialektischen) möglichst reiches Wörterbuch, das die älteren, Linde und Orgelbrand, endlich zum Theil wenigsteus zu ersetzen bestimmt ist; jedes Wort wird auch etymologisch erklärt. Den Mangel eines solchen, auch die moderne Sprache oder besonders diese umfassenden Lexikons hat man längst drückend em- pfunden; hier wird endlich Abhilfe geschaffen. Das Wörterbuch ver- folgt auch, mit Recht, puristische Tendenzen. Zu gleicher Zeit ist ein ausführliches deutsch-polnisches und polnisch-deutsches Wörterbuch in Angriff genommen (bei Prochaska erscheinend), das durch die Namen seiner Redakteure (Prof. Alb. Zipper, Konarski u. A.) Gewähr gibt, dass es die veralteten oder unbrauchbaren Jordan, Booch-Arkossy u. s. w. endlich einmal verdrängen wird. Wichtiger für uns Philologen ist es, dass endlich ein polu. dialektisches Wörterbuch herausgegeben wird, das alles bisherige, so unendlich verstreute, Material gesichtet und geläutert, umfassen soll: die bewährte Kraft des Herrn J. von Karlowicz hat sich dieser Arbeit unterzogen und die Krakauer Akade- mie hat mit der Drucklegung bereits begonnen. Auf lexikalisches Material endlich, aber nur auf entlehntes, stützte ich eine Darstellung und Abschätzung der verschiedenen Kulturen und Völker, die im Laufe der Jahrhunderte auf Polen eingewirkt haben, die Ablagerung dieser verschiedenen Schichten in dem Gefüge des polnischen Sprachbestandes, die von verschiedener Stärke und Art allerlei interessante Rückschlüsse gewähren (BibliotekaWarszawska 1898, II, 385 420, III, 417—458).

A. Brückner.

69

Cubranovic und seine Beziehungen zu der einheimi- schen und der italienischen Literatur.

I.

Der Sieg des Christenthums über die heidnische Götterwelt der Süd- slaven war kein gewaltiger, wie ihn die Geschichte der nördlichen Völker der polab. Slaven, Sachsen u. a. verzeichnet hat. Das Christen- thum breitete sich allmählich unter dem Einflüsse der Nachbarvölker, und zwar der in den dalmatinischen Ktistenstädten lebenden Lateiner, der von Osten heranrückenden Griechen und der bulgarischen und pan- nonischen Slaven, die das lebende Wort der beiden Slavenaposteln zu hören das Glück hatten, aus.

Was insbesondere die dalm. Städte und ihre nächste von den Slaven bewohnte Umgebung angeht, so machten hier dem Christenthume so- wohl die slavischen religiösen Anschauungen, wie auch die noch in frischer Erinnerung lebenden olympischen Götter die absolute Herr- schaft streitig. Wir könnten uns sogar eine Zeitepoche vorstellen, wo die ländliche Bevölkerung sich ihre eigene Religion geschaffen, in wel- cher neben dem Gotte, wie Christus ihn den Leuten zu erkennen gab, auch irgendein urslavischer Gott und Bacchus, der Vertreter des Olymp, vereint auftraten. Nach und nach siegte wohl das Christenthum, aber die Spuren des heidnischen Cultus blieben und sind heutzutage auch in allerlei Gedichten deutlich zu erkennen, obwohl das Volk keine Ahnung hat, wen und was es besingt.

Aus den römischen Liberalien (17. März) und Luperealien (15. Febr.) entwickelte sich der christliche Fasching. Ebenso wie in Deutschland an diesen Festlichkeiten die Spuren der Frühlingsfeste der alten Germa- nen zu erkennen sind, treten uns in Ragusa im Faschinge die Gottheiten und die mit ihrem Ritus verbundenen Festlichkeiten der oben bespro- chenen gemischten Religion entgegen.

In Ragusa so erzählt uns V. St. Karadzic in seinem /Khbot h oÖBraaJH Hapo^a cpncKora p. 20 durchzogen zur Zeit der Republik

70 M. Medini,

die Stadt während des Faschings Coroje, Vila und Turica. Öoroje hatte ein behaartes Kleid, an welches allerlei Schweife, meistens die der Füchse angenäht waren, am Gesicht trug er die Maske, in der Hand einen grünen Zweig oder einen Blumenstrauss. Vila war mit einem weissen Frauengewande bedeckt, das mit einer rothen Schärpe umzogen war, mit einer solchen waren auch die Arme gebunden, am Kopfe trug sie eine weisse Decke und einen Kranz und über das maskierte Gesicht ein blaues Tuch, das sie beim Tanzen hob und beim Gehen hängen liess. In der Hand trug sie etwas wie einen Bogen, der auf drei Ecken mit Blumen geschmückt war. Turica war unter ihnen die Hauptperson : den menschlicheu Kopf konnte man bei ihr nicht sehen, denn auf einem sehr langen Halse stand ein Pferdekopf mit grossen Zähnen, der so ge- macht war, dass man ihn von unten leicht schliessen und öffnen konnte, in Folge dessen schnappte er fortwährend; die Füsse waren behaart und wie bei einem Vogel. Neben diesen drei Masken ging ein Mensch mit der Trommel, die er fortwährend spielte. Das erste Mal gingen sie am Feste der heiligen Epiphanie heraus, dann jeden Sonn- und Feiertag bis zu den Fasten. Am ersten Tage ihres Erscheinens besuchten sie die Kollegialkirche und am heil. Blasiusfeste tanzten sie vor dem Rektor. Das Volk in Ragusa erzählte, dass Turica wirklich existirte, gefangen getödtet wurde.

Am 1. Mai erschien Bembelj: das Kleid war ihm mit allerlei Blumen und grünen Blättern geschmückt, um ihn wanden sich Schlangen und eine hatte er auch in der Hand. Diese Maske ging jährlich zum Kloster des heil. Jakob.')

Diese Mittheilungen tragen an sich einen klaren Stempel der Com- bination des Volksthümlichen, des Alterthümlichen und des Heidnischen, der nicht leicht zu verkennen ist. Was bedeutet nämlich der Zug des Coroje, der Vila und der Turica durch die Kollegialkirche oder der Gang des Bembelj zu einem Kloster anderes, als ein Bitten dieser Vertreter des alten Cultus um Erlaubniss ausgehen zu dürfen ? Wären diese Mas- ken ohne jeden realen Hintergrund gewesen, so würde ihr Eintreten in die Kirche eine sinnlose Profanation der christlichen Gebetshäuser ge- wesen sein.

Der Ursprung dieser Masken ist indessen schwieriger zu erforschen. Vila wäre ihrem Namen nach Vertreterin der slav. Götterwelt. Coroje,

1) Ebendaselbst S. 30.

Cubranovid u. seine Beziehungen zu der einheim. u. d. ital. Litorutur. 7]

coro bedeutet heute auch in Ragusa einen Menschen, der nur mit einem Auge sieht; im causalen Zusammenhange wird die Maske mit der Be- nennung schon stehen, aber das erschwert nur die Erforschung ihres Ursprunges. Turica als Name könnte auch slav. Urspungs sein, die Maske selbst ist römischer Abkunft. Appendini hat zuerst die Aehn- lichkeit zwischen Turica und Manducus festgestellt. «II dio Manduco "degli antichi Romani ne sembra un perfetto ritratto. Lo dipingevano colle mascelle da cavallo e con i denti d' una lunghezza prodigiosa. L' estremitä del suo capo era nuda e simile a quella d' un uomo. Coli' aprire e chiudere della vasta bocca e col dibattere dei denti nelle publiche feste metteva in fugalaridentepleberomana, che a schiera lo seguiva amando sopratutto di vederlo negli Intermezzi atellani dopo la recita delle com- medie a ballare suUa scena«*). Diese Schilderung stimmt mit dem, was wir über Manducus wissen, und es gehört dem Appendini die Ehre, der erste gewesen zu sein, der es bemerkt hat, obwohl er die Sache verkehrt nahm und behauptet, die Römer hätten diesen Gott den Slaven entnom- men. Wenn wir die Etymologie Bembelj Uof-iTtalog des ak. Wörter- buchs — als richtig annehmen, was übrigens sehr zweifelhaft ist, so hätten wir in diesen vier ragusäischen Masken Vertreter der Griechen, Römer -y und Slaven.

Für unseren Zweck ist indessen wichtig zu wissen, wie Coroje, Vila, Turica und Bembelj die Ragusäer zu unterhalten wussten und welche Mittel sie dazu gebrauchten. Nach Appendini Turica, Coroje und Vila

gehen »al suono d'un rozzo piffero e tamburo pertuttala cittä

ballando una villereccia danza«^) Bembelj in der Gesellschaft der ihn begleitenden Schuster »esegniva per la cittä un graziöse ballo« *).

Diese Nachrichten sprechen also nur vom Tanzen und Spielen, und es wird nirgends erwähnt, dass die Masken dabei gesungen haben. Das wird von den spärlichen Nachrichten, die uns die Literatur selbst

1) Notizie istorico critiche sulle autichitä, storia e letteratura de' Ragu- sei I, 57. Am Ende dieses Baudes sind auch die Abbildungen dieser vier Masken zu finden.

■-) Es wäre möglich, dass diese Maske nicht direkt aus der Rümerzeit stammt, sondern erst später über Italien nach Ragusa kam. Es wäre deshalb nützlich zu wissen, ob in Italien etwas ähnliches vorhanden war oder viel- leicht noch vorhanden ist.

3) Notizie istorico critiche I, 5ü.

*) Ebendaselbst S. 54.

72 M. Medini,

liefert, bestätigt. Im Gedichte des Sasin Muzika od crevljara, das nach dem Gedichte des Medici Canto di calzolai^) geschrieben wurde, heisst es :

Mi fratilja od crevljara, kako obicaj bila e atara, dosli smo vam poigrati i Bembelja pokazati.

Also erst ungefähr ums Jahr 1600 fiel es dem Sasin ein, zu dem am 1. Mai stattfindenden Festzuge des Bembelj ein eigenes Gedicht zu schreiben. Ebenso wird das Singen im Fastnachtsspiele Novela od Stanca von M. Drzic nicht erwähnt. Aus diesem Stücke ersieht man, dass neben den oben erwähnten Faschingstypen auch andere Masken zur Nachtzeit die Stadt durchzogen, denen die Fremden und die Land- leute Stoff genug für allerlei Scherze gaben.

Die Sitte, bei Maskenumzügen Gedichte vorzutragen, war also für Ragusa eine Neuerung, die wir erst im XVI. Jahrh. constatieren können. In dieses Jahrhundert gehören die Maskeratendichter Vetranic, Nalje- skovic und andere, und diese Eigenthümlichkeit des rag. Faschings überlebte sogar die Republik selbst. Die Sitte ist aus Italien nach Ragusa verpflanzt worden und das, was wir über die Charaktereigenthümlich- keiten der alten Ragusäer wissen, erklärt auch die Fürsorge, die sie der neuen Dichtungsart angedeihen Hessen.

Lorenzo de' Medici (1478 1492), der wegen der Pracht seines Hofes von den Zeitgenossen den Zunamen »il Magnifico« erhielt, war sich bewusst, dass seine Macht nicht in Herzen der republikanisch ge- sinnten wohlhabenden Kauf leute und Zunftmeister von Florenz, sondern in der Gunst der nicht soviel vom Glück beschenkten Schichten der Be- völkerung wurzelt. Diesen hiess es lieb zu werden, und Lorenzo unter- liess keine Gelegenheit, es auch anzustreben. Während er durch pracht- volle Veranstaltungen und geschmackvoll gedachte Festlichkeiten die Augen der Menge an sich fesselte, suchte er dem Volke auch häufigere und billigere Unterhaltungen zu bieten. Auch vor ihm pflegten die Florentiner Maskenumzüge zu veranstalten, wobei höchstwahrscheinlich Volksgedichte vorgetragen wurden. Lorenzo nahm sich dieser Dichtun- gen an, gab ihnen die Form der Kunstgedichte und so geschah es, dass der Name des Lorenzo mit dem Entstehen dieser Gedichte überhaupt verknüpft blieb. Die Gedichte Lorenzos gaben dem Faschinge neues

1) Canti carnascialeschi , trioufi, carri e mascherate, her- ausgegeben von Olindo Guerrlui, Mailand 1883, Soazogno S. 25.

Cubranovic u. seine Beziehungen zu der einheim. u. d. ital. Literatur. 73

Leben, so dass Florenz in dieser Hinsicht den übrigen ital. Städten den Vorrang abgewann. Die Maskeratenliteratur breitete sich allmählich über ganz Italien aus und fand auch in Ragusa sichere Unterkunft. ')

Mit ebenso grosser Sicherheit, mit welcher wir den Ort angeben können, woher diese Gedichte nach Ragusa kamen, können wir die Zeit wann das geschah nicht bestimmen. Ich glaube, das dürfte entweder zur Lebzeit des Lorenzo oder gleich nach seinem Tode geschehen sein und stütze mich dabei auf das Versmass, dessen sich Vetranic, der älteste 2) der uns bekannten Dichter, die in Betracht kommen können, in solchen Gedichten bedeute.

In ital. Gedichten solcher Art sind nämlich die Strophen unter ein- ander gebunden und zwar gibt der Refrain mit seinem letzten Verse den übrigen Strophen des Gedichtes den Reim. Wenn nun Vetranic der erste Faschingsdichter gewesen wäre, so müssten wir erwarten, da die Form der ital. Gedichte als ihm bekannt vorausgesetzt werden muss, weil er zur Zeit seines Exils in Italien lebte dass er auch die italie- nische Form dieser Gedichte sich angeeignet hätte. Das ist jedoch nicht der Fall. Er gebrauchte sogar den in der damaligen rag. Literatur üblichen Zwölfsilber mit Reimen in der Mitte und am Ende jedes Verses nicht, sondern er wählte die Strophe von vier Achtsilbern und nach jeder dritten wird eine wiederholt.

In der ragusäisch- dalmatinischen Literatur ist der Achtsilbei* wenigstens so alt wie der Zwölfsilber. Er hat den Vorzug, dass er sich für die Strophen eignet, was von dem Zwölfsilber nicht gesagt werden kann. Bei der Uebersetzung der Kirchengedichte denn aus diesen entwickelte sich allmählich die Literatur musste derselbe Gedanke bei Uebertragung aus den längeren lateinischen Strophen in die kürze- ren aus Achtsilbern bestehenden Quartinen natürlich in zwei sogar drei Strophen ausgedrückt werden. Wenn in der Originaldichtung der Re- frain nach jeder Strophe folgte in Kirchengedichten ist das häufig der Fall , so konnte in Folge dessen derselbe in der Uebersetzung erst

1) Näheres über den ital. Fasching kann man in der Einleitung zu der obengenannten Ausgabe des Guerrini lesen.

V

~) Cubranovic kommt dabei nicht in Betracht, denn da wir sowohl für JeSupka wie auch für die Maskeraden Vetranic's nicht wissen, wann sie ent- standen, so können wir auch keinem von diesen den Vorrang in dieser Hin- sicht zuerkennen.

74 M. Medini,

nach der zweiten, beziehungsweise dritten Strophe kommen M. Diese Form, die, wie gesagt, ursprünglich den Kirchengedichten eigen sein mus3te2)j tritt uns bei Vetranic entgegen, was so gedeutet werden kann, dass auch die Faschingsgedichte sich dieses zweifellos volksthümliche Gewand eben wegen seiner Volksthümlichkeit angeeignet hatten. Ich glaube, dass es Vetranic nicht selbst that, sondern dass er in dieser Hin- sicht Vorläufer hatte und wer diese gewesen sind, wissen wir nicht.

Ich fasse mich also kurz in folgender Weise: Die Faschings- gedichte stehen in gar keinem Zusammenhange mit den übrigen Faschings- gebräuchen, die sich in Ragusa aus dem heidnischen, sowohl slavischen wie auch römischen und griechischen Cultus entwickelten. In den letz- ten Decennien des XV. Jahrb. ungefähr begann diese Dichtungsart aus Italien und zwar höchstwahrscheinlich direkt aus Florenz in Ragusa einzudringen. Die Dichter, die sich ihrer bemächtigten, sind unbekannt, es scheint aber, dass es Personen aus dem Volke waren, die den Gedich- ten ein neues volksthümliches Gewand anlegten, in welchem sie uns auf einmal ungefähr in der Mitte der ersten Hälfte des XVI. Jahrb. zum Vorschein treten.

n.

Die Faschingsgedichte müssen als Erläuterung der Handlungen der maskirten Gesellschaft aufgefasst werden. So hat sie auch Lorenzo de" Medici gedacht, denn beim Lesen seiner Gedichte, wenn wir die Maske- rade selbst nicht vor Augen hatten, können wir auch den Text hierzu nicht gut^verstehen. Meistens sind es Handwerker, die dem Hörer ihr Geschäft erklären wollen, z. B. Bericuocolai, Filatrtci d' oro, Mulat- tieri, Calzolai, Facitori cV oUo, Votacessi, Cialdonai\ doch kann in

1) Dass dies in Kirchengedichten üblich war, beweist auch das Weih- nachtsgedicht U sej vr'jeme godista, mir se sv'jetu nav'jesta, po- rodenje Djetida etc., wo der Reim auf einer so niedrigen Stufe steht, dass man eher von Assonanz sprechen könnte. Diese ist grösser, wenn man z. B. in der ersten Strophe statt der stokavischen die cakavischen Formen ansetzt. Das spricht einerseits für das hohe Alter des Gedichtes, anderer- seits zeugt es dafür, dass das Gedicht aus Dalmatien nach Ragusa eingewan- dert ist. Slava Bogu visnjemu, gospodmu nasemu i covjeku sm'Jernomu od Dj'e- oice Marije kommt als Refrain erst nach jeder siebenten Strophe.

-) Vetranid gebraucht es auch in anderen Gedichten theils moralischen theils geistlichen Inhaltes. Der Zwölfsilber scheint sein »hoher Stil« und der Achtsilber sein »mittlerer Stil« gewesen zu sein.

Cubranovic u. seine Beziehungen zu der einheiui. u. d. ital. Literatur. 75

der Maskerade auch eine andere Beschäftigung des Menschen geschil- dert werden, z. B. in Canto delle foresi Narcctri, Canto di poveri. Oefters wird auch ein zufälliger augenblicklicher Zustand zur Sprache gebracht, wie in Canto di romiti, Canto di donne giovani e di mariti veccM, Canto delle fanciuUe e dellc cicale^].

Wenn wir die Handwerkergeschichten wegen ihrer gi-ossen Zahl als den Typus der Faschingsgedichte ansehen, so müssen in einem solchen Gedichte wenigstens vier Fragen beantwortet werden. Die Dar- steller müssen sagen, wer sie sind, woher und warum sie kommen und wozu sie gut sind. Die Beantwortung der beiden letzten Fragen musste natürlich mit Gebärden begleitet werden, und eine einzige unanständige Bewegung drückte dem Ganzen den Stempel der Faschingsausgelassen- heit auf, mag das Gedicht für sich allein ganz anständig gewesen sein. Wenn man nun bedenkt, dass das letzte nicht immer der Fall war, son- dern dass die Dichter in ihre Gedichte absichtlich allerlei Zweideutig- keiten hineinflochten, so ergibt sich daraus als erster Charakterzug solcher Gedichte eine an Unverschämtheit grenzende Freiheit.

Dieser Ausgelassenheit begegnen wir auch bei den Ragusäern und das beste Beispiel dafür haben wir im einleitenden Gedichte zu Pjesni od maskarate des Nikolaus Naljeskovic^). Die bedeutendsten Strophen dieses Gedichtes sind folgende:

feto ste blijedi s malom snagom? Warum seid ihr bleich und dei

Nemojte se vi pripasti, Ohnmacht nahe? Erschreckt nicht;

njeko zove mene vragom, einer nennt mich Teufel, ein anderer

njeko äavlom i napasti. Satanas und Versuchung.

Vidite me sad velika, Ihr seht mich gross, dann wiede-

a sad mala gruba dosti, rum klein und hässlich genug; hundert

promjenjujem sto prilika, Gestalten nehme ich an, denn in mir

jer u meni nije kosti gibt's keine Knochen.

Lje se zena ne nahodi Man findet wirklich kein Weib, das

jaka slomit vragu silu, die Macht des Teufels brechen könnte,

neg' s njom ki oholo hodi, allein wer stolz mit ihr umgeht, fällt in

u paklenu pade spilu. die Hölle hinein.

Za sve da se od tej spile Obwohl wir diese Höhle nicht fürch-

ne budemo mi bojati, ten , so werden doch unsere Kräfte

tuj se krate nase sile, lahm, und wir beginnen zu weinen, ter pocnemo mi plakati.

1) Das sind die Titel der verschiedenen Gedichte des Medici. Cf. Guer- rini 17—31.

2j Stari pisci hrvatski V, 154.

76

M. Medini,

Za sve da tiij nije zrake, neg tamnosti njeke cudne, mi umijemo pute avake bolje neg vi odi u dne.

Proskacemo gori dole sjemo tamo udaraje, i nisto nas ne zaboli : tuj nam krepost narav daje.

Ter Jos dublje tuj upasti sa svom snagom nastojimo, al u nasoj nije vlasti, da mi dugo tuj stojimo;

er paklene te vrucine, kako custe vi od mene, bljuvati nas odmah eine iz celjusti b'jele pjene.

Oholas je nasa taka, da nam cini dvizat glave, pak smo mehli od bumbaka, er nas pakli ti izdave.

Kad nas pako taj izmori i kad vidi od nas veöe, da ne ima sto, da gori, opeta nas na dvor mece.

Obwohl es hier kein Licht, sondern ein wunderliches Dunkel gibt, so kennen wir doch alle Wege besser, als ihr hier beim Tage.

Wir springen hie und da und schla- gen herum und nichts thut uns weh ; diese Kraft gab uns die Natur.

Und wir streben mit ganzer Kraft noch tiefer hineinzufallen, aber es liegt in unserer Macht nicht, länger da zu verweilen ;

denn diese höllische Hitze, wie ihr von mir gehört habt, zwingt uns so- gleich , weissen Schaum aus dem Munde zu speien.

Unser Hochmuth ist so gross, dass er uns die Köpfe erheben thut, und wir werden weicher als die Baum- wolle, denn diese Hölle erwürgt uns.

Wenn uns diese Hölle ermüdet und wenn sie sieht, dass von uns nichts zu brennen übrig bleibt, wirft sie uns wieder hinaus.

Dieses Gedicht benöthigt wohl keine Erläuterung. Es entstand unter dem Einflüsse des ital. Gedichtes des unbekannten Dichters Canto delle spirifate^), wie folgendes Bruchstück genügend erweist:

Quasi per ogni buco, c' altri ha ad- Durch jedes Loch beinahe, das die

dosso, andere Person an sich hat, geht der

entra lo spirito e par ch'un succhio Geist hinein und es scheint, als ob

grosso ein grosses Saft sich den Weg bis zum

ti vada penetrando infino all' osso; Knochen bricht, thut aber nicht weh,

poi non fa mal, se non vien con fu- wenn er nicht mit Wucht kommt ....

rore

Entra ridendo e piangendo se ne Geht lachend hinein, kommt wei-

esce nend heraus

Das, was hier beinahe offen gesagt wird, ist in vielen Fällen verborgen, so dass nur mittelst Gebärden die Leute verstehen konnten, was der Dichter eigentlich wollte. Einige Gedichte haben in sich nichts Unan- ständiges, aber in allen spiegelt sich ein gewisser Epicureismus in der Auf-

»] Guerrini S. 48,

Cubranovic u. seine Beziehungen zu der einheim. u. d. ital. Literatur. 77

fassuDg, sowohl der Welt überhaupt, wie der Liebe insbesondere. Dieser Epicureismus gipfelt im Grundsätze, dass wir, so lange wir jung sind, geniessen müssen, welche Grundsätze von Lorenzo de' Medici selbst in seinen Gedichten gepredigt wurden. Er sagt z. B. in Trionfo di Bacco e d' Arianna^) :

Quant 'e bella giovinezza. Wie schön ist die Jugend, die fort-

che si fugge tuttavia ! während flieht! Wer froh sein will,

Chi vuol esser lieto, sia: so sei es: wir sind des kommenden

Di doman non c'e certezza. Tages nicht sicher.

In Canto delle fanciulle e delle cicaW^) :

Dica pur, chi vuol dir male : Wer uns nachsagen will, der sage es

Noi faremo e voi direte. nach: Wir werden thun, ihr werdet

sprechen. In Canto delle foresi Narcetri^) : Noi vogliam far carnasciale Wir wollen den Fasching feiern.

Dieser Epicureismus durchweht auch die rag. Faschingsliteratur. Am besten ist es in der Sentenz des Cubranovic (V. 157 ff.)

.... vi3, er se ne povraöa Gib Acht, denn unsere Jugend und

nasa mladost ni nje slave ihre Zierden kommen nicht zurück

ausgedrückt.

Die nächsten Nachfolger des Lorenzo sahen doch bald ein, dass man mit der Faschingsliteratur einen bestimmten politischen Zweck ver- folgen kann. Dieses Ziel war das Verherrlichen der Macht des Hauses Medici und nebenbei des Ruhmes ihres Staates von Florenz. Als Papst Leon X. aus diesem Herrscherhause nach Florenz kam, wurde dem Jacopo Nardi von »magistrato degli otto« der Auftrag gegeben einen Trionfo zu veranstalten. Das Gedicht zu diesem Trionfo existirt heut- zutage auch^) und es berührt den Leser angenehm, wenn er liest:

Contempla in quanta altezza sei Schau, wie hoch bist du gestiegen, salita glückliches, erhabenes Florenz.

Feiice alma Fiorenza.

Aehnlich singt Guglielmo AngioUni in Trionfo del lauro ^) :

Godi or Fiorenza, allombra del tuo Freue dich Florenz im Schatten lauro, deines Lorbeeres, der dich deckt und

che ti copre e difende schützt Vom Indus bis zu den

Dair Indo infino al Mauro Mauren erstreckt sich dein Ruhm . . .

la tua fama s'estende ....

1) Guerrini S. 17. 2) ibid. S. 18. 3) Ibid. S. 19. *) Ibid. S. 93, 5) Ibid. S. 97.

78 M. Medini,

Derselbe Gedanke beseelte auch den frommen Mönch von St. An- dreas, als er seine Faschingsgedichte niederschrieb. Der Inhalt der Gedichte Vetranic's ist den ital. Gedichten entnommen. Prof. Zore hat z. B. nachgewiesen, dass es viele Berührungspunkte zwischen Land Alamani^ trumbetari i pifari und Canto di Lanzi^ che suonano trom- honi^) des dell' Ottonaio gibt. Meinerseits sei hinzugefügt, dass auch Mohinjice viel Gemeinsames mit Canto di cacciatori^ die erano pastori e ninfe^) des unbekannten Dichters aufweist. In den Gedichten Trgovci Armenjani i Indijani und Pastiri"^) fühlt es der Leser, dass darin nichts Neues steckt. Wenn es Armenier und Indier nicht sind, die in ihrer Heimath das Lob der Florentiner gehört haben und gekommen sind, um zu sehen, ob es wahr sei, so thun dasselbe verschiedene Gesell- schaften von Lanzi. Wie die Hirten ihre Frauen verlassen haben, um die Ragusäerinnen zu sehen, so kommen paggi e cortiggiani nach Florenz, um sich die Florentinerinnen anzuschauen. Doch alle Dich- tungen Vetranic's zeichnet die glühende Liebe zu seiner Vaterstadt aus, die in den oben besprochenen patriotischen Ausgüssen der ital. Dichter kaum ihres Gleichen finden kann, weil diesen ein bischen Heuchelei der regierenden Familie gegenüber beigemischt ist.

Vetranic preist seine Vaterstadt folgendermassen:

Ter ste kruna u kraj mora Ihr seid Krone am Ufer des Meeres

od sve donje Dalmacije, des ganzen unteren Dalmatiens

a k istoku do Kotora und gegen Osten bis Cattaro

Albanije i Greeije .... Albanien und Griechenland, ....

Ter po moru kud plovite, Und wo immer ihr zur See fahrt

i po kopnu kud jezdite, und auf dem Festlande reitet,

od kraljeva sve imate, von den Königen erhaltet ihr alles,

sto pitate i zelite. was ihr fragt und wünscht.

Er fügte auch bei, warum es so sei :

Za-c je v.asa vjera prava .... Denn euer Ehrenwort ist fest

Za-c je odi razlog svaki Denn hier findet man alle Lebensbe-

i obilje joste svako .... dingungen und jeden Reichthum.

Wer diese Apostrophen liest, wird sich unwillkürlich der Apostro- phen an seine Vaterstadt des ©. Fr.Gundulic in Osman VI erinnern, was uns der Pflicht eingedenk macht, unsere Forschungen nicht allein auf

ij Guerriui S. 228. Vgl. Zore Rad jugosl. Akademije LXXI, p. 147.

2) Guerrini S. 42.

3} Die vier Gedichte findet man in Stari pisci brvatski III.

Cubranovic u. seine Beziehungen zu der einheim. u. d. ital. Literatur. 79

den Zusammenhang zwischen der rag. und der ital. Literatur zu be- schränken, sondern auch die Beziehungen der einzelnen rag. Dichter zueinander zu erforschen.

Dieses Eingreifen der Faschingsliteratur ins öffentliche Leben der kleineren Staaten, wie Florenz und Ragusa es waren, blieb bei uns auf den einzigen Vetranic beschränkt. Häufiger dürfte in beiden Städten das Eingreifen dieser Literatur ins private Leben gewesen sein, obschon wir es in Florenz nicht so oft konstatiren können, wie das in Bezug auf Ragusa der Fall ist. Das ist aus dem Wesen des Faschings selbst er- klärbar, wo die Leute beiderlei Geschlechtes in Berührung kommen, wo- bei sich allerlei Beziehungen entwickeln. Die Zeit hat uns die Lieder, die der öffentlichen Unterhaltung in Florenz dienten, erhalten, sie hat sich aber um die Stossseufzer der geheimen Liebhaber, die den Fasching dazu gebrauchten, um verhüllt den Geliebten die Herzensangelegenheiten vorzubringen, nicht gekümmert. Ein einziges solches Gedicht blieb uns übrig, weil dessen Autor ein angesehener Mann war und weil der Her- ausgeber seiner Gedichte eben sein Bruder war.

Die Geschichte der ersten Ausgabe der catiti carnascialeschi ist folgende. Lasca, als er im J. 1559 die Ausgabe veranstalten wollte, scheint nicht mit besonderer Sorgfalt die Gedichte des G. Battista dell' Ottonaio behandelt zu haben. Der Bruder des Dichters, Messer Paolo, Domherr zu St. Lorenzo, bewirkte bei der Obrigkeit die Beschlagnahme der Ausgabe. Das Ende der Geschichte war das, dass Lasca die Samm- lung ohne Gedichte des Ottonaio herausgeben musste, und dass seine Hochwürden die Gedichte des Bruders getrennt von den andern im näch- sten Jahre herausgab.

Zwischen diesen Gedichten findet man nun eins unter dem ein- fachen Titel CanzoneA) Hier beschwert sich Ottonaio über seine Ge- liebte. Die Klage gipfelt in Worten:

So ben ch' io non fu' mai da te scac- Ich weiss ganz gut, dass ich nie

ciato, von dir vertrieben wurde, wofür ich

del quäl ben ti ringrazio, dir meinen Dank ausspreche , aber

ma che val come tanti altri esser was nützt, wie so viele andere geliebt

amato? zu werden?

Das Gedicht unterscheidet sich in nichts von den gewöhnlichen Liebesgedichten, und wäre es nicht der Bruder des Dichters, der uns

1) Guerrini S. 253.

80 M. Medini,

verbürgt, dass es ein Faschingsgedicht ist, an nichts könnten wir es er- rathen. In manchem Punkte verstehen wir den Dichter nicht und wir sind nicht Messer Paolo wegen des Gedichtes selbst dankbar, sondern weil wir darin einen Beweis haben, dass die Sitte, Liebesgedichte im Fasching vorzutragen, auch in Florenz zu Hause war,

Ragusa war vom Schicksale wegen seiner örtlichen Verhältnisse verurtheilt worden, immer eine kleine Stadt zu bleiben. Die Zahl seiner Einwohner schwindet beinahe im Vergleiche zu der Einwohnerschaft des einstigen Florenz. In Florenz konnte deshalb der private Scherz nicht so stark entbrennen, wie in Ragusa, wo sich die Leute unter einander kannten und die Beziehungen zwischen einzelnen Familien mehr als freundschaftlich waren. In Florenz waren die Faschingsgedichte der Menge angemessen, in Ragusa galten sie meistens einzelnen Personen.

III.

Die besonderen Verhältnisse Ragusa's wären keineswegs im Stande gewesen, die Faschingsliteratur in neue Bahnen zu lenken, hätte ein Mann die Schicksale dieser Dichtungsart von allen Anfängen nicht stark beeinflusst. Dieser Mann war Andreas Cubranovic.

Aus dem Leben dieses Dichters wissen wir sehr wenig. Das, was uns die rag. Literaturhistoriker erzählen, trägt auf sich den Stempel des Erklügelten und des später Entstandenen. Prof. Zore hat es in der Ein- leitung zu der Ausgabe des Gedichtes, das den Titel Jedupka (die Aegyptierin die Zigeunerin) führt, in Stari pisci hrvatski VIU zu- sammengestellt.

Ignjat -Dordic erzählt, dass Cubranovic ums J. 1500 lebte und seine Behauptung gründet er auf dem Stile und der Reinheit der Diktion, Appendini sagt, seine Eltern seien arm aber ehrlich, er selbst ein Gold- schmied gewesen. Cerva schildert, wie er in eine Edelfrau verliebt war, wie er mit ihr nie zusammen kommen konnte und deshalb derselben auf den Spaziergängen immer folgte. Einmal soll sie zu ihrer Dienerin gewendet gesagt haben : Was brummt immer hinter mir dieser Zigeuner. Aus Rache verfasste nun Cubranovic unter diesem Titel eiu Gedicht und trug es der Geliebten vor.

Die Behauptung ©ordic', dass Cubranovic ums J. 1500 lebte, be- stätigt auch eine Notiz in einem Exemplare der Venediger Ausgabe des Battitorre im J. 1599, im Besitze der südsl. Akademie in Agram, wo

Cubranoviö u. seine Beziehungen zu der einheim. u. d. ital. Literatur. 81

es heisst: »Si trova del padre Ignatio Gradi, della compagnia dl Gesü un manoscritto antichissimo e che a mala pena puö leggere di vaiie com- posizioni slave, fra le quali in primo luogo e questa, in fine della quäle si trova .nnotato esser stata recitata a Ragusa sotto 11 20.Luglio 1527.« Die Fra^ der Lebensjahre des Cubranovic wäre viel leichter zu lösen, wenn wir diesem Datum Glauben schenken könnten. Der 20. Juli ist der Festtag des heiligen Elias, und es wäre leicht möglich, dass die Ragusäer diesen Heiligen, ebenso wie die Florentiner die heil. Cäcilie, mit Maskenumzügen feierten, obwohl der Monat Juli zum Tragen der Masken nicht geeignet scheint. Aber durch das ganze J. 1527 herrschte in Ragusa die Pest ') ; die Bewohner hatten die Stadt verlassen, sodass der Senat Vorkehrungen treffen musste, damit die ungeladenen Gäste die Stadt nicht besuchen. Unter solchen Umständen ist kaum denkbar, dass die Jedupka vorgetragen worden wäre. Es fragt sich, ob der Abschrei- ber der Notiz aus diesem sehr alten Texte gut lesen konnte, und wenn er das Jahr gut gelesen hat, ob es sich hier nicht um ein anderes Er- eigniss handelte und er es an das Gedicht übertrug. Unmöglich wäre es nicht, dass die Pest auch den Dichter der Jedupka, wie so viele andere 2), in diesem Jahre hinwegraffte und dass sich die Notiz gerade auf den Tod des Dichters bezieht.

Wenn uns die historischen Quellen bei Berechnung der Lebens- jahre Cubranovic' im Stiche lassen, die Literatur liefert uns manches, was in dieser Hinsicht beachtenswerth ist.

1. Wer sich mit der ragusäischen Literatur des XVL Jahrb. be- schäftigt, weiss es, dass die Beziehungen der einzelnen Dichter zu ein- ander sehr freundschaftlich waren. Diese Freundschaft spiegelt sich in Episteln, die ein Dichter an den anderen richtete, ab. Vetranic erwähnt in einem Gedichte den Dichter M. Drzic und vertheidigt ihn von den An- griffen seiner Feinde, die ihm vorgeworfen hatten, dass er ein Plagiat begangen. Misa Pelegrinovic begrüsst seinen Freund Sabo Misetic und dieser antwortet ihm in demselben Tone. Derselbe Misetic schrieb ein- mal an Maroje Mazibradic. Naljeskovic unterhielt eine rege Correspon- denz mit den anderen Dichtern, von denen ich Maure Veti-anic, Nikolaus

1) Cf. Archiv für slav. Philologie XIX. 72.

2j »Nach Ragnina, einem Zeitgenossen, sollen 84 Edelleute gestorben sein nebst vielen Frauen der Adelsgeschlechter, und Bürger und Bauern an- geblich an 20U00, in fünf weiblichen Klöstern angeblich allein an 160 Nonnen« Jirecek, Archiv für sl. Phil. XIX. 72.

Archiv für slavische Philologie. XXII. 0

82 M. Medini,

Dimitrovic, Peter Hektorovic und Dinko Ranjina erwähne. Derselbe Naljeskovic in einem Briefe an ©ivan Parozic sagt:

Zgledavsi Vlahinju, ka mi se posila, Als ich die Vlahinja, die mir ge

posumnjih, da je nju JeSupka ro- schickt wurde, sah, dachte ich, dass dila .... die JeSupka sie geboren hat.

Wie wir später sehen werden, hat Naljeskovic selbst, der diesen Vor- wurf gegen Parozid erhebt, das Cubranovic'sche Werk nachgeahmt, wie dies Pelegrinovic, Misetic und andere thaten.

Hier haben wir also zwei Thatsachen und zwar, dass die Dichter des XVI. Jahrh. Jedupka gekannt haben und dass sie den Dichter in ihren Werken nie erwähnten. Dieses Schweigen wäre nun auch aus Feindschaft oder Geringschätzung der Person erklärbar, aber das Wahr- scheinlichste wird doch sein, dass Cubranovic ihr Zeitgenosse nicht war und dass sie deshalb ihn nicht einmal erwähnen konnten.

2. Misa Pelegrinovic widmete seine Jedupka den Ragusäern; er wusste im Voraus, dass er dem Vorwurfe des Plagiats nicht entgehen wird, deshalb begleitete er sein Gedicht mit einem PoMon^ in welchem er sich vertheidigt. Als ich in Ragusa war, wurde ich von Herrn A. Baric, dem Gustos der Communalbibliothek, auf diese im Besitze der Gemeinde befindliche Handschrift aufmerksam gemacht. Die Handschrift ist sehr alt, höchstwahrscheinlich aus dem XVI. Jahrb., das Jahr 1557, das am Ende der dritten Seite zu lesen ist, könnte sich darauf beziehen. Wäh- rend man den Text^) der Jedupka mit einiger Anstrengung lesen kann, ist der Poklon lückenhaft, doch man kann aus dem Erhaltenen ersehen, dass diese Jedupka im J. 1556 in Zara verfasst wurde (u Zadru od Poro- jenja Isusova sesto godiste nakon tisucu pesat i pedeset, prvi dan mjeseca Maja). Auf der ersten Seite des Poklon liest man: .... procijeniti umiju da jest toliko svrsena u svomu bitju svemu, kako svaki, ki ju stiti bude, moci ce sam sebi svjedocno virovati, da vise ne moze (vele je reci) ni odloziti ni priloziti njoj, koja ju ne bi prva pogrubila .... was sich höchstwahrscheinlich auf Jedupka des Cubranovic bezieht. An der zweiten Seite sind einige Worte erhalten, die sich auf die Maskerade

beziehen könnten (tukuci se i proticuc sramna i ponikla pri . . . .

. . . . i odjecom i obucom). Nun folgt etwas, was für uns von Bedeutung

1) Dieser muss früher oder später mit der von Zepic veranstalteten Aus- gabe in Stari pisci hrvatski VIII, S. 167 verglichen werden, da ich konstatiren konnte, dass es grosse Abweichungen zwischen beiden Texten gibt.

Cubranoviö u. seine Beziehungen zu der einheim. u. d. ital. Literatur. 83

ist, lesen zu können, weil darin, wie es scheint, die Ursachen, die den Pelegrinovic dazu führten, dass er eine neue Jedupka niederschrieb, ausführlicher besprochen werden. Am Ende dieser zweiten Seite steht nun: kako oni koji Ijubite . . . skladanja i koji ste gospodicidi i sinovi

njih (Wie diejenigen, die das Dichten lieben und junge Herren

und Söhne derjenigen, die sind). Da oben von Cubranovic die

Rede war, so sind unter diesen jungen Herren und Söhnen die Söhne derjenigen Damen zu verstehen, an die Cubranovic sein Gedicht richtete. Wenn aber der Verfasser nicht die Damen selbst nannte, oder wenn ihn der Gang der Darstellung dazu brachte, dass er Männer erwähnte, nicht die Gatten der betreffenden Damen, sondern ihre Söhne, so bedeutet das nach meinem Dafürhalten, dass im J. 1557 die Generation, zu der Cubranovic sprach, nicht mehr da war.

3. Wie wir später sehen werden, zeigt das Gedicht der fünften Frau in der Jedupka so viele Berührungspunkte mit den Gedichten des Mencetic, dass es zweifellos erscheint, dass Cubranovic diesen Dichter kannte und unter seinem Einflüsse lebte.

Wenn man das beachtet, so kann man sagen, dass Cubranovic ein Bindeglied zwischen den beiden ersten Troubaduren einerseits und Na- Ijeskovic und dessen Zeitgenossen andererseits war und dass er wirklich, wie Ignjat Bordic es nach dem Stile urtheilte, ums J. 1500, sagen wir ungefähr von 1480 1530 lebte.

Das einzige Positive, was wir aus dem Leben des Dichters wissen, ist, dass er nie in Gelegenheit kam, mit den Gerichten zu thun zu haben, und dass er keine Stelle in der Verwaltung der Vaterstadt hatte, denn in beiden Fällen würde uns das Archiv der rag. Republik wenigstens etwas sagen können i). Selbst der Name Cubranovic ist in den Akten nicht zu lesen, wenn man die Maurer Cubranovic'^), die unter Montovijerna, also ausserhalb der Stadt, lebten, als zu derselben Familie gehörig nicht betrachtet. Der Familienname des Andreas, wenn man nach Namen ur- theilen will, stammt irgendwo aus Norden, denn die Form Cubran für Cyprian ist in Ragusa nicht üblich 3).

1) Die bisherigen Forschungen wenigstens haben in dieser Hinsicht nichts ergeben. (Vergl. jetzt auch noch die mehr negativen als positiven Re- sultate der Forschungen Prof. Jirecek's in Archiv XXI, S. 473 477. V.J.)

2) Cf. Archiv XIX, S. 71.

3) Cf. Peraexap, AHTo.ioriija JiupuKe XIII. (Dieses Bedenken entfällt jetzt nach den neuesten Angaben Prof. Jirecek's, der unter dem J. 1436 einen Zubar Zubranovich de Gravosio eruirt hat, Archiv XXI, 473. V. J.)

6*

84 M. Medini,

Cubvanovic war ein Ragusäer, denn so nennt ihn Battitorre in der Einleitung zu der obenerwähnten Ausgabe Venedig 1599. Ebendaselbst kann man lesen, dass Tomo Nadali Budislav «rodak i plemenom mate- rinim od iste kuce Öubranovic « (ein Verwandter und von mütterlicher Seite von demselben Hause) war. Prof. Zore^) bemerkt nun ganz richtig, dass diese Verwandtschaft mit Nadali, die 100 Jahre später, als das Erdbeben die Reihen der alten Patricier lichtete, Edelleute wurden, auch für die Familie Cubranovic vermuthen lässt, dass sie wenigstens wohlhabend war. Das würde also dem Appendini widersprechen, der die Eltern des Dichters »arm aber ehrlich« nennt.

Welche Beschäftigung Cubranovic betrieb, sagen unsere Quellen nicht, es ist aber in diesen nichts zu finden, was die Tradition, er sei ein Goldschmied gewesen, bekämpfen würde. Der Mangel an glaub- würdigen Nachrichten über das Leben des Dichters bekräftigt dagegen diese Tradition ; denn wäre der Verfasser des Gedichtes ein bedeuten- der Mensch gewesen, so schwiege das Archiv der rag. Republik nicht und so hätten sich nicht 80 Jahre nach seinem angeblichen Tode Leute gefunden, die ihm die Autorschaft absprechen wollten, worüber Batti- torre so bitter in seiner Einleitung klagt. Uebrigens zeigt das Gedicht selbst einen Menschen, der wohl die ital. Vorbilder kannte, aber auch dem Volke nahe stand und dessen Bedürfnisse, Vorurtheile, Sprache und poetische Ausdrücke verstand. So ein Mensch konnte gerade ein Gold- arbeiter gewesen sein, der Öfters in seinem Kaufladen mit den Land- leuten in Berührung kam, vielleicht auch Reisen ins Innere der Balkan- halbiusel unternahm. Die Glaubwürdigkeit der Tradition, wonach unser Andreas ein Goldschmied gewesen wäre, bekräftigt vielleicht auch eine Stelle im Gedichte (v. 553 ff.), wo die Zigeunerin sagt:

Dajmi zlaca, gospo mila. Gib mir Goldchen, liebe Frau,

koliko je tebi milo wieviel du willst

ir srebarca, ma ruzice, oder Silberchen, mein Röslein,

u sto skuju userezi .... woraus ich Ohrgehänge schmieden

werde *; . Der Inhalt der Jedupka ist folgender :

1) Das Leben Andreas Cubranovic's (Start pisci hrvatski Bd. VIII, S. V).

*) So liest der Verfasser dieser Abhandlung, der im 4. Verse skuju als 1. Pers. sing, auffasst; mir scheint es dagegen richtiger zu sein, so zu lesen: u sto s' kuju userezi (woraus man Ohrgehänge schmiedet). Dann fällt die persönliche Bezeichnung ganz weg. V. J.

Cubranovic u. seine Beziehungen zu der einlicim. u. d. ital. Literatur. 85

(Es spricht die Zigeunerin :) Der Allmächtige bekränze euch, meine Damen, mit der Krone des Glückes und erfülle eure Wünsche. Wir kommen aus dem Morgenlande; das Verhängniss will, dass wir keinen sicheren Wohn- ort haben, denn wo wir die Nacht verbringen, können wir beim Tage nicht bleiben, denn die Würmer beginnen uns zu beissen. Zwei Drittel dieser Erde haben wir wegen unserer Ernährung durchgereist und auf dem Wege sind wir vom Durste und Hunger gepeinigt gewesen. Von Räubern verfolgt kam ich zum Meere und gab dem Seemanne meinen Sohn Eies als Fahrpreis; den Dancul nahm mir der Seeräuber weg, und den Alivcr hob das Gewitter aus dem Schiffe. Der einzige Danio blieb mir von den vier Söhnen übrig. Diesen beschenke ! Vergelte das dir der Allmächtige, ich meinerseits werde dir die Zukunft ohne jeden Hintergedanken sagen.

Der ersten Frau : Zwei Söhne wirst du haben und beide werden be- rühmt werden. Einer wird in der Stadt (prid gospodom) angesehen werden, der andere wird Banus »der Sprache unser aller« *) werden. Eins muss ich dir empfehlen und zwar : Lass die Tage ohne Liebe nicht vergehen.

Der zweiten Frau: Dein Mann geht nachts zu den Hetären; er will derer nicht eine oder zwei haben, sondern sieht er hundert solche, so möchte er sich alle hundert beibehalten ; hier vergeudet er das Geld, das er dir, seiner Frau, zu geben verpflichtet ist. Du sollst ihm Untreue mit Untreue beant- worten, denn unsere Jugend kehrt nimmer zurück.

Der dritten Frau : Dir will ich die Macht der Blumen zeigen : Dragoljub macht dich dem Geliebten lieb; Vratizelja lockt ihn aus der Ferne; Zlato- vlas erzeugt goldene Haare und die weisse Rose erhält das Gesicht frisch.

Der vierten Frau: Du bist krank und wirst genesen, wenn du Devesinje, Kaioper, Ruta, Mak, Rubazinje, Ruza, Ljubica, Jasenak und Cicindra nimmst und alles im Blute einer Taube kochst.

Der fünften Frau : Dir will ich zeigen, wie du einen verrückt machen kannst. Du sollst sagen: Wie sich zum Morgenlichte die Sonne und zu jedem lebenden Geschöpfe der Schatten gesellt, so bediene dein Herz immer meine Schönheit; wie der Schmetterling sich um die Flamme des Lichtes freut und dreht, so drehe dich immer meinetwegen um mein Zimmer ; wie das Johannis- würmchen im Sommer oder der Ahorn im Feuer birst, so berste dein Herz immer mich zu haben wünschend. Wenn das nichts nützt, so füge hinzu: Wie der Feuerstein immer von innen brennt und draussen kalt ist, so sei dein steinernes Herz wegen meiner Eis und Flamme.

Der sechsten Frau: Du bist schön, gut, vernünftig und glücklich, wie kaum eine andere, aber du verdirbst es dadurch, dass du den dich Liebenden nicht liebst. Erprobe es, denn wer einmal die Liebe kostet, wird sagen müs- sen, sie sei süsser als der Honig. Eins möchte ich dir verbergen, doch dein Edelsinn verbürgt mir, dass du diese Worte nicht weitererzählen wirst. Es gibt einen in der Stadt, der dich liebt, darf aber seine Liebe nicht zu erken-

1) Das bezieht sich höchstwahrscheinlich auf die Sitte der Ragusäer, den erstgeborenen (oder überhaupt nur einen) Sohn zu Hause zu lassen und die anderen in fremde Dienste zu stellen oder Mönche werden zu lassen.

86 M. Medini,

nen geben. Tausendmal wollte er es versuchen, doch sobald er dich in Ge- sellschaft von Anderen sieht, erstickt ihm das Wort in der Kehle. Deshalb sollst du ihm die Gelegenheit geben, dass er dich ansprechen könne; in- zwischen erscheine öfters am Fenster, denn er lebt, wenn er dich sieht. Ich weiss nicht, warum er dir hässlich geworden ist, wenn nicht, weil er dich zu viel liebt. Er schläft, isst und trinkt nicht, sondern wischt sich immer die Thränen ab. Oefters ruft er deinen Namen aus, manchmal schweigt er und beginnt auf einmal deine Schönheit zu preisen. Einmal nahm er das Schwert und warf sich darauf, doch es brach glücklicherweise. Was wirst du davon haben, wenn er sich tödtet? Die Leute werden es dir verübeln und sagen: Das ist der Lohn derer, die mit Treue dienen. Ich habe dir meine Meinung gesagt; nimm es nicht übel an, sondern beschenke die arme Zigeunerin; gib mir Gold, Silber oder etwas anderes, damit ich den armen Dancul erlösen könne; aber wenn du es nicht willst, ein süsser Blick, ein süsses Wort wird mir die beste Beschenkung sein. Gott vergelte es dir und mögest du in dei- nem Leben in allem und überall glücklich sein.

Dass hier die erklärenden Bemerkungen, die in allen darstellenden Gedichten nöthig sind, fehlen, wird der Leser selbst beobachtet haben. Aus dem Gedichte ergibt sich leider sehr wenig, was uns behilflich sein könnte. Wir möchten nämlich wissen, 1) ob das Gedicht im Hause oder auf dem offenen Platze vorgetragen wurde, 2) ob eine ganze Gesellschaft von Zigeunerinnen erschien, während eine einzige als Sprecherin fungirte oder ob eine einzige Zigeunerin da war.

Aus -der Art und Weise, wie die Einleitung zusammengesetzt ist, ist klar zu sehen, dass die Personen, zu denen die Zigeunerin spricht, beisammen sein mussten. Der Dichter beginnt nämlich mit: Visnji gospod, gospodicne, er spricht also zu der ganzen Gesellschaft und gleich darauf wendet er sich an eine einzige Frau (Od onih smo, gospo, strana 5, Koga sa umom, gospo, obdari 49). Dieser Uebergang wäre nun nur in einer geschlossenen Gesellschaft möglich, wo alle Mitglieder beisammen in einem Salon etwa sind. Dann dürfte die »Gospa«, die in der Einleitung erwähnt wird, die Hausfrau gewesen sein. Ausser- dem scheint es, dass der Dichter es genau wusste, wen er treffen wird, und das schliesst einen offenen Platz als den Ort der Darstellung aus. Die Annahme, dass Jedupka in einem Salon vorgetragen wurde, richtet den Mythus des Cerva über das Zustandekommen des Gedichtes zu Grunde, denn wenn es wahr ist, dass er in das Haus, wo seine Geliebte lebte oder wo sie verkehrte, den Eintritt finden konnte, so muss es un- wahr sein, dass er keine Gelegenheit hatte, seine Geliebte anzutreffen und anzusprechen, wie es Cerva behauptet. Man wird einwenden kön- nen, dass er sich ins Haus als Maske eingeschnuggelt hatte ; das wäre

Cubrauovic u. seine Beziehungen zu der einheim. u. d. ital. Literatur. 87

allerdings möglich, aber wäre er wirklich kein Bekannter gewesen, so ist die Freiheit, die er sich den unbekannten Damen gegenüber nahm, nicht begreiflich, am wenigsten aber, wenn er ein zaghafter Liebhaber, wie Cerva ihn darstellt, gewesen wäre.

Der schamhafte Liebhaber, wie ihn der Dichter im Gesänge der sechsten Frau darstellt, scheint überhaupt eine poetische Fiction zu sein. Die Erörterung der Liebe bei Cubranovic ist in eben solchem Ton ge- halten, wie die Liebeserklärungen des Mencetic und Drzic. Vielleicht ist bei Cubranovic etwas mehr Gefühl vorhanden als bei den vorerwähn- ten Dichtern, und dieses Gefühl führte die ragusäischen Literaturhisto- riker irre, sodass sie den Worten des Dichters, der sich als ein zaghafter und schamhafter Liebhaber ausspielte, Glauben schenkten und darauf ihre Auffassung des Gedichtes bauten.

Die Gesellschaft selbst, zu der die Zigeunerin spricht, muss eine bürgerliche gewesen sein. Die Handschrift der südsl. Akademie Nr. 779 hat freilich in den Titeln zu den einzelnen Gedichten drugoj\ trecoj vladici, welcher Titel in Ragusa nur den Edelfrauen gehörte, aber alle anderen Handschriften haben gospoäi und die Zigeunerin selbst sagt immer gospo. Im Gedichte der ersten Frau heisst es nun:

Prvi ce imit tuj besidu Der erste (Sohn) wird vor der »Herr-

prid gospodom i to ime, schaft« solches Ansehen und solchen

da ce biti blago s njime Namen haben, dass seinetwegen dem

kumu, drugu i susidu ;V. 81 85). Gevatter, dem Gefährten und dem

Nachbarn gut gehen wird.

Unter Gospoda (die Herrschaft) verstanden die alten Ragusäer die einheimische Regierung, die aus Edelleuten bestand. Die oben an- geführten Worte gehören in den Mund eines einfachen Bürgers, der einem anderen seiner Standesgenossen das Ansehen vor der Obrigkeit wünscht; deshalb glaube ich annehmen zu dürfen, dass sowohl Cubra- novic wie diejenigen, an die er das Wort richtete, Bürger waren.

In Bezug auf die Frage, wie viele Zigeunerinnen an der Maskerade theilnahmen. muss Folgendes hervorgehoben werden. Die Zigeunerin sagt: »Od onih smo, gospo, strana« (Wir sind aus den Gegenden) und so fährt sie fort bis zum Verse 20 in Mehrzahl zu sprechen. Dem Leser scheint in Folge dessen, dass mehrere Personen sammt der Zigeunerin erschienen sind, es ist aber möglich, dass diese Mehrzahl auf die Ab- kunft des gesammten Zigeunergeschlechtes hinzielt. »Wir sind aus N « bedeutet sowohl, wir, die wir hier zusammen sind, stammen aus N . . . . , wie auch ich und meine Vorfahren sind aus N gebürtig. Ausserdem

88 M. Medini,

muss man vor Augen haben, dass jedenfalls zwei Personen, und zwar die Zigeunerin und ihr Kind da waren, und dass auch dies die Mehrzahl berechtigen würde.

Ich hebe dies hervor, denn manche äusseren Umstände sprechen gegen die Theilnahme mehrerer Personen an der Maskerade. Wenn mehrere Zigeunerinnen dabei waren, dann weiss ich nicht, warum das Gedicht den Titel Jedupka anstatt des richtigen Jedupke führt. Das italienische Vorbild des Cubranovic heisst Canto delle zingane und nicht Canto della zingana. Dieser Titel Jedupka ist keine spätere Erfindung, sondern so hiess es ursprünglich, denn auchNaljeskovic sagt: »Posumnjih da je nju Jeäupka rodila« ^). Noch überzeugender wirken auf den For- scher die uns erhaltenen Worte in der Einleitung zu der Jedupka des

Pelegrinovic. Da liest man : Tukuci se i proticuc sramna i

ponikla pri odjecom i obucom. Die Einzahl sramna i ponikla

ist in dieser Frage nach meinem Dafürhalten ausschlaggebend, denn hier ist eben von der Maskerade die Rede. Freilich wäre es möglich, dass Pelegrinovic, da er Dalmatiner war, nicht genau wusste, wie in Ragusa die Zigeunerin vorgestellt wurde, aber so lange wir von den an- deren Quellen nicht des Besseren belehrt werden, müssen wir ihm Glau- ben schenken. Ich will noch hinzufügen, dass auch die anderen Nach- folger des Cubranovic ihre Zigeunerinnen einzeln erscheinen Hessen. Die Zigeunerin des Mazibradie erwähnt einige Male ihre Gefährtinnen, aber nie werden sie als anwesend dargestellt. Die Strophe

Nije ga meni stati s vami ; Ich darf nicht bei euch bleiben ;

proletjese druge moje meine Gefährtinnen flogen

s vjetrom vrh nas visinami ... im Winde hoch über uns.

zeugt hiervon, dass diese »Druge« eine Fiction waren, die der Zigeunerin den Vorwand zum Abbrechen des Vortrages geben sollte. Erst die Jedupka des unbekannten Dichters hat: Ove sa mnom htjese doci iz istijeh tijeh strana^) Diese wollten aus denselben Gegenden mit mir kommen).

Cnbranovic's Gedicht zählt 620 Verse, von denen 360 auf die sechste Frau, d. i. die Geliebte des Dichters, entfallen. Das muss jeden- falls ein Fehler genannt werden, den man nur dadurch entschuldigen kann, wenn man bedenkt, dass die Liebeserklärung dem Dichter die Hauptsache war. Wenn diese Liebeserklärung besondere Schönheiten in sich bergen würde, so fiele dieses Missverhältniss weniger ins Auge ;

1) Stari pisci hrvatski V, 332. 2j ibid. VUI, 240,

Cubranovic u. seine Beziehungen zu der einheiin. u. d. ital. Literatur.

80

leider Hess sich Öubranovic dabei zu viel von den anderen Dichtern be- einflussen. Welche diese gewesen seien, werden wir demnächst erwähnen, nachdem wir etwas über den Text der Jedupka gesagt haben.

Dieser wurde von !^epic in Stari pisci hrvatski VIII der südslavi- schen Akademie in Agram kritisch herausgegeben. Ich sage kritisch, weil beim Zusammensetzen des Textes mehrere Ausgaben und Hand- .schriften zu Rathe gezogen wurden. Es fehlt dennoch in der Ausgabe die Pünktlichkeit, die wir sonst zu finden gewöhnt sind. Wir möchten z.B. die Ursachen wissen, warum derselbe Zepic manchmal in der Jedupka des Pelegrinovic, wo der Text derselbe wie bei Cubranovic ist, anders interpunktirt als bei Öubranovic? Das Verhältuiss der beiden Hand- schriften unter einander ist übrigens klar, denn beim Vergleichen beider Texte sieht man, dass die Handschrift der südsl. Akademie Z. 779 (Jedupka des Cubr.) derselben Redaction wie die Handschrift der südsl. Ak. Z. 339 (Jedupka des Pelegr.) angehört. Das beweisen folgende Parallelen :

V

Cubranovic: Pelegrinovic:

Ak.

Hdschft. 545.

Ak. Hdschft. 779.

Ak. Hdschft. 339.

V. 12.

pricnu

pocnu

pocnu

V. 57.

a hocu

a kodu

ako cu

V. 74.

niesi

nisi

nisi

V. 80.

vjecne

vicne

vicnje

V. 94.

ki cu t'

ho6u

hocu

V. 105.

vukovite

kurvarnije

kurvarivi

V. 107.

nocno.

nocju

noöu

V. 108.

kojom drugom

drugom koj(

Dm

drugom kojom,

Während nun die Hdschft. 545 ragusäischen Ursprungs ist, sind die zwei anderen im nördlichen Theile Dalmatiens entstanden. Wir haben also hier zwei Texte verschiedener Provenienz vor uns, was, obwohl es uns sehr wenig Nutzen bringt, einige Stellen doch besser beleuchtet. Jedem erscheint es klar, wie aus a hocu ein ako cu entstehen konnte. Eins wundert uns und zwar V. 105: Einem vuhovit oäev vukovit der ragusäischen Handschriften steht ein kurvarivi oder hurvarntje gegen- über. Ein Schreibfehler kann es wohl nicht sein. Es scheint, dass die Abschreiber selbst im Unklaren waren, was zu schreiben ist. Hat da die Anständigkeit keine Rolle gespielt ?

Im Texte, glaube ich, sollte man folgende Aenderungen vor- nehmen ;

90 M. Medini,

V. 20. Statt »tako ti Bog ne uhili« »tako te Bog ne uMli«, wie es auch Zore'i

und Resetar^) lesen, und was auch in den Handschriften Beleg hat. V. 26. Dancul wäre berechtigter als Danio. Den Sinn würde diese Aende-

rung nicht stören, sondern vielleicht auch fördern, denn der Zigeunerin

wie jeder Mutter ist der abwesende Sohn mehr im Gedächtnisse

als der anwesende. Die beiden anderen Handschriften haben Dancuo. V. 101. Uzovit ist mit usovit zu ersetzen, denn das letzte hätte einen Sinn,

während uzovit nichts bedeutet. V. 172. Zavijaj scheint besser zu sein als savijaj. Zepic setzte es in der Jed.

des Pelegrinoviö. V. 175. Skoriti wird wohl ursprünglich gewesen sein. V. 191. Ciniti ist nach Zore zu schreiben cinitHi. V. 186, 212, 290, 476 ist das Fragezeigen zu entfernen, da der Sinn klar ist.

Samodilo schreibt Resetar zusammen. V. 220, 442 ist trzan zu schreiben. V. 249. Obliti ist ob liii zu lesen, was übrigens Zepid selbst bei Pelegrinovic

thut. V. 414. Prisec wäre mir angenehmer als priteö. Auch Zore meint es so.

Was die Interpunktion anbetrifft :

nach V. 64 genügt ein Komma;

» V. 91 wäre Kolon angezeigt;

» V. 108 geht ein Punktum und nach folgendem Verse ein Kolon;

» V. 124 und 284 ist jedenfalls ein Fragezeichen zu setzen;

» V. 135 und 136 ist dieses zu entfernen; im V. 16 ist Komma anstatt des Punktums zu setzen; V. 33 flf. sind zu interpunktiren : S kima moru pripadosmo; za pribrodit sinje

more mornaru se svi dadosmo etc. nach dem V. 295 wäre ein Punktum richtig angebracht.

Diese Bemerkungen sind im Stande, den Sinn an einigen Stellen zu ändern oder zu erklären. Andere Fälle, wie die unregelmässige An- wendung der Interpunktion vor ter der Herausgeber setzt einigemale Panktum, einigemal Komma, ohne dass man dabei eine Regel beobachten kann , die Unterlassung des Zeichens ,, " an einigen Stellen, werde ich aufzuzählen unterlassen.

IV.

Früher habe ich schon erwähnt, dass Cubranovic mit seiner Liebes- erklärung keine Neuerung in die Literatur eingeführt hat. Ebensowenig

1) Zore hatte der südsl. Akademie seinen Text zur Verfügung gestellt und Zepic gebrauchte es auch bei der Ausgabe.

-) AHTO.!iorHJa ayöiJOBaiKe jiHpuKe (CpncKa KüHaceBHa saapyra 15) S. 121 ff.

Cubranovic u, seine Beziehungen zu der einheim. u. d. ital. Literatur. 91

neu ist die Maskerade selbst, wie Prof. Zore es schon in Rad der südsl. Alcademie Bd. XXVII gezeigt bat. Das Gedicht delle zingune^) des Guglielmo detto il Giuggiola ist eine belehrungsreiche Parallele zu un- serem Gedichte. Die Aehnlichkeit beschränkt sich allerdings auf den äusseren Rahmen :

a) dass in beiden Bearbeitungen die Zigeunerinnen von weitem her-

kommen : Di paesi lontani e di stran loco Od onih smo gospo strana

lasse venute siam a poco a poco . . . odkud zarko sunce istice (5 6) ;

b) dass sie über allerlei erlittenes Leid klagen :

Per gran forza di piogge e nevi I primili, gospo, u putih strutte . . . probijuci strane i luge

mnoge brige, jade 1 tuge (17 19);

c) dass überall die Zigeunerin (oder die Zigeunerinnen) ihr Kind im

Arme trägt : Con questi figli in braccio Samo meni moj Danio

od cetiri jes ostao etc. (V. 45 flf.) ;

d) dass die Zigeunerinnen das Glück wahrsagen wollen:

Bona fortuna da noi udir potrete A hocu ti bez varcice

ces i sreöu kazivati (57 59) ;

e) dass der Endzweck der Zigeunerinnen, Geld zu sammeln war: Deh qualche caritade a noi meschine Koga sa mnom, gospo, obdari.

Die grosse Begabung des Cubranovic zeigt sich gerade darin, dass sein Gedicht mit dem italienischen nur im äusseren Gerippe eine Aehnlich- keit hat, dass sein Gedicht gegenüber dem italienischen unvergleichlich schöner und prachtvoller ausgefallen ist.

Warum es so ist, ist schwer zu sagen. Einige Unterschiede zwi- schen beiden Gedichten müssen indessen das Ihrige in dieser Hinsicht beigetragen haben.

Unserer Jedupka fehlt gerade das, was das italienische Gedicht besonders kennzeichnet. Dem italienischen:

Prima che sopravoenga in voi la Bevor euch der Tod erreicht, neh- morte, met Freude an uns, armen Teufeln ... prendi piacer di noi, povere me- schine . . . werden wir vergeblich bei uns eine Parallele suchen, und das ist eben, was im italienischen das Charakteristische ist. Auch Cubranovic ist in

1) Guerrini S. 187.

92 M. Medini,

der Liebe Freidenker, wie wir später sehen werden, aber er hütet sich, die trivialen Allegorien und Anspielungen in sein Gedicht einzuführen. Er hatte Gelegenheit genug, das zu thun, wenn er seinen Vorbildern folgen wollte. Man vergleiche z.B. die Reisebeschreibungen der italieni- schen Gedichte und die Erlebnisse der Zigeunerin, und man wird selbst die Wahrheit des Gesagten anerkennen müssen.

Giuggiola betont in seinem Gedichte die Begabung der Zigeunerin- nen zu den Prophezeiungen, aber er lässt sie nicht prophezeien. Das- selbe thun auch andere italienische Dichter, wie dell' Ottonaio in Canto per indovinare^ che andö la notte della Epifania >), wo Folgendes zu lesen ist:

Ma perche sperienza in questa notte Aber da die Erfahrung in dieser

E deir arte maestra, Nacht die Meisterin der Kunst ist,

Due vecchie esperte abbiam di qua über einen langen Waldweg haben wir

condotte zwei erfahrene Alten hergeführt, und

Per via lunga e silvestra. sie werden euch Sachen sagen, die

Porgete la man destra, ihr, liebliche Frauen, mehr als tausend

E dirannovi cose, Ducaten lieben werdet. Che voi, donne amorose, L'arete care un di mille ducati.

Queste che l'arte ben ancor uon Diese, die wegen zu grosser Jugend

sanno die Kunst noch nicht gut kennen, tra-

Per troppa giovinezza, gen die Beutel, wo die Glückszettel

Portan le borse, ove le sorte stanno. stehen.

Hier sind alle Mittel zur Erforschung des Künftigen aufgezählt, aber wie man diese angewendet hat, davon ist nicht die Rede, lieber Schicksale (Sorti) wird gesprochen auch in Canto d' animali per la notte di Befania 2) :

Or perche la virtü possiate amare, Damit ihr nun die Tugend lieben

E porre a vizi il fren, color che li und den Fehlern die Zügel einsetzen

hanno, könnt, werden wir euch diese Glücks-

No' vi vogliara queste sorti donare, zettel geben, die euch diese entdecken

Che ve li scopriranno. werden.

Diese uns erhaltenen Andeutungen, sowie die Stelle in Canto delle zingane: Bonaventura da noi udir potrete, beweisen, dass in Florenz solche Maskeraden etwas nichts seltenes waren, die Dichter wollten aber mit Rücksicht darauf, dass sie nicht wissen konnten, mit wem die

1) Guerrini S. 252.

2) Der Dichter ist unbekannt. Guerrini S. 91.

Ciibranovic u. seine Beziehungen zu der einheim. u. d. ital. Literatur. 93

Gesellschaft zusammenstossen wird, keiner besonderen, nur einer Person geltenden Prophezeiungen schreiben, sondern Hessen den Theilnehmern an der Maskerade frei, zu prophezeien, Heil- und Zaubermittel anzu- geben, wie es ihnen däuchte und gefiel. Denn wenn man aus dem Ge- dichte : Che andö la notte della Epifania, die oben angeführte Stelle studirt, so erscheint dem Leser das Gedicht nur als eine Vorstellung der Personen, die an der Maskerade theilnehmen und es ist wahrscheinlich, dass die Gesellschaft sich nach dem Absingen des Liedes zerstreute und in Berührung mit der danebenstehenden Volksmasse kam, wobei »due vecchie esperte« und die »che per troppa giovinezza portan le borse, ove le sorti stanno« ihr Wissen und Können zum Besten gaben. Das wird ein Jeder glaublich finden, der sich nur einmal eine beliebige Mas- kerade angesehen hat.

Dasjenige nun, was man in einer grösseren Stadt unterlassen musste, was der Dichter nicht selbst that, sondern den Darstellern über- liess, hat Cubranovic, der im voraus genau wusste, wen er treffen wird, zu Hause früher geschrieben und erlernt. Darin besteht die Schönheit und die Eigenthümlichkeit unserer Jedupka, denn schön ist die Einlei- tung eben . weil sie eine Einleitung ist. Wäre damit das ganze Gedicht zu Ende, die Unterschiede zwischen den italienischen Vorbildern und Cubranovic wären so klein, dass sie nicht einmal auffallen würden.

Jede Prophezeiung ist als etwas ganzes aufzufassen und hat infolge dessen an sich alle Merkmale eines abgesonderten Gedichtes. Fast jede hat einige einleitende Strophen, in denen die betreffende Dame oder eine von ihren Eigenschaften geschildert wird, und endet mit einer Aufforde- rung oder Belehrung. Die italienischen Gedichte haben die Eigenthüm- lichkeit, dass in deren Einleitung die Masken vorgestellt werden, z. B. Filatrici d'or siam i) (Wir sind Goldspinnerinnen), Medici siam di tanto ingegno ed arte 2) (Wir sind Aerzte von so grossem Talent und Kunst), Zingare siam come vedete tutte 3) (Wir sind Zigeunerinnen, wie ihr alle seht:, während in unseren Prophezeiungen die Damen, an die das Ge- dicht gerichtet ist, vorgestellt werden. Dieser Unterschied erklärt sich, da alle Prophezeiungen zusammen eine Einleitung haben, in welcher von den Darstellern die Rede ist.

1) Lorenzo de' Medici: Canto di filatrici d' oro. Guerrini 21. 2] Canto di medici fisici des unb. Dichters. Guerrini 4.'i. 3) Giuggiola: Canto delle zingane. Guerrini 187.

94 M. Medini,

Die Aufforderungen in unserer Jedupka entsprechen ganz den Aufforderungen in den italienischen Gedichten. Das florentinische Volli wird eingeladen zu kaufen, zu singen, zu tanzen, etwas als Geschenk zu nehmen, aber sehr häufig auch zu lieben und zu geniessen, so lange man jung ist. Z. B. Dame, peusate amar sempre con fede ^) (Gedenkt immer, Frauen, mit Treue zu lieben), Tutti vi chiama la bella Ciprigna^) (Euch alle ladet die schöne Cyprische ein), Adunque in giovinezza conoscete il tresor, che presto vi fia tolto da vecchiezza^) (In Jugend also lernt den Schatz kennen, der euch bald vom Alter genommen wird) . Dieser letzten Aufforderung entspricht die in der ersten Prophezeiung des Cubranovic (V. 93 ff.) :

Da ovo t' svjeta sluSbenoga, Hier ist der unterthänigste Rath,

ki du t' dati na rastacci : den ich dir zum Abschied geben

Nemoj da ti proSu danci werde : Lass die Tage ohne liebe-

bez trajanja Ijuvenoga; vollen Zeitvertreib nicht vergehen;

er gospoja bez Ijubavi denn was ist anderes um Gottes willen

sto je ino Boga cica, eine Frau ohne Liebe, als ein erlosche-

ner ugasla, jedna svica nes Licht oder ein trockener Klotz im

ili t' suh panj u dubravi? Walde?

Nicht nur am Ende der Prophezeiungen, sondern auch in deren Mitte gibt Cubranovic kund, wie er über die Liebe denkt. So ruft er seiner Geliebten zu:

Knsaj, kusaj, jer tko kusa Erprobe, erprobe, denn wer nur ein- same jednom Ijubav ca je, mal erprobt, was die Liebe ist, wird rede meda slada da je sagen, sie sei süsser als der Honig und 1 drazija nego dusa (V. 297 300;. lieber als die »Seele«.

Diese eingeflochtenen Gnomen verleihen dem Gedichte den Ton eines Faschingsgedichtes, denn dieses muss ein Spiegel der tollen Zeit sein, in welcher es gedichtet wurde.

Manches ist also den italienischen Gedichten und unserer Jedupka gemeinsam, was alles beweist, dass Cubranovc die ersteren gekannt hat. Auch die Prophezeiungen weisen vieles auf, dessen Spuren wenigstens wir auch in der italienischen Literatur treffen können.

Die Zigeunerin erzählt der ersten Frau, dass sie ihr eine Frucht geben wird, und wenn sie diese isst, so wird sie zwei Söhne gebären. Im

1) Lorenzo de' Medici : Cante di poveri, che accattano per caritä. Guer- rini 22.

2) Ibid. : Trionfo de! sette pianeti. Guerrini 30.

3] Trionfo dei quattro tempi d'anno des unb. Dichters. Guerrini 34.

Cubranovic u. seine Beziehungen zu der einheira. u. d. ital. Literatur. 95

italienischen Carito del zibetto^ liest man: »Di far ingravidare ha grau virtue« : in Canto dei mercatanti di gioie 2) : »Donne questa e la ricetta, chi vuol far figliuol maschi«.

Der zweiten Dame erzählt die Zigeunerin die Untreue ihres Mannes. Das Ganze entwirft ein düsteres Sittenbild der damaligen Zeit, aber die ital. Dichter malen dieses Bild noch schwärzer aus. Bei ihnen sind nicht die Männer, die sich nachts zu den Hetären schleichen und hier ihr Geld vergeuden, sondern sie führen uns die Frauen vor, die wegen des leiblichen Genusses alles unter die Füsse geworfen haben. Im Gedichte des Grazzini: Donne, che si partono di casa per disperate^) werden die Männer als geizig, eifersüchtig, alt und hässlich geschildert. Da suchen die liebevollen Gemahlinnen von den Anderen, was ihnen der Gatte nicht gibt. Dasselbe räth auch Cubranovic der zweiten Frau.

Auch die Mittel schön zu werden, um den Geliebten zu gewinnen, kennt die ital. Faschingsliteratur. So eine Aufzählung finden wir in Canto di pi?izochiere andate a Boma^). Erwähnt werden capresti d'impiccati (die Henkersstricke), quattrini tolti alla croce (die vom Kreuze genommenen Kreuzer), brevi consagrati (die geheiligten Breven), dann verschiedene Wässer, Arzneien und Balsame. Bis zu welcher Gemein- heit der Dichter herabsteigen kann, wird den Leser folgendes Bruch- stück belehren :

Co' quali molte reti

Abbiam tese, per dare

A gustar per vitella una, la quale

Era vacca formale

Teste uscita di parto, per amore

Di salvar con nostro utile il suo onore.

Zu dieser Ausgelassenheit hat sich Cubranovic doch nicht verstan- den, und wären wir gezwungen zu glauben, dass er aus diesem Gedichte Material für seine Jedupka schöpfte, so müssten wir in ihm einen feinen Geschmack voraussetzen, der ihn von solchen Gemeinheiten fernge- halten hat.

*) Der Verfasser ist unbekannt. Guerrini 54.

-) Ebenso. Guerrini 57.

3) Guerrini 288.

*) Vom unbekannten Verfasser. Guerrini 334.

96 M. Medini,

T.

Der Fasching oder das Fest des heil. Elias bot dem Dichter die Gelegenheit, zu seiner Geliebten zu kommen, die Faschingsdichtkunst sollte ihm dagegen dienen, dass er der Geliebten die wirklich empfun- dene oder fingirte Liebe das ist uns gleichgültig erkläre. Er musste aber das Gedicht so einrichten, dass er beim Vortrage mit der betreflPenden Person direkt in Berührung kommt. Deshalb wählte er die Gestalt der Zigeunerin und gab seinem Gedichte die Form und manche Eigenthümlichkeit der dramatischen Gedichte. Seine Zigeunerin wuchs zu einer Anzahl von Versen, die wir vergeblich in Italien in solchen Ge- dichten suchen würden. Schon dieser Umstand zwang ihn, in sein Ge- dicht Manches einzuschalten, was er in seinen Vorbildern nicht vorfand, und dies entnahm er anderen Dichtern, deren Werke ihm die Gelegen- heit in die Hände spielte, und dem Volke, das ihn umgab und dessen Aberglauben und Sitten er kannte.

A. Der Einfluss der Lektüre anderer literarischen Werke, die nicht der Faschingsliteratur gehören, zeigt sich sogleich in der ersten Prophezeiung, wo der Dichter die Geburt zweier Söhne, die beide be- rühmt sein werden, voraussagt. Ich habe bereits erwähnt, dass die italienische Literatur die Mittel, Kinder zu haben, kennt, sie schweigt aber über das Schicksal dieser Söhne. Darüber erzählen im Gegentheil Manches die romantischen Epen (Aeneas erfährt in der Unterwelt das Schicksal seiner Nachfolger; Ariosto ahmt es ihm nach).

Am deutlichsten tritt in Jedupka des Cubranovic der Einfluss seiner nächsten Vorgänger auf dem Gebiete der Lyrik zu Tage. Die sechste Prophezeiung ist ein gewöhnliches Liebesgedicht, wie es Sisko Mencetic und ©ore Drzic dichteten, nur im Rahmen eines Faschingsgedichtes, Es ist das Schicksal der ragusäischen Literatur, dass ihre Erscheinungen fast immer ein halbes Jahrhundert nach den analogen italienischen Pro- dukten zur Welt kommen. Das geschah auch mit der troubaduristischen Richtung in der italienischen Literatur, die erst in der Jugend des Cu- branovic die Gemüther der Ragusäer beherrschte und deren Repräsen- tanten die zwei ebenerwähnten Dichter waren. Dieser Richtung huldigte auch Cubranovic.

Den Zusammenhang zwischen Cubranovic und seinen Vorgängern beweist schon eine Menge von Ausdrücken, die troubaduristisch oder besser Meucetianisch genannt werden könnten (dvoriti, cic goruste Ijubi

Cubranovic u. seine Beziehungen zu der einheim. u. d. ital. Literatur. 97

i vire, objaviti Ijubezni, gorke boljezni, liccem smrt svjedoci, tvoja milos, Ijuvena silos, svitlost tvoga obraza, Ijubav, s ke smrt sve pogleda, sluga, Ijubavi izgara, Ijuven plam, gledanje strilovito, Ucee gdi osvita sve veselo primaljetje, verno sluzenje, Ijuvena uza, sladak pogled u. s. w.). Ueberzeugender aber ist die Analyse der Liebeserklärung, denn diese zeigt, dass die Klagen, die Wünsche und die Gedanken Cubranovic's eins mit den Klagen, den Wünschen und den Gedanken Mencetic's und Dr^ic's sind.

V. 317 368 wird der zaghafte Liebhaber geschildert: Er darf ohne Gelegenheit seine Liebe nicht aussagen und folgt immer der Ge- liebten. Deshalb soll sie ihm ein Stelldichein geben. Die Liebe soll ge- heim bleiben.

Cf. Mencetid ^) IV. 1 7, wo er um eine Zusammenkunft bittet, und IV. 28, wo er seine Liebe geheim erklärt.

V. 369 380 bittet der Verliebte, dass sie sich am Fenster zeige.

Mencetic und Drzic thun dasselbe einigemale, z. B. Menc. I. 5. 6. 7. 10, U. 16, 18 etc. Drzic 40 etc.

Nun folgt bei Cubranovic die Strophe :

Ako sluzba smrt dostoja, Wenn der (Liebes)dienst den Tod

zivota ga, gospo, izbavi; verdient, so befreie ihn, Frau, von dem

to V podoha ke Ijubavi, Leben ; wenn er der Liebe Werth er-

ßkazi mu je milos tvoja. scheint, so soll deine Gnade ihm die-

Cf. Mencetic I. 8. selbe zeigen.

Ako gnjiv dostoja, tko slavi tvoj ures, dostojno svis moja skoncana sada jes. To li sto podohi pravedno sluzenje, bez sumnje pravo bi meni tve zdruzenje.

Cubranovic sagt weiter: I roden Je^ nu vid, na to, da Ijubavi tvom izgara (Und er ist geboren, schau nur, dazu, dass er auf der Flamme der Liebe zu dir verbrenne). Das ist wieder dem Mencetic entnommen, denn auch dieser sagt : Na toj sam poroden ter imam nevolju Ijuven stril Jos tirit (L 64).

Nun folgt in der Jedupka die Schilderung der Lebensweise des Liebenden. Seine Leiden gipfeln im Selbstmordversuche, doch das Schwert zerbrach , als er sich darauf warf. Ich werde den Leser mit

1) Die Gedichte, die Mencetic' und Drzic' sein sollen, sind von Jagic in Stari pisci hrvatski II nach der einzigen erhaltenen Handschrift herausge- geben.

Archiv für slaTische Philologie. XXII. 7

98 M. Medini,

der Aufzählung der Stelleu bei Mencetic und Drzic, wo vom Tode die Rede ist, nicht peinigen. Erwähnung verdient da3 Gedicht Mencetic's (III. 24), wo der Dichter ausführt, dass er, wenn das seiner Geliebten gefallen würde, im Stande wäre, seinem Leben ein Ende zu setzen. Die Ausrufe, wie V, 437 448, 460 472, sind auch in der Mencetianischen Liebespoesie nicht neu (cf. Dr^ic 50, 52, 61). V. 405 416 erzählt die Zigeunerin, was alles der Verliebte mit seinen Thränen erreicht hätte : ein ähnliches Motiv findet man z. B. in Mencetic's III. 34.

Das stärkste Ueberredungsmittel, das dem Dichter zu Gebote stand, war: »Was wirst du erreichen, wenn er deinetwegen vor deinem Hause stirbt und das Volk herbeiläuft? Die Leute werden es dir verübeln.« Das ist auch kein Eigenthum Cubranovic's, denn Mencetic hatte seiner Geliebten dasselbe einigemale vorgesungen (III. 20, 45, 68). Aehnlich droht auch Drzic im Gedichte 27.

V

Das Gesagte genügt, um zu zeigen, wie stark Cubranovic von seinen Vorläufern beeinflusst wurde. Die Fehler, die wir in der Liebeserklärung finden, sind nicht Cubranovic', sondern fremde, und wir können ihm gegenüber nur den Vorwurf erheben, dass er sich von den ragusäischen Vorbildern nicht so loszusagen wusste, wie er sich von den italienischen losgesagt hatte.

B. Man darf indessen nicht zu weit gehen und der Liebeserklärung jeden Werth absprechen. Die Vorzüge, die die übrigen Theile des Ge- dichtes schmücken, sind auch dem Gesänge der sechsten Frau eigen. Es lässt sich das Bestreben des Dichters, die Zigeuner, wie sie wirklich waren, zu schildern nicht verkennen. Selbst ihre Sprache suchte er nachzuahmen und man findet da volksthümliche Wendungen wie : Tako te Bog ne uhili (V. 51), moja kito od ruzice (V. 63), tako meni Dancuo zdravo (V. 75), ter tako mi dobre staje (V. 173), moja tiha pitomino (V. 178), moja kruno zlatom svita (V. 611), za tve rajne majke mliko (V. 360), da ce biti bUigo s njime kumu, drugu i susidu (V. 83 fi".), er c' grbava stara umriti (V. 92), moje tiho lito [V. 160), moja rajska vilo (V. 330) und andere; auch Epitheta wie moja vilo, moja diko, vojno. grozne suze, zarko sunce, britka smrt, vilovito bilje. sinje more u. s. w.

Bei der Nachahmung der Sprache verblieb Cubranovic indessen nicht. Bei der Besprechung der italienischen Faschingsgedichte war ich genöthigt, darauf hinzuweisen, dass es in diesen Manches gibt, was in Jedupka ausführlicher besprochen wird. Die italienischen Gedichte er- leichterten seiner Phantasie den Flug durch allerlei Hinweise auf die

Cubranovic u. seine Beziehungen zu der einlioim. u. d. ital. Literatur. 99

Begabung der Zigeunerinnen zu den Prophezeiungen, auf die wunder- liche Wirkung einzelner Balsame etc. Durch diesen Hinweis ermuntert, suchte er selbst, in den ihm angewiesenen Rahmen die Sitten und Be- trügereien der Zigeuner und den Aberglauben des Volkes hineinzugeben. Es ist möglich, dass er auch in den ersten zwei Prophezeiungen das Wirken der Zigeuner nach dem Gesehenen ') schilderte ; diese Mög- lichkeit erstarkt in Bezug auf die drei folgenden Wahrsagungen zur Wirklichkeit. In der dritten und vierten Prophezeiung werden nämlich einige Kräuter genannt, deren meiste heutzutage auch vom Volke ge- braucht werden oder wenigstens gekannt sind. Ich werde sie auf- zählen :

1. Dragoljub (der Kapuziner Kress tropaeolum minus) ist heut- zutage auch gekannt.

2. Vratizelja; Parcic^j kennt vratizej und erklärt es fürTordylium.

3. Zlatovlas ist heutzutage auch in Canali (bei Ragusa) bekannt, wie es mir eine aus Canali gebürtige Bürgerschullehrerin erzählte.

4. Devesilj (devetb silx) ist schon dem Namen nach eine Arznei- pflanze. Cf. Ak. Wörterbuch. Vuk Karadzic erwähnt es auch im Wörterbuche. Appendini 3) hat Nevesilj:

5. Kaioper (das Frauenblühtl Salvia officinalis oder Balsamita) ist auch eine Arzneipflanze.

6. Ruta; Appendini erwähnt es und übersetzt mit ruta ortense. In Ragusa ist es heutzutage auch bekannt und gebraucht.

1; Vuk: CjjncKe Hapoaue njecMe I. 266 hat:

Prvo du ti bilje kazat, da ti Ijubarodi Das erste Kraut zeige ich dir, und

sina ; deine Braut wird einen Sohn gebären ;

drngo cu ti bilje kazat, da ti sablja das zweite Kraut zeige ich dir und

sijece Türke; dein Säbel wird die Türken hauen;

trece cu ti bilje kazat, da si stiman u das dritte Kraut zeige ich dir und du

druzinu. wirst in der Gesellschaft geschätzt

werden. -) Im croatisch-italienischen Wörterbuche, vergl. auch Sulek, vratizelj. ^) Am Fusse des Berges Snjeznica im südlichen Dalmatien findet man eine Höhle. Appendini glaubte, es sei diese dem Aeskulap heilig gewesen und besuchte dieselbe. Da zeigte ihm der Sohn des «berühmten« Mihaica die Arzneikräuter, die dort wuchsen, und dieses Verzeichniss hat uns Appen- dini in seinen «Notizie istorico-critiche sulle antichitä etc.« I, p. 30 hinter- lassen. Für uns ist es wichtig, denn das Verzeichniss stammt aus dem Jahre 1S02 unprefähr.

1 00 M. Medini,

7. Mak. Appendini kennt auch diese Pflanze (Papaver).

8. Rubazinje. Diese Pflanze ist weder mir noch den zu Rathe ge- zogenen Wörterbüchern bekannt,

9. Ljubica. Appendini übersetzt es mit Melissa. Als Arznei wird es auch in Zbornik I. der südsl. Akademie S. 281 erwähnt.

10. Jasenak. Appendini erklärt es nach Dottor Flori Raguseo mit: Kopitnica oli Jasenak mali Assenzio col fior di camomilla. Mali jasenak übersetzt das Ak. Wörterbuch mit atropa bella- donna. Vuk Karadzic in 3Chbot h oöniiaJH S. 34 erwähnt den Glauben des Volkes, dass die Vilen diese Blumen pflücken; des- halb soll man den Kranken hinsetzen.

11. Cicindra cicimak, Zizyphus (Ak. W.).

Ich will nicht behaupten, dass die Wirkung, die Cubranovic diesen Pflanzen zuschreibt, auch von der Bevölkerung zur Zeit Cubranovic's erhoff"t wurde, da eine solche Behauptung nicht erwiesen werden könnte. Das eine steht jedoch fest und zwar, dass alles, was Cubranovic über deren Gebrauch erzählte, volksthümlich war. Da haben wir die Wort- spielerei im III. Gesänge: Dragoljub macht dem Gatten die Gamahlin beliebt (draga liebe, Ijuba die Geliebte); Vratizelja (vi-atiti se zurückkehren, zelja der Wunsch) lockt den Geliebten aus der Ferne: zlatovlas (zlat golden, vlas die Locken) erzeugt goldene Haare. Die Wortspielerei spielt auch heutzutage eine grosse Rolle in den Volks- erzählungen und in den Volksgebräuchen. Wegen ihres Inhaltes will ich hier eine, die Vuk Karadzic in yKnBOT ii oöniaJH S. 29 verzeichnet hat, deutsch wiedergeben: In Bocche di Cattaro kommen drei schon heirathsfähige Mädchen am heil. Georgs-Feste zusammen und gehen in der Frühe Wasser holen. Eine trägt in der Hand Hirse, die andere einen Zweig der Weissbuche im Busen. Eine von diesen fragt die dritte : »Wohin?« und diese antwortet: «Wasser [voda] holen: man möge mich und dich und die, die über dich schaut, zum Altar führen [voditi)«. Dann fragt sie diejenige, die die Hirse trägt: »Was hast du in der Hand?« Jene antwortet: »Die Hirse [proso]\ man möge um meine, um deine und um die Hand derjenigen, die über dich schaut, werben {prositi)((. Darauf fragt sie diejenige, die den Zweig im Busen hat, was sie trage. Die Antwort ist: »Weissbuche {grah)\ man möge mich und dich und die, die über dich schaut, rauben [grahiti] « ^].

Ueber die Etymologisirung hat Jagic in Pi ogram gymnazije zagrehacke

Cubranovic u. seine Beziehungen zu der einheim. u. d. ital. Literatur. 101

Die Bemerkung zu der vierten Frau, dass sie die vorgeschriebenen Pflanzen im Blute der Taube kochen muss, gibt auch dem Recepte den Charakter der Volksthümlichkeit. Horvat z. B. erzählt, dass die Mäd- chen der lebenden Taube das Herz herausnehmen und es dem Geliebten zu essen geben (Zbornik der südsl. Akademie I. 252). Das geschieht freilich in Koprivnica, aber ich selbst habe in Ragusa gehört, wie eine Inselbewohnerin der anderen das Blut des schwarzen Hahnes verschrieb.

Von der Auffassung des Volkes hat sich Cubranovic auch in der fünften Prophezeiung nicht entfernt. Die von ihm in den Mund der Zigeunerin gelegten Zauberworte haben alle Merkmale der Verwün- schungen, wie sie das Volk spricht. Vnk im obenerwähnten Werke ver- zeichnet einige, z. B. Kako mi u skupu zobale, tako mi u skupu nosile (Wie ihr zusammen esst, so möchtet ihr zusammen Eier legen. S. 5); Sjajno ogledalo, kako ti mene sad pokazujes, tako mi u snu pokazi moga- sudenika (Heller Spiegel, wie du mich jetzt zeigst, so zeige mir im Traume meinen Bestimmten. S. 323). In Zbornik sind noch passendere Parallelen zu lesen : Kako je zuko srce moje, tako bilo zuko sjeme tvoje (Wie gallenbitter mein Herz ist, so sei gallenbitter dein Same) oder: Kako se ovo brzo plavne, tako se ti brzo skoncala (Wie das schnell auf- flammt, so mögest du schnell untergehen) i).

za god. 1861, pag. 9, und Zima in Figure u nasem narodnom pjesnistcic s njihovom ieorijom, Zagreb 1880 gesprochen. AusVuk: CpncKe uapojiie nj ecMe I. führe ich folgende Parallelen an, die' alle unseren Dichter beleuch- ten können und in Ragusa aufgezeichnet sind :

Jednu kitu nevena cvijeca, Den ersten Strauss Todtenblwnen,

da on vetie iz srdakca moga ; damit er welke in (aus) meinem Her-

drugu. kitu tratora cviieca, zen; den zweiten Strauss Tausend-

da on traje u jadu godine ; schönchen, damit er im Kummer das

trecu kitu )»aÄa bijeloga, Leben verbringe; den dritten Strauss

da se smahie s ovoga svijeta. Mohn, damit er sich (Vuk I, Nr. .534) von

dieser Welt entferne. Ako ti nikne zut neven. Wenn die gelbe Todtenblume dir

uveni duso za mnome; hervorkeimt, so verwelke, meine Seele,

ako ti nikne bosiljak, mich wünschend ; wenn das Basilien-

do5i mi bosa po noci ; kraut hervorkeimt, so komme barfuss

ako r ti nikne Ijubica zu mir zur Nachtzeit ; wenn das Veil-

Ijubicemo se dovece. chen hervorkeimt, wir werden (Vuk I,

I^. 644) uns diesen Abend küssen. 1) Zbornik za narodni zivot i obicaje juznih Slavena I, 248, 262.

1 02 M. Medini,

V

Die Jedupka Cubranovic s verdankt ihre Existenz und die Form ver- schiedenen Einflüssen, sie zeugt aber von der grossen Begabung des Dichters, der alle diese verschiedenen Elemente in eine Einheit zusam- menzubringen wusste. Der Dichter schildert uns die Zigeunerin zuerst nach den äusseren Merkmalen, d. i. nach ihrem Schmutze, Wanderleben, ihrer Abkunft und anderem. Ihre Thätigkeit sollte der Leser oder der Zuhörer aus der Anschauung kennen lernen. Das schöne allgemeine Bild, das in der Einleitung gegeben wurde, wird allmählich durch die ins Detail ausgeführten Charakterztige erweitert. Zuerst kommen zur Sprache die Berührungen der Zigeunerin mit der Familie, dann mit dem Leben der einzelnen Personen, wobei das leibliche Wohl von den Wün- schen des Herzens unterschieden wird. Wenn man das ganze Lied zu Ende liest, so scheint es, als ob wir diese Jedupka da vor uns sähen. Umringt von den leichtgläubigen Leuten, liest sie ihnen aus den Augen die geheimsten Gedanken und richtet darnach ihre Worte. Was küm- mert sie, ob es wahr ist oder nicht ? Geld will sie haben, das ist ihr Gott, ihr Paradies, ihr Alles.

Während nun die gelungene Charakteristik, die poetische Sprache und der Inhalt selbst den Aesthetiker angenehm berührt, so dass er Jedupka wenigstens theilweise als genussreiche Lektüre empfehlen kann, flösst das Gedicht auch dem Literaturforscher Interesse ein. Denn wenn wir auch die Verbindungen des »Cubranovic mit seinen älteren und jüngeren Zeitgenossen ausser Acht lassen und nur die Beziehungen un- seres Andreas einerseits mit der italienischen Literatur, andererseits mit dem Volksthümlichen in Augenschein nehmen, so sind die Resultate dieser Forschungen auch beachtenswertb, weil wir eine Kunstdichtung auf dem Grenzgebiete zweier Nationen vor uns haben, welche die Re- präsentanten zweier Welten, nämlich der romanischen und der slavischen, sind. Diese Einflüsse, die die geschichtliche Entwickelung der Südslaven beherrscht haben, treten in keinem anderen Literaturwerke der ragu-

V

säisch-dalmatinischen Epoche so zu Tage wie bei Cubranovic, und eben deshalb ist Jedupka nicht nur als ein Literaturdenkmal, sondern auch als ein Culturdenkmal anzusehen.

VI.

Ein Gedicht, wie es Jedupka war, konnte nicht ohne Eindruck auf die Zeitgenossen bleiben. Die Schönheiten der Dichtung blieben nicht

Cubranovic u. seine Beziehungen zu der einheim. u. d. ital. Literatur. 103

den nächsten Nachfolgern unbekannt, und hiervon zeugt die grosse An- zahl der Gedichte, die wir zu den Nachahmungen der Jedupka rechnen. Schon im Jahre 1557 fand es Misa Pehgrinovic angemessen, eine neue Jedupka zu dichten, und in der Widmung gesteht er offenherzig,

V

dass er den Cubranovic nachahmt. Es wäre jedenfalls besser gewesen, hätte er ihn weniger nachgeahmt, denn sein Werk ist schon keine Nach- ahmung, sondern ein Plagiat. Die Einleitung, das I., IL, III. und V. Gedicht der Jedupka (Jubranovic's eignete er sich an '), die übrigen vierzehn Prophezeiungen dichtete er selbst, doch ist der Einfluss der ersten überall sichtbar. Sein Werk ist der beste Beweis dessen, was er in der Widmung sagte, d. i. dass man der Jedupka nichts hinzufügen und nichts wegnehmen kann. Pelegrinovic wusste nichts neues zu er- finden, sondern wiederholt das Cubranovic'sche mit anderen Worten. Der Zusammenhang zwischen einzelnen Gedichten ist sehr locker, denn alles beruht auf den letzten Strophen der Einleitung, wo die Zigeunerin verspricht, dass sie um Geld prophezeien wird. Diese Jedupka ist eine einfache Sammlung der verschiedenen Prophezeiungen ohne Ziel und infolge dessen ohne jeden Causalnexus.

Dieser Misserfolg scheint die Ragusäer erschreckt zu haben, denn der Versuch des Pelegrinovic, ganz nach Cubranovic'scher Art zu dich- ten, blieb vereinsamt. Saho Müetic Bohali [IhZi) 1585) bildete seine Zigeunerin so, dass er aus dem zweiten und dritten Gedichte ein Gedicht schuf. Diese Kontamination führte die Faschingsdichtung zu dem ita- lienischen Typus zurück, der nur einheitliche Gedichte kennt. Hervor- zuheben ist es auch, dass bei Misetic schon die Einflüsse der italieni- schen und klassischen Romantik zu beobachten sind.

Diese treten indessen in der Jedupka des Mazibraclic (1600?) stärker zum Vorschein. Seine Zigeunerin weiss unter anderem auch, was man in der Hölle und auf dem Himmel thut. Sie ist keine Zigeune- rin mehr, sondern eine Hexe oder wenigstens die gutmüthige Fata der italienischen Ritterepen. Den Hauptinhalt dieser Jedupka bildet die Prophezeiung über das Jahr 1636. Das ist eine Art des hundertjährigen

1) In der Programmabhandlung des k. k. Obergymnasiums in Ragusa (1897/8) Hess ich die Möglichkeit zu, dass Pelegr. seine JeSupka uns nicht in der Fassung hinterliess, wie wir es in Stari pisci hrvatski VIII lesen. Später hatte ich in der Hand die oben besprochene Handschrift der Communalbiblio- thek in Ragusa, und diese überzeugte mich, dass Pelegrinovic selbst die Be- standtheile der Cubranovic'schen JeSupka in sein Gedicht übertrug.

104 M. Medini,

Kalenders, und das beweist, dass die Lektüre allerlei Praktica und Prognostica auch in Ragusa ihren Eingang gefunden hatte.

Der unbekannte Dichter i| , der die vierte «Aegyp tierin« dichtete, war ein guter Versemacher, weshalb wir ihn in die Zeit Gundulic's ver- legen müssen. Von ihm kann man sagen, er sei nicht der Nachahmer

V V

des Cubranovic, sondern der Nachahmer der Nachahmer des Cubranovic. Sein Gedicht bildet ein buntes Bild der verschiedensten Einflüsse; man- ches erinnert an Vetranic, etwas an Cubranovic, der grösste Theil aber an Misetic und Mazibradic.

Nikola Naljeskovic und St. Giman ©ordi^) sind auch den Nachahmern des Cubranovic zuzuzählen, sie änderten aber die Maskerade. Der erste stellt uns den Teufel, der zweite den Dervis vor. Der Inhalt der Gedichte ist folgender: 1. Der Teufel erscheint und schildert seine Natur (cf. unter II.) und meldet, dass ihm mehrere folgen werden. Diese kommen verkleidet (Lateiner, Verliebte, Hirten etc.). Einer von diesen offenbart der Dame seine Liebe, worauf die ganze Gesellschaft in ein Hymenäuslied einstimmt. 2. Ein Dervis, blutend und buckelig, kommt zu seiner Erwählten und erzählt die Leiden, die ihm die Liebe ver- ursacht.

Schon diese kleine Inhaltsangabe zeigt die Berührungspunkte zwi- schen diesen Gedichten und ihrem Vorbilde, aber auch die Unterschiede, die besonders stark bei i)ordi hervortreten. Das Komische in der Der- visata ist so stark, dass die Liebeserklärung darunter fast ganz erstickt. In dieser Hinsicht ist ■Bordi dem Cubranovic überlegen, so dass wie Cubranovic seine Nachahmer hatte, ^Oordi seinerzeit auch von den ein- heimischen Dichtern nachgeahmt wurde. Zwischen diesen verdient be- sondere Erwähnung Ignjat ©ordi, der ein Gedicht unter dem Titel Marunko verfasste^).

Die obenerwähnten Dichter trachteten also, dem Beispiele des Cubranovic zu folgen, und obzwar ihre Versuche mit Ausnahme der Dervisata misslungen sind, zeugen sie doch von der grossen Popula- rität des Themas, das von Cubranovic bearbeitet wurde. Der Einfluss des Cubranovic zeigt sich indessen nicht nur auf dem Gebiete der Faschingsliteratur, sondern auch in den anderen Zweigen der Dicht-

1) Alle vier JeSupka sind zu lesen in Stari pisci hrvatski VIII.

2) PeiueTapi), AHTO.ioriija ayÖpoBa^Ke jnipuKC p. 144.

3) Längeres über die Nachahmer des Cubranovic habe ich in der oben erwähnten Programmabhandlung geschrieben.

Cubranovid u. seine Beziehungen zu der einheim. u. d. ital. Literatur. 105

kirnst. Im XVI. Jahrh. treten uns auf einmal die Dichter in ihren Werken mit allerlei Arzneien und Zauberworten entgegen, die einigemale ohne jeden Zusammenhang mit dem übrigen Inhalte sind. Misa Pelegrinovic empfiehlt im Briefe ^) an seinen Freund Misetic demselben die Mittel, das Gehör zu retten. In Pelegrin-) des Vetranic wird ein Pflaster aus Kornelkirsche und Wegerich (V. 380 400) erwähnt. Naljeskovi(5 lässt in seiner ersten Komödie ^) eine Alte dem Radat sagen, wie er sich von der Liebe befreien wird. (Man findet nirgends gesagt, ob er das Mittel gebraucht hat.) Fast in allen Hirteudramen, wo die in Vilen verliebten Hirten sich selbst tödten, fanden die lustigen Ragusäer, die den Tod nicht einmal auf den Brettern leiden konnten, solche Kräuter, die den Hirten das Leben zurückgaben.

Auch diese Erscheinungen entstanden höchstwahrscheinlich unter dem Einflüsse der Aegyptierin und zeigen, wie gross der Eindruck un- seres Andreas war. Alle Nachahmungen auf dem Gebiete der Faschings- literatur drehen sich nun um den ersten Theil des Gedichtes: der eine bespricht die Geschichte der Zigeunerin, der zweite führt die Zauber- mittel an, der dritte berührt das Familienleben u. s. w. ; nur Naljeskovic und ©ordi verfolgten mit ihren Gedichten dasselbe Ziel wie Cubranovic, d. i. die Liebeserklärung. Diese ist bei ihnen anders gehalten, als bei ihrem Vorbilde, denn Naljeskovic fasst sich kurz, ©ordi erregt bei den Zuhörern das Lachen. Wenn man dazu beachtet, dass der Einfluss Cubranovic's bei anderen Dichtungsarten sich wiederum nur in volks- thümlich klingenden Gedichtstheilen geltend macht, so bedeutet das nach meinem Dafürhalten, dass die alten Ragusäer über Jedupka das- selbe meinten, was auch wir heutzutage denken. Sie suchten die Schön- heit der Jedupka in der treuen Wiedergabe des Zigeunerlebens und ihrer Thätigkeit und nicht in der langen Liebeserklärung, die auf den Leser unangenehm wirkt.

In Ragusa geschah dasselbe, was sich in Italien nach Dante und Petrarca ereignete, si licet parva comparare magnis. Dittamondo des Fazio degli Uberti, Ladriregio des Federico Frezzi sind ihrem unsterb- lichen Vorbilde Divina commedia gegenüber kaum nennenswerth ; ähn- lich verschwinden Buonacorso da Montemagno e Giusto da Volmontone

») Stari pisci hrvataki VIII, p. 194.

-) Stari pisci hrvatski IV.

3) Stari pisci hrvatski V, p. 189.

106 M. Mediui, Cubranovic und seine Beziehungen etc.

vor ihrem Vorbilde Petrarca, denn das ist eben das Geschick der Nach- ahmungen. Erst später, als man in Italien sah, dass man mit blossen Nachbildungen nichts erreicht, begann das Studium der Trecentisti segensreich auf die Geister der Leser und das Schaffen der Dichter ein- zuwirken. So lange die Mitbürger Cubranovic's die Aeusserlichkeiten und den Inhalt des Gedichtes bewunderten und es nachzuahmen trach- teten, verfielen sie öfters in Dummheiten und Albernheiten. Erst Gun- dulic und Palmotic brachten die Vorzüge der Jedupka zu Tage, denn das Wenige, was Prof. Zore herausgefunden hat, zeigt, dass sie die Schönheit des Gedichtes nicht nur im Inhalte, sondern in der Sprache, in den poetischen Tropen und Figuren, in der Ausdrucksweise zu finden wussteni). Zum Schlüsse möchte ich den Wunsch ausdrücken, dass man auf diesem Wege fortfahren möge. Dann käme vielleicht manches zum Vorschein, was uns die Wirkung der Jedupka noch grösser würde erscheinen lassen. Uebrigens waren die Verhältnisse in Ragusa solche, dass eine Anlehnung an das Nationale in Cubranovic'scher Richtung mit Hinsicht auf die starke und fortwirkende Einwirkung seitens der italienischen Literatur kaum denkbar ist.

Spalato, Januar 1899. M. Medini.

0 Stari pisci hrvatski VIII, ix. Ich führe nur zwei Stellen an, damit man sehe, wie die beiden Dichter, die man die grössten in der einheimischen

Literatur nennt, ganze Verse der Jedupka entnahmen und in ihre Gedichte hineinflochten:

Osman I. 37. Jedupka (Strophe 8).

Bila vam su brasna hode Bile mi su brasno hode

A poskupo hladne vode. I poskupo hladue vode.

Kristijada IV. 76. Jedupka (Str. 21).

Da je vazda s njime blago Da ce biti blago s njime

Kumu, drugu i susjedu. Kumu, drugu i susidu.

107

Beiträge zur Etlmograpliie der liannoversclien Ellbslaveu.

Mitgetheilt von A. Vieth, mit Einleitung und Zusätzen von H. Zimmer, V. Jagic und A. Leskien.

I.

Ein Brief Prof. Dr. H. Zimmer's statt der Eiuleitnug.

Greifswald, 1. 12. 1S97. Carlsplatz 13. Sehr geehrter Herr College!

Ich bin in der angenehmen Lage, Ihnen ein Denkmal zur Verfügung zu stellen, dem sie vielleicht einen Platz in Ihrem Archiv gönnen. Es tändelt sich, wie ich nach Durcharbeitung der von Hanus in der Slav. Bibliothek II, 109 ff. (Wien 1858) und von Schleicher in der Einleitung zu seiner Grammatik des Elbslavischen angeführten Litteratur annehmen möchte, um das älteste Zeugniss über Sitten, Gebräuche und Sprache der Elbslaven bei Lüneburg. Es ist gefunden von einem Schüler von mir, Herrn Vieth, der sein Staatsexamen als Gymnasial- lehrer gemacht hat, aber in Folge der UeberfflUung noch keine Stelle hat und in der Zwischenzeit eine Geschichte des auf Rügen und in Vor- pommern verbreiteten Geschlechtes «von der Lancken« schreibt. Zu dem Zwecke arbeitet er in Kopenhagen und hier hat er unter andern ungeordneten Manuscripten auch das in Rede stehende gefunden. Es stammt aus dem Besitz eines Mich. Richey, der 167S geboren wurde, 1704 Rektor des Gymnasiums in Stade war, dann von 1717 ab Professor der Geschichte und griech. Sprache am Gymnasium zu Hamburg war, wo er 1761 starb. Aus dessen Nachlass stammt das Ms., ist aber, nach Herrn Vieth, nicht von ihm geschrieben.

Das Ms. trägt den Titel: I) »Wendischer Aberglaube angemercket bey der General Kirchen Visi- tation des Fürstenthums Dannenberg im Monath August Anno 1671.K

Dann fole:t :

108 A. Vieth,

Cap. I. Bemerkungen über Namen und Ausdehnung des Bezirkes.

Cap. IL Vom Creutz- und Kronen-Baum.

Cap. III. Von SauflF-Festeu der Wenden.

Cap. IV. Von gewissen Tagen.

Cap. V. Vom Bawerrecht.

Cap. VI. Von Züchtmeistern.

Cap. VII. Von Hochzeiten.

Cap. VIII. Von Schwangern, Bademüttern und Kranken.

Cap. IX. Von Begräbnüss.

Cap. X. Von der Wenden Leben insgemein.

Der Schluss dieses Theiles, der in Abschrift 29 Quartseiten um- fasst, lautet:

»und dieß sind, so die vornehmbste puneten, welche jch bey der Gen. Visitation gemercket. Bitte der H. M. wolle dieses hochgeneigt vorlieb vndt willen nehmen, und mein stets geneigter hoher Patron ver- bleiben.

Zelle d. 26. Fahr. Ao. 1612.^

Dann folgt in anderer Tinte und vielleicht (?) auch von anderer Hand:

II) » Verzeichnifi einiger Posten des Ahergliiuhischen Wezens der Land- und auch vieler StadtleuteM

Es sind dies auf 10 Seiten (in Abschrift) systemlose Nachträge zu dem vorangegangenen Visitationsbericht von 167L Diese Nachträge schliessen :

ytDiese Passagen habe tempore officii Schtieg. et Lüch. mit der Zeit angemercket.n

Dann folgt sicher von Hand und Tinte wie der erste Theil : ni) Vocab. et Phras. Vandal. Ein systematisches Vocabular und Phrasensammlung (c. 400).

Wir haben also 3 Theile: 1) Visitationsbericht, 2) Nachti-ag, 3) Vo- cabular und Phrasensammlung. Es sind 1 und 3 von derselben Hand geschrieben : dazwischen wurden Blätter eingeheftet oder waren frei- gelassen zu Nachträgen. Diese Nachträge zum Bericht von 1671 gehen herunter bis A. 1710, denn zum Schluss von Theil 2 vor den eben ge- gebenen Schlussworten »Diese Passagen U.S. w.« steht: »Alß Ao. 1710 Mens. Jan. Adv. Heinen uxor eine junge Tochter gebohren, befielet sie der Bademutter, des Kindes Hände und Füße in kalt Wasser zu stecken,

Beiträge zur Ethnographie der hannoverschen Eibslaven. 109

so wäre es für Frost befreyet«, und zwar sind diese Worte mit anderer Tinte als sonst Theil 2 und die Schlussworte »Die Passagen u. s. w.« geschrieben, so dass Theil 2 zwischen 1672 und 1710 geschrieben sein muss.

Was den Inhalt anbelangt, so ist manches bekannt :

1. Capitel I findet sich in Hamburgische vermischte Bibliothek III, 557 § 3 (Hamburg 1745) und in Neues Vaterländisches Archiv (herausgeg. von Spiel, fortgesetzt von Spangenberg) II, 224 § 3 (Lüne- burg 1822), mit ausdrücklicher Berufung auf die Generalvisitation von 1671.

2. Capitel II inhaltlich sowie einzelne Notizen aus den andern finden sich in Neues Vaterländisches Archiv Jahrg. 1832 I, 299 317, mit Berufung auf den Visitationsbericht vom 4. August 1671.

3. Capitel II ist zum Theil wörtlich gegeben in Domeier's be- kannter Arbeit in Hamburg, vermischte Bibliothek II, 387 393 (Hamburg 1744), und seine a.a.O. 794 801 gegebene »Sammlung von mehr als 300 Wörtern der alten wendischen Sprache, aus den Papieren eines im vorigen Jahrhundert ( so schreibt Domeier 1743 ) hei einer wen- dischen Gemeinde in der Grafschaft Dantienherg gestandenen Pre- digers zusammengesucht und in gegenwärtige alphabetische Ordnung vertheilet<i. macht sofort den Eindruck eines alphabetisch geordneten Auszuges aus Theil 3 des Kopenhagener MSS. mit Auslassung von etwa 50 Wörtern und Phrasen.

Mit der letzteren Beobachtung fällt die Annahme von Hanns (Slav. Biblioth. II, 118) und Schleicher (Einl. zur Gramm.), dass Domeier »die Arbeiten Pfeffinger's lexikalisch bearbeitete (f, was Hanns und Schleicher ohnedies nicht hätten annehmen dürfen. Domeier liefert nämlich zweier- lei, wie unter 3 bemerkt ist. Da er nun den ersten Theil nicht aus Pfeffinger nehmen konnte (Pfeffinger hat so etwas nicht), so liegt doch a priori schon die Möglichkeit vor, dass er für den zweiten Theil eine andere Quelle hatte als Pfeffinger. Hierzu kommt, dass Domeier in der eben gegebenen üeberschrift zu seiner Sammlung die allerbestimmtesten Angaben über seine Quelle macht. Hätten Hanns und Schleicher Recht, dann müsste Domeier ein grosser Lügner sein, da ja Pfeffinger Inspektor der Ritterakademie in Lüneburg und Jurist war, aber nicht Prediger in einer wendischen Gemeinde in der Grafschaft Dannenberg. Zu einer solchen Verdächtigung Domeier's liegt aber kein Grund vor. Im Gegen- theil: seine Angaben im »Vorbericht« zum ersten Theil (Hamb. verm.

110 A. Vieth,

Biblioth. II, 387), dass seine Nachrichten aus den Aufzeichnungen der allgemeinen Kirchen Visitation von 1671 stammten »wovon mir eine Abschrift in die Hände gerathen ist« sagt er ! , erweisen sich durch das Kopenhagener MSS. Theil 1 als vollkommen wahrheitsgemäss. Es ist daher bei der inneren Beziehung seiner Wortsammlung zu Theil 3 des Kopenhagener MS. eher anzunehmen, dass dieser Theil 3 die Quelle ist, die er »in alphabetische Ordnung vertheilet« hat, und dass die Uebereinstimmungen zwischen Pfeffinger und Domeier darauf beruhen. dass beide dieselbe Quelle benutzt haben^ das uns in der Kopenh.Hds. als Theil 3 erhaltene systematische Vokabular und Phrasensammlung.

Für Theil 1 steht der Autor so gut wie fest. Sowohl Hamb. verm. Bibl. III, 557 § 3 als Neues vaterländ. Arch. II, 224 § 3 wird der Mit- theilung von Cap. I aus dem ersten Theil die Bemerkung vorausge- schickt: »Der sei. Herr D. Joachim Hildebrandt, weiland hochver- dienter Obersuperintendent des Herzogthums Lüneburg, bat an einen guten Freund eine Schrift in Form einer Missiv abgehen lassen , oder den guten Freund, den er Magister nennet, nach dem Exempel an- derer gelehrter Leute nur so erdacht, darin ertheilet er, was er bei der geueral Visitation des Jahres 1671 in hiesigem Wendlande angemerkt hat(f. Hiermit wird deutlich auf den vorhin mitgetheilten Schluss von Theil 1 angespielt. Wer ist nun der Auftraggeber, den der Ver- fasser als »H. M.(f (Herr Magister) und »mein stetsgeneigter hoher Patron (f anredet? EtwaLeibniz? Dagegen scheint zu sprechen, dass derselbe 1672 in welchem Jahre der Bericht in Theil 1 gemacht wurde noch in Mainz war und erst 1676 nach Hannover kam; auch passt die Bezeichnung -nstetsgetieigter hoher PatrotH'. auf den jungen Leibnitz 1672 schlecht. Wahrscheinlicher wäre schon, dass Leibnitz zu Theil 2 des MSS. die Anregung gab. Er zog nämlich 1691 bei dem damaligen Pfarrer in Lüchow, G. F. Mithof, Erkundigungen über die Wenden dort ein (s.Leibnitii Collectanea etymologica II, 335 ff.) und forderte ihn auf, »alles zu sammeln, was seiner Zeit über polab. Alter- thümer und Sprache Merkwürdiges sich vorfände« (Hanns a. a. 0. S. 112). Da nun Theil 2 des MS. zwischen 1672 und 1710 verfasst ist von einem Manne sitempore officii Schneg. ei Lüch.if^ so könnte man an Mithof denken als Urheber der Nachträge zu dem Bericht von 1672, von dem er eine Abschrift sich verschafft hatte. Da Domeier als die von ihm (1743) bearbeitete Quelle Papiere eines -aPrediger bei einer icendischen Gemeinde in der Grafschaft Danneberg « angibt, könnte möglicherweise

Beiträge zur Ethnographie der hannoverschen Eibslaven. m

Mithof auch Theil 3 des MS. in Folge der Anregung von Leibnitz ge- sammelt haben. Dies müsste zwischen 1691 und 1698 geschehen sein, da in letzterem Jahre Pfeffinger sein Wörterbuch will gesammelt haben.

Unbekannt sind aus der Kopenhagener Hds. vollständig die Cap. 5. 6. 7. S. 10 aus Theil I. Aus den übrigen Kapiteln von Theil I und II sind nur abgerissene Einzelheiten bekannt bis auf Cap. 1 und 2, die mehrmals veröffentlicht sind.

Was Theil III, das Voeabular anbelangt, so sind einige wenige Wörter und Phrasen bei Domeier und Pfeffinger ausgelassen, wohl weil sie unanständig waren, so z. B. bei beiden

es giebt viele Flöhe hier Oizang wile blohä jang

u. a. m.

Es handelt sich ja bei dem Denkmal um nichts Weltbewegendes, aber immerhin ist es interessant, die älteste Quelle kennen zu lernen, aus der Viele geschöpft haben.

Herr Vieth hat mir seine Abschrift der Kopenh. Handschrift zur Verfügung gestellt, und wir haben, soweit es die Hilfsmittel hier gestatten, die Sache klarzustellen versucht. Darf ich Ihnen nun die Arbeit weitergeben? Würden Sie vielleicht das Denkmal, das vielleicht 30 40 Seiten im Slav. Archiv geben wird, mit Einleitung veröffentlichen ? Herr Vieth ist wieder in Kopenhagen und bleibt auch noch einige Zeit dort : er könnte also eine Correktur nach der Hs. lesen und Ihnen überhaupt in allen zweifelhaften Fällen an der Hs. selbst Auskunft geben.

Sagt Ihnen die Sache zu, so übersende ich Ihnen die Abschrift und stelle sie Ihnen zur Veröffentlichung in der Ihnen gut dünkenden Form zur Verfügung. Mit hochachtungsvollem Gruss

Ihr ergebener

H. Zimmer.

Beilage A. Literatur.

A. Hamb. rermischte Bibliothek II, 387—93, 794—801 enthält:

1) Domeier: Nachricht von der abergläubischen Verehrung der Kreuz- und Kronenbäume, welche unter den in der Grafschaft Dannenberg übrig gebliebenen Wenden üblich.

Nach einer Abschrift des General-Visitationsberichtes de 1671. Enthält Kopenh. Ms. Cap. 2 zum Theil wörtlich.

2) Dom ei er: Sammlung von mehr als 300 Wörtern der alten wendi- schen Sprache, aus den Papieren eines im vorigen Jahrhundert bei

112 A. Vieth,

einer Wand. Gemeinde in der Grafschaft Dannenberg gestandenen Predigers.

Die Sammlung ist im Wesentlichen eine alphabetische Anord- nung des sachlich geordneten Materials des Kopenh. Mss., in letz- terem sind ca. 50 60 Wörter mehr; Schreibung dieselbe.

B. Hamburg. Termischte Bibl. III, 556 flf. ist wenig verändert abgedruckt in

Neues Vaterländisches Archiv (herausgegeben von Spiel und Spangenberg) 1822, p. 223—232:

»Beiträge zur Kenntniss des Hannoverschen Wendenlandes im FUrstenthum Lüneburg« p. 217 236.

Enthält p. 224 den Hinweis auf die Generalvisitation von 1671 und p. 224, § 3 ist fast wörtlich = Kopenh. MS. Cap. 1.

C. Neues Vaterländisches Archiv 1832, 1, 299—350; II, 6—26. Fortgesetzte

Beiträge zur Kenntniss des Hannov. Wendenlandes im Fürstenthum Lüneburg.

Nach dem Visitationsbericht de 4/8 1671. Kreuz- und Kronenbäume fast wörtlich = Kopenh. MSS. Cap. 2. Einzelne Sitten und Gebräuche wie im Kopenh. MSS.

Sehr umfangreiches Wörterbuch.

D. Eccardi hist. stud. etyniol. 274—305. Enthält ein Vocabularium Ven-

dicum, das nach Materien geordnet ist (cf. Kopenh. MSS.) ; circa 200 Vocabeln mehr als Kopenh. MSS.; Eccard hat es erhalten durch Pfeffinger, cf. p. 305.

Mir scheint sicher, dass Pfeffinger und Domeier eine gemein- same Quelle hatten, die sachlich geordnete Kopenh. Samm- lung, die Jeder in seiner Art umgestaltete.

E. Allgemeines.

1) Nur die Kreuz- und Kronenbäume sind in gleicher, fast wörtlich über- einstimmender Weise erwähnt; sonst nur einzelne Sitten und Ge- bräuche. Ganz unbekannt sind

Kop. Mscr. Cap. 5. 6. 7. 8. 10.

2) In Kopenh. MSS. steht nur, dass die Generalkirchenvisitation »im Monath August 1671« stattgefunden hat, während in C. als Da- tum des Berichtes genannt ist 4/8 1671.

3) Die Schlussbemerkung im Kopenh. MSS. nach Cap. 10 »Zelle den 2 6. Febr. Ao. 1672« findet sich nirgends, sodass unter C. wohl eine von der Kopenh. Abschrift des Visitationsberichts unabhängige Ab- schrift benutzt worden ist.

Beilage B. Mich. Richey

wurde 1678 am 1/10. in Hamburg geboren als Sohn des früheren Tuchhänd- lers und Rathsherrn Johann R. aus Braunschweig; er studirte in Wittenberg, wird 1699 Magister und 1704 Rektor des Gymnasiums zu Stade. 1713 ist er nach Hamburg gezogen als Privatmann, wo er 1717 Professor der Geschichte und griech. Sprache am Gymnasium wurde; - 10. 5. 1761.

Beiträge zur Ethnographie der hannoverschen Elbslaven. 113

Er war Mitgründer der sogenannten patriotischen Gesellschaft, Sammler von MSS. MSS., welche zum grossen Theil 1842 beim Brande der Bibliothek der Gesellschaft zur Förderung der Künste und nützlichen Gewerbe verloren gingen.

Wann und wie das MSS. aus seiner Bibliothek nach Kopenhagen kam, ist nicht festzustellen.

II.

Wendischer Aberglaube, fol. i*.

angemercket bey der General Kirchen -Visitation des Füratenthums

Dannenberg im Monath August Anno 1671.

Mich. Richey.

Cap. 1. fol. 2».

Der gantze Bezirck oder die gantze Revier, wo die Wenden wohnen, wird nach wendischer Sprache Drawey genandt. Dieß Drawey ist wieder abge- theilet in zwo Theile, alß (a) in Oberdraweyschafft und denn in die Unterdraweischafft. Der Haupt-Sitz des Oberdrawey's ist das Kirch- Dorff Bülitz, des uutern Draweys Haupt-Sitz ist das Flecken Clentz.

Cap. 2. Vom Creutz- und Kronen-Baum.

Im gantzen Drawey werden überall zweene Bäume sehr hoch und werth gehalten, doch hat den Freiß der Creutz-Baum. Wann dieser Creutz-Baum umbgefalleu, darf er vor Himmelfahrt nicht wieder gerichtet werden, weil sie sagen, die Stete wolle es nicht leiden. Etzliche sagen, die Stete sey ein Mann, andere aber, es sey eine Frau. Pastor zu Bülitz vermeinet, das die Wenden hiedurch einen Genium verstünden, der sich an der Stete des Creutz- Baums aufhielte , maßen auch keiner von den Wenden mit gaßiegen Füßen über die Stete gehen darf.

2 §. Einsten begiebet sichs zu Rebenstorf, das der Bulle im DorfFe, fol. 2^ alß er von der Weide kömpt, seine juckende Lenden ein wenig zu scheuren, sich an den Creutz-Baum machet; was geschiehet? wie der Bulle in voller Arbeit begriflen, fält der Baum nieder und schlägt den lieben Bullen zu Tode. Diß haben die abergläubischen Bauren vor ein Zeichen eines großen Unglücks gehalten. Zur Versühnung aber der zornigen Stete wird noch alle Jahr auf den Tag , an welchem der Bulle zu Tode geschlagen , alle das Vieh, klein und groß, umb den Baum getrieben. Es wird auch, wenn ein neuer Creutz-Baum aufgerichtet wird, das Vieh eingesegnet, welche Ein- segnung folgender Gestalt geschiehet: Erstlich muß der Schultz im Dorff seine Sonntages-Kleider anziehen und einen breiten weißen Handtuch umb den Leib binden. 2) Saufifen sie sich erst alle toll und voll. 3) Tantzen sie umb den Baum in vollen Sprüngen und muß der Schultz mit seinem weißen

Archiv för slavische Philologie. XXn. g

114 A. Vieth,

Handtuch vorhertantzen. 4) Nimpt der Schultze ein groß Licht in die Hand; 5) Ein Glaß Bier, damit gehet er umb das Vieh, welches gegenwärtig in einem Hauffen , besprützet alle das Vieh mit Bier und segnet es mit wendischen Worten ein.

3 §. Zu Bülitz , wie auch im gantzen Drawey werden Häuser, Ställe, Küchen, Keller, Kammern, Stuben mit Bier oder Brantwein an dem Tage, wann der Creutz-Baum aufgerichtet wird, begoßen ; sagen, die Stete wolle es haben, sonst bekäme ihr Vieh Schaden.

4 §. Im Kirchspiel Predöhle jagen sie das Vieh umb den Baum; fol. Sa. sagen, | das es alßden übervoll gedeye; gehen auch mit einem großen Wachs- licht, wie überall breuchlich, vmb den Creutz-Baum vnd reden etzliche wen- dische Worte. soll auch noch täglich ein alter Greiß vor den Baum nieder- knien vnd seine Andacht halten.

5 §. Dieser Baum ist etwa 20. oder mehr Ellen hoch , droben an ist ein höltzern Creutz , über dem Creutz ein Eisernen hauen. Der Stifter dieses Baums soll Carolus Magnus gewest sein ; hette damit der Wenden unbesten- digkeit abbilden wollen. Vnd diejenigen, die nun einen solchen Baum im Dorffe halten, wahren Christen worden ; vnd müste auch dieser Creutz-Baum ein Zeichen sein, ob in dem DorflF Christen oder Wenden wohneten. Daß Creutz bedeutete diejenigen, so beständig an Christum blieben vnd vnter seinem Creutz verharreten. Der Haue aber war ein sinbild der leicht- sinnigen Wenden, die bald zu- bald abtraten vnd sich nach dem Winde keh- reten, eben wie der Haue auff dem Creutz. Etzliche vnter ihnen, die nicht mehr guet Wendisch waren, sagten, daß Creutz bedeutete den gekreutzigten Christum, der Haue die Verleugnung Petri.

6 §. Wan nun Marien Himmelfahrt heran nahet, wehlen sie einen andern Creutzbaum im Holtze auß, gehen an oberwehnten Tag in einem Troupen

fol. 3i>. dem Holtze zu ; die Haußwirte aber | treten apart im holtze von der Com- pagnie auß, Marchiren Gerades weges auff den Baum zu vnd muß ein jedweder von den Haußwirdten seinen absonderlichen Hieb thun, biß der Baum ge- fallet. Nechst diesem legen sie jhn auflf den wagen, decken den Baum mit ihren Oberröcken fein zu, daß man nichts davon sehen kan, fahren also mit frewden nach der stedte zu, wo der vorige gestanden. Hie kombt ein alter Zimmerman der noch guet wendischer Art, hawet ihn mit sonderlichen Cere- monien vierkändtig; darin werden Flocke gleich einer Treppen gestochen. Wans nun Alles fertig, wird er mit großen Frewden Geschrey auffgerichtet, dan so steiget der Schultze im Dorff hienan, setzet den Hauen über das Creutz vnd segnet ihn mit einem glaß Bier ein. Hiebey werden nun an die 10. 12 Tonne Bier versoffen, nach eines jeden Dorflfes Vermügen. Sie geben vor, wo sie solches vnterließen, wolle ihnen kein Vieh gedeyen.

Vnd dieß ist der Creutzbaum.

Ein ander ist nun der Krohnenbaum welcher auff S. Johannis tag auffgericlitet vnd gesetzt wird.

Diß ist ein Weiberbaum, verstehe, weil jhn die weiber hawen, fahren, setzen vndt auffrichten. Hie ist nun kein weib so alt , solte sie auch an den

Beiträge zur Ethnographie der hannoverschen Elbslaven. 115

krücken hangen , die nicht mit hinanß Marchirte oder doch | zum wenigsten fol. 4*. an dem Ohrt, wo der Baum auffgerichtet werden soll, erschiene. Erstlich wird er am Johanni abend in den Marcki sehen Holtze gehawen, alle Zweige abgeklaubet, biß oben an dem poll, daß es einer Krohnen gleichet. Wan nun Johannis tag kompt, nehmen die weiber daß Vorderstell vom wagen, spannen sich selbst davor vnd ziehen also dem Holtze zu. Ilie soll man nun sein wunder sehen , wie sie oift biß an den Leib in den Morast vnd Dreck daherziehen; fahren auch nicht auß der Heerstraße, wan sie schon auch biß an die obren im Dreck und Waßer gehen müsten , sondern bleiben immer im Fuhrwege vnd gehen die starcken jungen beyher vnd singen Frew- den-Lieder aufi" Wendisch, laßen die alten Mütterchens ziehen, daß sie patz wünschen bekommen milchten. So bald sie nun jns Dorflf kommen, geben sie ein Frewdegeschrey, trecken gerades weges zu, wo der alte Krohnenbaum stehet, hawen denselben umb, welchen ein Kätner oder Häußling kauffen vndt den alten Weibern 2 ßl. zu Brantewein geben muß ; wird also mit Frolocken auffgerichtet, mit Kräntzen vnd Blumen behangen, vndt mit Zwolflf Tonnen Bier, ja noch darüber eingesegnet.

Cap. 3.

Von Sauff-Festen der Wenden. fol. 4*».

Die Apostel-Tage werden bey den Wenden in viell ein höhern werth, alß die gewöhnlichen Sontag gehalten. Worumb? Sie sagen: ein jeder Fest- tag kehme des Jahrs nur einmahl , die Sontag aber alle umb den Siebenden tag, vndt also gar oflft, alß wehre auch billig, daß man die Aposteln vnd deren Feste höher hielte, alß die gemeinen Sontage. wird auch ein jeder Festtag gefeyert; Feyren h. e. freßen vndt sauflfen.

2 §. Ein jedes Kirchspiel hat seinen Apostel, vndt dieß so ordentlich, daß jedes Dorff seinen eigen hat. Daß höchste Fest vnter ihnen ist Maria Himmelfahrt. Bißweilen, alß jm Kirchspiel Predöhl hat ein jedes Dorff seinen gewißen Apostel oder Heiligen ; alß der eine feyret Marien Tag , der ander Maria Magdal, Paulus, Petrus, Bartholom, Johan., Mich. etc. Auff diesen Festtagen wird nun zwar woll geprediget , aber die meiste andacht ist sauflfen; sagen öffentlich, wo sie ihre erwehlete Festtage nicht feyreten, daß ist freßen vnd söffen, betten Sie vnd ihr Vieh kein Glück. \ Da gehet fol. 5*, es dan an ein paschalisiren , da muß es gantz außgesoffen sein , vnd meinen diese dürstige vnd naße Bawren: wen sie an ihren erwehleten festagen nichts söffen, würden sie den andern festag nicht erlehben, sondern hie gebet es auff allerheiligen Gesundheit. Hie wirdt kein hoher Fest verschonet, alß etwa Pfingsten, Ostern etc. "• 0 nein: je hoher fest, je mehr Tonnen; vnd dieß gehet flugs am ersten Festage an vndt wehret die gantze AVoche durch. Es be- richtete der Pastor zue Krummahsel, daß in seinem Kirchspiel allein jähr- lich über 200 Tonnen Bier nur an den erwehleten Festagen versoffen würden; waß den noch extraordinär? Die Bawern im Kirchspiel blitz haben ein gantzes Holtz, die Grummode genand, versoffen. Zu Predöhl, wan die

116 A. Vieth,

Capelfeste sind, versamlen sie sich nach endigung der Predigt zum Gesöflf, rauffen vndt schlagen sich hurtig dabei herumb. Jn diesem Kirchspiel sind 12 Capellen vndt jede Capelle hat sein eigenes Fest.

Daß Kirchspiel Trebel hält sich ein wenig ehrbarer, halten gar keine sauff-feste, sondern an dero Stadt sauffen sie alle jähr 2 tonnen Landt- fol. 51». hier. Hiemit gehet es fein | ordentlich zu: Erstlich versamlet sich die gantze Dorffschafft in ihrer Bawerstuben, est locus publicus vndt mitten im DorfFe, vndt tritt der Schultze vor den Tisch, klopfet auff, vndt thut diese rede: Wir sindt nun bey einander, vnser alten gewohnheit nach, daß landtbier zu trincken. Jst nun einer oder ander, er sey auch, wer er wolle, der streit anfanget, soll er vnsern Landes Fürsten zwei Mark vnd dieser Versamlung eine Tonne Landtbier geben, wie es vnsere vorfahren gehabt«. Hierauff bringet der Schultze der gantzen ßawerschaflft gesuudheit. Da gehet es dan an ein Zechelieren, vndt darff keiner davon gehen, bis der Zapff auff den tisch zu liegen kömpt.

Nun wollen wir diese naße Bawren ein wenig ruhen vndt außschlaffen lassen biß Cap. 7 von den Hochzeiten.

Cap. 4.

Von gewißen Tagen.

Jm gantzen Drawey wirdt des Donnerstags vndt Sonnabends nicht ge- arbeitet; darffauch keine Magd spinnen; doch wird der Donnerstag höher gehalten, alß der Sonnabend. An etzlichen orten darff der, so des morgens die schaffe außlest, nicht arbeiten; dieß ist ein gefunden Eßen vor faule Magde.

fol. 6a. Daß Kirchspiel Lüchow weihet ihr Vieh ein am grünen Donnersttag;

geben vor, wan sie ein solches hinterließen, wolle ihnen gar kein Vieh ge- deyen. Zünden auch auff S. Johann-Tag eigene Fewer an, halten aber ihre Sachen sehr heimlich. ist auch allen Wenden verboten, in gegenwart der Geistlichen kein wort wendisch zu sprechen.

Im Kirchspiel Bergen halten sie M. Magdalen sehr heilig, weil ein- sten das wetter den tag in einen Hewhauffen geschlagen, der an dem tage zusammengebracht worden. Nun meinen Sie, M. Magdalena sey eine Rä- cherin, vndt wo sie den Tag ihr Abwehren nicht feyreten, müsten Sie wieder gestraffet werden.

Die zu Riebzan? vnd Gülden, im Ambt Hitzger wollen auch an eben dem tage nicht arbeiten, weil es ihrer außsage nach ein vnglücklicher tag sein soll ; vndt wehren jhnen vor alters her daß Korn auff Marien-Magda- lenen tag abgehagelt.

Die zu Schnega begießen alle quartall die vier Ecken des Hauses mit Bier oder Brantewein, wie überall im gantzen Drawey geschiehet; meinen, also wehre ihr Hauß vor Vnglück befreyet. Sollen auch , wen sie einen

fol. 6b. Brunnen reinigen, eine tonne Bier auff legen vnd, wen daß vnreine | waßer außgezogen, gießen sie von dem Bier waß wieder hinein in den Brunnen;

Beiträge zur Ethnographie der hannoverschen Eibslaven. 117

mit dem ersten waßer, daß sich wieder findet, füllen Sie die Tonne wieder vndt sauffen also lustig darauff loß.

An etzlichen Orten, alß vornehmlich im Ambt Dannenberg jagen sie einen Hauen, biß er gantz ermüdet; hernach schlagen sie todt, kochen vndt verzehren ihn. bekombt aber jedweder im gantzen Dorlf etwaß da- von, darff auch vnter der Mahlzeit niemand auß dem Dorffe gehen. wird auch ein groß brodt gebacken, da auch jedweder eine Scheibe oder stück bekombt.

Daß Kirchspiel Rosche, welches Lüneburgisch vor diesem schon gewesen, ist auch mit lauter Wenden beseßen. Da haben etzliche Dorffer diese gevvohnheit: daß sie jährlich an gewißen tagen einen Bock schlachten vndt opfern ; der Bock wird ein gantzes Jahr darzu gemästet. Noch newlich hat ein Junckerndorff diese gewohnheit begehen wollen vnd derowegen beim Junkern vmb Zulaßung des Opfers gebeten. Der Juncker aber hat ihnen gar nicht zu willen sein wollen, sondern expresse verboten, bey Vermeidung hoher straffe, den Bock nicht zuschlachten. Die Bawren hiran nicht groß kehrend | sagten, wo sie es unterließen, müste all ihr Vieh sterben. Da dan fol. T». deß Junckers seiues auch nicht frey sein würde, möchte er also woll bedenken, waß er thäte vnd was solcher werte mehr. Der Juncker aber befielt bey Ver- meidung ihrer Haab vnd güeter. einzuhalten, womit die Bawren wieder ihren willen friedlich sein müssen. Aber waß geschiehet? Kaum bricht der tag an, da kommen die Bawren in vollen Sprüngen, ruffen vndt schreyen, der Juncker müße es verstatten, weil alle schaff im Dorffe, außgenommen des Junckern ßeine, hüncken vndt auff drey Beinen gingen. Der Juncker aber last noch einen schärffern Befehl ergehen, einzuhalten ; worauff dan die Baw- ren murrend davon gangen. Den andern morgen aber gehen die schaffe auff allen Vieren wieder; sollen anitzo beßer gedeyen, wie vorhin.

Cap. 5. Vom Bawerrecht.

Wenn eine Braut oder Breutigam in ein ander Dorff freyet, müßen sie der Dorffschafft Pegniz spendiren, seind 8 oder 9 Tonnen Bier, damit sie im Dorffe angenommen werden. Vndt muß die Braudt | mit dem Breutigamb vmb fol. T^, die Bawerstube, wie auch vmb den Creutzbaum dantzen. Daß erstgebohrne Kind muß eben so viel geben.

Vnd dieß nennen sie Bawerrecht.

Cap. 6.

Von Züchtmeistern.

Haben auch einige anmercker auß der Bawerschafft erkohren ; die müßen acht haben, daß keiner am Sonn- oder Festtage arbeite; diese nennen Sie Zuchtmeister. Jst nun einer, der dieses gebott übertritt, wird er von dem Zuchtmeister gestraffet mit einer gantzen oder halben Tonnen Bier, welches

118 A. Vieth,

sie auflf Michaeli versauflfen. dieß nennen sie Collecten-Bier. Will der Verbrecher nicht geben, wird er außgepfandet; daß Bier muß er helffen auß- sauflfen; will er nicht mitsauflfen oder sawer zusiehet, nehmen sie j hm beym Kopflf, vndt muß ein jeder Bawer ihn mit der dicken faust in die Rippen schlagen, daß es Jammer zusehen; vndt darff nicht ehe davon gehen, biß daß Bier auß ist.

fol, 8a. Cap. 7.

Von Hochzeiten.

Im gantzen Drawey werden acht tage hochzeit gehalten; fangen am Sontag an vnd endigen die hochzeiten wieder am Sontag, vnd muß alles auflf- gefreßen vnd außgesoflfen sein, waß dazu eingekaufft. gehen auch gar wenig Persohnen mit dem Breutigam oder Braut in die Kirchen; bleiben all beym Fewer sitzen vndt zechelieren lustig herumb. Kommen schon etzliche, sind sie doch mit dem Breutigamb so doli und voll, daß sie nicht stehen kön- nen, wie den noch newlich zu Bulitz ein Breutigam sich so voll gesoffen, daß er vorm Altar niedergefallen.

Zu B ulitz werden Braut und Breutigamb mit Büchßen vndt Röhren in die Kirche vndt vmb den Altar begleitet; vndt wen sie auß der Kirchen kom- men, geben sie salve auflfm Kirchhoflfe, wobey mannich mahl groß Vngliick vorgehet, daß auch noch letzt ein junge zu Todte geschoßen vndt zwey ver- wundet worden. Zu Clentz, wie auch mehrer wegen ist diese gewohn- fol. 8b, heit: Wan die Braut wieder auß der Kirchen kömbt, | Empfängt sie eine Fraw vor der Haußthür, die zwischen ihren Fingern 4 brennende Liechter hält; vnter der Haußsch welle ligt eine Axt mit stroh bedecket, worüber die Braut gehen muß. Vndt wird also von der Frawen mit den Lichtern im gantzen Hause herumb begleitet, alß |in Ställe, Stuben, Kammern etc. Vndt zuletzt drey mahl vmb den Fewerherdt. Soll bedeuten guet Glück. Singen auch viel Wendische Lieder, wen die Braut eingehoelet wirdt.

Zu Predöhl, wie auch mehrer wegen fast überall kommen die Gäste des Sontags vndt am Dienstag geschiehet erst die Copulation.

Jm Kirchspiel Wustro halten sie biß in den 9ten Tag Hochzeit. Die Gäste nehmen anstadt der Vorehrung ein halb Rind, paar Hämel, andere ein Schwein, Kalb, etzliche 2 oder 3 tonnen Bier; dieß alles packen sie auff fol. 9^. einen wagen, legen | die Bette Oben auflf, da sie die Hochzeit über auff liegen, gehen nicht ehe von einander, biß alles verzehret jst. Vndt gehet daß Freßen vndt sauffen Tag vndt nacht fort ; haben sie sich einmahl voll gesoffen, krie- gen sie flugs die Bette her; da liegt bald ein Weib, da ein Kerl, dort einMäd- gen vndt dabey ein Knecht; der eine koltzet, der ander schreyet; haben sich, wie die Schweine. Jst zu betawern.

Cap. 8.

Von Schwangern, Bademüttern und Kranchen. Im Gantzen Drawey haben sie überall keine beeidigte Bademütter, brauchen dazu, wen sie wollen; bißweilen laßen sich schwangere selbst zu

Beiträge zur Ethnographie der hannoverschen Eibslaven. 119

gebrauclien. Etzliche haben auch gar keine Bademütter, noch sonst jemandt bey sich in der gebührt. Sindt harte Weiber, gehen innerhalb 2 oder 3 Tagen wieder auß. Newiich hat noch eine Fraw zu Bülitz einen schüpfel gersten nach dem Felde getragen vndt vnterm Baum ohne jemands Beysein einen jungen Sohn bekommen, | denselben in die Schürtze genommen vndt hauß zu fol. 9b. marchiret. Sonst sind sie auch recht abergläubisch bey der gebührt , haben allerhandt Fantasey vndt aberglauben. Newiich hat sichs noch begeben, daß eine Frawe in den Wochen kömpt vndt eines Kindes geneust; wie daß Kindt gebühren, fraget die Hebamme der Kindbetterin, ob die Geister noch nicht kommen solten. Waß, spricht die Fraw, Geister? Ich weiß von keine Gei- ster, alß nur von dem einigen Heiligen Geist, der zugleich mit dem Vater vndt Sohn ewiger Wahrhafftiger Gott ist; vnd ihr saget noch von vielen? Ja, sagt die Bademutter, jetzt sollen sie kommen, ewer mann kennet sie gar woll. Gehet damit hinauß vndt bringet Sieben kleine Mänlein herein , alle einer Länge, aber nicht einerley Kleidung ; der eine hatte einen Besen auflf seiner schulter gehabt vndt war gantz schwartzer Kleidung gewesen. Dieser, sagt die Bademutter, soll bleiben vndt alles fein außkehren, biß der Mann kömpt, I damit mir nichts möge entgehen.« Waß diß gemeinet sey, mihi fol. 10». ignotum est.

In der Ober-Draweyschafft kombt auch eine Fraw darnieder vndt gebähret ohne jemandes Beysein einen Sohn. Wie nun der Man zu hause kömpt, findet er sein hauß vermehret, daß Kind aber seiner Meinung nach sehr schwach; hie weiß er nicht, waß er thun soll, kan so bald keinen Pre- diger haben, der die Tauffe hette verrichten mögen. Er nimbt selber daß Kindt vnd Täuflfet es. Ey mein wie machte ers dan ? gar poßierlich. Er tauifet es im nahmen des Vaters vnd H. Geistes vndt last Gott den Sohn auß. Nach endigung der Tauffe deucht jhm gleichwoU es nicht recht getroffen zu haben, eilet demnach zum Pastori, mit nehmend seinen söhn vndt ein kalb; wie er hinkömpt zum Pastori , muß sein sobn mit dem kalbe außen warten. Er er- zehlet dem Pastori alles ordentlich, wie es zugangen. Nun fähet der Pastor an: »Saget mir doch, wie habt ihrgetaufft?« | Ja, Herr, daß will ich gerne fol. lO^». thun, sagt der Bawr. Ich sagte: »Ich tauffe dir im nahmen des Vaters vndt Heiligen Geistes«. »Wo last ihr dan den Sohn hin?« sagte der Pastor. Der Bawr: »Herr, er stehet vor der Thür vndt hat kalb; daß soll der Herr haben«. 0 quanta Simplicitas !

Selten wird vor krancke vndt Schwangere gebeten. Die im Kirch- spiel Krumm absei meinen, es sey ihnen Schimpflich, nennen es abcantz- len, halten es einander für; sagen: je hestie dusi soh mitse gatse gedunse dasi dus effcsti abscantzeln laßi, je hastu es mit Gott so gemacht, daß du dich must abcantzeln laßen. Meinen, Gott hette den vor allen ander gestrafft, der vor sich bitten ließe.

Die im Kirchspiel Clentz sagen: Vor sich bitten laßen, stünde bloß vndt allein vornehmen Leuten an.

120 A. Vietb,

Cap. 9. Von Begrähnüß.

fol. 113^. Im Kirchspiel Clentz, wie auch an mehr Ohrten wirdt, | wen einer

stirbt, geleutet; Wen daß Sarch verfertiget vndt der Leichnam eingeleget wirdt, wieder geleutet, vndt dan drittens, wan die beerdigung ist, wieder drey puls. Vor diesem sind die Todten ahu gesang vnd klang begraben wor- den. — Wen der Todte außgetragen wird, machen sie die Haußthür zu vndt werffen sein warm Bierstopflf hinter nach , Gießen auch den Todten Leich- namb Bier auff dem Kopff, Brust vndt Füßen. Den andern morgen gießen sie wieder waß äff daß Grab. Wen der Todte beerdiget ist, gehen sie nach der Bawrstube vndt beten ein Vater Vnser ; hernach sauffen sie sich doli vndt voll.

Wan nun alles außgesoffen, kehren sie die letzte Tonne vmb, daß sie auffricht zu stehen kömpt, setzen 2 Lichter darauff, ein Glaß Bier vndt eine Semmel. Damit gehen sie zur Baurstuben hienauß vndt verschließen die. Hie soll nun daß seelchen kommen vndt zum letzten mahl noch eßen vndt einen Trunck thuen. fol. 11^. Dieß geschiehet im gantzeu Drawey, vornehmlich aber im Kirchspiel

Bülitz. Sie bekanten auch öffentlich, wen sie des morgens wieder hinein kehmen, welire etwas davon gegeßen vnd getruncken.

In etzlichen Dürffern in der Vnter-Draweyschafft heben sie die Hauß- schwelle auff vndt ziehen daß Sarch mit dem Leichnamb vnten durch, damit, wen er etwa geitzig gewesen, daß guet mit weg Geitze.

Wan zu Cüsten einer gestorben vmb den Abend, muß er flugs den tag darauff nach dem Hanenschrey vmb mittag begraben werden; diß ist an mehr Orten üblich.

An etlichen Orten, alß in Lüchowischer inspeetion wird im gan- tzen Dorff nicht gearbeitet, so lange ein Todter vber der erden stehet, vndt muß so fort den andern Tag die Begräbnüß sein.

wird auch überall im gantzen Drawey denen, die der Leiche folgen, fol. 12a. eine Tonne Bier gegeben. | Ist nun etwa einer, der sie nicht geben kan, will ihn niemand folgen, wie dan noch neulich zu Bülitz ein Sohn seinen eigenen Vater einscharren müßen.

Im Kirchspiel Waltersdorff wird der Todte auf einen Wagen ge- setzt; da dan einer eine handt voll stroh anzündet vndt den Pferden vorwirfft, worüber sie gehen müßen. Auch setzen sich zwey Weiber auff dem Wagen, an jedweder seite des sarcks eine, behangen sieh mit einem Laken, heulen vnd schreyen gar jämmerlich auff wendisch.

Im Kirchspiel Bülitz halten sie 4 Wochen mahl; da den nach der Predigt erst die personalia des vor 4 Wochen begrabenen Leichuambs abge- lesen werden, da den die freunde auch opfern vndt beym Altar 5 Wachslich- ter anzünden. Nach geendigter Predigt halten sie ein sauffmahl. Der Tag der Beerdigung wird gefeyret, darff niemandt arbeiten. sufficit !

Beiträge zur Ethnographie der hannoverschen Elbslaven. 121

Cap. 10. Voti der JVe7ide7i Leben ins gemein, fol. I2b.

Ihr Leben ins gemein betreffend so hat Vnß daß Vorhergehende zur gnüge erwiesen vndt vor äugen gestolt, wie liederlich sie in den Tag hienein leben. Ihre gröste weldtliist ist freßen und sauffcn: Mit freßen und sauffen werden sie gebohren, in freßen vndt sauffen werden sie erzogen, Freßen vnd sauffen ist ihr alles all, biß sie mit freßen vndt sauffen in die schwartze erde verscharret werden ; Endtlich ist freßen vnd sauffen ihr erstes, ihr Letztes, ihr alles Bestes.

Waß soll jch sagen von ihrer Gottesfurcht, Andacht, Glauben etc.? 0 Gott, wie eine Große einfalt findet man hie. Die meisten von den Alten wißen warlich nicht, wie viel Götter, wollen auch ihre Kinder | nichts lehren, fol. 13*. damit es die noch wißen möchten. Nein, sondern sie sagen: »Ihre Eltern hetten ihnen nichts lernen laßen , hetten doch damahls mehr Brodt gehabt, dan jetzt, da sie ihren Kindern mit gewalt waß lernen laßen müßen. Obs nicht beßer wehre: Nichts lernen vnd satt haben, alß viel lernen vnd doch nichts haben, maßen auch die meisten ihre Kinder nicht ehe, alß von zwolff Jahren in die schule schicken vnd im 14. wieder herausnehmen. Deßen ein Exempel. Im Kirchspiel Kr ummahsel pfarren z wein Leute ein; einer Nahmens Hanß Brüting, der ander Jürgen Schulte. Diese wolten ihre Kinder durchauß nicht in die schule schicken, weßwegen sie dan vorgefordert vnd zu rede gesetzt würden. »Ey«, hub Hanß Brütiüg an, »soll mein söhn noch in die schule gehen, er soll freyen. würden ja die andern Jungens ihn nur außlachen, vndt dan würde es ohne schlage nicht abgehen«. Wie er gefraget wurde, | wie fol. 13b. alt sein söhn vndt die Braut wehren, gab er zur Andwort: Mein Sohn ist anitzo 14 Jahr alt, die Braut 13. Diß mag woU heißen: Jung gefreyet, hat niemand gerewet. Aber wens nur recht getroffen ist! berichtete der Schulmeister, daß der Bräutigamb kaum 4 Wochen in die Schule gangen, kunte weder lesen noch beten. Der ander gab vor , sein Sohn wehre noch zu klein, vnd ein Kind könte ja nichts faßen noch behalten, wehre jetzt erst 10. Jahr alt.

Die Schulmeister haben gar schlechte accommoditaet, ja sogar, daß ein Schwein- oder Kuhhirte in viel ein hühern wehrt ist, alß ein Schulmeister. Werden sie befraget vmb die Vhrsache, jst dieß die richtige Antword: »Einen Hirten, wolten sie ihr Vieh nicht verschmachten laßen, müßen sie notwendig haben. Ein Schuelmeister aberwehre so nötig nicht; Kinder konten ohne | dem fol. 14*. woll leben«. Vnter deß muß der Schulmeister Miseriam Schmeltzen vndt kan daßjenige, waß er schon vor etzlichen Jahren verdienet, nicht einmahl be- kommen.

Sonst ist auch daß stehlen sehr bey ihnen gemein; Ein Nachbar verscho- net den andern nicht. Wie den noch newlich dem Pastori zu Bülitz von einem seiner Beichtkinder zwo schaffe verehret worden. wehrt nicht lange dar- nacli, so kombt derselbe, der die Schaffe verehret, vnd nimbt seine zwo schaffe

122 A.Vieth,

mit noch zwo andern weg. Pastor wüste es woll , dörifte aber nichts davon reden, noch denselben, der es gethaen, zu rede stellen.

ist auch daß Viehböten bey ihnen sehr gemein, wen etwa ein Böß- auge, wie sie sprechen, beym Viehe gewesen. Böten oder segnen es mit nach- gesetzten Worten : fol. 14^. Twe ogen efft Di beseen

Dre ogen scolt dy weer guts seen. im nahmen V. S. vndt heil. Geist. Vnd dieß sind , so die vornehmbste puncten , welche jch bey der Gen : Visitation gemercket. Bitte der H. M. wolle dieses hochgeneigt vorlieb vndt willen nehmen, vndt mein stets geneigter hoher Patron verbleiben. Zelle d. 26. Febr. Ao. 1672.

III.

fol. 15a. Yerzeichnifs einiger Posten des AbergläuMschen Wesens der Land- und auch vieler Stadtleute.

Wenn sie in der Saat- Zeit das erste Mahl wollen Saat aus dem Hause zu Felde tragen, leihen sie denselben Tag nicht alleiue nichts aus ihrem Hause, sondern gtben auch keine allmoßen. E.g. Asmuß von Wähningen hat einst wegen anderer Ursachen pfänden wollen in Biirtels Hause zu G leb er; da hat die alte Barteische gebeten, er möchte es doch wegen obgesezter Saat-Ursache den Tag nicht thun, damit selbigen Tages nichts aus dem Hause getragen würde.

Auf S. Johannis abend stecken sie Ellenlaub ins Flachs; soll gut seyn für den Meelthau. Item gegen eben diesen Abend stecken sie in den Buch- weitzen Sprötzen-Reiser.

Wenn nach dem Winter die Hake das erste Mahl wieder zu Felde soll, beräuchern sie die Ochsen. Vor dem Winter muß nichts Haken, Eggen oder andern Dingen im Felde bleiben, sondern alles vor dem Christ-Abend zu Hause gebracht werden.

Am Christ-Abend hauen sie eine junge Heister und legen die von der Zeit biß zu H. 3 Könige, alß den sogenandten Zwölften, alle Tage ein wenig ins Feuer; das nennen sie den Christbrand. Wenn es nun nachgehends donnert, legen sie allemahl diesen Brand ans Feuer, so soll das Wetter keinen Schaden thun.

In der Neuen-Jahrs Nacht binden sie umb die Bäume ein Stroh-Seil; das nennen sie: verneuen. Etliche, wenn zur Leichen geläutet wird, steigen auf die Bäume und schüldeln sie ; andere stecken Geld zwischen die Boreken. Soll alles helfi"en, das sie woll tragen. fol. 15b. Etliche haben den Donnerstag in der Pfingstwoche |: alß Gleber,

Schepingen etc. :| andere auf Johannis Tag |:alß Mollen etc. :| ihrBrunnen- beschencken: Die brunnen werden erst gereiniget durch Frauens und Dirne; hernach steiget eine Dirne hinein, feget und reiniget noch weiter; Oben umb den Schling werden 3 mahl Hopfen-Rancken gezogen ; die Dirne, so eine reine

Beiträge zur Ethnographie der hannoverschen Eibslaven. 1 23

Jungfer seyn muß, stecket Inwendig auf vier Ecken einen Ruckelbusch; dar- auf wird eine Kanne hier dreingegoßen, so die erste aus der Tonne sein muß. Den gantzen Nachmittag muß das Vieh in den Stellen bleiben und nicht aus- getrieben werden, sondern feyren; daher ob es gleich Vormittages auf dem Felde weidet, wird es doch gegen Mittag eii getrieben.

Einige, wenn sie einen Unglücksfall im Hause haben, werflfen sie Geld in den Brunnen und opfern demselben zur Versöhnung.

Einige haben einen gewißen Tag angelobet, an welchem sie gewiße Steten im Hause oder in den Ställen mit Bier beschencken.

Einige wollen ann Donnerstagen nicht spinnen noch die Ställe aufmisten.

Zu Darendorf soll ein Creutz-weg seyn, welchen die dasigen zu ge- wißer Zeit beschencken.

Vor wenig Jahren lebte im Schnegischen Kirchspiel ein Weib, die alte Kramersche genandt, welche gesagt, sie hätte Betken zu Billerbeck aufgeholflfeu ; alß sie gefraget, wie denn? Rp.: Sie nehme von allerley ge- treyde, Rogken, Gersten, Habern etc. etwas, vermische es und vergrabe da- von hin und wieder im Hause etc.

Wenn eine Kindbetterin einen sehe , der einen Todschlag begangen, oder wenn sie auch über seine Fußtapfen gehe, werde sie todt krank; wolle sie derowegen dieses letztere ohne Schaden thun, nemblich über solche Fiiß- tapfen gehen, müße sie ein bloßes Messer in die Hand nehmen.

Bey Malsleben ist ein großer Stein, in welchem ein Menschen Fustapf fol. 16*. zusehen, von welchem die Malslebischen feste halten, das ihn Christus einge- treten, alß Er gen Himmel gefahren; daher sie angelobet, jährlich auf Him- melfahrts-Tag diesem Stein zu ehren bey selbigen eine Tonne bier außzusauf- fen; vor diesem haben sie mehr gesoffen.

Auf Lichtmeßen-Tag muß das Vieh überall nicht aus dem Stalle ge- laßen werden.

Jn dem Jasebeckschen Kirchspiel zu Pleßau ist ein Weib gewesen |:wird in diesem punct ihres gleichen mehr haben :| welche, wenn ein todter begraben, hat sie von dem Grabe Erde gefreßen |: andere nehmen davon im Tuche mit sich:| so soll ihr vor dem verstorbenen nicht grauen.

Alß ich einst mit dem alten Schulzen von Lötze |:lut. Kirchen-juraten:] nach gezogenem Winter-Zehenden von Niendorff unter starcken Donner- und Regenwetter zu hause gieng, fragte er mich, Ob dem so wäre, das die leute |: sich selbst wolte er nicht mit nennen :| sagten: wenn es wetterte, hielte sich der Teuffei unter den bäumen auf; darumb schlüge das Wetter nach ihm? Alß ich ihm nun diesen Aberglauben benehmen wolte, replicirte er dennoch: die leute hätten gleichwoU bißweilen den Teuffei unter wehrendem Gewitter umb die bäume gesehen herumblauffen, bald wie ein Hund, bald in anderer Gestalt etc.

Da mir nach Gottes willen ein kleines Söhnlein abgestorben, und einige Wochen nachher auch ein Kalb hingefallen, ist die Köstersche, da sie mit mei- ner Frauen davon geredet, in diese Wortte herausgebrochen : Ja, lieber Gott, es muß ja allemahl so seyn, das, wenn jemandt aus einem hause verstirbet, der- selbe seinen Seegen mit weg nehme; alß meine gefragt, was das für Rede?

124 A. Vieth,

Kp.: Ja, die Leute halten es gewiß, wenn einer sterbe, nehme er seinen Seegen mit, und folge daher gemeiniglich noch ander Unglück.

Wenn die Sau offte verwirfft, oder auch eine Frau nicht behält, muß man nur die Speise |: insonderheit wozu bisweilen eine Frau besonderu appetit hat:| durch einen Dreyfuß legen, und von unten wieder durchnehmen. Wel- fol. 16b. ches abergläubische Mittel von und an derselben verübet | zu seyn erfahren, bey welcher es nicht vermuthet, nemblich H. Koven |: Gerichts-Verwalters zu Schnege:] seiner alten haushälterin Marien, welche es |:qvasi re benegesta:| meiner Frauen in meiner Gegenwarth selbst erzehlet, auch hinzugethan, daß sie es dieser Tagen an einer übel berüchtigten Magd practiciret, alß sie von derselben umb ein Paar Äpfel angesprochen; welche sie ihr auch gegeben, vorher aber drey Mahl durch den Dreyfuß heimlich geworffen und gedacht, wo nun gleichwoU was an dem Gerücht, solte sichs nicht verlieren. Eben diese hat es gleichfals kurtz vorher an H. Bülouen |: Verwalters zu Cor- vin:| seiner Frau practicirt, welche in etlichen 7 Jahren nicht concipiret. Alß sie nun neulicher Zeit (an. 1691) nebst ihrem Manne, wie auch mir und uxore bey dem H. Koven zu Schnega zu Gaste und sich mercken laßen, alß hätte sie zu Fischen und Salat lust, hat obbesagtes alte abergläubische Weib solche nebst andern Gerichten zubereitet und, alß es in den Schüßeln ange- richtet, vorher, ehe sie es zu Tische bringen laßen, durch einen großen Drey- fuß gesetzet. Weil nun kurtz darauf die Bülouische mit einem Ehe-Seegen begnadiget, ist starck vermuthlich , es werde das alte Weib in ihrem aber- glauben sehr gestärcket seyn.

Einige geben vor, an dem Tage, da man zum H. Abendmahl gehe, müße

man ja nicht ins Feuer blasen ; jtem man müße nothwendig Eier-Suppe eßen.

j Wenn der Frediger das Evangelium in der Kirchen verlese, müße man

sich ja nicht umbsehen ; wer es thue, könne die gantze Woche das junge Vieh

versehen, wie solche Abergläubische reden.

Wenn der vor der leiche hergehende Prediger sich umbsehe, indem die leiche aus dem Hause getragen wird, werde bald noch eine andere folgen.

Wenn eins von denen Altar-lichtern von selbst ausgehe, werde bald ein Prediger solcher Gemeinde absterben.

Wenn ein Kind zur Tauflfe gebracht wird, rathen abergläubische Bade- fol. 17a, mütter der Kindbetterin, sie solle unter wehrender TauflFhande|lung an die Ortter gehen, da sie am nöthigsten zu verrichten, alß in Küchen, Keller, Bo- den etc., so werde sie auch nachgehends, so lange sie im Kindbette, ohne Ge- fahr dahin gehen können.

Wenn ein patient im Hause berichtet wird, geben abergläubische Acht, ob der Prediger mit dem rechten oder lincken Fuß erst ins Hauß trete : gehet er weg, so löschen sie das licht aus, welches vnter adminstr. d. coen. gebrandt, und geben Acht, ob sich der Rauch des ausgelöscheten Lichtes zertheile oder dem weggehenden Prediger nachfahre; bey beyden Anmerckungen halten sie das erste gut, das ander böse. |:Das Licht auslöschen habe selbst erfahren und daher Gelegenheit genommen , das es allemahl selbst ausgelöschet oder durch den Köster hinaustragen und auslöschen laßen :|.

AbergläubischeBademütter rathen denen Kindbetterinnen, so offt jemand

Beiträge zur Ethnographie der hannoverschen Elbslaven. 125

zu ihnen käme, solten sie alleniahl bey sich selber sagen: Schehn'.Hure! Dieb! so werde es ihnen nicht schaden, da sie sonst müsten kranck werden. Alß dieses praepositus Reinbecker in beyseyn des Ambtmans Schlüters Frau erzehlete, fügete diese hinzu: Alß sie noch zur Harburg gewesen, sey eine im Kindbette liegende Pastorin durch die Stimme eines Soldaten, alß der ein Tönnichen Heering ins haus getragen, und von dem bekand gewesen, das er zweene Mord verübet, dergestalt erschrecket, das sie schwerlich kranck, ja gantz rasend worden. Da hätten sie warmes Bier in des Soldaten Hand gegossen und der Kindbetterin vorgehalten auszutrincken; alß sie aber das aus des Kerls Hand nicht nehmen wollen, hätte man selbiges, ihr un- wißend , mit andern Bier vermischet und ein warme Bier davon gemacht, welches alß sie es geßen, sey sie wieder zurechte kommen.

Man müße, sagen abergläubische, ja keine Träume erzehlen, biß man geßen, sonst wo sie böse, würden sie erfüllet (Qvae superstitio valde placebat D. Munt. ex. (?)).

Jam dicta |:weil sie vor diesem einen Adel. Ambtmann auffm lande ge- fol. 17^. habt, und bey solcher gelegenheit, alß ein junges Mensch, ihr von denen alten Vorwercks-Meyerschen allerhand abergl. dinge einflößen laßen, :j etiam ap- probat, das wen eine trächtige Kuh nicht solle zur Mittennacht kalben, müße sie das letzte Mahl vorher an einem Sonntage Morgens gemolcken werden.

jtem. Jn den Zwölflfen müße man keine Erbsen eßen, wiedrigen Falß werde man das Jahr mit Geschwür geplaget werden.

jt. wenn eine Kuh bullete, nicht aber behielte, müste man ihr nur den untern Saum von einem Mannes hembde ümb die Hörner binden , so be- hielte sie.

Einige misten ihre Viehställe nicht in den sogenandten Zwölffen |:ni fallor, aus Furcht, der Wolff möchte ihr Vieh zerreißen :| schaffen demnach vor Weijnachten allen mist heraus, wovon mir gesagt, das ihrer viele auch in Lüchow behafftet; jtem mit vermischten Bier und Brantwein alle vier Ecken oder Winckel der Ställe zu begießen.

Einige halten, wenn sich es mit einem patienten auf einen Sonntag oder Donnerstag beßere, sey nicht gut.

Einst hat eine andere Frau die alte Krumdiek'sche in Lüchow |:Rect. Bluhmenthal's Schwiegermutter:] besucht, und wie sie eines butterfaßes ge- wahr worden, gefragt : Sie würde nun ihre Kälber nicht mehr bei den Kühen haben? Rp.: Nein, sie wären verkaufft, und hätte sie zwar noch nicht viel Room gehabt, doch weil es heute Frey tag, wäre ihre Tochter |: die Rectorin :| zu ihr kommen und hätte sie erinnert, sie müste ja heute buttern, weil es nach abgesetzten Kälbern das erste Mahl etc.« Die besuchende spricht: Sie möch- ten doch solchen Aberglauben fahren laßen, weil ja ein Tag so gut alß der andere etc. »Nein«, erwiederte die besuchte, »wenn die Kälber von den Kühen abgesetzet, sey es sehr gut, das man das erste Mahl ai'f einen Freytag buttere, so | können die bösen Leute hernach daran keinen Schaden thun. |:da- fol. 18*. her auch zweifelsfrey, weil der Mutter Butterfaß eben nicht zurechte, die Tochter das ihre hingebracht, damit ja der Aberglaube nicht möchte behin-

126 A. Vieth,

dert werden:]. Die besuchende fraget weiter, Ob sie sieh denn dafür fürchte? E,p. Ja, sie hätte schon einst vor dießem, da sie noch auf dem Raths-Keller gewohnet, erfahren, das ihr alle Milch eine lange Zeit gantz blau gewesen, vnd sie gantz keinen Roem davon haben können.

Als An. 1710 Mens. Jan. Adv. Heinen (olim Adv. Munters?) uxor eine junge Tochter gebohren, befielet sie der Bademutter , des Kindes Hände v. Füße in kalt waßer zu stecken, so wäre es für Frost befreyet.

IV.

Das deutsch- wendische Wortverzeicliniss.

Vorbemerkung. Diese Abschrift ist eine getreue Copie des Originals. Jede Seite des Wörterverzeichnisses dasselbe beginnt auf fol. i S^ der Handschrift ist in 3 Spalten getheilt; das deutsche Wort ist deutsch, das slavische lateinisch geschrieben, zwischen beiden steht ein Komma, das ist aber fortgelassen. Nur an zwei Stellen sind Verbesse- rungen vorgenommen, die hier hervorgehoben werden sollen; beide Stellen scheinen durch Verschreiben, vielleicht aus einer Vorlage, ver- anlasst zu sein :

1. fol. Id^. ))©in alter Warm Stora . . . tschariol«. An Stelle der 3 Punkte stehen im Original 3 Wörter, welche dick durchstrichen sind; von diesen sind nur die grösseren Buchstaben S, B, b einigermassen zu erkennen, so dass es wahrscheinlich ist, dass die folgenden Wörter des Originals : Seina oder Bobo dort gestanden haben.

2. fol. 19^. ))®a§ 93Iut karoi«. Das r in karoi scheint aus einem V (kavoi) verbessert zu sein.

Die Silbentrennung ist bisvs^eilen im Original nicht deutlich zu er- kennen, so dass es möglich ist, dass bisweilen aus einem Wort zwei Wörter gemacht sein können und umgekehrt, besonders kann das der Fall sein bei Wörtern, in denen ein w vorkommt, da dieses im Original stets W geschrieben ist, und es nicht zu erkennen war, ob es ein grosses oder kleines w sein sollte.

A. V.

Beiträge zur Ethnographie der hannoverschen Elbslaven. 127

Diese Passagen habe tempore officii Scimeg. et Lüch. mit der Zeit angemercket. fol. 18». Vocah. et Phras. Vandal.

®Dtt Büsatzi ©Uten Jaij Dreis biick2 2Bo 30t;etif)V bin Gums hen?3 eure ®cfunt-(}cit Thiol* ©ropcn 35ancf Dansko» 2öat^ madjet ibr Zilt et jeu-

tes'?6 ^abt i^r woU gef(^Iaffcn? Sa

pol gout?'' ein lifd) Teisko« ßin ?i(^t Suecia9 ginü)le§cr Nüsio (5inc ®abcl Gobel »i ein Scüer Taleeri"^ ein ©tucl Steil « ©al^ Sugli«

<Pfcffct Papreyi' epig Soreyiß Cd Olajat' ginc gebor perli ^^ Sin Sud) Biicwoii9 ein SRocf Rock 20 ■pofcn Bruchusa 20 Strümpfe Netnusa^o 8ct)ue Zriwei^i ein $ut Klubuc'-2 ein |>embb Kortal20 ein ^alftud) Nastic23 2)er Äopf Knepoi24 J)er Qtrm Runca^ä S)ic ^anb Fängst 26 SDcr ginget poletz2"

SDa« Sein Nika2ä

2)er @d}cnctel Dikemanse29

2)cr podex Peisda^o

Daö 5luge Witseisi

©er 3a^n Sumboi^^

^le'ffiöngen Zelii33

I)era}Junb Weisda3*

Salat Salot35

ein Dd)fe Walluk36

Dc^[en=glcifcl} Mangsei 3^

2)ac! (£cl)it>ein Spetchaiss

S)et ^amel Omeisa

S)aö ©djaaf Woizia^o

3)ie Äu^ Kurwu^i

35er «öuü Bola42

SaÖÄalb Tilan, Tilantei*»

Anmerkung. Die hier folgenden Anmerkungen verweisen auf das Wort- verzeichniss Pfeffinger's (auf Capitel und Seitenzahl), nach der Ausgabe Eccard's (1711) und auf die polab. Grammatik Schleicher's. Wo Pfeffinger's Text mit dem hier gegebenen übereinstimmt, wird er in der Anmerkung nicht wiederholt. V.J.

1) Pf cap. 1 p. 275, Schi. 185. 5. 2) pf. c. 20 p. 304: Treis büc, Schi. 286

(dreuz büg). 3) pf. ^j.^ c. 17 p. 300: küras is en haid, Schi. 135. 1, 298. 16. <; Pf. C.20 p. 303: Tfioöl, Schi. 19. 21, 145. 22: dol (?). 5) pf. 20 p. 304: Danfko (Sabü- gome), als Fremdwort dunkel. 6) pf. 20. 304, Schi. 250. 22 : züte tjeutes (cig k'eutis?). 7) Pf. ib. fapool güut, Schi. 29. 7 u. ö. 8) pf. c. 15 p. 295, Schi. 95. 13: daiskö. 9) Pf. ib., Schi. 91. 19. 10) pf. ib., Schi. 59. 31. ") Pf. ib. 12) pf. Jb. taleer. Sohl. 224. 31. 13) Pf. ib. 296 Steyl. '*) Pf c. 7 p. 286 Sugli, Schi. 46. 23, 79. 30 :

Süll ('?). 15) Pf ib. paprey. i«) Pf. ib. Saurey, Schi. 240. 24. !■?) Pf. ib.,

Schi. 06. 22. 18) vielleicht perei? Pf. c. 15 p. 297 : perü, perei; Schi. 177. 25.

19) Pf. c. 1 p. 275 Bück^Yoi, Schi. 110. 19. 20) pf. c. 6 p. 285 Rock, Bruchusa,

Netnusa, Kortal sind Fremdwörter. 21) pf. ib., Schi. 93. 7. 22) pf. ib.,

Schi. 110. 15. 23) Pf. ib. Nastiic (ndd. Nesdök). 24) pf. ib. p. 286: knöpii,

Schi. 225. 23. 25) Pf. c. 3 p. 283, Schi. 72. 32. 26) pf. ib. p. 284, Schi. 244. 23. 2") Pf. ib. p. 283, Schi. 36. 27. 28) pf. ib. Nücka, Schi. 16. 1 u. ö. 29) Pf. ib. dicke mangfee, Schi. 58. 1. 30) pf. ib. Peyfda. 3i) pf. ib. p. 282 Witsäy, 283 Witsey; Schi. 65. 2, 79. 14. 32) pf. ib. p. 283, Schi. 204. 12. 33) pf. ib. zelii,

Schi. 247. 18. 34) Pf. ib., Schi. 111.9. 35) pf. c. 7 p. 288 Saloot. 34) pf. c. 7 p. 286: Wöal (das Deminutivum kommt nicht vor), Schi. 35. 31, 61. 11. 37) pf. ib. 287 richtiger Woalmangfee, Schi. 115. 21. 38) pf. ib. 39) pf. ib. 286 szüb,

Schi. 66. 28, 126. 20. «O) Pf. ib. : Wiicia, Wiizia, Schi. 64. 34. «) Pf. ib. Korwö, Korwü, Schi. 71. 2, 154. 17. «) pf. ib. 43) pf. ib. Tilang, Schi. 248. 9.

■'te?^V

128

A. Vietb,

SDaö «Pferb Tschüboglia^* 2)er -^unb pias^s JDie Äa^ Tscbütoje^e 2)ie Suttcr Moska*'' (S^cr Juji^s Ser Ääfc Saru*^ 50UId) Malaucaso

fol. 18b.

SBoIjnen BüpeySi ßrbfen Gorchey^^ Äalbfleifd) Tilansemang-

see53 6d)»einfleif^ Sweinamang-

see5* ©efotten »5(eif(^ Worina

aSBurp Worstju56 Dd)j'cnjun9 •Tungsic^'' Sungc |>üiiet Mola tschei- ran^s

2)cr |)a^n Schlepatscfas^

Xai |)ul)n Schlepeitschia^o

2)ie 6nbtc pogla^*

Die OanB Gongs ^2

!Eiic aOßadjtcl Wagala pati- natz ^3

(Eapaun Utcapunt Schle- patsch''^

S5cr |)aafe Soyanskyß^

2)cr -^itfcf) Deiwa korwo ^

üßilb «S^wcin Deiwa Schweinangß"

Saubc Jelumbß'*

ÜDonncrftaij perendan^a

(^vet^tag Skompe™

Sonnabenb Suboida'i

3)a^3a^r Lutoi"2

®er SUJonatt) Ziternideila "3

2) er Sag Tan"*

2)ie Sonne Wedru'ä

2)er SOionb Leina'^e

2)ie Stern Ghiosda''' 2)ie <2onnc [djeinet »arm

Dipluy ■'8 £)er Sd)atten Glaod'9 (äö ijl l)eplic^ Wetter Seyma«» 5cucr BitchirSi 2ßei>nad)ten Tribe^^

Dflern Justroi^s ^fingjlen Pancjustee^* 3ot)anni0 Sag Ansa dan^s 30ii^eU^ Sag MaichaliwaSß (Sin JJafiag Sadats^ 23oümon Moniavoiss 9^eumon Momeneutsche-

nang ^9 iJDac* erjle SSiertki Momneng

erste Vartin^o Qi iji \d)önci SBetter Skone

dagna Wedry^i m ijt falt Tiiam92 Qi ifl »arm Teplü^s

«) Pf. c. 10 p. 291 : Tfchüpöglia, Schi. 102. 1. «) pf. ib. piös, Schi. 35. 14. *6) Pf. ib. Tschütöy, Schi. 218. 29. 4') pf. ib. p. 2S8 Mostie, Schi. 177. 19. «) pf. c. 7 p.287, Schi. 131.27. 49) Pf. ib. 288 Saroü, Saröo, Schi. 102.4. 50j Pf.ib. Meläuca, Schi. 39. 14. 51) Pf. ib. Boipey, Schi. 204. 8. 52) pf. ib., Schi. 154. 24, 204. 6. 53) Pf. ib. 287 Tilangfe mangfee, Schi. 116. 22. 54) pf. ib. Schweinemangfee, Schi. 189. 19, 197. 28. 55) pf. ib., Schi. 285. 4. 56) pf. ib. 288 Worstiü, Schi. 231. 17. 57) Pf. c. 3 p. 283, ib. 287 Wöal Jungfic, Schi. 101. 17. 58) pf. ib., Schi. 126. 33.

59) Pf. ib., Schi. 145. 8. 60) Pf. ib., Schi. 141. 30. 6i) Schi. 77. 12, 117. 12, 185. 30. 62)Pf. ib., Schi. 118. 29. 63) Pf. ib., Schi. 46. 8 u. ö. 64^ pf. ib. out c. schl. 65) pf. ib., Schi. 224. 27. 66) pf. ib., Schi. 137. 31. 6^) Pf. ib., Schi. 116. 24. 68) pf. ib. Tfchelumb, Schi. 60. 14. 69) pf. c. 1 p. 277, Schi. 189. 31. "Oj Pf. ib. Skiimpe, Schi. US. 25. 71) Pf. ib., Schi. 119. 11. 72) pf. ib. p. 276 Liuteü, Schi. 86. 25. 73) Pf ib. Ziter nideilla, Schi. 196. 25. 74) pf. ib. Dan, Schi. 42. 28. 75) pf.

c. 2 p. 277 Wedrü, Schi. 149. 1. 76) pf, ib. Leyna, Schi. 109. 29. 77) pf. ib. 278 Ghiüzda, Schi. 88. 7. 78) pf. c. 2 p. 278 Deplti, Schi. 63. 5. 79) pf. ib. 277 Chlöd, Schi. 40. 15. 80) Pf. ib. 278, 279 (S. 295 cap. 13 steht de l'or Seyma, offenbare

Verwechselung von Kalt (nnd. köld) und Gold), Schl.76.15. 8i) gic? statt Witschin, Pf. c. 2 p. 278 Witchin, Schi. 127. 1 1. 82, pf. c. 2 p. 277 Trebe, Tpiö-a? 83) pf. ib. 84) Pf. ib. 85) Pf. ib. schreibt dafür Srediigliat. 86) pf. ib. Maichalewa, Schi. 187. 15. 87) Pf. ib., acAÄciTH? 88) Pf. ib. Moniapoün, Schi. 106. 22. 89) vielleicht zu lesen: mon ie neu tschenang(s), vergl. Nr. 336, Pf. ib. Neu mönia nenna (das letzte Wort ist H-HHi). 90) Pf. ib. Erste vardäl, Momneng ist vielleicht zu lesen Monnieng.

91) Pf. ?, skone und dagna sind niederdeutsche Ausdrücke, vedry Schi. 19. 7.

92) vielleicht verwechselt Kalt und Kalb, dann wäre tilam = tcjiä. 93) pf. c. 2

:'' -f^'t ,V->- J's?

m: t% 4* te.' ^t^^r^^^J^-.^ ,/^'.^^^ir^^-^

f-'h r

••■"••SejMi

i

II-jW^

iim

[■ml- 15,;.

■Pi.c.1

Beiträge zur Ethnographie der hannoverBchen Elbslaven.

129

2ßa§er Woda-'*

gttc Simiaf*"'

2)ic glammc Witschin

tschürissa'-^ ^ol^ Trowa!^^ ©tein Gomraoi^s S)cr Oiaud} Doim^'^ SDie ?l)'d}c Pupeel loo 2)ic2eolfc Duntsouioi SDic i«adit Nüts 102 S)cr SOKn'äcn Sojeidra'*'^ $Dcr 93iittaG Pülni Der *}lbcnb Witser '05 (ii frieret Marse 'o*^ ei)B Leedi07 ölegen Doost'ts m teftnet Doost eyde io9 »il re^enen Nonua tsi

doost heyd i^o So bcnnert Grame 111 ®^ bliget Ninna swete 112 2)cr @d}nee Ninn heit

sneec '^^

G^ Wil fd)nel}cn Ninnat si

sneig heyt'i* Örantweiu Brandewigniaii^ (Sin 'i&^Sid) Voda, Mola rekaiif' '^o^imm WilkaWoda li- ste (Site Loby (Sinö Janeui'3 3»en Tawoiii9 3)ret) Taroiiia Sier Zütwarüiiö (^iinfe Pantariin^ Sed)fe Züstarüii'^ Sieben Siitmarüns *3ld)te Smürüii9 'Jteune Diwangtarii n^ 3el)en Disangtarü n^ Silfe Janünatstüii'J 3»ö(jte Twenatstü 119 Dreijeben Tarozinatstüi'^ Sierje^en Züternotstüns i5unf5et}cn pangtnotstün^ 3ed;je£)en Zusnotstün^ Sicbenje^en Sütenotstü n^

^(^5ef)en Wissennotstüiw iReuujct^enDiwangtnotstü i'9 Swangig Disangtnotstii n-' (Sin unb j^uan^ig Disangt- notstii janeuns 2)er Äned)t Kneechti20 25ie iöJaGb Dewa 121 |)antifd}ud; Runcaweiziai-- 2)er ambtmann Amman 123 2)er ißarbirer Wunsey putz- kati2*

fol. 19a.

I)er9}Uiüer Malmci^^ Der2)ieb Ditei26 DicOlabe Rotte '2"? 2)ie53}iauB Moisi23 Der %\x&}i Leiseitska 129 Iier Jßolff Wutska '30 J5er ^vofd) Suboi i3i 2)ietri3te Patten '32 £)ie ©djwalbe Lostowei- tzia 133

p. 278 Deplü, Schi. 51. 2, 63. 5, vergl. Nr. 78. 94) pf. c. 2 p. 278, c. 7 p. 289: voda, Schi. 61.12. 95) Pf. c. 2 p. 278, Schi. 143. 3. 96) pf. c. 19 p. 302 Tfüriffa witchin, Schi. 288. 25. 97) Pf. c. 2 p. 278, Schi. 31. 15. 98) pf. ib. Komm6i, Schi. 245. 35. 99) Pf. ib., Schi. 101. 6. 100) Pf. ib. Poipöl, Schi. 47. 19. loi) Pf. ib. Duntzneü, Schi. 231. 15. 102) Pf. c. 2 p. 282, Schi. 46. 18 u. ö. io3) Pf. ib. Sojeydra, Schi. 209. 28. 101) Pf. ib., Schi. 160. 22. i05) Pf. ib. Witfeer, Schi. 186. 34. iJR] Pf. fehlt, Schi. 31. 1. 107; Pf. c. 2 p.27S, Schi. 47. 22. io«j Pf ib. Döst, Schi. 28. 2. i09; Pf. ib. 279 : Puda-.fa dost ; Schi. 53. 13, 295. 4. "O) Pf. ib. Nounätfi dofd haid, Schi. 295. 23. 111; Pf. ib. Chrämat, Schi. 62. 2. "2) Pf. ib., Schi. 86. 20. "3) Pf. c. 2 p. 279, Schi. 91.29, 295. 23. 114) Pf. ib. Ninnä tfi fneig haid, Schi. 96. 25. n^) Pf. ib. 280. nß) Pf. ib. 279, Schi. 91. 28, nicht ,reka' allein, sondern ,mola reka' bedeutet »Bach«. H'') Pf. ib., Schi. 256. 13. iis) Pf. ib. Lobi, Schi. 156. 27. iWj Pf. c. 16 p. 298—299, mit

geringen Abweichungen, wie: Smerü Schi. 67. 2), Jadonadüfte (Schi. 194.9), Trei- nazte (Sohl. ib. 15). 12O; Pf. c. 8 p. 290. 121) Pf. ib. Deefa, Schi. 90. 21. 122) pf. c. 6 p. 285, Schi. 71. 34. 123) Pf. c. 8 p. 290 Hämman. 124) Pf. c. 9 p. 290.

125) Pf. ib., Schi. 31. 33. 126) Pf. ib. 291 Dif .Smacia). i2') Pf. fehlt, Eotte ist niederdeutsch. 128) Pf. ib., Schi. 101. 1. i29) pf. ib., Schi. 76. 19, diese Form des Wortes ist das deminutive »laisaicka«. i30) Pf. ib., Schi. 35. 22. i3i) Pf. ib. Subü, Schi. 70. 34, 130. 23. i32) Pf. ib. (wo auch Lofeyka). Ueber Patten

vergl. unten. i33) Pf. ib. 292, Schi.?

Archiv füi slavische Philologie. XXII. 9

T:

128

A. Vietli,

S)aö *Pferb Tschüboglia^* S)ei -^unb pias*5 J)ic Äa^ Tschütoje^e S)ic »uttcr Moska47

S>cr Ääfe Sarahs SDJild) Malaucaäo

fol. 18b.

Sonnen Büpey^i Grbfcn Gorchey^^ Äalbfleifd) Tilansemang-

®d)ti)einflei[d) Sweinamang-

seeö4 ©efottcn Jleifd) Worina

mangsee^s 3Burfi Worstjuse Dd)fcn5un9 Jungsic^'' Sunge A^iiner Mola tschei-

ran^s

S)ei |)a^n Schlepatsch^s

2)a^ $ul)n Schlepeitschia^o

S)ie (Snbtc pogla^i

SDic ®an§ Gongs 62

S)ie 2öa(^tel Wagala pati- natz ^3

ßayaun Utcapunt Schle- patsch»**

2)cr -^aafc Soyansky^^

^er -^iifd) Deiwa korwo ^6

2Bilb €d)H^cin Deiwa Schweinang6"

Jaube Jelumb^s

®onncr[tai( perendan^s

greptag Skonape™

Sonnabcnb Suboida'i

Iiaß 5at)r Lutoi'^

S)er ÜJJonatl) Ziternideila '3

S)cr Sag Tan '*

3)te Sonne Wedru"^

S)cr SOfonb Leina'ß

2)i£ ©tctn Ghiosda'?' S)ie Sonne [c^einet warm

Dipluy ■'8 2)er Schatten Glaod'9 (ii iji ^(eBli^ »ettcr Seymaso Jeuor Bitchir^i aSei>nad?tcn Tribe82

Cficrn Justroi^s ^^flngften Pancjustee^ 3of)anniö Sag Ansa dan^o DJiidjeliä* Jag Maichaliwa^c Sin $5ailag Sadat^^ Sollmon Moniavoiss Dicumon Momeneutscbe-

nang 89 iDaö erjie SSiertbel Momneng

erste Vartin^o (Je ift fdioneö SIBcttev Skone

dagua WedrySi ifi falt Tilam92 m iji »arm Teplü^s

«) Pf. c. 10 p. 291 : Tfchüpöglia, Schi. 102. 1. «) Pf. ib. piös, Schi. 35. 14. «jPf.ib.Tschütöy, Sohl. 218. 29. 4') Pf. ib.p. 288 Mostie, Schi. 177.19. «jPf.c. 7 p.287, Schi. 131.27. «9; Pf. ib. 288 Saroü, Saröo, Schi. 102.4. ^} Pf.ib. Meläuca, Schi. 39. 14. 51) Pf. ib. Boipey, Schi. 204. 8. 52) pf, ib., Schi. 154. 24, 204. 6. 53) Pf. ib. 287 Tilangfe mangfee, Schi. 116. 22. 5*) Pf. ib. Schweinemangfee, Schi. 189. 19, 197. 28. 55) pf. ib., Schi. 285. 4. 56) pf. ib. 288 Worstiü, Schi. 231. 17. 5-) Pf. c. 3 p. 283, ib. 287 Wöal Jungfic, Schi. 101. 17. 58) pf. ib., Schi. 126. 33.

59) Pf. ib., Schi. 145. 8. 60) pf. ib., Schi. 141. 30. ei) Schi. 77. 12, 117. 12, 185. 30. 62) Pf. ib., Schi. 118. 29. 63) Pf. ib., Schi. 46. 8 u. ö. ^j Pf. ib. out c. schl. 65) pf. ib., Schi. 224. 27. 66) pf. ib., Schi. 137. 31. 67) pf. ib., Schi. 116. 24. 68) pf. ib. Tfchelumb, Schi. 60. 14. 69) pf. c. 1 p. 277, Schi. 189. 31. 'O; Pf. ib. Skümpe, Schi. 118. 25. n) Pf. ib., Schi. 119. 11. "2; Pf. ib. p. 276 Liuteü, Schi. 86. 25. 73) Pf ib. Ziter nideilla, Schi. 196. 25. '*) Pf. ib. Dan, Schi. 42. 28. '5) pf.

c. 2 p. 277 Wedrü, Schi. 149. 1. "6) Pf. ib. Leyna, Schi. 109. 29. ") pf. ib. 278 Ghiüzda, Schi. 88. 7. "§) Pf. c. 2 p. 27S Deplti, Schi. 63. 5. -9) Pf. ib. 277 Chlöd, Schi. 40. 15. 80) Pf ib. 278, 279 (S. 295 cap. 13 steht de l'or Seyma, offenbare

Verwechselung von Kalt (nnd. köld) und Gold), Schl.76.15. »ij sie? statt Witschin, Pf. c. 2 p. 278 Witchin, Schi. 127. 1 1. «2, pf. c. 2 p. 277 Trebe, ipiÖB? ^) Pf. ib. 8*] Pf. ib. 85) Pf. ib. schreibt dafür Sredugliat. 86) pf. ib. Maichalewa, Schi. 187. 15. 87) Pf. ib., acAÄaTu? 88) pf. ib. Moniapoün, Schi. 106. 22. 89) vielleicht zu lesen: mon ie neu t8chenang(s), vergl. Nr. 336, Pf. ib. Neu mönia nenna (das letzte Wort ist HSHi). 90) Pf. ib. Erste vardäl, Momneng ist vielleicht zu lesen Monnieng.

91) Pf. ?, skone und dagna sind niederdeutsche Ausdrücke, vedry Schi. 19. 7.

92) vielleicht verwechselt Kalt und Kalb, dann wäre tilam = Te.iÄ. 93) pf. c. 2

Beiträge zur Ethnographie der hannoverschen Eibslaven.

129

Sffiapcr Woda-**

6rbe Simia^J

SDic ^liinimc Witschin

tschürissa'-* ^olR Trowa^' 6tcin Gommoi^s Der iRaud) DoimS« SDic %id)t Pupeel »oo SDieSöolfe Duntsouioi SDic inad}t Nüts 102 2)er SOJorjcn Sojeidra'03 2)cr mittCLii Pülni 104 SD« %bix\i Witser 'Oj fricict Marse 'oe (£t)B Leedio^ SRegen Doosti^^s ß« TCflnct Doost eyde los (Sä wil rcgcnen Noniia tsi

doost heyd 110 bcnncrt Grame m bliget Ninna swete ^^ S)et (5d)ncc Ninn heit

sneec "^

So »il fcf)nc^cn Ninnat si

sneig heyt'i* 33rant»»cin Brandewignia'i^ ßin 'Md) Voda, Mola ieka"f' Das mm Wilka Woda«i" 2)ie eibe Loby ns Gin^ Janeu^'^ 3»ci) Tawoi"^ 5)rci) Taroiiw Sicr Zütwarü"9 Jiinfc Pantaiü "'' 2cd)fc Züstarüii'' Sieben Sütmarüi'^ *3(^te Smürüiw 9kunc Diwangtarü "9 ße^en Disangtarii"^ Silfe Janünatstüii9 3tt?ölffe Twenatstü "^ 5)reiäeben Tarozinatstüi'" 33ieräekn Züternotstüii'' J^unfje^rt pangtnotstüii^ 5ed)5ekm Zusnotstüii^ ®icben5ct)en Siitenotstü ^^

^d)jekn Wissennotstil 11" SReunje^n Diwangtnotstü i'^ Swan^ig Disangtnotstü i^^ (iin uub 3TOan(3ii3 Disangt- notstü janeu'i^ 3)er tned)t Kneechti^o 2)ie 2«agl) Dewa 121 |)anbfd)ud) Runcaweiziai-'^ 2)er ambtmann Amman 123 Der Sarbirer Wunsey putz- kati24

fol. 19a,

Der iöJiUkr Malnici^s Der Dieb Dife»26 Dicüta^e Rotte 127 DieSKauB Moisi28 Der }^\xd)i Leiseitska 129 Der Söclff Wutska'so Der ^rcfd) Suboi »3i DieÄröte Patten '32 Die Sdiwalbe Lostowei- tzia 133

p. 278 Deplü, Schi. 51. 2, 63. 5, vergl. Nr. 78. 94) pf. g. 2 p. 278, c. 7 p. 289: voda, Schi. 61. 12. 95) Pf. c. 2 p. 278, Schi. 143. 3. 96) Pf. c. 19 p. 302 Tfüriffa witcbin, Schi. 288. 25. 97) Pf. c. 2 p. 278, Sohl. 31. 15. 98) pf. jb. Kommöi, Schi. 245. 35. 99, Pf. ib., Schi. 101. 6. 100; Pf. ib. PoipöK Schi. 47. 19. loi) Pf. ib. Duntzneü, Schi. 231. 15. 102) Pf. c. 2 p. 282, Schi. 46. 18 u. ö. i03j Pf. ib. Sojeydra, Schi. 209. 28. 101) Pf. ib., Schi. 160. 22. i05) Pf. ib. Witfeer, Schi. 186. 34. 1^6) Pf fehlt, Schi. 31.1. 107) Pf. c. 2 p. 278, Schi. 47. 22. 100; Pf. ib. Döst, Schi. 28. 2. i09; Pf. ib. 279 : Pudatfa dost ; Schi. 53. 13, 295. 4. "O) Pf. ib. Nonnätfi dofd haid, Schi. 295. 23. 111; Pf. ib. Chrämat, Schi. 62. 2. 112; Pf ib., Schi. 86. 20. 1«) Pf c. 2 p. 279, Schi. 91 . 29, 295. 23. 1«) Pf. ib. Ninnä tfi fneig haid, Schi. 96. 25. ii5 Pf ib. 280. nß; Pf ib. 279, Schi. 91. 28, nicht ,reka' allein, sondern ,mola reka' bedeutet »Bach«. n'j Pf. ib., Schi. 256. 13. 118) Pf ib. Lobi, Schi. 156. 27. UQ) Pf. c. 16 p. 298—299, mit

geringen Abweichungen, wie: Smerü 'Schi. 67. 2), Jadonadüfte (Schi. 194.9], Trei- nazte (Schi. ib. 15). 120) Pf. c. 8 p. 290. 121) Pf. ib. Deefa, Schi. 90. 21. 122) pf. c. 6 p. 285, Schi. 71. 34. 123) Pf. c. 8 p. 290 Hümman. 124) Pf. c. 9 p. 290.

125) Pf. ib., Schi. 31. 33. 126) Pf. ib. 291 Dif ;Smacia). 12-) pf fehlt, Rotte ist niederdeutsch. 128) pf. ib., Schi. 101. 1. i29) Pf. ib., Schi. 76. 19, diese Form des Wortes ist das deminutive »laisaicka«. i3o Pf. ib., Schi. 35. 22. i3i) Pf. ib. Subü, Schi. 70. 34, 130. 23. i32) Pf. ib. (wo auch Lofeyka). Ueber Patten

vergl. unten. i33) Pf. ib. 292, Schi. ?

Archiv für slavische Philologie. XXII. 9

30

A. Vieth,

Dicläulc Tilcai34 2)cv ®tüvd; Büchani^s 2)ct ©^cvling Patinaz^*'' S)cr2ßurm Gudic«^ Die glicö«! Masweciaiss 2)ic Spinne Pojank «9 2)ic Rummel Pampili^^' Tannenbaum Jodlai'i Äirfdjenbaum Woissoigna i^- ai^)felbaum JUbliini« SSimbaum Chreuki^* D^u^baum Lüstüwoicia 1*0 SRofenflod Küsa »« 2ßuitel TscböniBgi" Säbel) Salvajai4« «Raute Riitüi« ©evfie Jansmini^o ^abev Wüasi'^i SRüden Rose 152 2Bei^cn Pasinaicia i-^^ ©tvob Slainüiä*

Sßolt it)r bei mir [d)laffcn?

Jus nitz sobot i'^ 5)er tejel Tschütlig i^e 2)ie 3«i"3C Klesda i''' 2)er^ammcv Omäi-i^s 2)ev Diagel Düst i'^^s 2)erÄorb Tüjthöi-iRO Sie tpt)Ien Wungley Sie ®d)auffe{ Sippia'ß- S)er befen Metla i63 ©ie51rt Setjarie* 35as Seil Burdagniai*^^ 2)ie ©dge Sojayic^ S).nnnen Brang i^'^ S)erÄuncfel Kimdegliaifs iDas 6'pinnvatt Saccodle ^ 3)ie®loife Klatschulei'O SDer ®vi«-'3»^t Serrludlei"! ®cr (£ad Mich "2 2)aä Sette Püstiglia "^ S)er q}flug Rotlüi^*

2)er ©d^Iitte Sonayi"^ 3)ie ®uti'd;c Kutske i'c 2Bai3enf(^mere Terct sculu ^'' 2)ie DJlijigabel Weitloii"^ S)ie Jfjarde Grublei i'*' J)ie ®id}el Tschüsai"'o 2)er S)vei'd}flegel Sepoi i*^* Sie^acfe Hacke S)er g^abe Spode »»^ 2)ie^ed)el Saciti«3 35ieq3feiffe Fleitüis* 2)ic Sipmmel Bumbon 1^ 2)ie ©eige Giglia i^o S)er 3)utel=©acf Pibsaki«' Sudj Seicniai'*

«innen Ziloiis» 2Bad?§ Woska^ö SerÄegel Kojiiwi ©Uten Sag Trois buk i92 ^eute Sübüdai93 DJhngen Janidigliai^*

131) Pf. ib. Tiilca. "5) Pf. ib. Bütchan, Schi. 205. 1 1 . «ei pf. ib. vergl. Nr. 63. 137) Pf. ib., Schi. 78. 8. i38) pf. jb. Mafweicia, cf. russ. MouiKa, poln. meszka.

131) Pf. ib. Pojanc, Schi. 119. 3. i^o) Pf. ib. i^i) pf. c. 11 p. 293, Schi. 55. 21.

1«) Pf. ib., Schi. 147. 7, 234. 1. i«j Pf. ib., Schi. 147. 8. "i) Pf. ib. Chreuc, Schi. 146.5. 1«) Pf. ib. Loistpicia? 1*6) Pf. ib., Schi. 233. 27. "''j verschr. statt Tschöring, Pf. Tfeurin, Schi. 61. 5. 1*8) pf. ib. 1«) Pf. ib. Riidia, i^O) Pf. ib., Schi.

115.30. 151) Pf. ib, 294, Schi. 67. 0 ff. 152) pf. jb., Schi. 233. 29. i'^) Pf. ib., Schi. 43. 9. 15*) Schi. 70. 22, Pf. ib. Strau (deutsches Wort). 155) Pf. c. 20 p. 304, Schi. 176. 2. isc) Pf. c. 15 p. 296, Schi. 58. 20. i57) Pf. ib. kleefda, Schi. 90. 32. 158) Pf. ib. Omaär. i59) Pf. ib., Schi. 59. 28. 16O) Pf. ib. Tfchütför. «i) Pf. ib. Fungley, Schi. 244.1. i62) pf. ib., Schi. 280.32. 103) pf. ib., Schi. 47.23. i64) Pf. ib., Sohl. 102.8. 165) burdo,-oms? 166) Pf. ib. Sojaydia. iß^) Schi. 115. 18. pf. ib. Kundiglia (KAAe-ira). i69) Pf. ib. Vergl. russ. cKaJo, cKajiKa. i™) Pf.c.2 p. 282, Schi. 40.28. "i)Pf. c. 15p.297, Schi. 182. 16. i"2) Pf. ib., Schi. 84. 16. i'3) Pf. ib., Schi. 230. 17. "4) Pf. ib. Rottü (verschr. statt Rotlü), Schi. 72. 16. "5) pf.ib. m) fehlt. 1") Pf.? Terikolo?, Schi. 57. 32. "s) pf. ib. p. 297 Weytloy, Schi. 76. 30. i79) pf. ib., Schi. 72. 26. 18O) pf. ib. Dfchiifa, Schi. 57. 33. «i) Pf. ib. Zepoy, Schi. 145. 3. 182) Pf. ib. i*3j Pf. ib., Schi. 38. 3. 181) Pf. ib. 298 Fleutu. 1*5; Pf. ib., Schi. 28. 20. i8Gj Pf. ib. Giglelkia. is^) Pf. ib. iss) Pf. c. 6 p. 285 Saücnia, Schi. 108. 3. 189) Pf. ib. Ist Linnen statt Bienen? i^o) Pf. c. 10 p. 292 Wofca, Schi. 35. 30, 201. 19. 191) Pf. fehlt. 192) Vergl. Nr. 2. »3) Schi. 119. 11. 19*) ist Sonntag, cf. Pf. c. 18 p. 300 Sonidelang, Schi. 51. 20, 90. 6, 94. 8, 231. 25.

Beiträge zur Ethnographie der hannoverschen Eibslaven.

131

©cjlcvn Scumbews iBorgcflcrn Perendan ''""' ^ox acl)t tasen Sreeda^ " iBov einem '^aijx Wadreutla

jüdüi'« ÜbcrniPVöen Kunzhen vait ^^^ Mcjcit Tejanaltittoy^co 2Bcnii3 Tojan batchen-^oi iBicIf Tojan viele 202 jjtübc Ronei Wostule^o» SBot}cr? Wit kiimji sehr-o* SGöo^in? Kumsis sen vaid^os iffiic weit? Pyl moilan?206 Sffiictiel? Kukiglian?2ü7 ©etiug Tujandiist2os SRid^tä Tujannütz20'.i iRid)t»ieI Batchijaii^io $od; Jos sarang woisik'-ii

Sf^icbrig Jo sarang Ka si-

mai 211 3u 9iad)tcBcn Witsera-'i2 3u Ü}iittagc9cn Jeuseuna'i» ^^vübjlücfcn Brütebüte2" Sictcu Leibü^i^i A>DVCu Sleisöt2i6 Sc()cn Sarat2i" langen Plusat2is ®d)nadcn Gornang2W

fol. 19h.

Qi gibt inele %['oi)t ijicr Oi-

zang Wile blochä j ang 220 2)icSaiK^ Woos22i 2[ßic gcktö eud)? Ku keid

ide?223 bc^ci" tejangut223

jicmlid) UH^U Zeiwohl2-* 5luä ®d;cv^ Tu Jan leubü'-s 2)ic ©diccvc Nüsaitse220 S)cr ^Degcn Daegii-27 35aö «Pfunfe Poin228 Öiiic5)tcilc Mail ü 229 I)cr ^Jcinb Tseize23o I)ieÄuscl Kuwül23i Die ©tute Tschüpoglia'-32 S)cr Suüc Bola233 35a^5üücn Sriba234 S)aö »$fcrb ^incfct Klangse235 m ijl blinb Sleeba236 35ct Sattel Setloi237 35cr 3aum Weisda238 2)a^ .5>ufcifen Pütgi2:'9 35er ®algen Galcbwoi240 ©ieben Jistwore24i

i^5)Vergl.Nr.70. i96) Vergl. Nr. 69. 19-?) Pf.c. 1 p. 277 Sreda,Schl.93. 12. ^^FL c. 1 8 p. 300 ; dreug lotü ? «9) Pf. fehlt, mir unklar, vergl. Nr. 205. 200) tu ja aldttoy (könnte aucli altitdoy gelesen werden), Pf. c. 17 p. 300 imniertii. 201) Pf. ib. Batche, vergl. Iserb. bade. 202) pf. c. 18 p. 300 vile. 203j cf. Schi. 281. 15, d. h, ränü västül(ai), vergl. Pf. c. 2 p. 282 nur »ronei«. 204) pf c. 17 p. 300, wohl zu lesen : vüt kom jis ehr (das letzte Wort deutsch : her;. 205) pf. c. 17 p. 300: Kums is en haid, Schleicher liest: kom eis hen ait 135. 1. 206) Antwort auf die Frage : halbe Meile, cf. Schi. 57. 30, 76. 28. 207) pf. c. 17 p. 300 Kuquiglian, Schi. 125. 7 liest :

kok vil (= viel) ja. 20S) pf. ib., Schi. I2. 7. 201)) pf. ib., Schi. 77. 16. 210) pf. ib., vergl. Nr. 201. 211) pf. ib., Schi. 14. 1—3. 212) pf. c. 19 p. 302, Schi. 186. 30 (doch ist die Deutung Schleichers kaum richtig). Doublette jeuzaiua zu jeuzaina ist unrichtig). Wort ist meines Erachtens ein Neutrum auf -hk. 2iß) Pf. ib., Schi. 289. 10. 217) Pf. ib., Schi. 30. 8. 219) Pf. ib., Schi. 283. 32. 22ü) pf. fehlt, Schi. 32. 25, 48. 15, 121. 7. Das erste

Wort »Oizang« wird vielleicht mst. x-biuta bedeuten (Schi. 139. 17) und nicht zur Phrase gehören. 221 pf. c. 10 p. 292, Schi. 28. 5. 222, pf. c. 20 p. 303, bei uns ist wahrscheinlich kuk eide (nicht eidide) zu lesen, oder kuk eide ti (Schi. 295. 1). 223j Pf. c. 17 p. 300 Te jan gunt (verschrieben statt guut). 224) pf. ib. 225) pf. ib., vergl. Nr. 215. 226) pf. c. 15 p. 296, Schi. 233. 26. 227) pf. ib. 297 Daego.

228) Pf. ib. 296. 229) Pf. c. 2 p. 282, vergl. Nr. 206. 230) pf. c. 9 p. 291, Schi. 15. 25. 231) Pf. c. 15 p. 296. 232) Vergl. Nr. 44. 233) pf. c. 7 p. 286, vergl. Nr. 42.

234) Pf. c. 10 p. 291 Schribang, Sriba; Schi. 93. 3. 235) pf. c. 18 p. 301, vergl. Is.

klacac (hinken). 236, pf. c. 18 p. 301. 237) pf. c. 15 p. 298 Sedlei, Schi. 63. 13. 238) Pf. ib. Weyfda, Schi. 111. 6. 239) pf. ib. Piitchi, Schi. 149. 14. 240) pf. c. 2 p. 282. 241) Pf. c. 19 p.302, Schi. 172. 14.

9*

213) Pf. ib., Schi. 110. 34 (die

214) Pf. ib., Schi. 66. 1—4, das

215) Pf. c. 19 p. 302, Schi. 109. 30.

218,1 Pf. ib. 301, Schi. 118.1.

132

A. Vieth,

Daö S^iff Lüdia26i ©er Jßagen Tschüla2<2 'S)a.i iKabt Janütschüla(ii ?) ^63 35cr9lin3 Porstin 264 2)a'j @taB Glosou^ea JjcvÄrug Kreuska266 2)as lai Dan 267 2)aö $auB Wisa268 Sie Stube Dwarneizia269 S)ie tammer Komer270 3)ev Dffcn Kummanoy^'i Dieffianb Skioiia2T-2 ^ai Jcnfict Wokua2T3 S)ie Äüc^c Koekü2''i -DerSoben Ban27ö 2)ie Steuer Goart-^e 2)cr S*njeinftatl Chleve2'' ©ie Srefve Treppoi2"8 Sießciter Ribere2-9 2)er ed)lü§el Kloitz-'so 3(ä) {ad)e Jo schmianza28i S)u fief^efl Stoyje282

2öir frieren Seima Jammers» SDJorafi Porou284

2)a6 Äinb Tschutga285 gin alter Tlann Stora tscha- riol286

Sine attc i^xan Stora Seina

ober Bobö 287 •paar Flassoi^ss SDa^ ®et)irn Müsdenuyssa Die Stirn Loiszeina^s^ 2)aö ©efidjt Witsay^ai >Daö ®e()ijr SIeisang292 Der ©erud) Poiwungsa293 S)cr ®ei'd}macf Tscheisoot29* Sd)medet ba^ woü? Smaka

Smuk?295 (5i^ fiintfet Smarde296 So riecbet »roll Rika smuk297 S)er Sart Wungs298 2:ie l'ivn^e Lippia2M Sie Ää^Ie Brödasoo Ser |)al^ Woju3oi

iöraten Pitsen mangsei2^2

®raB siglia243

SDie Äornäijr Rüsa2i^

^U\i)i Lion245

Ser ©ruber Brudatz246

2)ie ®(^weper Sestra2*7

SDer ®ro§»ater Groote-

Woor248 SDie ©ropmutter Grotka^^o Sie Sraut Brüt250 2)er 53räutic5am Brettegan-^i Die i>cd}jeit Rodüst252 2ßoUen ttJir •&cd:)äeit niad)cn?

Zime rodiist Zeitteit? -^3 Der 9]ad}bar Nober254 Der erbe Dedan^oö ein ^vembber Toja Zeuza 25g Dac> Sinnen tauget nid>t

Peiwö nitz daigna257 ®oIb Seyma258 ©tat)l Eykratina2M Die Äag Tsckütoi 260

242) Pf. ib., Schi. 173. 243) Pf. c. 11 p. 294, Schi. 177. 28. 2«) pf. jb

245) Pf. ib., Schi. 41. 12. 246) Pf. c. 12 p. 294. 247) Pf ib. 248) pf. ib. 249) pf. Jb.

250) Pf. ib. 251) Pf. ib. 252) pf. ib., Schl. 72. 19. 253^ Pf c. 20 p. 303: Zime

rodüft Zeithaid (KoyiHTH?), Schi. 266. 9. 254) pf. c. 12 p. 294. 255) pf. ib., Schi. 91. 24 (kaum richtig von Schi, gedeutet). 256) pf ib., vergl. Nr. 230. 25-) pf.

c. 2 p.2S0, C.20 p. 303 Peiwö ne döga (doch ist peiwo nicht »das Linnen«!). 258) pf, c. 13 p. 295, vergl. Nr. 80. 259) pf ib., durch Verwechselung von Stahl mit dem Verbum Stehlen, vergl. Schi. 12. 24. 260; pf. c. 10 p. 291, vergl. Nr. 40. 26I) pf. c. 2 p. 281, Schi. 230. 22. 262) pf. c. 2 p. 281, c. 15 p. 297, Schi. 60. 8. 263) pf.

c. 2 p. 282, Schi. 193. 18, 208. 4. 264) pf. c. 15 p. 297, Schi. 30. 32. 265) pf. c. 15 p. 295, Schi. 213. 15. 266) pf. ib., Schi. 109. 21. 267^ Vergl. Nr. 74. 268) pf. c. 2 p. 280, c. 14 p. 295, Schi. 94. 2. 269) pf c. 2 p. 280, Schi. 181. 20. 270, pf ib. 271) Pf. ib., Schi. 246. 5. 272^ Pf. ib. 281, Schi. 88. 2. 273) pf. ib., Schi. 65. 17.

274) Pf ib. (niederd. Koke). 275) pf. ib. 276: pf. ib. 277) pf. c. 2 p. 282, Schi. 40. 9. 27ri)Pf. ib.281. 279 Pf, ib., Schi. 177. 26. 2so^ pf ib., Schi. 108.31 u.ö. 28I; pf. c. 20 p. 303, Schi. 92. 27. 282) pf. ib., Schi. 289. 2. 283) pf ib., c. 2 p. 279, Schi. 262. 4. 284) Pf c. 2 p. 2S2, cf. serbokr. und slov.-mähr. bara. 285_ pf c. 3, p. 2S2, Schi. 86.6. 2-6) Pf. ib., Schi. 56. 13 u. ö. 287, pf jb. Seena statt seina), Schi. 47. 25. 2S8) pf. ib. 283, Schi. 70. 23. 2S9 pf. ib. (bei Schleicher unbeachtet). 290) pf. ib., cf. poln. lysina. 291 Pf. ib. 282, Schi. 65.2, vergl. Nr.31. 292 pf. ib., Schi. 289. 5. 293 pf.ib., Schi. 120. 28flF. 294) Pf. ib., Schi. 127. 1, 176. 6. 295) pf. c. 20 p. 303, Schi. 293. 20. 29^.) Pf. ib., Schi. 153.31. 297) Pf. ib., Schi. 293. 24. 298) pf c. 3 p. 283, Schi. 120.23. 299) Pf. ib. 300) Pf. ib., Schi. 155. 9. 301; pf. ib., Schl. 100. 28.

Beitrüge zur Ethno^^rapliie der iKuinovcrsclieu Elbälaveu.

133

3)ct C'cib Seiwat302 Die i8rü|lc Soos303 S)cr »Jagen Tschesin304 S)aö i-cr^ Seywodak^os SDu lieber 'Bdja^ Samet Wa

seywad wadsoß 2)aö iMut Karoi307 5Die Sau)! Pangst^os 3)eriiJäi3eI Nütschit^oo SDie redete -panb Rechtia

Ruiika3io

J)ie linde .§)ani> Lewa run-

ka3ii ®ctt f)elfe tüd) Treisbiic3i2 (5r{)vitbaö lieber Seimiona3i3 2)er ©arten Wakoortsi* ÜBoüen i»ir in t»en ©arten

gc^en? Ztsan Wa Wo-

ga(r)d heyd?3i-^

fol. 20».

25ie Sßiefe Monesie

2)er grü^ling de proilutii3ii

Der 2Binter SeymaSi-^

S)er !örunnen Wungwool3i9

^ai S)orif WaasS^o

3)ie 23orilatt Tschoreiza32i

2)er ©anb Piosak322

2)er »erg TgoTaS-^a

2)aö 2[)al Tgörungardol 324

2)ie Äitd;e Zerckcbey3-'ö

2)er (Sraben GroboS^e

2)ie ®a§e Strotou32-

2)cr Sacftn'en Piiz328

'-örofct bacten Skiaybe

Piitsh329 2)ie!Kü()(c Munca330 Der 2Deg Punctssi Der ^UBJieig Stacia332 Die SanbfiraB Brete punct333

Daö ®efängni^ Watoma 33* Der €clbat Masketcor335 Der (£belmann Tsche-

iiangs336 Die SrücEe Brücca33T Der m^ NÜS338 Der 2)Jann Tschariol339 Die ^rau Seina3-io

<Sin junger Äerl jung tscha-

'iin artig SDMtgen juuga

dlfka342 ÄÜBen Pipe343 8d)laffen Sope34* Sßclt i^r epen? Jadsa saug

vayd kay jeday ? 3*5 j^abt il^r getruncfen? Jus

pola ninna?3*6 ^d) l}abc geredet Jus tsche-

dralal3"

302j Pf. ib., Schi. 61. 18. 303) Pf. ib., Sohl. 28. 3. 304) pf. ib., cf. russ. KiiiueHi.. 30-5] Pf. ib., Schi. 61. 19. 306) Pf. c. 20 p. 304 : Samet wa Seywat (aa ma tboii äubotx? caMx TBou >KUBOTT.?). 30") pf. c. 3 p. 283, Schi. 30. 3. 30S) pf. ib. 284, Schi. 244. 23, vergl. Nr. 26. 309) pf. ib., Schi. 34. 23. 3i0) pf. ib. 3ii; pf. ib., Schi. 72. 33 u. ö. 312) Vergl. Nr. 2, 192. 3i3j pf. c. 20 p. 304, Schi. 178. 28. 3i4) pf. c. 20 p. 281 : Wogäart, Sohl. 65. 25. 315) Pf. c. 20 p. 3ü4 : Ja judfeid wa wögaart, Schi. 298. 3. 3i6) pf. c. 2 p. 281 Plone (Mone ist verschrieben statt Plone oder Blone), vergl. poln. Blonie. 31-) Pf. c. 2 p. 278 te proilutii, Schi, ansgelassen. 3i8) Vergl. Nr. 283. 319; pf. c. 2 p. 281, cf. russ. ■jTäa.Jcx, poln. Wawel. 320) pf. ib. 280, Schi. 42. 34. 32i pf. ib. Köreytz, Tschoreize (ropuua?). 322) pf. jb. 281, Schi. 88. 3. 323) statt Tjora oder Tschiüra? Pf. ib. 281, Schi. 61. 2. 324) pf. ib. Tchörung ardöl. Ist zu lesen: görä ar dol? 325) Pf. ib. 280, Schi. 102. 19. 326) pf. ib. Grovo. 32Tj pf. ib. 328) pf. ib. 281 Pitz, Schi. 49. 5. 329) pf. c. 7 p. 288, c. 19 p. 302, Schi. 119. 20, 127. 5, 175, 1—3. 330) Pf. c. 7 p. 288 (die Bedeutung »Mühle« ist unrichtig); zwischen Nr. 328 und 331 steht bei Pfeffinger malneizia. 33i) pf. c. 2 p. 281, Schi. 46. 17. 332) pf. ib., Schi. 144.2. 333, Pf. ib., Schi. 107. 10. 334) Pf. ib., zu lesen wa torna (niederd. torn = Turm). 335; Pf. c. 8 p. 290 Mosketeer. 336 pf. ib. 290, Schi. 29. 18. 337| pf. c. 2 p. 281. 33^) Scheint ein Missverständniss zu sein, Pf. hat für Mist das Wort kneuf p. 281 (Schi. 46. 32). 339) Pf. c. 3 p. 282. 284, vergl. Nr. 286. 3io) pf. ib. 284: Sena, vergl. Nr.2S7. 3»i)pf.ib. 342 pf.ib.jungadeefka, Schl.90.22. 343) niederd.-schw.pipen = küssen. 344) pf g. jg p 302 sopot eit, sope = ci>nu(TT.) er schläft. 345) pf. c, 20 p. 304: Judfa kaje dajayd, Schi. 98. 29; joz ka jedai ait. unser Text hat nur die Reihenfolge geändert: jaz (v;ait ka jedai. 346 Antwort auf die Frage. Pf. anders ; j'ay bu : jöos pola nayoome, das letzte Wort verstehe ich nicht. 347) pf. c. 20 p. 304: Joös dfchedräl al, vergl. Is. zvantoric-zvatoris (plaudern, plappern)?

134

A. Vieth,

2)u ^aft gctaii^ct Jus phmg-

salal^*'^ St hat gcföcinct Jus plo-

k61349

Slßir ^abcn geflötet Jutsan

floitot350 3{)r l)abt gelungen Jus plöl

du lügst •■^•^1 Saufen Plungsa352 S5er gifd} Reibö^ss SDer .^»ering Slikjoü354 2)er Äreb^ Krawaat^*^ ©(^aafffäfe Wütze soor^se 3tt)etfd)cn Schlei wenoi 35' Äirfdjen Weisnoi^os

iSitn Greis woy 359 '

tvn'tt Jubtschui, Jubka3«>

D^ü^e Nüse^ßi

S)er Äern Siuraii362

(gtbbeer Moleyne363

:öter Peiwo, peiwi-6*

S)ae 23ier ift gut peiwi Sma-

ka gut^ßs ©er 93ater Eyda36fi 2)er @cl)n Sönka^ß" ©ie ÜJiutter Mama 36» 2)te 2od)ter Deefkasco I)ie €eek Deisa3"o 25ie Sauffe Tumbneizia3'i 2)aä SRac^tmal Bisa deiskö3"2

3d) ^Dil jum ?{acf)tnial geben Jutsan heitka bisa deis- k63"2

•JDtauIbere Turneila 3'3

Üßcin Weina3"*

2llter 2Bein Stora Weina 37

D^euei" 2Bein FritschdiaWei- na3'5

Outer 2öcin Smudia Wei- na''^

6in *5?farrer Püp3""

3>er Äüj!er DjesterS's

©onntvig Nidiglia3™

SÜJontag pnedigl.^so

348) Pf, ib., Schi. 118. 2. 349) Pf. ib. Jöos plokoöl, Schi. 71. 4. 35ÖJ richtiger als Pf. ib. Jutsan fleutune, Schi. 172. 10, 173. 4. 35i) jst wohl zu lesen Jus piöl

oder peol, Pf. ib. Jus piöol, Schi. 276. 12. Für »du lügst« fehlt die Uebersetzung, sie ist bei Pfeffinger zu finden: toi lofeft (toi lozes). 352; -v^ird ^^qM nicht Taufen, sondern Tanzen lauten, daher plungsa (wahrscheinlich = njAiuxbii.). 353) pf. c. 7 p. 288, Seh. 153. 22. 3:34) pf. Jb. Das Wort Slikjou erinnert an poln. Sledz, russ. cejiCÄKa, also *sledka. 355) pf. ib. (niederd.Krevet). 356) pf. ib. Wüze faröv, besser in unserem Text, Schi. 102. 3. 357) pf. ib. 289, Schi. 233. 31. 358) pf. ib. Weysnoi, Schi. 233. 33. 359) Pf. ib., Schi. 109. 14. 360) pf. ib., Schi. 130. 16, 208. 8,

3fii) (Nüsse hat statt des deutschen Ausdrucks bei Pfeff. ib. Frighiey, d. h. vrichy, Sohl. 93. 22. 362, ist wohl siurnu zu lesen, so auch Pf. ib. p. 289, Schi. 43. 19.

3fi3) Pf. ib. p. 2S9, Schi. 233. 20. 36i) pf ib., c. 2 p. 280, das Wort war wahrscheinlich fem.peiwo und neutr. peiwi, Schi. 76. 31. 36.5) pf. ib. nicht dasselbe. 366)Pf.c.l2l p. 294. 367^ Pf. ib., Schi. 35. 26, die Form auf -a ist vielleicht = xko. 368) pf ib. 369) Pf. ib., vergl. (Nr. 342. 370) pf. c. 1 p. 275, Schi. 136. 6. 37i) pf. ib. slavisirt aus dem niederd. dope, dopen. 372) pf. ib., Schi. 211. 15, 214. 13. 373) pf. c. 7 p. 289 Turnoglia, vergl. pol. tarnina, slov. trnulja. 374) pf. ib. 289, c. 2 p. 279—

280. 375) Pf. c. 2 p. 280. 376) Pf ib. smudia ist das udd. smode (geschmeidig, weich). 377) Pf. c. 1 p. 275, c. 8 p. 289, Schi. 147. 19. 378) pf. c. 1 p. 275 Dfhester (ndd. Koster, Küster). 379) pf. ib. p. 276, Schi. 51. 29. 380) pf. ib., Sohl. 156. 15.

V.

Dieses Wörterverzeichniss, so wenig umfangreich es auch ist im Ver- hältniss zu den Wörterbüchern (Hennig's, Parum Schultzens und Julger's, gibt einige Anhaltspunkte für die Bestimmung der Beziehungen der Arbeiten Pfeffinger's und üomeier's zu dem hier abgedruckten Material. Vor allem unterliegt es jetzt nicht dem geringsten Zvveifel, dass das alphabetisch

Beiträge zur Ethnographie der hannoverschen Eibslaven. ] 35

geordnete Glossar Domeier's aus dem von Herrn A.Vieth hier raitgetheilten Kopenhagener Material entlehnt wurde, vgl. ob. S. 1 1 0. Mir ist die »Ham- burgische vermischte Bibliothek«, wo im zweiten Bande (Hamburg 1744) die Domcier'sche Wortsammlung zuerst zum Abdruck kam, leider nicht zugänglich, ich musste mich mit dem Wiederabdruck Pfuhrs in Casopis towafstwa Macicy Serbskeje« 1S64, Heft 1, S. 141 146) zufrieden geben. Allein selbst wenn einige Ungenauigkeiten der Pfuhl'schen Aus- gabe nicht auf Kosten des ersten Abdrucks zu setzen sind, immerhin erkennt man an verschiedenen Abweichungen des Kopenhagener Textes von dem bei Eccard abgedruckten Material Hennig's, sowie ganz be- sonders an dem Umfang oder, wenn man will, an der Auswahl der Wörter, dass Domeier einfach das Kopenhagener Material und zwar in seinem vollen Umfange verwerthet und alphabetisch geordnet hat. Ich will das an einigen Beispielen klar machen. 1. »Altittoy allezeit« kommt in Kop. H. unter Nr. 200 (fol. 19^, col. c) vor, Pfeff. hat das Wort über- haupt nicht, sondern schreibt dafür »immertu«. 2. Für Johannistag schrieb Pfeff. Srediigliat, dagegen steht bei Dom. nach dem Kopen- hagener Material Ansadan (vergl. oben Nr. 85). 3. Für Spinnen kommt nur bei Domeier nach dem Kopenhagener Manuscript »branga vor (vergl. oben Nr. 167). 4. Für das Beil liest man Kop. H. «burdagnia« (nach dem ndd. Barde?), daraus nur schlecht abgeschrieben oder abgedruckt bei Domeier »budagnia«. 5. Für Frühling steht bei Pfeffinger »Te proilutü(f, im Kopenh. M. De proilutü, daraus bei Domeier Di proilutü. 6. Kopenh. M. hat »die Wolke : Duntsou« (unrichtig bei Eccard »Duntz- neu« p. 27S), daraus bei Domeier mit doppeltem Versehen: »Dunthou die Wolle« (das Wort lautete tunca = T&qa) . 7. Der Schatten heisst nur im Kopenh. M. glaod (Nr. 79), daraus ebenso bei Domeier, während bei Eccard Chlöd steht. 8. Der Stein lautet in Kopenh. H. »Gommoi« (Nr. 98), so auch bei Domeier, dagegen bei Eccard aus Pfeffinger »Kommoi«. 9. »Gornang« wird durch »die Schnecke« bei Domeier er- klärt, statt des richtigen »Schnacken«, wie es in Kopenh. H. steht. 10. Die Taube wird in Kopenh. H. geschrieben » Jelumb« (Nr. 68), so auch bei Domeier, dagegen bei Pfeffinger Dfchelumb. 11. Die Gutsche Kutske steht bei Domeier aus dem Kopenh. Mat., bei Eccard fehlt das Wort. 12. Die Butter als »Mosca« ist bei Dom. aus Kopenh. H. ent- lehnt, wo es »Moska« lautet; bei Pfeff. Mostie. 13. Hammel wird durch Omel wiedergegeben bei Domeier, dies kann nur aus Kopen. H. entlehnt sein, da bei Eccard das Wort nicht vorkommt. 14. Ebenso fehlt bei

136 A.Vieth,

Eccard »die Ente : pogla«, das Wort ist bei Domeier aus Kopenh. H. entlehnt. 15. Tilam für »es ist kalt« (Nr. 92) ergab für Domeier »Tilau es ist kalt«, bei Eccard nicht zu finden. 16. Für den Berg schrieb Do- meier ebenso wie im Kopenh. M. Tgoia statt Tgora. 17. Gleich dem Kopenh. Material schreibt Domeier »Tschöning« für »Wurzel« (statt Tschöring), während Eccard das richtige bietet. Endlich 18. sehr be- zeichnend für die Abhängigkeit Domeier's von der Kopenhageuer Hand- schrift ist die Verwechselung der Bedeutungen heute [sübüda), morgen (ja nidiglia), gestern (scumbe) mit den Wochentagsnamen, die Domeier in der Kopenhagener Handschrift vorfand (vergl. Nr. 193 196).

Hat man einmal dieses Verhältniss erkannt, so macht es keine Schwierigkeiten, die vielen Abschreibe- oder Druckversehen in dem Verzeichniss Domeier's nach dem Kopenhagener Codex zu berichtigen. Ich finde es nicht nothwendig, darauf näher einzugehen, es sei nur be- merkt, dass Domeier auf seine Quelle mit folgenden Worten hinweist : «Sammlung von mehr als dreihundert Wörtern der alten wendischen Sprache aus den Papieren eines ira vorigen Jahrhundert bei einer wen- dischen Gemeine in der Grafschaft Danuenberg gestandenen Predigers zusammengesuchet und in gegenwärtige alphabetische Ordnung ver- theilet«.

Nicht so klar ist das Verhältniss des Kopenhagener Materials zu dem von Pfeffinger dem Eccard überlassenen Wörterverzeicbniss , das Letzterer unter der Ueberschrift »Vocabularium Venedicum« dem 35. Capltel »De Slavonicae linguae Dialectis in Germania superstitibus et de scriptoribus huc spectantibus« seines Werkes »Historia studii ety- mologici« (Hanoverae MDCCXI) einverleibt hat. Was zunächst den Umfang betrifft, so ist allerdings die Sammlung Pfeffinger" s um etwa ein Drittel reichhaltiger. Doch daraus folgt noch nicht, dass die Kopen- hagener Handschrift nur einen Auszug aus Pfeffinger's Material bildet. Dem widerspricht schon die chronologische Reihenfolge, nach welcher es feststeht, dass die Kopenhagener Handschrift älter ist, als das Wörter- verzeicbniss Pfeffinger's. Nach Eccard's Angaben brachte Pfeffinger sein Vocabulaire im J. 169S zu Stande und zwar theilte er den ganzen Vorrath nach der Materie in mehrere Capitel ein. Es hat aber den Anschein, dass diese Eintheilung nicht sein Einfall ist, er fand sie schon in seinen Quellen vor. Von Pfeffinger selbst rührt wohl die französische Sprache her, seine Vorlage war jedoch deutsch geschrieben. Das ist an und für sich klar. Man wird sich an die »wendischen« Bauern nicht mit der

Beiträge zur Ethnographie der hannoverschen Elbslavcn. 1 37

französischen, sondern mit der deutschen Sprache gewendet haben, um Auskunft zu bekommen. Dafür sprechen aber auch die Missverstäud- nisse, die sich zwischen dem Fragenden und Antwortenden ergaben, die alle auf der Basis der deutschen Sprache gelöst werden können. Vergl. das darüber bei Schleicher auf S. 12 14 Gesagte, wozu ich einige weitere Belege geben konnte (Einiges schon von Dobrovsky richtig er- rathen, s. Pfuhl, c. m. s. 1SG9, S. 100). Da also Pfeffinger niclit selbst un- mittelbar aus dem Munde des Volkes sammelte, sondern fremde Collecta- neen benutzte, so liegt der Gedanke nahe, dass sein Vocabnlaire und das Kopenhagener Material zum Theil wenigstens aus einer dritten, beiden zugänglich gewesenen Quelle schöpften. Dafür lässt sich manches geltend machen. Vor allem will ich constatiren, dass das Kopenhagener Wort- verzeichniss, wenn es auch in den allermeisten Fällen dieselben Wörter und Phrasen gibt, die auch bei Pfeffinger vorkommen, dennoch einige Beispiele enthält, die ich bei Pfeffinger-Eccard nicht finde. So Nr. 61 »Die Endte : pogla«. Nr. 91 »Es ist schönes Wetter : Skone dagna We- dry«. Nr. 92 «Es ist kalt : Tilam«. Nr. 106 «Es friert : marse«. Nr. 127 »Die Ratze : Ptottecr. Nr. 165 »Das Beil : Burdagnia«. Nr. 167 »Spinnen : Brang«. Nr. 176 »Die Gutsche : Kutske«. Nr. 177 »Wagen- schmere : Teretsculu«. Nr. 191 »Der Kegel : Kojil«. Nr. 193 197 in der hier gegebenen Bedeutung, ebenso Nr. 199. Nr. 203 »Ronei Wostuleff. Nr. 206 »Wie weit? : Pyl moilan«. Nr. 220 »Es gibt viele Flöhe hier : Oizang wile blochä jang«. Nr. 343 »Küssen : pipe«. Nr. 365 »Das Bier ist gut : peiwi smaka gut«. Bei einigen deutschen Wörtern stehen im Kopenhagener Material andere slavische Deutungen, als bei Pfeffinger : auch diese können nicht aus Pf. herrühren, so : Nr. 39 »Der Hammel : Omela (bei Pfefi". Szüb) . Nr. 85 »Johannistag : Ansadan« (bei Pfefi". sredtigliat). Nr. 89 »Neumond : Momeneutschenang« (bei Pfeff. Neumönia neuna) . Nr. 109 »Es regnet : doost eyde« (bei PfefF. pudaifa dost). Nr. 154 »Stroh : Slamu« (Pfeff. strau). Nr. 200 »alle- zeit : to Jan altittoy« (Pfeff. immertu).

Während die angeführten Belege hinreichen, um zu beweisen, dass nicht das Pfeffinger'sche Material, wie es bei Eccard vorliegt, die Vor- lage des Kopenhagener Wörterverzeichnisses bilden konnte, liegen in der Gruppirung der Wörter des Kopenhagener Textes deutliche An- haltspunkte für die Annahme vor, dass schon die den beiden jetzigen Vocabularien zu Grunde liegende gemeinsame Quelle die Wörter nach Materien gruppirt hatte. Als ich das Kopenhagener Verzeichniss mit

i;

A. Vieth,

dem Pfeffinger'schen Material verglich, fand ich leicht heraus, dass die Wörter der beiden Verzeichnisse gruppenweise in der Reihenfolge sich entweder genau entsprechen oder wenigstens nahe beieinander stehen. Das veranlasste mich, in den Anmerkungen zum Kopenhagener Material die genauen Hinweise auf die Ausgabe Eccard's beizufügen. Diese Gruppen können durch folgende Nebeneinanderstellung veranschaulicht werden :

Ecc. c. 15 p. 295: Kopenh. Mat.:

Teisko Teisko

Suecia Suecia

NGs Nüs

Gobel Gobel

Platteer

Taleer Taleer

Steyl Steil

Ecc. c. 7 p. 286;

Sugli Paprey Saurey Oläja

Kopenh. M. (unmittelbar an das Vonm- gehcnde angeschlossen, :

Sugli Paprey Sorcy Olaja.

Man kann schon hier wahrnehmen, dass als Bestandtheile eines Tisches, wenn man sich diesen zur Mahlzeit gedeckt denkt, die zuletzt aufgezählten vier Wörter ganz gut zu den vorausgehenden stimmen, so dass die Trennung auf Seiten des Pfeffinger'schen Materials gegenüber der gemeinsamen Vorlage anzunehmen ist.

, c. 6 p. 285 :

Kopenh.

M. (nach zwei anderen Wör

tern fortsetzend):

Rock

Rock

Bruchüsa

Bruchusa

Netnusa

Netnusa

Zriwei

Zriwei

Klubüc

Klubuc

Kortäl

Kortal

Duffll

Runcawelzia

Nastiic

Nastic

Saücnia

Zilöi ^

Knöpü

Knepoi.

Beiträge zur Ethnographie der hcannovcrschcn Elbshivcn.

139

Von den in dem Verzeichniss des Kopcnh. M. fehlenden Wörtern kommt Duffli überliaupt nicht vor, Runcaweizia steht unter Nr. 122, Seienia unter Nr. 188 und gleich daneben Nr. 189 Ziloi, welches dem deutschen Linnen entsprechen soll. Ich machte schon oben die Bemer- kung', dass Linnen wahrscheinlich einmal verschrieben war für Bienen, darnach wäre Ziloi Nom. plur. = cel:y, das nächst darauf folgende Wort des Kopenh. Verzeichnisses »Wachs; Woska« verleiht dieser Vermuthung vielleicht einen noch höheren Grad der Wahrscheinlichkeit.

Ecc. cap. 3 p. 283 enthält die Aufzählung einzelner Körpertheile des Menschen, im Kopenhagener Material ist das in zwei Gruppen aus- einandergehalten :

»

Ecc. 0.3 p. 282— 284:

Kop.M. (unmittelbar nach den obigen)

Witsäy

I.

Gruppe

Runca

Sleisang

Pangst

Poiwüngfa

Poletz

Tscheisöot

Nika

Kloa (Gläwa)

Dike manse Peisda

Seiwat

Witsei

Flassöi

Sumboi

Müfdcnüy

Zelü

Loiszeiaa

Weisda (Nr. 25—34

Lippia

II.

