ARCHIV FÜR ANATOMIE, PHYSIOLOGIE WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN, IN VERBINDUNG MIT MEHREREN GELEHRTEN HERAUSGEGEBEN voxn D*. JOHANNES MÜLLER ORD, ÖFFENTL. PROF. DER ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE ,„ DIRECTOR DES KÖNIGL ANAT. MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS ZU BERLIN. BERLIN. VERLAG vos VEIT ET COMP. ing, =, 3 ABER Aa. j EEE ET De 2275 Su " a ern hie wm Re ” 4 hr er , | Rinau ad PAPEy LE Inhaltsanzeige. Bericht über die Fortschritte der mikroskopischen Anatomie im Jahre 1852. Von K. B. Reichert in Breslau. ..... . Ueber die Semitae der Spatangoiden. Von Joh. Müller .... Einige histologische Beobachtungen über den Schlammpeitzger (Cobitis fossilis). Von Dr. Fr. Leydig ......... Das aufrechte Stehen. (Erster Beitrag zur Mechanik des mensch- lichen Knochengerüstes) Von Prof. Hermann Meyer in en Se RE seen een man Ueber die Verstärkungsbänder am Schultergelenk. Von Fr. Bchleum. .....5 SE Smart = Aelaan Az Beitrag zur Mechanik des Gebens. Von Ludwig Fick. (Hier- zu Tat IV. #Bg.1—5) ...... EEE NIEREN. Versuche zur Bestimmung der Rolle, welche Leber und Milz bei der Rückbildung spielen. Von Dr. Jac. Moleschott, Privatdocenten der Physiologie an der Universität zu Heidel- N AN 56 sn hie . Seite 45 49 IV Seite Ueber die Entwickelung der Blutkörperchen. Von Dr. Jac. Mole- schott, Privatdocenten der Physiologie an der Universität zu Heidelberg. (Hierzu TafelL) . .... 0...» An ae Ueber die Bildungsstätte des Zuckers im Thierkörper. Von Dr, Jac. Moleschott, Privatdocenten der Physiologie an der Universität zu Heidelberg . .- » 2.0... 00. 86 Ueber die Architectur des Schädels der Cerebrospinalorganismen. Von Dr. LudwigFick, P.P. O. in Marburg. (Hierzu Taf. I. cl De OEL ee afreyke) Te en 83 Ueber einige niedere Thiere. Von Dr. A. Krohn. Briefliche Mit- theilung an den Herausgeber . - ». .». ... . » ee ee Beiträge zur Kenntniss der Schilddrüse. Von Dr. O. Kohlrausch in Hannover. (Hierzu Taf. IV. Fig. 1—4) ........142 Ueber das Schwellgewebe an den Muscheln der Nasenschleim- haut. Von Dr. OÖ. Kohlrausch in Hannover. (Hierzu Taf. V. Fiedtund?2) » ven. mus wine wa ran Bee Ueber so genannte Infarkten. Von Dr. O. Kohlrausch in Han- nover. (Hierzu Taf. V. Fig. 3—5.) . » » -e. 0.0.0.0. öl Widerlegung der von Volkmann gegen meine Abhandlung über die Anwendung der Wellenlehre auf die Lehre vom Kreislaufe des Blutes und insbesondere auf die Pulslehre gemachten Einwen- dungen. Von E. H. Weber, Professor in Leipzig . . . . . 156 Ueber den Bau der Echinodermen. Gelesen in der Königl. Aka- demie der Wissenschaften zu Berlin, am 26. Mai 1853. Von Ion Muller ei. es lol ne Se Nelken Ne . 175 Ueber Chaetonotus und Ichthydium (Ehrb.) und eine neue ver- wandte Gattung Turbanella. Von Dr. Max Schultze in Greifswald. (Hierzu Taf. VL)... . 2... 2 0 TR Ueber die Larve von Spatangus purpureus. Von A. Krohn. (EA NH ok EEE . 255 Beobachtungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. Von August Müller. (Hierzu Taf. VIL) ..... . » 'u a Ueber die Entwickelung der Seesterne und Holothurien. Von Seite Dr. A. Krohn. Briefliche Mittheilung an den Herausgeber. (Bierzu Taf£JNDIA Fig T.)I1 RR. ia ei). MEN. un lT Ueber den Bau von Peripatus Edwardsii. Von Dr. Ed. Grube. (Hierzu Ta£\IR, nnd X.)oh. con. kuadid. won)s wugauhnah 322 Ueber die Larve des Echinus brevispinosus. Von Dr. A. Krohn. TEEN) 6 aaa hate 6 et ale. 361 Das aufrechte Gehen. (Zweiter Beitrag zur Mechanik des mensch- lichen Knochengerüstes.) Von Prof. Hermann Meyer in Tee EN an ae) Ueber die unempfindliche Stelle der Netzhaut im menschlichen Auge. Von Adolph Fick, Prosector in Zürich und Paul du Bois-Reymond, Stud. med. in Zürich. (Hierzu Taf. XII.) 396 Beitrag zur Temperaturtopographie des Organismus. Von Lud- oe a RLER 4124408 Ueber die Brut des Cladonema radiatum und deren Entwickelung zum Stauridium. Von Dr. A. Krohn. (Hierzu Taf. XII.) . 420 Ueber das Kiemengerüst der Labyrinthfische. Von Wilhelm Peters. (Hierzu Taf. XIM. Fig.A).....-.... -.427 Ueber einen Wurm aus der Gruppe der Anguillulae, Enoplus quadridentatus. Von Dr. W. Berlin in Utrecht. (Hierzu DERESSTVE Tr EV )uaas 00a zu 2 wie ce ES .. 431 Notiz über die in der Leibeshöhle der Synapta digitata vorkom- menden Körper. Von Dr. W. Berlin in Utrecht. .. .. . 442 Der Nervus spinosus. Von Professor H. Luschka in Tübingen . 445 Ueber die Adaption des Auges. Von Ludwig Fick. Mit einer Nachschrift von Adolph Fick. (Hierzu Taf. XV. Fig. 30.). 449 Ueber das Verhalten der unsichtbaren Lichtstrahlen von hoher Brechbarkeit in den Medien des Auges. Von T. C. Donders 459 Ueber die Gattungen der Seeigellarven. Von Joh. Müller. Gelesen in der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, EEE DEE TODD as lie denn. no . 472 Die Mechanik des Kniegelenks. Von Prof. Hermann Meyer In ZMsich CIE TEEN ee en 497 VI Seite Von Hermann Meyer in Zürich. (Hierzu Taf. XVII. und XVII.) Die Individualitäten des aufrechten Ganges. . 548 Ueber das Auge und das Gehörorgan bei den blinden Fischen (Amblyopsis spelaeus Dekay) aus der Mammuthshöhle. Von Jeffreys Wymany near . 574 Corrigenda. Seite 48, Zeile 3 von oben statt Rückenschenkel lies Raben- schnabelfortsatz. 16 von unten statt eingegangen lies eingebogen. » „ 212, 317, 317, 317, 318, 318, 319, 2 5 12 1 2 16 ” ” „ ” » ” ” statt Stamm lies Stern. st.vierschenkligel.vielschenklige. statt ziemlich lies zierlich. ist und zu streichen. statt auch den lies auf den. von oben st. Wimperreihen I. Wimperreifen Y s Di Re caegan wu Aa farmadın te de nr € vr ie add: £ anfo gnid ame dr a x rer en EFTILDELENEIN iE nrir Mokupiv.n Asivıais ik in: an vsrrka Be) 0 Pr en mi au h Bericht über die Fortschritte der mikroskopischen Anatomie im Jahre 1852. Von K. B. REICHERT in Breslau, Allgemeiner Theil. } ie Morphologie und mit ihr die mikroskopische Anatomie hat in den letzten Jahren bittere Erfahrungen machen müssen, Von den ausgezeichnetsten Physiologen eines jeden Jahrhun- derts als die bewährteste und sicherste Stütze physiologischen Wissens betrachtet, ist sie neuerdings von namhaften Ge- lehrten fast mit Verachtung zurückgesetzt und an ihrer Stelle bald mehr die Lehre von den physikalischen, bald mehr die von den chemischen Erscheinungen an den Organismen in den Vordergrund geschoben worden. Die Physiologie hat ähnliche Zustände jedes Mal durchgemacht, wenn wichtige Fortschritte auf dem Gebiete der Physik und Chemie vorausgingen, und stets hat sie die erfreulichsten Früchte davon getragen. Re- ferent ist indess weit davon entfernt, einer Richtung in der Physiologie das Wort zu reden, die bereits mit der Präten- sion auftritt, alles wahre physiologische Wissen für sich allein in Anspruch zu nehmen. Denn obgleich die morphologischen Erscheinungen und deren Gesetzlichkeiten sich noch in keine mathematischen Formeln einkleiden lassen, so bieten sie doch, von Einzelnheiten abgesehen, die einzige Grundlage dar, auf welcher die Vorstellung von den wichtigsten Lebenserschei- nungen, von der Organisation, von der Zeugung: von der Entwickelung mit ihrem gesetzlichen Verhalten allein sich zu erheben vermag, und gleichwohl liefert uns die Physik und Chemie keinen Anknüpfungspunkt für die AED der- jenigen gesetzlichen Bewegung in der organischen Materie, aus welcher als Effekt die Form hervorgeht. Allein dies kann den Referenten nicht hindern, seine Ansicht offen dahin Müller’s Archiv, 1863, Jahresbericht, A * auszusprechen, dass die Art und Weise, wie die Morphologie und namentlich auch die mikroskopische Anatomie zu einem grossen Theile betrieben wird, nicht grade geeignet erscheint, Vertrauen bei Gelehrten zu erwecken, die ihre Aufgabe bei den Forschungen genau kennen, die Fragen scharf stellen und mit Vorsicht und Kritik arbeiten. Bei der grossen Ver- breitung des Mikroskops häufen sich jetzt tagtäglich Beob- achtungen auf Beobachtungen, die fast um so angenehmer werden, je mehr sie den Schein einer Entdeckung durch Wi- derspruch mit anderen oder auch selbst eigenen Erfahrungen zur Schau tragen, und die Morphologie wird so zu einer ge- räumigen Packkammer, in welcher die einzelnen Stücke bald durcheinander geworfen liegen, bald auch nach ganz unter- geordneten Beziehungen aufgestellt worden sind. Ueber die verschiedenen Aufgaben dagegen, welche durch mikroskopi- sche Untersuchungen zu lösen sind, über die Prineipien der Auffassung und Beurtheilung morphologischer Erscheinungen, die uns die ältere und neuere Zeit durch die glänzendsten Entdeckungen übergeben haben, kurzum über die leitenden Ideen und diejenigen Kriterien, die unser morpholo- ' gisches Wissen eigentlich zur Wissenschaft machen, be mert man sich meistentheils sehr wenig und scheint fast g: flissentlich eine Verständigung zu vermeiden. Darum hat Ref. es sich stets zur Aufgabe sein lassen, Gegenstände von all- gemeiner wissenschaftlicher Bedeutung für die mikroskopische Anatomie im vorliegenden Jahresberichte zu besprechen. (Vergl. die Jahresber. vom Jahre 1845, 1846, 1847, 1843 sqq.). Auch in diesem Jahre bietet dazu die Gelegenheit das von Kölliker herausgegebene „Handbuch der Gewebelehre des Menschen für Aerzte und Studirende* (mit 313 Holzschnitten. Leipzig, 1852), mit der darin enthaltenen systematischen Ein- theilung der Gewebelehre und der Anatomie überhaupt; denn zu allen Zeiten hat man in solchen Eintheilungen einen Maass- stab für den wissenschaftlichen Standpunkt der Diseiplin selbst oder wenigstens des Verfassers ihr gegenüber gehabt. Bei der Autorität, die der Verfasser durch seine Arbeiten in der mikroskopischen Anatomie sich errungen hat, dürfte seine wissenschaftliche Auffassung von der morphologischen Orga- nisation unseres Körpers und den darüber handelnden Disei- plinen nicht mit Stillschweigen übergangen werden. Kölliker hatte bekanntlich im Jahre 1850 den zweiten Band oder „die specielle Gewebelehre“ seines grösseren Wer- kes „Mikroskopische Anatomie oder Gewebelehre des Men- schen“ veröffentlicht. Das oben erwähnte „Handbuch der Gewebelehre ete.“ ist zum Theil ein Auszug aus dem grös- seren Werke, aber es enthält auch zugleich die sogenannte „allgemeine Gewebelehre“. Als Aufgabe der Gewebelehre hatte der Verfasser bereits in seinem grösseren Werke be- zeichnet: die Erforschung sowohl des Baues (Textur Ref.) 2 3 der Elementartheile, als der feineren Struktur der Organe und Systeme. Die allgemeine Gewebelehre wird in 2 Ab- "theilungen zerfällt: in die Lehre von den einfachen und zu- sammengesetzten oder höheren Elementartheilen und in die- jenige von den Geweben, Organen und Systemen im Allge- meinen. Zu den einfachen Elementartheilen gehören nach dem Verf.: a) Elementarkörner (Fetttröpfehen, Pigmentkörn- chen, überhaupt feste körnige Niederschläge der organischen Materie, Colloidkörner, Corpuscula amylacea), sog. Elemen- tarbläschen (Milchkügelehen und alle künstlich durch Hapto- genmembran entstandenen Bläschen, desgleichen die Zellen der Dottersubstanz des Hühnerdotters), endlich die etwa frei vorkommenden Zellenkerne; 5) die Elementarzellen. Letztere werden ausführlicher mit Rücksicht auf die morphologische Beschaffenheit, auf die chemische Zusammensetzung, auf die Genesis, auf die Lebensäusserungen und schliesslich in Be- ziehung auf die zwei Hauptweisen besprochen, in welchen sie nach der histologischen Metamorphose als Gewebe auf- treten; sie zeigen sich dann entweder als wahre Zellen, wie im Stratum Malpighii der Oberhaut, im Blut, Chylus, in der Lymphe, den Drüsensäften, im Fettgewebe, der grauen Ner- vensubstanz, im, Knorpel ete., oder als metamorphosirte Zellen, wie in den Hornplättchen, in den glatten Muskel- fasern, in den Linsenröhren, in den Schmelzprismen, in den Knochenzellen (angeblich verdickte Zellen mit Porenkanäl- chen), in den quergestreiften Muskelzellen des Endocardium der Wiederkäuer. Zu den zusammengesetzten Elementar- theilen werden solche organisirte Formbestandtheile gerechh- net, die aus theilweiser oder gänzlicher Verschmelzung und Verbindung von Zellen hervorgehen (Schwann’s sekundäre Zellen), wozu gezählt werden: die Kernfasern der Autoren, die orpelzellen gewisser Plagiostomen (Leydig), die Pigmentzellen der Lamina fusca, die Nervenzellennetze im Gehirn von Torpedo (R. Wagner), der Fettkörper der Le- pidopteren, ferner das elastische Gewebe, die Bindegewebs- fasern und Fasernetze und das homogene Bindegewebe, die = estreiften Muskelfasern (ohne Ganglienkörper? Ref.), die pillargefässe, die Tracheen. Die Elementartheile, bemerkt der Verf., sind aber nicht regellos im Körper zerstreut, sondern nach bestimmten Ge- setzen zu Geweben und Organen vereint, und dieses behan- delt die zweite Abtheilung der allgemeinen Gewebelehre. Mit dem Namen „Gewebe“ wird eine „konstante, in gleichen Theilen immer in derselben Weise wiederkehrende Gruppi- rung der Elementartheile“, mit dem eines Organes „eine ge- wisse Summe von BElementartheilen von bestimmter Form und Funktion“ bezeichnet (?Ref.). Die Gewebe werden dann, je nachdem nur einerlei Formelemente in ihnen vorkom- men oder mehrfache Elemente und selbst Organe (!Ref.) Ar 4 an ihrer Bildung sich betheiligen, in einfachere oder zusam- mengesetztere Gewebe, obschon nicht mit strenger Durch- führung, unterschieden. Zu den einfachen Geweben gehören: das Oberhautgewebe (die verschiedenen Epithelien Ref.), das Knorpelgewebe, das elastische Gewebe, das Bindegewebe; zu den zusammengesetzten: das Knochengewebe (richtiger wohl die Knochensubstanz Ref.) die glatten Muskelfasern (!R.), die quergestreiften Muskelfasern, die Nervenröhren und Nervenzellen, das Gewebe der echten Drüsen und das der Blutgefässdrüsen. Die Organe zerfallen in ähnlicher Weise, wie der Verf. sagt, in einfachere und zusammengesetztere. Zu den einfacheren werden gerechnet: die Horngebilde ohne Matrix, die wahren und elastischen Knorpel mit dem Peri- chondrium, die elastischen Bänder mit Bindegeweben, Ge- fässen und Nerven, die Sehnen, Bänder, echten fibrösen Häute und Faserknorpel; zu den zusammengesetzteren: die glatten Muskeln und Muskelhäute, die quergestreiften Mus- keln, die Nerven, Ganglien und höheren Centraltheile des Nervensystems (also wohl das Nervensystem im speciell- anatomischen Sinne Ref.), die Gefässe, die Knochen und Zähne mit den dazu gehörenden weichen Theilen, die Blut- gefässdrüsen, die echten Drüsen, die einzelnen Organe des Tractus intestinalis, die höheren Sinnesorgane. Die Organe endlich treten noch zu besonderen Systemen zusammen, un- ter welchen sich unterscheiden lassen: das System der äus- seren Haut, das Knochensystem mit den Bändern, das Mus- kelsystem des Stammes und der Extremitäten, das Nerven- system mit den höheren Sinnesorganen, das Gefässsystem, das Darmsystem zugleich mit dem Athmungsapparat ete., das uropoetische System mit dem Geschlechtssystem. Nachdem Kölliker in dieser systematischen Eintheilung seine Ansicht über die Organisationsverhältnisse des menschlichen Körpers explieirt hat, wird in der allgemeinen Gewebelehre eine kurze Beschreibung der oben benannten einfachen und zusammen- gesetzteren Gewebe gegeben, unter welchen die Fettzellen, das sternförmige Pigmentkörperchen,, Blut u. s. w. keine Stelle gefunden haben, während in der speziellen Gewebelehre die sogenannten Organe und Systeme, jedoch nicht gesondert, sondern so ziemlich nach der gebräuchlichen Eintheilung der speziellen Anatomie abgehandelt sind. Das Unvermeidliche ist, wie man sich wohl leicht über- zeugt, gekommen. Als Kölliker die von ihm sogenannte spezielle Gewebelehre seines grösseren Werkes veröffentlicht hatte, sind sicherlich viele Forscher mit dem Referenten dar- auf gespannt gewesen, was die allgemeine Gewebelehre brin- gen würde; denn es war offenbar, dass der Verfasser die Histologie nicht allein in einem bisher ungebräuchlichen Sinne aufgefasst hatte, sondern es liess sich aus dem Gegebenen auch in keiner Weise der etwa vorhandene, leitende, wissen- 5 schaftliche Gedanke herauslesen und voraussehen. Der all- emeine Theil ist nunmehr erschienen; allein das Räthsel ist omöglich noch verwickelter geworden. Wir haben bisher in der Anatomie zwei Diseiplinen, die allgemeine und spe- zielle Anatomie unterschieden. Diese Eintheilung hat nicht den Sinn, dass die allgemeine Anatomie das abgezogene All- gemeine aus der speziellen Anatomie zu erläutern habe, son- dern beide Diseiplinen haben gewissermassen ein verschie- denes Gebiet zu durchwandern, und beide haben wiederum und grade deshalb -auch ihren allgemeinen und speziellen Theil. Die Lehre von der Zelle bildet so heut zu Tage den allgemeinen Theil in der allgemeinen Anatomie, während die einzelnen histologischen Formelemente in dem speziellen Theile besprochen werden. Die spezielle Anatomie erläutert im allgemeinen Theile das Allgemeine des Drüsenbaues u.s. w. Die erste Unterscheidung zwischen allgemeiner und spezieller Anatomie ist sehr alt; sie ist enthalten in der Auf- fassung der Partes similares und dissimilares. Bichat nannte die allgemeine Anatomie die Lehre von den organischen Ele- menten, aus welchen die Bestandtheile unseres Körpers be- stehen, und verglich sie mit den chemischen Elementen. Seine organischen Elemente sind die bekannten 21 Gewebe; die allgemeine Anatomie hiess nun auch Histologie, später wegen des nothwendigen Gebrauches des Mikroskopes „die mikro- skopische Anatomie.“ J. F. Meckel hat den Unterschied der allgemeinen und speziellen Anatomie sehr treffend mit der Lehre von den entfernteren und näheren Bestandtheilen des Körpers bezeichnet. Obige Eintheilung der Anatomie möchte indess ursprünglich wobl mehr ein empirisches und praktisches Bedürfniss befriedigt haben, als dass man sich der wissenschaftlichen Basis klar bewusst gewesen wäre; diese wurde erst durch Studien in der Entwickelungsgeschichte en: Seit C. F. Wolff und namentlich K. E. v. Bär en Organismus seiner Entwickelung gemäss als ein mor- phologisches System auffassten und in der Gliederung des- selben Hauptbestandtheile (Primitiv-Organe), diesen etwa untergeordnete und Endglieder (histologische Elementar-Theile), desgleichen in der Entwickelung des Organismus die primäre, sekundäre und histologische Differenzirang oder Sondirung unterschieden, erhielt die mehr empirische Basis einen be- riffsmässigen, wissenschaftlichen Gehalt. Nicht nach dem ockeren Gebrauch und der unbestimmten Bedeutung der Worte „Elementartheile, Gewebe, Organe, System“, sondern mit Rücksicht auf die Gliederung des Systems lassen sich in dem komplizirteren Organismus, wie es der Wirbelthier- körper ist, drei Kategorien von Pormbestandtbeilen unter- scheiden: 1. Die Primitivorgane, deren Formverhältnisse mit Beziehung auf den Gesammt -Organismus konstruirt werden, zu denen unter anderen gehören: das Centralnervensystem, 6 das Hautsystem, das Wirbelsystem mit Hart- und Weich- Gebilden, das Darmsystem ete. 2. Die etwa vorhandenen untergeordneten Bestandtheile der Primitivorgane, deren Form- verhältnisse nach der ein- oder mehrfachen Gliederung der Primitivorgane zu beurtheilen sind, und zu denen im Bereiche des Centralnervensystems gehören würden: Gehirn und Rük- kenmark und weiterhin die Abtheilungen in diesen. Man hat diese Bestandtheile bald Organe, bald Gewebe und wohl auch Systeme genannt; man könnte für sie allgemein den Ausdruck „organologische Bestandtheile* wählen. 3. Die Endglieder oder letzten organisirten Formbestandtheile des Organismus, die sich nicht weiter im Sinne der Gliederung des organisirten morphologischen Systems zerlegen lassen. Diese Gebilde sind unter den Namen „histologische Form- bestandtheile, Elementartheile, organisirte Formelemente, auch Gewebe“ bekannt; für sie bot die Lehre der elementaren, organischen Zelle die Grundlage zu einer wissenschaftlichen Behandlung dar*). Die genaue Durchführung dieses wissen- schaftlichen Planes hat bei unseren mangelhaften Erfahrungen noch viele Schwierigkeiten zu überwinden. Allein — worauf es hier zunächst ankommt — man übersieht doch leicht, dass jede oben beschriebene Kategorie von Formbestandtheilen des Körpers, unerachtet gewisser allgemeiner und gemein- schaftlicher Beziehungen, auch ihre wohl begründeten eigen- thümlichen besitzt und dem entsprechend zu behandeln ist. Die Aufgabe der speziellen Anatomie ist es bisher gewesen, sich mit den Formen der ersten beiden Kategorien von Be- standtheilen zu beschäftigen, wobei es ganz gleichgültig ist, mit welchem Instrumente die Erfahrungen gesammelt werden. Die allgemeine Anatomie dagegen hat es mit den Endgliedern des morphologischen Systems zu thun, In diesem Sinne hat *) Da es meine Absicht ist, die verschiedene Aufgabe und den wesentlichen Unterschied der allgemeinen und speziellen Anatomie hervorzuheben, so habe ich auf ein anderes, in der ausgebreitetsten Weise im Körper vorkommendes Formverhältniss keine Rücksicht ge- nommen. Schon von Bär unterschied unter den Bestandtheilen des Körpers die sogenannten „morphologischen Elemente und Abschnitte“, die durch „morphologische Sonderung“ gebildet werden sollen. Dahin gehören die einzelnen Abtheilungen des Wirbelsystems; man kann dazu rechnen: die einzelnen Abtheilungen einer zusammengesetzten Drüse und überhaupt jede mehr locker oder innig vereinte Aggregation von gleichen Formbestandtheilen. Sie entstehen aber nicht, wie v. Bär angiebt, durch Sonderung oder Differenzirung, sondern durch Wachs- thum, Vermehrung oder, wie Ref. es in seiner Schrift „die monogene Fortpflanzung“ genannt hat, durch organologische Zeugung. Man dürfte diese Gebilde gegenüber den durch die Gliederung des Systems gegebenen und durch Differenzirung hervorgegangenen Formbestand- theilen des Körpers mit dem Namen „Asgregations-Gebilde* bezeich- nen können. Solche Aggregations- Gebilde finden sich reichlich unter allen drei Kategorien der Sondirungs-Formbestandtheile. 7 auch Schwann die Aufgabe der allgemeinen Anatomie ge- fasst (Mikrosk. Unters. p. 72 sq.), und auch Henle hat sich nicht weit davon entfernt, wenn man namentlich die Schwie- rigkeiten berücksichtigt, die sich der praktischen Lösung der selbst klar erkannten Aufgabe entgegenstellen*). Ein wissen- schaftlich nicht ganz zu billigendes Verfahren ist es gewesen, dass einige Schriftsteller in das Gebiet der allgemeinen Ana- tomie auch allgemeine Fragen aus der speziellen Anatomie hineingezogen haben, wie z. B. Allgemeines über den Drü- senbau, über Häute u. s. w. Kehren wir nach obigen Erläuterungen zu Kölliker’s Schriften und seinem morphologischen System zurück, so muss es zunächst auflallen, dass der Verfasser, obgleich er die ganze Anatomie des Menschen behandelt, die Namen „allgemeine und spezielle Anatomie“ vermieden und statt dessen ausschliesslich die Namen „mikroskopische Anatomie“ *) Schwann sagt p. 72 seiner „Mikroskop. Unters. ete.“, dass die wissenschaftliche Eintheilung der allgemeinen Anatomie diejenige sei, welcher der mehr oder weniger hohe Grad von Entwickelung, welche die Zellen zur Bildung eines Gewebes eingehen müssen, zur Grund- lage dient, und hat mit diesen Worten bereits angedeutet, dass die Zellen den Ausgangspunkt für die wissenschaftliche Auffassung der histologischen Formelemente gewähren. Die systematische Zergliede- rung des Körpers führt auch in der That auf histologische Formele- mente zurück, die entweder aus einer Zelle oder aus einer Summe von Zellen mit oder olıne Betheiligung von Intercellularsubstanz her- vorgegangen sind. (Vergl. Jahresbericht vom Jahre 1846; Müll. Arch. 1847. p.1.sq). Es giebt also auch „mehrzellige histologische Form- elemente“, die aber ihre Natur als Endglieder in dem morphologischen System dadurch erweisen, dass beim Versuch einer weiteren Zerglie- derung keine Differenzen in den Bestandtheilen mehr hervortreten, und dass vielmehr alle Zellen einen und denselben histologischen Ent- wickelungsprozess gemeinschaftlich mit einander durchgemacht haben, wie bei den Gebilden der Bindesubstanz, bei den Epithelien und an- deren. — Hält man, wie es die Wissenschaft verlangt, an dem er- wähnten Ausgangspunkt für die Auffassung und Beurtheilung der histologischen Formelemente fest, so wird es verständlich, dass man Faser-Gebilde, bei deren Bildung Zellen nicht direkt betheiligt sind, wie z. B. lange, dünne Knochen, ferner Fasern, die beim Gerinnen des Fibrins, beim Zerfallen der Grundsubstanz des hyalinen Knorpels entstelien, nicht mit solchen Fasern zu verwechseln habe, die im histologischen und histogenetischen Sinne unmittelbar aus Zellen her- vorgehen. Auf diesen Unterschied hat Ref. schon seit Jahren aufmerk- sam gemacht, und auch neuerdings (Müll. Archiv. 1852. p. 522 sq.); ebenso früher (Müll. Arch, 1848. p. 2.). Henle, der diesen Unter- schied erst neuerdings begriffen hat (Jahresb. vom Jahre 1852. p. 21 sq.), meint, dass man sich dadurch nicht werde abschrecken lassen, jede Faser, gleichviel, wie sie entstanden, mit diesem Namen zu bezeich- nen. Dagegen lässt sich natürlich Nichts weiter einwenden, wenn man nur sonst keine Verwirrung macht und den wissenschaftlichen Standpunkt der allgemeinen Anatomie nicht verlüsst 8 oder noch häufiger „Histologie“ gebraucht hat. Ein ähnliches Verfahren haben auch andere, neuere Schriftsteller einge- schlagen, so z.B. Gerlach in seinem Handbuch der allge- meinen und speziellen Histologie des Menschen. Man kann seine Bedenken darüber haben, ob die Ausdrücke „allgemeine und spezielle Anatomie“ passend und ihrer gegenwärtigen Bedeutung entsprechend gewählt seien; es ist auch nicht zu leugnen, dass ein gewisses Bedürfniss vorliege, den Ausdruck „mikroskopische Anatomie“, der erst später für die „allge- meine Anatomie“ gesetzt wurde, in einem weiteren Sinne zu gebrauchen und auf alle morphologischen Kenntnisse zu be- ziehen, die mit Hilfe des Mikroskops gewonnen werden, was begreiflicher Weise ohne Beeinträchtigung der wissenschaft- lichen Unterschiede der einzelnen morphologischen Diseipli- nen geschehen kann. Allein es ist wissenschaftlich nicht er- laubt, ein Wort, wie „Histologie“, das in einer bestimmten, wissenschaftlichen Bedeutung angewendet wird, für eine an- dere Diseiplin zu gebrauchen, die bereits ihren eigenen be- stimmten Namen aufzuweisen hat. Die Verwirrung wird aber noch grösser, wenn man alsdann die Histologie in 2 Theile eintheilt, in die allgemeine und spezielle Histologie, welche der allgemeinen und speziellen Anatomie entsprechen sollen, in Wirklichkeit aber weder ganz das Eine, noch ganz das Andere sind, wovon man sich leicht beim Studium der ge- nannten Kölliker’schen Schriften überzeugen kann. Hier zeigt sich leider, dass mit der Verwechselung der Namen auch die wissenschaftlichen Begriffe untergegangen sind. In Betreff des von Kölliker aufgestellten Systems der Formbestandtheile des menschlichen Körpers liessen sich zwar manche Bedenken gegen die Angaben von der Beschaf- fenheit und Entwickelung einzelner Gebilde geltend machen, doch soll uns hier nur die Frage beschäftigen, nach welchen Prinzipien der Verfasser verfahren sei. Hier wird es nun sofort offenbar, dass der einzige wissenschaftliche Weg, der den Morphologen, wie oben gezeigt wurde, durch die Er- gebnisse der Entwickelungsgeschichte dargeboten wird, von Kölliker nicht betreten ist, und dass das System der Form- bestandtheile nicht durch Zergliederung gewonnen, sondern durch künstlichen Aufbau nach willkürlichen Prinzipien zu- sammengesetzt wurde. Man wird auf diesem Wege allmälig von Elementartheilen zu einfachen und zusammengesetzten Geweben, desgleichen zu Organen und endlich zu den näch- sten Bestandtheilen des Körpers, zu den sogenannten Sy- stemen geführt. Allein, welche bunte Reihe bilden nicht die angeführten Elementartheile?*) Welches ist der Unterschied *) Man vergleiche über die verschiedene Bedeutung und Anwen- dung der Worte „Elementartheil“, „Gewebe“ den Jahresbericht vom Jahre 1846. (Müll, Arch, 1847). 9 zwischen einem einfachen und zusammengesetzten Gewebe, wenn zu den letzteren die glatte Muskelfaser-Zelle gerechnet wird? Warum werden bei einer und derselben Kategorie von Bestandtheilen Nerven und Gefässe bald hinzugenommen, bald auch nicht? Welches sind die Kriterien zur Unterschei- dung der zusammengesetzten Gewebe, Organe und selbst der Systeme von einander? Das System des Verfassers beginnt willkürlich mit körnigen Niederschlägen, baut sich durch künstliche Bläschen eine Brücke zur elementaren, organischen Zelle und endet mit nächsten Bestandtheilen des Körpers nach den Kapiteln in den Handbüchern über spezielle Ana- tomie, von denen es doch längst bekannt ist, dass sie nur zum Zweck des Studiums für Anfänger so eingerichtet wor- den sind. Manches Räthselhafte in dem Verfahren des Verfassers wird uns übrigens begreiflich, wenn man die Grundsätze kennt, welche derselbe mit Rücksicht auf die Zusammenstellung von Geweben in der Abhandlung „Ueber die Entwickelung der sogenannten Kernfaser, der elastischen Faser und des Binde- gewebes“ (Verhandl. der physik.-medicinisch. Gesellsch. in Würzburg. 1852. p. 1—7) niedergelegt hat. Es ist diese Ab- handlung besonders gegen die, von Virchow, Donders und dem Ref. vertretene Ansicht über die Verwandtschaft der verschiedenen Bindesubstanz-Gebilde gerichtet. Will man, sagt Kölliker, die Gewebe richtig auffassen, so muss man vor Allem die Gewebe zusammenstellen, die in Genese, Form, chemischer Zusammensetzung und Funktion überein- stimmen, wie die ungestreiften Muskelfasern u.s. w. Gegen die Richtigkeit dieses Satzes ist wahrlich Nichts einzuwen- den; aber es versteht sich auch wohl von selbst, dass man nicht die verschiedenen Exemplare eines und desselben Din- ges für verschiedene Dinge ausgebe. (Ref.) Sodann, bemerkt der Verfasser, folgen diejenigen Gewebe, die bei gleichen Anfängen der Entwickelung (d. h. histologischer Entwicke- lung, da sonst die verschiedensten Gebilde durch die Zellen einen gleichen Ausgangspunkt hätten, Ref.) später dadurch auseinandergehen, dass die einen in der Metamorphose län- ger fortgehen, als die anderen, wie die markhaltigen und marklosen Nervenröhren u. s. w. Solche Gewebe sind na- türlich, worauf auch Ref. in seiner Schrift (Bemerkung. zur vergleich. Naturf. Dorp. 1845) hingewiesen, nicht identisch, sondern genetisch verwandt. — Ist ferner die Genese ver- schieden, aber die Form oder die Funktion oder die chemi- sche Beschaffenheit jede für sich oder alle gleich, so könne man die Gewebe wohl zusammenstellen und in gewissen Be- ziehungen einander gleich erklären, jedoch nicht für identisch. Dieser Satz ist nicht verständlich. Denn zunächst handelt es sich bei Gruppirung von Geweben nicht um identische, sondern um ähnliche und verwandte Gebilde in Grundlage 10 I eines wesentlich übereinstimmenden Bildungsgesetzes; ferner ist es nicht zu begreifen, wie bei verschiedener Genese die Form oder die Funktion oder die chemische Beschaffenheit der Gewebe gleich sein könne, es sei denn, dass man es mit allen diesen Verhältnissen ganz oberflächlich nehme; und endlich ist es unmöglich, dass bei Uebereinstimmung der Gebilde in Form, Mischung und Funktion die Genesis ver- schieden sein könne. Denn man mag sich über den Vorgang des Entwickelungsprozesses eine Vorstellung machen, welche man wolle, soll aber der wissenschaftliche Boden unter un- seren Füssen nicht gänzlich vernichtet werden, so muss man von der Ueberzeugung durchdrungen sein, dass eine jede Entwickelungsveränderung das nothwendige Produkt gesetz- lich bestimmter, konkurrirender Faktoren sei, dass hierbei Form und Mischung mit den daraus resultirenden Leistungen unzertrennlich Hand in Hand gehen, und dass eine Ueber- einstimmung in einer Beziehung auch die in allen übrigen nach sich ziehe, oder umgekehrt. — Obgleich übrigens Köl- liker im Allgemeinen bei Gruppirung der Gebilde nach ihrer wirklichen Verwandtschaft einen grossen Werth auf die Genesis legt, so werden doch in der Folge die merkwürdig- sten Zweifel gegen ihre Gültigkeit von ihm erhoben. Denn der Ausgangspunkt der wichtigsten, physiologischen Organi- sationen, so schreibt der Verfasser, seien gleichartige Bil- dungszellen; mithin seien alle Gewebe eigentlich im An- fange gleich (!!Ref.); ja, man wird mit Rücksicht auf die, in embryonalen und pathologischen Geweben oft minder deut- liche Ausprägung von Zellen zur Annahme geneigt sein (?Ref.), selbst die Grenze zwischen den aus Zellen und schleimarti- gen Massen sich entwickelnden Theilen nicht so unübersteig- bar zu setzen, dass nicht vielleicht später Bindeglieder sich ergeben und Uebergänge sich finden, die alle unsere Systeme zu Schanden machen (!). Man möchte vermuthen, dass der Verf. nach irgend welchen Trostworten für diejenigen gesucht habe, welche die von ihm konsequent künstlich auseinander gerissenen, verschiedenen Gebilde der Bindesubstanz ver- wandtschaftlich zu vereinigen bemüht gewesen sind. Das dargebrachte Opfer ist aber zu gross und zu kostbar für die wissenschaftliche Morphologie! Mit solchen Ansichten ist es unschwer, alle Differenzen in der organischen Natur zu ver- nichten; mit solchen Ansichten lassen sich keine morpholo- gischen Systeme wissenschaftlich aufbauen. Jos. Engel, angeregt durch die Untersuchungen der Botaniker über die Gesetze der Blattstellung, namentlich durch Naumann’s Arbeit über den Quincunx als Gesetz der Blattstellung, hatte sich zur Aufgabe gestellt, die Ge- setzmässigkeit der Stellung und Lage der Zellen- kerne in thierischen Fasern und Röhren genauer zu ermit- teln, Der Verf, hoffte anfangs in der Kernstellung einen 2 1l üssel zur Auffindung der Gesetze der Aststellung in den apillaren zu finden; diese Ansicht erwies sich jedoch bald als unhaltbar. Dann wurde geprüft, ob nicht die Kerne an den Capillaren und den quergestreiften Muskelfasern dem Gesetze des Quincunx entsprechend geordnet seien; aber auch diese Arbeiten führten zu keinem befriedigenden Resul- tate. Gleichwohl bemerkte der Verf. insbesondere bei den willkürlichen Muskelfasern, dass die Grösse des Interstitium oder des Interyalles zwischen zwei neben- oder hintereinan- der gelagerte Kerne mit der Breite oder Länge der Kerne im gewissen Zusammenhange standen. So ergab sich öfters bei einer Kernlänge von 0,0003 P.L. die Länge des Inter- valls = 0,0005 P.L., bei einer Kernlänge von 0,0005 P.L. die Länge des Intervalls = 0,0009 P.L., und es war somit nach der Ansicht des Verf. der Schiüssel für das Gesetz der Kernstellung gefunden: das Intervall zwischen zwei Kernen von gleicher Länge ist gleich der doppelten Länge des Kerns minus der Einheit, d.h. J=2K-1l. Denkt man sich nun- die thierische Faser in Zellen zerlegt, so würde jede er Zellen mit ihrem Kern durch die Formel Z=3K-1 usgedrückt sein, in welcher Z die Länge der ganzen Zelle und K die Länge des ganzen Kernes in demselben Durch- messer bedeutet. Die Formel J=2K-1 hat auch ihre Gel- tung, wenn die Zellen (wie z.B. in einem Capillargefäss mit zwei im Querdurchmesser gelegenen Kernen) neben einander liegend gedacht würden, nur dass statt der Länge die Breite der Kerne in Betracht zu ziehen wäre; also J= 2B-1l, worin B die grösste Breite eines Kernes bedeutet. Diese Berech- nungen haben jedoch nur in der Voraussetzung ihre Gültig- keit, dass die Länge oder die Breite der zu vergleichenden Kerne vollkommen gleich sind, und dass die Kerne die Mitte der Zelle (mittelständig) einnehmen; solche Zellen oder Fa- serzellen werden bipolar genannt. Zahlreiche Beobachtungen überzeugten aber den Verf., dass man auch andere Lage- v ltnisse der Kerne in den Zellen supponiren müsse. Die können nämlich auch an das Ende der Zelle gerückt d solche Zellen mit endständigem Kern heissen uni- erbinden sich Zellen miteinander, die entweder bi- unipolar sind, so nennt dies der Verf. eine gleich- bination. Ausserdem werden doppelsinnige und ige Kombinationen unterschieden; im ersteren Falle et sich eine unipolare Zelle mit einer bipolaren, im zweiten liegen die Kerne unipolarer Zelle so, dass sie von der Vereinigungsstelle zweier Zellen entweder abgewendet sind, oder dieselbe unmittelbar berühren, welches letztere einer Verschmelzung zweier Kerne gleichzusetzen sei. Die Formel für die Intervalle lässt sich nach diesen Kombina- tionen leicht abändern. Engel bemerkt, dass sich zwar a priori Nichts dagegen einwenden liesse, auch noch andere 12 Stellungen des Kerns in der Zelle anzunehmen, die Erfahrung gegen das Vorkommen derselben im der thierischen Fasern spräche. Liegen ‚mehrere K einer Faser oder in einem Capillargefässe, in eine Linie hintereinander, so wird dafür der in der Bot: bräuchliche Name „Orthostiche“ gebraucht, ‘und sind die betreffenden Kerne von gleicher Länge, so heiss Kombination eine „Grundkombination“. Die Kerne aber auch verschiedene Längen haben, und dann heisst die Kombination von der 1., der 2., ete. Ordnung, je nachdem die Differenz der Kernlängen 1, 2 ete. Be Der Verf. hat nach der Gleichung Z = 3K-1 die Längen der Faserzellen für jede beliebige Kernlänge berechnet und die betreffende Tabelle (p. 15) beigefügt. Hierbei zeigt sich, dass, während die Kernlängen eine arithmetische Reihe mit der Differenz 1 bilden, die "Zellenlängen gleichfalls in einer arithmetischen Reihe, aber mit der Differenz 3 wachsen. Des- gleichen giebt die Formel das auffallende Resultat, dass für eine Kernlänge von 0,00005 P. Z. Zelle und Kern ein: gleich sind; @. h. Kerne von dieser Grösse besitzen keine sie umhüllende Zelle (). In der Folge werden dann von den verschiedenen Geweben (von den gestreiften und ungestreiften Muskelfasern, vom fötalen Bindegewebe, von Knochen, Capillargefässen ete.) die gefundenen Maasse der Kernlängen und der Intervalle zwischen ihnen mitgetheilt und mit denen, die nach den Formeln berechnet waren, ver- glichen. Obgleich nun durch die oben erörterten, verschie- denen Kombinationen ein ziemlich weiter Spielraum für die Anwendung der Formel dargeboten wurde, so fanden sich doch schon bei den willkürlichen Muskeln eine nicht unbe- deutende Anzahl von Intervallen vor, die nach dem bishe- rigen Systeme gar nicht zu deuten waren; die Intervalle zeigten sich nämlich entweder durchaus zu klein oder um ein Bedeutendes zu gross. Der Verf. glaubt diese Anomalien dadurch erklären zu können, dass” bei der widersinnigen Kombination zwei Kerne so dicht aneinander zu liegen kon men, dass sie auch wirklich verschmelzen, oder dass gänzlieh resorbirt werden, oder, dass die Kerne gewissen Höhe der Entwickelung stehen bleiben, die Faser weiter fortwächst, was namentlich zwe der ungestreiften Muskelfaser der Fall sei; oder auch, ein Wachsthum der Kerne ohne entsprechende Grössenzu- nahme der Intervalle, also ohne Wachsthum der Faser, ja dass Neuentstehung von Kernen ganz ohne entsprechende Fasertheile gegeben sein könne. Alle diese Annahmen deck- ten gleichwohl nicht alle vorkommenden Anomalien, und der Verf. sah sich genöthigt, auch eine Störung durch „Influenz“ der Kerne aufeinander zu statuiren, sei es, dass diese Kerne zwei nebeneinander liegenden Orthostichen einer und dersel- such n in eine gewisse Gesetzmässigkeit auflösen lassen. Dieses allgemeine Wachsthumsgesetz wird durch die Formel 7 = nK-(n-1)0,5 = n(K-0,5)+0,5 ausgedrückt. In dieser For- mel bedeutet Z die Länge einer Zelle oder die zu einem Kern gehörigen Faser, K die Länge eines Kerns, und n jede ganze Zahl, die grösser als die Einheit ist, jedoch erfahrungsgemäss nie über 8 steigt. Die Formel Z=3K-1 ist hiernach nur ein besonderer Fall des allgemeinen Wachsthumsgesetzes für Zellen und Fasern. Schliesslich wendet sich der Verf. zur Untersuchung der Wachsthumsverhältnisse isolirter Zellen, und findet dazu am günstigsten die cylindrischen flimmernden und flimmerlosen Epithelialzellen. Es zeigte sich auch hier, dass das Längen- verhältniss der Zelle zu der Grösse des Kernes in derselben Richtung, wie unmittelbare Messungen ergeben, durch die Formel Z = n(K-0,5)+0,5 auszudrücken sei. Jedoch sei da- bei festzuhalten, dass der immer an der Zellwand haftende (?R.) Kern nicht blos pol- oder mittelständig, sondern in jeder beliebigen Lage innerhalb der Zelle sich vorfinden könne. Die Beobachtungen erwiesen ferner, dass der Koeffi- cient n in obiger Formel stets über 1, sehr selten über 5 hinausgehe. Für etwa 10 Proc. der Zellen betrug n = 2, für - 31 Proc. war n=3, für 38 Proc. war n=4; für 20 Proc. war n=5. Bei grösseren Kernen soll während des Wachs- thums der Zellen ein „Systemwechsel*“ eintreten; d. h. der Koeffieient n, welcher anfangs einen höheren Werth hatte, erhält bei fortgesetzter Entwickelung einen kleineren Werth. Auch finde man nicht selten, dass Zellen bis zu einer ge- wissen Grösse nach den beiden entgegengesetzten Seiten des Kernes die Incremente ansetzen, dass dagegen weiterhin der Zuwachs nur an der einen Seite des Kerns mit unveränderten efficienten erfolge; der Verf. nennt diese Erscheinung zum erschiede von dem früher erwähnten einseitigen Wachs- en „Polwechsel“. Da nun schon im Allgemeinen die etrische Anordnung der Basis und Spitze einer Oylin- derzelle um ihren Kern eine ganz seltene ist, so wird durch den Polwechsel die Asymmetrie noch vermehrt; sie hat zur er eolieken Folge, dass die Länge des Basaltheiles der elle jene der Spitze bedeutend übertrifft. Die Messungen haben übrigens ergeben, dass die Cylinderepithelien ohne ilien gewöhnlich mit kleineren Kernen versehen sind, als Flimmerzellen. Wie die Cylinderzellen, so sollen sich während des ersten Wachsthums auch die Lieberkühn’schen % senschläuche des Darms verhalten, welche nach dem einer einzigen Zelle sich entwickeln (!R.). ngel hat auch den Versuch gemacht, das Verhältniss urchmessers der Kernkörperchen zum entsprechenden :chmesser des Kerns durch Formeln und Zahlen festzu- stellen. Ref. glaubt indess, dass obige Mittheilungen genü- gen, um das löhternehmen des Verfassers, sowie die daraus hervorgehenden Leistungen und Fortschritte für unsere Dis- eiplin zu beurtheilen. Formeln und Zahlen haben nur Werth, wenn die Grundlagen, auf die sie zu beziehen sind, klar vor- liegen. Die vom Verf. supponirte Genesis und Textur der quergestreiften Muskelfaser, der Capillargefässe ete. ist gleich- wohl nicht erwiesen. Ganz falsch sind ferner die glatten Muskelfasern behandelt, bei welchen die Intervalle der Kerne verschiedener Fasern gemessen und nachher wie zu einer Faser gehörig betrachtet wurden. Wenn unter solchen Um- ständen die allgemeine Wachsthumformel der Zellen dennoch überallhin passend sich erweiset, so geht daraus hervor, dass sie eine sehr geschmeidige Natur besitzen muss, namentlich bei den zahlreichen Auswegen, die durch andere unerwiesene Suppositionen ihr dargeboten sind. („Das Wachsthumsgesetz thierischer Zellen und Fasern und die Kernstellung in den- selben“. Sitzungsberichte der math.-naturwissensch. Klasse der Kais. Akad. zu Wien; Bd. VII. p. 7—149.). Von allgemeinem Interesse für die mikroskopische Ana- tomie ist die Frage über die chemische Umsetzung eiweissartiger Stoffe in Fettsubstanz geworden. Das Fett ist ein steter Begleiter thierischer normaler und patho- logischer Neubildungen; es zeigt sich auch oft in grosser Masse unter dem Hinschwinden vorzugsweise eiweissartiger Formbestandtheile (Fettmetamorphose); die Entscheidung obi- ger Frage ist daher von Wichtigkeit für die richtige Würdi- gung etwa vorliegender, diesen Gegenstand betreffender Er- scheinungen. R. Wagner hatte bekanntlich auch gehofft, durch mikroskopische und chemische Untersuchung derjenigen Veränderungen, welche in thierische Körper eingeführte, mög- liehst fettfreie, eiweissartige Substanzen nach längerer Zeit erleiden, die bezeichnete Kontroverse zu entscheiden. In diesem Sinne sind neuerdings Versuche von A. Middeldorpf (Zeitsch. für klinische Mediein; Bd. III, Heft I. p. 59.), Don- ders (Nederlandsch Lancet 3 Ser., 1 Jaarg. No. 9 und 103, F. G. Burdach (Experim. quaed. de commutatione subst. prot. in edipem. Diss. inaug. Regiom. 1853.) und von Hus- son (Nachrichten der Königl. Gesellsch. der Wissensch, zu Götting. 1853, Nr. 5.) angestellt worden, j Middeldorpf hebt zunächst die Momente hervor, auf die bei solchen Versuchen zu achten sei; man habe zu Taler suchen, ob das Fett in jenen, gleichsam einem Thierbade längere Zeit ausgesetzten, fremden Geweben von der Um- R m 15 gebung hineingekommen sei, oder in dem Implantirten sich neu gebildet habe, oder endlich, ob es als der mehr wider- standsfähige Rückstand nach Resorption der übrigen Gewebe- theile angesehen werden müsse. Der Verf. machte seine Versuche mit Knochenstückchen nach Entfernung der Bein- haut und mit Fragmenten vom Rippenknorpel eines Kalbes, die in die Bauchhöhle von Tauben eingeführt wurden. Als Resultat ergab sich, dass auch Knochen und Knorpel nach etwa 10 Wochen nach erfolgter Maceration mehr oder weni- ger resorbirt und wahrscheinlich von den Umgebungen her mit Fett durchsetzt werden, welches selbst in die sternför- migen Knochenkörperchen eingedrungen war. — Donders hatte Sehnen, Knorpel, die Substanz der Hornhaut u. s. w. in die Bauchhöhle von Thieren gebracht und dabei die Be- merkung gemacht, dass ausschliesslich der Zellinhalt bei der Fettmetamorphose betheiligt sei; sie blieb grade da aus, wo Zellenhöhlen fehlen. — Burdach hat seine Versuche schon genauer auf die Frage eingerichtet, ob eiweissartige Substanz sich in Fett umsetze, auch dann, wenn der Zutritt von Aussen her unwahrscheinlich, oder wohl gar unmöglich ge- macht würde. Als ein nicht unpassendes Objekt zu derarti- gen Experimenten zeigten sich die Eier z.B. von Limnaeus stagnalis, welche sich im Wasser entwickeln, und die zu ver- schiedenen Zeiten der Entwickelung auf den Fettgehalt ge- prüft werden konnten. Es ergab sich, dass der Fettgehalt in der Eiermasse von Limnaeus stagnalis während der Entwicke- lung faktisch zugenommen hatte. Hiernach war zu schliessen, dass dieses unter den gegebenen Umständen nur auf Kosten des gleichzeitig verminderten Eiweissgehaltes erfolgt sei. Es wurden Aarauf hin zwei Versuche angestellt, und beide er- gaben, dass der Fettgehalt einer bestimmten Eiermasse um die Zeit des Furchungsprozesses gegen Ende der Entwicke- lung fast um das Zweifache sich vermehrt hatte, und dass gleichzeitig der Eiweissgehalt (mit Einschluss der die Eier umhüllenden Gallertmasse) verringert war. Mit dem Fette hat sich auch der Salzgehalt vergrössert, und der Verf. fügt hinzu, dass, wenn dieser Zuschuss der Salze von ausserhalb in die Eiermasse eingedrungen war und nicht während der Entwickelung sich aus dem Albumen befreit hätte, die Ver- ringerung des Eiweissgehaltes grade soviel betragen würde, als der Zuwachs an Fettgehalt. Die Unsicherheit in Betreff des letzteren Punktes, so wie die geringe Zahl der Versuche möchten vorläufig noch keinen sicheren Schluss erlauben. Sodann hat der Verf. mit gewissen, nicht unwesentlichen Modifikationen die Wagner’schen Experimente wiederholt; es wurden namentlich die Biweissstückchen und Linsen, nach- dem sie an der Luft getrocknet waren, mit Collodium, Kant- schuk, organischen Häuten luftdicht oder wenigstens voll- ständig (ohne Lücken zu lassen) eingehüllt, bevor man sie 16 zwischen thierische Theile oder in die Bauchhöhle eines le- benden Thieres einlegte; desgleichen benutzte Burdach zu seinen Versuchen nicht nur warmblütige, sondern auch kalt- blütige Thiere, Frösche und Kröten, um den Einfluss der Wärme auf den sogenannten Verfettungsprozess kennen zu lernen. Die Resultate des Verf. sind von ihm selbst in vier Sätzen zusammengefasst: Die Verfettung erfolgt auch unab- hängig von vorhandenen Zellen (Donders) an Eiweissstück- chen, die jeder Struktur entbehren; sie beginnt in der Peri- pherie und dringt, wie schon Middeldorpf hervorhebt, all- mälig gegen die Mitte des implantirten Stückes vor; sie tritt nur dann ein, wenn die organischen Säfte zum implantirten Präparate vordringen können, während die thierische Wärme allein und der Austausch der Gase durch die Umhüllungen hindurch keine Veränderungen bewirken; es lassen sich end- lich zwei Fettarten an den veränderten, implantirten Stücken unterscheiden, von denen die eine Art gelblich, käseartig ist und stets in der Umgebung des Präparates oder deren umhüllenden Kapseln angetroffen wird, die andere dagegen von mehr weisslicher Farbe in feinen Körnchen und Körner- haufen die Substanz des Präparates selbst durchsetzt. In Bezug auf den letzteren Satz bemerkt der Verf., dass die gelbe, käseartige Fettsubstanz auf keine Weise von dem Prä- parate selbst hergeleitet werden könne, da sie sich als Deck- schicht vorfinde, auch wenn das Präparat wegen der Umhül- lung mit Substanzen, die die Diffusion thierischer Säfte be- hinderten, gar keine Veränderung erlitten hatte. Da ferner die zweite Fettart in den Präparaten selbst nur dann sicht- bar wird, wenn die organischen Säfte aus den Umgebungen Zutritt finden, so möchte auch für diese die Quelle in der Umgebung und nicht in dem Präparate selbst zu suchen sein. Hiernach lässt sich wenigstens schliessen, dass die Wagner- sche Untersuchungsmethode kaum geeignet sein dürfte, die angeregte Kontroverse zu unterscheiden. — Husson hat seine Versuche im physiologischen Institut zu Göttingen an- gestellt. Augenlinsen vom Schweine und vom Menschen, desgleichen Hühnereiweiss wurden genau auf den Fettgehalt untersucht. Entgegen der Ansicht von Berzelius wurde in den Krystalllinsen stets eine gewisse Quantität von Fett vor- gefunden, die übrigens, wie es scheint, nicht nur bei den verschiedenen Arten der Thiere verschieden ausfällt, sondern auch im Bereiche einer und derselben Art nach Alter u. s. w. varürt. Die Menge des im Hühnereiweisse vorgefundenen Fettes stimmt mit den Angaben Lehmann’s überein. Die genannten Substanzen wurden theils frei, theils in Kautschuk- und Gutta-Percha-Hüllen in die Bauchhöhle einer Taube und zweier Gänse eingeführt. Nur ein einziger Versuch ist von Bedeutung. Hart gekochtes Hühnereiweiss wurde in Gutta- Percha hermetisch eingeschlossen und in die Bauchhöhle einer 17 Gans eingebracht; nach sechs Wochen zeigte sich die Form der Gutta-Percha-Kapsel unverändert und der Fettgehalt des Eiweissstückchens um 0,51 Proc. vermehrt. (Die normale Fettquantität beträgt 0,03). Ob die Kapsel noch vollkommen unversehrt gewesen, und wie sich das Eiweiss mikroskopisch verhalten habe, darüber sind keine Angaben gemacht. R. Wagner, der den Mittheilungen des Verf. einige Bemerkun- gen vorausschickt, erwähnt zugleich, dass Schrader es ver- sucht habe, die zu prüfenden Substanzen in kleine Gläser luftdieht einzuschliessen, und dann die Veränderungen zu studiren. Der erste Versuch der Art wurde freilich nicht ganz zweckmässig so gemacht, dass die mit Linsen gefüllten kleinen Probirgläschen mit Korkstöpseln verschlossen wurden. Nach zwei Monaten fand man in den Linsen bei der mikro- skopischen Untersuchung kleine Molekeln, welche für Fett gehalten wurden. Virchow, dem wir dıe erste klare Erläuterung derjeni- gen Erscheinungen verdanken, welche bei den sog. blut- körperhaltigen Zellen zu beachten sind, hat diesen Ge- enstand in Folge ergänzender Beobachtungen einer aber- malen Diskussion unterworfen. (Archiv für patholog. Anat. d Phys. Bd. IV, p. 515. 19): Der Verf. hatte bisher mit Remak, Sanderson, H. Jones und dem Ref. von der Existenz wirklicher Zellen, die zugleich unversehrte oder auch theilweise veränderte Blutkörperchen. enthalten, sich nicht überzeugen können. Neuerdings beobachtete Virchow sowohl in der Milz von Thieren und des Menschen, (doch niemals im Blute der Milzgefässe), namentlich aber in mela- notischen Krebsen und Sarkomen Körper, die er für wirk- liche, elementare Zellen halten zu müssen glaubt, und die auch unzweifelhaft eine Anzahl Blutkörperchen enthielten. Die Blutkörperchen sind innerhalb der Zellen zuweilen in einem eigenen Hohlraum eingeschlossen, der wie ein ver- grösserter Kern sich ausnimmt. In der Erklärung der Er- scheinungen geht der Verf. einen anderen Weg als diejenigen, welche früher schon wirkliche mit fertigen Blutzellen ange- füllte Zellen angenommen haben. Es sei hier nicht an eine endogene Neubildung von Blutkörperchen zu denken (Ger- lach, Engel ete.), auch nicht daran, dass ein beliebiger Haufen von Blutkörperchen nach der Klümpchen -Theorie nachträglich von einer Zellenmembran umhüllt worden sei (Ecker, Kölliker), sondern es seien die Blutkörperchen in solchen Fällen nachträglich in die schon präexistirenden Zellen eingedrungen. Virchow giebt nun zu, dass diese Anschauung wenig mit unseren bisheri en Vorstellungen har- monire, Allein bei der grossen Zartheit der Membran an den rn Mg Zellen und der Beschaffenheit der Blutkörperchen selbst wäre ein solcher Vorgang sehr wohl denkbar; auch fehle es nicht an Uebergangsstufen. Dem Re- Miüiller'» Archiv, 185% Jahresbericht. B 18 terenten erscheint die Möglichkeit dieses Vorganges wohl kaum bestritten werden zu können; aber wirkliche Zellen mit Blutkörperchen sind ihm noch nicht begegnet. Remak’s Untersuchungen über die sogenannten blut- körperhaltigen Zellen sind in seiner Abhandlung „Ueber runde Blutgerinsel und über pigmentkugelhaltige Zellen“ (Müll. Arch. 1852; p. 115 sqq.) niedergelegt. Im letzten Jahresbericht ist bereits der Auszug aus diesem Aufsatze besprochen: worden. — In ähnlicher Weise, wieRemak, hät sich auch ©. Hand- field Jones über die fraglichen Körper ausgelassen. (Lond. med. gaz. Debr. p. 104: observations on the development of the mammalian bloodglobule). Gegen die Zellenbildung im freien Cytoblastem ist R. Remak aufgetreten. („Ueber extracellulare Entstehung thierischer Zellen und über Vermehrung derselben durch Thei- lung“ Müll. Arch. 1852; p. 47 sq.). Mit Recht bemerkt der Verf., dass die exogene oder extracellulare Zellengenesis bei den Pflanzen schon längst beseitigt sei und dass ihre An- nahme bei den thierischen Zellen den Unterschied zwischen Thieren und Pflanzen trotz der ähnlichen Zusammensetzun aus Zellen beinahe grösser erscheinen lasse, als die Ueber- einstimmung; die exogene Zellenbildung sei, wie auch schon anderseitig hervorgehoben wurde, ebenso unwahrscheinlich, wie die Generatio aequivoca der Organismen. Indem Remak darauf hinweiset, dass die Zellenbildung in einem freien Cy- toblastem um freie Kerne bei normalen Bildungen schon viel- fach habe das Feld räumen müssen, und dass auch die pa- thologischen Bildungen in dieser Hinsicht keinen Unterschied von dem normalen Verhalten darlegen dürfen, werden haupt- sächlich die Ergebnisse seiner embryologischen Forschungen mitgetheilt, aus denen hervorgeht, dass die Zellen sowohl während des Furchungsprozesses, als bei ihrer Vermehrung in den embryonalen Anlagen, ebenso wie bei den Pflanzen, nur eine endogene oder intracellulare Entstehung haben. Des Verf. Beobachtungen und Ansichten über die Art und Weise, wie diese endogene Zellenbildung von Statten gehe, sind be- kannt und schon früher besprochen. Remak hat sich in dieser Beziehung, wie auch in bekannten anderen (Primor- dialschlauch ete.) an die Botaniker angeschlossen; es giebt für ihn nur eine Zellenbildung „durch Theilung“. Diese Zel- lenbildung setzt voraus, dass die Membran der Mutterzelle dabei durch eine Art Einschnürung betheiligt sei, und das ist noch nirgend mit Sicherheit erwiesen; sie setzt ferner voraus, dass entweder ein Theil von der Mutterzelle sich abschnüre, oder dass die ganze Mutterzelle in zwei oder mehrere Theile getrennt würde. In Betreff des letzteren Um- standes darf hervorgehoben werden, dass die erste Fur- chungskugelzelle bei ihrer Entstehung den gesammten Bil- dungsdotter in Anspruch nimmt, und dass also hier von einer 19 Zellenbildung durch T'heilung nicht wohl die Rede sein kann. Aus diesem Grunde möchte es unpassend sein, den Ausdruck „Zellenbildung durch Theilung“ für eine Zellengenesis einzu- führen oder auch festzuhalten, die doch zuweilen nicht ein- mal das scheinbare Bild einer Theilung zur Schau trägt. Bleiben wir bei dem Ausdruck „Zellenbildung um den ganzen oder um aliquote Theile des Mutterzellinhaltes“ stehen, so ist darin ein unzweifelhaftes Faktum für alle Fälle von en- dogenen Zellenbildungen verborgen und es bleibt zugleich ein weiter Spielraum für die speziellen, unserer jetzigen oder späteren Erfahrungen entsprechenden Vorstellungen von dem Bildungsvorgange selbst geöffnet. A. leokn beobachtete den Furchungsprozess künst- lich befruchteter Eier von Phallusia mammillata. Der Verf. überzeugte sich, dass jede Furchungskugel von einer äusserst feinen Hülle eingekleidet sei, die beim Zusatz von mit Essig- säure geschwängertem Wasser sich abhebt, während der In- halt auf einen kleineren Raum sich zusammendrängt. Des- gleichen bemerkt Krohn, übereinstimmend mit dem Ref. (Müll. Arch. 1846, p. 196.), dass bei jeder bevorstehenden neuen Theilung die bläschenförmigen Kerne schwinden und nach jeder nenen Theilung wieder neugebildet zum Vorschein kommen. Während des Zerfallens einer Furchungskugel in zwei neue ordnen sich die Dottermolekule in dichte Streifen, die von zwei Irradiationscentren ausgehend radienförmig nach allen Seiten gegen die lichtere Peripherie der Kugel gerichtet sind. Sind die Kerne innerhalb der neuen Furchungskugeln wieder gebildet, so ist auch die strahlige Streifung in den Dotterkörnchen wieder verloren gegangen. (Müll. Archiv. 1852, p. 314.). Nach J. Müller’s Untersuchungen des Furchungspro- zesses der Schneckeneier (Natica) in der Leibeshöhle von Synapta digitata schwinden die bläschenförmigen Kerne in den Furchungskugeln nicht; es geht vielmehr der Theilung der Furchungskugeln jedes Mal die Theilung des Kerns vor- aus; ja die beiden ersten Furchungskugeln enthalten helle Bläschen, die vor Entstehung der Furchungskugeln selbst in dem noch ungefurchten Dotter sichtbar waren und, den Umständen nach zu urtheilen, durch Theilung aus dem Keim- bläschen hervorgegangen sein müssen. (Müll. Archiv. 1852, p- 19 8q.). — Dagegen erklärt Th. Bischoff neuerdings, dass die Oentralkörperchen in den Furchungskugeln, deren Bläschen-Natur beiläufig geleugnet wird, nicht als Abkömm- linge des Keimflecks, wofür er sie früher gehalten, anzu- schen seien. Desgleichen „glaubt“ der Verf., dass Furchungs- kugeln vorkommen, in welchen die hellen Centralkörper sich noch nicht oder nicht mehr vorfinden; desgleichen wurde auch niemals eine Theilung oder der Anschein dazu, so wie zwei Oentralkörper in einer Kugel beobachtet. Bischoff ist ferner B* 20 dureh fortgesetzte Untersuchungen zur Ueberzeugung gelangt, dass die Furchungskugeln ganz gewiss keine Zellen seien; ja, es wird sogar behauptet, dass bei Säugethiereiern die letzteu, stets hüllenlos bleibenden Furchungskugeln niemals Zellen würden, sondern vor der Sonderung von Anlagen für die Organe des Thieres erst zu einer Masse sich wieder vereinigen, und dass dann erst die Zellenbildung erfolge. Diese Behauptung spricht ganz und gar nicht allein gegen das Verhalten der Furchungskugeln bei anderen Thieren, sondern auch gegen des Referenten Beobachtungen an be- fruchteten Säugethiereiern. Im Zusammenhange mit diesen Anschauungen von dem Entwiekelungsprozesse der Säuge- thiere steht die Annahme von der Abwesenheit der Mem- branen der Furchungskugeln; der Verf. glaubt, dass. diejeni- gen Forscher, welche Membranen beobachtet hätten, es mit Haptogenmembranen zu thun gehabt haben; eine Behauptung, die allerdings beweiset, dass Th. Bischoff die Erscheinun- gen nicht kennt, auf welche obige Forscher -die Anwesenheit von Zellmembranen der Furchungskugeln stützen. (Entwicke- lungsgesch. des Meerschweinchens. Giessen, 1852; p. 20sq.). Gegen die durch zahllose Thatsachen bewährte und durch die Entwickelungsgeschichte fest begründete Lehre, dass die histologischen Formelemente aus und durch Vermittelung von Zellen entstehen und gebildet werden, erheben sich immer von Neuem, — und schwinden freilich auch wieder, — Be- obachtungen, welche histologische Formelemente aus freiem Blastem (resp. Intercellularsubstanz) ohne voran- gegangene Bildung von Zellen und ohne alle Beziehung zu etwa vorhandenen Zellen in der Umgebung entstehen lassen und als solche acceptiren. So giebt Luschka in seiner Ab- handlung „die Anatomie der männlichen Brustdrüse* (Müll. Archiv. 1852, p.4l4sq.) an, dass das Bindegewebe auf zweierlei Weise sich bilde: mittelbar und unmittelbar. Im ersten Falle geschehe es durch Vermittelung von Zellen, im zweiten durch die unmittelbare Spaltung oder durch direktes Zerfallen eines mehr oder weniger starren Blastems. Diese letztere Bildungsart liess sich auf eine für ihn befriedigende Weise an pathologischen Blastemen, an den zu knorpelartigen Platten sich umwandelnden Auflagerungen der Milzkapsel, des Bauchfells, namentlich an dem Gewebe eines Polypen und an einem Gallertkrebs der Leber (Virchow’s Archiv. Bd. IV. p. 410.) verfolgen. In diesem Falle, fügt der Verf. hinzu, sei Virchow’s Auffassung „des Bindegewebes als einer Intercellularsubstanz“ eine volle Wahrheit gewesen. Was Ref. von solchen Angaben hält, die ein und dasselbe Gebilde auf zwei so wesentlich verschiedene Weise entstehen lassen, darüber kann der Leser dieses Archivs nicht im Unklaren geblieben sein; auch ist bekannt, dass gewichtige Stimmen und so auch neuerdings Monneret (Mem. sur les formes 21 qu affeete la fibrine dans l’inflammat. ete. Gaz. med. No. 37 und 38) gegen dıe direkte Umwandlung von Exsudaten in bleibende Gewebe sich ausgesprochen haben; allein ein Miss- verständniss ist es, wenn der Verf. von Virchow angiebt, dass derselbe Bindegewebe für reine Intercellularsubstanz halte. Virchow und der Ref. halten nicht die homogen oder streifig oder faserig erscheinende Intercellular- oder Grund- substanz für ein histologisches Formelement oder, so zu sagen, für ein physiologisches Gewebe, sondern vielmehr die Grundsubstanz mit den darin enthaltenen, mehr oder weniger veränderten Bindesubstanzkörperchen (Virchow), die die ursprüngliche Bildungs-Grundlage des Gewebes ausmachen. Unzertrennlich gehören also zusammen: Knorpelkörperchen und die hyaline oder faserig erscheinende Grundsubstanz , die sog. Spiral- oder Kernfasern und das streifig erscheinende früher ausschliesslich so genannte Sehnengewebe als die zu ihnen gehörige Grundsubstanz, u. s. w. Auf diesem Stand- punkte darf man nicht etwa die Bindesubstanzkörperchen, z. B. Knorpelkörperchen, Spiralfasern an diesem Orte be- handeln und vorwegnehmen, und die dazu gehörige Grund- substanz wieder anderswo besprechen, oder von Knorpel- körperchen etc. reden, die in ein anderes, gleichsam ihnen heterogenes Gewebe eingebettet seien, wie es z. B. Kölliker mit dem Faserknorpel thut, sondern, wo von einem Binde- substanzgebilde die Rede ist, da gehört unzertrennlich zu den Bindesubstanzkörperchen auch die entsprechende Grund- substanz, und umgekehrt. Man darf fragen, warum wir die bezeichneten beiden Bestandtheile als histologisches Form- element zusammenlassen, dasselbe also wie eine glatte Mus- kelfaser oder wie eine Fettzelle behandeln und nicht vielmehr zwei histologische Formelemente oder zwei Gewebe daraus machen. Die Antwort des Ref. lautet zunächst, weil für ihn nicht jedes beliebige Stück fester Substanz im Körper ein histologisches und physiologisches Formelement darstellen könne, sondern nur, wie bereits zu Anfange dieses Berichts auseinandergesetzt wurde, die Endglieder in dem morpholo- gischen System des Körpers, welches in Grundlage von Zellen sich entwickelt hat. Aus dieser durch die Entwickelungsge- schichte festgestellten Prämisse folgt weiter, dass die End- glieder in der Gliederung des Systems in allen Fällen wirk- liche Zellen repräsentiven oder aus denselben unmittelbar her- vorgegangen sein müssen und dass reine Intercellularsubstanz nicht dafür genommen werden könne; ferner, dass, wenn man die Gliederung des Systems auf Gebilde zurückführt, die aus mehreren Zellen bestehen oder hervorgegangen sind, bei deren Sonderung jedoch keine weitere Differenzen auf- treten, wie z.B. bei den Epithelien oder bei der Knorpel- substanz, dass gleichwohl auch solche mehrzelligen Gebilde für bistologische Formelemente anzusehen seien; endlich, dass. 22 wenn bei der histologischen Ausbildung solcher mehr- zelliger Formelemente nachweislich auch Intercellularsubstanz sich betheiligt hat, auch diese in den Begriff des histologi- schen Formelementes aufgenommen werden müsse, wie es denn wirklich bei den Bindesubstanzgebilden der Fall ist. In Betreff der Betheiligung der Intercellularsnbstanz bei der Entwickelung histologischer Formelemente spricht sich Kölliker in seinem Handbuche der Gewebelehre (p. 8.) dahin aus, dass die Grund- oder Intercellularsubstanz gröss- tentheils unabhängig von den Zellen aus dem Blute entstehe. Der Verf. hat nämlich an der bezeichneten Stelle gemein- schaftlich die Bildungs- und Ernährungsflüssigkeit, die Ver- bindungs- oder Grundsubstanz behandelt, für welche sämmt- lich das scheinbar plausible Kriterium gilt, dass sie zwischen den elementaren Formbestandtheilen sich ausbreiten. Die In- tercellularsubstanz heisst ferner Bildungssubstanz oder Cytobla- stem, wenn, wie angenommen wird, sich Zellen in ihr bilden; die Ernährungsflüssigkeit charakterisirt sich durch das Wort selbst; die Verbindungs- oder Grundsubstanz hat ihren Cha- rakter nach dem Verf. darin, dass sie weder zur Ernährung, noch zur Bildung von Zellen dient, und, wie später hinzu- gefügt wird, grösstentheils unabhängig von ihnen entsteht. Künstliche Verbindungen können, wie man sieht, noch nicht zu nafurgemässen Unterscheidungen führen. Freies Cyto- blastem, selbst wenn seine Existenz gesichert wäre, des- gleichen Ernährungsfluldum und, — worauf Kölliker hier keine Rücksicht genommen hat, — das zwischen Zellen und zwischen den aus ihnen hervorgegangenen Gebilden gelagerte, stets wechselnde Excret dürfen nach des Ref. Ermessen auf keine Weise mit einer Intercellular- oder Grundsubstanz zu- sammengeworfen werden, die sich histologisch mit den Zellen entwickelt hat und auch zugleich mit jenen an demselben Orte auftritt. Aus einem freien Cytoblastem könnte mög- licher Weise ein histologisches Formelement werden; das intercellulare Ernährungsfluidum und die wechselnden Exereta zwischen den Zellen haben zu keiner Zeit Etwas mit der Form der Zellen und der aus ihnen sich entwickelnden histo- logischen Formbestandtheile direkt zu thun; die histologische Intercellular- oder Grundsubstanz dagegen ist ein integriren- der Bestandtheil desjenigen histologischen Formelements oder Gewebes, mit dessen Zellen sie sich gleichzeitig ausbildet. Nach des Ref. Ansicht ist ferner eine histologische Grund- substanz nicht allein nieht unabhängig von den respektiven Gewebe-Zellen entstanden, sondern ganz und gar in Abhän- gigkeit von ihnen. Hiermit soll nicht gesagt sein, dass aus freiem Blastem sich histologische Formelemente bilden, sondern dass dasselbe durch Vermittelung von Zellen zum Bestandtheil eines histologischen Formelementes werden könne. Für die Abhängigkeit der Bildung einer selehen In- 23 tercellularsubstanz von den betreffenden Zellen sprechen nicht allein die Erscheinungen bei den Pflanzen, sondern auch die bei den Gebilden der Bindesubstanz, in welchen die Grund- substanz eine so grosse Rolle spielt. Zu diesen Erscheinun- gen rechnet Ref. besonders auch das Verhalten der Binde- substanzkörperchen zu den lamellösen Schichten, aus welchen, wie Ref. in einem früheren Berichte erwähnte, alle Gebilde der Bindesubstanz, das Sehnegewebe, die Hornhaut, der Faserknorpel, der hyaline Knorpel etc. bestehen. Man be- obachtet nämlich, dass entsprechend diesen Schichten die Bindesubstanzkörperchen sich ordnen und ausdehnen. Auch Remak bemerkt in seiner schon besprochenen Abhandlung „Ueber die extracellulare Entstehung thierischer Zellen ete.* (Müll. Archiv. 1852; p. 55), dass die Grundsubstanz des hyalinen Knorpels durch Verschmelzung von Ablagerungs- schichten der Zellen entstehe. Selbst Kölliker spricht an einer anderen Stelle des oben genannten Handbuchs (p. 33.) von einem durch die Zellen ausgeschiedenen Stoff, der nicht entfernt wird, sondern eine feste Gestalt annehmend zu Be- standtheilen von Geweben verwendet wird. Seiner Meinung nach gehören dahin: die ächten Membranae propriae der Drüsen (z. B. der Nierenkanälchen), die eigentliche Scheide der Chorda dorsualis und wahrscheinlich auch die sogenann- ten Glashäute (Linsenkapsel, Membranae Desmoursü). Der Verf. nennt diesen Stoff zum Unterschiede der von ihm bei Thieren geleugneten Intercellularsubstanz „Extracellular- substanz“. Gegen diese Ansicht lässt sich übrigens gel- tend machen, dass in den von Kölliker bezeichneten Ge- bilden während der Entwickelung sich Zellen nachweisen lassen, und dass sie also wahrscheinlich aus verschmolzenen Zellen und Intercellularsubstanz hervorgegangen sind. Spezieller Theil. Eier. Ueber ein eigenthümliches Verhalten und über Entwicke- lung der Eier sind uns Beobachtungen von Joh. Müller (Ueber die Erzeugung von Schneeken in den Holothurien. Müll. Arch. p. 11) und von Dr. von Wittich (Beiträge zur morpholog. und histolog. Entwickelung der Harn- und Ge- schlechtsw. der nackten Ampbibien. Zeitsch. für wiss. Zoolog. Bd. IV; p. 150 sq.) mitgetheilt. Joh. Müller beschreibt die Eier in dem schnecken- erzeugenden Schlauche der Holothurien. Der dendritisch geformte, orangenfarbene Eierstock liegt in einer Kapsel, nach deren Entfernung der Eierstock selbst sich. mikrosko- 24 pisch untersuchen lässt. Es liegen darin in Hülsen einge- schlossen eierartige Massen von '/,‘ im Durchmesser. Man erkennt darin stearinartige, grobe Dotterkörner von !%,, bis '/00‘, ferner dazwischen gelagerte Moleeularkörnchen und das !/,,“ grosse, sehr zähe, kernkörperchenlose Keimbläs- chen, dessen Membran sich nicht mit Sicherheit nachweisen liess. Nicht selten bemerkt man unter der Körnermasse des Dotters auch Tröpfehen eines gelben Fettes. Die Eier liessen sich nieht trennen; beim Druck jedoch platzen die Hülsen und die frei gewordenen Eier sind dann nicht mehr rund, sondern länglich oder birnförmig. Hiernach hat es dem Verf. geschienen, dass die den Dotter im Eierstock umgebende Hülse oder Haut als ein Fachwerk des Eierstockes anzu- sehen sei, und dass also das Ei selbst keine Dotterhaut be- sitze, ähnlich den Eiern des Actaeon nach Vogt’s Beobach- tungen. Die reifen Eier liegen später, zu 15—30 in nach- träglich gebildeten Hüllen eingeschlossen, frei im Schlauche. — Nach von Wittich bestehen die ersten Anlagen der Ge- schlechtsdrüsen bei den Batrachiern aus lang gestreckten, eylindrischen Anhäufungen kernhaltiger Zellen. Diese Cy- linder werden dann hohl durch Ansammlung bildungsfähiger Substanz, in welcher alsbald neue, sehr grosse, kernhaltige Zellen, von täuschender Aebnlichkeit mit jungen Eiern, sicht- bar werden. Die Kerne der bezeichneten Zellen haben deut- liche Bläschenform, enthalten grössere und kleinere Fettkör- perchen und werden dadurch den späteren Keimbläschen täuschend ähnlich. Obgleich nun der Verf. angegeben, dass die Höhle des Cylinders von kernhaltigen Zellen erfüllt sei und obgleich später hinzugefügt wird, dass die den Kern umgebende helle, hyaline Masse stets eine scharfe Kugelform bewahrt, so wird dennoch ohne genügende Begründung be- hauptet, dass die betreffenden Gebilde einer eigenen Zell- membran noch entbehren. In diesem Zustande gleichen sich übrigens die männlichen und weiblichen keimbereitenden Or- gane. In den letzteren schreitet der einmal eingeschlagene Entwickelungsgang weiter vor; die Kerne werden Keimbläs- chen, die umgelagerte hyaline Masse wird Dotter und um- kleidet sich mit einer Dotterhaut, die in der Umgebung der so sich ausbildenden Eier befindlichen Zellen werden zu dem die Eikapsel auskleidenden Epithelium, die Eikapsel endlich selbst entsteht angeblich, wie die Tunica propria aller Drü- sengänge aus einer membranösen Verdiehtung des die Zellen umgebenden flüssigen Plasmas. Der Verf. hat sich in der Auffassung und Beurtheilung der leider auch hier, wie Ref. aus eigenen Beobachtungen weiss, wenig klaren Erscheinun- gen an die auch von anderen Forschern mitgetheilte Ansicht von der Entwickelung der Bier angeschlossen. Ref. sah zu keiner Zeit in der eylindrischen Anlage des Eierstocks‘ und des Hodens freies Cytoblastem auftreten, in welehem die 25 Zellen für die Eier oder für die Mutterzellen der Saamen- körperchen sich gebildet hätten. Ob die kernhaltigen Zellen so sehr gleichenden jungen Eier eigene Hüllen besitzen oder nicht, ist bei Batrachiern allerdings nicht klar zu demonstri- ren. Ist es doch in anderen, günstigeren Fällen oft recht schwierig, ja sogar bis jetzt unmöglich, selbst wirklich an- wesende, zarte Zellenmembran direkt nachzuweisen, so dass wir leider immer noch einen recht weiten Tummelplatz für beliebige Parteiansichten behalten. Epithelien. Ueber die Ausbreitung der Epithelien und ihrer ver- schiedenen Formen liegen mehrere Mittheilungen vor. Dr. Rheiner verdanken wir eine genaue Untersuchung über „die Ausbreitung der Epithelien im Kehlkopf“ des Menschen und einiger Säugethiere. (Verhandl. der physik.- med. Gesellsch. zu Würzb. Bd. III, p. 222 sq.). Das Platten- Epithelium der Mund- und Rachenhöhle des Menschen über- schreitet in ganz gleicher Beschaffenheit als ein 2—5‘ breiter Saum den freien Rand des Kehldeckels, der aryepiglottischen Falten und der beiden Giessbeckenknorpel. Seltener, nament- lich bei Personen höheren Alters und bei Individuen, die an chronischen Bronchialaffektionen gelitten hatten, liess sich das Schlundepithel weiter hinab gegen die Larynxhöble hin verfolgen. Gewöhnlich sieht man an der unteren Fläche des Kehldeckels bis zu den oberen Stimmbändern hin ein Epithe- lium ausgebreitet, welches aus meist fadenförmig auslaufenden Zellen besteht, die an der freien Fläche entweder kolben- förmig und dann gewöhnlich ohne Cilien, oder abgestutzt und dann mit Wimperhaaren besetzt endigen. Während fer- ner Henle beim Fötus an der ganzen unteren Fläche des Kebldeckels Flimmereylinder vorfand, beobachtete Rheiner bei Kindern in den ersten Lebensmonaten nach der Geburt ein sogenanntes „Uebergangsepithelium* (Henle). Das Flimmerepithelium kleidet bei Erwachsenen konstant auch die Morgagnischen Taschen aus. Dagegen wurde entdeckt, dass die unteren Stimmbänder in einem, wenige Linien breiten Streifen, welcher durch das Interstitium zwischen den Carti- lag. arytaenoid. mit dem oben beschriebenen Saum an der Eingangsöffnung des Larynx kontinuirlich zusammenhängt, von einem Epithelium bekleidet werden, das dem Schlund- epithel in Struktur- und Grössenverhältnissen ähnlich ist. Die obersten Zellen dieses geschichteten Epitheliums sind sehr abgeplattet, ohne nachweisbare Höhle, und zum Theil oder gänzlich mit den Rändern verschmolzen. Unterhalb der unteren Stimmbänder beginnt gewöhnlich sofort wieder das Flimmerepithelium, wenigstens sicher am ersten Ringe der Trachea. Beim Hunde fand sich: an der unteren Fläche des Kehldeckels und an den oberen Stimmbändern Pfasterepi- 26 thelium, in den Morgagnischen Taschen Flimmerepithelium, an den unteren Stimmbändern Plattenepithel, von hier an flimmerndes Epithelium; beim Kaninchen: wie beim Menschen ein breiter Saum von Plattenepithel am Eingange zum La- rynx, am übrigen Theile der unteren Fläche des Kehldeckels Flimmerepithelium, an den oberen Stimmbändern Platten- epithelium, an den übrigen Gegenden der Innenfläche des Kehlkopfs, wie beim Hunde. Gelegentlich wird erwähnt, dass nach Dr. Leydig’s Untersuchungen auch in den Luft- wegen der Frösche und anderer Amphibien eine Unterbre- chung der Ciliarbewegung an den der menschlichen Stimm- ritze entsprechenden Partieen statthabe. Von Henle sind an einem Enthaupteten Versuche über die Richtung der Flimmerbewegung im Bereiche des Traectus respiratorius angestellt. (Versuche und Beobacht. Henle’s und Pfeufer’s Zeitschr. für rat. Med.; Neue Folge, Ba. II. p. 299 sq.). Kohlenpulver, welches der Verf. auf ver- schiedene Stellen des Tract. respirat., auch auf einen feinen Bronchialast aufstreute, wurde überall durch die Flimmer- bewegung nach dem Kehlkopf und der Schwere entgegen aufwärts geführt; in 15 Sekunden wurde ein Raum von 1%” Durchm. durchschritten. Aehnliche Versuche mit der Schleim- haut der Nasenscheidewand, der Muscheln, der Umgebung des Ostium pharyng. Tubae Eustachii angestellt führten zu keinem Resultat, da, wie es scheint, die Flimmerhäärchen hier nicht eine Kraft zu entwickeln vermögen, welche die Kohlenpartikelehen von der Stelle treiben könnte. — An derselben Leiche vermochte Henle ebenso wenig, wie alle neuern Beobachter, Flimmerbewegung auf der Oberfläche des Ependyma zu erkennen. Ja, während Dittrich, Ger- lach, Herz, Margo, Virchow und Kölliker an dem be- zeichneten Orte bald mehr sparsam vertheilte, bald mehr zusammenhängende, kernhaltige Epitheliumzellen vorfanden, konnte Henle nur eine derbe, glashelle und durch Faltung faserig erscheinende Membran unterscheiden. Flimmerbewe- gung wurde auch an der Schleimhaut der Augenlieder ver- misst, wo sie auch Getz (De pterygio. Diss. inaug. Göt- ting. 8.) nicht auffinden konnte. — An den Secretions- zellen eigentlicher Drüsen sind bisher, wie Leydig be- merkt, fimmernde Häärchen in der Leber von Cyelas, in der Niere der Acephalen, in der Niere der Fische, Reptilien und von Gerlach in den Vogeleiern beobachtet worden; von den Säugethieren lag noch kein Beispiel vor. Der Verf. theilt nun mit, dass von Dr. Nylander und ihm selbst lebhafte Wimperbewegung auf der ganzen Innenfläche der Uterindrü- sen des Schweines beobachtet worden sei. Die Häärchen sitzen, wie auf der Schleimhaut des Uterus, an eylinderför- migen Epitheliumzellen; sie sind schr fein und schwinden sofort bei Wasserzusatz. (Müll. Archiv. 1852, p. 375 sq.). 27 An der oben erwähnten Leiche des Enthaupteten konnte Henle in Uebereinstimmung mit seinen früheren Angaben weder auf der vorderen Fläche der Iris, noch auf der der Linsenkapsel ein Epithelium auffinden. Dagegen traten sehr deutlich abgegrenzte, polygonale Zellen von etwa 0,006’ Durchm. an der hinteren Fläche der vorderen Wand der Lin- senkapsel hervor und werden als Pflasterepithelium bezeich- net. Es sind dieses offenbar diejenigen Zellen, welche man sonst schon in der Morgagni’schen Feuchtigkeit beobachtet hat, von der übrigens in diesem Falle, wie überhaupt auch in frischen T'hieraugen keine Spur vorhanden war. Die hin- tere Linsenkapselwand war glatt und ohne Epithelium, wäh- rend bei Fischen nach Leydig auch hier ein Epithelium an- getroffen wird. (Beiträge zur mikrosk. Anat. und Entwicke- lungsg. der Rochen und Haie. Leipz. 8vo. p. 25.). An dem Plättchenepithelium des Endocardium des Menschen unterscheidet Luschka (das Endocard. und die Endocarditis. Virch. Arch. für patholog. Anat. ete.; Bd. IV, B 174.) zwei Formen völlig ausgebildeter Epitheliumzellen. ie am häufigsten vorkommenden Plättchen sind meist lan- zett- oder spindelförmig , und die gegenseitigen Abgrenzungen undeutlich; ihre Länge beträgt 0,016—0,024 mm., die Breite 0,008—0,012 mm. Der mit 1—2 Kernkörperchen versehene Kern ist rund (kreisförmig? R.), meist 0,008 mm. im Durchm. Die weniger häufigen Plättchen sind unregelmässig polygonal, wie bei dem Epithelium der serösen Häute. ‘Auf diesem Epi- thelium finden sich häufig zerstreut unregelmässig eckige oder kreisförmige, oft ganz homogen und glasartig durchscheinende Plättchen, die aus Verschmelzung einfacher Plättchen hervor- gegangen zu sein scheinen. Die Kerne sind in ihnen ver- schwunden oder nur spurweise zu erkennen. Die beschrie- benen Gebilde gehören nach dem Verf. zu den abgestossenen Theilen des Epithelium. — Nach Todd und Bowman (The physiolog. anatomy ete.; Part the fourth, p. 336) ist das Epi- thelium des Endocardium von wesentlich gleicher Beschaffen- heit, wie das der Blutgefässe. Die Verf. unterscheiden gleich- rundliche und plattgedrückte, spindelförmige Epithelium- ‚ von welchen die ersteren jedoch die tiefere Lage bil- iker beschreibt genauer das Verhalten des Epithe- Bereiche der Nasenhöhle. Am oberen Theile der Scheidewand, so wie auf den obersten Muscheln, wo überall die eigentliche Riechschleimhaut sich ausbreitet, findet sich, wie Verf. bei Schafen. Kälbern, Kaninchen, Hunden sich überzeugte, kein flimmerndes Epithelium. Todd-Bowman entgegen beobachtete aber der Verf., dass das Epithelium nieht aus rundlichen Zellen allein besteht, sondern dass es vielmehr ein geschichtetes Oylinderepithelium darstelle, dessen Äusserste Lage aus einer oder zwei Reihen senkrecht ste- m 28 hender, schmaler Zellen von 0,005—0,007' Länge, die tie- fere aber aus rundlichen Zellen von 0,003—0,004'” Durchm. zusammengesetzt wird. — Beim Kaninchen hat Ref. die bezeichnete Gegend in diesen Tagen von Neuem untersucht und aus Vorsicht als Vehikel Hühnereiweiss angewendet. Obgleich nieht an allen Präparaten, so fand sich doch ganz sicher an einigen aus jener Gegend deutlich flimmerndes Epi- thelium vor. Desgleichen hat Ref. sich überzeugt, dass da, wo die zu beobachtende Schleimhautfalte dick war und einen nur mässig gekrümmten Bogen umschrieb ,' wo also der schein- bare Durchschnitt des Epitheliums nicht klar vorlag, und von Flächenansichten gedeckt war, mikroskopische Bilder sichtbar wurden, ähnlich denjenigen, die Kölliker gezeich- net und beschrieben hat. Wo sich dagegen der scheinbare Durchschnitt des Epithelium deutlicher übersehen liess, da bestand das Epithelium aus einer einfachen Schicht cey- linderförmiger Zellen, an welchen Flimmerbewegung bald sichtbar war, bald auch nicht. (Handb, d. Gew. p. 634.). Die Gebilde der Bindesubstanz. a Die Literatur über die „Gebilde der Bindesubstanz“, zu welchen Ref. die Wharton’sche Sülze mit dem Schleimge- webe (Virchow), das unreife, formlose und geformte Binde- gewebe in seinen verschiedenen Variationen, den Faserknor- pel, den häutigen Knorpel (in der Schädeldecke ete.), den Netzknorpel, den hyalinen Knorpel, die Knochen- und El- fenbeinsubstanz rechnet, ist auch in diesem Jahre wiederum ziemlich umfangreich. Für die Beurtheilung derselben ist festzuhalten, dass ein von Jahr zu Jahr sich vermehrender Theil der Beobachter (Virchow, Remak, Donders, v. Hessling, zum Theil auch Luschka) nach dem Vor- gange des Ref. in diese Gebilde eine auf verschiedene Weise ausgebildete, bald homogene, bald streifig und ganz oder theilweise faserig erscheinende Grund- oder Intercellularsub- stanz und die damit unzertrennlich gegebenen Bindesubstanz- körperchen (geschwänzte, sternförmige Zellen, sog. Kern- fasern, vielleicht auch nur Kernrudimente, Knorpelkörperchen Knochenkörperchen, Elfenbeinröhren) aufnehmen, gegen andere Forscher ihren gemeinschaftlichen S darin finden, die bezeichneten Bestandtheile der stanzgebilde von einander zu trennen und als h histologische Formelemente nach verschiedenen subje : Ansichten zu behandeln. Indem Ref. den allgemeinen Stand der Angelegenheit in Betreff der Gebilde der Bindesubstanz zu charakterisiren wünscht, wird es nothwendig, mit einigen Worten des elastischen Gewebes mit den durchlöcherten Mem- branen zu gedenken. Alle neueren Untersuchungen drängen zu der Annahme, dass die genannten Gebilde als integrirende Bestandtheile der Bindesubstanzgebilde anzusehen seien, und ER 29 E 2 der sogenannten Kernfasern gestellt werden müssen, ob sie als eine stellenweise oder im grösseren Bereiche ver- änderte Grund- oder Intercellularsubstanz ae u Eisen. Ref. hat sich in Grundlage seiner Untersuchungen der Ent- wickelung des Lig. nuchae (vergl. vorjähr. Jahresb.) in Ueber- einstimmung mit Henle zu der letzteren Ansicht bekannt. Für diese Ansicht spricht auch das Verhalten und die Ent- stehung der den elastischen Fasern sehr ähnlichen Netzfasern in dem Netzknorpel, bei welchem unter Erhaltung der Binde- substanzkörperchen (resp. Knorpelkörperchen) sogar nur ein Theil der hyalinen Grundsubstanz zur Bildung der Fasern verwendet wird. Hiernach dürfen auch die Kernfasern, welche nach Virchow und dem Ref. (Zur Streitfrage über die Ge- bilde der Bindesubstanz ete. Müller’s Archiv. p. 521 sq.) unzweifelhaft aus den Bindesubstanzkörperchen hervorgehen, nieht mit den elastischen Fasernetzen und den durchlöcherten Membranen zusammengeworfen werden. Von Kölliker haben wir „Ueber die Entwiekelung der sogenannten Kernfasern, der elastischen Fasern und des Bindegewebes“ (Verhandl. d. phys.-med. Gesellsch. in Würzb. 1852, p. 1 sq.) folgende Mittheilungen erhalten. Auf dem Standpunkte des Verf. werden die Kernfasern von dem gewöhnlich sogenannten Bindegewebe getrennt. Ueberall, wo später Kernfasern sich finden, trifft man bei Embryonen von 4 Monaten und noch früher in dem embryonalen Bindegewebe Spindelzellen und sternförmige Zellen mit 3—6 und mehr feinen Ausläufern. Nur der kleinere Theil dieser Zellen steht mit der Bildung der Kernfasern in Verbindung. Sie zeichnen sich aus durch ihre Kürze, ihre dunklen Kontouren, durch die verlängerten, stabförmigen Kerne und durch die Feinheit ihrer Ausläufer, so dass sie sich oft wie kernförmige Zellen ausnehmen. Mit Leichtigkeit sollen sie sich noch in der zweiten Hälfte des Fötallebens aus Sehnen, Bändern, Binden isoliren lassen. So weit die Erfahrungen des Ref. reichen, d die Kerne aus der unreifen Sehnensubstanz wohl leichter fernen; dagegen ist ihm nicht bekannt, dass man ganze, uförmige Zellen daraus isoliren könne. Durch künst- nipulationen lassen sich aus der unreifen Sehnensub- h künstlich einzelne Stücke derselben mit und ohne darstellen; dieselben haben aber deutlich das Gepräge Kunstprodukten und passen nicht zur obigen Beschrei- ng von den Bildungszellen der Kernfasern. An sehr vielen nun, wie im Perimysium, in der äusseren Haut, in den Schleimhäuten, Fascien, fibrösen Häuten werden aus den beschriebenen Zellen nach Kölliker die sogenannten Kern- fasern, ferner die bekannten gleichmässig breiten, soliden Fascien (?R.) oder Fasernetze; an anderen Orten dagegen 30 $ bleiben die ursprünglichen „Zellenanschwellungen“ (!R.) mehr oder inder deutlich bestehen, wie besonders in der Cornea und ne: da in Fascien und Bändern. An der Ausbildung der Keı fasern betheiligen sich auch die Kerne der Bildungs- zellen, indem sie während der Verschmelzung der letzteren zu langen, stabförmigen Kernen werden, neben welchen die übrigen Zellentheile mehr zurücktreten. Die Bildung des ge- wöhnlichen elastischen Gewebes erfolgt nach dem Verf. wesentlich auf dieselbe Weise, wie die der Kernfasern. Die- ses erscheine schon als „nahezu unzweifelhaft“, weil überall, wo bei Erwachsenen jenes Gewebe vorkommt, bei Neuge- bornen nur Kernfasern-vorhanden seien. Wollte Kölliker sich rein objektiv verhalten, so würde er nur sagen können, dass, bevor die diekeren Fasernetze sichtbar seien, feinere Netze angetroffen würden, oder noch früher, dass in Inter- cellularsubstanz eingestreute Bildungszellen vorkämen, so dass dem Zweifel Ranm bliebe, ob die feinen Fasernetze aus der Intercellularsubstanz oder aus den Bildungszellen hervorgehen. Der Verf. will aber die Entstehung der feinern elastischen Fasern aus spindelförmigen Zellen „ziemlich leicht“ in dem Lig. nuchae, in den Arterien und Fascien verfolgt haben, und lässt nun die diekeren elastischen Fasernetze, desgleichen die gefensterten Membranen durch Verbreiterung ursprünglicher Kernfasernetze sich entwickeln. Aus diesem Grunde hat denn auch Kölliker für die Kernfasern den neuen Namen „feine elastische Fasern“ in Vorschlag gebracht. Ref. muss hier bei den obwaltenden Umständen von Neuem gegen die so sehr beliebte Mode, die Wissenschaft mit neuen Namen zu überhäufen, Einsprache erheben. In Betreff des Bindegewebes unterscheidet Kölliker zwei Hauptformen: das festere und lockere Bindegewebe; beide entwickeln sich in etwas verschiedener Weise. Zum „lockeren“ Bindegewebe rechnet der Verf. dasjenige, welches im subeutanen und submucösen Gewebe, desgleichen in den grossen Höhlen um die Eingeweide herum sich findet; das feste Bindegewebe ist das der Sehnen, Bänder etc. Das lockere Bindegewebe erscheint bei Embryonen zuerst in Form einer durchscheinenden, lockeren Gallerte, wie die Wharton’sche Sülze. Man unterscheidet darin spindel- oder sternförmige, anastomosirende Zellen und eine halbflüssige, in den Maschen des Zellennetzes abgelagerte helle Sülze; ausserdem finden sich in letzterer noch rundliche Zellen von unbestimmtem Charakter. Bei weiterer Entwickelung wird das Netz sternförmiger Zellen nach und nach immer dichter, und die Balken dieses Netzes verwandeln sich in Bündel von Fibrillen, die sich zuletzt von den gewöhnlichen, lockigen Bindegewebsbündeln nicht mehr unterscheiden. Unterdess wird die Sülze allmälig aufgezehrt, indem dieselbe als Cyto- blastem zur Bildung von Zellen dient, welche theils zur Ver- Bi dichtung des erwähnten Netzes, theils zur Bildung von Kern- fasern (feinen elastischen Fasern K.), Blutgefässen, Nerven, Fettzellen verwendet werden. So entsteht, sagt der Verf., aus dem „gallertartigen, embryonalen Bindegewebe“ schliess- lich entweder gewöhnliches Fettgewebe oder mehr fettloses, lockeres Bindegewebe; — d.h. mit anderen Worten: es ent- steht aus dem embryonalen Bindegewebe das wirkliche, histo- logische Bindegewebe jener Gegenden sammt denjenigen histologischen Formelementen, die darin eingeschlossen sind. (R.). as embryonale Bindegewebe kann aber auch per- sistiren und stellt dann das von Virchow sogenannte Schleimgewebe dar, welches von dem Verf. früher auch netz- förmiges Bindegewebe genannt wurde. Von diesem netzför- migen Bindegewebe sind zu unterscheiden die Netze von Pigmentzellen in der Choroidea und bei den Batrachiern, von welchen die ersteren (auch die letzteren Ref.) zuweilen ohne Pigment vorkommen und ein blasses, vom Bindegewebe che- misch verschiedenes Fasernetz bilden. Das feste Bindege- webe in Sehnen etc. soll sich nach dem Verf. allein aus Zel- len ohne nachweisbare Verbindungssubstanz entwickeln. Köl- liker findet nämlich in den embryonalen Sehnen Nichts als zwei Formen spindelförmiger Zellen, von welchen die eine zur Bildung von elastischen Fasern, die andere zur Entwik- kelung des Bindegewebes verwendet wird. Die letzteren Zellen sind bedeutend grösser und blasser, als die Bildungs- zellen der elastischen Fasern, besitzen grössere, länglich runde Kerne und zeigen bald einen wellenförmigen Verlauf ihrer breiter gewordenen Enden, so wie immer deutlicher werdende Fibrillarbildung. Zellen von solcher Beschaffenheit soll man bei verschiedenen Geschöpfen nicht unschwer iso- liren können. Später verschmelzen sie mit ihren Enden, bilden lange ceylindrische Fasern, verlieren ihre Kerne, zeigen endlich deutliche Fibrillen, und das Bindegewebsbündel ist fertig. Die Bindegewebsbündel sind anfangs schmal, etwa 0,002 breit; weiterhin werden sie dicker und länger. Aus diesen angeblichen Thatsachen wird gefolgert, was wohl, wie es dem Ref. erscheint, als Prämisse der ganzen Untersuchung vorausgegangen sein möchte, dass das Bindegewebe unmög- lieh mit dem Knorpelgewebe zusammengefasst werden kann, da die Grundsubstanz des Knorpels sich nicht aus Zellen entwickele, wie es nach dem Verf. das gewöhnlich sogen. Bindegewebe thue. — Nach des Ref. Ansicht ist zunächst Kölliker’s Unterscheidung des lockeren und festen Binde- gewebes ohne alle histologische Grundlage. Das Bindegewebe unter der Haut und das in der Sehne sind histologisch gleich beschaffen; es kann daher auch die histologische Entwicke- lung nicht verschieden sein. Der vorliegende Unterschied zwischen beiden hat seinen Grund in der verschiedenen An- ordnung und Anhäufung der histologischen Massen an den 32 von Kölliker bezeichneten Körpertheilen; er hängt zusam- men mit der Struktur der Organe, mit der Zusammensetzung derselben aus verschiedenen histologischen Bestandtheilen; er ist organologischer, nicht histologischer Natur. Dadurch, dass man diesen Unterschied in der Entwickelung nieht fest- hält, entsteht Verwirrung. Was nun die Entwickelung des Bindegewebes selbst betrifft, so muss Ref. nach so eben wieder angestellten Untersuchungen die Kölliker’sche Dar- stellung von der Umwandlung der spindelförmigen oder stern- förmigen Zellen des frühzeitigen, embryonalen Bindegewebes in netzförmig verbundene oder einfache, cylindrische Binde- gewebebündel für entschieden falsch erklären; der streifige Theil des Bindegewebes entsteht überall aus Intercellularsub- stanz. Auch ist es ihm nicht gelungen, in der embryonalen Sehne verschiedene Formen leicht isolirbarer Zellen zu ent- decken. Es ist nicht zu bezweifeln, dass in der embryonalen Sehne ausser derjenigen Grundlage, welche zur Sehnensub- stanz sich umwandelt, auch noch Zellen sich vorfinden wer- den, aus welchen sonstige Bestandtheile der Sehne sich ent- wickeln. Allein diese werden jedenfalls von der Hauptmasse so verdeckt, dass man sie nicht sieht. Die Hauptmasse aber ist anfangs eine zähe, fein granulirte, später undeutlich ge- streifte, in Fibrillen oder Fasern oder in irgend welche re- gelmässige, kleinere Abschnitte gar nicht oder nur künstlich theilbare Substanz, in welcher bei dünnern Lamellen länglich ovale Kerne sehr zerstreut liegen. Nur undeutlich werden die zu den Kernen gehörigen spindelförmigen Zellmembranen siehtbar. Die zähe Substanz ist es, welche zur streifigen Grundsubstanz der Sehnensubstanz sich entwickelt, während die Kerne, wie es scheint mit den Zellmembranen, zu den sogenannten Kernfasern auswachsen. Luschka studirte die Entwickelung des Bindege- webes an der männlichen Brustdrüse. (Müll. Arch. 1852, p- 409 sq.). Es finden sich hier sog. isolirte Bindegewebs- körper, d. h. Formbestandtheile von kreisrunder und ellipti- scher Umgrenzung mit meist deutlichem Kerne, die als Grundlage der Bindegewebsfibrille anzusehen seien. Diese Bindegewebskörper werden hierauf spindelförmig, dann fase- rig und schliesslich zu den einzelnen (!R.) Fibrillen, indem der Kern zugleich verschwindet. Selten beobachtete der Verf., dass je eine Faser in 2 oder 3 Fibrillen sich theilte. Ein Zerfallen aber in eine grössere Anzahl von Fibrillen, so dass aus einem Bindegewebskörperchen ein ganzes Bündel von Fibrillen geworden wäre, hat sich nirgend nachweisen lassen. Die Bindegewebsbündel sollen vielmehr nach zwei Modifika- tionen entstehen. Einmal verschmelzen longitudinal anein- andergereihte Bindegewebskörper zu homogenen, später fa- serig zerfallenden Bändern, und zweitens finden sich neben zahlreichen, in mehreren Reihen über und nebeneinander und 33 linear aufgereihten, später verschmelzenden Bindegewebs- körperehen noch andere, isolirte, aus welchen zugleich Kern- fasern hervorgehen. Ausserdem nimmt der Verf. auch eine Bildung des Bindegewebes aus Intercellularsubstanz an, wovon bereits in dem allgemeinen Theile des Berichtes die Rede war. Nach v. Hessling (Illust. Zeitung. Heft I, II, III des Jahrg. 1852.) liegen die zu Bindegewebe sich entwickeln- den, runden oder polyedrisch abgegrenzten Zellen von 0,007 bis 0,008“ Durchm. anfangs dicht gedrängt aneinander. So- bald Gefässe sich gebildet haben, tritt zwischen ihnen Inter- cellularsubstanz auf, und die Zellen selbst werden oval und ordnen sich entweder longitudinal oder liegen auch wohl scheinbar regellos durch- und übereinander. Wo die Zellen mehr geordnet auftreten (geformtes Bindegewebe), wachsen sie an ihren Enden in feine Spitzen aus, während die Kerne länglich werden, und die Grundsubstanz an Masse zunimmt. Beim Fortgange der histologischen Entwickelung dieses Binde- gewebes verlängern sich Zelle und Kern noch mehr; die Fa- serzelle wird dabei dünner, namentlich auch in ihrem mitt- leren Theile, wo der Kern liegt, so dass hier eine deutliche Trennung beider Theile nicht mehr sichtbar ist, und der Kern an beiden Enden in die feinen Enden der Zellmembran aus- zulaufen scheint. Wenn jedoch später die Zellenfäden mit ihren Erden verschmelzen und zu den sog. Kernfasern und ihren Netzen sich verwandeln, so soll der Kern iin feine Körnchen zerfallen und schliesslich verschwinden. Unterdess wird die Intercellularsubstanz konsistenter und fester, und zugleich sollen in derselben parallele Längsspaltungen auf- treten. durch welche die Grundsubstanz in primäre Bindege- websbündel abgetheilt wird. Die Kernfasern sollen nur in den Zerklüftungen an der Aussenfläche der Bündel liegen und auf den Zerklüftungsprozess influiren, obschon bekannt ist, dass in den prächtigen, sog. Bindegewebsbündeln der Pia mater die Kernfasern auch mitten durch ihre Substanz hin- ziehen (R.). Die primären Bündel spalten"sich in der Folge weiter in die Fibrillen. In dem embryonalen Bindegewebe mit den regellos gelagerten Bildungszellen (späteres formloses Bindegewebe) ist der histologische Entwickelungsprozess nur insofern verschieden, als die Bildungszellen ramifieirten Pig- mentzellen ähnlich auswachsen. Der faserige und streifige Theil des Bindegewebes geht gleichfalls aus der Intercellularsub- stanz hervor. Das eigentliche elastische Gewebe lässt der Verf., zufolge seiner Untefüheluhgän am Nackenbande und an den Wandungen der Blutgefässe, auf dieselbe Weise, wie die Kernfasern sich entwickeln *). *) Hessling liefert in der eitirten Abhandlung eine Kritik über Luschka's Werk „Die Struktur der serösen Häute etc.“ In einer Zeit, in welcher freimüthige Kritiken nicht beliebt und doch so sehr Müller’s Archiv, 1463. Jahresbericht. & 34 Ueber die Entstehung des Bindegewebes und des Knorpels haben wir auch Beobachtungen von Remak er- halten. (Müll. Arch. 1852, p. 63 sq.) Die Untersuchungen über das Bindegewebe wurden an der Cutis und dem subeutanen Bindegewebe der Froschlarve angestellt. Es finden sich in dieser Gegend, wie bekanntlich in allen Anlagen des Embryo nur Zellen vor, an welchen Remak wie bei den Pflanzen- zellen zwei aneinander liegende Zellenmembranen, die innere entsprechend dem Primordialschlauch, erkennen will. Später stellt sich zwischen den Zellen Intercellularsubstanz ein, und die Zellen selbst werden sternförmig, was sich leicht an den Froschlarven-Schwänzen beobachten lässt. Die Intercellular- substanz reicht über die Grenzen der verästelten Ausläufer der Zellen eine Strecke weit hinaus, was namentlich am Rande des Schwanzes sichtbar wird, und zeigt an ihrer Ober- fläche dicht unter der Epidermis eine festere Beschaffenheit. Diese feste Rinde (intermediäre Membran, basement mem- brane ?R.) ist die Anlage der Cutis; im Bereiche der Baueh- höhle nimmt sie an Dicke zu und zeigt später Quer- und Längsstreifen als Andeutung der mit Kernen besetzten Binde- gewebsbündel. Hiernach sollte man annehmen müssen, dass Remak das streifige Bindegewebe aus Intercellularsubstanz hervorgehen lässt. Diese Ansicht wird jedoch bei der Ent- wickelung des unterhäutigen Bindegewebes etwas modifieirt. Hier unterscheidet der Verf. vorläufig zwei Arten von Binde- gewebe: das gallertartige embryonale und das feste bleibende. Das erstere besteht am Schwanze und in der Bauchdecke der wünschenswerth sind, ist die bezeichnete, mit Offenheit, Sachkenntniss und Belesenheit geschriebene Abhandlung eine dankenswerthe Gabe. Der Verf. hat hier zugleich seine Ansicht über die Gebilde der Binde- substanz niedergelegt, welche, obschon in der Genesis sich derjenigen des Ref. annähernd, doch bei Auffassung der entwickelten Gewebe in mehreren wichtigen Punkten abweicht. Hessling trennt von den Bindesnbstanzgebilden: die Tunica Descemetii, die Tunica prop. der Drüsen, die intermediäre Membran, die primitiven Scheiden der Mus- kel- und Nervenfasern ete., weil sie sich nicht in Leim auflösen, und weil sie sich auch anders als das Bindegewebe entwickeln sollen. Das eigentliche Bindegewebe ist nach dem Verf. nur eine, in verschie- denen Formen auftretende Intercellularsubstanz, die mit der Ernäh- rungsflüssigkeit (@R) identifieirt wird, und in welcher die nicht Leim gebenden Zellenformationen von ganz verschiedener histologischer Be- deutung sich vorfinden können. Zu den letzteren werden nicht blos die von Virchow und dem Ref. als der Bindesubstanz inhärenten Körperchen gerechnet, sondern sogar auch die Muskelfasern etc. (?R.). Der Verf. macht dem Ref. gelegentlich den Vorwurf, dass er an Seh- nenschnittehen nicht das elastische Gewebe und die Kernfasern beob- achtet habe. Als Ref. vor 10 Jahren seine Abhandlung über das Bindegewebe schrieb, hielt er die Spiralfasern und das elastische Ge- webe nicht für integrirende Bestandtheile des Bindegewebes im histo- logischen Sinne; darum wurde ihrer bei der histologischen Untersu- chung nicht gedacht. 35 Froschlarven aus sternförmig und netzförmig verbundenen Zellen, so wie aus durchsichtiger Zwischensubstanz. Von den sternförmigen Zellen (resp. Bindegewebs-Körpern) wünscht der Verf. die mehr oberflächlich gelegenen, sternförmigen Pigmentzellen zu unterscheiden, die grösser sind, bald Pig- ment führen, bald nicht. (Ref. ist bei einer gelegentlichen Untersuchung des Schwanzes der Froschlarven noch mehr in der schon einmal ausgesprochenen Ansicht bestärkt wor- den, dass die sternförmigen Pigmentzellen in die Kategorie von Bindegewebskörperchen, ebenso wie die übrigen stern- förmigen Zellen des gallertartigen Bindegewebes zu stellen seien). Die Fasernetze der beiden Schwanzflächen stehen durch ein Gerüst von Fasern miteinander in Verbindung, welche parallel neben einander verlaufen, stellenweise unter spitzen Winkeln sich netzförmig verbinden, und in senkrech- ter Richtung die Dicke des Schwanzes durchsetzen. Der Verf. hat für diese sternförmigen Zellen und Fasernetze nach der beliebten Mode einen neuen Namen, nämlich „Stütz- fasern“. In der Bauchdecke nahe am After haben die Fasern zuweilen einen spiraligen Verlauf. (Spiralfasern). Mit der Entwickelung der Froschlarven gewinnt die Grundsubstanz an Festigkeit und zeigt einen streifigen Bau und Neigung, in feine Fibrillen zu zerfallen. Ein entschiedener Uebergang des gallertartigen Bindegewebes in festes Bindegewebe mit seinen Kernfasern und der streifigen Grundsubstanz: findet im Schwanze der Froschlarve nicht Statt, da der Schwanz frü- her verkümmert. Aber auch an der Bauchdecke liess sich die Umwandlung nicht klar verfolgen. Das gallertartige Bin- degewebe schwindet nämlich hier sehr rasch (wie? Ref.), und in den jüngsten schwanzlosen Fröschen zeigt sich schon das Bindegewebe wie im ausgebildeten Zustande, nämlich aus sogenannten Bindegewebsbündeln bestehend, die von den kernhaltigen Stützfasern (Netz- und Spiralfasern) umsponnen (#R.) werden. Mögen aber, fügt der Verf. hinzu, die zwi- schen der Muskulatur und der Cutis gelegenen Bindegewebs- Platten aus dem gallertartigen Bindegewebe, oder aus einer Verschmelzung (?R.) der Cutis mit den bindegewebigen Mus- kelhüllen hervorgegangen sein, so sei doch wegen der Ueber- einstimmung derselben mit dem embryonalen Bindegewebe hinsichtlich der Zusammensetzung auf einen ähnlichen Bil- dungsgang zu schliessen. Obgleich man nach der Darstellung Remak’s anzuneh- men berechtigt sein könnte, dass das gewöhnlich sogenannte Bindegewebe aus Intercellularsubstanz hervorgehe, so glaubt der Verf, nach seinen Untersuchungen über die Bildung der Grundsubstanz des Knorpels noch einen anderen möglichen Bildungsgang in Aussicht stellen zu müssen. Auch an den Zellen der Anlage eines Knorpels will der Verf. doppelte Membranen, von welchen die innere den Primordialschläuchen Or 36 der Pflanzen zu vergleichen sei, unterscheiden. Bei Entwik- kelung von Tochterzellen in diesen Zellen bleibt die äussere Membran, die sonst sog. Mutterzellmembran, anfangs erhalten und verdiekt sich durch Ablagerung von Knorpelschichten an der Innenfläche. Auf diese Weise bildet sich die „Knorpel- blase“, in welcher 1—2 Zellen liegen. Letztere Zellen, die anfangs nur die innere Membran (Primordialschlauch) besitzen, setzen später auch die äussere Zellmembran ab und verwan- deln sich unter Entwickelung von Brutzellen in sekundäre Knorpelblasen, u. s. w. So können die primären Knorpel- blasen sekundäre, tertiäre u. s. w. eingeschachtelt enthalten. Die zuletzt gebildeten Tochterzellen stellen nun die Knorpel- körperchen dar, während die zwischen ihnen gelegene Grund- substanz durch Verschmelzung der ineinander geschachtelten Knorpelblasen entsteht und wegen dieser Entstehung „Pa- rietalsubstanz* genannt wird. Bevor die Verschmelzung ein- tritt, schwinden die äusseren Membranen der nacheinander auftretenden Brutzellen, so wie der ersten Mutterzelle, so dass die sog. Parietalsubstanz aus Verschmelzung der an ihrer Innenfläche abgelagerten Knorpelschichten hervorgeht. Die wichtigsten Versehiedenheiten bleibender Knorpel zeigen sich darin, dass nicht sämmtliche (äussere) Zellmembranen Knorpelsehichten absetzen, und dass auch nicht sämmtliche Knorpelblasen zu einer homogenen Parietalsubstanz ver- schmelzen, indem die jüngsten ihren scharfen Kontour, ja selbst die umhüllende Zellmembran durch das ganze Leben bewahren. Lehrreich sei in dieser Beziehung das Studium des Processus ensiformis bei Kaninchen, an welchen die lockere Mittelschicht namentlich am freien Rande die zuletzt besprochene Beschaffenheit erkennen lassen soll. Die abge- lagerten Knorpelschichten unterscheiden sich hier nach dem Verf. sowohl durch ihre dicke und lichtbrechende Eigenschaft, als durch ein strahliges Gefüge von der äusseren und inneren Zellmembran. Auch der Kehldeckel des Schafes wird zur Untersuchung empfohlen. Da nun, den Anschauungen des Verf. gemäss, die hyaline Grnndsubstanz des Knorpels aus den Ablagerungsschichten zwischen den beiden Zellmembra- nen der embryonalen Zellen gebildet wird, so ist sie keine Intercellular-, sondern eine Intracellular-Substanz. Daher sei auch anzunehmen, dass das eigentlich sogenannte Binde- gewebe als intracellulare Substanz sich bilde, indem bei den mannigfachen Uebergängen des hyalinen Knorpels zum Binde- gewebe, vermittelt durch den Faserknorpel, auf eine gleiche Entstehungsweise beider Gewebe geschlossen werden müsse; wie die hyaline Substanz des Knorpels als Parietalsubstanz der Knorpelkörperchen, so sei das gewöhnliche Bindegewebe als Parietalsubstanz der sogenannten Stützfasern anzusehen. — Ref. mag sein Bekenntniss nicht zurückhalten, dass er bei seinen öfters unternommenen Untersuchungen über die 37 Entwickelung des Knorpels und Bindegewebes Nichts beob- achtet hat, was zur Auffassung und der Darstellung des Verf. berechtigt. Das Hauptresultat indess der meisten neuern Mittheilungen über die Entwickelung des Bindegewebes dränge zu der Thatsache hin, dass Bildungszellen, resp. Bindesub- stanzkörperchen und Intercellularsubstanz in den histologi- schen Prozess aufzunehmen seien; über die Art und Weise freilich, wie diese beiden Bestandtheile entstehen und nament- lich sich weiter verändern, möchten kaum zwei ganz gleich- lautende Ansichten nachgewiesen werden ‚können. Ueber die Substanz des Glaskörpers hat R. Virchow embryologische Untersuchungen angestellt, aus welchen her- vorgeht, dass diese Substanz ebenso wie das gallertartige Gewebe im Hahnenkamm zu dem auch im entwickelten Kör- per persistirenden Schleim- oder gallertartigen embryonalen Bindegewebe zu rechnen sei. (Notiz über den Glaskörper: Archiv f. path. Anat. ete. 1852. p. 468). Bei Schweinsem- bryonen von 4 Zoll Länge besteht nämlich der Glaskörper ans einer homogenen Intercellularsubstanz, die an einzelnen Stellen leicht streifig erscheint, und in welcher runde, kern- haltige, zuweilen mehrkernige, stark granulirte Zellen von derselben Beschaffeuheit, wie in der Gallerte des Nabel- stranges und Colloids, eingebettet liegen. Wie beim Nabel- strang sind also auch hier die Zellen als die Bildungsorgane der Zwischensubstanz zu betrachten. Bei weiterer Ausbil- dung des Glaskörpers scheinen die Zellen ganz unterzugehen und die Intercellularsubstanz allein zurückzubleiben. C. Bruch hat in seinen „Beiträgen zur Entwickelungs- geschichte des Knochensystems“ (Denksch. der Schweiz. na- turforschenden Gesellschaft: Bd. 11.) Beobachtungen über die Bildung des Knorpels mitgetheilt. Der Verf. hält alle Gewebe, welche verknöchern, für verwandt (p. 162), so den hyalinen, hbäutigen und Faser-Knorpel; dagegen sei das Bin- degewebe von letzterem zu trennen. Es sei daher nicht ge- stattet, — wie es Ref. gethan haben soll (!), — dasselbe Gewebe bald Knorpel, bald Bindegewebe zu nennen und so die Schwierigkeiten mehr zu verhüllen, als sie auszugleichen. Reifes Bindegewebe und fertiger Knorpel erscheinen histolo- gisch als so wohl charakterisirteGewebe, dass auf gewisse Aehn- lichkeiten auf frühen Entwickelungsstufen oder auf die zahl- reichen Uebergänge und das leider von dem Verf. noch immer misverstandene Kontinuitätsgesetz (Reichert) Nichts zu ge- ben sei. Alle spezifischen Gewebe tragen vielmehr den Stem- pel der Individualität bereits von Anfange an in sich, wenn auch optische und chemische Hilfsmittel keine Unterschiede aufweisen könnten. Auf dieses Raisonnement antwortet Ref. mit zwei Fragen: Wird die Unterscheidung der einzelnen Wirbelthiere beeinträchtigt, weil wir sie auf Grundlage des allgemeinen Wirbeltypus auffassen und beurtheilen?, und hört 38 die Verwandtschaft der Wirbelthiere auf, weil sie auch auf den frühsten Entwickelungsstufen ihr individuelles Gepräge haben? In Betreff der Bildung des hyalinen Knorpels geht der Verf. seiner bekannten Ansicht nach vom formlosen Cy- toblastem (resp. Intercellularsubstanz) aus, in welchem ur- sprünglich nicht einmal fertige Zellen, sondern hüllenlose, kernhaltige Klümpchen (primäre Bildungskugeln) auftreten; alle Vermehrung der Elementartheile auf den ersten ‚Stufen der Organisation im Embryo sei zugleich nur eine intercellu- läre, exogene. (p. 6.8.). Das erste Auftreten des Knorpels will der Verf. bereits gegen Ende des ersten Tages der Be- brütung des Hühnchens wahrgenommen haben; dabei gelten ihm die bekannten viereckigen Wirbelplättchen zu beiden Seiten der primitiven Rinne als Anlagen des Skeletes, wäh- rend Ref. und später Remak nachgewiesen, dass darin die Abtheilungen des gesammten Wirbelsystems, sowohl seiner Hart- als Weichgebilde gegeben sind. (p. 13.). Als erstes Merkmal einer histologischen Differenzirung wird die Um- wandlung der um das Doppelte grösser gewordenen Bil- dungskugeln in die durch ihren spiegelnden Glanz sich aus- zeichnenden wirklichen Knorpelzellen betrachtet, die durch ein Minimum von weichem, feinkörnigem Blastem unterein- ander verbunden sind. Bei der weiteren Entwickelung der Knorpelsubstanz hebt der Verf. hervor, dass die Intercellu- larsubstanz entschieden die Hauptrolle spiele, desgleichen, wie schon A. Bergmann zeigte, unter scheinbarer Vermin- derung der Knorpelkörperchen fortdauernd an Masse zunehme und gleichzeitig an Härte und Festigkeit gewinne. In Betreff der Knorpelkörperchen fand Bruch, in Uebereinstimmung mit Bergmann (Diss. inaug. Dorpat.), dass sie in der ein- mal gebildeten Knorpelsubstanz weder durch endogene, noch durch exogene Zellenbildung vermehrt würden, sich vielmehr nur vergrössern und anfangs die Knorpelhöhlen zwar genau ausfüllen, aber nicht mittelst ihrer Zellmembran in einen Verschmelzungsprozess mit der @Grundsubstanz eingehen. Wirkliche Bildung von Knorpelkörperchen zeige sich nur in der Peripherie der Anlage eines Knorpels, der, wie es aller- dings wahrscheinlich ist, durch Apposition neugebildeter Knor- pelsubstanz (Knorpelk. und Grundsubst.) an dem bezeichneten Orte, entsprechend der künftigen organologischen Form des Knorpels sich vergrössern. (p. 36.). Gegen die histologische Bedeutung der Intercellularsubstanz bei der Bildung der Knor- pelsubstanz scheine auf den ersten Blick das Verhalten der Flossenstrahlen bei Fischen, desgleichen der Kiemenstrahlen zu sprechen, welches einigermassen an das Zellenparenehym der Pflanzen erinnere. Bekanntlich sucht Kölliker noch neuerdings hier seine Stütze für die Ansicht, dass Knorpel- körperchen allein die Knorpelsubstanz repräsentiren können. Der Verf. erkennt jedoch an den bezeichneten Stellen deut- 39 lich eine mässig dicke Schicht von Intercellularsubstanz, die vollkommen geschieden von den hier verdickten Zellmembra- nen der Knorpelkörperchen, aber mit ihnen in Verbindung das Bienenwaben-ähnliche Ansehen des Gewebes veranlasse. A. Bergmann und Ref. vermochten verdickte Zellmembra- nen nicht zu unterscheiden; die Zellmembranen sind hier ent- weder mit Intercellularsubstanz bis zur Unkenntlichkeit ver- schmolzen, oder, wie dem Ref. jetzt wahrscheinlicher ist, an den frei in den Knorpelhöhlen liegenden Körperchen ohne Veränderung vorhanden. Mit A. Bergmann stimmt der Verf. ferner darin überein, dass die verschiedenen Gruppirungen der Knorpelkörperchen bei weiterer Ausbildung des Knorpels nicht von einer endogenen Zellenbildung (Kölliker u. A.) herrühren, und dass die Gruppen selbst nicht als kolossale Mutterzellen mit Tochterzellen anzusehen seien, sondern dass letztere vielmehr der Vergrösserung der Knorpelkörper- chen, der Erweiterung der resp. Knorpelhöhlen ihre Entste- hung verdanken, und dass möglicher Weise, wie schon Har- ting annimmt, mehrere Knorpelhöhlen durch Resorption der Zwischenwände ineinander fliessen. Bruch erwähnt noch einer besonderen Veränderung der Knorpelkörperchen, die in späteren Jahren eintrete. Man begegnet besonders in Rip- penknorpeln und Faserknorpeln (Kehlkopfk. Ref.) solchen Knorpelzellen, die nicht zusammenschrumpfen, frei an Schnitt- rändern sphärisch hervortreten und inniger der Knorpelhöh- lenwand adbäriren; die Erscheinung wird von einer Verdich- tung der Zellmembran (p. 82.) hergeleitet. In anderen Fällen erscheinen doppelte, mehr oder weniger konzentrische Kon- touren an den Knorpelhöhlen, die gewöhnlich als eine Ver- diekung der Zellmembran beschrieben werden. Auch der Verf. verlegt die Kontouren, Bergmann und dem Ref. entgegen, in eine und dieselbe Ebene und sieht sie demnach als die Begrenzungslinien einer Verdickungsschicht an, obschon die Linien selbst niemals gleichmässig scharf auftreten, der Ab- stand zwischen ihnen sich verringert, ja bis auf ein Minimum redueirt werden kann, je nach der Dicke des von einer Knor- pelhöhle genommenen Abschnittchens, und ohne dass die Durchmesser des Raumes der äussersten Begrenzungslinie eine Veränderung erleidet. Ob die angebliche Verdickungs- schicht durch eine Ablagerung an der Innenfläche der Zell- membran, d.h. durch Verdiekung derselben, oder durch Ap- Bess von Intercellularsubstanz an der Innenfläche der norpelhöhle sich gebildet habe, ist nach dem Verf. schwie- riger zu entscheiden. Jedenfalls gehört die äusserste Begren- zungslinie der Knorpelhöhle an, und das optische Verhalten des Binnenraums zwischen beiden Linien, d. h. der Verdik- kungsschicht, bei Anwendung von Jod steht demjenigen der Grundsubstanz näher, weil — was Ref. hinzufügt — die an- gebliche Verdickungsschicht nur als der optische Ausdruck 40 der frei gegen die Knorpelhöhle gewendeten Fläche der In- tercellularsubstanz anzusehen ist. Das eigenthümliche kon- centrisch geschichtete Ansehen, welches die Knorpelkörper- chen zuweilen im Faserknorpel zeigen, leitet der Verf. wohl mit Recht von dem scheinbar faserigen Bau der Grundsub- stanz ab, die die Knorpelhöhlenwand bildet. (p. 85.). Wahre Schiehtbildung im Innern der Knorpelhöhlen mit gleichzeitiger Fettablagerung findet sich nach dem Verf. im Ohrknorpel des Kaninchens. (Ist nicht der Fall R.). Die den elastischen Fasern so ähnlichen Faserbildungen im Ohrknorpel des Rin- des, der Katze, des Menschen etc. werden als verdichtete In- tercellularsubstanz anerkannt. Ref. hat bereits im Jahresbericht vom Jahre 1348 (Müll. Arch. 1849. p. 41) als Ergänzung seiner Ansicht von den Ge- bilden der Bindesubstanz auf zahlreiche Erscheinung hinge- wiesen, aus welcher auf die Schichtbildung *), auf die Zusammensetzung des hyalinen Knorpels, des Faserknorpels, des gewöhnlichen Bindegewebes und der Sehnensubstanz (so- fern diese Theile im Körper kompaktere Massen bilden), aus einzelnen übereinander geschichteten Lamellen geschlossen werden müsse. Henle hat nunmehr in seinem Jahresb. vom Jahre 1852 (p. 27 sq.) „mit dankenswerther Klarheit“ einen solchen geschichteten Bau in der Hornhaut ausführlich be- schrieben und zugleich auch der früheren, bisher noch immer gegen den Ref. festgehaltenen Ansicht von präformirten Fa- sern in derselben entsagt. Die Grundlage der Hornhaut bil- den nieht Fasern, sondern etwa 300 parallel der Oberfläche übereinandergeschichtete, homogene Lamellen von 0,005” im Durchmesser. Schneidet man ein etwas dickeres Stück aus der Hornhaut und betrachtet die Kante zweier aneinander stossender Schnittflächen, so erhält man ein Bild, wie wenn ° man auf die senkrechte Kante eines Buches sehe; jede Li- nie, die den Rand eines Blattes bezeichnet, setzt sich über die Kante von der einen auf die andere Fläche fort. An senkrechten Schnittehen überhaupt markirt sich der blättrige Bau an parallel verlaufenden feinen Strichen. Die Fibrillen und Fasern, die der Verf. früher sah, waren nur Faltungen und Kräuselungen homogener Lamellen. Die einzelnen La- mellen ziehen nur selten (?R.) durch die ganze Ausdehnung der Cornea hin; zuweilen endigen sie mit allmälig zuge- schärften Rändern. Sie scheinen ganz dicht aneinander zu liegen; beim Trocknen trennen sie sich hier und da in kür- zerer oder längerer Strecke von einander und bilden die be- kannten Lücken. Ausser diesen Lücken kommen aber auch wirkliche Hornhautkörperchen vor, die sich an senkrechten Durchschnittchen der Cornea durch die Dieke der Substanz *) Vergl. hierüber auch den späteren Bericht über die Arbeit des Dr. Zellinsky. 41 wie dunkle Stäbchen ausnehmen, an Flächenschnittehen jedoch — was Toyubee (Phil. transaet. 