Gruppe

! Flassoi

Bröda

Müsdenuy

Wöju

Loiszeina

Riinca

Witsay

Poletz

Sleisang

Nücka

Poiwungsa

Wungs

Tscheisöot

Jüngfic

Watgy

Witfey

Sumb

Wungs

Sumböi

Lippia

Zem

Bröda

Weifda

Woju

Dicke mangfee

Seiwat

Peyfda

Soos

Tfchesin

Tschesin

Soos

Seywodak

Pump

Seywödac

140

A. Vieth,

Kaiöi Paügst Nütchit

Rünca iPangst) Rechtia runca Leva runca

Karoi

Fängst

Nütschit

Rechtia runka

Lewa runka 'Nr. 288-311).

Während in diesen Reihen eine Zertrümmerung der ursprünglichen Vorlage unverkennbar ist, da in kleineren Bestandtheilen die ursprüng- liche Zusammengehörigkeit noch sichtbar ist, eine Erscheinung, die auch sonst einige Male wiederkehrt, können wir die volle Uebereinstimmung weiter beobachten in solchen kleineren Gruppen :

Ece. p. 2 p. 277:

Trebe

Juströi

Pancjustee

Sredügliat

Maichalewa

Siuncteü

Sädat

Ecc.

c. 10 p. 291—92: Leijeitzka Wütfka Wilca mois Alois Subö Lofeyka, Patten

Lastoweizia TU loa

Kopenh. M. : Tribe Justroi Pancjustec Ansa dan Maichaliwa

Sadat,

Kopenh. M. : Leiseitzka Wutska

Suboi Patten

Lastoweitzia Tilca

Patinatz Güdic

Patinatz Gudic.

Ich könnte die Aufzählung solcher Reihen noch fortsetzen, doch schon die angegebenen Belege sind ausreichend, um den Beweis zu lie- fern, dass in der That zwischen dem Pfeffinger'schen und dem Kopen- hagener Material ein Zusammenhang besteht, der nur durch die An- nahme einer ihnen gemeinsamen Vorlage erklärt werden kann.

F. /.

Beiträge zur Ethnographie der hannoverschen Eibslaven. 141

Bemerkungen zu dem deutsch-wendischen Wörterbuch.

Vor dem Druck der vorstehenden Polabica schrieb mir Prof. Jagi6 über einige unklare und schwierige Worte des Glossars. Seiner Auf- forderung, meine brieflichen Bemerkungen und was mir sonst etwa noch auffiele, als Anhang zu der Publikation zusammenzufassen, komme ich hiermit nach.

Die sonderbaren Worte S. 119, Z. 6 v. u.,ye hestie dicsi soh mitse gatse gedunse dasi dus cfftüi ahscanizehi lassi, sind ein Spass, den sich ein Schalk mit dem biedern Aufzeichner der Traditionen gemacht hat, indem er an die Worte eines deutschen Satzes -se -si [-i) anhängte, also : je hest-ie du-si soh mitse gatse gedunse da[t)si dus [li)effts ti ahs-cantzeln la[tn)si\ der Satz, der ein wohl absichtliches Gemisch aus Hoch- und Niederdeutsch enthält, würde richtig niederdeutsch lauten: Je, hest du so mit gott [ge)dcm, dat du hest di afkanzeln täten, und besagt genau dasselbe, was die gleich darauf folgenden hoch- deutschen Worte.

Im Folgenden beziehen sich die Zahlen auf die Numerirung der vorstehenden Ausgabe.

4. Thiol. Das Wort scheint bei Pf. ausser c. 20 p. 303 noch ein- mal vorzukommen c. 18 p. 301 lieureux dühretchäal, zu trennen dühre tchaal, also wenn thiol = col = cel~ richtig gedeutet ist, etwa «gut Heil«.

20. Bruchusa ist hrok-hose, mittelniederd. 5röÄ-Aase^^ »Hose und Strumpf zusammen, langes Beinkleid« (Lübben, Mittelnd. Handw.).

20. Ketnusa wird verschrieben sein für nethusa, und ist wahr- scheinlich ndd. knütt-häs, eigentlich Strickstrumpf [hose bedeutete be- kanntlich in älterer Zeit Strumpf); knütt-häs ist noch im Holsteinischen als »Strickzeug, Strickstrumpf« gebräuchlich.

20. Kortal, vielleicht das ndd. kortel, das in einigen Gegenden im Sinne eines w^eiten Rockes gebraucht ist (vgl. Brem. Wb.); möglicher Weise auch = Kittel, vgl. engl, kirtle (eig. Kurzkleid).

38. Spetchai das Schwein; polab. Plural des deutschen speck, also nach Schleicherscher Schreibung spekai.

47. Moska die Butter, = mostka, ist das Deminutiv zu masih (vgl. Schleicher S. 177. 19), also = masthka.

142 A. Vieth,

64. Ut capunt Schlepatsch^ die beiden ersten Worte sind ndd. üt-kapünt »auskapaunt« = kastriert; mnnd. happunen »zum Kapaun machen, kastrieren«. Vgl. Pf. c. 10 p. 29 1 out capünt engst = kastrier- tes Pferd.

89. Momeneutsc henang 'iieumou, schwerlich, wie Jagic vorschlägt, aufzulösen in mon ie neu tschenang^ sondern in mome neu-tschenang[s)^ in Schleicherscher Schreibung möme neu K-{i]näz = wir haben Neumond. Man muss darnach annehmen, dass K[i)näz Mond bedeute, wie das poln. ksieiyc. Ebenso wird 90 momneng erste Vartin zu lesen sein mom nena [tieng verschrieben) erste vartil {vartifi verschrieben) = wir haben jetzt erstes Viertel.

9 1 . Sko7ie dagna Wedry es ist schönes Wetter ; das erste Wort ist natürlich deutsch (schön), aber dagna ist kein ndd. Wort; ich dachte erst an die Auflösung skone dag na (Präp.) ivedry\ vgl. aber 257 peiwb nitz daigna\ nimmt man hier daigna als Adj., so ist vielleicht dies und obiges dagna = nnd. deg^n (gediehen, gut, tüchtig, ordent- lich, to deger adv. tüchtig, ordentlich), also oben »schönes ordentliches Wetter«.

132. Patten die Kröte, es ist das allgemeine nnd. padde.

145. Lüstüwoicia Nussbaum; wäre nach Schi, lesküvaica (vgl. sloven. leskovica). Der wendische Bauer kannte keinen Wallnussbaum, sondern nur den Haselnussstrauch.

165. Burdagnia das Beil; die Form kann ich nicht erklären, sicher steckt wohl nnd. harde (Breitbeil) darin.

176. Kutske Gutsche, kann nur das deutsche »Kutsche« (mnnd. kutze) sein.

201. Tojan hatcJien wenig und 210 Batchijan nicht viel, = tu ja, haien^ bat'e{n) ist das nnd. hetken hetjen »ein Bisschen, ein wenig«.

275. Ban der Boden, = nnd. hon., mnnd. hone Bühne, Oberboden des Hauses.

276. Goart die Scheuer, möchte man auch für deutsch halten; die Schreibung entspräche einem nnd. gctrd] ich kann es in der Bedeu- tung nicht nachweisen, vgl. aber got. gar da Stall.

324. Tgörimgardol das Thal, aufzulösen in t görung ardol^ d. i. görö (Acc. zu göra Berg) und miA.. herdäl (hinab; zu ar = her s. Schi. S. 56. 14), also »den Berg hinab«.

Beiträge zur Ethnographie der hannoverschen Eibslaven. 143

338. Nils Mist, beruht auf einem Missverständniss; der Gefragte hat das und. ?ness (Mist) als mess = Messer (noch jetzt so gebräuchlich) verstanden und ganz richtig übersetzt, vgl. Nr. 10 »ein Messer iV/Vs« (= fiiiz).

347. Jus tschedral[al) ich habe geredet, kann nicht mit sorb. zvafitoric zvatoric verbunden werden, sondern ist nnd. köddern (jetzt meist hören oder küren, mnnd. köderen koddereii) plaudern, daraus polab. '^ködröt.

376. Smudia Weina guter Wein, hat nichts mit dem nnd. smode zu thuu, sondern smudia, zu lesen smida smuka, ist das Adj. smuk (schön), vgl. Pf. c. 20 p. 303 smacca smuk = schmeckt gut.

Man könnte, namentlich mit Hilfe des Niederdeutschen, noch allerlei Deutungsversuche machen, ich hatte auch noch mehr gemacht, verzichte aber darauf, sie mitzutheilen. Es ist oft ein reines Räthselrathen an meistens sehr unwesentlichen Dingen. Eine Probe von solchem Herum- rathen will ich geben. Nr. 57. Sadat ein Fasttag; Jagic setzt dazu mit Fragezeichen zedati, polabisch wäre das nach Schleichers Schreib- weise züdat. Ich hatte vermuthet, der protestantische Bauer habe ^>fasttag«^ nicht verstanden, weil er Fasttage nicht kannte, sondern, na- mentlich wenn die Frage etwa das Wort im Plural enthielt, ein nieder- deutsches 'ofast tägenv, d. i. festgezogen, zugezogen, herausgehört und Xihtx^^izi za[o)dat=^zadeth (vermacht, zugemacht). Nach dieser Probe wird den geneigten Leser wohl ein gelindes Grauen beschleichen, das ich durch weitere nicht vermehren möchte.

A. Leskien.

144

Das Gesetzlbuch des serMsclien Garen Stephan Dusan.^)

I. Die Editionen des Gesetzbuches.

Eines der wichtigsten altserbischen Denkmäler ist das Gesetzbuch des Stephan Dusan, des berühmtesten Herrschers der serbischen Ge- schichte (1331 1355), der sich nach einer bedeutenden Erweiterung seines Gebietes gegen Süden am Ostersonntag 1346 in Skopje zum Kaiser der Serben und Griechen krönen Hess. Es ist erlassen vom Garen im Verein mit dem Adel und der Geistlichkeit auf einem Reichstag (ckRCpb oder 3B0pii) ebenfalls in Skopje, am Festtag der Himmelfahrt Christi, 21. Mai 1349. Nach Art. 135 2) ist in den Codices von Prizren, Athos, Bistrica, Chodos und Rakovac die Jahreszahl 6862, T.Indiction, also 1. September 1353 31. August 1354 zu lesen, welche einen zweiten Theil einleitet, nach der Ansicht von Zigel und Novakovic einen Nachtrag, der im genannten Jahre wahrscheinlich wieder auf einem Reichstage promulgirt wurde, nicht lange vor des Garen Tod (f 20. De- cember 1355). Eine weitere Fortsetzung hat das Gesetzbuch nicht ge- funden.

Die erste Ausgabe von Rajic, benutzt mit manchen Missverständ- nissen bei Engel und Bou^, sowie die zweite von Magarasevic (im Letopis 1828) haben jetzt nur ein literarhistorisches Interesse-^). Ein

1) SaKOHHK CTe<i>aHa TTyiuaiia, napa cpncKor, 1349 u 1354. Ha iiobo U3jao u oöjacuuo CTOjaH HoBaKOBiih. y Eeorpaay 1898 (Ausgabe des Fondes des Ilija M. Kolarac, Nr. 91), CLIII und 312 S., 80 (Preis 5 Dinar).

2) Die Artikel des Gesetzbuches citire ich nach der vorliegenden neuen Edition von Novakovic.

3) »Der Historiker Engel, dessen guten Willen ich übrigens sehr ehre und nur bedauere, dass ihn das Schicksal nicht eine bessere Copie erleben Hess, gab sich die sisyphische Mühe, diese paraphrasirten Gesetze ins Deutsche zu übertragen (Gesch. v. Serb. S. 293 &.], wobei es natürlich an Missgriffen aller Art nicht fehlen konnte, als z.B., dass aus der vormittägigen Vorladung vors Gericht eine Einladung zum Mittagsmahle gemacht und dem Nicht- erscheinenden eine Strafe angedroht wird!« (bezieht sich auf Art. 56). P. J. Safaiik, Geschichte der südslavischen Literatur 3, 226 227.

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. 145

bessei'es Bild des Inhalts bot die Edition von Safafik bei Kucharski, Antiquissima monumenta juris slovenici, Warschau 1838; sie beruht auf dem Codex von Rakovac, der obzwar ziemlich recent, die Abschrift eines recht alten Textes bietet. Lange Zeit massgebend war eine zweite Ausgabe von Safarik in seinen Pamätky 1851 (reproducirt von Miklo- sich 185G); bei derselben sind zu Grunde gelegt die Codices von Chodos, dessen Alter und Werth allerdings sehr tiberschätzt wurde, und von Rakovac. Eine wichtige Entdeckung war die Auffindung des viel älte- ren und vollständigeren Codex von Prizren, zuerst benützt von Nova- kovic in seiner Ausgabe von 1870. In derselben sind jedoch die Artikel nicht in der Reihenfolge mitgetheilt , wie sie in der Handschrift stehen, sondern nach dem juridischen Inhalt gruppirt, und überdies auch die alten Ueberschriften der einzelnen Artikel weggelassen, ein Verfahren, welches Daniele in einer Recension im »Rad jugoslavenske akademije« 15, 179 180 mit Recht ungünstig besprochen hat. Getreu reproducirt wurde die Handschrift von Prizren von Zigel, SaKOHHHK'L Cxe^aHa ^yuiaHa, Petersburg 1872. Die werthvollen von Grigorovic in Struga bei Ochrid gefundenen Fragmente nebst einer Fülle anderen Materials publicirte Florinskij , in seinem für die Erforschung dieses Denkmals bahnbrechenden Werke: IlaMflTHiiKH 3aK0H0/i;aTejiLH0H A'^HTejitHocTH /l^ymaHaM, iiiapa CepöoBt h FpeKOBi., Kiev 1888 (XU, 491 S., dazu 225 S. Beilagen und XXXIII S. Indices).

Novakovic hat inzwischen unermüdlich Vorbereitungen zu einer neuen Textausgabe getroffen. Dieselbe ist 1898, 28 Jahre nach seiner ersten Edition erschienen, ein stattlicher Band mit Einleitung (CLIH S.), Text sammt Varianten (1 148), Commentar (149 267), Verzeichniss der Kapitel (271 282) und alphabetischen Indices der Namen und Termini zu den Texten und Commentaren (283 312).

1) In seinen Urkunden heisst dieser Herrscher nur Stefan kralj oder später Stefan car, mitunter auch Stefan IV. (Evang. von Chilandar, Glasnik Bd. 56, S. 60, 99), bei den Venetianern und Ragusanern rex oder später Im- perator Stephanus. Der nationale Name Dusan war nicht officiell; belegt ist er z. B. bei Daniel 163 und im Epilog eines Codex, der im Kloster Decani ge- schrieben wurde »ßk ji,h\iH YPHCTOAWKHBaro H Bf/iHKaro KpaAia GTf^aHd yVjOyiuaHa« (Starine 10, 266). Ebenso heisst König Milutin in seinen Urkunden nur Stefan Uros, bei den Venetianern, Ragusaneru, in Cat- taro i-ex Urossius; der nationale Name Milutin ist aber auch bei Pachymeres zu lesen als Mr^Xonlvog (Mich. V cap. 7).

Archiv für slavische Philologie XXII. 10

146 Const. Jirecek,

Diese neueste Edition bot die Veranlassung zu der vorliegenden Studie. Das Denkmal ist für die mittelalterliche Geschichte Serbiens zu wichtig, als dass es bei Gelegenheit einerneuen Ausgabe nur in einer Recension in dem üblichen engen Rahmen einer solchen besprochen werden sollte.

II. Das Yerhältuiss des Gesetzbuches zu den Uebersetzungen griechischer ßechtshücher.

Verwickelte Fragen knüpfen sich an die Entstehung des Gesetz- buches und an sein Verhältniss zu den byzantinischen, in slavischen Uebersetzungen vorhandenen Gesetzsammlungen.

Vor 1349 gab es in Serbien nur einzelne Gesetze, erlassen von den Königen ohne Zweifel im Einvernehmen mit dem Reichstag, wie die des Königs Stephan Uros II. Milutin, welche im Gesetzbuch des Garen aus- drücklich citirt werden, sowie einzelne Bestimmungen der Landesfürsten, enthalten z. B. in Handelsprivilegien an fremde Kaufleute und in Schen- kungsurkunden an Klöster. Förmliche Gesetzbücher waren nur die kirchlichen Nomokanones grieclnschen Ursprungs. Dieselben enthielten neben dem Kirchenrecht auch byzantinische weltliche Gesetze.

In den altrussischen Nomokanones ist eine Uebersetzung der ^E/.loyt] Tcov vof^uov des Kaiser Leo des Isauriers und seines damaligen Mit- regenten Konstantin (Kopronymos) vom J. 740 eingeschaltet. Die serbi- bischen Nomokanones bieten die Uebersetzung eines jüngeren byzantini- schen Gesetzbuches , des IJQÖxeiQog vöf-iog des Kaisers Basilios I. um 879, bezeichnet als gradski zakon, was wörtlich dem griechischen vöfiog TtoXiTiyjjg (jus civile) entspricht i). Diese Uebersetzung ist erhalten in drei alten Abschriften: in einem für den Bischof von Budimlje geschrie- benen Text von 1251 2, jetzt verloren, aber copirt in einem »Zakonik« des Marienklosters von Moraca in Montenegro von 1613, ferner in einem Nomokanon, geschrieben 1261 2 in Ilovica für die bischöfliche St. Mi-

ij Ob die Basilike7i den südslavischen Juristen des Mittelalters bekannt waren, ist bisher nicht erwiesen. Heimbach bemerkt über den 1567 von Cuja- cius aus Venedig gebrachten Codex Parisiensis 1352 (geschr. um 1300), wel- cher Buch 1 18 der Basiliken mit Scholien enthält : »Die mn Ratide geschrie- benen Schollen sind bisweilen in slavischer oder iUyrischer Sprache geschrieben « (Erseh-Gruber's Allg. Encyklopädie Bd. S6, S. 341 B). Ueber diese Marginal- noten möchten wir gern etwas Näheres wissen !

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. 147

chaelskirche in der Zeta, endlich in einem »Zakonik«, den Grigorij II., Bischof von Ras, 1304 5 copirt hat (über diesen Codex des Grigorij vgl. Sreznevskij, Starine 3, 189). Eine alte russische Copie befindet sich in der Kormcaja von Rjazan vom J. 1283 (I. I. Sreznevskij, Oöo- sp'iiiie pyeoKHX'L cnncKOBi. KopM^ieä KHHrii, Petersburg 1897, 75). Die Kapitelaufschriften der Kormcaja von Ilovica hat Sreznevskij in seinen ■CBiA^nifl H sa^röTKii o Ma.i0H3BicTniixT. H iieHSB^cTiiiixT) naMATHnKaxt im CöopHHKx XII, (1875) IG 1—162 veröffentlicht. Eine Abschrift des ganzen »gradski zakon« aus demselben Codex hat Jagic an Sreznevskij mitgetheilt (darüber Jagic, Starine VI, 61 über die Kormcaja ilovicka), doch ist dieselbe auch in dem oben erwähnten posthumen Werk des Sreznevskij über die russischen Nomokanones nicht zum Abdruck ge- kommen. Die Freunde serbischer Geschichte sind deshalb dem Archi- mandriten Nicifor Ducic zu grossem Dank verpflichtet, dass er den »gradski zakon« aus dem Codex von Moraca vollständig abgedruckt hat: KpMqnja Mopa^Ka, Glasnik der serb. gelehrten Gesellschaft, 2. Serie, Band 8 (1877), 34 134. In den russischen Nomokanones oder Korm- caja's ist übrigens derselbe , aus serbischen Vorlagen stammende und sprachlich wenig geänderte Text dieses »gradski zakon« auch in den neueren Drucken wiederholt, als 48. Stück der kirchlichen Gesetzes- sammlung ^).

Für Serbien in der Zeit des Garen Stephan Dusan ist von Bedeu- tung das 2vvruy(.ia des HieromonachosMatthaios Viastares [BXaGTccQr^g) aus Thessalonich, ein alphabetisch geordnetes Handbuch des Kirchen- rechtes, verfasst 1335. Es ist in altserbischen Handschriften vorhanden sowohl in einer Uebersetzung, als in einem Auszug, der besonders auf die weltlichen Gesetze Rücksicht nimmt. Die Termini der Sprache weisen klar auf das Zeitalter des Garen Stephan (vgl. Novakovic, IIpH- Mepn 297—303; Zigel 116—149 mit Parallelstellen des griech. Origi- nals; bei Florinskij eine ausführliche Analyse der griech. und slav. Codices, sowie der üebersetzungsarbeit 290 447, Texte 95 203). Dazu kommen noch die sogenannten Gesetze Justinians , altserbisch in zwei Recensionen (die kürzere in 33 Artikeln ist nach Florinskij älter).

1) Ueber den grossen Einfluss der Uebersetzungen der Ekloga und des Prochiron auf die russische Gesetzgebung im XVII. Jahrh. vgl. R. Hube, 0 znaczeniu prawa rzymskiego i rzymsko-byzantynskiego u narodöw slowian- skich, Warszawa 1868, 26 32 = Droit romain et greco-byzantin chez les peuplea slaves, Paria 1880, 29— 3J.

10*

148 Const. Jirecek,

eine Compilation aus der Ekloga, dem vößog yeioQyLy.ög^)^ dem Prochi- ron u. s. w., in der neueren Literatur viel besprochen von Hube, Bogisic, Vasiljevskjj, Pavlov, Florinskij und Zigel.

Novakovic machte in seiner Chrestomathie (IIpiiMepH KiiHateBHOCTH H JBBHKa cTapora h cpncKO-cJOBeHCKora, Belgrad 1877, S. 304) darauf aufmerksam, dass sich das Gesetzbuch Dusans in den Handschriften stets nur als Anhang zu den Uebersetzungen byzantinischer Gesetze vorfindet und in seinen Bestimmungen den Gegenstand nirgend er- schöpft. Dabei hat es Novakovic als wahrscheinlich bezeichnet, dass die gesetzgeberische Thätigkeit der Zeit Dusaus nur als Abfassung von Nachträgen, Verbesserungen, Veränderungen und Ergänzungen zu den in Serbien seit der Zeit des hl. Erzbischofs Sava eingeführten byzantinisch- römischen Gesetzen zu betrachten sei , was jedoch durch genauere Un- tersuchungen näher zu beleuchten wäre. Unabhängig von Novakovic gelangten zwei russische Forscher zu ähnlichen Erwägungen. A. S. Pav- lov meinte in einem Referat über den Codex von Bistrica, als »zakonik« sei nicht nur das Gesetzbuch Dusans, sondern das ganze juridische Sammelbuch, in welchem der Text vorzukommen pflegt, zu verstehen; das Gesetzbuch sei überdies nicht getrennt zu betrachten von dem serbi- schen Auszug aus dem Syntagma des Viastares (^Tenifl der Moskauer bist. Gesellschaft 1885). Florinskij betrachtet es in seinem Werke (1888) als wahrscheinlich, dass der serbische Reichstag 1349 eine ganze Samm- lung von Gesetzen sanctionirt habe, bestehend aus drei Stücken: dem abgekürzten Syntagma des Viastares, den sogenannten Gesetzen des Kaisers Justinian und als Beilage dazu dem serbischen Gesetzbuch des Caren Stephan (S. 16 17). Einen besonders nahen Zusammenhang findet Florinskij zwischen dem Gesetzbuch des Caren und dem abgekürzten Syntagma. Die vielen Lücken des Gesetzbuches Dusans, nicht nur im Eherecht, Erbrecht oder Obligationenrecht, sondern auch in manchen Theilen des Strafrechtes erklärt er durch das daneben bei Gericht gel- tende Syntagma, die Systemlosigkeit des Gesetzbuches durch den An- schluss an das nur alphabetisch geordnete Syntagma (S. 440 446). Dabei bezweifelt Florinskij die Ergänzung des Gesetzbuches durch neue Reichstagsbeschlüsse 1354 und meint, der ursprüngliche Text von 1349 sei in den folgenden sechs Jahren als Ganzes in verschiedenen Theilen

1) Eine neue Ausgabe des vöfxos yBWQyixos^ von C. Ferrini, Byz. Ztschr. VII (1898), 558—571.

Das Gesetzbuch des sorbischen Garen Stephan Dusan. ] 49

successive vervollständigt worden (S. 274). Er vorweist dabei darauf, dass in dem ältesten Text, in den Fragmenten von Struga, die Jahreszahl nach Art. 135 fehlt.

Eine werthvolle Besprechung des Buches von Florinskij veröffent- lichte 1890 Zigel in den Gutachten über die Makarij'sche Prämie (ÖT^eT'L 0 TpeTtsM^ npHcya^AeniH irpeMia MaKapin, MHxponojiHTa moc- JCOBCKaro, »Zapiski« der kais. Akademie, Bd. 63, No. 3, Petersburg 1890, S. 57 113). Dass die gesetzgeberische Thätigkeit auf einem neuen serbischen Reichstag 1354 fortgesetzt wurde und dass das Ge- setzbuch Dusans aus zwei Theilen besteht, hält Zigel für erwiesen, mit Hinweis auf Art. 166 (164 bei Novakovic), der sagt, die Aufnahme fremder Bauern soll, wenn sie »vor diesem Reichstag (ckKopk)« ge- schehen ist, nach dem »ersten Gesetzbuch« (KaKO n»ui( oy np^ßkiMh SiVKOHkHHKOV) gerichtet werden. Es wurden nach Zigels Ansicht zwei Gesetze über diese Frage erlassen, ein älteres, mildes von 1349 (Art. 115 Nov.), nach welchem der fremde Flüchtling, wenn es darüber keine Urkunde des Garen gab, zurückzusenden war^), ein neueres, strenges von 1353—4 (Art. 140—141 Nov.), nach welchem Edelleute, Städte und Märkte für die ohne Erlaubniss des Garen erfolgte Aufnahme frem- der Leute die Strafe für Hochverrath (HtBljpa), also Confiscation der Güter zu erleiden hatten; Art. 164 Nov. bestimmt nur, dass die neue strengere Bestimmung kein rückwirkendes Recht haben soll.

Wichtig ist die Frage über die Anordnung der Artikel. Zigel hält das Gesetzbuch nicht für systemlos und findet (S. 76) in dem ursprüng- lichen Theil von 1349 folgende Ordnung: 1. Kirchenrecht (Art. 1 38 Nov.), 2. die Weltlichen, eigentlich der Adel und seine Bauern und Sklaven, und ihre Rechtsverhältnisse (Art. 39 73 Nov.), 3. Besitzver- hältnisse (Art. 74 83 Nov.), 4. Strafrecht und gerichtliches Verfahren (Art. 84—117 Nov.), 5. Oeffentliches Recht (Art. 118—135 Nov.). Das Muster dieser Reihenfolge sucht Zigel in den griechischen Gesetz- büchern des Mittelalters, z. B. in den Basiliken, die ebenso mit dem Kirchenrecht beginnen, sowie in der Ekloga und im Prochiron , die ge- rade so mit dem Kriegsrecht schliessen , wie der erste Theil des Gesetz- buches Dusans (Art. 129 135 Nov.).

1) Zur Sache vergleiche die Urkunde Stephan Dusan's als König 1334 an die Ragusaner (Mon. serb. 107 109), sie sollen keinen Mann aus dem König- reich in Stagno oder auf der Halbinsel von Stagno aufnehmen und j^den Flüchtling auf Reclamation des Königs ausliefern.

\ 5(3 Const. Jirecek,

Was den Zusammenhang des Gesetzbuches mit den Uebersetzungen griechischer Rechtsbiicher anbelangt, meint Zigel, dass das im serbischen Nomokanon eingetragene Prochiron, welches ja in einigen Texten des Gesetzbuches citirt wird (Art. 101 nach den Codices der Athosgruppe: KaKO HHiue o\ saKOHHKOv cKeTH^ii OTki^k oy rpa;i,cu,iHYk rpa- Ha^k), neben Dusans Gesetzen in Geltung geblieben sei. Zwischen dem Auszug aus dem Syntagma, den sogenannten Gesetzen Justinians und dem Gesetzbuch Stephans Dusans gebe es dagegen nicht wenige Wider- sprüche. Bei dem Process zwischen ünterthanen von zwei Kirchen oder Klöstern wird nach dem Gesetzbuch die Sache vor beiden Obrigkeiten ausgetragen (Art. 33) ; das Syntagma folgt bei dem Process zwischen Leuten verschiedener Jurisdiction dem römischen Grundsatz : actor se- quitur forum rei. Bei der Entführung einer Frau durch einen Mann derselben Classe ist im Gesetzbuch Dusans (Art. 53) als Strafe der Ver- lust beider Hände und der Nase festgesetzt, bei der Entführung einer Edelfrau durch einen Nichtadeligen der Galgen ; nach dem Syntagma i) wird der Entführer, wenn er bewaffnet war, enthauptet, war er nicht bewaffnet, verliert er eine Hand. Im Gesetzbuch Dusans ist ferner als Strafe für den absichtlichen Mord der Verlust beider Hände, für den unabsichtlichen Todtschlag eine Geldstrafe von 300 Perper festgesetzt (Art. 87). Beide Strafen zusammen, Verlust beider Hände und die Geldstrafe, erleidet ein Sebr , wenn er einen Vlastelin tödtet , aber der Edelmann, der einen Sebr tödtet, zahlt nur 1000 Perper (Art. 94). Der Mörder eines Geistlichen kommt auf den Galgen (Art. 95). Nach der Uebersetzung des Syntagma wird bei absichtlichem Mord der Höher- gestellte (noMTtHK, %vTL(.Log) durch Confiscation gestraft, der Nicht- adelige (cEBpk, evTslrjg) mit dem Schwert hingerichtet 2); auf den un-

1) Ebenso nach dem Prochiron 39, 40.

2) Das Prochiron 39, 79 hat für vorsätzlichen Mord bei Erwachsenen stets die Todesstrafe, die aber nach Zachariae von Lingenthal, Geschichte des griechisch-römischen Rechtes, 3. Aufl. (1892), S. 334,346, im byz. Reiche immer seltener vollstreckt wurde. Auch in Serbien gab es einen Widerwillen gegen die Todesstrafe. König Stephan Uros II. Milutin (1308) wollte in einer Contro- verse mit den Venetianern nicht »punire mortem pro morte«, sondern die vrazda, das Sühngeld (500 Perper in Fällen zwischen Ragusanern und Serben), beibehalten : »nolebat spargere sanguinem suorum, sed volebat servare et teuere antiquam consuetudinem vrasde predecessorum suorftm et suam, et quod aliud non faceret aliquo modo, quia hoc eciam firmaverat per sacramen-

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. 1 5 1

absichtlichen Todtschlag wird eine fünfjährige Verbannung (SdTOHeH'ie) gesetzt. Ebenso gibt es Widersprüche bei der Bestrafung von Räubern und Mördern. Bei Vermögensstrafen hat das Gesetzbuch einen sieben- fachen Ersatz des Werthes, das Syntagma nur einen doppelten. Es konnten also nach Zigel nicht beide Rechtsbücher neben einander im Gebrauch stehen. Zigel findet auch Diflferenzen zwischen dem Gesetz- buch Dusans und den sogenannten Gesetzen Justinians, die aber im Gan- zen unbedeutend sind.

Ueber die Einführung dieser Rechtsbücher sagt Zigel (S. 107): »Und so sind nach meiner Meinung das abgekürzte Syntagma und die kürzere Redaction des Gesetzes des Kaisers Justinian auf Initiative Dusans entstanden, welcher sie nicht als Gesetze betrachtete, sondern nur als Werke, die für die serbischen Juristen äusserst lehrreich waren c Also das Syntagma soll als eine Art Institutionen, als ein juridisches Handbuch für die serbischen Richter, nicht als Rechtsquelle gedient haben. Zum Schluss spricht Zigel die Meinung aus, das Gesetzbuch Dusans sei nicht lange in Geltung geblieben, eine Ansicht, der ich nicht beistimmen kann. Ohne praktische Bedeutung durch eine längere Zeit hätte ja die grosse Zahl von Abschriften und die Entstehung abweichen- der Recensionen keine Erklärung.

Novakovic bespricht in der Vorrede (S. XXXIX f.) ausführlich alle diese Fragen. Dusans Gesetzbuch ist nach seiner jetzigen Ansicht kein Nachtrag zu den anderen juridischen Schriften, mit denen es in den Codices vereint zu sein pflegt. Die Stücke sollen nur wegen der Ver- wandtschaft des Inhaltes in den Handschriften beisammen copirt worden sein. Uebrigens hätte das Kirchenrecht, das im engsten Zusammenhang mit der Nationalkirche und deren Verfassung stand, also auch das Syn- tagma, es nicht nöthig gehabt vom serbischen Reichstag oder vom Lan- desfürsten acceptirt und eigens promulgirt zu werden. Die Uebersetzung des Syntagma, als eines neuen Schlüssels zu den auch Weltliches ent- haltenden kirchenrechtlichen Sammlungen, sei eine Folge der serbischen Occupation zahlreicher griechischer Provinzen gewesen. Die Nomo- kanones sollen das Muster gewesen sein, das den Garen Stephan bewogen habe die in Serbien giltigen Gesetze zusammenstellen zu lassen. Dabei hält Novakovic, ohne die eben besprochenen Bemerkungen von Zigel in

tum «. Statut VIII c. 58 bei Lucius, Memorie di Trau (Venezia 1674] 514, Pucic II, 151 f., Bogisic, Le Statut de Raguse, Paris 1894, 41 f. (vgl. Archiv 17, 269).

1 52 Const. Jirecek,

dessen Referat über das Buch von Florinskij zu kennen, das Gesetzbuch noch immer für systemlos (S. XLI). Als Quellen des Gesetzbuches hat schon Bogisic (Pisani zakoni na slovenskom jugu, Agram 1872, 35) ältere einzelne Gesetze, königliche Befehle, ßeichstagsbeschlüsse und Rechtsgewohnheiten bezeichnet und z. B. einige wichtige Parallelen zwi- schen Stephans Dusans Privilegium an die Ragusaner von 1349 und dem gleichzeitigen Gesetzbuch zusammengestellt. Novakovic bringt in seinem Commentar manche neue Belege dieser Art aus dem Urkundenmaterial vor. Bezüglich der Rechtsgewohnheiten als Quelle meint er, es sei schwer zu sagen, was ins Gesetzbuch aus den volksthümlichen Rechts- anschauungen aufgenommen wurde und was bei den Serben im Laufe der Zeiten durch Einfluss des Gesetzbuches traditionelles Volksrecht wurde. Aus dem Nomokanon sei bei der Abfassung des Gesetzbuches Einiges recipirt, Anderes aber selbständig in anderer Art festgesetzt worden (S. XLV). Schliesslich macht Novakovic auf die zahlreichen Bestimmungen aufmerksam, welche ganz die Form administrativer Man- date des Laudesherrn haben, und welche gerade nur im zweiten Theil des Gesetzbuches vorkommen, in den einzelnen Artikeln eingeleitet mit den Worten: »es befiehlt mein Carenthum« (iiOßfA'KBa u,apcTBCt mh oder (i\i( noBCA'kBd u^apcTßO mh). Diese Bestimmungen wurden nach seiner Ansicht 1349 1353 als einzelne ChrysobuUe oder Mandate des Garen ausgegeben und 1353 1354 auf einem Reichstag acceptirt und in das Gesetzbuch eingetragen.

Die letzte Aeusserung über diese Fragen ist verfasst wieder von Florinskij , eine Recension über die Edition von Novakovic in den »Izvestija« der Universität von Kiev 1898 Nov. 232 244. Florinskij ist mit der Textausgabe von Novakovic zufrieden, beharrt aber auf seiner Meinung, das abgekürzte Syntagma, die sogenannten Gesetze Justinians und das Gesetzbuch Dusans hätten ein Ganzes, den vom serbischen Reichstag codificirten «zakonik« gebildet. Ebenso spricht er sich aber- mals gegen die von Novakovic vertheidigte Abfassung auf zwei Reichs- tagen aus und meint, schon in Stephan Dusans Zeit habe es in Serbien mehrere Recensionen des Gesetzbuches gegeben, indem die Abschreiber die zum Gesetzbuch von den gesetzgebenden Factoren gemachten Zu- sätze entweder am Schluss desselben oder an geeigneten Stellen des Inhaltes anbrachten. Dabei wünscht Florinskij mit Recht eine kritische Gesammtausgabe der serbischen Uebersetzungen oder Auszüge aus grie- chischen Rechtsbüchern.

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. 1 53

Ich will den Versuch wagen, einigen der Hauptfragen, über welche so weit divergirende Ansichten vorliegen, durch eine neue Durchsicht des Materiales etwas näher beizukommen.

Dabei muss man sich vor Allem über die Beweggründe zur Ab- fassung des serbischen Gesetzbuches Klarheit verschaflFen. Zwischen dem mittelalterlichen griechischen Recht, das die Serben aus dem Nomo- kauon und dem darin eingeschalteten Prochiron kannten, und dem serbi- schen Recht gab es grosse principielle Gegensätze. Der byzantinische Staat war eine Fortsetzung des römischen Staates, das byzantinische Recht eine Fortbildung des unter Kaiser Justinian codificirten römischen Rechtes. Im christlichen Kaiserthum von Constantinopel gab es keine schroffen Classenunterschiede ; die Entwickelung militärischer Adels- familien ist eine späte Erscheinung, die sich erst seit dem X. Jahrh. ver- folgen lässt. Vor Gericht hatte auch in späterer Zeit der Archont keine Vorrechte. Noch im XIV. Jahrh. wurde die Bestimmung der Basiliken erneuert, dass auch die Vornehmen vor den Richtern stehend verhan- deln und ihr Urtheil empfangen sollen (Zachariae von Lingenthal, Ge- schichte des griechisch-römischen Rechts, 3. A., Berlin 1892, S. 386, Anm. 1402). Serbien dagegen war ein Adelsstaat mit fest gegliederten Ständen. Dort gab es einen Hochadel der Vlasteline (vlastelin, Plur. ülastele, die Edelfrau vladi/ca], einen niederen Adel der Vlastelicici, einen mächtigen und reichen Clerns und die Masse des niederen Volkes, der Sebri, Freie und Unfreie (der Sklave rab oder wie im Gesetzbuch otrok). Die Edelleute sind classificirt bei der Art der Vorladung vor Gericht (Art. 56, 62i; der Vlastelin hat das Privilegium nur Vormittags vor Gericht erscheinen zu müssen, nie Abends, stets nur mit einer schrift- lichen Vorladung, der Vlastelicic wird dagegen durch ein Siegel citirt. Wenn sich ein Vlastelin und ein Vlastelicic beschimpfen, zahlt jeder 100 Perper, aber der Adelige niederen Ranges bekommt obendrein noch Stockstreiche (Art. 50). Beschimpft ein Edelmann einen Sehr, zahlt er 100 Perper Strafe; erlaubt sich der Sehr etwas derartiges gegen einen Adeligen , zahlt er dieselbe Summe und wird überdies noch gebrand- markt (Art. 55, osmuditi bullare). Rauft ein Sehr einem Standesgenossen den Bart aus, zahlt er 6 Perper, thut er es einem Edelmann oder einem doVr clovek. einem »bonus homo«i), werden ihm beide Hände abge-

1) Dieser Terminus war auch den Griechen bekannt. Kaiser Androni- kos II. bestimmt im Privileg für die Stadt Joannina 1319, zu Richtern [xQual. sollen ävd-Q(onoi xaXoi von den Städtern gewählt werden. Acta graeca 5, Sl.

154 Const. Jirecek,

hauen (Art. 97,98). Die feudale Investitur des Vlastelin durch Schlacht- ross und Waffen vom Landesfürsten, die Zusammensetzung von Richter- collegien nur aus Standesgenossen, Compositionen in Geld für Verbrechen, Ordalien mit heissem Wasser und glühendem Eisen, die der byzantini- schen Staatsverfassung ganz fremden Reichstage des Adels und Clerus und manches Andere bringen das altserbische Rechtsleben mehr den mittel- und nordeuropäischen Volksrechten näher.

Das im Lande geltende Recht war von den griechischen Anschau- ungen oft ganz entfernt, ein Umstand, der eine Niederschreibung recht nothwendig machte, besonders nach der Occupation zahlreicher Provinzen des byzantinischen Reiches. Die grössten Differenzen findet man , wie es die oben aus der Abhandlung Zigels angeführten Beispiele zeigen, im Strafrecht. Diese Unterschiede gehen in viele Einzelheiten ein. Wenn eine Edelfrau (vladika) mit einem Unterthan Unzucht (blud, t.iOL- X€ta) trieb, galt in Serbien (Art. 54) für beide Theile die Strafe des I %eLqoy.07iElod^aL und Qivo/.OTielod^ai. Das byzantinische Gesetz (Pro- i Chiron 39, 43 und 44) bestimmt, dass , wenn eine Frau es mit ihrem j[_, Sklaven hält, der Sklave hingerichtet wird , die Frau die Nase verliert, ihre Güter der Confiscation verfallen (wenn sie kinderlos ist, für den Staat, sonst bleibt das Gut den Kindern) und sie selbst verbannt wird; ist es eine Wittwe, so wird sie geschlagen und geschoren, während der Sklave nur dieselbe Strafe erleidet und zu Gunsten des Fiscus (hat die Frau Kinder, zu Gunsten der Kinder) verkauft wird i). Der Strassen- räuber wurde im byzantinischen Reich nach dem Prochiron auf der Stätte des Raubes gehängt (39, 15), wobei es übrigens Jedermann frei blieb ihn noch vor seiner Verhaftung straflos zu tödten (39, 16); die Diebe hatten Vermögensstrafen und Schläge zu erwarten, erst bei Wieder- holung des Diebstahles den Verlust der Hände (39, 54), Bestimmungen, die aus der Ekloga stammen (vgl. Zachariae, 3. A., 339 340). Das altserbische Rechtsbuch strafte den Strassenräuber gleichfalls mit dem Galgen, den Dieb aber mit Blendung. Ist das Dorf mitbetheiligt , ver- fällt es der Confiscation; der Herr des Dorfes, der die Verfolgung der ihm bekannten Verbrecher absrelehnt hat oder am Verbrechen selbst be-

1) Diese Bestimmimgen reichen bis in die spätrömische Zeit zurück, wo sie noch strenger waren. Codex Justinianus 9, 11 »de mulieribus. quae servis propriis se iunxerunt«, Bestimmungen Kaiser Constantins des Grossen, ge- geben im J. 326 in Serdica, mit Todesstrafe für die Frau, Feuertod für den Sclaven: »capitali sententia subiugatur, tradendo ignibus verberone«.

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. 1 55

theiligt war, wird gefesselt zum Garen gebracht, muss allen Schaden ersetzen und wird bestraft, wie ein Dieb oder Räuber (Art. 145 150). Man sieht, wie Gar Stephan die Unsicherheit im Lande mit den schärf- sten Mitteln zu unterdrücken suchte.

Als Muster bei der Abfassung des serbischen Gesetzbuches dienten wahrscheinlich nicht so sehr die systematisch angelegten Nomokanones . sammt dem darin enthaltenen weltlichen Recht der Byzantiner, als die Statuten der Städte des Adriatischen Küstenlandes. Die dalmatinischen Stadtrechte waren bekannt auch im Innern Serbiens, da die Consuln und Richter der Ragusaner, Cattarenser u. A. in den Handelsplätzen und Bergstädten bei Rechtshändeln zwischen ihren Mitbürgern stets nur nach ihren Rechtsbüchern urtheilten. Ueberdies dienten zahlreiche Edel- leute aus Ragusa, Cattaro und den übrigen Städten als Zollpächter (cari- nik) und Finanzbeamte in Serbien. Protovestiar (Finanzminister) des Garen Stephan Dusan war ein Patricier von Cattaro, Nicola de Buchia. Nach dessen Tod war in der Kammer des Garen (u kuci carstva mi) der Ragusaner Patricier Marinus de Gozze angestellt (Pucic 2, 23). Das Statut von Ragusa von 1272 ist systematisch angelegt, die Nachträge aber nur chronologisch angereiht (vgl. Archiv 17, 269). Das Statut von Gattaro (1301 f.) hat wenig System. Das wichtigste Statut zur Ver- gleichung mit den Gesetzen des Garen Stephan ist aber das von Budua, erhalten in einer alten italienischen Uebersetzung (Ausg. von Ljubic in den Monumenta historico-juridica Slavorum meridionalium der südslav. Akademie, 3, 3 118). Budua war in diesen Zeiten unter serbischer Hoheit. Sein Stadtrecht ist gerade unter der Regierung des Stephan Dusan verfasst. Es kann nur Dusan sein, der darin als -»misser lo im- peradorv. bezeichnet wird; die Zeiten seines Nachfolgers, des Garen Uros (mehr Garen gab es ja in Serbien nicht mehr), waren der Abfassung solcher Stadtrechte ungünstig, wegen der vielen Kriege eben um Budua herum. Auch Antivari, Dulcigno, Scutari und Drivasto dürften wohl geschriebene Stadtrechte gehabt haben, die aber nicht erhalten sind. Neben diesen Vorbildern aus dem westlichen Küstengebiet mögen zur Abfassung des serbischen Gesetzbuches auch die gleichzeitigen Einrich- tungen der byzantinischen Nachbarn einen Impuls gegeben haben, die Verfügungen der Kaiser Andronikos II. und III. , die Errichtung eines neuen obersten Gerichtshofes der y.uS^olLy.o) y.Qiral TOjp'Pcüf^tanov und alles, was damit zusammenhing (Zachariae von Lingenthal 384 f.).

Die Ansicht Zigels über das Vorhandensein eines Systems im Ge-

156 Conat. Jirecek,

setzbuch finde ich richtig. Allerdings darf man von den Logotheten und deren Diaks nicht allzu viel Genauigkeit in der Disposition ver- langen. Manches ist bei der Redaction unrichtig zusammengeschoben worden, wie nach der Reihenfolge des Codex von Prizren die Artikel über das kirchliche Patronat (45, 47j mit Artikeln über die Sklaven (44, 46), oder in den Codices von Strnga und Prizren Bestimmungen über die Einquartierung fremder Gesandten (133) und über die Taxen der Kanzlei des Caren (134) mitten in einer Gruppe Artikel über das Gericht im Heerlager (129—132, 135). Selbst der Theil, welcher nach Zigel und Novakovic Nachträge aus den J. 1353 4 enthält, hat Spuren einer Gruppirung: Gehorsam gegen den Caren (136), Urkunden (137 138), Bauern (139—142), Räuber und Diebe (143— 150), das Geschwo- renengericht der »porota« (151 154), das Quartierrecht der »priselica« (155 156), Wachdienst auf den Strassen (157 160), Gerichtsverfas- sung und Gerichtsverfahren (161 193), Münzrecht (168 170), Domä- nen des Caren, allerdings alles mit mancherlei Einschaltungen und Verschiebungen.

Das Verhältniss des Gesetzbuches des Caren Stephan Dusan zu den in serbischer Uebersetzung vorliegenden byzantinischen Rechts- büchern wird klar bei näherer Betrachtung des Inhalts beider und der Gerichtsverfassung Serbiens.

Im Gesetzbuche des Caren Stephan fehlen , ausser einigen wenigen Bestimmungen, die mehr gelegentlich sind, fast alle Fragen des bürger- lichen Rechtes: das Personenrecht mit dem Eherecht, das Erbrecht, das Obligationenrecht mit dem Handelsrecht, kurz gesagt, das meiste von dem, was das Prochiron in den Titeln 1 37 bietet. Besser vertreten ist das Sachenrecht, mit Berücksichtigung der eigenartigen Verhältnisse des serbischen Adelsstaates, Dagegen dominirt im Gesetzbuch des Caren das öffentliche Recht; Staatsrecht mit Bestimmungen über die Rechte des Caren, seiner Beamten, seiner Kriegsleute, mit polizeilichen und administrativen Verfügungen, ferner eine Reihe von Sätzen des Kirchenrechtes und schliesslich das Strafrecht, das vom griechischen Recht in so vielem abweicht, mit einigen Vorschriften über das Gerichts- verfahren. Bei diesem Sachverhalt konnten die serbischen Richter der Beihilfe der griechischen Rechtsbücher, vorzüglich in Fragen des bür- gerlichen Rechtes, gar nicht entbehren. Die Benützung der byzantini- schen Gesetzessammlungen neben dem serbischen Gesetzbuch erhellt aus der Gerichtsverfassung. Der Hofrichter und die vom Caren ernannten

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. 157

Richter, die besonders mit dem Strafrecht als Reservat des Landesfüvsteu beschäftigt waren, hatten am meisten die Pflicht das Gesetzbuch des Garen zu kennen und zu befolgen. Die Richter der weltlichen und geistlichen Patrimonialgerichte mit ihrem meist privatrechtlichen Wir- kungskreis waren mehr auf die Uebersetzungen byzantinischer Rechts- bücher angewiesen. Die Gerichte der Städte und der Sachsen hatten sich an die Statute und Sonderrechte ihrer Gemeinden zu halten. Es ist charakteristisch , dass das Statut von Budua nur bürgerliches Recht enthält. Ebenso haben die Venetianer nach der Occupation von Scutari 1396 wahrscheinlich nach dem Beispiel der früheren Landesherren ihrem Statthalter die «justitia in criminalibus« vorbehalten, während den vier gewählten »judices« der Stadt das Urtheil »in civilibus« mit gewissen Einschränkungen überlassen wurde (Ljubic, Listine 4, 389).

Die Grenzen zwischen der Gültigkeit des byzantinischen Rechtes und des serbischen Gesetzbuches sind nirgends genau verzeichnet, aber sie sind durch den Inhalt der Rechtsfragen gegeben. Wir besitzen keine Einführungsurkunde des Gesetzbuches. Die nur im Codex von Rakovae erhaltene Vorrede (bei Novakovic S. 3 5) gibt keinen genügenden Auf- schluss über die Entstehung dieser Gesetzessammlung, nur historische Daten über den Feldzug der Serben 1330 gegen Bulgarien, über den Zwiespalt Stephan Dusans mit seinem Vater und über seine Krönung zum Kaiser : die Abfassung des Gesetzbuches wird motivirt in ganz all- gemeinen Worten mit dem Willen , es solle sich im Kaiserreiche keine Schlechtigkeit, Böswilligkeit und kein Hass vermehren.

Das neben dem Gesetzbuche am meisten verbreitete griechische Rechtsbuch war das im Nomokanon enthaltene Prochiron, dessen Einfluss bei den späteren Redactionen des Gesetzbuches wieder sichtbar wird 1). Das Syntagma des Matthaios Viastares von 1335 wurde ohne Zweifel in Dusans Zeit in Serbien übersetzt, bot aber im Vergleich zum Nomokanon und Prochiron wenig Neues, meist nur einen alphabetischen Schlüssel zu beiden 2) . Eine Zusammenstellung der zahlreichen aus dem

1) Gar Stephan schrieb den Ragusanern kurz vor seinem Tode, am 5. December 1355 »pod Berom« (unter Ber, Berrboea in Makedonieu), er be- stätige dem Maroje Gucetic (Marin de Gozze) seine Dienste in der Finanz- kammer »po zakonu gradskomua (Pucic 2, 24). Dies ist aber nicht das Prochi- ron , sondern das Gesetz der Stadt (grad) Ragusa; vgl. die Formeln »po zakonu po vasemu« ib. 18, »per le vostre usanze« 19, »po zakonu vasemu« 20.

■-) Von der Beliebtheit dieser alphabetischen Schlüssel zeugt auch die

158 Const. Jirecek,

Prochiron entlehnten Stellen des Syntagma hat Zigel in seiner Recension des Buches von Florinskij mitgetheilt (S. 95 98). Ich bemerke dazu, dass der Uebersetzer des Syntagma bei seiner Arbeit nicht die Ueber- setzung des Prochiron benützt, sondern die griechischen Texte selbstän- dig übertragen hat. Die üebersetzung des Syntagma ist übrigens nicht immer so originell, wie es Florinskij meinte ; die Wiedergabe z. B. von XQOVog durch A'Kto (Flor. 420 421) in einer Bestimmung über Pacht von Feldern ist nicht eine selbständige Zuthat, sondern eine Befolgung des mittel- und neugriechischen Sprachgebrauches, in welchem xQovog nur das Jahr, nicht die Zeit 'ngr. -/MiQog) bedeutet. Dass die sogenann- ten Gesetze Justinians in der Zeit Stephan Dusans wirklich als Recht in Serbien giltig waren , dafür gibt es einen urkundlichen Beweis. Es ist die Urkunde über den Verkauf eines Gehöftes (dvor) in Prizren, veröffentlicht von Dr. Johannes Safarik im »Glasnik«, Bd. 35 (1872), 121 122, mit Facsimile. Das Document, welches einen i^apcKEi BpbTb und c8^\b L^apEBb erwähnt, stammt aus den J. 1346 1366, nach der Erhebung des Stephan Dusan zum Garen und vor der Procla- mirung des Königs Vlkasin, der sicher auch Prizren besassM. Die Verkäufer sagen, wer von ihnen den Käufer wegen des genannten Hofes belästigen sollte, soll an keinem Gerichtshof gehört werden und der Kirche eine »nalogija« zahlen (h j^a naaTHMO hjaophk» u,pKBH). Das entspricht Art. 1 der alten Redaction der sogenannten Gesetze Justinians (Florinskij 4S7, Texte 204), nach welchem der volljährige Verkäufer, der einen vollendeten Verkauf wieder durch das Gericht rückgängig machen will, eine Analogia oder Omologia zahlen soll: Ji,A HAaTHTk raoKoy, koahko KOYAfT*^ OH^k.'K oi'HHcaHa aHaacria, Var. oiuioaor'ia. Es ist das die ofio/^oyla, die im byzantinischen Ge-

BaxTTjqia TÜf icoxisQscoy, verfasst vom Archiinandriten Jakob auf Veranlas- sung des Patriarchen Parthenios (1644—1650), viel reichhaltiger als das Syn- tagma; vgl. den Inhalt, herausgeg. von Ant. G. Momferratos im ^ektioy der hist. Gesellschaft von Athen, Bd. 3, Heft 9 (1890), 129—189.

1) In den Lamentationes de foris 1370 1373 zu einer Eintragung am 20. Juli 1371 über Klage des Marinus de Benessa beigelegt ein Originalbrief desselben Maroie de Benessa aus Prizren vom 15. August 1370; er hatte mit Jache de Sorgo und Gine de Poza di »douana de Prisrino« gekauft, »in cbomo apare per la pouela (povelja, Mandat) de miser lo re, si che io Maroie andi per volenta de tuty ni diuanary (sie) in Nouaberda per trouar maistri per la cecha et io Maroie, tornando indrido con li maistri in Prisrino« etc. (Gerichtsarchiv von Ragusa).

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. 159

richtsverfahren durch den Kläger wegen Durchführung des Processes und wegen der Kosten zu leistende Caution (Zachariae von Lingenthal, 3. A. 393, Anm. 1432).

Die Lücken des Gesetzbuches Dusans müssen wir näher in Betracht ziehen. Dieselben sind gross im Personenrecht. Es fehlt das ganze Eherecht, mit den Ehehindernissen, Verlöbnissen, Ehescheidungen, dem ehelichen Güterrecht, ebenso das Verhältniss der Eltern zu den Kindern, mit Bestimmungen über die väterliche Gewalt, Legitimiruug, Adoption i), Vormündschaft. Nur Art. 2, 3 bestimmen, dass die Ehe stets durch kirchliche Einsegnung (blagoslovenije, evXoyia) vollzogen werden soll, eine Durchführung der bei den Byzantinern seit dem IX. Jahrh. gelten- den Bestimmungen, lieber die Ehescheidung findet sich im Gesetzbuch Dusans kein Wort. Die Inschrift von Zica (Miklosich, Mon. serb. 14 15) von c. 1220 enthält zahlreiche Bestimmungen gegen die unrechtmässige Auflösung der Ehe, erlassen von König Stephan dem Erstgekrönten vielleicht noch vor Einführung des Nomokanon sammt der Uebersetzung des Prochiron durch den ersten autokephalen Erzbischof Serbiens, den hl. Sava. Später reichten in dieser Beziehung die Bestimmungen des Kirchenrechtes ganz aus. Gelegentlich wird im Gesetzbuch bestimmt (Art. 44), ein Sklave solle nie in die Mitgift kommen; in Ragusa und Cattaro war es Regel, dem Edelfräulein eine »ancilla« in der Aussteuer mitzugeben.

Aus dem Erbrecht fehlen im Gesetzbuch Dusans alle Bestimmungen über Testamente (das Wort Testament kommt in dem ganzen Denkmal überhaupt gar nicht vor), über Epitropi , Testamentsexecutoren , Noth- erben u. s. w. Eine Bestimmung (Art. 41) sagt, die bastina, das freie Edelmannsgut, sei erblich bis zu den Vettern dritten Grades. Es wird nicht gesagt, was in dem Fall geschieht, wenn es solche Vettern des Erblassers nicht gibt. Es ist auch nirgends etwas bemerkt über das Heimfallsrecht des Landesherrn (byz. Bestimmungen aus der Zeit des Kaisers Andronikos II. im Syntagma, K, 12, in der Ausgabe bei Migne, Patrologia graeca 144, col. 1366 1368, Florinskij 412— 413). Andere, das Erbrecht betreffende Bestimmungen gehören zum Lehnsrecht , wie die Rückgabe des Streitrosses und der Waffen des Vlastelin nach dessen Tode an den Garen (Art. 48).

1) Eine Urkunde über eine Adoption (lipHMMYk K C(K( nona Gor- Ji,AHA oy CUHOßHli HM«) aus Novo Brdo 1434 siehe im Spomenik 3, 51.

1 60 Const. Jirecek,

Im Sachenrecht bietet das altserbische Gesetzbuch zahlreiche Grund- sätze über die bastina im Gegensatz zum Soldgut, der profiij'a [jtqovoia, die alten orQariioTLyta y.trjuara^ OTqarnoroTCLa , vgl. Zachariae von Lingenthal, 3 A., 271), über das Verhältniss des Grundherrn zu den Bauern und Sklaven u, dgl. Es fehlen die Rechtsverhältnisse am Meeres- ufer, die in Prizren und anderswo nicht überflüssige Baupolizei, die tvQEOLg d-rioavQov (über den Fund von Geld im verkauften Hause vgl. Prochiron 14, 9) u. A. Desgleichen fehlen alle Bestimmungen über Verjährung von Besitztiteln (vgl. Prochiron 38, 54 und das Syntagma bei Florinskij 425). Manche Fragen des Agrarrechtes fand der alt- serbische Richter beantwortet im sogenannten Gesetz Justinians. In dieser Compilation hat nach den Untersuchungen von Romuald Hube auch die Novelle des Kaisers Roman Lakapenos von 922 über das Näherrecht {7tQ0Tii.ir]aig), das Vorkaufsrecht der Verwandten, Angrenzer oder Nachbarn (vgl. Zachariae, 3. A., 236 248), Aufnahme gefunden (Flo- rinskij 482). Deshalb erscheinen in der Urkunde über den Verkauf eines Grundstückes in Prizren 1346 1366 alle Verwandten und Nach- barn als Zeugen (3a ßwc( cSmephhke h cöpoAHHK«, Glasnik 35, 121) i).

Am allerwenigsten bietet das Gesetzbuch Dusans aus dem Obliga- tionenrecht. Wir erfahren nichts über Schuldverträge , Kauf und Ver- kauf, Pacht, Darlehen, Pfand, Zins, über Handelsgesellschaften, über Seerecht (vgl. Prochiron 17, 6 f.); das Wort Schifi" ist im Gesetzbuch nirgends vorhanden. Die altserbischen Urkundenschreiber, die ?iomici oder inomici [vof.iLy.oi), welche uns jetzt auch aus Documenten bekannt sind (vgl. Archiv 19, 603), werden im Gesetzbuch gar nicht erwähnt. Dafür kennt diese Notare das sogenannte Gesetz Justinians (beim Hei- rathsvertrag, Florinskij 455, 487, Texte 205) und die Uebersetzung des Syntagma (Zeugen y.av ei raßovXäqLOi siep, wobei der Serbe die »tabularii« als rofiixo! wiedergab: Ai\ii ah h TaBoyAdpH boya^V^k,

PCKUJE HHOMHl^H, dazU GloSSe TaBOYAap'lH i}K( Oy HACh HHOMHl^H,

Florinskij 396).

Aus dem Gesetzbuch würden wir gar nicht erfahren , dass es für

1) Die nqorifXTjais kommt auch im küstenländischen Kroatien vor. Man vgl. die Urk. 1448 und 1499 Mon.hist. jur. Slavorum merid. 6, 175 178, 417— 420 und das Statut von Poljice ed. Jagic, Mon. bist. jur. 4, 59 fArt. 51 a über den Verkauf einer plemensci7ia = altserb. bastina). Ohne Kenntniss der byz. Gesetze besprochen von Peisker, Slovo o zädruze (Prag 1899) 50—51 und V. Levec, Vestnik slov. starozitnosti 3 (1899) 24—25,

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. 161

die Rechtsbegriffe des bürgerlichen Rechtes in Serbien eine ganz ausge- bildete juridische Terminologie gab. Wir kennen dieselbe aus den üebersetzungen des Prochiron und Syntagma, so wie aus Urkunden. Um einige Beispiele anzuführen: die Verlobung ohrucenije [uvrjOreia)^ die Verlobten obrucnik und obruceiiica, das Reugeld (arrha, aQQußtov) zulocj ohrucenija, die propter nuptias donatio [TtQoya^uaia öcuQeä) 'prezdehracmjj dar\ für die Mitgift neben dem Fremdwort priMja {jCqoI^, ngr. 7CQ0iy.a^ iiqoi/.iov^ in Dalmatien perchivium, jetzt prcija) das slavische veno\ xh vnäßakov pocUog (Syntagma); volljährig [avTE- kovGing) samovlasthn^ minderjährig {uTta^ouo'og) susti pod vlasti/u, Vormund [eTriTQOTTog) pristavnik', Testament [diaS'rf/.r]) zavet, in den sogenannten Gesetzen Justinians (Florinskij, Texte 205) diataksi [dia- Ta§tg), ebenso in einer Urkunde von 1428 9 diatas (Spomenik 3, 3), Testament machen zavestati oder griechisch diataksati (S3'ntagma, Florinskij 364), Erbe {■/ilr]Qov6f.iog) naslednik. enterbt {anö/Xr^qov Ttoiüv) otmesten^ oimzen (Prochiron) oder oiganjajem (Syntagma) ot nasUdiJa. Im Obligationenrecht : Schuld [%qtog] dlg, Schuldner dlznik, KsiXxi [äyoQUOLu] kupljenije^ Verkauf (/r^äfftg) prodamje^ prodajanije^ Gewinn {-Aeqöog) pribithk, Verlust (Ci^fila) thsteta, Pacht {/.liad-toaig) noj'em oder naimovanij'e, Pächter tiaini?iik, dazu naimajustij , naimo- vavij\ Darlehen [öäveiov] zaj'em, dazu zaimodavhc [daveiQwv], zajem- nik [öaveiaTrjg], Zins lichva [ol t6-/.oi), Pfand [lvE%vqov) zalog (auch im Gesetzbuch Art. 90), Deposit [nuQud^rf/.v^^ ■/MTa^r^xt]. jiaqav.ara- d-ri'/.ri) pokladez im Prochiron, poklad im Syntagma und in Urkunden, Handelsgesellschaft {■/.oivtovia] ohstina^ Compagnon ohstnik u. s. w.^) Lücken gibt es auch in den sonst so reichhaltigen strafrechtlichen Artikeln des Gesetzbuches. Es fehlen Bestimmungen über Majestäts- beleidigung (darüber Prochiron 39, 10 und Syntagma B, 7 und JT, 21, bei Florinskij 381, 428), gewisse Fleischesverbrechen, Abtreibung der Leibesfrucht'^). Tempelraub wird nur im Kriege mit der Todesstrafe

1) Prochiron 15 IIboI kj^cfviEvaeios wird ganz wörtlich übersetzt 0 Hd- CdJK^fHHH, 31 Ueol unoxaTuGxäßEws (de restitutione) 0 OYCTpOieH'lH, 32 JJsqI (pu'/./.iS'iov 0 pa.3^'kAI€H'lH, 35 Ueol lEyäxoiu 0 ^V^^P'l^YI* A'*'^- MH^Ii Bfck 3aß1iTe HAH ßk JKHBOTf HAH HO CMpkTH, 35,1 o Uycaäoios

;i,apc>ßkHHKk.

"-) Erst die Recension des Codex von Ravauica aus dem XVII. Jahrh. hat aus dem Syntagma entlehnte Bestimmungen über Attentate oder Agita- tionen gegen den Garen, über Ueberfall von Dörfern oder Häusern, Noth- zucht, Umgang mit Vieh u. s. w. Florinskij 239 f.

Archiv für slavische Philologie. XXn. 1 {

162 Const. Jirecek,

bedroht (Art. 130); in Friedenszeiten galten wohl die Bestimmungen des Prochiron (39, 58), identisch mit denen des Syntagma (/, 1, bei Florinskij 407) und der sogenannten Gesetze Justinians (28), die sämmt- lich aus öiner Quelle, aus der Ekloga stammen (Florinskij 481). Ebenso ist über Grabschändung gegenüber den detaillirten strengen Vorschriften der griechischen Gesetze (Prochiron 39, 57, Syntagma T, 10, Florinskij 431 432) nur im Art. 20 das abergläubische Ausgraben und Verbren- nen der Todten von den Bauern erwähnt, wobei das schuldige Dorf eine vrazda (Wergeid) zu zahlen hat. Das Gesetzbuch Dusans sagt nirgends, wie der Hochverrath {/levSra, der Hochverräter weferw«^-) bestraft wird. Es gibt Artikel über die Gerichtsbarkeit in solchen Fällen (161, 192); es werden Strafen vorgeschrieben, wie für die nevera (140, 144), ohne dieselben näher zu bezeichnen. Nur aus einer Stelle erhellt, dass es dafür auch Vermögensstrafen gab (52) ; es zahlt bei der 7ievera der Schuldige und sein Haus, nicht aber die getheilt von ihm lebenden Ver- wandten. Dass aber in dem Fall von Hochverrath das Edelmannsgut (bastina) des Adeligen der Confiscation verfiel, wissen wir ganz sicher ans Urkunden des Garen Stephan Dusan selbst von 1349 1350 (Spo- menik 3, 2), des Despoten Stephan (Mon. serb. 568) und des Despoten Georg (Spomenik 3, 3) i). An einer anderen Stelle des Gesetzbuches wird (142) eine nicht näher genannte Strafe angedroht, wie einem Ueber- läufer [prebefflbc), nicht zu verwechseln mit einem Flüchtling [poheglhc 144). Ueber Hochverrath, Verrath im Kriege, Ueberläufer zum Feinde, Benachrichtigung des Feindes, alles mit Todesstrafe bedroht, finden sich ganz genaue Bestimmungen im Prochiron (39, 1 ff.) und im Syn- tagma (TT, 21 ttsqI TCQodoTcdv; in der üebersetzung 0 HfB'tpHHU'kYk in dem gekürzten, 0 np'K^\dT£Ai€Yk im ungekürzten Texte, Florinskij 354, 428—429).

Auch sonst ist im Gesetzbuch manche Lücke bemerkbar, wo die Richter sich wahrscheinlich an die Uebersetzungen der griechischen Rechtsbücher um Auskunft wenden mussten. Es werden Verführungen verschiedener Art erwähnt (53); dabei fehlt die Entführung einer Sebrin durch einen Edelmann. Eine Edelfrau wird streng gestraft , wenn sie sich mit einem Unterthan vergisst (54); was that aber der Richter, wenn ihm eine Klage über Ehebruch zwischen einem Edelmann und einer

1) Ueber diese Fragen vgl. Novakovic, HpoHujapu u öauiTunuuu, Glas der kgl. serb. Akademie 1, 55.

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dnsau. 163

Edelfrau vorlag? In diesen Fällen galten wohl die allgemeinen Be- stimmungen des Prochirou oder des Syntagma *j. Das Gesetzbuch ver- folgt als Urkundenfälschung eine Interpolation oder Correctur in einem ChrysobuU (105, vgl. 162); mit Stillschweigen übergangen ist der Fall der Herstellung einer ganz gefälschten Urkunde. Es gibt auch oflfenbare Widersprüche. Nach Art. 29 (vgl. 11] soll kein Mönch ausserhalb des Klosters leben ; im Art. 45 wird der Pfarrer bei der Kirche eines adeli- gen Kirchenpatrons als kalugjer bezeichnet, also als ein Mönch, der vereinzelt ausserhalb seines Klosters lebt und vom Patron mit Einver- ständniss des Bischofs eingesetzt wird.

III. Die Quellen des (^Gesetzbuches.

Was die Quellen des Gesetzbuches betrifft, ist bei der Abfassung Manches unverändert aus recht alten Landesgesetzen aufgenommen worden. Alt sind Art. 56 und 76, wo statt der sonst üblichen Geld- strafen in Perper [vTtsQTCVQov) Vermögensstrafen in Ochsen bestimmt werden, für das Nichterscheinen eines Vlastelin vor Gericht und für die absichtliche Beschädigung von Culturen durch fremdes Vieh. Das ist ein Ueberrest aus Zeiten, wo in Serbien noch wenig gemünztes Geld cursirte. Geldbussen in Ochsen und Pferden für ungesetzliche Ehe- scheidungen erwähnt die Stiftungsurkunde des Klosters Zica (Mon. serb. 14 15). Auch in der Zuweisung einer älteren Stiftung bei Skopje an das Kloster Chilandar von König Stephan Uros II. um 1300 wird jedem Verwandten des Königs und jedem Vlastelin, der dieses Klostergut an- tasten sollte, mit einer Strafe von 12 Ochsen gedroht (Spomenik 3, 13). Sonst sind die Vermögensstrafen in serbischen Urkunden schon im XIII. Jahrh. in Perper angegeben. Im Statut von Vinodol an der kroa- tischen Küste von 1288 werden Bussen in venetianischen Münzen, Ochsen und Schafen erwähnt. Auch in Bosnien zahlte man noch 1332

1) Der Codex von Ravanica aus dem XVII. Jahrh. hat im Art. 143 146 (Florinskij, Texte 50) Bestimmungen über uoi/ela, welche Florinskij 243 als alte Theile des Gesetzbuches betrachtet, die aber mit ihren milden Geld- strafen für den betheiligten Mann von 30 300 Perper und hüclistens noch einer Prügelstrafe im Falle einer Nothzucht in völligem Widerspruch stehen mit der Strenge der Art. 53 und 54 des Gesetzbuches, ebenso mit den ein- schlägigen Bestimmungen des Prochiron und des Syntagma, wo bei ixot/eia stets das Qiyoxonsla&ca beiden Betheiligten bevorsteht.

11*

164 Const. Jirecek,

Strafen in Ochsen (Mon. serb. 102), was jedenfalls ein Fortschritt war gegenüber den bosnischen Zahlungen in »ancillae« (1323 a rocno^i,HHO\" HAaMa UJECT^fCJTb AlvBHU,K, Mon. historico-jnridica G, SO; über den bosnischen Sklavenhandel vgl. meine Bedeutung von Ragusa in der Handelsgeschichte des Mittelalters S. 68 69). Die »porota« und die Rechte der Sachsen betreffende Gesetze des »heiligen Königs« (sveti kralj) Stephan Uros II. Milutin (1282 1321) sind aufgenommen in den Art. 79, 123, 152, 153. An die Urkunde desselben Königs für das Kloster Gracanica (Mon. serb. 565) erinnert die Bestimmung über das Ausraufen des Bartes, nur dass dieses Strafgeld, mehoskuhina genannt, in der Urkunde mit 6 Dinar, im Art. 98 aber mit 6 Perper bemessen wird, was 4 5 mal mehr war (im XIV. Jahrh. 1 Perper^ 24 30 Grossi oder slav. dinari, vgl. die Münztabelle in meiner Bedeutung von Ragusa in der Handelsgeschichte 65). Ist dieser Unterschied nur Folge einer Flüchtigkeit bei der Redaction des Gesetzbuches oder eine Verschärfung der Strafe ? Den Verträgen der Könige Stephau Uros II. Milutin 1302 ^i und Stephan Uros III. 1326 mit den Ragusanern (Mon. serb. 52, 85) sind entlehnt die Bestimmungen, bei einer Beraubung von Kaufleuten habe das Dorf oder die Umgebung Ersatz zu leisten oder es ersetzt den Schaden der Landesherr selbst ; das Gesetzbuch fixirt näher die Haft- pflicht des Garen, der Kefalija's und Vlasteline, welche die Strassen zu bewachen hatten (160, cf. 157), sowie der Gutsbesitzer (145, 146, 147) und der Umgebung (126, 158). Dieselben Bestimmungen über die Er- satzpflicht des Dorfes oder des Landesfürsten bei Ausplünderung frem- der Kaufleute sind wiederholt in allen Privilegien der Ragusaner von Stephan Dusan 1349 bis Despot Georg 1445. Aus dem Vertrag von 1302 stammt auch die Geldstrafe von 500 Perper für eigenmächtiges Zwingen fremder Kaufleute zum Auspacken und Verkauf ihrer Waaren (118), die auch in den Bestimmungen über einen panagj'u?' (Jahrmarkt) in Prizren in einer Urkunde des Königs Uros III. vorkommt (Glasnik 49, 364).

Aus griechischen Rechtsbüchern ist wenig geschöpft, z. B. die strenge Strafe für den Verkauf eines Christen in die Sklaverei der Un- gläubigen im Art, 21 mit Verlust der Hand und Zunge (vgl. Prochiron 39, 5 mit Verlust der Hand), der Feuertod für Ermordung von Eltern, Geschwistern oder Kindern im Art. 96 (vgl. Prochiron 39, 35 = Syn-

1) Ueber das Datum dieser Urkunde siehe weiter unten S. 173 A. 1.

Das Gesetzbuch des serbischen Curen Stephan Diisan. ] 65

tagma <7>, 8 in serb. Uebersetzung bei Florinskij, Texte 201) *), die Be- strafung eines Zauberers oder Giftmiscliers »nach dem Gesetz der heil. Väter« (no saKOHoy CB£TKiH\'b OTKii,k Art. 109, vgl. Syntagma3I, 1, bei Florinskij 416 420, Texte 181 183). Art. 195 (nur im Codex von Rakovac) bestimmt, Frauen sollen nie bei einer Kirche Quartier nehmen, ausser der Carica und Kraljica 2) ; dies ist eine Ausnahme von der Vorschrift im Syntagma /, 2 = jE, 15, evdov rüv rov uqov rtSQi- ßöhov dürfe Niemand (.Lera. yvvar/Jjs yxcTai.ievBiv. Die Bestimmung des Art. 12, Weltliche sollen unter Strafe von 300 Perper nicht in geist- lichen Angelegenheiten Recht sprechen, schliesst sich an die aus einer Novelle des Kaisers Heraklios und aus der Epanagoge stammenden by- zantinischen Vorschriften im Syntagma zr/, 9 (bei Migne 144 col. 1233) an, durch welche Bischöfe, Priester und Diakone von dem v.oouLy.hv v.ql- rrjQiov ganz eximirt sein sollen (Zachariae von Lingenthal, 3 A. 382 f.). Auch die Zahl griechischer juridischer Termini ist im Gesetzbuch Dusans gering: chrisovul b xQvaößoullog '/.öyog, ipotes VTröO^eaig (83), metechati (47 Var.) (.lerey^siv (auch in einer Urk. des Garen von 1352 53, Glasnik 24, 246), pedepsati oder Var. veclevsati (1 1) strafen aus dem Aorist InaidBVGa von Tiaiöevto^)^ pizma 7telGf.ia [bl) in der Bedeutung Hass, nebst den Substantiven j922:ma^ar (151 Var., 152 Var.) und pizmenik (152) Feind, prikija 7CQot/.LOv, pronija nqövoia. das Soldgut, joroÄ^a^wa Ttqöatay^ia (40, 124) ein schriftliches Mandat des Laudesherrn, altserb. povelja genannt, stas azdatg (65) das Gut, topik roTCL-AÖg (18) von Ortsleuten auf den Klostergütern (vgl. ol xoTtLv.oi Acta graeca 5, 83). Dazu kommen Termini des politischen Lebens: kefalija oder kepalija der Statthalter von y.scpalri^ yiecfularvr/.evcüp, logofet Koyod-sTTjg^ poklisar (133) der Gesandte von aTto-AQiaiaQiog, premikjur (146) ein Dorfvorsteher von Tiqiiuyv^^iog^ polata Ttalartov des Garen (51, 113 Var.). Es gehören dahin auch die wohlbekannten perpera VTtsQTtvQOv und livada Xißddiov die Wiese. Mit dem Kirchen- leben haben sich zum Theil schon seit Jahrhunderten eingebürgert die griechischen Fremdwörter: azimistvo (6) aQvi-iia, archijerej do'/is-

1) Daraufhat schon Zigel, SaKOHiiuKx 101 aufmerksam gemacht.

-) Zigel 5.5 hat 1872 die Authenticität dieses Artikels bezweifelt, da der- selbe aus dem Nomokanon durch einen Copisten entlehnt sein könnte. Vgl. Florinskij, üaMaxHUKU 249.

3) Ueber slavische Verba aus griechischen Aoristformen vgl. Miklosieh. Vergl. Gramm, der slav. Sprachen 2 (1875), 476—480.

166 Const. Jirecek,

QEvg neben dem einheimischen svetitel, eksarch (37) e^oQxos, episkop l7tiöy.OTtog^jeres aiQUig^ iffumefi fjyovuevog, inorij'a, inurija (1 1,45) Ivoqia die Pfarre, hinotija Sing. (15, 36) vom Plur. xa y.oivößia. Miros [yJJiQog], kozmik /.oo^UMg (12, 37), ktitor y^TrjUüQ, Imlugjer zalöyrjQog Mönch und halugjerica Nonne, manastir f.iovaozr^QLOV. metoch^ tnetochija (34) /.leröxiov das Kirchengut, pop TtaTtäg, proto- pop TtQioroTtaTiäg^ rasa (19) qocgov das Mönchskleid. In Urkunden aus dieser Zeit sind griechische Worte nicht selten : plisiast Tr'Arjaiaavrjg, perior TCSQiOQog, jjerivol oder durch Metathese pelivor rteqißo'f.og (s. Danicic, Ejecnik), j^r/^/sa^? j-tQor/J'Ceiv (Glasnik 35, 121), panagjur Ttavriyvqig Jahrmarkt u. s. w.

Ganz vereinzelt ist eine merkwürdige Spur des alten römischen Rechtes im Art. 169 über Falschmünzerei: der Goldschmied, der ins- geheim Münzen schmiedet, soll im Feuer verbrannt werden. Das Justi- nianische Recht bestimmte als Strafe des Falschmünzers den Tod durch Feuer und die Vermögensconfiscation (Codex Justinianus 9, 24 »de falsa moneta«; nach den Gesetzen Kaiser Constantins wird der Fälscher »flammamm exustione mancipetur«). Die Byzantiner ermässigten die Todesstrafe in das Abhauen der Hand, in der Ekloga, in den Basiliken, im Prochiron und in allen späteren Rechtsbüchern Zachariae von Lingen- thal, 3. A., S. 333, 341 Anm. 1 134, 1184). Die Rückkehr zur ursprüng- lichen römischen Strafe im altserbischen Recht ist nicht vielleicht einem Einfluss der dalmatinischen Stadtrechte zuzuschreiben. Die Statute von Ragusa, Spalato und Scardona (Mon. historico-juridica Slav. mer. 2, 161; 3, 128 cap. 34) hielten sich an das byzantinische Muster und drohten dem Münzfälscher mit dem Verlust der rechten Hand^). Die römische Straf bestimmnng ist nach Serbien wahrscheinlich vom Norden gekommen, durch die Sonderrechte der deutschen Bergleute. Die Münz- stätten befanden sich meist in den Städten und Märkten, wo die Sachsen Bergbau trieben. Die Rechte dieser deutschen Bergleute sind bekannt aus Böhmen und Ungarn. Ihre Privilegien in Serbien waren wohl nur eine Wiederholung derjenigen, die man diesen fremden Colonisten in

1) Der Einfluss byzantinischer Gesetze in den Stadtgemeinden Dalmatiens war viel stärker, als es seiner Zeit Hube meinte, der nach dem Statut von Zara die dalmatinischen Statute für eine »reproduction fidele du Systeme juridique romano-italien contemporain« hielt. Vgl. meine Bemerkungen über das Straf- recht von Cattaro und Ragusa in der Besprechung von Bogisic, Le Statut de Raguse, Archiv 1", 269—270.

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. 167

Ungarn einzuräumen pflegte. Die «poena ignis« für den Falsclimiinzcr erscheint in Böhmen z. B. in dem Rechte der Bergstadt Deutsch-Brod von 1278 (Hermengild Jirecek, Codex juris hohem. 1, 201). In Ungarn wurde der Falschmünzer nach dem städtischen Rechte auf dem Scheiter- haufen verbrannt, nach dem staatlichen Rechte musste er sich dem ge- richtlichen Zweikampf unterziehen.

Es lässt sich auch eine Erklärung aufstellen, warum die Serben gerade in dieser Frage von dem byzantinischen Rechte abwichen und zu den Bestimmungen des Rechtes der Bergstädte griffen. Das Syn- tagma hat keine Erwähnung des Münzrechtes. In der Uebersetzung des Prochiron fehlt die Münzfälschung durch ein merkwürdiges Missver- ständniss; die jikaarrj /.lovlra wurde eine /;ro^'a2:a v zite, eine Krank- heit im Getreide ! Ich muss dabei bemerken, dass die Artikel in der Uebersetzung umgestellt sind; Prochiron 39, 3 und 4 sind verwechselt, 11 ist 16, 12 16 ist 11 15 geworden, so dass erst von 39, 17 ange- fangen die Numerirung übereinstimmt. Prochiron 39, 14 lautet: '0 TtXaorriv (.Lovixav tvolCov (.ieto. rCi)v VTtovqyr^oävtiov avtc^ xeiQOxo- Tceiod-iOGav. ^0 de rov dyQOV öioixrjTi^g, iv i]) yiyovEV r] TcXaoTri f-iovira, elte yEioqyog elte öov?.og eXre Evor/.og e'Ite EQyaaTr]Qia- ■/ibg, VjCEqr^rr^aag to) aiJ.aQrrji.iaTi, y.ai b roiovtog y^Eiqo/.OTtEioS^io {'0 TtqöxEiQog voi-iog. Imperatorum Basilii, Constantini et Leonis Pro- chiron. Ed. C. E. Zachariae. Heidelbergae IS 37). Die Uebersetzung (39, 13] sagt: IlpoKdsoY TBop-RiiifMOY Kk JKHTfi) H noiuaraiö- ijjHük fMOY pov"^"^' A'^ oydiKHoyTk cc, ceAa M^e Torc»^) npaßH- TSAk, Bk HieMk JK« RkicTk npoKasa, aipe paxaH, ai^je jk£ paKk,

aiJJf /K£ A*^'-'*^ß'^MH'^'^) '^M'f ^* TpkrOBkHHKk 3), nOMOTAk BOV-

^fTk Bk TaKOBoie ckrp-tmfHif, h tomo^ po\|'i;'K ^a oyckKOYTk

(ed. Ducic S. 125).

Im altserbischen Recht gibt es auch abendländische Elemente, die aus Ungarn übernommen sind. Schon unter König Stephan dem Erstgekrönten wurden die Leute des Erzbischofs mit einem königlichen Siegel vor den König vorgeladen (^a ra no3HBa c KpaAfBOMk nfnarnK» Kk Kpaaic», Inschrift von Zica, Mon. serb. 13, 15). Nach dem Gesetzbuch Dusans

1] Citirt bei Miklosich, Lex. palaeosl. sab prohiza ItnQu aus der Krm- caja von Ilovica: »nota -.30^ TBOpHTH Bk IKHTli krmc.-mih, ;<20«.

2) Myoöi fundus in der Uebersetzung stets seh.

3) Der Uebersetzer hat tpoixos inquilinus und iQYuaxr,qiux6g operarius nicht recht verstanden.

168 Const. Jirecek,

wird der grosse Edelmann (ßAdCTCAHHk ksaTh) durch ein Schreiben des Richters vor Gericht citirt, andere Leute durch ein Siegel (nenaTk, 62). Das gleichzeitige Statut von Budua (cap. 3) sagt: »nissun nostro cittadiuo, che fosse citado avanti esso imperador con lettera o con hollav, ist nach einem der Stadt gewährten Recht verpflichtet zwischen dem Marienfest im September und dem St. Michaelstag, also zur Zeit der Weinlese, vor dem Richterstuhl des Garen zu erscheinen. In Ungarn war die «missio sigillin, das »cum sigillo vocare«, «per sigillum cogere« im XI. XIII. Jahrh. die einzige Form der Citation ; erst im XIII. Jahrh. kommen Citationen durch einen Brief vor. Die königlichen Richter nannte man in Ungarn in der Arpädenzeit auch »bilochi«, weil sie mit einem Siegel des Königs, einem hillog (vgl. K'kAlirk Zeichen), die Leute vor das Gericht citirten ^). Ebenso erfolgte in Böhmen die Citation vor das Gericht (altböhm. pöhon, vgl. altsl. norOH'k) durch das Vorweisen eines »sigillum«, vor Zeugen. Eine Petschaft des Landesgerichtes aus dem XIV. Jahrh. ist noch erhalten, mit den Aufschriften: »Wencesla(us) citat ad Judicium« und ))S(igillum) justicie tocius terre s(an)c(t)i Wen- cezlai, dncis Boem(orum) « (vgl. Hermenegild Jirecek , Slovanske prävo V Cechäch a na Morave 2, 223 f.).

An Ordalien kennt das Gesetzbuch Dusans den auch aus Urkunden bekannten Kessel (KOTbAk 84, 106), wobei die Procedur als »in den Kessel greifen« (\''IvITHTH oder \-ßaTMTH or KOTkAki bezeichnet wird, und das Eisen (JKfAli30 150), das der des Diebstahls oder Raubes Beschuldigte in der Kirchenthür aus dem Feuer nehmen und auf den Altar niederlegen musste. Das ist die Eisenprobe (Judicium ferri, pur- gatio oder examen ferri candentis). die in Ungarn durch die Gesetze der Könige Ladislaus I. und Koloman im XI. Jahrh. eingeführt und 1279 auf der Ofner Synode abgeschafft wurde 2). Ein Stück Eisen , ein bis drei Pfund schwer und vom Bischof geweiht, wurde glühend gemacht, vom Angeklagten unter bestimmten Ceremonieu in der Vorhalle der

1) Hajnik Imre, A magyar birösägi szervezet es perjog az Ärpäd es a vegyes-häzi ku-älyok alatt. Budapest, Akademie 1S99 (Die gerichtliche Orga- nisation und das Processualrecht unter den Arpäden und den Königen des Mittelalters) S. 186 187. Eine Orientirnng über ungarisches Rechtsleben des Mittelalters verdanke ich der freundschaftlichen Unterstützung des Herrn Archivdirektors Hofrath Dr. Ludwig v. Thallöczy.

-J Endlicher, Monumenta Arpadiana S. 330, 365, 569, zahlreiche Beispiele in dem Kegestrum de Varad 1209—1235 ib. 640—742^

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. 169

Kirche angefasst und an einen bestimmten Ort im Innern des Gottes- hauses getragen ; die Hand wurde sofort verbunden und der Verband mit einem Siegel versehen. Nach einigen Tagen zeigte die Untersuchung, ob sich der Angeklagte verbrannt hat oder unversehrt geblieben ist. Daneben gab es auch eine Probe mit siedendem Wasser, »aquae ferven- tis«, »Judicium aquaecf. Die in Ungarn und Böhmen daneben übliche Kaltwasserprobe (aquae frigidae) war in Serbien nicht üblich. In Böh- men gab es eine Probe durch heisses Wasser und eine andere durch glühendes Eisen (Judicium candentis ferri manualis) bis ins XIV. Jahrh. (Herm. Jirecek, op. cit. 2, 233 234). Die Byzantiner kannten keine Gottesurtheile. Das einzige bekannte Beispiel aus der Geschichte des Kaiserthums von Nikaia mit dem Greifen glühenden Eisens ist eine Folge abendländischer Einflüsse (/] dia fivÖQov cc/rodei^ig als ßcxQßaQi'Aog rooTtog, Akropolites ed. Bonn. 103 105; vgl. Zachariae von Lingen- thal 408). Auch die süddalmatiuischen Stadtrechte kennen keine Or- dalien, dafür aber die Tortur, die im serbischen Eechtsbuch ganz fehlt. Eine andere Gerichtsprobe des Abendlandes war der gerichtliche Zweikampf, in Ungarn (bei Hochverrath, Münzfälschung u. s. w.) mit Schwertern, Lanzen und Schilden, auch mit bulgarischen Knütteln (per claves bulgaricales), zu Pferde oder zu Fuss gegen die pugiles^ duella- torcs, eine Art Gladiatoren des Gerichtes, ausgefochten, erst 14S6 ab- geschafft, in Böhmen mit Schwertern (mece) oder Keulen (kyj). Das Gesetzbuch Dusans kennt nur einen gestatteten Zweikampf im Heerlager, wenn die Stelle richtig gedeutet wird (131); der gerichtliche Zweikampf ') wird (102), falls 0V'.3;i,aHHi€ diese Bedeutung hat, ausdrücklich ver- boten, ebenso wie ihn (die i.iovof.iayJ.u) die Byzantiner und auch die Venetianer in ihren griechischen Besitzungen als Rechtsmittel nicht duldeten.

>j Eine bildliche Darstellung des gerichtlichen Zweikampfes in Serbien glaubt man in den Miniaturen eines Psalters aus dem XIV. Jahrh. gefunden zu haben, jetzt auf der kgl. Bibliothek in München, auf Bl. 75'. David sitzt auf dem Thron. Zu beiden Seiten des Thrones stehen Soldaten mit Lanzen, drei- eckigen weissen Schilden und Bogen und Pfeilen. Unten kämpfen zwei Sol- daten mit einander, barhaupt, mit Schild und Schwert, beide in kurzem blauen Gewand und blauen Schuhen. Hube hat sich dieses Bild 1837 copiren lassen. Vgl. Dudik, Geschichte Mährens IV, 328—329 (Dejiny Moravy IV, 241). Beschrieben von P. A. Syrku, «Letopis« der »Matica Srpska«, Heft 196 (1898) S. 21, 197 (1899) S. 53.

170 Const. Jirecek.

Viel Verwandtes hat der Umfang der Reservate der Jurisdiction des Landesherrn in Ungarn und Serbien. Alle Fragen über Grundbesitz waren in Ungarn stets exempt vom Comitat und reservirt dem König (Hajnik op. cit. 82 83), ebenso in Serbien dem König, Garen oder später Despoten. Vor den König kamen in Ungarn Hochverrath (infi- delitas), Tödtung und Verwundung von Verwandten und Richtern, die Verbrechen der »stupratores« u. s. w., wie in Serbien (Verböczi, Tripar- titum, pars I, tit. 14).

IV. Die altserbisclie Gerichtsverfassung.

Die Giltigkeit des Gesetzbuches war innerhalb des serbischen Rei- ches keineswegs territorial beschränkt. Dass es z. B. in den Städten der Zeta galt, sehen wir aus den Uebereinstimmungen mit dem gleich- zeitigen Statut von Budua. Auch die vom Garen Stephan neu eroberten byzantinischen Gebiete in Makedonien, Albanien, Epirus und Thessalien waren nicht ausgeschlossen. Ausdrücklich werden bestätigt die Chryso- bulleu und Prostagmen der vom Garen eroberten griechischen Städte (Art. 124), ebenso in den angeblichen Zusätzen von 1353 1354 die GhrysobuUen aller Städte (Art. 137), sammt der Gerichtsbarkeit der städtischen Beamten (np-k^k BAa^aAkU,H rpa^kCKkiMH) in Rechts- fragen zwischen den Bürgern oder zwischen Bürgern und Bauern (Art. 176). Auch werden die GhrysobuUen an griechische Vlasteline und Vlastelicici bestätigt (Art. 39, vgl. 40) und die Besitzverhältnisse in den vom Garen neu eroberten Städten und Zupen ;Gauen) geregelt (Art. 117). Aus zwei Urkunden des Garen Stephan Dusan wissen wir, dass auf den Reichstagen die Stände des ganzen Reiches ohne territoriale Ausnahmen zusammen kamen, einerseits der Patriarch mit der Geistlichkeit, anderer- seits der Adel der Serben, der Griechen und des »Pomorije«, nämlich des Adriatischen Küstenlandes (ck BCkMH KAacTfAH cpkRkCKkiMH H rpkMkCKkiHMH H HOMopkCKkiHMH, Florinskij 52 Anm.j. In beiden Urkunden wird der nach dem Tode des ersten Patriarchen Joannikij (f 3. September 1354) auf einem »serbischen und griechischen Reichs- tag« (ckBOpk cpkBkCKkiH H rpkMkCKklH, Daniel 380) in Serrai (Ser) gewählte zweite Patriarch Sava erwähnt. Beide Stücke stammen von einem Reichstag in Krupista (Ha KpoynHi|Jt\'k, -4J'm\'k), vielleicht aus dem Frühjahr 1355. Florinskij (S. 48) sucht diesen Ort in der Umgebung von Stip, man kann aber auch an das jetzige Chrüpista süd-

Das Gesetzbuch des serbischen Caren Stephan Diisan. 171

lieh vom See von Kastoria, ein grosses Dorf mit ungefähr 3000 Ein- wohnern denken, eine Ortschaft, welche den aus den neu eroberten süd- lichen Ländern kommenden Mitgliedern des Reichstags noch näher lag.

Zur Beurtheilung des altserbischen Rechtslebens ist von grösster Wichtigkeit die Kenntniss der Gerichtsverfassung im mittelalterlichen Serbien , unter den Vorgängern des Stephan Dusan , zur Zeit der Ab- fassung des Gesetzbuches und Avährend der späteren serbischen Ge- schichte unter den Despoten und anderen Fürsten.

Wie in allen mittelalterlichen Staaten, erscheint auch in Serbien der König als der oberste Richter. Die der Jurisdiction des Königs und seiner Beamten reservirten Gerichtsfälle kennen wir aus Urkunden des Stephan Dragutin und Stephan Uros II. Milutin. Einen Process vor dem König Stephan Uros III. schildert eine Urkunde von 1327 (Safarik, Pamätky 2 A., 94 96). Der Igumen Kyr Gervasije des Klosters Chi- landar uud die Söhne des Edelmannes Chardomil, Dmitar und Borislav, erscheinen vor dem König und halten Rede und Gegenrede wegen der Grenzen eines Grundstückes. Der König bestimmt ein Grenzgericht und sendet einen »pristav«, der 12 greisen Zupenbewohuern den Eid ab- nimmt und die Grenzen genau feststellt. Die Parteien kommen mit dem »pristav« nochmals vor dem König zusammen und der Igumen überlässt der Gegenpartei freiwillig bis auf Widerruf ein Stück des Klosterbodens zur Nutzniessung.

Eine wichtige Frage ist die, ob es in den Landschaften Serbiens vor Stephan Dusan neben den Statthaltern des Königs auch überall eigene königliche Richter gab oder ob Administration und Justiz ver- einigt waren. Man liest schon im XIII. Jahrhundert öfters das Wort suclija oder sudhch ; waren diese Richter wirkliche Berufsrichter ?

Bei der Untersuchung dieser Frage sind auszuschliessen die »judi- ces« der autonomen Küsteustädte im alten Dioklitien oder der späteren Zeta am Adriatischen Meere , da die Entwicklung der dortigen Stadt- rechte in die Zeiten vor der serbischen Hoheit zurückreicht und zahl- reiche byzantinische und italienische Elemente aufweist. In dieses Ge- biet gehören wohl auch die zwei Richter, »sudija« Boleslav und »sudija« Desislav, welche als Zeugen in einer Urkunde der Königin Helena, Mutter der Könige Stephan Dragutin und Stephan Uros II. Milutin, aus der Zeit des Comes von Ragusa Marino de Giorgi (1288 1290) ge- nannt werden (Mon. serb. 56). Die alte Königin besass ja ein Territorium gerade im Küstengebiete von Dioklitien. Ebenso gehören nicht hierher

] 72 Const. Jirecek,

die Behörden der Sachsen, da diese privilegirten Ansiedelungen von fremden Bergleuten erst im letzten Viertel des XIII. Jahrh. nach aus- ländischen Mustern errichtet worden waren.

Es gehören ferner nicht hierher die Vorstände der Wlachen, der Hirten des Gebirges, welche zugleich Richter über dieselben waren, und welche sonst alsKnez, Premicur (7tQLi.ir/,riQiog)j Celnik, Katunar u.s. w. bezeichnet werden (Novakovic , Cbjio 50 51, 108). Der Grosszupan Nemanja schenkte dem Kloster Chilandar auf dem Athos zwei solche »Gerichtsbarkeiten« [sudstvo), die des Rad und des Georg, mit 170 Wla- chen (Mon. serb. 6). Grubessa, ülhis j'udicis Stan de Tribina, der sich am 10. November 1320 in Ragusa wegen eines Pferdes mit Matheus de Petrana verglich (Diversa Cancellarie 1320), war wohl auch Sohn eines Hirtenchefs.

Auszuschliessen sind die nicht berufsmässigen, stets nur ad hoc bestellten Richter, die bei dem gemischten Gerichtstag zwischen Ragu- sanern und Serben an der ragusanischeu Grenze zusammenkamen, bei dem sfanak. eigentlich CkCTaHiiKk, was wörtlich dem lat. conventus entspriclit'). Sie werden stets als Richter bezeichnet: in dem Vertrag zwischen dem Grosszupan Stephan, dem späteren erstgekrönten König, und dem Comes Johannes Dandolo um 1215 1220 ^a C( CTaw CÖ^VHf, r/k,f ( saKOHk H ,A,i\ HcnpaRAaK», in der alten lateinischen Uebersetzung dieser Urkunde »ponant se judices, ubi est consuetudo, et judicenta (Glasnik 47, 310 311), ebenso in dem Vertrag mit König Stephan Uros I. 1254 als coy^^k mit CO^Ai^l^l* OKOf , Gericht mit den Richtern beider Parteien (Mon. serb. 46).

üeber die Verhältnisse im Innern Serbiens geben die Verträge der Ragusaner mit den Serbenkönigen einigen Aufschluss. Aus dem Vertrag mit König Stephan Uros I. 1252 2) erfahren wir bei der Bestimmung über die Kaufleute, welche die Märkte des Königs mit den Zollstätten zu umgehen suchten, dass Vlasteline des Königs zu Gericht sassen (mch KaacTfAHHk, KOM ^c>K( KHTH Ha ciJ^li, Mon. scrb. 4 1). Das sind dieselben Richter (cS/k,kU,f), von denen in einer zweiten Urkunde des- selben Königs von 1254 die Rede ist (Mon. serb. 46). Der Vertrag mit

1) Vgl. Dr. Bogisic, Stanak (stanicum) nach dem Rechtsstatute der Re- publik Ragusa vom J. 1272, Archiv f. sl. Phil. 2 (1877), 570—593 und Glasnik 44, 197—231.

2) Zur Datirung vgl. die Urk. 1252, Rad 1, 134 und Rad 34, 141—142.

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. ) 73

König Stephan Uros IL Milutin 13021) ist uns jetzt bekannt sowohl aus dem lateinisch geschriebenen ersten Entwurf der Ragusaner (Mon. Rag. 5, 14) als aus der serbischen Vertragsurkunde selbst (Mon. serb. 52). An die Häuser der Ragusaner sollen keine Siegel angelegt werden [^\A C( HfJieMiVTf, bullare), weder von Seiten des Königs, noch von seinen Beamten (wtk KAdCTfAK, nuUus homo domini Regis). Richter werden bei dieser Sequestration nicht genannt. In Streitfällen zwischen Serben und Ragusanern in Serbien entscheidet nicht der König (diffiniri per curiam Regalem), sondern zwei Richter ad hoc aus beiden Parteien, ein Ragusaner und ein Serbe: »per unum Ragusinum et unum Sclauum, judices in ipsa questione«, j!k,A Hiuik \e ci>^\K npü^Vk cS;i,hwmk cpkK-

CKHMk H np'S;i,k l€;l,H'klUlk y\8KpOllHaHHälOIllk, H l|IO C8;i,HTa,

T03H ^\A i€ CKpkUJ£HC>. Das ist das gemischte Gericht, das auch im Gesetzbuch Dvisaus erscheint, dort aber mit einer grösseren Anzahl Richter aus beiden Parteien (Art. 153).

In einer Schenkung des Königs Stephan Dragutin (1276 12S2) an das Kloster Chilandar erscheinen als Richter die vladalci dxiora kraljeva, darunter die sevasti (Spomenik 3, 11).

Vor was für einem Gericht die Processe in den Burgen und Zupen Serbiens in den J. 1278 1333 geführt wurden, darüber gibt es einige Beispiele in dem Material , das sich in den Archivbüchern von Ragusa erhalten hat.

1) Im October 1278 ist in Ragusa ein Process wegen einigen Stücken Rindvieh in die Amtsbücher eingetragen worden, geführt in der Nachbar- schaft, vor Bodin, dem Zupan von Canali-j : »Die XVII octubris, coram do- mino Marco Geno, comite Rag. et juratis judicibus suis Vitale Bingole et Grubessia de Ragnana. Paulus de Gisla , productus testis per Andream de

1) Die Wiederauffindung des Liber Reformationum 1301 1303 bestätigt die Bemerkungen über die Chronologie dieser Urk. in meinen Handelsstrassen und Bergwerken 43 44 Anm. 133.

-) Dieser Bodin wird ausserdem nur noch zweimal erwähnt. »Die mer- curii VII febrnarii ;1285) coram domino comite et juratis judicibus Vitale Bingole et Grubessia de Ragnana dompnus Andreas, abbas monasterii de Mercana, in uerbo ueritatis dixit et conquestus fuit, quod cum ipse habuerit in deposito XX modios grani pro Bodino et nxore eins, pater dicti Bodini misit ad dictum monasterium, ipso abbate nesciente, et fecit accipi furtiue dictum granum.« Am 15. October 1285 wird ein »stanicus factus cum Bodino« wegen einiger Kühe notirt. Diversa Cancellarie 1275 (richtig 1284) im Ge- richtsarchiv (Mercana, sl. Mrkan, eine kleine Insel vor den Ruinen des alten Epidaur, vgl. meine Bedeutung von Ragusa in der Handelsgeschichte 41 42).

174 Const. Jirecek,

Paborea'), jur(auit) de ueritate dicenda. Interrogatus per sacramentum dixit: Ego fui presens in curia jupani Bodini, et dictus Andreas habebat placitum cum Bogdano Medueiac^j de VII bestiis, quas ipse Andreas petebat dicto Bogdano, et taudem fuit concordia inter eos, quod dictus Bogdanus debebat dare ipsi Andree quatuor bestias, videlicet duas vaccas pregnas et unam vaccam, que deberet impregnari hac estate , et unura bouem ad arandum , et debebat ei dare dictas uaccas et dictum bouem ad Molina. Et ad istam con- cordiam fuerunt presentes Desiuoi et Peruosclauus. Et dictus Bodinus dedit unum säum hominem, videlicet Jurech filium Jone, qui ueniret ad uidendum, si dictus Bogdanus daret dictas vaccas et bouem ipsi Andree. Et dictus Bog- danus conduxit dictas vaccas et dictum bouem in Canali in loco, qui dicitur Meg09uduch (sic)3, et dum ueniremus per uiam, ipse Bogdanus dixit: Ego uolo ire ad accipiendum panem, et dictus Andreas dixit: Noli ire, tu comedas mecum de illo, quod habeo. Et ipse Bogdanus: Ego uolo ire; quid habes tu facere, quod ego debeo tibi dare uaccas et bouem ad Molina super me. Et iuit uiam suam, et stando modicum uacce et bos, qui erantsiluestres, aufuge- runt, et bos iuit ad domum dicti Bogdani et de tribus vaccis nescio, quo iue- runt« (Diversa 1278 f. 47, im Archiv jetzt bezeichnet als Precetti ossiano comandamenti a. 1280).

2) In den J. 1303 1306 erscheint in der Nachbarschaft von Ragusa, im Lande von Chlm, welches die Serben erst nach des Königs Milutin Tod an die Bosnier verloren haben, ein Comes (also sl.Knez) Constantinus, wir wissen nicht, ob identisch mit Constantin, Milutins Sohn, der 1322 im Kampfe um den Thron gegen seinen Halbbruder Stephan Uros III. gefallen ist. Er hat 1305 den St. Demetriustribut von Ragusa für den König übernommen und verweilte in Stagno, Nevesinje und Brocno. Am 20. Mai 1306 klagte in Ra- gusa der Patricier Thomas de Dersa, er sei mit einer Ladung von Tüchern im Werth von 800 Perper beraubt worden von Posnannus de Purchia aus Neve- sinje sammt dessen Vater, Brüdern und 30 seiner Leute, von Drasen Bogopeue§ mit Brüdern und Verwandten (consanguinei) und 20 Leuten und von Alen de Bocaueg in »Uegerich« (Veceriöi) gleichfalls mit Brüdern und 20 Mann. Im Buche »Diversa Cancellarie 1305« liegt bei dieser Eintragung ein von Feuch- tigkeit vergilbtes Blatt mit einem Zeugenverhör über diesen Fall , vom 7. Jänner (1307). (jurech oder Qurco, nepos Q'erenie, bezeugte vor dem Comes von Ragusa und den Richtern: »quod ipse fuit presens ad Sanctum Georgium in Brochina in comitatu Chelmi , iibi coram comite Constantino Nichiforus de

1) Die ragusanische Adelsfamilie Pabora (-rra), ÜOBOpHKk, wird 1252 bis 1360 oft erwähnt. DieGisla, FHH^AHKk, 1279 1403 genannt, waren eine Bürgersfamilie, vielleicht aus Lagosta stammend (1344 ein Jacobus de Gisla de Lagusta, judex et vicarius Laguste).

2) Medvegjak.

3) Wahrscheinlich Dual, »zwischen zwei Mauern»; megju zidu. Das Buch ist geschrieben von einem italienischen Notar, Thomasinus de Savere aus Reggio d'Emilia.

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dnsan. 175

Ranina (wohl als Procurator des Dersa) hlaidahat (sie pro : placitabat) pro dicta roharia Posnan de Piirchia de Neucsiua, Drasin BogopeueQ, Alen de Bocaueg cum houiinibus eoruin et alios multos de Ncuisina. Et dicit, quod predicti reddiderunt dicto Thome certas res de dicta robaria et certas res non et dixcrimt: Nos uolumus accipere de rebus nostris et nostrorum hominum et reddere illud, quod deficit«. Dasselbe bestätigte als zweiter Zeuge der per- sönlich anwesende Schreiber des Comes, »Moian gaconus (,\Hr<IKk) comitis Constantini«.

3) Im J. 1312 war der Ragusaner Patricier Pasqua Marini de Go§e ange- klagt, er habe den Ragusaner Gregorius filius Junii de Dominca gegen die Gesetze seiner Vaterstadt vor den serbischen Behörden wegen einer Schuld geklagt und ihn in Prizren gefangen setzen lassen. Aus seinem Brief an den Comes Bartolomeo Gradonigo und die Richter von Ragusa aus Brskovo vom 15. August 1312 erhellt, dass der Process vor dem Sevast von Prizren geführt worden war: »Et eu me scuso alla uostra sinhoria (sie), che eu demandaua Gregor alla rason auanti lu seuast di Prisreno de quello debito, che mi deueua dar«. Er entschuldigt sich dadurch, dass viele andere Ragusaner einander »auanti la signoria de Scauonia« (sie) klagen (Orig. in Liber Reform. 1311, vgl. Mon. Rag. 5, 107).

4) Vor Zupan Mladen, dem späteren Vojvoden des »jüngeren Königs« Stephan Dusan, der noch unter König Stephan Uros II. Milutin um 1320 die Landschaften bei Ragusa, darunter auch Dracevica (bei Castelnuovo) ver- waltete, führte 1319 der Ragusaner Chlap Valetid einen Process gegen Peter, Sohn des Zupan Tolen, wobei Mladen das Urtheil iiiWtQ-.jiihanus Mladen judi- caicit ipsum Petre esse tortum , Spomenik 11, 103 uro 63. Vgl. das Schreiben des Zupan Mladen selbst an die Ragusaner bei Pucic 2, 45 über diesen Rechts- fall. ^a npaß^a mS e Haiua WKasaaa^).

5) Am 29. August 1333, also schon unter der Regierung des Stephan Dusan allein, klagten vor dem Comes und den Richtern von Ragusa Bogdan und Cranoc, Söhne des Bratis, dass im April 1332 Mladen, »homo comitis Gregorii de Coriach«, also ein Mann aus dem Gefolge des Knez Grgur Kurja- kovic von Krbava, »alla Scopia per fortiam eis abstulit ypp. LII della croce«2). Am 6. October 1333 erschien dieser Mladen persönlich vor dem Gericht von Ragusa und sagte, er habe als Befehlshaber des Serbenkönigs in Skopje bei dem Process um eine vrazda, was ja an und für sich ein Reservat

1) Das Original, das ich 1890 in den Bänden der Diversa nicht vorfand (Spomenik 11, 103), ist seitdem im Hauptarchiv unter den vereinzelten Ur- kunden wiedergefunden worden.

2) Knez Grgur Kurjakovic aus der Landschaft Krbava im Küstenlande Kroatiens war 1332—1333 am serbischen Hofe, vielleicht als Vermittler nach dem Krieg zwischen Serbien und Bosnien. Als Zeuge erscheint er im Januar 1333 bei der Abtretung von Stagno und Ragusa, Mon. serb. 104, in dem lat. Text der Urkunde als »comes Gregorio Curiazi«. Ebenso 1333 als Comes Gregorius de Coriach, Spomenik 11, 100 zu Pucic 2, Nr. 11 und 12.

176 Coust. Jirecek,

der königlichen Gerichtsbarkeit war, diese Ragusaner dazu verurtheilt: »Qui Mladen dixit et confessus fuit« etc., «quod eo existente castellano Scojne jiro domino Rege ipse Cranoe datus fuit sibi per Mariuum fratrem dicti Cranoe 2)ro conto de sanguine pro L yppis, cuius occaxione ut castellanus Scopie secuti- dmn consuetudinem illius contrate accepit sibi dictos L ypp. della cro§e et non alia de causa. Negans dictus Cranoe, quod ipse Marinus dedit illum sibi tor- tum de sanguine, set suo proprio arbitrio abstulit illos sibi«. Der Comes und die Richter von Ragnsa befahlen Mladen in der »camera communis« von Ragusa 50 Perper zu depouiren und bis Ostern »probare per testes j^doneos, qualiter ipse Marinus dedit ipsum Cranoe pro torto de sanguine de L ypp. della croge, alias procedatur ad sententiam super predictis , prout juris ordo postuIat« (Div. Cancellarie 1334, eigentlich 1". März 1333 ff.)

Vor dem Gesetzbuch Dusans waren demnach, soviel sich aus dem vorhandenen Material sehen lässt, in Serbien Administration und Justiz vereinigt. Richter im Namen des Königs waren die Zupane, Sevaste, Castellane und Knezen. Eigene Richter daneben sind nur in den Städten des Westens und bei den Sachsen nachweisbar. Die Einsetzung vom Garen ernannter Richter neben den Statthaltern in allen Provinzen ist allem Anschein nach eine Neuerung Stephan Dusans. Das Muster dazu war die Proviuzialverwaltung, welche die Serben in den damals neu besetzten byzantinischen Provinzen vorfanden, mit Beamten von drei Kategorien neben einander, dem militärischen Statthalter, richter- lichen Beamten {d^ei.iaTr/,oi /.QLtai oder drAaoTCxi] und Finanzbeamten,

Betrachten wir nun die Gerichtsverfassung, wie sie im Gesetzbuche sichtbar wird. Der oberste Richter ist der Car, wie der byzantinische Kaiser, welcher in die Rechtspflege eingriff durch Relation, Appellation oder Supplication (Zachariae von Lingenthal, 3. A., 356). Relationen an den Garen sind vorgeschrieben in zweifelhaften Fällen, wo einer der Richter mit beiden Vertretern der Parteien (nkpi^HJ vor dem Garen zu erscheinen hat (Art. 181), bei Widersprüchen zwischen Urkunden des Garen und dem Gesetzbuch (105) und bei Processen um Kirchengüter (78). Das Appellationsrecht wird seltener erwähnt. In der Urkunde für das Bisthum vonLesnovo heisst es, jeder Rechtsfall der Unterthanen desselben, der nicht vor dem Bischof entschieden werden kann, soll vor den Garen kommen (h w coif.i.'k, i|to Cf Hf MOJKf pacoyA"''''» np-K^v,!! cnHCKonoMk, ji,A rp£,A,e np-K^k ij,apCTKO lih, Glasnik 27, 294, Flo- rinskij 92). Ebenso konnte von dem Gericht der Mönche von Ghilandar an das Gericht des Landesherrn appellirt werden (Florinskij, Athos- urkunden 74). In Budua konnte ein Buduaner, dem es nicht gelang Bürgen zu stellen oder zu zahlen, an die Gnade des Garen appelliren:

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. 177

«et se non havrä di che pagar 0 dar piezaria, volemo, che stia in potesta de misser lo imperador« (p. 5). Durch Supplication konnte sich im griechischen Kaiserthum Jedermann unmittelbar an den Kaiser wenden, ebenso in Serbien Jedermann an den Garen (Art. 72); ausgeschlossen waren nur die Sklaven der Edelleute (ob aber auch die der Geistlichen, Kaufleute u. s. w. ?). Der Hof des Garen war ein Asyl für Flüchtlinge aus den Gefängnissen der Adeligen und der Geistlichen (112). Ebenso war aber der Hof des Patriarchen ein Asyl für Flüchtlinge aus dem Gefängnisse am Hofe des Garen (113).

Den Umfang der Rechtsfälle , welche der Gerichtsbarkeit des ser- bischen Königs selbst oder später des Garen oder durch Delegirung der Entscheidung der landesherrlichen Beamten vorbehalten waren, ist genau bekannt. Diese Fälle sind aufgezählt: 1) in der Urkunde des Königs Stephan Dragutin (1276 1282) an das Kloster Ghilandar (Spomenik 3, 11); 2) in dem Vertrag des Königs Stephan Uros H. Milutin mit Ragusa 1302 (Mon. serb. 52); 3} in dem Vertrag des Garen Stephan Dusan mit Ragusa 1349 (ib. 146); 4) in der Urkunde des Garen Stephan für das Erzengelkloster in Prizren (Glasnik 15, 308); 5) im Statut von Budua: »queste cose vuole lo imperador giudicar lui« (Mon. bist. jur. 3, 5); 6) im Gesetzbuch Art. 103, 183, 192, wo diese Fälle als »An- gelegenheiten des Garen« (^l.Ai^rCß'k ii,AQ(ß'k 103) bezeichnet sind.

Diese Reservate sind: 1) Hochverrath (HEB'bpa) in den Urkunden der Könige Dragutin und Milutin, im Art. 192 des Gesetzbuches, »infe- deltade« im Statut von Budua. 2) Hülfe zur Flucht eines Unterthans, Golonen oder Sklaven, npOßO;i,k bei König Dragutin und in Dusans Urkunden für das Kloster von Prizren und für Ragusa, np'keuh. Aio^k- CKWH im Art. 103, 183 (das Verbum dazu: HC np-SHMÖ HHi€;i,HOra MAOß'tKa, Mon. serb. 108). 3) Wergeid oder Sühngeld für Todtschlag oder Verwundung (KpaJK/k,a) bei König Dragutin und Milutin, in der Prizrener Urkunde und Art. 103, 183; als Blutschuld (Kpkßk sanguis) bezeichnet in der Urkunde Dusans für Ragusa, ebenso in den Art. 103, 183 neben vrazda^ im Art. 192 allein; im Statut von Budua »homeci- dio«. 4) Besitzrechte auf Sklaven: 3a Meara/^HHa im Vertrag des Königs Milutin mit Ragusa, ebenso 3a MaoߣKa im Vertrag Dusans, »de servo, de serva« im Statut von Budua (sonst vielleicht inbegriffen im provod). 5. Besitzrechte auf Pferde, in der Urkunde Milutins und in der Prizrener Urkunde Dusans als KOHk bezeichnet, in der Urkunde Dusans an Ragusa als cßO^k, ein Terminus, der sich auf die Procedur

Archiv für slavische Philologie. XXII. 12

178 Const. Jirecek,

bei der Beweisführung über eine gestohlene Sache bezieht (cboai^ KOHCKKIH Art. 193, vgl. 180, 199 und über die Sache selbst die ürk. Mon. serb. 147); »de cavallo robbado o morto« im Statut von Budua. 6) Processe über Grund und Boden (SfWIAia), erwähnt in der Urkunde Dragutins, in Dusans Urkunden für Ragusa und für das Erzengelkloster, und im Art. 183. Ein Beispiel in der (S. 171) angeführten Urk. Uros III. von 1327; ebenso sendete Car Stephan Dusan einen suclija, der mit 12 Greisen die Grenze eines anderen Gutes von Chilandar feststellte (Florinskij, AeoHCKie Aktli 74). 7) Fälle von Raub (rOYcapk), Art. 103, 160, 183. 8) Ebenso von Diebstahl (TaTk), ebendaselbst. 9) Ent- führung einer Edelfrau (pa.3B0H RAdAHMkCKH), Art. 192; vgl. ^^-Rehmk pa.3B0H in der Urkunde bei Florinskij 56 und die byz. Geldstrafe für TiaQd-evocpd-oqia bei Zachariae von Lingenthal 345^). Dazu kommt im Statut von Budua noch Folgendes: 10) Budua ist verpflichtet 50 Mann zu stellen , wenn der Gar persönlich ins Feld zieht , wobei dem Kaiser ein Zehent von der Beute gebührt; »et se alcun delli nostri hostadori furasse alcuna cosa della preda, stia in arbitrio de misser lo imperador di castigar quel ladronecf (p. 4). Der Car ist ja der oberste Befehlshaber des Heeres nach Art. 129, die Vojvoden als Richter im Lager sind seine Vertreter. Das Statut von Budua kennt auch den Fall, wo ein Fremder von einem Buduaner geklagt wird, »accnsandolo delli casi, che deve giudicar l'imperador«, und Bürgschaft vor den Stadtrichtern stellen muss (p. 26 cap. 110).

Selten sind die Fälle, wo der Car persönlich das Urtheil fällt. Er verweist die Entscheidung meist an seine Richter, Nur die Processe über Grund und Boden scheinen stets dem Landesherrn persönlich reser- virt geblieben zu sein.

1) In Bulgarien waren dieselben Termini bekannt. In einer Urkunde des Garen Konstantin Äsen ist erwähnt BpaJK^a, paSBOH und KOHCKa Kpa>K^a (KCtHCK;^ Kpa>K/l,;R zu lesen nach Miklosich, Die Blutrache 31 ; in der Copie des Grigorovic bei .^afarik, Pamatky 26 KOHCK;^ BpaH;^^, was Sreznevskij, CBiÄiniii u saMiiKu o Ma.iousBicTHtix'L h HeusBicTHLix-E naM- aTHHKaxt Nr. 81, S. 20 nach der Photographie von Sevastianov BOHCK^ Kpa>K/k,^ las). In einer Urkunde des Garen Joannes Alexander 1347 wird der Pferdediebstahl als KOHCKKI TaTk bezeichnet (^afarik, Pamätky, 2 A. 98, Sreznevskij ib. 33). Zu den vielen Elementen griechischer Terminologie in Bulgarien gehört die Bezeichnung des Wergeides als ^O^HT^ von (pörogi^ derselben Urk. des Joannes Alexander und einer des Garen Sisman (Safarik, 2. A. 109; vgl. Miklosich, Die Blutrache 28, 80—81).

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. 179

Der Hofrichter •), sudija dvoi'ski, stets nur in der Einzahl erwähnt, entspricht dem »judex curiae« in Ungarn oder in Böhmen. Die Edel- leute des Hofes durften nur vor dem Hofrichter geklagt und gerichtet werden (177). Der Hofrichter entscheidet in Rechtsfällen, die sich am Hofe ereignen (vgl. 91), sowie in dem Falle, wenn die Parteivertreter in einer Sache zufällig am Hoflager des Garen zusammenkommen (175). Aber sonst soll Jedermann mit seinen Rechtsangelegenheiten vor die Rich- ter seiner Landschaft gehen, nicht vor den Hofrichter (175, 182)2).

Die Richter in den Provinzen sind vom Garen ernannt: sudije^ koje carstvo mi polozi po zemlji suditi (148), oder sudije carstva mi, Jiojih Jest postavilo carstoo tni (157), oder kurz sudija carstva mi. Ihr Amtsgebiet wird als oblast bezeichnet (110, 179, 182), ihr Sitz oder Hof als sudijin dvor (66, 91). Sie erscheinen im Gesetzbuch meist im Plural, selten im Singular. Dass es mehr als zwei (wäre eine Dualform) Richter in jedem Sprengel gab, sieht man am klarsten aus Art. 181: in zweifelhaften Fällen soll einer der Richter (OTb co\f;i,"m ij^vxwh) mit den Vertretern beider Parteien vor den Garen kommen. Die Richter waren ohne Zweifel stets Vlasteline oder Vlastelicici.

Was das Verhältniss der Richter zu den Administrativbeamten, den Kefalija's, betriflft, so gibt es im Art. 178 eine Bestimmung, welche scheinbar auf eine völlige Trennung der Admistration und Justiz hin- weist: »Wenn die Richter ihre Pristav's und Schreiben irgendwohin aus-

1) Genannt wird ein Hofrichter Bozidar (Bossidarius judex generalis), einer der Gesandten des Garen Stephan an den Papst nach Avignon 1354. Theiner, Monumenta Hung. II, 8. Florinskij, lOacHtie G^iaBHHe u BusaHTia bo BTopoä qeTBepxH XIV b. II, 255. Jorga, Philippe de Mezieres, Paris 1896, p. 135, n. 1.

2) Es gab wahrscheinlich auch Fälle, wo der Protovestiar (Schatzmeister) richtete, in der Art wie der byzantinische Logothet tov yefixov und rüjy oi- xsiaxüiy. Von richterlichen Functionen des serbischen Logotheten dieser Zeit, des Hofkauzlers, ist nichts bekannt. Ueberhaupt ist das Hofgericht in Serbien sehr einfach gewesen im Vergleich zu den complicirten obersten Ge- richten in Konstantinopel, zu den drei Hofgerichten in Ungarn unter den Anjou's, nämlich dem des »judex curiae«, der sogenannten »specialis prae- sentia regia« unter dem Hofkanzler und der »praesentia personalis regia«, wo der König selbst präsidirte (darüber eine Monographie von Hajnik, A ki- räly birosägi szemelye jelenlete etc., Budapest, Akademie 1892), und zu den verschiedenen obersten Gerichtshöfen in Böhmen ;'vgl. die instructive Ueber- sicht der böhm. Rechtsgeschichte von Jaromir Celakovsky im Artikel »Cechy« im Ottuv Slovnik Naucny Bd. 6, 1893, 504 f.).

12*

IgO Const. Jirecek,

senden, und wenn Jemand nicht gehorcht und den Pristav abweist, da sollen die Richter ein Schreiben an die Kefalija's und die Edelleute richten, in deren Gebiet sich jene Ungehorsamen befinden, damit diese Beamten ausführen, was die Richter schreiben ; wenn sie es nicht aus- führen, sollen sie gestraft werden, wie die Ungehorsamen selbst«. Aus anderen Stellen erhellt aber, dass der Kefalija zusammen mit den Rich- tern zu Gericht sass, gerade so, wie der griechische 'AecpaXi] von Joan- nina mit den städtischen v.qixai (Acta graeca 5, 81). In der Zupa mit gemischtem Grundbesitz, mit Grundstücken des Garen, der Kirche und der Edelleute, sind es die Kefalija's und Richter des Caren, welche über die Sicherheit der Strassen zu wachen haben (Ki€4><»A'i'e H co^A'* HapcTBa iuih); die Wachmannschaft befehligt der Kefalija (157). Die Leute der Kirchengüter führen ihre Rechtsangelegenheiten vor den kirchlichen Würdenträgern oder in bestimmten Fällen vor dem Kefalija (np'KA'^ i^pkKBOiUk H np-feA"* Kie^aAÜiuik, Art. 194); Richterwerden dabei nicht ausdrücklich genannt. Dasselbe ist der Fall in der Urkunde des Caren 1349 für Ragusa, wo bei Rechtsfragen der Carinik (doanerius), der Knez (conte del mercato), der Kefalija genannt sind, die Zusammen- setzung der gemischten »porota« beschrieben wird, aber keine Richter erwähnt werden (Mon. serb. 146). Klarer wird die Sache in einer Ur- kunde des Caren für das Kloster Chilandar, wo der »Kefalija mit dem Gericht (sud) des Caren« als Appellationsbehörde gegenüber dem Kloster- gericht erscheint: Hk \A coY^lv cTapij,H, Konyk nocHaa cKfTKiH MOHacTHpk H co^Ai^»«, KOHyb CHH nocTaBfj aKO AH cf Hane

OTk HH^I^, KTO £ KpHBC» CO\'AHAb, SaKOHOMk \A V\ ROCOyA"

HacTOi€qriH Kt^aaTa h [ck] co\fA<^'^'^ uapcTBa mh (Florinskij, AeoHCKie Aktli 75, üaMJiTHHKH 55). Auch die Rangstufe des Rich- ters zwischen den übrigen Beamten ist bekannt aus der Urkunde des Caren über die Gründung des Bisthums von Lesnovo 1346 7 (Glasnik 27, 294): HH Kcnaaiira, hh cfBacTk, hh KHtSk, hh coyAHia, hh raOBapk, hh npa^TOpk [rtqäy.Tio^ Steuereinnehmer). Die Richter standen also tiefer als die militärischen und administrativen Befehls- haber, aber höher als die Finanzbeamten.

Die Jurisdiction der kaiserlichen Richter betraf meist die Fälle des Strafrechtes, die der Gerichtsbarkeit des Landesherrn reservirt waren. Vor den Richtern führten wohl auch die Adeligen ihre Processe unter einander; ein eigenes Adelsgericht, wie in den ungarischen Comitaten, kommt in Serbien nicht vor. Eximirt von ihrem Gericht waren die

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. 181

Geistlichen (12) und die Höflinge des «carski dvor« (177). Die Richter pflegten ihren Sprengel zu bereisen (110, 179). Die Parteien erschienen vor ihnen persönlich oder Hessen sich durch Advocaten (n^piii^ii) ver- treten. Die Parteivertreter durften während des Processes keine zur Sache nicht gehörige Rechtsfragen (161) oder nachträglich etwas Neues vor- bringen (167), wie ja auch in dem Statut von Budua (cap. 111) nach der Sentenz vorgebrachte »prove«, Urkunden oder dgl., nicht gelten gelassen wurden. Wenn der Kläger nicht erscheint, ist der Angeklagte frei (89). Ebenso dürfen nach der Rückkehr von einem Feldzug die Vlasteline und die Kriegsleute (vojnik) drei Wochen lang nicht vor Gericht citirt werden (61). Die Richter sollen sich nur an Recht und Gesetz halten, ohne Furcht vor dem Garen (172) und ohne dem Gesetzbuch wider- sprechende Schreiben des Garen zu berücksichtigen (171); über einen solchen Widerspruch ist sofort an den Garen Bericht zu erstatten (105). Alle Grundbesitzer oder Landesbewohuer und alle Behörden sind streng verpflichtet die Schreiben der Richter zu befolgen (148, 178). Jede Be- schimpfung des Richters wird an Edelleuten und Dörfern durch Gon- fiscation gestraft (111), ebenso die Abweisung eines Pristav des Gerich- tes (107). Vollziehungsbeamte des Gerichtes sind die Pristavi, die nur »gute, gerechte und glaubwürdige« Leute sein sollen (163) und stets nur mit einem Schreiben des Richters oder des Garen auftreten dürfen; in dem Fall einer erwiesenen Fälschung des Schreibens oder einer wis- sentlichen Abweichung von dem schriftlichen Befehl des Gerichtes haben sie Verlust der Hände oder der Zunge zu erwarten (162) i). Die Straf- gelder (globa) sammeln die Globari der Richter, ebenfalls immer mit schriftlichem Auftrag (188).

Wie im byzantinischen Reich waren auch in Serbien alle Erkennt- nisse des Gerichtes schriftlich zu verzeichnen und der Partei oder dem mit der Vollziehung beauftragten Gerichtsfunctionär vom Richter schrift- lich zu übergeben (162, 163, 181, 188). Aus Art. 163 erhellt, dass die Richter Bücher zu führen hatten , in denen sie alle Rechtsfälle ein- schrieben: BbcaKE coy^ie A^ oifnHcoYic coyA^^* " A<* APi^^^ oy CS KU. Das Original des Schreibens (knjiga) , das sie dem Pristav mitgaben (162, 163), war wohl in einem solchen Quatern eingetragen.

1) Pristavi kommen in Dalmatien, Bosnien, Kroatien überall vor. In Ungarn war der j9n.s<aWj<5 der »assertor veritatis«, bei Eidesleistungen, Or- dalien, Abschätzungen, Grenzregulirungen,Theilungen, Nie lerschreibung von Urkunden u. s. w. (Hajnik 156).

182 Const. Jirecek,

Das Gefängniss (ttmnica) befand sich unter der Obhut des Kefalija oder des Vlastelin, welcher Besitzer der Zupa (des Gaues) war ; Niemand durfte ohne Schreiben des Garen darin eingekerkert werden (184, 185), das heisst ohne Schreiben der vom Garen ernannten Richter, denn es wird kaum der Gar selbst z. B. über die Einkerkerung eines jeden Trunkenbolds (166) ein Mandat erlassen haben. Es gab auch ein Hof- gefängniss (113).

Eine wichtige Institution war die jöorote, das Geschworenengericht. Der stanak an der Grenze von Ragusa war nur eine Form der «porota« und wird in den Denkmälern oft mit diesem letzteren Terminus be- zeichnet. Vor die »porota« gehörten Fälle, die, wie wir sahen, Reser- vate der landesfürstlichen Gerichtsbarkeit waren: Fragen über Grund und Boden, Raub (vgl. Art. 132 und 160), Pferde- und Viehdiebstahl, Mord und Todtschlag. Es war stets ein öffentlicher Beamter anwesend, ein Pristav des Landesherrn (vgl. die ürk. 1327, Safafik, Pamätky, 2 A., 94 96) oder seines Statthalters, später, wie wir aus einer Ur- kunde des Garen Stephan ersehen, in seiner Zeit einer der Richter (h nocAa napkCTßC» mh coyA"*^ llapaKbKd, Florinskij, Aeon. Aktw 73 76, üaMflTHHKH 52). Die porothci oder porotnici werden bei Grenzfragen nur Zeugen, svedoci genannt, ebenso bei den Rechtsfällen zwischen »Latini« (d. h. den Ragusanern) und Serben in dem Handels- privilegium 1349 an Ragusa (Mon. serb. 147), lat. in Ragusa /wra^ore«. In den Handelsprivilegien an Ragusa von Knez Lazar und seinen Nach- folgern heissen diese stets ad hoc bestellten, nicht berufsmässigen Rich- ter nicht nur Zeugen, sondern, wie im XIII. Jahrb., geradezu Richter [sudije, Mon. serb. 205, 208, 267, 27 0, 353, 433). Die Zahl der Ge- schworenen beträgt je nach der Grösse der Angelegenheit 24, 12 oder 6 (Art. 151). Dieselben sind Standesgenossen des Angeklagten: Edel- leute, »mittlere Leute« (srednji Ijudije) oder Sebri (Art. 152); vgl. auch im Art. 106 die »porota« der pronijari^ die über die Uebelthat eines dvoranin vlasteoski, des Höflings eines Vlastelin zu richten hat. Es darf darunter kein Verwandter und kein Feind des Angeklagten sein (152). Bei Rechtsfällen mit fremden Kanfleuten und Andersgläubigen, worunter die katholischen Sachsen und die italienischen und dalmatini- schen Bewohner der Bergstädte zu verstehen sind , besteht dieses Ge- richt zur Hälfte aus Serben , zur Hälfte aus den Fremden , nach einem »Gesetz des hl, Königs«, des Stephan Uros U. Milutin (153, vgl. Mon. serb. 52, 147). Jede »porota« tritt in der Kirche zusammen; den Eid

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. 183

nimmt ihr der Priester in geistlichen Gewändern ab (rionk oy pH3A\h. 151). Das Gesetzbuch sagt ausdrücklich , dass die »porotnici« keinen Ausgleich herbeizuführen, sondern durch Majorität der Eide sich über Schuld oder Kichtschuld auszusprechen haben (151). Wenn die »po- rotnici« wissentlich einen Schuldigen durch Meineid freisprechen und wenn bei dem in dieser Art Freigesprochenen ein Beweis (policje) seiner Schuld gefunden wird, zahlen sie dem Garen einen vrazda von 1000 Per- per, gelten fortan als unglaubwürdig und sind von der Ehe mit anderen Leuten ausgeschlossen (154), also geächtet i). Eigene Artikel betreffen die »porota« für Dorfgrenzen und Grundstücke (megja selska, zemlja 79, 80), mit »Zeugen« von jeder der beiden Parteien in gleicher Anzahl, auch nach einem Gesetz des »hl. Königs«. Die Zeugen heissen starinici oder starci zupljani (ürk. 1327), starci dohri cloveci (Florinskij, Athosurk. 74), starinici od zupe (Urk. 1389 1402, Mon. serb. 263, 264)2).

Die gemischte »porota« mit den Serben ist oft erwähnt in den Rechtsdenkmälern der Küstenstädte. Das Statut von Budua (Cap. 264) kennt den Fall, »se alcun forestier dimandasse alcun nostro cittadino avanti la signoria , per il quäl cittadino fosse posta porotta di nostri cittadini«. Die Buduaner sind verpflichtet den Eid für ihren Mitbürger zu leisten, »eccetto perö se fosse di mala fama«. Das Statut von Cattaro verfügt, dass die porota zwischen einem Cattarenser und dem Serben- könig oder einem Serben stets in Cattaro abgehalten werden soll; höch- stens sollen die »porotnici« bis Onogost (jetzt Niksic), in die Zeta und nach Scutari gehen, auch in dem Fall, wo sie vom König bis zu seinem Hof bestellt sind (Cap. 350): »Propter multas et varias questiones, quas habebamus äe porotis, statuimus, quod si quis nostrorum ciuium habuerit placitum uel questionem aliquam cum dominatione uel cum quocunque Sclano, et in judicio porrota sit in Catharo. Et si necessitas fuerit et non poterit uUo modo esse in ciuitate, porotnici non uadant ultra Na- gostam, Gentam et Scutarum sub (pena) yperpyrorum centum, qui deuenire debeant in cameram nostre comunitatis, quamuis dominatio

1) Dieses Verbot eines Connubiums ist hier eine isolirte Merkwürdigkeit des Gesetzbuches. Zu den Termini muziti und zeniti vgl. ital. maritar le figliole, uxorar li figlioli, Statut von Budua, Cap. 137.

-) Die »porota« ist eine südslavische Institution. In Ungarn erscheinen nur ganz ausnahmsweise »conjuratores», »consacramentales« bei Besitzfragen, Adelige und Nicbtadelige.

184 Const. Jirecek,

precepit eis ire ad curiam. Et si pro eo, quod äicti porotnici non iuerunt ad curiam uel ultra dictos terminos ad dictam porotam faciendam, aliquid dampnum seu contrarium vel expense euenerint ipsis, ille qui placitum habuerit uel questionem, omnia emendare et satisfacere integraiiter teneatur super se et omnibus bonis suis et soluat de pena yperpyros quingentos decem (sie) comunitati« '). Eine »porota« gab es auch zwi- schen Scutari und Ragusa. Die Ragusaner Maroe de Bodaga, Milanus Petrouich und Bogdanus de Milichna wurden 1356 durch Scutarenser um 1771 Ducaten geschädigt. In Folge der Reclamationen kam ein Ge- sandter (nuncius) des »commune et uniuersitas Scutari«, der Priester Dompnus Georgius, nach Ragusa, wo er »secundum consuetudinem elle- git X bonos homines iuratores (sämmtlich Bürger von Ragnsa aus den Familien de Bergo, Rissa, Maxi, Lebro, Suetigna u. A.j, qui sibi placue- runt, ad iurandum cum dictis Maroe de Boda§a et Bogdano ad inuicem et in presentia nostra in ecclesia maiori super altare, et in presentia dicti dompiü Georgii iurauerunt, si deus et virgo Maria, mater eins, et S. Blaxius non mactarent ipsos , quod predicti Maroe , Milanus et Bog- danus dampnum receperunt per uos et uestros« etc. Die Gemeinde von Bagusa schrieb sodann am 4. Mai 1356 an ihre »fratres et amici caris- simi« von Scutari um baldige Erledigung der Sache (Copie im Buche Diversa Cancellarie 1354).

Neben den vom Garen eingesetzten Richtern gab es im Lande noch eine Privatgerichtsbarkeit der Standesherren und der Stadtgemeinden.

Am wenigsten kennen wir die Gerichtsbarkeit der weltlichen Guts-

1) Diese Bestimmung des Statuts von Cattaro stammt aus der Zeit um 1314. Das vorangeheude Capital 349 mit der Bestimmung, kein Bürger dürfe einen Andern «in penam domini regis« geben, ist datirt 1313; das folgende Cap. 351 über die Cattarenser, welchen der »dominus rex« seine »mercata« anvertraut hat, hat das Datum 1315. Die Edition der »Statuta civitatis Ca- thari«, Venedig 1616 in 40, ist jetzt eine grosse Seltenheit; sie fehlt in den Bibliotheken von Wien und selbst in der St. Marcusbibliothek in Venedig. Ich kenne das Statut von Cattaro nur aus einem Codex der Marciana (Lat. Cl. V, Nr. 32;, aus der ersten venetianischen Zeit im XV. Jahrh., mit Eintra- gungen bis 1425 (Art. 438), auf welchen ich durch die Freundlichkeit des Herrn Vicebibliothekars Conte Camillo Soranzo aufmerksam gemacht wurde. Es ist schade, dass die schöne Sammlung der dalmatinischen Statute in den »Monumenta historico-juridica Slavorum meridionalium« der siidslavischen Akademie in Stocken gerathen ist; es fehlen darin noch so wichtige Statute, wie die von Zara, Ragusa und Cattaro.

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Diisau. 185

herren, der gospodari, vor denen die otroci, die Sklaven, ihre Rechts- fragen vorbrachten (103), wahrscheinlich auch die Bauern und Hirten ihrer Güter. Den Gutsherrn vertrat oft sein Beamter, vladalac genannt (146, 147, 159), der auch für die Sicherheit der Landstrassen verant- wortlich war. Ich will ein Beispiel eines solchen Processes vor einem Gutsherrn wegen einer Geldforderung vorlegen, aus dem Gebiete der heutigen Hercegovina, allerdings schon aus der bosnischen Periode.

Am 13. October 1397 wurde in Ragusa in die Diversa Cancellarie Fol- gendes eingetragen: »Radiz Cutiuich de Cernichia promisit et satis dedit Ilylie Qualisalich de presentando se coram Pripcho Ochmuchieuich i, , domino ipsius Raden (sie), et hec occaxione debiti, ad quod ipse Hylias dixit ipsum Raden sibi teneri et debere soluere, et quod in casu, quo ipse Pripcho diret (sie) et pronuntiaret ipsum Radiz fore tortum et de tote eo, quod dicet ipse Pripcho ipsum Radiz debere soluere ipsi Hylie, quod ipse Radiz soluet ipsi Hylie ; et si ipse Pripcho dicet et sententiabit ipsum Radiz non esse tortum et non teneri in aliquo ipsi Hylie, quod ipse Radiz sit über et non teneatur in aliquo dicto Hylie; pro quo Radiz supradictus (sie) atteuden(s) extitit (sie) fideiussores et de soluendo Bogdan Chouazich et Dabysio Milyeuich de Sagoria« (Div. Cauc. 1396).

Besser bekannt ist die Gerichtsbarkeit der geistlichen Gutsherren. Die kirchlichen ünterthanen, crkovni Ijudije^ führten ihre Processe vor dem Igumen des Klosters, dem Bischof oder Metropoliten (33) oder vor deren vladalac (Beamten, 24). Die kirchlichen Behörden hatten zur Einsammlung der Vermögensstrafen ihre eigenen globari (194). Alle Geldstrafen kirchlicher ünterthanen, selbst vor dem weltlichen Gerieht, also auch solche in Criminalfällen . gehörten der Kirche, wobei (194)

1) Derselbe Pripcho Ochmuchyeuich wird schon 1377 wegen einer Schuld von 400 Perper an Qualoe Radinouich genannt. Ein Utiessen Ochmuch oder Hochmuchouich war im November 1366 in Ragusa Zeuge bei der Auszahlung des Tributes für Stagno an die Serben und dabei »nuncius comitisse«, der Wittwe des Knez Vojslav, zur Uebernahme des St.Demetriustributes. Hier- her gehört wohl auch Dragoslauus Ocomuch 1342 oder Dragoslauus Ocmut 1354, dessen ünterthanen (homines) gelegentlich vorkommen. Das ist Alles über historisch sichere Ochmucevici des XIV. Jahrb., was ich aus den Di- versa des Gerichtsarchivs von Ragusa weiss. In dem Testament des Piero de Benuegnuta vom 18. April 1348: »Ancora deio dar a Dragoslau Ocmuch ypp. XIII grossi III, et ancora deio dar a Biloslau Ocmuch ypp. XXXXIIII et ello sia de me ypp. XXV de perle« (Testamenta 1348 1365, f. 49). Drago- slav, Bjeloslav, Utjesen und Pripko fehlen in den im XVII. Jahrh. fabricirten Genealogien dieser Familie; siehe Prof. G. Gelcich, I conti di Tuhelj, Ragusa 1890, 169 f. und Ilarion Ruvarac im bosnischen Glasnik 1890, 263 f.

Igß Const. Jjrecek,

ausdrücklich auf die Chrysobullen verwiesen wird. Aus den Urkunden wissen wir gleichfalls , dass die vrazda und andere Strafgelder vom Garen den Klöstern überlassen waren (Florinskij 56, 57, 92, 110, 111). Wie erwähnt, gab es dabei eine Appellation an den Garen oder an seine Richter. Aus einer ragusanischen Aufzeichnung erhellt, dass der ser- bische Patriarch die Gerichtsbarkeit in seiner Residenz Pec ausübte und dass einmal zwei Cattarenser bei ihm einen Ragusaner klagten. Am 11. Jänner 1371 ist verzeichnet: »Raynaldus Stamberti tamquam pro- curator Perchi de Siessa coram d. Rectore Ser Glemente de Dersa con- queritur supra Maro de Truchalo ^) et Junium fratrem eins, dicens, quod ipsi fecerunt Piercum uocari ad playdum coram patriarcha^ et illa de causa dictus patriarcha fecit ei arobari domum et fecit accipi ei pecias VU pannorum et brachia XII de galono et alias res multas in Piechoa^ (Lamentationes de foris 1370 1373, Papiercodex des Gerichtsarchivs von Ragusa) .

Die geistlichen Personen unterlagen ohnehin der Jurisdiction ihrer Vorgesetzten (über die geistlichen Gerichte der Byzantiner vgl. Zachariae von Lingenthal S. 381 flf.). Das geistliche Gericht hatte sein Gefängniss, z. B. für die Mönche, die das Mönchskleid abwarfen (Art. 19). Es gab dabei Appellation bis zum serbischen Patriarchen , der ja in seiner Re- sidenz (dvor) selbst ein Gefängniss hatte, wenn wir Art. 113 richtig verstehen. Ebenso gehörten vor das geistliche Forum Fragen des Ehe- rechtes und andere kirchliche Angelegenheiten (^OY\*OKHhJ ^Akrk, Art. 4, 12). Der grosse Unterschied zwischen Byzanz und Serbien ist dabei der, dass im griechischen Kaiserthum schon im XIV. Jahrhundert Bischöfe Mitglieder auch der weltlichen Gerichtshöfe waren und wie Zachariae von Lingenthal (S. 388) sagt, »die Grenzen zwischen welt- licher und geistlicher Gerichtsbarkeit immer mehr verwischt werden«. Im Gegensatz dazu hat die serbische Rechtspflege in dieser Zeit einen ganz weltlichen Charakter.

Die Rechte der Städte waren sehr verschieden. Auffällig ist es, dass in Prizren die schon oben gedachte Verkaufsurkunde über ein Grundstück aus den J. 1346 1366 das Gericht des Garen und das kirchliche Gericht neben einander nennt, als die Gerichtshöfe, wo gegen den Verkauf nachträglich kein Einwand erhoben werden darf: ^d Cf

1) Marinas (oder Maro) Petri de Truchalo aus Cattaro besass um 1367 auch ein Haus in Easfusa.

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. 187

HEMÖie [Ha] RcaKOMk cS^e u,i\(\(ii( h i^pi^KOBHOMk (Glasnik 35, 121). Dies erklärt sich dadurch, dass alle Fragen über Grund und Boden Reservat des Landesfürsten, also des sud carev waren, und dass das grosse von Gar Stephan Dusan gestiftete Kloster der Erzengel Mi- chael und Gabriel bei Prizren zahlreiche Kirchen und Häuser in der Stadt besass, welche der Gerichtsbarkeit des Klosters unterlagen.

Von den Privilegienurkunden der Sachsen in den Bergstädten Novo Brdo, Trepca, Rudnik u. s. w. hat sich nichts erhalten, ebensowenig wie von den Rechtsdenkmälern der sächsischen Bergleute in Bosnien, in Srebrnica oder Chvojnica. Nur aus gelegentlichen Notizen erfahren wir etwas über die )) curia Teotonicorum « in Chvojnica, über den »notarius Teutonicorum« in Rudnik und die »urburarii« in Rudnik und Trepca i). Ueber den königlichen Richter in Rudnik und seinen Richterstab, der auch in seiner Abwesenheit von seinen Vertretern als Abzeichen der amtlichen Würde getragen wurde, gibt eine ragusanische Aufzeichnung vom 29. März 1313 Aufschluss2).

Es handelte sich um eine Sequestration »in Rudenico«. Johannes nepos Tollisclaui wollte den Ragusaner Nobiles Todor de Crusi und Gervasius Ma- thei de Bucignolo nicht »reddere piper et eorum mercationes«, die ihm als Deposit anvertraut waren, da andere Kaufleute aus Ragiisa mit Hilfe der serbischen Behörde diese Waaren für die Zahlung einer »avarea« sequestrirt hatten. Johannes sagte dem Gervasius: »Verum est, quod tu recommendasti eas mihi, sed non possum eas tibi reddere, quia omnes mercatores, qui solue- runt auaream, netauerunt eas mihi per segnoriam sclauanescam«. Bei einer nochmaligen Aufforderung wollte er diese sequestrirten Waaren (res intro- missas) nicht herausgeben, bevor Gervasius nicht auch seinen Theil der »ava- rea« zahlt: «Ego non reddam eas tibi, quia alii socii volunt, quod tu soluas partem tuam de auarea«. Während dieses Gespräches erschien der Ragusaner Mauressa de Camasi mit den Insignien des königlichen Stadtrichters. Der Zeuge Petrus de Ceria erzählt: »Et sie stando venit Mauressa de Camasi cimi haculo judicis regis et dixit dicto Johanni: Vide, de precepto segnorie regis ego nomine meo et omnium sociorum auaree ueto tibi res istius Geruasii, quas

1) Vgl. Jirecek, Bedeutung von Ragusa in der Handelsgeschichte des Mittelalters 72 73. Zu dem »Stoiach vrborar« von Rudnik 1414 ist dort nachzutragen der »Ivan urbarar« (sie) von Trepca 1438 (Spomenik 3, 52).

2) Auch in Ungarn war das Abzeichen des Stadtrichters, der von der Gemeinde auf ein Jahr gewählt wurde, z. B. in Pressburg ein silberner Stab ;Hajnik 86 Anm. 15;. In Serbien kommt ein »judex regis« in den Bergstädten später nicht mehr vor. Unbekannt ist das Verhältniss desselben zu dem Amt des Comes der Bergstädte, das oft von Ragusanern bekleidet wurde und mehr ein fiscalisches Amt gewesen zu sein scheint.

188 Const. Jirecek,

habes«. Ein anderer Zeuge, Nicolaus filius Petri de Ceria schildert den Vor- fall etwas anders: »Item ubi dicit dictus Petrus, quod Mauressa uenit cum haculo judicis regis ad uetandum dictas res pro parte judicis nomine omnium illorum mercatorum, iste Nicola dicit, quod ipse Mauressa uenit cumjudice ad uetandum dictas res, ut dictum est« (Liberde maleficiis 1312—1313 f.40v).

An der Küste von Zeta kennen wir am besten das Gericht von Budua. Der vom Garen ernannte Conte, der beim Amtsantritt vor der Gemeinde einen Eid leistete, »che debbia conservar et obbedir li ordena- menti et le usanze del nostro statuto«, bezog gewisse Regalien, Antheile von Taxen u. s. w., aber die Gerichtsbarkeit übten, mit Ausnahme der Reservate des Garen, die drei »giudici della nostra terra« allein aus, jährlich gewählt von den »gentilhuomeni« der Stadt (p. 18 19). Der Comes war gar nicht verpflichtet in der Stadt zu residiren, hatte aber das Recht auf eine freie Wohnung: »Ancora se il conte volesse star nella terra, il commun sia tenuto de darli la casax (p. 3). Er darf keinen Visconte aus den Bürgern der Stadt an seiner Stelle ernennen , unter Strafe von 50 Perper für den Bürger, der dies annehmen würde; nur die Richter dürfen den Gonte vertreten, eben so wie ihnen allein die Ver- tretung des »Gasnezzo (Ka3HkU,k) dell' imperadora gebührt, der das Akro- stichon (acrostico) für den Garen einzuheben kommt (p. 4). Das Statut von Budua enthält nur Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes, über Ehe- recht, Erbrecht, Sachenrecht, besonders Bauordnung und Agrarpolizei, dann über Kauf und Verkauf u. s. w. , nebst Vorschriften für die Wahl und die Amtsführung der jährlich wechselnden Stadtbehörden. Straf- rechtlich ist Gap. 192 allein; der »infedele della nostra cittäa wird ent- hauptet und all sein Gut für die Gemeinde confiscirt.

In Gattaro finden wir 1186 Jura, einen setnicus (CkTKHHKk) des Grosszupans Nemanja, der zusammen mit drei Richtern der Stadt und den Nobiles derselben eine gesetzliche Bestimmung über die Sklaven fällt. Dabei wird die Würde eines Gomes , eines vom Landesfürsten eingesetzten Stadtgrafen, erwähnt i). Diese »de mandato domini regis« eingesetzten Gomites von Gattaro werden im XIII. Jahrh. in Urkunden genannt, wie 1257 der Gomes Desen (Ljubic 1, 89) oder 1270 Gomes Vojslav (Farlati 6, 442). Im XIV. Jahrh. aber sind in den zahlreichen erhaltenen Urkunden von Gattaro nur die Namen der »judices«, nicht aber der Gomites zu lesen. Es war eine Folge der wachsenden Auto-

1) Ein Stück derUrk. 1186 bei Farlati 6, 435, ganz bei Racki, Rad jugo- slavenske akademije 1, 127—128 und Kukuljevic, Codex dipl. 2, 135.

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. 1 89

nomie der Stadt, in deren Statut sich zahlreiche Bestimmungen zur festen Abgrenzung der Stadtrechte sogar gegenüber jedem ungesetzlichen Ein- griff des Serbenkönigs befinden, des »dominus noster rex« oder kurz der »dominatio«. Auch das Strafrecht fehlt im Statut von Cattaro keines- wegs, mit Capitalstrafen und Mutilationen nach byzantinischer Art. Die Gerichtsbarkeit von Cattaro hatte keine Einschränkung durch den Herrscher von Serbien, ja sogar die Appellation ging nicht an den ser- bischen Hof, sondern nach Kom , Perugia , Padua oder Bologna (Statut von Cattaro, Cap. 389).

Von den Einrichtungen der griechischen Städte, die Car Stephan occupirt hat, sind am besten bekannt die von Joannina in Epirus. Nach der Urkunde des Kaisers Andronikos II. von 1319 gab es in Joannina Richter [y.QiTai), gewählt aus den Vornehmen der Stadt, welche zu- sammen mit dem Statthalter des Kaisers [f-iera tov evQLay.oi.iivou elg y.ecpaXrjv avTÖfv] Recht sprechen über alle Fragen, mit Ausnahme der- jenigen, welche der Gerichtsbarkeit der Kirche unterlagen (Acta graeca 5, 81). Diese Stadtrechte wurden von dem serbischen Eroberer be- stätigt. Der Art. 176 des Gesetzbuches sagt: »Alle Städte im Lande meines Kaiserthums sollen über Alles die Gesetze haben, wie unter den früheren Kaisern (also den byz. Kaisern), und in Rechtsfragen, die sie (d. h. die Städter) unter einander haben , sollen sie Recht suchen vor den Beamten (vladalci) der Stadt und vor dem Klerus (kliros) der Kirche ; wenn ein Zupenbewohner einen Stadtbewohner klagt, so soll er ihn vor dem Beamten der Stadt und vor der Kirche und vor dem Klerus nach dem Gesetz klagen.« Ob die > porota« und andere Institutionen Serbiens damals auch in den früher byzantinischen Provinzen von Al- banien, Epirus oder Thessalien eingeführt wurden, ist uns nirgends aus- drücklich überliefert.

Serbien hat als Staat noch ein Jahrhundert nach des Caren Stephan Tod bestanden. Die Gestaltung der Gerichtsverfassung unter seinen Nachfolgern, besonders unter Knez Lazar und den Despoten Stephan Lazarevic (1389 1427) und Georg Vukovic oder Brankovic (1427 1456) ist von grösstem Interesse auch für die Frage, ob die Bestimmun- gen der Zeit des Caren Stephan Dusan auch später in Serbien als Gesetz eingehalten wurden.

Der Knez oder später Despot galt noch immer als der oberste Richter. Citationen vor den Landesherru oder vor dessen Statthalter, den Kefalija, werden bei der Exemption der Ragusaner von denselben

190 Const. Jirecek,

in allen ragusanischen Privilegien 1387 1445 erwähnt (np't^k roc- noACTBO MH HH np-t/k,"»^ Kf^aAHK» Mon.serb. 205, 208,267, 270, 353, 434). In einer Schenkungsurkunde des Despoten Stephan an das Klo- ster Chilandar wird bestimmt, das Gericht für die Leute des Klosters sei vor dem Despoten oder, wahrscheinlich für die Geistlichen, vor dem Patriarchen (h j^a HMk Ht H»ji,t cö^a, TKKfcLMO npli^k rocnoi^- TBOMk lUlH HAH np'R/i,k naTpiapYWfJlk , Mon. serb. 569). Einen Process vor dem Despoten Georg über den Besitz von Erzgruben in Janjevo erwähnt eine Klage in Ragusa am 28. October 1447: »Nicola Soimierouich (sie) coram domino rectore Nicola Sim. de Goze fecit la- mentum supra Nixam Rendich, dicens, quod dum ipse Nicola haberet partem unius fosse in Jagneuo et faceret laborari ipsam suam partem, venit Stiepan Sterpcich, homo domini despot, qui fecit ipsum Nicolam constringi ad rationem, et dictus Nixa Rendich se acordauit cum dicto Stiepano et fecit, quod ipse Stiepanus dedit sibi 4 partes, ut ipse Nixa eum deflfenderet Siäjusticiam sclauam contra ipsum Nicolam Raguseum. Et sie ipse Nixa contra ordines et contra formam juris deffendit ipsum Stiepanum pro dictis partibus 4 habiii^ publice adjusticiam sclauam. Et ultra ipse Nixa duxit ipsum Stiepanum ad dominum despot contra ipsum Nicolam, contra deum et omnejus« (Lamenta de foris 1447 f. 211 im Gerichtsarchiv von Ragusa).

Despot Stephan war , wie die Ragusaner nach seinem Tode dem König Sigismund von Ungarn schrieben, »erga nos et cives et fideles vestre civitatis Ragusii durus et rigidus quandoque plusdebito« (Gelcich und Thallöczy 324). Die Strenge machte sich bei einem Aufruhr der Bergleute von Srebrnica gegen einen Beamten des Despoten geltend. In der Commission der ragusanischen Gesandten Pasqualis de Resti et Junius de Gradi vom 16. April 1427 wurde ihnen aufgetragen, dem Despoten zu sagen: »perche noi auemo sentito la nouitä, che fu facta in Srebrni§a per li vostri lauorenti contra lo honor della Vra Signoria, tanto ne agrauö e dispiacere, quanto se fosse stato in me§o di casa nostra«. Nach der Erzählung Konstantin des Philosophen haben einige der dortigen vielen Silbergrubenarbeiter (cptKpo/l.'tAkl^H) einen vom Despoten als Aufseher der Werke eingesetzten Jüngling (WHOIUOY Ha;l,k ;l,'kAH) bei einem Conflict ermordet, indem sie ihn von dem »Palast« herunterwarfen (oxfKHiue lero Ck ncAATki BpkrkUJc). Der Despot eilte persönlich hin. Eine Menge Leute flüchtete sich rechtzeitig, er aber Hess Einige einfangen und ihnen zur Strafe für das Vergiessen

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. 191

unschuldigen Blutes Hände und Füsse abbauen (H'kKkiH\'k }Ki h i€Mk

HCnOBHHKHKlie paAH KpkßH OKKClvl|,aaUJC pO^KKI H HOrKl). Bei

dem Gottesdienst am folgenden Gründonnerstag weinte der Despot bitterlich bei der Erinnerung an diesen Vorfall (ed. Jagic, Glasnik 42, 3 1 7 318). Unter den so grausam Bestraften befanden sich auch einige Ragusaner. In der Anrede an den Despoten nach der Commissio der Ge- sandten heisst es weiter : »Ma perche di poi al zonzer vostro in Srebrniga sentimo, che alli nostri zentilomini e mercatanti auete facto tuor tucto, quello aueuano al mondo, et oltra di cio facti gli spoglare e menare dauanti la Vra Signoria assai vilmente e messe tache (sie) et a certi nostri taglati piedi e mani, auemo abudo assai dispiacere, maximaraente, che sentimo li nostri non essere in alguna colpa contra la Vra Signoria, perche se fussino stati in alguna colpa, sarebon scampati longi della Vra S., ma come innocenti si redusseno in questa sua fortvma alla ombra della Vra S. come di lor signore e patrone, zoe in lo castello e borgo e ghiesie vostre, per verissima testimonianQa della sua innocenciac Die Republik bat um Entlassung der Gefangenen und Rückgabe des con- fiscirten Besitzes derselben. Der Despot blieb aber ungnädig mit »ob- stinata dureza« und wollte einen Loskauf (rescatto). Aus Allem erhellt, dass nicht die Strafart, sondern die Unschuld der Gestraften Aufsehen erregte. Den Verlust des Fusses kennen weder das Gesetzbuch Dusans noch die byzantinischen Gesetze; dafür ist im Gesetzbuch der Verlust beider Hände festgesetzt auf vorsätzlichen Mord (87), wie es in diesem Falle die Ermordung des Beamten des Despoten war^).

Der Hofrichter des Gesetzbuches wird noch im Zeitalter der Despo- ten genannt. Ein gewisser Tasovac Radmilovic, der nicht mehr als Ragusaner betrachtet sein wollte, überreichte 1435 in Pristina eine schriftliche Klage gegen andere Ragusaner »alo grando ziidese del segnor dispoto et a Oliuer chefalia de Pristina« (Archiv 15, 457). Am 9. August 1457 übergab Damianus Junii de Georgio, damals celnik und

1) Von den damaligen serbischen Theilfürsten hatte Balsa III. einen Ge- fallen an solchen Mutilationen gegen abtrünnige Albanesen im Kampfe gegen Venedig. Dem Descus, filius Cressie de Scutaro, welcher die Burg von Dul- cigno den Venetianern übergeben hat und in einer Schlacht gefangen wurde, Hess er »amputari manus, pedem et nares«, ebenso dem Alexius Camesa, dem er »fecit amputari nasum, linguam et unam manum". Beide kamen bittend nach Venedig und erhielten eine Provision von 12 Perper monatlich aus den Einkünften von Scutari. Ljubic, Listine 5, 103 104.

1 92 Const. Jirecek,

Gesandter des Despoten Lazar, dem Gericht zu Ragusa 295 Ducaten aus dem Nachlass des verstorbenen Anton Radossalich in Serbien, wo- runter 270 Ducaten von Joannes Nicolich, 1 von Theodorus de Smede- reuo, 1 von Radoe sutor, 4 von Radiuaz de Rannich u. s. w. waren, »cum conditione, quod ipsi domini consules debeant eundem Ser Da- mianum liberare a sequestro facto Joanni Nicolich ad instantiam Maroe Racich joer dominum judicem illustrissimi domini dispoti Lazariti, wohl dem Richter am Hofe zu Smederevo (Diversa Cancellarie 1456 f. 50).

Richterliche Functionen waren auch mit dem Hofamt eines celnik vereinigt. In einer Urkunde des Stephan Lazarevic, damals noch Knez, seines Bruders Vuk und seiner Mutter Eugeuia, gegeben in Novo Brdo 1394 1395 dem Kloster des hl. Panteleimon (Russikon) auf dem Athos, wird bestimmt, dass in den Dörfern des Klosters der Vojvode, der Ke- falija, der »dvorodrzica«, der Celnik und andere Beamte (vladusti) nichts zu befehlen haben, aber zu Gericht kommen die dortigen Leute vor den Celnik der Fürsten: H c'Sj^A WY\ji,i ^a Hiuik H'kcTh, TkMHKt np'fe/i.i^ HEAHHKOlUlk rocHO^CTKa BJIH (Glasuik 24, 275). Einen Process vor einem Celnik zu Rudnik werden wir noch bei der Besprechung der »porota« erwähnen ; dabei erscheint der Celnik allerdings mehr als Grundherr des Angeklagten. In dem Vertrag zwischen Venedig und Serbien 1435 wird der veliki celnik als comes palatinus erklärt (Ljubic, Listine 9, 84). üeber sein Amt vgl. Dr.Nikola Krstic im Glasnik 9,119 und Novakovic ib. 50, 161 ^).

Das gesammte Gericht von Pristina, der Kefalija und die Richter der Despoten, erscheint in einer Notiz vom 9. Juni 1434. Der Ragu- saner Nixa Rendich » placitabat Radossauum Dabisiuouich cor am judi- cibus domini dispot Georgi Sclauonien^ wegen einiger Pferde, die ihm verschwunden waren. Darauf hin Hess der »ceffalegia« (sie) den Ra- doslav, auch einen Ragusaner, gefangen nehmen, doch entkam derselbe durch Bestechung aus dem Gefängniss; er sagt, er sei gewesen »in manibus regiminis sclaui et positus fuit in ferris, et per simoniam de

1) Im J. 1445 gab es am Hofe ausser dem »veliki celnik« einen »celnik riznicki«, von riznica Schatzkammer. Diese Würde bekleidete damals der Ragusaner Paskoje Sorkocevic, lat. Pasqualis de Sorgo (Mon. serb. 436 437). Mijatoviö, ^ecnoT Rypal) BpaHKOBuh I (1880), erklärt den »veliki celnik« als Minister des Innern und identificirt den »riznicki celnik« mit dem früheren Protovestiar. Vgl. Novakovic, Glasnik 50, 102 über Reform der Hofämter unter Despot Stephan.

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. 193

prolacione librarum V argenti datus sibi fuit modus frangendi ferros« (Lamentationes de foris 1433).

Das Gericht der Serben wird sonst in den ragusanischen Archiv- büchern bezeichnet als cm'ia,jus Sclauorum ^ Judicium sclauum ^ jusii- cia sclaua^ raxon delli Schiaui, einmal als »zakon«: alo sachon zoe ala rason de Sreherniza (Spomenik 11, 75) oder local ad Jus Rudnich. Sonst erscheinen an der Spitze der Gerichtsbehörden meist die Ver- waltungsbeamten, Kefalija's oder Vojvoden. Der Kefalija Gojslav und die »purgari« von Novo Brdo verhafteten 1388 einen Ragusaner statt eines andern, der dem Knez Lazar 9 Pfund Silber schuldete, und nah- men ihm 27 Pfund ab; die Gemeinde Ragusa beschwerte sich darüber in einem Schreiben an den Kefalija und die Bürger, wobei sie bemerkte, dass »wenn der Knez (Lazar) es erfährt, es ihm nicht genehm sein wirdc (Pucic 2, 31). Am 11. December 1436 wurde in Ragusa geklagt, einige Ragusaner in Srebrnica seien mit dem Urtheil der Consules, nämlich drei Nobiles, die vom »dominium Ragusinum« als Richter in einer An- gelegenheit der Ragusaner unter einander bestellt waren, unzufrieden gewesen und deshalb mit ihren Rechtsfragen zum einheimischen Gericht gegangen : •acoram curiam Sclauorum^ videlicet cor am Radiz valiosoa (Lamentationes de foris 1436). Am 2. August 1438 werden in Pristina wegen eines nächtlichen Excesses mehrerer Ragusaner in einer Wein- schänke (taberna) erwähnt »piaidi (placita), fatti dauanti valioxi schaui« (Lamentationes de foris 1438 1439). Am 27. August 1453 ist ver- zeichnet: »Pethar Goichouich coram domino rectore Ser Damiano de Menze fecit lamentum supra Radognam Bogossalich, dicens quod citauit ipsum Pethar ad Judicium sclauum in Smedreuo coram voiuoda Vo- cossauov. (Lament. de foris 1453 f. 67).

Gut bekannt ist uns das Fortleben der »porotac, besonders in den Rechtsfällen zwischen den Serben und Sachsen einerseits, den Ragu- sanern andererseits. Die Zusammensetzung des Gerichtes zur Hälfte aus jeder Partei wird seit dem grossen Privilegium der Ragusaner vom Garen Stephan Dusan 1349 stets wiederholt, in allen Bestätigungen des- selben bis zum Privilegium vom Despoten Georg 1445. Einige Beispiele werden die Thätigkeit dieser Geschworenengerichte näher beleuchten.

1) Einen Procesa wegen eines gestohlenen Pferdes vor dem Celnik RadicM in Rudnik, der dazu eine »porota« delegirt, schildert ein Original-

1) Der »veliki celnik« Kadic ist eine hervorragende Persönlichkeit der serbischen Geschichte dieser Zeit (Urk. 1428 1433 im Spomenik Bd. 3, 3 5,

Archiv für slavische Philologie. XXn. 13

194 Const. Jirecek,

brief eines Ragusaners, inliegend in den »Lamenta de foris« 1428 1430 zur Klage, die am 20. October 1428 ins Buch eingeschrieben wurde. Dem Ragu- saner Matoie Pribissalich wurde in Rudnik ein Pferd gestohlen, im Werthe von zwei Pfund Silber. Ein Serbe (uno omo schauo) zeigte ihm um 8 Ellen Tuch, die Elle zu 1 Unze, den Dieb, »uno omo di Radiz zelnich, a nome Nouach Nasselovich (-lorich ?)«!). Matoie klagte beim Celnik: »lo rechamai danzi el dito zelnich, lo quäl mi gudichö (sie) segondo la nostra usanza, che io Matoie deuexe gurar (sie) chon quatro boni omeni e io quinto , chel dito Nouach sia furato lo mio chaualo o ueramente partizipo al dito chaualo, gu- rando nui, chel dito Nouach debia pagar a mi Matoie lo chaualo e le spesa, zoche fexe a zerchar lo dito chaualo. Fo messo a mi Matoie in porota , che gurano cho mi Stoicho Miietich e Goan Progonouich e Vochxa Stiepoeuich e Vozeta Bogilouich, ali quali io Matoie mostraua testimoni, chome el dito Nouach sia furato lo mio caualo. Sono testimoni vostri Raguxei Jachob Ni- cholich e Gurag Marchouich, e aprexo de questi molti Schaui, boni omeni. El quäl Stoicho e Giuan e Vochxa e Vozeta non volesseno [gurar] per mi, saluo disseno al dito Nouach: Va chon dio, che vui seti libero de questo chaualo. E questa e chason, che non ano vogluto gurar, per pagura del deto zelnich, digando li deti a mi Matoie: Ve demo questo omo sie torto, ma non volemo gurar ". Die Untersuchung, warum diese Ragusaner ihren Mitbürger bei der »porota« im Stiche Hessen, wurde dem Jachomo de Benvegnuda und dem Loncho Tomaxino aufgetragen, deren Brief aus Rudnik vom 6. Mai 1429 (in Raguaa erhalten am 13. d.M.) gleichfalls beiliegt. Die Zeugen sagten, was die »porotnizi« in der Kirche der Ragusaner in Rudnik (in chlaustro de nostra glisia) sprachen: »Echo te lo omo e l'e torto, ma non uolemo gurare«. Es wurde auf sie dabei durch einen Brief des Celnik eingewirkt: »cum che vene F omo de zeonich(sic), lo quäl ly aduse I* letera«. Auffällig ist es, dass in diesem Falle nur die »porotnici« der Ragusaner erwähnt werden, obwohl eine »porota« auch damals zur Hälfte aus Ragusanern, zur Hälfte aus Ser- ben bestehen musste; doch handelte es sich bei dieser Klage nur um die ragusanischen Mitbürger, die wissentlich den Eid verweigert hatten.

2) Andere Details sind aus Srebrnica bekannt, das seit des Despoten Stephan Zeit abwechselnd in serbischem und bosnischem Besitz war. Ein

34 36, Mon. serb. 355—377). Er besass zahlreiche Güter in verschiedenen Landschaften Serbiens, überdies durch eine Schenkung des Königs Sigismund auch die Burg Kupinuyj (Kupinovo» jenseits der Save, machte Schenkungen an die Athosklöster St. Paul und Kastamonit und ist der Gründer des heute noch bestehenden St. Georgsklosters von Vradevstica (jetzt Vracevsujica ), südöstlich von Rudnik, wo eine Inschrift des Stifters zu lesen ist (Glasnik 21, 31, vgl. die Urk. Spomenik Bd. 3, 5 6). Vgl. Novakovic, Bcjiiiku qe.iuuK PaÄUi 1413—1435, Glasnik 50, 154 f.

1) Der Angeber des Diebes hiess sok, sein Honorar socbwa. Diese Ter- mini fehlen im Gesetzbuch des Garen, sind aber sehr häufig in den ragusani- schen Gerichtsbüchern des XV. Jahrhunderts.

Das Gesetzbuch des serbischen Caieu Stephan Dusan. 195

Gerichtsfall ist in die Bücher von Ragusa eingetragen am 29. November 1437, eine Klage des Scr Michael Johaunis de Volcio. Dieser ragusanische Patricier hatte »in Strebreniza conim domiuis comitc Strebrenize, videlicet Bartolo de Latiniza, et purgaris, sedentihus una cum totidem Raguseis secundum ritum et consuetudinem ciuHatis" eine Sentenz erhalten gegen den Schmied Ratko, Bürger von Srebrnica, als Bürgen plegius; der Söhne des Jobannes de Piccho aus Antivari, Schuldner des Volcio, für den Rest der Bürgschaft (de resto plegiarie), nämlich 9 Pfund und 8 Unzen Silber. Ratko zahlte auch »pro parte dicte sententie« durch Ser Johannes de Georgio, einen Ragusaner Edelmann, 20 Ducaten. Ein Jahr später überredete aber Johannes de Piccho den Ratko, »quod se reclamaret de ipsa sententia«. »Unde dictus Ratchus tunc vocari fecit ipsura Ser Michaelem corain dominis purgaris Strebrenize, solum sedentibus, et ibi dictus Ratchus, cum Johanne de Piccho semper fauente et adiuuante ipsum Ratchum, contra ipsum Ser Michaelem taliter egit, quod omni justicia postposita -pxQi&ii imrgari sali, non uolentes audire nee intelligere jura ipsius Ser Michaelis et nolentcs pati, quod aliqui Ragusei sederent secum juxta con- suetudinem, asserentes, si dictus Ser Michael habet aliquid petere, id habere consequi supra dictum Johannem de Piccho et pro tanto nole pati per einem suum constringi nee damuificari pro eo, quod dictus Johannes de Pigcho (sie forensis tenebatur, cogerunt ipsum Ser Michaelem ad restituendum ipsos du- catos viginti, reeeptos pro parte, et anullauerunt et reuocauerunt ipsam sen- tentiam, per ipsum Ser Michaelem juridice obtentam contra ipsum Ratchum«. Michael de Volcio klagte nun den Antivarenser Johannes de Piccho selbst vor dem Gericht von Ragusa. Nach der Aussage der Zeugen erfolgte das zweite Urtheil in Srebrnica »coram vayuoda Radiz et purgaris Strebrenize^^. Der Zeuge Pauchus Stipasinouich') , »interrogatus, si dictus Ser Michael de Volzo tunc petebat et requirebat, ut de Raguseis sedere deberent cum eis pur- garis secundum usum, respondit sie, sed dicti purgari respondebant, quod non erat de jure, quod deberent sedere Ragusei in causa sui ciuis, sed si dominus Ser Michael vellet deinde litigare cum dicto Johanne de Piccho, Ragusei stare possint« ;Lamentationes de foris 1437—1438, ein Theil der Zeugenaussagen hinten im Buche auf einem eigenen Blatt).

Die «purgari« sassen also zu Gericht in Anwesenheit des A^ojvoden oder Comes. Das erste Urtheil sprachen Sachsen und Ragusaner, in gleicher Zahl vertreten. Dieses Urtheil wurde dann umgestürzt von den Sachsen allein, unter dem Vorwand, die Sache ihres Mitbürgers, der nur als Bürge eines »forensis« vor Gericht erscheine, gehöre nicht vor ein gemischtes Gericht, wohl aber der Process zwischen beiden Fremden, dem Ragusaner und dem Antivarenser.

3) Eine andere Gerichtsverhandlung in Srebrnica 1457 ist anschaulich beschrieben in einer Urkunde im Spomenik 11, 87 88. Die ragusanischen Kauf leute Marin Radosalic undDobruskoBranojevic kamen aus Ragusa nach

1) Paoko Stipasinovic (1427 1449), Bürger von Ragusa, war Zollpächter in Srebrnica, zuletzt Comes dieser Stadt (1442, 1447).

13*

196 CoTist. Jirecek,

Srebrüica, verkauften sofort am Abend nach der Ankunft 12 Stück Tuch (CBHTf 'Kl- KOMa/k,K) um ISO Ducaten und Übernachteten im Hause des ragusanischen Patriciers Ser Georg de Gozze, der im Slavenlande als Rnez Zucho DragojeAnd bekannt war. Dobrusko hatte das Geld verwahrt an der Brust, in einem Tüchlein eingebunden. Es schliefen im Hause noch Stepan, Diener (momak) des Gozze, Ivanis Bozkojevic mit seinem Bruder, Ivan, Diener des Martolica Grbicic, ferner Radoje oder Eadoslav Budisalic genannt Oblega, ein Beamter (CAÖra) des Herzogs Stipan Vukcic, und dessen Diener, im Ganzen acht Personen. Morgens fand Dobrusko, dass ihm das Geld gestohlen worden war. Das Hausthor war geschlossen und das Haus war nirgends erbrochen oder untergraben. Die Bestohlenen klagten die Hausbewohner zuerst vor dem Comes von Srebrnica, dem Ragnsaner Nikola Radulinovici). Die Verhandlung blieb unvollendet (SdljJO TtlH CÖ^k HKBpKlUHJ. Radoje Oblega floh mit seinem Diener. Die Kläger klagten dann in Ragusa (28. März 1457) und bei Herzog Stipan, wurden aber an beiden Stellen vor das Gericht von Srebrnica verwiesen, weil der Diebstahl dort geschehen und der Process dort begonnen sei {c8^1,k RCtMfTk, npaB^^a nOM«Td, incepta est dicta lis). Endlich kam die Sache (10. November 1457) abermals vor das Ge- richt des serbischen Despoten (rOCnC;i,HHa ^fcnOTa Ci5;l,k) in Srebrnica, nämlich vor den Vojvoden Milos, den Conte (Knez) Jaketa Radulinovic, Bru- der des Nikola, die »purgari« und die »vlastele« (Edelleute) von Srebrnica. Nur Radoje Oblega mit seinem Diener war trotz Verlängerung der Frist (pOKk) nicht erschienen. Die Beklairten antworteten, es sei ihnen nicht be- kannt, ob die Kläger diese Dukaten ins Quartier (Ha CTaHk) gebracht haben oder nicht; sie hätten das Geld nicht gesehen, nicht gestohlen und seien weder Rathgeber noch Theilnehmer an diesem Diebstahl. Nach Anhörung der Parteien entschieden (cö^HCMO) der Vojvode Milos und Jaketa Raduli- novic mit den Edelleuten (c BAaCTtAH), die beiden Kläger sollen mit 12 »porotnici« (die Namen sind nicht angegebenl schwören, dass sie wirklich 180 Dukaten in das genannte Quartier gebracht haben und dass dieses Geld ihnen dort gestohlen wurde. Wird der Eid geleistet, sollen alle acht Per- sonen, die in dem Hause übernachteten, also die Kläger mit inbegriffen, den Schaden zahlen; wird der Eid nicht geleistet, sind die Beklagten frei. Der Eid wurde von der »porota« abgelegt und alle acht Personen zur Zahlung von je 22V2 Ducaten verurtheilt. Schon 19 Tage später (29. November) sequestrirte das Gericht von Ragusa auf Grund dieser Sentenz der »officiales Srebernize« 221/2 Ducaten von einem Deposit des Ivanis Bozkojeviö in der »camera com- munis«. Die Angeklagten mussten in Srebrnica überdies mit je 6 »porotnici« schwören, dass sie weder Rathgeber noch Theilnehmer am Diebstahl seien.

1) Radulino, Radulinouich, eine seit 1378 oft erwähnte ragusanische Kaufmannsfamilie. Nicola Radulinouich war um 1448 in den Dlensteu des Despoten Georg, kam 1457 nach Ratrusa als Gesandter des Dispoton Lazar, 1459 als Gesandter des Königs von Bosnien, 1462 1465 öfters als Gesandter des Herzogs Stipan.

Das Geaetzbucli des aerbiscben Carcu Ötephau Dusan. 197

und dies wegen der Geldbusse für den Vojvodeu und den Comes (3d i'AOKe ßOfKO^HH« H KHtJKf); wenn sie nicht schwüren können, sollen sie nach den Gesetzen des Ortes schuldig sein ',\a ci> KpHBH no SaKOHÖ lUltlCTa, IJIO »\h saKOHk nOKaJKf). Ob sie diesen Eid geleistet haben, ist nicht bekannt. Die ganze Mittheilung über den Process an die Behörden von Ra- gusa wird bezeichnet als Excerpt, »Ausschrift«, wohl aus einem Amtsregister der Behörden von Srebrnica (H3k MCilHca cpEBpkHHHKOra). Bei dem Process finden wir die Haftpflicht des stanjanvi, bei welchem die Fremden in der Stadt wohnen, wie im Gesetzbuch Dusan's (»wenn ihm etwas verloren gehen sollte, soll er, d. h. der Quartiergeber, ihm alles zahlen«, Art. 125), die »porota« (151j, dieselben Formeln des Eides über die Theilnahme (132) und eine »globa« (193).

Die »porota« bestand fort auch bei Fragen über Feldgrenzen, die noch immer Reservat der Jurisdiction des Landesfürsten blieben. Aus einer Urkunde der Eugeuia (Milicai und ihrer Söhne, des Stephan, da- mals noch Kuez, und des Vlk, lernen wir Feststellungen der Grenzen von zwei Gütern des Klosters Chilandar kennen. In beiden Fällen waren dabei je 8 »stariuici« betheiligt; Leiter des Grenzgerichtes war im ersten Falle der Celnik Vlk, im zweiten Branko, der Kefalija von Pristiua (Mon. serb. 263—264).

Es gibt eine Urkunde über ein Grenzgericht aus noch späterer Zeit, aus dem Gebiet der Crnojevici von Montenegro, datirt vom 26. Novem- ber 1494. Vor dem Fürsten Georg Crnojevic erschien der Knez Ilija Ljesevic mit seinen Brüdern und führte Klage über Grenzverletzungen in seinem in der Nähe der Rijeka gelegenen Besitze. Der Fürst bestellte ein Grenzgericht von 24 Edelleuten (ßaacTf/Xf), die namentlich aufge- zählt werden, begleitet von seinem Pristav Nikola Kosijer^). Unter Eid stellten die Edelleute die alten Grenzen her, die der Fürst sofort vom Majstor Ostoja kennzeichnen Hess, damit in Zukunft keine Frage mehr darüber entstehe (CpöcKOÄaJMaTHHCKH MarasHH sa ro^. 1870 1, 134 135). Eine zweite Urkunde, gegeben in Cetinje 1495 von den Brüdern Georg und Stephan Crnojevic, enthält eine Bestätigung der Grenzen der Besitzungen des Klosters von Cetinje, die von 24 Edel- leuten (boljare) revidirt wurden (Vitkovic, Cno3ieHHi],H im Glasnik der 2. Serie, Bd. 5, 171 177; Rovinskij , ^epHOroplK I, 441, 727 729 = Sboruik der kais. russ. Akademie Bd. 45). Die Urkunde ist merk- würdig, weil in ihr noch zum letzten Mal die pronija vorkommt, ein

ij Dieser Nikola Kosijer copirte 1489 einen Kirchencodex. Dr. S. Sta- nojevic im »Srpski Sion« 1&94, 792; vgl. Ilarion Ruvarac, Montenegrina, Kar- lowitz 1898, 51.

198 Const. Jirecek,

Soldgut, das Michael Piper vom Grossvater des genannten Fürsten, Stephan Crnojevic erhalten, sein Sohn Ivan Crnojevic ihm aber wegen nevera confiscirt hat und welches nun von Ivans Söhnen dem Kloster geschenkt wurde '). Wir treffen also zum Schluss der altserbischen Ge- schichte nochmals mit den Bestimmungen des Gesetzbuches des Garen Stephan Dusan zusammen: eine »porota« von 24 Mitgliedern unter Eid '151) über eine Grenzfrage (80), zusammengesetzt aus Adeligen als Stan- desgenossen (152). Es ist übrigens nicht unmöglich, dass in der Zeta die »porota(f ein Privilegium der Edelleute wurde; auch der Codex von Ra- vanica, dessen Texte (s. unten) offenbar aus dem Adriatischen Küsten- gebiet stammen, ersetzt in Dusans Gesetzbuch die porotnici geradezu durch vlastele.

lieber die gutsherrlichen Privatgerichte dieser letzten Zeit des mittelalterlichen Serbiens ist wenig bekannt. Aus den Urkunden des Knez Lazar erhellt, dass die Unterthanen der »Metochientf der Athos- klöster noch immer vor dem Vertreter des Klosters (predstatelj) ihre Rechtsangelegenheiten erledigten (Glasnik 24, 258 und 260). MitExemp- tionen sind die Klosterurkiinden der Fürsten dieser Zeit überhaupt nicht mehr freigebig. Die schweren Zeiten führten zur Einschränkung der Immunitäten. Unter Despot Georg waren die Klostergüter auch zu Steuern für den Unterhalt des Heeres verpflichtet (Urk., Glasnik 24, 287).

Die Stadtgerichte in den Bergslädten kennen wir aus den soeben angeführten Beispielen. Ich glaube, dass dabei der Terminus »pur- gari«-) nicht die gesammte Bürgerschaft bezeichnet, sondern nur die Vorsteher derselben. Es war etwas in der Art, wie der Stadtsenat der deutschen Städte in Ungarn, der aus zwölf auf ein Jahr gewählten «jurati cives« bestand und das Stadtgericht bildete. Ueber die Rechtspflege ist noch zu vergleichen eine Klage vom 13. September 1439 in Ragusa. Nichola Buresich »fecit lameutum supra Vlacussam Latinicich 3), dicens,

1] Auch die Verwaltung war im Gebiete der Crnojevici noch immer nach alter serbischer Art eingerichtet. In einer Urkunde des Ivan Crnojevic 1482 erscheinen drei Vojvoden, ein Kefalija und ein Logofet Dragovic, KpycoBo.t KH.a3a u rocriojapa upHoropcKora HEaHa IIpnojeBuha, Cetinje 1S85. S. ")• Von Interesse sind die Daten über Agrarverhältnisse in der Zeta zu dieser Zeit, über die kmetije der Kirche.

-] Ueber »purgari« in südslav. Ländern vgl. Archiv 19, 600.

3) Latinica, Latinicich (AaTHHHl^a, AaTHHHHHKk), eine hervor- ragende ragusanische Kaufmannsfamilie, angesiedelt in Srebrnica, Nachkom- men eines Dabiziv Dobretinic dictus Latiniga (1403 Uli). Dessen Sohn

Das Gesetzbuch des serbischen Caren Stephan Dusan, ] 99

quod in Streberni§a dictus Ulacussa impetrauit et habuit duos pristauuos^ unum a uoiuoda Radiz et alium a purgariis, cum quibus iuit domum dicti Nichole, sitam in Streberniga et fecit, quod dicti pristaui ad eius instantiam preceperunt dicto Nichole primo sub pena uiginti quinque iperpirorum, secundo sub pena 50, tertio sub pena 500 iperpirorum, quod in continenti exiret dictam domum et in ea relinqueret omnes suas res et massericias, ob quam rem ipse Nichola habuit necesse exire et exiuit domum predictam et relinquit in ea omnes dictas suas res et ma- sericias« (Lamentationes de foris 1439 1440). Beide Pristave waren wohl Vollstrecker von Sentenzen, der eine vom Gericht des Vojvoden als Vertreter des Landesherrn, der andere vom städtischen Gericht der » purgar i (f.

Von den Städten an der Adriatischen Küste gehörten zu Serbien im Zeitalter der Despoten als Erben der Balsici nur Budua (1423 1442) und Antivari (1421 1442). Budua hatte seine Richter und sein Statut, welches eben in diesen Jahren (1426 f.) durch eine Reihe neuer Bestim- mungen vermehrt wurde. Despot Georg hat (1440) kurz vor dem Ver- lust dieser Stadt ihre Rechte in einem Privilegium denen von Antivari ganz gleichgestellt (Starine 10, 5 6, Mon. hist. jur. 3, 98 und 106). Antivari besass noch im XVI. Jahrh. die Originalprivilegien vom Caren Stephan Dusan und vom Despoten Stephan Lazarevic, «il quäle libe- ralissimo verso Antivarini, lasciandoli regger la cittä a modo loro come republica o comunitä, e donandogli ogni giurisdizione civile et crimi- nale^ riponendo perö questa autoritä solamente nei nobili« (Itinerario di Giovanni Battista Giustiniano 1553 bei Ljubic, Commissiones et rela- tiones venetae 2, 233 = Mon. spect. hist. Slavorum merid. Bd. 8). Das Gericht bestand, wie früher, aus jährlich von dem Stadtadel gewählten »judices«; die Appellation ging unter Balsa III. und den Despoten 1414 1444 nach Ragusa. Vertreter des Landesherrn in der Art des Comes von Antivari in der früheren Zeit und des Kefalija unter den Balsici war ein Vojvode des serbischen Despoten. Urkundlich erwähnt werden die Vojvoden Mazarak, Altoman und Komnen. Sie besassen die Burg (castrum) von Antivari, auf welcher sich auch die Kerker (carceres) befanden. Die Statuten der Stadt sind bisher nicht wieder zum Vor- schein gekommen.

Martolo (Bartolus^ filius Dabisiiii Latinize, war Conte von Srebrnica (1423, 1435, 1437,. Auch des Martolo Bruder Blasius oderVIachusa wird 1431 1445 oft genannt in Srebrnica, Borac u. s. w.

200 Const. Jirecek,

T. Handschriften und Recensionen des Textes.

Florinskij zählt 16, Novakovic 20 Handschriften des Gesetzbuches des Garen Stephan Dusan auf. Nach Novakovic sind die meisten für Klöster geschrieben.

Die Frage der Gruppirung der Codices nach Recensionen bleibt eine der schwierigsten. Florinskij (IlaMHTHHKH 267) hat die Hand- schriften in 8 »Typen oder Redactionen« eiugetheilt mit der Bemerkung: »fast jede der ältesten Abschriften repräsentirt eine eigene Redaction«.

Novakovic versucht die Frage mit mehr System zu lösen. Er theilt die Texte ein in drei Recensionen. 1) Die älteste Gestalt bieten die Fragmente von Struga und der Codex von Prizren. 2) Eine neue Re- daction erfolgte im XV. Jahrb., vielleicht unter dem Despoten Stephan Lazarevic (1389 1427), dessen Gerechtigkeitsliebe auch sein Biograph Konstantin der Philosoph feiert (ed.Jagic, Glasnik 42, 282 283), jeden- falls vor 1444, wobei die Bestimmungen des Gesetzbuches besser gruppirt, Unklares genauer stilisirt und der Inhalt im Titel eingetheilt wurde. Novakovic nennt diese Recension die »Athosgruppe«, nach einem von Grigorovic aus dem Athos gebrachten Codex. Eine eigene Unterabthei- lung repräsentirt der Codex von Chodos, dessen Sprache das Altserbische mehr ins Kirchenslavische umformt, wie es schon Danicic 1871 im Rad jugoslavenske akademije 15, 181 182 (Novakovic CXXXVH Anm. 121) bemerkt hat. Es geschah dies jedenfalls unter dem Einfluss der »Schule von Resava« in der Zeit der Thätigkeit Konstantin des Philosophen, um 1405 1427. Florinskij in seiner Recension des Buches von Novakovic (S. 243) verhält sich ablehnend gegen diese Annahme einer neuen Redac- tion unter den Despoten des XV. Jahrh. und verlegt den Ursprung der verschiedenen Texte noch in Dusans Zeit, wo aber die sechs Jahre 1349 1355 meines Erachtens zur Entstehung so verschiedenartiger Textirungen nicht ausreichten. 3) Eine neue Umarbeitung der Redac- tion der Athosgruppe ist ein literarisches Werk des XVH. Jahrh., nach der Ansicht von Novakovic wohl aus der Zeit des serbischen Patriarchen Paysij (f 1648). Wahrscheinlich war das Gesetzbuch im Gebrauch bei den Geistlichen, die in der Türkenzeit oft als Richter zwischen den Christen fungirten. Die nicht mehr verständlichen Artikel wurden weg- gelassen, zahlreiche Termini des mittelalterlichen Rechtslebens ganz missverstanden. Viele Merkmale haben diese jüngsten Texte gemeinsam mit des Paysij Lebensbeschreibung des Caren Uros, mit deu Annalen

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. 20 1

von Tronosa , der prosaischen Erzählung über die Schlacht auf dem Amselfelde. Eine weitere Gruppe bilden werthlose Texte des XVII. XVUI. Jahrb., wo z. B. der Keftilija zu einem »kapural« (Corporal) umgeändert wurde. Man vergleiche über diese späten Paraphrasen

V

schon das Urtheil von P. J. Safarik, Geschichte der südslavischen Lite- ratur 3, 22G.

Die Fragmente von Struga, zuerst von Floriuskij herausgegeben als »erste Handschrift des Grigorovic« mit Facsimile, befinden sich gegenwärtig im Rumjancov'schen Museum in Moskau. Grigorovic fand 1845 in Struga bei Ochrid in der Kirche des hl. Georg ausser einigen slavischen Kirchenbüchern aus den Druckereien von Venedig im XVI. Jahrb. auch einige Handschriften, darunter einen Apostol, geschrie- ben 1276—1277 unter Stephan Uros I. (vgl. Jagic, Starine 9, 116—126 und Archiv 3, 220) und »ein Fragment des Gesetzbuches Dusans« (»OTptTBOKib saKOHHHKa i^EpÄ ^ymaHa«, Grigorovic, OyopKt nyTeinecxBifl no Eßp. Typi],iH, 2 A., 107, 159). Es sind 15 morsche Papierblätter, ohne Zweifel aus einem grösseren Codex, wahrscheinlich einem Nomo- kanon, herausgerissen, auf welchen der oft nicht ganz erhaltene Text von 103 Artikeln zu lesen ist. Safafik war bei seiner Ausgabe des Ge- setzbuches über die Sache nicht genügend unterrichtet; er nennt eine »Kazaner erstecf Handschrift bei Grigorovic, damals Professor in Kazan, ) na papire v osmerce, v prostredku necely, nacite starj^ a dobreho zrna«, jedenfalls identisch mit den Fragmenten von Struga, und eine von Gri- gorovic angeblich in Struga nur gesehene Handschrift: «jiny videl Gri- gorovic V Struze obliz Ochridu«. Schrift und Orthographie sind die der zweiten Hälfte des XIV. Jahrb. ; die Sprache ist die der Urkunden dieser Zeit. Ebenso wie die ältesten Texte der venetianischen und ragusanischen Gesetze , die noch keine Capiteleintheilung haben (vgl. Archiv 17, 270), sind die Artikel in diesen ältesten Fragmenten noch nicht numerirt und nur in seltenen Fällen mit Titeln versehen; auf den erhaltenen Blättern finden sich nur sieben solche Titel. Ich hofife, dass wir mit der Zeit eine photographische Edition dieses werthvoUen Denk- mals erleben werden.

Der von Zigel ganz edirte Codex von Prizren, jetzt in der Bel- grader Nationalbibliothek, bricht in Art. 186 mitten in einem Wort ab, so dass der Schluss fehlt. Novakovic meint, er sei nicht älter als 1401 1425, da die Orthographie schon durch die Lehren Konstantin des Philosophen beeinflusst ist. Dazu ist zu bemerken, dass hie und da

202 Const. Jirecek,

auch kirchenslaviSche Formen an Stelle der altserbischen der Fragmente von Struga treten: aipe (162) für aKC, aKie, ebenso CkTKopHTH (40)

für O^MHHHTH, OKpIvliJf (91) für CKp-RTf, H-^CTk (161) för Hf, FAd-

rOAie (161) für roKopH, die Genetive iipkKOBHaro (79), canocf^- Liaro (93) für -ora. Der Inhalt ist bereits eingetheilt in Titel (glava) und die Artikel sind numerirt.

Die sAthosgruppe« hat eine neue Eintheihing in S4 Titeln. Dass es eine jüngere Fassung ist, aus einer Zeit, wo es in Serbien keinen Garen mehr gab, sieht man daraus, dass die erste Person des Gesetz- gebers, die in den beiden ältesten Handschriften einmal als «ich« (105), sonst regelmässig als »mein Kaiserthum' , i^aphCTKO MH nach dem byz. rj ßaoLlsla /.lov erscheint, überall durch u^Aßh in dritter Person oder durch das Adjectiv i^apEBk ersetzt wird, was schon Daniele (Rad 1. c.) bei einer Vergleichung der Texte von Prizren und Chodos bemerkt hat. Im Inhalt (über die Gruppirung siehe die Tabelle bei Novakovic S.XCVII CI) ist eine Tendenz der Annäherung zum Prochiron bemerk- bar. Für die Brandlegung im Dorf oder im Getreide bestimmen Art. 99, 100 eine Zahlung von Seiten des Dorfes, wenn es den Thäter nicht stellen kann (vgl. 71), also eine Art vt'azda, wie in Art. 20 bei der abergläubischen Exhumation eines Todten. Die neue Redaction hat für absichtliche Brandlegung den Feuertod, wie Prochiron 39, IS und Syn- tagma E, 7 (Florinskij 403 404). Bei der najczda^ dem üeberfall durch eine berittene Schaar (101), citirt die Athosgruppe ausdrücklich das Prochiron (o^ 3aK0HHHK0\' cß6TH\-k OTbu,K or rpa;i,cu,iH\-k rpaHa^k). Verschärft sind die Strafen bei einer Rauferei im Feldlager (131) und bei der wissentlichen Freisprechung eines Schuldigen durch die )^porota« (154).

Die Codices dieser Gruppe sind: 1) Ein Codex, den Grigorovic aus dem Kloster des hl. Paul auf dem Athos mitgebracht hat, jetzt im Rum- jancov'schen Museum, herausgegeben bei Florinskij. 2) Der Codex von Studenica, im Privatbesitz in Sarajevo, enthält eine Menge zusammen- gehefteter Apokryphe, das Syntagma und andere Stücke, darunter auch Fragmente des Gesetzbuches mit 61 Artikeln. 3) Ein Codex, den Na- dezdin aus dem Kloster von Bistrica in der Moldau nach Russland ge- bracht hat, jetzt im Privatbesitz in Moskau. Es ist die erste datirte Copie, aus dem J. 6952 == 1. September 1443 bis 31. August 1444, also aus dem Jahr der Restauration des serbischen Despotats unter Despot Georg nach der ersten türkischen Eroberung. Novakovic be-

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. 203

nutzte eine Abschrift des Florinskij. Eine genaue Edition dieses älte- sten datiiten Codex wäre sehr wünschenswerth. 4) Codex des Klosters Chilandar, bekannt aus den Mittheilungen von Grigorovic ; fehlt in der neuesten Beschreibung der Bibliothek dieses Klosters von Sava Chilan- darec (Prag IS96).

Eine Sonderstellung nimmt der Codex von Chodos ein. Die Sprache ist kirchenslavisch redigirt. HaHnpfJK,\,e für HaHnpkßO, Bkcnn'k für oneTk, nocAOYtu^^TH für mioth, nHTarH für \'paMHTH, OJKHA«*fTk Rk ;i,OMOY (115) für ck^H ^OMa u. s. w., in der 3. Pers. Sing, und

PI. stets -Tk, wie KaiKfTk, BkSMETk, CklKHIKO^Tk, npOKAHHaiOTk,

ebenso mit i|i für /.', KO^'iiiH für KO\fKl€, ßaaCTfAHHHiiJk für -HKk.

Charakteristisch sind die vielen Lücken, welche bezeugen, dass viele Details des mittelalterlichen Staatslebens nicht mehr actuell waren. Es fehlen Bestimmungen über die Sklaven (44, 46), über die Feudalinvesti- tur (4S), über den Hofdienst des Adels beim Caren (51), Quartierrecht (priselica) der Adeligen (57) und des Caren (60), Erwähnungen des Gottesurtheils durch den Kessel (84, 106), das Verbot fremde Kaufleute aufzuhalten (121), die Artikel über die Sachsen (123) und die Rechte der griechischen Städte (124), die Beisteuer bei einer Heirat im Hause des Caren (128) u. s. w. Die Handschrift befindet sich in der Samm-

V V , ,

lung des P. J. Safarik im Prager Museum. Safaiik nannte sie einmal die Handschrift von Belgrad, sonst aber immer den Chodoser Codex. In der Geschichte der südslavischen Literatur 3, 221 (geschrieben in Neusatz 1830) ist zu lesen, er verdanke die »Ausfindigmachung und Mittheilung zum Gebrauche dem Eifer meines Freundes S. M.« Es war wahrscheinlich der damalige Diakon Samuel Masirevic, der dem bafarik Urkunden copirte und Handschriften excerpirte, später Bischof von Temesvar, zuletzt 1862 1870 Patriarch (vgl. meine Abh. Safai'ik mezi Jihoslovany S. 31, 115, S.A. aus der »Osveta« 1895). Am 22. August 1830 schrieb Safarik aus Neusatz an Kollär in Pest: »Ja jsem zde pekn6 veci vynasel, ne sice Ostromirovo evangelium, ale dila sv, Sävy od r. 1 199, 1208 a t. d. Nejnoveji jsem vyslidil zäkony St^päna Dusana, psand 1390, tedy jeho veku blizke drahocenny klenot, nebo posavad nam Jen pseudoCodex Dusanovych zäkonu znäm byl, t, j. codex falesny, od mnichü asi pfed 100 lety slätany« (Orig. im Prager Museum).

Der Name Chodos hat Anlass zu manchen Erörterungen gegeben. Florinskij und Novakovic meinen, er sei nur durch ein Missverständniss entstanden, aus einer Notiz in diesem Codex, nach welcher Pop Theodor

204 CüDst. Jiiecek,

aus Beligrad Stolni (Ötuhlweissenbuvg) 1688 in Pest diese Handschrift dem »geringen« Mönch Theophan au3 Hopovo übergeben hat: MHf YOYA*^'^^ (kann auch -UJÖ gelesen werden) Mh'i^ö OfO^aHÖ Xono- EU,^\[ paco^cpOY- Florinskij (202) meint, aus »Y^y^OilJOY« sei das augebliche Kloster Chodos entstanden: »nyacHO ^lyMaxb h oöpasoBajrcfl SHaMBHHTtiil MoiiacTfcipfc Xo^omL«. Ich erlaube mir dazu zu bemerken, dass es in der Arader Dioecese ein der orientalischen Kirche angehören- des Kloster Chodos oder mit magyarischer Orthographie Hodos gab und gibt; der Name ist magyarisch, dem Sinne nach entsprechend einem slavischen Bebrovo, Bobrovo (höd Biber). Das Kloster wird in Docu- menteu zur serbischen Kirchengeschichte aus dem XVIII XIX. Jahrh. nicht selten erwähnt; z. B. 1726 war auf dem Congress in Karlowitz anwesend der Archimandrit Sofronij »ot :*iaHacTnpa O^oma« in der »ApaxcKa Kpaniia«, der ehemaligen Arader Militärgrenze, die ein wich- tiges, meist von Serben bewohntes Grenzgebiet war, so lange sich das Temeser Banat (bis 1718) im Besitz der Türken befand (Vitkovic, Cno- MBHHUiH, Giasnik 2. Serie Bd. 3, 283). Viel genannt war das Kloster Chodos, auch als Kloster Bodrog bezeichnet, in den serbisch-rumäni- schen Kirchenfragen um 1865 (vgl. die Memoiren von Dr. Theodor Mandici, Letopis, Heft 200, S. 12 f., 32—36). Es ist jetzt mit der Ara- der Dioecese im Besitz der Rumänen. Safarik wird gut gewusst haben, woher der Codex des S. M. stammte. Das Alter der Chodoser Hand- schrift hat Safarik nach einer Ostertafel 1390 1408, die darin vor- kommt, sehr überschätzt; der Codex stammt nach den Schriftzügeu aus dem XV.— XVI. Jahrhundert.

Ganz denselben Text, nur mit mehr serbischer Färbung der Sprache, bietet der Codex von Sisatovac, geschrieben 1540 1 541 auf dem Athos, jetzt gleichfalls im Prager Museum in der Collection Safaiiks.

Aus einer alten Vorlage, einem Codex wahrscheinlich des XV. Jahr- hunderts, der leider nicht mehr zum Vorschein gekommen ist, stammt eine junge Handschrift, geschrieben 1700 1701 im Kloster Rakovac in der Fruska Gora vom Hieromonach Pachomij , jetzt im Prager Mu- seum '). Die %^erloren gegangene Vorlage, deren Blätter durch einander

1, Die Handschrift war einmal im Neusatzer Gymnasium. Nach dem Brande von Neusatz in den Kriegen von 1848—1849 hielt man sie für verloren ; Srgj Nikolic, ein Schüler Safarik's, schreibt im Giasnik 4 (1852) 283, dass »y n.iaMeay HoBora Caaa ciapu rHMHasuja^iHe 6u6.iuoTeKe /tyinanoBor saKOHUKa py-

KOnHC H3iie3HVO«.

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. 205

geworfen waren, bot den Text vollständiger als andere Codices, mit der Vorrede des Gesetzbuches und den hier allein erhaltenen Art. 190 201 . Leider hat der Copist, der die Blätter gedankenlos nach einander ab- schrieb, wie er sie ungeordnet vorfand, manches nicht vorstanden und entstellt. Novakovic (S. CXI) rechnet diesen Text zur Athosgruppe. Doch enthält der Codex von Rakovac z. B. die Stelle des Art. 37, dass die Pferde des Metropoliten nicht zu den Geistlichen der Pfarren ge- sendet werden dürfen, ebenso den Art. 38, dass die Pferde des Caren den kirchlichen Dörfern nicht zur Fütterung gegeben werden sollen, und den Art. 39, durch welchen die bostine und Chrysobullen der serbi- schen und griechischen Edelleute beider Classen bestätigt werden, welche alle drei in den Codices der Athosgruppe und der dritten Re- daction fehlen. Art. 123 über die Sachsen ist nur in den Codices von Prizren und Rakovac erhalten.

Die dritte Redaction hat für die Textkritik fast keinen Werth, ist aber von grossem Interesse für die serbische Culturgeschichte in den älteren Jahrhunderten der türkischen Herrschaft. Einer der Haupt- repräsentanten derselben, der Codex von Ravanica (vor 1676), jetzt gleichfalls im Prager Museum, bietet einen Text, der nach meiner An- sicht in Montenegro oder sonst in der Umgebung von Cattaro entstanden ist. D\q porotnici (Art. 151, 152) werden als vlasfele bezeichnet, ge- rade wie in den oben (S. 197) angeführten Urkunden der Crnojevici. An die Adriatische Küste führt die Stelle über den dlhg komunski (Art. 133 dieses Codex), vom ital. comune, und der Terminus posadnik für das alte meroptch colonus. Posadenicus^ posanicus als Colone ist be- kannt aus dem Statut und den Notarialbüchern von Cattaro aus dem XIV. Jahrb., ein localer Ausdruck , fremd schon im benachbarten Ra- gusa. In dieselbe Landschaft weist in demselben Codex die Travestirung der »Barbaren« in Türken, enthalten in Excerpten (Florinskij 229), die aus dem Prochiron stammen: Todesstrafe für Ueberläufer (Proch. 39, 17), für Verkauf von WatTen und Eisen an den Feind (39, 9), für Unterweisung der Barbaren im Schiffbau (39, 38). Die Handschrift bietet 27 Artikel, welche sonst in den Texten des Gesetzbuches Dusans nirgend vorkommen, nach Florinskij (üaMiiTHHKH 238 f.) theils dem Syntagma oder den sogenannten Gesetzen Justinians entlehnt, theils originell. Diese originellen Artikel, meist Buhlerei oder Nothzucht be- treffend, sind auffällig wegen der Milde der Sti'afe; z. B. der unver- heirathete Mann, der mit einer verheiratheten Frau buhlt, zahlt nur

206 Const. Jirecek,

30 Perper Strafe, während die Härte des Gesetzes die Ehebrecherin trifft (Art. 144, Florinskij, Texte 50), was dem Geist des Gesetzbuches Dusans und der griechischen Gesetze mit ihrer harten Strenge ganz wider- spricht.

Novakovic hat bei seiner Edition den Codex von Prizren zu Grunde gelegt, seine Fehler und Lücken aus den übrigen Codices berichtigt und so einen annähernd der Urschrift nahen Text zu reconstruiren ver- sucht. Die Varianten sind in seiner Ausgabe bei den einzelnen Artikeln angegeben 1). Ich hätte mich nicht immer so genau an den Prizrener Text gehalten, sondern die Fragmente von Struga als die älteste Hand- schrift, soweit sie erhalten oder lesbar sind, als Grundlage genommen und erst in den darin fehlenden Artikeln mich an den Wortlaut des Prizrener Codex und an die übrigen Abschriften gehalten.

Bei der Untersuchung der Textüberlieferung sind die zahlreichen Uebereinstimmungen zwischen den Fragmenten von Struga und den Handschriften der Athosgruppe zu beachten. Schon Florinskij (ISO 190) hat bei einer parallelen Vergleichung der Texte von Struga, Prizren und Chodos auf einige Stellen aufmerksam gemacht. Ich will hier meine Bemerkungen vorführen. Sie zeigen, dass der Codex von Prizren nicht immer die verlässlichste Lesart bietet. Art. 14 ist im Prizrener Codex überschrieben: 0 nocTaBAiCHiH Hro^MCHd und beginnt : HroyuHki jk,A cf Hi nocTaßiXraic» Kf3k A^'^** '^'^^ i^pkKBf, nach der Auffas- sung von Novakovic : die Igumeue sollen nicht ohne Antheil der Kirche eingesetzt werden. Die Fragmente von Struga haben A** ^^ "^ H3k- craKAiaiOT (Florinskij, Texte 2), ebenso die Codices von Athos, Stude- nica, Bistrica, Chodos und Rakovac. Es handelte sich also nicht um Einsetzung, sondern im Gegentheil um Absetzung desigumen; so haben es auch die Bearbeiter des Textes in den späten Codices des Tekelija und von Sofia^) verstanden {^a C( HSMeTawTk). Zum Inhalt des Artikels ist zu vergleichen die Urkunde des Erzengelklosters von Prizren (Glasnik 15, 306): H A<* H3MfTf HroyMHk paSß'S BfAHKa

>) Nicht vollständig, wie z. B. zu Art. 14, 155 die aus den Fragm. von Struga.

-) Diese späte Handschrift wurde in Kratovo in Makedonien gefunden und kam durch Vermittlung des Professors Efrem Karanov in Küstendil 1882 in die Nationalbibliothek zu Sofia. Ich besitze ausführliche Excerpte aus der- selben vom J. 1882, als sich der Codex vor der Uebergabe an die Bibliothek im bulg. Unterrichtsministerium befand.

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephau Dusau. 207

/1,'kAa, der Igumen soll uicht abgesetzt werden, ausser bei einer grossen Schuld. Ebenso stimmt in Art. 62, 85, 151 {j\,A onpaEE, ^a OKpHiic statt der Infinitive des Cod. Prizr.) der Text der Blätter von Struga mit denen von Athos, Bistrica, Chodos und Kaliovac tiberein. Im Art. 106 haben die Texte von Struga, Districa und Rakovac JCßdTH oy KOTkAb, der von Prizren allein )C'^'''M- Iiu ^rt. 107 über die Wegtreibuug des Gerichtsbeamten haben die Texte von Struga, Athos, Bistrica, Stude- nica, Chodos, Rakovac O^BHi^b, OTBkiBK, der von Prizren allein das unpassende O^KKiBk (aber Art. 178 richtig OTBkiie npHCTaKa}. Im Art. US (in den Frag, von Struga nicht erhalten) ist paSBaaaBk der Athosgruppe für das gewaltsame Auspacken der Kaufmannswaare (ital. sballare, vgl. Statut von Budua Cap. 251) richtiger als paSBaAraBk Cod. Prizr. ; ebenso rpkroBU^a aller Texte im Art. 120 über die Ueber- griflfe der Carinici (doaneri) gegenüber MAOBUKa des Prizrener Textes. Im Art. 138 über Fälschung von ChrysobuUen haben die Texte von Struga, der Athosgruppe und des Codex von Rakovac CAOBO Ak^KHO iip-KiiHcaHO statt npHRHcaHO Prizr., ebenso p'feMH np-kaaraHE für np'kTBOpfHf. Zum alten Text gehört im Art. 154 die Bezeichnung der Geldbusse von 1000 Perper für die wissentlich falsch schwörenden Mitglieder der »porota« als vrazda (spaHv^'^V ^'^ TKiCOYipoy n«p- nepk Struga, Athos, Bistrica, Rakovac), was im Prizrener Text fehlt. Die Fragmente von Struga und die meisten Texte der Athosgruppe schreiben (151, 152, 154) nopOTkUH, für nopoTkHHi^H Cod. von Prizren und Bistrica. In dem unklaren Artikel 155 über das Quartier- recht des »stegonosa« (vexillifer) der grossen Edelleute haben die Texte von Struga, Athos, Bistrica, Rakovac KOH ;k,pk>Ke ^pkH^aßoy Ha Cf, während im Cod. Prizr. ;l,pk:Kf fehlt. Bei der Haftpflicht für den Schaden der Kaufleute, denen ein Nachtquartier verweigert wurde (159), erwähnt Cod. Prizr. nur die des Grundherrn und deren Beamten, die Texte von Struga, Athos, Studenica und Rakovac aber auch die des Dorfes (selo). Nach Art. 160 sollen die Kaufleute von der Strassen- wache von einem Wachposten zum andern begleitet werden, ^a ra npoBarraK» Struga, Athos, ,v.a ra npars Rakovac; diese Begleitung fehlt im Prizrener Text. Im Art. 162 heisst es ^a Hf oyMMf npHCTaBk HHora, pasB'fe qjo nniuf KHHra Struga, Studenica, j^a ovMkMf Prizren (ohne Negation) , ^a Hf HMe Athos, Bista-ica, \A he 0\f3Mf Rakovac. Novakovic entschied sich für diese letzte Lesart. Doch wäre OYMkMC für 01,'HkHf von altsl. oysATH incipere wohl auch mög-

208 Const. Jirecek,

lieh: der Pristav soll niehts anderes beginnen, als was das ihm gegebene amtliche Schreiben vorschreibt.

Es wäre gut gewesen bei jedem Artikel alle Titel desselben aus allen Handschriften neben einander aufzuzählen, denn sie bieten oft einen Schlüssel zur Gruppirung der Recensionen. Die Arbeit der Ab- fassung der Titel geht seit den ersten Versuchen im Codex von Struga ununterbrochen fort, wobei der Prizrener Codex oft allein steht: 63 0 KmaAHra\'h Struga, Athos (ki€4>-), Bistrica, 0 ao\'OAI>^koy Prizren; 67 0 eTpctii,f\" H 0 Mjponcejc Struga, Athos, Bistrica, Chodos, im Prizrener Texte dagegen beide Substantive im Singular; 74 0 nauJH Struga, Athos, Bistrica, 0 iiauiH ceAoy Prizren, 0 nonaiUH H na- JKHTH Rakovac; 76 3a ncnäiuOY Struga, Athos, Bistrica, Chodos, Rakovac, ebenso im Codex von Prizren, wo aber noch ein neuer Titel 0 nonauJH dem alten vorangesetzt ist. Charakteristisch ist es, dass der Prizrener Codex in den Titeln Singulare den Pluralen vorzieht, z. B. 0 nCKAHcapor, wo andere 0 nOKAHcap'feX''» haben (64, 67, 79, 90. 133, 149, 155, 166). Viele Titel des Prizrener Textes sind nicht genau zum Inhalt passend (12, 34, 45, 63, 69, 110, 161, 175, 182). Manche Titel sind nur Wiederholungen derersten Worte des Artikels (52 Prizren, 78 Rakovac, 80 Chodos). Auch Art. 123 0 Gaceyk (Rakovac) sind die ersten Worte 0 TpkrcB'feY'^ der alte Titel des Artikels. Zum Schluss einige Bemerkungen zu lückenhaften Stellen der Titel des Priz- rener Codex: man lese 25 (0) WKAa;i,'*H'" ^pl^K<^BH'kMb, 61 Q no-

lUkCTKHH (Ck) ßOHCKS, 99 Q Wna/\WK«HJH(\-k) KO^KM, 100 GD

rovMHa 0YJKH3aiCKiü(\'k).

TL Zur Erklärung des Textes.

Das Ideal eines Commentars zum Gesetzbuch des Caren Stephan Dusan wäre eine Zusammenstellung aller einschlägigen Stellen serbischer Urkunden, nebst allen Parallelen aus den byzantinischen Gesetzbüchern, den dalmatinischen und italienischen Statuten, den ungarischen, böhmischen, polnischen, russischen, skandinavischen, altgermanischen Rechtsdenkmälern des Mittelalters. Die ausführlichen Anmerkungen von Novakovic geben, wie seine trelFlicheu Monographien über das alt- serbische Dorf, das Feudalrecht u. s. w,, werthvolle Aufschlüsse über das Leben in Serbien in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters. Ich will hier nur einige Nachträge bieten, alphabetisch geordnet nach den Termini.

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. 209

bahina das erbliche Edelmannsgut. Die Formel über die freie Verfügung wiederholt sich noch umständlicher in Urkunden. Der Besitzer darf nach Art. 40 die »bastina« der Kirche schenken oder verkaufen: nO;\k l^piiKOBK A^TH, HAH 3a A^V^^^V *^A^T") "'^" HHOMOy npO^^TH. Gar Stephan Dusan bestätigte 1349 1350 dem Ivanko einen Grundbesitz in §tip, mit der Bemerkung, er könne denselben, wie jede »kupljenica«: AIOBH 3A ^OYlilOy [A^TH HAH nO^li] HpbKBk SannCdTH, AWGH KOMOXf \'dpH3dTH, ,KC»YA* I^^^V I^CTk Y'^T'SHHie (Spomenik 3, 2). Gar Uros schenkte 1357 die Insel Meleda als erbliche »bastina« den Edelleuten aus Gattaro Base Bi- volicid (Bolizza) und Tripe Bucic (Buchia): AK»Kf nct;\k U,pbKC»ßk 3A ;i,i>iu8 no^i^nHCdTH, y npHKHW A^^TH, npo^aTH, y^P"3ath, 3a- M1IHHTH, KS;k,'R HMh. yOT-fcHHie WKpATHTH (Mon. serb. 156). Ebenso heisst es in der oben öfters erwähnten Verkaufsurkunde über einen dvor in Prizren von 1346— 1366: a8bH HMATH, X'dpH3aTH, npHKHCaTH, npO- AATH, [3a ^S]iij8 J^ATW Ai\y\ 3aiUimHTH (Glasnik 35, 121). Etwas an- ders in der Urkunde für den Celnik Radic von 1428—1429: no CßOWH

CkMpkTH, KOMOy IjIO O^cyCHie, WCTaBHTH HAH l^piiKßH

npHAOJKHTH HAH 0^ npHKIK» Ji,ATV\ HAH SAAOJKHTH HAH npo;i,aTH (Spomenik 3, 3). Noch in den letzten Monaten der Existenz des serbischen Despotats bestätigt König Stephan Thomas von Bosnien die bastine des Lo- gotheten Stephan Ratkovic in Serbien in den «vlasti« von Lepenica, Borac, Ostrvica, Nikudim, Smederevo u.s. w. am 14. Oktober 14.öS, es stehe ihm frei: HAH AP**''*^ H^piiKBH PpHAOHiHTH HAH npC/k,aTH HAH 3aA0- JKHTH HAH S HpHl^HS A^^^H HAH KOlUlS 0^1^ CßOH\-|i OCTAGHTH (Rad 1, 157). Der Besitzer der »bastina« darf also dieselbe der Kirche schen- ken, als Mitgift verschreiben 'prikisati nooi-Ai^eiy), umtauschen, verpfänden, verschenken (charizati xccgiCeip], verkaufen oder im Testamente vermachen.

kjefalija, kepalija, -AecpccXr]^ o sis xeqpaA»/r Bvqiaxöuei'os oder Tvyxuvaiv, xecpaXaxTtxsvcjy, capitaneus, der Statthalter. Der Titel kommt in Serbien zuerst unter König Stephan Uros IL Milutin vor und scheint bei den Erobe- rungen byzantinischer Territorien im nördlichen Makedonien recipirt worden zu sein: Kf^AAHra rpa^\,kCKklH in Skopje um 1300, Spomenik 3, 13; ein »chephalia« in Scutari 1321, Spomenik 11, 24 u. s. w. In Ganali bei Ragusa war das Oberhaupt Ende des XIII. und Anfang des XIV. Jahrh. (z. B. noch 1321) ein Zupan, später jedoch erscheint auch hier ein Kefalija (1359, 1365, 1375), wahrscheinlich nachdem die Bosnier Ghlm mit Popovo occupirt hatten undTrebinje sammt Ganale und Draceviea eine wichtige Grenzlandschaft ge- worden war. Im byz. Reiche bezeichneten die Italiener diese Beamten als »capitanei«. Im J. 1332 z. B. wird ein Laskaris als ehemaliger »capitaneus« von Belgrad (Berat in Albanien) und Valona erwähnt (Dipl. venetolevantinum 233), in einer griechischen Urkunde derselbe als o eh xscpaXijv Evqiaxöf^svog in diesen Städten (Acta graeca 3, 109). Eine Zusammenstellung einiger Stellen über diese Beamten bei Zachariae von Lingenthal, Gesch. des griech.-röm. Rechtes, 3. A. 387. Zuerst erscheint ein o tov zonov xeq^ulr], i] xecpttXr] j]fxü)v auf der Insel Kos in einer Urkunde aus der Zeit des Kaisers Theodoros Las-

Archiv für slavis( he Thilologie. XXn. 14

210 CoBst. Jirecek,

karis I. oder IL (1213? 1258? Acta graeca 6, 186—187), zugleich den Hoftitel eines ßBanagizr]; führend. Der xecpa'kr] scheint an die Stelle des älteren d'oi;| getreten zu sein, der in der Zeit der nikänischen Kaiser und der epirotischen Despoten der Statthalter der Provinz, des d^ifxu war (vgl. Acta graeca 4, 36 f. und die Briefe des Demetrios Chomatianos). Ein Beamter tieferen Ranges war der aeßaaxo^. Sein Titel entstand in der Komnenenzeit, wo Alexios I. das asßaaröc = augustus des alten Kaisertitels in Hoftitel auftheilte (Seva- stokrator, Panhypersevastos, Protosevastos, Sevastos) . Im XIII. XIV. Jahrh. waren die Sevaste Verwalter einzelner Burgen und Städte. In Smyrna resi- dirte in der nikänischen Zeit ein asßaajos, ngoxttd-^fxEvog SfxvQvrjs (Acta graeca Bd. 4, 44, 45, 50). In Mittel-Albanien gab es 1332 neben dem capitaneus [xe- (palrj) von Belgrad und Valona einen Sevast von Valona und einen n^oxa&r]- fisvos von Kanina (Dipl. venetolevant. 233) In Serbien führten unter König Stephan Dragutin (1276—1282) die vornehmsten Verwaltungsbeamten den Titel eines Ä^rasi (Spomenik 3, 11), besonders der zu Prizren noch unter König Stephan Uros IL (Mon. Rag. 5, 107). Sevaste gab es noch unter Car Ste- phan (Glasnik 27, 294, Mon. serb. 138) und unter Car Uros iMon. serb. 157); ihre Würde war nach der Reihenfolge in der Aufzählung niedriger als die des Kefalija. Das Gesetzbuch des Garen Stephan nennt sehr oft die zupa (den Gau), aber nirgends den zupan, dessen Amt vor dieser Zeit in Urkunden so oft erwähnt wird. Durch die Einführung des Namens Kefalija ist aber der Titel eines Zupan nicht verschwunden, er scheint sogar mehr bedeutet zu haben, als früher. Seine Abwesenheit im Gesetzbuch ist zu vergleichen mit der Ab- wesenheit jeglicher Erwähnung der Hofämter und Hoftitel (Kaisar, Sevasto- krator u. s.w.). Der spätere König Vlkasin wird in des Garen Stephan Zeit in dem Epilog eines Codex von 1350 als Zupan bezeichnet (Kovacevic, Starine 10, 270 271). Der mächtige Nikola Altomanovic, dessen Gebiet sich (um 1371) von Rudnik bis Ragusa erstreckte, führte den Titel eines Zupan. Ein Zupan Peter erscheint als Zeuge in der Urkunde des Knez Lazar 1387 für Ragusa (Mon. serb. 207), neben einem Logofet, einem Celnik und einem Kefalija. Die Aemter der serbischen Administration sind also im XIII. XV. Jahrh. mehrere Male verändert und umgeformt worden. Kefalija's gab es in der Zeta noch unter den Crnojevici (S. 198).

otstojati se po zakonu : die Gegenpartei vor den Richtern abwarten. Vgl. einen »stanak« 1447 zwischen Ragusanern und Trebinjanern, wo die eine Par- tei, die »porotnici« und die Pristave beider Parteien die Gegenpartei vergeb- lich erwarteten, bis die Nacht hereinbrach und Sterne sichtbar wurden: MEKaCMO H^'l* C nopOTHHl^H H Cb npHCTaBH ^0 35163^« Ha Ppa- HHlJte no SaKOHOy (Spomenik 11, 86).

planina ursprünglich die Alpenweide; erst langsam erhält es die Be- deutung des Berges. Der Berg hiess ursprünglich serb. und bulg. gora, wie noch jetzt Sveta gora, Crna gora, Srednja gora, Zagorije (vgl. Cesty po Bul- harsku 226 Anm. 5), aber schon Art. 123 ist gora der Wald, ;v,a paCTf ropa (vgl. den Wechsel derselben Begriffe, Berg und Wald, beim lat. saltus). No- vakovic (S. 195) meint, die »planine« seien ursprünglich nur königlicher Be-

Das Gesetzbuch des serbischen Garen Stephan Dusan. 211

sitz gewesen; erst durch Schenkungen seien Theile davon den Klöstern oder Edelleuten zugefallen. Dass grosse Hutweiden ab antiquo Fürstengut waren, sieht man aus einer Zuweisung in der Zeit des Kaisers Manuel. Er setzte den serbischen Grosszupan Prvoslav ab [IlQifxiaO-laßog lese ich Ugißi-, bei den bekannten Verwechselungen zwischen /j. und ß in der griech. Minuskel; so ist auch Kia/xa bei Kinnamos 1. V cap. 12 zu lesen Kiaßa Kiava = Kiev) und übergab ihm ein reiches Gebiet in Serbien mit guten Weideplätzen zur Vieh- zucht: x^^QV '^^ ncoTKxr] dojQeliai xal ra tV uofia; Cüwv ayct&jj (Kinnamos 1. V cap. 2).

poliiverbcb in Art. 9 ist ein Lateiner, nicht zu verwechseln mit den ver- folgten yere^«ce, den Babunen, Bogomilen oder Patarenen. Vgl. die alte Notiz bei Safaiik, Sebrane spisy 2, 733, wo als poluvernijezici Franken, Alamannen, Ungarn, Armenier u. s.w. aufgezählt werden. Die Lateiner wurden im Reiche des Stephan Dusan nicht verfolgt, sondern genossen viele Privilegien, wie die fremden Ragusaner, oder die dem Reiche angehörenden Sachsen, Catta- renser, Antibarenser u. A. Der Artikel verbietet den Serben das Connubium mit diesen » Halbgläubigen », die, wenn sie nicht serbische Frauen heirathen wollten, unbelästigt blieben.

priselica, Quartierrecht gab es in den Städten (125) nicht, wohl aber ge- wisse Ehrenbezeugungen. Die Stadt Budua war verpflichtet, dem Garen bei Besuch der Stadt, ebenso einem Gesandten des Garen, ferner dem Gonte bei Uebernahme des Amtes und dem KazuBci. (casnezzo) des Garen bei seiner ersten Reise zur Einsammlung der Steuern je drei Gastmähler (tre manzari) zu geben, die nach dem Rang der Gäste gewiss einen sehr verschiedenen Um- fang hatten (Statut von Budua, Gap. 1).

provodcija Vermittler, Helfershelfer. Eid bei der Frage, ob ein Gegen- stand aus der Kriegsbeute im fremden Lande stammt oder im Reiche des Garen gestohlen ist, vor einer Porota (132) : & HC MO^ HH TaTi», HH npo- BOAl^MId, HH B'SCTHHKK (CkßtTHHKk Athos, Bistrica, Studenica). Vgl. die Formel des Eides wegen eines Diebstahls in Srebrnica vor einer Porota:

KaKO HH CBETHHU^H HH MacTHHu,H HH npoß(o)/k,amira HfcS Kpdrs

MapHHOK« (Spomenik 11, 88).

res7iik im Titel des Art. 20 über den Vampyrglauben im Godex vom Athos:

0 pecHHi^'k^i»? •^*>" T'kAeca impi^TKiiiHYi^ jKeroifTb. Vgl. altsl. p't-

OiHliL verus, p'KCHOTa veritas, 0\'P'SCKHHTH confirmare. Es waren wahr- scheinlich halbheidnische Zauberer oder »Wahrheitssucher« aus dem Volke, die mit diesem Namen bezeichnet wurden.

sehr, in neuer Form sehar, Bezeichnung für alle Leute ausser dem Adel und Glerus, Freie nnd Unfreie, nach Novakovic (S. 174). Ob aber ein Sklave (rab, otrok) zu den Sebri gehörte, halte ich nicht für erwiesen. Das Wort kommt für das byz. evteXtis (Oppositum zu tvTi[xos) auch in der Uebersetzung des Syntagma vor; darüber eine Bemerkung bei Safarik, Sebrane spisy 1, 371 A. 51 und ausführlich Novakoviö, Archiv 9, 521 —523. Der Edelmann Lju- bisa Bogdancic von Trebinje schrieb 1412 dem Senat von Ragusa über eine Rauferei zwischen seinen und den ragusanischen Bauern in Bergatto, mit der

14*

212 Const. Jirecek,

Bitte, die Sache zu untersuchen, damit die Sebri nicht anderswo zusammen- kommen und sich abermals durchprügeln: JS^A rC>cno;i,C», KOAf e, ja,& Bama MHAOCTk wnpaBH, Hfro M ce CfCpH AP^rOßHU CTaßklUC HSaBHIO

(Spomenik 11, 61). In den von Daniele herausgegebenen alten ragusanisehen Sprichwörtersammlungen (Poslovice, Agram 1871), die viele mittelalterliche Eeminiscenzen vom Standpunkt eines Edelmannes enthalten, kommt sebar als Bauer, gemeiner Mann sehr oft vor: Bat sebru cesalo (158). Dat sebru prst, da t' svu ruku obzine (517). Dotle te sebar sluzi, dokle mu prs' n ustijeh drzis (676). Izmuci sebarski, a izjegj vlasteoski (1299). Kad se sebar naije, mni da nece nigda ogladnit (1542). Koliko je sebar sit, toliko vojuje (1737). Mladu je sebru zvijezda na celu a staru na repu (2279). Ne dao ti se bog na obijesna sebra namjerit (2617). Ne dao ti se bog sebru moliti (2618). Ne umije sebar jednostruko (2802). Sebar mnogo zja, a malo zdere (4068) u. s.w. Noch Stulli hat in seinem Wörterbuche sebar ignobile, plebeo, uomo ordinario; se- barica donna ordinaria, plebea; sebarski adj. ignobile, triviale, adv. alla ple- bea; sebarstvo ignobilitä; seSan^t vivere, operare, trattare alla plebea. In Ra- gusa ist es in dieser Bedeutung heute noch wohlbekannt. Auch beiBelostenec und Jambresic ist seber, sebar rusticus angegeben. Das Wort ist nach Grie- chenland vorgedrungen und in Epirus, Thessalien, auf den Inseln Korfu, Leukas, Kephallenia, ja auch im Peloponnes überall zu hören: aifxnQos (se- bros), aef^TiQo^, avfinQÖt; Theilbauer, Halbpächter, aiunqa (sebra), asunQiä Theilbauerschaft, Gesellschaft, z. B. das Halten von Ackerthieren in Com- pagnie; dazu das Verbum aB/j,7iQev(o (sebrevo), ae/x7iQU)fco verpachten, da- gegen ^eae/ungeto) [i^-] die Theilbauerschaft, Compagnie auflösen. Eine kurze Notiz darüber aus der Gegend von Patras ist mitgetheilt von Miklosich, Archiv 11, 633; ein reicheres Material siehe bei Gustav Meyer, Neugriechische Stu- dien, II. Die slavischen, albanesischen und rumänischen Lehnworte im Neu- griechischen 56 57 (Sitzungsber. der kais. Akad. der Wiss., Bd. 130, 1894). Anklingend ist lit. sebras Hälftner, Handels- und Arbeitsgenosse, Gefährte, Kunde, russ. sjabr Nachbar, seber Theilnehmer, sebra gemeinsame Arbeit, kleinruss. sjdbra Gemeinde-Ackerland, sjabri die dasselbe Anbauenden (im Wtbuch von Zelechowski und Niedzielski), sjabro Nachbar, weissruss. sjabr Freund, Verwandter. Miklosich, Et.Wtb. 289, 297 kannte die Verbreitung des Wortes in Griechenland nicht und meinte, sebvo habe nichts gemein mit sjabri, das er als ein wahrscheinlich finnisches Fremdwort (estn. söbber) betrach- tete. Dabei wird Safafik's Zusammenstellung der Sebri mit den hunnischen Sahiren wiederholt. Gustav Meyer stellte altserb. sehr und russ. sjabr zu- sammen, was ich für richtig halte. In Litauen, Russland und Griechenland hat sich wohl die ursprüngliche Bedeutung erhalten, als Hälftner, Theilhaber, Gesellschafter. Serbisch sebar und russisch sjaber führen zu einer gemein- samen Grundform *CAKhp'k. EinTheil der Nahija von Zvornik heisst Sem- berija, der Einwohner Sember, ein Name, den Safarik (Sehr, spisy 2, 279) und Vuk Karadziö (Lexicon) mit Sebar zusammenstellten. In Serbien gibt es zwei Dörfer Seberovo und Seberovac im Kreis von üzice.

sebrov sbor, der Art. 69 streng verboten wird, unter Verlust der Ohren und Absengen der Augenbrauen, ist eine eigenmächtige Versammlung von

Das Gesetzbuch des serbischen Caren Stephan Dusan. 213

Nichtadeligen, eine Bauernverschwörung. Die Zusammenkünfte iu den Zupen waren nur die des Adels, wie der sbor der Pastrovidi bei Budua noch in vene- tianischer Zeit. In Ragusa wird ein »sborrum siue parlamentum« auch der Bauern in den der Stadt gehörigen Landschaften öfters erwähnt, so in der Zupa von Zrnovica (Brennum) Ende des XIII. Jahrh. zur Verkündigung der Befehle der Regierung, 1395 auf der Insel Giupana zur Wahl eines Pfarrers, in Canali im XV. Jahrh. zu Vorbereitungen zur Vertheidigung des Gebietes; ebenso heisst eine Zusammenkunft ragusanischer Kaufleute in der Fremde auch sbor.

stan ist im Art. 125 das Gepäck des Reisenden 'gost) ; Art. 187 wird das Quartierrecht des Caren, der Carica oder deren stanove und Pferde in den Dörfern erwähnt, mit dem Verbot, kein stannik, starej nad stanovi dürfe dort Quartier nach dem Durchzug des Hofes nehmen; Art. 189 erwähnt die Be- zugsrechte der Pferde, Hunde und stanove des Garen, denen nur so viel zu geben ist, als das Schreiben des Caren sagt. Stan als Quartier, Gasthaus ist aus den ragus. Privilegien und aus der Urkunde des Prizrener Klosters (Glas- nik 15,306) bekannt, stanjanin Gastwirth aus Art. 125 und einer ragusanischen Notiz von 1405 (Archiv 14, 75), stanik aus Art. 183 (von Mlklosich, Die Blut- rache 27 und von Novakovid als Hirt erklärt), staniste aus der Urkunde von Banjska als Viehplatz: Ha CTaHHl|Jd KpaAfBt)Ck CBHHI%k ed. Jagid S. 10. In der Uebersetzung des Prochiron wird (p(aaauxov das Lager durch stanii ;j?6^j wiedergegeben, Heerlager und Heerschaaren (vgl. Miklosich, Lex. palaeo- slov. sub 5<a/<) : Tovs Ir (poxsac'ixia y.XinToi^xas, ti fxky onla, acpo&ouj; nQoaica- lOfxEv Tvmead^ta, ei ^i xi xibv vnoCvyiioy, x^iqoxonelax^cci (39, 53), was folgen- der Weise übersetzt oder paraphrasirt wird: Hjkc Kk CTanc>Yl^ H Kk nakKO^i^ Ha ßOHCU.t Kpa^oyiiiHie, aijie o\fGO opo^H^ü Kpa;k,o\fTk,

CO\fpOBO nOßfA£Bai€Mk BHTH l€, aijJf Mif HTO WTk »pkMkHHKk, pfKklUE KOHk HAH Mkljje HAH OCA'k, TAKOBklMk pO\'U,'S O^CfeU^aTH

(Ducic S. 130). Neuserbisch ist stati die Wohnung, im Westen die Sennerei im Gebirge, altruss. und böhm. das Zelt. Vgl. ngr. axävrj, alb. stan Viehhürde, Schafpferch. Als Parallele ist es merkwürdig, dass mittelgr. und ngr. xcnovvu ganz dieselbe Reihe von Bedeutungen durchmacht: Gepäck, Zelt, Lager, Quartier, Haus, altserb. katun ein Hirtendorf. Novakovid deutet die stanove carevi (187, 189) als Heerden des Caren, was ich bezweifle; es ist eher, wie in Art. 125, das Gepäck, der Tross des Caren zu verstehen. Was die Bauern beim Durchzug des Caren leisten mussten, wissen wir aus der Urkunde des Erzengelklosters von Prizren : eine krina ij von 24 khhbl (copellus) Getreide als Pferdefutter, Salz und einen o(jlav (Glasnik 15, 307, Florinskij 109). Die Dörfer von Chilandar bei Chtetovo hatten als 2^ozoh (Futter) ebenso je eine krina und drei oglavi zu leisten, überdies den psari, den Hundewärtern des Caren, entweder ein Mittagsmahl oder ein Abendessen (Florinskij 56). Oglav war Daniele und Florinskij dunkel ; es ist altsl. oglav Halfter capistrum (s. Mi-

1) Krina als Getreidemass jetzt in Serbien vergessen, bekannt noch in Bulgarien; bei Stara Zagora 1 Krina = 11 Okka (Cesty po Bulharsku 142).

214 Const. Jirecek, Das Gesetzbuch des serbischen Caren Stephan Dusan.

klosich, Lexicon), ebenso slovenisch oglav, oglavnik, böhm. ohlav, ohlavec, ohlävka Halfter, vgl. bulg. oglavnik Strick zum Anbinden der Pferde.

stegonosa vexillifer (155). Mladen, wohl der Vater des Branko Mladeno- vic und Grossvater des Vuk Brankovid, vorher Zupan in der Nachbarschaft von Ragusa, wird im April 1326 als »vexillifer« des »rex juvenis« Stephan Dusan, des damaligen Mitkönigs seines Vaters Uros III. genannt (Mon.Rag. 5, 203). Radin Dubravcid, »vexillifer« oder Vojvode des Zupan Nikola Altoma- novic, verheerte 1370 mit den Truppen seines Herrn das Gebiet von Ragusa (Buum vexilliferum sive voyvodam, Mon. Rag. 4, 121).

vlastelicic ist, ebenso wie vlastelin, ein auf Serbien und Bosnien be- schränkter Terminus. Beide sind vom Verbum BAd;i,OY, KAdCTH entstan- den, ganz analog dem griech. agxcof von aoxeiu. Das Patronymicon »vlasteli- cic« setzt ein Substantiv vlastelica voraus, das in den serb. Annalen zu 1459 (Glasnik 53, 94) vorkommt. Im XIII. Jahrh. war in Serbien auch das fremde holjarin bekannt. Die Inschrift von Zica (Mon. serb. 14 15] kennt nur vlastele und vojnici, von denen die ersten bei eigenmächtiger Ehescheidung 6, die letzteren 2 Pferde als Strafe zu zahlen haben. Aus diesen milites (vojnik) der älteren Zeit mag sich der niedere Adel der Vlastelicici entwickelt haben. Mit den Vlastelicidi scheinen die zentilotti der Umgebung von Ragusa identisch zu sein. Nach der Uebernahme von Primorje (Terre nove) 1399 beschloss der grosse Rath von Ragusa mit 77 von 81 Stimmen, den cintiloti des neuerworbe- nen Gebietes kundzumachen, dass sie auszuwandern haben, wenn nicht Je- mand von ihnen sich selbst zum unterthanen Bauern eines Ragusaners degra- diren will, »contentatur remanere in dictis terris pro vilano et se condemnare esse hominem alicuius nostrorum ciuium, habencium partem in ipsis terris«; wer auf seinem Boden einen »gintilotus« gegen diese »ordines« halten würde, zahlt 50 Perper Strafe und muss ihn aus seiner »pars« vertreiben (Liber Vi- ridis cap. 96).

Zagorije. Die Erwähnung der Dörfer der meropsi (Colonen) des Garen »po Zagoriju«, in denen die Bauern der angrenzenden metochia {ueroxcoy), der Klosterdörfer zu keinen Diensten (rabota) auf Aeckern und Weinbergen herangezogen werden dürfen (Art. 34), stammt wohl aus einer Urkunde. No- vakovic (S. 168) erklärt Zagorije als das Limgebiet und stellt es mit den Igu- menen von Zabrdije in der Stiftungsurkunde des Klosters von Prizren zusam- men. Vgl. die Burg »Bichor in Zagorije« in den serb. Annalen zu 1455 (Glasnik 53,91), über deren Lage (bei Bijelopolje am Lim) Novakoviö in der Godisnjica 4, 323 f. geschrieben hat.

Wien, Weihnachten 1899. C. Jirecek.

215

Das ragusanisclie Liederbuch aus dem Jahre 1507.

Ich wiU so die bekannte Handschrift nennen, welche in der Gym- nasialbibliothek von Zara aufbewahrt wird und im J. 1507 (wahrschein- lich auch später) von dem ragusanischen Edelmann Niksa Ranina ge- schrieben wurde (vgl. Stari pisci 11, rv. xii). Bisher glaubte man allgemein, dass sie (mit Ausnahme von einem, höchstens zwei Liedern) lauter Gedichte der beiden ältesten ragusanischen Dichter Sisko Mencetic und Gore Drzic enthalte. Zweck dieser Zeilen ist zu zeigen, dass dies nicht so sicher ist. Zunächst sei erwähnt, dass die Handschrift selbst nirgends den Inhalt als die Werke dieser beiden Dichter angibt; nur ein Paar Mal wird von alter Hand (aber nicht von derselben , von welcher die Handschrift geschrieben wurde [ib. S. xv] ) neben einigen Liedern bemerkt: y)gjorino«. oder ytgjore«. (vergl. Stari pisci II, 388. 395), um sie als Eigenthum des Gore Drzic zu bezeichnen. Dass man es aber wirklich mit Liedern des Mencetic und des Drzic zu tliun hat, weiss man erstens aus anderen Handschriften, wo der grössere Theil der im Liederbuche enthaltenen Lieder unter dem Namen der beiden Dichter erscheint, dann aber noch sicherer aus dem Umstände, dass viele Lieder Akrosticha enthalten, die den Namen des einen oder des anderen Dich- ters zeigen. Somit war gewiss die Vermuthung vollkommen berechtigt, dass auch alle übrigen Gedichte, die in keiner den Namen des Mencetic oder Drzic tragenden Handschrift erscheinen, ebenfalls ihnen ange- hören. Doch ein Lied, welches von einer anderen Hand ins Liederbuch eingetragen wurde, wird in der Aufschrift ausdrücklich dem Marin Kristicevic zugeschrieben (vgl. Stari pisci II, xv), dann wurde vom Herausgeber der Gedichte Mencetic's und Drzic's, Prof. Jagic, in den Nachträgen darauf aufmerksam gemacht (Stari pisci U, 521), dass das dort auf S. 472. 473 abgedruckte Lied mit dem Akrostich Lukretia Romana vollständig in der Haupthandschrift der lyrischen Gedichte des M. Vetranic mit dem Akrostich Lukretia Romana uhode sama sehe (abgedruckt in Stari pisci HI, 200. 201) vorkommt. In dieser letzteren Handschrift findet sich gleich nach dem soeben erwähnten Liede ein

216 M. Resetar,

zweites, das das Akrostich Kasandra Trojana oj'me ne hi cuvenajaoh Trojanom vazda trägt (ib. 201 204). Deswegen war auch Jagic ge- neigt, beide Stücke dem Mencetic zuzuschreiben (Arch. V, 90). Dies dürfte aber schwer der Fall sein, denn zunächst enthält die in Be- tracht kommende Handschrift des Vetranic ausschliesslich solche Ge- dichte, als deren Autor Vetranic mit Sicherheit gelten kann; dann aber sticht auch der moraldidaktische Inhalt dieser beiden Lieder allzusehr von den Liebesliedern des Mencetic oder Drzic ab, endlich finden wir in beiden Liedern die für Vetranic so sehr charakteristische Wiederholung im Anfange des Verses: a zatoj\ a zatoj (Vers 45) im ersten Liede, vratite, vratite (V. 51), sowie najlise, najlise (V. 77) im zweiten Liede. Ich glaube daher, dass das im Liederbuche enthaltene Fragment des ersten Liedes wirklich dem Vetranic gehört. Endlich zeige ich an einer anderen Stelle (S. 231), dass im Liederbuche auch zwei Lieder enthalten sind, welche in der zweiten Hälfte des XVI. Jahrh. dem A. Cubranovic zugeschrieben wurden. Wir müssen uns daher die Frage stellen, ob in unserem Liederbuche nicht vielleicht noch andere Lieder weder dem Mencetid noch dem Drzid angehören. Diese Vermuthung wird durch die Art und Weise, wie das Liederbuch zusammengesetzt wurde, bekräftigt. Das Liederbuch, im Ganzen 820 Nummern enthaltend, besteht näm- lich aus zwei deutlich abgegrenzten Theilen. Der erste Theil umfasst die ersten 610 Lieder, welche in alphabetischer Ordnung nach dem Anfangsbuchstaben des ersten Wortes gereiht sind. In dieser letzteren Beziehung sind Ausnahmen sehr selten. In der iT/-Gruppe (Nr. 243 290) weicht ab Nr. 281 (S. 97) i), ein Distichon, das mit ne beginnt; doch dies scheint ein Fragment zu sein, denn es wurde später von Ra- nina am Ende von Nr. 145 (S. 5) noch einmal geschrieben. Auch in der 0-Gruppe (Nr. 328 378) macht zunächst eine Ausnahme ebenfalls ein Distichon, Nr. 372 (S. 503), mit u als Anfangswort, das sich als Fragment schon durch das Um »also« des ersten Verses kundgibt. Dagegen ein vollständiges Lied ist in dieser letzteren Gruppe Nr. 370 mit dem Anfang moj boze, eine Doublette zu Nr. 246 (S. 130), wo das Lied (in der M- Gruppe) auf seinem Platze ist. In der /-Gruppe (Nr. 219 240) endlich kommt als Nr. 237 (vgl. S. 520 in den Nachträgen) ein vierzeiliges

1) Um das Nachschlagen zu erleichtern, citire ich neben jeder Nummer des Liederbuches die Seite, wo das betreffende Lied in Sfari pisci II abge- druckt wurde, da Jagiö für die Ausgabe eine eigene Eintheilung der Lieder durchführte.

Das ragusanische Liederbuch aus dem Jahre 1507. 217

Fragment aus dem auf S. 300 301 abgedruckten Liede, wo vielleicht das Anfangswort er einfach in jer zu ändern ist. Im zweiten Theil (Nr. 611 820) ist die alphabetische Anordnung nur insofern durch- geführt, als sich im Anfang einige Gruppen von dasselbe Akrostichon aufweisenden Liedern ergeben. Die drei ersten Lieder (Nr. 611 613) gehören noch nicht hierher, aber Nr. 614 617 (4 Lieder) haben als Akrostichon Faja, Nr. 618—620 (3 Lieder) Luja, Nr. 621—064 (44 Lieder) Kata,, Nr. 665 668 (4 Lieder) Anica. In den darauffolgen- den Stücken ist irgend welche Anordnung der Lieder nicht zu bemer- ken; selten hat man nebeneinander zwei Lieder mit demselben Anfangs- buchstaben: Nr. 673 und 674, sowie 813 und 814 mit C, Nr. 687 und 688 mit S^ Nr. 699 und 700, sowie 709 und 710, dann 785 und 786 mit 3/, Nr. 713 und 714 mit 0, Nr. 735 und 736, sowie 793 und 794 mit P, Nr. 760 und 761, sowie 787 und 788 mit iV, Nr. 765 und 766 mit G, Nr. 804 und 805 mit A\ noch seltener sind Gruppen von je 3 Liedern: Nr. 716 718 mit *S', dann Nr. 11 Q— 111 mit P; alle diese kleinen Gruppen können aber nur durch Zufall entstanden sein.

Die verschiedene Anordnung der Lieder zeigt also, dass wir im Liederbuche thatsächlich zwei verschiedene Theile vor uns haben. Dies bestätigt uns der Vergleich des Liederbuches mit den übrigen Hand- schriften, welche Lieder des Mencetic und Drzic enthalten. Für Mencetic kommt in erster Reihe eine vollständige Handschrift der südslavischen Akademie in Agram in Betracht, welche 521 Lieder enthält und gleich im Titel den Mencetic als Autor bezeichnet, für Drzic dagegen zwei unvollständige Handschriften, die fast ganz denselben Inhalt haben und aus derselben Quelle geflossen zu sein scheinen; sie enthalten circa 50 Lieder, und die eine nennt den Drzic als Autor. Alle drei Hand- schriften stammen aus dem Ende des XVII. oder Anfange des XVIII. Jahrh. und stehen mit unserem Liederbuche in keinem direkten Ab- hängigkeitsverhältniss (vgl. Stari pisci II, ix xn). Mit geringen Aus- nahmen finden wir nun alle die in diesen drei Handschriften enthaltenen Lieder auch in dem Liederbuche, und zwar fast ausschliesslich in dem ersten Theil desselben. Allerdings kommen auch im zweiten Theil einige Lieder vor, die sich in der umfangreichen Mencetic'schen Handschrift vorfinden, doch es handelt sich zumeist um solche Stücke, die nicht nur im zweiten, sondern auch im ersten Theil des Liederbuches zu lesen sind, also um Doubletten. Im Ganzen sind es bloss sechs Lieder, welche sich im zweiten Theile des Liederbuches und in der

218 M. Resetar,

Mencetic'schen Handschrift finden, ohne dass ihnen Doubletten im ersten Theil gegenüberstehen (vgl. S. 224). Wie immer nun diese Thatsache zu erklären sei, so spricht jedenfalls auch sie dafür, dass die beiden Theile des Liederbuches verschiedenen Ursprunges sind.

Für den verschiedenen Ursprung der beiden Theile sprechen end- lich entschieden die Akrosticha. Jagic hat im Archiv V, 87 91 ein Verzeichniss aller in Band 11 der Stari pisci vorkommenden Akrosticha gegeben. Wir erfahren daraus, dass Mencetic und Drzic ziemlich häufig ihren eigenen Namen (in der Regel in der Form Sismmido, bezw. Giore, aber auch auf andere verschiedene Weisen) als Akrostichon verwendeten. Von den 108 Liedern (70 bei Mencetic, 38 bei Drzic) '), welche auf diese Weise ihren Autor verrathen, kommt kein einziges im zweiten Theile vor 2). Das ist gewiss auch kein Zufall I Also sowohl mit Rück- sicht auf die alphabetische Anordnung als auch auf die Uebereinstim- mung mit den übrigen Handschriften und auf die den Namen des Men- cetic und Drzic aufweisenden Akrosticha sind wir vollkommen berechtigt, im Liederbuche zwei Theile streng von einander zu scheiden.

Ich will demnach zuerst den ersten Theil in Betracht ziehen. Da die meisten der hier enthaltenen Lieder auch in iI/(so will ich dieMencetic- sche Handschrift bezeichnen) und in D (und so die beiden, inhaltlich fast ganz gleichen Handschriften des Drzic) zu finden sind, da ferner keines von diesen Liedern in irgend einer Handschrift eines anderen Dichters vor- kommt, so können wir mit Recht der (wenn auch spät bezeugten) Tradition glauben und alle die Lieder dieses Theiles als Eigenthum des Mencetic und Drzic betrachten. Somit wäre hier nur noch die Scheidung zwischen den einem jeden der beiden Dichter gehörenden Liedern vorzunehmen. Dies- bezüglich hat Jagic [Stari pisci H, ix) bemerkt, dass in jeder Gruppe, welche von den mit einem und demselben Buchstaben anfangenden Lie- dern gebildet wird, diejenigen Stücke vorausgehen, welche auch in M

') Zum Verzeichnisse der diesbezüglichen Akrostichen imArchiv V, 87fF. sind kleinere Berichtigungen nachzutragen: das Akrostichon Sismundo haben bei Mencetiö auch die Lieder (der gedruckten Ausgabe) II, 9 und III, 36 ; da- gegen II, 7, sowie 11,22 haben als solches die Form Sismondo; bei Drzid haben Nr. 1 und 60 als Akrostichon Gioreta, Nr. 21 Gioreti, Nr. 3 Giooreta.

2) Nur Nr. 769 (S. 479) hat als Akrostichon Vlahusis, worunter Jagic (Arch. V, 90) den Namen F^aÄMsVc vermuthet, der (nur hier!) den slavischen Namen Vlahoviö des Mencetic ersetzen sollte ; die Sache ist möglich, doch gar nicht sicher.

Das ragusanische Liederbuch aus dem Jahre 1507. 210

zu finden sind, während die, welche auch D enthält, nach ihnen folgen, mit einem Worte, dass in jeder Gruppe zuerst die Lieder des Mencetic, dann die des Drzi6 verzeichnet sind. Dass aber J/und D in dieser Be- ziehung glaubwürdige Zeugen sind, geht aus dem Umstände hervor, dass es kein Lied gibt, das sowohl in M als auch in D Aufnahme ge- funden hätte, ferner, dass weder in M ein Lied mit dem Namenakrosti- chon des Drzic, noch umgekehrt in D ein solches mit dem Namen- akrostichon des Mencetic zu finden ist. Insofern nun die Lieder dieses Theiles auch in J/, bezw. D enthalten sind, sehen wir thatsächlich, dass bei jedem Buchstaben zuerst Lieder, welche mit 3/, dann solche, welche mit D übereinstimmen, aufeinander folgen. Eine Ausnahme finden wir nur bei den Buchstaben D und M: in der Z>-Gruppe (Nr. 140 170) steht an erster Stelle Nr. 140 (S. 348), das auch in D zu lesen ist; in ähnlicher Weise finden wir in der M-Grnppe (Nr. 243 290) nach 3 7 Liedern, die alle auch in 3/ vorkommen, Nr. 280 (S. 362), das auch in D enthalten ist, und dann wiederum 4 Lieder aus M. Wie diese Aus- nahmen zu erklären sind, ist schwer zu sagen, doch die Verlässlichkeit von Jf und D bewährt sich gerade hier aufs Beste, denn die beiden Lieder, welche im Liederbuche zwischen Mencetic'schen Stücken ein- gestreut sind und durch D als dem Drzic gehörig nachgewiesen werden, enthalten thatsächlich das Namenakrostichon des Drzic [Giooreta, bezw. Gioreta). Weniger ins Gewicht fällt der Umstand, dass in der ^-Gruppe Nr. 30, ein vierzeiliges Fragment aus dem langen Mencetic'- schen Liede Nr. 447 (S. 273—281), hinter Nr. 29 (S. 402) steht, welch' letzteres wegen des Akrostichons [Giore Dir so) ganz bestimmt dem Drzic gehört.

Leider reichen M und D nicht aus, um die Autorschaft aller im ersten Theil enthaltenen Lieder sicher feststellen zu können, denn bei jeder Gruppe bleiben mehr oder weniger Stücke, deren Autor weder durch M oder D, noch durch Namenakrosticha direkt bezeugt werden kann. Welchem der beiden Dichter gehören also die weder in M noch in D belegbaren Lieder dieses ersten Theiles? Ich glaube, dass diese Frage ziemlich sicher beantwortet werden kann. Zunächst muss man berücksichtigen, dass Jfeine vollständige, D dagegen eine am An- fang und am Ende unvollständige Sammlung ist. Zweitens finden wir unter diesen »unbelegten« Liedern nicht weniger als 14, die das Namenakrostichon des Drzic haben, nämlich Nr. 29 (S. 402), 198 (S.384), 199(8.386), 200 (S. 387), 202 (S. 388), 212—216 (S.391 bis

220 ^- Resetar,

393), 371 (S. 395), 377 (S. 395), 556 (S. 396) und 605 (S. 397); mit dem Akrostichon des Mencetic ist dagegen kein Lied vorhanden. Aber auch sonst kann man das Verhältniss zu den Akrostichen mit Nutzen heranziehen : Mencetic verwendet in seinen durch M belegten Liedern neben seinem Namen ziemlich oft auch andere (Frauen-) Namen und einzelne Wörter als Akrosticha, Drzic dagegen hat in den durch D als sein Eigenthum erwiesenen Stücken kein anderes Akrostichon als seinen eigenen Namen; in den unbelegten Liedern finden wir nun ausser dem Namen Drzid's kein einziges Akrostichon. Ferner ist darauf zu achten, dass die Mehrzahl dieser unbelegten Lieder hinter oder zwischen solchen Liedern sich befinden, die sei es durch D oder durch das Namen- akrostichon des Drzic als sicheres Eigenthum dieses Dichters bezeichnet werden. Viel seltener tritt dagegen der Fall ein, dass irgend ein unbe- legtes Lied zwischen solchen Liedern sich befindet, die auch in M ent- halten sind; es gehören hierher Nr. 133 (S. 407) zwischen Nr. 132 (S. 244) und Nr. 134 (S. 224), dann Nr. 573 (S. 175) zwischen Nr. 572 (S. 21) und Nr. 574 (S. 114), endlich Nr. 594 (S. 493) zwischen Nr. 593 (S. 128) und Nr. 595 (S. 220). Zweifelhaft ist es, ob man hierher auch die Gruppe Nr. 364—369 (S. 413, 503, 414, 415, 415, 414) rechnen soll, welche zwischen Nr. 363 (S. 67) und Nr. 370 steht, da wie oben gezeigt wurde dieses letztere Mencetic'sche Lied eine Doublette zu Nr. 246 (S. 130) ist, welche mit den Worten moj hoze anfangend nur irrthümlich auf diesen Platz (in die 0-Gruppe) gekommen ist. Ebenso- wenig sicher ist das Zeugniss, welches durch zwei Fragmente aus Men- cetic'schen Liedern gegeben wird, nämlich durch das schon erwähnte Nr. 237 (S. 520) und Nr. 547 (S. 275) mit 4 Versen aus Nr. 447 (S. 273 bis 281) ; zwischen dem ersteren Fragment und Nr. 233 (S.79), das sicher dem Mencetic gehört, finden sich die drei unbelegten Lieder Nr. 234 (S.503), 235 (S.394) und 236 (S.507) und zwischen dem zweiten Frag- ment und dem Mencetic'schen Liede Nr. 545 (S. 159) findet sich das un- belegte Nr. 546 (S. 504). Man sieht also, dass nur die drei ersten Lieder (Nr. 133, 573, 594) eine genügend gesicherte Stellung zwischen echten Mencetic'schen Liedern haben. Wenn man nun dies alles erwägt, so glaube ich, dass mit Ausnahme etwa der soeben erwähnten drei Lieder alle diejenigen Lieder, welche im ersten Theile des Lieder- buches enthalten sind und weder in M noch in D vorkommen, dem Dr^ic gehören ; eine Ausnahme könnte man nur da machen, wo dies aus irgend einem Grunde noth wendig wäre. Deswegen möchte ich, ausser

Das ragusanische Liederbuch aus dem Jahre 1507. 221

den von Jagic dem Drzi(5 zugewiesenen Stücken'), ihm noch folgende Lieder zuschreiben, deren Autorschaft in der Ausgabe unbestimmt ge- lassen oder dem Mencetic zugesprochen wurde, und zwar: a) Lieder, welche im Liederbuche hinter einem durch D oder durch das Namen- akrostichon des Biii6 beglaubigten Liede stehen: Nr. 31 (S. 503), 193 (S. 408), 201 (S. 85), 327(8.146), 376(8.504), 555(8.333), 559 (8.194), 610 (8.422); b) Lieder, die nach den für Mencetic und vor den für Drzid beglaubigten Liedern stehen: Nr. 40 (8. 298), 166—168 (8.505—506), 286 (8.503), 287 (8.325), 323 (8. 185), 324 (8.508), 427 (8. 176), 428 (8. 183), 548 (8. 497), 599 (8. 127), 601 (8. 78) und 603 (8.508).

Ich will nun kurz das Verhältniss dieses Theiles des Liederbuches zur Handschrift M besprechen. Vor allem ist zu konstatiren, dass M 27 Lieder hat, welche im Liederbuche fehlen (abgedruckt in der Aus- gabe auf 8. 73, 84, 91, 121, 139, 160, 164, 165, 228, 236, 288, 300, 303, 311, 336, 338, 339—344; vgl. Stari pisci II, ix. x). Welche Lieder wiederum im Liederbuche vielleicht dem Mencetic gehören, ohne dass dieselben auch in M enthalten wären, wurde auf 8. 220 gezeigt. Jedenfalls deckt sich der Umfang der beiden Sammlungen Mencetic'scher Lieder sehr gut, da bei einem Bestände von über 500 Stücken bloss circa 30 nur in einer der beiden Sammlungen erhalten sind. Viel wichtiger ist aber das Verhältniss der beiden Sammlungen in Bezug auf die Reihen- folge der einzelnen Lieder. Es stellt sich nämlich heraus, dass die Lie- der zwar anders gruppirt sind, aber im Grossen und Ganzen die- selbe Reihenfolge haben. Um dies aber zu erklären, muss ich bemerken, dass M ebenfalls aus zwei Theilen besteht ; der erste zählt 375 Nummern unter dem Titel »Incipiunt Sigismundi Mensii patritii Ra- gusini carmina«, der zweite (mit selbständiger Pagination) trägt den Titel »Eiusdem Sigismundi Simeonis Mensii patritii Rhacusani filii carminum libri treis« und ist thatsächlich in drei Bücher eingetheilt (48 -f- 4 7 + 5 1 Nummern enthaltend). Das Merkwürdige dabei ist, dass in der Regel in jeder (Buchstaben-) Gruppe des Liederbuches zuerst solche Lieder kommen, die im ersten Theil, darauf solche, die im zweiten Theil von M enthalten sind, und zwar regelmässig in derselben

1) Es sei hier erwähnt, dass Nr. 374 und 434 (beide auf S. 416) in i> (und zwar in der Handschrift, welche Jagid durch puc. bezeichnet) thatsächlich vorkommen als Nr. 22 und 24 (nach richtiger Zählung der in der Handschrift nicht numerirten Lieder).

222 M. Resetar,

Reihenfolge ; die Lieder, welche auch in den »drei Büchern« von M zu lesen sind, sind allerdings unter sich vermischt, aber die einem jeden Buch entsprechenden Lieder folgen im Liederbuche in der Regel nach derselben Ordnung wie in M. Ich will dies an der -4-Gruppe illustriren : das Liederbuch hat in dieser Gruppe unter Nr. 1 27 27 Lieder, die auch M hat ; die ersten 1 7 Lieder entsprechen ebensovielen Nummern im ersten Theil von 3/, und zwar den Nummern 2, 21, 34, 35, 46, 52, 82, 124, 132, 138, 151, 206, 252, 265, 359, 297, 368, also man braucht nur das vor- und drittletzte umzustellen, um ganz dieselbe Reihenfolge zu bekommen. Es folgen dann im Liederbuche 7 Stücke, die im IL Theile von 1/ vorkommen, und zwar als Nr. II, 9. I, 21. II, 14. III, 11. III, 18. II, 23. III, 38, also im Rahmen eines jeden Buches wiederum dieselbe Reihenfolge: II, 9. 14. 23. III, 1 1. 18. Die drei letzten Lieder stimmen nicht mehr überein, denn Nr. 2 5 des Liederbuches ist = 3/371, Nr. 26 = i¥II, 35, Nr. 27 = Jf 3 11 ; Nr. 25 u. 27 stehen also in M'wa ersten Theil, Nr. 25 ausserdem ausser seiner Reihenfolge, dagegen reiht sich Nr. 2 6 = MW. 35 gut in das Gefüge. Es wäre überflüssig, wenn ich hier das gegenseitige Verhältniss der beiden Sammlungen darstellen wollte; es gentigt zu erwähnen, dass auch bei den grösseren Gruppen die Ausnahmen wirklich selten sind ; so z. B. zählt die C-Gruppe eine ununterbrochene Reihe von 90 Liedern des Mencetic, welchen folgende Nummern in M entsprechen (die abweichenden Zahlen sind fett gedruckt!): M 1. 18. 23. 24. 37. 38. 119. 145. 184. 190. 192. 198. 178. 181. 215. 253. 255. 262. 269. 273. 275. 281. 221. 295. 296. 362. 366. I, 1. U, 3. 4.

I, 5. 12. 14. M 372. II, 8. 11. I, 16. 17. 15. 20. II, 15. 17. 18. I, 23.

II, 19. III, 12. II, 20. III, 13. II, 21. m, 14. n, 22. I, 24. 25. 26.

III, 22. U, 25. 26. I, 30. II, 28. 29. lU, 29. 30. I, 33. UI, 31. 32. 33. M 369. m, 34. II, 30. I, 35. 34. 36. 39. III, 35. I, 40. 41. 42. UI, 36. II, 32. 33. 34. 36. 37 (doppelt). 38. 39. 41. III, 39. I, 45. II, 40. Es steht somit fest, dass das Liederbuch und 31 dieselbe Reihenfolge der einzelnen Lieder aufweisen, mit der einen principiellen Abweichung, dass die üebereinstimmung des Liederbuches mit dem zweiten Theil von M nur in Bezug auf jedes der drei Bücher für sich genommen gilt. Die Thatsache, dass M auf einer Anordnung der Mencetic'schen Lieder be- ruht, die schon im J. 1507 feststand, lässt den Werth dieser Handschrift, welche wegen des ungemein korrekten Textes von Jagic mit Recht als Grundlage für die Ausgabe genommen wurde, noch höher erscheinen. Ja, es ist a priori anzunehmen, dass J/die ursprüngliche Anordnung

Das ragusaniache Liederbweh aus dem Jahre 1507. 223

der Mencetic'schen Lieder erhalten hat, und dass erst später, jedenfalls aber vor 1507, diese letzteren in ein alphabetisch geordnetes caiizoniere gebracht wurden, in welches eventuell zu gleicher Zeit auch die Lieder des Drzic Aufnahme fanden. Schwierigkeiten macht nur das auffallende Verhältniss des zweiten Theiles von M zum Liederbuche. Würde auch dieser zweite Theil von M die ursprüngliche Anordnung der Lieder bei- behalten haben, so würde die Reihenfolge der den einzelnen (Buch- staben-) Gruppen des Liederbuches angehörenden Lieder mit der Reihenfolge im IL Theile von M ebenso übei'einstimmen, wie dies im ersten Theil von M der Fall ist. Deswegen muss man annehmen, dass es ursprünglich zwei selbständige Sammlungen von Liedern des Mencetic gegeben habe, welche später zu einem alphabetisch geordneten Corpus, das in unserem Liederbuche vorliegt, vereinigt wurden. Eine dieser beiden Sammlungen erhielt sich im L Theile von M unverändert, da- gegen beruht der U. Theil von M auf einer solchen Redaktion der zwei- ten Sammlung, in welcher die einzelnen Lieder nach gewissen Gesichts- punkten, in erster Reihe wohl nach dem Inhalte, in drei verschiedene Bücher eingetheilt worden waren. Wahrscheinlich wurde gleichzeitig auch die erste Sammlung auf dieselbe Weise in 3 Bücher eingetheilt, denn eine solche 3 -f- 3 Bücher enthaltende Redaktion der Lieder Men- cetic's war den ragusanischen Literarhistorikern aus der ersten Hälfte des XVIII. Jahrh. bekannt, da sie ausdrücklich von sechs Büchern erotischer Lieder des Mencetic sprechen [Sfari pisciU, viii). Diese in 6 Bücher eingetheilte Sammlung der Gedichte Mencetic's dürfte aber ungefähr denselben Umfang wie ilf und unser Liederbuch gehabt haben; der Lexikograph Della Bella hat sie nämlich für sein (im J. 1728 er- schienenes) Wörterbuch benützt und einzelne Verse aus dreissig verschie- denen Liedern citirt, die alle in M und mit Ausnahme eines einzigen (S. 340) auch im Liederbuche, und zwar durchwegs in dessen erstem Theil, vorkommen.

Ziemlich gut stimmt in Bezug auf die Reihenfolge der einzelnen Lieder unser Liederbuch auch mit Düberein, obschon auch hier Ausnahmen vorkommen. So haben wir in der (r-Gruppe folgende Reihe: Nr. 192 (eineDoublette vonNr. 207) = Z>28, 196=1, 197 = 33,203 = 13, 204 = 19, 205 = 26, 206 = 27, 207 = 28, 208 = 29, 209 = 38, 210 = 35, 211 = 40. Nur in der ^S-Gruppe ist gar keine Ueberein- stimmung vorhanden, denn es folgen aufeinander Nr. 549 = Z) 8, 551 = 46, 553 = 39, 554 = 6, 557 = 16, 558 = 42. D scheint eben-

224 M. Resetar,

falls eine reichhaltigere Sammlung Drzic'scher Lieder vorauszusetzen, denn Nr. 11 und 47 (beiden Liedern fehlt der Anfang!) sind in unserem Liederbuche nicht vorhanden. Höchst wahrscheinlich ist auch in D die ursprüngliche Anordnung der Lieder Drzic's erhalten, die in unserem Liederbuche zu Gunsten der alphabetischen aufgegeben werden musste. Während wir also für den ersten Theil des Liederbuches in M und D zwei verlässliche Zeugen für die Autorschaft und den ursprünglichen Bestand der Liedersammlungen beider Dichter haben, fehlt uns leider eine solche Hilfe für den zweiten Theil. Daher ist hier wohl zuerst die Frage aufzuwerfen, wem gehören eigentlich diese Lieder? Am natür- lichsten ist es zu denken, dass auch diese Lieder von Mencetic und Drziö herrühren wie die des ersten Theiles. Thatsächlich finden wir im zwei- ten Theil mehrere Lieder, die gewiss diesen beiden Dichtern gehören. Zumeist handelt es sich um Doubletten oder um Bruchstücke aus Liedern des L Theiles, so ist Nr. 679 = Nr. 398 (S. 113); 718 = 499 (S. 123); 796 = 255 (S. 29); 803 = 564 (S. 297) + 292 (S. 164); 815 = 382 (S. 38); 716 = 29, Vers 53— 56 (S. 404); 719 = 56, V. 1—2 (S. 134); 755 = 40, V. 3—4. 7—8 (S. 298) + 2 Verse im Anfange; 806 = 447, V.41— 46 (S.274); 814 = 72, V. 1— 16 (S.268), endlich 680, V. 13—24 ist = 222 (S. 144). Alle diese Lieder, von welchen Doubletten im IL Theil erhalten sind, gehören sicher dem Mencetic, denn sie finden sich alle in M\ nur Nr. 716 ist ein Bruchstück aus einem durch das Akrostichon als sicheres Eigenthum des Drzid erwiesenen Lied. Aber es gibt im H. Theile auch solche Stücke, die im ersten zwar nicht vor- kommen, wohl aber in Jf, so dass auch an ihrer Echtheit kaum zu zwei- feln ist; es sind dies Nr. 684 = Jf HI, 19 (S. 168); 721 = Jf 290 (S. 227); 753 = Jfl94 (S. 48); 754 = M 197 (S. 183); 816 = iJf 55 (S. 10) und 817 =ilf 76 (S. 38). Ausserdem führt der bekannte Dichter und Historiker J. Giorgi in seinem Werke »Vitae et carmina nonnullo- rum illustrium civium Ehacusinorum« (neben Nr. 114 [S. 57]) auch die beiden Lieder Nr. 633 (S. 51) und 635 (S. 50) unter dem Namen des Mencetic an. Wahrscheinlich diesem Beispiele folgend führt dann auch eine junge Handschrift der Franziskanerbibliothek in Ragusa unter dem Titel »Piesni Sciscka Menze Vlas. Dubr.« dieselben 3 Lieder und noch dazu an vierter und letzter Stelle Nr. 622 (S. 129) an. Ebenso hat der- selbe Giorgi dem Drzic ein poema de castitate zugeschrieben, als wel- ches Jagic mit Recht das mit dem Titel »De sup. capitulo de la chastitä« versehene Gedicht Nr. 613 (S. 437 440) ansieht; endlich hat Appeu-

Das ragusanische Liederbuch aus dem Jahre 1 507. 225

dini die unter Nr. 740 (S. 441 448) erhaltene dramatische Scene als ein Werk des Drzic bezeichnet.

Es steht somit fest, dass es auch im II. Theil unseres Liederbuches Lieder des Mencetic und Drzic gibt, wie uns dies viel sicherer als die sehr mangelhaft unterrichteten Literarhistoriker des XVIII. Jahrh. die Doubletten aus dem I. Theile und M beweisen. Doch, genügt dies, um deswegen alle Lieder des II. Theiles als ein Eigen thum des Mencetic und Drzid zu erklären? Ich glaube nicht, um so mehr, als wir gute Gründe haben, um dies zu bezweifeln. Zuerst finden sich in diesem Theile des Liederbuches die schon erwähnten Lieder, welche sicher oder muthmasslich anderen Autoren angehören, nämlich unter Nr. 702 (S. 519) das Lied des M.Kristicevic, unter Nr. 745 (S. 472) das Lied mit dem Akrostichon Xwcre^mi^omawa, welches vollständig bei M. Vetranic vorkommt, und unter Nr. 645 (S. 53) und 655 (S. 95) die beiden dem A. Cubranovic zugeschriebenen Lieder (vgl. hier S. 231). Dass der Name eines anderen Dichters im Liederbuche nur beim Gedicht des Kristicevic verzeichnet ist, hat nichts zu bedeuten, denn der Schreiber der Handschrift, N. Ranina, hat überhaupt keine Namen von Dichtern geschrieben, und die Ausnahme in Bezug auf dieses eine Lied rührt da- her, dass dasselbe von einer anderen Hand eingetragen wurde [Start pisci 11, xv) . Dagegen ist eine grosse Bedeutung dem schon hervor- gehobenen Umstände zuzusprechen, dass nicht ein einziges Lied in die- sem IL Theile das Namenakrostichon des Mencetic oder Drzic trägt, obschon sowohl der eine als auch der andere Dichter einen so aus- giebigen Gebrauch davon in ihren echten Liedern machen. Beson- ders belehrend sind die mit dem Buchstaben *S' anfangenden Lieder : es gibt im IL Theil deren 20, und kein einziges zeigt das Akrostichon Sismundo; dagegen im I. Theil unter genau 100 Liedern der *S'-Gruppe, die von Mencetic sind, haben nicht weniger als 66 dieses Akrostichon. Das Vorkommen fremder Elemente und besonders das Fehlen der Namen- akrosticha der beiden Dichter mahnt also zu grosser Vorsicht, umsomehr als sich einige Worte in dem von N. Naleskovic für den Schreiber un- seres Liederbuches verfassten Epitaph so auslegen lassen, als ob N. Ra- nina Lieder mehrerer Dichter gesammelt hätte ; die ersten 4 Verse lauten nämlich so: »Placite u suze svi, ki ste spijevali, pokli vam smrt uze, kijem se ste vi znali, ki trude sve vase i slavne luvezni najedno kuplase slozene u pjesni {Start pisci V, 344)«. Ich will da- mit nicht sagen, dass diese Worte des Naleskovic gerade auf unser Lie-

Archiv für slavische Philologie XXn. 15

226 M. Resetar,

derbuch sich beziehen (obschon dasselbe dem Naleskovic als einem guten Freunde des N. Ranina bekannt sein konnte), aber sie zeigen jedenfalls, dass Ranina thatsächlich die trude i slavtie luvezni der Dichter seiner Zeit najedno kuplase, d, i. zusammensammelte.

Deswegen, glaube ich, ist die Frage über die Autorschaft der im II. Theil unseres Liederbuches enthaltenen Gedichte als eine offene zu betrachten, da speciell von Mencetic nicht viel verloren gegangen sein dürfte, nachdem alle drei Redaktionen seiner Liedersammlung (Lieder- buch, iü, Redaktion in 6 Bücher) ungefähr denselben Umfang gehabt haben dürften. Besonders wichtig wäre es, die Autorschaft von Nr. 614 bis 670 zu konstatiren, die eine ununterbrochene Reihe von 57 Liedern durchwegs mit Frauennamen als Akrosticha bilden. Aehnliche Akro- stichen kommen allerdings auch sonst in dem II. Theile vor, doch ziem- lich selten und ganz vereinzelt. Es ist daher die Vermuthung wohl be- rechtigt, dass diese 57 Lieder eine besondere Abtheilung im II. Theile bilden, die vielleicht auch ^inen Autor voraussetzt. Und da ist es sehr wichtig, dass die zwei dem Cubranovid zugewiesenen Lieder zu dieser Abtheilung gehören. Allerdings auch zwei von Giorgi als Lieder des Mencetic bezeichnete Lieder sind darunter zu finden, nämlich die oben erwähnten Nr. 633 und 635, aber Giorgi war unser Liederbuch bekannt, und er benützte es (vgl. Stari piscill, \i], so dass vielleicht auch er keinen weiteren Beweis für die Autorschaft der beiden Lieder hatte. Doch auch Nr. 622 wird, wie oben erwähnt, in einer ragusanischen Handschrift ebenfalls dem Mencetic zugeschrieben. Was mir aber die Sache weniger sicher erscheinen lässt, sind wiederum die Akrosticha. In der in Rede stehenden Abtheilung haben wir zuerst 4 Lieder mit dem Akrostichon Pq/a, dann 3 mit Luj'a, sodann 44 mit Kata, endlich 4 mit A?iica und je 1 mit Jela und Nikica. Frauennamen als Akrosticha ver- wendet nun nicht selten auch Mencetic, doch darunter kommen weder Paja noch Luja vor, und auch für Atiica haben wir Parallelen nur in Anka Nr. 16 (S. 222) und Anuhlica Nr. 18 (S. 205); Jela ist überhaupt nur durch dies eine Beispiel vertreten, ebenso die Form Nikica^ wäh- rend Mencetic Nika, Nikhta und Nikoletica hat. Dagegen ist Kata auch bei Mencetic ein sehr häufiges Akrostichon i) ; die Art und Weise

^ Aus dem im Archiv V, 88 gegebenen Verzeichnisse haben zu entfallen II, 7. 9. III, 36. VI, 2; in V, 56 lautet das Akrostichon Kato und in IV, 65 ist er verdoppelt [Kata + Kata).

Das ragusanische Liederbuch aus dem Jahre 1507. 227

aber, wie in dieser Abtheilung des IL Theiles dasselbe gebildet wird, scheint dafür zu sprechen, dass die ganze Abtheilung oder wenigstens mehrere Lieder darunter nicht von Mencetid ist. In den 56 Fällen nämlich, wo Men^etic den Namen Kata als Akrostichon verwendet, ge- braucht er im ersten Vers ein Wort, das mit dem Laut k anfängt (regelmässig mit der Silbe ka-^ seltener ko- und noch seltener ku-) ; eine einzige Ausnahme würde Nr. 58 (S. 290) ergeben, wo an erster Stelle clovice erscheint, doch um bei diesem Liede ein Akrostichon überhaupt zu gewinnen, muss man im dritten Verse zasto in are ändern, was gar nicht nothwendig ist. In der Akrostichen-Abtheihmg des IL Theiles finden wir dagegen, dass nicht selten zur Bildung des Akrostichons Kata bloss der Buchstabe c (nach der alten Orthographie!) genügt, so in Nr. 624 [cudi se), 630 {cini mi\ 637 und 643 [cesa\ 654 [cemerni), 658 (Sud), 661 (cudo), dann 631, 645, 649, 655, 656 und 663, wo überall das Lied mit cudim se anfängt. Ungewöhnlich ist dem Mencetic auch die Anwendung der Lautfolge h- für die Bildung des Akrostichons Kata^ während dieselbe in dieser Abtheilung dazu verwendet wird: Nr. 636 u. 655 [krozac], 639 u. 664 [kralice]^ 646 [kroz tvoju], 651 {kralicam), 659 {kruno), 660 (kral) (vgl. auch in Nr. 674 krunice). Die verschiedene Bildung des Akrostichons Kata ist also ein weiterer Umstand, der darauf hinweist, dass eine grosse Anzahl der im IL Theile erhaltenen Lieder weder von Mencetic noch von Drzic sein könnte. Natürlich, um diese Frage zu lösen, sollte man an erster Stelle den In- halt, die Sprache und den Versbau der echten Mencetic'schen und der echten Drzic'schen Lieder untersuchen, um darauf entscheiden zu können, was man eigentlich im IL Theile dem einen oder dem an- deren dieser beiden Dichter vindiciren kann. Um diese Untersuchung zu erleichtern, will ich in der Reihenfolge des Liederbuches die Seiten angeben, wo sich die Lieder des II. Theiles befinden; es ist eine zeit- raubende und langweilige Arbeit, die ich gerne Anderen, die eventuell die Sache weiter untersuchen wollten, ersparen möchte; nur die Stelle von Nr. 750 und 758 konnte ich in der gedruckten Ausgabe nicht finden. Die Lieder des II.Theiles (Nr. 611 820) finden sich also auf folgenden Seiten: 423, 424, 437; (die 4 Pa/a-Lieder) 58, 56, 44, 96; (3 Luja- Lieder) 205, 107, (Nr. 620) 55; (44 Äa^a-Lieder) 40, 129,-41, 40, 45, 51, 52, 138, 333, (Nr. 630) 50, 148, 41, 51, 42, 50, 130, 149, 139, 181, (Nr. 640) 52, 26, 151, 193, 52, 53, 202, 327, 44, 53, (Nr. 650) 98, 311, 58, 130, 159, 95, 95, 107, 163, 121, (Nr.660) 54, 54, 54, 53,

15*

228 M. Resetar,

25; (4^mca-Lieder)95, 180,26, 96; 74 [Jela)\ 144 (MÄ;«ca) (Nr. 670); 424, 425, 175, 153, 426, 457, 154 (J/a(fa), 428, 113 (= Nr. 398), (Nr. 680) 144 (aus Nr. 222), 427, 460 (= Nr. 693), 109 [Kata], 168 (Nikoleta = MUI, 19), 428,48, 502,398,400; (Nr. 690) 429,429,313, 460 (=Nr.682), 430, 430, 460, 431, 431, 433; (Nr. 700) 461, 462, 519 (Kristicevic), 463, 434, 465, 466 {Fiora), 464, 471, 157 (Mara?)\ (Nr. 710) 157(J/am),471,502, 150,502, 466, 404 (aus Z> Nr. 29), 467, 123 (= Nr. 499), 134 (aus Nr. 56); (Nr. 720) 469, 227 (= ilf 290), 501, 462, 502, 502, 451, 451, 435, 455; (Nr. 730) 458 [Nika), 470, 499, 499, 500, 500, 501, 470, 471, 472 ; (Nr. 740) 441, 432, 501, 469, 472, 472, 473, 494, 151 {Zane?), 474; (Nr. 750, fehlt), 452, 505, 48 (= M 194), 183 (= Jf 197), 298 (aus Nr. 40), 501, 475 (Notit= Ti- ton?), (Nr. 758 fehlt), 476; (Nr. 760) 477 {A¥m = Nika), 475 {Niko- lica), 459, 458 [Niki], 459, 477, 478, 479, 478, 479 {Vlahusis) ; (Nr. 770) 480, 481, 480, 481, 482, 457, 483, 483, 484, 484; (Nr. 780) 485, 504, 459, 502, 487, 454, 488, 488, 490, 491 ; (Nr. 790) 493, 10, 504, 489, 495, 494, 29 (= Nr. 255), 495, 490 {Mada ?), 492 ; (Nr. 800)

495, 462, 497, 297 (= Nr. 564 + 292), 98, 504, 274 (aus Nr. 447), 498 {Peraniko oder Pem + iV^-o ?), 179, 468; (Nr. 810) 498, 474, 152, 497, 268 (aus Nr. 72), 38 (= Nr. 382), 1 0 (= ilf 55), 38 (= 3/76),

496, 334, 336.

Zuletzt möchte ich noch einige Worte über die Art der Entstehung unseres Liederbuches sagen. Vor Allem muss man auf den Umstand aufmerksam machen, dass in dem im Liederbuche enthaltenen Verzeich- nisse der Lieder an der entsprechenden Stelle auch der erste Vers eines Liedes angeführt ist, der im Liederbuche selbst fehlt [St.p. II, 236) ; dies scheint also zu zeigen, dass Ranina eine fertige, höchst wahrscheinlich ebenfalls alphabetisch geordnete, mit einem Lieder- Verzeichnisse ver- sehene Sammlung vor sich hatte, die er bloss abschrieb. In der That könnten wir kaum dem N. Ranina zumuthen, dass er im J. 1507 die ziemlich schwierige Aufgabe des ersten Zusammenstellens eines Lieder- buches hätte ausführen können, denn in diesem Jahre war er, wie wir jetzt durch Prof. Jirecek wissen (Archiv XXI, 494), erst im H.Lebens- jahre. Ueberhaupt, wie die unzähligen sinnlosen Abschreibfehler sowohl in dem Liederbuche als auch in dem von ihm im J. 1508 abgeschriebe- nen Leetionarium beweisen, war er geistig ziemlich beschränkt, so dass er in diesem Alter wohl (vielleicht auf fremde Veranlassung: seine Hand- schrift war nämlich sehr sauber) etwas abschreiben, schwerlich aber

Das ragusanische Liederbuch aus dem Jahre 1507, 229

etwas Selbständiges leisten konnte. Es ist ferner anzunehmen, dass der II.Theil des Liederbuches theilweise auf die Weise entstanden ist, dass der Kompilator desselben noch andere Sammlungen oder einzelne Lieder des Mencetic in die Hände bekam und daraus als Nachtrag zu seiner (im L Theile des Liederbuches vorliegenden) Sammlung alle diejenigen Lie- der in den II.Theil aufnahm, die im I. Theile fehlten oder ihm zu fehlen , schienen. Auf diese Weise erklärt sich besonders das Vorkommen von Bruchstücken, welche aus der Mitte eines Liedes des L Theiles ent- nommen wurden ; da diese Bruchstücke nothwendigerweise einen anderen Vers im Anfange hatten, so nahm er sie als neue Lieder in seine Sammlung auf; so ist auch zu erklären, dass selbst im IL Theile ein Lied zweimal geschrieben ist : Nr. 682 (S. 46 1) kommt gleich darauf auch unter Nr. 693 vor, nur dass an letzterer Stelle die 2 ersten Verse fehlen. Doch es lassen sich nicht alleDoubletten auf diese Weise erklären, denn in manchen Fällen ist der erste Vers gleich (vgl. Nr. 679, 7 18, 796, 8 15). Es ist daher leicht möglich , dass der Kompilator ganz einfach ohne ein Verzeichniss der Anfangsverse arbeitete, das ihm das Auffinden der einzelnen Lieder er- leichtert hätte. Jedenfalls beweisen die nicht unerheblichen Varianten zwischen den in beiden Theilen vorkommenden Liedern, dass sie nicht direkt aus derselben Vorlage geflossen sind, dass also der Kompilator des Liederbuches zwei verschiedene Abschriften eines und desselben Liedes hatte, von welchem er eine im ersten, die andere im zweiten Theile abschrieb. Genaueres wird man aber erst auf Grund einer sorg- fältigen Untersuchung der Handschrift selbst sagen können.

M. Resetar. Nachtrag. Prof. M. Kusar in Zara hatte die grosse Güte, mir eine Abschrift der zwei fehlenden Nummern 750 und 758 zu schicken, wofür ich ihm meinen aufrichtigsten Dank ausspreche. Nr. 758 ist ein Fragment, das nur den einen Vers y)Oci su tvoj'e stril, hojima me vazi- masa enthält und höchst wahrscheinlich in irgend einem Liede steckt. Dagegen ist Nr. 750 ein sehr merkwürdiges Lied! Von derselben Hand wie die ganze Handschrift geschrieben, trägt es die (ebenfalls von N. Ra- nina geschriebene) Aufschrift 3Iavru Veira?ii und stimmt bis auf sehr geringe Abweichungen mit dem Liede überein, das in Stari pisci V, 105. 106 aus einer anderen Handschrift als -»Nadgrohnica Nikoli Dimitro- vicii slozena po D. Mavrii Vetrani Cavcicu(.<^ gedruckt wurde. Dieses Lied ist nun thatsächlich ein Epitaph für einen slavischen Dichter, der den Namen Niko führte (vgl. besonders Vers 15 und 20) ; für Dimitrovic

230 M. Resetar,

•würde dies also stimmen, nicht dagegen für Vetranic, der zwar als Ni- kola getauft wurde, aber seit seinem Eintritt in den Benediktiner-Orden nur den Namen Mavar (Maurns) trug. Deswegen möchte ich sagen, dass in der Aufschrift durch einen (Schreib-) Fehler Mawu Vetratii für Mavra Vetrani steht, dass also das Lied nicht für, sondern, wie die andere Handschrift bezeugt, von Vetranic gedichtet wurde, aber für wen ? Wenn wirklich für Nikola Dimitrovic, welcher nach dem Jänner des J. 1553 gestorben ist (vgl. Stari pisci V, i u. 104), dann konnte auch das Lied nicht vor dieser Zeit entstehen und auch nicht in unser Lieder- buch eingetragen werden ; folglich müssen auch die Lieder sub Nr. 751 bis 820 ebenfalls nach diesem Zeitpunkte abgeschrieben worden sein, so dass dann unser Liederbuch in der Zeit von 1507 bis nach 1553 ent- standen wäre. Es könnte aber auch sein, dass das Epitaph für einen uns nicht weiter bekannten Dichter mit dem Vornamen Niko bestimmt war, der um das J. 1507 starb. Thatsächlich hat sich im Liederbuche selbst die Erinnerung an einen Dichter Namens Niko erhalten: in Nr. 696 (S. 460) spricht eine Frau von einer Blume, die ihr od Nika geschenkt wurde, augenscheinlich hiess Niko der Dichter selbst! Aber auch in Nr. 695 (S. 430) ist der Name Niko beigeschrieben, und in Nr. 807 (S. 498) ist das Akrostichon wahrscheinlich nicht als Pera- nikoj sondern als Pera -j- Niko zu lesen. Sollten das vielleicht Lieder des Nikola Dimitrovic sein? Auch sie befinden sich im 11. Theile des Liederbuches und liefern einen neuen Beweis für die Annahme, dass hier thatsächlich Lieder mehrerer Dichter vorliegen.

Nachtrag zu Dr. M. Medini's Aufsatz über Cubranovic

(S. 69 ff.).

Prof. Jirecek (Archiv XXI, 473) und Dr. Medini (oben auf S. 81) kamen gleichzeitig auf den Gedanken, dass das auf einer »sehr alten« Handschrift der Jeäupka verzeichnete Datum des 20. Juli 1527 der Todestag des Cubranovic sein könnte. Mit Recht hob ferner Dr. Medini das Moment hervor, dass Cubranovic in den poetischen Episteln aus der

Nachtrag zu Dr. M. Medini's Aufsatz über Cubranovic. 231

Mitte und zweiten Hälfte des XVI. Jahrh. nicht erwähnt wird, und zog daraus den Schluss, dass er zu dieser Zeit schon todt war (S. 82). Wenn wir aber dem Dichter Anton Sasin glauben können, so müssen wir sagen, dass Cubranovic schon im J. 1507 als Dichter aufgetreten war. Sasin lebte in der zweiten Hälfte des XVI. Jahrh. (f als alter Mann nach 1593, vgl. Stari pisci XVI, xv) und war ein grosser Verehrer des Cubranovic, den er »slavni Andrija zlatarv. nennt [Stari pisci XVI, 107. 125) und dessen JeStupka er hoch schätzte (ib. 160). Man kann also mit gutem Grunde annehmen, dass dem Sasin überhaupt die Gedichte Cubranovic's gut bekannt waren und dass er sie, wenige Decennien nach dem ver- muthlichen Tode desselben, schwerlich mit fremden verwechselt hätte. Nun finden wir in den beiden Komödien des Sasin Filide und Flora nach dem Prolog jedesmal ein Lied, das, wie es scheint, hinter den Cou- lissen gesungen wurde, also eine musikalische Einlage, und von Sasin ausdrücklich dem Cubranovic zugeschrieben wird : » Ovdi zacnu ove pjesni slavnoga A?idri/e zlataraa (S. 107) und y>Ovdi jiTolog svrsi, a u lugu zacnu ove pjesni slavnoga Andrije zlataraa S. 125, Diese beiden Lieder, die Sasin dem Cubranovic zuschreibt, finden sich aber in der bekannten Handschrift aus dem J. 1507, welche die Lieder des S.Mencetic und G.Drzic enthält, und zwar das erste Lied bei Sasin auf S. 53 und das zweite auf S. 95 des II. Bandes der Stari pisci; die Abweichungen sind sehr geringfügig, nur das zweite Lied bei Sasin ist unvollständig, was wie der übriggelassene freie Raum be- weist — , auf die UnvoUständigkeit der Vorlage zurückzuführen ist. Wenn also Sasin richtig informirt war, so haben wir hier den schlagend- sten Beweis, dass Cubranovic schon im J, 1507, und höchst wahrschein- lich noch früher, als Dichter thätig war i). Dass die beiden in Betracht kommenden Lieder von einem anderen Dichter ausser Mencetid und DrXic herrühren könnten, ist wohl möglich, denn sie kommen in dem- jenigen Theile der Handschrift vom J. 1507 vor, wo auch ein Lied des Marin Kristicevic [Stari pisci II, 519) und die erste Hälfte eines Liedes des Mavar Vetrani Cavcic (ib. 472. 521) vorkommt; diesbezüglich ver- weise ich aber auf den vorausgehenden kleinen Aufsatz »Das rugusa- nische Liederbuch aus dem J. 1507« (S. 215 flf.j.

Als terminus, ante quem Cubranovic's Jedupka entstanden ist, nimmt Dr. Medini den 1. Mai 1556 an, da dieses Datum die Widmung

1) Uebrigens vergl. jetzt den Nachtrag zum vorhergehenden Aufsatz.

232 M. Resetar, Nachtrag zu Dr. M. Medini's Aufsatz über Oubranoviö.

der JeÜJupha trägt, welche von M. Pelegrinovic mit sehr ausgiebiger Be- nützung der Cubranovic'schen zusammengesetzt wurde. In der That aber dürfte die JeÜ^upha des Pelegrinovic beträchtlich älter sein, denn sie wird von F. Hektorovic in dem an M. Pelegrinovic gerichteten Briefe vom 20. Oktober 1557 mit den Worten erwähnt: »U kom gradu [Du- hrovniku) meu stvari ine najdoh se vesel ne malo, kada vidih da je i ondi poznano ime tvoje, jere ispitovan bih dosti za tebe, i vele mi po- hvalena bi Jjubka (wahrscheinlich Druckfehler iüvJej'uhka) tvoja kakono stvar zamirita i izvrsna, kojuno ti nikad u pridna vrimena slozi naredno i upisa [Stari pisci VI, 53)«. Hektorovic war gleich nach Ostern des- selben Jahres in Ragusa und das Datum des Briefes ist vollkommen sicher, denn es ist in der zu Lebzeiten des Dichters (im J. 1568) besorg- ten Ausgabe seines Ribatije in Worten ausgeschrieben [na dvadeset dan miseca oktohra sedmoga godisca od spasenja vrhu tisuca pet sat i petdeset), so dass ein Irrthum ausgeschlossen ist. Wenn also Hek- torovic im J. 1557 von Pelegrinovic's Jedupka als von einem Werke spricht, das »ehemals in älterer Zeit« geschrieben wurde, so kann es unmöglich erst im J. 1556 zu Stande gekommen sein, vielmehr muss man annehmen, dass eine ziemlich lange Reihe von Jahren dazwischen verflossen sei ^). Auch von dieser Seite bekommen wir also eine Bestäti- gung dafür, dass Cubranovic's Thätigkeit vor die Mitte des XVI. Jahr- hunderts fällt.

Ich will zuletzt in Bezug auf das Werk selbst erwähnen, dass in demselben eine beabsichtigte Symmetrie herrscht: die Einleitung be- steht aus 15 Quartinen, die fünf folgenden Lieder aus je 10, das Schluss- lied aber aus 90 (nur die letzte hat noch einen fünften Vers als Ab- schluss) ; man sieht also, dass der Umfang von 1 0 Quartinen das Ein- heitsmass bildet, denn auch die Einleitung umfasst 1 V2 X 10 ^"^^ ^^^ Schlusslied 9X10 Quartinen. Dieses Verhältniss wurde auch von Pelegrinovic erkannt, und so bestehen in seiner Jedupka alle 18 Wahr- sagungen {srece) aus je 10 Quartinen; ja, auch die Einleitung, welche von ihm aus Cubranovic abgeschrieben wurde, ist von ihm auf den Um- fang von 10 X 10 Quartinen ergänzt worden.

1) Die von ^afafik (11, 165) nach Horanyi, Nova Memoria I, 651 erwähnte erste Ausgabe der Jedupka ist nicht im J. 1559, sondern erst im J. 1599 er- schienen ; bei Horanyi steht die richtige Jahreszahl.

M. Resetar.

233

Eine unbekannte Ausgabe von Marulic's De instituiione benevivendi.

Kuknjevic erwähnt (Stari pisci I, lv) als die älteste ihm bekannte Ausgabe dieses Werkes eine von Solingen (Salingiacum) aus dem J. 1511*), welche er aber nicht in den Händen gehabt zu haben scheint ; thatsächlich ist sie weder in Agram noch in Wien vorhanden, so dass als die älteste erhaltene diejenige von Basel aus dem J. 1513 galt. Vor Kurzem ist es mir aber gelungen, eine Venetianer Ausgabe aus dem J. 1506 zu finden. Dieselbe ist in kl.-80 (15c»iHöhe, 10"3 cmBreite) mit schönen gothischen Lettern gedruckt; nur die Initialen sind lateinisch, von welchen die im Anfange der Widmung und der einzelnen Bücher schöne Vignetten dar- stellen. Das Buch umfasste ursprünglich 42 Quaternionen, also 336 Blätter (das letzte leer), und dazu 4 Blätter mit einem Druckfehlerver- zeichniss. Leider fehlen in diesem Exemplar das 25. und 26. Quaternion (enthaltend den Schluss des 10. Kapitels, dann Kapitel 11 und 12 des IV. Buches, ferner den Anfang des 1. Kapitels des V. Buches), sowie die Errata ; ein zweites vollständiges Exemplar wurde nach Ungarn ver- kauft. Der Titel (auf dem ersten Blatte) lautet: »MAßCTS | MA- RVLVS SPALATEN,|SIS DE mSTITVTIOijNE BENEVIVENDI | PER EXEMPLA | SANCTOi|RVM- 1 f «. Es folgt dann (auf Blatt a 2, a 3 und der Vorderseite von a 4) Marulic's Widmung an den Domherrn und Archidiaconus von Spalato Hieronymus Cippicus und darauf (Rückseite von a 4 und a 5) »Index Capitulorum Operis« und am Schlüsse desselben ein kleines Gedicht zu Ehren Marulic's vom Erzpriester von Trau Hierony- mus Macarelli, Alles wie in der Ausgabe vom J. 1513, Nach dem Texte, der auf der Vorderseite des fünften Blattes des letzten Quater- nions (mit der Signatur &) abschliesst, folgt wiederum wie in der Aus- gabe vom J. 1513 auf den nächsten drei Seiten Marulic's »Carmen de doctrina Domini noftri Jesu Christi pendentis in Crucea. Was darauf

1) Höchst wahrscheinlich beruht diese Angabe Kuku|evic'8 auf einem Irrthum, denn nach dem Supplement zu Brunet's Manuel du libraire wurde die erste Buchdruckerei in Solingen erst im J. 1537 gegründet.

234 M. Resetar,

noch folgt, ist dagegen dieser Ausgabe eigen. Zuerst auf der Vorder- seite des vorletzten Blattes desselben Quaternions & das Gedicht : »Lamp. Francifco Lucenfi. | Qui te Lucenfem dixit francisce : locutus j Crede mihi, non est hie fine mente deum: | Näq3 hec que tetre fubiere peri- cula noctis | Euolitant formis lucida fcripta tuis«. Den übrigen Raum dieser Seite nimmt ein Nachwort des » Jacobus Grafolarius, ad Lectore.« ein, woraus ich den zweiten Theil, weil auf die Ausgabe Bezug nehmend, abdrucken will: »Operis imprimendi curä fufcepit Venerandus Sacerdos Franciscus lucenf is : qui vt eft in rebus agedis accuratiff imus, vt in lu- cem caftigatiffimus ^diret über, non laboribus, non vigilijs, etiam impenfe pepercit : cum Archetypo ipf ius Maruli impreffum cötulit Volu- men : & que in eo errata repit diligeter annotauit. citatis quaternionib' & linear(um) numero vt facilius ea corrigi poffint. Tuum erit meminiffe hominis cuius beneficio lectione fuauiffima fimul & fanctiffima oblecta- beris. Vale.« Die Rückseite desselben Blattes trägt folgenden Text: »Francifcns Lucenf is de c(on)fortibus ad lectore. LAboraui non parü Lec- tor candide, vt hosce Maruli libros meis typis prouiderem emendatiff i- mos. Sed quis ille Argus impreffor, quem obiter labecule quepiam non fubterfugiant ? Id quum & mihi nuper eueniffe relegens perfpicerem, quäprimü enotandis omnibus, que ab Archetypo deerrauerant, fedulam accömodaui operam : atq3 (Quecunqs illa) codici appendimus : vt, quo falte potuimus modo, nihil in hoc opere def iderares. Vale. Quater- niones duo & quatraginta. a. b. c. d. &c. d Impreffit Venetijs pref- biter Fräcifcus Lucenfis de cöfortibus Cantor ecclefie. S. Marci. Et Bernardinus de Vitalib' Venetus. Regnäte Sereniffimo Principe & D.D. Leonardo Lauredano Dei gratia Inclyto Duce Venetiar(um) Anno Dni. M.D.vi. Die. x. menfis Februarij. Quifquis fub Diui Marci Imperio libros imprimis : Gaue ne hoc Maruli opus dece ab hinc annos tuis excu- datur formis lUuftriffimus Senat. Ven. Jubet.(f

Ist das die Editio princeps des Marulic'schen Werkes? Sicher ist die Sache nicht, denn das Nachwort des Grasolarius und des Lucensis, die dafür sprechen, hätten auch aus einer älteren Ausgabe unverändert herübergenommen werden können, wie uns dies deutlich die zweite Ausgabe (Venedig 1517) der Quinquaginta parabolae des Marulic be- weist, in welcher vor dem Impressum das nur für eine Editio princeps passende Nachwort aus der ersten Ausgabe (Venedig 1510) ohne Aen- derungen abgedruckt wurde, wo ebenfalls von einer Kollation mit dem Archetypon des Verfassers die Rede ist. In der That wird uns angeblich

Eine unbekannte Ausgabe von Marulid's De institutione benevivendi. 235

die Existenz einer solchen älteren Ausgabe durch das im XXV. Bande der Starine abgedruckte Testament des Marulic bezeugt. In demselben er- wähnt nämlich Marulic auch »opuscula mea hactenus impressa i : de bene vivendi exempla sanctor(um), quinquaginta parabolae evangelistar(um).

Item liber de humilitate et gloria Christi •) (S. 156)«. Auch in dem,

dem Testamente beigegebenen Bücherverzeichnisse werden ebenfalls erwähnt : »Marci Maruli praecepta per exempla sanctorum ; eiusdem evangelistarium; eiusdem quinquaginta parabolae; eiusdem de humili- tate et gloria Christi ; eiusdem multa alia, quae nondum sunt impressa (S. 158)«, woraus ebenfalls zu folgen scheint, dass die ersten vier Werke des Marulic zur Zeit der Abfassung des Testamentes, bezw. dieses Bücher- verzeichnisses schon gedruckt waren. Es kann nun kaum gezweifelt werden, dass die «de benevivendi exempla sanctor(um)« des Testamentes und die »praecepta per exempla sanctorum« des Verzeichnisses ein und dasselbe Werk sind, und zwar unser »de institutione benevivendi per exempla sanctorum«, dessen Titel in den verschiedenen Ausgaben ziem- lich stark geändert wurde, wie denn auch Marulic selbst in unserer Ausgabe im Texte vor dem I. Buche das Werk nennt »de religiöse vi- uendi institutione per exempla ex veteri nouoq3 teftamento collecta«. Das Testament trägt nun das Datum »Anno ... millesimo quingentesimo primo, die vero 14 Julii (S. 153)«. Auf Grund dieses Datums nahm man auch an, dass die obenerwähnten vier Werke, also auch die Institutio benevivendi, vor dem 14. Juli 1501 bereits gedruckt waren. Man hat aber bei der Herausgabe des Testamentes, das nur in einer Ab- schrift erhalten ist, versäumt, die Richtigkeit der Abschrift in Bezug auf das Datum zu prüfen. Und doch war dies sehr leicht möglich. Marulic hinterlässt seiner Schwester Risa eine Uhr, die er »a D.Petro Berislavo, bano quondam Croatiae« zum Geschenk erhalten hatte, »(qui) pro fide Christi pugnans, ab iufidelibus, quos antea vicerat, tandem oppressus periit fS. 155)«. Der Banns von Kroatien Petar Berislavic fiel aber im Kampfe mit den Türken erst am 20. Mai 1520 (vgl. Rad 3, 52)! Aber auch der Thomas Niger, den Marulic als Bischof von Scardona bezeichnet (S. 156), bekleidete diese Würde erst vom Ende 1519 bis zum J. 1524 (vgl. Rad 59, 179). Wahrscheinlich würden uns auf dieselben Jahre 1 520 bis 1524 auch die im Verzeichnisse erwähnten Werke führen, wenn

1^ Die so richtiorgestellte Lesart entnehme ich ans einer brieflichen Mit- theilung Prof. Srepers an Prof. Jagic.

236 M.Resetar, Eine unbekannte Ausgabe von Marulid's De institutione etc.

es sich, wie ich glaube, in der Regel um gedruckte Ausgaben handelt. Doch schon die zwei oben erwähnten Daten genügen vollkommen, um die Behauptung aufzustellen, dass das Testament Marulic's nicht vor dem 20. Mai 1520 geschrieben sein konnte; höchst wahrscheinlich hat der, auch sonst unachtsame Abschreiber zwischen » quingentesimo « und »primo« das Wort »vigesimoff ausgelassen, so dass das richtige Datum der 14. Juli 1521 sein dürfte. Aus dem Testamente des Mai'ulic er- fahren wir also in Bezug auf die Ausgaben einzelner seiner Werke nichts Neues, da Editionen der oben erwähnten vier Werke aus der Zeit vor dem J. 1521 uns schon bekannt waren. Und da ich gerade von der Itistitutio henevivendi spreche, so will ich auch erwähnen, dass die von Kukulevic (Stari pisci I, lviii) als selbständiges Werk des Ma- rulic angeführte y)Polacithra (sie!) Christianarum virlutum« nichts an- deres ist als eine spätere Ausgabe der Institutio, welche unter dem Titel »Palaestra Christianarum Virtutum Ad bene beateque vivendum infti- tuta« in Köln im J. 1686 erschienen ist.

Als dies schon gesetzt war, wurde ich von Prof. Srepel auf einen Aufsatz des Herrn M, Breyer im Agramer Vienac vom J. 1897 auf- merksam gemacht, wo auf dieselbe Weise das Datum des Testamentes Marulic's richtiggestellt wird und zwei bisher unbekannte Ausgaben dieses Werkes diese vom J. 1506 und eine vom J. 1509 erwähnt werden.

M. Resetar.

Kritischer Anzeiger.

Ursitze der Slaven und Deutschen.

Das gross angelegte, leider unvollendete Werk von A. Müllenhoff be- zeichnet nicht den Abschluss , sondern nur eine Etappe auf dem Wege der Forschung; in manchen, entscheidenden Punkten sind bereits heute seine Ergebnisse überholt, neue Bahnen eingeschlagen worden. Für den slavischen Forscher ist diese moderne Entwickelung sehr lehrreich; handelt es sich doch dabei nicht nur um Feststellung neuer Gesichtspunkte, sondern es schneidet diese ganze Forschung in die Fragen slavischer Urgeschichte selbst tief ein.

Wohl kann man zugeben, dass der Terminus Germania der Alten, wie dies im Mittelalter ganz bestimmt der Fall war, wesentlich ein geographischer, kein ethnographischer, gewesen ist, d. h. dass die Völker, die uns in Germania Magna genannt werden, nicht eo ipso auch Germanen gewesen sein müssen. Aber diese Einräumung hilft uns in praxi recht wenig. Höchstens kann man behaupten, dass, weil der Name der Weichsel und ihrer Zuflüsse, von denen nur die Nida auf keltischem Boden wiederkehrt, undeutsch ist, weil sich hier keine Oder, Elbe, Havel, Spree u. s. w. wiederholen, wir folgern dürfen, dass die Slaven das ganze Weichselgebiet, bis an die Oder hin, besessen haben ; auch Müllenhoff gab die Möglichkeit von Slavenstämmen links der Weichsel offen zu. Dagegen würden wir sofort in die grösste Schwierigkeit gerathen, wenn wir diese Slavenstämme (ausserhalb des ■/.6'knog Oveve6i-aos und der OviXxai, die unmöglich Litauer sein können) wirklich bezeichnen wollten. Man könnte sie ja, wie das so vielfach geschieht, in den Lygii aufsuchen wollen, aber wer ohne Voreingenommenheit sich die Namen ihrer valentissi- mae civitates ansieht, die Harii, Helvaeones, Manimi, Helisii, Nahanarvali, wird ohneweiteres zugeben, dass dies keine Slaven gewesen sein können.

Allerdings bilden die Völkernamen eine grosse Schwierigkeit; es ist ihnen nicht recht beizukommen, weil wir nicht wissen, was sie bedeuteten. Was hat man mit dem Namen Germani alles angefangen, bis zu der letzten, scharfsinnigsten Lösung, dass er eine Uebersetzung des Namens Istväonen ist. Und ist es mit »Slovene« etwa besser? Wir wissen, wen der Name be- zeichnet, aber weiter nichts. Heute allerdings, bei den zahllosen ethnogra- phischen Parallelen, nehmen wir einen etwas anderen Standpunkt bezüglich Völkernamen ein; wir suchen in ihnen nicht mehr das Echo historischer

238 Kritischer Anzeiger.

Romane oder Emanationen der Volksseele wir erkennen in ihnen, nüchter- ner, einfache Schimpf- und Spottwörter der Nachbarn wegen Sprache, Tracht u. dgl. oder Beziehungen auf die Wohnsitze, wieder von Seite der Nachbarn. Nehmen wir z.B. den Namen Lech = Ljach. Wie hat man diesen Namen ge- quält! zuletzt auch Kunik, den der Tod an der Fortsetzung seines Orakeins über diesen Namen gehindert hat. Die vernünftigste Deutung dieses Namens verdanken wir unzweifelhaft dem polnischen Ethnologen L. Krzywicki, welcher ihn einfach in die Reihe der Namen wie Lemken, Sotaken, Kajkavcen stellt und damit die Russen ihre Nachbarn wegen ihres e '^j-Sprechens be- zeichnen lässt. Dass der Name viel älter als das X. Jahrh. wäre, lässt sich ja mit nichts nachweisen, und dass schon im IX. und X. Jahrh. die Russen die »Nasale« in dem poln. Umfang nicht mehr kannten, dürfte einleuchten. Der Name ist den Polen niemals bekannt gewesen und er bezeichnet bei »Nestor« wirklich nur die e, q, sprechenden Westslaven, nicht z. B. auch Böhmen und Mährer ! Ist die Annahme von Krzywicki richtig wie pro- saisch, nichtssagend im Grunde ist der Name ! Und so wird es sich mit vielen anderen verhalten.

Gerade die Namen der deutschen Stämme sind seit 1890 Gegenstand leb- haftester Controversen; fast kein Jahrgang der Zeitschrift f. D. Alterthum, der (Paul und Braune'schen) Beiträge u. s. w. bleibt ohne derartige Erörte- rungen, von Leistner, Much, Hirt u. a. So fahndet Much nach Thier- namen unter den Stammnamen, im einzelnen Falle wohl mit Recht, aber schliesslich erschrickt man vor all den Hirschen, Ebern und Stieren die Stammkarte wird ja förmlich zu einem zoologischen Garten. Aber neben ihrer Unerklärbarkeit (man vgl.slaviscb Dudlebi, Sxrbi, Chtrvati u.a.) zeigen Stammnamen noch eine andere, nicht minder unangenehme Eigenthümlich- keit auf: sie wiederholen sich fortwährend. Es war und ist meines Erachtens ein grosser Fehler der deutschen Alterthumskunde, dass sie aus dem blossen Wiederholen der Namen, z. B. Friesen, Angeln, Rügen, Goten u. s. w. Rück- schlüsse auf Wanderungen der Stämme selbst zieht. Noch Aug. Meitzen steht in seinem grossen Werke (SiedelungundAgrarwesen der Westgermanen und Ostgermanen u. s. w.) ganz auf diesem Standpunkte ; die Friesen am Rande der Nordsee müssen einst an der Unstrut gesessen haben, weil dort Frisonofeld liegt, ebenso bezüglich der Angeln u. s. w. Wenn wir Slavisten und dasselbe scheint mir vom Keltischen zu gelten die Richtigkeit die- ser Annahme die als selbstverständlich gilt, gar nicht bewiesen zu werden braucht nicht bestreiten wollten, würden wir einfach in Teufels Küche ge- rathen; denn wohin würde uns führen, wenn wir z. B. aus dem Vorkommen des Namens Dudlebi im Osten, Westen und Süden der slavischen Welt gleich auch eine engere Beziehung, Verwandtschaft, Wanderung der betreflfenden Stämme und Stammpartikeln folgern wollten ! Ebenso verhält es sich mit dem Namen der Serben, Chorvaten u. a. Der Name Frisonofeld an der Unstrut und der der Frisii an der Nordsee besagt mir in seiner Wiederholung eben- sowenig etwas, wie die Wiederholung von Dudlebi u. a.

Dass z. B. ein dudlebi nur ein Spottname war, der an mehreren Orten zugleich aufkommen konnte, möchte ich, obwohl ich keine sichere Analyse

A. Brückner über die Ursitze der Slaven und Deutschen. 239

des Namens geben kann [lebz dürfte lit. laihas sein), ohneweiteres annehmen. Mir kommen da z. B. in den Sinn die Namen, welche Huzulen ihren Nachbarn zu geben pflegen, ein ganzes Schimpf lexikon, z.B.Obderyselo, Zanesysokyra, Sidlajpes, Byczkoiupnyky, Suhaky, Zahubypodkova, Obiupykotjuha u. s. w. Vielleicht irrt gröblich, wer hinter den Namen Dudleben, Serben, Chorvaten »edleres« vermuthet; es sind dies vielleicht nur ebensolche Schimpfnamen, wie die Sueben Schwaben = die «Schläfrigen«, die Wandalen = die wan- delbaren (von ihrer Flinkheit oder ihrer Flatterhaftigkeit oder von beidem zugleich), die Lugier = Lügner, wenn n. b. diese Etymologien auch nur ent- fernt das richtige treffen.

Doch beschränkt sich die moderne deutsche Forschung nicht auf zweifel- hafte Etymologien, oder Erklärung umstrittener Stellen des Tacitus (z.B. über den Namen der Germanen) oder Interpolationen (z.B. im berühmten Pytheas- bruchstück). Zu der philologischen Arbeit gesellt sich, z. B. in den Studien von Kossinna, auch die archäologische, die Berücksichtigung der annoch ziemlich unverständlichen oder stummen Funde der Vorzeit. Wenn wir Slavisten von den Arbeiten des L. Niederle absehen, steht es bei uns im Grunde genommen nicht sehr tröstlich um das Wissen. Zwei Menschenalter vergehen bereits seit dem Erscheinen der Safarik'schen Alterthümer, aber im Wesentlichen haben wir uns von seinem Standpunkt und seiner Methode nicht erheblich entfernt; noch immer werden dieselben Namen mit derselben Will- kür bald so, bald anders gedeutet und wir kommen nicht vorwärts vom Fleck. Auch spielen immerfort Gefühle und Empfindungen herein, die den wissen- schaftlichen Blick nur trüben können : man schimpft weidlich auf die deutsche Gelehrsamkeit, welche den Slaven allen Boden abgraben, sie als späte Ein- dringlinge, als Avarenschmarotzer, überall ausmerzen wollte und verfällt in denselben Fehler allzugrosser Begehrlichkeit, möchte gar zu gern die Ger- manen sammt und sonders in den skandinavischen Winkel allein hinein- zaubern, ohne zu achten, welche Reverenz vor den Herrentugenden der Ger- manen und welche Verachtung vor den Sklavenfehlern der Slaven diese Annahme involvirt.

Ein unerquickliches Schauspiel, mit dem wir uns jetzt hier befassen wollen! Alljährlich fast wiederholen sich die Versuche, Slaven als Autochtho- nen in Gegenden zu erweisen, für die feststeht, dass sie einst von Germa- nen, Kelten, lUyriern oder Geten bewohnt waren; eine Art moralischer Epidemie , deren erste Keime sehr patriotisch sein mögen, die aber zuletzt alles heillos durcheinanderwirrt.

Schuld an dieser Verwirrung trägt eigentlich Jakob Grimm und seine unseligen Etymologien oder richtiger Pseudologien. In Namenerklärungen hat er nie grosses Glück gehabt, aber einzelne derselben sind geradezu ver- hängnissvoll geworden. Ich sehe ab von Geten = Goten, das einem Jordanes, nicht einem Grimm passiren durfte ; von Gallus = Walhus (durch ein Gualh- hindurch) und verbleibe bei der unglücklichsten, bei Suevus = Slavus.

Je falscher eine »Etymologie« ist, ein desto zäheres Leben pflegt sie be- kanntlich zu führen. Wer gedenkt nicht der Hartnäckigkeit, mit welcher die falsche Gleichung d-eos' = deus vertheidigt wurde, ebenso wird z. B. an

240 Kritischer Anzeiger.

suavis v^v^ = saldus sladikt festgehalten; ja, diese falsche Gleichung muss ihrerseits das falsche Suevus = Slavus stützen helfen. Aber keines dieser Falsa hat so sehr alte Geschichts- und Völkerkunde verwüstet, wie das omi- nöse Grimmsche Suevus = Slavus, dem man noch Messen = Chatten verglei- chen könnte, das auch nicht auszurotten ist.

Mir liegen zwei umfangreiche Arbeiten vor, die auf dieser Gleichung aufgebaut sind. Die eine ist: Dr. Wojciech Ketrzynski, 0 Slowianach mieszkaj^cych niegdys miedzy Renem aLab^, Sala i Czesk^ granic^, Krakau 1899, Abhandll. d. Akad. histor. Cl. XL. Bd., S. 1—142 und 7 Mappen. Di- rector v. Ketrzynski hatte bereits 1868 »Die Lygier, ein Beitrag zur Urge- schichte der Westslaven und Germanen« (Posen, 154 S. 80) erscheinen lassen; schon hier bewies er, dass zwischen Elbe und Weichsel die Slaven Ureinwoh- ner gewesen wären, dass Deutsche aus Skandinavien, z. B. Langobarden, sich auf slavischem Boden als Herren, Eroberer niedergelassen haben, dass sla- vische Völker (z.B. Semnonen) als Sueben bezeichnet wurden, weil dasRümer- ohr die Namen Sueven und Slaven (Svoven) verwechselte; die Abhandlung schloss mit dem Nachweis, dass die Lygier Slaven, speziell Lachen waren, weil ihre Sitze und vielleicht auch ihre Namen identisch wären.

Das Rüstzeug, mit dem der Verf. an sein Material herantrat, war wesent- lich ein Etymologisiren, ein Erklären der Völker-, Fluss-, Götternamen aus dem Slavischen. Keine einzige dieser Etymologien war jedoch richtig. Es verehren z. B. die Nahanarvalen des Tacitus den Castor und PoUux, die ihnen alcis heissen es sollen dies holcy iuvenes {-poln. pacholf] , die Lei und Polel, das Volk selbst die Nuren (Neuren) sein. Erstens sind Lei und Polel keine Götter, sondern Kreischlaute Besoffener und gehören in die Schenke, nicht in die Mythologie; zweitens haben ^:>ac7to/f mit holet/ und diese mit alcis nichts zu thun, denn po-chol^ gehört zu chol-p [chiop] und holcy ist eine junge Bildung zu goiy, Tacitus spricht aber nicht von chalcis oder galcis, sondern alcis = deutsch alhs. Ebenso verhält es sich mit dem Nerthuskult, der sla- visch sein soll, aber die Etymologie, die dies beweist, ist unmöglich ; ebenso mit den Vanen der nordischen Mythologie, die Slaven sein sollen, wie es Safafik bewiesen habe. Da ich hier schon der Vanen gedenke, will ich einen Umstand erwähnen, der meines Wissens so viel auch über die Vanen geschrieben worden ist, zuletzt z. B. von K. Weinhold in den Sitz.-Ber. der Berl. Akad. 1890 niemals genannt worden ist, die wanowe mogily in Meklenburg!

In der neuen Abhandlung geht nun der Verf. noch viel weiter. Er be- streitet überhaupt, dass Germanen jemals in Mitteleuropa ursprünglich an- sässig gewesen wären: es sind dies sämmtlich Eroberer, die aus ihrer eigent- lichen Heimath, aus Skandinavien, ausgezogen, durch ihre kriegerische Or- ganisation den Kelten und Slaven überlegen, beide unterjocht hätten. Noch sind zu Cäsar's und Tacitus' Zeiten die Sueben Slaven gewesen, daher der Gegensatz, in den sie zu Germanen bei Cäsar wie bei Tacitus treten, daher ist Marbod = Marowöd, Führer der Maren, daher ist der König der Hermun- duren Vibilius = Wybil (ja, woher weiss man, dass es zu jenen Zeiten einen Wybii hat überhaupt geben können? warum nicht ausschliesslich ein Izbil?)

A. Brückner über die Ursitze der Slaven und Deutschen. 241

ü. s. w. Den, Nerthus verehrenden Völkerbund, Reudigni Aviones Anglii Varini Eudoses Suardones Nuithones, sieht Verf. (S. 80 82) theilweise für deutsch (skandinavischen Ursprunges, die fünf ersten), theilweise für slavisch an (die beiden letzten) ! Der Nerthuskult selbst ist der des Swantowit, ob- wohl sie nichts mit einander gemein haben und Einzelnheiten des Nerthus- kultus so bezeichnend in Altschweden wiederkehren! Der Name Sueven ist die keltische Aussprache des Slavennamens, wie noch heute stellenweise i wie w gesprochen wird nur hat der Verf. den Beweis zu führen vergessen, dass der Name Slovenen vor Chr. bereits vorhanden war und dass eine mo- derne dialektische Erscheinung für vorchristliche Zeiten fruktifizirt werden darf. Dass Sueven Germanen waren und nur Germanen sein konnten, wissen wir aus Cäsar und Tacitus und keine falsche Etymologie wird unsere Ueber- zeugung erschüttern, wenn wir nicht auf die Benützung dieser Quellen über- haupt verzichten wollen.

Aber die Abhandlung hat einen grossen Vorzug, sammelt sie doch die faktischen Spuren mittelalterlicher Ansiedelung der Slaven in heute rein deutschen Gegenden und das ist ihr bleibendes Verdienst. Es ist in der That ganz unglaublich, wie tief einst die Slaven in Deutschland gesessen haben und immer wieder drängt sich einem die bekannte Stelle in der vita Sturmi auf, der um 744 an der Fulda, wo sie die Strasse Thüringen— Mainz, also im Herzen Westdeutschlands, durchschneidet, auf badende Slavenhaufen stösst ; die Stelle schmeichelt zwar nicht unserem ästhetischen Gefühle, aber sie ist ausserordeatlich lehrreich. Alle diese in Urkunden, Bauform (Rundlinge) und Ortsnamen niedergelegten Reste sind sorgfältig für die einzelnen Gebiete ge- sammelt und auf Mappen eingetragen. Freilich spielt auch hier die leidige Etymologie mit. Dass Kostnitz oder Bregenz slavisch sein soll, glauben wir einfach nicht, und was beweist der Name lacus Venetus für Bodensee? Sind etwa alle Veneter und Heneter slavisch, auch die in Faphlagonien? Gerade der Umstand, dass, in den Fuldaer Urkunden z. B., die Slaven ausdrücklich auf deutschen Orten angesiedelt erscheinen, dass die Angaben über die Main-Regnitz-Saale-Wenden so reichlich fliessen, mahnt zur Vorsicht, über diese Gegenden hinaus, wozu uns Urkunden nicht mehr berechtigen, doch noch Slaven zu suchen. Namensanklänge beweisen nichts; mit solchen hat man ja bewiesen, dass Helvetia = Chelmetia und Schweiz = Switez wären; mit solchen »kann man Mekka und Medina slavisch deuten«, bleibt keine Gegend der Welt vor der Slavenplage sicher. So werden gedeutet Wipper = Wieprz, Ems (Amisia) = Mza (warum nicht auch Appenninus = Pieniny? , Lippe (aber alt nur Lupia 1!) = Lipa u. s. w., ebenso Rhein u. a., Podrebeke soll Podrybaki sein mit derlei Etymologien kann man alles beliebige er- weisen. Sogar »urkundlichen« Angaben ist manchmal keinerlei Gewicht bei- zulegen; wenn Qazwini Soest und Paderborn »im Slavenlande« belegen sein lässt, so wissen wir, was wir von derlei Ungenauigkeiten der Araber zu halten haben; sein Zeugniss ist werthlos. Wenn eine Klostergeschichte des XIV. Jahrh. die westphälische Ruhr »Rura australis seu slavica« nennt, will ich gar nicht erst rathen, woher diese verrückte Combination gekommen sein mag. Ebensowenig imponiren mir die von Anderen citirten Stellen, z. B. über

Archiv für slaviscke Philologie. XSn. 16

242 Kritischer Anzeiger.

die Saale: flumen quod slavica lingua Säle dicitur der Reinhardsbrunner Aa- nalen — was könnte dies im besten Falle beweisen? Falsch ist die Angabe des Monachus Brunwilerensis, der vom Thüringer Walde behauptet: in saltu Sclavorum qui iuxta linguam eorum Lovia (Levia, Pertz) dicitur quique in- finitam ursorum nutrit multitudinem, was natürlich lovi sein muss. Und nun erst, wenn man die Worte im Bonifaciusbriefe vom J. 742 : locus qui dicitur Erphesphurt (Erfurt) qui fuit iam olim urbs paganorum rusticorum als Erin- nerung an die Slaven, noch vor der Zertrümmerung des thüringischen Reiches durch die Franken (531) ausdeutet!

Dass andererseits historische Urkunden die schätzbarsten Angaben enthalten, bestreiten wir sicherlich nicht; eine solche, höchst interessante, die meines Wissens bisher unbeachtet war, hat Ketrzy6ski aus der Vita des Merseburger Bischofs Werner (gest. 1093, Mon. Germ. XII. 246) eruirt, die ich hier wiederhole : verum quia sclavonicae linguae admodum ignarus erat et cum cura pastoralis Sclavorum genti, quorum multitudinem copiosam error adhuc idolatriae detinebat, verbum salutis credere cogebat, libros Scla- vonicae linguae sibißeri iussit, ut latinae linguae character quem intelligebat idiomata linguae Sclavorum exprimeret et quod non intelligebat verbis stri- dentibus intelligendum aliis infunderet. Also ein Pendant zu den Freisinger Denkmälern und das älteste Denkmal westslavischer Sprachen, geknüpft an dasselbe Merseburg, das bereits durch zwei andere Bischöfe, Thietmar und Boso, bedeutungsvoll für die Westslaven geworden ist; je seltener ein der- artiges Pflichtgefühl bei den deutschen Kirchenfürsten gewesen ist, desto mehr schätzen wir dieses ganz vergessene Zeugniss.

S. 61 66 werden die slavischen, den Römern bereits bekannten Namen aufgezählt, natürlich Brigantium und Bregetium, slav.Brzeznica und Brzeziec fpoln.), aber diese slav. Namen haben zu römischen Zeiten Berznika Berzek geheissen. Oefters wird das Verhältniss umgedreht, so muss z. B. die Elbe aus Laba entstanden sein, während nur das Gegentheil davon möglich ist ; das späte Lehnwort rynek (aus Ring) haben die Deutschen von den Slaven entlehnt u. s. w. Ich betone nochmals, die Abhandlung ist sehr verdienstvoll durch die mühsame Sammlung und Einzeichnung des weit verstreuten Mate- rials, aus dem uns die grosse Ausdehnung des slavischen Elementes im links- elbischen und linkssaalischen sowie fränkischen Deutschland in helles Licht gerückt wird; aber den weiter gehenden Ausführungen des Verf. können wir nicht mehr beipflichten.

Ganz anders stellen wir uns dagegen zu dem zweiten der Werke: Histo- rya Stowian, napisal Edward Boguslawski, tom II (Krakau - Warschau 1899, VI und 516 S. 8»); das Werk sieht furchtbar gelehrt aus, das Quellen- verzeichniss allein füllt '36 S. (402 478]! Der Verfasser ist zu unterscheiden von Wilhelm Boguslawski, dem wir eine ungeheure dreibändige Ge- schichte des nordwestlichen Slaventhumes bis zum XIII. Jahrh. (Posen 1887 fi".) verdanken, deren Werth im umgekehrten Verhältnisse zum Umfange steht ; eine gut gemeinte, aber unkritische Leistung, auf die viel Fleiss und Mühe verwendet worden ist. Indem wir von ihr absehen, besprechen wir hier nur die Slavengeschichte von E. B.

A. Brückner über die Ursitze der Slaven und Deutschen. 243

Mit merkwürdigem Geschick hat der Verf. alle kursirenden falschen Etymologien aufgeklaubt und darauf seine Phantasien gestützt. Also natür- lich Suevus = Slavus, Gallus = Vlach (er sagt zwar nicht, von wem er dieses Prachtstück hat, aber es ist von Jac. Grimm unseligen Andenkens), Lugii = Ljachy, Reudigni = Redari, Chorvaten = Kallipidi, Serben = Sarmaten, Vi- nidae = Vandalen und Veneten zugleich u. s. w., alles die guten alten Be- kannten. Er vermehrt nur diese Musterserie von Ungereimtheiten um einige gleich gelungene, Melanchlenen = Merja (das chlenen hat Herodot in seiner Dummheit zugesetzt], Glomaci = Mugilones (wegen gomila = mogila), Daci = Daciane (in Böhmen) u. s. w. Für alle Fälschungen und Mystifikationen ist er natürlich ebenso der bereitwilligste Abnehmer, also für den Iztok und Upravda, für den glagolitischen Psalter von 626 u. s. w.

Neben dieser mehr humoristischen Seite weist jedoch das Werk auch andere auf, die weniger harmloser Natur sind. Wir würden ja Herrn B. ruhig den Kollar,§embera,Sasinek,Sieniawski,Moravicansky, Trste- njak,Papacek,Topolovsek und allen den andern Rittern von der trau- rigen Gestalt beigesellen, aber erstens schimpft er auf die Phantasten, welche durch falsche Etymologien auch richtige Grimdgedanken um ihren Kredit bringen als wenn nicht er gerade der schlimmste von dieser Sorte wäre. Zweitens beschimpft er anständige Leute, die nicht in sein Hörn blasen; er konstruirt eine »berliner-österreichische Schule«, die dem deutschen Chauvi- nismus aus Ueberzeugung oder Eigennutz dient; dazu gehören Grimm, Zeuss, MüUenhoflf, »der Karrierist« Miklosich, Jagid, Krek, ich und andere; im Gegensatze zu diesen Fälschern und Renegaten steht die »slavische« Schule (Topolovgek und Genossen?), die beim Verfall des Wissens das Banner der Wahrheit hoch trägt. Drittens hat er einige Gedanken, die des Reizes einer originellen Dummheit nicht entbehren. Ich denke weniger an seinen Glago- licaroman, wie die Deutschen von den Slaven die Runen entlehnt haben, mit welchem Buchstaben das slavische Runenalphabet ursprünglich begann u. s. w.; mehr imponirte mir eine andere Erfindung; den Hergang denke ich mir folgendermassen.

Verf. hatte beobachtet, dass zwei slavische Stämme, Russen und Bul- garen, von Fremden, Normannen und Torken, ihren Namen und die Staaten- gründung her haben; er verallgemeinerte nun diese Erscheinung auf alle übrigen Slaven. Lachen, Chorvaten, Serben, Slaven selbst sind keine Slaven; es sind dies Gallier (Wlachen , Karpen, Sarmaten, Sueven (Germanen); diese Herrennationen haben sich im Laufe der Jahrhunderte nur »wendisirt« und es verblieben nach ihnen ihre Namen den unterjochten »Wenden«. 0 Sem- bera, kehre dich noch im Grabe wegen der Blasphemie um, die hier ein »Slave«, kein »Berlin-Oesterreichem vorträgt. Der einheimische Name des Volkes war immer nur »Wenden«; »Slaven« nannte es sich nur nach seinen Herren, den Sueven (nach der Gleichung: suavis = sladtki.). Nun gut, bei den Slovaken würde ich es mit Vergnügen zugeben ich schreibe dies im Fasching , haben doch Sueven, Markomannen, Quaden über ihre Gegenden geherrscht, aber warum auch die Novgoroder »Wenden« sich von den verfl. Schwaben ihren Namen erst holen mussten, ist mir nicht klar geworden

16*

244 Kritischer Anzeiger.

offenbar durch eine berliner-österreichische Intrigue. S. 392 spricht Verf. da- von, aber erwähnt der Schwierigkeit mit keinem Wörtchen er ist über- haupt Meister im Verschweigen dessen, was in den Kram ihm nicht passt.

0 wäre doch die Historya Siowian ungeschrieben oder wenigstens un- gedruckt geblieben ! !

Grundverschiedener Art ist das dritte, hier zu nennende Buch, eines jungen russischen Germanisten, 0. BpayHX, PasLiCKaHifl bi o6jacTH roTO- c^xaBHHCKHXi OTHomeHift. I. PoTBi H QXT, Gocim Äo V. B^Ka. nepBLiH nepioÄT): ToTLi Ha BucÄi, CIL. 1899, aus dem 64. Bd. des CöopHaKT. der 2. Abtheilung, XX und 392 S. 80. Ein stattlicher Band als Commentar zu ein paar Worten des Tacitus, Ptolemäus und Jordanes, ein ausserordentlicher Aufwand von gewissenhaftester Mühe, grosser Belesenheit, glänzender Combinationskraft macht das neue Werk aus, dessen Inhalt wir zuerst kurz angeben wollen.

Ausgehend von der durch Budilovic grundfalsch angeschnittenen »gotischen« Frage (Eus = ?iröfi, d.i. ?iröpagutös Ruhmesgoten) erörtert Braun zuerst die Sitze der Weichselgoten, ihrer Nachbarn im Westen und Süd- westen, dann im Osten (d.i. Sarmatien, Haupttheil des Buches), hier der Reihe nach alle Fragen über Skythen, Sarmaten, Bastarnen, Daken und Kelten er- örternd; S. 178 239 ist speziell der Geographie des südlichen Sarmatien gewidmet. Nach Auslassungen über die ürsitze der Baitoslaven und einzelne litauische Stämme wendet sich Braun der Frage zu, woher die Goten an die Weichsel gekommen sind, ob aus Skandinavien, wie es die Stamrasage be- richtet, oder vom Süden, von der Oder her und nach Bestätigung der letz- teren Annahme wird Umfang und Bedeutung des Namens »Wenden« sowie lautlicher Einfluss des Slavobaltischen auf die Sprache der vandilischen Ost- germanen erörtert. Beilagen endlich erklären die nach Ptolemäus gezeich- neten Karten. Mit anderen Worten : unter einem ganz anspruchslosen Titel wird uns die Geo- und Ethnographie des alten Osteuropa vorgeführt, auf Grund sorgfältig erwogener Nachrichten der Alten und mit linguistischen Mitteln, da uns die archäologischen immer noch im Stiche lassen. Die hoch- interessante Arbeit zeugt von der besten methodischen Schulung und grossen eigenen Gaben des Verfassers ; sie wird klärend wirken, ohne dass wir ihren Resultaten zuzustimmen brauchen.

Braun geht von dem für ihn unverrückbaren Axiom, dass die Weichsel Ostgrenze der Germanen wäre, aus und erwähnt nicht einmal anderweitige Auffassungen ; den Namen Calisia z. B. haben die Polen von den deutschen Lygiern unverändert übernommen; 3Iugilones des Strabo sind ihm »allein un- klar«, die übrigen Namen in der bekannten Marbodstelle desselben dagegen sind die sonst »bekannten« ; so operirt er dann mit unerschütterlicher Ruhe ; die dreierlei Aufzählung lugischer Völkerschaften (bei Plinius, Tacitus, Ptolemäus) beruht auf dreierlei Iterinarien (einem östlichsten, westlichsten und einem centralen) und so wird jeder »deutsche« Stamm glücklich unter- gebracht: die Varinen und Charinen im Gouvernement Kielce und Radom u. s. w. Ebensowenig lässt er seine Kreise stören durch die moderne, zumal bei Archäologen beliebte, Fixirung der ürsitze der Germanen in Jütland und Skandinavien : siegreich erweist er die Unmöglichkeit, dass die Vandilier aus

A. Brückner über die Ursitze der Slaven und Deutschen. 045

Südschweden gekommen wären und erklärt, wie z. B. die Langobarden in Oberitalien von den bereits völlig versprengten Ostgothen erst aus deren Lie- dern den skandinavischen Einschlag in die eigene Wandersage aufgenommen hätten. Die Eigenthümlichkeiten des vandilischen Vokalismus haben sich unter der Einwirkung des Slavobaltischen entwickelt. Die Neuren-Slaven sind aus ihrer Heimath durch die Schlangen-Bastarnen zur Flucht zu den Dniepr-Budinen an die Desna gezwungen worden : so fallen das älteste Fak- tum slavischer und germanischer Geschichte (2. Hälfte des sechsten vorchrist- lichen Jahrhunderts) zusammen.

Ob diese bewunderungswürdige Sicherheit des Verfassers nicht auf Kosten des Gegenstandes selbst erzielt worden ist, bleibe dahingestellt; gegenüber sonstiger Zerfahrenheit berührt ja förmlich wohlthuend diese Durchdachtheit des Ganzen und diese Consequenz des Verf. Nach dieser ge- bührenden Anerkennung lassen, wir nunmehr unsere Einwände folgen, die uns unmöglich machen, die Folgerungen des Verf. anzunehmen.

Sein Hauptfehler sind seine Etymologien; sie sind linguistisch tadellos, nichtsdestoweniger sind sie unannehmbar. Sie gipfeln alle darin, dass der Verf. in möglichst jungen Orts- und Stammnamen möglichst alte wiederfindet. So z. B. enthält für ihn der Name Vjatici den Namen Wenten (Wenden); der Namen Wenden ist aus dem Deutschen nicht zu erklären, folglich (! die Fol- gerung ist grundfalsch, wir können den Namen Slovene, SrsbB, Chrxvati heute aus dem Slavischen auch nicht mehr erklären sind etwa diese Namen des- halb unslavisch?) haben die Deutschen diesen Namen von den Slaven bekom- men; er hat sich unter den Slaven nur bei den östlichsten erhalten, wie z. B. der Name Slovenen nur bei den nördlichsten, bei den Novgorodern. Soviel Wörter, soviel Irrthümer. Wie wir den Namen »Finnen« vergebens bei den Finnen selbst suchen würden, oder den Namen »Aisten« bei den Litauern, ebensowenig werden wir den Namen »Wenden« bei den Slaven finden: es ist und bleibt eine deutsche Benennung, die den Slaven ebenso fremd ist, wie "Finnen« oder »Aisten« den Suomileuten oder den Litauern. Vjatici sind wie Radimici von Vjatko und Eadim, lachischen Namen, herzuleiten an der Tradition der Chronik ist nicht zu rütteln; für den Verf. existirt dieselbe gar nicht. Went- kommt in litauischen Ortsnamen, nicht nur bei den Letten, häufig vor, Ventis in Samogitien z. B., offenbar ein litauischer, dem Slavischen unbekannter (?) Stamm : wenn Verf. behauptet, dass dies das gesuchte went- Wende ist, so werde ich ihm Folgendes entgegenhalten:

Der erste beim Namen genannte Sarmate ist raraXos o Sao/uatTj^ u. d. J. 179 a. Chr. Der Name ist offenbar böhmisches Hattala, im XVL Jahrh. Hatala, ein berüchtigter Wegelagerer, der alle Karpathenreisenden in Todes- ängsten versetzte (vgl. z. B. in den Threny des Czahrowski vom J. 1597: Powiedzial ktos, abym ja imieniem Hataiy Mial zaje^diac, wytrzesac p6i- koszki na skaly, und auch sonst genannt). Hierher gehört der Name des per- gamenischen Attalus und warum denn nicht auch der des Attila. Ist nun der Verf. zufrieden?

In diesen Fehler verfällt er immer wieder. Die Bukovina, eine Wald- landschaft (I), ist ihm nicht nach den Buchen, sondern nach den Boken

246 Kritischer Anzeiger.

(Sa-boken, Koisto-boken) genannt; Galatz, Haiycz, Galic sind ihm nach den Galaten (Kelten) benannt (der ostrussische Name ist einfach herübergenom- men aus der älteren Heimath); in Liswarta steckt vielleicht der Name der Taciteischen Elisii (aber die ältere Form ist Listwarta!); die Chorvaten sind nach dem, durch deutschen, bastarnischen, Mund durchgegangenen HarfaSa, aus dem nach den Carpen (die dort übrigens nie gesessen haben) Carpat ge- nannten Gebirgszug, bezeichnet (grundfalsch, der Name ist ein urslavischer und dient allen möglichen Slaven in Böhmen, zwischen Halle und Leipzig, Corbetha) u. s. w. Den Namen der Carpen findet dann der Verf. in Karpesti und Karpinjani in Bessarabien wieder, in dessen Namen natürlich die Bessen hereinspuken. Sogar der Name des (nördlichen) Lugidunon kommt in dem Dorfnamen Lugi (westlich von Czestochowa) vor dagegen ist dem Verf. die deutliche keltische und dakische Namensform von Karrodunon, Lugidunon und Setidava nicht weiter aufgefallen, sie ist »zufällig« keltischen und daki- schen Namen ähnlich.

Die Richtigkeit aller dieser und ähnlicher Zusammenstellungen bestrei- ten wir grundsätzlich ; ebensowenig gestehen wir dem Verf. ein Recht zu, das ptolemäische Weltai in Wentai (MüUenhoflf und ein Jahrhundert vor ihm Bo- husz haben daraus Letwai gemacht, warum nicht Keltoi oder sonst was?) oder Strabos Zumoi, Butones u. s. w. in Dunoi, Gutones u. s. w. zu ändern. Auf diese Art kann man ja alles erweisen, was nur beliebt.

Die Behauptung, dass der Name Wenden nicht nur Slaven, sondern auch Litauer umfasse, ist nicht neu, aber falsch ; Zubaty-Niederle haben auch ganz überflüssiger Weise darauf zurückgegriffen, um den Venedikos kolpos des Ptolemäus zu erklären; Zubaty nimmt nämlich an, dass um das L IL Jahrh. nach Chr. Slaven und Litauer sich sprachlich noch so nahe gestanden hätten, dass die Deutschen sie noch als eine Einheit zusammenfassen konnten, was wir niemals zugeben werden, gehen doch ein paar Jahrhunderte darauf schon die slavischen Dialekte (!) auseinander und beweist die Tacitei'sche Trennung von Aisti und Veneti das Entgegengesetzte.

Eine andere Eigenthümlichkeit des Verf. besteht darin, dass er ein Volk in zwei, räumlich weit von einander abliegende Gruppen desselben Namens sich spalten lässt; so kennt er zweierlei Budinen (am Dniepr und jenseits des Don), zweierlei Skiren u. s. w.; richtig bleibt dagegen die auch von mir oben ausgesprochene Warnung an die Germanisten, aus der Namensgleichheit nicht auch sofort Stammesidentität bei Warnen u. s. w. zu folgern, die er S. 273 f. ausführt.

Besondere Mühe gab sich der Verf. mit einem Gegenstande, der eigent- lich zu seinem Thema nicht streng gehörte, mit der Geographie des alten Sar- matien, seiner Flüsse, Inseln (Peuke z. B.) und Küstenstriche. Er trifft hierin, ohne es noch zu wissen, zusammen mit L. Niederle und dessen Arbeit, Sta- roveke zprävy o zemepisu vychodni Evropy se zfetelem na zeme slovanske . . . pMspevkem k poznäni nejstarsich dejin slovanskych podävä etc., Prag 1899 aus den histor. Abhandll. der Akademie (I, VIII, Nr. 1), 125 S. gr.-8o. Es ist interessant, die Ausführungen beider Verf. über den Hypakyris, Gerros und die anderen herodoteischen Räthselaufgaben ^u vergleichen; sie stimmen

A. Brückner über die ürsitze der Slaven und Deutschen. 247

in mancherlei zusammen und entfernen sich wieder in anderem; Niederle verhält sich allerdings immer mehr referirend, er führt an, was Andere an Deutungen vorgebracht haben und fällt dann seine eigene Entscheidung oder lässt, in den meisten Fällen, die Sache unentschieden; Braun geht in den wenigeren Fällen, die er behandelt, kategorischer zu Werke ; seine Reduktion der ptolemäischen Masse scheint sehr bestechend, doch erlauben wir uns da- rüber kein Urtheil mehr.

Trotz unseres ablehnenden Verhaltens gegen die Resultate der Braun- schen Arbeit gestehen wir gern das ausserordentliche Interesse ein, das uns diese Arbeit eingeflösst hat, und wünschen nur, recht bald in die Lage zu kommen, über deren Fortsetzung berichten zu können in den ferneren Theilen ist ja der historische Untergrund weniger schwankend und von der Behandlung der slavogotischen sprachlichen Berührungen durch so kundige Hand versprechen wir uns jedenfalls viel. A, Brückner.

menKHHt, B. H.: PaBcya^Aenie o H3LiKi caBBHHoä khhth. Ct npH-

jioateHieMx AByxi. «fOTOTHnHqecKHxi. chhmkob'l. CaHKxneTepöypri)

1899. 80. XXI + 349 (Aus: HsBi&eTk OTA^Jiema. pyccK. üstiKa h

cjiOBecHOCTH Hmh. AKa/i;eMiH HayKt, tomx III h t. IV.

Fast kommt man in Versuchung, es immer noch als ein erfreuliches Er- eigniss zu bezeichnen, wenn uns aus Russland ein Buch zukommt, welches das Gebiet der Slavistik betrifft und uns nicht bloss belehrt, sondern auch nur brauchbares Material uns bietet. Hiermit soll aber durchaus nicht gesagt werden, dass in Russland unser Fach vernachlässigt oder dass dort auf die- sem Gebiete nicht mit entsprechendem Erfolg gearbeitet wird, nein, man kann auf eine Reihe schöner Erfolge eben aus den letzten Jahren hinweisen. Aber wir sind vielleicht gerade dadurch, dass man uns so Vortreffliches bot, verwöhnt und anspruchsvoller geworden. Wir sind unbescheiden genug, Ver- gleiche mit anderen Nationen anzustellen, wir berücksichtigen die ungeheuren Mittel, die dort zur Verfügung stehen, das unerschöpfliche Material, das dort der Bearbeitung harrt, das glänzende Beispiel, das durch die erspriessliche Thätigkeit eines Vostokov, Sreznevskij, Buslajev u. s.w. gegeben wurde, und da können wir uns des Eindruckes nicht erwehren, dass vielleicht doch etwas weniger geleistet wird, als geleistet werden könnte und sollte. Nebstbei macht Vieles, das uns da geboten wird, auf uns den Eindruck, als ob der reale Bo- den der Thatsachen verlassen und man lieber mit einer Art imaginärer Grössen auf dem Gebiete der Sprachwissenschaft arbeiten würde, ja es hört diese Wissenschaft beinahe auf, eine Sprachwissenschaft zu sein, sie grenzt schon hart an eine Art uns vollständig unverständlicher philologischer Meta- physik.

Man kann nicht sagen, dass das vorliegende Buch gerade ausschliesslich diesen Geist athmet, obzwar vielleicht das Milieu, in welchem es entstand, dazu leicht hätte verleiten können. Der Autor suchte sich meist fest an das

248 Kritischer Anzeiger.

Gebiet der wirklichen sprachlichen Thatsachen zu klammern und nur seltener Hess er sich auch zu einer Art »luftiger« Excursionen verleiten. Dagegen hat dadurch das Buch entschieden nicht gewonnen, dass die Darstellung etwas zu schleppend ist ; mitunter bekommt man den Eindruck, als ob man sich überhaupt nicht bis zum Ende hindurcharbeiten könnte. So namentlich bei den Halbvocalen. Der Autor hat sich da in gewisse Theorien förmlich ver- bissen und in ihrem Bannkreise drehen wir uns fortwährend, vergeblich das erlösende Schlusswort erwartend. Mitunter wird bewiesen und zwar gründ- lich bewiesen, uns wird es aber nicht recht klar, was bewiesen werden soll. Wir glauben es ja recht gern, dass es Tag ist, wenn die Sonne scheint, und Nacht, wenn dies nicht der Fall ist, das hindert aber nicht, dass uns das alles in der weitläufigsten Weise beigebracht wird. An Klarheit gewinnt dadurch das Werk natürlich nicht, im Gegentheil, durch die vielen Worte werden wir mitunter in eine veritable Nacht hineingeredet. Wir werden dadurch natür- lich noch mehr skeptisch, denn wir denken uns, wo es viele Worte gibt, da müsse es auch recht viel Inhalt geben, und wenn wir ihn nicht immer finden, werden wir ganz entmuthigt.

Das Bedürfniss nach einer neuen Ausgabe der Savina kniga wurde schon recht lebhaft empfunden. Sreznevskij's Ausgabe genügt nicht mehr, ist auch schon selten geworden. Damals waren andere Ansichten bezüglich der Heraus- gabe von sprachlichen Denkmälern massgebend, und wie weit diese Ausgabe von unseren Anforderungen in dieser Hinsicht steht, zeigten leider nur zu deutlich die von Jagic vorgenommenen Correcturen (Archiv V, S. 580 ff.). Es war daher ein glücklicher Gedanke, den H. Scepkin fasste, eine neue, kritische Ausgabe dieses Denkmals in Angriff zu nehmen. Von diesem Plane wusste man schon lange und wartete mit Ungeduld auf die neue Ausgabe. Leider wird uns auch jetzt das Wichtigste, der Text noch nicht geboten, sondern offenbar nur eine Art Einleitung dazu. In der Vorrede erzählt uns zwar der Verfasser, dass beide Arbeiten, die Einleitung und der Text, gleichzeitig in Angriff genommen wurden, wann aber das Denkmal selbst erscheinen wird, darüber äussert er sich nirgends. Da der Text für uns eben das WerthvoUste und Wichtigste ist, so wollen wir hoffen, dass sich auch mit demselben Herr Scepkin bald einstellen wird.

Schon beim ersten flüchtigen Durchblättern des Buches sehen wir, dass H.Scepkin mit grossem Fleiss das Denkmal studirt, analysirt und jenes Mate- rial zusammengetragen hat, welches seiner Ansicht nach irgend welches sprach- liche Interesse bieten könnte. Freilich handelt es sich hier nur um einige Punkte der aksl. Grammatik, die hierbei in Betracht kommen, eine umfassende Wür- digung des Denkmals in sprachlicher Hinsicht wird uns nicht geboten.

Es wird zuerst das Denkmal beschrieben und seine paläographischen Eigenthümlichkeiten besprochen (S. 1 71), dann wird das grösste Interesse einigen Punkten der Lautlehre in Bezug auf unser Denkmal zugewendet (S. 72 300), wobei vielleicht Einiges, was hier behandelt wird, schon in der ersten Partie zur Sprache hätte kommen können. Hierauf folgen Ergän- zungen und Berichtigungen (S. 301 308) und schliesslich ausführliche Indices (S. 308—349).

^cepkin's Savina kniga, angez. von Vondräk. 249

Man wird hier gleich lebhaft bedauern müssen, dass der Wortvorrath oder das lexicalische Material des Denkmals nicht zur Sprache kommt, denn gerade dieses weist uns so manche interessante Eigenthiimlichkeiten auf, die wir nur hier finden, wenn wir bei den älteren Evangelientexteu bleiben. Das sollte um so mehr besprochen werden, als ja mit diesen Eigenthiimlichkeiten auch die Frage zusammenhängt, wo das Denkmal entstanden ist, was ja auf gewisse lautliche Merkmale Bezug haben kann. Oder will der Autor vielleicht noch in einer weiteren Arbeit darauf zurückkommen? Auf S. 96 sagt zwar der Verfasser, in einem Capital weiter unten werde die Redaction des Denk- mals behandelt, aber ein solches Capitel enthält die vorliegende Arbeit nicht. Will also der Verfasser noch eine weitere Arbeit folgen lassen, so hätte er es doch in der Vorrede erwähnen können. In derselben ist Vieles, was besser ungedruckt bliebe, aber das, was hier stehen sollte, nämlich der ganze Plan der Ausgabe, das ist hier leider nicht enthalten. Man sollte heutzutage doch nicht mehr so unpraktisch und unbeholfen sein. Es handelt sich hier um eine wichtige Frage, welcher der Herausgeber dieses Denkmals nicht aus dem Wege gehen sollte. Es scheint nämlich dieses Denkmal irgendwo in der Nähe der slovakisch-russischen Sprachgrenze entstanden zu sein. Ich habe einst geradezu an russisches Gebiet gedacht. Neben dem Umstände, dass das Denkmal in Russland selbst gefunden wurde (was ja schliesslich unter Um- ständen nicht von Belang sein müsste), kommt noch in Betracht, dass in der 3. Pers. Praes. das -Tb verhältnissmässig häufig vorkommt. Herr ^cepkin gibt selbst an, dass in 14 Fällen mit -Th, 5 mal das h. zu Tk. corrigirt wurde (S.234, vgl. noch S. 308), woraus noch nicht hervorgeht, der Abschreiber hätte hier nur "K gekannt, denn diese Correcturen können ebensogut der Einfluss der Vorlage sein. Wie wäre sonst das -Tk in die Vorlage eines Denkmals gekommen, das ja den Unterschied zwischen 1*. und k ziemlich wahrt. Sonst auch handelt es sich in den anderen Denkmälern bezüglich des k in diesen Formen nur um sporadische Fälle. Ich habe ferner auf den vereinzelten Aus- druck KT». rOCnOA^ Luc. 10. 34 statt KT», roCTHHHi;;?^ der anderen Denkmäler hingewiesen (Altslov. Studien S. 70 71), ein Ausdruck, der wohl die Nähe des slovakischen oder kleinrussischen Sprachgebietes verrathen könnte. Oblak rechnete hierher noch das Wort npa^H'KH'k aanQÖg Matth. 12. 33 (bei Sreznevskij S. 19, in seinem VKasaTCiL ist Matth. XII, 30—37 irr- thümlicher Weise ganz übersehen worden, als ob diese Stelle in der Sav. kn. gar nicht enthalten wäre). In dieser Bedeutung ist der Ausdruck von allen Evangelientexten auf die Sav. kn. beschränkt, die ältesten Evangelien ge- brauchen dafür nur STvAO, das russ. Mstsl. u. Dobryl. rUHA'k (Arch. XV, S. 356).

Die Frage, welche Stellung der Text der Sav. kn. hinsichtlich seiner Re- daction zu den anderen Evangelientexten einnimmt, wollen wir hier offen lassen, da ja der Verfasser möglicher Weise in einer weiteren Arbeit doch noch darauf zu sprechen kommt. Hier liegen auch schon mehrere Vorarbei- ten vor.

Die minutiöse Beschreibung des Denkmals in paläographischer Hinsicht verdient alle Anerkennung und bereichert in einigen Punkten unser Wissen

250 Kritischer Anzeiger.

von diesem Denkmale; so namentlich hinsichtlich des Gebrauches der ver- schiedenen Zeichen für den Nasal A. Dabei hätten aber doch auch einige Momente, die von Belang sind, berücksichtigt werden sollen. Das was uns beim ersten Blick auffällt, ist die schräge Schrift des Denkmals. Nun ist es bekannt, dass zu jener Zeit, als wohl die cyrillische Schrift auf Grundlage der griechischen liturgischen Schrift entstand, diese gerade einen schrägen Charakter hatte. Es entsteht nun hier die wichtige Frage, war die anfängliche slavische Cyrillica auch schräg und wenn ja, was auch ohne weiteres zu- gegeben werden kann , repräsentirt uns die Schrift der Sav. kn. in diesem Falle noch den alten Ductus? Das ist doch eine Frage, die ein Slavist hier unmöglich übersehen sollte. H. Scepkin hat hier Diamanten in der Hand ge- habt, er hat sie aber nicht erkannt und hat sie weggeworfen, als ob sie blosse Kohlenstücke wären. Es darf nicht übersehen werden, dass die Cyrillica der Sav. kn. sonst auch einen alterthümlichen Charakter aufweist. Ich möchte hier nur auf einen Umstand hinweisen. Ich habe darauf aufmerksam gemacht, dass das Ul in der ältesten Phase der Glagolica (Kiev. Blätter, Zogr.) ent- sprechend wohl seinem Ursprünge nur den halben und zwar oberen Zeilen- raum ausfüllte, später erst den ganzen, in welcher Gestalt es eben in die cy- rillische Schrift aufgenommen worden wäre. Es scheint nun, dass es schon in einem Uebergangsstadium in diese aufgenommen worden ist und diese ältere Gestalt ist vielleicht in der Sav. kn. ab und zu noch vorhanden. Wenn wir auf dem 1. Facsimile (S. 50) Z. 15 im Worte CAlüLUaB'k ein derartiges lU finden, so kommt es nicht in Betracht, da ja die anderen Buchstaben in der Umgebung (der zweite Bestandtheil des TsJ, dann B und Tv^ dieselbe Lage haben. Eher kann vielleicht das UJ in B'kSBpaiy'KUJE (letzte Zeile) in Betracht kommen, insbesondere aber auf dem 2. Facsimile Z. 15 16 in Bb3HEHaBH/l,'KliJ/{\. Um zu einem sicheren Resultate in dieser Hinsicht zu gelangen, müsste man eine grössere Partie der Handschrift untersuchen. Den Schreiber scheint nicht die Furcht dazu bestimmt zu haben, dass ein Zer- fliessen der Tinte stattfände, wenn er den Querbalken des direct in die Linie setzte.

H. Scepkin glaubt den Beweis erbringen zu können, dass die Sav. kn. die directe Abschrift eines glag. Originals sei (S. 57 69). Darauf scheint er viele Stücke zu halten, denn in der Einleitung hat er es als die erste seiner drei Thesen hingestellt (S. I). Freilich glaubte er auch hinzufügen zu müssen, daraus gehe ja nicht hervor, dass die glagolitische Schrift älter sei als die cyrillische. Diese reservatio mentalis, diese Scheu vor dem Zugeständnisse eines höheren Alters der Glagolica ist bei einem Russen zwar begreiflich, aber heutzutage auch nicht mehr so einfach zu entschuldigen. Würden sich die Russen dadurch etwas in der wissenschaftlichen Welt vergeben? Mit nichten! Wozu also das eitle Geflunker mit solchen Verwahrungen! Es ist nun richtig, die ältesten cyrillischen Denkmäler weisen gewisse Spuren auf, die ihre Abhängigkeit von glagolitischen Originalen verrathen (man denke an c st. 16, an 'k st. a u. s. w.), aber dass die Sav. kn. direct von einem glag. Original abgeschrieben worden wäre, das müsste doch mit Gründen, die mehr einleuchtend wären, nachgewiesen werden. Es ist ja von vornherein möglich,

f^cepkin's Savina kniga, angez. von Vondräk. 251

aber zu beweisen ist es nicht so leicht. Der Verfasser spricht zwar etwa von 30 Thatsachen, die dafür sprechen sollen, aber am meisten sind für ihn ge- wisse Fälle entscheidend, in denen C aus I corrigirt zu sein scheint (S. 67), was auf eine Verwechselung des glag. g mit t (S. 59) zurückzuführen wäre. Leider ist auf den beigegebenen Facsimilen kein solcher Fall vorhanden. Aber man entscheidet sich doch nicht so leicht für die Annahme einer solchen Verwechselung. Es ist wahr, die Abschreiber haben sich so manches zu Schulden kommen lassen, aber wir müssen doch Bedenken haben, ihnen auch dieses zuzumuthen. Sie haben ja nicht Buchstaben, sondern Wörter, Sätze abgeschrieben, und da ist es nicht recht glaublich, dass sie solche Fehler ge- macht hätten. Uebrigens finde ich, dass der Schreiber unseres Denkmals das C häufig ohne besondere Rundung schrieb (also etwa wie auch das (), so z. B. im Worte COKOI* Facs. 1 (S. 50), Z. 13, noch deutlicher in der nächsten Zeile im Worte CfMC»f, vgl. auch nOC'kAaß'kUJdrO Facs. II (104), Z. 7. Auf ähnliche Typen, die vielleicht der Deutlichkeit wegen vom Schreiber im letz- ten Momente noch etwas modificirt wurden, sind vielleicht jene von ^cepkin hervorgehobenen Fälle zurückzuführen, denn es ist mir nicht recht wahr- scheinlich, dass der Abschreiber z.B. statt HC KOpaKA'k irrthümlich Hl KO- paBA'b gelesen und geschrieben hätte. Das alles schliesst natürlich nicht die Möglichkeit aus, dass die Sav. kn. wirklich von einem glagolitischen Original abgeschrieben wurde, aber um es mit Entschiedenheit behaupten zu können, müsste man dafür doch andere Beweise vorbringen.

Sorgfältig wurde das Material zusammengestellt, welches die hier be- handelten Partien der Lautlehre betrifft. Doch entschied sich nicht immer der Verfasser dafür, auch eine Erklärung zu geben. So ersehen wir aus der Zusammenstellung auf S. 72 73, dass im Zogr. und Mar. nC>M'feH;^TH praevalirt, in der Sav.kn. ist es ausschliesslich, im Assem. kommt es dagegen nur einmal vor. Eine Erklärung dieser Formen wird nicht versucht, wenn auch zugegeben werden muss, dass sie nicht so leicht ist. Man hat es hier offenbar hinsichtlich des Stammvocals mit Beeinflussungen seitens anderer Formen zu thun. Wir würden zu MbH'tTH ein *po-mi.n^ti aus *pomi.n-nati erwarten, womit hinsichtlich des Stammvocals z. B. CKh(T)H;^TH zu Cßk- T'feTH zu vergleichen wäre. Nun schwebte offenbar wegen MliHliTH hier noch der Stamm -nihn- vor, so dass leicht ein secundäres *pomi.n-n^ti ent- stehen konnte, das zur Zeit der Entstehung der Nasale ein nOM/ÄH;^TH ergeben musste. Diese Form muss nun, obzwar sie in einzelnen aksl. Denk- mälern nur vereinzelt vorkommt, doch urslavisch gewesen sein, wie uns auch das Silthöhm. poma7nUi zeigt (Psalt. Klem.: ac zapomanu). Eine weitere Be- einflussung konnte auch seitens der Form -jnen- z.B. in nO-M'tH'K, M'Shhth stattfinden und so tauchte schon frühzeitig daneben auch ein no-Mli- h;rth auf.

Sonst enthält die über die Nasale handelnde Partie, die jedenfalls zu den besseren des Buches gehört, so manches Detail, das uns interessirt. Es muss vor allem hervorgehoben werden, dass in der Sav. kn. nur zwei sichere Fälle des Nasalwechsels constatirt werden können: CTOIAllJT/Ä st. -UJT;^ Matth. 24. 15 und m. st. Mv Matth. 13. 15. Den lautlichen Wandel des A in

252 Kritischer Anzeiger.

;r namentlich nach lU, JK, H, dann aber auch nach C, 3, UJT, ^K^, CT, 3^

erklärt H. Scepkin durch die Labialisation des A, die in verschiedenen Dialekten verschieden war und in unserem Falle zu ^ führte. Wie wir sehen werden, zieht der Verfasser sonst auch mit Erfolg die Labialisation zur Er- klärung so mancher lautlicher Vorgänge, deren Reflexe wir in den aksl. Denk- mälern beobachten können, herbei. Man wendet ihr überhaupt in neuerer Zeit eine grössere Aufmerksamkeit zu und es ist sicher, dass sie in den mo- dernen slavischen Sprachen und Dialekten eine grosse Rolle spielt.

Beachtenswerth ist der Versuch ^cepkin's, das in der Sav. kn. 52 mal vorkommende Zeichen a einfach als eine graphische Nuance des A-Zeichens zu erklären ;S. 85), zumal es nur in einer bestimmten Partie der Hs. vorkomme (hauptsächlich Bl. 85—86 und 97 104). Man hätte das bei A leicht vorkom- mende Zerfliessen der Tinte vermeiden wollen. Doch kann er nicht umhin, dahinter auch eine lautliche Nuancirung zu suchen, indem er an das in einigen glagolitischen Denkmälern vorkommende modificirte e-Zeichen im Nom. Sg. m. des Part, praes. aufmerksam macht. H. Scepkin kann sich selbst nicht entscheiden, welcher Möglichkeit er den Vorzug zusprechen sollte. Wenn wir die genau verzeichneten Fälle mit diesem Zeichen prüfen, können wir uns weder für die eine noch für die andere Annahme ohne weiteres ent- scheiden : i tak zle i tak nie dobrze. Um das Zerfliessen des Zeichens zu vermeiden, brauchte man ja einfach nur eine breitere Basis demselben zu geben und in der That findet man auf dem beigegebenen zweiten Facsimile, wo A und 1 vorkommen, dass beim ersteren in der Regel die Basis viel breiter ist. Man müsste also genau alle Fälle des a untersuchen und zu constatiren trachten, dass eine Verbreiterung der Basis infolge von Raummangel nicht recht möglich war. Dann erst könnte man mit grösserer Wahrscheinlichkeit die Hypothese aufstellen. Es ist weiter zu berücksichtigen, dass a auch z.B. im Supr. in der Geltung des f (auch im Psalter von Sluck), während A hier als j( figurirt (in den Blättern von Chilandar hat es die Geltung des Jp, das cyr.-mac. Blatt kennt es als f undjV). Letzteres Zeichen kommt übrigens auch in der Sav. kn. vor. Dieses Schwanken, diese verschiedenen Varietäten für r (undjV) erkläre ich mir einfach aus der gleich anfänglich ungenauen Redac- tion des cyrillischen Alphabetes in dieser Hinsicht, noch mehr aber aus der Abhängigkeit desselben von der glagolitischen Schrift. Bei der Adaptirung des entsprechenden glag. Buchstaben erhielt man hier ein Zeichen, das an das andere glag. Zeichen A erinnerte und daher offenbar das Nebeneinander die- ser Zeichen, theils mit einiger Modification, theils ohne dieselbe.

Mehr als ein Drittel, ja nahezu die Hälfte des ganzen Buches (S.94 235 oder eigentlich 257) wird den beiden Halbvocalen gewidmet. Es wird hier zunächst ihre Vocalisation behandelt (der üebergang des 1^ in o und des h. in e), ihr Ausfall, der Umlaut des '•» zu k vor weichen Silben und des k in t^ vor harten, das Verhältniss das 1%. zu 'Kl und k zu i in bestimmten Wort- categorien.

Bei der Besprechung der Vocalisation der Halbvocale könnte doch näher auf die Bedingungen eingegangen werden, unter welchen sie stattfindet. Ea genügt nicht, darauf hinzuweisen, sie wären dieselben wie im Russischen.

Scepkin's Savina kniga, angez. von Vondräk. 253

Man hat angenommen, dass die Silbe, in welcher die Vocalisation eintritt, durch den Ausfall des Halbvocals der nächsten Silbe zuerst geschlossen sein mu3Ste(Tli-Mk-HH-i;a, woraus TlkM-HH-l|,a und schliesslich TfM-HH-H,a). Allein das ist offenbar nur die äussere Erscheinung, nicht aber ihr Grund. Der Grund ist offenbar der, dass auch in einem gesprochenen Worte sozusagen die Energie erhalten wird, d. h. geht eine Silbe verloren, so tritt sie ihre Quantität, ihre Zeitdauer an die vorhergehende ab. Erst diese secundären Längen der Halbvocale führten in gewissen Dialekten zu ihrer Vocalisation, oder wo letztere nicht eintrat, behaupteten sich die Halbvocale als solche und zwar selbst auch in der Schrift. Auf ähnliche Weise suchte bekanntlich Streitberg die Dehnung gewisser Silben zu erklären, wodurch er jenes grosse Gesetz, dass nichts spurlos untergeht, was einmal ins Dasein getreten ist, auch im Leben der Sprache bestätigt fand. Ich würde noch weiter gehen und würde damit auch die Thatsache in Zusammenhang bringen, dass in den slav. Sprachen im Auslaute am leichtesten kurzes i abfallen kann, weil eben im Slav. zu seiner Aussprache, wenn es nicht betont ist, offenbar die geringste Energie nothwendig ist. Dann kommt das e, worin mit dem Slav. auch das Deutsche übereinstimmt, Aehnlich hat es sich auch wohl mit denHalbvocalen verhalten. Ihr Ausfall wird überaus ausführlich hier besprochen und alle diesbezüglichen Fälle zusammengestellt (S. 113 1.50).

Hübsch finde ich den Versuch, den Uebergang des k in 'K nach lil, JK, H etc. lautphysiologisch zu erklären (S. 156—157). H. Scepkin geht von der Thatsache aus, dass bei der Aussprache des s und z sich häufig eine Labiali- sation geltend machte, die entweder in der Rundung oder Vorstülpung der Lippen besteht (Sievers, GrundzUge*, S. 122), was leicht zu einem Tv führen konnte, da ja auch bei diesem Laute die Lippen offenbar thätig waren.

Was die Formen CMT»., EM'KliJt (leMT^, leMTvllit) u. s. w. neben HMli, HM'Kliie anbelangt, so haben sie nichts mit einem etwaigen Ueber- gang des h. in e 'Jh in je] zu thun (S. 156). Auszugehen hat man von B'k3bM'K, BTvSkM'KUie, paB^Mli u.ähnl., das fast in allen slav. Dialekten zu B'kSCM'K, B'kSfM'KLLlf führen konnte und offenbar auch in einer bulg. Dialektgruppe dazu geführt hat. Darnach wurde dann wohl auch HM1\ zu (MT»., beziehungsweise unter dem Einflüsse von hÄTH, hÄCTv etc. zu (CMTv umgewandelt. Analog haben wir es auch im Altböhm.: )em,jemse nach vzem, vzemse. Man kann nicht in solchen Fällen von einem /?> [Jbm] ausgehen, denn das musste jedenfalls schon in den allerersten Anfängen des Slavischen zu i [im) werden. Ich finde es daher einigermassen bedenklich, wenn z. B. Gebauer in seiner Historickä mluvnice jaz. c. damit überall operirt. Wenn wir jh oderjö ansetzen,- so ist es überhaupt nur ein Nothbehelf, der sich auf die ersten Anfänge des Slav. bezieht. Es ist daher nicht zulässig, in KpaH etc. vollends noch eine phonetische Gruppe j5 zu suchen (S. 159). Ueberhaupt lässt die Partie über die Halbvocale mitunter sehr viel an Klarheit zu wün- schen übrig. Desgleichen auch das, was uns über das l und r-sonans vorge- tragen wird. Dass bei der Fixirung des bestimmten bulgarischen Dialektes zur Schriftsprache bei ursprünglichem H-ort und *tbrt, dann *Hlt und *tblt unterschieden wurde, darauf habe ich hingewiesen (0 mluve Jana ex. b. S.25

254 Kritischer Anzeiger.

bis 26) . Dort habe ich auch die Gründe angegeben, die dafür sprechen. Frei- lich meinte ich damals, man hätte es in den daraus entstandenen trxt-, tltt- und trtt-, tltt-Grnppen mit reducirten Halbvocaleu zu thun, echte Halbvocale könnten es nicht sein, denn sonst müssten wir in bestimmten Denkmälern z. B. ein *previ. neben nphBl^ finden, wie wir hier ein KpeCTT^ neben KpkCTTk haben. Allein ich glaube nun, es liegt näher und klingt deutlicher, wenn man annimmt, durch Tpi^T, TpkT, TAIvT, TALT ist einfach ein bestimmtes Timbre des r und l ausgedrückt worden: bei h, ri klingt die Li- quida dumpf, bei h, n dagegen hell.

Eine Erklärung der in diesem Denkmal verhältnissmässig doch häufig vorkommenden Personalendung -TL gibt uns der Autor nicht (S.234 u. 308); die Phonetik, die ihm sonst so vortreffliche Dienste geleistet hat, scheint ihn hier im Stiche gelassen zu haben. Auch ruft er hier nicht die *OHeTHiecKifl ycjiOBiH, die c;ia6o- und cujibho Hppan;ioHajii>Hwe 3ByKii, die sByKU nojiHaro o6pa- 30BaHia und wie das alles sonst noch heissen mag, zu Hilfe, obgleich diese üniversalmittel hier sonst eine bedeutende Rolle spielen. Wenn der Verfasser meint, dass die in 5 Fällen von Seiten des Schreibers vorgenommenen Cor- recturen des k zu iv dafür sprechen, dass ihm die Formen auf -TT^ eigen- thümlich waren (S. 234), so wird uns diese Logik wohl nicht leicht begreiflich. Es ist ja doch nicht ausgeschlossen, dass sich der Schreiber auf Grundlage seines Dialektes verschrieb und dann erst auf Grund des Originals die Cor- recturen vorgenommen habe. Haben wir denn nicht sonst auch ähnliche Fälle ? Allein bei H. ^cepkin ist es zu einer These geworden, dass alles, was Correc- turen aufweise, im Sinne des Dialektes, welchen der letzte Schreiber sprach, in letzter Hand corrigirt wurde. Daher sagt er auf S. I in der These Nr. 2 : . . . npH geMt HHceut npu cnucbiBaHLH BHpaata.!ix cboh posHoä rosop'i ex TaKow)

CMijrOCTLH) II TO^HOCTBH), KaKt HH OÄIIHT. H3t nHCUOBTi OCiaJILHBIXX CTapOCJaBflH-

CKHxt naMKTHHKOBT). Uebcrhaupt müssen wir H. Scepkin um das reine, unver- dorbene Gemüth, um seinen kindlichen Idealismus, mit welchem er sich an das Studium der Sav. kn. machte, beneiden, denn nur wenn man mit diesen vortreflflichen Eigenschaften ausgerüstet ist, kann man zu Resultaten kom- men, wie sie auf S. V kurz angeführt werden, wo es z. B. heisst: Sthmi ny- TQWh MH OTKptiBacMX, . . . ^To niicem. CaBBHHOM KHiirn He o^Jid.A&Ji'h JiHTepaTyp- HLiMH HÄeaMH, ÄaiomHMH TOTT. HjH flpyroü Bsrji/ia'B Ha opnrHHaJTt, He saaaBajiCfl

COBepiüCHHO BOnpOCaMB HStIKa, ÖBIJI'i .IHineHT. Ha^HiaHHOCTH, HO BSaMiHX Toro

oöjiaÄaJCB npcKpacHBiMt HenocpeACTBeHHBiMt gyrteMt h et piÄKOö CMijocTBio ii yAa^eii BBipaaca.i'B sByKH CBoero poÄHoro roBopa . . . u. s. w. Wir, die wir nicht dieses »npcKpacHoe senocpeÄCTBeHHoe ^yiBe« und nicht mehr diese philologische Arglosigkeit haben, sind allerdings etwas skeptisch und fragen unbescheiden, woher weiss denn das alles H. Scepkin? Bisher sagte man, dass vornehmlich die deutschen Gelehrten das Gras wachsen hören. Nun ist eine Zeit nahe, wo sie übertrumpft werden.

Auch dagegen, was über das zusammengesetzte Adjectiv hinsichtlich des Tvl angeführt wird (S. 244— 253), wäre so manches einzuwenden, doch will ich hier nicht näher darauf eingehen, da ich an einer anderen Stelle darüber ausführlicher handle. Dafür muss H. ^cepkin unseren Beifall finden, wenn

Ljapunov über I. Novgorod. Chronik, angez. von Jagid. 255

er auch annimmt, dass das sog. /-epentheticum in dem Dialekte der beiden Slavenapostel die Regel bildete [und wohl auch in einer älteren Phase des Bulgarischen überhaupt) und dass dasselbe erst allmählich unter dem Ein- flüsse der lebenden Dialekte, die dasselbe aufgaben, schwand. Dass es vor allem vor & und i geschwunden wäre, wird auch durch das aus der Sav. kn. beigebrachte Material nicht bewiesen: 3fMH ist wohl anders zu beurtheilen, KOpaBk ist ein Lehnwort, es bleibt nur OCTaKKlua, gegen OCTaKAb ,3 mal, OCTaKAkllJf auch 3 mal, KpIvHAHH 2 mal.

Wenn wir uns auch so manches in dem Buche des H. Scepkin besser wünschen würden, so müssen wir doch die mühevolle Arbeit und den seltenen Fleiss, mit welchem er uns hier das wirklich brauchbare Material gesammelt hat, anerkennen. Der wirklichen positiven Resultate, zu denen er hier ge- langt zu sein glaubt, gibt es viele, aber wir können sie nicht alle acceptiren. Ein Weniger wäre hier wirklich ein Mehr gewesen und hätte mehr genützt. Namentlich müssen wir ihm aber sehr dankbar sein für die beiden Facsimile, aus denen wir ersehen, welche hohe Bedeutung die Hs. in paläographischer Hinsicht hat und wie nothwendig es sein wird, selbe in vielfacher Hinsicht noch genauer zu untersuchen. W. Vondräk.

Zscji^AOBanie o üatiKi I-oä HOBropo;i;cKOH jr^ToimcH. TpyAt M. ./lany- HOBa. CIIeTepöypr'L 1899. 8». VII. 289.

So lautet der allgemeine Titel dieser ausführlichen Monographie, die eigentlich der allseitigen Erforschung der altrussischen Sprache eines hervor- ragenden Denkmals, der sogenannten ersten Novgoroder Chronik, gewidmet ist. In der Wirklichkeit liegt vor uns erst der Anfang des Anfangs, den der Verfasser selbst so bezeichnet: Heftl. Einleitung, TheilI(dieCapitelI IV): Skizzen aus der Geschichte der irrationalen Vocale in der russischen Sprache. Wir haben somit zunächst nur mit den vier der Geschichte der beiden Vocale x, t, die der Verfasser nach dem Vorgang Fortunatov's »irrationale« Vocale nennt, gewidmeten Capiteln zu thun und auch in diesen Capiteln entschliesst sich der Verfasser nicht, eine systematische Geschichte der betreffenden Vo- cale im Altrussischen zu liefern, sondern begnügt sich mit den »Skizzen« (oqepKH). Diese »Skizzen« umfassen dennoch c. 255 Seiten Grossoctavformats! Man kann schon nach diesen äusseren Merkmalen beurtheilen, wie ausführlich der Verfasser seinen Gegenstand behandelt. Diese Ausführlichkeit kommt vor allem dem Denkmal selbst zugute. Denn sehr oft werden alle einzelnen in Betracht kommenden Fälle angegeben oder die Zahl derselben ziffermässig bestimmt, so dass man wirklich ein möglichst vollständiges Inventar der Ge- brauchsweise einzelner Fälle vor sich hat. Die Genauigkeit geht so weit, dass selbst die verschiedenen Hände man unterscheidet drei auseinanderge- halten werden, was allerdings auch unerlässlich war wegen der im Einzelnen beobachteten Verschiedenheiten. Ein anderer Grund der Ausführlichkeit liegt darin, dass der Verfasser zur Beleuchtung der Thatsachen seines Denkmals

256 Kritischer Anzeiger.

Parallelen nicht nur aus verschiedenen Quellen heranzog, sondern selbst über das Russische hinaus aus anderen slavischen Sprachen Belege und Belehrung schöpfte. Dadurch gestaltet sich seine Monographie zu einer mit allerlei Ex- cursen in das Gebiet der slavischen Grammatik versehenen sprachwissen- schaftlichen Untersuchung. Beim Mangel an einem so nothwendig gewesenen Index verborum bleibt freilich dieses abseits liegende Material in dieser Schrift so gut wie vergraben. Der Verfasser vergass zu bedenken, dass man heutzutage bei immer höher gestellten Anforderungen an das Lesevermögen selbst der Specialisten die Aufgabe, die goldenen Körnchen herauszufinden, nach Möglichkeit erleichtern soll.

Während ich die vollständige Aufzählung aller einzelnen Fälle, die ge- wissenhafte Auseinanderhaltung derselben, nicht hoch genug anschlagen kann, muss ich auch die bei den Erklärungsversuchen beobachtete Vorsicht des Verfassers sehr loben. Die ganze Darstellung macht auf mich den Ein- druck eines gut geschulten, umsichtigen und scharfsinnigen Forschers, der von der in neuerer Zeit häufig genug wahrzunehmenden Virtuosität sich mög- lichst frei hält, mögen auch gewisse Gesichtspunkte ihm durch den Einfluss sei- nes Bildungsganges eingegeben worden sein. So z. B. mache ich nicht den Verfasser dafür verantwortlich, dass er seine Studien gerade mit den »irratio- nalen« Vocalen begann, während es natürlicher gewesen wäre, mit der Dar- stellung solcher Laute zu beginnen, wo der alt- und neurussische Vocalismus keinen so durchgreifenden Unterschied an den Tag legt. Diese Ueber- schätzung der Wichtigkeit der Vocale t und b als etwas ganz Absonderliches gibt sich schon in der Benennung »irrational« kund. Mir ist der Ausdruck nicht besonders sympathisch, weil er nicht viel besagt. Alle Laute einer Sprache sind für die betreffende Sprache gleich real und daher auch gleich rational, alle müssen, soweit man ihnen nur akustisch beikommen kann, auch physiologisch genau bestimmbar sein. Worin besteht also das »Irrationale«? Doch wohl nicht in den Lauten an und für sich, sondern in gewissen zufälligen Umständen, z. B. betreffs der Vocale -h, t darin, dass diese Zeichen im Laufe der Zeit, durch den Uebergang derselben aus einer Sprache in die andere, ja durch die innere Lautentwickelung innerhalb der einen und derselben Sprache, verschiedene Lautwerthe ausdrücken mussten. Irrational sind also nicht die verschiedenen Lautwerthe, soweit wir sie für bestimmte Zeitepochen oder Dialecte erfassen können, sondern höchstens die Zeichen 'b-b wegen ihrer sehr mannichfaltigen graphischen Verwerthung. In diesem Sinne müsste man aber auch das altkirchenslavische i, das altpolnische ^ irrational nennen. Nicht so versteht allerdings das »Irrationale« Herr Ljapunov, er spricht von der »Irrationalität« als Ursache (?) der Undeutlichkeit des Lautes in akusti- scher Beziehung (S. 35). Ich glaube aber an diese akustische Undeutlichkeit a priori nicht. Für das Gehör desjenigen, der in der slavischen Graphik und -8, oder -b und b, fixirte, müssen zwei akustisch doch deutlich auseinauder- gehaltene Laute vorhanden gewesen sein. Und die Geschichte der russischen oder polnischen Sprache mit Rücksicht auf ihre Reflexe für i>, b führt zu der ähnlichen Voraussetzung, wobei ich freilich die physiologische Identität eines uraltkirchenslavischen, urrussischen und urpolnischen t oder b nicht

Ljapunov über I. Novgorod. Chronik, angez. von Jagiö. 257

behaupten will; weit von einander werden sie jedoch nicht gewesen sein. Wenn diese Sätze richtig sind, dann fragt es sich, was bildet bei der Erforschung eines altrussischen Denkmals in dieser Hinsicht (d. h. bezüglich -h und b) die Hauptschwierigkeit? Ich glaube diese nicht in der Schwierigkeit einer ge- nauen Bestimmung der physiologischen Grenze zwischen o und t, zwischen e-H und B erblicken zu müssen obwolil auch das seine Schwierigkeiten hat , sondern in der Schwierigkeit der Auseinanderhaltung der Fälle, wo und wann die Schreiber i. und b auf Grund der wirklich altrussischen Aus- sprache und wo oder wann nur auf Grund deraltkirchenslavischen literarischen Ueberlieferung geschrieben haben. Leider finde ich diese Schwierigkeit in der Darstellung des Verfassers nicht genug stark betont, obwohl er hie und da von dem Einfluss des Kirchenslavischen spricht. Das genügt mir aber nicht. Ich glaube, selbst in echt russischen Wörtern oder Wortformen kann mitunter i. (etwas seltener wohl b) einen »literarischen Aufputz« vorstellen, der nicht von der realen Aussprache aufgenöthigt wurde. Man weicht, ich weiss es, dieser Annahme gern aus, weil sie wie ein Kobold unsere Schluss- folgerungen stört , unsere mühevollen Combinationen über den Haufen zu werfen droht. Und doch muss man auch mit diesem Factor rechnen. Wenn z. B. nach Ljapunov im 1. Theil der Synodalhandschrift immer mhofo (also ohne "b) geschrieben wird, ebenso immer sjo-bjih (S. 37), so ist damit für be- stimmte Lautgruppen in bestimmten Wortstellungen der volle lautliche Schwund des i. erwiesen. Nun müsste consequent auch die Schreibung BHoyKT. (ohne "b nach b) erwartet werden. In der That schrieb die zweite Hand des Synodalcodex in der Majorität der Fälle BHoyKi., die erste Hand aber im- mer BxuoyKi. (S. 36). Soll man nun glauben, dass der Unterschied zwischen B-BHoyKT) der ersten und BHoyK-B der zweiten Hand des Synodalcodex auf einer lautlich verschiedenen Aussprache beruhte? Der Verfasser spricht sich nicht deutlich aus, ich glaube in diesem Falle an einen lautlichen Unterschied nicht, zumal derselbe 1. Theil des Codex auch äb^, käb, rnaxH, sBaiH, cnaTii ohne -B schreibt. Hier sieht man also die Macht der literarischen, oder wenn man will graphischen Tradition. Wie schwierig es ist, hinter den verschie- denen Schreibungen der wirklichen Aussprache auf den Grund zu kommen, zeigt z. B. das Wort Ä-BniTn. In dem 1. Theil wurde das Wort geschrieben: ÄtUH, ÄtiepB, im 2. Theil: at^cpB, a-Biepu, atuepB, im 3. Theil: äiu, Ä^epB (S. 45). Herr Ljapunov sträubt sich gegen die Annahme, dass die letzt an- geführten Formen wirklich so, wie sie geschrieben sind, ohne -b, auch in der Aussprache gelautet haben. Für die echte russische Volkssprache mag er recht haben, allein was hindert uns anzunehmen, dass das eine literarische, aus den kirchenslavischen Vorlagen weiter entwickelte Form war, neben wel- cher echte volksthümliche Formen mit einem Vocal zwischen ä und ^ bestan- den? Oder nehmen wir einen anderen Fall. Im dritten Theil des Synodal- codex wird -B in allen silbenhaften Stellungen meist durch o ersetzt (S. 44;, dagegen findet man «-BHcaeMB, a'B3c;ieBe (S. 46). Der Verfasser sträubt sich gegen die Annahme, -b sei hier ein Residuum der alten Orthographie dieses Wortes mit t. statt mit o, und da er wegen vieler o für t. für den Schreiber der dritten Hand ein »ganz silbenhaftes -b« nicht annehmen möchte (S. 47), so

Archiv für slavische Philologie. XXn. 17

258 Kritischer Anzeiger.

kommt er auf den Gedanken, in diesem Falle dem Zeichen x die Eigenschaft eines »halbsilbigen« Lautes zuzuschreiben. Ich gestehe, diese »Halbsilbig- keit« von der »Vollsilbigkeit« nicht gut auseinanderhalten zu können. Mir erscheint natürlicher die Auslegung, dass hier zwar ein orthographisches Residuum verblieb, in der wirklichen Aussprache aber weder ein »ganz Silbenhaftes« noch ein »halbsilbiges« x, sondern das übliche o gehört wurde. Denn bis zum polnischen dzdza, dzdzyc, dzdzawy hat es das Eussische, wie es allen Anschein hat, auch in alter Zeit nicht gebracht. Auch die Erklärung der Form aiBXKa, als würde der Grund für t in dem vorausgehenden b liegen (S. 49), erscheint mir etwas künstlich. Herr Ljapunov möchte in diesem -h ein «irrationales halbsilbiges bi« erblicken! Wo sind Beweise dafür? Jedenfalls würde ich ÄiBi-Ka von ÄaBxme, was die Orthographie anbelangt, trennen; die letzte Form gehört in die besondere Kategorie der Participialformen, wo das etwas zähere Festhalten an i. auch so erklärt werden kann, dass den Schrei- bern bei Äantme, eMxme u. s. w. die Formen aasi., eMX vorschwebten , sie schrieben nur noch ein nie hinzu.

Die Behandlung des L-Lautes und seines noch äusserst seltenen Ersatzes durch e in dem ersten und zweiten Theil der S3modalhandschrift, alles reichlich belegt mit Beispielen , gibt dem Verfasser Anlass, einen Excurs über Me^iB einzuschalten (S. 65 71), wo die einzelnen Phasen dieser Frage, ob MB^B neben mc^b, ob ivietiB älter, sehr gründlich behandelt werden. Ich möchte aber .ibbx nicht auf gleiche Linie stellen mit MeqB und nicht von der Grundform jcex neben jibbt. reden. Mit Recht bezweifelt Ljapunov selbst in *der Anmerkung 5 auf S. 71 die oben im Text gemachte Annahme. Sehr aus- führlich wird die auffallend häufig begegnende Form bcb [statt bbcb) be- sprochen (BGB im ersten Theil 8 mal, S. 60 ; im zweiten Theil 12 mal, S.61 ; im dritten Theil 17 mal, S. 72). Herr Ljapunov möchte sich nicht mit der am nächsten liegenden Erklärung, dass ech eine Abstraction aus den Casus ob- liqui Bcero, Bcoioy sei (also ob : cero = bcb : Bcero)^ einverstanden erklären bei dieser Erklärung würde allerdings auch ich mehr an eine literarische, als in Wirklichkeit so gesprochene Form denken , sondern gelangt lieber zu der Voraussetzung, »dass hier in einer bestimmten Epoche in einigen Mund- arten beide b mit gleicher Kraft gehört wurden, d. h. beide silbig oder halb- silbig waren, aber unter bestimmten Umständen (in Abhängigkeit von um- gebenden Worten) bald die erste, bald die zweite Silbe oder Halbsilbe das üebergewicht bekam, die in solchem Falle zur vollständigen Silbe wurde, während die andere dem Schwund entgegenging«. Man wird diese Erklärung nicht gerade als ein Muster der Deutlichkeit hinstellen können. Ich bleibe dabei, dass bcb auch dann, wenn es wirklich im Nominativ ohne Vocal zwi- schen 9 und c, also wie vsh (vergl. ob = sh) gesprochen wurde, doch diese Aus- sprache den Casus obliqui (Bcero, bcca, Bceiioy) verdankte. Was Herr Ljapu- nov bei dieser Gelegenheit über die Form bbxx sagt, klingt sehr schön, wenn es nur wahr wäre. Allein von einem bbxx sollte man doch keine Form Bxe erwarten, vielmehr bxo, oder gleich Eine. Bis nicht weitere Belege, als die zwei vereinsamt stehenden Beispiele, Bxe und Bxoy, nachgewiesen werden, halte ich die ganze Form blxi, (= lit. visas] für eine gelehrte Illusion, die selbst

Ljapunov über I. Novgorod. Chronik, angez. von Jagid. 259

in den Formen bbcu (aus Btxt ? wie Tami von lanx), Btcixi. (wie lauixi.) u. a. w. keine ausreichende Stütze findet. Denn wenn BBcixt, BBciMi. wirklich auf *vbchech%, *vbchetm beruhte, so' würden wir für den Accus. plur.*BLX'H, ebenso für Nom. acc. plur. fem. *bbx'h erwarten, u. s. w. Ein neuer Excurs ist hier dem Worte ujibm-b gewidmet (S. 77 79).

Sehr eingehend werden die Fälle des t in den Suffixsilben -bk-, -bu-, -BCK-, -BCTB-, -BU- behandelt, wobei ich nur denselben Factor, den ich schon oben hervorhob, zu wenig in Betracht gezogen finde, ich meine die Kraft der literarischen Tradition, der zuliebe man z. B. schrieb BiHBUA, niiMBue (S. 92), ohne dass es desswegen nothwendig wäre, von einem V2 bis Vs Silben-Inter- vall zwischen n oder m und c zu sprechen. Die Beispiele HOBtropoiwuii, pocxo- BHUu können diesen Intervall keineswegs veranschaulichen (S. 93), da hier doch nur durch den allerüblichsten Schreibfehler der nachfolgende Vocal u anticipirt wurde. Selbstverständlich wird man gerne dem Verfasser beistim- men, wenn er in den Beispielen, wie mbptbbua, dem Vocal b eine ganz andere lautliche Bodöutung beimisst und mit Hinweis auf die Belege des ersten Theils der Handschrift, wo nnceuB, cKoneqB, uBpaeuB, qBpHeuBCTBO geschrieben ist (S. 93), auch in den Schreibungen AiraHBUB, kohbub, coyKÄajiBUB u. s. w. für die Aussprache einen wo nicht mit e ganz gleichen, so doch diesem sehr nahen Vocal ansetzt. Allein das ganz vereinzelte HOBropoauB (das der Verfasser selbst nachträglich als einen möglichen Schreibfehler hinstellt S. 96) möchte ich doch nicht mit den oben erwähnten zahlreichen bcb auf gleiche Linie stellen; auch die für bcb hier nachträglich (S. 93) in Vorschlag gebrachte Aussprache y^'CB kann ich mir nicht aneignen. Wenn Herr Ljapunov die Volksthümlichkeit der Participialform ciBopme durch das irgendwo im Gou- vernement Simbirsk gesprochene ne aoxoriii vertheidigt, sa halte ich diese Stütze für schwach ; Äoxorqu (statt «oxoshih) ist nichts als eine neue Analogie- bildung nach Äorao;iqH (für Äomojmu), keineswegs aus «oxcacÄBiun oder soxo^cbhih ableitbar. Die Härte in ciBopine wird wohl so zu erklären sein wie in cxapiuifi, napcKiii, KOHCKiä.

Die Schicksale des b in verschiedenen Stellungen brachten den Verfasser auch dazu, die Fälle zusammenzustellen, wo b als eine Schwächung des wurzel- haften e angenommen werden muss (S. 107 118), ich möchte nur nicht von »zwei Gestalten der Wurzel« sprechen, weil es 1) überhaupt misslich ist, von einer Gestalt der Wurzel zu sprechen, da uns die Wörter in verschiedenen concreten Einzelformen und nicht als Wurzeln zugänglich sind, und 2) weil die Beispiele noacroma, noacBace, hbuu u. s. w. diese geschwächte Form gewiss nicht der Wurzel, sondern der besonderen Stellung im Worte als tonlose Silben in unmittelbarer Nähe der betonten zu verdanken haben, wie das Herr Ljapunov selbst des weiteren ausführt.

Damit ist das erste Capitel des Buches von -b und b im Allgemeinen ab- gethan. Im zweiten werden die verhältnissmässig seltenen Fälle einer Ver- tretung des -H durch -b, des u durch b behandelt, wobei der Verfasser stark aus dem Rahmen seiner eigentlichen Aufgabe herausfällt, da hier mehr allge- mein russische als speciell in seinem Denkmal enthaltene Erscheinungen zur Sprache kommen. Das geschieht mit einer Ausführlichkeit und Breitspurig-

17*

260 Ejritischer Anzeiger.

keit, die selbst zu dem schon genug ausführlichen ersten Capitel in keinem Verhältniss steht. So z. B. dem Worte ctphb und seinen Ableitungen ctp'hhb (Miklosich schrieb im Wörterbuch cip-Hunt), cTp'HHa widmet diese Schrift volle zehn Seiten und noch mehr (S. 121—130, S. 132—133, S. 151), um vor allem die Frage über das Suffix der Wortform CTp-aut zu lösen. Herr Ljapu- nov möchte in stric [stryc] das Suffix -ic, das wir in kbnßc sehen, wiederfinden, womit ich mich nicht einverstanden erklären kann. Das Suffix -ic dient aus- schliesslich der Deminution, das Suffix -mL aber häufig genug der Neubelebung alter, kurzer Stämme, wobei an die ursprüngliche Deminution (so lange die ältere kürzere und die längere jüngere Form des Wortes nebeneinander leb- ten) später nicht mehr gedacht wird. So entstand otbul zu*OTt, ujac zu oyfi, OBtua zu *0Bi. u. s. w. In gleicher Weise ist auch aus crp-HÖ entstanden cxp-HHut (d. h. CTp-HJmi.), zusammengezogen zu cipram.. Die berechtigte Ein- wendung Ljapunov's (S. 124), dass man statt strlc im Serbokroat. *s^rj;ac, auch cech. *stryjec statt stryc erwarten sollte, möchte ich so beseitigen, dass ich die ganze Wortbildung für uralt halte, aus einer Zeit herrührend, in wel- cher aus cxp'HJBm. eben nur cTpianni, = cipTHui. hervorgehen konnte. Die slo- venische Form strijec (schwach beglaubigt) ist wohl nur eine neue Analogie- bildung zu ujec [vujec). Natürlich erkläre ich auch cipuHa aus cip'HJLHa, wie o^rfina aus oyfi. Nun haben aber diese ausführlich behandelten Formen des Wortes (cipimt, cTptina) keine Beziehung zu der in Frage stehenden Erschei- nung. Nur von ctp'hh können in den Casus obliqui der Novgoroder Chronik die Formen cxp-tta, ciptA, cipteMB neben ctphcmi. nachgewiesen werden, in der etwas später geschriebenen Laurentiuschronik steht schon o für t: crpoH, Ipat. auch CTpocBH. Da hier unzweifelhaft von der Kürzung des ■h in % die Rede sein kann, so wird mit Recht auch die in der Novgoroder Chronik nach- weisbare Form Rptiame (statt KpuHrae) herangezogen und das ganze heutige grossrussische Präsens KpoemB, MoeraB (zu kpbitb, mbitb) mitbehandelt. Ja auch die Nominativendung der Adjectiva auf-ofi (betont xyaofi, aber auch unbetont aöopoii) gehört hierher. Diesen Uebergang nun aus -h zu t (selbst- verständlich imter ganz bestimmten Umständen) oder umgekehrt aus -b zu -h (denn ctpt.h und cip'HM ist das gerade Gegentheil von aoöprau und Äoöp-Bu) will Herr Ljapunov durch ein «irrationales« bi vermitteln (S. 134). Die Be- nennung rührt nicht von ihm her, sondern, wenn ich mich nicht irre, von §acb- matov (S. 137). Man versteht darunter ein vor dem mit i anlautenden vollen betonten Vocal stehendes, gekürztes -b. , welches dann leicht in t. übergeht ; der Rückfall der Betonung auf i. macht es dann zu o, daher mök>, MÖeinB, MÖCT-B, aus dem einstigen Mxib, m-bcihb, ji-ien. (diese Formen werden als noch heute dialectisch nachweisbar erwähnt auf S. 152), und dieses aus mhio, M'HemB, amei-B. Ich weiss allerdings nicht, ob ich damit auch nur annähernd die Gedanken Ljapunov's richtig wiedergebe, aber in dieser Fassung wäre mir die Sache verständlich. Zu meinem Bedauern muss ich bekennen, dass ich der Auseinandersetzung Ljapunov's auf S. 135 154 kaum im Stande bin zu folgen, so alles in einem und durcheinander wird da behandelt: i. (resp. o^ aus -H (durch Vermittelung ■h) in möio, Kpöio (auch Myio kommt zur Sprache S. 153), -BÜ (resp. ofi) neben -hu in Adjectiven, ku statt kh, e statt t. im Aus-

Ljapunov über I. Novgorofl. Chrouik, angoz. von Jagic. 261

laute, u. s. \v. Weniger dunkel ist die Behandlung der zweiten Hälfte dieses Themas, d. h. die Besprechung der Fälle, wo h zu i. werden kann (S. 154 ff.). Auch hier gestaltet sich die Frage, ob kojbko neben kojiiko nur als Kürzung des H zu B aufzufassen oder ob zwei Bildungsarten anzunehmen sind (-jilko nnd -ÄUKo), zu einem ausführlichen, für die grosse Belesenheit des Verfassers in den slavischen Sprachen glänzend zeugenden Excurs (S. 155 161). Mich freut es, dass der Verfasser endlich und letztlich doch zu dem einzig ver- nünftigen Schluss gelangt, dass ko.ii.ko durch Kürzung des u zu t aus kojuko ' hervorgehen konnte und musste. Ein zweiter Excurs gilt der Erklärung des Zahlwortes kjuht, und des zu diesem in einem besonderen Verhältniss stehenden gekürzten Formen KÄ^na, w.'i'Horo (S. 165 178), wo ich gleichfalls mich kurze Zeit freute, mit Herrn Ljapunov in voller Uebereinstimmung zu sein, d. h. ich glaubte, dass er mit Recht nach allseitiger Betrachtung des Thatbestandes durch alle slavischen Sprachen der richtigen Erkenntniss Ausdruck gegeben habe, dass Formen vfie Jedan, Jeden, Jedt/n Neubildungen seien, aus dem Casus obliqui Jedn- erschlossen. Leider dauerte diese meine Freude nicht lange. Im Nachtrag auf S. 286/7 zieht Ljapunov seine bessere frühere Ueberzeugung zurück, weil ihm die aus der Rüstkammer der ver- gleichenden Grammatik hergeholten Argumente Fortunatov's die Angst ein- jagten, in KHiirn, das hht. zu suchen, oder besser gesagt, er wagt jetzt nicht mehr, in hht. ein volles u, das dem litauischen ie (wienas) entspricht, zu suchen. Ich bleibe beim alten Glauben und eigne mir die von Ljapunov im Stiche gelassene Erklärung an. Dass Herr Ljapunov äomobb für Kürzung aus äomobh zu halten noch immer den Muth hat (S. 182), nachdem viel »gelehrtere« Er- klärungen vorliegen, dafür würde ich ihm Dank sagen, wenn er selbst nicht infolge einer gewissen Unentschlossenheit bereit wäre, doch auch vor der »Locativform« die Waffen zu strecken. Auch das, was er über die 2. Pers. sing, auf -niu äussert, klingt sehr vernünftig (S. 183 185). Endlich will ich auf die sehr ins Einzelne eingehende Besprechung der Formen aut -nie und daneben auf -tre aufmerksam machen (S. 189 207).

Im dritten Capitel, das die gegenseitigen Uebergänge zwischen x und b behandelt, trägt der Verfasser eine Lehre vor von der angeblichen Annähe- rung einerseits des b zu i. (im Bulgarischen), andererseits des -b zu b (im Serbischen). Diese Lehre lehnt sich zum Theil an die Combinationen äcep- kiu's (bezüglich der neubulgar. Dialecte) an. Alles das könnte wohl viel ein- facher dahin erklärt werden, dass im Bulgarischen der Unterschied zwischen dem einstigen i, und b viel länger in seinen Folgen fortdauerte, als im Serbi- schen, wo schon sehr früh beide Vocale -b und b in einen »irrationalen« zu- sammenfielen. Wodurch sich aber in den nordwestlichen slavischen Dialecten (Polnisch, Böhmisch) x an b näherte (S. 211), ist nicht leicht zu verstehen, wenn der Verfasser nicht die Aussprache beider Ersatzlaute für x-b, d. h. e und *e im Sinne hat, gegenüber dem russischen o-*e. Ich bezweifle jedoch, dass das polnische sen eine Anlehnung oder Annäherung an dzien wäre. Da die Formen 1. Pers. plur. auf -Me und auf -mo, nicht auf -mx beruhen, wie Herr Ljapunov es richtig einsieht, so war eigentlich davon unter -b-b zu reden kein Anlass. Ich ergreife die Gelegenheit, um wegen der auf S. 217 gemachten

262 Kritischer Anzeiger.

Bemerkung, die sich auf meine Kpai. SaM^xKH S. 95 96 Anm. bezieht, zu er- klären, dass ich das Bedenken, südruss.-Mo mit dem serbokroat. -mo zu iden- tificiren, schon längst aufgegeben habe. Hübsch ist dem Verfasser gelungen die Behandlung der Endung -mb (Instr. und Loc. sing.) und ihr gegenüber -Mt (S. 219 233), wobei er mit Recht auf den lautphysiologischen Charakter des Consonanten ?n grosses Gewicht legt. Die dabei zur Sprache gebrachten Einzelheiten, namentlich unter welchen Umständen länger ein auslautendes wj sich halten kann, zeugen von der feinen Beobachtungsgabe, die sich an verschiedenen Stellen dieser Forschung bewährte. Wenn auf S. 234 die 3. Person auf -tl für eine urslavische Doublette der Endung -iTb erklärt wird, so hätte ich nichts dagegen, aber endlich und letzlich muss doch diese Dou- blette auf ein Prius und ein Posterius hinauslaufen. Ist -ti, das Prius und -xt das Posterius, so drängt sich wieder die Frage auf, wie ist dieses aus jenem hervorgegangen? Es sei noch erwähnt, dass hier das Wort KCTxöa mit reichen Belegen ausgestattet zur Besprechung gelangt (S. 236—238), leider ist es dem Verfasser ebensowenig, wie Miklosich oder sonst Jemanden gelungen', das prosthetische i zu erklären, vorausgesetzt dass das slavische Wort auf stuba beruht. Ich dachte zuletzt daran, ob man nicht durch das vorgesetzte i einen volksetymologischen Sinn in das Wort hineinlegen wollte, so dass man Hcxiöa, gleichsam aus Hcxoniöä hervorgegangen, an ucxonnxB anlehnte ?

Das letzte Capitel behandelt die Formeln t-olt, Urt-twt. In der Einlei- tung wird eine ganze Geschichte unserer Irrungen betreffs dieser Erscheinung zum besten gegeben. Ich weiss nicht, ob der Verfasser glaubt, dass wir mit der letzten Formel Urt-thrt schon alles erreicht haben. Ueberschätzt er nicht den Vorzug dieser Formel vor der früheren Hrt, thrf! Ich gab ja selbst die grössere Präcision der Formel Hrt-tbi-t zu (Archiv XX, S. 49), insofern man damit eine besondere Function der Liquida ausdrücken wollte. Allein die Sonderstellung bezieht sich in dieser Formel nicht nur auf die Liquida, son- dern auch auf den Vocal 1.-1. vor der Liquida. Man müsste eigentlich Hrt-thrt als urslavische Formel schreiben, um dadurch anzugeben, dass dieses •?. & in den meisten südslavischen (und auch in cechoslovakischen) Dialecten doch etwas anderes ist, als das übliche i. b. Denn aus Urt oder thrt wurde in den letztgenannten Sprachen trt, in der russischen aber und polnischen Sprache wurde daraus das übliche Urt-Urt, weiter tort-tert. Doch allen derartigen Bezeichnungen lege ich kein grosses Gewicht bei, zumal wir für das l ganz andere Formeln aufstellen müssten, als für r, und selbst bei thrt ist schon fürs Urpolnische eigentlich tirt, gleich der litauischen Formel, anzusetzen. Auch mit der Betonung müht man sich dabei ab, ohne bisher viel erzielt zu haben. Wichtiger ist auf alle Fälle die gewissenhafte Zusammenstellung des That- bestandes durch alle drei Theile der Handschrift, wobei schon wieder sich die Ueberzeugung aufdrängt, dass man selbst das Geschriebene nicht immer als genauen, präcisen Ausdruck des Gesprochenen gelten lassen kann. Die vom Verfasser auf S. 272 gemachten Schlussfolgerungen aus dem vorausge- schickten geschriebenen Vorrath beweisen die Wahrheit meiner Behauptung. Das Ganze lautet unbestimmt und schwankend. Herr Ljapunov hat nicht genug Muth, um dem Geschriebenen nicht immer zu glauben, soweit es sich

Maretic, serbokroat. Grammatik, angez. von Jagic. 263

um den wirklich gesprochenen realen Hintergrund handelt. Die geschriebe- nen Formen Mi>.n.BUTu, T^p■I.^'B, aBpi./Ka oder Mi.pt3HoyTii, Mtp-BTsa, Ätpi-sHoy imponiren ihm zu stark ; da er aber weder mojobutu noch loporx oder sepeacaTH u. s.w. nachweisen kann, und da er noch weniger ein MeposHoyxw, McpoTBa u. s. w. irgendwo finden oder auch nur zugeben kann, so flüchtet er zu der nichts be- sagenden Annahme der Möglichkeit, in jenem zweiten geschriebenen Vocal den Ausdruck »eines gemeinrussischen nichtsilbigen Lautes« zu erblicken! Ich will ihn in dieser Glaubensseligkeit nicht stören, bedauere aber, selbst seinen Glauben nicht theilen zu können.

Ich hoflfe, dass der Leser dieses Berichtes über die Monographie Ljapu- nov's ein richtiges Urtheil sich bilden wird. Aus den im Ganzen mehr loben- den als tadelnden Aeusserungen wird man leicht entnehmen, dass diese Schrift, wie so häufig die Erstlingsdissertationen der Gelehrten, an einer ge- wissen Ueberschwänglichkeit leidet, deren Beseitigung dem Werke selbst entschieden zum Vortheil gereichen würde. In der Beweisführung nimmt man neben der lobenswerthen Vorsicht, mit welcher einzelne Fälle oder Gruppen auseinandergehalten werden, doch auch ein gewisses Schwanken wahr, hervorgehend aus dem Wunsche, Allen recht zu thun. Alles das sind leicht überwindliche Schwächen, die durch das reiche Wissen und die liebe- volle Vertiefung in den Gegenstand reichlich aufgewogen werden. V. J.

Gramatika i stilistika hrvatskoga ili srpskoga knjizevnog jezika

(Die Grammatik und Stilistik der kroatischen oder serbischen

Literatursprache). Napisao Dr. T. Maretic 1899 (Kugli i Deutsch) .

Zagreb. 8«. VI. 700.

Die Grammatik einer modernen Literatursprache (welcher immer) zu schreiben ist keine leichte, zum Theil selbst keine angenehme Aufgabe. Viele Bedenken, allerlei ungelöste Fragen tauchen plötzlich auf, auf die man nicht gefasst war, selbst abgesehen von einer gewissen Zwangslage, in die man durch die Macht der Verhältnisse versetzt wird, wo es sich darum handelt, das Moderne, Literaturgemässe, ohne grosse Rücksicht auf den Process der geschichtlichen Entwickelung, zu rechtfertigen. Jede Literatursprache ist mehr oder weniger ein Resultat verschiedenartiger Compromisse, selbst das minder Richtige, wenn es durch den allgemeinen Brauch sanctionirt ist, muss in Schutz genommen werden nach dem für die Literatursprache massgebenden Grundsatz : Usus tyrannus. Da die Ziele der Literatursprache sich nicht immer innerhalb der Grenzen der wissenschaftlichen Forschung bewegen, geschieht es sehr oft, dass die nächsten Fachmänner nur ungern sich auf die Abfassung der den practischen Zwecken dienenden Hand- und Lehrbücher einlassen ; sie ziehen vor, solche Aufgaben den Pädagogen oder Compilatoren zu überlassen, die es verstehen, entlastet von der tieferen Einsicht in den ge- schichtlichen Verlauf der betreffenden Sprache, auf das nächste practische Ziel mit mehr oder weniger Geschick loszusteuern. Auch für die Grammatik

264 Kritischer Anzeiger.

der serbokroatischen Literatursprache gilt diese Regel. Die Mehrzahl der seit den ersten Decennien des XIX. Jahrh. abgefassten Lehrbücher dieser Sprache rührt von Pädagogen oder Dilettanten her. Das vorliegende grosse Werk gehört zu den in der Minorität stehenden Ausnahmen, es hat einen in der grammatischen Literatur durch ausgezeichnete Forschungen bekannten Gelehrten zum Verfasser und reiht sich in die nicht sehr grosse Anzahl von solchen Leistungen, wie die grammatischen Werke von Vuk, Daniciö, Budmani, Novakoviö. An äusserem Umfang übertrifft das Buch Maretic's seine Vor- gänger um ein beträchtliches. Budmani's Grammatik umfasst 250, jene Novakovic's in der letzten Auflage 512, die vorliegende Maretiö's dagegen volle TOO Seiten eines bedeutend grösseren Formates. Das kommt nicht so sehr davon her, dass Maretid den üblichen vier Theilen der Grammatik (d. h. der Phonetik, Morphologie, Wortbildungslehre und Syntax) noch einen An- hang über die Stilistik beigab der Anhang ist kurz, umfasst ca. 50 Seiten wesentlich sticht sein Werk von jenen seiner Vorgänger durch die Verschie- denheit in der Behandlung des Gegenstandes ab. Budmani oder Novakoviö beschränkten sich auf die objective Analyse des Gegenstandes nach den be- treffenden Gesichtspunkten, Maretid begnügt sich damit nicht, er raisonnirt über den Thatbestand, commentirt die Thatsachen. Durch sein Raisonnement will er offenbar bei dem Leser seines Werkes es ist nicht so sehr die studi- rende Jugend, als das grosse intelligente Publicum gemeint den Lehrer ersetzen ; möglicher Weise wollte er auch der sonst üblichen Trockenheit der grammatischen Lehrbücher entgegenarbeiten. In wie weit dieser Versuch ihm gelang, das wird der Erfolg lehren. Nach meinem, vielleicht nicht ganz objectiven Dafürhalten müsste das Buch Maretiö's jeden intelligenten Leser, selbst wenn er weit über die Studienjahre hinaus ist, noch immer anziehen, sofern er über seine schöne Muttersprache, mag er sie kroatisch oder serbisch nennen, die seit dem Schulunterricht einigermassen verblassten theoretischen Kenntnisse erneuern oder neu beleben will. Wenn das Werk in diesem Sinne Anklang findet, dann wird auch die nicht leichte Aufgabe und nicht geringe Mühe des Verfassers reichlich belohnt werden. Man sollte aber auch glauben, dass in den modernen Zeiten der Spraehenkämpfe , die jedem Volk, mag es noch so klein sein und die Kroaten und Serben würden , wenn sie geistig einig wären, wie sie sprachlich einheitlich sind, nicht zu den kleinsten Völ- kern Europas zählen seine Sprache um so theuerer machen, je heftiger sie von den mächtigeren Nachbarsprachen bedroht wird dass, sag' ich, in sol- chen Zeiten eine sehr dankbare Rolle derjenige übernimmt, der seinem Volk, der Intelligenz desselben, über den richtigen Gebrauch der Muttersprache, dieses Trägers des gesammten geistigen Lebens, eine möglichst gründliche Belehrung zu ertheilen sich anheischig macht.

Es ist zwar geschichtlich erwiesen , dass die Perioden einer intensiven grammatischen Behandlung der Sprache und ihrer mächtigsten Entfaltung in der Literatur nicht immer zusammenfallen , doch wäre es unrichtig, aus dem Auftauchen einer ausführlichen Grammatik der modernen serbokroatischen Literatursprache auf die Decadence der letzteren schliessen zu wollen. In diesem Sinne darf im gegebenen Falle die Bedürfnissfrage nicht gestellt

Maretiö, serbokroat. Grammatik, angez. von Jagid. 265

werden. Als unbefangener Beobachter von der Ferne möchte ich im Gegen- theil die Behauptung wagen, dass in der Behandlung der serbokroatischen Literatursprache seit den letzten Decennien des XIX. Jahrhunderts, wo sich die an sie gestellten Aufgaben immer complicirter gestalten, nicht nur keine Decadence, kein gefährlicher Verfall, sondern eher ein erfreulicher Auf- schwung sich bemerkbar macht, namentlich seitdem das ganze Sprachgebiet der serbokroatischen Nationalität an dem geistigen Leben participirt und die literarische Production des Ostens immer mehr gegen Westen, des Westens gegen Osten vordringt und die beiden Strömungen sich allmählich vermischen. Also ich begrüsse das Werk Maretic's , nicht im Sinne eines nothwendig ge- wordenen Heilmittels, um irgend etwas böses fern zu halten, sondern als eine aus dem Grundzuge der modernen Zeit, die über alles Belehrung haben will, sich ergebende erfreuliche Erscheinung. Wenn man populäre Bücher über die Naturwissenschaften, über Physik und Astronomie, Chemie und Elektro- technik u. s. w. schreibt, sollte es nicht an der Zeit sein auch einmal über alle Eigenschaften der Sprache, deren man sich täglich im öffentlichen und Privatleben bedient, für deren Unterricht man in der Schule sorgt, für die man die höchsten wissenschaftlichen Institute errichtet, für deren Erweite- rung der Rechte man in Parlamenten kämpft ein allgemein fassliches Be- lehrungsbuch dem weitesten Leserkreis anzubieten?

So fasse ich die Aufgabe des Buches auf, über das ich nun einige Worte sagen will. Es würde mich sehr freuen, wenn ich mich darin in Ueberein- stimmung mit dem Verfasser des Werkes wüsste. Er sagt es in der Vorrede nicht ausdrücklich, aber schon daraus, dass er einen Auszug aus diesem grossen Werke für die Schulzwecke (für die Mittelclassen) veranstaltete, er- gibt sich von selbst, dass er mit dem grossen Werke in der That auf die Lese- und Belehrungslust des grossen intelligenten Publicums appellirt.

Dass die Kroaten und Serben jetzt schon eine einheitliche Literatur- sprache haben, das dürfte so ziemlich allgemein bekannt sein, obwohl ich erst vor wenigen Jahren einen gewesenen österr. Minister in Gegenwart eines anderen activen Ministers diese dem letzteren bekannt gewesene, dem ersteren aber als etwas unglaubliches vorgekommene Thatsache auseinandersetzen musste. Doch bis vor Kurzem konnte man nur im Grossen und Ganzen von einer serbokroat. Literatursprache reden , eine einheitliche Grammatik, namentlich als Inventar grammatischer Formen, konnte man noch nicht auf- stellen. Im nordwestlichen kroatischen Winkel stand die sogenannte Agra- mer Schule sowohl bezüglich der Orthographie , ganz abgesehen von der Schrift, wie auch einiger grammatischer Formen auf dem conservativen Standpunkt der Wahrung älterer Ueberiieferungen. Erst seit den letzten zehn Jahren haben die stimmführenden Schriftsteller Agrams einen weitereu Schritt nach vorwärts gethan dadurch, dass sie, um der sprachlichen Einheit einen noch sichtlicheren Ausdruck zu geben, auf die etymologische Ortho- graphie zu Gunsten der phonetischen verzichteten und ebenso in der Gram- matik jene älteren Sprachformen aufgaben. Von nun an könnte also die Grammatik in allen ihren Theilen für das ganze Sprachgebiet der Serben und Kroaten ein einheitliches Object der pädagogischen, literarischen und

266 Kritischer Anzeiger.

wissenschaftlichen Behandlung abgeben, wenn nicht diesem nahezu erreich- ten Ideal zwei Kleinigkeiten im Wege wären. Für den altkirchenslavischen Vocal i schreiben die Ostserben (im Königreich, in Syrmien und Südungarn] nach ihrer Localaussprache e, die Südwestserben und Kroaten nach der an- deren Aussprache ije, -je. Bezüglich dieser Divergenz muss der Abfall Bel- grads von dem Ideal Vuk's-Danicic's constatirt werden, ein Abfall der natür- lich dann auch die Karlowitz-Neusatzer Literaten mit sich riss, während bekanntlich einst selbst Branko Radicevic (zu Anfang der fünfziger Jahre, im 2. Bändchen seiner Gedichte) sich dazu verstand , der Idee Vuk's und Danicic's zu huldigen. Jene engherzige Auffassung der Belgrader kann zwar nicht gebilligt werden, allein der Rückfall eines Theils des Serbenthums in seinen Locallaut vermochte der Einheit der Literatursprache keinen nennens- werthen Abbruch zu thun. Mehr muss ich bedauern , dass man bei der Fest- stellung der neuen lateinischen Orthographie statt gj für 1) das Zeichen <f vorzog und dadurch zu dem schon früher in Gebrauch gekommenen gj (z. B. nach Vuk und Danicic bei einigen Dalmatinern und dann in Bosnien) eine überflüssige Doublette schuf. Das war um so weniger nothwendig, da man sich im übrigen von natürlichem Takt leiten Hess und die von Daniciö rein für gelehrte Zwecke fixirten Bezeichnungen 1 71 perhorrescirte.

So steht nun die einheitliche serbokroatische Literatursprache da. Möge man sie nennen im Osten serbisch, im Westen kroatisch, möge man sie schrei- ben mit cyrillischen oder lateinischen Buchstaben, an der Einheit, sollte man glauben, wird man von nun an unter allen Umständen festhalten, so lange auch nur ein Funken des gesunden Menschenverstandes die besseren Geister der Nation erleuchtet. Ich meinerseits möchte allen gegenwärtigen und zu- künftigen Schriftstellern der Kroaten und Serben die Worte Turgenjev's in Erinnerung bringen, der von sich selbst einmal sagte : npeAanHocit uoa naia- jiaMT) BBipaöoTaHHtiMt sana^HOio acusHtio ne noMimajia MHi qyBCTBOBaTB h peBHHBO oöeperaiB lucxoTy pyccKoö piiu. So sollen auch die führenden Geister der Kroaten und Serben vorgehen : hoch halten die Fahne des europäischen Culturfortschritts , dabei aber immer heilig wahren die Reinheit der serbo- kroatischen Sprache !

Wer repräsentirt die Echtheit und Reinheit der modernen serbokroati- schen Literatursprache ? Nach der Auffassung des Verfassers dieses Buches, das eine Normalgrammatik sein will, beschränkt sich das Material, aus wel- chem er schöpfte, auf zwei Namen: Vuk und Danicic. Als Ausgangspunkt der heutigen serbokroatischen Literatursprache mag diese Auswahl einwand- frei sein, obgleich nicht geläugnet werden kann, dass im Westen, bei den Kroaten , die Wurzeln der stokavischen Literatursprache tiefer in die Ver- gangenheit zurückreichen. Doch das Eingreifen Vuks war so mächtig, dass seine literarischen Schöpfungen, von den zahlreichen Publicationen der Volksdichtung und der Volksprosa getragen, bald auch im Westen die Er- rungenschaften und Einflüsse älterer Zeiten zurückdrängten. Ich muss diese Thatsache ausdrücklich hervorheben, weil man sonst bei dem Mangel an gegenseitigem Wohlwollen, das die inneren serbokroatischen Verhältnisse neuester Zeit charakterisirt , aus der Grammatik Maretiö's leicht die Waffe

Maretid, serbokroat. Grararaatik, angez. von J;igiö. 267

schmieden könnte für die schon oft selbst von vernünftigen Menschen wieder- holte grundlose Behauptung, die Kroaten hätten den Serben die Sprache weg- genommen. Richtig ist nur so viel, dass durch Vuk und seine Publicationen der literarische, bei den Kroaten unter verschiedenen Namen (kroatisch, illyrisch, bosnisch, dalmatinisch, slavonisch) circulireude vorvuksche .^tokavismus eine consequentere, nationalere Ausgestaltung bekam. Insofern also ist der Aus- gangspunkt Maretic's, nach meinem Dafürhalten, ganz richtig gewählt. Eine andere Frage ist es jedoch, ob dieser Ausgangspunkt zugleich auch den End- punkt abgeben musste , ob man wirklich die moderne serbokroatische Lite- ratursprache nach dem Sprichwort »spala knjiga na dva slova« behandeln darf P Darüber dürften die Ansichten stark auseinander gehen. Prof. Maretic vergleicht Vuk's Sprache und Stil innerhalb der serbokroatischen Literatur mit der Sprache und dem Stil Cicero's bei den Römern. Damit ist treffend die Auffassung des Verfassers dieser Grammatik gekennzeichnet, er drückte ihr selbst damit den Stempel der Einseitigkeit auf, freilich einer Einseitigkeit, die sich ganz gut anhören und vertragen lässt. Wer wird denn leugnen wollen , dass Vuk und Daniele mustergiltige Koryphäen in der Behandlung der Sprache waren? Da sie beide ausserdem als Theoretiker sich bewäl)rten, deren feines grammatisches Bewusstsein bei allem, was von ihnen niederge- schrieben wurde, den Regulator abgab, so lag für einen modernen »Normal- grammatiker«, und als solcher will ja der Verfasser fungiren, die Concentra- tioü an der Sprache Vuk's und Danicic's am nächsten. Und doch , wer wird es heute behaupten wollen, dass neben Vuk und Danicid Niemand sonst auf das Ehrenamt eines mustergiltigen Schriftstellers der modernen serbo- kroatischen Literatursprache Anspruch erheben darf? Oder wer wird es sagen dürfen , dass durch Vuk und Daniele schon die letzten und höchsten Ziele der modernen Literatursprache erreicht sind, über die man hinaus nicht gehen dürfe? Gewiss haben diese beiden Schriftsteller, als muthige Vor- kämpfer und Fahnenträger, nur den Weg gebahnt, auf welchem unaufhaltsam vorwärts geschritten werden muss, was in der That auch geschieht. Doch bin ich überzeugt, wenn sie lebten und wenn man sie fragen könnte, so wür- den sie selbst es ablehnen als alleinige Autoritäten gelten zu wollen, da sie gewiss nicht von dem Wahne befangen waren, den ganzen Schatz der serbo- kroatischen Sprache, sei es auch nur aus dem Bereich des literarischen sto- Dialectes, in sich aufgenommen zuhaben. Prof. Maretic kann freilich ein- wenden, es stehe hier zunächst nur die grammatische Behandlung der Sprache, nicht ihr Wort- und Phrasenschatz , in Frage. Allein selbst bei dieser be- gründeten Beschränkung seiner Aufgabe kann ich den von ihm eingehaltenen Vorgang nicht billigen. Ich würde nichts dagegen haben, wenn er als seinen Zweck bezeichnet hätte, eine Grammatik der Sprache Vuk's und Danicic's zu schreiben. Das wäre eine ebenso berechtigte specielle Aufgabe, wie es be- rechtigt wäre etwa die Sprache Goethe's und Schiller's oder die Sprache Pus- kin's oder Turgenjevs monographisch zu behandeln. Das Nichtberechtigte liegt nach meiner Ueberzeugung blos darin, dass er diese Sprache zweier Koryphäen gleich veraUgemeinernd zur serbokroatischen Normalsprache er- hoben hat. Das macht einmal keinen guten Eindruck, es wirkt eher deprimi-

268 Kritischer Anzeiger.

rend als aufmunternd. Unwillkürlich fragt man sich : ist denn die Echtheit und Reinheit der serbokroatischen Literatursprache wirklich ein so hoch stehendes, schwer erreichbares Ideal, dass bis jetzt nur zwei Männer ans Ziel gelangten? Dann aber leidet diese Auffassung an innerem Widerspruch. Der Verfasser führt uns zwei Namen als Ideale seiner Normalgrammatik auf. Sind denn aber diese zwei Namen in allen Einzelheiten identisch? Seine eigene Detailana- lyse gibt darauf eine theilweise verneinende Antwort. Was ist also dort zu thun, wo Vuk und Danicic nicht übereinstimmen? Wenn man nicht beiden recht geben will, was bei einer Normalgrammatik möglichst zu vermeiden ist, so bleibt nichts anderes übrig, als nachzufragen, wie sich die Literatursprache in ihren späteren Phasen zu den Gegensätzen Vuk-Danicic verhält, welcher von den beiden Möglichkeiten die späteren tonangebenden Schriftsteller den Vorzug gaben. Wenn z. B. Prof. Maretic bei dem Auseinandergeben Vuk's und Daniciö's in der Behandlung solcher Fremdwörter, wie akcent oder akcenat, dem Vorgang Vuk's , d. h. der Form akcent, den Vorzug gibt, so scheint er mir mit der modernen Strömung der Literatursprache, die ent- schieden akcenat, koncerat, momenat u. s. w. bevorzugt, im Widerspruch zu stehen.

Das Eingehen auf die modernen Phasen der Literatursprache, freilich nicht ohne kritische Sichtung, wäre auch desswegen sehr erwünscht gewesen, weil nur in dieser Weise dem Grammatiker die Gelegenheit geboten worden wäre, auch solche Erscheinungen, die er als Abweichungen von seiner »Norm« ansieht, zur Sprache zu bringen und sich darüber zu äussern. Sind Vuk und Danicic gewissermassen unfehlbar »normal«, berücksichtigt der Verfasser ausschliesslich nur ihre Sprache, wo will er dann das Material hernehmen, um einmal doch auch etwas vorzubringen , was er von seiner Normalgrammatik fern halten möchte? Diesen Dienst müssen Herrn Maretic jetzt die von Vuk herausgegebenen Volkstexte (Lieder, Erzählungen, Sprichwörter) leisten. Würde es aber nicht seinen Zwecken besser entsprechen, wenn er statt der Ueberschreitung seines Programms nach dieser Richtung lieber eine Auswahl unter den im modernen, also sagen wir Vukschen Fahrwasser segelnden Schriftstellern neuerer und neuester Zeit, in den Kanon der mustergiltigen, also »normalen« Schriftsteller aufgenommen hätte? Die Schriftsteller sind mehr oder weniger ausgesprochene Individualitäten, man weiss ihre Abkunft kennt ihre Handhabung der Sprache. Beim Volkslied dagegen, zumal in der Begrenzung auf die von Vuk selbst publicirten Texte, ist die Sache minder gewiss. Es kann etwas dem Vers oder der Silbenzahl zulieb gesagt worden sein, ohne gerade auf den Eigenthümlichkeiten des Dialects zu beruhen. Oder es kann auch bei der Wanderung des Textes aus einer Gegend in die andere mit verschlagen worden sein, ohne den letzten localen Hintergrund abzu- spiegeln u. s. w. Die Volkssprache also, da sie ja ohnehin schon bei Vuk und Danicic, nur kritisch durchgeseiht, zur Anwendung kam , hätte ich entweder gänzlich bei Seite gelassen oder in einem grösseren Umfang verwerthet, dafür aber eine Auswahl von hervorragenden modernen Schriftstellern herange- zogen. Dann wäre auch die Beantwortung der nicht ganz müssigen Frage ermöglicht, inwiefern sich die moderne Literaturöprache wirklich in den Fuss-

Maretiö, serbokroat. Grammatik, angez. von Jagic. 269

stapfen Vuk-Danicic bewegt. Es ist z. B. nicht zu verkennen , dass die nam- haftesten Schriftsteller Syrmiens und Südungarns noch immer sehr gern den alten Localis plur. auf -i{h) gebrauchen , oben so den Instrumentalis auf t, z. B. bei Gjura Jaksic, wo sonst durchgehends die neuen Formen herrschen (wenigstens in der belgrader Ausgabe), fand ich doch, gleichsam aus Vergess- lichkeit : (V, 77) y csaxoBu, (V. 61) uiKpiinehu 3y6u. Nimmt man Branko Ra- dicevic's oder Zmaj Jovanovid's Gedichte zur Hand, da begegnen solche Bei- spiele sehr häufig: no M^iaAu My rpyAH CHJan njaiieH ropii Rad. 1, 11, a Ha BpaTM ouo KO je ib. 14, a.Ji' na Bpam ko je oho? ib. 71, cbo KpBaBH noKpH Kpujiu ib. 20, a OH MaKHy KpH.m ib. 115, ujia,Ae KpBHC äok uo acHJia ib. 35, a ca CBOju CTpaniuH syöii ib. 39, no rpoöoBu ipasa oöujaia ib. 78, a,Ji' y TBOJ H HCÄpii Tyae OKJie CHera äo abc rpyAe ib. 88, ca apy tobh Äa ce upoBCcejH ib. 92, na saHrpa no MpTBann Kao Myaa no o6.!ian;H ib. 104, u no öpsH aJAe KojeKaKO, Ha paBieHH «o ABa KpH.3a Jisma, ib. 113 u. s. w.; selbst als Dativus: aj' Ha cjiaBy lypKOM Jiomy ib. 97. Oder bei Zmaj üeBannja: Kano cyHue HCTOKy Ha BpaTH 29, na no-tyniia KpHJiH ib., oAMapa ce na rpo6oBU ib. 32, Bpoie jieTH Ha KPH.IU CBe öpacu ib. 35, y okobh shojhtu ce ib. 39, a na ihjih' 6p3H' KpH.iu' ib. 40, a Ha yciu' Ka' 0.10B0 ib. 46, no ysAacH' njcoBC rjiacH ib. 60, y l;yjiiihH' Hauin' ib. 69, HCKa cKpanne syou ib. 73 u. s. w. Uebrigens sind bei Zmaj diese Formen nur mehr als poetische Licenz angewendet, sonst schreibt er die modernen Casus auf -ima, -ama. Doch entschlüpfte ihm auch in einer prosaischen Erzählung (S. 489): oner je cTapor oua Eeh Ha nory namao. Vergl. noch in der Uebersetzung von Goethe's Faust von M. Savid (Novi Sad 1885, solche Beispiele: ko' pred pekarski vrati kadje glad S. 8, u mlazevih s' mora pene 15, w mlazevih po njivi zelenoj 45, ti nedrih tebi steze svaki kut 25, na vrati stajah 35, na laki krili lebde kola sad 36 u. s. w. Auch über solche Ge- nitive wie majkt (S. 171) würde eine Umschau in der modernen Literatur- sprache sehr erwünschtes Material liefern. Und so noch über manches andere. Z. B. in § 204 a ist von den Pronominen svatko, svasto u. s. w. die Rede, über den ersten Theil des zusammengesetzten Ausdrucks wird keine Auskunft ge- geben, nur svega cesa und svemu cemu werden als montenegrinisch angeführt. Hätte der Verf. die neueren Schriftsteller herangezogen, so würde er in der EaJiKaHCKa napHua auf S. 56 auch noch den älteren Nominativ gefunden haben : naK heiH c H>nMa Moha cBeuiTo. Ebenso erinnere ich mich nicht, in den Be- merkungen zur Conjugation irgendwo eine Notiz gelesen zu haben, dass man neben (jUdati-gledam auch ein Praesens gledim gern anwendet; Beispiele sind bei Zmaj Jovanovic u. a. sehr zahlreich anzutreffen, man würde etwa unter § 311 b eine Erwähnung davon erwarten. Ferner wurde übergangen eine von manchen Schriftstellern Syrmiens und Südungarns sehr gern angewendete, wenn auch nicht empfehlenswerthe Form metuti (statt jnetnxti), und praes. metem (statt meinem), vergl. bei Zmaj: pyaty mctmo sa KOKapAy, bei Jaksic: MBXHxe ra y anc (IV. 3), mctu na hoc Bpe.iy HHr.i>y (V. 66), no apiHJu yMe- TyTH HpenuHH OA CTaK.ieTa(ib.84), a OHy cxBap Meiy (fürMerny) y jbaho sipaiHO home (ib. 181). Die Berücksichtigung neuerer Schriftsteller hätte dazu ge- führt, anzumerken, dass man neben cvatem auch cvatim, neben drhcem (oder drscem] auch drküm sagen kann, wofür schon im Akad. Wörterbuch Beispiele

270 Kritischer Anzeiger.

vorliegen, vergl. bei Znaaj: >MHCJHin apyra eBo i^BaiH paj« (in »Proletno jutro«) oder bei Jaksic: BHÄejio ce KaKO My csa cnara äpkth (V. 204). Vergl. Gorski Vijenac (1847 Ausg. S. 53): »i sad drktim od njegova straha«. Ein anderes Verbum, das in Gorski Vijenac und sonst begegnet, finde ich bei Maretid nur in der Lautlehre 66 a) erwähnt, später aber in der Conjugation weder unter I. 4 (S. 239—244], noch unter IV (S. 262—267] oder V. 3 (S. 275—277;, noch im Anhang § 308 311 (S. 281 286] zur Sprache gebracht, das ist eine Abart des Verbums uzeöi in der Form uzditi (oder zazditi u. s. w.), vergl. Gorski Vijenac S. 38 : krv uzdenu plamenom gordosdu ; Vrcevid, CpncKe nap. npiin. S. 27 : zazdi svoju kucu, ib. 55: ukresu mu svi . . te mu nazde argilu, ib. 63: kad je bilo vrijeme da uzdi svijece, ne naSe druge svijeöe cim de druge zazditi; Ogledalo srbsko S. 487 : od obraza uzdi dzeferdara, ib. 470 : od stajnicah te podzdili Turci ; IliBaHia von Cubro Öojkovic S. 301 b : svaka uzdi i zgodi Turcina. Als Particip sogar uzdiven (statt uzden) : uzdivena palicica Vre. igre 7. Der von mir gewünschte Gesichtspunkt hätte zur Folge, dass neben »krenuti« auch auf »ry- HyTD« aufmerksam gemacht worden wäre^ die Erwähnung des Infinitivs ryHyxn hätte schon desswegen einigen Werth, weil man ja daneben, vielleicht selbst noch häufiger, zumal im Westen, gutnuti, pogutnuti spricht. Dass man im Akad. Wörterbuch für gunuti kein Beispiel citirt, das kommt von der un- zulänglichen Berücksichtigung der modernen Sprache her. Vergl. bei Jaksic V. 224: a Kas jom ÄBa ipn nyra ryne h3 n-tocKe. Aber auch wirklich »anor- males« würden die Schriftsteller liefern. Z. B. es fällt mir schon auf, dass Prof.Maretid(S. 186) nicht denMuth hat, zu -üb als Accus, neutr.gen. Stellung zu nehmen; die von ihm aus Vuk citirten Beispiele zanj, krozanj werden auf gleiche Linie gestellt mit ga oder )}jega für den Accus, neutr. gen. Dagegen möchte ich die Einwendung machen, dass bei ga, njega nur vom Ersatz der Accusativform durch die Genitivform die Rede ist, das Genus bleibt unan- getastet, da ja ra, aera, gleichmässig für Masculinum und Neutrum gelten. Sagt man dagegen -h, für das Neutrum, so ist der Casus geblieben, aber das Genus ausser Acht gelassen. Ich würde daher die Anwendung der Form -h> für den Accus, sing. gen. neutr. nicht empfehlen. Daniciö hielt sich davon fern. Der geschichtliche Sinn der Form blieb manchen Schriftstellern ver- schlossen, man fasste -h> für Kürzung von aera auf. Darum schrieb Branko ßadicevic auch solche Beispiele: nyua KasicH, Baxpa iisaib cesa (1.94), jasop c' ÄHace, neBaij Hsaa rycie s/ie.ta (1.96), Moace osatt ipHCia 6hth qyaa (1. 157). Ich glaube, solche Beispiele würden als Warnungstafeln in einer Normalgrammatik jedenfalls am Platze sein. Hie und da musste der Verfasser selbst über seine Grenzen hinausgehen, z. B. auf S. 214, wo er sagt: »ja znam za celo da se go- vori takoSer meklji«; oder auf S. 221, wo von der Form dvaju die Rede ist und zum Akad. Wörterbuch Zuflucht genommen wird.

Also im Interesse einer grösseren Mannichfaltigkeit, zur Erzielung stär- kerer Belehrung, hätte ich die Fortsetzung der Sprache bis in die neuesten Zeiten sehr gewünscht. Was die Behandlung des Stoffes im Einzelnen be- trifft, so darf man von einem Werk, das sich an den grossen Leserkreis wendet, nicht immer das Eingehen in die tiefsten sprachwissenschaftlichen Probleme erwarten, rathsamer ist das Verbleiben an der jedem sichtbaren

Maretid, serbokroat. Grammatik, angez. von Jagid. 271

Oberfläche. Allerdings sollte man das Bestreben populär zu sein nicht auf Kosten der Wissenschaftlichkeit geltend machen. Es ist nicht nothwendig in einer populär gehaltenen Grammatik alles zu sagen , doch das was man sagt, soll mit der wissenschaftlichen Einsicht im Einklang stehen. Ich finde, dass Prof. Maretid bei seinen Paradigmen unnöthiger Weise so manches Trennungszeichen anwendet, um die angeblichen Wurzeln von den suffixalen Elementen fernzuhalten. Was hat der Leser z. B. dadurch gewonnen, dass man ihn verleitet im Nominativ sing, zhi-a und Voc. zen-o die Vocale a und 0 von der »Wurzel« zen- zu trennen, oder im Präsens plet-em, kün-em, ton-em, 7ios-tm an die »Wurzeln« ^/e<-, kun-, ton-, nos- zu glauben? Warum wird nos-tm, aber ciiva-m und wiederum vez-em, küpu-ßm getrennt? Wozu war es nothwendig sogar t-oga, t-omu u. s.w. zu trennen? Ist dadurch die Einsicht in das Wesen der Declination gefördert? Durchaus nicht, wohl aber wird der Leser verleitet wissenschaftliche Unwahrheiten sich anzueignen, wenn er dem ominösen Trennungszeichen zu viel Vertrauen schenkt I Ich glaube, man konnte ruhig von dem Genitiv auf -o, auf-?, auf-i sprechen, ohne gerade graphisch die Trennung vorzunehmen. Eben so konnte man von den Verben sprechen, die vor -m oder -ino auf e, i, a auslauten, ohne gerade in wirklich unerlaubter Weise Trennungen graphisch durchzuführen, die keineswegs be- rechtigt sind. Mit dieser überflüssigen Wissenschaftlichkeit in den Tren- nungszeichen steht im Widerspruch die Eintheihmg der Declination nach dem Genus. Schon die alte praktische Grammatik, die nach dem lateinischen Vorbild den Genitiv sing, als den Eintheilungsgrund betrachtete, hielt drei Declinationen, auf -a, auf -e, auf -t, auseinander. Gewiss war eine solche Ein- theilung berechtigter als die von Prof. Maretic durchgeführte; man ist eher geneigt /elen und selo unter eine Declination zu rechnen, alszena und stvar nicht zu trennen! Sonst möchte ich der Reichhaltigkeit der Belege, die gelegent- lich der einzelnen Declinationsformen zusammengestellt sind, jede Anerken- nung zollen. Zur S. 149, wo nach Vuk und Danicid die Form konjima in Ab- rede gestellt wird, citire ich aus »CKyn-beHe njecMc HnKOJie I (Ileiuibe 1894)« auf S.39: Geh Ha Koae ycjeÄome h hhs no.te Hrpy CBOJy na KOibHMa paaarpaiue«. Aus derselben Gedichtsammlung sei noch für die S. 195 als Beweis, dass Montenegriner die Form cesa lieben, folgender Vers (auf S. 53) citirt: »ja HH^eca He öoJHM ce«, oder in Balkanska carica S. 66 oko ^eca? noöjeÄC cy, o ÄHJeTe, csa^eca ycoBHwje 230. Vgl. Gorski Vijenac (1847 Ausg. S. 31): steta de me necesova naci, ib. 86 i zapise necesove gradi (die Form necesov ist bei Petar Petr. Njeg. und Fürst Nikola sehr beliebt).

Bei der Conjugation, die wie es mir scheint bei Maretid nicht so reich- lich mit Beispielen ausgestattet ist, wie die Declination, würde ich namentlich für eine im gänzlichen Aussterben begriffene Form, für das Imperfect, gründ- lichere Durcharbeitung des noch lebenden Volksmaterials wünschen. Der Verfasser fusst, wenn auch nicht ganz, so doch wesentlich auf den Wort- formen Danicic's, also wenn wir sie der Reihe nach aufzählen: pletijah , tre- sijah, grebah (Daniele: grebijah), pecijah, kimijah, cüjah, derah (!) (richtiger Danicid: mrah), tonjah, victah, nosah, cuvah, vezah (Danicid: pisah), brah, sijah (Danicid: kaßh,, so sieht man, dass statt der bei Danicid als Paradigma gel-

272 Kritischer Anzeiger.

tenden Form mrah, hier derah (warum nicht drah?) und statt grehifih die Form grebah vorgezogen wird. Die Begründung liest man auf S. 239, 253 4, doch ohne neue Belege. Da heutzutage das Imperfect hauptsächlich in Monte- negro lebt, so wäre es erwünscht gewesen, möglichst zahlreiche Belege von dort zusammenzutragen; man darf ja doch mit einiger Wahrscheinlich- keit vermuthen, dass die montenegrinischen Schriftsteller die von ihnen ge- brauchten Formen nach dem Sprachgebrauch des Volkes anwenden. Ich lese nun in Gorski Vijenac (1847 Ausg. S. 58j: vozahu po moru brodove (wenn es nicht von vozati herrührt, so müsste es » normal « lauten vozahu ; doch vgl. in Ogledalo srbsko S. 450: te vozahu tope i lumbare), ibid. tu ih Ijetnje ^oryase sunce (das wäre »normal«: gorase], ibid. 68 : oko tebe puske grmijahu (»normal« wäre grmljahui, ibid. 77: da uz cara sjedijase (»normal«: sjedase); in Söepan mali S. 15: kratku pusku na vvike nosase (»normal« wäre nosase], ibid. 20: u carskome domu tucijase (»normal«), ibid. 131 : na ujake Gjuro nalicase (auf- fallend!), ibid. 148: kako zelijase (»normal«: zeljase). Fürst Nikola I schreibt in seinen Gedichten (IIjecMe) S.68: spram ikone sto visase (»normal« wäre visase oder wenigsten visijase), ibid. 75 : tu pod prozor dolazahu (»normal« : dolazahu) ; in Balkanska carica S. 171: sa diana moga hljeba ijase (Maretid führt S. 235 nur Jedah an); in Fjesnik 1 Vila S. 71: sta ka' vatra gorijase, ibid. 124: izobilno zivijase (»normal«: gorase, zivljase). Vergl. in IliBaHifl Cubro Cojkovic's S. 223 b : zli glasovi banu dolazahu (»normal« wäre dolazahu], ib. 147 b : e volijah Fivljanina Baja. Man ist unter solchen Umständen einigermassen in Ver- legenheit , wie heute die wirkliche volksthümliche Imperfectformen lauten. Die »Normalgrammatik« scheint mir diese Frage nicht gelöst zu haben.

Wenn das Ziel der »Normalgrammatik« darin bestehen soll, dass sie bei schwankendem Gebrauch verschiedener Formen einer derselben den Vorzug gibt oder diese wenigstens zum allgemeinen Gebrauch anempfiehlt , so muss ich sagen, dass der Verfasser dieses sonst so inhaltreichen Werkes nicht immer die richtige Entschiedenheit an den Tag legt. Um von anderen Fällen abzu- sehen (man vergl. z.B. wie viele Imperfecte im § 309 d von demVerbum htjeti aufgezählt werden) möchte ich blos die so häufig wiederkehrende Declination der Adjectiva (und einiger Pronomina) hervorheben. Maretic bemerkte richtig 221 225) , dass schon Daniele einer zu häufigen Anwendung der Formen •Ani -ijeh, -ijem in verschiedener Weise aus dem Wege ging, besonders nachy und Palatalen , dann aber auch nach Gutturalen , liebte er , namentlich in seinem grössten Werke, derUebersetzung des Alten Testamentes, die kürzeren Formen -im, -ih, weil er sich dachte, in alter Sprache hätte nach j und Pala- talen kein i und ebenso nach Gutturalen kein i stehen können. Diese weise Mässigung hätte vielleicht den Verfasser der »Normalgrammatik« zu einem weiteren Schritt veranlassen können. Bedenkt man nämlich , dass auch bei der Anwendung des e-Dialectes, in welchem jetzt schon fast die Hälfte des literarischen Lebens sich bewegt, die entsprechenden Formen durchweg auf -im, -ih auslauten und hält man sich als das oberste Priucip die Einheit der Literatursprache vor den Augen, so wäre es, glaube ich, von einem »Normal- grammatiker« nicht zu kühn, wenn er die Regel aufstellte: man sehreibe immer (und nicht bloss nach J, nach Guturalen und Palatalen) die Formen

Maretiö, serbokroat. Grammatik, angez. von Jag'id. 273

-im, -ih und überlasse die Formen auf -ije7n, -ij'eh den Dichtern (in Versen und Prosa). Solche Formen wie mojijeh, mbjijem [% 198) oder cyijeh 201b) hätte ich überhaupt nicht einmal ins Paradigma aufgenommen. Auch mit der En- dung -wie scheint mir der Verfasser etwas zu liberal umgegangen zu sein; ich weiss nicht, was ihn veranlasst haben mag, die Form tome sogar an die Spitze zu stellen, vor tomu als Dativ und vor tom als Local, oder der Form körne vor komu den Vorzug zu geben; eben so gibt er neben möjemu die Form momu gar nicht im Paradigma an, sondern nur mome. Die »Normalgrammatik«, die hauptsächlich auf den Werken Danicid aufgebaut ist, sollte darin, glaube ich, anders verfahren, mehr im Geiste Danicic's und zwar nach seiner reifsten, am feinsten durchdachten Sprache, die in der üebersetzung des Alten Testa- mentes vorliegt.

Ich habe diese Bemerkungen mehr allgemeinen Charakters vorausge- schickt, um meinen zum Theil etwas abweichenden Standpunkt gegenüber der Frage von der modernen serbokroatischen Literatursprache zu präcisiren. Selbstverständlich bleibt dadurch das Fundament dieses schönen und soliden Baues unangetastet. Ich kann mir ganz gut vorstellen, dass nach meiner Auffassung hie und da einige weitere Striche das Gesammtbild etwas leb- hafter gestalten würden, ohne es wesentlich zu modificiren. Ja ich möchte selbst noch weiter gehen und sagen, dass manches hätte vielleicht selbst zum Vortheil der leichteren Uebersichtlichkeit entweder ganz ausbleiben oder durch kleineren Druck in den Hintergrund geschoben werden können, da es sich in der Normalgrammatik nicht um die Aufzählung aller dialectischen Be- sonderheiten der Sto-Sprache handeln kann. Dieses unerwünschte Plus ver- schuldete der Verfasser selbst dadurch, dass er sich nicht auf die eigentliche Sprache der Schriftsteller Vuk und Danicic beschränken wollte, sondern auch einen Theil des von Vuk gesammelten und herausgegebenen Volks- materials in Betracht zog. Es ist, wenn man will, kein geringes Verdienst Maretic's, dass er den nicht unbeträchtlichen Unterschied zwischen der Sprache des von Vuk herausgegebenen volksthümlichen Materials und Vuk's als Schriftstellers, zumal in seinen späteren Phasen, häufig genug in seiner Gram- matik zum Bewusstsein brachte. Ebenso ist es sein Verdienst, dass er ge- legentlich auch andeutete, wo und wie Danicid in der stärkeren Präcision des Begriffes der Literatursprache über Vuk hinausging. Nur vermisse ich gerade in letztem Punkte bei Maretic die Entschlossenheit, sich Danicic anzuschlies- sen ; sein eigenes Beispiel zeigt, dass er zuweilen den nach meinem Dafür- halten besseren Standpunkt Danicic's, den ich gegenüber Vuk als Fortschritt bezeichnen möchte, aufgibt und zu Vuk zurückkehrt. In dieser Hinsicht ist das von ihm entworfene Bild der »normalen Literatursprache« eigentlich doch nicht genug bestimmt. Ich erwähne das nur im Allgemeinen, ohne es ihm zum Vorwurf zu machen; denn die Sache ist nicht so leicht, wie es scheinen könnte. Eher müsste man die Frage aufwerfen, ob der Verfasser auf ver- schiedene Einzelheiten, die durch die Specialforschungen seit Vuk und Dani- ele sichergestellt wurden, gehörige Kücksicht nahm. Das scheint nicht der Fall gewesen zu sein. Z. B. in § 146 b, wo vom Instr. sing, auf -om solcher Substantiva wie zecomjezom u. s. w. die Kede ist, fehlt selbst die geringste

Archiv für slavische Pliilologie. Uli. 18

274 Kritischer Anzeiger.

Anspielung an die durch Resetar und Zivanovic gemachten Beobachtungen, dass die Endung -em nach einem in der Wurzel- oder Suffixsilbe bereits vor- handenen e gemieden wird, also nozem siberjezorn, koncem aber inesecom u. s. w. (S. 148). Wahrscheinlich darum las ich auch in den Gedichten des Fürsten Nikola S. 67 temeljom.

Auf andere Einzelheiten gehe ich nicht ein, das würde zu weit führen. Nur aus dem ersten Theile, wo verschiedene Lauterscheinungen und die davon abhängige Graphik behandelt werden, möchte ich einige Punkte hervorheben, die zu einer anderen Auffassung Anlass geben können. So muss ich gleich im § 6 die Eintheilung alier Dialecte des serbokroatischen Sprachgebietes ins Kajkavische, Cakavische, Stokavische und Torlakische ablehnen, da ich das »Torlakische« als ein selbständiges viertes Glied nicht anerkenne. Mir scheint darin nur eine Abart des Südoststokavischen enthalten zu sein. Ist das Torlakische etwas mehr als eine Negation, so versuche man es mit posi- tiven Merkmalen auszustatten und seinen Umfang zu bestimmen. Dann bin ich bereit, meinen Irrthum einzusehen. Im § 37 beanstandet der Verfasser die übliche von Vuk eingeführte Schreibart cinio, vddio, govbrio und verlangt, wenigstens theoretisch, clnijo, vocUjo, govörijo. Mir kommt es vor, dass der Uebergang in der Aussprache der Silben i-o wohl einen schwachen, an i sich anlehnenden üebergangslaut i erzeugt, der jedoch der vollen Silbe Jo in Jos, j'oha nicht gleichkommt. Mir scheint, dass dort, wo im Auslaute a gesprochen wird, eher deutlich ein bija, vidija gehört wird, nicht aber hijo, vidijo. Wenn man Bijbgrad, dijbha hören soll, so würde ich das wegen der Betonung, durch welche die Silbe gehoben wird, erklärlich finden. Immerhin sind das nur orthoepische Erwägungen, die Graphik muss unangetastet bleiben. Die Mah- nung zur Mässigung in der Anwendung des phonetischen Princips, die bei dieser Gelegenheit laut wird, halte ich von meinem subjectiven Standpunkte aus für wohlbegründet. Die Ritter der absoluten Phonetik können eben so leicht ad absurdum geführt werden, wie die Vertreter des conservativen ety- mologischen Princips. Aber auch die Frage, was zusammengeschrieben wer- den soll als ein Wort, sollte heute, im Zeitalter der Stenographie und Tele- graphie, etwas minder engherzig aufgefasst werden. Merkwürdig, gerade die Phonetiker legten bis jetzt immer das grösste Gewicht auf etymologische Trennung. Warum sollte man nicht zusammenschreiben unj, nanj, zanj, zato, posto, stoga, kadikad u. s. w.? In der im § 39 e berührten Frage hätte der Ver- fasser zu der von Belgrad aus gepredigten Lehre, in griech.-latein. Ausdrücken überall s zu schreiben, entschiedener Stellung nehmen sollen. Wörter, die die Slaven unmittelbar aus dem griech. Munde entlehnt haben, werden wohl mit s ausgesprochen, darum ist auch dort s zu schreiben, dass man aber prosa stSitt proza, gimnasija statt gimnazija schreiben soll, diese Ausdrücke haben wir durch die deutsche Vermittelung das finde ich überti-ieben, ausser wenn man die ganze Aussprache reorganisiren will! Einiges kann schwan- kend sein: ßlosqß)'a oder konsuo kann auch so ausgesprochen werden. Im § 40 und folgenden werden die Triebfedern der sprachlichen Veränderungen auf Nöthigung (nuzda) und Neigung (naklonost) zurückgeführt. Diese Unter- scheidung würde ich gutheissen, wenn nur ihre Anwendung eine andere wäre.

Maretiö, serbokroat. Grammatik, angez. von Jagic. 275

Z. B. eine lautphysiologische Nöthigung erblicke ich in den Uebergängen z vor 2> in s [ispovijed], J vor k'int [glatko) u. s. w., aber eine Nöthigung kann ich nicht erblicken in dem bekannten Uebergang der Lautgruppe er in er, das ist vielmehr geradeso nur eine Neigung (dass sie alle Fälle umfasst, thut nichts zur Sache), wie wenn mlcati endlich und letzlich zu mucati wurde, oder wie ein anlautendes v, wenn es nicht von einem volle betonte Silbe bildenden Vocal begleitet war, durch w zm. u vocalisirt wurde (also udova aus vbdova, unidi aus vziiiU u. s.w., daher auch u = vb als Präposition). Alles das sind nur Neigungen, keine Nöthigungen. Denn wäre er eine physiologische »Nöthi- gung«, 80 würde nicht schon der allernächste benachbarte Kajdialect noch heute er gebrauchen in crep^ creslo, cm etc., während auch ein Kajsprecher nur glatko, tesko u. s. w. aussprechen kann. Dass für die Charakteristik ein- zelner Dialecte gerade solche Neigungen zu gewissen Lautgruppen das Wesentliche beitragen, das fällt mir nicht ein in Abrede zu stellen. Die Angst des Verfassers, dass er statt er aufhören würde, eine physiologische »Nöthi- gung« zu sein, wenn er die Existenz der Form carni zugeben sollte, zwingt ihn in § 48 a zu einer sehr künstlichen und wenig wahrscheinlichen Erklärung der poetischen Wendungen carna gora, carna zemlja, u. s. w. Liegt nicht viel- mehr in carm (aus crnt] eine treffende Parallele vor zum heutigen böhmischen cerni) und zu den bulgarischen Lautgruppen cern-, cerk-, cerf- u. s. w. für das altslovenische uptK-, qptH-, ^iptT-, u. s. w. In dem sehr ausführlichen Ca- pitel, das die Lautübergänge im einzelnen behandelt, § 56 106, wäre es doch angezeigt gewesen, die gleichartigen Erscheinungen zusammenzustellen und nicht die ganze Materie mechanisch, in alphabetischer Reihenfolge zu behan- deln. Dadurch hätte man manche Wiederholungen vermieden und vieles in bessere Beleuchtung gebracht. Warum soll man sich z. B. im § 82 erst den Kopf zerbrechen wegen ohrbnuü, wenn man daneben tönuti und gmuti hat, es liegt ja so nahe, den Fall des Abfalls der Consonanten^, &, m vor « in Einern zu besprechen. Wer an dem bei Miklosich Lex. palaeosl. angesetzten oxpxM- H&TU Anstoss nimmt, soll bedenken, dass diese Form eben Miklosich gebil- det, nicht aber in den alten Texten vorgefunden hat. Man kann nur die Aoriste oxptMA oder oxpi-MoniA belegen. Der Infinitiv hätte dazu ohne Zweifel oxptHiiiTH gelautet. Misslich war es auch, sehr alte gemeinslavische Laut- erscheinungen einzelsprachig zu behandeln, so entstehen sehr leicht ganz falsche Eindrücke, wie z. B. durch die Behauptung, c sei ans kj hervorge- gangen in lice (aus likje\ woher weiss man das ?), s aus 7yin disati (statt dihjatil wirklich?), oder ucen sei aus ucjen (sie !) hervorgegangen, toj'hd.he tnji gelautet u. s. w. Wenn schon der Verfasser die gewiss nur sporadische Erscheinung eines c statt s vor k ausführlich behandeln wollte, statt sie, was besser wäre, kurz in einer Anmerkung abzuthun, so hätte ich zwei verschiedene Fälle aus- einandergehalten: dort wo im Inlaut des Wortes ck statt sk den häufig sich wiederholenden Fällen des suffixalen ck (aus tsk] ähnlich sieht, mag auch diese Analogie vorgeschwebt haben (z. B. lackati statt laskati, weil man Iracki, Ijucki etc. hat; doch bei koeka muss man beachten, dass schon im Kaj- kavischen und Slovenischen das Wort so lautet, hier darf man nicht von koska ausgehen); aber die Bei spiele, wi ekvara, cklo, ckvrna sind doch anders

18*

276 Kritischer Anzeiger.

zu erklären. Da man meines Wissens nirgends ckakati statt skakati sagt, so dürfte c für s in den angeführten Beispielen aus der starken Consonantenan- häufung im Anlaute zu erklären sein, s allein schien gleichsam zu schwach, um die ganze Gruppe skv, skl, skn einzuleiten, man machte es widerstandsfähiger oder zugkräftiger durch den Uebergang aus dem schwächeren s ins stärkere c (= ts). Und nun noch einige Bemerkungen. Der sehr unnatürliche Erklä- rungsversuch von gospoja 66 b) gefällt mir ebensowenig, wie die Behaup- tung, dass in dem Infinitiv auf -^ ein Supinum stecke 75 c). Auch die Ab- leitung holest von boljest (S. 83), also altslov. öojiicTi, (?!), billige ich nicht: lohst hat seine Analogie in ropecxB, wo Miklosich falsch und willkürlich ropiecTB (statt ropecTi,) als Grundform ansetzte. Im Akad. Wörterbuch ist ho- lest richtig, dagegen görest unrichtig erklärt. Den Ortsnamen Zemün möchte ich nicht gerade von zemljbn, sondern von zemhn-o ableiten (wie kiinem aus K.3BHA), zemljbn hätte wahrscheinlich zemljan ergeben. Die Erklärung des s in krasti durch den Uebergang aus d oder tms (S. 91) scheint mir weniger em- pfehlenswerth, als die andere, wonach tt zunächst ft hervorgebracht, woraus dann st entstand durch den Abfall des anlautenden t. Zu st aus tt haben wir eine Parallele in jezditi (aus jed~diti] mit Abfall des anlautenden d, und für den Abfall des auslautenden Consonanten der ganzen Gruppe hat man Pa- rallelen in zz-z"z-zd [izdeiiem § 66 a) und in ss-s*s-st [TimxhKh für u3-nii.ai.) . Wenig befriedigt hat mich die in § 63d und § 64 c gegebene Darlegung der Laut- gruppen sc, sc, st. Dass der Verfasser über die weit verbreitete Lautgruppe sc (im ganzen Westen des gemeinsamen Sprachgebietes) so wenig Worte ver- liert (auf S. 651, das erkläre ich mir aus seinem principiellen Standpunkte : quod non est in Vuk aut Danicid, non est in mundo. Allein unbegreiflich bleibt mir, wie er (auf S. 63) aus sc unmittelbar zu st gelangt und erst aus diesem st zuweilen (kasto) sc hervorgehen lässt. Sollte denn wirklich jemand glauben, dass iscem erst aus tstem hervorging? Unter dem etwas unverständlichen Titel »promjene glasova zajednicke« kommt allerlei verein- zeltes, meist für die Schriftsprache bedeutungsloses Material zur Sprache 107 119) und was man am allerwenigsten erwartet hätte, erst hinterdrein 116—119) die Darstellung des Ablautes. Der Verfasser verwendet dafür das vom Verbum »previjati« gebildete Substantiv »prijevoj« (bei »previjati glas« denke ich eigentlich an solche Modulationen der Stimme, wie sie beim Jodeln zum Vorschein kommen, das scheint doch im Wesen des Ablauts nicht zu liegen), unterscheidet aber den eigentlichen qualitativen Ablaut von den Dehnungen oder Kürzungen, also von dem quantitativen Ablaut gar nicht. Er geht in der früher üblichen Weise von schwächeren Vocalen aus und findet den Ablaut in volleren Vocalen (das geht sogar so weit, dass er von 0 in p7-ul zu a in dati steigt!), dagegen soll dennoch e zu o werden in dijete-dojiti; der Verfasser glaubt nämlich zu wissen, dass man doj'iti nicht doj-iti, sondern do-jiti trennen muss. Vergl. dagegen Brugmann I^. 172.

Unverhältnissmässig ausführlich behandelt Prof. Maretic den dritten Theil »die Wortbildung« (S. 292—390). Hier tritt die Grundidee des Werkes ganz zurück, von irgend welchen Rücksichten auf die »normale Literatur- sprache« hört und sieht man nichts. Dagegen ist das Bestreben sichtbar, alle

Maretid, serbokroat. Gnimmatik, angcz. von Jagid. 277

Wortbildungssuffixe möglichst vollständig aufzuzählen und zwar in mecha- nisch-alphabetischer Eeihenfolge, wobei die Aufstellung der Suffixe durch äusserliche Trennung der letzten einen oder zweier Silben geschieht, unbe- kümmert darum, ob der ganze herausgehobene Umfang wirklich ein einziges einheitliches Suffix bildet oder nicht. Daher begegnen hier Suffixe wie -acinu (unzweifelhaft -ak oder -ac und -ina), allste (unzweifelhaft -alo und -iste], -anica (unzweifelhaft-«« und -jca), -urica (unzweifelhaft -«r und -tca), -hina (unzweifelhaft -bba und -ina\ -cäd (unzweifelhaft -ce und -ad), -cica (unzweifel- haft -ka und -ica), u. s. w. Der Verfasser beruft sich zur Kechtfertigung seines mechanischen Verfahrens auf das Sprachgefühl des Volkes, welches gewöhn- lich nach fertigem Vorbilde einiger Wörter die ganze Eeihe anderer schafft, überall das als Suffix gefühlte Wortende getreu wiederholend. Da es sich hier nicht um wissenschaftliche Analyse handelt, so betrachte ich das Verfahren des Verfassers zwar nicht als mustergiltig, aber immerhin als annehmbar, nur hätte ich bei den zusammengesetzten Suffixen überall den Hinweis auf die einfachen Bestandtheile erwartet. Das geschieht zwar dann und wann, doch bei weitem nicht immer. Mehr als anderswo vermisst man in diesem Theile der Grammatik die Rücksichtnahme auf die neuere Sprache, seit Vuk und Danicic. Wenn man betreffs der lautlichen Behandlung mit jenen beiden Koryphäen auskommen kann, wenn selbst in den Formen die neuere Sprache im Ganzen und Grossen sich in den von Vuk und Danicic gezeichneten Bahnen bewegt, so kann man unmöglich behaupten, dass in der Wortbildung die mo^ derne Sprache bei Vuk und Danicid stehen bleiben soll oder kann. Da: um hätten wir gerade hier, mehr als in irgend einem andern Theil der Grammatik, eine kritische Prüfung der modernen Sprache erwartet und von dem Normal- grammatiker ein Urtheil hören wollen über die unausweichlichen fortwähren- den Erweiterungen der Sprache, um dieselbe verschiedenen Wissensgebieten des menschlichen Fortschrittes dienstbar zu machen. Statt dessen sehen wir den Verfasser in einer ängstlichen Verwahrung gegen alles, was bei Vuk nicht zu finden ist, ja selbst das, was Vuk oder Danicic als Schriftsteller zu dem volksthümlichen Wortvorrath hinzufügten, wird so zu sagen misstrauisch controlirt (vergl. S. 319. 344). Merkwürdiger Weise verglast Prof. Maretic hier selbst so unschuldige Bemerkungen hinzuzufügen, die doch im I. und II. Theil des Buches nicht selten begegnen, dass dieses oder jenes Suffix doch nicht für die Literatursprache sich eigne. Z. B. auf S. 301 wird gewissenhaft das Suffix -anca citirt dem einzigen hybriden Ausdruck uzdanca zuliebe. Auf S. 339 wird unter Suffix -os das Wort lögutos erwähnt, die Form hogatus fehlt gänz- lich — beides gleich wenig empfehlenswerthe Bildungen mit magyarischem Ausgang. Das eine Wort findet trotzdem bei Maretid Gnade, weil es bei Vuk verzeichnet ist, das andere fehlt gänzlich, weil es zufällig in dem Wörter- buche Vuk's nicht erwähnt ist. Von dem Worte imetak wird gar behauptet, dass es schwach verbürgt sei (S.312) !! Wäre es nicht richtiger zu sagen, dass man im nordwestlichen Sprachgebiet gar nicht anders spricht als imetak, d.h. die Form imütak kennt man dort überhaupt nicht.

Ich stehe nicht an, für den werthvollsten Theil des Buches Maretic's die Syntax zu erklären. Allerdings wird auch hier die Beschränkung auf Vuk

278 Kritischer Anzeiger.

und Daniciö streng beobachtet, doch hier stört uns das am wenigsten. Das Material ist für diesen Theil der Grammatik bei Vuk und Danicic so reich- haltig vorhanden, dass gewiss alles Wesentliche schon auf dieser Basis zur Sprache kommen musste. Leider muss ich mir versagen, auf diesen Theil näher einzugehen.

Es könnte überflüssig erscheinen und doch will ich mein Urtheil über das Werk Maretiö's unverhohlen dahin aussprechen, dass ich es als ein rühm- liches Denkmal seines ehrlichen Fleisses bezeichne, das dem Verfasser in der grammatischen Literatur der Südslaven den hervorragendsten Platz sichert. Der Verfasser hat das, was er sich vornahm, mit Energie und Erfolg durch- geführt. Er hat für alle weiteren Studien im Bereiche der modernen Literatur- sprache den festen Grund gelegt durch die allseitige Analyse der Sprache zweier Koryphäen, auf deren Werken die moderne serbokroatische Literatur- sprache wesentlich, wenn auch nicht ausschliesslich beruht. V. J.

TpaMaTHKa CTapocjroBeH^cKoro nstiKa, co BsrjTHAOMT. na jKepeja cra-

popycKiH H Ha H3MKX iiauii i^epKOBHHH. ^epest JocH^a Mij[timi];Koro,

^OKTopa CB, EorocJiOBiH h np. Ha^iame ^eTBepxoe, JlLBOBt 1895.

I_IV, 1—234. 80. Preis 1 fl. ö.W.

Wenn ich das oben angeführte lithographisch ^ herausgegebene Handbuch, das für den Unterricht im Kirchenslavischen der Zöglinge des gr.-kath. geistlichen Seminariums in Lemberg zu dienen bestimmt ist, zum Gegenstande einer kritischen Besprechung mache , so geschieht das aus zwei Gründen. Erstens sollte der Unterricht des Kirchenslavischen, auch wo er nur für praktische Zwecke betrieben wird , der wissenschaftlichen Controle nicht entbehren. Andrerseits bildet, so viel ich aus der einschlägigen Litera- tur und noch mehr aus der diesbezüglichen Praxis ersehen kann, das gegen- wärtige Kirchenslavische in mancher Beziehung eine offene Frage. Und doch ist es gottesdienstliche Sprache nicht nur der ganzen russischen Kirche, sondern auch der ruthenischen in Oesterreich-Ungarn, der bulgari- schen, der serbischen, sowie auch Sprache der röm.-kath. glagolitischen Kirchenbücher. Nun ist sowohl der Text der slavischen Kirchenbücher, als auch dessen Handhabung sowohl im Gottesdienste, als auch was die Herstel- lung neuer Ausgaben der Kirchenbücher, die Pronunciation, den Gebrauch in Schule und Schulbüchern, den Unterricht an theologischen Lehranstalten, die Zusammenstellung etwa neuer Gebete, Lieder u. dgl. betrifft, nur äusserst dürftig geregelt. Die Sorge dafür liegt zum grossen Theile in nur wenig dazu berufenen Händen. Während der Inhalt gewöhnlich ziemlich sorgfältig ge- prüft wird wird die Sprache vernachlässigt. Die neuere wissenschaftliche

1) Lithographisch wegen Mangels des vollen kyrill. Schriftsatzes in Lemberg, z. B. &, a . . ; das Buch ist aber zum Pr. 1 fl. ö.W. in der stauropigia- nischen Buchhandlung erhältlich.

Melnickij, kirchenslav. Grammatik, angez. von Kocovskij. 279

Bearbeitung der kirchenslavischen Sprache und Literatur kann liier nur wenig Hülfe bringen, weil sie ihre eigenen Zwecke verfolgend das gegen- wärtige Kirchenslavische gänzlich bei Seite liegen lassen muss.

DasKirchenslavische derzeitiger Kirchenbücher entstand auf russischem Boden, zugleich aber als das Endresultat aller vorhergehenden Bemühungen und Grübeleien der verschiedenen Schreiberschulen , besonders der bulgari- schen • seit dem Auferstehen des bulgarischen Reiches. Der äussere Gang der «Verbesserung« und der endgültigen Feststellung des Textes der slavi- schen Kirchenbücher in Russland ist zwar im Allgemeinen bekannt, bei weitem weniger aber ist die theoretische Seite dieser Verbesserung und Fest- stellung bekannt, was namentlich die Sprache selbst betrifft. Hier stehen wir fortwährend noch auf dem Standpunkte des M. Smotrickij, E. Slavineckij und ihrer unkritischen Nachfolger. Die genauere Erforschung der Geschichte des Textes der slavischen Kirchenbücher könnte im Bunde mit der Paläo- graphie für die gesammte slavische Sprachwissenschaft von grossem Nutzen sein. An herausgegebenem Material und auch an Vorarbeiten ist schon ge- nug vorhanden, und die Verarbeitung desselben zu einem Gesammtbilde wäre sehr an der Zeit. Sie müsste auch über die besonders in neueren wissen- schaftlichen Abhandlungen so oft genannten Schreiberschulen einen etwas näheren Aufschluss bringen. In Budilovic's : OömedaBHHCKiü hsbik-b (Bapraasa, 1892, Bd. II) finden wir zwar einiges zusammengestellt, aber im ganzen ist dieses Werk sehr allgemein gehalten und hat eine mehr publicistische als wissenschaftliche Bestimmung. Wer sich mit den wichtigsten Thatsachen aus der Geschichte der kirchenslavischen Sprache, mit den wichtigsten diesbezüg- lichen Quellen, Vorarbeiten und Ergebnissen bekannt machen und darin ^u- recht finden will, muss ein jeder für sich immer noch in der zerstreuten Bibliographie herumsuchen.

Die erste feste Grundlage für die Geschichte des theoretischen Studiums der kirchenslavischen Sprache (wie vordem für die Geschichte der slavischen Volksdichtung) hat Jagic geliefert. Im I. Bande der: HscjiiaoBaHiK no pyc- CKOMy flsBiKy (H3Ä. OTÄ. p. a.. a cä. H. A. H. , CIIo. 1885 95) erschienen auf S. 289 1070, also beinahe auf 800 Seiten (gross 80) die von ihm gesammelten und herausgegebenen Materialien zur Kenntniss der alten südslavischen und russischen Ansichten über die kirchenslavische Sprache (PascyacÄCHia loacno- cjiaBHucKoü H pyccKoü cTapHHti 0 iiepKOBHocjroBHHCKOMt JI3BIK4), uach den ver- schiedenen Handschriften gehörig verglichen und ausführlich erläutert, vom X. Jahrh. an bis ins XVII. Aber die eigentliche Feststellung des Textes der Kirchenbücher in Russland, die Ansichten und Grundsätze derjenigen, die daran gearbeitet haben , sowie die gedruckten grammatischen und lexicali- schen Werke des XVI— XVII. Jahrh.'s (das XVIII. würde hier kaum etwas beachtenswerthes liefern) harren noch einer zusammenfassenden wissenschaft- lichen Zusammenstellung und Bearbeitung, welche ihren Zusammenhang unter einander und mit der geschichtlichen Entwickelung des Studiums der kirchenslavischen Sprache darstellte.

In Russland kann die bereits seit Maksim Grek mit Entschiedenheit in Angriff genommene theilweise Säuberung und.Feststellung des Textes, theil-

280 Kritischer Anzeiger.

weise aber auch neue correcteUebertragung ins Kirchenslavische der Kirchen- bücher, um das Jahr 1751 (erste correcte Moskauer Bibelausgabe acnpaE- ;ieHHoe HsaaHie; desgleichen Sluzebnik) als bereits zum Abschlüsse gebracht erachtet werden. Nicht ganz das gleiche kann von den südslavischen und den ruthenischen Büchern der unirten Kirche gesagt werden. Zwar hat sich auch hier von Anfang an der Einfluss von Moskau geltend gemacht. Fürat Ostrogski sagt in der Einleitung zu seiner Bibelausgabe (158J), dass er vom Moskauer Grossfürsten Ivan Vasiljevic ein volles Exemplar einer noch zu Lebzeiten Vladimir's d.G. aus dem Griechischen ins Slovenische zustande ge- kommenen Bibelübersetzung erhalten habe (Ogonovski, Gesch. d. r. Lit., I, 163). Wenn auch hier natürlicherweise nur von einer neuen Copie die Rede sein konnte und auch sonst die Nachricht von dieser alterthümlichen »Ueber- setzung« nicht so ganz wörtlich zu nehmen ist, so ist doch damit der Moskauer Einfluss ganz sicher bezeugt. Nach der Brester Union (1596) wurden die Kirchenbücher für die katholischen Ruthenen, einige wenige ausgenommen (Liturgikon und Euchologion in Stratyn in Ostgalizien 1604— 6\ aus Moskau, oder sonst aus den Händen der Nichtunirten bezogen, erst J 69.3 soll in Suprasl ein neues Missale für die gr.-unirten Ruthenen erschienen sein (Peles, Gesch. der Union, Wien 1880, II, 419 mit Berufung auf Theiner, Mon. Pol. III, 741 ; dieses Missale finde ich weder bei Undolskij, noch bei Golovackij : Äono-iHeniH KT. 01. ci.-p. ÖHÖJiorp. B. M. yHÄOJBCKaro verzeichnet, nur ein 1692 in Vilno herausgegebenes). Nachher erschienen viele wichtige Kirchenbücher für die Unirten in Pocajev (Bibel 1798), Lemberg, Peremyslj (Bibel 1S59 1865, in sieben Bänden, fünf davon bereits vergriffen), u. a. In allen diesen Ausgaben ist natürlicherweise der Einfluss russisch-nichtunirter Ausgaben unverkenn- bar. Auch von den gr.-orthodoxen Südslaven gilt dasselbe , schon deshalb, weil die russischen Kirchenbücher dorthin bereitwilligst gespendet wurden und auch, soviel ich erfahren konnte, gebraucht werden.