1841. II. p. 179) zuerst rich- tig beschrieb, — sich als zarte, blasse, sternförmige Zellen darstellen, die meistentheils mit einem körnigen Kern ver- sehen sind. Wirkliche Fasern enthält die Hornhaut nach Henle in ihrem vorderen Theile, in der Nähe und in dem Zusammenhange mit der vorderen, elastischen Lamelle von Todd-Bowman. An der Grenze der Hornhaut hängen diese Fasern mit den elastischen Fasernetzen der Selerotica zusammen, und, da innerhalb dieser Netze. in den Intersti- tien der Bindegewebsbündel auch die Nerven und Gefässe verlaufen, so habe sich Kölliker verleiten lassen, sie als Ausläufer von Gefässen zu betrachten. (?R.). Weiter gegen das Centrum der Cornea tauchen nach dem Verf. solche Fa- sern gradezu aus der Tiefe der Substanz hervor, durchsetzen die Lamellen und geben nach allen Seiten wirtelförmige Aeste ab, die sich weiter verästeln, dabei feiner werden und zuletzt theilweise in die vordere, elastische Membran inseriren oder dicht unter ihr schleifenförmig sich umbiegen. Sie haben alle Kennzeichen elastischer Fasern (Spiralfasern oder wirkliche elastische Fasern ?R.) und werden von Kernen begleitet; mit den Hornhautkörperchen hängen sie nicht zusammen. In ihnen soll die Fettablagerung bei alten Personen, bei Bil- dung des Arc. senilis statthaben. In Bezug auf die Endigung der Descemetschen Haut am Hornrande stimmt der Verf. im Allgemeinen mit Bowman und Kölliker darin überein, dass dieselbe nicht frei endige; er konnte sich aber nicht überzeugen, dass sie durch das Lig. ind. pectinat. auf die Vorderfläche der Iris kontinuirlich übergehe. Die Descemet- sche Haut soll sich vielmehr in eine der innersten Gefäss- haut gleichende, fein gestreifte elastische Membran verlie- ren, welche in 3—4 Schichten den Schlemm’schen Kanal immer begrenzt. Weiter nach Innen vom Schlemm’schen Kanal, also gegen die Augenkammer hin, folgen dann 6—8 Lagen eines sehr zierlich (?R.) angelegten elastischen Ge- webes, welche an die der Augenkammer zugekehrte Fläche der Descemetschen Haut sich anlegen und mit ihr fest ver- bunden sind, also wohl sich nicht darin verlieren sollen (R.). An der freien Fläche, in der Nähe des zugeschärften Randes der Descemetschen Haut, befindet sich eine eigen- thümliche Art von Warzen, die bisher der Beobachtung ent- gangen sind, freilich auch nicht in jedem Auge gleich aus- gebildet auftreten. Bei der Seitenansicht stellen sie abge- stutzte Kegel dar, von der Fläche betrachtet nehmen sie sich wie Kernzellen aus; an der Basis haben sie einen Durch- messer etwa von 0,01”, an der Spitze von 0,007'; ihre Höhe beträgt 0,004. Sie sind weich, biegsam und zeigen sich als Verdickungen der Descemetschen Haut. Einzelne Papillen ragen in die Lücken des Netzwerkes hinein, welches die 42 zuletzt erwähnten Lagen des elastischen Gewebes miteinander bildet. Dieses elastische Gewebe verliert sich übrigens nach Aussen von dem Hornhautrande theils zwischen die Bündel des Spannmuskels der Chorioidea, theils nach Aussen von dem genannten Muskel in die Sclerotiea; zur vorderen Fläche der Iris konnte der Uebergang nicht verfolgt werden. Dage- gen folgt nach Innen von diesen elastischen Platten eine Lage netzförmig verbundener Bindegewebsbündel, die allerdings von der Descemet’schen Haut (ob als Fortsetzung? R.) auf die Vorderfläche der Iris sich fortsetzen; sie stellen das sog. Ligam. irid. peet. ant. vor. Die einzelnen Bündel sind, wie die des grossen Netzes, von elastischen Fasern umsponnen (?R.) und durchzogen, und hier und da mit einem Zellenkern bedeckt. Ref. hat die Resultate seiner Untersuchungen über die faserknorplige Substanz der Cornea, deren Grenzschicht nach vorn gegen das mehrfach geschichtete Epithelium, über ihre Beziehung zur Descemet’schen Haut, über den Uebergang des Faserknorpels und der Descemet’schen Haut in die an den Hornhautrand anstossenden Gebilde der Bindesubstanz bereits im Frühjahr 1845 (Bemerk. zur vergl. Naturforschung im Allg. und vergl. Beob. über das Bindegewebe und die ver- wandt. Gebilde, p. 86—90) veröffentlicht. Im August dessel- ben Jahres erschien die Abhandlung Bowman’s. In meh- reren Punkten, die uns heut zu Tage von Wichtigkeit ge- worden sind, findet zwischen uns beiden Uebereinstimmung Statt; gleichwohl wird von Kölliker, Henle nurBowman nicht blos als Gewährsmann, sondern sogar als derjenige Forscher bezeichnet, der diese oder jene Beobachtung zuerst gemacht oder erwähnt habe. So hat Ref. es bereits hervor- gehoben, dass die Cornea gegen das vordere Epithelium hin von einer äusserst dünnen Grenzschicht, ähnlich der Membr. Desmoursii, bekleidet werde (a. a. O. p. 90). Bowman nannte sie „elastische Lamelle“; Ref. gab ihr keinen besonderen Namen und hält den Bowman’schen für unpassend, weil das elastische Gewebe ein Fasernetz-Gebilde darstellen muss. Leider ist der Begriff des elastischen Gewebes gegenwärtig von solcher Elastieität geworden, dass man kaum einen festen Stützpunkt gewinnen kann und bisweilen nur mit Mühe zu enträthseln im Stande ist, was einzelne Schriftsteller bei Ge- brauch des Wortes sich denken, oder welches Gebilde sie eigentlich vor Augen haben. Jene Grenzschicht ist jedenfalls vergleichbar den glashellen Lamellen, die wir sonst interme- diäre Membran, die Engländer basement membrane genannt haben, und mit welcher die Gebilde der Bindesubstanz an freien Flächen, auch überhaupt in unmittelbarer Nähe ande- rer Formelemente zu endigen pflegen. Von der Descemet- schen Haut hatte Ref. gezeigt, dass sie an ihren Rändern eine kontinuirliche Verbindung mit demjenigen Bindegewebe unterhalte, „durch welches die Iris mit der Sclerotica zusam- 43 menhängt, namentlich mit der vorderen Partie desselben, welche unter dem Namen ligament. irid. peetinat. bekannt ist. (p- 87.).“ Auch gegenwärtig bei Wiederholung dieser Unter- suchungen sieht Ref. mit Bowman und Kölliker die Des- cemet’sche Haut ohne irgend eine Spur von Abgrenzung in eine dicht gestreifte Substanz sich fortsetzen, welche vorzugs- weise in das Bindegewebe der bezeichneten Gegend sich ver- liert. Kurz vorher pflegt die Substanz der Membr. Desmours. schon eine matte parallele, feine Streifung (an Querschnitt- chen) zu zeigen. In der Monographie „der Nerv. phrenicus des Menschen“ (Tübing. 1853; 4to. mit 3 Taf.) bespricht Luschka die so- enannten umspinnenden, elastischen oder spiraligen oder ernfasern der Bindegewebsstränge (p. 64 sq.),. In dem ÖOmentum majus zeigt sich bekanntlich das Bindegewebe un- ter der Form eines höchst ausgezeichneten Netzwerkes, wie es auch zwischen der Pia mater und Arachnoidea des Ge- hirns und Rückenmarks beobachtet wird. Bei Einwirkung von konzentrirter Essigsäure nehmen sie auch hier ein aus- gezeichnetes variköses Ansehen an, ohne dass man den Ein- schnürungen entsprechende Faserelemente vorfände. In an- deren Fällen sieht man auch wirklich an den Einschnürungs- stellen zart kontourirte Ringfasern liegen. Allein der Verf. hat sich überzeugt, dass diese Ringe durch plötzliches Ein- reissen und Zusammenschnurren einer membranösen Umhül- lung des Zellstoffbündels gebildet werden, und dass spiralige Umwickelungsfasern nicht vorhanden seien. Die Hülle der Zellstoffbündel scheint ihrer Natur nach aus einem mit der Substanz des elastischen Gewebes vergleichbaren Stoffe zu bestehen. Wo diese Hülle nicht zerreisst, mögen die Ein- schnürungen dadurch entstehen, dass sie durch das Aufquel- len des Bindegewebes stellenweise (?R.) stark ausgedehnt wird. — ee meint (Jahresb. vom Jahre 1852. p. 30.), dass die Existenz der feineren, spiralig umspinnenden Fasern namentlich der Bindegewebsbündel der Pia mater und des Netzes schon dadurch festzustellen sei, dass am Rande der eingeschnürten Stellen dunkle Kügelchen, die scheinbaren Querschnitte der umspinnenden Fasern, sichtbar werden. Jeder Zweifel aber soll schwinden, wenn man nach Henle’s Vor- schlag statt der Essigsäure Kalilösung und Wärme anwendet, wodurch das Bindegewebe sich auflöse, und die elastischen Fasern frei zurückbleiben. Ref. hat seine Ansicht über die „umspinnenden* Fasern der Bindegewebsstränge bereits im vorjährigen Berichte aus- gesprochen (p. 96). In Folge der von Henle gegen Luschka gemachten Einwendungen hatte der Assistent des Breslauer physiologischen Instituts, Herr Dr. Aubert, auf Veranlas- sung des Ref. den Gegenstand einer ausführlichen Unter- suchung unterworfen, deren Resultate bald veröffentlicht wer- 44 den sollen. Es lassen sich nach diesen Untersuchungen die Gegenbemerkungen Henle’s beseitigen. Es ist vielmehr vollkommen richtig, dass die Einschnürungen der sog. Binde- gewebsbündel bei Anwendung von Essigsäure in den meisten Fällen einer die Bindegewebsstränge überziehenden, homo- genen, zuweilen mit zerstreuten Kernen versehenen und den chemischen Einwirkungen einen grösseren Widerstand ent- gegenstellenden Hülle ihre Entstehung verdanken; es kom- men aber auch noch andere Täuschungen vor. Die Unter- suchungen Aubert’s haben es als eine nicht mehr zu be- zweifelnde 'Thatsache herausgestellt, dass die sog. „um- spinnenden“ Fasern der Bindegewebsstränge nicht existiren. Man wird es begreiflich finden, dass der Ent- decker dieser Fasern, die eine so grosse Rolle in der Histo- logie spielten, dass wir alle uns fast 15 Jahre hindurch haben täuschen lassen; aber man wird seine Freude auch darüber nicht zurückhalten dürfen, dass unsere Wissenschaft, ein wahrer Tummelplatz für mancherlei Irrthümer, von einer der auffallendsten und blendendsten Täuschungen erlöset worden ist. Knochensubstanz. Ueber den Verknöcherungs- prozess liegen Untersuchungen von A. Brandt (Disquisit. de ossification. processu. Diss. inaug. Dorpati Livonor. 1852; 4to. ec. tab. 11.) und von Bruch (Beiträge zur Entwickelungs- gesch. d. Knochens.) vor, die in mehreren wichtigen Punkten übereinstimmen, in anderen freilich wesentlich von einander abweichen. — Nach Bruch sind zu trennen: die Verknöche- rung im sog. primordialen und die im sekundären oder de- finitiven Skelet. Im hyalinen Knorpel des Primordial- skeletes sind diejenigen Stellen, wo die Verknöcherung eintreten will, durch die bekannte Anordnung der Knorpel- körperchen in Reihen ausgezeichnet. Diese Reihen sind senkrecht gegen den Knochenkern gerichtet, und, um die- selben daher der Länge nach zu übersehen, muss man in Ebenen schneiden, die bei langen und glatten Knochen in der Längsaxe, bei dicken Knochen in der Richtung der Ra- dien eines Kreises liegen. (p. 44 sq.). Die einzelnen Reihen sind ferner nicht neben- oder hintereinander, sondern alter- nirend gestellt, so dass das verjüngte Ende jeder einzelnen in den Zwischenraum yon je zwei nächst vorderen hinein ge- schoben ist. Nach dem Verknöcherungsrande hin weichen die Reihen in Folge von Zunahme der Grundsubstanz seit- lich mehr auseinander, während die Knorpelkörperchen in den Reihen sich vergrössern, dabei sich gegenseitig abzu- platten scheinen und polyedrische Gestalten mit abgestumpf- ten Ecken annehmen, im Allgemeinen jedoch bis zum Ver- knöcherungsrande die querovale Form beibehalten. Erst in unmittelbarer Nähe desselben werden sie sphärisch und gehen in dieser Form in den Verknöcherungsprozess ein. Durch die Ausdehnung und Erweiterung der Knorpelhöhlen, die 45 anfangs mit dem Körperchen zugleich, später selbst unter Zusammeuschrumpfung (?R.) des letzteren erfolgen soll, er- hält der verknöchernde Knorpel jenes maschige, einem Zel- lengewebe ähnliche Ansehen. Endogene Zellenbildung findet in keiner Weise Statt; der Anschein von mehreren Knorpel- körperchen in einer Mutterzelle entsteht durch die sich dek- kenden Körperchen einer Reihe, die theilweise senkrecht gegen den Beobachter gerichtet ist; feine Schnittchen zeigen deutliche Brücken zwischen den Zellen oder Knorpelkörper- chen, die sogar gegen den Verknöcherungsrand an Dicke etwas zunehmen. Die Vereinigung von -Knorpelhöhlen zu sekundären Höhlen durch das Schwinden der Zwischenwände von Intercellularsubstanz kommt im fötalen Knorpel und vor dem Verknöcherungsrande nicht vor. Die spiegelnden Säume, welche oft das Ansehen eines doppelten Kontour der Knor- pelhöhle geben, sind optische Phänomene. Der hyaline ver- knöchernde Knorpel wird von Höhlungen und Kanälen durch- zogen, die schon Howship kannte und die neuerdings na- mentlich von H. Meyer beachtet wurden. Sie sind durch Resorption der Grundsubstanz entstanden und führen gelati- nöse Masse, kleine Zellen, später Blutgefässe (Knorpelmark); sie haben Nichts mit den Markkanälchen des Knochens zu thun. Die Verknöcherung beginnt und schreitet stets in der Intercellularsubstanz fort und zwar zuerst in den breiten Zwischenräumen zwischen den Reihen, welche dadurch in ein dunkles Maschennetz mit länglichen Maschen eingeschlossen werden. Dabei verdunkeln sich die früher spiegelnden Wände der Knorpelhöhlen, und diese Verdunkelung breitet sich wei- terhin in die Intercellularsubstanz aus, bis dieselbe eine ho- mogene dunkle Masse mit zahlreichen, den Knorpelhöhlen entsprechenden Lücken darstellt. Die Knorpelzellen sind an dem Prozess nicht betheiligt; sie sollen vielmehr einschrum- pfen und bald vollständig verschwinden, da in dem verknö- cherten Theile die Maschen stets leer gefunden werden (?R.). In dem frisch verknöcherten Theile beginnt sodann gleich hinter dem Verknöcherungsrande ein ausgebreiteter Schmel- zungsprozess. Es schwinden zunächst die Scheidewände der verknöcherten Reihen, dann fliessen die Knorpelhöhlen zu- sammen, und so bildet sich das spongiöse Knochengewebe. Zertrümmertes und erweichendes Knochengewebe, Knorpel- zellen und etwa noch übrige nicht verknöcherte Knorpel- substanz stellen in den grossen, unregelmässigen Maschen- räumen einen Detritus dar, aus welchem durch vollständige Schmelzung ein Oytoblastem hervorgehen soll, das zur Bil- dung von Mark verwendet wird; die Maschenräume gehen dann in Markzellen und Markröhren-Bildung über. In gerin- er Entfernung vom Knochenrande wird das dunkle, granu- irte, grobkörnige Ansehen des verknöchernden Knorpels wieder lichter, Dieses rührt nicht daher, weil, wie Köl- 46 liker glaubt, die anfangs in Gestalt von Körnchen proviso- risch abgelagerten Kalksalze wieder verschwinden, und nun- mehr eine chemische Verbindung derselben mit der Grund- substanz auftritt, sondern, weil die Verknöcherung sich mehr gleichmässig über alle Theile ausbreitet. Aber nicht alle Knorpelkörperchen gehen in dem beschriebenen Schmelzungs- prozess für die Bildung spongiöser Knochensubstanz unter. Zeitlebens erhält sich eine Anzahl verknöcherter Knorpel- höhlen mit eingeschrumpften Knorpelkörperchen, die man Knochenkörperchen genannt hat. Diese Knochenkörperchen sollen jedoch stets der Canaliculi entbehren, sie sollen ferner keine anastomotische Verbindungen unter einander haben, auch eine ganz andere Entstehung zeigen, als die eigentlichen Corpuscula radiata des sekundären Skeletes, daher die Exi- stenz der letzteren im Bereiche des primordialen Skeletes und in dem verknöcherten hyalinen Knorpel gänzlich geleug- net wird. Die Corpuscula radiata und Markkanälchen gehö- ren wesentlich dem sekundären Skelete an. (p. 56.). Bei nachträglichen Verknöcherungen im Primordialskelet (im Be- reiche der sogenannten permanenten Knorpel) beginnt die Ablagerung im Umkreise der Knorpelhöhlen und schreitet von da aus in der Intercellularsubstanz weiter. Vereinzelte Knochenhöhlen (Knochenzellen der Aut.) kommen häufiger vor. Um die Verknöcherung im sog. sekundären Skelet (im häutig-knorpligen Gewebe R.) zu studiren, empfiehlt der Verf. ganz besonders die bisher weit weniger untersuchten, im Wachsthum begriffenen Knochen des jungen Thieres, namentlich des Kalbes. Die Beinhaut geht hier ohne scharfe Grenze durch die in der Verknöcherung begriffene Partie zur fertigen Knochensubstanz über; es lassen sich mit Leich- tigkeit für die Untersuchung geeignete Schnittehen bis zu einer bedeutenden Tiefe herunter schneiden, da der Knochen in der Peripherie noch eine grosse Weichheit besitzt (p. 94sq.). Nach des Ref. Erfahrungen sind Flächenschnittehen nur mit grosser Vorsicht und mehr zur Ergänzung von Schnittchen aus der Dieke genommen zu verwerthen; denn Zerrungen und Einrisse sind da unvermeidlich, wo man der scheinbaren oder wirklichen Faserung entlang oder nach dem Verlauf von Röhrchen, wie unter den obwaltenden Umständen, zu schneiden genöthigt ist, abgesehen von der Schwierigkeit, bei Anfertigung des Präparats in einer und derselben Ebene zu verbleiben. Verfolgt man nach dem Verf. an successiven feinen Schnitten vom Schädel, Unterkiefer, von Röhrenkno- chen u. dgl. die Beinhaut bis in die fertige Knochensubstanz hinein, so findet man: zu äusserst, Bindegewebsbündel mit zerstreuten, schmalen Kernresten und nur wenigen feinen Kernfasern ausser Blutgefässen und Nerven; sodann ein un- deutlich gestreiftes, halbfestes Blastem mit dicht gedrängten, kleinen stäbchenförmigen Kernen (unreifes Bindegewebe) ohne 47 Gefässe und Nerven; ferner eine dünne schleimige Schicht, in welcher sich alle Uebergänge zur Zellenbildung zeigen und die zuweilen ganz aus unreifen Zellen besteht; endlich die Knochen- substanz. Die schleimige Schicht soll sich besonders gut durch Abschaben von der entblössten Knochenfläche darstellen lassen (!R.); sie wird vonzahlreichen Fortsätzen durchzogen, die vonder Beinhaut zur Knochensubstanz hinübergehen, und stellt daher nach dem Verf. ein Maschenwerk dar; in dieser Schicht end- lich wird neue Knochensubstanz gebildet. Das Maschenwerk wird nämlich durch Anlagerung neuer Substanz dichter und kompakter, und sehr frühzeitig gewahrt man ein doppeltes System der Lücken, grössere von etwa 0,05‘ Länge und von dem 8—10ten Theile in der Breite, und kleinere ellip- tische Lücken von etwa 0,005‘ Länge; die grösseren sollen sich in den Markkanälchen, die kleineren in den Knochen- höhlen oder Corpusc. radiata wieder finden. Das Substan- tielle des Maschenwerkes zeigt sich vor der Verknöcherung als eine knorpelähnliche, spiegelnde Masse, die durch Essig- säure weniger als das Bindegewebe durchsichtig gemacht wird und dadurch deutlicher hervortritt. (p. 96). Die Deposition von Kalksalzen beginnt schon während der Ausfüllung der Maschen und Spalten und giebt sich durch äusserst feinkör- nige Trübung der Grundsubstanz zu erkennen. Aus den grössereu Lücken des Maschenwerkes gehen die Markkanäl- chen dadurch hervor, dass durch successive Schichtung das Loch der ersten Lamelle zu einem Kanal verwandelt wird; die kleineren Lücken findet man im Centrum der Corp. ra- diata wieder; letztere sind im Wesentlichen nichts Anderes, als die feinsten von der Ausfüllung verschont gebliebenen Lücken obigen Maschenwerks und bei der ersten Anlage des Knochengewebes schon gegeben (p. 98.). Gleichwohl erwähnt der Verf. eine Seite später, dass die Knochenkörperchen sehr häufig ein rundliches oder längliches Körperchen enthalten, welches die Höhle mehr oder weniger ausfüllt und den ein- geschrumpften Knorpelkörperchen hyaliner Knorpelsubstanz an die Seite zu stellen sei. Sowohl in den Markhöhblen der Diplo&@ als in den Markkanälchen bilden sich sekundäre Ab- lagerungen, obgleich dieselben bei den ersteren nicht die Dicke und Ausbreitung wie bei den koncentrischen Schichten der letzteren erreichen. (p. 107.). A. Brandt hat seine Untersuchungen auf Veranlassung des Ref. angestellt; es ist in der Arbeit keine wichtigere Be- obachtung mitgetheilt, von deren Richtigkeit nicht Ref. durch eigene Anschauung und Prüfung sich überzeugt hätte. Ganz geeignete Schnittchen für die mikroskopische Untersuchung liessen sich nur auf die Weise erhalten, dass der in der Ver- knöcherung begriffene Bestandtheil durch Salzsäure von einem Theile seiner erdigen Bestandtheile befreit und dann’ getrock- net worden war; die Salzsäure muss aber weder zu stark, 48 noch zu schwach eingewirkt haben, worüber der Verf. noch genauere Anweisung giebt. (a. a. O.p.8.). Das die Unter- suchung oft störende Fett des Markes wurde durch Köchen der Sehnittehen in absolutem Alkohol entfernt. Um die Knorpelkörperchen und die beginnenden Inkrustationen klarer hervortreten zu lassen, wurden die Präparate mit Kalilösung (10 Proz.) behandelt; wurden die Schnittchen dadurch zu hell, so liess der Verf. auf eine kurze Zeit Jod einwirken. Mit diesen Hilfsmitteln lassen sich aus allen Verknöcherungsstel- len gute Präparate gewinnen; doch wählt man am zweck- mässigsten Knochen und Knochenpartieen, deren Markräume klein und von geringer Zahl sind, oder Knorpel, in denen die Knorpelkörperchen nicht zu dicht gedrängt stehen. Brandt giebt ausführliche Beschreibungen: von einem Längsschnitt- chen des unteren Endes der Diaphyse vom Metacarpus eines 7 monatlichen Fötus, ferner von einem Längsschnittehen aus dem Wirbelkörper eines neugebornen Hundes, von einem Sehnittehen aus der Vereinigungsstelle des os ischii und des os ilium von einem 7 monatlichen Fötus, von einem Schnitt- chen aus dem Knochenkern zwischen den Condyli oss. femo- ris vom neugebornen Kinde, von mehreren Schnittchen aus der theilweise verknöcherten Cartilago thyreoidea des Men- schen, von einem Querschnitt aus der Diaphyse eines Röh- renknochens vom neugebornen Kinde, endlich von Sehnitt- chen, welches aus der Hinterhauptsschuppe eines 3'%, monat- lichen Fötus mit Berücksichtigung des hyalinen und häutig knorpligen Theiles genommen worden war. Die beigefügten Lithographien sind leider nicht so gut ausgefallen, wie es die Präparate und die von Herrn Stud. Ullmann ausge- führten Zeichnungen verdient hätten. Nach Brandt nimmt der Verknöcherungsprozess in toto, nicht in den Einzelnheiten, einen verschiedenen Fortgang im hyalinen und im häutigen Knorpel, bei welchem letzteren er übrigens, wegen der granulirten und streifigen Grundsubstanz, viel schwieriger zu verfolgen ist. Die Kontroverse über die Betheiligung dieser beiden Knorpelarten an der Grundlegung des Wirbelskeletes im Allgemeinen und an den einzelnen Knochen desselben ins Besondere ist, als nicht zur histolo- gischen Frage gehörig, ganz unberührt gelassen; doch sind die Mittheilungen über die Verknöcherung der Hinterhaupts- schuppe des Menschen, wo hyaliner und häutiger Knorpel in der Gegend der Protuberanz zusammenstossen oder viel- mehr in einander übergehen, für obige Kontroverse von Wich- tigkeit, wie dieses bereits Ref. in einer „brieflichen Mitthei- lung“ an den Herausgeber dieses Archivs (Müll. Arch. 1852. p- 923 sq.) hervorgehoben hat. Ueber die Veränderungen, welche der hyaline Knorpel beim Uebergange in den Ver- knöcherungsprozess erleidet, stimmen die Angaben des Verf. im Wesentlichen mit denen Bruch’s überein. Die Knorpel- 49 körperchen nehmen allmälig an Grösse zu und ordnen sich meistentheils in Reihen und Gruppen, indem die Grundsub- stanz zwischen den Knorpelkörperchen einer Gruppe eine Abnahme, zwischen den Gruppen selbst eine Zunahme zeigt; ein Streifigwerden der Grundsubstanz, wie es von Arnold und Kölliker am Schenkelknochen eines 7 Wochen alten Kindes beobachtet wurde, hat sich nirgend gezeigt. Die Ge- gend, wo dann in der verknöchernden, hyalinen Knorpelsub- stanz die erste Ablagerung von Kalksalzen Statt hat, ist, wie der Verf. glaubt, von den bisherigen Beobachtern über- sehen worden. Man lässt die Inkrustationen zwischen den Gruppen der Knorpelkörperchen beginnen und in Zacken und Fortsätzen weiter vor und zwischen die Körperchen einer Gruppe eindringen. Einen solchen Anschein gewähren dickere Schnittchen aus der Gegend des Verknöcherungsrandes, bei welchen der Ort, wo die Ablagerung zuerst begonnen hat, ganz verdeckt wird. An feinen Schnittehen dagegen fehlen dergleichen Vorsprünge und Fortsätze, und man sehe viel- mehr die Knorpelsubstanz allmälig, so dass der Uebergang kaum bemerklich hervorträte, sich in Knochensubstanz ver- verwandeln. Dieses geschieht aber auf die Weise, dass zuerst die nächste Umgebung der dem Verknöcherungsrande nahe liegenden Knorpelhöhlen mit Kalksalzen inkrustirt werde und dadurch die Re der von dem Verf. sogenannten „Knochenkapseln“ (Capsulae osseae) veranlasse. Die Knochenkapseln haben hiernach die Form der früheren Knor- pelhöhlen und enthalten das unveränderte Knorpelkörperchen. An sehr dünnen Schnittehen, die etwa einen dünneren Abschnitt einer solehen Knochenkapsel enthalten, überzeugt man sich, dass die Inkrustation eine äusserst feine, die Knorpelhöhle unmittelbar begrenzende Lamelle der Grundsubstanz in An- spruch genommen hatz die ganze Kapsel giebt sich als ein lichter, die Knorpelhöhle umziehender Ring zu erkennen. An Präparaten, die mit Kalilösung behandelt sind, wird die Anwesenheit der Knochenkapsel durch einen auffallend lich- teren Glanz gegenüber den unveränderten Knorpelhöhlen mar- kir. An durchschnittenen Knochenkapseln ist auch sehr eigenthümlich und charakteristisch der unregelmässig gezäh- nelte Kontour, welcher dadurch entsteht, dass die feine Kno- chenlamelle durch das schneidende Instrument mehr durch- rissen als gleichmässig durchschnitten wird. Durch diesen Kontour wurde man zuerst auf die Knochenkapsel aufmerk- sam gemacht; bei den noch unveränderten Knorpelhöhlen fehlt sie. Die Knochenkapseln lassen sich nicht aus der Grundsubstanz isoliren. Die Kapseln zeigen bei gecigneieh . Einstellung des Foeus ein fein granulirtes Ansehen; doch ein- zelne Körnchen waren nicht zu unterscheiden. Man sehe dergleichen im weiteren Umkreise der Knorpelböhlen (nie- mals aber innerhalb derselben) bei der verknöchernden Carti- Miüller's Archiv. 1853. Jahresbericht, D 50 lago thyreoidea; aber man könne sich hier zugleich überzeu- gen, dass sie Nichts mit der Bildung der Knochenkapseln, dem Ausgangspunkte für den weiteren Verknöcherungspro- zess zu thun haben. Auch gegen die Ansicht tritt der Verf. auf, dass die Kapseln mit der Inkrustation etwa verdickter Zellmembranen der Knorpelkörperchen in Verbindung zu bringen seien. (a. a. O. p. 50 sq.). Von den Knochenkapseln, die ebenso, wie die Knorpel- höhlen im ossifieirenden Knorpel, gemeinhin in Gruppen, unter Umständen auch vereinzelt auftreten, kann der Ver- knöcherungsprozess auf zwei verschiedene Weise seinen Fortgang nehmen, je nachdem solide oder zellige (spon- giöse) Knochensubstanz gebildet werden soll. Die zuletzt gebrauchten Ausdrücke haben, wie sich später zeigen wird, nicht ganz die Bedeutung der subst. ossea compacta und spongiosa im gewöhnlichen anatomischen Sinne. Beide Wei- sen der Veräuderung einer Knochenkapsel lassen sich bei der Bildung des gewöhnlichen spongiösen Knochen verfolgen, und die darauf bezüglichen Erscheinungen sind auch an Schnittchen, aus der Er des Verknöcherungsrandes ent- nommen, bisher zum grössten Theile bekannt gewesen. Am besten jedoch kann der verschiedene Fortgang des Verknö- cherungsprozesses, die Bildung der zelligen und auch soliden Knochensubstanz, an der verknöchernden Cartilag. thyreoidea beobachtet werden, da beide Substanzen hier mehr gesondert von einander auftreten. Bei der Bildung der zelligen Kno- chensubstanz verwandelt sich die Knochenkapsel in die „pri- märe Medullarhöhle“ (cavum medullare primarium). Die einzige Veränderung, die dabei Statt findet, besteht darin, dass die Höhle der Knochenkapsel statt des Knorpelkörper- chens Markzellen enthält. Offenbar müssen die Markzellen durch Vermittelung der Knorpelzelle entstanden sein, allein der Prozess selbst hat sich bisher nicht verfolgen lassen. Gefässe, Nerven etc. führen die primären Markhöhlen nicht. Die ungeöffnete Knochenkapsel verräth ihre Umwandlung in die primäre Markhöhle nur durch das dunkle, grob granulirte Ansehen; die geöffnete zeigt Markzellen. Sind letztere her- ausgefallen, so ist eine primäre Markzelle von einer Knochen- kapsel nicht zu unterscheiden. Die weitere Ausbildung der zelligen Knochensubstanz nimmt ihren einfachsten Verlauf bei der Cartil. thyreoidea. Es ist dem Ref. nicht bekannt, dass die Beobachter bisher der spongiösen Knochensubstanz des Schildknorpels ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben. Sind die Markzellen aus ihr entfernt, so gleicht sie in der Kon- figuration ausserordentlich dem Zellgewebe der Pflanzen. Ein jeder Zellenraum entspricht einer primären Markhöhle, und , das Ganze ist ein System von aggregirten, primären Mark- höhlen. Die Knochenkapseln einer ganzen Gruppe haben sich hier, unter Resorption noch etwa dazwischen gelegener öl Grundsubstanz bis zur vollständigen Verschmelzung der sich berührenden Wände einander genähert und sind, durch Um- wandlung der Knorpelkörperchen in Markzellen, in dieses aggregirte System primärer Markhöhlen übergangen. Weiter schreitet der Verknöcherungsprozess in der bezeichneten Rich- tung bei den normal entstandenen spongiösen Knochen. Hier dehnt sich der Resorptionsprozess auch auf die sich berüh- renden Wände der aneinander genäherten und Markzellen in sich entwickelnden Knochenkapseln einer Gruppe selbst aus, und dieses führt zur Bildung der sogenannten sekundären Markhöhle. Diese zeigen anfangs sehr deutlich eine sinuöse Begrenzung, entsprechend der aneinander genäherten Kno- chenkapseln; hier und da treten einzelne noch nicht resor- birte Knochenlamellen in den Höhlenraum hinein; es finden sich überhaupt alle möglichen Uebergänge der Entstehung gemäss vor. Die sekundären Markhöhlen sind von einer fei- nen Knochenlamelle begrenzt, die von dem verschmolzenen und nicht resorbirten Theile der aggregirten primären Mark- höhlen herrührt. Da der Schmelzungsprozess in den spon- giösen Knochen noch fortdauert, so öffnen sich später auch die sekundären Markhöhlen ineinander u. s. w. Bei der Bil- dung der zelligen Knochensubstanz im Sinne des Verf. werden keine Knochenkörperchen oder Knochenhöhlen gebildet; die Knorpelkörperchen und die aus Grundsubstanz gebildeten Höhlen gehen in der beschriebenen Weise in die Markhöhlen- bildung und Entwickelung der zelligen Knochensubstanz ein und unter. In der zweiten Richtung des Verknöcherungsprozesses wird solide, feste Knochensubstanz gebildet, die überall, wo hyaliner Knorpel normal in Knochen übergeht, gleichzei- tig mit der Bildung von Markhöhlen und der zelligen Kno- chensubstanz auftritt. “Selten erscheint die zuerst gebildete feste Knochensubstanz inselartig als isolirte Masse in dem verknöchernden hyalinen Knorpel; gemeinhin umsäumt sie die Markhöhlen und verdickt deren einfache, dünne Knochen- lamelle. Sie ist charakterisirt durch die Anwesenheit mehr oder minder entwickelter Knochenkörperchen (Corpuse. ra- diat.). Auch bei diesem Fortgange des Verknöcherungspro- zesses ist der Ausgangspunkt in den Knöchenkapseln gege- ben. Während nämlich ein Theil der Knochenkapseln zu Markhöhlen sich verwandelt, geht ein anderer, und zwar nicht selten die Grenzkapseln einer solchen Gruppe, die zur zelligen Knochensubstanz werden, in die Bildung der soge- nannten Glomeruli oder globuli ossei ein. Es sind die- ses die unter dem Namen „Knochenzellen“ bekannten Kör- per; der Verf. hat einen anderen Namen gewählt, weil in dem früheren Namen eine irrthümliche Ansicht ihrer Entste- hungsweise verborgen liegt. Die Veränderungen der Knochen- kapseln bei dem in Rede stehenden Verlauf des Verknöche- D* 52 rungsprozesses bestehen darin, dass die ursprünglich sehr feine knöcherne Lamelle der Kapsel anfangs unter Verklei- nerung des Knorpelkörperchens mehr nach der Höhle hin, später in viel ausgebreiteterer Weise auch nach aussen gegen die noch nieht verknöcherte Grundsubstanz durch neue In- krustationen sich verdickt; bei der Verdiekung nach innen muss gleichzeitig Neubildung von Grundsubstanz gegeben sein. ie so in ihrer Wandung verdickte Knochenkapsel stellt den Glomerulus oder globulus osseus dar. Anfangs wird die Höhle der Kapsel noch von einer gleichmässig ver- laufenden Kreislinie begrenzt; später erscheint die Begren- zung unregelmässig und geht an einzelnen Stellen in Zacken aus, während das die Höhle ausfüllende Knorpelkörperchen eine entsprechende Form angenommen hat. Hiermit ist in dem Globulus osseus der Anfang der sogenannten Knochen- höhle und des darin enthaltenen Knochenkörperchens, d. h. des zur Sternform auswachsenden, ursprünglichen Knor- pelkörperchens gegeben. Dass die Knochenkörperchen des ausgebildeten Knochens nicht blos Höhlungen der Knochen- substanz sind, sondern von einem entsprechend geformten Körperchen erfüllt werden, dafür spricht also nieht nur der bekannte Virchow’sche Macerationsprozess, den der Verf. mit gleichem Erfolge wiederholt hat, sondern auch die Bil- dung der Knochensubstanz. Die weitere Ausbildung der Strahlen der Knochenhöhlen und des. Knochenkörperchens hat der Verf. nicht genau verfolgen können. Doch ist er der Ansicht, dass es sich hier einmal um das Auswachsen des Knochenkörperchens, als einer Zelle, in die entwickelte Sternform und dann um eine entsprechende Umwandlung der Höhle durch Resorption der Knochensubstanz handele. Dass die Knorpelkörperchen in hyaliner Grundsubstanz in eine, den Knochenkörperchen genau entsprechende Form auswach- sen können, wissen wir bereits von den Knorpeln der Ce- phalopoden, und auch hier muss gleichzeitig Resorption der Grundsubstanz Statt finden. In den Globuli ossei lassen sich noch keine die Dicke der Kapselwand durchbrechende Strah- len des Knochenkörperchens und seiner Höhle entdecken. Unter gewissen Umständen erscheint allerdings die Kapsel- wand von zahlreiehen Streifen durchzogen, die gleich Radien gerichtet sind. Der Verf. giebt die Erklärung dieses opti- schen Phänomens. Die Oberfläche der Kapsel, sowohl innen als aussen, ist nicht glatt, sondern hüglig, und der Schatten- wurf der Thäler bewirkt das strahlige Gefüge, dessen Linien viel zu zahlreich sind, als dass sie sich mit: den Strahlen des Knochenkörperchens in Verbindung bringen lassen. Der Verf. erläutert mit Rücksicht auf die bei dem Verknöcherungspro- zess vorliegenden Erscheinungen das Irrthümliche der An- sicht, nach welcher die Knochenkörperchen wie die Poren- zellen der Pflanzen sich bilden sollen. Die Knochensubstanz 53 der Globuli ossei ist inkrustirte Grundsubstanz, ebenso wie die Knochenlamelle der Markhöhlen. — Indem die Inkrusta- tionen der Globuli ossei nach aussen weiter vorschreiten, vereinigen und verschmelzen sie untereinander und mit der Knochenlamelle der Markhöhle. Steht eine Gruppe von Kno- chenkapseln isolirt, so bildet sich gewisser Maassen ein se- kundärer Globulus osseus. Zwischen der auf bezeichnete Weise gebildeten soliden Knochensubstanz und den Mark- höhlen bleibt eine Zeitlang noch unveränderte Grundsubstanz liegen; diese Räume nennt der Verf. in Uebereinstimmung mit den ähnlich beschaffenen der Zahnsubstanz „interglo- buläre Räume“. Brandt hat solche interglobuläre, noch nicht verknöcherte Grundsubstanz auch an den Querschnitt- chen von Röhrenknochen eines neugebornen Kindes entdeckt. Die interglobulären Räume werden von sphärischen Abschnit- ten der Globuli ossei beiderseits begrenzt; mit fortschreiten- der Inkrustation der letzteren und eintretender Verschmel- zung verschwinden sie. Die Untersuchung des Verknöcherungsprozesses im „häu- tigen Knorpel“ der Schädeldeckknochen oder in der Rin- denschicht solcher Knochen, deren knorplige Grundlage im Centrum hyaline Knorpelsubstanz besitzt, ist in allen Ein- zelnheiten nicht klar zu verfolgen gewesen, da die granulirte, streifige Grundsubstanz jedes genauere Studium unmöglich macht. Ganz sicher aber ist, dass der zu ossificirende häu- tige Knorpel an Ort und Stelle ebenso vorgebildet ist, wie der, wo hyaline Knorpelsubstanz verknöchert; hier wie dort sieht man nirgend eine Schicht frisch exsudirten Blastems, das sich erst in Knorpel zu verwandeln hätte, obschon die ursprüngliche Anlage in beiden Fällen unzweifelhaft an Masse wächst. Reihenweise Anordnung der nur mit Hilfe von Kalilösung und nachträglichem Zusatz von Jod an dünnen Schnittchen sichtbar zu machenden Knorpelkörperchen war nicht zu bemerken; doch nehmen sie in der Nähe des Ver- knöcherungsrandes etwas an Grösse zu. Dass bei beginnen- der Verknöcherung zuerst Knochenkapseln gebildet werden, schliesst der Verf. aus dem eigenthümlichen Glanz, welchen die Knorpelhöhlen in der Umgebung des Verknöcherungsran- des zeigen. Dass der Verknöcherungsprozess ferner ebenso, wie beim hyalinen Knorpel, auf zwei Weisen vorschreitet, nämlich zur Bildung von fester und zelliger Knochensubstanz, oder zur Bildung von Globuli ossei und Markhöhlen, wird daraus geschlossen, dass an der Fläche, welche die fertige Knochensubstanz der noch nicht verknöcherten Substanz zu- wendet, öfters selbst in der Schädeldecke, noch deutlicher aber in der kompakten Substanz eines Röhrenknochens vom Neugebornen die Globuli ossei sichtbar werden, und dass die Havers’schen Kanäle genau von einem solchen Systeme ag- gregirter primärer Markhöhlen ursprünglich erfüllt sind (Vgl. 54 tab. II, fig. 5.), wie es in der spongiösen Substanz der ver- knöcherten Cartilag. thyreoidea vorgefunden wird. Die Mark- kanälchen Havers entsprechen also den Markhöhlen der spon- giösen Knochensubstanz. Der Unterschied des Verknöche- rungsprozesses im hyalinen und häutigen Knorpel liegt nicht darin, dass die solide und zellige Knochenpartie anders ge- bildet worden, sondern darin, dass die erstere Substanz der Masse nach überwiegt, und dass bei Bildung der gewöhnlich sogenannten spongiösen Knochensubstanz aus hyalinem Knor- pel die Markhöhlen und die Globuli ossei sich gleichzeitig bilden, letztere vielleicht etwas später und mit Anschluss an die Markhöhlen, dass dagegen im häutigen Knorpel zuerst nur solide Knochensubstanz ossifieirt, und die Markhöhlen- bildung in den Havers’schen Kanälen viel später und im An- schluss an die fertige feste Knochensubstanz Statt hat. Das zuerst auftretende zarte Knochennetz des häutigen Knorpels bestebt aus fester Knochensubstanz mit Knochenkörperchen; die zwischen den knöchernen Balken und Brücken gelegenen Räume sind nicht Lücken, sondern noch nicht ossifieirte Par- tieen des häutigen Knorpels. Die Verknöcherung und Bil- dung fester Knochensubstanz schreitet nach allen Seiten in dem häutigen Knorpel vor, bis zuletzt kleine Partieen übrig bleiben, in welchen die Markhöbhlenbildung als Schluss des ganzen Verknöcherungsprozesses auftritt und dadurch die Entstehuug der Markkanälchen bedingt. Anfangs erkennt man in den Markkanälehen die primären Markhöhlen in ag- gregirter Form; später zeigen sich keine zelligen Räume darin; die Wandungen sind vielmehr ganz glatt, und so möchten die Havers’schen Kanäle als sekundäre Markhöhlen anzusehen sein. Im Schlusskapitel bespricht der Verf. die übliche Unter- scheidung der subst. oss. compacta und spongiosa fer- tiger Knochen. Wie schon angedeutet, sind diese beiden Knocheusubstanzen fertiger Knochen nicht mit dem soliden und zelligen oder spongiösen Knochengewebe zu identifieiren, die als verschiedene Produkte aus den beiden wesentlich ver- schiedenen Verknöcherungsweisen knorpelartiger Gebilde her- vorgehen. Beide Verknöcherungsweisen haben das gemein- schaftlich, dass stets nur die Grundsubstanz des Knorpels inkrustirt wird; allein in dem zelligen Knochengewebe ver- wandeln sich die Knorpelhöhlen und die Knorpelkörperchen in Markhöhlen mit Markzellen, in dem festen wird die Knor- pelhöhle und das Knorpelkörperchen zum Knochenkörperchen mit der Knochenhöhle, und die Inkrustationen der Grundsub- stanz haben durch Bildung der Globuli ossei eine umfang- reichere Ausbreitung; in dem zelligen Knochengewebe fehlen die Knochenkörperchen, in dem festen die Markräume. Die Substantia oss. compacta und spongiosa fertiger Knochen wird überall durch das zellige und feste Knochengewebe des Verf. 55 zugleich gebildet, die nun in verschiedener Masse durchein- andergreifen; nur in der verknöcherten Cartilag. thyreoidea liegen beide Knochengewebe mehr gesondert nebeneinander, Zur Charakterisirung der beiden Knochensubstanzen fertiger Knochen lässt sich anführen, dass die Subst. oss. spongiosa fast ausschliesslich nur, wie es scheint, aus hyalinem Knor- pel verknöchert, und dass die Bildung der beiden bezeich- neten Knochengewebe fast gleichzeitig vor sich geht und zwar mit Prävalenz des zelligen Knochengewebes; dass da- gegen die sub. oss. compacta in der Regel (Ausnahmen wer- den angeführt) durch Br et des häutigen Knorpels gebildet wird, und dass hierbei die Bildung des festen Kno- chengewebes nicht allein voranschreitet, sondern auch präva- lirt, während das zellige Knochengewebe im Anschluss an das feste nachträglich in Form der Canaliculi Haversii auftritt. Elfenbein und Cement. Nach Kölliker (Mikrosk. Anat. p. 6lsq. des Bd. 11.) lassen sich die Röhrchen des Elfenbeines am besten dadurch isoliren, dass man den Zahnknorpel mit Salzsäure oder Schwefelsäure (auch Salpe- tersäure und kaustischem Kali) so lange macerirt, bis er breiig wird und fast zerfliesst; es geht dabei die Grundsub- stanz fast ganz verloren und nur die Röhrchen bleiben zu- rück. Sie erscheinen dann bald wie Fasern ohne Spur einer Höhlung, bald, namentlich in der Nähe der Höhle des Zah- nes, als dentliche hohle Röhren, die mit zahlreicheren oder spärlicheren Körnern (Fetttröpfehen?) gefüllt sind. Nas- myth’s „baccated fibres“ scheinen ebenfalls die auf solche Weise isolirten Elfenbeinröhrehen zu sein. In Betreff der Verästelung der Kanälchen unterscheidet der Verf. „Theilun- gen“ und wirkliche „Abzweigungen“. Die ersteren zeigen sich in der Nähe der Zahnhöhle, wiederholen sich 2—5 Male und sind fast immer Bifurkationen, deren Lumen dem des Stammes fast gleichkommt. Die terminalen Verästelungen und Abzweigungen verlieren sich entweder in der körnigen Schicht an der Oberfläche des Zahnbeins, oder sie gehen in die innersten Theile des Schmelzes und Cementes hinein, oder sie bilden noch im Zahnbein selbst mit anderen Abzwei- gungen der Röhrchen Endschlingen. Von dem angeblichen "aserbau in der Grundsubstanz des Elfenbeines zwischen den Röhrchen hat sich Kölliker nicht überzeugen können. Ge- wöhnliche Knochenkörperchen finden sich im Zahnbein selten und zwar nur in der Nähe des Cementes vor. Die Inter- globularräume sind während der Entwickelung der Zähne als etwas normales, im fertigen Zahne dagegen als ein Vi- tium primae formationis anzusehen. Sie sind nicht hohl, wie Özermak glaubte, sondern von einer weichen, mit dem Zahnknorpel übereinstimmenden und wie das Zahnbein ge bildeten Substanz erfüllt. Die körnige Schicht zwischen El- fenbein und Cement hält der Verf. mit Czermak für eine 56 wenig entwickelte Lage von Interglobularräumen mit Zahn- beinkugeln. In Bezug auf die Bildung des Elfenbeins, un- streitig des dunkelsten Theiles der ganzen Odontogenese, stellt sich Kölliker wieder, — wenigstens in Betreff des Menschen und der Säugethiere — auf die Seite derjenigen, die nur die äusserste Schieht an der Pulpa, nicht aber die letztere selbst dabei betheiligt sein lassen (p. 103 sq.). Man unterscheidet bekanntlich an der Oberfläche der Pulpa dentis während der Bildung des Elfenbeines eine dünne- Schicht, welche, wie Schwann zeigte, anscheinend aus eylindrischen Zellen besteht und bei der Verknöcherung des Elfenbeines zunächst in Anspruch genommen wird. Kölliker nennt die Zellen „Elfenbeinzellen“; sie sind 0,016—0,024 lang und 0,002—0,005° breit, ziemlich leicht durch Wasser zu verän- dern, fein granulirt, blass, und mit bläschenförmigen Kernen versehen. Sie sitzen, wie Cylinderepithel, auf der ganzen Oberfläche der Pulpa, sind jedoch nicht scharf von derselben geschieden, sondern gehen scheinbar durch kleinere Zellen allmälig in das Parenchym der Pulpa über, welche der Haupt- masse nach aus einer zum Theil körnigen, hie und da un- deutlich faserigen Grundsubstanz mit eingestreuten Kernen (?R.) besteht. Die Gefässschlingen der letzteren dringen nicht bis in die epitheliumartige Schicht. Ist schon eine dünne Schicht von Elfenbein gebildet, so lassen sich die er- wähnten Zellen nur schwer von derselben entfernen; es gehen vielmehr feine Fortsätze von ihnen zu den Zahnröhrchen her- über, die bei wirklicher Trennung theilweise am Elfenbein, theilweise auch an den Zellen haften bleiben, hier von Schwann bereits beim Schweine als feine Fäden beobachtet wurden, und die den betreffenden Oberflächen ein filziges Ansehen gewähren. Die Frage ist nun, wie diese (scheinbar R.) nur aus ceylindrischen Zellen bestehende Schicht, obschon fortwährend ossificirend, doch immer in gleicher Weise zwi- schen dem gebildeten Elfenbein und dem eigentlichen Paren- chym der Pulpa sich erhält, und wie nach der Anschauung des Verf. die Zellen zu den Elementen des Zahnbeines wer- den. In Betreff der ersten Frage scheint Kölliker es für nicht möglich zu halten, dass der Ersatz der zur Verknöche- rung verbrauchten Schicht durch Umwandlung anstossender Schichten aus dem Parenchym der Pulpa dargeboten würde, sondern er hebt vielmehr hervor, dass die Elfenbeinzellen wohl von Zeit zu Zeit durch die sich weiter ausbildenden runden Zellen unter ihnen ersetzt werden, dass sie aber auch selbst durch eine Art Quertheilung sich vermehren, wobei jedoch die einzelnen Zellen sich nicht von einander lösen dürfen (?R.). Von den verschiedenen Möglichkeiten, wie die Grundsubstanz und die Zahnröhrchen aus den sog. Elfenbein- zellen hervorgehen, hält der Verf. für die wahrscheinlichste die, dass die Grundsubstanz aus den verdiekten Wandungen 57 der sich mehr oder weniger verlängernden und mit einander verschmelzenden Zellen hervorgehe, und dass die Zahnröhr- chen nicht sowohl die ausgewachsenen Kerne, als die Reste der Zellenhöhlen darstellen. Die Theilungen der Röhrchen erklären sich, wenn man annähme, dass die Elfenbeinzellen zeitweise auch der Länge nach sich theilen; für die Abzwei- gungen bliebe dann freilich noch die nothwendige Annahme, dass sekundäre Resorptionsprozesse in der gebildeten Elfen- beinsubstanz auftreten. (!R.). — Von dem Gement bemerkt Kölliker, dass die Knochenkörperchen gegen die Krone hin ganz fehlen und an der Wurzel am zahlreichsten sind. Bei alten Zähnen, namentlich bei Hyperostosen finden sich häufig im Cement auch Havers’sche Kanäle. Bei Pferden lassen sich dieselben durch Maceration in Salzsäure mit be- sonderen Wandungen isoliren. Die Cementbildung denkt sich der Verf. in ähnlicher Weise, wie die Bildung der Rin- denschicht an den Röhrenknochen aus einem Blastem, wel- ches von dem Zahnsäckchen ergossen wird, und in welchem dann kernhaltige Zellen auftreten, etc. Schliesslich glaubt Ref. noch kurz über einen Versuch berichten zu müssen, den Dr. R. Zellinsky auf Veranlas- sung des Ref. und mit Unterstützung des Prof. Dr. C. Schmidt in Dorpat über die Eigenschaft der Bindesubstanzgebilde, durch Kochen Leim und Chondrin zu geben, gemacht hat (De telis quibusdam collam edentibus. Diss. inaug. 1852). Es wurden Gewebe von Menschen und verschiedenen Thieren, vom Fötus und von Erwachsenen gewählt; sie wurden bet 70° C., bei 100° C. und bei 140°—160° (in einem luftdichi verschlossenen kupfernen Gefässe) anhaltend längere und kürzere Zeit gekocht und zugleich die während des Kochens stattfindenden Texturveränderungen geprüft. Die Versuche haben mehr die Unsicherheit unseres Wissens auf diesem Ge- biete und die Schwierigkeiten der Untersuchung selbst her- ausgestellt, als bestimmte Antworten auf die gestellten Fra- en zu Tage gefördert. Von Interesse für den vorliegenden Bericht möchte das Resultat sein, dass die verschiedenen Bindesubstanzgebilde, nachdem sie anfangs während des Ko- ehens mehr oder weniger aufgequollen waren und dann zu- sammenschrumpften, meistentheils in lamellenartige Partikel- chen sich trennten, entsprechend der auch auf andere Weise schon erwiesenen, geschichteten Textur der Grundsub- stanz. Ferner hat sich kein einziges der Bindesubstanzgebilde auch während längeren Kochens bei niedriger oder höherer Temperatur, — in Betreff der Grundsubstanz — gänzlich in Leim oder Chondrin verwandeln lassen. In dieser Beziehung verhalten sich die verschiedenen Bindesubstanzgebilde sehr verschieden; bei einigen bleibt viel, bei anderen nur wenig zurück; das Uebriggebliebene aber liess gleichwohl öfters in Fällen, wo kein Leim oder Chondrin mehr zu erhalten war, 58 noch die Textur der Grundsubstanz erkennen. Hiernach muss die Grundsubstanz entweder aus zwei chemisch verschie- denen Substanzen bestehen, die in den verschiedenen Ge- weben verschieden der Menge nach verbreitet sind, und von denen nur die eine in Leim oder Chondrin sich verwandeln lässt; oder sie muss beim längeren Kochen das Vermögen, in die erwähnten Substanzen sich zu verwandeln, verlieren. Mit Sicherheit liess sich die Kontroverse nach den angestell- ten Versuchen nicht entscheiden, doch sprach das Meiste für die erstere Annahme. Es lässt sich bei dieser Gelegenheit auch darauf hinweisen, dass doch beim Netzknorpel, viel- leicht auch beim wirklichen elastischen Gewebe und bei vie- len sogenannten formlosen bindegewebigen, glashellen Mem- branen ete. Gebilde der Grundsubstanz vorliegen, die che- misch durch grössere Resistenz ausgezeichnet sind. Es ergiebt sich auch aus den Experimenten, dass man nicht befugt ist, die bindegewebige Natur der primitiven Muskelscheide des- halb zu leugnen, weil sie sich nicht in Leim auflöse. — Die für Chitin gehaltene Schulpe der Cephalopoden giebt nach des Verf. Versuchen Chondrin. Linsenfasern. Kölliker sieht die Linsenfasern als zartwandige Röh- ren an, die mit hellem, zähem, eiweissartigem Inhalt gefüllt sind. (Handb. d. Gewebl. p. 609.). Bein Zerreissen der Lin- senfasern quillt der Inhalt in grossen, unregelmässigen Tropfen hervor. Der Verf. hat nicht genau angegeben, ob er das Hervorquellen dieses Inhalts aus der Linsenfaser wirklich beobachtet oder nur auf dasselbe aus jenen eiweissartigen Tropfen geschlossen habe, die sich bekanntlich in der Um- gebung frischer mikroskopischer Präparate der Linsensub- stanz ‘stets vorfinden; das letztere allein würde zu einem solchen Schluss noch nicht berechtigen. Schwierig bleibt es übrigens sich vorzustellen, wie die Linsenfasern bei der von dem Verf. supponirten Beschaffenheit auch im getrock- neten Zustande die so eigenthümliche, polyödrische Be- schaffenheit bewahren können. (R.). — Nach Leydig’s Be- obachtungen an einem Embryo von Acanthias entwickeln sich die Linsenfasern so, wie es H. Meyer beschrieben, aus je einer Zelle. (Beiträge etc. p. 99.). Muskelfasern. Nach Donders (ÖOnderzoekingen bet. den bouw. v. h. menschel. hart; Nederl. Lance. Ser. II, Jahrg. I. p. 556. — Canstatt’s Jahresb. 1853. p. 39.) wird das Sarcolemma der Muskelfasern des Herzens durch längere Digestion in ver- dünnter Salzsäure deutlich. Jede primitive Faser der anima- len Muskeln soll aus einer Reihe kleiner Zellen bestehen, die ein kubisches Körperchen enthalten, von welchen die 59 Längs- und Querstreifung des primitiven Muskelbündels ab- hange. Der Inhalt der Zellen verwandele sich häufig, und zwar regelmässig in den Herzmuskeln Erwachsener, in ein Fettkügelchen um. Die Kerne des primitiven Muskelbündels haben in der Axe (?R.) ihre Lage und sind in jungen Her- zen sehr regelmässig, in älteren unregelmässig angeordnet. Stannius nimmt seine Angabe, dass die Querstreifung an den Primitivbündeln der Muskeln des Herzens von Pe- tromyzon fluv. fehlen (Gött. Nachricht. 1851. p.225), zurück. Werden die Muskeln frisch untersucht, oder namentlich unter Behandlung mit Salpetersäure, welcher eine geringe Quantität Wasser zugesetzt worden, so ist wenigstens an sehr vielen primitiven Muskelbündeln die Querstreifung deutlich. (Zeitsch. für wiss. Zool. Bd. IV. p. 252). Die Muskelfasern des Her- zens von Petromyz. stellen plattgedrückte Cylinder von 0,002 bis 0,0083” Breite dar, deren Begrenzungslinien unregelmäs- sig wellenförmig verlaufen. Sie bestehen aus einer Hülle, die mit kleinen, in Aether auflöslichen Körnchen gefüllt ist. Zwischen den Körnchen liegen als unvollkommene Septa querovale Kerne ziemlich zahlreich hinter einander. Die Fa- sern verästeln sich vielfach durch Bifurkation und Abzwei- gung, und entsprechend den daraus hervorgehenden Aesten schien auch im Innern die Anordnung der Körnchen Statt zu haben. Ganz auffallender Weise gehen oft mehrere Fasern aus einem grösseren, zuweilen gekernten glatten Körper aus. Aehnlich verhalten sich auch die Muskelfasern der Augen- muskeln dieses Thieres; nur fehlen die zuletzt erwähnten Körperchen. M. Barry hat seine Ansichten, betreffend die spirale Textur der gestreiften Muskelfaser und der Cilien an den Flimmerzellen ausführlich in den „Lond., Edinb. and Dubl. Philos. Magazin and Journal of science, August 1852. p. 81“ mitgetheilt. Leydig fand die Muskelfasern bei Synapta digitata (Müll. Arch. 1852. p. 509 sq.) von ähnlicher Beschaffenheit, wie die von ihm beschriebenen Muskelfasern der Würmer und Mollusken. Man unterscheidet dickere und dünnere Mus- kelfasern. Die diekeren haben eine feine, homogene Hülle, die der primitive Muskeleylinder enthält. Dieser besteht aus einer hellen, homogenen Rinden- und aus einer feinkörnigen Marksubstanz. Letztere spitzt sich in dem dünn gewordenen Theile des primitiven Muskeleylinders spitz zu. An den Aus- läufern dieses dicken Muskeleylinders, so wie an den schma- len Primitiveylindern überhaupt lässt sich keine Hülle oder Rinde unterscheiden; sie stellen sich als schmale, homogene Streifen dar. In seinen „Beiträgen zur Anat. der Haie und Rochen“ (p. 77 sq.) giebt der Verf. die Entwickelungs- geschichte der primitiven Muskeleylinder oder Röhren. Die Fibrillen entwickeln sich nämlich nach Leydig aus einer 60 Reihe hinter einander liegender Zellen, die unter einander verschmelzen. Um eine Anzahl auf diese Weise gebildeter Fibrillen oder Röhren entsteht später eine Hülle, das Sarco- lemma. Bei den Fischen begegnet man öfters Muskelröhren auf diesen niederen Entwickelungsstufen; auch die oben be- schriebenen Muskelfasern von Petromyz. gehören hierher. Eine spätere Veränderung bestehe darin, dass die Fibrillen und primitiven Röhren eines. primitiven Muskelbündels in ihrer ganzen Dicke in quadratische Stücke zerfallen. Die verästelten Muskelfasern gehen aus sternförmigen Zellen her- vor, die mit einander verschmelzen. Ref. hatte im vorjährigen Berichte (p. 101.) auf die Be- merkung Henle’s, dass die glatten Muskelfasern an Quersehnittchen cirkuläre Begrenzungen zeigen und also nicht platt gedrückt sein können, hervorgehoben, dass die genann- ten Fasern im isolirten Zustande bei verschiedenen Lagen und Wendungen eine ganz deutliche plattgedrückte Form zur Schau trügen, und dass daher jene kreisförmigen, ellipti- schen oder polyedrischen Kontouren auf optischer Täuschung beruhen müssten, daher rührend, dass bei einer und der- selben Focaldistanz in das mikroskopische Bild nicht allein die Begrenzungen eines bestimmten Durchschnittes des Ob- jektes, sondern auch die von darunter oder darüber gelegenen Durchschnittsflächen aufgehen. Henle hat in seinem neue- sten Berichte vom Jahre 1853 (p. 24) darauf erwidert, dass er dieser Täuschung durch Schnittehen von äusserster Fein- heit, von getrockneten Präparaten geschabt (!R.), zu ent- gehen wisse. Er halte es ferner für ausgemacht (!R.), dass derartig verfertigte Präparate zuverlässigere Bilder ‚geben, als isolirte Fasern in verschiedene Lagen und Wendungen, und habe aus diesem Grunde seine frühere Ansicht, welche mit der des Ref. übereinstimmte, in oben bezeichneter Weise reformirt. Nach des Ref. Meinung wird die Form eines Kör- pers um so richtiger beurtheilt, je mehr die Stellung und Lage desselben dem Beobachter gegenüber wechselt. Ausser- dem leuchtet es ein, dass auch die feinsten Querschnittchen, vor Allem aber die geschabten Präparate dick genug sind, um obige optische Täuschung herbeiführen zu können. E. Brücke hat im Peritonaeum von Psammosaurus gri- seus glatte Muskelfasern aufgefunden. Dieselben liegen in einer Falte, die von der kleinen Kurvatur des Magens zur unteren oder vorderen Bauchwand herübergeht und theils in das Omentum minus, theils in das Lig. suspensor. hepat. sich fortsetzt. (Sitzungsb. der math.-naturw. Klasse der Akad. d. Wiss. zu Wien; Bd. IV, p. 246.). Nervenfaser. J. Marcusen hat in dem Bulletin physico-mathemat: de Vacad. imp. de St. Petersb. (Tom. X, No. 12. p. 187) seine 61 Beobachtungen zur Histologie des Nervensystems mitgetheilt. An den sich verästelnden Nervenfasern des elektrischen Organes vom Zitterrochen fand der Verf. nicht konstant die sonst allgemein hervorgehobene Einschnürung vor der Theilung. Einige Male wurde ferner beobachtet, dass die Primitivfasern, welehe an der gabeligen Theilungsstelle unter spitzem Winkel auseinander gingen, vorher eine Strecke in der Scheide der Stammfaser getrennt verliefen. Nach meh- reren, nur dichotomisch erfolgenden Theilungen , verliert sich an den Aesten der doppelte Kontour, die Fasern sehen mehr grau aus, und an den Scheiden zeigen sich Kerne. Die Theilung geht nun fort, die Kerne fehlen wieder, und zuletzt sieht man sehr dünne, doch nicht ganz spitz auslaufende freie Nervenendigungen. Bei den letzten Verästelungen kom- men auch dreitheilige vor. Anastomosen zeigen sich nirgend. Nur in den sog. Nervenköpfen der Schleimkanäle, die der Verf. mit dem Ref. schon längere Zeit vor den Mittheilungen Leydig’s darüber kennen gelernt hat, sollen Nervenfasern in Schlingen wieder zurückkehren und auf diesem Verlauf frei endigende Zweige abgeben. Mit Sicherheit ist aus einem solchen Verlauf auf Schlingenbildung nicht zu schliessen (R.). Verästelungen der Nervenfasern liessen sich sehr gut in der Harnblase und Kloake der Frösche beobachten; über die Endigung der Fasern selbst war Nichts zu ermitteln. Der Verf. macht schliesslich auf die Schwierigkeiten aufmerksam, welche die Textur der Nerven-Elemente bei wirbellosen Thieren noch immer der Beobachtung darbietet. Die brei- teren oder schmäleren, glatten, mit länglichen Kernen be- setzten Primitivfasern der Nerven des Krebses, des Blutegels, der Cephalopoden ete. haben Weniges mit den Nervenfasern der Wirbelthiere gemein. Der Inhalt zeigt sich durchsichtig grau, etwas granulirt, ähnlich dem Inhalte der Nervenfaser- Endäste höherer Wirbelthiere. Doch haben sie im Allge- meinen so wenig Charakteristisches, dass man sie als solche nur dann sicher erkennt, wenn sie mit Nervencentren zu- sammenhängen. Bei Salpen, bei mehreren Gasteropoden (Planorbis, Paludina) sieht man aber Nerven von Centra aus- gehen, in denen man weder Primitivröhren noeh Bündel un- terscheiden kann. Man hat breitere oder schmälere Röhren vor sich, die, wie es scheint, von einer durchsichtigen, grauen, wenig granulirten Masse gefüllt sind. Bei anderen niederen wirbellosen Thieren finden sich keine ordentlichen Ganglienkörper vor. Gegen die Endigung der Nervenfasern in Schlingen hat sich R. Wagner ausgesprochen. (Gött, gelehrt. Anz. 1852. Bd. I; Nachricht. v. d. Univ. No. 2, p. 17 sq.). Es finden sich vielmehr auch in den Muskeln der höheren Wirbelthiere, wie 2. B. bei der Maus, oft genug 2—3-fache Theilungen; selbst eine vierfache Theilung wurde hier zuerst von Meissner 62 nachgewiesen. Ebenso scheint es allgemeine Thatsache zu sein, dass die sensiblen Nervenfasern sich ebenso häufig bei der peripherischen Ausbreitung verästeln, wie die motorischen Nervenfasern und die des elektrischen Organes. Die aus der Theilung hervorgehenden Aeste nehmen schliesslich den em- bryonalen Charakter an, wie z. B. in den Bälgen der Tast- haare des Kaninchens. Sehr zahlreiche Theilungen kommen vor in den Papillen der Haut und Zunge. Kölliker, Nuhn und Gerlach wollen in den später zu erwähnenden Tast- körperchen Schlingen der primitiven Nervenfaser beobachtet haben. So lange indess die beiden Schenkel einer Schlinge, entweder getrennt oder nach erfolgter Vereinigung zu einer Stammfaser, nicht bis zu ihrem Centrum hin verfolgt sind, ist die Existenz von Endschlingen der Nervenfasern nicht erwiesen und nicht gesichert. Nach Harless (Handwörterb. der Phys. Bd. IV, p- 391 sq.; Artik. „Hören“) sind die Primitivfasern des N. acustie. bei ihrer Endausbreitung sehr fein und haben eine Breite von 0,002—0,005”; sie zeichnen sich auch durch die Zartheit der Scheide aus. Die Anordnung der Fasern ist in den verschie- denen Theilen des Gehörorganes charakteristisch, und es zeigt sich darin ein Uebergang von diffusen Netzen zum Pa- rallelismus, der durch eine pinselförmige Ausstrahlung der Netze vermittelt wird. Diffuse Netze beobachtet man an dem Vorhofsnerven des Hechtes; pinselförmige Ausstrahlung findet sich in den Ampullen aller Thiere in dem sog. Septum; der Parallelismus zeigt sich in der Endausbreitung des Nerv. cochlearis. Beim Frosch giebt es viele Schlingen sowohl in dem Vorhof als in den Ampullen, welche terminal zu sein scheinen. Die Fasern der Ampulle haben vorher Ramifika- tionen erfahren, wobei sich zugleich Theilung des Axeneylin- ders beobachten liess. Die Vorhofsnervenfasern des Hechtes theilen sich gleichfalls oft, und die Aeste haben oft in den Geflechten einen schlingenartigen Verlauf. Scheinbaren Schlin- enbildungen begegnet man auch an den Nervenfasern der lasche des Vogels. Auf der Spiralplatte der Schnecke beim Menschen und den Säugethieren waren weder Theilungen noch Schlingen wahrzunehmen. Die Nervenzellen des Nerv. acusticus sind bald mehr auf einen bestimmten Bezirk beschränkt, wie z. B. in der Schnecke der Säugethiere, bald unregelmässig auf und zwischen den Fasern des Acust. zerstreut, wie in den Am- pullen der Fische, in der Flasche des Vogels. Diese Zellen messen beim Hecht im Mittel 0,006—0,015°, haben einen deutlichen Kern mit einem oder mehreren Kernkörperchen. Sie sind mit einem einfachen oder mit mehreren Fortsätzen versehen, die sich einige Male in Verbindung mit Nerven- fasern nachweisen liessen. Aehnliche Gebilde finden sich in der Lagena des Vogels; ihr Inhalt ist jedoch weniger granu- 63 lirt. Auf der Spiralplatte der Säugethiere nehmen die Ner- venfasern (ob alle?) vor ihrer Endigung die Ganglienkörper der Habenula ganglionaris lam. spiral. eochl. (Corti) auf; bei Kaninchen haben die mit sehr zarten Fortsätzen versehenen Ganglienkörper des Nerven für die Ampullen 0,0053— 0,014 im Durchmesser. In den „Beiträgen zur Anatomie der Rochen und Haie* theilt Leydig mit, dass bei Galeus canis und Raja batis die Fasern des N. opticus in der Retina nach aussen von einer Schicht 0,004” grosser, durchsichtiger Zellen bekleidet seien, die bipolar in Fortsätze auszulaufen schienen und durch diese Fortsätze wahrscheinlich mit den Sehnenfasern zusammen- hingen. — Der Riechkolben der Rochen und Haie besteht aus einer centralen weissen Substanz, die von grauer umhüllt wird; in der ersteren zeigen sich feine Fibrillen, in der letz- teren feinkörnige, kuglige Massen von 0,05—0,08' Grösse. Die aus den kugligen Massen in das Geruchsorgan über- tretenden Faserbündel lassen eine scharf kontourirte Hülle mit zahlreichen Kernen und einen blassen, feinkörnigen In- halt ohne deutliche Fasertextur unterscheiden. — Leydig überzeugte sich ferner, dass bei Scymnus lichia alle Nerven- körper des N. trigeminus bipolarer Natur waren, und dass die feinkörnige Substanz des Nervenkörpers durch die Fort- sätze in unmittelbarem Zusammenhange mit dem Axeneylin- der der Nervenfasern sich befanden. Bei dem Räderthierchen Lacinularia socialis (Zeitsch. für wiss. Zool. Bd. III, p. 459) fand Leydig die beiden Gang- lien, hinter dem Schlundkopf und am Anfange des Schwan- zes, aus vier bipolaren Ganglienzellen bestehend. Die Aus- läufer der Ganglienzellen oder die peripherischen Nerven stellen helle Fäden dar, die hie und da mit Anschwellungen versehen sind. j Ueber die Beschaffenheit der Retina eines Hingerich- teten berichtet Henle Folgendes. (Zeitsch. für rationelle Me- diein. Neue Folge Bd. II, p. 204sq.). Mit Dittrich, Ger- lach, Herz, Kölliker und Virchow stimmt der Verf. darin überein, dass der gelbe Fleck gleich nach dem Tode (1 Stunde danach) sichtbar ist; die Plica centralis dagegen fehlt. Die Netzhaut war durchsichtig genug, um die dahinter liegenden Theile, wenn auch mit einer schwachen grauen Trübung, durchscheinen zu lassen; am hellsten zeigte sie sich in der Gegend des For, centrale. Die eylindrischen Stäbchen hatten eine Länge von 0,010‘ und eine Breite von etwa 0,0006’”. Ihre Endflächen (nach der Choroid.) erscheinen als scharf und dunkel kontourirte perlförmige Kügelcehen in sehr zier- licher Anordnung. Sie lassen nämlich Lücken von kreisrun- der Form in regelmässigen Abständen; der Durchmesser der Lücken betrug 0,003—0,0044'”, Die zwischen den Lücken befindlichen Stäbehen varüren an Zahl; gegen den gelben 64 Fleck hin liegen nur je 2 und weiter nach innen nur einzelne Stäbchen zwischen ihnen; nach Aussen dagegen vermehrt sich ihre Zahl bis zu 3—4. Die Lücken werden meisten- theils von Zwillingszapfen Hannover’s eingenommen. In anderen Fällen jedoch liess sich darin nur eine zähe, dehn- bare, ganz durchsichtige Substanz, eine Art Teig erkennen, in welchen die Stäbchen eingelassen sind. Durch Jod wer- den die Stäbchen dunkel gefärbt; die Lücken zeigen keine merkliche Trübung. Uebrigens ragen die Stäbchen etwas über die Lücken hervor, und die Aussenfläche der Retina erscheint an dieser Stelle grubenförmig vertieft. Im Centrum der Lücken zeigte sich bei der Ansicht auf die Aussenfläche der Retina meistentheils ein Kügelchen von Perlglanz, an- scheinend von demselben Material wie die Stäbchen gebil- det, bis zu 0,018“ im Durchmesser. In anderen Fällen er- sehien statt des Kügelehens ein Stiftehen, namentlich wo sich die Elemente etwas zur Seite neigten. Wo die Lücken von scharfen Kreislinien umgrenzt werden, da liegt darin ein eiförmiger Körper, der an Hannover’s Zwillingszapfen erin- nert. Man sah denselben beim Umlegen der Stäbchenschicht und auf senkrechten Durchschnitten. Sie erscheinen von ovaler Begrenzung, zuweilen wie aus zwei mit den planen Flächen zugewendeten Halbkugeln gebildet, gleichförmig hell oder undeutlich mit einem oder zwei Kernbläschen versehen. An dem nach aussen gerichteten Ende zeigte sich zuweilen ein stielförmiger Fortsatz von dem Ansehen, wie die be- sprochenen Stiftchen. Die Farbe des gelben Flecks war diffus, nicht an ein bestimmtes Gebilde gebunden; die Pig- mentzellen der Choroidea blieben leicht in dieser Gegend hängen. Die Stäbchen fehlten im gelben Fleck; dagegen fanden sich die birnförmigen Körper oder doch wenigstens die Stiftchen vor, während die ovalen Körper zu einer kon- tinuirlichen Lage verschmolzen schienen. Nach innen von der Stäbchenschicht konnte nur eine feinkörnige, der körni- gen Grundsubstanz der grauen Hirnmasse vergleichbare Schicht unterschieden werden; zuweilen löseten sich davon 0,01” grosse Kugeln ab. Ganglienzellen lagen in den Ma- schen des Gefässnetzes der Retina, doch liessen sich keine Fortsätze wahrnehmen. Die innerste Körnerschicht und die Glashaut erschienen von demselben Verhalten, wie an den Thieraugen nach der früheren Beschreibung (Allg. A.) des Verfassers. Kölliker hat seine Beobachtungen über die Struktur der Retina des Menschen in seinem Handb. der Gewebl. (p- 598 sq.) und in den Verhandl. der ‚phys.-med. Gesellsch. zu Würzburg (Bd. III, p. 316 sq.) mitgetheilt. Die Darstel- lung schliesst sich an H. Müller’s Beschreibung der Netz- haut der Thiere an; auch findet sich in mehreren wichtigen Punkten eine Uebereinstimmung mit Henle’s Angaben. Die 65 Retina des Menschen zerfällt von aussen nach innen in 5 La- gen: 1) die Stäbehenschicht, 2) die Körnerschicht mit einer äusseren diekeren, einer inneren dünneren Körnerlage und mit der zwischen beiden befindlichen radiären Faserschicht, 3) die Schicht von grauer Nervensubstanz, 4) die Ausbrei- tung des Optieus und 5) die Membr. limitans. Die Stäb- chenschicht besteht aus den eigentlichen Stäbchen (Bacilli) und aus den Zapfen (Coni). Die Zapfen sind kegel- oder birnförmig, frisch fast homogen, später leicht granulirt wer- dende Körper, halb so lang als die Stäbchen und von 0,0025 — 0,0045 Breite. Ein jeder Zapfen besteht aus einem dicke- ren und etwas längeren, häufig bauchig aufgetriebenen äus- seren und aus einem kürzeren, durch eine leichte Einbiegung abgeschnürten, inneren Theile, der einen birnförmigen Kör- per von 0,002— 0,004 Länge eingeschlossen enthält. Diese in toto etwa spindelförmig gestalteten und einer Zelle ähn- lich aussehenden Zapfen gehen nach aussen in ein grades Stäbchen (Henle’s Stiftchen) über, von dem Ansehen wie die Baeilli, nur etwas kürzer, und verlängern sich nach in- nen, wie die Bacilli, in einen feinen Faden. Die Anordnung der Coni und Bacilli ist so, wie sie Henle schildert; auch kommen sie am gelben Fleck ausschliesslich, und zwar ohne miteinander zu verschmelzen, vor; doch sind sie hier schmä- ler und haben schmälere Stäbchen. Zwischen den Stäbchen, namentlich aber in der Umgebung der Bacilli der Coni be- findet sich, wie Henle hervorhebt, eine helle Ausfüllungs- und Verbindungssubstanz. Von den inneren Enden der freien Bacilli und der Coni gehen Fäden aus, die gleich Radien die Dicke der Retina durchziehen und zwischen den beiden Körnerlagen der Körnerschicht die radiäre, Müller’sche Faserschicht darstellen. Auf diesem Verlaufe nehmen die fadenförmigen Fortsätze der Bacilli die Körner der äusseren Körnerlage, jene etwas dickeren Fäden der Coni die Körner der inneren Körnerlage in sich auf. Sodann ziehen die H. Müller’schen Fasern bündelweise durch die Schicht von grauer Nervensubstanz hindurch gegen die innere Oberfläche der Sehnerven-Ausbreitung, zerspalten sich hier entweder in ein Büschel feiner Fäden oder treten in eine dreieckige An- schwellung hinein, von welcher ein oder zwei horizontal verlaufende Fäserchen abgehen, ohne dass jedoch bisher ein direkter Zusammenhang dieser beschriebenen Endfäden mit den Fasern des Sehnerven zu beobachten gewesen wäre. Die Körner der beiden Körnerlagen werden als kleine von ihrem Kerne ganz erfüllte Zellen angesehen, so dass sie mit Rück- sicht auf ihr Verhalten zu dem radiären Fasersystem als bi- polare Ganglienzellen gelten können. In der Gegend der Ora serrata verschmelzen die beiden Körnerlagen zu einer einzigen von nur 0,015 Dieke. Die Körner der inneren Lage sind wenig grösser, als die äusseren, und länglich rund mit Müller's Archiv. 1863, Jahresbericht. E 66 der Längsaxe in der Richtung der Dicke der Netzhaut ge- stellt. An den blossen Sehnervenfasern der Retina hat Köl- liker den Cylinderaxis und eine Hülle nicht darstellen kön- nen; über ihre Endigung liess sich nicht Bestimmtes ermit- teln; sie scheint aber jedenfalls allerorts in der Ausbreitung der Retina Statt zu finden. An der Membrana limitans fan- den sich hie und da abgeplattete Kerne. G. Schilling hat auf Veranlassung Fı Bidder’s aus- führliche Untersuchungen über die Struktur des Rücken- marks mit besonderer Rücksicht auf den sogen. cerebralen Ursprung der Spinalnerven angestellt. (De medul. sp. textura ete.; Dorp. Livonor. 1852. Diss. inaug 5° e. tab. II.). Die Hauptresultate der Abhandlung, in welcher gegen Kölliker der Ursprung der Spinalnerven aus dem Rückenmarke dar- zulegen gesucht wird, hat der Verf. in folgenden Hauptsätzen zusammengefasst. Die longitudinalen Fasern der weissen Substanz des Rückenmarks nehmen von unten nach aufwärts an Zahl zu. An den beiden Intumescenzen des Rücken- marks wird zwar eine Strecke weit, sowohl nach oben, als nach unten, eine auffallendere Zunahme der weissen Substanz bemerkt; allein diese wird durch die transversalen Fasern bewirkt, welche, wie Kölliker schon nachwies, sämmtlich den Spinalwurzeln angehören. Alle longitudinalen Fasern ferner nehmen ihren Ursprung aus der grauen Substanz und zum Theil wenigstens, wie sich der Verf. überzeugte, aus den Ganglienkörpern selbst. Die von unten auf stattfindende Zunahme der weissen Substanz, sowohl in den longitudina- len als in den transversalen Wurzelfasern, steht in Ueber- einstimmung mit der Volumzunahme der grauen Substanz. Die Commissura anterior med. sp. besteht aus grauen Quer- fasern und ist demnach als graue Commissur aufzufassen. Eine Kreuzung der Fasern findet hier nicht Statt; ihre Dieke har- monirt mit der Menge der in der betreffenden Gegend jedes- mal hervortretenden vorderen Wurzeln. Auch die Breite der hinteren und vorderen Hörner der grauen Substanz entspricht den in einem bestimmten Abschnitte des Rückenmarks aus- tretenden hinteren und vorderen Wurzeln. Die Nervenfasern der vorderen Wurzeln entspringen aus dem vorderen Horn der grauen Substanz und zwar aus den Nervenzellen, nie- mals gehen sie in longitudinale Fasern über. Der grösste Theil der hinteren Wurzeln setzt sich wahrscheinlich in die longitudinalen Fasern der hinteren Hörner der grauen Sub- stanz fort; dabei durchdringt ein Theil zunächst die Subst. gelatinosa bündelweise. Die graue Substanz enthält keine eigene Fasern, ausgenommen in den Commissuren, die wahrscheinlich aus den Nervenzellen entspringen. Der cen- trale Kanal wurde beim Menschen oft recht deutlich beob- achtet; er ist nicht von Nervenzellen erfüllt; au den Wan- dungen breitet sich vielmehr ein Cylinderepithelium aus. Die 67 gelatinöse Substanz ist der einzige Theil der grauen Masse der Med. sp., welcher longitudinale Fasern enthält, die von den hinteren Wurzelfasern durchsetzt werden. Die longitu- dinalen Fasern der weissen Substanz in der Nähe der grauen Substanz scheinen aus den Nervenzellen der letzteren (namentlich an den vorderen Hörnern) zu entspringen; sie nehmen gleichzeitig mit der ganzen weissen Substanz an Zahl zu und ab. Freie Endigungen, Theilungen, Anastomo- sen kommen bei den Längsfasern nicht vor. In den vorde- ren Rückenmarkssträngen sind die Längsfasern etwas dicker, als in den hinteren; die dünnsten Längsfasern liegen aber in der Nähe der grauen Masse. Aus A. Waller’s Versuchen über die Regeneration der Nerven haben sich Resultate ergeben, welche für die Bestimmung des Ursprungs der Nervenfasern und ihre peri- pherische Ausbreitung mit Vortheil zu verwerthen sind. (Phi- losoph. transaet. of the Royal Society. Part. II. 1850; Mül- lers Archiv 1852 p. 392; Nouvelle methode anatomique pour l’investigat. du systeme nerveux, Ire part. Bonn. 4.). Der Verf. fand nämlich, dass bei Durchschneidung eines Nerven der ganze unterhalb des Schnittes gelegene Theil der Fasern mit der peripherischen Ausbreitung anfangs körnig wird, gleichsam in dem Mark gerinne und schliesslich verkümmere, und dass die Neubildung der Nervenfasern nicht allein in den Begrenzungen der Narbe, sondern in dem ganzen peri- pherischen Verlauf stattfinde. Zu Versuchen geeignet zeigt sich die Durchsehneidung des Nerv. glossoph. bei Fröschen. Nach 3—4 Monaten, sobald die Vereinigung der Schnitträn- der eingetreten ist, werden die neuen Fasern schon sichtbar. Sie haben nur den 6ten — Sten Theil der Breite einer ent- wickelten Nervenfaser, sind sehr blass, ohne doppelte Kon- touren, von Kernen besetzt. Ganz dieselben Beobachtungen hat Waller auch bei Säugethieren und Vögeln gemacht. Es verhalten sich in dieser Beziehung die sympathischen und ce- rebrospinalen Fasern vollkommen gleich. Wird die Wurzel eines Spiualnerven so durchschnitten, dass noch ein Stück für das Spinalganglion erhalten bleibt, so beobachtet man zunächst an der sensiblen Wurzel, dass das bezeichnete Stück oberhalb des Ganglion atrophisch wird. Die darin enthal- tenen Fasern stehen in dem Ganglion selbst mit atrophisch gewordenen Ganglionkörper in Verbindung. Daneben befin- den sich aber auch unversehrte Nervenkörper und Nerven- fasern, die aus dem Ganglion austraten; sie zeigten sich bei einem jungen Hunde und einer Katze nach mehreren Mona- ten normal. Nach einem Schnitt durch die vorderen Wur- zeln zeigten sich eämmtliche mit ihnen zusammenhängende Fasern (motorische) verändert. Wird das Spinalganglion ex- stirpirt, oder der Nerv unterhalb des Ganglion durchschnit- ten, so werden alle betreftenden Fasern in der peripherischen E* 63 Ausbreitung atrophisch. Das mit dem Rückenmark verbun- dene Stück einer durchschnittenen hinteren Nervenwurzel ver- kümmert gleichfalls, und diese Verkümmerung erstreekt sich hinauf in die hinteren Stränge des Rückenmarks. Die Bil- dung neuer Fasern in den motorischen Wurzeln der Spinal- nerven geht vom Rückenmark aus, in den sensibeln Wurzeln centripetal. Tastkörperchen. R. Wagner und G. Meissner haben in der Haut der Volarfläche der Hand und besonders der Fingerspitze eigen- thümliche, mikroskopische Körperchen entdeckt, welehen sie den Namen „Tastkörperchen (Corpuseula tactus)* gegeben haben. Die erste Mittheilung dieser Entdeckung findet sich in den Gött. gelehrten Anzeigen (Nachrichten von der G. A. Univers. ete. 1852, No. 2; p. 17.). Die Verf. beobachteten, dass einzelne Papillen der bezeichneten Hautstelle, in ihrem Inneren ein eiförmiges, zuweilen längliches oder spindelför- miges Körperchen von scheinbar geschichtetem Bau enthielten, Bei einem Kinde von 4 Jalıren waren sie 1%, — '%,“ lang und Yoo — Vso“' breit; bei einem erwachsenen Weibe betrug die Länge gegen 14,”, die Breite etwa 14,” Sie liegen in der Axe der betreffenden Papille, wie der Kern einer Frucht, und werden von dem äusseren bogenförmig gestreiften oder fein granulirten Ueberzuge der Papillen wie von einer fest anliegenden Schale umgeben. Um sie darzustellen, wird ein feines Hautschnittehen mit verdünnter Natronlösung behan- delt, um die Epidermis leichter entfernen zu können und dem Präparate mehr Durchsichtigkeit zu geben. Sollen die Kerne deutlicher hervortreten, so muss nachträglich ein Ueberschuss von Essigsäure hinzugefügt werden. Die Haut junger Indi- viduen eignet sich am besten zur Untersuchung. Auch Sehnitt- chen von frisch getrockneter Haut geben gute Präparate. Eine genauere Untersuchung lehrte, dass diejenigen Papillen, welche ein, oder wenn die Papille sehr gross war, selbst 2 verwachsene Tastkörperchen enthielten, mit einer Nervenfa- ser in Verbindung standen und, wie es schien, mit keinen Blutgefässen versehen waren, dass dagegen die tastkörper- chenlosen Papillen eine Gefässschlinge, nie aber eine Nerven- faser aufnahmen, so dass die Verf. sich veranlasst sahen, un- ter den Papillen gefässhaltige und nervenhaltige mit Tast- körperchen zu unterscheiden. An der Fingerspitze alterniren zuweilen beide Papillenarten, oder häufiger kommt 1 Ner- venpapille auf 2— 3 und mehr Gefässpapillen; am 2ten und lten Gliede des Fingers nnd in der Hohlhandfläche wurde auf 10— 20 Gefässpapillen nur 1 Nervenpapille gezählt. Die Tastkörperchen schienen aus einzelnen Schichten zu beste- hen, zwischen denen längliche, zuweilen spindelförmig aus- gezogene Kerne in querer Richtung hervortraten. Die zum 69 Tastkörperchen hinziehende einfache, zweifache oder drei- fache Endfibrille schien entweder rundlich in geschlossenen Kontouren darin zu enden, oder in einer Korkzieherspirale der Tastkörperchen zu verlaufen, ja, bei starken Vergrösse- rungen in ein Büschel feiner Aestchen sich zu verlieren. Die Verf. vergleichen die Tastkörperchen mit den Vater’schen Körperchen, und namentlich W agner ist später durch Kennt- nissnahme von den Vater’schen Körperchen im Schnabel der Vögel noch mehr in dieser Ansicht bestärkt worden. — In Folge der von Kölliker später gemachten Beobachtun- gen über die Tastkörperchen hat R. Wagner im vorliegen- den Archiv (1852 p. 493 sq.) eine Reihe von Abbildungen der Tastkörperchen, nach den Zeichnungen G. Meissner’s, geliefert und zugleich noch einige Bemerkungen beigefügt. Der Verf. hält gegenüber Kölliker an der Ansicht fest, dass die Nerven in den Papillen nicht schlingenförmig enden und dass sie in die Substanz der Tastkörperehen eindringen. Desgleichen sollen in die Nervenpapillen nur dann Gefässe eindringen, wenn sie, gewissermaassen als Zwillingspapillen, mit einer Gefässpapille verwachsen sind. Der Verf. stimmt Kölliker darin bei, dass die Tastkörperchen aus einem Strange homogenen Bindegewebes bestehen mögen, um wel- ches eine äussere Lage von neu entwickeltem, elastischem Gewebe in Form von spindelförmigen Zellen sich befände. (?R.). Die Ausbreitung der Tastkörperchen scheint bedeu- tender zu sein, als ursprünglich angenommen wurde; doch in der Haut des Rückens waren keine zu finden. R. Wag- ner erinnert schliesslich daran, dass man die Tastkörper- chen nicht mit gewissen von ihm auf dem Nagelbette beob- achteten, rundlichen Körperchen, die aus Ueberresten der Malpighischen Schicht bestehen, verwechseln dürfe, obschon die äussere Aehnlichkeit sehr gross sei. Es sind dies be- kanntlich dieselben Körperchen, über die Referent im Jah- resbericht vom Jahre 1349 (Müll. Arch. 1850 p. 34) Mitthei- lungen gemacht hat; sie bestehen aus einer Kapsel, in wel- cher Epidermiszellen übereinander geschichtet liegen. Die Aehnlichkeit mit den Tastkörperehen ist sehr gross. Pl Bald nach Veröffentlichung der Entdeckung der Corpus- eula tactuas hat Kölliker über dieselben sich ausgesprochen: (Zeitsch. für wissenschaftl. Zool. Bd. IV p. 43 sq.) Der Verf. sieht in dem Tastkörperchen nur den etwas entwickelteren Axenstrang, weleher neben einer Rindenlage an jeder Papille deutlich zu unterscheiden sei. In der Rindenlage verlaufen die Faserelemente (? Ref.) longitudinal und das Bindegewebe ist oft deutlich fibrillär, abgesehen von einem hellen, homo- genen Grenzsaum; in dem Axenstrange ist die Substanz mehr gleichartig, hell und an manchen Orten durch querverlaufende, elastische Elemente von der äusseren Lage abgegrenzt. Das Tastkörperchen sei ein solcher Axenstrang, dessen homoge- 70 nes Gewebe, wie ein Bindegewebsbündel, von unentwickel- ten elastischen Fasern, d. h. von spindelförmig ausgezogenen Zellen umsponnen sei. (? R.) Obgleich Kölliker an den Tastkörperchen manches Eigenthümliche bemerkt, so wird der Name der Entdecker verworfen und dafür die Benennung „Axenkörper“ eingeführt. Der Verf. hat die Tastkörperchen nur in der Handfläche, den rothen Lippenrändern und in der Zungenspitze, und zwar an den beiden letzteren Orten nicht konstant gefunden; spurweise kamen sieim Handrücken und in der Fusssohle vor; sie fehlten gänzlich an den Zehen, der Brust, dem Rücken, der Glans penis, in den Nymphen. Köl- liker beobachtete auch, dass in der That die tastkörper- haltigen Papillen in den meisten Fällen sehr deutlich dun- kelrandige Nervenfasern zeigen, allein er möchte daraus nicht folgern (!R.), dass die Gefässpapillen keine Nerven hätten. Was die Gefässe betrifft, so führen allerdings die zusammen- gesetzten Papillen mit Tastkörperchen häufig keine Gefässe; doch finden sich in den Lippenpapillen, mögen sie Axenkör- per besitzen oder nicht, meistentheils Gefässe; Nerven feh- len diesen Papillen niemals. In Bezug auf die Nerven be- merkt Kölliker, dass zu den Tastkörperchen 1—4 Ner- venfasern, von Neurilem eingehüllt, herantreten, dann aber nur äusserlich an dem Tastkörperchen heraufziehen, wobei sie zusammen bleiben oder sich trennen, und dass dabei das Neurilem sich ausserordentlich verdünnt. Wenn vier Ner- venfasern beisammen sind, so umspinnen sie häufig das Tast- körperchen mit einer oder mehreren Spiraltouren. Die En- digung der Fasern liess sich meistentheils nicht deutlich ver- folgen, doch will Kölliker in mindestens sechs Fällen „mit aller Bestimmtheit* Schlingenbildung gesehen haben. Die von Nuhn und Gerlach über die Tastkörperchen gemachten Beobachtungen, sind in der illustrirten medieini- schen Zeitung (Bd. II p. 50 sq. und p. 87 sq.) enthalten. Nuhn schliesst sich in vielen Beziehungen an Kölliker an. Ueber die äussere Form bemerkt der Verf., dass die Tastkörperchen oft Einschnürungen haben, so dass es scheint, als ob sie aus zwei und mehreren, übereinander stehenden zusammengesetzt seien. In der Durschnittsfläche eines quer durchschnittenen Taastkörpers sieht man zuweilen feine Pünkt- chen, die sich wie Querschnitte elastischer Fasern ausneh- men, welche durch den Axenstrang der Länge nach hinzie- hen. Die für den Tastkörper bestimmten Nervenfasern sol- len sich nicht verästeln, sondern häufig ganz deutlich in Schlingen endigen, die nicht immer an der Aussenfläche, sondern auch im Inneren des Tastkörperchens liegen. In Bezug auf die Frage, ob die Tastkörper Gefässe enthalten oder nicht, seien die einfachen und die zusammengesetzten, tastkörperhaltigen Papillen zu unterscheiden; die ersteren enthalten keine, die letzteren sehr entwickelte Gefässschlin- 71 gen. An dem Axenstrange der tastkörperlosen Papillen konnte der Verf. keine quer gelagerten, elastischen Blemente (Köll.) wahrnehmen. Desgleichen enthalten sie meistentheils keine Nervenfasern, obschon dieselben mitunter dicht an der Basis der Papillen vorbeiziehen. Gerlach unterscheidet zuckerhutförmige (Fingerspitzen) und hügelförmige (Gesichtshaut ete.) Papillen der Cutis. Die zuckerhutförmigen zeigen zuweilen seitliche Hervorragungen und Spaltungen und werden dadurch zu zusammengesetzten Papillen. Sie bestehen hauptsächlich aus Bindesubstanz, wel- ches an der freien Grenze homogen wird (Bas. membr.) und nieht selten mit sägeförmig gezähneltem Rande verläuft. Die elastischen Fasern ziehen in der Papille longitudinal. Alle Papillen, auch die tastkörperhaltigen, führen kapillare Ge- fässschlingen, die aber eben darum, weil sie kapillar sind, noch als Theil des Kapillarnetzes zu betrachten sind und nicht in einen venösen und arteriellen Schenkel abgetheilt werden dürfen. Bei den tastkörperhaltigen Papillen ist das Verhalten der Gefässschlingen insofern eigenthümlich, als die- selben bei sehr hoher Lage (nach der Spitze der Papille hin) des Tastkörperchens nur bis zu diesem herantreten, und bei den zusammengesetzten Papillen in dem Haupttheile, die Tastkörperchen dagegen in der seitlichen Hervorragung lie- gen. Die Tastkörperehen wurden auch in der Plantarfläche der Zehen und in der Haut der Ferse gefunden. An Durch- schnittchen von !4* Länge wurden in der Regel zwei Tast- körperchen beobachtet. In der Hohlhand waren sie bis zu der Hautpartie zu verfolgen, welche der ersten Reihe der Handwurzelknochen entspricht. Auf dem Rücken der Finger kommen sie sehr vereinzelt im Bereiche der 2ten und dten Phalanx vor. Mikroskopisch nimmt sich das Tastkörperchen so aus, als ob um -eine ovale Axe ein Faden von etwa 0,0005 Breite in sehr nahe liegenden Spiralen gewunden wäre. An frischen Leichen überzeugte sich der Verf., dass dieser Faden der Nervenfaser angehöre. Die Nervenfasern treten bald seitlich, mehr an der Basis oder an der Spitze, stets aber auch von unten zu den Tastkörperehen heran; sie theilen sich dann in der Regel dichotomisch, bleiben noch dunkelrandig und haben einen Durchm. von 0,0005; sie um- spinnen endlich in Spiraltouren die Axensubstanz der Papille und stellen auf diese Weise das Tastkörperchen dar. Die letzte Endigung der Fasern scheint schlingenförmig zu sein; schlingenförmige Endigungen der Nervenfasern will der Verf. besonders deutlich in den Papillen der Froschzunge gesehen haben. Gegen die Ansicht Gerlach’s, dass die (uerstreifung der Tastkörperchen durch Windungen der Nervenfasern ver- anlasst sei, scheint dem Ref. der Umstand zu sprechen, dass auch nach 24stündiger Behandlung derselben mit Natronlösung 12 (10%) die queren Streifen kaum verändert werden. Die ein- zelnen Erscheinungen, welchen die verschiedenen Ansichten über die Struktur der Tastkörperchen zum Grunde gelegen haben, sind meist nicht schwer wieder aufzufinden. Allein Ref. hält alle diese Erscheinungen nicht für ausreichend, um auch nur mit einiger Klarheit ein Urtheil über die Struktur der Tastkörperchen abzugeben. Gefässwandungen. Luschka (Virchow’s Archiv Bd. IV p. 173) unter- scheidet an dem Endocardium vier Schichten: das Epithe- lium, die Längsfaserschicht, die Schicht von elastischem Ge- webe und endlich die Bindegewebsschicht. Das Gefässepi- thelium wird durch eine glashelle, homogene Membran (bas. membr.) von der der Längsfaserschicht getrennt; sie scheint aus verschmolzenen epithelialen Zellen zu entstehen. Die Längsfaserschieht (Tuniea intim. der Gefässe) besteht aus einer scheinbar sehr zart längsgestreiften Membran. Doch lassen sich darin nur starre Fasern von kaum messbarer Feinheit (bis zu 0,001lmm.) erkennen. Bisweilen finden sich zwischen den Fasern spindelförmige, homogene Lamellen. Die Schicht des elastischen Gewebes (Tunic. media der Gef.) enthält im Vorhof elastische Fasernetze mit durchlöcherten Membranen. Ausserdem finden sich zuweilen unregelmässig eckige oder rundliche, kernlose Plättehen, die möglicher Weise glatte Muskelfasern (kant. Faserz. Köll.) sein könnten. (?R.). In den Ventrikeln ist die in Rede stehende Schicht nur am festen Rande der Atrio-Ventrieular-Klappen von der Beschaffenheit, wie in den Vorhöfen; im übrigen Theile feh- len die durchlöcherten Membranen und die elastischen Fa- sernetze sind viel feiner. Die Schieht enthielt ausserdem Gefässe und Bindegewebe. Das Strat. cellulosum (Tun. adv. d. Gef.) enthält an der äussersten Grenze nur sparsame ela- stische Fasernetze. — Henle (Bericht p. 35) stimmt Don- ders (a. a. O.) darin bei, dass die Auffassung des Endocar- dium von Seiten Luschka’s viel zu komplieirt sei. Das Stratum cellulos. sei mit Donders als innere Muskelscheide anzusehen. Die dem Epithelium zunächst gelegene Membran ist nach Donders strukturlos oder schwachfaserig; nur sehr selten finden sich durchlöcherte Membranen vor. Drüsen, Nach Lereboullet (Compt. rend. 1852. Jan. p.. 44.) bestehen die Ductus biliferi bei ihrer netzförmigen, ter- minalen Verzweigung wahrscheinlich aus einer homogenen Hülle (Tunie. prop.), in welcher die Leberzellen in zwei Rei- hen geordnet und in diesen Reihen auch inniger zusammen- hängend liegen. Wie bei niederen Thieren unterscheidet der Verf. in fötalen Zuständen der Leber bei Säugethieren und 73 dem Menschen Fettzellen und Leberzellen, die nebeneinan- der liegend angetroffen werden. Die Fettzellen sollen endo- gen die Leberzellen produeiren. Ueber die Magendrüsen haben wir Mittheilungen von Kölliker (Mikrosk. Anat. Bd. II p. 139 sq.), Ecker (Henl, und Pfeuf. Zeitsch. im 2ten Bande der neuen Folg. p. 245) und von Henle (dies. Zeitsch. p. 309) erhalten. Nach Köl- liker sind die schlauchförmigen Drüsen des Magens beim Menschen niemals am Grunde in Blindsäekchen erweitert oder verästelt; das traubige Ansehen rührt von Windungen der Schläuche her. Am Ausgange der Drüse findet sich Cylin- derepithelium, im Körper und im kolbenförmigen Ende rund- lich eckige Zellen von 0,006 — 0,01. Bei den Thieren kommt Verästelung der Drüsenschläuche vor. Die Endschläuche zeigen sich seitlich zellig aufgetrieben, und man unterschei- det in jeder Auftreibung grosse, kernhaltige Zellen, während nach der Höhle des Kanals eine Schicht kleinerer, poly&@dri- scher Zellen gelagert ist; die Ausführungsgänge sind von Cy- linderepithel ausgekleidet. — Nach Ecker finden sich in der Mitte des menschlichen Magens allerdings nur einfache Drüsenschläuche, die von rundlichen, eckigen Zellen erfüllt sind und auch an der Ausmündung nicht deutliches Cylinder- epithel erkennen lassen. Dagegen kommen in der Pars py- loriea neben einfachen eylindrischen Drüsen ganz entschieden acinöse Drüsen vor. Diese Drüsen beginnen an der Aus- mündung einfach schlauchförmig, theilen sich dann, und die Zweige sind mit Acini besetzt; sie werden den Brunn’schen Drüsen ähnlich. Der Inhalt ist von derselben Beschaffenheit, wie bei den einfachen Drüsen, Die Gl. lentieulares finden sich vorzugsweise in der Pars cardiaca, aber auch längs der kleinen Kuryatur und am Pylorus; sie haben einen Durchm. von '4— 34". — Henle fand gleichfalls bei einem Hinge- richteten neben einer einfachen eylindrischen Drüse auch getheilte und traubenförmige und zwar — an jeder Stelle des Magens. Die kugligen Ausbuchtungen der Aeste sitzen vermittelst eines engen Stieles einzeln an den Seitenwänden der röhrigen Drüsen. Die Länge der Drüsen und somit die Dicke der Schleimhaut betrug 0,220”, in anderen Fällen so- gar 0,5. Auch die Weite der Drüsen ist überall gleich, 0,012” an der Mündung, etwas weniger weiter davon ab. Die Tunica prop. ist überall von rundlichen, etwas abgeplat- teten Zellen von 0,007 im grössten Durchm. ausgekleidet; bei der Seitenansicht scheinen je 2 Reihen von Zellen die Drüse auszufüllen, doch befindet sich, wie die Ansicht von der Oberfläche der Schleimhaut lehrt, ein freier Gang im In- nern, In der Nähe des Pylorus enthalten die Drüsen kurze kegelförmige Zellen, denen in den Lieberkülhn’schen Drü- sen ähnlich. Die Struktur der männlichen Brustdrüse beschreibt 74 Luschka (Müll. Arch: 1852 p. 402). An den Leichen vie- ler, namentlich jüngerer Individuen liessen sich aus der Brust- warze einige sehr kleine Tröpfchen einer wasserhellen Flüs- sigkeit hervorpressen, die zahlreiche Molecularkörnchen, sphä- rische, bald fein granulirte, bald ganz homogene Körper mit excentrischem Kern, endlich freie Kerne enthielt. Dasselbe Fluidum gewann man auch bei Durchsehneidung des Drüsen- gewebes; bei Lebenden konnte wegen Empfindlichkeit der Theile eine passende Kompression der Brustdrüse nicht an- gewendet werden. Das im Unterhautzellgewebe verborgene, von Fettläppchen durchsetzte, kaum 10 Gran wiegende Pa- renchym der Drüse lässt bei Durchschnitten hirsekorngrosse, bläschenähnliche Gebilde erkennen, die leicht bersten und ein Fluidum entleeren. Ausserdem zeigen sich 2—4 mm. lange und lmm. breite schlauchähnliche Gänge, die zur Brust- warze verlaufen. Bindegewebe in allen Formen bildet den Hauptbestandtheil der Drüse; ausserdem finden sich feine elastische Fasern und sparsam glatte Muskelfasern. Das Drüsenhöblensystem stellt sich als einzelne Bläschen dar, die, durch kürzere oder längere Stiele zu einem gemeinsamen Gange zusammentreten. Die Bläschen hatten eine Grösse von 0,05—0,1 mm. Die Wandungen sind meist ausgezeich- net faserig durch elastische und feinste Zellstofffasern; die Dicke der Wandung betrug 0,004— 0,006 mm. Sie sind mei- stentheils von rundlichen, sehr fein granulirten 0,004—0,006mm. messenden Körperchen erfüllt, die durch Essigsäure wenig ver- ändert werden, sich aber in concentrirter Kalilösung auflö- sen. In einigen Bläschen fanden sich auch spindelförmige, oft beträchtliche zur Faser ausgezogene, gekernte Körper- chen vor. Sowohl im Warzenhofe, als in der Warze selbst begegnet man, wie bei weiblichen Individuen, glatte Muskel- fasern. In den Papillen dieser Gegend wurde vergeblich nach den Corp. tactus gesucht. Bei dieser Gelegenheit bemerkt der Verf., dass er bei Prof. Arnold Präparate geschen, in welchen die Tastkörperchen der Cutis injieirt zu sein scheinen. H.Meckelv. Hemsbach hat in seiner „Pathologischen Anatomie der Brustdrüse“ mitgetheilt (Vergl. Illust. Zeitung Heft III p. 141 sq.), dass die Brustdrüse bei Neugebornen noch in beiden Geschlechtern gleich gross ist. Sie stellt eine 4— 8% breite und 1’ dieke Scheibe dar, welche aus zahl- reichen, 140 — 1, weiten Follikeln besteht. Diese Follikel sind die späteren Sinus lactis des Weibes, während das übrige Drüsengewebe sich nachträglich bildet. Sehr gewöhnlich ist die Drüse des Neugebornen prall mit milchigem, ausdrück- barem Sekret gefüllt. In Bezug auf das Wachsthum der Drü- sensubstanz während der Pubertät der weiblichen Individuen stimmen die Beobachtungen mit denen Langer’s (Sitzungsb. der Wiener Akad. d. W.) überein. Die primären Follikel sind nämlich von bläulich-weissem Bindegewebe umhüllt. Von 75 diesem wachsen zuerst in der Gegend der blinden Enden der Follikel solide Fortsätze aus, in welehen Längszüge von Spindelzellen in radialer Richtung sich markiren. Während dann die Längszüge röhrenförmig auseinander weichen, fol- gen Schritt für Schritt hernienartige Ausstülpungen der Pri- mär-Follikel, so dass die allmählig weit verzweigten Milch- kanäle mit Epithelium gewisser Maassen in das Stroma ein- gebohrt werden. Die entwickelte Milchdrüse besteht aus 16 — 20 keilförmigen Lappen. Jeder Lappen enthält ein völlig isolirtes System von Milchkanälchen mit Ausführungsgang. Die rundlicher oder oval geformten Drüsenläppchen sind ein- zeln von einer Bindegewebskapsel eingehüllt; in derselben liegen wieder zahlreiche Unterabtheilungen, die an einem ge- meinsamen Stiel die zahlreichen Acini enthalten; auch sie sind von einer Zellgewebshülle umgeben. Selbst die letzten Aeini haben denselben Bau; es war keine Tunica propria an ihnen, — wenigstens nicht mit Sicherheit —, zu erkennen, sondern eine ziemlich dicke Schicht von Bindegewebe mit sparsamen elastischen Fasern und Blutgefässen umkapselt sie. Das die Höhle des Acinus auskleidende Epithelium bildet eine ein- fache Schicht kubischer Zellen. Ueber die Malpighischen Körper der Nieren hat Marcusen seine Beobachtungen in dem Bulletin der Akad. d. W. zu St. Petersburg (Tom. X No. 4.) niedergelegt. Ganz besonders geeignet für die Un- tersuchung hält der Verf. die Niere des Kaulbarsch. Die Harnkanälchen beginnen blind mit einem kolbigem Anfange. An diese Anfänge begiebt sich ein Kapıllargefäss, durchbohrt die Tunica propria und bildet den Knäuel, um dann an der Eintrittsstelle wieder heraus zu gehen. Die Kapsel des Glomer. Malp. ist demnach das erweiterte Ende des Harnkanälchens. Von der Lage des Glom. Malp. innerhalb der Kapsel hat der Verf. sich dadurch überzeugt, dass er beim Sprengen der Kapsel den Knäuel heraustreten sah. Bisweilen liess sich beobachten, dass der hall, herausgetretene Knäuel von der zurückgebliebenen Hälfte durch eine Einschnürung getrennt wurde, In der Erweiterung der Harnkanälchen findet sich nur Oylinderepithel; auf der Oberfläche des Glom. Malp. be- findet sich kein Epithel. Der Glom. Malp. mit der Kapsel hat beim Kaulbarsch ungefähr einen Durchm. von 0,065 — 0,070 mm.; die Dicke der Wandung der Kapsel beträgt 0,006 — 0,010 mm. Blutdrüsen. Ueber die Struktur der Milz hat Dr. Vl. Hlasek auf Veranlassung des Referenten ausführliche Untersuchungen an- gestellt. (Disquisitiones de structura et textura lienis, Diss, inaug. Dorpati Liv. 1852, 4to ec. tab. I). Um eine Einsicht in die wahre Struktur der Milz zu erhalten, ist die Unter- suchung der Milz des Rindes oder Pferdes zu empfehlen. 76 Man beobachtet hier an der, in einer grösseren Strecke auf- geschnittenen Vena lienalis folgendes Verhalten, und kann sich zugleich von der Richtickeit desselben durch mikrosko- pische Untersuchung feuchter und getrockneter Präparate auf das Genaueste überführen. Die Art. lienalis und der Nerve, wahrscheinlich auch die Hauptsumme des Lymphgefässsy- stems, die bis zum Hilus durch lockeres Bindegewebe von einander und von der Vena lienalis getrennt verlaufen, treten beim Eindringen in die Milz in die Wandung der Vena lienalis auf die Weise hinein, dass sie ihre Lage zwischen Tunica adventitia und intima erhalten. Verfolgt man die Ve- nenwandung weiter, so bemerkt man leicht, dass die Tuniea adventitia sich anfangs in ein gröberes, weiterhin aber fei- ner und feiner werdendes B alkennetz auflöset. Zwischen den Balken zeigen sich häufig die Lumina der einmündenden Venenäste; in anderen Fällen ist das Insterstitium von einer feinen Haut eingenommen oder besser (bei der Ansicht auf die Innenfläche der Venenwandung) überspannt, — einer Haut, die nichts Anderes, als die Tunica intima darstellt. Von den Balken, in die sich die Tunie. advent. auflöset, ist der eine durch seine Breite ausgezeichnet; von ihm ziehen zugleich Fortsetzungen zu dem Balkengewebe der einmün- denden Venenäste hin; derselbe enthält die aufgenommene Arterie, die Nerven, die Lymphgefässe. Je feiner das Bal- kengewebe wird, um so mehr nimmt die etwa dazwischen gelegene Tunica intima ein röthliches, pulpöses Ansehen an; der Verf, sagt, die Wandung der Vene sei hier pulpös ge- worden. Mikroskopische Untersuchungen lehren, dass in einer, solcher Weise veränderten Wand gleichwohl noch ein mikroskopisches Balkennetz sich ausbreitet, das mit dem grö- beren in kontinuirlicher Verbindung steht. Einzelne Balken führen auch hier Arterienzweige, Nerven etc, die aus den betreffenden Stämmen in dem Hauptbalken der Vena lienalis dahin entsendet werden. Ebenso markiren sich schon hier an solehen, pulpös gewordenen Stellen der Venenwandung die nach der Höhle der Vene prominirenden Malpighischen Körperchen. Dringt man von dem Venenstamm und seinen Aesten in das Parenchym der Milz ein, so überzeugt man sich leicht, dass sämmtliche, sowohl mit unbewaffneten Au- gen noch sichtbare „als mikroskopische arterien- und nerven- haltige oder reine Balken in kontinuirlicher Verbindung mit dem "oben beschriebenen Balkennetz stehen, dass die sog. Pulpa aus denselben Gebilden besteht, wie die pulpös ge- wordenen Wandungen des Stammes der Vena lien., und dass diese Pulpa endlich nicht eine dichte Masse darstellt, son- dern an frischen Präparaten überall von Gefässepithelium überzogen ist. Ja, oft kommen Balken vor, namentlich solche, die in die Tunica propria auslaufen, die rundum von sol- chem Epithelium umgeben sind. Es wird offenbar, dass man Er ‘ es hier überall mit freien Flächen zu thun habe, die Höhlen angehören, welche im zusammengesunkenen Zustande vor- liegen. Vorsichtig ausgeführte Injektionen lassen über die wahre Struktur der Milz kaum einen Zweifel, und diese lässt sich nach dem Verf. in folgenden Worten zusammenfassen. Die Milz des Menschen und der Säugethiere ist als ein eigenthümlich konstruirtes Organ des Venensystems anzuse- hen, welches mit den eavernösen Körpern, auch mit gewis- sen Wundernetzen, am besten aber, wie auch von anderen Beobachtern bemerkt worden ist, mit der Placenta uterina des Menschen verglichen werden kann. Dieses venöse Höh- lensystem zerfällt in zwei Theile. Der eine Theil, das Ca- vernensystem genannt, nimmt das Blut aus den Kapilla- ren auf, der andere führt das Blut aus der Milz heraus und besteht aus dem Stamm der Vena lienalis, deren Ver- zweigungen und den terminalen Wurzeln, welche durch die Stigmata Malpighii in die Cavernen einmünden. Von beiden Theilen ist der an Masse überwiegende das Cavernensystem. Die Cavernen mit ihren Wandungen, wozu auch die Balken gehören, bilden das vom Verf. sog. Parenchym der Milz; sie liegen vorzugsweise, wie man sagt, zwischen den Balken der Milz; auch die Tunica propria begrenzt die Höhlen der- selben und ist sammt den in sie auslaufenden Balken als zu den Wandungen der Cavernen gehörig zu betrachten. Zwi- schen den Cavernen verzweigt sich die Vena lienalis, wobei es oft geschieht, dass zwischen den Höhlen beider nur eine feine pulpöse Wand als Septum sich befindet. Alle Bestand- theile der Milz müssen so aufgefasst werden, als ob sie zur Konstitution der Wandungen entweder des abführenden Ve- nensystems oder des Cavernensystems gehören, wenn man von dem Blute absieht, das grade in den Höhlen des venö- sen Höhlensystems sich vorfindet. Die Arterie verzweigt sich in der Venenwandung, wie ein Vas vasorum, unter Beglei- tung eines Faseikels der Tunica adventitia und läuft in dem pulpös gewordenen Theile derselben in das Kapillarnetz aus; meist in ihrer Begleitung befindet sich auch der Nerve, des- gleichen die Lymphgefässe mit den dazu gehörigen Malpighi- schen Bläschen, welche reichlicher in der Wandung des Ca- vernensystems angetroffen werden. Die arterien- und ner- venfreien Balken, seien sie mit unbewaflneten Auge oder mit dem Mikroskope sichtbar, sind aufgelösete Fascikel der Tunica adventitia in den Wandungen des venösenu Höhlen- systems. Die Pulpa ist der verdünnte Theil der Wandungen dieses Systems; sie ist besonders ausgebildet in dem sogen. Cavernensystem. Eben dahin gehört auch das sich etwa vorfindende formlose Bindegewebe. Alle Zellen und Kerne, sofern sie nicht zum spindelförmigen Gefässepithelium zu rechnen sind, gehören zum Inhalte der Blut- und Lymph- gefässe, die aber allerdings mehr oder weniger verändert 18 vorkommen können. In dem so eben geschilderten Verhal- ten ist kein Unterschied zwischen den untersuchten 'Thieren und dem Menschen vorhanden, Dagegen ist hervorzuheben, dass beim Hunde, Schweine und bei dem Menschen die Vena lienalis, nachdem sie die Arterie, den Nerven ete. auf- genommen hat, sich selbst noch in den Verzweigungen un- versehrt erhält, und dass die Auflösung der Tunica adventit. in einzelne Fascikel, wie die Untersuchung lehrte, erst ge- gen das Ende der Ramifikationen und in den Venenwurzeln stattfindet. Referent fügt zu dieser Mittheilung noch einige einzelne Angaben. Die von den meisten Beobachtern ausgesprochene Ansicht, dass die in die Milz eintretenden Gefässe, nament- lich die Arterie von der Tunica propria eine Scheide erhalte, entbehrt jeder Begründung. Die Scheiden der Arterien sind Fascikel der Tuniea adventitia des venösen Höhlensy- stems, die sich allerdings durch ihre Breite auszeichnen. Alle Muskeln in der Milz sind ungestreift und von dem Verhal- ten, wie man sie sonst antrifft; die zackigen Formen, die Kölliker beschrieben, sind Kunstprodukte. Sie gehören entweder zur Tunica advent. des venösen Höhlensystems oder zur Tunica media der Arterien. Die Tunica media der Venenwandung wird in der Milz ganz unkenntlich, und Mus- keln fehlen darin gänzlich. In der menschlichen Milz kom- men in der Tunie. advent. der Venenwandungen keine Mus- keln vor; was man dafür gehalten, sind spindelförmige Zel- len des Gefässepithelium. Eigenthümliche Muskeln der Milz finden sich weder beim Menschen, noch bei Thieren. Die innerste, den Cavernen zugewendete Schicht der Tuniea prop. der Milz stimmt hinsichtlich der Struktur und Textur vollkommen mit der Tuniea advent. der Venenwandungen überein; wo letztere Muskeln enthält, da finden sie sich auch in der ersteren. Aus diesem Grunde, wie auch wegen des Verhaltens der in die Tunica propria auslaufenden, oder, wie man sagt, von ihr entspringenden sogen. Balken ist der Ver- fasser geneigt, diese innerste Schicht der Tunica propr. für eine, an der Grenze des Üavernensystems nur stärker ent- wickelte Tunica adventitia zu halten. Die sogen. Pulpa lienis besteht aus mikroskopischem Balkengewebe, Kapil- largefässen, Nerven, aus Lymphgefässen mit den Malpighi- schen Bläschen und formlosem Bindegewebe; sie wird von den pulpös gewordenen Venenwandungen gebildet und über- all von dem Gefässepithelium bekleidet. Eigenthümliche, pa- renchymatische Milzzellen giebt es nicht. In dem Paren- chym der Milz finden sich vielmehr ganz dieselben Zellen vor, die man in der aufgeschnittenen Vena lienalis, z. B. des Rindes, beobachten kann. Namentlich aber macht der Verf. darauf aufmerksam, dass Substanztheilchen des Paren- chyms der Milz mit den darin enthaltenen Zellen und Ker- ‘9 nen sich vollkommen ebenso mikroskopisch verhalten, wie ein Stück in der Vena lienal. geronnenen Faserstoffes. Des- gleichen leugnet Hlasek die Existenz der Blutkörperchen- haltigen Zellen; was man dafür genommen, seien bald ver- änderte, mit Hämatin infiltrirte Blutkörperchen, bald Zellen, die Pigmentkugeln enthalten. Die Milzbläschen, die der Verf. ihres Inhalts wegen als zum Lymphsystem gehörig be- trachtet, liegen, wie man sagt, in der Nähe der Arterie und ihrer angeblichen Scheide. Wie dieses zu verstehen, ist aus der angegebenen Struktur leicht zu übersehen. Diese Scheide nämlich, oder der Hauptfaseikel der aufgelöseten Adventitia der Venenwandung, führt neben der Arterie und dem Ner- ven auch die Hautstämme des Lymphgefässsystems, und alle diese Bestandtheile gehen kontinuirlich in die respektiven, oben mehr mikroskopisch gewordenen Gebilde der pulpösen Venenwandung über, wo zugleich zahlreich die Milzbläschen als Anhänge (?R.) der Lymphgefässe auftreten. Bei Injek- tionen der Milz des Rindes, von der Arterie aus, füllen sich die Kapillarnetze der pulpös gewordenen Venenwandung, auch der Milzbläschen, sodann hauptsächlich zunächst die Cavernen, später auch die Ramifikationen der Vena lienalis, doch weniger vollkommen. Wird die Vena lienalis injicirt, so füllen sich die Ramifikationen derselben mit den zahlrei- chen Anastomosen, Sinus und den Venenwurzeln, die etwa eine Breite von !4— Vz“ besitzen; die injieirte Masse dringt aber schwer zu den Cavernen und noch schwerer in die Ka- pillarnetze, was sich leicht aus der pulpösen Beschaffenheit der Venenwandung und des daraus folgenden Mangels des Seitendrucks, sowie aus den zahlreichen Auastomosen und der sinuösen Erweiterung der Vena lienalis begreifen lässt. Das Blut der Milz fliesst aus den Arterien in die Kapellaren, von bier in die Höhlen des Cavernensystems und wird durch Ve- nenwurzeln in die Verzweigungen der Vena lienalis überge- führt. Ob direkte Verbindungen zwischen den Kapillaren und den abführenden Venen existiren, hat sich nicht mit Sicherheit nachweisen lassen. Die Struktur der Milz ist auch von W. Sanders be- schrieben. (Annals of anatomy and phys. cond. by. J. Good- sir: No. I u. II. 1852.) Die Darstellung hält sich an die ge- bräuchlichen Ansichten. Die Angabe Kölliker’s (Mikrosk. Anat. p. 25), dass die Malpighischen Bläschen der Katze, wie die Peyer’schen Follikel, von einem Kapillarnetz durch- zogen seien, wird von Sanders (Vergl. Monthly Journ. March. p. 286) bestätigt. 80 Handbücher und Hülfsmittel. A. Kölliker: Mikroskopische Anatomie oder Gewebe- lehre des Menschen: Bd. II zweite Hälfte, Abth. I; Leipzig 1852. Svo.; mit Holzschn. A. Kölliker: Handbuch der Gewebelehre des Menschen für Aerzte und Studirende. Leipz. 1852. 8vo.; mit Holzsch. P. A. B&clard: Klemens d’anatomie generale. 3e ed. par J. Beclard. Par. 8. Avec fig. intercal. dans le texte. 1852. I. Quekett: Lectures on histology. Lond. 8. with wood- cuts. 1852. I. H. Wythes: The mieroscopist or a complete manual on the use of the microscope. Lond. 8. 1852. Druck von Gebr, Unger in Berlin. Ueber die Semitae der Spatangoiden. Von JoH. MUELLER. In der Gesellschaft naturforschender Freunde 16. Nov. 1852 hielt ich einen Vortrag über die Saumlinien an der Schale der Spatangoiden, welche Philippi Semitae, Agassiz Fascio- les genannt hat. Ich theile daraus die Beobachtungen mit, welche ihre Bedeutung aufklären. Dass die Semitae für die Pedicellarien bestimmt sein sollten, ist schon von Troschel widerlegt. (Wiegm. Archiv. Jahrg. XVII. I. p. 70.) Die Se- mitae unterscheiden sich von andern Stellen der Schale, dass sie ohne Stacheln sind und vielmehr sehr dicht mit sehr fei- nen und kleinen am Ende geknöpften Borsten besetzt sind. Die grossen Verschiedenheiten in der Gegenwart und in dem Verlaufe der Semitae nach den Gattungen der Spatangoiden sind durch Agassiz bekannt geworden. Die Bedeutung der Semitae ist aber bisher unbekannt geblieben; es sind Saum- linien, welche sich durch eine äusserst lebhafte Wimperbewe- gung auszeichnen. Schon bei der Untersuchung der Semitae an Weingeistexemplaren von Spatangoiden stieg mir der Ge- danke auf, dass sie der Wimperbewegung, bestimmt sein und Strömungen des Wassers durch sie veranlasst werden möch- ten. Bei der Untersuchung lebender Exemplare des Schizaster eanaliferus Ag. in Triest ward ich sogleich überrascht, dass die dicke weiche Haut, welche die Borsten der Semitae um- giebt, auf das dichteste mit langen lebhaft thätigen Wimpern besetzt ist. Das Innere der Borste wird von einem Stab von Kalk gebildet, welcher aus dem gewöhnlichen Netzwerk be- ‚steht. In dem weichen Endknopf breitet sich der Stab in einen Bausch von Kalkleisten aus. Obgleich die dicke Haut, welche die Borste umgiebt, in den weichen Endknopf über- geht, so wimpert doch der letztere nicht, vielmehr reichen Müllers Archiv, 1858, I 2 die Wimpern immer nur bis auf die Basis des Endknopfes. Die Länge der Flimmerborsten beträgt beim Schizaster cana- liferus 1 — 1,2”, die Breite 0,1”, die Breite des kalkigen Stabs im Innern 0,05'. Mir.ist wohl bekannt, dass Ehrenberg längst Wimper- bewegung an den Stacheln des Echinus saratilis (E. livi- dus Lam.) der norwegischen Küste beobachtet hat. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1834. p. 578. Diese schöne Beobachtung ist ohne Grund von Forbes und Valentin bestritten. Ich kenne die Bewegung an den Stacheln halberwachsener Exemplare von Echinus pulchellus Ag. Die Stacheln sind von einer äusserst zarten wasserhellen Haut überzogen, welche stellen- weise locker aufliegt. Obgleich es mir nicht gelungen ist, die Wimpern selbst zu sehen, so war doch die Bewegung kleiner Körperchen im Wasser um die Stacheln sehr deut- lich, und ist in verschiedenen Exemplaren wiederholt gesehen. In ältern Exemplaren des Echinus lividus scheint sie be- reits gänzlich erloschen zu sein. Dagegen habe ich die ge- wöhnlichen Stacheln des Schizaster canaliferus sowohl in jüngern als älteren Exemplaren immer ohne eine Spur dieser Erscheinung gesehen, während die Borsten der Semitae immer mit langen flimmernden Wimpern dicht besetzt sind. Die Semitae erinnern an die Wimperschnüre der Echi- nodermenlarven, es sind wie diese in sich zurücklaufende Wimpersäume. Doch passt dieser Vergleich nur im Allge- meinen, denn die Wimperschnüre der Larven haben eine ganz abweichende Lage, auch ist ihre Bestimmung verschieden, nämlich die Larven zum pelagischen Schwärmen zu befähi- gen. Leider kennen wir die Larven der Spatangoiden noch nicht; doch lässt sich erwarten, dass sie in der Anordnung der Wimperschnüre mit den Larven anderer Seeigel und an- derer Echinodermen übereinstimmen werden. Wegen der Verwandtschaft des Gegenstandes habe ich die Abbildungen der Wimperborsten zur letzten (6ten) Ab- handlung über Echinodermenlarven gezogen, welche über den allgemeinen Plan in der Entwickelung der Echinodermen han- delt. Ich verweise zum voraus auf Fig. 7—9 der VII. Tafel. Einige histologische Beobachtungen über den Schlammpeitzger (Cobitis fossilis). Von Dr. Fr. Levoie. Der bezeichnete Fisch wäre werth genauer untersucht zu werden, als es bisher geschehen, da seine Lebeusweise und das, was bereits von seinem Bau bekannt ist, noch auf manche weitere Eigenthümlichkeiten hinweisen dürfte. Der Schlamm- peitzger hält sich, wie man weiss, im Schlamme der Flüsse, Seen und Bäche auf und lebt da fort, selbst wenn sie ganz ausgetrocknet sind; auch ohne Wasser im Glase aufbewahrt, bleibt er mehre Tage lang lebendig. Ebenso ist wohl Jedem, der diesen Fisch beobachtete, aufgefallen, wie er fortwährend Luft schluckt und durch den After wieder von sich giebt. Von den anatomisch interessanten Verhältnissen der Co- bitis fossilis hat Weber die sonderbar gelagerte Schwimm- blase und ihre Beziehungen zum Gehörorgan beschrieben (de aure et auditu hominis et animalium. Lips. 1820); dass der Magen quergestreifte Muskeln besitze, davon hat zuerst Budge in der Mediz. Zeitung des Vereines für Heilkunde in Preus- sen 1847 Nr. 1 Kenntniss gegeben. Gerade diese letztre An- gabe in Verbindung mit der Entdeckung Molins, dass unter der quergestreiften Muskelhaut des Darmes von der Schleie (Tinca chrysitis) noch eine glatte Muskulatur sich fände !), hat in mir den Wunsch rege gemacht, den Schlammpeitzger zu mikroskopiren. Leider habe ich aber trotz aller Bemü- hungen, die ich schon längere Zeit fortsetze, nicht mehr als 1) Sulle tonache muscolari del tubo intestinale del pesce denomi- nato Tinen chrisitis in den Sitzungsberichten der kaiserl. Akademie d. Wissensch, in Wien. 1850 8.416. 1* 4 zwei weibliche Exemplare aus dem Main aufbringen können, womit das Fragmentarische der folgenden Mittheilungen ent- schuldigt werden möge. Nahrungskanal. Die Rachenschleimhaut besitzt die den Papillen aufsitzen- den „beeherförmigen Organe“ (vergl. Ztschrft. f. wis- senschaftliche Zoologie Bd. III, 1550 S. 3 u. Tab. I Fig. 2), welche nach meinen bisherigen Erfahrungen nur den Kno- chenfischen und Stören, nicht aber den Selachiern zukommen und vielleicht in der Zukunft mit den Tastempfindungen in nähere Beziehung gebracht werden können. Am Gewölbe der Rachenhöhle erblickt man ein sehr ent- wickeltes „contraktiles Gaumenorgan“. Es mass gegen %” in der Länge, 11% in der Dicke (der Fisch war beiläufig 1’ lang) und dehnte sich bis zum Beginn des Schlundes aus. Was die Struktur dieses Gebildes betrifft, so bestand es der Hauptmasse nach aus quergestreiften Muskelbündeln, die viel- fach durcheinander geflochten waren; zahlreiche Gefässe und Nerven versorgten das Organ, und über die freie Fläche hin- weg ging ein Bindegewebsstratum mit dem Epitel der Rachen- schleimhaut. !) Stannius (vergleich. Anatomie $. 