Etwas anders steht die Sache mit den röm. -katholischen glagolitischen Kirchenbüchern. Mit der Bulle Innocenz IV. (1248), mit Berufung auf die ver- meintliche Herkunft dieser Bücher vom h. Hieronymus zugelassen und bis auf heute in Zengger Diöcese, auf Veglia und in Dalmatien, seit 1887 auch in Mon- tenegro gebräuchlich, erfuhren diese Kirchenbücher im XVII. Jahrh. ein be- sonderes Schicksal. Um die Glagoliten gegen das Ueberhandnehmen kyrill. Bücher zu schützen, ersuchte Kaiser Ferdinand IL den Papst UrbanVIIL, mit den in Venedig erstandenen Schriften glagol. Kirchenbücher drucken zu lassen. Papst Urban VIII. beauftragte damit den chorvat. Mönch Rafael Levakovic. Dieser »corrector et reformator librorum ecclesiasticorum linguae illyricae«, der einige Zeit unter den unirten Ruthenen zugebracht und deren Kirchen- bücher kennen gelernt hatte , stellte gerade nach diesen ruthenischen auch den Text der unter seiner Redaction herausgegebenen Bücher fest (Missal rimskij va ezik slovenskij, Rom 1631; Casoslov rimskij, daselbst 1648; auch ein Breviarium ist erschienen; Budilovic, 11, 158 159 und bei Ginzel, Cyrill und Methud). Bei der Bearbeitung des Casoslov leistete dem Herausgeber Hilfe der unierte Bischof von Cholm Meth.Terleckij, welcher besonders eifrig auf die Säuberung der Sprache von Dalmatinismen und deren Ersetzung durch

Melnickij, kircheuslav. Grammatik, angez. von Kocovskij. 281

das Kirchenslavische russischer Redaction drang. Diese Säuberung führte noch gründlicher, im Auftrage des Papstes Benedict XIV., Matth. Karaman durch und zwar durchaus im Geiste russischer Redaction, indem er sich einer- seits ausdrücklich auf die Identität der slavischen Literatursprache und auf die Nothwendigkeit, dieselbe in Kirchenbuchern zu wahren, berief (identitä della lingua litterale slava e necessitä di conservarla ne' libri sacri), anderer- seits aber durch diese Zueignung der russischen Redaction der Union unter . den slavischen Schismatikern den Weg ebnen wollte. Mit der Bulle vom 15. Aug. 1754 verbot Papst Benedict sogar den Gebrauch der in chorvatischer Sprache redigirten Missale und Breviarien (slavo vulgär! sermoue conscriptos) an Stelle der von Johann VIII. (!) approbirten und von Urban VIII. und nach- her auch von Innocenz X. bestätigten kirchenslavischen Sprache (slavum litte- rale; Budilovic, ib. 159 160). Diese Berufung auf Johann VIII. ist sehr in- teressant mit Rücksicht auf die damals im Westen und zum grossen Theile auch im Osten in der Slavistik herrschenden Ansichten. Dabei blieb es bis 1881, in welchem Jahre eine neue Wendung zur chorvatischen Redaction und zum Theil gegen die slavische Redaction überhaupt sich bemerkbar machte (Budilovic, ib. 160—166).

Das Kirchenslavische der derzeitigen Kirchenbücher russischer Redac- tion bildet ein interessantes Product der scholastischen vorhundertjährigen und nun petrificirten Linguistik. So lesen wir z. B. auf S. 7 if. des obenge- nannten Handbuches, dass der Buchstabe e nur am Anfange der Wörter, so- wie dann gesetzt wird, wenn dadurch die Mehrzahl angedeutet werden soll (xoy^ieHiA = Nom. pl., xojjieniA = Gen. sg.). Der Buchstabe 'i steht an Stelle des griechischen i am Anfange und in der Mitte der Wörter, ausserdem noch in den Wörtern aiTp-B und biho, sowie auch vor Selbstlauten (coya'ü) , sonst aber, sowie auch an Stelle des griechischen rj wird u gesetzt. W (ro) wird in den griech. Wörtern, z. B. der Bilderinschriften geschrieben (o wh = o wy), dann aber, entweder um die Mehrzahl von der Einzahl zu unterscheiden (sanoBijiii sanwEi^iu:, oder zur Kenntlichmachung des Gen. sg. (erro) und der Adverbien (aoctoSho = Adj., äoctoiihw = Adv.), oder endlich in der Interj. w, und in den Praep. w, wöt. Am Anfange der Wörter aber wird auch die ver- irrte glagolitische Form O statt w gebraucht (Oho, OTcm.). Das zuletzt Ge- sagte wird nicht weiter erklärt; es gibt vielleicht für O keine genauere Regel. Interessant ist die schon von Skorina angewandte Regel, dass a in der Mitte und am Ende der Wörter zu stehen kommt, ti dagegen am Anfange, beides natürlich in der Bedeutung m (Ogonovski, 1. c. 158). In dieser Regel könnte vielleicht eine Spur gefunden werden, die uns nahe zum Ausgangs- punkte aller solcher mechanischer Klügeleien führte. Es scheint, dass die Grundlage zu dieser Regel sich in den bulgarischen Texten finden lässt. So wird schon in der Savina kniga nach ä und p nur i, sonst aber unterschiedslos i und u geschrieben, doch m beinahe ausschliesslich am Anfange der Silben (Sreznevskij, Drev. sl. pamjat. jus. p., S. 17). Dagegen wird diese Schreibweise weder im Psalter von Sluck noch in den Novgoroder Blättern befolgt. Im Bologneser Psalter finden wir schon einzelne Fälle ausgenom- men — nur i nach Consonanten, und ohne Ausnahme nur u am Anfange

282 Kritischer Anzeiger.

der Silben (ib. 130, 132). Während nun im Bulgarischen allmählich i mit m und e, theilweise aber auch a mit i und m zusammenfielen (bhkli, macto, gbmti, und CBÄTT>, KJiiTBOiii, KHBa3 . . ; Lavrov, Obzori. zvuk. i form. osob. bolg. jaz.. S. 66 u. 30), in russischen Texten hingegen i von m und a genau unterschieden wurde, kam man auf den Einfall, h am Anfange der Silben (dann Wörter) zu belassen, dafür aber in der Mitte der Wörter überhaupt, theils den Vor- lagen, theils der Aussprache gemäss, x zu schreiben. Vielleicht war hier auch die verirrte Form des glag. i (a) von Einfluss, welche in glag. Denkmälern an Stelle des m vorgefunden wurde, in der Sav.kn. aber an Stelle des a zu stehen kommt. Eine analoge Regel wurde dann auch zu £ und e, ganz mit Ausser- achtlassung des b, geschaffen, wiewohl e anfänglich statt k nach Consonanten geschrieben wurde (Sreznevskij, ib. 149). Eine schon durchaus selbständige, wahrscheinlich jedweder paläographischen Grundlage entbehrende Combi- nation bildet dann der Gebrauch des e, w zum Kenntlichmachen der Mehrzahl, ja sogar b an Stelle t zur Bezeichnung des Partie, praes. pass. (roniiML aber roHaMt = 1. Pers.pl. praes. act.!) u. dergl. Aus der Vergleichung solcher Eigenthümlichkeiten, besonders der ältesten, könnten der Verwandtschafts- grad und die Entstehungszeit der Handschriften näher bestimmt werden.

Ein sorgfältiges Studium würde auch die Accentuation, sowie überhaupt die ganze sogenannte Prosodie (Jagic, Razsuzdenija, 793) erfordern, und zwar sowohl mit Berücksichtigung der Ausführungen der alten slavischen Schrift- gelehrten, als auch wiederum der Paläographie.

Was die Sprache selbst anbelangt, so wurden derselben die russischen Laute und Lautbezeichnungen und zum grossen Theile auch russische Formen zu Grunde gelegt, öfters die neueren, auch wenn sie weder mit den altkirchen- slavischen noch mit den älteren russischen übereinstimmten. Also wird z. B. ohne weiteres nach k-Consonanten u, i geschrieben (b^kw, qe.50BiqecKMl;, norwÖHeTT.); ferner arHeu'5, Biaens, npam.ieu'j, öJusHeiis, auch = ABepii xeM- HHnw (Sluzeb., Lemb. 1866, S. 45), nisaw, Te.mw, neben Eoropo^im?«, Tpoäuw, MvpoHOCHi];«, BÄOBHUit, cepÄUt'MTb, oxn.eu'h, Eoropoauae; ; ja auch rpiniHHnw (SluS., 4), H3i>msT, neben npaBesHHHM, CBHmeHHUJt; ohne Ausnahme tjim, 3eMJTM. . (Gen. sg.), doch n neben a im Acc. pl. h cnacii Bjiaace Äoym« Hara«, II ociaBH HaMt ÄOJrH Haiua ; in der Regel finden wir anocxoji?*, Hapo^w, Bap- Bapw, JUiou (Nom. pl.), neben anociojisi (Nom. pl., Sluz., 10), x.ii6M hc ÄOBjiiiOT'b (ib., 41), 6ixoy boäohocsz KaMcnnw (ib., 18); obii?* u bojiw h rojiyöw u niHaacHUKM (Acc.pl.; ib., 15); BiM6, HMaM6, ecMb, ecT6, cyT5, HicT6, 6ticT6, uMaM6 wie- wohl nur HC^esaeT^, ndesHoyx's u. s. w. ; hoih6, qejioBi^6, oiumt neben ji.QWb (ib., 40), Äoym^, njiOBoym'6 (ib., 59), Moyact, und immer nur Harai . . Auch w. nach c-Consonanten (besonders in der Peremysler Bibel), ^actb (Perem. Euchologion) u. dergl. findet sich gelegentlich vor. Wir sehen hier altes und neues, gross- und kleinrussisches, bis auf solchen regelrechten Un- sinn wie roHUMb, sanwBiÄH . bunt nebeneinander. Die jetzige Sprache der Kirchenbücher als solche könnte höchstens einiges dialektologische Ma- terial bieten.

Wenn es sich nun um den praktischen Unterricht des Kirchenslavischen an theologischen Anstalten handelt, so glaube ich, dass hier vor allem prak-

Melnickij, kirchcnslav. Grammatik, angez. von Kocovskij. 283

tische Zwecke im Auge behalten werden sollten. Ein Handbuch für die an- gehenden Priester sollte dieselben vor allem mit der eben gebrauchten Sprache der Kirchenbücher vertraut machen und von diesem Standpunkte ausgehen, sowohl beim theoretischen grammatischen Unterrichte, als auch bei prakti- schen Uebungen (Leetüre der Texte; auch die mehr abseits liegenden, wie die Kormcaja, Paterike, Zitija, Homilien, Apokryphe könnten herange- zogen werden). Als Einleitung könnte sehr wohl ein kurzer geschiciitlicher Abtiss der Feststellung des heutigen Textes dienen, sowie die wichtigsten Ausgaben verzeichnet werden. Ferner sollte auch der gegenwärtige Stand der wissenschaftlichen die slavische Kirchensprache, besonders aber die Heimat derselben betrefifenden Arbeiten nicht unberücksichtigt gelassen wer- den. Dann sollten die Orthographie, das wichtigste aus der Phonologie (was zum Verständniss der Formen nothwendig ist), die Formenlehre (mit Berück- sichtigung der Stammbildung), und aus der Syntax die Casuslehre mitsammt den Präpositionen, die Tempuslehre (insofern sie zum Verständniss des Tex- tes nothwendig ist), die Participia und die Nebensätze (die Conjunctionen mit einbegriffen) berücksichtigt werden, natürlich unter Zugrundelegung der der- zeitigen Sprache der Kirchenbücher. In der Phonologie und in der Formen- lehre sollten entsprechende Rückblicke in den älteren Lautbestand, Laut- wandel und in die Formen sowohl des Altkirchenslavischen als auch des Altrussischen gegeben werden. Eine gute Anleitung dazu konnte der Ver- fasser in dem sehr übersichtlichen gramm. Anhange zur altruthenischen Chrestomathie von Ogonovski (Lemb. 1881), und etwa zu einer Auswahl der Kirchentexte in der kirchenslavischen und altruthenischen Chrestomathie Golovackij's (Wien 1854) von anderen abgesehen finden.

Das im Titel angeführte Buch ist nun ohne Zweifel eine sorgfältige wenn auch nicht immer klare und nicht ohne Verstösse Zusammenstellung verschiedener Eigenthümlichkeiten der älteren und der neueren Kirchen- sprache, aber ein Handbuch für praktische Zwecke in dem obenausgeführten Sinne ist es nicht.

Der Standpunkt des Verfassers und mit ihm das Hauptgebrechen des Buches offenbart sich schon beim Aufzählen der Quellen und Hilfsmittel (S.I— IV). Der Verfasser theiltvor allem die «altslovenischen Handschriften« (eig. wohl »Denkmäler«) in pannonische und nichtpannonische ein. Die pan- nonlschen sind die »wahrhaft altslovenischen« (hctuhho cTapoc.iOBeH*cKiu) und theilen sich wiederum in glagolitische und kyrillische ein. Von den glagoliti- schen nennt der Verfasser Zogr. Ev., Cod. Marian., Cod. Asseman., Psalt. sin., Glag. Cloz. (Euchol. sin. fehlt); von den kyrillschen Cod. Suprasl., Saw. kn. und Ev. s. Matthaei palaeosl. e cod. ed. F. Miklosich, Vind. 1856 {!). Zu den nichtpannonischen übergehend verweist der Verfasser, was die bul- garischen anbelangt, ganz kurz auf Archiv f. sl. Phil. Bd. III und VII »wo man viel davon lesen kann« und bemerkt, dass in denselben ih durch a, a »mehrweniger« durch e vertreten wird. Von den russischen werden genannt Ev. Ostr. und Chronica Nestoris (ed. Miklosich!), ohne jedwede Charakte- ristik; von den serbischen nur Apost. ^iaat., »worin statt a e, statt a y, statt i& K und statt ^ nur 6 zu lesen ist« (der Verf. schreibt niiiiuTOBau

234 Kritischer Anzeiger.

und fügt auch mit lat. Buchst, äistovac bei . Darauf folgen die Hilfsmittel (Asl. LI. und FI. von M., Lesk.'s Handbuch, Chrest.psl.M.'s, Lex. M. 's und ganz allgemein Archiv f. sl. Phil. für das Altslovenische, sowie für die russ. Quellen Gramm. Mrazovic's, Institut. Dobr.'s, Gramm, v. Dobrjanskij, herausg. in Peremyslj 1851, Chrest. Ogon. und Golov. und CiOBapt uci. H. A. H.); es fehlen Miklosich's Syntax, sowie die Formenl. in Paradigmen.

Dann folgen die »einleitenden Bemerkungen«, auf S. 1—19, §§ 1—8, und zwar das Alphabet, die Aussprache, Gebrauch einiger Buchstaben (e, w. . ; da- von habe ich einiges bereits angeführt), Accent, Abbreviaturen, Ziffern, Ein- theilung der Laute, Eigenthümlichkeiten der alterthümlichen altsl. Denk- mäler, und § S »Von der Flexion einiger Redetheile« (0 *.jeKciu aeKOToptixt qacTiä MOBBi), worin einiges über die Flexion überhaupt gesagt wird. «Die altslovenische Sprache«, hebt der Verfasser im § 1 an, »ist die Sprache der an der unteren Donau (?!) wohnhaft gewesenen Slovenen, welche Sprache von den h. VV. Kyrill und Methud gebraucht wurde«; das ist ebenso unrichtig als unklar.

In der Formenlehre behandelt der Verfasser der Reihe nach die Substan- tiva (S.20-46, §§ 9—18) Pronomina, Adj., Numer. (47—79, §§ 19—36) und das Verbum (79 146, § 37 68). In die Formenlehre werden hie und da syntak- tische Bemerkungen eingeflochten, z. B. S. 22, dass »der loc. in alten Denk- mälern oft ohne praep. vorkommt«. Die Declination der Participia wird in die Conjugation eingefügt, und zwar nachdem ihre Bildung durch »Endungen« (saKÖH'ieHfl): um, ^c . . und »Einschaltungen« (BciaBKu): o, e, e, also hgc-o-ht, KaaccHT, n-ieroM, öbib-bc, iLieTen der Reihe nach besprochen wurde (S.92 103). In der Formenlehre hält sich der Verfasser im grossen Ganzen an die Ein- theilung Miklosich's, aber obwohl er immer das Altslovenische zu Grunde legt (also Acc. pl. Kpau, MpaBaa), zählt er in der Declination nur fünf Classen auf, indem er die Endungea der M(T,)-Stämme in den Anmerkungen zu den 0(1.)- Stämmen kurz bespricht. »In den ältesten Quellen«, heisst es auf S. 22, »neh- men die Stämme aufs das Suffix 00 an sich InpnoupaioT-B napocTOK 00)«; dies wird dann an Beispielen erläutert. Uebrigens stellt der Verfasser allerlei Formen nebeneinander und kennzeichnet die »neueren« (ponZeit zu Zeit) mit einem Sternchen (*), z. B. Acc sg. paöt pa6a*; aoöpöyopioy— Äoöposiy* ; ao- 6piü— Äoöpoü*; höchst selten findet sich ein Sternchen in der Conjugation, z. B. xBa-iKH-L— xBa-ieH-L*. Als Muster, wie der Verfasser die Formen behan- delt, führe ich übrigens einige Paradigmen wörtlich an: paöx, paöa, paöoy, paö'i— paöa*, paöe, paöoML, pa6i; paöa, paöoy, paöoMa; paöu, paöt, pa6oMi> («"Mt), paöw, paöH, paÖBi, paöixx (paöoxt ohne Sternchen) ; folgen die Paradigmen : Kpaft und MpaBiiü: Kpan, Kpaö, Kpaio (kbu), Kpafi, Kpaio, KpaHMt (reMt), Kpau; Kpati, Kpaio, KpaKMa; Kpaa (kbc), Kpaü, KpaieMt (kbomx), Kpaa (kbli), Kpau (kbc), Kpau (kbbi), Kpaux'i (lext, kb^x-b; ; nach Kpaü und MpaBuü folgen noch BpaiB, oieuT. (oTBux, OTBUB allcs ohne Sternchen) und kohb. Aus der Conjugation : Mp&, Mpemu, MpeiB (i.), MpeBi, Mpexa, ivipeia, ivipeMT., Mpeie, mp&tb (t) ; Mpu, Mpu, Mpißi, Mpiia, aipira, Mpiiii., Mpiie; aipoxx, Mpe, Mpe, MpoxoBi, Mpocia, Mpocxa, MpoxoMt, Mpocie, MpouiA; folgt das Imperfectum und hierauf: aipBi (mt-pbi), Mptifi, MpimHH ; Mpx, Mepniufi ; Mpt^t-a-o ; aipoMt, Mpes-B beides als unge-

Melnickij, kirchenslav. Grammatik, angez. von Kocovskij. 285

bräuchlich bezeichnet; Mptiu (Mpixu); Mp^x-B (alles ohne Sternchen). Es ist ziemlich schwer, sich über die den Verfasser leitenden Gedanken eine Meinung zu bilden. Trotz a und a ■« ird, mit seltener Ausnahme, u statt tu geschrieben. In der Conjugation werden auf S 107 der VI. Classe auch die Stämme: b^ä, ÄaÄ, MÄ, Kc, CI.H (catb) und oöpi&T (oöpicu) die »das Praesens ohne Einschal- tung bilden« (Korpu Göxo/iaT-B ca öest BCTasKu bt. HacToaiÖMTb BpcMemi) ohne weiteres zugezählt und hierauf auf S. 140 145 im § 68 (»r.jaro.3bi uiecxou K;iflcbi öest BCTaBKii« !) deren Formen angegeben. Es mag vielleicht so bequem scheinen, aber man muss darin doch eine arge Verwirrung sehen!

Nach dem Verbum folgen die Präpositionen (S. 146—152), alphabetisch geordnet, mit Beispielen zu den von denselben «regierten« Casus; einige Bei- spiele werden dabei auf ruthenisch oder deutsch erläutert: »aaaopa KpoMi (uest raHLÖLi), kt. oyTpoy gegen Morgen«, u. s. w. Hierauf folgen Adverbien (S. 153—156), auf S. 156 die Conjunctionen, S. 157 die Interjectionen.

Erst nach dem allen folgt auf S. 157 176 die Lautlehre, worin die Selbst- laute gruppenweise {a, o, n, e § 73, ii, h § 74, i, 6 § 75, o^, u § 76 A, & § 77), deren Praejotierung 78), Assimilation 79), der Hiatus 80) die Steigerung 81), die Einschaltung und Umstellung der Mitlaute 82) die Dentalen und die Palatalen 83), die Labialen 84), die Gutturalen 85) endlich die Sibilanten 86) besprochen werden. In einer an den letztgenann ten Paragraphen angefügten Anmerkung (S. 176) wird die Metathese noch ein mal kurz besprochen (KoniraBa KponuBa), wiewohl schon im § 82 auf S. 170: IIo.iuKpan'B aus IIo.iuKapn'B angegeben wurde. Vom Selbstlaute o z. B. wird gesagt, dass er mit & und i »wechselt« (MiHaeca), wie in: coöoia, paöoaiB ; dass er infolge der Steigerung des a und ]) entsteht, wie in eojh aus Bji-iTii, öopai aus 6p-aTu, oder aus e (boäutu) ; dass er zwei Worte »verbindet« (ßarpoHoceu'B, BoiOHOceuT.) ; schliesslich dass er »statt ■& steht« (.ikoobb). Auf die Lautlehre folgt die »Wortbildungslehre« (CioBooöpasoBaHie, 176—190), worin die Stämme derWortclassen besprochen werden. Beim Verbum werden hier nur die sechs Classen wieder kurz angeführt, denn die Bildung der Iterativa wurde schon früher in der Formenlehre (S. 80, § 38) behandelt. Hierauf folgt die Lehre vom einfachen Satze (191—201), die Congruenz (201—205), der Gebrauch des Pronomens als Artikel (205—206), der Infinitiv (206— 207j, die Casuslehre (207—210), der coordiniert zusammengesetzte Satz (210—213), der subordi- nierte Satz (214—223), die Wortfolge (223—226), die Periode (226—227), und die Inhaltsangabe (229—234) .

Wir haben hier also eine Art altslov. Grammatik mit verschiedenen Beimengungen, wobei wir aber das eigentliche Altslovenische vorwiegend als nutzlosen Ballast betrachten müssen. Der praktische Unterricht der Kirchen- sprache sollte zwar das »Altslovenische« zur Vergleichung heranziehen, aber die systematische Behandlung desselben bei Seite lassen. Neben den »alt- slovenischen« Quellen und Hilfsmitteln wären die wichtigsten Ausgaben der gebräuchlichen Kirchenbücher sehr am Platze gewesen. Aus einem solchen Handbuche aber, wie es eben vorliegt, wird der Studierende weder die gegen- wärtige Kirchensprache in ihrer geschichtlichen Entwickelung, noch auch das Altslovenische kennen lernen.

*LJ

jS&r

>i . i^

286

Kritischer Anzeiger,

Wie es sich mit dem Unterrichte des Kirchenslavischen an theologischen Bildungsanstalten bei unseren russischen, serbischen, bulgarischen und dal- matinischen Brüdern verhält, kann ich leider nicht sagen. Es wäre interes- sant, dies zu erfahren ; sie stehen kaum noch auf dem Standpunkte der Gram- matiken von Smotrickij, Mrazovic, Joannoviö.. Was die Wörterbücher der Kirchensprache anbelangt, so erschien in Galizien in diesem Jahrhundert zuerst ein kleines »slaveno-polnisches« Handwörterbuch von J. Lewick)ij (Lemb. 1830, 147 S. 80 , hierauf ein kleineres von J(akob) D(o8kov8kij) in Peremyslj (1851, 102 S. 8^), und ausserdem ein kleines Büchlein von V. Cer- neckij (Lemb. 1889, 51 S. 160).

Wenn der Unterricht der Kirchensprache regelrecht und zweckent- sprechend geleitet würde, würde er nicht nur die praktische Eignung der Unterrichteten fördern, sondern auch in denselben den wissenschaftlichen Sinn nicht nur für die slavische Linguistik, sondern auch für die Literatur- und Culturgeschichte wecken und ausbilden, und es würde gar manches Denkmal ans Licht geschafft oder vor Untergang gerettet werden. Der Text der Kirchenbücher würde auch bald von groben Ungereimtheiten und Un- folgerichtigkeiten in der Orthographie wie in der Sprache gesäubert, das An- sehen der Kirchensprache gehoben und endlich eine kritische Ausgabe der- selben ermöglicht werden *).

1) Criticam editionem slavonicae versionis non habemus et in editioni- bus impressis haud pauca arbitrario modo mutata esse constat. Siehe: Cursus scripturae sacrae. Cornely, Introductio generalis, Paris 18S5, S.392. Aehn- liches lesen wir auch in desselben: Compendium bist, et crit. introd., Paris 1889, S. 98: Versio sec. IX dumtaxat adornata critico usui vix inservit eoque minus, quia editiones typis impressae licentius mutatae dicuntur. Wie sorglos auch jetzt bei der Drucklegung der Kirchenbücher vorgegangen wird, davon kann als Beispiel dienen, dass in dem eben jetzt in Lemberg in 5000 Exempl. gedruckten, den Beschlüssen der unlängst abgehaltenen Synode ge- mäss corrigirten »^Iuht. jiTxoypriu » zwei ausgelassene Stellen (S. 331 und 334) auf besonderen Zetteln hineingeklebt werden mussten.

Lemberg. Dr. W. Kocowski.

Die Ausgabe der sämmtlichen Werke A. A. Kotljarevski's.

Im Laufe der Jahre 1889 1895 hat die Kaiserliche St. Petersburger Akademie der Wissenschaften »A.A. Kotljarevski's Werke« (»Co^üHeHlH A.A. KoTJiflpeBCKaro«) im »CöopHUKi OTÄi^tenia pyccKaro HStiKa n cioBecHOCTH«, Band XLVII L und separat, Band I IV, veröffentlicht. Diese schöne Ausgabe ist mit einem Porträt des Schriftstellers, seiner Biographie (von A. N. Pypin) und einem bibliographischen Register seiner Werke versehen. Man muss sich freuen, dass mit dieser Ausgabe ein Anfang zur Veröffent- lichung sämmtlicher Werke der russischen Slavisten gelegt wurde (die frühere Sammlung der Werke Hilferding's, Bändel— IV, Spb. 1868—1874, wurde nicht

L*. ^

i .t « « * -d 4 «^ ^

" ■' ' •' ." \ % r

fr

A

A. A. Kotljarevskij's gesammelte Werke.

287

■:i'li-

. Aehi- fjriä

-Wie

■yd,

7}üA-

■liere

volleudetj. Leider fehlt bei der Ausgabe der so unentbehrliche Sach- und Namen-Index (wir finden nur etwas Aehnliches beim »Bibliographischen Ver- suche über die alte russische Literatur«, Bd. IV, S. 394 460).

Die Altsgabe enthält einiges Ueberflüssige, z.B.: die Abhandlung Kotlja- revski's »Slaven und Rus der ältesten arabischen Schriftsteller« war vom Vei'fasser als Beilage zur Untersuchung »lieber die Leichen-Gebräuche der heidnischen Slaven« (Moskau 1868) mit einer abgesonderten Pagination (S. Ol 036) veröffentlicht; die S. 037 038 hatten einige Ergänzungen zur Untersuchung, sowie zur Beilage gebracht; in demselben Jahre (1868) ist dieser Beitrag auch als Separat-Abdruck (in einer Anzahl von 33 Exemplaren) erschienen, und auf der S. 036 wurden, ohne einen besonderen Titel, auch die Ergänzungen zur Abhandlung »Slaven und Rus der ältesten arabischen Schriftsteller« gedruckt. Dieser Beitrag ist nun in den Werken A. A.Kotlja- revski's zweimal (B. II, S. 73—109 und B. III, S. 259—296) gedruckt, an zweiter Stelle als Beilage zur Untersuchung »Ueber die Leichen-Gebräuche« und vordem als ein besonderer Beitrag mit buchstäblich aus dem Abdrucke des Jahres 1S68 reproducirten Citaten (in den Ergänzungen) der S. 013 und 017—018, die in der akademischen Ausgabe fehlen (siehe Bd. II, S. 109).

Als Beilage zum Beitrage Kotljarevski's »V. J. Grigorovic« (»CjaBAHCKiä EateroÄHHKt«, zweiter Jahrgang, Kiew 1877] wurde aus dem »OÄeccKiä Bici- HUKT.« (1870) die Rede Grigorovic's »Ueber den bulgarischen Boris-Mihail« wieder abgedruckt, mit der Absicht, »diese Rede vor dem Vergessen zu be- wahren«; in den Werken A. A. Kotljarevski's befindet sich auch diese Rede (Band II, S. 403— 411).

Gegenüber diesen überflüssigen Wiederholungen fehlen in der akade- mischen Ausgabe manche Werke des berühmten russischen Slavisten. So haben wir folgende Beiträge Kotljarevski's da nicht gefunden:

a) »Eine Ergänzung zum Beitrage , Ueber das Werk H.Danilevski's über Osnovjanenko'« in »MockobckIh Bi;i;oMocTH«, Jahrgang 1856, Nr. 46; imter- schrieben Ck. TL. (citirt von H. N. Daskewic in seiner Studie »Kleinrussische und andere burlesken (travestirten) Aeneiden« »KieBCKaa CiapuHa«, Jahrg. 1898, Nr. 9, S. 149, Note 1).

b) Das Vorwort zum Büchlein »IIoBicTi. o HOBropo;i;cKOM'i> oi-ioMt luioöyKi H CKaaanie o xpaHuieji.HOM'i. öllüiii, MepscKOMi. aejiiii, eace ecit laöaiii« (Spb. 1861), unterschrieben »HsÄaTCJi,«; dass dieses Vorwort von Kotljarevski her- rührt, davon kann man sich aus der Seite 611 des ersten Bandes der »Werke« überzeugen, nur finden wir da einen Druckfehler im Citate : anstatt »XI b.« muss es heissen »II b.«.

c) Einige bibliographische Bemerkungen in »$iiJio.3orii^ecKiH 3anHCKH«, Jahrg. 1864.

d) Einige Anzeigen in Kijever »yHUBepcuTexcKifl HsBicxia« (die Ab- theilung »Bibliographische Berichte über die neuen Bücher«) : 1) Ch. Aubertin, Histoire de la langue et de la litterature fran§aise au moyen äge. Paris 1876 ; 2) J. Grimm, Deutsche Mythologie, 4-te Ausgabe, I. Band, Berlin ; 3) W. Scherer, Geschichte der deutschen Dichtung im XI. und XII. Jahrh. Strassburg 1875 und 4) Holtzmann: Die ältere Edda, übersetzt und erklärt . . . Leipzig 1875

286 Kritischer Anzeiger^

Wie es sich mit dem Unterrichte des Kirchenslavischen an theologischen Bildungsanstalteu bei unseren russischen, serbischen, bulgarischen und dal- matinischen Brüdern verhält, kann ich leider nicht sagen. Es wäre interes- sant, dies zu erfahren ; sie stehen kaum noch auf dem Standpunkte der Gram- matiken von Smotrickij, Mrazovic, Joannoviö. . Was die Wörterbücher der Kirchensprache anbelangt, so erschien in Galizien in diesem Jahrhundert zuerst ein kleines »slaveno-polnisches« Handwörterbuch von (J. Lewick)ij (Lemb. 1830, 147 S. 80,, hierauf ein kleineres von J(akob) D(o8kovskijj in Peremyslj (1851, 102 S. 80), und ausserdem ein kleines Büchlein von V. Cer- neckij (Lemb. 1889, 51 S. 160).

Wenn der Unterricht der Kirchensprache regelrecht und zweckent- sprechend geleitet würde, würde er nicht nur die praktische Eignung der Unterrichteten fördern, sondern auch in denselben den wissenschaftlichen Sinn nicht nur für die slavische Linguistik, sondern auch für die Literatur- und Culturgeschichte wecken und ausbilden, und es würde gar manches Denkmal ans Licht geschafft oder vor Untergang gerettet werden. Der Text der Kirchenbücher würde auch bald von groben Ungereimtheiten und Un- folgerichtigkeiten in der Orthographie wie in der Sprache gesäubert, das An- sehen der Kirchensprache gehoben und endlich eine kritische Ausgabe der- selben ermöglicht werden ^).

1) Criticam editionem slavonicae versionis non habemus et in editioni- bus impressis haud pauca arbitrario modo mutata esse constat. Siehe: Cursus scripturae sacrae. Cornely, Introductio generalis, Paris 1885, S.392. Aehn- liches lesen wir auch in desselben: Compendium bist, et crit. introd., Paris 18S9, S. 98: Versio sec. IX dumtaxat adornata critico usui vix inservit eoque minus, quia editiones typis impressae licentius mutatae dicuntur. Wie sorglos auch jetzt bei der Drucklegung der Kirchenbücher vorgegangen wird, davon kann als Beispiel dienen, dass in dem eben jetzt in Lemberg in 5000 Exempl. gedruckten, den Beschlüssen der unlängst abgehaltenen Synode ge- mäss corrigirten «^Iuht. jtTxoypriu» zwei ausgelassene Stellen (S. 331 und 334) auf besonderen Zetteln hineingeklebt werden mussten.

Lemberg. Dr. W. Kocowski.

Die Ausgabe der sämmtlichen Werke A. A. Kotljarevski's.

Im Laufe der Jahre 1889 1895 hat die Kaiserliche St. Petersburger Akademie der Wissenschaften »A.A. Kotljarevski's Werke« (»CoiuHeHia A.A. KoT.!iapeBCKaro «) im »CöopHHKX OxÄ^^eHiii pyccKaro asLiKa ii cjiOBecHOCTii «, Band XL VII L und separat. Band I IV, veröflfentlicht. Diese schöne Ausgabe ist mit einem Porträt des Schriftstellers, seiner Biographie [von A. N. Pypin) und einem bibliographischen Register seiner Werke versehen. Man muss sich freuen, dass mit dieser Ausgabe ein Anfang zur Veröffent- lichung sämmtlicher Werke der russischen Slavisten gelegt wurde (die frühere Sammlung der Werke Hilferding's, Bändel— IV, Spb. 1868 1874, wurde nicht

A. A. Kotljarevskij's gesammelte Werke. 287

vollendet). Leider fehlt bei der Ausgabe der so unentbehrliche Sach- und Namen-Index (wir finden nur etwas Aehnliches beim »Bibliographischen Ver- suche über die alte russische Literatur«, Bd. IV, S. 394 400).

Die Ausgabe enthält einiges Ueberflüssige, z.B.: die Abhandlung Kotlja- revski's »Slaven und Rus der ältesten arabischen Schriftsteller« war vom Vei-fasser als Beilage zur Untersuchung »Ueber die Leichen-Gebräuche der heidnischen Slaven« (Moskau 1868) mit einer abgesonderten Pagination (S. Ol 036) veröflfentlicht ; die S. 037 038 hatten einige Ergänzungen zur Untersuchung, sowie zur Beilage gebracht; in demselben Jahre \1868j ist dieser Beitrag auch als Separat-Abdruck (in einer Anzahl von 33 Exemplaren) erschienen, und auf der S. 036 wurden, ohne einen besonderen Titel, auch die Ergänzungen zur Abhandlung »Slaven und Rus der ältesten arabischen Schriftsteller« gedruckt. Dieser Beitrag ist nun in den Werken A. A.Kotlja- revskis zweimal (B. II, S. 73—109 und B. III, S. 259—296) gedruckt, an zweiter Stelle als Beilage zur Untersuchung »Ueber die Leichen-Gebräuche« und vordem als ein besonderer Beitrag mit buchstäblich aus dem Abdrucke des Jahres 1S68 reproducirten Citaten (in den Ergänzungen) der S. 013 und 017—018, die in der akademischen Ausgabe fehlen (siehe Bd. II, S. 109).

Als Beilage zum Beitrage Kotljarevski's »V. J.Grigorovic« (»CiaBüHCKÜt EaceroÄHHKt «, zweiter Jahrgang, Kiew 1877; wurde aus dem »OaeccKifi Bici- HUKT.« (1870) die Rede Grigorovic's »Ueber den bulgarischen Boris-Mihail« wieder abgedruckt, mit der Absicht, »diese Rede vor dem Vergessen zu be- wahren«; in den Werken A. A. Kotljarevski's befindet sich auch diese Rede (Band II, S. 403— 411).

Gegenüber diesen überflüssigen Wiederholungen fehlen in der akade- mischen Ausgabe manche Werke des berühmten russischen Slavisten, So haben wir folgende Beiträge Kotljarevski's da nicht gefunden :

a) »Eine Ergänzung zum Beitrage ,Ueber das Werk H.Danilevski's über Osnovjanenko'« in »MockobckIh B^äomocxh", Jahrgang 1856, Nr. 46; imter- schrieben Ck. ¥. (citirt von H. N. Daskewic in seiner Studie »Kleinrussische uüd andere burlesken (travestirten) Aeneiden« »KicBCKaa CTapuHa«, Jahrg. 1898, Nr. 9, S. 149, Note 1).

b) Das Vorwort zum Büchlein »IIoBicTi. o HOBropoÄCKOMi. oi^ioMt lutoöyKi H cKaaaHie o xpaHiiTe.ii.HOMi> ölmIh, MepscKOMt sejilH, eace ecTB laöani« (Spb. 1861), unterschrieben »HsÄaie-iL«; dass dieses Vorwort von Kotljarevski her- rührt, davon kann man sich aus der Seite 611 des ersten Bandes der »Werke« überzeugen, nur finden wir da einen Druckfehler im Citate : anstatt »XI b.« muss es heissen »II b.«.

c) Einige bibliographische Bemerkungen in » $ii-ao.!rorHiecKifl BanncKu«, Jahrg. 1864.

d) Einige Anzeigen in Kijever »yHirBepcuTeTCKia HsBicTiH« (die Ab- theilung »Bibliographische Berichte über die neuen Bücher«) : 1) Ch. Aubertin, Histoire de la langue et de la litterature fran^aise au moyenäge. Paris 1876; 2) J. Grimm, Deutsche Mythologie, 4-te Ausgabe, I. Band, Berlin ; 3) W. Scherer, Geschichte der deutschen Dichtung im XI. und XII. Jahrh. Strassburg 1875 und 4) Holtzmann: Die ältere Ed«ia, übersetzt und erklärt . . . Leipzig 1875

288 Kritischer Anzeiger.

Jahrg. 1876, Nr. 5, S. 1 4 (Im bibliographischen Register der Werke Kotlja- revski's finden wir unter Nr. 70 das Citat von drei anderen Anzeigen in der- selben Zeitschrift, Nr. 5, S. 1 14, und Nr. 6, S. 1—4; aber die im Register citirten Anzeigen sind in Nr. 6, S. 1—4, veröffentlicht, und in Nr. 6 enthält die obengenannte Abtheilung nur vier Seiten. In derselben Zeitschrift, Nr. 7, S. l 3 derselben Abtheilung gehört dem Kotljarevski die Anzeige des Wer- kes A. A. Pypin's »Bjelinski, sein Leben und Briefwechsel« (unterschrieben »A. KiJip.«).

e) In der Zeitschrift »KpuTHiecKoe OöospiHie«, Jahrg. 1879, hat Kotlja- revski folgende Beiträge veröffentlicht: 1) »Die Denkmäler der älteren Lite- ratur« (Nr. 7, S. 1 5; unterschrieben »A. KoTJiflpeBciciii«; P. 0. Morozov's Einwurf ibid., Nr. 10, S. 48); 2) »Die Werke der slavischen gelehrten Gesell- schaften. I. Die Akademie der Wissenschaften in Krakau« (Nr. 9, S. 36—38, unterschrieben »A. Kt.z[pb.«; die Fortsetzung dieses Werkes, unter dem Titel »2. Die Mährische Matica« ibid., Nr. 15, S. 39 iO, unterschrieben »Kr^p.«). Man kann vermuthen, dass die Anzeige des Werkes S. Smirnov's »Geschichte der geistlichen Akademie in Moskau bis zur Reform«, Moskau 1879 (ibid., Nr. 14, S.40, unterschrieben »A. Kt.«) auch von Kotljarevski geschrieben isti):

f) Die Thesen zu beiden Dissertationen Kotljarevski's.

Der Beitrag »Uspechy slavistiky na Rusi v posledni dobe (1860—1872;« ist aus einem Abdrucke aus der Zeitschrift »Casopls Musea Kralovstvi Ceskeho« (1874) in böhmischer Sprache reproducirt worden (Bd. IV, S. 460 511), während der Verfasser diesen Beitrag russisch schrieb, und ein Prager Gelehrter ihn ins Böhmische übersetzte. JSF. F{etrovskiJ).

Anmerkung der Redaction. Ich danke dem Referenten für diese Berichtigungen, füge aber meinerseits hinzu, dass auf die Korrektheit der akad. Wiederausgabe der Werke Kotljarevski s leider nicht hinreichendes Gewicht gelegt worden ist. Ich hatte öfters Gelegenheit, diese Ausgabe zu Rathe zu ziehen und fast regelmässig musste ich mich über die vielen Druck- fehler ärgern. Statt vieler will ich auf einen recht curiosen aufmerksam machen. Im B. III (CöopHUKt XLIX , S. 43, Z. 4 liest man (im russischen, also nicht lateinischen oder griechischen oder einem slavischen Citate) fol- gende Worte: »Hixi. HaaoÖHOCTH, KaacetCH, aoKasLiBaTt, ^ito noÄt oömuM'B irwe- HeMT. cjraBflHT. ii Ahtoht, MaspuKiä HCKJiioiUTewii.uo pasyMiii cjaBaHCKia njie- MCHa«. Hier wurde, wie man sieht, aus dem Volksnamen aHioBx ein Taufname AHTOH'i für Maurikius gemacht! V. J.

1) Im Jahrg. 1863 der Zeitung »ro^oct« (Nr. 346), ist eine Bemerkung über den Beitrag A. Th.Byckow's »Fragmente des Evangeliums des XI. Jahr- hunderts« (»UsBicTlfl ApxeojoruiecKaro OömecTBa«, BandV, S.29 37) mit der Unterschrift »A K-ä.« veröffentlicht. Könnte nicht Kotljarevski Verfasser auch dieser Bemerkung sein ?

Hipler über Bogarodzica, angez. von Dobrzycki. 289

Bogarodzica. Untersuchungen über das dem hl. Adalbert zuge- schriebene älteste polnische Marienlied von Dr. F. Hipler. Brauns- berg 1897. (Abgedruckt aus der Zeitschrift für die Geschichte Ermlands Band XI.)

Die '32 Seiten starke) Abhandlung zerfällt in zwei Theile. Im ersten vergleiclit der Verfasser drei aus dem XV. Jahrh. stammende Texte des Bogarodzica-Liedes (die von Krakau und Cz^stochowa) untereinander und mit einer lateinischen Uebersetzung vom Jahre 1695; dann folgt der recon- struirte Text in der heutigen Orthographie mit einer von Dr. Hipler verfassten in Eeim und Metrum dem Original genau angepassten deutschen Uebersetzung. Der zweite Theil ist gewidmet den kritischen Betrachtungen über das Lied, und zwar über seinen Inhalt, Ursprung und Geschichte.

Dr. Hipler sieht in Bogarodzica drei, von sich ziemlich deutlich abge- grenzten Theile. Die beiden ersten Strophen erinnern an die im Mittelalter beliebten Leisen und Leiche ; die folgenden fünf Strophen bilden ein Oster- lied; die Strophen acht bis sechzehn ein Passionslied.

Nebenbei versucht der Verfasser die verdorbene Stelle in der zweiten Strophe, die bis jetzt crux philologorum war, auf neue Art zu erklären. Er liest nämlich: »ttvego dzieia krzyczyciela'i (auf S. 10 in der Reconstruction jedenfalls falsch: »krzyciciela«) und übersetzt die Stelle wie folgt: Gottessohn, erhöre die Stimme des Schreiers, deines Geschöpfes (= deines schreienden Geschöpfes). Er beruft sich a) auf die Autorität einer handschriftlichen Ueberlieferung, nämlich auf den Text von Sandomir, welcher hier wirklich krzyczyczyela hat; b) auf die in Psalmen, Hymnen und Antiphonen oft wieder- kehrende Redensart, z. B. ad te clamamus (in Salve Regina), de profu7idis cla- mavi, clamor mens ad te veniat (Psalt.). Da Bogarodzica zugleich ein Kriegslied war, so kann man obige Worte sehr leicht auf die das Feldgeschrei anstim- menden Krieger übertragen.

Dieser Versuch ist entschieden besser als alle bisherigen, er ist nämlich mehr sinnreich und natürlich, und hält sich fest an eine handschriftliche Ueberlieferung, indess ist auch er nicht frei von Einwänden. Die Verwandt- schaft mit den üblichen clamamus, clamavi, clamor ist ziemlich entfernt. Der Text aber von Sandomir ist verhältnissmässig sehr spät, er gehört ja dem XVI. Jahrh. an. Man kann zwar vermuthen, dass der Schreiber von Sandomir ein gut geschriebenes Original vor sich hatte, aber nur vermuthen ; ebenso leicht kann auch das Gegentheil davon sein. Wie kann es bewiesen werden, dass sein »krzyczyczyela« nicht ebenso verdorbene Lesart ist, wie das vom XV. Jahrh. herrührende krzcziczela, krzczyczyelq^

Was den Ursprung des Liedes betrifft, so folgt der Verfasser der üb- lichen Meinung, dass die zweite Strophe die Nachahmung des Hospodine pomiluj ny ist. Die erste betrachtet er nach N. Bobowski als eine Nach- ahmung des deutschen Liedes Sant marei muoter unde maid. Das Oster- und das Passionslied seien Uebersetzungen aus dem Böhmischen.

Archiv für slavisclie Philologie. XXTT. 19

^*^t

w^w.

1f..KK1^

AM

'il*Ü

Kritiacber AnECigcr.

Ind««ii ist dii^ Süchc Dicht so einfucb wie man sich diCMlb« vorticlit l)i» bühminche Lii*d 7/u»;km/iw« pfumluj nt/ und dio iu(»ite Strophe von liogaro- «iura hahen g^eiiK-inimin Kyn* fhfion AV/**»' und i'

vii-1 zu wcni^', iitu (iHrauH den Srhiuba über die Ai , ' u

Licdoi vdUi bitliinisrhcn tu £ir<hcu< l)i(> orot«' Sttoplir null Nkclmliuiuu^ iIch d(Mil4tchcH Lif.deit ttcin KrNt4-nH büttc'n wir in dem Fnllc iui( einer der mittel- alterlichen polniacbon Lit«Tatur gant und gar ungowiihnlicben Krarhcinung XU ihun: iiian Hir^bt in dieser Literatur lateiniHoben und iWlbmisobeu KinHusii. aber deii diMilHflmn - einen unuiitlelbtiren nicht im (Joringsten. /-«eiten« /. icli mit deui deutschen I.iede keine njiher«' und enjrero Ver-

^^ i (1cm rtilnisohen |ir Mipler oitirt dus deulKrlie Lied aus dem

l'nderJMiiner irosangbuch vom .1. I*t<i',) Kin<- so hpüte Uedarliou Iüiimi hohwor- licb als Heu «in berangetogen werden, ausserdem sind eigentlich nur die ernton Versu gleich : liupannkiea (Uitut^n und Moria (iottet Mutifr, re%nt Moffit, bttnKl nichts. Wenn h\tn> Dr. Ilipler behauptet »nicht blosH Anfang. Inhalt und Versninss, hoiidern noch mehr die nlti< Melodie diesea Liedes mit dem ( baraklerihtihcheii Hi hliiss aeigt. das» wir liier dus X'ntbild «ler ernten Strttphe des ){<iKit rodzicii dziewica Vor uns hnben», so iht dna eine Hebauptuiig. die fest«r (irlinde jedenfalls entbehrt

Den IWUimlricben Kintliish im Kweiten und dritten Theile des Liedes muss man zut:eben iwei Strophen nind ja würtliob übersettl. Wie sich aber die linderen Slutphen du/u v«'rh»lleii, wo sollen wir ilie Originale suchen, diese und noch andere bi< h daran ituknllpfende liajjen sind noch nicht gelJist, und wer- den ^'laube ich nicht so bald (;el<iht werden. Ka müssen noch viele an- dere Arbeiten ausgetiihrl werden Man muss i. H die Natur des bidtmischeu Kintluasos dort, wo er ausser jedem Zweifel liegt, möglichst genau prUfen, und die dort gemachten \Vahrnehmun>;en auf diese Krschcinungen Übertragen wo er nur vennuth«t wird l'eberhaupt sind die bisheii(;en Arbeiten über I ,1. wenn auch /»hireich uml nicht unbedeutend, noch gar nicht ab-

.1, iw einem pobiliven, sicheren Kenullal ist man noch nicht gekom- men iMe (ililcklichen. welchen es scheint, es sei hchou Alles in OrdnuuK'. milssüu wir beneiden, selbst aber einer anderen Meinung sein.

Der letate Theil der Arbelt gewUhrt eine lleberaicht Über die Schickaale unseren Liedes von der Schlacht von Pannenberg bis auf de*» heutigen Tag, und citlrt u «. die lateinische, schwungvolle Paraphrase des lUtgarodaica- llymnes von Saibiewski in extenso, wiederum sammt einer deutschen Ueber- Bctaung vom Verfasser

l)ie Monographie von l>r Uipler bringt eiK«'utlich nichts Neues Jtrzvcc.VcirAi ausgenommen Sie ist nur eine rompilatiiut. Und do\'h betrachte ich sie als eine der besten Arbeiten auf diesem Oeblete. Hesaer kannte man ,1 \,y\\ schwer vollführen, l>er Verfasser hat Alles gesagt, was ttb«r

.1 tu sagen iht, und in einer klaren, ruhigen und \ortrertlichen l>ar- btulluuti, l>ie Arbeit hat gntascu Werth als die erste vollstündig« Monographie

>* Mehr sehe ich nicht, und kann den AuslMhiungeu von Nehring und Hobovski. bei denen fast alles Mbnlich ist, nicht beistimmen

A. Brückner. Publikationen der Siewczenko-GeselischafT.

291

des Liedes, die alle bisherigen Forsch ungen zu Raxiie zieht. ül>er dieie-tr'VeD einen üeberblick gewährt, und das Lied salbet nach allen mvgiichen !>eit,en betrachtet. Als eine solche Arbeit ist sie wirklich vortrefflich.

Der Werth wird durch schöne deutsche Uebersetzungen die ersten in der deutschen Literatur noch mehr erhöht.

K r a k a u . Stanjüfaic LhWt^cAu.

Publikationen der Szewezenko-Gesellscliaft.

Was zielbewusste. energische Thätigkeit schaffen kano. auch in kurzer Frist, auch unter wenig günstigen Bediugungen. lehrt nicht mehr Bwiunen allein ; auch die gallzischen Kleinnissen. die *Ckrainer« oder »Ukrainorussen« sind uns ein leuchtendes Beispiel.

Aus dem weiteren Heimathsboden. aus dem russischen Paradiese, durch den Engel mit dem flammenden Schwerte, ausgeschlossen, sind sie gezwungen, auf der so t*iel schmäleren ostgalizischen Basis allein sich häuslich einzu- richten : sie lassen trotzdem den Math nicht sinken und sorgen nach Kräften für die Hebung des Bilducgszensus ihrer Nation, für die Betiätigung allsei- tigen Strebens auf geistigem Gebiete und die Erfolge bleiben ihnen nicht versagt.

Wie haben sich doch die Verhältnisse seit nicht vielen Jahren ganz ver- binden! Wenn ich zurückdenke, wie mir mein verstorbener Lehrer. Ogonow- ski. erklärte, warum er das Igorlied kleinrussisch herausgebe damit doch auch die Kleinrussen einmal etwas hätten und wenn ich mit diesem Stand- punkte die heutige Thätigkeit der Szewczenko-G^sellschaft vergrleiche quanium mutatus ab ülo ! Die Kleinrussen sind nun einmal da. zählen nach Millionen, folglich haben sie auch das Recht auf selbständiges, auch geistiges Leben, wie Slovenen oder Slovaken. denen es ja auch Fiorinskij nicht ab- spricht, obwohl er natürlich für Kiev eia ganz anderes Maass hat. als z. B. für Laibach oder Turotz S.Martin.

Freilich braucht man noch nicht allem und jedem in der neuen Bewegung bedingungslos beizustimmen. So könnte man sich z. B. schon an den frei- gewählten Namen »Ukrainer. Ukrainorussen r. stossen. Der Käme besagt im Grunde nichts : »Markomannen« sind ja Slaven in allen Grenzländem : der Name bezeichnet somit eine regio, nicht eine gens, und ist in dieser allgemei- neren Anwendung auf Eothrussland : 1 unhistorisch lugleich. Ici ver- siehe einfach nicht recht, warum man z. B. von einem ukrmil^keru^kti iazvk spricht: ntsiy. Ii*u'. Hutyn genügten ja vollständig, gegenüber e j'

und ross^'sktj: eventuell kann man von einer 3/c« Ru^^ und mc-.. sprechen und sich für diesen Brauch schon auf das XIV. Jahrh. "oerufen. Oder stösst man sieh an das Ifaia ? Doch seien wir keine Pedanten und hal- ten uns nicht beim blossen Namen auf. Könnten wir doch von der Schrift- sprache selbst fragen, ob in ihr die sonst sehr löbliche Tendenz nach L'nab- hängigkeit und in Folge dessen auch nach Absehliessung cjcp^c xci u<<ra/- /.r/i.« gilt heute von den Slaven wie vor anderthalb Jahrtausenden' nicht zu

19*

290 Kritischer Anzeiger.

Indess ist die Sache nicht so einfach wie man sich dieselbe vorstellt. Das böhmische Lied Hospodine pomiluj ny und die zweite Strophe von Bogaro- dzica haben gemeinsam: Kyrie elejson Krles und uslysz giosy uslys Jilasy, viel zu wenig, um daraus den Schluss über die Abhängigkeit des polnischen Liedes vom böhmischen zu ziehen i). Die erste Strophe soll Nachahmung des deutschen Liedes sein. Erstens hätten wir in dem Falle mit einer der mittel- alterlichen polnischen Literatur ganz und gar ungewöhnlichen Erscheinung zu thun: man sieht in dieser Literatur lateinischen und böhmischen Einfluss, aber den deutschen einen unmittelbaren nicht im Geringsten. Zweitens zeigt der Vergleich mit dem deutschen Liede keine nähere und engere Ver- wandtschaft mit dem Polnischen. Dr. Hipler citirt das deutsche Lied aus dem Paderboruer Gesangbuch vom J. 1609. Eine so späte Redaction kann schwer- lich als Beweis herangezogen werden, ausserdem sind eigentlich nur die ersten Verse gleich: Bogarodzica dzieivica und Maria Gottes Mutter, reine 3Iagd, sonst nichts. Wenn also Dr. Hipler behauptet: «nicht bloss Anfang, Inhalt und Versmass, sondern noch mehr die alte Melodie dieses Liedes mit dem charakteristischen Schluss zeigt, dass wir hier das Vorbild der ersten Strophe des Boga rodzica dziewica vor uns haben«, so ist das eine Behauptung, die fester Gründe jedenfalls entbehrt.

Den böhmischen Einfluss im zweiten und dritten Theile des Liedes muss man zugeben zwei Strophen sind ja wörtlich übersetzt. Wie sich aber die anderen Strophen dazu verhalten, wo sollen wir die Originale suchen, diese und noch andere sich daran anknüpfende Fragen sind noch nicht gelöst, und wer- den — glaube ich nicht so bald gelöst werden. Es müssen noch viele an- dere Arbeiten ausgeführt werden. Man muss z. B. die Natur des böhmischen Einflusses dort, wo er ausser jedem Zweifel liegt, möglichst genau prüfen, und die dort gemachten Wahrnehmungen auf diese Erscheinungen übertragen, wo er nur vermuthet wird. Ueberhaupt sind die bisherigen Arbeiten über Bogarodzica, wenn auch zahlreich und nicht unbedeutend, noch gar nicht ab- schliessend, zu einem positiven, sicheren Resultat ist man noch nicht gekom- men. Die Glücklichen, welchen es scheint, es sei schon Alles in Ordnung, müssen wir beneiden, selbst aber einer anderen Meinung sein.

Der letzte Theil der Arbeit gewährt eine Uebersicht über die Schicksale unseren Liedes von der Schlacht von Tannenberg bis auf den heutigen Tag, und citirt u. a. die lateinische, schwungvolle Paraphrase des Bogarodzica- Hymnes von Sarbiewski in extenso, wiederum sammt einer deutschen Ueber- setzung vom Verfasser.

Die Monographie von Dr. Hipler bringt eigentlich nichts Neues krzyczyciela ausgenommen. Sie ist nur eine Compilation. Und doch betrachte ich sie als eine der besten Arbeiten auf diesem Gebiete. Besser könnte man das wirklich schwer vollführen. Der Verfasser hat Alles gesagt, was über Bogarodzica zu sagen ist, und in einer klaren, ruhigen und vortrefflichen Dar- stellung. Die Arbeit hat grossen Werth als die erste vollständige Monographie

1) Mehr sehe ich nicht, und kann den Ausführungen von Nehring und Bobovski. bei denen fast alles ähnlich ist, nicht beistimmen.

A. Brückner, Publikationen der Szewczenko-Gesellschaft. 291

des Liedes, die alle bisherigen Forschungen zu Rathe zieht, über dieselben einen Ueberblick gewährt, und das Lied selbst nach allen möglichen Seiten betrachtet. Als eine solche Arbeit ist sie wirklich vortrefflich.

Der Werth wird durch schöne deutsche Uebersetzungen die ersten in der deutschen Literatur noch mehr erhöht.

Krakau. Stanislaw Dobrzycki.

Publikationen der Szewczenko-Gesellschaft.

Was zielbewusste, energische Thätigkeit schaffen kann, auch in kurzer Frist, auch unter wenig günstigen Bedingungen, lehrt nicht mehr Böhmen allein; auch die galizischen Kleinrussen, die »Ukrainer« oder»Ukrainorussen«, sind uns ein leuchtendes Beispiel.

Aus dem weitereu Heimathsboden, aus dem russischen Paradiese, durch den Engel mit dem flammenden Schwerte, ausgeschlossen, sind sie gezwungen, auf der so viel schmäleren ostgalizischen Basis allein sich häuslich einzu- richten ; sie lassen trotzdem den Muth nicht sinken und sorgen nach Kräften für die Hebung des Bildungszensus ihrer Nation, für die Bethätigung allsei- tigen Strebens auf geistigem Gebiete und die Erfolge bleiben ihnen nicht versagt.

Wie haben sich doch die Verhältnisse seit nicht vielen Jahren ganz ver- ändert! Wenn ich zurückdenke, wie mir mein verstorbener Lehrer, Ogonow- ski, erklärte, warum er das Igorlied kleinrussisch herausgebe damit doch auch die Kleinrussen einmal etwas hätten und wenn ich mit diesem Stand- punkte die heutige Thätigkeit der Szewczenko-Gesellschaft vergleiche quantum mutatus ab illo ! Die Kleinrussen sind nun einmal da, zählen nach Millionen, folglich haben sie auch das Recht auf selbständiges, auch geistiges Leben, wie Slovenen oder Slovaken, denen es ja auch Florinskij nicht ab- spricht, obwohl er natürlich für Kiev ein ganz anderes Maass hat, als z. B. für Laibach oder Turotz S.Martin.

Freilich braucht man noch nicht allem und jedem in der neuen Bewegung bedingungslos beizustimmen. So könnte man sich z. B. schon an den frei- gewählten Namen »Ukrainer, Ukrainorussen« stossen. Der Name besagt im Grunde nichts ; «Markomannen« sind ja Slaven in allen Greuzländern ; der Name bezeichnet somit eine regio, nicht eine gens, und ist in dieser allgemei- neren Anwendung auf Rothrussland ! ! unhistorisch zugleich. Ich ver- stehe einfach nicht recht, warum man z. B. von einem ukrainskoruskij jazyk spricht; ruskij, Hus, Rusyn genügten ja vollständig, gegenüber einem russkij und rossyjskij; eventuell kann man von einer 3Iaia Rus und maioruskij etc. sprechen und sich für diesen Brauch schon auf das XIV. Jahrh. berufen. Oder stösst man sich an das Mala'! Doch seien wir keine Pedanten und hal- ten uns nicht beim blossen Namen auf. Könnten wir doch von der Schrift- sprache selbst fragen, ob in ihr die sonst sehr löbliche Tendenz nach Unab- hängigkeit und in Folge dessen auch nach Abschliessung [cipa^x" ^"^ [xiaäX- IrjlUi gilt heute von den Slaven wie vor anderthalb Jahrtausenden) nicht zu

19*

292 Kritischer Anzeiger.

einer etwas allzu raschen und einseitigen Entwicklung gedrängt hat? Das Kleinrussische hat ja einen schweren Stand, es hat nach zwei Fronten zugleich Krieg zu führen, d. h. sich zu behaupten. Man bedenke doch, dass es schon im XVII. Jahrh. ein Kleinrussisch gab, das nur polnisch gedachtes und aus- gedrücktes einfach mit russischer Orthographie und Alphabet wiedergab. Wohl sind diese Zustände und Zeiten übrigens nicht ohne Spuren zu hinter- lassen — vorübergegangen. Dafür drohte eine andere, nicht minder ernstliche Gefahr, das Verschlingen des Kleinrussischen durch das Grossrussische. Er- wägt man, dass noch heute bei manchen »Altgläubigen« die kleinrussische Schriftsprache vollkommen russisch ist (mit dem Feigenblättchen : jak für Jcak, Infin. auf -<«' und Dat. Loc. ruce für ruhe) und vergleicht man dann mit ihr das Kleinrussische der »Ukrainzen«, so kann der Unterschied nicht krasser gedacht werden ; es sind förmlich zwei verschiedene Sprachen.

Die Durchsetzung der phonetischen Schreibweise beschleunigte ausser- ordentlich die Entwicklung, bedeutete doch sie schon einen Bruch mit der gesammten, fast tausendjährigen Tradition ! Aber was Vuk und den Serben billig war, konnte den Kleinrussen nicht gut vorenthalten werden, und dürfen wir nur fragen, ob die Emanzipation der Orthographie nicht auch eine etwas vorschnelle Emanzipation der Schriftsprache begünstigt? Dieselbe zeigt sich vor allem in einem Ausmerzen der »Russismen«, gegen die man Bedenken äussern kann. Man scheint nicht beachten zu wollen, dass man kein Recht hat, altes SprachgutJ, das Kiew und Halicz ebensogut wie Moskau bean- spruchen, ohneweiteres preiszugeben, es z. B. durch neue Polonismen oder Neologismen zu ersetzen. Wohl sind durch vielhundertjährige Entwicklung Polonismen im Kleinrussischen fest eingebürgert worden, aber ich sehe nicht ein, warum man seit einigen Jahren z. B. hospodyn anathemisirt hat und statt dessen, nicht einmal^««, sondern dobrodij anwendet. Dobrodij ist ein Ueber- bleibsel patriarchalisch-serviler Verhältnisse ; wir dulden es nicht einmal im Polnischen mehr (ausser in Begleitung eines buschigen Schnauzbartes); woher kam man unter den Kleinrussen auf den Einfall, das alte r. durch ä. zu er- setzen? Der Spott von A. Petruszewicz über das aoöpoÄiÜKaHie ist durchaus nicht unberechtigt ; seit wann sind denn hospodyn, weszcz u. ä. speziell gross- russisch geworden, dieses uralte Erbgut der ungetheilten kirchenrussischen Sprache ? Allerdings ist gegen die Farblosigkeit der älteren Sprache die mo- derne ungleich kräftiger, saftiger, originaler geworden, aber sie hat dies er- reicht auch durch eine, mitunter vielleicht allzu weitherzige Rezeption lo- kalen, dialektischen Materials ; es kann sich doch nicht darum handeln, die Sprache, ä la DalB seligen Andenkens, zu verkosaken und zu verbauern (Kotljarevskij wollte schon mit seinem Lexikon allein humoristische Effekte erzielen) ; zwischen Schriftsprache und Dialekt müssen gewisse Gren- zen gezogen bleiben, wie sie es auf der ganzen Welt sind. Man scheint da- gegen hie und da zu Verstössen, so kommt mir z. B. die Form v bohatjoch ver- dächtig vor, ich kenne oboch, kilkoch, aber bohatjoch'? Bei näherem Zusehen zeigt sich Schwanken bei einem und demselben Schriftsteller in einer und derselben Form; ich brauche z.B. nicht zu erwähnen, wer v naszomu zu schrei- ben begann und doch bei v naszim heute wieder angelangt zu sein scheint.

A. Brückner, Publikationen der Szewczenko-Gesellschaft. 293

Einzelnes ist ohneweiteres erklärlich ; Hniszewskij verläugnet nicht russischen Einfluss, wenn er ständig das Adjectiv vor das Substantiv setzt; Franko setzt, wie die Polen, das Adjectiv auch nach ; Ogonowski stellte sogar das Verbum dazwischen, ganz nach polnischer Weise. Bei der niodernen Schriftsprache vermisse ich stellenweise altes Sprachgut und finde z.B.Polonismen an Stelle ausgemerzter »Russismen«, die doch nicht Russismen, sondern schlimmsten Falls kirchenslavischer Provenienz waren; ich finde dann manches Dialektische Iz.B. zdebilszoho für »zum grösseren Theil« u.a.; salopp-populäre Wendungen, wie z. B. ne robyw zachodiw kolo pidbywannja mist to szczo] ; endlich ein Schwanken im Gebranch mancher Formen und Laute (z. B. zdberaty für zaby- raty, nato^nis und natomisc u. a.). Ich betone ausdrücklich, dass es mir eine wahrhafte Freude bereitet, achtes Kleinrussisch zu lesen (nicht die Zwitter- sprache, die ich selbst in der Volksschule gelernt habe) ; aber im Interesse seiner Entwickelung möchte man beinahe ein ne quid nimis einwerfen wollen.

Doch genug formeller Einwände ; gehen wir zur Sache über. Die Szew- czenkogesellschaft, noch vor wenigen Jahren auf schwache Füsse gestellt die Herausgabe der Ogonowski'schen Litteraturgeschichte war damals ihre grösste Leistung publicirt jetzt jährlich neben ihren Zapysky (bis jetzt y.XXTT Hefte oder Bände) vermischten (meist historischen und litterarhisto- rischen) Inhaltes Arbeiten ihrer Sektionen und Kommissionen. Wir be- sprechen zuerst letztere und beginnen mit der wichtigsten, mit der Istoryja Ukrainy-Rusy des Lemberger Universitätsprofessors und Vorsitzenden der Gesellschaft, des unermüdlichen M. Hruszewskij, Bd. I, 1898, 495 S., II, 1899, 403 S.

Der erste Band behandelt die Anfänge, auch in Kürze die archäologi- schen Daten für dieses Territorium, bis auf Jaroslaw; der zweite die Ge- schichte Kiews und seiner Annexe sowie der Steppe bis 1250. Der Text ist von Anmerkungen, die zu ganzen Exkursen anwachsen, gefolgt (Bd. I,S. 342 438, ausserdem zwei besondere Exkurse über die Entstehung der ürchronik sowie über die Normannentheorie); die gesammte moderne, namentlich russ. Litteratur ist aufs sorgfältigste ausgenützt; die Litteraturangaben sind sehr reichlich. Ich vermisste einen orientirenden Ueberblick über die vorhandene historische Litteratur zu Anfang des Werkes; Verf. hat dies erst in Bd. II, 307 311 gar summarisch nachgetragen. Zeit und Mühe sind nicht gespart worden; der Verf. ist ausserordentlich belesen, zeigt kritischen Takt, sichere Schulung und Methode und hat uns ein schönes, verlässliches, lesbares Werk geschaffen, dem gleiches lange nicht jede, auch ältere slavische Litteratur zur Seite stellen kann. Manches aus der neueren deutschen Forschung ist ihm entgangen, so hätte er z. B. I, 365 noch eine völlig verschiedene Erklärung der bekannten Jordanisstelle (Goltescytha u. s. w.) nennen können. Einzelnes ist weniger gelungen, verfehlt ist z. B. die Erörterung von Sitz und Namen der Ugliczi I, 116 120; der Verf. bestreitet die Richtigkeit der einzig mög- lichen und sicheren Etymologie (cf. den entscheidenden Namen Budzak), schreibt ihren Namen Ulyczy und lässt sie dann nach dem Norden, zu den üiuczyczy, den Luczanen Wolyn's, wandern und mit diesen verschmelzen,

294 Kritischer Anzeiger.

Sobolewskij's unglückliche Conjectur sich aneignend. Unter den Zeugnissen für die einstige Ausbreitung der Kleinrussen stellenweise bis zur Weichsel figurirt noch immer der russische Bischof und Abt von Opatow 1234 (I, 128), obwohl diese Ernennung in partibus keinerlei ethnographische Rückschlüsse gestattet; andere stützten sich hierbei sogar auf die Zweitheilungen poln. Kirchen (sie meinten, der eine Theil wäre für Polen, der andere für Russen bestimmt gewesen!), aber das war ein speciell polnischer, mittelalterlicher Missbrauch in der Verwendung der Kircheneinkünfte ! Die Darstellung der Urkultur und der Mythologie ist nicht frei von Irrthümern, doch sind für die- selben Andere verantwortlich; Verf. ist ja kein Linguist von Haus aus.

Besonders interessirte mich die Stellung des Verf. zur Normannenfrage. Dass er nicht auf den Leim der Etymologien eines Gedeonov oder Ilovajskij sich würde fangen lassen, war bei seinem bewährten Takte sicher vorauszu- sehen ; trotzdem ist er auch an dieser Klippe gescheitert. Natürlich sucht er nirgends mehr die AVaräger, weder bei Westslaven noch unter Litauern, noch auf der Steppe; natürlich gibt er das Vorhandensein normannischer Krieger und Abenteurer in Kiev, sogar in grosser Zahl und mit wichtigem Einflüsse, gerne zu, aber die Fürsten selbst nimmt er aus ! Er eliminirt mit Scharfsinn, aber ohne Glück, die bekannten Zeugnisse, annales Bertiniani, Liudprant u. a., weist auf allerlei Widersprüche und Ungenauigkeiten der Normannisten und der Urchronik hin, aber alles dies rettet nicht seine Position. Das schwere philologische Geschütz ruinirt ihn in Grund und Boden, und ver- gebens sind alle Ausflüchte; bei Oleg verweist er auf das Flüsschen Oleg, ich würde ihn zum Askold auf den noch wichtigeren Oskol führen, wenn das was hülfe; bei Igor wird wieder auf den Fluss Ingul verwiesen seit wann ist denn dieser Name slavisch? Auch die slovenischen Ingo und Ingmerovic sind deutsch, nicht slavisch; Bern, ein Name, so häufig im Norden wie Meier und Müller in Berlin, »moie buty i slowianske braty, berna« (und was machen wir mit den Zusammensetzungen Szichbern u. a.?). Er gibt zu, dass die »rus- sischen« Porogennamen skandinavisch klingen und sein mögen, aber über den Gegensatz »russisch slavisch«, den ebenso charakteristisch die Urchronik, ohne etwas vomPorphyrogeneten zu ahnen, stets hervorhebt, d.i. über die Hauptsache (»russisch« ist eben nicht »slavisch«, quod erat de- monstrandum) geht er leichten Herzens hinweg. Trotz dieser und anderer Ausstellungen verdient die tüchtige Arbeit jegliche Anerkennung; sie wird grossen Nutzen stiften.

An zweiter Stelle sei die umfangreiche Apokryphensammlung von Dr. J. Franko genannt, Apokryfy i legendy z ukrainskych rukopysiw, I. Apo- kryfy starozawitni, 1S96, LXVI und 394 S. ; II. Apokryfyczni jewanhelija, 1899, LXXVIII und 443 S. Wenn man bedenkt, dass die anderswo halb oder ganz verschollene Apokryphenlitteratur bei den Kleinrussen, zumal den ungari- schen, noch beim Volke weit und breit bekannt ist, einen Haupttheil seiner geistigen Nahrung ausmacht, wird man die Franko'sche Sammlung als einen wichtigen und lehrreichen Beitrag gerne annehmen. Ich übergehe die Ein- leitungen, in denen nach dem neuesten Stande der Forschung über Alter, Quellen, Verbreitung der Apokryphen im Orient und Occident, zumal bei den

A. Brückner, Publikationen der Szewczenko-Gesellschaft. 295

Slaven, die Geschichte der einschlägigen Litteratur u. dgl. gehandelt wird, schon aus dem Grunde, weil sich der Standpunkt der gelehrten Forschung selbst fortwährend verschiebt, z. B. in der Frage der russischen Paleja tolko- vaja. Dem ersten Bande liegt hauptsächlich eine »Palemaja tolkovanija« süd- russischer Provenienz zu Grunde; der berühmte lletman und Kanzler Jan Zülkiewski, der Sieger von Kiuszyno und das Opfer von Cecora (1620), hatte die Hdschr.(XV. oderXVI.Jahrh.) dem BasilianerklosterKrechow geschenkt; der Herausgeber druckt apokryphische Texte derselben, mit reichlichen Va- rianten aus den einschlägigen Texten bei Tichonravov oder Porfirjev, in zu- sammenhängender Kette von Satanail bis zu den Propheten ab; Einzelnes, z. B. Daniel, ist hier kaum mit vollem Rechte eingeschlossen, so wenig ent- fernt es sich von den kanonischen Texten. Mit ungleich grösserem Rechte kann jedoch der zweite Band als aus »ukrainischen Hdss.« zusammengestellt bezeichnet werden ; hier sind es in der That namentlich ungarisch-russische Texte des XVII. und XVIII. Jahrb., welche Episoden aus dem Leben Jesu und Maria enthalten.

Eine Ueberraschung enthält hier S. 74 98, aus einer Kerestor' sehen Hdschr. des XVIII. Jahrb., die der Herausgeber trotz seines Versprechens (S.98) nicht näher beschrieben hat, die ungarisch-russische Bearbeitung eines kroatischen (ragusäischen?) Marienpoems in 870 Versen (ohne Ende, das Ska- zanie o zaczatii i roMestwi pr. etc. Marii reicht nämlich nur bis zur Verkün- digung Gabriels und dem Zweifel Marias an den Worten des »Archistratigen«)- Der Herausgeber kennt nicht den Ursprung dieses »z mnohych pohladiw zahadkowoho tworu«, aber es ist dies unzweifelhaft ein ragusäisches Poem, obwohl ich es hier in Berlin nicht näher nachzuweisen vermag; ich führe hier nur eine kurze Probe für den ungarisch-russischen Wortlaut und den deutlich durchschimmernden ragusäischen Grundtext an: Joachim wird beim Dar- bringen des Opfers durch einen Juden aus Rubens Geschlecht gestört,

szto ty hljadasz szora uiapyty,

s twoju :Jertwu mene predpredyty,

ked' sia twoi ne pryjmaju dary,

ui u witor idu twoi stwary;

i ne ostawyl jesy ty simena

Izrailiu nyjakoho spomena.

Joakim koly slysza sii reczy,

ot ialosty serce mu zaplacze,

unyczyfen, posramlen pred wsimy

ne moiasze praznowaty z nima (!).

Oskorby sja i napolny jeda,

rydanju i placzu sja preda,

prazdnyk mu sja na :^alost pretwory

i ialost weiyku obory etc. kedb für wann, szor für Reihe sind jedem Ugrorussen geläufig. Interessant ist auch die Auferweckung Lazars aus einer Kiever Hds., die mit ihrem : oy^apu ^niaBHÄ'i. BT. rycün B'i.cKJia;itiBafl nptcTLi cboh na /Kubuh cipyHLi an den Eingang des Igorliedes erinnert (S. 315—317;. Die vielen ungarisch-russischen Texte

296 Kritischer Anzeiger.

sind auch als rein dialektologisches Material nicht zu verschmähen. Jeden Abschnitt begleitet der Herausgeber mit ausführlichen Angaben über Ur- sprung und Geschichte des Urtextes hier bringt freilich jedes Jahr etwas Neues, so sind z. B. die Angaben über das Skazanie Afrodityana (S. 10 f.; heute schon wieder veraltet, wir wissen ja nunmehr, dass der slavische Text nur ein Fragment ist u. s. w. Manchmal wünschten wir Ausführlicheres, z. B. zur Geschichte der Irodjada (S. 340) Angaben über ihre mittelalterliche Ver- wechselung mit der Diana und deren wilder Jagd, über ihren Tod (Kopfab- schneiden durch Eis, was Stowacki in einer grandiosen Episode des Kordjan nachgeahmt hat) der kurze Verweis auf Veselovskij kann uns nicht ge- nügen. Ueber die grosse Belesenheit des Herausgebers, über sein vollstän- diges Beherrschen des so weitschichtigen Stoffes, das doppelt imponiren muss beim Arbeiten fern von grossen Bibliotheken, brauche ich nicht besonders zu handeln ; bürgten doch dafür von vorn herein die früheren Arbeiten des- selben. Er hat ausserordentliche Mühe angewendet und wieder müssen wir hervorheben, dass, ausser der russischen, keine andere slavische Litteratur eine so vollständige und so verständige Sammlung ihrer Apokryphen besitzt. Folgende Bände sollen noch Apostel- und eschatologische Apokryphen, apo- kryphische Legenden u. dgl. bringen; ungarisch-russische Texte spielen hier wieder eine Hauptrolle.

Im Zusammenhange seien denn gleich Materialien zur Erforschung der ungarisch-russischen Dialekte genannt. I. Werchratskij, den Lesern des Archivs aus der Studie in Bd. XVII bekannt, Hess jetzt seine Znadoby dlja piznanja uhorskoruskich howoriw (aus Zapysky Bd. XXVII XXX) besonders erscheinen (1899, 276 S. 80). Vor den Lesern des Archivs, das ja gerade die Arbeiten von 0. B roch brachte, will ich nicht über das Interesse und den Fleiss handeln, die man an dem solange und so gründlich vergessenen Ugro- russischen heute übt in Lemberg sind es Zatkowycz, Werch ratskij , Hnatjuk, die uns den so vielgestaltigen Dialekt und die so traurigen Ver- hältnisse der Ugrorussen nahe führen (vgl. zu den letzteren das kleinrussische Salz zum magyarischen Millenniumskuchen u. d.T.: I my w Ewropi, Lemberg 1896). Werchrackij behandelt diesmal die Dialekte mit beweglichem Accente; besonders reichhaltig ist das Wörterbuch (S.201 275); die Dialekt- proben (S. 127 200) bringen Verse und Prosa, Märchen und Räthsel in ge- nauer Aufzeichnung; die grammatische Uebersicht hebt das Eigenartigere hervor ; bei derEintheilung der Dialekte wird nicht auf das 6 Gewicht gelegt, sondern nach dem li und y wird von ötiJiaKu und öy^anu gehandelt. Das Ma- terial von Zatkowycz und Hnatjuk (in Bd. II, III, IV des Etnograficznyj Zbirnyk) ist bereits von Prof. Polivka besprochen worden; es waren dies hauptsächlich Sammlungen von Legenden, Märchen, Anekdoten, die schon von Hnatjuk und Franko, dann von Polivka mit Parallelen versehen wor- den sind. Aber ich betone, das Material ist unerschöpflich und gibt fortwäh- rend zu neuen Bemerkungen Veranlassung; hier seien nur zwei Fälle an- geführt.

Etnogr. Zb. III, 6 heisst es vom Branntwein : horiwka swe sja za oto, bo tot Ka (einer der Teufel, der sie zuerst brannte^ izhoriw u niw ; ebenso

A. Brückner, Publikationen der Szewczenko-Gesellschaft. 297

S. 63 : starszomu czortowy bulo imnia Kaw i raz Kaw wpade w kad', druhi czorty poczialy hojkaty : zhoriw Kaw i zato nnes palinku zowut horiwka. Man könnte meinen, hier läge einmal eine originale Volksetymologie vor, aber dem ist niclit so; auch sie ist aus Büchern gekommen; schon 1641 in der Pandora starofytna monarchow polskich etc., einer Landesgeschichte in Versen des Alex, z Obodna Obodzinski wird von der Erfindung des Brannt- weins (angeblich a. 764) in Krakau gehandelt, die gorzaika heisst, weil der sie brauende fremde Alchemist Namens K. in ihr gorzal zu Tode.

Karlowicz in seinem Fremdwörterbuche S. 152 erwähnt einen /ar;ow, den er nirgends weiter aufgefunden hätte, als Jungfernschaftszeichen [dohry und zly farjon) und leitet ihn aus dem griech. cpccQiov her. Ein Irrthum, denn farjon wird auch hier nur heissen: guter und schlimmer Kerl und ist das hu- zulische fariön »Intriguant« (Szuchewicz S. 33) und das ist das ugro- russische /arq;o?«, neben Juda u. a. Schimpfwort auf die Juden (totjuda, tot farajon Zatkowycz Etnogr. Zb. II, 35) und das ist natürlich der cyhanskij car' Farajön, z. B. Etnogr. Zb. III, 16 u. ö., der biblische Pharao.

Neben diesen den Ugrorussen gewidmeten Arbeiten sei als besonders werthvoll, namentlich durch zahlreiche, treflfliche Zeichnungen und kolorirte Bilder reich ausgestattet, die erste gründliche folkloristische Untersuchung der galizischen Huzulen genannt. Wir besitzen ja bereits eine Arbeit von Kaindl über die Huzulen, aber diese behandelt nur die Bukowina. Neben dem Etnograficznyj Zbirnyk (7 Bände bisher) gibt die Gesellschaft auch Ma- terjaly do ukraiiiskoruskoj etnologii heraus ; der I. Band enthielt Beiträge zu Haus, Hof, Küche und Handwerk (z. B. von Hnatjuk Narodnja poiywa i sposib jiji pryprawy; von dems., Kusznirstwo u Halyczyni; über Töpferei, Ostereier u. s. w. mit Abbildungen). Der IL Band dieser Materjaly, Lemberg 1899, 144 S., enthält nun die Huculsczyna von Prof. Wolod. Szuchewycz, eine Frucht zwanzigjähriger Arbeit, und zwar den ersten Theil derselben, den Ueberblick über das Land selbst, seine Flora und Fauna ; einen ethnologi- schen (genauere Angaben über Körperbau wären erwünscht gewesen) und statistischen (sehr genau) ; hierauf Angaben über Dorf und Gehöfte, Kleidung und Nahrung des Huzulen. Dem Philologen wird der zweite Theil noch wich- tiger werden, er soll Bräuche, Lieder, Aberglauben u. s. w. bringen, aber wir finden schon im ersten sehr Interessantes in Sprache und Anschauungen, z. B. die Doppelung der Muttergottes und der H. Jungfrau, erstere kann auch zu einer Nixe werden, die Ertrinkenden auflauert, weil ihre Seelen ihr ge- hören ; die Doppelung der Njawki und Mawki u. dgl. m. Der Bericht wird fortwährend durch huzulische Worte und Sätze unterbrochen und gewinnt ausserordentlich an Belebung; dadurch und durch die vielen und guten Ab- bildungen wird er zu einem der lesenswerthesten der Art wiederum nicht nur in der kleinrussischen Litteratur allein. Der Verfasser macht aufmerk- sam auf das sehr späte Aufkommen des Namens Huzul, der rumänischen Ursprunges und doch den Rumänen fremd ist. Möchten wir nur den zweiten Theil bald bekommen.

Da ich doch nicht im Stande wäre, mit Prof. Polivka zu wetteifern, will ich mich mit einer kurzen Besprechung der beiden letzten Bände des

298 Kritischer Anzeiger.

Etnogr.Zbirnyk begnügen. Band VII (Lemberg 1899, 16S S.) bringt die Fort- setzung der Brodyer Märchensammlung von Os. Rozdolskij, Nr. 26 77; die ersten 25 Nrn. waren im I. Bande erschienen und von Polivka eingehend besprochen; die neuen sind mit reicheren Litteraturverzeichnissen ausge- stattet. Der VI. Band, Halyckoruski anekdoty zibraw Wolod. Hnatjuk (Lemberg 1899, XII, 370 und III S. SOj ist wiederum eine Sammlung, wie sie in dieser Reichhaltigkeit und Genauigkeit keine andere slavische Litteratur unter der Rubrik Volksanekdoten bis dato gebracht hat. Eingetheilt ist sie in Anekdoten I. von Ständen (Bauern, Herren, Bettlern u. s. w), 355 Nummern; II. von Völkern (Juden, Zigeunern, Polen U.S. w., Nr. 356 586); III. historische (von dem berühmten starosta Kaniowski, gest. 1782, allein Nr. 599 640); Münchhausiaden und Narrengeschichten, Nr. 641 700. DieLitteraturangaben sind sehr reichlich, ohne dass sie das Thema erschöpften. Mich interessirte diese Sammlung wegen des theilweisen Zusammenfallens ihres Stoffes mit den Schwänken, die ich aus der handschriftlichen poln. Litteratur des XVII- Jahrb., aus einem Potocki, Korczynski u. a. kenne : es verhält sich damit wie mit Räthseln; sie waren einst Gemeingut auch der »Intelligenz», die sich an ihnen, ganz wie heute das Volk selbst erfreute; sanken dann von dieser langsam in die tieferen Schichten, verloren sich oben ganz und blieben nur unten, bei Volk und Kindern, wie z. B. die Räthsel, erhalten. Man könnte aus Potocki u. s. w. nicht nur die dritthalbhundert Jahre älteren Parallelen an- führen, sondern aus ihnen auch manches ergänzen, was ganz vergessen oder nur noch nicht wiedergefunden ist.

Die in russischen und bulgarischen Publikationen verstreuten folklo- ristischen Arbeiten des verstorbenen M. Dragomanow werden jetzt über- setzt herausgegeben ; bisher 1 Band 80 (Rozwidky pro ukrainsku narodniu slowesnist' i pysmenstwo). Die Ruska istoryczna biblioteka (20 Bände) ent- hält meist Uebersetzungen der Werke von Kostomarov, Ilovajskij u. a. Der Zereia do istoryi Ukrainy-Rusi (Band I. und IL Lustrationen der Krongüter im Haliczer, Przemy.sler und Sanokerlande aus der Mitte des XVI. Jahrb., polnisch, und Bd. IV. poln.-lat. Aktenstücke zur Geschichte Galiziens im J. 1648 und 1649) habe ich bereits oben S. 64 gedacht. Erwähnt sei noch eine kleine Quellenpublikation von Prof. Hruszewskij zur alten Landesge- schichte mit Kommentar: Wyimky z ierel do istoryi Ukraino-Rusy, I. do polow.XI. w., Lemberg, 1895, 122 S., griechische und andere Texte; manches fehlt (z. B. gerade bei Herodot die Neurenstelle; ; der Kommentar ist sorg- fältig, aber manches werden wir nicht billigen können, z. B. die Deutung der Anten auf Südostslaven-Ukrainorussen (wiederholt in den Zapysky XXI, 1 16 und in der Geschichte I, 99 103) : was hat man nicht alles mit den Anten gemacht: die halsbrecherischen Kunststücke von Zeuss, in den Slovenen und Anten die Slavenwelt nach der Dobrovsky'schen Zweitheilung unterzu- bringen, bis zur Erklärung der Anten als fremder Dynasten! Wir halten Slovenen und Anten nur für Südslaven ; dafür spricht uns nämlich ihr ge- meinsames Auftreten an der Donau und der gleichzeitige Verlust ihrer Namen, die meist anderen weichen.

Auf den Inhalt der Zapysky kann hier nicht mehr eingegangen werden;

A. Brückner, Publikationen der Szewczenko-Gesellschaft. 299

einiges ist von mir oben S. 64 und von Prof. Polivka genannt worden. Er- wähnt sei nur Band XXXI u. XXXII, weil sie die archäologisch-historischen Referate und Beiträge enthalten (die philologischen sollen später folgen), welche für den Kiever Kongress von 1899 bestimmt waren, aber nicht vor- gebracht wurden. Von den, nicht im blossen Auszug, sondern in extenso mitgetheilten Arbeiten sei unter anderen erwähnt M. Hruszewskij, Zwenyhorod halyckij, welcher gegen die polnische Identifizirung desselben mit dem Dzwiuogrod am Dniestr die Lemberger Lage desselben erweist und einfach auf Lemberg die Rolle des alten, den Forderungen der Fortifi- kationskunst nicht mehr entsprechenden Zwenyhorod übergehen lässt (die Häufigkeit des Namens fällt auf, auch poln. Zmigröd ist nur Zwnigröd ge- wesen!;. Dr. M.Korduba, soziale Schichten und politische Parteien im Haliczer Fürstenthume bis 1250; St. Rudnickij , Organisation der Grenzvertheidi- gung um 1500 und Kosakenkämpfe 1625 1630; Dr. Ochrymowycz, Spu- ren eines Urkommunismus bei den Bojken in Gemeinde und Familie; endlich Wolod. Hnatjuk, der slovakische Räuber Janoszyk in der Volkspoesie, seien noch besonders genannt; namentlich letztere Studie ist sehr lehrreich, sie zeigt, mit welcher Willkür die Volksphantasie schafft, wie an die histo- rische Persönlichkeit (J. ist 1713 hingerichtet worden) unhistorische, wan- dernde Motive sich heften, wie schlecht es mit dem historischen Gehalt an- geblich historischer Lieder bestellt ist; die Untersuchung erstreckt sich auf polnische, slovakische und kleinrussische Texte.

Dr. K. Study nskij hat die Gedichte des vergessenen Mych. Maka- rowskij (1783 1846), Natalja (eine Nachahmung des Hermann und Dorothea) und Harasko (nach dem Puschkinschen Gefangenen im Kaukasus), neu heraus- gegeben und erläutert (Lemberg 1899, 84 S.).

Ist oben (S. 63 f.) Russisches und Kleinrussisches unter Polonica aufge- nommen, so sei hier wieder gestattet, mit einem polnischen Buche die Ueber- sicht zu beendigen. Aleks. Jablono wski, bekannt durch seine Erfor- schung der Besiedelungs- und sozialen Verhältnisse Podoliens, der Ukraina u. s. w. unter polnischer Herrschaft, verfasste als 2ten Theil der Fontes et commentationes historiam scholarnm superiorum inPolonia illustrantes (über den ersten s. o. S. 67): Akademija Kijowsko-Mohilanska, zarys historyczny na tle rozwoju ogolnego cywilizacyi zachodniej na Rusi (Krakau 1899 1900, 318 S. gr.-80) in prächtiger Ausstattung, mit vielen Vollbildern (der Bischöfe und Aebte, Reproduktionen von Büchertiteln u.dgl.). Dem Verf. stand aller- dings kein neues, handschriftliches Material zu Gebote; er beschränkte sich auf die Verarbeitung alles vorhandenen, von Askocenskij bis Golubjev, Pe- trov und Charlampovic, sowie des urkundlichen Materials. Die Darstellung ist auf breitem kulturhistorischen Hintergrunde aufgebaut, vielleicht zu sehr nach den einzelnen, kleinen Abschnitten zerstückelt, daher sich nothwendiger Weise vielfach wiederholend ; besonderes Gewicht legt sie auf die Verbrei- tung und Behauptung der polnischen Sprache in der Ukraine, welche die politische Zusammengehörigkeit mit Polen lange überdauert. Bei der wich- tigen Rolle, welche das Mohyla'sche CoUegium in Südrussland (resp. auch Moskau) gespielt hat, war eine zusammenhängende Darstellung seiner Ge-

300 Kritischer Anzeiger.

schicke (bis zur Umwandlung der Academia Mohilaeano-Zaboroviane in ein Theologen-Seminar mit russischer Vortragssprache) auch in poln. Sprache unerlässlich geworden; es ist dies hier möglichst objektiv und vielseitig ge- macht worden. A. Brückner.

ETHorpa*iqHHH 36ipHHK. Bn^ae HayKOBe xoBapHCTBO iMenn lIIeB^enKa 3a pe^aKüiHeio M. rpymeBCLKoro. Y JtBOBi I VI. 1895 1899. *)

Nr. 37, S. 157 f. Wer nicht ein Lügenmärchen zu erzählen trifft, dem werden Riemen aus dem Rücken geschnitten. Vgl. Zbiör. wiad. antrop. IX, Abth. 3, S. 146 f. AeaHacteBi. 3 II, Nr. 231 d, e. Ao6poBO.ii.CKiu I, 467, 663. Po- MaHOBT. III, 414, 417; CöopH.MaTep. KaBKas. XV,49. Slovenski Glasnik X(1864), 316 u. a.

Nr. 38, S. 159 f. Lügenmärchen.

IL A. Fabeln. S. 165—170.

Nr. 1, S. 165 f. Der Bär streitet mit dem Esel, wer älter sei, der Esel beruft sich darauf, dass er Jesus trug. Hängt wohl zusammen mit der Le- gende, woher der Esel das Kreuz auf seinem Rücken trägt. Revue des trad. popul. VII, 484; XII, 330. Schambach & Müller Niedersächs. M. 320. Der Fuchs zeigt dann dem Bär, dass der Mensch, ein Soldat, stärker ist als er. Vgl. Zbior wiadom. antrop. V, Abth. 3, S. 250. Chelchowskl II, 28. Dobsinsky V, 27. C60PHIIK1. MUH. VII, Abth. 3, S. 134, 190, 192.

Nr. 2, S. 167 f. Der alte Hund verjagt, rettet das Kind seiner Herren vor dem Wolf. Vgl. Archiv XIX, 257, Nr. 121, 122. Der Wolf dann überlistet von einem Füllen, er soll sich den Contract auf ihrem Hufe ablesen, dann auch von einem Widder bethört. Vgl. Väclavek Valasske pohädky 1898, S. 64 f. C6opH. Maiep. KaBKas. XIV, Abth. 2, S. 188. CöopH. muh. I, Abth. 3, S. 130; X, Abth. 3, S. 156. Ad. Gerber Great Russian Animal Tales 32 f., 79.

Nr. 3, S. 170. Der Fuchs ladet den Wolf zu einer Hochzeit ein, der Wolf schrecklich durchgeprügelt; der Fuchs klagt über seine Schmerzen, singt ein Liedchen, wie der Geprügelte den Nichtgeprügelten trägt. Vgl. Slov. Pohl'ady 1895, S. 388. Cesky Lid V,458. Kaarle Krohne Bär (Wolf) und Fuchs 59, 122. A. Gerber op.c. 51.

B. Erzählungen von historischen Persönlichkeiten.

Nr. 1, S. 171 f. »Vom Könige Matthias«. Reminiscenzen aus verschie- denen Erzählungen. Von einer festen Burg, zu deren Erbauung Wasser und Kalk, Milch und Eier verwendet wurden. Von dem erblühenden Stab wie in der Sage von Pf emysl, vgl. den Aufsatz von Dr. Iv. Franko im Cesky Lid IV, 22 f. Auf wessen Haupt die Krone fliegt, der wird König. Vgl. Alex. Veselov- skij Hat ucTopiu poMana u nosicTu I, 237. Zum Schluss Motive aus der Sage von Salomo, Mathias unter dem Galgen, stösst in sein Hörn, sein Heer im Walde verborgen. Vgl. Archiv XXI, 283. EiHorp. 36ipH. III, Nr. 12, 13.

*) Fortsetzung vom Band XXI, S. 302.

G. Pollvka, Ethnogr. Public, der Sevcenko-Gesellschaft I VI. 301

Nr. 2. Die Belohnung für die Zulassung zu dem König vertheilt unter die Diener. Vgl. Archiv XXI, S. 295 zu EiHorp. 36ipH. III, Nr. 7.

Nr. 3, S. 175. Reste aus der Sage vom weisen Mädchen. Vgl. Archiv XXI, 283, Nr. 189. Zs. öst. Vk. III, 188. Jleromic Maraue cpncKe Bd. 151, S. 57 f. Swi^tek Lud nadrabski 408 f.. 423 f. Mijat Stojanovic Pucke pripov. 47. KojauoB Cre*aHOBiih 146. ATaH.HiiKo.iiih II, 50 f., Nr.5. EocaH.Buja V, 179.

C. Anekdoten (S. 178—197).

Nr. 1, S. 178 f. Wer die Prinzessin zum Lachen bringt, bekommt sie zur Frau. Vgl. Materyjaly antropol.-archeol. II, 94 f., Nr. 67. Släma Slezske poh. apov.Nr.16. Cesky Lid IV,301. KresIV,87; V,401. C6oph.mhh. VI, Abth.3, S. 169. C6oi)ii. Marep. KaBKas. XXI, Abth. 2, S. 52, 59. Jones & Kropf Magyar Folk Tales 14 f. Fr. H. Groome Gypsy Folk Tales 55 f. R. Köhler Kleinere Schriften I, 93. Hiermit ist verbunden noch ein anderes Motiv : die Prin- zessin hat auf jede Antwort des Bewerbers »nein« zu sagen. Vgl.Zs.öst. Vk. III, 189, Nr. 4.

Nr. 4, S. 182. Aus einem »Ei« d. i. einem Kürbis ein Füllen ausgebrütet. Vgl. Zs. öst. Vk. V, 26.

Nr. 5,' S. 183. Zigeuner als Mäher täuschen den ersten Tag ihren Herrn, sind aber den folgenden Tag selbst bethört. Vgl. TpuH^eHKo I, Nr. 133. Mat. antrop.-archeol. I, Abth. 2, S. 262.

Nr. 10, S. 188 f. Wer den schönsten Traum träumt, isst den Hasen auf. Vgl. Slovenske Pohl'ady 1896, S.326 f. Väclavek Nekolik pohädek a povidek z Mor. Valasska -, 90 f. CyaiuoBt CoBpeMen. Majop. aiHorp. 11,79. CoopH. Maxep. KaBKas. XVI, Abth. 1, S. 294. ByK Ctg*. Kapa^uh Cpn. Hap.npunoB. 1897, S.326, Nr. 5. Mijat Stojanovic Sala i zbilja 1879, S. 24.

Bd. V (S. VI + 267], welcher unter der Redaction des Dr. Ivan Franko herausgegeben wurde, enthält eine Reihe kleinerer Beiträge. M. Dykariv weist in seinem Aufsatz (S. 1 24) auf die Wichtigkeit des Studiums der Volksseele hin, insbesondere auf die Wirkung und Resonanz wichtiger öffentlicher Ereignisse in den breitesten Schichten des Volkes. In seiuem Artikel stellte er verschiedene und mannigfaltige Vorstellungen und Erzäh- lungen zusammen, die die Krönung des russischen Kaisers im J. 1896 hervor- rief. Unter anderem lesen wir auch die weit verbreitete Anekdote von dem betrunkenen Soldaten, welcher in den »Himmel« gebracht wurde (S. 19 f.), vgl. Archiv XIX, 242, Nr. 10. /[o6poEo.!iBCKiH I, 385 f. R. Köhler Kleinere Schriften I, 68. Volkslieder, historische Lieder aus der Zeit der Robott (S. 24— 32,227); Lieder und Traditionen von Räubern (32—40), Zaubersprüche und -formein der Huculen gegen Krankheiten, Hagel, auch für eheliche Treue der Frauen (41 72, 231 237), Lieder über Brasilien, von Auswanderern ge- dichtet, theilweise die Vorzüge des Landes preisend, theilweise vor weiterer Emigration warnend (S. 73—75, 237—242) ; für die neueste Bewegung der Volksmassen in Galizien sind diese Lieder ungemein charakteristisch, nichts weniger auch für die neueste Phase der Volkspoesie. Volksaberglau- ben aus dem Pidhirje, aus einem Dorfe des Bezirkes Stryj (S. 76— 98); Dr. Ivan Franko stellte das in einer Ortschaft gesammelte Material systema- tisch zusammen und wies stellenweise auf ähnliche Traditionen bei benach-

302 Kritischer Anzeiger.

harten und fremden Völkern hin. Es sind dies natürlich grösstentheils Vor- stellungen, Sagen etc., die uns von andersher gut bekannt sind. Z. B. der Teufel verfolgt Gott mit dem Donnerkeil S. TT). Irrlichter sind brennende Schätze, trocknendes Geld (S. 78). Der Floh geht aus dem Dorfe in die Stadt, die Fliege aus der Stadt ins Dorf (S. 79) ; vgl. Archiv XXI, 274, Nr. 16. Von der Erschaffung des Storches (S. 79 f ) ; vgl. Archiv XIX, 260, 264. aCuBaa Ciap. V, 440. Federowski Lud biaiorus. I, 176, 185. Warum die Getreide- ähren so klein sind (S. 82); vgl. Archiv XIX, 260. aCuBaa CxapuHa V, 438. Federowski Lud biaiorus. I, 170. 174. Swietek Lud nadrabski 332. ;io- 6poBO.!ii.cKiii 1, 288 f., Nr. 58, 59. Tpefi.iaHii'L üaTtim. ck. Nr. 40. Carnoy Nicolaides Tradit. de l'Asie Mineure 243. Revue des trad. pop. XII, 58, 177. Die Cholera personificirt, ins Dorf gebracht auf einem Wagen u. a. (S. 85) ; vgl. EiHorpa*. Oöoap. XXVIII, 187, XXIX— XXX, 133. Federowski Lud bialoruski I, 144. Der Dieb schützt sich mit einer Kerze, die den Todten in das Grab mitgegeben wird (S. 90) , wie sonst öfter mit einer aus Menschenfett verfertig- ten Kerze oder einer Kindesband. Vgl. die Abhandlungen N.Th.Sumcov's in der Zs. KleBCKaa CxapuHa 1896, Nr. 6, 3th)ji>i o JlyniKüHi V, 13. 3THorpa*. 06o3p. 1897, Nr. 1, S. 208. Federowski Lud bialoruski I, 100. Am Urquell V, 163. T'poiiJia.nn.'h JlaxMui. ck. Nr. 77. Swietek Lud nadrabski 536 u. a. Einst waren riesengrosse Menschen, nach uns werden noch kleinere Menschen sein (S. 94). Vgl. Federowski op. c. I, 201 f. In der andern Welt unter der Erde gibt es noch andere Leute, »Rochmäny« (S. 95, s. noch S. 213), d. i. Brach- mani. Vgl. Veselovskij Hsi. ucxopiu poMana u noBicxu I, 281 f. Von dem immer zum Geber zurückkehrenden Geldstück (S. 97). Vgl. Urquell V, 104; N.F. I, 207. Federowski op. c. I, 35 f. Daneben theilt noch Dr. Ivan Franko seine eigene, noch reichere Sammlung aus verschiedenen Ortschaf- ten dieses Landstriches mit (S. 160 218) und versah sie mit zahlreichen bibliographischen Nachweisen. Unter anderem von den Flecken im Monde : ein Bruder spiesste den andern auf die Heugabel auf. Vgl. Archiv XIX, 264, CöopH. Maxep. KaBKaa. XVI, Abth. 1, S. 317. ExHorp. 36ipH. II, Abth. 2, S. 6. Der HoUunder ist ein unreiner Baum. Judas hängte sich auf ihm auf (S. 166). Vgl. Revue des trad. pop. IV, 410. Der Tabak vom Teufel erfunden; den- noch ist nicht das Rauchen eine Sünde, sondern bloss das Schnupfen (S. 169). Vgl. Archiv XXI, 264, 274. /loÖpoBOJiBCKiü I, 282 f. CöopH. muh. II, Abth. 3, S. 166. Oberster über die Wölfe ist der hl. Nicolaus. Vgl. Archiv XXI, 275, Nr. 69; S. 289, Nr. 11. «■ Zur Fledermaus wurde eine Maus, als sie die Hostie aufass (S. 174), ähnlich wie Archiv XIX, 260, Nr. 201; XXL 264, Nr. 12. Während dem Schlaf geht die Seele aus dem menschlichen Körper (S. 182 , aber nicht, wie gew. erzählt wird, in der Gestalt einer Maus, Käfers o. a. Federowski op. c. I, 211. TpeajiaHÄt Nr. 92. Andrejanoff Lett. M. 69. Schell Bergische S. 38 a.a.O. Die »Vampyre« haben zwei Seelen, neben der eigenen noch eine unreine (S. 182). Auch im Gebeine kann die Seele eines bösen Menschen sein, ein Trunkenbold lud einmal, als er spät Nachts nach Hause zurückkehrte, Gebeine zu Gast (S. 183 f.). Vgl. Zs. öst. Vk. I, 187; III, 190. Federowski op. c. I, 57 f. Malinowski Powiesci ludu pol. na S^sku I, 24. Die Mutter soll nicht zu viel um ihr Kind weinen, denn dadurch stört es seine

G. Polivka, Ethnogr. Public, der Sevcenko-Gesellschaft I— VI. 303

Ruhe. Vgl. Archiv XXI, 277. Federowski op. c I, 55 f. Seit welcher Zeit und warum kennen die Menschen nicht mehr die Stunde ihres Todes (S. 189 f.). Vgl. nieuH-L MaTcp. II, Nr. 224. TBopu Py^aiitcKoro II, 199. HCuBaa Cxap. V, 436. Cesky Lid IV, 543; V, 367. Revue des trad. popul. I, 70; V, 753; X, 576. Der ganze menschliche Körper hatte früher eine Hornhaut, nach dem Sünden- fall Adams blieben davon nur die Nägel übrig ; vgl. Archiv XXI, S. 292 zu Ernorp. 36ipH. III, 1 f. Der Hausgeist entspringt aus einem besonderen Ei. Vgl. 3THorpa*. Oöosp. XXVIII, 1 18. ^o6poBo.ii,CKiü 1, 96. Am Urquell V, 101. yKucaa Ciap. VII, 105. Cesky Lid VI, 134. Charvät Z ceskeho jihu 147. Bufkovä Wanklovä Z Jecminkovy nie 279. Wie man die Hexen erkennt (S. 211,216, 217). Vgl. Swietek Lud nadrabski 523. 3Tuorpa*.06o3p. XXVIII, 111. Zs. öst. Vk. II, 249. Zs. VVK. VII, 293 u. a. Vom ewigen Juden (S. 211) und viele andere abergläubische Gebräuche, Volksmedizin, Prognostica, Traumdeuter etc., u. a. auch eine Nachricht über ia,s pobratimstvo (S. 197). Der Redacteur hat noch eine systematische Uebersicht mit neuen bibliographischen Nach- weisen hinzugefügt 'S. 244 261). Ausserdem lesen wir noch einen längeren Zauberspruch gegen Krankheiten (S. 99 105), Bettler-Gebete aus dem Kreise Zydacov (S. 106—110, 242 f.).

Fünf Legenden (S. 111—116).

1. Wie Adam dem Teufel alle Todten verschrieb. Die Erde gehöre dem Teufel, weil er vor Adam vom Himmel auf die Erde von Gott verjagt wurde.

2. Solomon liess Christus in der Hölle zurück, er soll sich selbst durch seine Klugheit befreien. Die Teufel treiben ihn aus der Hölle hinaus, weil er vorgibt, das ganze Teufelsvolk zu bekehren, eine Kirche zu erbauen.

3. Gott erschuf den Adel aus Teig, den Ruthenen aus Lehm. Ein Hund kam und frass die Teigfigur auf. Ein Engel schlug mit dem Hund an einer Weide, und es sprang der Herr Verbicki hervor, an einer Birke es sprang heraus der Herr Berezovski, an einer Buche, es sprang heraus der Herr Bu- kovskij, an einem Ahorn es erschien der Herr Javorski etc. Eine offenbar etymologische Sage. Vgl. übrigens die Legende von der Erschaffung der Ko- saken und der Soldaten ETHorpa*. 36ipu. II, Abth. 2, S. 10, Nr. 9, 10.

4: Der Bär erschaflen aus einem unter einer Brücke versteckten Müller, als er Christus durch sein Gebrüll erschrecken wollte. Vgl. Archiv XIX, 259. Federowski Lud bialoruski I, 159, Nr. 742, 743. Zbior. wiad. antrop. XV, Abth. 3, S. 271. JKHBaK CxapHHa V, 441. C6opH. muh. VII, Abth. 3, S. 133, 134. Revue des trad. pop. IV, 362.

5. Eine Version zu dem Märchen «Der Fischer und seine Frau«. Vgl' meinen Aufsatz im Närodopisny Sbornik ceskoslov. I, S. 49.

Indenhinterlassenen ethnographischen Materialien von Maksimovic fand M. Dragomanov einige von Bodanskij gesammelte kleinrussische Lieder-, drei von ihnen sind abgedruckt (S. 117 120). M. Derlica lieferte eine ethno- graphische Skizze über die Dorf kinder (S. 121 140) auf Grund von Auf- zeichnungen in einigen ostgalizischen Ortschaften, und theilte eine Menge von Wiegenliedern, verschiedenen Kinderliedern und Kinderspielen mit. Aus den Sammlungen des bekannten Ethnographen Prof. R. Kaindl wird reiches Material abgedruckt (S. 141—159), Lieder über die Robott, Zaubersprüche,

304 Kritischer Anzeiger.

Kinderlieder, Sprichwörter, Räthsel u. a. Endlich finden wir noch eine ziem- lich grosse Sammlung von Räthseln aus einem Dorfe des Beg Kamjanec (S.219 223), und eine gereimte Anekdote vom dummen Kuzmym (S. 224— 226), d. i. vom Dummen, der immer unrichtig grüsst und dafür Schläge bekommt, vgl. Archiv XIX, 257. Materyjaiy antropol.-archeol. II, S. 51 f. IIIanKapeB-B C6opH. ort Hap. yMOTBop. IX, Nr. 170, S. 308 f. R. Köhler Kleinere Schriften I, 87 f. EocaH. Bn.;ia VI, 219.

In Band VI 1899 (S. XII + 370 + III) legt uns der unermüdliche Eth- nograph H. Volodymyr Hnatjuk wieder einen starken Band ethnographischen Materials, diesmal aus Galizien, vor. Die galizisch-russischen Anekdoten, welche in dem uns vorliegenden Bande gesammelt sind, wurden grössten- theils im östlichen Galizien im Bezirke Buczacz, grossentheils im Bezirke Staremiasto im mittleren Galizien an den Abhängen der Karpathen im Ge- biete der Bojken, seltener in anderen Gegenden Galiziens aufgezeichnet. Der Herausgeber schickt seiner Sammlung eine kleine Vorrede voraus, in welcher er sehr interessante Mittheilungen über seine Erfahrungen bei dem Sammeln und Aufzeichnen der Volkserzählungen, Lieder u. s. w. macht, ins- besondere wie er stellenweise ausgesprochene, bis mit Thätlichkeiten drohende Feindschaft fand. Die Ansichten des Volkes über einen solchen Sammler werdeu eingebend beschrieben. Herr Hnatjuk fand aber dennoch zwei ausgezeichnete Erzähler, einen im Dorfe Puznyk, Bez. Buczacz, den andern im Dorfe Msanec, Bez. Staremiasto. Besonders den zweiten lobt der Herausgeber als einen unerschöpflichen Erzähler: er erzählte durch 11 Tage 10 bis 12 Stunden. Sein Repertoir war sehr reichhaltig, enthielt nicht nur kurze humoristische Erzählungen, Anekdoten, sondern insbe- sondere Märchen, Legenden, Novellen. Die Biographie beider Erzähler ist vom Herausgeber treu nach ihrer Erzählung wiedergegeben. Daraus ent- nehmen wir, dass der zweite Erzähler ein vielgereister Mann war, als Soldat durchwanderte er Böhmen, Bosnien und Ungarn, vordem war er in der Bukovina, und auf diesen Wanderungen wuchs jedenfalls sein Repertoir so an. Selbst bekannte er, dass er manche Erzählung als Soldat hörte.

Alle Erzählungen sind phonetisch treu wiedergegeben bis auf einige wenige, welche aus früheren Drucken übernommen wurden. Genau ist bei jeder ihre Quelle, ihr Erzähler angemerkt. Wir erhalten so wieder einen tie- feren Einblick in die kleinrussischen Dialekte Galiziens, besonders in den Dialekt der Bojken, der noch nicht genügend erforscht ist. Gesammelt sind in diesem Bande, wie gesagt, Anekdoten. Der Begriff Anekdote ist gewiss ziemlich dehnbar, und faktisch lesen wir manches, was wir sonst als Novelle, Sage finden. Eingetheilt sind sie in einige Rubriken nach ihrem Inhalte : 1) Anekdoten über die verschiedenen Gesellschaftsschichten und Stände, als Bauern, Diener, Bettler, Handwerker u. s. f., 2) über verschiedene Volks- stämme: Kleinrussen, Bojken, Huzulen, Polen u. s. w. bis Juden und Zi- geuner, 3) histor. Anekdoten, Münchhausiaden , Lügenmärchen, Abderiten- geschichten.

Bei zahlreichen Erzählungen ist in den Anmerkungen, zum Schluss noch in einem Nachtrag auf Varianten in der russischen, slavischen und fremden

G. Polivka, Ethnogr. Public, der J^evcenko-Gesellschaft I VI. 305

Erzählungsliteratur verwiesen. Nachstehend erlauben auch wir uns, einigen Erzählungen etliche Anmerkungen anzufügen.

Nr. 13, 14. Der Mann fand einen Schatz und sein einfältiges Weib. Vgl. Archiv f. slav. Phil. XXI, 296.

Nr. 21. Der Sohn rächt sich an seinem Vater in dem Gemeinderath, weil er ihm eine Ohrfeige versetzte, er schlug seinen Nachbar, der weiter, so dass endlich sein Vater die Ohrfeige zurückbekam.

Nr. 24, 25 wird dieselbe Geschichte von einem Bauern erzählt, der zum Abgeordneten erwählt wurde und dann neben den Kaiser zu sitzen kam. Die Herren wollen ihn compromittiren, geben einer dem andern einen Schlag, bis die Reihe au den Bauer kommt, der gibt ihn aber mit einer witzigen Bemer- kung zurück.

Nr. 29, 30. Der Ochs als Bürgermeister, Abgeordneter. Vgl. Archiv f. slav. Phil. XIX, 267. Zs.VVK. VII, 95.

Nr. 56, 57, 58, Der Soldat kehrt nach Hause zurück, hat seine Mutter- sprache vergessen und spricht nur deutsch. Wie die Nachbarsleute ihn wie- der russisch lehrten. Vgl. Bozena Nemcovä När. bächorky II, 336. Bronisch, Kaschub. Dialectstudien II, 71. naMKTHHKu ÄpesHeü nHctMeHHocTU, 1878 79, S. 109.

Nr. 119. Der buhlende Pfaffe vom Ehemanne überrascht und geprügelt. Vgl. Archiv XIX, 263.

Nr. 121. Die Zertheilung der Gans. Vgl. AeauacBeBi. Pyc. Hap. ck.3, II, Nr. 249 etc. MaH>Kypa ÜKasKu 66 f. Glinski Bajarz pol. IV, 167 f. CyMiiOBt PasiicKaH. BT. 06.1. aHCKÄOT. 153 f. Clouston Populär Tales and Fictions 11,329. Zs. f. vgl. Lit.-Gesch. N.F. XI, 36 f. IlaMKTHiiKu ÄpeBueii: nucLMeHHOCTH 1878 1S79, S. 108.

Nr. 124, 125. Der Schuldner stellt sich todt aus Furcht vor seinem Gläu- biger, im Sarge in der Kirche, Diebe, die ihre Beute theilen wollen, aufge- schreckt. Aehnlich noch der Schluss von Nr. 653, S. 323 f. Vgl. Archiv XVII, 580 zu Ciszewski Nr. 178— 180. CöopH. waiep. KasKas. XVIII, Abth.3, S. 408 f.; XIX, Abth. 2, S. 75. CöopH. muh. Öx.irap. VIII, Abth. 3, S. 203. Mark Lidz- barski Gesch. neuaram. Hss. 176. Lal Behari Day Folk Tales of Bengal 169.

Nr. 127. Der Bauer gibt dem Teufel das ausgeborgte Geld zurück, wenn er erkennt, worauf er reitet. Vgl. JKaxe i Cjiobo 1895, H. 2, S. 229. ExHorpa*. 36ipHiiK I, Abb. 3, S. 26. Federowski Lud bialoruski I, S. 32, Nr. 100 u. a.

Nr. 128. Ein Bauer sagt dem Kaiser, wie er seine Einkünfte vertheilt, einen Theil gibt er zurück, einen andern borgt er, den dritten wirft er zum Fenster hinaus. Der Kaiser legt das Räthsel seinem Hofe vor. Vgl. Zs. VVK. VI, 161. AeaHacBCB'i Pyc. Hap. ck.3 n, Nr. 1851». Mensik Morav. poh. a pov. S. 77. Revue des trad. popul. XII, S. 194. Revue des langues rom. IV ser.. 1 1., S. 565. Zum Schluss noch angefügt die Anekdote, die oben Nr. 24, 25 selbständig erzählt wurde.

Nr. 135, 136. Das dumme Weib Hess sich aus der Kirche »in den Himmel hinaufziehen« (von Dieben). Vgl. Archiv XVII, 579 zu Ciszewski Nr. 163. Polaczek Wies Rudawa S. 221.

Archiv für slavische Philologie. XXII. 20

306 Kritischer Anzeiger.

Nr. 202. Das dumme Weib geht auf den Markt, soll für die Kuh einen Fünfziger nehmen und für die Henne 50 Kreuzer. Wahrscheinlich verdorben, gewöhnlich soll nicht die Kuh ohne die Henne verkauft werden. "Vgl. z. B. Asbjörnsen & Moe Norweg. VM. I, S. 70, Nr. 10. Das Weib vom Juden bethört, betrunken, mit Theer beschmiert und mit Federn beschüttet. Vgl. Archiv XXI, 283.

Nr. 203. Dasselbe Wortspiel zwischen EycKa rycKa, das wir auch in slovakischen Märehen finden.

Nr. 206. Der Teufel vom Weibe betrogen, Mohn und Mohrrübe gesäet. Vgl. Archiv XXI, 276, Nr. 73. Federowski Lud biaioruski I, Nr. 558. Mali- nowski Powiesci ludu pol. na Slasku I, 45 u. a.

Nr. 207. Bruder und Schwester vor Gericht. Das Recht wird dem zu- gesprochen, der ein gewisses Eäthsel löst. Vgl. Archiv V, 56. PoManoBt Ei.iopyc. C6. III, 390 f., 392 f. XysaKOBt BejiHKopyc. ck. I, Nr. 6. Zbior wiadom. antropol. IX, Abth. 3, S. 137 f., Nr. 26.

Nr. 208 erinnert an das im Westen stark verbreitete Märchen von dem Mädchen, welches die Mutter schlug, weil sie ihr das Essen verzehrte, einem Herrn gegenüber aber sagte, sie hätte sie geschlagen, weil sie zu fleissig spinne. Vgl. L. Gonzenbach Sicil. M. II, Nr. 84. Isaia Visentini Fiabe manto- vane Nr. 22. Jos. Jacobs English Fairy Tales 1898, Nr. 1.

Nr. 218. Den Schatz dürfen nur die Hände heben, die ihn vergruben. Ein Soldat nahm den Leichnam selbst unter den Arm und mit dessen Händen grub er den Schatz aus. Vgl. Archiv XXI, 279. Mater, antrop.-archeol. i et- nograf. II, Abth. 2, S. 92. Federowski Lud biaioruski I, Nr. 134, 153.

Nr. 219. Gehört zur Erzählung, wie ein Herr wettet, dass sein Diener nie lügt, sondern immer die Wahrheit spricht. Vgl. Archiv XXI, 267, Nr. 12u.

Nr. 242. Ein Dieb beichtet dem Geistlichen, den er bestohlen hatte. Ausführlicher unten noch Nr. 425, 580. Vgl. ExHorpa*. 36ipH. I, Abth. 3, S. 27. ilo6poBO.!ii>CKiii Cmoj. C6. I, 700 f. Eoc. Bujia II, 332.

Nr. 244. Aehnlich wie Archiv XXI, 301, Nr. 29. Der Leichnam kehrt zurück, bis der Reiche ihn auszahlt.

Nr. 264. »Der Bauer und der Student«. Die Erklärung von Katze, Feuer, Berg (statt Mauer) ist etwas anders als gewöhnlich. Vgl. Archiv XXI, S. 284, Nr. 191, 192. GöopH. sa Hap. yMoxEop. IV, Abth. 3, S. 143 f. und meinen Auf- satz in dem I06u.3eäHBiü CöopHHKt Et icctb Bc. 0. Majuepa S. 163 flf. Nr. 266 endet, womit die russischen Erzählungen diese Anekdote gewöhnlich beginnen.

Nr. 282. Der Geistliche als Teufel verkleidet entlockt dem Bauer seinen Schatz. Vgl. Archiv XVII, 581, Nr. 240. Zbiör. wiad. do antropol. kraj. IX, Abth. 3, S. 151 f. AeanacBeBi. Pyc. nap. ck.3 II, Nr. 144. CyMuoBx CoBpcM. Ma.iopyc. 3THorp. II, 84. Cöopn. 3a Hap. yMoiBop. VII, Abth. 3, S. 178. Viiclavek Valasske pohädky 1898, S. 8 f.

Nr. 287, 288. Die dem Geistlichen auferlegten Räthsel löst der Müller. Vgl. R. Köhler Klein. Sehr. I, 82. Clouston Populär Tales and Fictions IL 112 f. Swietek Lud nadrabski 431 f., Nr. 53. Ramult Slownik jez. kaszub. 295 f. ÄoÖpoBO.TBCKiä Cmo.i. 06. 1, 386 f. A. G. Nar pripov. v Soskih planinah

G. Polivka, Ethnogr. Public, der Sevcenko-Gesellschaft I VI. 307

I, S. 53 f., Nr. 8. Kapayuh I, 148 f. Aehnlich Nr. 289, wo der Schweinehirt die seinen Herden vom Kaiser auferlegten Räthsel löst.

Nr. 290. Dr. Allwissend. Vgl. Archiv XXI, 295. Malinowski Powiesci ludu polskiego na Sl^sku S. 11 f.

Nr. 293. Der Pfarrer beerdigte einen Hund, der Bischof weihte einen Widder zum Priester. Vgl. Mater, antropol.-areheol. i etnograf. II, Abth. 2, S. 117 f., Nr. 88.

Nr. 295. Der Geistliche von einem Engel in den Himmel gebracht, d. h. in einem Sack zum Festmahl des Herrn gebracht. Vgl. Archiv XIX, 256, 263. Mater, antropol.-areheol. i etnograf. III, Abth. 2, S. 135. Swietek Lud nadrab- ski 418. Clouston Pop. Tales and Fictions II, 490 f. Fr. H. Groome Gypsy Folk Tales S. 46 f., Nr. 12. Mark Lidzbarski Gesch. neuaram. Hss. S. 246 f.

Nr. 328. Der Bauer vom Herrn bethört, sein Ochs sei eine Ziege; er rächt sich an ihm grausam, prügelt ihn durch, wie Glinski IV, 190, 194 u. a. Vgl. Archiv XIX, 263.

Nr. 330, 331, 332. Die Schläge verkauft der Bauer dem Juden. Vgl. Archiv XIX, S. 256, Nr. 93, 94. Mater, antropol.-areheol. i etnograf. III, Abth. 2, S. 152 f. Malinowski Powiesci ludu pol. na Sl^sku 20 f. Teirlinck Cont. flam. 118 f. Haas Rügen. S.M. 223.

Nr. 338. »Der Herr sucht das Unglück auf«. Vgl. Archiv XVII, 579, Nr. 154. Slovenske Pohl'ady 1896, H. 4, S. 217.

Nr. 345. Der Diener verstand die Sprache der Thiere und Pflanzen, als er die für den Herrn zubereitete Schlange verkostete; verlor dann diese Gabe, nachdem der Herr ihm in den Mund spuckte. Vgl. Archiv XXI, S. 278, Nr. 90.

Nr. 348. Die Prinzessin bekommt zur Frau, wer sie zum Lachen bringt. Vgl. oben S. 301, Nr. 1.

Nr. 350. Das weise Mädchen. Vgl. oben S. 301, Nr. 3.

Nr. 351. Ein Mann bethört von seiner Frau um sein unerschöpfliches Geldsäckchen ; rächt sich an ihr mit den Aepfeln, deren Genuss Hörner her- vorbringt.

Nr. 352, 353. Ein Herr ass einmal bei einem Juden ein Ei, und nach vielen Jahren rechnete ihm der Jude eine ungeheure Schuld auf. Vgl. Archiv XXI, 296.

Nr. 354, 355. Das hochmüthige Mädchen und dessen Verehrer. Vgl. Archiv XIX, 242, Nr. 9. Cesky Lid VI, S. 1 f. Sbornik mus. spol. slov. I, 159 f. Zs. VVK. VII, 331. Clouston Pop. Tales and Fictions II, 315 f.

Nr. 383. Die bekannte Erzählung von der Messung der Fläche mittelst einer Kuhhaut ist verbunden mit der Geschichte von der Vertreibung der Jesuiten; diese baten sich nur soviel Platz für eine Kirche aus, als man mit einer Ochsenhaut umfassen kann.

Nr. 406. Der Todte zum Nachtmahl geladen. Vgl. oben S. 302 zu Exiiorp. 36ip. V, 183 f. Am Urquell I, 72.

Nr. 408. Der Bauer erblickt einen Hasen und rechnet schon im Geiste zusammen, was er alles durch den Verkauf seines Felles erwerben kann. Gleich AeaHacBCBi, Pyc. nap. ck.3 H, 433 f., Nr. 249 iii. Archiv XIX, 259; XXI, 270. Clouston Populär Tales and Fictions II, 432 f.

20*

308 Kritischer Anzeiger.

Nr. 410. Die Katze verkauft in einem Dorfe, wo viele Mäuse waren und niemand die Katze kannte. Vgl. Archiv XIX, 2.53. Swietek Lud nadrabski 406 f. Mater, antropol.-archeol. i etnogr. II, Abth. 2, S. 97 f. Zbiör. wiadom. do antropol. IX, Abth. 3, S. 144. Cesky Lid V, 459. CöopH. aiaxep. KaEKaa. XVIII, Abth. 3, S. 162; XIX, Abth. 2, S. 170 f. CöopHHKt sa nap. yMOiBop. XIV, Abth. 3, S. 116. Valentin Schumann's Nachtbüchlein ed. J. Bolte 383. R. Köhler Klein. Sehr. I, 71, Clouston op. c. II, 65 f.

Nr. 455. Die Kirche wird von einem Orte an einen andern verschoben. Vgl. CyMiiOBt PaatiCK. et. o5j. aneKaoT. 9, 10. Zbiör wiadom. antropol. XVII, Abth. 2, S. 304. Luc. Malinowski Zarysy zycia lud. na Sl^sku 20.

Nr. 517. Shylock. Vgl. Kolberg Lud XIV, S. 356 f., Nr. 105. Mijat Sto- janovic Pucke pripov. S. 176 f., Nr. 37.

Nr. 525, 526. Der Dumme will ein Pferde -Ei ausbrüten. Vgl. oben S. 301, Nr. 4.

Nr. 529, Var. 1 5. Der Jude zieht in den Krieg, verkriecht sich aus Furcht in einen Sack, der Sack Weizen wird »gemessen«. Vgl. Archiv XIX, 268. Der Bauer im Sacke beim Wasser, will nicht Rabbiner werden. Der Gott der Juden und der Gott der Christen raufen sich Nachts in der Synagoge. Vgl. aCuT6 i C.TOBO 1895, Bd. V, S. ISO f. Lud III, 146 f.

S. 238 f., Nr. 6. Aehnlich wie Archiv XXI, 281, Nr. 165. Ein blühendes Haidenfeld für Wasser gehalten, wie sonst Flachs. Vgl. CyMuoEt PasticKaHlH Et o6ji. aHCKÄOT. 18 f. CöopHHKt 3a Hap. yMOTEop. XIV, Abth. 3, S. 116.

S. 239 f , Nr. 7. Den Juden verkauft ein selbstkochender Topf. Vgl. unten S. 248, Nr. 542. Kolberg Lud III, 190. AcöLepHcoHi. HopEeacKi^i ck. 143 f. ; ein Gold machendes Pferd, ein Pferde-Ei, wie oben Nr. 525, 526 im Sack schreit der Bauer, er wolle nicht König werden; weiter der Jude im Sack, der Strich Korn wird gemessen u. s. w.

Nr. 587, 5S8. Die Erzählung, wie die polnischen Herren einen König unter sich wählten, erinnert stark an die Sage von Piemysl. Der engere Aus- schuss der Herren setzte sich um einen eisernen Tisch, und wartete, vor wel- chem der Morgenstern aufleuchtet. Aber niemanden beglückte er. Es hörte hiervon der Bauer Sopko ^Danilejko', kehrte seinen Pflug um, so dass er auch einen eisernen Tisch hatte, und der Morgenstern erschien ihm,

Nr. 596. Baron Hirsch starb nach dem Kardinal Dunajewski, klopft am Himmelsthor, will eingelassen werden, dass er dem Kardinal etwas bringt. Petrus bemerkt erst später, dass das ein Jude ist und also nicht in den Him- mel gehört, und weiss nicht wie ihn aus dem Himmel hinauszubekommen. Da donnert es, und Petrus erklärt dem Hirsch, dass eine Licitation sei. Hirsch bittet hinausgelassen zu werden. Dasselbe auch sonst vom Juden, Revue des trad. popul. VII, S. 486.

Nr. 650. Der Dieb in ein Fass gesteckt, es kommt ein Wolf, er fängt ihn beim Schweif etc. Archiv XXI, 284. JoEan B. BojuHOBnh Cpn. nap. npunos. 27 f. Jlexonuc iiax. cpncKe Bd. 149, S. 144. Eocan. Bii.3a VIII, 151. Teirlinck Cont. flamands 88, 103.

Nr. 656. Von einer Altweibermühle in Amerika!

G. Polivka, Ethnogr. Public, der Sevcenko-Gesellschaft I— VI. 309

Nr. 664. Feuer bekommt derjenige, der ein Lügenmärchen erzählt. Vgl. ExHorp. 36ipn. IV, S. 157 f., Nr. 37.

Nr. 675. Dumme Eltern, der Schwiegersohn geht in die Welt, noch düm- mere Leute suchen. Vgl. Archiv XXI, 295.

Nr. 676. Der Dumme wechselt Ochsen für eine Kuh, die Kuh für einen Wagen, den Wagen für eine Ziege u. s. f., so dass er mit leeren Händen zu- rückkommt, gewinnt aber die Wette, dass er dennoch von seinem Weibe freundlich aufgenommen wird. Vgl. Archiv XIX, 268. Jones & Kropf Magyar Folk Tales 81 f. Jacobs English Folk Tales 28 f. u. a.

Nr. 677, 678. Abderitenstückchen. 1) Leiter quer in den Wald getragen. Gleich Luc.Malinowski Zarysy zycia lüdu na Szlasku 20. Die Leute kriechen einer dem andern auf die Schultern, bis sie das Vogelnest erreichen etc. Aehlich auch oben S. 239, 244. Vgl. Archiv XXI, 281, Nr. 165. Siovenske Pohl'ady 1896, 260. Reiser Sagen, Gebräuche, Abergl. Allgäu I, 519. Sebillot Litter. orale de l'Auvergne 90. 2) Die Leute bauten eine Kirche, vergassen Thür und Fenster zu machen, vgl. Federowski Lud bialoruski I, S. 11, Nr. 23. Reiser op. c. I, 492 f. Durch das Loch, welches endlich als Thür gelten soll, ziehen sie den dicken Diakon, reissen ihm den Kopf ab; hatte einen oder nicht? Vgl. Archiv XIX, 268. Frey Gartengesellschaft hsg. v. Joh.Bolte S.220.

Nr. 680. Der Dumme um Oel geschickt, schmiert damit den schlechten Weg aus. Vgl. Archiv XXI, 269, Nr. 172. Materialy antrop.-archeol. i etnograf. II, Abth. 2, S. 108, Nr. 82. Reiser S. Gebr. Abgl. Allgäu I, 499. Rev. Trad. pop. XI, 460. Steckt die Nadel in das Heu statt hinter seinen Hut. Vgl. Revue des langues rom. IV. s6r., t.I, S. 578. Teirlinck Cont. flam. 60. Sebillot Litter. or. de l'Auvergne 83. Macht alles verkehrt. Vgl.Zbiör wiad.antropol. IX, Abth. 3, S. 155. Mater, antropol.-archeol. II, Abth. 2, S. 108. Väclavek Valasske poh. 1898, S. 21. Frey's Gartengesellschaft ed. Bolte S. 212. Teir- linck 60. Jacobs English Fairy Tales 152. Sebillot Auvergne 83 u. a. Ge- prügelt für verkehrte Grüsse. Vgl. oben S. 304 zu EiHorp. 36ipHHK V, 224 f. AehnlichNr. 681.

Nr. 682, 683. Der Dumme füllt die Löcher am Wege mit Kuchen aus; badet seine Mutter im siedenden Wasser. Vgl. Ciszewski Krakowiacy I, Nr. 143, 144. CöopHUKt muh. III, Abth. 3, S. 239. Revue des trad. pop. I, 232 ; XI, 505. Zs. f. vgl. Litgesch. N.F. X, 65 f. Die Brüder fliehen, der Dumme nimmt die Thür mit, um auf etwas schlafen zu können, kriechen auf einen Baum, schrecken die unter demselben lagernden Räuber auf. Der Dumme schneidet dem zurückgekehrten Räuber die Zunge ab. Vgl. R. Köhler Klein. Sehr. I, 72. nieiiHt MaTepia.ai.i ciBcpo-san. Kpaa Nr. 29. Jurkschat Litau. M. Nr. 3, S. 18. Tpeu./iaHa'i. JlaTMiucKia ck. 69 f. Fr.H.Groome Gypsy Folk Tales 266, 267. Pineau Cont. pop. du Poitou 262.

Nr. 690. Der Dumme glaubt zu kalben. Vgl. Archiv XIX, 257, Nr. 113. Malinowski Powiesci ludu pol. na Slq.sku 59. Swietek Lud nadrabski 446. aCuie i CioBO 1895, VI, S. 359.

Nr. 691. Geld bringt immer Unglück, Tod. Vgl. Kolberg Lud III, 150. Dowojna Sylwestrowicz Pod. zmujdz. I, 52. Cesky Lid V, 367. Clouston Po- pulär Tales and Fictions II, 379 f.

310 Kritischer Anzeiger.

Nr. 692. Der Dumme flicht Seile um Teufel zu fangen, der Tetifel trägt ihm seinen durchlöcherten Hut voll Gold. Vgl. Archiv XXI, 276, Nr. 71, Swietek Lud nadrabski 462. Verkauft seinen Stier einer Linde, vgl. Archiv XXI, 269. Mater, antropol.-archeol. II, Abth. 2, S. 107 f. KocTa PhctiiK h Baca jroHiapcKH Cpn. Hap. npunoB. 46 f. Weiter dieselben Motive wie in Nr. 682, 683 von den aufgeschreckten Räubern und wie einem die Zunge ab- geschnitten wurde.

Nr. 693. Derselbe Anfang wie in Nr. 692. weiter Wettkampf mit dem Teufel ähnlich wie FpuH^eHKo I, Nr. 71. AeaHacteBt Pyc. Hap. ck. 3 L Nr. 88, 89.

Nr. 694. Auf eine eigene Weise sind hier vermischt die Motive zweier weitverbreiteter Märchenstoffe, und zwar von Fanch Sconarnec R.Köhler Klein. Sehr. I, 149 mit dem Meisterdieb. Zum Schluss noch Wettstreit zwi- schen dem Diener und dem Teufel, um die Frau seines Herrn aus der Gewalt des Teufels zu befreien.

Nr. 695. Wer sich zuerst ärgert, dem werden die Riemen aus dem Rücken geschunden. Vgl. Archiv XXI, 295.

Nr. 696, 697. Der Mann geht in die Welt noch dümmere Leute suchen, als sein eigenes Weib ist. Vgl. oben Nr. 675. In Nr. 697 spielt er den Mann, der aus der anderen Welt kommt und dem Weibe schlechte Nachrichten von ihrem ersten Manne bringt. Vgl. Archiv XXI, 295, Nr. 2. PosBiaKii Mnx. ^pa- roMaHOBa I. S. 241 f. Frey's Gartengesellschaft ed. Bolte 236 f. Zs. VVk. VII, 308. Revue d. trad. pop. XI, 299; XIII, 634. Dieses Motiv wird noch selb- ständig in Nr. 698 erzählt, in Nr. 699 bringt er Nachricht von den beiden ver- storbenen Sühnen, der eine von ihnen hätte im Kartenspiel mit Gott seine Hosen verloren.

Nr. 700. Das buhlerische Weib vom Knechte beobachtet und überrascht. Vgl. Frey's Gartengesellschaft ed. Bolte 277. Clouston Populär Tales and Fictions II, 237 f. CöopH. aiaiep. KaBKas. XXIII, Abth. 3, S. 18 f.

G. Polivka.

HayKOse TOBapncTBO im. IIIeB^eHKa y ülbobI. MaxepHHJiH ji.o yKpaiH- CBKO-pycLKOi exHOjrtorii. Bn^aHHe eTHorpa*mrHOi KOJiicm sa pe^aK- ^HeIO Xb. BoBKa T. I. 1899. (Auch mit französ. Titel.) S. XEK +

228-1-22 + 11.

Neben dem Eiuorpa*. 36ipHUK schritt die gelehrte Sevcenko-Gesellschaft in Lemberg noch zu einer der Erforschung der kleinrussischen Ethnographie gewidmeten Publication. Deren Redaction wurde dem bekannten Ethnologen Th. Volkov (kleinrussisch Chv. Vovk) anvertraut. In dem Vorworte des Redacteurs wird das Verhältniss beider Publicationen genau präcisirt und die Wichtigkeit der neuen »Materialien zur ukrajinisch-russischen Ethnologie« betont. Der Eiuorpa*. 36ipHUK ist dem Folklore speciell gewidmet. Das neue Organ hat die Ethnologie, die historische Ethnographie zu pflegen und nimmt auch die Archäologie auf, insofern sie für die historische Ethnographie wichtig ist. Die »Materialien« sollen nicht nur ein Samme'kasten aller das Volksleben

G. Polivka über Gesammtausgabe der Werke Dragomanov's. 311

der Kleinrussen betrefifenden Nachrichten sein, sondern auch das gesammelte Material wissenschaftlich durcharbeiten. Der Red. betont, wie wenig bisher das wirkliche, reale Leben der Kleinrussen erforscht ist, und eine wie wenig geeignete Quelle für die Kenntniss der Volksanschauungen die traditionale Volksliteratur ist.

Er hebt auch ganz richtig hervor, wie wenig noch die ethnographischen, ethnologischen und anthropologischen Studien der slavischen Völker über- haupt vorgeschritten sind, so dass wir heute noch nicht im Stande sind, all- gemeinere Schlüsse über den ethnischen Charakter der Slaven zu machen.

Der vorliegende I.Bd. bringt treu dem Programme nach eine Abhandlung über die neuesten prähistorischen Funde in Kiew, Aufsätze über die Fischerei, Töpferei, Kürschnerei in verschiedenen von Kleinrussen bewohnten Ländern, dann über die Küche, Hochzeitsgebräuche, Hochzeitslieder, endlich eine aus- führliche Studie über die Ornamentik der Ostereier von M.Korduba, welcher, 13 Tafeln, enthaltend sehr hübsche chromolithographische Abbildungen von 154 Ostereiern beigelegt sind.

Damit auch weitere Kreise theilweise wenigstens diese Publication be- nützen könnten, sind den einzelnen Aufsätzen »sommaires« in französischer Sprache beigefügt. G. P.

PosBiAKH JSIzxaH.ia ^paroMaHOBa npo yKpaiHctKy HapoAHO cjiCBecmcTb iiHCbMeHCTBO. T. I. y ÄhBom 1899. (36ipHHK <i>Hjn>o;ii>ormHOi ceKu,Hi HayKOBoro Tosap. Im. IIIeB^eHKa t. II.) S. 4 -f- 260.

Die von der gelehrten Sevcenko-Gesellschaft unternommene Gesammt- ausgabe der Abhandlungen Mich. Dragomanov's über die kleinrussische Volks- literatur wird jeder Freund der wissenschaftlichen Durchforschung der slavi- schen traditionalen Literatur aufrichtig begrüssen. In dem vorliegenden I. Bd. sind abgedruckt Dragomanov's Aufsätze und Abhandlungen, die vom Anfang der 70er Jahre bis 1886 in verschiedenen russischen Zeitschriften, besonders im BicxHUKi EsponBi und in der KieBCKaa CrapuHa unter verschie- denen Pseudonymen gedruckt wurden; von dem Aufsatz »Die Ukrajina in ihrer Literatur« 1870, einem in grossen Zügen geschilderten Bilde der litera- rischen Thätigkeit im südwestlichen Russland von der ältesten Zeit an, ver- bunden mit einer Charakteristik der kleinruss. historischen Lieder bis zu der letzten polnischen Revolution bis zu der Studie über »die türkischen Anek- doten in der kleinruss. Volksliteratur« 1886. Die Aufsätze Dragomanov's werden in dieser Gesammtausgabe in kleinruss. Uebersetznng abgedruckt, womit wir uns schwer befreunden können. NB. bleiben Citate aus grossruss. Liedern, Märchen etc. unübersetzt. Wir hätten vielmehr im Interesse der Wissenschaft gewünscht, dass die Studien dieses ausgezeichneten Erforschers der slavischen traditionalen Literatur in einer Weltsprache den weitesten Kreisen zugänglich gemacht worden wären. Wir wollen hoifen, dass auch die Studien Dragomanov's, die im bulgar. CöopHiiKt muh. veröffendlicht wurden, in diese Gesammtausgabe aufgenommen werden. G. P-a.

312 Kritischer Anzeiger.

Bajka o Midasowych uszach. Studyum z literatury ludowej . Napisal Dr. Stanislaw Ciszewski. W Krakowie 1899 (Abdr. aus dem XXVIII. Bd. der Rozprawy vvydz, filolog. Akad. Umiej.).

S. 26.

Der Verfasser vergleicht eingehends die verschiedenen südslavischen Versionen der Sagen von den Ohren des Königs Midas 'Trojan u. a.;, die ver- wandten kleinrussischen Versionen und die orientalischen. Entgangen ist ihm sehr wenig, bloss die dalmatinische, die in der Zs. f. österr. Vk. I, 341 mit- getheilt wurde, die nordwestbulgarische aus Vidin bei Sapkarev CöopH. ott. ötJirap. Hap. yaioTBop. IX, S. 410, und die tibetanische SKuBaa CiapuHa 1891, H. 3, S. 258. H. Ciszewski theilt alle Versionen in zwei Gruppen, die erste »klassische« gleicht mehr oder weniger derjenigen, die Ovidsus bearbeitete, die zweite unterscheidet sich durch ein neues, und wie der Verfasser nachzu- weisen sucht, nothwendiges Motiv von der Milchverwandtschaft : in diesem nämlich gibt der Junge dem König, ehe er ihn zu rasieren beginnt, einen eigenen Kuchen zu essen, den seine Mutter mit ihrer eigenen Milch anmachte; der König kann nun nicht mehr den Knaben als seinen Milchbruder hinrichten lassen. Der Verfasser ist daher geneigt, dieser zweiten Version ein höheres Alter zuzuschreiben, sie für ursprünglicher zu halten, als die erste, klassische. Wir finden aber dieses Motiv auch sonst in anderen Märchen, und ebenso eng verbunden mit deren ganzen Geschichte wie in den Erzählungen von dem Barbier des Königs Midas. Es führt sie ganz kurz an Iv. Zdanov in seinem Buche PyccKiii 6i.i.ieB0H anoct S.449 Anm., daselbst weist er insbesondere auf ein serbisches Märchen bei Nikolid (I, Nr. 5, 2. Aufl., Nr. 14) hin. Dieses Motiv war ziemlich verbreitet und konnte ebenfalls später mit der alten klassischen Sage verbunden werden. Ob eine nähere Verwandtschaft der Versionen dieser zweiten Gruppe, die ziemlich stark in den Gegenden au der Küste des Adria- tischen Meeres erzählt werden, dann in der Ukrajina und dann im Orient ver- breitet ist, anzunehmen sei, entscheidet nicht der Verfasser. Dragomanov {=Kuzmicevskij) nahm an, dass die kleinrussische Erzählung aus Asien kam, Chalanskij setzt einen Einfluss der kaukasischen Traditionen voraus (Kies- CKafl CxapuHa XIX, S. 252 f.). H. Ciszewski will aber überhaupt nicht auf die Frage von dem Ursprünge dieser Sage eingehen, er hält alle dergleichen Untersuchungen für eitel. Er meint, die ethnologische Methode hätte der Migrationstheorie einen solchen Stoss versetzt, dass wenn nicht irgend ein glücklicher Zufall uns gewichtige historische Gründe bringt, die die Entneh- mung bestätigen, wir einen weit geringeren Fehler begehen gegenüber der wissenschaftlichen Kritik, wenn wir unabhängiges Entstehen einzelner Motive und ganzer Märchen zugestehen, als wenn wir den Quellen ihrer Entstehung nachspüren. Nach unserer Ueberzeugung ist dieser Standpunkt wenig begründet. Der Zusammenhang, die Verwandtschaft und also Entlehnung, ich will nicht sagen einzelner Motive, sondern ganzer Märchen ist unleug- bar, die zufällige Entstehung einer bestimmten, in eine ganze Erzählung zusammengeketteten Reihe von Motiven, d. i. von ganzen Märchen, selbst- ständig an verschiedenen Orten undenkbar. Tir verstehen auch nicht

G. Polivka zur Midas-Sage und über eine serb. Märchensamralung. 313

diese Resignation des H. Dr. St. Ciszewski, nachdem auch solche von ihm anerkannte Capacitäten wie J. B^dier und Andrew Lang sich entschieden gegen die »Theorie des Zufalls« ausgesprochen haben. G. P.

CpncKe HapoAHe npiinoBeTKe. CKyrrao ATaiiacHJe HHKOJiiih. Ha CBCT HS^üBJiH tteroBH yHyn;H. Beorpa^. Hs^afte CaBnha h KOMnaHHJe

1899. S. 240.

Es ist dies eine neue Ausgabe der serbischen Märchen, die Atan.Nikolic 1842 43 in zwei Bündchen herausgab. Sie unterscheidet sich von der ersten Ausgabe in mancher Hinsicht und nicht immer zu ihrem Vortheile. Leider verschweigen die Herausgeber das Verhältniss der neuen Ausgabe zur ersten, sie erwähnen in der kurzen »Vorrede« bloss, dass sie diese Märchen in der Nachlassenschaft ihres Grossvaters fanden, aber nicht ein Wort, dass sie be- reits im Drucke erschienen. Die Anordnung ist vollkommen neu, es folgen nach einander U. Bd. Nr. 3, 2, 4, 5, 6, 7, 8, 9 ; L Bd. Nr. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, in, 11, 12, 13, 14, 15; II. Bd. Nr. 1. Eingeschoben ist unter Nr. 9 ein neues Märchen, das sich in der ersten Ausgabe nicht vorfindet: es erzählt von der Prinzessin, die ihr eigener Vater heirathen wollte, weil nur sie wie ihre Mutter einen Stern auf ihrer Stirn hatte; wie dann das Mädchen entfloh, in einer Truhe sich einschloss und darin sich in den Fluss werfen Hess etc., gleich wie niauKapes-E CöopHiiK-L IX, Nr. 167. Cöopn. mhh. öxjirap. XIII, Abth. 3, S. 217 f. u. a. Die sprachliche und stilistische Seite der Märchen ist in der neuen Aus- gabe ziemlich geändert worden. Vuk Karadzic rügte seiner Zeit stark, dass in der Sammlung des Nikolic nicht die reine Volkssprache, noch weniger die wahre Sprache der Volkserzählung bewahrt ist, dass sie sogar voll ist von grammat. Fehlern. In dieser Hinsicht bedurfte also diese Sammlung gewiss eine starke bessernde Hand. Aber daneben finden wir nicht selten, dass die manchmal phonetische Schreibweise des Nikolic verbessert wurde : gen. pl. *aTlii in XBaiu, cupoiia in ciipoMax, pioEa in xpxoBa, paHuo in xpanuo u. a. Auch in lexicalischer Hinsicht wurde nicht wenig geändert, auch wo in der ersten Ausgabe nicht gegen die Volkssprache gesündigt wurde : nstajL^ jej;Hor cuHa in UMajiu je^HO Äeie, HOBue in 6.!iaro etc., sogar rya ijapt in smujcku uap (Nr. 14 = I. Bd. Nr. 5). Auch ganze Sätze sind stark umgearbeitet worden, bisweilen ganz gestrichen, z.B. am Schlüsse von Nr. 18 = 1. Bd. Nr. 9: »AHaTeMa ra 6ujio. ^a.ieKo My jtena Kyha« u. a. m. Leider wurde in der »Vorrede« nicht erwähnt, ob etwa die Märchen bereits in dieser Umarbeitung in der Nachlassenschaft des Nikolic vorgefunden wurden. Sehr ist zu bedauern, dass in der neuen Ausgabe gestrichen wurden die Namen der Personen, von welchen Nikolic die Märchen hörte. Da die erste Ausgabe heute eine bibliographische Seltenheit ist die Nationalbibliothek in Belgrad selbst besitzt nur ein sehr defektes Exemplar , so wird die neue Ausgabe allen Freunden der slavischen Volks- traditionen willkommen sein. G. P.

314 Kritischer Aozeiger.

Rozbor podreci hornoostravskeho ve Slezsku. Napsal Jan Loris (Rozpravy Ceske Akademie Tiida III, rocnik VII, c. 1). V Praze

1899. S. 89.

Eine eingehende Beschreibung des Dialektes der »Valachen« im oberen Flussgebiete der Ostravica und Morävka von der schlesisch-ungarischen Grenze nördlich über Friedek hinauf bis zu den Ortschaften Leskowitz und Bruso- witz. Der cechoslavische Dialekt reicht nach der Angabe des Verfassers weiter nach Osten bis Lomna und Jablunkau, aber die Sprachprobe, welche der Verfasser aus Dobratitz an der gewöhnlich angenommenen cechoslavisch- polnischen Sprachgrenze anführt, ist eigentlich polnisch, neben zahlreichen freilich cechoslavischen Elementen.

Das Verhältniss dieses Dialektes zur cechoslavischen Gruppe einerseits und zu der polnischen andererseits ist meiner Ueberzeugung nach nicht richtig geschildert. An einem andern Orte (Rozpravy filolog. venovane Janu Ge- bauerovi 50 f.) hat der Ref. bereits auf Grund der Angaben Bartos' darge- stellt, dass wir in dem sogenannten lachischen Dialekte, d. h. in dessen öst- lichsten Dialekten, eigentlich cechopolnische Mischdialekte zu erblicken haben, und dass die polnischen Elemente nach und nach schwinden, am stärksten sich äussern auf mährischem Boden westlich von der Ostravica bis Metillowitz, Palkowitz, Chlebowitz, Staritsch, Paskau, weiter westlich schon schwächer auftreten bis Czeladna, Koslowitz, Richaltitz, Fritschowitz, fast gänzlich schon verschwinden in der Umgebung von Frankstadt und Freiberg, eingeschränkt auf den polnischen Accent auf der vorletzten Silbe und allge- meinen Verlust der Quantität.

Dieser vom Verfasser geschilderte Dialekt im südwestlichen Winkel des Herzogthums Teschen hat einige Lauterscheinungen mit dem Poln. gemein, insbesondere den Uebergang des einst langen d, e, 6, sowie der Laute a, e, o in geschlossenen Silben in o, i, u, und des Lautes a vor m, n in m, des Lautes e vor m, n in i, y auch in offenen, nicht geschlossenen Silben. Nun geht in diesem Dialekte auch 'a aus a in o über, e aus § und a in ^, es ändert sich a in o in der Form toi-t, tolt : mroz, hlod aber in offener Silbe mrazu, hladu, ganz gleich wie hod-hadu u. ä. Daraus kann nur geschlossen werden, dass das polnische Lautgesetz von dem Uebergang der Laute a, e, o in geschlossener und einst langer Silbe diese cechoslavischen Grenzdialekte durchdrang, so dass neue Formen gebildet wurden, die dem Poln. wie dem Cecho- slavischen ganz fremd sind: vzof, col neben viaia, cata, ohid-obeda, susid- suseda, chcii - chceia, poMid - pohledu ii. s. vi-. Der polnische und überhaupt nordwest- und nordostslavische Uebergang von 'e in 'o drang nicht durch, wir haben also die dem Poln. und Cechoslav. fremden Formen: ins, cik, lid (ledu) u. s. f. Eigenthümlich sind diesem Dialekte die Formen hlana, blato, dtato, Mada, siama, vlaha, viasek, brana, draha, krach, krava, vrana mit kurzem, offenen a gegenüber langem ä im Cechoslav., und besonders auffallend, da nach den Angaben Bartos' in den oben an erster Stelle erwähnten mährischen Ort- schaften nächst der Ostravica: brona, brozda, krova, sloma u. a. gesprochen wird neben kurzem vrana, hrach. Es ist hier also theils Verkürzung des ä,

G. Polivka über einen schles. Uebergangsdialect von Loris. 315

theils Wandel des ü in kurzes o eingetreten in verschiedenem Masse. Aehn- lich ist auch in den Präpos. za, na manchmal Verkürzung des d in offenes a, manchmal Wandel in o eingetreten: nakoz, tiapad u.a. neben nohozinstvi, zakaz, zapacJi, zasluha u. a. neben zokiin, zorobek u. a., ähnlich in den mähri- schen Ortschaften westlich von der Ostravica, wobei Bartos einen eigenthüm- lichen, sonst unbekannten Unterschied angibt (Dialektologie I, 101).

Verschiedene sich gegenseitig kreuzende Lauterscheinungen finden sich auch sonst: neben ~ findet sich dz: meza neben pradza, cuzy und cudzy neben einander. Neben c, dz aus i. d finden sich Wörter mit unerweichten t^d: neben cela, cepto, nesece sagt man kostel, neben dzediiiia, diacel sagt man lude^ deset, devet ; eigenthümlicher Weise lauten », d, t, s, z vor der Endung des Voc. sg. -e hart: pane, kate u. s. w. Ebenso lauten s, z vor e manchmal weich, manch- mal hart : sestra, sekira, sedm u. a. neben semyno, sekae, beseda u. a. vezece neben zelina^Jezero. Warum die Erweichung in cma, svacba, hudiba u. a. eingetreten, in dha u. ä. unterblieben ist, weiss der Verfasser nicht zu erklären ; der geist- reiche Aufsatz von Olaf Broch in den Prof. Korsch gewidmeten XuQiax^^Qw. S. 27.5 f. ist ihm unbekannt geblieben. Manches Wort ist wahrscheinlich in neuerer Zeit durch Einfluss der böhm. Schriftsprache eingedrungen, so wahr- scheinlich nodynik (nädenik) neben diilnik (Arbeiter).

Andere Eigenthümlichkeiten finden wir ebenfalls in polnischen Dialek- ten, so zdvadlo: tesch. zdradio, opol. zdräudüo, zdroc, so auch die Infin. nunsi-, zunsc, die Formen Lsg. Joh he, l.pl.^we su wie schon im Poln. vom XVI. Jahrh. an: Jako siny sq, 2. pl. sce su wie im Poln. vom XVI. Jahrh. an ktorzy sce sq, und jetzt im Teschen. Dial. vysce söm u. a. An der äussersten Sprachgrenze drangen im acc. und instr.sg. der ä-Stämme die Nasale, beziehungsweise deren Beste durch : acc. chaiupym, robotym, instr. stodoium, rybum ; instr. der Pro- nomina: mnum, tebiim, sebum, auch: tum, jum, mojum u. s. w. ; gleichfalls in der 1. sg. und 3. plur. praes. bedem, nesem, vedum, volqjum u. s. w. Eine Eigenthümlichkeit des lachischen Dialektes in den mährischen Dörfern west- lich von der Ostravica, die wir auch in den polnischen Dialekten desTeschener Herzogthums finden, der Uebergang des i, auch e, in u in der Endung des part. praet. act. II. nosul, urhui, visui, pul u. a. ist den Dialekten östlich von der Ostravica fremd. Gewiss sehr auffallend, wenn nur diese Dialekte so durch und durch durchforscht wären und nichts dem Beobachter entging. Ueberdies treten auch in den östlicheren polnischen Dialekten beide En- dungen ii und ui auf, sogar bei einer ixnd derselben Person, so lesen wir z. B. in den Sprachproben aus dem Orte Wisla (Lucyan Malinowski Powiesci ludu pol. na Sl^sku 1,21): skocytc, chodzitc, stracko, kludzmc, voiutc, preprosuw, chodzutD u. a. Wie gesagt, würden wir nach der von H. Loris mitgetheilten Sprachprobe aus Dobratitz urtheilen, dass in diesem Orte das Polnische weit vorherrschend ist und nur wenige cechoslavische Sprachelemente erhalten sind. Doch mag diese Sprachprobe vielleicht mehr die Sprache eines Indivi- duums bloss charakterisiren. Bei dem Schreibpulte lässt sich das nicht ent- scheiden, wie weit allgemeinere Bedeutung einer solchen Sprachprobe zuzu- schreiben ist. In der erwähnten Publicaiion der Aufzeichnungen des Lucyan Malinowski lesen wir aus einem weit östlicheren Orte, aus Grodek (S. 52 f.; ,

316 Kritischer Anzeiger.

aus entschieden polnischem Sprachgebiete, eine Sprachprobe, die ebenso viele cechoslavische Sprachelemente enthält, wie die Sprachprobe aus Dobratitz polnische. Die Schrift des H. Loris enthält recht viel interessantes Material, das zu vielen Bemerkungen noch Anlass geben könnte, so z. B. über die Bildung der Eigennamen (S. 28 fif.); S. 52 sind verschiedene Beispiele des part. praet. pass. angeführt, wie : tiz sce hylipimdzyni, lin uz je vykvitnuty, die auf einen sehr starken Einfluss der deutschen Sprache hinweisen, wenn nur nicht dieser Ge- brauch bloss individuell ist. Neben einem Verzeichniss der lexikalen Eigen- thümlichkeiten dieses Dialektes (S. 70 81) ist noch ein besonderes Verzeich- niss der Localnamen aus dem Thale der Morävka (S. 82). Diese sind theils cechoslavisch, so besonders Btatny (potok), Mrachovy (potok), in geringerem Masse polnisch : Grundzelka ; das Wort grundzil (böhm. hridel) ist allgemein gebräuchlich in diesem Dielekte. Darnach könnten wir mit Gewissheit an- nehmen, dass der Grundstock der Bevölkerung cechoslavisch ist, und die polnischen Sprachelemente in Folge des vordringenden polnischen Elementes und Mischung mit demselben eingedrungen sind. G. P.

w Bibliogratie ceske historie. Sestavil Cenek Zibrt. Dil prvni. I. Kni- hoveda a cäst' vseobecnä. IL Pomocne vedy. V Praze, nakladem ceske akademie cisaie Frantiska Josefa pro vedy, slovesnost a umeni 1900, XVI und 674 S. in gr.-S». Die Anregung zu den Vorbereitungen für eine Bibliographie der böh- mischen Geschichte hat schon vor einem Vierteljahrhundert der unlängst ver- storbene, seinen Freunden und Schülern uuvergessliche Professor und Archivar Jos. Emier in Prag gegeben. Das Unternehmen wurde begonnen vom )'Histo- ricky spolek«, bei dessen geringen Mitteln es aber aussichtslos blieb, bis sich die neugegründete böhmische Akademie der Wissenschaften der Sache an- nahm. Da wurde es möglich, die Vorarbeiten durch eine grosse Anzahl von Mitarbeitern weiterzuführen. Als Leiter des Unternehmens wurde der uner- müdliche Dr. Zibrt gewonnen, der auch ein genaues Programm für das ganze Werk ausarbeitete. Die Bibliographie umfasst die historische Literatur über Böhmen, Mähren, Schlesien, zum Theil auch über die Lausitz, bis Ende 1899. Der erste Band zählt schon 23.871 Nummern. Die erste Abtheilung desselben enthält Bibliographie im Allgemeinen, Geschichte des Buchdrucks sammt Pressgesetzgebung, Censur und Zeitschriftenwesen, ebenso des Buchhandels, ferner die Geschichte der Wissenschaften, wissenschaftliche Gesellschaften und encyklopädische Wörterbücher. Die zweite Abtheilung umfasst die historischen Hilfswissenschaften: physikalische, politische und historische Geographie (dabei die Literatur über Ortsnamen, Nr. 2110 2414), Kartogra- phie, Reisebeschreibungen aus dem Mittelalter und der Neuzeit (Nr. 2560 2938), Palaeographie und Diplomatik (dabei auch Sprachgeschichte, Wörter- bücher und besonders die Literatur über slavische, deutsche und jüdische Personnenamen, Nr. 3039—3102), Archive und Bibliotheken (Nr. 3103 4464;,

Zibrt, Hist. Bibliographie. Almanach von Pottenstein. 317

Chronologie, Heraldik, Sphragistik, Ritterorden, Genealogie und Familien- geschichte, Numismatik, Masse und Gewichte. Den grössten Theil des Bandes füllt ein alphabetisches Verzeichniss der Adelsfamilien von Böhmen, Mähren und Schlesien mit Literaturnachweisen (Nr. ßU68 23.194). Die nächstfolgen- den Bände werden einerseits die Quellenkunde, andererseits die Bearbeitungen des historischen Stoffes von der politischen Geschichte bis zur Lokalgeschichte bringen. Das Werk ist mit seiner gewaltigen Fülle von Material ein bewun- . derungswürdiges Monument von Fleiss. Die Fortsetzung wird hoffentlich nicht lange auf sich warten lassen. Es wäre nur zu wünschen, dass das Unter- nehmen auch z. B. bei den Südslaven Nachahmung finden möchte. Seit der von Kukuljevic veranlassten Bibliographie für Dalmatien und Montenegro von Valentinelli (II. und III. Supplement 1862) ist für diese Länder nichts in dieser Art versucht worden. Der Mangel an bibliographischen Behelfen wird bei der gegenwärtig rasch wachsenden Menge von Zeitschriften immer mehr fühlbar.

C. Jirecek.

Potstyn. Präce a vzpominky letnich hosti a piätel zatisi potstynskeho. Usporädali Marie Habeltovä a Jii-i V. Klima (Pottenstein. Arbeiten und Erinnerungen der Sommergäste und Freunde des stillen Pottenstein). V Potstyne n. Orl. 1897 (Tiskem F. Simäcka v Praze). 8'J. 238 S. (mit zahlreichen Illustrationen). Es handelt sich nm Pottenstein im östlichen Böhmen, das inmitten einer prachtvollen Gegend liegt, umrauscht von schattigen Wäldern mit romanti- schen Felsen und Wässern. Es ist infolgedessen ein beliebter Sommeraufent- halt vieler Städter, namentlich aus den Gelehrten- und Künstlerkreisen. Ein wesentliches Contingent der Sommergäste scheint allerdings die Präger böh- mische Universität beizustellen. Auf diese Art hängt auch dieses Werk einigermassen mit der Wissenschaft zusammen. Wir haben hier poetische, prosaische und musikalische Beiträge von Jiräsek, Rieger, Kalousek, Vrchlicky, Jarnik u. s. w. u. s. w. Auch der kürzlich verstorbene Pro- fessor der Wiener Universität Friedrich Müller, dessen kurze Biographie aus der Feder des Zu baty mit einem Bilde beigegeben ist, stellte sich mit einem Aphorismus ein, den zu wiederholen wir uns hier nicht versagen kön- nen. Er lautet: »Liebe, Religion und Anhänglichkeit an sein Volk wurzeln im Herzen und nicht im kalten berechnenden Verstände. Ueber diese Dinge duldet Niemand von Anderen eine Kritik, daher soll er sie auch nicht an An- deren üben. Hier soll gegenseitige Discretion herrschen. Fluch und Schande über Jene, welche diese Herzensdinge zu selbstsüchtigen Zwecken ausbrauchen und diese durch Vernunftgründe zu unterstützen suchen.« Auch ausländische Gäste finden wir unter den Beiträgen vertreten, wie D. Mordovcev, K. Grot u. And.

Neben kurzen Biographien weisen die Beiträge meist einen mehr intimen Charakter auf, sie enthalten Erinnerungen aus der Studienzeit, bringen loeale Schmerzen und Freuden zum Ausdruck u. s. w. Allgemeineres Interesse

318 Kritischer Anzeiger.

dürfte jedoch der kurze Artikel des Theophilus Reichel haben: Die Brüdergemeinde in Pottenstein (S. 160—166). Sie zählte im J. 1897 mit we- nigen anderen Gemeinden in Böhmen (und Mähren) 380 Mitglieder. Es ist freilich nicht ein directer Nachkomme der alten böhmisch-mährischen Brüder- unität, doch hielt sich diese in ihren ersten Anfängen in jenen Gegenden auf. Dialectisches und folkloristisches Material enthält Hartvik Jarnik's Bei- trag: Safränkova vypravoväni (1896 a 1897) (S. 170 177).

Die Freunde Pottensteins und seiner Umgebung werden an dem Buche eine hübsche Erinnerung haben. JV. Vondräk.

Kleine Mittheilungen.

Die hannoverschen Wenden.

Bei dem Interesse, das die Schicksale der alten Eibslaven unddieUeber- reste der polabischen Sprache erwecken, muss eine Notiz der preussischen Volkszählung vom Jahre 1890 grosse Aufmerksamkeit erregen. In dieser Statistik ist nämlich angegeben, dass im Kreise Lüchow des hannoverschen Wendlandes noch 585 Personen wendisch als ihre Muttersprache bezeichnen. Weiter ist die Sache von dem Freiherrn v. Fircks in der Zeitschrift des königlich preussischen statistischen Bureaus XXXIII (1893), S. 266 berührt.

Jene erste Angabe ist von A. Parczewsky ausgegraben und in der War- schauer Zeitschrift Wisla (mir nicht zugänglich) besprochen, und ausführlich von Ad. Cerny im Slovansky Piehled II, 1 88 ff. behandelt. Herr Hofrath Jagic, der das grösste Interresse daran hatte, diese eigenthümliche Angabe aufzu- klären, wandte sich an Leskien, der mich seinerseits bat, der Sache nachzugehen. Ganz unbeachtet ist die Angabe der preussischen Statistik auch früher nicht geblieben. Schon im Meyer'schen Conversationslexikon in dem Artikel Polaben ist die Angabe der Statistik unbesehens aufgenommen, obgleich ihre Glaubwürdigkeit bedeutenden Zweifeln unterliegt. Ich brauche hier nicht die bekannten Zeugnisse zu wiederholen, dass die polabische Sprache schon im vorigen Jahrhundert dem Aussterben nahe war, und da sollte sie sich bis heute noch bei über 500 Personen lebendig erhalten haben. In den nicht zahl- reichen Angaben, die wir aus diesem Jahrhundert besitzen, wird niemals des Fortlebens der Sprache gedacht. In der Schrift »Das hannoversche Wend- land« 1862, von Hennings, der mit dem Lande durchaus vertraut war, heisst es S. 44 : » Einzelne Bauern sollen das Wendische, jedoch wohl ohne Gedanken- zusammenhang, also nur wörterweise, noch im Anfange dieses Jahrhunderts haben reden können.« Der Verfasser hätte es gewiss nicht verschwiegen, wenn ihm noch slavisch sprechende Menschen bekannt gewesen wären. Auch

Kleine Mittheilungen. 319

Leskien hat bei der Herausgabe von Schleicher's polabischer Grammatik er- folglose Nachforschungen angestellt.

Auf Grund dieser Sachlage lohnt es sich eigentlich kaum, nähere Nach- forschungen anzustellen. Um aber die Frage zu erledigen und um unnütze Aufregung zu vermeiden, habe ich es doch gethan.

Die Zählkarten der Volkszählung von 1890 sind leider nach Mittheilung des Direktors des kgl. preuss. stat. Bureaus schon eingestampft. Dagegen schrieb mir ein Herr, der aus Lüchow stammt und dorthin noch jährlich zurückkehrt : »Eine wirklich wendisclisprechende Bevölkerung ist nicht mehr vorhanden. Die Schrift von Hennings bietet alles, was überhaupt über das hannoversche Wendland bekannt ist.«

Es bleibt also nur aufzuklären, wie der Irrthum auf den Zählkarten ent- standen ist.

In den Zählkarten befand sich folgender Vordruck :

Muttersprache: deutsch, litauisch, polnisch, masurisch, kassu- bisch, wendisch, mährisch, tschechisch, wallonisch, holländisch, friesisch, dänisch oder ....

(Zutreffendes ist zu unterstreichen !)

Es ist aber durchaus und mit Absicht vermieden, auf den Begriff Mutter- sprache näher hinzuweisen und ihn zu definiren, um ein möglichst unbeein- flusstes Bild zu erhalten. Da nun aber im Kreise Lüchow eine grössere An- zahl Leute sich selbst als Wenden bezeichnen und von andern so genannt werden, so wird man die Unterstreichung des Wortes wendisch auf diese Thatsache beziehen dürfen, wobei der Gegensatz der niederdeutschen Volks- sprache zu dem Hochdeutschen oder die besonderen Eigenthümlichkeiten des Dialektes mitgewirkt haben mögen. Gewiss wird sich bei einer genauen Untersuchung manche alte Sitte, vielleicht auch noch manches ins Deutsche gedrungene slavische Wort entdecken lassen, aber die Hoffnung, noch jemals polabisch zu hören, müssen wir aufgeben.

Leipzig-Gohlis. H. Hirt

Ich hatte aus Anlass des oben auf S, 107—144 mitgetheilten Materials die Frage über das angebliche Fortleben der hannoverischen Wenden auch Herrn GR.-Prof, Zimmer in Greifswald vorgelegt und von ihm folgende Ant- wort erhalten (am 27. 2. 1900):

Was nun die Angelegenheit der Lüchower Wenden anlangt, so habe ich unterdessen authentische Erkundigungen eingezogen. Ich traf nämlich zu- fällig mit unserem hiesigen Landrath zusammen und erkundigte mich, ob er den Landrath des Amtes Lüchow kenne, worauf er mir sagte, es sei ein Herr V. d, Knesebeck, ein sehr freundlicher Herr, der sich sicher ein Vergnügen daraus machen würde, mir jede Auskunft zu geben. Ich wandte mich in Folge dessen an ihn mit der Anfrage, indem ich kurz mittheilte, dass in slav. Zeit- schriften die Nachricht umlaufe, im Amt Lüchow würde noch Wendisch ver- standen. Er antwortete mir in liebenswürdiger Weise von Hannover aus, wo

320 Kleine Mittheilungen.

er auf dem Provinziallandtag augenblicklich ist. Aus dem Briefe geht her- vor, dass Herr v. d. Knesebeck selbst aus dem Amt Lüchow gebürtig ist, sein Familiengut, das seit Jahrhunderten im Besitz der Familie ist, liegt bei Lüchow; er ist also nicht bloss amtlich, sondern auch persönlich von Jugend auf mit den dortigen Verhältnissen vertraut. Er schreibt nun:

»Das sogenannte hannoverische Wendland, den Kreis Lüchau und einige Theile des Kreises Dannenberg umfassend, hat c. 20,000 obotritische Wenden als Einwohner, welche aber in den letzten Jahrzehnten durch Hei- rathen mit der Nachbarschaft manche Zusätze von deutschem Blut erhalten haben.

Die Wendländer, in ihrem Aeusseren von den Niedersachsen durch scharfgeschnittene Züge, meistens etwas dunkles Haar und ausgesprochen schnelle Sprache sich unterscheidend, sind vollständig germanisirt. Die Leute wissen selbst überhaupt nicht, dass sie Slaven sind, gesprochen wird Plattdeutsch der Mecklenburger Mundart ähnelnd, nur doppelt so rasch. Die Wendländer wissen überhaupt nur durch Erzählungen etwas davon, dass sie in früheren Jahrhunderten eine besondere Sprache gehabt haben. Heute findet man nur ganz vereinzelt wendische Bezeichnungen im wcndländi- schen Platt. Es kommen auch noch einige offenbar wendische Familien- namen vor, z. B. Glabbatz, Pardam, Kuthleik und einige mehr, im Allge- meinen sind auch die Familiennamen germanisirt und zwar schon seit Jahr- hunderten."

Des weiteren bemerkt Herr v. d. Knesebeck, dass ihm die Akten der alten Patrimonialgerichtsbarkeit seit 200 Jahren gut bekannt seien, aber er habe »niemals ein wendisches Wort oder auch nur eine Andeutung darüber gefunden, dass die vor dem Patrimonialgericht erscheinenden Bauern nicht Deutsch verstanden hätten, bzw. mit ihnen in nicht deutscher Sprache ver- handelt worden wäre«.

Zur Charakteristik der Bevölkerung führt Herr v. d. Kbesebeck noch an :

»DieWendländer sind ein äusserst fleissiges und gewandtes Volk, bei dem als die grösste Schande gilt, nicht arbeiten zu können. Charakteristisch ist, dass die Juden niemals bei den Wendländern aufgekommen sind; so oft jüdische Geschäfte in Lüchau gegründet wurden, haben sie bisher nie prospe- riren können. Auf die recht bedeutenden Viehmärkte kommt unter 100 Händ- lern kaum ein Jude. Ein weiteres Charakteristikum ist das Zweikinder- system, in Folge dessen seit Jahrhunderten die Zahl der Bevölkerung die gleiche geblieben ist.«

V.J.

Wer war Pseudodemetrius L?

(Beiträge zur Quellenkunde und Quellenkritik der Jahre 1591 160G.

Zweiter Theil (Schluss).*)

Y.

Die neuere russische historische Litteratur über den PD. hat sich in zwei Hauptsrömungen getheilt, von denen jede bereits ihre eigene Entwicklungsgeschichte aufzuweisen hat. Während die eine Strömung von der Annahme ausgeht, dass der Car Demetrius I. und der Mönch Gregor Otrepjev eine und dieselbe Persönlichkeit gewesen wären, hält die andere eine entgegengesetzte Vorstellung aufrecht, nämlich dass der PD von dem Gregor Otrepjev, wie ihn die Briefe des Boris Godunov und die Chronik des Margeret schildern, zu unterscheiden wäre. Die Vertreter dieser letzten Ansicht siud nur darüber untereinander uneinig, ob der Car Demetrius I. ein aus Polen importirter Weissrusse, oder nach Polen expor- tirter Grossrusse gewesen, ob er als ein Betrüger oder als ein Betrogener oder vielleicht sogar als der echte Carevic von Uglic aufzufassen wäre. In- dessen hat auch die erste Ansicht von der Identität des Demetrius mit dem Gregor mit der Zeit viel von ihrer traditionellen Starrheit eingebüsst. Die Vertreter dieser Identität haben allmählich von ihrem Gregor Otrepjev, welcher als Diakon in dem Wunderkloster und als Diak beim Patriarchen Hiob geweilt hat, jede Spur von den arglistigen Verleumdungen des Boris weggespült, der ja vorsätzlich nur ein Zerrbild von dem Jünglinge ge- geben hätte. Der gehobelte und geschliffene Gregor ist weder ein Trunkenbold noch ein Betrüger, er glaubt an seine Abstammung vom Caren Johann dem Schrecklichen, er ist vielleicht kein echter Sohn des Paares Bogdan und Barbara Otrepjev, sondern nur ihr Pflegekind, am Ende kann er sogar doch der wahre Carevic Demetrius gewesen sein, aus dem Blutbade zu Uglic durch einen glücklichen Zufall gerettet und

*) Vergl. Archiv Bd. XX, S. 224—325; XXI, S. 99—169, S. 558—606. Archiv für slavische Philologie. XXIT. 21

322 Eugen Scepkin,

unter dem Namen des Gregor von der Familie Otrepjev auferzogen, darauf dem Patriarchen Hiob als schriftkundiger Djak und Djakon unterschoben u. d. g. m. Was hindert aber, bei dieser Auffassung des Gregor Otrepjev, neben dem Gregor- Demetrius im Wunderkloster noch einen anderen Mönch Gregor 0. in irgend einem anderen Kloster des nördlichen Russlands oder bereits bei den Kosaken anzunehmen und auf diesen rechtmässigen Eigenthümer des Namens, unter welchem Deme- trius in die Stadt Moskau eingeschlichen, auch die abschreckende Charak- teristik des Boris und des Margeret zu übertragen? Wir sehen also, dass die Ansicht von der Identität des Demetrius mit dem Gregor in ihrer allmählichen Entwicklung von Karamzin bis Solovjev und Peter Kazanskij und endlich bis Suvorin sich schrittweise zu der scheinbar entgegengesetzten Meinung von der Nothwendigkeit, den Demetrius und den Gregor scharf von einander zu trennen nähert. Diese tren- nende Richtung hat in der neueren Historiographie von dem Metropoli- ten Piaton und Malinovskij ^) an bis Prosper Merimee und Kostomarov, Pavlov (Eicyn) und Ikonnikov, endlich bis auf Pierling und Ilovajskij bereits alle möglichen Variationen erschöpft. Auf Grund unserer neuen Materialien haben wir uns gerade an diese trennende Richtung ange- schlossen, dabei aber zugleich eine Brücke zu der Theorie der Identität aufgeworfen : wir halten nämlich den PD für einen nach Weissrussland exportirten Grossrussen und doch weder für den Gregor, noch für den echten Carevic, wir glauben, dass er in Russland manchmal unter dem Namen des Otrepjev aufgetreten ist, vielleicht gerade unter dieser Larve die Jugend verbracht und die Flucht ergriflfen hat, und doch müssen wir ihn von dem Djakon des Wunderklosters unterscheiden. Nur für die Mo- mente, wo Demetrius es für zweckmässig gehalten hat, sich unter dem Namen des Otrepjev zu verbergen, fallen unserer Meinung nach die Theorien der Identität und der Trennung ineinander. Wir wollen jetzt die wichtigsten der von den russ. Geschichtsforschern des XIX. Jahrh. entwickelten Ansichten über die Persönlichkeit des PD kurz durchgehen. Sehr schroff hat der Historiograph Karamzin die Identität des

1) Der Direktor des Archivs für Ausw. Angel., Malinovskij, hat noch im J. 1817 (Eiorpa*HiecKiH CBiÄiHla o Knasi Jl. IIoacapcKOMi.) die Vermuthung ausgesprochen, dass D. vom Gregor zu trennen wäre und dass er vielleicht in Polen vorbereitet worden sei. Wir wissen nicht, woher Malinovskij seiner Zeit die Nachricht geschöpft, als ob Gregor Otr. im Kloster den Namen »Ger- man« erhalten hätte.

Wer war Pseudodemetrius I.? 323

Caren D. mit dem Gregor 0., wie ihn Boris geschildert hat, aufgestellt: ein gemeiner Vagabund soll ganz allein das feine Hirngespinnst dieses ruchlosen Betruges ersonnen und auf eigene Verantwortung hin glück- lich ins Werk gesetzt haben. Dem Leser bleibt nur zwischen dem all- mächtigen Zufall oder der unmittelbaren Einwirkung der Vorsehung zu wählen 1). Weit tiefer dringt in die Verhältnisse der Zeit und in die Seelen der handelnden Persönlichkeiten die Darstellung des Prof. So- lovjev. Er hält zwar die officielle altrussische Tradition aufrecht und hat sie gegenüber Prof. Kostomarov in Schutz genommen; er wirft seinem Gegner dabei vor, mit seinem Unterschiede zwischen Gregor und Demetrius den Boden der Ueberlieferung verlassen zu haben und for- dert, dass wer den Gregor verwirft und eine andere Persönlichkeit an dessen Stelle unterschiebt, diese lebendige Person beim Namen nenne und ihre Lebensverhältnisse angebe. Und doch hat Solovjev selbst den Ast unter sich zu sägen angefangen. Er lässt z. B. beim Caren Deme- trius L einen gewissen Glauben an seine Erbrechte zu 2), neben dem PD führt er auch die Bojaren als Theilnehmer an der Verschwörung vor. Wie konnte ein Gregor Otrepjev an seine Abstammung vom Caren Jo- hann dem Schrecklichen glauben, weshalb haben die dem Boris feind- lichen Bojaren gerade diesem vagabundirenden Mönche zum Throne verhelfen auf diese Fragen ist Prof. Solovjev seine Antwort schuldig geblieben. Die erste gründliche Auseinandersetzung zwischen den Ver- tretern von verschiedenen Anschauungen über den falschen Demetrius fällt in die sechsziger Jahre unseres Jahrh. Ausser den Professoren So-

1) Wie bekannt, muss man in dem Werke Karamzins einen grossen Unterschied zwischen der Darstellung im Texte und den zahlreichen Anmer- kungen im Anhange machen. In den Anmerkungen hat Karamzin eine er- schöpfende Kenntniss der Quellen erster Hand und einen scharfen kritischen Sinn kundgethan. Dieser Anhang bleibt bis jetzt eine für jeden Geschicht- schreiber unentbehrliche Quellenforschung für die Zeit der Wirren. Im Texte der Darstellung lässt sich dagegen Karamzin leicht durch seinen Hang zum Romanhaften, durch die moralisirende Tendenz oder das Geklingel der Rhe- torik von dem festen Grunde der Regesten seines eigenen Anhanges hinweg- reissen.

2) Am deutlichsten hat sich darüber Prof. Solovjev in den Aufsätzen aus dem J. 1848 geäussert (CoBpeMeHHHKt 1848, 1 4. Oösopi. Coötmü PyccKOM HcTopiH). Er sagt hier geradezu: Jeder, wer den Charakter und das Betragen des ersten Falschen Demetrii erforscht hat, wird einräumen, dass so ein Mann kein Betrüger, sondern nur ein Betrogener sein konnte.

21*

324 Eugen Scepkin,

lovjev und Kostomarov haben daran die Herren Pavlov und Ikonnikov Theil genommen.

üeber zehn Jahre nach Prosper Merimöe, aber, wie es scheint, ganz unabhängig von ihm, hat Prof. Kostomarov in dem Buche »Wer war Pseudodemetrius I.?« (1864) einen ausführlichen Beweis für seine An- schauung gegeben, dass PD vom Gregor zu unterscheiden wäre. Seiner Meinung nach hat Griska überhaupt keine Rolle bei der ganzen Be- wegung gespielt. Boris und Hiob brauchten einen Namen, um den Be- trüger, der in Polen erschienen war, vor dem Volke zu überführen. Da fiel ihre Wahl ohne genügende Gründe auf den Mönch Griska, der kurz zuvor aus dem Kloster entflohen war. Der wirkliche PD war nach Kostomarov ein Spielzeug der Moskauer Bojaren, selbst mehr der Be- trogene als der Betrüger, zu seiner zukünftigen Rolle vorsätzlich abge- richtet und nach Polen exportirt. In dem sicheren Auftreten des PD, in seiner Zugänglichkeit für jeden Bittsteller, in der Zuversicht, mit welcher er dem Verschwörer Vasilij oujskij das Leben schenkte und durch den Skopin-Sujskij mit seiner Mutter verkehrte, in der Treu- herzigkeit, mit der er keiner Anzeige von einer bevorstehenden Empö- rung Glauben schenken wollte, endlich in der Aufrichtigkeit, mit welcher er seine Bevorzugung der polnischen Sitten und seine Duldung gegen- über den fremden Confessionen an den Tag legte, sieht Kostomarov einen genügenden Beweis dafür, dass der Gar Demetrius I. an sein Erb- recht auf den Moskauer Thron glaubte und wie ein rechtmässiger Auto- krator verfuhr. Ein listiger Betrüger würde unter denselben Umständen ganz anders gehandelt haben. Kostomarov lässt sogar zu, dass man den echten Carevic am Ende doch hat retten und an seine Stelle einen anderen Knaben unterschieben können. Er verwirft aber die Echtheit des PD aus folgenden Gründen: der echte Carevic würde einerseits in Polen mehr überzeugende Beweise angeführt, andererseits nach der Thronbesteigung in Moskau die Umstände seiner Errettung dem Volke ausführlich aufgeklärt haben. Für das erste Auftreten des D. in Polen uimmt Kostomarov, dem Mavgeret folgend, das Jahr 7109 an (Ende 1600 oder die ersten zwei Drittel des J. 1601 nach der alten russischen Rech- nung) und räumt dem Bogdan Beljskij eine grosse Rolle bei der ganzen Verschwörung ein, indem er sich auf die Relation des Thomas Smith stützt. Noch zweimal hat später Kostomarov die Gelegenheit gehabt, die Frage über den PD zu behandeln (in der »Geschichte der Wirren- zeit« und in der »Russischen Geschichtein Biographien«). Im einzelnen

Wer war Pscudodemetrius I.? 325

hat er seine Anschauungen geändert. Er hat sich mehr auf die Chronik des Bussow gestützt und ist somit dem Prosper Merimde näher gekom- men. PD ist bei ihm zu einem Westrussen, zu einem Betrtlger geworden, welcher von den Moskauer Flüchtlingen oder den Wiszniewiecki und Mniszech vorbereitet gewesen. Aber der Idee der Trennung des Gregor vom Demetrius ist er bis zuletzt treu geblieben i).

Zu gleicher Zeit mit Kostomarov hat an demselben Problem der Slavophile Pavlov gearbeitet ^) . N. M. Pavlov geht in seiner ünter-

1) Bereits in dem nächtsen J. 1865 hat Kostomarov in der Zeitung »Golos« (Nr. 20) einen Artikel gedruckt, worin er von den Anschauungen seines Buches über den FD abweicht (CooÖpaHceHiH o üepsoMi. Ä.JI,.). Er fasst ihn jetzt als einen Betrüger auf, der sich mit Begeisterung seinem Betrüge hingegeben hätte. Diese Veränderung in seiner Auffassung erklärt Kost, dadurch, dass er einen Brief des Königs Sigismund III. vom 18. Febr. 1604 an den Voje- voden von Brest, Zenovic, in der Kais. Oeff. Bibl. zu St. Petersb. aufgefunden. Dieser Brief wurde vom Pr.-Doc. Ptasickij viel correcter, als bei Kost., in russischer Uebersetzung gedruckt (PyccKaH CiapHHa, 1878, Januar). Er enthält Nichts, was die Veränderung in den Ansichten des Prof. Kostomarov recht- fertigen könnte. Der König folgt darin so ziemlich der Nova Relatio, d. w. s. dem Briefe des Wiszn.: D. wäre von seinem Lehrer gerettet, dann an einem sicheren Orte (pewne mieysce) zur Auferziehung untergebracht, nach dem Tode des Lehrers heimlich ins Kloster eingetreten, hätte endlich nach Polen den Weg genommen. Die Frage über den FD wird in dem Briefe ausschliesslich vom politischen Standpunkte aus beurtheilt. Zenovic schreibt, dem Kost, zufolge, in seinem Antwortbriefe: es sei für Polen sehr wichtig, die Partei für den D. zu ergreifen, man solle aber ihm vortheilhafte Bedingungen erzwingen. Dem D. gibt er den Rath, Plakate im Reiche Moskau zu verbreiten und vor Allem die Pfaffen und die Mönche für sich zu gewinnen. In seinem Buche «Wer war PD L?« hat Prof. Kostomarov die Ansicht verfochten, dass PD von den Moskauer Bojaren vorbereitet war. In seiner »Geschichte der Wirren- zeit« drückt er sich ziemlich unbestimmt aus; man merkt nur, dass er ihn vom Gregor 0. trennt und, dem Bussow folgend, gegen die Wiszn. und Mnisz. Verdacht hegt. In seiner »Russischen Geschichte in Biographien« wollte er ihn schon eher für einen Betrüger halten oder für einen Prätendenten, wel- cher in Polen, sei es von den Moskauer Flüchtlingen, sei es von Wiszn. und Mnisz. vorbereitet war.

-) Nikolaj Michajlovic Pavlov, einer von den Genossen des Ivan Aksa- kov, hat seine geistreiche Forschung »Die Wahrheit über den PD« unter dem Pseudonym N. Bicyn im J. 1864 veröffentlicht. Trotz einer Reihe von treflf- lichen Schlüssen ist ein bedeutender Theil von seiner Theorie an der völligen Unkenntniss der polnischen Quellen und Verhältnisse gescheitert. Vgl. Pyc- ckIh ApxHBTb 1886, 8.

326 Eugen Scepkiu,

suchung von dem Kampfe des aristokratischen und demokratischen Prin- cips innerhalb des altrussischen Staates aus: die Garen synkletos (Bojar- skaja Duma) und der Ständerath (Zemskaja Duma, Zemskij Sobor) käm- pfen mit einander um den Thron. Es entstehen zwei Typen von Garen der Bojarencar Vasilij Sujskij und ein volksthümlicher (Zemskij) Gar, wie Boris Godunov. Ganz Russland hat den Boris zum Garen gewählt, daher kommt der Hass der Bojaren gegen den Boris. Unter der Ein- wirkung der oligarchischen Tendenzen wurde Boris , ein geborener Staatsmann, durch das Zerrbild in den russischen Annalen zu einem herrsch- und selbstsüchtigen Verbrecher gestempelt. Von den Bojaren gehen auch seit dem J. 1600 alle die Ränke und Complote aus, die den menschenfreundlichen und verständigen Herrscher zu einem argwöhni- schen, verfolgungssüchtigen Tyrannen ausgestaltet haben. Um das Jahr 1600 müssen also die ersten Gerüchte an den Garen gekommen sein, als ob Demetrius noch am Leben wäre (wie es Margeret auch ausdrücklich behauptet) Die Hauptbegebenheiten, welche mit dieser Veränderung in dem Charakter des Boris im Zusammenhange stehen, waren, nach Pavlov, einerseits die Processe gegen Bogdan Beljskij und gegen die Brüder Romanovy, andererseits die Ankunft des polnischen Gesandten Leo Sapieha nach Moskau. Bei der Verbannung der Fürsten Cerkaskij und der Bojaren Romanovy hebt Pavlov als das einzige Ziel der Moskauer Regierung hervor, den Verbannten jeden mündlichen oder schriftlichen Verkehr mit der politischen Welt ferner unmöglich zu machen (z. B. die Befehle über die Behandlung des Ivan Öerkaskij und Ivan Romanov). Der Verkehr mit der Familie Romanov soll auch auf den Gregor Otrepjev den Verdacht der Regierung gelenkt haben. In Bezug auf die polnische Gesandtschaft, die in Moskau vom Oct. 1600 bis August 1601 geweilt hat ^), wagt Pavlov nicht den Leo Sapieha direct zu beschuldigen, den Grundstein zu dem Complote mit dem PD schon damals gelegt zu haben. Er hält es für möglich, dass die eigentlichen polnischen Anstifter des ganzen Betruges sich innerhalb der Gesandtschaft verbergen konnten, ohne dass Leo Sapieha selbst daran Theil genommen hatte. Das allein scheint ihm klar zu sein, dass der litauische Kanzler dabei die Gelegen- heit nicht unbenutzt gelassen hat, die politischen Verhältnisse am russi- schen Hofe genau auszuspähen. Das Erscheinen des PD wurde also seit Jahren vorbereitet. Als Ausgangspunkt für seine Theorie über die

1) Bis zum März 1601? (Pierliug, La ßussie et le S. Siege, II, S. 376.)

Wer war Pseudodemetrius I. ? 327

Persönlichkeit des PD nimmt Pavlov folgende Betrachtungen an : wäh- rend die Polen, welche den Demetrius genau zu beobachten genug Ge- legenheit gehabt hatten, keinen Glauben der officiellen russischen Be- hauptung schenken wollten, als ob unter dem feinen Aeusseren dieses Prätendenten ein Vagabund und Moskauer Mönch verborgen war, galt unter den Moskauer Bojaren die Identität des Demetrius mit dem Griska . anfänglich für ausgemacht, denn die Intrigue mit dem Otrepjev ging ja gerade aus ihren Kreisen hervor. Typisch für die spätere Umwandlung in den Anschauungen der Bojaren ist die Anerkennung des PD durch Chruscov. Er wird vor den Prätendenten geführt, erwartet einen ge- meinen Betrüger zu erblicken und fällt auf die Kniee vor der glänzenden Erscheinung des Carevic. Denselben Hergang postulirt Pavlov auch für den ganzen Kreis der Moskauer Bojaren : sie richten selbst den Griska für die Rolle eines Carevic ab und wollen dann kaum ihren eigenen Augen glauben, als sie statt des längst erwarteten Otrepjev eine Kreatur der Polen und Jesuiten vor sich sehen. Durch diese Voraussetzung, dass zwei Intriguen die einfältigere der Moskauer Bojaren und die feinere der Polen einander unterstützt haben, versucht Pavlov die beiden Strömungen der Historiographie zu versöhnen und zu einer einzigen Theorie zu verbinden. Pavlov citirt für die Theorie der Trennung den Metropoliten Piaton als seinen Vorgänger. Nach der »Geschichte der Kirche « des Piaton war PD kein Griska, sondern eine Kreatur gewisser arglistigen Bösewichte, oder vielleicht auch wirklich der Griska, aber in solchem Falle war wohl dieser Bojarensohn Otrepjev von Anfang an für eine derartige Rolle auferzogen, von den Polen bald nach der Er- mordung des Carevic im Alter von 9 10 Jahren aus Russland über die Grenze gebracht, dort in der lateinischen und polnischen Sprache unter- richtet, für den ruchlosen Betrug geschickt vorbereitet und nach Russ- land zurückgeschickt. Seine Theorie hätte der Metropolit Piaton aus Hoffmanns Lexikon (gedruckt in Leiden im J. 1698) entnommen, wel- ches die ganze Verschwörung auf die Intriguen der Je suiten zurück- führt. Pavlov vervollständigt diese Theorie dadurch, dass er beide von Piaton aufgestellte Möglichkeiten (Griska oder ein anderer Knabe) sich neben einander entwickeln lässt. Die Bojaren schmieden in Moskau ihren bösen Anschlag und bereiten einen PD in der Person des Griska vor, um den Boris zu stürzen und darauf auch ihre Kreatur zu entlarven. Die polnischen Verschwörer gaben sich den Anschein, damit einver- standen zu sein, untersützten vorläufig die Intrigue der Bojaren, hielten

328 Eugen ^cepkin,

aber bei sich zu Hause einen anderen Prätendenten bereit, welchen sie zu dem Zwecke abgerichtet hatten, um die Herrschaft der katholischen Kirche über Russland zu verbreiten. Die Moskauer Bojaren, diese betrogenen Betrüger, haben darüber den Kopf verloren. Es blieb ihnen nichts übrig, als schweigend den polnischen PD anzuerkennen, da er mit dem erwarteten Betrüger nichts gemein hatte. Die Identität des Prätenden- ten mit dem Otrepjev zu leugnen galt so viel, wie dem Garen Demetrius I. zu huldigen. Nur eine solche Bedeutung hatte die Anerkennung der Bojaren und sogar der Mutter des Carevic D. Diese geistreiche Con- struction des N. M. Pavlov ruht leider auf einem schwankenden Funda- ment. Erstens ist hier der Antheil der Jesuiten an dem Unternehmen des PD übertrieben ; die Quellen erster Hand wissen vom Einflüsse der Jesuiten auf den D. erst seit dem Momente zu berichten, wo er mit dem Mniszech in Berührung gekommen ist. Zweitens haben wir keine Nach- richten von der üebereinkunft, die zwischen den polnischen und russi- schen Magnaten um das J. 1600, vielleicht während der Gesandtschaft des Leo Sapieha getroffen sein soll. Der Argwohn des Boris gerade gegen die Bojaren spricht eher schon gegen die Möglichkeit einer solchen üebereinkunft. Die Nachsicht gegenüber dem PD sowohl seitens der Moskauer Bojaren und des russischen Klerus, als auch seitens der pol- nischen Senatoren muss für die Jahre 1600 5 auf ein Ineinanderfallen ihrer Interessen und ein unwillkürliches Uebereinstimmen in der Hand- lungsweise zurückgeführt werden. Drittens lässt Pavlov's Construction die klaren Zeugnisse der Zeitgenossen über das Verhältniss zwischen Gregor und Demetrius ganz bei Seite, nämlich die Zeugnisse der Jesuiten, des Margeret, des Bussow, ebenso wie auch die Aussagen der polnischen Gesandten und Chroniken über das Geburtsland des PD. Alle die polni- schen Quellen zeugen ja dafür, dass PD ursprünglich aus Russland nach Polen gekommen oder exportirt worden ist; das höchste, was sie anzu- nehmen erlauben, würde sein, dass ein grossrussischer Knabe in Weiss- russland auferzogen worden war. Endlich gibt es keinen sicheren Be- weis dafür, dass Gregor Otrepjev bereits in Moskau begonnen hätte sich für den Carevi8 auszugeben ; Hieb beschuldigt ihn vor seiner Flucht Schwarzkünstelei getrieben zu haben; den Namen des verstorbenen Demetrius hat er, nach der Vorstellung der Moskauer Regierung, erst in Polen angenommen. Kurz gesagt hat Pavlov einerseits seine Con- struction theilweise in die Luft gebaut, andererseits ihr zum Besten sichere Zeugnisse unterdrückt. Während der Polemik, die sich zwischen

Wer war Pseudodemetriua I? 329

ihm und Kostomarov abgespielt hat, hat Pavlov seinem Gegner den Vor- wurf gemacht, als ob er bei der Gesammtheit seiner Anschauungen über den PD vielleicht nur aus Mangel an Folgerichtigkeit vor dem letzten Schlüsse zurückschrecke ihn für den echten Carevic D. von Uglic an- zuerkennen. Wenn der Prätendent, welcher unter dem Namen des Garen D. I. den Thron bestiegen hat, derselbe Jüngling ist, welcher in Moskau von den Bojaren abgerichtet wurde, und doch zugleich kein Griska, wenn ihm dabei dennoch die Bojaren huldigen und er selbst an sein Erbrecht glaubt, da muss er, nach Pavlov, für den echten D. gehalten werden, was andererseits unmöglich ist infolge der Umstände, unter welchen Carevic zu Uglic ermordet worden ist. Kostomarov hat die Nothwendigkeit dieses Schlusses von sich gewiesen, seine Prämissen aber aufrecht gehalten.

Dieselben Einwendungen gegen die ungenügende Folgerichtigkeit des Kostomarov hat der damalige Student, der gegenwärtige Prof. Ikon- nikov in zwei feinen, aber im Grunde genommen einander widersprechen- den Aufsätzen entwickelt ^). In dem ersten Aufsatze (November 1864) hat Ikonnikov alle die Gründe zusammengefasst, welche für die Echt- heit des Garen Demetrius I. zu sprechen scheinen. Wenn PD I. von den Bojaren untergeschoben und doch von seiner Echtheit selbst überzeugt war, so entsteht, nach Ikonnikov, die Frage, auf welche Weise ihn die Bojaren für ihre Zwecke auferzogen haben? Wenn sie ihn seit dem Kindesalter dazu bestimmt haben, so bleibt unverständlich, wie sie es bereits damals haben errathen können, dass er in reiferen Jahren für die Rolle des PD passen würde. Wenn sie aber einen phantastischen Jüngling dazu gewählt und abgerichtet haben, so nimmt es Wunder, dass er sogleich seine Vergangenheit vergessen und sich garnicht darum gekümmert hat, von seinen Nächsten etwas Näheres über die Schick- sale seines Lebens zu erfahren. Weiter müsste in solchem Falle die

1) Vgl. »KieBCK.yHHB.H3B.« 1865. Die Aufsätze des Studenten Ikonnikov wurden beim Drucken aus Rücksichten auf die damalige Censur durch Aus- streichen und Umarbeiten von fremder Hand entstellt und von den Autori- täten der Zeit todtgeschwiegen. Wir verdanken ihnen manchen Wink und ergreifen hier die Gelegenheit, um auch dem Prof. Ikonnikov unseren innig- sten Dank abzustatten für die erspriesslichen Mittheilungen auf dem Gebiete der Bibliographie der Frage. In seiner Recension über das Buch des Prof. Platonov hat Prof. Ikonnikov die Nothwendigkeit hervorgehoben, noch ein- mal alle Nachrichten über den FD einer erschöpfenden Durchforschung zu unterwerfen.

330 Eugen Scepkin,

Bojarenpartei alle die Beweise in ihren Händen behalten haben, um mit der Zeit die Falschheit des Prätendenten aufzuklären und nach dem Falle des Boris auch den Demetrius zu stürzen. Indessen hat diejenige Bojarenpartei, welche mit Sujskij an der Spitze am 17. Mai den PD I. gestürzt hat, in Bezug auf die Persönlichkeit des Garen selbst in Unge- wissheit geschwebt ; bevor ihn zu ermorden, hat sie von dem buchstäb- lich gestürzten Demetrius neue Auskunft über seine Abstammung ge- fordert. Grosses Gewicht legt der Student Ikonnikov auch auf die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Mutter und dem vermeintlichen Sohne. Die Carin Witwe Martha (früher Marja) konnte ja sicher wissen, ob ihr Sohn noch am Leben war; es wäre genug für sie,* bei der ersten Zusammenkunft mit dem Demetrius ihn vor dem Volke zu verleugnen und dadurch augenblicklich zu stürzen. Was hat andererseits die Ver- schwörer daran gehindert, bevor sie den Sohn ermordeten, noch einmal die Mutter über den ganzen Thatbestand zu befragen, wozu sie der ge- fallene Car selbst aufgefordert hatte. Sie haben es nicht gewagt; die Mutter war wohl mit der Verschwörung nicht einverstanden ; oder haben die Verschwörer vielleicht gefürchtet einen sicheren Beweis der Echt- heit des Garen von ihr zur Antwort zu erhalten. Auch Boris scheint von der Mutter seiner Zeit, wo die ersten Nachrichten vom Prätenden- ten anlangten, keine offene Verleugnung des zurückkehrenden Sohnes haben erpressen können. Die Annahme, als ob Demetrius selbst an seine rechte Abstammung geglaubt hätte, führt also, nach Ikonnikov, zur Noth- wendigkeit, seine Echtheit anzuerkennen; und doch glaubte der junge Forscher diesen Glauben des D. an seine rechtmässige Abstammung auf- recht halten zu müssen. Als Sujskij zum ersten Male das Gerücht von der Falschheit des Garen zu verbreiten anfing, da soll D. die Unter- suchung der ganzen Frage an die Vertreter der Stände überlassen und den Process gegen den Sujskij gewonnen haben. Dieselbe Zuversicht hat er auch vor seinem Tode an den Tag gelegt, als er die ihn um- ringenden Verschwörer aufforderte, seine Mutter zu befragen oder ihm das Wort zu überlassen, um sich vor dem Volke zu rechtfertigen. Auch dem Margeret zufolge haben die Feinde des D. weder bei seinen Leb- zeiten, noch auch nach seinem Tode ihn des Betruges überführen können. Scharfsinnig hat Ikonnikov den Standpunkt des sonst zuverlässigen Bussow aufgefasst. Die Abneigung des Bussow gegen die Russen geht bei ihm so weit, dass er es gar nicht für glaubwürdig halten will, als ob der glänzende, den Ausländern wohlwollende Demetrius dem gross-

Wer war Pseudodemetrius I. ? 331

russischen Stamme entsprossen wäre. So hat Ikonuikov die ganze Logik des Bussow auf dessen Psychologie zurückgeführt und dadurch dessen Construction entkräftet. Leider hat er es verschmäht dieselbe scharf- sinnige Analyse auch auf den Eckstein seines Gebäudes, auf den Mar- geret anzuwenden. Der feste Glaube an die Echtheit des Garen D. be- ruht beim Margeret nicht sowohl auf dem Zutrauen zu irgend welchen sicheren Zeugnissen, noch auch auf eigenen Combinationen, sondern auf seiner eigenen unmittelbaren Einsicht. Er hat persönlich mit dem Garen D. verkehrt und hat den Eindruck davongetragen, dass er sich in jeder Geberde als den geborenen Fürsten geltend gemacht hat. Dieses Ge- fühl hat er durch Aussagen von Zeugen oder durch logische Schlüsse aus allgemeinen Verhältnissen in seinem Werke zur Projection gebracht. Mit vollem Rechte folgt andererseits Ikonnikov dem Bussow in der Er- gründung des Sturzes des D. Bussow berichtet, dass D. das Einziehen der Einkünfte von demjenigen Theile der Klostergüter geplant hat, welcher den Nothbedarf der Mönche überstieg; die eingezogenen Einkünfte sollten als Lohn für das gegen die Türken gesammelte Heer verwendet werden. Da hat die Geistlichkeit ihre hülfreiche Hand dem Vasilij Sujskij zum Sturze des Garen gereicht; die Vermählung des Garen mit der katholischen Maria und die Uebermacht der Polen in Moskau wur- den zum Verwände gewählt. Es ist von Bedeutung, dass unter den Be- dingungen, die dem Korolevic Vladislav vor der Wahl zum Garen ge- stellt worden sind, die ünantastbarkeit der Kirchengüter und Kirchen- einkünfte vorkommt. Auf Grund dieses seines ersten Aufsatzes wird Ikonnikov nicht ohne Recht als der Verfechter der Echtheit des D. citirt. Indessen hat er seine Beweisführung später in dem Schlüsse zu seiner Abhandlung theils abgeschwächt, theils in andere Wege geleitet und die erwartete Behauptung von der Echtheit des Demetrius nur als con- ditionell gelten lassen, alle seine Einwendungen aber gegen den Mangel an Folgerichtigkeit bei Kostomarov durch eine neue Annahme beseitigt. Ikonnikov geht nämlich von der Hinweisung des Kostomarov aus, dass die eigene Erzählung des PD von seiner Rettung durch den Erzieher und zwar zur Nachtzeit, indem die Mörder ein anderes untergeschobenes Kind umbringen, nicht nur mit den Acten der Untersuchung, sondern auch mit der Nachricht bei Thomas Smith im Widerspruche steht, als ob Bogdan Beljskij den Garevic lange vor dem Morde zu UgliS gerettet hätte. Vom Standpunkte der Echtheit schlägt Ikonnikov provisorisch folgende Erklärung dafür vor : in dem Schlupfwinkel, wo D. verborgen

332 Eugen Scepkin,

gehalten wurde, war ebenso, wie auch später in Polen, nichts Umständ- liches über den Mord zu Uglic bekannt; als die Zeit gekommen war, Auskunft über seine Rettung zu geben, da hat der Prätendent die wahr- scheinlichste Vermuthung gegeben, als ob die Mörder eben in der Dunkelheit der Nacht den untergeschobenen Knaben ermordet hätten. Ikonnikov selbst erklärt sich aber jetzt für eine andere Hypothese, näm- lich dass die dem Carevic am nächsten gestandenen Männer Bogdan Beljskij und Nagie und ihre Vertrauten die ganze Intrigue mit einem FD eingeleitet hätten ; als sie nun den zukünftigen Prätendenten mit Hülfe des Gregor Otrepjev bald nach dem Morde zu Uglic nach Polen exportirten, da haben sie eben vernachlässigt, dem Kinde die Umstände seiner Rettung einzuschärfen oder schriftlich beizugeben. Otrepjev kehrte nach Russland zurück, lebte eine Zeit lang im Wunderkloster und ent- floh abermals nach Polen erst 1603 (?), als D, schon nach eigenen Vermu- thungen die falsche Auskunft über seine Schicksale dem Wiszniewiecki im J. 1602 gegeben hatte. Das Gerücht von einem Demeti-ius erscholl, erst seit die Persönlichkeit des Prätendenten selbst 2-um Vorschein ge- kommen war. Vordem war das Volk überzeugt, dass Carevic ermordet war; es drang nun in den Vasilij onjskij (?) mit der Forderung eine Aufklärung über den erschienenen D. zu geben. Daraus folgert Ikon- nikov, dass Niemandem in den Grenzlanden (ükraina) oder in Polen von selbst der Gedanke einfallen konnte, als Demetrius aufzutreten. Nur ein Mann, welcher selbst an seine Identität mit dem D. glaubte, konnte es wagen und durch sein Hervortreten überall Zweifel an dem Tode des Carevic erwecken. Als er in Moskau erschien, da waren (dem Margeret, dem Chvorostinin u. a. m. zufolge) bereits die meisten Russen von seiner Echtheit überzeugt. Wenn die Argumente des PD I. für seine Echtheit sowohl in Polen, als auch in Russiand so unwiderstehlich wirkten, da muss die Intrigue mit grosser Kunst vorbereitet gewesen sein. Nach der Hypothese des Ikonnikov (im zweiten Aufsatze) ging sie von einer Gruppe von Persönlichkeiten aus, welche durch Ver- wandtschaft unter einander verbunden nach der Ermordung des Demetrius auch gegen sich selbst Nachstellungen seitens des Boris er- warten konnten ; deshalb hat diese Gruppe, um sich zu retten, zur Fäl- schung eines Prätendenten gegriffen. Nur diese in die Familienverhält- nisse des Carevic eingeweihten Persönlichkeiten konnten einen solchen Demetrius schaffen, dass am Ende sowohl die Ausländer, als auch die Russen ihn für den echten annahmen. Ikonnikov hat aus dieser Gruppe

Wer war Pseudodemetrius I.? 333

von Verwandten und Freunden nur den Beljskij und die Nagie genannt. Da er aber annimmt, dass Gregor Otropjev zu der erwähnten Gruppe nahe gestanden war und ihr Dienste geleistet hat, so sind wohl auch die Romanovy und die Cerkaskie darunter einbegriffen. Ikonnikov ver- muthet, dass diese Gruppe der Bojaren auch den Otrepjev überzeugt hat, dass der von ihnen beförderte Jüngling der wirkliche Carevic wäre. . Margeret und Smith hätten über den PD nach seinen Erfolgen geurtheilt und wären auch gar nicht im Stande gewesen, ihn auf Grund von posi- tiven Zeugnissen zu entlarven. An dem Mangel von Beweisen gegen die Echtheit des Prätendenten wäre am meisten Boris schuld gewesen; aus Furcht, seinen Antheil an dem Morde zu Uglic zu verrathen, suchte er die ganze Sache den Menschen aus dem Gedächtnisse auszumerzen, statt sie klar und offen Allen zur Kenntniss zu bringen. Der Nebel, von dem die Ereignisse zu Uglic umzogen waren, kam den Verschwörern zu statten. Die Thatsache des Mordes war für die Massen nicht über alle Zweifel erhaben und konnte also den Urhebern der Wirren zu keinem Hindernisse gereichen, einen lebendigen Demetrius gegen ihre Feinde loszulassen. Diese Leiter der ganzen Intrigue haben sich ziemlich kühl gegen die Partei des V. Sujskij verhalten, welche ihre Kreatur den PD I. gestürzt hat. Deshalb haben sie auch nach dem Tode des PD I. den Schleier von seiner Vergangenheit keineswegs heben wollen, son- dern vorgezogen Alles auf den Gregor Otrepjev zu wälzen. Solchen Gang der Gedanken hat also der Student Ikonnikov in seinem zweiten Aufsatze eingeschlagen. Im ganzen hat er zwei Erklärungen aufge- stellt : entweder war es der echte Carevic oder ein Prätendent, welcher in dem Glauben an seine Rechte von einem intimen Kreise von Anver- wandten des ermordeten Demetrius auferzogen wurde. Der zukünftigen Forschung hat er überlassen auf Grund eingehender Prüfung der histo- rischen Quellen eine von den zwei Hypothesen zu streichen i). Bei den complicirten Problemen ist es in der That schon ein Fortschritt, wenn man alle die möglichen Lösungen auf zwei reducirt. Leider hat aber Ikonnikov nur diejenigen Varianten der Auflösungen analysirt, welche den Demetrius vom Gregor trennen ; er hat es der Mühe gar nicht werth erachtet, der russischen officiellen Tradition an den Leib zu gehen. Die

1) Ausser Niemciewicz hat auch Nowakowski in seiner Dissertation »De Demetrio I.« (Berolini 1839) den Garen D. für den echten Carevic von Uglic und Sohn Johanns des Schrecklichen erklärt.

334 Eugen ^cepkin,

Aufsätze des Prof. Peter Kazanskij haben gegenüber den Anschauungen des Kostomarov und des Ikonnikov eine Reaction zu Gunsten der Legende vom Otrepjev eingeleitet i).

Prof. Kazanskij geht von der Ueberzeugung aus, dass D. seine Jugend in Russland verbracht haben muss. Wenn D. vom Knabenalter an in Polen bei den Jesuiten auferzogen wäre, so würde er immer er- zählt haben, dass er bald nach seiner Rettung nach Polen exportirt worden wäre. Indessen stimmen alle Nachrichten von seiner eigenen Auffassung seiner Schicksale darin überein, dass er die Jugend in Russ- land verbracht hat. Er selbst soll einmal -) geäussert haben : ich habe eine gute Meinung von den Polen gehabt, jetzt sehe ich aber, dass sie Men- schen, wie andere, sind. Car Boris und die Bojaren müssten früh oder spät Nachricht davon erhalten, dass D. von den Jesuiten auferzogen war, und es den Polen vorwerfen ; davon finden wir aber keine Spur. Kazanskij wiederholt auch das Urtheil des Karamzin, dass die lateini- schen Unterschriften des PD die schwache Hand eines Anfängers, die russischen aber die sichere Feder eines Sekretärs (Djak) verräthen. Auf Grund dieser Betrachtungen verwirft Kazanskij die Erzählung des Bussow, als ob ein Jüngling aus Weissrussland sich von einem Mönche und Landstreicher, wie Otrepjev, zu einem so kühnen Unternehmen überreden lassen konnte. Ein Weissrusse oder ein Kleinrusse müsste, wie schon Margeret bemerkt hat, vor allem die grossrussische Sprache erlernen. Wenn nun D. ein Grossrusse war, so musste er eben Gregor Otrepjev gewesen sein. Boris war zweifelsohne im Stande die ganze Wahrheit zu erfahren. Seit dem Sturze des Garen D. haben alle Russen ohne Ausnahme ihn für den Otrepjev erklärt und gehalten. Das Zeugniss des Avraamij Palicyn, der Anschluss der officiellen Acten aus der Zeit der Romanovy an die Tradition vom Gregor sind für den Kazanskij entscheidend. Während wir die Beweisführung des Kazanskij für den grossrussischen Ursprung des D. billigen, müssen wir seine Argumenta a silentio für dessen Identität mit Otrepjev verwerfen. Kazanskij nimmt weder das Schweigen und das Lügen aus politischen Rücksichten, noch

1) PyccKiä BicTHHKT. 1877. Prof. P. S. Kazanskij, Untersuchungen über die Persönlichkeit des ersten Pseudodemetrius. (Petr Simonovic, Professor an der Moskauer Theologischen Akademie, t 1878.)

'-J PyccK. Hcxop. Bh6j:., I. iÜHeBHHKt EopmH (Wyprawa czara Moskiew- skiego Dymitra), S.374: »Zem iacos wi^kszego rozumial oPolakach, ale tesz widz^ ludzie, iako inszy«.

Wer war Pseudodemetrius I. ? 335

die geringe Zahl der Leute in Betracht, welche in den politischen Sachen zxi sprechen hatten und sowohl die Meinung der Zeitgenossen, als auch die spätere Tradition mündlich oder schriftlich beeinflusst haben. Ohne kritischen Sinn , nur mangelhaft über den thatsächlichen Hergang der Begebenheiten unterrichtet, von Parteiinteressen oder persönlichen Rück- sichten geleitet, konnte eine schwache Minderzahl durch ihre Aussagen die Wahrheit missverstanden, entstellt oder gefälscht haben. Anderer- seits musste die Zahl der Verschwörer, welche den D. vorbereitet haben, so gering gewesen sein, dass mit ihnen die Wahrheit leicht geradezu aussterben konnte ; zu geschweigen, dass es sowohl unter der Regierung des D.. als auch nach seinem Sturze über die früheren Schicksale des Garen etwas zu berichten geradezu gefährlich sein musste. Was den Boris anbetrifft, so halten wir es für bewiesen, dass er oder seine Regie- rung in den letzten Monaten seines Lebens die frühere Behauptung von der Identität des Demetrius mit dem Griska zurückgenommen hat. Seinen ersten Verdacht gegen Otrepjev hat Boris, wie es scheint, deshalb gefasst, dass gerade Otrepjev die Wirren vorbereitet und überall (viel- leicht schon in Moskau) die Nachricht von dem in Polen erschienenen Demetrius verbreitet hat. Da D. in Russland sich unter einem fremden Namen aufgehalten hat, so ist es wahrscheinlich, dass einerseits D. bis- weilen unter dem Namen Otrepjev, andererseits auch Otrepjev unter dem Namen des D. hie und da aufgetreten waren. Deshalb konnte die Moskauer Regierung einerseits den Otrepjev beschuldigen, den Namen des Demetrius angenommen zu haben, andererseits von dem Pseudo- demetrius das Gerücht verbreiten, dass er den Namen des Otrepjev abgelegt und dem Mönche Leonid übergeben hätte. Kazanskij über- sieht auch, was schon Ikonnikov hervorgehoben hat, nämlich dass die Verschwörer, welche den D. gestürzt haben, selbst in Bezug auf die Persönlichkeit des gefallenen Garen noch Zweifel gehegt haben. Sie mussten dem Volke den Namen des vermeintlichen Betrügers nennen und sind also zu der Behauptung des Boris zurückgekehrt. Die Tradi- tion von der Identität des D. mit dem Gregor blieb auch unter den Romanovy bestehen, vielleicht weil der Patriarch Philaret selbst nie ge- nau in die Fäden der Verschwörung eingeweiht war, vielleicht auch, weil er selbst einer von den Leitern des ganzen Unternehmens des PD gewesen ist und die ganze Sache gern vergessen machen wollte. Peter Kazanskij wie auch andere Verfechter der Identität des D. mit dem Gregor behaupten, dass ihre Lösung der Frage die meisten historischen

336 Eugen Scepkin,

Zeugnisse für sich hat. Darin haben sie Recht, aber das Problem darf nicht durch das einfache Nachzählen der Stimmen entschieden werden. Es ist noch eine Frage, ob die Zeitgenossen und Parteiführer, ja ob Car Demetrius selbst über die Anfänge der Intrigue eine klare Vorstellung gewinnen konnten. Gerade vom Standpunkte des Karamzin und des Kazanskij, welche das ganze Unternehmen auf die Initiative eines ein- zelnen Betrügers zurückführen, ist es möglich, dass die Geschichte des PD für die herrschenden Klassen Moskaus immer ein Räthsel geblieben ist ; sie konnten sich nie über das Niveau der mehr oder weniger wahr- scheinlichen Vermuthungen erheben. Wenn aber die Anstifter der Wir- ren auch zu den Kreisen der Bojaren oder der Geistlichkeit gehört haben, so beschränkte sich das genaue Wissen der Wahrheit auf wenige durch Blutverwandtschaft, Gemeinschaft des Strebens, Ineinanderfallen der Interessen verbundene, auf ewiges Schweigen verurtheilte Personen. Neben der Unmöglichkeit etwas Sicheres zu wissen, hat aber auch die vorsätzliche Fälschung von Nachrichten zersetzend auf die officiellen Acten und die Annalen gewirkt. Alle russischen historischen Quellen stimmen darin überein, dass Griska unter dem Namen des Demetrius ge- herrscht hat. Man darf aber nicht übersehen, dass in Bezug sowohl auf die Charakteristik des Betrügers , als auch auf seinen Lebenslauf die einzelnen russischen Quellen dermassen einander widersprechen, dass man sich gar nicht auf ihre Uebeinstimmung hinsichtlich des Namens brüsten darf. Unter demselben conventioneilen Namen des Griska schil- dern sie unserer Ansicht nach zwei ganz verschiedene Persönlichkeiten, zwei einander durchkreuzende Lebensgeschichten. Umsomehr mangelt an jeglichem Grunde die Vorstellung des Kazanskij, dass die polnischen Nachrichten über den D. mit der Auskunft, welche die russische Regie- rung über den Otrepjev gegeben hat, irgendwie ausgeglichen werden könnten. Alle die polnischen Quellen kennen den D. schon seit dem J. 1601 beim Ostrogskij. Gewagt scheint uns auch der Versuch des Kazanskij zu sein alle Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen, welche für seine Annahme aus dem Umstände entstehen , dass Gregor Otrepjev als Djakon des Wunderklosters und als Djak des Patriarchen Hiob Vielen aus der Geistlichkeit und aus dem Adel bekannt sein musste. Kazanskij macht die Vermuthung, dass die meisten auf ihn zu der Zeit noch keine Aufmerksamkeit gerichtet haben ; er hebt hervor, dass PD als Car vorsätzlich keinen Bart getragen hat und vor dem Volke immer nur mit bedecktem Haupte erschienen war u. d. g. m. Der Umstand, dass

Wer war Pseudodemetrius I. ? 337

der Protopop Euthymij den Gregor ins Kloster anempfohlen, dass Hieb ihm seinen Segen zum Diakonat gegeben und bald darauf zu sich ins Haus genommen hat, dann aber auch der ganze Process gegen Otrepjev wegen Ketzerei, dies Alles zeugt davon, dass Otrepjev Dank seiner Be- gabung und seinen Fürbittern sowohl im Kloster, als auch beim Hofe des Patriarchen allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hati). Im J. 1602 (nach Boris sogar im J. 1603) ist er aus Moskau entflohen, und im J. 1605 soll man diesen 22 24jährigen jungen Mann gar nicht er- kannt haben, nur weil er sich das Bärtchen geschoren! Kazanskij thut auch Unrecht, wenn er keine Bedeutung demjenigen Umstände beimisst, dass die Bojaren und die Geistlichkeit dem PD so leicht gehuldigt haben. Er weist darauf hin, dass ein Theil des russischen Adels, ein Trubeckoj, Cerkaskij, Sickij u. d. g. a. m. auch dem zweiten PD gedient haben, ob- gleich Niemand daran gezweifelt hätte, dass dieser grobe Bauer ein Be- trüger war. Wir müssen gegen jeden Rückschluss von der Geschichte des zweiten PD auf die Verhältnisse des ersten Einspruch erheben. Rückschlüsse sind an ihrem Platz, wo man mit einem festen, Jahrhun- derte währenden Brauche oder mit allmählich sich entwickelnden Insti- tutionen zu thun hat. Wo aber die Gesellschaft eine Erschütterung nach der anderen erlebt, da verändert sie sich bis zur Verleugnung ihrer Ver- gangenheit. Die herrschenden Klassen Russlands haben mit geringen Ausnahmen treu dem Garen Boris gedient, bis sie der Glücksstern des D. geblendet hat ; sie haben ihm gehuldigt und dadurch die Unrecht- mässigkeit der Godunovy anerkannt. Einzelne, wie Basmanov, haben gewisse Zweifel gegen die Echtheit des neuen Garen gehegt, Niemand hat aber an ihm einen gemeinen Landstreicher gerochen ; sogar die Ver- schwörer, welche ihn gestürzt haben, fühlten sich später gezwungen ihre Gewaltthat durch vermeintliches Geständniss des D., dass er wirklich Oti-epjev wäre, zu beschönigen. Unter dem Drucke des Bewusstseins, dass sie schon zweien unrechtmässigen Garen, vielleicht sogar einem Landstreicher aus Versehen gedient haben, wurden der Adel und die Geistlichkeit viel mürber in ihren monarchischen Gefühlen. Man muss

1) In der »Anderen Sage« heisst es, dass Gregor 0. in Moskau vielen Mönchen und vielen Laien, sogar den Männern aus der Mitte der Regierung bekannt war (A erja ace acHiejiBCTBO hmbiS et, uapcxByioin;eMi> rpaa?; Mockb*, SHaeMi. öarae MHoraMH ot-l MipcKHXx iiejroBiKt, xaKoace h oti Bjacxeö h ott. mho- raxT. HHOKT.). Dem Neuen Annalisten zufolge ist Griska im Hause des Hiob dem Metropoliten von Rostov in die Augen gefallen.

Archiv für slavische Philologie. XXU. 22

338 Eugen Scepkin,

auch bedenken, dass die nächste Umgebung des PD sogar noch während seines Anmarsches gegen Moskau, nie die ihm schuldige Ehrerbietung vergessen hat, wie wir es in dem Lager von Tusino oder in dem Heere eines Pugacev beobachten können. Grosses Gewicht legen wir darauf, dass Peter Kazanskij selbst bei der traditionellen Vorstellung vom Gregor Otrepjev nicht hat bleiben können. Sowohl die Regierung des SujskiJ, als auch jene des Michail Romanov. resp. des Patriarchen Philaret, haben es vermieden, genaue Auskunft über die Jugend des Otrepjev zu geben. Kazanskij will es dadurch erklären, dass über der Wiege des Gregor wohl ein gewisses Geheimniss schwebte. Er war wahrscheinlich gar nicht der Sohn des Bogdan Otrepjev, sondern ein uneheliches Kind einer hochgestellten Persönlichkeit, welches von der Familie Otrepjev adop- tirt und von ihr seinen Namen erhalten hat. Da Kazanskij dabei die Bemerkung macht, dass die Güter der Romanovy unweit vom Zelezno- borovskijkloster Johanns des Täufers gelegen waren, so erhält der Leser von selbst die Vermuthung. als ob der Verfasser die Herkunft des Otrepjev gerade mit dieser Familie in Verbindung zu bringen meinte '). Die ganze Charakteristik seines Otrepjev gibt Kazanskij natürlich weder nach den Briefen des Boris, noch auch nach Margeret oder Petrejus. sondern ausschliesslich nach der »Sage aus dem J. 1606«. Er schildert ihn als einen munteren, geistig angeregten, mit schneller Auffassungs- gabe begabten, dabei aber etwas verwöhnten Knaben, welcher auch eine höhere Erziehung, als wie sie dem Sohne eines Strelitzenhäuptlings ge- ziemen würde, genossen hatte. Gregor wird wohl gewusst haben, dass er kein Sohn des Paares Otrepjev war, wenn der Name seiner wirk- lichen Eltern ihm auch verborgen blieb. Das Missvergnügen mit seiner schiefen Lage und eine gewisse Empfindlichkeit gegenüber den zufälligen äusseren Eindrücken haben den Gregor ins Kloster geführt. Nach der Vermuthung des P. Kazanskij hat Gregor die Bekanntschaft mit dem H. Tryphon nicht in Moskau, sondern unweit des Landgutes der Roma- novy wohl im J. 1595 gemacht und sich, 14 Jahre alt, von ihm scheeren lassen. Während des Aufenthaltes des Sapieha in Moskau konnte dann der Djakon Otrepjev zu den Polen in nähere Beziehungen treten. Wir sehen, dass P. Kazanskij aus den russischen Quellen ganz willkürlich

1) Kazanskij meint das Dorf Domnino (Bezirk der Stadt Buj), welches von Hause aus den Sestovy angehört hat, da aber Theodor Romanov mit der Ksenija Sestova vermählt war, so kann eben nur er unter den Brüdern Ro- manovy in Betracht kommen.

Wer war Pseudodemetrins I. ? 339

nur diejenigen Züge für seine Charakteristik genommen hat, welche auf den späteren Garen D. I. passen konnten ; über alle Widersprüche dieser Quellen ist er dagegen geradezu hinweg gesprungen. Nach dem Briefe des Boris war ja Otrepjev mehrmals seinem Vater entlaufen (vgl. Petre- jus), hat gesoffen, gespielt, gestohlen, ist von seinem Herrn Michail Romanov verjagt worden und hat nur aus Furcht vor Todesstrafe die Kutte genommen. Aus diesen vom Verfasser vorsätzlich übersehenen Charakterzügen kann man ja neben dem Gregor des Kazanskij ganz gut noch einen zweiten Gregor zusammensetzen. In seiner Vermuthung, dass Gregor keineswegs ein Sohn des Paares Otrepjev war. stützt sich Kazanskij auf die Nachricht des Barezzo Barezzi und der Tragoedia Moscovitica, als ob D. sacerdotis nothus gewesen wäre; dagegen ver- wirft er ohne weiteres die Masse von Nachrichten bei Massa, Bussow, Margeret, Barezzo Barezzi, welche der Moskauer Tradition wider- sprechen. Was die Organisation der Intrigue anbetrifft, so findet es Kazanskij für unmöglich, dass gerade die Bojaren den PD vorbereitet hätten. Die Bojaren würden es nie dazu kommen lassen, dass der zu- künftige Prätendent sich zum Mönche scheere, denn die Mönchskutte wäre ja immer ein Hinderniss für das Erlangen des Thrones gewesen. Dann würden auch die Bojaren ihren Kandidaten besser über den Mord zu üglic unterrichtet haben. Die Bojaren waren so wie so gefährlich für die dynastischen Absichten des Godunov. Nicht die Nachrichten von dem in Polen erschienenen Prätendenten haben die Verfolgung der Bojaren seitens des Boris (?), sondern umgekehrt, die Verfolgungen gegen die Bojaren haben die Erfolge des Prätendenten hervorgerufen. Der alte Mstislavskij war bereits im J. 1586 gestorben; sein Sohn war ein durch und durch friedfertiger Mann und behauptete einen der ersten Plätze unter den Bojaren während der ganzen Wirrenzeit unter Boris, Demetrius, V. Sujskij, Michail Romanov. Der schon längst beargwöhnte und verfolgte Beljskij konnte schwerlich aus seiner weitentlegenen Ver- bannungsstätte einen Prätendenten abgerichtet haben. Nach Moskau unter Theodor Borisovic Godunov zurückgekehrt, hat er nach Margeret beim Anmärsche des D. zusammen mit Mstislavskij und Sujskij den Ver- such gemacht, das Volk vor der Anerkennung des Prätendenten zurück- zuhalten 1). Als der Versuch gescheitert war, da hat er (nach Bussow),

1) Diese Behauptung ist nicht korrekt, bei Margeret steht nur: Misti- sloftsqui, Choutsqui, Belsqui et autres estant envoyez pour appaiser le tu- mnlte, les lettres fnrent nonobstant leues publiquement.

22*

340 Eugen Scepkin,

am Tage des Einzuges des PD in die Stadt Moskau, vor dem Volke ihn für den wahren Sohn Johanns des Schrecklichen erklärt und darauf das Kreuz geküsst. Der Djak Andrej Scelkalov ist um das J. 1594 95 gestorben (?), sein Bruder, der Djak Vasilij Scelkalov wurde zwar um das J. 1602{?) verabschiedet, aber ohne Aechtung. In demselben Jahre hat Boris den Ivan Romanov und Fürst Ivan Cerkaskij aus der Verbannung nach Moskau berufen, Nagie lebten auch in der Verbannung über die einzelnen Städte zerstreut. Kazanskij bestreitet, dass D. die Cerkaskie, Nagie oder irgend welche andere Bojarenfamilie, welche gewöhnlich der Theilnahme an der Verschwörung verdächtigt wird, bevorzugt hätte. Nur gegen die Carin Witwe hat Kazanskij einen gewissen Verdacht, dass sie sich schon ziemlich früh auf gewisse heimliche Verhandlungen mit dem D. eingelassen hätte. In der nächsten Umgebung des Caren Demetrius war Niemand zu finden, der für einen früheren Freund und Mithelfer des PD gelten könnte. Ohne Zweifel hat es seinerzeit solche Mithelfer gegeben, indessen sind sie entweder durch die Nachsuchungen des Boris entdeckt und umgebracht worden, oder, von dem PD selbst vernachlässigt, in Vergessenheit geblieben. Kazanskij leugnet auch, dass D. durch und durch eine Herrschernatur gewesen wäre. Mit dem Margeret, welcher die glänzenden Eigenschaften des Caren D. I. schil- dert, findet sich Kazanskij durch die Bemerkung ab, dass er ein käuf- licher Krieger gewesen. In der vermeintlichen Majestät und Sicherheit des Auftretens desPD. I., welche seinen Glauben an die Abstammung von Johann dem Schrecklichen bezeugen sollte, sieht Kazanskij bald eine seltene Verwegenheit und eisernen Willen, bald die Ueberzeugung, dass er genug Vorsichtsmassregeln getrofi'en und genug Macht besitze, um jeglicher Gefahr entgegenzusteuern. Dass D. nur als Schauspieler in der Carenrolle einer Haupt- und Staatsaction aufzufassen wäre, haben schon früher Andere angenommen. Kazanskij geht noch weiter und findet, dass er seine Rolle dabei schlecht gespielt und dass unter dem Hermelinmantel immer die Lumpenkutte eines landstreichenden Mönches hervorgeblickt hätte. Was den religiösen und kirchlichen Standpunkt des Caren D. anbetrifft, so glaubt Kazanskij, dass ihm der Ritus und die Gesetze der russischen Orthodoxie gut bekannt waren und dass er sie auch beobachtet hat, soviel es eben der Anstand erforderte ^). Als

1) Auch Levitskij führt den Beweis, dass PD I. nie daran ernst gedacht hätte, die Russen zum römischen Katholicismus zu bekehren, und dass die Vorstellung, als ob er die kanonischen Regeln der orthodoxen Kirche mehr-

Wer war Pseudodemetrius I. ? 341

eine Verletzung des orthodoxen Brauches betrachtet man bisweilen, dass die Vermählung des PD I. mit Marina Donnerstag am Vorabende eines Feiertages (des St. Nikolajtages) stattgefunden hat. Doch gab es da- mals in Russland noch keine feste Regel darüber, an welchen Tagen die Trauung verboten sein soll ; sie rührt erst seit der Regierung der Kai- serin Katharina IL her. Man hat dem Garen Demetrius weiter vorge- worfen, dass er sich mit einer Katholikin vermählt hat, ohne sie vorher umgetauft zu haben. Indessen ist die Regel, die Katholischen beim Uebergauge zur russischen Orthodoxie sich noch einmal taufen zu lassen, erst auf einer Synode unter dem Patriarchen Philaret festgesetzt worden ; diese Regel wurde bald darauf unter dem Drucke der Patriarchen des Orients abgeschafft. Die Einwendung, dass die Mönchszelle keine Hel- den erziehen kann, entkräftet Kazanskij durch die Beobachtung, dass ein Kriegsjahr einen gewöhnlichen Bauer zu einem guten Soldaten aus- gestalten kann i). Als Ergebniss seiner Untersuchung stellt Kazanzkij den Satz auf, dass es an genügenden Gründen fehle, die Identität des D. mit Gregor zu leugnen. Mit gewissen Beschränkungen lassen wir die Beweisführung des Kazanskij gelten, dass die Bojaren mehr einen pas- siven, als einen activen Antheil an der Intrigue genommen haben. Sie haben die Ereignisse nur ruhig ihren Weg gehen lassen, haben die Be- wegung keineswegs bekämpft, sondern auf ihren Ausgang gelauert und ihren Erfolg ausgenutzt. Wir erkennen auch an, dass Kazanskij durch seine allgemeinen Kombinationen theoretisch die Möglichkeit der An- nahme erwiesen hat, dass PD aus den Kreisen der russischen Mönche hervorgegangen war. Aber sein Hauptproblem die Identität des Demetrius mit dem Gregor hat er eigentlich gar nicht berührt. Er hat sich ausschliesslich auf die russischen Quellen gestützt, welche diese

mals verletzt hätte, auf einem Missverständnisse beruhte. Wenn z. B. De- metrius sich an einem Donnerstage mit der Marina vermählt hat, so war es damals noch durch keine Regel verboten.

1) Im Juni 1604 hat Boris Godunov die Mannschaften der Klöster und der Geistlichkeit sich bewaffnen und nach Kaluga ziehen lassen, um das Heer gegen den Falschen D. zu verstärken. Er erinnert dabei, dass in früheren Zeiten nicht nur die Diener der Geistlichkeit, sondern die Mönche, die Prie- ster, die Diakonen selbst in den Krieg zogen (Coöp. r. r. h Ji,., t. II, Nr. 78 : »IlepBie 6o He TOjii cayra CBaiHiejieä h MOflacTtipeii, ho caMH CTapm>i, CBamea- HHmi H «iaKOHH Bt HaraecxBie HeqecTHBbixi. MHoacaijeio na BOHHy Hcxoacjaxy, Kpinui BoopyacaxycÄ, xpaöpo öopromeca . . Mti ace cero He BosxoxixoMX , aa He OHydiiOTt xpaMBi Eoacie öea-i nisis . .«; .

342 Eugen Scepkin,

Identität als etwas Gegebenes behandeln und die Möglichkeit den D, vom Griska zu trennen gar nicht ins Auge fassen. Die Zweifel an dieser Identität beginnen, erst wenn man die polnischen und jesuitischen offi- ciellen Acten, dann die Chroniken des Margeret, Massa, Bussow als historische Quellen heranzieht, die den russischen ebenbürtig sind. Kazanskij hat weder die ausländischen Quellen einer genügenden Prü- fung unterworfen, um das Recht zu haben, sie über Bord zu werfen, noch eine ernste Erklärung gegeben, weshalb drei Chroniken ganz un- abhängig von einander auf den Gedanken verfallen sind, neben Gregor Otrepjev noch den Demetrius zu unterscheiden.

Als Prof. Kazanskij sich für einen Augenblick von der starren officiellen Tradition befreit und seine geistreiche Annahme, als ob Gre- gor kein rechtmässiger Sohn des Paares Bogdan und Barbara Otrepjev gewesen wäre, auf Grund seines Gesammteindruckes von den Begeben- heiten der Wirrenzeit ausgesprochen hatte, da hat er eigentlich einen Weg betreten, welcher ihn trotz der Beibehaltung des Namens Otrepjev für den Prätendenten weit von den gewöhnlichen Vorstellungen der russischen historischen Quellen ablenken musste. Kazanskij selbst ist vor den Folgesätzen seiner Annahme zurückgeschreckt, um nicht den Boden der Tradition unter den Füssen zu verlieren. Eine von den mög- lichen Folgerungen aus seiner Vermuthung hat aber viel später der Publizist Suvorin in einigen Zeitungsartikeln gemacht^). Suvorin sucht es glaubwürdig zu machen, dass unter dem Namen des Gregor Otrepjev eben der wirkliche CareviS D. auferzogen worden wäre. Er glaubt, dass gleich nach der Ermordung des CareviS zwei Legenden unter dem Volke entstanden sind ; die eine lautete, dass D. durch den Godunov umge- bracht, die andere dass er gerettet worden wäre. Beide Legenden waren gegen den Boris Godunov gerichtet und blieben ihm wohl nicht unbekannt. Die Legende von der Errettung wäre nun, nach Suvorin, wiederum emporgekommen, sobald das Gerücht vom Prätendenten Mos- kau erreicht hat. Wir müssen daran erinnern, dass in den historischen Quellen vor dem J. 1600 keine Spur von dieser Legende zu spüren ist. Diese Legende will nun Suvorin gegen alle Einwendungen vertheidigen. Er baut eine Vermuthung über der anderen mehr nach eigener reichen

1) Novoje Vremja 1894, Nr. 6537, 6540, 6559, 6563, 6565. Diese Artikel des Redakteurs der »Neuen Zeit«, Suvorin, bilden zum Theil eine kritische Beurthei- lung der Untersuchungen des Prof. Ilovajskij über ien Falschen Demetrius.

Wer war Pseudodemetrius I. ? 343

Phantasie als nach irgend welchen positiven historischen Zeugnissen. Demetrius hätte sich im Anfalle der Epilepsie verwundet, man hätte ihn bereits für todt gehalten und dafür die Bitjagovskie ermordet, nun hätte man aber bemerkt, dass Carevic noch lebe, da wäre man auf den Ge- danken gekommen ihn zu retten. Athanasij Nagoj wäre nach Jaroslavlj zu Jerom Horsey in dieser Angelegenheit gesprengt, darauf hätte man den D. in die Familie Otrepjev unter einem fremden Namen unter- gebracht. Boris hätte nach dem Knaben geforscht, die Nagie gefoltert, die Einwohner von Uglic für ihre Verschwiegenheit hart bestraft. Der Untersuchungsrichter V. oujskij hätte ja den CareviS gar nicht gekannt und eine andere Leiche zu Uglic für den ermordeten Carevic gehalten. Es blieb für Suvorin noch eine Schwierigkeit zu überwinden : wie konnte der epileptische Knabe zum rüstigen Helden aufwachsen? Suvorin greift hier zur Hilfe der französischen Neuropathologen : seinen Erkundigungen in der einschlägigen Litteratur zufolge wäre die Fallsucht bei Kin- dern eigentlich keine rechte Epilepsie. Dann komme es vor, dass Epi- leptiker nur ein paar Anfälle der Krankheit in ihrem ganzen Leben er- leiden. Wir haben zwar keine Nachrichten, dass Car D. je an der Fall- sucht gelitten hätte, indessen seinem Charakter nach scheint er dem Suvorin ein echter Typus von einem Epileptiker gewesen zu sein, wie einen solchen die Aerzte schildern. Die Mischung von Grossmuth und Grausamkeit, von Schwermuth und Heiterkeit, Misstrauen und Sorg- losigkeit, kein rechtes Versändniss weder für das Gute, noch für das Böse, die Ausdauer in der Verfolgung von phantastischen Zielen, die ungleichmässige Länge der Hände u. dgl. m., alle diese Eigenschaften lassen sich beim D. aus verschiedenen russischen Quellen aufweisen und zeugen, nach Suvorin, von dem epileptischen Temperament des Caren. Kein Wunder, dass man ihn bald für einen Mönch, bald für einen pol- nischen Junker (älachtic) gehalten hat. Vom Standpunkte der psycho- logischen Ererbungstheorie glaubt Suvorin beim Caren D. gewisse Charakterzüge seines Vaters Johanns des Schrecklichen zu erkennen : dieselbe Wollust, derselbe Eigenwille, dasselbe Schwanken zwischen Religiosität und Frivolität etc. Was die einander widersprechenden Neigungen des D. anbetrifft, so müssen wir Suvorin darauf aufmerksam machen, dass er sie keineswegs aus einer einzigen bestimmten histori- schen Quelle, sondern aus einer Menge von verschiedenartigen Sagen, Annalen und Chroniken entlehnt hat. Es ist noch eine Frage, ob diese dem D. zugeschriebenen einander widersprechenden Eigenschaften wirk-

344 Eugen äcepkin,

lieh von seinem epileptisch angelegten Naturell und nicht vielleicht von der Verschiedenartigkeit der historischen Quellen abhängen, je nach- dem sie mehr oder weniger unterrichtet, freundlich oder feindlich gegen- über dem D. gestimmt waren. Die Widersprüche zwischen den einzelnen Quellen betreffen ja nicht nur die Eigenschaften seines Charakters, son- dern auch die rein äusseren Begebenheiten seines Lebens, z.B. den Dienst beim Romanov, das Jahr der Flucht nach Polen u. dgl. m. Wenn man die ausländischen Quellen den russischen für ebenbürtig hält, so kommt man sogar zu dem Schlüsse, dass auf den Namen Gregor Otrepjev zwei Charaktere von zwei verschiedenen Männern vom Gregor und dem D. übertragen sind. In Betreff der Ererbung von psychischen Eigenschaften Johanns des Schrecklichen muss man noch vorsichtiger sein, denn es handelt sich hier gar nicht um irgend welche nur einer gewissen Familie eigenartige Sonderbarkeiten, sondern um sehr ver- breitete Mängel derjenigen unbeschränkten Machthaber, welchen es eben an innerem Halt gebricht. Manche von den Charakterzügen, welche dem Garen Johann dem Schrecklichen und D. I. gemein sein sollen, könnte Suvorin auch beim Fürsten Chvorostinin, dem arroganten Lieb- ling des Garen D., finden. Ueberhaupt bietet gerade die Ererbungs- theorie den besten Beleg gegen die Echtheit des PD. Es ist kaum zu glauben, dass der rüstige Held, welcher im J. 1605 sich die Krone er- worben, ein Sohn des durch alle möglichen Excesse erschöpften 50 jäh- rigen Johanns des Sehr, gewesen; viel wahrscheinlicher deucht es, dass nur der epileptische, herzlose Knabe zu Uglic, wie ihn die Aus- länder und die Untersuchungsakten aus dem J. 1591 schildern, ihn seinen Vater heissen durfte. Wenn man aber diese unsicheren psycho- pathologischen Combinationen bei Seite lässt, dann bleibt doch die Hauptsache bei Suvorin unbewiesen, nämlich, wie Demetrius, der vor den Augen der ganzen Stadt üglic auferzogen und ebenso ums Leben gekommen war, doch am Ende vom Tode gerettet und vor den Naeh- forsehungeu des Boris verborgen werden konnte? Wie konnte auch neun Jahre lang die Thatsache, dass Garevic am Leben geblieben war, ganz und gar verheimlicht werden ? Solche wenig wahrscheinliche, bei- nahe unmögliche Vermuthungen dürfen nur auf Grund ganz positiver, keinem Zweifel, keiner anderen Deutung unterliegenden Zeugnisse aufrechtgehalten werden. Diese Zeugnisse ist uns Suvorin, nicht minder wie die Jesuiten, schuldig geblieben.

Die Alles zermalmende Analyse des Peter Kazanzkij hat jedoch

Wer war Pseudodemetrius I. ? 345

die Autorität eines Margeret oder eines Bussow nicht untergraben können. Bestuzev-Rjumin hat in der »Russischen Geschichte« bei aller seiner Unschlüssigkeit am Ende doch eine gewisse Neigung gezeigt, auf Grund der Nachrichten des Margeret den Demetrius vom Gregor Otre- pjev zu trennen'). Auch Prof. Ilovajskij ist in seiner »Russischen Ge- schichte« 2) auf die Theorie der Trennung zurückgegangen und einer- seits die Nachrichten des Bussow mit denjenigen des Isaak Massa, andererseits die späteren Ansichten des Kostomarov mit denjenigen des Fürsten Oboleuskij combinirt. Ilovajskij geht aber grundsätzlich nicht von der peinlichen Prüfung der Quellen, welche er dem Prof. Platonov geradezu zum Vorwurfe macht, sondern im Gegentheil von einer allge- meinen Anschauung aus, auf Grund deren er dann die einzelnen Ge- schichtschreiber mustert. Seine Grundanschauung über die Persönlich- keit des PD besteht darin, dass man dem Garen vor allem einen polni- schen Junker anriecht : er spricht ein gutes Polnisch, jagt den Frauen nach, tanzt und prasst, ist dabei auch ein eitler, leichtsinniger Hau- degen. Auf Grund dieses Leitmotivs erklärt ihn Ilovajskij für einen polonisirten Westrussen, der an den Höfen des halbrussischen, halb- polnischen Adels aufgewachsen und eben von einigen adligen Familien des polnisch-litauischen Königthums als Carevic Demetrius nach Moskau ausgesandt worden war. Nun scheidet Ilovajskij zu Gunsten dieser seiner Anschauung Alles aus den Quellen aus, was sich damit nicht vereinigen lässt, passt aber andererseits manche Nachricht in sie hinein, die sonst als unzuverlässig bei Seite gelegt wird. Wir sind weder mit der Methode, noch mit dem Leitmotive beim Prof. Ilovajskij einverstanden. Wenn der Historiker auch wirklich seine Spürkraft zur ultima ratio erheben dürfte, so würden wir dem Garen D. I. keineswegs einen polnischen Junker, sondern eher schon einen Kosaken anriechen, der sich hinter die Mönchs- kutte versteckt. Eine reichbegabte Barbarennatur, fand er seine Freude daran, im Genüsse des polnischen Kulturlebens zu schwelgen. Er scheint aber diesen Hang zum polnischen Hofleben weder ererbt, noch mit der Milch eingesogen zu haben. Gerade der Reiz der Neuheit zog ihn wie an die philosophischen Studien oder theologischen Disputationen, so

1) Journal des UnterrichtsministeriumB 1887, Juli, S. 98: »yKasaHie ua To, qTO OxpenteBi. u üace-ÄMHipiä Äsa Jiana,, esBa Jin hc citÄyeTt npHHKTB (MapacepeiTilu.

2) Jl. HjioBaficKiH, CaiyTHoe BpeMa MocKOBCKaro FocyÄapcTBa (OKOHiaiiie Hcxopiu Poccin npa nepBOÜ suHaciiu, 1894).

346 Eugen Scepkin,

auch an die polnische Tafelmusik. Wenn er aber auf einmal ein Pferd oder einen Bären erblickte, da wallte in ihm das Kosakenblut auf; er vergass den Werth und die Würde seiner hohen Stellung, in einem Augenblicke war er im Sattel, oder war bereit mit der Gabel sich über den Bären zu werfen. Von einem polnischen Hofjunker hatte er aber nur so viel, wie Peter der Grosse von einem holländischen Seemanne. Wir wagen indessen nicht, uns auf die allgemeinen Anschauungen zu verlassen. Statt die Geschichtswerke der zeitgenössischen Ausländer zu zerbröckeln, um dann nach Gefallen ein Mosaikbild von einem Slachtic oder einem Kosaken zusammenzustellen, wollen wir zuerst jede von den drei wichtigsten ausländischen Chroniken (die des Margeret, des Bussow und des Massa) als ein organisches Ganzes für sich allein prüfen und jeden von den drei Verfassern als eine lebendige Persönlickeit auf- fassen und beurtheilen. Man will bisweilen die Zeugnisse des Margeret aus dem einzigen Grunde verwerfen, weil er als Condottiere dem Boris, den Demetrii I. und II., endlich dem König Sigismund ohne Unterschied gedient hat. Dasselbe hat aber auch Bussow, zum Theil auch Philaret Romanov, der Patriarch des Schelmes von Tusino, durchgemacht. Für die Männer der Wirrenzeit beweisen solche Rösselsprünge keineswegs ihre persönliche Unzuverlässigkeit auf jeder einzelnen Stufe, am wenig- sten ihre unverbesserliche Verlogenheit. Wenn Margeret vor dem König Heinrich IV. von Frankreich, welcher selbst, wie bekannt, kein starrer Doktrinär war, seinen Dienst beim Garen D. I. zu rechtfertigen wünschte, so könnte er den Standpunkt des Chvorostinin oder des Bussow dazu gebrauchen, statt den Beweis der Echtheit des Garen zu führen und da- durch Gefahr zu laufen, von einem anderen Schriftsteller widerlegt, vielleicht sogar geradezu blamirt zu werden : ganz Russland hat seiner Zeit ihn für den Sohn Johanns des Schrecklichen angenommen, wie könnte auch Margeret sich nicht bethören lassen, oder weshalb durfte er nicht, wie Bussow, einem talentvollen Usurpator seinen Degen zu Diensten stellen, ohne an seine Rechte zu glauben. Am allerwenigsten brauchte Margeret die Legende der Jesuiten vorsätzlich vor dem tole- ranten Heinrich IV. zu verfechten. Es ist auch nicht der Car Deme- trius I. speciell, sondern überhaupt Russland das Ziel der Lobsprüche des Margeret 1). Wir finden nur ein persönliches Motiv beim französi-

*) Vgl. Margeret's Widmung an den König : Cela . . leveroit l'erreur ä plusieurs qui croyent que la Chrestiente n'a bornes que la Hongrie. Car ie

Wer war Pseudodemetrius I.? 347

sehen Gesehicbtschreiber : er möchte Heinrich dem IV, seinen Herrn D. I. auf's Wärmste empfehlen, als einen Herrscher, der für die Sache der Christen Grosses zu leisten im BegriflF stand und vom französischen König mit grosser Ehrfurcht gesprochen hat. Durch seine Pläne gegen die Türken hat also D. I. das Herz des Margeret für sich gewonnen '). Nun war es aber ein rechtschaffenes Herz ; dafür haben wir ein Zeug- niss des Bussow. Der deutsch -protestantische Chronist sagt nämlich von seinem französisch-katholischen Kollegen: »Anno 1606. Im Ja- nuario bestellet er drey Capitains. Der erste war ein Frantzoss, redete aber fertig Teutsch, ein frommer verständiger Mann, hiess Jacobus Mar- sereth, hatte unter sich 100 Hertzschierer«. Zur Zeit des Boris hat das Moskauer Heer seinen Sieg über den PD bei Dobrynici vor allem dem Margeret verdankt. Es darf also weder von der Käuflichkeit, noch vom Leichtsinne des Margeret die Rede sein 2). Wenn er über die Be- gebenheiten zu üglic Unglaubliches berichtet hat, so kommt es nur da- her, dass er im J. 1591 noch nicht in Russland zugegen war und über die Kindheit des D. nach Hörensagen erzählt hat. Ueber die Persön- lichkeit des Garen D. I. fällt er aber sein Urtheil als Augenzeuge. Nun ist Margeret der einzige Mann, welcher uns ein Zeugniss über die rus- sische Sprache des Caren D. I. zurückgelassen hat. Nach Margeret haben die meisten Ausländer den PD für einen Polen, einen Transil- vanier oder sonst für einen Fremdling gehalten und es dadurch zu be- weisen gesucht, dass er die russische Sprache nicht rein genug ausge- sprochen und dass seine Lebensart und Verachtung der russischen Sitten

puls dire avec verite que la Russie, de laquelle j'entreprends icy la Descrip- tion par le commandement de Vostre Majeste, est Tun des meilleurs boule- vards de la Chrestiente, et que cet Empire et ce Pays-lä est plus grand, puis- sant, populeux et abondant que l'on ne culde etc.

') Enfin la Chrestiente a perdu beaucoup en sa mort, si ainsi est quelle le soit, comme il est fort vray serublable, mais je parle en cette fagon, d'au- tant que je ne Tay veu mort de mes yeux, ä cause que j'estois pour lors malade.

2) Boris Empereur de Russie, 11 m'honora du commandement d'une Com- pagnie de Cavalerie, et apres son decez Demetrius receu audit Empire me continua en son service, me donnant la premiere Compagnie de ses Gardes, et pendant ce temps i'eu moyen d'apprendre, outre la langue, une infinite de choses concernans son Estat, ce que i'ay represente par ce petit discours avec si peu d'affection, voire avec taut de naifvetö, que chacuu y reconnoistra la verite, laquelle les anciens ont dit estre l'ame et la vie de Ihistoire.

348 Eugen ^cepkin,

seinen polnischen Ursprung verrathen hätten. Diese Ausländer haben also ungefähr dieselbe Meinung ausgesprochen, welche Prof. Ilovajskij sich angeeignet hat^). Margeret, selbst ein Ausländer, aber der russi- schen Sprache mächtig, verwirft diese Argumente der Ausländer. Er hält den D. für einen Grossrussen, hat ihn selbst russisch sprechen hören und findet seine Aussprache ganz correct ; wenn D. I. aber auch wirklich gewisse einzelne Worte fehlerhaft ausgesprochen hätte, so müsste man es durch seine lange Abwesenheit aus dem Vaterlande er- klären. Nun macht hier Ilovajskij aus dem Conditionel den Indicativ^) und erklärt den Margeret selbst für nicht genug competent, um über die Correktheit der russischen Aussprache urtheilen zu dürfen. Wenn aber Margeret kein sicheres Urtheil in dieser Sache fällen konnte, so waren es ja die Ausländer, welche er widerlegt, vielleicht noch weniger im Stande. Und doch nimmt Ilovajskij getrost die Meinung dieser Aus- länder an und hält es für ausgemacht, dass D. I. mit einem westrussi- schen Accent gesprochen hätte. Auch übersieht er dabei, dass die russi- schen Quellen nie irgend welche Mängel au der Aussprache des PD auszusetzen haben. Was den Hang des D. zur polnischen Kultur und seine Geringschätzung der orthodoxen kirchlichen Gebräuche betrifft, so hält es Margeret für ganz verständlich bei einem Manne, wie D., welcher in Polen bessere Sitten und höhere religiöse Anschauungen kennen ge- lernt hat. Er erwähnt als ein Beispiel einen gewissen Posnik Demetrius, welcher zur Zeit des Boris als Gesandter Dänemark besucht hat und seit seiner Rückkehr über die Ignoranz der Moskowiten zu scherzen be- gann. Margeret würde also den Prof. Ilovajskij an die Leichtigkeit er- innert haben, mit welcher Russen im Auslande fremde Sitten und Ver- höhnung ihrer russischen Bräuche lernen. Bei seinem Verkehr mit dem Garen D. hat M. an ihm nie einen Betrüger oder einen Mann aus niederen Schichten des Volkes gemerkt; er spricht ausschliesslich von einem

1) > Quant ä l'objection que fönt la pluspart des estrangers qu'il estoit quelque Polonois ou Transilvain etc.a Auch in dem anderen Satze: »Et ceux qui s'estiment des plus clairsvoyans, tant estrangers qui l'ojit connu, qu'autres, alleguent qu'il n'estoit pas Russe etc.« muss augenscheinlich zu autres auch estrangers qui ne Tont pas connu ergänzt werden. Margeret würde mit Russen nicht über die Aussprache des D. I. gestritten haben.

2) Vgl. Et quand bien il se seroit trouve quelque defaut ä la prononcia- tion de quelque parole mit der Uebersetzung bei Ilov.: »ne lo^Hoe ace npoHs-

HOUICHie HiKOXOpblX'i C.I0B1 H T. Ä.«

Wer war Pseudodemetrius I.? 349

sicheren Selbstvertrauen, von einem majestätischen Wesen, welche nur dem Sohne eines grossen Fürsten eigen sein könnten ^).

Mit demselben willkürlichen Eklektismus behandelt Prof. Ilov. auch den Massa. Er glaubt z. B., dass dieser holländische Historiker den PD für den Griska gehalten hätte, und übersieht, dass Massa drei ver- schiedene Berichte in seine Chronik eingewoben hat 2). Zwei verschie- dene Vorstellungen liegen ohne Zweifel auch derjenigen Erzählung des Massa zu Grunde, welche Ilov. als einen Beweis für die halbpolnische Abkunft des D. anführt. Beim Einzüge des Garen D. in die Burg (Kreml) musste er ein ihm dargereichtes heiliges Bild der Mutter Gottes küssen, hat es aber eben nicht nach der rechten russischen Sitte gethan. Einige Mönche hätten dies gesehen und daran zu zweifeln angefangen, dass er der rechte Gar oder dass er überhaupt aus Moskau gebürtig wäre, sie hätten es aber nicht gewagt darüber zu sprechen; Demetrius soll ihre prüfenden Blicke bemerkt haben und sie am anderen Tage er- säufen lassen ; vielleicht hat er diese Mönche seit früher her gekannt. Diese naiven, von Widersprüchen zersetzten Gerüchte können doch nicht für einen Beweis gelten: die Mönche haben ihre Zweifel verschwiegen, sind ersäuft worden und doch weiss die Ghronik zu berichten, dass sie den Moskowiten in dem Garen D. I. vermisst und geleugnet hätten; diese Zweifel an seiner grossrussischen Abstammung haben die Mönche mit dem Tode gebüsst und doch soll sie D. schon seit früher her ge- kannt haben. Es schwebten dem Massa wohl zwei Möglichkeiten vor: D. war ein Pole und hat die Mönche für ihre argwöhnischen Blicke be- straft, oder D. war ein aus Moskau entlaufener Mönch und hat seine

1) Mais si nous venons ä considerer son assurance, nous verrons qu'il ne pouvoit estre moins que fils de quelque grand Prince . . et mesmes reluisoit en luy une certaine Majeste, laquelle ne se peut dire et ne s'est veu aupara- vant aux grands en Russie, beaucoup moins en un de basse qualit6.

2) Rerum Rossicarum Scriptores Exteri, t. II, S. 102 gibt Massa die Be- schuldigungen des V. Sujskij gegen den D. I. wieder und nennt den letzten Gregor Otrepjev. Hier führt er auch eine andere wahrscheinliche Meinung an, als ob D. ein Pole gewesen und von den Jesuiten nach Moskau ausgesandt worden wäre, um russische Sprache und Verhältnisse kennen zu lernen (maer noch synder, die seggen dattet eenen pool is geweest en die door toedoen der Jesuiten gesonden was in Moscovia, leerende de spraeck en gaende alsins als eenen landlooper en bedelaer, en is soo met alle besceet weder in Poolen ge- comen). S. 49 hatte aber Massa diesen »landlooper en bedelaer« für den »jongen van eenen abt oft monick int Tsoedewo monaster« erklärt.

350 Eugen ^cepkin,

früheren Kameraden aus dem Wege geräumt. Wo sonst ein Zeugniss des Massa die Anschauungen des Prof. Ilovaiskij zu bedrohen scheint, da überspringt es der russische Historiker, Ilov, behauptet z. B., dass nach den Bildnissen zu urtheilen, das Antlitz des Garen D. I. von seiner nicht russischen Abstammung zeuge. Nun versichert uns aber Massa, welcher den PD lebendig und todt persönlich gesehen hat, dass er nach der Ermordung des Garen gegen ein Dutzend von Menschen getroffen habe, welche dem Verstorbenen ähnlich schienen *). Für die Herkunft des PD aus Weissrussland bleibt also dem Prof. Ilov. nur das Zeugniss des Bussow übrig, welches schon früher dem Merimee und dem Kosto- marov denselben Dienst geleistet hat. Bussow ist sonder Zweifel ein gut unterrichteter und vorsichtiger Chronist. Deshalb fängt er also die Geschichte seines PD I. erst dort an, wo er den Faden seines Lebens aufgefangen hat, nämlich seit Griska und Demetrius in Weissrussland einander geti'offen haben. Nun ist es wenig wahrscheinlich, dass Griska zufälligerweise in Weissrussland am Dniepr gerade einen so reich begabten Jüngling 2). wie es D. gewesen ist, vielleicht sogar einen Sohn des Ba- thori ausfindig gemacht hat. Es drängt sich die Frage auf, ob nicht zwischen den Moskowiten (nach Bussow, wie es scheint, irgend welchen Mönchen), welche den Griska ausgesandt haben, und den Polen oder Westrussen, welche den tapferen Jüngling nach Weissrussland zur russi- schen Grenze gebracht haben, schon seit früherer Zeit ein Einverständ- niss bestanden hat. Was die vermeintliche Abstammung des D. vom Bathori anbelangt, so beruft sich Bussow hierin auf das Zeugniss vieler vornehmen polnischen Herren. Es waren wohl keine hervorragenden polnischen Magnaten, denn sonst würde sie Bussow mit Namen genannt

*) »Maer men can dergelycke tronien en menschen die hem gelyc syn, veele vinden, ic selver hebber wel 10. na syn doot gesien die hem heel gelyck waren«. Vgl. damit folgende Behauptung des Massa: ic hebbe hem al te wel levendich gesien, en ooc doen hy vermoort was wel nau bekeecken, en en conde anders niet mercken oft sy hadden den rechten getreft, dwelc sonder twyfel is (S. 108 und 110).

-) Margeret bemerkt . Outre ce ie ne pense que l'on eust pris un enfant aux rues, combien que ie diray en passant qu'entre 500 il ne sen trouvera un capable d'executer ce qu'il entreprit en Tage de 23. ä 24. ans. Mais outre cela, quelle raison eust meu les Chefs de cette menee d'entreprendre teile chose, veu qu'en Russie l'on ne doutoit du meurtre, puis Boris estoit regnant au pays en plus grande prosperite qu'aucun de ses predecesseurs, craint et redut6 du peuple.

Wer war Pseudodemetrius I.? 351

haben, wie er es mit Basmanov und Jan Peter Sapieha getlian liat. Diese Abstammung ist auch wenig wahrscheinlich, weil die polnischen Quellen gar nichts davon zu wissen scheinen. Es war wohl bloss eine patriotische Vermuthung, welche wir nicht auf positive Nachrichten von den früheren Schicksalen des PD zurückführen, sondern auf den allge- meinen Eindruck, dass der glänzende D. nur von einem grossen Fürsten abstammen könnte (vgl. Margeret). Wenn Griska seinem tapferen Schü- ler den Rath ertheilt, sich beim Fürsten Adam Wiszniewiecki »weilen der hart auf der Moscowiter Gräntzen in Weiss-Russland sesshaft« ein- zuschleichen, so weist es auch darauf, dass er entweder ganz bestimmte Instruktionen aus Moskau mitgebracht oder selbst schon einmal früher die Verhältnisse in Westrussland ausgekundschaftet hat. Das goldene Kreuz, welches dem ermordeten Demetrius von seinem Taufpathen (?) Ivan Mstislavskij geschenkt war und am Tage des Mordes zu Uglie dem Carevic am Halse gehangen hat, konnte Griska vermuthlich von den Anverwandten des Carevic erhalten haben. Bussow erzählt nun weiter, wie D. beim Fürsten W. als Kammerjunker in den Dienst aufgenommen wird, wie ihm der Fürst einmal in der Badestube eine Maulschelle reicht und ihn einen Hurensohn schilt, wie darauf der weinende Jüngling dem Fürsten seine hohe Abstammung eröffnet. Wiszniewiecki gibt nun sei- nem früheren Diener eine fürstliche Ausstattung. Gar Boris erfährt davon und schickt insgeheim an den Fürsten W,, um ihm Geld und Grenzstädte für die Auslieferung des Betrügers anzubieten. Dies Aner- bieten und diese Nachstellungen des Boris bestätigen nur beim Fürsten W. den Glauben, dass D. der rechte Erbe sei. Er gibt den Boten des Boris zur Antwort, dass der Prätendent nie bei ihm gewesen wäre, er auch Nichts von einem solchen Manne gehört hätte. Unterdessen bringt W. den Demetrius etwas weiter von der Grenze ins Land hinein nach der Stadt «Witznowetzki (f, um ihn vor einer plötzlichen Ueberrumpelung seitens Boris' zu behüten. Als Boris neue Boten mit noch viel höheren Anerbietungen an den Fürsten W., darauf viele Meuchelmörder, um D. zu erschiessen, ausgesandt hatte, da liess Adam W. den Prätendenten nach Hochpolen zum Wojewoden von Sandomir entführen. Von den Verhandlungen zwischen Boris und Adam W. weiss nur Bussow zu be- richten; es ist möglich, dass er diese Nachrichten vom Fürsten A. W. selbst erhalten hat ') . Wir müssen indessen darauf bestehen, dass über

1) Vgl. Akad. Kunik's Einleitung zum 1. B. Rerum Rossicarmu Scrip- tores Eiteri.

352 Eugen Scepkin,

frühere Schicksale des tapferen Jünglings, vor seiner Zusammenkunft mit Griska und seinem Geständniss bei A.W., Bussow keine Nachrichten besass und seine Erzählung erst mit den Jahren 1602 1603 begann. Er wusste nicht, dass D. schon seit dem J. 1601 beim Fürsten Ostrog- skij, später zu Kiev im Höhlenkloster geweilt und sich unter der Mönchs- kutte verborgen hat. Ilovajskij verschmäht es auch, die Mängel dieser Erzählung bei Bussow durch eigenes Bekenutniss des Demetrii (in Nova Relatio) oder durch eine Kombination von polnischen (Nari'atio succincta, Pseude-Niemoiewski etc.) und russischen Quellen zu vervollständigen, denn alle diese Zeugnisse sprechen gegen seine Anschauung von der Ab- stammung des D. Er zieht es vor, hier eine ganz einzeln stehende, aus un- lauteren Gerüchten geschöpfte Nachricht zu verwerthen. Neri Giraldi hat auf dem Wege nach Polen und Moskau im Herbst 1605 zu Nürenberg florentinische Kauf leute getroffen ; die Nachrichten über den PD, welche er von ihnen gesammelt hat, theilt er dann in dem Briefe vom 26. Sept. 1605 dem Grossherzog von Toskana mit i). Darnach wäre D. seit der Kindheit bei den Franziskanern und später Jesuiten auferzogen, in sei- ner Jugend in Diensten des Vojevoda von Sandomir gestanden und der polnischen, lateinischen und seiner Muttersprache der russischen mächtig. Der Vojevoda von Sandomir hätte beinahe sein ganzes Ver- mögen auf das Unternehmen des D. geopfert und nun erwarte man, dass der Gar sich mit seiner Tochter vermählen würde und dgl. m. Es sind also Gerüchte aus Polen, denen wirkliche Thatsachen zu Grunde liegen, nämlich, dass Mniszech den Prätendenten zum ersten Male den officiellen Kreisen Polens anempfohlen hat, dass die Franciskaner und die Jesuiten ihn zum Katholicismus bekehrt haben. Eine richtige Chronologie lässt sich aber von solchen Gerüchten gar nicht erwarten; so werden hier also die Thatsachen aus den Jahren 1602 1604 in die Jugend des D. gerückt, und doch wird auch hier die russische Sprache (kann sein die weiss- oder kleinrussische) als dessen Muttersprache bezeichnet. Man muss sich daran erinnern, dass es unter den polnischen Magnaten viele politische Parteien gegeben hat, dass eine Partei die andere genau be- obachtete, dass nach den für die Polen unglücklichen Ereignissen der Jahre 1606 1610 man den Mniszech zur Rechenschaft für sein Ver- hältniss zu den beiden Demetrii zu ziehen bereit war. Wenn also D.

*) Die russische üebersetzung nach dem Texte bei Ciampi ist in Kala- cov's Archiv gegeben.

Wer war Pseudodemetrius I. ? 353

wirklieb seit seiuev Jugend in nahem Verhältnisse zu Mniszech oder Lew Sapieha gestanden hätte, so würde es ihren Feinden nicht verborgen geblieben sein und wäre in den Verhandlungen auf den polnischen Reichs- tagen an den Tag gekommen. Schwerer als diese Jahrmarktgerüchte wiegt ein Zeugniss des Bussow, welches für die Anschauungen des Prof. Ilovajskij zu sprechen scheint. Seiner Chronik zufolge soll D. nach der Niederlage bei Dobryniei Schreiben unter dem russischen Volke ver- breitet haben, wo er genaue Auskunft über seine Rettung vor den Nach- stellungen des Boris und seinen Aufenthalt in Weissrussland gegeben hat. Darnach wäre er einmal mit dem kgl. Gesandten, dem litauischen Grosskanzler L. Sapieha, in Moskau gewesen und hätte seinen Verräther, den Boris, mit grossen Schmerzen, die er doch verbeissen musste, auf seinem väterlichen Erbstuhl sitzen gesehen. Ungefähr dieselbe Nachricht finden wir auch bei Massa. Sein »Jongen van en Abten« hätte nach seiner Flucht später aus Polen einige Male Moskau besucht, unter an- derem im J. 1600 mit dem polnischen Gesandten Lew Sapieha; diesmal wäre er als Adelsmann erschienen, um die Verhältnisse in Moskau aus- zukundschaften. Nun halten wir es für unwahrscheinlich, dass D. in dem Schreiben vom Januar 1605 seine Schicksale ganz anders erzählt hätte, als bei Adam W. (vgl. Nova Relatio). Im Allgemeinen kommen auch in den polnischen Quellen Nachrichten vor, dass D. eine Zeit lang unerkannt in Moskau geweilt, unter irgend welchen Vorwänden den Palast besucht und den Usurpator Boris gesehen hätte (vgl. Pseudo-Niemoiew.i), Narratio Succincta, Towianski; : chronologisch würde das J. 1600 dazu gepasst haben, denn nach polnischen Quellen ist ja D. beiF.Ostrog- skij erst im J. 1601 erschienen. Aber dieser Besuch in Moskau fand entweder (nach Pseudo-Niem., Narratio Succ.) auf dem Wege aus den Klöstern des nördlichen Russlands nach Polen statt, oder, wenn auch aus Weissrussland, so doch jedenfalls in Gesellschaft von griech. Mönchen (Towianski). Massa liess es, wie erwähnt, auf sich beruhen, ob sein junger Abenteurer, welcher die Strecke zwischen Moskau und Polen mehrmals zurückgelegt hat, seinen Anlauf dazu bei den Mönchen des

1) Nach der Handschrift des Pseudo-Niemoiewski in der Bibl. des Fürsten Obolenskij soll D. iu Moskau den Palast des Boris besucht haben. Nach einer anderen Redaktion, welche Ustrjalov unter dem Titel »Das Tagebuch der Marina Mniszech« gedruckt hat, soll sich D. eine Zeit lang unter den Augen des Boris in dem Hause des Patriarchen aufgehalten haben (ÜKasaHiii CoBpe- MeHHHKOBT) 0 ^uMUTplu CaM03BaHui, ^. II;. Cp. Hist. Russ. Monum., t. II, Nr, 101 .

Archiv für slavisehe PMlologie. XXn. 23

354 Eugen Scepkin,

Wunderklosters oder bei den Jesuiten genommen hat. Infolgedessen sind wir geneigt, diese Zusammenstellung des Besuches des D. mit der Ankunft der Gesandtschaft des Lew Sapieha in Moskau als eine ur- sprünglich rein chronologische Bestimmung aufzufassen, welche nur bei den nach polnischen Gerüchten erzählenden deutsch-holländischen Chro- nisten Bussow und Massa zu einer inneren Verbindung zwischen Sapieha und Demetrius angewachsen ist. Unserer Meinung nach war es schon im XVn. Jahrh. nur ein Schluss und eine Combination, keineswegs aber eine positive Nachricht. Als Lew Sapieha nach Moskau ging, liefen seine politischen Pläne darauf hinaus, Russland durch ein strammes Defensiv- und Offensivbündniss in eine Art Abhängigkeit von Polen zu bringen, keineswegs aber den Boris abzusetzen. Erst als diese seine Hoffnung an dem Misstrauen der Moskauer Regierung gescheitert war, konnte er vielleicht zu einer Intrigue gegriffen haben. Die Zeit des polnisch- schwedischen Krieges war natürlich wenig günstig für eine officielle Offensive gegen Russland. Es ist möglich, dass L. Sapieha eine Zeit lang insgeheim das Unternehmen des D. gefördert hat, um Zwietracht in Moskau zu säen; dass er aber die leitende Rolle dabei gespielt hätte oder mit Mniszech Hand in Hand gegangen wäre, dafür haben wir keine Beweise; die Briefe des L. Sapieha und seine Rede auf dem Reichstage des J. 1605 sprechen entschieden dagegen. Zwar hat er den Brüdern Chripunovy eine Belohnung ausgewirkt und Petrovskij war bei ihm im Dienste angestellt ; indessen hat die russische Gesandtschaft aus dem J. 160G dem Grosskanzler von Litauen nur sein passives, zurückhalten- des Betragen vorgeworfen, dass er es unterlassen hat, den Petrovskij seiner Zeit zu entlarven; die Chripunovy scheinen aber keine leitenden Männer bei der Verschwörung des D., sondern käufliche Werkzeuge gewesen zu sein, welche seit dem J. 1605, wo D.I. auf dem Throne sass, sich auch zu seinem Sturze gebrauchen lassen konnten ^) . Für den PD waren es eben die Mohren, die ihre Schuldigkeit gethan hatten und nun gehen konnten. Für Mniszech lag es viel daran, dass sein Schwiegersohn die Krone behielt. Sigismund IH. hatte im Gegentheil bereits Grund genug, mit seinen Werkzeugen, dem Mniszech und D., unzufrieden zu sein. Lew Sapieha war, wie es scheint, gegen jede starke Regierung in

1) S. Co6p. Tp. u ^or., q. II der Brief des Jan Buczynski vom Januar 1606 an den PD I. Ein Chripunov (Gabriel Grigorjevic wurde im J. 1610 vom Könige Sigismund IIL für seine Dienste belohnt.

Wer war Pseudodemetrius I. ? 355

Moskau überhaupt. Als der Sturz des Demetrii I. im J. 1606 und die Schwachbeit der Kegierung des W. Sujskij Russland für lange Zeit in innere Wirren versetzten, da erst begann die leitende Rolle des litaui- schen Kanzlers: jegliche Eegierung zu stürzen und die chronische Wirrenzeit dazu auszunutzen, um Russland zu erobern diesen seinen Plan hat Lew Sapieha im J. 1611 offen verfochten. Indessen konnte ein realer Politiker kaum solche Hoffnungen in den Jahren 1600 1605 gehegt haben. So lange kein sicheres Zeugniss polnischerseits für ein Einverständniss seit 1600 zwischen Sapieha, Demetrius und Athauasij Vlasjev 1) oder sonst einem russischen Staatsmann vorhanden ist, müssen wir diese Vermuthung des Fürsten Obolenskij , welche sich auch Prof. Ilov. augeeignet hat, für einen über das Ziel getriebenen Rückschluss halten: er setzt bei Sapieha bereits im J. 1600 die ganze Klugheit vor- aus, welche erst als Ergebniss von einer Reihe unerwarteter, epoche- machender Ereignisse zwischen 1605 1610 reif geworden war. Statt das Ineinanderfallen gewisser Einzelheiten in den russischen und polni-

1) Um seinen Verdacht gegen Vlasjev zu belegen, beruft sich Prof. Uo- vajskij auf die Verhandlungen zwischen den Vertretern der Moskauer Regie- rung und den polnischen Gesandten aus dem J. 160S (Aktbi 3an. Pocc, t. IV, Nr. 177), wo von gewissen geheimen Beziehungen des Vlasjev die Rede sein solle. Nun hat Prof Ilov. das erwähnte Aktenstück sonder Zweifel missver- standen: es handelt sich darin um die Gesandtschaft des Vlasjev aus dem J. 160.5 unter der Regierung des Garen D. I., keineswegs aber um die frühere Mission unter Boris aus dem J. 1601, Die Moskauer Regierung behauptete im J. 1608, dass Vlasjev im J. 1605 heimlich, und zwar mit geheimen Briefen, nach Polen gereist wäre, und machte den polnischen Senatoren Vorwürfe, weshalb sie den Boten des Boris seiner Zeit keinen Glauben geschenkt, die Mission des Vlasjev indessen für rechtmässig anerkannt, obgleich damals Demetrius mit den Polen allein regiert hätte (raio aeü tot-b Bopx u coBiiHiiKi

/iMUipOBT) laÜHO OTCMJL ixSWh H IHTO .3IICTBI TaHHiie ÄO KOpdÄ CrO MIUOCTH H

naHOBt paj'B Bosn.i'b ; a AeaHaceir iaali.ix b'B ry nopy , aki. sace öyAxo ^MHipt CB no,iflKH Bjraaa.i'B, u noiOMyacB roHniOMi. BopHCOBBUii) ne Bipeno, a lOMy qojio- BiKy EipeHo?). Die polnischen Gesandten aus dem J. 1608 antworteten da- rauf, dass Vlasjev nicht vom Garen allein, sondern auch von der Synkletos als Gesandter gekommen wäre : wenn ein Herrscher gekrönt und von seinen Unterthanen als solcher ausgerufen wird, so ist es für die Nachbarkönige ge- nügend, um ihn anzuerkennen (60 ohx hg tokmo oi'b rocno^apn MocKOECKoro, HKo ecTB 3BBiTiaü, suie u 011) Bact BCHxi ex neBHOH) eiiy sjiinoHoio pi^Bio nocjio- Ba.j'B . . JlochiTh Ha TOM'B MaiOTT. KopoJtH H rocnosapBi, Koraa BijaiOT'B, mio loit rocnoaapB, oti. Koioporo nocojn. iaeix, öbijit. BiniiaHX 11 qepesi noajaHHBixt CEOHxi. sroÄHi oro.ionieHBiü sa nxx rocnoj;ap.%.

23*

356 Eugen ^cepkin,

sehen Quellen zu verfolgen und sein Gebäude auf denjenigen positiven Zeugnissen aufzubauen, welche von Ost und West bekräftigt werden, hat Ilovajskij unter sein Kunstwerk von einem polnischen Hofjunker ein schwaches Postament aus den wenig zuverlässigen Nachrichten ge- setzt. So hat sich die vorsätzliche Verachtung der peinlichen Prüfung der Quellen, einer Prüfung, die er der Schule des Bestuzev-Ejumin zur Schuld rechnet, an seinem eigenen historischen Werke gerächt. Im Uebrigen strotzt es von trefflichen Bemerkungen, wo sich der Verfasser von den Quellen zu den Ansichten, nicht aber umgekehrt bewegt. Fein ist z. B. die Bemerkung, dass die Wirrenzeit uns nicht sowohl ein Hand- gemenge zwischen Russen und Polen, als einen Zweikampf zwischen zwei russischen Brüdern dem West- und Grossrussen darbietet. Oder z. B. die Erklärung, wie Boris auf seine Vermuthung von der Identität des PD mit dem Griska verfallen ist, nämlich dass neben dem D. auch Griska bisweilen als D. aufgetreten wäre, um jede Spur hinter dem Prätendenten zu verwischen i). Wenn Prof. Ilovajskij seine Be- obachtung weiter entwickelt hätte, dass zu Gunsten des D. eine ganze Gruppe von Mönchen diesseits und jenseits der russischen Grenze ge- arbeitet hat, so würde er die Fäden der ganzen Verschwörung bis an die Pforte des Wunder- und des Höhlenklosters verfolgen können 2).

1) Auf Grund der eigenen Aussage des D. haben wir eine umgekehrte Erklärung vorgeschlagen, dass D. sich unter dem Namen des Diakon Griska gerettet hat. Indessen können beide Erklärungen ganz gut nebeneinander bestehen. Auch Bjelov stellt sich vor. dass Gregor 0. nur dieselbe Rolle gegen- über dem D.I, wicMolcanov vor dem Erscheinen des PD II. gespielt iKMHIIp. 1873, 0 CMepiu IlapeBuqa ÄunHxpiÄ). Der Gesandte des Garen Sujskij aus dem J. 1606, Fürst Volkonskij, hat nämlich in Erfahrung gebracht, dass nach dem Tode des PD I. die Frau des Vojevoden Mniszech eine Zeit lang zu Sandomir und Sambor den aus Moskau entkommenen Mich. Molcanov geheimnissvoll beherbergt und Gerüchte verbreitet hätte, als ob es Car D. I. selbst wäre. Unterdessen wurde ein anderer, weniger bekannter Mann ausfindig gemacht, welcher als PD II. aufgetreten ist. Dieser M. Molcanov soll noch unter Boris für Zauberei mit Knute bestraft worden sein und später den Garen Theodor Godunov ermordet haben (vgl. Karamzin XII, Anm.).

-) Nachdem unsere Forschungen bereits beschlossen und der bedeutende Theil (Arch. f. sl. Phil. Bd. XX) sogar gedruckt war, ist der Briefwechsel zwischen dem Akademiker Bestuzev-Ejumin und dem Grafen Seremetev im Druck erschienen (UiicLMa K. H. BecTy^ceBa-PioMiiHa o CaiyTHOMt BpeaiesH, 1898). Der Briefwechsel bestätigt nun das Gerücht, dass Gr. Seremetev seit Jahren an einer umfassenden Arbeit über die Wirrenzeit beschäftigt ist und

Wer war Pseudodemetrius I. ? 357

TL

Es ist Zeit, dass wir die Ergebnisse unserer Auseinandersetzung zusammenfassen. Im Allgemeinen haben wir unsere positive Anschauung

neues wichtiges Material in seinem Besitze hat, mit dessen Hilfe er es für möglich hält, den Beweis der Echtheit des Carevic zu führen. In den Jahren 1S92— 96 hat Gr. Ser. in einer Reihe von Briefen an Best.-Rj. seine An- schauungen über die Schicksale des Carevic D. entwickelt; Beat.-Rj. hat seinerseits in den Antwortschreiben sein ürtheil über diese Anschauungen gefällt. Leider sind eben nur diese Antwortschreiben gedruckt. Wir können also die Meinungen des Gr. -Ser. und den Inhalt seiner neuen Materialien nur ungefähr errathen. Darnach will es scheinen, dass der Redakteur Suvorin in seiner Polemik gegen Prof. Ilovajskij eben nur die Meinungen des Gr. her. entwickelt hat. Gr. Ser. nimmt nämlich an, dass die Nagie in Ansehung der aus Moskau drohenden Gefahr den echten Carevic hätten retten und an seiner Stelle vorsätzlich einen Knaben Istomin ermorden lassen. Die weiteren Schicksale des durch Athanasij Nagoj geretteten Carevic hingen nach Gr. Ser. von einer Uebereinkunft zwischen Sigismund in. und dem V. Sujskij ab. In dem Synodik des Makariiklosters hat Ser. den Namen eines Mönches Leonid eingeschrieben gefunden und scheint nun anzunehmen, dass unter diesem Namen eben der Carevic D. gemeint wäre; die Sage aus dem J. 1606 kennt wirklich einen Leonid, als Gefährten des Gregor 0. bei seiner Flucht nach Polen. Best.-Rj. hat während des Briefwechsels mehrmals sein Urtheil ge- ändert. Er besteht fest darauf, dass PD vom Gregor 0. zu trennen ist ; bald steht er aber näher zu der Ansicht, dass ein Knabe vorsätzlich für die Rolle des PD abgerichtet und zwar von der Partei der Romanovy (Nr. 9 und 12), bald ist er bereit, die Hj^pothese des Gr. 6er. anzunehmen (Nr. 19 und 32). Ueberhaupt halten wir es für unmöglich, die Anschauungen, welche Best.-Rj. in diesen Briefen auf Grund fremder Forschungen äussert, seinen im Druck unter eigenem Namen ausgesprochenen und belegten Meinungen gleichzu- stellen, umsomehr, da am Ende seines Briefwechsels er abermals an den Be- weisen des Gr. Ser. selbst zu rütteln anfängt (Nr. 59 und 68). Im Allgemeinen hält es Best.-Rj. für möglich, das neue Material des Gr. Ser. als Beleg für zwei verschiedene Meinungen mit demselben Erfolge zu verwerthen näm- lich sowohl für diejenige von der Echtheit des PD, als auch für die andere von der Ausbildung eines betrogenen Betrügers von Jugend an zu dieser be- stimmten Rolle. Für den letzten Fall setzt Best.-Rj. voraus, dass Alle, welche in das Geheimniss nicht eingeweiht waren, besonders aber die Klöster, die den PD unterstützt haben, an die Rettung des echten Carevic geglaubt hätten. Wir ziehen aus dem Briefwechsel den Schluss, dass die neuen Materialien des Gr. Ser. unserer Auffassung der Geschichte des PD keine Einbusse tragen können. Der Brief des Andrej Sapieha an Radziwill aus dem J. 1598 kann in Bezug auf den Streit um die Krone zwischen Boris Godunov und Theodor Romanov auf verschiedene Weise gedeutet werden; eins bleibt nur sicher.

358 Eugen Scepkin,

über den PD bereits bei der Kritik der von Anderen ausgesprochenen Meinungen durchleuchten lassen und unsere Gründe dafür bei der Analyse

dass im J. 1598 Sapieha und die Bojaren von Moskau den Carevic D. für todt gehalten haben. Was speciell den Knaben Istomin anbetrifft, der statt des Carevic zu Uglic geopfert sein soll, so ist wohl diese ganze Figur nur einem Irrthume entsprungen. Nach der Wiener Handschrift der Narratio Succincta haben wir in der Erzäiilung von der Errettung des Carevic die Worte ge- lesen: »matronae cuiusdam Principalis -Es^o^ue??. filio« und sie in dem Sinne aufgefasst, dass der ermordete Knabe aus einer fürstlichen Familie Estlands stammte. Nun hat der russische Uebersetzer der Narratio (Ctenija 1875, 3,, dem Texte des Wichmann folgend, daraus einen Estomen, russisch gradezu Istomin, gemacht. Der Name Istomin kommt dann noch in dem Zeugnisse des Barlaam vor, bezeichnet hier aber den Petruska, den Dienstmann des Istoma Michnev. Wir fürchten, dass auch der Mönch Leonid in dem Syno- dikon des Makarüklosters einem ähnlichen Missverständnisse entsprungen ist. Es scheint, dass Gr. Seremetev ihn unter den Mitgliedern des Carenge- schlechtes eingeschrieben gefunden hat. Best.-Rjumin mahnt den Grafen da- ran, dass der Mönch Leonid später hinzugefügt sein kann. Wir müssen an- dererseits daran erinnern, dass in der russischen Sprache der Nominativus »die Nonne Leonida« mit dem Gen. und Acc. »des und den Mönch Leonid« gleichlauten (HHOKa Mokum). Nun ist aber die Nonne Leonida eben die dritte Frau des Carevic Ivan Ivanovii-, die Helena Iv. Seremeteva. Unter den Belegen des Gr. Seremetev für die Echtheit des Caren hat Best.-Ej. auf den Brief des PD an die Polen bei Uglic Gewicht gelegt; wenn er ihn im Origi- nale gelesen hätte (Nr. 59), würde er vielleicht auch diesen Beleg für unge- nügend erklärt haben. Der Thatbestand ist nämlich folgender: bereits nach dem Tode des Boris unter der kurzen Regierung des Theodor Godunov wurde im Gebiete der Stadt Uglic ein Mönch des Auferstehungsklosters [B-h yr.ieuKoü yisat, Et Be.ieTOBCKOÜ ciaHt, MojUHCKoro MOHacitip,'! no BocKpecencKaro no lepHoro noHa OHTona), nämlich der Pfaffe Antonij, beschuldigt, Gerüchte über die baldige Ankunft des PD verbreitet zu haben. Der Pfaffe Antonij wurde am 13. Mai lö05 nach Uglic gebracht und hier zur Frage gestellt. Die An- klage gegen ihn lautete: am Osterdienstage des Jahres wäre er mit dem hl. Mariäbilde bei dem Bauern Iljuska gewesen und hätte dabei erzählt, dass die poln. Edelleute, welche im Kreise Veletovskij des Gebietes der Stadt Uglic Beneficien besessen, eine Urkunde vom Caren Demetrius erhalten hätten; darin schriebe ihnen D., dass er gegen den Frühling nach Moskau kommen werde und dass die Polen sich vorläufig bereit halten sollen. Sowohl der Mönch Antonij selbst, als auch die herbeigerufenen Zeugen haben es ver- neint, jemals von dem Briefe des Demetrius gesprochen oder gehört zu haben. Wir sehen daraus, dass irgend welche polnische Edelleute (entweder Ge- fangene oder politische Flüchtlinge) im Gebiete der Stadt Uglic Beneficien besassen und dass eins von den Plakaten, wie sie die Partei des PD durch ihre Agenten in Russland verbreitete, in ihre Hände gelangt war. Vielleicht

Wer war Pseudoclemetrius I. ? 359

der einzelnen Quellen angedeutet. Demetrius und Gregor 0. müssen als zwei von einander verscliiedene Persönlichkeiten aufgefasst werden,

war es kein Zufall, vielleicht haben diese Edelleute wirklich gewisse Be- ziehungen zu Polen oder den Otrepjevy gepflogen; daraus folgt aber keines- wegs, dass sie dem PD persönlich bekannt gewesen, am wenigsten, dass sie bereits vor dem J. 1591 bei Uglic angesiedelt waren. Es bleibt nur zu wün- schen, dass die in dem Briefwechsel besprochenen Materialien recht bald im Druck erscheinen (vgl. Aktm Ilcrop., t. II, Nr. 5.5). Graf ■'^eremetev zieht ferner den Bericht des Bussow über sein Gespräch mit Basmanov in Zweifel. Bus- sow hat sich bis jetzt immer als ein gewissenhafter Chronist erwiesen. Man kann bei ihm keine vorsätzliche Lüge, höchstens ein Missverständniss voraus- setzen. Sein Hauptfehler besteht in dem vielen Kaisonniren ; er mischt oft die Berichte über Thatsachen und Gespräche mit seinen eigenen Erklärungen durcheinander. Unter der Einwirkung der Partei des V. Sujskij wurde die Frage über die Echtheit des Demetrius oft laut in den Strassen besprochen ; die Schuldigen wurden bisweilen zur Rechenschaft gezogen. Bei einer solchen Gelegenheit hat wohl auch das Gespräch zwischen Buss. und Basm. stattge- funden. Wahrscheinlich hat Basmanov nach echt russischer Art in auswei- chenden räthselhaften Redensarten, wie z. B. auch die Carin-Wittwe Marja Nagaja, gesprochen; wie ihn Bussow verstanden, so hat er es auch niederge- schrieben. Zufolge dem William Coxe (Travels into Poland, Russia etc. Lon- don 1784 flg.) soll der Historiograph G. Mueller in einem privaten Gespräche mit ihm seine frühereu Ansichten über den PD widerrufen und ihn als den wahren Carevic Demetrius von Uglic anerkannt haben ; nur die Rücksichten auf die Reliquien zu Moskau hätten ihn gehindert, diese Anschauung öffent- lich auseinanderzusetzen (PyccKaa CxapuHa 1877, t. XVIII). Wir müssen auch in Bezug auf den Historiographen G. Mueller dasselbe wiederholen, was wir bereits über den Briefwechsel des Akad. Bestuzev-Rjumin gesagt: man darf nicht ein privates Gespräch oder einen privaten Briefwechsel einer systema- tisch belegten wissenschaftlichen Meinungsäusserung desselben Gelehrten gleichstellen. G. Mueller hat an seiner früheren Ansicht zu zweifeln und den Demetrius vom Gregor zu unterscheiden begonnen; wenn er aber an die systematische Auseinandersetzung seiner neuen Vermuthung gegangen wäre, hätte er noch von den Quellen ergriffen und auf andere Wege geführt werden können, wie es dem Akad. Best.-Rj. im Laufe des Briefwechsels mehrmals passirt. Man darf auch nicht vergessen, dass zur Zeit des G. Mueller lange nicht alle Quellen zur Geschichte des Mordes in Uglic bekannt, und die bereits bekannten noch nicht kritisch untersucht waren. Wir bestehen also darauf, dass kein einziger hervorragender Forscher in Russland je ernst und ohne zu schwanken die Echtheit des PD verfochten hat. Was speciell die Rücksichten auf die Reliquien des Knaben aus Uglic betrifft, so hat Niemand den Publizisten Suvorin daran gehindert, in einem Zeitungsartikel die Echt- heit des Garen D. I. zu verfechten. Wenn dieser talentvolle Jüngling, der schon manchen russischen Historiker an Peter den Grossen erinnert hat,

360 Eugen Scepkin,

Gregor 0. dabei nach den Briefen des Boris und nach Margeret cliarak- terisirt, die frühere Geschichte des D. aber, nämlich vor dem Zuge nach Moskau, denjenigen Nachrichten gemäss aufgebaut werden, welche zu- gleich sowohl von polnischen oder überhaupt westeuropäischen, als auch von russischen Quellen belegt werden. Da wir den D., seinem eigenen Zeugnisse zufolge, aus den russischen Klöstern herleiten, so sind wir verpflichtet, den Versuch zu unternehmen, die Trennung des D. vom Gregor Otrepjev (wie sie beiMassa, Bussow, Margeret, bei den polnischen Gesandten aus dem J. 1608, in den Relationen der Jesuiten und in den Berichten, wie Narratio Succincta u. dgl. m. durchgeführt ist) auch in den russischen Quellen zu erweisen. Die russischen Quellen kennen zwar vor dem Einzüge des D. in Moskau ihn nur unter dem Namen des Diakon Gregor 0. ; wir wollen aber den Beweis führen, dass unter diesem Namen zwei physisch und psychisch verschiedene Persönlichkeiten zusammen- geschmolzen sind. Die wohlbegründeten Annahmen, dass diese eng mit einander verbundenen Personen D. und G. je nach Umständen die Namen untereinander vertauschten und dass die Untersuchungsrichter selbst durch Mangel an Zeugnissen oder ihre Widersprüche verwirrt, durch den Wunsch der Regierungen, Manches zu verheimlichen oder zu entstellen, in ihren Nachsuchungen gehemmt wurden, erklären in ge- nügender Weise die Irrthümer der russischen Quellen. Bei einer vor- sätzlich verwickelten historischeu Episode, wie die Geschichte des PD, ist es natürlich beinahe unmöglich, für jede einzelne Frage nur eine be- stimmte Antwort zu geben. Es ist schon ein Schritt vorwärts, wenn mau vier fünf mögliche Lösungen der Aufgabe auf zwei drei reducirt. Auf Grund unserer Interpretation des Danziger Recesses nehmen wir an, dass in dem Wundei'kloster sowohl G., als auch D. geweilt haben und dass das Auftreten des D. unter dem Namen des Diakon Gregor erst nach der Flucht aus dem Kloster begonnen hat. Bei irgend einer anderen

wirklich Carevic D. gewesen und von V. Sujskij nur aus Herrschsucht er- mordet und verbrannt worden, wenn also statt seiner wirklich ein unschul- diger Knabe im J. 1591 in Uglic umgebracht wurde, so würde die russische Kirche statt des einen zwei Märtyrer anerkennen und ihre Wunderkraft un- trennbar unter einem Namen verherrlichen müssen. Die Bahnen der histori- schen Forschung und des mystischen Glaubens können sich im Bereiche der Frage nirgends durchkreuzen und in ihrer freien Bewegung vorwärts zur Wahrheit sind die Geschichtsschreiber durch keine Furcht vor einem Zu- sammenstossen gebunden.

Wer war Pseudodemetrius I.? 361

freieren Deutung der Rede des Posnik Ogarev nach dem Danziger Re- cesse ^] könnte man indessen den Namcutauscb etwas früher beginnen

1; Wir kehren liier noch einmal zur Rekonstruktiou der wichtigen Rede des Posnik Ogarev zurüclv und wollen neben der vorsichtigeren loterpre- tation, der wir folgen zu müssen geglaubt haben, auch eine freiere als möglich zugeben. Es füllt nämlich auf, dass in der ausführlichsten Aufschrift der Rede in dem Danziger Recesse in dem Satze »welcher demetrius Rheorowicz ein Diener gewesen, eines Notarij, des Archimetrita« vor dem Genetivus » eines Notarij « ein Komma steht und dass der Stand des Vaters des Demetrii hier nicht angegeben ist, wie es in den drei übrigen Aufschriften geschehen ist (in dem lateinischen Dokumente zu Kopenhagen «scribe filius«, in dem Briefe des Keckerbart »eines Pauern Sohn«, bei Raugoni »figi» d'un Calzolajo« = Cancellarii). Es drängt sich die Annahme auf, dass hier bei der Wiedergabe des russischen Textes das Wort »Sohn« übersprungen wurde und dass dem lateinischen Satze »scribe cuiusdam filium ac Archimedritae nostri quodam a seruitijs« ursprünglich »Sohn eines Notarij und ein Diener des Archime- trita« entsprochen hat. Unserer Meinung nach würde auch eine solche Re- konstruktion die Annahme zweier Verschwörer in dem Wunderkloster for- dern, des D., des Sohnes eines Schreibers, und des Gregor, des Sohnes eines Bojarensohnes und Strelitzenhäuptlings. Indessen würde diese freiere Re- konstruktion der Rede des Posnik den Weg für die Vermuthuug ebnen, dass unter dem Namen des Gregor in das Wunderkloster der Sohn eines Schreibers untergebracht worden war. Wir haben dennoch eine entschiedene Stellung gegen diese Hypothese genommen, weil den polnischen Quellen zufolge PD um das Jahr 1601 beim Fürsten Ostrogskij, Gregor dagegen zur selben Zeit in dem Wunderkloster weilte. Obgleich wir nur ungern den Weg von gewagten Schlüssen betreten, so zwingen uns die Quellen, noch eine Lösung für alle die Widersprüche vorzuschlagen, welche mit der Rede des Ogarev verbunden sind. Der erste Argwohn des Boris ist, wie bekannt, auf den Diakon Gregor gefallen, welcher, nach Margeret, als ein Mann von 35—38 Jahren zu denken ist. Nach den ersten Treffen (im December 1604 Jänner 1605) konnte Boris einerseits aus seiner Armee, andererseits infolge erneuerter Untersuchungen zu Moskau nähere Auskunft über die jugendliche Erscheinung des D. bekommen haben. Da nun aber feststand, dass Gregor überall dem D. zu verhelfen suchte und dass beide durch ein enges Band verbunden waren, so konnte vielleicht die Moskauer Regierung in dem D. ein uneheliches Kind des Zauberers Otrepjev zu ahnen beginnen, welches seinen verruchten Absichten dienen sollte. Diese Vermuthuug würde alle Schwierigkeiten lösen, wie Demetrius Rheorovic auf einmal sacerdotis nothus, scribe filius, Diener eines Notarij des Archimetrita U.S.W, sein konnte. Rheorogic bedeutet eben Sohn des Gregor (G-ovic). Wir halten indessen dafür, dass es einer solchen Vermuthung vorläufig an sicherem Boden in den Quellen selbst gebricht, um sie als unsere Erklärung aufstellen zu dürfen. Es wäre andererseits Kleinmuth, die Möglichkeit einer solchen Konstruktion zu verschweigen, nur weil sie allzugrell von gewöhnlichen Vor-

362 Eugen Scepkin,

und annehmen, dass D. bereits in das Wunderkloster und zum Patriar- ciien Hiob unter dem Namen des Gregor eingeschlichen war (ungefähr wie es Kazanskij und besonders Suvorin thun]. Bei dieser Annahme würde man aber auf die schwierige Frage stossen, wie es denn möglich gewesen, dass D. beim Einzüge in Moskau weder erkannt, noch auf der Stelle des Betruges überwiesen worden ist, weshalb Sujskij noch eine Untersuchung über die Persönlichkeit des D. hat einleiten müssen, wer unter dem Namen des D. li/o Jahre beim Fürsten Ostrogskij geweilt hat, u. dgl.m. Da wir also unsere Interpretation der Rede des Posnik Ogarev aufrechthalten, dass die Regierung des Boris am Ende selbst den D. vom Diakon Gregor getrennt hat, so liegt es uns ob zu erklären, auf welche Weise diese zwei Persönlichkeiten unter Sujskij abermals zu- sammengeschmolzen sind.

Die wichtigsten Nachrichten über die letzten Tage des Garen D. gibt der Augenzeuge Bussow. Danach wäre die Verschwörung gegen den D. unter dem Vorwande geschmiedet, dass er eben kein Russe wäre. Am 10. Mai st. V. ist mit Erlaubniss des Garen die erste evangelisch-luthe- rische Predigt auf dem Schlosse zu Moskau durch Martin Beer aus Neu- stadt gehalten worden, weil es den Doktoren, Kapitänen und anderen Deutschen, die beim Kaiser angestellt waren, nach der Kirche im deut- schen Flecken zu weit war. Den 1 2. Mai wurde unter dem gemeinen Volke öffentlich ausgesprengt, dass der Gar ein Pagan wäre : so fleissig wie zuvor ginge er nicht mehr zur Kirche, in seinem ganzen Leben hielte er ausländische Ceremonien und Sitten. Er esse unreine Speisen, ungebadet gehe er in die Kirchen, beuge sein Haupt nicht vor dem H. Nikolaus. Vom ersten Hochzeitstage an wäre die Badestube alle Morgen bereit gewesen, aber er hätte mit seiner paganischen Kaiserin noch nie ge- badet. Er müsse kein Moskowiter et per consequens non verus Deme- trius sein. Dieses wurde offen auf dem Markte geredet, so dass es auch einige Hellebardierer hören konnten; sie haben einen von den Rädels- führern ergriffen und nach dem Schlosse gebracht. Die verrätherischen Bojaren fingen aber an, dem D. einzureden, dass der Kerl betrunken

Stellungen absticht. Die Genealogie der Otrepjevy, die wir weiter unten geben, lässt als wahrscheinlich erscheinen, dass Demetrius unter dem Familien- namen eines Otrepjev auferzogen wurde.

Antonius Possevinus De Moscovia (Hist. Euth. Script., ed. Starczewski) gibt eine folgende Erklärung des Wortes Djak : Scribae, sive Amauuenses (corrupta e graeca voce Diacos quasi diaconos et ministros vocant) etc.

Wer war Pseudodemetrius I. ? 363

wäre; der Car solle sich an alle solche freche Reden nicht kehren; er wäre ja nun allen seinen Verräthern gewachsen, wenn sie etwas an- stiften wollten. Hiermit wird der Car so sicher gemacht, dass er auf keine Warnung mehr achtet. Obgleich den 13. 16. Mai st.v. oflfen und frech von der Verrätherei geredet und gehört und solche Reden durch seine Kapitäne dem D. selbst angezeigt wurden, legte er kein Gewicht darauf, steckte die Briefe ein und sagte : man hätte keine Noth, die Garde sollte wie früher alle Tage und Nächte mit 50 Mann die Wache halten, die Andern sollten zu Hause bleiben. Den 17. Mai in der Nacht wird nun Alarm in allen Kirchen Moskaus geläutet, die Verschwörer verbreiten das Gerücht, als ob die Polen den Garen umzubringen im Sinne hätten, das Volk strömt nach der Kremlburg, und so wird D. von den Bojaren mit V. oujskij an der Spitze gestürzt. Der Car machte den letzten Ver- such, sich durch die Flucht aus dem Palaste zu retten und hat sich bei einem Sprunge aus dem Fenster den Fuss beschädigt. Die Fürsten und Bojaren brachten ihn wieder hinauf in seine Gemächer, verhöhnten und beleidigten ihn auf jegliche Art. Man schlug ihn und rupfte und fragte dabei : sage du Hurensohn, sage, wer du bist, wer ist dein Vater, wo gehörst du zu Haus? D. antwortet: »das wisset ihr alle, dass ich euer gekrönter Kayser und Iwan Wasilowitz Sohn bin, fraget meine Mutter im Kloster oder führet mich auf die Laubna meeste (den öffentlichen Platzj und gestattet mir zu reden«. Da sprang ein Kaufmann mit seinem Rohr hervor und sprach : man darf einem Ketzer keine Rechtfertigung gestatten; ich will diesem »polnischen Pfeiffer« meinen Segen geben; mit diesen Worten erschoss er den Garen aus seinem Rohre. Es war in dem Gemache nicht für alle Aufrührer Raum. Viele von ihnen standen draussen und fragten: «was doch der polnische Scammarocht (Possen- reisserj gutes gesaget«. Die anderen antworteten aus dem Gemache mit einer Lüge: er hat bekannt, dass er nicht der rechte D. sei. Dem Sturze des D. folgte bis in die elfte Stunde des Morgens eine Hetze auf die Polen, von denen über 2 Tausend niedergemetzelt wurden. Als die Metzelei und der Aufruhr endlich gedämpft wurden, da versammelten sich die Fürsten und Bojaren vor den Gemächern der Carin und Hessen ihr sagen: sie wüssten wohl, dass sie eines grossen Herrn Tochter wäre; w^as aber und wer dieser Landbetrüger und Wor (Schelm) gewesen, der sich für D. und einen Erben des Reichs ausgegeben, mag sie am besten wissen, weil sie ihn draussen in Polen gekannt. Auch ihr Vater, der Vojevode von Sandomir Mniszech, wurde zur Rechenschaft über die

364 Eugen Scepkin,

Persönlichkeit des D. gezogen. Die Moskauer Bojaren sagten ihm unter anderem : Dein todtgeschlagener Eidam ist selbst an seinem Untergänge schuld; er hat unsere Sitten, Gebräuche, unsern Gottesdienst, ja uns alle verachtet. Nun ist ja das Moskowitische Land unser Land, wir haben es ihm übertragen. Er sollte es mehr mit unserer Nation, als mit Fremden gehalten haben, so wäre er von aller Welt wohl für den D. geachtet worden, obgleich er es gar nicht war. Er wusste auch selbst wohl, dass er nicht der D. war, dass wir ihn aber aufgenommen, geschah darum, weil wir den Boris herunter haben wollten. Wir vermeinten unsere Lage durch ihn zu verbessern, aber wir haben es übel getroflPen : er hielt sich paganisch und hätte uns endlich gezwungen, das zu thun. was uns nicht wäre lieb gewesen. Bussow glaubte, dass D. nur durch seine Sorglosigkeit sich sein Verderben zugezogen hat^). Aus den Um- ständen, unter welchen D. gestürzt worden, leuchtet hervor, dass die Verschwörer (V. Sujskij vielleicht nicht ausgeschlossen) keine sichere Vorstellung von der Abstammung des Garen hatten und im Allgemeinen dazu geneigt waren, ihn für ein Werkzeug der Polen, sogar geradezu für einen Polen zu erklären, vielleicht um das Volk desto leichter gegen ihn und die polnischen Kriegsleute in Moskau anzuhetzen. Den 20, Mai ist V. Sujskij zum Garen erwählt. Am 29. Mai Hess er den Leichnam des D. ausgraben und ausserhalb der Stadt zu Asche verbrennen. Am 30. Mai wurden die einzelnen Artikel des Verdammungsurtheils gegen den Garen D. dem Volke vorgelesen, worin er schon wieder für den- jenigen Griska Otrepjev erklärt wurde, welcher bereits unter Boris in der Mariähimmelfahrtskathedrale verdammt wurde. Die ganze Frage dreht sich also um die Untersuchung des Sujskij, die wir nun genauer prüfen wollen ^).

1) »Sintemahl solch Blut-Bad und alles hernacher darauf erfolgtes Kriegs- Wesen von seiner Sicherheit imd dass er den Verrähter Suski nicht den Kopf wegschlagen lassen, seinen Uhrsi^rung genommen.« Rüssel (La legende de la vie de Demetrius) meint: »Je suis d'opinion que s'il se fut cöporte plus mo- destemet, sans se mesier des Polonois et qu'il eut espouse vne Dame du pays et se fut accommode a leur humeur, eucor qu'il eut este pire qu'vn moine moi- nant, si est-ce que la couröne luy fut bien demeuree sur la teste.«

-) Ausser dem Register der Gesandtschaft des Volkonskij aus dem J. 1606 und dem Zeugnisse des Barlaam finden sich Nachrichten über diese Untersuchung bei Massa, Petrejus und Rüssel. The Reporte of a bloudie and terrible massacre in the Citty of Mosco, London 1607. William Rüssel war in Moskau seit der Regierung des Boris Godunov, als Agent in Handelsange-

Wer war Pseudodemetrius I.? 365

Der erste Anklag-epnnkt gegen den Garen D. vom 30. Mai 1606 lautete nach Rüssel und Massa folgendermassen ; D. wäre wirklich der Mönch Gregor 0. gewesen. Sein Stiefvater, seine Mutter, sein Bruder und andere Anverwandte aus Galic erschienen vor dem Volke, um diese Behauptung zu bestätigen i). Man erzählte, dass Gar D. nach seiner Thronbesteigung 60 von seinen Anverwandten zu Galic ins Gefängniss geworfen hätte, um seine Abstammung zu verbergen 2), Nach dem Zeug- nisse der Familie Otrepjev (vgl. Massa) hätte Gar D. einen Schelmen ge- miethet, welcher aus einem Kloster in das andere in Mönchskleidern wanderte, sich überall thöricht anstellte und für den Griska ausgab. Nach der Ermordung des Garen hätte dieser Mönch seinen Betrug ein- gestanden. Er hätte seinerzeit mit dem D. zusammen in einem Kloster zu Moskau (ohne Zweifel in dem Wunderkloster) geweilt und konnte alles dasjenige über die erste Erscheinung des PD berichten, was Massa darüber wiedergegeben hat, nämlich wie D. mit einigen Dokumenten nach Polen entlaufen wäre 3). Nun liegt es nahe, in diesem Zeugen den-

legenheiten, zuerst im holländischen, später im englischen Dienste. The Re- l)ort ist nach einem Briefe an seine Frau, die Schwester eines anderen eng- lischen Agenten zu Moskau, JohnMerick, gedruckt. Eine französische Ueber- setzung des Briefes ist im J. 1606 zu Amsterdam unter dem Titel La legende de la vie et de la mort de Demetrius erschienen und vom Fürsten Obolenskij im J. 1839 nachgedruckt worden (vgl. Minclov im »ApxHBi. Hct. h IIpaKx. CBiH. KajiaqoBa« V, 1863). Massa scheint seine Nachrichten über die Unter- suchung des Sujskij aus Russel's Berichten geschöpft zu haben. John Merick soll (nach Minclov) in einem freundschaftlichen Verhältnisse zu Margeret ge- standen haben. Ihm gehört das Büchlein The Russian impostor, 1664, welches wir nur in der französischen Uebersetzung benutzt haben (unter dem Titel : Relation Curieuse de l'Estat Present de la Russie traduite d'un auteur Ang- lois qui a este neuf ans ä la Cour du Grand Czar etc., Paris 1679).

1) Quät au beaupere et la mere auec son frere qu'on auoit mis a la veue de tout le möde, ils estoiet reputez pour tels, cöbien qu'ils ne luy ressemblas- sent en rien, et scauoir si on les auoit subornez pour cöfesser teile chose, en presence d'un chacun de nous, Dieu le scait, au moins ie puis bien dire de les auoir veu ainsi cöme les autres, et i 'ay veu aussi qu'ö leur feit baiser une croix et faire sermet solenel, que son nom seroit est6 Gregoire etc. (La Le- gende de D.).

-) Rüssel, Massa, Palicyn. Nach Palicyn wäre der Onkel des Gregor Smirnoj Otrepjev vom Garen D. nach Sibirien verschickt. Vgl. weiter unten die Genealogie der Otrepjevy.

3) Rer. Ross. Scrip. Ext., t. II, 102: »eenen boef daer toe cochte, die hem alsins voor Grigorie Otrepiof uutgaf en stelde willens den sott, in een

366 Eugen Scepkin,

selben Diakon Gregor 0. wiederzuerkennen, nach welchem Gar Sujskij in Jaroslavlj gesucht hatte (vgl. Margeret). Aehnliche Nachrichten kom- men auch in den russischen Quellen vor. Mit dem Barlaam, dem Ver- fasser des Zeugnisses, kann man zwar den falschen Gregor bei Massa nicht identificiren, weil dieser Barlaam die Bekanntschaft mit dem PD erst im Februar 1602 auf der Varvarka angeknüpft hat. Indessen wäre (nach der »Neuen Sage«) ein gewisser Mönch Leonid dem Demetrius- Griska unter dem Namen des Gregor 0. bis Putivl gefolgt, wo er vom Garen unter dem Vorwande irgend einer Schuld ins Gefängniss geworfen Wcäre. Dieser Gregor-Leonid kann auch von demjenigen falschen Gregor 0. verschieden sein, welcher (nach Massa) als Miethling des Garen D. die Klöster durchwandert haben sollte ; der Gedanke des Namentausches ist aber hier derselbe, wie bei Massa. Auch Petrejus bringt uns ein Zeug- niss darüber, dass irgend ein Mönch den Garen D. des Betruges überführt hätte. Darnach wäre bald nach seiner Krönung ein Mönch nach Moskau angekommen gerade aus dem Kloster, aus welchem Griska heimlich ent- laufen wäre. Dieser Mönch hätte offen auf dem Schlosse behauptet, dass er den neuen gekrönten Garen gekannt hätte und dass er nicht der rechte D., sondern Griska 0. wäre, «denn er (der Ankläger) were der- selbige, der jhn bette lesen und schreiben gelehret«. Der kühne Mönch hätte seine Anzeige mit dem Tode büssen müssen. Da Petrejus den Garen D. sonst wirklich für den Griska hält, so fällt es hier auf, dass der Ankläger nicht aus dem Wunderkloster, sondern aus einem anderen Kloster nach Moskau kam i). Die Anschauungen des Petrejus sind für die Zeit des Sujskij von grosser "Wichtigkeit, einerseits weil er als Abgesandter

monnicx cap gaende ; en als deesen Demetrius doot was, heeft deesen mon- ninc 000 bekeut dat hy van hem daertoe gecocht was, ende hy was besteedt geweest int clooster in Mosco, verhalende daerby alle de redenen die ic int beginsel synder comste van hem verhaelt hebbe, hoe dat hy met sommige scriften en copyen ontliep in Poolen, hem uutgevende voor Demetrio«.

1) Seinen Glauben an den Griska belegt Petrejus durch das Zeugniss des Elezarij Otrepjev, eines Oheims von dem Betrüger. Dieser Elezarij hätte vor den Königen Sigismund III. von Polen imd Karl IX. von Schweden ausgesagt, D. wäre seines Bruders Sohn, wäre von seinem Vater wegen seiner Unart und Bubenstücke ins Kloster gestossen, damit er darinnen von den Mönchen strenge gehalten und frömmer werde. Weil ihm aber das strenge Leben nicht gefallen, so wäre er aus dem Kloster heimlich nach Polen entlaufen und dort auf Anstiften einiger böser Menschen, besonders eines Mönches, als Carevic D. aufgetreten. Diese Aussagen des Elezarij 0. (Smirnoj?) fallen wohl noch in die Regierung des Boris.

Wer war Pseudodemetrius I.? 367

V

cics Königs Karl IX. von Schweden mit der Regierung des Siijskij verkehrt, andererseits weil er die Chronik des Bussow gekannt und ihr also vor- sätzlich widersprochen hat ^). Wir haben schon einmal seinen Kunstgriff erläutert, wie er die russische Tradition über den Griska mit der Chronik des Bussow versöhnt, nämlich dass er neben dem Griska-Demetrius noch einen anderen bösen Mönch annimmt, auf welchen er beinahe alle die Nachrichten des Bussow und Margeret vom Gregor 0. überträgt. Da aber Petrejus dabei den Jüngling Griska-D. bis zur Flucht nach Polen auch als einen omnium bipedum nequissimum schildert, so hilft ihm die Hypothese von einem »listigen München wenig, die Widersprüche in Bezug auf die Charakteristik der Jugendzeit des Griska 0. aufzuheben. Indessen beweisen alle diese Versuche, neben dem Griska-Demetrius noch einen falschen Gregor Otrepjev oder einen bösen Mönch anzu- nehmen, einerseits, dass die Verfechter der officiellen Tradition von der Identität des Griska mit D. neben dem Garen D. am Ende doch immer einen (wenngleich vermeintlich falschen) Gregor 0. annehmen mussten, andererseits, dass sie trotz ihrer Verachtung zu den westeuropäischen Quellen doch eine von Widersprüchen freie Geschichte des Lebenslaufes ihres Griska-D. bis zu seiner Flucht nach Polen zu liefern nie im Stande gewesen; was speciell die Moskauer Regieruug anbetrifft, so hat sie, wie wir sehen, ihre Kenntnisse über den PD sowohl zur Zeit des Boris, als auch unter V. Sujskij von den früheren Mithelfern des Betrügers ge- sammelt 2). Sie kam also mit Leuten in Berührung, die wirklich Man- ches zu erzählen, noch mehr aber zu verheimlichen oder wenigstens zu verwirren hatten (Pimen, Barlaam, Leouid). Deshalb stellen wir uns vor, dass die Regierung des V. Sujskij sich in derselben Lage befand, wie der Chronist Petrejus oder wie die von ihr verhörten Zeugen. Ent- weder hatte die Regierung des V, Sujskij selbst keine genaue Vorstellung von der Persönlichkeit des durch sie gestürzten Caren D., oder sie wusste Manches, hatte aber Grund, ihre Kenntnisse zu verbergen. Im ersten Falle musste sie also zu einer Kombination von Zeugnissen in der Art des Petrejus greifen, im zweiten Falle war es für sie nothwendig, die

1) Seine Berichte über den FD sind im Gegentheil falsch ; so hält er ihn für einen Mann von über 30 Jahren u. dgl. m. Das ist wohl auch eine Durch- schnittszahl zwischen den Jahren des Gregor und Demetrius. Wenn die Zeugen in dem Caren D. einen früheren Mönch erkannten, so fasste es die Regieruug als eine Anerkennung des Diakon Griska auf.

2) Der Brief des Hiob (A.A.3., t. IV).

368 Ellgen Scepkin,

Nachricliten vorsätzlich zu einem Win-war über den Haufen zu werfen. In beiden Fällen wäre das Ergebniss ein und dasselbe : Nachrichten über zwei von einander verschiedene Persönlichkeiten konnten dabei sehr leicht auf einen Namen übertragen (wie es die Zeugen des Hiob gethan haben), oder die Schicksale des Diakon Gregor 0. sammt seinem Namen nur zum Theil auf den D. verrückt werden (wie es bei Petrejus geschehen). Da müssen wir aber einen Probirstein ausfindig machen, um in dem Wirrwar der russischen Quellen das edle Metall von der Legi- rung, den D. vom Gregor zu unterscheiden. Für den Petrejus besitzen wir diesen Probirstein in der Chronik des Bnssow, für die Zeugnisse des Pimen u. a. in den officiellen Akten, für die russischen Quellen über- haupt könnten wir ihn nur in der Auskunft finden, welche PD selbst in Polen über seine früheren Schicksale gegeben hat, d. w. s. in der Nova Relatio, in dem Entwürfe seines ersten Briefes an den Papst in polnischer Sprache, zum Theil auch in der Narratio Succincta. Was in den russi- schen Quollen mit diesen beiden Schriften übereinstimmt, das werden wir ausschliesslich auf den D. übertragen müssen, den Rest für den Griska zur Seite werfen. Damit wird unsererseits ein ganz neuer Ver- such gewagt. Wollen wir vorläufig alle Widersprüche in den russischen Quellen in Bezug auf die Schicksale des Gregor 0. noch einmal zu- sammenfassen und zwar nach folgenden Hauptfragen: wie alt konnte Gregor 0. gewesen sein, als er zum Mönche geschoren, wo und wie hat er vordem gelebt, was hat ihn ins Kloster geführt, was seinen Dienst- gang dort befördert, was hat ihn zur Flucht aus Moskau gezwungen, welchen Weg und welche Kameraden wird er wohl für diese Flucht ge- wählt haben u. dgl.

Aus den Briefen des Boris an Rudolph H. und Sigismund lU. er- fahren wir, dass Griska bereits eine wilde Jugend hinter sich hatte, als er, von seinem Herrn Michail Romanov aus dem Dienste verjagt, seinem eigenen Vater mehremals entlaufen, nach einer Reihe von Verbrechen aus Furcht vor der Todesstrafe in einem weit abgelegenen Kloster (wohl im Norden Russlands?) die Kutte nahm. Eine ähnliche Vorstellung vom jungen Otrepjev hat sich auch Petrejus angeeignet, obgleich er zeitlich nach der Untersuchung des Sujskij geschrieben hat. Nun gibt Fürst Katyrev-Rostovskij in seiner Sage an, dass Griska 0. noch in der Jugend den Entschluss gefasst hatte, die Kutte zu nehmen, und in dem Zelezno- borovskij-Kloster im Laude Galic (Gouv. Kostroma, Bezirk der Stadt Buj) zum Mönche geschoren wurde, weil sein Vater und seine Mutter in

Wer war Pseudodemetrius I. ? 369

der Nähe dieses Klosters ihren Wohnsitz hatten ; bald darauf wäre er dann nach dem Cudov-Kloster in Moskau gezogen. Diese Erzählung schliesst sich ziemlich genau an die Briefe des Boris an, da sie sowohl den Vater des Otrepjev sich noch damals am Leben denkt und ein wirk- lich weit von Moskau abgelegenes Kloster nennt. Dazu passt auch die Andeutung bei Petrejus, dass Griska irgendwo ausserhalb Moskaus die Kutte genommen ^). Da nach Avraamij Palicyn Griska zwei Sommer (Jahre ?) im Cudovkloster und darauf über ein Jahr beim Patriarchen Hiob gelebt hat, so mttsste er (wenn man seine Flucht nach Polen mit Barlaam in das J. 1602 verlegt 2)) aus Borki nach Moskau im J. 1599 gezogen sein ; seine Mönchstaufe würde dann vielleicht mit der Zeit der Thronbe- steigung des Boris (um das J. 1598) zusammenfallen. Dem entsprechend bringt »die Sage vom Gregor Otrepjev« seine Flucht ins Kloster mit dem Kampfe des Boris gegen die Romanovy in Zusammenhang. Geboren und auferzogen in der Stadt Galic, wäre dann der Adelsmann Gregor 0. vielen von den Bojaren des Boris bekannt geworden. Eines guten Tages hätte er zusammen mit einem anderen Adeismanne Michail Trophimovic Povadin aus Serpejsk ein Vergehen gegenüber dem Garen Boris be- gangen. Worin dies Vergehen bestand, wird nicht weiter erläutert; die Sage berichtet nur, dass gerade zu jener Zeit Boris eine Verfolgung gegen

1) KRSE, 202. «Stracks nach seiner Krönung ist ein Mönch in die Mus- scow aus dem Kloster, daraus Griska sich heimlich gestolen, ankommen, welcher öffentlichen auflf dem Schlosse berichtet, Dass er den newen gekrön- ten Grossfürsten gekand hette . . denn er were derselbige, der jhn hette lesen vnd schreiben gelehret.« S. 162 nennt Petrejus das Kloster Timouka, in der Relation Curieuse entspricht ihm le Cloistre de Trinouka. So ein Kloster gibt es nicht. Es scheint, dass man das Kloster des H. Tryphon zu Vjatka ge- meint hat.

'-) Im J. 1602 hat der Fürst Konst.Konst. Ostrozskij das Kloster zu Der- manj zu einer Gemeinde der Mönche nach der Regel desH.Basilj ausgestaltet. Die Gemeinde sollte von nun an keine flüchtigen Mönche aufnehmen, sondern nur diejenigen, welche sich der Regel des Grossen Vasilij unterwerfen und des Studierens halber eintreten wollen. Die begabtesten unter den Mönchen sollten die slavische, die lateinische und die griechische Schrift bei den Mit- gliedern der orientalischen Kirche lernen. Die Stiftungsurkunde ist vom 18. Juli 1602 zu Dermanj datirt. Ohne Zweifel wurde die Einführung der Regel des H. Basilij von gewissen Feierlichkeiten begleitet, welche manche von den wandernden Mönchen, unter ihnen wohl auch die Mönche Gregor, Barlaam, Missail, herbeigelockt (IlaMflXHiiKa, hsä. Kommhc. npH KieBCKOMt, Bo- JiBiECKOMt reH-ry6epH., t. IV).

Archiv für slavische Philologie. XXTT. 24

370 Eugen Scepkin,

die Brüder Romanovy und die Fürsten Boris und Ivan (Vater und Sohn) Cerkaskie eingeleitet hätte. Da nun Gregor oft das Haus des Boris Cer- kaskij besucht und von seinem Sohne Ivan Ehre genossen hatte, dadurch aber den Zorn des Boris sich zugezogen, so wäre er aus Furcht vor dem Garen Godunov in ein Kloster geflohen und hätte dort die Kutte genom- men. Bald darauf wäre er in das Wuuderkloster zu Moskau übersiedelt. Das Vergehen des Gregor bestand also eben in seinem nahen Verhält- nisse zu den Romanovy und die Cerkaskie. Diese Gruppe von Quellen stimmt also im Allgemeinen untereinander überein, sie muss sich aber den Gregor um das J. 1598 als einen Mann zwischen 20 30 Jahren alt gedacht haben, sonst hätte er geradezu keine Zeit gehabt, den ganzen Lebenslauf durchzumachen, wie er vom Boris geschildert wurde. Wenn wir sicher sein könnten, dass bei seiner Einsegnung zum Diakon keine Ausnahme von der kanonischen Regel gemacht ist, wonach das Diakonat nicht vor dem 26. Jahre ertheilt werden darf, so müssten wir dem Gre- gor 0. um das J. 1600 bereits 25 Jahre zuzählen. Leider gab es eben keine Regel ohne Ausnahme. Jedenfalls würden die Angaben des Mar- geret auf diesen Gregor Otrepjev Nr. 1 ganz gut passen. Nun wenden wir uns von den Angaben, welche auf den Aussagen der Regierung des Boris beruhen, zu den Ergebnissen der Untersuchung des V. Sujskij. Auf den officiellen Akten dieser Zeit beruht »die Sage aus dem J. 1606«. Hier treffen wir geradezu einen Gregor Otrepjev Nr. 2. Jurij (Georg) Otrepjev verliert noch als Kind seinen Vater Jakob (Bogdan) und lebt bei seiner Mutter in Galic i). Die Wittwe 0. lässt ihn die H. Schrift Studiren. Als er nun mit den Horae und den Psalmen fertig ward, ver- lässt er seine Mutter und begibt sich nach Moskau. Hier kommt er mit dem Abte Tryphon aus Chlynov (Vjatka) zusammen und lässt sich unter seiner Einwirkung einkleiden, als er noch nur 14 Jahre alt war. Darauf begibt er sich nach Suzdal, weilt in dem Heilandkloster des Euthymii^), dann auch in dem Kuksa-Kloster, wechselt noch einige Klöster 3) und

1) Der Name Bogdan findet sicli nicht in dem Kalender der russischen orthodoxen Kirche und ist nur im Munde des Volkes im Gebrauche ; daraus erklärt sich das Vorhandensein noch eines zweiten Namens Jakob. Dieser Juska konnte also weder mehrmals seinem Vater entlaufen, noch für seinen schändlichen Lebenswandel von ihm ins Kloster geschickt werden.

2J Kostomarov folgert daraus, dass Juska gerade in diesem Kloster zum Mönche geschoren ward. Dem Contexte nach muss man indessen die Sache so auffassen, als ob er sich bereits in Moskau hat einkleiden lassen.

3] Das Zeleznoborovskij-Kloster wird an dieser Stelle der Quelle nicht erwähnt.

Wer war Pseudodemetrius I.? 371

kommt abermals nach Moskau ins Kloster Cudov. Denselben Lebenslauf des Griska trefi'en wir auch in dem «Neuen Annalisten« i). Hier wird Juska (als Mönch Griska) in jungen Jahren nach Moskau geschickt, um das Lesen und Schreiben zu erlernen. Es erweist sich, dass er dazu grosse Anlagen hat ; da lässt er sich irgendwo in Moskau einkleiden 2} . Darauf kommt er nach Suzdal in das Heilandkloster des Euthymii. Der Archimandrit sieht, dass er noch jung ist, und stellt ihn unter die Auf- sicht eines älteren Mönches. Griska bleibt hier nur ein Jahr, dann weilt er noch 3 Monate in dem Kuksa-Kloster und kehrt nun nach Moskau zurück und zwar ins Wunderkloster. Wenn man zu den 14 Jahren der «Sage aus dem J. 1606(f noch II/4 Jahr aus dem «Neuen Annalisten« addirt, so kommt man zu dem Schlüsse, dass dieser Griska Nr. 2 nach Moskau noch als ein 16 17 jähriger Bursche zurückgekehrt war. Seine Bekanntschaft mit dem H. Tr3'phon würde auf den Jänner 1595 fallen können. Dieser Griska Nr. 2 könnte sich wirklich zum PD ausgebildet haben. Wo haben sich aber die beiden Lebensläufe der beiden Griska durchkreuzt? Das können wir mit Hilfe der eigenen Aussagen des PD, des Danziger Recesses und des Isaak Massa zu bestimmen versuchen. In der Aufklärung der russischen Gesandten aus dem J. 1606 an die pol- nischen Senatoren sind beide Lebensläufe (Griska nach der ersten Unter- suchung des Boris und Griska nach den Nachforschungen des Sujskij, oder Demetrius Rheorovic des Boris) bereits in eine Biographie zu- sammengefasst : in der ersten Hälfte dieser Schilderung wird nach der Tradition des Boris sein Dienst bei den Bojaren Romanovy und dem Fürsten Cerkaskij erwähnt, in der zweiten Hälfte die Ertheilung der Kutte durch den Tryphou, das Leben in den Klöstern zu Suzdal, in dem Zeleznoborovskij-Kloster und anderen Stiften. Hier wird also bei der Wanderung des Griska Nr. 2 (Pseudodemetrius) dasselbe Kloster in dem Bezirke der Stadt Buj genannt, in welchem auch Griska Nr. 1 (Otrepjev) um das J. 1598 geschoren wurde. Daraus können wir folgern, dass Gregor und Demetrius gerade in dem Zeleznoborovskij-Kloster einander getroffen haben. Wenn wir nun mit Massa annehmen, dass »Jongen van eenen abt oft monick int Tsoedewo monaster« (ihn identificiren wir mit dem 14jährigen Griska Nr. 2 ; »deesen jongen dan was ooc gemaect tot eenen monick«) nach seiner Flucht mehremals aus Polen her Russland

1) Nikon's Annalen, B. "VIII.

-j »H Bo M.iaÄOCiii nocxpiiaeecfl na MocKse HeBiMT> rai.«

24*

372 Eugen äcepkin,

besucht hat, so müsste man entweder seine Flucht nach Polen noch in die letzten Jahre des XVI. Jahrh. verlegen und annehmen, dass D. wäh- rend eines späteren Besuches in Moskau sich als des Gregor Diener kurze Zeit im Wunderkloster aufgehalten hat, oder dass sie beide um das Jahr 1600 1601 zur Zeit der Gesandtschaft des Sapieha aus dem Zeleznoborovskij-Kloster ins Cudov-monastyrj in Moskau gezogen waren, woher D. bald darauf nach Polen die Flucht ergriffen und im J. 1601 beim Fürsten Ostrogskij aufgetaucht ist. Da weder die eigenen Aus- sagen des D,, noch die Nova Relatio von seinen späteren Ausflüchten nach Moskau etwas kennen, so wäre die zweite Vorstellung vielleicht die richtige; dann würde man den Ausdruck » Jongen « auf den ersten Aufenthalt des D. in Moskau im J. 1595 beziehen müssen^) und den Lebenslauf des Griska Nr. 2 sich folgendermassen vorstellen: um das J. 1581 geboren 2), wird er im J. 1595 in Moskau zum Mönche geschoren, durchwandert die Klöster von Nordrussland, weilt um das J. 1600 aber- mals im Wunderkloster und ergreift zur Zeit der Gesandtschaft des Sapieha die Flucht nach Polen.

1) Wir gestehen, dass bei der freieren Interpretation des Danziger Re- cesses (nämlich »Sohn eines Notarij und Diener des Archimandriten«) die Uebereinstimmung zwischen westeuropäischen und russischen Quellen leich- ter zu erlangen wäre. Andererseits ist das Zeleznoborovskij-Kloster in dem Statejnyj Spisok vielleicht aus den Akten des Boris, d. w. s. der Biographie des Griska Nr. 1 in den Lebenslauf des Griska Nr. 2 verrückt worden. Dann müssten wir den Gregor 0. von Norden aus dem Borkikloster, den Demetrius aber aus den Klöstern des Landes Suzdalj nach Moskau kommen und dort im Wunderkloster einander treffen lassen.

-) Dies Jahr ergibt sich aus der »Sage von der Regierung des Garen Theodor«. Diese Vorstellung wird durch die Angabe des Alters des D. bei Margeret (23—24 Jahre alt beim Beginne des Feldzuges) und der Dispacci (26 Jahre alt um das J. 1605). Vgl. auch bei Ciampi »Notizie estratte dalla Storia delle Sollevazioni seguite in Polonia, di Alessandro Cilli, Pistoja, 1627«. Cilli, der ein Sänger am Hofe Sigismunds III. gewesen sein soll, be- richtet: »Sia come si voglia, o fosse finto figliuolo, o pur legittimo di Gio- vanni di Basilio il grande, si condusse nell' etä di 25. anni in circa a far mostra di se ne' confini di Lituania e di Pollonia con il seguito di que' Mosco- viti, che per flgliuolo del morto Giovanni di Basilio lo tenevano et che da quelli che allevato 1' havevano erano stati a ciö persuasi, ovvero, come pare piü verosimile, da quelli, che sollevationi e novitä per proprio Interesse bra- mavano e desideravano, con anche non poco concorso di Pollacchi, che intesa questa novitä sperorno far qualche particolare acquisto di roba, e ricchezza, 0 vero 0 finto Principe che si fusse Demetrio« etc. Ebenso bei der Beschrei- bung des D.: »era costui, cive Demetrio, d'anni 25 in circa« etc.

Wer war Pseudodemetrius L? 373

Die Vereinigung von zwei Personen und zwei Lebensläufen zu einem Griska rührt eben von der Untersuchung des V. oujskij her. Ihr Hergang ist ziemlich klar: wenn ein Zeuge den Garen D. schon früher als einen Mönch in irgend einem Kloster gesehen haben wollte, so hiess es er hat den Betrüger für den Griska erklärt und das erwähnte Kloster wurde gleich in die Geschichte der Wanderungen des Otrepjev eingetragen. Wenn jemand den D. in Grenzklöstern wirklich unter dem Namen des Otrepjev getroffen hatte und später, als D. den fremden Na- men ablegte, aus Putivl von einem Griska neben dem D. hörte, so fasste es die Untersuchung ganz verkehrt auf, als ob der Zeuge den echten Griska gesehen und von einem falschen Gregor und falschen D. bei Putivl gehört hätte. Wenn nun Gregor dabei (wie es Bjelov und Ilovaj- skij vermuthen) dieselbe Rolle vor dem Auftreten des D.I., wieMolcanov vor dem Erscheinen des D, IL, gespielt hat, d.w. s. bisweilen sich selbst als den zukünftigen Prätendenten bezeichnet, um das Gerücht vom Ca- revic zu verbreiten, die Aufmerksamkeit der Späher des Boris auf sich zu lenken, da erhielt die Untersuchung den besten Beweis für ihre Be- hauptung. Man mag natürlich vermuthen, dass die Kanzlei des V. Suj- skij die wirkliche Lebensgeschichte des Gregor 0., wie sie von Boris Godunov geschildert wird, mit der äusseren Erscheinung des Garen D., welchen Sujskij gestürzt hat, zu versöhnen suchte und also ihm eine anständigere Jugend und ein zarteres Alter gegeben hat; es bleibt aber sonderbar, dass sie statt des Klosters Borki die Klöster von Suzdal in seine Geschichte eingewoben hat I Denselben Dualismus finden wir in den russischen Quellen auch bei der Beschreibung der Flucht des Griska aus Moskau nach Polen. Wir fangen für diesmal mit der » Sage aus dem J. 1606« an. In Häresie verfallen, verlässt Griska das Wunderkloster und begibt sich nach dem Ugresa-Kloster des H. Nikolaj, dann nach dem Lande Kostroma in das Zeleznoborovskij-Kloster Johannes des Täufers, woher er abermals nach Moskau zurückkehrt und jetzt erst mitBarlaam und Misail nach Polen entflieht; dem Zeugnisse des Barlaara zufolge geschieht diese Flucht im J. 1602 aus Moskau über die Städte Bolchov, Karacev, Novgorod Severskij, Starodub, die litauische Grenze, Loev, Lubec, Kiev, Ostrog. Nach dem «Neuen Annalisten« flieht Griska aus Furcht vor dem Garen Boris aus Moskau nach Galic in das Zeleznobor.- Kloster, darauf nach Murom ins Kloster des Boris und Gleb, weiter nach Brjansk, wo er den Misail Povadin sammt seinem Kameraden trifft; alle drei begeben sich nach Novgorod Severskij und weiter nach Kiev. Wenn

374 Eugen Scepkin,

wir uns noch daran erinnern, dass nach dem Register (wohl aus Boris' Zeit) die Flucht des Griska im J. 1603, nach Sujskij im J. 1602 erfolgte und dass Barlaam, welcher über die Flucht des J. 1602 ein Zeugniss abgelegt hat, vom Priester Barlaam aus dem Cudovkloster verschieden ist, so leuchtet ein, dass hier abermals von zwei verschiedenen Griska und zwei Fluchten die Rede sein kann. Auch die Flucht über die litauische Grenze wird verschiedenartig angegeben. Nach Barezzo B. wäre D. im J. 1601 nach Kiew in Begleitung eines Mönches gekommen, welcher zu einem russischen Kloster jenseits der Grenze gehörte. Nach dem Briefe des Patriarchen Hiob hätte der Mönch Pimen die drei Mönche aus Novgorod Severskij über Starodub und die litauische Grenze bis zum Dorfe Slobodka begleitet und sei hierauf in das Moskauer Gebiet zurückgekehrt; nach dem »Zeugnisse des Barlaam« wäre der ehemalige Mönch Ivasko zusammen mit den drei Mönchen aus Novgorod Severskij über Starodub und die litauische Grenze nach Loev und Kiev gezogen. In der Urquelle, welche die ausführliche Redaktion der Sage aus dem J. 1606 (die sog. «Andere Sage«, Iliioe CKasanie) bearbeitet hat, stand wohl nicht die Angabe des Barlaam, sondern ein anderer Bericht über die Flucht des Gregor, welchen wir gegenwärtig in der kürzeren Re- daktion derselben Sage (die Sage wie Boris den Thron erschlichen) fin- den; darnach soll Gregor 0. noch drei Mönche zur Flucht nach Polen verführt haben den Misail Povadin, den Benedikt und den Mönch des Krypeckijklosters (Gouv. Pskov) Leonid (vgl. auch die Sage von der Regierung des Garen Theodor) ; diesem Leonid soll Demetrius in Kiev seinen früheren Namen, nämlich Gregor 0., aufgezwungen und ihn dann später zu Putivlj ins Gefängniss geworfen haben. (Eine Andere Sage ^].) Die zweite Redaktion des Chronographen berichtet kurz, dass Griska als Pilger sich nach Polen begeben hätte, ohne seine Reisegefährten zu erwähnen. Dem »Neuen Annalisten« zufolge hätte der Abt des Heiland- klosters in Novgorod S. den drei Mönchen Pferde und einen Begleiter bis nach Putivlj gegeben; die drei Mönche sollen aber den Weg nach Kiev eingeschlagen und den Begleiter zurückgeschickt haben; Misail Povadin soll des Weges kundig gewesen sein. Auch nach der »Sage

1) Bei seiner Auffassung des Verhältnisses zwischen der »Anderen Sage« und der »Sage wie Boris den Thron erschlichen« musste Prof. Platonov in dem Index zum XIII. B. der Euss. Hist. Bibl. den Mönch Leonid der »A. S.« vom Mönche des Krypeckijklosters Leonid (»S. wie B. den Thron erschlichen« und »Sage von der Regierung des Garen Theodor"] unterscheiden.

Wer war Pseudodemetrius I. ? 375

vom Griska 0.« haben die drei Mönche allein den Weg über die Grenze zurückgelegt.

Jetzt, wo wir die Nachrichten der russischen Quellen auf Grund der Widersprüche zwischen den zwei Griska vertheilt haben, wollen wir den Versuch machen, mit Hilfe der Nova Relatio und Narratio Succincta einen von diesen Griska mit dem D. zu identificiren. Welche Bedeutung kann überhaupt das eigene Zeugniss des D., wie es in seinem Briefe an den Papst Clemens VIII. oder in der Nova Relatio vorliegt, als historische Quelle haben ? Die Erzählung von der Errettung des Carevic aus den Händen der Mörder zu Uglic widerspricht den j^kten der Untersuchung aus dem J. 1591 und dem Horsey und kann für erlogen gelten. In- dessen erwachen bereits hier gewisse mildernde Umstände gegen so eine strenge Beurtheilung. Wenn D. noch vor der Ankunft in Uglic oder wenigstens bald nach der Ankunft, aber noch lange vor dem Morde des J. 1591 gestohlen und durch einen anderen Knaben ersetzt worden wäre, was könnte er auch von den späteren Ereignissen des J. 1591 wissen ? Vielleicht würden sie unter solchen Umständen sogar seinem Beschützer unbekannt geblieben sein. In der Nacht wird Carevic ge- weckt, muss sich zusammenraffen, sieht noch ein anderes Kind in seinem Bette zurückbleiben das sind höchstens die letzten Eindrücke, welche sich dem D. selbst, vielleicht auch seinem Beschützer einprägen. Alles Uebrige, ob nämlich das Wechselkind gleich auf der Stelle oder später ermordet wurde, könnten sie nur noch nach Hörensagen wissen und mit wirklich Erlebtem frei combiniren. Um das J. 1600 waren überhaupt die Umstände, unter welchen D. im J. 1591 zu Uglic ermordet war, nur Wenigen (z. B. dem Sujskij, dem Hiob) bekannt. Ausschliesslich eigene Lebenserinnerungen des D. beginnen mit dem Tode des Adelsmannes (Syn Bojarskij), bei welchem er auferzogen wurde; auf den Rath seines sterbenden Beschützers geht er ins Kloster, durchwandert in Mönchs- kleidern das ganze Russland, wird an seinem heroischen Wesen von einem Mönche erkannt und ergreift die Flucht nach Polen. Sollen wir diese ganze Beichte für eine von faktischen Verhältnissen ganz unab- hängige, frei erdichtete Lüge auffassen? Ganz frei durfte der FD nicht mehr dichten: man hat ihn in Polen in Mönchskleidern gesehen, er musste durch seine Lüge einerseits diesen Umstand aufklären, anderer- seits die Thatsache, dass er bereits zum Mönche geschoren war, ver- leugnen oder irgendwie umdeuten. Dann könnte der FD schwerlich den polnischen Magnaten vorlügen, als ob er gleich nach seiner Rettung nach

376 Eugen Scepkin,

Polen gebracht und dort auferzogen worden wäre (wie wir es bei Smith und in einem Briefe aus Archangelsk nach Toscana vom 4. Juli 1605 finden): man hätte von ihm ganz genaue Auskunft gefordert, wo und wie er in Polen gelebt hat ; seine Aussagen könnten auf der Stelle ge- prüft werden ; er war auch der polnischen Sprache nicht genug mächtig, um eine solche Lüge zu verfechten; er müsste dann aufklären, woher er seine russische Sprache habe. Stellen wir uns nun vor, dass PD das Weiss- oder Kleinrussische als seine Muttersprache gesprochen hätte. Was hätte ihn dann zwingen können, einen Grossrussen (Moskowiten) zu heucheln unter steter Gefahr, von den herbeiziehenden Grossrussen an der Aussprache ertappt und überwiesen zu werden? Er konnte ja ganz gut eine Erzählung vorbringen, wie wir sie bei Towianski finden, nämlich dass er in einer Grenzburg aufgewachsen und ebendort die weiss- oder kleinrussische Sprache sich angeeignet, oder dass er seine Jugend unter den Kosaken geborgen hätte u. dgl. m. Es wäre für den PD von Wichtigkeit, seiner weiss- oder kleinrussischen Sprache vollen Lauf zu geben : er würde sich dadurch vor der Identität mit Griska ge- wehrt haben. Wenn also PD sich aus den grossrussischen Klöstern her- leitete, so muss es entweder dadurch erklärt werden, dass es eben wahr war, oder dass er bei seiner grossrussischen Sprache es nicht wagen durfte, seine Jugend nach der Moldau oder sonst wohin zu versetzen. Ebensosehr an das Thatsächliche gebunden musste der PD auch in seinen übrigen Aussagen gewesen sein. Wir brauchen nicht jedes Wort von ihm für wahr zu nehmen, aber auch an eine reine Lüge ist gar nicht zu denken. NovaRelatio (dasselbe gilt auch vonKelatio succincta) darf in dem Sinne als historische Quelle verwerthet werden, dass, wo sie auch nicht die Wahrheit gibt, sie durch das Individuelle an der Lüge die thatsächlichen Verhältnisse durchleuchten lässt. Was bedeutet z. B. dieser Syn Bojarskij (homo fidus ex equestri ordine), welcher den Care- vic in sein Haus nimmt. Vielleicht ist es nur eine Verkörperung des noblen Wesens, das man dem Prätendenten überall anspürte ! ex incessu moribusq. heroicis esset cognitus, vgl. auch die Schrift aus Jindiichiiv Hradec); wahrscheinlicher ist es aber, dass D. hier die Wahrheit gesagt hat, nämlich dass er sich in der Familie eines Syn Bojarskij (wohl eines Otrepjev) aufgewachsen zu sein erinnerte. Wir finden also in dem ganzen Geständnisse des PD nur zwei absolut falsche Behauptungen. Ueber den Mord zu Uglic konnte er aus Mangel an Nachrichten nach Hörensagen oder nach freier Kombination gelogen haben, seine Mönchs-

Wer war Pseudodemetrius I.? 377

taufe hat er aber vorsätzlich verschwiegen '). Nehmen wir an, dass er der echte D. gewesen wäre, oder dass er sonst wie irgend welche Rechte auf den Moskauer Thron gehabt hätte, oder dass er wenigstens selbst an eines von beiden geglaubt, so würde ihm doch die Thatsache, dass er bereits zum Mönche geschoren, den Weg zum Throne trotz aller sei- ner Rechte für ewig gesperrt haben. Diese Thatsache würde ihn auch .verhindern, vom Throne herab eine genaue Auskunft über seine Ver- gangenheit zu geben. Auf Grund der Uebereinstimmung zwischen der Nova Relatio und der »Sage aus dem J. 1606« (das Leben bei einem Syn Bojarskij, das Wandern aus einem Kloster in das andere, die Flucht nach Polen) nehmen wir an, dass unter dem Gregor Nr. 2 und dem PD nach Nova R. und Narratio S. eine und dieselbe Persönlichkeit und ein realer Lebenslauf geschildert ist. Die Narratio S. (wie auch Pseudo- Niemoiew.) bietet noch mehr Fälle der Uebereinstimmung mit den russi- schen Quellen, als Nova R. Demetrius wird darnach im hohen Norden in einem Kloster auferzogen; vielleicht ist es eine Andeutung auf das Tryphon-Kloster oder wenigstens auf Borki. Indem D. aus einem Kloster in das andere wandert, kommt er nach Moskau ; aus dem Kloster, wo er hier eingekehrt war (wohl das Cudovkloster) bahnt er sich unter ver- schiedenen Vorwänden (vielleicht mit Hilfe des Zamjatnja oder bereits des Diakon Gregor 0.) den Weg zum Hofe und beobachtet dort das ganze Aufführen des Boris ; erst dann flieht er nach Polen 2). Dies Ineinander-

1) Wenigstens drückt er sich über diese Frage sehr unbestimmt aus, dass er nur unter den Mönchen gelebt hätte (miedzy czierncamy).

-) Wenn wir die Narratio S. nicht nur mit den russischen Quellen allein, sondern auch mit protestantischen Chroniken (des Massa und des Bussow) vergleichen, so gewinnen wir die Ansicht, dass sie dieThatsachen zusammen- gezogen und zusammengedrängt darstellt, d. w. s. der erste Besuch des Griska Nr. 2 nach Moskau ist unerwähnt geblieben und die Erzählung kennt nur seinen kurzen Aufenthalt in Moskau auf dem Wege aus den Klöstern des nördlichen Russlands nach Kiev ; sie überträgt eben auf diesen Besuch das Spähen in der Burg des Boris, welches dem Massa zufolge erst bei einem späteren Be- such aus Polen nach Moskau stattgefunden haben kann u. dgl. Dem Adelung zufolge ist die Narratio succincta zum ersten Male vom Kanzler v. Ludewig in »Reliquiae, Monumenta etc. 1723« gedruckt worden mit der Anmerkung : Auetore anonymo R. legato; v. Ludewig hält deshalb den Verfasser für einen Regius Legatus. G. Mueller hat es sogar in dem Sinne aufgefasst, als ob der Urheber ein russischer Gesandter an irgend einem fremden Hofe gewesen sei (Samml. Russ. Gesch.). Der Unsinn, dass beim Absterben der Dynastie Konjusij ;Connetable) das Recht auf den Thron erhalten sollte s. Narr. Succ),

378 Eugen Scepkin,

fallen der Aussagen des PD und der Moskauer Regierung könnte einem oberflächlichen Leser überhaupt den Schluss aufdrängen, dass beide Quellen eben nur den Djakon des Cndovklosters Griska gemeint haben können, wie ihn sich die russische Tradition bis Karamzin und Solovjev gedacht hat. Dagegen sprechen aber die mehrmals erwähnten Angaben der polnischen Quellen, dass nämlich D. bereits im J. 1601 in Polen er- schienen war u. dgl. m., wie auch allgemeine Erwägungen, z. B. dass der Djakon Gregor den Magnaten in Moskau gut bekannt sein musste. Dann wäre es auch seitens des Djakon Griska sehr kindisch gewesen, als PD aufzutreten und doch offenherzig seinen früheren Lebenslauf in Russland zu erzählen. So eine Auskunft über seine früheren Schicksale durfte nur ein PD geben, welcher vielleicht auch wirklich unter dem Namen des Otrepjev einige Abenteuer erlebt hatte, uöthigenfalls aber den wahren Djakon Griska vorzuzeigen im Stande war, um seine An- kläger zu entwaffnen. Kurz gesagt: wenn PD hätte frei lügen dürfen oder wollen, so würde er eine arglose, in Bezug auf die Möglichkeit überwiesen zu werden weniger gefährliche Lüge vorgebracht haben. Auch seine Angaben in Bezug auf das Wandern durch die grossrussischen Klöster mussten im Allgemeinen dem thatsächlichen Laufe seines Lebens entsprechen, im Einzelnen aber jeden Vorwand zum Zweifel an seiner Echtheit sorgfältig ausmerzen. Wenn also irgendwelche russische Mönche in ihm ihren früheren Kameraden erkennen sollten, so würden ihre Zeugnisse seine Beweisführung nicht umstürzen; im Gegentheil, er könnte gerade aus den Kreisen der Mönche Zeugen für seine Echtheit vorführen, wenn er sich in Klöstern vor den Nachstellungen des Boris gerettet hatte. Diese Möglichkeit, innerhalb der Grenzen Russlands ge- rettet zu werden, hat also PD allen anderen Kombinationen von Wahr- heit und Dichtung vorgezogen, weil sie in der Hauptsache der Wirklich- keit entsprochen hat, in den hinzugelogenen Einzelheiten aber (wie die Rettung aus Uglic) nur von wenigen der Sache kundigen Persönlich- keiten in Russland widerlegt werden konnte. Wir besitzen keine sicheren Quellen, um die Frage über die letzten Schicksale des Griska

kommt auch beim Antonius Possevinus De Moscovia vor. Nach der Ermor- dung des Carevic Ivanivanovic grübelt der Schreckliche Car über die Frage, wer nun seinen Thron erben würde : quinam denique, si quid de Theodoro eveniret, sufficeietur. Nam neque alias ex ipsius stirpe erat et ante 30. annos Magister Stabuli vacabat, ad quem tanquam comestabilem ea potestas de- ferenda fuisset (Hist. Ruth. Script., ed. Starcz..

Wer war Pseudodemetrius I. ? 379

Nr. 1 (Gregor 0. nach den Briefen des Boris) zu entscheiden. Wenn wir mit Margeret annehmen, dass er als ein Alkoholiker zu Jaroslavlj seine Tage in Ruhe verbringen sollte, nach dem Tade des Garen D. aber von Vasilij Sujskij gesucht wurde, dann können wir ihn mit demjenigen Mönche des Wunderklosters bei Massa ideutificiren, welcher bei der Untersuchung im Monate Maj sich für den falschen Gregor 0. bekannt und sein Zeugniss über den D. abgelegt hat. In diesem Falle müssen wir diesen Trunkenbold für ein ziemlich unbedeutendes Rad in dem Mechanismus der ganzen Intrigue erklären (ähnlich dem Pimen in der Urkunde des Hiob), für einen Mann, welcher seinem unruhigen, vor- witzigen, lärmenden, unverschämten Wesen nach zu der Rolle eines ge- dungenen Beifallklatschers, eines Lockvogels, eines Spähers, eines fal- schen Zeugen, eines Fälschers von Dokumenten u. dgl. m. taugte, welchem es aber an jedem höheren Ehrgeize und jeder inneren Kraft gebrach. Wenn aber dieser Hierodjakon ausser der guten Handschrift und der Geschicklichkeit eines geheimen Agenten auch Ansprüche auf Einfluss und Selbständigkeit besessen, da muss er wohl nach dem ersten Conflicte mit dem Demetrius in Putivlj (vgl. die Sage aus dem J. 1606 und die Sage wie Boris den Thron erschlichen) durch Kerker, Verbannung oder sogar einen Mord unschädlich gemacht worden sein; da würde also unter seinem Namen ein Anderer in Jaroslavlj gelebt haben. Da in- dessen ein solcher Betrug den D. in eine gewisse Abhängigkeit von einem käuflichen Agenten versetzt haben würde, so halten wir die Auf- fassung des Margeret für wahrscheinlicher.

Wir glauben, dass wir unseren eigenartigen Standpunkt gegenüber der ganzen Masse von historischen Nachrichten über den FD genügend aufgeklärt haben. Diejenigen Forscher, welche den FD mit dem Djakon Gregor 0, identificirt haben, pflegten bis jetzt alle die westeuropäischen Quellen zu verwerfen und ihre Darstellung ausschliesslich auf den russischen Nachrichten aufzubauen (z. B. Peter Kazanskij). Anderer- seits haben die Vertreter der Meinung, dass D. von Gregor zu trennen wäre, ihren D. ausschliesslich nach Bussow oder den polnisch-katholi- schen Quellen dargestellt, indem sie alle russischen Nachrichten auf den Djakon Gregor 0. bezogen. Die Vertreter beider Richtungen hatten es leicht, so lange sie ihre einseitigen Ansichten zu belegen suchten; den Standpunkt ihrer Gegner aufzuklären oder zu widerlegen waren sie mit ihren Mitteln nicht im Stande. Wir haben aber diesen Dualismus zwi- schen Gregor und D, nicht nur in der neueren Historiographie, sondern

380 Eugen Scepkin,

auch in den zeitgenössisclien Urquellen anerkannt, und zwar sowohl in den westeuropäischen, wie auch in den russischen ohne Unterschied. Die Uebereinstimmung zwischen Nova R., Narratio S. etc. einerseits und den russischen Annalen, Sagen und officiellen Akten andererseits hat uns den Schluss aufgedrängt, dass die Jugendgeschichte des FD auf seinen eigenen Aussagen aufgebaut werden darf, soweit sie für seine speciellen Ziele des Betruges gleichgültig sind und von keinen positiven Zeugnissen seiner Gegner widerlegt werden. Diese eigenen Aussagen des PD stimmen gerade mit der »Sage aus dem J. 1606« überein, welche die Resultate der Nachforschungen des Sujskij wiedergiebt. Deshalb glauben wir die Hypothese aufstellen zu müssen, dass die Regierung des Sujskij bei ihrer Untersuchung auf die Spuren des Lebenslaufes des PD in den russischen Klöstern gekommen war (vgl. Massa über »Jongen«), aus irgend einem Grunde aber statt des Diakon Gregor 0. nun einen an- deren Mönch in dem D. anzukündigen gezögert hat. Deshalb hat sie die Zeugnisse derjenigen Mönche, welche in dem D. ihren früheren Kamera- den zu erkönnen glaubten, auf den Diakon Gregor 0. bezogen und auf seinen Namen geschrieben. Da die ganze damalige russische Annalistik auf den officiellen Akten beruhte, so hat sie es ohne jegliche Kritik wiederholt. Nur die Reste der Ueberlieferung aus den Zeiten des Boris und das Vorhandensein der eigenen Aussagen des D. macht es für uns möglich, in diese (wahrscheinlich vorsätzliche) Verwirrung der Zeug- nisse Ordnung zu bringen i).

Was waren es aber für Gründe, welche die Kanzlei des Sujskij dazu bestimmt haben? Petrejus hat zu einem ähnlichen Kunstgriffe gegriffen, weil er alle die Widersprüche zwischen Bussow und den russischen Ge- währsleuten nicht zu heben im Stande war ; die Zeugen des Hiob (Pimen u. a.) weil sie die Regierung absichtlich auf falsche Wege

1) Im J. 1878 hat Archimandrit Leonid nach einer Handschrift des XVII. Jahrh. die Genealogie der Otrepjevy publicirt. Darnach soll diese Familie bis Ende des XV. Jahrh. Nelidovy geheissen haben. Im J. 1497 hat David Borisovic Nelidov vom Grossfürsten Ivan Vasiljevic III. zufällig den Namen Otrepjev (wohl »der Lumpige« erhalten. Nun hat sich die Nachkommenschaft von diesem David unter der Regierung des Garen Johann des Sehr, sich in drei Zweige getheilt. Ignatij und Ivan Ivanovici Otrepjevy wurden nämlich im J. 1542 aus Borovsk (Gouv. Kaluga) nach Uglic, Matthäus Otr. nach Galic übersiedelt. Ein Zweig der Nelidovy war wohl auch unter dem Beinamen «Pharisäjevy« bekannt. (JKt. IIct.-$ü.ioj. 06m. HoBopocc. Yhhb., Ebin. VIII, OÄCcca, 1900.) Der Uebersicht halber lassen wir hier die wichtigsten Vertreter der Familie in einer Tabelle folgen :

Wer war Pseudodemetrius I. ?

381

zu leiten und sich selbst zu rechtfertigen wünschten, denn sie waren ja selbst Mitschuldige des D. Einer von diesen Beweggründen hat wohl

o >

I

o

?_)

55

rs

a

ÖD

3

O

•«

n

o

TS

>

3

7i

«J

CQ

CQ

P-l

o

es

eq

-M

o

-T3-

i-{

382 Eugen äcepkin,

auch auf die Regierung des V. Sujskij gewirkt. Entweder konnte sie selbst mit den widerspruchsvollen Zeugnissen nicht ins Klare kommen,

Viele von den Otrepjevy tragen hier nach der Sitte der Zeit ausser dem christlichen Kalendernamen auch noch einen Beinamen, welcher im Lehen wohl gebräuchlicher war; wir müssen daran erinnern, dass der orthodoxe Kaienderauch den Namen Bogdan nicht anerkennt und dass in den russischen Quellen der Vater des Griska neben Bogdan auch Jacob heisst. Nun hat, dieser Genealogie zufolge, der Car Alexej Eomanov im J. 1671 dem Theodor d. Aelteren und seinen Anverwandten befohlen, sich wiederum Nelidovy zu nennen. Unter der Regierung des Griska wurden (der Genealogie zufolge) Smirnoj-Nikita, Surmen-Georgij, Ivan Andrejevic und andere ihrer Anver- wandten nach Sibirien verbannt, dafür dass sie ihn des Betruges überführten, sind aber später zurückgekehrt. Für die Wirrenzeit wird diese Genealogie zumTheil auch von anderen Akten bestätigt. So treffen wir unter dem Adel zu Kolomna im J. 1.577 den Andrej Ignatjevic Otr. mit der Anmerkung, dass er aus der Stadt Uglic zum Dienste herbeigezogen wurde. In derselben Liste des Adels (Dekade der Bojarensühne) kommen auch die drei Söhne des Zamjatnja Ötr. vor: Smirnoj (bereits als Centurio der Strelitzen), Bogdan und Tichon; darnach müssen also in der Genealogie Bogdan-Tichon als zwei ver- schiedene Persönlichkeiten aufgefasst werden, und es entsteht nun die Frage, ob beide oder nur einer von ihnen als kinderlos bezeichnet werden sollten. In dem Kataster für das J. 1586— 87 wird im Medynskij-Bezirk (Gouv.Kaluga) ein Dorf Otrepjevo erwähnt, das früher einem Ivan 0. gehört hat. In dem Kataster für den Bezirk Kolomna aus dem J. 1577 78 kommt ein Dorf Seino vor, das früher im Besitze des Zamjatnja Otr. war. Der ^cremet Otr. der Genealogie kommt noch in dem Rangregister zum J. 1599 vor (Sinbirskij Sbornik, Razrjadnaja kniga). Hier werden die Chefs (Golovy) aufgezählt, welchen die Ueberwachung einzelner Bezirke der Stadt Moskau seit dem 15. April des Jahres anvertraut wurde. Der Stadttheil zwischen den Flüssen Neglinnaja und Moskva sollten Fürst Peter Pozarskij und Seremet Otrepjev beaufsichtigen. Es entsteht ferner die Frage, auf welche Weise Zamjatnja Otr. und seine Kinder aus Galic nach Kolomna gekommen sind und weshalb sein Sohn Bogdan (den Annalen und Sagen zufolge der Vater des Griska) nach Galic zurückgekehrt sein sollte. Die erste Uebersiedelung der Otrepjevy dürfte mit der Einverleibung des Galic in das ausgeschiedene Kronland (die Opricnina) unter der Regierung Johanns des Schrecklichen in Zusammenhang gebracht werden. Was die Rückwanderung anbetrifft, so kann sie überhaupt in Zweifel gezogen werden. Nach den officiellen Aussagen aus der Zeit des Sujskij soll Zamjatnja selbst im Wunderkloster als Mönch gelebt, sein Sohn Smirnoj am Hofe gedient haben, der andere Sohn Bogdan in Moskau von einem Litauer ermordet worden sein. Man kann hier eine Verwechselung der Stadt Kolomna mit Galic dadurch erklären, dass die Moskauer Kanzlei Galic (Galickaja cetj) ausser Galic auch noch die Städte Suzdal, Jurjev Poljskij, Kolomna, Kasira, Belev, Karacev etc. zu verwalten hatte. Die Nachkommen des Zamjatnja konnten also in die Listen der Kanzlei Galic eingetragen sein,

Wer war Pseudodemetrius I. ? 383

oder sie ist auf ein Geheimniss gestossen, welches sie selbst zu verbergen suchte. Stellen wir uns vor, dass ein Mönch, welcher den D. einmal in seinem Kloster gesehen hatte, ihn später lebendig auf dem Throne, oder todt auf dem öflfentlichen Platze als Garen D. liegen sieht; er kann nur das Zeugniss ablegen, dass dieser Gar einmal unter irgend welchem Namen Mönch gewesen ist; die Regierung wird dieses Zeugniss nur auf

"ohne die Beneficien zu Kolomna verloren zu haben. Die älteren Zweige der Otrepjevy gehörten dem Bezirke Uglic an; die Genealogie hebt ausdrücklich hervor, dass Surmen-Georgij, iieremet-Ivan, Obrazec-Kliment nach den Bene- ficien zu Uglic im Dienste standen. Nun besteht ein wichtiger Widerspruch zwischen der Genealogie der Otrepjevy einerseits und dem Statejnyj Spisok der Gesandtschaft des Volkonskij und russischen Annalen und Sagen anderer- seits, und zwar darin, dass sie den Griska-Eazstriga in verschiedene Zweige des Geschlechtes einreihen. Wir glauben hierin einen Beleg für unsere Auf- fassung der russischen Quellen zu finden, dass nämlich die russischen officiel- len Akten des V. Sujskij zwei Persönlichkeiten und zwei Lebensläufe unter einem Namen zusammengeschmolzen haben; vielleicht war aber dieses Zu- sammenwachsen von zwei Persönlichkeiten bereits durch den Kunstgriff vor- bereitet, welcher der ganzen Verschwörung zu Grunde lag. Wir finden in der Genealogie zwei Bogdan Otrepjevy; dadurch wird der Widerspruch in den Aussagen des Boris und V. Sujskij über den Vater des Griska gehoben. (Nach Boris war Griska seinem Vater mehremals entlaufen ; nach der Sage aus dem J. 1606 ist er bei seiner Mutter-Wittwe aufgewachsen.) Den zwei Bogdan müssen auch zwei Griska entsprechen : Griska Nr. 1 des Boris ein wirklicher Sohn eines Bogdan Otr., und Griska Nr. 2 ein Knabe von räthselhafter Ab- stammung, der in die Familie des zweiten Bogdan in Wirklichkeit oder nur bei der Untersuchung untergeschoben ist. Wenn man die Genealogie der 0. mit dem Statejnyj Spisok aus dem J. 1606 vergleicht, so ist man geneigt, den Enkel des Seremet für den Griska Nr. 1 des Boris Godunov zu halten, so den Komanovy gedient, den Demetrius aber (Griska Nr. 2, sich als seinen Doppel- gänger zu denken, welcher, vielleicht unter demselben Familiennamen der Otrepjevy 14 Jahre alt im Kloster untergebracht wurde. Wie dem auch ge- wesen sein mag, eins bleibt klar, dass die ganze Intrigue mit dem FD den Dualismus zwischen dem Bogdan, Sohn des Seremet, und Bogdan, Sohn des Zamjatnja, benutzt hat, um einen Knaben zuerst zu retten, später nach Polen zu exportiren. Die Excerpte des Bantys-Kamenskij erlauben uns diesen Dua- lismus vollständig zu rekonstruiren: Der Diakon Gregor (OtrepjevNr. 1) hiess als Laie Georgij ; der Laie Gregor (OtrepjevNr. 2) erhielt als Mönch den Namen German (CöopH. Apx. Muh. HnocTp. ^iji., Btin. 6). Derselbe Dualismus hat es auch der Untersuchung des Sujskij seinen Versuch leicht gemacht, beide Söhne zweier Bogdan abermals zu einem Griska zu verschmelzen. Am 25. März 1614 hat der Vojevode Smirnoj Elizarjevic Otrepjev auf Befehl des Caren Michail Romanov eine Namenliste und ein Kataster für die Bürger der Stadt Moi^ajsk (Gouv. Smolensk) zusammengestellt (MoacaficKie Aktbij.

384 Eugen Scepkin,

den schon seit Boris beargwöhnten Gregor bezogen haben. Wenn aber D. wirklich in gewissen Klöstern unter dem Namen des Otrepjev auf- getreten war, so wurde die Möglichkeit, seine Abenteuer auf den Namen des Djakon Gregor zu schreiben, zur Nothwendigkeit. Stellen wir uns aber für einen Augenblick den anderen Fall vor, nämlich dass die Re- gierung des V. Sujskij zu der Ansicht gekommen war, dass der abgesetzte und ermordete D. wirklich der aus üglic gerettete Carevic war, welcher der Sicherheit wegen in jungen Jahren in einem Kloster untergebracht war; da hätte sie keinen anderen Ausweg, als auf die Identität des D. mit dem Djakon 0. zurückzukommen, Zeugen für diese Behauptung zu fälschen (z. B. den Stiefvater und den Bruder des 0., seinen vermeint- lichen Reisekameraden Barlaam, den Mönch, welcher den Otr. hat spielen müssen u. dgl.), alle Nachrichten über das Leben des Carevic Demetrius auf den Namen des 0. zu schreiben. Da wir nun auf Grund der Uebereinstimmung der Akten der Untersuchung aus dem J. 1591 mit Horsey und Bussow die Ermordung des echten Carevic zu Uglic an- genommen haben, so müssen wir eben einen anderen Beweggrund für die Lügen des V. Sujskij erweisen. Sein Wunsch die beiden Mönche, den D. und den G., zu einer Persönlichkeit zu verschmelzen, wäre z. B. ganz verständlich, wenn der Fürst V. S. selbst an der Vorbereitung des Betrügers Theil genommen hätte, oder wenn der Glaube des Volkes an die Möglichkeit der Echtheit des Carevic so stark gewesen wäre, dass der Fürst V. S. keine Aussicht hatte, ihn zu widerlegen, falls er den räthselhaften Lebenslauf des Griska Nr. 2 veröffentlicht hätte. Dasselbe Verfahren würde der Regierung ausgeholfen haben, wenn an den Namen des jungen D. (Griska Nr. 2) überhaupt irgend ein Geheimniss gebunden gewesen wäre, welches dem V. Sujskij Schwierigkeiten bereiten oder dem Demetrius vielleicht gewisse Rechte auf den Moskauer Thron geben konnte. Wir wollen den Versuch machen, sogar eine Vermuthung über ein solches Geheimniss aufzustellen.

Ein erster bester Vagabund konnte keinesfalls die Rolle des Carevic D. übernommen und mit solchem Glücke gespielt haben, wie es dem historischen PD gelungen war. Weshalb haben ihn die Klöster unter- stützt, wie konnten ihn die russischen Magnaten anerkennen, wodurch hat er so sehr die ausländischen Chronisten für seine Persönlichkeit ge- wonnen, vor allem aber, was hat die Wahl der polnischen Grossen auf ihn gelenkt, wofür hat ihn der Car Boris verfolgt? Alle diese Fragen bleiben unaufgeklärt, wenn man den PD für einen zufälligen Betrüger

Wer war Pseudodemetrius I. ? 385

hält und somit annimmt, dass denselben Betrug ganz gut auch viele andere unternehmende Jünglinge ins Werk gesetzt haben könnten. Es mnss also PD etwas vor jedem anderen passenden Jünglinge voraus ge- habt haben, was ihn besonders gefährlich für Boris und sehr erwünscht für die Feinde des Godunov gemacht hat. Es muss eine ganz specifische Persönlichkeit gewesen sein. Wo eine heimliche Kraft in den Ereig- nissen zu wirken scheint, da muss doch der Historiker eine Erklärung aufzustellen versuchen. Bei den ersten sicheren Nachrichten über den PD aus Polen sendet die russische Regierung Boten aus, um seine Aus- lieferung durchzusetzen. Während der Patriarch Hiob seinen Boten Palcikov an den Vojevoden von Kiev, Fürst K. W. Ostrogskij, absendet, schickt Boris zweimal insgeheim Boten an Adam W. und bietet ihm Geld und Grenzburgen an für die Ueberantwortung des Prätendenten ; als diese Verhandlungen gescheitert waren, machte Boris den Versuch, durch Meuchelmörder den D. aus dem Wege zu schaffen, Bussow, wel- cher mit Adam W. verkehrt zu haben scheint, bemerkt darüber ganz folgerecht: »Durch diese Anmuthung des Boris wiu'd derFürste (A.W.) so viel mehr in seiner Meinung bestätigt, ungezweifelt zu glauben, dass er gewisslich des Tyrannen Sohn seyn müste, weilen der Boris ihm also nachstellete « . Der blitzschnell wie eine ansteckende Krankheit um sich greifende Glaube an die Echtheit des D., seine Anerkennung seitens der russischen Kriegsleute, dann seitens der Moskauer Bojaren und des hohen Klerus ist auch ein wichtiges psychologisches Moment für die Auffassung seiner Persönlichkeit : je näher man ihn kennen lernt, desto sicherer wird der Glaube an seine Echtheit. Einem gemeinen Betrüger müsste es umgekehrt gegangen sein. Zeitgenossen, welche die Verhält- nisse in Moskau unter der Regierung des FD zu beobachten die Gelegen- heit gehabt haben, sind der Meinung, dass dieser Car ganz leicht seinen Thron hätte behaupten können, wenn er einerseits etwas argwöhnischer gewesen wäre, andererseits aber sich vor der Ehe mit der katholischen Maria Mniszech gehütet hätte. Nach Bussow hätten die Moskauer Bo- jaren nach der Ermordung des PD diesen ihren Gedanken vor dem Mniszech offen eingestanden. Gegen die Möglichkeit, in dem FD einen gemeinen Landstreicher zu sehen, spricht sowohl seine Anerkennung seitens der Carin Witwe Martha, als auch sein ganzes Betragen in den letzten Augenblicken des Lebens. Man kann sich wohl denken, dass die Carin Witwe die Gelegenheit nicht hat vorbeigehen lassen, an Boris ihre Rache zu nehmen ; was könnte sie aber später nach dem Tode des

Archiv für slavisehe Philologie. XXn. 25

386 Eugen Scepkin,

Boris verhindert haben, den Betrug aufzuklären, wenn sie nicht vielleicht selbst in das Geheimniss eingeweiht war, welches über den Schicksalen des PD schwebte. Ihre eigenen zurückhaltenden Aussagen können nur als ein Zeugniss dafür ausgenutzt werden, dass sie mit den Verschwörern, welche den Garen D. I. gestürzt haben, nämlich mit dem V. Sujskij, keineswegs von vorn herein einverstanden war und dass D. bis in den Tod hinein ihrer Unterstützung sicher geblieben ist. Etwas Positives über die Persönlichkeit des Garen D. lässt sich aber bei ihr nicht lernen, weil alle ihr zugeschriebenen klaren Aussagen darüber einander wider- sprechen. Sie hat ihrer Zeit den Djak Bitjagovskij des Mordes ange- klagt und dadurch seinen Untergang verschuldet. Später hat sie diese Anklage durch Vermittelung des Metropoliten Gelasij zurückgenom- men, dabei aber an dem Tode ihres Sohnes keine Zweifel geäussert. Dem Isaak Massa zufolge hätte Martha auf die Fragen des Boris ein- gestanden, dass ihr Sohn noch am Leben und ohne ihr Wissen heimlich in fremde Länder gebracht wäre, was sie von Leuten erfahren hätte, die nun gestorben ^). Vor dem ganzen Volke hat sie darauf den Garen D.L als ihren Sohn anerkannt. Unter V. Sujskij ward aber im Namen der Garin Witwe eine Urkunde an die Vojevoden der sibirischen Städte ge- schickt mit einem Widerrufe dieser Anerkennung; darnach wäre dieser Anerkennung eine geheime Unterredung zwischen dem Betrüger und ihr, der Nonne Martha, vorausgefolgt, wobei D. unter Androhung so- wohl sie selbst umzubringen, als auch ihr ganzes Geschlecht auszurotten, sie seine vermeintliche Mutter zu spielen überredet hätte -j. Wichtiger ist das zweideutige Betragen der Garin Witwe am 17. Mai 1606, wie es von polnischen Gesandten und einem Jesuiten beschrieben wird, welche damals in Moskau zugegen waren. Den Nachrichten der Jesuiten zu- folge hätte die Nonne Martha auf die zudringlichen Fragen der Ver- schwörer zuerst geantwortet, dass sie es besser wüssten ^]. Auch nach dem Diarius der Gesandten Olesnicki und Gasiewski *) soll der sterbende

1) Rer. Ross. Script. Ext., t. II, 64 : »dat hären soone noch int leven was en dat hy heymelyck unten lande was gevoert al sonder hären weeten, maer daerna was haer geseyt van eenige die nu al doot waren«.

2) Co6p. TpaM. u Äor., II, 146; A.A.9., II, 48.

3) Script. Rer. Polon., t. VII. Ks. Jana Wielewickiego S. J. Dziennik : »Deinde voce tremula respondit: vos istud melius nostis. Verum cum illi urgerent ferocius, . . sive metu, sive veritate compulsa, absolute respondit, non fuisse omnino suum filium«.

*) Ab A. Tiirgenevio, Eist. Russiae Mon., t. II, 77: «On sie ozywai do

Wer war Pseudodemetrius I.? 387

D. (wie auch bei Bussow) sich noch einmal auf das Zeugniss seiner Mutter berufen haben. Als nun die Verschwörer den Leichnam an das Kloster schleppen Hessen, wo die Carin Witwe weilte, und sie befragten, ob es ihr Sohn wäre, da hätte sie ausweichend geantwortet : man sollte mich fragen, so lange er lebte ; jetzt, wo er schon ermordet ist, ist er nicht mehr mein. V. bujskij konnte leicht eine Urkunde auf den Namen der Carin Martha fälschen; ihr Vertrauen zu gewinnen seheint ihm nicht gelungen zu sein. Die räthselhaften Autworten der Mutter, das Hin- und Herschwanken der herrschenden Klassen Russlands, die Be- mühungen des Boris, des D-ii habhaft zu werden, haben bereits denjenigen Zeitgenossen, welche an die Echtheit des D. keinen Glauben hegten, die Frage aufgedrängt, ob nicht der Car, ohne D. von üglic gewesen zu sein, dennoch irgend welche Anrechte auf den Thron von Moskau ge- habt hat. Die Relation aus Krakau vom 13. Jänner 1604 zeugt dafür, dass bereits bei den ersten Schritten des FD in Litauen einige Zeitge- nossen einen Bastard in ihm zu sehen glaubten i). Diese Vermuthung

inatki, na ktore slowa jego Knia^ Galiczyn powiedzial mu od roatki, ie ona przyznawa, ie niejest synemjey. ale syn Dymitr prawdziwy jest zabity na Uhliczu«. Nach der Ermordung des Garen folgt dann: «Ona jakoby miata powiedziec, pytac mnie o to bylo, poki on iy^, lecz teraz kiedyscie go zabili, jui nie müy«. Rüssel (La Legende etc.) meint, dass das letzte Gespräch zwi- schen dem Garen D. und den Verschwörern ein Geheimniss geblieben, weil man den einzigen Augenzeugen, den Hellebardier Fürstenberg (so nennt ihn Bussow) ermordet hätte; doch hat auch Rüssel gehört, als ob D. vor dem Tode den Wunsch geäussert, seine Beichte laut vor dem Volke ablegen zu dürfen : mais on ne peut oncques bien scauoir ce que s'y estoit passe entre eux et affin que le dit hallebardier n'eut rien a diuulguer de ces choses, ils le tuerent incontinent . . On dit qu'il auoit prie vn peu devät larticle de sa mort, qu'on luy voulut permettre de dire sa confession en public deuant tout le monde«).

1) Wohl in der Art des späteren Bastards Kostka. Kostka Napierski war der natürliche Sohn des Königs von Polen Wladyslaw IV., wurde zuerst von der Familie der Kostki, darauf beim Hofe des Königs auferzogen. Kühn und leichtsinnig war er seit seiner Jugend der ausländischen Sprachen und des Kriegshandwerks mächtig. Nach Wladyslaw s Tode verschwand er für drei Jahre, weilte eine Zeit lang bei den Kosaken und tauchte endlich im J. 1651, während der König Jan Kasimir die Empörung der Kosaken unter Chmielnickij zu unterdrücken suchte, in dem Vojevodstvo von Krakau auf. Hier begann er die Bauern aufzuwiegeln und für die Sache des Chmielnickij zu werben. Am Ende wurde er doch von seinen Schaaren der Regierung aus- geliefert und gepfeilt (vgl. Kubala, Szkice Historyczne L). Es ist wohl kaum

25*

388 Eugen Scepkin,

beruhte ohne Zweifel nicht sowohl auf irgend welcher positiven Nach- richt, als vielmehr wohl auf dem allgemeinen Eindrucke, welchen der Prätendent und das Jagen nach ihm seitens der Moskauer Regierung auf die Zeitgenossen gemacht haben. Dieselbe Frage hat sich auch Isaak Massa gestellt, ob nicht irgend welche uneheliche Kinder vom Garen Johann dem Schrecklichen zurückgeblieben waren. Er räumt ein, dass dieser Gar viele Konkubinen gehabt hat, glaubt aber dennoch, dass seine Geliebten kaum Kinder zu gebären im Stande waren, weil der Gar sie sogleich nach dem Beischlafe noch an seine Diener zur Befriedigung ihrer Gelüste überwies. Einige polnische Adelsleute wollten wissen, dass PD ein unehelicher Sohn ihres Königs Stephan Batori gewesen ist. Wir glauben, dass diese Vermuthung, als ob D. ein Bastard oder überhaupt ein Jüngling mit gewissen Rechten auf den Thron gewesen, wirklich im Stande ist, alle psychologischen und historischen Räthsel aufzuklären, welche über der Geschichte des PD schweben. Ob er ein natürlicher Sohn des Garen Johanns des Schrecklichen selbst war (vorsichtiger wäre zu sagen, ein Sohn von einer adeligen Konkubine des Garen), oder ein Bastard des Garevic Ivan Ivanovic, oder einer von ihren Witwen, oder vielleicht bloss ein Kind von einem Bojaren, welcher nach dem Ab- sterben des Geschlechtes des Rurik Ansprüche auf den Thron von Moskau erheben dürfte, darüber eine sichere Antwort zu geben, ist bei dem gegenwärtigen Stande unserer Quellen geradezu unmöglich. Für unsere Zwecke wird es genügen, wenn wir die Familienverhältnisse bei den Höfen des Garen Johann des Schrecklichen, des Theodor und Boris in Erinnerung bringen und dadurch im Allgemeinen die Annahme als mög- lich darstellen, dass im Norden Russlands, besonders in und bei den Klöstern, wo alle die gefallenen Grössen, all das abgelebte Glück, alle die Verfolgten oder aus dem Sattel einer sicheren Anstellung geworfenen Leute ihren Zufluchtsort oder ihr Grab suchten und fanden, auch ein Knäblein von einer geheimnissvollen Abstammung leicht zurückbleiben konnte. Wer war der Arzt, welcher (nach unserer Zusammenfassung von ineinanderfallenden russischen und polnischen Nachrichten) vor

denkbar, dass der thatkräftige Demetrius von einem nervösen 50 jährigen Wüst- ling, wie Gar Johann der Sehr., erzeugt worden ist. Es handelt sich also in dem Motto, das wir für unseren ersten Aufsatz den Akten des k. k. Haus-, Hof- und Staatsarchivs zu Wien entlehnt haben, nicht sowohl um eine posi- tive Nachricht, als um eine specifische Auffassung der Persönlichkeit des FD, welcher auch wir im Allgemeinen beipflichten.

Wer war Pseudodemetrius I. ? 389

seinem Tode dem Bojarensobne (Georgij ?) Otrepjev den Knaben Deme- trius zur Pflege und mit ibm vielleicbt aucb das Gebeimniss seiner Ge- burt anvertraut hat? Von welcber Mutterbrust hat er seiner Zeit das Kind weggerissen ? Darüber gibt es keine Zeugnisse.

Indessen haben über diese Fragen bereits die Zeitgenossen ge- grübelt. Ihre Vermuthungen haben sich nämlich in einer Reihe von neuen Prätendenten geäussert, welche genau ihre Rechte auf den Mos- kauer Thron auszuführen wussten. Diese lebendigen Hypothesen sind in einer wichtigen Urkunde des Pseudodemetrius 11., des sog. Schelmes V. Tusino aus dem J. 1608 aufgezählt i). PD II. wendet sich hier an die Einwohner der Stadt Smolensk und vertheidigt seine Rechte sowohl gegen V. Sujskij, als auch gegen die anderen Prätendenten. Da er sich auf dieselben politischen Gruppen stützte, welche die ersten Schritte des ersten FD befördert haben, d.w. s. den Adam Wiszniewiecki, die Städte des Nordlandes (Severa), die Donkosaken, die Moskauer Flüchtlinge, so können wir in seiner Auskunft über sich, als den vermeintlichen PD I., die abgeklärte Tradition über dessen räthselhafte, an Widersprüchen reiche Schicksale sehen. Er behauptet, dass drei Räthe des Boris Bjeljskij, Klesnin und Vasilij äcelkalov der Schwüre eingedenk, so sie dem Garen Johann dem Schrecklichen geschworen, ihn vor den Nach- stellungen des Boris gerettet hätten 2) . Das sind ungefähr dieselben Namen, welche auch Thomas Smith für die Retter des D. genannt hat; dem Neuen Annalisten zufolge hat PD selbst die Djaki Scelkalovy als seine Wohlthäter bezeichnet. Weiter widerlegt die Urkunde die Be- schuldigung des V. Sujskij, als ob der FD ein Mönch Griska 0. wäre. Die Russen haben ja den Otrepjev gekannt, wie alt er gewesen, wie er ausgesehen, was er für Haare und welchen Bart gehabt 3). Nun geht

1) Die Urkunde ist im Lager zu Orel den ^/a April 1608 gegeben und in dem »Sbornik« des Fürsten Obolenskij nach einer Abschrift gedruckt, die seiner Zeit an den Leo Sapieha gelangt war. Vgl. auch Buturlin's Geschichte der Wirrenzeit, B. I.

2) »H ero EopucoBM coBixHiiKu EorÄant E^koejigbI) ctiHt E^jibckoh, fla OHÄpeii neipoBT) chht. KjeniHUHi., ^a BacHjieH moJKajroBT. oxpi.iHy.M otx ce6>i ero 3wioK03HeHHi)iH yiaticjit.«

3) »^a TOTX-ate Harnt usMiHtHHKi) öorooxcTynHHKt ii epexHKt ii nonpaxe.ii, Bipti xpecxuHHCKoe, BaciiJiefi lUyiicKoä, sacB Ilapa u B. K. ^MUipea HBaHOBuq:a HastiBaexT, öorooxcxynnnKOMi. u epeiHKOMt , öyatio si rptiniKO AipenteBX : n Bti, nptipoaceHbie uauiu MHorie jikäh sHajiH FpLirny AipenLeBa, KaKOBTb 6bijn>

390 Eugen Scepkin,

PD IL auf die anderen Prätendenten über, die sich aucli für Carevic ausgeben. Die Russen müssen doch ganz genau wissen, dass der Car Johann der Schreckliche nur drei Söhne gehabt hat den Demetrius (den älteren), der als Kind gestorben, den Ivan, den Theodor und den Demetrius (von Uglic). Theodor hat nur eine Tochter Theodosija, die zwei Jahre gelebt, Ivan überhaupt keine Kinder gehabt. Nun tauchen aber in Astrachanj und in den freien Ansiedelungen in der Steppe (et. II0.ICKHX1. lopxex'Lj viele Caren empor. Der Carevic Augustus Johann in Astrachanj gibt sich für den Sohn des Caren Johann des Schrecklichen von der Carin Koltovskaja aus; die Russen müssen sich aber erinnern, dass die Ehe der Koltovskaja mit dem Caren Johann nur 1 7 Wochen gedauert i). Der andere Prätendent in Astrachanj der Carevic Lau- rentius gibt sich für den Sohn des Carevic Ivan Ivanovic und seiner

Y

dritten Frau Elena Ivanovna Seremeteva aus; die Russen müssen aber wissen, dass Seremeteva keine Kinder geboren. Xun sind auch in der Steppe viele Carevici erschienen Peter, Theodor, Klementij, Savelij, Semion, Vasilij, Jeroska, Gavrilka, Martinka , die sich für Söhne des Caren Theodor ausgeben; es ist aber allgemein bekannt, dass Car Theodor keine Kinder ausser der Theodosija gehabt. Der Schelm von Tusino hat sogar den Befehl erlassen, diese Steppencarevici aufzufangen, mit der Knute zu strafen und ins CTcfängniss zu werfen. In dem Auf- treten der CareviSi Augustus Ivan und Laurentius treffen wir dieselbe Anschauung auf das Thronfolgerecht in Moskau, welche die polnischen Gesandten in Moskau im J. 160S den Bojaren entgegengestellt. Boris hat den Thron von Moskau nur durch die Versicherungen erreicht, dass Theodor und Demetrius ohne Nachfolge gestorben und dass vom Caren- geschlechte Niemand vorhanden. Wenn also trotz seiner Versicherungen nicht nur der Demetrius von Uglic, sondern irgend ein anderer Nach- komme, ein Sohn oder Enkel des Grossfürsten Ivan Vasiljevic erschienen und von den Unterthanen anerkannt worden wäre, so würde dadurch der Eid der Länder Russlands, so dem Boris geschworen, von selbst

rptiiHKa AipenteBi,, ko.ib CTapi. h Ko.aBKHXx .itTt, h KaKOBi. oÖpasoMt, n KaKOBLi EOJOCBi H KaKOBa öopoaa.«

1) »CajiH Biaaeie, ^to 3a TocyjiapeMT. HaiuHMt ÖaTiomKOMt sa UapeMt u

B. K. HBaHOMT. Bacü.iBeEuqeM'B Bcea Pyciu 61.1.1a Ko.ixoBCKaH; ceMHa;iuaTB

Hefli-iB.« Hinter dem Familiennamen ist wohl der Eigenname »AuHa« oder M^apifl« auegefallen.

Wer war Psewdodemetrius I. ? 391

aufgehoben ^). Wenn in ihren Verhancllungen mit den Polen die Mit- glieder des Reichsrathes das Recht der Wahl über das Recht der Ver- wandtschaft mit dem Carenhause stellen wollten, so war es eben nur eine Publicistik derjenigen Clique der Bojaren, welche den Caren Suj- skij auf den Thron gebracht. Denn wenn die Wahl der Stände aller Länder Russlands auf den Boris oder später den Michail Romanov ge- fallen, so wurde dabei officiell ihre Verwandtschaft mit dem ausge- storbenen Carenhause durch die Carinnen Irina und Anastasja hervor- gehoben. Wir können also den Schluss ziehen, dass auch die Anver- wandten einer Koltovskaja oder einer Seremeteva in der Anschauung der Zeit ungefähr dieselben Rechte auf den Thron haben mussten, wie die Godunovy und Romanovy. Von diesem Standpunkte aus wollen wir alle die Ehen des Caren Johann des Schrecklichen und seines Sohnes Ivan durchnehmen. Wir besitzen ein Register über die ersten Ehen des Caren Johann 2). Als der Schreckliche Car sich im J. 1572 zum vierten Male mit der Carin Anna vermählt hatte, da bat er die H. Synode, ihm diese Sünde zu vergeben, indem er in seinem Argwohn behauptete, dass seine drei ersten Frauen vergiftet wären, nämlich die Anastasja Roma- novna Jurjeva, die Marija Temrjukovna aus Pjatigorsk (Kabarda) und Martha Sobakina. Diese letzte Ehe (1572) wäre sogar ein matrimonium inconsumptum geblieben, weil die Martha noch vor der Trauung er- krankt und zwei Wochen nach der Heirath verschieden wäre. Die vierte Carin Anna war eben die Anna Alexeevna Koltovskaja, als Nonne Darja genannt. Es gibt aber keine sichere Nachricht über die 5. und 6. Frau des Caren ; man weiss sogar nicht , ob er sich mit ihnen hat wirklich trauen lassen 3) . Bei dieser Verachtung des Gesetzes seitens des Caren

1) Aktm 3an. Pocc, t. IV, Nr. 177 : »Bti caivm to bushtc, dito Eopiicx Äociy- HH.i'B rocnOÄapcTBa MocKOBCKoro thmx caMLiMt, iiacB jÄa.ix bchm-b .noacMt, mio OeÄopi) H ^MHipt, ocTaxHie hotomkh rocnoÄapeä npHpoKOHtixt Mockob- CKHX1., öest noTOMCTBa sbcjhch h KopeHü HX1 rocnoaapcKoro He sociajo . . H TO-itKO 6m mumo ero y^aHte, ne tokmo Jmhtp'B, ajie uHiniir KoTopBiä BjacHtiä npaBÄHBBiii noxoMOKt, cbth-b hjiii BHyKt BC^iHKoro KHHSH Hsana BacHJiBeBHqa acHBT. ÖBITH noKasajicfl, ii bbi öbi ero nosHa.™ : uho 6ti u KpecTHoe uijioBaHie same H Bcee scMJH, EopHcy y^HHenoe, nepeAt EoroMX h nepeat bchmt. cBiiOM-B Hiraoro He BaacHjo.«

2) Novikov (Äp. Pocc. Bhbji., t. XIII); vgl. auch A.A.3., I, Nr. 284.

3) Karamzin bezeichnet nach einer Handschrift aus eigener Bibliothek (EaarHHCKaa CMicB) die vierte Frau des Caren als Anna Alexeevna Koltov- skaja. Die fünfte Frau Anna Vasiljcikova ist in dem Buche des Volo- kolamskijkloster ohne den Titel der Carin eingetragen. Als sechste Frau

392 Eugen Scepkin,

verschwand eigentlich der Unterschied zwischen einer Frau und einer Konkubine. Die zwei ersten Frauen des Carevic Ivan Ivanovic sind in Nikons Annalen angegeben, beide sind als Nonnen im J. 1619 gestorben und zwar die »Carincc Alexandra, die Tochter des Bojaren Bogdan Jurjevic Saburov, zu Suzdal in dem Mariä-Schutz- und Fürbittekloster (Pokrovskij); die Carin Paraskeva, die Tochter des Michail Solovoj aus Kasira, musste den Schleier am Weissen See nehmen, darauf in Vladimir, endlich in Moskau im Johanneskloster leben, wo sie auch verschieden i).

wird in der Jelaginskaja Smjesj die Witwe Vasilisa Melentjeva genannt; der Car war mit ihr nicht getraut ; es war eher ein Concubinat, welches durch ein Gebet eingesegnet wurde [nunÄ-h Mo.mTBy co bäoboio BacHjnicoio MejieHTBe- BOio). Die Carin-Nonne Darja Alexeevna hat zu Tlchvin in dem Mariä- opferungskloster (TiixekhckIü BBeÄCHCKiä) eine Gemeinde aus 45 Nonnen ver- sammelt und bat den Garen Boris um Ackerland und Wiesen für das Kloster; durch die Urkunde vom 22. Juli 1604 hat Godunov einige Dörfer dem Kloster bewilligt (Akth Hct., II, 49). Im J. 1614 hat der Car Michail Romanov der Nonne Darja einige Dörfer im Gebiete der Stadt Ustjuzna Zelezopoljskaja ge- schenkt (A.n., T. III, Nr. 41 vom 26. Aug.). Als Carin-Nonne Darja Alexeevna ist sie in den Urkunden vom 31. Okt. 1616 und 28. Dec. 1624 erwähnt (Akt. K)p. Nr. 98, 132). Im Okt. 1624 und am 5. Febr. 1626 wurden der Nonne Darja Geschenke vom Hofe des Garen Michail zugesandt, einmal durch den Truch- sess Demetrius Koltovskoj, das andere Mal durch den Truchsess Fürst Daniil Gagarin (Corp. Tp.n^or., III, Nr. 69, 72). Im Frühjahre 1626 muss sie gestorben sein. (Der Lokaltradition zufolge am 5, Apr. S. To.!icToä, Ilapnua IIhoküh}! ^apiü, in »^ymenojr.^xeHie, 1888, Mapix. Indessen ist in diesem Aufsatze un- sicheres Material verwerthet.) Durch die Schenkungsurkunde vom 29. Juni 1626 haben der Car Michail und der Patriarch Philaret auf Grund des Ver- mächtnisses der Nonne Darja ihre zwei Güter (im Gebiete von Uglic und Novgorod) an die Aebtissin des Klosters zu Tichvin, Agathja, und an die zwei Nonnen, die Fürstinnen Leonida und Alexandra Grigorjevny Gagariny mit ihrefi Schwestern verschenkt. Diese Schenkungsurkunde wurde dann durch die Caren Alexej, Theodor und Ivan bestätigt (Aktm Hei., III, Nr. 142). Dem Gr.Tolstoj zufolge waren diese Fürstinnen Gagariny Nichten der Carin Darja, nämlich die Töchter ihrer Schwester. Da die Carin-Witwe Darja Koltovskaja sowohl vom Boris Godunov, als auch vom Caren Michail geehrt und beschenkt wurde, so ist es kaum möglich anzunehmen, dass sie sich in die Intriguen der Wirrenzeit gemischt hätte.

1) Der Lokaltradition zufolge ist Alexandra Saburova in dem Mariä- Schutz- und Fürbittekloster zu Suzdalj begraben. Die Familie der ^ujskie hat seit Ende des XVI. Jahrh. freundliche Beziehungen zu diesem Kloster gepflogen. Pseudodemetrius IL (der Schelm von Tusino) hat der Nonne Alexandra einige Dörfer im Gebiete Suzdalj geschenkt. (Aktbi Her., t. II,

Wer war Pseudodemetrius I.? 393

lieber die dritte Frau des Carevic, die Helena Ivanovna Seremeteva, hat uns Possevin eine Nachricht erhalten. Darnach soll Johann der Sehr, seine schwangere Schwiegertochter einmal nur im ünterkleide liegend getroffen und dafür mit dem Stabe zu schlagen angefangen haben. Der Carevic erlaubte sich dabei, dem Vater Vorwürfe zu machen, erhielt aber vom Garen einen tödtlichen Schlag (Nov. 1581). Die Carevna Helena ist in derselben Nacht von einem todten Kinde entbunden worden, Carevic ist kurz darauf aus dem Leben geschieden. Nach seinem Tode hat die Carin in dem Neuen Fräuleinkloster zu Moskau unter dem Namen Leonida den Schleier genommen. Johann der Schreckliche hat seine Unthat bereut und die Schwägerin noch in den JJ. 1582 83 mit reichen Geschenken beehrt. Zum Lebensunterhalte war ihr die Stadt Ustju^na ^elezopoljskaja zuertheilt. Auch als Nonne hat sie sich Carin genannt und ist unter der Kegierung des Caren Theodor gestorben i). In Anbe-

Nr. 111. Die Schenkungaurkunde vom 9.Dec. 1608: » noaca;roBa.n. ecMu öpaxa Hamero rocyaapK khüsü HsaHa HEaHOBu^a Ilapimy ciapuuy A.jeKcaHapy bt. BOT^HHy BX CysÄa.iBCKOM'B yiaai ÄBopiioBtiMt cejituoMt JIonaTHH^u etc. ch ae- peBHHMH«.) Ihr Vater Bogd. Jurj. Saburov (Bojarin seit 1572) ist im J. 1598 während des Interregnums gestorben, ihr Bruder Michail Bogd. Sab. ist unter der Regierung des PD I. im J. 1606 zum Bojarin befördert (Hoeukobt., Pocc. BuB.i., T. XXj. Im Allgemeinen wurden die Saburovy zu der Partei der Go- dunovy gerechnet. Wenn man das nahe Verhältniss der Sujskie zumPokrov- skijkloster mit den Nachrichten über den Aufenthalt des Griska Nr. 2 in den Klöstern der Stadt und des Gebietes Suzdalj zusammenstellt, so fasst man unter allen Nonnen des Carenhauses unwillkürlich eben gegen die Alexandra Saburova Verdacht, ob sie nicht in irgend welchen Beziehungen zu der Intrigue gegen B. Godunov gestanden hätte. In den Archivalien des Cyrilliklosters am Weissen See wird im Sommer des J. 1606 erwähnt, dass die Carin Nonne Paraskovja und die Nonne Olga Borisovna, die Tochter des Caren Godunov, aus ihrem Aufenthaltsorte in dem Goreckijkloster das Kloster des Cyrilli be- sucht hätten. Pelagija Michajiovna Solovaja, als Nonne Paraskeva, war eben die zweite Frau des Carevic Ivan Ivanovic. Es scheint, dass auch die Nonne DarjaKoltovskaja eine Zeit lang in dem Gorickijkloster geweilt hat (^pcBH. n Tpyati MocK. Apxeo.ü. 06m., t. VIII, HsB^ieieHia U3t ApxuEH. KHurx KKpu.iJiOBa EiJioesepcKaro MonacxBipfl).

1) De Moscovia in Eist. Ruth. Script. Exteri. ed. Starczewski : sed ac- cepta alapa, deinde baculo, quem ille gestabat, ita percussa est, ut insequenti nocte pneri abortum faceret ... Et filius multa Uli exprobraverat in haec verba : Tu mihi primam uxorem nullam ob causam in monasterium intrusistl, de'secunda id ipsum fecisti, ecce jam tertiam percutis, ut filius quem in utero gerit pereat. Die Carin Lconida wird erwähnt in A.A.9. 320 (20. Aug. 1583)

394 Eugen bcepkin,

tracht der Reue und des Wohlwollens seitens des Garen Johanns des Schrecklichen ist es ganz unmöglich zu denken, dass sie ihr Kind vom Carevic Ivan hätte verbergen wollen. Da indessen allen diesen jungen Frauen, derKoltovskaja, derSolovaja, der Saburova, der Schleier gegen ihren Willen aufgezwungen wurde, so ist an und für sich die Möglich- keit gar nicht ausgeschlossen, dass eine von ihnen während ihres späte- ren Lebens im Kloster von einem Knaben entbunden wäre. Wir haben wenigstens sichere Nachrichten, dass z. B. die erste Frau Peters des Grossen, Eudoxie Lopuchina, in dem Kloster zu Suzdal ein freies Leben geführt hat^). Besonders auffällig scheint uns aber der Umstand zu sein, dass diejenigen Familien der Bojarensöhne, welche unserer Meinung nach an der Vorbereitung des FD Theil genommen haben, dieOtrepjevy, die Jackie, die Dubenskie, in den Akten der Zeit an der Seite der Kol- tovskie zu treffen sind 2). Der Carevic Augustus Ivan zu Astrahanj hat

und Äon. K-B Akt.Zct.I, 226 (21. Juli 1587); vgl. auch die Bestätigungsurkunde vom 2. Apr. 1662 la Aktm Hct., t. IV, Nr. 166. Im Allgemeinen s. Barsukov's »Das Geschlecht der äeremetevy« B. I.

1) Bei der Untersuchung aus dem J. 1718 hat Stepan Glebov das Zeug- niss abgelegt, dass er vor ungefähr 8 9 Jahren in Suzdalj lebte, um Soldaten zu werben; damals hätte er durch Vermittelung des Beichtvaters der Carin Nonne Helena (Eudoxie Lopuchina) ihre Bekanntschaft gemacht und ihr Ge- schenke zugesandt, endlich mit Unterstützung der Nonne Kapitoline ein Liebesverhältniss mit ihr angeknüpft. Am 21. Febr. 1718 hat die Nonne Helena das Zeugniss des Glebov durch ihr eigenes Geständniss bestätigt (ycrpnjioB'i., HcTopifl IleTpa B., t. 6).

2) Zum Unterschiede von den Sobakiny kommen die Koltovskie weder unter den Mitgliedern der Carensynklete, noch unter den höchsten Hof- chargen aus der Zeit der Garen Johann des Sehr., des Theodor, des Boris, des PD I. und des V. Sujskij vor (Pocc. Bhbji. t. XX). Wir treflfen sie dagegen in den Kangregistern für das Heer, in den Listen der Bqjarensöhne, in den Katasterbüchern. In dem Register des Sinbirskij Sbornik treflfen wir den Alexander Koltovskoj im Heere zum ersten Male im Sept. 1570, den Alexander und Gregorij K. im Gefolge des Garen selbst zum ersten Male um das Jahr 1571 72 erwähnt. Im Gefolge der Carevici Ivan und Theodor nehmen ver- schiedene Koltovskije höhere Posten ein, als bei der Person des Garen selbst. Der Zug des Garen nach Novgorod im Sept. 1572 Jänner 1573 muss als die Zeit der höchsten Gunst der Koltovskije betrachtet werden; wir finden hier 5 Mitglieder der Familie auf einmal. Dann verschwinden sie beinahe gänzlich auch aus den Militärregistern Johanns des Sehr. Vereinzelt werden die K. im Heere noch unter Theodor vmd Boris erwähnt. Gregor und Alexander K. sind auch in das Synodikon des Garen Johann im Cyrillikloster eingetragen, wo

Wer war Pseudodemetrius I. ? 395

also seine Abstammung gar nicht so schlecht ersonnen. Es gab noch eine Frau, welche während der Wirrenzeit in Klosterhaft schmachtete, gerade weil sie nach dem Tode des Garen Theodor und der Abdankung der Irina Godunova zunächst das Recht auf den Thron besessen. Das ist die »Königin« von Lifland Marja Vladimirovna , die Frau des dänischen Königssohnes Magnus. Wir wissen indessen, dass sie nach Moskau erst im J. 1586 als Witwe gekommen ist und ausser der Tochter Eudoxie keine Kinder gehabt hat. Sie wurde von Boris gezwungen, den Schleier zu nehmen, ihre Tochter ist früh mit Tode weggegangen. Unter dem Namen der Nonne Martha wird sie noch im J. 1609 erwähnt i).

Unter den Männern, welche dem Boris Argwohn gegen sich und ihre Kinder einflössen konnten, gebührt die erste Stelle dem Garen Si- meon 2) . Sain-Bulat, Sohn eines Tatarencarevic Bekbulat, stand Dank

Alle die von ihm Geächteten, Ermordeten, Ersäuften, Verbrannten aufgezählt werden (ycxpajiOBi., CKasaHia KH.KypÖCKaro). In den Katasterbüchern kommen die K. im Gebiete der Stadt Kasira (Kataster der JJ. 1578 79) und im Ge- biete der Stadt Kolomna vor (Kataster der JJ. 1577 78). In dem Heiland- kloster in Kolomna wird ein Heiliges Bild des Erzengels Michael erwähnt, das zum Gedächtnisse der Anna Koltovskaja geschenkt worden; hier werden auch die Verehrungen der Serefedinovy aufgezählt {ILumoBhin Kmiru IImh. Pycc. Feorp. 06m.). In den Listen der Bojareusöhne von Kolomna aus dem J. 1577 werden die Koltovskie neben den Serefedinovy, Dubenskie, Otrepjevy, Jackie aufgeführt uStorozev's Dekaden ÄecaTHu XVI Bina bx oöpaöoiKi B.H.CTopoaceBa, MocKBa, 1891. Abdruck aus der Beschreibung der Materialien in dem Moskauer Archiv des Justizminist. . Einer von den 5 Brüdern Chri- punovy, nämlich Daniel Michajlovic Chripunov-Dubenskij, wird im Okt. 1619 als Vojevoda von Dorogobuz erwähnt (Aktm IIct., III, ST. Im J. 1610 wurde Gavriil Grigorjevic Chripunov für seine Dienste vom Könige Sigismund III. unter die Edelleute der Synkletos ernannt ;6i>itb bo aBopAHexi, b Äyiiutixi.).

1) Im Juli 1609 wurde die Königin Nonne Martha, während der Belage- rung des Dreieinigkeitklosters durch Jan Sapieha, beschuldigt, mit dem Ver- räther, dem Schatzmeister Joseph Djevockin, Hand in Hand zu gehen und sowohl mit dem Schelm von Tusino (PD IL), als auch mit Sapieha und Rozin- skij einen Briefwechsel zu führen (Aktbi IIct., II, Nr. 241 : la Kopo-ieBa npo- MBim.iHeT'i. et KasiiaieeMT) 3a ojuHt; u nuca.ia Kt Eopy »öpaioMi)«, a jiHTOBCKiiMt nanoMt Caniri ex TOBaptimu ex 'lewioöuTBeMX . . . a bx 6o.imie EopoBCKie laöapBi Kx PyaciiHCKOMy nany cb TOBapumu laKoace nucajia.). S. den Aufsatz des Prof. D. Zvjetajeff im Journ. des ünterrichtsminist., 1878, März (MapLa Baa^HMl- poBHa H MarHycx /laTCKiü).

2) S. Chmcoex EeK6y.!iaT0BHqx, Xasx KacmviOBCKiH u t. a., eoexaBiiJX H.jIu- jeeEx, Tsept, 1891. Aus den Büchern des Cyrilliklosters erfährt man, dass Simeon B. im März 1606 nach dem Kloster gebracht, im April bereits ge-

396 Eugen Scepkin,

dem Caren Johann dem Sehr, im J. 1570 als ein Vasallchan der Stadt Kasimov vor. Als solcher nahm er an den Kriegsztigen unter der Re- gierung des Caren Johann Theil. Seit dem J. 15 73 wird er bereits unter dem christlichen Namen Simeon erwähnt. Darauf wurde er mit der Tochter des Fürsten Ivan Theodorovic Mstislavskij, Anastasja Ivanovna, vermählt. Seit dem J. 1575, als Car Johann sich die Moskauer Herr- schaft ausgeschieden, die Länder Russlands an Simeon cedirt, heisst der Carevic »Grossfürst des Ganzen Russlands«. Diesen Ehrenposten hat ihm der Car Johann wohl nach einem Jahre abermals entzogen, Fletcher berichtet, dass der Car Simeon während seiner kurzen Regie- rung der Geistlichkeit und den Klöstern die Rechtstitel auf ihre Güter abgenommen hätte; als Johann der Sehr, abermals die Herrschaft über ganz Russland übernommen, da hat er die Urkunden für eine gute Summe Geldes der Geistlichkeit zurückgegeben. Horsey erwähnt dabei auch die Privilegien der Städte und erklärt überhaupt das ganze politische Experiment des Caren Johanns des Sehr, durch den Wunsch, seine zer- rüttete finanzielle Lage durch Rechtsbruch zu verbessern, die Verant- wortung dafür auf einen Anderen zu wälzen. Zufolge den Aeusserungen des Caren Johann selbst war die Theilung des Reiches dadurch hervor- gerufen, dass die Unterthanen, d.w.s. der Adel, ihm den Gehorsam ver- sagt und gegen ihn Ränke geschmiedet hätten. Um das J. 1577 wird Simeon als Grossfürst von Tverj erwähnt. Den officiellen Akten zufolge wurde Tverj bereits im Juni 1589 wiederum von Beamten verwaltet. Man kann also die Verbannung des Caren Simeon nach dem Dorfe Ku- salino (bei Tverj) unter der Regierung des Theodor entweder mit der Verschwörung des Mstislavskij aus dem J. 1586 oder der Verschwörung der Sujskie zu Gunsten der Irina Mstislavskaja aus dem J. 1587 in Zu- sammenhang bringen. Im J. 1592, also bald nach dem Morde zu Uglic, hat Simeon in dem Dorfe Kusalino eine neue steinerne Kirche zu Ehren des H, Marienbildes aus Smolensk aufgebaut mit einer Kapelle zu Ehren des H. Märtyrers Demetrius aus Saloniki. Vielleicht wurde es nur zur Erinnerung an seinen eigenen Sohn gethan, sonst müsste man es als eine Herausforderung dem Boris gegenüber auffassen. Dem Margaret und Nikon's Annalen zufolge hat ihn Boris durch einen Gifttrunk blenden

scheren war (^pesHocTu u Tpyati Mock. Apxeoj.Oöm., t. VIII. Hsejci. hsi. Apx. KHHri. Kiipii.3.ioBa Eijioesep. MoHacx.). Arch. Dosithej führt die Söhne des Si- meon in folgender Reihenfolge an: Theodor, Demetrius, Johann (OniicaHie CojiOBeuKaro MoHacxtip;!, I, 119).

Wer war Pseudodemetrius I. ? 397

lassen (1595). In einem Briefe des PD I. an Boris (welcher kaum für authentisch, jedeufalls aber für ein historisches Dokument jener Zeit auf- zufassen ist) wird dem Boris der Vorwurf gemacht : den Garen Simeon hast du geblendet, seinen Sohn Johann vergiftet. In dem Synodikon des Soloveckijklosters auf der Weissen See sind wirklich die Frau des Simeon Anastasja, die Söhne Demetrius, Theodor, Johann und noch drei Töchter eingeschrieben. Wir besitzen sonst keine Nachrichten über seine ganze Familie; von Wichtigkeit ist indessen der Schwur, welchen die Unterthanen dem Boris im J. 1598 schwören mussten: den Garen Simeon Bekbulatovic, seine Kinder oder sonst einen Anderen sich zum Garen nie zu wünschen, nie daran zu denken u. s. w. Unter der Regie- rung des FD I. für kurze Zeit nach Moskau berufen, wurde er auf Be- fehl des Garen den S.April 1606 in dem Gyrillikloster am Weissen See zum Mönche geschoren. Der Sturz des PD I. hat die Lage des Garen Simeon nur verschlimmert. Auf Befehl des Garen Vasilij Sujskij (vom 29. Mai 1606) wurde er nach dem Soloveckijkloster gebracht, wo er statt der Ruhe grosse Noth gelitten haben wollte. An Mitteln hat es ihm wohl auch hier nicht gefehlt, denn zum Danke für eine Gabe wurde seine Familie in das Synodikon eingetragen. Aber es war jedenfalls eine Haft für den Mönch Stephan. Auf Grund seiner Fürbitte hat er im J. 1612 vom Fürsten Pozarskij die Erlaubniss erhalten, nach dem Gy- rillikloster zurückzukehren. Die erste mildere Verbannung unter PD I. zur Ruhe nach dem Gyrillikloster lässt sich leicht durch irgend ein hitziges Wort des orthodoxen Simeon erklären, man bleibt aber grübelnd über der strengen 6 jährigen Haft unter V. Sujskij stehen. Als Mitbe- werber um die Krone konnte der blinde Mönch Stephan nicht mehr ge- fährlich sein, er hat aber wohl allzuviel gewusst über die Ereignisse der JJ. 1591 1606, ist vielleicht selbst allzu offen und gerade aufgetreten, um nicht für gefährlich zu gelten. Oder hat Sujskij wirklich Beziehungen zwischen Simeon und den Verschwörern des Wunderklosters bei seiner Untersuchung entdeckt ?

Einigen russischen Nachrichten zufolge soll Demetrius selbst später die Djaki Scelkalovy als seine Retter bezeichnet haben. Andererseits möchten wir, wie bei einem Findelkinde, das an ihm aufgefundene Kleinod etwas genauer untersuchen. Nach Bussow wären auf dem Tauf kreuze, welches der Prätendent in Polen vorgezeigt, die Namen eines Demetrij und eines Fürsten Ivan Mstislavskij gestochen gewesen. Diese Nachricht konnte Bussow von Adam Wiszn. erhalten haben. Vom

398 Eugen Scepkin,

Standpunkte des deutschen Chronisten, welcher den FD aus Weissruss- land herführt, konnte das Kreuz mit dem Namen des Ivan Mstislavskij keinesfalls dem feinen Jünglinge selbst gehört haben, sondern war ihm von Griöka eingehändigt i). Wenn aber das Tauf kreuz nicht mit dem Carevic Demetrius selbst zu üglic begraben war, so konnte es nur durch Vermittelung der Nagie an den Griska gelangt sein. Andererseits aber konnte das Kreuz von Anfang an nicht dem Carevic zu Uglic, sondern dem Geschlechte der Mstislavskie gehört haben und an eine Kirche oder ein Kloster einmal geschenkt worden sein. Es scheint nämlich, dass es keineswegs Ivan Mstisl., sondern vielmehr Bogdan Bjelskij der Tauf- vater des Carevic D. gewesen ist 2). Jedenfalls gilt es zu versuchen, in der Geschichte der Familie Mstislavskie während der Wirrenzeiten die Lösung des Räthsels zu suchen. Horsey nennt als die vierte Frau des Caren Johann des Schrecklichen eine Tochter des Fürsten Ivan Theo- dorovic Mstislavskij ; da sich sonst unter den 7 allgemein angenommenen Frauen des Caren Johann keine Mstislavskaja vorkommt, so konnte Horsey nur von einem Civilverhältnisse gehört haben. Nun wissen wir (aus Massa und Margeret), dass der sogenannte Volkscar Simeon Bek- bulatovic mit einer Tochter des Ivan Mstislavskij vermählt wurde. Wahrscheinlich war es eben die Geliebte des Caren Johann; es ist auch möglich, dass Horsey den Caren Simeon mit dem Caren Johann verwechselt hat. Eine andere Tochter des Ivan Mst., welche schön gewesen sein sollte, musste unter der Regierung des Boris unverheirathet bleiben und gegen ihren Willen den Schleier nehmen 3). Ihr Bruder, der Fürst

1) RRSE., I, 19: »Übergab er, der Münch, (Griskal ihm (dem feinen tapferen Jüngling) auch das gülden Creutz, welches dem ermordeten Demetrio von desselben Tauf-Paten Knees Iwan Mestisloffski zum Paten-Pfennig war gegeben worden und er das Mahl in der Ertödtung hatte am Halse gehabt, darauf des Demetrii und seines Taufpaten Nahmen gestochen waren«. Eine ähnliche Nachricht findet sich auch in der von Bnssow unabhängigen Tra- goedia Moscowitica.

2) Bussow erzählt nämlich zum 1. Jimi 1605: »Buchtan Beelski . . , er aber nach des Boris Tode wieder ans Licht kommen, beym gemeinen Mann in grosser Authorität gehalten, und ihn darum, dass er den Gudenowen für allen andern das meiste zutrieb, anstatt des Demetrii, dessen Taufpate zu seyn er vorgab, itzo das Regiment im Schlosse anbefohlen werden«.

3) Es ist ganz verständlich, dass der ehrgeizige Boris sich vor dem Ge- schlechte der Mstislavskie gefürchtet hat. Fürst Theodor Mich. Mst. (f 1540) hat die Nichte des Caren Vasilij Iv. III., die Fürstin Anaatasja, geheirathet.

Wer war Pseudodemetrius I. ? 399

Theodor Ivanovic Mstislavskij , bat zwar einen ehrenvollen Platz am Hofe des Boris eingenommen, musste aber auch auf Wunsch dieses Garen unverbeirathet bleiben. Was seinen Vater Ivan Mst. anbetrifft, so wurde er noch unter der Regierung des Garen Theodor Ivanovic auf Anstiften

Ihr Sohn war Ivan Theod., ihre Enkel waren Theodor Iv., Anastasja Iv. (die Frau des Simeon Bekb.), Irina Iv. (als Jungfrau zur Nonne geschoren). S. Kh. .?IouaHOBi>-PocTOBCKiH, PyccKaji PoaoM. Knura. Im J. 1575 war Theodor Mst. Mundschenk geworden, im J. 1577 wurden Theodor und Vasilij Iv. Mst. zu Bojaren befördert. In diesen Jahren hat also das Geschlecht besondere Gunst beim Garen Johann IV. genossen. Dem Petreius zufolge hätten die Feinde des Boris den Plan entworfen, die erste Frau des Garen Theodor Irina Godunova in ein Kloster einzusperren und den Garen mit der Schwester des Fürsten Theodor Ivanovic Mstislavskij zu vermählen (des Fürsten Fedro Ivvanovvitz Zizlouskis Schwester). Godunov wäre aber ihnen zuvorgekom- men und hätte die Braut zu einer Nonne gemacht und ins Kloster gestossen. Es kann hier nur von der Verschwörung der Sujskie aus dem J. 1587 die Rede sein. Der Ansicht des Prof. Platonov zufolge war Johann der Schreckliche gegen Ende seiner Regierung nicht sowohl von Männern aus dem alten Adel, als von Verwandten und Schwägern umgeben (/KMHII., 1898, Juni: «IlepBLie IIo.iuTii^ecKie mara Eopuca FoayHOBa). Fürst Ivan Tb. Mstislavskij war ein Neffe des Garen Johann, Sohn seiner Gousine Anastasja. Die Jurjevy, Godu- novy, Nagie waren mit der Garenfamilie verschwägert. Bogdan Bjeljskij war ein persönlicher Liebling des Garen, Scelkalovy behaupteten ihre Stellung Dank ihren Talenten. Die Jurjevy, Godunovy, Sujskie waren auch unter einander verschwägert: Ivan Ivan. Godunov hat die Tochter des Nik. Rom. Jurjev geheirathet; Boris God. imd Dmitrij Iv. Sujskij haben zwei Schwestern ge- heirathet. Iv.Th. Mstislavskij und Nik. Rom. Jurjev haben die zwei Schwestern Irina und Eudoxie aus der Familie der Gorbatye- Sujskie geheirathet. Der Kampf lim den Thron ging also nicht sowohl unter den alten Bojarenfamilien als solchen, sondern unter den Anverwandten des Garenhauses. Nach den Jurjevy und Godunovy waren die Sujskie die mächtigsten; nur sie allein ge- hörten zum Stamme des H. Vladimir durch ihren Ahnen GF. Alexander Ja- roslavic Nevskij . Wir pflichten der historisch ganz richtigen Vorstellung des Prof. Platonov bei, können indessen seine Ghronologie nicht annehmen. Er sagt nämlich: Nikita Romanov ist im April 1585 gestorben, wahrscheinlich im Sommer 1585 ist Iv. Th. Mstislavskij in Ungnade gefallen. Die «Sage vom Griska 0.«, welche für die russischen Begebenheiten ganz korrekte Jahres- angaben anführt, setzt die Verfolgung und Einkerkerung des Fürsten Iv.Th. Mstisl. in das J. 1586, was auch durch die Rangliste (Äp. Pocc. Bubj., XX) be- stätigt wird. Die Rangliste bei Novikov [Jl. P. B. XX) nimmt zwar für den Tod des Nikita Rom. Jurj. wirklich das J. 1585 an, erwähnt aber den Monat gar nicht. Die ausführliche Angabe führt Iv.Snegirev nach der Tradition des Neuen Heilandklosters an, nämlich den 23. April 1586. Wir halten die Frage für unentschieden.

400 Eugen Scepkin,

des Boris Godunov in dem Cyrillikloster am Weissen See zum Mönche geschoren; hier starb er im J. 1586. Fürst Theodor Mst. wurde vom Garen Boris als Vojevoda gegen den PD geschickt, erhielt eine Wunde bei der Niederlage der Moskowiten bei Novgorod Severskij, musste nach dem Tode des alten Godunov seine Würde an den Basmanov übergeben und nach Moskau zurückkehren. Trotz seiner Kriegsdienste gegen den FD wurde er auch von diesem Garen mit Ehren und Geschenken über- schüttet. D. I. hat ihn mit einer Anverwandten seiner vermeintlichen Mutter aus dem Geschlechte der Nagie vermählt.

Wie steht es nun mit der russischen Nachricht, der zufolge PD in Polen die Moskauer Bojaren und die Djaki Scelkalovy als seine Retter bezeichnet hätte ? Massa spricht ausführlich von den Talenten und dem Einflüsse des älteren Scelkalov (Andrej). Es war ein durchtriebener und böswilliger Beamter von grossem Verstände und Arbeitskraft. In keiner von den Provinzen, keiner von den Städten durfte etwas ohne sein Wissen und Wollen geschehen. Tag und Nacht hatte er keine Ruhe und doch klagte er immer über Mangel an Arbeit. Boris bewunderte seinen Fleiss, glaubte an seine Anhänglichkeit, hielt ihn für unentbehr- lich für die Landesregierung und war ihm überhaupt gewogen. Er ist noch unter Gar Theodor Iv. gestorben. Sein Bruder Vasilij Scelkalov ersetzte ihn in dem Staatsdienste, blieb aber in Bezug auf seine Talente weit hinter dem Bruder Andrej zurück. Die Gharakteristik der beiden Staatssekretäre findet in den russischen Quellen ihre Bestätigung. An- drej und Vasilij Jakovlevici Scelkalovy haben bereits unter der Regie- rung des Garen Johann des Schrecklichen einen bedeutenden Einfluss ausgeübt; sie werden im J. 1572 unter den Djaki der »Länder« Russ- lands (Zemsciua) erwähnt. In den siebziger Jahren des XVI. Jahrh. hat Andrej Scelkalov die Geschäfte der Rangkanzlei (Razrjadnaja Izba oder Prikaz) und darauf der Kanzlei für auswärtige Angelegenheiten (Posolj- skij Prikaz) erledigt. Als der englische Bevollmächtigte Bawes den 12. Aug. 1584 Moskau verliess, da hielten sich, seinen Worten zufolge, Nikita Romanovic Jurjev und Andrej Scelkalov für Garen, und so wur- den sie auch von vielen sehr verständigen und einflussreichen Räthen genannt. Im J. 1591 hat gerade V. Scelkalov die üntersuchungsakten über den Tod des Garevic D. zu Uglic vor dem Patriarchen und der ganzen heiligen Synode vorgelesen. Eine russische Quelle will wissen, dass beide Brüder Scelkalovy unter der Regierung des Theodor seit dem J. 1586, d.w.s. dem Todesjahre der alten Bojaren Ivan Mst. und Nikita

Wer war Pseudodemetrius I. ? 401

Romanovie, von der Partei der Romanovy zu derjeuigen des Boris über- getreten sind. Im März des J. 1594 hat Djak Andrej Scelkalov in der Kanzlei für Ausw. Angeleg. den Boten des Kaisers, Michael Schiele, empfangen, im August stand an der Spitze dieser Kanzlei bereits Vasilij Scelkalov. Auch Horsey will wissen, dass Andrej Sc. vor seinem Tode in Ungnade gefallen ist : sicher ist nur, dass Andrej hc. sich vor dem Tode hat einkleiden lassen und als Mönch unter dem Namen Theodosius gestorben ist^). Vasilij Sc. blieb Staatssekretär für Ausw. Angeleg.

1) Prof. Platonov hat die Vermuthung ausgesprochen üCypu. Muh. Hap. IIpocB. 1898, Juni) und glaubt nächstens sie beweisen zu können, dass die Verabschiedung des Andrej Scelkalov mit den Unterhandlungen Oesterreichs über die Kandidatur des Erzh. Maximilian auf den Moskauer Thron in Ver- bindung gestanden hätte. Uns scheint es geradezu unmöglich, dass ein so erfahrener Djak, wie Andrej hc., ernst daran denken konnte, dem Erzh. Maxi- milian den Weg zum Throne in Moskau zu ebnen. Höchstens konnte er in seiner Habgier nur etwas Geld von der Kaiserlichen Regierung auspressen wollen. Diese abenteuerlichen Verhandlungen wurden mit Zustimmung des Boris geführt und begannen zu der Zeit, wo die Tochter des Garen Theodor, Theodosja, noch am Leben war (sie ist nämlich nach dem Morde zu Uglic ge- boren und 2 Jahre alt Anfang 1594 gestorben). Indessen müssen wir auf Grund der chronologischen Reihenfolge der Begebenheiten zulassen, dass eben dieVerhandhmgen mit dem kaiserlichen Gesandten Varkotsch im J. 1594 dem Boris irgend welchen Anlass gegeben, Missvergnügen oder Misstrauen gegen den greisen (Djak Timopheev »r.3y6oiaümiiMU cijunaMu UBixymu«) An- drej §c. zu schöpfen. Der andere Djak Vasilij Sc., welcher an allen diesen Geschäften neben seinem Bruder Andrej Theil genommen, rückte an den Platz des Verabschiedeten. Da bei schweren politischen Verschulden die Ungnade gewöhnlich das ganze Geschlecht des Geächteten getroffen, so hat es sich bei Andrej Sc. wohl um eine rein persönliche Verstimmung seitens des Boris ge- handelt. Es kam nach dem Tode derTheodosija die Zeit, wo Godunov, seines Zieles sicher, von den Männern unabhängig zu werden wünschte, die ihn grossgemacht und ihm in seinem rücksichtslosen politischen Spiele mitge- holfen haben. Jede Veranlassung, den Andrej äc. zu verabschieden, musste ihm unter solchen Verhältnissen erwünscht sein. Die »Beziehungen Oester- reichs zu Russland in den Jahren 1584 98« sind vom Hofr. Fiedler in seinem Aufsatze dargelegt (Almanach der Kais. Akademie der Wiss. 1860). Man er- sieht daraus, dass beim Kais. Hofe sowohl über die Nachkommen, so vom Garen Johann dem Schreckl. zurückgeblieben, als auch über die Stimmung der regierenden Kreise gegenüber den Ausländern ganz falsche Vorstellungen herrschten. Nachdem die Aussichten auf den polnischen Thron für den Erzh. Maximilian durch seine Niederlage und Gefangenschaft bei Biczin (24. Jänner 1587) bereits trübe geworden, erschien im April 1588 am Kaiserhofe in Prag in geheimer Sendung Lucas Pauli, Sohn eines in Moskau gefangen gehaltenen

ArchiT für slarische Philologie. XXII. 26

402 Eugen Scepkin,

(Dumnyj DjakPosolskagoPrikaza) bis zum J. 1601, wo er im Frühjahre in Ungnade gefallen zu sein scheint: seit Juni IGOl sitzt nämlich in der

Deutschen, als Ueberbringer eines Schreibens des Grossfürsten Fedor. Pauli überreichte dem Kaiser ein Memoire, worin er für seine Person zur Kenntniss des Kaisers brachte, dass die russischen Grossen und Boris Godunov mit der jetzigen Regierung nicht zufrieden seien und grosse Hoffnung auf die Wahl des Erzherzogs Max. gesetzt hätten. Nun wurde Niclas Warkotsch mit Lucas Pauli nach Moskau expedirt (Instruktion vom 6. Okt. 1588). Am 20. April 1589 ist Warkotsch in Audienz vom Garen empfangen worden. Die unbestimmten Aeusserungen des Boris »es sollten hernach grössere Sachen folgen« , glaubte Warkotsch dahin deuten zu können, dass Boris auf den Thron keine Hoffnung mehr hege und die Succession des Max. noch bei Lebzeiten des Theodor zu unterstützen bereit wäre. Während der zweiten Sendung des Warkotsch in den JJ. 1593 1594 war Andrej §c. wirklich einmal am 16. Nov.

1593 AUends in seiner Wohnung erschienen, um mit ihm im Auftrage des Grossfürsten und Boris Godunov einige geheime Gegenstände zu verhandeln. Aus dem Finalberichte des Warkotsch ersieht man indessen (19. März 1594), dass Maximilians Kandidatur in Moskau abgewiesen worden war. Das Höchste, worauf man einzugehen bereit schien, lautete : nach dem Zustandekommen eines Bündnisses sollte ein junger Fürst des Hauses Oesterreich, 14 bis 18 Jahre alt, nach Moskau geschickt werden, um russische Sitten sich anzueignen. Allmählich gingen der kaiserlichen Diplomatie die Augen auf Die Instruk- tion vom Jahre 1598 an Dohna äusserte die Bereitwilligkeit, den Boris und seinen Sohn zu unterstützen, in der Holfnung, dass das Bündniss zwischen den katholischen Mächten und Russland gegen die Türken endlich einmal zu Stande kommen würde. Dieselben Verhandlungen sind aus den russischen Archiven in »IlaMHTHUKu üun.ioMaTiiq. CnomeHiü, n. gedruckt. Hier handelt es sich stets nur um das Bündniss gegen die Türken und um die Kandidatur des Max. auf den polnischen Thron. Man sieht auch, dass die österreichische Diplomatie vor Allem auf den Boris rechnete und ihm für seine wohlwollende Haltung Dank abstattete (Instr. an Warkotsch vom 15. Dec. 1593). Im Dec.

1594 war Warkotsch abermals beim Garen. Während seiner Anwesenheit langte daselbst im Jänner 1595 auch der österreichische Bote Schiele an mit kais. Briefen an Warkotsch; er brachte auch Briefe vom Erzh. Max. an den Garen Theodor, Boris God.und noch zwei Briefe von Daniel Printz und Lucas Pauli an den Djak Andrej Sc. mit, welcher bereits aus der Kanzlei für Ausw. Augeleg. (Posoljskij Prikaz) verschwunden imd durch Vasilij Sc. er- setzt worden war. In dem Briefe an Andrej §c. benachrichtigt ihn Pauli, dass eine Gesandtschaft der katholischen Mächte an den Garen geplant wird und dass Erzh. Maximilian selbst nach Moskau zu reisen bereit ist, falls ihm der Gar einen Geleitbrief schicken würde ; Andrej ^c. sollte alle diese Nachrichten dem Boris mittheilen. Von Maximilians Kandidatur auf den Moskauer Thron ist in den russischen officiellen Urkunden nirgends die Rede.

Als Mönch Theodosius wird Andrej Sc. in dem Speisebuche des Cyrilli-

Wer war Pseudodemetrius I. ? 403

Kanzlei für Aiisw. Angel, bereits Athanasij Vlasjev allein. Demetrius I. hat den V. Scelkalov zurückberufen und mit dem Range eines Okoljnicij in die Bojarskaja Duma (Reichsrath) befördert; für einen Djak war da- mals solche Ehre geradezu unerhört. Diese Würde und den entsprechen-

, V

den Platz hat er auch unter Vasilij Sujskij behauptet. Eine Schenkungs- urkunde des Königs Sigismund III. an den V. Scel. vom 20. Sept. 1610 weist darauf hin, dass er sich damals an die polnische Partei angeschlos- sen hat. Was den allgemeinen Charakter der Verwaltung der Brüder SSelkalovy anbetrifft, so war sie durch Willkür und sogar Fäl- schungen zu Gunsten der ihnen befreundeten Adelsfamilien berüchtigt. Die Familie der Scelkalovy war in manches Klostersynodikon zum Ge- denken eingeschrieben, unter anderem auch in ein Synodikon des Wun- derklosters. Hier konnte PD in seiner Jugend auch den Namen des Mönches Theodosius (Andrej Sc.) kennen lernen. Auch der Chronograph des Djak Ivan Thimotheev schildert uns den älteren Bruder als den all- mächtigen Alleinherrscher, die beiden Brüder aber als die eigentlichen Führer und Verführer des Boris Godunov auf dem Wege zur Krone. Um dem Boris zum Throne zu verhelfen, hätten beide ihre Seelen der ewigen Verdammniss überantwortet. Als aber Boris seine Rivalen mit Hilfe der beiden Brüder Scelkalovy aus dem Wege geräumt und der Alleinherrschaft sicher war, hätte er sich gegen seine Lehrer selbst ge-

klosters am Weissen See erwähnt (San. Ota. PyccK. h Cias. ApxcojioriH Hmd. Apx. Oöin;., t. I, 1851 ; KopMOBaa Knara KapiMJio-EijiOBepcKaro MOHacrtipa). Es scheint, dass Andrej Sc. im J. 1597 noch am Leben war, obgleich sein Brief aus diesem Jahre bereits von seinem Beichtvater in seinem Namen geschrie- ben worden ist (©eÄOioB't-'y^exoBCKifi, Aktbi ao rpaaca. pacnpaBti /IpeBHeü PocciH, T. I, Nr. 96). Im Mai 1601 hält Vasilij Sc. eine Rede beim Empfange des Kais. Abgesandten (TlaM. Änn^ioM. Gnom., x. II, 786). Seit Juni 1601 sitzt in der Kanzlei für Ausw. Angeleg. Athanasij Vlasjev allein (CöopHHKi. Hmh. Hcxop. 06m., T.38; S.399,401, 422). Der kaiserliche Bote Schiele (Wichmann, Samm- lung kleiner Schriften) berichtet, dass während des Interregnums nach dem Tode des Garen Theodor der Djak der Synkletos Vasilij Scelkalov dem Volke zweimal vorgeschlagen hätte, den Eid der Treue der Carensynkletos zu leisten (»also sollten sie iezo den Knesen vnd Bojarn hulden vnd schworen«). Das Volk wollte indessen Nichts von den Knesen und Bojaren hören und ant- wortete, dass es bereits der Carin Irina gehuldigt habe. Schiele ist ein halbes Jahr nach der Wahl des Boris zum Garen, nämlich am 10. Sept. st. n., nach Moskau gekommen. Im Allgemeinen s. JIuxaqeBT., PaspaauLie äbakh; vgl. auch, K)piH TojiCToii, Poccifl h AHrjtiji.

26*

404 Eugen Scepkin,

wendet, hat ihnen die Güter eingezogen und sie das Ende von ihrem Leben in Unbedeutendheit schleppen und beenden lassen.

Der Bericht über den Aufenthalt des Thomas Smith in Russland behauptet, dass es eben Bogdan Bjeljskij, welcher in der Person des Andrej Sc. und Andrej Klesnin Freunde am Hofe des Boris zählte, aus seiner Verbannung die Rettung des Demetrius bewerkstelligt habe.

Bogdan Bjeljskij, der mächtigste Liebling Johanns des Schrecklichen, soll (nach Djak Timotheev) zusammen mit dem Boris Godunov diesem Garen verbrecherisch das Leben verkürzt haben. Darauf wird Bjeljskij in eine ehrenvolle Verbannung aus Moskau geschickt. Es wird ihm später sogar die Verwaltung der Stadt Borisov anvertraut. Von seinen Feinden verleumdet, wird er dann aber wie ein Verbrecher bestraft und auf einem entlegenen Orte eingekerkert. Erst nach dem Tode des Boris kehrt er nach Moskau zurück. Auch Nikon's Chronik zufolge hat sich nach dem Tode des Garen Johanns des Sehr, ein Gerücht in der Stadt ver- breitet, als ob Bogdan B. mit seinen Rathgebern den Garen umgebracht hätte und nun darnach strebe, die Bojaren und das ganze Garengeschlecht auszurotten, um die Herrschaft an seineu »Rathgeber« (wohl Boris) zu bringen. Das Volk und die Kriegsleute (Ljapunovy aus Rjazanj) strömten nach der Kremlburg zu, und wurden nur dadurch beschwichtigt, dass Bjeljskij nach Niznij-Novgorod in Verbannung geschickt wurde. Boris Godunov hat aber darauf Rache an den Anstiftern dieses Aufruhrs genom- men. Nach Oderborn hätte Johann der Sehr, dem Bjeljskij die Vormund- schaft über seinen jüngsten Sohn D. anvertraut. Da hätte Bjeljskij den Versuch gemacht, die Wahl des Theodor Ivanovic zum Garen zu Gunsten seines Mündels zu hintertreiben. In dieser Absicht hätte sich Bjeljskij der Hauptburg der Stadt Moskau bemächtigt und die Verwaltung an sich gerissen. Nun hätte aber der übrige Adel einen Aufruhr gegen den BB ins Werk gesetzt und sei zur Belagerung der Burg geschritten. BB ward gezwungen, die Burg zu verlassen und in eine freiwillige Verbannung nach Kazan (?) zu gehen. Erstjetzt wäre Theodor zum Garen ausgerufen ').

1) Hist. Ruth. Script. Ext., ed. Starczewski, Pauli Oderbornii Joannis Basilidis vitae libri 3: «Filii enim sui natu minoris tutelam Bielsio Principi commendaverat etc.« Den Militärregistern zufolge war Bjeljskij in den Jahren 1591 und 1592 bereits abermals im Heere angestellt (Chhö.Cöoph.). Die Rang- liste bei Novikov (Pocc. Bubji. XX) berichtet, dass B. im J. 1610 in Kazanj er- mordet worden ist; wahrscheinlich hat er sich gegen die Anerkennung des PD II. gesträubt. Eine Urkunde, welche aus Kazanj nach Chlynov im Namen

Wer war Pseudodemetrius I.? 405

Andrej Klesnin (mit dem Beinamen Lupus) wird vom Djak Timo- theev als ein Verwandter und Werkzeug des Boris erwähnt; die Tra- dition schreibt gerade ihm die ganze Organisation des Mordes zu üglic bei. Er hat sich nach altrussischem Brauch vor dem Tode einkleiden lassen und ist als Mönch Leukej im J. 1599 in dem Paphnutijkloster bei Borovsk aus dem Leben geschieden ^).

Wenn auch der FD alle die Männer, welche er als Folge seines Betruges für seine Anverwandten (wie die Nagie) oder seine Retter (wie den Scelkalov, vielleicht auch Bjeljskij und Philaret Romanov) halten sollte, mit Ehren belohnte, so sind sie doch keineswegs zu seinen näch- sten Räthen geworden. In grosser Gnade standen bei ihm vor allem die 3 Männer, welche beim Beginne seines Unternehmens und bei seinem Anzüge gegen Moskau ihm Beistand geleistet haben. So hat Michail Molcanov, welcher unter Boris für Schwarzkünstelei die Knute erhalten haben soll, an den FD sich noch in Polen angeschlossen; nach Massa hat er beim Hofe des D.I. die Rolle eines Kupplers übernommen, ist nach dem Sturze des Garen abermals nach Polen entflohen und hat bei der Vorbereitung des PD II. der Familie Mniszech Dienste erwiesen. Dann werden als die besten Freunde des D. der Fürst Vasilij Masaljskij, welcher ihm Putivlj verrathen hat, und Peter Basmanov, der ihm das ganze Heer im Lager bei Kromy überliefert, von Massa genannt 2) .

der Vojevoden Morozov und Bogdan Bjeljskij im Jänner 1611 gesandt war, berichtet, dassKazanj dem Pseudodem.II. Treue geschworen und erst später von der Absetzung des Sujskij erfahren hätte. Die Entfernung des Bjeljskij nach dem Tode des PD I. nach Kazanj war wohl überhaupt durch den Sieg der Partei des V. Sujskij hervorgerufen. Oderborn's Bericht ist ungenau. Bjeljskij hat im J. 1584, bereits unter der Regierung Theodor's, einen Staats- streich zu Gunsten der «Opricnina« gewagt. Er wurde nach Niznij-Novgorod verwiesen. Vgl. Hirschberg, D. Samozwaniec, 3.

1) S. Karamzin, Anmerkungen.

-] Michail Andrejevic Molcanov darf nicht mit dem Michail Vasiljevic M. verwechselt werden, welcher im J. 1591 nach Uglic geschickt wurde. Für seine Treue dem Könige Sigismund III. und seinem Sohne Vladislav gegen- über wurde M. A. Molcanov im Jänner 1611 in eine Kanzlei ernannt. Im Cy- rillikloster wird ein Synodikon aufgehoben, worin auf den Wunsch des Garen Johanns des Schrecklichen zum Gedächtnisse beim Gottesdienste die Namen aller derjenigen eingetragen sind, welche unter seiner Regierung inUngoade gefallen, d.w.s.getödtet, ersäuft und verbrannt worden sind. Hier sind gegen das Ende vier Sobakiny, zwei Koltovskie Gregor und Alexander), Andrej Molcanov und die Tochter eines Fürsten Mosaljskij eingetragen (ycxpajoBx, CKaa. KH. KypöcKaroj.

406 Eugen ^cepkiD,

Horsey zählt den Alexander Nikitic Romanov und den B. Bjeljskij zu den Anstiftern des Aufruhrs gegen Boris Godunov. Indessen berichtet er für die Regierung des Boris nur nach Hörensagen. Den Antheil des B. Bjeljskij schildert er wohl nach Thomas Smith; vom Alexander Ro- manov hat er vielleicht gehört, dass der Verdacht, die Vergiftung des Boris zu planen, seinerzeit gerade ihn getroffen hat. Horsey lässt ihn nun allen russischen Nachrichten zuwider nach Polen entfliehen und von dort her die Revolte leiten , während doch nur Ivan und Theodor Ro- manov den Boris überlebt haben. Mit dem ältesten Sohne des Nikita Romanovic dem späteren Patriarchen Philaret hat Horsey per- sönlich verkehrt. Ihre ganze Hoffnung setzte die Familie Romanov gerade in diesen Theodor Nikitic. Es war ein schöner stattlicher Mann und ein ausgezeichneter Reiter. Godunov zwang ihn aber, sich mit der Kammerjungfrau (?) seiner Schwester, welche an Boris Cerkasklj ver- heirathet war, zu vermählen. Die Ausländer ; Horsey, Massa, Bussow) glaubten im Allgemeinen, dass sei es noch von Theodor Ivanovic selbst, sei es nach seinem Tode eben Theodor Romanov zum Garen erwählt war. Die Anklage gegen die Brüder Romanovy wurde wegen der vermeintlichen Mordpläne erhoben, im Juni 1601 wurde das Urtheil über sie gefällt. Theodor R. hat später die anderen Bojaren an seiner Verbannung für schuldig erklärt; er wurde nämlich in dem Sijskij- Kloster zum Mönche geschoren, Alexander Nikitic soll (dem Massa zu- folge) mit dem kleinen Söhnchen Theodor's nach Beloozero verbannt worden sein. Hier wäre Alexander R. in einer heissen Badestube er- stickt, während das kleine Kind zufälligerweise am Leben geblieben und von fremden Leuten aufgehoben worden sei M. Den russischen Quellen

1) Diese Nachriclit des Massa halten wir für eine reine Fabel. Von Wichtigkeit ist indessen dieser Glaube der Zeitgenossen, dass bei den zahl- reichen Verfolgungen gegen die Bojaren und ihre Kinder ein Sohn von einem Verbannten irgendwo im Norden gerettet werden und unbekannt aufwachsen konnte. Charakteristisch für die Zeiten Johanns des Sehr, und der Wirren ist in dieser Hinsicht die Vita des H. Galaktion. Nach dem Willen des Garen Johann wurde der Fürst Ivan Bjeljskij des Lebens beraubt; nach seinem Tode hat er einen siebenjährigen Knaben, den Fürsten Gabriel, zurückge- lassen. Die Anverwandten brachten nun das Kind heimlich nach Starica. Als der junge Fürst herangereift war, zog er sich aus Furcht vor dem Garen nach Vologda zurück ; hier wurde er Schuster, verheirathete sich, verlor die Frau und gründete nun ein Kloster (Apxien. ^H^apeiT. ^epHHroBCKiii, PyccKie CBHTbie, 24. CeHT.).

Wer war Pseudodemetrius I. ? 407

zufolge (Nikon's Annaleu u. a. m.) soll dagegen Alexander R. an das Weisse Meer nach Usolje-Luda verbannt, dort erdrosselt und begraben sein ; Fürst Boris Cerkaskij mit Frau und Kind, die Kinder des Theodor Romanov mit ihrer Tante Nastasja und die Familie des Alexander Nikitic wurden in der That am Weissen See (Beloozero) ins Gefängniss eingesperrt. Später liess Boris den Ivan Nik. Romanov und den Fürsten Ivan Boris. Cerkaskij nach Moskau zurückberufen, die Schwester des Theodor Nikitic sammt seinen Kindern nach dem Dorfe Klin in dem Jurjevskij-Bezirk bringen, wo sie bis zum Tode des Godunov verblieben i).

*) Iv. Snjegirev bat seiner Zeit in der Beschreibung des Neuen Heiland- klosters in Moskau und der Gräber der Familie Romanov eine ziemlich voll- ständige Liste ihrer Mitglieder aus der Wirrenzeit und die relativ sichersten Daten über ihren Tod gegeben (HoBocnaccKÜi MOHacTtipi,, Co^.Il. Gh.). Gegen- wärtig hat die Gelehrte Archivkommission des Gouv. Kostroma, Sektion der Romanovy, die Veröifentlichung einer Sammlung von Materialien zur Ge- schichte des Geschlechtes R. begonnen. Der unter der Redaktion des H. Selifontov bereits erschienene II.Theil enthält die hierauf bezügliche Samm- lung von Materialien des H. Sacharov: (Cöophukt, Maxepia.ioB'i. no Zciopiu IIpeaKOBT. napa Muxaujia 6eoj;opoBii^a PoMauoBa ; i. II. Po;iocjiOBHaH Poaa 3a- sapBHHtixT. - roiiieBbixi) - PoMaHOBtixt, HS/i. Ce.iii*onTOBi. no MaTepia.iaMi> Caxa- poBa). Die Angaben des H. Sacharov haben sich oft als unkorrekt erwiesen und sind vom H. Selifontov in Anmerkungen auf Grund anderer Forschungen ausgebessert worden, welche hauptsächlich auf den Iv.Snegirev zurückgehen. Mit Hilfe der Bücher der HH. Snegirev und Selifontov wollen wir hier eine kurze Uebersicht der Familie Romanovy zur Zeit der Wirren geben. Nikita Romanovic Jurjev-Zacharjin ist als Mönch Niphont am 23. April 1586 (1585?) verschieden; er hat aus zwei Ehen 6 Söhne (Theodor, Alexander, Michail, Ivan, Vasilij, Lev) und 6 Töchter (Anna, Irina, Anastasja, Martha, Julianija, Euthymija) zurückgelassen, a) Bojarin Theodor (Philaret) R. ist im J. 1633 gestorben; seine Frau Xenija Sestova wurde im Juni 1601 nach dem Tolvuj- skij-Kirchhof (Gebiet Novgorod) verbannt, b) Bojarin Alexander R. wurde nach Usolje-Luda am Weissen Meere auf die Güter des Cyrilliklosters ver- bannt; im März 1606 wurde sein Leichnam zu Moskau im Neuen Heiland- kloster begraben, c) Okoljnicij Michail R. wurde nach Nyrob bei Cerdynj verbannt, wo er im J. 1601 gestorben ist. d) Vasilij R. wurde zuerst nach Ja- ransk, darauf nach Pelymj verbannt, wo er am 15. Febr. 1602 gestorben ist. e) Ivan R. wurde nach Pelymj verbannt und im Herbste des J. 1602 zurück nach Moskau berufen; f 1640. f) Anna R. war mit dem Theod. Trojekurov vermählt, g, EythymjaR. wurde in Sumskij Ostrog in ein Kloster eingesperrt, wo sie als Nonne im J. 1602 verschieden ist. h) Martha R. war an den Fürsten Boris Kambulatovic Cerkaskij verheirathet; wurde mit ihrem Manne nach dem Weissen See, darauf nach seinem Tode nach dem Gute Klin verbannt. Ihr Sohn Ivan wurde nach Malmyz verbannt und im Herbste 1602 nach Moskau

408 Eugen Scepkin,

Fürst Obolenskij glaubte in dem Djak Athanasij Vlasjev die eigent- liche Triebfeder bei der ganzen Geschichte des FD zu finden, konnte aber keine einzige Thatsache zur Unterstützung seiner Annahme an- führen. Vlasjev hat in der That eine glänzende Rolle unter PD gespielt, besonders als Stellvertreter des Garen bei der Verlobung mit Marina Mniszech zu Krakau. Indessen kann es genügend dadurch erklärt wer- den, dass er infolge seiner früheren Dienste bald als Gesandter, bald als Staatssekretär an der Kanzlei für Ausw. Angel, für den erfahrensten unter den Djaki gelten konnte. Von seinen heimlichen Verhandlungen mit Sapieha ist nichts bekannt, und die Vermuthung, als ob unter ihnen eine Uebereinkunft über den Sturz des Boris und die Beförderung des FD getroffen war, fällt mit der Thatsache, dass Sapieha an dem Heeres- zuge des PD keinen direkten Antheil genommen zu haben scheint. Andererseits hat auch Vlasjev bis zum letzten Augenblicke treu im Dienste der Godunov ausgeharrt').

zurückberufen. Ihre Tochter Irina Borisovna war an den Theodor Seremetev verheirathet. i) Irina R. war an den Bojaren Ivan Ivan. Godunov verheirathet, wurde allein vom Garen Boris verschont, k) Anastasja R. wurde als Jungfrau im J. 1601 nach dem Weissen See, im J. 1602 nach Klin verbannt. 1, Lew R. und m) Julianija R. sind früh gestorben. Aus den Kindern des Theodor (Philaret) R. sind die Söhne Boris, Nikita, Lev, Ivan noch in zartem Alter ge- storben. Der spätere Gar Michail ist am 12. Juli 1596 geboren. Die Tochter Tatiana Theodorovna wurde noch als Jungfrau im J. 1601 nach dem Weissen See (Bjeloozero), im J. 1602 nach Klin verbannt, später an den Fürsten Ka- tyrev verheirathet.

1) Die Vertreter dieser Meinung glauben, dass die Gesandtschaft des Leo Sapieha nach Moskau in den JJ. 1600 1601 und die Gesandtschaft des Vlasjev nach Viljno in den JJ. 1601 1602 passende Gelegenheiten gewesen. um eine Uebereinkunft zwischen der polnischen Regierung und den Oli- garchen in Moskau zu Stande zu bringen. Nach Adelung hat die Gesandt- schaft des Sapieha am 28. Sept. s. n. die russische Grenze überschritten. Als sich hier über ihre Verpflegung auf russische Kosten wegen ihrer grossen Zahl einige Schwierigkeiten erhoben, schickte Sapieha einen Theil seiner Leute mit mehr als 100 Pferden nach Polen. Und doch bestand dieses verminderte Gefolge noch aus 140 Hofjunkern, 300 Dienern und 440 Stallknechten und Fuhrleuten. Die Gesandtschaft kam den 16. Oktober in Moskau an. Am 3. December fingen die eigentlichen Friedensunterhandlungen an. Dem P. Pierling zufolge war Leo Sapieha im März 1601 bereits auf dem Rückwege (La Russie et le S. Siege, II, 376). Die russische Gesandtschaft, vor welcher der König Sigismund III. das Friedensbündniss beschwören sollte, bestand aus dem Bojaren Michail Glebovic Soltykov, dem Adeismanne Vasilij Timo- theevic Plesceev und dem Djak Athanasij Ivanovic Vlasjev; sie wurde vom

Wer war Pseudodemctrius I.? 4Q9

Nun bleiben uns noch die Sujskie. Hier müssen wir einen Unter- schied zwischen zwei Generationen dieser Familie machen. Nach »Cna- sanie h ÜOBicTt« haben Boris G. und Andrej Scelkalov im Jahre 1586 den I. Mstislavskij aus dem Wege geräumt und sich im folgenden Jahre gegen die Sujskie gewandt, indem sie zu ihrer gewöhnlichen Waffe der Verleumdung gegriffen. Die Vertreter beider Generationen des Geschlechtes werden jetzt in Verbannung geschickt. Ivan Petrovic nach Beloozero, Vasilij und Alexander Ivanovici nach Galic, Andrej Ivanovic nach der Stadt Buj, Dmitrij und Ivan Ivanovici nach Suja. Der Ftirst Ivan Petrovic soll im J. 15S9 im Gefängnisse am Weissen See erstickt, Fürst Andrej Ivanovic zu Buj in demselben Jahre ermordet worden sein ^). Die Anhänger der Sujskie werden entweder hingerichtet, oder an die Ufer der Weissen See, nach Sibirien, nach Vologda, nach Permj und an die Ufer des Terek verbannt. Nikon's Chronik setzt die Anklage gegen die Sujskie in das Jahr 1587. Horsey und »Die neue Sage « bringen alle diese Verfolgungen mit dem Umstände in Verbindung, dass Johann der Schreckliche seine Kinder Theodor und Demetrius der Vormundschaft des Ivan Petrovic Sujskij, des Ivan Theodorovic Msti- slavskij und des Nikita Romanovic Jurjev anvertraut. Da hätte Boris den Augenblick benutzt, als Ivan Petrovic sich auf seine väterlichen Güter in Suzdal begeben, um ihn im Namen des Garen Theodor nach Beloozero zu verbannen und dort im Gefängnisse umzubringen. Doch wurden wohl die Brüder Vasilij und Dmitrij Ivanovici bald begnadigt; denn im J. 1591 leitet Vasilij S. bereits die Untersuchung über den Mord zu Uglic und gegen den anrückenden FD leisten beide Brüder im J. 1605 Kriegsdienste. Nach Massa war Dmitrij Sujskij mit der Schwester der Frau des Boris verheirathet und diese Verschwägerung hat wohl ihn und seinen Bruder Vasilij vor jeder weiteren Verfolgung seitens des

V

Boris geschützt. Nach den ersten Erfolgen des PD soll Vasilij S. dem

Caren am 6. Aug. st. v. 1601 abgefertigt und erreichte am 26. Dec. Viljno; am 7. Jänner 1602 hat Sigismund vor ihnen das Kreuz geküsst, und am 24. Jänner haben die Gesandten auf dem Rückwege die russische Grenze erreicht (Hobukobt., üp. Pocc. Bub.i., IV).

1) Der Rangliste zufolge sind Andrej Ivanovic und Ivan Petrovic Sujskie im J. 1587 gestorben (ÄP-Pocc.Bhbj., XX). In den Büchern des Cyrilliklosters wird es erwähnt, dass Gar Theodor im J. 1589 zum Gedächtnisse des Ivan Petrovic Sujskij, als Mönch Hiob, einen Beitrag von 50 Rubel dem Kloster ausgezahlt. Der Mönch Hiob lag in dem Kloster begraben Oanuciai Ota. PyccK. H CiaB. Apxeoj. Hiin. Apx, 06in., t. I, 1851).

410 Eugen äcepkin,

Boris noch einmal geschworen haben, dass er den echten Carevic seiner Zeit zu üglic begraben hat. Nach dem Tode des Boris nach Moskau berufen, hat derselbe Vasilij S. noch einmal öffentlich vor dem Volke geschworen, dass er den Carevic D. mit eigenen Händen zu üglic in den Sarg gelegt und dass der gegen Moskau anrückende Prätendent ein Teufelswerkzeug und ein aus dem Kloster entlaufener Mönch wäre. In diesen Tagen, wo V. oujskij dem jungen Godunov den Thron i,u retten versuchte, wurde auch eine Amnestie für die vom Garen Boris Verbann- ten angekündigt. Jetzt erst kehrte wohl auch Bjeljskij zurück; nach Bussow hat eben Bjeljskij den letzten Stoss dazu gegeben, um das Volk von Moskau den Godunovy abtrünnig zu machen und für den FD zu gewinnen. Nach dem Einzüge des FD hat er auch das Kreuz vor dem Volke darauf geküsst, dass er der rechte Erbe und Sohn des Ivan Va- siljevic wäre; ob er aber wirklich mit dem D. von üglic identisch wäre, das hat B. Bjeljskij nicht erwähnt; in denselben ausweichenden Aus- drücken hat auch Griska Otrepjev dem englischen Agenten zu Jaroslavlj geschworen, dass PD ein Sohn des Garen Johann wäre. Nach Bussow hat PD einen vornehmen Bojaren mit einem Briefe an das Volk von Moskau abgesandt: dieser Bojar wendet sich den 1. Juni st. v. zuerst an die Bürger der Vorstadt Krasnoe Selo, findet Gehör, wird von ihnen durch die Stadt Moskau bis zur Jerusalemkirche vor den Schlossthoren geführt und spricht hier von der Öffentlichen Katheder (Lobnoje Mjesto) vor dem ganzen Volke zu Gunsten seines Garen D. Die Bojaren, welche noch zu dem jungen Theodor Godunov hielten, versuchten den Boten in das Schloss hereinzulocken, die gemeinen Leute Hessen es aber nicht zu und entschieden sich endlich für den PD ; an diesem Tage wurde Theo- dor mit Mutter und Schwester unter Wache genommen. In diesen Tagen hätte Bjeljskij das Volk auch gegen die deutschen Doktoren angehetzt ^). BB hat sich nämlich eben jetzt für den Taufpathen des D. ausgegeben und die Verwaltung in dem Schlosse vorläufig bis zur Herkunft des D. an sich gerissen. Nun erzählt aber auch Petrejus von denselben Ereig- nissen. Da er aber bei seiner Reproduktion des Bussow immer auch etwas Besonderes hinzuzufügen bemüht ist, so behauptet er, das Volk wäre, bevor sich für den FD zu entscheiden, zum Vasilij Sujskij ge- gangen und hätte ihn über den Prätendenten befragt: jetzt (also nicht

1) Bussow gibt bald den 1., bald den 3. Juni an. Der Brief, welchen Plesceev mitgebracht hat, ist vom 1. Juni datirt. S. Aktbi.

i

Wer war Pseudodemetrius I. ? 411

auf dem öffentlichen Platze) habe Sujskij die Aufklärung gegeben, als ob seiner Zeit zu Uglic eines Priesters Sohn statt des Demetrii ermordet und begraben wäre, der rechte Carevic befinde sich aber gegenwärtig zu Tula. Nun glauben wir auf Grund der Erzählung bei Bussow und Smith, dass keineswegs der Sujskij, sondern B. Bjeljskij in diesen Tagen über die Situation und die öffentliche Meinung geherrscht ; ihm gehört wohl auch diese neue Aufklärung über den Pfaffensohn (vgl. Smith). Dem entspricht auch, dass B. Bjeljskij bis zur letzten Stunde für den D. I. ausgehalten und, nach der Wahl des V. Sujskij zum Garen, in die Verbannung nach Kazanj gegangen. Im Gegentheil würde Suj- skij durch eine klare Verleugnung seiner früheren Angaben über den Tod des Garevic nicht nur sich selbst Lügen gestraft, sondern auch sich jede Möglichkeit, später mit einem Worte das Volk gegen den D. I. zu entzünden, geraubt haben. V. Sujskij hat sich wohl schweigend in die Ereignisse gefügt und ist nach Tula gezogen, um bei der ersten besten Gelegenheit seine Ränke aufzunehmen. Nach zwei Verschwörungen ist es ihm gelungen, den D. zu stürzen; nur als der Vorkämpfer gegen den Betrüger hat er auch die Krone erhalten. Im Mai 1605 hatte er bei den Godunovy mehr Aussichten auf Erfolg, als beim FD; für den B. Bjeljskij lagen die Sachen ganz umgekehrt. Petrejus ist eine allzu unlautere Quelle, um auf Grund seiner einzeln stehenden Nachricht anzunehmen, dass V. Sujskij jemals in klaren Worten die Echtheit des Garen D. aner- kannt hätte. Damit schwindet für uns die Möglichkeit, ihn für den Ein- pauker oder wenigstens den Beförderer des Betrügers anzuerkennen.

Gleich in die ersten Tage nach dem Einzüge des PD I. in Moskau fällt die erste Verschwörung und Verurtheilung des V. Sujskij . Dem Neuen Annalisten zufolge hätten viele Russen, unter ihnen auch V. Suj- skij, begonnen, unter sich die Massregeln zu erwägen, wie sie den ortho- doxen griechischen Glauben vor der vermeintlichen Verfolgung des Garen D. I. schützen könnten. Griska erfuhr darüber und liess die Männer auffangen. Da er aber die ehrwürdigen Grossen des Reiches ohne Fug und Recht ins Verderben zu stürzen sich nicht erdreistete, so hat er einen Reichstag ihretwegen ausgeschrieben und hat ihre Ver- schwörung gegen ihn der ganzen Versammlung kundgethan. Der ganze Reichstag wusste, dass er kein Carensohn, sondern eben Griska 0. war, doch wagte Niemand ihn zu überführen, da einer vor dem anderen Furcht hatte: alle donnerten gegen die Sujskie. Die Annalen des Nikon schil- dern den Reichstag etwas ausführlicher : darnach hätten weder die

412 Eugen Scepkin,

Würdenträger, noch die Bojaren, noch der gemeine Mann den Sujskie ausgeholfen (na tom% ate coöope hh BjracTH, hh is öojnpt, hh ic npo- CTLix'B ÄTOjueü HHXToatt HM% nocoöcTByK)n];e, Bce Ha HExt 2Ke Kpnqaxy). Margeret und Payerle bestätigen diese Nachricht, dass V. Sujskij nicht von der Synklete oder der H. Synode allein, sondern von einem Reichs- tage aller Stände gerichtet wurde. Es bleibt nur die Frage, ob man hier die Stände der Moskauer Herrschaft, oder die Stände aller Länder Russlands zu verstehen hat ; ein solcher Unterschied leuchtet klar aus der Rede des Patriarchen Hiob vor dem Reichstage des J. 1598 hervor. Um Zeit zu ersparen, wird man sich wohl mit den anwesenden Vertretern des Heeres und der Stadt Moskau begnügt haben ^). Die Gründe, weshalb Car D. den V. Sujskij begnadigt hat, können verschiedenartig gewesen sein : allzugrosses Selbstvertrauen, der Wunsch, den Grossmüthigen zu spielen, der Grundsatz, nicht durch Furcht, sondern durch Milde und Gnade sich Treue zu erzwingen. Jedenfalls geht daraus hervor, dass er von Seiten des V. Sujskij keine sicheren Beweise gegen seine Echtheit zu fürchten hatte. Wenn aber V. Sujskij der Leiter der ganzen Jntrigue gegen Boris gewesen wäre, so würden ihm wohl die schreiendsten Be- weise des Betruges zur Verfügung gestanden haben.

Wenn wir nun die Verhältnisse am russischen Hofe in ihrer Ge- sammtheit überblicken, so finden wir nur eine Persönlichkeit, welche dieser ganzen Intrigue gewachsen war und vom D. I. selbst und dem Thomas Smith unter seinen Rettern genannt sein soll : das ist der all- mächtige und allwissende Djak Andrej Scelkalov. Sein nahes Verhält- niss zum Wunderkloster, sein Einfluss bei den übrigen Djaken, welche dem »Neuen Annalisten« zufolge später den Griska 0. unter ihren Schutz genommen haben, machen diese Aussage des D. wahrscheinlich. Auch die Behauptung der Carin- Witwe, welche sie vor dem Boris beim Anrücken des D. I. ausgesprochen hatte, als ob ihr Sohn gegen ihren

ij Der Jesuit Lawicki scheint angenommen zu haben, dass V. Sujskij in einer gemeinsamen Sitzung der Carensynklete und der H. Synode gerichtet worden iP. Pierling, Rome et D^metrius, S. 85: »Calumnia inter alias erat, quod ecclesias demoliri omnes Moscoviticas statuerit Princeps, sed hanc ut falsam in maximo consessu Senatorum etiam spiritualium cum caeteris aliis refellit Princeps . . ut totum senatum ingenuosa refutatione mendaciorum in sui amorem rapuerit«)- Dem Briefe des Lawicki zufolge sollte die Hinrich- tung den 10. Juli st. n. stattfinden. Die «Sage aus dem J. 1606« nimmt dafür den 25. Juni st. v. an ; Sujskij wäre begnadigt und mit seinen Brüdern für ein halbes Jahr in die Verbannung geschickt worden.

Wer war Pseudodemetrius I.? 413

Willen von Leuten gerettet wäre, die bereits gestorben sind, passt auf den Djak Scelkalov. Seine Verabschiedung fällt in den Sommer 1594, wahrscheinlich hat er auch bald darauf die Kutte genommen. In wel- chem Verhältnisse konnte er aber zu dem 14jährigen Knaben gestanden haben, der um den Jänner 1595 vom H. Tryphon zum Mönche geschoren wurde? Wer wirklich die Absicht gehegt hätte, einen Prätendenten allmählich vorzubereiten, der würde ihn nie zugelassen haben, Mönch zu werden. Den Sohn eines von den Djaki Sc. (Scribe filius) in dem D. zu sehen, wäre zwar gewagt. Es scheint uns aber möglich, in dem Demetrius Rheorovic (Griska Nr. 2) einen Burschen zu vermuthen, der aus irgend welchen politischen Rücksichten vom Boris mit Hilfe des §6. zur Seite geschoben werden sollte. Ob Sc. durch die Mönchskutte den Burschen vielleicht vor dem Tode zu retten suchte, welcher ihm vom Boris be- stimmt war, ob der Bursche nur deshalb geschoren werden sollte, weil sein Beschützer oder Hüter Sc. selbst in Ungnade gefallen war, und Andere später den Trumpf ausgespielt haben, darüber lässt sich keine Auskunft geben. Eine andere russische Quelle, mit welcher auch die Relation des Thomas Smith zum Theil übereinstimmt, bezeichnet jeden- falls den Vasilij Sc. als den Retter des PD ; wir sehen kein Hinderniss, auch diese Nachricht anzunehmen. Unserer Vermuthung nach hätten die Brüder Sc. natürlich nicht den D. von Uglic, sondern eben diesen Burschen gerettet, welcher später als D. aufgetreten war. Wenn nun das Kreuz mit den Namen des Ivan Mstislavskij und eines Demetrij der Familie der Mstislavskie gehörte, so könnte man in dem Burschen eben einen zur Seite geschobenen Sprössling dieses Geschlechtes erblicken (die Nachkommenschaft des Garen Symeon mit eingeschlossen). Der Umstand, dass das Zeleznoborovskij -Kloster, welches in der ganzen Geschichte des Griska eine wichtige Rolle spielt, unweit des Gutes Domnino liegt (Bezirk der Stadt Buj in dem Gouvernement Kostroma) , scheint dem Peter Kazanskij den Gedanken eingeflösst zu haben, in dem Griska einen Sprössling aus der Familie der Romano vy zu erblicken. Da aber Domnino nicht dem Geschlechte Romanovy, sondern den

V

Sestovy gehört hat, so konnte nur Theodor Romanov in Betracht kom- men, welcher mit einer Ksenija Sestova vermählt war. Die Beziehungen des M. Povadin zu Ivan Ivanovic Sujskij und des Griska Nr. 2 zu den Klöstern in Suzdal, dann auch die Verbannung des Fürsten Alexander Ivanovic oujskij nach Galic und des Fürsten Andrej Ivanovic S. gerade nach der Stadt Buj könnten unsere Nachsuchungen auch auf denjenigen

414 Eugen Scepkin,

Zweig der Sujskie lenken, welcher dem Boris feindlich geblieben. Die Abstammung von einer adeligen Konkubine des Garen Johann des Sehr, oder des Carevic Ivan Ivanovic, vielleicht sogar von einer geschiedenen und ins Nonnenkloster geschickten Gemahlin des Carevic könnte um so mehr den PD dem Boris verdächtig gemacht und ihm die Aufmerksam- keit des Andrej Sc. zugezogen haben ^).

Dem Berichte des Bussow zufolge hätte Boris bei den ersten Ge- rüchten vom PD in Polen, also wohl im J. 1604, vor Allem gegen die Bojaren Verdacht gefasst. Wir haben im Laufe unserer Untersuchung alle die Thatsachen aufgepflückt und zusammengestellt, welche die Schuld der Bojaren, besonders der Romanovy und der Sujskie, er- weisen könnten. Wir sind indessen nicht im Stande gewesen, über einen gewissen Grad von Verdacht zur sicheren Ueberzeugung von ihrer aktiven Schuld durchzudringen. Niemand wird wohl ihre pas- sive Schuld in Zweifel ziehen wollen. Die Erscheinung eines PD war ihnen Allen erwünscht ; sie haben wohl oft durch ihre Müssigkeit oder ihr Schweigen seine Erfolge befördert, haben allzufrüh und wohl gegen ihr Gewissen ihn für den rechtmässigen Carevic von Uglic anerkannt ; wir konnten aber kein einziges sicheres Zeugniss dafür ausfindig machen, dass irgend eine Bojarenfamilie auf ihre eigene Verant- wortung hin, oder sogar die Carensynkletos in Corpore sich aktiv an der Intrigue betheiligt hätte. Bei jedem politischen Hazardspiele hätten die Bojaren Allzuviel zu verlieren gehabt, um selbst die Karten dazu zu mischen und zu vergeben. Ihr historischer Beruf beruhte auch

1) Der Moskauer Archäologe und Historiker Dr.Ivan Zabjelin (Vieepräs. des K. Hist. Mus. in Moskau) leitet die Wirren ausschliesslich aus dem Ehrgeize des Dienstadels ab. Sogar der Gedanke selbst, einen Garen zu fälschen, ent- stand seiner Beweisführung nach auf russischem Boden. Als nämlich der Grossfürst Vasilij III. sich von seiner kinderlosen Frau Solomonija Saburova hat trennen lassen, da verbreitete sich das Gerücht, als ob sie einen Sohn Georg im Kloster geboren hätte und ihn heimlich auferziehe, um an seinen Feinden Rache zu nehmen Baöt-iust, Mhhuhi. u IIo^KapcKiii . Es handelt sich hier um dasselbe Mariä-Schutz- und Fürbittekloster zu Suzdal, wo später Alexandra Saburova, die Frau des Carevic Ivan Ivanovic, und Eudoxie Lo- puchina, die erste Frau Peters des Grossen, den Schleier zu nehmen gezwungen sind. Vgl. Herbersteini Rerum Moscoviticarum Commentarii ed. Starczew- ski, I.: »Continuo fama exoritur, Salomeam gravidam, propeque partum esse. . . . Quidnam nobis tum Moscoviae existentibus sancte affirmabant Salomeam filium Georgium nomine peperisse: nemini tarnen infantem ostendere vo- luisse«.

Wer war Pseudodemetrius I.? 415

späterbin auf der passiven Ausdauer, womit sie die Ansprüche und die Hiebe von oben und unten mit ihren Rücken auffingen und somit bald das Volli vor den Ausschreitungen des allmächtigen Eigenwillens, bald den Thron vor den ungezügelten Kozakentrieben schützten. Sie haben genug Unternehmungsgeist bewährt, um eine oligarchischc Staatsver- fassung ohne Schweiss und Blut aus den Händen des polnischen Korole- vic zu erlangen, sie konnten aber später auch ruhig die Wellen des emporstrebenden Kleinadels und des geadelten Beamtenthums über sich bis an die höchsten Posten im Reiche hinaufsprudeln lassen. Im Gegen- satz zu einem Avraamij Palicyn oder einem Zacharij Ljapunov hat Theo- dor (Philaret) Romanov im Lager vor Smolensk und während seiner langen Gefangenschaft in Polen durch seinen ruhigen Fatalismus eben diejenige Art der passiven Politik vertreten, welche den besseren Männern aus der Carensynklete eigen war. Demgemäss haben wir die treibenden aktiven Kräfte der Wirrenzeit in denjenigen Kreisen der Geistlichkeit, des Kleinadels, des Beamtenthums (Djaki) oder der Verbannten ver- folgt, welche nur durch den Umsturz der bestehenden Regierung und Tradition als Sieger in die Carensynklete eines begabten Abenteurers einrücken konnten^).

Jedenfalls also nicht die Bojaren selbst, sondern die zwei mäch- tigen Triebfedern der russischen Geschichte, die beiden demokratischen Stände der Moskauer Gesellschaft die Geistlichkeit und die Beamten (die Djaki) haben unserer Meinung nach zu der Zeit die Schicksale Russlands und ihres D. I. geleitet; aus dem Adel wurden vielleicht nur die Vertreter seiner niederen unternehmenden und emporstrebenden Schichten, wie die Bojarensöhne Otrepjev und Povadin, wie die Brüder Chripunovy herbeigezogen. Alle die Mannschaften der verbannten oder ausgerotteten Bojarenfamilien standen selbstverständlich den Verschwö-

1) Die aggressive Politik des V. Sujskij unter der Regierung des PD widerspricht nur scheinbar unserer Auffassung. Wir müssen daran erinnern, dass er, als früherer Gehilfe der Godunovy, am Hofe des Garen D. I. keine Aussichten auf Einfluss haben konnte. Es war also die Energie der Ver- zweiflung, die wir unter der Regierung des Boris z.B. bei den Nagie zulassen können. Dann wurde auch V. Sujskij sonder Zweifel von gewissen aktiven Kräften (z. B. der Geistlichkeit) getragen, ohne deren Hilfe er vielleicht be- reits im Sommer 1605 seinen Kopf verloren hätte. Die Beispiele aus der Zeit des Schelmes von Tusino können auch kaum massgebend sein; es gab da- mals bereits zwei Garen, die an Stärke einander gewachsen waren, mau brauchte nur frei seine Wahl zu treffen.

416 Eugen Öcepkin,

rem zur Verfügung ^). Viele von ihnen zogen an die Grenze und füllten später die Reihen aller der Heere aus, welche mit irgend welchen Be- trügern an der Spitze in der Wirrenzeit gegen Moskau zogen. Avraamij Palicyn zählt solcher Flüchtlinge über 20 Tausend Mann. Sie bildeten eine Uebergangsbrücke zu den Kosaken. Ein Netz aus Klöstern, wel- ches über das ganze Russland ausgebreitet war, und die Unsitte der Mönche, unter dem Vorwande der Wallfahrten zwischen den einzelnen Klöstern hin und her zu weben, haben gerade diesem unterirdischen Russland die Organisation seiner Verschwörung möglich gemacht. Der Hang des Garen Boris zur westeuropäischen Bildung und gewisse finan- zielle Massregeln, welche den Einkünften oder den Reichthümern des Klerus Einbusse gethan, haben Funken von Missvergnügen unter diesen einflussreichen Stand gesprüht; der feste Glaube daran, dass eben Boris den Carevic zu Uglic ums Leben gebracht, hat diese Funken zum Brande geschürt. Manche Bärenhaut in den russischen Klöstern fühlte sich sittlich gehoben beim Anblicke einer Laienherrschaft, wo jeder Einfluss durch Kabale, die Kronen am Ende durch Mord erworben wurden. Wenn nun der von den Klöstern beförderte Jüngling dabei auch wirklich irgend welche Anrechte oder Aussichten auf die Moskauer Krone seiner Geburt nach haben sollte, so würde der Gedanke, dass zwischen dem Usurpator Boris und dem Prätendenten eigentlich kein Unterschied in Bezug auf die Rechte bestünde, das Gewissen der Ränke schmiedenden Mönche und Djaki völlig beschwichtigen können. Die einzelnen unter einander wetteifernden und streitenden Bojarenhäuser wären gar nicht im Stande, so eine Verschwörung mit Glück ins Werk zu setzen ; ihre Familien- namen dienten nur als Losungsworte für die Djaki, die Geistlichkeit und die Dienerschaft der Bojaren, welche im Kampfe um die Herrschaft bereits unterlegen waren. Bald der eine, bald der andere von den Rivalen gerieth auf dem von ihm gewählten Pfade bisweilen ganz unbewusst mitten in den Strudel dieser unterirdischen Strömungen und wurde von ihm entweder auf den Thron gehoben oder in den Abgrund gezogen. Im J. 1606 kam die Reihe an den V. Sujskij. Nachdem er mit Hilfe der Geistlichkeit und der Moskauer Bürger den D. L als einen Halbpolen, Halbrömling gestürzt hatte, da bemächtigte er sich zugleich mit der Krone auch der Archive und der Mittel, eine Untersuchung einzuleiten. Er stiess jetzt

1) PyccK. HcT. Buöjr., t. XIII, 484: »3anoB§jB ate o hux-b BesKi. no.io»:eHa ßwcTB, ejKe He npiuMaiB lixi. onaJBHtixT. öo.iHp'B ciyru iix'b HUKoaiy ace« etc.