90) rechnet Cobi- tis zu den Fischen, bei denen eine Scheidung von Speise- röhre und Magen mangelt, indem die hintere Hälfte, die Ma- gengegend, weder durch Erweiterung, noch durch Eigenthüm- lichkeiten der Texturverhältnisse, sich von der vordern, dem Schlunde, auszeichnet. Für Cobitis fossilis ist diese An- gabe nicht im Geringsten anwendbar, sondern die beiden be- treffenden Abschnitte des Nahrungskanales, Schlund und Ma- gen, grenzen sich hier, wie man nach Eröffnung derselben leicht sieht, durch eine ganz verschiedene Beschaffenheit ihrer Schleimhaut sehr scharf von einander ab. Der Ösophagus ist kurz, seine Muskelhaut besteht, wie 1) Bei manchen Cyprinoiden finden sich Fettzellen in reichlicher Menge zwischen der Muskulatur des Gaumenorganes, an Cobitis fos- silis vermisse ich dergleichen. B) bei andern Fischen, aus quergestreiften Bündeln und ist für das freie Auge ziemlich stark roth, die Schleimhaut erscheint weisslich, besitzt Längsfalten, die netzförmig verbunden sind und entbehrt der Drüsen. Der Magen erstreckt sich bis zum Ende der Leber, ist von ziemlich rothem Aussehen und fühlt sich diekwandig an. Am geöffneten Magen wird erkannt, dass die Dicke zumeist von der durch Budge angezeigten quergestreiften Muskelhaut herrührt, die selbst wieder deutlich aus ei- ner äussern oder Längsschicht und einer innern oder Ring- schicht zusammengesetzt sich zeigt. Auf die quergestreifte Muskulatur folgt aber nicht unmittelbar die Schleimhaut, sondern Cobitis fossilis stimmt in der Schich- tung der musculösen Elemente des Magens über- ein mit der Schleie. Wie hier nach der Beobachtung von Molin unter der quergestreiften Muskelhaut des Traetus noch glatte Muskeln sich finden, so lässt sich auch bei Cobitis fossilis sehr bestimmt erkennen, dass zwischen der querge- streiften Ringschicht und der Schleimhaut noch eine Lage glatter Muskeln eingeschoben ist, deren Faserelemente circu- lär um den Magen verlaufen. Die quergestreifte Muskelhaut umhüllt demnach gewissermassen wie ein Mantel die glatte Muskulatur. Auch die Schleimhaut des Magens bietet bemerkenswerthe Strukturverhältnisse dar. Sie erhebt sich in dichtstehende Fältchen und Zotten, die gegen den Pylorus hin vereinzelter werden, bis sie sich nach dem Ende des Magens zu ganz verlieren; dagegen konnte ich keine Drüsen in der Magen- schleimhaut auffinden, es schien vielmehr, als ob sie vollstän- dig mangelten. Das Epitel war nicht aus einerlei Zellenfor- men zusammengesetzt, sondern in der Tiefe gewahrte man Cylinderzellen, schmal, mit länglichem Kern und feinkörnigem Inhalt, die obern Schichten bestanden aus rundlichen Zellen, zwischen ihnen fanden sich einzelne grössere Körper („Schleim- zellen“), die frisch mehr homogen aussahen, nach Essigsäure aber ihre Zellennatur deutlich kundgaben. Sehr zahlreiche Bluteapillaren durchsetzten die Schleimhaut. {er} Der Darm hat dünnere Wände als der Magen und ist gleichfalls von röthlichem Aussehen, was aber hier nicht von der Muskellage, sondern von der Beschaffenheit der Schleim- haut abzuleiten ist. Diese Partie des Verdauungskanals ent- behrt, wie schon Budge richtig angiebt, der quergestreiften Muskeln, sie besitzt nur eine glatte Muskulatur und zwar be- steht letztere aus einer äussern, dünneren Längsschicht und einer innern, dickeren Ringschicht. Der Kern der Faserzel- len ist schmal und 0,008—0,0120'“ lang. Recht auffallend ist die Natur der Schleimhaut des Dar- mes. Sie erhebt sich in niedrige Falten, ist dabei ohne alle Drüsenbildung und scheint gar kein Epitel zu besitzen, es ist mir wenigstens weder im frischen Zustande, noch nach Essig- säure geglückt, mich von der Anwesenheit eines solchen zu überzeugen. Hingegen macht sich ein derartiger Gefässreich- thum der Schleimhaut bemerklich, dass sie eigentlich nur aus Blutcapillaren und etwas homogener Binde- substanz, als Träger derselben, zu bestehen scheint. Die Capillarverzweigung ist so dicht und die Parenchym- maschen so eng, dass das mikroskopische Bild der Darm- schleimhaut nur der Mucosa einer Lunge verglichen werden kann. Dieser ungemeine Gefässreichthum giebt auch der Schleimhaut und dem ganzen Darm das rothe Aussehen. Ohne Zweifel steht die bezeichnete, man kann sagen, respiratorische Beschaffenheit der Schleimhaut des Darms in directer Wechselbeziehung mit der Lebensweise unsres Fisches und erklärt die Eingangs in dieser Hinsicht angeregten Eigen- thümlichkeiten. Der Fisch schluckt beständig Luft und giebt sie durch den After wieder von sich, nachdem er sie zufolge der Beobachtungen von Ehrmann in Kohlensäure verwan- delt hat (Cuvier Thierreich, übers. von Vogt Bd. I. S. 375). Cobitis fossilis athmet demnach mit seinem Darm athmosphärische Luft. Daher stirbt auch dieser Fisch nicht sobald, wenn er ins Trockne geräth und lebt fort im Schlamme ausgetrockneter Gewässer. Ein Mesenterium ist nicht vorhanden, sondern statt eines solchen spannen sich von der Bauchwand einzelne Bindege- 7 websfäden, besonders zum Magen herüber, in denen Gefässe unterschieden werden. Schwimmblase. Die Schwimmblase der Cobitis fossilis steckt be- kanntlich in einer Knochenhülle, die nach mikroskopischer Untersuchung als die verknöcherte äussre oder lockre Binde- gewebsschicht der Schwimmblase und verwachsen mit dem @uerfortsatz des dritten Wirbels aufgefasst werden kann. Für das freie Auge erscheint die knöcherne Kapsel wie siebför- ig durchstochen und unter dem Mikroskop zeigt sie sich unter der Gestalt eines zierlichen Knochengitters. Man hat rundliche oder längliche Lücken, die /,,—1/4‘ gross sind, vor sich und dazwischen ein Balkengewebe, welches ganz vom Aussehen verknöcherter Bindesubstanz ist. Es besteht aus einer hellen, homogenen streifigen Grundmasse, die längliche, zumeist sehr lang ausgezogene, dabei schmale Hohlräume mit zackigen Rändern besitzt, durchaus an die Lücken der Binde- substanz (Bindegewebskörperchen, Virchow) erinnernd. Die Schwimmblase selber, aus ihrer knöchernen Hülse herausgenommen, fällt unter Wasser leicht in zwei Häute aus- einander, die folgende Eigenschaften darbieten. Die äussere ist weisslich, hat einen atlasartigen Glanz und besteht aus krystallähnlichen, feinen, starren Fasern, die bis '4 lang sind, zugespitzt, und sich sehr leicht von einander lösen. Die innere Haut ist von bläulich weisser Farbe und erweist sich aus gewöhnlicher Bindesubstanz gebildet, wesshalb ihr Gefüge auch ein festeres ist, als an der vorhergehenden Haut, übri- geus besitzt sie nur spärliche Blutgefässe und hat weder Nerven noch Muskeln. Ihre Innenfläche ist von einem zar- ten, blassen 0,004 dicken Plattenepitel überzogen, das nicht flimmert.‘) Nach Essigsäure quellen beide Häute auf, wer- den ganz durchsichtig und in der äussern kommen sehr zalıl- reiche Kernfaserbildungen zum Vorschein. 1) Bei dem Stör wimpert, wie ich in einer demnächst er- scheinenden Abhandlung näher mitzutheilen habe, die Innenfläche der Schwimmblase. Was die sogenannten ‚Schleimkanäle angeht, so sind sie bei Cobitis fossilis sehr gering entwickelt, am Kopf sind welche kaum sichtbar und die des Leibes verlaufen nicht nach der Seitenlinie, sondern weiter nach oben, dem Rücken näher. Schleimröhrenknochen, wie solche Cobitis barba- tula nach meinen Beobachtungen (Ueber die Schleimkanäle der Knochenfische, ds. Archiv 1850 S. 178) besitzt, mangeln bei Cobitis fossilis. Die Epidermis der äussern Haut ist für das freie Auge gelblich; unter dem Mikroskop erscheinen zwar die einzelnen Zellen farblos oder höchstens mit gelblichem Anflug, sobald sie aber in Menge beisammen liegen, rufen sie eine ziemlich intensiv gelbe Farbe hervor. Die „Schleimzellen* der Ober- haut zeigen sich sehr ausgebildet. Auch die Stäbchen der Retina bringen ein ähnliches Phä- nomen hervor, wie die Epidermiszellen: während sie einzeln liegend von vollkommen klarem, wasserhellem Aussehen sind, zeigen sie in Masse eine gelbliche Farbe. Die Retinastäb- chen mancher Reptilien (Frosch, Landsalamander) gewinnen, wie ich aus eigner Beobachtung beifügen kann, unter gleichen Umständen einen röthlichen Schimmer. Unter der Haut der Eiersäcke, die übrigens nicht flim- mert, befand sich bei dem einen Individuum eine zahllose Menge von Psorospermien theils frei, theils innerhalb 0,008 bis 0,0120 grosser Blasen. Die Psorospermien waren un- geschwänzt und besassen ausser einem grössern Innenkörper, der im Allgemeinen die Form des ganzen Gebildes wieder- holte, noch zwei kleine, etwas auseinander gerückte Punkte. Das aufrechte Stehen. (Erster Beitrag zur Mechanik des menschlichen Knochen- gerüstes.) Von Pror. Hermann MEYER in Zürich. Indem ich in diesem und einem oder zwei noch folgenden Aufsätzen vorläufige Mittheilung von den Ergebnissen gebe, welche länger fortgesetzte Studien über die Mechanik des Knochengerüstes mir gewährt haben, fühle ich mich gedrun- gen, den Standpunkt näher zu bezeichnen, von welchem aus ich dieselben beurtheilt zu sehen wünsche. Seit der bekannten und geschätzten Arbeit der Gebrüder Weber hat dieses Feld beinahe brach gelegen. Die Physio- logen hatten zu viele andere Beschäftigungen; Embryologie, Histologie, organische Chemie und Experimental-Physiologie nahmen alle Zeit und alle ihre Kräfte in Anspruch, die Ana- tomen aber erkannten nie ihre Aufgabe in der Bearbeitung des fraglichen Gegenstandes; — und doch hätte gerade die Anatomie vorzugsweise sich der Bearbeitung desselben zu- wenden sollen; denn bei den vielen elementaren Fragen, welche die Physiologie noch zu lösen hat, musste es als die Aufgabe der Anatomie erscheinen, den Körper als einen Com- plex von physiologischen Apparaten anzusehen, deren Ver- ständniss sich nur auf ihre funktionelle Bedeutung stützen konnte. Durch solche Anschauungsweise allein ist es mög- lich, die Anatomie von einer Art der Behandlung zu befreien, welche ihr nicht mit Unrecht den Vorwurf der Schwierigkeit und Trockenheit verschafft hat. — Lernen wir die Apparate des Körpers gleich in ihrer physiologischen Bedeutung ken- nen (und eine andere haben sie ja nicht), dann erscheint uns Alles viel verständlicher und gewinnt viel mehr Interesse, und 10 die Anatomie hört auf, ein leeres Gedächtnisswerk und Spie- len mit unverstandenen Formen zu sein. Seit Jahren mit der Ausbildung der Anatomie in dieser Richtung beschäftigt, fand ich meine Aufmerksamkeit nament- lich auf den lokomotorischen Apparat hingewiesen, denn in diesem war das Meiste und Wichtigste zu arbeiten. Ich kam durch meine Studien auf so manche Sätze, welche den herr- schenden Ansichten, wenn solche vorhanden waren, gerade entgegen liefen, dass ich immer zu wiederholter und genaue- rer Prüfung aufgefordert war. Die kurzen Sätze, welche ich hiermit veröffentliche, sind daher vielfach geprüft. Zwar weiss ich wohl, dass zu einer absolut genauen Feststellung aller Einzelheiten und zur genaueren Ausführung vieler dieser Sätze noch mancherlei Arbeiten über die Mechanik der einzelnen Theile des Knochengerüstes nothwendig sein werden, und dass durch solche noch manche Modification an den hier vor- läufig niedergelegten Sätzen herbeigeführt werden wird, — doch erscheint es mir keine überflüssige Arbeit, jetzt schon mit den gewonnenen Ergebnissen hervorzutreten, da jene ge- nauere Arbeit noch Jahre in Anspruch nehmen wird, — und ich werde es als eine werthvolle Unterstützung meiner weiteren Studien über diese Gegenstände ansehen, wenn diese Bekannt- machung Gelegenheit zur Besprechung derselben auch von anderer Seite her bietet. I. Das aufrechte Stehen. Das aufrechte Stehen kömmt dadurch zu Stande, dass die einzelnen beweglich unter einander verbundenen Theile des Knochengerüstes in festere Verbindung tretend die ganze Körpermasse zu einem einzigen Ganzen vereinigen, welches in einer solehen Berührung mit dem Boden ist, dass seine Längenachse senkrecht auf demselben gestellt ist. Unabweis- liche Bedingung für die Möglichkeit dieser Stellung ist die, dass die Schwerlinie des Körpers den Boden innerhalb des Rau- mes trifft, welcher von den Füssen berührt oder begrenzt wird. Natürlich giebt es sehr verschiedene Arten, wie diese 11 Bedingung erfüllt werden und aufrechtes Stehen zu Stande kommen kann, und es dürfte kaum möglich sein, dieselben alle erschöpfend hinzustellen. Wir müssen uns daher darauf beschränken, die Mechanik einer Art der aufrehten Stel- lung genauer zu untersuchen, und ich wähle dafür diejenige als die natürlichste und ungezwungenste, welche mit der wenig- sten Muskelthätigkeit zu Stande kömmt, in welcher deshalb das Knochengerüste vorzugsweise nur durch Bedingungen in Ruhe ist, welche in ihm selbst und seinen Bändern zu finden sind. Es ist die gerade militärische Stellung mit vollkomme- ner Symmetrie der beiden Seitenhälften des Körpers. Alle anderen Arten zu stehen sind nur Modificationen dieser ein- fachsten Art, welche dadurch zu Stande kommen, dass zu derselben ein neues Moment hinzutritt, nämlich die Anstren- gung gewisser Muskelgruppen. Die fixirenden Momente. Nach eingetretener Ruhe ist die Fixirung der einzelnen Skelettheile durch folgende Momente hervorgebracht, nämlich : durch Muskelthätigkeit, durch Bänderspannung, durch Aneinanderdrückung. Die Muskelthätigkeit ist die freieste Fixirung, indem durch dieselbe Verbindungen hergestellt werden, welehe in jedem Augenblicke durch den Willen verändert werden kön- nen, ohne dass dadurch die Hauptstellung wesentlich geän- dert würde. Sie hat aber auch die grossen Nachtheile, dass eine durch sie erzeugte Fixirung unmöglich lange ausgehalten werden kann, weil die Muskeln durch längere gleichmässige Anstrengung gelähmt (ermüdet) werden, und dass sie bei Aufhebung des Nerveneinflusses plötzlich ausgelöst und da- mit unwirksam wird. Sie kömmt zu Stande durch die radiale (fixirende) Komponente der Muskelwirkung, wenn die Wir- kung der tangentialen (bewegenden) Komponente aufgehoben wird durch Widerstände verschiedener Art, durch Knochen, Bänder oder durch Muskelantagonismus. Im letztern Falle wirken die fixirenden Komponenten der zwei oder mehreren 12 Antagonisten mit einander zur Fixirung, während die bewe- genden Komponenten sich gegenseitig aufheben. Nach be- kannten Gesetzen ist die fixirende Komponente einer Muskel- wirkung um so grösser, je spitzer der Winkel ist, den die Richtung des Muskelzuges gegen die Längenaxe des Gelenk- endes des Knochens hat. — Die gemeinschaftliche Wirkung der fixirenden Komponenten aller Muskeln, welche um ein Gelenk herum gelagert sind, ist auch noch ein sehr wichtiges Moment für das Aneinanderheften der Gelenkflächen über- haupt, welches aber zu sehr vernachlässigt zu werden pflegt, seit man durch den sinnreichen Gedanken und die einschlä- gigen Versuche der Gebrüder Weber darauf aufmerksam ge- worden ist, dass der Luftdruck für diesen Zweck hinreicht. Die Bänderspannung tritt ein, wenn gewisse Bewe- gungen in den Knochenverbindungen so weit ausgeführt wor- den sind, dass nun Hülfsbänder als Hemmungsbänder wirken können. Die Spannung solcher Bänder wird während des Ste- hens unterhalten theilweise durch die Schwere überliegender Theile, theilweise durch entgegenwirkende Muskelthätigkeit. In letzterem Falle wirken dann Bänderspannung und Muskel- thätigkeit gemeinschaftlich für die Fixirung. — Diese Fixi- rungsweise ist eine nie erlahmende und giebt immer dieselbe unveränderte Lage zweier Knochen gegen einander; bei ver- schiedenen Individuen können oder müssen aber die gegen- seitigen Lagenverhältnisse derselben bei den Knochen ver- schieden sein, je nach der Länge der durch Anspannung wir- kenden Hülfsbänder. Dadurch wird ein Moment gesetzt, wel- ches die verschiedene Haltung verschiedener Individuen in der aufrechten Stellung als ein Nothwendiges hinstellt, wel- ches unabhängig ist von angewöhnten Eigenthümlichkeiten in der Muskelthätigkeit; doch wollen wir uns nicht verhehlen, dass gerade die Spannungsverhältnisse der Bänder oft von dem entschiedensten Einflusse auf ihre Länge sind; wir finden ja häufig genug, dass bei Gelenksteifigkeiten die Bänder se- kundär kürzer werden und dass umgekehrt Bänder, die häufig gedehnt und gezerrt werden, auch länger werden („er- schlaffen*). 13 Das Aneinanderdrücken oder Aufeinanderdrücken zweier Skelettheile geschieht zum Theil durch die Schwere überliegender Theile, zum Theil auch durch Veränderung des Hypomochlion in Folge eingetretener Bänderspannung. Ist nämlich eine solche eingetreten und durch dieselbe ein Theil eines Knochens fixirt, dann wird dieser zum Hypomochlion, und Schwere sowohl als Muskelzug erzeugen alsdann eine Be- wegung um denselben, durch welche zwei Knochenflächen, die früher beweglicher vereinigt waren, fest auf einander ge- drückt werden. Man könnte übrigens den so zu Stande kom- menden Druck auch ansehen als den gemeinschaftlichen Axen- druck der antagonistischen Bänderspannung einerseits und Schwere oder Muskelwirkung andererseits. Die Fixirung des Rumpfes auf den Beinen. Bei der Untersuchung der Mechanik des aufrechten Ste- hens können natürlich nur die Theile der untern Extremität und des Rumpfes in Rede kommen, indem der Kopf und die obern Extremitäten in ihrer freien Beweglichkeit durch die Bedingungen der aufrechten Stellung keinen Einfluss erfahren. Sie verdienen nur insofern Beachtung, als Bewegungen der- selben, welche die Lage des Schwerpunktes verrücken, eine Correetion der Stellung durch Muskelthätigkeit nothwendig machen. . Wir fassen zuerst den Rumpf mit dem Becken als ein gegebenes Ganze auf, welches, in sich unbeweglich, mit den Beinen artikulirt, und auch die Beine fassen wir jedes für sich als ein gegebenes steifes Ganze auf, Der Rumpf, dessen Schwerpunkt nach den Messungen der Gebrüder Weber etwa in die Mitte der knöchernen Brust- höhle fällt, artieulirt an seinem untern Ende jederseits durch die Hüftpfanne mit dem obersten Theile des Beines, dem Öberschenkelkopfe, und ist dadurch um eine horizontale Axe drehbar, welche man durch die Mittelpunkte der beiden Ober- schenkelköpfe zieht. Denken wir uns nun zuerst die beiden Beine in parallel-symmetrischer Stellung und aufrecht (senk- recht oder etwas geneigt) absolut fest an den Boden geheftet, 14 dann erkennen wir zwei Möglichkeiten für die Art und Weise, wie der Rumpf von den beiden Beinen in Ruhe getragen wer- den kann, entweder nämlich ruht derselbe im labilen Gleichgewichte, d. h. er ist so auf die beiden Beine gestützt, dass seine Schwerlinie die Mitte der Verbindungslinie beider Ober- schenkelköpfe trifft, oder er ist, ohne im Gleichgewichte zu sein, an die Ober- schenkelköpfe geheftet, indem Spannung oder Druck ihn verhindert, dem Zuge seines Schwerpunktes zu folgen. Ist Ersteres der Fall, so ist die Stellung des Rumpfes auf den Beinen eine höchst unsichere, indem die allergeringste Verrückung des Schwerpunktes nach vornen oder hinten noth- wendig ein Fallen desselben nach der gleichen Richtung zur Folge haben muss, ein Fallen, welches so weit geht, als es die Weichtheile erlauben, wenn nicht unausgesetzte und auf- merksame Muskelthätigkeit immer wieder korrigirend einwirkt. Der Rumpf würde auf den Beinen stehen etwa wie der ganze Körper auf einem Seile in beständigen kleinen Äquilibrirungs- bewegungen begriffen, Die zweite Art der Anheftung ist die bei Weitem siche- rere und diese finden wir in dem menschlichen Körper ange- wendet. Dieselbe kommt aber in folgender Weise zu Stande: Die vorher bezeichnete Axe, welche durch die Mittelpunkte beider Oberschenkelköpfe gezogen werden kann, ist dieDreh- axe (das Hypomochlion) des Rumpfes bei seinen Bewegun- gen auf den feststehenden Beinen. Eine Senkrechte aus dem Schwerpunkte des Rumpfes auf diese Drehaxe ist der Hebel- arm der Schwere des Rumpfes. Das mechanische Moment der Schwere ist gleich der Schwere des Rumpfes multiplizirt mit dem horizontalen Abstande des Schwerpunktes von der Drehaxe (oder einer Senkrechten von der Mitte der Drehaxe auf die Schwerlinie des Rumpfes). Je mehr sich die Lage des Hebelarmes der Schwere der Horizontalen nähert, um so grösser wird das mechanische Moment der Schwere, und es wird gleich Null, wenn dieselbe eine senkrechte ist, denn der eine Faktor desselben (nämlich der horizontale Abstand des 15 Schwerpunktes von der Drehaxe) wächst und nimmt ab in dem gleichen Verhältniss, wie der Cosinus des Neigungswin- kels, welchen der Hebelarm der Schwere zur Horizontalen hat. Steht der Hebelarm der Schwere senkrecht, dann ist der Rumpf entweder im labilen oder im stabilen Gleichge- wichte; das stabile Gleichgewicht kann er aber der bekann- ten anatomischen Verhältnisse wegen nie erreichen, man kann deshalb nur das labile Gleichgewicht in Rede bringen und dieses, weil kein Missverständniss möglich ist, kurzweg Gleich- gewicht nennen. — Die unterhalb der Hüftpfannen gelegenen Theile des Rumpfes dürfen ohne Fehler aus der Rechnung bleiben, weil sie im Verhältniss zu den oberhalb der Hüft- pfannen gelegenen Theilen zu unbedeutend sind. Diejenigen Bewegungen, welche der Rumpf durch seine Schwere um die bezeichnete Axe ausführen kann, sind Dreh- bewegungen und zwar solche, durch welche er aus der Gleich- gewichtslage nach vornen, und solche, durch welche er aus der Gleichgewichtslage nach hinten hinabsinkt. - Kräfte, welche diesen Bewegungen entgegenwirken sol- len, müssen daher so angebracht sein, dass sie entweder die entgegengesetzte Bewegung erzeugen oder dass sie der Be- wegung einen Widerstand entgegensetzen. — Diese Kräfte sind aber an dem menschlichen Körper Muskeln, welche durch ihre Elastizität. und ihre Kontraktion, und Bänder, welche durch ihre Unnachgiebigkeit wirken. — Beide (Mus- keln und Bänder) finden ihren einen Anheftungspunkt an den Beinen, den andern an dem Becken, die direkte Entfernung des letzteren Punktes von der Drehaxe bezeichnet den Hebel- arm der einzelnen Kraft. Das Kraftmoment der einzelnen Kraft ist ihre Stärke multiplizirt mit der kleinsten Senkrech- ten aus der Dreliaxe auf ihre Richtung. — Die Muskeln wir- ken theilweise durch direkten Zug, theilweise, wenn sie einen winkeligen Verlauf haben (wie der m. obturator internus) durch seitlichen Druck. Muskeln, welche einem Sinken des Rumpfes nach vornen entgegenwirken, also als Heber des Rumpfes aus der nach 16 vornen geneigten Lage in die Gleichgewichtslage auf- treten, sind: m. glutaeus maximns, m. pyriformis, m. obturator internus e. gemellis, m. quadratus femoris, m. biceps femoris, m. semimembranosus, m. semitendinosus. Muskeln, welche einem Sinken des Rumpfes nach hinten entgegenwirken, also als Heber des Rumpfes aus der nach hinten geneigten Lage in die Gleichgewichtslage auf- treten, sind: m. ilio-psoas, m. pectinaeus, m. obturator externus, m. rectus femoris, m. sartorius. Alle die genannten Muskeln haben zwar noch Nebenwir- kungen auf das Becken, diese heben sich aber durch das Zu- sammenwirken der Muskeln beider Seiten so auf, dass die Resultirende gleichnamiger Muskeln beider Seiten immer in die Flexionsebene des Hebelarmes der Schwere fällt. — Die Adduktoren mit dem m. graeilis sind durch ihre Anheftung gerade zwischen den beiden Beinen so angeordnet, dass ihre gemeinschaftliche Wirkung für sich den Rumpf ungefähr in der Gleichgewichtslage hält und dass sie denselben ebenso aus einer Neigung nach vornen, wie aus einer Neigung nach hinten in die Gleichgewichtslage zurückführt. Man kann demnach, wenn man einen Vergleich anstellen will zwischen der Stärke“jener beiden Muskelgruppen, die Adduktoren- gruppe aus dem Spiele lassen, weil dadurch das Verhältniss der beiden Gruppen zu einander wenig geändert wird. Vergleichen wir aber die beiden oben aufgestellten Mus- kelgruppen mit einander, so fällt uns zuerst auf, dass in bei- den Gruppen Muskeln vorkommen, welche am Oberschenkel und solche, welche am Unterschenkel angeheftet sind; — 17 dieses Verhältniss kömmt bei den Bewegungen des Beines noch einmal zur Sprache, wo es mehr Wichtigkeit gewinnt. Zweitens aber ist es auffallend, wie so sehr viel bedeutender die Masse derjenigen Muskeln ist, welche den nach vornen gesenkten Rumpf aufheben, als die Masse derjenigen, welche den nach hinten gesenkten aufheben; der Grund davon ist in folgenden Verhältnissen zu erkennen: die mögliche Sen- kung des Rumpfes nach vornen ist eine sehr bedeutende, denn sie lässt sich führen bis zu einem nach unten offenen spitzen Winkel mit der Senkrechten; wobei sie durch die hori- zontale Lage hindurchzugehen hat, in welcher die Schwere des Rumpfes ihr grösstes mechanisches Moment hat. — Da- gegen ist die Senkung des Rumpfes nach hinten eine sehr unbedeutende, indem schon nach geringer Senkung das liga- mentum superius ein unüberwindliches Hinderniss weiterer Senkung wird; früher tritt bei dem einzelnen Individuum die Spannung dieses Bandes ein, wenn die Oberschenkel nach aussen rotirt sind, — bei verschiedenen Individuen früher da, wo das Band kürzer ist; immer aber steht nach der Span- nung des Bandes der Rumpf so, dass seine Achse unter einem nach hinten uud unten offenen sehr stumpfen Winkel mit der Senkrechten steht; das mechanische Moment der Schwere des Rumpfes kann deshalb in der Rückwärtssenkung dessel- ben nie ein bedeutendes werden. — Hieraus geht hervor, dass auch die Masse derjenigen Muskeln, welche der Vor- wärtssenkung entgegenwirken, sehr viel bedeutender sein muss, als die Masse derjenigen, welche der Rückwärtssen- kung entgegenwirken, weil jene gelegentlich das Maximum des mechanischen Momentes der Schwere des Rumpfes zu überwinden haben, diesen dagegen höchstens ein sehr gerin- ges mechanisches Moment entgegensteht. — Aus den We- berischen Wägungen (Mechanik der Gehwerkzeuge S. 217) stellt sich nun heraus, dass das Gesammtgewicht der Mus- keln der ersten Gruppe 1161,6 Gr. beträgt, dasjenige der Muskeln der zweiten Gruppe aber 807,8 Gr. Das ungefähre Verhältniss beider Gruppen zu einander ist also 3 : 2. Man sollte nach dem bisher Entwickelten ein grösseres Missver- Müller’ Archiv. 1853. 2 18 hältniss erwarten; dass sich solches nicht findet, ist aber hin- länglich dadurch erklärt, dass die Muskeln der zweiten Gruppe ungünstigere Anheftungspunkte näher der Drehaxe haben, während diejenigen der ersten Gruppe entfernter der Dreh- axe günstigere Anheftung haben d. h. mit gleicher Masse mehr ausriehten können. Rechnen wir die Anspannung von Weichtheilen bei sehr starkem Vorwärtsbeugen des Rumpfes ab, weil diese doch unter den beim Aufrechtstehen wirksamen Kräften nicht mit einbegriffen sein können, so finden wir nach dem Bisherigen zwei Kräftepaare, welche um die Drehaxe des Rumpfes wirksam sind, nämlich: 1) Schwere des Rumpfes und ligamentum superius, 2) die beiden Muskelgruppen, oder vielmehr die beiden Resultirenden der beiden Gruppen. Fragen wir nun wieder nach den Bedingungen, unter wel- chen der Rumpf mit möglichst geringem Kraftaufwand auf den beiden Beinen in Ruhe ist, so drängt sich uns zuerst wieder das labile Gleichgewicht auf, weil in demselben nur die Schwere allein wirkt, allein wir sehen auch zugleich ein, dass eine jede auch noch so geringe Bewegung, viel- leicht sogar der Herzschlag, im Stande sein muss, dieses Gleichwicht zu stören, so dass beständige Korrektionen durch eine oder die andere der beiden Muskelgruppen nöthig wer- den würden. In Wirklichkeit würde. daher ein Ruhen des Rumpfes im Gleichgewicht nur ein Festgehaltenwerden durch die beiden Muskelgruppen sein d. h. es würde die unruhigste und anstrengendste Art der Unterstützung des Rumpfes sein. — Anders ist es dagegen, wenn die Unterstützung des Rum- pfes dem ersten Kräftepaar überlassen ist; dabei findet gar keine Muskelthätigkeit statt, sondern der Rumpf ist in voll- kommener Ruhe, wenn er in dem Maximum der Rück- wärtssenkung steht und dem mechanischen Mo- ment seiner Schwere die Spannung des ligamen- tum superius entgegenwirkt; alle kleinen Schwankun- gen in der Lage des Schwerpunktes werden diese Unter- stützungsart des Rumpfes nicht stören, so lange sie den 19 Schwerpunkt nicht vor die Drehaxe bringen. Wir erkennen also in dieser Art der Unterstützung des Rumpfes durch die Beine die sicherste, ruhigste und zugleich diejenige, welche ohne alle Muskelwirkung zu Stande kömmt; gleichzeitig fin- det aber auch durch dieselbe eine sehr genaue Fixirung des Rumpfes auf den beiden Beinen statt, indem die Spannung des ligamentum superius wegen dessen schiefer Richtung den Oberschenkelkopf nach innen und oben fest in die Pfanne drückt, oder (wenn man es lieber so auffassen will) indem der Anheftungspunkt des ligamentum superius an dem Becken Hypomochlion wird und nun der Schwerpunkt des Rumpfes an seinem Hebelarme wirkend die Pfanne auf die Oberschen- kelköpfe drückt. Diese eben beschriebene Art der Fixirung des Rumpfes auf den beiden Beinen ist denn auch diejenige, welche in dem menschlichen Körper bei ruhigem und zwanglosem Aufrecht- stehen stets in Anwendung kömmt. Da es nach dieser theoretischen Deduktion erscheinen könnte, als sei der eben ausgesprochene Satz nur auf diesem Wege gewonnen, so will ich noch anführen, dass ich zuerst im Verlaufe weitläufigerer Untersuchungen über die Gestalt des Beckens, welche übrigens noch nicht für die Veröffent- lichung reif sind, auf denselben geführt wurde, indem ich mir gewisse Verschiedenheiten in der Gestaltung des Kreuzbei- nes nur erklären konnte durch die Annahme, dass die Schwer- linie des Rumpfes hinter den Hüftpfannen herunterfallen müsse. Ich glaube durch diese Bemerkung meinem Satze zugleich eine wesentliche Unterstützung gegeben zu haben, indem durch dieselbe auf seine Brauchbarkeit für Erklärung anderer Erscheinungen hingewiesen wird. Leicht anzustel- lende Untersuchung wird. einem jeden die Wahrheit des Satzes bald bestätigen: der Trochanter ist so weit gegen den Oberschenkelkopf rückwärts gestellt, dass in der Profilan- sicht der Mittelpunkt des Oberschenkelkopfes gerade vor den oberen Theil des vorderen Randes des Trochanters zu liegen kömmt. Der vordere Rand des Trochanters bezeichnet also in der Profilansicht die Lage der Drehaxe des Rumpfes in 2+ 20 den Hüftgelenken. Lässt man nun einen wohlgebauten Men- schen sich aufrecht hinstellen und fasst seine Profilansicht ins Auge, so kann man die relative Lage der Drehaxe des Rumpfes in den Hüftgelenken zu dem Schwerpunkte des Rumpfes durch ein Bleiloth untersuchen. Hält man ein sol- ches an den vorderen Rand des Trochanters, so sieht man es durch das Brustbein und die Nase gehen; wenn nun der Rumpf im Gleichgewichte auf der Drehaxe stände, so müsste sein Schwerpunet in dieser Linie liegen, was unmöglich ist. Hält man dagegen das Bleiloth so, dass es die Mitte der Brust (den Schwerpunkt des Rumpfes) deckt, so stellt es in der Profilansicht die Schwerlinie des Rumpfes dar und un- tersucht man dann durch das Bleiloth, wohin diese fällt, so sieht man, dass sie mittten durch den Hinterbacken mehrere Finger breit hinter dem Trochanter herabgeht. Man wende nicht ein, dass in der aufrechten Stellung das Becken nieht in dem Maximum der Rückwärtsbeugung gegen den Oberschenkel sich befinden könne, weil es uns möglich sei, in dieser Stellung das Bein noch nach rückwärts zu he- ben. Die Untersuchung wird einen jeden bald lehren, dass dieses scheinbare Aufheben des Beines eine Rückwärtsbeu- gung in der Lendenwirbelsäule ist, verbunden mit einer Ro- tation des Beckens auf dem ruhenden Beine und kompen- sirender Rotation in der ganzen Wirbelsäule. Man darf nur z. B. ein Lineal auf den Hüftbeinkamm legen und die Bewe- gung ausführen, so sieht man dieses bald. Die Stellung des Beines auf dem Fusse. In dem Bisherigen wurde stets das untere Ende der Beine als absolut an dem Boden fixirt angenommen; dass aber eine solche Fixirung bei dem gewöhnlichen aufrechten Stehen nicht gegeben ist, ist bekannt; es müssen daher noch die Verhältnisse der Beine gegen den Boden untersucht werden. Nehmen wir für diesen Zweck wieder ein jedes Bein von dem Hüftgelenke bis zum Fussgelenke als ein Ganzes an, so haben wir an dem Beine zwei Theile zu unterscheiden: das Bein im engeren Sinne und den Fuss. — Wenn in dem 21 Folgenden der Ausdruck Bein gebraucht wird, so ist er im- mer in dem angegebenen beschränkten Sinne zu verstehen. Beide Füsse ruhen mit ihren Sohlen auf dem Boden und geben dadurch die Unterstützungsfläche für den ganzen Kör- per ab. An seinem höchsten Punkte trägt jeder Fuss die Rolle des Astragalus, mit welcher der untere Theil des Bei- nes (tibia und fibula) artikulirt. Die beiden Astragalusrollen sind nicht so gelagert, dass ihre Flexionsebenen unter ein- ander parallel sind, sondern diese Ebenen divergiren nach vornen, weil die Axen der beiden Rollen nach vornen kon- vergiren; durch dieses Moment wird dem aufrechten Stehen eine bedeutende Unterstützung. Sehen wir aber einmal von diesem Verhältniss ab und nehmen wir bei fest ruhenden Füssen die Flexionsebenen der beiden Astragalusrollen als parallel an, dann bilden die alsdann in Kontinuität stehenden Axen der beiden Rollen die gemeinschaftliche Drehaxe bei- der Beine im Fussgelenke. Auf dieser Drehaxe müssen nun die beiden Beine mit dem an ihnen befestigten Rumpfe befestigt werden, wenn ein ruhiges Stehen möglich sein soll. Der Rumpf ist aber durch seine Fixirung auf den beiden Beinen mit diesen ein Ganzes geworden, welches einen Schwerpunkt für sich hat. Wenn wir nun die Verhältnisse der beiden Beine mit dem Rumpfe zu den Füssen untersu- chen wollen, so haben wir nichts mehr mit dem Schwerpunkte des Rumpfes zu thun, sondern nur mit dem gemeinschaft- lichen Schwerpunkte der Beine und des Rumpfes. Es ist deutlich dass bei demselben Individuum dieser gemein- schaftliche Schwerpunkt keine absolute Lage haben kann, indem die Lage desselben wechseln muss nach der Stellung des Rumpfes zu den Beinen, abgesehen von den Schwankun- gen in der Lage des Schwerpunktes des Rumpfes selbst, welche abhängen von Gestalt und Anfüllung desselben. Vol- ler oder leerer Magen, Blase, Mastdarm, Uterus, Fettbauch, Verbiegungen des Rumpfes in verschiedener Richtung bedin- gen immer eine andere Lagerung des Schwerpunktes in dem Rumpfe und des gemeinschaftlichen Schwerpunktes. — Wenn 22 aber auch die Lage des letzteren keine absolute sein kann, so ist sie doch für die aufrechte Stellung eine möglichst be- stimmte und ist für diese (eigentlich für die gestreckte hori- zontale Lage) von den Gebrüdern Weber durch deren be- kannte Versuche in das Promontorium versetzt. Dieser Schwerpunkt wirkt an einem Hebelarme wel- cher gebildet wird durch eine gerade Linie, welche man aus demselben auf die Mitte der eben bezeichneten Drehaxe im Fussgelenke zieht. Wenn keine anderen Kräfte mitwirken, so kann er entweder im labilen Gleichgewichte über der Drehaxe der Fussgelenke stehen oder er kann nach vornen oder nach hinten hinunterfallen und dadurch ein Vorwärts- oder Rückwärtsfallen des ganzen Körpers um die Drehaxe der Fussgelenke hervorrufen. Im labilen Gleichgewichte befindet sich aber der Körper auf dieser Drehaxe, wenn der Hebelarm des Schwer- punktes mit der Schwerlinie zusammenfällt, d. h. wenn das Promontorium senkrecht über der Mitte der Drehaxe liegt. — Da aber die allergeringste Schwankung des Körpers nach vornen oder nach hinten nothwendig eine Verletzung dieser Bedingung erzeugt, und da kleine Schwankungen dieser Art niemals zu vermeiden sind, so müssen in dem Körper, wenn dieser auf das labile Gleichgewicht im Fussgelenke beim auf- rechten Stehen angewiesen ist, Korrektionsmittel vorhanden sein, welche die nachtheilige Wirkung dieser Schwankungen im Augenblicke ihrer Entstehung aufheben. Da wirklich das Ruhen des Körpers auf der Drehaxe der Fussgelenke zum Theil auf dieses Verhältniss angewiesen ist, so wollen wir dieses zuerst untersuchen und dann erst die Verhältnisse kennen lernen, welche den Korrektionsmitteln einen grossen Theil ihrer Last abnehmen. Die Korrektionsmittel finden sich aber in zwei Mo- menten, nämlich: 1) in der Möglichkeit den gemeinschaftlichen Schwerpunkt des ganzen Körpers zu verändern, und 2) in der Wirkung eines Muskelkräftepaares, welches die 23 gegenseitige Lage des Körpers und der Füsse ändern kann. Es wurde oben bereits angedeutet, dass der Schwerpunkt des ganzen Körpers keine absolute Lage habe, sondern dass seine Lage von der relativen Lage des Schwerpunktes des Rumpfes zu demjenigen der Beine abhängig sei. Der Schwer- punkt des Rumpfes ist aber selbst in seiner Lage veränder- lich und kann durch freiwillige Bewegungen, welche die Ge- stalt des Rumpfes verändern, verlegt werden und zwar seit- wärts durch seitliche Senkungen des Kopfes, Krümmungen der Wirbelsäule und Aufhebung eines Armes, oder in der Richtung nach vornen und hinten durch Zusammenbeugen des Rumpfes, Rückwärtsstrecken des Rumpfes, und Senkung des Kopfes nach hinten oder vornen, und Aufhebung der Arme nach hinten oder vornen. Jede Verrückung des Schwerpunktes des Rumpfes nach hinten oder vornen muss auch den gemeinschaftlichen Schwerpunkt des Rumpfes nach hinten oder vornen verrücken und kann daher absicht- lich erzeugt Korrektion einer gestörten Aequilibrirung auf der Drehaxe der Fussgelenke hervorbringen. — In ähnlicher Weise können auch Beugungen und Streckungen des Rum- pfes gegen die Beine wirken. — Wir sehen deshalb eine ganze Menge kleiner Bewegungen dieser Art von Personen ausgeführt werden, welche mit stark einwärts gestellten Fuss- spitzen zu stehen versuchen, wobei wirklich eine der ange- nommenen gleiche Drehaxe der Fussgelenke vorhanden ist. Ein ähnliches Verhältniss ist es, wenn wir uns auf eine queere scharfe Kante stelleu; die grösseren Schwierigkeiten, welche hier der Aequilibrirung geboten werden, veranlassen uns die gewöhnliche Fixirung des Rumpfes auf den Beinen auszulö- sen und dieselbe ganz dem an der Hüfte wirkenden Muskel- kräftepaar anzuvertrauen, weil dadurch die Korrektionen durch Lageveränderung des Rumpfes viel leichter möglich sind; — wir stehen deshalb auf einer queren Kante nie so gerade wie auf dem ebenen Boden. Das zweite Korrektionsmittel besteht in der Wirkung eines Muskelkräftepaares. Dieses Kräftepaar besteht aber 24 aus Rückwärtsbeugern des ganzen Körpers, und aus Vor- wärtsbeugern des ganzen Körpers. Erstere sind: die Wadenmuskeln (m. gastroenemii und soleus), der m. tibialis posticus, der m. peronaeus brevis, und in zweiter Wirkung: der m. peronaeus longus, der m. flexor hallueis longus, der m. flexar digitorum communis longus. Letztere sind: der m. tibialis anticus, der m. peronaeus tertius, und in zweiter Wirkung: der m. extensor hallueis longus, der m. extensor digitorum ecommunis longus. Uebersehen wir diese beiden Muskelgruppen, so fällt uns sogleich das ausserordentliche quantitative Missverhältniss zwischen denselben auf. Nach den Weber'ischen Wägungen (Mechanik der Gehwerkzeuge S. 217) ist das Gewieht der Rückwärtsbeuger 1052,4 Gr. und das Gewicht der Vorwärts- beuger 207,9 Gr., — das Verhältniss zwischen beiden also ungefähr 5 : 1. Finden wir nun auch genügende Erklärung für dieses Missverhältniss in der gleichzeitigen Bedeutung der Muskeln der ersten Gruppe als Gehmuskeln, so kann doch dasselbe auch für das Stehen nicht ohne Bedeutung sein, denn durch die überwiegende Masse der Rückwärtsbeuger muss die Korrektion eines Vorwärtsfallens leichter ausge- führt werden können, als durch die geringere Masse der Vorwärtsbeuger diejenige des Rückwärtsfallens. Dem Beob- achter wird es nicht entgehen, dass wir, auf dieses Verhält- niss bauend, stets um ein Minimum zu viel vorwärts geneigt stehen und dadurch den Rückwärtsbeugern eine ähnliche Be- deutung werden lassen, wie sie in dem Hüftgelenke dem ligamentum superius zukömmt; — daher die starke Ermü- dung der Wadenmuskeln durch längeres Stehen. — Wichtig wird dieses Verhältniss auch noch deshalb, weil die Verrük- kungen des Schwerpunktes nach vornen durch Beugungen des Kopfes, Hebung der Arme nach vornen etc. viel häufiger vorkommen als diejenigen nach hinten. Aus dem Entwickelten ist ersichtlich, wie ein Ruhen des ganzen Körpers auf den beiden Füssen durch wirkliche Aequilibrirung zu Stande kommt, bei welcher aber ein kleiner Fehler im Sinne der Vorwärtsbeugung gemacht wird, so dass doch ein ähnliches Verhältniss hergestellt ist, wie bei dem Hüftgelenke. Die beständige Aufmerksamkeit und Anstrengung, welche mit einer solchen Aequilibrirung noth- wendig verbunden sein müssen, werden aber grossentheils überflüssig gemacht durch zwei andere sehr wichtige Mo- mente, welche einen grossen Theil der Fixirung des Körpers auf den Fussgelenken auf sich nehmen. Diese sind aber: 1) die Richtung der Flexionsebene der Astragalusrolle, 2) die Gestalt der Astragalusrolle verbunden mit der Ro- tation des Unterschenkels im Fussgelenke. In dem Früheren wurde zum Zwecke der einfacheren Dar- stellung die Lage der Flexionsebenen beider Astragalus parallel angenommen. In Wirklichkeit sind dieselben aber so gestellt, dass sie bei an einander geschlossenen Füssen einen nach vornen offenen Winkel von ungefähr 50° ein- schliessen; bei der gewöhnlichen Stellung der Füsse, wobei die Spitzen derselben etwas auswärts gestellt sind, wird die- ser Winkel natürlich grösser, durch dieses Verhältniss wird ein Vorwärtsfallen des Rumpfes auf den Füssen sehr er- schwert, weil mit dem Vorwärtsfallen eines einzelnen Beines nothwendig auch eine Beugung nach auswärts verbunden ist, welche aber auf beiden Beinen gleichzeitig nur zu Stande kommen kann, wenn die Kniee gebogen werden. So lange also dass Knie gestreckt ist, giebt diese Divergenz der Flexionsebenen sehr viel Halt. — Wir stehen demnach viel fester und sicherer, wenn die Füsse etwas nach auswärts gestellt sind. Zu starke Stellung nach aussen wird aber wie- der schädlich, weil dabei das ligamentum superius des Hüft- gelenks so sehr angespannt wird, dass der Rumpf zu viel Neigung nach vornen erhält, und weil die von den Füssen 26 gedeckte Ebene in der Richtung von vornen nach hinten zu schmal wird. Die Rolle des Astragalus ist zwar im Allgemeinen cylindrisch, aber die beiden Endflächen derselben sind nicht untereinander parallel. Die dem malleolus externus zuge- wendete Fläche ist senkrecht auf die Axe des Cylinders gestellt und bildet einen Theil einer Kegeloberfläche, so dass die an derselben sich bewegende Fibula einen sicheren Gang immer in derselben Ebene hat. Die dem malleolus internus zugewendete Fläche liegt dagegen schief gegen die Axe des Cylinders, so dass dieser hinten schmaler (weniger hoch) als vornen ist, — und zugleich hat diese Fläche eine nach innen konvexe Krümmung. Der malleolus internus beschreibt daher bei den Beugungen und Streckungen im Fussgelenke eine bogenförmige Linie und ist, wenn er an dem hinteren Theile der Astragalusrolle gelegen ist, dem malleolus exter- nus näher, als wenn er an dem vorderen Theile derselbeu gelegen ist. Diese Bewegung setzt aber auch eine entspre- chende Bewegung der ganzen Tibia an der Fibula voraus und die Möglichkeit zu einer solchen wird dadurch gegeben, dass die ineisura fibularis der Tibia, in welche die Fibula durch eine Art von Symphyse (oder Syndesmose) angehef- tet ist, einen grösseren Krümmungshalbmesser hat, als die anliegende Stelle der Fibula; die Gelenkfläche der Tibia für die Cylinderfläche der Astragalusrolle selbst ist aber, wie diese hinten schmaler. Wenn nun durch die Drehbewe- gung der Tibia, welche die lockere Amphiarthrose des ca- pitulum fibulae leicht gestattet, der vordere Rand der ineisura fibularis fester an die Fibula angedrückt wird, dann ist die ganze Hohlrolle hinten weiter und die Streckungs- und Beu- gungsbewegungen gehen leicht vor sich; wenn dagegen der hintere Rand der incisura fibularis an der Fibula anliegt, dann ist die Hohlrolle hinten enger als dass der vordere breitere Theil der Astragalusrolle ohne Zwang hindurchgehen könnte, die Astragalusrolle ist alsdann gewissermassen ein- geklemmt. — Eine solche hintere dem malleolus externus nähere Stellung erhält aber der malleolus internus: 1) bei 27 starker Streckung (Senkung der Spitze) des Fusses; man sieht, wenn man solche an einem Bandpräparate eines gan- zen Unterschenkels mit dem Fusse ausführt, wie bei einem gewissen Grade der Streckung eine weitere Bewegung der Fibula durch das gespannte ligamentum talo-fibulare anterius gehemmt wird, während die Tibia mit einer um die Fibula rotirenden Nebenbewegung ihre Streekungsbewegung noch etwas fortsetzt, — 2) wird eine solche hintere Näherung bei- der malleoli aber auch erreicht, wenn in der aufrechten Stel- lung des Beines mit gestrecktem Knie und aufgesetztem Fusse eine Rotation des ganzen Beines um die an dem Astragalus feststehende Fibula ausgeführt wird. Letzteres ist eine Be- wegung, welehe bei Annahme der gestreckten Stellung für das aufrechte Stehen immer von selbst eintritt und zwar: a) durch den nach innen rotirenden Einfluss des ligamentum superius auf das Oberschenkelbein und 5) durch die Rotation der Tibia noch an dem Femur; bei der Streckung erhält nämlich die ganze Tibia eine kleine Rotationsbewegung nach hinten, indem der nach hinten längere condylus internus femo- ris durch das Kapselband und das ligamentum laterale inter- num gern ihr diese Bewegung mittheilt, und weil die Streck- muskeln selbst auch diese Nebenwirkung haben, indem ihr ligamentum patellae von der patella etwas nach auswärts zur tuberositas tibiae geht; vielleicht wirkt in dem gleichen Sinne auch die Rotatorengruppe (m. sartorius, gracilis und semitendinosus) und der m. popliteus mit. Welche Bedeu- tung aber auch die eben genannten Muskelwirkungen im Le- beu für die Rotation der gestreckten Tibia haben mögen, so ist doch der Bänderzug, welchen der nach hinten hervortre- tende condylus internus femoris erzeugt, zur Hervorbringung der Rotation hinreichend, wovon man sich an einem Band- präparate des ganzen Beines überzeugen kann. — Es ist deutlich, ‘dass durch dieses Verhältniss einerseits der Astra- galus mit der extremsten Stellung seines Kopfes nach innen fixirt wird und andererseits durch die Einklemmung der Astra- galusrolle ein Vorwärtsfallen des gestreckten Beines in dem Fussgelenke ebenfalls bedeutend behindert wird. 28 Bedenken wir nun, dass die beiden eben behandelten Mo- mente in der Konstruktion des Fussgelenkes einem Vor- wärtsfallen des Körpers ein Hinderniss entgegensetzen, so werden wir einsehen, dass wegen derselben ein ruhiges Auf- rechtstehen auf dem Fussgelenk am Sichersten bei einem ge- ringen Vorwärtslehnen zu Stande kommen muss, — und die- ser Schluss stimmt vollständig mit dem, den wir vorher auch aus der Vergleichung der Massenverhältnisse der Muskeln ge- wonnen haben. Wenn nun wirklich die Stellung der Beine auf den Fuss- gelenken eine solche ist, dass die Schwerlinie des im Pro- montorium gelegenen gemeinschaftlichen Schwerpunktes noch etwas vor die Mitte der Fussgelenke fällt, so muss die Hüft- pfanne noch weiter nach vornen gerückt sein und die Achse des ganzen Beines eine nach vornen geneigte Stellung haben. Die Untersuchung der Profilansicht eines aufrecht stehenden Körpers mit dem Bleiloth zeigt aber, dass sich dieses in Wirk- lichkeit so verhält, denn lässt man ein Bleiloth an dem vor- deren Rande des Trochanter herunter, so trifft dieses das Metatarsusköpfchen des kleinen Zehen, und lässt man es so fallen, dass es den äusseren Knöchel berührt, so liegt es an der Hüfte ziemlich weit noch hinter dem Trochanter, so dass es die Stelle durehschneidet, wo ungefähr das Promontorium liegen muss. Es ist bemerkenswerth, dass der Bau der Tibia ganz dieser Schieflage des Beines entspricht; eine Normale nämlich, welche man gerade auf die Mitte der un- teren Gelenkfläche der Tibia stellt, steht unter einem Winkel von 3—4° gegen die Axe des Tibiakörpers; denkt man die Beinaxe als eine Verlängerung der Tibiaaxe und setzt sie etwa zu 3‘, dann giebt jener Winkel auf der Höhe des Hüft- gelenkes einen Abstand der Beinaxe von der Normalen auf die Gelenkfläche der Tibia von 16— 21’, und diese Entfer- nung entspricht ungefähr dem horizontalen Profilabstande des Promontoriums von dem Mittelpunkte des Hüftgelenkes, und dem gleichen Abstande der Mitte des Fussgelenkes von dem Metatarsusköpfchen der kleinen Zehe. Wir erfahren da- durch, dass bei dem aufrechten Stehen die Berührung der 29 Tibia mit der Astragalusrolle nach hinten und vornen sym- metrisch ist. Nach den Gebrüdern W eber (Mechanik der Gehwerkzeuge S. 117— 119) soll die Lage der Theile bei dem gewöhnlichen aufrechten Stehen die sein, dass in der Profilansicht die Mitte der Brust (Schwerpunkt des Rumpfes), Mitte des Hüftgelen- kes und Knöchel in eine senkrechte Linie fallen. Stellt man sich aber so, dass diese Bedingung erfüllt ist, so hat man eine so gezwungene und unsichere Stellung, dass man es nicht aushalten kann, lange in derselben zu behbarren. Auch geben dieselben an (S. 119), dass, wenn man recht sicher und ruhig stehen wolle, man eine solche Stellung einnehme, bei welcher der Schwerpunkt des Rumpfes gerade über das Fussgelenk zu liegen komme, das Hüftgelenk aber vor und das Kniegelenk hinter der vertikalen Verbindungslinie beider liege. Wer es versucht, diese Stellung einzunehmen, der wird finden, dass dieselbe eben so mühsam und unsicher ist, wie die andere. Möglichst ruhiges und ohne Kraftaufwand zu Stande kommendes Stehen findet nur in der bisher be- schriebenen Weise statt, dabei sind aber die wichtigsten Punkte in der Profilansicht so geordnet: 1) der Schwerpunkt des Rumpfes (Mitte der Profilansicht des Thorax d. i. Höhe des unteren Endes des Ster- num in der Mittellinie der Seitenansicht des Körpers) steht senkrecht über dem Ende der Ferse, — 2) der gemeinschaftliche Schwerpunkt des Rumpfes und der Beine (Promontorium) steht senkrecht über dem vorderen Theile des Fussgelenkes, — der Mittelpunkt des Hüftgelenkes (in der Profilansicht: vorderer Rand des oberen Theiles des trochanter ma- jor) liegt senkrecht über dem Metatarsusköpfchen des kleinen Zehen. 3 =, Ein Wort über die Beckenneigung, Es ist schon seit langer Zeit vielfach das Bemühen von Geburtshelfern und Anatomen gewesen, die richtige Becken- neigung zu ermitteln, d. h. den Neigungswinkel der Konju- 30 gate gegen die absolute Horizontale. Die Messungen von Nägele und den Gebrüdern Weber haben das übereinstim- mende Ergebniss geliefert, dass dieser Winkel auf 60° zu bestimmen sei. Meine Untersuchungen über den Bau des Beckens führten ungefähr zu derselben Durchschnittszahl, nur finde ich sie etwas mehr als 60°. — Bei normal gebau- ten Individuen, bei welchen dieselben Verhältnisse in dersel- ben Stärke und derselben Reihenfolge nach einander auf die Gestaltung des Knochengerüstes und seiner accessorischen Theile ihren Einfluss äussern, müssen sich natürlich immer im Wesentlichen dieselben Zahlen- und Maassgrössen wie- derholen, welche das Ergebniss der Einwirkung jener Ver- hältnisse sind; — und in so ferne wird sich auch eine „nor- male“ Beckenneigung bestimmen lassen. Aber eine Becken- neigung aufzufinden, welche sich bei allen Individuen mit geringen Schwankungen finden muss und welche als ein noth- wendiges Moment in den Bau des Organismus eine Bedeu- tung erlangen könnte, kann durchaus nicht für möglich er- klärt werden und zwar aus folgenden Gründen: Die Lage der Conjugata gegen die übrigen Theile des Beckens ist in keiner Weise eine bestimmte. Sie ist die Ver- bindung zwischen oberem Rande der symphysis pubis und dem Promontorium; ihre Lage ist also abhängig von all den- jenigen Momenten, welche die Lage des einen uud des ande- ren dieser beiden Punkte bestimmen; nun ist aber in dem ganzen Becken kein einziger Punkt, welcher gegen die an- deren eine so wandelbare Lage hat, als gerade das Promon- torium (die Gründe für diesen Satz kann ich an diesem Orte nicht weiter aufführen); und daher hat auch kaum eine Linie in dem ganzen Becken eine wandelbarere Lage als gerade die Konjugata und ist deshalb eben so wenig geeignet, eine absolute Lage gegen den Horizont zu haben, als einen An- haltspunkt zu geben für die Beurtheilung der Lage der übri- gen Punkte und Linien des Beckens. — Wäre sie aber auch eine Linie mit ziemlich konstanten Verhältnissen gegen die übrigen Punkte des Beckens, so ist darum noch gar nicht nothwendig, dass sie auch gegen andere Theile des Knochen- 31 gerüstes und gegen den Horizont eine ebenso bestimmte Lage habe. Ihre Lage ist mit der ganzen Beckenlage veränderlich nach der Länge des ligamentum superius des Hüftgelenkes, und dass in der hierdurch bedingten Stellung des Beckens sehr bedeutende individuelle und Altersverschiedenheiten zu bemerken sind, muss ein jeder bemerken, der die Gestalten seiner Umgebung mit einiger Aufmerksamkeit beobachtet. Und über diese Grenzen hinaus haben erst noch die persön- lichen Launen in der Haltung des Körpers einen nicht unbe- deutenden Spielraum. Es bleibt uns noch übrig das Verhalten der einzelnen bisher als Ganzes betrachteten Stücke in sich bei dem auf- rechten Stehen zu untersuchen, nämlich des Fusses, des Beines und des Rumpfes. Beginnen wir der bessern An- knüpfung an das Bisherige wegen zuerst mit dem Beine und dem Fusse. Iı dem Früheren wurde das Bein von der Hüfte bis zu dem Fussgelenke als ein steifes Ganze angesehen und zum ruhigen Stehen ist dieses auch durchaus nothwendig, aber das im Knie gegliederte Bein muss erst zu einem steifen ge- macht werden. Dass dieses durch die Wirkung der Streck- muskeln geschieht, kann Niemanden zweifelhaft sein. Eine andere Frage aber ist, wie während des Stehens das Knie in der Streekung erhalten wird. Dass nicht die Streckmus- keln die Streckung unterhalten, dafür ist der Beweis dadurch gegeben, dass das ligamentum patellae nicht gespannt ist. Der Druck des gemeinschaftlichen Schwerpunktes des Kör- pers kann auch nicht die Ursache sein, denn dessen Schwer- linie fällt noch hinter die Drehaxe der Kniegelenke, und ein Schwerpunkt des ganzen Rumpfes mit nur den Ober- schenkeln ohne die Unterschenkel kann ebenfalls nicht so weit nach vornen liegen, dass seine Schwerlinie vor der Drehaxe der Kniegelenke herunterfiele. Die Wirkung des Schwerpunktes des Körpers wird deshalb eher ein Beugen des Knies erzeugen müssen, und nur bei so bedeutender Ueberstreckung des Knies, wie wir sie im Stehen nie auszu- 32 führen pflegen, fällt die Schwerlinie vor die Drehaxe der Kniegelenke. Es müssen also Momente vorhanden sein, welche eine Streckung des Kniees dadurch erhalten, dass sie die beugende Wirkung der Schwere überwinden. Sehr stark braucht die Wirkung dieser Momente nicht zu sein, denn, da die Schwerlinie nicht weit hinter die Drehaxe der Kniegelenke fällt, so ist ihr zu überwindendes Kraftmoment auch nicht bedeutend. Wir finden nun aber zwei Momente wirksam, welche diesem Zwecke entsprechen können, nämlich: die Spannung des ligamentum superius der Hüfte und die Spannung des ligamentum ileo -tibiale. Die Spannung des ligamentum superius der Hüfte wirkt aber in folgender Weise für den bezeichneten Zweck: Wegen der Gestalt der Kondylen des Femur, von welchen der innere von vornen nach hinten länger und in der Fläche gekrümmt ist, kann eine Biegung im Knie auf dem festste- henden Schienbeine nur mit einer gleichzeitigen Rotation des Femur nach aussen verbunden sein, welche namentlich im Anfange der Biegung stark hervortritt; da nun aber in der aufrechten Stellung das Femur durch das gespannte ligamen- tum superius unter einem Rotationsdruck nach innen steht, so wird durch diesen der Rotation nach aussen und somit der Biegung des Kniees ein Hemmniss entgegengestellt. Ste- hen wir dagegen nach vornen übergebückt, so dass das liga- mentum superius nicht gespannt und die Fixirung des Rum- pfes in den Hüftgelenken den Muskeln übergeben ist, dann muss wegen gleichzeitiger Verrückung des Schwerpunktes nach vornen eine so veränderte Stellung eingenommen wer- den, dass nun die Schwerlinie vor das Kniegelenk fällt und die Wirkung der Schwere eine Ueberstrecknng und damit Fixirung des Kniees erzeugt. Unter dem ligamentum ileo-tibiale verstehe ich den sehr starken Streifen paralleler Längsfasern der fascia lata an der Aussenseite des Oberschenkels. Man sieht denselben gewöhnlich an als die Sehne des m. tensor fasciae latae, welche sich hier in die Faszie „verliert“. Untersucht man jedoch den Streifen genauer, so findet man, dass derselbe 33 von der spina anterior superior eristae ossis llium und von dem nächsten Theile der crista selbst entspringt und sich als beinahe fingersdicker Strang an die Tibia an einen ganz besonderen Vorsprung ansetzt, welcher an der vorderen Fläche des condylus externus tibiae gefunden wird. Das lig. ileo- tibiale steht mit dem lig. intermusculare externum femoris in Kontinuitätsverbindung und nimmt als konstituirende Elemente die Sehnenfasern des m. tensor fasciae latae und eines Thei- les des m. glutaeus maximus auf. Durch diese Verbindun- gen erhält es eine Lage an der äusseren Seite des Ober- schenkels; und übt deshalb, wenn es durch das Rückwärts- fallen des Rumpfes in den Hüftgelenken gespannt wird, einen von hinten und oben kommenden Zug auf die vordere Seite des oberen Endes der Tibia aus, wirkt somit als streckendes Moment des Kniees. Man kaun sich von diesem Verhält- nisse an einem Präparate überzeugen, an welchem man alle Muskulatur des Oberschenkels wegnimmt und nur das lig. ileo- tibiale mit dem lig. intermusculare externum und den m. ten- sor faseiae latae und glutaeus maximus' stehen lässt. Die Verhältnisse sind zwar hier nicht so günstig, weil durch Weg- nahme der Muskeln dem Bande eine spannende Unterlage entzogen ist, aber dennoch ist das Präparat für den bezeich- neten Zweck brauchbar. — Am Lebenden fühlt man den fest gespannten starken Strang etwas nach aussen von der Pa- tella. So ist also auch die Erhaltung der gestreckten Lage des Kniees zwei Bändern überlassen, welche durch die Schwere des auf den Oberschenkelköpfen rückwärts sinkenden Rum- pfes gespannt werden. Wenn wir den Bau des Fusses untersuchen, in wiefern derselbe geeignet ist, die Schwere des ganzen Körpers sicher zu unterstützen, so finden wir zuerst bei ihm das bekannte mechanische Gesetz angewendet, dass ein Körper auf drei Unterstützungspunkten bei allen Gestaltungsverhältnissen der Unterlage sicher ruht, denn mit drei Punkten berührt der Fuss den Boden, nämlich mit dem capitulum ossis metatarsi ], mit dem capitulum ossis metatarsi V und mit der Ferse. Müllers Archiv. 1858. 3 34 Der höchste Punkt des Fusses ist die Astragalusrolle. Sehen wir daher den ganzen Fuss zuerst als eine dreiseitige Pyramide an, welche mit ihrer Basis auf dem Boden ruht, deren Spitze durch die Astragalusrolle gebildet wird und als deren Achse wir eine Normale auf die Mitte der Astraga- lusrolle ansehen. Den Schwerpunkt dieser Pyramide können wir füglich unberücksichtigt lassen, da er dem Boden zu nahe liegt, als dass er ein wichtiges mechanisches Moment wer- den könnte. — Wäre der Fuss wirklich eine solche feste Py- ramide, so müsste je nach der Beschaffenheit des Bodens die Achse derselben sehr verschiedene Stellungen haben müssen, und da diese Achse mit der ‚Schwerebene des Körpers zu- sammenfallen mnss, so würden durch die verschiedenen Nei- gungen des Bodens Stellungen: erzeugt: werden müssen, bei welchen der Körper gar keine geeignete Unterstützung hätte und bei manchen Bodenverhältnissen würde sogar ein Ruhen auf beiden Füssen ganz unmöglich sein z. B. wenn unter der rechten und linken Seite des Körpers der Boden symme- trisch ansteigt oder abfällt. Dieser Uebelstand ist aber be- seitigt dadurch, dass der Fuss eine wandelbare Gestalt hat, welche einerseits erlaubt, dass der Fuss sich allen Bo- denverhältnissen anschmiegt, und andererseits dem Astraga- lus gestattet, auch gegen den übrigen feststehenden Fuss seine Stellung in angemessener Weise zu verändern. ı Von dem letzteren Verhältniss haben wir bei einer späteren Ge- legenheit zu reden und. wollen daher jetzt nur untersuchen, wie. der Fuss geeignet ist auf mehr oder weniger ebenem Boden die Last des ganzen Körpers zu tragen. Das Vermögen des Fusses sich allen kleinen Unebenhei- ten des Bodens, wie sie z. B. das Strassenpflaster bietet, an- zuschmiegen, beruht aber auf der gegenseitigen Beweglich- keit der drei Eckpunkte der Basis desselben oder der Sohle. Sehen wir den hinteren Punkt (Fersenpunkt) als feststehend an, so haben die beiden vorderen Punkte (Gross- zehenpunkt und Kleinzehenpunkt) gegen diesen dritten eine Beweglichkeit nach oben und nach unten, nach innen und nach aussen, — und die Bewegungen des Grosszehen- 35 punktes sind unabhängig von denjenigen des Kleinzehen- punktes. Die Beweglichkeit des Grosszehenpunktes (capi- tulum, ossis metatarsi 1) gründet sich auf, die Gliederung der Fusswurzel in der Richtung von vornen nach hinten. In die- ser Richtung stellen nämlich folgende Knochen: calcaneus, astragalus, os naviculare, os cuneiforme I und os metatarsi I eine Art von Gewölbe dar, dessen Scheitel der Astragalus bildet. Das Konustruktionsprinzip dieses Gewölbes ist jedoch ein vollkommen abweichendes von demjenigen architektoni- scher Gewölbe, indem nämlich weder die Schwere der ein- zelnen Stücke, denn diese ist sehr unbedeutend, noch auch die Reibung zwischen denselben zur Festigkeit‘ beitragen kann, denn diese ist gleich Null. Die Festigkeit des Gewöl- bes wird vielmehr bedingt durch die Bandmassen, welche die einzelnen Theile desselben an der unteren Seite als Zugbän- der zusammenhalten. Es sind aber durch solche Bänder un- ter einander vereinigt: der calcaneus mit dem os naviculare, dieses mit dem os cuneiforme I und dieses mit dem os me- tatarsi I. Die letztgenannten zwei Bandverbindungen sind ziemlich straff und die betreffenden Knochen sind durch Am- phiarthrosen in Artikulation. Anders ist die Verbindung zwi- schen ealeaneus und os navieulare; eine direkte Gelenkver- bindung zwischen diesen beideu Knochen findet sich nicht, sondern das breite und starke so wie ziemlich lange ligamen- tum caleaneo-naviculare heftet das sustentaculum 'tali und einen Theil des processus anterior calcanei an den unteren hinteren Rand des os naviculare. — Der Schluss des Gewöl- bes wird nun dadurch erzeugt, dass der Astragalus zwischen den calcaneus und das os naviculare gleichsam eingekeilt wird; das ligamentum calcaneo-naviculare wird dadurch ge- spannt und das Gewölbe damit geschlossen. Wie sich aus dem Folgenden ergeben wird, wirken Streckungen des Ge- wölbes darauf hin, den Astragalus in der Richtung nach oben binauszusprengen; dass dieses geschehe, wird aber unmög- lich gemacht durch den starken apparatus ligamentosus, wel- cher den Astragalus in ziemlich senkrechter Richtung an den 3% 36 Kalkaneus heftet. Dieses ist die Hauptbedeutung dieses star- ken Bänderapparates neben derjenigen, Hemmungsband für die Rotation des Astragalus zu sein. Natürlich wird der ap- paratus ligamenfosus in dieser Verriehtung wesentlich unter- stützt durch die Belastung, welche der Astragalus von oben her erfährt. P Der Vergleich der angegebenen Fussknochenverbindung mit einem Gewölbe ist aber eigentlich nicht genau, denn bei einem Gewölbe wird durch den belasteten Schlussstein der Druck nach beiden Seiten hin gleichmässig fortgepflanzt. Bei dem Gewölbe der Fusswurzel ist dieses dagegen anders, denn der ganze Astragalus (der Schlussstein des Gewölbes) wird von dem Kalkaneus getragen, somit wird also der Druck von oben ganz allein von dem Kalkaneus aufgenommen. Der Kalkaneus ist aber nur hinten mit dem Boden in Berührung; da, wo er von dem Astragalus bedeckt wird, liegt er hohl. Er bildet daher mit dem Astragalus gemeinschaftlich einen einarmigen Hebel, dessen Hypomochlion die Ferse ist. Um dieses Hypomochlion nun würde sich der belastete Kalka- neus mit dem Astragalus so drehen, dass sein vorderer Theil sich senken würde, wenn nicht demselben eine Unterstützung durch die Reihe der drei Knochen: os naviculare, os cunei- forme I und os metatarsi I gegeben wäre. Die Reihe dieser drei Knochen ist nun aber durch direkte Artikulation nicht mit dem Kalkaneus sondern mit dem Astragalus verbunden, mit dem Kalkaneus jedoch durch starke Bandverbindung (liga- mentum calcaneo-naviculare). Die vordere Gelenkfläche des Astragalus gegen das os navienlare ist aber eine kugelige Fläche; ein Druck von unten muss deshalb eine Bewegung der ganzen Knochenreihe um eine querliegende Axe in dem Kopfe des Astragalus erzeugen und diese Bewegung muss das capitulum ossis metatarsi I in einem nach hinten kon- kaven Kreisbogen nach oben und vornen führen. Diese Be- wegung findet aber ihr Ende in dem Maximum der Span- nung des ligamentum caleaneo-navieulare. Durch Fortsetzung des Druckes wird nun der Ursprung dieses Bandes an dem Kalkaneus zum Hypomochlion und der Druck wirkt dann in 37 seiner Fortsetzung zurückdrängend auf den Astragalus. Die- sem Drucke kann aber der Astragalus nicht weichen, weil ihn der apparatus ligamentosus festhält. Es versteht sich von selbst, dass dabei die ligamenta cuneo -naviculare plan- tare und cuneo-metatarseum plantare I ebenfalls in das Maximum ihrer Spannung kommen müssen. Ist diese Spannung erreicht, dann ist die Masse des os metatarsi I, des os cuneiforme I und des os naviculare mit den vereinigten Kalkaneus und Astragalus ein Ganzes, welches den Druck der Schwere aufnimmt. Da die beiden Füsse symmetrisch gestellt sind, so hat ein jeder Fuss die Hälfte des ganzen Körpergewichtes zu tragen, und diese Hälfte ver- theilt sich folgendermassen auf die Ferse und das capitulum ossis metatarsi I: der Druck, welchen ein jeder Astragalus auszuhaiten hat, wirkt in einer Senkrechten, welche durch die Mitte seiner Rolle hindurchgeht; verlängert man. diese Senkrechte bis auf len Boden, so trifft sie die Verbindungs- linie der Mitte der Ferse mit Jder Mitte des capitulum ossis metatarsi I und zwar wird diese Linie durch die Senkrechte so geschnitten, dass ungefähr 1/, derselben zwischen der Ferse und dem Durchschnittspunkte und '°/ zwischen diesem und dem eapitulum ossis metatarsi I gelegen sind. Daraus folgt, dass die Ferse ®/, das erste Metatarsusköpfehen aber !/, der ganzen auf dem Fusse ruhenden Last zu tragen hat. Der Druck dieser beiden Theile auf die Unterlage wird aber da- durch noch vermindert, dass jeder der beiden Punkte wieder mit zwei Punkten auf dem Boden ruht, das Fersenbein mit zwei, höckrigen unteren Fortsätzen und ‚das Metatarsusköpf- chen mit den beiden Sesambeinen, Diese Einrichtung hat ei- nen doppelten Vortheil, neben dem nämlich, dass dadurch _ vier tragende Punkte erzeugt werden, wird auch eine brei- tere Grundlage für das Aufnehmen ‚der Sehwerlinie ge- geben, die Verbindungslinie zwischen Ferse und Metatarsus- köpfchen wird nämlich dadurch zu einem Trapez, welches hinten ungefähr 1”, und vornen etwa 1% Breite hat. Es ist deutlich, dass durch diesen Umstand auch bei Schwankungen in der Belastung, z. B. durch Schiefstehen, stets die Schwer- 38 linie innerhalb dieses Trapezes den Boden treffen, also die Belastung stets auf die Ferse und das Metatarsusköpfchen geworfen werden muss. Sehen wir von solchen schiefen Be- lastungen ab, so muss sich die Schwere des Körpers folgen- dermassen vertheilen: Schwere des Körpers „20.2020. 0.0 144 Pfd. Belastung jedes Astragalus . » 2 2..0.7 - — der einzelnen Ferse . .., 2.0.54. - — des einzelnen Metatarsusköpfehens 18 - — jedes Fersenhöckers . 22.1.2927 - — jedes Sesambeines . 2. 2. Bine Aus dieser Vertheilung wird deutlich, warum der Fuss verhältnissmässig 'so leicht die Körperlast trägt, und warum bei langem Stehen vorzugsweise die Ferse schmerzhaft wird. Es wird ferner auch deutlich, wie es möglich ist, dass die an- scheinend so schwache Knochenyerbindung von dem Fussge- lenke bis zu dem Metatarsusköpfchen der grossen Zehe die Belastung auszuhalten vermag. Die Beweglichkeit des Kleinzehenpunktes (capi- tulum ossis metatarsi V) ist durch folgende Einriehtung er- möglicht: der Metatarsusknochen der kleinen Zehe ist durch eine ziemlich lockere Amphiarthrose mit dem ‘os euboides verbunden, dieses aber artikulirt mit dem Kalkaneus in einem Rotationsgelenke, dessen Axe mit der Längenaxe des ganzen Fusses zusammenfällt. Die hintere Gelenkfläche des os eu- boides ist nämlich Theil einer Kegeloberfläche mit eingebo- gener Erzeugungslinie; als Spitzenband dient das ligamentum ealeaneo-cuboideum plantare. Die Fasern dieses Bandes lau- fen aber in verschiedenen Schichten verschieden; die oberflächli- chen laufen grade nach vornen, die tiefsten verlaufen queer; der oberflächliche Theil kann deshalb nur allein als Spitzenband dienen, zugleich dient er aber auch ‘wegen seiner Breite als Hemmungsband namentlich für die Rotationen des os cuboi- des nach oben; die tiefern Schichten sind nur Hemmungsband für die Rotation des os cuboides namentlich nach unten (d.h. bei welcher der äussere Rand nach unten kömmt). Die Ro- tation nach oben wird am Entschiedensten durch die Verbin- dung des os cuboides mit dem os cuneiforme III gehemmt. R 39 Durch diese Einrichtung kann der vordere äussere Fussrand um eine Axe gedreht werden, welche ungefähr der Längen- axe des ganzen Fusses entspricht und diese Bewegung ist eine kreisförmige, d. h. aus seiner tiefsten Stellung kann der Kleinzehenrand des Fusses nach aussen und oben und aus der dadurch gewonnenen Stellung noch weiter nach innen und oben bewegt werden. Im ruhenden Zustande ohne Auf- treten auf den Boden befindet sich der äussere Fussrand stets gesenkt (auch abgesehen von der Rotationsbewegung in dem Gelenke zwischen Astragalus und übriger Fusswur- zel). Wenn nun der Fuss auf den Boden aufgestellt wird, so berührt zuerst der Kleinzehenrand den Boden und nimmt den Druck auf; stehen aber dann die Ferse und das Köpf- chen des ersten Metatarsusknochens auf dem Boden und hat das letztere seinen Horizontalschub vollendet, so hat der Kleinzehenrand so. gut wie Nichts mehr zu tragen, sondern ist fast nur als eine an der Aussenseite des Fusses ange- brachte Feder anzusehen, welche sich mit ihrem äusseren Ende an den Boden andrückt und sich durch ihre Biegsam- keit allen Bodenverhältnissen angemessen anschmiegen kann. — Für das gerade aufrechte Stehen kann demnach der Klein- zehenrand keine bedeutende Wichtigkeit haben, und wir über- zeugen uns auch leicht von der Richtigkeit dieses Satzes durch die Erfahrung, dass wir nichts an Sicherheit im Ste- hen verlieren, wenn wir den Kleinzehenrand des Fusses er- heben und nur auf Ferse und grosser Zehe stehen. Der Kleinzehenrand bekömmt seine Hauptwichtigkeit erst bei dem Stehen auf einem Fusse, bei schiefem Stehen etc. kurz bei ‚schiefer Belastung der Sohle, wobei er auch einen Theil der Last zu tragen kriegt. Die Unterhaltung des festeren Andrückens des Klein- zehenrandes an den Boden während des Stehens ist Wirkung des m. gastroenemius und soleus, des m. peronaeus brevis und des m. abduetor digiti minimiz — dagegen wird der Klein- zehenrand gehoben durch den m. peronaeus tertius, nament- lich aber durch den ın, peronaeus longus, welcher gleichzei- tig den Grosszehenrand des Fusses nach innen zieht. 40 Zwischen dem os cuboides und dem os ceuneiforme I sind das os cuneiforme II und III eingeschaltet. Sie sind die vor- deren Verbindungsglieder des os euboides mit dem eigentlich tragenden Bogen des Fusses. Es ist nicht zu verkennen, dass es durch diese Verbindung möglich wird, dass auch ein Theil der Belastung des Grosszehenrandes auf den Klein- zehenrand abgeleitet wird, indem theilweise das os navieulare einen Theil seines Druckes auf das os euneiforme II und II und dadurch auf das os cuboides abgeben kann, — theilweise bei der Streckung des eigentlich tragenden Bogens und dem dadurch bedingten Hinabdrücken ‘des os cuneiforme I eine Belastung ‘der seitlich in absteigender Richtung liegenden Knochen bis zum os ceuboides gegeben werden kann. Jedoch dürften diese Uebertragungen kaum von‘erheblicher Wichtig- heit sein und wir dürfen die Reihe der Knochen os cuboides, cuneiforme Ill und cuneiforme II wohl nur als einen knö- chernen Bogen ansehen, welcher seitlich an den vorderen und hinteren Theil des tragenden Bogen angeheftet und mit seinem Scheitel den Boden berührend gelegentlich eine seit- liche Stütze für den eigentlich tragenden Bogen, eine Art von Strebepfeiler wird. Die Mittelfussknochen II—IV können nur ‚wenig zur‘ Un- terstützung des ganzen Fusses beim aufrechten Stehen: bei- tragen; sie wirken nur in so ferne: als sie mit ihren. Köpf- chen auf dem Boden aufliegend dem os cuneiforme II und III und theilweise dem os cuboides in ihrer schief aufsteigenden Lage eine Unterstützung gewähren. Wir haben nun noch: die innere Gliederung des Rum- pfes in Bezug auf ihre Mechanik beim aufrechten Stehen zu untersuchen. Als Grundlage für den Aufbau des Rumpfes dürfen wir das Becken ansehen, in so ferne als dasselbe als eine feste Knochenverbindung einerseits die Wirbelsäule, und mit ihr den ganzen Rumpf trägt, andererseits mit den beiden Ober- schenkelköpfen in Verbindung steht. "Das ‚Becken ist. aber ebensowenig, wie irgend ein anderer Theil des Knochenge- rüstes, welchem viel Widerstand gegen Erschütterungen zu- 41 gemuthet wird, ein starres Knochengebilde. Es ist aus drei Knochen (dem Kreuzbeine und den beiden Beckenbeinen) so zusammengefügt, dass diese immer einige Beweglichkeit gegen einander haben, aber, wie der tragende Bogen des Fusses, eine solche, dass durch dieselbe bei stärkerer Bela- stung eine festere Vereinigung der Knochen erzielt wird. Die Verbindung geschieht durch die. symphysis pubis und die symphysis sacro-iliaca. Die erstere ist beweglicher als die letztere, und diese ist noch durch eine gewaltige Bändermasse verstärkt, nämlich durch die ligamenta vaga' posteriora,. zu welchen auch die ligamenta ilio-sacra zu rechnen sind. Legt man durch die symphysis sacro-iliaca jeder Seite eine Ebene, so findet man, dass beide Ebenen gegen oben konvergiren. Das Kreuzbein ist demnach nicht wie der Schlussstein eines Gewölbes zwischen die beiden Beckenbeine eingefügt, sondern es hängt vielmehr durch seine Symphysen und deren Hülfs- bänder an dem hinteren oberen: Ende. der Beckenbeine. Der Vortheil dieser Einrichtung ist in die Augen springend, wenn wir. uns das Kreuzbein von ‚oben her belastet ‚oder einem starken Stosse ausgesetzt denken. Wäre das Kreuzbein nach Art eines Schlusssteines eingefügt, so müsste ein solches .Mo- ment die beiden Beckenbeine auseinander sprengen; bei der vorhandenen Art der Einfügung wird aber durch ein solches Moment gerade ein Aneinanderziehen der hinteren. Enden. der Beckenbeine um eine in’ der symphysis pubis gelegene Dreh- axe und mit diesem eine festere Einklemmung der: Seiten- flächen des Kreuzbeines gegeben, ein Ziel, welches um so sicherer erreicht wird, als die Flächen der superficies, auricu- laris des Kreuzbeines und des Beckenbeines nicht glatt, son- dern wellenförmig uneben sind. Ein ähnliches Verhältniss wie das Kreuzbein hat auch der letzte Lendenwirbel gegen die Beckenbeine, indem..der- selbe durch seine ligamenta ilio-lumbalia ebenfalls eigentlich an den Hüftbeinen hängt und bei starker Belastung, zur, Nä- herung der hinteren Enden der Beckenbeine und damit. zur Einklemmung des Kreuzbeines das Seinige beitragen muss. Auf dem‘Kreuzbein steht die Wirbelsäule. Diese wird 42 aus 23 einzelnen, nach oben kleiner werdenden Stücken gebildet (Atlas und Epistropheus als ein Ganzes angesehen). Die Wir- belkörper sind durch Symphysen unter einander vereinigt, die Bo- gen durch dieAmphiarthrosen der processus obliqui, welche kleine allseitige Bewegungen, namentlich aber Vorwärts- und Rück- wärtsbeugung gestatten. Die ligamenta fava der Bogen wir- ken durch ihre Elastizität als rückwärtsbeugende Kräfte. Bei den Bewegungen der Wirbelsäule nach vorwärts und nach rückwärts werden aber namentlich die Symphysenbänder der Wirbelkörper (ligamenta intervertebralia) in Anspruch genom- men. Diese bestehen aber aus einem sehr elastischen Kerne (nucleus), welcher im Zustande starker Compression von ei- nem starken Ringe gekreuzter ‘in der Hauptsache senkrecht stehender fibroser Fasern eingeschlossen wird. Der Zustand starker Compression des Nukleus wird bewiesen durch sein Hervorquellen auf Durchschnitten der Wirbelsäule. Für die Mechanik der Wirbelsäule wird dieser Umstand sehr wichtig. weil durch denselben ein starker Normaldruck auf die einan- der zugewendeten Flächen je zweier Wirbelkörper geübt wird und dadurch in der ganzen Wirbelsäule ein Zustand bestän- diger elastischer Spannung erhalten wird. — Die Wirbelsäule hat drei Krümmungen, welche sich erst während des Wachs- thums nach und nach ausbilden und in dem höhern Lebens- . alter immer stärker werden; in mittleren Lebensjahren liegen diese Krümmungen so, dass Tangenten auf die Höhe der Konvexität der Halskrümmung und der Lendenkrümmung ge- rade in die Mitte der Profilansicht der entsprechenden Theile des Körpers zu liegen kommen, — während eine Tangente auf die stärkste Konkavität der Brustkrümmung in der Quer- theilung der Profilansicht des Körpers ungefähr in die Grenze zwischen mittlerem und hinterem Drittel der Brust zu liegen kömmt. Durch diese dreifache Krümmung und die Nachgie- bigkeit der einzelnen Theile der Wirbelsäule gegen einander, verbunden mit der beständigen elastischen Spannung, welche die nuelei hervorbringen, wirkt die ganze Wirbelsäule wie eine Feder, welche die Heftigkeit eines Druckes oder Stosses' durch Vertheilung vermindert. Der Vergleich mit einer Feder 43 darf jedoch nicht zu genau verstanden werden, weil.die. Wir- belsäule kein homogenes elastisches Ganze bildet und dem- nach auch keine neutrale Achse besitzt, sondern ihre Krüm- mungen und Biegungen vielmehr dadurch erfährt, dass an der konkaven Seite die ligamenta intervertebralia komprimirt wer- den, als dass sie an der konvexen Seite gedehnt werden. Aus dem letzteren Grunde wird auch bei stärkerer Belastung die Zusammenfügung der Wirbelsäule immer fester. Ihre Be- lastung erhält aber die Wirbelsäule vorzugsweise auf ihrem oberen Ende durch den Kopf und an dem ersten Brustwirbel durch die Brusteingeweide und die Arme, Der Kopf drückt durch sein Gewicht auf den obersten Theil der Halswirbelsäule (Atlas). Nach den’ Versuchen der Gebrüder Weber kann er auf dem Atlas im (labilen) Gleich- gewichte ruhen, wenn er so gestellt wird, dass das Gesicht etwas nach aufwärts gerichtet ist. Bei der grossen Verschie- denheit der Kopfformen kann es aber keine für alle Indivi- duen gleichmässig gültige Gleichgewichtsstellung des Kopfes geben, sondern je nach der Gestaltung des Kopfes muss der Schwerpunkt desselben. eine verschiedene Lage haben, und diese ist es, welche alsdann die Gleichgewichtslage des Kopfes bestimmt. , Für gewöhnlich wird aber der Kopf nicht im Gleichgewicht getragen, sondern sein Schwerpunkt fällt nach vornen und durch die starke Nackenmuskulatur wird die Ruhe der Haltung hergestellt. Das sogenannte ligamentum nuchae kann für diesen Zweck gar keine Bedeutung haben, da es, so zu sagen, gar nicht vorhanden ist, denn das der Parallele mit dem Säugethierkörper zu Liebe erfundene liga- mentum nuchae ist nur die Muskelfaseie, welche rechte und linke Hälfte der Nackenmuskulatur trennt. — Mag übrigens die eine oder die andere Haltung des Kopfes beobachtet wer- den, immer ist der Druck, der durch denselben auf den Atlas geübt wird, ein senkrechter, entweder direkt durch seinen Schwerpunkt, oder indirekt als Axendruck der vereinigten Wirkung des Schwerpunktes und der Nackenmuskulatur. In dem Rumpfe im engern Sinne sind die schwersten Theile innerhalb des knöchernen Brustkorbes eingeschlossen, 4 so dass sie zusammen eine ellipsoide Masse darstellen, deren Hauptumrisse durch den knöchernen Brustkorb bezeichnet werden. In die Mitte dieser Masse muss ungefähr ihr Schwer- punkt fallen, doch etwas weiter nach unten, weil die schwe- rere Leber unten gelegen ist. Die ganze Masse ist an die Rippen mehr oder weniger befestigt. — An dem Sternum hängen rechts und links, zugleich die erste Rippe belastend, die beiden Arme. Die Schwerpunkte der beiden Arme und der Schwerpunkt der von dem knöchernen Brustkorbe eingesehlossenen Einge- weidemasse bilden demnach ein Kräftesystem, welches auf den obern Rand des Brustkorbes wirkt, und diese Wirkung muss sich an der Anheftungsstelle der ersten Rippe, also an dem ersten Brustwirbel auf die Wirbelsäule übertragen. — Es darf übrigens nicht verkannt werden, dass auch die übri- gen Rippen einen Theil ihrer Belastung durch die Eingeweide direkt auf die Wirbelsäule übertragen müssen; um diesen An- theil gehörig schätzen zu können, sind uns aber noch viel ge- nauere Kenntnisse über den Mechanismus der Rippen noth- wendig. ‘Wir müssen uns daher für jetzt mit dem Satze be- gnügen, dass die Schwere der Eingeweide und der oberen Extremitäten durch Zug auf den obersten Theil der Brust- wirbelsäule wirken und von dieser federnd aufgenommen werden. N 45 Ueber die Verstärkungsbänder am Schultergelenk. Von Fr. ScHLEMM. An der Faserkapsel des Schultergelenks finden sich bei ge- nauerer Untersuchung drei Verstärkungsbänder, welche zum Theil erst dann bestimmter hervortreten, wenn man sie nach Eröffnung der Kapsel von der innern Seite aus betrachtet. Die Kapselmembran des Schultergelenks ist fast in ihrem ganzen Umfange von den an ihr eng und fest anliegenden Schultermuskeln bedeckt. Aussen und oben liegen dicht auf ihr die M. supraspinatus, infraspinatus und teres minor, innen der grosse breite M. subscapularis, so dass nur ihr unterer Umfang, dem unteren Sehulterblattrande gegenüber, von Mus- keln frei ist. Sie entspringt vom Umfange der Cavitas gleno- idalis und setzt sich, über den Kopf des Oberarmbeins weg- gehend, am Halse. desselben fest, wobei sie mit den Sehnen der Mm. supraspinatus, infraspinatus und subscapularis fest verwächst. Sie ist schwächer, wo sie von den oben genann- ten Muskeln bedeckt wird und hat in deren Zwischenräumen drei Verstärkungsbänder, von denen zwei erst nach Eröffnung der Kapsel durch die Synovialbaut hindurch als stärkere Stränge sich bestimmter markiren und mit dem Labrum fibro- eartilagineum, das in der Höhe von 2—3 Linien die Cavitas glenoidalis umgiebt, im Zusammenhange stehen oder davon ausgehen. I. Das obere Band, Ligamentum coraco-brachiale, entspringt mit zwei Wurzeln, einer oberen, vom äusseren Rande des Processus coracoideus, und einer unteren, vom Labrum fibro-cartilagineum und dem Umfange der Cavitas glenoidea, 46 dieht innen neben der Schne des langen Kopfes des M. biceps brachii, so dass diese Sehne mit ihr im Ursprunge verwach- sen ist. Das Band liegt zwischen den Mm. supraspinatus und subscapularis, geht abwärts zum Oberarmbein und theilt sich in zwei Schenkel, zwischen denen in einer Rinne die Sehne des langen Kopfes des M. biceps brachii liegt, und setzt sich an die innere und äussere Hervorragung des Suleus tendinis bieipitis fest, wobei es aussen mit der Sehne des M. supra- spinatus, innen mit der des M. subscapalaris verwächst. Es bildet also zugleich eine Brücke über den Suleus bieipitis, die eigene Querfasern entbält und die Sehne des M. biceps in ihrer Lage befestigt. U. Das innere Band, Ligamentum glenoideo-bra- chiale internum, entspringt, verbunden mit der unteren Wur- zel des vorigen Bandes, von dem oberen Umfange der Cavitas glenoidalis scapulae und dem Labrum fibro-cartilagineum,, geht imAbsteigen schräg einwärts und vorwärts, wobei es sich immer weiter von dem vorigen Bande entfernt, und verbindet sich mit dem untern Theile der Sehne des M. subscapularis in de- ren Anheftung an das Tubereulum minus. Zwischen diesem Bande und dem Lig. coraco-brachiale bleibt daher ein pyra- midalischer Raum, dessen Spitze dem Schulterblatt, dessen Basis dem Oberarm zugekehrt ist, und woran sich auf der Aussenseite der Kapsel der obere Theil der Sehne ‚des M. subscapularis legt. Die Synovialhaut der Gelenkkapsel: tritt in Form eines länglich ovalen Sackes durch den pyramidali- schen Schlitz zwischen jenen beiden Bändern unter den obe- ren Theil der Sehne des M. subscapularis und dient diesem bei seinem Durchgehen neben dem Gelenke gleichsam als Schleimbeutel. ‘Ein kleiner Fascikel des Ligamentum ‘glenoi- deo-brachiale imternum geht gewöhnlich gerade über diese Synovialhautausstülpung hinweg und ist am Tubereulum minus gleichfalls mit der Sehne des M. subscapularis verwachsen. Weitbrecht nennt in seiner Syndesmologie die Oeffnung zwi- schen dem oberen und inneren Bande Foramen ovale, Er hat also wahrseheinlich die Aussackung der Synovialhautkapsel zwischen den beiden Bändern nicht bemerkt: Von Barkow 47 (Syndesmologie, Breslau 1841) ist das Ligamentum glenoideo- brachiale internum nur als Faseikel des Limbus fibro-cartila- gineus bezeichnet, der im Absteigen sich am Tubereulum mi- nus befestige. Ill. Das untere breite Band, Ligamentum glenoideo- brachiale inferius s. latum, geht von dem inneren und unteren Umfange der Cavitas glenoidalis und des Labrum fibro- eartilagineum aus, ist von dem inneren Bande durch eine dünne Stelle der Kapsel, neben seinem vorderen Rande und unter seinem Ursprunge, getrennt, geht abwärts und heftet sich mit starken Fasern an und unter dem Halse- des Oberarmbeins, zwischen den Mm. subscapularis und teres minor, fest, so dass diese grössere Lücke zwischen den dicht anliegenden Mus- keln des Gelenks auch das breiteste und stärkste Band hat. Es ist aber inniger mit der Gelenkkapsel verschmolzen, als die beiden anderen. Ueber der Ausstülpung der Synovialhaut, unter der Sehne des M. subscapularis liegt gewöhnlich noch neben der Wurzel des Processus coracoideus ein eigener Schleimbeutel. Gleicherweise sind an der Faserkapsel des Hüftgelenkes von den Brüdern Wilh. und Ed. Weber (Mechanik der menschlichen Geh-Werkzeuge, Göttingen 1336) und von H. Barkow (a. a. O.) die stärker entwickelten und hervortre- tenden Faserbündel als besondere Verstärkungsbänder be- trachtet. Bei den meisten Verrenkungen in der Schulter (die man deshalb wohl die gewöhnlichen zu nennen pflegt) zerreisst nicht das untere Band, wie man meistentheils annimmt, und es tritt nicht der Kopf des Oberarmbeins zwischen den Mm. subsca- pularis und teres minor aus der Kapsel heraus, um sich nach innen in die Achsel unter die Brustmuskeln zu verschieben, sondern der Kopf tritt durch Aufhebung der breiten Sehne des M. subscapularis und Zerreissung des Gelenkbandes an dieser Stelle aus der Kapsel, also über dem untern Bande, wobei das Lig. glenoidale internum zerrissen, oder nur zur Seite geschoben sein kann. In einem Falle, den ich aufbe- wahre, ist die Schne des langen Kopfes, des M. biceps bra- 48 chii unter dem Ursprunge abgerissen, das innere Band nach unten geschoben und der Kopf des Oberarmbeins unter dem Rückenschenkel aus dem Gelenke unter die breite Sehne des M. subscapularis getreten. Ich kenne überhaupt keine Verrenkung der Schulter, wobei nicht der Kopf des Oberarmbeins durch den M. subscapularis bedeckt gewesen wäre und halte daher eine Stellung desselben in der Achsel zwischen diesem Mus- kel und dem M. pectoralis major für sehr zweifelhaft. Bei dem Einrenken der verrenkten Schulter, wenn dabei das Ellenbogengelenk gestreckt wird, bildet wahrscheinlich durch grosse Spannung die Sehne des langen Kopfes des M. biceps brachii ein Haupthinderniss des Zurücktretens des Oberarmkopfes in seine Kapsel, weshalb ich das Beugen des Ellenbogens bei der Extension anrathe, wobei kleine Dreh- bewegungen des Vorderarms die Reposition des Oberarm- kopfes erleichtern werden. Beitrag zur Mechanik des Gehens. von Lupwıs Fick. (Hierzu Taf. IV. Fig. T—V.) Wenn man die Leisten betrachtet, über welche unsere Schuh- macher die Schuhe und Stiefeln für uns machen, so haben dieselben sammt und sonders eine Form, welche darauf be- rechnet ist, dass unsere Zehen in der Fussbekleidung gerade ausgestreckt liegen sollen. Es machen die Schuster in dieser Beziehung durchaus keinen Unterschied zwischen Herren und Damen, zwischen Aristokraten und Demokraten: die Leisten aller Schuhe und Stiefeln, mögen sie aus Juehten oder aus gefirnisstem Kalbsleder hergestellt werden, haben sämmtlich diese Form. ; Betrachten wir Füsse, soviel wir deren nur nackt zu sehen bekommen können, so finden wir an allen Füssen Spuren eines stärkeren oder schwächeren Druckes der Fussbekleidung auf der Dorsalfläche der Gelenke zwischen der ersten und zweiten Phalanx, und zwar ist die Spur dieses Druckes ge- wöhnlich an der kleinen Zehe am stärksten und nimmt nach dem Hallux hin ab — wenn nicht durch Uebereinanderliegen zweier Zehen sich das Verhältniss ändert. Die höheren Grade eines solchen Druckes bilden bekannt- lich an diesen Stellen die Schwielen und Hühneraugen. — Die geringeren Grade machen sich an jedem Fusse noch hin- reichend kenntlich durch einen glatten faltenlosen Ballen, der am Wusse gerade die Stelle bezeichnet, welche an der Hand durch viele (uerfalten charakterisirt ist. — Die Spuren eines solchen Drucks auf die Dorsalfläche des bezeichneten Gelenks Müller’ Archiv. 1853, 4 50 sind ceteris paribns stärker bei Gebirgsbewohnern, als bei Flachländern und stärker bei unnachgiebiger (nicht blos en- ger) Fussbekleidung als bei Chaussüre von weichem Stofl. Es zeigen diese zwei Thatsachen an, dass der Gebrauch der Füsse eine Neigung mit sich bringt, die Gelenke der 4 Zehen zwischen Metatarsus und phalanx prima nach dem Dorsum hin, die Gelenke zwischen phalanx prima und media nach der Planta hin zu beugen, d. h. die Dorsalfläche des Gelenks zwischen prima und secunda gegen den Stiefelrücken zu drücken. Diese Neigung fehlt am Hallux, denn fast nie- mals findet sich auf dem Rücken des Hallux zwischen er- ster und zweiter Phalanx die Spur eines Druckes. Diese Thatsachen beweisen, dass solche Bildhauer, welche als natürliche Stellung des‘ gehenden Fusses die Krüm- mung der Zehen annehmen, welche bei unserer Fussbeklei- dung die Neigung zu Hühneraugen oder die wirklichen Hüh- neraugen veranlasst, völlig recht haben und nur mangelhafte Beobachtung dem gehenden Fusse die Zehen gestreckt und platt an der Sohle liegend zuschreibt. Die Erklärung dieser Thatsache finde ich in den anato- mischen Lehr- und Handbüchern, selbst im elassischen We- berschen Gehwerkzeug, nicht, und halte es desshalb nieht für überflüssig in einigen Worten dieselbe zu geben. Der Leisten der Schuster ist darauf berechnet, den Zehen eine gestreckte Stellung anzuweisen, und in der That sind die Zehen eines neugebornen Kindes gestreckt und bleiben gestreckt bis es laufen lernt. — In der That kann man’ auch bei jedem Menschen, dessen Füsse nicht durch schwere und unzweckmässige Fussbekleidung in der freien Zehenbewe- gung verkümmert sind, noch ganz leicht beobachten, dass wenn er sich auf beide Füsse hinstellt, sich die Zehen in eine ziemlich gerade Linie strecken. Nur- die kleine Zehe macht bei den meisten Menschen eine Ausnahme, indem sehr selten ein Erwachsener im Stande ist, die kleine Zehe voll- kommen zu strecken. Da nun der Streck- und Beugeapparat der Zehen und der Finger in sofern vollkommen übereinstimmt, dass beim Fuss 51 ebenso wie bei der- Hand die drei Phalangen je einen flexor (perforans, perforatus und lumbricalis), alle 3 aber einen ge- meinschaftlichen Strecker haben (die Flechsen des extensor digitorum pedis longus und brevis verwachsen bekanntlich beide, bevor sie die erste Phalanx treffen, so vollkommen, dass die dorsale Streckaponeurose durch beide Muskeln zwar in etwas verschiedener Riehtung, sonst aber völlig gleich an- gegriffen wird), so folgt, dass der Grund der Thatsachen, welche wir zu erläutern haben, anders wo, als an den Ze- hen selbst zu suchen sein muss. Die Ursache der angeführten Thatsache liegt in der apo- neurosis plantaris (ich muss hier zur Meidung von Missver- ständnissen bemerken, dass ich die beiden Ausdrücke apo- neurosis und fascia muscularis, welche bekanntlich sehr oft verwechselt oder identisch gebraucht werden, scharf unter- scheide. — Aponeurotisch heisst flechsig; daher sind die Mus- kelfascien wohl an einzelnen Stellen aponeurotisch durch eingewebte Bänder oder Flechsen, nicht aber aponeurotisch schlechtweg. — Hier heisst aponeurosis plantaris ausschliess- lich die flechsige Membran welche am Calcaneus ent- springt und in die fascia muscularis plantae eingewebt, sich in 5 Zipfel spaltet, welche sich an den Phalangome- tatarsalgelenken verlieren) und der Anordnung des flexor perforatus. — - Das Corium der Fusssohle ist, wenn man‘ von ihrer Epi dermis absieht, nieht dicker als am Dorsum pedis, dagegen völlig anders construirt. Die derben Faserzüge des Corium bilden in der Planta weite Maschen, deren Fäden in die apo- neurosis fest eingewebt, zwischen den ‘3 Muskelballen der Planta in die Tiefe bis an die Tarsusknochen eindringen , so duss das Corium plantae und die Aponeurose gar nieht oder sehr wenig aneinander verschiebbar sind. Wenn man für das Verhältniss zwischen corium und fasciae musculares am übri- gen Schenkel die Figur I aufstellen kann, in welcher a = eorium, b = fascia muscularis, ec = den in’s lockere Binde- gewebe sich verlierenden Coriumfasern, und d = den ober- flächlich sich verlierenden Fascialblättern zu nehmen wäre, so 4* 52 wird jeder, der mit Aufmerksamkeit die Plantaraponeurose präparirt, für diese in Figur II und III das Schema wiederfin- den, in welehem Durchschnitt des ganzen Fusses, statt der aus den Muskelfacien unter spitzen Winkeln sich verlie- renden oberflächlichen Blätter, sehr starke, die faseia mus- eularis und die Haut im rechten Winkel fest verbin- dende Bindegewebsbalken sichtbar sind. Leicht wird man hier die fascia muscularis plantaris erkennen, in welche die Fusssohlenaponeurose eingewebt (die Perlenschnur zwischen lem Fettraum und den Muskelballen) 3 vollkommen in der Tiefe der Sohle an den Tarsalknochen befestigte Büchsen darstellend, in: welchen ‚die 3 Sohlenmuskelballen mit den Sehnen der langen Tarsal- und Fingermuskeln völlig einge- schlossen sind. (Fig. Il stellt den Durchschnitt in der Mitte der Fusssoble, Fig. III den Durchschnitt durch den: Fersen- ballen .dar). Während die Spannung, der faseiae musculares an Schen- kel und Unterschenkel die Haut nicht spannt, sondern nur so. weit sie selbst durch die Contraetion der eingeschlosse- nen Muskeln gespannt werden, die leicht verschiebbare Haut etwas wölbt, so spannt und relaxirt sich die Haut der Fuss- sohle vollkommen gleichmässig mit der Aponeurosis plan- taris. — Fühlt man bei einem ruhig stehenden Menschen‘ an der inneren. Fusssohlenseite nach der Sohle hin, so findet‘ man weder Haut noch Fascia gespannt, sobald ‘aber der Mensch sich auf die Fussspitze erhebt, so fühlt .sich, die Haut und Aponeurose der Fusssohle. stark gespannt an. Dasselbe gilt auch von’ der Leiche. Es erklärt sich dies sehr leicht. — Durch. das Heben auf die Fussspitze drückt das ganze Kör- pergewicht auf den Sohlenpunkt 5: Figur IV und V, da aber die Aponeurose mit der Haut verwebt ist, auch auf den ent- sprechenden: Punkt der Aponeurose, und da nun die Linie a b ce Fig. V länger ist als die Linie a‘ 5 c‘ Fig. IV (was bei- läufig nach meinen Messungen über 3 Pariser Linien beträgt), so muss die fascia, welche zwischen b und ec nicht nachgie- big ist, sondern nur in. den zwischen a und 5 liegenden’ aus- PP) laufenden Fasern etwas nachgiebig ist, mit der Kraft des auf b ruhenden Gewichtes gespannt sein. Da nun der flex. perforatus, sowie caro quadrata Sylvii und lumbricales, in der aponeurosis wie in einer Büchse voll- kommen fest und dicht eingeschlossen sind, wie die Durch- schnitte Fig. I und III zeigen, so werden dieselben sich nicht während der Zeit, in welcher die Aponeurose durch das Kör- pergewicht von b nach ce verlängert und gespannt und da- durch in der Riehtung d e verengt ist, contrahiren können. Nimmt man sehr weichen Thon, und. bestreicht damit ein Brett, ohngefähr einen halben Zoll dick, und stellt sich mit nacktem Fuss auf die weiche Thonlage, so wird man einen genauen Abdruck der ganzen Fusssohle und der Stellung der Zehen im Stehen haben. Geht man neben dieser Fuss- spur über den weichen Thon, so wird- sich der Abdruck des gehenden Fusses im Thone bilden. Vergleicht man. nun beide Fussspuren, so wird sich völlig constant zeigen, dass bei dem gehenden Fusse die Zehen eine kleine Bewegung mit der Spitze rückwärts nach der Ferse zu (flexio der Na- gelglieder) und zugleich eine kleine Adduetion nach der Tibialseite gemacht haben. — Es ist einleuchtend, dass dieses davon herrührt, dass bei dem Heben der Ferse und dem Vorrücken des Körperge- wichts auf die Fussspitze, nicht blos die museuli surales und tarsi posteriores, sondern auch die flexöres digitorum langi, welehe in ibrer Wirkung auf die articulatio eruris et pedis den Wadenmuskeln und hintern Tarsusmuskeln gleich stehen, in Contraetion gerathen, wodurch wegen des Ver- laufs dieser flexores digitorum longi nicht nur die Nagelglie- der gebogen, sondern auch etwas convergirt werden müssen. Die interossei ad hallueem adducentes können nämlich die Adduetion in diesem Falle nicht veranlassen, da diese wegen der Verschmelzung ihrer Sehnen mit den lumbriealen und Streckaponeurosen, eben wenn ihre Wirkung in ‚der Con- eurrenz ‚der Zehenmuskeln hervortreten soll — die ge- streekten Zehen ab- oder addueiren d. h. das erste Zehen- glied ab- oder addueiren, indem sie zugleich die zweite und 54 dritte Phalanx strecken, was aber, wie die gehende Fuss- spur zeigt, im Gehen nicht eintritt, wobei vielmehr völlig regelmässig der Ballen des Nagelgliedes dem Ballen des me- tatarsus genähert wird. Diese beim Erheben des Körpers auf die Fussspitze völ- lig unvermeidliche flektirende und addueirende Zehenbewe- gung bewirkt bei dem Eintreten in weichen Thon auch bei- läufig, dass sehr leicht, wenn die Lage Thon etwas tief ist, in den Zwischenräumen einzelner Zehen etwas Thon einge- klemmt und durch den Fuss mit herausgehoben wird, weil ebenso constant, beim Aufsetzen des Fusses die Zehen um- gekehrt nicht addueirt und weniger (bei wohlgebildeten Füs- sen gar nicht) flektirt sind. Den Hallux aber trifft dies Ver- hältniss nicht in gleicher Weise. Da er nemlich eine Phalanx weniger hat, so wird erstens schon eine jede Contraction des Hexor longus ohne gleichzeitige kräftige Contraction des Ex- tensor brevis von vorn herein auch viel gleichmässiger auf die Phalanx prima desselben wirken, dann aber ist der Mus- kelballen des Hallux viel weniger dem Einfluss der Spannung der Aponeurose ausgesetzt, welche ja an der Ferse befestigt ist und desshalb den am inneren Rand liegenden Muskel: ballen des Hallux nur sehr wenig berührt. Es kann daher der Muskelballen des Hallux, welcher an den Schambeinen und der ersten Phalanx des Hallux befestigt ist, immerwäh- rend das erste Glied des Daumens flach an den Boden drük- ken, wenn auch der Körper sich auf die Fussspitze erhebt. — Endlich aber, und dies ist die Hauptsache, ist der flech- sige Strahl, welcher aus der Sohlenaponeurose vorne nach der Phalanx prima hallueis hinstrahlt, direet an die ossa sesamoidea hallucis befestigt und wird also, wenn die apo- neurosis fest angespannt wird, genau wie der flexor brevis wirken. Es ergiebt sich aus diesen Thatsachen ganz leicht, dass 1) im Stehen und Aufsetzen des Fusses bei ungespannter aponeurosis plantaris die Richtung der Phalanxreihe der Ze- hen wesentlich bestimmt wird durch die frei eoncurrirende Wirkung des flexor longus mit dem brevis. lumbrieales und In flexor plantaris accessorius (caro quadrata Sylvi), welcher letztere Muskel um so viel, als er sich mit dem Verlauf der Sehnen des flexor longus kreuzt, auch dessen adducirende Wirkung verhindert. (Dass übrigens beim Stehen der flexor longus nicht stark contrahirt ist, beweist auch die Thatsache, dass die Ballen der Nagelglieder, wenn der Stoff, auf welchen der Fuss gestellt wird, nicht sehr weich ist, so viel weniger tief eindrücken als der Metatarsusballen). 2) Dass beim Heben auf die Fussspitze durch Spannung der aponeurosis plantaris die Contractionsfähigkeit des flexor brevis und accessorius plantaris aufgehoben, dagegen eine Contraetion des flexor longus immer eingeleitet wird und also, weil die Zehen dem Zuge desselben durch Eingreifen in den Fussboden nieht Folge leisten können, die Nagelglieder sich zurückziehn, die beiden andern aber in die Höhe gebogen werden müssen, 3) Das beim Gehen, wenn die Zehen in einer nach unse- rem Leisten gemachten Fussbekleidung stecken, immer die sich beugenden Phalangalreihen mit der Dorsalseite ihrer mittleren Phalangen gegen die Fussbekleidung gedrückt wer- den, — Quod erat demonstrandum! Die weitere Nutzanwendung für die Vergleichung der Construction des Fusses und der Hand, so wie für die pla- stischen Künstler, welche Stiefeln, oder diejenigen welche Menschenfüsse bilden, überlasse ich dem gütigen Leser. 56 Versuche zur Bestimmung der Rolle, welche Leber und Milz bei der Rückbildung spielen. Von Dr. Jac. MOLESCHOTT, Priyatdocenten der Physiologie an der Universität zu Heidelberg. Sen es Thatsache ist, dass die Galle nicht im Blut, son- dern in der Leber gebildet wird, — seitdem es ferner durch die gehaltvollen und überreichen Untersuchungen von Bidder und Schmidt feststeht, dass der grösste Theil der in den Darmkanal ergossenen Galle aus letzterem in die Blutgefässe zurückkehrt*), — seitdem hat die Liebig'sche Vermuthung, dass die Galle eine Durchgangsstufe sei, von weleher aus gewisse Bestandtheile des Körpers leichter in Kohlensäure und Wasser zerfallen, so viel Halt bekommen, wie jeder Forscher sich wünscht, der irgend eine Ansicht durch Ver- suche prüfen will. Wenn wirklich die Galle in dem bezeichneten Verhältniss steht zu den Hauptbestandtheilen der ausgeathmeten Luft, dann müssen entleberte Thiere, bei denen jede Gallenbildung aufhört, für gleiches Körpergewicht in gleichen Zeiteinheiten weniger Kohlensäure ausathmen, als sie im unversehrten Zu- stand liefern. Da ich gelernt hatte Fröschen die Leber weg- sonehmen und die Thiere längere Zeit darauf zu erhalten, zu war mir eine erwünschte Gelegenheit geboten, jene Frage auf dem Versuchswege zu prüfen. Es wurde hierzu immer Rana esculenta verwandt. Ich habe hierbei zunächst erfahren, dass die glücklichen Erfolge, die ich, im Vergleich zu Kunde, bei Wegnahme *) Bidder und Schmidt, die Verdauungssäfte und der Stofl- wechsel, Mitau und Leipzig, 1852, S. 217, 218, 268, 312. 97 der Leber erzielte, zum Theil allerdings der Jahreszeit zu- geschrieben werden müssen. Meine Versuche über die hier vorliegende Frage sind nämlich in dem warmen Sommer des Jahres 1852 angestellt, und von meinen entleberten Thieren überlebten durchschnittlich nur 33 Procent länger als drei Tage den blutigen Eingriff. Dennoch gelang es mir einzelne Frösche bis zu vierzehn Tagen ohne Leber zu erhalten, und ich darf daher die Möglichkeit, auch im Sommer die vorlie- gende Frage zu beantworten, wenigstens theilweise dem von ınir gewählten Verfahren beimessen*). Jedenfalls ist aber für grosse Versuchsreihen an entleberten Fröschen der Win- ter die geeignete Jahreszeit. Die Frösche, mit denen ich die hierher gehörigen Versuche vornahm, athmeten in einem Glase mit weitem Halse, in wel- chem ein grosser, doppelt durehbohrter Kork mittelst eines geschmolzenen Gemenges von Fichtenharz und gelbem Wachse luftdicht eingekittet war. Eine Oeffnung des Korks stand mittelst zweier knieförmig gebogener Glasröhren, die durch Kautschuck mit einander verbunden waren, mit einer Woulf- schen Flasche in Verbindung. Diese Woulf’sche Flasche ent- hielt Wasser, unter welches eine ändere knieförmig gebogene Glasröhre tauchte, welehe mit der entgegengesetzten Oeffnung frei in die äussere Luft ragte. Die andere Oeffnung des Korks führte durch eine knieförmig gebogene Glasröhre zu einem mit Chlorcaleium gefüllten Rohre und durch dieses zu einem Liebig’schen Kaliapparat, welcher mit einem gewöhn- lichen Brunner’schen Aspirator verbunden war und nöthigen- falls mittelst eines Messinghahns von diesem abgesperrt wer- den konnte, Wenn das Wasser aus dem Aspirator abfloss, strömte die äussere Luft zunächst durch das Wasser der Woulfschen Flasche, dann in den Behälter der Frösche und aus letzterem durch die Chlorcaleiumröhre und den Kaliapparat. Vor dem Versuch waren die Frösche und der Kaliapparat gewogen. Der Versuch wurde durchschnittlich eine Stunde *) Vergl, meine „Untersuchungen über die Bildungsstätte der Galle* in dem Archiv für pbysiologische Heilkunde, Jahrgang XI, S. 485 —487. 58 lang fortgesezt. Meistens liess ich vier Frösche zugleich in dem Behälter, welcher etwa 1 Liter fasste, athmen. In der Stunde strömten im Mittel 2,5 Liter Luft durch den Behäl- ter. Die Gewichtszunahme des Kaliapparats zu Ende des Versuchs ergab unmittelbar die, von den Fröschen gelieferte Kohlensäure. Und eine einfache Rechnung lehrte, wie viel Kohlensäure demnach in 24 Stunden von. 100 Gramm Frosch ausgeathmet wird. Weil aber die Menge der Kohlensäure, welche eine Ge- wichtseinheit Thier in einem gegebenen Zeitabschnitt erzeugt, von so vielen bekannten und unbekannten Einflüssen abhängt, beschloss ich unversehrte Thiere mit entleberten unmittelbar zu vergleichen. Ich verschaffte mir also zunächst eine gehö- rige Reihe von Zahlen über die Menge der Kohlensäure, welche 100 Gramm unversehrter Frösche in 24 Stunden lie- fern. Diese Zahlen finden sich in nachstehender Tabelle. Nr. 1. u Wärmegrad. Barometerstand. Walz 106 Cohlenainre; 2 in 24 Stunden liefern. 1 2000 2“ 10%, 70 749 2 17,5 23741, 6, 70 477 3 17,5 270.0, 70 354 4 16,25 DIT 8O 584 5 16,25 a7" 7, 80 327 6 16,25 27.41714,.80 375 7 16,25 270 u 80 240 8 16,25 27 8“, 66 450 9 16,25 27” 8,66 300 10 16,25 27” 8”, 66 479 11 18,75 DT EB, 316 12 20,00 Dis 388 13 20,00 277 8.31 248 14 20,00 27° 10%, 70 288 15 19,37 nicht beobachtet 665 16 19,37 nicht beobachtet 649 Mittel 430,5 59 Auf dieselbe Weise wurde die Menge der von entleberten Fröschen ausgeathmeten Kohlensäure bestimmt, und es ist mir gelungen Zahlen zu gewinnen bis zum zehnten Tage nach Wegnahme der Leber. Ich hoffte nach einigen Tagen aus einer noch späteren Zeit Bestimmungen vorzunehmen, aber leider waren nach vierzehn Tagen keine überlebende Frösche vorhanden, was ich hauptsächlich der herrschenden Wärme von 19 bis 20° C. zuschreiben möchte. Ich habe die Zahlen zusammengestellt in der Tabelle: Be Nro. I. 5 2 die seit Wer. Wärme- Barometer- aeerhiraidie a he 2 Be nen grad. atandl: In 24 Stunden Hier Tage. zZ chen waren. ferten. 1 1 20°C 2710,70 201 \ 212,5 2 1 20,00 27.10 4,70 224 3 „2 20,00 27 ya, 4g 323 245 4 2 20,00 Pk er 168 } I 5 3 19,37 nicht beobachtet 309 6 3 19,37 nicht beobachtet 180 I 213 7 5) 17,50 A li: 150 8 4 17.50 DIT UNNA 112 112 H) 5 16,25 ZU TREO 363 10 5 16.25 27a Tu g0 164 } 2635 11 6 16,25 ZI TATSU 218 ] 12 6 16,25 2a7u Tu 80 236 13 6 16,25 274 8,66 284 | 14 6 16,25 27 ‚gu, 66 169 155,4 15 6 16,25 274 gu, 66 203 16 6 15,00 27 10, 18 105 17 6 12,50 27.40 9w7, 62 32 J 18 7 13,75 204,8: 11 38 205 19 7 19,37 27410, 45 322 ' 20 8 19,37 23% 0m, 07 95 196 21 5 19,37 2830 0m, 07 297 } 22 9 20,00 27771177,99 100 birag 23 hi) 20,00 2711 99 1522 cd) Isa 24 10 19,37 27” 11, 91 188 25 10 19,37 2711, 9] 121 | 154 Mittel 192 60 Mithin ist die Menge der Kohlensäure, welche 100 Gramm unversehrter Frösche in 24 Stunden durch Haut und Lungen entweichen lassen, im Mittel ans 16 Versuchen 430,5 Milli- gramm, während die gleiche Gewiehtseinheit entleberter Frö- sche in gleicher Versuchsdauer als Mittel aus 25 Versuchen nur 192 Milligr. liefert. Die Kohlensäure, welche entleberte Frösche erzeugen, verhält sich also zu der von gesunden ausgehauchten wie 192 : 430,5 = 1: 2,24. Ein Blick auf die Mittelzahlen für die einzelnen "Tage in der Tabelle Nr. I. lehrt überdies, dass bei den entleberten Fröschen die Menge der Kohlensäure um so geringer ist, je länger die Thiere den Verlust ihrer Leber bereits überlebt haben. Es wird dies namentlich deutlich, wenn man aus den Mitteln für die 5 ersten und aus denen für die 5_letzten Tage wiederum die Mittel berechnet. Man findet denn, dass 100 Gramm entleberter Frösche in den 5 ersten Tagen für je 24 Stunden 209,3 Milligramm, in den 5 letzten dagegen nur 167,9 Milligramm Kohlensäure liefern. Die letztere Zahl verhält sich zur ersteren wie 1:1,25. Somit erzeugen die ent- leberten Frösche in den 5 ersten Tagen nach ihrer Verstüm- melung */, Kohlensäure mehr als in den 5 letzten. Unter den Einflüssen, welche die aus dem Thierkörper entweichende Kohlensäure vermehren oder vermindern kön- nen, nehmen Alter, Geschlecht, Nahrung und Wärme eine wichtige Stelle ein. Deshalb habe ich mir Zahlen verschafft von Fröschen, die zu gleicher Zeit eingefangen waren, deren Geschlecht und, so gut wie möglieh, auch das Alter und die Lebensweise übereinstimmten, während ich die zum Vergleich dienenden Versuche unmittelbar hinter einander, also bei glei- chen Wärmegraden und bei gleichem Barometerstande an- stellte. Die Frösche über deren Athmung die Tabelle Nr. III. berichtet, sind alle Weibchen, die Thiere waren vor dem blu- tigen Eingriff von ziemlich gleicher Grösse und wurden täg- lich neu mit demselben Wasser eines von einem Bach durch- flossenen Grabens versorgt. Es ist also kaum zu fürchten, dass irgend ein erheblicher Unterschied zwischen den Thieren stattfand, ausser dem Besitz oder dem Mangel der Leber. Nr. IH. Zahl der Tage, Milligramm Milligramm Tag der Ge- die seit Weg- Kohlensäure, Kohlensäure, Nummer fangenschaft nahme der Le- die 100 Gr. un- die 100 Gr. ent- des für beide Frö- ber verstrichen versehrterFrö- leberter Frö- Kr Versuchs. sche. waren. sche in24Stun- sche in 24 Stun- den lieferten. den lieferten. 1 2 1 238 201 2 2 1 749 224 3 3 2 338 323 4 3 2 248 165 5 4 3 665 309 6 4 3 649 130 7 27 3 477 150 8 27 4 354 112 9 29 BP) 534 363 10 29 5 327 164 1l 29 5 375 218 12 29 6 240 236 13 30 6 450 168 14 30 6 300 169 15 30 6 479 203 16 31 7 316 33 Mittel 430,5 204,8 Aus diesen Zahlen ergiebt sich, dass sich der Kohlensäure- ertrag bei den entleberten Fröschen zu dem der unversehrten im Durchschnitt aus 16 Versuchen verhält wie 204,8 : 430.5 — 1:2.10, so dass man nach Entfernung aller anderer Unter- schiede, welche auf das Athmen einwirken, behaupten darf, dass unversehrte Frösche für gleiches Körpergewicht in glei- cher Zeit doppelt so viel Kohlensäure liefern, wie entleberte. Nun aber durchläuft nach Bidder und Schmidt, bei Säugethieren wenigstens, nur ein kleiner Theil des ausgeath- meten Kohlenstoffs (etwa 5 Procent) die Zwischenstufe der Galle’), Und da man schwerlich annehmen muss, dass sich 1) Bidder und Schmidt, a, a. 0, 8.239, 308, 369. 02 in dieser Beziehung die Frösche von den Säugethieren wesent- lich unterscheiden, so scheint aus meinen Versuchen hervor- zugehen, dass nieht bloss die mangelnde Gallenbildung bei den entleberten Fröschen den Ertrag an Kohlensäure herab- drückt, sondern dass der Mangel der Leber noch in einer an- deren Weise wirksam ist, um die Menge der erzeugten Koh- lensäure zu vermindern. Um so wichtiger scheint es mir, dass Beobachtungen vor- liegen, welche auf eine verminderte Oxydation bei entleberten Fröschen schliessen lassen. Denn anders wird wohl das Auf- treten der Kleesäure nicht zu deuten sein, die ich im Fleische und in den Ausleerungen der Cloake bei entleberten Fröschen aufgefunden habe !). Die Rückbildung, welche sonst in den Geweben in Folge der Verbrennung durch den eingeathmeten Sauerstoff bis zur Entstehung von Harnstoff, Kohlensäure und Wasser vorschrei- tet, ist hier zum Theil auf einer niedrigeren Verbrennungsstufe stehen geblieben. Ein Theil des Kohlenstoffs der Gewebebild- ner ist, statt bis zu Kohlensäure zu verbrennen, nur zu Klee- säure oxydirt. Daher tritt diese Säure in erheblicher Menge im Harn auf, sie vertritt in den Muskeln theilweise die Koh- lensäure, und in Folge dessen ist die gasförmig ausgeschie- dene Kohlensäure so beträchtlich vermindert. Ich will hier nicht versäumen, daran zu erinnern, dass Kunde und ich bei entleberten Fröschen eine auffallende Blutarmuth beobachtet haben ?), um so weniger, da manche For- scher, welche allen Stoffumsatz in das Blut verlegen, hier- nach geneigt sein könnten, die Verminderung der ausgehauch- ten Kohlensäure von der mangelhaften Blutbildung abzuleiten. Ich bin weit entfernt, diesen Umstand als nichtig darstellen zu wollen; da aber das Blut ziemlich genau die mittlere Dich- tigkeit des gesammten Körpers besitzt, da ferner die Zusam- mensetzung des ganzen, aus Blut geborenen Körpers ohne 1) Moleschott, a a. O. S. 492, wo es Zeile 4 v. u. durch einen Druckfehler statt Kleesäure „Kohlensäure“ heisst, und 495. 2) Vgl. meinen oben angeführten Aufsatz S. 488. 63 erheblichen Fehler der des Blutes gleich gesetzt werden darf, da endlich die Abnahme der Kohlensäure wächst mit der Zeit, welche seit Entfernung der Leber verstriehen ist, so wird jene ausserordentliche Verminderung des Kohlensäureertrags nicht ausschliesslich der Abnahme des Blutes zugeschrieben werden können. Die Leber muss vielmehr eine die Rückbildung begünsti- gende Thätigkeit entfalten, so zwar, dass, wenn sie fehlt, die Verbrennung im Körper überhaupt geschwächt, die Menge der ausgehauchten Kohlensäure bedeutend gemindert wird. Für diese Anschauung ist es unstreitig von hoher Bedeutung, ‘dass in den Flüssigkeiten der Kalbsleber Leuein gefunden wurde'). Dieses Leuein ist offenbar als ein Erzeugniss der Rückbildung zu betrachten ?2). Nur folgere man nicht — wie in jüngster Zeit kurzsichtiger Weise in ähnlichen Fällen so häufig geschah, — die Leber sei das Organ der rückwärtsschreitenden Ent- wicklung, das Organ der Kohlensäurebildung. Ich werde viel- mehr in einem späteren Aufsatze zeigen, dass der Leber für die Blutkörperchen eine aufbauende Thätigkeit zukommt. Und überdies steht die Leber in, ihrem Einfluss auf die Rückbil- dung nicht allein. } Wie die Wegnahme der Leber, so hat nämlich nach mei- nen Versuchen auch das Ausschneiden der Milz die Folge, dass gleiche Gewichtseinheiten der Frösche in gleichen Zeit- abschnitten bedeutend weniger Kohlensäure liefern. Das Wegnehmen der Milz ist bei Fröschen viel leichter zu bewerkstelligen, als das Ausschneiden der Leber. Ich mache zu dem Ende in der Mittellinie des Bauchs unmittelbar oberhalb des Blasengrundes einen Längsschnitt, der gross ge- nug ist, um ohne alle Zerrung eine Darmschlinge hervorzu- ziehen. Diese Darmschlinge führt mich zur Cloake, dıe gleich- falls, so weit es nöthig ist, aus der Unterleibshöhle hervor- gezogen wird. Legt man dann die betreffende Darmschlinge I) Liebig, chemische Briefe, Heidelberg 1851, 8. 453. 2) Vgl. meinen „Kreislauf des Lebens, physiologische Antworten auf Liebig's chemische Briefe, Mainz 1852, S. 271, 272. 64 und den Theil der Cloake auf die rechte Seite des Frosches, dann kommt die Milz in der Regel dieht hinter dem Anfang der Cloake, manchmal aber auch viel höher, nackt im Gekröse zum Vorschein. Ein Sehnitt trägt die Milz ab. Die Bauch- höhle wird durch zwei oder drei Näthe geschlossen, die Wunde mit Collodium überstrichen. Fast alle Frösche, Männchen wie Weibehen, ‚überleben diesen blutigen Eingriff Auf unbegrenzte Zeit. Ja, ich kann kaum sagen, dass mir irgend ein Frosch in. Folge des Verlustes der Milz zu Grunde gegangen. Um meine Beobachtungen über das Athmen der Frösche auch auf Männchen auszudehnen,. habe ich zu diesen Versu- chen nur Männchen entmilzt. Hierdurch wurde es nothwen- dig, Zahlen für unversehrte Männchen zu gewinnen. Ich habe dieselben zusammengestellt in der Tabelle Nro. IV. Milligr. Kohlensäure, Nummer des Wärmegrad. Barometerstand. welche 100Gr.Frosch Versuchs. in 24 St. lieferten. 1 22,90 © Drum) 52 401 2 21,56 Gl kr (>) 686 3 21,56 27 HU T9 302 4 19,68 a7 Au 52 635 5 19,06 2ruazıı 76 215 6 19,06 277 zur 76 421 7 18,75 2776W 03 597 3 17,50 DIENTE 446 9 17,50 aan 376 382 10 15,62 vl a) 578 11 17,50 DTANGUENTO 578 12 18,75 274 Tu 06 389 13 13,12 2 zur 00 903 14 21,37 a7 gu T72 740 15 21,37 a7 gu, 72 611 16 22,50 2Taguu 93 270 17 22,50 a7u gu, 93 117 18 23,12 27° giu,..68 953 19 23,12 27%. 914,68 549 Mittel 514,6. 65 Vergleicht man das Mittel der Zahlen dieser Tabelle (514,6) mit dem in der Tabelle Nr. I verzeichneten (430,5), dann sieht man, dass der Kohlensäureertrag der Weibchen sich zu dem der Männchen verhält, wie 430,5 :514,6—= 1:1,19. Demnach athmen gleiche Gewichtstheile der Frosehmännehen in dersel- ben Zeit beinahe 1% mehr Kohlensäure aus als die Weibchen, was die Angaben von Andral und Gavarret über den Ge- schlechtsunterschied beim Menschen bestätigt. In der folgenden Tabelle sind die Zahlen mitgetheilt, welche ich bei entmilzten Fröschen gewonnen habe. Nro. V. Zahld. Tage, Milligr. Koh- Nr. d.Ver- die seit Weg- lensäure, wel- suchs. nahme der Wärmegrad. Barometerstand. che 100 Gr. Milz verstri- rn % 24 chen waren, t. lieferten. 1 4 21°, 56C 27 614,79 339 2 16 15,00 27 10, 50 „111 3 17 13,75 277 10%, 72 177 4 17 19,68 a7 Au 52 393 5 17 19,68 ru 4,52 636 6 13 19,06 274 Hu, 76 601 7 19 13,75 274 6, 03 95 8 20 17,50 20 aut, TG 154 9 21 17,50 Pr ER eo) 314 10 21 17,50 N RS 178 11 22 15,62 27 HM, 58 260 12 24 17,50 27 GU,T7O 550 13 25 18,75 DIENT KSAQE 142 14 25 18,75 27U 7, 06 236 15 30 18,12 BE ARE 725 16 30 18,12 274 7, 00 258 17 35 22,50 27u gu, 2% 254 18 45 21,87 au ‚Br, 02 586 19 45 21,87 DI BUHE RZ 417 20 46 22,50 PA ER © 398 21 46 22,50 27, gu, 93 326 22 45 19,68 27 Au, 52 129 23 50 23,12 ar a, 68 890 24 50 23,12 270 ya, 68 245 25 öl 18,75 277 6, 03 73 26 al 18,75 27. ‚Hu, 03 184 Mittel 335,4 Also verhält sich die Menge der Kohlensäure, welche von Müllers Archiv. 1853, 5 66 100 Gramm entmilzter Frösche in 24 Stunden als Mittel aus 26 Versuchen geliefert wird, zu dem Mittel aus: 19 Versuchen an unversehrten Fröschen ‚wie 335,4: 514,6, wie 1: 1,53. Eine fortschreitende Abnahme, entsprechend der Zeit, welche seit der Entmilzung verflossen war, lässt sich aus der Tabelle No. V nicht. ableiten; vielleicht nur weil ich aus den ersten Tagen nur eine einzige Beobachtung besitze. Nach 10 Tagen pflegte nämlich die Bauchwunde bei den entmilzten Fröschen vollständig vernarbt zu sein, nach vier bis fünf Wochen so, dass man leicht die Narbe hätte übersehen können. Ich zog es vor, meine Versuche an diesen vollständig geheilten Thie- ren vorzunehmen. Um übrigens auch die entmilzten Frösche mit den unver- sehrten unter möglichst übereinstimmenden Umständen zu ver- gleichen, habe ich eine Reihe von Versuchen an ziemlich gleich grossen Männchen, die an demselben Tage eingefangen waren und gleiches Wasser erhielten, je zwei bei demselben Wärme- grad und demselben Barometerstande angestellt. Ueber die Ergebnisse dieser Versuche findet sich Aufschluss in der Tabelle Nro. VI. Zahl d. Tage, Milligr. Koh- Milligr. Koh- Nummer. Tag d. Gefan- die seit Weg- lensäure, die lensäure, die des genschaft für nahme d. Milz 100Gr.unver- 100 Gr. ent- Versuchs. beide Frösche. verstrichen sehrter Frö- milzter Frösche waren. sche in 24 St. in 24 Stunden lieferten. lieferten. 1 7 4 686 389 2 20 17 635 393 3 21 13 421 601 4 22 19 597 95 5 23 20 446 154 6 24 21 332 178 Zt 25 22 578 260 3 27 24 578 550 9 28 25 339 142 10 33 30 908 725 1l 45 45 740 5836 1 45 45 611 417 13 49 46 270 398 14 49 46 117 326 15 50 47 953 890 16 50 47 549 245 Mittel 553)7 396.8 67 Hieraus ergiebt sich das Verhältniss des Kohlensäureer- trags entmilzter Frösche zu dem der unversehrten wie 396,8 zu 553,7 = 1:1,39. Die unversehrten Männchen lassen dem- nach für gleiches Gewicht in gleicher Zeit etwa 1?/, so viel Kohlensäure entweichen, wie die entmilzten. Wegnahme der Milz drückt die Ausscheidung von Kohlensäure weniger stark herab, als der Verlust der Leber (vgl. oben S. 50). Nur in 3 Fällen (Tabelle No. VI. 3, 13 und 14) übertraf die Menge der von den entmilzten Fröschen gelieferten Koh- lensäure den Ertrag der unversehrten. Man darf sich aber hierüber um so weniger wundern, da überhaupt der Kohlen- säureertrag für gleiches Körpergewicht bei Fröschen so be- deutenden Schwankungen unterliegt. Schon Marchand hat diese Eigenthümlichkeit hervorgehoben und sie ganz mit Recht in Zusammenhang gebracht mit den Schwankungen des Ge- wiehts, welche Frösche auch unabhängig von der Aufnahme fester Nahrung zeigen können. Um diese Gewichtsschwankungen noch sicherer zu ermit- teln, habe ich, zwar nicht bei entmilzten, aber bei unversehr- ten und entleberten Fröschen, die in destillirtem Wasser auf- bewahrt wurden, also durchaus keine feste Nahrung zu sich nehmen konnten, einige Wägungen vorgenommen, bei welchen ich Marchand’s Angabe bestätigt fand, dass Frösche nicht selten durch blosse Aufnahme von Wasser eine beträchtliche Gewichtszunahme erleiden können. Die Frösche wurden zu Anfang und zu Ende von je 24 Stunden gewogen. Nachste- hende Zahlen bezeichnen den in 24 Stunden von je 100 Gr. erlittenen Gewichtsverlust für i unversehrte und entleberte Frösche 0,99 Gramm 4,37 Gramm 6,56 — 7,38 _ 0,43 _ — 1,46 4,55 3,65 — 416 2,57 8,45 — 4,00 2,28 5,68 Mittel 3,11 Gramm. Mittel 0,48 Gramm. 5% 68 Es verdient Beachtung, dass nach diesen Wägungen ent- leberte Frösche für 100 Gramm in je 24 Stunden bedeutend weniger an Gewicht verlieren als unversehrte. Und da dieser Unterschied bedeutend grösser ist, als der in dem Verlust: an Kohlensäure, da ferner wiederholt statt eines Gewiehtsver- lusts eine Gewichtszunahme eintrat, so hat man allen Grund, den durchschnittlich so viel geringeren Gewichtsverlust entle- berter Frösche theilweise durch Aufnahme, von Wasser zu er- klären. Dies verdient offenbar Berücksichtigung bei der Be- urtheilung der typischen ‚Respirationsgrösse (Bidder und Sehmidt) entleberter und unversehrter Frösche. Denn das aufgenommene Wasser muss selbstverständlich als ein für die Ausscheidung der Kohlensäure unthätiger Gewichtstheil des Körpers betrachtet ‘werden. Nur glaube man nicht, dass sieh durch diese Wasseraufnahme die geringere Ausscheidung von Kohlensäure bei entleberten Fröschen ganz oder auch nur zum grossen Theil erklären liesse. Denn selbst wenn wir annehmen wollten, der ganze Unterschied zwischen dem täg- lichen Gewichtsverlust unversehrter und entleberter Frösche (3,11 — 0,48 = 2,63) sei von einer Aufnahme von Wasser ab- zuleiten, so dass man von je 100 Gramm entleberter Frösche 2,63 abziehen müsste, dann würden sich die Gewichtsmengen der entleberten und unversehrten Frösche, auf welehe sich die in’ den 3 ersten Tabellen mitgetheilten Zahlen für «die. ent- wichene Kohlensäure beziehen, verhalten wie 97,37 : 100 = 1:1,03. Aber der Kohlensäureertrag entleberter Frösche ver- hält sich zu dem der unversehrten wiel:2,10. Es kann also jedenfalls nur ein sehr kleiner Theil der verminderten Ent- wicklung von Kohlensäure von dem unthätigen Wasser im Leib entleberter Frösche abgeleitet werden. Die Versuche an entmilzten Fröschen habe ich besonders aus zwei Gründen angestellt. Einmal hoffte ich, dadurch von vorn herein dem einseitigen Schlusse entgegenzuwirken, als wenn ausschliesslich die Leber als ein die Rückbildung be- günstigendes Organ zu betrachten wäre, und diese Hoffnung hat mich nicht getäuscht. Andererseits erwartete ich gerade von der Wegnahme der Milz die hier gefundenen Folgen, weil 69 die chemische Untersuchung dieses Werkzeugs gelehrt hat, dass in demselben ein kräftiger Stofflumsatz in rückschreiten- der Entwicklung stattfindet. Es ist durch Scherer’s Unter- suchungen bekannt geworden, dass die Milz Harnoxydul (Hypoxanthin) und Harnsäure enthält!). Milz und Leber sind demnach Werkzeuge, in denen das Zerfallen der Gewebebildung besonders begünstigt wird. Die Leber ist jedoch in dieser Richtung noch bei weitem thätiger, als die Milz. Da unversehrte Frösche reichlich doppelt so viel Kohlen- säure liefern als entleberte und 1?/ so viel wie entmilzte, so hoffte ich bei genauen Messungen des Wärmegrades der Thiere für die unversehrten Frösche regelmässig eine höhere Wärme zu finden. Diese Erwartung ist nicht in Erfüllung ge- gangen, Ich brachte den cylindrischen Quecksilberbehälter eines vorzüglichen Thermometers bis in den Magen der Frösche, die gehörig befestigt waren und ganz unter Wasser gehalten wurden. Ich lasse die gefundenen Zahlen hier fol- gen und bemerke nur noch, dass ich, wie früher, möglichste Gleichheit aller Verhältnisse für die mit einander verglichenen Frösche erzielt habe, Tag nach Wärmegrad des Was- Wärmegrad Wärmegrad der Wegnahme sers, in dem sich die der unversehr- entleberten Frö- der Leber. Frösche befanden. ten Frösche. sche. 1 17°, 22 C LTE 17°, 40 C 1 15, 03 16,41 15,17 1 _ _ 16,21 1 u — 16,60 1 14,02 14,44 14,33 1 13,29 13,86 13,29 2 15,98 16,21 16,09 2 13,02 13,09 17,95 2 _ E— 13,20 2 16,85 16,76 16,85 2 16,32 16,56 16,40 3 15,54 15,72 15,76 Mittel 15,81 16,13 16,19. 1) Scherer ın den Annalen von Liebig und Wöhler, Ba. LXXXIL 5. 350 u. folg. Vgl. meine Physiologie des Stoffwechsels, Erlangen 1851, S. 466, 467. 70 Nach diesen Zahlen findet ein Unterschied in dem Wärme grad entleberter und unversehrter Frösche nicht statt. Da- gegen erhob sich die Wärme der unversehrten Frösche über die des umgebenden Wassers durchschnittlich um 00,32. Der Vergleich entmilzter Frösche mit unversehrten führte zu folgenden Zahlen: Tage, die seit Wärmegrad des Wegmahme der Wassers, indem Wärmegrad der Wärmegrad der Milz verstrichen sich die Frösche unversehrten entmilzten waren. befanden. Frösche. Frösche. 11 169,96 C. 17,13 C. 170,09 C. 11 17,07 17,13 17,15 72 15,67 15,85 15,78 72 15,33 15,94 15,99 72 16,07 16,12 16,27 72 16,36 16,36 16,31 72 16,36 16,47 16,43 104 16,96 _ 17,02 16,94 Mittel 16,41 16,50 16,47 Auch hier beträgt der Unterschied zwischen der Wärme entmilzter und unversehrter Frösche nur wenige Hundertstel Grad. Er ist also kleiner als die Grösse der unvermeidlichen Versuchsfehler. > Nimmt man die Mittel aus allen 17 Wärmemessungen des umgebenden Wassers und der unversehrten Frösche, dann fin- det man, dass bei einer Wärme des umgebenden Wassers von 16°,09 C die der Frösche 16°,31 C beträgt, dass also der Wärmegrad der Frösche die des Wassers bei mässiger Som- merwärme nur um 0°,22 C übertrifft. Dumeril, der neuer- dings gleichfalls Wärmemessungen an Fröschen veröffentlicht hat, fand die Eigenwärme dieser Thiere bei 15,5 —16°%,2 C des umgebenden Wassers in der Cloake schwankend von 0,3 — 0°,7 C, also etwas höher *). *) Dumeril, Annales des Sciences naturelles, 3e serie, XVII, pag- 7. ga! Jedenfalls ist die Eigenwärme der Frösche, wie‘ schon nach älteren Untersuchungen von Dutrochet bekannt war; sehr gering, aber doch immer "bedeutend genug um einen Unterschied in der Wärme entleberter oder entmilzter Frö- sche auf der einen Seite und unversehrter Thiere auf der an- deren erwarten zu lassen, wenn wirklich die ganze Eigen- wärme der Thiere nur durch Verbrennung bedingt würde*). Ich habe demnach unverhoffter und unerwünschter Weise eine neue Thatsache beigebracht, welche beweist, dass die Eigen- wärme des thierischen Körpers nieht ausschliesslich als Ver- brennungswärme zu deuten ist. Welche Einflüsse bei den entmilzten und entleberten Fröschen der geschwächten Rück- bildung, der verminderten Verbrennung in der Hervorbringung der schliesslichen Wärmesumme entgegenwirken, wüsste ich für jetzt nicht zu ermitteln. Ergebnisse. 1) Unversehrte Frösche liefern reichlich die doppelte Kohlensäuremenge der von entleberten erzeugten. S 2) Der Kohlensäureertrag unversehrter Frö- sche ist nahe zu 1?/, so gross wie der von entmilz- ten gelieferte. 3) Leber und Milz sind Werkzeuge, in welchen oder durch welche die Rückbildung im Thierkör- per besonders begünstigt wird. Wegnahme der Leber oder der Milz hat eine verminderte Oxyda- tion zur Folge. 4) Entleberte Frösche verlieren beim Hungern viel langsamer an Gewicht als unversehrte, was wenigstens theilweise durch eine Aufnahme von *) Vergl. meinen Kreislauf des Lebens, physiologische Antworten auf Liebig’s chemische Briefe Mainz 1852, Seite 225 und folg. Seite 247, 248 72 Wasser, theilweise durch verminderte Ausschei- dung zu erklären ist. 5) Trotzdem dass Wegnahme der Milz. wie der Leber die Ausscheidung der‘ Kohlensäure so-be- trächtlich vermindert, ist der Wärmegrad entle- berter Frösche von dem der unversehrten Thiere nicht'verschieden. Nebenher wurde gefunden: 6) Froschmännchen athmen 11% so viel Kohlen- säure aus wie die Weibchen, 7) Bei einer Wärme des umgebenden Wassers von:16° C beträgt die Wärme, um welche die Frö- sche die des Wassers übertreffen, durchschnitt- lich 09,22. C. 73 Ueber die Entwicklung der Blutkörperchen. Von Dr. Jac. MOLESCHOTT, Privatdocenten der Physiologie an der Universität zu Heidelberg. (Hierzu Tafel 1.) Aıs ich einst ohne bestimmte Erwartung das Blut aus der Milz eines entleberten Frosches unter dem Mikroskop be- trachtete, ward ich überrascht durch den auch für die Milz ganz ausserordentlichen Reichthum an farblosen Körperchen. Ich fasste daher den Entschluss, durch genaue Zählungen zu ermitteln, ob in dieser Beziehung ein regelmässiger Unter- schied zwischen entleberten und unversehrten Fröschen statt- findet. Sollten diese Zählungen einen Werth haben, so muss- ten sie vor allen Dingen recht zahlreich vorgenommen wer- den. Jede der im Folgenden mitgetheilten Zahlen ist das Mittel aus 7 Zählungen. Und um eine recht sichere Grund- lage für die Beurtheilung dieser Verhältnisse zu gewinnen, zählte ich zunächst farbige und farblose Körperchen aus dem Herzblut entleberter Frösche. Auf je 1 farbloses Körper- chen fanden sich: Nummer der Beob- Tag nach Wegnahme Zahl der farbigen achtung. der Leber. R Blutkörperchen. 1 en 5,00 2 1 4,35 3 2 0,75 4 6 1,59 5 7 0,77 6 8 2,00 74 Nummer der Beob- Tag nach Wegnahme Zahl der farbigen achtung. der Leber. Blutkörperchen. 7 8 1,19 8 8 0,54 9 8 0,78 10 9 4,54 11 9 4,50 12 9 1,30 13 9 1,00 14 10 2,00 15 10 1,96 16 10 1,05 17 11 3,45 18 12 0,97 19 13 4,42 Mittel 2,24 Im Mittel aus 19 Beobachtungen verhält sich somit im Herzblut entleberter Frösche die Zahl der farblosen Körper- chen zu der der farbigen wie 1: 2,24. Bei unversehrten Fröschen fanden Donders und ich dieses Verhältniss wie 1: 8%). Demnach ist das Herzblut unversehrter Frösche im Vergleich zu derselben Anzahl farbloser Körperchen etwa 3'% mal so reich an farbigen Blutzellen wie das Blut aus dem Herzen entleberter Frösche. Das Blut der Leber von Fröschen, deren Blut ich auch später, nachdem sie entlebert waren, untersuchte, enthielt auf 1 farbloses Körperchen durch- schnittlich 5,88 farbige, also reichlich 2'/, so viel wie in dem Herzblut der entleberten Frösche gefunden wurden. Dieselbe verhältfissmässige Abnahme der farbigen Kör- perchen nach Entfernung der Leber wurde von mir auch im Blut der Leibeshöhle beobachtet. *) Vergl. Holländische Beiträge von van Deen, Donders und Moleschott, Bd. IL, S. 367 75 Nummer der Beob- Tag nach Wegnahme Zahl, der farbigen achtung. der Leber. “Rn re 1 1 1 3,97 2 4 3,97 3 10 3,23 4 12 4,54 5 12 3,03 6 13 0,46 Mittel 3,13 Verglichen mit dem Herzblut unversehrter Frösche wäre demnach die Zahl der farbigen Körperchen im Verhältniss zu den färblosen im Blut der Unterleibshöhle entleberter Frösche reichlich um das 2'!% fache vermindert. Das Blut des Fettkörpers der entleberten Thiere enthielt im Durchschnitt auf 1 farbloses 3,32 farbige Körperchen, also mehr als 2mal weniger wie das Herzblut unter gewöhnlichen Verhältnissen. Ebenso bedeutend ist die Vermehrung der farblosen Kör- perchen im Verhältniss zu den farbigen im Blut der Milz, wie aus folgenden Zählungen hervorgeht: Zahl der farbigen Nummer der Beob- Tag nach Wegnalıme Körperchen auf 1 achtung. der Leber. farbloses. 1 1 0,54 2 1 0,11 3 3 0,23 4 3 0,10 5 4 0,35 6 5 1,31 7 5 1,00 8 6 0,94 y 7 0,49 10 8 0,67 il bo} 0,37 12 8 0,25 Zahl der farbigen Nummer der Beob- Tag nach Wegnahme Körperchen anf 1 achtung. der Leber. farbloses. 13 8 0,25 14 9 0,88 15 9 0,22 16 10 0,64 17 10 0,12 18 11 1,04 19 11 0,35 20 11 0,37 21 12 1,95 22 12 1,33 23 12 0,96 ı 24 12 0,52 25 12 0,30 26 13 1,33 27 13 0,79 28 13 0,78 29 13 0,73 30 13 f 0,36 3l 13 0,15 32 13 0,49 33 13 0,53 Mittel 0,63 Nun aber ist das Verhältniss der farblosen Körperchen zu den farbigen im Milzblut unversehrter Frösche gleich 1: 1,37. Es ist also auch in dem Blute der Milz die Zahl der farbigen Körperchen, im Vergleich zu den farblosen, bei ent- leberten Fröschen um mehr als die Hälfte vermindert. Und es ist dies Verhältniss für die Milz um so charakteristischer, da bei gesunden Fröschen auf 1 farbloses Körperchen in die- sem Werkzeug beinahe 6 mal weniger farbige kommen als im Blute des Herzens. In der Milz entleberter Frösche kehrt sich das Verhältniss zwischen den beiden Arten von Blutkör- perchen vollstäudig um, so dass die Zahl der farblosen die der farbigen überwiegt. 77 "Es ergiebt ‚sich somit aus diesen an Blut verschiede- ner Werkzeuge vorgenommenen Zählungen, dass der Ver- lust der Leber eine ausserordentliche Vermehrung der farb- losen und im Verhältniss zu diesen eine "beträchtliche Ver- minderung der farbigen Blutkörperchen nach sich zieht. Nimmt man das Mittel aus den Verhältnissen, wie‘ sie für das Herz und die Milz, für die Leibeshöhle und den ‘Fett- körper gefunden wurden, dann stellt sich heraus, dass die Zahl der farbigen Körperchen, die auf 1 farbloses kommen, bei entleberten Fröschen reichlich um das 21% fache vermin- dert ist. Die geringste Verminderung ergab sich im Fettkör- per (2,09 fach), die grösste im Herzblut (3,57 fach). Diese Verminderung der farbigen Körperchen im Verhält- niss zu den farblosen tritt schon am ersten Tage nach Weg- nahme der Leber ein, wie die Tabellen über das Herz- und Milzblut lehren. Da nun bei den entleberten Fröschen auch die Menge des Gesammtbluts im Körper auffallend vermin- dert ist, so darf man eine bedeutende Bleichsucht als die wesentlichste Folge des Verlustes der Leber bezeichnen. Und ich betone dies um so lieber, da erfahrene Aerzte sehr gut wissen, wie häufig in der Bleichsucht die Leber erkrankt ist. In Holland zumal hat man nur gar zu oft Gelegenheit sich hiervon zu überzeugen, wie denn überhaupt die Bleichsucht in unserer Zeit durchaus nicht mehr ein trauriges Vorrecht in der Geschlechtsentwicklung begriffener Mädchen genannt zu werden verdient. Nach diesen Beobachtungen lässt sich nicht bezweifeln, dass die Leber ein Werkzeug ist, in welchem die Umbildung farbloser Blutkörperchen in farbige ausserordentlich begün- stigt wird, woraus sich jedoch durchaus nicht folgern lässt, dass nur in der Leber diese Verwandlung vor sich gehe. Dem entsprechend hat schon früher Lehmann in dem Blut der Lebervene einen grösseren Gewichtstheil farbiger Blut- körperchen gefunden als in dem Blut der Pfortader. Und ich darf rückwärts in dem Ergebniss meiner Beobachtungen eine Bestätigung sehen für Lehmann’s Ausspruch: „In den Le- „bereapillaren wird entweder die Zahl der Blutkörperchen 78 „vermehrt (d. h. es werden neue gebildet), oder jedes ein- „zelne muss eine erhebliche Zunahme an festen Substanzen „erleiden; die erstere Deutungsweise der vorliegenden That- „sachen ist die wahrscheinlichere“*). Bennet hat beim Menschen unter 19 Fällen, in welchen das Blut durch Reich- thum an farblosen Körperchen ausgezeichnet war, 13mal die Leber krank gefunden, 2mal eirrhotisch, 1mal durch Krebs, 10mal hypertrophisch. In allen diesen Fällen war die Leber mit Blut überfüllt, bald sehr fest, bald sehr erweicht. **) Da ich bei früheren Versuchen gefunden habe, dass ent- leberte Frösche für gleiches Körpergewicht in gleichen Zeit- abschnitten noch nicht halb so viel Kohlensäure liefern wie unversehrte, so werden wahrscheinlich die Forscher, welche die Hauptthätigkeit des Gaswechsels beim Athmen in die farbigen Blutkörperchen verlegen, geneigt sein, die vermin- derte Ausscheidung von Kohlensäure bei entleberten Frö- schen mit jener Abnahme an farbigen Körperchen in Zusam- menhang zu bringen. Allein dieser Schluss wird durch meine Zählungen der Blutkörperchen bei entmilzten Fröschen wi- derlegt: Zahl der farbigen Nummer der Beob- Tag nach Wegnahme Blutkörperchen auf 1 achtung. der Milz. farbloses. 1 1 7,18 B) 2 \ 9,45 3 3 4,36 5 4 15,17 6 4 9,45 7 5 22,64 9 7 4,30 10 8 3,91 *) Lehmann in Erdmann’s Journal, Bd. L III, S. 237. *) Bennet, Archives generales de medeeine, 4e ser. XXVIH. pag. 218. 79 Zahl der farbigen Nummer der Beob- Tag nach Wegnahme Blutkörperchen laufyl achtungen. ’ der Milz. farbloses. u 9 5,92 12 10 7,15 13 1 13,00 14 12 12,35 15 12 9,31 16 20 12,63 17 233 5,41 15 73 , 9,30 19 73 10,30 Pi 73 7,28 PP) 73 7,98 Mittel 9,06 Diese Zählungen sind alle an Blut aus dem Herzen vor- genommen. Nach 22 Beobachtungen ist also das Mittel für die Zahl der auf 1 farbloses kommenden farbigen Körper- ehen bei entmilzten Fröschen = 9, während es bei unver- sehrten = 8 ist. Somit werden die farbigen Körperchen in ihrem Verhältniss zu den farblosen durch Entfernung der Milz eher vermehrt als vermindert. Die Vermehrung ist je- doch zu unbedeutend, um auf dieselbe ein besonderes Ge- wicht legen zu dürfen. Es scheint indess nach meinen Zäh- lungen vorzugsweise eine Bildung farbloser Körperchen in der Milz stattzufinden. Unstreitig geht aus dieser, wenn auch noch so geringen, Vermehrung der farbigen Körperchen hervor, dass man den verminderten Ertrag an Kohlensäure bei entleberten Fröschen nicht der Abnahme der farbigen Blutkörperchen zuschreiben kann. Denn auch von entmilzten Fröschen wird viel weni- ger Kohlensäure geliefert" als von unversehrten. Und den- noch erscheint ihr Blut durchaus nicht vermindert, und die farbigen Körperchen haben im Verhältniss zu den farblosen eine kleine Zunahme erlitten, so Wenn man bei Fröschen zugleich die Milz und die Leber wegnimmt, dann überwiegt der Einfluss des Verlustes der Leber. Es ist mir gelungen solche Thiere länger als sechs Tage zu erhalten. Auf 1 farbloses Körperchen enthielt das Blut des Herzens am 5. Tag nach Wegnahme von Leber und Milz 1,35 farbige „6% » n » b) „nn 269 „ also im Durchschnitt 2,022. Demnach waren die farbigen Körperchen im Verhältniss zu den farblosen um das 4 fache vermindert. Durch die Verzögerung, welche der Verlust der Leber in der Bildung farbiger Blutkörperchen hervorruft, ist eine aus- gezeichnete Gelegenheit geboten, die einzelnen Entwicklungs- stufen, welche zwischen der einfachen farblosen Blutzelle und den ganz reifen farbigen Körperchen liegen, kennen zu ler- nen. Nachstehende Formen sind alle in grosser Anzahl im Blut entleberter Frösche von mir beobachtet worden. 1. Farblose Zellen mit deutlichen einfachen Kernen und schwach körnigem Inhalt werden in dem Blut ohne allen Zusatz vonReagentien wahrgenommen. Das ist überhaupt ein wesent- licher Unterschied zwischen dem Blut entleberter und dem un- versehrter Frösche, dass die farblosen Zellen des letzteren in der Regel der Einwirkung des Wassers oder verdünnter Essigsäure bedürfen, - wenn ihre Kerne deutlich zum Vorschein kommen sollen, ‚während diese Kerne in den farblosen Körperchen: des ersteren ohne alle Hülfsmittel mit bestimmten Umrissen sicht- bar sind. Die Grösse dieser Kerne ist sehr verschieden. Man findet sie meist excentrisch gelagert. Ihre Gestalt ist bald rund, bald birnförmig und durchläuft alle Zwischenstufen zwischen diesen beiden Formen. Fig. 1. 2. Auch die farblosen Zellen ‚selbst können mancherlei Gestalt annehmen. Neben der runden sind rundliche und so- gar rundlich-eekige, neben ‘den birnförmigen retortenförmige, kolbenförmige, ovale, elliptische Figuren vorhanden. Kurz, es finden sich alle Uebergänge von der ursprünglichen runden Form der farblosen bis zur elliptischen der farbigen Blutzel- len. Fig. 2. Bisweilen liegen die länglichen Körperchen auf to]! einer schmalen Grundfläche und dabei kann, es vorkommen, dass die Zelle an der,Stelle, wo ‚der Kern: liegt, eine 'An- schwellung zeigt, ’gleichsam als wäre die Zellhülle über, den Kern gespannt, ähnlich wie dies bei den Zellen des Cylinder- und des. Flimmerepitheliums so häufig. zu sehen ist. Fig.2 b. 3. In einem Theil der farblosen Zellen: ist, wiederum ohne allen Zusatz von chemischen Hülfsmitteln, der Kern in:zwei oder. drei kleinere zerfallen, welche entweder. dicht! an! einan- der liegen, oder durch einen kleinern oder grössern Zwischen- raum von einander getrennt sind. Die einzelnen Kerne sind bald ziemlich gleich. gross, bald in. .der Grösse sehr verschie- den. Auch die Zellen mit 'gespaltenen Kernen: werden auf allen Uebergangsstufen von der runden zur. elliptischen Form angetroffen. Fig. 3. # Neben den Zellen mit 2 und 3 ‚kleineren Kernen treten farblose Zellen auf, in welchen diese Kerne in Körnchen zer- fallen sind. Der ursprünglich. bläschenförmige Kern verliert dabei nach. und nach seine Hülle, und'nur im Anfang ‚erkennt man noch an. der Lagerung ‚der Körnchen ihren Ursprung. Später liegen die Körnchen. zerstreut. Die einzelnen Kerne durchlaufen in der Regel diese Veränderungen nach einander, so dass man in einer. Zelle einen ganzrandigen Kern , ‚einen Kern mit halb aufgelöster Hülle und ein Häuflein ‚von Körn- chen beobachtet. ‘Sind alle Kerne in Körnchen zerfallen, dann hat man eine weisse Körnchenzelle. vor sich, in welcher! auch Kssigsäure keinen Kern mehr, sichtbar ‚macht. Diese. Köru- chen sind durch einen flüssigen Inhalt von einander, getrennt. Denn gar nicht selten kann. man die lebhafteste Moleeular- bewegung an denselben walrnelimen. ‚Unter den Köruchen- zellen findet man dieselben Formen, die unter 1,2 und. 3. er- wähnt worden sind. ‚Fig. 4. j 5.. Ein Theil der Körnchenzellen. ist \aber nieht weiss, son- dern ihre Körnehen. sind ‚stark fettglänzend und: in verschie- denen Schattirungen-gelblich bis hämatinröthlich gefärbt. Fig.>. Nur ‚selten findet man'zwischen den so'veränderten Körnchen, die. in verschiedener Grösse vorkommen, noch) einen. un- veränderten Kern: (Pig. 5 a). Behändelt man eine solche Müllers Archiv. 1853, 6 32 Zelle mit verdünnter Essigsäure, dann quillt der Inhalt auf, die Hülle entfernt sieh von den Körnchen, diese letzteren zer- streuen sich durch die Zelle (Fig. 5 b). Andere Zellen sind im Ganzen schwach gelblich gefärbt und es sind nur wenige Körnchen in denselben übrig (Fig. 5 ce). Es fehlt unter den Zellen keine Uebergangsform von der runden bis zur ellipti- schen. 6. Endlich tritt die farbige Blutzelle auf. Diese führt ei- nen klebrig flüssigen Inhalt, aber durchaus keinen Kern. Fig. 6a. Obgleich dieser Ausspruch vielfach -als eine histologische Ketzerei gelten wird, muss ich ihn doch in aller Schärfe be- tonen.'" Von seiner Richtigkeit kann sich Jeder überzeugen, der die farbigen Blutkörperchen ohne alle Reagentien und ohne Zutritt der Luft untersucht. ‘Letzteres gelingt am leich- testen, wenn man das auf den Objeetträger gebrachte Blut sogleich dureh ein Deckgläschen von der Luft absperrt, das man an den Rändern ‘durch Asphaltlack auf seine Unterlage festklebt. Oder man beobachtet die Blutkörperchen bei star- ken Vergrösserungen in den Haargefässen der Schwimmhaut von Rana temporaria, nachdem man durch Druck auf den Schenkel’ mittelst des vortrefflichen Valentin’schen Frosch- halters den Blutlauf gehörig verlangsamt hat, so dass man den einzeln durch das enge Gefäss gleitenden Blutkörperchen mit Leichtigkeit folgen kann. Dann ist in den reifen farbigen Blutkörperchen keine Spur eines Kernes wahrzunehmen. ‘Was man in den THandbüchern als Kern der farbigen Blutkörperchen beim Frosche beschreibt, ist nichts als ein Erzeugniss der Gerinnung, eine Todeser- scheinung, die man um so leichter hervorrufen kann, je freier man die Luft auf den Blutstropfen einwirken lässt. Anfangs zeigt sich die Gerinnung in ‘der Form eines ei- runden Schattens, der erst dicht an dem Umkreis der Zelle liegt, sich aber nach und nach zusammenzieht wie der Kuchen des aus der Ader geflossenen Bluts (Fig. 6 a!, 'a®). So ent- stehen nach nnd nach ovale und runde'Kerne, die mit dem ursprünglichen Bau der Zelle nichts gemein haben (Fig.6 bbb). 3 Um sieh vom Fehlen des Kerns in den unveränderten rei- fen farbigen Blutkörperchen des Frosches mit Leichtigkeit zu überzeugen, empfehle ich das Blut entmilzter Frösche, des- sen Körperehen der Luft einen grössern Widerstand entge- gensetzen. Aus den hier beschriebenen Formen lässt sich die Ent” wicklung der farbigen Blutkörperchen aus den farblosen 'ab- leiten. Zuvor sei es mir jedoch vergönnt, noch einmal nach- drücklich hervorzuheben, dass alle diese Formen ohne allen Zusatz von Reagentien und in grosser Anzahl beob- achtet sind, so dass es nicht schwer hält, ‘wenn man einige entleberte Frösche zu seiner Verfügung hat, in wenigen Stun- den eine der beiliegenden Tafel ähnliche zu entwerfen. Beim unversehrten Frosche findet man die einzelnen Entwicklungs stufen am leichtesten in der Leber, aber doch bei weiten schwerer, als in dem Herzblut entleberter‘ Frösche. Die Entwicklung also ist diese: Der Kern der farblosen Zellen zerfällt in 2 oder‘ 3 kleinere, diese in Körnchen, die Körnchen werden fettglänzend, gelblich, hämatinroth, sie lö- sen sich nach und nach auf. Es entsteht eine kernlose far- bige Zelle. Hand in Hand mit dieser Umwandlung geht eine Gestaltsveränderung, welche die runde farblose Zelle durch die verschiedensten Zwischenformen in die elliptische farbige überführt. Diese beiden Erscheinungen laufen jedoch neben einander her, ohne einander zu bedingen. Denn noch che der Kern sich spaltet, sind die verschiedensten Formen von der runden bis zur elliptischen | vorhanden. Fig. 2. Ergebnisse. 1, Entleberte Frösche enthalten in dem Blut der verschiedensten Körpertheile für je 1 farbloses Körperchen 2! mal weniger farbige als unver- sehrte. 2. Auf 1 farbloses Körpercehen kommen im Blut der Milz unversehrter Frösche 6mal weniger far- bige als in dem Blut des Herzens. 6% 34 3. Das MilzblutentleberterFrösche enthält meh- farblose Körperchen als farbige. Auf 1 farbiges kommen 1,6 farblose. 4. Die Leber begünstigt in hohem Grade die Um- wandlung farbloser Blutkörperchen in farbige. 5. Entmilzte Frösche zeigen die farbigen Blut- körperchen im Verhältniss zu den farblosen in ge- ringem Grade vermehrt. 6. Frösche,.die zugleich der Milz und der Leber beraubt sind, besitzen im Verhältniss zu den farb- losen Blutkörperchen 4 mal weniger farbige als unversehrte. 7. Bei der Umwandlung der farblosen Zellen in farbige zerfallen die Kerne in 2—3 kleinere, diese in Körnchen, die Körnchen färben sich, lösen: sich auf und so entstehen farbige, kernlose Zellen. Zu- gleich geht die rundeForm der farblosen nach und nach in die elliptische der farbigen über. Diese Gestaltveränderung erfolgt bald vor, bald nach der Spaltung des Kerns. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Farblose Körperchen aus dem Herzblut eines entleberten Frosches. Fig. 2. Farblose Körperchen ebendaher. Verschiedene Uebergangs- stufen zur ovalen Form der farbigen. bb im Profil. Fig. 3. Farblose Körperchen ebendaher. Die Kerne sind in zwei oder drei kleinere gespalten. Fig. 4. Farblose Körperchen ebendaher. Die Kerne sind theilweise oder ganz in Körnchen zerfallen. aa Aus dem Herzen eines entmilzten Frosches. 55 Fig. 5. Körperchen aus dem Herzblut entleberter Frösche. Die Körnchen, in welche die Kerne zerfallen, sind gelblich und glänzend. a Enthält noch einen unveränderten Kern, b mit verdünnter Essigsäure behandelt, ec farbige Körperchen, die noch körnige Ueberbleibsel des Kerns enthalten. Fig. 6. Farbige Körperchen aus dem Herzen eines entmilzten Frosches. a Kernlos beim Abschluss der Luft, b mit Kernen nach Einwirkung der Luft. NB. Alle Figuren sind bei 450maliger Vergrösserung gezeichnet. Kein Präparat war mit irgend einem Reagens behandelt ausser Fig. 5 b. 86 Ueber die Bildungsstätte des Zuckers im Thierkörper. Von Dr. Jac, MOLESCHOTT, Privatdocenten der Physiologie an der Uniyersität zu Heidelberg. Dekannilich hat Bernard in der Leber aller Wirbelthiere, so wie bei Gasteropoden, Acephalen und Decapoden, bei un- gebornen Früchte von Säugethieren und Vögeln Zucker nach- gewiesen!). Frerichs bestätigte diese Entdeckung für die Leber des Menschen und vieler Thiere ?), van den Broek für Hunde und Kaninchen®), Baumert für den Fuchs, den Hund, die Katze und das Schaft), Kunde und Lehmann für die Leber der Frösche°). Zwölf Frösche führen nach meinen Beobachtungen, selbst wenn ihre Leber sehr klein ist, so viel Zucker in diesem Werkzeug, dass er mit Leichtigkeit durch die Trommer’sche Probe nachgewiesen werden kann. Bernard und Lehmann halten den Zucker der Leber für Traubenzucker. Wird nun dieser Zucker von der Leber aus dem Blute an- gezogen? oder wird er in der Leber gebildet? Bernard entschied sich-für letztere Ansicht, zunächst weil der Zucker ganz unabhängig von der Nahrung, bei Thier- kost und Pflanzenkost, beim Hungern, im Winterschlaf, in der Frucht im Mutterleibe, in der Leber auftritt. Frerichs, 1) Bernard in den Comptes rendus XXXI, p. 572, 573. 2) Frerichs, Art. Verdauung in R. Wagner's Handwörterbuch der Physiologie. S. 831. 3) Van den Broek, Nederlandsch Lancet, p. 108—110. 4) Baumert in Erdmann’s Journal, LIV, S. 359. 5) Kunde de Hepatis ranarum exstirpatione, Dissertatio, Berolini 1850 p. 11. 57 van den Broek, Baumert haben diese Beobachtungen theilweise wiederholt und richtig befunden. Weit wichtiger noch ist der von Bernard und Leh- mann geführte Beweis, dass das Pfortaderblut der Hunde und Pferde wenig oder keinen Zucker enthält, während das Blut der Lebervene mehr Zucker besitzt, als das von irgend einer andern Vene '!). Ich glaube diesen Gründen eine nicht unbedeutende That- sache hinzufügen zu können, Würde der Zucker nicht in der Leber gebildet, sondern von diesem Werkzeug nur aus dem Blute angezogen, dann müssten das Blut und andere Theile entleberter Frösche mit Zucker überladen werden, ähnlich wie das Blut mit Harnstoff reichlicher geschwängert wird, wenn die Nieren entfernt sind. Nun aber fand ich bei Frö- schen, die zum Theil 14 Tage, zum Theil 3 Wochen den Ver- lust ihrer Leber überlebt hatten, Zucker weder im Blut, noch im Fleisch, noch im Magensaft, noch im Harn, noeh endlich in dem Wasser, in welchem 26 entleberte Frösche 48 Stun- den verweilt hatten. Aus allen diesen Thatsachen scheint mir. unzweifelhaft hervorzugehen, dass für den Zuckergehalt der Leber die Leber selbst die Bildungsstätte abgiebt. 1) Bernard a. a. OÖ, und Lehmann ‚in Erdmann’s, Journal, LIII, S. 214, 215. [e'e) 0 Ueber die Architeetur des Schädels der »Gerebrospinal- organısmen. Von Dr. Lupwıc Fick. PP. 0. (Hierzu Tafel II und III.) Wenn 'ich den Fachgenossen in den folgenden Blättern einen neuen Versuch 'vorlege, ‚für ‘die gegenseitigen Beziehungen der den Kopf eombinirenden Organe, in dem Knochengerüst des Schädels einen scharfen Ausdruck zu finden, so darf dar- auf gerechnet werden, dass meine Absicht jetzt von den Sach- verständigen um: so mehr gebilligt wird, als diese den Orga- nismus' nicht mehr als Product einer eigenthümlichen Grund- kraft der Natur, sondern als Produet der allgemeinen Natur- kräfte erkannt haben, folgerichtig also das speeifische Wesen der Einzelorganismen in nichts anderem als in dem Wech- selverhältniss der in dem Lebensprocess waltenden allgemei- nen Naturkräfte und, wo die Untersuchung bis zu de- ren unmittelbarer Anschauung noch nicht hinab- reieht, in dem Wechselverhältniss der bekannten Organe und Systeme eines Organismus suchen. — Dass eine vernünftige Craniologie möglich ist, dass sie ge- funden werden muss, und gefunden werden wird, unterliegt keinem Zweifel; dass die bisherigen Versuche, so viel sie auch Einzelnes Gutes gefördert haben, im Ganzen misslungen sind, ist ebenso zweifellos. Zu verwundern ist hier freilich nichts. — Wie kann man vernünftige Anschauungen über das Ver- hältniss des Gehirns zu seinen Functionen gewinnen, so lange man mit Vorstellungen arbeitet, wie z. B. diejenige ist, welche 50 das Wollen, das Empfinden und das Erkennen des Bewust- seins durch besondere Theile des Gehirns ausführen lässt, che man überhaupt weiss, was Wollen, Empfinden und Br- kennen sind, oder‘ so lange man in die Naturwissenschaft des Menschen und seines Gehirns das Dogma eines in den natürlichen Organismus hineingepflanzten aber nicht natürli- chen Dings einpfropft. Abgesehen übrigens von der Möglichkeit, das Verhältniss der einzelnen Seelenfunetionen zu ‘den speciellen Entwick- lungsformen des Gehirns und Schädels klar anzuschauen, abgesehen also von der Möglichkeit einer Cranioscopie im engeren Sinne, welehe erst dann gegeben ist, wenn sich ver- nünftige Vorstellungen über Seelenthätigkeit resp. Hirnfunc- tion überhaupt geltend gemacht haben werden, sind‘ auch die Anschauungen, welche man sich von der Architektur des Schädels und ihrer Beziehung zu‘ den Kopforganen’ zu ma- chen versucht hat, wie ich glaube, noch einer‘ wesentlichen Vervollkommnung bedürftig. Indem ich nun meine Betrachtung über die Architektur des Schädels vorlege, wird sich ergeben, in wiefern dieselbe neu, als Hülfsmittel für vergleichende Anatomie und 'Anthro- pologie, sodann als Vorarbeit für eine Cranioseopie der Zu- kunft brauchbar ist. Capitell. $1. Es ist die Betrachtung des Skelets der Wirbelthiere vorzugsweise geeignet, um ein allgemeines Bild von dem eigentlichen Wesen eines Wirbelthiers zu gewinnen, indem das Seelet des Wirbelthiers in seinen einzelnen Gliedern sehr genau die wechselseitigen Beziehungen der wiehtigsten im Leben des Wirbelthiers thätigen'Factoren (Organe) anschau- lich macht, indem das Scelet in der Form seiner einzelnen Glieder für viele und gerade für die wichtigsten‘ Organe ge- naue Angaben über Form nnd Action liefert. Es ist dies bekannt und zweifellos, und darin begründet, duss das Scelet keinen eoneurrirenden activen Factor des 90 Lebensprocesses bildet, sondern nur. ein beiläufiges Attribut der thätigen Factoren des Organismus darstellt, indem sich in dem Organismus aus den thätigen Faktoren des Lebensprocesses eine starr werdende Sceletsubstanz ausscheidet, welche’sich als mechanischer Schutz und Stütze der agirenden weichen Theile des Organismus darstellt. — Kein Knochen ist um seiner selbst willen im Organismus vorhan- den, kein Knochen hat im Organismus etwas anderes zu thun, als, andere Organe zu schützen oder zu stützen. — Während keineswegs alle Organe oder Systeme Knochen oder Stützen erhalten, so haben nothwendig die wichtigsten Aktivsysteme des Körpers eine ihrer innern Gliederung entsprechend ge- gliederte Stützorganisation oder Sceletbildung. Wenn ich hier in ‚eine teleologische Ausdrucksweise ge- rathe, so wird man hoffentlich dieses eben nur als Re- deform hinnehmen, und mir nicht teleologische Anschau- ungen imputiren. Zugleich muss ich. hier ‚auf die Gefahr hin, etwas pedantisch‘ zu werden, den Ausdruck „aktive Organe oder Systeme*, welcher öfters gebraucht ist, zur Verhütung allenfalsiger Missverständnisse genauer .defini- ren. — In den complieirten Organismen, zu denen die Wirbelthiere gehören, finden sich nämlich gewisse Ele- mentarcombinationen und aus ihnen aufgebaute Or- gane vor, durch deren Wechselwirkung mit an- dern Dingen, unter bestimmten Verhältnissen sieh ‘diejenigen Naturkräfte auslösen, deren Erscheinung man allgemein animale Thätig- keiten nennt. So wie jede wechselseitige Affektion zweier Dinge, seien sie Elemente oder Elementarcomplexe, den Gleichgewichtszustand aufhebt, in welchem sich beide vielleicht vor der Affektion befanden, so ist auch jede Erweekung einer animalen Action in ‚diesen animalisch thätigen Substanzen und resp. deren Organen, zugleich eine entsprechende Selbstzersetzung. — Bekanntlich sub- summiren sich diese animale Thätigkeiten "unter die 3 Formen ‚der Erscheinungen des Bewusstseins, der Irrita- 91 bılität und der Sensibilität, — und redueiren sich auf 2 Substanzen, nämlich auf die irritable und auf die Nerven- substanz. Neben ‚diesen Substanzen finden sich im Or- sanismus andere Elementarcombinationen, welche im Zu- stande des Gleichgewichtes ihrer physikalisch - chemi- schen Kräfte die räumliche Verbindung der Theile und zugleich die Isolation derselben, sowohl unter sich als von der objektiven Natur, herzustellen bestimmt sind. Diese Substanzen schützen also. in bestimmten Verhält- nissen die activen Organe vor objectiven Affeetionen und regulieren die Wechselwirkungen der einzelnen activen Apparate unter sich und mit. der objektiven Natur. ' Sie sind die Substanzen des Scelets und die allgemeine Bin- desubstanz. — Eine dritte Art endlich von Elementar- combinationen bildet diejenigen Apparate, in welchen un- ter gewissen Voraussetzungen die animalen sowohl als die übrigen Substanzen, aus den in die Continuität des Körpers eingehenden objeetiven Materialien, sich immer aufs Neue combiniren, und zugleich die Reste der im Binnenraum zerlegten Gewebe sich ausscheiden. Zu.die- sem Bildungsapparate gehören alle Organe der Hämato- pöese in weitesten Sinne, — In diesen Stoff. bildenden Apparaten des Organismus werdeu aber animale Effeete im engern Sinne in keinerlei Weise frei, obgleich sie ähn- lieh wie die animalen Organe im Haushalte des Sub- jekts thätig fungiren, also in einem gewissen Sinne mit den animalen Apparaten den rein’ passiven unthätigen Schutz- Isolations- und Bindegeweben gegenüber gestellt werden können. Wenn nun die Existenz einer bestimmten Sceletorganisa- tion zunächst durch ‘die gesonderten animalen Systeme im Wirbelthier bedingt ist, so ist doch die Beschaffung des Ma- terials zur Sceletbildung nieht von den animalen Systemen, sondern zunächst von dem Zustande des Vegetationsapparats abhängig. — So wie daher das Maass der Vegetation nicht durch den Knochen selbst, sondern durch ausser dem Kno- chen liegende Momente bestimmt, deshalb auch durch patho- 92 logische Processe so leicht variirt wird, so hat auch der Kno- chen ausser der Darstellung seiner Primitivelemente kein for- matives Prineip in sich, vielmehr wird die Gestalt der Ein- heiten des Scelets lediglich durch Verhältnisse, welche aus- serhalb des Knochens liegen, regulirt. Man kann daher recht wohl die Kuochen des Bitte lets (sowie das Bindegewebe und Epitbelialsystem) — Se- eundärgebilde des Organismus nennen, im Gegensatz zu den Gebilden des Nerven- und Muskelsystems, sowie des Nah- rungsschlauches, welche die wahrhaften Haupt- oder Primitiv- gebilde sind. — Es ist hierbei zu bemerken, dass die histologische Vol- lendung der verschiedenen Gebilde in der zeitlichen Entwick- lung des Organismus keineswegs so zu gehen braucht, dass die Entwieklung der aktiven Elemente vor Ausscheidung der passiven Produete vollendet sein müsste. Weil die Existenz der aktiven animalen und vegetativen Organe im Keime selbst wurzelt, so sind deshalb auch wirk- liche Bildungsfehler dieser, sowie ihre individuellen Entwick- lungsformen unbedingt anerzeugt, also immer primitive. Es werden dagegen die Glieder des Scelets, deren Existenz ihre Begründung nicht in sich, also auch nicht direet im ein- fachen Keime hat, deren Existenz vielmehr ihre Begründung erst in dem Vorhandensein aktiver Organe findet, mmmer mit diesen fehlen, und niemals ohne sie vorkommen können. — So kommt es, dass ohne Olfaetorius auch kein Siebbein sich bildet, ohne Plexus brachialis auch kein Armscelet, während der umgekehrte Fall, dass die aktiven Organe vorhanden, aber die Entwicklung der entsprechenden Sceletglieder un- vollkommen ist, nieht selten beobachtet wird. — So ist auch zu beachten, dass, wie schon bemerkt, die Production der Sceletglieder und respective ihrer Matrices so wie ihre Ge- staltbildung zwar unmittelbar abhängig sind von Existenz und Form der aktiven Organe, ‘deren Schutz sie darstellen, dagegen aber die Intensität ihrer Vegetation abhängt von dem Zustande der Vegetationsorgane überhaupt. So kommt es, dass bei dem Vorhandensein einzelner Glieder der aktiven 95 Systeme aber mangelhafter Ausbildung derselben die entspre- chenden Glieder des Seelets ebenfalls vorhanden und eben- falls difform aber dennoch histolegisch vollendet und in ihrer Vegetation. nicht. gestört sein‘ können.. Alle, Formen und Grade von Acephalie durch Hemicephalia zur Spina bifida erläutern diesen Satz. — Ebenso begreift sich, dass umge- kehrt durch Vegetationsstörungen der passiven Produkte des Organismus, indem hierdurch mechanischen: Einflüssen viel- leicht ein grösserer Einfluss, als in der Norm, auf die einzelnen Apparate des Körpers möglich wird, die sonderbarsten Form- veränderungen, ohne eigentliche Bildungsmängel hervorge- bracht. werden können, Indem wir also den Knochen des. Scelets jede Selbstän- digkeit in Beziehung auf Vegetation wie auf Gestaltung ‚ab- sprechen , müssen wir dringend. in Beziehung auf diejenigen Momente, welche die Gestalt der Knochen bedingen, vor solchen Missgriffen warnen, wie sie hier noch jüngst Engel gemacht hat. — Eine jede Abtheilung des Scelets empfängt natürlich von. demjenigen Aktivapparat, durch. welchen. ihre Existenz überhaupt bedingt ist, welchen sie also zunächst schützt und stützt, zugleich die wesentliche Bedingung ihrer Gestalt. — Da aber die Sceletabtheilung ebenso wenig für sich allein besteht wie das andere Gebilde, aus welchem ihre Existenz hervorgeht, ‚vielmehr beide mit den, übrigen Appa- raten des Organismus auf das Vielfältigste mechanisch ver- knüpft und verbunden sind, so unterliegen natürlich beide auch den Einflüssen der mit ihnen verknüpften andern Apparate d.h. für. uns; es concurriren bei der Entwicklung der spe- eiellen Knochenform mit dem bezeichneten ursprünglieh-form- bestimmenden Verhältniss, noch ‚eine Anzahl andere relativ äusserliche Verhältnisse, welche die Entfaltung. der ursprüng- lieben Form, mechanisch fördernd ‚oder ‚hindernd, bald. mehr bald weniger modifieiren. ‚So ist z. B. bei den Knochen der Wirbelsäule und des Schädels begreiflicherweise. die Auflage- rung von Muskeln an. Knochenstücke, deren primitive Bedeu- tung, die Einschliessung des, Cerebrospinalorgans ist, von! we- sentlichem Einfluss. auf deren Gestaltung, dieser Einfluss aber 94 um Göotteswillen nicht, wie diess von Engel geschieht, so zu denken, als ob diese Muskeln durch ihre Contraktionen, PFort- sätze aus den Knochen herausziehen könnten, da dies ein Muskel nicht einmal an einem Seelettheil thun kann, der allein um seinetwillen existirt. "Vielmehr finden bekanntlich die Muskeln ebenso vortreffliche feste Punkte in Vertiefungen wie auf Erhöhungen der Knochen. — Dass allerdings die Vegetation der Knochen steigt und fällt mit dem Steigen und Fallen derjenigen Muskeln, um derentwillen sie existiren, ist eine Thatsache, die «einen sehr andern Grund hat, als den mechanischen Zug des Muskels auf seinen festen Punkt. — Durch manche Metamorphosen einzelner Aktivgebilde, welche die Existenz bestimmter Seelettheile, also auch deren primitive Gestalt bedingen, tritt aber in einzelnen Punkten des Scelets das ursprünglich formgebende Moment 'so sehr ge- gen die übrigen coneurrirenden Einflüsse zurück, dass nur durch das Zurückgehen auf die Entwicklungsverhältnisse eine klare Anschauung gewonnen werden kann, wie weit mancher Knochen seine Form seiner ursprünglichen Bedeutung, und wie weit er sie andern auf ihn wirkenden Verhältnissen und Verbindungen verdankt. $ 2. Es giebt nun zwei ganz bestimmte verschiedene Typen für die Form der Knochenbildung, und diese sind, dass ent- weder ein Theil des Organismus durch eine ihm zugehörige Sceeletformation eingeschlossen und umgeben, oder dass ein Theil des Organismus nach einer einzigen Richtung durch eine gradlinige Sceletformation gestützt wird. — Es leuch- tet ein, dass im ersten Fall sich die einzelnen Abtheilungen zu mehr oder weniger geschlossenen Kapseln und resp. Kapselreihen entwickeln werden, wogegen im zweiten Falle die eine Skeletabtheilung hervorrufenden Weichtheile sich um dieses herumlagern und so also, wenn sich dieses hinterein- ander wiederholt, Axenreihen darstellen werden. Die Scelete der wirbellosen Thiere bilden, wenn sie über- haupt entwickelt sind, am Rumpfe, wo sie weiche Gebilde 95 der Vegetation nnd des Nervenlebens zugleich einschliessen, an den Kopfgliedern, an den Extremitäten, wo sie blos mus- kulöse Gebilde einschliessen, überall in gleicher Weise, Cap- selreihen. Die Knochenscelete der Wirbelthiere sind dagegen im Rumpf und Kopf im Allgemeinen nach dem Kapseltypus ge- bildet, indem sich hier die Sceletbildung um die zu schützen- den Organe sphärisch herumlegen, während die Extremitä- tenscelete nach dem andern Typus‘ sich bilden, indem die festen Knochenaxen von den 'muskulosen Gebilden umlagert werden, also nicht mehr schlechthin mechanischen Schutz, sondern nur lineare Stützen darstellen. Es zeigt sich also sofort, wie es keine innere Nöthigung giebt, dass ein Extremitätenscelet durchaus nach dem Axen- typus sich eonstruiren müsse, weil bei Insekten und Crusta- ceen dieselben nach dem Kapseltypus gebaut sind. — Es wäre aber auch umgekehrt falsch zu behaupten, dass die Seeletbildung für die Organe, welche Blutstoff oder Nerven- kraft bereiten, nothwendig nach dem Kapseltypus eonstruirt sein müsse, weil in allen Fällen von frappanter Sceletent- wicklung dieses wirklich geschieht. — Nehmen wir also diese beiden Normen‘ oder Typen: als das was sie sind, als einfache Thatsache, und erkennen wir hier sofort einen grossen Missstand unserer gangbaren Aus- drucksweise, den nämlich, dass der Name Wirbel ih die Nomenklatur der Sceletthiere eingeführt wurde, /ohne ‚scharfe Begriffsbestimmung. — Will: man den Ausdruck festhälten und identifieiven mit‘ „Sceletglied ‘nach ‘dem Kapseltypus“, so wird sogleich das Scelet der Wirbellosen in allen seinen Gliedern, sogar im Extremitätentheil, zum: Wirbelscelet, was an sieh der einmal festgewurzelten Redeweise gegenüber, in welcher wir die Cerebrospinalthiere ‚Wirbelthiere ınennen, Un- sinn ist. — Leider ist durch die Unklarheit über das, was man eigentlich mit dem Worte Wirbel’ sagen will, die schöne Entdeckung unseres trefllichen -Oken vonder AnMogie der Sceletbildung des Kopfes und der Wirbelsäule in allen Gerw- 96 brospinalthieren, in.ihren. Erfolgen, weil unverständig ausge- beutet. schr verkümmert worden. 83. Es. wird nun zu. der weiteren Frage überzugehen ‘sein, ob ausser dem Gegensatz des Kapseltypus zu’ dem Hebel- oder Axentypus im Rumpf und Extremitätenscelet der. Cere- brospinalthiere noch weitere Construetionsprineipien und durch- greifende Gegensätze aufgefunden’ werden können, was wohl in Beziehung auf das Rumpfscelet der Wirbelthiere mit der Frage zusammenfallen würde, ob überhaupt ein scharfer Be- griff für Wirbel aufgestellt werden kann oder nicht. — Innerhalb ‘der vringförmigen Kapselseelete des Rumpfes aller‘ Wirbellosen findet sich in jeder Abtheilung eingeschlos- sen, also geschützt, ein Theil des Blut bereitenden Systems und zugleich ein Theil des Nervenkraft 'bereitenden Systenis; anders verhält sich (das: Rumpfscelet der Gerebrospinalthiere. Es ist bei ihnen im sogenannten hinteren Wirbel- raume immer ausschliesslich ein Theil des grossen Systems, in welchem 'Nervenkraft quillt — des Rückenmarks einge- kapselt, und in einem andern vordern Raum dersel- ben Seeletabtheilung jedenfalls ein Theil des in compli- eirte Apparate zerfallenden Systems der Blutbereitung. So findet sich 'also zwar eine ‚gewisse Analogie im Rumpfscelet der Wirbellosen und‘ dem Rumpfseelet der Wirbelthiere, aber eben nur im Constructionsprineipz-ein völliger Gegensatz aber in der Beziehung des Scelets zu den es selbst bedingenden Systemen des Organismus. Es ist nicht abzuweisen, dass wenn wir das: Wort Wirbel nicht überhaupt verbannen wol- len, was wohl kaum angeht, da ‚das historische Recht zu laut zu Gunsten des Wortes: spricht, dass wir dann den Ausdruck Wirbel ausdrücklich für diejenige Sceletbildung der Cerebrospinalthiere 'vindieiren müssen, wo zwei durch ein gemeinschaftliehes Sceletglied verknüpfte, nach dem Kapseltypus gebildete Gliederdes Rumpfscelets, je einen Theil des Blutbereitungs- systems und einen Theil des Nervenkraft bilden- 97 den Systems gesondert umschliessen. — Wir haben damit einen scharfen Begriff für das gute alte Wort gewon- nen, und können ohne Furcht, ins Blaue und Phantastische zu gerathen, nachforschen, wie weit in den einzelnen Orga- nismen die Natur mit scharf ausgebildeten wirklichen Wir- beln arbeitet — oder die Wirbelbildung mit: der Ineinander- schiebung der activen Systeme aufgiebt. Forschen wir in der Entwieklungsgeschichte nach dem Modus der Wirbelbildung, so zeigt sich, dass fast gleich - zeitig mit der Scheidung des Keims in 2 Haupt- blätter als den Repräsentanten des Nervenkraft bildenden Cerebrospinalsystems, und des Blutsubstanz bildenden Schleim- blatts oder Darmsystems eine lineare Sceletanlage zwi- schen beiden Blättern als gemeinschaftliche Axe beider Aktivsysteme, als Chorda dorsalis ausgeschieden wird. Dass sodann ringförmige secundäre Sceletformationen in einzelnen, den Gliederungen der: Körperaxe entsprechenden Abtheilungen die primitive Sceletaxe einschliessen, geschlos- sene Ringkapseln um die Chorda dorsalis darstellend, welche die Wirbelkörper werden, indem sie die Chorda dorsalis grösstentheils verdrängen, dass dann an diese gemeinschaft- lichen Wirbelkörper vorn und hinten je 4 einzelne Sceletglie- der sich bilden, welche’ sich in einer Umschliessungseinheit zusammenfinden für den vordern (Blut-) wie für den hintern (Nerven-) Raum, und zwar indem sie sprossen in einer zu- sammenhängenden vorn und hinten sich je nach Bedürfniss schliessenden Keimschicht des Rumpfseelets. Dies: ist der Gang, der sich genau vollendet in dem mittleren Theil des Rumpfscelets in der Bildung der Thoraxgegend. Es wird aber am untern Stammende, und wie bald bewiesen werden soll, auch am oberen Rumpfende dieser Entwicklungsgang wesentlich gestört. — Durch die Entwicklungsverhältnisse der Aktivgebilde werden nämlich Wirbel, deren Anlage schon im Seelet ausgeführt ist, im Sinne ‘ihrer ursprünglichen Be- deutung nutzlos und entwickeln sich nunmehr als Wirbelru- dimente nur für secundäre Benutzungen. Ehe wir aber die für uns wichtige Frage, wie das Kopfende des Rumpfscelets Müllers Archiv. 1859, 7 98 sich zu diesem Wirbelbildungstypus verhält, erörtern, wird ein Blick auf das Extremitätenscelet geworfen werden müssen. 5.4. Da die Extremitäten besondere ‚Apparate für solche Be- wegungen des Organismus sind, welche durch die Bewegungs- fähigkeit des Rumpfseelets nicht‘ ausgeführt werden können, so 'ergiebt sich, dass. der' Modus 'der Beweglichkeit ‚das 'we- sentliche Charakterische für die Extremitäten, natürlich ‚auch für ihre Scelette,: sein wird. Ueberdiess zeigt schon die oben angeführte Thatsache, ‚dass däs architektonische Con- structionsprineip für ein Bewegungswerkzeug so gut der Kap: seltypus: wie der Axentypus sein kann. — Das Knochensce- let der Extremitäten der Cerebrospinalthiere hält nun streng den linearen Axentypus fest. — Es ergiebt sich, dass jede Extremität zunächst am Rum- pfe mit ihrer freiesten Bewegung eingelenkt ist, für welche sich, wenn die Ausführung der Bewegung an gerad- linige feste Sceletglieder und hebelartig wirkende Muskel- kräfte gebunden ist, gewöhnlich die Articulationsform einer arthrodischen Pfannenverbindung zwischen: Extremität ‘und Rumpf, findet. Diese bewegliche Verbindung ‘zwischen Rumpf und Ex- tremität wird sodann noch combinirt ‚mit weiteren, zwischen dieser Schulter- oder Schenkelpfanne und dem ausführenden Endpunkt der Extremität, eintretenden Gliederungen, und zwar in den mannichfachsten Weisen, welche sich jedoch wieder auf 3 bestimmte Typen: zurückführen lassen: nämlich entwe- der spaltet sich die Extremität in eine beliebige Anzahl nebeneinander liegender Axenknochen, welche in einer Fläche liegend unter sich keine weitere bestimmte Bewegung zeigen, — Flosse; oder es gliedert sich die Extremität zwischen Pfanne und ausführendem Endglied mehrmals in einzelne Abtheilungen, welche alle unter sich eine und dieselbe Art der Bewegung um: Queraxen (Ginglyni) bilden; ‚oder. ‚endlich 3tens es wiederholt sich zwischen freier Verbindung der Ex- tremität mit dem Rumpf und dem ausführenden Endpunkt 99 der Extremität, in der zwischen ‚liegenden Gliederung 'der-+ selben, noch einmal eine freiere Bewegung des Endtheils der Extremität auf dem Rumpftheil derselben — Articulation der Hand und des Fusses an Arm und Bein‘, sowie des Fingers an der Hand. Doch bleibt durchaus constant, dass die Verbin- dung der Extremität an ihren Rnmpfgliedern im- mer eine freiere Beweglichkeit als alle einzelnen Glieder der Extremität besitzt, — Es wird bei eini- ger Aufmerksamkeit nicht entgehen können, wie das letztere Constructionsprineip in Verbindung mit den, beiden ‚ersten zur Erklärung der Hand führt, ‚wie das zweite, einseitig ausge- führt die Extremität der Einzeher, in Verbindung mit; (dem ersten die der Vielzeher darstellt, — Es würde uns aber hier vom Zwecke abführen, wenn wir genauer auf diesen ‚Gegen- stand eingehen wollten. — Hier wird nur darauf aufmerk- sam zu machen sein, wie wichtig es ist, gerade so und nicht anders bei der vergleichenden Betrachtung der Ertremitäten- scelete zu verfahren. — Es ist übel und falsch, wenn man sagt, der femur ist ein so und so modifieirter humerus, die Hand ist ein so und so entwickelter Fuss, die tibia: ist der radius unten: und oben die ulna, der Flügel des Vogels ist ein varürter Arm. — Es führt diese Behandlung geradewegs zu den’ ihr gemach- ten bekannten Vorwürfen; dagegen wird sich. nichts ‚einwen- den lassen, wenn man, wie angedeutet, die Normen ‚der Ex- tremitätenbildung. überhaupt aufzusuchen und nachzusehen be- müht ist, in wiefern der vorderen und hinteren Extremität ein und dieselbe Bildungsnorm zu Grunde liegt, welche hier so, dort anders entwickelt und varürt erscheint. — So: wird man Unsinn sagen, wenn man die Menschenhand eine entwickelte Flosse nennt, oder sich bestrebt aufzufinden, ob das Endglied des Pferdefusses der Zeigefinger: oder: der minimus ist, aber es wird sich leicht nachweisen lassen und zu einer wissen- schaftlichen Naturauffassung führen, dass die Bildungsgesetze der Flosse und des Pferdebeins mit in den Bildungsgesetzen der Hand enthalten sind! — Wenn es nun schon: von’ vorn 7% 100 herein aus dem ganzen Verhältniss des Scelets zu'den Aktiv- gebilden des Organismus plausibel ist, dass ein Scelettheil, der zunächst einem bestimmten‘ Systeme‘ zu Liebe gebildet, gleiehzeitig’noch eine sekundäre Beziehung zu'ei- nem andern haben kann, dass mit den Knochen gleich- sam Nebenzwecke erreicht werden können, so findet dieses faktisch ‘fast überall seine Bestätigung. — Das Rumpfscelet der Schlangen dient im allergrössten Maassstabe zugleich als Bewegungswerkzeug, als Scelet der aussen um‘ den’ Rumpf lagernden' Muskulatur, und‘ bekanntlich kehrt‘ dies in allen Wirbelthieren wieder, dass. der eine oder andere Theil’ des Rumpfseelets, zwar wesentlich als Wirbel angelegt, doch se- eundär 'als Scelet' für Rumpfbewegung benutzt, ja sogar in dem Grade benutzt’ wird, dass durch Häufung der sich auf das Wirbelscelet auflagernden in seine Abtheilungen sich ein- schiebenden Muskelapparate,, die volle, Wirbelausbildung 'auf das Interessanteste varirt wird. ‘Man denke an‘ die’ Hals- wirbelsäule mit verkümmernden Rippen ete. ‘Nie aber findet sich eine unmittelbare Verknüpfung des Wirbelscelets und des Extremitätenscelets und daher ist niemals ein Theil des Wirbelseelets zur Aufnahme der Extremität, zur Extremitätenpfanne, entwickelt. Auch ist das Blastoderm, in welchem sich die Sceletbildung der Extremi- tät entwickelt, nieht in ursprünglichem Zusammenhange' mit dem Blastoderm, in welchem die Sceletbildung des Rumpf- scelets vor sich geht; vielmehr ‘sind beide immer ursprüng- liche selbständige Bilduhgen, wenn schon später im Beeken und am Brustbein eine Verschmelzung beider vor sich geht. — Es ist daher ein weiterer Fundamentalsatz für die Bildung der Extremitäten, dass ihr Anfangsglied eine selb- ständige Pfannenbildungzwischen sich und Rumpf- scelet voraussetzt. — Während aber in der Extremität selbst durchgängig der lineare Axentypus ‚sich in der Dar- stellung der einzelnen Glieder ausspricht, — nimmt das Pfan- nenglied, das die Vermittlung zwischen Rumpf und Extremi- tät bildet — indem es über vordern wie hintern‘ Wirbelraum sich bis ‘zur vordern und hintern Mittellinie herüber bildet, 101 häufig die Gestalt; eines Gürtels, gewissermassen ‚also den Kapseltypus an, obgleich auch es wieder, insofern es zugleich zur Anlage für die erste Muskelabtheilung der Extremität dient, diese um sich herum lagern sieht, also, streng genom- men nach dem Construetionsprineip des Extremitätenseelets gebildet ist. — Doch nennt man dieserhalb auch diese Pfan- nenformation, diese Zwischenglieder zwischen dem speciellen Extremitätenbewegungsapparat und dem. allerdings auch wie- der für sich beweglichen Rumpfscelet, Schulter- und Bak- kengürtel. 85. Untersuchen wir nun, ob und wie die vorstehenden Ab- stractionen, welche sich. aus ‚der Betrachtung ‚des. mittlern Rumpftheils vollkommen seharf ergeben, auch auf das obere Endtheil des Organismus, auf den Kopf sich anwenden lassen. 1) Als bestimmten Begriff für einen Theil des Rumpfscelets der Cerebrospinalthiere ergab sich die Vereinigung zweier nach dem Kapseltypus gebildeten. Sceletglieder, deren eines einen Theil des Cerebrospinalapparats, das andere einen Theil des Blutbildenden oder vegetativen Appara- tes einschliesst, deren gemeinschaftlicher Theil (Wirbel- körper) immer einen Theil des (mit Entwicklung des de- finitiven Scelets schwindenden) Primordialscelets (der chorda dorsalis) enthält. — 2) Die Gliederung des Wirbelscelets in getrennte bleibende Einheiten (in beweglich mit einander verbundene Wirbel) ermöglicht die secundäre Benutzung des Wirbelscelets als Stützpunkt für ausserhalb desselben sich lagernde Bewegungsapparate (für Rumpfmuskeln), — Wo im Keim die Anlage derartiger Rumpfbewegungs- apparate ausbleibt, da sehen wir in der überall aus ein- zelnen Wirbelanlagen hervorgehenden Rumpfsceletbildung die einzelnen Wirbeleinheiten ineinander wachsen und verschmelzen, (von Suturen als den bleibenden Marken, ist hier natürlich abzusehen, ‘da bei intensiver Vegeta- tion zweier durch Suturen verbundener Knochenstücke 102 bekanntlich jede Sutur schwinden kann). Als Beispiele dieser Thatsachen stellen sich die Schildkröten, das os sacrum ete. dar. 3) Wo für die Bewegungen des Rumpfes*) besondere Be- wegungsappärate (d. h. Extremitäten), sich darstellen, deren eine Abtheilung bewegt wird, während der andere Theil (die Pfanne) den Rumpf schleehthin zum Stützpunkt hat, da bildet sich in ihnen ein selbstän- diges, nach dem linearen Axentypus construirtes Extre- mitätenscelet aus. 1 4) Wir finden am Kopf unter den einzelnen Abtheilungen, . in welche das Cerebralscelet zerfällt, niemals eine gegen- seitige Bewegung, dagegen ist constant am Kopf ein selbständiger Bewegungsapparat vorhanden. — Er hat mit den Extremitäten das Gemeinschaftliche, dass er'sich sofort als "wesentliches Bewegungswerkzeug wie diese darstellt; auch wie diese durch’ selbstständige mit ihm schwindende und kommende Zwischenglieder (Pfannen- knochen) mit dem Rumpfscelet in Verbindung steht. Es ist aber dieser Kieferapparat des Kopfes constant so angelegt, dass er zugleich um die immer am Kopfe be- findliche Spaltöffnung des Blut bereitenden Systems (um den Mund) sieh zu einer in der Mittellinie geschlossenen Einheit herumlegt, also allerdings zugleich einen vordern Wirbelbo- gen darstellt, wodurch er sich wesentlich von dem Begriffe eines reinen Bewegungsgliedes lossagt, vielmehr als ein Ueber- gangsgebilde zwischen reinem Bewegungsglied (Extremität) und reinem Wirbelglied anzusehen ist. Es ist aber auch in der Art der Bewegung des Kiefer- bogen und den Bewegungen der Rumpfextremitäten ein con- stanter Unterschied. Die Extremitätenbewegungen combini- ren sich nämlich mit den Bewegungen, welche an dem Rumpf- scelet ausgeführt werden, dergestalt, dass sowohl an der *) Rumpf ist bier ausdrücklich als die Vereinigung der beiden we- sentlichen , den Begriff des thierischen Organismus überhaupt bestim- menden: Systeme der Blutbereitung und Nerventhätigkeit zu nehmen. 103 Fortbewegung des ganzen Organismus (mit dem’ Stützpunkt für die bewegende Kraft ausserhalb des Körpers) wie‘ an der Bewegung einzelner Theile ‚des Organismus (mit dem Stützpunkt der Bewegungskraft innerhalb’ des Körpers) beide betheiligt sind, und sich wechselsweise ergänzen. — Dagegen sind die Bewegungen des Kieferapparats, immer 'nur zur: Be- wegung des Kiefers gegen einen bestimmten Punkt des Kop- fes, der selbst immer ‚der Stützpunkt für die bewegende Kraft des Kieferapparats ist, gerichtet, und greifen niemals direet in die Ortsbewegung des ganzen Körpers ein.*) — Der be- stimmte Punkt des Kopfes, gegen: welchen alle Actionen des Kieferbogens gerichtet sind, und welcher zugleich die Bewe- gungen des Kieferbogens auf ein gewisses Maass beschränkt und dadurch eben die Kraft der Kaumuskeln auf ein zwi- schen Kopf und Kiefer gebrachtes Object wirksam werden lässt, wodurch die Möglichkeit gegeben ist, einen Zahnap- parat in den Kieferapparat einzupflanzen; die- ser feste Punkt ist constant durch eine selbstän- dige Sceletabtheilung repräsentirt — durch den so- genannten Oberkieferapparat, welcher selbst wieder bei den verschiedenen Wirbelthierelassen aus sehr verschiedenen Kno- cheneinheiten combinirt sein kann. ' Das allgemeinere Bil- dungsgesetz für diesen combinirten Kieferapparat ist aber dieses, dass die Pfannenelemente des Kieferbogens immer dem Raum zwischen mittlerer und hinterer Abtheilung des GCerebralscelets entsprechen, und in diesen Raum auch mehr oder weniger eingeschoben sein können, wogegen der Oberkieferapparat allemal an dem vordern oder Stirnglied des Cerebralscelets befestigt ist. — Die mittlere Abtheilung des Cere- bralscelets (der Mittelhauptwirbel) liegt constant frei zwischen beiden Kieferabtheilungen, liefert aber *) Nur das vollkommenste Missverständniss könnte das Klettern der Papageien mit Hülfe des Schnabels, die Betheiligung des Kopfes und seiner Zähne bei der Fortbewegung einiger Walle, gegen das Vorste- hende anführen. 104 an seiner Aussenseite Muskelflächen ‘und Muskelfortsätze — Temporalfläche und Flügelfortsatz — für die zwischen Kie- ferbogen und Oberkiefer eingelegten Muskelapparate, welche die Bewegung des: Kieferbogens gegen seinen Oberkiefer re- gieren. — Die Spaltöffnung des Speisewegs liegt aber constant zwischen Ober- und: Unterkiefer, also immer 'an der Stelle des Gesichtsseelets, welceher'dem mittleren Theile des Cerebralscelets entspricht. 8.6. Da die Activorgane, ‚deren Vereinigung das Kopfende des Rumpfs darstellt, keineswegs die einfache Fortsetzung der Activorgane des übrigen Rumpfs sind, so wird es nöthig, ehe wir in die specielle Vergleichung des Kopf- und Rumpfsce- lets näher eingehen können, uns zur Vergleichung der das Kopfscelet und der das Rumpfscelet bedingenden Organe zu wenden. Wenn wir: von dem Urogenitalsystem, was im untern Rumpfende eingebettet liegt, aber keine Repräsentanten im Scelet bildet, uns also: hier nicht‘ 'interessirt, absehen, so stellt sich im Rumpf eine Vereinigung der beiden wesentlichen Systeme dar, welche durch ein mehr oder weniger vollendetes Wirbelseelet mecha- nisch gestützt, nach aussen von einem einfachen oder doppelten Bewegungssystem überlagert, und über diesem von einer sensiblen Peripherie 'ge- schlossen sind. — Eine complieirte wechselseitige Blut- und Nervenleitung führt die Einheit dieser beiden Factoren des. 'organischen Processes aus. (Die einzelnen Organe ..des blutbereitenden Systems haben ausser ihrer gemessenen. Zu: leitung aus dem grossen allgemeinen cerebrospinalen Neryen- organe, noch kleine gesonderte Nervenquellen, die sogenann- ten sympathischen Ganglien und hierdurch eine relative Selb- ständigkeit). Die einzelnen Factoren der Blutbildung sind aber nicht mehr durch specielle Sceletbildungen gestützt. Von diesen ist hier für uns zunächst wichtig auszuführen, dass das blutbereitende Gesammtsystem in allen Cerebrospinal- 105 thieren in 2 grosse Acte und entsprechende Glieder sich zer- legt — nemlich in einen Apparat, welcher dem Organismus als Material für das Blut complexe Substanzen, und in einen andern Apparat, welcher dem Organismus behufs der Blutbereitung Elementarsubstanz (Sauerstoff) zuführt. — Respiration nennen wir den letzteren und Speiseverdauung den ersten Akt der Blutbereitung. Beide Akte, beide Appa- rate liegen durchgängig so hintereinander, dass die Respira- tion in Apparaten, welche dem oberen, die Verdauung aber in Apparaten ausgeführt wird, welche dem untern Rumpf- ende näher liegen. Im Kopfende bilden sich bekanntlich bei allen Cerebrospi- nalthieren die Körperspalten oder die Oeffnungen, welche diese beiden grossen Glieder der ganzen Blutbereitung mit der Aus- senwelt in Verbindung setzen und dem gebornen Thiere die Zufuhr der einfachen, wie der complexen Stoffe gestatten, wogegen die während des Fötallebens durch den Nabel ge- schehende Communication zwischen organischem Subject und objeetiver Substanz sich nach der Geburt abschliesst. — In diesem Kopfende aber bleibt immer ein Punkt übrig, wo die beiden Glieder der Blutbereitung und respective die Com- munication derselben mit der Aussenwelt nicht getrennt, son- dern durch einen gemeinschaftlichen Raum dargestellt sind, es ist dies der Rachenraum — der Binnenraum des Zungenbeins — welcher constant gemeinschaftlicher Luft- und Speiseweg ist, mag Respirationsakt und Verdauungsakt noch so sehr geschieden sein. — Die Gliederung des Rumpfscelets in eine Reihe der Län- genaxe des Rumpfes folgender einzelner Wirbel wird also lediglich bedingt durch die Gliederung des in dem hintern Wirbelraum eingeschlossenen Cerebrospinalsystems und nicht des in dem vordern Wirbelraume eingeschlossenen Systems der Hämatopoöse. Die Anzahl der aus dem Cerebrospinal- organe ausströmenden Nervengruppen bestimmt die Anzahl der Wirbel und der Rippen, deren volle oder unvollkommene Entwicklung freilich nicht mehr von den Nerven allein, son- dern von der Entwicklung der von ihm umringten Gebilde, 106 sowie der auf und’ zwischen: sie eingelagerten: Muskelgebilde abhängig ist. $7. Erinnern wir uns nun, dass der Kopf eines jeden Cere- brospinalthieres die Combination folgender Organe enthält, und zwar niemals mehrere und niemals weniger, nemlich: a) das Cerebralgebilde, welches in Verbindung mit dem Rückenmark ein centrales einheitliches Nervensystem bildet, und gerade den wesentlichen Gegensatz der Ce- rebrospinalthiere zu den Organismen darstellt, welche ausschliesslich zerstreute Nervencentra enthalten, b) den Luft- und Speiseweg, welche beide mit allen ihren appendices Entwicklungen des blutbildenden Sy- stems sind. j e) ein Mandibularglied, welches eine Extremität und Wirbelbogen zugleich darstellend, ausschliesslich eine im Subject gestützte Bewegung ausführt, die zu- nächst im direkten Dienste der Blutbereitung steht. d) Speeifische Sinneswerkzeuge. Apparate, welche nicht wie die übrige sensible Peripherie schlechthin von den Qualitäten der Materie affieirt werden, sondern der- gestalt organisirt sind, dass ihre Nervenperipherie immer nur ausschliesslich von einer einzigen Quali- tät oder Wirkungsweise affieirt wird. Diese der Zahl nach drei speeifischen oder wie man auch sagt, hö- heren Sinneswerkzeuge (Riechwerkzeug = Prüfungsorgan der Gasqualität, Auge=Prüfungsorgan der Lichtqualität, Ohr=Prüfungsorgan der atmosphärischen Bewegung) sind selbstredend in unmittelbarer Beziehung zu den das Be- wusstsein bildenden Cerebralorganen und bekanntlich auch faktisch unmittelbare Annexe, sowie ihrer Entwick- lung nach, Ausstülpungsproducte der Cerebralorgani- sation. N Die Entwieklung dieser‘ vier Klassen von Kopforganen und die Art ihrer gegenseitigen Beziehungen und Verknüp- 107 fungen genau kennen zu lernen, ‚bildet begreiflicherweise. die einzige vernünftige Aufgabe unserer Studien des Kopfes. — Wenn wir das Scelet des Kopfes als den Schlüssel zu die- ser Aufgabe anzusehen berechtigt sind, so. ergiebt sich so- fort, wenn wir alles Abgehandelte festhalten, dass die Köpfe der Cerebrospinalthiere, in dem Theil, den wir das Gesicht nennen, in 2 grosse Gruppen zerfallen, Im Gesichtsscelet der Fische nemlich fehlt ein Factor, welcher in der Entwick- lung des Gesichtsscelets aller übrigen Cerebrospinalthiere wesentlich ist, weshalb es vollkommen falsch ist, schlechthin das Gesichtsscelet der andern Cerebrospinalthiere im Fisch- kopf wiederfinden zu wollen. Die Combination der Gesichts- gebilde wird aus demselben Grunde im Fischkopfe eine völ- lig andere. — Da es zum Wesen des Fischorganismus ge- hört, dass die Trennung der beiden Hauptakte der Blutbe- reitung, die Verdauung und Respiration, in der Isolirung ih- rer Apparate nicht völlig sich durchführt, so fehlt ihnen näm- lich die Kreuzung des Luft- und Speisewegs im Rachenraum, und eine geschiedene, je für Respirationsweg und Speiseweg besondere Verbindung mit der objektiven Natur. Der Kopf der Fische hat eine gemeinschaftliche Respirations- und Speise- spalte im Munde, und erst im Binnenraum ‚des Körpers, im Rachenraum scheiden sich die beiden Akte und zwar derge- stalt, dass der Respirationsakt seine Organe nicht in den vor- dern Wirbelraum. des Rumpfes bis ‚hinter das erste Rumpf- glied (Arm oder erste Flosse) hineinbildet, sondern sofort Kiemenapparate in Verbindung mit dem Zungenbein darstellt und in den beiden Körperseiten, unmittelbar hinter dem Kopf- glied wieder durch Seitenspalten sich öffnet, welehe. Seiten- spalten, wenn Rumpfglieder vorhanden sind, sich zwischen Kopfglied und erstem Rumpfglied öffnen, wogegen die völlig getrennt und. durch einen selbständigen mit dem Speiseweg gekreuzten Respirationsweg in ‚selbständigen ‚Verkehr mit der Aussenwelt tretenden: Respirationswerkzeuge der übrigen Cerebrospinalklassen im Rumpfe immer hinter den, obersten Rumpfgliedern, wenn solche vorhanden sind, gelagert sind. Es fehlt also im Fischkopf der Respirationsweg im Ge- 108 sicht zwischen Rachenraum und Nase, mithin auch dessen Repräsentation im Gesichtsscelet, über den Mund und Rachen- raum. — Wir haben im Fischkopf ein Gesichtsscelet: a) eine obere das feste Hirnscelet mit dem Riechapparat, Seh- und Hörapparat verbindende Hälfte, in welcher sich ein Oberkieferapparat (ein fester Punkt, gegen welchen sich die Aktion des beweglichen Unterkieferapparats richtet,) zwischen die Sinnenapparate einschiebt. — b) eine untere Hälfte, den beweglichen Mandibularappa- rat, welcher zwischen sich und dem festen Oberkiefer- apparat die Spalte für den Verkehr der Verdauung und Respiration mit der objeetiven Materie hat. «) Ein Respirationsscelet, dessen Medianglieder gleichsam eine doppelte Sternalreihe bilden, die mit dem Zungen- bein beginnt, und theils bis zum Schulterbogen, welcher das erste Rumpfglied trägt, zurückläuft, theils vom 'Zun- genbein innerhalb des Wirbelraums rückwärts läuft. Diese Mediangliieder schicken Rippen, die mit andern Rippen, welche die Medianknochen der obern Kopfhälfte herab- senden, zu einem Kiemen-Thorax sich abschliessen. Sicher wäre es interessant und fruchtbringend, den Fisch- kopf einer genaueren Betrachtung zu unterwerfen und na- mentlich nachzuweisen, wie falsch es ist ohne Weiteres seine Einzelknochen als constante selbständige Sceletglieder in an- dern Kopforganisationen wiederfinden zu wollen. Wie jede derartige Behandlung der Morphologie, indem sie z. B. ohne Weiteres das menschliche Gaumenbein auch im Fischkopf sucht, ohne zu überlegen dass, wo die Combination des Luft- wegs mit dem Riechapparat überhaupt fehlt, ein Gaumenring auch fehlen muss, sich freilich mit Recht den bekannten Vor- würfen aussetzt, würde leicht sein zu erweisen. — Doch wollen wir dieses, als dem speeiellen Zwecke unserer Ab- handlung entlegen, unterlassen, und nachdem wir gezeigt, dass was vom Gesichtsscelet der Cerebrospinalthiere mit durchgehendem Respirationsweg wird gesagt werden, nicht 109 Anwendung finden. kann auf,den Fischkopf, letztern. verlas- sen und ausschliesslich der andern Gruppe uns zuwenden. $9. Indem wir nun unserer speciellen Aufgabe näher rücken, wollen wir den gewöhnlichen falschen Weg verlassen, wel- cher die einzelnen Knochen: als die wesentlichen Abtheilun- gen oder Glieder des Scelets setzt, während diese einzelnen Knochen doch nur die zufälligen und variablen Einheiten oder Elemente sind, aus welchen sich die verschiedenen Glieder oder Abtheilungen des Scelets aufbauen. Fragen ‘wir also immer zuerst: Welches sind die wirklichen und wesentlichen Abtheilungen oder Glieder des Scelets? sodann zum zweiten: aus wel- chen und wie vielen Einheiten combinirt sich die einzelne besondere Abtheilung des Scelets? und endlich dann erst: wie weit findet eine Verschmelzung der Seeletglieder untereinander oder ihrer verschiedenen Knocheneinheiten untereinander Statt oder nieht? Es vertheilen sich im Kopfscelet der übrigen Cerebrospi- nalthiere, welche einen durch das Gesichtsseelet durchbre- chenden Respirationsweg besitzen, die einzelnen Sceletglieder auf die einzelnen Kopforgane wie folgt: a) Cerebralscelet. Sceletstücke, deren unmittelbare Bedeu- tung entschieden in der Einkapselung der Cerebralor- gane liegt, — deren Entwieklung daher auch ohne Frage zunächst von der Entwicklung der Cerebralorgane be- dingt wird: 1) Hinterhauptsbein (mit ‘seinen allenfalsigen. Schalt- stücken), 2) ein hinteres Keilbein mit 2 Seitenwandbeinen (an wel- chem constant ein Muskelfortsatz os pterygoideum und eine Temporalfläche für die Mandibularmuskeln an- gebildet ist), 3) eine vorderes Keilbein mit 2 Stirnbeinen. (Es ist schon genügend in unserer ganzen Entwicklung her- vorgehoben, dass derartige Sceletglieder ausser ihrer primiti- 110 ven Bedeutung noch zu seeundären Zwecken benutzt; auch in ihre Zwischenräume anderweitige Seeletbildungen zu 'se- eundären Zwecken eingeschoben werden können.) Alle 3 Cerebralglieder sind constant unbeweglich ver- bunden und unter Umständeu zur Einheit verschmelzend. b) Mandibularscelet; für das‘ die Mundspalte ‚öffnende und schliessende Kopfglied, mit welchem sich als secun- däre Entwicklung in einzelnen Klassen der Cerebrospi- nalthiere ein Kauapparat combinirt. “Es besteht “dies Mandibularscelet constant aus folgenden Unterabthei- lungen: 1) Ein Unterkieferbogen (die Zahl der einzelnen Elemente oder Knochen, welche das Kieferglied zu- sammensetzen, ist unbestimmt und hier zunächst irre- levant.) 2) Ein Pfannenglied für den Unterkiefer, welches constant zwischen die erste und zweite oder hintere'und mittlere Abtheilung ‘des Cerebralscelets befestigt, bald herausragend, bald gänzlich eingeschoben; das «Ge- hörscelet (Felsenbein) umfassend, bei den höheren Thierformen sogar mit ihm verschmelzend. — Es be- steht dies Pfannenglied wenigstens aus einem speciel- len Glied für die Pfannen selbst (Schuppe) und einem zweiten Muskelknochen (os mastoideum). 3) Ein Oberkieferglied, welches die Bewegung des Unterkiefers beschränkt, — mit ihm die Mundspalte schliesst und’ jederseits aus wenigstens 2 Elementen besteht, von denen das eine (maxilla superior) am vordersten Cerebralglied (Stirnbein) befestigt ist, wäh- rend das andere (os intermaxillare). immer zwischen sich und dem Endglied des Cerebralscelets das Riech- organ und resp. ‘die Respirationsöffnung hat. Das hintere Oberkieferelement hat immer einen selbstän- digen äussern Muskelknochen, welcher die Muskula- tur zwischen Kopf und Unterkiefer stützt und rück- wärts auf die eine oder andere Weise mit den Pfan- x 111 nengliedern in Verbindung tritt (os zygomatieum). Sodann 4) ein innerer Muskelknochen os pterygoideum, welcher immer am hintern Keilbein befestigt ist. e) Respirationsscelet. Wo der Respirationsweg über das Zungenbein hinaus in das Gesichtsscelet sich hineinbildet, da geschieht dieses immer so, dass derselbe vom Ra- chenraum aus sich zwischen die an der ersten Oe- rebralabtheilung befestigten Riechapparate und die Oberkieferapparate hineinschiebt. — Diese genannten Ap- parate werden in ihren Seeletgliedern mit den Sceletelemen- ten, welche sich für den Respirationsweg selbständig 'bil- den, zu jener eigenthümlichen Combination der Nasenhöhle vereinigt, deren Fehlen den Fischkopf charakterisirt. An der mittleren Cerebralabtheilung sehen wir im Fisch- kopf selbständige Elemente sich aulagern, welche aber rück- wärts laufen, und mit entsprechenden vom Zungenbein ent- gegenkommenden Elementen die Rippenbögen des Kiemenap- parats bilden, während an der vorderen Cerebralabtheilung sämmtlicher Oberkieferelemente, wie Riechsceletelemente sich zu einem undurchbrochenen Gerüst vereinigen und resp. aus- breiten, was secundär für die Zwecke des Mandibularappa- rats mitbenutzt wird, Zähne trägt ete. — Dagegen wendet sich, wenn der Respirationsweg zwischen Oberkiefer und Riechorgane sich einschiebt, ein besonderes Sceletglied, wel- ches an der mittleren Cerebralsceletabtheilung befestigt ist, nach vorn und umschliesst den Respirationsweg bogenförmig die Choanenöffnung bildend. — Es sind diese selbstän- dige Respirationsknochen die beiden Gaumen- beine. Durch die innige Combination des Respirationswegs mit dem Riechwerkzeuge entsteht aber noch eine weitere Bigen- thümlichkeit. Indem nämlich ‘das Riechorgan wie alle Sin- neswerkzeuge zwei seitliche, vollständig geschiedene Hälften darstellt, theilt sich auch innerhalb des Ringes der beiden Gaumenbeine der Respirationsweg in zwei seitlicbe völlig ge- 112 schiedene Abtheilungen — Nasenhöhlen, welche je mit einem entsprechenden seitlichen Riechapparat verknüpft sind. Innerhalb. jeder zwischen Cerebralscelet, Riechseelet und oberem Kieferapparat durchlaufenden Nasenhöhle treten aber noch 2 selbständige Elemente hinzu, welche als unvollkom- mene Scheidewände zwischen dem vereinigten Riech- und Respirationsraum hineinragen — es sind dies die beiden untern Muscheln, welche, 'wenn .nicht von oben die Na- senscheidewand bis zum Kiefer herabginge, den Respirations- weg. von dem Riechraume völlig abschliessen würden. ı Es wird ‚also faktisch sich die Zusammensetzung. des Respira- tionsscelets so stellen: 1) Ursprüngliche Respirationsknochen: die beiden Gaumen- beine und untere Muscheln. 2) Secundär benutzte Knochen andrer Apparate, a) die Rückseite der Öberkieferelemente, b) die einzelnen Stücke des Riechscelets, c) Nasenbein und Vomer (welche beiden Glieder des Kopfscelets wir hier einstweilen anführen, ihre ur- sprüngliche Bedeutung aber erst unten kennen lernen werden.) NB. Da das Zungenbein sich, wie nunmehr einzusehen, von der directen Verbindung mit dem Kopfscelet losmacht, durch das völlige Verschwinden des aus Zungenbeinelemeu- ten gebildeten Kiementhorax der Fische, so können wir die Zungenbeinbildung hier bei Seite liegen lassen, — da ohne- hin ihre Deutung nahe genug liegt. d). das Scelet der Sinneswerkzeuge. Von den 3 höhern speeifischen Sinnen sind im Kopfscelet nur das Ohr- und das Riechwerkzeug durch besondere Sceletbildungen re- präsentirt. — 1) Das Hörorgan ist mit seinem Labyrinth in das innere des Felsenbeins eingelagert und dieses constant zwischen den beiden hintern Abtheilungen des Cerebralscelets sehr tief bis in den Cerebralraum und zwar in die Lücke zwi- schen eerebrum und cerebellum eingeschoben. — Die im 113 mittleren Ohr liegenden Hilfswerkzeuge enthalten selb- ständige knöcherne Schallleitungsapparate und sind von einem 2ten selbständigen ringförmigen: Sceletglied, dem Paukenring umgeschlossen. — Beide, Paukenring und Felsenbein sind in und resp. unter dem Pfannenap- parat des Unterkiefers eingeschlossen und verschmelzen in verschiedene Klassen mehr ‘oder weniger mit diesem Apparat zum Schläfenbein. 2) Das Riechorgan schliesst: immer am Vorderende des Kopfes die Oeffnung (ineisura ethmoid.), welche das vor- derste Cerebralkapselglied bildet, und durch welche das Cerebralorgan, wenn es hier nieht sich umböge, um über das Mittelhirn sich zurückzuschlagen, heraustreten würde, Hier findet sich constant der Riechapparat innerhalb eines besonderen Knochen, des Siebbeins ausgebildet und zwar nach beiden Seiten durch 2 Supplementarknochen nemlich beide Thränenbeine dergestalt geschlossen, dass eine andere Oeffnung in die Riechhöhle als zwischen Nasenbein und Oberkieferstücken nieht übrig bleibt. — Es ist aber wichtig zu bemerken, dass niemals eine ein- zige Nasenhöhle existirt, sondern immer: beide Nasen- räume zur Cerebralkapsel hin durch eine völlige Schei- dewand getrennt sind, also immer durch 2 verschiedene Wege mit der Oerebralhöhle eommunieiren. Anmerk. Das Auge hat keinen Repräsentanten im Ge- sichtsscelet, da es entweder in der Ecke zwischen Maxillar- scelet, Cerebralscelet und Nasenscelet versteckt und gestützt liegt oder in seiner Selerotiea eine selbstständige jedoch mit. dem Gesichtsscelet nicht damit verbundene Sceletbildung be- kommt. — Gleichwohl wirkt die Entwicklung des Auges se- eundär wieder auf die Darstellung des Gesichtsscelets sehr eingreifend zurück, — ich erinnere nur an die bekannte That- sache, dass bei dem Schwinden des Augapfels das Gleich- gewicht gestört wird, welches durch den Widerstand der Seh- apparate einerseits und der vom Respirationsorgan ausgehen- den Entwicklung der Luftsinus in ‚die Nasenhöhlenwände Müllers Archiv. 1853, 8 114 andererseits, sich herstellt und die specielle Form der sinus front. ethm. sphenoidal. ete. bedingt. Blicken wir nun auf die einzelnen Knochen des Gesichts- scelets und Cerebralscelets zurück, so gehören alle Knochen mit Ausnahme der übrig bleibenden Nasenbeine und des vo- mer und auch der crista galli des os ethmoideum zu den 4 Organgruppen, deren Combination eben den Kopf bildet. — Der vomer aber und die Nasenbeine sind wie uns der Fischkopf beweist, dort vorhanden, wo ein Respirationsweg im Gesichtsscelet nieht vorhanden ist, gehören also dem Re- spirationsscelet nicht an — sie gehören aber auch dem Riech- scelet nicht an, wie uns ebenfalls der Fischkopf beweist, — da bei ihm der vomer als unpaariger Medianknochen von der Basis des Cerebralscelets gerade ausläuft, bei der fehlen- den Gaumenbildung die Decke der Mundhöhle bildet und mit den Nasenbeinen, welche ebenfalls von den Stirnbeinen ge- rade auslaufen, ohne einen Raum zwischen sich zu lassen, zusammentrifft und eine Medianverlängerung der Schädelba- sis darstellt, um deren Endspitze die Elemente der Ober- kieferbildung sich herumlagern. Diese von dem eigentlichen Gesichtsscelet un- abhängige Medianverlängerung des Cerebralsce- lets nach vornen, welche über die Cerebralbildung selbst hinausgeht, fehlt niemals und besteht constant aus 2 oberen und wenigstens einem untenliegenden Medianstück; sie sind aber der vomer (und die lamina perpendieularis des Siebbeins) und ossa nasalia. Mit diesen Stücken aber greift das Cere- bralscelet vorne in das Gesichtsscelet gerade umgekehrt ein, wie hinten die Pfannenglieder der Maxille mit dem Ohrkno- chen sich zwischen die Lücke des Cerebralscelets einschie- ben. Diese Knochenstücke, der vomer, lamina perpendieula- ris ethmoidalis und die beiden Nasenbeine sind nämlich ge- radezu nichts weiter als überflüssige Cerebralknochen, welche keinen Cerebralraum mehr einschliessen sondern nur noch zwischen der Hirnausstülpung des Riechorgans in das Ge- sichtsscelet hinausgreifen und eben die Verbindung zwi- schen Cerebral- und Maxillarscelet herstellend in 115 der Mitte der beiden Riechorgane ihren Platz haben. Es entspricht diese Bildung geradezu den Wirbelrudimen- ten des Schwanzendes, welche aus dem Primordialscelet her- vorgehend im Kreuz und Schwanzbein die Bedeutung wahrer Wirbel verloren haben, sich dagegen zwischen die beiden Pfannenglieder der unteren Extremität (ossa coxarum), hin- einlegen und nunmehr die Bedeutung gewinnen als os sacrum den festen Punkt für die Beckenentwicklung abzugeben. Wie am. unteren Ende die Entwicklung des Primordial- scelets nicht mehr Wirbel darstellend, mehr oder weniger sich als Axenscelet für die Bewegung des unteren Rumpf- endes herausbildet, so bildet sich aus den durch den rück- wärtsgehenden Umschlag der Cerebralentwieklung überflüssi- gen Elementen des Nasenendes am Cerebralscelet ein Appa- rat, in welehen vom Fisch bis zum Menschen durch unpaa- rige Basalelemente die Scheidung des Riechapparats und resp. des mit ihm verbundenen Respirationswegs sich ausführt, während die beiden oberen Elemente theilweise den Riech- apparat deckend oder wie bei den Fischen nur scheidend, nach vorne constant mit den Oberkieferelementen (Maxilla und Intermaxillarknochen) und dem vomer auf jeder Seite eine Kette bilden in deren Centrum jedenfalls die Oefinung zum Riechraum sich finden muss und welche den Abschluss des Schädels bildet. — Zum Riechscelet selbst kann man aber darum die Nasenbeine, den vomer und crista galli nicht rechnen, weil sie eben beim Fischkopf, dessen Riechseelet nur in einer sehr unvollkommenen Entwicklung eines Ethmoidal- labyrinths besteht, für dasselbe gar keine directe, sondern nur als mediane Scheidegebilde Bedeutung haben, dagegen alle statt in einer Ebene verlaufend, eine Medianaxe darstel- len, welche die Vereinigung des am Stirntheil des Cerebral- scelets befestigten Oberkiefers mit den Intermaxillarelemen- ten bilden — also vieleher dem Maxillarapparat zugerechnet werden könnten, wenn sie nicht geradezu überschüssige Ble- mente des Cerebralscelets wären. Ein Fischkopf und ein Schlangenkopf lehren. uns sehr 8+ 116 deutlich, dass wenn man die 3 Abtheilungen des Cerebral- scelets — Kopfwirbel nennen will, man die Vereinigung der Nasenbeine und des vomer den leeren eingeschrumpften 4ten Kopfwirbel nennen müsste, an dessen Seiten die beiden Riech- organe als Ausläufer des schon im 3ten Schädelwirbelraume endigenden Hirns sich anlagern. Noch mehr wird dieses 'als die wahre ursprüngliche Bedeutung erkannt, wenn man be- rücksichtigt, dass das Siebbein ebensowohl ein ausgestülp- ter Fortsatz des primordialen Cerebralscelets in das Ge- sichtsscelet hinein ist, wie das Felsenbein eingestülpter Theil desselben ist, und dass sich das Siebbein eonstant als Verschmelzung zweier ursprünglich selbständiger Riechlaby- rinthe mit der ebenfalls ursprünglich selbständigen erista galli (lamina perpendicularis) darstellt. Nur allein die vorstehende Auffassung des Kopfes, welche uns als Grundgesetz der Kopfarchitektur aller Wir- belthiere die direete Verbindung einer rudimen- tären Abtheilung des Cerebralsceletts mit den festen Maxil- largliedern des Mandibularsceletts als den obern Endpunkt der Rumpfaxe kennen lehrt, gewährt uns eine klare Einsicht in den Grund der weiteren, allgemeinen Uebereinstim- mung in der Construction aller Wirbelthiere, dass nemlich zwischen Maxillarscelett und Cerebralscelett immer zwei und niemals eine einzige Riech- und Respirationsspalte gefunden wird, während ohne obige Auffassung absolut unerklärlich wäre, warum bei dem Eintreten des Respirationswegs in das Gesicht dieser Weg, welcher im Rachenraum schon immer von rechts und links zur Einheit verschmolzen ist, diese Ver- schmelzung nicht ebenso beibehalten sollte wie z. B. bei dem in der Medianebene verschmelzenden rechten und linken Uro- genitalweg. Wenden wir uns endlich ‘zur Betrachtung der Entwieklungsverhältnisse des Kopfscelets im Vergleich zu de- nen des Wirbelscelets so haben wir hier folgendes zu be- achten. er Während bei den Wirbeln des Rumpfscelets der definiti- 1l7 ven Bildung der einzelnen Wirbelringe eine primordiale: chorda dorsalis vorausgeht, welche eine einfache: Knorpelaxe dar- stellend in der Bildung der unpaarigen Wirbelkörper un- tergeht, ist der Verlauf der' Sceeletbildung am Kopfende bei- nahe umgekehrt. — Es bildet sich nämlich constant zwischen eerebralen und ‚Gesichtsgebilden ein primordiales Knorpel- scelet aus, was nicht mehr eine blosse Knorpelaxe darstellt, sondern entschieden die Cerebralgebilde zu umkapseln be- stimmt ist. — Es ist dieses primordiale knorplige Schädel- gebilde keine unmittelbare Fortsetzung der chorda dorsalis, auch ist dieses Gebilde nicht Wirbel zu nennen, wenn es schon in seiner Bildung entschieden als Kapselseelet. auftritt; da es nämlich nur einen einzigen (cerebralen) Bogen bildet, und ausserdem in. sich selbst so wenig wie die chorda dor- salis sich in Abtheilungen gliedert. Vielmehr wird diese knorp- lich® Hirnkapsel ebenso wie die chorda dorsalis erst durch secundäre Sceletkeime, (welche zwar ‚ebenso wie bei‘ der chörda in sie selbst eingreifen, aber ebenfalls nicht durch diesen Primordialschädel bedingt werden,) in einzelne Glie- der zerlegt und resp. verdrängt. ! Es hängt von der Entwicklung ‚der Cerebralgebilde ab; ob dieser Primordialschädel zu vollkommener Capsel- bildung fortschreitet oder nieht. — In den Fischen, deren Ce- rebralbildungen sehr wenig, auseinandergehen,, stellt der Pri- mordialschädel wirklich eine vollständige Knorpelkapsel dar, — Bei den anderen Thierklassen, deren Cerebralbildungen vor vollendetem Schlusse der Primordialeapsel rascher. vor- schreiten, ist dieses bekanntlich nicht der Fall. Mit der Gliederung einzelner cerebraler Gebilde in ‘der anfangs einfachen Hirnblase, tritt eine secundäre Sceletbildung ein und in dem Primordialschädel in ähnlicher Weise, wie an und in der primordialen chorda dorsalis auf, deren: einzelne Elemente in der Schädelbasis geradezu als Verknöcherungspunkte des Primordialscelets sich darstellen, an den oberen Theilen aber auf die Primor- dialkapsel selbst, oder wenn der Primordialschädel, wie bei den höhern, Cerebrospinalelassen, nicht zum ‚Schluss gekom- 118 men ist, auf die ideale Schlussbildung desselben, als soge- nannte Deckknochen sich auflegen. Die ausfliessenden Nervenströme der spinalen Ner- vencentralorganisation durchbrechen von dem Theil des spi- nalen Medullargebildes, welches in die Cerebralbildung ein- geht, die Sceletbildung des Schädels in ähnlicher Weise, wie die Spinalnerven die Sceletbildung des Rückenmarks, d.h. es strömen zwischen den einzelnen Abtheilungen des Cerebralschädels die in Gruppen geordneten Spinalnerven des Kopftheils durch, wobei jedoch das Durchtrittsverhältniss dieser Nerven am Kopfe sich etwas anders, als an der Wirbelsäule gestaltet. — An der Wirbel- säule nemlich durchbohren die Spinalnerven niemals das Pri- mordialscelet (die chorda), sondern brechen nur in den Zwi- schenräumen der secundären einzeln entstehenden Deckkno- chen (in den Intervertebralräumen) aus dem hintern Wirbel- raum hervor. — Die Spinalnerven des Kopftheils, welche das Cerebrospinalorgan an der Schädelbasis verlassen, müs- sen dagegen den eine Einheit bildenden Primordialschädel durchbohren, und werden also nicht mehr in deutlichen Inter- vertebralräumen, sondern je nachdem die Verknöcherung der von ihnen durchbrochenen Primordialbasis vorschreitet, in engen einzelnen Löchern derselben ihren Austritt finden. Anders verhalten sich zu dem Primordialschädel die Or- ganisationen, in welchen sich die drei speeifischen Sinne ent- wickeln. Die Nerven derselben, olfactorius, opticus und acu- sticus, sind bekanntlich ebenso Ausflüsse, wenn man will, Aus- stülpungen der Cerebralgebilde, wie die übrigen Rückenmarks- nerven Ausflüsse des spinalen Nervencentralorgans sind. — An der Peripherie der ausserordentlich früh sich bildenden blasigen Ausstülpung dieser 3 Nerven aus der Cerebralorga- nisation entwickeln sich bekanntlich die eigenthümlichen Ap- parate, welche sodann die Speeifieität der Wirkungen dieser Sinne bedingen. — Es durchbricht nur der opticus oder wenn man lieber will, die Augenblase den Primordialschädel und entwickelt sich ausserhalb desselben — es durchbrechen aber der olfac- 119 torius-und acustieus den bei ihrer Entwicklung schon vor- handenen Primordialschädel nicht völlig, sondern treten nur in seine Substanz ein, und entwickeln in ihm selbst das Na- sen- und das Ohrlabyrinth, um welche beide sich selbstän- dige secundäre Sceletbildungen zum Siebbein und Felsenbein ausbilden, Da nun bei den Fischen der Respirationsweg nicht in das Gesicht hinauftritt um über der Mundspalte durchzubre- chen, so bleibt das ursprüngliche Verhältniss hier einfach so, dass 2 Riechlabyrinthe zu beiden Seiten der letzten leeren Cerebralrudimente liegen und die Medianstücke (vomer und lamina mediana ethmoidalis) mit dem Oberkieferapparate sich zum Schlusse des Kopfs combiniren. In den andern Klassen aber wird durch dieses Durchbrechen eines Respirationswegs, in den obern Gesichtstheil hinein der Oberkieferapparat, und mit ihm die Medianstücke des rudimentären Cerebralscelets perpendieulär herabgezogen werden. Der Kieferapparat ist in ‘der Primordialschädelbildung nicht repräsentirt. Er beginnt erst mit der Entstehung der gegliederten definitiven Sceletbildung des Kopfes. Es ist also begreiflich, dass da, wo in der Eigenthümlichkeit der Orga- nisation einzelne Pfannenstücke für den Unterkieferapparat zwischen die hinteren Abtheilungen des Cerebralscelets einge- schoben sein sollen, auch deren entsprechende Verknöche- rungspunkte im Primordialschädel gleichzeitig mit den Ver- knöcherungspunkten für das spätere Cerebralscelet auftreten, dass umgekehrt bei den Fischen, wo die Pfannenbildung für den Maxillarapparat in Verbindung mit dem Kiementhorax sich ausserhalb des Cerebralscelets zum sogenannten Oper- eularscelet entwickelt, dass hier im Primordialscelet keine anderen Verknöcherungspunkte entstehen, als welche zum Ce- rebralscelet gehören. Es wird sich aus dem Gesagten endlich ergeben, in wiefern man von einem Wirbelscelet des Kopfes reden kann oder nicht. An vorstehende Thatsachen der Sceletentwickelungen erlaube ich mir noch wenige betrachtende Worte zu knüpfen, 120 — Die ausgezeichnete Entdeckung des Primordialscelets wird bisher immer als untergeordnetes Moment der Knochenent- wicklung aufgefasst und dieses ist entschieden falsch. Es ist nicht eine histologische Eigenthümlichkeit des einen Kno- chen, dass er sich unmittelbar im weichen Blastem bildet, oder eines andern Knochen, dass er sich zuerst als Knor- pel darstellt und später verknöchert, sondern es ist die pri- mordiale 'Seeletbildung im Wirbelthierrumpfe den allgemeinen Entwieklungsgesetzen gegenüber, genau dasselbe, was die Metamorphosen in der Entwicklungsgeschichte der wirbello- sen Thiere sind. Die Primordialsceletbildung gestattet uns im Verein mit den Thatsachen der Keimblätter der Okenschen Körper ete. eine unendlich wichtige Einsicht in die morpho- logischen Entwicklungsgesetze, indem sie den Beweis ver- vollständigt, dass bestimmte aktive Systeme und Organe bei den höheren Thierformen in ihrer Herausbildung aus den homogenen Keimstoffen, an bestimmte provi- sorische Uebergangsbildungen gebunden sind, die aber für sich keine andere Bedeutung haben, als dass sie provisorische Differenzen statuiren, oder dass sie Stufen für die Entwicklung secundärer Blasteme darstel- len, aus welehen erst schliesslich die letzten de- finitiven Organisationen sich bilden können. Die Analogie dieser Processe mit den Metamorphosen der nie- deren Thierformen ist schlagend. — Diejenigen Organisatio- nen nemlich, in welchen die Dottermasse des Keims sich so- fort in definitive Organe umzubildeu scheint, erleiden bekannt- lich mehr oder weniger deutliche Metamorphosen, wenn sie schon längst ein individuelles Leben führen; sie weisen also nach, dass alle vorhergehenden zwischen ihren Metamorpho- sen liegenden Zustände, lediglich provisorische Ent- wicklungen waren. Demselben Gesetze unterliegen nun die höhern Thierformen in der andern Weise, dass auch bei ihnen aus der Dottermasse nicht definitive Systeme und Or- gane, sondern zunächst provisorische Zustände — Keimblät- ter, Cerebrospinalschlauch, Wolff’scher Körper ete. sich bil- den, welche Zwar die individuelle Existenz noch nicht gestat- 121 ten, also nicht Larven und Puppen und Ammenzustände der That nach, aber immerhin wie diese Provisorialbildun- gen genannt. werden müssen. — So ist während einer ge- wissen Entwicklungsperiode der Cerebrospinalschlauch eine zweite provisorische Bildung des animalen Blattes, welche sofort ihre Sceletrepräsentation in dem sogenannten Primor- dialscelet darstellt. Erst wenn in dieser provisorischen Bil- dung, die zunächst.nur den einfachen Gegensatz eines Spinal- schlauchs und einer Hirnblase enthält, die Herausbildung ein- zelner Glieder dieses Spinalschlauchs (Wirbel) und einzelner Glieder in den Cerebralblasen (mesencephalische und hemis- phäriale Organe) beginnt, erst dann bedingen diese Bildun- gen eine neue, ebenwohl aus einzelnen den Spinalgliedern und Cerebralgliedern entsprechenden Abtheilungen combinirte neue Seeletbildung — das definitive Cerebrospinal- scelet. Freilich wird das provisorische Primordialscelet nicht wie die provisorischen Puppen und Raupenschalen exfolirt, sondern geht ‚unter Benutzung einzelner Stellen im definiti- ven Scelet unter. Ich schlage aus vorstehenden Gründen den Fachgenos- sen vor, die primordiale Knorpelsceletbildung das proviso- rische Cerebrospinalscelet zu nennen, so. wie das bleibende Scelet der Wirbelthiere als Definitivscelet zu bezeichnen. Wohl weiss ich, wie schwierig es ist, neue-Namen für be- kannte Thatsachen einzuführen, ebensowohl aber weiss ich auch, wie nützlich in: der Wissenschaft klare und den Inhalt der Thatsachen bezeichnende Benennungen sind. Capitel I. Nachdem wir bis hierher uns bemüht haben zu zeigen, welche Verhältnisse es sind, die in der Bildung des Kopfsce- lets eoncurriren, nachdem wir nachgewiesen haben, wie we- gen der Modification der concurrirenden Verhältnisse ein ein- ziger Dypus für die specielle Schädelbildung aller Cerebro- spinalklassen nicht existirt, wenn man sich nicht. mit dem einfachen vagen Gegensatz zwischen Gesicht und Schädel begnügen will, 80 gehen wir über zur Beleuchtung des We- 122 ges, auf welchem man sich eine klare Anschauung von den Unterschieden der gegenseitigen Verhältnisse der den Kopf combinirenden Organe verschaffen kann, bei den Köpfen der mannichfaltigen Organisationsspecies, die untereinander wie- der einen einzigen Construetionstypus zur gemeinschaftlichen Grundlage haben. — Und:zwar wollen wir hier die Möglich- keit prüfen, den Kopf des Menschen und der Säugethiere, denen offenbar ein gemeinschaftlicher Constructionstypus zum Grunde liegt, in ihren speeifischen Eigenthümlichkeiten zu characterisiren. Es muss aus der oben explieirten Cephalogenesis klar sein, dass es ein Unding ist, wenn man nach irgend einer Linie oder einem Winkel forscht, welcher durch die Angabe der Lagerungsverhältnisse einzelner Kopfknochen, bestimmte Anhaltepunkte für die. Speeifieität einer Kopfform und damit eine scharfe Anschauung für die Wesenheit einer Organisa- tionsspecies liefert. — Es muss klar sein, dass eine solche Auschauung nur möglich ist durch die Vergleichung aller in der Kopfeom- bination wirksamen Factoren. — Es muss also auch klar sein, dass irgend ein einfacher Winkel oder eine Linie nicht Aufschluss geben kann, über die wechselseitigen Verhältnisse der in der Kopfcombination coneurrirenden 4 Hauptfaktoren. Es muss ferner klar sein, dass die Resultate aller der- gleichen cephaloseopischen Bestrebungen niemals unmittelbar in die zoologische Bestimmung der letzten Organisationsspe- cies hinabreichen können, da wieder jeder der 4 Hauptfak- toren keinen einfachen Akt bildet, sondern abermals aus ein- zelnen Gliedern combinirt ist, und wieder die Variation in den Verhältnissen der einzelnen Glieder eines solchen Hauptfaktors, eine specifische Organi- sation, eine Species im zoologischen Sinne begrün- det. — Es ist aber auf der anderen Seite nicht zu verken- nen, dass solche cephaloscopische Betrachtungen gerade um so mehr wissenschaftlichen Werth haben, je mehr man die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit sich klar macht, indem ge- rade durch sie Typen für grössere Gruppen festzustellen sein 123 müssen, innerhalb deren, bei feststehenden Verhältnissen der Hauptfaktoren, die Bestimmung der zoologischen Speeifieität der Organisation oft in der Variation sehr untergeordneter Glieder gesucht werden muss. $1. Für den Kopf der Säugethiere und des Menschen hat man in dieser Richtung bekanntlich vielfältige Versuche ge- macht und mannichfaltige Methoden angegeben, um ‘Typen für die Kopforganisation im Kopfscelet zu finden und diese wo möglich in mathematischen Ausdruck zu bringen. — Als nächste Aufgabe stellte sich ganz natürlich das Verlangen, wenigstens einen bestimmten Ausdruck für den Untersthied im ÖOrganisationstypus des Menschenkopfes und des Säuge- thierkopfes im Schädel aufzufinden, der sicher zu finden sein muss, da den wesentlichen Unterschied zwischen Thierkopf und Menschenkopf doch wohl kein Naturforscher wird leug- nen wollen. — Man hat zunächst wenigstens den allgemein- sten Gegensatz zwischen Oerebralscelet und Gesichtsscelet auf einen bestimmten scharfen Ausdruck zu bringen gesucht, und in der Vergleichung dieses Verhältnisses die wesentli- chen Unterschiede in der Organisation des Menschen- und Thierkopfs zu finden geglaubt. — (Von vorn herein wird die- ser Weg schon sehr erschwert, vielleicht abgeschnitten, durch die im ersten Kapitel entwickelte Thatsache, dass die 3 spe- eifischen Sinnesorganisationen, welche zum Theil in das Ge- sichtsscelet hineinragen, also zur Bildung desselben beitra- gen, Annexen der Cerebralbildung und nicht der eigentlichen Gesichtsorganisation sind). Wir dürfen hier die angegebenen Methoden, die aufge- stellten Gesichtslinien, Gesichtswinkel, die in das Kopfscelet und resp. dessen Durchschnitt eingelegten Dreiecke ete., als bekannt voraussetzen und nur eben daran erinnern, dass die- selben sämmtlich vollkommen unbrauchbar aus dem einzigen Grunde erscheinen, weil bei allen das Verhältniss zwischen Gehirn und (Gesicht, was den specifischen Character der Menschheit und der Säugetbierwelt, oder einzelner Glieder 124 der Menschheit, oder der Säugethierwelt, ausdrücken soll; weit über. den Unterschied verschiedener Species sogar Genera hinaus, in der individuellen Entwik- kelung wechselt und variirt.— Der Schädel eines kind- lichen Orangutang nach irgend einer der bekannten Metho- den in seinen sogenannten Gesichtswinkeln oder Dreiecken gemessen, giebt mit manchem vollständig entwickelten Neger- schädel verglichen, ein Resultat, in welchem der Affenschä- del dem als Menschheitstypus beanspruchten Verhältniss nä- her kommt, als der Negerschädel. — Alle Schädel erge- ben, vor vollendeter Entwicklung gemessen, ein Resultat, was ihnen eine höhere Organisation vin- dicifen müsste, als nach ihrer vollendeten Ausbil- dung und dies sehr natürlich, weil es allgemeines Entwieke- lungsgesetz für die Wirbelthiere ist, dass das Cerebrospinal- system mit seinen Annexen, den speeifischen Sinnesorganen, dasjenige System bildet, dessen Massenzunahme von der Ge- burt bis zur vollendeten Entwickelung die geringste ist; — während das Umgekehrte bei der Kieferentwicklung eintritt. Will man sich nun nieht hinter den in der Naturwissen- schaft keinen Curs habenden Satz flüchten, dass die‘ Ent- wickelung der Seele d. h. der sogen. physischen Lebenser- scheinungen unabhängig von der Entwickelung des Gehirns vor sich gehe, in welchem Falle ja überhaupt alle Naturwis- senschaft der Cerebralorgane aufhören würde, so muss man zugeben, dass die bisher 'eingeschlagenen Wege eben nicht zum Ziele führen. — Dass die Vergleichung des absoluten Raumes, welchen das Gehirn im Schädel im Vergleich zu den Gesichtsorganen einnimmt, kein entsprechendes Resultat liefert, ist ebenfalls längst durch angestellte Messungen und Vergleichungen klar geworden und braucht hier nicht’ speciell ausgebeutet zu werden. Der Grund, warum die bisherigen Methoden zu keinem Resultate führen konnten, liegt aber wesentlich darin, ‘dass man das Verhältniss so auffasste, als ob. das Gehirn im Kopfe den Organen, welche das Gesicht combiniren, ebenso schlechthin als eine Einheit gegenüber zu setzen wäre, wie 125 man das Rückenmark mit vollem Rechte dem Inhalte des vorderen Wirbelraums als eine Einheit gegenüber stellt. Oder wenn man auch das Eingeweide der Kopfhöhle als gegliedert aus verschiedenen Organisationen erkannt hatte, so fasste man diese Gliederung als die 3 Abtheilungen eines Organs, als Vorderhirn, Mittelhirn und Hinterhirn auf, und bedachte nicht, dass diese aus der Entwicklungsgeschichte hergenommene Eintheilung allerdings die bekannte Thatsache von den 3 hinter einander liegenden Gruppen der zuerst als sogenannte Hirnblasen entstehenden Hirnganglien angiebt, aber völlig unanwendbar ist für die Betrachtung der entwik- kelten Cerebrospinalorganisation, in welcher die an zweien der 3 mesencephalischen Gangliengruppen (Hirnblasen) spä- ter auftretenden Hemispherialentwicklungen des Cerebrum und Cerebellum den Gegensatz zu dem Mesencephalon bil- den, welcher den Ausdruck für die speeifischen Werthe der eerebrospinalen Gesammtorganısation liefern muss. Um zur richtigen Einsicht zu gelangen, wird es daher nöthig sein einen Blick auf die Verhältnisse des vereinigten cerebrospinalen Nervensystems zu werfen. 82. Die Betrachtung des Cerebrospinalorgans ergiebt folgende unbestreitbare Sätze: 1) Die Markstränge des Rückenmarks stehen zum grösseren Theile mit dem Cerebrum, zum kleineren Theile mit dem Cerebellum in Verbindung. Man kann diese Verbindungen unpräjadieirlich Aus- strahlungen des Rückenmarks ins Cerebrum und Cere- bellum nennen, weil in ihnen ohne Frage die Markbün- del auseinander weichen. 2) Zwischen der Ausstrahlung der Spinalbündel im Schädel liegen eine Reihe ganglioser Bildungen, welche mit den grauen Deckmassen der Hemisphären des Cerebrum und Cerebellum nicht anders als durch Markbildungen zu- sammenhängen, 3) Die ineinandergeschobenen 'spinalen Ausstrahlungen und 126 die zwischen ihnen auftretenden speeifisch-eerebralen Ge- bilde sind so durchflochten, dass sie nieht isolirt werden können und bilden das sogenannte Mittelhirn mit: me- dulla oblongata, welches immer noch die ‚Schädelbasis und die Medianlinie hält. 4) Die Hemisphärialgebilde des Cerebrum und Cerebellum sind selbständige Gebilde, deren Markcentra in Verbin- dung stehen sowohl mit den spinalen Gebilden, als mit den zwischen letztern eingebetteten Cerehralganglien des Mittelhirns. — 5) Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Combination.der Hemisphärialgebilde und der Cerebralganglien es ist, de- ren Aktion die Seelenthätigkeit im engeren Sinne her- vorbringt, während die Combination dieser Cerebralge- bilde (Seelenorgane) mit den Spinalgebilden die Vermitt- lung der Seelenthätigkeit mit den Funetionen der übri- gen Organe, soweit die Nervenverbindung reicht, ver- mittelt. Die Combination der Cerebralorgane mit dem Spinalsy- stem ist es, welche die wechselseitige Uebertragung der Zu- stände und Aktionen, die in den Seelenorganen sich bilden, und derjenigen Zustände und Aktionen, welche in den Peri- pherien des Nervensystems sich bilden, möglich macht. — Diese im Gehirn sich darstellende Combination eines zu einer Einheit zusammengebundenen spinalen Nervensystems mit einem in der Schädelkapsel eingeschlossenen cerebralen Ner- vensystem ist es zugleich, welche den wesentlichen Begriff der Wirbelthiere und ihren Unterschied von den Organisa- tionsformen, welche wir unter dem Ausdrucke Wirbellose zusammenfassen, setzt. — Es wird daher auch ohne Frage schärfer sein, das Wort Wirbelthier mit Cerebrospinalthier zu vertauschen. Aus vorstehenden Sätzen wird sich leicht ergeben, dass, um zur Möglichkeit einer scharfen Bestimmung verschiedener cerebrospinaler Kopftypen zu kommen, der einzige Weg sein wird, nicht das Cerebrospinalorgan schlechthin, vielmehr einen scharfen Ausdruck für das Ver- 127 hältniss des Spinalsystems zu dem Gerebralsy- stem, der Gesichtseombination gegenüber, zu stellen und zu bestimmen, — dass also, bevor wir von einem Vorhirn, Mittelhirn und Hinterhirn reden können, das ganze Cerebrospinalorgan in seine zwei wesentlichen Theile zerlegt und deren gegenseitiges Verhältniss festgestellt wer- den muss. — Die formellen Entwickelungsnormen der das Gehirn zusammensetzenden Gebilde zeigen uns für diese Auf- gabe sofort den richtigen Weg. In allen Cerebrospinalentwiekelungen folgen die Rücken- markstränge auf geradem Wege der Längenaxe des Körpers in gerader Richtung, und weichen erst da, wo statt des en- gen Spinaleanals durch die Cerebralentwicklung das erwei- terte Cranium sich bildet, durch die zwischen sie eingescho- benen Cerebralbildungen auseinander. Die eingeschobenen cerebralen Ganglien quellen auf, unter und zwischen der Spinalausbreitung hervor. — Je höher also die Entwickelung dieser cerebralen Basalganglien im Vergleich zu der in sie eingeschobenen spinalen End- strahlung steigt, um so mehr werden ihre einzelnen Theile an allen Seiten hervorquellen, und um so mehr die spinale Endstrahlung auseinander treiben müssen. — Die Hemi- sphärialbildung, welche zunächst nothwendig auf der freien und oflenen Seite des Cerebrospinalraums sich ent- wickeln muss, wird daher, je höher sie steigt, um so mehr das die Basis einnehmende combinirte Ge- bilde, mit dessen sämmtlichen einzelnen Gliedern sie in Verbindung bleibt, nach allen Richtungen mit Ausnahme der Basis überziehen und über- lagern. Es wird, wenn man zugleich die primitive Com- bination des Cranium und Gesichts im Auge behält, wenn man berücksichtigt, dass cerebrale Ausstülpungen der Hirnbasis, der olfactorius, opticus und acusti- eus darin gebunden sind, dass sie in bestimmte Punkte des Gesichts sich einsenken, und mit be- stimmten Gesichtsgliedern sich combiniren müs- sen, einleuchtend sein, wie mit der steigenden Entwickelung 128 der Cerebralorganisation diese nicht mehr Platz über der Hirnbasis hat, sondern die Spinalentwickelung mehr und mehr nach allen Seiten überlagert, wobei zugleich durch den ge- gebenen Abschluss der vordern Körperaxe die Nothwendig- keit sich setzt, dass die bedeutenderen Entwickelungen der Hemisphärialorganisation zu einem in der Schädelhöhle sich rückwärts umschlagenden Deckgebilde für das Mittelhirn sich gestalten müssen. Es wird einleuchten, dass daher ein möglichst scharfer Ausdruck für die gegenseitigen Lagerungsverhältnisse der vereinigten spinalen und cerebralen Basalgebilde einerseits, zu den beiden grossen Gliedern der Hemisphärialgebilde an- dererseits, zugleich ein Bild der cerebrospinalen Organisa- tionsstufen und hiermit erst den Schlüssel zu einer möglichen Erschliessung des Organisationstypus des Kopfes überhaupt abgeben muss. $. 8. Es wird für denjenigen, welcher mit den anatomischen Verhältnissen vertraut ist, keinem Zweifel unterliegen, dass in. Erwägung der bisher entwickelten Thatsachen folgende Betrachtungsweise des Schädels die Mängel der bisherigen Methoden zur Feststellung des Schädeltypus nicht an sich trägt. Wir zerlegen. den Schädel dicht neben der Mitellinie in 2 Hälften und legen (siehe Fig. 11 u. 12) die Linie a. b. und die Linie c. d., so ergiebt sich aus den von beiden Linien eingeschlossenen Winkeln aec oder deb ein genaues Bild von dem Verhältniss der Cerebralentwickelung. zu der Spinal- organisation. — Dieser Winkel ist unter allen Umständen grösser im Menschen, als im Affen ete., und wächst im Menschen mit der Entwickelung des Gehirns und der Seelenthätigkeit von der Fntstehung bis zur voll- endeten Entwiekelung; ebenso ist er grösser in der cultur- fähigen Menschenspeeies, als in der eulturunfähigen niedern Menschenspecies, Es wächst dieser Winkel auch während der indivi- 129 duellen Körperentwickelung von der Geburt, bis zur vollendeten Entwiekelung bei allen Thieren. Ziehen wir ferner die Linie fg, so schliesst der Winkel afy den möglichen Raum für die Gesichtsbildung ein, und es wächst auch dieser Winkel mit der steigenden Gerebral- entwickelung stetig, weil dieselbe in der Steigerung ihrer He- misphärialentwickelung auch einen immer grösseren Raum zwischen aee von dem möglichen Gesichtsraum abschneidet. (Man kann allenfalls noch die Linien [A und fi ziehen, um durch die Vergleichung der Winkel efh und hfg das Ver- hältniss zwischen den beiden eingeschlossenen Gliedern des Gesichts, nemlich zwischen dem Speisenweg mit seiner an- nexen Zunge und Kauapparat, und dem Luftweg mit seinem annektirten Riechapparat zu erhalten, doch ist dies schon kaum rathsam und wenigstens ohne gleichzeitige Messung der Länge der betreffenden Linie zwecklos.) Weiter darf man mit Winkeln und deren Vergleichung überall nicht vorschreiten, sondern muss, wenn man genauere Bestimmung über die Wechselverhältnisse der Kopforgane machen will, die festen Punkte des Schädels um diese bei- den Winkel (durch eine Zeichnung des Schädels) herumgrup- piren, um dieselben nunmehr in ihren: Maasse gegeneinander abzumessen. Da nun zwar niemals ein wesentlicher Theil der Hemi- sphärialentwiekelung unterhalb der Linie ce d. h. unterhalb des Austritts des Nervus ethmoidalis herabfällt, (welche Linie wir aus guten Gründen jeder andern Linie, als z. B. einer Linie, welche dem Planum des vordern Keilbeins oder dem höchsten Punkte der orbita folgt, vorgezogen haben), da aber umgekehrt eine mangelhafte Hemisphärialentwiekelung noch immer bei der bestimmten Stellung der Nase innerhalb cef gestattet, dass das Auge in den Raum cea hinaufragt, so muss bei genauer Prüfung noch innerhalb aee der höchste Punkt der orbita hezeichnet werden, um zu sehen, wie viel von dem Raume aee durch die Orbitalentwieklung der He- misphärialentwicklung entzogen wird. — Am leichtesten wird die Bestimmung geschehen, wenn wir am ganzen Schädel, MUller's Archiv. 1858. 9 130 denselben von vorn gesehen, die höchsten Punkte beider or- bitae durch eine gerade Linie verbinden und den Punkt an dem Stirndurchschnitt bestimmen, wo diese Linie gekreuzt wird, wodurch die Linie el gebildet wird. — Das Profil des Siebbeins zwischen e und c wird angeben, wie weit allenfalls die Entwickelung des Bulbus olfaetorius unterhalb der Linie ce fallen kann. Es wird endlich eine Vergleichung der Maasse der Cere- brallinien ec, ek, ea, ed und ef, sowohl untereinander, als mit‘ den Faciallinien fi, fh und fg dasjenige leisten, was überhaupt auf diesem Wege zu leisten ist. Einige Worte sind hier noch zu bemerken über die festen Punkte, durch welche die Linien a5 und cd bestimmt wer- den, deren Bestimmung allerdings einige Schwierigkeiten hat, während die Punkte für die übrigen Linien sich leicht und sicher ergeben. — Es ist klar, dass man für die Festlegung der gebrochenen Scheidungslinie fec zwischen Cerebralraum und Schädelbasis eigentlich einen frischen Kopf mit Dura mater vor sich haben muss, weil die Verknöcherung inner- halb der häutigen Sella tureica, die von der Dura mater ge- bildet wird, namentlich bei dem Menschen, nieht immer in gleichem Maasse statt hat und namentlich in der Rücklehne des Sattels der Verknöcherungsprocess oft sehr mangelhaft zu Stande kommt. — Es wird daher freilich bei rein anthro- pologischen Bestimmungen, wo es nur darauf ankommt, die geringeren Differenzen der verschiedenen Menschenspecies untereinander zu vergleichen, unerlässlich sein, die beiden Linien bei den einzelnen Menschenspecies im frischen Kopfe längs der Dura mater festzulegen und zwar so, dass die Stelle, wo die Dura mater die Rücklehne des Ephippium überspannend die Medianebene schneidet, und sodann die Mittellinie der Dura mater, wo sie die Kopfbasis am foramen magnum verlässt, für die Richtung der Linie ab die festen Punkte abgeben. Für die Linie cd sind aber die Eintrittsstelle des Nervus ethmoidalis zwischen Siebbein und Stirnbein, weleher Nerve in allen Säugethieren den vordern Umfang des Riechwerk- 131 zeugs umkreist, so wie der Mittelpunkt des hintern Rands der Ebene, welche den vordern Keilbeinkörper bildet, als feste Punkte zu nehmen. — Es zeigt sich, dass die festen Punkte für die Linie cd auch am trocknen Schädel sich noch unter allen Umständen ziemlich genau würden feststellen lassen; es ist daher, wenn man frische Köpfe zur Untersu- ehung nicht vor sich liegen hat, wenigstens darauf zu sehen, dass wenn die Verknöcherung der hintern Sattellehnenwand, wie beim Menschen, auch beim Affen häufig der Fall, nicht so vollkommen ist, wie bei andern Thieren, erst die hinter- sten Endpunkte der beiden processus clinoidei posteriores durch eine gerade Linie verbunden werden müssen, deren Mittelpunkt dann für die Linie ab den einen festen Punkt abgiebt. Da man den Winkel, welchen die beiden Linien ab und cd bilden, aber ganz gut auch in einem Schädel, dessen Calvaria horizontal abgesägt ist, messen kann, wenn man sich einen aus 2 gekreuzten an der Kreuzstelle stell- baren Apparat (vergleiche Fig. 13) hergestellt, so steht die- sem Verfahren eine praktische Schwierigkeit nicht entgegen. Wendet man diesen Apparat in einem Schädel an, dessen Calvaria horizontal abgesägt ist, so versteht sich von selbst, dass man um den Höhepunkt der beiden Orbitae in dem Mediandurchscehnitt und mit ihm die Grenze zwischen Cere- bralraum und Sinnenraum zu bestimmen, nur einen steifen Draht von der einen Orbita zur andern und auf diesen den vorderen Schenkel des Instruments zu legen hat. Vergleicht man auf diese Weise die Menschenköpf mit den Säugethierköpfen, so ergiebt sich, dass nur allein bei den höhern Affenformen ein annäherndes Verhält- niss der Spinalgebilde, Öerebralgebilde und Ge- sichtsgebilde unter sich, wie bei den Menschen besteht, Bei allen übrigen Säugethierklassen ergiebt sich, dass nicht nur die Cerebralgebilde schon nieht mehr jenseits ae in den Gesichtsraum afg hinabfallen,, vielmehr umgekehrt die Cere- bralentwicklung so gering wird, dass die beiden höhern Sinne des Auges und der Nase noch in den vordern Theil des Cerebralraums hinaufreichen, so dass die Orbitalwände und 9+ 133 die Siebplatte sich in die Linie @e oder in den Raum aed hineinverlegen. Auch brauche ich wohl kaum darauf aufmerksam zu ma- chen, dass man in’ denjenigen Thierköpfen, in welchen das Siebbein sehr weit in den Cerebralraum hinauf greift, wäh- rend die Augen sehr weit nach vorn geschoben sind, nicht mehr die Orbita, ‘sondern ausschliesslich die Richtung der sella tureica zu bestimmen hat, wogegen umgekehrt in Köpfen, deren Siebplatte sich sehr tief zwischen die Augenhöhle her- absenkt, die Bestimmung der Linie ek die wichtigere und ee die unwichtigere wird. Dass in den Köpfen der höhern Menschenspeeies der kleinste Winkel kec mit dem grössten Winkel aee zusam- mentrifft; ist einleuchtend. sd Es konkurriren aber bei der Bildung‘ des Kopfes nicht nur die Entwicklungen der konkurrirenden Systeme längs der Medianebene, sondern wie natürlich auch die Entwicklung derselben nach der Breitendimension, woraus sich von selbst wieder ergiebt, dass auch unsere so eben vorgetragene Un- tersuchungsmethode ohne Berücksichtigung der Breitendimen- sion noch immer nicht zur vollständigen Feststellung des Kopftypus ausreicht. Es ist in dieser Beziehung zu bemerken, dass die Varia- tion in der Entwicklung der Kopforgane nach der Breiten- dimension oder dem Querschnitte auf den Winkel der beiden Grundlinien ab und cd nicht influirt, so dass Brachycephali und Doliehocephali ganz gleiche Basalwinkel, ganz gleiches Verhältniss der Spinalentwieklung zur Cerebralentwicklung haben können. — Es hat dieses seinen Grund darin, dass das Gehirn, als ein durchaus weiches nachgiebiges Organ, in seiner Hemisphärialbildung, wenn für dieselbe nur der absolute Raum nicht beschränkt ist, bis auf einen gewissen Grad äusseren Einflüs- sen nachgeben und auf diese Weise die Form der obern Hirnkapsel, dnrch relativ äussere Momente 133 so weit variirt werden kann, als nicht durch solche Verschiebung der Hemisphärialorgane, die imma- nenten Verbindungen der bestimmten Hemisphä- rialpunkte mit,den bestimmten Basalpunkten be- einträchtigt werden. — Den schlagendsten Beweis liefern die bekannten Thatsachen, einerseits, dass sogar bei einer Wasserkopfbildung bis zu einem gewissen Grad Integrität der Hirnfunktionen vorkommen kann, andererseits, dass durch Anwendung äusserer mechanischer Einwirkung im Kindes- alter die äussere Kopfform varürt werden kann, ohne Beein- trächtigung der Hirnfunktionen. Ich brauche nicht auszufüh- ren, dass gerade hierin der wesentliche Werth des von uns angegebenen Basalwinkels liegt, Anders verhält sich dieses bei den Gesichtsorganen. — Es sind bei ihnen viel bestimmter verschiedene Functions- variationen an verschiedene Variationen der Länge- und Breite- verhältnisse gebunden, man denke nur an die nothwendige LängeentwickInng bei der Lippen- und Kieferentwicklung der Herbivoren, an die nothwendige Stellung des Kieferapparats für die Möglichkeit der Masseter- und Temporalentwicklung der Carnivoren und Nager etc. Es ist daher klar, dass bis zu einem gewiesen Grade die selbständige Variation in der Breite- entwicklung des Mandibular- und des vereinigteu Respirations- und Riechscelettsim Gesichte, rück- wärts auf die brachycephalische oder dolichoce- phalische Entwickelung der Calvaria einwirken kaun und muss, ohne (bei übrigens gleichen absoluten Verhältnissen) wesentlich das Grundverhältniss des Cerebrospinalsystenms zu variıren. —' Es ist aber für diese Breiteverhältnisse eine mathematische Behandlung durch Einlegung bestimmter Linien und Winkel weder möglich noch nöthig, indem es in dieser Beziehung, vollständig genügt, mit dem Tastereirkel einfach die grösste Breite und Länge der Calvaria zu messen und sodann die Maasse der Linien fi, fh und fg zu vergleichen mit den Maassen zwischen beiden Laminae papyraceae und zwischen beiden Jochbogen,, welche 154 die Breitenentwicklung des Riechraums wie des Kieferapparats und resp. annähernd des Speisewegs angeben. Es wird aus vorstehender Entwicklung sich ergeben, dass es möglich und nützlich ist, für die Genera die gemeinsamen Grundtypen des Kopfs und die innerhalb deren Species cha- rakteristischen Variationen der untergeordneten Momente auf- zusuchen, festzustellen und zu vergleichen, Die Grundtypen wird man finden in der Vergleichung des (Basal-) Winkels aef und der grössten Länge- und Breiten- dimension der Calvaria, mit dem (Gesichts-) Winkel efg und der Länge der Linie if, Af, gf mit den Breitendurch- messern des Gesichts — für welche Linearvergleichungen grösstentheils die Registrirung nach anerkannten und mit kurzen Ausdrücken bezeichneten Typen schon genügend sein wird. Es ergiebt sich hieraus aber, dass für die Feststel- lung solcher Racentypen des Menschenschädels nothwendig den Retzius’schen Typen der Rundköpfe und Langköpfe, noch der dritte Typus der Ovalköpfe, eingefügt werden muss, weil, bei der schmalköpfigen Race meistens eine Beeinträch- tigung des absoluten Raumes der Hirnhöhle mit der gering- sten Entwicklung des Basalwinkels verknüpft ist, so wie ebenwohl den Orthognathischen und Prognathischen Gesiehts- typen, welche lediglich das Verhältniss der grössern oder kleinern Medianentwicklung des Kieferapparats ausdrücken, noch die schon längst, wenn schon ohne scharfe physiologi- sche Begründuug aufgestellten Typen für die Breitenverhält- nisse des Nasen- oder des Kieferapparats, unter der Bezeich- nung von Schmalgesicht, Ovalgesicht und Breitgesicht ein- geschoben werden müssen. (Siehe unter andern schon Heu- singers Anthropologie aus dem Jahre 1829.) Es versteht sich von selbst, dass das Breitgesicht niemals mit prognathischen Typus zusammenfallen kann, dass das Breitgesicht auch nicht wird mit Dolichocephalie oder Schmal- kopf vereinigt sein, dass das Breitgesicht die Querentwick- lung des Kieferapparats, das Ovalgesicht aber die Querent- wicklung des Respirations- und Riechapparats bezeichnet, das Schmalgesicht an sich wieder Orthognathie wie Prognathie 135 zulässt, und ceteris paribus dem weiblichen, während der Ovalkopf dem männlichen Geschlecht entspricht. Zum Schlusse muss ich mir noch die Bemerkung gestat- ten, dass es von der grössten Wichtigkeit ist, alle falschen Anwendungen aus der Untersuchung des Kopftypus fern zu halten. Das Verhältniss der Cerebralorgane zu den Spinalorganen weist zunächst weiter gar nichts aus, als das Verhältniss der möglichen Intensität der sogenannten Seelenthä- tigkeit überhaupt zu den körperlichen Verrichtun- gen. — Nicht genug kann vor dem Irrthum gewarnt werden, als ob hiermit sofort eine Intelligenz und Charakterscala oder eine Scala für einzelne Hirnfunctionen gegeben sei. Erklärung der Tafeln I und Il. Wenige Worte habe ich zur Erläuterung der beigegebenen Figu- ren anzufügen. Die Figur 1. giebt ein Schema für die allen Cerebrospinal- köpfen gemeinschaftlichen Grundlagen durch schematische Darstellung des Cerebralscelets (blau gefärbt) in seiner Combination mit dem Maxillarscelet (gelb gefärbt). — 1, 2, 3 sind die Scelet- bildungen für die 3 Cerebralabtheilungen, welche im allgemeinen das Gesetz der Wirbelbildung wiederholen, jedoch durch die, aus der Verknüpfung der Cerebralganglien mit dem Rückenmark sich entwik- kelnde, rückwärts laufende Hemisphärialbildung, eıgenthümlich modifi- eirt, sich zum Oranium bilden. 