Wer war Paeudodeiuetrius I.? 417

erst auf die Spuren eines räthselhaften Lebenslaufes des Sluzka Deme- trius Rheorovic, der später selbst Mönch geworden ist. Es ist möglich, dass er jetzt selbst den Zweifel gefasst hat, ob nicht am Ende wirklich der Carevic D. unter dieser Kutte gerettet worden war. Unser Glaube an den Tod des Carevic beruht ja auf der Nachricht bei Ilorsey und den Meinungsäusserungen der polnischen Senatoren. Diese üeber-

V ,

zeugungsgründe standen aber dem V. bujskij nicht zur Verfügung. Die Männer, welche wirklich etwas davon wissen konnten, waren entweder todt, oder haben ihre Interessen an das Schicksal des Caren D. I. ge- bunden. Wenn auch aber V. Sujskij für seine Person die Zuversicht noch bewahrte, dass er hier mit einer fein durchgeführten Mystification zu thun habe, und wenn auch vielleicht gerade diese Zuversicht ihm den Muth eingeflösst hat, die Reliquien des D. zu enthüllen, so bleibt es dennoch sehr fraglich, ob es ihm möglich gewesen wäre, diesen seinen Glauben dem Volke einzuimpfen, wenn er nun neben dem Griska 0. noch einen anderen Mönch, und zwar als den eigentlichen Betrüger geschil- dert hätte. Er hätte dann beweisen müssen, dass dieser Mönch Deme- trius keineswegs der CareviS von Uglic gewesen. Es ist immer schwer, einen negativen Beweis zn führen, besonders in Bezug auf Ereignisse, welche vorsätzlich 15 Jahre lang geheim gehalten wurden. Das sind die Erwägungen, welche unserer Meinung nach den V. Sujskij bewogen haben, beide Lebensgeschichten des Gregor 0. und des Demetrius R. (Otrepjev Nr. 2) auf den Namen des bereits unter Boris verdammten Zauberers Griska zu übertragen, der als Hierodjakon des Wunderklosters in Moskau gewissen Antheil an der Verschwörung genommen hatte.

Schwierig ist das Problem, in wie weit PD selbst an seine Identität mit dem Carevic in Uglic geglaubt hat. Wir sind oft gar nicht im Stande, rein materielle Thatsachen aus der Wirrenzeit mit Sicherheit wieder- herzustellen; um so grössere Hindernisse trifft man, wenn man rein psychologische Räthsel aus dem inneren Leben der handelnden Personen zu ergründen sucht. Wer kann einen genialen Schauspieler von einem überzeugten Menschen durch das Dunkel der Jahrhunderte unterschei- den? Die wissenschaftliche Methode reicht hier nicht aus, viel eher kann das unmittelbare Gefühl eines Menschenkenners, oder die schaffende Kraft eines Dichters aushelfen. Wir wollen unser unmittelbares Gefühl nur in negativen Sätzen ausdrücken, welche so zu sagen die Grenzen abstecken sollen, innerhalb deren die Entscheidung liegen muss. PD I. hat sich keinesfalls für den ersten besten Haudegen (in der Art des

ArchiT für slavische Philologie XXII. 27

418 Eugen ^cepkin,

PD II. oder des Schelmes Petruska) gehalten, welcher nur zufällig zum Werkzeuge einer gewissen Partei oder der Massen geworden. Er musste fühlen, dass in seiner geheimnissvollen Abstammung ein Grund vorhanden gewesen, weshalb eben er und nicht ein Anderer zu dieser Rolle gewählt. An Geisteskraft und physischem Muth ist er zufälliger Weise Allen überlegen gewesen, mit denen er in seinem Leben zu- sammengetroffen. Auf dem Throne hat er sich für ein Genie gehalten : am Anfange seiner Laufbahn mag auch er dies Gefühl der Ueberlegen- heit nach den Vorstellungen der Zeit sich nur durch eine hohe Ab- stammung erklärt haben. Andererseits leuchtet aus seiner Beziehung zu den Staatsmännern Polens und zu den Jesuiten, aus der Wahl der Ver- trauensmänner während seiner kurzen Regierung ein guter Menschen- kenner hervor; er musste selbst fühlen, wie viel den Bojaren daran ge- legen war, ihn anzuerkennen. Ein gewisser skeptischer Zug- geht durch sein ganzes intellectuelles Leben ; es ist kaum denkbar, dass ihm keine Zweifel über seine Identität mit dem D. vonUglic aufgetaucht. Er hatte aber früh die Ueberzeugung gewonnen, dass sein Standpunkt unüber- windlich ist und dass kein negativer Beweis gegen diese Identität seinen Feinden zur Verfügung steht. Die Forscher, welche das Innere des PD jetzt zu ergründen suchen, stehen gewöhnlich auf dem Standpunkte, dass die theoretische absolute Wahrheit ein Gut an sich ist, und zwar das höchste Gut der Menschheit. Demetrius selbst war indessen kein Wissenschaftsmann, kein objektiver theoretischer Geist. Er war nur ein praktisches Genie, beinahe ein Naturkind, das an der Macht der Lüge, ganz wie auch an der rohen physischen Gewalt seine Freude haben kann. Als wahr galt ihm eben jede Behauptung, die nicht widerlegt werden konnte, jedes Losungswort, welches eine Schaar von Kriegern und leitenden Staatsmännern um ihn sammeln durfte, jeder Grundsatz, der ihn zum Siege führen sollte. Er glaubte an seine Echtheit, wie mancher Vertreter einer grossen politischen Partei, die nicht von ihm gegründet, an ihr traditionelles Programm glaubt. Auf Grund dieses praktischen Glaubens bekämpft er seine Gegner; es ist aber dabei nicht ausgeschlossen, dass, wenn er allein blieb, er vom theoretischen Stand- punkte sich die Frage aufgeworfen, ob nicht vielleicht seine Gegner Recht haben dürften. Diese theoretische Möglichkeit mag ihm aber keine Gewissensbisse bereitet haben.

Wir fühlen uns berechtigt, auf Grund unserer Untersuchungen fol- gende Thesen aufzustellen :

Wer war Pseudodemetrius I. ? 419

Pseudodemetrius I. war weder der echte Carevic D., welcher, seit der Wiege von den Agenten des Boris beobachtet, zu Uglic unter den Augen der ganzen Stadt auferzogen und im J. 1591 auf den Wink der Moskauer Bojaren ermordet worden ist, noch war er der Djakon Gregor, welcher die JJ. 1600 1G02 im Wunderkloster und beim Patriarchen Hiob zu Moskau verbracht hat, während doch Demetrius zu derselben Zeit beim Fürsten Ostrogskij geweilt. Es war also eine dritte, vom Gregor 0. und Carevic D. verschiedene, nur annähernd bestimmbare Persönlichkeit, welche aller- dings ihre erste Jugend auch unter dem Namen eines Otrepjev in den russ. Klöstern, zum Theil sogar im Moskauer Wunderkloster ausgelebt hat. Durch Unterstützung seitens der russischen Geistlichkeit, besonders der Mönche, einer Gruppe von Beamten (Djaki) und der zahlreichen Flücht- linge an der russisch-polnischen Grenze, welche zu der Dienerschaft der vom Boris verbannten oder beinahe ausgerotteten Bojarenhäuser ge- hörten, hat PD es so weit gebracht, dass er sich zu einem Prätendenten und Rivalen dem Godunov gegenüber hat emporschwingen können. Die Unterstützung , welche D. seitens der Klöster genossen hatte, und die persönliche Zuversicht des Prätendenten wird nur unter der Annahme verständlich, dass PD seiner Geburt nach wirklich irgend welche Au- rechte oder Aussichten auf den Moskauer Thron hat haben können, welche durch das Emporkommen der Familie Godunov durchkreuzt worden sind ; er konnte z. B. ein Sprössling der von Godunov verfolgten Bojarenhäuser, oder sogar ein uneheliches Kind von irgend einer adeligen Konkubine des Garen Johann des Schrecklichen oder seines Sohnes Carevic Ivan Ivanovic gewesen sein. Nur so eine specifische Persönlich- keit konnte Aussichten auf Erfolg haben, dem Boris Furcht für seine Krone einflössen, die Wiszniewiecki und die Mniszech, den König Sigis- mund III. und die Societas Jesu in ihr gefährliches Spiel mit hinein- ziehen. Bereits auf die Zeitgenossen, welche an die Echtheit des Garen D. I. nicht haben glauben können, hat er deshalb den Eindruck von einem »Bastard« gemacht. Da PD entweder von Leuten, die noch vor dem J. 1598 gestorben sind, oder von den unsichtbaren, aber einflussreichen Triebfedern des russischen Volkslebens, dem Mönchtbume, dem kleinen Beamtenthume und den halbflüchtigen, halbverbannten Grenzern, sozu- sagen von dem »unterirdischen Russland« befördert wurde, so war es für die Moskauer Regierung jedenfalls schwer, oder auch gefährlich (wenn unsere Vermuthungen über seine Abstammung zutrefi'en), diese ganze feingesponnene Mystification vor dem Volke aufzuklären; vielleicht

27*

420 Eugen äcepkin,

haben am Ende ihre leitenden Persönlichkeiten selbst in ihrem Glauben an den Tod des Carevic zu wanken angefangen, da unsere Zuversicht in dieser Hinsicht eben nur auf den Zeugnissen unparteiischer Ausländer beruht (Horsey, Bussow, Massa, Zamojski, Sapieha). Infolgedessen haben die Moskauer Regierungen ihren Unterthanen gegenüber in dem Kunstgriffe ein Auskunftsmittel gefunden, entweder den eigenen Lebens- lauf des Demetrius zu verschweigen und den Prätendenten mit dem Zauberer Gregor Otrepjev zu identificiren , der als Hierodjakon des Wunderklosters in Moskau gewissen Antheil an der Verschwörung ge- nommen hatte, oder Alles, was sie vom Leben und Weben des PD vor seinem Zuge nach Moskau auszukundschaften vermocht hatten, auf die Person und den Namen desselben Gregor 0. (Nr. 1) zu übertragen. Dadurch wurde eine hoffnungslose Verwirrung in die russischen Quellen hinein- gebracht, wobei allerdings in diesem Wirrwarr zwei entgegengesetzte Auffassungen von den Lebensschicksalen des Gregor 0. durchleuchten, welche sich geradezu in zwei Lebensgeschichten des Diakon Gregor und des Demetrius (Otrepjev Nr. 2) auflösen lassen. Das Kreuzfeuer der russischen und westeuropäischen Nachrichten (besonders die Synthese des Danziger Recesses mit dem Isaak Massa, der Briefe des Boris mit der »Sage aus dem Jahre 1606«, der Nova Relatio und der Untersuchung des V. Sujskij bei Rüssel, dann auch der Untersuchungsakten aus dem J. 1591 mit Horsey und Thomas Smith, des Bussow mit Petrejus) setzt uns jetzt in den Stand, den Demetrius (Rheorovie) sowohl vom Diakon Otrepjev, als auch von dem Carevie Demetrius in Uglic zu ti-ennen.

Anhang.

Der erste Theil unserer Untersuchungen war bereits gegen den 1. März 1898 im Archiv für slav. Phil., B. XX gedruckt, das übrige Manuskript gegen den 1. August 1898 an die Redaktion des Archivs f. sl. Phil, geliefert. Seit dieser Zeit sind neue Beiträge zur Geschichte des PD I. erschienen. Das Werk des Dr. Hirschberg (Dymitr Samozwaniec) konnten wir noch bei der Korrektur benutzen. Der Verfasser hat reiches Material für die äussere Geschichte des PD I. seit seinem Auftreten in Polen gesammelt. In der Hauptfrage hat Dr. Hirschberg die Anschauungen des Prosper Merimöe, des Prof. Kostomarov, des Prof. Ilovajskij, d. w. s. die Theorie des Bussow angenommen. Für diese Theorie, als ob PD I. aus dem polnisch-litauischen Reiche stammte und ein unehelicher Sohn des Königs Stephan Bathory gewesen wäre, hat Dr. Hirsch- berg nur eine neue Belegstelle in den Quellen ausfindig gemacht. In dem

Wer war Pseudodemetrius I.? 421

Briete des Garen Vas. äujskij an den Erzherzog Matthias aus dem J. 1G07 heisst es nämlich: »Demnach aber die zusammen gerottete Nation . . . mit Hauffeu und grossen Heer sich wieder uns gerüstet und ausgezogen und einen frembdeu vermeinten Fürsten, welcher sich Demetrium des Kaysers Sohn ge- nennet, mit sich in unser Keich und Land hereingebracht« etc. (Ludewig, Reliquiae manuscriptorum, t. VI). Wir können dieser Belegstelle keinen Werth beimessen. Erstens, strotzt dieser Brief von Lügen ; es wird z. B. er- zählt, als ob PD L gegen den Garen V. Sujskij gezogen wäre. Zweitens, hat V. Sujskij in seinen Briefen sowohl an Rudolph IL und Matthias aus dem Monat Mai des J. 1607, als auch an den dänischen Hof, den PD I. für den Griska Otrepjev erklärt (Arch. f. sl. Phil., B. XX, S. 300 Anm.). Drittens, ist die deutsche Uebersetzung des Briefes unklar und hat ohne Zweifel den russischen Text entstellt: »vermeintlicher Fürst« bedeutet so viel, wie ein »falscher Gar«, also kann »fremder« nur den Begriff »von unbekannter Her- kunft« wiedergeben. Als das Werk des Dr. Hirschberg bereits im Drucke war, ist der Brief des PD I. an den Papst Klemens VIII. erschienen, welcher unmöglich von einem Sohne des Stephan Bathory geschrieben sein kann. In Anmerkungen und im Anhange versucht der Verfasser vergebens die Bedeu- tung dieser Publikation des Hochw. P. Pierling abzuschwächen. Unter den speciellen Arbeiten über diesen Brief heben wir wegen der paläographischen Analyse die Forschung des Pr.-Doc. Ptasickij hervor. Der Verfasser (HsBicTia OiaiJieHia pycc. r3. AKa«. HayKi., x. IV, ku. 2) ist zum folgenden Schlüsse ge- kommen : der Brief ist von einem Manne verfasst worden, welcher der polni- schen Litteratursprache und der polnischen Graphik vollkommen mächtig war; diesen Brief hat dann ein Grossrusse, nämlich PD I. kopirt, welcher in der Schrift der Moskauer Kanzleien sehr geübt war. (Am nächsten steht die Graphik des Briefes zu der Schrift, welche für die Kanzlei des Djak Sutupov typisch ist.) Uns will dieser Schluss theils etwas gekünstelt, theils nicht ge- nügend bewiesen scheinen ; wir folgen also dem Winke anderer Fachmänner. Wir haben keinen Grund, den Verfasser des Briefes von dem PD I. zu trennen, welcher ihn eigenhändig für eine Uebersetzung schreiben musste ; das Ori- ginal wurde als Pfand nach Rom geschickt und ihm eine freie lateinische Uebersetzung für den Papst beigefügt. PD I. scheint seine polnische Sprache hauptsächlich aus fremdem Munde erlernt zu haben; er kann eine feine Wen- dung dem Gedächtnisse nach wiederholen, ist aber in der polnischen Graphik, die ihm wohl auch mehr aus der Briefpraxis bekannt Avar, persönlich wenig geübt. Das wahrscheinlichere bleibt, dass diesen Brief ein Grossrusse ge- schrieben, doch ist die Möglichkeit leider nicht absolut ausgeschlossen, dass sein Verfasser ein Weissrusse gewesen ist, welcher in der kirchenslavischen Schrift gut geübt war. H. Ptasickij führt z. B. »piewniego« statt »pewnego« als einen sicheren Beweis der grossrussischen Sprache des Verfassers. Wir wurden indessen von einem Fachmanne darauf aufmerksam gemacht, dass auch der Weissrusse diese Konsonanten vor den »e-e« weich gesprochen, dass auch er »diwna« geschrieben und dabei »dziwna« ausgesprochen hat, dass sogar die Graphik des Briefes den weissrussischen Akten wohl bekannt ist u. dgl. m. Am Ende muss der Beweis der grossrussischen Abstammung des

422 Eugen Scepkin,

PD I. doch durch historische Quellenforschung vervollständigt werden. Im J. 1899 hat dann Dr. Hirschberg das Tagebuch des St. Niemojewski veröffent- licht (Pamietnik St.Niemojewskiego, Lwow 1899). In der Einleitung hat er folgende Thesen aufgestellt : das Tagebuch, welches in manchen Handschrif- ten (unter anderem in der von uns benutzten Handschrift des Fürsten Obo- lenskij in dem Moskauer Archiv des Minist, der Aeuss. Angel.^ auch dem Niemojewski zugeschrieben wird, ist eigentlich von dem Dyamentowski, podstoli rozanski verfasst, welcher im Jahre 1606 zu den Hausgenossen des J. Mniszech gehörte. Derselbe Pseudo-Niemojewski ist auch «Ab Turgenevio« (Historica Russiae Momimenta, t. II, Nr. 101) unter dem Titel «Rzeczy Pol- skich w Moskwie za Dymitra Opisanie przez jednego tarn obecnego, Rokn MDCV do roku MDCIX« gedruckt und auch von Ustrjalow unter dem Titel »Das Tagebuch der Marina Mnischech« in russischer Uebersetzung gegeben. Das echte Tagebuch des Niemojewski hat Dr. Hirschberg jetzt zum ersten Male veröffentlicht, es fehlt aber in diesem Werke die Einleitung über die erste Jugend des PD I. Da Dr. Hirschberg selbst eingesteht, dass das Ver- hältniss zwischen den Handschriften des Niemojewski und des Dyamentowski sehr verwickelt ist, so bezeichnen wir die Handschrift des Fürsten Obolenskij vorläufig nur als den Pseudo-Niemojewski. Dyamentowski hat auch im nahen Verhältnisse zu der Familie Mniszech gestanden ; deshalb wird die Wichtig- keit des Tagebuches des Pseudo-Niem. durch die Aufklärungen des Dr. Hirschberg nur gehoben. Das Tagebuch bei Turgen. und Ustrjal. gibt eine sehr wichtige Nachricht über die Zeit, wo der Jüngling Demetrius in Moskau weilte: »u samego Borysa na pokoju bywal, w Patryarszynym dworze ni- komu nieznaczny«.

Im Sommer des J. 1899 ist das neue Werk des Prof. Platonov über die Wirrenzeit erschienen (C. U^iaTonoBt, O^epKH no HctoidIii Omyth.). Wir haben es zum Theil bereits in den Bruchstücken benutzt, welche in dem Journal des Unterrichtsministeriums erschienen. Der Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt, die socialen und ökonomischen Verhältnisse der Zeit zu schildern, dann aber vor Allem die Bewegungen, an welchen die Massen des Volkes Theil genommen haben, und die auserwählten Kreise, welche beim Beginn der Wirren auf das Volks- und Gesellschaftsleben mächtig eingewirkt haben, genau ins Auge zu nehmen. Unsere specielle Frage über die Persönlichkeit des PD I. hat Prof. Platonov vorsätzlich unberührt gelassen ; in den Anmer- kungen erklärt er sich für den grossrussischen Ursprung des Falschen Garen und zwar vor Allem auf Grund des polnischen von Hochw. von P. Pierling veröffentlichten Briefes des Prätendenten an den Papst Klemens VIII. Leider hat der Verfasser auch die Einwirkung der polnischen Politik und der katho- lischen Kirche auf die Wirren, dann auch das grosse Spiel der russischen Geistlichkeit in jenen Tagen mit Stillschweigen übergangen. Unter den Be- wegungen, welche die Wirrenzeit vorbereitet haben, hebt Prof. Platonov einerseits die politischen Experimente Johanns des Schrecklichen hervor, andererseits die Hof kabalen unter Theodor. Er nimmt also die Kolonisations- theorie des Avraamij Palieyn an, ebenso wie auch die Hypothese des Djak Timopheev, als ob bereits die Opricnina das russische Volk entzweit hätte.

Wer war Pseudodemetrins I. ? 423

Im J. 1550 hat Johann der Schreckliche ein ganzes Tausend von auserwählten Kriegsleuten aus dem Kleinadel rings um Moskau mit Gütern belehnt. Dann folgten die Konfiskationen und Säkularisationen der Privatgüter zu Gunsten der »Abgesonderten«, der Opricniki, immer neue Anweisungen der Hof- und Staatsgüter an die Kriegsleute. Hand in Hand mit dieser Mobilisirung des Grundbesitzes, mit der massenhaften Verrückung der Gutsbesitzer, mit der stäten Vermehrung der belehnten Kriegsleute, geht die Eroberung oder Occupation neuer Länder im Osten und Süden her, welche die Kolonisations- politik der Regierung bestimmen; die durch neue Agrarpolitik missver- gnügten Massen finden in dieser kolonisatorischen Bewegung eine Ausflucht; daher kommt die Verödung des Grundbodens im Centrum. Die Regierung hat also, nach Prof. Platonov, die Interessen der Massen fortwährend den Ge- lüsten der belehnten Kriegsleute aufgeopfert, welche ihrer Eroberungspolitik zum Siege verhalfen, und dadurch die Wirrenzeit vorbereitet. Bereits Fletcher habe nach dem Tode des Schrecklichen Garen einen inneren Zwist, besonders einen Eingriff seitens des Heeres prophezeit. Das Werk und die Theorien des Prof. Platonov wurden im Beginne des J. 1900 von Prof. Ikonnikov einer eingehenden Kritik unterworfen (B. C. Hkohhukobi>, HoBLiä Tpy^t no Hcxopia ÜMyTHaro BpeMeHH. Separatabdruck aus dem Journal des Unterrichtsministe- riums). Der gelehrte Kritiker hat manche Unklarheit, manchen Widerspruch in der Konstruktion des Prof. Platonov aufgedeckt. Diese Konstruktion sollte den Verfasser eigentlich zu dem Schlüsse führen, dass die Wirren in unteren Schichten des Volkes ihren Anfang genommen haben, und doch leitet Prof. Platonov den Ursprung der Bewegung aus den hohen Hofkreisen (unter Theodor und Boris); dann erwärmen sich die Kriegsleute für die Wirren unter PD I.), endlich erheben sich auch die Volksmassen von der passiven Theilnahme zum bewussten und priucipiellen Kampfe für ihre Interessen (seit der Regierung des V. Öujskij). Uebrigens berichten ja die Quellen, dasß eben die unteren Schichten des Volkes mit der Regierung des Boris vergnügt waren (Massa; Aktm 3an. Pocc, IV. Der Unterschied zwischen den »^opHwe MyacuKH«, d. w. s. Bauern auf Staatsgütern, und den Grundholden überhaupt kann dem Prof . Platonov, besonders bei seiner Auffassung der Belehnungen, nicht aushelfen) ; es wäre damals nur den Bojaren und dem Kleinadel schwer zu leben gewesen. Um die Theilnahme der Massen an der Bewegung zu erklären, bliebe nur eine einzige Erklärung übrig die Wirkung, welche das Gerücht, als ob Boris versucht hätte, den Sohn Johanns des Schreckl. zu Uglic zu er- morden, und dann die frohe Nachricht, dass Carevic Demetrius in Polen auf- erstanden wäre, auf die dynastischen Gefühle aller Stände des russischen Volkes ausgeübt hätten. (Einen ähnlichen Gedanken hat bereits der Slavophile J. Kirejevskij ausgesprochen.) Sigismund III. und Djak Timopheev erklären die Niederlage und den Untergang des Boris selbst vor allem durch ;seine Furcht vor dem Namen des auferstandenen Carevic. Boris scheint dem Recensenten wirklich an dem Tode des Demetrius in Uglic zu zweifeln angefangen zu haben. Auch gegen die Meinung des Verfassers, als ob die ganze Bewegung in einer Hof kabale ihren Ursprung genommen hätte, kann man der Kritik des Prof. Ikonnikov Gegenbeweise entnehmen. Die polnischen Gesandten haben zwar

424 Eugen Scepkin,

im J. 1608 behauptet, dass hervorragende Männer, welche beim Boris die Regierungsgeschäfte verrichteten, an den PD I. nach Polen geschrieben hätten. Diese Briefe konnten indessen von den Djaki gefälscht sein; dann könnte man unter diesen »HMeHHTtie Jiwm« auch eiuflussreiche Djaki selbst ver- stehen; endlich beweisen sie keinesv?egs, dass diese Männer eben die ersten Urheber des Betruges gewesen sind. Viel klarer ist eine entgegengesetzte Behauptung in einem ofticiellen Dokumente der Romanovy ausgesprochen : Otrepjev habe bei seiner Teufelei Gehilfen von geringem Stande gefunden (Ma.!ELi ace iroMomuHKii loro öicHOBaHi» oöpiTt, Jion. A. H. II, Nr. 76). Auch in Bezug auf denjenigen Hof kreis, welcher die Kabale gegen den Boris ins Werk gesetzt haben soll, sind die Aeusserungen des Prof. Platonov nicht frei von Widersprüchen oder Unschlüssigkeit. Den ganzen hohen Adel (die Caren- synkletos) des Verrathes anzuklagen, fällt dem Verfasser gar nicht ein. Die höchste Schicht der Bojaren, die Nachkommenschaft der mediatisirten Theil- fürsten (6oiipe-KH}i2caTa) hat bereits unter Johann dem Schrecklichen den Todesstoss erhalten. Unter Theodor und Boris gehört der Einfluss den alten Bojarenfamilien, welche bereits den Grossfürsten von Moskau gedient haben, oder sich mit den Garen verschwägert haben (Romanovy); dazu kommen die Familien, welche durch die Gunst des Schrecklichen Garen, besonders durch die demokratische Organisation der Opricnina emporgestiegen waren (Godu- novj^ Bjeljskij). In welcher Schicht wurzelte nun die Kabale: ob unter den deprimirten Bojaren- Theilfürsten, die sich die verlorene Machtstellung zurückzuerobern suchen könnten, oder unter den Rivalen des Boris God., unter den übrigen Carenverwandten, welche ihm den Thron zu entreissen wünschten, oder endlich unter den Familien des neuen Adels, welche zugleich mit Boris gestiegen, sich aber dann unter seiner Regierung in ihren weiteren Ho£fnungen getäuscht fühlten? Auf diese Frage hat Prof. Platonov etwas unschlüssig geantwortet, denn er spricht bald von einer ganzen aristokiati- schen Schicht, bald nur von einem kleinen Kreise von Bojaren. Unserer Mei- nung nach hegt Prof. Platonov vor allem gegen die Romanovy und Cerkaskie Verdacht; gegen den PD I. verschwören sich dann die Bojaren-Theilfürsten zu Gunsten des Fürsten Vasilij äujskij, gegen die Oligarchie unter feujskij erhebt sich endlich eine principielle Volksbewegung. Dieser Meinungsaus- tausch zwischen zwei Fachmännern für die Wirrenzeit zwingt uns, unseren besonderen Standpunkt kurz, aber genau zu bestimmen.

Johann der Schreckliche hat nicht nur die Macht der Bojaren-Theil- fürsten gebrochen, sondern durch die Willkür seiner Gunst, durch zahlreiche Anwerbungen und Belehnungen der Kriegsleute, besonders aber durch die «Opricnina« willensstarken emporstrebenden Männern aus niederen Schichten des Adels und des Beamtenthums die Bahnen zu höchsten Stellungen am Hofe und in den Kanzleien geebnet; durch seine Agrar- und Kolonisations- politik hat er auch in den Volksmasseu das Trachten nach freierem Leben an der Grenze geweckt (Theorien des Palicyn und des Djak Timopheev). Die Erledigung des Thrones, welche mit dem Aussterben der alten Dynastie be- vorstand, hat den stets emporsteigenden Familien noch höhere Aussichten eröffnet. Diese schroff ansteigende sociale Strömung hat einerseits die alten

Wer war Pseudodemetrius I. ? 425

Familien auf allen Stufen de3 Hof- und Staatsdienstes deprimirt, andererseits in allen Schichten der Gesellschaft durch die Macht des Beispieles den Drang wachgerufen, sich immer weiter emporzuarbeiten (die Bauern durch die Flucht an die Grenze, die Beamten und der Kleinadel durch den Anschluss an gewisse Persönlichkeiten, Familien, Körperschaften, die beim Ansteigen ihrerseits die besten Aussichten hatten). Obgleich Boris selbst durch diese ansteigende Strömung zur Macht gelangt war, so hat er doch den Versuch gemacht, ohne gerade eineEestauration zu Gunsten derBojaren-Theilfürsten zu unternehmen, die einzelnen Schichten der Gesellschaft nun wiederum zum Stehen und zur sicheren Kühe zu bringen. Seine Politik hat in jedem einzel- nen Stande seine ruhigeren, mittleren Schichten unterstützt und ihnen die be- reits erworbene Stellung zu sichern gesucht. (Die Mittelstandspolitik des Boris wird auch von Prof. Platonov anerkannt.) Die Opposition gegen eine solche Politik leisteten also tüeils die bereits früher deprimirten Familien (passive 0.), theils die Männer und die Körperschaften, welche sich nun der Hoffnung im- mer weiter emporzusteigen beraubt fühlten (active 0.). Wer die Bojaren für Urheber der ganzen Kabale hält, der wird die Wirrenzeit als eine sociale Be- wegung auffassen müssen, wo alle die deprimirten Mächte das frühere Niveau abermals zu erlangen trachten (Versuch einer socialen Restauration). Wir sind aber zu dem Schlüsse gekommen, dass die aktive Schuld an dieser Gährung eben diejenigen socialen Mächte tragen, welche unter der Regierung des Boris in ihrer ansteigenden Bewegung gehemmt waren und nur durch einen Umsturz der Regierung sich weiter die Bahn brechen konnten (Versuch einer neuen socialen Kombination) . Das sind die früheren Mithelfer oder Rivalen des Boris ^Scelkalovy, Bjeljskij, vielleicht auch die Romanovy, wenn es einst erwiesen sein sollte), dann die Beamten überhaupt (Djaki), vor Allem aber die Klöster, welche bei der Mobilisirung des Grundbesitzes unter Johann IV. zum kolossalen Grossgrundbesitze gelangt waren. Die Wurzeln der Kabale haben wir an der Hand unserer Quellen nicht in der Carensynkletos, sondern in der Haus- und Hof kanzlei (IIpuKasx EojLinoro /iBopuaj gefunden. Hier treffen sich, unserer Konstruktion nach, die Djaki mit den Vertretern der Geistlichkeit, besonders der Klöster zusammen. Bereits im XVI. Jahrh. haben die Mos- kauer Grossfürsten und Garen gewissen Klöstern, Kathedralen und geistlichen Personen Immunitätsprivilegien bewilligt ; darnach wurden die Mönche, die Kanoniker, die Pfaffen und ihre Diener und Bauern in allen Civil- und Cri- minalsachen der Gerichtsbarkeit ihrer Bischöfe entzogen und in Moskau von den GrossfUrsten und Garen selbst oder von ihren Hofmeistern (Dvoreckij) gerichtet; der Hofmeister stand eben an der Spitze der Haus- und Hof- kanzlei. Im XVII. Jahrh. wurden alle diese Sachen bereits in der Haus- und Hof kanzlei selbst von dem Hofmeister und den Djaki erledigt. In diesem Jahrhunderte waren überhaupt das ganze administrative Verfahren imd alle Processe, welche die Klöster, die Geistlichkeit und ihre Güter betrafen und früher aus irgend einem Grunde vom Garen oder seinem Hofmeister betrieben und gerichtet wurden, an die Haus- und Hof kanzlei überantwortet ; so muss- ten z. B. jetzt alle Klöster (nicht nur die privilegirten) über ihre Ausgaben und Einkünfte gerade vor der Haus- und Hofkanzlei Rechnung ablegen. Es

426 Eugen Scepkin,

ist nicht zu ermitteln, wann dieses sämmtliche gerichtliche und administrative Verfahren in Sachen der Klöster und der Geistlichkeit der Haus- und Hof- kanzlei zugewiesen wurde. In den JJ. 1610 13 scheint es bereits ein alter Brauch gewesen zu sein. Wir besitzen nämlich eine Beschreibung der Mos- kauer Staatsverfassung und -Verwaltung, welche wahrscheinlich für den Korolevic Vladislav ausgearbeitet war. Darnach verwaltet die Haus- und Hof kanzlei die Güter und Dörfer der Carenfamilie und führt ausserdem die Aufsicht über die Klöster in allen Städten Russlands (»Ha ^Bopni aEopexuKoii, Äa ci HHMT. SBa ÄiflKa, siÄaiOTt ÄBopuoBLie cejia ... ila bo ^Bopui ski. bi. IIpH- Kasi MOHacTtipu Bcixi. ropo^oBt«. A.H. II, Nr. 355). So entstand in der Haus- und Hofkanzlei eine besondere Abtheilung, die bereits um das J. 1611 die »Klöster-Kanzlei« (MoHaciBipcKiä IIpiiKaBi.) hiess; unter den Eomanovy ward diese Abtheilung zu einem selbständigen Amte, welches seitens des Staates die Aufsicht, Gerichtsbarkeit, finanzielle Kontrole u. ä. über die Klöster hand- habte. Jetzt Sassen hier ausser der weltlichen Obrigkeit (Okoljnicij, Djaki) auch die Archimandriten (z. B. des Wunderklosters im J. 1653), die Cellarii der Klöster (z.B. des Dreieinigkeitsklosters des H.Sergius, des Neuen Heiland- klosters im J. 1653), die Kanoniker (Protopopen), die Pfaffen u. dgl. Es ist möglich, dass bereits am Anfange des XVII. Jahrb., als die Klösterkauzlei noch eine Abtheilung der Haus- und Hofkanzlei bildete, dieselben Archi- mandriten, Cellarii und Protopopen dahin eingeladen wurden, um Sachen zu verhören, welche die Klöster- und Kathedralgüter oder die Geistlichkeit überhaupt betrafen (A.A.3.IV,Nr.62 u 68). Jedenfalls hatten die Djaki Smir- noj-Vasiljev und Semejka Euthymjev genug Gelegenheit gehabt, um mit den Aebten, den Cellarii, den Dompfaffen der Klöster und der Kathedralen aller russischen Städte, vor allem aber der Kremlburg zu verkehren. Was hat aber die Mönche und die Geistlichkeit bestimmt, eine Kabale gegen Boris ins Werk zu setzen? Die Geistlichkeit war mit dem Hange des Boris zur westeuropäi- schen Bildung missvergnügt. Dann fühlten die Klöster wohl auch die Pflicht, an dem gekrönten Mörder Rache zu nehmen. In den Klöstern fanden dazu alle die Ruinirten oder Verfolgten ihre Unterkunft. Die Otrepjevy, Jackie, Povadiny waren eigentlich noch durch die sociale Politik Johanns des Sehr, aus dem Sattel einer sicheren Lebensstellung gehoben; dessenungeachtet brüteten sie in der Stille der Klöster ihre Rachepläne gegen den Staat, als bereits Boris durch seine Mittelstaudspolitik gerade diesem Kleinadel aus- zuhelfen suchte. Die Masse der Geistlichkeit, welche in das Geheimniss gar nicht eingeweiht war, hat wohl an die Echtheit des Prätendenten geglaubt. Vor Allem galt es aber der Kirche, eine aktive Politik gegen den Staat zu entfalten. Sobald die Godunovy gefallen waren, begann die Geistlichkeit an dem Sturze des PD I. zu arbeiten, welcher ihr mit seiner Aufklärung und Toleranz, mit seinem Vorhaben, die klösterlichen Güter zu konfisciren (Bus- sow), noch mehr als Boris verhasst sein musste. Die »Mönche und Pfaffen«, wie ihrer Bussow oftmals gedenkt, waren bereit, jedes Laienregiment zu stürzen, bis ein ihnen ergebener Car zum Throne gelange, z. B. ein V. Sujskij oder ein Sohn des Patriarchen Philaret. Die Geistlichkeit, besonders die Mönche, trachteten nach einem von ihnen tacito conseusu gewählten Caren,

Wer war Pseudodemetriua I. ? 427

um dadurch ihren Grossgrundbesitz vor allen Eingriffen der weltlichen Macht zu schützen (vgl. die Verhandlungen mit dem Korolevic Vladislav), wo mög- lich sich weitere Aussichten zum Liindererwerb zu eröffnen. Die Kolonisa- tionspolitik der Garen hat den klösterlichen Grossgrundbesitz zu Gunsten der Grenze öde gemacht; der Vertreter dieses Grossgrundbesitzes, Avraamij Palicyn, hat mit der Feder in der Hand eben die Interessen des Centrums gegen die Begünstigung der Grenzen verfochten.

Wir müssen auch die älteren Arbeiten über den PD I. aus dem XVIII. Jahrhundert nachholen. Der russische Akademiker und Historiograph Ger- hard Friedrich Müller hat seine Anschauungen über den PD I. in dem »Ver- suche einer Neueren Geschichte von Ruszland« entwickelt (Sammlung Euss. Geschichte, des V. B. 1. und 2. Stück. St. Petersburg 1760). Den Mord zu Uglic erzählt er, ohne noch die Proeessakten zu kennen. Er äussert sich gegen die Echtheit des PD I., steht aber anfangs auf einem rein officiellen Standpunkte: »Nun hat man zwar keine Ursache zu vermuthen, dass sich noch jemand in Russland geneigt finden möchte, diesen Betrüger für den wahren Prinzen Demetrius zu halten; denn die Meynung, dass er sich fälsch- lich für den ermordeten Prinzen ausgegeben, ist durch den auf ihn gelegten Kirchen-Bann und durch die zu Moskau verwahrte Reliquien des wahren Prinzen, so fest gegründet, dass es ein Verbrechen seyn würde, das Gegen- theil zu behaupten.« Dennoch widerlegt Müller gründlich den Margeret, die Tragoedia Moscowitica, die Narratio Succincta. So sagt er z. B. : »Wie hätte sich der Diak Bitägowskoi, der den Prinzen ganz wohl gekannt, ja noch mehr, wie hätte sich die Wärterin und ihr Sohn, die beständig um den Prinzen ge- wesen, also sollen betriegen lassen? . . . Man gibt weiter vor, derjenige, welcher den Prinzen Demetrius vorgestellet, habe eben wie der Prinz einen Arm länger, als den andern, und an demselben Orte, wo jener, eine Warze im Gesichte gehabt ... Ist es denn aber so gewiss, dass der Prinz würklich

einen solchen Fehler am Arme und eine Warze im Gesichte gehabt?

Unsere russische Handschriften melden nichts davon.« Unserer Meinung nach war Gerh. Mueller sogar bereit, zwei Otrepjevy anzunehmen; er schreibt nämlich Folgendes: »Margeret im Gegentheil versichert, Demetrius und Griska seyen ganz verschiedene Personen gewesen . . . Allein, wie kann man sich vorstellen, dass es nur jemand in den Sinn kommen können, beyde für eine Person zu halten . . . Warum hat denn Niemand, als Margeret, einen so merkwürdigen Umstand angemerket ? . . . . Wir müssen entweder Margeret einer offenbaren Unwahrheit beschuldigen, oder setzen, dass er von einem andern Otrepiew gehöret, der zu Moskau gegenwärtig gewesen und welchen er mit Grischka unbehutsamer Weise vermischet hat.« Der russische Ge- schichtschreiber des XVIII. Jahrb., Fürst Mich, .^cerbatov, hat das Werk des Akademikers Mueller noch in der Handschrift benutzt (Kh. mepöaxoBt, Hcto- plH PocciücKafl, T. VII, H. 1. C. IleT. 1790). ^cerbatov hielt es für unglaublich, dass der junge Mönch Otrepjev von selbst auf den Gedanken verfallen wäre, als Carevic Demetrius aufzutreten, und hat die Vermuthung ausgesprochen, ob nicht ein vornehmer Feind des Boris Godunov den Griska zu seinem

428 Eugen Scepkin,

Werkzeuge gewählt hätte, um dann selbst den Thron zu besteigen. Einer vorläufig noch xmgeclruckten Nachricht zufolge soll auch PD I. am Hofe des Königs Sigismund III. die Furcht gehegt haben, dass statt seiner am Ende doch ein Anderer den Thron in Moskau besteigen würde. Gerh. Mueller hat denselben Gedanken in der Eidesformel aus der kurzen Regierungszeit der Wittwe des Boris Godunov und ihres Sohnes Theodor in sibirischen Archiven gefunden: »Dieses Formular insbesondere zeiget eine grosse Furcht an, welche die verwittwete Zarin mit ihrer Familie gehabt, dass sie von den Ständen des Reichs möchte verlassen, oder gar mit Gifte aus dem Wege ge- räumet werden, und dass sie nicht nur des falschen Demetrius wegen besorgt gewesen, sondern auch den Zaren Simeon Bekbulatovic, als wenn er ihnen nach der Regierung stünde, in Verdacht gehabt, ja dass sie geglaubet, es könnten wohl j emanden von den vornehmsten Boj aren des Reichs Regierungs- Gedanken in den Kopf kommen.« Wir ziehen folgenden Schluss daraus : wenn PD I. wirklich nur ein Werkzeug der Carensynkletos, d. w. s. des ganzen höheren Adels, als eines geschlossenen Standes, gewesen wäre, so würden die Bojaren ihre Puppe gleich nach dem Tode des Boris oder des Theodor Godunov vor dem Volke entlarvt und einen aus ihrer Mitte zum Garen er- wählt haben. Da aber PD I. kein Werkzeug der Bojaren gewesen ist, so waren sie nicht im Stande, den Betrug aufzudecken, und mussteu ihn nach kurzem Zaudern unter dem Drucke des Volkes der Stadt Moskau, des Heeres, der Polen und Kosaken anerkennen. Der neue Gar hat den Bojaren seine Ueberlegenheit bereits in Tula fühlen lassen. Gerh. Mueller erzählt selbst Folgendes: »Bojaren . . . musten mit dem empfindlichsten Verdrusse an- sehen, dass eine Partey Donnischer Cosacken, die zu gleicher Zeit mit ihnen im Hof lager ankam, eher, als sie zur Audienz gelassen wurden. Sie musten von den Cosacken die empfindlichsten Spottreden und Scheltworte erdulden. Und was das meiste war. so gab ihnen der falsche Demetrius derbe Verweise, dass sie nicht eher, als bis sie dazu gezwungen worden, ihren rechtmässigen und angebohrnen Herrn an ihm erkennen wollen« etc. (vgl. Nikons Annalen). Fr. Scerbatov scheint aber nicht gegen die Carensynkletos in corpore, son- dern gegen eine einzelne Persönlichkeit aus dem Adel Verdacht geschöpft haben. Wir konnten indessen weder gegen die Sujskie, noch gegen die Ro- manovy überzeugende Beweisgründe finden. Ilorsey hat die Anklage gegen Bjeljskij und Alexander Rom. erhoben, indessen ist er für die Zeit schlecht unterrichtet. Margeret hält es für wahrscheinlich, dass eben Romanovy und Nagle den Carevic vor den Nachstellungen des Boris gerettet hätten; aber es ist nur eine Hypothese, dazu glaubt er auch fest an die Echtheit des Garen Demetrius I. Als eine von den Möglichkeiten haben wir auch die Theilnahme der Romanovy an der Kabale in Betracht gezogen. Es bleibt uns noch übrig, einige Data für die Geschichte dieser Familie nachzuholen , welche unsere Chronologie unverrückt lassen. Bei Gerh. Mueller heisst es : »Das letzte Mal, da Fedor Nikitiitsch in Diensten des Zaren Boris erwehnet wird ;Rosrädnaia) ist den 26, Februar 1600«; den Process gegen die Romanovy setzt Massa auf den November 1600. Aus dem Adel, und zwar nicht dem höchsten, trifft der Verdacht der Zeitgenossen noch den Bjeljskij und -len Klesniu. PD II. hat in

Wer war Pseudodemetrius I. ? 429

seinem Erlasse an die Bürger von Sraolensk neben dem Vasilij Scelkalov den Bojidan Bjcljskij und Andreas Klesnin als seine Retter erwähnt; alle drei galten vordem für Werkzeuge des Boris Godunov (Klesnin wird noch in einem Plakate aus der Zeit des D. I., als Feind des Carevic bezeichnet*. Nach der Vorstellung des Djak Tiraopheev haben die Brüder iScelkalovy dem Boris zum Siege über seine Nebenbuhler verholfen, dafür aber nur Ungnade und Verfolgungen geerntet. Auch dem Thomas Smith zufolge hätten Bogdan Bjeijskij, Andreas Scelkalov, Andreas Klesnin den Boris auf seiner Laufbahn zur Macht und Krone unterstützt; da begann aber Boris vorsätzlich Unwille und Geringschätzung ihnen gegenüber zu zeigen, so dass Bjeijskij sogar den Hof verliesB. Bjeijskij und Klesnin gehören also nicht zu dem unter Johann dem Schrecklichen und seinem politischen Schüler Boris God. deprimirten Grossadel, der sich durch eine Kabale die frühere Machtstellung zurückzu- erobern denken konnte, sondern zu den emporstrebenden neuen Familien, die nun aus dem Schichte der Okoljnicii in die Reihen der Bojaren steigen möch- ten; sie haben zuerst auf das Glück des Boris spekulirt, sich in ihren Hoif- nungen getäuscht und nun einem neuen Hasardspiele ergeben. Dank der per- sönlichen Gunst des Schrecklichen Caren und seiner »Opricnina« hat Bjeijskij sich eine hohe Stellung an seinem Hofe errungen. Um auch unter Theodor zusammen mit seinem Gönner Boris God. immer höher steigen zu können und den alten Adel zu überholen, hat er im April des J. 1584 einen Staatsstreich zu Gunsten der abgeschafften »Opricnina« gewagt (nach einem Briefe des Leo Sapieha im Archive der Familie Radziwill, z Moskwy 26. kwietnia 1584. Script. Rer. Polon. t. VIIL Vgl. auch den Djak Timopheev). Unter der Re- gierung des PD L wird Bjeijskij zum Bojaren, der Djak Vasilij Scelkalov zum Okoljnicij (unseres Wissens das erste Beispiel für jene Zeit), Archimandrit Paphnutij zum Metropoliten erhoben. Aus den Verwandten des ermordeten Carevic könnte man seine Mutter (Marija, als Nonne Martha) und noch den Athanasij Nagoj in Verdacht ziehen, der sich aus üglic durch Flucht vor der Rache des Boris gerettet zu haben scheint. Es bleibt aber die Frage offen, seit wann die Carin-Wittwe und Bogdan Bjeijskij in das Geheimniss der so- genannten »Errettung des Carevic« eingeweiht waren. Zufolge dem Thomas Smith hat Bjeijskij mit der Carin-Wittwe Rath gepflogen über die Rettung des Demetrius, doch haben am Ende Andere einen Pfaffensohn unterschoben und erst dann die Mutter und den Bjeijskij benachrichtigt (Obscurely liued this wTonged prince, the changing of him being made priuate to none but his owne mother . . . and to Bodan Belskey). Darauf stützt sich unsere Annahme, dass Bjeijskij und die Nagie vielleicht Theilnehmer an der Kabale, keines- wegs aber ihre ersten Urheber gewesen sind. Gegen Bjeijskij scheint zu sprechen, dass mit ihm zusammen Istoma Michnev bei der Erbauung der Stadt Borisov zugegen war; der Diener des Istoma Michnev ist später in Wiljno zum litauischen Kanzler Leo Sapieha in Dienst getreten und hat für die Echtheit des Carevic in Polen Zeugniss abgelegt. Fürst Mich. Obolenskij hält den Kanzler von Litauen für den Urheber der ganzen Kabale. Nach dem Frieden von Deulino, als das ganze Vorhaben gegen Russland bereits ge- scheitert war, soll der Reichskanzler Lipski vor dem ganzen Reichstage diese

430 Eugen Scepkin,

Beschuldigung gegen den Leo Sapieha erhoben haben; um sich zu recht- fertigen, habe Sapieha die Geschichte des Griska Otrepjev verfasst (vgl. die Einleitung zu seiner Ausgabe der »La Legende de la vie et de la mort de De- metrius, Moscou 1839).

Unsere Voraussetzung, dass die russischen Quellen von zwei verschie- denen Otrepjevy erzählen, haben wir vor allem durch die Genealogie dieses Geschlechtes zu beweisen gesucht. Die Genealogie kennt drei Zweige des Geschlechtes. Es gab einen Bogdan in dem Zweige zu Uglic, einen anderen Bogdan 0. in dem Zweige zu Galic. Die russischen Sagen und Annalen halten den Gregor 0., welcher unter dem Namen des D. I. geherrscht haben soll, für den Sohn des Bogdan aus Galic; dagegen kennt ihn die Genealogie als den Sohn des Bogdan aus Uglic. Wir haben den Garen PD I. in den Zweig zu Galic eingereiht, den Gregor 0. aus Uglic für den Diakon des Wunderklosters erklärt. Wir wurden dazu durch zwei Gründe bestimmt. Erstens war Diakon Gregor um 10 Jahre älter, als PD I., und musste deshalb in den älteren Zweig des Geschlechtes eingereiht werden. Zweitens bringt die Erzählung von den Lebensschicksalen des Otrepjev Nr. 2 (PD L) seine Familie mit dem Zweige aus Galic zusammen. Man muss aber dabei voraussetzen, dass die Verfasser der Sage aus dem Jahre 1606 u. dgl. den Namen »Georgij« aus der Lebens- geschichte des Diakon Gregor übernommen haben. Man kann indessen auch umgekehrt den Diakon Gregor in den Zweig zu Galic einreihen und den PD 1. für den Gregor, Sohn des Borislav Bogdan aus üglic, halten. Dem würde das Excerpt des Bantys-Kamenskij entsprechen, nämlich, dass PD I. als Laie Gre- gor, als Mönch German geheissen; der Name Georgij (Juska) würde als Laien- name für den Diakon Gregor Otrepjev bleiben. Da müsste man aber annehmen, dass die Verfasser der Sagen die Tradition über den Gregor 0. aus Uglic auf den Georgij 0. aus Galic übertragen hätten. Für uns war es wichtig, nur den Dua- lismus zwischen den zwei Bogdan und zwei Gregor 0. hervorzuheben und die Wahrscheinlichkeit zu erweisen, dass die Tradition theilweise von dem Namen des Diakon 0. auf einen anderen 0., oder auch umgekehrt verrückt wurde. Dass zwei verschiedene Persönlichkeiten von der späteren Tradition unter einem Namen zusammengeschmolzen werden, ist auch sonst der historischen Kritik bekannt. Wir erinnern nur au Giovanni da Ravenna, den Schüler des Petrarca, welcher erst unlängst von der Geschichtsforschung in zwei verschiedene Per- sönlichkeiten zerlegt -«-urde Johannes Conversanus und Johannes Mal- paghini von Ravenna (vgl. Dr. Klette, Beiträge zur Geschichte und Litteratur der Italienischen Gelehrten Renaissance). Die ausführlichste, aus verschie- denen Quellen geschöpfte Genealogie des Geschlechtes Otrepjevy-Nelidovy haben Rummel und Golubcev gegeben (PoÄOCioBHtiä Cöophkr-b, t. II;. Darnach hätte Boris Andrejevic Nelidov, mit dem Beinamen »Phares«, zwei Söhne ge- habt — den David und den Semen. David Borisovic hat vom Grossfürsten Johann III. im J. 1497 bei Gelegenheit den Familiennamen Otrepjev erhalten ; sein Bruder Semen Borisovic behielt seinen früheren Familiennamen bei und wurde zum Stammvater desjenigen Zweiges des Geschlechtes, welcher unter dem Namen der Nelidovy neben den Otrepjevy fo-tlebte, bis der Gar Alexej

Wer war Pseudoderaetrius L? 431

m J. 1671 auch den Otrepjevy den früheren Namen der Nelidovy zurückgab. Wir haben vor kurzem füixonuci. HcT.-$iijro.!i. OömecTBa npu HoEopocciftcK. yuuB., T. VIII, Ojecca 1900) ein neues Dokument aus dem Archiv des Justiz- ministeriums in Moskau veröffentlicht ; es folgt aus diesem Dokumente, dass derjenige Zweig der Nelidovy, welcher seit dem David Borisovic den Fami- liennamen »Otrepjevy« erhalten hat, auch unter dem Beinamen Pharisäjevy bekannt war. Den Hauptfehler der Genealogie der Otrepjevy, wie sie von dem Arch. Leonid gedruckt war, haben die HH. Rummel und Golubcev gar nicht bemerkt; sie halten nämlich den Bogdan-Tichon aus Galic für eine ein- zige Person und bezeichnen ihn als kinderlos. Wir haben den Dualismus von einem Otrepjev Nr. 1 und 0. Nr. 2 unter anderem durch den Widerspruch in den historischen Quellen zu erweisen gesucht, welche seinen Vater sich bald noch am Leben, bald als bereits gestorben, bisweilen sogar seine verwittwete Mutter als zum zweiten Male verheirathet vorstellen. Der Brief des Garen Boris an Sigismund III. berichtet, dass der junge Georgij 0. einen Vater hatte, dem er den Gehorsam versagte und zu wiederholten Malen entlief (CöopHUKX KH. OöoJieHCKaro, Nr. 8 : »a akt. 6biJix bi nipy, u OHt otua CEoero ne cjij-s.a.ji'h . . . H öirajit otx oxua MHoroacÄa«). Diese Tradition haben wir auf den Diakon Gregor 0. bezogen; sie ist auch in dem Neuen Annalisten und Nikon's Annalen in die Lebensgeschlehte des Otrepjev Nr. 2 eingedrungen (hier gibt der Vater selbst seinen Sohn in Moskau in die Lehre: »Baase ero OTeuT> ero na MockbI bi> Hayieuie kehhchoc«). Dagegen berichtet »Die Sage aus dem J. 1606«, dass Otrepjev Nr. 2 früh seinen Vater verloren hätte und von seiner Mutter in der Heiligen Schrift unterrichtet wäre; als er die Horae und die Psalmen durchstudirt hatte, verliess er die Mutter und lebte in Mos- kau. Auch Palicyn bezeichnet seine Mutter bei der Untersuchung des J. 1606 als Wittwe Varvara (h Main ero, EoraanoEa accHa OipenBCBa, BjOBa BapBapa). Diese Tradition vom Sohne einer Wittwe beziehen wir auf den Griska Nr. 2. Kein Wunder, dass auch die Ausländer in dieser Frage von einander ab- weichen. Dem Massa zufolge hat die Regierung des Vasilij Sujskij am 30. Mai 1606 den Vater und die Mutter des Gregor 0. dem Volke vorgezeigt, welche den ermordeten Garen für ihren Sohn anerkannten. Rüssel (the Reporte of a bloudie massacre in the Citty of Mosco) spricht in demselben Falle von dem Stiefvater, der Mutter und dem Bruder des Griska 0. Zufolge der Relation Curieuse (Merick?) haben die Eltern des Griska ihn wegen der Excesse der ersten Jugendzeit in das Kloster Trinouka (des H. Tryphon? oder der Tri- nitas ?) eingesperrt. Die Frage, ob der Vater des PD I. noch am Leben war, oder nicht, wird auch dadurch erschwert, dass Vasilij Sujskij bei der Unter- suchung aus dem J. 1606 nicht nur den Vater des Diakon Gregor 0., oder einen Stiefvater des Garen Otrepjev dem Volke hat vorzeigen, sondern auch einen Vater geradezu fälschen können. Die Verbannung des H. Tryphon aus seinem eigenen Kloster in Chlynov erfolgte wohl mit Zustimmung des Pa- triarchen, denn sein Schüler Jonas Mamin, welcher von den Mönchen zum Archimandriten gewählt wird, fährt nach Moskau, um die Investitur vom Patriarchen zu erlangen, und wird wirklich zum Archimandriten ernannt. Wahrscheinlich hat die Regierung (nämlich unter Vasilij Sujskij) erst jetzt

432 Eugen Scepkin, Wer war Pseudodemetrius I.?

erfahren, dass es eben Tryphon dem Gregor 0. Nr. 2 die Kutte ertheilt hatte. Sonst bleibt die Absetzung des H. Tryphon unerklärlich. Ob die Vertreter der Stände, welche unter der Regierung des PD I. den Sujskij gerichtet (Sobor !), vom Volke gewählt, oder vou der Regierung ernannt, oder kraft ihrer Stellung in der Landadministration und im Heere berufen wurden, ist unklar. Margeret sagt: »Vacilei Choutsqui fut accuse et conuaincu en pre- sence de personnes, ehoisies de tous estats, du crime de leze-majeste«. Ebenso unklar ist auch der italienische Bericht aus dem J. 1605 über einen anderen Reichstag: tutti li principali del popolo si sono chiamati (Pycc. Hex. Eh6ji., T. VIII). »Choisies« statt »elues« spricht eher schon gegen die Wahl vom Volke selbst. Die Begnadigung des V. Sujskij halten Margeret und Bussow für den grössten Fehler seitens des Garen D. L, welcher ihm die Krone und das Leben gekostet hat. Wo wir fremde (Kostomarov, Suvorin) Meinungen wiedergaben, haben auch wir den Diakon des Wunderklosters Gr. Otrepjev als Diak in den Diensten des Patriarchen bezeichnet. Dieser Irrthum war uns für diejenigen Erklärungen wichtig, wo wir bei den Ausländem eine Ver- wechselung zwischen »Diak«, als geistliche Persönlichkeit (d.w. s. Diakon) und Diak, als Laien (d.w. s. Sekretär) annehmen. Den Fehler der HH. Kosto- marov, Suvorin u. A. muss man auf Margeret zurückführen. In seinem L'Estat de l'Empire de Russie heisst es unter anderem: »et se nommoit Grisque Otrepiof, lequel auoit este autrefois secretaire du patriarche et senfuit en Pologne ". Nun wurden aber zu den Djaki (Sekretäre) an dem Hofe des Pa- triarchen Laien genommen. Wenn also Nascekin von dem Gregor 0. »bed^c diakiem« sagt (Bist. Russ. Monum., t. II. Dyaryusz Olesn. 1 Gos.), so weiset es nur auf seinen geistlichen Stand, d. w. s. eines Diakons. Er wurde vom Patriarchen Hiob nicht als Sekretär zum Schreiben von officiellen Akten und Diplomen, sondern als Geistlicher zum Bücherschreiben in den Hof genommen (Hiobs Rescript und Gesandtschaftsregister des Fürsten Volkonskij : »wa KHUjKHoro nacMa«. BeimPalicyn: »cjyata niicMOMt«. In dem Briefe des Boris an Sigism. III.: »ä^^k nncMa«). Einen Diakon (resp. Diacus), welcher beim Pa- triarchen Bücher schreibt, konnte der Ausländer Margeret leicht mit einem Laiendiacus (Sekretär) verwechseln; dasselbe Missverständniss haben wir auch bei anderen Ausländern angenommen (vgl. unsere Interpretation des Danziger Recesses). Statt des Kunstausdruckes der Fachmänner »Bojaren- rath« haben wir vorsätzlich die historischen dokumental belegten Benen- nungen, wie »der Carenrath«, »die Carensynkletos", oder bloss »die Bojaren« (»Bojare, Okoljnicie i Dumnyje Ijudi«) gebraucht.

Eugen Scepkin.

433

Die Anfänge der ungarisch- slavisclien ethnischen Berührung.

Die in der eingegangenen Zeitschrift Donauländer I (1899), Heft 4 7, nnter der oben beibehaltenen Ueberschrift veröffentlichte Studie von Munkacsi ist eine Uebersetzung der in der ungarischen Zeitschrift Ethnographia (VIII. 1 30) im Jahre 1897 erschienenen Abhand- lung. Insofern die Uebersetzung nicht immer gelungen ist, werde ich mich zuweilen an das Original halten müssen, damit dem Verfasser nicht Unrecht geschehe. Da ich annehmen kann, dass auch die deutsche Uebersetzung den Fachgenossen nur zum geringen Theil bekannt ge- worden ist, will ich immer M. 's Ansichten und Argumente kurz anführen und hieran meine Bemerkungen knüpfen.

Der Verfasser gibt zu, dass die Hauptmasse der slavischen Lehn- wörter im Ungarischen aus einer Sprache stammen, welche dem Alt- slovenischen nahe verwandt war, leugnet aber, dass die Aufnahme der- selben in der heutigen Heimath der Ungarn stattgefunden hätte. »Sprachwissenschaft, Volkskunde und Geschichte, meint er, diese Haupt- quellen der Erforschung uralter ethnischer Gestaltungen, liefern gleich viel Gegenbeweise in grosser Zahl und weisen auf die Annahme hin, dass wir die Anfänge der ungarisch-slavischen ethnischen, beziehungs- weise sprachlichen Berührungen in einer etwas älteren Epoche, als der- jenigen der Landnahme, und demzufolge auch deren Schauplatz nicht in Pannonien, sondern in den fi'üheren Wohnsitzen der Ungarn zu suchen haben« (S. 249 f.).

Als erstes Argument wird angeführt »die consequente formelle Gleichartigkeit der ungarischen Lehnwörter « (S. 250). Dem asl. medvedh entspricht überall medve^ ebenso ^tm jagnedh jege7vye^ »von den hier eliminirten Consonanten -c?, -nd(( ist nirgends eine Spur geblieben ; TiTTbrna gegenüber finden wir, mit Anlehnung an ungarische Bildungen SLui -mätiy, hormäny\ dvorb heisst überall udcar, obwohl diese Laut- entwickelung durchaus nicht die einzig mögliche war. Was die Bei- spiele anbelangt, welche die abnorme Entwickelung von udvar beweisen sollen, so sind sie nicht sehr glücklich gewählt, denn dass tür »eitriges

Archiv für sl.ivische Philologie. XXTT. 28

434 Oskar Asböth,

Geschwür« (der Uebersetzer, ein Kroate von Geburt, bat daraus wahr- scheinlich unter dem Einfluss seiner Muttersprache einen »Iltis« gemacht) slavisch ist, kann man angesichts dessen, dass wir nur im nsl. tvor einen Anhaltspunkt für diese Behauptung haben, nicht als sicher annehmen, noch weniger nachgewiesen ist die Slavicität von hör »Krankheit«, wie wir weiter unten sehen werden. Hierauf geht der Verfasser auf das überhaupt noch nicht erklärte schwierige csinäl als die »Copie des sla- vischen ciniti (machen)« über, »nirgends hört man, meint er, oder lässt sich aus alter Zeit nachweisen: cs{?iel, obgleich letzterer Klang dem Geiste der ungarischen Sprache besser entspricht«. Ich weiss nicht, was das mit dem »Geiste der ungarischen Sprache« zu thun hat, ich sehe überhaupt keine Möglichkeit, vom slavischen cmifi zu einem ungarischen csinäl zu gelangen; wir stellen un^. csinäl mit ci7iiti blos deshalb immer zusammen, weil wir eben den Entwickelungsgang von csinäl noch nicht kennen und daran doch keinen Moment zweifeln können, dass es slavisch ist. Es bleibt wohl kaum ein anderer Ausweg, als csinäl aus einem iterativen cinjati zu erklären, das allerdings gewöhnlich nur mit Prä- fixen vorkommt (asl. ziciniti : uci)7jafi, r. ucinitb : ucinj'atb), aber sehr wohl auch allein hat existiren können, wie poln. czxjniac zeigt {auch Stulli führt in seinem Wörterbuche ein sonst unbekanntes kroat.-serb. cinati au) . Schliesslich erwähnt der Verfasser, dass kolbäsz, heszed^ lapätj szomhat den Endvokal verloren hat (vgl. asl. khbasa, besSda, lopata, sqhota)^ während doch sonst in ähnlichen Fällen der Endvokal bewahrt worden ist. »Aus allen diesen Erscheinungen geht unzweifel- haft hervor, dass der slavische Einfluss in der ungarischen Sprache älter ist, als ihre Auflösung in Dialekte; letztere indessen hängt mit der Niederlassung und der territorialen Dislocirung des üngarnthums eng zusammen, ja sie wurzelt sogar gewiss schon im alten Stamm- und Nationalsystem des Üngarnthums« (S. 251).

Da sich der Verfasser in dem nächsten Absatz selbst auf die deut- schen Lehnwörter der ung. Sprache beruft, wollen wir einmal seine Be- hauptungen an diesen prüfen. Zeigen die deutschen Lehnwörter die nach M. jedenfalls zu erwartende grosse Mannigfaltigkeit? Ich gebe zu, dass es misslich ist, diese Betrachtung einseitig anzustellen, ohne sich um die Bedeutung der Wörter zu kümmern, denn der Verfasser weist in dem nächsten Abschnitte mit Recht darauf hin, dass Lehnwörter oft gerade in Folge ihrer Bedeutung leichter oder schwerer eine allgemeine Verbreitung gewinnen. Doch hier kümmert er sich offenbar selbst nicht

Die Anfänge der ungarisch-slavischen ethnischen Berührung. 435

im Geringsten um diesen Gesichtspunkt und stellt die slavischen Lehn- wörter rein nach lautlichen Erscheinungen zusammen, unbekümmert darum, ob nicht Ausdrücke, wie udvar {dvoTb) , palofa (polata), kor- mäny [ktn)7na), taliga [teUga), lapät [lojicita], szent {sv<^h), häla[hvala), szombat {sqhota) und noch einige andere von ihm angeführte, gerade in Folge ihrer Bedeutung sich aus einem Zentrum über das ganze Land verbreiten konnten. Wir wollen uns also zunächst auch nicht darum kümmern und einige deutsche Wörter in der Gestalt anführen, die sie im Ungarischen angenommen haben. Der »Wagner« heisst hognär ^ der »Krämer« kalmär, die »Scheuer« csür (l. tsilr), der »Bürger« polgär ^ das «Ziel« ce7, das ung. Jiarc »Kampfcf ist aus d. hatz^ das Hetze und dann auch Streit, Kampf heisst, mit auch sonst erscheinendem para- sitischen r geworden, cegei' ist der »Zeiger« u. s. w. u, s. w. Nirgends auch eine Spur von unbedingter lautlicher Nöthigung zu einer solchen Entwickelung ! Dieselben deutschen Wörter hätten auch in einer ganz anderen Form zu uns kommen können, sobald wir uns entweder Zeit oder Ort der Entlehnung oder das Medium der aufnehmenden Gesell- schaft oder sonst ein oft ganz zufälliges Moment etwas verschoben den- ken, und doch haben die Wörter den Weg überallhin gefunden, ohne Rücksicht auf die Verbreitung der Ungarn über das ganze Land. Wenn die Lautgruppe str- einmal geblieben ist, wie in strimßi »Strumpf«, strumpändli » Strumpf bandel« (beim Militär auch »Sturmband« am Tschako!), ein andermal i davor getreten ist, wie in isträng »Strang«, in ostrom »Sturm, Bestürmung, Belagerung« aber ein vorgetretenes o die Aussprache erleichtert, so sehen wir deutlich, wie wenig die ver- schiedene Behandlung von anlautenden Konsonantengruppen in slavischen Wörtern, die M. in Zusammenhang mit dvor^ : udvar erwähnt, beweisen kann, dass dieselben nicht in der jetzigen Heimath der Ungarn aufge- nommen worden sind.

In dem nächsten Punkte hebt der Verfasser hervor, » dass ein be- deutender Theil der ausserordentlich grossen Anzahl der slavischen Lehnwörter im Ungarischen den Gemeinschatz der ungarischen Sprache bildet, auf dem ganzen Gebiete derselben, in allen ihren Dialekten be- kannt ist, und noch dazu, ohne dass diese Verbreitung die Natur des Begriffes von selbst begreiflich machen würde« (S. 251). Nur selten sei dies bei aus dem Deutschen entlehnten Wörtern zu beobachten, obwohl der deutsche Einfluss nicht jüngeren Datums sein könne, als der der pannonischen Slaven. »Hätte sich, schliesst der Verfasser, diese

28*

436 Oskar Asböth,

Erwägungen, der Einfluss der slavischen Sprache gleichzeitig mit jenem der deutschen geltend gemacht, dann wäre der so auffallende Unter- schied in der ^) Menge ihrer allgemein gebräuchlichen Wörter ganz und gar unbegreiflich, was nur in der Weise erklärbar ist, dass, während der slavische Spracheinfluss das Ungarnthum auf irgend einem kleineren Gebiete und wahrscheinlich zur Zeit des Zusammenseins in geringerer Anzahl getroffen, es der deutsche Einfluss schon auf ansehnlichem Ge- biete zerstreut, in untereinander nicht in direktem Verkehre stehenden Ansiedelungen gefunden hat; mit anderen Worten : jener machte sich in einer unentwickelteren Periode der nationalen Gestaltung auf dem Ge- biete der südrussischen Heimath, dieser hingegen auf dem Gebiete des heutigen ungarischen Staates nach der Landnahme mit der stän- digen Niederlassung geltend« (S. 252). Daran lässt sich nichts ändern, dass der Einfluss der Slaven auf die ungarische Sprache ein ungleich grösserer war, als der der Deutschen. Doch berechtigt das durchaus nicht zu dem Schlüsse, den der Verfasser daraus zieht. Dass Slaven in der neuen Heimath der Ungarn einen sehr namhaften Einfluss auf Letztere ausgeübt haben, einen Einfluss, der es ganz zweifellos macht, dass sie hier in Ungarn selbst jedenfalls in grossen Massen, und wie es scheint gerade im Mittelpunkte, mit den neuen Ankömmlingen sich berührt haben, das beweist unumstösslich die theilweise Slavicität der ungarischen christlichen Terminologie, wie wir das weiter unten sehen werden. Wenn der Verfasser mit Berufung auf Marczali 2) sagt: »Die Hienzen, die Deutschen der Comitate Mosony, Sopron (Ödenburg) und Vas (Eisen- burg) sind wahrscheinlich ältere Bewohner des ungarischen Gebietes als die Ungarn«, so lässt sich dagegen geltend machen, dass eine deutsche Bevölkerung an der Peripherie gegen einen mächtigeren slavischen Ein- fluss im Herzen des Landes der Natur der Sache nach nicht im Wege stehen konnte. Dass die Städte Ungarns, wie M. weiterhin betont, grösstentheils deutsche Bevölkerung hatten, erklärt allerdings die Ver- breitung gar manches deutschen Ausdruckes, so z. B. im Gewerbe, doch sind die Städte erst allmählich entstanden und waren nie sehr dicht gesäet.

1) In derUebersetzung steht statt »in der« fälschlich »einer« übrigens ist der Ausdruck im Original unbeholfen.

-) Es soll übrigens heissen: siehe Marczali: A magyar nemzet törtenete 1.91, nicht »Marczali's Geschichte des ungarischen Volkes S.91«; denn es handelt sich nicht um ein selbständiges Werk Marczali's, sondern um ein von Szilagyi redig. 10-bändiges Geschichtswerk. Das Citat im Original ist richtig bis auf die Weglassung v. I.

Die Anfänge der ungariscb-slavischen ethnischen Berührung. 437

Im Ungarischen finden wir nicht selten slavische Wörter zur Be- zeichnung von Dingen, die den Ungarn schon in der Urheimath bekannt gewesen sein müssen, für die sie also schon vor der Berührung mit den Slaven Namen gehabt haben dürften. Der Verfasser beschränkt sich auf die Anführung einiger derartiger Bezeichnungen für Dinge aus dem Naturreich: medve Bär, vereb Sperling, recze Ente, galamb Taube, csuJca Ilecht, holJia Floh, rozs Roggen, zah Hafer. Alles das müssten die Ungarn schon früher gekannt und benannt haben. »Auch dieses räthselhafte Factum, setzt er fort, kann nur auf diese Weise erklärt werden, dass die Uebernahme und Einbürgerung der erwähnten slavi- schen Wörter in eine ältere Zeit, als in die der Landnahme versetzt werden muss« (S. 253. Der Ausdruck im Original ist etwas milder, ohne im Wesen etwas anderes zu besagen). Die Verdrängung von ein- heimischen Ausdrücken durch fremde kann sehr verschiedene Ursachen haben, findet sie aber in dem Masse und in der Weise statt, wie wir die- selbe bei Betrachtung der slav. Lehnwörter der ungarischen Sprache beobachten können, so liegt es sehr nahe, an ein Aufsaugen von slav. Volkselementen von Seiten des ungarischen Volkes zu denken. Warum ein solches in der alten Heimath wahrscheinlicher sein soll, als in der neuen, sehe ich nicht ein. Ueberdies will ich an einem einzelnen, hier angeführten Ausdrucke untersuchen, ob dessen Aufnahme in so alter Zeit von rein linguistischem Standpunkte aus wahrscheinlich ist, M. kann sich nicht denken , wie die Ungarn » von dem auch wild wachsenden Hafer [zah] nicht gewusst hätten«. Nun ist es aber ganz gewiss, dass das slavische zohh die Bedeutung »Hafercf von Haus aus nicht gehabt hat. Ursprünglich heisst es «Speise, Futteret (man vgl. auch das daraus gebildete Verb um zobati lad-leiPj edere, dem im Ung. zabäl «fressen« entspricht), »Hafer« bedeutet es nur im Kroatoserbischen und im Sic ve- nischen. Im Bulgarischen kann darunter zwar auch Hafer verstanden werden, aber immer nur als Pferdefutter, ähnlich wie wir Ungarn bei abrak^ das ursprünglich die »Portion« bezeichnet (asl. oh'okb), und dann »Pferdefutter« im Allgemeinen, geradezu an Hafer denken, ohne jedoch die betreffende Frucht selbst je statt zab abrak zu nennen. Wir haben also Grund anzunehmen, dass sich die Bedeutung »Hafer« auf einem beschränkten, zusammenhängenden Gebiete entwickelt hat : bei den Serben, Kroaten, Slovenen und etwa den von diesen Völkern um- ringten pannonischen Slaven. Die auf der Balkanhalbinsel zurückge- bliebenen Bulgaren nennen den Hafer oves, so wie die Russen oves^,

438 Oskar Asböth,

und es ist sehr bezeichnend, dass auch die Rumänen, die ihre slavischen Wörter in erster Linie aus dem Bulgarischen entlehnt haben, ebenfalls ov^s sagen.

Der Verfasser hat sich darüber leider nicht ausgesprochen, wie lange er sich den Aufenthalt der Ungarn einmal in Lebedia denkt, wo sie mit Russen in Berührung kommen konnten, und dann in Atelkuzu, wo sie in die Nähe der bulgarischen Slaven gerückt waren. Und doch lässt sich schwer über ein Moment, auf das wir bei M. jetzt stossen, sprechen, ohne dass wir seine Meinung hierüber wissen. Wir wollen daher wenigstens sehen, wie die Autoren, auf welche er sich öfter beruft. Pauler, Grot und Marczali, die Sache sich zurechtlegen, um halbwegs einen Anhalte- punkt zu haben. Pauler nimmt an, die Ungarn seien in Atelkuzu nicht länger als 6 Jahre geblieben, von 889 895 (A magyar nemzet törtö- nete, 2. Aufl. 1899, S. 1), und hält Rösler's Ansicht, sie müssten Le- bedia vor 835 verlassen haben, für unbegründet (Szäzadok 1880, S. 97 f.); darüber, wie lange die Ungarn sich in Lebedia aufgehalten haben, spricht sich Pauler nicht aus. Grot meint, die Ungarn seien keinesfalls später als zu Anfang des IX. Jahrh. aus ihrer Urheimath nach Lebedia gezogen, aber auch viel früher hätten sie dieselbe nicht verlassen können (Moravtja i Madtjary s poloviny IX do nacala X veka 1881, S. 204 u. 206), nach Atelkuzu seien sie in den 80- Jahren des IX. Jahrh. gekommen (S. 250). Marczali lässt die Ungarn um 700 herum nach Lebedia kommen und dort länger als ein Jahrhundert verweilen, auch in Atelkuzu hätten sie sich nicht nur vorübergehend aufgehalten, wie die meisten ungarischen Forscher annehmen, sondern festen Fuss gefasst und eine geraume Weile gehaust (s. in Szilagyi's: A magyar nemzet törtönete I, S. 20 u. 23). Nehmen wir nun an, M. neige sich Marczali's Auffassung zu, da dieselbe für seine Theorie des sprachlichen Einflusses von Seiten der Slaven (zuerst der Russen, dann der Bulgaren) am günstigsten ist, so erhalten wir für den Aufenthalt der Ungarn in Lebedia einen Zeitraum von etwas mehr als 100 Jahren, im besten Falle 140 Jahre, wenn wir nämlich berücksichtigen, dass Marczali mit Dümmler geltend macht, dass wir die Ungarn um 839 herum schon an der Donau finden, für den Aufenthalt in Atelkuzu im allergünstigsten Falle 80 90 Jahre. Wie seltsam klingt es nun, wenn der Verfasser, der in diesen kürzeren oder längeren Zeiträumen die Sprache der damals noch nicht recht sesshaften Ungarn eine Beeinflussung erst von der russischen und dann eine ungleich mächtigere von der bulgarischen

Die Anfänge der ungariach-slavisclien ethnischen Berührung. 439

Sprache erleiden lässt, sich darüber wundert, dass in einem längeren Zeitraum, in rund IGO Jahren nach der oudgiltigen Niederlassung der Ungarn und allmähligen gänzlichen Aufgabe der altgewohnten Raub- züge und des früheren unstäten Nomadenlebens, ich sage, dass in 160 Jahren die Sprache der panuonischen Slaven eine bleibende tiefe Spur in der ungarischen Sprache hätte hinterlassen können. Es ist dies ein •Rechenexempel, das ich absolut nicht verstehe. In der Stiftungsurkunde der Tihanyer Abtei vom J. 1055 finden wir nämlich unter 5S ungarischen ^ Wörtern 4 (nach M. 5) Ausdrücke slavischen Ursprungs. »Wäre der f slavische Einfluss in Ungarn, meint der Verfasser, bloss das Resultat des panuonischen Zusammenlebens, dann wäre dessen so frühe und verhält- nissmässig grosse Ausdehnung (unter 58 Wörtern deren 5) um so auf- fallender, weil ja der die ungarische Sprache gut beherrschende Ver- fasser dieses Stiftungsbriefes bei Aufrechthaltung der erwähnten Hypothese statt der von ihm jedenfalls noch für fremd empfundenen Wörter szena (Heu), lyuh (Loch), halom (Hügel), leicht hätte die ent- sprechenden Stammwörter [z.B.fü Gras, odu Höhle, domb Hügel u, s.w.) gebrauchen können« (S. 253). Es hätte sich doch wohl der Mühe ge- lohnt, des Genaueren auszuführen, warum sich der sprachliche Prozess in der neuen Heimath um so viel langsamer vollziehen musste, als in der alten, um so mehr, als Pauler mit sehr einleuchtenden Gründen davor gewarnt hat, sich die alten Sitze der Ungarn in Lebedia sowohl als auch in Atelkuzu gar zu eng vorzustellen, und als andererseits die veränderte, sesshafte Lebensweise der Ungarn in der neuen Heimath eine viel innigere und stätigere Berührung mit dem slavischen Landvolke ermöglichte.

Doch was nützt alles Klügeln, wenn M.'s Behauptung wahr ist, dass »jene grosse Masse des Slaventhums, das sich zur Zeit der Landnahme einer mit dem Altslovenischen verwandten Sprache bediente, dass jene Masse also, aus deren Berührung oder Verschmelzung sich der oben dar- gestellte aussergewöhnlich grosse und auf dem ganzen Gebiete der ungarischen Sprache mit ausserordentlicher Schnelligkeit sich geltend machende slavische Spracheinfluss erklären Hesse, auf ungarischem GeMete nirgends zu finden ist« (S. 254). »Die zeitgenössischen ausländischen Aufzeichnungen wissen nichts von einem solchen Slaven- thum an der Hauptniederlassungsstätte der Ungani auf der grossen ungarischen Ebene«. »Siebenbürgen war, sowie die Gegend der Nord- karpathen, zu jener Zeit sozusagen unbewohnte Waldung« (S. 255). Von den Bewohnern des grossmährischen Reiches wissen wir, wie der Verf.

440 Oskar Asböth,

ganz richtig betont, nicht, ob sie ein dem altslovenischen verwandtes Idiom gesprochen hätten, doch zu grösserer Sicherheit werden dieselben mit Berufung auf Konstantinos Porphyrogenetos so gründlich aus der Welt geschafft, dass die Sprachenfrage ohnedies kein weiteres Interesse für uns haben kann. Nicht besser ergeht es den Slaven am Plattensee. Kurz nirgends bleibt ein lebendiger Slave übrig. Und doch! Man mag die historischen Angaben drehen und wenden, wie man will, man wird um einen Punkt nimmer herumkommen, ohne eine starke slavische Be- völkerung in der neuen Heimath anzunehmen, ich meine die vielen sla- vichen Ausdrücke in der ungarischen christlichen Terminologie. Der Verfasser spricht an anderen Stellen darüber, doch ich halte es für ge- eignet, dies beredte Zeugniss einer namhaften slavischen Bevölkerung in Ungarn, die ja allgemein auch von den Historikern angenommen wird, hier in's Treffen zu führen.

Was der Verfasser vorbringt, um das Zeugniss dieser Ausdrücke zu entkräften, zeugt von einer gänzlichen ünkenntniss der Momente, die hierbei in Betracht kommen. Er sagt nämlich auf S. 333: »Dasselbe gilt, wenn auch in kleinerem Masse, auch bezüglich der an der unteren Donau, sowie auch der nördlicher wohnenden Slaven, die seit Jahr- hunderten als Grenznachbarn des griechischen Reiches, besonders im Vergleiche zu den Ungarn, auf einer höheren Culturstufe standen und schon in der zweiten Hälfte des IX. Jahrh. im Allgemeinen Christen waren, so dass sie die ungarische Sprache nebst ihren zahlreichen sonstigen Lehnwörtern auch mit, die äussere, elementare Kenntniss des Christenthums betreffenden Ausdrücken versehen konnten«. Damit ist zu vergleichen, was der Verfasser auf der letzten Seite seiner Abhand- lung (S. 421, P. 4), wo er die Resultate zusammenfasst, sagt: »Die aus den slavischen Elementen der ungarischen Sprache ableitbaren cultur- historischen und urgeschichtlichen Schlüsse also (z. B. bezüglich des häuslichen Lebens, des Ackerbaues, des Gewerbes und des ersten Bekanntwerdens mit dem Christenthume) sind gleichfalls in älterer, der Landnahme vorausgehender Periode zu denken«. So sonder- bar es an und für sich klingen mag, dass die Ungarn mehr als 100 Jahre vor ihrer officiellen Bekehrung zum Christenthum auf einem ganz an- deren Schauplatze sich auf das sorgfältigste mit oft bis ins Detail gehen- den Ausdrücken für das christliche Leben versehen, dass sie, um ein Beispiel zu nennen, nicht nur den Gottesdienst im Allgemeinen schon zu benennen wissen [szolozsma <C sluzha) , sondern auch Vesper und Früh-

Die Anfänge der ungarisch-sl:ivischcn ethnischen Berührung. 441

motte unterscheiden {vecsernyc <C vecernja^ veternye <i utrhuja) , ich sage so sonderbar das auch klingen mag, so liegt die Hauptschwierigkeit doch nicht hierin. M. nimmt an, dass die Slaven »an der unteren Donau (c, sowie auch die »nördlicher wohnenden Slaven .... schon in der zweiten Hälfte des IX. Jahrh. im Allgemeinen Christen waren (f. Wir wollen das zugeben, fragen aber, ist uns damit gedient, wo es sich nicht um die Einführung in die christlichen Grundlehren, sondern um Ueber- nahme von ganz bestimmten christlichen Ausdrücken handelt? Nicht das interessirt uns hier, ob die Slaven in der Nähe der Ungarn damals schon Christen waren, sondern das, was für eine christliche Terminologie sie hatten ! Und da sollte es uns doch wundern, wenn Jemand zu be- haupten wagte, es sei dies die allgemein slavische christliche Termino- logie gewesen, die sich offenbar im grossmährischen Reiche ausgestaltet hat. Welchen Antheil die Slavenapostel an der endgiltigen Ausbauung dieser Terminologie gehabt, das wissen wir nicht, daran können wir aber nicht zweifeln, dass sich dieselbe erst unter dem gewaltigen Ansehen der beiden Slavenapostel von dort aus weiter verbreitet hat, besonders nach Method's Tode, wo seine Schüler sich nach allen Seiten verstreuten und in erster Linie in Bulgarien freundliche Aufnahme fanden. Wenn wir bedenken, dass sich die Ungarn ungefähr ein Jahrzehnt nach diesem Ereigniss schon in der neuen Heimath niederlassen, also zu einer Zeit, wo die neue christliche Terminologie bei den Slaven an der Donau- mündung, um von den »nördlicher wohnenden Slaven« gar nicht zu reden, im allerbesten Falle eben erst bekannt geworden war, so ist gar nicht abzusehen, wie eine ganze Reihe von Ausdrücken, die zu dieser gemeinsamen, mit dem Werke der Slavenapostel sich weiter verbreiten- den Terminologie gehören, schon in Atelkuzu in die Sprache der Ungarn gekommen sein sollte. Denn dass es sich um nichts Geringes handelt, sondern um eine tief einschneidende Beeinflussung der Ungarn von Seiten der Slaven auch auf diesem Kulturgebiete, das lehrt der allerflüchtigste Blick auf die ungarische Sprache. Ich will hier nur das Wichtigste und auch nur ganz Sicheres zusammenstellen, um diesen Einfluss in grossen Umrissen zu zeichnen.

Das »Kreuz« nennt der Ungar Jcereszt [krhst^)^ das scheinbar da- raus gebildete keresztel hat eine Bedeutung, « taufen (f, die wir nur be- greifen, wenn wir das Wort direkt aus krhstiti ableiten ^), also ebenfalls

1) Den slavischen Verben auf -»<i entsprechen im Ungarischen ganz regel- mässig Bildungen auf -Z: pr^'iiti : perszel, kopati : kapdl.

X

442 Oskar Äsböth,

für ein aus dem Slavischen herübergenommenes und nicht selbständig im Ungarischen entstandenes Wort halten. Die »Taufe« heisst mit einem aus keresztel gebildeten Hauptworte kereszteles^ keresztlevel ist der »Taufschein« [level »Blatt, Brief« entspricht dem slav. list^), kereszsztülök^ wörtlich die »Taufeltern«, sind die »Pathen«, keresztatya der »Tauf- pathe«, keresztanya die »Taufpathin« (a^ya = Vater, awyc? = Mutter), keresztnev ist der »Taufname«. Diesem Ausdruck schliesst sich unge- zwungen koma [kurm und kuma) »Gevatter« und »Gevatterin« an. Auch die zweite Taufe, die »Firmelung«, haben die Ungarn zunächst von Slaven bezeichnen gelernt, sie heisst bermäläs^ was aus bermäl {hermaii) »firmeln« abgeleitet ist. Slavisch ist pap {pop^) der Geistliche, hm'ät {hrato) der »Mönch«, gewiss auch apät [opaU] der »Abt« und apäcza [opatica) die »Nonne«, welche in den alten Quellen auch szesztra [sestra) genannt wird, sowie die den Mönch kennzeichnende »Tonsur« pilis {pleh). Für den tiefer empfundenen Dank gebraucht der Ungar den Ausdruck häla {/wala), während der gewöhnliche Dank köszönet lautet (»ich danke« sagt man köszö?iöm) ; sehr bezeichnend ist die Verbindung von häla mit dem Zeitworte adni »geben« : hälät adni ganz wie Jwalq vozdati, X)-bzdajati^ während man sonst Dank »sagt« köszönetet mond! Auch häla istentiek entspricht genau dem slavischen hvala hogu. »Heilig« ist szeut [svqU)^ die göttliche »Gnade« heisst malaszt, im ältesten Sprach- denkmal noch miloszt [milostb), der Ausdruck für das y>KYUziüx(.i feszület gibt den slavischen propqlo raspqlo genau wieder ifeszit »spannt«, feszül »spannt sich«), so wie das Fest der »heiligen Dreikönige« dem slavischen Ausdruck nachgebildet ist mzkereszti^üodokrhstb^ das Wasser heisst im Ungarischen vi^. Wenn Miklosich damit Recht hat, dass die slavischen Namen der Wochentage nur einmal und zwar gerade dort sich gebildet haben, wo später die Slavenapostel gewirkt haben, und dass sie erst im Zusammenhange mit dem überwältigenden Eindrucke, den diese Wirksamkeit auf alle slavischen Völker ausgeübt hat, überall- hin sich verbreitet haben, so darf man auch die ungarischen Namen der Wochentage in diesem Zusammenhange nennen, in erster Linie ihi* szerda [sreda) und szomhat {sqbota), dann csütörtöh [cetvr~oiikh) und pentek [petbk-^ , aber auch das an und für sich ungarische kedd (für *ketted A-e^^o heisst »zwei«), als Uebersetzung von 'c^torn^kro zur Bezeichnung des 2-ten Tages der Woche.

Ich begnüge mich mit dem Angeführten und lasse absichtlich alles bei Seite, was eine weitere Discussion der Frage erforderlich machen

Die Anfänge der ungarisch-alavischen ethnischen Berührung. 443

würde; schon so viel i3t ja hinlänglich genug, um den Einfluss der Slaven auch auf diesem Gebiete als sehr bedeutend erscheinen zu lassen. Wenn nun aber dieser Einfluss schlechterdings die Ungarn nirgends anders, als in ihrer neuen Heimath trefl'en konnte, weil wir die Verbreitung der allgemein slavischen christlichen Terminologie bis in die Gegend nörd- lich von der Donaumündung nicht in so frühe Zeit setzen können, dass die Ungarn dieselbe noch in Atelkuzu hätten aufnehmen können, so bleibt uns gar nichts anderes übrig, als eine starke slavische Bevölkerung zur Zeit der Landnahme in Ungarn anzunehmen, mag nun M. historische Belege dafür finden oder nicht.

Nun hat aber der Verfasser, wenn auch keine Slaven, so doch Bulgaren in Ungarn gefunden, und da es sich uns ja gerade um die Slaven handelt, die wir überall im Gefolge der fremdstämmigen Bulgaren finden, so können wir uns auch mit diesen zufrieden geben. Der unga- rische Name der Stadt Pest, Pest (spr.Pe*-^) und dessen deutsche Ueber- setzung Ofen ^) ist ja gerade deshalb so bedeutsam und im Zusammen- hange mit mostoha [masteha] rozsda{nzda) mesgye [mezda] ein Finger- zeig mehr, dass die Ungarn im Herzen des Landes Slaven bulgarischer Zunge gefunden haben, bulgarisch im heutigen Sinne genommen. M. glaubt dies Argument allerdings durch einen Witz beseitigen zu können : man müsste dann, meint er, denken, auch heute wohnten in Pest noch derartige Slaven (S. 256). So steht die Sa-che doch wohl nicht. «Zu Anfange des LS. Jahrhundert kam nach Safaiik (Slaw. Alterthümer 1844, U.), auf den sich M. geradezu beruft, Ostungarn bis gegen Pesth hin unter bulgarische Herrschaft« (S. 201) und »das östliche Ungarn von Pesth und vom Matragebirge bis zu den Quellen der Theiss verblieb auch späterhin bis zum Einbruch der Magyaren in ihrer Gewalt« (S. 176). M. selbst nimmt an, dass Pest »eine jener spärlichen Niederlassungen gewesen sein mochte, welche im IX. Jahrh. von den östlich vom mähri- schen Reiche sich ausbreitenden Bulgaren gegründet wurde «2) (S. 257) und hält für wahrscheinlich, dass die Bulgaren noch im J. S92 nicht nur die siebenbürgischen Salzwerke, sondern auch diejenigen in der Marma- rosch inne hatten . Wenn nun diese halbslavisirten Bulgaren in Begleitung

1) Die älteste Niederlassung Namens Pest befand sich an dem rechten Donauufer, doch ist nur der deutsche Name Ofen daran haften geblieben, welches die Ungarn jetzt Biida nennen.

-) Die deutsche Uebersetzung ist nicht ganz genau und so habe ich mich an das Original gehalten.

444 Oskar Äsböth,

einer ungleich grösseren Masse von echten Slaven im IX. Jahrh. einer Ortschaft den Namen PesU gaben und die Ungarn denselben unverän- dert übernahmen, so dünkt es mich doch ein wenig wahrscheinlicher, dass die Ungarn einige Jahrzehnte nachher die namengebenden Slaven thatsächlich noch an Ort und Stelle angetroffen haben, als wenn es Jemanden 1000 Jahrhunderte nach diesen Ereignissen thörichter Weise einfallen sollte, aus dem Namen Pest auf die Nationalität der heutigen Bewohner dieser Stadt schliessen zu wollen. Sehr sonderbar ist die an die obigen Erwägungen des Verfassers sich anschliessende Tiftelei über die eigentliche sprachliche Zugehörigkeit des Namens Pest'. »Dies be- rücksichtigend, schliesst er seine Betrachtung, können wir auf den aus der Lautform des Ortsnamens Pest gezogenen Schluss, das zur Zeit der Landnahme in der Gegend sesshafte Slaventhum sei jedenfalls ein alt- slovenisches gewesen, nicht besonders bauen. Denn vorausgesetzt, das wir diesen problematischen Volksstamm vom Altbulgarischen abzusondern vermögen eine schwierige Frage, über die bekanntlich gegenwärtig gestritten wird , kann Pest dem Wortlaute nach auch ein bulgarisches Wort sein « I !

Es folgt nun etwas, was so »unbedingt sicher« und »unzweifelhaft« ist, dass der Verfasser es unmittelbar nach Erscheinen der deutschen Uebersetzung genöthigt war zurückzunehmen (s. Ethnographia X, S. 332). Er hatte nämlich etwas voreilig als erwiesen betrachtet, dass das »Szöklerthum« von den eigentlichen Ungarn getrennt in's Land ge- kommen sei, und da es dieselben slavischen Elemente in seiner, übrigens auch sonst gleichen, Sprache aufweist, darin einen weiteren Beweis dafür gesehen, dass »dessen gemeinsame Sprachentwickelung mit demUngarn- thume in die Gegenden der südrussischen Heimath zu verlegen ist« (S. 259).

Es folgen nun positive Nachrichten aus arabischen Quellen über die Berührung der Ungarn in ihren älteren Sitzen mit Slaven, woran sich unter anderem die Behauptung knüpft, dass die Aufnahme wenigstens Eines slavischen Wortes in Lebedia auch historisch sich nachweisen lasse. Doch wird dieser Nachweis nicht mit der nöthigen Umsicht geführt, so dass er nichts Ueberzeugendes hat. Daraus nämlich, dass die Ungarn in ihrer Sprache ein aus vojevoda entstandenes Wort vaj'da haben, und dass Konstantinos Porphyrogenetos berichtet, die Ungarn hätten ihre Häuptlinge ßotßodog genannt, folgt noch ' durchaus nicht, dass die Ungarn diesen Ausdruck schon in Lebedia gebraucht haben ; denn wenn

Die Anfänge der ungarisch-slavischen ethnischen Berührung. 445

wir auch nicht mit Marczali (in den Quellen zu der ungarischen Land- nahme S. 9S) annehmen wollen, dass das slavische Wort schon damals in's Griechische eingedrungen war, so steht uns doch Niemand gut dafür, dass die Angabe, selbst wenn sie auf einer gleichzeitigen Aufzeichnung beruhen sollte, nicht aus einer slavischen Quelle geflossen ist. Man darf jedenfalls diese Angabe mit derselben Reserve aufnehmen, wie wenn ims in anderen Quellen berichtet wird, der Fürst der normannischen Russen habe Cliagan geheissen ! (s. Thomsen, Der Ursprung des russischen Staates S. 26, 29 u. 45).

Hierauf weist der Verfasser darauf hin, dass die Ungarn, wie wir aus orientalischen Quellen erfahren, mit Slaven als Leibeigenen in fort- währender Berührung waren. In diesem Zusammenhange erwähnt er das aus dem slavischen sluga stammende Wort szolga^ das »Diener« heisst, und hätte mit noch grösserem Fug und Recht das Wort rah (aus roh^] »Sklave« erwähnen können, wogegen die Erwähnung des aus celjadh gewordenen cseUd, das ursprünglich nur »Hausgenosse« heisst, füglich bei Seite hätte bleiben können.

Der folgende Abschnitt soll Licht auf ein höchst wichtiges Moment werfen. Wir dürfen nämlich nicht vergessen, dass die Ungarn selbst in Atelkuzu, d. h. nördlich von der Donaumündung, immerhin noch dem russischen Sprachgebiet näher gewesen sein dürften, als denjenigen Slaven, welche wir mit einem modernen Terminus bulgarische Slaven nennen wollen. Die Frage, welche der Verfasser nunmehr aufwirft, ist demnach sehr am Platze : »Können wir aber, fragt er auf S. 333, den Beweis erbringen, dass jene Slaven, die westwärts von den Russen zwischen dem Dnjeper und der Donau, im sogenannten ,Etel-Köz' ge- wohnt, dasselbe Altslovenische sprachen, wie es sich in den slavischen Elementen der ungarischen Sprache zeigt?« Die Antwort, welche er darauf gibt, beginnt der Verfasser damit, dass er 3 lautliche Ki'iterien für dieses Altslovenische aufstellt (die Nasalvokale ; st zd statt c c c, resp. z dj z dz der übrigen slavischen Sprachen ; Unterscheidung der beiden irrationalen Vokale), und konstatirt, dass sich diese lautlichen Eigenthümlichkeiten auch in den in das Rumänische übergegangenen slavischen Wörtern spiegeln. Ich will gegen diesen Gang der Unter- suchung nichts einwenden, muss aber doch betonen, dass gerade das Kriterium, welches den Ausschlag gibt, nämlich der Reflex von U-zd, mit grösserer Sorgfalt und Umsicht hätte behandelt werden können, ist es doch allein dies Kriterium von den aufgezählten, welches die slav.

446 Oskar Asböth,

Lehnwörter im Rumänischen als zweifellos bulgarisch kennzeichnet. Wenn wir ferner bedenken , dass auch zur richtigen Beurtheilung der slavischen Elemente im Ungarischen das charakteristisch bulgarische si-zd von eminenter Bedeutung ist. wie die schon erwähnten Wörter Pest (auch als Appellativum pest) mostoha rozsda mesgye darthun, so muss man sich doch einigermassen wundern, wie Jemand, der entschei- den will, wo und wann die slavischen Elemente in die ungarische Sprache gekommen sind, nicht einmal über ein so wichtiges Lautgesetz halbwegs orientirt ist. Dass die in das Rumänische gekommenen slavischen Wörter in diesem Punkte dem Altslovenischen entsprechen, von den übrigen slavischen Sprachen aber abweichen, soll unter anderem folgende klas- sische Zusammenstellung beweisen : «walachisch nadejde i)..nedezde = Hoffnung) = altslov. nadezda (aber neuslov. nadejaii se, hoffen, klein- russ. nadija^ böhm. nädejea) !! Dass dem neuslov. nadejati se auch im Altslov. nadejati se entspricht und dass sich dieses im rumänischen nädäesc genau spiegelt, ist dem Verfasser gänzlich entgangen. Ueber- dies hat er an eine Möglichkeit, die hier unbedingt zu erwähnen war, nicht einmal gedacht, an die Möglichkeit nämlich, dass die Rumänen schliesslich den Ausdruck nadejde auch auf einem anderen Wege be- kommen konnten, nämlich aus dem Kirchen slavischen, das ja Jahr- hunderte lang auch ihre Kirchensprache war, weiss doch M., der ziem- lich gut russisch kann, dass im Russischen die Hoffnung gerade deshalb auch nadezda heisst, weil dies Wort aus der Kirchensprache stammt. In erhöhtem Grade gilt dasselbe von dem anderen rumänischen Worte auf je? (1. zd)^ das der Verfasser anführt : odajdn (M.'s Schreibung odejde ist falsch) heisst das »Messgewand« und ist so gewiss der Kirchensprache entlehnt, als das gleichbedeutende serbische odezda. An all dies hätte der Verfasser denken müssen.

Aber auch sonst hätte er sich auf dem Gebiete der rumänischen Philologie etwas umsehen müssen, wenn er der grossen Aehnlichkeit des slavischen Einflusses auf beide erwähnte Sprachen ein so grosses Gewicht beilegt. Nimmt es sich nicht sonderbar aus, wenn ihm gleich bei dem ersten Beispiele für st im Rumänischen der Unfall begegnet, dass er aus dem rumänischen Namen der Stadt Pest Pesta^ seltener Pest, ein gänz- lich unbekanntes rumänisches j!?es!! »Kamin, Ofen« konstruirt, das die Rumänen irgendwo an der unteren Donau in der Nähe der noch in Atelkuzu hausenden Ungarn aufgenommen haben sollen ! Aber noch sonderbarer ist es, wenn er die rein rumänischen Bildungen von

Die Anfänge der ungarisch-slavischen ethnischen Berührung. !47

Ortsnamen auf -esü als Beweis für seine Theorie in's Feld führt, Orts- namen wie MindresU Bucuresü Bogdanesü Popesü Dragomiresü 11. s. w. Er beruft sich dabei allerdings auf §afafik's Slawische Alter- thnmer II, 200, doch das Original dieses Werkes ist im Jahre 1837, die von M. benutzte deutsche Ausgabe im Jahre 1844 erschienen. Wie wenig man sich gerade in der Erklärung von rumänischen Wörtern und Bildungen auf diese Quelle verlassen kann, hätte der Verfasser gleich auf der folgenden Seite lernen können, wo unter anderem das rum. apa »Wasser«, das dem lateinischen aqiia genau so entspricht, wie xapa »Stute« dem lat. equa oder patru dem lat. quatuor^ aus einem bulg. wap (!) abgeleitet wird! Dann stammt doch der Verfasser aus einer Gegendj wo rumänisch gesprochen wird ; es ist gar nicht zu denken, dass er nie die Frage gehört habe: stn rumineste? »kannst du rumänisch?« Dies rumineste ist aber das Adverb zu ruminescü (fem. rummeasca)^ der Plural von ruminescü lautet runiinestt^ so wie ja auch, um auf die oben erwähnten Ortsnamen zurückzukommen, Popesü nichts anderes ist, als der Plural zu einem gewiss auch M. wohl bekannten rumänischen Familiennamen Popescu. Wenn also Safafik in der Anmerkung sagt, »diese Endung auf es/, esti entspricht der russischen auf «c, ici, der eechischen auf «c, ici (jetzt «ce), der serbischen auf it\ ifiv, so kann das höchstens dann richtig sein, wenn man damit meint, die rumän. Orts- namen auf esü bedeuten so viel, wie die slav. Bildungen auf ici ice ici, aber nicht wenn man mit Safafik in estt den Reflex einer bulgarischen Bildungssilbe sieht. Unglücklicher Weise schliesst sich bei M. unmittel- bar an diese Ortsnamen rein rumänischer Bildung die gesperrt gedruckte Erklärung, dass aus demselben »zweifellos« hervorgehe, »dass auch die Quelle der slavischeu Elemente in der walachischen Sprache von einer ähnlichen, wenn nicht derselben altslovenischen Sprache gebildet wurde, aus welcher diejenigen der ungarischen Sprache stammen; das Gebiet dieser aber konnte kein anderes sein , als die Gegend an der unteren Donau« (S. 334). So wären wir denn auf einem oft recht holperigen Wege mittelst der slavischen Elemente der rumänischen Sprache von der Gegend »zwischen dem Dnjeper und der Donau« glücklich in die Gegend gelangt, wo die Rumänen die älteste Beeinflussung von Seiten der (bulgarischen) Slaven erlitten haben sollen, in »die Gegend der unteren Donau«. ''Oyy}^og (= qgh] bei den byzantinischen Schrift- stellern, sowie Ovy/QOi sollen wegen des Nasals dafür zeugen, dass in den betreffenden Gegenden altslovenisch gesprochen wurde, ohne dass

448 Oskar Äsböth,

berücksichtigt wird, dass die Nasalvokale in der älteren Zeit eben kein Kennzeichen einer bestimmten slavischen Sprache sind und ohne dass Zeit und Quellen weiter untersucht werden. Die aus dem VI. (!) Jahr- hundert stammenden Nachrichten von Jordanas und Prokopios sollen uns über die Verbreitung- der Slaven im neunten Jahrhundert Aufschluss geben und die räthselhaften » JJglici oder Ulicia sollen wahrscheinlich machen, dass im IX. Jahrh. in Atelkuzu Altslovenisch gesprochen worden ist, so dass also die Ungarn daselbst eher dem Einflüsse der bulgarischen als der russischen Sprache hätten ausgesetzt sein können.

Ich glaube der Moment wäre gar nicht übel gewählt, jetzt etwas von «unbegreiflicher Leichtigkeit« zu sprechen, mit welcher der Verf. seine Behauptungen beweisen zu können glaubt, und »jenem engen Ge- sichtskreise (t, der alle seine Ausführungen kennzeichnet, doch da er selbst diese Ausdrücke gegen mich gebraucht (S. 335 f.)*), so wollen wir ihm dies Vergnügen nicht schmälern und auch weiterhin die Spuren seiner bisher bewiesenen Gründlichkeit und Umsicht verfolgen. Gleich nach der mir ertheilten Lection fährt der Verfasser also fort: »Mehr als ein halbes Jahrhundert ist verflossen, seit meines Wissens zuerst Schafarik in dieser Richtung hin sich geäussert hat«.

Nun ja, seit 1837, denn das ist das Datum, von welchem auszugehen war, nicht 1844, wo der II. Band der deutschen Uebersetzung der Slaw. Alterthümer erschienen ist, seit 1837, sage ich, ist allerdings mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen und gar manches auf diesem Gebiete ge- arbeitet und veröffentlicht worden, Avovon der Verf. keine Notiz genommen hat, Safai-ik selbst hat allerdings nicht so viel Zeit gebraucht, um selbst von seiner in den Slawischen Alterthümern geäusserten Meinung gründ- lich abzukommen, wie wir dies in seinem 1858 erschienenen Werke Ueber den Ursprung und die Heimath des Glagolitismus auf S. 31 lesen können: »Ueber die Sprache der Pannonier zu Kocel's Zeit können wir uns theils aus den dürftigen Ueberbleibseln von Eigennamen, theils aus den in die ungarische Sprache aufgenommenen Wörtern, theils aus der Sprache der karantanischen Aufsätze eine Idee

1) Der erste Satz des neuen Abschnittes, welcher in der deutschen Ueber- setzung ganz sinnlos ist, soll also lauten : »Bei dieser Sachlage ist jene Leich- tigkeit nahezu unbegreiflich, mit welcher die einheimischen Sprachforscher auch nur die Möglichkeit einer Herstammung der slavisch-ungarischen Lehn- tvörter aus der Zeit vor der Landnahme, beziehungsweise einer anderen als pannonischen verwarfen«.

Die Anfänge der ungarisch-slavischen ethnischen Berührung. 449

machen . . . . b) Dass ihr die bulgarische Verwandlung der postjotirten d und t nicht unbekannt war, vgl. Peslh Stadt Pest, d.i. wörtlich Ofen, welcher Name an der Schwesterstadt haften blieb, magy. ro2SC?a (rubigo, von r^d^^ riuh^ ruber), wogegen megye und värmegye nur scheinbar stimmt, da auch mesgye vorkommt«. Dazu vgl. man auch das auf S. 32 Gesagte, Doch dies nur nebenbei ! Thatsache ist, dass auch Safarik einmal M.'s Ansicht war: das war anno 1S37. Sollte sich Jemand für äafafik's alte Ansicht in der deutschen Uebertragung, wie sie der Verf. vor Augen gehabt hat, interessiren, so müsste ich ihm schon rathen, die deutsche Ausgabe von 1844 selbst nachzuschlagen und zwar aus zwei Gründen. M. hat nämlich die betreffende Stelle aus dem Deutschen in's ungarische übersetzt und dann hat sie M.'s Uebersetzer gegen alle wissenschaftliche Gepflogenheit aus dem Ungarischen wieder in's Deutsche zurücktibersetzt , anstatt dieselbe aus der deutschen Ausgabe selbst herauszuschreiben. Doch daran ist M. vielleicht nicht schuld. Schlimmer ist es, dass der Verfasser die slavischen Wörter, die bei Safarik neben den ungarischen stehen und dazu bestimmt sind anzudeuten, ob S. das ungarische Wort für »süddonauslavisch« oder für russisch hält, schon nach dem 4ten Worte einfach weglässt. So weiss der Leser nun absolut nicht, was er mit den folgenden 18 ungarischen Wörtern anfangen soll. Bei S. ist es nicht so : da sieht Jeder, der von der Sache etwas vei-steht, dass S, die 20 ersten Wörter für »süddonauslavisch« hält, während er die 2 letzten Wörter aus dem Russischen ableitet. Ich setze voraus, dass dies auch M. gesehen hat, muss aber gleich hinzufügen, dass ich sehr geneigt bin , ihm eine pia fraus zuzumuthen. M. wusste nämlich sehr wohl, dass von den einzigen 2 Wörtern, die §. aus dem Russischen her- leiten möchte, nämlich yihaläsz (russ. Z;o?os), her eh {hereg)<i^ kaläsz nun und nimmer aus einem russ. koIos^ erklärt werden kann, sondern nur auf ein slavisches klas zurückgehen kann und dass das ung. berek^), selbst

1) Das ungarische Wort lautet nämlich immer so, hereJc, wie es auch Safaiik richtig schreibt. Die Schreibung bereg bei Miklosich (in den Slav. El. im Magy. und im EW.) ist falsch, was Wagner, der ungarische Herausgeber der 2ten Aufl. der Slavischen El. im Magy. füglich hätte bemerken kön- nen. Doch scheint sich dies mit seiner Pietät für Miklosich nicht vertragen zu haben. Er hat getreulich sämmtliche Druckfehler, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren, mit abgedruckt. Nun »Druckfehler« sind ja manchmal auch charakteristisch, wie wenn wir z. B. in Miklosich's späteren Werken das nng. paläst {=:plastb), das im Lex. Palaeosl. richtig geschrieben ist, konsequent

Archiv für slavische Philologie. XXTT. 29

450 Oskar Asböth,

wenn das Wort slaviscli sein sollte, was zweifelhaft ist, sich schlechter- dings nicht als speciell russischen Ursprungs nachweisen lässt. Wir können mit um so grösserer Bestimmtheit behaupten, dass unser Verfasser in S.'s Verzeichnisse thatsächlich kein einziges aus dem Russischen ent- lehntes Wort gefunden hat, als er keines dieser Wörter weiter unten erwähnt, wo er selbst die angeblich aus dem Russischen stammenden ungarischen Wörter zusammenzustellen bemüht ist. Gleichwohl nimmt sich das lange Wörterverzeichniss aus Safarik mit den darauffolgenden »VL. s. w.« gut aus und macht auf den Laien Eindruck !

Nach Safarik wird Grot angeführt, der übrigens im Grossen und Ganzen geradezu die entgegengesetzte Ansicht vertritt, wie unser Verf. Auch spricht Grot immer nur von » der Berührung mit den russischen Slaven zwischen Don und Dneper, und später im Etel-Köz«, und sagt nicht mehr, als dass » dieser allererste slavische Einfluss ... in gewissem Grade auch auf die Sprache einwirken musste«. (Bei Munkäcsi S. 337.) So vorsichtig und allgemein gefasst kann man sich den Satz wohl ge- fallen lassen, und M. hätte sich sogar dessen erinnern können, dass auch ich eine derartige Möglichkeit nicht leugne, «Wer wollte denn leugnen, sagte ich 1896 in Nyelvtudomänyi Közlem^nyek XXVI. 329 mit Bezug auf die Möglichkeit eines uralten russischen Einflusses, dass dies recht wahrscheinlich scheint », freilich setzte ich gleich hinzu: »aber sichere, unumstössliche Beweise hat man bisher nicht gefunden, mit Hilfe derer wir dahin gelangt wären, von mehr als einer blossen allgemeinen Wahrscheinlichkeit sprechen zu können«.

Tagänyi's Ansicht übergehe ich, da sie mit der Szeklerfrage im Zusammenhange steht und für M. selbst kaum mehr viel Gewicht haben dürfte.

Marczali, auf den sich der Verfasser hierauf beruft, drückt sich ziemlich allgemein aus: »dort (nämlich in Ateikuzu, wo Marczali, wie oben bemerkt worden, die Ungarn längere Zeit wohnen lässt) waren in ihrer unmittelbaren Nähe die Kleiiirusseil, deren Sprache gleichfalls nicht ohne Einfluss auf die ungarische geblieben«, überdies wirft er einen recht schweren Stein in den bisher so stillen See der die Ungarn in ihrer früheren Heimath umgebenden Russen. Wenn diese Russen

ifdsG\i jjalast geschrieben finden ich habe 7 solche Fälle notirti was aber daran Charakteristisches sein soll, dass z. B. Miklosich im Index neben kücsög aus Versehen 402 statt 412 setzt, das ist schwer zu verstehen, und doch wie- derholt Wagner auch solche Versehen.

Die Anfänge der iingarisch-slavisclien ethnischen Berührung. 45]

wirklich Kleinrussen waren, erwachsen uns da nicht neue, unüberwind- liche Schwierigkeiten? Wer will entscheiden, ob einige dialektische Eigenthümlichkeiten des Kleinrussischen (sagen wir z. B. die spirantische Aussprache des <;, i für e) erst nach Abzug der Ungarn entstanden sind? Eins ist gewiss, die in die ungarische Sprache in alter Zeit eingedrunge- nen slavischen Wörter zeigen nicht die geringste Spur von einem klein- russischen Habitus.

Dann wird Sobolevskij's Meinung angeführt, die Wörter mit sf^ zscl [st, zd) pest mostoha rozsda hätten die Ungarn «wahrscheinlich von den Bulgaren herübergenommen, die einst nördlicher wohnten als jetzt, d. h. an den Wohnstätten der heutigen Rumänen« (S. 338). Ich habe gerade gegen Sobolevskij, der übrigens das Wort mesgye [mezda] vergessen hat zu erwähnen, geltend gemacht, dass die Ungarn den Stadtnamen Pest doch wohl nicht mitgebracht, sondern an Ort und Stelle angetroffen haben, was sich mit unseren historischeu Nachrichten über die Ausbreitung der bulgarischen Herrschaft sehr gut vertragen würde.

Es folgt nun noch ein Citat aus dem I. Bande des Archivs f. slav. Phil., wo Jagic eine ähnliche Ansicht, wie Sobolevskij, über die ungar. Wörter mit st, zsd ausgesprochen hat. Allerdings wusste Jagic damals nicht, was M. sehr wohl weiss, dass ein Hauptgrund, weshalb Jagic die Aufnahme der Formen mit st zd weiter nach Osten versetzen zu müssen glaubte, nunmehr wohl als beseitigt betrachtet werden kann, seit ich darauf hingewiesen habe, dass sich das es in lencse szerencse dem st von Iqsta s%resta gegenüber aus einer ungarischen Lantneigung erklären lässt das aus dem italienischen lancea entstandene läncsa hat hier natürlich überhaupt nichts zu suchen (s. meine Abhandlung über die slavischen Wörter im Ungarischen: A szläv szök a mugyar nyelv- ben. Budapest 1893, S. 13) i).

1) *Le))ste *szere7iste, wo die zweite Silbe mit einer deu Ungarn unbe- quemen Doppelkonsonanz begann, wurde durch Lautiimstelluug zu lencse szerencse. Erwähnenswerth ist, was G. Volf in seiner Abhandlung über Die Heimath der kirchenslavischen Sprache und die Landnahme der Magyaren, die sonst nur als Kuriosum genannt zu werden verdient, im Zusammenhange damit sagt: >so z. B. lautet nach der Aussprache auch des gebildetsten Zeitungslesers das serbische skupstina im Magyarischen szkupcsina, also mit c und nicht mit st« (Ethnologische Mitth ei langen aus Ungarn V. 1S97, S. 190).

29»

452 Oskar Asböth,

Der Verfasser sucht nun, nachdem er durch die bisherigen Er- wägungen den historischen Hintergrund auszumalen gesucht hat, nach sprachlichen Belegen, »au denen der Stempel des orientalischen Ur- sprungs nicht nur mit möglicher und wahrscheinlicher, sondern den ent- gegengesetzten Fall ausschliessender Sicherheit erkannt werden kann« (S. 338). Das erste derartige Moment kann ich vielleicht nicht gehörig würdigen: der Verfasser weist nach, dass die Ungarn den Namen für »Russen« und »Polen« nicht unmittelbar aus slavischem Munde erhalten haben, sondern durch türkische Vermittelung. Dies liesse sich ja eher gegen ihn als Fingerzeig dafür anführen, dass die Berührung mit den Russen vielleicht doch nicht eine so innige war. Doch will ich kein grosses Gewicht darauf legen und bloss konstatiren, dass die ungarischen Ausdrücke orosz »Russe, russisch« und lengyel »Pole, polnisch« über- haupt niclit slayischen Ursprungs sind, also mit der Frage, welche slavischen Wörter früher oder später in's Ungarische aufgenommen wor- den sind, unmittelbar gar nichts zu schaffen haben. Da aber die Sache für die Slavisten theilweise neu sein dürfte und jedenfalls von dem grössten Interesse ist, so will ich sie als einen Exkurs betrachten und das Resultat kurz mittheilen. Dass ungarisch orosz nichts mit 7'usim zu thun haben kann, dem es Miklosich ohne jede weitere Erklärung in den Slavischen Elementen im Magyarischen gegenüberstellt, das liegt auf der flachen Hand; das r wäre im Ungarischen unbedingt im Anlaute geblieben. Ich weiss nicht, wann bei uns Ungarn zuerst be- merkt worden ist, dass die ungarische Form 07-osz nur aus einer türki- schen Form urus erklärt werden kann die Türken haben von Haus aus kein r im Anlaute , halte es aber geradezu für ausgeschlossen, dass dies dem Scharfsinn eines Budenz hätte entgehen können, falls er sich vielleicht auch nicht in seinen Schriften darüber geäussert haben mag. Die einzig richtige, bei uns wohlbekannte Erklärung dürfte durch Thomsen's Vorlesungen allgemeiner bekannt geworden sein ^), wir haben es also nicht etwa mit einer neuen Ansicht zu thun. Neu ist dagegen, so viel ich weiss, die gelungene Deutung des ungarischen lengyel, das Miklosich fälschlich aus l^hz erklärt. Schon Perwolf ist richtig von

') Der Ursprung des russischen Staates 1879, S. 104: ». . . .die ungarische Form Orosz, Russe, welche, nach dem vorgeschlagenen o zu schliessen, unstreitig durch einen türkischen Dialekt übernommen ist«. Das englische Original dieser Vorlesungen war 1877 erschienen.

Die Anfänge der ungariscli-slavischen ethnischen Berührang. 453

einem Iqdh ausgegangen (Archiv IV. 71), falsch ist jedoch die Berufung auf Bildungen wie -nGoraVy MoshaV ^ Srhal\', denn das hätte im Unga- rischen ^Lengyäl (od. 'Langyäl mit langem e od. ä in der 2 ten Silbe) gegeben, wie aus celjadh ]> cseled (neben csaläd) geworden ist. M. nimmt dagegen an, lengyel beruhe auf einer türkischen Adjektivbildung auf -li (vgl. das altrussische JiÄABCKaii seftwa ! ) und weist auf das osma- nisch-türkische lehli hin, das aus einem anderen Stamme dieselbe Bil- dung aufweist. Ich setze nur hinzu, dass d vor palatalem Vokal im Ungarischen überaus häufig in gy {= d'') übergeht und dass auch sonst das ungarische lengyel einem *lendli sehr wohl entsprechen kann i).

Nach dieser kleinen Abschweifung, für die wir dem Verfasser nur

dankbar sein können, kommt M. endlich auf die »russische Schichte

im ungarisch-slavischen Wortschatze« (S. 409 411). Es ist wahrlich

bedauernswerth, dass der Verfasser an die Lösung dieser hochwichtigen

Frage mit so äusserst bescheidenen Vorstudien und mit noch geringerer

Vorsicht geschritten ist. Wie dürftig ist gleich das, was uns bei dem

ersten Worte geboten wird: »gyantdr = russ. j'antarb (Bernstein), was

nichts anderes ist, als die Uebernahme des Mtsiuischen jentaras, j'mtaras

ge7ita7'asu. M. verliert nicht ein Wort darüber, ob es denn überhaupt

wahrscheinlich ist, dass die russischen Slaven zu einer Zeit, wo sie. aus

dem Namen der normannischen Waräger vceringi BapArx gemacht

haben, d.h. eine Form, in der sie offenbar in der ersten Zeit noch einen

Nasalvokal gesprochen haben 2), wenn auch das Timbre des Vokals ein

anderes gewesen sein muss als im Altbulgarischen (mehr nach a als nach

e hin, wie das aus dem Nasalvokal entstandene /a ['a] zeigt), ich sage,

ob es wahrscheinlich ist, dass die Russen zu gleicher Zeit aus gentaras

gintaras [jentaras nur bei Nesselmann ohne Beleg, jintaras statt

gintaras hat der Verfasser aus Miklosich's EW. herausgeschrieben)

1) Ungarisch lengyel auf einen Stamm l^g zurückzuführen, wie dies in neuester Zeit Kunik gethan hat, geht schlechterdings nicht : aus g wird im Ungarischen nicht gy 's. Kwartalnik historiczny XII, 9 11). Nur scheinbar spricht dagegen, dass die Ungarn angyal Engel, evangyeliom, Egyip- tom Aegypten sagen ; das hängt vielmehr damit zusammen, dass die Ungarn in der Sprache der venetianischen Italiener lat. g vor e, i wie gy (= cf] gehört haben in keinem dieser Fälle ist gy im Ungarischen selbst aus g entstanden.

2) Es ist dies bekanntlich Sobolevskij's Auffassung JleKniu no iiciopia pyccK. fl3. 1888, S. 10, der auch Oblak rückhaltslos beitritt (Arch. XIV. 433), während Jagic anderer Meinung ist KpHTH^, saiuiTKii no Hcropiii pyccK. sa. 1889, S. 25.

454 Oskar Äsböth,

jantarh imd uiclit *Jetarh später *Jatarh gemacht hätten. Dem gegenüber ist es eine Kleinigkeit, dass der Verfasser es für gut hält zu verschweigen, dass im Ungarischen die älteste Form gyentär lautet und dass gyantär neben gyontär^ das ebenfalls belegt ist, erst durch Assi- milation entstanden ist, ferner, dass die aus dem Slavischen entlehnten mit/- anlautenden Wörter diesj- gar nie zu gij verstärken [jasli :jä- szol^ javoTb •.jävor,jarhmo •.järom^ *jagnqdtb '.Jegenye^j urica \jerce). Eines ist gewiss, der Verfasser hätte sich grössere Verdienste um die Wissenschaft erworben, wenn er, statt die unmöglichsten Zusammen- stellungen auf einander zu häufen, die Geschichte dieses Einen interes- santen Wortes in's Reine zu bringen sich bemüht hätte. So müssen wir uns allerdings durch eine sehr bunte Gesellschaft durcharbeiten. Das folgende ^)hot Stock = russ. hotha können wir glücklicher Weise strei- chen, der Verfasser hat es Ethnographia X. 338 zurückgezogen. Dafür soll hjuk Loch auch jetzt noch so eine alte Entlehnung aus dem Russischen sein und aus Ijuko entstanden sein, d. h. aus einem Marine- ausdruck, der so viel bedeutet, wie die Luke auf den Schiffen ! ! Das ans dem neuhochdeutschen hernstein entlehnte und etwas mundgerecht gemachte borostyän (assimilirt aus *herestyän)^ welches das historische Wörterbuch noch gar nicht kennt, soll aus einem ))rus3. hurstyti, Iridtyim stammen ! ! Die Kleinigkeit, ob denn die Russen im IX. Jahrh. überhaupt einen ähnlichen Ausdruck gehabt haben die Grossrussen kennen ihn gar nicht, klr. hurstyn und wr. hrustyn können aber sehr wohl erst viel später aus dem Polnischen eingedrungen sein , ich sage diese Kleinigkeit verdient Angesichts der lautlichen Unmöglichkeit, das ungarische Wort aus dem russischen zu erklären, hier überhaupt keine weitere Erwägung.

Der folgende Punkt lautet also: y>komor (düster, mürrisch) =russ. chmur : cJmiuryj\ climurnyj\ chmurith-sja , finster aussehen' mit ähn- lichem Lautwechsel wie kärtya (Karte), daneben härtya (Membrane) = russ. charthja^ altslov. harotija^ griech. iaqxiov\ oder kör (Krankheit) = russ. chvoi'b, cJivoryJ (krank) die Wörter poln. chmura (Regen- wolke), pochmurny (finster), sowie böhm. chmoura, chmurny können bei diesem alten, bereits im Codex von Tihany in der Form kunrnr vorkommenden Worte nicht in Betracht kommen«. Aus der Zusammen- stellung ist ersichtlich, dass der Verfasser keine andere Schwierigkeit vor sich sieht, als den allerdings sehr überraschenden Anlaut im Unga- rischen : dem slav. ch [h) pflegt nämlich im Ungarischen h zu entsprechen

Die Anfänge der ungarisch-slavischeu ethuischen Beiiilining. 455

[hvala : häla^ hvrast^ : haraszt u. s. w.), ein daraus im Wortanlaut ent- standenes k ist nicht nur bisher ganz unbekannt gewesen, sondern auch nach dem Zeugniss der ungarischen Lautgeschichte ganz und gar un- wahrscheinlich. Seltsamer Weise glaubt der Verfasser diesen unwahr- scheinlichen Lautwandel durch zwei ebenso unwahrscheinliche Zusam- menstellungen stützen zu können. Dass kärtya Karte, Spielkarte mit seiner ganz modernen Bedeutung und neben dem auf alte Zeiten hin- weisenden und jedenfalls slavischen liärtya Pergament, Membran aus einem russ. charthja oder altsl. hai'-btija stammen soll und dass man dieser an und für sich so unwahrscheinlichen Annahme zuliebe auch noch einen sonst ungewohnten Lautwandel voraussetzen soll, wo uns doch ganz abgesehen von lat. charta (spr. karta) und kroat. kartet das it. carta sowohl als auch das d. Karte eine ungezwungene Erklärung nahelegen, wird schwerlich Jemand glaublich finden. Das ungarische kärtya^ das in alten Quellen öfter als heute auch das neue Schreib- material [charta Papier) bezeichnet und geradezu auch noch in der Form kärta belegbar ist, hätte sein ty statt t sehr wohl auch unter dem Einfluss des schon früher in der Sprache vorhandenen härtya er- halten können, doch ist dieser Wandel von t zu ty ein so gewöhnlicher im Ungarischen, dass derselbe keine Schwierigkeit macht. Ich erwähne bloss, dass neben kärt kärtos und kärtyos^ kärtus und kärtyus als Name einer Holzkanne je nach Gegenden wechselt und dass die Form mit t die ursprüngliche ist (das Wort hängt mit Quart, dem alten Flüssigkeits- und Getreidemass zusammen das serbokroatische 3. karta im Wörterbuche der kroatischen Akademie scheint aus dem Ungarischen zu stammen). Um nichts wahrscheinlicher ist, dass ung. kör etwas mit russ. chvorh, cJworyj zu thun hat. In der deutschen Uebersetzung steht neben dem ung. kör als Bedeutung »Krankheit« ; heutzutage wird das Wort allerdings nur noch in dieser Bedeutung gebraucht, ursprünglich aber hat es allem Anscheine nach diese Bedeutung nicht gehabt. Die Verfasser des historischen Wörterbuches verzeichnen zwar aus zwei Wörterbüchern auch diese Bedeutung, wissen aber keinen Beleg dafür zu geben, während die Bedeutung »langvidus, morbidus, schwach« mit einer Reihe von Stellen belegt wird. Da im Ungarischen auch sonst Adjektiva auf slavischen Substantiven beruhen [blqd^^. holend thöricht, gnuso : gonosz böse, *kqdrh Locke : kondor gelockt, kraus), so spricht dies noch nicht gegen die Annahme des Verfassers. Dagegen spricht aber entschieden das k im Anlaut und auch ö aus oo ist sonst unerhört.

456 Oskar Asböth,

wie der Verfasser S. 250 selbst andeutet. Wenn ein slavisches Wort mit Kons. + ^ beginnt, so beseitigt der Ungar diese ihm unbequeme Laut- gruppe gewöhnlich durch Abwurf des v : Jivala : häla^ hvrasth : haraszf, svqtb : szent, svobodh : szahad so ist auch kär Schaden entstanden, wenn es mit dem kroat.-serb. kvär zusammenhängt. Seltener wird die Doppelkonsonanz durch Eintritt eines Vokals getrennt : kvas^ ^ koväsz^ svethnik^ ^ szövet7iek oder durch Vortritt eines Vokals auf zwei Silben vertheilt und dadurch sprechbar gemacht : chor^ ^ udvar. Aber für 0 aus vo haben wir weder in den slavischen Lehnwörtern noch sonst aus der ungarischen Sprache ein Beispiel.

Doch kehren wir zu komor »düster, mürrisch« zurück, von dem wir ausgegangen sind. Ich halte nach dem Gesagten den Beweis dafür, dass k in diesem Worte aus ch entstanden sein könnte, nicht für er- bracht, sehe aber darin durchaus nicht die einzige Schwierigkeit. Von dem anlautenden k abgesehen, könnte komor lautlich wohl einem Haupt- worte *chmurh oder *chmui'h entsprechen, aber nicht dem durch eine Reihe von Sprachen wohl verbürgten chmura (russ. poln. böhm. und das veraltete khmura im Obs.); denn -a fällt im Ungarischen nicht ab, wenn im Slavischen davor bloss eine Silbe steht [Iwäla : häla, mqka : munka)^ und das gilt auch für die Fälle, wo der Stamm im Ungarischen zweisilbig geworden ist : glista ^ gilista, grqda ^ gerenda^ *slaka ^ szalonka^ strecha ^ cszterha. Nur wenn schon von Haus aus das Wort mehr als zweisilbig war, konnte -a abfallen : beseda ^ beszed, lopata ^ lapäf, sqbota ^ szombat u. s. w. Ebensowenig lässt sich aber, immer wieder von dem anlautenden k abgesehen, komor aus einem Adjektiv climuri) chmura chmuro erklären; denn das einzige szent ausgenommen i), in welchem das wohl häufiger gehörte masculine svetb erhalten ist, beruht das ungarische Adjektiv stets auf der fem. und neutr. Form: buja-buje ^ buja^ cista-cisto ^ tiszta, draga-drago ^ dräga, gorazda-gorazdo ^ garäzda, grqha-grqbo ^ goromba^ nema-nemo ^ nema^ pusta-pusto '^ puszta, red^ka-red^ko ^ ritka^ spora-sporo ]> szapora^ suta-suto ^ suta, tqpa-tqpo ^ tompa. Miklosich nimmt in diesen Fällen irrthümlicher Weise einen Antritt von -a im Ungarischen an (Slav. El. im Magy. Einl. 7 c), wofür sich überhaupt kein verläss-

1) Wir haben schon oben gesehen, dass bolond, gonosz, kondor auf Sub- stantiven beruhen; szahad »frei, erlaubt« hat deshalb kein -a am Schluss, weil svobodb undeklinabel ist.

Die Anfänge der ungarisch-slavischen ethnischen Berührung. 457

lieber Fall anführen lässt (s. meine Abhandlung A szluv .szok a ma- gyar nyelvbcu S. 32 37). Kurz auch mit der Zusammenstellung komor <^ chmwh -a -0 kommen wir nicht weiter. Erst wenn alle diese lautlichen Schwierigkeiten überwunden wären, würde es sich der Mühe lohnen zu untersuchen, ob es denn nicht auch in den südslavischen Sprachen ein ähnliches Wort hätte geben können.

Es folgt yigomolya (Masse) = altruss. gomolja (vgl. kleinruss. Jiomöika^ poln. gomoika Käselaibchen)«. Im Original findet sich an dieser Stelle ein störender Druckfehler '), doch der Uebersetzer hat sich ungeachtet dessen tapfer durchgeschlagen und so Ist das ungarische go- malya, das einen süssen Schafkäse in Kugelform bezeichnet, bei ihm zu der Bedeutung »Masse« gelangt. Diese Bedeutung war ursprünglich offenbar nach Miklosich's EW. einem russ. gomola zugedacht, aber auch dies kennen die russischen Wörterbücher nicht : In die neueste Auflage des akademischen Wörterbuches ist es gar nicht aufgenommen und Dahl kennt nur ein kirchenslavisches gomola in der Bedeutung Klumpen, geknetetes Stück Teig, Kugel, Ktigelchen es ist dies die Bedeutung, die auch dem von Miklosich in den Slav. Elem. im Magy. »aruss.«, in dem EW. » asl.« genannten gomolja zukommt, worüber man Vostokov's Wörterbuch nachschlagen mag. Warum nun aber dies gomolja so ganz speciell russisch sein soll, dass die Ungarn den Ausdruck unbedingt von den Russen hätten aufnehmen müssen, ist gar nicht zu begreifen. Alles deutet darauf hin, dass der Ausdruck einmal allgemein slavisch war und dass er sich ebenso wie bei den Russen, auch bei den übrigen Slaven theilweise verloren hat. Aus dem Bulgarischen kenne ich nichts Aehn- liches. Auch aus dem Serbokroatischen wusste Miklosich in seinem EW. noch nichts Entsprechendes anzuführen, denn den vorher erschienenen Wörterbüchern ist der Ausdruck fremd; bald darauf erschien jedoch ein Heft des grossen Wörterbuches der kroatischen Akademie, welches uns einen Beleg von dem äussersten Westen des Sprachgebietes brachte [gomola f. gruda [sira] XJ tiase vri/eme na Bracü] . Die Bedeu- tung dieses neu auftauchenden serbokroat. Wortes ist genau dieselbe, wie die des ungarischen, dasselbe bezeichnet auch das lautlich identische böhm. homile^ in derselben Bedeutungssphäre sind auch die daraus ge- bildeten Diminutiva geblieben: poln. gomolka^ böhm. homolka, klr.

1) »gotnolt/a'^i : oorosz gomolja magy. gomola »Masse«, d. h. gomolya : alt- russ. gomolja magy. (statt mai o. d. h. im heutigen Russ.) gomola »Masse«.

458 Oakar Asboth,

liomolha. Wo nehmen wir aiicli nur den Schatten einer Wahrscheinlich- keit dafür her, dass die pannonischen Slaven dies gomolja nicht auch gekannt haben ? !

In eine eingehende Erörterung der nächsten zwei Wörter csuka Hecht und csorba Scharte und schartig lasse ich mich hier nicht ein, da ich die Reflexe der slavischen Lautgruppen st zd im Ungarischen in allernächster Zeit in einer Monographie zu behandeln gedenke. Ich gebe zu, dass der Verfasser mit Recht meine Erklärung des ung. es aus st durch Umstellung der Laute zur Vermeidung der den Ungarn im Anlaut unbequemen Konsonantengruppe aus dem Grunde verwirft, weil anlautendes st der slavischen Wörter im Ungarischen sonst anders be- handelt wird, ich billige auch, dass er einen polnischen oder slovenischen Einfluss abweist, bemerke aber einstweilen, dass ja auch das st im Bul- garischen in diesen Fällen erst durch Dissimilation aus ursprünglicherem sc entstanden ist. Da der Verfasser an einen alten russischen Einfluss glaubt, begreife ich sehr wohl, dass er von russ. scuka und scerha aus- geht, behalte mir aber vor, auf die ganze Frage noch einmal zurück- kommen zu dürfen, bis dahin kann ich nur sagen, gerade je weniger stichhaltig die übrigen Aufstellungen des Verfassers sind, um so weniger Halt hat auch diese an und für sich sehr annehmbar scheinende Be- hauptung. Immerhin ist es der sorgfältigst behandelte Punkt in diesem ganzen Abschnitte.

Nach dieser kleinen Oase kommt gleich wieder ein sehr bedenk- licher Passus: »Ebenfalls nur aus dem Russischen erklärlich ist das Ungar. Wort szikra (Funke) = weissrussisch skra^ in anderen russischen Dialekten zra, hieraus : zgra, während es ansonsten überall iskra (böh- m\ic}a.Jiskra) heisst«. Das verzweifelte »sra, hieraus: zgra<i. hätte wohl bei Seite bleiben können; bei Dahl lesen wir »Srpa? ac. doH. ncKpa (sra?)« und Brandt vermuthet wohl mit Recht, dass das sonst unbe- kannte zra bei Miklosich nur durch Versehen aus zga entstanden ist (/I,onoj[HHTejr. saMiyaHin k paaöopy SxnMOjioririecKaro CjiCBapn ]Mh- Kjromiiya S. 75). Das ist gewiss, dass unser Verfasser einen sehr un- glücklichen Blick hat: das fragliche «donische« zgra und das mehr als fragliche zra bemerkt er, das häufige polnische skra aber, das bei Mi- klosich neben iskra steht, sieht er nicht und behauptet keck, in allen anderen slav. Sprachen heisse es iskra ^ obwohl Miklosich in seinen Slav. El. im Magy. geradezu sagt: ))szikra s. scintilla, das auf skra zurückzuführen ist, welches im Poln. vorkommt«! Warum aber, ganz

Die Aufänge der iiuguriöcli-slav isehen ethnisclicn Berührung. 459

abgesehen davon, wann und wie im Weissrussiscben die Form sh'a aus älterem iskra geworden und wie dann diese weissrussische Form zu den Ungarn gekommen, das ungarische szikra nicht durch einfache Laut- umstellung aus iskra geworden sein soll [is-kra hatte im Anlaut der zweiten Silbe eine den Ungarn fremde Konsonantengruppe), das hat der Verfasser ganz vergessen uns zu verrathen, wie er es denn überhaupt liebt, Behauptung auf Behauptung zu häufen, den Beweis aber schuldig zu bleiben.

Etwas seltsam ist folgende Einführung zweier Wörter: »Ferner können hier noch die folgenden Wörter als solche in Betracht kommen, die ausser dem Russischen bloss aus dem Altslovenischen bekannt sind.« Darüber würde man sich aber leicht hinwegsetzen, wenn nur sonst alles in Ordnung wäre, das ist aber durchaus nicht der Fall. Gleich bei dem ersten Worte im Ganzen handelt es sich hier um 2 Wörter ist dem Verfasser das wirklich ärgerliche Versehen begegnet, dass er Mi- klosich's AT., d. h. »kroatisch«, fälschlich m kleinrussisch« gelesen hat und so das ungarische gabona Getreide mit Hilfe des kroatischen gohiiio verdächtigt hat, es komme aus dem Russischen. Es bleibt demnach nur noch szemely »Person« übrig, ein dunkles Wort, das der Verfasser aus dem Russischen erklären will: »ungar. szemely , persona' und ,femina', altsloven. shnh (Person), semij'a (Personal), russ. Mann und Weib, jedes im Verhältniss zum andern; Familie (altpreuss. seifmns, litauisch seimlna Gesinde)«. Statt »altsloven.« hätte der Verfasser geradezu altrussisch schreiben können, denn das Wort scheint ausschliesslich in russischen Quellen vorzukommen. Dieser Umstand ist also günstig für ihn; denn wenn das ungarische Wort überhaupt slavisch ist, so kann es wohl nur russisch sein. Doch steigen schwere Bedenken gegen diese Zusammen- stellung aus der Geschichte des ungarischen Wortes auf. Das Wort szemely bedeutet heute allerdings so viel wie »Person«, aber es hält schwer, diese abstrakte Bedeutung für die ursprüngliche zu halten an- gesichts der zahlreichen Belege aus der älteren Literatur für eine kon- kretere Bedeutung: Bild, Gesicht, Figur, Gestalt, das Aeussere. Die einstige Bedeutung »Gesicht« gegenüber der heutigen »Person« gemahnt lebhaft an die gleiche Bedeutungsentwickelung von »Gesicht« zu »Per- son« im slav. lice und an die ähnliche im l&t. j}e7'so?ia. Jedenfalls ge- hört nicht wenig Muth dazu, bei diesem Thatbestand mit solcher Sicher- heit die slavische Provenienz des ungarischen Wortes zu behaupten, und so will ich mich mit der lautlichen Seite der Frage, die der Verfasser

460 Oskar Asböth,

gar nicht einmal der Mühe werth findet zu berühren, diesmal nicht be- schäftigen.

Die grösste Ueberraschung kommt aber erst ! Der Verfasser, der sonst bis auf das Aeusserste mit Raum und Zeit geizt und sich nur höchst ungern in einen Beweis einlässt, braucht genau eben so viel Raum für die Erklärung des Wortes öriäs Riese, als er für alle 1 3 bisher genann- ten Wörter insgesammt in Anspruch genommen hat. In die Genealogie der Riesen, wie die verschiedenen Völker oft fremde Völkernamen zur Bezeichnung dieses Begriffes verwendet haben, wollen wir uns nicht einlassen, dafür muss ich aber die Deduction des ungarischen Wortes öriäs aus dem Namen der alten Waräger wörtlich herschreiben Kom- mentar bedarf es keinen dazu. »Es stimmt damit nämlich, meint der Verfasser, das kleinrussische Wort varjah (starker, grosser Mann) gut überein, das in seinem Grunde nichts anderes ist, als der Volksname der normannischen Varegen (altnordisch Vcerwffer, russisch varjago)^ und als solcher mit dem üblichen Suffix ,-w' wohl auch in der Form varjasin [sie !] gebraucht ward, gerade wie i'ush : rusjin (der Russe), ongr^ : altslov. qgrin, bulgarisch ugrin (der Ungar); srb : srhin (der Serbe); vgl. russisch varjaza jtiberseeisches Land, der von dorther Kommende' und varjaga ,Dieb'. Die Bedeutung des letzteren Wortes mit dem ähnlich lautenden russischen Worte vo7nj (Dieb) verglichen, er- klärt uns gleichzeitig die Abweichung des Anlautes im ungarischen Worte öriäs {*vorjasin anstatt varjasin)^. Dazu nehme man noch die Anmerkung unter **) : »Auf diese Weise kann die neben den neuslov. orijas^ 07'Jas und walachisch ories bestehende neusloven. Bildung orjak (Riese) als eine Anpassung an die Volksnamen poljak^ slovak, slezak betrachtet werden ai).

Nach dieser Probe thut es wohl Niemand leid, dass dieser Abschnitt nicht noch länger dauert. Was allenfalls in Betracht kommen könnte und einer weiteren Erörterung verdiente, sind/aw^arfe : gyantär^ scuka : csuka und scerba : csorba^ alles andere zeigt nur, wie leichtgläubig der Verfasser ist und wie wenig sorgfältig er das Material für seine Be- hauptungen sammelt. Nur den Schluss muss ich doch noch wörtlich hersetzen, damit mir der Verfasser nicht etwa den Vorwurf macht, ich

*) Im Original wird unverblümter gesagt, dasa wir in neusloven. orJak geradezu das Abbild von russ. varjago zu erblicken haben, und doch ist es für jeden Eingeweihten klar, dass 07-jak nichts als eine Abstraktion aus dem Adj. orjaski ist nach der Gleichung: junaski :Junak =■ crjaski : orjakl

Die Anfänge der ungarisch-slavischen ethnischen Berührung. 461

hätte auch nur eine einzige seiner geistreichen Kombinationen unter- schlagen: «Ein interessanter, hierher gehöriger Beleg, so schliesst der Verfasser die Besprechung der verschiedenen Namen für »Riese«, ist das altslov. stuch^ cudh, cudim (Riese) und der mit ihm synonyme russische Name hcud^^ cud^, der heute das in den Kurganen begrabene alte Riesen Volk, einst die finnischen Völker bedeutete. Dies ist die Herübernahme des gothischen Wortes thiuda (Volk), dessen litauische Copie tauta (lit. tautinikas = Oberländer, deutscher Ausländer) in grosser lautformiger Nähe zum ungarischen Worte tot (Slovake) steht. Ist dieser Vergleich richtig, dann reiht sich auch der Volksname tot den Beweismitteln des östlichen Slaventhums an«. Man wird diese Stelle kaum auf die erste Lecttire hin verstehen können : das ung. Wort tot »slovakisch, Slovake (c, das lautlich aus keiner der slavischen Formen erklärbar ist, nicht einmal aus einem urslavischen *tjud^^ klingt stark an litauisches tauta an ergo ist es ein Splitter »des östlichen Slaventhums«!!

Nachdem so die Spuren des russischen Einflusses wohl oder übel an den Tag gefördert sind, soll weiter der Beweis geführt werden, dass auch die aus einer Art altslovenischer Sprache entlehnten Wörter theil- weise einen so eminent orientalischen Charakter an sich tragen, dass daran gar nicht zu denken sei, dass dieser Einfluss die Sprache der Ungarn erst in der neuen Heimath getroffen hätte. Zu diesem Zwecke konstruirt der Verfasser ein Lautgesetz, das gerade nur in jener alten Zeit gewirkt haben soll, später nicht mehr. Ich habe schon vor 1 6 Jahren (Nyelvtudomänyi Közlemenyek XVIII. 384 und 364) an einigen Beispielen gezeigt und seither wird aligemein gelehrt, dass die ange- führten Fälle anders zu erklären sind. Doch sehen wir uns die Formu- lirung dieses Gesetzes an und die Belege, auf welche dasselbe aufgebaut ist, »Ein wichtiger Beweis des orientalischen Ursprunges, meint der Verfasser auf S. 411, ist eine solche Formation mehrerer, mit zwei Kon- sonanten beginnender slavischer Wörter in der ungarischen Sprache, wo der zweite Konsonant (»r« oder »/«) mit dem darauffolgenden Vokal durch Lautumstellung ') die Stelle tauscht, wie z. B. in diesen : ungar. szerda (Mittwoch) = slav. srer/a ; ungar. cserda^ csorda (Herde) = slav.

1) Ich ersetze hier und weiter unten den von dem Uebersetzer wörtlich aus dem Ungarischen übersetzten Ausdruck »Lautüberwerfung« mit »Laut- umstellung«.

462 Oskar Asböth,

creda ; ungar. pelyva (Spreu) = slav. pleva ; ungar. eszterJia (Estrich [? ,Dachvorsprung']) = slav. Ä^frecÄa ; [ ungar. 52:27«« (Pflaume, Zwetschke) = slav. sliva; ungar. szalma (Stroh) = slav. slama\ ungar. garmada (Haufen) = slav. gramada] ungar. halga (blöde) = russ. hlagoj\ \ ungar, hulcs^ kujcs (Schlüssel) = slav. kljuch^ russ. Mjuhv.

Gleich das erste Wort in der Reihe der Beispiele, d. i. -oszerda (Mittwoch) = slav. sredav. nimmt unser volles Interesse in Anspruch, haben wir doch oben bei Besprechung der christlichen Terminologie die Möglichkeit berührt, dass dies Wort in dieser Bedeutung den Slaven in Atelkuzu zu Ende des IX. Jahrh. vielleicht überhaupt noch nicht be- kannt war. Damit sieht es nun freilich schlimm aus, wenn das ungar. szerda durch Metathesis aus sreda entstanden ist und wenn diese Meta- thesis ein so markantes Kennzeichen der Uebernahme im Osten ist, dass es als »wichtiger Beweis des orientalischen Ursprungs« unserer slavischen Lehnwörter mit angeführt werden darf. Nun wird aber die dialektisch weit verbreitete Nebenform szereda allgemein für die ältere Form ge- halten und so viel wenigstens ist gewiss, dass szerda sich leicht aus szereda entwickeln konnte, da im Ungarischen der Vokal der zweiten Silbe oft ausgefallen aus slav. malina ist ung. mdlna, aus palica ist jiälca geworden u.s.w. u.s.w., während andererseits szereda aus szerda nicht erklärt werden kann. Der Verfasser sagt selbst in der Anmerkung zu S. 412: »Unter unseren Sprachforschern herrscht die Auffassung, dass alle Fälle einer solchen Lautumstellung so entstanden sind, wie neben szereda-szerda^ das heisst, dass es eigentlich auch keine Laut- versetzung, sondern nur die gewohnte Auflösung der Anlautkonsonanten- gruppe durch einen Vokal ist, nach welchem der Vokal der zweiten Silbe verloren ging, wie z.B. aus dem deutschen Krämer ung. zuerst kalomär und dann kalmär wurde (f. Doch kühn wie immer setzt der Verfasser also fort : »Wie hier ersichtlich, können wir die Sache auch anders auffassen, d. h. dass szereda und szerda (Mittwoch) in der ungarischen Sprach- geschichte von einander unabhängige, aus gesonderten slavischen Spra- chen (russisch und walachisch-slovenisch) herübergekommene Formen sind«. Auf des Verfassers walachisch-slovenisch komme ich später zurück, zunächst bleiben wir bei szereda-szerda. Das Wort für Mittwoch soll also noch vor der Landnahme zweimal aus slavischen Quellen in's Ungarische gekommen sein, einmal aus dem Russischen, das andere Mal aus dem Bulgarischen, und diese beiden Formen sollen noch heute friedlich neben einander leben. Das ist jedenfalls eine gewagte

Die Anfänge der ungarisch-slavischen ethnischen Berührung. 453

Annahme, besonders wenn niclits leichter ist, als beide Formen aus einer zu erklären. Da uns hier die vielbesprochene Lautumstellung, auf die so grosses Gewicht gelegt wird, in erster Linie interessirt, so wollen wir damit anfangen.

Szerda soll also durch Metathesis aus sreda entstanden sein. Ist dies auch nur im Geringsten wahrscheinlich ? Dem slav. e entspricht in der ersten (betonten) Silbe sonst so regelmässig e im Ungarischen, dass jedes c, das wir demselben gegenüber finden, einer Erklärung bedarf. Ich kenne überhaupt nur zwei derartige Fälle : medence Becken = asl. medhnica und szecska Häckerling = *sec'bka'^]. Wie erdrückend gross ist dagegen die Anzahl der Wörter, wo wir im Ungarischen e oder ein damit regelmässig wechselndes i finden : acel <^ ocelh^ beazed^ hermäl firmeln, hele7id [helen-fü) Bilsenkraut ■<^ J^enx, csep Dreschflegel <^ '^ cep^^ csäszär <^ cesart, csev (neben csö) Röhre <^ ceüfc, ded, dezsa Schafi", ehed<^obed^^ /J/? Vogelleim, (anya-) meA uterus, waerce Scheffel <^ *merica^ mezga^ nema stumm, nemet = neMhch (?^ = c ist auf- fallend), pcnesz aus älterem *peleszn (dialektisch sagt man noch heute statt peneszes schimmlig auch peneszles, was durch Metathesis aus *pe- Usznes entstanden ist, wie unter anderem auch das dialektische pi- lisznyes zeigt) <^ plesnh^ priheg <^ prebeg^, repa^ szomszed, szena^ szövetnek Windlicht, Fackel <Ci*svet'hnik^^ teszta\ i, das sehr oft aus e entsteht, zeigen folgende Fälle: kalitka<^klefbka, ^J^7^.s <^^jfeAft, ritka <^ redhka-redhko , szin <^ senh Flur, taliga <^ telega^ vitorla Segel <<! vetrilo^ ziliz Eibisch aus *sziliz durch Assimilation des An- lautes an den Auslaut <^ «/e^;^ , zsilip <^zleh%. Jedem, der diesen Thatbestand kennt, und Jemand, der sich unterfängt solche Probleme lösen zu wollen, wie unser Verfasser, muss sie doch kennen, ich sage Jedem wird sofort auffallen, dass dem slavischen sreda ungar. szerda und nicht * szerda^ dem pleva pelyva und nicht *pelyva^ dem creda cserda (gew. assimilirt csorda] und nicht '^csei'da (assim. *csdrda), dem streha eszterlui und nicht *eszterha entspricht. Von einer einfachen Lautumstellung kann also hier gar nicht die Rede sein. Aus *szerda wäre nicht szerda geworden und aus diesem wieder nicht szereda. Aus slav. sreda, das zeigt eine unbefangene Betrachtung der ungarischen

1) Szekerce Hacke, das Miklosich in den Slav. El. im Ma gy. aus einem *sekyrica ableitet, würde er jetzt wohl selbst auf eine Form *sekyrica zurück- führen (s. EW. unter sek. 2) und auch für veder Eimer dürfen wir von einem *vedro ausgehen, wie es iiu russ. vedrö, pl. vedra, klruss. vedro vorliegt.

464 Oskar Aaböth,

Lautgeschichte deutlich, ist zunächst *szreda geworden. Auf diesem Stadium der Lautentwickelung kann ich nur Ein Wort anführen, das von den ungarischen Sprachforschern in Folge einer Reihe von Miss- verständnissen gewöhnlich nicht für slavisch gehalten wird, es ist das Wort derek Rumpf, Leib; als Adjektiv: tüchtig, wacker, welches auch noch in der Form drek überliefert ist und auf ein *drekb zurückgeht, vgl. böhm. driJc Stamm, Rumpf bei Gebauer, Hlaskoslovi S. 40 f. und den Artikel drijeca?i im Wörterbuche der kroatischen Akademie. Aus *szreda wurde dann, durch Lösung der ungarisch ursprünglich fremden Konsonantengruppe im Anlaute, *szereda (vgl. zlebo ^ zselyeb s. das historische Wörterbuch der ungar. Sprache jetzt zsilip. *blem ^ alt helen[fil] fit = Gras , dialektisch helUny^ gewöhn- lich helend Bilsenkraut, pUsnh ^ *peleszn *peneszl penesz s. oben). Doch auch die Form *szereda war vor weiteren Veränderungen nicht gesichert, denn die grosse Neigung der ung. Sprache, den Vokal der zweiten Silbe, d. h. der Silbe, die unmittelbar auf die betonte folgt, zu kürzen, ja selbst ganz schwinden zu lassen, erzeugte zunächst die in den alten lateinisch geschriebenen Urkunden an den Ortsnamen Szerdahely [hely = Ort) sehr häufig überlieferte Form szereda^ die dialektisch heute noch lebt und die sich zu slavisch sreda genau so verhält wie ung. szelemen zu slav. sleme. Die heute am weitesten verbreitete Form szerda schliesslich ist nur eine weitere Schwächung aus dem älteren szereda. Alle diese Uebergangsstufen lassen sich noch deutlicher an den Reflexen von slavisch a in gleicher Stellung beobachten. Der Verf. sagt allerdings, auch szalma sei durch Lautumstellung aus slama ent- standen und ebenso garmada aus gramada^ halga aus hlag^ (in der Bedeutung des russischen hlagoj)^ doch ist das um nichts wahrer, als dass szerda aus sreda auf dieselbe Weise entstanden sei. Garmada wollen wir übrigens einstweilen bei Seite lassen, da neben gramada auch gromada vorkommt und somit der Ausgangspunkt nicht ganz sicher ist. Balga hätte füglich der Verfasser selbst bei Seite lassen können, da er doch wissen musste, wie schlecht verbürgt das Alter dieses Wortes ist (s. Balassa, Ungarische Revue 18S5, S. 275). Wir wollen uns also an szalma : slama halten ! Szalma soll aus slama durch Lautumstellung entstanden sein. Ja warum ist aber dann nicht * szalma daraus geworden mit dem in alten Lehnwörtern gewöhnlichen Reflexe von slavisch a? Ich kann mich hier unmöglich darauf einlassen, alle die Fälle zu erwähnen, in denen dem slav. a im Ungarischen deshalb

Die Anfänge der ungarisch-slavischen ethnischen Berührung. 465

a gegenübersteht, weil eben die Entlelinung nicht aus derselben Zeit und nicht aus derselben Quelle stammt serbokroat. praca ung. partffya, gilce : gatya, paprika : paprika oder weil ganz besondere lautliche Bedingungen vorlagen {d vor ä wird durch Dissimilation a in 77asad^ : naszäd^ papradh : papräd neben papräd)^ ich will auch von dem selt- sam gestalteten mostoha = masteha hier nicht reden, auch die Fälle nicht anführen, wo Miklosich fälschlich slavischen Ursprung annimmt (ungarisch ka7i Eber z. B. ist nicht slavisch) alles dies muss einer speciellen Untersuchung überlassen werden, ich kann nur auf die un- zweifelhafte Thatsache hinweisen, dass der regelrechte Reflex von slav. a in den ältesten Entlehnungen ä ist. Natürlich wird hierbei immer ab- gesehen von dem Wortauslaut, wo jedes alte ä zu a geworden ist, so lautet das slav. hvala im Ung. häla jedoch in allen suffigirten Formen hälä- acc. liälä-t^ dat. halä-nak^ »aus Dank« liälä-böl u. s. w. i). Ich führe zur Bestätigung des Gesagten einige Beispiele an : häba^ hänya, hdrdny, csäszär = cesarb, csaldd = celjadh^ didk^ Tidla^ jdrom^ jd- szol =Jasli^ Jdvo7', kdd \m^ kdddr^ kaldcs^ kdnya^ kdsa, kolhdsz, kosdr^ kovdsz = kvas^^ lapdt = lopata, mdk, mdlna = malina^ mdz, ahdrolni = obariti, apdt = opati, pdlca = palica, pdlinka^ pdra^ päzsit = paztth, rdk, szakäcs = sokach^ zälog, zäszlö älter zdsztö = zastava (Miklosich stellt es irrthümlich zu zaslona)^ zdvdr= zavon. Ich habe die Fälle absichtlich bei Seite gelassen, in denen a im Slav. nach r, l folgt, um nunmehr zu untersuchen , ob wir nicht etwa eine Spur dessen finden, dass die Ungarn in dieser Verbindung einen andern a-Laut gehört haben. Doch es lässt sich schlechterdings nichts der- gleichen entdecken. Dem altslov. povraz^ entspricht pördz, dem olra- ziti : dbrdzol, draga-drago gegenüber heisst es im Ungarischen drdga. Nur wird die dem Ungarn unbequeme Konsonantengruppe im Anlaut, welche sich in drdga bis auf den heutigen Tag erhalten hat, sonst sehr früh durch Entwickelung eines Nebenlautes gelöst : hrdt = hrat^ finden wir nur noch in dem ältesten ung. Sprachdenkmal, tiberall heisst es sonst bardt. Ebenso ist a.U's, plasth paldst geworden, wie Mi- klosich im Lex. Palaeoslov. richtig schreibt, während wir in seinen späteren Werken konsequent das unrichtige palast finden. Ebenso ver-

1) Uebrigens hat sich gerade in diesem Worte, das stark kirchlichen Beigeschmack hat, ä auch am Wortschluss noch in mehreren Gegenden er- halten : halä istennek = Iwala bogu, was sonst im Ungarischen ganz uner- hört ist!

Archiy für slavische Philologie. XXII. 30

466 Oskar Ashöth,

halten sich zu einander slav. hrazda : ung. haräzda^ prazhna-prazhno : paräzna, praziti: paräzsol^ vraziti: varäzsol. Ganz isolirt steht diesen Fällen gegenüber kiräly <^ kräh. Es liegt also auf der Hand, dass wir ursprünglich nicht dort ein kurzes a finden, wo im Slavischen a steht, sondern an der Stelle, wo im Slavischen eben überhaupt kein Vokal steht: der neu entstandene schwa-artige Hilfsvokal ist der Natur der Sache nach kurz. Da nun aber der Ton immer auf der ersten Silbe ruht und der Vokal der zweiten Silbe in Folge dessen in einer gewissen Ent- wickelungsperiode der ungarischen Sprache leicht einer Kürzung und selbst dem gänzlichen Schwunde ausgesetzt war (s. Simonyi, Magyar Nyelv I. 37 u. Simonyi-Balassa, Tüzetes magyar nyelvtan I. 218), so überraschen uns auch Formen wie /laraszt aus hvrash, szalacl aus slad^, kalangya »Schober« aLXi?>*klad7ija nicht. Aus kalangya ist dann durch Dissimilation oder Einfluss des / das ebenfalls gebrauchte ka- longya entstanden, das in szala?ma-szalonna ^= * slanina , kalada- kaloda = klada sein Seitenstück hat. Draga, harät, kalada (neben kaloda) sind verschiedene Etappen auf dem Wege zum gänzlichen Schwunde des Vokals, den wir schliesslich in Fällen wie szalma <^ slarnuy szarka <i svraka, sraka antrefi'en. Dass uns die Mittelstufen nicht erhalten sind, beweist gar nichts gegen die Annahme, dass szalma aus *szalama und dies wieder aus *szaläma *szläma entstanden ist, sind uns doch auch sonst die Mittelstufen durchaus nicht immer erhalten, so z. B. wenn wir pojata gegenüber im Ungarischen ohne jede ver- mittelnde Form bloss liajta »Scheune« finden nirgends eine Spur mehr von einem *pojäta., das wir als älteste Form annehmen müssen, oder von einer durch Kürzung des Vokals in der zweiten Silbe entstan- denen * pojata^ nicht einmal ein *pojta mit dem älteren o statt des offeneren, späteren a ist bisher nachgewiesen.

Was wir bei szerda, szalma u. ähnlichen in der glücklichen Lage sind beweisen zu können, dass nämlich die Form ganz gewiss nicht durch Metathese entstanden ist, das lässt sich für andere Fälle höchstens mit Wahrscheinlichkeit annehmen und wird von den ungarischen Sprach- forschern thatsächlich auch angenommen. Wenn wir neben slav. krupa ung. korpa (aus u wird oft offeneres o, zuweilen ist das ältere m noch neben o erhalten: csuda-csoda = cudo\ neben sliva ung. sziha^ neben kljuch ung. külcs finden, so lässt sich nur so viel sagen, dass es min- destens nicht nothwendig ist, eine einfache Metathese anzunehmen, dass vielmehr alle diese Wörter einen ähnlichen Prozess durchgemacht haben

I

Die Anfänge der ungarisch-slavischen ethnischen Berührung. 467

können, den szerda-szahna durchgemacht haben müssen. Nur unter besonders günstigen Verhältnissen lassen sich die Uebergangsforraen auch thatsächlich nachweisen. So finden wir zwischen szolga und slav. sluga scheinbar ganz dasselbe Verhältniss wie zwischen korpa und krupa^ da wir aber in der glücklichen Lage sind, jenes Wort in einem Ortsnamen heute Szolgagyör an der Hand der lateinischen Ur- kunden in ältere, uns sonst verschlossene Zeit zu verfolgen, so sehen wir deutlich, dass szolga keineswegs durch Lautumstellung entstanden ist, sondern dass wir es hier mit dem gewöhnlichen Einschube eines Hilfsvokals und späteren Verluste des Vokals in der unbetonten zweiten Silbe zu thun haben: aus sluga wurde szuluga, daraus szulgaxLadi später szolga. Nach dem Gesagten kann ich es wohl dem Leser über- lassen zu wählen, welche Erklärung er für wahrscheinlich halten will, diejenige, welche im Einklänge mit der ganzen Geschichte der ungari- schen Lautentwickelung in der Form sztiluga nur eine ältere Form er- blickt, szuluga-szulga-szolga also auf streng wissenschaftliche Weise als eine Reihe von zusammengehörigen Formen erklärt, oder diejenige, welche die beiden gleichbedeutenden Formen szuluga und szulga [szolga] auseinanderreisst und sogar so weit geht, für ein und dieselbe Ortschaft zu gleicher Zeit zwei äusserst ähnliche und angeblich doch aus verschiedenen Quellen stammende Namen [Szulugagyör und Szul- gagyör) zu konstatiren. Doch ich setze die betreffende Stelle wörtlich her: »Ebenso ist, sagt der Verfasser in dem zweiten Theil der Anmer- kung zu S. 412, neben dem allgemein gebräuchlichen ungar. szolga (Diener) in den Urkunden des XHL Jahrh. als Eigennamen Zuluga-geur [Szolga- Györ] neben der damals übrigens gleichfalls gebräuchlichen Form Zulageur. Meiner Ansicht nach ist auch hier zwischen den bei- den Formen kein sprachgeschichtlicher Zusammenhang; ihr Ver- hältniss können wir auch so auffassen, dass neben der verbreiteten, von Osten gebrachten, alten Form szolga hier (vielleicht nur dialektisch und in engem Kreise) sie dies Wort von neuem herübergenommen haben, z. B. aus dem Südslavischen (serb. bulg. neuslov. sluga) und dies nach gewohnter Art und Weise, d.h. mit Auflösung der Anfangskonsonanten- Gruppe der ungarischen Aussprache angepasst wurde«.

Doch ich kehre zu der oben S. 461 angeführten Stelle zurück, wo der Verfasser nach Anführung der angeblich durch Lautumstellung ent- standenen ungarischen Formen also fortfährt: »Diese Lautumstellung kann nicht als beliebte ungarische Eigenthümlichkeit betrachtet werden ;

30'

468 Oskar Asbötb,

wir können sie nicht in den älteren Formen der ungarischen Lehnwörter aus anderen Sprachen nachweisen« (S. 411). Der Nachdruck ist offen- bar auf die älteren Formen zu legen, denn der Verfasser führt ja selbst ein aus dem Deutschen stammendes kalmär »Krämer« an, das früher Jcalomär gelautet hat und das zu einem szerda aus älterem szereda^ szulga-szolga aus älterem szuluga ganz vortrefflich stimmen würde. Doch verschweigt der Verfasser wohlweislich, dass die Form szuluga z. B. auch eine derartige »ältere« Form ist, die im XIV. Jahrh. nicht mehr zu finden ist, während z. B. neben kalmär eine Form kalamär dialektisch noch heute fortlebt, ganz ebenso wie neben szerda die Form szereda. Wie willkürlich übrigens der Verfasser bei der Auswahl seiner Beispiele verfährt, zeigt, dass er ein sicherlich ihm selbst nicht recht geläufiges ungar. garac = die Kratze anführt, das ein Werkzeug be- zeichnet, mit welchem der mit Sprengen der Felsen beschäftigte Berg- mann den durch das Bohren entstandenen Staub herauskratzt ^), an dem gewöhnlichen und allbekannten Worte Jcarcol «kratzen« aber stillschwei- gend vorübergeht, obwohl es doch wahrhaftig nahe genug gelegen hätte, bei der »Kratze« an »kratzen« zu denken, und auch interessant gewesen wäre zu hören, wie er sich das Verhältniss von karcol zu dem ^.kraizen und zu dem in älterer Zeit belegbaren ung. kräcol denkt, um so interes- santer, als eine Uebergangsform *karäcol oder *karacol nicht vorliegt. Ich selbst lege übrigens gar kein Gewicht auf die angeführten deutschen Lehnwörter, diese müssen eben wieder ganz besonders für sich selbst untersucht werden, und dieser Untersuchung vorzugreifen habe ich um so weniger Grund, als in allernächster Zeit eine tüchtige Arbeit darüber von Melich zu erwarten ist. Für meinen Standpunkt kann das schliesslich gleichgiltig sein, ob sich in Wörtern, die aus an- deren Sprachen entlehnt sind, eine derartige Lautumstellung in der Nähe von r, / konstatiren lässt oder nicht, ich halte dieselbe auch für die aus dem Slavischen enlehnten Wörter nicht für beweisbar. Ich könnte daher auch ganz einfach über den nächsten Punkt hinweggehen, wo versucht wird, eine ähnliche Erscheinung für die in's Rumänische übergegangenen slavischen Wörter nachzuweisen. Doch hat der Verf., wie wir sehen werden, offenbar seine höheren Zwecke mit seiner »orien- talischen« Lautumstellung, und so dürfen wir der Frage nicht aus dem

J) Das Wort ist ein einziges Mal im Jahre 1885 aus der Gegend von Nagyb<änya unter den dort üblichen Bergmannsausdrücken nachgewiesen.

Die Anfänge der ungarisch-slavischen ethnischen Berührung. 469

Wege gehen. Um alles, was der Verfasser aus dem Rumänischen bei- zubringen weiss, mit einem Blicke zu übersehen und ungestört erwägen zu können, setze ich zunächst die ganze diesbezügliche Stelle her. »Sonderbar aber, meint er S. 412, charakterisirt diese Lauteigenthüm- lichkeit, wenn auch nicht stets in denselben Fällen, in denen wir das im Ungarischen finden, die in's Wal achische übergegangenen slavi- schen Wörter; so ist z. B. das ungarische Wort szarka = Elster (slav. sraka) dort: sarka, das serbische gradja (Zaumwerk) ist auch dort garda^ geradeso wie im ungarischen gärgtja, sowie das slavische grad^ (Garten) = wal. ^arf/ ; das slavische hlato (Sumpf) dort: halta (ebenso: neugriechisch (iälrrj ßdlrog); das altslov. bnvb?io (Balken), ung. be- rena, dort bzrnä und brinä (lies: birne, brine)', grib^ (Pilz), wal. chi- ribä, chriba »boletus bovinus; gritlo (Gurgel), "wal. girlä [lies glrle) »gui'ges«; dr^z^ »audax«, wal. dirz (lies dtrz) u. s. w.« Wir haben es hier mit zwei Gruppen von Wörtern zu thun, was der Verfasser aller- dings so wenig ahnt, dass er die Fälle der zweiten Gruppe durch An- führung des nicht dazugehörigen gr^b^ : chiribä unterbricht. In die erste Gruppe gehören rumänisch sarcUj gard und balta\ nach dieser wollen wir uns mit dem kuriosen chiribä beschäftigen, da wir ihm nun einmal nicht aus dem Wege gehen können ; dann folgt die zweite Gruppe, in welche alle die Fälle gehören, wo wir im Altslovenischen r^ oder rh finden. Der Verfasser spricht auch hier kein Sterbenswörtchen von den allgemeinen Lauterscheinungen der Sprache, mit welcher er es eben zu thun hat, es ist geradezu, als wüsste er gar nicht, wie vereinzelt z. B. sarcäj gard und baltä im Rumänischen dastehen, wenn wir nämlich die Wörter unmittelbar aus dem Slavischen ableiten, und doch hat sich Mi- klosich schon vor 40 Jahren darüber gewundert (»Die Versetzung des ji ist befremdend«, s. die Slav. El. im Rumun. S. 15 unter 6.ttaTo). Sarcä kennen überdies nur die Rumänen in Ungarn und zwar meist nur im engeren Ungarn, in Siebenbürgen ist es nur in einigen Gegenden be- kannt, Alexics hat also entschieden recht, wenn er es aus dem ungar. szarka erklärt (Magyar elemek az olähban S. 97). Die Nebenform tarcä [t ■= i(\ kennen nur die Rumänen in der Moldau und Bukowina, zu denen der Ausdruck mit vielen anderen aus Siebenbürgen gednmgen ist, in Siebenbürgen heisst die Elster nämlich dort, wo die Form sarcä unbekannt ist, farcusa [s = m), was ein Deminutiv zu tarcä ist. In Rumänien und anderen bisher nicht genannten Gegenden, wo Rumänen

470 Oskar Asbötb,

wohnen, ist der Name sarca- tarcä yoWkommen unbekannt^) und des- halb hatMändrescu (Elemente unguresti in limba romänä S. 1S6) mit Recht auch die Form fa?'cä für ungarisch erklärt. Es bleiben dem- nach noch gard und baltä übrig.

Zu dem Umstände, dass ga?^d und baltä dem slavischen gradi und blato gegenüber eine sonst ungewohnte Umstellung der Laute zeigen, kommt hier noch ein Moment, das zur Vorsicht mahnt, die Wörter er- scheinen nämlich ganz ähnlich gestaltet auch im Albanesischen, und bis das Verhältniss der rumänischen Wörter zu den albanesischen nicht klar ist, bis uns der Verfasser nicht vielleicht den Beweis erbringt, dass die rumänischen Formen jedenfalls ganz unabhängig von den albanesischen entstanden sind, muss die Frage nach dem Ursprung dieser Wörter wohl in der Schwebe bleiben. Dass wir durch diesen Seitenblick auf das Albanesische von der Donaumündung stark abgedrängt werden und auf ein ganz anderes Gebiet gerathen, als auf dem M. die Aufnahme der Wörter gard und baltä sucht, thut natürlich bei unserem Standpunkte gar nichts zur Sache. Gustav Meyer schwankt in seinem Etymologischen Wörterbuch der albanesischen Sprache: »Aus dem Alb. oder Slav. ist rum. baltä entlehnt«, sagt er unter bal'ts, und unter gard^-di heisst es : »Der Verdacht ist nicht ausgeschlossen, dass das alb. Wort (wie das rum.) aus dem Slav. entlehnt ist: doch ist ein Beweis dafür nicht zu führen«. Um alles das kümmert sich unser Verfasser nicht im Geringsten, wie er sich auch sonst um manches nicht kümmert. Man lese nur ein- mal die konfuse Zusammenstellung, welche er im Zusammenhang mit rum. gard vorführt: »Das serbische gradja (Zaunwerk) ist auch dort [d. h. im Rumänischen] gardä^ geradeso wie im ungarischen gärgya, sowie das slavische grad^ (Garten) = wal. gard'i. Man begreift gar nicht, was hier überhaupt ein serbisches Wort zu suchen hat und wie einem serbischen gradja rum. gardä lautlich entsprechen soll, da doch aus serb. -da im Rum. nur -d^ä oder -dzä (geschrieben -ghiä bezw. -giä) hätte werden können, aber nie und nimmermehr -da. Schlägt man Miklosich's Werke nach, so sieht man wenigstens, wie dieser Satz entstanden ist, und hat Gelegenheit, des Verfassers Dilettantismus in vollster Blüthe bewundern zu können. Miklosich leitet nämlich einer- seits das ung. gärgya von serb. gradja ab (Slav. Elem. im Magy. Nr. 192), andererseits lesen wir im EW. unter gordü Folgendes:

1) S. Fl. Marianu, Ornitolgia II. Cernauti 1883, S. 47 f.

Die Anfänge der uuguriscli-slavisclion ethnischen Berührung. 471

»s. grad festung. gracJJa. garda zaimwerk ist aus dem rm. zurück- entlelint«. Dies war unserem Verfasser genug, um mit diesen Wörtern zu operiren. Dass ein aus dem Serbischen entlehntes Wort hier über- haupt gar nicht in Betracht kommen kann, dass rum. garda lautlich dem serb. gradja nicht entsprechen kann, dass es überdies ganz etwas anderes bedeutet es heisst die «Wache, Garde« ! ! , dass Miklosich in seineu Slav. El. im Rum. ebensowenig von einem mit slav. grad^ : rum. gard irgendwie zusammenhängenden garda weiss, als an der Stelle, wo er mehr als 20 Jahre später von der Metathesis im Rumäni- schen spricht und »gard Hecke« : aslov. grad^ erwähnt (Beiträge zur Lautlehre der rumuniscben Dialekte. Lautgruppen 1883, S. 28), alles das ficht unsern Verfasser nicht im Geringsten an, geht er in seiner Nonchalence doch so weit, dass er gedankenlos selbst die Zu- sammenstellung «serb. gradja : ung. gärgya<i. Miklosich nachschreibt, ohne sich auch nur zu fragen, was denn das für ein Wort ist, dies ung. gärgya, was es heisst, wo es vorkommt. Hätte er sich diese Fragen vorgelegt und eine Antwort darauf gesucht, so wäre er leicht zu dem ohnedies schon bekannten Resultate gekommen, dass gärgya nur auf einem beschränkten Gebiete vorkommt, auf welchem die Ungarn mit Rumänen gemischt wohnen, und dass das ungarische Wort um so weniger einem sevh. gradja entsprechen kann, als das nng. gärgya gar nicht die ursprüngliche Form ist, diese lautet vielmehr gärd, gärgya aber ist die phonetische Schreibung für gärdj'a = sein Rand [kiU gärgya Brunnen- rand, Brunnenkranz = der Rand des Brunnens), es ist das nämlich eine ganz gewöhnliche Erscheinung im Ungarischen, dass Formen mit dem Besitzsuffix sich von dem Stammworte loslösen und selbständig auf- treten. Das Wort ist auch ganz gewiss nicht slavisch, sondern wahr- scheinlich, wie Szinnyei meint (Magyar Nyelvör XXH, S. 491 f.), nichts anderes als das rumänische gard\ Aus slav. grad^ wäre nicht gärd geworden, wie unsere obige Auseinandersetzung über die Um- wandlung der slavischen Wörter mit Kons, -f- ra im Anlaut lehrt und wie auch das thatsächlich aus Ü2iN.grad^ stammende dialektische ^amf/ ^) neben den die ältere Form bewahrenden Ortsnamen Visegräd, Nögräd, Csongrdd zeigen.

i) Dieses gardd hat übrigens ein ganz anderes Verbreitungsgebiet und auch nie dieselbe Bedeutung, wie gdrd gärgya, worüber man das dialektische Wörterbuch nachsehen mag. Interessant ist, dass auch hier die suffigirte Form gardgya, obwohl ungleich seltener, als selbständiges Wort auftritt.

472 Oskar Asböth,

Aus dem Gesagten geht deutlich hervor, wie gut es gewesen wäre, sich die Daten näher anzusehen. Besonders lehrreich wäre für den Verfasser die Durchsicht des Artikels gradh in Miklosich's Slav. Elem. im Rum. gewesen; da hätte er gefunden, dass Miklosich es für nöthig hält, die auffallende Stellung des r zu betonen, überdies hätte er ge- sehen, dass rum. gradina = slav. gradina, sowie grajda ■■= grazdb die gewöhnliche Reihenfolge der Laute zeigt. An einer anderen Stelle der Slav. Elem. hätte der Verfasser rum. ograda = slav. ograda gefunden und da wäre ihm vielleicht plötzlich ein Licht aufgegangen : das rum. gardä^ das er aus dem ^Qxh.gradj'a mit «orientalischer« Lautumstellung ableitet, ist ein einfacher Druckfehler : bei Miklosich steht nämlich im EW. »rm. ograd^ gardac. statt: ograda^ gO''>^d^ d. h. das schliessende -a des ersten Wortes ist aus Versehen an das Ende des zweiten Wortes gerathen ! !

Ich gehe jetzt zu hiriba über, das der Verfasser konsequent falsch chiriba schreibt. Man wird aus der lakonischen Zusammenstellung y>gr^b^ (Pilz), wal. chiriba^ chriba boletus bovinus« absolut nicht klug, was der Verfasser damit eigentlich will. Sollte er etwa allen Ernstes glauben, dass chiriba durch Lautumstellung aus grib% entstanden ist? Wenn der Zusammenhang nicht so sonnenklar wäre und wenn wir nicht ganz genau dieselbe unmögliche Behauptung auch im ungarischen Original läsen, so müssten wir hier rein an irgend einen Schabernak denken, den ein ungeübter Setzerjunge dem Autor gespielt hat. Denn aus grib^ hätte durch Lautumstellung doch nur *girh (nach rum. Schreibung *ghirb) entstehen können. So seltsam auch den Fernstehenden das rum. hiriba anmuthen mag, das sieht auch der Laie, dass darin das i ganz ebenso- wenig wie in der dem slavischen Original noch näher stehenden Form hriba seine Stelle je verlassen hat, von einer Lautumstellung ist also hier keine Spur zu finden, es hat sich bloss ein Hilfslaut zwischen h und r entwickelt. Ueberdies liegt es aber auf der flachen Hand, dass das Wort gar nicht zu der Gruppe der ältesten Entlehnungen gehört und nicht aus der Quelle geflossen ist, aus welcher der Grundstock der slavischen Elemente im Rumänischen stammt. Dass wir dem asl. g gegenüber hier h finden, nicht den regelrechten Reflex, zeigt deutlich, dass das Wort aus einem slavischen Idiom stammt, wo g spirantisch ge- sprochen wird, und das kann in unserem Falle nur das Kleinrussische sein. Diese einzig mögliche Annahme wird auch durch die geographische Verbreitung des Wortes (Moldau, Siebenbürgen) gestützt, M. 's Annahme

Die Anfänge der ungarisch-slavischcn ethnischen Berührung. 473

dagegen schon dadurch aller Grund entzogen, dass die Form hiriba gerade in der Moldau unbekannt ist, wo doch wohl die Aufnahme des Wortes stattgefunden hat, daselbst heisst das Wort hrib und ist noch masc. Uebrigens kommt auch in Siebenbürgen die ältere Form hriha noch vor, so dass es evident ist, dass die Form hiriba erst in Sieben- bürgen entstanden ist, wie Tiktin meint, geradezu unter ungarischem Einfluss (Der Vokalismus im Rumänischen in Gröber's Zeitschrift f. rom. Phil. XII. 1S88, S. 445).

Ich gehe nunmehr zu der zweiten Gruppe über, wo im Rumänischen Lautumstellung stattgefunden haben soll. Der Uebersichtlichkeit halber stelle ich noch einmal die Fälle, auf welche sich der Verfasser stützt, her: »das altslov. br^vhno (Balken), ungar. berena^ dort [d. i. im Rum.] : birnä und brrnä (lies: birne, brhie); gic^lo (Gurgel), wal. girla (lies: glrle) ,gurges'; d'^"oz^ ,audax', -^^X.dtrz (lies: d/irz) u. s.w.«. Wenn wir von dem zweifelhaften brliia absehen, das ich bloss aus Miklosich's EW. und Beiträgen zur Lautlehre der rumunischen Dialekte kenne Tiktin hat es in seinem vorzüglichen historischen Wörterbuche nicht ! , so haben wir 3 gleichmässige Fälle, in denen überall dem asl. r^-rh gegen- über im Rum. ir steht. Es wäre ein Leichtes, noch eine Reihe solcher Fälle anzuführen, doch will ich statt dessen darauf hinweisen, dass auch dem asl. h-lh im Rum. ü zu entsprechen pflegt : 8thp% ^ stUp^ th- mach ^ Ulmaciu u. a. Da nun aber bekanntlich in all diesen Fällen auch im Bulgarischen das dumpfe vokalische Element vor r, / ertönt und da ja vernünftiger Weise niemand daran zweifeln kann, dass die Mehrzahl der slavischen Wörter im Rumänischen aus dem Bulgarischen stammt, so wird kein Fachmann darin eine Lautumstellung erblicken, sondern einfach annehmen, dass die Rumänen die Wörter schon von den Bulgaren so gehört haben. Unser Verfasser freilich operirt nicht mit gesprochenen Lauten, sondern mit geschriebenen Buchstaben, so konnte ihn allerdings die orthographische Gepflogenheit des Altslovenischen, die bekanntlich in der bulgarischen Schriftsprache theilweise noch fort- lebt, irreführen. Interessant ist, dass n vor mehrfacher Konsonanz wenigstens in der Moldau noch mittelst ri reflektirt wird: krhchma ^ cricima^ in anderen Gegenden schon circima. Tiktin vermuthet hierin mit Recht einen alterthümlichen Zug (Gröber's Zeitschr. XU. 246), scheint aber nicht zu wissen, dass auch dies echt bulgarisch ist, vgl. bulg. sorbim aber snbkinj'a. So erklärt sich, dass das Verbum zu dirz nicht nur in der Moldau, sondern allgemein a indräzni lautet: die

474 Oskar Asböth,

Rumänen haben eben schon von den Bulgaren das vokalische Element einmal vor dem r^ das andere Mal nach dem r gehört ! Demnach könn- ten also hier überhaupt nur die Fälle mit mehrfacher Konsonanz nach r*, 7'h in Betracht kommen, aber gerade für diese hat Tiktin nachgewiesen, dass die Lautumstellung erst später auf rum. Boden stattgefunden hat, und für diesen Vorgang hat er auch Analogien angeführt.

Aus der obigen Ausführung geht hervor, dass wir für eine Laut- umstellung bei 7\ l, wie sie der Verfasser glaubt entdeckt zu haben, auch im Rumänischen eine überaus schwankende Basis erhalten. Aber, und das ist für ihn noch viel schlimmer, selbst wo ein Uneingeweihter eine derartige Lautumstellung zu erblicken glaubt, verliert sie alle Bedeutung in dem Zusammenhange, in welchen der Verfasser die vereinzelt auf- tretenden Fälle bringt : Hier ein paar ungarische, dort ein paar rumä- nische Fälle sollen mit vereinten Kräften ein mysteriöses, uns bisher noch völlig unbekanntes slavisches Idiom aus dem Dunkel der Ver- gangenheit heraufbeschwören, für das der Verfasser in der Geschwindig- keit noch gar keinen Namen hat, so dass er es nur in der Noth versuchs- weise walachisch-slovenisch nennt '. Da durften wir doch erwarten, dass die Belege aus dem Rumänischen nicht den Belegen aus dem Unga- rischen geradezu widersprechen und umgekehrt. Der Verfasser sucht den Thatbestand allerdings zu bemänteln, denn er sagt: »Sonderbar aber charakterisirt diese Lauteigenthümlichkeit, wenn auch nicht stets in denselben Fällen, in denen wir das im Ungarischen finden, die in's Walachische übergegangenen Wörter«. Das ist die reine Spiegel- fechterei, denn er hat ja überhaupt nur in zwei Fällen Uebereinstim- mung zwischen dem Ungarischen und Rumänischen gefunden, dafür wäre es ja doch leicht gewesen, einen prägnanteren Ausdruck zu finden, als »nicht stets«. Aber wie kläglich es auch um diese 2 Fälle bestellt ist, haben wir schon gesehen. Ganz abgesehen von dem Dilettantismus, mit dem der Beweis geführt wird , soll unter anderem die Uebernahme eines serbischen Wortes [gradja] in's Ungarische und Rumänische uns glauben machen, dass die Ungarn und Rumänen ihre slavischen Elemente weit im Osten an der Donaumündung aus einer ganz eigen- thümlichen slavischen Sprache bekommen haben sollen. Diese Behaup- tung reiht sich würdig derjenigen an, dass hiriba durch Lautumstellung aus grib^ geworden wäre. Doch selbst wenn wir das bei Seite lassen, so kann ungarisch gäi^d gärgya deshalb nichts beweisen, weil es ja offenbar gar nicht slavischen Ursprungs ist, sondern auf rum. gard

Die Anfänge der iingarisch-slavischen ethnischen Berührung. 475

beruht; das tum. garda aber kann schon wegen seiner Bedeutung »Wache, Oarde« mit serb. graclja »Zaunwerk« nichts zu thun haben.

Auch der zweite Fall, ung. szarka : rum. sarcä, beweist nichts, da hier wieder umgekehrt das rumänische Wort dem Ungarischen entlehnt ist. In allen anderen Fällen gehen die beiden Sprachen auseinander. Fälle, wie ung. szerda^ szalrna, szilva und rum. girlo, dirz^ in denen nicht beide Sprachen das slav, Wort herübergenommen haben, fallen von selbst weg, alle anderen zeigen verschiedene Behandlung : crcda ^ ung. cserda-csorda^ rum. cireäda\ pleva ^ ung. pelyva^ v\xm. pleavä; stre- clia^ *stresi?ia ^ ung. eszterha, rum. streämiä; gra7nada "^ xnag. gar- mada, rum. grämadä; blag^, hJago ^ ung. halga (adj.), rum. hlaga (subst.); hrupa ]> ung. korpa^ rum. crupe pl. ; sluga ^ ung. szolga, mm. slaga; kl/uch, kljucari'^ wng. kiUcs, kuicsär, rum. culceär (ehem. fürstlicher Kellermeister) ; grado ^ rum. gard ung. garäd aus älterem *gräd vgl. Visegräd, Nogrdd^ Csongräd (ung. gäixl gärgya ist nicht slavischen, sondern rumänischen Ursprungs) ; hlato ^ rum. balta^ vgl. ung. Balaton »Plattensee«; br^Db7io ^ rum. hmiä^ ung. bere?ia. Es ist geradezu unbegreiflich, wie Jemand auf Grund solcher Daten eine slavische Sprache rekonstruiren kann, in welcher die Lautgruppe r, l + Vok. Lautumstellung erfahren hätte. Denn obwohl der Verfasser sich sehr dunkel ausdrückt, scheint er doch in letzter Linie darauf hinaus- zuzielen, dass es eine slavische, eine »walachisch-slovenische« Sprache gegeben habe, in welcher man nicht nur *salma, *serda u. s. w., sondern selbst *sidga., ^kuljch.^ 'kurpa *silva gesprochen hätte ! ! Ich wollte mit diesem Portentum nicht gleich die Erörterung der einschlägigen Fälle beginnen, um zunächst nachzuweisen, dass wir, wenn wir von slama, sreda, sluga ausgehen, die ungarischen Formen ohne jedwede Schwierig- keit zu erklären im Stande sind. Doch achte man darauf, wie sehr sich der Verfasser, und zwar mit vollem Rechte, dagegen verwahrt, dass man für gewöhnlich eine einfache Lautumstellung in ähnlich gestalteten Wörtern für das Ungarische annehme. »Diese Lautumstellung, meint er, kann nicht als beliebte ungarische Eigenthümlichkeit betrachtet werden, wir können sie nicht in den älteren Formen der ungarischen Lehnwörter aus anderen Sprachen nachweisen« (S. 411). Szerda soll ebenso wie szolga nur in Atelkuzu in die Sprache gekommen sein kön- nen, offenbar nicht, weil dort die Luft für Lautumstellungen besonders günstig war, sondern weil eben der Verfasser sich sein »Walachisch- slovenisch« mit derartigen unerhörten Formen wie *sulga ausgestattet

476 Oskar Asböth,

vorstellt. Nur so hätte ja auch die angebliche Uebereinstimmung mit dem Rumänischen einen Sinn, denn wenn sich thatsächlich eine Laut- umstellung im Rumänischen vollzogen hätte und auf der anderen Seite wieder im Ungarischen derselbe Process, natürlich vollkommen unab- hängig davon, vor sich gegangen wäre, so wäre ja schlechterdings nicht zu begreifen, welcher Zusammenhang zwischen der Lautumstellung hier und dort obwalten könnte. Hatte aber die gemeinsame slavische Sprache derartige Formen, wo der Vokal vor dem r, l stand, so Hesse sich eine Uebereinstimmung zwischen der rumänischen und ungarischen Sprache in den besprochenen Fällen, die sich übrigens als reine Fiktion heraus- gestellt hat, allerdings als ein Zeichen einer gemeinschaftlichen Grund- lage anführen. Es ist schwer, dem Verfasser in alle seine Schlupfwinkel zu folgen, ich glaube aber doch seinen wenn auch etwas konfusen Ideen- gang richtig errathen zu haben, setze jedoch zur Kontrolle den Schluss dieses Abschnittes um so mehr wörtlich her, da derselbe einer präciseren logischen Zergliederung ohnedies mehr oder weniger spottet. Ich be- merke bloss noch vorher, dass, da es sich hier auch um Fälle, wie sluga : szolga^ kljucb : külcs^ krupa : ko7-pa, sliva : szilva, strec/ia : eszterha handelt, die Behauptung, als fänden wir in unseren Fällen im Russischen den sogenannten Volllaut, natürlich nur bis zu einem ge- wissen Grade richtig ist.

»Im Russischen finden wir, meint der Verfasser, iu solchen Fällen die nebst ung. szerda (Mittwoch) bekannte Form szereda ^), z. B. das- selbe Wort ist dort: sereda\ das ungar. szalma (Stroh), russ. soloma (neugriechisch ffaAo/ta); das ur\^2a'.garäd^.xm^.gorod^\ \inga.Y.berena (Balken) : russ. berveno^ berno^ daneben brevrno u. s. w. Aber das übrige Slaventhum zeigt dem gegenüber stets die Formen mit den wortbe- ginnenden Konsonantengruppen, z. B. dem ungar. szalma (Stroh) ent- sprechend: altslov., neuslov., bulgar. slama^ h'öhva. släma, ^o\n. sioma\ dem ungar. csorda (Herde) : altsloven., neuslov. creda^ bulgar. crhda, böhm. stfida, slovak. crieda, poln. czrzoda; dem ungar. szerda (Mitt- woch) : altslov., neuslov., bulgar. sreda^ serb. srij'eda, böhm. stfeda. Es ist also unzweifelhaft, dass das Ungarische die slavischen Wörter mit Lautumstellung aus der Sprache des in der Gegend der walachischen

1) Die deutsche Uebersetzung ist hier nicht genau und musste nach dem Original berichtigt werden.

Die Anfänge der ungarisch-slavischen ethnischen Berührung. 477

und russischen Sprache, d. h. des im Osten sesshaft gewesenen altslove- nischen Volkes herübergenommen haben kann« i).

Schliesslich soll das Rumänische auch in dem Ersätze der irratio- nalen Vokale ebenso vorgehen wie das Ungarische und beide wieder so wie das Russische (also ^ = o und 6 = e) . Der Verfasser bleibt auch hier ganz auf der Oberfläche und verschweigt überdies, offenbar ab- sichtlich, eine ihm wohlbekannte Thatsache. Dem asl. o entspricht nämlich im Ungarischen ganz regelmässig a, wenn wir also dem ^ gegen- über im Ungarischen o finden, so trennt dieser Umstand allein schon das Ungarische scharf von dem heutigen Russischen, wo aus ^ entstandenes 0 von einem ursprünglichen o in der Aussprache nicht unterschieden werden kann. Nur wenn man diese Thatsache verschweigt, kann man bei Laien aus der Zusammenstellung ^ im Russischen und Ungarischen = 0 Kapital schlagen. Dass die Ungarn ebensogut in ihrer heutigen Heimath dazu kommen konnten, h und h eines bulgarischen Dialektes mit o und e zu ersetzen, bedarf überdies gar keines weiteren Beweises, die Nähe der Russen war zu diesem lautlichen Process ebenso wenig nöthig, wie die der Rumänen ! Die Berufung auf das Rumänische hätte in diesem Falle um so eher bei Seite gelassen werden können, als die Frage nach dem Ersätze des asl. ^ im Rumänischen nichts weniger als endgiltig abgeschlossen ist. Miklosich nimmt für die Fälle, wo dem asl. z> gegenüber im Rumänischen o steht, geradezu russischen Einfluss an («0 für ^ zeugt für Entlehnung aus dem Russ.tf, s. Beiträge z. Laut- lehre der r um. Dialekte. Vokalismus III Konsonanten gruppen I, S. 17 = Sitz.-Ber. 100 : 243). Tiktin hat dagegen allerdings einige Jahre später o für den regelrechten Ersatz von ^ erklärt (Gröber's Zeit- schrift XII, 239, Nr. 107), aber nur in der betonten Silbe. Wie wenig sich der Verfasser um die Vorarbeiten auf dem von ihm betretenen Ge- biete gekümmert hat, zeigt der Umstand, dass in allen 3 Beispielen, welche er für rum. o aus ^ anführt, o unbetont ist 1 Diese Beispiele sind auf S. 334 zu suchen: tbkach : tocdct, s^h Bote, rum. solie Botschaft und s^rok^ : soröc. Stichhaltig ist bloss soUe, nur hätte statt dieser rumänischen Weiterbildung das Stammwort sol Bote, Gesandter selbst

1) Statt des letzten Wortes »kann« würde ich übersetzen: »mag« der ungarische Ausdruck erlaubt beides , denn »kann« passt nicht recht zu »unzweifelhaft«, aber ich gebe zu, dass auch »mag« nicht recht klappt und dass es überhaupt schwer hält, einen Satz zu übersetzen, dessen eigentlicher Sinn nicht ganz klar ist.

478 Oskar Asböth,

angeführt werden sollen. Tocaci »Weber«, das die meisten Wörter- bücher, unter anderen auch das umfangreiche von Dai^ie, nicht kennen, stammt aus dem ung. takäcs (das ung. a wird mit Rundung gesprochen und deshalb entspricht ihm im Rumänischen leicht o) und ist fast nur im engeren Ungarn bekannt, schon in Siebenbürgen hört man es kaum mehr. Soröc (des Verfassers Schreibung sorok ist ein Versehen) ist eine späte Assimilation aus saroc^ ganz so wie das heutige norod, noroc aus einem in der älteren Literatur noch belegten 7iarod^ naroc = asl. narodh^ narokb assimilirt sind. Jeder, der das Rumänische nur einiger- massen kennt, weiss wie verbreitet im Rumänischen die Neigung ist, den ersten Vokal mit dem folgenden betonten auszugleichen, auf solche assimilirte Vokale ein Gesetz über die ursprüngliche Entsprechung der Vokale aufbauen zu wollen, heisst auf Sand bauen.

Hiermit schliesst die eigentliche Beweisführung für den von dem Verfasser aufgestellten Satz, dass die Ungarn die Mehrzahl ihrer slav. Wörter schon in ihrer früheren Heimath aufgenommen hätten. Ich werde mich daher bei den folgenden Ausführungen nicht länger auf- halten, sie können, mögen sie richtig oder falsch sein, die Hauptsache weder stützen noch erschüttern, wenn sich dieselbe nicht schon bisher als wahr oder verfehlt ergeben hat. An und für sich aber verdient diese Parthie, die wir gleichsam als einen Anhang betrachten können, ent- schieden mehr Beachtung, als der vollkommen misslungene Grundstock der Arbeit, Es würde wohl der Mühe lohnen, wenn sich Jemand, der ein verwandtes Gebiet durchforscht, über die Aufstellungen des Verf. äusserte. Ich will nur kurz auf einiges hinweisen und dabei auch einen oder den anderen auffallenden Irrthum berichtigen.

Miklosich hat das ungarische könyv »Buch« in den Slav. Elem. im Magy. aus einem Siü.ktiiga erklärt. So formulirt war das nichts als die Wiederholung einer ganz dilettantischen Zusammenstellung, der wir schon bei Leschka begegnen Leschka war, wie es scheint, die Haupt- quelle, aus welcher Miklosich bei seiner eben genannten Abhandlung geschöpft hat. Diese Zusammenstellung hat dadurch nicht viel an Wissenschaftlichkeit gewonnen, dass Miklosich dem ung. könyv zuliebe im EW. eine Urform k^7lmgva annimmt, die sich durch nichts stützen lässt, wenn man sich nicht etwa an ns. knigvy klammern will, das ja aber dem os. kniha gegenüber selbst einer Erklärung bedarf. Mucke stellt knigvy unter die im Niedersorbischen gar nicht seltenen Fälle, wo uns ein unorganisches v entgegentritt, s. Laut- und Formenlehre

Die Anfänge der ungarisch-slavischen ethnischen Berührung. 479

der niedersorbisclien Sprache 278 in dem Abschnitte »Einschal- tung von Labialen« c) y). Unser Verfasser gibt nun eine viel unge- zwungenere Erklärung für den Wandel des slav. g zn v: er nimmt tschuwaschische Vermittelung an und so gelingt es ihm, nicht nur den Wandel des (/ zu v als Glied einer uns wohlbekannten Lautneigung dieses nordtürkischen Dialektes darzulegen, sondern zugleich die Be- zeichnung für Buch in enge Beziehung zu den ebenfalls aus derselben türkischen Quelle stammenden ung. Namen für »Buchstaben« {betu) und »schreiben« («') zu bringen (S. 413). Da dies aber zugleich dieselbe Quelle ist, aus welcher die Ungarn die Namen für »Russen« und »Polen« {orosz, lengyel) geschöpft haben, so wäre auch der Uebergang eines slavischen kbnjiga in das Tschuwaschische selbst erklärlich. Meines Wissens ist dies die erste wissenschaftliche Erklärung, die bisher über- haupt von dem kulturhistorisch höchst interessanten ung. könyv gegeben worden ist.

Höchst unangenehm berührt nach dieser Ausführung, der man es anmerkt, dass sich der Verfasser auf einem ihm vertrauten Gebiete be- wegt, der dilettantische Ton, in dem dieser sonst gelungene Abschnitt ausklingt. Der Verfasser nimmt an, dass das ung. orvos »Arzt« ur- sprünglich »Zauberer« bedeutet habe, was natürlich an und für sich ganz gut möglich wäre, und fährt dann also fort; »Für den Wurzeltheil des Wortes 07'vos [*orv-)j mit der auch im ungarischen Worte könyv (Buch) sich zeigenden Lautänderung »<7« ^ »ü« könnten wir auf solche Weise das russische Wort vorog^ (Zauber) ansehen, aus welchem auch das russ. vorozitb (zaubern) und das mit der neuslov. kroat. Bildung V7'az (Zauber) übereinstimmende ungarische varäzs stammt «i). Dass sich der Verfasser nicht einmal die Mühe genommen hat, genauer nach- zusehen, was das russ. vorogi} heisst (es bedeutet bekanntlich »Zau- berer« und nicht »Zauber«), mag noch hingehen, obwohl M. das Wort zum Ausgangspunkt seiner gewagten Erklärung macht, aber dass er ung. varäzs aus russ. X)orog^ ableitet anders lassen sich seine Worte schlechterdings nicht verstehen , ist des Guten doch zu viel ! Mit dem ung. varäzs hat es überdies noch eine ganz eigene Bewandtniss, die dem Verfasser hätte bekannt sein können, da ich in einem direkt an seine Adresse geschriebenen kleinen Aufsatz über die aus dem Slavischen

1) Der Uebersetzer hat die Stelle ganz missverstanden, so rausste ich mich an das Original halten.

4b0 Oskar Asböth,

stammenden Zeitwörter das slav. vardzsol für unmittelbar aus dem Sla- vischen gekommen erklärt habe (s. Magyar Nyelvör XXV, 1896, S. 115), womit zugleich gesagt war, dass das Substantivum vardzs nicht slavischen Ursprungs ist, sondern erst aus dem Zeitwort vardzsol (= vraziti) abstrahirt ist. Die alte Sprache kennt nämlich das Wort gar nicht, es scheint von Verseghy (1757 1821) gemacht worden zu sein, der es liebte, die »schlummernden Wurzeln« zum Leben zu er- wecken (vgl. Simonyi, Magyar Nyelv. I, S. 252 f.).

Mehrere ungarische Wörter sollen schon in jener alten Zeit in das Russische und »in das Slovenische an der unteren Donau« Eingang ge- funden und theilweise durch diese Sprachen sich weiter verbreitet haben. Ausser dem schon von Miklosich richtig als ungarisch erkannten russ. salas, poln. saiasz szalasz u. s. w. = ung. szällds (s. Fremdwörter unter salas und Die slav., magy. u. rum. El. im türk. Sprachsch. 1889, S. 20) wird auch asl. h^7'^ census und was dazu gehört für unga- risch erklärt = ung. her Lohn, Dienstgeld (vgl. EW. unter hirb und Munkäcsi, Nyelvtudomänyi Közlem6nyek XVII, S. 94). Ueber das Verhältniss von ung. hdtya^ 9<''iyO", ^iutya zu hasta, gasti, b. kuce hat der Verfasser seither einen Wandel in seiner Anschauung angekündigt (Ethnographia X, S. 333), dagegen sind noch lopuch'b^ olovo und s. loboda, r. lebeda^ p. lohoda als solche Wörter zu nennen, die M. in letzter Linie für ungarisch hält (ung. lapü^ älter lapuh Klettenstrauch; olom Blei, woneben ein *öl6 *ölov vorausgesetzt wird, das den slavischen Wörtern zu Grunde liegen soll; laboda »Melde« heute »in slavischer Form«, ursprünglich aber angeblich *lohod, *lahad, s. S. 414 416). Dieser Abschnitt schliesst mit einer Bemerkung, die für den beneidens- werthen Muth des Verfassers, mit dem er den Schleier der dunkelsten Vergangenheit zu lüften versucht, recht charakteristisch ist : »Bei diesem Punkte, meint er S. 416, seien wir dessen eingedenk, dass nicht das ganze üngarnthum es war, das, nach Pannouien gekommen, hier sich eine Heimath erworben hat, sondern dass es auch, und zwar in nicht unbedeutender Anzahl, von ihm losgetrennte Zweige gab; namentlich jener, welcher mit den Bulgaren zusammen im VII. Jahrhundert in die Gegend des Mittellaufes der Wolga, und jener andere, welcher zur Zeit der Wanderung nach dem Etelköz gegen Persis zu wanderte. Die in der ungarischen Sprache nicht vorkommenden, aber im Slaventhum noch übriggebliebenen Wörter ungarischen Ursprungs können eventuell auch aus der Sprache dieser losgerissenen Ungarn stammen«.

Die Anfänge der ungaiisch-slavischen ethnischen Berührung. 481

Doch nicht nur die Ungarn, sondern auch die mit ihnen verwaudteu Völker waren schon sehr früh mit den Slaven in Berührung geliommen, »obwohl, wie der Verfasser meint, die Gebietsisolirung derselben vom Slaventhum durch die Einkeilung des Türkenthums schon in die Zeit des Beginnes der Völkerwanderung verlegt werden kann«. So wird ein Zusammenhang gesucht zwischen dem russ. »Sonnengott« Chors^ (bulg. C/ir^s) und dem wogul. Kwores, Numi-Kwores, einem Beinamen des Himmelsgottes; das bulg. s^sel^ Ratte, r. sush, suseliki »mas citellus« und böhm. s]/sel Erdziesel werden mit sossei zusammengebracht »ein drachenartiges, sagenhaftes Thier in wogulischen Heldenliedern«, und zwar soll in diesen und anderen Fällen das Slavische auf das Ugrische gewirkt haben. In anderen Fällen soll die Beeinflussung in umgekehrter Richtung stattgefunden haben. Von den hierher gehörigen Fällen will ich Einen besonders besprechen, die anderen nenne ich bloss, ügrischen Ursprungs sollen sein russ. vczu »Wartthurm, Hütte«, asl. kothch «cella« resp. dessen Stammwort kot^ das aus dem Serbischen und Böhmischen angeführt wird, russ.iycö, böhm. sijc »Eule, strix passerina«, russ. mo- roska^ polu. mroszka »rubus chamaemorus«, asl. iva (das russische Wort transkribirt der Verfasser miijivaW) und alles was mit diesen Wörtern in den anderen slavischen Sprachen zusammenhängt. Wie wenig der Verfasser dabei in das feinere Detail eindringt, das bei derartigen Grenz- streitigkeiten doch allein entscheiden kann, möge die Ausführung über die slavischen Namen des Sperlings zeigen: »Slav. *vorbo (uugar. vereh) = Sperling, von dem in den heutigen slavischen Sprachen nur weiter- gebildete Formen (altslov. vrabij\ vrahhch^ neuslov. vrahelj\ mahec^ russ. vorobej\ vorobec u. s. w.) bekannt sind, während das ungar, vereb (Sperling) und finn. varpu die reine Stammform zeigen = wogul. vorep^ vorep (samenbrechender Rabe), mit dem sie^) dieselbe Wurzel haben und somit die Ursprünglichkeit des Wortes bezeugen: ostjak. vors^ syrjen. carts (Habicht), finn. varekse^ mordwin. vcü'si (Krähe) u. s. w.« Bekanntlich weisen die slavischen Sprachen alle Einen Namen für den Sperling auf, der sich auf eine gemeinsame Grundform zurückführen lässt, während wir in den ügrischen Sprachen nur im Finnischen und Ungarischen eine übereinstimmende Benennung für diesen Vogel finden. Dennoch soll nicht das finnische varpu und das ungarische vereb aus dem Slavischen stammen, sondern die Slaven sollen den Namen aus dem

1) Das Wörtchen »sie« fehlt in der Ueberaetzung.

Archiv für slavische Philologie XXII. 31

482 Oskar Asb6th,

Ugrischen bekommen haben, doch nicht etwa weil sich im Finnischen und Ugrischen die Stammform zeigt, während die slavischen Sprachen ohne Unterschied Ableitungen verschiedener Art aufweisen? Das wäre wohl nur dann stichhaltig, wenn wir annehmen wollten, dass die Stamm- form im Slavischen überhaupt nie existirt hätte. Sehen wir einmal, zu was für Konsequenzen eine derartige Annahme führen würde! Die Slaven hören, dass ein ugrisches Volk den Sperling *vorh nennt, und nehmen diesen Namen herüber, jedoch nicht unverändert, sondern mit Hinzufügung einer Bildungssilbe. Das wäre wohl denkbar, aber schwer denkbar ist, dass alle Slaven gleich bei der Uebernahme eine Bildungs- silbe anfügen und doch nicht dieselbe, also scheinbar ohne jeden Grund in dem einen Punkte gemeinschaftlich vorgehen, in dem anderen, der Art der Fortbildung aber auseinandergehen. Ich glaube mit der An- nahme, dass die slavischen Wörter ugrischen Ursprungs seien, kommen wir durchaus nicht um die Nothweudigkeit herum anzunehmen, dass die Stammform auch im Slavischen einmal habe existiren müssen. Der Wechsel des Vokals, der sich im ung. vereh dem finn. varpu gegenüber zeigt, lässt sich bekanntlich im Slavischen leicht erklären, wir hätten es mit einem Falle wie s. orah^ r. orech^ zu thun, und der Verfasser selbst führt dies auch nicht als Schwierigkeit an. Ich habe früher angenom- men, dass im ungar. ferei die Stammform mit e ^trehh vgl. ^x.verebej) erhalten sein könne s. Nyelvtudomänyi Közlemenyek XXVI, S. 330 334, ähnlich wie Mikkola ursprünglich für finnisch varpu ein russ. *vo7'b^ annimmt. Es will mir nicht recht einleuchten, wie Mikkola jetzt das schliessende -u im Finnischen aus »volksetymologischer an- lehnung an varpu ""blätterloser baumzweig'« erklären kann (Be- rührungen zw. d. westfinn. u. slav. Sprachen 1894, S. 104), Thatsache ist aber, dass er seine frühere Annahme fallen gelassen: »wegen des auslautenden u in varpu ist kaum eine urruss. form *vorb^ anzunehmen«. Was das uw^.vereh anbelangt, so halte ich es jetzt eben- falls nicht für unmöglich, dasselbe auch ohne Annahme einer noch im Slavischen vorhandenen Stammform aus einer Nebenform zu vrabhj, vrabij\ nämlich aus *vrehhj\ vrebij zu erklären. Da kein ähnliches Wort in das Ungarische Aufnahme gefunden hat und wir auch nicht mit apodiktischer Gewissheit sagen können, wie der Auslaut -bh, -mi, den wir mit fc;', ij zu transkribiren pflegen, im Bulgarischen gelautet hat, so lässt sich darüber natürlich nur eine Vermuthung aussprechen, was einem *vrehij\ *vrebij im Ungarischen hätte entsprechen können, doch

Die Anfänge der ungarisch-slavischea ethnischen Berührung. 483

scheint es mir nicht unmöglich anzunehmen, dass daraus im Ungarischen zunächst *vrehi hätte werden können, aus dem sich dann später *oerehi nach dem oben öfter berührten Grunde entwickelt hätte. Da aber schliessendes -i im Ungarischen im Laufe der Zeit vielfach abfällt [olasz Italiener ist aus der Pluralform des gleichbedeutenden kroat. Vlah, also Vlasi, entstanden und die ältere Form olaszi ist noch nachweisbar), so kann vereb sehr woM auf einem älteren *verebi beruhen. Sollte Jemand auch die Annahme einer Nebenform '*vrehij zu asl. *crahij zu kühn finden, so bleibt immer noch die Möglichkeit, ungarisch vereh direkt aus vrahij zu erklären durch einen Wechsel von *varähi zu *verehi^ der sich durch die nicht wegzuleugnende Thatsache stützen lässt, dass im Ungarischen tieflautende Wörter zuweilen in die hochlautende lleihe umschlagen, vgl. slav. casa ^ ung. csesze Schale zum Trinken [sz ist durch Dissimilation entstanden eine Form *csese^ wie sie in Miklo- sich's Werken zu lesen ist, gibt es nicht !). Man sieht, wie wenig sicher die Basis ist, auf welcher der Verfasser das ungarische vereb dazu be- nutzt, um im Verein mit finn. varpu die Namen des Sperlings in sämmt- lichen slavischen Sprachen für ugrisch zu stempeln i). Schliesslich will ich nocli bemerken, dass die um sich greifenden Weiterbildungen in den slavischen Sprachen, die das Stammwort ganz in Vergessenheit haben gerathen lassen, seinen Grund in dem intimen Verkehr des Menschen mit diesem kecken, munteren Vogel hat; ähnlich finden wir ja auch im Deutschen statt des ahd. sparo^ mhd. spar heute das diminutive Sper- ling^ im Fränkischen sperk^ im Schwäbisch-baierischen spatz^ was nach Kluge vielleicht eine Koseform ist.

»Im Anschlüsse an die Beweisführung für die alte Zeitperiode der slavisch-ungarischen ethnischen Berührung« weist der Verfasser darauf hin, dasä die Slaven einige Wörter gerade jenem türkischen Volke ent- lehnt hätten, mit dem die Ungarn auf das innigste verbunden waren, als sie aus ihrer Urheimath nach Westen zogen. Ein charakteristischer Zug in der Sprache dieses tschuwaschisch-türkischen Stammes ist der Wandel des gemeintürkischen z zu r. So soll dem asl. svraka und den Reflexen

1) Uebrigens ist es für unseren Verfasser charakteristisch, dass ihm mehr als 2 Jahre nicht genug waren, den Widerspruch zu bemerken, der darin steckt, wenn er hier das slavische Wort für ugrisch erklärt, oben dagegen auf S. 253 vereb entschieden für ein slavisches Wort erklärt: n3fedve, vereb, 7-ecze, galamb, csuka, bolha, zab aber sind slavische Wörter, deren ursprüng- lichen Ausdruck wir in allen ungarischen Sprachquellen vergeblich suchen«!!

31*

484 Oskar Asböth,

desselben in den übrigen slavischen Sprachen sammt dem aus dem Sla- vischen stammenden ung. szarka in letzter Linie eine tschnwascbische Umprägung eines türk. Wortes zu Grunde liegen, das burjetisch-mongol. säzaffai, sädzzga, khalka-mongol. siyazayai^ tungulisch sädziga^ kojbal- tatar. säshcm.^ säsJcen lautet und ebenfalls »Elster« bedeutet (S, 419). Etwas auffallend ist hierbei, dass die Ungarn, wenn sie das Wort szarka schon in ihrer alten Heimath bekommen haben, es auf einem so grossen Umwege erhalten haben und nicht direkt von den Tschuwaschen, mit denen sie doch auch sprachlich so innige Beziehungen hatten. Auf dem- selben Einfluss soll auch der erste Theil von r. gornostaj\ p. gronostajy böhm.-slovak.i) /^ra^^067a/' »Hermelin« beruhen. Bulg. granica gl•^nica und serb. granica »Art Eiche« werden auf Grund der von Miklosich vermutheten Grundform *gornica mit »bulg. gorun (Art Buche) «2) ver- glichen und mit dem türkischen Namen der Birke in Zusammenhang ge- bracht. Auch asl. gn7n^ gr%nhch und alles, was in den übrigen slavi- schen Sprachen entspricht, soll auf tschuwaschisch xoran, xuran »Kessel (c zurückgehen.

Auch anderen derartigen türkischen Lauteigenthümlichkeiten spürt der Verfasser in den slavischen Sprachen nach. Ich will nur Ein Bei- spiel dafür anführen, wie ihm das Einfachste nie einfach genug ist, wo er ein Wort auf eine recht komplizirte Art erklären kann. Die »Molken«, auch »Käsewasser« genannt, werden als Nebenprodukt bei der Käse- bereitung gewonnen. Kein Mensch wird sich demnach wundern, wenn der slavische Name der Molken auf dem gemeinschaftlichen Namen des Käses syi^ beruht, und man kann wohl Miklosich beistimmen, dass »diesen theilweise arg verunstalteten Wörtern ^'syrovath käsig zu Grunde liegt« (EW. unter syru 2.). Doch unser Verfasser findet dies gar zu einfach, und weil es im Russischen, auch da nur im Grossrussischen, denn im Klruss. heisst es ja noch syrovatka^ im Wruss. mit volks- etymologischer Anlehnung an voda Wasser syrovodka (vgl. deutsch »Käsewasser«!), ich sage weil im Russischen die Molken mit Lautum- stellung syvorotka ^) heissen, scheint das Wort dem Verfasser türkisch zu sein: jakut. suorat saure Milch, tschagat. dzugrat^ osman. azerbajd.

1) »Sloven.« für slovak. ist ein Druckfehler.

2) Ich kenne bloss serb. gorun, das ebenso wie das rumän. (joru7i eine Eichenart bezeichnet.

3) Syvo7-ot];a ist, nach dem wr. syrovodka (spr. syrovotkal) zu urtheilen, zunächst aus einem syrovotka, d. i. syrovodka entstanden.

Die Anfänge der ungarisch-slavischcn ethnischen Berührung. 485

jogurt^ joyurt\ (S. 420). Mau sieht wieder, mit welcher Vorsicht man des Verfassers Behauptungen auch auf diesem Gebiete entgegennehmen muss.

Wir sind am Schlüsse angelangt. Der Verfasser stellt noch einmal die Hauptresultate seiner Untersuchungen zusammen, erwähnt noch einmal »die slavischen Lehnwörter mit altslovenischer, walachisch- slavisclier Lautbildung« (S, 421, P. 2) und sonst dergleichen, was uns

' schon bekannt ist, aber bevor er die Feder niederlegt, wirft er uocli eine Leuchtkugel über das Dunkel der verschwundenen Jahrhunderte. Er gibt nämlich S. 422, P. 5 zu, dass es neben der älteren Schicht des sla- vischen Einflusses auch eine aus einer jüngeren Zeit gibt, »die haupt- sächlich Südslavischen Charakter aufweist«, und setzt dann also fort : »Ein solches sehr wichtiges Wort der ältesten staatlichen Institutionen ist megxje^ in alter ungarischer Form auch megija {=:kroat., serb. medja] ,Comitat', welches hätte die Hauptmasse der slavischen Bewohner- schaft Ungarns einer Sprache altslovenischer Art sich bedient jeden- falls mesgye (altsloven. mczda) lauten würde, welches Wort der älteren slavischen Schichte in der Bedeutung , Grenzfurche' gebraucht wird.« Man höre nur: »hätte die Hauptmasse der slavischen Bewohnerschaft Ungarns einer Sprache altslovenischer Art sich bedient«, so würde der ungarische Name für das Komitat nicht megye, sondern »jedenfalls mesgye lauten«! Jedenfalls? Etwa auch dann, wenn diese, staatlich vielleicht lose organisirten, Slaven die Komitatseintheilung überhaupt nicht gekannt haben ? Auch wenn mezda bei ihnen nie etwas anderes als »Grenzfurche« bezeichnet hat? Es ist dies wieder eine Logik, deren Gesetze mir vollkommen fremd sind.

Wenn ich angesichts alles dessen dabei verharre, anzunehmen, dass die Mehrzahl der slavischen Elemente in das Ungarische jedenfalls erst in ihrer jetzigen Heimath gelangt ist, so lege ich darauf wahrlich kein grosses Gewicht, dass es ein Leichtes war, Munkäcsi's Argumente zu widerlegen. Er hat sich an die Lösung des schwierigen Problems ohne jeden wissenschaftlichen Ernst gemacht, so dass es ihm nicht ein- mal gelungen ist, wenn auch gegen seinen Willen, zu beweisen, dass aus dem Russischen kein Wort in das Ungarische aufgenommen worden ist, dass die Bulgaren nicht schon an der Donaumüudung auf die Sprache der Ungarn eingewirkt haben, denn es Hesse sich ja sehr wohl denken, dass ein Sachverständiger einen derartigen Einfluss weit im Osten mit ganz anderen Gründen zu stützen im Stande wäre. Bis aber

486 Oskar Asböth,

ein derartiger Beweis geführt wird, bin ich genöthigt anzunehmen, dass ein namhafter Einfluss einer slavischen Sprache in der früheren Heimath nicht stattgefunden hat. Ich gehe dabei von der Thatsache aus, dass die slavischen Elemente im Ungarischen nichts speciell Russisches auf- weisen, dass im Gegentheile Wörter wie dräga (= draga-drago), kaläsz (= klas^), c&erep (= crejn) zsilip^ alt zselyeh (= zleh^] u. s. w. ent- schieden gegen einen derartigen Einfluss Zeugniss ablegen. Alle laut- lichen Momente sprechen für die Annahme dessen, dass die Mehrzahl der Wörter aus einem Dialekte stammen, den wir heute bulgarisch nennen würden.

Ob nun solche bulgarische Slaven auf die Sprache der nördlich von der Donaumündung vermuthlich nur ganz kurze Zeit, vielleicht nur einige Jahre, hausenden Ungarn eher einen Einfluss hätten ausgeübt, als die Russen, ist doch mehr als fraglich. Ueberdies deutet der bulgar. Name der Stadt Pest (spr. Pest!) im Verein mit dem slavischen Theil der christlichen Terminologie der Ungarn, der unmöglich in so früher Zeit in der alten Heimath aufgenommen werden konnte, mit grosser Be- stimmtheit auf Ungarn als den Schauplatz hin, wo diese gewaltige sprachliche Beeinflussung der ungarischen Sprache von Seiten der Slaven stattgefunden hat. Etwas speciell »Orientalisches« ist dieser slavischen Sprache nicht anzumerken : es ist ein Dialekt, der dem Altslovenischen der ältesten Quellen äusserst nahe gestanden haben muss, nur darin sich scharf von ihm abhebt und mehr auf die westbulgarischen Dialekte hinweist, dass e nie m\i Ja zusammenfällt, sondern ursprünglich ein deutliches , wenn auch ofi"enes langes e ist i) [ded^ nema^ lej), repa^ szomszed u. s. w. u. s. w., ahev j'äszol =jasli, csaläd-=^ celj'adh). Der bulgarische Charakter wird übrigens durchaus nicht bloss durch die allerdings nicht sehr zahlreichen Fälle, wo das charakteristisch bulgar. st-zd reflektirt wird, gesichert, sondern tritt auch in überraschender Weise in den vielen Wörtern zu Tage, welche asl. ■r%-rh und h-h spie- geln, wie ich gelegentlich nachweisen will.

Dass aber die Untersuchung über die auch für die Slavisten im höchsten Grade interessanten slavischen Elemente im Ungarischen irgendwie zu einem Abschlüsse gekommen sei, glaube ich weniger als irgend Jemand, und Niemand würde eine wirklich ernste, wissenschaft-

') Die heutige geschlossene Aussprache ist erst später eingetreten, wie dies die ungarischen Sprachforscher öfter nachgewiesen haben.

Die Anfänge der ungarisch-slavischen ethnischen Berührung. 487

liehe Arbeit auf diesem Gebiete freudiger begrüssen, als ich, selbst wenn ich dadurch genöthigt wäre, meine Ansicht über Ort, Zeit und Art dieses Einflusses wesentlich zu ändern.

Budapest, den 6. März 1900. Oskar Ashöth.

Slovenica.*)

Y. Etymologisches ii = u.

Der ganze Ostrand des slovenischen Sprachgebietes, von Radkers- burg in Steiermark über Rann nach Unter- und Innerkrain bis gegen Görz hin, und weiter der äusserste slovenische Westen in Italien ist durch den Wandel des etymologischen u in ü gekennzeichnet. Die Er- scheinung wird zwar oft erwähnt, ist aber bisher nicht einmal nach ihrem territorialen Umfange, geschweige denn nach ihrer Ausbreitung in einzelnen Dialecten genau bestimmt. Aus Steiermark und dem be- nachbarten Ungarn hat Zolgar im Programm des Krainburger Gymna- siums 1872 Einzelnes vorgebracht und die unglaubwürdige Regel auf- gestellt, es bleibe das u ungetrübt, wenn es »kräftig« ausgesprochen werde, z. B. hud, oguliti^ Jcuzla. Entsprechender, freilich sehr allge- mein hat Miklosic, Gr. I^. 327 die Sache dargestellt und auf Grund der Forschungen Baudouin de Courtenay's (Opyt etc.) auch das Resianische herangezogen, wo sich das ü nur aus langem u entwickelt. Endlich hat P. Skrabec, CvetjeXII. 10 vorzugsweise über das wUnterkrains (Reifniz) gehandelt; das ü ist hier ebenfalls an die Länge der Silbe geknüpft; so steht es wohl auch in Krupa bei Semic in Unterkrain, insoweit ich dies selbst beobachten konnte.

In St. Georgen a/d. Stainz (östl. Steiermark) geht nun jedes etymo- ogische u in ü über, das in unbetonten Silben zum unbestimmten, einem e nahestehenden Vocal wird; der Ausdruck Miklosic's : »in unbetonten Silben tritt i für ü ein« ist nicht passend, da er die Schrift, nicht die

*) Vergl. Archiv XXI, S. 199—212.

488 Franz Ilesic,

Aussprache triflft ; diese letztere wird nicht durch die Schreibung zlidmi^ ^'ow?*, /emz Aviedergegeben , sondern genauer durch z ledmi^ Jiome, Jeme.

Von dieser Hauptregel ist nun ausgenommen :

li das Präfix w, das sich a) entweder in den Consonanten v ver- dichtet {viomiti, ftrgatiy Vrban, vzarifi etc.) und dann oft abfällt [mreti perfectiv, bozen, ze) oder b) als iij erscheint [vtijpati^ vüjgnoti, vujvreti etc.) ^) ;

11) das durch Epenthese dieses Präfixes entstandene stammhafte u: mujti^ hujti, mvjrati^ r>ujati etc., vergl. Arch. XXI, 201 202;

III; die Präposition vu in mijtro^ vujpti, sonst erscheint sie als t?, vergl. Archiv XXI, 203;

IV) u in einzelnen Wörtern : htjd [hüjdü\ mujmo\ hier zähle ich auch eine Reihe von Wörtern auf, bei denen man grösstentheils von Onomatopoesie reden kann: cuk^ suma (aber pomm neben somotati aus sumofati), sukati (flott gehen\ pura^ puran^ ptiJceJc oder puhec (ein junges Schwein), mujcika (die Katze), hvkati (auf etwas hinblasen), huUti und hufkati (anstossen), bahura, uskati [us sagen), rabuka, ru- ziti, podurniti; ci/piti, Orsa = Ursa\

V) in vielen Lehn- und Fremdwörtern: hujskati^ viijksati, Judati (quälen in geistiger Hinsicht; ^tym."^)^ Judlek (Narr), cuker, koruza, murka^ kamura, tucet (== Dutzend), rubiti^ rumpa, puncuh, mustaci, mutasti, kukovica, budalo, bufasti, Juli, Juni, avgust, baruse, cuba, kdljun, cunta, gumbamca, kukati, kruc, kuta, bundus (ein Mantel), fundus . . . Daneben gibt es eine grosse Zahl von Fremdwörtern mit ü : Türk, pühel, pük^a, püngrad [Baumgaiievt), nüna, lükati, lüknja, lük, lustek, Juri, fünt, günja, kapün, krbüla, küfer, />ws/?ff^y' (Buxbaum), püta^ pütra^ stüca, stüpa, tünja, vüra, lünek, cüg = uprega (jung entlehnt ist cug = Eisenbahnzug).

Punkt IV. und V. sind als Ausnahmen von der Hauptregel zur Genüge erklärlich.

Punkt I. bis HI. können wir unter dem Schlagwort »präfixaler An- laut« zusammenfassen und sagen: u als präfixaler Anlaut geht nicht in ü über.

Anders steht es mit dem stammhaften w als Anlaut: vük [uk),

1) Ausnahmen : vüvorek = ugorek, vürciti = urociti. Ueber diese zwei Fülle siehe Arch. XXI, S. 203—204.

Slovenica. 4g9

razemen (= razumen]^ vucem, vilha^ vzcsta, auch vüra, zeigen, dass dieses u die Veränderung erleidet; merkwürdig ist nur das Verbum vecüi (= vücüi), das auch die Nebenform fcifi (= uciti) hat. Auch das aus vz- entstandene stamm hafte tc geht in ü über: t"ei'6', zjm- zem, vüne.

Warum bloss das präfixale anlautende u erhalten blieb, das stammhafte aber in ü überging, das wage ich nicht zu entscheiden.

Umgekehrt wollen wir jetzt zur Beleuchtung der Hauptregel schreiten. Da lässt sich ein terminus, ante quem die Bewegung von u zu ü ihren Anfang genommen, und ein terminus, post quem angeben ; in ersterer Beziehung muss man sagen, dass dies früher geschah, als in den oststeirischen Dialecten das sonantische / in ti überging; nun kann man diesen Zeitpunkt aus Mangel an historischen Sprachdenkmälern nicht bestimmen, wohl aber von den westlichen Dialecten behaupten, dass sie das sonantische l um 1550 im Allgemeinen aufgegeben haben; zur Festsetzung des terminus post quem dienen mir die Wörter tm, vüzem^ vün : da dieses aus v^- hervorgegangene u in die Bewegung mit hineingerissen wurde, so musste diese später beginnen, als v^- zu u wurde ; leider lässt sich aber die Zeit des Ueberganges des v^- zu u nicht fixiren.

1500 ergibt sich auch vom Standpunkte Unterkrains als der termi- nus ante quem, da das um die Zeit bereits vorhandene ti aus langem o die Bewegung nicht mehr mitmachte.

Eine Erklärung des oststeirischen ü wollte wohl Miklosic mit den Worten gegeben haben : »In diesem teile des Sprachgebietes ist das u der Reflex des silbenbildenden If. P. Skrabec spricht den verborgenen Gedanken Miklosic s aus, wenn er es wahrscheinlich findet, man spreche in verschiedenen slov. Gegenden ü zum Unterschiede von secundärem u der betreffenden Dialecte. Nun lässt sich dieThatsache nicht leugnen, dass in Oststeiermark, wo jedes sonantische l zu u wurde, jedes etymo- logische (stammhafte) u in ü überging, in Unterkrain, wo bloss das lange 0 ein u ergab, auch nur das lange etymol. u sich in ü verwandelte, dass im Resianischen neben dem u aus betontem son. /, neben dem u aus langem o das ü langer Silben einhergeht.

Dieser Parallelismus besteht zweifellos; nur halte ich die Wendung Skrabec's nradi razlocevanjai. für verfehlt, da ich an eine beabsich- tigte Unterscheidung nicht glauben kann; ich nenne es eine Lautver- schiebung.

490 Franz Uesic,

Den Wandel des u zu ü findet man weit verbreitet auf romanischem Sprachgebiete, im Französischen, Lombardischen und im Engadiner- dialect. Wenn im Französischen ü vorzugsweise aus lateinischem langen u entsteht (nebstdem aus ursprünglichem «w, ew, a/, ui\ so stimmt dies mit der Ausbreitung dieses Lautwandels im Resianischen und im Reif- nizer Dialect trefflich überein. Das romanische ü hat man auf keltische Einflüsse zurückgeführt.

Auf germanischem Sprachgebiete ist das neuhochdeutsche ü vom Vergleiche hier auszuschliessen, weil dieses auf combinatorischem Laut- wandel beruht, eine Umlautserscheinung ist, das romanisch-slovenische ü aber mit dem Ablaut verglichen werden kann. Wohl aber ist das ü des Gottscheerdialectes nicht zu übersehen, das sich da aus kurzem und langem u entwickelt hat (Hauffen, Die deutsche Sprachinsel Gottschee, bezeichnet es mit m, weil es zwischen u und ü liegt) : hiint^ ünt^ wutikd (= Funke), shümr (= Sommer) hüat^ güdt etc. Im Blei- weis'schen Koledarcek 1855 56 liest man, dass auch das inzwischen ausgestorbene Deutsch der Freisinger Ansiedler an der Sora in Ober- krain ein Unser gehabt habe. Da das Deutsche sonst diese Lautver- schiebung nicht kennt, so dürften sie die Krainer Deutschen unter slo- venischem Einflüsse hervorgebracht haben, die Nachbarschaft von Reifniz und Gottschee macht es mehr als wahrscheinlich, die Sora- Deutschen hatten freilich keine w-kavci zu Nachbarn.

Der slovenischen Dialectologie bleibt jetzt eine doppelte Aufgabe : 1) die genaue Darötellnng des ü in einzelnen Dialecten, 2) die genaue Absteckung jenes slovenischen Ost-Süd- Westrandes , auf dem ü ge- sprochen wird.

VI. Epenthese des J.

a) nach Vocalen.

Im Dialect von Brezje bei St. Georgen a/d. Stainz tritt ein / nur hinter dumpfe Vocale und zwar regelrecht nur hinter u^ sporadisch hinter a und o.

j erscheint hinter dem etymologischen u^ wo es nicht in ü tiberge- gangen ist, hinter dem präfixalen ?/, Punkt I., IL, III. des vorigen Capitels; Punkt IV: Imjd., mujmo^ puj'cek^ mujcika\ Punkt V: huj- skati, vuj'ksati. Das ti = l bekommt ein / nur in skujza = solza, auch in plujsko benachbarter Dialecte.

Slovenica. 491

Bei a finde ich es nur in : hajsti^flajster^'plaß^ vraj'zji; bei einigen Adverbien : zdaj\ kockaj (= kolickaj] accentlos sinkt da das -aj zu einem offenen e herab : gore^ nehe^ se (= saj), kome, zähe ; daneben die Adverbia: 'poÜc (geschlossenes e), od znotra^ odzvüna, kda^ vcera.

Hinter o finde ich ein/ nur in den Wörtern: hojse [=ho1j"se), doj (= dol]^ skojnik (= skolnik)^). Bei hojse erinnert man sich sofort an Aehnliches aus dem äussersten slovenischen Westen, der huJHj kjuca- nico^ kraj ^ kralj bietet (res.), med judmi^ V<^jh kvaj'en = hvalj'en (venet.); die Vorstufe zu diesem/ bildet das sehr weiche / benachbarter Görzerdialecte, das die Italiener wie li nachsprechen, z. B. der Eigen- name Kralj = Krali, doch gibt es in Kanal bei Görz schon ein hojki.

Diese Neigung zu weichem / theilt der slovenische Westen mit romanischen Dialecten, wo sich hinter l und ?^ sogar etymologisch nicht begründete/ einschleichen wie im Spanischen, estrella^ Sevilla. Das / geht dann häufig selbst verloren und es bleibt bloss dessen palatale Afficirung als selbständiges/, daher spanisch/?/b [=ßho)^ französisch hataiUej co7iscil^ famille^ ßlle., endlich wird im Italienischen lateinisch clm'us^ ßamma^ ßumen zn chiaro^ßa7nma^ßume über clj'aro^ßjam- ma^ißjume.

Wenn nun auch gerade der Friauler, der Nachbar des Görzer Slo- venen, ßtime spricht, so hat er andererseits seinen ßj und seine ßj'a und dies erklärt zur Genüge die Erscheinung im Resianischen und Venetianisch-slovenischen ; um so befremdlicher ist sie aber im steiri- schen Osten, wo es überhaupt kein weiches l mehr gibt, zumal iu den Fällen doj\ skojnik^ wo es niemals ein weiches l gab.

Ich glaube, man wird hier von der Gleichheit des Resultates im Westen und im Osten nicht auf eine gleiche Entwickelung schliessen dürfen, sondern wird für den Osten annehmen: das harte / in hoUe. dol^ skolnik wurde vom o assimilirt wie in po =pol^ kockaj = kolckaj \ hierauf trat zu o das/ wie sonstwo, bei ostei^ etc.

b) Zum Consonanten n (»unhistorische Erweichung«?).

Während der Dialect ein /• oder auch nur ein rj gar nicht kennt und sich hierin dem Serbokroatischen nähert, weiters sein / in jjolovica und bolje gleich klingt, erscheint ein erweichtes n [n) ungemein häufig

1) In benachbarten Dialecten gibt es ein ojster, in Brezje noch oster; auch der Instrumental weiblicher a-Stämme lautet meist noch z vodö ohne 7.

492 Franz Ilesic,

und zwar nicht bloss dort, wo es etymologisch gerechtfertigt ist, wie iu honj^=^kon^ konjski^ hranjski^ intervocalisch in hla?7ja = blana. mnjak^ menje^ sondern auch sonst oft vor jetzt consonantisch anlauten- den Suffixen silbenschliessend :

I) Vor dem Suffix ski\ krsanj'ski, stramnjski^ siranjski, vranjski (von vran für vrag^ ein Fluchwort), grohjanjski^ masanjski (Meissener- Ae^ieX], ßrmanjski^ lanjski, safrmjonjski^ taljanjski\ Miklosic, Gr. 11. 278 erwähnt noch: danjski^ bei Dajnko, Gr. 131 finde ich druzbatij'ski: xon Ortsnamen abgeleitete : ivanjski^ wa7iJsovski^ petanjski, radgonj- ski, trbegonj'ski, kütonjski von Ivanjci, Hadgona^ Trbegonjci . . . ; daneben sakrmenski, slovenski^laiinski^ ze7rski^ tatinski^ hajdinski. svmski, preklen&ki^ frdamenski (= verdammt) und von Ortschafts- uamen abgeleitete: slabtinski^ radinski^ dragotinski^ küpetinski^ sta- netinski, stavesitiski.

Mau sieht: ein weiches n ist nur hinter einem a und o hörbar, nach einem e oder i ist es hart; für u finde ich kein Beispiel.

II) Bei von Adjectiven auf -ski mit dem Suffix -jak abgeleiteten Substantiven: gostovanj'sak, ICokolanjsak (Ortsname); Miklosic, Gr. II. 278 führt noch danficak an uud schreibt pag. 244 zenjscak^ was bei uns zemcak lautete.

III) Vor -cf, der consonantisch anlautenden Pluralform des Suffixes -ec, vor -ca., der übrigens seltenen kurzen Form des Suffixes -ica\ po- lanjci, Ivcüijci., Petanjci., Moiikanjci, Kütotij'ci^ Trhegonjci\ diese Wörter sind als Eigennamen zunächst nur im Plural gebräuchlich (auch polanjci ist schon ein halber Eigenname); wenn dann der einzelne Be- wohner polanjeci Ivanjec etc. heisst, so ist dies eine nach dem Plural gebildete secundäre Form und hat deshalb die Erweichung desselben ; wo dagegen der nom. sing, als die Grundform gefühlt wird, da tritt auch vor der consonantisch anlautenden Form des Suffixes kein/ auf: konec- konca-konci (ein Eigenname lautet regelrecht Konj'c, weil der Halb- vocal des Suffixes verloren gegangen); läkonjca aus lakom[ii)ica., gihänjce aus gibä)iice^ predganjca slus predgatiica] dieses letzte Wort lautet häufig schon pt'edgenca, wie rezenci aus rezanjci (Nudel), indem das a unter dem Einflüsse des/ in offenes e umlautet, hinter dem e abery nicht mehr hörbar ist, wie in den gleich folgenden Beispielen, nicht erweicht ist n in gösenca., lücetica^ Slabtinci, Radinci, Drago- ti/icij Küpetinci, Stanetinciy Stavesinci.

Slovenica. 493

Die Erweichung findet also auch hier nach den dumpfen Vocalen a und 0 statt, nicht nach den hellen c und i.

Merkwürdigerweise lauten jedoch bei den e-^-Beispielen die gen. plur.: Slabfinjec, Hadinjec, Dragotinjec etc., altslov. Genitive oline die Endung -ov (-eü), aber mit weichem w; dies führt mich auf die Vermuthung, dass es in einer früheren Periode auch Slabtinjci hiess, gen. Slabti?u'ec, Slahtinjcem etc., dass sich aber das/ nur intervoca- iisch im gen. erhielt; darin bestärkt mich svinsJci neben svinja aus svinj'ski^ wo sicherlich das^ geschwunden ist^).

IV) Vor Suffixen -ek (-^, -ki\ -ka, -ko: zganjki^ auch im Sing. zganjk^ ostanjki (nur im Plural gebräuchlich), vmijk = ovinek; zanj'ka, zlafovrmijka, bei Vraz: y>A te crne vranjke ^do mi pokopanjke((\ Danjko, Domanjko^ Stanjko^ Canjko [Canjkar] als Eigennamen. Bei Miklosie, Gr. IL 257 liest man: viranjek^ holanjek^ hrezavjek^ grca- njek^ listanjek^ 258: gre?ijak = grenek\ keines dieser Wörter ist in St. Georgen gebräuchlich, sie würden jedoch gewiss viranjk etc. lauten; die Schreibung Miklosic's mit dem suffixalen e dürfte ebenso etymolo- gisch sein, wie sie es bei zganek für zganjk gewiss ist 2).

V) Im Stamm einzelner Wörter: Anjcika^ anjgel^ Hanjz^ Jianj- zovec, vanj'kiö; manj'gati, stanj'ga, ganj'g, planj'ka, satfj'tati, Ia?/jgati, sranjg^ janjka, puspanj^ vanjcar ; spanjckati und anjckati führt Mi- klosie IL 471 aus der Kindersprache an. Senje ist senjem^ gen. senj- wä, sejem der westlichen Dialecte; nanjc = namenjic.

Auch in diesen Wörtern steht das weiche n hinter a\ vgl. damit sent^ ozenk^ doch auch lanc^ plantavi, Ä-aw^o/e (Schubkarren), gva7it'^).

Woher die Neigung zu diesem silbenschliessenden weichen w?

Miklosie, Gr.I. 338 nennt es eine »unhistorische Erweichung«. Man kann aber bemerken, dass das/ an der Stelle des ausgefallenen weichen Halbvocals h erscheint in Punkt L, IL, IIL, auch in IV., da die Schei-

1) mhn'bsi klingt wie mesi für manjsi des Westens, indem dasy uahörbar wurde, das n aber nur in einer leisen Nasalirung des e eine Spur hinterliess.

-) Obwohl sich sonst das suffixale e in -ec, -ek durchaus erhält, über- haupt alleVocale im Osten eine grosse Stabilität zeigen, so können wir hinter «, r, l doch ihren Ausfall in einigen Wörtern constatiren : lanc, zgavj'k, vanj'k, Konjc, gibanjca, lücenca, gosenca; korc, norc, skvorc, [sterc ist deutsch Sterz) neben zdgorec, zorec ; palca.

3] funjmester für farmester (Pfarrer) des Westens ist *fanmester; n dis- similirt für r wie mantra aus martra etc.

494 Franz Ilecic,

düng von -'bk^ und -^Jch nicht immer sicher ist. Punkt V. betriflft gröss- tentheils Fremdwörter.

Der Ausfall des Halbvocals h bewirkt die Erweichung des voran- gehenden Consonanten in allen nordslav. Sprachen und im Kleinrussi- schen. Am weitesten hat die Erscheinung im Polnischen um sich ge- griffen : panski^ Poznansk, Krasinski^ Kosinski, kose, dzien, piec etc. Kleinrussisch: panstoo, pijanstvo, pohanskyj, hanha, hosfba etc. Im Cechischen ist die Erweichung eingeschränkt und findet sich öfters in den Dialecten Mährens und der Slovakei, wo man kore/i, kamen, pan- sky, hahha, honha hört ; gewöhnlich ist sie in Fremdwörtern in Ver- bindungen nk, ng, nch: dank, ryiik, Duryiik, silink, Melatichton, diftong etc. {Gebauer, Historickä mluvnice, I. § 294). Im Sorbischen erweicht der Abfall des h am Ende von Wörtern den vorhergehenden Consonanten, im Inlaut aber geschieht dies nur im Niedersorbischen vor bestimmten Suffixen und an bestimmten Consonanten: vor -hba, heb wird t, d zu s, z, n zu ii, w zu w erweicht, im letzteren Falle bleibt nach Schwund des w die Erweichung alsj zurück: svuzba, pijatic, kamjenc, mlozcnc, käue (Mucke, Historische und vergl. Laut- und Formenlehre der niedersorbischen Sprache, § 64). Bei den Suffixen -hskyj, -bstvo wird durch das schwindende h nur vorangehendes ?i und w (= / ) erweicht : ze/iski, dahski, loojnski, pijanaLwo, kralejski, hratsojshco etc. 65).

Die Verhältnisse sind im steirischen Osten und in den nordslavi- schen so ähnlich, dass man auch bei diesem slov. Dialecte an eine »historische« Erweichung zu denken sich versucht fühlt. Dann ist eine neue Brücke geschlagen zwischen dem sl avischen Süden und Norden (vgl. Arch. XXI. 212).

Eine weitere Verbindung zwischen nordslavischen Sprachen und dem Slovenischen stellt

YII. das Supinum

dar. Ein Supinum hat von den jetzigen slavischen Sprachen nur das Slo venische und Niedersorbische, in spärlichen üeberresten auch das Böhmische. Zur Betrachtung der besonderen Accent- und Qualitätsver- hältnisse dieser Form eignet sich jedoch nur das Slovenische, da das Niedersorbische den freien Accent und die alten Quautitätsunterschiede, das Böhmische den freien Accent verloren hat; dem Slovenischen ist daher in diesem Punkte jener Werth zuzuschreiben, der sonst in solchen Fragen dem Serbokroatischen zukommt.

Slovenica. 495

Doch ist über das slovenische Supinum in der Slavistik bisher nicht mehr bekannt gewesen, als was Miklosic darüber gelehrt hat, Gr. IV •^. 874 875, 1112. 157^ j'i^ 335. Auch Florinskij, Lekcii po slavjanskomu jazykoznaniju, I. 472 geht wesentlich nicht darüber hinaus; nur sind ihm manche Unrichtigkeiten unterlaufen ; so liest man pag. 483 : Infinitiv dati^ Supin dat^ obwohl das Verbum als ein Perfectivum kein Supin hat; vedet ist wohl eine imaginäre Supinform; jesti-jest zeigt den Quanti- tätswechsel nicht an, ebensowenig plesti-plest^ tie6ti-?iest, peti-pet; was soll mreti-mret bedeuten? Verkehrt ist die Aufstellung: grehsti- grebst^ peci-pec^ hräti-hrat (eher brati-hrät)\ das ganze Verbum Sim- plex dignoti ist im Slov. wohl imaginär, ebenso das Supin goret\ htdliti- hvalit ist nicht entsprechend.

Florinskij hat bei der Ausarbeitung dieses Capitels überhaupt ganz die Forschungen übersehen, die der verdienstvolle P. Skrabec über das Supin der westlichen slovenischen Dialecte in seinem Cvetje IV. 8— 10, IX. 12 veröffentlicht hat.

P. Skrabec gelangt an erster Stelle zu folgendem Resultate : das Supin unterscheidet sich durch die Accentqualität vom kürzeren Infinitiv 1) bei den Imperfectiven der ersten Classe, 2) bei den Verben der 4. und 5. Classe, welche im part. praet. auf i vor dieser Endung den langen gestossenen (potisnjeni) Accent haben: koi,ii, ordi sup. kosit^ ordt^ aber inf. kosit oder kösit^ ordt oder örai. Bei allen anderen Verben kann man ein vom kürzeren Infinitiv verschiedenes Supin nicht unter- scheiden, ebensowenig bei jenen Verben der 1., 4. und 5. Classe, wenn sie durch Zusammensetzung mit Präfixen perfectiv wurden. Die Per- fectiva haben somit kein Supin. An der zweiten Stelle fasst Skrabec zunächst die Regel zusammen : Ein vom kürzeren Infinitiv ver- schiedenes Supin haben nur einige Verba, alle sind imperfectiva und nicht zusammengesetzt, in der Zusammensetzung verlieren sie das Supinum. Dann zählt er unter Heranziehung zweisilbiger Verba der dritten Classe die Verba ausdrücklich auf und constatirt: eine eigent- liche Supinform gibt es nie in der zweiten Classe, bei der fünften (ersten Abtheilung) und bei der 6. Classe, bei der 4. Classe nur in bestimmten Gruppen. Ob in diesen Fällen die Supin- oder Infinitivform gebraucht wird, das müsse sich aus jenen Dialecten ersehen lassen, wo der Infinitiv noch sein volles -ti bewahrt hat.

Solche Dialecte sind nun einzig und allein die oststeirischen und benachbarten ungarischen Dialecte; mitten darin ist auch der Dialect

496 Franz Ilesic,

von St. Georgen a/d. Stainz. Es ist dies ein unicum in der Slavenwelt: Infinitiv rein auf-^«, das Supin wird formal und syntak- tisch vom Infinitiv ganz genau unterschieden, nur von Imperfectiven gebildet und mit dem Genitivobject verbunden*).

Im Folgenden will ich die Verschiedenheit des Accentes und der Quantität des Snpins und Infinitivs im Dialect von St. Georgen ins Ein- zelne klarlegen; dabei zeigt sich die Sonderung aller Verba in im In- finitiv zweisilbige und mehrsilbige angemessen.

A. Supina zweisilbiger Infinitive.

Die zweisilbigen Infinitive haben an ihrer Seite Supina, von denen Miklosic sagt, »dass sie die Länge lieben«.

Typ. a. Die Länge des Infinitivs wird im Supin doppelt (es än- dert sich dabei wohl in einer von mir nicht fixirbaven Weise die Qua- lität des Accentes sowie in gläva : glüv) : dreti-dret, kleti-plet^ küci- kuc^ stäti-stät^ streci-strec, treti-tret^ vleci-clec^ zreti-zret.

Typ. b. Die Kürze des Infinitivs wird zur Länge wie in a. : krasti- kräsf, nMti-nest^ pasti-past (pascere), p^ci-pec, pJesti-plest^ prdsti- prest\ im Thema vocalisch auslautende: peti-pet (canere), piti-pit^ vciti-vcltj bräti-bräf, präti-prät, scäti-scät, spati-spät^ zvati-zvät^ zgati-zgät. Diese Regel hat schon Miklosic aufgestellt, I. 335, doch gilt sie nicht für alle Infinitivktirzen, nicht für den

Typ. c, dessen einsilbige Supina kurzen Stammvocal zeigen: mlMi-mlM^ irti-tft (Nebenform zu treti-tret^ in der Bedeutung brechein), zMi-zU^ vrMi-vrM^ Inti-htt^ plati-plat^ klati-klat^ srati-srat^ giiciti- gtiät, phati-phät^ tkati-tkat.

Ob briti^ pläti, statt zum Typ. b. oder c. gehören, kann ich vor- läufig nicht entscheiden.

Woher der Unterschied zwischen brati-brät und gnäti-gtiatt

Die Verba des Typus b. zerfallen in consonantisch auslautende Wurzelverba und in im Infinitivthema vocalisch scbliessende Verba; diese letzteren nun wandeln das part. praet. act. II. so ab: pta sem, plla sem, pilö jih je pet\ plur.: piU[e) smo] so auch: brä, bräla, bralo, brali[e) etc. dieser ganze Typus, zu dem auch das supinlose biti

*) Diese formale, quantitative und syntactische Unterscheidung zwischen dem Supinum und dem Infinitiv trifft auch für den kajkavischen Dialect in vollem Maasse zu.

Slovenica. 497

(esse) : hta^ bilö, dati : da, dalö, djati : dj'a, djalö und das contrahirte sWlü : stä, stalo gehört.

Dagegen finden wir beim Typ. c. : mUa^ mlela, mMo, mMi[e) ; hm, hlla, htio, ^^/^(e) etc., beim Typ. a. : dra, dfla, drlo^ drli ^) ; kl^a, Jclela, kIelo\ küJca, hukla, kuklo\ strcga, stregla, utreglo, ebenso vleci, ZV eil und peti vom Typ. b., freti dagegen nur nach irti (Typ. c).

Die partic. perf. pass. sind lang im Typ. b. : tiahräni, opräni, ozvätii etc., kurz im Typ. c: zemlet, potrt, pozH; öplani, zegnani ele. (mit Zurückziehung des Accentes im comp. !), im Typ. a. lang : odrti, prekleti; skuceni, postrezeni, poclecerii.

Beachte den Gegensatz der Betonung in der Composition: part. praet. act. II.: Typ. b.: näpja, napila, näpilo, näpili[e)\ nabra, na- hrala, nähralo, nabrali[e) etc.; Typ. c: zemlea, zemlela, zemUlo, zemUli[e\ pozja, pozela, pozelo, pozeli{e) etc., nur [o]srati und [ze]- gnati zieht auch im fem. den Accent zurück: osrala, zegnala] Typ. a. : odta, odfla, odflo, prekUa, preklela, preklelo etc. wie in den nicht

componirten^).

*

Leskien hat in seinen »Untersuchungen über Quantität und Be- tonung in den slavischen Sprachen« I. 578 die serbischen zweisilbigen Infinitive mit zweisilbigen Substantiv- und Adjectivformen verglichen und gefunden, dass sie denselben Quantitätsgesetzen unterworfen sind. Hiervon will ich einen Schritt weiter gehen :

Passt küci, vleci, dreti, pleti, treu, zreti zum serb. gen. masc. kljüca, lüga^ trüda, üma Leskien 542, kriza, mira 543, grijeha 544, küta^püta 546, hrästa, kralja 547, grma 548, so möchte ich die Supina des Typ. a. ^«Ic, vlec, dr-ef, klet, tret, zret[€\%.küc oderZ;wc) mit den Nominativen (Accusativen) kljuc, lüg, trüd, um, kriz, mir, grijeli etc. vergleichen.

Den Typ. b. serb. jo/es^e, 7iesti, pästi, peci bringe ich mit den gen. gröma, stogu, bdja,ibrdja, kröj'a, hdra, dvöra Leskien 535 zusammen,

ij lu der Bedeutung: schreien dürfte das part. nach dem Typ. b. zu bil- den sein : 'pet otrok seje driö.

2) Der Vollständigkeit halber sei noch das part. der conson. Wurzeln des Typ. b. dargestellt: krä, kräla, kralo[i] pokra, pokrula, pokrälo[i]; nesa, ni- sla[o,i) pfnesa, prnesla[o,i) ist angesichts des r jung aus prinesa; pttsa, pasla, päslo (t) napäsa etc. ; peka wie nesa ; prea, prela, prelo naprea etc. ; pUa, plela, plelo (dieses Verbum nicht sicher).

Archiv für slavische Philologie XXII. 32

498 Franz Ilesic,

daher die siipina plest^ nest^ päst^ pec (wohl nest) mit den Nominativen grom^ stog, serb. h()j, hroj\ Jcrvj\ rdj\ s^ro/' Leskien 535 (slov. wohl jetzt bdj\ rbj . . .). Die vocalische Gruppe des Typ. b. peti^ piti etc. ist zu vergleichen mit hoga^ mosta, nosa, plota, voza Leskien 526, daher die Supina /><?^, pU etc. mit den Nominativen: hog^ mosf, ?ios, plot, voz etc.

Der Typ. c. mVeti, zeti etc. erinnert an gen. poda^ skofa, soka Leskien 537, cUana, gralia^ mraza^ praga^ zeta^juga^ kruha^ pluga^ djeda^ hrata, raka^ prsta, daher das Supinum mlSt {mret), zet etc. an den kurzen Nominativ (-Accusativ) : pod, skot^ dlä?i, grah etc.

Hiermit stellt sich das Supin auch seinem Accente und seiner Quan- tität nach als eine Accus ativform heraus.

Das Hauptgesetz über den Accentunterschied des Infinitivs und des Supinums gilt im bekannten umgekehrten Sinne für das Böhmische ; nur fliesst dort der Typ. c. mit dem Typ. b. zusammen, wir haben nicht nur mriti-mret^ piti-pitj sondern auch pläti^ kläti-plat^ klat.

Allen mehr als zweisilbigen Infinitiven entsprechen im Böhmischen Supina mit den gleichen Quantitäten. Im slov. Westen zeigt sich auch da noch vielfach ein besonderes Supinum, wie dies Skrabec dargelegt hat (vgl. oben!); im slov. Osten aber beobachtet man zwischen mehr- silbigen Infinitiven und ihren Supinen recht mannigfache accentuelle und quantitative Unterschiede, wie dies aus dem Folgenden hervor- gehen möge.

B. Supina mehrsilbiger Infinitive. Die zweite Classe.

Die Verba der zweiten Classe haben im Allgemeinen keine Supina, weil sie meist perfectiv sind; ich kenne nur das in der speciellen Be- deutung : gierig essen imperfective Verbum süniti im Supinum, das ohne Quantitätsänderung swiit lautet ^).

1) Die Verba der zweiten Classe zerfallen hinsichtlich der Betonung des Präsens und Infinitivs in folgende Gruppen:

Typ. a. : 1. mnhnem, maJmoti, 2. zadrgiiem, zadrgnoU; Typ. b. : ghiem, genoti; Typ. c. : oglümem, oglusnoti; Typ. d. : sünem, süniti.

Die Participienbildung. Part, praet. act. II. Part, praet. pass.

Beim Typ. a. 1.: {za)mähna, zamuhnila{o,i); [ohrnjeni, a, n).

2.: {za]drgna, [za)drgnila,

[zä)dignilo {i) ; zadrgnjcni, n, o.

Slovenica. 499

Die dritte Classe.

Die Verba der dritten Classe haben im Präsens den Ton durchaus auf der Endung, im Infinitiv ist aber entweder der thematische Vocal betont (Typ. a) oder die Wurzel (Typ. b); beim Typ. a zieht das Supin den Accent zurück: sedeti^ drzaii, lezati, {hojäti se) sedet, drzaf, Uzat\ beim Typ. b unterscheidet sich das Supin vom Infinitiv durch .eine andere Accentqualität (Länge wie bei einsilbigen Supinen oben Typ. a und b) ; hezati., dlmti, klecati, gucati^ kricati^ rezati., tUcati, vriscati; vlseti, gfmeii, bezat , dTmt,klecat,pricat,rezat,tiscaij vri'^cat, viset.

Parti cipienbildung.

Partie, praet. act. II. part. praet. pass.

Beim Typ. a. : seda^ sedela^ sedelo{i)

(comp.) ohseda^ obsedela, obsedelo[i)\ ohlezäni\ Beim Typ. b.: {pri]beza, [pri)bezala{o,i)', .

Bei der vierten Classe unterscheide ich fünf Typen : Typ. a. mlätim, mlatiti mlatit ; dabei ist gewiss mlatit länger als mlatiti ;

Typ. b. gräbim, gräbiti gräbit ;

Typ. c. taj'im^ taJUi tajlt\ das eigentlich hierher gehörige vciti (Präs.t5cm ist verkürzt) zeigt uns schon die Verwandtschaft dieses Typus mit dem Typ. b. einsilbiger Supina;

Typ. d. vozim, vozUi vozit;

Typ. e. pünim, ptmiti pimit.

Die Typen c. und d. haben im Infinitiv den thematischen Vocal be- tont und doch rückt bloss Typ. d. den Accent im Supin auf die Wurzel zurück, vgl. Präsens tajhm : vozim. Das Supin dehnt bloss den the-

Beim Typ. b.: gena, ghiola, genolo[i),

icomp.) premekna, 2iremeknola, premeknolo; premeknjeni

Beim Typ. c: ogläsna, oglüsiiola, ogläsuolo;

Beim Typ. d.: {pojsüna, [po)sünila, posünilo[i]: [zrinjeni].

Zum Typ. a. 1, gehören noch: muieiu, obrnem, ogrncm, vtrnem; ki'adnem (Inf. krasti), ostanem (Inf. ostati) ; zu 2. : küsnem, okisnem, stanem, padnem pljunem, zginem, vgasnem^ zdignem. Zum Typ. b. : brsnetn, vteknem, meknem ognem, j)ehncm, poklcknem, sklenem, zbodnem, vselmem, vcesnem.

Zum Typ. c: oslepnem, potihnem; zum Typ. d.: rinem.

Diese zwei letzten Typen sind wenig zahlreich.

32*

500 Franz Ilesic,

matischen Vocal, wenn dieser den Ton trägt, nicht auch die Wurzel, wenn diese betont ist (auch Typ. a. hatte ursprünglich den Ton auf dem thematischen Vocal) .

Participienbildung.

Part, praet. act. II. pari, praet. pass.

Beim Typ. a.: {ze]miäta, {ze)mlätila{o,i); zemlaceni [a, oY)\

Beim Typ. b. :

{na)(/raba, {na)gräbila, [na)grahilo {i)\ nagrählJeni[a,oy^)\

Beim Typ. c. : kosia, koslla [o, i)

(comp.) pokösuj pokosila, pokösilo (^) ; pokoseni (a, o) '^) ;

Beim Typ. d. : t'oza, vozila^ vozUo [i]

(comp.) povoza, povozila, povozUo[i)\ pov6ze7ii\

Beim Typ. e. : {na)pima., {na)pun%la^ [napunilo {%) ; napünjeni.

Zum Typ. a. gehören noch: küpiti^ Ijühitij rohiti., skühiti^ trehiti, trobiti, vabiti, blodiü, hvaliti, küriti^ brüsiti^ soditi, mesiti^ trositi, lüsciti, rasitiy resiti, draziti, slüzifi, toziti, moiiii, muviti, vlaciti^ krciti\

Zum Typ. b.: jezditi, gladiti, vaditi, misliti, siliti, raetmiti, me- riti, pariti, kvasüi, vesiti, strasiti, prasitt, praziti, plüziti, blatiti, pe- catiti, j'j/e5Wit;eV/, sfavifi, spiciti ;

Zum Typ. c: saditi., kositi, loviti, müditi, rediti, hladiti, kaditi, smoditi, dojiti, gnojiti., kaliti, zvoniti, cepiti, gasifi, süsiti, j'eziti, mastiti, castili, smetiti, svetiti (feiern), kriviti, vciti;

Zum Typ. d. : lomiti, drobiti, seliti, soliti, moliti, goniti, zeniti, skropiti^ nosift, prositt, krstüi, tnociti, svedociti, hoditi'.

Zum Typ. e.: raniti, cüditi se, cistiti, sititi.

In der fünften Classe ersten Abtheilung unterscheide ich ebenfalls fünf Typen :

Typ. a. : päram^ pärati pärat\ pärat ist gewiss etwas länger

als parati, cfr. 4 . Classe, Typ. a. ; Typ. b.: cäkam^ cäkati cäkat, cfr. 4. Cl., Typ. b. ; Typ. c. : grabljäm^ grabljuti gräbljat; Typ. d.: peljam^ peljäti peljat^ cfr. 4. Cl., Typ. d.; Typ. e. : delam, delati delat^ cfr. 4. Cl., Typ. e.

1) Reste älterer Betonung : küplßne hlace (Confectionswaare), Ijühljeni clovek, o du mein Lieber !

2) Nur pogläjeni (a, o) und naväjeni.

3) Diese Betonung ist gewiss alt, sonst würde es nicht vüceni (gelehrt) heiasen, sondern etwa *vceni.

Slovenica. 501

Im Typ. b. und e. war der thematische Vocal des Infinitivs sclion ursprünglich nicht betont, betont dagegen ist er im Typ. c. und d., wo bei das Supin den Accent zurückwirft, betont war er ehemals wohl auch im Typ. a. Der thematische Vocal des Supins ist nie betont, der be- tonte Wurzelvocal wird in seiner Quantität nicht verändert (doch Typ.a!).

Participienbildung.

Partie, praet. act. II. part. praet. pass.

Beim Typ. a. : {pre)pära, {pre)pä7'ala{o); prepär'ani [a, o)

Beim Typ. b.: {po)(a/ca, {po)eäkala, [po)cakalo[i)\ [posekatii)\ Beim Typ. c. : gräblja^ grabljäla, grabijälo [i]

(comp.) pograhlja^ n » : pograhljäni (a, o) ;

Beim Typ. d. : pelja^ peljala^ peljälo [i]

(comp.) zdpelja^ » » ; zapeljani (a, o) ;

Beim Typ. e. : [za)dela^ delala (o, i) ; zadelani.

Zum Typ. a. gehören noch : ladati, oponasati^ placati, pomagati. hrcati^ lajuti, bozati, h'izati, davati, pocivati, skrivati^ postiljati. odevati, zevati, prezivati, kihati; posiljati, zbadati, omedlevati, po- nüj'ati^ ponavljati^ zvazati, lamati^ kalati^ poslüsati^ praskati, sküha- vati, zagovarjati, zidati, vagati, vej'ati, vlevafi, mujrati, vohati, sejati, püscati ;

Zum Typ. b.: vracati, pokati, sekati^ trgati, odpirati, razeganjati, zebirati, obetati^ podirati^ zavirati^ pozit'ati, zaklepati, spletati, po- tepati se, zazigati, zmetati\

Zum Typ. c. : igrati^ mrmrati^ ravnati^ brbrati^ kasljati, veslati;

Zum Typ. d.: henjati^ senjati, obecati^ vonJati\

Zum Typ. e.: kimati, rigati^ tirati^ kidati^ kozühati, predgati^ devafi, ogt^ebati, pljüvati, kljüvati.

Die zweite Abtheilung der fünften Ciasse hat 5 Typen :

Typ.a.: plsem^pisati plsat^ cfr. 4.Cl.Typ. a., 5.Ci. l.Abth.Typ. a;

Typ.b. : mäzem,mazati mäzat, cfr. » b., » b;

Typ. c. : orj'em^ oruti orät, cfr. Typ. b. zweilbiger Infinitive, und Typ. c. der 4. Cl. ;

Typ.d.: tesem, tesati—tesat, cfr. 4.C1. Typ. d., 5.C1. l.Abth. Typ.d, vielleicht lässt sich das zweisilbige plati, srati (Typ. c) hier- herziehen ;

Typ. e.: Uem, iskati iskat^ cfr. 4.Cl.Typ.e., 5.C1. l.Abth. Typ. e.

502 Franz Ilesic,

Die Typen c. und d. haben im Infinitiv den thematisclien Vocal be- tont und doch rückt bloss Typ. d. im Supin den Accent auf die Wurzel zurück ; ursprünglich war auch noch im Typ. a. der thematische Vocal betont, cfr. höhmisch psäli. Der betonte thematische Vocal des Supins wird gedehnt, der betonte Wurzelvocal nicht.

Parti cipienbildung.

Partie, praet. act. IL part. praet. pass.

Beim Typ. a. : {na)ptsa, [na)pisala (o, i) ; naptsmii a, o) ; Beim Typ. b. : {na)mdza, namäzala, [na)mäzalo [i) ; namäzani (a, o) ; Beim Typ. c. : ora^ oräla (o, i)

(comp.) zöra, » ; zorätii {a, o) : Beim Typ. d.: tSsa, tesala, tesälo{i);

(comp.) okopa, okopala, okopälo ; otesatii [a, o) ;

Beim Typ. e. : {po)ii>kaj iskala (o, i) ; pdiskani (a, o) .

Zum Typ. a. gehören noch : pihati^ plesati, kazati, lizati, vezati, lefati, skakati, sükati, kopati (baden), plesati, sivati, gibati, süvati, ohüvati ;

Zum Typ. b. : brisati, rezati, sipati, stepati, zdigafi, natakati\

Zum Typ. c. : jemljem, Jemäti Jemät\

Zum Typ. d.: brsati, kresati, cesati, lagati, drgetati, metati, ropotati, zvekati, irepetati, cepetati, kopati (graben), zobati, boboiati, scegetatiy klopotati, rezgetati, klepati\

Zum Typ. e. : .

Viele Verba des Typus a. und b. schwanken zwischen der ersten und zweiten Abtheilung der fünften Classe ; dabei nimmt die erste Ab- theilung überhand.

Die Verba der dritten Abtheilung der fünften Classe haben durch- aus zweisilbigen Infinitiv.

Die Verba der vierten Abtheilung sind grösstentheils in die erste Abtheilung übergegangen: sejam^ slj'am^ vejain\ pljuvam^ kljuvam^ süüam (die letzten drei auch nach der zweiten Abtheilung: pluoljem etc.), im Infinitiv bleibt der Accent. sejati^ sljati etc.; rovam (oder rovljem) hat aber im Infinitiv rotati. Diese Verba sind nach ihren Typen zu behandeln.

Besonders zu erwähnen ist bloss: smejem, smejati smej'ät (doch vielleicht auch smejat) ; koväm^ kovati kovat (eig. die erste

Slovenica. 503

Abtbeilung); vom Supin dieser zwei gilt das oben bei orati., 2. Abth. Typ. c. Gesagte. [Denem), djati bat kein Supin.

Participienbildung dieser drei Verba. Part, praet. act. IL smejV/, smcjäla (o, i) kova^ koväla^ kovälo[i)

(comiß. ) {na)ii?neja, nasmej'äla, 7iasmejalo{i); sköva{'f) » »

dja^ djälüy djalö{i) wie Typ. b. zweisilbiger Infinitive. Passiv: sko väni, djäni.

Sechste Classe. Typ. a. : küpujem, küpeväti kupevat\ Typ. b. : värjem^ värvati värvat. Wenn der Accent des Infinitivs auf dem thematischen Vocale ruht, so fällt er im Supin vom Ende auf die drittletzte Silbe zurück, wo im Infinitiv der Nebenton ruht; hat schon der Infinitiv den Accent auf der Wurzel, so tritt im Supin keine Aenderung ein.

Participienbildung. Partie, praet. act. II.

Beim Typ. a. : küpeva^ kepüvala^ kepevulo{i) ; Beim Typ. b. : varva, vurvala[a, o). Part, praet. pass. : strahoväni, värvani. Zum Typ. a. gehören: küpeväti, mesevati, oznanj'evati, straho vati, zdihovati;

Zum Typ. b. : vervati, hlancovati.

Unthematische Conjugation. Participienbildung. Part, praet. act. 11. : da, dala, dal6{i)',

(comp.) ödda, oddäla, öddalo{i) ; veda, vedla, vedlo [i] ; jem, Jesti, jest Jea, Jela, jelo (^) ;

(comp.) poja, pojhla, pojeloii] ; bm, blla, bilö[i).

* * *

Nur im Typ. c der 4. Classe und im Typ. c der zweiten Abtheilung der fünften Classe (nur orati, jemafi) , in den ursprünglich zur 4. Abth.

504 Franz Ilesic,

der fünften Classe gehörigen Verben smejati und kovati hat das Supin die Endsilbe (den themat. Vocal) betont; dieselbe istjdann allemal lang

Sonst betont das Supin die Wurzelsilbe; ist diese secundär auch schon im Infinitiv betont, so Ist sie im Supin etwas länger (infolge ver- änderter Accentqualitätl) : dritte Classe Typ. b, vierte Classe Typ. a, fünfte Classe I. Typ. a, II. Typ. a ; ist aber die Wurzelbetonung des Infinitivs eine ursprüngliche, dann ist der Wurzelvocal im Inf. un im Supin gleich: 4. Classe Typ. b, e, 5. Cl. I. Typ. b, e, IL Typ. b, 6. Cl. Typ. b ; kurz lässt das Supin den Wurzelvocal auch, wenn bloss der Inf. den themat. Vocal betont: 3. Classe Typ. a, 4. Cl. Typ. d, 5. Cl. I. Typ. c, d, II. Typ. d, 6. Cl. Typ. a.

Wo war das Supin mehrsilbiger Themen ursprünglich betont? Es gab wohl im Slavischen seit jeher keine Einheit in dieser Beziehung.

Zuletzt noch einmal zu Florinskij I Die I. 422 nach Miklosic ge- gebene Darlegung, dass in einsilbigen Wörtern Vocale gedehnt werden, z. B. brät {&u]^.)- bräti, präf-prcifi, spät-apäii, ist ungenau, trifft bloss eine Gruppe einsilbiger Supina, Typ. b (wobei die Dehnung nicht in der Einsilbigkeit begründet ist, cfr. 4. Cl. Typ. c, orafi^jemati]^ nicht alle, so nicht den Typ. c; sie ist aber auch vom Staudpunkte des Sub- stantivs ungenau, denn neben bög^ breg etc. gibt es auch bob etc. (Les- kien'sches Gesetz!).

Umgekehrt zählt Florinskij zu den einsilbigen Wörtern, welche die Kürze lieben, mit Miklosic das part. praet. act. U. : kral-kräla, plU- plela^ kUl-klela. Die Erklärung dieser Kürze wollte Miklosic nicht ge- lingen; er dachte immer an den dehnenden Einfluss tönender Conso- nanten auf vorhergehende Vocale und hätte daher eben ein slov. kiel, kral haben mögen, wie im poln., cech. dal neben femin. dala. Meiner Ansicht nach ist kiel neben klela so entstanden: als bei klelb der Halbvocal abfiel, stellte der lange Vocal e -{-l einen Langdiphthong dar, der ebenso gekürzt wnrde wie einst im Indogermanischen, wie griechisch ßaai?^evg aus ßaoih]-vQ etc. Wenn nicht auch dam zu dän wurde, so braucht das nicht wunderzunehmen, da ati doch lange nicht so diphthongisch ist wie al [= au^ ad).

Vergleiche: küka [thkh]^ strega, vleka, vrga neben: kl8a, s^a, sr^a, napM^ sfä, fra, pozra, mra^ dra, zacM: pea, pm^ sf^a, vcta, taj'ia, bra^ prä, scä, spä, zvli, zga, zea, plä, srä, gnä, p/iä, tkä, orä', charakteristisch ist glea, W. gled, woraus sich auch fem. gleala,

Slovenica. 505

inf. gUati, sup. gUat, praes. glnim, imper. gUaj bildete neben gUda^ gledala.

Bei Florinskij ist die Kürze und die Länge der Participien sehr mangelhaft bezeichnet: hil, bila, hilo ohne jedes Quantitätszeichen, ebenso dal, -a, -o. Jedel [jel) neben pUtel, pel, umrl steht beim Perfectum sem pUl {kern pletel] , pel, umrl. Unter den Anmerkungen heisst es : T und d vor l fallen im Westen aus, im Osten erhalten sie sich: pUl^ hol] das ist gerade verkehrt!

C. Syntaktisches.

Es ist strenge Regel : Nach den Verben der Bewegung steht das Supinum imperfectiver Verba: das Objeet tritt in den Genitiv, der aus- sagt, »dass die Kraft gleichsam nur versucht, angehoben, nicht erschöpft wird « (Imperfectivität ! ; . Soll jedoch » die volle Bewältigung des Gegen- standes« als der Zweck der Bewegung bezeichnet werden, dann passt weder das Imperfectivum noch der Genitiv, folgerichtig steht auch nicht das Supinum, sondern eine andere Wendung, die Janezic-Sket § 343b erwähnt: es wird nämlich das perfective Verbum asynthetisch im Modus des Verbums der Bewegung diesem letzteren bei- geordnet, pojdite povejte mojim hratom {= povedat] Met. pojmo poglejmo, kaj se v staVci godi (N. ps.). idi okno odpri, idi duri zapri^ pojdi kjedi poklici (N. r.) . In gre oceta zatozi (Ravn.) . Auch im Trubar lese ich: pujdi poprej &e spravi s tuj'im hratom. Die Er- scheinung war also ursprünglich allgemein slovenisch, wird aber in der gegenwärtigen Literatursprache nicht mehr berücksichtigt und das Supin von perfectiven Verbeu mit dem Accusativobject ganz allgemein ge- duldet.

Für die oststeirischen Dialecte ist noch ein Doppeltes erwähnens- werth : I. Steht das Verbum der Bewegung iti in einer zusammenge- setzten Zeit oder Aussageweise [i>el hom., sei sem., sei hi), dann wird das perfective Verbum einfach im part. praet. act. IL hinzugefügt: sahom pokosa, sa sem pokosa, sa hi pokosa (nicht etwa sa hom hom po- kosa !). Ob denn die volle Wendung : sei hom hom pokosil überhaupt jemals gesprochen worden? Dann wäre an eine gewöhnliche Zusammen- ziehung oder Ellipse zu denken. Faktisch ist die fast schon zu einem Worte gewordene Verbindung san {samo), sas, sade etc. (= sei hom, sei hos, sei hode], sasen, sasi, saj'eete. [sei sem, sei si, sei je) zumWerthe einer blossen copula des part. pokosil herabgesunken : samo pokosa.

506 Franz Ilesic,

II. Das Verbum iti wird, wenn die Perfectivität der Handlung ausge- drückt werden soll, selbst nur in jenen Zeiten und Aussageweisen ver- wendet, die nicht die reine Gegenwart ausdrücken, sondern in die Ver- gangenbeit oder Zukunft weisen : sa sem, i>el hom^ sei hi^ naj ide [gre] ; darin erblicke ich eine Attraction an die Bedeutung des folgenden Ver- bums, das als ein Perfectivum im Grunde nur die Zukunft und Ver- gangenheit verträgt. Man kann also auf die Frage: Kam gresf nicht antworten: grem hom travo pokonil^ sondern nur sa mo travo pokosa.

Im Ganzen zu merken: grem (Präsens), trave (gen.), kosit (sup., imperf.) sa mo (futurum), ti^avo (acc), pokosa (Beiordnung, perf.).

Mit der Beiordnung des Bedeutungsverbums zum Verbum der Be- wegung, wobei dieses letztere zur blossen Partikel abgeschwächt wird, ist das griechische «/£, ayevs, lat. age^ agite zu vergleichen, im Grie- chischen auch l'i^-f, Ire; im Deutschen: geh gib mir, franz. voici, voilä. Im Slavischen ist noch an das Imperativische da zu erinnern, das im slov. Osten besonders verbreitet ist: zapoj da mi eno pesem! liodi da sem! daj da mi peneze ! Dieses da ist urspr. etwa daj. Aus einer gleichen Beiordnung ist die Partikel 7iaJ [neka] zu erklären : 7iaj grem = nehaj grem.

D. Historisches aus dem slov. Westen.

Janez Svetokriski, der bekannte Prediger- und Zeitgenosse Abra- hams a Santa Clara (gest. 1714), ein Wippacher von Geburt, kennt das syntaktische Supin nicht ^); vgl. pognat peilati, pag. 19, priselje streci 43, sim poslan iskati 88, 89, /e sal maso pejti lOl, je poslal to smrt prestati, Je sei najemati 137; auch die protestantischen Schriftsteller desXVI. Jahrh. haben meist schon überall den Infinitiv gesetzt; dagegen zeigt sich bei Janez Svetokriski im Wechsel der Supinform oder des sogenannten kürzeren Infinitivs mit dem ursprünglichen oder längeren Infinitiv ein bestimmtes an die Accentstelle geknüpftes Gesetz: Ursprünglich mehr als zweisilbige Infinitive.

I. Ist der thematische Vocal des Infinitivs nicht betont, sei es schon urspr. slavisch nicht, oder secundär slovenisch (Pletersnik's Wörterbuch!), so steht die Supinform auf t. Bei- spiele :

') Ich habe 160 Seiten des fünften Theiles seines Sacrum promptuarium durchsresehen.

Slovenica. 507

Zweite Classe: obernit, povernit, sk!e7nt, stegnit, potegnit, vz- dignit.

Dritte Classe: vejdit^ vidit^ hejzat^ uhejzat^ slüat.

Vierte Classe: Typ. a: sodit^ zastopit^ podstopit, luhit^ 7'ejsit, branitj tozit, pozabit^ kupit^ sluzit^ hvalit, stvarit, vabit, pulit, pome- nit^ locit^ zalit^ skodit^ saurazit etc. ;

Typ. b: jejzdit^ opravit^ perpravit^ mislit, j•Jrew^67^V, persilü, postavit, gospodmifj gospodarit^ prestraiit, grabit etc. ;

Typ. d : karstit^ tiosit, prelomit, hodit, rezlozit^ prosit, pervolif, molit, nalozif, postit, ozenit, izvolit, rezlocit, vozit etc. ;

Typ. e: opij'cmit.

Fünfte Classe, I. Abth. Die Typen a, b, d, e : rezbiat, premagat^ potro'stat, pricat, cprasat, delat, pluvat, poslusat^ odsekat, izvelicat, jamrat, faratat, bugat, zgru7itat, cagat, prebivat, vzivat, p>07iizat^ povisat, zaperat, odperat, kuhat, gledat, placat, obhajat, prihajat, zidat, sezidat, pozidat, opravljat^ stradat, zbirat^ skrivat^ cakat^ po- zerat, pi'egajtiat, utergat, mejsat, stiskat, rezodevat, terjat^ ki'egat, preklinjat, citrat, pelat, perpelat, zapelat etc. ;

II. Abth. Die Typen a, b, d: pisatj pokazaf, klicat, lizat, skakat, segat, stegat; pokopat, pozobat, poslat, lagat etc.

Sechste Classe, Typ. b : vm'vat, vei'ovat, radovat, pijancovat.

IL Ist dagegen der thematische Vocal betont, so steht die Infinitivform auf -ti.

Zweite Classe: gayiiti.

Dritte Classe : imeti, skerbejti, terpeti, sidett, osUpeti etc.

Vierte Classe, Typ. c : Jeziti^ stwiti, zadobiti, potiti, veseliti, re- diti, odpustiti, pustiti, gresiti, vuciti, podeliti, najmjiti, dolziti, vsta- noviti, zgubiti, pogubiti, omeciti, ogasiti etc.

Fünfte Classe, I.Abth., Typ.c: petlaii,cartlati,koticati,spoznati, stimati etc. ;

IL Abth., Typ. c : jemaU\

IV. Abth. : sejati.

Sechste Classe, Typ. a: zdiJiovati, poterbovati, zanicovati, farz- magovati, premidoviati^ cagovati, si'amovati^ stanovati, gospodovati, krajlovati, offrovati, vasovati etc.

Ausnahmen gegen die Regel I. gibt es nicht, insoweit die Accent- stelle bestimmt ist ; ich finde einmal verniti, obwohl man nach der Be- tonung Pletersnik's vrniti die Supinform erwartet, umgekehrt perteknit,

508 Franz Ilesic,

V\Qi. pritekniti] doch scheint die Accentstelle der zweiten Classe im slov. Westen noch heutzutage nicht fest zu sein, so wird getiiti neben gäniti^ tehniti neben täkniti angeführt; die Typen a und b sind im Ausgleichen begriffen. In der dritten Classe ist der Typ. a nicht fest: derzat 27, ohderzat 120, aber derzati 123, 148; lezat 136, aber le- zati 146; die Form auf -i» entspricht der ursprünglichen und altslove- nischen Accentuirung drzdti, lezäti^ die für drzati auch im Pletersnik beibehalten ist; gerade damals mögen diese Verba hinsichtlich der Accentstelle von der viel stärkeren Zahl der ihnen lautlich gleichen Verba des Typ. b angezogen worden sein, ebenso zamaucat = zamöl- cati. Einzeln ist zicit 134.

Von der vierten Ciasse finde ich im Typ. a zweimal lubiti = lubiti, so betont man im Westen vielfach noch jetzt; ferner je einmal sluziti^ zasluziti, kupiti neben dem häufigen sluzit.

Beim Typ. c häufen sich die Ausnahmen ; vor allem immer govorif, erner mozit, umozit, perparocit, zamudit^ perstrelif, umorit, lovit, auch pustit, perpustit neben dem gewöhnlichen pustiti und zaptistiti^ pregresit neben gresiti, spokorit, zgodzt, omecit neben omecifi, zgofiit 153. Wo lag da der Ton? govorit neben govüril spricht für die Be- tonung des i.

In der fünften Classe, I. Abth., Typ. c: marmrat 135, jegrat 90 ; spendat, smajhlat\ golufat wechselt mit golufati,, auch joo^wa^ mit joo- znati. In der zweiten Abtheilung ist schwankend Typ. e iskat, z. B. 79, 87 neben iskati 72, 76, 78, 110, 111, ohiskat 87, 93 ; das Schwan- ken der Betonung verzeichnet auch Plet. Zu erwähnen ist najemati 137 (= najematif).

Wesentlich bleibt es, dass dort, wo kein Schwanken in der Accent- stelle anzunehmen ist, auch die Form nicht schwankt ; es bringt die Be- tonung des thematischen Vocals (der vorletzten Silbe) die Erhaltung des -ii mit sich.

Damit stimmt das III.Gesetz, die fast ausnahmslose Regel der Beibehaltung des -i bei im Simplex zweisilbigen Infini- tiven, also vor allem bei Infinitiven der ersten Classe und der fünften Classe, dritten Abth. : gosti^ pasti (cadere), presti, rasti, sesti, vkrasti, gristi, pasti, nesti, pernesti, zanesti, tepsti, doseci, pect, reci^ streci, iecij vreci, prej'eti, vzeti, zaceti, odrej'ii, pozreti, umreti, zapreti, biti (esse), biti, pobiti, rezbiti, ubiii, pejti, piti, erj'uti, stej'ti, bati se, spati,

Slovenica. 509

stati, zuperstafi, brati, zbrafi, sezgati^ dati, jejsti^ snejsii, najti^ pojtij pritij ostati, prcstati^ znati^ spoziiati.

Ausnahmen vereinzelt: stepst 19, spect 42, tauc^ vzet, poznat 19, dopernest 122, brat 159.

Nach den nämlichen Regeln richtet sich Rogerius, ein Laibacher Prediger und Zeitgenosse des Janez Svetokriski ^). Bei ihm kommt uns die ausdrückliche Accentuirung der Wörter sehr zu statten. I. Von den ursprünglich mehr als zweisilbigen Infinitiven haben diejenigen die Supinform, welche auf der Wurzelsilbe das Accentzeichen tragen: pohegnit., vidit, ubej'zat; von der vierten Classe die Typen a, b, d, e : zahväUt, Hküdit, ozncmif, permerit^ izvölit^ Juklit^ dopöhiit^ ranit. Von der fünften Classe, ersten Abth. die Typen a, b, d, e, von der zweiten Abtheilung habe ich Beispiele nur für Typ. a. Sechste Classe : sprasü- vat. II. Bei betontem thematischen Vocal steht die Infinitivform : oslaheti, ziveti, presherbeti^ derzäti ; vierte Classe, Typ. c : sturiti (einmal wohl falsch accentuirt stüryfi), dobitt, posaditi, perporociti, strelytt, zapustiti, odstopiti etc. Fünfte Classe, erste Abth., Typ. c : stwidfi, rotmäti] st7'eläti entspricht dem Accent, ebenso yskdti und zasjäti. Sechste Classe: spostuvdti, oßroväti, krajleväti. Zwei- silbige : zvreci, reci, posfäti, posesti, prifi, biti, pdsti, posneti, zndj'ti, 7iajejst(, djäti, prej'eti, nesti.

Ausnahmen vereinzelt: Jemät, pöjt^ stät^ spözndt^ rec^ odperf., stet, posest, prejet. Zum Accent passt: govörit, strelat, zadöbit, ob- derzat, odstopiti, bejzdti.

Darnach zeigt sich bei Janez Svetokriski und Rogerius, dass gerade jene Verba die volle Infinitivform zeigen, welche ursprünglich ein vom Infinitiv der Accentqualität nach meist verschiedenes Supin hatten; das sind die Verba der ersten Classe, der 4. Cl. Typ. c, der fünften Classe, dritten Abth. Den Streit zwischen der Infinitiv- und Supinform entschied die Accent stelle zu Gunsten des Infinitivs, weil man der Betonung der letzten Silbe auswich. Man könnte sich denken, es habe das Supin mit dem langen thematischen Vocal an seinem eigenen Untergange gearbeitet, indem sich dessen Länge ebenso mit Wucht auf das schwebende i legte und es fixirte, wie ich dies bei crni, Arch. XXI, 211 angenommen habe; später wurde das i von der blossen Accentstelle abhängig (Cl. VI).

1) Palmarium empyreum, seu Concioaes etc. Pars I. 1731.

510 Franz Ilesic, Slovenica.

Wenn es richtig ist, dass die Erhaltung und der Sieg der Supinform von der Betonung der drittletzten Silbe bedingt ist, so muss im Typ. b der dritten Classe {bezati), im Typ. a und d der vierten Classe [mlätiti, vöziti)^ im Typ. a und d der fünften Classe, I. Abth. [pdrati, pe/j'ati), im Typ. a und d der zweiten Abth. {pisati, iesati) die Zurückziehung des Accentes vor 1700 erfolgt sein. Die Ursache dieser Zurückziehung lag im Accent des Präsens : mlätim, vözitn, päram, pisem, tesem und im Accent des Supins mlätif, rözit, jjärat, pisat i), tesat^ hezat^ peljat.

Für diese eben angeführten Typen des slov. Westens würde ich darum eine doppelte Phase der Einwirkung des Supins auf den Infinitiv statuiren : 1) die Zurückziehung des Accentes, der im Osten an seiner Stelle geblieben ist; 2) infolge der so gleich gewordenen Betonung des Supins und Infinitivs der Verlust des auslautenden i. Im Osten ist nur die erste Phase durchgeführt in hezati, mlätiti, pdrati, pisati.

ij Vgl. bühm. sup. pisat neben psäti aus pbsati.

Laibach. Franz Ilesic.

Ueber einen cyrillischen Apostolus serbischer ßedaction mit glagolitischen Marginalglossen.

I. Unter den Handschriften der Königl. Serbischen Akademie in Belgrad kommt als Nr. 55 ein Apostolus vor, serbischer Redaction, in S^'. auf Bombycin geschrieben, mit der typischen Unzialschrift aus dem Ende des XIV. oder dem Anfang des XV. Jahrhunderts. Nebst dem Charakter der Schrift und anderen paläographischen Merkmalen spricht für diese Zeitbestimmung auch die Zusammenstellung der Paschalien, die von 6SS5 bis 6916, also 137 7 1408 n. Chr. reichen. ImSynaxar werden von den serbischen Heiligen nur der heil. Symeon, heil. Sava und heil. Arsenius genannt. Vor jeder Epistel (mit Ausnahme der beiden letzten ad Philemonem und ad Hebraeos) steht eine Einleitung oder Inhaltsangabe (CKasaHic, VTCöd-EOLg), geschrieben mit der Cursivschrift. Ausserdem gab der Schreiber hie und da am Rande, ebenfalls mit der Cursivschrift.

Ueber einen cyrill. Apostolua serb. Redaction mit glag.Marginalglosseu. 511

Bemerkungen, die wie ein Commentar zum Text oder Varianten aus an- deren Handschriften aussehen. Z. B. auf fol. 190 a zu I Timoth. III. 3 :

HC KBaCHHKOY HH RHHI^H, HE M'uJEAOHMII.OY **^ KpOTKOlf steht am

Kande die Bemerkung: LiUJfAOHCKaTfAf c8T(k) H>K(e) mhhk h ÖcraKk

L^p;k)KOßHin Kk T'RAfCHHM(k) npHKHTKWü(k) MpHAar(a)K>T(k),

naM(f) JK« np1vTKapaK>T(k) ^vl^JY'^ßHCt na Tlva(f)cHO. Oder fol. 146b zu II Cor. XI. 1 : fiua ^a Rkicre npHtan steht am Rande die Bemer- kung: fiua ra(aroa)i€T(k) MaKap(k) ^v,a khctc npHCAH. Zu fol. 112a I Cor. I. 13: hah Bk hme naßAie kp^cthctc c«, am Rande: hah Kk HLif naßAOßO KpcTHCTf ; ibid. zu I Cor. I. 16: npoHfie he KliM^ aijJE HHoro Koro KpcTnyk, am Rande: aqiE Koro HHoro KpcTH\'. Auf fol. lS6a zu II Cor. UI. 1: npoMEi€ lUiOAHTßkiM ;i,1vHTe w hac KpaTHi€, am Rande: hh"' MOAHTBkiH w hac a^hte, KpaTHE. Auf

fol. 77a zu I Jo. III. 10: R'CaKk TKOpCH HEnpaB/1,01' H'Rc(Tk) (D

Kora, am Rande: hh" BcaKk he TBopEH npaB/i,i>. Der Zusatz RH"' muss wohl HHiiiH oder nHiUETk gelesen werden, deutet also auf eine

Variaute hin, oder bedeutet soviel als d. i. und dient zur Erklärung. Das Merkwürdigste nun ist, dass der Schreiber dieser Randbemerkungen an fünf Stellen glagolitische Buchstaben, untermischt mit griechi- schen, anwendete, und zwar :

fol. 48b, Act. ap. XXIV. 9 zu den Worten: c'AOH^kUJEMk CE loy- ^EiVMk steht ober der Columne der Zusatz: -fs- •:• gÄsat'iiJe oe iovoEi, d. h. caO/K'uje ce ioyyi,*"? ^^^ ersten zwei Wörter sind rein glagolitisch geschrieben, bis auf das letzte e, das griechische Minuskel ist, die zwei weiteren Wörter sind griechisch.

fol. 48b, Act. ap. XXIV. 12: H HH Bk u,pKBH ME wcp'feTOUJE Kk Kw'moY rAJOi|ja hah paSB-tTki TBopEipa, dazu am Rande seit- wärts: iTÜm"i pR Bk 'Vbk!"ü'"i ojtüQr^'iue ae /.' -/."/iiov raiowa, d. h.

HHIUH HH Bk U^pKBI lUKp-feTOlUE ME K KOMOl' TAlOliJa hier sind

in der Randbemerkung alle drei Schriften augewendet, die griechische Minuskel, die glagolitische und die cyrillische Schrift, die ersten zwei Buchstaben sind griechisch ir ü, lil kann glagolitisch und cyrillisch sein, ebenso "i griechisch oder cyrillisch (eher das erste), pH ist griechisch, Bk ist cyrillisch cursiv, die Buchstaben "Vbhv sind deutlich glagolitisch, 'i ist auch hier entweder cyrillisch oder griechisch. Im nächsten Worte ist 10 und Q und die Ligatur to, endlich auch e griechisch, ti ist glagolitisch, U ober der Zeile cyrillisch und m kann cyrillisch oder glagolitisch sein.

^j2 Ljub. Stojanoviö,

Y^ -^ '^ - " ^ ^

oo/iAt ri^wiytMbCflA^bT^Kö fbi«. oiß^ i|U 8 /tve/i£Be AI. nö/tUMöVöijjAyc/udyHre AAcÄ3myrTiTH. cS/V/iffdrkA^Tfc civijiJR

(4^*Itinf4Be^WAK<^fclKdyaM6YC6^^ ^ ß^ACöXuiW^TK.lTirf^CaJJUll'tcOß'ti^AÄ«

1: /h4£MMAftH. 6ia;tt€AimeBbniJL^nd

^ KAöftHTHCC ßb'lCpAHA^^T. HhHbhLj^l^bH ^ AACcÄjfp'tTÖLUtIUHcJuiu4YrArtl|iA.iAH || fi4Zß'tTkli:5dptl|lArt4ficGX4V'. rtHötCHb

^•. tJiii^iiiXi» tiHÄbrp^^tytbrtHnfHTbKWAY I -r«/^HA>iäjrd!fTb-oniij^brt^Ciiwti*a«i€M

I ßbnfty'Tbi/ntr7rtT6CfCCb^T'4Kd<A«y/tt«\^

f U BZ A K60 «fir H nf fl Ij-i^K bnH«Mb«/Ubfl i'/lÖA

? Hf/ßeiLfiHiia^iUbftsertrfttmH/iKCAjMfc^ -^. nöA'tTrt^fbzfteiLAHd^^*;^ b. ^f tiO^/*

iUAFH/<rtVßd füTh.ÄfcK^fcUa (fidü/I(H

Griechisch ist /.£ und z xo^tot;, cyrillisch ist taio, glagolitisch w und griechisch a (vergl. das vorliegende Facsimile).

Ueber einen cyrill. Apostolus serb.Redaction mit glag. Marginalglossen. 513 fol. 50b, Act. ap. XXV. 22 zu arpHFia >Ke kk ^icTO\f pfH(t)-

ui i

jfOT'feYk H CdMi* ScAKimaTH H/\(OK'fe]Kd Steht am Rande: rs- y<>ta

i (TaWk haT« ovffAiiua'R, d. h. iihiuh Y'^''"^X ' ^^^^ MAOK'kKa oycrtimaTH. Auch hier sind das erste Wort ganz, dann noch a h gla- golitisch, das übrige theils cyrillisch, theils griechisch.

fol. 51a, Act. ap. XXVI. i: iiOKeA-tKafT" th et cawk iv CfK't raafroaaJTH, am Rande: w atKC aaUh rXaTH.

fol.55a, Act. ap. XXVII. 41 : ßbna;i,kuJE JKf Bk M'kcTO wcoirHO

iu

ivcTaBHiUf KOpaBk, am Rande dazu: fs vk LiAffro ickn'HO, d.h. RHiUH Kk M'kCTC» iCkn'HO. Auch hier ist das erste Wort ganz glago- litisch, ausserdem v a, das übrige theils griechisch, theils cyrillisch.

II. Was den Text dieses Denkmals, dessen Randbemerkungen pa- läographisch so bunt aussehen, anbelangt, so zeigt er durchgehends einen neuen Typus, ähnlich dem Codex Nr. 5 der Belgrader Nationalbibliothek oder dem Codex Nr. 34 und 38 der Chludov' sehen Sammlung in Moskau ivergl. Jagic in Starine XXVI. HO).

Zum Beweis wollen wir die ersten Capitel ans dem Galater-Brief in Varianten unseres Apostolus gegenüber Nr. 14 der Hilferding'schen Sammlung in Petersburg und gegenüber dem Sisatovacer und Hval'schen Texte anführen :

1. Uebersetzungen für ältere unübersetzte Ausdrücke: Galat. II. 7 0Bp'k3aHHi€ : die übrigen nepHTCMHH. U. 7 KAaroßtcTHie h«- U'Bp'ksaHHiC' : die übrigen EBaHt^EAHE aKpoBkCTBHH (Hilf. Hv. aKpOBkCTBH'ti; überhaupt ist hier BAaroB'tcTBOBaHHie üblich statt (BaHl^EAHE (z. B. Gal. I. 6. 7. 11, II. 2. 5. 7 u. s. w.). IL 8 Bk no- C/\aHHi€ : die übrigen Bk anocToakCTBO nur I. 8 in diesem Texte aHa^EMa ^a K<^y^iTh : die übrigen npoKAETk ;i,a BOY^i,«Tk, und I. 9 schreiben alle aHa«£Ma.

2. Mangel an einfachen Aoristen : Gal. 1.17 Bk3ki^0\'k, hac>\' :

Archiv für slavische Philologie. XXII. 33

514 Ljub. Stojanovic.

die übrigen BkäHA»^, h^i*. I. 18, II. 1. 2 KkSHAO^k : die übrigen BkSH/^h. I. 21 npiHAC'X'i^ : die übrigen npH^k. U. 4 npHß'HH- AOiUf : Hilf, und Hv. npHBkHHAoy, §is. npHHAor. II. 17 WKpii- TO^CMk C( : Hilf. Hv. vuep^bTCMk c«, Sis. falsch WBp'tTfMk er

3. Mangel an alten 5- Aoristen: Gal. II. 14 pEKiu^k : die übrigen ptyk. I. 9 pfKwywMk : die übrigen pt^^^^Mk. H. 2 TfKwrk, so auch §is. : Ti^*^ Hilf., TkiX"k Hv. I. 12 npHieyk i€, so auch Sis. npHiejfk CHi€ : Hilf. npHtCk i (so auch Hv., doch ohne fj.

Die Form KHMk lebt in einigen Spuren: Gal. I. 10 Sis.: Bki^k MAOB'fcKOMk Oyra^KA'l^M^, YP^^'^^V 0^^^ HC CkIJCk BklAk^ Hv. Rkl^k HAOB'kKOMk 0\f''^^A<^^l^) X- P- "^ ^^ BklAk, Hilf. BHMk MA. Oyr.,

Yp. p. Hf BHMk BkiAk in dem Text, von dem hier die Rede ist, steht beides nebeneinander: HAOBivKVUMk SrdJKA«»'^«»^ Kki^k, yp. p. H(

BHHMk BklAk.

4. Sonstige Sprach form en : Gal. II. 4 j^a HdCk : die übrigen ^d Hki. III. 6 BOrOAf : die übrigen BoroBH. III. S ABpdAMoy (so auch kia. Hv.) : Hilf. ABpdMOBH. III. 7 CHOB« (so auch Hilf.): CkiHki Sis. Hv. 1.2 TAAdTkCKAMk (so auch Sis.): raAATkCKHMk Hilf.Hv.

I. 22 iOYA*"^'^'^'^^'^ HK>AliHCKddMk Hilf, äis., HK>;i,1vHCKklX'

Hv. Dual ersetzt durch Plural Gal. II. 9 ^a MkiH : die übrigen ji,A R-k. Singular statt Dual: II. 10 noTkiiidY' ce : die übrigen noTk- ijiAYOB't c«. Vergl. adj. aBpaaimoBiH III. 7 statt des üblichen aBpa- MAH (einmal so auch in diesem Text).

5. Abweichungen im Ausdruck: Gal. I, 1 5 npHS'Baßk : Hilf. BkSBa- BklH, äis. und Hv. BkSBABk. III. 3 CKOHHaBai€Tf : die übrigen KOHMaBai€Tf. III. 3 HaMkH^ujf : die übrigen saMkHkuif. III. 1 np-feAkCTH : die übrigen HaoyHH (griech. Ißäay.avev). III. 8 rh- c(a)HHi€:die übrigen KHHrki. 11.12 npkB-ke bw ji,A'iVii Hf npiHTH H-KKUHMk : Hilf. np'feJKA* K<> A<*^f "* nP"A*^V «T«pH, §is. (Hv.) : AP'feBAie oyBO ji,A^i v\i npHA^yTk lerepH. I. 7 h'Ki^h : die übrigen iTipH. I. 4 no boah : die übrigen no yot-Rhhw. II. 7 Hk coynpoTHBHOie : die übrigen HkWTkBpkHk. 11.14 hoya^^u": die übrigen b-RA"^" (griech. avay/.aLeig). H. 6 AHi;f Bcrk hao-

B'bKOY "^ npHI€MA(6Tk : Hilf. H AHl^a BOrk HkIH'K MAOB'kKOY HE

OBHHOYi€Tk Cf (ebenso im Wesentlichen Sis. Hv,), griech. ov Xaf.ißävBi.

II, 15 lecTkCTBOMk : die übrigen p^A^Mk {cpvast). III. 1 BW RA Bac(k) pacHETk : Hilf. Hv. BkiCTk h pacnETk, §is. BkiCTk npo- ntTk. II. 19 ^BH ckpacney' ci {XQiar^ GvveatavQiof^iaL) : die

üeber einen cyrlll. Apostolus serb. Redaction mit glag. Marginalglossen. 515

übrigen ch YpncTOMk pacnfTk (äis. nponcTk) fCMK. 1. 13 hhop'A'* (so auch Hilf. Hv.) : Sis. KOrA^. IL 1 1 3a3wpkH'(so auch Hilf. Hv.) : 3a3paMKHK §is. {xaTsyvcoo^ih'og).

Vergl. noch folgende Unterschiede : Gal.I. 15 MaTfpt MiUi€i6 : Ma- TcpbHraa MH Hilf. Sis., MarcpHHa Hv. I. 14 COhkckkihmk : die übrigen WTkSHMk MH. I. 1 KkCKp'kCHBKmiVMoy tro : Sis. Bkc- KpIvCkLUHMk M, SO auch Hilf. u. Hv., doch ohne H. HI. 16 H ct- MEH'iH TBOfMOY IJK« l€ \C : C'IvMCHH TH CPOH^C fCTk y. Hilf., H Ck- MeHH TH l€>Ke 16 X- Sis., CkMfHH fJKt f. \. Hv. lU. 19 npHAO}KH

c( : die übrigen npHAO^CHk KkicTk. HI. 10 RHUJETk BW npo- KAtTk : die übrigen nncaHC» bo lecTk raKO np. HI. 1 HCTHH't h^ noKapaTH et (so auch Sis.) : hcthhIv hc nOKopHTH ce Hilf, (so auch Hv. nur ptCHOTki). UI. 12 Bk HH^i» (so auch Hilf. §is.) : o Hki^'k Hv. in, 2 (C Back (so auch Sis. Hv.) : oy Back Hilf.

6. Unterschiede in der Wortfolge oder in der grösseren Annäherung an den griechischen Text :

Gal.I. 2 H HJKi Ck MHOW B'ca BpaTHß (ymI oi avv ef.iol TtavT.a.) : die übrigen H Bca BpaTH'fe 'kJKf ck MkHOio. III. 8 wnpaBAaiCTk i€3kiKki {öiy.aiol ra eS^vrfj : die übrigen i€3kiKki wnpaBk^aieTk. IL 20 JKHBoy Hi( He k' TOMoy a3k {Ctü de ovy-en €/w) : die übrigen Hf HJHBoy K>H;e a3k (Hv. nat wjk«). IIL ll laKO m;« Bk 3aK0Ht: {(kl de Iv vÖLKo] : die übrigen 3aK0H0Mk JK«. III. 12 3aKU'Hk Mit . die übrigen a 3aK0Hk. IL 21 he vÜMtTaM» KaaroA'k'^ boh;hk> : Hilf. Hv. HE wTkM-kTaw CE BAaroA'tT" bojkhe. III. 5 H A'^M- cTBoyieH CHAki Bk Ba : Sis. h A'^'^h CHAki Bk Back [öwäf-ieig er vLilv), Hilf.Hv. a (Hv. h) A'*^*" ^^ ß'^Ck CHAki. IL 2 nponcB'kA'*'^ (so auch Sis.) : nponoB'kA^X*^ B.iU. Hv. (griech. o y.r^Qvaaio). I. 16 Aa BAaroB'kiiJoy h (so auch Hilf. Hv., im letzteren ohne h) : BaaroB'fe- ijjaw (auch ohne h) §is. I. 23 BAarOB'kCTBOYl€Tk (so auch ^is.) : BAaroB'ki|jaETk Hv., Hilf, in erster Person BAaroB'Ki|jaK»-pa3AP^V~ ma](^k. IL 13 AHU.EM'kp'cTB'k (so auch Hv.) : ahl^em'Kphio Hilf. Sis.; ib. AH^EM'kpHHJE (so auch Sis.) : AHi^EM'fepkCTBOEauiE Hilf.,

AHL^EM-KpaiUE Hv. III. 17 Bk l€JK£ pa30pHTH CB'kTOBaHHI€ : die

übrigen pa3AP<5V^"'''" OB'kTOBaHHra. III. 9 TtMk jke hjke iP B-bpki : die übrigen T'tMk h;e covlijeh iD B'kpki. IIL 10 nncaHiH

Bk KHH3'K SaKOH^'H'kH E>KE TBOpHTH a : Hilf. HanHCaHHH)Ck Bk KHHraYk 3aK0HkHHY'k CTKOpHTH E, Hv. HHCaHnH^" Bk K. 3. C. E,

Sis. nHcaHHHyk Bk KHHra\-k saKOHoy c. le. IIL 18 HacA'KA"'^

33*

516 Ljub. Stojanovic,

Ä

Hl K TWMOy W WKliTCBdHid : Hv. HaCA^K^OBaHHC fJKf Hf CU WE.. §is. HaCAlCA- WHtf Hf CO IVB., Hilf. HdCA'K^\kHHU,H KiJKf Hf CC-K-feTO-

BdHH'k. III. 11 raKO npaBEAHkiH, so auch Hilf. Sis. : -feKO onpdB- ^dHki Hv. m. 9 KAdrocdOBSTk C6, SO Euch Hilf. Sis.: BAdrOCAC- BOYWTk C( Hv. III. 4 TOAHKd HOCTpdA'iCTf BtSO^Md" dl^Jf H^f H KISOrMd : TdKO AH npHKTf Bf3K OyMd Ai\li H T(Mj'He Hilf., TO- AHKO npHfCTf "feUJOYTIi- Al\\l IK« H liUJOYTk Hv., TOAHKO npHICTC

K. d. >K. H B. Sis. III. 2 SdKOHd A^VY** npHfCTf, SO auch Sis.Hv. :

3dK0HkHkl)Ck A*^VX'*^ CBfTkl npHfCTf Hilf. III. 13 3dK0Hd ßklBk. nO HdC' KAETBd : SdKOHkHKIE, BklBk O^BO 3d HH KACTBd Hilf., 3dK0Hd BIBk 3d Hkl KAETBd Hv. , 3dK0H0Y BKIBk 3dK0Hk H

KAfTBd Sis. I. 9 ndHt CJK« npHiecTf [TiaQ^ 0 TtaQEläßBza) : die

übrigen ndMf l€JKf BAdrC»BlvCTH\'OMk BdMk. II. 5 HH Kk Md- coy, !so auch Hv. (Kd Hdcoy) : Bk HdCk Hilf. ircQog lOQav), Kk Hfco- Moy Sis. II. 20 ME H np'kA'Jß lUddro ctRi nc mh'K, so auch §is. Hv.: Hkl H npIvAdSkiUdrc c(e.i no HdCk Hilf. II. 5 b' BdCk,, so auch Hilf. Hv. : Bk HdCk Sis. {TCQog vuäg). IL 10 HHiiin^k ,\a nOUIHHBli : HHIJI(I€ J^A H. Sis. Hv,, Ji,A HHljJH ncctTHBlv Hilf.

II. 12 fTAA JKe npiHAWX'* wnpfTddüif c( h vÜAOv'Mdm« et {vjte- axellev y.ul äcfc'oQLUv) : die übrigen Bk3APh.^<)iU( (Hilf. Bk3AP>^^^) c( H CCAoyMdme h ocoBAramc ce (§is. Hv. ctKt). U. 20 Bk cha B^KHd : die übrigen CkiHd bojkhm. III. 10 cahu,h bo (0 j!L,'UAh. 3d-

KOHd:«AHKO B. CP A- 3. Hilf., «AHKC KO CC A- 3dK0H0\' äis. Hv. 1.7

X'OTfijH np-kBpdTHTH : die übrigen yoTfTk np. III. 17 H/K« no

A'kT'kYI^ V'^ BkIBklH : BkIBk HO HfTkipJYk CkT-K^k H Tpf^k A*" CfTH)f^k AlvTk Hilf., BKIBklH HO HfTkipf\*k CTklY^ H Tpf\'k A^^f-

Tki^k A'tTkk Hv., BkiBki no -A- CT'S\'k H A-^k A-kT-^yk Sis.

Wie ein Bulgarismus sieht aus I. 23 CAkimovijJE Bt^Y^Y, wo im Particip o\ für ;r» stehen kann, Sis. CAkiujii|Jf B'^j^oy, Hilf. Hv. CAki-

UJEqiE B'KUJf.

III. Als eine weitere Charakteristik der sprachlichen Seite dieser Handschrift (des Apostolus Nr. 55) mag erwähnt sein, dass zu dem in Starine XXVI herausgegebenen Grskovic'schen Text daselbst aus der Belgrader Natioualbibliothek eine Handschrift Nr. 5 zur Vergleichuug- herangezogen wurde, die man daselbst als von den übrigen älteren Ke- dactionen stark abweichend bezeichnete. Nun gerade mit dieser Hand- schrift stimmt der Text des Apostolus Nr. 55 am nächsten übereiu, wie sich aus folgenden nur ganz geringen Varianten ergibt: Act. IV. 37

üeber einen cyrill. Apostolus aerb. Redaction mit glag. Marginalglossen. 5 1 7

anocTOAK : unser anocTOAkh. V. 2 HoraMa : unser HoraMH ib. 5 CAKiuiai;' JKt : CAkiiue }K,i (so auch äis.) ib. 6 KkCTaKkiUE :k« lOHOUic : KKCTaKkiiif »OHOUif ib. 9 HCKoycHTH : HCKoycHcra ib. 10 i€ro H HS^i^iuf : »«ro H3,\kiu« ib. 11 Hp(K)KKki : npiiKO- BiH ib. 12 anocTOAkCKKiMH : anocTOAbCKaMH ib. 13 npHAli- iiAraTH cf : iipHAlüiAliTH cf ib. 1.") h iiOAararH Ha nocTfAm^** H Ha W^\p'k\'K in unserem Text ausgelassen ib. C'kHK fro: ckHk

ib. 21 Bk u,piiKBK : Eh upkKOBk (so auch Sis.) ib. CkKpauif : <k3ßamE (so auch kik) ib. 22 Kk3KkcTHme : KkaKliCTHYOV (0"' Bulgarismus!). VI. 2 WCTaBAkiUfMk : wcTABAkHU (so auch §is.

ib. 3 MoyjKH : uoy^Kf ib. 4 TpüKOW : noTpliROW ib. r> HHKOAoy npHurAki^a : HHKoaaa npHUJEAU,a ib. 6 Ha hi€ : Ha Hk ib. 9 BkcraB Lüf : BkCTaiu« (so auch Sis.) ib. AHBfpTHH- cKa : AfBtpTHHCKa ib. 12 BkCYkiTHme h : EkCYkiTHiuf »€ro ib. 13 HAKk ck : MAKk Ckk ib. 14 Ck pasopHTk : CkH pas. 6/K« : wh;« (nach h^ für h^\). VII. 2 p'kKaMH : pliKaMa ib. 4 jkh- BHTf : JKHBfTf (so auch Sis.i ib. 5 ^acT£ : ,\,a ib. hh cronw : HH CTOnk ib. 6 llpllJkAU,H : npHLUfAkU^H ib. 6 H : Hyk H.

VII. 51 npOTHBiHT« c( : npoTHBHCTe ce ib. 52 npoBkSB'kCTHB- ujcf : npctBkSB'KcTHB'iiJHX'k ib. 54 CKpk;KHTaYO\|' : CKp6>K6Taa- yoY ib. 55 ^v,fCHO\fK' : ,\,fCHOK> ib. 5G CTOfLpa w ^(CUQytc : w ;i,fCHCK> CTOi€i|ja ib. 57 Bkao^nnuiE : BkSknHiUE ib. 58 fOHome HapHU,afMaro caßaa : KtHOiiJO\|' (o\' für ?f>. statt a!) Hapn- i;aeMa caBAoy. VIII. 1 npKKk . npKOBk (ebenso ib. 3) ib. 3 TkMHHi^c : TkMHHi;^ für !f^ statt A !) ib. 4 npoH;i,oiue : npm- ,.\<>iiif ib. 6 TBopame : TBop'taiiJf ib. 7 BknHKMtiE : KknHK»- ipfMk ib. 10 auch hier ausgelassen CHAa ib. 1 1 BAk^BOBAHHio ; KAk^BOBaHIH ib. 35 KAarOB'tCTHTH : BArOB'kCTH ib. 36 Ka-

^KiHHKk : Ka^KCHk ib. BkSBpaHan'« : BkSBpanraieTk ib. v. 37 lautet so: raa (IA<^\^ ^ux'inh.- aipe Blvpo\'i€iiJH BClvMk cpu,<Mk cbo-

1€Mk, A'kTk TH leCTk. vDßlilJiaBk JKf pfMf ' B'UpOYM» Ba CHa BJKia

coyiiJaaro \y ya. IX. 11 cTkrHo^ HapHu,a6MSH5 npaBöw : cTk- PHki HapHi|aEMHi€ npaBkii€ ib. 12 ausgelassen HMCHCMk ib. 15 Ck : Ckk.

IV. Zur noch besseren Veranschaulichung des Textes des in Rede stehenden Apostolus geben wir hier den Anfang der Epistel an die Galater mit Varianten aus anderen südslav. Texten :

518 Ljub. Stojanovid,

Kk FaTW nccAHHie cxro anAd naeaa Bk '\\- Kkr'a.

1. 1. IlayAk anak hh i) CC MaiKk hh 2) häkiv, Hk \y YpTWMk

H BMk H VUl^CMk^j BkCKp'KCHBkUJlVMOY 6r0 H3k ^) MpVBkl^k,

1) Hilf. Sis. Hval : He. 2) hu kb. 3) Hilf, XpucxoMB öorwMi. ormeML ;

Sis. XpHCTOMB H ÖOrOMB WXBIXeMB ; Hv. XpHCTOMB ÖOrOMI, H. *) Hilf. HV. BLC-

KpicniHML H3I.; sis. BLCKp. H HSl.

2. H hh;c ck MHCK) B'ca Bpa«i), L^KBauk raaaTkCKaMk^).

1) Hilf. Hv. .'^is. K Bca öpaiai iace cb mbhoio. - Hilf. Hv. rajtaxBCKHMB i .Sis. ra.iaTHHCKaaMB.

3. BATk BaMk H MHpk (P Ra Wll,A H ^) FA HuTfrO lY ^Ay

1) Hilf, fehlt.

4. ^i.aB^'ijjaaro cect no rp-kck^'k HiUH^k, öko ^a HSBaBHTk HkiH CD HacTOieiiJaaro B'tKa AovKaB'Haa no boah ') Ba h ivi^a Huicro,

1) Hilf. Hv. äis. xoitHHH).

5. (U\f\}K( CAARA Bk >) B'fcKklH B'KKWMk, aMHHk.

1) Hilf oy.

6. HwjKoy >Kf c(, HKO TaKo cKopo np-kaaraeTf cf ö) s^Baß-

UiaarO BklH BATHIO YBCI«') Bk HHO BarOBlCCTBCBaHHE^),

1) Hilf. Hcoy XpacTOBOH). -] Hilf, bb bbuho CBaH^ejae; Sis. KyaHBrejiHK.

7. leiKt H-K HHO, Amt HE H'Kl^H >) CO^Tk C^MOYlliaKMfJE BklH

H Y^T^IP«^) np^IBpaTHTH B^CtB'kCTBOBaHHI€ 3) ^BO.

') Hilf, ame exepa ; Sis. (Hval) ame He Kxepu. -] Hilf. Hv. Sis. xoxexB. •*) Hilf. CBaHljejHe; Sis. leyaHBreJiKic.

8. Hk H <] aL|JE MklH 2) HAH APrAk Ck HBCC BAPOB'^CTHTk

BaMk 3) naMf 6>Kf BaroB'kcTHX'w Bauk, aHa^^cnu^) ji,A BoyA^rk.

1) Fehlt überall. ') Alle ujiji mli. >*) Sis. sasiB 6.i. *) Alle npoKjexB.

9. aKOTKt nptiJKA* pJKWYWMki), Htm naKkiH rAio- Ai\it k'to BaMk 2) BAPOB-fecTHTk nasf 6JKf npHi€CTc3),aHa'e'EMa ^a BOY;i,iTk.

') Alle: pixoMB h. - Alle: hjkc saMB. ^) Alle: kjkc 6.JiaroBiCTHXOMB

Ueber einen cyriU. Apostolus serb. Redaction mit glag. Marginalglossen. 519

10. HHa KW HABKKIH Iip'kllHp4K) HAH 1) KA', HAH H1|I0Y HAK-

Kwuh ära^ATH; M\ie ru> e^VHHasE^) habkvumk Spah^aak Riii)(^k3),

X^y ßAKh H( BHHUk^) BKIAK.

•) äis. JIM. -) Hv. u eauHaie. 3) Hilf. 6hmb iJiOBiKOMfc oyr.; Sis. Hv. 6wxi> HJi. oyr. *) Hilf. He öhmb, Hv. ue 6i>i.

11. CkASAIO H;E KAMK, KPAI€, BArOUliCTKOKaHHI« >) BArOKli- l|J(H06 UtH( iaK0 2) H'R2) HO 2 mÄrK0Y2j,

1) Alle : esaHljejHe. 2) ^jj. fehlt.

12. HH Bu» a3k CD HAKa npHie^k') \e^) hh HaoyMH)f cf, Hk

HBAI6HHI€Mk JCBOMk^).

1) Hilf. Hv. npHecL. 2) §i§. chk, Hv. fehlt, Hilf, wie oben. ') Alle :

HcoyXpHCTOBOML.

13. CAkimaCTE KW M0I6 >KHI6 HHOr'^a ^} Bk H;H^OBkCTB'lH,

aKO no np'feMHOroy roHia^K 2) ^pKOBk bo»;hio h paa'AP^V"

1) sis. Korja. -] Hv. roHUXB. 3; Hv. fehlt.

14. H np-kcn-^Ba Bk ^H^oßkCTB-b naMc MHcrk^) nptLUk

UCH^k Bk pO^li MOHiMk, H3 AH^a pkBHHTfAk^) CklH CÜMkCKkl-

HMk^) np'b;t,aHHi€Mk.

') Hv. Muoro npiMB moumb. -) Sis. peEHHicii.. ') Alle: wtbihmb mh.

15. er'^a iKf bapobcah Bk, HSBpaBki me np'kBa uaTcpf

U<M€I€') H npHS'BaBk^) BATHK> CBOI€K>,

') Hilf. Sis. MaxepBHiaa mu; Hv. MaiepHHa. 2) §ig_ (Hv.) BLSBaBL; Hilf.

BB3BaBLIU.

16. raBHTH CHA CBOierO Bk M'h1;, ,\A BATCB-fellJOlf H Bk ') l€3kmlJYk, ABHe Hf npHBkSAOM^HH RAkTH H KpkBIH,

1) So auch Hilf., Hv. 6.TaroBBimoy bb, Sis. öJtaroBimaio bb.

17. HH Bk3ki;k,0YI^ ^) Bk lepAHMk Kk liptiH^HIHMk MCHf

anaoMk, Hk »js,c>^) Bk apaaBHK», h naKkin Bk3BpaTHYi» cf Bk AaMacKk^).

*) Alle BBSHÄB. 2j Alle u;jj, 3) JJv. KB ÄpiBHHMB.

520 Ljub. Stojanovic,

18. nO TOMk IKf nc Tpe Alv\'k Bk.SWAWl) Bk lepAHMk Ck-

1) Alle BLSHÄB. -) Alle ÄLHUU.

19. HHOrO }Ki CO dHAk Ht BHA'*, TkK'MO ^j MKWBd BpaTd FHia.

1) Hv. TaiLiio.

20. A ra/KE ij nHLUoy BdMk, c(, nplv BroMk iziko he AkHcoy.

1) Hilf. Hv. a eace. Hilf, bringt vor diesem Vers folgende Ueberschrift: •a- no npiatnHcaHH nosicxt o CBoeMi. nptcTaBJieHii u' /KHÄOBtciBa no iBjcHino.

21. no TOMk >Ke npmAC»YI» *) ^^ KAHMdTHH CHpkCKklie H

KHAHKIHCKklie-).

'] Alle npHÄL. 2j sig. Xiji. CypHie u Kajimaiie ; Hilf. KjtHMaxa Coypuio h Khjihkhh) ; Hv. KjuiMCHBTa CoypHK» ii Kujibikhio (die Endung -hh) dürfte auf -um statt -HiA beruhen).

22. Etykl) >KE HE3'Hai€Mk AHi^EMk i;pKBaMk IOyA*"CKkIMk ^^

ejKf w x^s..

') Sis. öiHXt; Hilf. 6ixoy. 2] sig. jjiif. HiOÄiiiCKaaMi. ; Hv. uiosiucKuxB.

23. TkMIK» 1) CAkllUOV'L|IE B'S^OV 2), laKO POHEH 3) Bd HHOPd

HHia K/\rC»B'kCTBOI,'J€Tk4] BlipO^, KtJKE HHOr^d fiA3'j^fi<>yiUAAlllt^)j

') Hv. la^LiKP ace; Sia. tbkbmo. -; Hilf. Hv. cjBimeme öiiue; ^is. cjihi- meme 6ixoy. 3j sis. Hv. roHe. * Hilf. 6jaroBtmaK), Hv. ö^aroBBimaexB. 5j Hilf paBÄpoATnaxL.

24. H CAdBArad\-^[C» M'Ht Bd.

n. 1. Ho TOMk >K« no aT- A-kT-ky ndKki^j Bk3klA<> -; ßfc^

HepAHMk Ck Bdp'^HdBOW. nOI€Mk3) Ck COBOIO H*) THTd.

1) Hilf no HCTLipexB na Aecere JiixixB no xomb ; Hv. so wie oben, Öis. hat »ce ausgelassen. -) Alle bbshäb. 3) Sis. h noieaiB, Hilf, ii hohmb, Hv. hohmb. *) Ueberall fehlt n. Hilf bringt vor diesem Vers die Ueberschrift : -b- o CBiaixeJiBcxBH anocTOJiBcni bb acHBOxi BipBui.

2, BkSkiAOX'" ^) :Ke no raBAienHio, n BkSAOTKH HMk bapo-

B'fcCTBOBdHHe^) 6>Kf nponOBlv4,dlO 5) Bk l€3km'k\'k, e^HHliMk :Ke IUl''HI€l|j'lHMk^), ej!L,A KdKO Bk TkliJf TEKOV' H | Tf KW^»^ ^)-

ij Alle BB3I1JB. 2) Alle eBaH^ejme. ^) So Sis. und Hv., Hilf, aber npo- noBtjaxB. *) Hilf, csuhhivib ace MBHemeMB, Hv. cähhhmb ace MBHemHMB hmb. Sis. KÄHiio 2ce MBHemcML cc. ^) Hilf. xeKoy ii.tu xexB ; Hv. xeKoy Äi xbixb, bis. wie oben.

Ueber einen cyrill. Apostolus serb.Redaction mit glag. Marginalglossen. 521

3. HK HH THHTK HH^E Ch MHOIO, eA^AHNb CKIH <), HO\'/KCHk

KKI WKpIvSaTH et,

•) Hilf. HB u TuTi cca cb mbhoto cjiuhi,; Sis. und Hv. haben uhco nicht, Hv. e.ibiHUHi.. Der Schreiber scheint den Text so verstanden und gelesen zu haben : hi> hu tuu iBnacÄe et muoio.

4. H 3a npHlUklUEie Ak»;CKpaTHI€, H:K( npHB'HH,\01UC >) CkPAf-

AaTH cBOcw^ki HaiuEie wjk« HMaMKiH 2) w \*lv ick, ;\a Ha '^] nopaKCTtTi».

*) Hilf. 3a npiuiBÄBmee ÄhTKC opaTue uace npiBmuaoy; Hv. nptBaiufcaBiuee yKQ .iBJKee öpartiu H»te npiBBHHÄoy; Sis. sa npHuiBÄBuieifi >Ke Jitaceio öpaTHic, hjkc npHHÄoy. 2j Alle uMaMB. ^] Alle uti.

5. »U^iKt HH Kk HaCOl'l) nOKHHO\'\-WM' C( Bk ncKopfHie. AA HCTHHa2) KArOB-tCTBOBaHia-) np'tKOYA^T''^ b' Back 3).

1) Hilf. BB ^acB, Hv. Ka qacoy; Sis. kb lecoMoy (gr. noos^ üquv]. 2j Hilf.

HCTaHJa; Hv. picHora. 3i _^iie cBanljejiHi. *) Sis. nacB.

6. CP M'HI€4IHH)C' :Kf KklTH^) M'TO, IdKOBklH HHOr,\a KU^OY '), HHH'TOJKJ paS'MkCTBOYM-Tk";, \V\\i,i- Kk"^! MABKO^ Hf npHI€M- Al€3)^^'). M'hIv KW U'\\(\\\i\y Ci HHH'tO/K«^) npHBkSAOHIHUie^),

1) Hilf. Hv. öBirae, Sis. 6tnic. ~] Hilf, h jrmia. ^] Hilf. HBini qjoßiKoy He oöHHoyexB ce, so auch Sis. *) Hilf. HHiecoace npHJioscHnie.

I) Sis. ÖBi. II; Sis. Hv. Mene pasH.. III) Sis. Jimia öofb; Hv. oort jiHua,

IV) Sis. Hv. u-önHoyrexB cc. V) Sis. Huiecoace.

7. Hk COynpOTHB'HOie') BH^\1vB'llJe IdKC» B'kpOBaH0 2) MH H-CTk KArOB'kCTHie HfWKp-tSaHHIoS] l^KOH^C n«TpC»B!H WKp'fe- 3aHHl€'').

1 Alle UTBBpBHB. ~, Hilf. BipBHO. 3 AllC CBaH^eJUG aKpOBBCTBHH

i'Hilf. Hv. aKpoBBCTBui). * Alle nepHiOMuu.

8. HKW RCCn'filUkCTEOBaBklH HCTpOV' Bk nOCaaHHI€ ') WKp1J-

3aHHa2) nocn'kiiJkCTBOBa 3) h m'h'R Bk leskiKkiH ■*),

'; Alle nocniuiBCTBOBaBbi öoITexpoEH bb anocTOJiBcxBO. -] Sis. uröpiaaHHio.

3' Uy. nocnixoBa. *) Hv. noch htbi.

9. H pasSM'feB'UJ« KATk, A^^MM^^V^ '-'"> laKWBk H ViW^A

iwaHHki), M'HK%njeH cf CTAkHH KkiTH, ,\,tcHaa j^Auii m'h1v h Bap^-

HaB-R VUB'LlJEHHa 2), ,\,a MklH 3) Bk l€3klKklH, WHH H^f Bk WGp'K3aHI6.

1) §is. u HwaHB. -; Alle wöBmenuM. ^, Alle b§.

522 Ljub. Stojanovic,

10. TkMHWl) HHl|IHK A<* nOM'HHBt^j^ eJKI H nOTkUia^' Cf 3) Cf HCTOie^) CTBOpHTH^).

*) Sis. TBKLMO. -) Hilf. Äa HHiuee nocixiiBi ; Sis. Hv. HHiueie ja noM. 3) Alle noTBmaxoBi ce. *) §is. ebenso. ^) Hv. tboputm.

11. erji,A JKf n0iHji,( niTpK Bk aHrMW^Hio, Ha ahi^h euvf npoTHBoy cTa^i^, raKO sasvupkH" mh k-k.

Alles so auch in Hilf. Hv., nur Sis. jiHue, saapaqtHB.

12. npkB'fee BW^) A<*^*^) "^ np'lHTH H'kKklHMk^) (0 laKiVBa

ck i€3kiKkiH ra;i,'KiJjr er'^a /Ki npiK^w^), wnperaauj« h (Ca\-- laaujc ci5], E0H5 ce coYipiH öö OBp-fesaHHia.

*) Hilf. npijKae 6o; Sis. (Hv.) Äpis^ie oyöo. 2) Hv. aaaae. 3) Hilf, hc npHÄoy erepH ; Sis. (Hv.) npHÄOyiB KxepH. *) Alle npHas. 5) Hjif. Btsaptaca ce H üjjioyiaine ce h ocoöjmiug ce ; Sis. (Hv.) BBSÄptacanie ce u wTi.ioyianie ce h wcoßjiMme ce6e.

13. H AHl^lM'RpHUJel) c( c"^ HHMk H npOHIH 10^^^"? "^KO H^)

BapHaß-k npHCTaTH aHi;fM'Kp'cTBli3) „y,^

ij Hilf. JiHueMiptCTBOBame ; Hv. aimcMipanie. -) Hilf, fehlt. '^] §is. Hilf. JiHixeMipHK).

14. Hk er^a BH;i,'k\*'' mko hj npaBO x'<?AfT'^ ^^ hcthn^li)

KATOB'kCTBOBaHHra, ptKlV^) nfTpÖ^) np'K B'CliMH aLfJE Tkl loy- AiH CklH l€3klHkCKklH a HE 'lOYA<"<^'^>^" H;HBEUJH, K'KO l€3klKklH

1) Hv. Kb picHOTbi. -) Alle eBaH^ciui, pixB. 3) jjilf. kb KH*i ; Sis. (Hv.) KH*i. *) Alle öiAuum.

15. MklH leCTBWMk') 10^^*"; a Ht2] l€3klK' rp-^UIHHl^H,

1) Alle poaoMB. 2j sig. u He.

16. BHAUß'lUf ^( «KO H( WnpaBAHTk C(^) MABKk (D A'^'^'»

3aKctHa2) ai|je hc Bt:poH> ly^BOM», h muh Bk xa ica B'fepoBax'w^), Aa wnpaB'AWM' et iC B'Kpki X^"^)> ** "* ^ ji,'^Ah 3aK0Ha5), 3aHf Hf wnpaB'A"Ti^ CD a*^*^ 3aK0Ha*') B'cana nakXk.

1] Hilf. onpaBjacTB ce. -) Sis. saKOHoy. 3) Hilf, bb Incoy Xpucia Bipo- BaxoMB; Sis. bb lucoyca XpHCxa Bipo»; Hv. bb Xpucxa BBipoBaxoMB. *) Hilf. iHCoy XpucxoBH. 5) §ig_ aaKOHoy. ß) Alle mko w jijB saKOHa ne wnpaBBÄHiB ce (Hilf. onpaBBÄHj.

Vor diesem Vers in Hilf, als Titel: -r- 0 npupiKaHH eace kb KH*i u o BipBHi cnaceiiu a ueaaKOHBHO.

Ueber einen cyrill.Apostolus serb.Redaction mit glag. Marginalglossen. 523

17. aiiJC AH H»|IOYl|lf ') lVnpaR\\,HTH C( W \% WKp1iTO)fOM* Ct^) M CaMH3) rpUulHHUH, O^KW XC rptvYOV AH^) C/\0\':KHTfAk;

^A HC KOVA*-

1) Hilf, umoymeu. -) Hilf. Hv. oöptioMt ce; §is. wßpiieMi. ce. =') Alle B MH. *) Alle JUS rptxoy.

18. ai|J6 BW') WJKf paSOpHH CHa2) naKKI CK^KI^itM', iipli-

»I Hilf, fehlt. •^) Alle CIL

V. Endlich nm zu zeigen, dass auch jene einleitenden Inhaltsangaben, die im griechischen Texte vicöd-eOLg überschrieben sind, in älterer und jüngerer Redaction vorliegen, wollen wir zwei solche Einleitungen in Parallelen (II und IV nach der Hilferding'schen Handschrift Nr. 14, I und III nach dem Belgrader Apostolus Nr. 55) nebeneinanderstellen.

1. I IL

G'KasaHie JivaHOßa nocaa- HanncaHHE HoanoßH ciih-

HHM ß'Topaaro. Gne taKO cTapu^k hhujc roc-

CTOAHf K-

Chki 'Kkc* CTapKn,k nnuicTk

no^i^HH H Me;i,OMi% i€f, Hm'i|it- rocno.VHHH h He;i,OMK «, Htok- BAHHie JKt nocAamw er 3pc lUTEßaHHC jks mncTCAHH chh-

^iJ^A 16« A<^Kpt JKHBOYHJaa Bb'siipfH Hf^k EE ^OBplv IKHEO^- B-fep-K, H MHOrH AkCTkUC WBk- I lUTf Bk BtpU H MHOPH AkC(T)i;E

)COA«Ui« H TiVionir Bki npH- OKk^OA^uiTf H rAaroAoyuiTa

lUkBHIO X^<iy Bk HAkTH, HHUJE j HC CO^UiTa ^CpHCTOßa npHUJk-

nocAaHHe. h npkBtLie öbo npn-iCTBH'k Bk HAkTH, nnmcTk chh-

CMACTk CH6 MC;i,a TAJKC HC HOKO CTOAHKi. HCHpkBA 0\fKO HpHCM-

Biü 6h;c HO HA raHHkCTKO, Ha- ACTk Mc^a ec, H HC» TOMk oy-

Ka3ÖI€Tk HaKkl W AKJKBIH H J^A MHTk JKC CCyrnTOy TaHHO^ HC»

np'bBklBAlO Bk ÖMCHIH Hp-k^^a- H'kMk ÖD HI€rC», H HpOHCie SMHTk

aH'TH)Cp'icTa Bki rAioi|iaarc- hc

Bk HA'TH HpHHTH ^Oy. 3aH0- B'feA'^'«''''^ ^f TaKOJKC TaKCBklie

Hack. Hooy*''**'''** HaKH (w) Aoy-

KkBH H Ji,A np'kBO\%VO\fTk Bk O^HCHH Hp-feH;;!.« 4,aHHMk HUk. OyHHTk JKC K>;KC aHTHKpkCTa

EkiTH rAaroAioujTaro Kk iiAk-

524

Ljub. Stojanovic.

HC npH(MaTH KWMS Bh A^Mk HH

M

TAATH TdKOBklH pa^'^R^TH C(

H TaKO CKOHHaßateTk nocaa-

HHI6.

III.

GKasaHHie Icy^w c'Kop -

HC»MO\- nOCAaHHK».

Gh6 nocaame nniui hm^h^i

lOHfC B'KpOBaBtUHH, BHHa /KE i€ CE ' npHLUbUJf Mb HtvKWEMk H bHt-

IjJEMk HC pa3AHHH0\' Blü rp'^YS

_, i

H U;M'kTaioi(JHMK CE ra Hb>Kb

HMli RHCaTH H «KpURMTH BpaK>.

H np'Bliie i>KW MCAHTk H no-

^BHSaTH C( H np-kKKIBaTH Bk

np'k^aHH'k HUk B'kp'k, Ta>Kf nponoB'k;i,8»€ chue Bk hh wkc» AkCT'i;e H nc»pi>Hai€Tk hhe.vhho

TlvMk HÜ'kTH npHWCklflEHHE Kk TaKOBHMk Bli4,8l|J£Mk aKO HE

1 51 T

^OBOAHO EJKE HapEHO Bkl TkK- MO, ailJE HE^\OHHO \-0,\HMk 3Ba- HHIO. HBO npBHI6 AK>;^H H3BE

H3k ernnVa rk h he nplJBkiB- 11JEI6 Bk B'Kp'k nc>ri>BHH H ar-

rÄWMk >KE HE CypaHQJEyk CBCH

MHHk HE noijJE^V'fi^- ^'Sn i>ßw vP TaKOBki^k [iü TaKOBki] CC'aS-

MaTH CE. HBW H MH\'aHAk ap- YTTAk HE HaHE ^SAklH ,,i,HraBlVA8. Bkl iJKW nOrHBlvAHH laKC co-

Tk YP"^''''* HEnpHUJAkiua. h

nCBEA-SBaETk 7K.( 'SKO TaKOBHMk HE npHEi.UTH Bk ;t,OMk HH TAA- rOAaTH HMk UEAOBAHH'k H TaKO KOHkHaETk ERHCTCAHW.

IV.

ManHcaHHE hk»ahhh erh-

CTOAHE.

Ohio EHHCTCtAHW nniiJETk B'fe-

pOBaBkUJHMk lOHCE, HEHklUTEBa- HHE[Mk] CE- BklUk^^kUlHMk ETE- pOMk H OyMEUJTHMk HE WTpa-

,\h.t\A cov'iuTa rp'kya h wru-fe- TaicmTHMk CE rocno^a, no-

Tp-kKa EMOV; BkICTk HHCaTH (h) OV"rBpk,V,HTH KpaTHK». HpkB'tE /KE MOAHTk E nO,VBH3aTH CE H

npivKkiBaTH Bk npIv^v.aH'k HMk B'kp'k. noTOMk :ke wTpni^aETk

TaKOBHE IvKO AkCTkl^E H 3anp1j- UJTaETk HH E^\HHOrO OB-tUJTa-

HHk (lies wie Hilf. 15 WBkiUTE- HH») HM'kTH Ck TaKOBHMH, B'K- ,V,OV'UITE "kKC HE,\C»BA'SETk EJKE HapEUJTH C( TkKkMC, aiUTE HE- ^VOCTOHHO 3BaHHli \'0;i,HMk. HBO HCnpkBa AOV%VH H3BE4,E H3k

EtioynkTa rc»cno,i,k h HEnp-k- KKiBkUJE Bk Bivp'k HoroycH ; antiEAHE (lies wie Hilf. 15 anl^EAk)

HE CkBAOY;i,klUEH (lics: -lllH\'k CßOErO MHHa HE nOUJTEAH [H\-k]. nO,,\,OBaETk (0\'KCtj WTk TaKO- BHMk CÜyOAHTH- HBC» MH\-a- HAk apk)(^aHtiEAk HE HOTpkHlv \-OV'AkHa CC\%\A ^.H-kBOAA ^Hllf.

üeber einen cyrill. Apostolus serb. Redaction mit glag. Marginalglossen. 525

3i>l€Tk Kk IVBKlHaH H HOMOAb Cf IV HH)f W ÖTEp^teHIH H^Kf Kk R'Kp'k PHH CKOHHdßai€ nocAa- HHI€.

Belgrad.

15: Yc>V'*^ ,\HiaßOAf). RoyA^f'*

MOMh, OyHHTk nO TOMk 1100^'- MatTK Kk U'CkIMaH H HCMOAk 3a OyTKpk/K,l,f HHf B'RpkHklX'»^ WTK

Bora, KOHMaKatTk «rhctcahw.

Lj'ub. Stojanovic.

Zusatz. Gleichzeitig mit den oben dargestellten glagolitischen Buchstaben in den Randglossen des Belgrader Apostolus bekam ich von Prof. Stojanovic die nachfolgende, mir schon von früher bekannt ge- wesene Zeile, die sich in einer Krusedoler Handschrift Nr. 8 auf der Rückseite eines leeren Blattes befindet:

Das ist zu lesen: Flonk ^aBH^\'k H3T». Bifarpa, d. h. Priester David aus Belgrad. Selbstverständlich ist diese Zeile mehr als Curiosität, oder vielleicht als Geheimschrift aufzufassen, sie zeigt auch eine ganz und gar nicht auf diese Schrift eingeübte Hand. V. J.

Bruchstück eines glagolitischen Messbuches.

Durch die Güte eines Herrn aus Dalmatien bekam ich zur Einsicht- nahme ein glagolitisches Fragment des gewöhnlichen Missale romanum. Das Ganze umfasst ein vollständiges Heft von acht Blättern auf Perga- ment im Zusammenhang und von einem nachfolgenden Heft zwei diu Pergamentstück bildende Blätter, deren Inhalt weder an das volle Heft sich anschliesst, noch die beiden Blätter untereinander sich berühren.

526 V. Jagic,

Der einst vorhanden gewesene ganze Codex muss sehr stattlich ausge- sehen haben, er war schön und deutlich geschrieben mit der üblichen älteren kroatischen Glagolica. Ich verstehe darunter die bekannte kroatische eckige Schrift, nur in einzelnen Buchstaben weniger schmal und weniger aneinandergedrängt, als das bei den Codices aus dem Ende des XIV. und aus dem XV. XVI. Jahrb. die Regel ist. Zur weiteren Stütze des Alters dieses Codex könnte ich auf das allerdings nur einmal (im erhaltenen Bruchstück) vorhandene s (statt des üblichen i) in »MSb+p-oua und auf ^ (statt m), ohne Ligatur, im Worte '3?»^+, hin- weisen. Die Initialen sind roth geschrieben, mannichfaltig ornamentirt, doch ohne Anwendung des Goldes und anderer Farben, und ohne tera- tologische Thierfiguren, wie es im Messbuch Novak's der Fall ist. Im Ganzen vermuthe ich, dass der Codex spätestens aus den ersten Decen- nien oder aus der Mitte des XIV. Jahrb. stammt, folglich etwas älter ist, als das soeben erwähnte Missale Novak's. Da in den letzten Decennien unseres Jahrhunderts das Interesse für den Glagolismus in wissenschaft- licher Hinsicht stark abgenommen hat, so will ich dem jetzt im Privat- besitz befindlichen Bruchstück einige Worte widmen, sei es auch nur um zu zeigen, dass auch daraus etwas Neues geschöpft werden kann.

Dem Inhalte nach enthalten die acht Blätter des einen (ganzen) Heftes den letzten Bestandtheil des sogenannten Commune Sanctorum, und zwar den Abschluss der Messe in nativitate multorum martyrum und dann die Messe in nativitate unius confessoris (mit einigen Unter- abtheiluugen), ferner die Messe in nativitate virginis und multarum vir- ginum. Im Missale Novak's kommt dieser Inhalt auf fol. 246 254 vor. Auf dem ersten Blatt des erhaltenen Pergamentstückes des anderen Heftes sind Evaügelienlectionen zu lesen, die sich auf die Messe pro defunctis beziehen, auf dem zweiten Blatte steht ein Bruchstück des ritus baptismatis. Alles das weicht vielfach von dem im Missale Novak's oder Hervoja's oder in der Venetianer Ausgabe vom J. 1483 Gebotenen ab, und da ich den ganzen Codex für älter, als die besagten drei Texte, halte, so ist es schon darum der Mühe werth, auf die Anordnung des Stoffes etwas näher einzugehen. Ich beginne mit dem auf dem letzten Blatte des Fragmentes enthaltenen ritus baptismatis. Diesen vermag ich genau zu analysiren, wobei ich die schon bei der Besprechung des Missale Hervoja's (Wien 1891) benutzten Werke, das Sacerdotale in der Ausgabe vom J. 1560 und Martene's grosses Buch de ritibus, Bd. I, zu Hilfe nehme.

Bruchstück eines glagolitischen Messbuches. 527

Die Columne a beginnt mit den Worten: mh OKp'3« h HfT- KprcAHißHaro Aasapa o rpoRa RSKorAH. 3aT0 npoKAf das ist

der Abschluss des folgenden Gebetes: Exorcizo te, immunde spiritus, per Patrem et Filium et Spiritum Sanctum, ut exeas et recedas ab hac famula dei. Ipse enim tibi imperat, maledicte damnate, qui coeco oculos aperuit et quatridianum. Lazarum de monumento suscitavit. Ergo maledicte diabole . . .

Darauf folgt das Rubrum: hk^ AB^mU.<>V- BaKAHHaw Tf HHCTH -K» 3aT0 npoKAf, d.h. Super puella. Exorcizo te immunde (spiritus) . . . Ergo maledicte.

Jetzt wird derTäufling in die Kirche gebracht: c''^'k K''Bf/i»«Tk K i^pKK* ra. So auch im Missale Novak's: B'ßfA*T'* " ß' i;pKBk ra« CHf, aber die Formel stimmt nicht tiberein. Im Missale Novak's heisst es: PaKf kjkh. HupK. ßHH;i,H b' ;i,OMk KHÜi, ji,& HMaiUH MacTb c \uw H Ck CTHMH fPO B BKH (d. h. serve dei, ingredere in domum dei, ut habeas partem cum Christo et sanctis eius in saecula). Bei uns dagegen : bhh^h b CTO\f i|pKB' b>khK), \& npHMEiUH bahhic HBCKO 0 ra Hcya (d. h. ingredere in sanctam ecclesiam dei, ut acci- pias benedictionem coelestem a domino Jesu Christo). Bei Martene fand ich nur abweichende Formeln : Intra in gaudium domini tui et ingre- dere in templum domini, ut habeas vitam aeternam et vivas in saecula saeculorum (1.213). Intra in conspectu domini per manus sacerdotis, ut habeas vitam aeternam (I. 219). Ingredere fili in domum dei, audi pa- trem tuum docentem te vitam scientiae (I. 221).

Das nächstfolgende Rubrum besagt : Ga^i^'t co^TAk noAOJKHTk H Ha T'aeyk utpt^BCHHYk h p«M«Tk haa HHMk OHf Hulk. Die wört- liche Uebersetzung dieser Anweisung bot mir anfangs Schwierigkeiten wegen des unverständlichen Wortes co\,'TAk, das weiter unten noch ein- mal wiederkehrt. In der Sache selbst handelt es sich unzweifelhaft um das Niederlegen des Kindes in der Kirche auf den Boden, oder wie es in Sacerdotale p. 16 lautet: Postquam pervenerit sacerdos ad medium ec- clesiae, ponunt infantem in pavimento, oder bei Martene V. 221 : Infans apud sacrum fontem humi coUocatur pedibus versis ad baptismalem fon- tem, et sacerdos ad altare spectans una cum compatre commatreve dicit Credo et Pater noster. Auch in unserem Texte wird unmittelbar darauf OMi Hiuk und dann B'Kpoyw gebetet (das letzte vollinhaltlich mitge- theilt) . Im Missale Novak's fehlt die Angabe betreffs der Niederlegung

528 V. Jagic,

des Kindes, es heisst nur: Hoyiuik fiii,H OHt Hiuk h K'^po^K» (d. h. der Pathe soll Vaterunser und Glauben hersagen).

Nach dem vollinhaltlich mitgetheilten Credo folgt in unserem Bruch- stück dieses Rubrum: H ß'sMSTi^ H covTAk o 3M7\e h pm7tk e^ nn. Hier kehrt das räthselhafte Wort coyTAk wieder, sachlich ist damit das- selbe gesagt, was im Sacerdotale a. a. 0. weiter folgt: et dicto Pater noster et Credo elevant puerum, oder bei Martene I. 222: Deinde pa- rochus infantem supinum a patrino sublatum utraque manu excipit ita, ut dextera capiti eins propior sit. Die letzte Anweisung brachte mich auf die richtige Spur zur Erklärung des Wortes coyTAk. Da der latein. Text bei Martene die Aufgabe der Niederlegung und des Aufhebens des Kindes auf den Pathen überträgt und da im glagolitischen Text coyTAk vor oder nach dem Verbum steht als sein Subject, so war es von selbst gegeben, in dem Worte coVTAk das Subject der Verba noAOiKHTk h HA T'AfY«* und BkSMETk H OTk 3iMi\( ZU suchen, folglich auf die Bedeutung » Pathe (f zu kommen. In derThat ist coyTAk nichts anderes als das italienische santolo (richtiger vielleicht zu sagen das altdalmati- nische su/iilo, nach der Coöabination Dr. Bartoli's) in der Bedeutung Pathe, wozu Du Cange auch die latinisirte Form sanctulus anführt. Hiermit haben wir einen neuen, sehr willkommenen Beleg für denUeber- gang des romanischen ojit oder richtiger des altdalmatinischen mit ins serbokroatische ut bekommen, wozu zuletzt C. Jirecek (Das christliche Element in der topographischen Nomenclatur der Balkanländer, S. 21 27) zahlreiche Beispiele gesammelt hat. Die beiden Rubra sind uns also jetzt klar. Dennoch würde ich gerne weitere Belege für coyTAk in der Bedeutung KOyMk kennen lernen. Das Wort scheint auf der Insel Veglia gelebt zu haben. Merkwürdigerweise hat auch das slovenische Wörter- buch Pletersnik's (II. 603) das Wort sutel in der Bedeutung »birmski boter« (nach Caf) und selbst sutal (nach Janezic), als Femininum sutla, die Firmpathin. Woher Caf und Janezic das Wort kannten, das bleibt unbestimmt. Vielleicht lebt es noch immer irgendwo in Kärnthen oder im Görzer Gebiet oder in Istrien ? Auf Pletersnik's Wörterbuch machte mich aufmerksam Herr Scriptor L. Pintar aus Laibach. Ich suchte das Wort daselbst unter der Form, die wir fürs Slovenische erwarten würden, sotel oder sotal] diese scheint aber nicht vorzukommen. Da- gegen ist fürs Kroatische die Form sutal ganz regelrecht. In der That kennen das Wort zwei neuere Wörterbücher, die hauptsächlich das küstenländische «Illyrisch» (d. h. Kroatisch) berücksichtigen. Jnrasich

I

I

Bruchstück eines glagolitischen Messbuches. 529

in Diziouario italiano-illirico (Trieste 1863) führt s.v. santolo auf S. 546 neben kum auch noch sutal, femin. neben kuma auch noch sutla an. Parcid gibt in dem )^slovinisch-italienischen(( Theile seines im Jahre 1874 in Zara erschienenen Wörterbuches S. 80 1 sutao^ -tla mit der Bedeutung : santolo, padrino ; und in der 2. Auflage des Vocabolario italiano-slavo (croato), Segna 1887, auf S. 684 s. v. santolo neben krsteni kum noch sutal und s.v. santola neben krstena kuma auch noch sutla. Das Wort muss demnach irgendwo im kroatischen Küstenlande und Norddalmatien noch heute leben. Im Süden kannte man es nicht, wenigstens Della Bella und Stulli führen es in ihren Wörterbüchern nicht an.

Das gleich darauf von dem »Pop« zu lesende Evangelium ist aus Matthäus XIX. 13 15, dieselbe Lectio wird auch bei Marlene I. 47 in Ordo VI an derselben Stelle citirt. Die weiter folgende Anweisung als Rubrum besagt: IloTOMk no/\o»;H poyKOY Ha rÄK'k o^poMtre riTr ßtpo\fK> K Ka ou,a h omc HUJk, h noroiuik raeT'' (d. h. deinde ponat manum super caput infantis, dicens Credo in deum patrem et Pater noster, et mox dicit). Ganz so bei Marlene 1.47: Postea tenens manum super Caput infantis dicat symbolum ... Im Missale Novak's dasselbe, etwas anders ausgedrückt: H noaoHiHTk Kk oaTapo\f raßoy o^po- He(Tf) H noKpORHTk (et ponat caput infantis ad altare et aspergat).

Nach dem nochmaligen Credo und Pater noster H noTOMk rarir' (et deinde dicit) folgt in unserem Texte ein Gebet, das ich in lateinischer Fassung in Sacerdotale und bei Martene fand und hier parallel zu dem glagolitischen Text abdrucken will :

He KpHH C6 COTOHa, npH^fTk

TtK'fe Mo^Ka, npH;i,eTk TtKli Xh^ co\f^\,'HH, Xm^ ncruK'kaH, ^Hk HJK« rpE4,fTk -bKO nei|Jk

rOpOYHJJ, ß HfHJK« eCTk TCK-fi MO\fHHTH Ce H ß'cfeMk aH^\OIUl'' TBOHMk. 3aT0, nOPHK'kaHH,

^aH MacTk BOY '*^"ß*5V hcthh- HOMOY, A^*" HacTk HcyoY c^y «ro H AY^Y c'^'^V" ^ HfrojKt hme

H K CHA-k SanKA**'^ TEG'k, HHi« KCtaH>KAO «CH, \\ni H£MHCTH, h

Nee te latet Sotona imminere tibi poenas, imminere tibi tormenta, im- minere tibi diem judicii, diem sup- plicii sempiterni, diem qui venturus est veluti clibanus ardens, in quo tibi atque universis angelis tuis ae- ternus veniet interitus. Proinde, damnate, da honorem Deo vivo et vero, da honorem Jesu Christo Filio eins et Spiritui Sancto. In cuius no- mine atque virtute praecipio tibi, quicunque es, spiritus immunde, ut exeas et recedas ab hoc famulo dei,

Archiv für slavische Philologie. XXII. 34

530 ^"^^ Jagic,

paKk k^kiTyi^, «^f A"cii rk Hiuk

HCyk k' CBOfH CT'KH lUlACT'fe H B/ÜnTeM' BC»;i,H KpHJfHHli A<*P<* 3BaTH paMHAk «CTk, Ji,A EQ>\[JS,(T'' LtpKH ßO^OK» nOpOJK^fHH'S Bk

o'^noYHJfHHf BctY«^ rp-kujHH-

quem hodie Deus et Dominus Jesus Christus ad suam gratiam et bene- dictionem fontemque baptismatis (dono suae gratiae) vocare dignatus est, ut fiat eius templum per aquam regenerationis in remissionem om- nium peccatorum. In nomine eius- dem domini nostri Jesu Christi, qui

1 venturus est ludicare vivos et mor-

Hc^a H^K« rpfA«Tk coy . . . j^^^g ^^ saeculum per ignem.

Die Vergleichung beider Texte zeigt, dass der slavische Uebersetzer Fehler beging, falls nicht manches bei der Abschrift in Verwirrung ge- rieth, z. B. ut exeas et recedas ist nicht richtig : h ;k,a ot Hf ro OTCTOy- nHiiJH, statt etwa zu sagen: M HSHAfUJH h OTcrov'nHUJH. Der Unterschied der Zahl (slav. plur., lat. sing.) dürfte auf einer anders lau- tenden lateinischen Vorlage beruhen. Nachdem ad suam gratiam durch \C CBOfH (cBfT'SH ist Zusatz) MHAOCTH Übersetzt worden, sollte der Text auch weiter im Dativ fortschreiten: h BAarocaOBfHHW h bo^-K KpkijJEHH'K, das eingeschaltete A<*P** scheint auf dono suae gratiae zu beruhen, obschon nicht alle lat. Texte diesen Zusatz kennen.

Das Missale Novak's hat an Stelle des angeführten Gebetes ein an- deres, das mit den Worten beginnt : BcfMOrH BHHH KJKf BOyA" B«" AH'fe MACTk TBCk, den lat. Text desselben findet man bei Martene 1.117: Omnipotens sempiteme deus, adesto magnae pietatis tuae myste- riis u. s. w. Auch diese Uebersetzung lässt manches zu wünschen übrig.

Nach dem Gebete folgt im Bruchstück das Rubrum : Iln TkKHtTk CAHHAMH b' HOS^pH H Bk oi'UJH TAf (d. h. Sacerdos sputo suo tangit aures et nares infantis dicens, wie es in Sacerdotale p. 16 lautet) und darauf die vom Priester zu sprechenden Worte : 6$H$aTa (}K( fCTk

Bk C^BOpfHHe Bk BOHOr CBOfrO OV'X'aHH'K- TH >Kf BHB'krHH

Ak'tBAe, npHBAHJKHT' BO TH Cf coy^"^ K/KH. In lateinischen Texten wird die Formel in zwei Hälften getrennt, die erste »Eflfeta quod est adaperire in odorem suavitatis« gilt für »ad nares«, die zweite «Tu au- tem effugesce, diabole, appropinquabit enim iudicium dei« für »ad aures«. Das Missale Novak's wendet in dem Rubrum statt TkKHCTk dasVerbum KOCHJTk an, und auch in der Formel zeigt es kleine Abweichungen : e>Kf ecTk OTBp'sH et Bk BOHW CAACTH (in unserem Text CBOtro o\'X'<»HH'K dürfte nur Schreibfehler sein für BAarooY\'aHH'R).

Bruchstück eines glagolitischen Messbuches.

>31

Am beachtenswerthesten ist der Unterschied zwischen H3BlvrHH und KHKtrHH. Die Präposition ktvI- statt H3- begegnet in glagoliti- schen Denkmälern kroatischer Provenienz (Istrien, Quarneroinseln, kroatisches Küstenland) öfters. Ich halte dafür, dass hier BHKlirHH erst später durch das üblichere, allgemeinere H3K'krnH ersetzt wurde; denn noch ein zweites Mal steht K'KI- statt H3- in dem Psalm XLIV. 5 : ßaHMH, cii-feH, KHCTO\fnH H i^^puoY" (nach dem lateinischen pro- cede) und es hat Valjavec nachgewiesen (Rad XCVm,S. 62, XCIX,S. 52), dass die ältesten kroatischen Psalmentexte diese Lesart bieten. In der That, auch im Missale Novak's (und der Ausgabe vom J. 1483) steht an dieser Stelle KHCTO^nH,

Nach der erwähnten Formel folgt in unserem Text ein Gebet, das in dem Missale Novak's nicht wiederkehrt. Ich setze es parallel mit dem lateinischen Text, der in Sacerdotale und bei Martene nachgewiesen

ist (I. 44) :

Be, EfCfMpTHH nOMOljj'HHME BCKMk npCCeiiJHMb, H3KaBHTf- AK) npHAE2K£l]JH)Ck, MHpk MAE- l|JHMk, IKHBOTf K-KpOXj'WipHlllk, BCKp'KlJJEHHE rJipTBHIUlK. TfBf npH3HBaiC>, BCfMOrH BE, Ma CEPO

paca TBO«ro. HMp., hjke Kpijje-

HH't TBOfrO A**P^ npOCE, BlvH- HOVIO HaCAli;i,OBaTH MACTk H \*BAW|' AX^"'''^ nOpOJK^tHHlv

/KEAahM!io\j', npHMH ero, BcemiorH

BE, H 1vKC> TH paHHAk ECH pEl|JH- npOCkTE H npHMETE, Hip'STE H OBpElJJETE, TAU.'KTE H OT- Bp30\'Tk CE BAM'K, npCCEHJEM''

Ma3A0V n<?A^*" " A^^P" c»^Bp3H TAKOyHJHIllk, ^A B'feMHaro oyMH-

BEHH'k HBCKHMk BAHHEMk HA- CA'SA^B'*'^^ KH OBEipaHH'S TBO- ETO OBp'tTk npHMETk J^,A0h..

Deus, immortale praesidium om- nium postulantium, liberatio suppli- cum, pax rogantium, vita creden- tium, resurrectio mortuorum. Te invoco super hunc famulum tuum, qui baptismi tui donum petens, ae- ternam consequi gratiam spirituali regeneratione desiderat, accipe eum, domine, et quia dignatus es dicere : petite et accipietis, quaerite et in- venietis, pulsate et aperietur vobis, petenti praemium porrige et ianuam pande pulsanti, ut aeternam cae- lestis lavacri benedictionem conse- cutus, promissa tui muneris regna percipiat.

34*

532 V. Jagic,

Auch hier ist gegen das Ende die syntaetische Zusammengehörig- keit einzelner Theile nicht aufrecht erhalten. Das Gebet fehlt im Mis- sale Novak's. Dort ist nur mit den Anfangsworten RcMTH khhh k. ein Gebet (Opi^.) angedeutet mit der vorausgehenden Formel Hh6 }K( npc- Kt\(, worauf noch drei Evangelienlectionen folgen (Matth. I. 18, Marc. XVI. 15, Matth. XXVIII. 18), die vierte ist mit hckohh B'k ca. nur an- gedeutet. Dafür geht unser Text näher auf die weiteren Phasen der Handlung ein: noTOim' niT BSOßfTk hm« ero rM. Hwp. OTiuif-

TfUJH AH COTOHH; OTB'feTk- OTMei|JC»V'. ÜR- H BCt^^ JS^IiAK

«ro; OTB'kTk- OriuieiiJOY. Ilrr H Kce KpacoTH ero; OrB-tTk- OTMfijJOXf. Das entspricht ganz der lateinischen Vorlage: Postea vero vocato nomine infantis dicat: Abrenuntias Satanae?R. abrenuntio. Et Omnibus operibus eius?R. abrenuntio. Et omnibus pompis eius?R. abre- nuntio. Mit den Worten ca.A.'S MA/KtTk ero OA-ßeMk fnunc ungit eum oleo) bricht der Text ab.

Das vorausgehende Blatt dieses Heftes enthält einen Theil der Missa pro defunctis, im Missale Novak's auf fol. 178 unter dem Titel: Mhca ch'R Bcar;k,d sa iuip'tbhy'. Die Lectionen bestehen aus Epist. I ad Thessalonicenses IV. 13 ff., aus dem II. B. der Maccabäer XII. 42 flf., aus Apocalypse XIV. 13 ff., aus Ev. Joh. XL 21 ff., ib. VI. 37 ff., V. 25 ff. Eine Vergleichung dieser Bibeltexte mit dem Missale Novak's ergibt manche beachtenswerthe Variante als Rest alter Uebersetzung, die hier noch unangetastet blieb, während im Codex Novak's schon Berichtigung nach der lateinischen Vorlage vollzogen wurde. Z.B. Thessalon. I, c. 4, V. 14 in Novak's Miss. tKO mh :KHBO\"i|JfM ocTaHJMk b' npH- LUaCTH PHH (lat. nos qui vivimus, qui residui sumus in adventum do- mini), in unserem Text dagegen: 1iK0 MH HCHBOYUJf" AHUifHH B npHUi''cTH THH. Das Wort ahujemh steht in Sisat. und anderen alten Aposteltexten. Ibid. 16 beiNovak Bk BH,A,'kH'n (offenbar w^ar in iussu mit in visu verwechselt und darnach der richtige Text verunstaltet) : in unserem noch das richtige b' n 0 B f A U H H (so auch Sisat. und andere alte Texte). Ib. 16 steht in Novak's Missale BCTAHO^Tk, in unserem Texte noch das alte BkCKpcHOifTk. Ib. 17 gibt unser Text folgende Lesart: Ho TOM iKt mh m;hbhh ahuiehh lu HHMk BcyKTiiy' a B CTp'tTfHHC rne ha aepk (so auch §is.: no TOiuik >Kf Oki :khbkh

AHLUEHHH KOXfnkHO Ck HHIUIH BkC\-HTHMk HA WKAAU,'k\'k Bk

cp'kTfHHie rocnoAi^Hie ha Aiep'k). In unserem Texte fehlt ha

Bruckstück eines glagolitischen Messbuches. 533

WKAan,'li\'K, wie es scheint nicht zufällig, denn auch in dem beim Am- philochlus abgedruckten Hilferding'schen ist dieses Wort ausgelassen. Im Missale Novak's lautet die Steile so: iio TOM VKi mh huikh m ;k (

OCTaHCMh, KO^HHO KC\'HTHM Cf UJ HHMh ßil OKAanl^Yk KK Cp'k-

TtHHi \*pncTC>\' HA atpb, hier ist H;Kf ocTaHfMk deutliche Cor- rectur nach dem lateinischen qui relinquimur; auch rocnc>;i,kHe wurde später in YpHCToy" geändert, um dem lateinischen Texte obviam Christo zu entsprechen.

In Maccab. 11, c. 12, v. 43 ist in unserem Texte npaso h npi- HHCTO (bene et religiöse) wohl richtiger, als in Nov. oder 1483er Aus- gabe: npß;i,HO H iipliHHCTO, auch ib. 45 ist I 1iK0 (et quia) richtiger als in Nov. Ha 'Kko.

In Jo.XI. 22 und 24 steht in unserem Texte ß'kA'^; i^ Nov. BlvMk

ib. 25 ß-Spo^CH ß' M( unseres Textes in Nov. HHte ß-kpo^fTh- ßa Ulf ib. 26 ai|J« OV'^P^'^'^' ^^ ^^'^- ^^^ ^^^ " o^MpuAK boya^t^k

ib. IMELIIH AH ß'tpOY CfluiOY (so auch in Marian. und anderen alten Texten): Nov. ß'fepoyeiiJH ah CfMO\f. Es erscheint allerdings auch umgekehrt da und dort die neuere Wendung in unserem Texte, während Novak das Ursprüngliche wahrt.

Der Inhalt des Heftes von acht Blättern, der wie gesagt einen Theil des Commune Sanctorum bietet, könnte zwar durch die genaue Vergleichung mit dem entsprechenden Text des Novak'schen Messbuches gute Bausteine für die zukünftige Geschichte der inneren Gestalt der glagolitischen Kirchenbücher liefern, denn zwischen unserem Bruchstück und dem Missale Novak's besteht durchaus nicht jene bis an die Identität grenzende Gleichheit, wie z. B. zwischen dem Missale Novak's und der ersten gedruckten Ausgabe vom J. 14S3. Allein für unsere Zwecke liegt es näher, nur auf die Bibeltexte dieser acht Blätter Rücksicht zu nehmen, da sie ja doch den Hauptinhalt bilden. Diese Texte sind zum Theil in Form von Versen den Psalmen entnommen, zum Theil stellen sie einige Lectionen aus dem Alten Testament, hauptsächlich aber aus den Evangelien und Episteln dar. Wir wollen sie auch in dieser Reihenfolge betrachten.

Aus Psalmen sind folgende Stellen vertreten: 20.2.3 (nichts Auf- fallendes), 20. 4 (übereinstimmend), 36. 30. 31 (übereinstimmend), 44. 3 statt der alten Lesart hsah'K et KAarOA'^'^'^ so noch im Pasmau'- schen Breviarium, Breie II. 39 steht hier schon nach dem lateinischen diffusa est gratia: hsahta ecTk mhaoctk ib. 4 5 statt Kpaco-

534 V. Jagic,

TOK> TBOfK» H ^OEpOTOK» TBOfW SO noch im Pasm. Brev. hat unser Fragment nach dem lateinischen specie tua et pulchritudine : A'R- noTOK" TKoew H KpacoTOK» TKOEiK»). Im Nächstfolgenden geben alle kroatisch-glagolitischen Texte : biiHMH (oder BaHMH), cn'kH, khctov'- HH H ^pcTBOYH, SO auch unser Fragment, offenbar beeinflusst vom lat. Text: intende, prospere procede et regna; hier ist cn'kH noch von der alten Uebersetzung geblieben, nach dem griechischen y.aTevodov. Be- achtenswerth ist im weiteren Text dieses Verses, dass alle kroat. -glago- litischen Texte HCTHHH pa/k,H bieten, während der Sinaitische Psalter P'kCHOT'Ki schreibt. 44. 8 steht in den kroat.-glagol. Texten die ältere Form B3AK)BH statt der im Ps. Sin. zusammengesetzten B'KSAK»- chaIsl ich sonst alles übereinstimmend bis auf OAliEMk pa;i,OCT- HHMk für oa. pa^OCTH 44. 10 schreiben alle kroat.-glagol. Texte np'feOYKpaiiifHa, so auch einige russ. Psalter, aber dem gr. TTSTtor/.ü- ^i€Vi] entspricht np1iHcn'Ki|jpfHa, noch älter npliBoyipfHa (so Sin. Bologn. Pogod.). 44. 13 ol ttIovölol tov Xaov lautet in der ältesten Uebersetzung nicht ganz wörtlich: KoraTH aic^iif (so Sin. u. a.), die kroat. Texte berichtigt nach dem lateinischen omnes divites plebis: bch KOraTH AK);i,aci;H (so unser Bruchstück) oder bch k. ak»a'ci;h. Im nächsten Vers ai nlrjöiöv haben alle kroatischen Texte, übereinstim- mend mit dem Sinait. HCKpHC a (oder HCKp'H» a). 45. 5 (alles übereinstimmend). 67. 36 (übereinstimmend). 88. 21-23 steht noch in den kroatischen Texten der einfache Aorist OBp'STk. Im weiteren ist HHMfCOJKe OYCR'SfTii BpaPk B YMU' etwas modificirt nach dem lateinischen nihil proficiet inimicus in eo, ältere Uebersetzung lautete HHHECOM^E OYCH'bfT'K Bpan». Ha-Hk (so Sinait. u. a.). Für He npH- AOHCHTTk [ov 7tQoaS-i]06i) geben kroat. Texte hj BSMOJKfTk (lat. non opponet). 88. 25 (übereinstimmend, nur HCTHHa, nicht p'kCHOTa, wie im Ps. sin.). 88. 36 (alles übereinstimmend, nur kacy" Cf, nicht KAf c' Cf). Im nächsten Verse steht cKMf , wie in Sinait., nicht UMUt. 91. 13 (übereinstimmend, cpolvL^ wird durch HHHHKk wiedergegeben), das Particip Ttecpvrsvfievog lautet in der glagol. Uebersetzung bald na- ca^KA^"!^ 1t)ald BcaJKAfH'. 109.4 (übereinstimmend). 118.46 (übereinstimmend, nur schreiben die kroat. Texte unrichtig CB'tA'^H" statt ChBtAtHnHYTi-. Ib. 95 steht in kroat. Texten das richtige jK^auj« (in Sin. m;h^;^t'k); im nächsten Vers Bcano« statt BkC{i>ft (so auch cyrill. Texte). 123. 7 (übereinstimmend). 131. 9 in gla- golitischen Texten steht vor OKA-kBoyT' cf die Conjunction ;i,a, zu

Bruchstück eines glagolitischen Messbuches. 535

BSpd^oyK'T'' kommt an einer anderen Stelle die Variante ßkSKfCf- AtT' ce vor. Ib. 16-17 tibereinstimmend.

Liber Sapientiae wurde au3 dem Lateinischen übersetzt. Das sieht man auch dem Stücke c.IV. 7 15, das in unserem Fragment auf fol. II col. a enthalten ist, an. Die Uebersetzung stimmt mit jener des Brevia- riums von Pasman (bei Breie) beinahe wörtlich überein, z. B. IV. 7 si morte praeoccupatus fuerit: ai|iE cer.ip'THic OKKliTk ROiV\fTK, doch in refrigerio erit: K Y'^a^k.t KO\'AfTh> Pasm. und Nov.: unser Kh oy- CTO^A'^ KOY;i,ETk (die letztere Lesart scheint älter zu sein). fib. 8 Pasm. HacTHa ktk hc ^lhh A-tTh. mhcaomk mt^ha (venerabilis est non diuturna neque annorum numero computata): hactha K0Y;i,6Tk Hf ^HH HH MHCAOML MTfHA AlkTb. (diese üebcrsetzung lautet bcsser). ib. cani autem sunt sensus hominis lautet in Pasm. so : ch^hhh ko ccyrii ^\'iMx HAOB'feMACKH, in unserem aus Versehen so: cß'feA'^T'f'^M

KO CC\'Tk O^MH HCKH. ib. 9 statt H^HßOTK HCnopOMMH Pasm.

(vita Immaculata) unser: iKHBOTk HfnopOMHHYk. ib. 10 Pasm. o^roA^JM«* Kli KOY H Bb3AK>BAEHK (placens dco factus est dilectus) : OYro/i,AHk KÖY CTBopeHk ecTk B3AM»KAeHH (unser, wörtlicher nach dem lat. Texte). ib. H JKHBe M(K> rptiUHHUH npHCTABA6HK fCTk (etvivens inter peccatorestranslatus est) Pasm.: unser dagegen h ikhbh MeH^A«^ rp'kuJHHKH npHHfCfHk ecTk. ib. 11 BC^miieHk kU (rap- tus est) Pasm. (so auch im heutigen cyrill. Texte): nona^eHk ecTk unser. ib. H AACTk he npHAACTHAA KH A*V^^ ^''*^ (^^* ^^ ^^^^^ deciperet animam illius) Pasm. (so auch im heutigen cyrillischen HAH AECTk npEACTHTT». ^O^UJOY EPo) : unser dagegen h ^a Ij^ehhe he npEYHHHAO KH J\,mö\[ EPO (das räthselhafte 1ij^(tiiie ist vielleicht so zu erklären, dass fictio als victus aufgefasst wurde). ib. 14 h cepo pa^H Pasm.: h sato unser.

Ecclesiasticus oder ^ocpiu ^üqayi beruht sonst auf der Ueber- setzung aus dem Griechischen, allein in den vorliegenden glagolitischen Texten sieht man deutlich das lateinische Vorbild. Die beiden Texte, der Brcicsche (I. 152) und unserer, stimmen meistens wörtlich überein. Ich hebe einige Stellen heraus: XXIV. 2 et in plenitudine sancta admi- rabitur h Kk hchahehh cbet'Rem' nc>\'BAHT ce unser, richtiger Breie : H Bk Hcn. CB. Oi'^HBHT CE (übrigens auch unser an der Parallelstelle: noHO\j';i,HT ce\ ib. Breie hm'Sth BAHHETk: unser hmUth kov- AfTk. Breie' noYBAAOY: unser YKaAoy, Breie Bk KAAPOCACBEHHjfk :

536 V. Jagic,

unser IUlf/K/k,io cahhmh (inter benedictos'. ib. 3 Breie nc\'Olo: unser hcyc>h;^k«, Breie npKO pol^ma : unser npBO pO/K;i,fHa. Nach v. 3 folgt gleich V. 2 1 in besonderer Fassung: as^^RKO AHBaHk h TbMkIvHk

HinO^BHH^HH BKOpEHH\'h. npEEHCaHHE MCE H 'KKO CaA'caMk HC-

npcM'^H'Ha BOHa mo1j, Breie' ash. AHBaHk h TaM^'tHk HenocKpov'-

HEHH BKOpEHH\'k OBHTaHH£ MOC, 'IkKO BaACaU" HCH3M'KHH0 BAa-

roo^V'^HHf Moe (latein. quasi Libanus non incisus vaporavi habitatio- nem meam et quasi balsamum non mixtum odor mens). V. 23 a3k "feKO Aosa nact^oBHTa cTBopHyk nao^k BArooyYaHH-t A'^^P^^th, so beide glag. Texte, während es lat. heisst: ego quasi vitis fructificavi suavitatem odoris.

Eccl. XL VII. 8 Breie CBfTOMoy (sancto), unser np6nc>;i,0BH0- Moy ib. 9 j\,A f luioy CHAoy ha BparH Breie : A**P«'ß*» «M^V '^P'*^- nocTk Ha Bparn unser das im V. 10 fehlende bei Breie- ut lauda- rent nomen sanctum domini et amplificarent mane dei sanctitatem^ liest man in unserem Text so: J^A Yß'^fTk HMf CTOe PH« H OYMHOJKSTk

WTpO B/KHEKi CTHNeW.

Eccl. LI. 13 exaltasti Breie' BSHEcaAk fCH, unser BSHfCf, v. 15 nicht BHCH, sondern BHCTk sonst volle üebereinstimmung mit Breie (L 159).

Die Evangelientexte zeigen mehr oder weniger Annäherung au das Lateinische, wenn auch die ursprüngliche üebersetzung überall durchschimmert. Matth. V. 13 HH K mjmov* JKf H'bCTk Breie : hh K HfMOY ^* MOJKeT" BHTH unser (Zogr. e;^;^,«^».) ib. H noneptr c( CT HAOB'SKk Breie' : unser noch das alte H noHHpafMa mkh (so auch Zogr.). V. 14 statt CB'kT'k hat Breie CB'tTAOCTk, unser noch CB'kTk und er schreibt auch BCtMOY MHpoi', bei Breie nur Mnpov'. Ib. Ha Bpyoy ropn beide glag. Texte, Breie' fügt hinzu nocraBAfHk, unser wahrt das alte cto£- V. 15 Breie BJKHrawTk, unser bh;h- sawT^, weiter bei uns h nocraBAaiOTk h (so auch Zogr.) und mit regelmässigen Endungen Ha CB'tiiJHHi^'t, b YpaMHHt (bei Breie' -L|,h, -hh), V. 16 stimmt alles mit den ältesten Texten, bei uns HHECftY"», Breie -CH^i^. V. 17 unser MH'KTf (Breie Hf lUHHTf), dann beide Male den einfachen Aorist npH^k, zu pasopHTH steht der Accusativ saKOHk HH nppKH (bei Breie HAH np.). Statt des zweiten pasopHTH steht bei Breie' pas^pov'^"'^" °^^* ^^ '^'^^' <iiesem Verbum. V. 18 bei uns noch aMHk, wie Zogr.^ bei Breie Bk hcthhov' ib. unser

Bruchstück eines glagolitischen Messbuches. 537

^OHA'S^e npcH^^STk (so in alten Texten) : Bröid A'J*H/k,'R/Kf mhmoh- J\,(TK. Breie gibt e,i,HHa MpHpa hah E^i,HHa HfCTk Ht MHMOH^\,rrb,

unser schreibt näher an die alte Textüberlieferung hhcmo ^richtiger wäre RHCMf) f,\,HHO HAH f,i,HHA Hp'i|iA tt( HpfH^rrk; ferner steht in unserem Texte a^^ha^jk« ßca ch1j KO\,';i,OYTk, bei Br6ic ^OHAüHi« Kca Koy,\o\fTk. V. 19 beide glag. Texte e,\HHOY CT 3anoß'k,\H CHjCk, dann Breie oyMHT^ unser mit den früheren Hao^fHHTk, beide

HB7cU,1v{Mk. Breie HJK« KO TBOpHTk H O^MMTk, unser A HH?« TßO- pHT^ H oyHHTk, beide haben ßfAH.

Matth. XL 25 nur halber Vers bietet nichts zu erwähnen.

Matth. XIII. 44 beide glag. Texte haben 3a pa^ocTk ero Hji,( H npo;V^^ BC'k '6:k« nyk h KO\fnH ceAO to (in alten Texten dafür Präsens: H^\eT'K, HiuiaTT», iipo^aeTT»., KoynoiffT'k). ib. 45 und 46 stimmen mit alten Texten überein, nur ^^OßpH^k ßHCcpk, dann bei uns iija;i,k npo;v,a ßct 'Rjkj »m% Breie lua^k h npo^a. ib. 47 beide glag. Texte HJßOAoy ßp^KtHOif (statt B'kBpT».JKeHO\*), nach po^a folgt pHKk CKHpaK5i|ic»y (Breie SKHpahMiiOY). ib. 48 beide glag. Texte schreiben HanAHii ce, beide HSBAtiKiue h h npH KpaH c't;k,iuf (in alten Texten steht Ha Kpan,, beide den einfachen Aorist HSBpkroi'. ib. 51 beide glag. Texte paso^R-l'^CT« ah. ib. 52 in unserem Texte fehlt das Wort KivHHHikHHK'k, Breie hat es; beide glag. Texte schreiben HaO^"* C^ ß l^pCTß'R HBCl^'KEMk.

Matth. XXIV. 42 unser B^HTf, Breie B^'kTe; unser B KO\'K> rc- AHHOV, Breie B KO^ ro,i\,HHOY, Breie' hat nach rk ausgelassen ßam".

ib, 43 unser bh^ht«, Breie B'S^htc, beide no^'KonaTH (wie im Ostrom. Ev., die alten glag. Texte schreiben hier no^ii.'kp'kiTH). ib. 44 Breie: 'kKO Ht BHCTf B KOVj'W rc>;i,HHoy, unser näher dem alten Text tKO ßa-HH^E Hack MHHT£. ib. 45 beide ß'bpaHk paßk h moIj'- Aapk, beide nocTaßHTk (so auch Ostr.), beide Ha^' HtAa^Hio cßoeK».

ib. 47 beide nocTaßHTk fro (alt h).

Matth. XXV. 1 no;k,OBHO ecTk beide glag. Texte beide A^cf- TkiMk ^BaMk, beide hsh^o^. ib. 2 BO^H^k, movaP^X'*^ '^ßide glag. Texte. ib. 3 beide Hf bselue OA'k'k Ck coboio, unser fügt noch hinzu ßk caco^A'^V' CBOH^k. ib. 4 MO^AP^^ ^^ Breie', unser a MOYAPM^j beide bsehje (statt npHbÄUJ/Ä). ib. 6 unser noAoy HOLfJH, Breie' ß noAOY M'^'U^m; unser HC\'OAHTf (so auch Zogr. Mar.), Breie HSHA'tTe. ib. 10 unser uiaAUJEM /Kc HMk, Breie maAUJHMk ;

538 V. Jagic,

unser noch KoynHTh, Breie KOynHTH, unser kein acHf vor npH^f, beide roTOKHf X^ khh^oi'. ib. 11 beide npH4,(M;. ■— ib. 12 unser m bIv^Ij Back, Breie HC E'^Uh Baci* (schon Zogr. hat die Form B'S;i,'k).

Marc. XIII. 33 37 fehlt bei Breie, es ist darum nicht überflüssig, diese Lücke aus unserem Bruchstück zu ergänzen: 33 (R' ho Bpne

pCM« HCk OlfHEHHKOMk CBOHMk)' BtJK;», (sic) H K;i,'kTe H MÄHTC Cf, Hf BtCTC KO KOTAa BptMf KOy^fTk. 34 'RK0^K6 KO HKk J!l,A- MH( OT'YOA« CCTHBHTk Ji,<:>Mh CBOH, J{,Aßh paEOMk CBOHMk

OKAacTk KcroHJA<> A'^^A, " Bparapc^ noBJAHT' ji,A k/i,htii. 35

K^MTf OYKO, Hf BtCTt KO KOP^a Pk A'^'^^^V "P"A*'''>^* BfHfpk AH HAH nOAO\j'HOHJH HAH KA^a nET-tyk BCHOfTk, HAH SAlOTpa. 36 Ji,A irji,A npH^fTk, OKp'SlIJfT BH CRflJje. 37 HTO KO BAM' pÄiÖ, TO BCkiUlk PAK»- K^HT«.

Zu 33 ist zu erwähnen, dass statt B'kiK;i,'Tf (unrichtige Weiter- bildung des Plurals nach dem Singular B'RjK,i,k) die alten Texte bieten KAio^tLre CA, Zu 34 BAacTk h KOMoyiK'kAO ^,'^ac> CBoe so die alten Texte, Nikol. jev. hat BpaTapoy, die übrigen BpaTkHHKoy. Zu 35 statt der Umschreibung unseres Textes schreiben die alten: AH BT», KO\fporAaujfHHe, Nov. HAH 0 HfTfCH noiOL[j{Mk. Die Form n(T'^\h. {hente peteh) ist nordcakaviseh. Auch Ostrom, schreibt 3a oyxpa, andere »orpo oder lOxp'S, Nov. c'iOTpa. Zu 36: ^a H6 npHUJCAT^ B-KHesaaiioy so die alten Texte. Zu 37 statt m'to KO steht in alten Texten: a i€>Ke.

Luc. X. 16 20 weicht in unserem Texte stark ab von alten Ueber- lieferungen: ib. 16 steht bei Breie noch das richtige a OTM'feTa«H C( Mim, OTMliTatT ce nocaaBiuaro ne (so auch in den ältesten Texten), unser dagegen hjk« M(»( H6 CAHUiHTk, OHoro He CAHUJHTk, h>kc nocAa. ib. 17 Cf^aM' j!^tctTh h ^Ba so beide glag. Texte; unser peKOYipe, Breie rAioijjf, weiter bei uns rn oi|J6 h ^'^mo^hh ßk

HMf TBOe HOB. C( HAMk, Breie Oliif H K-SCH HOB. Ci HaiUlk HMEHCM^

tbohm' (im alten Texte o hmehh TBOfiuik). ib. 18 Breie cna;i,oi'i4Ja, unser cna;i,aionja, c HKce geht dem Particip voraus. ib. 19 ce M\h unser, h ce A'^V^ Breie', chao^ Bpark unser, c. BpajKHio Breie', weiter in Breie nach dem alten Texte h HHMTOJKe Back He Bp'SA"Tk, bei uns dagegen: h HHKTOiKe Back caKaaSHHTk! ib. 20 OKaM« Breie (so wie im alten Texte), unser b HCTHHoy, weiter He toahko o ceMk

Bruchstück eines glagolitischen Messbuches. 539

pa^oVHTf C/A, noMTO KaMK X^ ncBHHoywT ci (im alten Texte raKO A^H BaM'K noBHHO\|'MfiT'k CA), BrSic 1vK0 k1vCH noß. ce Kauk; nach dem zweiten pa^o^HTt ce fügt unser hinzu h Kfcea'RTt c(.

Luc. XII. 35 statt k;^^;^ steht in unserem Texte Roy^'^^T^ (Brciö Boy^HTf). ib. 36 unser noch richtige Form MahMjitMK (Breie naw- 1|JHM'), beide glag. Texte wenden Singular an CT BpaKa beide auf- gelöst die Participien: fr^\a npH^CTk h takhct". ib. 37 nach BAH^HH unser schaltet ein coYTk.Ü ib. 38 unser HAH B AP^V^V^ HAH B TpfToyK» CTp., beide tako TKopfipf. ib. 39 rk \qama : so beide glag. Texte, beide B KO\fK> CTpaJKoy, beide H( bh ocTaBHAk (statt ^aA'k), statt ^ijOMoy steht in unserem Texte ypaiLia. ib. 40 beide Texte ctro pa^H.

Luc. XIX. 12 beide glag. Texte «Tfpk, so wie Zogr. Ass.; unser H^£ : Breie oth;i,« (alt H^f), beide geben statt j^AMHt die adjeetivische Form ^aACHHOYK», beide mit Assem. BTiSspaTHTH ce. ib. 13 pene K HHMk unser (Breie: pfMC HMk), beide A<>"A'^'*^f- ib. 14 rpaJKA^Ht unser : rpatiaHt Breie. Statt nocAauj£ (so Breie) steht in unserem nocAABilJE MABO\|' (auch MATBO\|' möglich zu lesen), Breie hat das letzte Wort nicht. ib. 15 HiuiHie ji,A beide glag. Texte. ib. 17 unser A*^E[pH paß« BATH, Breie nur A*^^P" P^^^^ (Mar. Baar'ki paß« h A'^gP'w), beide Ha^' A^^fTHM» rpa^H. ib. 18 beide h aP'^V"- ^^- ^^ HaA' ntTHK» rpaAH beide. ib. 21 beide B3tMAfiUH erojK« He

nOAOJKH H '«KHElilH (Brcid n^AHflüH) fTOJK« Hf C'R'fe. ib. 22 C0\,'JKA»O

TCB'K unser, cc^io Ti Brc., B3«ma« unser : B3HMa£ Brc., statt eroH^e nctAOJKH^k Brc. steht in unserem erOJK« Hf noAOJKOY (vielleicht aus Hf noAO/Kk); u jkh« (Brc. h ^kahc). ib. 23 unser h rohto Hf AaAk fCH, so auch Breie', nur ohne h; beide TpHJHHKOMk; Brc. CTf- SAAk BHMk (so auch in alten Texten), unser B3CAk EHMk. ib. 24 beide glag. Texte hmo^iijoymoy. ib. 26 bcakomoi' HMoyiiJOVMOY unser (hmo\-hjo\- Brc.), beide A**^'*' ^^ " H3B0\-A«Tk, beide f/Ke

MHHT et HM'fef, Ba3rJI£T Ct.

Hier folgt noch in unserem Texte der Vers 27, der in der Ausgabe Brcic's fehlt, er lautet so: OBane th Bparn Moe He ^OTliBiiie mhU a**

BHM^ L^pk BHAk HAA HHMH, npHBeAlvTe i CRMO H HCKl^-feTe E npCA^ MHOK».

I. Ep. ad Corinth. c. VU. 25 in alter Uebersetzung übereinstimmend mit den ältesten cyrill. Texten: o wncTa^k h Aß**Y** noBeA-KHHli rna ne HMaM, CB-kT iKe a^k» -rkc noMAOBAHk rMk B-fepaHk bhth

540 V. Jagiö,

(Breie: TaKO tKO noMHAoeaHk KtiXk). Ib. 26 beide wenden das Verbum pa3C»\'iui'6TH an, nur in unserem fehlerhaft pasoywkH o\'BO, richtig Brc. pa3C>\'M'6K> c»\'RO, beide haben CHf statt C( und CHU,t statt TaKO. Ib. 27 beide npHBCBaHk ah «ch, OTp-tmeH /\h ich, nur unser CT TKiHH (Breie genit. ohne ot). Ib. 2S nur in unserem nach alter üeberlieferung aijjf nocarHfTb A,ßi\, n'fecTk Ckrp'biuHAa, bei Breie': ame OBpoi^-HHT et ^a, h-Sctk carp. Ib. unser CKpB :Kf nATacKO\'W (in cyrill. alten Texten CKpbBk 'A^i hakthiO;, bei Breie CKpBk 7K( T-tAfCHoyio; beide hm'Kth HMO^Tk. Ib. 29 beide CHi^f PAK», beide npeKpanjfHO fCTk h mhhhtcaho tCTk (nach dem latein. reliquum est), beide haben HMO\-i|J£ (statt HMO\'i|jfH). ib. 30 in un- serem noch das richtige nAaHO^'ijjfH c(, nach h paAO\'KM|j£ ce folgt BC>\%\o\'Tk, dagegen ist 'kKO m paAC»\'KM|j| ce in unserem ausge- fallen. — ib. 31 in unserem fehlt iiiHpa Cfro. ib. 32 statt Boy^eTt in unserem und Breie BHCT6 bhah, beide schreiben Kfc nfnaAH; eben so beide HfOiKEH'H (Hf OH;mkH) ce. ib. 33 unser a OJKfH ce, Brc. a OHtEHkH cf. ib. 34 lautet so: h jKiHa m nocarmn-t h J^^a m- HfT cf 0 rNH^k, j^i\ fCTk CTa T'kAOMk H AX^"^? die Fortsetzung fehlt bei Breie : a nocariuH-k nfMfT ce o MnpcKHY" KaKO o\'rc>AHTk MoyjKoy. 35 Gf JK« K nOAS't bam' taw, a H( 'SKO 0\'30\- BaM'K3A0H;C»\', Hk K BATOOBpaSHOy H HfO^CTOrnHOy H Bf3'MABH0\-

TB'k IKHTHK» noo\'i4Jaio KU 0 y-K HcU trk rnutUK (so liest man den Text nach meinen Notizen auch in einem glagolitischen Missale Ku- kuljevid's).

II. Epist. ad Corinth. X. 17 18 nichts zu bemerken. XL 1 saHC BHcre MaAO npH'KAH beso^mhe miot, Hk npHtniAHTC (nahe verwandt mit äis.), dagegen Breie: anJt bhct« CTpnliAH H'kKOAHKO BfSOyMHC MOf, HA H HOHOCHTf ut (wahrscheinlich no^HC^CHTf Me, alles nach dem lateinischen Text). ib. 2 beide glag. Texte pBHC>\'io BO (bh) B?KMk pBHOBEHHCMk; unscr A,B.oy np«MHCTO\' (Breie A-

MHCTO^f).

II. Epist. ad Timotheum IV. 1 beide CB'6A'^'''«'^'*CT'ß*^V'*^> ^^^^'^ HJKE cc>\^A"T'" X'OiiJeTk (§is. \'0Tfi4JHHMk co\*ahth), Brc. (und Miss. Kukulj.) HJKf fCTk C0\'AHT«Ak (nach dem lateinischen Vorbild qui iudicaturus est); beide weiter npHiuacTBHtMk (ro h ^pcTBOMk iro (in Miss. Kukulj. steht noch npocB-^itJEHiEMk, u,pCTBHfMki. ib. 2 beide nponoB'tA^"? ferner HacTOH hoaobhhm" h hcro^ob-

Bruchstück eines glagolitischen Messbuches. 541

MHMk (Bic. und Miss. Kuk. np1vno^i,ORHHiiiK m Hmp1vno^\,ctKHHMk), dann folgt: CKAHMaH saKAHHae KapaH unser, Brc. ORAHMaii moah H KapaH, Miss. Kukulj. c>KAHHan, hioah, HaKa30\'H (lat. argue, ob- secra, increpa). Ib. ßa BcaKOiuiK TpirlCHH h Hao\'i;1v so alle glag. Texte. ib. 3 unser SAP^JßC» o\-M6HH6 crpnjTk, Brc. und Miss. Kukulj. .s^paEarc» o\'HfHH'k Hf ßcnocAO\'iuaK>'rk (näher dem alten Texte), Ha B cßOH JKfA'kHH'k pa3ropo\'HfT ccK'k MfuJTpH cpaM'k^KAHBH o\'UJHMa, Brö. und Miss. Kukulj. Ha nox'OT'kHHtiui*

CBOHMb HBEfpO^TK (Brc. CKfpO\'Th) CfKlv O^SHTfAH, die letzten Worte (prurientes auribus) bleiben bei Breie und im Miss. Kukulj. unbe- rücksichtigt. Das sonderbare pa3ropo\,'nfT C( unseres Bruchstückes kann ich mir nur so erklären, dass der Uebersetzer bei coacervahunt an acerhus gedacht hat; das Adjeetiv gorup^ Verbum gorupiti sind im akad. Wörterbuch belegt. ib. 4 unser CT hcthhh HHU,k CAC^yii CTBpaTfTk, so auch Breie und Miss. Kukulj., aber beide ohne hhu^k; weiter Ha npHMf jkc npHOEpareT c«, näher dem alten Texte Breie und Kukulj. H K EacHEMti oyKAOHfT cf. ib. 5 lautet in unserem so:

TH B HCTHHOy B^H H BK KCKyk TpC»\'JKA*»H Cf, A'^AO TBOpH

(bh^ahU, cac»\''jkbo\' tbok» HanAHH, BpHsaiiii' (sie! statt TpHsaim') KOAf/l.H, ungefähr so auch bei Breie und im Miss. Kukulj., die beiden letzteren lesen o B'cEMk (Brc. o BCk^k), Miss. Kukulj. bietet EAaro- O'fiCTHHKa (so auch viele cyrill. Texte des XIV. Jahrb.). ib. 6 in unserem so: a3k H>pe Bp:K;i,'^ " Bpt:Mf luiofro paco^THt nacTO- HTk, Breie' und Miss. Kukulj. a3k BO lOJK« EpaiK^v»^ " ßp'kye oma- CTH-S üoero Kin^f HacTOHTK, Was ist BpjK^io oder Bpani^ic, Brc. BpaJKl^M» ? Das Verbum scheint mit Bpa3ra, rugae, in Zusammenhang zu sein, doch vermag ich es nicht befriedigend zu erklären. ib. 7 alle glag. Texte: A'^^po^ Epank Epa)(^k . . . Etpo^f c\'paHH\'k. ib. 8 Miss. Kukulj. Toro pa,i,H CTAOHifH' ecTk mh^K BlvHku,k npaB;i,H, Breie': Ba ocTaaoMk o\|'roTOBaH' MH-k ecTk Bcnai^k npaB^H, in unserem: Bk ocraacMk npHnpaBAEHa ecTk mh'R Kpo\fHa npaB;i,H, das letztere am nächsten dem lat. Texte : in reliquo reposita est mihi Co- rona justitiae. Unser Text hat an B'kHkU.k gedacht und darum ist im nächsten Satze hjki stehengeblieben, weiter fehlt bei uns npaßa^kHH, blieb aber die alte Form co^j'^i.H (so auch Miss. Kuk.), wofür Breie das neuere co^A^'k bietet. Ib. unser MHli caMOMO\,' Hk HHivMk HJKf, Brc. Hf MH-k caMOMoy, Ha H T'kMk HHif, Miss. Kukulj. AH

MH'k CaMOMOl' Ha H BCHMk H^KE . . .

542 V. Jagic, Bruchstück eines glagolitischen Messbuches.

Epist. ad Hebraeos c. VII. 23 unser lUlHOJK-kHLue, Miss. Kukulj. MHO>Kt:HUJH, alle CTBoptHH co^Tii fp'tH HO saKOHO^ (der letzte Zusatz ist nicht aus dem latein. Texte erklärbar), 3aHf 'Kko CflUipTHh> covTk BKBBpaHdEMH npeKHBaTH. Ib. 24 ck jKf uDser, H ck h;« Miss. Kuk., Hcoyck 7K( Breie; alle 'tKC nptB. fiuioy fCTk ß kkh, alle Hmp'kcTO\fnHO Hiuiark fp-^HCTKO. Ib.25T'Siiii>K/i,e unser, cncaTH unser, b bkh statt HpHCHO alle glag. Texte, npHCToynaak caMk co- KOic alle glag. Texte, Kk eo^ npHCHC» alle glag. Texte, mahth o Hack unser, MaHTk sa hh Breie.

Wenn dieses unbedeutende Bruchstück (im Ganzen zehn Blätter) schon so viele beachtenswerthe Varianten zum glagolitischen Texte Brcic's liefert, so kann man sich vorstellen, welche Bereicherung und auch Ergänzung des dort gebotenen Textes aus zahlreichen anderen glagolitischen liturgischen Handschriften (Missalen und Breviarien) ge- wonnen werden könnte, wenn sich Jemand fände, der nach mehr als dreissig Jahren die von Breie begonnene Arbeit fortsetzen wollte.

V.J.

Palaeograpliisclies und Sprachliches anlässlich der neuen Puhlication der Blätter von Chilandar.

Die Slavisten werden Herrn Kulbakin gewiss recht dankbar sein, dass durch seine Bemühung die Blätter von Chilandar bekanntlich Bruchstücke der Catechese des Cyrill von Jerusalem enthaltend der Forschung nun in einer entsprechenderen Weise, als es bis jetzt der Fall war, zugänglich gemacht worden sind ^) . Es wäre nur zu wünschen, dass uns auch die übrigen kleineren Fragmente altkirchenslavischer Denkmäler durch ähnliche Pnblicationen erschlossen würden, damit wir den ganzen Kanon altkirchenslav. Denkmäler beisammen hätten. Herr

1) XHjraHaapcKie ühcxku, oipLiBOKt Kiipu.3.!i0BCK0H nucBMeHHOcxn Xl-ro Bina. Ct ^eiBipBMH *OTOTiinuiiecKiiMH cHUMKaMU. CaHKTneTepöyprt 1898. 40. 345 (in HacjiiÄOBaHifl no pyccKOMy astiKy Bd. II, auch separat erschienen).

Palaeographisches uucl Sprachliches der Blätter von Chilaudar. 543

Kulbakin hat zwar das uns leider nur so mangelhaft und unvollständig erhaltene Denkmal in sprachlicher Hinsicht eingehend gewürdigt, aber unsere Denkmäler sind in vielfacher Beziehung verhältnissmässig noch so wenig erforscht, dass immerhin eine ganze Reihe von sprachlichen und insbesondere auch palaeographischen Fragen offen bleibt.

Auf Einiges wollen wir hier näher eingehen. Was die Schrift der erwähnten Blätter anbelangt, so muss vor allem ihr schräger Charak- ter auffallen, und im Zusammenhange mit dem ähnlichen Ductus der Schrift in einem so alterthümlichen Denkmale, wie es die Savina kniga ist, dürfen wir dieses gemeinschaftliche Merkmal nicht als etwas Zu- fälliges auffassen, sondern müssen darin etwas Ursprüngliches suchen. In der That muss auch die cyrillische Schrift, falls unsere Annahme richtig ist, dass sie erst etwa einige Decennien nach der Begründung des altkirchenslavischen Schriftthums durch die beiden Slavenapostel unter dem Einflüsse der griech. Uncialschrift entstanden ist, ursprünglich diesen Charakter gehabt haben. Es ist ja bekannt, dass man griechische Uncial- handschriften mit diesem schrägen Ductus aus dem VIII. und IX. Jahrh. findet, während im X. Jahrh. die Uncialbuchstaben hier wieder senkrecht stehen. Allerdings würden wir erwarten, dass die Schrift des Supras- liensis dieselbe schräge Lage aufweise, was bekanntlich nicht der Fall ist, allein es kann sich dieser Ductus innerhalb eines verhältnissmässig kurzen Zeitraumes auf einem bestimmten Gebiete des aksl. Schriftthums geändert haben, während andere Schreiber mehr im conservativen Sinne vorgingen, so dass auf diese Art diese Disharmonie immerhin begreiflich wird. An dem hohen Alter des Cod. Suprasliensis ist nicht zu zweifeln : schwieriger gestaltet sich die Sache, wenn man die Sav. kniga mit ihm vergleichen will, da wir zu wenig Vergleichsmaterial überhaupt haben. Gewisse Buchstaben des Supr. weisen einen jüngeren Charakter auf, als die entsprechenden in der Sav. kn., von anderen gilt wieder das Gegen- theil- Immerhin möchte man, nach dem Gesammteindruck zu schliessen, der Schrift der Sav. kn. einen älteren Charakter zusprechen. Anders verhält sich die Sache bei den Blättern von Chilandar. Ihre Schrift ist etwas jünger. Am deutlichsten sehen wir es bei \' (oy). Es kann hier nicht mehr zu den tiefen Buchstaben gerechnet werden, da es von seinem Stamme nur ein Rudiment aufweist (wie in den griechischen Handschriften etwa vom X. oder gewiss vom XI. Jahrh. an . Im Supr. und in der Sav. kniga weist dagegen dieser Buchstabe noch einen normal langen Stamm auf. Weiter hat offenbar auch das Zeichen für das erweichte /,

544 W. Vondräk,

das wir in den Blättern finden, nicht der ursprünglichen Cyrillica an- gehört.

Eine andere Eigenthümlichkeit der Blätter von Chilandar, die uns an die älteren cyrillischen Denkmäler, insbesondere an die Savina kniga erinnert, ist das Zeichen ä. Herr Scepkin war geneigt, in diesem Zeichen der Sav. kniga eine eigene Nüancirung des Lautes zu suchen, nament- lich aus dem Grunde, weil es sich vor allem in der aoristischen Endung -Uli zeigt (S. 86 ff,), wie er denn überhaupt mit diesen lautlichen Nüancirungen in seiner Arbeit nicht geizt und unsere gesammten alt- kirchenslavischen Laute »irrationalisiren« möchte. Der Umstand nun, dass sich dieses Zeichen auf eine bestimmte Partie beschränkt und dass die facsimilirte Seite dieser Partie bei Scepkin gerade eine gröbere Schrift aufweist (was er speciell auf S. 14 15 nicht hervorhebt), legt uns den Gedanken nahe, das Zeichen ä einfach als das Produkt einer »graphischen Zwangslage« anzusehen, aufweiche Möglichkeit übrigens Herr Scepkin ebenfalls aufmerksam macht. Wollte nämlich der Schrei- ber das sonst in der Sav. kniga regelrechte a zur Darstellung bringen, so lief er Gefahr, ein verkleckstes Zeichen zu Stande zu bringen, da ja insbosondere bei etwas derberen Zügen die Tinte bei der Anbringung des auf der Basis sitzenden Mittelstriches leicht zerfliessen konnte. Thatsächlich können wir es auch auf dem zweiten Facsimile bei Scepkin in zwei Fällen ganz genau beobachten und zwar im Worte HfHaßH^AH Z. 10 11 und BH;i,'feUJA Z. 15. Um nun diesem Uebelstande vorzu- beugen, entschied sich der Schreiber für eine Modification, bei der die Gefahr des Zerfliessens der Tinte geringer war, nämlich für das a. Hier, glaube ich, gibt uns das Denkmal einen Wink, wie wir uns das Verhältniss der drei cyrillischen Zeichen a, \ und A zu einander über- haupt vorstellen sollen.

Auf Grund der Kiever Blätter und des Psalterium sinaiticum (wie auch des Evangelium Achridanum) sind wir einigermassen berechtigt anzunehmen, dass die glagolitische Schrift sowohl für ^ als auch für/e ursprünglich ein gemeinschaftliches Zeichen hatte, welches sich erst später der Differenzirung wegen spaltete, so dass der zweite Bestand- theil zu einem selbständigen Zeichen wurde. Diesem ursprünglichen Zustande der glagolitischen Schrift, der wenigstens einige Decennien, wenn nicht länger, aufrecht erhalten blieb, entspricht auch theilweise der Zustand der Schrift der ältesten cyrillischen Denkmäler.

Es wird nämlich ein Unterschied zwischen e und je zwar meist

Palaeographisches und Sprachliches der Blätter von Chilandar. 545

gewahrt, man bedient sich aber dabei solcher Mittel, dass wir sie in An- betracht der genau fixirten Differenz des glagolitischen und cyrillischen q xniäjq als primitive Modificationen eines und desselben Zeichens an- sehen müssen. Es spricht Vieles dafür, dass man bei der Schaffung der cyrillischen Schrift jene Zeichen, die die griechische Uncialschrift oder das griechische Alphabet überhaupt nicht enthielt, einfach der glagoli- tischen Schrift und zwar in der Regel mit entsprechenden Modificationen, die dem Charakter der Uncialschrift besser entsprachen, entlehnte. Diese Modificationen bestanden meist darin, dass man Rundungen wo- möglich in gerade Striche auflöste. Es wurden vor allem 7K, Tf,^ und a gleichartig behandelt. Durch die Vereinfachung des glag. ae erhielt man ein schief liegendes Kreuz (nach Art des Multiplicationszeichens), da aber, wie Jagic richtig bemerkt (^ex. ct. S. 144), schon ein anderes ähnliches Zeichen {\) bestand, musste es weiter modificirt werden. Die- selbe Form ergab sich auch aus §€ durch Vereinfachung. Den Schlüssel zur Modification gab wohl das griechische Sampi-Zeichen, insbesondere in der Gestalt, wie wir es bei Gardthausen S. 266 finden. Der mittlere Strich wurde bei H? in der Mitte ganz hinaufgezogen, bei Xt. ging er nur bis zum Mittelpunkte, dagegen wurde hier oben der Verschluss ange- bracht. Beim Zeichen für e [Jq] waren zwei Möglichkeiten vorhanden : es konnte die untere Hälfte des ;^ genommen werden, wobei, nachdem ^i^. oben geschlossen war, der Verschluss unten angebracht werden musste. Die weitere Ausgestaltung dieses Zeichens ergab sich im An- schlüsse an das glag. a, dem man sich durch den unteren Verschluss genähert hatte. Andererseits konnte die Grundgestalt des erwähnten Sampi-Zeichens massgebend gewesen sein, die einen unteren Verschluss nicht zuliess, wohl aber die schon bekannte Modification hinsichtlich des Mittelstriches, daher A. Dass das cyrillische a zusammenhängt mit dem Episemon Sampi, zeigt uns ganz unzweideutig der Umstand, dass es denselben numerischen Werth hat (900). Nur durch eine Beeinflus- sung von Seiten der glag. Handschriften zeigt sich manchmal auch in den cyi'illischen u, statt A als Zahlzeichen für 900. Es ist möglich, dass diese beiden im Grunde genommen nur unwesentlich diflferenzirten Zeichen schon von allem Anfang an in der cyrillischen Schrift bestanden und dass man sie gleich von Anfang an zur Difi'erenzirung von e und je ge- brauchte, ohne dass sie jedoch consequent durchgeführt worden wäre. Die Difi'erenzirung von a und a ist nur primitiv, mit der von ;r und I* kann sie gar nicht verglichen werden; das verschuldete ofl'enbar der

Archiv für slavieche Philologie. XXII. 35

546 W. Vondräk,

damalige Zustand des glag. Alphabetes, das zwei verschiedene Zeichen für q und/e noch nicht hatte. Man braucht im cyrill. a nicht einfach das identisch aussehende glagolitische Zeichen für e zu suchen, sondern nur eine von ihm ausgehende Beeinflussung gegebener Formen. Man bedenke nebstbei, dass das cyrillische 'S offenbar nichts anderes ist, als eine Modification des glagolitischen + (in ostbulgarischen Dialekten näherte sich das e dem a) mit einer Differenzirung des Zeichens unten, die wohl den beiden Halbvocalen "K und K entlehnt wurde.

Ich habe früher auch daran gedacht, dass das a der cyrillischen Schrift einfach eine Reminiscenz des auch des Glagolitischen kundigen Schreibers sei, indem er statt des cyrillischen A ein diesem Zeichen ähn- liches glagolitisches substituirt hätte (vgl. Archiv XXII, S. 252). Allein das ist mir jetzt nicht recht wahrscheinlich. Warum sollten sich dann diese Reminiscenzen gerade nur auf dieses Zeichen erstrecken ? Es ist wahr, die Aehnlichkeit ist hier gross, aber dagegen spricht ganz ent- schieden die verschiedene lautliche Geltung des giag. a. An eine Re- miniscenz an die glagolitische Schrift ist daher beim cyrillischen a nicht zu denken, zumal bei einer so consequenten Anwendung dieses Zeichens, wie wir sie in der Sav, kniga bemerken.

Von den beiden Zeichen a und A erwies sich nun das erste aus dem oben angegebenen Grunde vielfach als unzweckmässig. Man gab es frühzeitig ganz auf, oder suchte dem Uebelstande in der Weise abzu- helfen, dass man es zu \ vereinfachte, und in diesem Zustande erfreute es sich eines längeren Daseins. In der glagolitischen Schrift, die eine Unzahl von feinen Schlingen aufweist, musste schon von vorne herein für ein entsprechendes Schreibmaterial gesorgt werden, um diese feinen Schlingen ausführen zu können ; daher war hier bei a die Gefahr nicht so gross.

Man kann freilich die Frage aufwerfen, ob das a überhaupt schon von allem Anfang an in der cyrillischen Schrift vorhanden war, da wir es nur in der Sav. kniga hier allerdings in einer ziemlich consequenten Anwendung und dann auf dem letzten Blatte (165) jenes Codex finden, in welchem die Sav. kn. als Blatt 25 151 enthalten ist (vgl. äcepkin, S. 4 5). Diese Frage muss, glaube ich, entschieden bejaht werden, denn das verhältnissmässig so verbreitete a kann nur als ein Produkt aus A aufgefasst werden. Dieses musste daher wohl von allem Anfang an in der cyrillischen Schrift vorhanden gewesen sein.

Das a hat nun in den cyrillischen Denkmälern, in denen es vor-

Palaeographisches und Sprachliches der Blätter von Chilandar. 547

kommt, niclit überall dieselbe lautliche Geltung. Im Cod. Suprasliensis figurirt es in der Regel als (?, desgleichen auch in der Savina kniga und im Psalter von Sluck (doch kommt sowohl in diesem Denkmale als auch im Supr. auch A als <} vor), während es in den Blättern von Chilandar die Geltung vonjq hat und im cyrillischen macedonischen Blatt ist es das einzige Zeichen sowohl für ^, als auch iüx Jq. Diese Inconsequenz ist offenbar der anfänglichen mangelhaften Differenzirung beider Zeichen zuzuschreiben und letztere wurde deshalb nicht rigoroser durchgeführt, weil in dem damaligen Zustande der glagolitischen Schrift, welcher das Cyrillische in mannigfacher Hinsicht nachgebildet wurde, keine Spur einer derartigen Differenzirung vorhanden war. Ganz anders verhält sich dagegen die Sache bei q und/«. Es muss aber, glaube ich, daran dennoch festgehalten werden, dass die glagolitische Schrift schon eine, wenn auch verhältnissmässig kurze Phase der Entwicklung hinter sich hatte, als ihren Zeichen gewisse cyrillische nachgebildet wurden. Das sehen wir insbesondere an den cyrillischen Halbvocalen 'K und k und an dem m (vgl. Archiv XVm, S. 553 und XIX, S. 172).

Es ist erwähnt worden, dass das griech. Sampi-Zeichen nicht ohne Einfluss blieb auf gewisse cyrillische Buchstaben und insbesondere auf A (a). Wir können es auch noch bei einem anderen Episemon beobach- ten, nämlich bei Koppa. Dieses kommt in zwei Hauptformen vor: bei der einen ruht ein dem lat. runden v ähnliches Zeichen in der Mitte auf einem Stamme (vgl. Mittheilungen der Züricher antiqu. Gesellsch. VII, S. 31), die andere erinnert an unseren Neuner, nur ist der Schaft in der Regel senkrecht und die Schlinge bleibt oben offen (Gardthausen S. 167, Wattenbach, Anh. S. 18). Beide Zeichen nahm nun der Begründer des cyrillischen Alphabetes: das erstere als c, wobei vielleicht auch die Hauptgestalt des glagolitischen « nicht ohne Einfluss blieb, und das zweite als c. So finden wir in dieser Gestalt beide Zeichen in den ältesten cyrillischen Denkmälern : in der Sav. kniga, im Suprasliensis, in den Blättern von Chilandar und dann noch in anderen Denkmälern. Die numerische Geltung (90) behielt nur das erste Zeichen, also c.

Wenn wir noch das Episemon Buv^ dessen Form im Griech. zur Verwechselung mit Stigma führte und das auch als dz (und zwar eben- falls mit dem numerischen Werthe 6) ins cyrillische Alphabet aufgenom- men wurde (in der Form, wie es z. B. bei Wattenbach, lith. Anhang S. 8 vorkommt) berücksichtigen, so kommen wir zu folgendem Schlüsse : Der Urheber der cyrillischen Schrift nahm das ganze Alphabet der

35*

548 W. Vondräk,

griechischen Uncialschrift des IX. X. Jahrh., wie es in seiner Voll- ständigkeit war, d. h. mit allen Episemen, welche im slavischen Alpha- bete die Geltung selbständiger Buchstaben erhielten oder wenigstens die Form der neuen Buchstaben beeinflussten. Sein inniger Anschluss an das griechische Alphabet zeigt sich auch darin, dass er ausserdem noch Doppelformen, wo sie vorkamen, zur Diflferenzirung ähnlicher Laute be- nutzte (vgl. K und B, iji und h). Der numerische Werth aller dieser Zeichen blieb im Slav. so, wie er im Griech. war.

Das lU kommt in den Blättern von Chilandar nur in jener Form vor, wie wir es überhaupt in den cyrillischen Denkmälern anzutreffen gewohnt sind, d. h. es geht bis zur unteren Zeilenlinie, oder mit anderen Worten, es füllt den ganzen Zeilenraum aus. Dasselbe gilt auch von ip. Das finden wir nun nicht in einigen der ältesten glagolitischen Denk- mälern (vgl. Archiv XVIII, S. 553). Ich habe einen leichten Uebergang des ursprünglichen reducirten m, wie wir es in den ältesten glagolitischen Denkmälern finden, zum vollen m, wie es sonst in den cyrillischen Denk- mälern ausschliesslich vorkommt, auch in der Savina kniga zu bemerken geglaubt (vgl. Archiv XXII, S. 250), aber bei neuerlicher Prüfung dieser m -Formen konnte ich mich von der Richtigkeit der ursprünglichen Wahrnehmung nicht überzeugen. Die Sache verhält sich hier doch ganz anders. Es handelt sich hier nur um iii-Formen, bei denen die Basis nicht in die untere Zeilenlinie gebracht wurde, wenn diese zu scharf ge- zogen war, wobei also lediglich, wenn wir wollen, technische Rücksichten obwalteten. So deutlich ausgeprägte Fälle, wie in den glagolitischen Denkmälern, finden wir hier nicht, und wir müssen daher an dem Satze festhalten, dass das glagolitische lU in die cyrillische Schrift aufgenom- men wurde, nachdem es schon eine gewisse Phase der Entwickelung hinter sich hatte. Daraus folgt eben auch wie bei Ti und k die Poste- riorität der cyrillischen Schrift der glagolitischen gegenüber.

Das lexikalische Material, welches uns die Fragmente bieten, ist natürlich nur geringfügig. Immerhin konnte schon auf Grund desselben Herr Kulbakin einige spätere Züge des Denkmals in dieser Hinsicht constatiren. So macht er auf das Wort ß/\acTk und HeBpUiUTH statt HjpOAHTH aufmerksam, dann auf HCHSHk statt JKHKOT'k (von mir schon in den »Studien« S. 10 hervorgehoben). Weiter berücksichtigt er auch KT»,Ai\3HTH, bi».a1vCTH statt K'KHHth, die Form mac^K'Smk statt HAOß'kHkCK'K (S. 21). BivAaSHTH und B'KA'kCTH wird man hier jedoch nicht zu jenen Eigenthümliehkeiten, welche eine spätere Phase

Palaeographisches und Sprachliches der Blätter von Chilandar. 549

der Sprache documentiren sollen, rechnen können. Das eine Mal heisst es: ß'KAasHiUH ko ßik ROjs^Tf, y.aveQxTi f^^^^ 7^Q ^'-S '"'^^ vÖioq I B a 11 13, das andere Mal: KTiA'ka'K Bii BO;\,;s; y.araßag sig rb vÖcoq I B b 9 ; nun finden wir auch im Mar. und Zogr. Joh. 5. 4 : HM;j npi».- B-Ke B'KAaHtaaujc no B'K3m;^lijtehhh boa^w (seil, btv K;^n1i/\k) o oijv e/^ißdg etc. und Joh. 5. 7 : hht». np-R/KA« MfHf B-KAaSHTT». ciKXog Jtqo luov -/.araßatvEi (vgl. des Verfassers «Ueber einige ortho- graph. u. lex. Eigenthümlichkeiten etc.« Sitzungsber. 124, S. 39). In den Blättern von Chilandar kommt zwar auch noch vor: lip'kTB'k rpIvyTvi CTkA'KS'K vEAQog Iv uuuqTiaig v.axaßäg I B a 20 21 und HSAaSHiUH O/KHBAEH'k avaßaivs.igL,iooTCOLv^d-dg als Fortsetzung der- selben Stelle, aber auch diese Beispiele kann man nicht recht hervor- heben, da auch hier die Bestimmung bTv bc^^ vorschwebt. Sonst ist ein Bevorzugen des -A'ScTH, -AaSHTH einem rpACTH und htm gegen- über entschieden ein Merkmal der späteren Phase.

Dagegen wird man allenfalls npHS'KiBaHHE 3HaMEHaBiv A^^V^*^ IrciAlr^oig GcpqayLoaoa rijv xpvyr^v I B a 15 17 hervorheben müssen und zwar als eine Eigenthümlichkeit, die an die frühere Phase der Sprache erinnert; vgl. Zogr. Mar. Matth. 27. 66: SHaMEHaB'KUJE, da- gegen Assem. Ostr. Nik. sanjMaTkA'kB'KUje.

Für die spätere Phase spricht noch : a<* •^'^ TOMOif C'kMp'KTk c>kptslTHTT\ C/ä 'Iva louiov 6 ■d-ävarog (piuiod-f] I B a 4 5. Das griech. (pifiovr (capistrare halftern, zum Schweigen bringen, Pass. ver- stummen) wird in den Evangelientexten, wo es fünfmal vorkommt, mit OYMA'KMaTH und ähnlichen Compositis, mit cpaMHTH und oycTaTM wiedergegeben: ohtv h;« oyMA'kMa Matth. 22. 12 : -tKO cpaMH Matth. 22. 34; oyiHA'kMH Mar. 1. 25; np'RMA'kHH Luc. 4. 35. Insbesondere muss aber hier die Stelle : h ptHf MopK» iilAkHH h o\|'CTaHH auoTia, TTEcpiuiooo Marc. 4. 39 hervorgehoben werden, weil wir dafür im Supr. OVMAkKHH, OBpaTH (offenbar fehlerhaft für OEpkTH) ca 284. 24 haben, also wie in den Blättern von Chilandar. Desgleichen kommt OKpkTHTH als cpiuovv auch in den Aposteln vor, die uns nicht in einer den Evangelientexten entsprechenden Form erhalten sind (so z. B. im Ap. §is. I Cor. 9. 9; 1 Tim. 5. 18; 1 Petr. 2. 15: CECV3A'»-

BaTH).

Weiter muss c;RnocTaTkH'K avTLy.Eii.ievog adversarius I B b 18 19 erwähnt werden. ci^nocTaTTk und seine Ableitungen sind der ur- sprünglichen Evangelienübersetzung fremd (dafür hier c^dkpk), wohl

550 W. Vondräk,

aber finden wir das Wort im Supr. und bei Johannes dem Exarchen von Bulgarien (vgl. des Verfassers »0 mluve Jana ex. b.« S. 12).

Ferner n'kAC>lui;R;i,pc»BaTH Gcorpqovelv II B b 14 15, ein in der Evangelienübersetzung nicht vorhandenes Wort: %ov daLf.iovLL.6i.uvov . . . GiocpQovovvza heisst hier KtckHOBaßi^iuaaro . . . ckm-kica/ä- lUTa Marc. 5. 15 und Luc. S. 35; in späteren Denkmälern ist das Wort wie auch seine Verwandten sehr häufig. So kommen letztere auch im Supr. vor.

Nicht unbeachtet darf auch KAaro.jVaTk y^äoLg I A a 15 16 und KAaro^a(TH) I A b 2 gegen KAaroA'tT(H) I B b 16 bleiben.

Hier sollte auch insbesondere Kaa BO noAbS'K «Hie B'S;i,'Sth II B b 9 10, auf das wir noch zu sprechen kommen werden, hervor- gehoben werden.

Dass man sich bei Citaten aus der heil. Schrift an eine schon vor- handene Uebersetzung hielt, ersehen wir aus Coloss. II. 8, welche Stelle in Ap.Sis. heisst: BpaTHte, BAio^.'kTf iKf, \BX& kto bki lecTk npa-

/l,OBO^eH $HAOCO$HI€K> H TkUJfJO AKCTHIO HC» np'fe^AHie K" MAO-

B'tMkCKOY, no CT\-\'Hi€Mk CfPO MHpa u. s. w. Nun lesen wir in un- serem Fragmente 11 A a 5 10 fast wörtlich dasselbe: BAK>;i,'feTe i^A

K'kTO BTvl fCTT», Kpa;i,OECtA/ÄH np'ferJi;S^AP*^C'^"t»^ " TTvlIlfl* M- CTHKÜ nO np'k;\,aHHM> HACBICMIC», nO CT\'\'HfM'K MHp'KH'kHM'k.

Es ist hier das Wort (pCLaoocpia mit np'RM;s^pocTk übersetzt worden, an einer anderen Stelle ist jedoch ^HACCO^Hra gebUeben (II B b 24 25). Es ist sehr schwer, unsere Denkmäler hinsichtlich des Alters mit einander zu vergleichen, weil es eine äusserst complicirte Aufgabe ist. Man muss das absolute Alter des Denkmals an und für sich und dann auch das relative Alter des darin überlieferten Textes unterscheiden. Von diesem Standpunkte aus können wir nicht mit Herrn Kulbakin über- einstimmen, wenn er auf S. 22 behauptet: Et. jieKCHTiecKOMi) MaTepia.i§ Xu-iaH^apcKie jihctkh xaK^e Öjihsko conpnKacaiOTeH et yKasanHHMH naMHTHHKaMH (nämlich: Cod. Mar., Zogr. und Glag. Cloz.) und zu dem Eesultate kommt : Bx pe3y.iiLTaT$, ötixt mo^btt,, hb ölmo 6li öo.il- inoH onmÖKofi, npHaHaB-L Xn-iaH^apcKie jdictkh Menie ;i;peBHroiH, ^i^m-l 3orp. Eb., nocxaBHTt hxx na pn^y et xaioiMH, KaKX MapimieKoe h Glagolita Clozianus (ib.). Das absolute Alter unserer Denkmäler ist sehr schwer zu bestimmen, weil wir keine sicheren Anhaltspunkte haben, insbesondere auch, weil keine datirte Handschrift aus dieser Zeit vor- handen ist, mit welcher dann verglichen werden könnte. Wir sprechen

Palaeographisches und Sprachliches der Blätter von Chilandar. 551

vom X. und XL Jahrb., aber wir können uns auch täuschen. Hinsicht- lich des relativen Alters kann man die Blätter von Chilandar eher mit Glag. Cloz. vergleichen, weil er bekanntlich schon vielfach Spuren spä- terer Redactionen aufweist, dagegen durchaus nicht mit dem Cod. Mar. Während er nämlich in lautlicher Hinsicht nicht mehr so genau ist wie der Cod. Zogr., namentlich hinsichtlich der Halbvocale, übertrifft er ihn in vielfacher Hinsicht bezüglich des lexicalischen Materials : er hat den ursprünglichen Wortlaut der Uebersetzung besser bewahrt, als Cod. Zogr.

Jedenfalls kann man also behaupten, dass die in den Blättern von Chilandar vorhandene Uebersetzung nicht aus der ersten Periode des altkirchenslavischen Schriftthums oder aus der mährisch-pannonischen Periode herrührt, sondern aus der darauf folgenden. Dafür spricht neben anderem auch insbesondere die Art, wie der Infinitiv in tL yccq b(peXog sidivai übersetzt wurde, nämlich mit KAA KO nOAk3'fe «JK« KtA'tTH n B b 9 10. Das i€>Ke beim Infinitiv ist gerade für die spätere Periode charakteristisch. In der Regel wird z. B. bei Johann Ex. von Bulg. der griech. Infinitiv, insbesondere wenn der Artikel dabei steht, so wiedergegeben. Vgl. auch bei ihm H TO i€JKe KTüth /.al avTO elvai B 74 II 10 (vgl. «0 mluve etc« S. 37).

Damit stimmen auch vielfach die grammatikalischen Formen über- ein; ich will hier nur auf den Instr. Sg. der o-Stämme auf -'KMk (z. B. 0Kpd3T\Mk) aufmerksam machen, der hier in einem an Umfang so geringfügigen Fragmente 4 mal vorkommt, mit -OMk dagegen nur zweimal. Nun ist bekanntlich -OMk im Mar. Assem. Cloz. und in der Sav. kn. ausschliesslich, im Psalt. sin. kommt -'KMk zweimal, im Zogr. nur 4 mal, im Euch, einmal vor. nur im Supr. sind 10 Formen, was auch nicht viel ist, wenn wir den Umfang des Denkmals berücksichtigen.

In besonderem Masse erregen die Fragmente unsere Aufmerksam- keit auch durch die Schreibung der Formen des zusammengesetzten Ad- jectivs. Während nämlich Jery (y) überall hier als Tu geschrieben wird, finden wir in den erwähnten Formen 'kH : KOTfp'kH II B b 13 ; MOpT».- CK'kH lAb 22 ; KAaroHfCTkH'KHY'knBb 6 7 ; npaKOK'Rp'kH'kHjfTi IIB b 19; MHpkH'kHM'k n Aa9 10; CTpauikH'kHM'k IBa 18 19; npocß'KiiiTafiinvHM'k II A a 1 2 ; pacmoTpkAHß'kHMH 11 A a 19 20. Diese Schreibung ist hier consequent durchgeführt, es gibt keine Ausnahme. Durch diese Schreibweise wollte man offenbar an- deuten, dass es sich hier nicht um ein einfaches t^i handelt. Wie ist sie nun zu verstehen? Es waren die ursprünglichen Formen mit -'ki-H-

552 W. Vondräk,

hier wohl noch nicht ganz contrahirt und damit stimmt vollkommen überein die Declination der weichen Stämme, denn wir finden hier TbrtAUJTHHlUl'k II A b 24. Weiter steht damit gewissermassen auch KOAacdHCKaaro U A a 4 und Kp'tn'KKaarc» im Einklänge, wo also ebenfalls noch nicht contrahirt wurde. Nur im Dat. Sg. erscheint hier nATiT'kHOY'^^V I A a 23, also schon in der contrahirten Form.

Diese Eigenthümlichkeit der Fragmente erinnert uns an den Cod. Zogr., der etwas Analoges aufweist, und wir können nun auf Grund dieser beiden Denkmäler annehmen, dass es sozusagen eine derartige Schule gab. Im Zogr. sind allerdings zahlreiche Ausnahmen von dieser Regel, insbesondere wird derNom.Sg. gen. m. häufig mit geschrieben (vgl. Archiv XX, S. 9); übrigens geht ja der Nom. auch in den anderen Denkmälern häufig seine eigenen Wege. In unseren Fragmenten wird kein Unterschied gemacht, also KOTfpTskH, Mop'kCK'kH, wie schon oben erwähnt, dagegen wieder CKlHii koikhh I A a 6.

Wie hier beim Adjectiv nicht durchwegs contrahirt wird, so zeigt sich auch das Imperfectum ausschliesslich in uncontrahirten Formen, also: K-KaujE I A al3; I Ab 7 8 und 19 20; Momaauic I Ab 24; II B b 25 ; TeMaaiuf I A b 25 und no^ORaamt I A b 12.

Merkwürdig ist cyneHMH /i.OKpoHfCT'KH'Ki h ;i,'feaHHH eaar-ki dayf-iärojv evaeßcov y.al Ttga^scov aya&Cov 11 B a 25 II B b 2. Es liegt nahe anzunehmen, A^'^P^^^^T'kH'W sei aus der Genitivform ^1,0- KpOHfCT'kH'h, Weil ein h nachfolgte, nach der bekannten Regel ent- standen, wonach sich dann auch irrthümlicherweise Kaar'Ki gerichtet hätte. Aber so ohne alle Bedenken kann man diese Erklärung doch nicht acceptiren. Dieser Fall gehört nicht in jene Kategorien, in denen dieser lautliche Process aufzutauchen pflegt und die von Jagic, Cod. Mar. S. 426 aufgezählt werden. Das nachfolgende h musste doch im innigen Anschluss an das vorhergehende stehen, also als Acc. Sg. g. m. des Pronomens H-, aber nicht als die Conjunction h. Weiter kommt dieser Process nur in jenen Denkmälern vor, in denen sich wenigstens Spuren des Umlautes von 'k zu K vor einer weichen Silbe zeigen, was in un- serem Fragmente nicht der Fall ist, denn wir haben hier z. B. ß'hA'tS'k, bei r- und /-sonans und zwar bei echtem und unechtem wird ausschliess- lich T», geschrieben, was in Denkmälern mit dem Umlaut des Halbvocals auch nicht vorzukommen pflegt. Freilich müsste das Denkmal umfang- reicher sein, um zu sichereren Resultaten zu gelangen.

In syntaktischer Hinsicht kann CHyk ca'KimaTH tieqI tovtcop

Palaeographisches und Sprachliches der Blätter von Chilandar. 553

a-/.ovHv I A a 3 hervorgehoben werden, da wir in der Evangelienüber- setzung bei CATviiuaTH nur den Accus, haben und nicht den den Verbis der Wahrnehmung eigenthümlichen Gen.

Beispiele für den adnominalen Dativ: KT^A^ '''" C'kMp'KTH no- KU;\a, Kik^i,« TH a^e cTpliKaAO tzov oov, ^civars, rb Y.ivrqov\ itov oov ad)] vly.og-, I B a 7 9: 0BCi4JkHHi;H na'KT'KHOYMOif ero npH- liiKTHM» I A a 23 TfjQ ivoÜQy.ov TtaQOuaiag avvov y.oivwvoi.

Ein Beispiel für den Instr. beim Pass.: CTpaiUKH'KHM'K noH;p'k- Toy KiviTH 3lHH£Mk VTto Tov (poßsQov yarao^-rivuL ÖQCc/.ovTag I Ba 18—20.

Auch hier haben wir fast ausschliesslich Adverbia auf Iv, wie ;i,0- Kp-K IIB b 11 und 15, HfsiiCTiiHlv II Bb 16—17; crpaMKN-fe II Bb 12 13: nur: htv j\,a paß'KHO aHreaoM'k ;KHß;i;i|JAiA aDJ' 'iva Tovg iadyyskov ßvov TtoliTsvoi^iivovgJI Ah 8 10. In der Evangelien- übersetzung: j\,i\ BKcnpHHM;RT'k paBTkHO entspricht dem griech. : tW äjToldßioaiv Tcc 'ioa Luc. 6. 34, also eigentlich kein Adverb.

W. Vondräk.

»Die irrationalen Vocale.«

H.B.Ljapunov nennt in seiner Monographie, von welcher im Archiv XXII, S. 255 die Rede war, t und t »irrationale Vocale«. Gegen diesen Ausdruck wurden von verschiedenen Seiten Einwendungen erhoben. Namentlich wünschte man zu erfahren, wie der Verfasser sich das eigent- liche Wesen dieser Vocale vorstellt. Unsere Neugierde wird jetzt durch eine Auseinandersetzung im russ. Journal für Volksauf klärung 1900, Nr. 6 von Herrn Ljapunov selbst in folgender Weise befriedigt:

»Ich habe in der That in meinem Werke {vgl. Archiv XXII, S. 255 ff.) unterlassen, eine genaue Definition des von mir gebrauchten Ausdruckes zu geben, allein ich muss noch eine grössere Schuld bekennen : ich selbst bin erst stufenweise, während der Ausarbeitung (der Dissertation) über den Ausdruck ins Klare gekommen, während ich noch ganz zuletzt zu einer Definition gelangte, die ich jetzt für fehlerhaft ansehe. Dieser

554 V. Jagid,

Fehler kam auch in den zwei von mir für die Disputation aufgestellten Thesen, Nr. 5 und 7, zum Ausdruck.«

Ich unterbreche hier Herrn Ljapunov und schalte zunächst die bei- den von ihm aufgestellten Thesen, die er jetzt allerdings für fehlerhaft erklärt, in wörtlicher Uebersetzung ein :

»5. Irrationale, d. h. nichtvollsilbige Vocale sind in der ge- schichtlichen Entwickelung der slavischen Sprachen, in Abhängigkeit von verschiedenen phonetischen Bedingungen, theils irrational ihrer Quantität nach geblieben und neigten zum Schwunde hin, theils ratio- nal, d. h. vollsilbig geworden, wobei ihre Qualität sowohl von den dialectischen Neigungen der Sprechenden, wie auch von der Qualität der benachbarten Laute, von dem Einfluss der Länge, der Betonung u. dgl. in verschiedenen Wörtern derselben Dialecte abhängig war.«

»7. Die irrationalen, d. h. nichtvollsilbigen Laute können , silbig' genannt werden, wenn sie mehr als die Hälfte der ganzen Silbe bilden, oder ,nichtsilbig', wenn sie weniger als die Hälfte der Silbe ausmachen, obschon nicht in Abrede gestellt werden kann, dass der Begriff der Silbe selbst äusserst subjectiv ist.«

So lauteten die beiden auf die irrationalen Vocale bezugnehmenden Thesen Ljapunov's, die er, wie wir eben hörten, jetzt als fehlerhaft an- sieht. Er setzt nämlich in folgender Weise fort :

»Erst zu Anfang Januar d. J., im Gespräch mit dem Akademiker Phil. Th. Fortunatov, von welchem ich den Ausdruck in derselben Be- deutung entlehnte, in welcher er ihn anwendet, bin ich mir endgiltig über seine Bedeutung klar geworden. Ich ergreife die Gelegenheit, um sowohl die Bedeutung der Benennung selbst, wie die Anwendbarkeit derselben auf die gemeinslavischen i. und l, auseinanderzusetzen. Fortunatov definirt die irrationalen Vocale als Vocale, die , kürzer als kurze' sind; also, dieser Definition entsprechend, ist der Begriff der Irrationalität ein rein quantitativer Begriff. So fasste auch ich während meiner Arbeit den Ausdruck auf, nur mischte sich bei mir zum Begriff der quantitativen UnvoUständigkeit noch der Begriff der quali- tativen Unbestimmtheit bei, der übrigens in den Ausdruck nicht hinein- gehört, und nur als ein rein subjectives, akustisches Moment bei der Hervorbringung der irrationalen Vocale, denen nach der Definition For- tunatov's überhaupt eine bestimmte qualitative Bedeutung zukommt, zum Vorschein tritt; obwohl natürlich zur quantitativen UnvoUständigkeit, die das Wesen der Irrationalität bildet, auch eine qualitative Unbestimmtheit

Ljapunov'8 irrationale Vocale. 555

von rein physiologischer, d. h. objectiver Eigenschaft sich hinzugesellen kann, allein in den Begriff der Irrationalität gehört sie nicht hinein, so dass wir demgemäss irrationale bestimmte Vocale von den irratio- nalen unbestimmten auseinanderhalten könnten.«

»Ausser dieser Haupteigenschaft der mit dem Ausdruck , irrational' bezeichneten Vocale muss noch etwas Anderes zur Sprache gebracht werden. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass die Kürze dieser Vo- cale nicht verwechselt werden soll mit der Fähigkeit oder Unfähigkeit der Silbenbildung: die Stufe ihrer Kürze oder die Irrationalität kann nur indirect ihren silbigen oder unsilbigen Charakter bedingen, dieser hängt von ganz anderen Gründen ab, und zwar von der Kraft, mit wel- cher der gegebene Laut im Vergleich zu anderen derselben Verbindung hervorgebracht wird, und nicht von der Länge. Das erhellt daraus, dass auch die unsilbigen Laute nicht bloss irrational, sondern auch rational sein können, d. h. normalkurz, ja sogar lang. Prof. Fortunatov unter- scheidet unsilbige u und i als lange, kurze und irrationale Laute, und während irrationale ri und i zum Schwunde hinneigen, streben rationale zum Zusammenfallen mit den Consonanten v undj?'. Folglich die Länge von tt und i bringt diese keineswegs den silbigen Lauten näher, sie macht sie nur tönender, vernehmbarer, und nähert sie auf diesem Ge- biete den mit ihnen verwandten Consonanten; z. B. die Länge i im ugrorussischen v'iazäti (Ol. Broch, Archiv für slav. Phil. XVII. 342, XIX. 7) steigert nicht seine Fähigkeit silbig zu werden, d. h. das da- neben stehende a zu überwältigen (ich dachte anders, als ich S, 136 meiner , Forschung' schrieb).«

»Da ich diesen wichtigen Unterschied der Laute nach der Quan- tität einerseits, nach der Kraft andererseits bei der engiltigen, von mir in den gedruckten Thesen gegebenen Definition des Ausdrucks .Irrationalität' nicht in Erwägung zog, so eile ich jetzt, meinen Fehler gut zu machen : die irrationalen Vocale können vollsilbig, nichtvollsilbig und unsilbig sein, nicht in directer Abhängigkeit von ihrer Grundeigen- schaft; die von mir gegebene Bezeichnung der irrationalen Vocale als silbig, wenn sie mehr als die Hälfte der ganzen Silbe bilden, und un- silbig, wenn sie weniger als die Hälfte der ganzen Silbe ausmachen, ist entweder ganz aufzugeben oder anders aufzufassen, d. h. im Sinne der Hälfte nicht der Quantität, sondern der Kraft, der Anstrengung, des Gewichtes.«

»Ich möchte den Ausdruck .irrational' darum in Schutz nehmen.

556 V. Jagic,

weil er einerseits nicht an der Allgemeinheit der deutschen Ausdrücke , schwach', , Gleitlaut' und nicht an der Subjectivität der deutschen Ausdrücke , dumpf , , dunkel', russ. rxj^oii, die den Laut nur nach der akustischen Seite charakterisiren , leidet, andererseits nicht die ein- schränkende Bestimmung, wie Halbvocal, in sich schliesst, sondern von der mathematischen Terminologie entlehnt, einen Begriff von der quan- titativen Schwankung innerhalb der Zeit unter einer Einheit, wenn man den normalkurzen Laut als eine Einheit zählt, gibt.«

»Aus der letzten Bestimmung erhellt, dass unser Begriff der Irra- tionalität, wenn er auch dem mathematischen sehr nahe kommt, doch mit diesem nicht ganz zusammenfällt: zum mathemathischen Begriffe von der Unausdrtickbarkeit in einer ganzen Zahl gesellt sich der Begriff der Quantität, kleiner als eine Einheit, wobei wir unter dem rationalen Laute einen quantitativ grösseren Laut, als der irrationale derselben Qualität es ist, verstehen, so dass der rationale Laut nicht ein approxi- mativer Ausdruck des irrationalen ist, sondern entweder Ausgangspunkt des irrationalen, dessen Ende bei weiterer Kürzung Null gibt, oder normal-kurzer Laut anderer Qualität, in welchen sich der irrationale verwandeln kann kraft der Bedingungen, die dem weiteren Entwicke - lungsgange der Irrationalität im Wege stehen. Bei einer solchen Auf- fassung des Wesens dieser Vocale ist es klar, dass auch die von Prof. Bogorodickij vorgeschlagene Bezeichnung , minimal' auf sie nicht passt (,E[3'5 ^iTeHiii no cpanH. rpawM.' Heft 3, Kaaanfe 1900, S. 20).«

»Warum vermuthet Prof. Fortunatov, und ihm folgend auch ich, für die gemeinslavische, altkirchenslavische und altrussische Sprache in den Lauten, die mit den Buchstaben ^ und h bezeichnet werden, den irratio- nalen Charakter derselben? Mir scheint es, dass schon die Mannich- faltigkeit der Ersatzlaute in allen slavischen Sprachen zu Gunsten der Voraussetzung, wo nicht der Irrationalität, so der qualitativen Un- bestimmtheit dieser Laute im Gemeinslavischen spricht; dass das aber nicht qualitativ unbestimmte Laute waren, wie sie nachher aus einzelnen Sprachen und Dialecten hervorgehen konnten, sondern geradezu irratio- nale, das ergibt sich aus einer anderen, in allen slavischen Sprachen wiederkehrenden Erscheinung, nämlich aus dem vollen Schwunde dieser Laute unter bestimmten phonetischen Bedingungen. Der Einwand, dass wir in einigen slavischen Sprachen Fälle des Schwundes voller gemein- slavischer Vocale besitzen (i, u, ja selbst e, o) wird dadurch ausser Kraft gesetzt, dass erstens diese Fälle auf viel engere Bedingungen eingeschränkt

Ljapunov's irrationale Vocale. 557

sind : i im Anslaut, i und u im Inlaut in der Stellung vor i (so dass hier die Möglichkeit der Voraussetzung einer gemeinslavischen Kürzung vor- liegt), zweitens bezüglich e und o die Fälle so vereinzelt dastehen, dass man sie zum Theil durch den Einfluss der Analogie oder verwandter Bildungen mit h und ^ erklären kann, theils wirklich gemeinslavische Varianten mit ?., *, neben den Formen mit o, e vor sich hat. Dagegen kann man wieder einwenden, dass auch die gemeinslavischen ^ und h allem Anscheine nach unter bestimmten Bedingungen irrational wurden, d. h. dort, wo sie unsilbig waren (in ofifenen Silben), während in ge- schlossenen Silben ^ und h oder ihre Reflexe in der Regel aufrecht er- halten bleiben ; allein auch diese Einwendung ist für mich nicht über- zeugend, erstens darum nicht, weil wir in vielen slavischen Sprachen (Lausitzer- und kasubischen) Fälle des Ersatzes von ^ und h durch volle Vocale auch in geschlossenen Silben (bei den Suffixen --lk-l und -i>n;i.) vermissen, zweitens auch darum nicht, weil die Nichtunterscheidung der silbigen und nichtsilbigen ^ und h augenscheinlich den Ausgangs- punkt in allen slavischen Sprachen bildete, was sich auch schon aus dem Abgang einer eigenen Buchstabenbezeichnung für beide Fälle in dem Alphabete des IX. Jahrh. ergibt, während andere Laute bei der Kürzung der Schrift durch dieselben ^ und h bezeichnet wurden, worunter man offenbar kürzere als alle übrigen Laute verstand, der Wegfall aber des ~o oder h schon in den ältesten Denkmälern der altkirchenslav. Sprache (XI. Jahrh.) begegnet, selbst in den sprachlich so regelmässigen Kijever glagolitischen Blättern (vielleicht aus dem X. Jahrh.), wo nicht der volle Wegfall, so doch der Ersatz des h durch ^, namentlich einige Male in bic- (statt-BLc) in der bekannten Pronominalwurzel constatirt werden kann.cf »Nach dem Gesagten möchte ich an Alle, die die Irrationalität der ^ und h in der gemeinslavischen Sprache in Abrede stellen, die Frage richten : ist es wahrscheinlich, dass diese Laute, wenn sie ursprünglich nur qualitativ unbestimmt oder selbst nur akustisch dumpf gewesen wären, so früh schon in allen slavischen Sprachen für eine Reihe von Fällen der Schwächung bis zur Stufe der Unsilbigkeit unterworfen wor- den wären? Es ist klar, dass nur die uranfängliche übermässige Kürze und qualitative Unbeständigkeit Grund sein konnte ihrer im Verhältniss zu anderen Vocalen grösseren Geneigtheit zur Beeinflussung seitens der ihnen ungünstigen Umstände. Mir scheint es, dass auch die Etymologie des gemeinslavischen ^ und h (theils aus dem indoeuropäischen ü und ?, theils aus den indoeuropäischen irrationalen Vocalen, deren Irrationalität

558 V. Jagic,

durch ihre Reflexe in den einzelnen indoeuropäischen Sprachen erwiesen wird) zu Gunsten ihrer gemeinslavischen Irrationalität spricht : wären nicht ü und t schon in der vorslavischen Epoche kürzer als kurz ge- worden, warum sollten sie sich nicht in der gemeinslavischen Sprache qualitativ unverändert erhalten haben?«

»Was die historische Zeit, d.h. die altkirchenslavische und russische Sprache in der ältesten Epoche des Schriftthums, wenigstens in jener, die uns durch die erhaltenen Denkmäler bezeugt ist, anbelangt, für diese genug späte Zeit ist es möglich, in einzelnen Fällen die Verwandlung der irrationalen gemeinslavischen silbigen ^ und * in rationale Laute zuzu- geben, wobei in den Mundarten des Altkircheuslavischen diese Laute, wenn sie auch rational wurden, sowohl von o und e. die aus alten ^ und t in diesen und ähnlichen Fällen in anderen kirchenslavischen und alt- russischen Mundarten hervorgingen, als auch von dem a als charakte- ristischem Reflex der serbokroatischen Mundarten qualitativ verschieden sein konnten. Diese rationalen, aus alten irrationalen, ähnlich den Lauten der heutigen bulgarischen Mundarten, hervorgegangenen Laute konnten entweder physiologisch unbestimmt oder nur akustisch unbe- stimmt, d. h. subjectiv dumpf gewesen sein.«

»Auch jetzt, bei einer etwas geänderten Beleuchtung, möchte ich die Benennung »halbsilbige« Laute in Schutz nehmen. Allerdings ohne genaue Messung ist es unmöglich zu bestimmen, ob im gegebenen Falle ein halb- oder viertelsilbiger u. s. w. Laut ausgesprochen wird, allein bei der Erforschung der Bedeutung gewisser Aufzeichnungen in einem alten Denkmale können wir voraussetzen , dass in bestimmten Fällen Laute gehört werden konnten, die sich an die daneben stehende Silbe nicht anschlössen, sondern dabei eine schwache Nebensilbe bildeten. Wenn ich von einem sehr schwachen, vielleicht bis zur Null abge- schwächten Vocal spreche, so verstehe ich darunter eine gewisse Ab- straction aus dem Bereiche der Laute, die in derselben Form zu ver- schiedenen Zeiten bis zu dem Moment gesprochen wurden, als diese Laute aufhörten zu existiren, und unter Null verstehe ich die äusserste Grenze dieser Laute, so dass von der Form MnxajrtKO mit silbigem h (wenn eine solche bei einem spät entlehnten Namen zuzugeben ist) bis zur Form Miixa.iK0, ohne den irrationalen Vocal zwischen ä und k, der Uebergang nicht plötzlich stattfand, sondern auf dem Wege einer ganzen Reihe von Mittelformen mit h von verschiedener Stufe der Irrationalität und Kraft, wobei der Wegfall in der Schrift noch nicht den völligen

Ljapunov's irrationale Vocale. 559

Schwund in der Sprache bezeichnen musste , wie in gewissen seltenen Fällen vielleicht auch das Gegentheil stattfinden kann. Den Unterschied zwischen dem halbsilbigen und unsilbigeu Laute würde ich so bestim- men, dass im ersten Falle der Laut wenigstens die Hälfte jener Kraft hat, die dem daneben stehenden oder von einem Consonanten getrennten silbigen Vocal zukommt, im zweiten Falle aber der Laut sammt den ihn begleitenden Consonanten sich als ein Theil der Silbe gänzlich an den dabei stehenden silbigen Vocal anschliesst. Was die akustische Unter- scheidung betrifft, so gibt es in der Sprache fast immer viele Schatti- rungen, die selbst dem feinsten Gehör unzugänglich sind, darum soll man sich von diesem subjectiven Kriterium nicht leiten lassen. Wenn wir gewisse Lautschattirungen theoretisch ansetzen, so betrachten wir die genaue ControUe derselben nur mit Hilfe der feinen Apparate für möglich, da ihr Vorhandensein nicht subjectiv, sondern objectiv, d. h. akustisch und physiologisch, vorausgesetzt wird.«

Ich habe diese ausführliche, nicht sehr leicht genau wiederzugebende Auseinandersetzung in unsere, der slav. Sprachwissenschaft gewidmete Zeitschrift aufgenommen, um den Lesern nichts von dem vorzuenthalten, was auf dem Gebiete der einzelnen Theile der slavischen Grammatik von einigem Interesse sein kann. Nun bildeten bekanntlich gerade die Vocale X und h lange Zeit etwas wie eine räthselhafte Erscheinung Aussehendes in der Darstellung der altkirchenslavischen Grammatik. Es dauerte eine geraume Zeit, bis man zu der Einsicht gelangte, dass ihr Vorhandensein kein Specificum des Altkirchenslavischen, sondern eine Eigenschaft des gesammtslavischen Vocalismus gewesen. Die verglei- chende Grammatik eröffnete uns ihren etymologischen Ursprung, Zu- letzt handelte es sich noch um ihren physiologischen Charakter. Bei diesem letzten Punkte nun taucht die Irrationalität auf. Das ist also ein neuer Ausdruck für eine sonst gut bekannte Erscheinung. Seine Definition bei Ljapunov schwankt doch zwischen der ausschliesslichen Hervorhebung des quantitativen Momentes und einiger Beimischung der Qualität. Ich möchte im Gegensatz zu Ljapunov entschieden von dem letzteren Merkmale ausgehen. Die Vocale t> und t waren, wie wir wissen, einst ü und t. Die spätere Mannichfaltigkeit der modernen Ersatzlaute erklärt sich genügend aus der normalen Kürze des u und ?, ohne dass man zur Kürze unter der normalen als Ausgangspunkt der ganzen Be- trachtung flüchten müsste. Nur muss man dabei einen gemeinslavischen physiologischen Charakter der langen und kurzen u- und 2-Laute nicht

560 V. Jagic, Ljapunov's irrationale Vocale.

ausser Acht lassen. Die Slaven hatten einst keinen reinen langen oder kurzen w-Laut ; das lange ü war y (ungefähr ü), und das kurze u, dem ensprechend ungefähr ü. Wenn aber im Urslavischen ein langes ü wie H lautete, so ergibt sich schon daraus, dass auch ü nicht dem heutigen kurzen u gleichkam; dasselbe gilt für t gegenüber t, obwohl hier das Ver- hältniss minder klar vorliegt. Aus dieser theoretisch zu vermuthenden Eigenschaft der gemeinslavischen ü und ^ erklärt sich wohl auch die spätere Reaction gegen die Aussprache derselben im Inlaut in geschlos- senen Silben, seitdem im Wortauslaut die Schwächung derselben eintrat. Es ist richtig, dass die beiden Vocale i. und h in dieser Beziehung empfindsamer waren, als andere kurze Vocale [o-e] , doch das lag nach meinem Dafürhalten nicht in der grösseren als normalen Kürze, sondern eben in dem physiologischen Charakter dieser Laute. Mit der Zeit nutzen sich ja auch o und e ab, z. B. das auslautende e der Partikel a:e-re wurde im Slovenischen und Kroatischen zu -r; das auslautende -o der Substantiva neutr. gen. lautet in einigen sloven. Dialecten halbvocalisch wie T> oder ö, schwindet dann auch ganz und man sagt mes für meso, u. s. w. Dass man durch den Ausdruck »Irrationalität« ein Universal- mittel zur besseren Einsicht in diese Erscheinungen gewonnen das will mir leider nicht einleuchten. Ebenso wenig bin ich mit der De- finition einverstanden, das Wesen der Irrationalität bestehe in der grösseren Kürze als die Normalkürze, wenn man damit das Wesen der Laute t und l bezeichnen will. Ich glaube nämlich, cxhtb, jitcxt waren gemeinslavisch vor allem ganz gewöhnliche zweisilbige Wörter mit zwei kurzen Vocalen, so wie Mcne oder hböo. Dass aus jenen später son- sen-san, lest'' -last hervorgingen, während Mene, neöo verblieb, das liegt, glaube ich, nicht in der schon ursprünglich grösseren Kürze der Vocale ■L-L, sondern in der physiologischen Eigenschaft dieser Vocale, wodurch sie sich einerseits zum Schwunde in Bezug auf ihre Silbigkeit, anderer- seits zum üebergange in deutlichere Laute besser und schneller eigneten, als etwa das kurze e oder o. Wenn in nteaTH von einem irrationalen Vocal gesprochen werden soll, der einem ? gleich ist, so muss man auch in Tti];iTe von einem irrationalen e sprechen, d. h. kurzes t und kurzes ^ konnten zusammenfallen, wie das noch jetzt in unbetonten Silben im Balgarischen und im Russischen der Fall ist. Viele Bemerkungen, die sonst Herr Ljapunov macht, sind richtig, aber auch so ziemlich allge- mein bekannt; man vergesse nur nicht, dass nicht immer dieselben Aus- drücke für dieselbe Sache gebraucht werden müssen. V. J.

56t

Kleine russiscli-poluiscli-litauisclie Beiträge.

1. Der Empfehlungsbrief an den H. Petrus.

Von I. A. äljapkin und A. Brückner.

Archiv XV, S. 316 geschah Erwähnung einer Empfehlung an den h. Petrus, welche dem todten Orthodoxen in die Hände gedrückt würde, auf dass er sofortigen Einlass bei der Himmelspforte fände. Es waren dort für diese Sitte Belege aus der Roxolania des Klonowic (1584) und aus dem Potröjny (Trinummus) des Cieklinski (1597) beigebracht und die Parodie eines solchen Briefes aus einer Petersburger Hds. genannt; die Parodie ist vollständig, aber sehr mangelhaft abgedruckt bei I:.u- kaszewicz, Dzieje kosciolöw wyznania helweckiego na Litwie I, 88, darnach bei Dr. J. Franko, Iwan Wyszenskij, 1895,8.361; eine zweite, womöglich noch gröbere Parodie druckte aus einer Hds. des Ossolineum Dr.Fr. Krcek im Lemberger LudV, 81, doch ebenfalls mangelhaft ab. In der theologischen Polemik jener Zeiten geschieht von derlei Briefen häufiger Erwähnung; Smotrycki im OQfjvog 1610 nennt unter den Verleumdungen eines Sacranus und Skarga gegen die orthodoxe Kirche die Behauptung vom Schreiben jener «listy przyczynne do s. Piotracc ; ausführlich schreibt darüber der Renegat Sakowicz in der Perspectiva von 1642 : es verkauften die Patriarchen derlei Briefe noch an die Leben- den, auch die Unirten befolgten diesen Brauch, so hat ein Pope in Bezdziez bei Pinsk einen solchen Brief für ein paar Schock Groschen einem Todten mitgegeben; als dies dem Bischof von Wilno, Woiowicz, hinterbracht wurde, Hess er den Brief wegnehmen, behielt ihn und zeigte ihn Unirten und Schismatikern; es lebten noch Viele, die ihn ge- sehen.

Die Sache hat ihre vollkommene Richtigkeit und ist nicht erst von den Jesuiten zur Verunglimpfung der Orthodoxen erfunden worden, wie mehrfach behauptet worden ist ihnen und der steigenden Intoleranz kann man höchstens die Verantwortlichkeit für die Parodien jener Briefe zur Schuld machen.

Archiv für slaviscbe Philologie. XXII. 36

562 A. Brückner,

Die ersten Nachrichten von jenen Empfehlungsschreiben oder Pass- porten an den h. Petrus brachten ja gar nicht Jesuiten, sondern Pro- testanten, Engländer. Auf zwei Wegen gleichzeitig, übers Meer durch Archangelsk, und zu Lande über Wilno, theilten die Engländer solches dem staunenden Abendlande mit. In der latein. Redaktion des Chan- celorsehen Berichtes (Starczewski, Histor. russic. scrr. exteri I, 12) lesen wir: manui cadaveris codicillos indunt; horum summa est, de- functum fuisse Russum Russorum fidem amplexum ac in eadem fide decessisse; hae litterae divo Petro mittuntur; lectis litteris mox, ut illi aiunt, admittitur et ut sincerioris fidei sectatori beatior quoque sedes quam latinis christicolis conceditur also ungefähr dasselbe, was die Roxolania mitgetheilt hat.

John Burcher schreibt wenige Jahre später an Heinrich Bul- linger (neben Beza, Haupt der Kalviner in Zürich) aus Krakau vom 16. Febr. 1558 (Original letters relative to the English reform, Cam- bridge 1846, Parkers Society, S. 691): er schildert Glauben und reli- giösen Brauch der Wilnaer Russen und fährt fort : they bury their dead with great noise and howling; they array them in new clothes and shoes and pour on their heads two cups of wine or beer; the corpse moreover receives a letter from the priests and half a groschen from his friends and is to present the letter and money to s. Peter, that the porter may immediately open for him the gates of heaven. Burchers Briefe (er be- warb sich um eine Brauerlicenz für Polen und Litauen und war Pro- testanten wie Jan Laski u. a. durch seine Glaubensgenossen warm em- pfohlen worden; er unterhielt Beziehungen zu dem Sekretär Radziwil's, Jan Maczynski, dem bekannten Lexikographen, der 1547 in Zürich stu- dirt hatte) sind recht interessant für die damaligen Verhältnisse ; auch er erzählt (wie C. Utenhovius in einem Briefe an Bullinger) von Artemij undKosoj, die aus Moskau mit mehreren Mönchen nach Litauen geflohen wären, über 500 Glaubensgenossen in Moskau hinterlassend, über ihren Glauben u. s. w.

Auch Fletcher berichtet in seiner bekannten Schilderung Russ- lands über diese Todtenbriefe, nur adressirt er sie fälschlich an den h. Nikolaus : About their burials also they have many superstitious and prophane ceremonies, as putting within the finger of the corps a letter to S. Nicolas , whom they make their chiefe mediatour and as it were the porter of heaven gates as the Papistes doe their Peter (London 1856, S. 138).

Kleine russ.-poln.-lit. Beiträge. 563

So viel über die Angaben der Fremden. Sehen wir nun, was diesen faktisch zu Grunde liegt.

Es handelt sich um die paspiuiHTejibHaH iwojHTBa, welche dem Verstorbenen in die Hände gedrückt wird. Die Griechen kennen aller- dings diesen Brauch nicht, wie dies u. a. erwähnt hat auch B. ükob- jiBBt (/tpeBneKieBCKiH pejHriosiitia cKasaiiia, Warschau 1875, S. 135); er fehlt denn auch in der A7.oXovd-eia vey.Qiooifj.og eig ■AOGf.iiy.ovg (nach dem Venediger Ev^olöyiov rb fUya von 1851), obwohl das Gebet selbst oder ein nahe verwandtes auch bei ihnen existirt : Evxr] avy- XioqriTL/.rj eig jtäaav aqav y.al acpoQioixhv eig Ted-veCota (ebds. S.225, Beginn: KvQie b -d-ebg fjficüv b rfj ofj aQQrjzio oocpia örjfitovQyi^accg y.xX.) und wird gelesen vom Erzpriester oder vom geistlichen Vater des Todten bei der Proskomidie. Anders war es seit jeher bei den Russen.

Schon der Waräger Simon bat den Theodosij Peczerskij für ihn bei Lebzeiten und nach dem Tode zu beten ; Theodosij versprach es, worauf CnMOHt noKJioHHCK AO SBMJia H pe^e: ne H^y oxqe otx tböb ame h nHcanieMt ne HSBicTiimH mh. IIpHHya:en'L me, ötiBi. jugöbb ero pa^H H nrnneTt 'ülq r.iarojiÄ xaKO : bi> hma wn,a h cna h cxro ^xa nate h Ao HHi BJiaraiOTi, oyMpnraiyix Bt poyKy xaKOByio MJiTBy. H ^Jxojii oyTBBp^HCÄ TaKOBOB HanHcaniB no.iraraTH oyMpmron&: npsate 6o cero mit HB cTBopii . . üimiBT'L atB H ciio MOüHTBy : noMAHH rocnoAH Br^a npiHABuiH Bt i^pctbIh ch h Bts^aTH xotä KOMoyac^o no p^^Jiowh Bro, Tor^a oyöo bjiko pa6x cbohx'b CvMOHa h TBopria cnoÄOÖH o ABCHyio TBÖi cTaxH Bx. cjiaBi TBOBH H cjiLimaTH ÖJiarlH tboh rjiaet : npin^HTB öjbhIh roi];a mobfo, Hacj^AoyHTe oyroTOBaHHOB BaMt i];pcTBO

HCKOHH MHpa . . . H pB^B CyMOHI : p''li;LI aCB KCHMt w^B : H ^a wTnyc- TäTCÄ rpiCH pO^HTBJIBMa MOHMa H ÖJTHaCHHMI. MOHMt. ÖBW^OCiH AB

bxsäbhtl poyi];'£ cboh h pe^iB : ^a öjibht^ wt CvwHa h oyapnmH öja- raA iBpoeajraMoy bca ^hh aaiBOxa Bamero (HKOBjent, üaMjiTHHKH pyccKOH jraTBpaTypti XII h XIII b^kobi, Petersburg 1872, S. CXUIf.).

Unter den Wundern im Leben des Alexander Nevskij wird erzählt, dass der Todte nach dem Abhalten des Todtenamtes auf einmal seine Hand ausstreckte, das Schreiben aus den Händen des Metropoliten Ky- rill entgegennahm und sich wieder in seinem Sarge lagerte,

36*

564 A.. Brückner,

Nach der Beschreibung des Todes und der Bestattung des Metro- politen Kyprian (1405) lesen wir (in den Grossen Menäen des Makarius, August, S. 1547 V.): no OTmecTBin ate ceisn MHTponojiHTa h npomn MHxponojiHTH poycTiH H AOHLiHt npenHeHBaiom,e ciio rpaMOxy noBe;r6- BaiOT'L B^ npecTaBjeme cBoe bx rpoöt BKMaAaK)ni;eeii TaKoa:e npo^m- TaxH bo oyejitimalüe bc^mi.

Heute noch wird dieser Gebrauch beobachtet. Nach Abhalten des Todtenamtes liest der Geistliche laut dieses Gebet, rollt es zusammen und legt es dem Todten in die Hände, worauf er ihn der Erde übergibt (rocno^lHii SBMJiK H HcnojiHenie ea) und Erde auf die Leiche schüttet, worauf man das Leichentuch zudeckt und den Sargdeckel auflegt und festmacht.

Vor den Friedhofskirchen wird dieses Gebet (aus der Moskauer Synodaldruckerei) für 6 Kopeken verkauft, ein Blatt F'^ mit Randleisten u. s. w. ; es beginnt: MojiHTBa paspj&mHxejiBHaK ^ iepea na;;!, npecxa- BJiLmHMCÄ ^xoMaA. r^t Hamx. Illct Xpxoet öa^ecTBeHHOio cBoeio 6jirop,B.TiK>, ÄapoM'L a:e h BJiacxiio, ^aHHOio cxbimx ero oy^eHHEKOMt h anjioMx BO e3Ke BaaaxH h pimaxH rpixH ^lejiOBiKOB'B c& wh^xx ^e H Ha Hti Äpyrx Äpyry npinMaxe-ntnu? npüme^meio, ^a coxBopuxx. qpesT. Mene cMiipeuHaro npomeHHO ii cie no Ayxy ^la^o NN. xf Bcixx. eJiHKa

HKO qe.ioBiKX. eorpimii 6ry h oxt xix'B Bcixt bhhii h iosbi ^a

paapiimix'B ero (10) qe.iOBiKO.'OOÖiK pa;i;H CBoerw, MOJHXBa>iH

npeexfciÄ . . . Mapin . . . h bc^xi. cBaxtixt AMHHt. Dieses Gebet wird scherzhaft der Passport fürs Jenseits genannt.

2. Tolle Etymologien.

Gemeint seien damit solche, bei denen zwischen dem zu erklären- den Worte und dem fremdsprachlichen Grundworte keinerlei Möglichkeit einer Beziehung zu existiren scheint; und doch stammt das eine vom anderen unmittelbar ab, etwa wie genh'lich auf Gehetina zurückgeht. Einige slavische und litauische Worte, die hierher gehören, die bisher nicht enträthselt waren, seien hier genannt.

Kleine russ-poln.-lit. Beiträge. 565

a) Lit. hamhizas.

»In Russ, Litauen ein Reformirter (Kalviner), hergeleitet von dem Namen eines der ersten reformirten Geistlichen in Wilno, der aber ge- schichtlich nicht nachzuweisen ist« A. Bezzenberger in den Mitthei- Inngen der lit. literar. Gesellschaft. Der Name wurde auch aus dem lit. gedeutet, aber vergeblich.

Vor allem ist das Wort einer der zahllosen Polonismen Litauens. Poln. bombiza bezeichnet den kalvinischen Geistlichen (in Litauen, weil dort eben Kalviner erhalten blieben, die Klein- und Grosspolen wieder verloren hat) ; es wird auch von den szkoly bombizkie (Kalvinerschulen in Kiejdany) und in Anekdoten auch von einer bombizma der Pastors- frau, gesprochen. Ueber bombiza handelte Kariowicz in seinem Fremdwörterbuch, es als einen humoristisch gebildeten Ausdruck zum lat. Schallverbum bombizare [bombus etc.) bezeichnend.

Die Sache liegt jedoch anders. Der Spottname kommt bereits im XVn. und XVIIL Jahrh. vor und ist ein Auswuchs der damaligen kon- fessionellen Polemik, die, wie jede theologische, den Gegner nicht nur mit Argumenten, sondern vor allem mit Schimpf und Spott zu treffen suchte.

Der katholische Geistliche in Polen schreibt vor seinen Namen ein X. (= Ks. = Ksiadz, mit welchem Ehrentitel schon Boleslaw Chrobry seine Geistlichen angeredet hat, nach dem Zeugniss des Gallus) . Der protestantische »Minister« (verbi dei, vom Katholiken sinister und noch viel schlimmer parodirt) hatte stets den Ehrgeiz, es seinem, an Stand, Würden und Mitteln so überlegenen katholischen Amtsgenossen gleich- zumachen, und so legte er seinem Namen auch das X vor, gegen die leb- haftesten Proteste der Katholiken, wie er, dem höchstens eine Neune (IX) zukomme, sich dieses X anmassen dürfe. In diesem Streite um das X kamen bei diesen lateinischen Schulfüchsen auch die gereimten Genus- regeln für Worte auf x in Anwendung, unter welchen bekanntlich auch das bombyx figurirt; die Katholiken bewarfen drum den Minister statt mit einem x mit einem bombix und so entstand der Spottname. Linde kennt ihn gar nicht ; daher setze ich die Belege, die ich in alten Schrif- ten gefunden, hierher:

Im Rok Trybunalski, Krakau 1625, d. i. in einem Pasquill in Versen gegen die Minister lesen wir «Ix Pix Bombix Niewierski nam waledy-

566 A. Brückner,

kuie«, aber Niewierski war eben der Lubliner Superintendent, mit wel- chem der Autor ein Gespräcb fingirt.

Hundert Jahre später, in der Schmähschrift des Wojciech Staw- ski gegen den Poczet herböw des W. Potocki (um 1720, Petersburger Hdss.Polonica XIV, Folio Nr. 8) finden wir schon : z swemi Bomhizami smierdiemi za Kalwinem cisnac sie ; choc twöj (des Ketzers) bomhiza tego nie ma nie splendoru, od mJotöw i kowadei homhizöw zbieracie u. 3. w.

Dass der einmal eingebürgerte Name auch weiter als Schimpfwort für einen dicken und plumpen Kerl gebraucht wird, kann nicht ver- wundern, doch kenne ich für diese Verwendung keine älteren Belege. So vervollständigt ein Terminus lat. Genusregeln das poln. lit. Schimpf- lexikon.

Es war somit ein Schulwitz, der den bomhiza aufbrachte ; derlei Schulwitze kommen in der alten Polemik mehrfach vor; wenn z. B. Olbr. Borkowski in seinem Minister wytkniony etc. 1611 (Mentiris ZeJgovius nennt er seinen Gegner, den minister Zygrovius) den Gegner anspricht : o piscibalde z twoim argumentem, so ist damit nur rybald, der gewöhnliche Schimpfname (ribaldus u. s.w.) ersetzt worden (ryba = piscis) u. dgl. m.

b) Poln. klimkowac.

Bomhiza haben die Katholiken erfunden, um die Protestanten zu ärgern; vice versa ist klimkowac = betrügen, gaunern, oder was das- selbe ist, klimkiem rzucac, eine Erfindung der Protestanten gewesen. Wer möchte dem gemeinen Worte und der gemeinen Phrase ansehen, dass sie von einer der ehrwürdigsten Gestalten des Urchristenthums, von dem unmittelbaren Schüler Petri und apostolischen Vater Clemens I, ent- lehnt sind? Und doch ist es so.

Zuerst Beispiele des faktischen Brauches, weil Linde ihrer zu wenig bietet, ja klimkiem rzucac gar nicht kennt: ich nenne daher Olbr. Borkowski, 1611 von Zygrovius: ze tedy klimkiem rzucasz\ der Arianer Budny in Urzad miecza etc. 1583 erzählt, ein evangelischer Minister hätte in seiner Predigt aus der h. Schrift erwiesen, ze sie wier- nemu czasem klimkiem [tak on möwii) rzucic godzi; klimki swe (= falsa) lesen wir in den Absurda synodu torunskiego 1596 ; Goiubski (d. i. der Jesuit Sawicki), tryplika 1615, wirft seinem Gegner vor: zebys si(? redlich ze mna obszedi, bo ty klimkujesz bardzo czesto ; P i mi n

Kleine russ.-polu.-lit. Beiträge. 567

(Mohita) im ylid-oQ 1644 wirft dem Sakowicz vor: jakos siQ ty bez- wstydniena innycli miejscach wyzej wazyl Jilinkoiüac\ beiKochowski: obiecac sklimkowac (nur diese beiden Citate habe ich aus Linde); in den Memoiren des Pasek (S. 87) warnt derselbe, einem halb erlogenen Berichte eines Wolski Glauben zu schenken, bo ja natur^ jego znam, ze rad klimkiem rzuci: ebenso Mijakowski in seiner berühmten Predigt Kokosz 1637; ja, noch der alte Zatuski brauchte wohl zum letzten Male das Wort in seiner Pröba piöra 1753: tos zklimkowai (vom Dichter, der etwas hinzugelogen hat) ; er liebte grade die seltensten Wörter.

Das Wort hatte also auch ausserhalb der theologischen Polemik Verbreitung gefunden ; so lesen wir in den Biesiady roskoszne Balty- zera (vor 1620) von den Höflingen, welche goldene Berge zu verspre- chen pflegten, Olownych (gor) nie, tak sklimkujq. Aber aus der Theo- logie ist 63 hervorgegangen und zuerst hat es M. Krowicki in Curs gesetzt, durch seinen Angrifi" auf Petri's Romfahrt, welche die Katholiken auf den Brief des Papstes Klemens stützten. Er sagt darüber in dem Chrzescijanskie napominanie, Magdeburg, Lotther 1554. einziges Exem- plar in Kurnik, Bl. D, 1 r. und v.) :

Alye yss pothym pasterze wkosczyelye Bozym zasneli, Papyeze sobye Clymkoio listh zmyslili, na kthorym wssythko Papyestwo zbudo- wali. Jakoby then ClytnekFa^^jess myal poslacz do Jerusalem z Rzyma oznaymiayacz Jacubowi Swiethemu brathu pana Christusowemu smiercz y osthatheczna wolya Piotra Swyethego. Stego listhu Papyeze barzo sye chelpya y podnossa.

Alye yako tho list yesth prawdzywy, moze tho obaczycz kozdy. Abowyem przed smierczya Piotra swietego byl zabith przed thym syedm lyath Jacub swiety, yako Josephus y ynssych wielye Hystorikow pissa othym. Aprzestho yesth tho dzyw nad wssythkyemi dzywy, iss then Clymek Papyess pisal listhy do Jacuba swiethego, w syedmi lyath po zabiczyu iego o smierczy y o woliey ostatheczney Pioti'a swiethego. Chyba zeby za vmarlem Jacubem swietym listhy y posly vmarle do ych Czyscza poslal (der deutsche Drucker hatte kein a, ^, i etc.).

Wohl wandte sich dagegen scharf der Krakauer Bischof Zebrzy- dowski in seiner Replik Krötka odpowiedz etc. 1556: tom dlatego w tej rzeczy tak wiele swiadköw przywiödJ", ze powiadasz, iz papieznicy zadnego swiadectwa gruntownego nie maja o tem, aby Piotr swiety byl w Rzymie, jedno sobie papiezowie zmyslili jakis Klimköic list, ktorem sie barzo chlubia. Iz m^za swietego Klimkiem zowiesz, namniej sie nie

568 A. Brückner,

dziwuje, bo kto jest nieprawdziwy w nauce pana Krystusowej, ten tez musi byc i niewstydliwy etc. (Bl. h 2 verso).

Bei der Lebhaftigkeit der Polemik und dem Eindrucke, den sie machte, kann es uns nicht Wunder nehmen, dass der Klimek, kurz für list inimköw, so rasche Verbreitung fand ; ein protestantischer Minister wird uns von Budny ausdrücklich genannt als Verbreiter der ihm (Budny) noch ungewöhnlichen Redensart.

Da wir schon einmal bei Krowicki sind, wollen wir auf Grund einer anderen Schrift von ihm die Entstehung eines bisher nicht erklär- ten Sprichwortes nachweisen. Es heisst (Adalberg, Ksifga przysiöw, 1894, S. 249 aus Rysinski, 1618): wszystkosmy ludzie, tylko ksiadz pleban cztowiek, ähnlich schon bei Key; später verstand man es falsch, dass auch der Geistliche nur ein Mensch wäre, wie wir alle; aber der ursprüngliche Wortlaut besagt mit Recht das Gegentheil.

Es meint nun Krowicki, apologia Bl. 226, b (Ausgabe von 1584): (Slowa Pawla sw., 1. Cor. 11, sa) Niechaj doswiadczy cziowiek samego

siebie i tak z onego chleba niechay Je i z kubka onego pije etc

Powiedz mi: Jeili tylko ksiadz jest czlowiek czyli tez i miedzy ludern pospolitym Jest czloxoiek .... nie mozesz tego inaczej wyznac, jedno iz nie tylko sam ksiadz äle tez i wszelka mezczyznä i wszelka niewiasta jest czl'owiek tak jako i KoUegiaci tego poswiadczaja w Grammatyce swojej. A gdyz tedy tak jest, tedyc tu Duch sw. nie tylko do Ksiedza, ale tez do wszelkiej mQzczyzny . . . möwi etc. Aehnlich heisst es im Napominanie (1554 r.): thu mowy czlowyek ma sam syebye doswyath- ssycz, nyemowy nyechay xyadz splyesshem doswyathssy sam syebye, alye mowi, czlowyek czlowiek nyechay sam syebye doswyathssy (Bl. A 6).

Es waren somit die Abendmahlsstreitigkeiten, welche den Grund zum Sprichwort legten ; der Katholike, dem ja die beiden Gestalten des Abendmahls verwehrt waren, konnte nach dem Spott der Protestanten nicht der »Mensch« sein, dem ja Paulus beide Gestalten zuspricht, das konnte nur der Herr Pfarrer sein, der ja allein das Abendmahl in bei- derlei Gestalt empfängt. In der That sind es nur Protestanten gewesen, die das Sprichwort brauchen und erwähnen: Krowicki, Rey, Rysinski; später verstand man die ursprüngliche Beziehung nicht mehr, als die konfessionellen Streitigkeiten vergessen waren.

Kleine russ.-poln.-lit. Beiträge. 569

3. Litauische Götternamen.

Archiv XVIII brachte eine umfangreiche und äusserst gewissen- hafte Studie von Dr. Grienberger über litauische Götternamen, zumal diejenigen des Lasicki, aber der Erfolg ihrer heissen Mühen war ein minimaler ; zur Erklärung dieser Namen reicht nämlich auch die aller- scharfsinnigste Sprachvergleicherei lange nicht aus.

Ich greife nur zwei Stellen heraus, an denen unsere Forscher ins- gesammt die »mythologische« Karre in den tiefsten Sumpf hineinver- fahren haben.

So heisst bei Laskowski-f^asicki »ein Verzeichniss von Spezial- göttern einzelner (iemaitischer) Familien« (Grienberger S.28): sunt etiam quaedam veteres nobilium familiae, quae peculiares colunt deos, ut Mikutiana Simonaitem, Michelowiciana Sidzium, Schemietiana et Kiesgaliana Ventis Rekicziouum, alie alios. »Von den hier genannten Familien weisen die Mikucki, Michelowicz und Szemiecki auf poln,, die Kiesgaji aber auf lit. Herkunft. Von den Familiengöttern ist der Simo- naitis ohne weiteres klar . . . Für Sidzius schlägt Mannhardt lit. zedzius Bildner, Töpfer vor . . . wörtlich wäre zydzius der Blüthen- macher (Frühling). Den Rekicziovus erkläre ich als den Pflüger oder Schreier« u. s. w.

So viel Worte, so viel Irrthümer. Erstens heissen die betreffenden Familien, von denen natürlich keine einzige »polnischen« Ursprunges sein kann, Mikuccy, Michajiowicze, Szemioty, Kiezgajty; zweitens muss, weil Simonaitis == Simon ist, Ziydzius = Juda sein (Apostel Simeon und Juda, weil zusammen, war erst Simeon genannt, folgte Juda von selbst nach, slav. zid, daraus die lit. Entlehnung). Drittens geht Rekicziovus auf die, auch in Ueberlieferungen berühmte zemaitische Familie der JRekucie] Ventis endlich ist ein wohl bekannter Ortsname, für den ich auf das alte Ortsnamenverzeichniss aus Akten des H. Sprogis verweisen kann. Das ganze aber ist ein kolossaler Bär, den der Katholik Laskowski dem Protestanten £-asicki, der von all den Sachen nicht die geringste Ahnung hatte, angebunden hat; Laskowski verspottete so absichtlich den ihm wegen seines Protestantismus ungenehmen litaui- schen Adel; sind doch die KiezgajJfy noch vor den Radziwily, die man sonst immer als die ersten Initiatioren des Protestantismus in Litauen bezeichnet hat, für den neuen Glauben eingetreten: den Beweis dafür fand ich in dem lutherischen Katechismus des Seklucjan, Königsberg

570 ^- Brückner,

1547, welcher grade den Stan. Kiezgal als den berühmtesten, mächtig- sten und zeitlich ersten Vorkämpfer des neuen Glaubens in der Vorrede weit und breit feiert. Und ein solcher Protestant betet heidnische »Haus- götter« an derlei konnte natürlich nur der Schalk Laskowski dem nichts ahnenden Lasicki weis machen!