4 ist die letzte Abtheilung des Ce- rebralscelets, welche wegen der rückwärts gerichteten Hemisphärial- entwicklung der Cerebrospinalorganisation leer bleibt, aber in inten- siver Vegetation sich als Wirbelrudiment fortbildet, und seine Primär- bildung verlierend zur Medianaxe für das Maxillargerüst und für das in das Maxillargerüst eingeschobene Riechorgan wird. 1, 2,3 in Fig. 1. stellen die allen Cerebrospinalthieren gemeinschaftlichen wesentlichen Abtheilungen des Ma- xillargerüstes dar. — 1 die immer zwischen Cerebralscelet I und 2 eingeschobenen und mit dem hier ebenfalls immer gelegenen Gehörapparat mehr oder weniger vereinigte feste Pfanne für den beweglichen Kieferbogen; — 2 den immer zwischen Cerebralscelet 3 und 4 eingeschobenen festen Oberkieferbogen , gegen welchen die 136 Bewegung des Unterkiefers ‚geriehtet ist; — 3 den bewegliehen Unter- kieferbogen. — Zu diesen 3 Hauptgliedern des Maxillarapparates kom- men die Sekundärglieder nämlich: — das Spannstück (4), welches sich zwischen die feste Pfanne und den festen Oberkiefer einspannt (Jochknochen) und zwei Muskelknochen » und ** , welche sich vor und hinter der festen Pfanne (für Muskeln, welche den Kiefer öffnen — mastoideum » — mit einem digastrie. —und schliessen pterygoid. == ) an die beiden Cerebralsceletabtheilungen, die die Pfanne zwischen sich haben, anschliessen, An allen 4 Cerebralsceletabtheilungen dienen die Aussenflächen sekundär zur Anlage anderer Organisationen. So hat das Rudiment 4 zu beiden Seiten eine Riechfläche, die Abtheilung 3 eine Orbitalfläche, 2 eine Temporalmuskelfläche, 1 eine Cer- viealmuskelfläche, welche in dem Schema durch bogenförmige Schattirung angedeutet sind. — Die Zabl der Einzelglieder dieser Abtheilungen varürt, und des- halb sind sie hier sämmtlich als einfach gezeichnet — die Abtheilun- gen selbst sind aber durchaus constant, von der einfachsten Fischspe- eies bis zur höchsten Menschenspeeies. In Fig. 2, 3, 4, 5, 6, 7 sind als Repräsentanten für die fakti- schen am weitesten auseinandergehenden Variationen des Cerebrospi- nalkopfs, naturgetreue Bilder eines Hechtkopfes, eines Hunde- kopfs, eines Menschenkopfes gegeben. — Das Cerebralscelet wieder blau, das Maxillarscelet gelb gefärbt. — Das in den Kopf eingehende Respirationswerkzeug in seiner Sceletbildung — durch roth gefärbte Knochen hineingezeichnet. Endlich geben die Fig. 8, 9, 10 das Verhältniss des Sinnen- scelets zu dem Kopfscelet in der Art an, dass das Scelet der 2 speeifischen Sinne, welche sich ein Scelet bauen, Nase und Ohr blau, der übrige Kopf aber gelb gefärbt ist; — das Auge, an wel- chem kein selbständiges Scelet sich ausscheidet, ist zinnoberroth markirt. (Der Fischkopf hier ist von einem Karpfen.) In Fig. 11 u. 12 vergleicht sich der Durchschnitt eines Orang- schädels mit dem Durchschnitt eines Menschenkoptes. Fig. 13 stellt das Messinstrument dar. 137 Ueber einige niedere Thiere. Von Dr. A. Kronn. (Briefliche Mittheilung an den Herausgeber.) Mi: wahrem Vergnügen zeige ich Ihnen zunächst an, dass die unerledigte Frage über die Brut der von Polypen erzeug- ten Medusen als gelöst zu betrachten ist. Es ist dies ein Resultat, das sich an die Untersuchungen über C/adonema« und Stauridium von Dujardin (Sur le developpement des meduses et des polypes hydraires, Annal. des sciences nat. 1345) anschliesst, sie bestätigend und vervollständigend. Denn gerade die zierliche von der Syncoryne Stauridium er- zeugte Meduse C/adonema hat mir den Stoff zur Beantwor- tung jener Frage geliefert. Wie es schon Dujardin gethan, schloss ich ein trächtiges Weibehen der C/adonema in einem besonderen Glase ab, gab ihm jedoch aus Vorsicht ein Männ- chen mit völlig reifem Samen bei. Nach wenigen Stunden hatte sich das Weibchen eines grossen Theils seiner Eier auf den Boden des Glases entledigt. Bei Untersuchung des letzteren wimmelte das‘ Wasser von lebhaft sich regenden Zoospermien, und nach kurzer Zeit traten auch die ersten Furchungsphänomene ‚auf. Nach zwei Tagen fand ich die Jungen bereits ausgeschlüpft. Sie sind 14, Millim. lang, den Jungen der höheren Medusen (Cyanea, Aurelia, Cephea) ganz ähnlich und schwimmen auch wie diese, indem sie sich um ihre Achse wälzen, ziemlich rasch umher. Am 2ten oder Sten Tage nach dem Ausschlüpfen haben sie sich zu Boden gesenkt und verweilen ruhig an demselben Orte, Dies ist die Vorbereitung zur endlichen Anheftung, wobei die Cilien 138 verloren gehen und das Junge sich in eine festsitzende Scheibe umwandelt, ganz nach Art der Jungen von Campa- nularia (Loven). Das Centrum der Scheibe hebt sich nun hügelförmig hervor. Dieser Hügel ist die erste Anlage eines sich bildenden immermehr hervorwachsenden Polypen. Es erscheinen zuletzt am obern Theil des Polypenleibes 4 ins Kreuz gestellte an den Enden etwas angeschwollene Ten- takeln, in den Anschwellungen werden bald Nesselkapseln sichtbar und von nun an ist das junge Stauridium nicht mehr zu verkennen. Die aller Analogie zuwiderlaufende Behaup- tung von Dujardin, als entwickele sich der Polyp unmit- telbar aus dem Ei der Cl/adonema, ist hiermit widerlegt. Nichtsdestoweniger bleibt diesem Forscher das Verdienst, den Generationswechsel für die hydraähnlichen Polypen zuerst nachgewiesen zu haben, falls nämlich von einer einzelnen Art auf die ganze Gruppe zu schliessen ist. Die Jungen von Cladonema so wie die jungen Stauridien habe ich Her- ren Sars und Gegenbauer vorgezeigt. Nach den bereits vorliegenden Beobachtungen muss man immer mehr zur Ueberzeugung kommen, dass die aus den Eiern der hydraähnlichen Polypen (in den sogenannten Eier- oder Brutkapseln) sich entwickelnden Jungen, je nach Gat- tung oder Art in mehr oder minder vollkommener Gestalt zur Welt kommen. Im letztern Fall sind es sogenannte planulae (Dalyell), die gleich den ihnen ähnlichen Jungen von Cladonema, erst nach geschehener Anheftung und Um- wandlung zum Polypen auswachsen. Im ersteren Falle glei- chen die Jungen schon mehr oder weniger den Mutterpoly- pen. Sie setzen sich ohne Weiteres fest, um gleich den be- wimperten Jungen die Gründer neuer Polypenkolonien zu werden. Junge dieser Art sind vorzüglich durch v. Beneden bekannt geworden. Das Genus Tubularia scheint nur mutter- ähnliche Junge, Campanularia und Sertularia nur planulae zu erzeugen. Dagegen kommen bei Coryne und Syncoryne beiderlei Jungen vor. Bemerkenswerth ist, dass Coryne squamata bald planulae (Steenstrup) bald mutterähnliche Junge (v. Be- neden) hervorzubringen scheint. Das Festsetzen der mit 139 6— 10 untern und 4 noch rudimentären obern Tentakelu ver- sehenen Jungen einer Tubularia (wahrscheinlich Zarynz), so wie deren allmähliges Waehsthum, habe ich hier: öfter zu beobachten Gelegenheit gehabt. Sie heften sich mit ihrem untern scheibenförmig flachen Leibesende an. Der Leib ver- längert sich nun, es bildet sich um ihn die Hornhülle und an dieser erscheinen auch bald die bekannten Querringel. Solche im Wachsthum begriffene junge Tubularien, mit mehr oder weniger entwickelten Stolonen, trifft man stets in Menge auf den Stämmehen der Mutterkolonie an, wo sie auf den ersten Blick für Zweige dieser Stämmchen imponiren. Da die jungen Thierchen nach dem Ausschlüpfen aus den Brut- kapseln an den nächsten Gegenstand sich festsetzen, so er- klärt sich auch ihre grosse Menge auf der Mutterkolonie. Daher sind auch die Stämmehen männlicher Tubularienstöcke fast immer frei von solchen Ansässlingen. Ihre oft ausgesprochenen Zweifel gegen die angebliche Abstammung der Larve von Derb&s waren vollkommen ge- gründet. Jene Larve stammt unstreitig von Echin. lividus. Ich habe die Eier von Echinus brevispinosus mit Erfolg künstlich befruchtet. Die Larven sind aber vor der Bildung der Sei- tenarne zu Grunde gegangen. Sie stimmen mit den in Ihrer vierten Abhandlung beschriebenen und Taf, VIII. Fig, 1—8 abgebildeten vollkommen überein. Spätere Entwick- lungsstufen bis zur Vollzahl der Arme habe ich sporadisch angetroffen. Ich muss jedoch bemerken, dass einige dieser Larven mit einem einfachen Kalkstabe in den Seitenarmen versehen waren, andere mit einem Gitterstabe, gerade von der Art, wie ihn die vordern oder Markisenarme besitzen. Diese Unterschiede weisen also auf eine verschiedene Ab- kunft hin. Da meine Larvenzucht vor dem Erscheinen der Seitenarme unterging, so ist auch nicht zu entscheiden ge- wesen, welche von diesen beiden einander so ähnlichen Lar- venarten dem Echinus brevispinosus angehört. Uebrigens ist die Larve mit den 4 Gitterstäben bereits von Ihnen gesehen worden (Taf. VII. Fig. 9). Sie bekommt zuletzt noch vier 140 Wimperepauletten, nachdem sich vorher die ursprüngliche Wölbung des Scheitels ganz verwischt hat. Durch künstliche Befruchtung erzielte Larven von Echi- nocidaris aequituberculata haben es bis jetzt, denn sie leben noch, auch nicht weiter als bis zur Bildung der 4 ersten Arme gebracht. Der Form nach gleichen sie ganz den Lar- ven gleicher Entwickelungsstufe von Echin. lividus und pul- chellus. Statt aber dreier einfacher Kalkstäbchen, wie Herr Busch angiebt, sehe ich in jedem der vordern oder Mar- kisenarme einen ganz schön geformten Gitterstab*). Schliesslich muss ich noch der Sagitten erwähnen. Auf Anlass der neuern Zweifel von Herrn Busch an der An- wesenheit eines Bauchknotens, habe ich nicht gesäumt, die Sagitten von neuem zu untersuchen. Es war mir ein Leich- tes, den Knoten bei der grossen Sagilta wieder zu finden. Bei den kleinern Sagitten (darunter verstehe ich sowohl be- sondere Arten als auch jugendliche Individuen) hat es aller- dings den Anschein, als sei das in derselben Gegend gele- gene stark nach aussen vorragende Gebilde kein Ganglion. Bei genauerer Untersuchung erweist es sich aber doch als solches. Dass Herr Busch dasselbe verkannt, erkläre ‘ich mir nur daraus, dass er die zarte leicht abstreifbare Haut- decke übersehen. ‘Ist diese abgelöst worden, so kann sich auch wohl der Knoten theilweise von seinen Verbindungen getrennt haben, so dass er gleich einem Fetzen am Leibe herabhängt. — In meiner Abhandlung hatte ich angezeigt, dass man in den Eierstöcken trächtiger Sagitten immer Sa- men antreffe. Dies ist unrichtig. Der Samen findet sich in *) Die widersprechenden Beobachtungen von Busch und Krohn sind ohne Zweifel nicht an verschiedenen Arten von Seeigeln, son- dern beide an derselben Art angestellt. Die von dem erstern mitge- brachten Exemplare der benutzten Art sind ir der That Echinoeidaris aequiluberculata. Die Identität des Objektes wird auch durch die Beschaffenheit der Gitterstäbe wahrscheinlich. Diese sind nämlich, wo sie vorkommen, immer dreikantig und zwischen den drei vorsprin- genden Leisten vertieft, so dass die Mitte zwischen den Leisten von dem Gitterwerk eingenommen wird. Anmerk. des Herausgebers. 141 einem besondern Kanal, der längs dem Eierstocke vom blin- den Ende bis zur Mündung desselben herabsteigt und wahr- scheinlich dieht neben dieser Mündung nach aussen sich öffnet. Diese beiden Kanäle scheinen, behufs der Befruch- tung, gleichzeitig mit dem Eierstocke ihren Inhalt zu ent- leeren, und hätten demnach die Bedeutung der receptacula seminis. — Ich bin gegenwärtig mit der Entwickelungsge- schichte der Sagitta beschäftigt. Was Darwin darüber be- kannt gemacht, scheint vielmehr die Entwickelung eines Fi- sches zu betreffen. Messina, 2. Febr. 1853. 142 Beiträge zur Kenntniss der Schilddrüse. Von Dr. ©. Kontrausen in Hannover. (Hierzu Tafel IV. Fig. 1—4.) Obwohl der Bau und die histologischen Elemente der Schild- drüse im allgemeinen übereinstimmend erkannt und beschrie- ben sind, so finde ich doch einige Objecte, welche noch nicht in ihrer Eigenthümlichkeit genügend bekannt scheinen, und auf welche ich die Aufmerksamkeit der Fachgenossen von neuem lenken möchte, da sich durch Verfolgung derselben vielleicht der physiologischen Bedeutung dieses Organs näher kommen lässt. Da bei nicht ganz übereinstimmenden Beobachtungen grade bei diesem Organ die Vermuthung nahe liegt, und auch theilweise bei vorhandenem Widerspruche schon geltend ge- macht ist, dass die Beobachtungen von nicht vollkommen normalen Schilddrüsen genommen seien, darf ich vorher be- merken, dass die folgenden Untersuchungen sich auf eine grosse Reihe von Schilddrüsen stützen, die anscheinend voll- kommen gesunden, meistens durch plötzliche und gewaltsame Todesart umgekommenen Menschen aus den mittleren Lebens- jahren gehörten. Ausserdem ist nicht versäumt durch Wä- gen und genaue äussere Betrachtung in jedem Falle zu con- statiren, dass eine bemerkbare Abnormität nicht vorhanden war. Wenn ich hinzusetze, dass der Kropf bei uns hier im Flachlande selten ist, darf ich wohl behaupten, gesunde Schilddrüsen, wie sie hier zu Lande vorzukommen pflegen, untersucht zu haben. Wenn aber hier und da die Meinung herrscht, dass vollkommen normale Schilddrüsen überhaupt bei Erwachsenen nicht leicht vorkämen, so darf ich bemer- 143 ken, dass ich dasjenige bei jedem Lebensalter für normal halte, was die meisten gesunden Menschen in ihrem Leibe tragen. Um eine gute Einsicht in die Acini der Drüse zu gewin- nen, untersucht man am besten Schnittchen, welche mit dem Doppelmesser gemacht sind. Man muss dies nicht zu fein einstellen, da die Acini eine Grösse von 1%—'4,'" haben, und man bei zu dünnen Schnittehen gleichsam nur die An- sicht eines Maschengewebes erhält. Gröbere Schnittchen sind zwar weniger durchsichtig, aber weit instructiver und bei gutem Lichte durchscheinend genug, um die Einzelheiten genau zu erkennen. Ferner rathe ich, die Schnittchen ohne Wasser zu untersuchen. Der Drüsensaft reicht aus, um das Objeet einige Zeit feucht zu erhalten. Hat man von einer blutreichen Schilddrüse passende Schnittehen gewonnen, so sieht man die Acini entweder ganz erhalten, oder theilweise geöffnet, und erkennt sie als ovale, mit einer eignen Membran umgebene Hohlräume, welche von einem reichen Gefässnetze umsponnen werden. Die Grösse der Acini finde ich im Durchsehnitt 1%—'/0“, doch finden sie sich auch viel grösser und viel kleiner, zwischen !/, und As. Sie werden von einem Stroma getrennt, welches mei- stens gegen "4, Breite einnimmt, von Zellstoff mit spin- delförmigen und elastischen Fasern gebildet wird und die Gefässe führt. Der Inhalt dieser Acini besteht grösstentheils aus einer durchsichtigen, etwas zähen, beim Eintrocknen klebenden und (wie sich beim Kochen ergiebt) eiweisshalti- gen Flüssigkeit. In dieser Flüssigkeit, meistens aber den Wandungen mehr anliegend, finden sich zunächst die bekannten kleinen, etwas dunkeln, rundlich oder rundlicheckigen Körperchen, welche nicht immer in gleicher Menge vorhanden sind, zu- weilen aber so reich, dass sie fast das ganze Object ver- decken. Ihre Mittelgrösse ist "4,0; sie schwanken bis zu den Grenzen von "/og — Yaoo. Bei der Vergleichung mit andern histologischen Elementen kann man nur an Kerne denken. Sie widerstehen der Essigsäure vollkommen. 144 Hat man Präparate, welehe von diesen Körnchen etwas freier sind, so erscheinen die Acini durchsichtiger, und man siebt nun, wenn das Schnittehen nicht gepresst und nieht mit Wasser "behandelt ‘ist, regelmässig sphärische, kernhaltige Zellen (Fig. 2. b.), blass und zart eontourirt, und mit einem leichten röthlichen Hauch, zumal bei blutreichen Präparaten. Die Zellen haben einen Durchmesser von im Mittel !4gs' und schwanken ‘zwischen den Grenzen von 1%, und Yo’: Der excentrische Kern ist 14,0“ gross. Die Zellen liegen an der Innenwand der Acini entweder vereinzelt oder grup- penweise zusammen, zuweilen so, als ob man einen zusam- menhängenden Epithelialbeleg vor sich hätte. Sie scheinen sehr zart und leicht zerstörbar, denn in dem ausgepressten oder durch Abschaben gewonnenen Drüsensafte findet man sie nur sparsam frei umherschwimmen, am meisten noch, wenn man die zwischen den Klingen des Doppelmessers hängen bleibende Flüssigkeit untersucht. Beim freien Rollen zeigen sie sich vollkommen rund und den Kern an der Wand. Setzt man einer solehen Probe Wasser zu, so werden diese Zellen zunächst sehr blass, alsbald sehr undeutlich und dann bis auf den Kern unsichtbar. Jodauflösung macht sie wieder sichtbar, allein die Form ist verändert; sie sind oft grösser oder hängen in unregelmässiger Gestalt (geplatzt) an dem wohlerhaltenen Kern. Essigsäure löst die Hüllen augenblick- lich auf, ohne den Kern zu verändern. Nach diesen Angaben scheint die Identität der genannten Zellen mit embryonalen Blutkörperchen nicht zweifelhaft*). *) Da die Beobachtungen über embryonale Blutkörperchen beim Menschen noch nicht sehr häufig sind, will ich eine derartige Beob- achtung hier hinzufügen. Das Blut war aus einem Gefässe an der Seite des 'Ihorax von einem Embryo, der nach genauer Angabe vom $. März bis zum 18. Mai getragen sein sollte. Unter den Blutkörper- chen, welehe scheibenförmig und napfförmig ausgehöhlt, erschienen, herrschten 2 Grössen vor, von 755° (Fig. 4.a) und von z4,°“ (Fig. 4. b) Grösse. Zwischenstufen fehlten nicht ganz, waren aber viel sel- tener als die genannten. Nicht alle enthielten einen Kern, aber die meisten, wie sich bei der Behandlung mit Wasser oder Essigsäure 145 Man hat diese Zellen bisher als Epithelium "aufgefasst, und allerdings ist das Verhältniss ihrer Lagerung sehr täu- schend, obwohl ich nie ein Bild habe gewinnen können, wie es z. B. Kölliker darstellt. Beobachtet man diese Zellen durch die Wand des acinus hindurch, so kann man aller- dings den Einfluss des Wassers nicht genau bemerken, wenn es nicht lange einwirkt und das ganze Object durchtränkt. Beobachtet man aber die Zellen frei in der Drüsenflüssigkeit und setzt dann Wasser oder Essigsäure zu, so wird man das obige Verhalten bestätigt finden und damit den besten Beweis gegen die epitheliale Natur dieser Zellen gewinnen. Ein zweites Bild, welches sich bei der oben angegebenen Art der Beobachtung herausstellt, habe ich so regelmässig gefunden, dass ich es für normal und für die Bedeutung dieser Drüse von Wichtigkeit halten muss. In fast jedem acinus findet man eine (selten zwei) blasse, runde Kugel, die ganz zart, wie die Scheibe eines matten Vollmondes, durch die Wand hindurchscheint und die ich in meinen No- tizen wegen ihres Verhaltens als Proteide bezeichnet habe. (Fig. 2.a.) In der durch Einschnitte in die Drüse gewon- nenen Flüssigkeit zeigen sich diese Körper gleichfalls und erscheinen, wenn sie ohne Druck und Widerstand rollen, kegelförmig. Ihre Grösse ist sehr verschieden. Ich fand sie von Y%o"— "As Grösse, jedoch sind diese Extreme nicht so häufig; die meisten Messungen halten sich zwischen !40'" und %%,'. Eine Hülle findet sich an diesen Kugeln nicht. Es sind homogene Substanzkugeln, denen zwar oft andere Körnchen anhängen, selbst in sie eindringen, dann aber als ihnen fremd betrachtet werden müssen. Sie bestehen aus einer flüssigen Masse und unterscheiden sich nur durch eine etwas grössere Zähigkeit, also vielleicht nur durch den Con- eentrationsgrad von der übrigen Drüsenflüssigkeit. Man muss sich durch wiederholte Beobachtung und Manipulation mit herausstellte, (Fig, 4. ce.) — Beim Aufquellen durch verdünnte Solu- tionen wurden sie sphärisch, wie die oben beschriebenen Zellen der thyreoidea. Der Kern wurde durch Essigsäure nicht angegriffen. Müllers Archiv, 1853, 10 146 ihnen bekannt machen, um ihre Natur ganz zu erkennen. Beobachtet man sie innerhalb der acini und wendet nun eine gradweise steigende Compression an, so sieht man zuerst die acini vor ‚dem Drucke weichen, sich abplattend breiter werden, dann die Proteide ihre Form verändern, länglich oder buchtig werden, auch wohl ihre Stelle im acinus, dem Drucke entschlüpfend, verändern. Nun platzt der aeinus an irgend einer Stelle, die Flüssigkeit Niesst, mit Thyreoidea- Körnchen gemischt, aus, die Hülle des acinus wird unkennt- lich, und plötzlich, bei steigendem Drucke, fliesst das Pro- teid, seine frühere Gestalt aufgebend, gleichfalls der Ruptur zu, mischt sich mit der übrigen Flüssigkeit und ist dann wie unter den Augen zerronnen. — Hat man die Proteide isolirt in. der aus der Drüse genommenen Flüsigkeit vor. sich, so rollen und fliessen sie mit der übrigen Flüssigkeit, wohin man diese leitet. Sich selbst überlassen bewahren sie ihre Form und bleiben in der übrigen Flüssigkeit erkennbar, bis diese auftrocknet. Bei dem Rollen und Fliessen erkennt man ihre Beweglichkeit besonders, wenn sie Hindernissen begeg- nen.. Zwischen engen Passagen schlüpft das Proteid, beson- ders wenn durch Compression sein Ausweichen nöthig wird, wurmförmig durch, zieht oft einen langen Schwanz hinter sich her; kommt es gegen ein. festes Hinderniss, so legt es sich buchtig um dasselbe herum (Fig.2.c), wird in zwei Hälften getheilt, die dann entweder als einzelne Kugeln weiterfliessen oder sich wieder zu einer grösseren vereinigen. Da man die ziemlich grossen Pröteide auch schon leicht bei schwächeren Vergrösserungen beobachten kann, ist es nieht schwer, sie mit einer feinen Nadel unter dem Mikroskope zu zerren. Man kann sie auf diese Weise in jede beliebige Form verschieben, in kleinere Partien verkleinern und end- lich durch Zerdrücken und Hinundherbewegen ‚so zwischen der übrigen Flüssigkeit verstreichen, dass sie unter den Au- gen verschwinden. ; Setzt man zu einem Öbjecte, welches solche Proteide enthält, Wasser, so werden die runden Kugeln zunächst noch leichtflüssiger. Jedes Hinderniss, welches ihnen beim Fliessen begegnet, ist hinreichend, ihre Gestalt zu ändern; 147 bald hier, bald da tritt ein Arm hervor und umgeht ein Hin- derniss; bald Schlange, bald Kugel schlüpft das Ding weiter. Ich habe das Bild des infusorischen Proteus (Amöba) nie so treu nachgebildet gesehen. Dabei wird aber die Substanz immer blasser, immer sehwerer von der Umgebung zu unter- scheiden und endlich evaneseirt das Proteid, ohne dass eine Spur davon bleibt: Nur in ein paar Fällen sah ich in dem verschwindenden Proteid ein kleines Tröpfchen hervortreten, welches das Ansehn eines Fetttröpfehen hatte und nach Ver- schwinden des Proteids zurückblieb. Essigsäure wirkt wie Wasser, nur muss ich bemerken, dass bei Wiederholung dieser Beobachtungen Sorge getragen ' werden muss, dass wirklich eine genügende Mischung der Flüssigkeiten statt- findet. — Aether wirkt nicht auf die Proteide ein, in einigen Fällen schienen sie sogar an Consistenz zu gewinnen. Bei vielfacher Wiederholung der Untersuchungen habe ich die bisher beschriebenen Objeete regelmässig bei Leichen von gesunden Menschen aus den mittleren Lebensjahren gefun- den. Bei neugeborenen Kindern habe ich die Proteide nicht gefunden. Die meisten Untersuchungen sind an Selbstmör- dern gemacht. Bei alten Subjeeten finden sich die Proteide seltener in der bisher beschriebenen Weise; sie zeigen mei- stens eine grössere Consistenz’und dann häufig eine schalige Struetur. Hier beginnt das Colloid der Schriftsteller. (Fig. 3 zeigt ein solches Colloid in dem durch den Schnitt zufällig geöffneten acinus.) Man findet Uebergangsstufen vom Grade der Zähflüssigkeit bis zum Consistenzgrade des gekochten Eiweisses. Als charakterischer Unterschied ist aber hervor- zuheben, dass bei einem gewissen Consistenzgrade Wasser und Essigsäure nicht mehr auf die Körper einwirken und hier finde ich die Grenzscheide zwischen normalen Proteiden und abnormen Colloiden, da letztere, als festgewordene Proteinsubstanz, der Säftemasse nicht mehr dienen können. Sie scheinen mir aus geronnenen Proteiden zu entstehen und später durch Apposition zu wachsen. Seit 10 Jahren kenne ich die hier beschriebenen Objeete und habe sie durch wiederholte Untersuchungen bestätigt gefunden. Ich habe immer gezögert, sie zu veröffentlichen, 10* 148 da ich die Hoffnung nicht aufgab, gewisse Vermuthungen, welche sich mir bei diesen Beobachtungen aufdrängten, durch fortgesetzte Beobachtungen erweisen zu können. Da ich aber jetzt noch weniger als bisher in der Lage bin, solche Beobachtungen fortzusetzen, muss ich andern überlassen, ob sie durch Verfolgung derselben der Bedeutung der Schild- drüse näher rücken können. Meine Vermuthungen waren die, dass die Acini der Schilddrüse Hohlräume seien, welche als Anhänge entweder der Venen oder der Lympfgefässe mit dem Gefässsysteme in offener Verbindung stehen, und als Geburtsstätte embryonaler Blutzellen zu betrachten seien. Die Thyreoidea - Körnchen sah ich als die Kerne an, die Zellen konnte ich als embryonale Blutkörperchen nicht ver- kennen, und die Proteide erkannte ich als durch ihren Con- centrationsgyad von der Drüsenflüssigkeit unterschiedene Pro- teinkugeln an, die den keimenden Blutzellen als Nahrungs- stoff dienten. Ich will nicht leugnen, dass ich durch die Art der Bewegung beim Fliessen, durch die Gestaltveränderungen, welehe ganz denen der Blutkörperchen gleichen, wenn sie durch enge Capillargefässe dringen müssen, geneigt wurde, die Proteide für Globulin zu halten, indem sich dadurch auch ihre optische Wahrnehmbarkeit in der eiweisshaltigen Drü- senflüssigkeit besser zu erklären schien. Versuche durch Injection von den Venen und Lympfgefässen aus gaben mir keine Resultate, letztere nämlich gar keine, erstere schlechte, indem ich keine mikroskopisch brauchbaren Prä- parate erhielt. Vielleicht gelingt es andern Händen besser. - Erklärung der Abbildungen. Taf. IV. Fig. 1. Einige Drüsenläppehen der Schilddrüse; «. Acini, von Blutgefässen umsponnen. 5. Zellstoff, die Läppchen mit einander verbindend. Fig. 2. Vergrösserte acini mit den darin be- findlichen « Proteiden und b embryonalen Blutkörperchen. ce. ein fliessendes und auf Hindernisse stossendes Proteid. Fig. 3. Fin ge- öffneter acinus, von Gefässen umsponnen, mit einem kleinen Colloid. Fig. 4. Blutkörperchen eines 71 Tage alten Embryo, «a. grössere von 745"; b. kleinere von 735 Grösse; c. bei der ersten Einwir- kung von Essigsäure. 140 Ueber das Schwellgewebe an den Muscheln der Nasenschleimhaut. Von Dr. ©. KoutrauschH in Hannover. (Hierzu Tafel V. Fig. 1 u. 2.) Ueber dieses Schwellgewebe ist mir in anatomischen Schrif- ten nur einmal, wenn ich nicht irre, in Hyrtl’s Anatomie, eine kurze Notiz bekannt geworden. Da es mir seit längerer Zeit bekannt ist und in praktischer Beziehung nicht unwich- tig scheint, will ich nicht versäumen, die Aufmerksamkeit nochmals darauf zu lenken. Am einfachsten kann man sich von der Gegenwart dieses cavernösen Venennetzes, welches besonders am hinteren Theile der Muscheln entwickelt ist, durch Aufblasen mit Luft überzeugen. Lässt man ein so aufgeblasenes Präparat in Weingeist erhärten, so kann man ganz gute, zu Beobachtungen geeignete Durchschnitte erhal- ten. Schön injieirt erhält man dies cavernöse Venennetz zu- weilen bei gut gelungenen Injectionen, wenn man in eine der venae jugulares den Tribulus eingesetzt hat. Von solchen Präparaten sind die Zeichnungen Taf. V. Fig. 1.ab genommen. Das Venennetz, sich in den reichsten Anastomosen überall verbindend, liegt zwischen Periosteum und Schleimhaut, ist stellenweise, im ausgedehnten Zustande, 11%— 2’ dick. Die Venenschlingen stehen in ihrer Hauptrichtung senkrecht gegen den Knochen gerichtet und zeigen im injieirten Zustande eine Dicke von ',—'4", und von ziemlich festen und dicken Wandungen. Ein fester Zellstoff bildet die Gefässverschlin- gungen mit einander, so dass man beim Einschneiden nur 150 ein cavernöses Zellgewebe erbliekt und nur durch sorgfältige und glückliche Präparation ein Präparat wie Fig. 1 erhalten kann. Die Schleimdrüsen, welche an andern Stellen der Nasenschleimhaut ziemlich oberflächlich liegen und kurze, trichterförmige Oeffnungen haben, liegen hier zum Theil tief unter der Oberfläche, zwischen den cavernösen Gängen des Venennetzes, und zeigten in einzelnen Fällen einen dünnen Ausführungsgang von 1/,”' Länge. Diese Gefässanordnung ist in so fern von wissenschaftli- chem Interesse, als sich daraus die Anschwellung der Schleim- haut der Nasengänge erklärt, welche bei chronischem Schnu- pfen so häufig ist. Gewiss hat mancher schon die Erfahrung gemacht, dass bei solchen chronischen catarrhalischen Zu- . ständen Nachts gewöhnlieh das Nasenloch der Seite, auf weleher man liegt, verstopft ist und dies bald wechselt, wenn man sich auf die andere Seite legt.‘ Es erklärt sich aus der Senkung des Blutes nach der tiefsten Stelle. Die immense Production von Flüssigkeit bei einem recht fliessenden Schnu- pfen, bei der doch kleinen secernirenden Oberfläche habe ich mir erst erklären können, seit ich dies cavernöse Gewebe mit den dazwischen gelagerten grossen Drüsen kenne. Auch zur Erklärung der profusen Nasenblutungen "möchte diese Gefässanordnung nicht unwichtig sein. Erklärung der Abbildungen. Cavernöses Venennetz von der hintern Partie der Muscheln Fig. 1 in der auf den Knochen senkrechten Richtung , Fig. 2 im Querschnitt. Ueber so genannte Infarkten. Von Dr. OÖ. Kouzrausca in Hannover. (Hierzu Taf. 'V. Fig. 3—5.) Hausig findet man bei Menschen, welche an Unterleibsbe- schwerden leiden, zumal neben den Erscheinungen, die man einer Plethora abdominalis zuzuschreiben pflegt, Abgänge von weisslichen, ziemlich zähen und festen, perlschnurförmig zu- sammenhängenden Massen, die meistens mit dem übrigen Stuhlgange, selten allein abgehen. Obwohl man unter In- farkten auch manche andere abnorme Ausleerungen versteht, so- sind die genannten doch die häufigsten und ziehen, so weit ich im Kreise meiner Collegen habe erfahren können, die Aufmerksamkeit am häufigsten auf sich, zumal oft grosse Mengen längere Zeit hinter einander abgehen. Ich habe mich längere Zeit damit beschäftigt, die Natur dieser Infarkten zu studiren und finde bei der Art, welche in chronischen Unterleibsübeln. der oben genannten Art vorkom- men, eine grosse Uebereinstimmung. Man muss sie nur nicht mit denjenigen weisslichen, fleckigen, oft auch zäh zusam- menhängenden Abgängen verwechseln, die sich bei acuten Leiden der Darmschleimhaut, zumal in der Reconvaleszenz nach dem Typhus und nach Ruhren oft zeigen. Letztere zeigen immer die Natur plastischer Exsudate, indem Eiter- körperehen in grosser Menge darin vorhanden sind. Die Infarkten, von welehen ich hier rede, und’von denen ich Fig. 3 eine Zeichnung gegeben habe, damit kein Irrthum über das fragliche Objeet entsteht, zeigen unter dem Mikro- skop keine Spur einer eignen Organisation. Finden sich 152 Zellen darin, so sind es meistens nur Epithelien, die oft freilich jung abgestossen den Eiterkörperchen sehr ähneln können. Immer aber sind auch diese nur sparsam und stel- lenweise vorhanden. Die Grundlage der ganzen Masse ist amorph und wird auch durch Essigsäure durchaus nicht ver- ändert, nicht transparenter. In dieser amorphen Grundmasse aber finden sich eingewickelt die verschiedensten Speisereste. Oft sieht man nur Haufen von rundlichen Pflanzenzellen, wie man sie z. B. im Kartoffelbrei wahrnimmt; oft sind Spiral- gefässe, Holzzellen, Pflauzencellulose, oft dazwischen thieri- scher Zellstoff, halbverdaute Muskelbündel u. s. w. in be- trächtlicher Menge dem amorphen Substrat eingebettet. Zwi- schen diesen fremdartigen Bestandtheilen macht sich immer Fett, entweder in Form kleiner Tröpfehen oder krystallisirt (Mar- garinsäure etc.) bemerklich. Letzteres fand ich besonders immer in den Kartoffelzellen. (Fig. 4.) Unversehrte Amylon- körner habe ich nur sehr selten wahrgenommen. Neben den bisher genannten Objecten findet man aber sehr häufig noch feine Fasern, die ich bis jetzt nicht anders zu deuten weiss, wie als Schimmelfasern. Da die übrige Masse sie sehr zu verstecken pflegt, kann man sie durch Zerreissen des Objects unter Zusatz von Aether leichter zur Beobachtung bringen. Es sind unregelmässig verfilzte Fasern von Yo0— oo‘ im Durchschnitt, jedoch auch bis zu ein !/o00“‘ herabgehend, mit festen, etwas dunkeln Contouren. Essigsäure lässt sie deutlicher und schärfer hervortreten. Ich kenne kein anderes Object, als Schimmelfäden, worauf ich diese Fasern deuten kann, obwohl ich wegen des Fehlens dichotomer Theilung und entsprechender Sporen immer dar- über unsicher geblieben bin. Uebrigens würde das Vorhan- densein solcher Schimmelfäden im Darmkanal nichts unge- wöhnliches darbieten, da man sie fast in jedem Zungenbelege auffinden kann und manche Krankheitszustände der Schleim- haut zu ihrer Bildung ganz besonders günstigen Boden zu liefern scheinen. (Diphteritis.) In ihrer chemischen Zusammensetzung zeichnen sich ‚die Infarkten durch einen grossen Fettgehalt aus, Der Wasser- 155 gehalt der feuchten Infarkten ist nicht sehr beträchtlich. In einem Falle verloren 6,05 Grm. beim Trocknen an Gewicht 3,268. Aus diesem Rückstande zog Alkohol 1,65, Aether noch 0,107 aus, so dass der feste, unter Horngeruch ver- brennende Rückstand nur 1,025 betrug. Bei einer andern Analyse fand ich die getrockneten Infarkten bestehend aus 1) in Alkohol löslichem Fette 21,45%. 2) Durch Aether ex- trahirtes Fett 13,28%. Von dem Reste löste sich in ver- dünnter Aetzkalilauge 20,02. Dagegen blieb unlöslich 45,247. Diese -liessen sich bis auf einen geringen Rückstand ein- äschern. In einem dritten Falle extrahirte ich getrocknete Infarkten längere Zeit nur mit Aether und erhielt im Gan- zen 43,16%, eines diekflüssigen, gelbliehen, etwas scharf nach Terpentin und Buttersäure riechenden Fettes. Es scheint mir keinem Zweifel unterworfen zu sein, dass diese Infarkten aus einer amorphen, die Schleimhaut zäh bedeekenden Absonderung des Darmkanals bestehen, die, wenn sie losgeschält und mit Speiserudimenten vermischt im Darmkanal weiter geschafft wird, dies gewundene und schnur- förmige Ansehen erhält. Aus den unteren Theilen des Darm- kanals erhält man oft noch wohlerhaltene lappenförmige Fetzen, ja wohlerhaltene röhrenförmige Auskleidungen, die gleichfalls wegen ihrer amorphen Struetur und mangelnden Zellen hierhergerechnet werden müssen. Es scheint mir, dass dieser Gegenstand in Bezug auf die Pathologie weiter ver- folgt werden sollte. Es kann sich hier nicht um eine ent- zündliche Ausschwitzung handeln, denn bei jeder entzünd- lich gereizten Schleimhaut mischen sich dem Exsudate, ja sogar dem normalen Secrete eine solche Anzahl von Eiter- oder Schleim-Körperchen bei, dass man sie leicht daran er- kennt. Man denke nur an den Nasen - Bronchial - Darmschleim bei Katarrhen und Ruhr. Hier aber ist grade im Gegentheil ein auflallender Mangel solcher histologischer Elemente be- merklich und ich kann mir deshalb den Entstehungsprozess nieht anders denken, als dass sich aus einer Mengung von Darmschleim, Fett und Speiseresten solche zähe örtliche Ablagerungen bilden, und oft längere Zeit im Darm verwei- 154 len; letzteres würde um so eher anzunehmen sein, wenn sich die Pilze bei wiederholten Untersuchungen als regelmässig vorhandene Bestandtheile erweisen sollten. Dass diese Pilze mit der Genesis der Infarkten in ursächlicher Verbindung stehen sollten, kann ich nicht glauben, ‚obwohl aueh diese Ansicht ihre Vertheidiger so gut finden wird wie in Bezug auf Diphteritis und Aphten. Das Vorhandensein von Pilzen in Ablagerungen des leben- den Organismus ist überhaupt noch nicht so genügend ver- folgt, wie es’zu wünschen: wäre. Ich will deshalb hier eine Beobachtung anschliessen, die ich ‘bei: Untersuchung einer Cyste eines kranken Ovarii früher gemacht habe. Bei der Untersuchung des Fettes, welches die Cysten grossentheils ausfüllte, fand ich Pilzfäden in grosser Menge, nicht etwa an der Oberfläche, sondern durch die ganze Masse vertheilt. Ich hatte den fettigen Inhalt der Cyste 4 Stunden nach der Section in ein wohl verschlossenes Glas gegeben und untersuchte am folgenden Tage. So auffallend mir die Erscheinung von Pilzfäden in einer verschlossenen Cyste sein musste, so konnte ich mir doch unmöglich denken, dass in der kurzen Zeit sich diese Pilze durch etwa zufällige Bei- mischung von Sporen gebildet haben sollten. Ich beschloss deshalb dieselben genauer zu untersuchen, extrahirte das Fett vollständig mit Aether und behielt einen Rückstand, der aus Epidermiszellen und Pilzfäden bestand. Ich konnte nun den Pilz genauer untersuchen und fand, dass er der Haupt- sache nach aus feinen Yooo— son dicken, verfizten, zar- ten, transparenten Fädchen bestand, die in ihrem Innern feine Körnchen, hie und da anscheinend septa enthielten. (Fig. 5. d.) Sehr sparsam sah ich auch die Fruetifications- theile. und ‘Sporen. . Erstere waren endständige Quirle «a aus 6—8 Armen bestehend. Die Sporen, die zum Theil voch an diesen Quirlen anhingen, waren im ‘Durchschnitt '/000 gross. Nur einmal (5) sah ich einen nicht endständi- gen Quirl. Das ganze hat sehr. viel Aehnlichkeit mit dem Penicillum cerustaceum, nur ist unser Pilz so viel zarter und 155 kleiner, dass er als eine besondere Species zu betrachten ist. Ich will die Diagnose beifügen. Penicillum pygmaeum. Fila exigua (YAo00— iso“) hyalina septata aut intus granulosa, remote ramosa; sterilia contexta, apice acuminata; fertilia apice penicillata, sporifera; sporis globosis decolori- bus. (200 — oo‘). Passim fila vertieillo sporifero non terminali. Erklärung der Abbildungen. Fig. 3. Infarkten. h Fig. 4. Speisereste, zumal vegetabilische, welche als Bestand- theile der Infarkten vorkommen. Fig.5. Zusammenstellung der verschiedenen Entwicklungsformen des Penicillum pygmaeum aus einem kranken Ovarium. 156 Widerlegung der von Volkmann gegen meine Abhandlung über die Anwendung der Wellen- lehre auf die Lehre vom Kreislaufe des Blutes und insbesondere auf die Pulslehre gemachten Einwendungen. Von E. H. WEBER, Professor in Leipzig. Das Werk von Volkmann: „die Hämodynamik nach Ver- suchen. Leipzig 1350‘ enthält im Einzelnen schätzenswerthe Beobachtungen. Seine Vorstellungen aber über die Kräfte, welche den Kreislauf des Blutes bewirken, sind nicht allent- halben mit den Grundsätzen der Hydraulik vereinbar. Theils um die früher von mir vorgetragenen Lehren zu vertheidigen, theils um meine neueren Untersuchungen über den Kreislauf des Bluts bekannt zu machen, hatte ich beschlossen in einer Reihe von kleinen Abhandlungen die Lehre vom Kreislaufe des Bluts zu behandeln und damit durch die unten er- wähnte Abhandlung den Anfang gemacht*). Ein wissenschaft- licher Streit zwischen meinem Freunde und mir war hierbei, da Volkmann über die Fundamente, auf welchen die Lehre vom Kreislaufe des Blutes zu errichten ist, ganz abweichende Vorstellungen hat, unvermeidlich. Volkmann hat eine *) Siehe Berichte der Königl. Sächsischen Gesellschaft der Wis- senschaften, mathematische physische Klasse. 1850. S. 164 und in die- sem Archive 1852. S. 497. 157 Vertheidigung seiner Ansichten erscheinen lassen“), und die- ser Aufsatz ist bestimmt, die Punkte etwas genauer zu er- örtern, in welchen Volkmann verschiedener Meinung ist. Unser Streit wird nach meinem Wunsche ein rein wissen- schaftlicher sein und bleiben. Ich will um die Uebersicht zu erleichtern die wichtigsten Differenzpunkte in eine Anzahl Fragen zusammenfassen: I. Ob, wie ich behaupte, das Herz durch sein Pumpen den Druck, welchen das Blut und die Röh- renwände der Blutgefässe wechselseitig auf ein- ander ausüben, nur ungleich mache, d. h. in den Arterien vermehre und in den Venen vermindere, so dass der mittlere Druck derselbe bleibt, oder ob es, wie Volkmann glaubt, diesen mittleren Druck vergrössern könne? II. Ob es, wie Volkmann behauptet, ein Naturge- setz gebe: „Bewegung erzeugt Druck?* Ich habe behauptet, dass das Herz den mittleren Druek, den die in den Röhrenzirkel eingeschlossene Flüssigkeit auf die Röhrenwände ausübt, nicht vermehren, sondern dass es denselben nur ungleich machen könne, indem es durch sein Pumpen den Druck in den Venen, aus welchen es Flüssig- keit hinwegnimmt, vermindert, in den Arterien aber, in wel- che es dieselbe Flüssigkeit hineindrängt, vermehrt. Jener mittlere Druck, (vorausgesetzt, dass sich die Blutgefässe durch Muskelkraft nicht verengen), hänge nicht vom Herzen, sondern von der Menge der Flüssigkeit ab, welche in dem Gefässsysteme enthalten ist und also davon ab, wie viel grös- ser die Kräfte sind, durch welche Flüssigkeit in die Blutge- fässe herein gebracht wird, als die, wodurch Flüssigkeit aus ihnen austritt. „Diese Darstellung, sagt Volkmann 8.299 Z. 6 ist irrig. „Weber übersieht, dass neben dem Drucke, welcher vom *) Beleuchtung einiger von E. H. Weber angeregten Streitfra- gen über Blutdruck und Blutbewegung von A. W. Volkmann in Müller’s Archiv der Anatomie und Physiologie 1852, S. 287. 158 „Volum des Bluts ausgeht, noch ein zweiter in Rücksicht „kommt, welcher von der Bewegung abhängt. Die Röhren, „durch welehe das Blut fliesst, hemmen dasselbe durch Ad- „häsion und setzen ihre Krümmungen, Windungen und andere „Hindernisse entgegen, welche, so lange das Blut still steht, „natürlich nicht wirken. Erst wenn die Bewegung eintritt, „aber dann auch unfehlbar, entwickeln sie ihre Folgen und „diese Folgen äussern sich als Druck auf die Röhrenwan- „dungen. Bewegung erzeugt Druck, und zwar um „so mehr, je schneller sie ist.*... „Wenn also das „Herz Bewegung vermittelt, so erzeugt es einen Druck, der „vor der Bewegung ganz fehlte, und dieser vom Herzen ab- „hängige Druck summirt sich als variables Glied zu dem an- „dern vom Volumen des Bluts abhängigen und mit Rücksieht „auf den Herzschlag eonstanten Gliede.* Hierauf kann ich nur einfach antworten: der Satz „Be- wegung erzeugt Druck“ ist kein Naturgesetz, es ergiebt sieh vielmehr aus den auch für wenig compressible Flüssig- keiten (zu denen das Blut zu rechnen ist) gültigen Natur- gesetzen: dass eine Ungleichheit der Bewegung (vermöge deren am Ende eines Röhrenelements weniger Flüssigkeit aus- tritt, als an dessen Anfange in dasselbe eintritt), eine Compression der Flüssigkeiten in dem Röhrenelemente erzeugt und dass diese Compression mit einer Druck- zunahme verbunden ist“) “Die Röhrenwände werden dabei stets so ausgedehnt, dass sie auf die Flüssigkeit einen Druck ausüben, welcher dem Drucke der Flüssig- keit gleich ist. Es ist also nicht die Bewegung an sich, sondern die durch die Bewegung unter gewissen Verhältnissen an der be- betrachteten Stelle vermehrte Blutmenge, von weleher die Druckzunahme herrührt, woraus einleuchtet, dass eine all- gemeine Zunahme des Drucks in allen Theilen eines elasti- *) Unter einem Röhrenelemente wird bekanntlich ein kleinster querer Köhrenabschnitt verstanden. Wr. 159 schen Gefässsystemes von gegebenem Rauminhalte nur durch die Vergrösserung der ganzen darin enthaltenen Blut- masse z. B. durch Resorption erfolgen kann. Es ist nun zwar viel Wahres darin enthalten, wenn Volk- mann selbst fortfährt: „Wenn das Herz den Blutdruck vermehrt, so müssen die „Gefässwandungen eine Expansion erfahren und für eine er- „weiterte Gefässhöhle ist ein Mehr von Blut nöthig, wenn „nicht leere Räume entstehen sollen. Kann also das Herz „die Blutmasse nicht vermehren, so ist auch nicht ab- „zusehen, wie es den Druck steigere.... Nun:ist aber ein „eontrahirtes Herz kleiner als ein nicht eontrahirtes und da- „ber der mittlere Inhalt eines arbeitenden Herzens kleiner „als der eines ruhenden, folglich befindet sich, während das „Herz pulsirt, ein Theil der Blutmenge, die es während der „Ruhe fasst, im Gefässsysteme, vermehrt in diesem die Blut- „masse und erzeugt durch diese Vermehrung eine Steigerung „des Drucks im Gefässsysteme.* Denn diese Betrachtung stellt ganz deutlich vor Augen, wie es komme, dass am Ende der Druck im Gefässsysteme allein von der im Gefässsysteme enthaltenen Blutmenge ab- hänge. Es ist aber nur merkwürdig, dass Volkmann’ diese Betrachtung anführt, um damit zu beweisen, dass nur ein Theil des Druckes im Gefässsysteme‘ von der im Ge- fässsysteme enthaltenen Blutmenge, ein anderer Theil dagegen nach einem in der Physik ganz unbekannten Ge- setze, „Bewegung erzeugt Druck“ von der Bewegung ab- hänge*). *) Man denke sich, dass in einem Strome eine gerade an beiden enden offene Röhre in der Richtung des Stroms parallel mit dem Wasser fortschwimmt, so dass die Röhre und ihr Inhalt gleiche Ge- schwindigkeit haben und sich in relativer Ruhe befinden. Wird nun die Röhre plötzlich in ihrer Bewegung angehalten, so wird sich das in ähr befindliche Wasser vermöge, des Beharrungsgesetzes in allen seinen Theilen gleichzeitig längs den Rörenwänden bewegen, Das Wasser wird dann zwar durch Frietion einen Widerstand erleiden, der desto grösser ist, je grösser seine Geschwindigkeit, aber es wird deswegen keinen grösseren Druck auf die Röhre ausüben als zuvor. Wr 160 Uebrigens kann Volkmann’s Bemerkung, dass der mitt- lere Inhalt eines arbeitenden Herzens kleiner sei als der eines ruhenden, nicht. als Einwurf gegen meine Lehre gelten, dass das Herz durch seine Bewegung den mittleren Druck des Bluts in den Röhren des Gefässsystemes nicht vermehre. Denn ich habe gar nicht von dem Drucke des Bluts gespro- chen, während der Kreislauf still steht und das Herz im er- sehlafften Zustande ruht und durch das Blut ausgedehnt wird, sondern vom Drucke des Bluts während der Kreislauf ge- schieht und das Herz arbeitet. Wollte man nun aber unter dem Worte „Ruhe des Herzens“ den der Verlangsamung sei- nes Pulsschlags entsprechenden Grenzfall verstehen, so muss dann dem ruhenden Herzen derselbe mittlere Inhalt wie dem arbeitenden zugeschrieben werden. Es versteht sich von selbst, dass sich der mittlere Druck im Gefässysteme auf eine doppelte Weise ändern könne, entweder indem eine Vermehrung oder Verminderung der in dem Ge- fässsysteme eingeschlossenen Menge der Flüssigkeit stattfindet, oder indem eine Verengung oder Erweiterung der Höhle des Gefässsystemes geschieht, z. B. durch die Zusammenziehung der Muskelfasern der Blutgefässe und die Erschlaffung der- selben. II. Ob die eine Röhre erfüllende Flüssigkeit, wie Volkmann meint, an 2 Orten in ungleichem Grade gedrückt werden könne, ohne dass durch die Druckdifferenz eine Bewegung derselben her- vorgebracht werde? IV. Ob ferner, wie gleichfalls Volkmann behauptet, durch den Widerstand, welchen eine in einer Röhre bewegte Flüssigkeit an der Röhrenwand findet, ein Druck entstehe, der durch die Seitenwände aufgehoben werde und daher nicht auf die Flüs- sägkeit bewegend wirken könne, oder ob dieser Druck nach allen Richtungen gleich sei und die Flüsigkeit bewege? Volkmann sagt ferner S. 305 Z.5: „Ich werde bewei- „sen, dass die Ursache, von welcher mein geehrter Freund 161 „das Strömen des Bluts ableitet, nämlich die Druckdifferenz „zwischen den Arterien und Venen, die Ursache der Bewe- „gung nicht ist... Weber betrachtet den Unterschied des „Druckes (des Bluts) zwischen den Arterien und Venen als „die Ursache der Blutbewegung und verwechselt hierbei ganz „verschiedene Dinge, den Druck nämlich, welcher Bewegung „erzeugt, mit dem Drucke, welcher durch Bewegung er- „zeugt wird.“ Hierauf ‚habe ich zu entgegnen: Ein Naturgesetz, dass Bewegung Druck erzeugt und eine besondere Art des Drucks, welche durch Bewegung erzeugt wird, giebt es, wie schon oben erwähnt worden ist, nieht, wohl aber giebt es ein Naturgesetz, dass jede in einer Flüssigkeit existi- rende Druckdifferenz, der nicht von der Schwere oder von andern von ausseu auf alle Theile der Flüssigkeit wir- kenden Kräften das Gleichgewicht gehalten wird, Bewe- gung erzeugen müsse und ein zweites Naturgesetz, wel- ches das Grundgesetz der Hydraulik ist, dass jeder auf eine Flüssigkeit ausgeübte Druck nach allen Richtungen gleich ist und dass folglich auch der Sei- tendruck, den die Flüssigkeit auf die Röhrenwand und der innere Druck, den die Flüssigkeitstheilchen wechselseitig auf einander ausüben, gleich gross sein müssen. Man begreift daher nicht, wie Volkmann einerseits zu- geben und sogar gestützt auf eigne Versuche behaupten und beweisen könne, dass das Blut in der Aorta einem Drucke unterworfen sei, der z. B, dem einer sechs Fuss hohen Was- sersäule gleich komme und dass das Blut in den grossen Venenstämmen, welches mit dem Blute in der Aorta conti- nuirlich zusammenhängt, einem l10mal geringeren Drucke un- terworfen sei und andererseits behaupten könne, dass diese Druckdifferenz keine Bewegung des Bluts bewirke. Alle Bewegung des Bluts entsteht nur durch Druck- differenz und umgekehrt muss eine jede Druck- differenz in einer continuirlich zusammenhängen- den Flüssigkeit (insofern dieselbe nicht durch äussere Kräfte, z. B. durch Schwere und Widerstand aufgehoben ist) Müllers Archiv, 1853, 11 162 Bewegung hervorbringen. Die Geschwindigkeit der Bewegung wird durch diese Druckdifferenz so lange zuneh- men, bis durch diese Geschwindigkeit ein Widerstand her- vorgerufen wird, welcher jener Druckdifferenz das Gleichge- wicht hält. Ist dieses Gleichgewicht eingetreten, so dauert die Bewegung, ohne sich ferner zu vergrössern, so lange fort, als die Druckdifferenz fortdauert, die Druckdiffe- renz bewirkt dann also die Fortdauer der Bewe- gung und es verdankt demnach die Bewegung der Flüssigkeit ihre Entstehung, ihr Wachsthum und ihre Fortdauer der erwähnten Druckdifferenz. Volkmann beweist selbst durch seine Versuche mit dem Kymographion, dass der grosse Druck, welcher im Blute der Aorta des Pferdes und einiger andern Säugethiere stattfindet, durch jede Zusammenziehung des Herzens und also durch jede Pulswelle nur um ein Wenig vergrössert wird, beim Schaafe und Pferde nämlich höchstens etwa um 1% oder um 1%, bei dem Hunde etwa um !/,, dessenunge- achtet schreibt er diesem sechsten oder siebenten oder sieb- zehnten Theile des in den Arterien vorhandenen Drucks die ganze Wirkung zu, dievon dem Herzen ausgestossene Blutmenge in dem Zeitraume von einem Herzschlage zum anderen aus dem Arteriensystem in das Venensystem hinüber zu treiben, und die übrigen 5/ oder %% oder !%4, der vorhandenen Druck- kräfte sollen dabei wirkungslos sein. Er sagt $.:305 Z. 4 von unten: „Wenn Flüssigkeiten „durch Röhren strömen, entsteht in Folge der Widerstände „ein Druck, der sogenannte Seitendruck, welcher von der „Ausflussmündung der Röhre gegen die Einflussmündung „stetig zunimmt. Dieser Druck entspricht den Widerständen „und kann, eben weil er mit der Bekämpfung dieser beschäf- „tigt ist, zur Bewegung der Flüssigkeit nichts beitragen... „Nun ist aber der im Verlaufe der Blutröhren vorkommende „Druck nichts Anderes als Seitendruck und hat daher mit „der Fortbewegung des Bluts ebenfalls nichts zu schaffen *)... *) Hierin kann Volkmann Niemand beistimmen. Es ist, wie schon erwähnt worden, ein Grundprineip der Hydraulik, dass der 163 „Hiermit ist für Weber’s Theorie der Blutbewegung das „Fundament verloren gegangen. Die Ursache, welche er der „Blutströmung unterschiebt, existirt nicht... Die Wellen- „bewegung hilft nicht das Blut im Kreise herum bewegen, „sondern sie thut dieses allein... Wie kommt es aber,“ fährt Volkmann S. 311 Z. 10 fort, „dass nach Unterbindung „der Aorta, mit welcher die Wellenbewegung aufhört, das „Blut nach wie vor fliesst und aus den Arterien in die Ve- Druck, den eine Flüssigkeit erleidet, nothwendig in allen Richtungen gleich sei und dass also auch der Seitendruck, den die Flüssigkeits- theilchen auf die Röhrenwand ausüben und der innere Druck, den sie wechselseitig auf einander äussern, stets gleich sein müsse. Dadurch, dass dem Seitendruck durch die Röhrenwand Widerstand geleistet wird, wird der innere Druck nicht im geringsten vermindert. Volk- mann verwechselt hier Kraft und Druck, man kann wohl von den Kräften, welche in der Hervorbringung des Kreislaufs im Spiele sind, denjenigen Theil unterscheiden, welcher durch den Widerstand der Röhrenwände und durch die Frietion der Flüssigkeitstheilchen anein- ander aufgehoben wird und denjenigen Theil, der eine Aenderung der Bewegung des Bluts bewirkt, aber bei dem Drucke findet eine solche Unterscheidung keine Anwendung, denn der innere Druck in der Flüssigkeit wird dadurch nicht geringer, dass dem Seitendrucke durch die Röhrenwand Widerstand geleistet wird. Bei dem Strömen einer Flüssigkeit in einer Röhre entsteht ein Widerstand in allen Theilen der Röhre, und dieser würde die Strö- mung hemmen, wenn nicht auch gleichzeitig die Flüssigkeit in allen ’Theilen der Röhre einen neuen Antrieb zur Bewegung erhielte. Dieser neue Antrieb rührt von den Druckdifferenzen her, die dem Wachsthume des Drucks von der Ausflussmündung bis zur Einflussmün- dung in jedem Theile der Röhrenwände entsprechen. Durch die aus diesen Druckdifferenzen in der Richtung der Röhre resultirenden Kräfte wird, weil sie die Widerstandskräfte aufheben, die Bewegung der Flüssigkeit erhalten. Der Seitendruck (d. i. der Druck, den die Röhrenwände erleiden) hat freilich nichts mit der Fortbewegung des Bluts zu schaffen; der Seitendruck resultirt aber aus dem Drucke der Flüssigkeit, der gleiehmässig nach allen Richtungen wirkt, daher erkennt man den Druck, den alle Theile der Flüssigkeit wechselseitig auf einander ausüben, aus dem Seitendrucke, den man misst und lernt aus den Differenzen des Seitendrucks in den verschie- denen Abtheilungen der Röhre die Druckdiflerenzen der Flüssigkeit in der Röhre kennen, Wr, ı1* 164 „nen übertritt? Beweist dieses nicht den Weberschen Lehr- „satz, dass der Unterschied des Druckes in den Arterien „und Venen die Ursache der Blutbewegung sei? Ich verneine „das auf das Entschiedenste. Dass die Druckdifferenz nach „Unterbindung der Aorta ein Strömen des Bluts zu Stande „bringt, liegt nicht an der Druckdifferenz als solcher, son- „dern daran, dass sie ausgeglichen wird. Die Ausglei- „chung geschieht aber dadurch, dass die Arterien sich zu- „sammenziehen und nun freilich ihren Inhalt austreiben*). Im „normalen Leben ist von dem allen nicht die Rede, es „kommt zu keiner Ausgleichung des Druckunterschiedes **) *) Nach den Gesetzen der Hydraulik kann, wie schon oben er- wähnt worden ist, in einer continuirlich zusammenhängenden Flüssig- keit keine Druckdifferenz bestehen, ohne dass sie sich auszugleichen strebt. Denn stets bewegen sich die Flüssigkeitstheilchen von da, wo sie stärker gedrückt werden, dorthin, wo die Flüssigkeit weniger stark gedrückt ist und daher keinen hinreichenden Widerstand leistet. Die Vorstellung, dass die Ausgleichung nicht vermöge der auf die Flüs- sigkeitstheilchen wirkenden ungleichen Druckkräfte selbst erfolge, son- dern nur durch besondere Kräfte, die in den Wänden der Arterien rege würden, steht im Widerspruche mit den Gesetzen der Hy- draulik. Wr. **) Die Ursache, warum im Leben der Unterschied fortbesteht, welcher zwischen dem Drucke stattfindet, den Blut und Röhrenwände in den Arterien wechselseitig auf einander ausüben und dem Drucke, welchen Blut- und Röhrenwände in den Venen wechselseitig aufein- ander äussern, liegt darin, dass das pumpende Herz den Druck in den Venen durch die Wegnahme von Blut vermindert, während es diesen Druck in den Arterien, durch Eintreibung von neuem Blute vermehrt. Ungeachtet daher die Druckdifferenz des Bluts in den Ar- terien und Venen auch während des gesunden Zustandes des Menschen sich immerfort auszugleichen strebt, indem das Blut immerfort aus den Arterien in die Venen strömt, so kann es doch zu keiner Aus- gleichung kommen, weil das Herz immer von neuem eine eben so grosse Ungleichheit des Drucks erzeugt. Nicht nur wenn man die Aörta unterbindet, sondern auch, wenn das Herz auf einige Zeit still steht und zu pumpen aufhört, fährt das Blut fort aus den Arterien in die Venen zu strömen. Die elastischen Wände der Gefässe, weil sie durch das Blut ausgedehnt sind, streben sich immer fort zu verengen, auch dann, wenn die Muskelfasern derselben sich nicht durch ihre lebendige Kraft zusammenziehen. Wr. 165 „und die Arterien entleeren sich nicht durch Zusammenzie- „hung ihres Inhalts. Zwar contrahiren sich die Arterien bei „jedem Pulse, aber sie erweitern sich auch um eben so viel „bei jedem Pulse und‘ es ist einleuchtend, dass ein solcher „Wechsel der Röhrenweite der Bewegung nicht zu Gute „komme*).* V. Ob in den Arterien zugleich Strömen des Blutesund Wellenbewegung, oderob wie Volkmann glaubt, kein Strömen des Bluts, sondern nur Wel- lenbewegung statt finde?* Volkmann sagt S. 309 Z.18: „Die Annahme einer noch „neben der Wellenbewegung bestehenden Ursache der Blut- „bewegung ist unzulässig, weil sie überflüssig ist.“ Ob. man die gegebene Bewegung einer Flüssigkeit in Strombewegung und Wellenbewegung zerlegen will, ist zwar willkührlich; denn diese Zerlegung hat nur den Zweck, die Betrachtung zu vereinfachen und die Uebersicht zu erleich- tern. Hat man sich aber zu einer solchen Zerlegung ent- schlossen, so ist die Art der Zerlegung nicht mehr willkühr- lich, sondern durch die Natur der Sache selbst gegeben. Das Prineip dieser Zerlegung besteht darin, dass man von der ganzen gegebenen Bewegung den beharrlichen Theil und den wechselnden Theil unterscheidet. Giebt es also einen be- harrlichen und einen wechselnden Theil der Bewegung des Bluts in den Arterien, so muss man den beharrlichen Theil als Strom, den wechselnden als Welle bezeichnen. e DE A und B Fig. 1 stellen 2 Wasser enthaltende Behälter *) Warum ein solcher Wechsel der Röhrenweite der Bewegung nicht zu Gute komme, ist nicht zu begreifen. Wr, 166 vor, welche durch die ausdehnbare Röhre € E unter einan- der communieiren, die man sich viel länger denken kann, als sie hier dargestellt ist. Wird nun in gleichen Zeiträumen z.B. in 1 Seeunde immer ein gleiches Quantum Wasser aus dem Behälter B geschöpft und in den Behälter A ausgegossen, so bringt der Schöpfende dadurch eine ähnliche Veränderung hervor, als das Herz durch seine Pumpen in dem Gefässsy- steme. Er vermindert die Wassermenge und den Wasserdruck in dem Behälter B und vermehrt die Wassermenge und den Wasserdruck in dem Behälter A. Dadurch entsteht in A und B eine Druckdifferenz zwischen « und $. Ist der die Behälter verbindende ausdehnbare Canal weit genug, so kann sich die entstandene Druckdifferenz in dem Zeitraume von einem Schöpfen zum andern ausgleichen und die ganze Was- sermenge, welche das Niveau im Behälter B vertiefte und im Behälter A erhöhete, kann in diesem Zeitraume nach B hinüber geführt werden. Man kann, wenn man will, die mit dieser Ueberführung verbundene successive Bewegung als eine von A nach B laufende Welle betrachten und kann daher die "Ausgleichung des Drucks der Wellenbewegung zuschreiben, ohne einen Strom anzunehmen. ce D 77% Anders verhält sich’s aber, wenn die die Behälter ver- bindende dehnbare Röhre Fig. 2 bei D’ verengt und z. B. in viele kleine sehr enge Röhren getheilt ist; und wenn nun wegen dieses Hindernisses bei einer so kleinen Druckdiffe- renz, wie die bisherige war, eine Ausgleichung des Drucks in dem Zwischenraume von 1 Secunde nicht erfolgen kann. Unter diesen Umständen wird in einem solchen Zeitraume nur ein Theil des die Druckdifferenz hervorbringenden Wassers nach B gelangen, ein Theil desselben wird sieh in A und €‘ an- häufen und aufstauen, und dieses Anhäufen und Aufstauen wird bei dem fortwährenden Herüberschöpfen so lange zu- nehmen, bis die Druckdifferenz so beträchtlich ist, dass ver- möge derselben das herübergeschöpfte Quantum Flüssigkeit in dem Zeitraume von einem Schöpfen zum ‘andern von A nach B gelangt. Wir wollen annehmen, dass dieser Zustand dann eintrete, wenn das Wasser in A um 6 Fuss höher als in B steht. In dem Augenblicke, wo dann das Schöpfgefäss in A ausgegossen und daselbst das Niveau von a bis « erhö- het wird, ensteht eine positive Welle, welche durch den aus- dehnbaren Canal bis nach D’ läuft und daselbst durch viel- fache Reflexion und Friction vernichtet wird. Die Erhöhung des Niveau von a bis « und die dadurch hervorgebrachte Welle ist nicht die alleinige Ursache, dass in dem Zeit- raume von einem Schöpfen zum andern die geschöpfte Flüs- sigkeit von A nach B herübergeführt wird, sondern den gröss- ten Antheil hieran hat die schon vor dem letzten Ausgiessen zwischen @ und b vorhandene Druckdifferenz. Diese Druckdiffe- renz bringt in der dehnbaren Röhre C’ einen continuirlichen Strom in der Richtung von A nach B hervor, welcher auch dann fortdauert, wenn man mit dem Schöpfen inne hält. Das Schöpfen und die dadurch erregte Welle beschleunigt nur die schon strömende Flüssigkeit in C’ periodisch, und bewirkt, dass die Druckdifferenz ungeachtet der Wellenbewegung und des continuirlichen Strömens fortdauert. So wie wir nun hier ein von der Druckdifferenz zwischen a und b abhängendes ununterbrochenes Strömen und eine durch das Ausgiessen in A periodisch hervorgebrachte Druckerhöhung a« unterschei- den können, durch die eine positive Welle entsteht, eben so können wir bei dem Kreislaufe des Bluts eine beharrliche Bewegung des Bluts (einen Strom, unterscheiden, der von dem beharrlichen Theile der Druckdifferenz in Arterien und Venen hervorgebracht wird, und eine wechselnde Bewe- gung (die Welle), die dadurch entsteht, dass das Herz perio- disch eine Quantität Blut in die gespannt volle Aorta aus- stösst und dadurch in dem Flüssigkeitsstrome des Arterien- 168 systems successiv eine Verrücknng aller Flüssigkeitstheil- chen hervorbringt, die nur kurze Zeit dauert, durch einen Zeitraum der Ruhe unterbrochen wird und sich in denselben Perioden wie die Herzbewegung wiederholt. Diese Verrük- kung erscheint dem mikroskopischen Beobachter in den Adern lebender Thiere als eine kurzdauernde Beschleunigung der in den Zwischenzeiten vorhandenen langsameren Strömung. Durch diese abwechselnd schnellere und langsamere Bewe- gung wird, wenn der Kreislauf vollkommen und ungestört im Gange ist, im Mittel von einem Pulsschlage zum andern gerade so viel Blut durch jeden Querschnitt des ganzen Ar- teriensystems bewegt, als vom Herzen in die Aorta ausge- stossen wird. Aber diese Quantität Blut, welche in dem Zeitraume von einem Herzschlag zum andern in die Aorta gestossen wird und aus den Arterien in die Haargefässe ge- langt, ist nicht die Blutwelle, wie Volkmann annimmt. Der grössere Theil dieser Quantität fliesst durch eine conti- nuirliche Bewegung des Bluts, die durch den beharrlichen Theil der Druckdifferenz in Arterien und Venen diesseits und jenseits der Haargefässe unterhalten wird, aus den Ar- terien in die Haargefässe und Venen, und nur der kleinere Theil dieser Quantität wird vermöge der Blutwelle in die Haargefässe fortbewegt. Die Blutwelle bewegt sich nach der von mir gemachten Messung in meinen Arterien in 1 Sekunde ungefähr 281% Par. Fuss weit. Nach '% Sekunde ist sie daher jedenfalls auch auf der weitesten Bahn durch die Fusszehen, vom An- fange der Aorta bis in das rechte Atrium gelangt. Aber nicht in einer halben Sekunde, sondern in dem ganzen Zeitraume von einer Contraction des Herzens zur andern, rückt eine Quantität Blut, die der vom linken Ven- trikel ausgestossenen gleich ist, etwa 12 Zoll in der Aorta und ungefähr 8 Zoll in den Venis cavis fort. Da ich ungefähr 60 Pulsschläge in 1 Minute habe, so bewegt sich bei mir ein beträchtlicher Theil dieser Flüssigkeit nur durch Strömung und, ohne dass eine Welle sie forttreibt, zu dem Atrium hin. Die positive Blutwelle giebt sich unseren Fingern, mit wel- 169 chen wir bei den Pulsfühlen die Arterien drücken, als eine durch das Arteriensystem mit grosser Geschwindigkeit fortschreitende Erhöhung des Blutdrucks zu erkennen, und diese bringt an jedem Orte in dem Augenblicke, wo sie an ihm vorüber- schreitet, eine vorübergehende sehr kurz dauernde Spannung der Gefässwände und eine Beschleunigung der strömenden Bluttheilchen hervor. Nach den Gesetzen der Wellenbewe- gung müssen an allen Winkeln der sich in Aeste theilenden Arterien Theile der Pulswelle reflectirt werden und diese re- flectirten Wellentheile müssen die Arterien in umgekehrter Richtung durchlaufen und da, wo sie eben vorübergehen, eine Verlaugsamung der strömenden Bewegung des Bluts hervorbringen, weil sie die Bluttheilchen in der Richtung nach dem Herzen zu bewegen streben. Durch diese und noch mehr durch andere Hemmnisse, namentlich durch die Frietion in den Blutgefässen geschieht es, dass die Puls- wellen in den Haargefässen verschwinden. Von dem Theile der Haargefässe oder der Venen an, wo die Pulswelle durch Reflexion und andere Hemmnisse zerstört worden ist, findet nur noch eine fast beharrliche Bewegung des Bluts, eine Blutströmung statt, und man beobachtet daher im ge- sunden Zustande in den Venen weder durch das Gefühl noch durch das Hämadynamometer eine sich durch den Blutstrom fortpflanzende successive periodische Erhöhung des Blutdrucks, noch nimmt man durch das Mikroskop in den Venen leben- der Thiere eine deutliche, periodisch sich wiederholende Beschleunigung der strömenden Bluttheilchen wahr. Es feh- len in dem Blutstrome der Venen alle Zeichen der Existenz von positiven Wellen und das Blut bewegt sich daher da- selbst bei den Säugethieren nieht durch die positiven Wellen aus den Anfängen der Venen bis zu dem Herzen, sondern durch Strömung*). *), Wellen im Wasser mit freier Oberfläche unterscheiden sich da- durch von Luftwellen und von Wellen im Wasser, das in dehnbaren elastischen Röhren eingeschlossen ist, dass eine positive Welle (Berg- welle, im freien Wasser hinter sich eine Thalwelle hervorbringt, auch dann, wenn die wellenerregende Ursache an und für sich nicht geeignet 170 VI. Ob es wie Volkmann glaubt Wellen giebt, welche nicht für eine sich fortbewegende Form erklärt werden können, sondern für eine sich fort- bewegende Masse gehalten werden müssen? Eine Entdeckung von einer besonderen Art von Wellen, welche Volkmann gemacht zu haben glaubt, die nicht wie andere Wellen für eine sich fortbewegende Form gehalten werden dürfen, die während ihres Fortschreitens aus anderer Materie bestehn, sondern ein sich fortbewegendes Quantum von Flüssigkeit sind, hat einen grossen Antheil an der Ansicht über den Kreislauf des Bluts, zu der er geführt worden ist. Volkmann meint, die Pulswellen gehörten zu dieser merkwürdigen neuen Klasse von Wellen. Er glaubt, die- jenigen Wellen, welche als eine sich fortbewegende Form betrachtet werden müssten, brächten keine Bewegung der Flüssigkeit hervor. Dieses ist nicht zuzugeben. Alle Wellen müssen als eine sich fortbewegende Form betrachtet werden und alle Wellen bringen Bewegung der Flüssigkeit hervor, in der sie sich fortbewegen. Aber es giebt positive und negative Wellen. Da nun die positiven Wellen eine Bewe- ist, eine 'Thalwelle zu erregen. Diese Eigenschaft der Welle rührt von der Beschleunigung her, welche die Theile derselben beim Niedersin- ken durch die Schwerkraft erleiden. Eine solche Beschleunigung fin- det bei den Wellen in ausdehnbaren, elastischen, mit Flüssigkeit gefüll- ten Röhren nicht statt. Die positive Pulswelle lässt die Arterien, durch die sie hindurch gegangen ist, in ausgedehntem Zustande hinter sich und die Arterien verengen sich vermöge der angegebenen Druck- differenz. Das Herz würde durch seine Zusammenziehung in den Ar- terien nur eine positive Welle und keine Spur einer negativen Welle erregen, wenn das Blnt der Aorta, während das Herz erschlafft, gar nicht in der Richtung nach dem Ventrikel zurückweichen könnte. Da nun aber wenigstens das Blut in das Herz zurückweichen muss, wel- ches den Theil der Aorta erfüllt, der von den valvulis semilunaribus umgeben ist, damit diese valvulae aufgeblähet werden können, so muss diesem zurückweichenden Blute entsprechend eine schwache negative Welle "entstehen, die aber nicht die ausreichende Ursache der Veren- gung ist, welche die Arterien während der Erschlaffung des Herzven- trikels erleiden. Die Hauptursache der Verengerung der Arterien liegt in der fortdauernden Druckdifferenz zwischen Arterien und Venen, welche ein Fortströmen des Bluts aus den Arterien bewirkt. Wr. 171 gung der Flüssigkeit in der entgegengesetzten Richtung her- vorbringen, als die negativen, so geschieht es, dass, wenn gleichgrosse positive und negative Wellen mit einander abwechseln, die nachfolgende negative Welle die Flüssigkeits- theilchen an den Ort zurückführt, von wo sie die vorherge- hende positive Welle weggeführt hatte. Wenn aber nur positive Wellen, oder nur negative Wellen erregt werden, so bewegt sich die Flüssigkeit mit jeder Welle ein Stück fort und zwar bei positiven Wellen in derselben Richtung, in der die Wellen sich fortbewegen, bei negativen Wellen aber in der entgegen- gesetzten. Ich habe jederzeit behauptet, dass die Pulswellen das Blut in der Richtung des Kreislaufs bewegen helfen. Eine Bewegung, welche sich durch eine Flüssigkeit von Theilchen zu Theilchen fortpflanzt und successiv und vor- übergehend eine Verrückung aller Theilchen hervorbringt, ist eine Welle, die, während sie fortschreitet, aus andern und an- dern materiellen Theilen besteht. Eine solche Bewegung ist auch die Pulswelle, und sie ist daher auch eine Form, die sich dadurch fortbewegt, dass sie vorn fortwächst und hinten vernichtet wird. Die Bewegung der Flüssigkeitstheilchen aber, welche bewirkt, dass die Form vorn fortwächst und hinten vernichtet wird, geschieht in allen auf einander folgenden positiven Wellen in demselben Sinne und führt daher das Blut in der Richtung des Kreislaufs weiter, aber nicht con- tinuirlich, sondern periodisch und ruckweise. Volkmann spricht sich über die Wellen (Hämodynamik S. 104) so aus: „In der That giebt es eine Wellenbewegung, „welche, wie Weber sich ausdrückt, nur auf einem Fort- „schreiten der Form der Masse, nicht auf einem Fortschrei- „ten der Masse selbst beruht; so verhält es sich, wenn man „einen Stein in einen Wasserbehälter fallen lässt, oder wenn „man durch schnelles Ansaugen von Wasser in eine Röhre „eine Störung im Niveau erregt*)... Im Blutgefässsysteme „dagegen beruht sie (die Wellenbewegung) auf einer Fort- „pflanzung der Masse selbst... Die Welle verbreitet *) Dieses kann ich nicht einräumen; denn ein in Wasser fallender Stein erregt zuerst eine positive Welle, das schnelle Ansaugen einer 172 „sich in der Zeit eines Pulsintervalles von der Kammer bis „zu dem entsprechenden Vorhofe, ebenso schnell bewegt „sich die überschüssige Blutmasse d. h. beim Menschen die „Quantität von 6 Unzen Blut... Bestände die Blutbewegung „ausschliesslich im Strömen der vom Ventrikel entleerten 6 Flüssigkeit in eine Röhre bringt zuerst eine negative Welle hervor, Sowohl jene positive als diese negative Welle beruhen auf einer succes- siven Fortbewegung der Flüssigkeitstheilchen und ohne eine solche Fortbewegung kann keine von beiden Wellen fortschreiten. Kann sich die erregte Welle nicht auf eine grosse Wasserfläche ausbreiten, so bleibt dieses Fortrücken der Flüssigkeitstheilchen weithin sichtbar, z. B. in einem schmalen Graben mit parallelen Wänden. Eben so verhält sich’s, wenn man eine Quantität Wasser in jenen Graben hineinpumpt, oder eine Quantität Wasser durch Zurückziehen des Stempels einer Pumpe aus dem Graben hinwegnimmt. Im ersteren Falle entsteht eine positive, im zweiten eine negative Welle. Beide Wellen gehen im Graben der Länge nach und in derselben Richtung, fort, aber bei der positiven Welle rücken alle Wassertheilchen successiv ein Stück in der entgegengesetzten Richtung fort, als in der sich die ne- gative Welle bewegt. Wird nun erst eine positive Welle durch Ein- spritzen von Wasser und sogleich darauf eine negative Welle durch Einsaugen von ebensoviel Wasser erregt, so gerathen suceessiv alle Wassertheilchen in dem Graben in dem Augenblicke, wo diese beiden Wellen vorübergehen, in eine Bewegung, vermöge deren sie erst vor wärts und hierauf wieder rückwärts rücken. Wird aber periodisch Wasser eingespritzt und keins eingesogen, so rücken die Wassertheil- chen bei jeder Welle in der Richtung, in der die Welle läuft, ein Stück fort; wird dagegen periodisch Wasser eingesogen, so rücken die Was- sertheilchen bei jeder Welle ein Stück in der entgegengesetzten Rich- tung fort, als in der die Welle sich bewegt. Die Pulswellen unter- scheiden sich hierin nicht von andern Wellen, denn auch die Puls- wellen können in krankhaften Verhältnissen die Eigenschaft annehmen, dass das Blut durch sie dem Herzen gar nieht oder fast gar nicht ge- nähert wird, sondern an seinem Orte bleibt. Dieses würde z. B. dann der Fall sein, wenn die Semilunarlappen am Anfange der Aorta gänz- lich zerreisen. Der sich zusammenziehende linke Ventrikel würde dann eine positive Welle erregen, die durch das Arteriensystem fort- schritte und die mit einem successiven Vorwärtsrücken aller Blut- theilchen in der Richtung nach dem Herzen zu verbunden wäre, die darauf folgende Erschlaffung des linken Ventrikels würde aber die Entstehung einer negativen Welle zur Folge haben, die mit einem successiven Rückwärtsrücken aller Bluttheilchen verbunden sein würde und die gleichfalls durch das Arteriensystem hindurch fort- 173 „Unzen, so würde in der That die Geschwindigkeit der „Strömung, und die der Pulsbewegung gleich sehnell vor „sich gehen. Indessen bewegt sich die vom Ventrikel ent- „leerte Blutmenge nicht allein, sondern theilt ihre Bewegung „auch der Blutmasse mit, welche bereits vor dem Pulse die „Arterien erfüllte. Natürich wird nun die Blutmasse im „Ganzen sich langsamer bewegen.“ Es scheint, Volkmann habe nicht gewagt zu sagen, die Pulswelle beruhe auf einer Fortbewegung der Masse des Bluts, weil das von dem linken Ventrikel in die Aorta ein- getriebene Blut sich in dem !Zeitraume von einem Herz- schlage zum andern nur etwa 12 Zoll weit bewegt und nur durch seinen auf die Gefässwände und auf das übrige Blut ausgeübten Druck eine successive Verschiebung der Theilchen des übrigen in den Blutgefässen enthaltenen Bluts bewirkt, so dass das Gefässsystem nicht erschlafft und deunoch am Ende der grossen Venen eine gleich grosse Quantität Blut sich etwa 8 Zoll weit bewegt und in’s Atrium dex- trum eindringt. Er sagt daher, die Pulswelle beruhe auf einer Fortpflanzung der Masse des Bluts. Aber es kann sich zwar eine Bewegung und deren nächste Wirkung der Druck und die Veränderung der Form fortpflanzen, aber eine Masse Flüssigkeit kann sich nicht fortpflan- zen, eine Masse kann sich nur fortbewegen. Das was schreiten würde. Das aus dem Ventrikel ausgestossene Blut würde bei seiner Erschlaflung in den Ventrikel zurückkehren und eben so würde jedes Bluttheilchen in den Arterien erst vorwärts gerückt wer- den und hierauf sogleich an seinen Ort zurückkehren, und dennoch würden Pulswellen das Arteriensystem durchlaufen. Es giebt also keine Wellen, welche fortschreiten könnten, ohne dass eine Fortbewegung von Flüssigkeit statt findet, sondern es können nur unter gewissen Umständen gleich grosse positive und negative Wellen erregt werden, so dass die nächstfolgende ‚negative Welle die Flüssigkeitstheilchen dahin wieder zurück bewegt, von wo sie die positive Welle vorwärts bewegt hatte, Eine Welle im Wasser mit freier Oberfläche hat die Eigenthümlichkeit, dass sie vor sich und hinter sich neue Wellen er- regt, von welchen jede aus einer positiven und aus einer negativen Welle besteht. Diese neuen Wellen bringen daher nicht eine Fortbe- wegung der Flüssigkeit hervor. 174 Volkmann. Fortpflanzung der überschüssigen Masse der Flüssigkeit nennt, ist eine successive Verrückung anderer und anderer Flüssigkeitstheilchen, hervorgebracht durch die Fort- pflanzung des Drucks. Die vom Herzen ausgetossene Blut- masse, die Volkmann zu 6 Unzen annimmt, bewegt sich also nicht so schnell, als die Pulswelle, denn jene bewegt sich in 1 Sekunde 12 Zoll weit, während die Pulswelle nach meinen Bestimmungen in den Arterien eine Geschwindigkeit hat, vermöge deren sie sich in einer Sekunde 281, Fuss weit bewegen würde, wenn sie ihre Bewegung so lange fortsetzte. Wären die Blutgefässe leer und spritzte der linke Ventrikel alle Sekunden 6 Unzen Blut in die Aorta, die bis zum rech- ten Atrium flögen, so wäre diese Bewegung des Bluts ‚weder eine Strombewegung noch eine Wellenbewegung, sondern eine Wurfbewegung. Hierbei würden sich wirklich die Masse und ihre Form zugleich und gleich schnell fortbewegen. Aus dem, was nun hierüber auseinander gesetzt worden ist, ergiebt sich, dass es keine Welle giebt, welche für eine sich fort- bewegende Masse gehalten werden dürfte, sondern dass alle Wellen durch einen sich fortpflanzenden Druck entstehen, der eine sich fortpflanzende Form hervorbringt. Dass die Verschiedenheit des Blutdrucks in den grösseren dem Herzen näheren und entfernteren Arterien verhältniss- mässig zu dem grossen Drucke, welchen das Blut in allen grösseren Arterien erleidet, nur sehr gering sei, habe ich durch eine Reihe von Experimenten, welche ich gemein- schaftlich mit Theodor Weber angestellt habe, bestätigt gefunden und ich werde daher dasjenige, was ich zur Ver- theidigung von Th. Young und Poiseuille zu sagen habe, bei Gelegenheit der Auseinandersetzung dieser Versuche in der Fortsetzung meiner Abhandlungen über die Lehre vom Kreislaufe des Blutes mittheilen. Was die hier behandelten sechs Differenzpunkte betrifft, so glaube ich klar bewiesen zu haben, dass Volkmann’s Auffassung derselben mit den anerkannten Gesetzen der Hydraulik unvereinbar ist. Ueber den Bau der Echinodermen *). Gelesen in der K. Akad. d. Wiss. zu Berlin, am 26. Mai 1853. Von Jon. MÜLLER. Die Wesenheit der Echinodermen liegt ausser der radiären Gestalt und Eintheilung in der Verkalkung des Perisoms und mancher innerer Theile, in ihrer eigenthümlichen Metamor- phose und vor allem in ihren ambulacralen Bildungen, den von einem eigenthümlichen System von innerlich wimpernden Canälen schwellbaren Saugfüsschen. Die Larven der Echinodermen haben nur bilaterale Symmetrie und sind noch ohne Spur der radialen Anlage, bei ihrem Kreisen durch Wimperbewegung ist auch das eine Ende constant voraus gerichtet. Die ausgebildeten Echino- dermen dagegen sind erst radial angelegt, so zwar, dass sie zugleich mehr oder weniger Spuren einer bilateralen Symme- trie an sich tragen. In den auf einer Sohle kriechenden Holothurien und in den irregulären Seeigeln ist die bilaterale Symmetrie sogleich offenbar. Nicht alle Echinodermen krie- chen auf einer constanten Seite oder sind sohlig, viele Ho- lothurien baben nichts von einer Sohle. Die Sohle oder die dem Boden zugewandte Seite umfasst bald einen gleichen Theil aller Radien oder Ambulacra, so dass der im Centrum der Radien liegende Mund die Mitte der Sohle einnimmt, *) Fortsetzung der anat. Studien über die Echinodermen. Archiv 1850, 117. 225. 176 wie in den regulären Seeigeln und in den Asteriden, oder der Mund befindet sich am Ende und die Sohle gehört nicht allen Radien an, sondern es sind von den 5 Am- bulacren nur 3 zur Sohle ausgebildet, wie in den sohligen Holothurien; Bauch- und Rückseite sind also nicht constant im Verhältniss zur radialen Gestalt. Die Frage nach der’ bilateralen Symmetrie einer radiären Form wird sowohl hie- durch als durch die vorwaltend radiäre Symmetrie der regu- lären Gestalten äusserst verwickelt und es wird sogleich nöthig, die im Echinoderm sich äussernden Instinete bei den Bewegungen zu Rathe zu ziehen. Alle sohligen Formen haben den entschiedensten Instinct, ihre Sohle, von welcher Art dieselbe sein mag, mag der Mund in der Mitte oder am Ende der Sohle liegen, gegen den Boden zu richten, und sie bestreben sich, auf den Rücken gelegt, sich umzuwenden, wie ein auf den Rücken gelegtes Insect. So verhält sich schon die radiäre Anlage des Echi- noderms in der Larve, sobald die ersten ambulacralen Füss- chen hervorgebrochen sind. Die Uranlage des Seeigels und Sterns, die Staffelei der Larvengestalt mit sich herumschlep- pend widerstrebt durch die Bewegung der Füsschen jeder Lage auf dem Glase, wobei die Füsschen nicht gegen das Glas gerichtet sind und stellt durch die Saugfüsschen die natürliche sohlige Lage her. Ohne Zweifel liegt es nicht im Instinet der Thiere, die sohlige oder Bauchseite nach der Richtung der Gravitation zu wenden: denn die Insecten Jau- fen an der Unterseite von festen Wänden, sobald sie daran zu haften vermögen, und die Seeigel kriechen an senkrech- ten Wänden mit ihren Saugfüsschen behende; vielmehr liegt es nur im Instinet dieser Thiere, die sohlige Seite der Am- bulacren den festen Wänden, wo sie sich darbieten, zuzu- wenden. Die regulären Gestalten, deren Sohle einen gleichen Theil aller Radien umfasst und deren Mund im Centrum der Sohle liegt, wie die regulären Seeigel, die Asterien und Ophiuren kriechen nicht vorzugsweise in einer Richtung, einen con- stanten Radius voraus, sondern bald ist es dieser bald jener 177 Radius oder Interradius, in dessen Richtung das Thier fort- schreitet. Was Tiedemann von den Asterien angiebt, gilt in gleicher Weise von den Ophiuren und Seeigeln. Diese Thiere bewegen sich so, als ob sie gar nicht wüssten, was an ihnen vorn und hinten ist, so bestimmt ihre Unterschei- dung der Bauch- und Rückseite ist. Die ganz junge Holo- thurie mit 5 Saugfüsschen um den Mund und ohne Füsschen am Körper kriecht noch nicht auf ihrer spätern Sohlenseite, sondern thut so, wie wenn die Mundfüsschen ihre Sohle wären und sie benimmt sich dabei wie ein mit dem Mund nach dem Boden gerichteter Seeigel, ihr Körper ist aufge- richtet, sie saugt sich mit den Mundfüsschen an und streckt sie abwechselnd in verschiedenen Richtungen vor. Wenn aber das erste Füsschen ventral am hintern Ende des Kör- pers hervorgebrochen ist, so macht sie zugleich von diesem Gebrauch, so als wenn es zugleich zur Sohle gehörte, und indem sie bald die Mundfüsschen bald das einseitige Füss- chen zum Ansaugen und als festen Punkt zum Ausstrecken benutzt, ist sie auf dem Uebergang in eine sohlige Holo- thurie. Auch in diesem Zustand sieht man die junge Holo- thurie nicht vorzugsweise in einer Richtung sich bewegen; sie verändert vielmehr auf dem Glase herumtastend ihren Ort bald hierhin bald dorthin. Was die erwachsenen sohli- gen Holothurien betrifft, so habe ich sie noch nicht in der Richtung den Kopf voraus kriechen gesehen; ich zweifle aber nicht, dass sie es thun, weil sie ganz dazu eingerichtet sind. Die Mittheilungen hierüber sind meist unklar, man hat sie kriechen gesehen, es wird aber nicht angegeben, in welcher Richtung. Johnston sagt von Thyone papillosa (Forbes brit. starf. p. 236), sie besitze eine langsame progressive Bewegung, langsamer als der Schatten auf der Sonnenuhr, und diese geschehe, dass die Sauger an einer Stelle sich verlängern, sich fixiren und dann durch Zusammenziehung den Körper fortziehen, die Sauger würden aber noch öfter wie Anker denn als Füsse benutzt, da diese Creatur von einem indo- lenten und unbeweglichen Charakter sei. Ohne sandigen Boden bewegen sich die Synapten nicht vorzugsweise in einer Müllers Archiv. 1853. 12 178 Riehtung, sondern biegen und winden sich hierhin und dort- hin, aber Quatrefages hat sie auf Sandboden in Gefässen mit Wasser mit den Mundfüsschen im Sande sich eingraben gesehen. Eine wichtige Stelle nehmen in dieser Frage die länglichen Seeigel ein. Bei den Spatangen besteht die Sohle aus Antheilen aller 5 Ambulacra, aber der ventrale Mund liegt dem einen Ende näber, und der After am andern Ende zwischen zweien Ra- dien und entgegen gesetzt dem unpaaren Radius, den man deswegen den vordern Radius nennt. Er scheint in der That diesen Namen zu verdienen, weil seine Füsschen vorzugs- weise zur Ortsbewegung ausgebildet sind. Man hat hiernach in den regulären Formen, deren After am dorsalen Centrum liegt (reguläre Seeigel und die mehrsten Asterien), oder wie in andern 'Asteriden ganz fehlt, den vordern Radius gesucht. Dass die Lage der Madreporenplatte nicht auf hinten zu be- ziehen ist, wurde schon bewiesen daraus, dass sie in vielen länglichen Seeigeln seitlich, in andern eine Erweiterung der rechten vordern Genitalplatte nach dem Centrum ist. Anat. Studien über die Echinodermen. Archiv. f. Anat. und Phy- siol. 18550. Von besonderem Interesse sind unter den regulären Echi- niden die länglichen Formen der Echinometren. Bei Echinometra acufera ist der After einem Radius genähert, und zwar dem längsten Radius, so dass der vorn -hintere Durchmesser mit dem längsten Durchmesser zusammenfällt. Bringt man den unpaaren mittlern län- gern Radius einer Echinometra nach vorn, so liegt die Madreporenplatte constant seitlich und ist die linke hintere Genitalplatte. Die Radien und Interradien der Echinometra erscheinen in dieser Lage völlig symmetrisch und es ist die einzige Lage, in der sie symmetrisch sind. In den Gattun- gen Heterocentrotus Br. (Acrocladia Ag.) und Colobocentrotus*) Br. (Podophora Ag.), welche von Echinometra abgezweigt *) Vielleicht wird man es vorziehen, diese Namen abzukürzen und Heteroeentrus und Colobocentrus zu sagen. 179 sind, ist. der Körper nur bei querer Lage symmetrisch, wel- ches von der erstgenannten Gattung bereits von Brandt er- kannt und durch Corpus transyersum ausgedrückt ist, von Agassiz aber nicht bemerkt worden, der diese Formen mit Eehinometra für schief angesehen hat. Die richtige Stellung dieser Schalen ist, den grössten Durchmesser der Schale in die Quere, den kleinsten in die Länge, den klein- sten Radius nach vorn. Bei dieser Stellung eines Hete- rocenirus trigonarius, mammillatus, eines Colobocentrus atra- Zus ist die Madreporenplatte in der Regel die rechte vordere Genitalplatte. Unter 24 Exemplaren des Colobocentrus atra- tus hatten 23 diese Stellung der Madreporenplatte, eines aber hatte diese Platte im linken hintern. Interradius. Dergleichen Variationen hängen davon ab, auf welcher, ob rechten oder linken Seite des Larvengestells sich die. Seeigelscheibe mit ihrem Madreporencanal bildet, Abweichungen, welche, wie aus meinen Abbildungen der Larven von Echinus von Helgo- land hervorgeht, schon beobachtet sind. Bei Echinometra kommt das quer symmetrische Verhal- ten nur selten als Anomalie vor; unter einer grossen Zahl von Echinometren (gegen 80 Stück aus allen bekannten Arten) ha- ben sich nur 4 Exemplare gefunden, deren Radien nur bei der Querlage symmetrisch sind. Unter 15 Exemplaren der Echinometra acufera Bl. von gleichem Fundort (Venezuela) war eines, unter 6 Exemplaren der Echinomelra oblonga Bl. eines in der (nerlage symmetrisch, oder hatte eines den kür- zesten zum unpaaren Radius, in den übrigen war der unpaare Radius der längste der 5 Radien. Die Zertheilung der Echinometren in Gattungen, von Souleyet (Bonite) verworfen, wird hierdurch schon als natur- gemäss bestätigt. Bei den Spatangen der lebenden Welt erscheint die Ma- dreporenplatte gewöhnlich am hintern Theil des Apex; aber selbst in diesem Fall ist ihre Lage verdächtig; ich habe schon früher bemerklich gemacht, dass ihr Porenfeld beim Schisaster canaliferus von der rechten Genitalplatte und von der unmittelbaren Nähe des rechten Genitalporus ausgeht. 12* 130 Ich hatte kürzlich Gelegenheit, dies Verhalten auch durch die innere Zergliederung zu bestätigen. Der aus der Madrepo- renplatte entspringende Canal zum Ringeanal der Ambula- cralgefässe, das Analogon des Steincanals der Asterien in- serirt sich nämlich beim Schizaster canaliferus in den Ring- canal zwischen dem vordern rechten und hintern rechten Am- bulacraleanal, also entsprechend dem rechten hintern Inter- radius. In den Clypeastern ist die Hinterseite auch durch die Lage des Afters bestimmt, in dieser Abtheilung von ‘See- igeln liegt dagegen die Madreporenplatte genau im Centrum zwischen den Genitalöffnungen, letztere liegen nicht in be- sonderen Platten. Merkwürdigerweise ist jedoch auch in diesem Falle der von der Madreporenplatte kommende Ca- nal zum Ringeanal, sowie das dabei liegende kurze dicke Herz so gelagert, dass ihre Lage nicht dem Interradius des Afters, sondern dem "rechten hintern Interradius ent- spricht. Aus allem diesem folgt nun, dass sowohl der After als die Madreporenplatte interradial sein können, dass bald der eine, bald die andere aus ihrem Interradialraum ins Centrum rücken können, dass der Interradius der Ma- dreporenplatte ein anderer der 5 Interradien sein kann als der Interradius des Afters, dass die Madreporenplatte, selbst wenn $ie mitten zwischen den Genitalporen oder am hintern Ende des Apex liegt, auf eine seitliche Genitalplatte redueirt werden kann, und dass sie nicht mit dem hintern Theil des Ringeanals, sondern mit einem seitlichen Theil desselben durch den Canal der Madreporenplatte verbunden ist, end- lich dass nicht einer der 5 Interradien constant derjenige der Madreporenplatte, dass diese vielmehr in den verschie- densten Interradien und bald rechts bald links ihren Sitz haben kann, Vergleichen wir nun den unpaaren Radius bei denjenigen Ecehinodermen, wo derselbe leicht bestimmbar ist, wie bei Seeigeln und Holothurien. Hiebei lässt sich sogleich bewei- ; sen, dass es einen für alle Echinodermen gültigen gleichen vordern Radius analog dem vordern Radius der Spatangen nicht geben kann. Bei den Holothurien ist vorn und hinten, 181 bei den sohligen Holothurien auch die bilaterale Symmetrie unzweideutig; der unpaare Radius liegt aber bei den sohli- gen Holothurien nicht vom Mund ab nach vorn aufwärts, vor und über dem Mund wie in den Spatangen, sondern geradezu entgegengesetzt und vom Mund ab nach unten hinterwärts hinter dem Mund, der unpaare Radius ist hier der mittlere ventrale Radius und wird die Sohle aus 3 Ra- dien, die Rückseite aus zwei Radien gebildet. Ist nun der Bauch der Spatangen oder der Echinus oder ‘der Holothurien der wahre Bauch? Ich denke, Niemand wird, um diesen Widerspruch zu lösen, sagen wollen, dass die Holothurien ausnahmsweise auf dem Rücken gehen. Man stelle sich als Mittelform der Echinodermen eine Kugel mit radialen Feldern vor, so frägt sich, wird die Grundgestalt des Echinoderms von der Stellung des Spatangus zu derje- nigen der Holothurie übergeführt, dass sich der Körper in der Theilungsebene zwischen rechts und links umwälzt, nämlich von dem nach unten gewandten Interradius auf den entgegengesetzten Radius wälzt, oder muss man sich diese Veränderung denken als bewirkt durch eine Umwälzung der Grundgestalt um die Achse der Radien, nämlich so, dass die Kugel von der Stellung des Interradius nach unten in die Stellung eines Radius nach unten gebracht wird? Im er- sten Fall sind die bilateralen Seiten und der Interradius des Afters constaut, nur die Bezeichnung der bilateralen Seiten in Beziehung auf rechts und links wechselt mit der Umwäl- zung in der Theilungsebene. Im letztern Fall sind die bila teralen Seiten und der Interradius des Afters inconstant, aber vorn und hinten constant, verschiedene Radien und Interra- dien können sich zur Sohle ausbilden und der Interradius des Afters ändert sich entsprechend. Wenn es eine Homologie der Echinodermen giebt, so kann sie nur in der erstern Vorstellung gesucht werden. Denn durch eine Umwälzung um die Achse lässt sich zwar die Lage des Spatangus annähernd, wie wohl nicht ganz, in die Lage der Holothurie verwandeln. Zur Correetion dieser Lage und zumal zur Verwandlung eines Spatangus in einen 182 Eehinus ist aber doch wieder die andere Umwälzung um eine Querachse oder in der Theilungsebene zwischen bilateralen Seiten nöthig. Wenn wir daher ein ideales Mittelding zwischen den ver- schiedenen wirklichen Formen der Echinodermen suchen, so wird diese ideale Grundgestalt kein constantes vorn und hinten besitzen können, sie hat den Mund in dem einen Pol der Ambulacra, wird aber bei dem Uebergang in die ver- schiedenen Formen der Echinodermen gewisse geradezu ent- gegengesetzte Seiten des radialen Körpers nach vorn richten. Die Seiten, welche sie nach vorn richten kann, sind indess jedenfalls bestimmte, sie werden für alle Fälle von demsel- ben ceonstanten Meridian der radiären Gestalt durchschnitten, d. h. die longitudinale Theilungsebene für die bilateralen Seiten der idealen Grundgestalt ist für alle Fälle constant. Am besten sind diejenigen Bezeichnungen, welche aus einer Gestalt selbst und nicht aus Lagen, welche sie ändern kann, abgeleitet sind. Man kann in diesem Sinn die Ambu- laera der fünftheiligen Echinodermen in zwei Abtheilungen bringen, die eine enthält 3, die andere 2 Ambulacra, wir erhalten dann einen triradialen und einen biradialen Abschnitt, ein Trivium und ein Bivium. Bei den Seeigeln der Gattung Dysaster sind Trivium und Bivium wirklich durch einen grossen Zwischenraum auseinander gebracht, aber in den mehrsten fünftheiligen Echinodermen lassen sie sich auffinden und die Stellung der Radien danach bestim- men. Zwischen den 2 Radien des Biviums liegt der After oder bewegt sich der After vom Mund ab bis in den apiea- len Pol und selbst hinüber bis zum entgegengesetzten unpaa- ren Radius. Es sei der unpaare Radius unbekannt, so wird er aus dem Meridian des Afters bestimmt, der bei Cidaris und Echinus einem der 5 Ambulacra genähert ist. Ist der unpaare Radius bekannt, der After aber central, wie bei den sohli- gen Holothurien, so ergiebt sich der Meridian des Afters aus dem unpaaren Radius der länglichen Gestalt. Auf der idealen Kugelgestalt des Echinoderms wird also 185 der Mund- und Apicalpol, ein triradialer und ein biradialer Abschnitt mit dem Afterfeld einzutragen sein. Wenn dies Behinoderm seine Ambulacralfelder nach allen Richtungen gleich ausgebildet besitzt, so wird es ein mit der Mundseite nach dem Boden gerichteter Seeigel sein. Die Kugel ist in dieser Stellung gleichsam im Gleichgewicht; sie wird aber von einer idealen Ebene durchschnitten, welche durch den Meridian des unpaaren Radius durchgeht. Dreht sie sich innerhalb dieser Ebene aus der Gleichgewichtsstellung so, _ dass das Bivium ventral mehr auftritt als das Trivium, so tritt die Stellung der Spatangoiden ein. Dreht sich die Kugel innerhalb gedachter Ebene nach der entgegengesetzten Rich- tung, so dass das Trivium allein auftritt, so tritt die Stel- lung der Holothurien ein. An dem idealen kugelförmigen Modell des fünftheiligen Eehinoderms sind demnach festbe- stimmt und für alle möglichen Fälle gültig, der Mundpol und Apicalpol und ihre Achse, der Gegensatz des Trivium und Bivium, die durch den Meridian beider durchgehende Theilungsebene, welche das Echinoderm in 2 gleiche Theile theilt, endlich das Afterfeldl. Der Mundpol kann bei den kriechenden Echinodermen nach unten, nach vorn gerichtet sein, der Apiealpol nach oben, nach hinten; das Trivium mit dem unpaaren Radius kann bald nach vorn gerichtet sein, bald nach unten, das Bivium mit dem unpaaren Inter- radius bald nach hinten, bald nach oben, der After nach unten hinten, nach hinten, nach oben hinten, nach oben. Das Echinoderm hat einen Mundpol oder Scheitelpol der radialen Abtheilungen und einen diesem entgegengesetz- ten Apicalpol. Der Mund vom Ringeanal der Ambulacra umgeben, liegt in der Regel im Centrum des Scheitels, sel- ten abseits. Die Oberfläche zwischen den Polen zerfällt in ambulaerale und interambulacrale Segmente. Durch die Ausdehnung der erstern in die Breite können die letztern ganz verschwinden, wie in den Holothuriae sporadipodes. In den Holothurien reichen die Ambulacra vom Munde bis zum andern Ende; hören sie vor diesem andern Ende auf, so entsteht der ambulacralen Zone entgegengesetzt eine 184 antiambulacrale Zone, wie der Apex der Seeigel, der sich in die Interambulacralfelder fortsetzt. Hat ein Echi- noderm Arme zu Radien wie die Asterien, so setzt sich das antjambulacrale Feld sowohl auf die antiambulaerale Seite der Arme als zwischen den Armen in die Interambulaeral- felder fort. Nicht selten wie in vielen Seesternen zeichnet sich der interambulacrale Theil des Perisoms vom antiambu- lacralen Felde durch seine Täfelung, die Interambulacral- platten, aus. Auch ist die Grenze der interambulacralen und antiambulacralen Felder zuweilen durch einen peripherischen Rand oder selbst durch besondere Randplatten, wie die Randplatten der pentagonalen Astrogonium und Goniodiseus zwischen Bauch und Rücken ausgezeichnet, welche also zwi- schen der ambulacralen und antiambulacralen Zone liegen. Bei den Asterien und vielen Crinoiden sind die ambulacrale oder ventrale und antiambulacrale oder dorsale Seite im Gleichgewicht. Arme sind frei vorspringende Radien mit einer ambulacralen und antiambulaeralen Seite und entweder einfach oder getheilt. Abtheilungen hervorgebracht durch Ausbuchtungen oder Einschnitte an der Peripherie des Echi- noderms sind Lappen, wenn sie keinen Unterschied einer ambulaeralen und antiambulaeralen Seite haben, so die Lap- pen einiger platten Seeigel, Runa, Rotula, Encope. Es giebt ambulacrale und interambulacrale Lappen (Runa). Ambula- erale Lappen sind auf beiden entgegengesetzten Seiten am- bulacral und können wieder getheilt sein (Rotula). Durch Einschnitte des Randes und Lappenbildung wird daher der Seeigel dem Seestern nicht genähert. Wächst das antiam- bulacrale Feld des Echinoderms bis in die Nähe des Mun- des, so können sich noch aus der Umgebung des Mundes Arme für die Ambulacra entwickeln, wie bei Agelocrinus, Pseu- docrinites und wie die von Volborth entdeckten Arme am Mundtheil des Kelches bei Echinoenerinus und Echinosphaeri- tes. Ambulacralporen auf der antiambulacralen Seite, jenseits der Arme sind ein Widerspruch in sich, und es scheint, dass wo immer die Arme stehen, am Umfang oder am Mundtheil des Kelches, vom apicalen Ende bis zu den Armen keine ambulacralen Saugfüsschen und keine Ambulacralporen sein 185 können. Die genetische Entwicklung der Ambulaera, wie sie hier erklärt ist, macht es daher schon wahrscheinlich, dass die Poren in den Kelchtafeln von Caryocrinus, Hemicosmites, Echinosphaerites keine Ambulacralporen sein können, da sie auf der antiambulaeralen Seite und noch hinter den Armen stehen und keinerlei Beziehung zu den Armen haben. Dies wird auch durch die Analogie des Pentacrinus bewiesen, wel- cher ähnliche Poren in den interambulaeralen Feldern und zwar ohne Füsschen, ohne alle Beziehung zu den Ambula- eralrinnen des Kelches besitzt, während die Füsschen in den Ambulacralrinnen des Kelches und der Arme stehen, Ich komme auf die antiambulaeralen Kelchporen des Caryocrinus, Hemicosmites und Echinosphaerites zurück in dem besondern Abschnitte über die Ambulacra der Crinoiden überhaupt und insbesondere der Gruppe der Cystideen L. v. Buch’s. Bei einem Echinoderm, welches antiambulaeral bleibt bis in die Nähe des Mundes und erst aus dem Mundtheil des Kelches die Arme entwickelt, ist das zum Maximum geworden, was in den Seeigeln im Minimum vorhanden ist. In der Weise der Naturphilosophie ausgedrückt, würde es heissen, der Kelch eines Pseudocrinites, Agelocrinites, Echinosphaerites, Echi- noencrinus sei der Apex eines Seeigels, es ist jedoch eine solche Ausdehnung des Apex, welche die sämmtlichen Ein- geweide des Thiers umfasst, die im Seeigel grössern Theils von der ambulacralen Zone des Perisoms umschlossen werden. Die Ausbreitung der Ambulaera kann auch auf einen Kreis von Saugfüsschen um den Mund redueirt sein, wie bei den Synapten, Chirodoten, Molpadien unter den Holothurien. Im letzten Fall ist das antiambulacrale Feld nur äusserlich von so grosser Ausdehnung. Jäger hat schon bewiesen, dass die Ambulacralcanäle der Synapten innerlich so weit als in den andern Holothurien reichen. Obgleich die Ambulacra gegen den Scheitelpol convergf- ren, so sind sie doch nicht in allen Fällen bis zur Scheitel- mitte mit Füsschen versehen. Bei den Echinus z. B. sind die Ambulacra um den Scheitel unterbrochen, und auch bei manchen Crinoiden enthält das Scheitelfeld zwischen den ambulacralen Seiten der Arme statt einer Fortsetzung von 186 Ambulaeralrinnen bis zum Munde vielmehr eine uniforme Täfelung wie bei Actinoerinus u. a. Zum ambulaeralen Canalsystem im weitern Sinne gehören nächst den Füsschen die Ambulacraleanäle der Radien. mit ihren Aestchen in die Füsschen und ihren Ampullen, die Verbindung der 5 Ambulaeralcanäle um den Mund und einige mit dem Ringeanal verbundene Anhänge. Das System der Ambulacralcanäle zeigt im ganzen Umfang seiner innern Wände Wimperbewegung, es ist überall geschlossen, ausgenommen den porösen Anfang des Steincanals an der Madreporen- platte. Dieser Canal, von der Madreporenplatte bis zum Ringeanal ist dermalen in allen Formen der Echinodermen beobachtet, mit Ausnahme der Crinoiden. Sein poröser Anfang ist entweder nach aussen offen als Madreporenplatte der Asterien, Buryalae, Seeigel oder der Bauchhöhle zuge- wandt, als poröser Steinsack der Holothurien, der nur im Jugendzustande bis in einen äussern Porus sich fortsetzt. Auch in den Ophiuren ist der Steinsack in der Körperhöhle verborgen. Diese Verhältnisse haben bereits in den anatomi- schen Studien über die Eehinodermen ihre Aufklärung erhal- ten. Mit dem Ringeanal der Echinodermen simd ausser einem oder mehreren Steineanälen noch zweierlei Organe verbun- den, die Polischen Blasen und die traubigen Anhänge. Bei- derlei Organe kommen, wie aus Tiedemann’s Untersu- chungen bekannt ist, bei den Asterien zusammen vor und erscheinen auch in den Holothurien wieder. Bei den letztern sind die traubigen Anhänge als kleine Bläschen erkennbar, welche paarweise durch kurze Stiele am Ringeanal der jun- gen Holothurien hängen, und in welchen sehr eigenthümliche Doppelkörner zitternd sich bewegen, in ähnlicher Art wie die Otolithen der Gasteropoden zittern. In den erwach- senen Holothurien lassen sich diese Organe in dem Kranze vieler kleiner Bläschen wiedererkennen, welche den Ring- eanal rundum besetzen und sich in sein Inneres öffnen. Die Ophiuren haben 4 einfache Blasen, keine Trauben. Am Ringeanal der Spatangen fehlen die Anhänge. Bei den re- gulären Seeigeln stehen mit diesem Canal fünf gestielte Bla- : 157 sen in Verbindung; sie haben dieselbe Stellung wie die Poli- schen Blasen der Ophiuren, aber ihre Wände sind zellig (Valentin) und darin den traubigen Anhängen verwandt; in den Clypeastern ist-aber der Ringeanal nur mit vielen solchen Anhängen besetzt. Analyse der Ambulaera der Seeigel. Nachdem in den anatomischen Studien über die Echino- dermen Archiv 1850 der centrale Theil der Ambulaeralcanäle zergliedert worden, habe ich mir die Analyse der Ambulacra selbst zur Aufgabe gemacht. f Die Doppelporen der Ambulacra liegen bei den Sceigeln entweder in den Platten selbst oder in den Näthen, das letz- tere ereignet sich in der Familie der Clypeaster an den Am- bulacra petaloidea. In diesem Fall sind entweder alle Am- bulacralplättchen gleich wie an den Ambnlacra petaloi- dea der Scutella, Laganum, Echinarachnius, Lobophora, Mel- lita, Encope, Echinocyamus, oder abwechselnd ungleich, wie bei Cliypeaster und Arachnoides, die kleinern Plättchen rei- chen bei diesen nur vom äussern Porus bis zum innern Porus, die grösseren reichen von dem äussern Porus bis zur innern Nath. Hierüber hat schon Des Moulins gute Beobachtun- gen angestellt. Am untern Ende der Ambulacra petaloidea gehen übrigens die Doppelporen leicht von den Näthen auf die Platten selbst über. Des Moulins hat die Vermuthung ausgesprochen, dass jedem Doppelporus der Seeigel ursprünglich eine beson- dere Ambulacralplatte entspreche. Von den Poren der loeomotiven Füsse der Clypeastriden kommen jedoch viele auf eine Platte und ihre Zahl vermehrt sich mit dem Wachs- thum der Platte. Dagegen scheint jene Vermuthung auf alle andern Seeigel anwendbar zu sein. Die Zusammen- setzung der Ambulacralplatten bei den Echinus war bisher unbekannt geblieben. In der Schale eines Echinus sind die sogenannten Ambulacralplatten nichts weiter als secundäre Ambulacralplatten und aus den primären Ambulacralplätt- chen zusammengesetzt. An der innern Seite der Schale 188 lassen sich die Näthe zwischen den primitiven Plättchen nachweisen, welche zusammen eine secundäre ‘Ambulacral- platte bilden. Es giebt aber darin so viele primäre Plätt- chen, als Porenpaare in einer schiefen Querreihe des Am- bulacrums liegen. Auch auf der Aussenseite bleiben die Näthe kenntlich, und man findet bei genauer Untersuchung selbst die Tuberkel, welche auf die Näthe fallen, durch diese getheilt, wie bei E. sphaera gut zu erkennen ist. Bei 4 Po- renpaaren in einer secundären Ambulacralplatte sind 4 Stücke -von sehr ungleichem horizontalen Durchmesser, die zwei mittleren nämlich in die Quere kleiner, alle 4 Stücke reichen bis an die äussere Nath, aber nur das erste und letzte rei- chen bis zur innern Nath und legen sich um die Enden der kürzern Stücke an einander, so dass die secundäre Ambula- eralplatte nach innen wieder durch eine Nath quer getheilt wird. Dieselbige Nath findet sich bei 3 Porenpaaren. Hier ist das Plättchen des mittleren Porenpaares wieder dasjenige, welches den innern Rand nicht erreicht. Bei E. albus bilden 9— 10 primäre Plättchen für 9—10 Porenpaare in ähnlicher Weise eine seceundäre Platte. Die kleineren Plättchen sind nicht intercalirt und von späterem Ursprung, sondern finden sich nach der Ausbildung von Platten schon in den kleinsten Exemplaren, so dass ein Seeigel jung ebenso viel Porenpaare in einer schiefen Querreihe hat, wie später und wie es der Art zukommt. } Agassiz hat bei Echinus bewiesen, dass der Anwuchs neuer Ambulacral- und Interambulaeralplatten am apicalen Ende der Corona geschieht, leugnet jedoch diese Neubildung bei den Clypeastern. Sie geschieht aber hier ganz in der- selben Weise wie bei den regulären Seeigeln. Die ganze Unterseite der Clypeastriden wächst mit Beibehaltung der Plattenzahl nur durch Vergrösserung der ursprünglichen Platten, während die Oberseite auch die Platten vergrössert, aber zugleich am Apex immer neue winzige ambulacrale und interambulaerale Plättchen ansetzt. Hierauf ist bei der Beschreibung der Arten zu achten. Es ist also die Zahl der ’ 159 Platten vom Ende des Ambulaerum petaloideum bis zum Rande und ebenso vom Rande bis zum Munde zu zählen. _ Philippi, welcher die Beobachtung über die Neubildung der Platten am apicalen Ende der Corona bei Echinus be- stätigte und weiter specifieirte, leugnet wiederum dieselbe Neubildung für die Spatangoiden, wo sie nach meinen Beob- achtungen an Schizaster canaliferus aus den verschiedenen Alterszuständen ebenso unzweifelhaft ist. Ich habe Exemplare von 8, von 2 und 3” verglichen. Das erste hat im paa- rigen vordern Ambulaerum petaloideum nur 28, das zweite 40, das dritte 44 Porenpaare, im paarigen hintern Ambulacrum das erste nur 14, das zweite 21, das dritte 25 Porenpaare auf jeder Seite. Die Clypeaster haben eine bleibende aequatoriale Peri- pherie, die Cidariden nieht. Vergleicht man einen jungen und alten Echinus derselben Species, so‘ sind die Platten, welche bei dem jungen in der aequatorialen Peripherie lagen, bei dem ältern auf die Bauchseite gerückt und der Aequator wird von einem Platteneirkel eingenommen, welcher zur Zeit der Jugend dem Scheitel genähert war. Wenn die Schale der Seeigel schon weit vom Munde aufhört und die Mundfüsschen auf der Mundhaut sitzen, so endigen sowohl die interambulacralen als ambulacralen Platten paarig, wie bei Echinus. Setzt sich aber die Schale bis nahe zum Munde fort und sitzen die Mundfüsschen auf der Schale selbst, so laufen die ambulacralen paarig, die interambulaeralen aber unpaarig aus, wie bei den Spatangoiden und Clypeastriden. Am Munde der Clypeastriden vereinfacht sich wohl die Corona, aber nicht so sehr als es angenommen wird, es ist zuletzt entweder ein Kreis von 15 Stücken, wovon 5 inter- ambulacral (Ciypeaster, Mellita) oder 10 ambulacralen Stücken (Arachnoides) vorhanden. Es ist nöthig, junge Exemplare zu untersuchen, doch sind die Näthe immer an der Innenseite zu erkennen. Bei Ciypeaster enthält der erste Kreis am Mund 15 Stücke, der zweite dagegen nur 10, indem sich die Ambulaeralplatten aneinander legen, und dies ist Gat- tungscharakter für alle Arten, bei einigen Arten ist auch 190 der dritte Kreis noch ganz von den Ambulacralplatten ge- schlossen, weiter liegen zwischen ihnen zwei alternirende Reihen von Interambulaeralplatten. Am Mundrande der Schale der Clypeastriden mit ver- zweigten Furchen befindet sich am Anfange jedes Ambula- erums ein kleiner Vorsprung, welchen Agassiz in seiner schönen Monographie der Sceutellen wohl beachtet, und wel- chen er als eine Röhre mit einer oder mehreren Oeffnungen zur Aufnahme der Kiemen ansieht. Es stehen aber auf die- sem Vorsprung nur zwei kleine tentakelförmige Fortsätze mit abgerundetem Ende, ähnlich den Füsschen. Diese Fühlerchen sitzen auf zwei seichten Vertiefungen des Vorsprunges auf, in jeder Vertiefung führt ein feiner Porus schiefins Innere der Schale, ähnlich den Ambulacralporen. Bei Arachnoides placenta fehlt der Vorsprung, aber die Oefinungen sind vorhanden am Rande der Schale, durch die Breite der Rinne von „einander getrennt. Zu diesen Oefinungen gehen die beiden vordersten Aeste des Ambulacralgefässes, wodurch vollends bewiesen wird, dass sie ambulaeral und nicht branchial sind und dass sie den Mundfüssen der regulären Seeigel entsprechen, Die Kiemen der Echinus sind bei allen Seeigeln mit Ambulacra petaloidea, sowohl den Spatangoiden als Clypeastern durch die -Ambulacralkiemen der Ambulacra petaloidea ersetzt, da- gegen die Spatangoiden ausgezeichnete Mundtentakeln be- sitzen. Bei den regulären Seeigeln der Gattungen Echinus, Echinometra, Salmacis und anderen sind alle Füsschen, auch die Mundfüsschen übereinstimmend gebildet und sind Saugfüsse mit einer Saugscheibe. Nicht alle regulären Seeigel haben aber nur Füsschen einer Art oder sind nach Duvernoy’s Voraussetzung homoiopode. Viel- mehr hat schon Delle Chiaje angegeben, dass die, dor- salen Füsschen beim Eehinus neapolitanus (Echinoeidaris ae- quituberculata) gefiedert sind, wenn auch die Abbildung keine richtige Vorstellung davon giebt. Dies Verhalten haben aber alle Echinocidaris. Die unteren Füsse sind mit Saugplat- ten versehen und unter der Saugplatte befindet sich eine 191 vineförmige Kalkscheibe. Am dorsalen Theile des Ambula- erums gehen Saugscheibe und Kalkring plötzlich ganz ver- loren, die Füsschen werden auf einmal seitlich abgeplattet, am Ende zugespitzt und an den platten Seiten eingesehnitten. Diese Anordnung, welche auch bei Asteropyga und Diadema sich zu wiederholen scheint (nach trocknen Exemplaren), bietet offenbar den Uebergang in die kiemenartigen dorsalen Füsse der Spatangen- dar. Bei Colobocentrus atralus ver- wandeln sich die Füsse vom Bauch zum Rücken ebenfalls, die Saugplatten gehen allmählig ein und die Füsse nehmen am Rücken eine platte zugespitzte Gestalt ohne Einschnitte an, ganz’ abweichend von Echinometra. Diese Füsse ent- halten zwei durch eine Scheidewand getrennte Canäle, welche an der Spitze in einander umbiegen, an der Basis mit je einem der Doppelporen zusammenhängen. Alle vorerwähnten Seeigel haben die gewöhnlichen Hautkiemen am vordern Rande der Corona wie die Echinus (auch Diadema und Asteropyga zufolge der Einschnitte der Schalen), Den Cidaris fehlen die letzteren, die Füsschen der Cidaris sind an der Bauchseite des’ Seeigels eylindrisch mit Saugplatten am Ende, am Rücken des See- igels conisch ohne Einsehnitte, Die Mundfüsschen der Cidaris bilden ganze Reihen, auf den beweglichen buccalen Platten, welche hier die Corona gleichsam wiederholen und in ambulaerale mit Doppelporen und interambulacrale buccale Platten zerfallen, von welchen erstere bis zum Munde doppelt bleiben, die letztern am äus- sersten Ende einfach werden. Bei den Spatangen kommen noch viel grössere Verschie- denheiten in den Formen der ambulacralen Füsschen vor. Man kann im Allgemeinen 4 Formen der Füsschen unter- scheiden: 1) einfache locomotive Füsschen am Ende abge- schnitten oder leicht abgerundet, ohne besondere Saugscheibe, 2) locomotive Füsschen mit Saugplatte am Ende. Die Saug- platte ist entweder eine grosse runde am Rande crenulirte Scheibe, welche durch radienarlig gestellte Knochenplättehen (von Netzwerk) verstärkt wird, oder die Scheibe zerfällt am Rande durch Theiluug der Radien sternförmig in Fingerchen, 192 welche Knochenplättchen enthalten. 3) Tastfüsschen, deren verbreitertes Ende diek pinselförmig mit gestielten Knöpfehen besetzt ist. Die Stiele enthalten einen einfachen Kalkstab. 4) Kiemenartige Füsschen, Ambulacralkiemen; es sind drei- eckige am Ende zugespitzte Blätter, deren Seiten durch Aus- sackungen oder Einschnitte gefiedert sind. In einem und demselben Radius stehen 2 oder selbst 3 Arten von Füss- chen auf denjenigen Theil der Ambulacra umschrieben, der von der Semita umgrenzt wird. Die Bedeutung der den Spatangoiden eigenen Semitae Phi- lippi’s oder Fascioles Agassiz war bisher unbekannt geblie- ben. Sie unterscheiden sich von andern Stellen der Schale, dass sie statt Stacheln feine Wimperborsten tragen, deren dieke Haut eine äusserst lebhafte Wimperbewegung äussert, bis an das weiche geknöpfte äussere Ende der Borste. Die Semitae sind daher Wimpersäume für bestimmte Felder der Schale. Archiv 1853. p. 1. Bei der Gattung Spatangus kommen 3 Arten von Füss- chen vor, Tastfüssehen, locomotive Füsschen und Kiemen- füsschen, hinsichtlich deren ich auf die schönen Abbildungen von Duvernoy verweise. Die dem Munde nächsten Füss- chen aller Ambulacra, die Mundtentakeln, sind am Ende mit geknöpften Cirren besetzt, die übrigen ventralen Füsschen sind loeomotiv ohne Krönung mit Cirren. Dagegen stehen in dem subanalen Felde d. h. innerhalb des von der subanalen Semita umschlossenen Feldes jederseits noch 3 Cirrenfüss- chen, welche Duvernoy nicht bemerkt hat. Delle Chiaje hat dagegen alle ventralen Füsschen in seiner Abbildung von Brissus Seillae unrichtig mit Cirren versehen. Die subanalen Cirrenfüsschen gehören den zwei hintern Ambulacra und zwar der innern Hälfte derselben an, so dass die Semita subanalis zwischen der innern und äussern Hälfte des Am- bulacrums durchgeht. Die dorsalen Füsschen der 4 blatt- förmigen Ambulacra sind kiemenartig. Der vordere Radius besitzt gar keine Ambulacralkiemen, vielmehr reichen die locomotiven Füsschen mit gleichbleibender Gestalt bis ans obere Ende, dieser Radius wird daher von Duvernoy mit 193 Recht als Radius locomotorius ausgezeichnet. Die Gattung Spatangus hat keine Semita an der obern Seite der Schale. Bei denjenigen Gattungen, welche eine solche besitzen, ent- weder den dorsalen Theil aller Ambulacra umschreibend, wie bei Brissopsis, Schizaster u. a. oder den dorsalen Theil des vordern Ambulaerums mit Einschluss des Apex allein um- schreibend (Amphidetus u.a.) finde ich auch am vordern Ra- dius nach oben eine eigenthümliche Art von Füsschen, näm- lich loeomotive Füsschen mit scheibenförmigen oder sternför- mig gefingerten Saugplatten. Die Abbildung von Delle Chiaje von Brissus Scillae hat wieder nichts von diesem Unterschied; er lässt sogar die Cirrenfüsse des Mundes am vordern Radius bis zur Semita gehen. Es ist nicht wahr- scheinlich, dass sich Brissus anders als Brissopsis verhalte und scheint diese Abbildung fehlerhaft zu sein. Bei Brissop- sis und Schizaster theilt die Semita peripetala den vordern Radius quer in zwei Theile, unterhalb der Semita enthält dieser Radius einfache locomotive Füsschen, oberhalb der Semita dagegen bis zum dorsalen Ende plötzlich Füsse mit grossen Saugscheiben, welche durch radienartig gestellte Knochenplättchen verstärkt sind. Diese Füsse stehen bei dem nordischen Schisaster fragilis in einfacher Reihe auf jeder Seite des Ambulacrums, bei Schizaster canaliferus aber bilden sie einen dichten Zug auf jeder Seite. Der ‚untere Theil des vordern Radius von den Mundtentakeln bis zur Semita enthält beim Schizaster nur eine geringe. Zahl (3) einfacher locomotiver‘ Füsschen auf jeder Seite in grossen Distanzen. Bei Amphidetus fehlt die Semita peripetala, die 4 paarigen Ambulacra besitzen an ihrem dorsalen Theil wie gewöhnlich unter den Spatangoiden Kiemenfüsschen. Die bei dieser Gat- tung vorkommende innere dorsale Semita theilt den unpaaren Radius in einen vordern und einen hintern Theil, und indem sie den hintern Theil mit Einschluss des Apex umzäunt, bildet sie ein Feld, in welchem dieser vordere Radius nur grosse Füsschen mit sternförmig gefingertem Ende enthält. Dagegen hat der Radius vor der Semita einfache locomotive Müller's Archiv. 1853. 15 194 Füsschen ohne Fingerchen. Die Fingerehen sind durch Kalk- plättehen verstärkt. Die Semita schneidet übrigens nicht blos einen Theil des vordern, sondern auch ein Stück von den 4 seitlichen Ambulaera ab, der innerhalb der Semita liegende Theil der paarigen Ambulacra besitzt keine Kiemen- füsschen, sondern äusserst kleine und leicht zu übersehende eylindrische, am Ende einfach abgerundete Fühlerchen. Die pinselförmigen Cirrenfüsschen um den Mund in den 5 Am- bulaera verhalten sich in allen von mir untersuchten Spatan- goiden gleich und alle besitzen auch subanale Cirren. Bris- sopsis hat jederseits eine Reihe von 6 Füsschen mit Cirren. Bei Schizaster (canaliferus), wo die subanale Semita fehlt und eine Semita posterior von der Semita peripetala sich ab- zweigt, welche unter dem After ihren Bogen bildet, befinden sich jederseits 7 Cirrenfüsse in einer Längsreihe, in ziem- licher Entfernung vom After am hintern Theil der Ventral- seite der Schale, nicht zwischen Semita posterior und After, sondern noch vor der Semita posterior. Die Stämme der verschiedenen Füsschen enthalten ührigens quere zackige Kalkleisten in ihren Wänden, die Kiemenfüsse nicht. Bei den Clypeastriden treten die grössten Abweichungen in der Bildung der Ambulacra ein. Die Füsschen der Dop- pelporen der Ambulacra petaloidea sind kiemenartig, es sind breite niedrige, in Läppchen eingeschnittene, hohle Wülste zwischen je zwei Poren, sie werden von den grossen Am- pullen der Ambulaera geschwellt. Die locomotiven Füsschen dagegen sind eylindrisch und überaus fein, so dass ihr Quer- durchmesser bei den Clypeastern gegen Y,,”, bei Mellita nur 1/40 beträgt. Sie -sind äusserst zahlreich, viel zahl- reicher als in den regulären Seeigeln, wo ihre Zahl in der Regel im ganzen an 2000 reicht, und in den Spatan- gen, wo es nur einige hundert sind, bei den Clypeastern kann die Zahl der locomotiven Füsschen ohne Gefahr der Uebertreibung auf mehrere Myriaden angeschlagen werden. Sie sind am Ende mit einer Saugplatte versehen, welche entweder durch einen gezackten Kalkring verstärkt ist wie bei den Clypeastern und Verwandten oder wenigstens ein 195 paar Kalk-Figuren enthält, wie bei Mellita, wo an der Basis des Saugnapfes regelmässig 2 wagebalkenförmige Kalkleisten mit 2 längern und einem kürzern Schenkel .sich gegenüber liegen. _ Mellita hezapora Ag. Die locomotiven Füsschen erstrecken sich von der Bauchseite auf die Rückseite mehr oder weniger weit. Ihre Vertheilung auf der Bauchseite'ist sehr verschieden. Die Clypeastriden zerfallen danach in 2 Abtheilungen. Bei der einen sind die Füsschen nicht über die ganzen Ambulacralplatten vertheilt, sondern nehmen diserete verzweigte Strassen ein, auf denen die Poren zu- sammengedrängt sind, die Porenfascien. Diese Fascien be- ginnen einfach, theilen sich dann in eine Gabel, oder einen Dreizack (Echinarachnius) und die Hauptarme der Strasse verzweigen sich meist weiter in Seitenäste. Agassiz hat bereits bemerkt, dass diese Aeste auch auf die Interambula- eralplatten übergehen. Zu dieser Abtheilung gehören die Gattungen Rotula, Mellita, Encope, Lobophora, Scutella, Echi- narachnius. In der andern Abtheilung der Clypeastriden, umfassend die Gattungen Clypeaster, Laganum, Arachnoides, Moulinia, Scutellina, Echinoeyamus, Fibularia fehlen die Po- renstrassen gänzlich. Zwar haben einige in der Mittellinie der Ambulacra eine einfache Rinne wie Arachnoides, aber es ist bekannt, dass sie ohne Poren ist. Die Vertheilung der Po- ren und Füsschen bei diesen Gattungen war bisher unbekannt geblieben, lässt sich aber an den grössern Formen sicher fest- stellen. Die Poren und Füsschen sind über die ganze Ober- fläche der Ambulaeralplatten vertheilt und gehen bei Clypeaster, nicht bei Arachnoides auch auf ein gutes Stück der Interambula- eralplatten über. Dies sind also Clypeastriden mit Poren- feldern, im Gegensatz der Clypeastriden mit Porenstras- sen oder Porenfascien. Die Unterscheidung in Clypea- striden mit einfachen und verzweigten Rinnen tifft die Sache nicht. Einige Gattungen mit Porenfeldern haben die Mitte der Porenfelder nicht einmal vertieft, wie Echinoeyamus und Fibularia. Bei Laganum verliert sich aber die Vertiefung auf halbem Wege. Auf der Rückseite der Olypeastriden ist an den Ambula- 13* 196 era petaloidea das äussere Feld zwischen je zwei Reihen von Doppelporen und das innere Feld zu unterscheiden. Das erstere ist bei allen mit Ambulaeralkiemen der grossen Doppelporen, das letztere in mehreren Gattungen, Clypeaster, Arachnoides, Echinarachnius mit den äusserst kleinen loco- motiven Füsschen (neben Pedicellarien und Stacheln) besetzt. Wo die Ambulacra petaloidea ‘aufhören, breitet sich das innere Porenfeld nach der Peripherie bis zum Rande und bei Clypeaster auch wieder auf einen Theil der Interam- bulacralplatten aus, während es bei Arachnoides von diesen ausgeschlossen ist. Die Poren der locomotiven Füsschen sind am leichtesten auf der innern Seite der Schale zu er- kennen, wenn diese nackt ist, bei den grossen Clypeastern sieht man sie auch äusserlich bei starken Vergrösserungen überall leicht und noch leichter in den. Porenstrassen der andern. Abtheilung. Die Poren der letzteren sind rund und einfach. Bei den Clypeastern, wo die innern Mündun- gen der loeomotiven Poren ebenfalls einfach sind, sind die äussern Mündungen derselben länglich, meist Sförmig und nicht selten in 2 discrete Poren getheilt. Beim Ciypeaster rosaceus haben diese Poren 1%,“ — 1%,” Länge und 1% Breite. Auf dem Innenfeld der Ambulaera petaloidea stehen die locomotiven Poren so, dass ihr Längsdurchmesser radial gerichtet ist und eben so auch bis gegen den peripherischen Rand hin, die seitwärts stehenden am peripherischen Theil der Schale sind jedoch ziemlich schief gestellt und stehen immer mehr schief, je weiter nach aussen, die Richtung der Porenachse ist nämlich von der Peripherie nach aufwärts auswärts. Auf der Bauchseite der Clypeaster sind die gleich- gestalteten länglichen Poren sämmtlich schief gerichtet, näm- lich statt in der Richtung vom oralen Centrum nach der Pe- ripherie, vielmehr in Richtungen, welehe von der Mittellinie des Ambulaerum ablenken, d. h. denkt man sich die Längs- achse jedes einzelnen locomotiven Porus verlängert, so stösst diese Linie schief auf die Mittellinie des Ambulacrum ‚und bildet damit ‚einen spitzen nach der Peripherie offenen: Win- 197 kel. Erst gegen den Rand hin wird der mittlere Theil des Zugs mehr gerade. Die Riechtungslinien für die Achsen der locomotiven Poren am Rücken sind die Fortsetzung dersel- ben Richtungslinien des Bauchs. Was hier Richtungslinien für die Achsen der Poren genannt wird, darf nicht mit Linien verwechselt werden, auf welche die Poren gereihet wären, denn diese stehen bei den C/ypeastern auswendig nicht in Reihen, sondern zerstreut und ohne Ordnung. Dagegen sind die Poren bei Arachnoides wie innerlich in quere, so äusser- lich in schiefe parallele Reihen geordnet, deren Parallelismus sich von der Bauchseite auf. die Rückseite und durch die ganzen Ambulacra petaloidea fortsetzt. Nach Agassiz würden bei Echinarachnius parma, den er lebend untersucht hat, die loeomotiven Füsschen durch Ten- takeln ersetzt, welche ohne Zusammenhang mit den Ambu- lacralgefässen durch ihre Ampullen sieh in die Bauchhöhle öffnen. Die Poren für diese Röhren befinden sich in den blattförmigen Ambulaera nach innen von den grossen Poren in regelmässigen Reihen; durch diese Röhren soll das Was- ser einen Zugang ins Innere der Schale haben. Comptes rendus de l’acad. d. se. de Paris T. XXV. 679. Man sieht hieraus, dass Agassiz der erste ist, der jene feinen Poren und ihre Ampullen gesehen, dass aber die eigentlichen loco- motiven Füsschen, welche von den Ambulacralgefässen ge- speist werden, von ihm mit respiratorischen Tentakeln ver- wechselt werden. Es giebt so wenig in diesen als in andern Sceigeln Röhrchen, welehe die Schale durchbohrend ins In- nere der Bauchhöhle sich öffnen. Die erwähnten Ampullen hängen vielmehr an den Ambulacralgefässen selbst bei ihren Aesten zu den locomotiven Füsschen, es sind dieselben Am- pullen, welche auch ausserhalb der Ambulacra petaloidea und auf der Bauchseite an den Zweigen der Ambulacralgefässe jedem locomotiven Porus entsprechend hängen. Dies Verhalten scheint bei den Clypeastriden weit ver- breitet, es findet sich wie bei Echinarachnius parma, von dem ich Exemplare dem Hrn. Prof. Eschricht verdanke, bei Olypeaster und Arachnoides, was an den von den Herren 198 Ehrenberg und Hemprich gesammelten Exemplaren des Clypeaster plucunarius und in gleicher Weise beim Clypeaster Rangianıus und an den von Dr. Th. Philippi aus Mergui mit- gebrachten Exemplaren von Arachnoides placenta ersichtlich ist. Untersuchen wir zuerst das Innenfeld der Ambulaera pe- taloidea. Das ganze Feld von einer marginalen Doppelreihe von grossen Poren bis zur entgegengesetzten Doppelreihe des Blattes ist mit locomotiven kleinen cylindrischen Füss- chen besetzt, welche dieselbe Grösse und Structur wie die Füsschen der peripherischen dorsalen Porenfelder und wie die Füsschen der ventralen Porenfelder besitzen. Die Un- tersuchung des Innern der Schale giebt dann den weitern Aufschluss. Der mediane Ambulacralcanal versieht bei Ciy- peaster Rangianus, Cl. placunarius, Arachnoides placenta, Echi- narachnius parma das Ambulacrum mit so vielen parallelen Seitenästen als Doppelporen der Ambulacralkiemen sind; jeder Seitenast steht dann mit dem innern Porus und der grossen Ampulle des kiemenartigen Fusses in Verbindung. Allein bis zum innern Porus hängt noch eine Reihe kleiner blinddarmförmiger Ampullen an dem Seitengefäss an von ganz gleicher Form wie die Ampullen der peripherischen dorsalen und der ventralen locomotiven Füsschen. Jede dieser klei- nen Ampullen von 34, Länge und 14,“ Breite entspricht einer sehr kleinen Oeffnung, wo ein Zweigelehen des queren Seitengefässes die Schale durchbohrt und zu dem locomoti- ven Füsschen auf der äussern Oberfläche des Ambulacrums geht. Beim Cliypeaster Rangianus befinden sich am breitesten Theil des Ambulacrum 20 Poren und Ampullen in einer Querreihe des halben Ambulacrums, bei C/ypeaster rosaceus 30, bei Ciypeaster placunarius 10, bei Arachnoides placenta 20, bei Echinarachnius parma 15. Bei Echinarachnius parma, dessen Ambulaeralplättchen gleich sind, liegen diese locomo- tiven Poren in den Näthen, bei Clypeaster und Arachnoides, wo die Ambulacralplättchen abwechselnd ungleich sind, so dass das Innenfeld des Ambulaerums von den breiten Plätt- chen gebildet wird, befinden sich die locomotiven Poren in den Plättehen selbst, so zwar, dass entweder zwei Querrei- 199 hen von Poren auf ein Plättchen (C/ypeaster Rangianus und placunarius und Arachnoides placenta) oder wie beim Ciype- aster rosaceus 4 Reihen von Poren auf eine Ambulacralplatte kommen. Bei den erstern nimmt daher jede grosse Ampulle des Kiemenfusses das Seitengefäss von einer Reihe von Poren und kleinen Ampullen auf, bei dem letztern entsprechen jedem grossen Porus 2 Reihen kleiner Poren. C/ypeaster rosaceus hat nach einer ungefähren Berechnung innerhalb jeden Ambulacralblattes gegen 4000, Cl. Rangianus gegen 1200, Cl. placunarius gegen 600 dieser feinen locomotiven Poren. Die Mündungen dieser Poren auf der äussern Oberfläche der Schale liegen bei Echinarachnius parma auch in den Näthen und also in regelmässigen Querreihen, welches dadurch möglich wird, dass die Tuberkeln auf der Schale dieses Seeigels äus- serst klein sind. Bei den Clypeastern mit grossen Tuberkeln ist dagegen die Reihenbildung der Poren auf der Aussenfläche der Schale eben dadurch gestört und sind die Oeffnungen vielmehr reihenlos zwischen den Tuberkeln zerstreut. Schon beim C/ypeaster placunarius stellen sich auf der Innenfläche der Schale auf jeder Ambulacralplatte zwischen den Porenreihen kleine Kalkspitzen auf, beim Cl. Rangianus stehen diese Spitzen, welche auch auf der übrigen Innen- fläche der Schale zahlreich sind, auf Wällen, in welche die Ampbulacralplatten zwischen 2 Porenreihen anschwellen. Beim Clypeaster rosaceus fehlen die Spitzen, dagegen sind die Wälle der Ambulacralplatten zu Septa erhoben und die Septa wieder durch eine Kalkdecke verbunden, in welcher sich die Näthe der Ambulacralplatten wiederholen. Die blattförmigen Ambulacra haben daher Doppelwände, (wie die Kuppel der Peterskirche in Rom), die innere Wand gehört jedoch nur dem locomotiven Felde, nicht dem Felde der grossen oder Kiemenporen an, deren Ampullen unbedeckt sind. Zwischen den Doppelwänden befinden sich dagegen bei diesem Seeigel regelmässige Ambulacralkammern zwischen den Septa. Jede dieser Kammern enthält 4 Reihen von locomotiven Poren. Alle Querkammern sind aber von einem nach den Querkam- mern oflenen Längs-Durchgang für das mediane Ambulacral- 200 gefäss durchschnitten. In der Decke befinden sich drei Längs- reihen von Löchern, wodurch die ambulacralen Galerien mit der Bauchhöhle zusammenhängen. Die mittlere Reihe von Lücken gehört der medianen Galerie an, die seitliehen den Querkammern, die seitlichen Löcher sind für den Austritt der Ambulacralgefässe zu den grossen Ampullen der Am- bulacralkiemen bestimmt. Da jede Kammer in der Nähe zweier Doppelporen ausmündet, so ist die Zahl der Ga- lerielöcher an den Seiten genau die Hälfte der grossen Dop- pelporen. Am peripherischen Theil der Ambulacra des Rückens bis zum Rande und am ganzen Bauchtheil der Ambulaera geben die Ambulacralgefässe der Clypeaster, Arachnoides und Echi- narachnius überall Federäste zu Querreihen von Poren und sind wieder mit eben so viel Ampullen versehen. Beim C/iy- peaster Rangianus zählt man vom Munde bis zum peripheri- schen Rande gegen 100, am Rücken vom Rande bis zum blattförmigen Ambulaerum gegen 40 Querreihen von Poren, ihre Zahl in einer Querreihe nimmt vom Munde bis zum Rande zu und vom Rande bis zum blattförmigen Ambula- erum wieder ab, gegen den Rand hin stehen gegen 80 — 90 Poren in einer Querreihe des halben Ambulacrums. Die Vertheilung der Ambulacralgefässe zu den Poren liegt bald frei, bald in Ambulacralkammern verdeckt. Beim Ciy- peaster scutiformis sind die Porenreihen im ganzen Ambula- eralfelde unbedeckt, Bauch und Rückentheil der Schale sind aber durch viele nadelförmige Pfeiler verbunden, beim C/y- peaster Rangianus und placunarius, Arachnoides placenta lie- gen die Porenreihen grossentheils frei, am Randtheil der Scheibe aber in Kammern, welche für die Bauch- und Rük- kenseite ganz oder theilweise gemeinschaftlich sind, indem die Scheidewände den Bauchtheil und Rückentheil der Schale verbinden. Diese queren parallelen Kammern, deren bei den vorgenannten Clypeastern 6, bei Arachnoides viele (gegen 12) sind, sind durch einen mittlern Längsdurchgang durchschnit- ten, welcher von der Bauchseite bis zur Rückseite reicht. In 201 ihm verläuft das mediane Ambulaeralgefäss vom Bauchtheil der Schale umbiegend zum Rückentheil und giebt sowohl am ventralen als dorsalen Theil seines Verlaufs 2 Queräste für jede Kammer, so dass jede Randkammer 4 Gefässe, 2 ven- trale und 2 dorsale und ebenso viel Porenreihen enthält. Clypeaster rosaceus mit bauchiger Peripherie hat keine ge- meinschaftlichen Randkammern für Bauch und Rücken, da- gegen liegen die ganzen Ambulacra zwischen Doppelwänden und die Federäste des Ambulacralgefässes und ihre Poren- reihen überall in Ambulacralkammern oder Gängen. Zwischen beiden Querreihen der Kammern führt gleichfalls ein bedeck- ter Durchgang für den Stamm des Armbulacralgefässes. Auf jede Ambulacralplatte kommen in diesem Dädalischen Werk meist 4 Kammern, es sind aber vom Munde bis zum blatt- förmigen Ambulaerum jederseits gegen 50 Kammern, am äussern Ende der Gänge haben sie Ausgänge in die Bauch- höhle. Jede Kammer enthält 4 Porenreihen, deren Poren- zahl am breitesten Theil des Ambulaerums gegen S0—90 beträgt. Die 2x 50 Kammern der beiden Hälften eines Am- bulacrums mögen vom Mund bis zum blattförmigen Ambula- erum gegen 16,000 Ambulacralgefässporen für locomotive Füsschen enthalten, rechnet man dazu noch 4000 locomotive Poren des blattförmigen Ambulaerums, so hat Clypeaster ro- saceus in einem ganzen Ambulacrum gegen 20,000 und alle 5 Ambulacra gegen 100,000 locomotive Poren. Von diesen kommen gegen 15 auf einen Gesichtskreis der äussern Ober- Näche von 1“ im Durchmesser. Porenlos sind die Interambulacralplatten zwischen den Ambulacra petaloidea. Die übrigen Interambulacralplatten sind dagegen sowohl an der Rück- als Bauchseite porös, so zwar, dass die Poren am Rücken mehr den äussern Theil der Interambulacralplatten einnehmen und noch ein poren- loses Feld zwischen den Porenfeldern zweier Ambulacra übrig bleibt. Das porenlose Feld zwischen den Porenfeldern zweier Ambulaera beträgt bein Clypeaster rosaceus am Rük- ken so viel Raum, dass 6—10 Tuberkel in die Quere darauf 202 stehen, am Bauch treten sich die Porenfelder so nahe, dass nur 2—3 Tuberkel zwischen ihnen stehen*). Zu den Clypeastern mit Doppelwänden der Ambnlaera und parallelen Ambulaeralkammern vom Munde bis zum Apex gehören ausser Olypeaster rosaceus auch mehrere fos- sile Clypeaster, deren Durchschnitte ich untersucht habe, wie Cl. altus und pyramidalis“*) und überhaupt die hohen Ciy- peaster, deren peripherischer Theil nicht abgeplattet ist. Da- gegen haben die platten fossilen Formen wie Clypeaster scu- tellatus M. de S. und Verwandte nichts davon, sondern nur Randkammern, so dass es gerechtfertigt sein wird, die For- men mit Doppelwänden der Ambulacra unter dem Namen Echinanthus Leske von den übrigen Clypeastern abzuzweigen. Laganum Bonanni hat nur zwei Randkammern, deren Bauch und Rücken gemeinsam. Die Porenfelder auf der Aussenfläche der Schale gleichen denen der C/ypeaster; nur hat jede Ambulacralplatte ihr besonderes Porenfeld, zwischen diesen Feldern gehen schmale porenlose Stellen durch. Auf *) Von der regelmässigen Folge der Kammern und den Doppel- wänden der Ambulacrd kann vorläufig die Abbildung vom Durch- schnitt eines Clypeaster rosaceus bei Klein Taf. 29 einen Begriff geben. **) Ein O/ypeaster in der Gesellsch. naturforsch. Freunde mit sehr hohem Scheitel, ähnlich den hohen Varietäten des C. altus, aber gänz- lich von ihm abweichend durch die Breite der Interambulacralfelder zwischen den Ambulacra petaloidea gegen letztere. Das Interambulacral- feld ist auf der halben Länge und über der halben Länge der Ambu- lacra petaloidea ungefähr so breit als das Innenfeld des blattförmigen Ambulaerums auf gleicher Höhe und gegen 4mal so breit als die Distanz zweier zusammengehörenden Poren; unter der halben Länge der Ambulaera petaloidea ist das Interambulacralfeld breiter als das Innenfeld des blattförmigen Ambulacrums. Bei allen Variationen des Cl. altus, wozu auch die von Philippi unterschiedenen Arten zu gehören scheinen, ist das Interambulacralfeld zwischen den Ambula- cralblättern sehr enge. Die Eigenthümlichkeit des C/ypeaster pyrami- dalis giebt sich auf dem Durchschnitt ebenso entschieden zu erkennen durch die hohen Mittelleisten und Querleisten auf dem innern Verdecke der Ambulacra petaloidea, wovon die Mittelleisten sich wie Strebe- pfeiler mit der Bauchseite verbinden. Die von Risso schlecht abge- bildete Scutella pyramidalis scheint hieher zu gehören. 203 der innern Seite der Schale zeigt sich auf jeder Ambulacral- platte ein besonderes Porenfeld und sind die Poren nicht in viele quere Reihen geordnet; in den Randkammern befinden sich mehrere parallele Porenzüge. Die Rückseite der Schale zeigt auch einiges Eigenthümliche. Man bemerkt kleine Po- ren auf dem Innenfeld der Ambulacra petaloidea, welche sich am peripherischen Theil des Rückens ausbreiten; aber auch die Interambulaeralfelder zwischen den Ambulacra pe- taloidea enthalten solehe feine Poren anf dem an die grossen Branchial-Doppelporen angrenzenden Theil der Interambu- laeralplatten, wo sonst niemals locomotive Poren vorkommen. Man muss daher auf die Untersuchung von Weingeistexem- plaren gespannt sein. Ich gehe nun zu den Clypeastriden mit ventralen Poren- strassen über. Das Innenfeld der Ambulacra petaloidea ver- hält sich bei Eehinarachnius wie bei den Clypeastern und Arachnoides und danach könnte es also scheinen, als wenn dies Verhalten für die ganze Familie der Clypeastriden gelte. Ich habe indess an Weingeistexemplaren von Mellita quin- quefora und herapora und Lobophora bifissa, welche ich den Herren Krantz, Esehricht und Steenstrup verdanke, am blattförmigen Ambulacrum weder die kleinen Ampullen an den Seitenästen des Ambulaeralgefässes noch Füsschen erkennen können. Was den peripherischen Rückentheil der Ambulacra betrifft, so ist er jedenfalls vorhanden. Nicht weit vom Rande entfernt verzweigt sich das Ambulacralge- füss der Mellita quinqguefora am undurchbrochenen vordern Radius federförmig. Diese parallelen gebogenen Zweige lie- gen in Canälen der Schale, welche hin und wieder mit an- dern Sinus der Schale zusammenhängen. Auf dem periphe- rischen Theil der Rückenschale der Melüta habe ich mich auch von der Gegenwart der Füsschen überzeugt. Bei Echinarachnius parma fehlen die ambulacralen Galerien und treten nur gegen die Peripherie der Scheibe quere durch- brochene Scheidewände und Balken zwischen Bauchtheil und Rückentheil der Schale, also unvollständige Randkammern auf. Am Bauehtheil des Ambulaerums von Echinarachnius sieht 204 man vom Munde ab bis zu den peripherischen Galerien an der Innenseite der Schale viele kurze Federzweige mit an- hängenden Ampullen. Von diesen müssen also die Poren der medianen Porenstrasse versehen werden. Entsprechend den Stellen, wo auswendig die Seitenäste der Porenstrasse ab- gehen, verlaufen inwendig mehrere lange Federäste des Am- bulacralgefässes mit vielen Ampullen besetzt. Die weitere . Verzweigung liegt in den peripherischen Galerien. Bei den Gattungen Mellita, Lobophora und Encope ver- bergen sich die Seitenzweige des Ambulacralgefässes sogleich in einem oberflächlich liegendem Labyrinth von feinen Canä- len der Schale, welche ambulaerale Galerien bilden und hin und wieder mit noch andern weitern tiefer gelegenen Sinus, zusammenhängen, welche nach der Bauchhöhle offen sind. Bei diesen Gattungen entfernen sich die Porenstrassen durch ihre Gabeltheilung kurz vom Munde ab schon von der ambulacralen Mitte, wo der Stamm des Ambulaeralgefässes liegt. Unter den beiden Hauptarmen der Porenstrassen lie- gen aber keine ihren Lauf nachahmenden Aeste des Ambu- lacralgefässes, vielmehr werden die Poren dieser beiden grossen Porenstrassen durch Gefässäste gespeist, welche quer gegen die Porenstrassen gerichtet sind, und theils di- rect von dem medianen Ambulaeralgefässstamm ausgehen, theils federig von Aesten dieses Gefässes ausgehen. Aber alle diese Zweige der Ambulacralgefässe verlaufen in engen “ambulaeralen Galerien, welche hin und wieder anastomosi- ren und mit ihren letzten queren dieht auf einer folgenden Ausläufern auf die seitlichen Ambulacralstrassen stossen, sie gehen dann theils quer theils schief unter den Poren der Porenstrasse durch. Von dort aus erhalten also die Poren ihre Zweige. Bei Mellita quinquefora konnte ich die Zweige der Ambulacralgefässe vom Stamm aus in den Galerien bis zu ihren letzten Ausläufern verfolgen. Die vielen Neben- zweige der Porenstrassen erhalten auf diesem Wege auch ihre Zufuhr. Aber es ist zu wiederholen, dass die Verzwei- gungen der Porenstrassen und die Verzweigungen der Aeste der Ambulacralgefässe gänzlich von einander abweichen. 205 Die’ ambulacralen Galerien der Mellita, Lobophora und Encope bilden eine dünne oberflächliche Schichte der Schale und zeichnen sich durch die Enge der Canäle von den an- dern tiefern Sinus der Schale aus, welche in diesen Gattun- gen gewöhnlich sind. Dass in diesen Sinus bei Mellita quinquefora und andern Clypeastriden blinddarmförmige Fortsätze des Darms liegen sollen, kann ich nicht bestätigen. Bei jener Art sowohl als bei Mellita herapora, bei Lobophora, Clypeaster und über- haupt allen von mir untersuchten Gattungen ist der Darm ohne Blinddärmehen und geht der Darm ohne alle Fort- sätze sowohl an den Sinus als den Oeffnungen der Ambu- laeralkammern vorbei, am äussern Rande von einem grossen Blutgefässe begleitet, wie in den regulären Seeigeln und an einem Bande befestigt. Bei Mellita und Lobophora reicht ein Theil der Läppchen der Geschlechtsorgane bis in die Sinus der Schale. Die dem Willen unterworfenen unzähligen musculösen Organe auf der Schale eines Seeigels wie die Saugfüsse, Pe- dicellarien und die Muskeln der Stacheln erhalten ihre Nerven von dem im Innern der Schale liegenden Nervenstamm des Ambulacrums, dessen Zweige die Ambulacralgefässzweige begleiten. Die Nervenstämme der 5 Ambulacra, um den Mund durch einen Nervenring verbunden, bilden den stärkeren Theil des Nervensystems, und da sie nach beiden Enden des Ambulacrums hin dünner werden, und in ihrem Mitteltheil den Nervenring am Mund an Stärke weit übertreffen, so sind die Nervenstämme der Ambulacra als Ambulaeralgehirne aufzufassen, welche durch den Nervenring zur Einheit kom- men. Dieser Riug ist es, welcher bei der Synapta durch einen Schnitt unterbrochen wird, wenn man ihr den Kopf auf einer Seite der Länge nach theilt und sie dadurch des Vermögens beraubt, sich selbst zu zerbrechen. Ambulacra der Asteriden. Mit der Beschränkung der Ambulaera auf die Bauchseite der Asterideu fallen alle Verschiedenheiten unter den Füss- 206 chen bei den Asteriden weg. Die Füsschen der Asterien sind immer locomotiv und entweder conisch wie bei allen afterlosen Asterien, Asiropeclen, Luidia, Ctenodiscus oder eylindrisch mit Saugplatte ohne Kalkscheibe versehen bei allen mit einem After versehenen Gattungen von Asterien. Die Unterscheidung der Astropeeten und Archaster ist hier- nach leicht; dagegen ist es oft schwer sogleich den After zu erkennen, was jedoch keine Schwierigkeit hat, wenn man beim Archaster in der Mitte des Seesterns die äussere Krö- nung von den Paxillen entfernt, wodurch der After so ver- deekt wird, wie der Boden von dem Laubwerk dieht stehen- der Bäume verdunkelt wird. Astropecten Parelü v. D. et K. (Kongl. Vet. Acad. Handl. f. 1844 p. 247. Tab. VII. Fıg. 14— 16) hat kürzlich ein Beispiel von der Schärfe dieses Unterschiedes gegeben. Hr. Sars hatte mir mitgetheilt, dass die von mir angegebene Regel hinsichtlich der Füsschen bei diesem Astropecten eine Ausnahme erleide; ich vermuthete deshalb, dass dieser Seestern kein Asiropecten, sondern’ ein Archaster sein werde, wovon die europäischen Meere bisher kein Beispiel besassen. Herr Sars hat mir seitdem ein Ex- emplar in Weingeist mitgetheilt, woran ich sogleich den After fand, als ich die Paxillen in der Mitte des Rückens von ihrer Krönung bis zum Sichtbarwerden der Haut des Rückens befreite. r Bei der Vergleichung der Seeigel und Asterien in der Art wie es Blainville und Agassiz versucht, erkennt man bald, dass die interambulaeralen Platten derselben statt ana- log ganz anders angeordnet sind. Die Randplatten der Aste- vien sind es nicht allein, die zwischen den Radien stehen, die obern Randplatten sind aber schon dorsal. Man muss zwischen verschiedenen Arten der Interambu- lacralplatten bei den Asterien unterscheiden. Diejenigen, welche auf den äussern Fortsätzen der Ambulaeralplatten aufsitzen, haben etwas eigenes als Saumplatten der Ambu- lacra oder Adambulaecralplatten; sie stimmen genau mit der Zahl der Ambulacralplatten. Die zweite Art bilden die mehr oder weniger ausgezeichneten marginalen Interambula- 207 ceralplatten am peripherischen Rande bald in einfacher bald in doppelter Reihe. Zwischen den adambulaeralen und mar- ginalen liegen oft die intermediären Interambulacralplatten. Bei den Astropeeten ist dies Feld äusserst klein und auf einige leicht zu übersehende Platten hinter der Mundecke redueirt, bei den pentagonalen Formen ist das Feld schr gross. Die Form und Grösse dieser Platten ist oft, wie bei den Asirogonium sowohl von den Saumplatten als Rand- platten verschieden. Die Saumplatten sowohl als Randplatten erreichen das Armende, die intermediären Platten hören grösstentheils schon früher auf. Bei denjenigen Asterien, deren Arme rund und deren Rand nicht ausgebildet ist, ist die Plattenreihe, welche das dorsale Porenfeld gegen die Ventralseite begrenzt, das Aequivalent der Randplatten. Auch bei diesen Formen ist die Zahl der Plattenreihen von der Armfurche bis zum Porenfeld äusserst verschieden, indem bei einigen nur 2 Plat- tenreihen sind, die intermediären Platten aber unterbleiben, wie bei Echinaster und Scytaster, während in den Ophidiaster zwischen der Armfurche und dem Porenfelde viele Platten- reihen gelegen sind, wovon die äussersten als Saumplatten und Randplatten vollständig bis zum Armende ausgehen, die andern als intermediäre Plattenreihen mehr oder weniger und zwar stufenweise abgekürzt sind. Es ist offenbar, dass die Interambulacralplatten der Seeigel und Asterien verschie- den und zwar so verschieden angelegt sind, dass daraus grossentheils die Eigenheit eines Seeigels und eines Seesterns entspringt. Noel grösser sind die Unterschiede der Ambulacra der Asteriden und Echiniden nach der Tiefe. Der Nervenstrang und der Ambulacraleanal der Asterien liegen über den an- einanderstossenden Ambulaeralplatten, d. h. auf der Aussen- seite der Wirbelfortsätze dieser Platten von der Haut bedeckt, bei den Echiniden liegen sie aber unter den Ambulacralplat- ten an der Innenseite der Schale. Die Wirbelfortsätze der Ambulacralplatten der Asterien entbehren die mehrsten Echi- niden, aber die Cidaris haben etwas durchaus analoges am 208 vordern Theil der Ambulaera, wo die Ambulaeralplatten an der innern Seite der Porenreihen Fortsätze senkrecht nach innen gegen die Höhle der Schale’ abschicken, welche von beiden Seiten die Stämme der Ambulacralgebilde zwischen sich nehmen. Nach aussen liegen die Ampullen. Mehrere dieser Fortsätze verbinden sich mit ihren geknöpften Enden zu einer fortlaufenden Colonnade, indess zwischen den Basen der Fortsätze intervertebrale Durchgänge, Löcher bleiben für die Aeste des Ambulacralgefässes, welche zu ihren Am- pullen und den Poren der Schale hingehen. Eine Verbindung der Wirbelfortsätze von rechts und links tritt nicht ein. Da- gegen ist die Analogie der Aurieularfortsätze an dem vordern Rande der Corona der Seeigel mit den Wirbelfortsätzen der Asterien, auf welche in den anatomischen Studien über die Echinodermen Archiv f. Anat. und Physiol. 1350 aufmerksam gemacht ist, mehr scheinbar als für alle Fälle treffend. Zwar sind die Aurikeln in den mehrsten Seeigeln Fortsätze der Am- bulacralplatten, und die Stämme der Ambulacralgebilde gehen zwischen ihnen durch, allein in den Cidaris sind es aus- nahmsweise die Interambulacralplatten, welche die Auricu- lar-Fortsätze für die Muskeln der Kiefer abgeben. Ausser Cidaris hat auch Clypeaster rosaceus und altus oder überhaupt die Gattung Echinanthus denjenigen Theil der Ambulacralplatten, welcher den vertebralen Fortsätzen der Asteriden analog ist, in der innern Tafel ihrer Ambulacral- platten. Hier nehmen alle Ambulacralplatten daran Theil und es tritt sogar die Vereinigung von rechts und links durch Nath ein. Dieser Ambulacralboden liegt wie bei den Aste- riden unter den Stämmen der Ambulacralgefässe und Nerven. Dagegen ist die äussere Tafel der Ambulacralplatten über dem Nerven- und Gefässstamm analog der häutigen Bedeckung der Ambulacra der Asteriden. Damit ist nunmehr sattsam bewiesen, dass in der That der Bau der Ambnlaera in den Echiniden und Asteriden gänzlich abweicht und dürfen Ci- daris und Echinanthus als der Schlüssel zum Verständniss die- ser Abweichungen angesehen werden, Die Ophiuren weichen noch einen Schritt weiter als die 209 Asterien von den Seeigeln ab. Die Ambulacralplatten der Asterien sind noch in wirbelartiger Form bei den Ophiuren geblieben, sie haben auch den Ambulaeraleanal über sich in einer Rinne, über dem Ambulacralgefäss aber liegt der platte Nervenstamm des Arms, darüber liegen die besondern Deck- platten, die ventralen Schilder der Arme, allein die wirbelar- tigen Stücke oder Analoga der Ambulacralplatten haben unter sich keine Ampullen, welche bei den Ophiuren völlig fehlen. Die Seitenäste des Ambulacralgefässes durchbohren den ventra- len Theil der Wirbelstücke in horizontaler Richtung bis zu den Saugern, welche in einer Grube dieser Stücke stehen. Poren zu Verlängerungen nach dem Innern, vergleichbar den Am- bulacralporen der Asterien und Seeigel sind nicht vorhanden. Der Nervenstamm des Arms giebt zu jedem Sauger einen Ast, für welchen eine quere Rinne auf der veutralen Seite der Wirbelstücke ausgegraben ist. Von besonderm Interesse sind in der Vergleichung der Seeigel und Asterien die 5 Platten des Apex der Seeigel, welche wegen ihrer Stellung zwischen den Genitalplatten In- tergenitalplatten genannt worden, eine längst gebräuchliche Bezeichnung, an deren Stelle indess Agassiz neuerlich den Namen Ocellarplatten gewählt hat, den ich, weil allzu theo- retisch, kaum zu gebrauchen wage. Jede dieser Platten steht am Ende eines Ambulaerums ohne selbst Ambulaeralplatte zu sein, sie ist durehbohrt und in der Oeffnung hat das von Forbes entdeckte Augenknöpfehen seinen Sitz. Dieses von Agassiz und Valentin bestätigt, von mir selbst auch ge- sehen (Cidaris), ist das Analogon des gefärbten Ehrenberg- schen Augenpunktes am Ende der Arme der Asterien. In beiden Fällen läuft der Nervenstamm des Radius in dieses Knöpfchen aus und tritt bei den Seeigeln von innen durch die Oefinung der Platte dahin. Agassiz legt mit Recht grosses Gewicht auf diese Analogie und schreibt auch den Asterien am Ende des Ambulacrums eine Ocellarplatte zu, zwischen welcher und dem Ambulaerum sich die neuen Ambulacralplatten bilden, wie in den Seeigeln. Hier sind es auch die neuen Interambula- eralplatten, welche an der Spitze des Arms sich anbilden; aber Müllers Archiv, 1808, 14 210 dies kann nur von denjenigen Reihen gelten, welehe das Ende des Arms erreichen. Bei den mehrsten Asterien errei- chen manche Plattenreihen das Ende der Arme nicht, wie in ‚den Ophidiester, Asteriscus, Astrogonium. Die fragliche Platte soll in den Asterien und Seeigeln dieselben Beziehungen haben und das Auge soll in ihr auch bei den Asterien seinen Sitz haben. Ann. d. sc. nat. T. VI. 1846. p. 309. 311. Es liegt hier die Voraussetzung zu Grunde, dass der Nerve des Radius auch in den Asterien einen innern Verlauf unterhalb der Ambulaeralplatten habe, wie in den Seeigeln, was aber nur in diesen, nicht in den Asterien der Fall ist. Es ist auch keine Oeffnung in der unpaaren Platte, welche am Ende des Ambulacrum und am Anfang des Armrückens liegt. Die Analogie der Platte in den Seeigeln und Asterien scheint dessen unbeschadet aber vollkommen begründet zu sein. Es ist in allen Fällen die Endplatte, das äusserste vom Radius. In denjenigen Asterien, welche den peripherischen Rand zu grossen Randplatten ausgebildet haben, sind es die Rand- platten, namentlich die obern Randplatten, welche mit dieser Apicalplatte des Radius gleiche Form haben, gleiche Reihe bilden und sind die Randplatten gleichsam Wiederholungen der Apicalplatte des Radius, welche die Radien festonartig verbinden und die Bauchseite oder interambulaerale Seite von der Rückseite oder antiambulaeralen Seite scheiden. Die Terminalplatte ist glatt, wo diese Randplatten glatt sind (Astrogonium), sonst ist sie mit Granula bedeckt, wo alle inter- ambulacralen und antiambulacralen Platten granulirt sind (Sey- taster, Ophidiaster). Als Endstück des Arms hat diese Platte übrigens nach der antiambulaeralen Seite sowohl als ambu- lacralen und interambulacralen Seite ihre Beziehungen, und gilt es auch für die antiambulacrale Seite, dass in ihrer Nähe sich neue Täfelchen anbilden, zur Verlängerung derjenigen Tafelreihen, welche das Armende erreichen. Bei den Ophiuren ist das terminale Stück des Radius ein eigenthümlich gestaltetes Glied ohne Stacheln und Saug- füsschen, zwischen dem und dem nächsten Glied alle neuen Glieder des Radius entstehen, wie durch die Entwickelungs- 211 geschichte der Ophiuren bewiesen ist. Dieses Glied ist of- fenbar das Analogon des terminalen Stücks des Asterienarms. In der Abhandlung über die adriatischen Ophiuren ist be- schrieben, wie das Endglied des Arms der jungen Ophiuren noch von dem Ambulacralcanal durchsetzt wird, dessen blin- des Ende noch lange aus dem Ende des Gliedes hervorsieht. Bei der von Busch beschriebenen Asterienlarve steht auch ein unpaarer Fortsatz des Ambulacralcanales hervor, aber nicht an der Spitze des Arms, sondern noch auf der Bauchseite des Arms. Dies scheint damit zusammenzuhän- gen, dass der Ambulacralcanal der Asterien oberflächlich gelegen ist und keine Bedeckung von Skelettbildungen erhält. Bei der von mir beschriebenen wurmförmigen Asterienlarve dagegen stehen die Ambulacralecanäle blind aus den Enden der Arme hervor und darin stimmt diese Larve viel mehr mit den Ophiuren als mit den Asterien überein. Man kennt ihren ersten Zustand noch nicht und muss sehr gespannt sein, ob dieser eine den Bipinnarien oder Pluteus analoge Gestalt ist. Es fehlt an Anhaltspunkten, die letzte Abtheilung ihres wurmförmigen Körpers auf einen Theil des Asterienkörpers, After oder Madreporenplatte zu bestimmen. Wäre es eine Ophiure, so wäre diese Abtheilung als Rest vom Scheitel einer Larve anzusehen. Das Endglied des Arms einer Ophiure ist weder ambu- lacral noch rein antiambulacral, sondern gleichsam ein Kno- tenpunkt, von welchem aus die ambulacralen Platten, die ventralen und dorsalen oder antiambulacralen Deckschilder und die interambulacralen Seitenschilder ihren Anfang nehmen, Als einen solchen Knotenpunkt kann man auch die Ter- minalplatte des Arms der Asterie betrachten. Die Ocellar- platte der Seeigel ist die Terminalplatte eines Radius, dessen antiambulacrale Seite fehlt. Bei der Zerlegung der Radien der Dysaster in ein Trivium und Bivium, bleiben die Geni- talplatten, deren 4 sind, am Apex des Trivium. Die Ocel- larplatten folgen aber bei der Zerlegung ihren Radien. 14* 212 Fortsetzung, gelesen 9. Juni 1853. Mundskelet der Seeigel, Holothurien und . Ophiuren. Das Kiefergerüst der regulären Seeigel besteht nach der von H. Meyer gelieferten vollständigen Analyse aus den 5 paar Kinnladen für die 5 Schmelzzähne, ‘aus 10 Epiphy- sen der Kiefer zur Einlenkung derselben und aus 5 radial gestellten Stücken, auf welchen die Epiphysen der Kie- fer artieuliren. Die Laternradien sind die Stücke, welche Des Moulins rotulae, Valentin falces nennen. Zu dem Aufhängeapparat des Kiefergerüstes gehören noch die 5 Com- passe Valentin’s, von welchen Meyer zeigt, dass sie wie- der aus 2 Stücken bestehen. Diese Compasse sind nur in den regulären Seeigeln vorhanden; sie fehlen den Clypeastri- den gänzlich. Die zwei Epiphysen eines Kieferpaares sind in den regu- lären Seeigeln mit Fortsätzen versehen, welche sich bei Echi- nus u. a., zu einem Bogen an der Basis der Kiefer verbinden, bei den Cidaris und Echinocidaris sind die Fortsätze vorhan- den, aber nicht mehr zu Bogen verbunden; bei Diadema sind die Fortsätze der Epiphysenstücke ganz eingegangen. Bei den Echinus bilden‘ daher die 10 Epiphysen zusammen mit den 5 Rotulae einen geschlossenen Kranz, der in den Cidaris, Echinocidaris und Diadema unterbrochen ist; in den anato- mischen Studien ‘über die Echinodermen habe ich diesen Kranz mit dem Mundring der Holothurien verglichen. Die Rotulae oder Laternradien gleichen denjenigen Stücken des Kalkringes der Holothurien, über welche die 5 Ambulacral- canäle nach aussen treten, bei den Seeigeln haben sie das- selbe Verhältniss zu den 5 Ambulacralcanälen. Den Holo- thurien fehlen die Kiefer und ihre Zähne. Die Clypeastriden besitzen genau dieselbe Zusammen- setzung des Kiefergerüstes wie die regulären Seeigel bei et- was anderer Form der Epiphysen und Rotulae. Dass ihr Kiefergerüst nur aus 5 Kieferpaaren bestehen und alles an- dere fehlen soll, wie Agassiz von den in seiner Monogra- 213 phie der Seutellen beschriebenen Gattungen 'behauptet, kann von keiner Gattung dieser Familie gelten. Der Apparat be- steht vielmehr in allen Gattungen von Clypeastriden aus 25 Knochenstücken, nämlich 10 Kieferhälften, ihren 10 Gelenk- epiphysen und 5 Rotulae. Die Rotulae der Clypeaster hat bereits Des Moulins beobachtet, sie aber mit Unrecht in den übrigen Gattungen vermisst. Ihre Form weicht dadurch von derjenigen der regulären Seeigel ab, dass sie hoch und scheibenförmig sind, der Ambulacralcanal geht wie gewöhnlich über den Zwischenkiefermuskeln und unter den Rotulae weg zum Ringeanal. Mit ihnen sind die Gelenkstücke der Kiefer durch ein Gelenk verbunden. Durch sie werden auch die Kiefer so weit aus einander gehalten, dass bei der Action der Zwischenkiefermuskeln der unter der Rotula durchgehende Ambulacralcanal nicht gedrückt werden kann. Die Epipysen der Kiefer haben bei den meisten Gattungen der Clypeastri- den fast dieselbe Gestalt wie die Rotulae, sie sind den Kiefern durch Nath aufgesetzt, Des Moulins hat die Epi- physen nicht gekannt, aber Don Antonio Parra hat beim Clypeaster rosaceus sowohl die Epiphysen als die Rotulae ge- sehen, indem er 3 kleine Stücke zwischen den Kiefern 'an- giebt: En la union de dos de estas piezas, por la parte superior, dexan un hueco, en el que estän colocadas mara- villosamente tres piececitas, ‚de figura de la pepita de un melön verde, &stas se ‚designan por la Fig. 8. Descripeion de differentes piezas de historia natural. Havana 1737. p- 141. So dass der Bau des Kiefergerüstes bei den Cly- peastern schon im vorigen Jahrhundert und längst vor dem Kiefergerüst der regulären Seeigel vollständig gekannt war. Die Gattungen der Clypeastriden haben alle dieselben Stücke und unterscheiden sich blos durch die Form der Kie- fer und die Stellen, wo die Gelenke angebracht sind, welche bei Olypeaster und Arachnoides der Mundhöhle näher, bei den übrigen an den äussern Ecken der Kiefer liegen. Bei Arach- noides placenta zeichnen sich jedoch die Rotulae durch ihre ganz ungewöhnliche Stärke vor den Epiphysen der Kiefer und die Elevation ihrer Basen über die Kiefer aus, während 214 die Epiphysen der Kiefer klein sind und die gewöhnliche Gestalt haben. Bei Lobophora sind die Rotulae sowohl als Epiphysen sehr niedrig, entsprechend der Abplattung der Kiefer. Kurze dünne Muskeln gehen von den Aurikeln zu der untern Seite der Kiefer. Die Zähne der Clypeaster in der Rinne der Kiefer befe- stigt, sind nur mit ihrem äussersten Ende nackt, der übrige Theil ist von einer eigenen weichen Haut überzogen, welche als die sackförmige Matrix des Zahns zu betrachten ist. Forbes bei der Beschreibung und Abbildung der Zähne eines Galerites, Mem. geol. suryv. London. Decade III. plate 8 spricht die Vermuthung aus, dass alle Cassiduliden mit Zäh- nen versehen sein möchten. Von Echinoneus habe ich ein Exemplar untersucht, welches noch sowohl mit den buecalen als analen Platten versehen, und obgleich trocken aus sei- nem Innern nichts verloren hatte. Aus dem Innern der Schale erhielt ich jedoch keine Zähne, vielmehr nur wenig groben Sand, kleine Schneckenschalen und Trümmer von Conchi- lien, wie sie der Meeressand enthält, von dem Darminhalt herrührend. Die sternförmige Lücke im Skelet über dem Munde der Ophiuren und Asterien ist bekanntlich nicht der Mund und bil- det nur die Propylien des Mundes. Dieser ist vielmehr rund und liegt tiefer in einem häutigen Diaphragma. Was davor liegt, ist daher dem vestibulum vor, dem Munde der Holo- thurien vergleichbar. Bei den Ophiuren wird die sternförmige Spalte über dem häutigen Diaphragma von 20 Stücken eingefasst, welche nichts anders als die vordersten Ambulacralplatten in Verbindung mit 5 paar interambulacralen Stücken sind. Die vordersten Ambulaecralplatten sind wie alle andern paarig, sie sind mit den folgenden Ambulaeralplatten wie gewöhnlich durch Ge- lenke und Muskeln verbunden, sind aber unter sich nicht durch Nath, sondern durch ein gezahntes Gelenk, also beweg- lich verbunden. Diese vordersten Ambulacralplatten begren- zen die offenen Winkel der Muudspalte, die interambulacra- len Stücke aber gehören zu den Ecken der Mundspalte; die 215 Verbindung der Ambulacralplatte mit dem interambulacralen Mundeckstück ist fest durch Nath. Die Verbindung der bei- den interambulacralen Stücke zu einer Mundecke geschieht durch eine Verzahnung, welche Bewegung zulässt durch quere Muskeln, welche die Schenkel der Ecke einander nähern und die vordersten Ambulacralplatten zweier Ambulacra verbinden. Die äussern Ränder der Mundecken sind gegen die Mund- spalten mit kalkigen Papillen besetzt, papillae marginales, Saumpapillen der Mundspalte. Auf der verticalen Kante der Ecke befindet sich nach oben in vielen Gattungen wieder ein Haufen Papillen, die papillae angulares oder Mundeckpapillen (Zahnpapillen Müll. Trosch.), unter diesen stehen bei den Ophiuren die zahnförmigen Labialplättchen, welche ich statt des Namens Zähne palae angulares nenne, zu einer verti- ealen Reihe geordnet. Sind diese Mundecken der Ophiu- ren und Euryalen etwa als Kiefer zu betrachten und sind sie den Kiefern der Seeigel homolog? Dann wären die Kiefer der Seeigel, welche aus zwei Hälften bestehen und deren Ecken ebenfalls interradial zum Munde stehen, als me- tamorphosirte Interambulacralplatten zu betrachten, welche durch einen grossen Zwischenraum von den Platten der Corona getrennt sind, aber durch Muskelu mit ihren Auri- keln zusammenhängen und diese Kiefermuskeln wären die Analoga der intervertebralen Muskeln der Ophiuren. Dieser Deutung stehen aber gewichtige Gründe entgegen. Bei genauerer Betrachtung verlieren die Mundecken der Ophiu- ren ihre scheinbare: Analogie mit den Kiefern der See- igel gänzlich. Es findet sich nämlich auf der verticalen ab- gestumpften Kante dieser Ecke eine eigene unpaare Platte (torus angularis), sowohl in den Ophiuren als Euryalen, auf dieser Platte sitzen aber die Eckpapillen und zahnförmigen Plättehen. Die unpaaren Platten auf den Mundecken fehlen allen Asterien, sie würden selbst die Bedeutung einer Kie- ferplatte in Anspruch nehmen, sobald überhaupt die soge- nannten Zalmplättchen der Ophiuren als wahre Zähne anzu- sehen wären. Die 5 unpaaren voraussetzlichen Kieferplatten der Ophiuren haben wieder keine Aehnlichkeit mit den paa- 216 rigen Kiefern der Seeigel, ebenso wenig gleichen. die zahn- förmigen Plättchen oder Palae der Ophiuren den Schmelzzäh- nen der Seeigel, sie haben nämlich die gewöhnliche Kno- chenstruetur. Zieht man ferner die Art der Insertion dieser Plättchen auf den Mundeckplatten in Betracht, ‘so ergiebt sich für gewiss, dass es überhaupt keine Zähne sind. Sie sind nämlich beweglich und durch zwei Muskeln auf die Mundeckplatte aufgesetzt. Diese Muskeln haben in paarweise gelegenen tiefen Aushöhlungen oder Löchern der Mundeck- platte ihren Sitz. Die Aushöhlungen durchbohren zum Theil den Torus angularis und reichen noch bis in die Basen der Mundecken. Die Insertion der Muskeln ist am obern Rande der Basis der Plättchen, palae, so dass den äussern Enden der Plättchen bei der Action der Muskeln eine Bewegung nach oben ertheilt wird. Ohne Zweifel werden sie beim Fressen benutzt. Die über den Zahnplättchen befindlichen Eckpapillen sind zwar auch beweglich, haben aber keine solche Muskeln an ihrer Basis, die Euryalen haben an ihren Mund- eckplatten nur Eekpapillen, keine zahnförmigen Plättehen oder Palae. Die besonderen Knochen an den Mundecken der Ophiuriden sind daher als Labialbasen anzusehen, auf welchen die Labialpapillen und Labialplättchen oder dentes spurii aufsitzen. Die Vergleichung der Mundeekplatten (Tori angulares) und vordersten Interambulacralplatten der Ophiuren mit den Kiefern der Seeigel ist daher unrichtig. Dies ergiebt sich auch aus andern Thatsachen, die von den Seeigeln selbst geliefert werden. Bei Cidaris nämlich setzt sich die Corona in Form beweglicher Ambulacral- und Inter- ambulacralplatten bis zum Munde fort, so dass auch die Rei- hen der Sauger ununterbrochen bis zum Munde reichen, wäh- rend bei Echinus zwischen Corona und Mund in der Rich- tung des Ambulaerums nur ein Paar isolirter Mundsauger er- scheint. Die Reihen der beweglichen Ambulacralplatten der Cidaris enden am Munde über dem Zahnapparat als 5 den Mund umgebende Lappen, sie unterscheiden sich von den Mundecken der Ophiuren, dass sie ambulacral oder radial, die Mundecken der Ophiuren aber interradial sind. Somit ist der Zahn- 217 apparat. der Seeigel etwas; eigenes, welches die Ophiuren nicht besitzen, Die Ophiuriden besitzen nach meinen Beobachtungen ein Analogon des Kalkringes der Holothurien, welches bis- her unbekannt war und seine Lage unter den vordersten Am- bulacralplatten und Mundecken hat. Hierdurch wird eine weitere Basis für die Vergleichungen gewonnen. -Man sieht diese Theile bei einem Ophioderma, Ophiocoma u. a., oder bei einem Astrophyton, wenn man die innere gegen die Bauchhöhle gewandte Seite des Ambulaeralskeletes untersucht. Hier kömmt auch der Nervenring und der Ringcanal der Am- bulacra zur Beobachtung. Der Nerye der Ambulaera und der Ambulacraleanal treten’ am Mundende des Ambulaerums über die vordersten Ambulacralplatten von oben nach unten, so dass sie auf der Unterseite an der Mitte der Gabel der vordersten Ambulacralplatten zum Vorschein kommen, hier tritt jeder in seinen Ring ein. Der Nervenring liegt in einer Rinne, welche quer über die innere Seite der zur Mund- ecke verbundenen Platten eingegraben ist. Diese in allen Ophiuren leicht wahrzunehmende Rinne ist von den eigen- thümlichen peristomialen Kalkplatten bedeckt, von wel- chen jetzt die Rede ist. Der häutige Ring, welcher den eigent- lichen Mund der Ophiuren noch unterhalb der Mundecken bildet, ist an seinem Umfang von diesen Kalkplatten gestützt. Der Ringeanal der Ambulacra liegt etwas weiter nach aussen dieht hinter diesen Kalkplatten. Es sind in der Regel zehu Kalkplatten, welche in den Ophiuren jedoch keinen vollstän- digen Ring bilden, je zwei stossen aneinander und liegen auf der untern Seite der Mundecken. Bei Ophioderma kommen an der Stelle, wo die beiden Platten aneinander stossen, noch zwei Plättchen vor, das eine vor der Vereinigung, das andere hinter der Vereinigung der beiden Platten. Bei Ophio- lepis eiliata sind diese Mundringplatten am unscheinbarsten und leicht zu übersehen, hier ist es dagegen am Jeichtesten den Ringeanal der Ambulacralgefässe zu sehen, den man von den Polischen Blasen aus injieiren oder aufblasen kann. Die Polischen Blasen liegen interradial, dicht an dem 218 aboralen Rande der Mundringplättchen. Vom Ringeanal tre- ten 10 Zweige in Löcherchen der vordersten Ambulacralplat- ten zu den untern Mundsaugern, welche ihren Sitz in der sternförmigen Spalte über der häutigen Mundscheibe haben. Bei Astrophyton sind die 2 Platten, welche auf der untern Seite der Mundecken liegen, zu einer einzigen vereinigt, da- gegen treten 5 andere unpaare Platten auf, welche bei den Ophiuren fehlen, sie liegen an den Mundenden der Ambula- era vor dem Paar der Ambulacralplatten, so dass der Ner- venstrang und Ambulacralcanal zwischen ihnen und den er- sten Ambulacralplatten nach abwärts gehen. Diese scheinen ebenfalls zum Mundring gerechnet werden zu können, ob- gleich ihre Lage eigenthümlich ist. Der Nervenring. der Asterien hat seine Lage auch unter den Mundecken am Umfang des Mundsegels, wo sich noch eine Rinne zeigt; er liegt auf dem Munddiseus unter den Eeken und wird von aussen durch Abbrechen der Ecken so- gleich blossgelegt. Der Ringeanal der Ambulacralgefässe hat dieselbe Lage wie in den Ophiuren., Der Torus angularis fehlt in den Asterien, die Eeken selbst bestehen aus einem paar von Interambulacralplatten und zwar sind es die vordersten Adambulaeralplatten, wel- che sich zur Ecke aneinanderlegen. Zwischen je zwei Am- bulacra bemerkt man auf der Innenseite eine unpaare Platte, welche zu ‘den intermediären Interambulaeralplatten nicht gezählt werden kann, sie ist daher kaum vergleichbar den interambulaeralen Schildern am ventralen Perisom der Ophiuren. Dass die Theile des hier beschriebenen Mundrings der Ophiuren dieselben sind, welche bei den Holothurien den Kalkring bilden, ist mir sehr wahrscheinlich, bei den Ophiu- ren fehlen diejenigen Stücke des Ringes, welche in der Richtung der Radien liegen, an welchen in den Holothurien die Längsmuskeln befestigt sind und über welche die Aeste des Ringeanals zu den Ambulacra treten. Die Mundringplat- ten. der Ophiureu sind auch die Analoga derjenigen Stücke der Laterne der Seeigel, an welchen die Kiefer befestigt sind. 219 Der Nervenring liegt überall unter dem Perisoma des Mundes und seinen Mundecken, bei Holothuria unter dem Perisoma des Mundes, bei Echinus, wo das Perisoma des Mundes die Ambulacra fortsetzt, unter diesen, ebenso bei den Asterien und Ophiuren unter den Mundecken des ver- kalkten Perisoms. Der Nervenring liegt überall am eigent- lichen Mund, wo ein Mundsegel am Umfang desselben, und immer oberhalb des Mundkalkringes, wo ein solcher vorhanden ist. Der Ringeanal der Ambulacralgefässe liegt mehr oder weniger tiefer, unterhalb des Kalkringes, wo ein solcher vorhanden ist, bei den Eehinen liegt zwischen dem Nervenring und Ringcanal das Zahngestell. Ganz anders als der Mundring der Ophiuren verhalten sich die buccalen Platten der Seeigel, welche die äussere Oberfläche der Mundhaut bedecken, wie bei den Spatan- gen*), den Echinoneus und regulären Seeigeln. Sie sind überall eine Fortsetzung der Platten des Perisoms und ent- weder unregelmässig und ohne Saugfüsse wie in den Spa- tangen und Echinoneus oder theilweise ambulaeral wie bei Echinus (die 10 Saugfüsse um den Mund), oder gleich der Corona in interambulacrale und ambulacrale Platten mit Saugfüssen eingetheilt wie bei Cidaris. In den Holothurien fehlen diese Platten auf dem Munddiseus, auch ist die Mund- haut in den Ophiuren nackt. *) Bei den Spatangen liegt der Mund excentrisch zum Ausschnitt der Corona und zu dem am Rande der Corona liegenden Ringeanal und dicht an dem hintern lippenartigen Rande des Schalenausschnit- tes. Die vordere Lippe wird nicht von dem entgegengesetzten Rande der Schale, sondern von der getäfelten Buccalhaut gebildet. Fortsetzung, gelesen am 18. Juli 1853. Crinoiden. Die Natur hat einen Uebergang vom Seeigel zum See- stern nieht versucht, welches ein platter Seeigel sein würde, dessen Bauchseite ambulacral, dessen ganze Rückseite. anti- ambulacral wäre und dessen Interambulacralplatten aus den einfachen Doppelreihen der Seeigel beständen. Die einzige Annäherung an diese Form ist das Pentagon der pentago- nalen Arten von Seesternen, deren Interambulaeralplatten immer einen dreieckigen Haufen bilden, wovon nur die Plat- ten'am Rande der Ambulaera diesen sich gleich ordnen. Den Seeigeln viel näher in der Form, nicht in der Zusammen- setzung stehen unter den Crinoiden die Blastoidea mit fester Schale und ohne freie Arme, besonders die Pentremites-Ar- ten mit rundlichem Kelche und zumal die Gattung Blaeoeri- nus Roem. Der Apex hat sich zum antiambulaeralen Felde des Kelchs ausgedehnt. In der Zusammensetzung der Inter- ambulaeralfelder des Kelchs weichen sie indess viel weiter noch von den Seeigeln ab, als von diesen die Asterien, diese Felder werden bei den Blastoiden theils von den 5 in der Richtung der Radien stehenden radialia, theils von den inter- ambulacralen unpaaren Deltoidstücken gebildet, Verhältnisse, welche keinen Vergleich mit den Interambulacralfeldern der Seeigel zulassen. Auch die Zusammensetzung der Ambulacra ist in den Pentremites abweichend, sowohl von den Ambula- cra der Seeigel als der Asterien, wie aus der von Roemer gegebenen Analyse der Pentremiten hervorgeht. Beim, Pen- taerinus stehen die antiambulacrale und ambulacrale Zone des Kelches (mit Ambulacralrinnen) im Gleichgewicht und beide haben sich auf die beweglichen Arme verlängert. Die Hervor- bildung der antiambulaeralen Seite der Radien geschieht in den Crinoiden entweder schon von der Basis des Kelches an, oder vom Umfang, oder in der Nähe des Mundes wie bei den mehrsten Cystideen. Im letzten Fall zeigt der Kelch von der Basis bis in die Nähe des Mundes nichts von radia- 221 ler Anordnung der Platten und diese beginnt erst am Munde als Mundarme, deren ambulaerale Rinnen indess zum Munde führen und nicht minder als die gegliederte antiambulacrale Seite der Arnie den allgemeinen Plan der Echinodermen kund geben. Daraus erklärt sich, warum man in den Cysti- deen, so lange man sie für armlos gehalten, die radiale An- ordnung des Echinoderms vermissen musste. Die Unterscheidung der verschiedenen Gebilde, welche an den Radien der Crinoiden vorkommen, ist nicht immer leicht, ich habe sie im folgenden versucht. Radien sind ra- diale Abtheilungen des Crinoids zur Aufnahme der Ambu- lacra, und entweder Kelchradien oder Arme. Ambulacra des Kelchs sind Rinnen mit Saugern auf der ventralen Seite des Kelchs, wo Arme sind in der Richtung der Arme. Ambu- lacra der Arme sind die mit Saugern versehenen ventralen Seiten der Arme und der Pinnulae. Kelchambulacra ohne Arme haben die Blastoiden. Viele Crinoiden wie Actinoeri- nus, Platycrinus u. a. haben Arme ohne Kelchambulacra, ohne Furchen des Kelchs, die Pentracrinen und Verwandten haben Arme mit Kelchambulacra zugleich. Die Arme sind entwe- der einzeilig oder doppelzeilig gegliedert, sie sind entweder einfach oder dichotomisch getheilt. Die getheilten Arme ge- hen daher von einer ungetheilten Arm-Basis aus, die ent- weder nf dem Kelch artieulirt oder in die Täfelung des Kelchs eingeschlossen ist. Die Arme sind daher nicht leicht urspründlich doppelt. Die pinnulae dagegen stehen immer doppelreihig, und sind niemals getheilt oder verzweigt. Es sind gegliederte Ausläufer entweder der Kelchambulacra (Blastoiden) oder der Ambulaera der Arme. Wo Arme sind, fehlen sie am Kelch (auch an Ambulaeralrinnen des Kelchs) und beginnen erst, wo die Arme sich vom Kelch ablösen. Sie sind entweder einzeilig oder doppelzeilig gegliedert und auf ihrer ventralen Seite mit Saugern, gleichwie die Arme und Kelchambulacra versehen. Jedes einfache Glied des Arms oder jede Abtheilung des Ambulacrums (Blastoiden) hat nur eine Pinnula. Die Pinnulae stehen immer alterni- rend. Von Armen ohne gegliederte Pinnulae liefern die P 222 Cupressocrinites, von Pinnulae ohne Arme Pentremites unzwei- felhafte Beispiele. Eingliederige Pinnulae, welche Reihen auf einem Gliede bilden, wie die Plättchen an den Armen vou ‚Cupressocrinites, gehen in die Natur der Saumplättehen der Ambulacra über. Saumplättchen sind aufgerichtete Plätt- chen an den Seiten der Ambulaeralrinnen und können sowohl an den Ambulacralrinnen des Kelchs als der Arme und Pin- nulae vorkommen (Pentacrinus). An den Armen stehen sie so dicht, dass mehrere auf ein Glied kommen. Pentacrinus hat Saumplättehen und Pinnulae zugleich. Stacheln oder Borsten ‚sind ungegliederte Anhänge der Arme und kommen nur in der Abtheilung Crinoidea costala vor (Saccocoma).. Sie stehen doppelt und zwar gegenüber an jeder Artieulation der Arme, verschieden von der Natur der Pinnulae, welche ge- gliedert sind und alterniren. Cirren sind gegliederte Ausläufer am Stengel von Crinoiden und am Knopf der Comatulen. Die Ambulacra der lebenden Crinoiden sind in der Ab- handlung über den Pentacrinus beschrieben, es sind Rinnen, welche sich vom Munde auf dem Perisom des Kelches nach den Armen und Pinnulae fortsetzen, von einer weichen Haut ausgekleidet und beim Pentacrinus auf beiden Seiten von auf- gerichteten verkalkten Saumplättchen gestützt. Innerhalb der Rinnen befinden sich zwei Reihen feiner Oeffnungen, auf welchen die kleinen Sauger aufsitzen. An den Armen und Pinnulae beschränken sich die kalkigen Bildungen auf der Ventralseite bloss auf die Saumplättchen der Ambulacralrin- nen. Am Kelch dagegen sind die Ambulacralrinnen noch ausser den Saumplättehen durch kalkige Bildungen unter- stützt. Diejenigen Plättchen, welche den Rand der Ambu- lacralrinnen bilden, haben eine wallartige Erhöhung und die- nen den Ambulacra sowohl zur Einfassung als zur Stütze der aufgerichteten Saumplättchen; man kann sie seitliche Ambulacralplatten nennen; diese zeichnen sich wie die Saum- plättehen von den übrigen ventralen Tafeln dadurch aus, dass sie die diesen eigenen räthselhaften Kelchporen entbeh- ren. Unter der weichen Auskleidung der Rinne liegen auch noch Täfelchen, welche schon in der Abhandlung über den 223 Pentaerinus angezeigt sind. Zu einer Vergleichung mit den Ambulacralplatten der Seeigel und Seesterne schien es mir wichtig, gerade diese subambulacralen Täfelchen einer wei- tern Untersuchung zu unterwerfen. Sie bilden unter der Rin- nenhaut eine einzige also unpaare Reihe und sind mit den seitlichen die Rinnen begrenzenden ambulacralen Tafeln durch eine feste Haut verbunden, in welcher sich die Ambulaeral- poren befinden. Diese Poren haben meist zwischen den seit- lichen Tafelreihen und der mittlern Tafelreihe ihren Sitz. Auf der mittlern Reihe der Täfelehen ist auf der Oberseite derselben ein Halbkanal ausgegraben, der zur Aufnahme des Ambulacralgefässes bestimmt zu sein scheint. Hiernach würde das Ambulacralgefäss wie in den Asterien auf der äussern Oberfläche des Ambulacralskelets und wie dort unter der weichen Haut der Ambulacralfurche seinen Sitz haben, die mit den Füsschen zusammenhängenden Poren des Ambula- crums würden vielleicht als Durchgänge zu Ampullen zu deuten sein. Die Gegenwart der Kalkplättchen macht eine Unter- suchung unter dem Mikroskop unmöglich und erlaubt nur die Zergliederung unter der Lupe, bei welcher sich die Be- schaffenheit der Plättehen und die Ambulacralporen sehr gut, das Verhältniss der Füsschen zu den Ambulacralgefässen nicht direct beobachten lässt. Die ganze innere Seite des Kelchs ist locker von einer Membran ausgekleidet, welche wieder sehr kleine mikroskopische Kalkplättehen enthält. Für die allgemeine Vergleichung der Ambulacra in den verschie- denen Ordnungen ist die Thatsache wichtig, dass Pentacrinus sowohl mediane unpaare als seitliche paarige Ambulacral- platten besitzt, und dass sich die Ambulacralporen zwischen beiden befinden. Hiemit stimmen die Ambulacra der Pentre- miten in so weit überein, dass diese nach der von Roemer gelieferten genauen Analyse ausser den paarigen Platten auch eine mediane unpaare Platte besitzen, welche jedoch unter dem ganzen Ambulaeram hingeht. Das Ambulacralgefäss und seine Seitenäste nach den von Roemer und Yandell entdeckten Pinnulae hatten wahrscheinlich ihren Sitz auf die- sen Platten, nieht unter ihnen, und waren diese Ambulacra 224 wahrscheinlich von weicher Haut bedeckt wie beim Penta- erinus. Die allgemeine Anordnung der Ambulacralgefässe befolgt in allen Behinodermen einen übereinstimmenden Plan, aber die Zusammensetzung des ambulacralen Skelets und die Lage der Ambulacralgefässe im Verhältniss zu diesem ist in den verschiedenen Abtheilungen grossen Variationen unter- worfen. Die Ambulacralplatten der Seeigel, Asterien und Crinoiden weichen wesentlich von einander ab und ebenso sehr wie das System der dorsalen und interambulacralen Täfelung. Es giebt indess in verschiedenen Abtheilungen gewisse unpaare mediane Stücke, welche, wo sie vorhanden, an der Rückseite des Ambulacralgefässes liegen, in diese Reihe ge- hören die subambulacralen Plättchen des Pentacrinus, die grosse subambulacrale Platte der Pentremiten, die Rotulae an dem Kiefergestell der Seeigel und diejenigen Stücke vom Mundskelet der Holothurien, über welche die Ambulacral- canäle zu den Körperwandungen treten. \ Cystideen. Unter den Crinoiden bilden die Cystideen L. v. Buch’s eine Gruppe, welche dadurch ausgezeichnet ist, dass ihre Geschleehtsorgane mit den andern Eingeweiden vom Kelch eingeschlossen waren. In den Pentacrinen und Comatu- len dagegen sind die Geschlechtsorgane an den Pinnulae. der Arme; in denjenigen Crinoiden, die nur eine Kelchöffnung (Mund) haben, wie Actinoerinus, Platycrinus u. a. wird der Ausschluss der Geschlechtsorgane vom Kelch schon durch den Mangel einer entsprechenden Oeffnung wahrscheinlich. Die Cystideen haben dagegen mindestens 2, zum Theil 3 Kelchmündungen, wovon sich eine durch einen Klappenver- schluss auszeichnet, der ausser den Cystideen unter den Cri- noiden nicht weiter vorkömmt. Diese Klappenpyramide ist von L. v. Buch als Genitalöffnung bestimmt. Es ist sein Verdienst, dass er die innige Verwandtschaft dieser Formen mit den Crinoiden und zugleich ihre Eigenthümlichkeit erkannt, dass er genaue Analysen ihres Kelches geliefert und ihre Gattungen auseinander gelegt hat. Dass diese nicht armlos sind, wie man sie ehemals allgemein angesehen, ist zuerst von A. v. Volborth bemerkt, er hat die Arme bei Echino- enerinus angulosus und striatus, später auch bei Echinosphaeri- tes aurantium entdeckt, bei welchen sie vom Mund ausgehen. Nach ihm sind Spuren oder Reste der zerstörten Arme bei allen russischen Oystideen zu erkennen. Die Abbildungen des Herzogs v. Leuchtenberg und diejenigen von Vol- "borth von Sphaeronites Leuchtenbergi und Protoerinites ovi- formis weisen auch bei diesen auf die Gegenwart von Armen hin, obgleich die Arme selbst nicht erhalten sind. Es gehen nämlich vom Mund verzweigte Rinnen über einen grossen Theil des Kelches hin, die Zweige der Rinnen endigen aber an Warzen des Kelches, welche als Standorte von Armen anzusehen sind, welches um so merkwürdiger ist, als hier- nach die Arme dieser Cystideen weit vom Munde ab ihren Sitz gehabt haben müssen. Verhandl. der K. mineralogischen Gesellschaft zu Petersburg. J. 1845—46. Petersb. 1846. Ein “in der Sammlung L. v. Buch’s befindliches Exemplar des Sphaeronites Leuchtenbergi stimmt genau mit jenen Abbildun- gen überein. Als L. v. Buch in seiner zweiten Abhandlung (1844) die Cystideen gründete, waren schon die Mundarme des Echinoenerinus bekannt geworden. Er betrachtete sie nicht als Crinoidenarme und nannte sie Fühler. In einer richtigen Voraussicht zog er schon die Pseudocrinites und Ageloerinus mit langen von dem Mundtheil des Kelchs abge- henden Armen zu den Cystideen, wollte aber diese Aus- läufer nicht als wahre Arme gedeutet wissen. Er hatte sogar schon im J. 1840 die Reste der 3 armartigen Ausläufer bei Hemicosmites Arme oder Rüssel genannt, wurde aber von der richtigen Auffassung durch die Beziehung auf Mundröhren abgeführt. Forbes hat in seiner schönen Monographie über die bri- tischen Oystideen (Mem. geol. survey T. U. London 1848) die Formen mit Mundarmen vermehrt, Er theilt die Cysti- deen in 1) solche mit Armen ein: Pseudoerinites, Apioeysti- tes, Ageloerinites, 2) mit oralen Pinnulae: Prunocystites und 3) in armlose: Caryocyslites und Sphaeronites. Armlos sollen Müller’s Archiv. 1853. 15 226 auch die britischen Echinoenerinus sein. Es möchten aber doch wohl alle Cystideen mit Armen oder Aequivalenten von Armen versehen gewesen sein. Die von Volborth bei den russischen Arten von Echinoencrinus beobachteten Arme hält Forbes für orale Pinnulae. Die Mundarme des Echinoen- crinus und Prunocystites sind doppelzeilig gegliedert. Vol- borth sah sie bei den erstern auf der Ambulacralseite mit kleinen Plättchen besetzt, die er Tentakeln nennt, indem er bemerkt, dass Pinnulae fehlen. Diese Plättchen haben die Eigenschaften der Saumplättchen, welehe bei den Crinoiden (Pentacrinus) sowohl an den Armen als an den Pinnulae vorkommen. Bei Echinoencrinus angulosus waren die Reste von 6 Armen vorhanden. Wenn diese Zahl nicht mit den 5 gewöhnlich den‘Mund umgebenden Vertiefungen stimmte, so erklärt sich dieses vollständig daraus, dass die Zahl die- ser Facetten varürt; v. Buch giebt an, dass es 5 oder 6 seien, ich habe auch ein Exemplar mit $ runden Vertiefungen um den Mund, welche durch Rinnen mit dem Munde ver- bunden sind. Echinoenerinus striatus hat nach Volborth bei einem viel engern spitzern Mundende des Kelches nur 2 viel stärkere gegenüberstehende Arme am Munde, welche eben so gebaut sind wie bei Echinoencrinus angulosus. Aus diesem Verhalten wird es,aber wahrscheinlich, dass dies nicht Pinnulae, sondern Arme sind, denn es ist nicht die Art der Pinnulae, dass sie einzeln stehen. Sollen sie beide zu einem einzigen Ambulacrum gehören, wie soll man sich ein einzi- ges Ambulaerum an dieser Stelle in der unmittelbaren Nähe der Mundöffnung vorstellen? Gehören sie aber zu zwei ver- schiedenen Ambulacra, so können sie, weil sie einzeln sind, nur Arme sein. Die Arme von Echinosphaerites aurantium Wahlenb. (Sphae- ronites auranlium His.) verhalten sich im Wesentlichen genau so wie es Volborth beschrieben und abgebildet hat. An gut erhaltenen Exemplaren, die ich vor mir habe, sind die Anfänge von 3 gegliederten Armen am Mundtheil des Kel- ches erkennbar. Die 5 obersten Kelchtafeln erheben sich zu einer dreiseitigen oben quer abgeschnittenen Pyramide, deren abgestumpfte Kanten in die, Arme auslaufen. Zwei Seiten der Pyramide sind breiter als die dritte. Die Näthe zwischen den 5 Stücken liegen so, dass zwei derselben auf die brei- tern Seiten der Pyramide, die 3 übrigen in die abgestumpf- ten Kanten fallen. Zu den 5 Hauptstücken der Pyramide gesellen sich aber noch zwei” Supplementarstücke, welche vom Kelch aus in zwei der Kantennäthe eingreifen. Alle 7 Stücke haben nur am untern Umfang Antheil an den Po- renrauten der Kelchplatten. Die Arme theilen sich sogleich wieder. Von der Mundöffnung gehen Rinnen über die Arme fort. Die Rinnen sind mit Saumplättchen besetzt. Die Thei- lung der Arme beweist übrigens, dass es sich um Arme, nicht um Pinnulae handelt. Ob diese Arme ähnlich den Ar- men einiger andern Oystideen, wie Pseudocrinites mit geglie- derten Pinnulae versehen waren, lässt sich, da sie an den Stämmen abgebrochen sind, nicht beurtheilen. Dass auch die Caryocystites Arme besitzen, ist noch nicht bekannt, kann aber nicht. zweifelhaft sein, da sie überhaupt von Echinosphae- rites nicht sicher unterschieden sind. Beim Hemicosmites sind von den 6 obersten Platten des Kelches 3 mit einem Einschnitte versehen, welcher aus der dreischenkeligen mittlern Kelchöffnung entspringt. Jeder der Einschnitte setzt sich in eine Rinne fort; die Rinne führt nach einer kleinen Ausweitung zu einer Erhöhung des Kelches, welche zur Insertion eines Arms gedient hat. Die Erhöhung liegt nicht mehr in den Tafeln der obersten, son- dern auf 3 von den Tafeln der zweiten Reihe. Die Erhö- hung findet sich nur an Exemplaren, welche nicht abge- schliffen sind, ausgezeichnet schön an einem Exemplare, welches mir Herr Ewald mitgetheilt hat. Die dreischenke- lige Spalte des Kelchs und die fortgesetzten Rinnen des Kelchs sind mit kleinen Plättchen bedeckt, welche leicht ab- fallen. In dem von L. von Buch abgebildeten Exemplare sind sie noch vollständig und bilden eine feine Täfelung vom Mund ab nach der Ventralseite der drei Arme. In dieser 15* 228 Täfelung sind wieder drei feine Rinnen vom Mund nach den drei Armen zu unterscheiden wie bei Echinosphaerites aurantium. Die letzteren Rinnen entsprechen den darunter liegenden Spalten der grossen Kelchtafeln und ihren Rinnen.- Bei den immer sehr abgeschliffenen Exemplaren des Cryptocrinites cerasus sind noch keine Anzeigen der Arme beobachtet. Forbes sieht die" Cystideen gleichwie die Blastoiden als von den Crinoiden verschiedene Abtheilungen von Eehino- dermen an. Man hat die Sphaeronites wegen ihres Stieles schon zu den Örinoiden gezählt, noch ehe ihre Arme be- kannt waren, mit noch viel mehr Grund muss dies jetzt ge- schehen. Volborth und Roemer betrachten die Cystideen als eine Gruppe der Crinoiden und das ist auch meine An- sieht. Die Stellung der Arme darf jedoch nicht unter ihre Charactere aufgenommen werden. Denn (die Arme haben bei Sphaeronites Leuchtenbergi und Protocrinites oviformis weit vom Munde entfernt gestanden, ähnlich wie bei den übrigen Crinoiden. Die Saugfüsschen der Cystideen hatten ohne Zweifel wie beim Pentacrinus ihren Sitz an der Ambulacralseite der Arme und Kelehrinnen. In der Einleitung dieser Abhandlung ist aber bewiesen worden, wie es gegen alle Analogie ist, dass bei irgend einem Echinoderm auf der antiambulacralen Seite des Perisoms vom apicalen Ende bis zu den Armen und zwi- schen den ambulacralen Radien Saugfüsschen stehen sollten. In den Cystideen ist daher der ganze Kelch mit Ausnahme der Kelchrinnen als anambulacral anzusehen. Die Gattungen Pentacrinus, Caryocrinus und die mehrsten Cystideen zeichnen sich unter den Crinoiden durch sehr eigenthümliche Poren in den nicht ambulacralen Tafeln des Kelches aus. Wir haben nur bei Pentacrinus Gelegenheit, über diese Poren genauer uns zu unterrichten. Ich habe sie in der Abhandlung über den Pentacrinus beschrieben und abgebildet. Die interambulacralen (interpalmaren sowohl als intra- palmaren) Kelchporen des Pentacrinus durchbohren die ven- 229 tralen Kelchplatten und führen unter die innere Kelchhaut; sie sind ohne alle weichen Verlängerungen nach aussen. Im Gegensatz der ambulaeralen Kelchporen für Füsschen kann man sie anambulacrale Kelchporen nennen. Ihre Bedeutung ist unbekannt, gewiss ist nur, dass es nicht Durchgänge von Saugern sind. Es liegt der Vergleich mit den respiratorischen Poren der Asterien nahe, von denen weiche Röhrchen sich nach aussen erheben; es ist indess: durch Ehrenberg be- wiesen, welchem ich meine eigenen Beobachtungen beifügen kann, dass diese Röhrchen Blinddärmehen sind, welche zwar mit der Bauchhöhle zusammenhängen, aber nach aussen völlig geschlossen sind. Die Kelchporen des Caryocrinus sind ebenfalls ohne Be- ziehung zu den Armen und gleichen daher, obgleich anders vertheilt, den anambulacralen Kelchporen des Pentacrinus. Sie nehmen den antiambulacralen Theil ‚des Kelches hinter ‚den Armen bis zur Basis ein. Die mehrsten Cystideen (Cryptocrinites cerasus ausgenom- men) haben Kelchporen, welche über einen grössern oder kleinern Theil des Kelches ohne Radiation und in sehr eigen- thümlicher Weise verbreitet sind. In den Formen mit Kelch- rinnen, wie Protocrinites und Sphaeronites Leuchtenbergi, ver- halten sich diese Poren wieder anambulacral, da sie wie die anambulacralen Poren des Pentacrinus in den Feldern ausser und zwischen den ambulaeralen Rinnen ihren Sitz haben, hier ist jedoch ihre Verbreitung viel grösser, da sie bis zur Basis reichen. Nach der Vertheilung und Verbindung dieser Poren sind 2 Hauptunterschiede bekannt geworden. I. Cystideen mit Porenrauteu. Die Poren sind zu rau- tenförmigen Figuren angeordnet, von welchen die eine Hälfte einer Assel, die andere Hälfte der angrenzenden Assel an- gehört. Je zwei Poren dieser Rauten scheinen immer mit einander verbunden zu sein durch Canäle oder Rinnen, welche entwe- der auf der äussern oder innern Seite der Asseln sichtbar sind, 230 so zwar, dass die verbundenen Poren zwei verschiedenen aneinander stossenden Asseln angehören. a. Porenrauten ohne äussere Verbindung der Poren. Hemi- cosmites wie Caryocrinus, beim Hemicosmites sind die verbinden- den Rinnen nach Volborth auf der Innenseite der Tafeln. b. Beim Echinosphaerites granatum Wahlenb. (Caryocystites granatum v. B.) sind die Poren durch aussen hervortre- tende Leisten verbunden, welche den Verbindungscanal der Poren enthalten und dieser Canal ist immer ein einziger zwischen je zwei Poren oder selbst einer Porenreihe. Da diese Art der Typus der Gattung Caryocystites v. B. ist, so ist dieser Umstand von besonderer Wichtigkeit. Andere Echinosphaeriten oder aus Echinosphaerites abgeleitete For- men haben nämlich mehrere Verbindungscanäle zwischen je zwei Poren. Es ist auch auf diesen Umstand um so mehr Gewicht zu legen, als die Zahl der Kelchplatten, selbst der Basalplatten beim Caryocystites granatum varürt, so dass ein- zelne Exemplare mehr Kelchtafeln über einander als andere besitzen, auch Exemplare mit 5 Basaltafeln nicht selten sind. Nach der Anordnung der Tafeln würde meiner Ansicht nach Caryoeystites nnd Echinosphaerites gar nicht auseinander zu halten sein. Eine dem Caryocystites granatum nahe verwandte von Hr. Beyrich beobachtete Form (Geschiebe bei Berlin gefunden), deren Kelchtafeln zahlreicher sind, zeichnet sich dadurch aus, dass die Leisten, welche die Poren verbinden, einer gan- zen Reihe von Poren angehören, welche die ganze Dicke der Tafeln durchsetzen, so dass die Porenreihen auch auf der innern Seite der Tafeln erscheinen. Etwas ähnliches ist auch in manchen Exemplaren des Caryocystites granatum da- rin erkennbar, dass die Canäle der Leisten nicht selten auch zwischen den Endporen hin und wieder Schlitze zeigen. Allerdings lassen sich diese Schlitze durch Anschleifen der Canäle leicht erklären; sobald man aber die regelmässigen Porenreihen bei der eben erwähnten Form gesehen, so wird diese Deutung als überall genügend bedenklich. 231 e. Bei Echinosphaerites aurantium und aranea sind je zwei Poren zweier Platten nur selten durch einen Canal, meist durch zwei Canäle verbunden, welche auf der Aussenfläche der Platten erkennbar sind; Echinosphaerites testudinarius, von L. v. Buch zu der unsichern Gattung Caryocystites gezogen, ist ein länglicher Echinosphaerit. Er stimmt in den Poren- canälen mehr mit den vorgenannten Arten als mit Caryoey- slites granalum, doch ist die Zahl der Porencanäle zwischen je 2 Poren stellenweise noch weiter vermehrt. Man beob- achtet nämlich nicht bloss 2, sondern auch 3 und selbst 4 Canäle nebeneinander, welche an beiden Enden in einen Po- rus einmünden und sich so verbinden. d. Die Gattungen Echinoenerinus, Pseudocrinites, Apiocy- stites, Prunocystites zeichnen sich dadurch aus, dass sie nur einige Porenrauten, also Bruchstücke aus dem System der Porenrauten, besitzen, diese werden auch hier mit Recht Poren- rauten genannt. Beim Echinoencrinus anqulosus und striatus kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die länglichen Po- ren dieser Rauten Spalten sind, welche die ganze Dicke der Tafeln durchsetzen, Forbes war in Beziehung auf diese Poren zweifelhaft geblieben und geneigt, die pectinated rhombs als den Standort von Wimperorganen, vergleichbar den Wim- perepauletten der Seeigellarven zu deuten. Die durchaus räthselhafte Natur aller Porenrauten oder aller nicht ambula- eralen Kelchporen von Crinoiden schliesst übrigens bei den Poren und Porencanälen die Gegenwart von Wimpern nicht aus. Die Zahl der Porenrauten bei den Echinoenerinen scheint zu varjiren und dürfte Echinoenerinus granatum Volb. nur eine solche Varietät des Echinoenerinus angulosus sein. U. Cystideen mit Doppelporen der Kelchtafeln, welche nicht zwei verschiedenen Tafeln, sondern derselben Tafel an- gehören. Die Tafeln sind facettirt und jede Facette enthält zwei dicht beisammen stehende Poren. Hiecher gehört eine kleine Gruppe von Cystideen, welche man, da sie aus meh- ren Gattungen besteht, Diploporiten nennen könnte. Die hieher gehörigen Gattungen sind: 1) Sphaeronites pomum His. Typus einer besonderen Gat- tung, welche den Namen Sphaeronites behalten kann, im Ge- gensatz der Echinosphaeriten mit Porenrauten. 2) Protocrinites (P. oviformis Eichw.). 3) Sphaeronites Leuchtenbergi Volb. Typus einer besonde- ren Gattung, welche G/yptosphaerites genannt werden könnte. Dass der russische Sphaeronites pomum Leuchtenb. oder Sph. Leuchtenbergi Volb. nicht der schwedische Sph. pomum: His. ist, hat schon Volborth aus Gyllenhal wahrscheinlich gefunden. Die Exemplare der schwedischen Form im hiesigen mineralogischen Museum setzen dies ausser Zweifel. Kelch- rinnen sind bei dem wahren Sphaeronites pomum His. nicht vorhanden; vielmehr erheben sich die äussersten 5 Kelchtafeln zu einer dreiseitigen am Mund abgeschnittenen Pyramide, wie bei Echinosphaerites aurantium. Die Kanten der Pyramide sind in allen Exemplaren abgebrochen und lassen im Zweifel über die Gestalt der wahrscheinlich vorhandenen Arme. Die Basis des Kelchs ist quer abgeschnitten und im Verhältniss zum Durchmesser des Kelchs sehr breit, sie besteht aus 6—7 Stücken. Die Stellung einiger anderer Diploporiten zu diesen Gattungen ist noch unbekannt. Mehrere von Forbes beschriebene Cystideen, welche von ihm zu Caryocystites ge- rechnet sind, nämlich ©. Litehi F., C. pyriformis F., ©. mu- nitus F. gehören gar nicht zur Gattung Caryocystites v. B. und sind vielmehr dem Sphaeronites pomum verwandte Diplo- poriten, welche noch weiter zu untersuchen sind. Crinoiden mit netzförmigen Händen. Ein fossiles Crinoid mit netzförmigen Händen aus Gothland war in Stock- holm längst als solches bekannt, ist aber noch nicht beschrie- ben und abgebildet worden. Vor mehreren Jahren theilte mir Hr. Prof. A. Retzius Fragmente der Hand unter Hinwei- sung auf die Eigenthümlichkeit dieses Crinoids mit. Zahlreiche dichotomisch sich vermehrende Gliederreihen sind durch seit- liche Fortsätze der Glieder zu einer blattförmigen Gestalt verbunden. Ich hatte nie etwas der Art ‘gesehen und konnte schwer begreifen, dass es Theile eines Crinoids sein können, Als ich L. v. Buch von diesen Fragmenten Nachricht gab, erinnerte er sich, dass er ähnliche gleich räthselhafte Fragmente aus Gothland besass. Wir brachten sie an dem- selben Tage in die Gesellschaft naturf. Freunde, und es ergab sich sogleich, dass es derselbe Gegenstand war. L. v. Buch war auch erbötig, was er davon besass, mit mir zu theilen, mit der Freundschaft, die er mir immer erwiesen hat. Ich musste es jedoch aufgeben, die Natur des Thieres aus den damals vorliegenden Stücken ohne den Kelch zu erklären; ich hege zumal eine gründliche Scheu vor dem auf diesem Felde üblichen voreiligen Namengeben,, welches die Wissen- schaft gegen geringen Gewinn unverhältnissmässig: belastet. Ich gab die mir zugekommenen Fragmente an das mineralo- gische Museum als den geeignetsten Ort ihrer Aufbewahrung ab. In diesem Museum fanden sich noch weitere Fragmente dieses Crinoids aus Gothland, welche mir Herr Beyrich mittheilte. Als Hr. Peters im Frühling dieses Jahrs Stockholm be- suchte, hat er sich nach den Resten des Gothländischen Thiers weiter erkundigt, Hr. Loven hatte die ausserordentliche Güte, die prächtigen Stücke, die er davon besass, mir zur Be- schreibung abzutreten. An einem dieser Exemplare ist der grösste Theil des Kelchs mit einem Theil der Hände, an einem andern ein Theil des Kelchs mit den blattförmigen Händen erhalten. Noch ein drittes Exemplar besteht aus den Händen. Hr. Professor A. Retzius hat mir auch noch ein schön erhaltenes Exemplar der Hand mitgetheilt. ' Wer kann ohne freudige Ueberraschung diese Reste betrachten, in denen eine der merkwürdigsten Formen der Crinoiden mit der Eigenthümlichkeit ihres Baues sogleich klar hervortritt? Die Basis des Kelchs, dessen Tafeln völlig glatt sind, ist nicht ganz erhalten, scheint aber aus 5 Basalia zu bestehen, darauf folgte ein Kreis von 5 Parabasalia, mit diesen abwech- seln 5 Armbasen, radialia, welche sich berühren, mit Aus- nahme eines kleinen Zwischenstücks zwischen zweien der 5 Armbasen. Diese Anordnung würde also mit Cyathocrinus 234 übereinstimmen. Die Parabasen sind sechsseitig, ihre Breite verhält sich zur Höhe wie 3:2. Die Armbasen sind äus- serst niedrig, dreimal so breit als hoch. Auf jeder Armbasis sitzen 3 Glieder, eines von dreieckiger Gestalt auf der aus- gehöhlten Mitte des vordern Randes, zwei an den Seiten des vordern Randes, diese legen sich mit ihrem innern Theil auf das Mittelstück bis zur gegenseitigen Berührung. Diese bei- den Seitenstücke sind die Basen für alle Gliederreihen beider Handhälften. Auf jedem von beiden sitzen Zunächst 2 Glie- der, ein inneres und ein viel breiteres äusseres. Das brei- tere ist das erste von der Längsreihe breiterer Glieder, wel- che entlang dem äussern Rande des Anfangs der Hand liegt; anfangs sehr breit werden sie successiv schmaler, indem ihr äusserer Rand dem äussern Rande der Hand entspricht, der innere Rand treppenartig von 2 Gliedern zu 2 Gliedern suc- cessiv um so viel beschnitten wird, dass auf den dadurch entstehenden Absätzen der nächst untern Glieder wieder eine Gliederreihe eingelenkt ist. Die treppenartigen Absätze über- springen also ein Glied, und weiterhin selbst mehrere Glie- der. Die Gliederreihen theilen sich bald wieder diehotomisch und die Dichotomie schreitet immer fort. In geringer Ent- fernung von den Armbasen zählt man schon über 30 Längs- gliederreihen auf die Breite einer Hand, bei 1“ Entfernung von der Basis der Hand kommen schon gegen 80 Glieder- reihen auf die Breite der Hand und so schreitet die Vermeh- rung fort. Die Glieder liegen nicht blos in regelmässigen dichotomischen Längsreihen, sondern in eben so genau regel- mässigen bogenförmigen Querreihen und sind an den Seiten durch gegenüberstehende Fortsätze verkettet gelenkig, so dass alle Glieder der Hand zusammen ein Blatt mit unzäh- ligen kleinen Lücken darstellen. Diese 5 Hände haben an ihrem peripherischen Theil eine ausserordentliche Breite; im ausgebreiteten Zustande würden sie sich wie die ausgebrei- teten Blätter einer 5 blättrigen Blumenkrone ohne Zweifel nicht decken, im zusammengeklappten Zustande bedecken sie sich gegenseitig ganz so wie die zusammengefalteten 235 Blätter einer Blumenkrone, ja ihre Seiten sind sogar ganz eingerollt. Die Glieder der verwachsenen Finger sind im allgemeinen so lang als breit oder kaum länger als breit. Die Rückseite der Glieder ist flach, die Seitenfortsätze befinden sich in der Mitte der Länge der Glieder, meist je- doch etwas weiter vorn, so dass die Glieder von der Rück- seite angesehen die Form eines Kreuzes mit sehr kurzen Armen erhalten. Indem sich diese Glieder durch ihre vordern und hintern Enden in die Länge, durch ihre Seitenfortsätze in die Quere verbinden, entsteht ein Netz mit regelmässigen Maschen. Am Anfang der Arme sind die Maschen noch nicht entwickelt und die Glieder noch nicht kreuzförmig, son- dern vierseitig. Dicht über dem Kelch sind die Glieder in der Dicke d.h. in der Richtung von der Rückseite zur Volarseite viel stärker als in der Länge. Die dieksten sind die untersten, welche auf dem radiale des Kelchs ruhen. Von da nehmen sie suc- cessiv an Dicke ab, so dass sie bald nur !/, der Dicke haben, welche sie dicht über dem Kelch besitzen. Durch die starke Entwickelung der ersten Glieder nach dem Innern entsteht im Zusammenhang mit dem radiale des Kelchs eine Beda- chung der Peripherie der Kelehhöhle. Man bemerkt auf den Articulationsflächen am Ende der Glieder einen Nahrungscanal. Auf dem Querschnitt sieht man auch, dass die Volarseite der Glieder tief ausgehöhlt ist, welche Aushöhlung von zweien Leisten eingeschlossen ist. Weiterhin nimmt die Dicke der Glieder rasch ab, einen Zoll vom Anfang sind sie noch 2mal so dick als lang, aber bald sind sie nicht mehr dicker als breit, sie behalten die Aushöhlung auf der Volarseite, welche einen tiefen Canal über der Volarseite der Längsgliederreihen bildet, dieser Canal ist querüber von kleinen Plättchen verdeckt, welche meist alternirend in einander greifen. Zu den Seiten stehen auf der Volarseite der Glieder, die Ambulacra einfassend äusserst zarte Pinnulae oder schmale Saumplättchen, von denen meh- 236 rere (3—4) auf die Länge eines Gliedes kommen. Diese Pin- nulae sind ungegliedert, nur an der Basis scheint sich von ihnen 'ein Stückchen abzusetzen. Die Höhe ‘der Pinnulae gleicht am breiteren Theil der Hand der Dicke der Glieder. Die Vola der Hand war also der Dichotomie der Glieder- reihen entsprechend mit hunderten von dichotomischen Am- bulacralrinnen versehen, die von zarten kalkigen Saumplätt- chen geschützt waren. ‘Wo die Fingerreihen vom Gestein ausgebrochen sind und die Abdrücke ihrer Volarseite im Gestein zurückgelassen, erscheinen diese Abdrücke als abgerundete Riffe oder Dämme mit dichtstehenden regelmässigen queren oder ziekzackförmi- gen Einschnitten, welche dem Stand der Deck-Plättchen zwischen den Pinnulae zu entsprechen scheinen. Auf einem Querdurehschnitt der Hände bekommt man ein Bild der Einrollung der Seiten der Arme. Auf einem Längs- schnitt senkrecht auf den Kelch übersieht man nicht bloss das Innere des Kelchs und die vorhin erwähnte Bedachung des peripherischen Theils des Kelchraums, sondern man erkennt auch das ventrale Perisom über dem Kelch, welches von den Händen 'aus sich entwickelnd noch über dieser Be- dachung liegt und über die Mitte des Kelchs weggeht, als eine Linie. Die zarten Pinnulae oder Saumplättehen der Gliederreihen der Hände setzen sich am Kelch auf die ven- trale Seite des Kelchs fort und lassen sich auf dem Durch- schnitt bis zur Mitte verfolgen, wo wahrscheinlich der Mund gewesen ist. Die Beschaffenheit des Stiels ist dermalen noch unbekannt. Unter den zahlreichen von Hisinger in der Lethaea sueeiea beschriebenen und abgebildeten Crinoiden Gothland’s sucht man vergebens nach einem Bild von retieulirten Armen, freilich befinden sich darunter nicht wenige, von welchen die Arme nieht erhalten sind. Es ist schwer sich vorzustellen, dass unter den vielen Crinoidresten, die er gesehen, gar nichts gewesen sein könne, was zu dem retieulirten Crinoid gehört. Und in der That findet sich eine darauf hindeutende - 287 Abbildung, nicht von der netzförmigen Hand, sondern vom Kelch und den ersten Gliedern. Es ist sein Cyathocrinus pulcher, calyeis artieulis hexagonis, margine striatis, mani- bus eireiter 35, brevibus, linearıbus, puneto medio profundo, angulo reeto infractis. Leth. suec. supplem. II. Tab. 39 Fig. 5. Aus der vielleicht mangelhaften Abbildung der Kelch- stücke würde sich unser Crinoid nicht errathen lassen; auch passen die abgebildeten Randstreifen der Kelchstücke durch- aus nicht. Denn beim Crinoid mit retieulirten Armen ist der Rand der Kelchstücke an den Randflächen, womit sie sich berühren, stellenweise ausgegraben und stellenweise ganz, ohne dass die äussere Fläche der Kelchstücke selbst ein- geschnitten oder gestreift wäre. Was aber merklich auf unser Crinoid hindeutet, ist die Abbildung der auf dem Kelch noch aufsitzenden untersten Armglieder, welche so tief wie beim Crinoid mit retienlirten Armen von aussen nach innen reichen, den Canal au derselben Stelle und die Aushöhlung an der Volarseite besitzen. Hisinger hat diese Glieder mit ihren blossliegenden Gelenkflächen für lineare kurze Hände genommen, welche unter rechtem Winkel ein- gebogen seien. Der mittlere tiefe Punkt, den er angiebt, ist der auf der Articulationsfläche der Glieder zum Vor- schein kommende Nahrungscanal. Die Erkennung der Ab- bildung von Hisinger ist gar schwer und würde ohne Kenntniss der innern Structur der Glieder, wie sie dem Crinoid mit reticulirten Armen eigen ist, gar nicht möglich sein. Auf jeden Fall ist der dort abgebildete Gegenstand dem unserigen verwandt; es würde aber weder aus der Be- schreibung noch aus der Abbildung gerechtfertigt sein, ihn damit zu identifieiren. Im hiesigen K. mineralogischen Museum befindet sich das Gypsmodell eines englischen Crinoids von Dudley, dessen Arme durch ihre äusserst zahlreichen und zarten Strahlen und durch die regelmässigen Reihen der Gliederchen in die @Quere und Länge einige Achnlichkeit mit dem Netz des schwedischen Crinoids haben. Der Kelch stimmt mit Cya- 238 . thocrinus rugosus Mill., d. i: Crotalocrinus rugosus Austin und besitzt dieselben Sculpturen der Kelchplatten. Beim ersten Anblick dieses Modells, welches von Hrn. Krantz gekommen ist, ist man geneigt, diesem englischen Crinoid dieselbige netzförmige Bildung der Hände wie dem schwedi- schen Crinoid zuzuschreiben und beide für Arten einer und derselben Gattung oder zweier verwandten Gattungen zu halten. Bei sorgfältiger Prüfung überzeugt man sich aber, dass bei dem englischen Crinoid von einem Zusammenhang der Glieder in die Quere keine Ueberzeugung gewonnen wer- den kann. Vielmehr ist der Abgang der sehr zahlreichen Gliederreihen vom Kelch so, dass die Vorstellung ihrer Ver- einigung zu 5 Händen auf erhebliche Schwierigkeiten stösst. Hierüber würde sich nur am Originale und zumal an ver- schiedenen wohl erhaltenen Stücken Auskunft erhalten lassen. Von dem genus Crotalocrinites sagt Austin annals nat. hist. Vol. XI. 1843. p. 198: Dorso central plates five; first series of perisomic plates five; second series five. On the latter are a series of wedge- shaped plates which bear the rays: the exact number of these plates is unaseertained. Column with a pentapetalous perforation. C. rugosus. The plates surrounding the body agree with the generie character.- Rays numerous, probably amounting to one hun- dred. Column composed of thin joints artieulating into each other by radiating striae. The columnar canal is pentapeta- lous. The rays are remarkably small in proportion to-the size of the animal. g Die Verfasser, welche Miller’s Exemplare vergleichen konnten, bemerken, dass Miller sich hinsichtlich der Platten, die er unrichtig als scapulae mit einer einzelnen Aushöhlung für die Artieulation der Armglieder beschrieben, geirrt habe. Diese Platten hätten gar keine Aushöhlung, sondern darauf ruhe eine regelmässige Reihe von keilförmigen Platten, von welchen die sich gegen 100 belaufenden Strahlen ausgehen. 239 Die Beschreibung, welche M’Coy in seiner Synopsis of the classification of the brit. palaroz. rocks p. Il. p. 55 von der Gattung Crotaloerinus und vom €. rugosus giebt, bestärkt mich, dass das Modell des englischen Crinoids sich auf den Crotalocrinus. rugosus bezieht. Die Beschreibung der Kelch- platten stimmt genau. Von den 5 Scapulae heisst es, dass auf jeder von diesen eine Reihe kleiner pentagonaler Platten ruhe, welche für die ganze Breite jeder Platte eine grosse Zahl (?15 oder 16) sehr dünner Strahlen tragen. Keiner der englischen Schriftsteller erwähnt eines netzförmigen Zusam- menhanges der Strahlen. Ich muss es daher ungewiss lassen, ob dieses englische Crinoid zu unserm Gegenstande in irgend einem entferntern oder nähern Zusammenhange steht. Unter diesen Umständen wird es nöthig für das Crinoid mit retieulirten Armen von Gothland eine besondere Gattung zu gründen, für welche ich den Namen Anthocrinus vor- schlage. Art: Anthocrinus Loveni M. Offenbar stehen die Crinoiden mit netzförmigen Armen für sich allein und bilden eine besondere kleine Abtheilung, von welcher der- malen nur die eine Form aus der Silurischen Formation von Gothland bekannt ist. Ueber ihre Beziehungen zu den übri- gen Crinoiden des Uebergangskalkes werde ich mich erst später erklären können, wenn mir die Crinoiden dieser For- mation vollständiger bekannt geworden sind. Die Fortsetzung der Abhandlung hat die Holothurien zum Gegenstand, über welche in früheren Mittheilungen berichtet ist. Die zur Abhandlung gehörigen zahlreichen Abbildungen sind den Schriften der Akademie vorbehalten. Meinen Freun- den, die mich grossmüthigst bei dieser Arbeit unterstützt haben, sage ich meinen herzlichen Dank. Nachtrag. Zu den Bemerkungen über die Interambulaeralplatten der Asterien ist noch hinzuzufügen, dass bei Astropecten an die 240 Ambulaeralplatten zwei verschiedene Reihen von Interambu- lacralplatten zugleich sich anschliessen, wovon die äussern die Saumplatten der Furchen sind, die innere Reihe nur in der Bauchhöhle sichtbar, die Ambulacralplatten mit den un- tern Randplatten verbindet. Die intermediären „Platten zwi- schen Saumplatten und Randplatten sind schon erwähnt. ” 241 Ueber Chaetonotus und Jchthydium (Ehrb.) und eine neue verwandte Gattung Turbanella. Von Dr. Max SCHULTZE in Greifswald. (Hierzu Tafel VI.) Zu den Rotatorien rechnen Ehrenberg!) und andere Zoo- logen nach ihm?) einige in den Gattungen Chaetonotus und Ichthydium vereinigte Thierchen, deren Organisation wesent- lich von der der übrigen Räderthiere abweicht. Dujar- din®) hat auf einige dieser Abweichungen aufmerksam ge- macht, und die genannten Gattungen von den Räderthieren entfernt. Er stellt sie in die provisorische Ordnung der In- fusoires symetriques, welche ausserdem nur noch die Gattung Coleps und die zweifelhafte Planariola umfasst. Perty*) sondert sie ebenfalls von den Räderthieren, ohne ihnen jedoch einen bestimmten Platz im System anzuweisen. C. Vogt) reiht sie den Strudelwürmern an. 1 Nach Ehrenberg besitzen beide Gattungen sowie Pty- gura und Glenophora, welche vier in der Familie der Ichthy- dina zusammengefasst werden, ein einziges ganzrandi- ges Wirbelorgan ohne Ausbuchtungen. Von dem ’) Die Infusionsthierchen etc. S. 386 ff. #) v. Siebold, vergleichende Anatomie S. 174. vander Hoeven Zoologie (nach der zweiten holländ. Ausg.) S. 190. ?) Infusoires 1841. 8. 268. *) Zur Kenntniss kleinster Lebensformen. S. 35. 47. *) Zoologische Briefe. T. 8. 24. Müller’ Archiv. 1859, 16 242 ® Wirbelorgan bei den einzelnen Gattungen heisst es: Prygura besitzt ein Räderorgan am Munde „als einfachen geschlosse- nen Ring“, Glenophora einen Wimperkranz an der Stirn „als Räderorgan und einziges Bewegungsorgan“. Bei Ichthydium ist „vorn an der Mundöffnung und längs dem Bauche ein Wirbel deutlich geworden, welcher auf ein sich über die ganze Bauchfläche hinziehendes, auch zum Kriechen dienendes Wir- belorgan schliessen lässt“, und bei Chaetonotus endlich wird „die Bewegung durch eine doppelte Wimperreihe der Bauch- tläche vermittelt, welche ein bandartiges Räderorgan bildet.“ Schon die bei den letztgenannten beiden Gattungen ange- gebene eigenthümliche Vertheilung der Wimpern, wie sie kei- nem Räderthier sonst zukommt, und besonders das Fehlen eines eigenen, den Mund umgebenden, aus- und einziehbaren Wirbelorganes konnte gegen eine Vereinigung von Ichthydium und Chaetonotus in einer Familie mit P/ygura und Glenopnora, welche letztere wahre Räderthiere sind, sprechen, konnte sogar Bedenken erregen, ob hier überhaupt Räderthiere vor lägen. Ein genaues Studium der inneren Organisation regt zu solchen Bedenken noch mehr an, ja zwingt uns, die ge- nannten beiden Gattungen in der That von den Räderthieren ganz zu entfernen, wie dies von Dujardin, Perty und C. Vogt bereits ausgeführt wurde. Bedenken der Art finde ich von Ehrenberg nicht ausgesprochen, doch ist herauszuhe- ben, dass bei Gelegenheit allgemeiner Uebersichten der Or- ganisation der Räderthiere Ichthydium und Chaetonotus mehr- fach den übrigen gegenübergestellt werden *). *) In den Abhandlungen der Berliner Akad. d. Wissensch. 1831 heisst es S. 42: „Ichlhydium und Chaetonotus sind einfacher als alle übrigen Räderthiere gebaut.“ Ebenda S. 44: „Eine weitere Verfol- gung dieser Organe (der pankreatischen Drüsen am Magenmunde) hat mir gezeigt, dass sie bei allen Gattungen und Arten der Räderthiere, die ich untersucht habe, vorhanden sind, ausgenommen bei den Gattungen Ichthydium und Chaetonotus.“ Dagegen werden freilich S. 387 u. 389 des grossen Infusorienwerkes solche Drüsen Chaetonotus zugesprochen. Bei einer Eintheilung der Räderthiere nach der Form des Darmkanales (S. 386 des Infusorienwerkes) bilden Zehthydium und Chaetonotus für 243 Was bisher über den inneren Bau der den genannten Gat- tungen angehörigen Thiere bekannt geworden, beschränkt sich auf die von Ehrenberg gegebenen, von ihm selbst als unvollständig bezeichneten Mittheilungen, die von neueren Zoologen wohl bestätigt, aber nicht erweitert wurden. Die im Folgenden niedergelegten Beobachtungen beziehen sich auf den Bau des Chaetonotus mazimus. Ich schicke denselben die Beschreibung eines neuen, verwandten, im Meeressande bei Cuxhaven beobachteten Wurmes voraus. Turbanella hyalina nov. gen..nov. spec. Das farblose und durchsichtige 14 — 1,’ lange und — 0“ breite, etwas abgeplattete Thierchen wurde in sanft gleitender Bewegung, wie eine kleine Turbellarie schwimmend, in mehreren Exemplaren in Meeressand gefunden, der mit vielen Bacillarien und Schizonema-Fäden vermischt von der Insel Neuwerk bei Cuxhaven mitgebracht worden war. An dem in Fig. 1 abgebildeten Thier fallen zunächst zahlreiche vom Körper rechtwinklig abstehende borstenartige Fortsätze auf, welche in ziemlich regelmässigen Abständen an dem Seitenrande des Thieres hervorstehen. Das vordere abgerun- dete Kopfende ist durch zwei seitliche Einschnürungen vom Körper abgesetzt. Das wenig verschmälerte Hinterende läuft in 2 kammförmig ausgezackte, harte Lamellen aus, welche durch eine Furche, in welcher der After c liegt, von einan- der getrennt sind. Man kann am Körper des Thieres eine Bauch- und eine Rückenfläche unterscheiden, erstere wim- pert in ihrer ganzen Ausdehnung, letztere trägt keine Spur von Cilien. Der dem Kopf entsprechende Abschnitt ist je- doch auf seiner ganzen Oberfläche mit feinen Wimpern über- zogen, und besitzt ausserdem einen Kranz grösserer Wim- perhaare genau in der Mitte zwischen vorderer Körperspitze und der erwähnten Einschnürung. Die Seitenansicht Fig. 2 und der (Querschnitt Fig. 3 geben ein Bild der an der Bauch- sich die Hauptgruppe der Trachelogastrica, der an anderen Stellen (8. 40, 41.42 der Abhandl. der Akademie 1831) nur noch die unbe- zahnte Hydatineen-Gattung Enteroplea zugezählt wird. 16* 244 - Näche befindlichen Cilien. Der Seitenrand des Körpers ist durch rechtwinklig abstehende, starre Fortsätze ausgezeichnet. Diese sind einfache Verlängerungen der Haut des Thieres, keine abgesetzten, eingesenkten Borsten. Sie stehen jeder- seits in doppelter Reihe, die untere 20—25 umfassend, welche in ziemlich gleichen Abständen zwischen Kopf und Schwanzende vertheilt sind und in der Mitte zwischen Bauch- und Rückenfläche liegen, wie am Querschnitt Fig. 3 darge- stellt ist, ohne sich jedoch immer genau gegenüber zu stehen. Die Fortsätze der oberen Reihe stehen, der Rückenfläche selbst angehörend, neben oder zwischen denen der ersten, jedoch weit weniger zahlreich, nur 6—8 auf jeder Seite. Sie sind grösstentheils nicht rechtwinklig vom Körper ab, sondern nach hinten gerichtet. Aus der Spitze der meisten dieser Hautanhänge konnte bei 350maliger Vergrösserung ein feines unbewegliches Härchen hervorragend gesehen werden, wel- ches ungefähr die Länge des Fortsatzes hat, und im letzte- ren mit seinem Hinterende eingeschlossen liegt. Die Haut wie die Fortsätze sind in erwärmter Kalilauge vollständig löslich, bestehen also nicht aus Chitin. Ob die feine, aus den Hautanhängen ragende haarförmige Borste sich ebenso verhalte, konnte wegen der ausserordentlichen Zartheit der- selben nicht entschieden werden. In der Längsachse des Thieres läuft der gerade Verdauungs- canal. Die kreisrunde Mundöffnung 5b an der vorderen Körperspitze ist von einem fein gefalteten oder gezackten Rande umgeben; sie führt in eine muskulöse Speiseröhre, welche in ihrem Baue sehr an die der Anguillulinen erinnert, und diese geht unmittelbar in den gerade nach hinten ver- laufenden Darm über. Die Wandungen der !/, der Körper- länge durchziehenden Speiseröhre sind so muskulös, dass das Lumen nur als eine einfache mittlere -Längslinie erscheint, also bei unmittelbarer Berührung der Wände so gut wie gar nicht vorhanden ist. Im Augenblicke der Nahrungsaufnahme weichen die Wandungen auseinander, und lassen den Bissen durchpassiren. Die aus Ringmuskeln gebildete Speiseröhre verdickt sich nach hinten conisch und ist, olıne vorher einen flaschenförmigen Kaumagen zu bilden, wie dies bei vielen Anguillulinen der Fall ist, durch eine seichte Einschnürung von dem in seiner zarten Wandung viele gelbe Fetttröpfehen und molekuläre Körperchen enthaltenden Darm geschieden. Gegen den After e wird der Darm etwas enger und verliert sein gelbes feinkörniges Ansehn. Wie die Speiseröhre, so ist auch der Darm dem der Anguillulinen ganz gleich gebildet. Die gelbe in der Darmwand eingebettete. feinkörnige Masse ist bei vielen der letzteren in Zellen eingeschlossen, welche dieht aneinander liegend eine innere Darmhaut bilden. Diese zartwandigen, mit hellem Kern versehenen und mit gelben Körnern (Fetttröpfehen) gefüllten Zellen sind wohl als Leber- zellen aufzufassen. Sie schwinden erst im letzten Abschnitte des Darmes, und dienen wahrscheinlich zur Secretion einer Verdauungsflüssigkeit. Bei manchen Anguillulinen habe ich diese Zellen nicht wahrnehmen können, trotz dem die gelben Körnehen in der Darmwand vorhanden waren. So auch bei der Turbanella. Der Darm liegt in einem feinkörnigen weichen Parenchym eingebettet, welches die eigentliche Körpermasse bildet. In diesem finden sich zahlreiche 1%, messende, dunkel gra- nulirte Körperchen zerstreut, welche bei den Bewegungen des Körpers nicht hin und her getrieben werden, also nicht in einer Flüssigkeit suspendirt sein können. Muskelfasern konnten weder in der Haut, noch dem Körperparenchym auch nicht durch Behandlung mit Reagentien nachgewiesen werden, ebenso wenig sind Spuren eines Nerven- oder Gefässsyste- nes aufgefunden. Da mehrere Exemplare mit starken und sehr guten Vergrösserungen anhaltend durchmustert wurden, hätten wimpernde Wassergefässe oder sogenannte Zitteror- gane, wenn sie vorhanden wären, nicht übersehen werden können. 2 Unerklärlich ist eine bei a in der Einschnürung zwischen Kopf und Körper jederseits liegende feine Strichelung oder Faltung der Haut geblieben. Man könnte diese Stellen für Wimpergrübchen halten. Jene auf der Zeichnung durch scharfe Striche angegebenen haarfeinen Fortsätze oder Falten 246 sind aber starr, an ihnen ist nie die geringste Bewegung wahrgenommen worden. Bei geschlechtsreifen Thieren findet sich im hinteren Drit- theil des Körpers über dem Darm der Rückenfläche zu ein grosser Eierstock (Fig. 1.2. ef), und vor diesem ein Hode g. Beide Drüsen bestehen aus einigen kugligen, maulbeerförmig gruppirten Zelleneomplexen. Der Eierstock enthält in seinem nach hinten gerichteten schmaleren Theile die jüngsten Ei- keime, bestehend aus Keimbläschen und Keimfleck, nach vorn werden dieselben etwas grösser und durch feinkörnige Dottermasse umhüllt. 1 oder 2 Eier fanden sich meist vom Eierstock abgeschnürt, und mit einer besonderen zarten farb- losen Hülle umgeben. Der Durchmesser der grössten Eier betrug '/,,‘“. Vor diesen reifen Eiern, in welchen sich stets das Keimbläschen noch erkennen liess, liegt der an Ausdeh- nung dem Eierstock weit nachstehende Hode g. Die kugli- gen Spermatozoidenkeimzellen- Haufen liegen nebeneinander scheinbar frei im Parenchym, ohne von einer gemeinsamen Haut umhüllt zu sein. Einige dieser Zellenhaufen fanden sich zu dichten Spermatozoidenbüschen entwickelt, welche aber auch beim Zerdrücken des Thieres nicht in Bewegung gesehen wurden. Die Lage der Generationsorgane zwischen Darm und Rückenhaut ist in Fig. 2, einem idealen Längsschnittte, senk- recht auf Rücken und Bauchfläche durch die Mitte des Thie- res gedacht, dargestellt. Der Beschreibung der Turbanella schliesse ich die Orga- nisation des Chaetonotus mazimus unmittelbar an. Ehrenberg beschrieb den Chaetonotus mazimus zuerst als besondere Species’). Ob dieselbe mit Ch. Larus zu- sammenzufassen, wie man vermuthen dürfte?) und Perty°) ») Abhandl. der Berliner Academie 1831. S. 153 und Infusions- thiere ete. S. 389. c ?) Der wesentliche Unterschied beider Arten scheint mir in der Grösse zu liegen. Doch giebt Ehrenberg als geringste Länge er- wachsener Exemplare von Chaet. mazimus und als höchste für Ch. Larus gleichermassen „7 an. ®) Zur Kenntniss kleinster Lebensformen S. 47. 247 es auch als offne Frage ausspricht, kann ich nicht entschei- den, da ich letztere Art nicht ausreichend beobachtet habe. Auch Ch. squamosus Dujardin könnte sich als ein Synonym herausstellen*). Die von mir untersuchten Exemplare zeigen auch in der Gestalt der Borsten Einiges von den Ehren- berg'schen Angaben Abweichendes, und ich will es vorläufig unentschieden lassen, ob mir eine neue Species vorgelegen. Der in seiner Gestalt dem eines Igels vergleichbare Kör- per unseres Chaetonotus mit abgerundetem, verschmälertem vorderen und kuglig abgestutztem hinteren Körperende, über welches letztere ein kurzer Gabelschwanz hinausragt, mit stark gewölbter Rücken- und platter Bauchfläche ist in Fig. 4 vom Rücken, Fig.5 vom Bauche und Fig. 6 von der Seite gesehen abgebildet. Die Rückenfläche ist mit sehr zahlrei- chen, reihenweise geordneten, rückwärts gerichteten und schuppenartig übereinander liegenden Stacheln bedeckt, wel- che an den Seitenrändern des Körpers und am Kopfende kleiner sind als auf der Mitte des Rückens und am Schwanze. Ehrenberg hat in die Charakteristik seines Ch. mazimus die Angabe aufgenommen, dass die Borsten des Rückens alle gleich lang seien. Sowohl in diesem Punkte als auch darin, dass ich die Borsten an ihrer Basis jede mit 2 kürze- ren Nebenspitzen versehen finde, weichen die von mir beob- achteten Exemplare von den Ehrenberg’schen ab. In er- sterem Punkte stimme ich mit Perty überein, was die Ne- benspitzen betrifft, so erwähnt ihrer auch Perty nicht. Die- selben sind freilich bei dem dichten Uebereinanderliegen der Borsten nur bei sehr starken und guten Vergrösserungen zu erkennen. In Fig. 4 und 6 sind die Stacheln nur am Rande des Thie- res ausgezeichnet, um die Uebersicht der inneren Organisa- tion nicht zu erschweren. Die Stacheln sind Fortsätze der Haut des Thieres, nicht in die Haut eingelenkte von dersel- ben verschiedenen Anhänge, doch lösen sie sich in Kalisolu- ion schneller auf als die ziemlich derbe Haut und die bei- *) Infusoires p. 569. 248 den Schwanzspitzen, welche erst von erwärmter Lauge an- gegriffen werden. Die Bauchfläche ist frei von diesen Stacheln, die vordere Hälfte derselben ist ganz mit zarten kurzen Cilien bedeckt, nach hinten sind die Cilien auf zwei Streifen am Rande be- schränkt, welche am Schwanzende in einander übergehen. Die Mitte der hinteren Hälfte der Bauchfläche trägt sehr feine, dichtgestellte, starre Härchen, welche mit der Spitze nach rückwärts gerichtet sind. Vergl. Fig. 5. Ehrenberg kannte diese Vertheilung der Wimpern, in- dem er sagt: „Die Bewegung wird durch eine doppelte Wimperreihe der Bauchfläche vermittelt, welche ein bandar- tiges Räderorgan bildet.“ Der Darmkanal liegt an der Bauchseite und beginnt mit einer kreisrunden, an der vorderen Körperspitze gelegenen Mundöffnung (Fig. 4. 5. 6. a), welche von langen, zarten un- beweglichen Härchen, S—10 an der Zahl, umgeben ist. Perty lässt dieselben aus zwei Grübchen zur Seite der Mund- öffnung entspringen, ich habe diese nicht auffinden können. In der Mundöffnung liegt eine im Kreise fein gefaltete oder mit kleinen Vorsprüngen (Zähnchen Ehrb.) besetzte Membran, welche als kurze Röhre ein wenig vorgestreckt werden kann. Die kurze, sehr muskulöse Speiseröhre gleicht ganz der von Turbanella; sie hat die Länge von über !/, des Körpers una geht (bei b Fig. 4. 6.) in den dünnwandigen, gerade nach hinten verlaufenden Darm über, welcher eine durch kleine in seiner Wand liegende Körnchen bedingte, leichtgelbliehe Fär- bung besitzt, und etwas verengt zwischen den beiden Schwanzspitzen ausmündet. Zwischen dem Darm und der Rückenhaut liegen die Ge- nerationsorgane, in dem kuglig aufgetriebenen Hinterende des Tbieres der Eierstock mit wenigen sehr blassen Eikeimen von feinkörniger Dottermasse umgeben, welche in dem vor- deren Theile dieses Organes sich in grösserer Menge abge- lagert findet, woselbst gleichzeitig die Eikeime weiter aus- einander rücken. Vom Eierstock abgeschnürt, unmittelbar an das vordere Ende desselben anstossend, findet man häufig ein 249 grosses ovales Ei von "4, — 1/40‘ längstem Durchmesser, mit dicker, farbloser, in kalter Kalilauge unlöslicher Schale. In den- selben konnte ich wie Ehrenberg das Keimbläschen mit dem Kern stets deutlich erkennen. Eine Entwickelung der Eier scheint somit im Körper des Mutterthieres nicht stattzufinden. Ehrenberg beobachtete auch das Eierlegen. Die Geschlechts- öffnung konnte ich nicht entdecken. Vor diesem Ei, über der Stelle des Verdauungskanales, wo Speiseröhre und Darm zusammenstossen, liegt der aus wenigen kugligen Zellenhaufen gebildete Hode. Haarförmige Spermatozoiden, wie es schien aus den Spermatozoidenkeim- zellen durch einfache Verlängerung entstanden, wurden theils in Gruppen vereinigt, theils einzeln gesehen. Eine besondere die sämmtlichen Hodenzellen umschliessende Haut schien auch hier wie bei Turbanella zu fehlen. Von Nerven und Gefässen konnte keine Spur aufgefunden werden, auch nicht von Muskeln, weder in der Haut noch im Parenchym des Körpers. Zitterorgane, welche auf ein Was- sergefässystem schliessen liessen, fehlen sicher. Es bedarf keiner ins einzelne gehenden vergleichenden Darstellung der Organisation von Chaetonotus und Turbanella, um die grosse Aehnlichkeit beider darzulegen. Abweichend von allen bisher bekannten Würmern sind beide auf der einen Hälfte ihres Körpers, der Bauchfläche, mit Wimpern bedeckt, während der Rückenhaut diese durchaus fehlen. In der Form der einzelnen Abschnitte des Darmes und in der Bildung der Geschlechtstheile sind uns Charactere gegeben, welche beide Gattungen als nahe verwandt erscheinen lassen. Nicht weniger deutlich spricht sich der beiden eigenthümliche Or- ganisationsplau aus in dem Mangel der Differenzirung eines Muskel- und Nervensystemes sowie in der Abwesenheit von Gefässverzweigungen und respiratorischen Wimperläppchen. Dass unsere Gattungen, welche ich mit Ichthydium, des- sen nahe Verwandtschaft mit Chaetonotus aus den Ehren- berg’schen Angaben zur Genüge hervorgeht, als Familie der Ichthydinen zusammenfasse, dem grossen Kreise der Würmer angehören, kann keinem Zweifel unterliegen; in 250 welcher Klasse der Würmer dieselben unterzubringen, leuchtet nicht auf den ersten Blick ein. Eine Vereinigung mit den Ro - tatorien ist unmöglich wegen der Abwesenheit des für diese characteristischen Wimperorganes am Munde und der zurück- stehenden Ausbildung von Muskeln, Nerven und Wasserge- fässen, welche bei keinem Räderthiere vermisst werden. Nicht weniger sprechen gegen eine solche Vereinigung die den Ichthydinen eigenen Wimpern der Bauchfläche und der Mangel eines gegliederten, schwanzartigen Körperendes. Un- ter den Rundwürmern erinnern nur die Nematoden und besonders die Anguillulinen in der Gestalt des Darmkanales sicher entschieden an unsere Formen, an eine Vereinigung mit denselben kann aber nicht gedacht werden, da abgesehen von der Körpergestalt diesen eine wimpernde Oberhaut, her- maphroditische Bildung der Geschlechtstheile (auch haarför- mige Spermatozoiden) durchaus fremd sind. Was die Ringelwürmer betrifft, mit welchen Turbanella in der Körpergestalt eine gewisse Aehnlichkeit zeigt, so ist für diese die strenge Körpergliederung allerdings als durch- greifendes Merkmal gefallen. Sie geht von den Kiemen- würmern durch die Lumbrieinen und Hirudinen als äusse- res Kennzeichen allmählig verloren, und bleibt schliesslich nur noch in dem Nervensystem ausgeprägt. Sagitta kann wegen ihres gegliederten Nervenstranges wohl nur zu den Anneliden gehören. Bei Malacobdella schwindet auch die Gliederung der hier doppelten Nerven- stränge, und doch wird das Thier wegen der fehlenden Haut- wimpern, der Saugscheibe, des Mangels des Rüssels eine Hirudine und keine Nemertine sein. Turbanella zeigt Andeutungen einer Gliederung in der Abschnürung des vorderen Körperendes als Kopf und dem Wimperreif in der Mitte desselben, auch in der Stellung der annähernd regelmässig geordneten Seitenfortsätze. Es erin- nert das Thier in seiner Wimperung und der undeutlichen Gliederung an manehe Entwickelungszustände von Anneliden. Dagegen fehlt bei Chaetonotus und Ichthydium jede Andeu- tung einer Ringelbildung. 251 Anneliden, welche auch im erwachsenen Zustande auf der Haut Wimpern tragen, sind mehrere bekannt geworden. Po- Iyophthalmus Quatrefages (Annales d. sc. nat. 1850. 3 ser. Tom. XIN. p. 5) besitzt wimpernde Kopfsegel, denen der Räderthiere nicht unähnlich. Spio besitzt nach Örsted wim- pernde Kiemenblätter (Annulatorum Danicorum conspectus p- 40), was ich nach eigenen Beobachtungen bestätigen kann. Es wimpern bei Spio auch die beiden langen Kopfeirren und ebenso ein Paar dem zweiten Gliede ansitzende, neben den Kiemen rechtwinklig vom Körper abstehende längere An- hänge, wie ich an einer von Cuxhaven stammenden Art be- obachtete. Hermaphroditische Bildung der Geschlechtstheile, welche bei den Hirudineen und Lumbrieinen Regel ist, kommt auch bei den Kiemenwürmern vereinzelt vor. Die Exogene pusilla Dujardin (Annales des sc. natur. 1851. 