Verwickelter ist der andere Fall. Gahie ist in der lit. »Mytho- logie« so fest als urheidnischer Gott eiugewurzelt, dass niemand an ihm rütteln mag; auch E. Wolter erkennt ohne weiteres die szwenta Gahia, mit welcher in den Hochzeitbittersprüchen der Festtisch beleuchtet wer- den soll, als heidnisches Ueberbleibsel an. Dabei kommt man in eine Nothlage; Gahie muss Licht, Feuer, Kerze bedeutet haben, aber »eine Wurzel gab brennen ist unerhört« (Grienberger S. 53, der daher das Wort, auch in den bekannten Composita Pelengahia diva cui foci lucen- tis administratio creditur; Matergahiae deae, als »Geberin« erklärt dass man mit einer »Geberin« einen Tisch nicht beleuchten kann, stört den Sprachvergleicher mit nichten).

Den abgöttischen Respekt, mit welchem alle unsere Mythologen und Etymologen Gahie umgeben haben, muss ich leider mit einem Ruck zer- stören: Gahie ist nämlich der christliche Patron des Feuers, speziell des Herdfeuers, die h. Agathe, russ. TanKa; bekannt sind die poln. Sprichwörter (Adalberg S. 2): chleb (oder söl) swietej Agaty od.ognia strzeze chaty und gdzie swi^ta Jagata, bezpieczna tam chata; dasselbe gilt bei den Russen von ihrer Ara*iH; die an ihrem Tage (5. Febr.) ge- weihte Kerze ist eben so wirksam wie die Lichtmesskerze ; es sind natür- sich nur diese heutigen Agathekerzen gemeint, mit denen der Hochzeits- tisch besteckt und erleuchtet sein soll ; Ta^iü ist eben lit Gahie ; die Pelengahia ist eben die Herd- Agathe, Moter gahia dasselbe, Gahie deuaite die heilige Agathe schlechthin.

\Jebev sztventa gahija oder gar gaheta (! Agatha) für Feuer vgl. z. B. E. Wolter Maxepiajiti a-m 3THorpa<i>iH jiaTLiuicKaro n-isMeHH etc. I 1890, S. 136, Anmerk. 3 und 4, wo aus den Hochzeitsreden angeführt werden die Phrasen stäias . . . gahije szicenta üszszwestas oder halta stala . . szwenta gahija apszwista ; in Worniany betet man um Abwen- dung des Feuers : Szwenta Agota su szwintu Gahetu kerawokit muni nu ugnies^ d. h. die katholische und die orthodoxe Heilige werden zu- sammengebeten, doppelt hält besser.

Die Probe möge genügen; alle Ausführungen von Bender, Mann- hardt, Mierzynski, Grienberger haben die Lasickifrage nur ver-

Kleine russ.-poln.-lit. Beiträge. 571

wirren, nicht fördern können ; mit völligem Absehen von den Ergeb- nissen der bisherigen Forschung ist die Untersuchung von Anfang an neu zu führen ; ihr Ertrag für die lit. Mythologie wird freilich recht kärglich ausfallen müssen. Einiges habe ich bereits in den Artikeln »Litwa, ludy i bogi«, die in der Biblioteka Warszawska erschienen sind (1897 und 189S), erörtert.

4. »Kaszubismencf im Poluischeu.

Ich kehre zu der Archiv XXI, S. 65 f. ausgesprochenen Behauptung zurück, dass urslav. fort im Poln. wie im Kaszub. nicht nur trot^ sondern auch tart ergeben hat; der Fall ist zu merkwürdig, als dass er nicht verdiente, durch eine reichere Beispielsammlung evident nachgewiesen zu werden.

Zuerst zwei Nachträge. Die älteste Form, in der uns das altpoln. Breslau es war eine ganz willkürliche Combination von Kunik, Breslau des blossen Namens wegen für eine altböhmische Eroberung und Burggründung des Herzogs Wratisiaw auszugeben genannt ist, bei dem des Slavischen wohl kundigen Thietmar, ist bezeichnender Weise IVortizIaua, also poln. Warcisiato, nicht Wrocisiaw; ange- merkt sei nun, dass die »pommersche« Form Warcislaio im Poln. sehr häufig ist, es genügt hierfür ein Blick in die kleinpoln., Krakauer, Ge- richtsakten aus dem Ende des XIV. Jahrb., die B. ülanowski in den Krakauer Akadem. Publikationen herausgegeben hat.

Zweitens. Dass Starza = ströia ist, würde derjenige bestreiten, der es mit Piekosinski von stary ableiten wollte; aber letztere Ab- leitung wäre falsch, weil das z wurzelhaft ist, wie die lat. Form Starzo- nes beweist, somit starza nicht mit starij zusammenhängen kann.

Die poln. Adelssippe Warnia leitet Piekosinski richtig von vyrona ab und meint nur, die Lautform warnia beweise den »elbslavi- schen« Ursprung des Geschlechtes; jetzt wissen wir es besser, dass Wa7mia, wie Warcislaio und Staria^ acht polnisch war (vgl. Rycer- stwo polskie wieköw srednich, 11, 1896, S. 110).

Ein sicherer Fall ist der Ortsname Charstnica^ häufig in jenen Krakauer Gerichtsakten (vgl. auch daraus die poln.Rota bei Nehring, Sprachdenkmäler 253); dass er von chtrasto^ poln. chwarst [charst) und chröst^ abgeleitet sein muss, ist selbstverständlich; davon heute noch der Name Karsnicki.

572 A. Brückner,

Hierher gehört wohl auch der Name von Warschau selbst. JVar- szawa, aus TVarszewa entstanden, ist natürlich nach Warsz benannt, aber dass dieser Warsz einer der böhmischen, nach Polen 1108 ent- flohenen Vrsovce gewesen wäre, wie Piekosinski a. a. 0. S. 246 will, ist mit nichts glaubhaft zu machen. Ich stelle ihn mit dem altpoln. häu- figen Wroch zusammen und erwähne, dass diesmal nicht nur in Eigen- namen, sondern auch im Appellativum beide Formen, warch und wroch, neben einander vorkommen ; warch heisst Groll, miec warch na kogo = grollen, zürnen; wroch ist Verwirrung, im Compos. zawroch^ z. B. in den Reichstagsdebatten von 1563, S. 338: dla jakich zaioruchow w sasiedztwie; häufig bei Cypr. Bazylik im Skanderbeg 1569: S. 179 in der Rede des Amurat an die Seinigen, wir haben Griechenland be- kriegt etc. a prze nasz^ zleniatosc dopuszczamy sie mnozyc thym za- wrochom Epirenskim; 199 in dieser Schlacht maio nie wiecej Turkow w tym zawrochu gdy sif kazdy dar! do tego aby mial: miesce uciekania sami sie podlawili i poobrazali u. s. w. Russ. Bopoxi., BopoiUHTt wird ebenfalls von Verwirrungen gebraucht.

Ein sehr interessanter Fall läge bei dem Paare Parkosz-Prokosz vor, bekannten Personennamen, die gleichzeitig vorkommen. Aber Prokosz ist = Procopius ; Farkosz wäre daher ganz fern zu halten, wenn nicht die Möglichkeit vorläge, es wie kasz. gronk und grosc zu erklären: gronk und grosc sind nämlich (falsche) Neubildungen zu garnk und garsc^ hervorgerufen durch das Nebeneinander von gröd und gard\ ebenso hätte, weil Wrocislaw und Warcislaw nebeneinan- derlagen, zu Prokosz ein Parkosz neugebildet werden können; der Fall könnte dann nicht weiter als ins XI. Jahrh. zurückreichen.

Wie dem auch sei, das Vorkommen von tart-Formen im Polnischen, neben trot, ist erwiesen; es wird auch anerkannt von Dr. J. Mikkola in seiner interessanten Schrift »Betonung und Quantität in den west- slavischen Sprachen. Erstes Heft«. Helsingfors 1899, 99 S. Ich füge nur einiges den Ausführungen des Verf. hinzu. Er wundert sich (S. 15), dass ich mich gegen Annahme von Analogiewirkungen bei j^oln. dziarski ziarno u. ä. statt des zu erwartenden darzki zar?io, wie marhcy etc. so sträube dies galt vor Allem als Protest gegen das ungleiche Mass Baudouin's, der dieselben Formen im Kaszubischen für lautgesetzlich richtige und von den polnischen zu trennende ausgeben wollte, die pol- nischen dagegen für ganz vereinzelte Analogiebildungen erklärte und so Kaszubisch und Polnisch zerriss. Mikkola wiederholt nun nicht

Kleine russ.-poln.-lit. Beiträge. 573

mehr diese Fehler; ihm sind die poln. und kasz. Formen völlig gleich- :utig und gleichwerthig ; wenn ich somit seine prinzipielle Ansicht tlieile, möchte ich doch meine Zweifel betreflfs der Analogiebildung kaum zurücknehmen. Mikkola fragt (S. 15): »warum könnte nicht das Nebeneinander von zaryio und \oQ,a\..*zirnie ein ziarno ins Leben rufen? ... es bestanden neben einander sarna und (vor weichen Suffixen) *sir7i-^ als Mischprodukt erschien siaretm [siartiek, siarnka bei Maczynski 1564 i. V, hinnulus). Theoretisch ist gegen diese Möglichkeit allerdings nichts einzuwenden : es spricht mir nur dagegen das faktische Verhalten der Sprache. Eine Doppelheit der Flexion: zarno zirnie^ wäre dem Polen nach den Typen : las lesie, siostra siestrze, nichts ungewöhnliches ; er behält sie unverändert bei oder gibt sie auf durch Durchführung einer einzigen Form isiostrze] aber wo finden wir Mischformen? Und fak- tisch findet Durchführung der einen Form stets statt, also entweder zat'nie, zarnisty oder cieni (statt tarn nach ciernie) vergebens würden wir nach einem *ciarn suchen.

Mikkola bespricht hierauf die Accentverhältnisse der westslavischen Sprachen und erschöpft die Fälle des beweglichen kaszubischen Accentes. Er verweilt auch bei lautlichen Erscheinungen, z. B. des Sorbischen, die auf einstige, von der heutigen abweichende Accentuirung schliessen lassen. Er erwähnt nicht, dass dieselben Fälle im Poln. sich wieder- holen, was seine Folgerungen durchaus nicht stützt ; z. B. obersorb. pserica, aber poln. ebenso pszenca^ szuhienca, szMenca nicht nur bei Dichtern, sondern in der Prosa (z. B. im Pamietuik des A. Niemojewski von 1608) und in Wörterbüchern, z. B. beim Cnapius; niedersorb. roz- mjes (kaschub. rozmiejq), aber rozmiem^ rozmial kommt im älteren Polnisch recht häufig vor. Alle diese Fälle beweisen offenbar recht wenig; es können dies Wortkürzungen sein, ohne jegliche Rücksicht auf alte Betonung: -^oXn.pszenca beweist entschieden noch lange nicht eine alte Betonung *pszenica und dasselbe gilt von anderen Fällen.

Endlich noch ein Nachtrag. Die »pommersche« Eigenthümlichkeit [matk für poln. matek^ clomk für poln. doynek u. s. w.) habe ich im äl- teren Polnisch vorkommend erwiesen; hier folgen zwei weitere Bei- spiele: zamk = zamek im Wörterbuche des Bartholomäus von Byd- goszcz 1531 \mdi p)yrzynk [= perzynek) in der Sprawa Chedoga 1544.

574 A. Brückner, Kleine russ.-poln.-lit. Beiträge.

5. Altlitanisch zatagamis.

Das Thema slaviseher Entlehnungen im Litauischen (Lettischen, Preussischen) ist unerschöpflich und manches Räthselhafte dieser Spra- chen löst sich bei näherem Zusehen als gut slavisch auf. So gehört hier- her z. B. das meines Wissens noch unerklärte obige Wort. Es kommt nur in den Eingangsversen des Mazwidas 1547 vor : zatagamis tau zmagus tur atsakiti [sofort wird dir der Mann antworten). Der Neuherausgeber des Katechismus (Bezzenberger) meinte darüber (S. XIV): »zataga- mis ist mir zweifelhaft, jedenfalls steckt darin das von Nesselmann an- geführte zotag bald, geschwinde«. In den Beiträgen zur Geschichte der litauischen Sprache finden wir dann S. 340 aus Bretkens Bibelüber- setzung (zwischen 1579 1590) mehrere Citate für zatagu, zatug [za- tuga, zotaga) bald, alsbald, schnell«; einige andere gibt E. Wolter, ^HTOBCKiä KaxHXHSHCL H. ^ayioim (sep. und SanHCKH ÄKaA- H. LIII, 3, 1886) aus dem Wörterbuche des Sutkiewicz, resp. aus der Postille des Dauksza (1599), z. B. Jonas szwentas zotag pridejo (der h. Job. fügte sofort hinzu), ir zotag buwo szwiesa (und sofort ward Licht) ohne es weiter zu erklären.

Es ist dies ^o\n. zatego sofort. Das poln.Wort war mir vollständig unbekannt; es kommt ja sonst nur zatem (alsdann) vor. Aber zatego als constante Uebersetzung des lat. statim fand ich vielfach in der Sprawa ch^doga, einer Apokryphensammlung vom J. 1544 (Hdschr. der Petersb. Oeflf. Bibl. aus der Zaluski'schen Warschauer Bibliothek) ; es kommt mitunter auf jedem Blatte der Hdschr. vor. So hat sich ein dem Poln. sonst fast unbekanntes Wort (ich fand es ausser der Sprawa ch^- doga bisher nirgends!!) im lit. Lehnworte erhalten, etwa ^\q polozenie = Capitel, das im Poln. äusserst selten ist, uns doch im preuss. pala- zinsna wieder begegnete. Fremd bleibt mir nur die Instrumentalendung mis der Mazwyd'schen Form, die ganz unberechtigt scheint.

A. Brücknej'.

575

Einige Bemerkimgen zur ueugefundeiien Abschrift des Lebens des heil. Barbar in bulgarischer Uebersetzung.

(A. J. Jacimirskij , Hst ciaBAHCKux-B pyKoniiceii TeKcxBi u aaMiiKu M. 1898, Seilen 34—55, 156—159.)

Bevor ich zum eigentlichen Gegenstande meines Aufsatzes über- gehe, halte ich es nicht für überflüssig, eine allgemeine Uebersicht der Broschüre Jacimirskij 's vorauszuschicken.

1. Die Rede des Feodosius über den Warägerglauben in der mittel- bulgarischen Abschrift (S. 1 13). Der Verfasser bestimmt das Ver- hältniss seiner Abschrift der aus dem XV. Jahrh. stammenden »Rede« zu den russischen. Das unterscheidende Merkmal der mittelbulgarischen Abschrift besteht darin, dass sie vollständiger ist, als die russischen, und das auch dort, wo sie von den letzteren abweicht, ähnlich dem Rundschreiben Photius' und dem Sendschreiben des Metropoliten Joan- nes. Die Orthographie der mittelbiilg. Abschrift ist streng gehalten. Uebrigens war ihr Verfasser beider Sprachen vollkommen mächtig. Die Unterschiede dieser Abschrift von den russischen lassen sich auf zwei Gruppen zurückführen : 1) auf die Ausdehnung der russ. Abschrift mit der Absicht, den Gedanken zu entwickeln, zu verdeutlichen, oder ein- fach den russischen Text zu paraphrasiren durch das Auflösen desselben in selbständige Sätze, aus stilistischen Gründen ; 2) auf die Ausdehnung ähnlichen Charakters im russ. Texte, jedoch in geringerem Masse. Der Verfasser sucht nachzuweisen, dass die bulgar. Abschrift der ursprüng- lichen Redaction näher steht, als die russische.

Uebrigens verliert der grössere Theil der Erwägungen des Autors dadurch an Bedeutung, dass die Frage über die Autorschaft der Rede Feodosius' und über ihre russische Herkunft schon im negativen Sinne entschieden wurde. Auf den Seiten 23 27 ist der Text selbst abge- druckt, hierauf folgt die Schilderung des Sammelwerkes, worin die »Rede« enthalten ist (S. 28 30), das Verzeichniss der Handschriften, die der Mönch Gabriel ausgeführt hat (er hat auch das obengenannte Sammelwerk angelegt); die Seiten 34 35 füllt ein Commentar zur

576 K. Radcenko,

Lebensgeschichte Barbar's und die Lebensbeschreibung (auHTie) selbst aus; daran schliessen sich Notizen über einige unbekannte Erzeugnisse der slav. Literatur in Rumänien (S. 56 92). Es folgt: »Das Apo- kryphenevangelium des Apostels Thomas in slav. Abschriften« (S. 93 138). Auf Grund der Vergleichung der slav. Evangelienabschriften, unter ihnen einer Abschrift, die vom Verfasser selbst herrührt und unter den vom Autor in die Mitte des XIV. Jahrh. i) verlegten Handschriften abgedruckt ist, kommt Jacimirskij zu folgenden Ergebnissen :

Geringe unterschiede der bekannten griech. Abschriften unter- einander sind vollkommen analog grösseren und kleineren Unterschieden der slavischen Abschriften; unbekannte griechische Originale können nach den Abweichungen lateinischer Uebersetzung und anderer aus- ländischen Abschriften vermuthet werden ; die üebersetzungen sind von verschiedenen Personen und zu verschiedenen Zeiten ausgeführt worden, was aus einer verschiedenen üebersetzungsweise der einzelnen griechi- schen Wörter und Ausdrücke hervorgeht, von den übrigen griechischen Originalen, die mit den slavischen Texten mehr übereinstimmen, können uns die Wiener- und Vatopederbruchstücke griechischer Texte eine Vorstellung geben ; deswegen lassen sich die Abweichungen und üeber- einstimmungen der slavischen Texte untereinander nur mit Hilfe der verschiedenen üebersetzungen und verschiedenen griechischen Originale erklären (S. 13S).

Diese Ergebnisse stehen im seltsamen Widerspruche mit den Be- hauptungen Jacimirskij's selbst, 1) der serbische Text sei nicht für eine selbständige Uebersetzung anzunehmen, sondern nur für eine ernste Umarbeitung der dem Verfasser angehörenden Abschrift, die Grundlage der russischen Texte bilde ebenfalls die Uebersetzung der obengenannten Abschrift (S. 94, vgl. S. 160), und 2) die letztere sei die wichtigste und die mittelbulgarische die unrichtigste unter allen anderen slavischen Abschriften (S. 138).

In den Beilagen ist das Evangelium nach einer Abschrift des Ver- fassers abgedruckt (S. 139 143), dann eine Schilderung des Sammel- werkes, das das Evangelium enthält (S. 144 151), des Sammelwerkes

1) Trotz der Einwendung Jacimirskij's (vgl. seine Broschüre S. 144 146) halte ich meine Ansicht, dass die Handschrift einer späteren Zeit angehört, aufrecht. Ich gebe nur die Erklärung des Wortes »noHOBU« auf. Vgl. mein »Oi^exi) 0 saHKTmxt pyKonHCBflMH b-b öHö.iioicKax'i h Äpyraxt y^eHtixt yipe- amesiüxx Mockbm h Ct. üexepöypra. Kien-B 1898, S. 21.

Einige Bemerk, zur neugefundenen Abschrift des Lebens des LI. Barbar. 577

aus dem Rumjancov'schen Museum Nr. 1253 (S. 152 154). Nachträge lind Berichtigungen (S. 155 IGO) und ein Verzeichniss der citirten Handschriften bilden den Schluss des Buches (S. 161 16G).

Bei der Untersuchung eines jeden acHTie fragt man sich zuerst : wer hat es verfasst? wann und in welcher Sprache?

Wir finden am Schlüsse der Abschrift aus dem Jahre 1448 die Notiz : ciaBLi c.iüBa BapBapb' CLn.icTe Kvnpia b ä'I, ;>rSHMr. Auf Grund dieser Notiz behauptet Jacimirskij, das aciixie sei im Jahre 1435 in bulgarischer Sprache von einem Cyprian verfasst worden (S. 35). Jacimirskij ist der Meinung, dass der Verfasser des aciixie zur Schule Gregorius' des Sinaiten gehörte, da er an einigen Stellen spricht, dass der heil. Barbar »AitiÄi, yMHyio MOjiHTBy« (ib. 39, Anm. 22).

Zuerst ist es sehr zweifelhaft, ob sich die Worte ciaBti CjiOBa aus- drücklich auf das JKHxie beziehen.

Es handelt sich darum, dass mit dem aciiTie auch die noxBa-ia des Heiligen vereinigt wurde, welche den eigentlichen Schluss des acHTie ausdehnte und ihren Abschluss in einer Reihe von Lobeserhebungen fand, die insgesammt mit dem Worte XBajA anfingen. Sogar in der Terminologie unterscheidet sich die noxBajia vom acHxie. So wird der Jäger im aciixie stets .lOBeub, in der noxBa.ia dagegen abwechselungs- weise jiOBBi;!. und SBipojEOBeuib genannt. Anstatt MvpucaxH der no- xBa.ia gebraucht das atuxie eine Umschreibung noKasaxn M\'poM'B (s. S. 51, 52).

Zweitens wurde das acnxie ursprünglich zweifelsohne in griechischer Sprache und von einem Griechen verfasst.

Neben den Eigenthümlichkeiten der Wortfolge, die auf eine Ueber- setzung aus dem Griechischen schliessen lassen, kann man auf einige Graecismen hinweisen, die man sonst auf keine andere Weise erklären kann, als durch die Annahme einer üebersetzung aus dem Griechischen. So findet man npesBHxept MU'Hacxiipio und npesBiixept jinniacxiipcKLiii, sicher eine Wiedergabe des griechischen TtQeaßvzeQog rov (.lova- otr^Qiov (S. 46, 47); cxponxe.iifc MiuHacxtipcKtiH eine ungenaue üebersetzung des oiy.ov6(.Log rov {.lovaorr^QiOV] möglicherweise ver- wechselte der Uebersetzer dieses Wort mit oiy.ödo/.iog'f (Nein, diese Üeber- setzung des oi/.ovouog ist ganz richtig. V. J.] Das Wort ßöoöiov blieb unübersetzt, wie es scheint verstand der Uebersetzer dieses Wort nicht ').

V Siehe überdies : aoöpö u ö-ifocziöbho e"/Ke w nöABura u Äo6pwÄiTi.iH

Archiv für slavische Philologie. XXII. 37

578 K. Radcenko,

Für den Verfasser von atHTie ist Konstantinopel eine Residenzstadt; darauf folgt das alte Ronij mit dem Beinamen »BejiHKiS«, Thessalonichi und Trnovo ohne Beinamen (S. 53 54), auf Trnovo albanesische Städte.

Folglich war der Verfasser ein Grieche und schrieb das acnTie in griechischer Sprache nieder. Wann lebte er nun? Der Verfasser er- wähnt die Lateiner in Durazzo (Drac) und im arbanatischen Lande. Die Herrschaft der Franken in diesen Ländern beginnt mit dem Schlüsse der 60-ger Jahre des XIIL Jahrh. Kurze Zeit behaupteten sich hier die Hohenstaufen. Bald nach dem Tode Manfred's gerieth Durazzo und mit ihm auch der grössere Theil Albaniens in die Hände der Familie Anjou, in deren Gewalt es auch bis zu den 30-ger Jahren des XIV. Jahrh. ver- blieb. In dieser Zeit begannen die Eroberungen Dusans. Die Familie Anjou verlor allmählich alle ihre Besitzungen. Am längsten hielt sie sich in Durazzo, aber in den 60-ger Jahren wurde ihr auch dieses all- endlich entrissen '). Unser Autor thut jedoch weder des serbischen Rei- ches, noch der Serben überhaupt, noch der Türken Erwähnung. Ebenso würden wir im atHTie umsonst eine Wiederspiegelung der die byzanti- nische und serbische Gesellschaft in der zvv'eiten Hälfte des XIV. und im Anfange des XV. Jahrh. so sehr beunruhigenden religiösen Streitig- keiten der Barlaamiten mit den Palamiten suchen. Ich habe oben den Beweis Jacimirskij's, den er für die Behauptung vorbringt, der Autor wäre ein Nachahmer Gregorius' des Sinaiten gewesen, angeführt. Je- doch habe ich erstens eine solche Stelle im acnxie nicht gefunden 2); und wenn zweitens auch eine solche Stelle vorkommen würde, könnte sie nicht zum Beweise dienen : yMiiaa Mo.inTBa ist für die Hesychasten gar nicht in einem besonderen Grade charakteristisch, sie war bekannt lange vor dem Erscheinen ihrer Lehre.

Eines kann mit Ueberzeugung ausgesprochen werden, dass nämlich

CTXL iia^ATU aytc&öu lau tiiloyov xo an ((yiävoi xal uqbtt]; rütv ayicjy d»- XEOd^ai; 03.io6jieHia paaii HiKtiu^ (42); Bt cim^ ctBcaecA eh vtipov £iar//&r^ etc.

1) Siehe K.Hopf, Geschichte Griechenlands, Ersch und Grubers Encykl. 1. See. 85 Bd., Seiten 282, 285, 298, 301, 323—325, 329—330, 331, 336, 338, 350—351, 355, 356, 358, 359, 417—418, 419, 420, 421, 422, 427—428, 429, 440, 441, 442 443, 448, 458 459; Florinskij, lOncHtie caaBase nBusaHTia bo BTopoft qexBepTH XIV. B. Cn6. 1882, I, 51—52, 53—56; II, 67, 73, 74.

2) Sind etwa die von Jac. angeführten Worte des ;KnTie mit folgenden identisch: u cniiue to.iiiko ejiHKO oyMHaro cimBCTBa ne norsöiiTu ÖA^HieMB« (46)? aber das ist etwas ganz anderes!

Einige Bemerk, zur neugefundenen Abschrift des Lebens des hl. Barbar. 579

der Uebersetzer des ^iixie zur Schule des Euthymius gehörte, wovon die Terminologie der Uebersetzung Zeugniss ablegt.

Jacimirskij versetzt die Zeit, in welcher der heil.P>arbar gelebt hat, in das XIV. Jahrh. Er stützt sich auf die Worte des vKiixie, dass in dem an der Stelle, wo der Leichnam Barbar's gelegen ist, erbauten Kloster Feodosius zum Klostervorsteher ernannt wurde, der nach seinem Tode auf gleiche Weise wie der heil. Barbar Wohlgeruch verbreitete und viele Wunder wirkte, Jacimirskij sieht in diesem Feodosius keinen anderen, als den bekannten Theodosius von Trnovo (sie!). Nach seiner Meinung bediente sich Cyprian, der Verfasser des /Kiixie, der Erzählungen der Augenzeugen. Er bestimmt genau die Zeit einer jeden Periode im Leben des Seligen , führt eine Menge Einzelheiten völlig thatsächlichen Cha- rakters an, und Gemeinplätze glaubt er im >KiiTie fast keine finden zu können (S. 39).

Nachdem Jacimirskij an einer anderen Stelle darauf hingewiesen, dass zu Ehren Barbar's Konstantin Akropolites ^) eine Lobrede verfasst hat, spricht er sodann seine Meinung aus, dass sich die Lobrede Akro- polites' auf einen anderen Barbar bezieht, üebrigens stellt Jacimirskij an der angeführten Stelle eine ganze Reihe sich widersprechender Be- hauptungen auf, auf die näher einzugehen ich nicht für uöthig erachte (vgl. S. 157—158).

Was aber die Meinung Jacimirskij's. Feodosius des /Kurie wäre mit Theodosius von Trnovo identisch, anbetrilft, so erkläre ich sie für die Frucht eines Missverständnisses. Theodosius war überhaupt nicht Vor- steher mehrerer Klöster, und noch weniger ungefähr dortselbst, wo der heil. Barbar sein Bussleben führte. Theodosius starb in Konstantinopel, wo er auch beigesetzt wurde. Kaliist, der sein Leben genau beschrieben und ihn persönlich gekannt hat, spricht nirgends von einer Verbreitung des Wohlgeruches nach dem Tode des Theodosius.

Eine Gegenüberstellung unseres >KHTie mit der Lobrede Akropo- lites' führt zu der Ueberzeugung, dass beide Erzeugnisse nicht nur über eine und dieselbe Person handeln, sondern dass auch beiden eine und dieselbe Quelle zu Grunde liegt.

Bei Konstantin Akropolites ist die Beschreibung der Lebensge- schichte des Heiligen mit historischen Daten ausgestattet. Was nun

1) Herausgegeben von Papadopulo Kerameus in 'AviO.ty.ra uQoaoXvuni- rxi arayvo'f.oYutg B. I. Petersburg 1891, S. 405—420.

37*

580 ^- Radcenko,

diese Daten anbetrifft, so stimmen sie nicht nur vollständig damit über- ein, was uns aus anderen Quellen über diese Epoche bekannt ist, sondern sie sind zugleich eine interessante Vervollständigung derselben. Aus der Erzählung Akropolites' kann man eine klare Vorstellung über die schlechten Zeiten der Regierung Michaels IL Traulos (820 829) ge- winnen, auf welche Zeiten er das Leben des heil. Barbar zurückführt. Eine bemerkenswerthe Genauigkeit weisen auch seine topographischen Angaben auf. Die Handlung concentrirt sich die ganze Zeit hindurch um den Ambrakischen Meerbusen. Zu jener Zeit verwüsteten die Araber durch ihre Einfälle Kreta, Sicilien und andere Inseln und Küstenstädte i). Die letzteren dienten den Arabern als Stützpunkte für ihre weiteren Kriegsunternehmungen. Sie eroberten Nicopolis, und auch Naupaktos kam unter ihre Botmässigkeit. Hierauf steuerte die arabische Flotte gegen Ambrakien 2). Daselbst aber erlitten die Araber einen gänzlichen Misserfolg. In der Nähe der Stadt Dragamest^j wurde das arabische Heer vollständig vernichtet ; ein Theil desselben fiel auf dem Schlacht- felde, der andere fand in den Meesesfluthen sein Ende. Im arabischen Heere diente auch Barbar. Es gelang ihm, sich zu retten. Auch er war ein Araber, gebürtig aus der Stadt Barbara, die im Gebiete der Afren lag'*). Nach seiner Rettung trieb Barbar in Etolien Strassenraub.

In unserem jKHTie erscheint Barbar als ein Egyptier, von schwarzer Hautfarbe (ypi.Honji'LTeHT.) . Mit zwanzig Jahren verlor er seine Eltern und gesellte sich zu einer Piratenbande, von welcher er wegen seiner aussergewöhnlichen Kraft und Kunstfertigkeit im Schi essen zum An- führer gewählt wurde. Er trieb See- und Strassenraub. Zu diesem Zwecke begaben sich einst die Piraten in das Gebiet von Durazzo. Es brach ein Sturm aus. Barbar (der ein Christ war) begann zu Gott um Rettung zu beten, indem er gelobte, die ganze Zeit seines Lebens Gott zu dienen. Das Schiff strandete, alle Reisegefährten Barbar's kamen

1) Vgl. HanaqqrjyonovXog 'laioQuc jov t?.lr]yixov t&uovs- 'Ey 24&}]vaig 1867, III, 727—730; Weil, Geschichte der islamitischen Völker von Mohamed bis zur Zeit des Sultans Selim, Stuttgart 1866, 169—170.

2) Ueber die Lage Ambrakiens vgl. Bursian, Geographie von Griechen- land Bd. I, 34—35.

3) Vgl. Bursian op. c, I, 119.

4) 'Hv fxtv ix BuQßüqmv, a»4" ^ Tre^J aviov cptjaiv iaioqia xal 77 fxtd-" oiv avyxttXBiXBxio aiQaTia /ukqtvqei, w? J^e küyoi' aiQEl xcd nokEws^ oiiKo nuqoivo- fxttOfxivrjg, nsql nov xäv ^14cpqo)v oqtce rvyxcci'ovatjg. ^fcdexTct I, 410.

Einige Bemerk, zur neugefundenen Abschrift des Lebens des hl. Barbar. 581

uin, er allein rettete sich. Er fand ein Thal mit einer Quelle und den jmiirAajiLi cuMopiicjii.nLi « ; hier begann er ein neues Leben, indem er sich von Mandeln nährte und seine Blosse mit einem Hemde verdeckte.

Die Verwechselung der arabischen Flotte mit den Piraten lässt sich durch die Zeit, in welcher der Verfasser des aciiTie lebte, erklären. Im Uebrigen gibt es aber dem Anscheine nach nichts Gemeinsames zwischen der Erzählung Akropolites' und der des ^uxie. Dennoch werde ich im Folgenden darthun, dass die ganze Erzählung unseres atHTie eines spä- teren Datums ist, und dass sich im aciixie Spuren der ursprünglichen, bei Akropolites enthaltenen Version der Erzählung über die Bekehrung Barbar's erhalten haben. Hier nun erwähne ich, dass die Grundlage für eine neue Erzählung in der Erwähnung Akropolites' (also auch der ur- sprünglichen Quelle) vom Untergange eines Theiles der Araber in den Wellen des Meeres ot d^ epaTtcoad-evTsg rolg AsvyaXeoig v.vf.iaot y.cu ov i^ifpsvyov davarov VTtoavüvTeg 7Ciy.QOT€Qov zu suchen wäre.

Bei Akropolites folgt darauf die Erzählung von der Bekehrung Barbar's. Barbar begab sich in eine Gegend, die Nysa genannt wurde [upcc to Nvoav ovno y.alovi.ievov yr/vsrai]. Hier befand sich die Kirche des heil. Grossmärtyrers Georgius. Daselbst diente ein Priester, gebürtig aus Nicopolis i) [tcov Tig /.al Niy.07to?UTä)i^, Tr]v ä^ccev ttqsg- ßureQog), Namens Joannes, ein durch Tugend hervorragender Mann. Barbar kam, um den Priester zu tödten und zu berauben. Er stellte sich zum Eingangsthor in der Kirche. Es begann der Gottesdienst. Barbar wurde durch eine Wundererscheinung erschüttert. Er erblickte auf dem Altar ein Kind von ungewöhnlicher Schönheit. Zur Zeit der grossen Procession sah er wieder auf derselben Stelle das Kind mit zwei Jünglingen in schimmernden Gewändern, die gleich der Sonne erglänz- ten. Sie schützten von beiden Seiten den Priester, der das Geheimniss verrichtete, und hoben ihn an beiden Armgelenken von der Erde. Als der Priester nach Beendigung des Gottesdienstes aus der Kirche heraus- trat, sah er Barbar, wie er wild um sich blickte und wilde, unarticulirte und unklare Laute ausstiess [tov re Bccqßaqov ewqay.ev äyQiov uQÜVTa, äyQuoTSQov ßoCovra, avccod-qä re y.al äai]f.ia ro 7t).eov (pd-eyyöi.iEVOv). Der Priester erschrak, verlor jedoch die Geistesgegen- wart nicht und bat Barbar, sich einige Zeit dem Gebete hinzugeben,

1, lieber die Lage der Stadt vgl. Bursian op. c. L 32.

582 K. Radcenko,

indem er betheuerte, dass er durch dieses kurze Gebet die Vergehen seines ganzen Lebens abzubüssen im Stande ist. Barbar fragte, wer die schönen Jünglinge auf dem Altar gewesen seien, und erzählte, wie sie ausgesehen hätten. Man antwortete ihm, es seien wahrscheinlich Engel gewesen. Barbar bat den Priester, ihn zu belehren, auf welche Weise er die Gnade Gottes wiedererlangen könnte.

Der Priester legte ihm die hohe Bedeutung der Busse nahe, indem er Beispiele von büssenden und geretteten grossen Sündern des Alten und Neuen Testamentes anführte, unter anderen auch des zugleich mit Christus gekreuzigten Schachers. Barbar äusserte den Wunsch, die Taufe zu empfangen, und wurde getauft in einem, nicht weit von der Kirche fliessenden Fluss. Er Hess sich die Haare scheeren und tauschte seine früheren Kleider mit wollenen um (-/.cbdiop äi-Kfiet^vvrai). Der Priester bestimmte die Kirchenbusse. Man legte ihm an Hände und Füsse Fesseln an, bog ihm den Kopf und band ihm Hals und Hände zusammen. Die Fesseln wurden aus seinen Waffen hergestellt. In sol- cher Lage brachte Barbar drei Jahre in Bergen zu, unterzog sich der Gefahr vor wilden Thieren, dem Unwetter ausgesetzt. Er kroch auf allen Vieren und nährte sich von Gräsern [ßorcivcii].

In unserem aciixie wird erzählt, dass Barbar nach Ablauf eines Jahres von einem Jäger aufgefunden wurde. Dieser wunderte sich über die schwarze Farbe Barbar's, versuchte sich mit ihm in ein Gespräch einzulassen, verstand aber die Sprache Barbar's nicht. Aus den Worten desselben begriff er nur soviel, dass er ein Christ sei. Der Jäger be- nachrichtigte von ihm die Egyptier, die sich zahlreich in jenen Gegen- den aufhielten. Diese erkundigten sich bei Barbar nach seinem Namen, seiner Religion und der Ursache seiner Ankunft in dieses Land. Barbar schämte sich, die Wahrheit zu bekennen, und sagte, er sei gekommen, für seine Sünden Busse zu thun. Die Kunde von ihm drang durch das ganze Land. Viele brachten ihm Nahrung und Kleidung herbei. Barbar aber nahm nur schlechte Kleider an. Man begann in seiner Nähe An- siedelungen anzulegen. Darum entschloss sich Barbar, den Ort zu ver- lassen. Er übersiedelte nun an die Südseite des Berges und Hess sich auf dem Strande nieder. Hier brachte er drei Jahre zu. Nach Ablauf dieser Zeit erschien wieder der frühere Jäger. Barbar erfuhr von ihm. dass an dem Orte seiner früheren Gewaltthätigkeiten ein Kloster mit einer Kirche erbaut wurde, wo tagtäglich Gottesdienst abgehalten wird. Barbar sehnte sich unendlich nach dem heil. Abendmahle. Er verbot

Einige Bemerk, zur neiigefundeuen Abschrift des Lebens des hl. Barbar. 583

dem Jäger, über ihn weiter zu erzählen und begab sich zum Kloster. Man erkannte ihn nicht und nahm ihn »ijko iiOBonpimie.iuia« an. Auf die Frage der Klosterbrüder, woher er komme, antwortete Barbar, er komme aus Egypten, für seine Sünden Busse zu thun. Barbar wurde als Mönch eingekleidet und unter die Neueingetretenen eingereiht. Bald zog er durch seine Thaten allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Da liess ihn der Abt vor sich erscheinen und begann sich über seine Her- kunft, sein bisheriges Leben und Beweggründe seiner Abfahrt aus der Heimath zu erkundigen. Jetzt bekannte Barbar die ganze Wahrheit. Inzwischen hatte sich die Kunde von seiner Heiligkeit überall verbreitet. Viele kamen zu ihm, er möge sie im Beton unterrichten. Barbar verliess das Kloster und begab sich nach Pelagonien. Da kam er in ein Dorf und schlug seinen Wohnsitz in der Vorhalle der Kirche auf. Es kam der Priester, um Gottesdienst zu verrichten, und wurde Barbar's gewahr, der in der Vorhalle betete. Nach dem Gottesdienste nahm der Priester Barbar zu sich »mko cTapHKa nnoKa«. Er forderte ihn auf, er möge ein wenig ausruhen, worauf ihm Barbar erwiderte, er sei einer Erholung nicht würdig, weil er ein äusserst sündhaftes Leben unter Räubern und Mör- dern geführt habe, darum müsse er jetzt Busse thun, um den Qualen der Hölle zu entgehen. Dabei sagte er, er sei überzeugt, dass ihm Gott den Priester geschickt hat, damit er ihn bei der Busse unterweise. Der Priester erklärte sich bereit, die Anleitung Barbar s bei der Busseleistung zu übernehmen, liess ihn in Fesseln schlagen und einmal täglich spärlich mit Brot und Wasser nähren. Barbar wurde dem Wechsel der Witterung ausgesetzt.

In diesem Theile des >KHTie gibt es mit Ausschluss der letzten Epi- sode nichts Charakteristisches für die betreffende Epoche und Person. Reisen des Heiligen, um einen einsamen Ort ausfindig zu machen, sind loci communes aller acHTin, die über Asketen handeln. Dasselbe muss über die Episode mit dem Jäger gesagt werden. Eine Eigenthümlichkeit ergibt in unserem jKiiTie die Episode mit dem Priester. Diese Episode hat sich in zwei aufgelöst: eine von dem Kloster und eine von dem Priester im eigentlichen Sinne. Die Worte des aiHTie, Barbar hätte, nachdem er gehört hatte, dass im Kloster Gottesdienst abgehalten wird, grosses Verlangen nach dem heil. Abendmahle bekommen und zu diesem Zwecke das Kloster aufgesucht, enthalten offenbar eine unklare An- spielung an das eucharistische Wunder, das in der Erzählung Akro- polites' vorliegt. Ueberdies brauchte man, wie es mir scheint, diese

584 K. Eadcenko,

Episode nur zu dem Zwecke, um Barbar Gelegenheit zu bieten, über sein früheres Leben Aufschluss zu geben. Was aber die Episode von dem Priester betrifft, so kann man nicht umhin, in derselben etwas Gekünstel- tes zu erblicken, wenigstens in diesem Zusammenhange, in welchem sie in ^HTie vorkommt. Ein Mann, der solange an der eigenen Vervoll- kommnung gearbeitet hat und im Rufe der Heiligkeit steht, liefert sich einem Priester aus wie ein neubekehrter Sünder und unterzieht sich einer einem solchen entsprechenden schweren Strafe ! Ueberdies lässt die Er- zählung in acHTie auf gar keinen besonderen Tugendgrad des Priesters, dem sich Barbar unterwarf, schliessen. Der Autor selbst gibt sehr naiv sein Erstaunen über die vom Priester dictirte Kirchenbusse kund, indem er schreibt: »npesBHxept. mh npocTt clih h iieiicKseeHL. iLiii ni- KOHMb 6:eK:iHMi> npÖMLic.iOMB ce TBopnTB« (50) [d. h. er legt Barbar in Ketten]. Diese einfältige Verwunderung zeigt jedenfalls, dass bis zur Bearbeitung des aiHTie durch unseren Ilagiographen die Episode in solcher Fassung schon existirte. Dieser scheint diese Schwäche der Erzählung gefühlt und es versucht zu haben, den Eindruck der Episode zu mildern. Namentlich ist dabei die Antwort Barbar's auf den Vor- schlag des Priesters zu beachten: »npi ömx ii npt amtCLi ero oöima- BaÄCA TBoeii CTtiiiH äu],e noneyemncA 6 MoeMb noKaanm, h npiinie TOÖöiL HacTaB.iieMB noKaanie Moe h cne&CA. 6&^m h äst xoAaxaii Kl 6s 6 JKH3IIH TBoen B1. ciu BtKB H BT. ö/LA^n^in Wortc, die sich als Aeusserung eines Menschen, der sich eben für den ärgsten Sünder ausgegeben hat, nicht recht erklären lassen. Völlig unklar erscheint die Erzählung über die Umstände, unter welchen der Priester und Barbar zusammentreffen. Barbar erscheint in der Vorhalle der Kirche : »II npe3BiiTepi> npiixcAiiTt bt. iipKOBi.« wann denn? Mau weiss nicht, warum Barbar das Interesse des eben eintretenden Priesters auf sich zieht. Dagegen wie klar und verständlich ist alles bei Akropolites ! Aus der Bemerkung Akropolites', der in der Kirche des heil. Georgius angestellte Priester sei vrig Nr/.ojioliTCova gewesen, erklärt sich die Hinzufügung in jKiiTie, der Priester sei ein Laie gewesen (49). Wört- lich stimmen beide Erzeugnisse in der Erzählung über das Fesseln Barbar's übereiu :

Einige Bemerk, zur neugefundenen Abschrift des Lebens des hl. Barbar. 5S5

>I\iiTie ;

. . , y.ai TtedelTai "/^ElQag afia /.al ;t6dag ßaqvrccroiq ort y.XoLolg, ■/Ml l^aQTurai. rovro) roO tqu- XrjXov aeiQcc rrjv y.ecpaXrjt/ ovy- y.arciv./.ivovoa ralg xegai (414).

. . . npHSBiBaeTL KU'Baiia, h cKOBext eiMb BepiirLi acejisHW ta^ckli h TB-tAM si.iiu II uu.iaraeTb hmh Bap- Eapa no mii/ii ii p/uKs h no^ Ka'.iiiii ero prhi],t ö6't npiirBUyKAaeTt TBp't-

fl,i. UKO AHBUTIICÄ OV>Ke BIcLMb

spiminit, KaKO cjakl rjiaBA Kt KUMtiiu'Ma, xoyKAaaine (50).

Unbegreiflicb ist es, dass Barbar, obgleicli er beim Priester wohnt, dennoch wegen mangelhafter Bekleidung im Winter von der Kälte, im Sommer von der Hitze geplagt wird. Die Erklärung ergibt sich aus Akropolites: Barbar hält sich nämlich in den Bergen auf (415).

Das Erscheinen Barbar's in der Kirche, seine Placirung in der Vor- halle, seine Erklärung dem Priester gegenüber, er sei von Gott zur Fort- setzung der Busse hierher gekommen sind in unserem acHxie durch nichts motivirt.

Aus dem Gesagten, glaube ich, ist es klar, dass alle vorhergehen- den Episoden in unserem acH'rie als später hinzugetretene Schichtungen aufgefasst werden müssen, die mit den älteren Bekehrungsepisoden Barbar's zu einem Ganzen nicht vollständig zusammenfliessen konnten. Ein solches organisches Ganze vermochte auch der Verfasser unseres acHTie nicht zu Staude zu bringen.

Nach der Rede Akropolites' wurde Barbar nach drei Jahren von Jägern, die ihn für ein Wild hielten, erschossen. Nachdem sie ihr Ver- sehen eingesehen hatten, eilten sie zur Hilfe herbei, aber es war schon zu spät. Der sterbende Barbar bat sie, sie mögen den Priester, der ihn in Ketten gelegt hat, holen und ihm mittheilen, dass das Wild, nachdem es die ganze Zeit in den durch seine Heiligkeit nicht zu zerbrechenden Ketten verharrt hatte, in Bälde aus der Welt scheiden werde. Der Priester eilte zu ihm, fand ihn jedoch bereits todt. Er verrichtete die üblichen Begräbnissceremonien. Man wollte den Leichnam in die nächste Stadt Nikopolis schaffen, doch plötzlich verschwand er in den Schooss der Erde i). Und aus den Erdrissen drang ein ergiebiges Salböl hervor [i-iVQov To an v/.üvov rCov rr^g yfjg '/Myüviov duipiXCog avadidorui y.al vasL Ttorcci-iridöv], das Allen zur Heilung gereichte. An der Stelle

ij .... D.ad-ef uvxovg Ixcfvyiai', yr^g /uv/oig iyano/nvßeig (418).

586 K. Eadcenko,

wurde eine Kirche erbaut. Seine Geschichte des Heiligen schliesst der Verfasser mit einer Erzählung über die wunderbare Heilung durch das Salböl, die ihm selbst und seiner Tochter zu Theil wurde.

In unserem atHTie bringt Barbar 19 Jahre beim Priester zu. Hierauf stirbt der Priester, ohne Barbar von seinen Fesseln befreit zu haben. »Hii];iH« 1) äussern den Wunsch, dem Heiligen die Ketten abzunehmen. Doch dieser bittet, damit nocli eine Nacht zu warten. Am folgenden Tage aber siedelt Barbar an den pelagonischen Berg über, wo er volle 17 Jahre an seiner Vervollkommnung weiterarbeitet, ohne von einem Menschen gesehen zu werden (obwohl man dort fortwährend jagt und es überall herum Fangschlingen, Wolfseisen und Bogenfallen gibt!). Schliesslich wird er durch einen Bogenschuss erschossen. Er wird von einem Jäger todt aufgefunden, der die Bogenfalle aufgestellt. Aus der Wunde Barbaras fliesst das Salböl, das dem Jäger sein blindes Auge heilt. Damit werden auch sein Bruder und seine Schwester, die mit Aussatz behaftet sind, geheilt. Ueber dieses Wunder berichtet der Jäger am Sonntag den in der Kirche Anwesenden. Nicht nur die aussätzigen und siechen Menschen, deren es viele im Dorfe gibt (das war dasselbe Dorf, wo der Priester lebte, der Barbar in Ketten gelegt hatte), sondern auch Thiere werden hier auf eine wunderbare Weise geheilt. Dann (wann?) holen die Bewohner des Dorfes den Leichnam Barbar s, bringen ihn auf ein Schiff und segeln damit heim. Sie machen in der Nähe des Dorfes Halt, und weil schon der Abend nahe ist, legen sie den Leichnam des Heiligen in das Bett eines vertrockneten Baches mitten zwischen zweien Bergen und lagern sich um den Leichnam herum, um daselbst zu übernachten. Am nächsten Morgen bemerken sie, dass das Salböl von der Leiche ins Meer fliesst. Inzwischen schafi't man Maulthiere herbei. Einige machen sich daran, die Reliquien auf die Maulthiere zu laden, doch sie können nicht an den Heiligen heran. Die Meinungen der Anwesenden gehen auseinander. Etliche behaupten, der Heilige lässt nicht zu wegen ihrer Unwürdigkeit, Andere erklären, der Heilige wünsche, dass ihm an der Stelle eine Kirche gebaut werde. Man lässt den Erzbischof von Pelagonien Thomas holen, der in Ochrid seinen Sitz hat. Er erscheint mit seiner Geistlichkeit, mit den Vornehmen der Stadt und mit einer grossen Volksmenge. Durch das Salböl wird nun nicht

1) Dicße Hiuiu, H^Kiu u. a. sind charakteristisch für unser :KUTie, was wir später ersehen werden.

Einige Bemerk, zur neugefundenen Abschrift des Lebens des hl. Barbar. 587

nur den Gläubigen, sondern auch den Lateinern Heilung zu Theil. Wäh- rend dieser Zeit erscheinen auf dem Meere viele Schiffe. Es zeigt sich, dass das Salböl inzwischen Egypten erreicht hat und die Egyptier ge- kommen sind, um die Reliquien mitziiuehmeu. Die Dorfbewohner wollen jedoch den Leichnam nicht ausliefern. Endlich kommt man überein, den Streit mit einem Gebete zum Heiligen entscheiden zu lassen. Welche von beiden Parteien beim Heiligen Wohlgefallen finden werde, jener sollen die Reliquien zufallen. Während nun die Parteien beten, ver- einigen sich die beiden Ufer des Bachbettes und begraben die Reliquien. Eine grosse und prächtige Ebene entsteht am betreffenden Orte. Aus der Erde fliesst das Salböl zum Meere. Die Egyptier füllen einige Wassereimer mit Salböl und kehren zurück, die Pelagonier mit dem Erzbischof Thomas aber schaffen Baumaterial herbei und bauen zu Ehren Barbars eine Kirche. Man stiftet auch ein Kloster. Thomas und andere Bischöfe und Vornehme beschenken das neugestiftete Kloster mit Heerden von Schafen, mit Büffeln, Maulthieren und Pferden, mit Feldern und Weingärten. Zum Klostervorsteher wird Feodosius ge- wählt, der nach seinem Tode ebenfalls Wohlgeruch verbreitet und zahl- reiche Wunder geschehen lässt.

DieMehrzahl dieser Episoden trägt einen phantastischen Charakter. Die Lebensgeschichte Barbar's nach seinem Einschmieden durch den Priester löste sich in unserem aciixie in zwei Theile auf: das Leben Barbar's vor dem Tode des Priesters und nach dem Tode desselben i). Besonders die letzte Episode hat, wenn man von der Chronologie ab- sieht, die Züge des ursprünglichen acime beibehalten. Phantastisch erscheint der Umstand der Erzählung, dass Barbar durch lange 1 7 Jahre von Niemandem bemerkt wurde. Die Art und Weise seines Todes ist gemildert, die Erzählung von den Wundern nach dem Tode des Heiligen mit der Erzählung von dem Versuche, die Reliquien ins Dorf zu über- tragen, zusammengefallen. Hier aber tritt eine neue räthselhafte Person auf der Erzbischof von Pelagonien, Thomas, der in Ochrid residirt.

1) Nach der Rede Akropolites' überlebte der Priester Barbar. Diese Aenderung der ursprünglichen Redaction mag zu dem Zwecke vorgenommen worden sein, um den Heiligen noch mehr zu verherrlichen, indem sie seinen aussergewühnlichen Gehorsam zur Schau trug, der sich darin kundgab, dass der Heilige vom Priester gefesselt (ein recht grausamer Mensch, dieser Prie- ster !), nach dessen Tode die Befreiung zurückweist und heimlich in die Berge entweicht, um nicht mit Gewalt von den Fesseln befreit zu werden.

588 K. Eadcenko,

Nehmen wir an, dass die Diöcese von Pelagonien unter das Erzbisthum von Ochrid 1) gehörte, bleibt doch dieses Pelagonien, dessen Lage der Autor irgendwo in die Nähe des Meeres (?) versetzt, phantastisch. Wo- her mag nun der Autor dieses Pelagonien genommen haben? Ich glaube nicht, dass es ein Product seiner Einbildungskraft ist. Im griech. Limo- narion, in der Vita der Heiligen Barnabas und Sophronios heisst es näm- lich, dass nördlich von Larissa, drei Tagereisen entfernt, im Kloster des Berges Kellios die Reliquien Barbar's, des Wunderthäters, eines Büssers, der Räuberhauptmann gewesen ist, aufbewahrt werden. Dies ist wirk- lich nicht weit von Pelagonien 2). Doch wahrscheinlich stand dem Autor eine ähnliche Version, wie die von Akropolites überlieferte, zu Gebote. Und er versuchte die beiden Versionen in Einklang zu bringen. Im Re- sultate erschienen nun die Gebiete von Durazzo, Pelagonien und Ochrid nebeneinander. Die Geschichtlichkeit des Erzbischofs Thomas darf mit vollem Rechte in Zweifel gezogen werden. Wirklich erscheint er in derselben Rolle, welche bei Akropolites dem Priester zufällt. Doch ist seine Rolle durch nichts motivirt. In der That: die Bewohner des Dorfes, in dessen Umgebung der Heilige sein Bussleben geführt hat, wollten seinen Leichnam ins Dorf schaffen. Jedoch eine unsichtbare Macht hielt sie vom Leichnam zurück. Es entwickelte sich ein Streit, was das zu bedeuten hätte. Sie Messen den Erzbischof kommen, der auch in seinem vollständigen Ornate erschien. Hier fragt man sich un- willkürlich: wozu? Um den Leichnam hinüberzuführen? wohin? ins Dorf? Zur Stelle angekommen, erscheint er dem Anscheine nach nur als Zeuge eines neuen Streites jetzt zwischen den Dorfbewohnern und Egyptiern . . . Nun, hoffentlich dürfte er dem Autor für diese thörichte Situation, in die er ihn gebracht hat, nicht dankbar sein. Dem Erz- bischof fällt auf diese Weise nur eine dekorative Rolle zu. Sein Er- scheinen dient nur zur Erhöhung der Verherrlichung des Heiligen. Auf den Beweggrund, der zur Gestaltung dieser Episode Anlass gegeben haben mag, habe ich oben hingewiesen. Der Priester konnte in dieser Rolle nicht auftreten aus dem einfachen Grunde, weil ihn unser Autor viel früher sterben lässt. Die Geschichte von der Transportation der

1) Siehe Le Quien Oriens Christianus II, 2S3— 284; Golubinskij, IIciopiK npasocJiaBHi.ix'i. uepKBeü S. 48, 58, 107, 114, 115 118, 120, 126; dazu noch 259. Uebrigens nennt der Autor die Bewohner von Ochrid Pelagoniten. Folglich muss nach seiner Vorstellung Ochrid in Pelagonien gewesen sein >. S. 159 .

-) Sergij, nojiHbiii: MicauecJOBt BociOKa II, IIpiiMii. S. 125.

Einige Bemerk, zur neugefundenen Abschrift des Lebens des hl. Barbar. 5S9

Leiche auf dem Schiflfe leidet an Ungereimtheit, sie mag vom Autor als Motivirung für die weitere Erzählung herbeigezogen worden sein, für den phantastischen Bericht vom Erscheinen der Egyptier. Im ur- .sprünglichen yKiixie war eine Motivirung da. Dort wird erzählt, dass die Jäger den Leichnam Barbar's auf die nächste Wiese brachten i) und sich hierauf beeilten, einen Priester zu holen. Wenn unser Autor es auch nicht auf die Egyptier abgesehen hätte, hätte er dennoch von dieser ursprünglichen Fassung keinen Gebrauch machen können, da in unserem aiiiTie das Wunder mit dem Salböl unmittelbar nach dem Tode Bar- bar's geschieht, und auch die Umstände des Todes sind verschieden. Also wurde es möglich, direct von der Uebertragung der Eeliquien zu sprechen. Bei einer Transportation der Reliquien auf dem Landwege wäre jedoch unbegreiflich, warum die Uebertragung ins Dorf nicht zu Stande kommen konnte. Das Schiff half aus der Verlegenheit. Als man sich am Gestade ausschiffte, war es schon spät : man legte den Leichnam in das trockene Bachbett, augenscheinlich vom Autor deshalb so er- sonnen, um das Salböl ins Meer und nach Egypten fliessen lassen zu können und übernachtete man dort herum. Die Ankunft der Egyptier und der Streit mit den Ortsbewohnern um die Leiche des Heiligen wird als Grund des Verschwindens der Eeliquien in die Erde angeführt. Der phantastische Charakter der ganzen Episode braucht nicht eigens betont zu werden. Doch auch für das Ueberströmen des Salböls über die Ufer des ausgetrockneten Baches und für seine Erreichung Egyptens war im ursprünglichen SKHxie eine Motivirung vorhanden : da hiess es, dass das Salböl stromartig 7toTaf.ir.düv sich ergoss. Die Erzählung des atiixie stimmt nicht nur mit den thatsächlichen Verhältnissen der Geschichte überhaupt, sondern auch mit denen der Oertlichkeit nicht überein. Ueber Pelagouien hat der Autor, wie wir gesehen haben, eine sehr ungenaue Vorstellung, die Benennungen der Orte sind allgemein und unbestimmt : das Land von Pelagonien, der Pelagonische Berg, ein Dorf . . . Dasselbe lässt sich über die Beziehungen der Personen sagen : der Priester, ein Jäger u. a. An einer Stelle stösst man auf Widersprüche bei der Be- schreibung des Ortes. Zuerst wird erzählt, dass dort Quellen »h caAU caMopac.i'LHtT, KacTanoBti, ii Miir^a.iLi :\iHoro MHwactcTBO« (44) vor- kommen, etwas weiter aber steht es, dass die Oertlichket »öt' nenp^xo^Ha ^LiKLi T-LKMO MopeMfc. KaMBHHa ace 6£" II cxp-iMna H 6e3BOAna (!)«.

1) SvfinE(f(s)y7]a/.Eauv yaq tuviols i^dfj inl Tr^v n'Kr^aiov noi^vr^v /ueTEyey- xely '417).

590 K. RadeeHko,

Als ein charakteristischer Zug des acuxie ist die Vorliebe für runde Zahlen in der Chronologie zu verzeichnen. Barbar lebt 20 Jahre bei seinen Eltern, 25 Jahre führt er Räuberleben, ein Jahr thut er in der Einöde Busse, bis ihn der Jäger findet, an einer anderen Stelle 3 Jahre. Nachdem 4 Jahre seines Busslebens verflossen waren ^), erscheint wieder derselbe Jäger und sagt ihm, dass man schon 3 Jahre nach ihm forscht. In dem Berichte über sein Leben beobachtet Barbar auch eine genaue Chronologie. Im Kloster verbringt er ein Jahr, bis zu seiner Ankunft beim Priester führt er 5 Jahre ein Bussleben, beim Priester verbringt er 9(3X3) Jahre; bei der Nachricht vom Tode Barbar's und den Wundern mit dem Salböl schätzen die Dorfbewohner die Dauer seines Einsiedler- lebens auf 17 Jahre-). Im Ganzen belaufen sich die Jahre seiner Busse auf 31, sein ganzes Leben füllt 7G Jahre aus. Diese Ziffern bedürfen wohl keines Commeutars !

Bei der Zeitangabe des Jahres, der Monate, Tage u. s. w. drückt sich der Autor ebenso unbestimmt aus, wie bei der Topographie. Die Phrase i^B% h^koii ace rÖAt JLiT-d, npiixoAUTt kt. Hejib' .lu-Beii;!, iiiKBintf (43) legt in dieser Beziehung ein treffendes Zeugniss ab.

Im ganzen ^Kiixie macht sich das Bestreben nach der Idealisirung Barbar's bemerkbar. Scharfe und darum der Wirklichkeit entsprechende Züge des ursprünglichen aiHxie, an denen noch Akropolites festgehalten hat, sind hier entweder gemildert oder weggelassen und durch andere ersetzt. Anstatt der Charakteristik der Rede des Heiligen, die für ihn gar nicht schmeichelhaft ist, wird in unserem /KHxie gesagt, dass Barbar egyptisch sprach 3). Anstatt der 3 Jahre Busse kommen hier 31 vor. Von der Aufzählung anderer Verwechselungen ähnlichen Charakters glaube ich absehen zu dürfen. Sie fallen schon von selbst auf, wenn man die Rede Akropolites' mit unserem Erzeugnisse vergleicht. Ich weise nur auf die Spuren und Andeutungen auf die Auffassung des ur- sprünglichen Kiixie Barbar's hin. Der Jäger spricht vor den Nachbarn über Barbar: » oöpixw^ niKoero e^^•^xiHH^a bi. nscxbiim MiiiiKa

1) 'n erAa Haiuii.HucA eais, a' Jii'^ u' MÖpcKaro üsinecxBia (nichts mehr und nichts weniger !) bi. nsciHHU töh, hphxöäutb ki> hcmov jiwBem. out u. s. w. (45).

2) Seite 52.

3) Uebrigens gibt es an einer Stelle eine Andeutung an die ursprüngliche Auffassung. Barbar sagt, dass er in Verlegenheit kam, als man massenhaft zu ihm herbeikam »wko HeucKsceui. ci'iii c.iübs u 6eci;tbi KHuacuLiA« (48, ; vgl. bei Akropolites: ... röy xe BäoßaQoi' iWQKxsf ... ayoiwTEQOv ßoüt'Ta etc. (412).

Einige Bemerk, zur neugefundenen Abschrift des Lebens des hl. Barbar. 591

CH.iHa n CTpamiia B-isopoMb«. Vgl. tov re BccqßaQOV uooa/.ev Ir/qiov oQiüVTa, äyQuorsQOV ßoCovra (412). In Uebereiustimmung mit Akropolites zeigt uns das sKiiTio Barbar als einen Mann von ungewöhn- licher körperlicher Stärke. Die Darstellung Barbar's in der Eigenschaft eines geübten Schützen beruht wahrscheinlich auf den Sterbeworten Barbar's in der Rede Akropolites'! Getroffen von dem Pfeile ruft er nämlich, aus: »/r/g, BaQßctQe, TtoTtjoiov biroloi' uD.oig y.ey.eQa- yaga (416).

Der Verfasser nennt Barbar einen Egyptier, und sagt, dass sich in der Umgebung von Durazzo viele Egyptier aufhielten. Was für Egyp- tier könnten das wohl gewesen sein ? Ich glaube, es werden Zigeuner ge- wesen sein. Es ist uns aus anderen Quellen bekannt, dass Zigeuner an diesen Stätten noch in der ersten Hälfte des XIV, Jahrh. wohnten, möglicherweise auch früher i). Dazu kommt noch der Umstand, dass sich die Zigeuner Egyptier nannten und Egypten für ihre Heimath hiel- ten. Unter demselben Namen kannten sie auch die Griechen. Da nun dem Autor in seiner Quelle die Nachricht vorlag, dass Barbar ein ge- bürtiger Africaner war "-), machte er ihn einfach zu einem Zigeuner, die zu seiner Zeit noch wohlbekannt waren.

Der Verfasser unseres acHTie hat entweder neben dem ursprüng- lichen jKRTie mündliche Ueberlieferungen, die schon einen legendarischen Charakter angenommen hatten, benützt, oder redigirte er das schon früher bekannte acHTie, indem er es mit einer Einleitung, mit Gebeten und Reden der auftretenden Personen versah und auf einer eigenartigen Chronologie aufbaute. Er suchte die Rauhheiten und Widersprüche zu mildern und sorgte für eine Motivirung der Handlungsweise der auf- tretenden Personen. In beiden Fällen muss man ihm die Eigenschaft eines gewandten Hagiographen absprechen. Seine Bemerkung, er sei » He6.iaroH3tiyeHt h HenayyeiiL« (41) darf wohl nicht nur als Beschei- denheit aufgefasst werden.

') Siehe K. Hopf, Die Einwanderungen der Zigeuner in Europa. Gotha 1S70, 17 18. Ueber die Wanderungen der Zigeuner überhaupt und über ihre Benennungen siehe das genannte Werk Hopfs, bes. S. 4, 6, 9—10, 11 12, 25—26, 28—29, 30— 31, 46— 47; Miklosich, Ueber die Mundarten und die Wan- derungen der Zigeuner in Europa III, 10, 23; VI, 62 63 etc.

2) Bei der Bemerkung, Barbar stammte aus Africa, fügt Akropolites hinzu: Wi 1] neoi uhiov cpTjaif laioQia xcd i; fxsd-' cjy avyxuxeD.ey.xo aiouTia uuoTvoel (410), d. h. die Araber, die Ambrakien belagerten, waren aus Africa.

592 K. Radcenko,

Zur Charakteristik eines aciiTie gehören besonders Züge, welche ähnlichen Erzeugnissen, die schon im Volke verbreitet waren, eigen sind. Zu solchen Zügen rechne ich 1) recht viele Wunder, 2) phantastischen Charakter der Oertlichkeit, in welcher der Heilige lebt, 3) verschiedene Einzelheiten, die in canonischen Lebensbeschreibungen der Heiligen ge- wöhnlich ausgelassen werden.

Der Heilige war aus Egypten gebürtig, natürlicher Weise verstand er die Ortssprache nicht. Es drängt sich nun die Frage auf, auf welche Weise er sich mit den Bewohnern verständigte. Die Antwort finden wir in der ausdrücklichen Bemerkung, dass im Lande viele Egyptier lebten, die als Dolmetscher gedient haben dürften. Woher kannte man die Einzelheiten über das Leben Barbar's in seiner Jugend und in den ersten Jahren seiner Bussthätigkeit ? Nun, er selbst oflTenbarte alles dem Klostervorsteher. Vollkommen dem Geiste der Volkspoesie entsprechend erzählt Barbar gerade so ausführlich und in derselben Ausdrucksweise, wie der Autor selbst. Offenherzig und naiv berichtet Barbar, was man sich über ihn erzählte: »tmkx se.iHKX h ct'L npin^e ^ ervnra b-l nami cxpaHLKf (48). Von gleicher Art sind die Fragen Barbar s an den Jäger :

"^ ^ f / ^.. ^ Ar ,

»KaKO ÄHe MHpi, CTGHTI). MHpsäiT JH I^pie, H HSte no HHMH JHOAie.

i];pKBLi BX cxeAHHCHH .iH ciiTb«. Episch hört man auch die Antwort des

Jägers: »M.ITBaMH TBOHMH B'LC£ BX Mlipi, Bt CLMHpeHH H eAHH^CXBi

ciiTB« (45) oder: »xaace Btnpocn o npxBOMt Micxi h o HCToqHHn;^ li o MHFÄajii caMopacJiiHLi KaKO CiL, H cBatHxejiie moh, cix jih eui;e x§«. Die Antwort: Jjw'ye MJXBaMH xbohmh h nocnimeniMX Bxceexro Axa, oycxpoHCA iia Jiicxi ohojil MurnacxnpL Be.iHKL h i];pK0Bt npeKpaciia

Sijib. H Cffl,eH''lIHU,H H ÄläKWHH B1. l],p'KBH ClsatÖBI ÖeSKptBHLIÄ ÖS npH-

, 3Ä, Mj5, D'.. rs

Hama&xL h Haea^enia BHHwrpaAW. h hhlthml 0Bwn],iaM6 pasJiH^niLiM MHWJKtcxBO iiacaAHCÄ. H n.iwAi>i öeciiHCJi'LHti na BtciKO üixo rwöss&xfc. 11 nHma ÄOBWjrna ovcxponcA MWHacxHpio. ii npHcxannme h ovnoKoeHie

CTpäHHLIHMB H ßwjIHLIMB BB.IHKO CT-A^-iaCA. H HenpeCXaHHO Ö-L np-

CJiäBJiiexi. (ib.). Phantastisch ist auch jenes Kloster, das während der dreijährigen Abwesenheit Barbar's aufgebaut wird ; und wirklich hören wir im Folgenden nichts mehr davon. Ich erwähne auch die sich wie- derholenden Erkundigungen über die Herkunft und das vorausgegangene Leben Barbar's und das beständige Preisen Gottes, nachdem man die Antwort erhalten hat. So fragen z. B. die Egyptier Barbar »o npnxo^s

Einige Bemerk, zur neugefundenen Abschrift des Lebens des hl. Barbar. 593

erb Bi> nscTLiHA cia. h o B^pi erb, h o HMeira erb. h m.co pa^H npn- mejb ecH w e'rvnxa ex nscTtiiiA eiiL« (43); der Klostervorstelier fragt »6 poKAeiiH erb, h B-LspacTi, ii o jehtIh, h ybco pa^H wcxäßHJit e ^iibCTBO CBoe H BT. TsiKAH'^ CTpaiiii npii^e« (4G) u. a. i). Die Antwort der Mönche auf die Erklärung Barbaras, er sei in dieses Land gekommen, um Busse zu thun, lautet: »h mh np'i ömt. rplmim ecMLi'c; die Antwort des Priesters : »h mw öo bt. Mnp'i li ne^iaaMH ataxia cerb c-l rpixLi njiinpoBaatAaeMB Bp^MA cie« (49).

Phantastisch sind auch die Gegenden mit ihren Quellen, ihren MKr^ajiBi caMopacjixHLi und Kastanienbäumen.

Barbar entfloh dem Tode bei dem Schiffbruche im blossen Hemde. Die Bewohner der Umgebung gaben ihm Kleider 2). Nach dreijährigem Aufenthalt in der Einsamkeit waren seine Kleider selbstverständlich schon abgenutzt. Er erbat sich vom Jäger ein altes Kleid (46).

Barbar hat zu wiederholten Malen Visionen, wobei ihm ein licht- strahlender Mann erscheint. Zum ersten Male sieht er ihn, als er von Meereswogen an das Ufer geschleudert einschläft. Er ermahnt Barbar, künftighin nicht mehr zu sündigen (42). Später erscheint ihm dieser Mann noch dreimal und gibt ihm jedesmal den Ort an, wo er in Einsam- keit sein Leben zubringen könne. Diese vielen Visionen scheinen weiter nichts als eine Amplification einer Stelle des ursprünglichen jKHxie zu sein. Und zwar hört Barbar nach der Wiedergabe Akropolites' vor sei- nem Tode eine Stimme, die ihn in die himmlische Glückseligkeit ruft (417). In unserem aciixie spricht der licbtstrahlende Mann bei seinem letzten Erscheinen zu Barbar folgendermassen : »BitiKAb rupA ohA kx

T

lu'rs, /TiiKe npnjieatHXB kx MÖpio. xiiMO öi^e a^MHiiije xboc ÄOH^e^Ke B-LSMA Kx eeöi« (50)3). Die Erzählung von diesen Visionen und das Detail, dass Barbar Tag und Nacht von Meeresfluthen getragen wurde, können als Eigenthum unseres Autors bezeichnet werden.

Der heil. Barbar war einer von den populärsten Heiligen auf der Balkanhalbinsel. Seine Popularität im mittelalterlichen Bulgarien ist nicht nur durch das hier besprochene Product belegt (w ca;.3siia yKe. n xptHOBa. Hw apöaHacKH rpa^wB^, na humaxb ero npiixwacaaxA. h

1) Vgl. überdies S. 49. ^) 42, 43.

3) Vgl. ^ye t^// fXEtäßii&t,, BuQßa^je' y.cutdine rovvzBvO^ev tu yifii'rc xal anevaoy tiqo^ xa ovQuyia etc. (417).

Archiv für slavisclie Diilologie. XXII. 38

594 K. Radcenko,

^apLi Mnrori,! npHHiLinaax&), sondern auch durch das Sendschreiben des Patriarchen Kailist an die Geistlichkeit von Trnovo. Deswegen wendeten die gesandten Bulgaren im Sacramente der Oelung das Salböl von den Reliquien des Grossmärtyrers Dimitrius oder des heil. Barbar an ^). Kein Wunder also, wenn von den ältesten Zeiten Erzählungen legendarischen Charakters über diesen Heiligen Verbreitung finden und auch schrift- liche Form annehmen konnten, ähnlich wie die Apokryphengeschichte Joannes' von Ryla. Sei es nun, dass unser Autor der erste gewesen, der die mündliche Legende von Barbar schriftlich bearbeitet hat, sei es, dass sie schon vor ihm schriftliche Gestaltung gefunden hatte, in beiden Fällen muss es zu den Apokryphenerzeugnissen gezählt werden.

1) Siehe: Miklosich et Müller, Acta Patriarchatus Constant. B.I. 1,441, Wien, am 18. März 1899. K. Radcenko.

Einige Bemerkungen über das Leben und die litera- risclie Thätigkeit Dositej ObradoYic's.

(Rad Jugslov. akad. znan. i umjet. Bd. 134. Ivan Scherzer: 0 Dositiju

Obradovidu.)

In neuester Zeit haben die serbischen Gelehrten ihre Aufmerksam- keit aufVuk's hervorragenden Vorläufer in der Reform der serb. Schrift- sprache, auf Dositej Obradovic gerichtet. Wir haben zu verzeichnen : das Erscheinen einer Broschüre von Milan Sevic'), weiter einige Ab- handlungen über Dositej 2)j dann eine kritische Ausgabe des 1. Theiles seines »Zivot<', und schliesslich neuestens die Obradovic gewidmete Ab- handlung von Ivan Scherzer, erschienen im 134. Bande des Rad der

1) Dositheus Obradovic, ein serbischer Aufklärer des XVIII. Jahrb. Neusatz 1889.

2) CnoMeHHna cpncKor aKaaeM. ÄpyniTBa »3ope« y Eeiy, o CToroamnaHnu HOEe Kibnre Jocuxiija 06pa;ioBHha. CoMöop 1883; ein Aufsatz über Obradovic im »OÄJeK« 1884, Nr. 32 : »/Iochtiij OopaÄOBuh«.

Einige Bemerk, über das Leben und die literar. Thätigkeit Obradovic's. 595

Südsl. Akad. der Wissenschaften*). Auf diese Arbeit wollen wir nun näher eingehen.

Vor allem berührt Herr Scherzer die strittige Frage über das Ge- burtsjahr Dositej'ö. Seit lange schon betrachtet man als solches das Jahr 1739. Nichtsdestoweniger behauptete schon Medakovic in der Vorrede zur Herausgabe der Werke. Obradovic's, dieser wäre 1745 ge- boren worden. In neuerer Zeit bekannte sich zur Ansicht Medakovi^'s Z. Popovic, der Eedacteur des durch die serbische Zadruga herausge- gebenen 1. Theiles des »Zivotc, nur dass er statt 1745 das Jahr 1744 gesetzt hat^). Gegen diese Ansicht trat der Archimandrit Ruvarac mit einer Reihe von gewichtigen Gründen in seiner Abhandlung: »^ivot Dositijev u hronoloskom pogledu«^) auf. H. Scherzer nähert sich der Ansicht Popovic's. In seiner Abhandlung hat Ruvarac darauf hinge- wiesen, wie viel Verwirrung und Gegensätze in den Angaben Dositej's selbst zu finden seien. Er beruft sich auf die einstimmige Zeugenschaft Lucian Musicki's und F. Solaric's, von denen der Erstere ein naher Be- kannter und Verehrer Dositej's, Letzterer ein Schüler desselben war, dass nämlich Obradovic 72 Jahre alt gestorben, und daher im J. 1739 geboren wurde. H. Scherzer beruft sich auf die Worte Dositej's in der Vorrede zum «Zivot«, aus denen hervorgeht, dass er damals 38 Jahre alt war und der »Zivot« imJ. 1783 gedruckt (und geschrieben ?) wurde, sowie auf die Data Dositej's in seinem »^ivot« ^} . Es ist zu abgeschmackt, hun- dertmal zu wiederholen, dass man sich auf diese Angaben nicht stützen darf, daher unterlasse ich es ^) . Das erste Argument hat unser Autor mit Popovic gemeinsam, der es auf folgende Annahme stützt : das Vorwort sei später als der 1. Theil des »Zivottt entstanden, und der 1. Theil sei

*) Wir fügen zu der hier besprochenen Abhandlung Scherzer's noch die gleichzeitig demselben Gegenstand gewidmete Schrift von K.Radcenko selbst hinzu, die weiter unten in der Anmerkung ^) citirt wird. Diese 253 Seiten umfassende Monographie ist unzweifelhaft das Beste und Eingehendste, was bisher über Dositej Obradovic geschrieben wurde. Es ist sehr zu bedauern, dass diese beiden Schriften so erschienen, dass der Verfasser der einen von dem Inhalt der anderen nichts wissen konnte. V. J.

1) In der Vorrede zur Herausgabe.

-) In der Zeitschrift »EpaHKOBo kojio« 1895, Nr. 13, 14; cf. besonders p. 406—409, 434—436. 3) Rad 163;

*) Cf. darüber ausser Ruvarac's Abhandlung meine Untersuchungen über Obradovic: »/locneeii OopajOEuit u ero .lUTepaTypsaa ÄiflTCJiBHOCTB «. KicBt 1897, 17 Aum. 2, 40 Anm. 2, 106 Anm. 1.

38»

596 K. Radcenko,

im Jahre 1783 abgefasst. Zur Erhärtnng seiner Ansicht weist Popovic unter anderem auch auf die Eilfertigkeit in der Bearbeitung des »Zivot« hin, die leicht zu merken sei. Obgleich Scherzer diese letztere Aus- führung verwirft, so acceptirt er doch die Voraussetzung Popovic's in ihrem ganzen Umfange. Und so wird unsere Frage zu folgenden Fragen hingeleitet: ob die Vorrede zum 1. Theile des »Zivot« in derselben Zeit oder sogar später oder früher als dieser geschrieben wurde, ferner ob der 1. Theil des »Zivot« im Jahre 1783 entstanden, oder ob Obradovid mehrere Jahre daran gearbeitet habe.

Ich meine, dass Ij die Vorrede ganz oder wenigstens dem grössten Theile nach vor dem 1. Theile des » Zivot tr, 2) abgesondert vom »Zivot« entstanden sei, und dass 3) auch der 1. Theil des »Zivot« nicht in einem, sondern im Laufe einiger Jahre geschrieben wurde. Uebrigens gibt uns ja Dositej selbst einen ziemlich deutlichen Fingerzeig dafür, dass die Vorrede vor dem 1. Theile des »Zivot« entstanden ist, indem er an einer Stelle des »Zivot« schreibt: »Kasao eain, ^a a. nehy ceöe HMaxH 3a no- rjiaBHTH yspoK h K0Haii,t ose KHnacHU,e, iio noji3y öjinatniBra Moera, iiehy ceöe HHMajio me;i,HTn im iiSBHHOB.iaTn .... caMb hy eeön no Moeil ca- BecTH Kao npe^fe BceBHAehroiL öoatiiiMt OKOMt, cy^iH öhth« i) etc., eine Wiederholung der Worte der Vorrede. Ferner erscheint die Vorrede wie ein Programm dessen, was im »Zivot« enthalten sein sollte. Ueber den Inhalt seiner Arbeit spricht Dositej in der Vorrede folgendermassen : er will die verschiedenartigen Begebenheiten, die er im Laufe seines 25jährigen Aufenthaltes in der Fremde erlebt hat, beschreiben; durch die Schilderung der Sitten von Völkern und Menschen, mit denen er in Berührung gekommen war, hoflft er den Lesern nützlich zu werden, in- dem er die guten Sitten loben, die schlechten verurtheilen und so die ersteren anempfehlen, vor den letzteren warnen will. Wenn Dositej seine Vorrede gleichzeitig mit dem 1. Theil des »Zivot« oder gar noch später geschrieben hätte, so würde es befremden, dass er den üeberblick über den Inhalt seiner Autobiographie direct mit den Jahren seiner Wanderungen begonnen habe, die doch den Inhalt des 2.Theiles seines »Zivot« ausmachen, der schon am Ende des Jahres 1788 erschienen ist, und zwar ganz unabhängig vom l. Theile, wie ich weiter unten zu er- weisen suchen werde. Weiter soll nach den Worten der Vorrede den Hauptgegenstand dieses Werkes die Jugenderziehung bilden 3). Geben

1] S. 34 der zweiten Ausgabe. ^) Cf. S. 6 derselben Ausgabe. 3j s. 4.

Einige Bemerk, über das Loben und die litorar. Tliätigkeit Obradovic's. 597

wir zu, dassDositej im l.Theiledes »Zivot« mehr als einmal Belehrungen und Anweisungen über Erziehung der Kinder zum Besten gibt, doch können wir das als die Hauptsache des 1. Theiles des »Zivot« ansehen?

In der Vorrede verspricht Dositej ausser dem «Zivot« noch andere Bücher zu liefern, die er aus fremden Sprachen übersetzen wollte '). Wenn er die Vorrede auf einmal und zwar genau am 15. August 1783 verfasst hätte, wie es in der ersten Ausgabe der Autobiographie heisst, warum hat er an dieser Stelle nicht gesagt, dass er die »Cob'I&tli 3;ipau. pa3yMa(( herausgeben wollte? Von diesen »Cob'Lth« spricht er im Briefe an Haralampie vom 13. August 1783.

Am Ende der Vorrede sagt Dositej unter anderen folgendes : »Or.ia- cio ca>ifc y nncMy kb jiioöesHHKy MoeMy XapajiaMniy, ^a iiaMipaBaMi, iis^aTH CoBiTc 3ApaBaro pasyma« etc. 2). Konnte es nicht sein, dass diese Worte, und folglich auch die ganze Schlussbemerkung, ein späterer Zusatz sind, und dass man daraufjenes Datum beziehen müsste? Als spä- teren Zusatz muss man auch das voranstehende Stück betrachten: »IIa Tora mo caMB AOB^e roBopio« etc. 3]. Dieses Stück ist, da es kein Schluss, kein Resümee des Vorhergehenden ist, ein ganz überflüssiger Zusatz und kann auf keinen Fall in derselben Zeit entstanden sein, wie der voraussteheude Theil des Vorwortes. Ebenso steht er in keinem Zusammenhange mit dem Schlüsse. Man kann sich denken, dass dieser Theil hinzugeschrieben wurde unter dem frischen Eindrucke der Reise durch Deutschland.

In der Vorrede finden wir Wiederholungen, Ausführungen des früher Gesagten. Ist das wohl denkbar bei der Annahme, dass die Vorrede in einer, verhältnissmässig nicht langer Zeit verfasst worden ist? Es ist richtig, dass sich Obradovic durch eine systematische Darstellung nicht auszeichnet, doch bei einer Vorrede, die in einer Zeit entstanden wäre, die er in einem Zuge geschrieben hätte, wäre das eigenthümlich. Der Brief an Haralampie, eine Art Vorwort zu den ))Soveti(f, hat einen ganz anderen Charakter. Nach seinen inneren Zügen steht die Vorrede noch sehr nahe den »Bukviceo^j. Dositej der Vorrede erscheint noch nicht als ein markanter, festüberzeugter Propagator der neuen Ideen, nicht

1) Ibidem 9. 2) ibidem 14. 3) 1. 1.

*) Cf. p. 4, 7 8, 3 : »OBo ÄaKjie pasMnniJiaBaiohH« u. 9 »^ahy noBojt«. . . 13 : »MeHU 3 aoEO-iuo yxeiueuifl« etc.

ö) Ueber die »Biikvice« cf. meine Untersuchungen S. 81 87, besonders 76—81.

598 K. Radcenko,

als ein grimmiger Gegner alles dessen, was ihnen widersprach, wie später in den Briefen an Haralampie. Dositej sagt, dass er gerne einsame Orte besucht und nachdenkt : woher er auf diese Welt gekommen, was er in der Welt zu thun hätte und wohin er von derselben kommen würde ^). Ueberhaupt hat die Vorrede einen abstrakten Charakter, ganz verschie- den von dem Tone der Briefe an Haralampie und des 1. Theiles des »Zivot«. Ganz im Geiste der »Bukvice« sind gehalten Stellen, wie: »HSÖaBjTHiohH ce MjraAOCTH, KaKO MHoroBOJinyoMora h CBHpenora Mopatr^) etc., oder: »aKOJin mo r^n öy^e norpeineno yueim he Aiojsja. nocjre Mens HcnpaBiiTH h mchh he ^lejiOBeKOJiioÖHO Kao qjOBBKy npo-

CTHTH« ^].

Wenn Dositej die Vorrede im Jahre 1783 geschrieben hätte, so wäre es eigenthümlich, dass er mit keinem Worte erwähnt, dass er die Vorlesungen Eberhard's gehört hatte, den er doch im 2, Theile des »Zivot« als »den berühmtesten Philosoph Deutschlands«^) rühmt, und der auf ihn einen mächtigen Einfluss ausgeübt hat; er erwähnt auch Born nicht, dessen Vorlesungen er im Jahre 1783 gehört hat. Die Worte Dositej's in der Vorrede, dass er Untersuchuugen gelehrter Männer zu- zuhören pflegt, können sich nicht darauf beziehen ^). Es ist klar, dass Dositej die Vorrede im Laufe einiger Jahre geschrieben hat, indem er sie umarbeitete und ergänzte, doch hat er, so scheint es, mit der Druck- legung des 1. Theiles des » Zivot a Eile gehabt, so dass er die nöthigen Verbesserungen im Vorwort nicht vorgenommen und ihm überhaupt eine gehörige, abgerundete Form nicht gegeben hat.

Wenn wir das Datum bei Popovic und Scherzer acceptiren, so er- gibt sich, dass Dositej als 12 jähriger Knabe aus dem Kloster entflohen ist (1744 Oktober 1757) und dass er mit 13 Jahren zum Diacon geweiht wurde. Nach dem Zeugnisse der Hopover Mönche war Dositej 16 Jahre alt; freilich konnten sie keine verlässlichen Data über das Alter Dositej's gehabt haben, doch überlasse ich es dem objectiven Leser, zu entschei- den, ob die Annahme Ruvarac's, dass Dositej zur Zeit seiner Diacons- weihe 18 Jahre zählte, oder die Popovic- Scherzer's, dass er 13 Jahre alt war, den Nachrichten der Mönche näher steht.

H. Scherzer behauptet, dass sich Obradovic im Kloster wie ein Brausekopf betragen hätte. Worauf gründet sich diese Behauptung? Auf die Worte Dositej's in seiner Autobiographie. Doch das Missliche

1) Vorwort p. 3. 2) Ibidem. 3) Ibidem 13.

*) Cf. die Ausgabe von Vozarovic. ^) S. 3.

Einige Bemerk, iibor das Leben und die litciar. Tliätigkeit Obradovlc's. 599

daran ist der Umstand, dass der l.Theil des »Zivot« keine Autobiogra- phie in des Wortes eigentlichster Bedeutung ist, sondern ein literarisches Product, nicht frei von Phantasiegebilden i) . Geben wir zu, Dositej wäre in diesem Falle zuverlässig, doch auch dann hat Scherzer Unrecht Obradovic handelte wie ein heranwachsender Jüngling. Demetrius wäre nach seiner damaligen geistigen Entwickelung vielleicht mit un- seren Gymnasiasten der 7. 8. Classe zu vergleichen. Durch all das Gesagte wird auch jene Bemerkung Dositej's in den »Basne«, dass er sich den Fünfzigern nähert, beleuchtet ^j.

Wann hat Dositej zuerst den Gedanken zu seinem Werke, speciell zur Vorrede gefasst, und in welcher Berührung steht der 2. Theil des »Zivot« die Reisen Dositej's zum 1. Theile, dem Leben zu Hause und im Kloster?

Schon in der »Izica« theilt Dositej kurze Nachrichten von seinen Reisen mit 3). Einige autobiographische Data finden wir noch an zwei anderen Stellen ^). Auf diese Weise ist, scheint es, in Dositej der Ge- danke zur Abfassung seiner Reisebeschreibung aufgekeimt. Ist nicht etwa auch für die Vorrede zum 1. Theil des »Zivot« darin der Anfang zu suchen? Sogar nach dem ursprünglichen Plane Dositej's hätte sein Werk hauptsächlich pädagogischen Zwecken dienen sollen ; doch diesen Zweck verfolgten schon seine früheren Werke ^j. Wenn Dositej ein Buch gelesen hatte, so beeilte er sich, seine Eindrücke auch seiner Um- gebung mitzutheilen, was ein charakteristischer Zug des Mannes war. So war er im Leben, so auch in der Literatur von den frühesten Ver- suchen an bis zu seinen letzten literarischen Erzeugnissen 6). Bei der Leetüre eines Buches pflegte er Auszüge zu machen, welche er dann in seinen Werken verarbeitete. Mit aller Bestimmtheit kann man sagen, dass der grösste Theil der Werke Dositej's, wenn nicht alle, durch die Leetüre eines oder mehrerer Bücher veranlasst wurde, und dass sie unter dem frischen Eindrucke dieser Leetüre entstanden sind. In der Vorrede zum 1. Theile des »Zivot« gibt Dositej der Hoffnung Ausdruck, dass die serbische Jugend im Laufe der Zeit Pamela, Telemach, die Er- zählungen Marmontel's und ähnliche Werke in die Muttersprache über-

ij Cf. meine Untersuchung S. 94, 97 9S, 106. -) S. 88 der Ausgabe Jovanovic's.

3) Ausgabe Vozarovic's S. 89—91. *) Ibidem 130, 5—8.

5) Cf. die Vorrede zur »Chrestomatie«, Ausgabe von Vozarovic S. 17—18 zum »BeHaitt oxt A.34aEUTa« S. 00. 6) Cf. meine Untersuchung, passim.

600 K. Radcenko,

setzen wird i). Im 2. Theile des »Zivot« schreibt Dositej, dass er schon im 3. Jahre seines Aufenthaltes in Wien, d. i. im Jahre 1774, die fran- zösische Sprache einigermassen beherrscht hätte, so dass er seine Stun- den in französischor Sprache geben konnte, und sein letzter Lehrer des Französischen, ein Mann «npeiiape^Haro, y yxeniio KHtnra, BKyea h no3- iiaiicTBacf, ihn mit ausgewählten französischen Original werken und Ueber- setzungen aus dem Englischen bekannt gemacht hätte 2). Waren unter diesen nicht auch die in der Vorrede erwähnten Werke ? Hat Dositej nicht etwa unter dem Eindrucke Telemach's den Gedanken gefasst, seine Reisen zu schildern, wobei er Angenehmes mit Nützlichem verbinden wollte 3) ? Auf diese Weise erscheint es glaubwürdig, dass Dositej schon im Jahre 1778, als er wirklich 38 Jahre zählte, die ersten flüchtigen Bemerkungen zu seiner Vorrede zu Papier gebracht hatte. Damals hatte er die Absicht, seine Reisen zu beschreiben, später aber änderte er sein Vorhaben und veröffentlichte seine Jugendjahre.

Indem ich mich zum 1, Theil des »Zivot« wende, muss ich vor Allem bemerken, dass ich mit der Ansicht des H. Scherzer vollkommen über- einstimme, dass dieser Theil des »Zivot« [übrigens behauptet H. Seh. dasselbe auch vom 2. Theil aber ganz überflüssigerweise; keineswegs irgend welche Spuren einer Eilfertigkeit des Autors aufweisen soll, wie das H. Popovic behauptet 4). Wir haben kein zweites Werk Dositej's, welches wir, was die meisterhafte Entwickelung der Hauptidee und das Ebenmass der Darstellung anbelangt, mit dem 1. Theil des »Zivot« ver- gleichen könnten. Man kann behaupten, dass Dositej seine ganze Seele in dieses Werk gelegt hat. Nirgends werden die Ideale und Bestrebungen Dositej's so plastisch dargestellt, wie im 1. Theil seiner Autobiographie. Sie konnte freilich den ganzen Reichthum der Ideenwelt Obradovic's nicht aufnehmen, und daher schrieb er noch manche Zusätze dazu. Die ferne Jugendzeit erschien Obradovic wie eine nicht erfreuliche Erinnerung, daher liess er seiner Phantasie freien Lauf, gab dem anschaulichen Vor- stellungsvermögen völlige Freiheit zur Verkörperung seiner geliebten Ideen. Die Figuren des herumirrenden Greises, des Onkels, sind epische

1) S. 10. 2) S. 55.

3) Scherzer (o.e. S. 106) sieht ohne weiteres in »Pamela« und »Telemach« die Vorbilder der Autobiographie Obradovic's, vergisst aber, dass der 2. Theil des »Zivot«, der allein mit den erwähnten Werken, insbesondere mit »Tele- mach«, verglichen werden könnte, ganze 7 Jahre später entstanden ist.

4) S. 165.

Einige Bemerk, über das Leben und die literar. Thätigkeit Obradoviö's. 601

Gebilde der schaffenden Phantasie Obradovid's, einerseits Verkörperungen dieser oder jener Idee, andererseits Typen der zeitgenössischen serbischen Gesellschaft. Die Sentimentalität selbst, von der das Werk durch- drungen ist, ist an manchen Stellen vom Autor wirklich gefühlt worden. Was die Stellen philosophisch-moralischen Inhaltes anbelangt, so müssen wir betonen, dass wir in keinem der späteren Werke Dositej's eine so harmonische Anordnung der Gedanken, eine so systematische . Entwickelung finden wie in unserer Schrift, die zu einer Zeit entstanden ist, als Obradovic erst nicht lange vorher in die Philosophie der Auf- klärung eingeweiht worden war. Wenn wir alles das berücksichtigen, so müssen wir zu der Schlussfolgerung gelangen, dass Obradovic längere Zeit, vielleicht mehr als ein Jahr, am l.Tlieile des »Zivot« gearbeitet hat. Warum hat nun Dositej seinen ursprünglichen Plan, eine Reise- beschreibung zu liefern, geändert? Man kann annehmen, dass dies durch neue Beeinflussungen geschehen ist. Z. Popovic hat auf die Auto- biographie Jung. Stilling's hingewiesen, als auf das Werk, welches den «Zivot« Obradovic's beeiuflusst hätte, doch H. Scherzer weist die Mög- lichkeit dieser Beeinflussung zurück *). Er weist auf dieThatsache hin, dass bis zur Drucklegung des »Zivot« nur die »Jugend«', die «Jünglings- jahre« und die »Reisejahre« Jung. Stilling's erschienen waren, welche Theile am wenigsten von allen auf Obradovic hätten einwirken können. Doch diese Bemerkung beweist nur, dass H. Scherzer mit der Autobio- graphte Stilling's nicht besonders vertraut ist. Es ist gar nicht unwahr- scheinlich, dass sich Dositej sehr früh mit diesen Werken bekannt ge- macht hat, denn sie waren in Deutschland verbreitet! Ausser Stilling konnte auf Obradovic auch Rousseau mit seinen »Bekenntnissen« ein- wirken. Die Aehnlichkeiten des »Zivot« einerseits, mit der Autobiogra- phie Rousseau's und Stilling's andererseits sind in meiner Monographie über Dositej behandelt worden, ich will daher nicht länger bei ihnen verweilen 2). Ich will nur noch bemerken, dass sich die Abänderung des ursprünglichen Planes des Dositej, sowie die äussere Form des 1. Th. des »Zivot« am besten durch die Annahme der genannten Beeinflussung erklären lassen.

Gleichwohl hat nun auch Obradovic den Gedanken, seine Reisen zu schildern, nicht fahren lassen, was man aus dem Schlüsse des 1. Th. ersehen kann. Die Leser Dositej's mussten freilich lange auf die Fort-

1) S. 165. 2) s. 104—106.

602 K. Radcenko,

Setzung seiner Autobiographie warten. Auch nach dieser Richtung, so- wie durch die äussere Form unterscheidet sich der zweite Theil vom ersten.

Nach den Worten Obradovic's zu urtheilen, war die Veranlassung zur Abfassung des 2. Theiles eine zufällige. In der Vorrede zu diesem Theile sagt er, er wollte den 2. Band seiner Werke mit einigen Briefen, die sich auf seine Erlebnisse beziehen, ergänzen. Viele hätten ihn brief- lich und mündlich aufgefordert, diese Arbeit (d. i. die Autobiographie) wiederaufzunehmen, er aber hätte die Arbeit darum aufgeschoben, weil er etwas Nützlicheres herausgeben wollte. Da hätte ihn einer seiner Freunde gebeten, er möchte die denkwürdigsten Ereignisse seines Lebens in Form einer Correspondenz darthun, was er auch erfülle. Dositej be- schloss also, einige Briefe, deren er eine Menge besass, herauszugeben, theils um Denjenigen, die das wünschten, zu willfahren, theils aber, um die Erinnerung seiner Freunde und Wohlthäter für die Nachwelt zu er- halten. Vor allem wäre dieses Letztere für ihn ein Beweggrund ge- wesen, nochmals von sich selbst zu schreiben. H. Scherzer sagt, dass sich Obradovic einfach der damals in Westeuropa zur Mode gewordenen Briefform in seinem Werke bedient hätte, und dass folglich diese Cor- respondenz ausgedacht sei^). Haben wir einen Grund, Obradovic im gegebenen Falle nicht zu glauben ? Jeder Brief ist durch die Zeit und den Ort, wann und wo er entstanden, bezeichnet. Obradovic hat sich in den entsprechenden Zeitpunkten thatsächlich an den angegebenen Orten aufgehalten. In einem in Sklov geschriebenen Briefe finden wir ein Postscriptum 2) , in dem Obradovic berichtet, dass er schon den G. Monat einen Buchdrucker erwarte und dass er nicht weiter zu warten gedenke, sondern nach Livland reisen wolle, wo er einen Monat auf dem Gute des Grafen Zoric zu verbringen beabsichtige. Er verspricht schon von dort zu schreiben. Ist auch dieser Brief erdacht ? Der nächste Brief ist datirt: Y CecBBeceHy Bt ÜMaanAin, Jyjia Iro 17883). Ist auch dieser gemacht? Dositej erwähnt Personen, als dem Adressaten wohl bekannt: den »guten Theodosij aus Karlowitzcc*), von dem wir aus den Werken Obradovic's gar nichts wissen, Zoric und andere. Welchen Sinn hätte es ferner für Obradovic gehabt, verschiedene, zur Sache nicht gehörige Einschaltungen zu machen, wie z.B. die Entschuldigung wegen

1) S. 169. 2) s. 17^ Ausgabe von Vozarovid.

3) Ibidem 27. «j S. 21.

Einige Bemerk, über das Leben und die literar. Thätigkeit Obradoviö's. 603

der Länge des Briefes im ersten, die Bemerkung im letzten Briefe, dass die Reisen Obradovic's nach Kusslaud, Livland, Kurland und von da nach Leipzig zurück einstweilen, da noch nicht beendet, unbeschrieben bleiben sollen *) ?

Im Briefe an Georgievic vom 20. September 178G schreibt Dositej : «... BaMx cairo obo iia snaiii Aa^^i, ^a a iiaMipaßaMi, moa jiio- öesHHKOMT. MoiDi'B HHCMa uiTaMnaxH . . Schon damals also beschäf- tigte Obradovic ein ähnlicher Gedanke ^] ! Scherzer ist bereit, die Länge der Briefe Obradovic's als einen Beweis dafür anzusehen, dass sie er- dacht sind^). Doch wir finden in der Correspondeuz Obradovic's mit Bekannten einige Briefe, die nach ihrem Umfange nicht viel den Briefen, die den 2. Theil des »Zivot« ausmachen, nachstehen ^j . Diese letzteren Briefe hatten ausserdem eine specielle Bestimmung.

Nach dem Zeugnisse Dositej's wurde also der 2. Theil des »Zivot« als eine unmittelbare Fortsetzung des ersten nie geschrieben. Obradovic ist offenbar seiner Arbeit gegenüber kalt geworden. Als er seine Jugend- zeit schilderte, konnte er sich frei über die nicht zahlreichen Thatsachen, die ihm in der Erinnerung haften geblieben waren, ausbreiten, sie aus- schmücken und gewissen Tendenzen unterordnen ; er konnte Reden er- finden und auf der Scene erdachte Personen auftreten lassen. Anders war es mit den Daten seiner Reisen. Dositej wurde hier von der Masse von Thatsachen förmlich erdrückt: bei seinem lebhaften und unstäten Charakter musste er bald für die Darstellung dieser endlosen Kette von Erlebnissen erkalten, eine Beschäftigung, die für die Bethätigung des Geistes so wenig Spielraum freilässt, wodurch eben die Aufgabe, die Leser zu erbauen, nicht erfüllt werden konnte. Andererseits war Obra- dovic hier auch durch die Bedingung der geschichtlichen Wahrheit ge- bunden.

Bei aufmerksamer Leetüre der Briefe, die den 2. Theil des »Zivot« ausmachen, kann man leicht erkennen, dass sie sich durch die Art der Darstellung ziemlich deutlich von den übrigen Werken Obradovic's, speciell aber vom 1. Theil des »Zivot« unterscheiden. Statt einer Sprache mit langen Perioden sehen wir hier eine abgebrochene, oft nicht einmal gehörig verbundene Redeweise. Hier finden wir keine umständlichen

1) S. 114. 2) Ausgabe von Vozarovic. 3) s. 169.

*) Der Brief Obradovic's an den Bischof ist 8 S., an Georgievid

9 S. (nach der Ausg. von Vozaruvic).

604 K. Radcenko,

Charakterschildernngen der Personen, mit denen Obradovic gelegentlich verkehrte, keine langen Dialoge, keine Analyse seiner inneren Welt. Ja sogar Schilderungen von Völkern und Ländern, und darüber muss man sich vor allem wundern, sind spärlich vertreten und zeichnen sich durch ihre Kürze aus ; auf keinen Fall aber entsprechen sie dem Versprechen Obradovic's in der Vorrede zum 1. Theile des »Zivot«. Obradovic hält sich hier an die chronologische Ordnung. Die faktische Seite hat im Allgemeinen das üebergewicht. Einige Stellen zeugen sogar von der Schalkhaftigkeit des Autors. So schreibt Dositej im 11. Briefe, statt uns eine Beschreibung von Paris zu liefern, folgendermassen : . . . »ko oKe TO ^a sna, a ^aJieKO My ce mmn nohn h bhahth ; a ont aKO iic siia ■i'paHu.eaeKH, Hena nayqn, naK^ neKa Kynn Kiibnry, soBomy oniicaiiie Ilapiisa H Eepcajia«!) etc. In den »Zivot« fügt Dositej auch solche Briefe von Freunden und eigene ein, die nur eine documentare Bedeutung haben 2). An manchen Stellen nimmt das Werk das Aussehen eines halbüfficiellen Berichtes an. Der letzte Brief hat einen geschäftlichen Charakter. Natürlich gibt es auch in diesem Theile des »Zivot« manche Tractate moralischen Charakters; besonders findet man viele Erörte- rungen über die Freundschaft und zahlreiche Panegyriken auf seine Freunde, llie und da treffen wir auch Dialoge an, wenn auch nicht so umfangreiche und so dramatisch gehaltene, wie im 1 , Theile ? Was be- deutet denn das ? Nur so viel, dass Obradovic bei der Herausgabe seiner Briefe dieselben verarbeitete und in belehrenden Partien erweiterte. Er selbst sagt es ja, dass er bei der Veröflfentlichung derselben hie und da etwas hinzugefügt habe 3), Wenn die Briefe von allem Anfange an für die Oeflfentliclikeit bestimmt gewesen wären, dann hätte Obradovic wohl mehr Platz der Schilderung seiner inneren Welt eingeräumt, dann hätte er weit mehr Mühe auf den moralischen Theil verwendet. Das war über- flüssig für seinen Freund, der sich hauptsächlich für die Reisen Obra- dovic's interessirte und für den Vieles klar und verständlich war, was für Andere dunkel war und eine Aufklärung forderte (man muss übrigens bemerken, dass Obradovic sogar in der Correspondenz mit Freunden gerne moralisirt und sich oft dabei ertappt)*).

Ganz unbegründet ist die Behauptung Scherzer's, dass Obradovic in

1) S. 89. 2) Cf. S. 107—108, 115-117.

3) S. 48.

*) Cf. meine Untersuchung, S. 57. Ueber »Zivot« S. 91 106.

Einige Bemerk, über das Leben und die literar. Thätigkeit Obradoviö's. 605

seinen philosophisch-theologischen Erwägungen deutschen Theologen, speciell Loen und Semler gefolgt sei.

Herr Scherzer i) befindet sich wiederum in Widerspruch mit sich selbst. Als ob sicli Obradovic nirgends über diese Theologen ausge- sprochen hätte ! Wenn sich der Autor besser mit dem Inhalte der von ihm citirten Werke Loen's und Semler's 2) bekannt gemacht hätte, so hätte er sich überzeugen können, dass diese beiden und Obradovic nichts gemein haben. Ueberhaupt ist die Frage über die Beeinflussung, die Obradovic erfahren, viel complicirter, als sich dies H. Scherzer vorstellt. Obradovic genoss keine regelmässige wissenschaftliche Ausbildung. In mancher Hinsicht erinnert er sogar in seinen spätesten AVerken an einen belesenen, mittelalterlichen Gelehrten. Es ist ihm gelungen, sich die Grundtendenzen der Auf klärungsphilosophie anzueignen, doch im Detail konnte er sich nicht zurecht finden, er konnte sich nicht über das Niveau mittelmässiger Auf klärungsphilosophen emporschwingen. In seiner Dar- stellung der verschiedenen Vertreter der Philosophie und Literatur lässt er sich mehr durch das Gefühl als durch den Verstand leiten und stellt Männer verschiedener Talente und Richtungen nebeneinander. Von Jugend auf hatte Obradovic die Gewohnheit, sich jene Stellen in den Büchern, die ihm am meisten gefielen, herauszuschreiben. Später stellte er daraus Abhandlungen zusammen, indem er bald etwas umarbeitete, bald etwas hinzusetzte und Beispiele einreihte, wobei er sich wenig um den inneren Zusammenhang kümmerte. Am meisten charakteristisch für solche Mosaikarbeiten sind die »Bukvicetf, aus Obradovic's literarischer Thätigkeit in Dalmatien, für die spätere Periode die »Basne« und einige Artikel in seinen »Sobranija«. Ausserdem finden wir bei ihm unbewusste Nachahmungen dieses oder jenes Autors, directe Uebersetzungen oder Umarbeitungen. Was die protestantischen Theologen anbelangt, so

1) Ganz unrichtig und auf nichts gegründet ist die Behauptung Scher- zer's, Dositej hätte den heissesten Wunsch gehegt, Priester zu werden: »Njegova je najvruca zeija bila, postati svecenikom« (S.lTl). Obradoviö war ja Priester, doch hat er für immer seiner Priesterwürde Lebewohl gesagt, als er auf die Universität in Halle gekommen war und die Mönchskutte mit dem »sündhaften« weltlichen Kleide [eine ironische Bemerkung Obradovic's selbst, cf. »Zivot« IL 85] vertauscht hatte. Das was Obradovic in »Basne« von der Bedeutung der Geistlichkeit für die Volksbildung schreibt, ist unter dem Eindrucke der Eeformen Josefs IL, die eben eine solche Rolle der Geistlich- keit angewiesen hatten, geschrieben. Cf meine Untersuchung S. 191.

2) Cf. Scherzer S. 171.

606 K. Radcenko,

sympathisirte Obradovic nur mit ZoUikofer. Die Beeinflussung seitens dieses Letzteren zeigt sich in einigen Traetaten religiös-pädagogisclien Charakters 1) . An einer Stelle seiner »Basne« äussert sich Obradovic sogar sehr scharf gegen Theologen, die Lessing, den er dort rühmt 2) , verfolgten. Selbstverständlich will ich damit nicht gesagt haben, dass Obradovic überhaupt keinen Nutzen aus den protestantischen Theologen gezogen hätte. Nachrichten über die Kirchengeschichte hat Obradovic ohne Zweifel aus protestantischen Quellen geschöpft. Ebenso zweifellos ist es, dass er dem Protestantismus gewogen war. Unvergleichlich grösseren Einfluss übten die Auf klärungspbilosophen auf Obradovic aus. Die Vorstellung von dem Verstände, als dem einzig verlässlichen Krite- rium der Wahrheit, die Grundanschauung Obradovic's ^) , hat er ganz von ihnen entlehnt. Doch auch in Detailfragen finden wir Parallelen. Daneben blieben auch die religiös-gesellschaftlichen Reformen Josefs IL nicht ohne Eindruck bei Obradovic, der den Kaiser sein ganzes Leben lang als das Ideal eines Herrschers tief verehrte. Herr Scherzer würde gut thun, ein allgemeines Werk über die Zeit Josefs IL durchzulesen, um sich zu überzeugen, dass die Reformen Josefs oft gleichsam wie praktische Verwirklichung der Theorien Obradovic's erscheinen, und dass jene umgekehrt durch die theoretischen Abhandlungen Dositej's beleuchtet werden ^) .

H. Scherzer gefallen mehr die trockenen, abstrakten Fabeln Les- sing's, als die sehr dramatischen, der Wirklichkeit entnommenen Fabeln Dositej's. De gustibus non est disputandum ^) ! H. Scherzer zieht sogar gegen die Moral der Fabeln los^). Es ist schwer denkbar, dass der Brief Serafim's erdacht wäre "). Wir haben viel zu viel Persönliches im Ant- wortschreiben Obradovic's, der gegen seinen Gegner sehr scharfe Be- merkungen fallen lässt^). Der Ton ist viel zu leidenschaftlich für eine erdachte Person !

1) Cf darüber meine Untersuch. S. 189—190; über die Beeinflussungen Obr.'s im Allgemeinen S. 178 192.

2) »Basne« 251 252 (Ausg. von Jovanovic).

3) Cf. meine Untersuch. S. 159 flf.

4) Cf. meine Untersuch. S. 191—192, auch G9, 134.

5) (Ueber die Fabeln Obradovic's cf. meine Untersuchung S. 115—124), Scherzer S. 175,

6) S. 177; cf meine Untersuch. S. 124-139. ■J) Scherzer S. 179.

^) Cf dagegen S. 60, Ausgabe Vozarovic.

Einige Bemerk, über das Leben und die iiterar. Thätigkeit Obradoviö's. 607

Herr Sclierzer behauptet, Obradovic habe aus dem Spectator nur die kurze Abhandlung über die Fabel entnommen, welche als Einleitung zu seinen »Basne« diente. Das beweist wieder, dass der Autor weder den Spectator, noch die »Sobranija« Obradovic's gehörig durchgenommen hat 1). Eine nicht tief genug gehende Bekanntschaft mit den Werken Obradovic's selbst zeigt H. Scherzer auch an anderen Stellen seiner Abhandlung. Wenn er z.B. die »Ethik« Dositej's durchgearbeitet hätte, so könnte er nicht behaupten, dass sie »skroz i skroz nadahnuta krscanskim duhom«^] sei, und wenn er die »Soveti« aufmerksamer durchgelesen hätte, so könnte er nicht sagen, dass das G. Cap. in kei- nem Zusammenhange mit dem 1. und 5., stehe und dass das 3. und 4. ein Ganzes bilden 3).

Statt uns eine mehr oder weniger genaue Charakteristik der Artikel der »Sobranija« nach dem Inhalt und Stil zu geben, liefert uns Herr Scherzer einen elementaren Bericht über die satyrischen Zeitschriften des verflossenen Jahrhunderts, erzählt ausführlich (weiss Gott wozu!) den Inhalt der Contes moraux von Marmontel und einer sehr schwachen Komödie Lessing's, die Obradovic übersetzt hat ^). Die Untersuchung H. Scherzer's über die Sprache der Werke Obradovic's bringt nichts Originelles. Interessanter sind dessen Bemerkungen über die Ueber- setzungen Dositej's. Richtig weist er darauf hin, dass sich Obradovic's üebersetzungen durch Genauigkeit nicht auszeichnen, dass der Ueber- setzer oft nur den Sinn wiedergibt, dass er sich erlaubt, die Originale zu ändern, aus Eigenem etwas hinzuzugeben ^) , mit einem Worte : er verfährt so mit den Originalen, wie die russischen Uebersetzer des XVIII. Jahrh. H. Scherzer bespricht dann die Germanismen in den Üebersetzungen Obradovic's, doch die von ihm angeführten Beispiele sind oft nicht sehr glücklich gewählt, und zeugen von der völligen Un- bekanntschaft des Autors mit der Sprache der kirchenslavischen Bücher russischer Redaction und auch mit der russ. Sprache selbst. Deswegen zählt H. Scherzer Ausdrücke wie: zakleti neprijatel^ viseimenovani^ visokoumije ^\ sogar sledovateljno zu den Germanismen ') !

Ungeachtet des nicht grossen Umfanges der Abhandlung, enthält diese doch viel Ueberflüssiges, z. B. den Rückblick auf die satyrischen

1) S. 1S3; cf. meine Untersuch. S. 183—185.

2) S. 181. 3, s. 178—180. 4) s. 183— 18G. 5) S. 185. f') S. 188. 7) s. 189.

(308 A. Radcenko, Einige Bemerkungen etc.

Zeitschriften des vorigen Jaiirhunderts, die ausführliche Inhaltsangabe der Erzählungen Marmontel's und der Komödie Lessing's : «Dämon und Leander«, die Aufzählung der Abhandlungen, die in ))Sobranija« ent- halten sind etc.

K. Radcenko.

Der Pliilomelamytlius in der kroat. Volksdiclitung.

Im Jahrgang 1894 der Agramer belletristischen Zeitschrift »Vienactf ist (auf S. 320—323, 333—335, 349—351, 362—366) eine Abhand- lung von K. Pavletic unter dem Titel «Grcka prica o Prokni i Filomeli kod Hrvata« (die griechische Sage von Prokne und Philomela bei den Kroaten) erschienen. Hier wurde ein Volkslied von der ))Filumena(f ab- gedruckt, das der Einsender von einem alten Weibe, das weder lesen noch schreiben konnte, in Buccari (Bakar) aufzeichnete. Das Mütterchen behauptete, es vor vielen Jahren von einer Arbeitsgefährtin (bei der Wäsche oder beim Weinlesen) gehört zu haben. Das Lied wurde als »Kancuneta od kralja ki je privaril sestru svoje zene« (das Lied vom König, der die Schwester seiner Frau verführte) bezeichnet. K. Pavletic gab zu dem von ihm mitgetheilten Material seine Bemerkungen, die sich auf die Quellen des Philomelamythus beziehen, und kam zu dem Re- sultate, dass die im Munde des kroatischen Volkes lebende Version auf der bei Ovid (Metamorphos. VI, cap. 7) erhaltenen Darstellung dieser Sage beruhe. Allein Herrn Pavletic blieb ein kroatisches Gedicht desselben luhaltes, das von einem Franziskaner Namens Fra Ivan od Zadra herrührt : »Historia od Filomenecf, unbekannt. Dieses Büchlein i)

1) Der volle Titel desselben lautet: »Historia odFilomene hchiere chra- glia Pandiana. A dana na sfitlo Fra Ivanu od Zadra, reda male bratie Svc- toga Francisca. In Venetia MDCLXXII : Appresso Francesco Brogiollo. Con licenza de' Superiori e Privilegio. 160. 1 + 28 (äafafik und Kukuljevic führen noch eine, angeblich im J. 1670 gedruckte Ausgabe an. V. J.). Das Gedicht ist in Zwölfsilbern abgefasst, mit dem Reim nur am Ende der Zeile, auch so können diese nicht besonders belobt werden. Man begegnet solchen Reimen,

Der Philomelaraythus in der kroat. Volksdichtung. 600

zeigt sehr merkwürdige Berührungspunkte mit der Volkserzählung. Die classischen Namen nahmen in der volksthümlichen Darstellung folgende Gestalt an: aus Pandion wurde der in Talija lebende Bandijam, aus Progne Brojna, aus Itys Utih, aus Philomela Filumena; Tereus wird König »od Zumbora« genannt. Die Umgestaltung des Namens Philomela in Filumena dürfte von Fra Ivan herrühren, der die Heldin seines Gedichtes so nannte. Die weitere Vergleichung der beiden Texte lässt keinen Zweifel an der Entstehung der Volkserzählung aus der Be- arbeitung des Stoffes durch Fra Ivan ( 1 G 7 2) aufkommen . Gleich anfangs (im 4. Verse) erzählt das Volksgedicht, dass Bandijam nach der Bitte des Königs von Zumbor, die Tochter an ihn zu verheirathen, »Kuntenat i vesel« war: bei Fra Ivan sagt Pandian aus gleichem Anlass »sam tomu kuntent i vesel dovolje« (S. 3). Nach dem Ausdruck der Einwilli- gung Bandijam's steht in dem Volksliede (V. 8 9):

Z veliken veseljen Brojnu rukovase, Jos z vecen veseljen kralju dopeljase;

im Gedicht Fra Ivo's (S. 3) liest man, Tereus »vladik odpravi«:

Da Prognu imaju pojti ruhovati, Jer ju za kraljicu njemu dopeljati. I tako 3 veseljem velikim idose.

Die Ankunft der neuen Königin bei ihrem Manne wird im Volks- liede so erzählt (V. 10—11):

Kralj kraljicu prime veselo ter drago, Ca bi njemu vise leg sega svita blago.

Dem entsprechen bei Fra Ivo (S. 4) :

Kralj prija kraljicu veselo i drago, Koja mu drazja bi, ner sve ino blago.

Von dem Leben des jungen Paares heisst es im Volksliede (V. 12) ;

Va Ijubave mirno su ziveli,

womit zu vergleichen bei Fra Ivan (S. 4) :

I zato s veseljem velikim zivise I Ijubav velika meu njimi bise.

wie: volje dovolje, idose pridose (S. 3^, pojti dojti, pripravi odpravi (S. 4) U.S.W.; andererseits harmoniren schwach solche Reime, wie: nevideci nimajuci (S. 6), staklo isteklo (S. 7), obeca od njega (S. 10) u. s. w. Höchst wahrscheinlich ist dieses Büchlein gemeint, das in dem Verzeichniss des Ver- lags des venetianischen Buchhändlers Bart. Occhi bei verschiedenen Ausgaben als »Historia di Filomena« oder »Historia od Filomene« angekündigt wird.

Archiv für slaviBche Philologie. XXII. 39

610 IM. Petrovskij,

Im Weiteren stimmen die beiden Darstellungen mehr inhaltlich als im Ausdruck überein, dennoch vergl, V. 36:

»Ako je (sc.Filumene) ne vidi (scBrojna), ziva nece biti« und bei Fra Ivan (S. 6) :

»Zac nede inako ziva moci biti«.

Statt der Worte Fra Ivan's :

Kako cu ostati? Tko de moju starost dotle guvernati?

steht in der Volkstradition (V. 41—42):

Ki ce mens starca prigledati? Ki ce moju rusu glavu opojskati?

wo das Verbum » opojskati (f an den bekannten volksthümlichen Ausdruck «obiskati« erinnert. Auch das Wort »funestra« (S. 7) kehrt in der Volks- fassung als »pouestra« (V. 6 65) wieder.

In der stark verkürzten Erzählung der Volksfassung von der Ab- fahrt des Königs ))od Zumbora« mit der »Filumena«, kommen folgende Anklänge an die Darstellung Fra Ivan's vor : Volksthüralich : » Vec su me mornari trikrat dosli zvati,

Vrime nan je bog dal nazad putovati« (V. 46 47) und bei Fra Ivan :

» Jur Jesu mornari veckrat dohodili, Vrime nam je lipo, tja bismo hodili« (S. 8).

Das Benehmen des Vaters vor der Abreise Filumena's, seine Rath- schläge, seine Verabschiedung (S. 8 9) alles das fehlt in der volks- thümlichen Darstellung. Von der Seereise heisst es nur:

»Ca je njemu bilo z veseljen po moru, A z onemi mlademi molnari« (V. 48 49),

die Worte erinnern an Fra Ivan's »Razlikim veseljem on se veseljase« (S. 9). Nach der Volkserzählung führte (peljal) der König die Filumena »va' nu crnu goru« (V. 50), in der literarischen Bearbeitung ))poca . . . van puta peljati« (S. 10), wo es keine Menschen gab, und brachte sie »v konjsku stalu« (ib.). Das Flehen Filumena's (S. 10) fehlt in der Volksdarstellung, ihre Vorwürfe i) gegen den König (S. 10 11) lauten anders, nur der Ausdruck:

»Ja cu tebe tuzit sen Ijuden od svita« (V. 54)

1) Unter den Schimpfworten gebraucht Filomena bei Fra Ivan auch den Aüsdvuck patarin: patarin prihudi, hudi patarine (S. 10 11).

Der Philomelaraythiis in der krojit. Volksdichtung. fil l

erinnert an die Worte des Franziskaners :

»Ja cu po svem svitu da bude ocito« (S. 11), oder

»Da ako jos kada k Ijudem bndu nioci, Pojti cu po svitu proseci pomodi« (S. 12).

Die detaillirte Beschreibung des Zungeuausschneidens (S. 13) ist in der Volksüberlieferung in drei Versen zusammengefasst (V. 56 58).

Im Weiteren erzählt Fra Ivan (S. 13 27), dass der König Filomena in der Einöde unter Bewachung zurückliess und allein nach Hause heim- kehrte. Die Frau fragt nach ihr, er antwortet aber, Filomena sei unter- wegs erkrankt und gestorben. Prokne ist trostlos. Inzwischen brachte Filomena zehn Jahre in der Einöde zu und fand zuletzt ein Mittel, ihre Schwester vom Geschehenen in Kenntniss zu setzen : sie hatte mit Gold auf Seide ihr Schicksal geschrieben und durch ein ihr zugetheiltes Dienstmädchen an die Schwester übermittelt. Als diese das Geschehene gelesen, sann sie über die Rache, die sie an ihrem Manne nehmen sollte,

nach. Am Bacchusfest:

. . . odicu napravi I krunu od listja ter s toga postavi, Listjem od berstrana svoj obraz pokrivsi . . .

So gekleidet brach sie auf, Filomena zu suchen, sie fand sie und brachte sie nach Hause. Mit Zeichen gab ihr diese zu verstehen, sie sei an dem ganzen Vorgange unschuldig. Die Königin beschliesst, aus Rache an dem König Tereus, den Sohn Itys, der dem Vater sehr ähnlich war, zu tödten, was sie auch ausführt. Dann, da zum Bacchusfest »svude zakon takov, da nigdor nego muz zenom ima jisti«, ruft sie den König zur Mahlzeit und legt ihm den gebratenen Sohn vor. Auf die Frage des Königs, wo der Sohn sei, antwortet sie: »vor dir«. Der König erräth die Wahrheit so lange nicht, bis nicht Filomena mit dem Haupte des Itys eintritt. Da geräth der König in Zorn und Verzweiflung, er spricht unter anderem :

Ja sam zlo ucinil, ja toga ne tajim;

Da sinak moj tuzni ca ucini, ne vim.

Mit dem Schwerte in der Hand will er die Schuldigen verfolgen, doch die Götter verwandeln sie alle in Vögel. Pandion vergeht vor Schmerz und Trauer.

In der volksthümlichen Version gleich nach dem 58. Vers:

V y

Ca namisli (sc. kralj), to ucini i zajik joj izvadi heisst es :

39*

612 IM. Petrovskij, Der Philomelamythus in der kroat. Volksdichtung.

Ona se posegne po list od brsljana Pak ga j' napisala s krvcun i suzama,

und schickte das Blatt mit einer Schwalbe an die Schwester. Diese las es und beschloss aus Rache »ubit sina Utihoga«. Der Sohn wehrt sich:

»Mila majko, ca san van ja storil? Ako je moj otac malo vriedno storil, Ja van nisan kriv . (V. 82 84).

Dennoch schlachtet ihn die Mutter, bereitet aus dem Fleische eine Speise und legt sie dem König vor, als dieser »s konti i z baroni« er- schien. Mit der Erklärung seitens Brojna's, dass der Mann seinen eigenen Sohn verzehrt habe (V. 92: »Sinoc si ga pojil . .«) bricht die Erzählung nach der Aufzeichnung Pavletic's ab. Das alte Mütterchen sagte, des weiteren erinnere es sich nicht mehr, nur so viel wusste es, dass »potle su se si zviri ucinili i njejemu ocu na ponestru leteli«. Nach dem letzten Ausdruck darf man an Vögel denken.

Zur volksthümlichen Version bemerkt H. Pavletic (S. 349), dass neben der Darstellung des Ovidius in Italien irgend eine andere Version mündlich sich fortpflanzen konnte, aber dass die kroatische Version mit der Darstellung des Ovidius zum Theil selbst in Einzelheiten überein- stimme. Er verweist (S. 350 351) selbst auf wörtliche Uebereinstim- mung in den Klagen und Drohungen Filomela's. Bei Ovidius liest man :

Quandocunque mihi poenas dabis. Ipsa pudore Projecto tua facta loquar. Si copia detur, In populos veniam ; si silvis clausa tenebor, Implebo Silvas et conscia saxa movebo. Audiat haec aether et si deus ullus in illo est.

In der kroatischen Version :

Ja cu tebe tuzit sen Ijuden od svita, San Ijuden od svita, Bogu velikomu !

Nun oben wurde gezeigt, dass diese zwei Verse bei Fra Ivan ihre Ent- sprechung haben.

H. Pavletic meint (S. 366), dass das kroatische Lied auch bezüg- lich des Versmasses bemerkenswerth sei, da in ihm verschiedene Metren vertreten seien, am häufigsten Zehn- und Zwölfsilber. Was den Zehn- silber anbetrifft, sollte dieser in einem epischen Volksliede nichts Auf- fallendes sein. Der Zwölfsilber dagegen könnte, nach unserer Auffas- sung — leicht aus dem Vorbilde, der »Istorija« Fralvan's, entlehnt sein.

/. M. Petrovskij.

Kleine Mittheilungen.

Der Hochzeitsschwank im ragusanischen Liederbuch vom J. 1507.

Unter den Liedern des zweiten Theiles dieser Handschrift, deren Autor- schaft nach dem, was von mir darüber auf S. 215 230 gesagt wurde, erst fest- zustellen ist, und welche mit den Liedern des ersten Theiles unter dem Namen des S. Mencetid und G. Drziö im IL Bande der Stari jnsci hrcatski herausge- geben wiirden, befindet sich auch eine kleine dramatische Scene, welche ganz bestimmt zur Aufführung bei einer Hochzeit bestimmt war und wohl auch aufgeführt wurde (o. c. S. 441 448). Schon der Herausgeber des Lieder- buches, Prof. Jagic, vermuthete, dass dieses Stück eine einfache Uebersetzung sein könnte (o. c. XI), eine Vermuthung, welche durch den Umstand stark unterstützt wird, dass die Didaskalien nicht in serbokroatischer, sondern in italienischer Sprache geschrieben sind. Als ich mich also vor einiger Zeit mit diesem Stücke etwas genauer beschäftigte, stand es für mich fest, dass das- selbe speciell aus dem Italienischen übersetzt sei. Leider konnte ich in den mir hier zugänglichen Hilfswerken nichts Aehnliches finden, und so wandte ich mich an Prof. Vittorio Rossi in Pavia, der vor kurzem eine schöne Ge- schichte der italienischen Literatur im XV. Jahrh. verfasste, da das italienische Original in irgend einem vor dem J. 1507 verfassten Werke zu suchen war. Auf Grund des von mir Herrn Prof. Rossi mitgetheilten Inhaltes des kleineu Stückes machte mich dieser Gelehrte in der liebenswürdigsten Weise auf eine dramatische Scene im Werke Fioj- di Delia des Neapolitaners Antonio Ricco aufmerksam, welche ihm aus einer späteren Ausgabe aus dem J. 1514 bekannt war, die aber seiner Meinung nach vor oder wenigstens in dem J. 1507 ge- schrieben sein dürfte, da eine zweite ähnliche Scene, welche der ersten folgt, die Anmerkung trägt, dass dieselbe in Venedig am 12. Februar 1507 aufgeführt wurde; die Sache war aber noch nicht sicher, da Herr Prof. Rossi in Pavia ein Exemplar dieses Werkes des A. Ricco nicht bei der Hand hatte. Es hiess nun den Fior di Delia finden; doch war dies, trotzdem ich mich an die reichhaltigsten Antiquariate Italiens wandte, nicht möglich, und so musste ich mich mit einer Abschrift aus der in der Marciana in Venedig (Miscell. 2361. 1) aufbewahrten Ausgabe des J. 1514 begnügen, die ich mir anfertigen Hess. Ein flüchtiger Vergleich mit dem Italien. Texte zeigte mir sogleich, dass ich das Original zu unserem Hochzeitsschwanke vor mir hatte,

614 Kleine Mittheilungen.

wenn auch einige nicht unwesentliche Abweichungen dafür zu sprechen schienen, dass unsere Uebersetzung nicht nach dem der Ausgabe vom J. 1514 zu Grunde liegenden Texte verfertigt wurde; eine ältere Ausgabe des Fior di Delia konnte ich aber nicht auftreiben, besonders die erste nicht, welche Brunet (IV, Col. 1276j also beschreibt: »Opera di Ant. Riccho napolitano, in- titulata Fior di Delia, Venetiis, Manfredo Bono da Monteferrato da Sustreco, 1507, al di XV del mese di marzo, pet. in-8. de 68 ff. non chifFr., sign. A P.« Das genaue Datum der ersten Ausgabe zeigt uns aber, dass diese am 15. März 1507 in Venedig gedruckte Farsa des A. Ricco im Laufe desselben Jahres sehr leicht nach Eagusa gelangen und dort übersetzt werden konnte, wenn wir nämlich daran festhalten wollen, was mir allerdings jetzt als sehr wenig wahrscheinlich erscheint (vgl. S. 230;, dass das ragusanische Lieder- buch in seinem ganzen Umfange im Laufe des J. 1507 geschrieben wurde. Uebrigens, wenn wie dies wenigstens sehr leicht möglich ist die Ausgabe des Fior di Delia aus dem J. 1514 bloss einen unveränderten Ab- druck des Textes vom J, 1507 enthält, so möchte ich eher glauben, dass die ragusanische Uebersetzung, welche besonders am Schlüsse vom italienischen Originale wesentlich abweicht, nicht nach einer gedruckten Ausgabe, sondern nach einem handschriftlichen Exemplar, höchst wahrscheinlich noch vor dem J. 1507, zu Stande kam, umsomehr als diese Abweichungen nicht nur den eigentlichen Text betreffen, wo sie etwa durch die Uebersetzung selbst ver- anlasst sein konnten, sondern auch die unübersetzt gebliebenen Didaskalien, wo also ein zwingender Grund zu solchen Abweichungen absolut nicht vorlag. So, um ein Beispiel in dieser letzteren Beziehung zu geben, heissen die »Interlocutori« in der Ausgabe vom J. 1514 »Pallas, Junone, Phebo da Lora- culo (für ,da 1' oraculo'). Vener, Cupido, Lo Amante, Et la donna«, im Lieder- buche dagegen: »Pallas, Juno, Apollo, Venus, Cupido, Amante, Amata et Jupiter« (S. 441). Das Fehlen des Jupiter im ital. gedruckten Texte erklärt sich nun dadurch , dass Jupiter nach demselben in der That nicht auftritt, aber warum hätte der ragusanische Uebersetzer des Textes in diesem Ver- zeichniss für »Phebo« »Apollo« und für »la donna« »amata« gesetzt? Noch stärker weichen die Didaskalien im ital. Texte von den unsrigen ab, und zwar sind in der Regel die letzteren knapper gehalten, was auch dafür spricht, dass sie einer älteren Redaktion angehören.

Im Inhalte finden sich dagegen mit Ausnahme des Schlusses keine wesentlichen Abweichungen zwischen dem italienischen und unserem Texte. Pallas tritt an Juno mit der Bitte heran, ein junges, ihr liebes Paar durch die Bande der Ehe zu vereinigen, Juno aber weist sie deswegen an Venus, zu welcher nun Pallas sich begibt, unterwegs aber dem Apollo ein Opfer bringt, um von ihm die Zukunft ihrer Schützlinge zu erfahren. Nachdem sie von Apollo eine günstige Antwort erhalten, erbittet Pallas den Beistand der Venus, welche sie wiederum an Cupido weist. Sie suchen ihn auf, und Venus bringt ihm die Bitte der Pallas vor. Cupido stimmt zu. nimmt seinen Bogen und Köcher und verwundet mit seinen Pfeilen zuerst die »Geliebte«, welche so- gleich über ihre Liebesqualen klagt, dann den »Geliebten«, welcher dasselbe thut. Doch Letzterer erkennt auch , wer die Ursache seiner Pein ist , und

Kleine Mittheilungen. 615

macht dem Mädchen eine regelrechte Liebeserklärung, welche von der Ge- liebten gnädig aufgenommen und durch einen Kuss besiegelt wird. Bis hier- her entwickelt sich in beiden Texten das kleine Drama ganz gleich, um aber etwas verschieden abzuschliessen; nach dem Italienischen, »nachdem die Ge- liebte den Geliebten geküsst hat, fängt die Musik [i soni) zu spielen und der Geliebte mit der Geliebten zu tanzen an«. In unserem Texte dagegen folgt dem von der Geliebten angekündigten Kusse ein kurzer Segen der Pallas [Benediczion de Pallas) in 4 Versen, worauf Jupiter den Ehebund mit den Worten schliesst [Jupiter conjumja Ic sponsalizie con parole suhsequeute): »Vi- vite felices castique cupidinis ambo | exercete diu dulcia bella simul, | et videat tota vos ludere nocte lucerna, | donec vos faciet curva senecta graves« ; erst dann tanzen der Geliebte und die Geliebte zusammen [Finito faza famante colla amata insieme un ballo). Das ist kaum ein vomUebersetzer herrührender Zusatz, denn speciell lateinische Hexameter kommen auch sonst im Stücke vor ; so gibt Apollo seine Antwort der Pallas in zwei lat. Hexametern, und sowohl die Geliebte als auch der Geliebte schliesseu ihre Liebesklagen eben- falls mit lateinischen Hexametern ab.

Sonst entspricht unser Text ganz genau dem italienischen, wenn man davon absieht, dass die Uebersetzung nach den Begriflfen, die man damals von einer solchen literarischen Thätigkeit hatte, eine sehr freie ist, welche nur im Allgemeinen dem Gedankenzuge folgt, im Einzelnen aber nicht unerheblich vom Originale abweicht. Der Sinn des italienischen Originals ist allerdings überall richtig getroffen, doch die Sprache ist sehr spröde und holperig, wie übrigens bei allen ältesten ragusanischen Dichtern, so dass das au und für sich unansehnliche Stück in der unbeholfenen Uebersetzung noch weniger befriedigt ; doch die ehrwürdigen ragusanischen Bürger, welche im Anfange des XVI. Jahrh. vielleicht zum ersten Male? bei einer Hochzeit auch eine »Komödie« in ihrer Sprache aufführen sahen, dürften mit derselben sehr zufrieden gewesen sein! Der Uebersetzer hat ferner auch insofern eine Aen- derung in der Sprache eintreten lassen, als er wohl zwei Götter des Olymps lateinisch sprechen lässt wie das Original (den Jupiter am Schlüsse des Stückes und den Apollo in seiner Antwort an Pallas), dagegen übersetzt er die lateinischen Hexameter, mit welchen sowohl die Geliebte als auch der Geliebte ihre Wehklagen abschliessen, und der lateinischen Antwort des Apollo lässt er auch eine serbokroat. Uebersetzung folgen; in Italien konnte man nämlich in viel grösserem Umfange ein Verständniss für lateinische Verse voraussetzen, als in Ragusa. Man sieht aber, dass die Uebersetzung was Pavic ohne jeden Grund bezweifelt (Hist. dubr. drame S. 27) wohl dazu bestimmt war, in Ragusa aufgeführt zu werden. Dies bestätigt uns auch der weitere Umstand, dass dort, wo der ital. Text von dem jungen Paare spricht, »che Venetia non ha pare«, der Uebersetzer sagt: »er slike ne imaju u svemu mjestu ovom» (V. 31).

Der ragusanische Uebersetzer hat im Grossen und Ganzen auch das Metrum des Originals beibehalten, mit der principiellen Abweichung, dass er die italienischen Hendekasyllaben durch die vor Gundulic in ganz Dalmatien allgemein üblichen Zwölfsilber wiedergibt. Die Terzinen und Oktaven des

616 Kleine Mittheilungen.

Originals lässt er aber in der Eegel fallen, und verwendet dafür das gewöhn- liche altdalmatinische doppelgereimte Distichon; nur in der Ansprache der Venus an Cupido (V. 1 17— 144), sowie in der Wehklage des Geliebten (V. 215 bis 242) behält auch er die italienischen Terzinen, doch mit viel freierer Reim- verbindung als im Italienischen. Ebenso ist in unserem Text das die Antwort des Cupido an Venus enthaltende Sonett (V. 145— 158) erhalten, ebenfalls mit anderer Reimverbindung (die ersten acht Verse gehen alle auf -im aus!]. Einzelne Theile des ital. Originales bestehen ferner zwar ebenfalls aus Hen- dekasyllaben, welche aber in der Weise durch den Reim verbunden sind, dass der Schluss jedes Verses mit dem Schlüsse der (fast ausnahmslos mit der siebenten Silbe ausgehenden) ersten Hälfte des folgenden Verses reimt, z. B. Quando penso et ripenso | Con 1' intellecto e il senso de sta cosa \ mi pare du- bios« che forse che u. s.w.; hier wollte der Uebersetzer dasselbe Metrum ver- wenden (V. 53 67, 80 116), doch ist ihm das nur insofern gelungen, als er dieselbe Reimverbindung herzustellen vermochte, während der Umfang der einzelnen Verse zwischen 11 und 14 Silben schwankt. Was aber die Reime anbelangt, so sind dieselben wie übrigens bei allen altdalmatinischen Dich- tern — sehr mangelhaft, so dass z. B. auch dostojnu mit podohiu (V. 87, 88) \xndi pravit mit 2»'osit (V. 92, 93) reimt.

Das ital. Original gibt keine Veranlassung, in dem Texte unserer Ueber- setzung irgend welche Verbesserungen vorzunehmen; die wenigen von Jagic vorgenommenen und durch den Sinn geforderten Korrektureu der handschrift- lichen Ueberlieferung werden bestätigt. Es sind aber wohl nur Druckfehler budu für hide in V. 57 und sacriste für sac7-is te in V. 76, während in V. 97 pri- hivaj'e des Reimes wegen in pribivav zu ändern ist. Auch für die Verbesserung der im Liederbuche wohl schlecht abgeschriebenen und daher wenig ver- ständlichen Verse 80 87 gibt das Original keinen genügenden Anhaltspunkt ; hier lautet die entsprechende Stelle: »Inclita Venere ] Che spesso in trita cenere conuerti ] Li sensi human experti ad seguitare | Quel almo singulare pharetrato \ Figliol tuo cieco alato. Quel to Marte | Che dal ciel non si parte, ma si sente | Ti salui e ti contente, in leta pace | Secundo piü ti piace: Ha- uend© inteso | Et molto ben compreso il tuo valore | Che donna gran terrore ad ogni gente, | Pensato ho nela mente, donar merto | Ad un mio seruo ex- perto ....

Ich will noch nicht eine Vermuthung darüber aussprechen, wer diese italienische Farsa übersetzt habe, denn wir müssen jetzt als feststehend an- nehmen, dass im zweiten Theile unseres Liederbuches Erzeugnisse mehrerer Dichter und nicht nur des S. Mencetic und G. Drzic zusammengeworfen sind. Es müssen zuerst die diesem zweiten Theile gehörenden Lieder inhaltlich und sprachlich mit den echten Liedern dieser beiden ältesten und noch anderer Dichter des XVI. Jahrh. (Vetranic, Cubranovid, Dimitrovic u. s.w.) verglichen werden, um eine einigermassen begründete Ansicht darüber vorbringen zu können. In sprachlicher Hinsicht bietet aber diese Uebersetzung ein recht charakteristisches Merkmal, nämlich die auffallend häufige Verwendung der Partikel nu, wo diese nicht ihre gewöhnliche adversative Bedeutung hat, son- dern eher aus metrischen Gründen steht z. B. gleich im Anfange : Visni bog

Kleine Mittheilungen. 617

od nebi u vjecnoj radosti daj mir nu sad tebi u svemu zadosti ... (V. 1. 2) ; vergl.noch V. 24. 35. 56. 57. 61.64.75. 81. 103. 106. 119. 146. 154. 157. 196. 252. Ich habe eine solche Anwendung des nu bei keinem der älteren ragusanischen Dichter beobachtet.

Wien. M. Resetar.

Was bedeutet Y.av/.o-dici/.ovog?

In dem griech.-engl. WiJrterbuch des Sophocles (Greek Lexikon of the Roman andByzantinePeriods. Newyork 1887) bleibt der Ausdruck unerklärt: »Kavxo-äittxovos, ov, b quid? Theoph. 586. 10: Nix6i.a6v xs rhu ano xavxo- diaxäviüv ao<piai7]y yeyoyora xtjs Iutqix7]s lTiiaTr,uT]g. Etwas höher steht in demselben Wörterbuch »xkijx« patera Gloss.« In meiner Heimath, Castella bei Spalato, und in der Umgebung, z. B. in Trau und auf den Inseln bedeutet kauka in kroatischer Sprache tonsura, und ist im Gebrauch sehr üblich der Spruch: wdi je kauka nimajauka«, d.h. einem Priester geht es gut. Auch Parcic schreibt in seinem Wörterbuche: kavka tonsura da prete, cherica. Ist nicht vielleicht dieses kroatische Wort griechischen Ursprungs, von -/.avAa in übertragener Bedeutung (vergl.russ. ryaieime) herübergenommen? In diesem Falle müsste das Wort sehr alt sein, aus den Zeiten herrührend, wo in Dal- matien der byzantinische Einfluss stark war.

Gust. Meyer schrieb in der byzant. Zeitschrift (III. 162) über das Wort xcii'xa, aber die Bedeutung tonsura kannte er nicht. Ich möchte dennoch fragen, auf Grund der kroatischen Bedeutung des Wortes kauka, ob xuvxu- d'iüxovog nicht einen diaconus cum tonsura bedeutet? Dr. J. Aranza.

Eine Notiz zur kroatischen Glagolica*).

Bekanntlich ist in der kroatischen Glagolica der Buchstabe d eckig, die beiden Schlingen sind durch Vierecke ersetzt. In dem jüngeren Ductus der Schrift, in den Denkmälern aus der zweiten Hälfte des XIV. und aus dem XV. Jahrh. ist das rechte Viereck bedeutend niedriger als das linke, während in den ältesten Denkmälern des kroatisch-glagolitischen Typus die beiden Vierecke die gleiche Grösse haben und durch einen geraden Verbindungs- strich verbunden sind, der als Erinnerung an die ursprüngliche Gestalt in dem Laibach. Homilienfragment und dem Fragm. der hl. Thekla noch bogenförmig sein kann. Den runden Typus des d haben unter den kroat. Denkmälern nur die Wiener Fragmente und das Mihanovic'sche Fragm., so dass der Uebergang vom runden Ductus zum eckigen in das Ende des XII. und in die erste Hälfte

*) DieseNotiz war vor Jahren für die »Kleinen Mittheilungen« bestimmt. Wie so leicht in jeder Redaction geschieht, verblieb sie im Portefeuille un- benutzt bis heute. V. J.

618 Kleine Mittheilungen.

des XIII. Jalirh. fallen muss. Ich war deshalb nicht wenig erstaunt, als ich im Sommer des verflossenen Jahres auf einer Steininschrift aus dem J. 1470 auf dem südlichen Stadtthurme in Omisalj (Castelmuschio) auf Veglia noch ein d mit ganz reinem runden Ductus fand. Rund sind beide unteren Schlingen, rund und zwar hoch, so dass die Schlingen nicht ganz bis zur Hälfte reichen, auch der Verbindungsstrich. Nur die linke Seite der rechten Schlinge ist gerade. Da sich die Inschrift in einer Höhe von 7 8 m befindet, so konnte ich nur einige Worte lesen. Es sind Steininschriften zwar keine Handschrif- ten, und die ersten bieten manches Abweichende, doch ist es immerhin be- achtenswerth, dass sich ein solches d noch gegen Ende des XV. Jahrh. er- halten findet, also fast drei Jahrhunderte länger, als wir dies bis jetzt aus den Handschriften wussten. (f) V. Oblak.

Ein mittelalterliches moralisches Recept.

In einer schön geschriebenen Handschrift serb. Redaction (in meinem Besitze) ohne Jahresangabe (wahrscheinlich Ende des XV. Jahrb.), welche Messen zweier serbischen Heiligen (König Milutin und Fürst Lazar) und

Cjiobo w iipi^aHiH ra Hamero ly xa bb ctli h BejHKH ne npiuoÖHaro

H ßroHOCHaro uj'i];a Hamero 6<i>peMa CHpiaHHHa enthält, befindet sich auf der letzten Seite folgende Erzählung:

rjiaxji Üji];h, hko HiKÖTopLi MHBi npHxo^i ü) CKyTa, npiHA'6 bb Bpa6''HHi],s H BHÄ^ TaMO pa3JiHy''Hie H^AsrBi hmsiuih. Koms^o ^ Bpa ÄaMUie ce Mace na noxpißs. Bbuib öpaTB ii bha^ ero Bpa. H BBnpocH Krb : Kok paAH bhhli npiHAi kb najiB, mhh ate ü;BimaBB pe. 6.3H 6H.aie oyeniBaioineK na noxp^öJiKHie MHoatBcxBa rpixÖBB. 6 h, pe Bpa^iB, noHÄH MBAo, Bts^MH Kop^HB ÄXOB^Haro oyöoatXBa h xpLniniib jincxBie. CMipeniKt ii;BixB h MXBi sixBia, h cBxpbBb ciiicH bb Ksx.ii nocjisma- Hia, H wceH 0 jrBiH pimexo noMtim jrieHia, h xaKO BB-ioaai bb rpBH i;b öjrrBTK cBBicxH, H npii-itii BOAS H»^e ;u cibsb, h noKTorm .iioöobik) h iT H30JIB BBJKesBi HJiaMeHB oatXB Haare ^ejiaHia, Aa era aobci ho bb3 - BpHXB H3''eHnjiB e BB öjiOAO pas^csKeHia h npH^ecxH ce jrBa:HH;eio noKaä- Hia H wöpHHiH ce oyöpscoMB HcnoB^Aama h xaKO wH;'6cxHfflH (im Codex : i&cecxHum) rpixÖBB tboh MHoatbCXBO h iT' cbi hcxhh hbi xpxiaHHHB Ha- peiHH ce. Till. Ostojic.

Kleine Mittheilungen. 619

Eine cyrillische Urkwide aus dem Jahre 1434.

Im Archiv des Franziskaner Klosters zu Tcrsut bei Fiume befindet sich unter anderen, grüssteutheils von der Familie der Frangopani ausgestellten Urkunden, auch die folgende, deren Abdruck schon vor Jahren durch die Freundlichkeit des Pater Marian Sirca ermöglicht wurde, der dem verstorbe- nen Dr. Oblak die Abschrift des Originals gestattete. Die Urkunde ist auf Pergament mit leicht leserlicher Cyrillica geschrieben. Der Typus der Schrift ist der im XV. Jahrh. bei Urkunden gewöhnliche, der bekanntlich in der Eut- wickelung jenem, wie er in den Texten kirchlichen Charakters zum Ausdruck kommt, voraussgeeilt war. Trotzdem kann aber die Schrift noch bei weitem nicht cursiv genannt werden. Der Urkunde ist noch das gut erhaltene Siegel beigehängt. Im Uebrigen wäre etwa nur zu bemerken, dass das Zeichen A [tx] für ^ und h verwendet wird also ein späterer Zustand und dass i in der lautlichen Geltung des i nur in der Ligatur mit r, also in der Lautgruppe pi erscheint; hier ist sie aufgelöst. Ich theile die Urkunde, da sie in der ver- unglückten Neuausgabe der Agramer Akademie nicht zu finden ist, nach der Abschrift des verstorbenen Dr. Oblak mit.

Mh 6aHt IlBaHHiut KHest II,eTHiiKH H KjiHmLKH H Behe asmo bhth

BCaKOMS ^JIOBHKS, K03IS Ce AOCTOH HO CeMB HaUieML aXBOpenS JIHCTS, Aa SyHHHCMO T8H MHJIOCTL /I^MHHOejaBb' BeXOeBHhb' H HKrOBS UJCtTaTbKS nO

npouiHH noqLTOBaHora Msata wi],a namera ÄSXOBHora^sBaHa BHKapa Eo- caHbCKora: wcTaBHCMO penoMs /^MHHOcjiaBs h neroBs wcxaTtKs BcaKH

ÄOXOAaKb, KH OH HMHJIL K liaMt npHCTOHTH W Hera, TaKO Ab'KaTLHH, XaKO

acHTHH, TaKO BeaKs cjisacöb, Ka 6h npHCTOMjia w nera k naait ; h sano-

BH/i;aMO TBpt^O BCHMfc BjaCHHKOMB HaHIHML, KH CS Ca^a H KH XOTG Ha-

npH^a ÖHTH, Aa BHuie penora ^MHHocjiaBa HMaio s bccml uBOMe Ap'/KaTH BHuie nHcaHOJifc h ^a ne HMaio sanb hh le^bHe noTpiöe hh le^-

HHMB XSAHMB ^HJIOMt HH KAbHHMb AOXOTbKOMb KH 6h K HaMb npHCTOH.Ib,

HH K^bHOMb sanoBHAHio. H Houi;e ra npiAacMO s cjisacbös ujphkbh cbb MapiK noAb BcHHKMb c OHOMb seMbjieMb (sie) ks ms cms (sie) ^aJin h saMHHHJiH 3a HeroBs Kpqb. h na Bce icbo BHme nncaHO AacMO JS^wsno- c^iaBs a'Bb Hamb wTBopenb .iHCXb no^b nauis ne^iaxb Ba BH^iue noxBphe- HHK HKMs H HexoBs wcxaüOMs. HHcaHb HOAb BcHHe>ib ABaAcexb H ApsrH AaHb reHbBapa wnei^a. JHxa rna XHcsha yexnpn cxa xpi^exb h ^lexnpH :

V.J.

620 Kleine Mittheilungen.

Ein Docume?it zur Biographie des hulg arischen Historikers Paysius aus dem Jahre 1761.

Das nachfolgende Document, dessen Inhalt ein von dem bekannten bul- garischen Historiker Paysius eigenhändig unterschriebener Revers über das für das Chilandarer Kloster in Empfang genommene Geld und einige andere Sachen bildet, ist weniger beachtenswerth durch die im Revers aufgezählten Sachen, als durch die, wie ich glaube, jetzt zuerst bekannt gewordene That- sache, dass Paysius im J. 1761 von Chilandar aus, wo er Proigumen war, nach Karlowitz geschickt wurde. Die Publication des Documentes verdanken wir der Freundlichkeit unseres hochgeschätzten Mitarbeiters Ilarion Ruvarac.

Pesepci). KaKO M äojs noÄnHcaxHH i& IIpewcmeHHiHUiaro h IIpeBOcxoAH- TBJiHiHmarG Fa''* T^^^ Apxienna h MiTpouojiiTa IlavJia HenaAOBHqa,

c

Hamero oömeKHTejraaro MHxpa Xaian^apa TepacHMa ApxiMaHApiTa npecTaBjimarocH xecxaMeHTL h b^ hbmi. cse no pe^JJ KaKO mnenH*Hii;H- paxo ABH^KHMe H He^BHaiHMe Beii],H, II HoBai],a KaKo cji^asioxi,, 221 n,e- KHH'L ÄSKaxt, OcaMAeceximecxB xojeHACKHXt ASKaxa, h y öijw hobi];h 13 f. Koe CO CBibib TfflHH CüMa 1295 f. 57x, h cjobomb Bejim^iB xhühas ABGcxoxiiHe, AeBex^ecexL next <i>opHHXH h nex^ecext cbamb Kpafii^apa y roxoBs. K xoms lepoMonaxoMt TroioeeeMB xHJiaHAapiteMB 6e3 b^ao- MOCXH xoroace MHxpa ßpaxcxBa h HacxoHxejH HsnemeHHi h^kg xpnco- BSjii KaKO cjiAsioxB nepBa. Sasixb c. CaBBti Apxienna, Bxopa. iX' Eo- .iaHn,e qxo e Aao KpajiB JlasapB cezo ii BHHorpaAB. xpexia. xpHCXOBs.iH (sie!) AsßpoBHiiiKa. ^exBspxan. c. itapa Cxe*aHa 3aKs3iexmi,jj. IlexaÄ Cxaro Cxe^ana cbjio Eojiam];s, ülecxan. IIhcmo iS: ßsKspemKora npiHi];a m.ixbihio. ÜBepxs xorb o6jHraii;ie koms qxb A^BajiB npe- cxaBjrmMHCH ApxiMaHApixB, no nocjitAsiomnMH HsMepaura; nepBa. Ee^i- KepeqanHHa ^asapa ^aKpjiana, ü; 1000 f. 2* KapjroBqaHima öeoAopa ravpHjroBffqa © 10 f. 3=^" lepoMonaxa ^HMixpia XnjaHAapiia ^ 50 f. ^exBexaa. ^ Kocxe KanHxaHOBHha Kap-ioBqaHHHa ^ 12 f. Ilexaa ff MHxpa AHJiaHAapa sa 286 rpoma, cb innei],H*HKai;ieK) otiBinaro w no- rpeös xpomKa ii KBHxaMH koms ^x6 Aaxo no xecxaMSHXs. Cbp'xs xorb pasjra^raaa ÜHcaHiii npecxaBjnnaroca ApxiManApixa cb xajHHaMH nb mnen;H*HKan;iH KpoMi hxb E^n,ejiJeHi];ieK), ApxijiaApixs IHnmaxoBaKOMs BiKeHxiio, li PeMexcKOMs IrsMens AeanaciK) AapoBaHHBixB xajniHaxB,

HCnpaBHO KB MOitMB pSKaMB GCaMB npHMHJIB, HHXH -^11:0 BBIUIG npil BBT-

Kleine Mittheilungen. 621

uiexHTsjiOBaHHOH HXb E^u;e;ij[eimiii fl; ocxaiiKa ripecTaB^nuaroca Apxi- MaiiÄpiTa Fepacmia saocTaert, iib ßsÄsKn Aa 3a Toe hctoc npHMHTii iiapoyHTo IC öparifi Mh: XH^iaii^apa ecaMb y KapjiOBi^e nocjaxb, tiiko et HacTOiimuMb MoilMb pesepcoMb OBÖeasio (sie) h oöclinioce, Aa xohio npaBO H Bipiio CBe mh^ jsfi HaHMeninaro sps^ieHHoe y Miixpb ü/HecxH, h nb oöJHraiiiaMH HoBue noKsriHTH h irpeAaTH. Saxo HMeiieMb cboh m

V . A.D., J

coocxBeHiH psKH nonHcaiueMb h neiiaxiio yxBepacAaio h peBepcHpaio. Bo KapjiOBi;^ 21° AHe Mi];a Maia. .aixa 1761.

Der Abdruck ist hier wörtlich, Siegel und Unterschrift nach dem Original gegeben. Der Text des Reverses selbst rührt nicht von der Hand des Paysius her. Von ihm ist nur die eigenhändige Unterschrift, deren Züge sich durch eine gewisse mittelalterliche Schwerfälligkeit von der gefälligen, schon ganz modernen Cursive des Textes des Reverses augenfällig unterscheiden.

V.J.

Rumänisch-kroatisches Vaterunser und Avemaria aus Poljica auf der Insel Veglia vor dem Jahre 1S25.

Bekanntlich hat Miklosich in seinen im J. 18T9 erschienenen »Wande- rungen der Rumunen in den dalmatinischen Alpen und den Karpaten« (Denk- schrift der kais. Akad. d. Wissensch. Wien B. XXX) ans der Insel Veglia zwei rumänisch-kroatische Vaterunser und Avemaria mitgetheilt. Der erste Text wurde in den siebziger Jahren nach der Mittheilung eines alten Mannes (Mate Bajcid; aus Poljica aufgezeichnet. Den zweiten entnahm er dem Buche Cu- bich's (Notizie natural! e storiche sull' Isola di Veglia. Trieste 1874), der seinen Text wieder von dem gewesenen Pfarrer und Dechant von Vrbnik (Vrbenico), Namens P. Volaric, erhalten hatte. Woher Volaric diesen bei Mi- klosich als Nr. 2 mitgetheilten Text bezogen, wusste man bisher nicht mit voller Sicherheit, obgleich schon Cubich auf Poljica hinwies (S. 118). Ich bin in der Lage, zum Theil wenigstens die Sache aufzuklären. Der von Volaric s.Z. an Cubich gerichtete und von diesem herausgegebene Text stimmt nahezu wörtlich überein mit einem schon vor dem 5. Jänner 1825 an Jacob Supan in

622 Kleine Mittheilungen.

Laibach gesendeten Text, dessen Original sich in meinen Händen befindet. Das ist ein in Briefform erhaltenes Blatt Papier, dessen zwei innere Octav- seiten ausgeschrieben sind. In der ersten Zeile, die über beide inneren Seiten sich erstreckt, liest man : Pater noster et Ave Maria in lingua Poglizana. Darauf folgt auf der rechten Seite das lateinische Pater noster und Ave Maria, die ich selbstverständlich nicht abzudrucken brauche. Auf der linken Seite aber als Parallele dazu der rumänisch-kroatische Text, der so lautet (ich drucke ihn ohne Trennung der Wörter ab, die Zeilenangaben sind von mir) :

(I) Qage nostru kirle jesti in gel; (2) nekase sveta nomelu tev; (3) neka venire Kragliestvo to; (4) neka fie voglia ta, kassi jaste in cel; (5) assasi pre- pemint. (6) Pire nostre dessa kazi da ne ostecz. (7) Si lasene delgnle nostre, kassisi noj (8) lessam al delsnig a nostri. (9) Si nun lessaj in ne nappasta. (10) Nego ne osloboda de rev. Afsasifi.

(II) Sora Maria pliena de milosti Domnu (12) kutire. (13) Blagoslovitest tu intre mulierle si (14) blagoslovituj ploda della utröbba (15) ta Jsus. (16) Sore Maria Majula Domnu roghe (17) Domnu za noj ak' möge, si in vraj. (18) me de morte a nostru. Afsasifi.

Vergleicht man diesen Text mit dem aus Cubich bei Miklosich mitge- theilten, so ist an der vollständigen Identität derselben nicht zu zweifeln. Die Unterschiede beschränken sich auf folgende Kleinigkeiten:

Z. 1 esti : jesti, 5er : gel; Z. 2 numelu : nomelu; Z. 4 ger : gel; Z. 6 astez : ostecz ; Z. 7 las ne : läse ne ; ib. bei Cubich-Miklosich ausgefallen nostre ; Z. 9 nu: nun; nepasta : nappasta; Z. 13 intra: intre; Z. 14 utroba : utröbba; Z. 16 sora : sore ; roghö : roghe ; Z. 1 7 akmoQe : ak' möge.

Man darf daraus den ziemlich sicheren Schluss ziehen, dass der Cubich- Miklosich'sche Text in der That aus Poljica stammt. Das bei mir befindliche Blatt, unten leider beschnitten, zeigt unter dem Text von einer anderen Hand geschrieben folgende Worte: N. Algarottius J. Supano p. S. d. Man ersieht aus den Schriftzügen und der Stellung ganz deutlich, dass der hier genannte N. Algarotti im besten Falle der Uebersender des Textes an Jacob Supan war; den Text selbst wird er von Jemandem erhalten und seinen Gruss nur hinzugeschrieben haben. Vielleicht schöpften der unbekannte Schreiber dieses Textes und Peter Volarid (für Cubich) aus derselben Quelle. Auf der Rückseite des Blattes steht die Adresse an Jacob Supan : All' Illustre Signore Sig. Sig. Pre Col. Sig. Dr. Giacopo Supan Professore in Lubiana. (Ist diese Adresse von Algarotti geschrieben oder nicht, das ist schwer zu sagen.) lieber der Adresse hat aber eine andere Hand (vielleicht die des Empfängers, d. h. Supan's?) angemerkt: 5 Jäner 1825.

Der ganze Zusammenhang also ist folgender. Jacop Supan wird während seiner Bereisung der Insel Veglia auch von der rumänischen, schon damals im Aussterben gewesenen Sprache gehört und sich dafür interessirt haben. Aus diesem Anlass bekam er von Algarotti das Vaterunser und Avemaria, das diesem Jemand zugeschickt hatte. Die Aufzeichnung dürfte in Poljica selbst, jedenfalls spätestens im J. 1824 geschehen sein. V. J.

Kleine Mittheilungen. 623

Ztvei Briefe Dohrowsky'' s an Kopitar.

Die beiden nachfolgenden Briefe hatte Herr L. Pintar, Scriptor der Laibacher Lycealbibliothck, daselbst im Kopitar'schen Nachlass aufgefunden und uns zur Mittheilung im Archiv freundlich überlassen. Der erste von den beiden Briefen gehört in meiner Ausgabe (Briefwechsel Band I) vor Nr. 27. Ich hatte daselbst auf S. 194 auf diesen Brief als nicht auffindbar hingewiesen. Nun ist also die Lücke ausgefüllt. Der zweite Brief würde in meiner Ausgabe vor Nr. 28 Platz finden. Auch auf diesen Brief verwies Kopitar in seinem Antwortschreiben Nr. 29 (vergl. S. 201), wo ich in der Anmerkung ihn als un- auffindbar bezeichnete. Nun ist er doch gefunden worden.

1.

Prag, 27. März 1811. Theuerster Slavin!

Ich bitte mich bey der Frau Zlob. zu entschuldigen, dass ich ihr noch nicht schrieb. Es geschieht mehr aus Schonung als Nichtachtung. Sie mögen ihr das Nöthige selbst melden. Den Catalog ging ich schon flüchtig, und einige Abtheil, mit grösserer Aufmerksamkeit durch. Es wird schwer halten, über ihn dasjenige zu sagen, das auf die Vorsteher der kais. Bibliothek wirken könnte, um die ganze Bibliothek anzukaufen. Es dürfte ihr in einzelnen Par- thien besser gelingen. Hauptwerke hat die kais. Bibl. und gewisser kleinern Schriften (und noch neuerer dazu) wird man es nicht thun wollen. Auch weis ich nicht, ob wir in Preisen so hoch steigen werden können, wie sie es wohl wünscht; doch ich will sehen. Einige Stücke sind sehr kostbar, allein der weniger bedeutenden Anzahl ist ungemein grösser, als auch nur der guten und brauchbaren. Sie sehen wohl, dass man alle Bücher en detail nicht ein- mal schätzen kann. Viduae dices, quae apta censebis.

Mit dieser Gelegenheit konnte ich den Katalog noch nicht zurücksenden, und mit der diligence wird es zu theuer werden. Vielleicht geht es durch den Weg des Buchhandels. Bis ich selbst nach Wien komme, möchte es zu spät seyn.

Für den Katalog der Slauicorum danke ich Hm Baron Zois und Hm Zupgin verbindlichst. Est aliquid prodire tenus Illyrische schöne Auflagen von Werken vermuthete ich mehrere. Doch gibt es manches Stück aus andern Ländern, das selten und kostbar ist. Die Domestica aber sollten vollständiger seyn. Bey uns war man darauf seit längerer Zeit aufmerksamer. Vor andern wünschte ich Appendini illyr. Sprachlehre zu erhalten und möchte dafür B. Kröns Evangelien (ganz erhalten) antragen oder den Ladenpreis gern be- zahlen.

Ihnen aber wünschte ich die Mühe vergelten zu können, die es Sie kostete, die Cod. aufzusuchen, und die verlangten Stellen abzuschreiben. Cod. CI. ist ein serbischer, Cod. 3275 ein Russischer oder Moldauischer, weil ersterer nur ce, letzterer ca schreibt etc. Schätzbarer ist CI, auch älter, als 3275. Alter hat letzteren in der Vorr. zu seinem Homer beschrieben. Der 13te Vers dient zum Beweis, wie sehr man den cyrillischen alten Text geändert

624 Kleine Mittheilungen.

hat. Man sehe nur Ilanka's Recension S. 22 neweliu jetzt nechoscu, nerazu- mievati neviedieti, umrsih us-psih u. s.w. Indessen gilt diess nicht von allen Stellen, besonders solchen nicht, die leichter gefasst werden konnten.

Ist also der neue Kroate Gramm, nicht besser als Kornig? Haben möchte ich sie doch. Nehmen Sie doch aus dem Buchladen gefälligst auch ein Exem- plar für mich, ehe sie aufgekauft wird. Ihrer Freunde Zuschriften haben mich theils unterhalten, theils unterrichtet. Hier folgen sie zurück.

Svezhen, bey uns swatwecer, Feyerabend, von svietiti, feyern. Mozhile bey uns mocidlo von mok, moknu etc. etc. Smokviza für Erdbeere ; sonder- bar genug, da smokva, Feige, den Gothen abgeborgt ist, und man die Erd- beeren gewiss eher zu nennen wusste, als die Feige. befem sdrav bil, be sdrav bil ist ja noch immer kein wahres Plusquamperf. wie der Geilthaler glaubt. Wie sagt er denn: wenn ich gesund wäre? Der Sprachgebrauch rauss hier entscheiden. Allein selbst im biblisch-slaw. ist das Imperf. und Plusquamperf. einerley.

Böfem (byfem) leitet mich auf eine Ableitung von Befiak; diese mögen sich auch des befem, befi bedienen; daher dieser (vermuthlich nur im Scherze gebrauchte) Spottnahme. lieber die Kroaten Hesse sich manches erinnern. Allein ich sehe, dass es auf eine Logomachie hinausläuft. Wenn wir den Slo- waken zum czechischen Stamme zählen, so hat niemand was dawider, wenn er gleich nicht in Böhmen wohnt. Wenn der Mähre seine Sp. morawsky gazyk nennt, so hat der Böhme nichts dawider, wenn er auch gar keinen Unterschied fz. B. in Büchern) finden sollte. Czechisch aber ist als genetische Benen- nung andern Bezeichnungen als slowansky, morawsky, vorzuziehen. So auch Kroatisch. Die Kroaten in Pannonien, die sich von den Kroaten in Dal- matien trennten, wo sind sie anders zu suchen, als in Slavonien, Steyermark, Krain? Winden, Slavonier sind freylich alle, aber genetisch Kroaten, da sie keine Servier seyn können. Aber die dalmatischen Kroaten haben sich mit Serviern stark gemischt, der Berührung wegen, und nur die nördlichem sind der Sprache nach wahre Kroaten.

Hr Exprof. Müller bat mich, sein Briefchen an Sie hier beyzuschliessen.

Hrn V. Engel bitte ich zu fragen, wer hier anstatt des D.Kopetz die Ver- sendung der Recensionen nach Wien übernommen habe. Mir ist sonst ein Exemplar der Annalen gratis angewiesen worden, weil ich das Honorar aus- schlug. Diess sey heuer (1811) nicht geschehen. Man will aber doch Recen- sionen haben.

Vale quam optime Jos. Dobrowsky.

2.

Prag, den 2 May 1811. Verehrter Slavin.

Mit eben dem Herrn, Grafen v. Steruberg, der der Witwe von Zlob. den Katalog überbringt, hätte ich Lust gehabt selbst nach Wien zu kommen. Allein Verhältnisse und Verbindungen erlaubten es auch diesmal nicht. Das ruhige Landleben hat auch einen viel zu grossen Reiz für mich, als dass ich ihm die Hauptstadt der Monarchie, und selbst gelehrte Unternehmungen vor-

Kleine Mittheilungen. 625

ziehen könnte. Die Betrachtung, dass dieser Genuss meiner Gesundheit zu- träglich ist, muss auch in Anschlag kommen. Indessen müchte ich wohl in IhrerGesellschaft längere Zeit gern zubringen, des Widerspruches ungojichtet, den Ihre Freymüthigkeit gewiss nicht unterdrücken würde. Mir sind freyere Aeusserungen nicht unlieb, wenn sie mich auch nicht gleich von meiner Mey- nung abbringen. Sunt enim iudicia libera. Als Geistlicher will ich Sie auch vor schönen Töchtern warnen, d. h. Sie sollen der Gefahr wegen lieber gar nicht krank werden.

H. Posselt schickt Ihnen das Verlangte. Seine Apodemik hat er selbst nicht. Linde's Rec. in der Jen. Lit. Z. (meynen Sie etwa die jetzige Halli- sche?) ist wohl schwerlich von ihm. Die in der Hall. L. Z. scheint mir von Vater zu seyn. Gut, dass Sie mich des Recensirens der kroat. Gramm., die ich schon mit 2 frühern zu vergleichen anfing, überhoben haben. Ich hätte das plagium, und das dumme Voraussetzen des Deutschen vor dem Kroat. im Verzeich, der unrichtigen Zeitw. und vieles andere rügen müssen. Die Leute wissen ja nicht einmal, wie viel sie Kasus haben, von Declinationen und Con- jugationen nichts zu sagen. Allerdings lassen sich die Conjug. alle auf eine bringen, aber was gewinnt man dabey? Man richtet nur Verwirrungen an. Von verschied. Formen der Zeitw. hatte doch der Verf. der ersten Gramm. (Varazdin 783) eine Ahndung, Kornig ging dieser Spur nicht nach, und noch weniger sein dummer Abschreiber. Ein Grammatiker, der die Bahn brechen will, mnss ein logischer und metaphysischer Kopf seyn. Muss sich auch kurz zu fassen wissen. Ihre Landsleute beurtheilten selbst die Ihrige nicht un- recht. Der königl. Bibliothekar zu Cassel, Grimm, der sich mit alten Volks- romanen und Gedichten beschäftigt, schrieb mir unlängst über Ihre Gramm, folgendes Urtheil: »(Kopitars) Gramm, der sl.Sp.in Krain besitze ich schon und finde sie recht gründlich, obwohl etwas weitläufig, auch schadet meinem Studium das Provincielle des bestimmten Dialects.« Mit Kaysarow's Mythol. ist er weniger zufrieden. Der russ. Folfcan fiel ihm auf. Er ist offenbar, sagt er, der alt -italienische pulicano (aus pullus und canis), im altfranz.und altengl. (aus dem 13. 14*^" Jahrh.) heisst er -Esco/Jar/?, Askopard . Die Russen haben alte Volksromane; nicht auch die Krainer? Auf unsern Märkten kann man sie schockweise kaufen. Sie (einige) schreiben sich aus dem 14*™ u. 15ten Jahrh. her. Und unsre gereimten Ritterromane sind ein schätzbares Denkmahl des altern Geschmacks, den man den Deutschen ab- gewann. In letztern kommen uns die Pohlen nicht gleich. Im bessern Ge- schmack neuerer Zeiten möchte ich den Dalmatinern den Vorzug einräumen. Allein der russ. Igor ragt über alles hervor, den Hr Müller (Exprof.) diesen Winter unter meiner Leitung übersetzte und herausgeben will. Die Ilochzeit- gäste (svati) kommen auch darin vor, die Göthe nicht zu übersetzen wagte, da er Suaten beybehielt (im Morlak. Ged.).

Der Hall. Rec. Ihrer Gramm, ist gewiss v. Engel. Er recensirte eigent- lich die Vorrede, die Person des Verf. aber nicht sein Werk, weil er von der Gramm, zu wenig verstand. Dieser mein (so wie Ihr) Freund E. hat doch das serv. Gesetzbuch (oft freylich nur rathend) übersetzt und dadurch bewiesen,

Archiv für elavischo Thilologie. XXTT 40

626 Kleine Mittheilungen.

dass er die Sp. versteht und auch nicht versteht. Ges. 41. Die Kalugeren sollen sich von ihren Weibern losmachen da se izzenu d. i. sie sollen aus ihren Häusern gejagt werden und in Klöstern leben. Eey Kalu- geren an Weiber zu denken ist arg und das Verbum iz-zenu, iz-gnati, nicht zu verstehen, ist noch schlimmer. Exempla melioris versionis sunt tamen non pauca. Auch können Sie ihn fragen, wie denn das griech. J. 6757 mit 1349 (Serv. Gesch. S. 293) zusammenhänge. Es soll wohl 6857 heissen. Diess über- sah er, und manches andere. Diess und anderes war die Ursache, dass ich seine serv. nicht recensiren wollte. Auch nennt er unsre böhm. Soldaten zweymal böhm. Räuber, die doch sonst die Retter der Slawen retten halfen. Die stolzen Madyaren ! Ich erlaubte mirs, über das unsinnige Madyarisiren der Slaven im letzten Briefe zu spotten. Da mag ich es mit E. verdorben haben. Hrn Glatz schrieb ich nicht, sondern liess mich durch E. entschul- digen. Allein Glatz selbst schrieb auch nur eine Zeile dem gedruckten Lauf- briefe bey, ohne irgend ein Buch zu nennen. Auf solche gedruckte Br. pflege ich nicht zu antworten und glaubte, keine Antwort sey keine abschlägige Antwort. Ich wünsche gar sehr, dass sich die Annalen erhalten mögen und will nächstens etwas einsenden. Nur wie kann man kleine Briefe mit der Diligence schicken. Man hat ohne Untercollectanten mehr Mühe. Und nichts verdriesst mich mehr, als Briefe zu expediren. Deinde hoc monendum, ne Austriam in Scepusium et Ungariam convertant. Lauter Zipser, lauter Madyarische Producte! Hr Sartori hätte bleiben sollen. Indessen mag es so hingehen. Quid ad nos? Sed Slaui nostri pigrefcunt, exceptis iis, quos ho- noris causa nominasti. Seruianum C. M. vellem noscere. Können Sie denn nicht 2 Exemplare mir verschaflfen. Wie gut wäre es, wenn der Slavin hier auch ein Wort mitsprechen könnte. Metuo tamen, ne azbukotres sit frater genuinus nostri Rusopis. Non amo nouatores, et nostri omnes dissuadent mihi, ne characterum formas fingendo nouas hseresiarcha fiam. Probat quis- que sua = video meliora proboque, deteriora sequor, wird noch lange gelten. Sed in Gramm, slau. generali licebit fortafsis nuUam sequi ex receptis Ortho- graphiis. Nihil tamen detrimenti patietur res ipfa, si Bohemorum meorum more fcripfero. Signa sunt arbitraria. Nee Omnibus displicet, quod uni (tibi, mihi) non placet. Ergo macte animis. Die slav. Gramm, wird diesen Sommer ins Reine gebracht, so dass ich das Mft. auch werde versenden können.

Gegen xpcöei-B ist nichts (die Bedeutung betreffend) einzuwenden. ;^ap- BaT aber ist doch ganz was anders. Bey uns in Böhmen gibt es charwatec, charwatice, etc. wer wird hier an den karpat denken? Indessen klingt mir charvät und Sarmat so ähnlich, dass man wohl eins fürs andere (im slaw. Munde, wenn er fremde Nahmen verdreht) nehmen konnte. Doch darf der Etymologe die Stammsylben xV^ (Böhm, hrb) nicht mit xV^ (chrw, chrow, chorw) verwechseln.

Nicht kann alberner seyn, als die Bulgaren für Wlachen zu erklären. Die Bulgaren sind ein Chazarisches Volk, aber von den Chazaren doch unter- schieden, wie etwa Böhmen und Fohlen, Schwaben und Sachsen. Sarkel ist im Chazarischen = Bielgrad (s. Constantin) . Mit Hülfe des Vocabul. poly- glott! lässt sich Sarkel nur aus dem Vogulischen erklären. Und so wären die

Kleine Mittheilungcn. 627

Bulgaren ein Stamm aus Gross-Bulgarien zwischen Cliasaren und Wogulen, mit denen auch die Madyaren verwandt sind. Engel bethet hier nur den Göttingern (Gatterer) nach. Geten, Thraken, Gallier, Italier etc. sind lauter Wlachen; d. i. das genus Wlach begreift gar viele Völker, deren Sprache sich zum Latein verhält, wie Enkel zum Grossvater. Der anonymus Belae notarius nennt die Wlachen pastores Romanorum (rühmisch im neuern Sinne) und diese Bedeutung herrscht in Mähren, wo man den Schaf knecht Walach und die slawischen Gebürger, die sich mit der Schafzucht beschäftigen Wa- lassi, sing. Walach, und selbst in Dalmatien ist Vlah auch appellativ gewor- den. Die Bulgaren wurden immer dünner, zum Theile slawenisirt und so hoben sich die Wlachen in der Bulgarey, Walachey etc. und es ward gleich- sam ein Ehren Nähme so wie später (wie Serben) in kirchlicher Bedeutung ein Religionsnahme, um Genossen griech. Rel. zu bezeichnen.

Nestors Wo lochen sind gewiss Gallier, die in lUyrien einfielen, wenn er dort Wolosi schrieb. Allein Cod. ms. lesen auch Voloti, Riesen, v. Volot, Velet (s. russ. Mythol.). So las auch Tatimew. Ich behaupte hier nichts, da der alte Mönch wunderliche Grillen haben mochte. Nur Wolochen und Bulgaren unterscheidet er sehr genau.

Von den neuserbischen Schriften, wenn Sie künftig erwähnen, vergessen Sie doch nicht auch allzeit die Jahrzahl anzugeben, als von der zertwa abra- mova etc.

Der Serb. azbuko-mastix urtheilet nach seiner jetzigen Aussprache über m, sed fallitur. Wir Böhmen können den Beweis noch führen, dass m ehedem (wie bey den Fohlen und Russen, auch Mähren und Slowaken) = sc (mq) war, und nun ßt' = uitb, bey den Serviern, Dalmatiern sogar t' = eh. Die Figur 141 nahmCyrill aus demCoptischen (Copt. Mönche konnte er in Constantinopel finden, so wie Armenische] und machte IIJ und ijj daraus. Vengersko (anstatt ugrsko oder vugrsko) schreibt der blinde Nachahmer den Russen nach, die das Wort aus dem polnischen Munde hörten. Nestor hat ja richtig Ugri, wie wir Böhmen über, nhri. Der Pohle spricht ja häufig das u initiale wie we aus.

Die böhm. Mutter hat ihre Tochter gewiss nicht czora genannt, sondern dcera (oder cera), weil nur der Pohle cora spricht, docht slawisch ausge- sprochen ist rfoc (Russ.) oder dsci (amu) mit dem weibl. Ausgange i (altslaw.), da- her hzhi, kchi (Krain. Kroat. etc.) altböhm. dci, gen. dcere, dat. dcefi, acc. dcef. Noch sprechen alle Böhmen im Dat. und Loc. dceri, welches sich unsre Gra- matici nicht einmal zu erklären wussten, da doch dcera im Dat. der Regel nach dcere haben müsste. Solche Erscheinungen sind mir immer werth, weil man auf die alten Formen zurückkommt. v-nebi bey ihnen (bei Bohorizh) ist eben so eine Erscheinung, wenn sie gleich nebo sagen, und v-nebte sagen sollten, wie es Per f ich im Vater unser flectirt hat. Sed exilia sunt ista, ut fere grammaticorum conatus omnes ; non tamen prorsus nullius momenti.

Hat jBec Wien von jBec Heller, Wiener, seinen Nahmen oder umgekehrt. Letztere Bedeutung Hesse sich doch erklären, aber wie die erstere?

Aus dem griech. soll die zertva seyn? Allein dieLucretiaBogasini (eine Ragus. Dichterin) schrieb ja auch vor 1767 ein Sacrificium Abrahami in illyr. Versen. Soll etwa der Servier Wind damit (mit: aus dem Griech.)

40^

628 Kleine Mittheilungen.

machen? AusDurich sollen Sie bedient werden; nur wünschte ich zu wissen, was Sie vorerst verlangen. Num philologica, et cujus dialecti, an historica.

Von einer slav. Gramm, im Mfte habe ich Ihnen wohl schon einmal ge- schrieben, die aber sehr unbedeutend seyn mag. Ich will sie Ihnen noch ein- mal nennen. »Institut. 1. flauen. Pars I. de lectione, genere, articulo, decli- natione, numero feu univerfim de nomine! Mfs. VII, D. 16. in 4. maj. foll. 14. Dazu scheint zu gehören : die Wörter, welche in der slavon. Sp. am gebräuch- lichsten sind. Die l^e Declination. VII. D. 17. in 4. maj, foll. 14. Aus den angeführten Wörtern muss es wohl herauszubringen seyn, was für ein Dialect hier aufgestellt wird. Ich vermuthe der illyrisch-Bosnische oder Dalmatische. Den Cod. Mf. Hiftor. profanae N. 937. Slavinich Mofcouitica haben Sie doch auch noch nicht aufgefunden. Vor andern wünschte ich, dass Sie die glago- litica alle aufsuchten. Schwerlich werden Sie ein neues Stück entdecken ; aber eines (die Confefsion) entdeckten Sie ja doch schon. Das Fragment von 5 Blättern, das Lambeclus jemals besass, steht LXXIII. T. 19. alias 84. Daraus wünschte ich, da Dur ich andere Stücke als Psalmen verglichen hat, noch das Vaterunser oder die Abweichungen von dem V.U. aus dem Missal v. 1528 (s. Glagol.) oder von dem V. ü. in Ihrer Gramm, zu kennen.

Carniolica kommen, ausser die ich schon notirte, keine mehr bey Durich vor. Wohl aber illyrica, mit lat.u.cyrill. Lettern. Auch Katholiken druckten im 17. Jahrh. wiewohl wenig, mit serv. Lettern. Es kommen in der Tyrnauer Azbukvi^a (3. Zlob. Bibl. Das Büchelchen war ehedem in der Olmützer Ly- ceumsbibliothekj und Hanke scheint es nach Wien gebracht zu haben) kom- men M. IH, das ist Jih, HB, in einer Matriz vor, so dass der Azbukopotres wieder Unrecht hat. Ich bin jetzt, wenn man lateinisch schriebe, auch für ein i, um anzuzeigen, dass es nach einem Consonanten nicht als i laute, koni, krall sowie perwyi, wenn gleich in woi, moi auch j stehen könnte : woj, moj, besonders da es in fem. neut. doch moja, moje heissen muss. Der blosse Apostroph für i> will nicht gefallen; dan', sol', also entweder danj, solj, oder dan'i, soli, um das Zusammenschmelzen des l deutlicher zu machen. Ich er- warte also, damit ich nicht Sachen ausziehe, die Sie nicht verlangen, dass Sie bestimmt angeben, ob Sie Slauica ecclefiaft. liturgica, Rufsica recent. ob Ser- uica oder Dalmatica etc. zuerst aufsuchen wollen. Indessen gibt es überall Lücken genug ; aber auch manches ist da zu finden, was man anderswo nicht findet. Von dem alten cyrill. Druck zu Venedig vor 1538, wovon doch Po- stellus u. Ambrof. Thefeeus reden, ist nichts da Zu Petersburg auch nur ein Catechifmus cyrill. vom J. 1528.

Diessmal lege ich nur bey: Bildsamkeit der slaw. Böhm. Sp. mit der Erinnerung, Sie möchten diese Bogen planiren lassen, und solche Wörter boy jeder Form beyschreiben, die nur bey Ihnen oder Ihren Nachbarn vorkommen. Wenn mehrere so damit verführen, wie Hr Ribay, ein slowak. Prediger, so wäre diese Rubrik der slaw. Sprachforschung bald ganz erschöpft. Dass sich die einzelnen Dialecte bald für diese, bald für eine andere H. häufiger er- klären, dient allerdings auch zur Charakterisirung derselben. A. z. B. liebt ica (in weibl. Subst.), B. -ka: wlastovica wlastowka | A. ptica, B. ptak. A. studenec, B. -studna, studnia etc. etc.

Kleine Mittheilungen. 629

Noch einmal zu den Wl a ch en. Vlah, veredarins steht im dictionario turcico lat. an Megisers Türk. Grammatik (Leipzig 1616. 8) Vriwi, grae- cus, vrumali, graecia. Also Wlach wieder ein Knecht, ein Fuhrknecht, weil sie sich dazu brauchen Hessen. Sie denken doch hier an Davus, Threifaa, Sclave etc. Lauter Volksnahmen, die in Appellativa übergehen. Vrw7t = Qoj/jaios, römische Unterthanen im Gegensatz der nicht römischen Barbaren. Da nun die W lachen sich rumuni nennen, so rechneten sie sich zu den alten römischen Unterthanen, und für keine neuen Ankömmlinge, für keine Bul- garen, die ganz spät die Gegenden zwischen der Donau und dem llämus be- setzten. Sie fanden schon Slawen vor, sieben Geschlechter, wahrscheinlich auch Walachen. Neben beyden, obgleich herrschend, konnten sich die Bar- baren nicht lange bey ihrer Sprache erhalten. Die Walachen vermehrten sich und gaben so gar dem Lande den Nahmen, so wie der Walachey und Moldau. Die bulgarischen Slawen kamen nie zur Selbständigkeit, erhielten sich aber doch noch, wozu vorzüglich der ritns slavicus beygetragen haben mag. Auch fehlte es nicht an Einwanderungen der nahen Servier u. s. w. Sie erinnern sich etwa an Schlözers Urtheil (Nestor IV. XXVIIL in der Note): »seine Bulgarische Gesch. ist dadurch völlig unbrauchbar worden und diese Gesch. muss für die allg. Welthist. von einem fleissigern ganz aufs Neue ausgearbeitet werden«. Was hätte ich wohl von Eng. serv. Gesch. sagen müssen! Was Raic serv. Pejacsevich lateinisch sagte, das hat man nun deutsch, mit einigen kritischen Bemerkungen, im polemischen Tone. Von der Servier neuern Be- mühungen in der Literatur gar nichts, weil seine Vorgänger auch nichts haben. Ich weiss aiich nicht, waruui Stephan Urosch Kaiser heissen soll; weil er den Titel kral in gar änderte. (Jar ist doch immer nur König, wenn gleich der kral ^^ eniger (nur der caesar) war. Oberkönig hätte es heissen mögen oder auch Grosskönig. ßaaiXevg ist indessen bey den Byzantinern auch Kai- ser. Die Tendenz des Historikers überall die Rechte der Madyaren auf Län- der, die sie nie besassen, zu deduciren, misfiel auch schon andern. Ohne serv. Hülfe hätten sich die Retter selbst dem Joche der Türken nicht ent- ziehen können. Brankowich starb im Hausarrest zu Eger. Die Retter haben in altern Zeiten nicht einmal den böhm. Giskra aus Ungarn treiben können. Und neulich erst haben sie Wien und die Monarchie gerettet ! ! 1 Solche ma- dyarische Prahlereyen achtet man aber nicht. Eine illyrische Deputation sagte dem K. Leopold, da er sich vor den Madyaren zu fürchten schien, er solle sie nur machen lassen, sie wollten im Falle einer gewaltsamen Wider- setzlichkeit die Madyaren schon klopfen, dass ihnen der Uebermuth vergehen würde. Eja tibi causam des projectirten Anschliessens. Man fühlt sich, ohne Slawen, zu schwach. Problematisch war es bisher, ob die Slawen für ihre Sp. mehr von den Deutschen oder von den Madyaren zu fürchten liaben. Allein die Ungarn selbst stimmen ja nicht für das Madyarische ohne Ausnahme, da noch manche das Latein vorziehen wollen. Wenn wir oder unsre Brüder unsre Sp. hingeben sollen, so wird man wohl einen bessern Tausch machen wollen als Madyar. für Slav. Sed odiosa sunt haec. Mögen sie nur selbst zu- sehen, wie sie sich vor den Deutschen schützen mögen. Ich muss nun eilen, den Katalog einzupacken und an Ort u. Stelle zu b ingen, um die Gelegenheit

630 Kleine Mittheilungen.

nicht zu versäumen. Meine unmassgebliche Meynung wäre, die Stücke ein- zeln zu veräussern, wobey man aber der Frau Zlob. an die Hand gehen müsste.

Ungefährer Ueberschlag.

a) Boh. hiftor ^'''^^t^ •• t.t i ox- i e- ct.- ^

, , ^ , .,. oQg Der grossem Werke wegen Stuck lur btuck,

ci Gramm!rex.'lib. fchol. 78 d- i- Numer für Numer (da auch Werke aus d) in Boh. aut a Boh. edita 65 1"^^^^^^^° ^^^^en bestehen) zu 30 x gut Geld. Bohemica 1213 606V2f

^™^ 1. . . . 113 56V2f

et Silesiacaj

Manuscripte. ... 193 96V2t

Polonica 107 531/2 f

Slavonica in gen. . 35 zu 1 f 35

Rufsica 63 zu 1 f 63

lUyrica 42 zu 1/2 f oder 30 x 21

Sorabica 9— 41/2

Croat. Garn 29 141/2

Varia 32 16

967 Nach Bankozetteln etwa 10

9670 f

Sie mögen es der Wittwe begreiflich machen, dass man vernünftiger- weise die Bücher, der vielen geringen wegen, per Pausch nicht höher an- schlagen könne. Was doch die privilegirten Schätzer etwa herausbringen möchten !

Ich rechne manches Stück, wie das glagol. Missal auch zu 200 f d. i. 20 f gut Geld. Freylich kann ein Liebhaber auch 50 f geben. Für die gram- maticalia, worunter Rosas Lexikon von A. 124—149 Manuscripte, d. i. für 25 Stücke gebe ich selbst 2ü0 in Banknoten, und was ist viel damit ge- wonnen ?

Wenn die Wittwe die Bücher höher schätzen will, so mag sie alle Numern zu 1 f anschlagen, und sie wird noch nicht auf 10000 f gut Geld kommen.

Dem Grafen C h 0 1 e k soll sie die Bohemica antragen ; auch Graf Wallis wäre Käufer, aber gewiss nicht für das Ganze.

Es sollte mir leid thun, wenn die Frau Zlob. mit mir nicht zufrieden seyn sollte. Wenn Sie es sind, so ist es mir indessen genug, wiewohl ich etwa nicht alles so geordnet habe, wie ich es bei genauerer Einsicht hätte thun können. Vale et faue

Tuo Dobrowsky.

Kleine Mittbeilungen. 631

Zioei Briefe Kopitar''s an Maciejoioski.*)

1.

Wien den 1. Aug. 1832. Ew. Hochwohlgeboren,

Verehrtes Pakett vom April sammt dem lieben bilecik vom 8. März d. J. ist mir beides seiner Zeit zugekommen. Es wäre längst meine Pflicht gewesen Ew. Hochwohlgeboren beides zu bestättigen, so wie die Befolgung der in bilecik gegebenen Aufträge. Wollen Sie so grossmüthig seyn die Bestätigung des Empfangs sowohl als die Befolgung hiermit nachträglich zu geneh- migen. Die allgemeine Noth der Cholera und für mich die besondere eines doppelten Quartierwechsels ist lediglich an dieser Verspätung Schuld. Em- pfangen Ew. HchM'g. auch den Dank für das gütigst mir bestimmte Exemplar. Zhop u. Vuk werden in Wien erwartet und hier mit Ihrem cadeau überrascht werden. So viel über den ersten Punkt Ihres verehrten Schreibens vom 24. July, das auf dem Warschauer Post-Siegel den 25./7. trägt und mir doch heute, den 1. Aug. zugekommen ist! Sehr tröstlich für mich der ich sonst russische Briefe nur für glückliche Ohngefähr ansehen muss. Seit länger als einem Jahre sehe ich einem von Wilna gewünschten Apographon aus Vosto- kov's Suprasler Codex sec. XI., umsonst entgegen. Es wäre für die altslaw. Sprache überaus interessant, dieses Apographon mit gleich alten glagoliti- schen Fragmenten, die mir aus Italien zur Herausgabe anvertraut worden, zu vergleichen! Sed frustra exspecto ex ultima Thule! Nee hercle Russos ipsos paeniteret honoris, nee integrum codicem volui edere, sed illius partem fere centesirnam, ita Russe editori plus satis remansisset agendum et si velis fru- enduml Agitur autem de apographo (non eo qaidem facstmili, sed tarnen dili- genü quoad linguam et literas) e cod. a Vostokovio descripto No. 14 zwv Bh- 6jiiorpa*. jiiiCTti tov Koppen, pag. 189; ^rw»» sermonum, nimirum descripto- rum xü)v 6ii6.aiorpa*. .mciti, p. 193 195.

1) C. 0. H. IWaHH^ 3A. CAOBO HA BpbCHHi;;^^ ; init.: OTTi hw-

AfCT». KT». MW^fCfMT»,. 2) Blk CB. MfTß'KpTliK'K 0 np'KA^HH

\K>xh\ H 0 nacT'k; init.: m&\& HoyiKA^ A*"*ck. 3) Epiphanii o norpEBEHH etc.; init.: hto ^iiHECk MAi^MaHic MHoro.

Communico haec mea tecum desideria si forte tu mihi posses procurare frustra petita ab aliis. Nam te velle et cupere nil dubito, tarn mea quam com- muni causa nosträ slavicä.

Quoad rec.tui operis vix hie speres idoneum, nisi forte velis Illaffarikum, qui cetera optimns caret^wm studio. Vide an Grimm Jac, qui simul est ju-

*) Diese zwei Briefe hatte Herr Francev aus Warschau gelegentlich seiner im bühm. Museum zu Prag gemachten slav. Studien in dem Nachlass Jelinek's gefunden (Jelinek selbst bekam sie von der Wittwe Maciejowski's) und mir gütig zur Veröffeuilichung überlassen.

632 Kleine Mittheilungen.

rista et slavista velit facere, sin minus, quaere Berolini aut Vratialav.

(Gaupp?), ubi nunc floret maxime harum rerum Studium, ut ipse nosti.

Vale et faveie perge Vesterrimo t) ^^,^^; + „,•^

*^° x>. üopitano.

P. Saepius ad vos scriberemus (saluta et a me rogo, Hubeum), sed audi-

mus vos pro epistola solvere ad quinque rublos cum nos vix unius dimidiam

partem solvamus, 14 x CM.

A tergo : Sr. Hoch wohlgeboren dem Herrn Wenzel Alex. Macieiowski,

Professor der Rechte an der Alexander-Universität in Warschau.

2.

Wien den 11. Sept. 1839. Geehrter Freund!

Ihre wenigen Zeilen vom 20. May hab' ich am 7. d. durch &■» St*** richtig empfangen. Etwas früher auch Ihre zwey Bände Pamietniki i), die sehr in- teressant aber auch sehr objektionable sind. Vielleicht sage ich auch ein paar Worte in einem neuen Pamphlet-), das slawische Miscellanea enthält und so eben unter der Presse ist. Wenn der gr. ritus der slawische ist, cuius ritus sind dann die dalmatinischen Glagoliten, deren einer vor drey Monaten in Baden aus Caramans cyrillischslaw. Missal mit g lag. Let- tern, eine slaw. Messe secundum ritum 1. las. Ebenso [folgt ein unleser- liches Adjectiv] ist auch Ihre poganina nazwa; der Patriarchat v. Kon- stantinopel reichte nie nach Aquileia sowie der neugebackene Patriarch n i e Nachfolger des Alexandriners war; Theodosii Verordnung von 421 ward ja 422revocirt als erschlichen! Constantins stara wiara ist die 1 a t. wie sie vor Photius war. Ein schöner Missionär St. Cyrill, wenn er Götzenopfer und bezczestnych zenitw nicht hindert ! Offenbar haben sie falsch gelesen oder ist's falsch geschrieben; das nie muss weg, und die Stelle aus Mala- chias ist eine Fortsetzung seiner Argumentation. Sed ita iam satis est. Von Ihrem prawodawstwa habe ich nur den P"i Band; auch Kucbarski fehlt mir. Doch den kann ich leichter haben als Ihre drey Theile ohne I beim Buchhändler. Herr St*** ist mit seiner Ausbeute hier zufrieden. Vale et re- scribe.

H»n Maciejowski Pr. tuo

in Warschau. K o p i t a r i o.

Verte !

An Dobrowski's Palinodie ist kein wahres Wort ; er war 14 Tage in Wien, fuhr dann am 17. Dec. nach Brunn, wo er erkrankte und starb. Ergo ego vidi illura omnium uUimus\ und mit der alten Ueberzeugung; auch Illaff.'s und der ganz Clique Conspiration, wie er sagte, machte ihm argen Verdruss. Das Fragm. Job. traute sich Hanka bei Dobrowski's Leben nicht herauszugeben,

^) Es sind »Pamietniki o dziejach, pismiennictwie i prawodawstie Slo- wian« (1839 in Petersburg und Leipzig in II Bänden erschienen) gemeint.

2) Kopitar verstand darunter seine polem. Schrift Hesychii glossographi discipulus. Vergl. dort S. 56 58.

Kleine Mittheilungen. 633

denn dieser hatte gedroht alle Impostoren zu demasquiren. Tu cave, ne sie nimis credulua, nunc bohemis nunc aliis benignus nimia. Victrix causa diis placuit, sed victa Catoni. Mit Göttern ist's freulich gut sein i) ?

A tergo: Herrn Dr. v. Maciejowski, corr. Mitglied der Archäographischen Commission im Ministerium der Volksaufklärung etc. etc., in Warschau.

Ein Brief Vtik Karadzic's an Fessl.

Im II. Bande des Briefwechsels der Slavisten aus dem Ende des vorigen und dem Anfang dieses Jahrhunderts (Neue Briefe, Berlin 1897) sind von der CorrespondenzKopitar's mit Fessl nur Auszüge mitgetheilt worden (S. 317 flf.j. Alle Bemühungen, in dem Nachlasse Fessl's, der sich im böhra. Museum be- findet, die Originalbriefe Kopitar's wiederzufinden, blieben bisjetzt erfolglos. Vielleicht hat der verstorbene Vrt'ätko den Schatz so gut aufgehoben, dass man ihm noch nicht auf die Spur gekommen ist ! Prof Pastrnek, der sich im Jahre 1897 Mühe gab, meinen Wünschen nachzukommen, fand in dem Nach- lass Fessl's nur den nachfolgenden Brief Vuk's, den ich nach seiner genauen Abschrift mittheile, um den Herren in Belgrad die von uns allen sehnlichst erwartete Ausgabe der ganzen Correspondenz Vuk's zu erleichtern.

IIpeqecTH>ejmH roenoAHHe, BHCOKonoTiHTajeMH npHJaTeAy !

Ca ocoouTOM HcajiocTU iua.i>eM BaM Baui (ii.ziu ynpaBö uaiu sajeanu^Ku) pyKonuc 0 Cpöuju. HaJBehu je yapoK, uito ra HiijecaM Morao uiTaMnaru OBaj, luxo

1) Zum besseren Verständniss des Postscriptums dieses Schreibens theilt Herr Francev aus einem Briefe Maciejowski's an Hanka (vom 20. Dec. 1839j folgende Stelle mit:

»Z Wiednia pisano do mnie, a miedzy innemi wyraiono siq do mnie tak: ,Dobrowski sagte mir kurz vor seinem Tode, die ganze clique Conspiration, wie er sagte, machte ihm argen Verdruss . . . etc.' Nie wiem, co to ma zna- czyc. Powiedzial mi P. K., ic napisze recenzy^ moich Pamietniköw w Pam- flecie, ktory wychodzi we Wiedniu ; nie wiem, czy i^ iu^ napisaL Kacz mi o tem doniesc i povviedziec wszystko, co tylko wiesz.« ....

Auf dasselbe nehmen auch folgende Worte Maciejowski's, die er am 9. Mai 1840 an Pogodin schrieb, Bezug:

»Musisz Pan o tem wiedziec, ie. zaraz po odjechaniu Jego z Warszawy odebralem list od p. Kopitara, datowany z Wiednia dn. 7 (? 1 1 ?) Wrzesnia 1839. W tym liscie wynurza mi swöj ^al, ie i ja nale^Q do tak zwanej clique conspiration (czego ja wcale nie rozumie;, i ie sie trzymam tych samych za- sad, co Czesi i insi Slowianie. Ostrzega, ie napisze krytyke Pamietniköw mojich, i t. d. Dowiaduj§ sie teraz z wyiej przytoczonego numeru Gazety wiedenskiej (Wiener Hofzeitung v. 12.März 1840, Nr.72,i, iQ dotrzymai slowa, i zaraz zapisalem sobie to dzieio, alem go dotad nie otrzymat. Bedziemy wal- czyc za wielka prawde historyczna, ktora co raz to wiecej zajmuje mnie.« B. MauiciiCKifi M. ü. IIoroÄUuy, 9 Maa 1840 r.

634 Kleine Mittheilungen.

CTH (sie !) BM c OHHM, lUTO caii BaM ja Äao H KasHBao, noMujemajH oho, uito ctojh y Abctphjckom bojhh^kom atypnajiy (Oesterreich. Militär -Zeitschrift); nan ja HHJecaM heo (hhth caM Morao) ja noispljyjeM cTBapH, Koje HHJecy hcth- HHTe. Hs pas.iH^Hu ÖH.tera ii nonpaB-taüa na BaraeMy pyRonucy BnaiiheTe, fla caM ja Bpjio -AueÄUO h ayro ce Tpyaao, aa Bain pyKomic noEpaBHM h HamTaMnaM ; HO HHKaKO HujecaM HMao c KHM ca CBHM ra no bo.i>h npepaaHTii; aero caii Haj- nocjiHJe npomaBHiera Jbera, c BepjHHCKUM npo*ecopoM aoKiopoM PaHKe na^HEHO ca CBHM HOBy KüHacHuy 0 CpöuJH (die serbische Revolution), Koje Bau eso OB^e jesaH eKseMnJiap ffla.i.eM. He cyM.i>aM, aa hexe va OBe KH>H2CHiie bhähth, aa sacaÄ 0 BpeMCHy Kapa^op^HJa h Ma^onia OöpenoBHha HHiQTa Binne Hnje Hyatno lUTaMnaTu; a^u Banie onHcaHiije Hapoaa CpncKora noÄ Typumvia, Koje je y OBoj khjHhchuh Bpjio KpaTKO, mucjum aa 6h ii caa öhjio BpHJeaHO niTaMiiaTii, h ja 6h ra caM lUiaMnao, aa HMaM nosaua.

SnajyhH ja, aa ce bh oko OBora nocja hüjcctc hh aa KanaB cboj aoöHiaK TpyaHJiH, ao caMO sa Mojy ^lyöas h npEJaicbCiBO, h sa nojsy (Nutzen) u cjaBy Hapoaa CpncKora, HUMaJio He cyM-iaM, aa hexe mh onpocxHiH, mxo ce OBaKO aoro- aHJO, le OBaj (uHa^e cjiaBHH h CBaraamae 6.iaroaapHociH BpHJeanH) nocao Baui (HHJe) Morao na CBUJex Hsiiha. Ako ja CBy rpa^y MOJy aa CpncKy ucxopujy na- qHCTO caciaBUM, h aa Bor u cpeha, le ce c Baiia onei, sjiu Ha ay>Ke BpHJCMe, })e caciancM, onaa heiio mh UHJejiy nciopnjy CpncKy Ha hobo iiHcaxH. H caa aa CTe BH KojoM cpehoM OB^e ocxajEH, MH 6h obo aaBHO HsaaJH Ha CBHJeT.

nia-LCM BaM TaKo})ep mojh nex CpucKH Kanra (4 aaHime oa roauHe 1826, 1827, 1828 u 1829 h Mnjiouia OöpenoBHha), oa kojh hexe y CBaKoj Hahn no ue-

UIIO 0 CpÖHJU.

ÜMaM cpehy jaBHXH BaM, aa Me je PycKH uap HnKO^ia I. (joiu 4ra. Jynuja 1826T0 roaHHc) noMHJiOBao roanmaoM neucHJOM oa cio aynaia »bo yBaacenie sa-

CBHaixeJTLCTBOBaHifl MHHHCipOM'B HapoaHarO npOCBimCHlfl 0 nOJBSi npHHOCHMOH

CjaBHHCKOH cJiOBecHOciH « (i. j. 3a CpncKH pje^BUK H 3a njecMe).

r. KoHHiap noaapaB.i.a Bac .'by6e3HO, a ja npenopyiyjyhH ce 3a CBaraa Bamoj AyöaBH H npHJaTe.LCiBy, c hcxuhhihm BHCoKono^xauHJCM jecaM

Bame üpe^ecTHOCTH y Beqy 8, Manja (no Phmck.) noKopHH cjiyra

1. Jun. 829 ByK. Cie*. Kapanah.

Auf dem Umschlag : S«" Hochwürden Herrn Abbe J. F e s sl (P. T.)

in Grätz.

Zivei Briefe Aug. Schleichey^^s afi Gj. Banicic.'*]

1.

Hochgeertester Herr! Hiermit bestätige ich verbindlichst dankend den richtigen empfang der mir gütigst gesanten drukschriften.

*) In der Belgrader Nationalbibliothek werden unter Nr. 255 des Hand-

Kleine Mittheilnngen. 635

Für die mir voa seiten der Jugoslavenska Akademija gewordene aus- zeichnung werde ich mich beeren nach empfang des diploms meinen dank au33 zu sprechen.

Herzlichen dank für Ire werten zeilen vom 29ten oct. Nach Irer berich- tigung der in umlauf gesezten formen des genit. plur. im südslawischen sehe ich nun freilich keinen weg zur erkiärung der selben, da sich der deutung der in rede stehenden endungen auss -^ doch auch erhebliche bedenken ,in den weg stellen.

Solten Sie ein mal von einem Irer jungen landsleute, der fest in seiner muttersprache ist, hören, dass er Sprachwissenschaft studieren will, so bitte ich in wo möglich auf einige zeit hierher nach Jena zu dirigieren. Ich möchte nämlich serbisch, das ich nur ein mal habe sprechen hören, ganz genau, wo möglich bis zum sprechen, namentlich bezüglich der ausspräche mir an eig- nen; für die mühe mich im serbischen zu unterweisen bin ich erbötig priva- tissime sed gratis sprachwissenschaftlichen Unterricht zu geben, bei geübteren die aussarbeitung von abhandlungen u. s. w. zu leiten, sanskrit oder zend u. s. f. zu lesen, kurz den betreffenden in die schule zu nemeni). Polnisch habe ich früher gesprochen, was mir jezt beim polabischen ser zu statten komt, cechisch natürlich besser, auch spreche ich etwas russisch, nur beim südslawischen habe ich es zu lebendiger Vertrautheit mit der spräche noch nicht gebracht. Ser erwünscht wäre mir auch ein Bulgare, obschon die Can- kofsche grammatik im ganzen die ausspräche treu wider gibt. Für meine zwecke genügt nicht die bekantschaft mit der spräche auf dem papiere, wo irgend möglich, muss ich mir die spräche selbst lebendig machen.

Belügendes blatt darf ich wol ersuchen gelegentlich Hrn. Prof. Jagiö zu geben 2).

In hochachtungswoller egebenheit

Jena, am 28ten nov. Ir 1867. Aug. Schleicher.

Schriftenkatalogs »drei Briefe A. Schleicher's an Gj. Daniele« vom 24. Oct, 28. Nov. und 20. Dec. 1867 angeführt. Der erste ist schon von Danicic in seinem Vortrag »/ÜHoöa cüobchckux jesHKa 5. ^aHuquha y Buorpaay 1874« abge- druckt. Die beiden anderen theile ich jetzt nach einer vom verstorbenen Dr. Gjorgjevic gemachten Abschrift mit. V. J.

ij Auss Russland waren schon öfters zu disem zwecke junge laute auf statskosten hier.

2) Der an mich gerichtete Brief lautet so :

Hochgeertefter Herr! Gestatten Sie mir Inen für Ire werte freundliche gäbe meinen verbind- lichften dank auß zu fprechen.

Im nächften hefte der von Kuhn und mir herauß gegebenen Beiträge, welches jedoch erft im laufe des nächften jares erfcheinen wird, werden Sie eine kurze anzeige Irer tref liehen Gramatika jezika hervatskoga finden. In aufrichtiger hochachtung

Jena, am 27ten j^ov. Ir ergebenfter

1867. Aug. Schleicher.

Herrn Professor Vatroslav Jagic'.

636 Kleine Mittheilungen.

2.

Hochgeertester Herr!

Verzeihen Sie, dass ich Ire werte Zuschrift vom 5. d. m. erst heute be- antworte. Mit dank folgt anbei das mir gütigst gesante werk zurück; ich besitze es längst, so wie auch Ire Ma.ia cpncKa rpaMaTHKa v. j. 1850.

Was den genit. plur. betrift. so kan über die volkommene richtigkeit Irer ansieht hinsichtlich der betonung und überhaupt der vocalisation der Silbe vor der endung dises casus (altbul. -%) nicht der geringste zweifei ob- walten.

Dagegen ist die anname, dass später ein vocal hier an gefügt sei im höchsten grade bedenklich. So weit meine kentnis in den sprachen reicht kenne ich innerhalb und ausserhalb des indogermanischen nur ein einziges sicheres beispil, nämlich in der deutschen grundsprache und von da im goti- schen gebliben und in den anderen deutschen sprachen in seiner Wirkung sichtbar (Comp. § 203, 3, 6). taj, ovaj u. s. f. haben wol sicher az *) ; das j ver- mag ich freilich nicht sicher zu erklären. Und es bleibt auch im genit. pl. nichts anderes übrig als an -i. zu denken 2). Wenn in den ältesten serb. Sprachdenk- malen die endung -a nicht erscheint, so ist diss villeicht kirchenslawischem einflusse zu zu schreiben. Es wurde mich vil zu weit füren auf die gründe ein zu gehen, die mich nunmer zu der eben aussgesprochenen anname be- wegen. Nur so vil sei bemerkt, dass offenbar die slavv. sprachen neben dem altbulgarischen mer altertümliches bewart haben, als man gewünlich vorauss sezt. Auch das polabische kent --b als vollen vocal u. s. f.., die serbisch-slo- venischen genitive der pronominalen declination auf -9a, -g weisen auf -rt nicht auf -ro u. s. f.

In aufrichtiger vererung und ergebenheit

Jena, am 20ten Dec. Ir

1867. Aug. Schleicher.

t DR THEODOR ELZE.

Im Alter von 77 Jahren verschied am 27. Juni 1900 in Venedig Dr. Theo- dor Elze, evangelischer Pastor ausser Dienst.

Elze gehört zu den verdienstvollsten Erforschern der slovenischen Lite- ratur- und Culturgeschichte. Denn ihm danken die Slovenen vorzugsweise die Aufdeckung und Enthüllung der interessantesten, wichtigsten und rühm- lichsten Periode ihrer Culturentwickelung, nämlich der slov. Reformation. Die Periode des Protestantismus brachte den Slovenen die Anfänge ihrer Literatur und bildet geradezu die Wiedergeburt der slovenischen Individuali- tät. Elze erforschte allerdings in erster Linie die Geschichte des Protestan- tismus in Krain, und da dieser gleichbedeutend ist mit der Wiedergeburt des

1) Miklos III. § 447.

2) MaiiKOBa llcioijiff cepocK. «3. crp. 022 ca.

Kleine Mittheilungen. 6)37

slov. Volkes, so gebührt ilmi aiicli ein Andenken in der Geschichte der slav. Philologie*].

Geboren wurde Elze im Jahre 1823 in Alten bei Dessau in Anhalt. Er studirte zuerst zu Dessau und vom J. 1842 bis 1845 an den Universitäten zu Tübingen und Berlin. Nach vollendeten Studien lebte er sechs Jahre in Italien, Deutschland undOesterreicli, und wurde 1852 protestantischer Pfarrer in Laibach. Von da kam er im J. 1865 nach Meran, und vom J. 18ö9 1891 diente er in Venedig, wo er auch starb.

Elze war äusserst arbeitsam; seine freie Zeit widmete er hauptsächlich geschichtlichen Studien, aber ausserdem interessirten ihn auch die Numismatik und moderne Sprachen. Er sprach deutsch, französisch, italienisch und eng- lisch; slovenisch hatte er soviel erlernt, dass er Dalmatin's Bibel leicht lesen und verstehen konnte.

Als er im J. 1852 nach Laibach kam, fand er dort einen Kreis von Män- nern, die eifrig das Feld der heimischen Geschichte bestellten. Es bestand ein historischer Verein, der sein Archiv, seine Bibliothek hatte und auch »Mit- theilungen« herausgab. Diesem Vereine schloss sich Elze an und widmete sich besonders der Erforschung der Reformation in Krain. Er beabsichtigte eine krainische Geschichte des XVL Jahrh.zu schreiben, aber die Materialien schwollen ihm immer mehr und mehr an, und beim Sammeln überraschte ihn das Alter ; theilweise lag aber der Grund auch darin, dass er der südslavischen Sprachen nicht vollkommen mächtig war.

Elze sammelte die Materialien für seine Studien in verschiedenen Archi- ven Krains, wobei er als Protestant mancherlei Schwierigkeiten und Hinder- nissen begegnete. Im Laufe der Studien überzeugte er sich auch, dass Krain nur wenig Urkunden berge, deshalb ging er nach Deutschland und fand dort namentlich in Stuttgart und Tübingen eine grosse Menge von Büchern und Urkunden, die er fleissig excerpirte. So glückte es Elze, dass er manches Buch aus der protestantischen Periode, von dem man keine Ahnung hatte, aufdeckte und beschrieb; von allen diesen Büchern pauste er sich auch die Titelblätter ab und erwarb so eine herrliche Sammlung.

Im J. 1863 erschien von ihm »Die Superintendenten der evangelischen Kirche in Krain während des sechzehnten Jahrhunderts. 1863«. Darin bot er die Lebensbilder folgender Männer: Primus Trubar, Sebastian Krel, M. Chri- stoph Spindler, Bartholomäus Simplicius und M. Felician Trubar.

Elze's Schriften erreichten eine schöne Zahl und die Abhandlung »Die Universität Tübingen und die Studenten aus Krain« brachte ihm das Ehren- doctorat der Universität Tübingen.

Die wichtigsten Schriften Elze's mit Ausserachtlassung der numis- matischen, germanistischen und belletristischen und ohne Anspruch auf Voll- ständigkeit — sind : 1. Kurze Geschichte der evang. Gemeinde in Laibach im 19. Jahrhundert. Evang. Glaubensbote. Villach 1856.

*) Eine kurze Darstellung des Lebens Elze's und seiner Schriften ist in der Zeitschr. »Ljubljanski Zvon«, 1893, S.622, der einzelne Daten entnommen sind.

538 Kleine Mittheilungen.

2. Die Einioeihung der neugegriindeten evangcl. Andreaskirche in Cilli am

25. März 1857.

3. Primus Trüber' s Denkmal in Derendingen. Mittheilungen des histor. Vereins

fürKrainlS61,S. 63.

4. Die Afifänge der Buchdruckerei in Krain. Ibidem 1861, S. 90 u. 1863, S. 11.

5. Budget des evangelischen Gymnasiums in Laihach. Ibid. 1862, S. 110.

6. Pritnus Trüber. Ergänzungsheft zum Lesebuche f. d. oberste Classe der

evangelischen Hauptschulen in Oesterr. Wien 1863.

7. Die evangelischefi Kirchenräthe in Steiermark, Kärnten, Krain und Görz

während des XVI. JaJirh. Prot. Bit. f. d. evang. Oesterr. 1863, Nr. 35.

8. Die Superinte7idc7iten der evangelischen Kirche in Krain während des sech-

zehnten Jahrhunderts. Wien 1863. 80. VIII + 60.

9. Zur Geschichte der evang. Kirchenbegängnisse in Innerösterreich während

des XVI. Jahrh. (Prot. Bit. f. d. evang. Oesterr. 1864, Nr. 13).

10. lieber Hitzinger s Berichtigung einiger Punkte in Primus Trüber' s Leben.

Mitth. des histor. Ver. für Krain 1864, S. 85.

11. Besprechung von Badics' Herbart VIII von Auerperg. Bit. aus Krain

Nr. 13, 14, 15,

12. Primus Trüber und die Reformation in Krain (Herzog's Realencyklopädie

für protest. Theologie und Kirche. Band XXI. Gotha 1866).

13. Besprechung von: Kausler und Schott: Briefioechsel ztoischen Christoph,

Herzog v. Wiirtemberg, und Peter Paul Vergerius (Lit. Centralblatt in Leipzig 1876. Nr. 8).

14. Die Universität Tübingen und die Studenten aus Krain. Tübingen 1877. 8".

IV 4- 109.

15. Die Anfänge des Protestantismus in Krain (Jahrbuch der Gesellschaft f. d.

Gesch. des Protest, in Oesterr.). 1880.

16. Paul Wiener, Mitreformator in Krain, Gebundener des Evangeliums in

Wien, erster evang. Bischof in Siebenbürgen. Ibid, 1882,

17. Die frühesten Opfer des Protestantismus in Kärnten. Ibid. 1883.

18. Geschichte der prot. Bewegungen und der deutschen evang. Gemeinde in Ve-

nedig. 1883.

19. Die slovetiischen protestantischen Gesangsbücher des 16. Jahrh. Ibid. 1884.

20. Zur Geschichte der Reformation in Krain. Ibid. 1891.

21. Die slovenischen protestantischen Katechismen des XVI. Jahrh. 1893.

22. Die slov. jirotest. Gebetbücher. Ibid. 1894.

23. Die slov. protest. Lehrschriften (Zeitschr. f. prot. in Oesterr.). 1S94.

24. Die sloven. protest. Druckschriften des 16. Jahrh. Venedig 1896.

25. Primus Truber's Briefe. Mit den dazu gehörigen Schriftstücken. Biblio-

thek des litterarischen Vereines in Stuttgart. 215. Publication. Tü- bingen 1897.

26. Die Rectoren der krainischen Landschaftsschule in Laibach tcährend des

16. Jahrh. (Jahrb. der Gesellschaft für die Geschichte der Protest, in Oesterr.). Wien 1899.

27. Slov, protest. Postillen.

St. Paul, im August 1900. Fr. Vidic.

Sachregister.

Accentfragen 573. Adjectivdeclination, im Altsloven.,

6—11. Anekdoten, kleinruss. aus Galizicn,

Quellennachweise 304 &., polnische

Parallelen 298. Apokryphen , Sammlung neutcstu-

mentlicher, kleinrussische 294 f.,

vgl. Barbar. Apostolus, cyrillischer, serbischer, mit

glagolit. Glossen 511 ff.

Barbar, heil, Leben, griechisch und altbulgarisch 575 ff.

Bibliographie, böhmischer Geschichte, 31Gf.

Bogarodzicalied 2S9 f.

Böhmisch, zur Wiedergeburt der b. Litteratur 46 ff.; böhm.-poln. Misch- dialect in Schlesien 314 f.; vgl. Pot- tenstein; Bibliographie u. a.

Bulgarisch, s. Barbar ; Paysius.

Chilandar Blätter, neue Ausgabe, be- sprochen 542 ff.

Chodos Kloster 204.

Conjunctionen, copulative, im Serb.

V 1—5.

Cubranovic und seine Edjupka, Quel- len und Beziehungen 87 ff.

Cyrillische Paläographie, Beiträge 543 ff.; cyr. Urk. v. 1434,619.

Demetrius I., seine Persönlichkeit, Ur- theile der neueren russ. hist. Litte- ratur 321 356; Zusammenfassung aller Ergebnisse 357 419; Anhang 420^ 432 (Verschiedenheit von Griska Otrepjev; einzelne Bojaren und Djaken 395 ff. u. s. w.).

Dositej Obradovic, Biographisches und Literarhistorisches, 595 ff.

Dusan's Gesetzbuch, Ueberlieferung, Ausgaben, Quellennachweise, Erklä- rung ausgewählter Termini 144 ff.

Etymologien, poln. und litau. Worte, 565 ff.

Germanen und Slaven, Ursiedelungen und Urgeschichte, neuere Arbeiten kritisch bespr. 237 ff.

Geschichte d. slav. Philologie, Mate- rialien, Briefe von Dobrowsky, Ko- pitar, Schleicher 623 ff.

Glagolitisches, s. Apostolus; Mcbs- buchfragmente 525 ff. ; zur Paläo- graphie 544; zur kroatischen Gla- goliea 617.

Hannoversche Elbslaven , Wenden, Wortverzeichnisse; Aberglauben u. Bräuche ; heutige Reste (angebliche) ders. 107 ff. und 318 ff.

Huculen 297.

Impcrfect im Serbischen 271 f, IrrationaleVocale 252 ff., 255 ff., 553 ff.

Kaszubismen im Polnischen 571 ff.

Kijever Blätter, deren Provenienz 39 ff,

Kirchenslavische Grammatik 278 ff. ; s. Chilandar; Kijever Blätter; Sa- vina kniga ; Moral. Recept u. s. w.

Kleinrussisch, Publicationen der §ev- cenkogesellschaft 291 ff., ethnogra- phische und historische.

Liederbuch, ragusanisches von 1507, 215 ff. ; Hochzeitsschwank dess. und seine ital. Quelle 613 ff.

Litauische Götternamen 569 f. ; Ety- mologien 565, 574.

Märchensammlungen , kleinrussische, Parallelen 300 ff. ; Midasohren, Stu- die 312.

Moralrecept, kirchenslav., 618.

Necrolog (Pfarrer Elze) 636 f. Normannentheorie 294. Novgoroder Chronik I, Untersuchung ihrer Sprache 255 ff.

Ordalien 168 f.

Paysius, zur Biographie 620 f.

Petrus h., Brief (Passport) an ihn, russ. 561 ff.

Philomelamythus in der kroat. Volks- dichtung und seine Quelle 608 ff.

Polonica, Litteraturjahresbericht 52 —68.

Pottenstein, Erinnerungen, 317.

Rechtsbücher, griechische und ihr Verhältniss zu dem Dusan's 146 f.

Rumänisch-kroatisches Vaterunser u. Avemaria von 1825, 622 f.

Savina kniga 247 ff, Serbokroat. Grammatik der Litteratur- sprache, einz. Formen u. dgl. 263 ff.

640

Sachregister.

Slavische Ursprache, dialectische

Schwankungen 11 ff. Slovenisch, grammatisches, u = ü

487 ff.; Epenthese des y 490 ff.; Su-

pinum 49.5 ff.; zur Litteraturgesch.

636 f. Suprasler Codex, seine Heimat 37, vgl.

631 (Kopitar).

Torlakisch 274.

Ungarn und Slaven, älteste ethnische Berührungen, in Pannonien oder früher und wo? 433 ff.

Wenden im Hannoverschen 318 ff.

Zwenyhorod's Lage 299.

Adalberg 55, 568. Alexics 469. Algaro tti 622. Appendini 71, 99, 224 f. Aranza 617. Asboth 433—487.

Baric 82.

Baudouin de Courtenay

23, 65. Bestuzev-Rjumin 345,

356 ff. Bezzenberger 565. Biegeleisen 58. Bjelskij 4Ü4. Bobali 103. Bogasini 627. Bogisic 152. Bogorodickij 556. Boguslawski E. 242 f. Boguslawski W. 242. Borkowski 565. Breyer 236. Braun 244 f. Breie 535 ff. Bruchnalski 54. Brückner 52—68, 237—

247, 291—300, 561—

574. Budilowicz 244, 279 f. Budmani 1,264. Budny 566. BulUnger 562. Burcher 562. Bussov 350 f., 363. Bystro6 53.

Celichowski 56 f. Chancelor 562. Charlampowicz 62 f. Chmielowski 58 f. Ciszewski 312. Constantin Acropolites

579 ff. Cubich621.

Namenregister.

Cubranovic 69 106, 230 ff.

Danicic 264, 266 f., 634 f. Dobrowsky 623—630,

632 f. Dobrzycki 289 f. Domeier 109. Dositej s, Obradovic. Dragomanov 298, 311. Drzic218ff. Durich 628. Dyamentowski 65. Dykariv 301. ©orSi 104. Bordid 80 f.

Elze 637 f.

Engel 144, 625 f., 629. Erzepki 55. Estreicher 53 f.

Fessl 633 f.

Fialek61.

Fletcher 562.

Florinskij 145, 495, 504.

Fortunatov 554.

Francev 631.

Franko 6J, 294 f., 301 f.,

561. Frozin 50.

Gallus 66. Giorgi (Boraic) 224. Giraldi 352. Glatz 626. Grienberger 569. Grigorovic 201. Grimm J. 239.625. 631. Grot K. 438, 450. Gubrynowicz 57. Guerrini 72 f. Gumplowicz 66.

Habelt 317 f. Hanka 632 f. Heck 59.

Hehn 18, 21. Heimbach 146, Hektoroviö 232. Hipler 289 f. Hirschberg 65, 420 f. Hirt 18 ff., 318 f. Hnatjuk 296, 298, 299,

304 ff". Hoernes 19. Hruszewskij 293 ff. Hube 147.

Jablonowski 299 f.

Jacimirskij 575 ff.

Jagic 11—45, 83 f., 100, 127 ff., 147, 218, 255— 278, 279, 288, 451, 525, 525—542, 553—560, 595,613,617,619,620f.^ 621 f., 623 ff., 635.

Jakovljev 563.

Jelinek 631.

Jezienicki 61.

JirecekC. 144—214.230, 316 f.

Ikonnikov 329 ff.

Ilesic 487—510.

Dovajskij 345 ff.

Jurasich 528 f.

Ivan od Zadre 608.

Kaindl 303. Kaiina 67. Karaman 281. Karamzin 323. Karbowiak 63. Karlowicz 68, 297. Kq.sinowski 61. Kazanskij 334 ff. Ketrzvnski St. 66. Ketrzynski W. 240 ff. Kieigajlo 569 f. Klesnin 405. Klima 317 f. Knesebeck v. d. 320. Kocowski 278 ff.

Namenresrister.

Ö41

Kopitar (523 ff. Körnig 624 f. Korzon ()6. Kossinna '2'M). Kostoinarov 324. Kotljarevskij 286 f. Krasinski 60. Kicek 501. Kristidevic 225. Krowicki 567 f. Kruczkiewicz 60. Krynski 53. Kry^anovskij 62. Krzywicki 238. Kucharzewski 54. Kiikujevic 233. Kulbakin 542 ff. Klinik 238, 453. Kusar 229.

Lasicki 569 f. Laskowski 569 ff. Leonid 380. Lesclika 478. Leskien 1—5, 6 f., 141 ff.

497. Levakovic 280. Levitskij 340. Ljapuuov 255 ff., 553 ff. Linde 565 f., 625. Lopacinski 53. Loris214 f.

Maciejowski 631 ff. ^]aje\vski 67. Malinowski 52. Mändrescu 470. Marczali 436 ff. Maretic 1, 263—278. Margeret 346 f. Marulic 233 ff. Masirevic 203. Massa 349 ff. Mazibradic 103. Medakovid 595. Medini 69—106, 230 ff. Meitzen 238. Melnickij 278 ff. Mencetic 218 ff. Meyer G. 470, 617. Miaskowski 61. Mikkola 482, 572 f. Miklosich 6 ff., 36, 212,

449, 471 f., 478, 487,

621 f. Molcanov 405. Mstislavskij 398 f. Much 238.

iMiiellor G. 359. Müllenhoff 237. Munkacsi 433 11".

Naljeskovic 104. Niederle 239, 246 f. Niemcewicz 333. Niemojevvski 65. Nikolic 313. Novakovid 144 ff., 264. Nowakowski 333.

Oblak 617 f., 619. Obradovic 594 ff. Ostojic 618.

Parcid 529.

Pasek 57, 567.

Pastrnek 633.

Pauler 438.

Pavletic 608.

Pavlov 148.

Pavlov N. M. (Bicyn) 325 f.

Paysij 620 f.

Pelcl 51.

Pelegrinovic 82 ff., 103.

Petrejus 366.

Petrovskij I. M. 608—

612. Petrovskij N. 286 f. Pfeffinger 109, 127 ff. Piekosinski 571. Pierling 65. Pintar 52S, 623. Platonov 374, 401, 422. Pletersnik 528. Pohl 51.

Polivka 23 ff., 300—316. Popovic 595. Posselt 625. Potocki W. 60. Ptaszycki 65, 421. Pudlowski 55.

Kadcenko 575 608.

Rarault 67.

Ranina 225.

Ranke 634.

Resetar 215—236, 613—

617. Rey 55 f., 568. Ribay 628. Ricco 613 f. Richey 112 ff. Rogerius 509. Romanovy 406 ff. Rossi 613. Royzius 60.

Archiv fxir slavische Philoloirie. XXU,

Ruvarac 595, 62(» f. Rysinski 568.

.^afaiik 144 f., 203, 448 f. Sakowicz 561. Sapieha 354. Sasin 231.

Scelkalov 397 (Andrej ^ 401), (Vasilj 402). Scepkin E. 321 132. J5cepkinV.N.39ff.,247ff..

544. Schleicher 634 f. äeremetev 357 f. Sergi 19. Sevid 594. Scherzer 594 ff. Simeon (Gar, Bekbiilato-

vic 396. '^krabec 487, 495. Sljapkin 561-56-1. Smotiycki 561. Snjegirev 407. Sobolevskij 451. Soerensen 68. Solovjev 323. Srepel 235 f. Sreznevskij 147. Stojanovic 23 ff., .'ilO—

525. Studynskij 299. Sujskie 409 f. Supan 622. Siivorin 342 f. Svetokriski 506. Szinney 471. Szuchewycz 297.

Tagänyi 450. Thäm 51. Tieftrunk 47. Tiktin 473. Truhh\f47.

Wadowski 62.

Wagner 449.

Vater 625.

Werchratski i 296.

Vesegliy 480. iVetrauic 216. I Vidie 636 f. I Wierzbowski 54. ! Vieth 107 ff.

Winiarz 54.

Vlasjev 355.

Vlcek 40 ff.

Wodzinski 60. 41

()42

Wortregister.

Volaric 621.

Volf451.

Volkov (Vovk) 310 f.

Wolter 570.

Vondräk 6—11, 46—52

247—255, 317 f., 542—

553.

Vrt'ätko 633.

Viik 266 ff., 313, 633 f.

Zabjelin 41J. Zaluski 567. Zebraydowski 567. Zepic 89.

al.

baltä 469. bambizas 565. ban 142. bastina 2U9. Bec 627. bembelj 70 f. berek 449. bermüläs 442. billog 168. birx 480. borostijän 454. boinbiza 565 f. brazdju 541. bnichusa 141. burdagnia 142.

Oharstnica 571. ('horsT. 481. Coroje 70 f. cs^sze 483. csinäl 434.

der6k 464. farjon 297.

gabija gabeta 570. gabona -159. garac 468. t,ard 440 f. goart 142. gospoda 249. gorup 541, gomolya 457. granica 489. gronostaj 484. gyantär 453.

hala 442. harc 435. hiribä 472. horivka 297.

i 1. ist-Bba 262.

Wortregister.

kalmär 468.

karcol 468.

kärtya 455.

katuii 213.

xavxo-d'tfcxoi'o^- 617.

kaiika 617.

kefalija 209.

kereszt 441.

klimek, kliiukowad 565 f.

koiua 442.

komor 456.

könyv 478.

kor (inagy.) 455.

kortai 141.

krina 213.

laboda 480.

lapü 480.

lencse 451.

lengyol 452 f.

lüstiiwoicia 142.

megye 485.

moka 141.

motcrgabia 570.

netnusa 141,

nüs 142.

obr-Btiti 549. ochr-Binuati iolironuti'

275. oglav 213. olasz 483. I öriäs 460. j orosz 452 f., 479. I orvos 479. j

pa 1. !

paläst 449.

pelengabia 570. I

Pest 443 f,

planina 240 f, |

pom^iifjti pomenati 251. { porota 182 f. prachneni. 249. priselica 211. Prokosz, Parkosz 572. provodcija 211.

jZibrt 316 f. Zigel 145. Zima 101.

Zimmer 107 ff., 319 f. Ziobicky 623, ö30. Zoigar 4S7. Zore 80,

resnik 211.

salasz 48i>. s^postatT. 549. sarcä 469. sebar 211 f. sevast 210. smudia 143. soröc 478. spetchai 141. stan 213 star^a 571. susli. 481. siitli. (siital) 528. svraka 483 f. syrovatka 484. szalma 464. szarka 4S3 f. szemely 459. szerda 462, 475 szerencse 451. j szikra 458. szolga 467, 475.

te 1 ff. tokaci 478. tot 461. tscliedral 143. tür fraagy.l 434. I turica 70 f.

varäzs 479 f. Warnia 571. varpu 4SI f. Warszawa 572. veder 463. veröb 481 f. Wlachen 629. vlasteliclc 214. vrabij 481 f. wroch warch 572. Wroclaw Warcislaw 571,

zab (magy.), zobi. 437. zatagamis 574. zatego 574.

Druck von Breitkopf & Härtel in Leipzig.

CP

■ä/^ % 4. M 4.4

^1^ :^t

()42

Wortrearister.

Volaric 621.

Volf451.

Volkov (Vovk; 310 f.

Wolter 570.

Vondräk 6—11, 46—52,

247—255, 317 f., 542—

553.

al.

baltä 469. bambizas 565. ban 142. bastina 2o9. Bec 627. bembelj 70 f. berek 449. bermäläs 442. billog 168. bin- 480. borostijän 454. bombiza 565 f. brazdju 541. bruchusa 141. burdagnia 142.

Oharstnica 571. Chorst 481. Cor oje 70 f. cs6sze 48.'). csinäl 434.

derek 464. farjon 297.

gabija gabeta 570. gabona 459. garac 468. gard 440 f. goart 142. gospoda 249. gorup 541. gomolya 457. granica 489. gronostaj 484. gyantär 453.

hala 442. harc 435. hiribä 472. horivka 297.

i 1. ist-Lba 262.

I Vrt'ätko 633. Vuk 266 ff., 313, 633 f.

Zabjelin 414. ! Zahiski 567.

Zebrzydowski 567. ! Zepic 89.

Wortregister.

kalmär 468.

karcol 468.

kärtya 455.

katun 213.

xuvxo-d'iüxoi^o^ 617.

kauka 617.

kefalija 209.

kereszt 441.

klimek, klimkowac 565 f.

koma 442.

komor 456.

könyv 478.

kor (magy.) 455.

kortal 141.

krina 213.

laboda 480.

lapü 4S0.

lencse 451.

lengyel 452 f.

liisttiwoicia 142.

megye 485.

moka 141.

motergabia 570.

netnusa 141.

nüs 142.

obrttiti 549.

ochr-Linu^ti ohronuti'

275. oglav 213. olasz 483. öriäs 460. orosz 452 f., 479. orvos 479. pa 1.

paläst 449. pelenffabia 570. Pest 443 f. planina 240 f, pomenq,ti pomenati 251. porota 182 f. prachneni. 249. priselica 211. Prokosz, Parkosz 572. provodcija 211.

Zibrt 316 f.

Zigel 145.

Zima 101.

Zimmer 107 ff., 319 f.

Ziobicky 623, 630.

Zolgar 487.

Zore 80.

resnik 211.

salasz 480. s^postati 549. sarcä 469. sebar 211 f. sevast 210. smudia 143. soröc 478. spetchai 141. stan 213 staria 571. suslx 481. sutlt (sutal; 528. svraka 483 f. syrovatka 484. szahua 464. szarka 4S3 f. szemely 459. szerda 462, 475 szerencse 451. szikra 458. szolga 467, 475.

te 1 ff. tokaci 478. tot 461. tschedral 143. tiir fmagj'.) 434. turica 70 f.

varäzs 479 f. Warnia 571. varpu 481 f. Warszawa 572. veder 463. vereb 481 f. VVlachen 629. vlastelicic 214. vrabij 481 f. wroch warch 572. Wroclaw Warcistaw 571.

zab (magy.), zobi. 437. zatagamis 574. zatego 574.

Druck von Breitkopf & Härtel in Leipzig.

CP

Bmmo SECT,

APR 1 4 1975

PG 1

A8 Bd. 22

Archiv für slavische Philologie

PLEASE DO NOT REMOVE CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET

UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY

I

^4 'f '^-^ -^^ ■* '^-■•

.M "^' m m

'^..,^ .^1 «.^-■^•'

"iSMMMM r^

- * ß

** «I « ■'« ä|

.^. •:u- vi^ .j^'

4 -4 M. '■^'

■f 1 t 't a:

'^ .*,l^,.,^^.2* :-,* 'M MM ^

%,:«'^*

! Mj '^, M -^ ■«:

^ %

,% % %.

% 1 -f

■t ^^ a ;

% .S ^* :* '# rll

^; * ^ '% 'm ^

4..«.j«..*

^

^4.

m m #

;^

,-:

/li«;

#1^

,41

':m

'^M'-m':'k

1 4

: '^m

^#4

J?^ J»UJ^. J^l Ä J^^^

|i-^:-|r^ii^%

#L.:^,

%rw

^^.*^^

-B..jl

^«;>^^'^:^^^^#'-^'

^ %

»,;,.*: t

i^^p

r"^^^

%'if;-m:-w

P^' ll^.

^i4 .^-. .^'

^'«^ ^v «^-^ ^1.. ^

f^. * 1

i^'',i/ 'I

l'^'l'

?i'm

, , ^.,; ^ ^ Ä « äi

i -Ji ,:*.;*■:*/ t^^^ij .*.'* ,t"'€

}■'> iT ö .-T >' * ^ -^^ "»•■ - »^ "•» . '-^v i--"«» -riv yi« -■«i ■■>,i;i ;Tij :?M •:;'5gti "w^ «•

j -/« ;■:-•

.. i ^ « -

■e «

f f % ^-^i

1 1 1 ü

I^H^Hjj^^^^^^^H^^^^BK ' " (1

1^ 1 bl

1 1.«

•ti ^^ m. M '€ ^4

ii M--CM"c*:.

S M :t M M '^^^

^' 'l ^^. ''t % "

t- . ■•Ar äk„ ..JL, *■ , »

f *■'#'■# "t'^^fi

•^^> M -W '^"m ■■^, :^

M ■« ■.*•€,

m v^ ^fi ^i :^;^-^ : -