3 ser. Tom. XV. p- 298) trägt Eier und Spermatozoen an jedem Gliede. Es ist noch eine Klasse der Würmer übrig, in welcher wir uns nach einer Stelle für die Ichthydinen umsehen kön- nen, die Plattwürmer und zwar in der Unterklasse der Turbellarien. Alle Strudelwürmer haben eine den Körper vollständig und gleichmässig überziehende Wimperbedeckung, ihre Haut ist weich und zerfliesslich, ihr Verdauungscanal ohne derbe Hülle, von dem weichen Körperparenchym nur durch seine aus eigenthümlichen Verdauungszellen (Leber- zellen) gebildete Wandung geschieden. Muskelfäden, Central- theile des Nervensystemes und Wassergefässe sind bei allen Gattungen erkannt worden *) Chaetonotus und Turbanella haben auf ihrer nicht zerfliesslichen, selbst kalter Kalilauge einigen Widerstand leistenden Oberhaut einen unvollständigen allein die Bauchseite und bei Chaetonotus auch diese nur theilweise einnehmenden Wimperüberzug. Bei Turbanella *) Auch bei Microstomum lineare, bei welchem O. Schmidt (die rhabdocoelen Strudelwürmer etc. S.58) und ich früher (über die Mi- krostomen etc, Wiegmann’s Archiv 1849 S. 280) Wassergefässe nicht entdecken konnten, habe ich solche mit sehr kleinen Wimperläppchen und auch deutliche Muskelfäden neuerdings erkannt. 252 wimpert auch die Rückenfläche des Kopfes, dieser besitzt aber ausserdem in seiner Mitte noch einen Reif grösserer Cilien, wie er bei keiner Turbellaria bisher beobachtet wor- den. Der Darmkanal der Ichthydinen besitzt eine gegen das Körperparenchym scharf abgesetzte zum Theil sehr musku- löse Hülle, und namentlich in seinem ersten Drittheil eine Gestalt, wie wir sie bei Turbellarien nicht kennen. Muskeln zur Bewegung des Körpers und Nerven sind nicht aufgefun- den, Wassergefässe fehlen. Dennoch lässt sich eine gewisse Verwandtschaft der Ichthydinen mit den Turbellarien nicht verkennen. Wegen ihres ungegliederten Körpers, in Grösse und Gestalt dem kleinerer Strudelwürmer ähnlich, wegen der Abwesenheit anderer locomotorischer Organe als Haut- wimpern, durch welche, wenn sie den Körper auch nur zur Hälfte überziehen, derselbe doch in eine sanft gleitende Be- wegung wie bei den Strudelwürmern versetzt wird, wegen der zurückstehenden Differenzirung von Muskeln, Nerven und Gefässen, welche bei manchen kleinen Rhabdocoelen und Mi- krostomen auch nur auf niederer Stufe stehen geblieben 'ist, scheinen die Ichthydinen zu den Turbellarien immer noch besser zu passen als zu den Ringelwürmern. Wir gerathen jedoch in neue Verlegenheit, wenn wir nach einer geeigneten Stelle für sie in den bisher als natürlich erkannten Ordnun- gen der Strudelwürmer suchen. Von vorne herein von der Coneurrenz auszuschliessen sind die Dendrocoelen, grös- sere, platte, mit verzweigtem, afterlosen Darm versehene Thiere, und dieNemertinen (Rhynchocoela), welche neben ihrem geraden, mit einem After versehenen Darm stets einen Rüssel besitzen. Es bleiben also die Ordnungen Rhabdocoela und der Arhynchia (vergl. meine „Beiträge zur Naturgesch. der Turbellarien,“ Greifswald 1851. S. 3, und Wiegmann’s Archiv 1849 5.290). Beide umfassen kleine und in ihrer Gestalt den Ichthydinen ähnliche Formen, aber erstere haben einen Darm ohne After, dabei hermaphroditische Bildung der Geschlechtstheile, letztere einen geraden Darm mit After, wie die Ichtbydinen, sind aber eingeschlechtlich. Keiner von beiden Ordnungen schliessen sich die mit einem After 253 versehenen, hermaphroditischen Ichthydinen ungezwungen an. Bei den Turbellarien wie bei den Würmern überhaupt haben die aus der Form des Darmkanales entnommenen Merkmale für die Systematik eine höhere Bedeutung als die aus der Bildung der Geschlechtstheile folgenden. Wollten wir den Ichthydinen einen Platz unter den Turbellarien an- weisen, so würden wir dieselben nicht bei den Rhabdocoelen, sondern unter den Arhynchien vorläufig aufführen. Diese um- fassen dann die Mikrostomen und Dinophilus als Dioica, die Ichthydinen als Monoica. Nach der Erwägung alles Angeführten scheint mir eine endgültige Entscheidung über die Frage, ob die Ichthydinen zu den Anneliden oder den Turbellarien zu rechnen, noch zu verschieben. Mag man ihnen vorläufs den Platz bei den Turbellarien lassen. Fortgesetzte Forschungen werden in dieser bisher wenig umfassend untersuchten Abtheilung der Würmer noch manche Formen kennen lehren, die nicht in das vorläufig aufgeführte System passen, und mögen auch noch manche Verwandte unserer Ichthydinen in Verborgenheit leben, deren Kenntniss uns die systematische Stellung der- selben klarer angeben wird, als sie nach der bisher gewon- nenen Uebersicht festzustellen ist. Auf ein eigenthümliches, von Dujardin kürzlich beschrie- benes Thier möchte ich schliesslich noch aufmerksam machen. Es ist dies die Echinodere (Annales des sciences nat. 1851. Tom XV. S. 158), ein 0,5—0,5mm langes Würmchen, welches in seiner Körpergestalt, den feinen, borstenartig starren An- hängen und in der Gestalt des Verdauungskanales lebhaft an Turbanella und Chaetonotus erinnert. Von der inneren Orga- nisation ist Nichts weiter bekannt geworden. Eine Abthei- lung des Körpers in einzelne Ringel ist deutlicher, wie bei den angeführten Gattungen. Demnach würde das Thierchen, sollte an der Bauchseite Wimperung aufgefunden werden, eine vierte Gattung der /chthydinen bilden können, 254 Erklärung der Tafel VI. Fig.1. Turbanella hyalina vom Rücken gesehen bei 350facher Vergrösserung. aa, Einschnürung zwischen Kopf und Körper. b, Mund. c, After. d, Grenze zwischen dem muskulösen Oesophagus und Darm. e, Eierstock. f, reifes Ei. g, Hode. Fig.2. Mittlerer Theil der Turbanella hyalina von der Seite gesehen. a, wimpernde Bauchfläche. 5b, Rückenfläche. e, Eier- stock. f, reifes Ei. 9, Hode. Fig. 3. Tdealer Querschnitt durch einen von Generationsorganen freien Theil der Turbanella hyalina. Fig. 4. Chaetonotus mazimus vom Rücken gesehen bei 350 mal. Vergrösserung. Die Stacheln des Rückens sind nur am Rande ge- zeichnet. a, Vorderes Ende mit dem Munde auf der Bauchseite. b, Grenze zwischen Speiseröhre und Darm. c, After. d, Eierstock e, reifes Ei. f, Hode. Fig. 5. Chaelonotus maximus von der Bauchfläche gesehen. a, Mund. Fig. 6. Chaetonotus maximus von der Seite gesehen. Die Sta- cheln sind nur am Rande gezeichnet. Buchstaben wie bei Fig. 4. Ueber die Larve von Spatangus purpureus, Von A. Kronms. (Hierzu Taf. VII.) Im April dieses Jahres gelang es mir in Messina, die Eier des Spatangus purpureus (meridionalis Phil.) künstlich zu be- fruchten und die Entwickelung der Larven bis zu einer ziem- lich weit vorgerückten Stufe zu verfolgen. Es hat sich erge- ben, dass diese Larven durch den Besitz eines geraden, mit einem Gitterstabe versehenen Fortsatzes auf dem Scheitel, mit zwei bereits von J. Müller beschriebenen Larvenformen übereinstimmen, von welchen die eine, völlig entwickelt, bei Helgoland, die andere in noch jugendlichem Zustande bei Nizza angetroffen wurde. (J. Müller über die Entwicklung und Metamorphose des Echinodermen 1. Abhdl. S. 17. Taf. III und 4. Abhdl. S. 27. Taf. VIH.. Fig. 10—13). Ich verweise sogleich auf die Erläuterung der beigegebenen Figuren, wel- che einzelne spätere Stadien darstellen und bemerke nur, dass mein Wunsch, die nach künstlicher Befruchtung gewon- nenen Ergebnisse an sporadischen weiter entwickelten Lar- ven zu vervollständigen, unerfüllt blieb. Es waren im Laufe des April und Mai die Echinodermenlarven, mit Ausnahme der Auricularien und Bipinnarien, sehr selten geworden. Vergleicht man die Larve von Nizza mit der Larve des Spatangus purpureus, so zeigt sich so viel Uebereinstimmen- des in der Leibesgestalt und zum Theil auch in der Archi- tektonik des Kalkgestells, dass die Vermuthung nahe liegt, die Larve von Nizza möchte ebenfalls von einem Spatangus 256 abstammen. Sie unterscheidet sich im Wesentlichen dadurch, dass sie bei einem höhern und dickern Leibe kürzere Fort- sätze besitzt, dass die Gitterstäbe der ganzen Länge naclı durchbrochen sind, endlich dass diejenigen, welche die hin- tern Seitenarme stützen, mit dem Kalkgestell zusammen- hängen. Anhangsweise sei hier angeführt, dass die Spatangen und Echinen, von der frühesten Jugend an, von einander zu un- terscheiden sind. Die jüngsten an der Meeresoberfläche an- zutreffenden Spatangen sind bereits mehr oder minder deut- lich eiförmig gestaltet und wie die jungen Echinen mit fünf Füsschen versehen. Letztere stehen auf der Bauchseite an der Grenze eines häutigen Feldes, das grösstentheils im Be- reich der breitern (resp. vordern) Körperhälfte liegt. In die- sem Felde erscheinen später längliche verzweigte Kalkstäb- chen und bricht hier zuletzt auch der Mund durch. Die Füss- chen haben kolbig angeschwollene Enden. Pedieillarien feh- len noch durchaus, ganz im Gegensatz zu den jungen Echi- nen, bei denen sie bekanntlich schon während der Larven- periode zum Vorschein kommen. Sie entwickeln sich erst später und zwar zunächst im Umkreise des Körpers. Die Stacheln finden sich durchaus nicht in parallele Zonen ver- theilt, wie es bei den jungen Seeigeln der Fall ist. Erklärung der Figuren. Fig.1. Eines der spätern Larvenstadien. Die Larve von der Rückseite. Vergröss. 100. aa vordere Arme, b Mundgestell. Die vordern Arme enthalten in diesem Stadium einen durchweg undurehbrochenen Kalkstab, der nur das Anfangsstück eines erst in der Folge (s. Fig. 2.) deutlich erscheinenden Gitterstabes ist. Fig.2. Larve mit bereits hervorgewachsenem Scheitelfortsatz. Von der Rückseite. Vergröss. 120. aa, b wie in Fig. 1. ce Arme des Mundgestells, hier noch in der Anlage. f Scheitelfortsatz, dessen Kalkstab jetzt noch undurch- brochen, später (s. Fig. 3) ein Gitterwerk entwickelt. 257 Fig.3. Larve mit weiter ausgebildetem Mundgestell und den Anlagen der hintern Seitenarme. Von der Rückseite. Vergröss. 60, aa f wie in Fig.2. cc hervorgewachsener Arm des Mund- gestells. dd Nebenarme des Mundgestells in der Anlage. ee Hervorwachsende hintere Seitenarme mit einem sich bildenden Gitterstabe, der in seinem obern Theil ebenfalls undurchbro- chen bleibt. Fig. 4. Larve mit länger gewordenen Seitenarmen. ‘Von der Vorderseite. Vergröss. 60. Bezeichnung wie in Fig. 3. Fig.5 und 6. Disposition der Kalkstäbe im Leibe von Larven, deren Seitenarme sich noch weiter entwickelt haben. Von den Stä- ben der Leibesfortsätze sind nur die Anfangstücke zu: sehen. Fig. 5... Von der Rückseite. { aa die mit vier Zacken im Leibe wurzelnden Gitterstäbe der hintern Seitenarme. Die längsten jener Zacken (gg) reichen bis zum Scheitel, wo sie mit ihren Enden sich oft kreuzen. Mit den kürzern dickern gegen die Mittellinie der Rückseite gerichteten (ff) ist dies häufig eben so der Fall. 5 Hintere Leibesstäbe. ce Stäbe der Arme des Mundgestells. d Kalk- bogen des Mundgestells, dessen, Schenkel in die Nebenarme dieses Gestells sich erstrecken. e Gitterstab des Scheitel- fortsatzes. Fig. 6. Von der Vorderseite. aa Gitterstäbe der vordern Arme. bb Vordere Leibesstäbe, deren Enden tief in den Anfang des Scheitelfortsatzes reichen. cc Querstäbe. dd Stäbe, welche zur Aftergegend sich erstrecken, wo sie sich zuletzt kreuzen. Im Scheitel sind die vordern und hintern Leibesstäbe jederseits, durch eine meist unnnterbrochene Querleiste mit einander verbunden. Viel seltener findet’ sich eine ähnliche Querleiste zwischen den beiden hintern Leibesstäben. Anmerk. Die kolbig angeschwollenen Enden sämmtlicher Leibes- fortsätze sind ‚karminroth gefärbt, und Flecken von ;dersel- ben Farbe finden sich auf dem ganzen Körper. Beilagen zur vorstehenden Abhandlung. 1, Briefliche Mittheilung des Verfassers an den, Herausgeber Zufolge meiner Vermuthung über die Abkunft der Larve von Nizza kann ich mich des Gedankens nicht erwehren, die Müllers Archiv. 1859, 17 258 Lärve von Helgoland: müsse ebenfalls einem Spatangus ange- hören. Das steht freilich im Widerspruch mit Ihrer Ansicht, nach welcher sich aus ihr ein ächter mit Zähnen ausgerüste- ter Seeigel entwickeln soll. Allein, wenn ich nicht sehr irre, berufen Sie sich zur Stütze Ihrer Ansicht hauptsächlich auf die Anwesenheit von Gitterstäben bei jungen im Jahre 1847 im Sund eingefangenen Seeigeln. Damals war Ihnen'freilich keine andere Larve mit gegitterten Stäben als eben die von Helgoland bekannt, und war es daher vollkommen gerecht- fertigt, den Ursprung jener Seeigel von. daher abzuleiten, Seitdem ist es aber sicher festgestellt, dass ganz ähnlich be- schaffene Stäbe auch den Larven einzelner Echinenarten zu- kommen. Setzt man nun die Möglichkeit des Vorkommens solcher Echinuslaryen im Sunde voraus, so wäre die Abkunft jener Seeigel aufgedeckt und somit der Haupteinwurf gegen meine obige Vermuthung über die Abstammung der. Larve von Helgoland aus dem Wege geräumt. Ich weiss nicht, ob Sie meine Gründe ganz billigen werden; jedenfalls aber wäre es mir sehr angenehm, nächstens Ihre Meinung zu hören. Bonn, 25. Juni 1853. A. Krohn. 2. Anmerkung des Herausgebers. Die Bestimmung der Seeigellarven mit Gitterstäben war ohne die Hülfe der künstlichen Befruchtungen bisher unmög- lich gewesen; ‚ich. war ‚bei der Mittheilung über die letzte Beobachtungsreihe von Triest im Monatsbericht der Akademie 1852. 605 nur zur Unterscheidung mehrerer unter sich "und von der helgoländischen Art abweichenden Formen mit Git- terstäben uud zur Annahme mehrerer Arten innerhalb einer eigenen von Echinus verschiedenen Gattung gekommen. Es waren aber bei einem aus einer Larve mit Gitterstäben her- vorgegangenen jungen Seeigel im Sunde Zähne beobachtet, was nicht auf Spatangen passte. Diese Zähne stimmten in ihrer Form weder mit Cidaris noch mit Echinocyamus. Diese scheinbaren Widersprüche sind durch Krohn’s Beobachtun- gen völlig aufgelöst und erklärt... Durch die, Mittheilung des- selben ‚aus Messina Archiv. 1853. S.137 sind. Seeigellarven 259 mit Gitterstäben ohne Scheitelstab bestimmt worden in Folge der Befruchtung von Echinus brevispinosus und Echinocidaris aequituberculata. Nachdem nun abermals durch diesen For- scher auf gleiche Weise eine der Formen mit Gitterstäben und einem Scheitelstab direet als Spatangus purpureus bestimmt ist, halte ich es für höchst wahrscheinlich, dass alle mit Gitterstäben und zugleich mit einem Scheitelstab versehenen Seeigellarven den Spatangoiden angehören. Unter diesen Lar- ven sind schon mehrere Arten beobachtet. Am meisten ver- wandt sind die Larve von Nizza und die Larve von Spatan- gus purpureus, aber doch ‚in einzelnen Punkten verschieden. Die Larve mit Scheitelstab von Helgoland ist verwandt, aber in der Entwickelung weiter vorgeschritten, dieselbe Ent- wickelungsstufe mit den Querstäben am Scheitelgewölbe habe ich in Marseille gesehen und eine Zeichnung davon aufbewahrt. Von allen diesen Larven verschieden ist diejenige, welche ich zuletzt in Triest beobachtete und welche in der Abhandlung über den allgemeinen Plan in der Entwickelung der Echino- dermen Berlin 1853. Taf. VIII. Fig. 7. 8. 9 abgebildet ist. Diese Unterschiede können nunmehr theils auf Arten, theils auf Gattungen der Spatangoiden gedeutet werden, wovon die genera Spatangus, Brissus, Brissopsis, Schizaster, Amphidetus in den europäischen Meeren vertreten sind. 17* 260 Beobachtungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. Von AuGuUsT MÜLLER. (Hierzu Taf. VIII.) I. Die Analogie der Querfortsätze, ihrer Rippen und der Bogenschenkel der Fische. Die Aebnlichkeiten der verschiedenen Ausstrahlungen der Wirbelkörper werden sich bei, den Fischen ‚am leichtesten herausstellen; . Verfolgen wir zuerst ihre Entstehung. Die ‚erste feste Grundlage der, Wirbelkörper. der | Fische sah ich immer, nur als einen einfachen Ring, aus Faserkno- chen gebildet. _ Ein solcher Wirbel entspricht auf dieser, Ent- wicklungsstufe dem Zustande der Wirbelsaite, welcher bei den Chimären permanent ist, bei denen J. Müller Myxi- noiden II. S. 70. das Gewebe der Knochenringe der chorda bereits als Faserknochen erkannte. Von solchem Wirbelringe der Knochenfische fährt ein Strahlenpaar nach der Rücken- und eines nach der Bauchseite aus. Bei jungen Hechten von einem Zoll Länge erscheinen diese oberen und unteren Strahlen als Knorpelstäbe, Fig. 1, welche mit einer etwas breiteren Basis vom Wirbelringe aus- gehen, Fig. 2. Die oberen, welche das Rückenmark umfas- sen, die unteren, welche, an der fascia superficialis interna liegend, die Bauchhöhle begrenzen, und diejenigen, welche später die oberen und unteren Schwanzbögen bilden, alle sind wesentlich gleich an Form und an Materie. Nur der Länge nach varüren sie etwas, wie z. B. die unteren am 261 Anfange des ‚Schwanzes etwas. kürzer sind; nirgends ver- schmelzen sie noch zu Bögen. Das Gewebe dieser Ausstrah- lungen‘ ist also von dem des Wirbelringes sehr. verschieden. Man sieht in ihnen deutliche und schöne Knorpelzellen, wel- che leicht für .die Meinung, bestechen, ‘dass der ganze Wirbel aus. Knorpel bestehe. Bei etwas älteren Hechten findet‘ man die Knorpelstäbe von, knöchernen ‘Röhren eingeschlossen. ' Bei den Rippen bleibt.das Ende, des, Knorpels frei, und fährt’ fort’ zu wach- sen in Länge und Dicke, während die ‚Knochenröhre,; vom Wirbel aus sich verlängernd, den Knorpel: weiter einschliesst. So fand ich denn auch die,Rippen eines; -über/-einen Fuss langen ‚Hechtes zusammengesetzt aus einem'inneren Knor- pelfaden, welcher am Vertebralende am dünnsten war, und nach dem Ventralende allmälig an Dicke zunahm, und aus einer Knochenröhre, die’‘‘den Faden einschliesst und. umge- kehrt gegen das Ventralende ‚an. Dicke: ihrer. Wandungen: ab- nahm, das äusserste Ende des Knorpels aber frei liess. Mit den ‚oberen Strahlen, welche das Rückenmark decken, verhält es sich nicht ganz ‘so. Sie‘ enthalten auch einen Knor- pelfaden, welcher aber von Knochenmasse völlig umschlossen ist, und dadurch in seinem, Wachsthume plötzlich - gehindert wurde, Er nimmt daher vom Vertebralende gegen das Dor- salende an Dicke ab. Bei, grösseren 'Hechten. ist die‘ Spur dieses Knorpels nicht gut mehr aufzufinden, und der obere Strahl ‚scheint gänzlich aus Knochen‘ zu bestehen, da der Rest des Knorpels auch wohl verknöchern mag. Den Rippen des Hechtes, sind die des Lachses und: Hä- rings ganz ähnlich gebildet. In den aus einem Stücke ge- räucherten Lachses entnommenen. Rippen konnte man den inneren Knorpelfaden schon durch. die Knochenröhre hindurch klar erkennen, und sehen, dass er nach dem Ventralende an Dicke zunahm. Diesem nahe war noch keine Verknöcherung vorhanden, vielmehr sah man in Querschnitten sehr grosse Knorpelzellen, deren Inhalt sich auf Zusatz von Jod hraun färbte, und welche aussen von einer dicken fibrösen,, aus Ringfasern gebildeten Membran, dem Perichondrium, um- 262 schlossen wurden. Weiter nach dem Vertebralende zu sah man: dieses’ Perichondrium verknöchert, ' doch wurden‘ die Ringfasern desselben‘ auf Zusatz‘ von diluirter Salzsäure wieder sehr klar sichtbar. Noch’ weiter nach dem Vertebral- ende fand 'sich eine äussere Knochenlage vor, welche das verknöcherte Perichondrium bedeckte, und sich zu’ diesem verhielt‘, ‘'wie die peripherische Knochenmasse eines’ Wirbels zu seiner 'Centralsubstanz, "welehe 'J. Müller "bekanntlich zuerst unterschieden 'hat. . Zugleich bemerkte 'man gegen das Vertebralende hin’ immer mehr Kalkkrümel im Knorpel’ oder Glaskörper der Rippe abgelagert. . " Demnach entsteht ‘der umschliessende Knochen‘ nicht durch Verknöcherung des Knorpelfadens, welcher vielmehr in seiner ursprünglichen Dicke 'fortexistirt, sondern der Knor- pelfaden verhält sich zu seinem ‘Knochen, ‘wie die chorda zu ihrem Wirbelkörper. Beides, Rippenknorpel und chorda, fährt zu wachsen fort, insoweit es durch den Knochen nicht eingeschlossen und daran behindert wird; beides erhält sich oftmals von Kalksalzen frei, kann jedoch auch verknöchern; vom Glaskörper der chorda hat Rathke dies an den Frö- schen gezeigt. Beides ist von einer fibrösen Ringfaserhaut umschlossen, welche leicht verknöchert, und dann die innere aus Faserknochen bestehende Schicht der Knochenröhre oder des Knochenringes bildet. Der Glaskörper der chorda kann endlich auch wahrer Knorpel sein, wie ich an einem repro- dueirten Salamanderschwanze sah, wo sein Gewebe anderen Knorpeln völlig‘ gleieht. An den Knorpelfaden ‘der chorda setzten‘ sich obere und untere Knorpelstrahlen. nach dem Typus der embryonalen Entwicklung. Die Wirbelsaite kann daher anderen Knorpeln in jeder Rücksicht so sehr gleichen, dass sie ihnen zugezählt, und als eine Varietät derselben be- trachtet werden muss. Mit dem Röhrknochen eines höheren Wirbelthieres hat also die Rippe eines Hechtes viele Aehnlichkeit, ‘nur ‘dass sie nicht durch Epiphysenbildung zum Abschluss kommt und immerfort wächst. Die breitere Basis der oberen und unteren Strahlen, wel- 263 che den Wirbelring berührt, bleibt, ‚wenigstens theilweise, auch für die spätere Lebenszeit‘knorpelig. Der: Wirbelring verdiekt sich durch von: aussen 'aufgelagerte Knochenmasse ausser an. den vier Stellen, welche ‘durch ‚die Basis der an- liegenden Knorpelstäbe gedeckt sind, und-diese bilden dann, indem sie durch ihr Wachsthum nach aussen’ hin an Umfang zunehmen, das im Knochen des Wirbelkörpers liegende knorpelige Landwehrkreuz. Hieraus ist klar, dass die oberen und unteren hier knorpeligen Wirbelstücke nichts sind als die Bases dieser vier Strahlen des Wirbelkörpers. Eine ‚Reihe dieser Knorpelschenkel lässt sich ‚leicht -im Zusammenhange von der Wirbelsaite ‚abreissen. Besieht man alsdann die oberen, das Rückenmark. umfassenden Schenkel von der Fläche des Spinalkanales, so bemerkt man nach Entfernung der schwarz gefleckten dura mater; dass diese Schenkel von einer ‘über sie hingehenden Lage deutlich er- kennbarer Knorpelzellen bedeckt sind, welche aber die Spitze der Dornen:'nicht‘ erreicht.''-Nach ‚oben häufen sich. diese Zellen an jedem Dornfortsatze, und bilden die von Stan- nius in diesem’ Archiv 1849. 5.533 beschriebenen Knorpel- stücke, nach unten aber ‘und zwischen den Schenkeln stellen sie eine dünnere Lage: dar,, Noch tiefer herab. werden. die Knorpelzellen seltener, das Gewebe wird mehr- fibrös, und habe ich mich von einem 'Uebergange in die Basis der obe- ren Knorpelstrahlen nicht überzeugen können. Anden vor- deren Wirbeln ist diese Knorpellage am stärksten entwickelt. Später verknöchert der untere fibröse Theil: dieser. Lage, und daraus entsteht die kleine Knochenschuppe, welche man auf der Innenfläche der Bogenschenkel der vorderen Wirbel be- merkt. Abwärts nach dem Wirbelkörper hin ist sie mit die- sem‘ Bogenschenkel verwachsen, aufwärts nach ‚dem Ende der Dornen zu geht sie in die erwähnten Knorpelstücke über. Hiervon kann man sich an Durchsehnitten und auch dadurch überzeugen, dass man an grösseren Hechten versucht, den Knorpel vonder inneren Fläche des Bogenschenkels, abzu- spalten, wo er diese, Schuppe mit sich nimmt. Stannius hält diese Knorpel des Hechtes und Lachses 264 für die eigentlichen Bogenschenkel und die knöcherne 'spina für einen Deekknochen, denen analog, welche den knorpeli- gen Primordialschädel decken. Da aber der beschriebene knorpelige Strahl von der äusseren spina eingeschlossen: wird, und ich einen Zusammenhang mit dem genannten Knorpel nicht auffinden konnte, so kann ich für diese Ansicht in der Entwieklungsgeschichte keine weitere Stütze finden, Bei der kleinen Maräne sehe. ich diesen Knorpeln "des Hechtes ganz ähnliche Bildungen verknöchert. Sie sind ele- gant geformt, erstrecken sich von vorn her bis zum Anfange des Schwanzes, und sind über dem 'Rückenmarke in der Mittellinie gespalten, also. paarig, Auch bei dem Häringe verhält es sich ähnlich. Die Wirbel ganz junger Cyprinen (Blei, Plötze) von 6— 8“! Länge sind hell und durchsichtig wie Glas, und 'bei der ‘geringen Dicke noch ohne Knochenlacunen. Der ganze ringförmige Wirbelkörper ist aus einem Guss, nicht wie v. Baer in der Entwicklungsgeschichte der Fische $. 36 frei- lich von einer anderen Species sagt, ein getheilter ‘Ring, welcher aus mehreren durch Nähte an einander gefügten Stücken besteht. Es ist eine wirkliche Verknöcherung der eigenen Haut der Wirbelsaite, und man: erkennt die kreis- förmige Faserung wie bei dem Hechte und auch bei’ dem Blennius deutlich genug. Auf«Platinablech geglühet lässt ein solcher Wirbel die Kalksalze in der früheren Form nur etwas verbogen zurück, und zeigt noch die kreisförmige Streifung. Die dorsalen und ventralen Ausstrahlungen sind der Mehr- zahl nach von vorn herein knöchern; ich sah sie nie knorpe- lig oder in Knorpel übergehend, auch zur Zeit nicht, wo sie noch so kurz sind, dass sie einander nicht erreichen, also keine Bögen bilden. In den Wirbelring gehen sie ohne Tren- nung oder bemerkbare Naht über, Fig. 3. Sie wachsen auch ferner ohne Knorpelbildung. Anders verhält es sich mit den oberen Strahlen der fünf vordersten Wirbel und den Rippen der Cyprinen. Die letz- teren fand ich in der früheren Zeit mit einer knorpeligen Basis versehen, welche später für sich verknöchert, und die 265 als rippentragende Querfortsätze bezeichneten Stücke bildet. Sie gehen tief in die Masse des Wirbelkörpers ein, wie ‚die Schenkel des knorpeligen Landwehrkreuzes beim Hecht und mehreren Haien, bleiben aber. bei jungen‘ Cyprinen unter einem Zoll Länge, wo sie den verknöcherten Ring der chorda nur berühren, leichter an den Rippen als am Wirbelringe hangen. In und an.den Rippen selbst konnte ich keinen Knorpel auffinden; die Knorpelbildung scheint also hier. auf den rippentragenden Querfortsatz oder das untere Wirbel- stück, welches auch alsbald verknöchert, beschränkt zu sein. Die oberen Strahlen der fünf vordersten Wirbel, Fig. 4.5, auf die ich alsbald noch zurück kommen werde, zeigen sich in Bezug auf ihre knorpelige Basis, deren Verknöcherung und in ihrem ferneren Wachsthume den Rippen ganz ähnlich, nur dass sie sich gegen diese ‚Basis ‚nicht 'abgliedern oder mit ihr artieuliren, was bei den Rippen der Fall ist. Es kommen indessen auch bei’ den Cyprinen Wirbelstrah- len vor, welche ganz so wachsen wie die Rippen der Hechte. Diese sind die letzten der Wirbelsäule, welche im Grunde der Schwanzflosse liegen, die Flossenträger. : Man findet sie bei jungen Individuen ganz knorpelig, ‚bei älteren aber von einer am freien Ende offenen Knochenröhre umschlossen. Bei dem Hechte, dem Häringe, der kleinen Maräne u. a. ver- hält sich das ebenso, Es sind demnach aus der Entwicklung der Wirbelstrahlen folgende Formen vorgeführt: 1) Der ganze Strahl ist anfangs ein einfacher Knorpel; a) der Knorpel bleibt und wächst. So die Rippen des Hechtes, Härings, Lachses; die oberen und unteren Strahlen, welche als. Flossenträger des Schwanzes fungiren, bei den obengenannten Fischen. b) der Knorpel hört bald zu wachsen auf und verknö- chert. Die oberen Strahlen und die Schwanzstrahlen des Hechtes; die Rippen und die oberen: Strahlen der fünf vorderen Wirbel der Cyprinen. 2) Die Wirbelstrahlen sind von vorn herein knöchern. Die ch übrigen Strahlen der Cyprinen. 266 In dieser zweiten ‚Form ist die Basis der Strahlen: von ihrer Fortsetzung nicht verschieden, ‚und setzt sieh'auch ge- gen den’ Wirbelkörper nicht‘ ab. Man sieht aber leicht, dass demungeachtet der Strahl ein Theil‘ für sich ist, da ‘der Wir- belring durch Ossifieation‘ der eigenen Haut ‘der. Wirbelsaite entsteht, mit welcher der Strahl nichts zu thun 'hat. Von den beiden integrirenden ‘Theilen der sub ‘1 aufgeführten Strahlen fehlt der zweiten Form also der eine, der Knorpel. Bei der sub’ 15 aufgeführten Form verkümmert dieser alsbald, und der Strahl wächst durch 'sog. primäre Ossifieation. Die zweite Form beginnt also gleich mit der Art des Wachsthumes, mit welcher 1b‘endigt. Man sieht hieraus, dass 'morpholo- gisch‘ gleich gehaltene Theile, wie die ‘oberen Bogenschenkel, doch in ihrer Zusammensetzung verschieden sein können, und demnächst erhellt hieraus auch, wie das: knorpelige primor- diale Wirbelsystem 'von seiner stärksten‘ Ausbildung, ‘wo es das ganze Leben hindurch 'knorpelig' zu wachsen fortfährt, la in den’ vorgeführten Formen, bis auf Null herabsinkt. Dass nun endlich auf der‘ anderen Seite auch die primäre Össification ganz fehlen, und das Knorpelsystem die Wirbel- strahlen für sich allein bilden könne, beweisen die Knor- pelfische. . Die Entwicklungsgeschichte giebt hiernach keinen Grund, eine Verschiedenheit ausser der des Ortes zwischen den obe- ren und unteren Bogenschenkeln, oder diesen und den Rip- pen mit ihren Querfortsätzen anzunehmen. Vorn, hinten, oben, unten sieht alles wesentlich gleich aus, und bewegt sich überall in den Grenzen einer gewissen Verschiedenheit. — Sehen wir nun, wie die vergleichende Anatomie mit der Entwicklungsgeschichte übereinstimmt. Die. “Beispiele sind ganz beliebig. 1) Häring. Vergleicht man die Rippen dieses‘ berühmten Fisches mit den oberen Strahlen, "welche gerade über den Rippen das Rückenmark decken, so findet man beides fast gleich gebildet. Die Rippen sind jede mit dem Wirbelkörper durch ein besonderes Knochenstück, den sog: Querfortsatz oder das untere Wirbelstück verbunden, welches sich vom 267 Wirbel leicht trennt, und dabei ander Rippe hangen bleibt. Häufig ist es von Fett durchdrungen und zeigt dadurch eine gelbe Färbung. Die oberen Strahlen sind ebenfalls durch "eine ablösbare Knochenmasse, das obere Wirbelstück, mit dem’ Wirbelkör- per vereinigt, welches wie das rippentragende Stück tief in ihn eindringt. Diese Strahlen verschmelzen nicht mit denen der anderen Seite zu Bögen ; sie bleiben ‘frei wie die Rippen, und sind nur etwas kleiner. Fleischgräthen finden sich an den oberen wie an ‘den unteren Strahlen; deren Analogie hier ganz vollkommen ist. Die oberen Ausstrahlungen gehen nach hinten auf den Schwanz über, indem ' sie sich verkürzen und zu Wirbelbögen verbinden, diesen gleichen’ wieder die unteren Schwanzbögen vollkommen, welche die’ vasa cauda- lia umfassen. 2) Makrele. Anıjeder Rippe liegt ‘wie 'bei dem Häring eine Fleischgräthe. Von den’ vordersten Wirbeln werden die Rippen in kleinen Vertiefungen aufgenommen; weiter hinten aber, noch vor dem Anfange des Schwanzes erheben sich Fortsätze aus dem Wirbel, die sich mit den gegenüberste- henden zu Bögen vereinigen. Die Rippen’ treten auf die Höhe dieser Bögen, die Fleischgräthen bleiben an deren Basis ste- hen. Die Bögen sind kurz, die Rippen aber lang. So geht es bis gegen den Anfang des Schwanzes, wo plötzlich beide Rippen in‘ der Mittellinie’ zu einem Dorn, und gleichzeitig mit dem Bogen, ‘der die Rippen trug, alles zu einem Stücke verschmelzen.‘ | So haben wir: einen‘einfachen Schwanzbogen, dessen Wölbung der Grösse nach .etwa dem rippentragenden Bogen, und dessen Dorn den Rippen des vorhergehenden Wirbels ungefähr ‘entspricht. . Die Fleischgräthe bleibt wie früher am Wirbel neben‘ der Basis des Bogenschenkels ste- hen. Fig. 9. 3) Bei den Knochenganoiden geht der untere Schwanz- bogen nieht in den Wirbelkörper über, sondern setzt sich gegen diesen ab wie eine Rippe. J: Müller hat dies am Polypterus und Lepisosteus beobachtet, und Franque giebt es in seiner unter Müller’s Leitung geschriebenen Inaugu- 268 raldissertation von der Amia an. Hier entspricht also nicht‘der Dorn, sondern der ganze Bogenschenkel mit Dorn der Rippe. Auch die Rückenstrahlen zeigen, besonders bei Zepisosteus, dieselbe Bildung. Die. Hauptansichten über ‚diese Strahlen ‚der Wirbel sind etwa folgende: i Cuvier berührt in der hist. nat. des poissons T. I.ıp. 360 diese Sache nur: vorübergehend, indem er sagt: „Dans les vertebres de l’arriere de l’abdomen les apophyses transverses s’alongent. d’ordinaire et se dirigent vers le bas; souvent les dernieres finissent par s’unir l’une ä l’autre par une traverse et forment ainsi un annean.*“ Aehnlich. ‘spricht sich J. Müller in der vergl.’ Anatomie der Myxinoiden 1. S. 93 aus, hebt den Fall hervor, dass die Rippen noch an den unteren Dornen sitzen können. wie bei Möormyrus und Salmo salar, und beschreibt die kurz zuvor erwähnte Bildung der Knochenganoiden zuerst von Polypte- rus, Myxin. I. p. 96, später von: Lepisosteus. Von ‘dieser Meinung weicht J. F. Meckel, System‘ der vergl. Anat. II. 1. S. 223 ab, indem er von: den unteren Dor- nen (worunter er die Bögen mit versteht) sagt: „Sie sind in. der That keine eigenen Theile, sondern ‚die, gewöhnlichen unteren queren Fortsätze der Wirbelkörper ‚welche die un- teren Rippen tragen, entweder ganz; oder dem unteren Theile derselben nach, allein, oder in Verbindung mit diesen Rippen, die untereinander in der Mittellinie zu einem, ei- nen Strahl tragenden Ringe verschmelzen.“ Dies erweist. er dann weiter an Beispielen. Bei Geoffroy-Saint-Hilaire finde ich in den Memoires du Museum d’hist. nat. T. IX. p. 89 die hier vertheidigte Mei- nung. Er betrachtet die oberen und unteren Wirbelstrahlen in ihren verschiedenen Modificationen als ganz gleich bedeu- tend. Es war aber bei ihm weniger ein exacter Beweis, welcher, auf Thatsachen gegründet, zu seinen Resultaten führte, als vielmehr ein genialer Blick, der. bisweilen: trifft, noch öfter fehlt, und zu ganz willkürlichen Annahmen, be- sonders bei dem Schädel, ihn führte. Daher: blieben seine 269 Ansichten Geschmackssache, und wurden schon von Cuvier bekämpft. Auch Meckel erkannte, dass in den unteren Schwanzbögen das Rippenäquivalent wenigstens mit drin stecken kann. Uebrigens ging er wie die übrigen hier ange- führten Meinungen von der Hypothese aus, dass die Rippen morphologische Elemente seien, da sie‘ doch nur Glieder eines Strahles sind, welehe an anderen Orten anderes leisten. Denn man sieht an der Wirbelsäule des jungen Hechtes, dass ein einfacher Knorpelstab am Körper wie am Schwanze die unteren und die oberen Strahlen darstellt, Fig. 1. 2. Der Knorpelstab gliedert sich am Stamme des Thieres in Quer- fortsatz oder unteres hier knorpeliges Wirbelstück und Rippe, bleibt aber ungegliedert am Schwanze. Die Abgrenzung einer Rippe kann stattfinden oder unterbleiben am Körper des Thieres wie auch am Schwanze, wo sich die unteren Bögen bilden, "und ‚hier kann der Trennungspunkt an der Wurzel des Bogens liegen oder am unteren Dorn. Man (darf also nicht den ganzen aber ungegliederten Strahl des Schwanzes dem ersten Gliede eines Strahles der Bauchgegend gleich’ stellen, denn man würde denselben ‚Fehler begehen, als wenn man den gemeinsamen Ventrikel des Fischherzes als Analogon des rechten oder des linken Ventrikels der höheren Wirbelthiere betrachtet, den doch der einfache Ventrikel des Fötus als Aequivalent für beide Ventrikel zusammen genommen erweist. Was den aus der vergleichenden Anatomie entnommenen Beweis betrifit, so habe ich die Analogie schon ‘oben ange- geben, wo von der Makrele die Rede war.‘' Sind die Quer- fortsätze der letzten Wirbel des Stammes lang, die Rippen dagegen kurz oder ‘gar nicht abgegliedert, so übersieht man ihren Antheil an der Bildung der unteren Schwanzstrahlen leicht, im umgekehrten Falle zeigt er sich‘ sehr klar. In die- ser Rücksicht habe ich die Makrele vorgeführt, bei welcher sich ausserdem die rippentragenden Querfortsätze schon am Bauchtheile zu Bögen verbinden. Da lässt sich denn nicht übersehen, dass der Bogen des Bauchtheils dem Bogen des Schwanzes, und der Dorn des Schwanzes den Rippen entspricht, Fig. 9. Den Häring zog ich heran, weil seine oberen Strahlen den unteren so völlig gleichen wie bei einem Fötus. Der von J. Müller ‚ange- führte Fall, dass auch die Schwanzbögen noch Rippen‘ tra- gen, erhöhet die Aehnlichkeit der unteren Strahlen des Bauch- und Schwanztheils der Wirbelsäule. Sind also die unteren Strahlen des Körpers denen des "Schwanzes gleichbedeutend, so liesse sich 'auch wohl glau- ben, dass der Raum der Sehwanzbögen, welcher: die vasa caudalia enthält, eine blosse Fortsetzung der Bauchhöhle der Fische sei; ähnlich wie die oberen Wirbelstrahlen der Thiere am Körpertheile das Rückenmark,, am. Schwanztheile nur einige Nerven umfassen können. Jedoch erscheint mir diese Ansicht nicht als durch Thatsachen gerechtfertigt. Denn in der Bauchhöhle kann sich der Raum für die Aorta auch schon durch Knochenbögen von dem die Eingeweide enthaltenden Theile abgrenzen, wie wir an der Makrele, dem Störe u. a. sehen. Dieser Subvertebralraum setzt sich in den Schwanz fort, dagegen wird der Visceralraum am Anfange des Schwan- zes geschlossen, indem die unteren Enden der Wirbelstrahlen hier, anstatt zu divergiren, in der Mittellinie verschmelzen, was als die grösste Annäherung zu betrachten ist. Es sind daher 'die dorsalen und die ventralen Wirbelstrah- len des Stammes wie des Schwanzes für morphologisch gleich zu erachten, und können: nur 'als Wiederholungen nach ver- schiedenen Richtungen, der Dorsal- und der Ventralseite, betrachtet werden. Sind sie gegliedert, so stecken die ersten Phalangen tief im Wirbelkörper, und erreichen den centralen Theil desselben; aussen können sie als ventrale Querfortsätze aus ihm hervorragen. Die zweiten Phalangen können fehlen oder Rippen sein, sie können auch Bogenschenkel: bilden, wie bei den Knochenganoiden, oder sie bilden nur den Dorn des Bogens. Sind sie ungegliedert, so verhalten sie sich wesentlich ebenso, können frei bleiben, oder mit den gegen- überstehenden sich zu Bögen verbinden. U. Ueber die Fleischgräthen und analoge Bildungen der Fische. Die Fleischgräthen ientwiekeln sich später ‚als die Rippen, und so viel ich an einer, geringen Anzahl: von Fischen gese- hen habe, entstehen sie nicht aus Knorpel; ‘denn ich habe nie Knorpelzellen in oder an ihnen‘ bemerken können. . Bis- her sind sie fast ganz unbeachtet geblieben. Einige 'bezeich- nen sie als verknöcherte Sehnen, Andere. als. Nebenrippen oder Anhängsel derselben. ‚Man kann drei Arten unterschei- den, welehe zu benennen ich genöthigt bin. 1) Die Seitengräthe liegt in dem seitlichen der ‚Länge nach verlaufenden Zwischenmuskelbande, welches den Dor- saltheil des Seitenmuskels vom Ventraltheile scheidet, also in der seitlichen Mittellinie, Dieses Zwischenmuskelband hält aber nicht immer genau die Mittellinie inne, sondern weicht oftmals nach dem Rücken und nach dem Bauche zu ab; am regelmässigsten trifft, es am Schwanze die seitliche Mitte der Wirbelkörper. Am Stamme rückt es in der grossen Mehr- zahl der Fälle nach unten bis auf die rippentragenden Quer- fortsätze, ja bis auf, die Rippen, selbst ‚herab, und erhebt sich wiederum an den vordersten Wirbeln nahe dem Kopfe, wo es oftmals bis auf die oberen Bogenschenkel über: das Rückenmark hinaus ansteigt. Mit dem Seiten-Zwischenmus- kelbande variirt denn auch die Befestigungsstelle‘ der Seiten- gräthe am Skelet, da sie constant, in diesem Bande liegt. Vielen Fischen kommt nur diese Gräthe zu; sie kann aber auch mit den anderen beiden zugleich vorhanden sein, oder fehlen, wo diese sich finden. Am Stamme ist sie vorzüglich entwickelt, und verkümmert am Schwanze. Die Stelle des Wirbels, welche die Seitengräthe aufnimmt, zeigt alle Grade der Elevation, Sie kann aus einer Vertiefung wie von einem Fortsatze entstehen ‘gleich der Rippe, nur fand ich die- sen Fortsatz bis jetzt nie als besonderes, ‚getrenntes Kno- chenstück. Diese Fortsätze, welche ich die seitlichen oder Seitenfortsätze nenne, entstehen vom Wirbelkörper, und sind dieselben, welche J. Müller Myxin. I. p. 95 sowohl ‚von den 272 rippentragenden Querfortsätzen der Fische als auch von denen der Bogenschenkel unterschied, die den höheren Wirbelthie- ren zukommen. Diese letztere Unterscheidung ist mir nicht einleuchtend, weil die Befestigungsstelle dieser Fortsätze mit dem seitlichen Zwischenmuskelbande und mit ihrer Gräthe varürt. Von den rippentragenden Querfortsätzen der Tische dagegen sind sie durch die Coexistenz leicht unterscheidbar, weil, wie J. Müller angiebt, die rippentragenden sich'in die unteren Schwanzbögen fortsetzen, während die seitlichen Fortsätze ruhig darüber hinziehen. Diesem Merkmale füge ich hinzu, dass sie im lig. intermuseulare laterale liegen. Die Seitenfortsätze kommen auch ohne Seitengräthe vor. Hier folgt die Angabe ihres Verhaltens bei verschiedenen Fischen. Bei dem Häring befestigt sich die Seitengräthe im mitt- leren Körpertheile an dem rippentragenden Knochenstücke, welchem sie wie. die Rippe folgt, wenn es sich vom Wirbel- körper trennt. Am vorderen Theile des Schwanzes und auch an den vordersten Wirbeln des Stammes geht die Befesti- gungsstelle etwas höher auf die Mitte des Wirbelkörpers über. Weiter hinten am Schwanze hören diese Gräthen auf. Da findet sich denn an den nächstfolgenden Wirbeln statt ihrer häufig noch eine Sehne vor. Bei dem Barsch und Dorsch befestigen sich die Sei- tengräthen tiefer unten an den Rippen selbst, aber bei eben diesen Fischen liegt auch das seitliche Zwischenmuskelband tiefer; denn entfernt man den Dorsaltheil des Seitenmuskels, so sieht man das Vertebralende der Rippen schon entblösst. Bei dem Dorsch geht die Gräthe nach hinten auf die langen rippentragenden Querförtsätze über. Belone rostrata ist hier von besonderem Interesse. Die seitlichen Fortsätze sind bei ihr stark entwickelt und tra- gen die Seitengräthe wie eine Rippe. Am Schwanze lie- gen sie wie gewöhnlich auf der seitlichen Mitte des Wirbel- körpers. Am Stamme rücken sie abwärts, und verschmelzen mehr oder weniger mit den rippentragenden Fortsätzen, mar- kiren sich aber noch durch ein besonderes Knötchen an sehr vielen Wirbeln. 273 Für sehr bemerkenswerth halte ich den Umstand, dass die Seitengräthen nieht selten den Rippen an Grösse gleich kommen, oder sie noch übertreffen. Die Rippen können dann auch ganz fehlen, was am häufigsten an den vordersten Wirbeln vorkommt. Bei Echenis liegen die seitlichen Gräthen an den langen rippentragenden Fortsätzen über den Rippen, die ihnen an Grösse fast gleichen. Die letzte befestigt sich an dem Wir- belkörper des vordersten Schwanzwirbels. Scorpaena scropha hat auch starke Seitengräthen. Die zwei ersten Wirbel, welche keine Rippen tragen, nehmen sie hoch an den Bogenschenkeln auf; weiter hinten senkt sie sich auf den Anfang der Rippen hinab. Die Seitengräthe des Polypterus bichir sitzt an einem stark entwickelten seitlichen Fortsatze, und berührt, aus dem seit- lichen Zwischenmuskelbande herausragend, mit knopfförmig verdicktem Ende die Haut, wie ich aus J. Müller’s Abbil- dung, Ganoiden Taf. 3. Fig. 1 E ersehe. Die eigentlichen Rippen, welche wie derselbe angiebt, an der fascia superfi- eialis interna liegen, befestigen sich vor und unter den seit- lichen Fortsätzen, und stehen der Seitengräthe an Grösse bedeutend nach; nur nach hinten kommen sie ihnen gleich, wo sie in die unteren Bogenschenkel überzugehen im Be- griff sind. Noch einen Schritt weiter gehen die Seitengräthen bei ei- nigen Cataphracten. Bei den Cottus verdrängen sie im Kör- pertheile der Wirbelsäule die Rippen ganz. An den ersten 10 Wirbeln des C. quadricornis sind keine Rippen vorhanden. Erst nach hinten, wo sich die rippentragenden Fortsätze be- reits zu Bögen verbinden, hängt an den 3 ersten derselben ein Rippenpaar; die folgenden tragen einfache Dornen. Da- gegen sind die Seitengräthen stark entwickelt; man sieht ihre Spitzen bereits nach Entfernung der Haut im Zwischenmus- kelbande. Aechnlich verhalten sich auch C. gobio und cata- phractus. Nach den Skeleten der hiesigen anatomischen Sammlung zu urtheilen verhält sich auch Platycephalus insi- diator Hempr. Ehrb., Trigla euculus und hirundo dem Cottus Müllers Archiv. 1858, 18 274 ganz ähnlich. Agriopus torous hat vom Tten Wirbel ab Rippen. Naseus unicornis C. V. hat die rippentragenden Qnerfortsätze, welche nach hinten in die Bogenschenkel übergehen. An ihnen sitzt aber nur die Seitengräthe, denn sie zieht ruhig über die zwei vordersten Schwanzbögen hin. Fig. 12. 14. Cyclopterus lumpus hat die Rippen dem Cottus ganz ähn lich, nur dass die Seitengräthen an den 7 vorderen Wirbeln gleichzeitig mit den Rippen fehlen. Demnach kann an einem Wirbel die Seitengräthe allein vorkommen, die Rippe allein, oder beide zusammen, oder keine von beiden. Sowie es untere oder rippentragende Querfortsätze giebt, welche keine Rippen tragen, so giebt es auch seitliche Fort- sätze ohne Seitengräthe. Den Hechten z. B. fehlt diese Gräthe, wiewohl sie am Schwanze die genannten Fortsätze haben, welche nur Sehnen aufnehmen. Sehr stark aber sind die Seitenfortsätze bei den Lophobranchiern entwickelt. Am Schwanze eines Seepferdchens sieht man den Dorsal- und Ventraltheil des Seitenmuskels durch die Seiten- fortsätze getrennt. Der Dorsaltheil setzt sich fort in den des Körpers ohne erhebliche Veränderung, und liegt auch hier über diesen Fortsätzen, welche mit denen des Schwanzes genau Linie halten. Der Ventraltheil des Seitenmuskels nimmt bei dem Uebergange vom Schwanze auf den Stamm zwar ab, setzt sich aber doch unverkennbar unter diese Fort- sätze fort, und begrenzt hier die Bauchhöhle. Bei Syngna- thus ophidium ist der Ventraltheil des Seitenmuskels viel stär- ker. Was die Form dieser Seitenfortsätze betrifft, so sind sie dünn von oben nach unten, aber sehr breit von vorn nach hinten. Sie ziehen sich in lange Leisten aus, an denen aus- ser dem Hauptfortsatze: häufig noch accessorische Fortsätze bemerklich sind. Fig. 13. 15. Die Fistularien verhalten sich den Lophobranchiern ganz ähnlich. An der Tabackspfeife fallen die Seitenfortsätze im allgemeinen etwas schmäler aus, werden aber an der Basis breiter und gehen in eine scharfe Leiste über, welche sich wie bei den Lophobranchiern häufig noch zu einer ac- 275 eessorischen Spina erhebt. Der den Anfang der Wirbelsäule bildende lange Knochen, anscheinend durch Verwachsung vieler Wirbel entstanden, hat an Statt der oberen Strahlen ein langes Dach über dem Rückenmarke. Am hinteren Ende findet sich noch ein seitlicher Fortsatz, vor diesem aber liegt eine lange Leiste, die Summe der verschmolzenen Seiten- fortsätze, ähnlich denen, welche das Rückenmark decken. Die Schwanzbögen sind an die Basis der Seitenfortsätze ge- heftet, und erst die nachfolgenden Bögen erreichen den Wir- belkörper. An der Stelle der Wirbelsäule, wo die Rücken- und Afterflosse liegen, findet sich, soweit diese Flossen selbst reichen, über jedem Seitenfortsatze noch ein dünnerer fast eben so langer Fortsatz, welcher auch vom Wirbelkörper ausgeht. Die zu den Flossen gehenden Muskeln befestigen sich aber doch vorzugsweise an den unteren stärkeren Fort- sätzen, die mit den vorhergehenden in einer Reihe liegen. Ueber die Bedeutung dieser oberen Reihe habe ich noch nicht zu einer festen Ansicht kommen können. Centriscus scolopaxr verhält sich seiner Abplattung und Kürze ungeachtet ganz ähnlich. Der erste Wirbel, welcher mit dem Kopfe einen vertikal beweglichen Ginglymus bildet, artieulirt nicht blos durch seinen Körper mit einem Knopfe des Hinterhauptbeines, sondern auch durch die seitlichen Fortsätze mit diesem. Die drei nun folgenden Wirbel sind gross; ihre seitlichen Fortsätze sind stark entwickelt, und gleichen in der Form denen der Fistularia. Hinter diesen liegen kleinere Wirbel, an deren Seitenfortsätzen nach unten geneigte Höcker alsbald bemerklich werden, welche in die unteren Bögen übergehen. Diese wie die oberen Bögen tra- gen lange Dornen. 2 u. 3) Die schiefen Gräthen (Fig. 10) liegen in den quer gehenden ligg. intermuscularia des Seitenmuskels, also am Schwanze zwischen den hohlen Muskelkegeln, welche J. Müller beschrieben hat. Die schiefe Rückengräthe liegt über der seitlichen Mittellinie im Dorsaltheile des Sei- tenmuskels, die schiefe Bauchgräthe unter dieser Linie im Ventraltheile. Beide schiefe Gräthen verhalten sich gegen 18 * 276 die seitliche Mittellinie am Schwanze ganz symmetrisch, und erhöhen als Gegenstücke die Gleichheit des Rücken- und Bauchtheils im Schwanze. Wo sie am Stamme der Fische vorkommen, sind sie oft- mals einfach, jedoch kann sich auch hier die Dorsalgräthe schon spalten, am Schwanze theilt sich das Vertebralende der beiden schiefen Gräthen gewöhnlich in zwei Schenkel. Der Hauptschenkel, welcher oft der kürzere ist, bildet mit dem Körper der Gräthe einen stumpfen Winkel, und befe- stigt sich am oberen Strahle durch ein sehniges Band. Der zweite Schenkel, welcher vom Körper der Gräthe die grad- linige Fortsetzung ist, richtet sich schräg nach vorn und ge- gen die seitliche Mittellinie, und geht ohne bestimmte An- heftung nur in das quere Zwischenmuskelband über, mit wel- chem überhaupt die ganzen Gräthen verwachsen sind. Dieser letztere Schenkel fehlt am Anfange des Schwanzes oft, wo dann die Gräthe einfach und in einem stumpfen Winkel ge- bogen erscheint. P Ihre Befestigungspunkte variiren vom Wirbelkörper bei der Dorsalgräthe bis hoch auf die oberen Bogenschenkel, bei der Ventralgräthe bis auf die Rippen oder tief auf die unte- ren Bogenschenkel. Aus dieser Veränderlichkeit entsteht jedoch keine Collision mit der Seitengräthe, weil sie sich gleichzeitig mit dieser heben und senken. Nun einige spe- cielle Angaben. Die schiefe’ Rückengräthe des Härings befestigt sich im vorderen Körpertheile an dem oberen Wirbelstücke neben dem Bogenschenkel. Am Schwanze wird sie zwei- schenklig; der schiefe Schenkel befestigt sich am oberen Strahle hoch über dem Rückenmarke durch ein sehniges Band, der gerade Schenkel geht in sein queres Zwischen- muskelband über. Bei dem Hechte ist die schiefe Rückengräthe der fünf vorderen Wirbel dick an ihrer Basis, und verdünnt sich gegen das Ende hin. Sie befestigt sich an dem oberen Wirbelstück ganz nahe der Basis des oberen Bogenschenkels. Am sech- sten Wirbel ändert sie plötzlich ihre Form, sie wird eylin- 277 drisch und zweischenklig, Der schiefe Schenkel befestigt sich durch eine Sehne, der gerade sitzt nur im queren Zwi- sehenmuskelbande wie gewöhnlich. Der Befestigungspunkt des schiefen Schenkels liegt am 6. Wirbel auf der Grenzlinie zwischen dem Wirbelkörper und dem oberen Wirbelstück; am 10. senkt er sich bis zur seitlichen Mitte des Wirbelkör- pers; bis zum 22. Wirbel, welcher noch dem Stamme ange- hört, erhebt sich der Befestigungspunkt wieder bis auf das obere Wirbelstück; am Schwanze rückt er auf den oberen Bogenschenkel bis über das Rückenmark hinauf, der gerade Schenkel schwindet, und die Gräthe erscheint einfach und geknickt. Die Seitenfortsätze, welche bei dem Hechte nur Sehnen aufnehmen, liegen am Schwanze, wo sich die schiefe Rückengräthe am obern Bogenschenkel befestigt, in der seit- lichen Mittellinie der Wirbelkörper; am Stamme, wo sich die Rückengräthe in der seitlichen Mittellinie befestigt, senken sich die Seitenfortsätze bis nahe an die unteren Wirbelstücke. Bei dem Blei ist die schiefe Dorsalgräthe der vorderen Wirbel breit, in die Fläche der queren Muskelbänder gedehnt, und läuft in zwei und mehrere Schenkel aus; der kürzere befestigt sich auch schon hier vorn hoch am oberen Strahle. Zwischen diesen Schenkeln und auch am Körper der Gräthe ist das quere Zwischenmuskelband derb entwickelt. Am Schwanze hier wie bei dem Hecht und Häring. Die schiefe Bauchgräthe steht in der Entwicklung der schiefen Rückengräthe nach; denn die letztere befestigt sich am Stamme der Fische doch unmittelbar am Skelet, und ist hier bei den Physostomen ganz gewöhnlich vorhanden. Aber die Bauchgräthe fand ich immer nur durch Bänder mit dem Wirbelsysteme vereinigt, und traf sie bei den wenigen, in dieser Beziehung von mir untersuchten Fischen nur bei dem Häring am Stamme an. Am Schwanze kommt sie dage- gen häufig vor. Bei dem Häring liegt die schiefe Bauchgräthe, soweit die Rippen gehen, nach aussen von diesen, der Haut näher, und ist stärker gekrümmt als die Rippen. Ihr Vertebralende befestigt sich nicht an dem unteren Wirbelstücke sondern 278 heftet sich nur durch ein Band, in welchem die Sehnenfasern mit ihrem wellenförmigen Gange sehr klar erscheinen, an den oberen Theil der Rippe, über eine Linie vom Vertebral- ende entfernt. Am Schwanze bekommt sie den zweiten "Schenkel und verhält sich der Dorsalgräthe ganz ähnlich. Der Hecht hat sie nur am Schwanze. Die vordersten sind noch einschenklig und im stumpfen Winkel gebogen. Aehnlich auch bei dem Blei. Anderweitige Gräthen habe ich nicht gefunden. Gern hätte ich den Gymnotus untersucht, da er sehr gräthenreich ist, konnte ihn aber nicht auftreiben. Um ein Urtheil über den Werth der Gräthen für die Sy- stematik der lebenden und fossilen Fische zu fällen, sind die vorliegenden Beobachtungen nicht ausgedehnt genug, denn ich war durch Mangel an Material behindert. Jedoch war die Uebereinstimmung mit den natürlichen Abtheilungen un- verkennbar. Die Acanthopteri haben sehr gewöhnlich die Seitengräthe, welche oftmals die Rippen an Grösse übertrifft und sie ver- drängt. Von den Gobioidei hatte ich keine Weingeistexem- plare, glaube aber, dass die langen Fortsätze des Gobiesoz dentez mit ihren Gräthen die seitlichen sind. Abweichend stehen hier die Fistulares mit ihren langen Seitenfortsätzen ohne Grä- then, welche denen der Lophobranchier ähnlich sehen. Jedoch werden sich bei genauerer Nachsuchung auch unter den übrigen Familien der Acanthopteri ähnliche Bildungen finden, wozu die Gobioiden vielleicht schon die Vermittler sind. Die Pharyngognathen haben nur die Seitengräthen. So auch die Anacanthini; fehlen diesen die Rippen und Seiten- gräthen (Ophidini) so sind die unteren Fortsätze ausgebildet, nicht die seitlichen. Die schiefen Gräthen floriren bei den Physostomen, und kom- men vielleicht nur ihnen zu. Die Seitengräthe tritt mehr zurück. Unter den Pleetognathen kommt bei den Selerodermen die Seitengräthe vor, vielleicht auch bei fehlenden Rippen. Von den Lophobranchiern ist oben referirt; Pegasus habe ich nicht untersucht. En ne Fuer _ 6 mg 279 Unter den Knochen-Ganoiden findet sich nur die Seiten- gräthe bei dem Polypterus, hier aber sehr stark entwickelt und mit knopfförmig verdicktem Ende. Wir kommen nun zur Erörterung der Frage, welchen Standpunkt die Fleischgräthen im Vergleiche zu den paarigen oberen und unteren Strahlen der Wirbelsäule einnehmen. Zuvor ist aber in Bezug auf die Zahl der Gräthen noch fest zu stellen, ob durch die gablige Theilung der schiefen Grä- then sich etwa noch zwei andere Reihen rudimentärer Grä- then manifestiren. Anfangs war ich geneigt, die Gabeln als seitliche Bogenbildung zwischen zwei Gräthenreihen zu be- trachten, deren eine in ihrer Verbindungsstelle zur Wirbelsäule abortiv sei. Allein ihre Ausdehnung in die Fläche, so dass sie breit werden, und ihre Spaltung in noch mehrere Schen- kel als zwei, welche Varietäten bei den Cyprinen vorkommen, ferner der Uebergang des einen Schenkels in die queren Zwi- schenmuskelbänder, sprechen zu klar gegen diese Ansicht. Sie sind daher wohl richtiger als Verknöcherungen in diesen queren Muskelbändern zu betrachten, welche dem Hauptzuge der Sehnenfasern folgend, sich strahlig oder flächenhaft in ihnen ausdehnen. Ausserdem sieht man, dass besonders nach hinten, wo die Gräthen aufhören, Sehnen an ihre Stelle treten. Die paarigen Rücken- und Bauchstrahlen haben auch eine Neigung, sich in die Fläche auszudehnen, und folgen bei dieser Ausdehnung dem Zuge der sehnigen Membran, welche die Strahlen mit einander verbindet. So dehnen sich die Rückenstrahlen sehr häufig zu einem breiten Dache über dem Rückenmarke aus. Die Platten sind continuirlich, oder sie spalten sich in strahlige Stäbe wie bei den Lophobranchiern, oder die Spaltung dringt durch bis auf ihre Basis, wo dann eine Vervielfältigung des Bogenschenkels entsteht, wie bei den Selachiern. Der Fötus von Galeus laevis hat 3 bis 4 zierliche Bögen auf einem Wirbelkörper. Die Bauchstrahlen des Scomber seminudus Ehrenb., welche durch J. Müller’s Beschreibung bekannt geworden, sind an den Schwanzwirbeln flächenhaft in die Länge gedehnt, wie- 280 wohl die Platten noch ein foramen obtnratum enthalten. Bei unserem Aale finden sich an eben der Stelle zackige Aus- breitungen. Aehnliche Beispiele geben noch Naseus unicor- nis C. V. und die vorderen verwachsenen Wirbel der Fistu- laria. Hieraus ist klar, dass diese Wirbelstrahlen Knochen und Knorpelbildungen sind in den sie verbindenden Mem- branen, welche das Thier der Länge nach durchziehen. Auch das seitliche Zwischenmuskelband ist ein solcher Längsstreifen. So sind mit denen der paarigen Rücken- und Bauchstrahlen 6 Membranen, welche wie Scheidewände von der Haut in die Tiefe auf die Wirbelsaite gehen, und im Querschnitt einen sechsstrahligen Stern bilden. Den oberen Raum erfüllt das Rückenmark, den unteren nehmen die Ein- geweide und die Gefässstämme ein. Der obere und untere Seitenraum ist durch die queren Zwischenmuskelbänder in kleinere Fächer getheilt, und enthält über und unter dem Seitenstrahle den Dorsal- und Ventraltheil des Seitenmuskels. Dies ist das Fachwerk des Wirbelthieres, welches sich um die Wirbelsaite als Achse gruppirt. Man ersieht hieraus, dass die Seitengräthen mit ihren Fortsätzen, welche vom Wirbelkörper ausgehen, den oberen und unteren Hauptstrahlen gleichen. Auch sie sind der Aus- dehnung in die Fläche des seitlichen Zwischenmuskelbandes fähig, wie an den Lophobranchiern und Fistularien gezeigt worden. Die Seitengräthe ist also der Rippe ebenbürtig; der Fortsatz, welcher sie trägt, gleicht dem rippentragen- den Fortsatze. Demnach muss die Seitengräthe mit dem Seitenfortsatze als der Seitenstrahl des Wirbels bezeichnet werden. Von den schiefen Gräthen ist in der obigen Beschreibung bereits angegeben, dass sie in den queren ligg. intermuscu- laria liegen, und dass sie auch einer flächenhaften und strah- ligen Ausdehnung in der Richtung dieser Muskelbänder fähig sind. Daher hielt ich sie anfangs für etwas von den genann- ten drei paarigen Strahlen verschiedenes, denn diese folgen den septa longitudinalia. Zwei Erscheinungen haben mich hiervon zurückgebracht. 2s1 1) Die Sonderung im Dorsal- und Ventraltheile des Sei- tenmuskels der Fische in einen der seitlichen Mittellinie und in einen der oberen und der unteren Mittellinie näher liegen- den Theil, welche aus den Arbeiten von J. Müller Myxin. I. p- 227 bekannt ist. 2) Eine analoge aber schärfer ausgesprochene Sonderung bei den höheren Wirbelthieren. Man breche einer beliebigen Eidechse den Schwanz, ab, so wird man diese Theilung auffällig klar finden. Fig. 16 von einer Blindschleiche. Verfolgt man die quer gehenden Zwischenmuskelbänder eines Fisches von der Mittellinie des Rückens zu der des Bauches herab, so geben sie ungefähr die Figur eines latei- nischen W, dessen mittlerer Scheitelpunkt hier nach oben, beim Fische nach vorn gerichtet ist. Durch diesen geht die Grenzlinie zwischen dem Dorsal- und Ventraltheile des Sei- tenmuskels. Die beiden nach hinten gerichteten Scheitelpunkte bezeichnen die Durchgangspunkte der Trennungslinien in zwei weitere Theile. Die so angedeutete Theilung ist nun freilich bei den von mir untersuchten Fischen nicht durch eine Längsscheidewand thatsächlich vollbracht, allein mit der Trennung in der seitlichen Mittellinie sieht es auch mitunter etwas dürftig aus. Dagegen ist die letztere Scheidewand in anderen Fällen so derb und durch die Seitengräthen mit Pal- lisaden befestigt, dass sich die Laien ihrer beim Fischessen als natürlicher Theilungslinie bedienen. Wenn daher eine weitere Theilung im Dorsal- und Ven- traltheile des Seitenmuskels der Fische angedeutet ist, und sich klarer ausgesprochen beı den höheren Wirbelthieren wie- derfindet, so erscheint mir die Behauptung nicht zu gewagt, dass an diesen Stellen sich zwei mehr weniger entwickelte Längsscheidewände finden, die septa longitudinalia obliqua, dorsale und ventrale, auf welche sich die schiefe Dorsal- und Ventralgräthe beziehen. Mögen nun auch diese Gräthen, so lange ein Längsband zwischen ihnen nicht recht klar zur Entwicklung gekommen, bei ihrer Ausdehnung vorzugsweise der Querrichtung folgen, so liegt hierin keine wesentliche Abweichung von den Hauptstrahlen der Wirbel, welche ja 282 ebenfalls mit den queren Zwischenmuskelbändern, den septa transversa, in Verbindung stehen. Dass man auf die Aus- dehnung der schiefen Gräthen in die quere Richtung kein guosses Gewicht legen dürfe, geht schon daraus hervor, dass die Rippen vieler Fische, z. B. der Cyprinen, auch ihre grösste Breite in der Richtung der queren Scheidewände ent- wickeln, so dass sie wie ein Bohlendach viel tragen können. Ob nun die schiefen Strahlen der Fische auch darin deren Hauptstrahlen gleichen, dass sich an den Wirbelkörpern be- sondere Fortsätze für sie entwickeln, darüber sind mir Zweifel geblieben. Oben wurden die Fortsätze der Fistularia taba- caria angeführt, welche über den Seitenfortsätzen in der Ge- gend der Rückenflosse liegen. Auch Trigla volitans und Te- trodon panthera zeigen ähnliche Fortsätze nach oben und unten. Diese schiefen Fortsätze haben mit der Artieulation nichts zu thun, wie denn auch die process. obliqui der höhe- ren Wirbelthiere bekannntlich die Gelenkflächen nur zufällig tragen, welche auch auf die Bögen und Dornen übergehen können. Ob nun diese Fortsätze der genannten Fische den schiefen Strahlen angehören, kann man dem Skelete nicht ansehen; denn diese Fische haben die schiefen Gräthen nicht. Die Anordnung der Muskeln würde es vielleicht ergeben, aber ich hatte keine Weingeistexemplare. Sollten Fortsätze zu den schiefen Gräthen bei den Fischen nicht vorkommen, was mir sehr unwahrscheinlich ist, so fehlen die Fortsätze den übrigen Strahlen auch sehr oft. Daher halte ich die schiefen Gräthen für Wirbelstrahlen, welche den übrigen ganz analog sind. Untergeordnet sind sie aber wegen der mangel- haften Entwicklung ihrer Längscheidewand, und wegen ihres beschränkten Vorkommens, welches vielleicht J. Müller’s Physostomen nicht überschreitet. Ein Einwurf, den man dagegen machen könnte, dass auch sog. Fleischgräthen den Hauptstrahlen der Wirbel analog sein können, ist die Veränderlichkeit ihrer Befestigungspunkte am Skelet. Man hat ihnen das, ich möchte sagen zum Vor- wurf gemacht, dagegen lässt man sich die Wandelbarkeit der Rippen ruhig gefallen. Ist sie bei den Fleischgräthen viel 12 283 grösser, so ersieht man daraus, dass die Rippen der Wir- belthiere das Maximum der Wandelbarkeit noch nicht er- reichen. Alle diese Verschiebungen halte ich für Folgen von dem verschiedenen Wachsthume analoger Theile, welches schon sehr früh bei den Embryonen eintritt. So muss der Ventral- theil des Seitenmuskels der Fische sich am Stamme sehr aus- dehnen, um die Bauchhöhle einzuschliessen, weshalb das seitliche Zwischenmuskelband hier gewöhnlich nach unten abweicht. Wenn sich nun die Seitengräthe in diesem Bande später entwickelt, so muss sie sich auch tief unten befesti- gen. Für die Bauchstrahlen selbst hat die Ausdehnung der Bauchhöhle die Folge, dass sie sich zur Rippenbildung aus- serordentlich stark entwickeln. Am Schwanze dagegen finden solche Verschiebungen nicht statt; sein Dorsal- und Ventraltheil sind einander so gleich als seine Rücken- und Bauchstrahlen. Hier findet man denn auch den Seitenstrahl stets in der seitlichen Mittellinie. Da- her giebt der Schwanz der Thiere ein so einfaches und werth- volles Schema, welches an den Veränderungen des Stammes keinen Antheil nimmt. Cauda est ansa morphologica. Wie kommt es nun, dass die schiefen Gräthen sich gerade am Schwanze so weit vom Wirbelkörper entfernen? Blieben die queren Zwischenmuskelbänder so gerade, als sie bei den Embryonen sind, so würden die schiefen Gräthen in ihrem Verlaufe nicht behindert sein. Bald aber beginnen diese Scheidewände sich auf der Fläche zu biegen, wie die Scheide- wände eines Ammoniten. Es bildet sich ein Hohlkegel, durch dessen nach vorn gerichtete Spitze die seitliche Mittellinie geht, oder es entstehen zwei Spitzen, zwischen denen diese Linie durchschneidet, wie ich an der Plötze vor mir sehe, Die schiefen Gräthen liegen an den von der seitlichen Mittel- linie abgewandten Flächen dieser Kegel und erreichen mit ihren Enden die folgende Biegung, deren Spitze nach hinten sieht. So wie nun die Muskelkegel sich weiter ausbilden und an Dieke zunehmen, werden die schiefen Gräthen immer weiter von der seitlichen Mittellinie abgedrängt, und gehen 284 bis an die Dornen der Rücken- und Bauchseite hinauf. Wi- derstand leisten sie nicht, weil sie nur ligamentös befestigt sind. Auch am Stamme bildet der Rückentheil des Seiten- muskels bei der Plötze schon stark gebogene Muskelkegel, und die Dorsalgräthe befestigt sich bei ihr auch schon am Stamme sehr hoch. Mir scheinen daher diese Abweichungen sekundärer Art zu sein. Wir haben also, wie oben gezeigt, 6 fibröse Längsscheide- wände, 3 der rechten und 3 der linken Körperhälfte zuge- hörig. Zwischen diesen dreien sind alternirend die zwei un- tergeordneten jederseits eingeschoben. Jede dieser Haupt- membranen kann rein fibrös oder bindegewebig bleiben; das septum dorsale, welches das Rückenmark deckt, am selten- sten; so bei den Myxinoiden. Das septum laterale am häu- figsten; bei allen Fischen, denen die Seitenfortsätze und Mit- telgräthen fehlen. Das septum ventrale im Rippentheile, der fascia superficialis interna, nicht selten; bei den Fischen ohne Rippen und ohne deren Ventralfortsätze; viel seltener im Schwanztheile, bei allen Cyelostomen. Die Knochenbildungen in diesen Membranen beginnen gewöhnlich mit breiter Basis und Nebenzacken vom Wirbelkörper, wodurch die Längs- riffe derselben entstehen. Durchschneidet man einen Wirbel quer hinter den Strahlen, welche am vorderen Theile zu ent- stehen pflegen, so erhält man einen ziemlich regelmässigen Stern, welcher auffallend den Typus des Wirbelthieres docu- mentirt, Fig. 11 vorderer Schwanzwirbel des Karpfen. Häufig fehlt die seitliche erista, nicht selten spalten sich die Riffe, und erscheinen mehr unregelmässig. Die Hauptmodificationen der Wirbelstrahlen sind: A. Gliederung. a) der Strahl besteht nur aus einem Stücke, und ist 1) mit dem Wirbelringe verschmolzen. Hieher die oberen Strahlen der Cyprinen vom 6. Wirbel ab, die unteren am Sehwanze derselben bis zur Schwanzflosse; die unteren Strah- len der rippenlosen Fische, deren Ventralfortsätze keine be- sonderen Stücke sind; der Seitenstrahl der Lophobranchier und Fistularien. 285 2) Der Strahl ist mit dem Wirbelringe nicht verschmolzen, sondern setzt sich ab. Die Rückenstrahlen der 5 vordersten Wirbel der Cyprinen; die des Hechtes, und dessen Bauch- strahlen am Schwanze. Diese sub 2 angeführten Strahlen haben indessen zuerst immer eine knorpelige Basis, sind also eigentlich gegliedert; bei dem Hechte bleibt auch der Knorpel, ob er gleich gegen den knöchernen Theil nicht artieulirt. b) der Strahl besteht aus zwei Stücken. Das erste Glied steht mit dem Wirbelringe in Verbindung, phalanx vertebralis; das zweite Glied bildet die Rippen oder diesen analoge Stücke, phalanx costalis. 1) die phalanx vertebralis ist mit dem Wirbelringe ver- schmolzen. Die rippentragenden Fortsätze, welche nicht besondere Stücke sind; die Seitenfortsätze mit ihrer Gräthe. 2) Die phalanx vertebralis setzt sich gegen den Wirbel- ring ab. Die rippentragenden Fortsätze sammt ihren Rippen der Cyprinen, des Hechtes, Härings ete. B. Spaltung kann den Strahl gegen sein Ende in viele Spitzen theilen, wie die Dorsalstrahlen der Lo- phobranchier, oder auch durch seine Basis gehen — Selachier. Hieher auch die accessorischen Stachel, welche vom Riffe des Hauptstrahles ausgehen. C) Verschmelzung findet 1) in der Mittellinie statt zwischen gleichnamigen Strahlen. Sie können sich zu Bögen verbinden und in einem gemein- samen Dorn endigen; sie können sich wiederum trennen, und jeder für sich einen Dorn bilden; sie können nach der Tren- nung einen zweiten Bogen bilden; alles am Rückenstrahle sehr gewöhnliche Erscheinungen. Hieher auch in Beireff des Bauchstrahles die Abschliessung eines Subvertebralraumes für die Aorta in der Bauchhöhle und nachherige Trennung der Rippen zur Umschliessung der Eingeweide. Dann kön- nen auch die Strahlen gleich bei ihrem Ursprunge an der 286 Wirbelsäule einander so nahe rücken, dass sie verschmelzen, und sich erst nachher trennen, um Organe ein zu schliessen- 2) Es kann auch Verschmelzung zweier Strahlen dersel- ben Körperhälfte eintreten. Der Seitenstrahl kann mit dem Bauchstrahle verschmelzen. Die Fortsätze beider Strahlen sind am Schwanze der Belone rostrata ganz klar geschieden. Weiter vorn rückt der seitliche dem Ventralfortsatze immer näher, bis beide einen Fortsatz bilden, welcher mit zwei tu- bereula die Rippe und die Seitengräthe dicht an einander liegend aufnimmt. So ist auch oben bemerkt, dass die vor- deren Schwanzbögen der Fistularien, aber nicht der Lopho- branchier, vom Seitenfortsatze ausgehen. Beide Strahlen sind an ihrer Basis verschmolzen und trennen sich alsdann. Tritt die Seitengräthe noch tiefer herab bis auf die Rippen, so ist keine Verbindung des Seitenstrahles zur Wirbelsäule mehr nachzuweisen, und seine Basis ist abortiv. Der Seitenstrahl kann auch mit dem Rückenstrahle ver- schmelzen. Hieher die Fälle, in denen die Seitengräthe vom oberen Bogenschenkel entsteht, was an den vordersten Wir- beln sehr häufig vorkommt; z. B. Cottus. Die schiefen Strahlen fand ich nie mit dem Seitenstrahle, sondern immer mit dem Rücken- und Bauchstrahle verwach- sen, wovon die Ursache schon angegeben. Der Grund dieser Verschmelzungen liegt in der ersten Anlage der Strahlen. Man wird sich leicht überzeugen, dass sie weit entfernt sind, bei ihrer Anlage an der Wirbelsaite einen bestimmten Divergenzwinkel gegenseitig zu beobachten. So sehe ich beispielsweise an der Makrele, dass die Bauch- strahlen am Schwanze einander nahe liegen; beide befestigen sich an demselben Quadranten. Bei den vordersten Wirbeln dagegen stehen die Bauchstrahlen den oberen Bogenschen- keln ganz nahe, noch im oberen Halbkreise, oder über den Punkten, welche ein horizontaler Durchmesser des Wirbel- körpers trifft. Hieraus ist klar, dass sich die Strahlen ein- ander ins Zeug fahren müssen. Der kurz zuvor angeführte Fall, dass der Seitenstrahl in seinem Vertebralende abortiv wird, ist daraus erklärlich, dass 287 die sog. Fleischgräthen später entstehen als die Rücken- und Bauchstrahlen. Würde also die Seitengräthe erst verknöchern, nachdem sich das seitliche Zwischenmuskelband, in welchem sie liegt, schon auf die Rippen herabgesenkt hat, so wird die Verbindung zum Wirbelkörper fehlen müssen. IH. Ueber die Entwieklung der Gehörknöchelchen der Cyprinen. In den ersten Abschnitten wurde erwiesen, dass die Rip- pen nieht bestimmte und eigene morphologische Elemente seien, sondern dass sie Glieder des Bauchstrahles sind, wel- che auch andere Functionen vollziehen köunen, wie dies schon am Schwanze der Fische geschieht. Die Tendenz dieses Ab- schnittes ist, zu zeigen, dass auch der Rückenstrahl sich so verhält, dass er nicht nothwendig Bogenschenkel zur Deckung des Rückenmarkes ist. Die vordersten Wirbel der Cyprinen tragen jederseits drei kleine Knochen, welche der Fortpflanzung der Schallwellen von der Schwimmblase auf das Labyrinth des Ohres dienen. E. H. Weber hat sie in seinem berühmten Werke de aure animalium aquatilium unter dem Namen Hammer, Ambos und Steigbügel beschrieben. Der lte Wirbel ist sehr kurz; seine Dorsalstrahlen siırd tief in den Wirbelkörper eingefügt; sie gehen bis zur Cen- tralsubstanz, und bleiben getrennte Stücke. Oben sind sie breit, innen concav und bilden jederseits den stapes. Bei ganz jungen Cyprinen, wahrscheinlich Schlei, von 5 bis 6 Linien Länge überzeugt man sich leicht, dass dieser sog. Steigbügel sich durch eine knorpelige Basis ebenso an den ringförmigen Wirbel legt wie der Dorsalstrahl des 5. Wir- bels, welcher die ganz gewöhnliche Form hat. Fig. 5. Mit dem Bauchstrahle verglichen, würde die knorpelige dicke Basis dem unteren rippentragenden Wirbelstücke, und der breite knöcherne Theil des Steigbügels der Rippe ent- sprechen. Es sind also die phalanx vertebralis und costalis des Rückenstrahles. Die Entstehung des elaustrum habe ich nicht beobachtet. [6] ss An der Ventralseite des Wirbelkörpers findet sich jeder- seits ein quer zur Seite gerichteter Stachel, welcher auch bei jungen Thieren nieht trennbar ist, sondern sich wie die Bo- genschenkel der hinteren Wirbel verhält, vergl. Abschn. I. Der 2te Wirbel verwächst später mit dem dritten, so dass beide scheinbar nur einen ausmachen. Meckel, Sy- stem I. 1. S.230. Sein Rückenstrahl, der Ambos, fügt sich durch seine knorpelige Basis an den Wirbelring, und bleibt später ein besonderes Stück ganz wie der Steigbügel. Anstatt sich aber dieser in die Fläche ausdehnt, geht der Ambos in zwei Schenkel über. Nach unten trägt dieser Wirbel zwei Stachel, welche denen des ersten Wirbels vollkommen glei- chen, nur dass sie etwas grösser sind. Fig. 6. Der 3te Wirbel ist bei dem erwachsenen Thiere der hin- tere Theil des anscheinend zweiten Wirbels. Der Rücken- strahl ist bei dem ganz jungen Thiere hoch hinauf knorpelig, und trägt eine knöcherne Spitze, verhält sich übrigens ganz wie die der vorhergehenden Wirbel. Der Bauchstrahl bildet den Hammer Weber’s, und bleibt für die Folge beweglich. Die Basis, welche dem Wirbelringe sich anschliesst, ist an- fangs knorpelig; der vordere Fortsatz, welcher durch ein Ligament mit dem Ambos sich verbindet, fehlt ursprünglich ganz, so dass dieser Knochen einer nach hinten gekrümmten Gräthe gleicht. Erst später wächst der Fortsatz zum Ambos hervor. Wir haben demnach im Hammer die phalanx verte- bralis und costalis des Bauchstrahles. Fig. 7. Der 4te Wirbel hat Rückenstrahlen, welche wiederum an der Wurzel knorpelig sind und knöcherne Spitzen tragen. Diese treten später in der Mittellinie zusammen um einen Bogen zu bilden, wie bei allen folgenden Wirbeln. Unten aber gegen den Wirbelkörper bleiben sie das ganze Leben hindurch getrennt, und greifen wiederum in tiefe Gruben des Wirbelkörpers ein. Ebenso haben auch die Bauchstrahlen ein anfangs knorpeliges Wirbelglied, welches ein vom Wirbel trennbares Stück bleibt. Der knöcherne Aufsatz geht in zwei Fortsätze aus, deren innere sich in der Mittellinie verbinden, 289 ha die Aorta umfassen; die äusseren aber liegen nach vorn und innen von der ersten Rippe und wenden sich abwärts. Der 5. Wirbel hat bei gewöhnlicher Form obere und untere getrennte Stücke, welehe den analogen Theilen der vorerwähnten Wirbel ganz ähnlich sind. Ueber den drei ersten Wirbeln liegen als Deckstücke zwei besondere Knochen. Der vordere erstreckt sich über den 1. und 2. Wirbel, und deckt hier das Rückenmark; er ist platt und ohne Dorn. Der hintere dieser Knochen liegt über dem 3. Wirbel, d. h. dem hinteren Theile des zusammenge- setzten; er geht in einem hohen Dorn aus. Beide Knochen verbinden sich nur durch Näthe, und bleiben trennbar. Der vordere berührt sogar die Dorsalstrahlen der zwei ersten Wirbel, den Steigbügel und Ambos gar nicht, und hält sich nur durch die Verbindung mit dem zweiten dieser Knochen und durch die Dorsalstrahlen des 3. Wirbels. Sie sind nicht die phalanges costales eines Rückenstrahles, da diese in den schon beschriebenen Theilen, Steigbügel ete, enthalten sind. Daher sind sie auch den übrigen Dornen nicht ebenbürtig. Ob sie den oben erwähnten Knorpeln des Hechtes entspre- chen, welche an der inneren Seite der Rückenstrahlen über dem Rückenmarke liegen, weiss ich nicht, jedoch sieht es wohl so aus. Aus diesen Beobachtungen geht also hervor, dass die Gehörknöchelchen der Cyprinen Rücken- und Bauchstrahlen der Wirbel sind. Alle geben ihre gewöhnlichen Functionen auf. Der Ambos rückt nach aussen, und liegt gar nicht mehr am Spinalkanale; zur Deckung des Rückenmarkes wird neues Material herangezogen. Das Wort Neurapophyse be- zeichnet daher auch nur eine Function, welche für den Rük- kenstrahl veräusserlich ist. Die Gehörknöchelchen, durch die Thierwelt verfolgt, bringen es sehr klar zur Anschauung, wie morphologisch gleiche Theile ihre Function verändern können, Müllers Archiv. 1863. 19 290 IV. Ueber die Bauchstrahlen der höheren Wirbelthiere., Die ventralen Sehwanzbögen der Fische sind die der hö- heren Wirbelthiere, worüber meines Wissens keine Meinungs- verschiedenheit stattfindet; es sind die Bauchstrahlen. Dass sich diese Schwanzbogen der höheren Wirbelthiere zwischen je zwei Wirbeln befestigen, kann die morphologische Gleich- heit nicht stören, weil solche Befestigungen, besonders an den Dorsalstrahlen der Fische, sehr bekannte Erscheinungen sind. Amia. _ ; Am Stamme der höheren Wirbelthiere sind den unteren Schwanzbögen analoge Theile, als getrennte untere Stücke, bisher nicht bekannt geworden, jedoch finde ich sie unver- kennbar bei einigen Gekkonen, Platydactylus guttatus Cuv. und Pfychozoon längs der ganzen Wirbelsäule, und füge die Abbildung von dem ersteren Fig. 17 hinzu. Andere genera besitze ich nicht. Die genannten, sowie vieles andere Mate- rial verdanke ich der grossen Gefälligkeit des Herrn Lich- tenstein, welcher aus den Doubletten meine Desideraten bereitwilligst herbeischaffte und mir für meine Sammlung überliess. Jene Stücke liegen mit den Wirbelkörpern alter- nirend, wie die Schwanzbögen der Bauchfläche, ändern aber in der Form sehr ab. Das erste derartige Stück ist der Ven- tralbogen des Atlas, die folgenden platten sich nach und nach ab, so dass sie am hinteren Ende des Halses bis zur Schwanz- wurzel alle gleichmässig in Form ovaler Scheibehen erschei- nen, daher ein 'Theil dieser Wirbel in der Zeichnung ausge- lassen ist. Hinter dem 3. Schwanzwirbel erheben sie sich plötzlich zu den bekannten zweischenkeligen Spitzbögen, so dass vom 2. Sakralwirbel ab noch drei dieser Stücke die Form jener ovalen Scheibehen an der Schwanzwurzel beibe- halten. Der ununterbrochene Fortgang vom Atlas bis zum Schwanz- ende, ihre gleichartige Lage alternirend mit den Wirbelkör- pern, die Befestigung an der Zwischenbandmasse, von der sie sich bisweilen trennen und abfallen, lässt über ihre 291 Gleichartigkeit trotz einer Formverschiedenheit keinen Zweifel übrig. Der plötzliche Wechsel in der Form zu Anfang des Schwanzes ist auch wohl abhängig von der Nachbarschaft der Aorta. Entweder liegt sie an der Ventralfläche dieser Stücke, dann sind es die ovalen Scheibehen, oder sie wird von ihnen umfasst, dann bilden sie die bekannten Bögen. Am beständigsten finden sich diese Bauchstrahlen an dem Atlas vor, denn er hat bei allen höheren Wirbelthieren einen Ventralbogen. Hier bilden also die Rücken- und Bauchstrah- len zusammentretend einen Ring, welcher den Körper des Atlas, das os odontoideum, einschliesst. Dass sich aber die Rücken- und Bauchstrahlen mit ihrer Basis berühren, ist keine neue Erscheinung. J. Müller beschreibt sie Myxin. I. p. 102 vom Sterlet, und ich sehe vor mir an einem jungen Störe diese Strahlen des vorderen Körpertheiles in einer Nath seit- lich zusammenstossen. Auch die Knochenfische zeigen dies. Die vordersten Rippen der Makrele berühren die Basis der Bogenschenkel. Die nächstfolgenden Wirbel zeigen sehr häufig analoge Bildungen. Der Epistropheus der Eidechsen und Schlangen hat zwei untere Dornen; ihnen folgen noch mehrere an den übri- gen Halswirbeln. Bei einem reifen, aus dem Eie entnommenen Fötus von /acerta agilis finde ich diese Dornen als getrennte Stücke, sechs an der Zahl, den Bogen des Atlas mit einge- rechnet. Sie gleichen an Form den hier abgebildeten des Platydactylus, und nehmen auch von vorn nach hinten an Grösse ab. Bei einem grösseren Exemplare fand ich nur den vor- deren Dorn des Epistropheus und den Bogen des Atlas noch trennbar, bei den erwachsenen Exemplaren ist alles fest. An den Schlaugen hat Rathke schon beobachtet, dass ihre unteren Dornen keine besonderen Knochenkerne haben. So fand ich denn auch nur den Ventralbogen des Atlas und den vorderen Dorn des Epistropheus als getrennte Stücke bei den Fötus von Coluber natrie und Python tigris. Unter den Krokodilen finde ich am Skelet eines reifen Fötus von Alligator sclerops (der Nabel war noch nicht völ- lig geschlossen) und an dem eines um die Hälfte grösseren 19* 292 Exemplares nur den Ventralbogen des Atlas als getrenntes Stück; am Epistropheus ist kein besonderes Stück, und auch später kein Dorn klar entwickelt. Unsere Emys ist unter den Schildkröten zur Untersuchung sehr geeignet. Ein völlig erwachsenes Exemplar zeigt noch die Trennung am fraglichen Bogen des Atlas. Der vordere untere Dorn des zweiten Halswirbels ist durch eine deutliche Nath verbunden; sein hinterer Dorn ist in zwei völlig ge- trennte Seitenstücke gespalten, welche wie die Sesambein- chen des Daumens neben einander liegen. Ebenso am drit- ten Halswirbel; bei den folgenden fehlen diese Stücke ganz. Nun sehe man an demselben Thiere nach den unteren Schwanzstrahlen, so wird man die vordersten, falls sie nicht verloren gegangen, als zwei kleine rundliche Knochenstücke finden, welche denen des 3. Halswirbels so gleichen an Form und Lage, dass jeder Zweifel an der morphologischen Gleich- heit weichen muss. Erst die nachfolgenden Schwanzwirbel tragen unten geschlossene Bögen. In der Klasse der Vögel herrscht, soweit meine Samm- lung reicht, grosse Uebereinstimmung. Der Ventralbogen des Atlas hat wie bei allen beschuppten Amphibien einen einfachen Knochenkern, und so auch der vordere Dorn des Epistropheus. Die unteren Dornen, welche weiter hinten folgen, haben keine besonderen Knochenkerne. Verglichen sind natürlich junge Skelete, an denen die Trennung des Ven- tralbogens des Atlas noch sichtbar war, Phasan, Taube, Schwan, Gans, Storch. Danach finden sich die Bauchstrah- len der Vögel an den zwei ersten Wirbelkörpern des Halses als getrennte Stücke, gerade wie bei den Schlangen. Die Säugethiere haben von den betreffenden Stücken nur den Ventralbogen des Atlas, nie sah ich am Epistropheus ein analoges getrenntes Stück. Der Ventralbogen der Säuge- thiere kann zwei seitliche Knochenkerne haben, oder einen mittleren unpaarigen. Paarig sehe ich die Knochenkerne beim Menschen, wo oft noch Nebenkerne vorkommen. Unpaarig finde ich ihn bei einer neugeborenen Hausratte, wo er sehr klein und etwas quer ausgezogen ‘erscheint. Bei einem halb- 293 erwachsenen Kaninchen finde ich auch keine Spur einer Tren- nung in der Mittellinie mehr. Er ist der Theil des Atlas, welcher sich zuletzt entwickelt. Man findet daher in einer gewissen Periode an seiner Stelle eine Lücke im Knochen. So sehe ich es an einem beinahe halb erwachsenen Känguruh und am Atlas eines Kindes. Die unteren Dornen der höheren Wirbelthiere haben dem- nach theils besondere Knochenkerne, theils sind sie blosse Fortsätze; derselbe Dorn kann bei den Schlangen im einen und bei den Eidechsen iur anderen Falle sein. Daher ist ihre morphologische Gleichheit nicht zu bezweifeln. Sowie wir ferner bei den Cyprinen die vorderen Dorsalstrahlen abge- gliedert, die hinteren verschmolzen fanden, so sehen wir an den Schlangen die zwei vorderen Ventralstrahlen getrennt, die hinteren verwachsen. Dass das os odontoideum ein Wirbelkörper ist, hat neuerer Zeit meines Wissens Niemand bezweifelt, da es von der Wir- belsaite durchbohrt wird. Die Aehnlichkeit wird dadurch zur Gleichheit, dass es bei den Sängethieren wie jeder Wirbel- körper zwei Epiphysen trägt. J. Müller beobachtete am Pferde-Füllen die hintere Epiphyse des os odontoideum, und ich sehe ausser dieser auch die vordere, welche später ent- steht, an der Spitze des Knochens bei einem halberwachsenen Seehunde, Känguruh und Kaninchen. Beide Epiphysen kom- men vielleicht ganz allgemein vor. Hieraus folgt zugleich, dass die Erklärung des Ventralbogens wie der folgenden Stücke als Epiphysen der Wirbelkörper nicht zulässig ist, um so weniger als bei den Thieren mit einfachem condylus occip. eine Epiphysenbildung der Wirbelkörper nicht beob- achtet worden ist. Merkwürdiger Weise erscheint diese aber nochmals bei den nackten Amphibien, wo ich sie bei Pelo- bates fuscus fand. Vielleicht wird sie auch Pseudes haben, dessen Wirbel sich in derselben abweichenden Weise nur an der Dorsalfläche der chorda entwickeln. Diese Epiphysen bilden die Köpfe der Wirbel, sind also nur je eine zwischen zwei Wirbelkörpern vorhanden. Nun entsteht weiter die Frage, ob das os odontoideum 294 ein vereinzelter Wirbelkörper sei, dessen Bogen fehle, oder ob es dem Atlas als Wirbelkörper zukomme. Cuvier hat an den Schildkröten erwiesen, dass die letztere Anschauung die richtige sei, denn bei ihnen verwächst das os odontoideunı nicht mit dem zweiten Halswirbel, sondern bleibt getrennt, ich weiss nicht ob bei allen; es kann aber auch mit dem er- sten Wirbel sich fester verbinden, wie bei Chelys und den pleuroderen Schildkröten. Hierdurch ist die Verbindung des os odont. mit dem Epistropheus als veräusserlich und die mit dem Atlas als möglich erwiesen. Rathke fügte diesem aus der vergleichenden Anatomie geführten Beweise einen neuen aus der Entwicklungsgeschichte (der Natter S. 119) hinzu, und auch ich habe mich an einem bebrüteten Gänseeie über- zeugt, dass sich die beiden ersten Halswirbel ursprünglich einander völlig gleichen, und dass jeder eine kleine Hervor- ragung an der Ventralfläche zeigt, aus welcher das getrennte Knochenstück entstehen muss. Der Atlas hat daher seinen Körper am os odontoideum. Sein Ventralbogen springt da- gegen vor der Fläche der Wirbelkörper heraus, und wird von der chorda nicht durchbohrt. Rathke bestimmte ihn daher ganz richtig, indem er ihn für einen „modifieirten un- teren Dornfortsatz“ erklärte, ebenda $. 120. Diese unteren Dornfortsätze waren schon früher, 1834, von J. Müller als den unteren Schwanzbögen gleichartig erkannt, denn er sagt Myxin. I. S.94: „Die Schlangen zei- gen uns sogar an den rippentragenden Wirbeln untere Dorn- fortsätze, und obgleich diese keinen Kanal enthalten, sondern ganz solide sind, so sind es doch dieselben Theile wie die gespaltenen unteren Dornfortsätze ihrer Schwanzwirbel.“ Der Atlas der Cetaceen ist für jene Meinung, dass der Ventralbogen ein Wirbelkörper sei, wohl angeführt worden; er sollte sich hier durch eine grössere Breite deutlicher als Wirbelkörper zeigen. Es kommen indessen, wie schon Meckel angiebt, zwei Verbindungsweisen des Atlas bei den Cetaceen vor. Er bleibt frei bei Balaena, Balaenoptera, Zeuglodon, Delphinopterus, Monodon und den Sirenen, und gleicht dem Atlas anderer \ 2% Säugethiere; so fand sich auch bei einem jungen Monodon dieselbe Zusammensetzung. Dagegen verwächst der Atlas mit dem Epistropheus bei den Delphinen (globiceps, tursio, delphis, phocaena). Diese Form ist schwieriger. Bei einem neugeborenen D. phocaena, dessen sechs vordere Halswirbel in dem Fig. 18 abgebildeten Präparate enthalten sind, sehe ich das os odontoideum mit dem Körper des Epistropheus zu einer breiten Knochenplatte verschmolzen, so dass man zwei Wirbelkörper nur aus ihren zwei Bögen erschliesst. Ob sie aus zwei Knochenkernen entstanden sind, lässt sich daran nieht mehr erkennen. Diese Knochenplatte überragt die fol- genden Wirbelkörper mit ihrem Ventralrande. Auf der hin- teren Fläche diesem Rande nahe sieht man zwei Bogenlinien, welche in der Mitte, vo, zusammenstossen. Diese Linien war ich anfangs geneigt, für die Ueberreste einer Nath zu halten, und die durch sie begrenzten Felder für den aus zwei Stücken zusammengesetzten Ventralbogen. Allein der Umstand, dass dieser alsdann nicht mit dem Dorsalbogen zusammentreffen würde, was doch bei dem erwachsenen Thiere der Fall ist, ferner die späte Verknöcherung dieses Bogens, deren oben von anderen Thieren erwähnt worden ist, und endlich eine Spur von Nath bei einem halberwachsenen D. delphis, welche wie gewöhnlich liegt, haben mich zu der Ueberzeugung ge- bracht, dass an dem vorliegenden Präparate der Ventralbogen noch gar nicht verknöchert ist, und dass sich der Atlas der Delphine wesentlich wie der der übrigen Cetaceen verhält. Die folgenden vier Wirbel sind klar unterscheidbar. Der Körper des vierten ist erheblich kleiner als der seiner Nach- baren; unten liegt er gleich mit ihnen, seitlich aber wird er von ihnen überragt, und lässt jederseits eine Lücke. Die hintere Fläche des Körpers, auf welche man in der Abbil- dung sieht, ist etwas concav, und diese Aushöhlung zieht sich in der Mitte in eine triehterförmige Grube aus, welche so tief ist, als der 6. u. 5. Halswirbel dick sind. Sie werden jedoch nieht völlig durchbohrt, weil die abgeplatteten Wirbel- körper durch ihre Convexität nach vorn ausweichen. In der hier vertheidigten Ansicht, dass der Ventralbogen 296 des Atlas den unteren Schwanzbögen analog sei, wurde ich auf den ersten Blick durch den Umstand zweifelhaft, dass der Epistropheus der Eidechsen, der doch zwei Wirbelkörper enthält, auch schon zwei ventrale Epiphysen trägt, so dass kein Körper mehr übrig schien, dem dieser Bogen des Atlas als Bauchstrahl zukomme. Dies löst sich indessen sehr einfach dadurch auf, dass die Ventralbögen alternirend mit den Wirbelkörpern an den Zwischenbändern sitzen. Die hintere Epiphyse des Epistropheus liegt zwischen dem 2ten u. 3ten, die vordere zwischen dem lten u. 2ten Halswirbel; der Ven- tralbogen des Atlas liegt zwischen dem ersten Hals- und Hinter- hauptswirbel. Man sehe daher bei beliebigen Thieren mit ein- fachem condylus oceipitalis nach der Lage des Ventralbogens des Atlas, stets wird man ihn vor dem os odontoideum finden. Ein zweiter Einwand ist daher entnommen worden, dass der Ventralbogen des Atlas bei Vögeln und Amphibien nicht selten Rippen trägt, wodurch er sich als Wirbelkörper mani- festire. Indessen wird Niemand diesen Einwand geltend ma- chen wollen, der weiss, dass die Dorsalbögen ebenfalls keine Wirbelkörper sind, und doch oft genug Rippen tragen. Einen dritten Einwand giebt der einfache Knochenkern, welcher mehr einem Wirbelkörper gleiche als zwei unteren Bogenschenkeln. Wenn paarige Knochenkerne neben der Mittellinie liegen und einander näher rücken, so wird ein unpaariger daraus. So hat ein Wirbelkörper 1 oder 2 Kno- chenkerne, und ebenso varirt auch hier ihre Zahl. Bei un- serer Emys ist das erste und zweite untere Stück unpaar, das dritte und vierte paarig, Das dem Atlas zukommende ist bei allen Thieren mit einfachem Condylus unpaarig, bei den Säugethieren, wie oben angegeben, paarig oder unpaar. Nach vorliegenden Beobachtungen kommen daher die Bauchstrahlen als besondere, getrennte Stücke auch an den Wirbeln des Stammes den Fischen keineswegs ausschliesslich zu. Sie sind vielmehr, da der Ventralbogen des Atlas den ventralen Schwanzbögen äquivalirt, allen höheren Wirbel- thieren am ersten Wirbel gemein, erscheinen bei den Thieren mit einfachem eondylus oceipitalis auch gewöhnlich noch am 297 zweiten Wirbel, bei den Eidechsen und Schildkröten an mehreren, und bei den Gekkonen an allen Wirbeln. Nachdem die Handschrift zu dieser Arbeit an die Redac- tion des Archives schon abgegeben war, erhielt ich durch die Gefälligkeit des Herrn J. Müller den Nachweis zweier Artikel, welche ich hier nicht übergehen darf. Der eine von Owenin den annals of natural history. Vol XX. 1847. S. 217; der andere von Melville ebenda I. Ser. Vol. IV. 1849. 8.443; daher ich hier einen Nachtrag einschalte. Owen führt daselbst viele dem Ventralbogen des Atlas gleiche Bildungen an unter dem Namen keilförmige Beine, wedge -bones. Zuerst von einem Fische, Bagrus tacnypomus, dann vom Ichthyosaurus und Plesiosaurus. Die letzteren zei- gen diese Bildungen in der einfachsten Form. Das os odon- toideum ist der Körper des ersten Wirbels, trägt seinen Dor- salbogen wie der zweite, und hat unten ebenso ein kleines solides Knochenstück. Hier fehlt also das charakteristische der Atlasbildung, dass sein Körper sich von dem Rücken- und Bauchstrahle trennt, und mit dem zweiten Wirbel ver- wächst. Die vergleichende Anatomie kann keinen klareren Beweis für die Richtigkeit der hier ausgesprochenen Meinung geben. Ferner bildet er den Hals eines grossen Amblyrhin- chus ab, an welchem diese Knochen so frei und gelöst lie- gen, wie bei einem Fötus unserer Eidechsen. : Bei Cyelodus gigas sind sie sehr gross. Die hier angeführten Homologien sind, wie mir scheint, alle richtig; indessen nimmt Owen den pr. odontoideus äls Centraltheil des Körpers des Atlas, und dies wedge-bone für den unteren peripherischen Theil des Körpers des Atlas. Also der Ventralbogen des Atlas wäre ein Theil eines Wirbelkörpers, des os odontoideum. Eine derartige Ablösung eines Stückes Corticalsubstanz von einem Wirbel wäre nun freilich ohne Analogie, wenn Owen sich dabei nicht etwa die unteren Wirbelstücke der Fische gedacht hätte. Melville beweist dagegen a. a. O., dass Owen’s para- pophyses, die rippentragenden Fortsätze der Fische, die wirklichen Hämapophysen des Stammes sind, und vorn am 298 Halse ebenso die wedge-bones. Der Knochen, welchen man Körper des Atlas nenne, sei Hämapophyse des Hinterhaupt- beines, und der pr. odontoideus sei der wirkliche Körper des Atlas. Seine Ansicht stimmt also mit der hier vertheidigten vollkommen: überein. V. Die Rippen der höheren Wirbelthiere. Man stellt ganz allgemein die Rippen der höheren Wir- belthiere und nackten Amphibien den Rippen der Fische gleich, mit denen sie auch darin überein zu stimmen schei- nen, dass sie an der fascia superficialis interna liegen. Sie sollten etwa nur ihren Befestigungspunkt geändert haben, der sich denn auch an allen Wirbelstrahlen als hinlänglich füg- sam gezeigt hat. Man wird indessen bei Durchlesung der früheren Abschnitte bemerkt haben, dass sich dies anders verhalten müsse. Die unteren Schwanzbögen der Fische sind denen der höheren Wirbelthiere gleich. Im IV. Abschnitte wurde erwie- sen, dass die Analoga der Schwanzbögen auch am Stamme, und bei den Gekkonen an der ganzen Wirbelsäule vorkom- men. Hier liegen sie, die Bauchstrahlen, neben den Rippen der höheren Wirbelthiere, und müssen daher von ihnen ver- schieden sein. Da nun die unteren Schwanzbögen den Rip- pen der Fische äquivalent sind, Abschn. I., so sind auch die Rippen der Fische von denen der höheren Wirbelthiere ver- schieden. Also aus der Coexistenz der Rippen der Fische und höheren Wirbelthiere folgt ihre Verschiedenheit. Für Diejenigen, welche etwa noch Bedenken tragen, die unteren Wirbelstücke der Gekkonen als Aequivalente der un- teren Schwanzbögen anzuerkennen, kann der Beweis auch am Schwanze von Eidechsenfötus und ganz jungen Kroko- dilen geführt werden. Diese haben nämlich getrennte Schwanz- rippen wie die Schildkröten, und man sieht hier an einem und demselben Wirbel die Rippen der höheren Wirbelthiere neben den unteren Schwanzbögen, den Rippen der Fische, beides als besondere Stücke. Unter den Schildkröten haben die Emydae untere Schwanzbögen als getrennte Stücke. Aber 299 der Beweis lässt sich bei ihnen deshalb nicht so schlagend führen, weil jene Bögen erst weit nach hinten beginnen, wo die Schwanzrippen nicht mehr als ‘besondere Stücke vor- kommen. Steht das nun fest, so fragt sich weiter, welcher der Rippenstrahl der höheren Wirbelthiere sei. Zuvor aber eine Abschweifung zur Muskulatur. Wir erfahren aus der Litte- ratur der vergleichenden Anatomie, dass sich der Seitenmus- kel der Fische vom Schwanze auf den Stamm fortsetzt, und dass sich hier wie dort der Dorsaltheil durch das seitliche Zwischenmuskelband vom Ventraltheile trennt, dass bei den höheren Wirbelthieren der Dorsaltheil der Schwanzmuskeln ebenfalls in den Dorsaltheil des Stammes sich fortsetzt. Das ist nun sehr schön, aber wo bleibt denn der Ventraltheil der Muskulatur des Schwanzes? Und woher beziehen die höhe- ren Wirbelthiere ihre subvertebralen Muskeln, welche die Fische nicht haben, als da sind longus colli mit den recti eapitis antici, diaphragma, psoas, quadratus lumborum, trans- versus abdominis mit dem triangularis sterni, auch wohl ob- liquus internus? Man betrachte nur eine Froschlarve, so wird man leicht übersehen, dass das gros des Ventraltheiles der Schwanz- muskeln in diese Unterwirbelmuskeln übergeht. Ein Frosch hat unter seinen rudimentären Rippen fast eben so viel Mus- kelsubstanz als darauf. Nun vergleiche man den Schwanzwirbel eines Lophobran- chiers, Fig. 15, mit dem eines Wallthieres oder Krokodiles, so wird man sie wesentlich gleich befinden. Der Wirbelkör- per trägt das obere und untere Strahlenpaar, und schickt seitliche Fortsätze aus; dies ist der Seitenstrahl. Er befe- stigt sich bei dem Braunfische nur am Körper des Wirbels, bei dem Krokodile (Allig. selerops) berührt er den Körper und oberen Bogen gleichzeitig, Geht man Linie haltend nach vorn, 80 gelangt man zu den Rippen. So ist denn der Sei- tenstrahl hinten ungetheilt, und gliedert sich nach vorn in zwei Theile ab, verhält sich also gerade wie bei vielen Fischen. 300 Man stelle sich demnach vor, dass die Querfortsätze des Krokodilschwanzes oder auch die Seitengräthen eines Cottus, Fig. 12, sich unter der Haut nach der ventralen Mittellinie herabkrümmen, und sich dort verbinden, so hat man die Rippen der höheren Wirbelthiere. Dabei ist dann sehr ein- leuchtend, dass der Ventraltheil des Seitenmuskels von dem Seitenstrahle eingeschlossen wird, und in die subvertebralen Muskeln übergeht, dass die Ventralfläche des Seitenstrahles zur inneren, und seine Dorsalfläche zur äusseren der Rippen wird; dass das lig. intermusculare nicht zu unserer fascia superfieialis interna s. transversalis und “thoraeica, sondern zur fascia costalis Rathke’s wird, Entwiekl. der Schildkr. S. 86, dass endlich die verkrüppelten Bauchstrahlen der Gekkonen von dem Seitenstrahle mit eingeschlossen werden können. a Die seitlichen Strahlen der Wirbel bilden demnach die Rippen der nackten Amphibien und aller höheren Wirbel- thiere, sind aber auch häufig schon bei den Fischen die Hauptstrahlen, wie im zweiten Abschnitte gezeigt wurde. Der Bauchstrahl bildet dagegen nur Fischrippen. Daher ist dieser Unterschied zwischen Amphibien und Fischen so wenig durchgreifend als der von dem Vorkommen der sog. unteren Wirbelstücke entnommene, welche am Stamme nur den Fi- sehen eigen sein sollten, wogegen ihr Vorkommen am Schwanze der Amphibien und höheren Wirbelthiere bekannt war. In diesem Archiv 1540. p. cLxxxım. Ilat aber ein zweideutiges Thier solche Rippen, welche dem Bauchstrahle angehören, so ist es bestimmt ein Fisch. Die Rippen der Lepidosiren z. B. gehen in die unteren Schwanzbögen über, sind daher Bauchstrahlen, folglich sind die Lepidosiren Fische. Aber die Entwicklung des Seitenstrahles bei abortivem Bauchstrahle negirt den Fisch nicht, sonst würde man z. B. erweisen, dass die Cottus und Consorten Amphibien seien. Der Befestigungspunkt des Seitenstrahles varüirt auch bei den höheren Wirbelthieren. Er rückt, besonders am vorde- ren Theile des Stammes von der seitlichen Mittellinie nach der Dorsalfläche zu, wie bei den Fischen; Absch. I. Aber 301 gerade noch bei den Säugethieren findet man ihn auch auf seiner richtigen Stelle. Am Schwanze der Cetaceen und an den hinteren Bauchwirbeln geht er, wie ich an einem Del- phinfötus (phocaena) sehe, vom Wirbelkörper, nicht vom dorsalen Bogen aus. Am seitlichen Strahle gliedern sich auf seinem verlänger- ten Wege neue Stücke ab, die Phalanx sternocostalis und sternalis, welche letztere den Schluss in der ventralen Mit- tellinie macht. Der Seitenstrahl macht also seinen Bogen, wie der Bauch- und der Rückenstrahl. Sowie die dorsalen und ventralen Bogenschenkel sich flächenhaft ausdehnen, und ein breites Dach bilden können, so können sich auch breite Rippen mit ihren Rändern berühren oder gar dureh Näthe verbinden. Die Knochen, welche, zwischen den Rippen der Schildkröten liegend, den Rückenschild bilden helfen, lassen sich wohl den überzähligen Dorsalbögen der Selachier ver- gleichen, daRathke beobachtete, dass sie bei einigen Schild- kröten knorpelig präformirt sind. Die Hak®n, welche den Rippen der Vögel anhangen, und welche Stannius auch an den Rippen der Krokodile fand, sind von Rathke gewiss mit Recht jenen Knochen der Schildkröten gleich gestellt. Der Seitenstrahl trifft mit verdickten Enden, den Sternal- gliedern, von beiden Seiten heranwachsend in der Mittellinie zusammen. Mit allem Rechte hat Rathke dies als wesent- liches Merkmal des genuinen Sternum betrachtet, und den Brustknochen der Schildkröten ausgeschlossen. Hier erinnert man sich gewiss auch der verdickten Kuöpfe am Ende der Seitengräthe des Polypterus, und sieht klar, dass das Ster- num der höheren Wirbelthiere nicht am Ende der Fischrippen gesucht werden kann. Ein Umstand, welcher mir so sehr aufgefallen, ist die Duplieität des Seitenstrahles der über den Fischen stehenden Wirbelthiere. Man sehe die Halsrippen des Krokodiles; sie sind zwei gleich starke Säulen, welche sich durch einen Bo- gen verbinden; man wird sie den ventralen Schwanzbögen desselben Thieres nicht unähnlich finden; beide schliessen Gefässe ein. Die des Halses addueiren, je näher dem Kopfe, 302 um so mehr ihre Schenkel, bis diese am Atlas fast ver- schmolzen sind, was bei allen Halsrippen der Eidechsen der Fall ist. Am Stamme findet sich capitulum und tubereulum der Rippen sehr allgemein bei den Thieren getrennt, und ich brauche in Beziehung der Säugethiere für jetzt darüber nichts weiter hinzuzufügen, muss aber in Betreff der Vögel bemer- ken, dass in der Sakralgegend an mehreren Wirbeln der ventrale Theil der Rippen fehlt. An den nächstfolgenden sind beide Theile des Seitenstrahles fast gleichmässig ent- wickelt und beiuahe ohne Verbindung. An der analogen Stelle der Schlangen ist der Dorsal- und Ventraltheil des Seiten- strahles nur an der Basis verbunden, die freien Enden gehen weit auseinander; Python, Coluber, Vipera. Die nackten Am- phibien zeigen noch einmal das Phänomen sehr schön, dann erlischt es, und gerade die Fische, diese einfachen Typen mit ihren fast gleichen Vierteln im Schwanze, zeigen keine Doppelbildung im Seitenstrahle. Die Salamandrinen und die amphipnoen Amphibien haben doppelte knorpelige Seitenfortsätze von je einer Knochenröhre eingeschlossen. Die Rippen sind zwei ebenso incerustirte Knor- pelfäden, die alsbald in Eins gehen. Nach dem Schwanze zu verschmilzt der Dorsal- und Ventralantheil der Seitenfortsätze und Rippen theilweis und ganz in allen Abstufungen, Hier- bei weise ich darauf hin, dass die Seitenfortsätze sich wie die Rippen selbst verhalten, und sich auch dadurch als Glieder desselben Strahles erweisen. Ausserdem zeigt diese interes- sante Form, dass das Rippenköpfchen so gut auf einen Fort- satz sich stützen kann als das tubereulum costae; ‚sein Be- festigungspunkt durchläuft bei den höheren Wirbelthieren die- selben Stufen der Elevation als die Seitengräthe und. die Fischrippe, welche von Vertiefungen wie von Fortsätzen der Wirbelkörper ausgehen. Bei den Krokodilen findet man lange Fortsätze, welche an ihrem Ende ein deutlich getrenntes ca- Pitulum und tuberculum costae aufnehmen. Diese Fortsätze sind die hier angeführten Doppelfortsätze der nackten Am- phibien in Fusion. Der Fall kehrt noch wieder bei den Ce- taceen, wogegen in der Regel bei den Säugethieren der Ven- 303 tralantheil, der processus: lateralis eapituli, nicht ausgezo- gen ist, denn das Rippenköpfchen pflegt in einer Grube zu liegen. Man sieht, die vergleichende Anatomie leistet zur Erwei- sung der Duplieität des seitlichen Strahles bei den über den Fischen stehenden Wirbeltbieren alles, was man von ihr er- warten kann. Wir sehen den Dorsal- und Ventralantheil der Rippen ganz getrennt im Sakraltheile der Vögel; Basis fun- dirt und Körper frei bei den Schlangen; Basis frei und Kör- per in Eins, nackte Amph. Säugeth.; ganz verschmolzen Eidechsen ete. Es ist etwas Allgemeines, im Typus tief be- gründetes. Nun ist mir zwar bekannt, dass man angiebt, das capi- tulum eostae wachse erst später aus der Rippe hervor, und verbinde sich nur secundär mit dem Körper oder der Bogen- wurzel des Wirbels; aber Rathke, welcher das gerade an- giebt, Entwicklung der Schildkröten p. 97, gesteht doch zu, ebenda p. 104, dass am Halstheile zwei Fortsätze vom Wir- bel hervorwachsen, welche die Vertebralarterie zwischen sich nehmen, und an ihrem Ende zusammenfliessen. Von der Richtigkeit jener Angabe Rathke’s habe ich mich. nicht überzeugen können, und gestehe nur zu, dass sich am Brust- stücke der dorsale Antheil der Rippe etwas früher entwickelt» und dass demgemäss sich die Verbindung mit dem Querfort- satze früher befestigt; Hühnchen. Dass noch später die Wur- zel des Ventralantheiles der Rippe oder die Verbindung des Köpfchens zum Wirbelkörper, abortiv werde, und sich ver- schiebe, soll hierdurch nicht bestritten sein, Wie haben wir uns den Rücken und Bauchstrahl zu den- ken, ist er paarig oder unpaar? Wir können sie nur als paarig betrachten, selbst wenn sie in der Mittellinie ver- schmelzen. Denn es giebt zwei gleiche Körperhälften, welche, wie zwei Individuen in der Zwillingsbildung, mit einan verkleben und verschmelzen. Nichts unpaariges; was vo der idealen Mittelebene rechts oder links liegt, wiederho sich auf der anderen Seite. Nun haben wir aber nicht blos eine rechte und linke, sondern auch eine Rücken- und Bauch- 304 hälfte, wie der Thierschwanz uns lehrt. Für diese Tren- nungsebene, welche zwischen den seitlichen Mittellinien hegt, gilt in Bezug auf das fibröse, Knochen - und Muskelsystem dasselbe. Der Seitenstrahl ist paarig bezüglich auf diese seit- liche Trennungsebene, wie der Rücken- und Bauchstrahl be- züglich auf die Dorso-Ventralebene. Daher ist eine Rippe mit ihrem capitulum und tuberculum als eine Verschmelzung zu betrachten, mag ihre Verknöcherung erfolgen wie sie will, und daher kann ein Bogen des Krokodiles, welcher die a. vertebralis umfasst, denen so ähnlich sein, welche die a. cau- dalis, die Fortsetzung der Aorta, enthalten. Die Aorta ist für die ventrale Mittellinie, was die vertebralis und analoga für die seitliche Mittellinie sind. Für die dorsale Mittellinie ist die spinalis anterior ein schwaches Gegenstück, welches jedoch gleich der Aorta aus zweien Wurzeln entsteht. Eine auffallende Abweichung von der Symmetrie liegt darin, dass der Dorsaltheil des Seitenstrahles mit herunter gezogen wird zur ventralen Mittellinie; vielleicht ist die frühe Verschmelzung der Rippenkörper, oder eine primäre in Eins- Bildung die Bedingung dieses Phänomens, wenigstens wei- chen der dorsale und ventrale Antheil des Seitenstrahles, wo sie bei den Schlangen getrennt sind, weit von einander ab. — Je stärker die Abweichung vom symmetrischen Typus, je überwiegender der Seitenstrahl, um so stärker tritt oftmals seine Duplieität hervor; sie schwindet in den Fischen, soweit ich sie untersuchte, und im Schwanze der über ihnen stehen- den Wirbelthiere. Wollte man die Wirbel eines Thierschwanzes nochmals theilen, so könnte man auf die schiefen Strahlen gelangen, und ebenso, wie hier vom Seitenstrahle geschehen, deren Gabelung für eine dem capitulum und tubereulum costae ana- loge Bildung halten. So lange indessen nicht neue That- hen diese Ansicht befestigen, scheint mir die im zweiten . gegebene Ansicht vorzuziehen. Ueber die schiefen Strahlen der höheren Wirbelthiere will ich nur kurz bemerken, dass die schiefen Fortsätze dafür zu halten, wie der Schwanz der Eidechsen, Fig. 16, sehr klar 305 zeigt, an welchem die Theilung in 3 Muskelstücke ringsum so vollendet ist. Oben ist schon darauf hingewiesen, dass die Gelenkflächen, wie bekannt, für diese Fortsätze nicht unveräusserlich sind. Man sieht sie bereits getrennt von den sog. process. fransversi aecessorü, deren J. Müller unter andern vom Gürtelthiere erwähnt, wo sie so schön entwickelt sind. Diese Fortsätze sind auch bei dem Kaninchen in der Lumbargegend stark ausgebildet, und an einem jungen Thiere sehe ich besondere Epiphysen darauf. Hier erinnere man sich auch der schiefen Fortsätze der Cetaceen, welche wie die schiefen Dorsalgräthen der Fische hoch an dem Rücken- strahle aufsteigen. Das ist der schiefe Dorsalstrahl, der auch bei den Fischen vor dem schiefen Ventralstrahle stark ent- wickelt ist. Der letztere ist nur durch Zwischenmuskelschei- den repräsentirb, wenigstens habe ich ihn als Knochenfortsatz noch nicht gefunden. Nach den vorliegenden Thatsachen muss das septum lon- gitudinale laterale doppelt gedacht werden, dafern die Du- plieität des Seitenstrahles daraus erwiesen ist. Jeder Qua- drant des Thierquersehnittes hat seine eigenen Grenzlinien. Demnach würde der Typus der Wirbelthiere viertheilig sein. Muss nun das Rückenmark, und müssen die vasa caudalia, respective die Eingeweide, mit gezählt werden, so dass wir dann doch sechs Stücke rings um die Wirbelsäule hätten? Diese Frage ist hier zu beantworten. Abstrahiren wir vorläufig vom Wirbelthiere, und fassen wir Thbier allgemein auf mit möglichst geringen Ansprüchen auf Vollkommenheit der Organisation, etwa im Typus eines Strahlenthieres, 4 oder Stheilig, so werden die vier Stücke äquivalent sein müssen; ein bilateraler Typus ist nicht zu erkennen. Jedes Viertel trägt die Mittel seiner Existenz in sich, und besorgt seine Angelegenheiten selbst. Die Ober- fläche nimmt auf und scheidet aus; sie vermehrt sich auch wohl durch Faltenbildung nach innen und Verzweigung nach aussen. Die Gefässbildung ist ohne Centralorgan; Nerven finden sich nicht, oder jedes Viertel, Achtel hat sein Ganglion für sich, Müller’s Archiv. 1853, 20 306 Ein solches Thier ist von einem Wirbelthiere verschieden durch den Mangel an Centralisation. Nun entsteht ein be- sonderes Respirationsorgan, Chylificationsorgan, welches für alle gleichen acht Theile respirirt und chylifieirt. Es entsteht ein Nervencentralorgan, auch wohl ein Denkorgan mit der Function des Empfindens, Bewegens und Denkens für Alle. Denn diese eoordinirten Alle können nichts denken, oder ihre geringe Ganglienthätigkeit wird vom Centralorgane über- strahlt wie ein Kerzenlicht von der Sonne. Das ist eben der Unterschied einer organischen Centralisation von einer künst- lichen der Staaten, dass bei der organischen die Funetionen vom Theile auf das Centrum wirklich übergehen, im Theile wirklich erlöschen oder verschwindend klein werden, während sie bei der künstlichen im Theile fortwähren, und die des Centrums oftmals übertreffen. Die künstliche ist daher nur eingebildet, ein Stempel giebt ihr den Werth wie dem Papier- gelde. Hieraus wird klar sein, dass jedes Achtel Thier auch Eigenthum hat an einem Achtel Centralorgan, welches aus ihm herausgezogen und dislocirt worden ist. Demnach darf ich das Centralorgan nicht den centralisirten Theilen coordi- niren, es ist ihnen nicht äquivalent; sondern ich muss es in so viele Theile zerlegt denken, als zu seiner Construction beitrugen, und jedem seinen aliquoten Theil beigeben. Diese Centralorgane liegen nun symmetrisch in den Spalten zwischen den Haupttheilen der coordinirten Stücke, und machen den bilateralen Typus. Wir haben daher im Thiere zweierlei Formationen zu un- terscheiden, die Grundformation, die 4 oder 8strahlige, wozu das fibröse, Knochen- und Muskelsystem die Hauptmasse giebt, und die secundäre, alle splanchna begreifende, welche in die Spalten der ersteren eindringt wie ein späteres vulka- nisches Product in die Spalten der Neptunischen Sehichtung. Dabei bin ich weit entfernt, an ein späteres Eindringen wäh- rend der Entwicklung zu denken, vielmehr habe ich nur den Fortschritt vor Augen von einem nicht centralisirten Thiere zu einem Wirbelthiere. Die Grundzahl im Typus der Wirbelthiere ist also 4. Das 307 Grundgerüst bilden 4 von der Wirbelsaite rechtwinklig aus- gehende Membranen, die geraden oder Hauptscheidewände, deren gedoppelte Wandungen sekundäre Gebilde zwischen sich fassen können. Sie alterniren mit 4 schwächeren, schief eingelegten. Die äussere Faseie, die Haut, schliesst den Cy- linder, welcher durch ungleiche Entwicklung seiner Abschnitte zum Doppelkegel von ungleicher Höhe wird (amphioxus). Sie hat auch ihre Verknöcherungen, welche aber nicht ausser Beziehung zum Wirbelsysteme stehen. Die Gürtel des Da- sypus, die schiefen Reihen der Ganoidenschilder und Fisch- schuppen deuten darauf hin, und besonders markiren sich die Punkte oder Linien durch grössere Formationen, in wel- chen die Haut von den Wirbelradien geschnitten wird. In wieweit solche Betrachtungen den Anhaltspunkt geben zum Vergleich mit den Wirbellosen, muss die Zukunft fest- stellen. Ein Pentacrinus enthält viele Wirbel. Sein Stiel, der Schwanz der Wirbelthiere, besteht prävalirend aus Wir- belkörpern; die Cirren sind Strahlen, die nicht jeder Wir- bel produeirt. Der centrale Kanal, was er auch leisten mag, erscheint der Chorda analog. Die Blume des Thieres ist sein Leib. Von diesen Formen sind‘ die bilateralen durch Steigerung der Centralisation Schritt für Schritt abzuleiten. — Darf man von der Wirbelsaite bis zum Hollundermarke ge- hen, und von den Wirbelstrahlen bis zu den Quirlen der Tanne? Eine Grundrichtung der Kräfte bauet alle diese ähn- lichen Figuren, aber der Weg dahin ist für jetzt noch nicht gebahnt. Noch sei mir erlaubt, die hier gebrauchten Bezeichnungen kurz zu motiviren. Die erste Rücksicht war die Richtigkeit der Bezeichnungen, und die zweite das Festhalten an den üblichen Ausdrücken. Die Membranen, welche ein Thier der Länge nach durchziehen, können Zwischenmuskelbänder sein, oder auch innere Höhlen auskleiden, sie sind daher allgemein als Längs- Scheidewände, septa longitudinalia bezeichnet, welche einen aliquoten Theil des Thieres begrenzen. Zwi- schen ihnen liegen die septa transversa. Die Längsscheide- wände sind Wiederholungen derselben Sache nach verschie- 20° 308 denen Richtungen, daher sie nach dieser zu benennen sind. Aber nicht nach der Richtung der Erdfläche mit oben, unten; das passt nicht auf die Pleuroneeten, auch nicht auf die auf- rechten Thiere, und was dabei die Hauptsache ist, es passt nicht auf die Terminologie der allen Fachgenossen so geläu- figen menschlichen Anatomie. Vier dieser Scheidewände, welche vorzugsweise stark entwickelt sind, heissen die Haupt- oder geraden Scheidewände, septa cardinalia oder recta, die vier schwächeren, welche mit jenen schiefe Winkel bilden, septa obliqua, die schiefen, denn es ist bequem, eigene Na- men für diese zwei Klassen zu haben. Speciel werden sie durch die allgemein üblichen Flächenbezeichnungen, Rücken-, Bauch- und Seitenscheidewand, schiefe Rücken- und Bauch- scheidewand bezeichnet. Der Ausdruck Strahl, radius, ist viel gebraucht, um die Festgebilde, welche sich von der Wirbelsaite in diese Membranen fortsetzen, zu bezeich- nen; ausserdem ist er hier auch mathematisch bezeichnend. Der Einfachheit wegen muss natürlich alles, was in einer Längsscheidewand liegt, durch denselben Beinamen benannt werden, als radius dorsalis ete. Sind die Strahlen gegliedert, so bedürfen die einzelnen Glieder besonderer Namen. Diese schienen mir nach der Hauptfunction zu geben, welche ein Glied gewährt, weil man sich dadurch am leichtesten orien- tirt. Heisst z. B. eine phalanx des Rückenstrahles Rippen- glied, so weiss ich, dass sie dieselbe im Rückenstrahle, wel- che im seitlichen die Rippe bildet. Ausserdem sind sie nach der Zahl zu bestimmen. Es wird jedoch grosse Schwierig- keiten haben, in ganz verschiedenartigen Gebilden die Pa- rallele der Zahl nach genau festzustellen. Wir unterscheiden 1) phalanx vertebralis, welche im Wirbelkörper steckt, und bis auf dessen Centralsubstanz eindringt. Dieses Glied bildet auch die Fortsätze der Wirbel, deren so viele möglich sind als Strahlen, mithin acht an der Peripherie herum oder vielmehr zehn, weil der Seitenfortsatz wie die Rippe doppelt sein kann. Natürlich sind diese Fortsätze zu benennen, wie die Strahlen, deren Anfang sie sind. Da der Seitenstrahl doppelt sein kann, so sind seine Theile als Rückenseiten- 309 strahl und Bauchseitenstrahl, dorso lateralis ete. zu bezeich- nen, wo er einfach ist als lateralis. Die Querfortsätze unserer Brustwirbel sind also die process. dorsolaterales. Von diesen den verschiedenen Strahlen angehörigen Fortsätzen sind die Nebenspinen wohl zu unterscheiden, welche vor oder hinter jenen liegen, und demselben Strahle angehören, oder in der- selben Längsscheidewand liegen z. B. die Spina am Seiten- strahle der Lophobranchier, oder die, welche bei den Fischen neben dem Dorsalstrahle im septum long. dorsale so häufig erscheint. Diese können als Nebendornen, oder Fortsätze, proe. oder spinae accessoriae bezeichnet werden. 2) Phalanx costalis, welche im Bauchstrahle die Rippen der Fische, im Seitenstrahle die Rippen der über diesen ste- henden Thiere bildet. 3) Phalanx costosternalis. 4) Sternalis ete. VI. Ein Bliek auf die Ausdehnung des Wirbel- systemes im Thierkörper. Es sollen in diesem Abschnitte nur einige Consequenzen aus den vorstehenden Beobachtungen auf die Gliedmassen und den Kopf gezogen werden, welche den Fachgenossen bei Durchlesung dieser Arbeit vielleicht hier und da schon auftauchten. Ohne für jetzt in viele Details genauer einzu- gehen, will ich nur im Allgemeinen zunächst erweisen, dass auch die Gliedmaassen dem Wirbelsysteme direct angehören. Es giebt zwei Klassen von Gliedmassen, die paarigen und die unpaaren. Die paarigen sind Fortbildungen des Seitenstrahles, die unpaaren vom Rücken- und Bauchstrahle. Die Abweichung der Wirbelsaite nach oben im Schwanze der Fische ist von v. Baer und von Rathke beobachtet, auch ich selbst habe sie gesehen bei Hechten, Cyprinen, Gasterosteus und Blennius. Hieraus musste schon erhellen, dass die Flossenträger auch der heterocercen Fische nur die bekannten oberen und unteren Bögen sind, deren aber mehrere auf einen Wirbel zu fallen pflegen. Die Rücken- und Bauchflosse sind der Schwanzflosse gleich, und können 310 ja auch mit ihr eins sein. Demnächst ist die Ansicht schon wiederholt ausgesprochen, dass die Flossenstrahlen Fort- setzungen seien von den Wirbelstrahlen; dagegen ist einge- wandt, dass sie den Wirbelstrahlen an Zahl nicht gleichen, sondern gewöhnlich zahlreicher seien, und dass sie mit ihnen nicht in eontinuirlicher Verbindung stehen. Dass die Vervielfältigung der Flossenstrahlen kein Gegen- grund sei, beweisen die Dorsalstrahlen des Hippocampus; denn an der Stelle, wo die Rückenflosse über ihnen liegt, spalten sich die Rückenstrahlen vielfältig, welche an anderen Wirbeln einfach sind. Die Vervielfältigung kann daher schon früher in der phalanx costalis oder in den folgenden Gliedern beginnen. Was die Continuität betrifft, so kann ein längeres oder kürzeres Stück des Strahles fehlen. Das fehlende Stück kann das sein, in welchem die Spaltung vor sich ging, dann findet man hinter der Lücke mehr Strahlen wieder, als man vor ihr verliess; oder es fehlt ein einfaches Stück, dann bleibt sich die Zahl vor und hinter der Lücke gleich. Wer das, was von einem Strahle getrennt erscheint, der Trennung we- gen als zu ihm gehörig nieht anerkennen will, der sei we- nigstens consequent, und leugne denn auch, dass die Ven- tralenden der letzten Rippen der Vögel und beschuppten Am- phibien, welche von ihren Vertebraltheilen durch grosse Lücken getrennt sind, den Rippen angehören. Von den paarigen Gliedmassen ist das Verhältniss der Bauchglieder deshalb das einfachere, weil ihr Zusammenhang mit der Wirbelsäule bleibt, welcher sich bei den Brustglie- dern löst. Daher werde ich nur den einfacheren Fall vor- führen. Man sehe sich das Becken und die Hinterbeine des Axalotl an. Vom Wirbelkörper geht der gedoppelte Seiten- fortsatz aus, die phalanx vertebralis des seitlichen Strahles, „ein Querfortsatz“; dann folgt die Rippe, wie überall mit doppeltem Vertebralende, den übrigen gleich, nur derber, die phalanx costalis, „ein rippenartiger Knochen.“ Diese pha- lanx eostalis am Kreuzbeine ist bekanntlich allen höheren Wirbelthieren eigen; bei den Säugethieren sind es ja die all Knochenkerne, welche auf der vorderen Seite des os sacrum am Rande liegen. Daran reihet sich wieder ein langer Kno- chen, die ph. costosternalis, „das Darmbein“, und endlich schliesst sich der Ring durch die ph. sternalis „das Schaam- bein oder Sitzbein“. Wir haben demnach im Becken einen Bogen, welcher dem Costosternalbogen gleicht. Sowie nun der Brust- und Bauchstrahl nach der Bogenbildung aufs neue divergiren kann, so geschieht dies auch hier durch den Seitenstrahl in grösse- rem Maasstabe. Wir sahen den Bauchstrahl der Fische schon am Stamme den Raum für die Aorta umschliessen und dann durch sein Rippenglied wieder divergiren, die Eingeweide zu umfassen. Die hier aufs neue divergirenden Seitenstrahlen sind die Hinterbeine. Im Beckengürtel des Axalotl wechselt stets ein Knochen mit dem Knorpel, d.h. der Knorpel ist fortlaufend, und liegt theils frei, theils ist er mit einer Knochenröhre bedeckt. Das ist dieselbe Bildung, welche ich oben an den Rippen des Hechtes und Lachses beschrieben habe, und deren auch wie- der bei den Rippen und ossa costosternalia der höheren Wir- belthiere gedacht worden ist. Ein solcher Knorpel findet sich nicht nur im Becken, sonderu auch in allen ferneren Gliederu der Extremität; an den Gelenken liegt er frei, verknöchert später von innen nach aussen, und bildet bei den Säugethie- ren u. a. die Epiphysen; die von einer Knochenröhre einge- sehlossenen Theile schwinden später, und an ihrer Stelle ent- stehen die Markhöhlen der Knochenröhren. Die Epiphysen der Röhrknochen sind daher Theile des ursprünglichen knor- peligen Wirbelstrahles, dem Knorpelfaden in den Rippen des Lachses gleichend. Die Röhren der Knochen entsprechen der äusseren Knochenröhre jener Rippen. Diese Anschauung basirt auf der Erweiterung unserer Kenntniss vom Wachsthume der Röhrenknochen überhaupt, welche Kölliker gegeben hat. Solcher Beckengürtel kann einer sein wie bei dem Axa- lotl,. oder deren zwei, dann schliesst sich der hintere durch das Sitzbein, wie die Schildkröten und Krokodile zeigen, oder dieser zweite Bogen kommt nicht zum Schluss, und legt sich 312 wie eine falsche Rippe an den vorhergehenden Bogen des os pubis, wie man an den Säugethieren sieht, oder beide Bögen schliessen nieht, und es entsteht ein Vogelbecken, welches nur falsche Rippen enthält. Der Schluss in der Mit- tellinie wird von dem inneren Knorpelfaden des Seitenstrahles gebildet. Dieser Faden kann ohne alle Verdiekung mit dem der anderen Seite in der Mittellinie zusammenfliessen, wie an den hinteren Rippen des Chamäleon, und am Becken der Krokodile, oder er verdickt so, dass die Bögen unter ein- ander in der Mitte verschmelzen, wo denn ein sternum ent- steht. Diesem entspricht auch der Knorpel am Becken der Salamandrinen u. a., welcher von der symph. pubis nach vorn oder hinten in der Mittellinie ausläuft. Auch wohl die Verbindung des Schaam- und Sitzbeines am Becken der Schildkröten, welche in der Mittellinie liegt. Das Brustbein, an welchem sich übrigens auch noch äussere den Knochen- röhren analoge Ossificationen entwickeln können, ist also den Epiphysen der Röhrknochen gleichartig. Man vergleiche demnächst eine Rückenflosse mit einer Brustflosse, und wird sich der Idee gar nicht erwehren kön- nen, dass das eine die paarige Wiederholung vom andern, dem Unpaaren, ist, sowie der Seitenstrahl den Rückenstrahl wiederholt. Beides kann einander viel ähnlicher sein als ein Menschenfuss einem Pferdefusse, oder die Pfote der Hand. Dass der Schädel aus Wirbeln bestehe, wird von Vielen geleugnet, ist aber eine sehr gangbare Ansicht. Die wich- tigsten Gründe gegen diese Ansicht sind: 1) dass die Wirbelsaite nicht durch alle sog. Schädelwirbel hindurchgehe. — Im ersten Abschnitte ist angegeben, dass der Glaskörper der Chorda auch wirkliches Knorpelgewebe sein könne, wie am reproducirten Salamanderschwanze ge- sehen. Auch Kölliker ist die Aehnlichkeit beider aufgefallen, er nennt die Chorda ein „eigenthümliches Knorpelgebilde* in der mikrosk. Anat. II. 1. p. 346, und da er nicht auf dem Wege der vergl. Anatomie, sondern durch das Studium der Gewebe zu dieser Ansicht gelangt zu sein scheint, so ist sie hier von so grösserem Gewicht. Ferner ist im ersten Ab- 313 sehnitte angegeben, dass der Knorpelfaden in der Rippe des Lachses von einer aus Ringfasern gebildeten Haut umschlos- sen ist, welche verknöchert, also der Scheide der chorda dorsalis gleicht. Diese Beobachtungen sind genügend, um zur Ueberzeugung zu führen, dass die chorda morphologisch den Knorpeln gleich steht, und dass sie von ihnen vertreten wird. Demnach ist die Rippe eines Lachses mit ihrem Knor- pelfaden und der Knochenröhre, der chorda mit ihren kurzen oder auch längeren Knochenröhren gleichartig, d. h. die Wir- belstrahlen sind dem Wirbelkörper gleichartig, oder die Wir- belsäule verästelt sich wie der Stiel eines Pentacrinus oder ein Tannenzweig. Der Rückenstrahl des Lachses enthält dagegen nur in seiner Basis den Knorpel, der übrige Theil wächst rein und primär knöchern weiter. Sowie sich die Rippe des Lachses zu seinem Dorsalstrahle verhält, so verhalten sich die Wirbel der Wirbelsäule zu den Wirbeln des Kopfes. Zur weiteren Begründung dieser Ansicht führe ich an, dass ebenso, wie das Vorkommen des Knorpels keine allgemeine Eigenschaft für die Rücken- und Bauchstrahlen der Fische ist, auch das Fehlen der chorda keine allgemeine Eigenschaft eines Schädelwirbels ist. Das Hinterhauptbein enthält bei allen Thieren ursprünglich die chorda; bei den Fischen geht sie nicht oder nicht viel weiter, bei den Vögeln bis in den Keil- beinkörper, bei dem Amphiozus bis an’s Ende der Schnauze. 2) Der zweite Gegengrund ist der Mangel an Gliederung in der Schädelregion bei der ersten Anlage der Wirbel, welche im Bereiche der Wirbelsäule doch sehr klar bemerkbar ist. Diesen Unterschied gestehe ich zu, halte ihn aber nur für graduel, nicht für wesentlich, weil sich die Gliederung spä- ter in der Knochenbildung doch hinlänglich manifestirt. Die Kiemenbögen sind Wirbelstrahlen, denn ich sehe sie bei dem kleinen Neunauge ohne alle Unterbrechung bis auf die Wirbelsaite gehen, wie es Rathke ganz ähnlich vom (Juerder angiebt. Die Unterbrechung bei anderen Fischen ist, wie kurz zuvor gezeigt, kein Gegengrund, weil ein Wir- belstrahl unterbrochen oder auch gegliedert sein kann, wo ein anderer continuirlich fortgeht. 314 Diese Gegengründe haben demnach wenig Gewicht, und so kann man denn vorhersehen, dass, wenn man das Haut- skelet als äussere Fassung zum Wirbelsysteme mit einrech- net, der Satz: in vertebratis nil nisi vertebrae, als sicher be- gründbar zur Geltung kommen wird. Die hier aufgestellten Sätze sind etwa: Die Wirbelstrahlen sind verschiedenartig zusammengesetzt; sie können einen primordialen Knorpel enthalten, oder dieser kann ihnen fehlen. Sie sind der Wirbelsäule selbst gleichartig. Die Fischrippen mit ihren Fortsätzen, denen sie anhangen, sind den unteren Schwanzbögen nebst deren Dornen gleich- werthig. Ambos und Steigbügel der Cyprinen sind. die Dorsalstrah- len der zwei vordersten Wirbel; sie sind also den oberen Bogenschenkeln äquivalent. Hammer der Cyprinen ist Bauchstrahl, also den Rippen mit Querfortsätzen gleich. Fleischgräthen sind Wirbelstrahlen. Es giebt 6 Haupt- und 4 Nebenstrahlen an den Wirbeln. Alle sind gleichartig; sie sind Wiederholungen nach ver- schiedenen Richtungen. Fischrippen sind die Bauchstrahlen. Bei vielen Fischen sind die seitliehen die Hauptstrahlen. Bei manchen höheren Wirbelthieren kommen die Bauch- strahlen allen Wirbeln als besondere, getrennte Stücke zu. Am ersten Wirbel sind sie allen höheren Wirbelthieren gemein, denn sie bilden den Ventralbogen des Atlas, welcher daher den ventralen Schwanzbögen und Fischrippen gleich- werthig ist. Die Rippen der nackten Amphibien und der höheren Wir- belthiere sind Seitenstrahlen. Daher ist der Ventraltheil des Seitenmuskels am Stamme der Fische den subvertebralen Muskeln des Stammes der nackten Amphibien und höheren Wirbelthiere äquivalent. Und daher ist auch das seitliche Zwischenmuskelband der 315 Fische gleichwerthig Rathke’s Fascia costalis der höheren Wirbelthiere, Die Seitenstrahlen der höheren Wirbelthiere sind jeder- seits doppelt vorhanden, verschmelzen mehr oder weniger. Rip- pen sind zwei verschmolzene Strahlen. Der Typus der Wirbelthiere ist viertheilig. In den Spalten zwischen den vier Theilen liegen die Cen- tralorgane. Die Worte: Rippe, ie Hämapophyse bezeich- nen nur veräusserliche Functionen der Körpertheile. Gliedmassen, Kopf, Kiemenbögen gehören zum Wirbel- systeme. Erklärung der Abbildungen. Die Figuren 9. 17. 18. verdanke ich der Gefälligkeit und der ge- schiekten Hand des Herrn Georg Brücke. Der Dorsalstrahl ist AR allen Figuren mit d, der Ventralstrahl mit r, der Seitenstrahl mit S, der schiefe Dorsalstrahl mit sd, der schiefe Ventralstrahl mit so ring Fig. 1 ist der Rücken- und Bauchstrahl eines unter einem Zoll langen Hechtes vom Stamme des Thieres, v ist also eine Rippe. Bei- des ist rein kuorpelig. Die breite Basis liegt an der Wirbelsaite, wie Fig. 2 von demselben 'Thiere zeigt. Die Wirbelkörper, Ringe von Faserknochen, markiren sich in der eigenen Haut der Chorda. Fig. 3. Wirbel vom Schwanze eines unter 5 Zoll langen Cypri- nen, wahrscheinlich Schlei, um die von vornherein knöchernen Strah- len zu zeigen. Fig. 4. Der 5. Wirbel eines ähnlichen Individuums. Jeder Strahl hat eine knorpelige Basis. Fig.5. Die 6 vorderen Wirbel ebendaher. Die Dorsalstrahlen der 5 vorderen Wirbel haben eine knorpelige Basis, der des 6. ist ganz knöchern, wie die folgenden. Der 1. Dorsalstrahl ist Steigbügel, der 2, Ambos. Die beiden vorderen Ventralstrahlen sind ganz knö- chern, die folgenden haben eine knorpelige Basis, der 3. ist Hammer, der 5. und 6. sind Rippen. Fig.6. Ambos eines ähnlichen kleinen Schlei. Fig.7. Hammer desselben; der vordere Fortsatz zum Ambos ist erst angedeutet, Fig.8. Der 4. Wirbel eines kleinen Schlei. 316 Fig. 9. Die letzten Bauch- und ersten Schwanzwirbel einer Ma- krele. Der Bogen am Wirbelkörper des letzten Rippenpaares entspricht dem ersten Schwanzbogen, die Rippen dem Dorne desselben. Fig. 10. Schematischer Durchschnitt des Härings, um alle Gräthen zu zeigen; die schiefe Ventralgräthe sv steht nur durch eine Sehne mit der Rippe in Verbindung. % Hautknochen, welcher die Rippen nicht berührt, sog. sternum. Fig. 11. Querschnitt durch den hinteren Theil des 1. Schwanz- wirbels vom Karpfen; ein 6 strahliger Stern. Fig. 12. Querschnitt, wie der folgende schematisch, des Cottus gobio. Die Seitengräthe $ liegt in der Muskulatur, und ist Hauptstrahl, dafern die Rippe hier fehlt. Fig. 13. Querschnitt des Opkidium. Der Seitenstrahl ist ein lan- ger Fortsatz, keine Gräthe. Fig. 14. Einer der hintersten Wirbel des Stammes von Cottus quadricornis von vorn, zeigt neben der Seitengräthe die Rippe. Fig.15. Der erste Schwanzwirbel eines Seepferdchens. Statt der Seitengräthe hier ein Fortsatz S, wie bei den höheren Wirbelthieren. Fig. 16. Querschnitt durch den Schwanz der Blindschleiche zum Vergleiche mit Fig. 10. Die grossen Lücken werden durch die 4 Mus- kelabtheilungen jederseits ausgefüllt. Fig.17. Die Wirbelsäule des Platydactylus guttatus von der Bauchfläche, um die rudimentären Bauchstrahlen zu zeigen, welche hier allen Wirbeln zukommen. Der vorderste ist der Ventralbogen des Atlas; an den Wirbeln des Stammes, welche hier zum Theil aus- gelassen, sind es kleine ovale Plättchen, hinten die Schwanzbögen. Fig. 18. Die 6 vorderen Halswirbel von einem Fötus des Del- phinus phocaena, von hinten gesehen. v» ist die Stelle, an welcher der Ventralbogen des Atlas später sich bilden soll. Auf dem Körper des 6. Halswirbels sieht man eine trichterförmige Grube, auf der an- deren Seite die abgeplatteten Bögen, welche einander fast decken. wo - I Ueber die Entwickelung der Seesterne und Holothurien. Von Dr. A. Kroun. Briefliche Mittheilung an den Herausgeber. (Hierzu Taf. VII. Fig. 7.) Die von Ihnen im adriatischen Meer entdeckte Bipinnaria (4. Abhdl.), ist auch in der Meerenge von Messina einheimisch. Sie kam, namentlich im Frühjahr, häufig mit der Anlage des Sterns vor. An einzelnen Larven, die mehrere Tage lebend erhalten werden konnten, liess sich die von Ihnen so voll- ständig erforschte Entwickelung des Sterns fast Schritt vor Schritt verfolgen. Auch glückte es, das Heranwachsen und die weitere Ausbildung des freigewordenen Sterns eine Zeit- lang zu beobachten. Hierbei haben sich einige Resultate er- geben, die ich Ihnen nicht vorenthalten darf. Am ten Tage nach dem Freiwerden des Sterns ist dessen ganze Rücken- seite von 7—8 ziemlich durehbrochenen Kalkscheiben bedeckt, von welchen jede einen mehr oder minder entwickelten Sta- chel trägt. Die eine dieser Scheiben nimmt das Centrum der Rückenseite ein, auch ist ihr Stachel am stärksten entwickelt. Die übrigen sind dicht um die centrale in einem Kreis grup- pirt. Alle diese Scheiben sind in dem sich entwickelnden Stern angelegt. Sie treten zuerst in Form von kreuzförmigen oder vierschenkeligen Kalkfiguren, und zwar im Perisom der freien von der Larve abgewendeten Seite auf. Am frühesten entwickelt sich die Centralscheibe, Schon zu einer Zeit, wo der Stamm die von Ihnen auf Tab. V. Fig. 1—7 abgebildete Stufe erreicht, hat sich die Anlage jener Scheibe 318 zu einem Kalknetz ausgebildet. Die ersten Spuren der peri- pherischen Scheiben werden dagegen erst kurz vor der Los- trennung des Sterns von der Larve sichtbar. Aus diesen Thatsachen geht hervor, dass die von der Larve abgewendete Seite des sich entwickelnden Sterns der Rückenseite entspricht, ein in Bezug auf den Stern der Bipinnaria asterigera aller- dings unerwartetes Ergebniss. Ferner ergiebt sich, dass die ursprüngliche Tentakelanlage, die Blinddarmrosette, an der Ventralseite und zugleich in der Achse des sich entwickeln- den Sterns liegt. Denn ihr diametral gegenüber bildet sich auf dem Rücken die Centralscheibe mit ihrem Stachel. — Hat der Stern die letzten Larvenreste abgestreift, so besitzt, er auch schon seine 5 Arme, was Ihnen übrigens nach einer Stelle in Ihrer Abhandlung aus dem Monatsberieht (October 1552. S. 604) zu schliessen, nicht entgangen zu sein scheint. Als früheste Anlage der Arme ist ohne Zweifel der halbeir- kelförmige Wulst anzusehen, in dem sich das den Magen und Darm der Larve umwachsende Perisom des künftigen Sterns erhebt. Die Rückseite der Arme des unlängst frei- gewordenen Sterns enthält ein weitmaschiges Kalkgerüst und trägt die aus der letzten Entwickelungsperiode bekannten Stacheln. Die Bauchseite jedes Arms ist mit 5 Tentakeln oder Füsschen versehen, wie. in beifolgender Zeichnung, die den Stern 120 mal vergrössert darstellt. Viere davon stehn paarweise dicht hinter einander, das fünfte ist, als unmittel- bare Fortsetzung des Ambulacralkanales, gegen das Ende des Arms gerichtet. Alle diese Füsschen müssen sich wäh- rend der letzten Entwickelungszeit sehr schnell aus der ur- sprünglichen Tentakelanlage entwickelt haben. Es verbleibt also die Blinddarmrosette während der Entwickelung an dem Orte, wo sie sich ursprünglich gebildet, und wächst auch später an derselben Stelle in die Ambulacralkanäle und die Füsschen aus. — Was die weitere Ausbildung des freige- wordenen Sterns betrifft, so ist dieser am 2ten Tage schon sichtlich grösser geworden und kriecht mittelst seiner Füss- chen munter umher. Am 3ten Tage bemerkt man auch den Ambulacralkanal jedes Arms, und dicht hinter dem äusser- 319 sten unpaaaren Füsschen einen Vorsprung mit einem scharf- umschriebenen scharlachrothen Fleck, dem ocellus. Erst am 4ten Tage ist der Mund, als weite rundliche Oeffnung deut- lich zu unterscheiden. Der Stern misst jetzt, die Stacheln mit eingerechnet, ®/, Millim. im Durchmesser. Von einem (subeentralen) After ist nieht die geringste Spur zu sehen, und demnach möchte der Stern wohl zu den afterlosen ge- hören. Die Zahl der Stacheln an den Armen beläuft sich meist auf 10 für jeden. Ausserdem finden sich 7—8 Stacheln auf dem Rücken der Scheibe, wie ich anfangs anzeigte. Es ist mir möglich geworden, junge Holothurien mit Kalk- rädchen in einem Glase, das ausser keimenden Conferven Polythalamien und abgestorbene Pflanzentheile enthielt, wäh- rend mehrerer Tage aufzuziehen. Die Thierchen nahmen gierig die ihnen auf diese Weise dargebotene Nahrung auf, verloren bald ihre Wimperreihen und wurden zuletzt, nach- dem sie etwas über das doppelte (1'/, Millim.) grösser ge- worden, völlig wurmähnlich. Wie bei den Synapten war ihr Leib fast fortdauernd, durch abwechselnd auf einander fol- gende Zusammenschnürungen und Expansionen, in peristal- tischer Bewegung. Die zunehmende Durchsichtigkeit erlaubte es, die innern Organe immer deutlicher zu unterscheiden. Die Mundöffnung führt in einen kurzen Schlund, der durch eine Einschnürung von dem noch wie früher anfangs erwei- terten Darm abgesetzt ist. Das Endstück des Darms ist in fortwährender Oontraetion und Expansion begriffen und durch zahlreiche, stellenweise plexusartig verstrickte Stränge an die Leibeshöhlenwand geheftet. Es scheinen diese Stränge mus- kulös und dürften sich bei der Expansion jenes Darmtheils activ betheiligen. Der After liegt genau in der Achse des Leibes, am hintern Ende desselben. Am Darm unterscheidet man zwei pulsirende Gefässe, welche vom Schlunde bis zum Endstück des Darms reichen. Das eine Gefäss ist etwas weiter und liegt dem Darm dicht an. Das andere Gefäss löst sich in seinem Verlauf nach hinten vom Darm, dem es an- fangs ebenfalls anliegt, ab, und erstreckt sich so frei bis zum Endstück. Von dieser freien Portion geht ein kurzer Querast 320 an den Darm. Am Kalksack oder Rückenkanal liess sich selbst am elften Tage nach dem Einfangen der Thierchen keine wesentliche Veränderung wahrnehmen, auch schien der Porus des Rückenkanales noch nicht obliterirt. Bei einem Individuum glückte es, das Hervorwachsen dreier neuer Ten- takeln zu beobachten. Diese Tentakel treten anfangs in Form von Blindsäckchen aus dem Cirkelkanal des Wassergefässsy- stems, und zwar neben den paarigen Blasen mit zitternden Doppelkörnchen hervor. Nach und nach wachsen sie in die Länge und erreichen die in ihrer Direction liegenden Mem- branen, welche als Duplicaturen der Haut die Basen der 5 zuerst gebildeten Tentakeln mit einander verbinden, Sie senken sich nun zwischen die beiden Blätter dieser Dupliea- turen ein und treten zuletzt auf den freien Rändern derselben hervor. Obwohl noch viel kleiner als die primitiven Tenta- keln, bewegen sie sich doch schon jetzt nach Art der letz- teren. Ich habe sie in ihrem Wachsthum nicht weiter verfol- gen können. Durch die eben mitgetheilten Beobachtungen wird, wenn ich nicht irre, Ihre Meinung, dass die Holothu- rie mit Kalkrädchen zur Gattung Chirodota gehöre, noch mehr unterstützt. Von besonderem Gewicht scheint mir die Tltatsache, dass die ursprüngliche Zahl der Tentakeln sich vermehrt, während nicht die mindesten Anzeichen zur Bil- dung von Füsschen wahrzunehmen. Auch ist es nicht wahr- scheinlich, dass später etwa welche heryorwachsen dürften, da bei den ächten Holothurien gleichen Alters schon ein bis zwei Füsschen gebildet sind, während von neu hervor- keimenden Tentakeln noch keine Spur zu bemerken ist. Das von Herrn Busch entdeckte sonderbare Wesen, die Tetraplatia volitans, ist mir in zwei Exemplaren zu Gesicht gekommen. Die vier wulstigen Leibeskanten enthalten an- sehnliche Nesselkapseln. Die beiden hellen kugligen Gebilde im Innern der Flügel, deren Bedeutung Busch nicht ent- räthseln konnte, sind Blasen, die einen otolithenartigen Kern einschliessen. Dieser Kern scheint ein kurzes ungleichseiti- ges Prisma. Die von Busch an dem einen Leibesende ge- 321 sehene Oefinung ist der Mund, der gleich dem der Aeginop- sis mediterranea sich stark zu erweitern vermag. Sie führt in eine den ganzen Leib einnehmende Magenhöhle. Nach diesen Einzelheiten im Bau dürfte das Thier höchst wahr- scheinlich von Quallen oder hydraähnlichen Polypen’ ab- stammen, Bonn, den 12. Juli 1853. Müller’s Archiv. 1803, 2a Ueber den Bau von Peripatus Edwardsi. Von Dr. Ep. GrRUBE. (Hierzu Taf. IX u. X.) Seit der Entdeckung des seltsamen Peripatus juliformis durch Lansdown Guilding ist dieses Thier nur so spärlich nach Europa gekommen, dass es noch jetzt zu den Seltenheiten der Museen gehört, und man schon sehr zufrieden ist, ein- zelne Exemplare davon zu besitzen. Diese hat man denn benutzt, um die Guildingsche Beschreibung des Aeusseren zu prüfen und zu vervollständigen, oder sie mit andern, eben so seltenen Arten zu vergleichen; der innere Bau der Pe- ripaten ist nur von Milne Edwards!) und Blanchard?), von jenem bei Peripatus Edwardsü, von diesem bei P, Blain- villii untersucht worden, und die Exemplare, die diesen For- schern zu Gebote standen, waren so mittelmässig oder schlecht erhalten, dass die Wissenschaft nur auf die dringendsten Fra- gen Antwort bekam, und selbst diese nicht immer mit voller Sicherheit ertheilt werden konnte. So wissen wir we- nigstens, dass der Darmkanal ein gerade fortlaufendes Rohr und ein Rückengefäss vorhanden ist, dass keine Traclıeen existiren und das Nervensystem aus 2 weit von einander lie- genden Strängen besteht, welche einen Schlundring mit einem Gehirnganglion bilden. Was die Generationsorgane betrifft, 1) Ann, des science. nat. sec. ser. Tom. XVIII. p. 124. 2) Recherches anat. et zoolog. fait. pend. un voyage sur les cötes de la Sie. Part. III. p. 63. pl. I. Fig. 2. 323 so wurde festgestellt, dass ein Paar Kanäle, welche Embryo- nen enthielten, am hintern Körperende münden; ob aber gleichzeitig männliche Genitalien vorkommen, und ob man als solche die um den Darm geschlungenen und, wie es schien, am ersten Fusspaar mündenden Kanäle zu betrachten habe, ob das Rückengefäss das einzige Gefäss sei und Aeste aus- schieke, ob endlich die Nervenstränge während ihres weiteren Verlaufs mit einander verbunden seien, hierüber konnte die Untersuchung nieht abgeschlossen werden, wenn auch Milne Edwards diese Fragen zu bejahen geneigt ist. Da Hr. Dr. Karsten, den ich auf diese Thiere aufmerksam gemacht, so glücklich war, sie in der Gegend von Colonia Towar in Ve- nezuela in mehreren Exemplaren zu entdecken, und diese mir freundlichst zustellte, bin ich im Stande, ausführlicher über ihre innere Organisation zu berichten, und manche der oben erwähnten Lücken auszufüllen. Vieles und namentlich alles, was den Blutlauf betrifft, wird nur die Untersuchung im frischen Zustande ermitteln: ich musste mich vorläufig mit der Anatomie von drei Exemplaren begnügen, von denen eines durch Grösse ausgezeichnet war. Die mir vorliegende Art ist dieselbe, welche Audouin, Edwards!) und Wiegmann?) beschrieben haben, der Peri- patus Edwardsii Blanch. (P. juliformis Guild. bei Aud. und Edw.), charakterisirt durch die Existenz von 30 (selten 29) klauentragenden Fusspaaren. ‚Der Vollständigkeit wegen und weil die Beschreibungen in einigen Stücken von einander ab- weichen, wende ich mieh zunächst an die Darstellung der Aussentheile, Die Körpergestalt erinnert weniger an Julus als an man- che kürzer gebaute Anneliden; sie ist halbeylindrisch, vorn und hinten verschmälert, der Bauch platt, der Rücken con: vex, die Füsschen conisch dünn auslaufende Stummel, seit- lich vorgestreckt, und zugleich nach unten gerichtet, der Kopf- theil mit seinen zwei Fühlern nicht so abgesetzt, wie Audouin ') Ann. des scienc. nat, Tom. XXX. p. 413. pl. XX. Fig. 5—7. *) Wiegm. Arch. 1837. I. p. 195. Taf. IV. Fig. 20. 21” 324 und Edwards abbilden, sondern gleichmässig in den Leib übergehend, wie in Guilding’s Figur. Die Haut ist regel- mässig und fein geringelt, ohne Andeutung von grösseren Segmenten, wie man sie doch der Zahl der Fusspaare ent- sprechend voraussetzen muss, und wie sie in der That im Embryonen -Zustande wenigstens an der Bauchfläche bemerk- bar sind. Hiernach würden auf jedes Segment etwa 10 Rin- gel kommen; sie drängen sich, während sie zwischen je zwei Füssen herabsteigen, allmählich zusammen, und begeben sich gegen die Bauchfläche hin wieder auseinander. Alle Ringe sind mit einer Querreihe von Wärzchen besetzt, in welcher ziemlich regelmässig ein grösseres, an der Spitze mit einem feinen Stachelchen versehenes, und ein kleineres abwechselt (Taf. IX. Fig. 10), und da sich die Ringe dicht an einander drängen, sieht das Thier zumal auf dem Rücken, wo die Wärzchen stärker hervortreten, ganz gekörnelt aus. Dieselbe Bekleidung und Ringelung besitzen auch Füsschen und Fühler. Die Färbung war an einem sehr frisch erhaltenen Weingeist- exemplar ein dunkles unreines Kirschroth, der Weingeist, in dem es lag, hatte sich blassroth gefärbt, bei denen, die län- gere Zeit aufbewahrt waren, ging der Ton in’s Bräunlich- graue über, doch blieb die Rückenseite immer sehr viel dunk- ler als die Bauchseite, auch zeigte sie beständig die schon von den früheren Beschreibern erwähnte mittlere Längsfurche von noch dunklerer Farbe, rechts und links von ihr in eini- ger Entfernung sieht man gewöhnlich noch eine dunkle Sei- tenlinie. Das Thier fühlt sich durchaus fest und lederartig wie ein Blutegel an, mit dem man es auch in Betreff der Ringelung am besten vergleicht; man kann es in den ver- schiedensten Richtungen biegen und drücken, ohne es zu be- schädigen. Die Füsschen sind am besten von Wiegmann beschrie- ben *); sie haben im Allgemeinen die Form eines kurzen, von vorn nach hinten zusammengedrückten Kegels oder konischen Stummels, dessen Unterflächen gegen die Spitze hin mit 4 *) Wiegm. Arch. 1837. I. p. 199. Taf. IV. Fig. 20. 325 queren hinter einander liegenden platten feinstachligen Wül- sten besetzt ist, kurzen Tarsusgliedern einer Raupe vergleich- bar. Die Spitze selbst ist fadendünn ausgezogen und verbreitert sich am Ende zu einer rundlichen, rechts und links geöhrten, mit zwei wahren Klauen bewaffneten Scheibe (Taf.IX. Fig. 6,7). Die Klauen sind scharf gebogene, abwärts gerichtete Häk- chen von brauner Farbe und kerniger Consistenz und setzen sich nicht wie die Hakenborsten der Anneliden in einen Ba- salstiel fort, der in die Muskelschicht eindringt. Am coni- schen Basaltheil der Füsschen bemerkt man 2 Längsfurchen, eine tiefere und schmälere an der Unter- und eine seichtere breitere an der Hinterseite. Die Länge der Füsschen nimmt gegen die Mitte des Körpers zu, nach beiden Enden hin ab, und beträgt höchstens 3um, Das erste derselben zeichnet sich durch den Mangel der Klauen aus, und enthält die Mün- dung des männlichen Generationsorganes, eines langen ver- ästelten Kanals, dessen Bedeutung als solches nach dem, was ich gesehen, kaum mehr zweifelhaft ist — eine Umwand- lung, die wir wenigstens in einer sehr ähnlichen Weise bei den Crustaceen und Arachniden wiederfinden, bei jenen, indem ein Fusspaar des Hinterleibes, bei diesen, indem die Maxil- lentaster zur Uebertragung des Samens dienen. Die übrigen Füsse, deren Zahl bei einem meiner Exemplare 29, bei allen andern 30 beträgt, schienen mir an der untern Furche mit einer Oeffnung versehen, doch wird man erst bei der Unter- suchung frischer Thiere hierüber zur Gewissheit kommen können, die Anatomie scheint dafür zu sprechen, Wieg- mann hält sich davon überzeugt. — Bei senkrechten und Querdurchschnitten sieht man, dass die Basis der Füsschen eine mit dem Raum um das Seitengefäss communicirende, sonst aber geschlossene Höhle besitzt (Fig. 8. 9) und dass einzelne Muskelfasern der Wandung nach der Achse laufen, und sich hier zu einem bis zur Fussspitze gehenden Strang vereinen. Alle Füsschen sind seitlich und ein wenig nach unten gerichtet, sie folgen wenigstens an meinen Weingeist- exemplaren so rasch auf einander, dass der Zwischenraum zwischen den einzelnen nicht ihrer Dicke gleichkommt, nur 326 das erste (klauenlose) Stummelpaar ist vom nächsten (klauen- tragenden) merklich abgerückt, es steht recht zur Seite des Mundes, in der Mitte zwischen den Fühlern und dem ersten klauentragenden Fusspaar. Aus diesem Grunde würde man es zu dem Mundsegment rechnen, und die vor dem Munde gelegene Partie des Kopftheils, welche die Fühler trägt, dem Kopflappen der Anneliden vergleichen, wenn auch die Grenzen nirgend durch Quer- oder andere Furchen bezeichnet sind. Die beıden Fühler, höchstens 3mw, lang, stehen oben an den Ecken des wenig ausgeschnittenen Stirnrandes, sie sind weich, feingeringelt und mit winzigen Wärzchen be- setzt, drehrund, gegen die Mitte etwas verdünnt, gegen das Ende etwas angeschwollen und leicht nach aussen gebogen. Aussen an ihrer Basis sitzt ein schwärzliches, von einer ziemlich dieken Haut überzogenes kleines Auge, auf das Wiegmann zuerst aufmerksam gemacht hat. Hinter dem dieken fast abgestutzten Stirntheil, welcher von einigen nach hinten divergirenden und so zugleich die Basis der Fühler mit leichter Krümmung begrenzenden Furchen durchzogen wird, liegt an der Unterfläche der Mund, eine sehr erweite- rungsfähige Oefinung, durch welche ein kurzer strahlig ge- furchter Pharynx hervortreten kann, diese Furchen gehen von einem mittleren vertieften ovalen Felde, dem contrahirten Schlundrohr aus und begrenzen 15 ovale Wülste, von denen die des vorderen Halbkreises etwas grösser und glatt, die des hinteren etwas kleiner und mit einem Stachelchen be- waffnet sind, an dem Innenrande der ersteren werden die hakenförmigen schwarzbraunen Kiefer sichtbar. Sie nehmen eine unpaarige Falte, welche tiefer als die des vorderen Halbkreises liest, oder richtiger einen muskulösen seitlich stark zusammengedrückten Vorsprung zwischen sich, dessen Bau an die Kieferfalten der Hirudines erinnert; die Basis desselben verbreitert sich scheibenförmig, und schickt zwei Längsmuskeln nach oben zur Stirn, der freie Rand aber ist stark convex und mit einer Längsreihe winziger schwarzer Stachelehen besetzt (Fig. 3@). Die Kiefer stecken in einer zu den Seiten dieses Vorsprungs gelegenen Tasche, und kön- 327 nen durch Muskelstränge, die von ihrem Boden ringsum nach vorn gehen, hervorgedrückt, durch einen andern von dort nach hinten laufenden Muskel zurückgezogen werden. Die Kiefer sind übrigens nicht einfache Haken, sondern ihre Scheide läuft am Grunde noch in einen ansehnlichen Zahn aus, der untere Theil der Kiefer ist weicher als der eigentliche Haken und fein gezähnelt; auch sehe ich nicht 2 Kiefer, wie die anderen Beschreiber angeben, sondern 4, jederseits 2, (Taf. IX. Fig. 3), sie liegen aber so dicht neben einander und haben so ganz dieselbe Form und Richtung, dass man sie leicht für einfach halten kann. Edwards spricht allerdings noch von andern Kiefern, setzt aber hinzu, dass sie in den zwei abgebildeten steckten und zu ihrem Ersatz bestimmt schienen, kann also das von mir beobachtete zweite Paar nicht gesehen haben *). Jedenfalls weichen die Kiefer des Peripatus darin von denen der Raubanneliden ab, dass sie nicht einander zugekehrt, sondern parallel und von oben nach unten, von vorn nach hinten gerichtet sind, wie die Kiefer der Dipterenlarven. Bei geschlossenem Munde wird nicht einmal ihre Spitze sichtbar. Die Mundtheile der reife- ren Embryonen zeigen eine etwas verschiedene Anordnung: der vordere Halbkreis der Pharynxmasse ist nur angedeutet, ohne schon durch strahlig auslaufende Furchen weiter in Längswülste zu zerfallen, statt des hintern Halbkreises und seiner Wülste finden wir eine einfache hornige braune Platte von halbovaler Gestalt, welche am abgestutzten Aussenrande in 3 Zacken ausläuft, mit dem Innenrande sich sanft in das Innere des Schlundes wölbt, das Ganze macht sich etwa wie ein Fenster, über welchem ein halbrunder Bogen steht. Die Kiefer sind schon in der Vierzahl vorhanden, und haben ei- nen weichen Vorsprung des Bogens zwischen sich, wie man ihn auch beim erwachsenen Thier sieht (Taf. IX. Fig. 5). Der *) Recherches pour servir a V'hist. nat. du Littoral de la France Tome II. p. 276: (Trompe) arm&e de deux mächoires, grosses et creuses, dans Nintörieur desquelles s’en trouve d’autres, qui sont sans aucun doute destinces ü les remplacer. 328 After befindet sich am letzten Segment des Körpers, ist nach hinten gerichtet, und erscheint als eine senkrechte von 2 Lip- pen eingefasste Spalte zwischen den ebenfalls nach hinten gerichteten Füssen des letzten Paares (Taf. IX. Fig. 4A). Un- mittelbar vor ihm an der Bauchseite des nächst vorhergehen- den Segments liegt eine fast eben so ansehnliche Längsöff- nung (Taf. IX. Fig. 4 V.), es ist die weibliche Oeffnung. Das kleinste meiner Exemplare misst etwa 15”, das grösste etwas über 2” (mit den Fühlern), die Rückenbreite des letzteren beträgt in der Mitte 3”, die Breite des Bauches zwischen den Füssen 1,8. Die Lage, in welcher die Thiere gestorben, war eine sehr verschiedene, einige waren unregelmässig hin- und her gebogen, andere rücklings, die meisten aber bauch- lings eingekrümmt, bei einem rücklings gekrümmten war die Bauchseite convexer als der Rücken; die meisten waren gleichmässig contrahirt, manche an einzelnen Körperstellen so stark ausgedehnt, dass hier die Haut ein anderes Aus- sehen hatte. Die Haut haftet überall so fest am Körper, dass man sie nur schwer von der Muskelwandung ablösen und selten voll- kommen rein abpräpariren kann, besonders an den Füssen; führt man den ersten Einschnitt nicht mit Vorsicht, so fährt man sogleich in die Leibeshöhle selbst. Schon beim Abziehen der Haut fällt die Dehnbarkeit derselben auf, sie besteht in der That aus einem besonders an der Rückenseite sehr der- ben, zähen Corium, dessen Innenfläche weiss und glänzend und von dicht aneinander liegenden Ringfurchen, den Ab- drücken der unter liegenden Muskelwand durchzogen ist. Den Ueberzug des Coriums bildet eine ziemlich zarte Epi- dermis. Die oben beschriebenen rundlich eonischen Wärzchen der Haut erscheinen bei genauerer Betrachtung mit einer Unzahl winziger Höckerchen bedeckt, die Spitze der Wärz- chen dunkler gefärbt wie der kurze und dünne ihr aufsitzende Stachel. Die Wärzchen der Füsse sind von gleicher Beschaf- fenheit, und die queren Wülste oder Polster an deren Unter- seite, welche ihr das Ansehen des Gegliederten geben, schei- nen nur verschmolzene Reihen von Wärzchen. Die Epidermis, 329 die das von dem Corium ihr aufgedrückte Muster festhält, (Taf. IX. Fig. 10a) konnte ich lappenweise und von den Klauen der Füsse als continuirlichen Ueberzug ablösen. Der rothe Farbstoff der Haut wird mit verdünnter Salpetersäure behan- delt gelblich. Nach dem Abziehen der Haut hat man die an der Rük- kenseite auffallend starke, an der Bauchseite, und namentlich gegen ihre Mitte hin bedeutend schwächere Muskelwandung des Körpers vor sich, deren Aussenfläche quergefurcht und wenig glänzend erscheint. Da dieses Muster scharf ausge- prägt und die Furchung dicht ist, lässt sich in der Regel der Verlauf der Muskelfasern nicht sogleich unterscheiden, es stellt sich jedoch bei der weiteren Untersuchung bald heraus, dass die Wandung aus mehreren Schichten und die oberste derselben aus schrägen Fasern besteht, welche von der Mit- tellinie des Rückens nach hinten und unten laufen. Unmit- telbar unter dieser und auf grössere Strecken nicht leicht von ihr zu trennen liegt eine andere Schicht, deren Fasern die umgekehrte Richtung festhalten. Beide sind gleich dünn und dünner als die übrigen Schichten. Legt man ein Stück- chen dieser Doppelschicht unter eine scharfe Loupe, so zeigt es sich dunkelgestreift oder quergebändert, und diese dunkeln Stellen entsprechen den feinen Rippen der Oberfläche, deren wir eben gedacht. Sie beruhen, soviel ich ermittelt, auf Querzügen einer vermuthlich drüsigen, zwischen die Muskel- fasern gebetteten Masse (vielleicht Schleimdrüschen); diese fehlt in der Mittellinie des Rückens selbst, welche, wegen der zwischen derselben bleibenden feinen Lücken, wie mit einer Längsreihe von Nadelstichen durchbohrt aussieht. Auf die beiden schrägen Schichten folgt eine von Längsfasern und auf diese noch eine von @uerfasern, welche die Leibeshöhle selber auskleider und mit Ausnahme einer Gegend die innerste und letzte ist. Diese Gegend ist die Mitte des Bauches: hier werden die Quermuskeln selbst noch von einem schmalen Zuge von Längsmuskeln bedeckt, so dass wir sonst 4, an dieser Stelle der Leibeswandung aber 5 Muskellagen zählen, (Taf. X. Fig. 19 m’, m®, m’, m*). Alle diese Fasern zeigen 330 keine Querstreifung und starken Glanz. Die Quermuskeln liegen nicht aller Orten der dritten Muskelschicht (äussern Längsfaserschicht) unmittelbar an, wie man sich am leichte- sten und ohne die dazwischen gelagerten Theile zu verletzen durch Untersuchung von der Leibeshöhle her überzeugen kann. Bei dieser Gelegenheit will ich zugleich die Lagerung der in der Leibeshöhle befindlichen Organe beschreiben. Nachdem ich dieselbe durch einen links von der Mittellinie des Rückens geführten Schnitt der Länge nach geöffnet, erkannte ich zu- nächst, was sich schon nach der blossen Betastung des Thieres vermuthen liess, dass eine wirkliche innere Höhlung nicht vorhanden sei, (Taf. IX. Fig. 2). Die Eingeweide liegen der Wandung so nahe an, dass nirgends ein leerer Raum übrig bleibt, und was man von den Blutigeln schliessen darf, auf welche schon die Aehnlichkeit der Bedeckungen hinweist, so dürfte sich dies auch am lebenden Peripatus nicht anders verhalten; was aber beide Thiere wesentlich unterscheidet, ist der Mangel der Kammerung in unserm Falle. Man sieht weder muskulöse noch häutige Dissipimente, die den Innen- raum den Segmenten entsprechend theilen und demgemäss auch keine regelmässig wiederkehrende Einschnürungen des Darmkanals, wie man sie sich nach Milne Edwards Dar- stellung vorstellen müsste *). Vielmehr liegt derselbe mit Ausnahme der beiden Enden frei in der Leibeshöble, begleitet und umschlungen von zweierlei Kanälen, den Geschlechts- organen. Die einen (Taf. IX. Fig. 2 0, v) sind einfach und mün- den an der Bauchseite des vorletzten Segmentes, die andern zusammengesetzt, d. h. verästelt, die Aeste sehr dünn und stark geschlängelt, ihre Stämme laufen nach vorn und öffnen sich am ersten (klauenlosen) Fusspaar (Taf. IX. Fig. 2t), La- gerungsverhältnisse, welche, abgesehen von der Zahl und Mündung der Kanäle, sich bei Ascaris und den verwandten Gattungen wiederholen. Schiebt man den Darmkanal bei *) l.c. p. 127. Le tube intestinal presente dans toute sa longueur des boursonflures laterales, qui rapellent la disposition de cet appareil chez la plupart des Annelides. 331 Seite, so sieht man, dass die Quermuskeln, verbunden durch eine bei der Contraetion des Thieres sich mehr oder weniger faltende Membran, überall die Leibeshöhle auskleiden, und dass sie nur in der Mitte der Bauchfläche von einem schma- len (etwas über 1°‘ breiten) Zuge von Längsmuskeln über- lagert werden. Rechts und links davon erscheinen sie bin- denartig, durch lineare Zwischenräume getrennt, und bilden eine Brücke über einen wenig vertieften Graben, in welchem zunächst der Mittellinie der Nervenstrang jeder Seite, nach aussen davon ein Kanal liegt (Taf. IX. Fig. 12 n, e!). Diesem Graben entspricht an der Körperoberfläche die Insertion der Füsse. Ist er überschritten, so legen sich die Quermuskeln wieder fest an die äusseren Muskelschichten, so dass sie nur schwer davon zu trennen sind, und steigen nun rechts und links aufwärts bis gegen die Mitte des Rückens, wo sie sich abermals ablösen, um einen noch seichteren Graben zu über- brücken (in der normalen Lage von unten her zu überziehen); in ihm befindet sich das Rückengefäss (Taf. IX. Fig. 20). Der verdauende Kanal beginnt mit einem kurzen nach hinten ziemlich conisch verjüngten Pharynx (Taf. IX. Fig. 20e), dessen vorderster Theil von dem sehr ansehnlichen zweilap- pigen Hirnganglion bedeckt wird (Fig. 2c). Schräge vom Pharynx zur Leibeswand laufende Muskeln dienen zum Vor- treiben und Zurückziehen desselben, jenes wird durch einen Muskel jederseits bewirkt, der vom hintern Ende des Pha- rynx entspringt und nach vorn steigend neben dem Aussen- rand des Ganglions in die Längsfaserschicht des Körpers übergeht (Taf. X. Fig. 13m°), indem er sich in zwei Bündel spaltet. Das eine heftet sich ungefähr in der Gegend an, wo die Schenkel des Nervenringes vom Ganglion abgehen, das andere setzt sich bis in den Fühler fort. Das Zurückziehen des ausgestülpten Pharynx wird durch einen etwas breiteren Muskel jederseits bewerkstelligt, der, nachdem er mit einer membranösen Ausbreitung den Pharynx umkleidet, unmittel- bar hinter dem Hinterende des Ganglions entspringt; er tritt unter den ebenbeschriebenen Muskel, läuft über den Ausfüh- rungsgang des männlichen Genitalschlauches nach hinten, und 332 geht etwa in gleicher Höhe mit der Pharynxinsertion des ersten Muskels in die Längsfaserschicht der Körperwandung über (Fig. 13 m’). Ausserdem giebt es hier noch ein System eigenthümlicher Muskeln, welche das Zurücktreten der Kiefer bewirken müssen (Taf. X. Fig. 13m’). Zu beiden Seiten des Mundes nämlich entspringt von der Wurzel der Kiefer ein sanftgekrümmter linearer horniger Bügel, in welchen sich seiner ganzen Länge nach eine Reihe dünner von der Seiten- wand des Körpers herkommender Muskelstränge befestigt, sie setzen zwei Gruppen zusammen, die vordere kleine geht fast unter einem rechten Winkel, die hintere ausgedehntere in schräger Richtung nach hinten in die Quermuskelschicht des Leibes über. Die Hornbügel enden etwa am 2ten, die hintersten Muskelstränge etwa am 4ten klauentragenden Fuss- paar. Zwischen diesen beiden Gruppen tritt der Ausführungs- gang des männlichen Genitalschlauches durch (Taf.X. Fig.13 a). Die Wand des Pharynx selber wird von Ringmuskeln gebil- det. Aus ihm entsteht ein dünnerer, in eine scharfe Sförmige Windung gelegter Oesophagus (Taf. IX. Fig. 13 oe), welcher alsbald in den sehr viel weiteren folgenden Abschnitt über- geht, den man, da er den grössten Theil des Darmkanals ausmacht, und ihm nur ein ganz kurzer Afterdarm folgt, als eine Vereinigung von Magen und eigentlichen Darm betrach- ten muss (Taf. IX. Fig. 2:). Der Eintritt des Oesophagus in diesen Magendarm scheint etwas nach links zu liegen (so dass der letztere auf der rechten Seite einen kleinen Blind- sack bildet), während seines Verlaufs zeigt er in seinem mitt- leren Drittheil von rechts und links her eine ziemliche Zahl tiefgehender Einschnürungen, ohne dass diese einander ent- sprächen und sich ringförmig vereinten, und nimmt erst in seinem hintern Drittheil allmählich an Dicke ab. Am viert- letzten Fusspaar beginnt der Afterdarm, welcher etwas über und zwischen den Ausgängen der weiblichen Genitalschläuche liegend und von ihnen merklich zusammengedrückt, eine drei- kantige Gestalt annimmt und an der Unterseite der Länge nach durch ein Ligament an die Bauchwand des Leibes be- festigt ist (Taf. IX. Fig.2, Taf. X. Fig. 22cr). Seine Oberfläche 333 ist schimmernd mit parallelen gegen den vorhergehenden Abschnitt trichterförmig ausstrahlenden Längsstreifen , woge- gen die Wandung von diesen dicht ringförmig gestreift er- scheint. Mit dem Mikroskop untersucht, lässt sie ein Gitter- werk von Längs- und Quermuskeln erkennen, die Längs- muskeln sammeln sich überdies in zwei seitliche, um 180° von einander abstehende sehr schmale, fast lineare Züge (Taf. X. Fig. 17), die man schon mit unbewaffnetem Auge als silberglänzende Linien erkennen kann. Sie liegen nach aus- sen an der Ringmuskelschicht, werden von den Einschnürun- gen nieht mit ergriffen und schicken in ziemlich gleichen Ab- ständen eine Reihe von kurzen Fäden ab, welche zur Befe- stigung des männlichen Genitalschlauches ihrer Seite dienen. Die Ringmuskeln des Darms sind etwa 0,0084 bis 0,0120 breit, die Läugsmuskeln etwa '/ schmäler und die Breite der seitlichen Binden, die sie zusammensetzen, beträgt etwa 0,07, Die Ringmuskeln selbst scheinen wieder aus 5 Pri- mitivfasern zu bestehen und liegen parallel, dicht neben ein- ander, die Längsmuskeln der Binden unregelmässig unter- und nebeneinander. Der sehr muskulöse diekwandige Pha- rynx umschliesst eine enge, auf dem Durchschnitt dreizackige Höhle, zwei Zacken schräge nach oben, die dritte senkrecht nach unten gerichtet, was wiederum an die Hirudines und Nematoideen erinnert. Aber auch der sehr viel weitere cy- lindrische Darm besitzt verhältnissmässig ein ziemlich enges Lumen, nicht weil seine Muskelwand eine beträchtliche Dicke besitzt, — diese ist vielmehr zart und leicht verletzbar — sondern weil unter ihr eine sehr ansehnliche drüsige Schicht liegt, deren Structur ich nicht mit solcher Sicherheit erkannt habe, dass ich sie genauer beschreiben kann, (Taf. X. Fig. 17 gl). Schneidet man nämlich die Muskelwand auf, so findet man an ihrer Innenfläche eine blasse grauröthliche unregel- mässig gefelderte, hauptsächlich aber quergefurchte Schicht, welche ihr so fest anhaftet, dass man sie nur in kleinen Lappen ablösen kann. Sie besteht aus lauter kleinen winzi- gen Bläschen von 0,0012 bis 0,0024 Durchm., deren merk- 334 liches Schwinden im Aether, nach 24stündiger Einwirkung, dafür spricht, dass sie hauptsächlich Fett enthalten; an vielen Stellen überzeugte ich mich, dass sie in zarthäutige dicht neben einander liegende Schläuche eingeschlossen sind und diesen durch absatzweise wiederholte Anhäufungen in Gestalt ovaler Ballen ein etwas rosenkranzförmiges Aussehen ver- leihen. Die Anschwellungen haben einen Durchmesser von etwa 0,0240, die eingeschnürten oder schmalen Stellen von 0,0180. Diese Schicht endlich wird von einer sehr zarten structurlosen Membran ausgekleidet, welcher einzelne ovale oder kreisrunde mit ähnlichen Bläschen erfüllte Scheiben oder Säckchen anliegen. Was der Inhalt des Darms sei, ist nicht mit Sicherheit zu ermitteln; da er weder Rudimente von Pflanzenfasern noch von bestimmt erkennbaren thierischen Theilen, sondern ein gleichartiges Magma zeigt, möchte ich fast vermuthen, dass sich die Peripati von aufgelöster vege- tabilischer oder animalischer Substanz nähren, wie etwa die Fliegenmaden, vielleicht sogar lebende Thiere anfallen und deren Flüssigkeiten einschlürfen, womit auch die Beschaffen- heit der Kiefer im Einklange steht. Da diese nämlich, wie ich schon oben auseinandergesetzt, nicht, wie bei den Ne- reiden und andern Raubanneliden, einander gegenüber liegen, können sie auch schwerlich zum Packen und Verschlingen einer Beute, noch’ weniger zum Zerkleinern derselben, wohl aber zum Verwunden dienen, und das enge Pharynxrohr scheint ebenfalls auf flüssige oder doch halbflüssige Nahrung hinzudeuten. Ich wende mich jetzt zu dem Nervensystem, dessen Ab- weichung vom Bau der sonst bekannten Anneliden Milne Edwards zur Aufstellung einer besondern Gruppe, der Pleu- roneuren bestimmte*). Die Eigenthümlichkeit desselben be- steht zunächst einmal darin, dass sich der Mundring in zwei weit auseinander liegende Bauchstränge fortsetzt, dann aber auch in der grossen Zahl der von ihnen ausgeschiekten Aeste, *) Recherches anatomig. et zoologig. fait. pendant un voyage en Sicile. Tom. II. p. 207. 335 welche in so gleichen oder doch nahezu gleichen Zwischen- räumen hervortreten, dass man auch nicht einmal an ihnen eine Marke für die Grenzen der Körpersegmente hat, die doch äusserlich durch die einzelnen Fusspaare so deutlich bezeichnet, im Embryonenzustande auch durch Querfurchen abgegrenzt sind. Die Bauchstränge sowohl als die Schenkel des Mundringes sind auffallend platt, ihre Färbung sehr blass röthlich und ihr Bau derb, so dass sie sich ohne Gefahr zer- ren und drücken lassen; von der Eigenthümlichkeit der Struetur werde ich weiter unten handeln. Beim Aufschnitt der Rückenwandung des Peripatus fallen am Kopftheil sogleich die sehr ansehnlichen in der Mittellinie verwachsenen oberen Schlund- oder Gehirnganglien ins Auge, (Taf. IX. Fig. 2e, Taf.X. Fig. 13, 14 0); sie sind ziemlich oval, von vorn nach hinten gestreckt, der Aussenrand wenig convex, fast abge- stutzt, der der Mittellinie zugekehrte Vorder- und Hinterrand stark convex und die Stelle der Verwachsung durch einen sehr tiefen vordern und hintern Einschnitt bezeichnet. Ausser den Schenkeln des Mundringes, in welche sich jene Ganglien nach hinten und unten fortsetzen und welche eine beträcht- liche Dicke besitzen, senden sie noch mehrere dünuere Ner- ven aus: unter diesen wiederum ist das Paar der Fühlerner- ven das stärkste (Taf. X. Fig. 14 n!), sie entspringen an der Aussenecke des Vorderrandes, und ragen schräg nach aussen und vorn an der Innenseite des oben beschriebenen schlanken Pharynxmuskels in die Fühler hinein. Fast unmittelbar hin- ter ihnen bemerkt man einen am Aussenrande dünnen und sehr kurzen Nerven, auf welchem wie auf einem kurzen Stielehen das Auge sitzt (Taf. X. Fig. 14 0). Noch weiter nach hinten kommen am Aussenrande zwei gablige Muskel- nerven hervor (Fig. 14 n*), der vordere geht in die hinter dem Auge liegende Gegend der Muskelwandung, der hintere etwas längere zu den beiden angehnlichen Gruppen von Quermus- keln, die rechts und links von der Mundöffnung herkommen und sich etwa in der Gegend des 2ten und 4ten klauentra- genden Fusspaars an die Wandung setzen, und die wir oben (5. 331) ausführlich besehrieben haben. Ferner entspringen 336 2 kurze für die obere Pharynxwand bestimmte Nerven hinten von der Unterfläche der Ganglien (Fig. 14 n°), und wenn man nach Durchschneidung der Fühlernerven und Entfernung des Pharynx die Ganglien so weit aufhebt, dass man bequem ihren Stirnrand von unten betrachten kann, so entdeckt man noch jederseits neben der vordern Einkerbung einen kleinen Körper, der mittels eines sehr kurzen Nerven aufsitzt, und vermuthlich Gehörorgan ist, (Taf. X. Fig. 15a). Bei dieser Gelegenheit überzeugt man sich zugleich, dass die Unterfläche des Ganglienpaares ausgehöhlt ist, und sich die Schenkel des Mundringes als Wülste am Aussenrande derselben bis zum Ursprunge der Fühlernerven fortsetzen. Auf das zuletzt er- wähnte Organ und das Auge werde ich später noch einmal zurückkommen. Die Schenkel des Nervenringes steigen senkrecht herab, und biegen sich dann sogleich nach hinten, indem sie einan- der näher treten. Auf diesem Wege und bevor das Maximum der Annäherung eintritt, sind sie durch 5 dünne an Breite abnehmende Quernerven verbunden (Taf. X. Fig. 14n*), von denen die 3 vordersten weiter auseinander liegen und gegen die Mitte hin merklich anschwellen. Auf solche Weise ist denn der Mundring, wenn auch nicht durch ein Ganglienpaar, geschlossen. Vom Aussenrande.der Schenkel, wo diese in die Bauchstränge übergehen, sehe ich einen starken Nerven der zweiten Commissur gegenüber entspringen und zum ersten klauenlosen Fusspaar, dem Ausgang der männlichen Genita- lien treten. Die Bauchstränge sind etwas breiter als die Ringschenkel, weichen sogleich aus einander und verlaufen dann, etwa um das Fünffache ihrer Breite auseinander blei- bend und ohne irgendwo eine Anschwellung zu bilden, parallel bis zum Ende des Körpers, wo sie hinter dem After durch einen Bogen in einander übergehen (Taf. X. Fig. 22»). Doch hat die Breite der Stränge auf diesem Gange allmählich abgenommen, und wenn sie über die Aus- führungsgänge der weiblichen Genitalschläuche steigen, um jenen Bogen zu bilden, beträgt sie kaum die Hälfte von der in der vorderen Körperhälfte beobachteten. Während ihres 337 Verlaufs senden die Nervenstränge nach rechts und links eine Menge von Aesten meist unter rechten Winkeln und in fast gleichen Abständen ab, deren Austritt durchweg zu cor- respondiren scheint, die Aussenäste liegen auf dem Boden der breiten Längsrinne, in welche jeder Strang gebettet ist, und treten unter den in derselben Rinne gelegenen Kanal (Taf. IX. Fig. 12 »°), die Innenäste begeben (Fig. 12 n*) sich in die zwischen den Strängen befindlichen Muskelschichten, und hier entsteht die Frage, ob sie in die entsprechenden der anderen Seite übergehen oder nicht. Von den 6 Paar Aesten, welche soviel ich sehe in jedem Segment von den Nerven- strängen ausgesandt werden, zeichnet sich keiner durch be- sondere Stärke aus und jeder ist gleich schwer zu verfolgen. Mehrere sind gleich stark, und zu diesen gehören die in die Füsse gehenden, einzelne andere bedeutend dünner. Was zunächst die nach innen gehenden betrifft, so sind sie von der schmalen Schicht Längsmuskeln bedeckt, welche, wie oben erwähnt, die Quermuskeln in der Mitte des Bauches überlagert, sie ist nicht eben schwer zu entfernen, indem sich die Fasern fast einzeln abziehen lassen; dann aber auf die Schicht der Quermuskeln kommend, zwischen welche die Nerven treten, finde ich diese so schwer unterscheidbar, dabei so zart und so fest anliegend, dass ich mich nur an einzelnen Stellen von dem Uebergange der einen in die der andern Seite überzeugen konnte. Unmittelbar in der Umge- bung der Mittellinie nimmt die sonst mehr silbrig glänzende Muskellage einen seidenartigen bläulichen Schimmer an und ist gerade hier, wo die Entscheidung liegt, am dichtesten ge- webt. Bei aufmerksamer Betrachtung mit einer scharfen Loupe wird man auf diesem bläulichgrauen schimmernden Grunde zarte mattere milchweisse ganz durchgehende Quer- streifen entdecken, die auf die Austrittsstelle der Innenner- ven zulaufen und die ich für deren Fortsetzungen halte. Auch gelang es mir hin und wieder einen Nerven, nachdem ich ihn soweit als möglich losgetrennt, durch Abzerrung der nächst- liegenden Muskelfasern auch in der Mitte seines Verlaufs zu isoliren, und bis zu seinem Eintritt in den Strang der andern Müllers Archiv, 1853, 22 338 Seite zu verfolgen, und in andern Fällen konnte ieh wenig- stens den Nerven bis über die Mitte seines Verlaufs heraus- präpariren, ohne dass ich eine Abnahme seiner Dieke be- merkte, was jene Beobachtung unterstützt. Milne Edwards schien es, als wenn einer der vielen nach innen tretenden Nerven eines Segments zur Verbindung der grossen Stämme diene!), ich habe dieselbe am Mundringe durch mehrere auf einander folgende Quernerven ohne besondere Präparation direct beobachtet, weiter hin an einzelnen Stellen durch Prä- pariren ermittelt und glaube es, da keiner bevorzugt scheint, von allen. Aber auch von diesen zarten Communicationsner- ven abgesehen, ist die Verbindung der Nervenstämme selbst am äussersten Körperende durch einen Bogen, am Kopftheil durch die oberen Mundganglien nachgewiesen, mithin die Uebereinstimmung mit dem Schema der Anneliden dargethan. Wir sehen schon in der Reihe der Meeranneliden die sonst in der Mittellinie ganz zusammengedrängten, von einem ge- meinsamen Neurilem umschlossenen Nervenstränge bei einigen auseinander rücken, so bei den Serpulen, Sabellen?) und Sabellarien®), doch ist die Zahl der nach innen abgehenden Nerven geringer, die Verbindungsfäden in jedem Segment sind nur einzeln oder zu je zweien vorhanden und ihr Ur- sprung durch ein deutliches Ganglion bezeichnet, bei Peripa- tus aber fehlt jede Spur von Ganglien und die Zahl der Ver- bindungsfäden hat sich in auffallender Weise vermehrt. Die nach aussen abgehenden Nerven betreffend, so ist schon oben erwähnt worden, dass sie an den entsprechenden Stellen des Aussenrandes abgehen. Von den je 6 einem Segment angehörigen Aussennerven scheinen nur 2 für den Fuss selbst, »)]. ec. p. 128: au niveau de chaque patte ils (les cordons ner- veux) donnent naissance du cötE externe a des branches destinees aux muscles de ces organes, et du cöte interne on en voit naitre un grand nombre de filamens, dont un, plus long que les autres, m’a paru &tre un cordon anastomatique servant de commissure entre les deux moi- ties du systeme ainsi eloignees l’une de l’autre. 2) Ann. des science. nat. 3e ser. Tom. XIV. pl. 10. 3) Ann. des science. nat. Je ser. Tom. X. pl. 2. 339 die andern für die Muskelwandung bestimmt, letztere sind mehr zusammengedrängt, erstere durch etwas grössere Zwi- schenräume getrennt (Fig 12 n'). Wenn man die Bauchstränge auf ihre Structur untersucht, so erkennt man zunächst ein sehr festes Neurilem, welches sich von dem Strange selbst ablösen und an den Aesten we- nigstens unter dem Mikroskop als deutlich abstehende Scheide erkennen lässt. Es erscheint bei 230facher Vergrösserung dicht und unregelmässig wellig gestreift. Die Substanz der Aeste hat ein gefasertes Aussehen, die Fasern weichen an ihrem Ursprung etwas auseinander, lassen sich aber nicht mit Sicherheit in das Innere des Stammes verfolgen, der aus lauter dicht zusammenliegenden ziemlich ovalen gekernten Zellehen von 0,006 und 0,004 Durchmesser besteht; zwischen ihnen erblickt man beim Zerren der Substanz, nachdem man das Neurilem entfernt, hin und wieder schmale Züge von sehr zarten, etwa 0,001‘ breiten Fasern, welche zuweilen in deut- lichen Wellenlinien verlaufen. Man sieht sie am deutlichsten an solchen durch Zerreissung entstandenen Rändern, an denen die Zellchen abgestreift sind, aber auch in der Mitte des un- versehrten Stranges, wo sie dann oberflächlicher als die Zell- chen zu liegen scheinen. Die gruppenweise auftretende An- häufung der Ganglienkörperchen andrer Anneliden fehlt hier durchaus, wie wir ja auch äusserlich an den Nervensträngen alle Anschwellungen vermissen, die Körperchen sind vielmehr überall gleich dicht angehäuft und die ganze Masse so fest, dass sie auch nach abgezogenem Neurilem fest zusammen- hält und sich ohne breiig zu werden aus einander zerren lässt, (Taf. X. Fig. 18). Um noch auf die Sinnesorgane zurückzukommen, so hat der Augapfel, dessen Hülle eine Fortsetzung des Neurilems scheint, die Gestalt eines bauchigen Weinglases, der Boden geht in einen kurzen Stiel, den Sehnerven, über (Taf. X. Fig. 15 0), die breite Oeffnung ist durch eine schwach ge- wölbte Fläche geschlossen, an der man eine vom Rande merklich abstehende kreisförmige graue Iris und in ihrer Mitte eine Pupille erkennt der vordere Theil des Aug- 22° Bau ® apfels dringt in eine taschenartige Ausstülpung der an dieser Stelle durchsichtigen und dünneren Körperhaut, und schlüpft aus ihr beim Blosslegen der Gehirnganglien leicht heraus. Die beiden Organe, welche unten am Stirnrande der Gan- glien nahe ihrer Vereinifung sitzen (Taf.X. Fig. 13a) und die ich für die Gehörorgane halte, liegen zwischen den bei- den wenig divergirenden Muskelsträngen, die von der Basis des Lippenwulstes zur Stirn emporsteigen, und der Haut und lassen sich hier ebenfalls ohne Mühe hervorziehen. Man unterscheidet an ihnen einen kurzen Nerven und ein ihm aufsitzendes weisses dickeres Körperchen von ziemlich regel- mässiger abgerundet tetra&drischer Gestalt, in der Mitte zweier Seitenflächen bemerkt man einen ovalen schwärzlichen Fleck. Die Grösse des Körperchnes erreicht noch nicht die halben Dimensionen des Augapfels. Nach aussen vom Nervenstrange und von derselben Lage von Quermuskeln bedeckt, fällt ein Kanal ins Auge, über dessen Bedeutung ich nieht ins Klare kommen kann, (Taf. IX. Fig. 12 0); ich will ihn den Seitenkanal nennen. Er durch- läuft die ganze Körperlänge, ist unverästelt, vorn merklich weiter als hinten, in der Mitte etwa so breit als der Nerven- strang, und seine Wandung ziemlich consistent, an den En- den aber so zart, dass ich sie hier nicht von den anliegenden Muskeln abpräpariren konnte. Auch sonst lässt sie sich ge- gen den Aussenrand hin von der Muskellage nur mit Vorsicht ablösen, während der Kanal sonst frei in die Höhle des Grabens hineinragt, und der Innenrand durch eine Lücke, die etwa die doppelte Breite des Kanals hat, vom Nerven- strange getrennt ist (Taf. IX. Fig. 12). Diese Lücke ist in der den Kanal angrenzenden Hälfte von einer zarten schleierarti- gen Membran ausgekleidet, welche sich auf der nach dem Nervenstrang sehenden Grenze dieser Hälfte nach oben schlägt, und so eine Scheidewand bildet, durch die die Lücke deutlich getheilt wird (Fig. 12«). Bis zu ihr hin kann man die vom Nervenstrang austfetenden Aeste leicht verfolgen, sobald sie aber die Scheidewand überschritten haben, sind 341 sie, weil eben die Membran über ihnen liegt, schwerer zu erkennen; dasselbe gilt, nur in schwächerem Grade, von den Muskelsträngen, die den schrägen Lagen der Körperwandung angehören und den Boden jenes den Nervenstrang und Kanal beherbergenden Grabens bilden. Vielleicht umgiebt die Mem- bran schlauchartig den Kanal selbst, wenigstens hat es beim Ablösen der Quermuskelschicht den Anschein, als ob die verticale Wand der Membran sich oberwärts nach aussen über den Seitenkanal schlüge und auch die Unterseite jener Schicht überzöge, doch reisst sie beim weiteren Aufheben derselben immer ab; jedenfalls aber dringt die Membran in die Zwi- schenräume, welche zwischen den Muskelbündeln der schrä- gen Schichten in die Tiefe und namentlich in die Höhlung der Füsse gehen und zuweilen länglichrunde recht bestimmt umschriebene Oeffnungen darstellen (Fig. 12%). Ging ich mit einer Nadel in eine solche Oeffnung, so drang die Spitze sogleich an der Bauchseite und zwar an der Basis der Füss- chen hervor, am deutlichsten, wenn ich vorher dieHaut von den Füsschen an dieser Stelle abpräparirt hatte. Man sah die Spitze dann zwischen den beiden von der Bauchmuskel- wand in den Fuss hineintretenden Strängen. Endlich muss ich noch erwähnen, dass von dem 4ten bis zum 6ten klauen- tragenden Füsschen nach innen von jenem Seitenkanal (»!) noch ein sehr zartes geschlängelt und schlingenförmig gebo- genes Kanälchen und zwar auf der Unterwand dieses pro- blematischen membranösen Schlauches sichtbar wird (Taf. X. Fig. 14), es hängt vielleicht mit dem Kanal v! zusammen, wird aber jedenfalls wie er von der Membran mit umschlos- sen. Achnliche Kanälchen, nur kleiner, scheinen mir auch an einigen der hintern Füsschen vorzukommen. Die Structur des grossen gefässartigen Kanals (v!) ist drüsig, wenn man ihn von oben her öffnet, sieht man rechts und links an sei- ner Wandung einen sehr schmalen durchsichtigen Längsstreifen, von welchem aus unter rechten Winkeln eine Reihe mehr oder minder deutlicher querer, aus einer grümeligen Masse bestehender Falten oder Wülste abgeht, sie geben ihm, von aussen betrachtet, ein quergestreiftes oder geringeltes Ansehen. 342 Aeste scheint er nirgend abzugeben, und wenn er ein eigen- thümliches Fluidum enthält, muss dieses eine klare oder doch jetzt nicht mehr unterscheidbare Flüssigkeit sein. Ich habe ferner noch einen Kanal zu beschreiben, den ich für ein wahres Gefäss halten möchte, nämlich den Rücken- kanal. Er ist ähnlich wie die eben betrachteten zwischen 2 Muskellagen gebettet, und kommt ebenfalls zum Vorschein, wenn man nach Oeffnung der Leibeshöhle die sie ausklei- dende Quermuskelschicht an der Rückenseite fortnimmt, oder wenn man von aussen her die schrägen und die Längsmus- keln des Rückens durchschneidet. Dieses Gefäss (Taf. IX. Fig. 204) hat etwa 0,3“ im Durchmesser, ist also merklich schmäler als der Nervenstrang, von weisslicher Farbe, zeigt bald etwas wellige bald parallele Contouren, aber keine con- trahirten Stellen und durchaus keine Verästelung; schneidet man seine Wandung auf, so erkennt man in ihr sehr feine etwas wellige aber nicht scharf ausgeprägte Querstreifen und sieht, dass es von einer sehr zarten Membran ausgekleidet wird (Taf. IX. Fig. 11). Seine nächste Umgebung bildet ein eigenthümliches zartes, an den Fettkörper der Insecten erin- nerndes weisses Gewebe, in welches es eingebettet ist, und welches theils ihm, theils der Aussenfläche der Quermuskel- schicht anhaftet. Wenn man ein Stückchen davon unter das Mikroskop bringt, nimmt man schon bei schwacher Vergrös- serung wahr, dass die Muskelbündel nicht parallel neben ein- ander liegen, sondern unter spitzen Winkeln aus einander weichen, um sich bald so, bald anders einem benachbarten anzulegen; auf diese Weise entstehen in dieser Muskelaus- breitung eine Menge quergezogener, an den Enden spitzer Lücken (Taf. X. Fig. 20); was aber hier das Ansehen einer durchlöcherten Membran hervorbringt, sind nicht sowohl diese Lücken, als etwas kleinere wirkliche Oeffnungen, welche in den Lücken liegen und offenbar von einer zarten nicht ab- präparirbaren Haut gebildet wurden. Der Rand der Oeft- nungen ist durchaus gerundet, ihre Form lang oval, der längste Durchmesser von 0,4 bis 0,2“ und noch kleiner und der Richtung der Muskelfasern entsprechend. Ihr Lumen 345 oft von zwei oder drei schmalen Brücken jener Haut durch- setzt und so getheilt. Auf diesem durchlöcherten Muskel- gewebe sieht man nun eine Menge cylindrischer wiederkeh- rend eingeschnürter, sich gablig oder anders ausbreitender strueturloser Schläuche mit einem granulirten auf dunkelm Grunde weiss schimmernden Inhalt; an andern Stellen erschei- nen statt derselben vielmehr kreisrunde oder rundlich. vier- seitige oder ovale durch dünne Fäden oder Gänge verbundene Zellen von 0,01“ bis 0,1152‘ Länge und etwa halb so grosser Breite, in welchen 1 bis 4 runde Kerne zuweilen ganz regel- mässig in einer Reihe gelagert sind, mitunter scheinen auch solche Kerne an der Aussenfläche der Zellen zu haften, der Durchmesser der Kerne beträgt 0,0084. Uebrigens erstreckt sich das Rückengefäss durch die ganze Körperlänge, es be- gleitet die Längsmuskelbündel, die unter die Gehirnganglien treten, und verschwindet im letzten Segment. Der Mangel der Aeste ist eine Erscheinung, die man auch an den Seiten- gefässen der Nemertinen bemerken soll. Milne Edwards vermuthete in den beiden geschlängelten dem Darm anliegenden Kanälen, welche sich zum ersten klauen- losen Fussstummel begeben, die männlichen Organe, und ich glaube, dass er vollkommen Recht hat; doch ist seine von einem schlecht erhaltenen Exemplar entnommene Beschrei- bung nicht durchaus richtig, indem sie nicht, wie er meint, an der Bauchfläche nahe der Basis des ersten Fusspaares, sondern an dessen klauenloser Spitze selbst münden, und die selır dünnen vielfach geschlängelten, am Darm hin- und herkriechenden Kanälchen, welche er mit den zahlreichen dünnen, an einem Darmabschnitt der Arenicolen vorkommen- den Blindkanälen vergleicht, ebenfalls zu jenen Organen ge- hören*). Verfolgt man die Hauptkanäle von ihrem Ausgange an nach hinten, so sieht man sie zuerst zwischen den oben *) le. p. 127. (Le tube intestinal) est garni d’un grand nombre de petits appendices filiformes et coecales, qui ne peuvent Ötre com- paröa qu'aux coeeums gröles et nombreux dont une portion de l’intestin est couverte chez l’Arcnicole, 344 beschriebenen, von dem hornigen Bügel des Vorderkörpers (Fig. 13«) zur Seitenwandung gehenden Muskeln hindurehtreten, sich dann sogleich an den Darm legen und allmählich der Mittellinie der Rückenseite nähern; wenn sie diese erreicht haben, etwa in der Gegend des 6ten Fusspaares, laufen sie eine kurze Strecke neben einander und trennen sich dann, um in mehr oder minder starken Bogen, jeder längs seiner Darmseite bis gegen das Körperende zu gehen (Taf. IX. Fig.21). Auf diesem Wege, der, weil sie dem Darm nicht angewachsen sind, in verschiedenen Exemplaren verschieden ausfällt, schicken sie nach innen eine Reihe kurzer aber sehr elastischer, in ziemlich regelmässigen Abständen entspringender fadenförmiger Ligamente ab, durch welche sie an den Darm und zwar an die seitliche Längsmuskelbinde desselben befe- stigt werden (Taf. X. Fig. 2371), im vordersten Theil finden sich auch einige ähnliche nach aussen zur Muskelwandung des Körpers tretende, doch hören diese schon mit dem 4ten Fusspaar auf. Unmittelbar vor der Mündung der Kanäle sieht man einige Muskelfasern an ihren Innenrand treten, welche in der Gegend des Nervenringes von der Bauchwand herkommen; die Kanäle selbst, die ich als Vasa deferentia ansehe, sind hier breit (1,5 Mill. Durchm.), ganz platt ge- drückt und weitläufig quergefaltet, so dass ihr Innenrand etwas treppenförmig erscheint, allmählig werden sie dünner und drehrund und bekommen, nachdem sie sich aus einander begeben, seitlicte Aeste. Das eben sind die von Milne Edwards den Blindkanälehen der Arenicolen verglichenen Organe. Sie münden gruppenweise in bestimmten Absätzen und an denselben Stellen, an welchen die Darmligamente ent- springen, die meisten zu je 5, die hintersten zu je 2; bald in einen Punkt zusammenstossend (Taf. X. F.23r), bald zu einem kurzen gemeinsamen Seitengange sich vereinend, die einen kürzer, die andern länger, oft in sehr enge Windungen ge- legt, alle aber nicht weiter verzweigt und blind endend. Ich zähle an jedem Hauptkanal wenigstens 17 solcher Quasten von Aesten und ihre Insertionsstellen scheinen mit den Segmenten des Körpers ühereinzustimmen. Die Schlingen 345 dringen zuweilen zwischen die Quermuskeln der Leibeswan- dung, und lassen sich wegen der Brüchigkeit der Kanäle nicht überall ablösen, so dass diese Organe niemals von mir unversehrt herauspräparirt werden konnten. Bei einem mei- ner Exemplare ist aus der Oeffnung des ersten klauenlosen Fusspaares der linken Seite ein 9% langer glatter, an der Wurzel dünner, weiterhin sich verdiekender Körper hervorge- treten, den ich zuerst für nichts anderes als eine Ruthe hielt. Wie dieser Körper sich eigentlich zum Vas deferens verhält, ist mir noch nicht klar. Anfangs glaubte ich, dass das Vas deferens, dessen Wandung auf 8“ weit entschieden muskulös ist, und zwar aus breiten Muskelbündeln von verschiedener Richtung, aus Längs-, Quer- und schrägen Bündeln besteht, die Scheide jener Ruthe bilde und sich umstülpe, sobald sie heraustreten will. Die Befestigung dieses Abschnitts durch Ligamentfäden sowohl an den Darm als an die Leibeswan- dung schien mir, theils weil dieselben unter einem spitzen Winkel von dem Schlauch nach vorn abgehen, also schon dadurch einen gewissen Spielraum gewähren, theils wegen ihrer bedeutenden Elastieität der Umstülpung kein Hinderniss entgegenzustellen, und andrerseits scheint das zusammenge- fallene Ansehen jenes untern Abschnitts, der Mangel der Schleimhaut oder einer drüsigen Auskleidung, wie sie weiter- hin in den Kanälen vorkommt, und die unmittelbar darauf folgende sehr starke schlingenartige Biegung des so merklich verdünnten Hauptkanals für jene Ansicht zu sprechen. Allein, als ich das betreffende Exemplar öffnete, fand ich die Bie- gungen des Vas deferens ganz ähnlich wie in den früher un- tersuchten, ebenso verhielt sich die muskulöse Partie, die doch herausgetreten sein und das hervorgeschobene Organ umgeben müsste. An diesem letzteren sehe ich nur eine glatte zarte Wandung, in der eine braunrothe geronnene Masse eingeschlossen ist, wie sie auch den untern Theil des Vas deferens erfüllt. Vielleicht ist also der lange keulenför- mige Körper, der aus dem ersten Fusspaar hervorragt, nichts anders als geronnene Samenmasse mit einem Schleimüber- zuge. Weiterhin haben Hauptkanal und Nebenäste ein glei- 346 ches Ansehen und eine röthlichweisse Farbe, beide sind an verschiedenen Stellen ungleich diek, jener an manchen wie gekerbt oder geringelt. Da die Aeste häufig der Innenfläche der Körperwand anhaften, auch stellenweise zwischen deren Muskelbündel dringen, so muss ich auf sie auch dasjenige beziehen, was Milne Edwards von den problematischen Hautkanälen sagt“). Die Länge der Aeste schwankt zwi- schen 1 und 5 und erscheint oftmals deswegen geringer, weil sie wellenförmig fortlaufen und ihre Enden nicht selten lockenförmig zusammengedreht sind. Ihre mittlere Dicke be- trägt etwa 0,06, die des Hauptstammes an der Stelle, wo die ersten Aeste abgehen, etwa 0,15, gegen sein Ende nicht mehr als die der Aeste. Ueber die Struetur derselben konnte ich nicht mehr ermitteln, als dass an günstigen Stellen ein hellerer etwa !/, so dicker Streif (wahrscheinlich ein mittlerer Gang) durchschimmert, dass die Wandung des Astes farblos ist und längs- und quergefasert aussieht, und dass an ihrem innern Contour fortlaufend eine weissliche gramulirte Materie erscheint, die aus neben einander gestellten Ballen oder Gruppen von Körnchen zu bestehen scheint, in denen man wieder rundliche hellere Flecken von 0,006 Durchm. unter- scheidet, vermuthlich ist dies die Bildungsstätte der Sperma- tozoen, die Blindkanäle die Hoden, und der Hauptkanal, in den die Blindkanäle münden, der Samenleiter. Als weibliche Genitalien müssen wir, wie schon Milne Edwards gezeigt, die beiden Schläuche betrachten, welche durch eine gemeinsame Oeffnung an der Bauchfläche des vor- letzten Segments münden. Sie beginnen auf dem Darm etwa in der Gegend des 2lten Segments, anscheinend mit einem gemeinsamen Blindkanal, dessen nach hinten gerichtetes Ende durch ein langes fadenförmiges Ligament mitten an die Rük- kenwand des viertletzten Segments befestigt ist, etwa in der Gegend, wo der Afterdarm beginnt (Taf. X. Fig. 214). Der *)]. c. p. 127. On voit aussi des appendices tubulaires de meme nature (que les appendices de l’Arenicole) näitre des parois de la ca- vite viscerale et il est a presumer qu’ils sont en connexion avee la peau. 347 Blindkanal ist in der That doppelt, die beiden Schenkel lie- gen jedoch dicht neben einander, von einer gemeinsamen, von jenem Ligament ausgehenden Scheide umfasst, jeder von ihnen erweitert sich sehr bald rechts und links in ein paar Anschwellungen, von denen die eine wie ein läng- liches Säckehen, die andere plattgedrückt kuglig aussieht (Fig. 21.&'), sodann weichen die beiden Kanäle, nachdem sie sich zweimal gekreuzt, rascher aus einander, um den Darm gablig zu umfassen, und biegen nun etwa am l4ten klauentragenden Fusspaar plötzlich nach unten und hinten, um jeder an einer Seite des Darms das Körperende zu errei- chen. Diese letzte Partie ist bei meinen Exemplaren wohl 4 mal so diek als der Anfang der Kanäle und in langen Absätzen zweimal beträchtlich eingesehnürt; der Ausgang selbst aber wiederum sehr eng und durch ein kurzes breites Ligament an die Bauchwandung befestigt, während die Ka- näle sonst mit Ausnahme des Anfangstheils überall frei sind. Die ganze Länge derselben beträgt in einem 11%” langen Peripatus nahe an 2”, die grösste Dicke etwa 1‘. Ihre Farbe ist blassroth, ihr Ansehen glanzlos, wodurch sie gegen das lange, zur Befestigung ihres Anfangstheils dienende silbrig- glänzende Ligament merklich abstechen. Dasselbe besteht aus Längsmuskelfasern, welche einerseits in die Wandung des Rückens übergehen, andrerseits das Ende des Blindka- nals scheidenartig umfassen. Was die Lage der oben be- schriebenen Säckchen betrifft, so hängt das eine an dem Innen-, das andere an dem Aussenrande seines Kanals. Ich vermuthe, dass in den Blindzipfeln der Genitalschläuche die Eierehen entstehen, und dass vielleicht eine oder beide Säck- chen zur Aufbewahrung der bei der Begattung eingebrachten Spermatozoen dienen, da sich nur wenige Eier fast gleich- zeitig entwickeln können, und wahrscheinlich eine Begattung für die Befruchtung von mehreren ausreicht. Eierchen habe ich mit Sicherheit nicht erkannt, wohl aber mehrere Embryo- nen in dem übrigen Theil des Kanals gefunden, den man also jedenfalls Uterus nennen kann. An seiner Wandung lassen sich 3 Schichten unterscheiden. eine äussere, wie es 348 scheint ein structurloser Ueberzug, an dem ich jedoch hier und da platte Zellen zu erkennen glaube, eine mittlere aus dicht an einander liegenden, überall nicht quergestreiften Mus- kelfasern bestehende und eine innerste ebenfalls structurlose mit darauf liegenden deutlich gesonderten Pflasterzellen von etwa 0,0084“ Durchm. mit Kernen. Die Zahl der Embryonen, die der Uterus enthalten wird, kann man schon mit einiger Sicherheit nach der Zahl der eingeschnürten Stellen beurtheilen, welche sich, da ein jeder den entsprechenden Theil des Schlauches ganz ausfüllt, zwi- schen je zwei auf einander folgenden bemerkbar machen. Ich fand nicht mehr als drei Embryonen in einem Schlauch, alle waren schon so weit vorgeschritten, dass man Füsse und Fühler wahrnehmen konnte. Der kleinste mass kaum 3“ in der Länge, 0,5” in der Breite, und lag zweifach bauchlings zusammengeklappt, im obersten Theil des Uterus nahe den eben beschriebenen Säckchen. Der Körper nimmt von vorn nach hinten merklich an Breite ab, ist noch sehr weich, weiss und halbdurchscheinend, so dass man einen innern, die ganze Länge durchziehenden Kanal unterscheiden kanı (den Darm- kanal), sein Vorderende läuft in zwei seitliche kurze Zipfel und einen viel dünnern zum Munde laufenden Gang (den Oesophagus) aus, doch ist er noch gerade gestreckt, nieht Sförmig zusammengekrümmt und beginnt am ersten eigent- lichen später klauentragenden Fusspaar. Im Ganzen zähle ich nur 28 Fusspaare, von denen das vorderste, vor diesem gelegene, merklich grösser als die andern und nach vorn ge- richtet ist, und die Füsse des letzten Paares ganz nach hin- ten gerichtet parallel und unmittelbar neben einander liegen, indem sich der Segmentkörper selbst hier noch nicht von den Füssen gesondert hat. Die benachbarten Füsschen jeder Reihe stossen aneinander, sind noch klauenlos und so wenig verlängert, dass sie wie Kerben des Körperrandes aussehen, doch aber, wie die ebenfalls noch sehr kurzen Fühler, schon deutlich geringelt, an jenen zähle ich 5, an diesen über 20 Ringfurehen. Augen und Kiefer kann ich noch nicht ent- decken. 349 Bei einem zweiten, dem Ausgang näher liegenden, doch vom ersten nur durch einen kurzen Zwischenraum getrennten Embryo von 4,2“ finde ich die Färbung blass rosaroth, wie den Nervenstrang und die Genitalien der Mutter, doch noch keine Spur von Hautwärzchen. Der Körper hat eine entschie- den convexe Rücken- und eine platte Bauchfläche, an wel- cher man mehr oder minder deutliche zwischen je zwei Fuss- paaren auftretende Segmentfurchen wahrnimmt. Sämmtliche 31 Füsschen sind vorhanden, die hintersten 30 aber noch nicht mit Klauen bewaffnet, sondern sie laufen in eine stumpfe fingerförmige, gegen die Basis etwas spindelförmig verdickte, nur durch 5 schwache Ringfurchen getheilte Spitze aus; die Basalpartie der Füsschen ist gegen diese merklich abgesetzt, ebenfalls geringelt, die Ringe’ aber durch schärfere Randein- schnitte begrenzt. Das erste Fusspaar ist etwas breiter als die andern und am Endrande mitten eingekerbt. Am Rande der scharf geringelten und an der Spitze leicht kolbig ver- diekten Fühler sehe ich schon kleine noch mit Haut überzo- gene Stachelehen, doch erscheinen sie nur an der Spitze selbst, nicht am Seitenrande. Bei Compression des Körpers schimmerte der Darmkanal und auch das Gehirnganglion durch. Augen sind noch nicht wahrnehmbar. Auf dem Grunde des wie ein gothisches Fenster gestalteten, mit einer noch einfachen Wulst in Form eines Spitzbogens überwölbten Mun- des erscheint vorn unterhalb der Spitze des Bogens eine wei- che zapfenartige Vorragung und zu jeder Seite derselben 2 dicht nebeneinander liegende schwarze Kieferhaken, deren Spitze gegen eine untere dreiseitige hornige Platte gerichtet ist; sie hat eine ansehnliche Grösse, bedeckt fast die Hälfte des Bodens und grenzt mit ihrer dreizackigen Basis an die Basis der Mundöffnung. Ein dritter noch grösserer Embryo nahm den ganzen un- tern Theil des Uterus ein, er misst 12,7” bei einer Breite von 0,7“, und liegt nicht zusammengekrümmt wie die beiden vorigen, sondern ganz ausgestreckt, mit dem Kopf nach der Mündung gerichtet. Bei einem andern Exemplar von Peri- patus steckten bereits die Fühlerspitzen aus der Vulva her- 350 aus, und konnten den, der mit der Fortpflanzung dieser Thiere nicht vertraut ist, leicht zu der falschen Auffassung verleiten, als wäre diese Oeffnung mit Papillen versehen. Er ähnelte ganz dem Erwachsenen, war jedoch noch blässer gefärbt und mit flacheren Wärzchen besetzt. Augen und Vulva wa- ren vorhanden, die Füsse, vollständig ausgebildet, lagen mei- stens gerade an die Flanke gedrückt, die Spitze nach hinten, und hatten sich so in die Uteruswandung gedrängt, dass diese beim Oeffnen die entsprechenden Eindrücke, und schon äus- serlich schwache Erhabenheiten zeigte. Da schon die noch nicht reifen Embryonen 31 Fusspaare, d. h. soviel als die alten Thiere besitzen, kann man mit Recht bei der Species auf diese Zahl etwas geben und sie unter die Charaktere auf- nehmen. Von 14 Exemplaren, die ich zu vergleichen Gele- genheit hatte, machte nur eines eine Ausnahme, indem es, wie ich schon oben bemerkte, bloss 30 Fusspaare zeigte. Wenn auch diese Untersuchungen über den Peripatus Ed- wardsi, da die wenigen Exemplare, an denen sie angestellt sind, nicht ganz zerstört werden durften, nicht in alle Ein- zelnheiten des Baues eindringen, so erweitern sie doch un- sere bisherigen Kenntnisse von diesen merkwürdigen Thieren dahin, dass wir jetzt folgendes von ihnen wissen: 1. Die Gliederung des gestreckten weichhäutigen gerin- gelten Körpers spricht sich äusserlich am erwachsenen Thier nur in der Wiederholung der Fusspaare aus; die an der Bauch- fläche der Embryonen vorkommenden Grenzfurchen der Seg- mente gehen verloren. 2. Aus der Vergleichung des äussern und innern Baues geht hervor, dass zu jedem Segment nur ein Fusspaar gehört. 3. Der Kopftheil lässt keinen abgesetzten Kopflappen wie bei den meisten Annulatis rapacibus unterscheiden, son- dern besteht aus einer Verschmelzung von Kopflappen (Lo- bus capitalis) und Mundsegment (Segmentum buceali) *). Er *) S. Grube Familien der Anneliden Wiegm. Arch. 1850. p. 260, 351 trägt zwei Fühler, hinter der Basis eines jeden ein einfaches Auge und vorn an der Stirn wahrscheinlich zwei versteckte Gehörorgane, 4. Die seitlich und nach unten gerichteten weichhäutigen Füsse, von zusammengedrückt conischer Gestalt, sind bis auf eine an ihrem Grunde befindliche Höhle mit Muskeln gefüllt, und tragen keine in das Innere hineinragende Borsten, son- dern ein Paar als harte Hautfortsätze zu betrachtende, zwischen zwei seitlichen Läppchen sitzende Klauen, woher ich für diese Abtheilung der Würmer den Namen Onychophora gewählt. An der Bauchseite der Füsse scheint eine Basalöffnung zu exi- stiren. 5. Die Gliederung an der Bauchseite der Füsschen ist keine Gelenkbildung, und entsteht nur dadurch, dass die sonst einzelnen Hautwärzchen hier zu schmalen Querplatten verschmelzen. 6. Die überall warzige Haut lässt deutlich ein Corium und eine Epidermis unterscheiden; letztere besteht aus Chitin. 7. Der Stamm des Nervensystems sind zwei ganz von einander entfernte, aber durch viele Commissuren verbun- dene Stränge, die über der Basis der Füsse verlaufen. 8. Diese Stränge zeigen keine irgendwie ins Auge fal- lende Ganglien, senden aber in jedem Segment nach aussen und innen und in fast gleichen Abständen von einander eine beträchtliche Zahl von Nerven ab: von den nach innen ge- henden ist es fast ausgemacht, dass sie alle über die Mittel- linie hinaus und in die entsprechenden des andern Stranges übergehen, also als Commissuren dienen. Die andern bege- ben sich zu den Füssen und benachbarten Muskelschichten. Die ansehnlichsten Commissuren zeigen sich vorn und hinten; vorn, indem die Stränge von beiden Seiten die Mund- öffnung umgehend, vor ihr in einem Hirnganglion zusam- menstossen und so einen geschlossenen Mundring bilden; hinten, indem sie am Ende des Darms durch einen Bogen in einander übergehen. 10. Das Gehirnganglion ist von sehr ansehnlicher Grösse, und sendet ausser den langen Fühler- und den ganz kurzen 352 Seh- und Hörnerven auch Muskelneryen und am Hinterrande 2 Fäden für den Oesophagus ab. 11. Von den Schenkeln des Mundringes entspringen eben- falls Muskelnerven. 12. Die Ganglienkörperchen der Bauchstränge sind nicht gruppenweise angehäuft, sondern überall zwischen den Ner- venfasern verbreitet. 13. Die Muskellagen der Leibeswandung sind ansehnlich, und bilden in der Reihenfolge von aussen nach innen 1) zwei dünne Schichten schräger sich kreuzender Muskeln, 2) eine Schicht von Längsmuskeln an der Bauch- und Rückenseite, 3) eine Schicht von Ringmuskeln, welche sowohl das Rückengefäss als die Nervenstränge und die ihnen anliegenden Kanäle über- deckt und so von der Leibeshöhle scheidet, 4) eine mässig breite Binde von Längsmuskeln auf der Bauchseite, in dieser Gegend die innerste Lage. 14. Alle Muskeln zeigen keine Querstreifung und den Schimmer von Sehnen. 15. Ein eigenes, an der Rückenwand durchlöchertes Pe- ritonaeum kleidet die Wand der Leibeshöhle aus und überzieht ihre Eingeweide. 16. Die Leibeshöhle ist weder durch häutige Dissipimente noch durch quer von oben nach unten steigende Muskelbün: del gekammert. 17. Der Darmkanal durchzieht die ganze Länge des Körpers, der Mund liegt an der Bauchseite des Kopftheils, der After zwischen den Füssen des letzten Paares. 18. Der Darm selbst (zugleich dem Magen entsprechend) ist ein gerades, weites, unregelmässig eingeschnürtes Rohr, das den grössten Theil der Leibeshöhle einnimmt, der After- darm gerade, enge und kurz, der ebenfalls enge Oesophagus kurz, aber in eine scharf Sförmige Biegung gelegt und mit starken Vor- und Rückwärtsziehern versehen. 19. Die Muskelschicht des Darms besteht aus einem Gitter von Rings- und Längsfasern; letztere sammeln sich überdies zu zwei linearen seitlichen, durch ihren Schimmer leicht ins Auge fallenden Längszügen. Nach innen von der Muskel- 353 schicht liegt eine ansehnlich dieke drüsige Schicht, und diese wird von einer glashellen Membran ausgekleidet. 20. In der Mundhöhle stecken jederseits 2 dicht neben einander liegende, nur wenn sie sich umstülpt, sichtbare, von oben nach unten gerichtete Kieferhaken, deren Basis sich nach innen in eine beiden gemeinsame hornige Gräthe fort- setzt. Diese Gräthen ragen sanft gebogen in die Leibeshöhle hinein, und werden durch eigene Muskeln regiert. Zwischen den Kieferhaken beider Seiten befindet sich eine mittlere mit Stacheln bewaffnete Längsfalte. 21. Aus der Beschaffenheit der Mundtheile und dem In- halt des Darms lässt sich vermuthen, dass die Peripati von flüssiger Nahrung leben. 22. Gefässartige doch unverzweigte Kanäle sind 3 ermit- telt, einer an der dem Rückengefäss der Insekten entspre- chenden Stelle, und 2 seitliche, jeder nach aussen von dem Nervenstrang seiner Seite über die Basis der Füsse verlau- fend. Letztere besitzen eine dicke Wandung von drüsigem Ansehen, und dürften kaum für Blutgefässe gelten, eher liesse sich dies von dem unpaarigen vermuthen; contrahirte Stellen sind an ihm nicht wahrgenommen. 23. Ausserdem begegnen wir noch an der Basis einiger vor- dern Füsse einzelnen sehr viel dünneren schlingenartig gewun- denen Kanälchen, welche zwischen den grossen Kanälen und den Nervensträngen liegen, und in die Höhlung der Füsse hineinsteigen; ob an den hintern Füssen ähnliche kürzere vorkommen, bedarf noch der Untersuchung. 24. Tracheen sind nicht vorhanden, ebensowenig konn- ten andere Luft aufnehmende Organe oder Kiemen entdeckt werden. 25. Auffallend ist das Vorkommen zarter fetthaltiger Massen von einigermassen drüsigem Aussehen, welche haupt- sächlich um jenes Rückengefäss, aber auch hin und wieder, wie ich später gefunden, an den Ligamenten der Vasa defe- rentia und in der Höhlung der Füsschen vorkommen; ob sie dem Fettkörper der Insekten entsprechen, oder eine andere Bedeutung haben, ist noch zu ermitteln. Miüller's Archiv. 1858, 354 26. Die Peripati gebären lebendige Junge, begatten sieh also innerlich. 27. Sie sind aller Wahrscheinlichkeit nach Zwitter; um hierüber die völlige Gewissheit zu erlangen, muss der Inhalt der für Hoden genommenen Organe frisch untersucht werden. 28. Diese Hoden finden sich bei allen bisher untersuch- ten Individuen und bestehen jederseits aus kleinen Büscheln kürzerer und längerer Blindkanäle, welche in fast gleichen Absätzen hinter einander in ein längs dem Darm kriechen- des Vas deferens münden. 39. Die beiden Vasa deferentia nehmen allmählig an Dicke zu, legen sich vor ihrem Ende in eine lange Sförmige Bie- gung, bekommen zuletzt ein etwas anderes Aussehen (Duc- tus ejaculatorius), und münden jeder ih den Fuss des ersten klauenlosen, zu den Seiten des Mundes sitzenden Paares. 30. Dies am Ende durchbohrte erste Fusspaar übernimmt wahrscheinlich die Rolle einer Ruthe; eine Umstülpung der Ductus ejaculatorii scheint nicht statt zu finden. 31. Die Wandung der Hodenkanälchen sieht ähnlich wie die des Vas deferens und drüsig aus; sie erscheinen sonst gleichmässig, erweitern sich jedoch zuweilen vor der Mün- dung; am Vas deferens bemerkt man stellenweise Einsehnü- rungen; der Duetus ejaeulatorius besitzt eine muskulöse Wan- dung und ist durch Muskelligamente sowohl an den Darm- kanal als an die Leibeswand befestigt, das Vas deferens nur an den Darm. 32. Gleichzeitig mit diesen Organen kommen 2 weibliche vor, einfache Blindkanäle, an denen man Ovarium und Ute- rus unterscheiden kann, vielleicht auch hat das obere Ende des letzteren die Bedeutung eines Oviducts. 33. Die Ovarien liegen dicht neben einander auf dem hintern Ende des Darms, sind von einem gemeinsamen Ueber- zug umgeben und mittelst eines muskulösen Ligaments an die Rückenwand befestigt. 34. Die beiden Uteri (welche als Fortsetzung der Ova- rien erst nach vorn auf dem Darm laufen, dann scharf um- biegen und ihm seitlich anliegend nach hinten gehen), stossen 355 zu einem gemeinsamen kurzen Ausgang zusammen und mün- den an der Bauchseite zwischen den Füssen des vorletzten Paares. 35. Die Jungen durchlaufen keine Metamorphose, besitzen auch bereits die volle Zahl der Fusspaare, so dass das wei- tere Wachsthum nur in der Vergrösserung der einzelnen Seg- mente besteht. 36. Hiernach ist anzunehmen, dass die Zahl der Fuss- paare mit Berücksichtigung geringer Schwankungen als Art- charakter benutzt werden kann. Die Peripati besitzen also im Wesentlichen das, was den Annelidentypus ausmacht, einen weichwandigen segmentirten Körper mit einem deutlichen Kopftheil, und einen doppelten Bauchstrang des Nervensystems mit wiederholten Commissu- ren und einem Mundring. Ihr Kopf trägt Fühler, ihre Seg- mente Bewegungsorgane, aber von anderem Bau als bei den Borstenwürmern; sie dienen zum Kriechen auf dem Boden, ohne gelenkig gegliedert zu sein; auch sind Kieferhaken vorhanden, wie bei vielen Raubanneliden, aber von anderer Stellung. In Betreff der Verdauungs- und Geschlechtsöffnungen nähern sie sich, wenn anders die männlichen Organe richtig aufge- fasst sind, den Hirudineen, unterscheiden sich aber von ihnen durch die nicht gekammerte Leibeshöhle, den nicht regel- mässig eingeschnürten Darm und die Lage der Geschlechts- öffnungen, von denen die männliche doppelt und ganz ans Vorderende gerückt ist, während die weibliche unmittelbar vor dem After mündet, auch gebären sie nur lebendige Junge. Von dem bei den meisten Anneliden so reich entwickelten Gefässsystem sind hier kaum Spuren vorhanden, die Athmung geschieht vielleicht in ähnlicher Weise wie bei den Hirudineen. Jedenfalls also stehen die Peripati höchst eigenthümlich da und verdienen eine den Hirudineen gleiehwerthige Abthei- lung bilden. 23* Erklärung der Abbildungen. Taf. . XI. Fig.1. Peripatus Edwardsii, erwachsen, vom Rücken und etwas von der linken Seite gesehen, 2 mal vergrössert. T. Die Fühler, 0. das Auge der linken Seite, P!. der linke Fuss des Iten Fusspaares, an dessen Spitze statt der Häkchen der an- dern, eine Oeffnung (die Mündung der männlichen Genitalien), P. die übrigen 30 Füsse der linken Seite. Fig.2. Das Thier von ‘der Rückenseite geöffnet, indem der Schnitt etwas links von der Mittellinie geführt ist. Die Vergrösserung 33 fach. c. Das zweilappige Gehirnganglion, i. der Darmkanal, oe. der zum Theil vom Gehirnganglion bedeckte Oesophagus, eine enge Windung beschreibend, er. das hintere Ende des Darmkanals, ?. die männli- chen Genitalien, d, die Ausführungsgänge derselben, /. Fäden, wel- che sie an die Seitenwand des Leibes befestigen, (die linken abge- schnitten), o. die Ovarien, A. der lange ligamentartige Strang, der dieselben an die Rückenwand des Leibes befestigt, o'. die Bileiter, u. der Uterus der linken Seite (der rechte ist grossentheils durch den Darm verdeckt), V. die gemeinsame Mündung der beiden Uteri an der Bauchseite, zwischen den Füssen des vorletzten Paares. Fig.3. Der Kopf eines erwachsenen Peripatus, von der Bauch- seite gesehen, über 5 mal vergrössert, um die Mundtheile zu zeigen. Am vordern Rande des etwas vorgestülpten Pharynx sind jederseits die beiden schwarzen hakenförmigen Kiefer sichtbar, zwischen ihnen ein schmaler mit einer Längsreihe kleiner Spitzen besetzter Wulst; die Pharynxöffnung selbst umgiebt ein ringförmiger durch strahlig von ihr ausgehende Furchen in Felder getheilter Wulst. P!. Das erste, klauenlose Fusspaar. Fig. 3a. Die beiden Kiefer der linken Seite kk und der zwi- schen ihnen und denen der rechten Seite liegende schmale Wulst, k', dessen Rand mit einer Reihe Stacheln besetzt ist, stärker vergrössert. Fig. 4. Das Hinterende des Körpers, ebenso vergrössert, von der Bauchseite gesehen, V. die weibliche Genitalöffnung, A. der After. Fig.5. Der Kopf von einem ziemlich weit vorgeschrittenen Em- bryo, dessen Füsschen zwar schon in voller Zahl vorhanden, aber noch ohne Klauen sind, $mal vergrössert, von der Bauchseite, um die Mundtheile zu zeigen; der ringförmige Lippenwulst des Pharynx ist noch nieht durehfurcht und ausser den Kiefern noch eine untere Horn- platte mit dreizackigem Aussenrande vorhanden. Fig.6 u. 7. Ein einzelnes Füsschen vergrössert, Fig. 6 von der vordern Seite, Fig. 7 von der Bauchfläche. 357 C'. Die 4 queren Schwielen, welche gegen das Ende des Fusses hin an der Bauchseite auftreten, F. die Furche an der Basis des Fusses, U. die dünne zarthäutige Fussspitze, an deren zweilappig verbrei- tertem Ende die beiden Häkchen sitzen. Fig.8 u. 9. Durchschnitte eines Füsschens. Fig. 8 der Länge nach, Fig. 9 der Quere nach. p'. Die Höhle in der Basis desselben, m. die Muskelstränge, welche von dem Umfang des Füsschens nach der Mitte laufen und sich zu einem bis zur Spitze desselben gehenden mittleren Strang m! ver- einen, m. zellig durchsetzte Muskeln, welche den übrigen Raum des Füsschens erfüllen. Fig.10. Einzelne Wärzchen der Haut stark vergrössert. s. Der Stachel, der aus der Spitze der grösseren hervortritt. Fig. 10«. Lappen der das Corium überziehenden Epidermis stärker vergrössert. Fig.11. Ein stark vergrössertes Stück des Rückengefässes, mit den anhängenden Fett- oder Drüsenklümpchen, zum Theil aufgeschnit- ten, um die das Lumen auskleidende zarte Membran zu zeigen, w'. die Membran, v. die quergestreifte Wandung selbst. Fig.12. Ein Stück der Bauchwandung stark vergrössert. n. Der Nervenstrang der rechten Seite, n*. die nach innen, n°. die nach aussen austretenden Nerven, vl. der rechte Seitenkanal, zw. die Membran, welche Nervenstrang und Seitenkanal trennt, und letztern auch von oben und unten her zu umhüllen scheint, g.- Oefinungen, welche in die Höhle der Füsschen führen, m®. Schicht der Quer- muskeln, die den Nervenstrang und das Seitengefäss überbrücken; die vordere Partie derselben ist durchschnitten und zurückgelegt, um beide sehen zu lassen. Taf. X. Fig. 13. Der Vordertheil des Körpers, von der Rückenseite auf- geschnitten, vergrössert. c. Hirnganglion, o'. Sehnerv, n" Fühlernerv, n*. Muskelnerven, oe. Oesophagus, hier in die Länge gestreckt, i. der darauf folgende zweite Theil des Darmkanals, m°. Protractoren, m’. Retractoren des Oesophagus, m®. Längsmuskelbündel des Rückens, welches unter das Hirnganglion tritt, m’, m’, a,d, wie in Fig. 14. Fig. 14. Der Vordertheil des Körpers von der Rückenseite auf- geschnitten, vergrössert, der Schnitt links von der Mittellinie geführt, der Darmkanal herausgenommen. ec, Hirnganglion, 0. Sehnerv und Auge, n!. Fühlernerven, n*. Ner- ven zu den Muskeln, n’. Nerven zum Oesophagus, n*, Schenkel des Mundringes, n. Bauchnervenstränge, n*. Nerven, die nach innen aus ihnen hervortreten und (vermuthlich alle) zu ihrer Verbindung 358 dienen, »°. Nerven, die nach aussen hervortreten, oe. Oesophagus hinten abgeschnitten, dd. Ausführungsgänge der männlichen Genita- lien, «. die beiden linearen hornigen Bogenstücke, welche hinter den Kiefern entspringen und frei in die Leibeshöhle hineinragen, m, Muskeln, welche von der Seitenwand des Leibes kommen, sich an sie anheften und zum Verflachen und Zurückziehen derselben dienen, m®. Quermuskelschicht der Bauchwandung, m*. schmale Längsmuskelschicht der Bauchseite, noch über (d. h. nach innen von) der Quermuskelschicht gelagert, v!. die beiden Seitenkanäle, welche wie die Bauchstränge von der Quermuskelschicht überdeckt sind, hier aber nach der Wegnahme der betreffenden Partie derselben zu Tage liegen, w. feine geschlängelte Kanäle, welche im vordersten Theil des Körpers vom 4ten bis 6ten klauentragenden Fusspaar zwischen dem Nervenstrang und Seitenkanal vorkommen (auf der linken Seite sind sie fortgenommen), vd. das Rückengefäss, in seiner normalen Lage ebenfalls von der Quermuskelschicht überdeckt. Fig. 15. Hirnganglion und vordere Partie des Nervenmundringes nach Durchschneidung der nach aussen tretenden Nerven, aufgehoben und nach hinten übergeschlagen, so dass man das Hirmganglion vorn von der vordern und etwas von der obern Fläche (c), hinten aber von der Unterfläche (ec, ce) sieht. a. Die Organe vorn am untern Rande des Hirnganglions, welche ich für die Gehörorgane halte, o. die Augen, n'. Fühlernerven, n#. die Schenkel des Mundringes, n*. die Verbindungsnerven zwischen der hintern Partie der Ringschenkel und zwischen den Bauchnerven- strängen, n°. Nerven, die nach aussen zu den Muskeln treten. — Die beiden kleinen Nebenfiguren zeigen das Organ « von oben und seitlich gesehen. Fig 16. Ein Stück des Seitenkanals vo! von innen betrachtet, um die körnig zellige Masse zu zeigen, die das Innere auskleidet, die hel- lere Stelle entspricht einem der seitlichen Ränder des Kanals, die dun- kelste dem obern und untern Mitteltheil. 3 Fig. 17. Ein Stück der Darmwandung von der Innenseite be- trachtet, stark vergrössert. m‘. die Längs- und Quermuskeln der Wandung, m; der dünne aber starke Zug der Längsmuskeln an der rechten und linken Seite des Darms, welcher quergehende Fäden zu den männlichen Genitalien schickt, gl. die starke drüsige Mittelschicht, e. die innerste Membran. Fig. 18. Ein Stück des linken Bauchnervenstranges, stark ver- grössert. n°. Austretende Nerven des Aussenrandes, v. Neurilem, n. Nerven- strang selbst aus doppelter Masse bestehend: man erkennt eine fas- rige Masse, die am deutlichsten und parallelfaserig in den austre- tenden Nerven erscheint, unregelmässige Wellenlinien 'bildend im 359 Nervenstrang selbst, und eine körnige Ganglienmasse (Ganglienkör- perchen), welche, ohne sich in bestimmte Gruppen zu sammeln, um und zwischen der fasrigen liegt, und jene so verdeckt, dass man sie nur beim Zerspalten und Zerren des Stranges wahrnimmt. Fig. 19. Querdurchschnitt aus dem hintern Drittheil des Körpers. ©. Corium des Körpers überzogen, E. Epidermis, m'. die aus schrä- gen Fasern gewebte dicht darunter liegende Muskelschicht, m?. Längs- muskelschicht, m’. Quermuskelschicht, m*. schmale Längsmuskel- schicht der Bauchseite, über der Quermuskelschicht, v4. Rückenge- fäss mit dem drüsigen Fettgewebe in einer Lücke zwischen der Längs- und Quermuskelschicht des Kückens, v/. Seitenkanäle, n. Ner- venstränge, beide in einer Lücke zwischen der äussern Längs- und Quermuskelschicht der Bauchseite, «. die Membran zwischen dem Seitenkanal und Nervenstrang jeder Seite, #. Darmkanal, t. männliche Genitalien, w. Uteri, x. die geschlängelten Kanälchen zwischen Sei- tenkanal und Nervenstrang, die in den Fuss dringen, Fig. 20. Eine Partie von dem Muskelgewebe, welches das Rük- kengefäss von der Leibeshöhle trennt, von der oberen d. h. dem Ge- fäss zugekehrten Seite. Man sieht ausser den Muskelbündeln, welche stellenweise aus einander weichen, noch eine zarte Membran, mit mehr oder weniger ovalen Lücken von ungleicher Grösse, sie liegt'an der dem Rückengefäss zugewendeten Fläche; an dieser Membran wie am Rückengefäss selbst haften die drüsigen Fettgebilde, vgl. Fig. 11. Fig.20a. Eine dieser drüsigen Massen noch stärker vergrössert. Fig. 21. Die Ovarien mit einem Theil des Stranges, der sie an die Rückenwand des Leibes befestigt (vgl. Taf IX. Fig. 22). ). der Strang, o. die Theile, die ich für die Ovarien halte, nach der Zerreissung des beide gemeinsam umschliessenden Ueberzuges, als zwei Blindröhren erscheinend, £{'. taschenartige Anhänge an ihrem unteren Ende oder dem oberen der Eileiter w. Fig. 22. Die weiblichen Genitalien vollständig. 0,4, 0, &,{', wie in der vorigen Figur, u. die beiden Uteri, jedet 3 Embryonen enthaltend, deren Begrenzung die Einschnürungen an- zeigen, er. das hinterste Ende des Afterdarms, den ein Ligament an die Bauchwandung heftet, zwischen den beiden Uteri gelegen und die gemeinsame Mündung derselben verdeckend, n. die Umbie- gung der Nervenstämme, durch welche beide hinten in einander übergehen. Fig. 23. Eine Partie der Organe, welche ich für die männlichen Genitalien halte, vergrössert, t. die Quasten von Blindröhren (Hoden), t!, der Samenleiter, in welchen sie münden, !’. die kurzen Fäden, walche dieselben absatzweise an den Darm befestigen. Die Buchsta- ben der Figuren haben durchgehend folgende Bedeutungen : A. Alteröffnung, a. Gehörorgan, «. die hornigen Bügel der Kiefer, 360 €. Corium, C'. die Fussschwielen, ce. Hirnganglion, er. Afterdarm, d. Ausführungsgänge der männlichen Genitalien, E. Epidermis, e. die innerste Membran des Darmrohrs, F. Bauchfurche der Füsschen, g. drüsige Schicht des Darms zwischen der Muskelwandung und der innersten Membran, i. der eigentliche Darm, k. Kiefer, k'. die stachelrandige Längsfalte zwischen den beiden Kiefern der rechten und der linken Seite, /. Ligamente zur Befestigung der Ausführungs- gänge der Hoden, d. an die seitliche Leibeswandung, !’. Fäden zur Befestigung des Samenleiters an den Darm, A. langes Ligament für Befestigung der Oyarien an die Rückenwandung, m!'. Schicht der schrägen Muskeln der Leibeswand, m”. die zunächst darunter lie- gende Längsmuskelschicht, m®. die unter dieser befindliche Quer- muskelschicht, m*. die innerste schmale Längsmuskelschiebt der Bauchseite, m’. Muskeln des hornigen Bügels des Pharynx, m®. Pro- tractoren des Oesophagus, m’. Retractoren desselben, m! Längs- und Quermuskeln der Darmwandung, m; Zug von Längsmuskeln an jeder Seite des Darms, u. Membran zwischen Nervenstrang und Seitengefäss, «'. innere Membran des Rückengefässes, n. Nervenstränge, n®. Bo- gen, durch welchen sie am Hinterende des Körpers in einander über- gehen, n*. Schenkel des Mundringes, n'‘. Fühlernerven, n?. Nerven des Hirnganglions für die benachbarten Muskeln, n?. Nerven des- selben zum Oesophagus, n*. Nerven des Mundringes und der Bauch- stränge, die nach innen austreten, n°. Nerven derselben, die nach aussen und zum Theil in die Füsschen gehen, ». Neurilem, ©. Au- gen, o'. Augennerven, oe. Oesophagus, o. Ovarien, ww. Oviducte, P. Füsschen, t. Hoden, t!.-Samenleiter, «. Uteri, v4. Rückengefäss, vl. Seitengefässe, v!. die quergestreifte Wandung des Rückengefässes, £". taschenartige Erweiterungen der Oviducte, x. schlingenartig ge- wundene Kanäle zwisehen Nervenstrang und Seitengefäss, welche in die Füsschen hineinragen, y. Oeffnungen, zwischen dem Nerven- strang und dem Seitengefass jeder Seite, welche in die Höhle der * Füsschen führen. 36l Ueber die Larve des Echinus brevispinosus. Von Dr. A. Kronn. (Hierzu Taf. XI.) In einem Briefe aus Messina (s. dies. Arch. 1852. p. 137), theilte ich Herrn Prof. J. Müller mit, dass es mir gelungen sei, die künstliche Befruchtung bei Echinus brevispinosus aus- zuführen, wonach sich herausgestellt habe, dass die Larven dieser Species vollkommen identisch seien mit einer Seeigel- larve, welche J. Müller in seiner vierten Abhandlung über die Entwickelung und Metamorphose der Echinodermen (p. 26. Taf. VIII. Fig. 1—8) beschrieben hat. Ich bemerkte zugleich, dass meine Larvenzucht es nicht weiter als bis zur Entwicke- lung der vier ersten Fortsätze gebracht. Was ich damals nur kurz berühren konnte, soll hier weiter ausgeführt werden. Vor Ablauf des dritten Tages nach der Befruchtung hat- ten sich die Larven so weit entwickelt, dass einige den jüng- sten von J. Müller ir den Figuren 1 und 2 abgebildeten Formen entsprachen, andere, weiter vorgeschritten, das in den Figuren 3 und 4 abgebildete Stadium erreicht hatten. Die in der ersten Figur der beifolgenden Zeichnungen dar- gestellte Larve ist vom 4ten Tage. Man sieht im Scheitel den von J. Müller erwähnten Kalkrahmen, der jedoch an der Rückseite durch eine Lücke unterbrochen ist. Ein so regelmässiger, allseitig geschlossener Rahmen, wie in den Figuren 5—8 Müller’s, kommt nur selten zu Stande. Die zweite Figur der beifolgenden Skizzen zeigt eine Larve vom Tten Tage. Es genüge anzuführen, dass die Entwickelung 362 bis zum 22ten Tage fortschritt, ohne dass jedoch die Larven völlig das spätere der von J. Müller erwähnten Stadien erreichten. Nach einem zweiten Befruchtungsversuche ver- hielt es sich selbst noch am 40ten Tage, mit Ausnahme we- niger Larven, nicht anders“). Als weitere Entwickelungsformen lassen sich mit gleichem Recht zwei einander überaus ähnliche Larvenarten beanspru- chen, die bis zur Vollzahl der Fortsätze häufig im Meere vorkamen. Sie unterscheiden sich hauptsächlich nur durch die abweichende Beschaffenheit der Kalkstäbe in den dorsalen Seitenfortsätzen, während das Kalkgerüst sonst völlig über- einstimmt. Bei der einen Art sind diese Stäbe einfach, bei der andern gegittert. Welche dieser Arten dem Echinus brevi- spinosus angehört, das wird sich natürlich nur dann entschei- den lassen, wenn es glücken sollte, die durch künstliche Befruchtung gewonnenen Larven bis zum Erscheinen der er- wähnten Seitenfortsätze aufzuziehen. Die successiven Formumwandlungen beider Larvenarten ersieht man aus den Figuren 3, 5, 6, 7, obwohl diese Fi- guren sich auf die Art beziehen, deren dorsale Seitenfortsätze von einfachen Stäben gestützt werden. Mit dem Heranwach- sen sämmtlicher Fortsätze wird der Leib verhältnissmässig kürzer, es verflacht sich der früher kuppelartig gewölbte Scheitel und sinkt zuletzt ein. Der Schirm oder die Markise, längs deren Rande der hintere transversale Zug der Wimper- schnur hinläuft, erhebt sich nach und nach in einen dem Stege einer Geige zu vergleichenden‘ Vorsprung (s. Fig. 5, 6, 7, e). Ein ganz ähnlicher Vorsprung erscheint später auch auf der Rückseite, hinter dem Mundgestell (s. Fig. 7%). Auf diesen Vorsprung wird der Theil der Wimperschnur, der von den dorsalen Seitenfortsätzen auf das Mundgestell übergeht, mit ausgezogen. Bemerkenswerth ist noch, dass jede der *) Eine neuerlich von J. Müller beschriebene noch unausgebildete Larve (s. dessen ausgezeichnete 6te Abhandl.: über den allgemeinen Plan in der Entwickelung der Echinodermen, p. 35. Taf. VIII. Fig. 3—5) stimmt so sehr mit den Larven des Echin. brevispinos. überein, dass mir ihre Abkunft von dieser Species nicht zweifelhaft scheint. 363 beiden einander gegenüber gelegenen Stellen des Leibes, an welchen die hintere Umbiegung der Wimperschnur von der Rückseite zur Bauchseite statt hat, in einen Fortsatz aus- wächst, der den bisher bekannt gewordenen Seeigellarven ganz abgeht, aber mehr oder minder stark entwickelt bei allen übrigen Echinodermenlarven sich vorfindet (s. J. Müller in der 6. Abhdl. S. 21). Es sind dies die beiden Fortsätze, wel- che J. Müller als Aurieularfortsätze unterschieden hat. Man sieht sie in den beiden letzten Figuren der vorliegenden Zeich- nungen. Das Kalkgerüst erleidet im Fortschritt der Ent- wickelung ebenfalls einige Veränderungen. Der mehr oder minder vollständig geschlossene Kalkrahmen im Scheitel geht ganz ein. An seiner Stelle erscheint ein starker, häufig in zwei abgesonderte Stücke zerfallener Querbalken, dessen beide Enden in zwei divergirende Zacken auslaufen (s. Fig. 69). Ganz zuletzt erst erhält jede der beiden Larvenarten noch Wimperepauletten. Indess habe ich diese Gebilde nicht eher als bei schon anfangender Verkümmerung der Larven, also bei weit vorgeschrittener Seeigelanlage, angetroffen. Es möchte selbst zweifelhaft sein, ob sie die obige Bezeichnung mit Recht verdienen. Bei den bisher bekannten Seeigellarven sind nämlich die Wimperepauletten ganz selbstständige Bil- dungen, die schon viel früher, bei den Larven des Echin. lieidus, nach Müller’s Beobachtungen, lange vor der völli- gen Ausbildung der dorsalen Seitenfortsätze erscheinen. Bei den beiden in Rede stehenden Larvenarten scheinen dagegen die Wimperepauletten nicht neu hinzugekommene Theile, sondern blos stärker entwickelte Parthieen der bestehenden Wimperschnur zu sein. Die jungen freigewordenen Seeigel der beiden Larvenarten stimmen ganz mit einander überein. Von dem jungen Echin. lieidus gleichen Alters, dem sie in Bezug anf Zahl und Dispo- sition der Füsschen und Stacheln vollkommen gleichen, un- terscheiden sie sich nur durch ihre gestielten Pedicillarien. Der Stiel der Pedicellarien enthält einen durchbrochenen Kalkstab. 364 Erklärung der Figuren. Fig. 1. Larve des Echin brevispinosus vom 4ten Tage nach der Befruchtung. Ansicht von der Rückseite. Vergröss. 120. a,a. Ventrale Fortsätze, b,b. hervorwachsende Fortsätze des Mund- gestells (dorsale Fortsätze). Fig. 2. Larve des Echin. brevispinosus vom Tten Tage nach der Befruchtung. Ansicht von der Ventralseite. Vergröss. 120. Bezeich- nung wie in Fig. 1. Fig. 3. Sporadische Larve mit einfachen Kalkstäben in den dor- salen Seitenfortsätzen. Ansicht von der Rückseite. Vergröss. 60. a,a. b,b. wie in Fig. 2, c,c. Anlagen der Nebenfortsätze des Mund- gestells, d,d. im Wachsen begriffene dorsale Seitenfortsätze. Fig.4. Kalkgerüst einer Larve derselben Art und gleichen Al- ters, ungefähr wie Fig. 3. Vergröss. 120. a,a. Gitterstäbe der ventralen Fortsätze, b,b. untere Stäbe des Lei- bes, ce,c. obere Stäbe des Leibes, d,d. Stäbe der Fortsätze des Mundgestells; e. Kalkbogen, dessen Sehenkel in die Nebenfortsätze des Mundgestells reichen, f,/. Querstäbe des Leibes, 9,g. Stäbe der dorsalen Seitenarme. Fig.5. Etwas weiter entwickelte Larve derselben Art. Von der Bauchseite. Vergröss. 60. aa,bb,cc,dd, wie in Fig. 3. — e stegartiger Vorsprung des Schirms oder der Markise. Fig.6. Larve derselben Art in vollendeter Gestalt. Von der Bauchseite. aa,bb,ce,dd, e wie in Fig. 3 u. 5. — ff Auricularfortsätze 9 Querbalken im Scheitel, hier in 2 Stücke zerfallen. Fig. 7. Eine andere ausgebildete Larve in seitlicher Stellung. Bezeichnung wie Fig. 6. — h. stegartiger Vorsprung der Rückseite*). *) Die beiden letzten Figuren verdanke ich meinem Freunde Hrn. Dr. C. Gegenbaur aus Würzburg, der sie mir mit der Erlaubniss, sie benutzen zu dürfen, gütigst cedirt hat. 2 = 1 Das aufrechte Gehen. (Zweiter Beitrag zur Mechanik des menschlichen Knochengerüstes). Von Prof. HERMANN MEYER in Zürich. Nachaem ich in dem ersten Beitrage das ruhende Knochen- gerüste in dem aufrechten Stehen untersucht habe, wende ich mich in diesem Aufsatze zu der Untersuchung des Knochen- gerüstes in der Bewegung. Ich werde auch in dieser Unter- suchung den Grundsatz befolgen, diejenigen Bewegungen oder Stellungen als typisch anzusehen, bei welchen möglichst we- nig Muskelthätigkeit erkennbar und möglichst viel dem Me- chanismus des Knochengerüstes selbst überlassen ist. Ich beginne mit der Untersuchung des aufrechten Ganges, weil sich diese am natürliehsten an die frühere Untersuchung anreiht; und zwar wähle ich zunächst für diese Abhandlung den geraden Gang mit steifen Knieen und möglichst auf- rechter Haltung des Rumpfes; in der folgenden werde ich den gewöhnlichen Gang untersuchen, bei welchem die Bie- gung des Knies eine besondere Wichtigkeit erhält. Es dürfte fast als ein überflüssiges Beginnen erscheinen, nach der bekannten Arbeit der Gebrüder Weber diesen Ge- genstand noch einmal zur Sprache zu bringen. Meine Recht- fertigung dafür liegt aber darin, dass dieselben viel zu aus- schliesslich nur mit der Profilprojeetion gearbeitet haben und dass ihnen deswegen manche für das Gehen wichtige Mo- mente entgehen mussten. Ich stelle mir in dieser Skizze die Aufgabe, durch Berücksichtigung aller drei Projektionen 366 Ergänzungen zu den Weber’schen Sätzen zu liefern, welche als die Grundlage gegenwärtiger Arbeit ich als bekannt vor- aussetze. , Ehe ich näher auf mein Thema eingehe, finde ich es nöthig, mehrere häufig gebrauchte Ausdrücke zu erklären, damit deutlich ist, was ich darunter verstehe: Entfernung zweier Punkte ist die Länge der sie verbin- denden geraden Linie. Abstand zweier Punkte mit näherer Bezeichnung einer gewissen Projeetion ist die Länge der geraden Linie, welche die Projeetionen der Punkte auf die angedeutete Ebene verbindet; es giebt deshalb einen Abstand in der horizontalen Projecetion, in der Profilprojeetion und in der Querprojeetion; — Ausdrücke wie: horizontaler Ab- stand in der Profilprojeetion, oder kürzer: horizontaler Profilabstand — erklären sich nach diesem leicht. Horizontale Projection ist nach dem allgemeinen Sprachgebrauche die Projection auf eine horizontale Ebene. Querprojeetion ist die Projeetion auf die senkrechte Ebene, welche symmetrischen Theilen des Körpers pa- rallel liegt. Profilprojeetion ist die Projeetion auf die senkrechte Ebene, welche der Mittelebene parallel liegt. Rotation nach innen und Rotation nach aussen werden in dem gewöhnlichen Sinne gebraucht, dagegen bezeichnen die Ausdrücke Rotation nach einwärts und Rotation nach aus- wärts solche Rotationen, durch welche ein bezeichneter Theil wirklich nach einwärts oder nach auswärts geführt wird, so wird z. B. durch die Rotationen nach innen des Oberschenkels die Ferse auswärts rotirt. Das Stehen auf eimem Beine. Stehen wir nur auf einem Beine, so ist es unabweislich nothwendig, dass der Schwerpunkt des Körpers durch den Fuss desselben Beines unterstützt werde. Nun fällt aber bei 367 dem Stehen auf beiden Beinen die Schwerlinie zwischen bei- den Beinen herab und ist daher gegen jedes Bein nach innen gelegen. Es ist deshalb nothwendig, dass in dem Augen- blicke, in welehem wir aus der aufrechten Stellung auf bei- den Beinen in die Stellung auf ein einzelnes Bein mit mög- lichster Beibehaltung der aufrechten Haltung übergehen, eine Correetion in der Stellung des Rumpfes gegeben werde, wel- che die Lage des Schwerpunktes so ändert, dass die Schwer- linie in den ruhenden Fuss fällt. — Von den vielen Arten der Correetion, welche durch Veränderung der Gestalt des Rum- pfes, Ausstreeken eines Armes ete. möglich sind, kann ich hier nicht reden, weil sie alle durch zu viele Muskelthätig- keiten zu Stande kommen. Ich wähle dagegen als typisch folgende zwei Formen, welche mit möglichst geringer Mus- kelthätigkeit und möglichst wenig Veränderung in der Gestalt des Knochengerüstes verbunden sind, und welche. beim auf- rechten Gange mit steifen Knieen in Anwendung kommen, entweder die einzelnen rein oder beide eombinirt, — es sind die beiden Correctionen 1) durch Seitwärtsbeugen des Rumpfes im Hüftgelenke, 2) durch Beugung (Dorsalflexion) des Fussgelenkes. Bei der Correetion dureh Seitwärtsneigung des Rumpfes im Hüftgelenke bleibt das ruhende Bein unverän- dert stehen und durch die Wirkung der Abductoren des Ober- schenkels wird der obere Theil des Beckens und mit ihm der ganze Rumpf durch Seitwärts-Rotation auf dem Schenkel- kopfe nach aussen geführt. — Führe ich diese Bewegung aus, so bewegt sich der Scheitel in der horizontaten Projeetion um 21 Cm. seitwärts. Den Abstand des Scheitels von dem Mittelpunkte der Hüftpfanne finde ich nun (soweit sich die Lage des letzteren genau schätzen lässt) 81 Cm‘, und da nach Messungen an einer Reihe von männlichen Becken die Ent- fernung beider Pfannenmittelpunkte von einander im Mittel 17,2 Cm. beträgt, so folgt, dass dieser Seitwärtsbewegung des Scheitels eine Winkeldrehung von 14° 54° entspricht, wel- che durch den in sich unveränderten Rumpf auf dem Schen- kelkopfe ausgeführt worden ist. 368 Nehme ich nun nach den bekannten Bestimmungen der Gebrüder Weber den Schwerpunkt auf der Höhe des unteren Endes des Brustbeines an, und bestimme dessen Abstand in der Querprojeetion von dem Mittelpunkt der Hüftpfanne, so finde ich denselben 36 Cm. — In der Querprojeetion liegt aber die Pfanne beinahe vertical über dem Fussgelenk, so dass man für die Berechnung annehmen kann, dass zur Aequilibrirung der Schwerpunkt um die halbe Entfernung der Pfannenmittelpunkte von einander seitwärts bewegt werden muss, also um 8,6 Cm. — Berechne ich dann mit Benutzung dieser Werthe die Winkeldrehung, welche der Schwerpunkt für diesen Zweck erfahren muss, so finde ich, dass dieselbe 13049 beträgt. Dieser Werth steht dem vorhergefundenen von 14°54° sehr nahe und man ersieht daraus, wie der un- bewusste Zweck, durch die Seitwärtsneigung des Rumpfes den Schwerpunkt über das unterstützende Fussgelenke zu bringen, vollständig erreicht wird. Aber es findet sich doch immer noch ein Unterschied von 1° 5° zwischen beiden Wer- then, welcher bedeutend genug ist, dass man für denselben eine Erklärung suchen darf, und diese findet sich in dem Folgenden: es ist nämlich bei der zweiten Berechnung allein Rücksicht auf den Rumpf genommen worden und nicht auch auf das schwebende Bein; da dieses aber durch seine Ver- bindung mit dem Rumpfe dessen Schwerpunkt mehr nach seiner Seite und nach unten verlegen muss, so ist es deut- lich, dass die zur Erzeugung der Gleichgewichtslage nothwen- dige Winkeldrehung bedeutender sein muss, als wenn es sich nur um den Schwerpunkt des Rumpfes handelt. — Welche Bedeutung das schwebende Bein in dieser Beziehung gewinnt, tritt besonders deutlich aus dem Einflusse hervor, welchen die Stellung desselben auf die Stärke der Winkeldrehung bei der Aequilibrirung äussert. Jenes Maass, nach welchem die quere Verschiebung des Scheitels 21 Cm. und die Winkeldrehung somit 14°54° betrug, war gewonnen bei einer solchen Be- wegung des Rumpfes, bei welcher das schwebende Bein stets senkrecht herabhing, somit den geringsten Einfluss auf Ver- legung des Schwerpunktes üben musste; wenn ich dagegen 369 den gleichen Versuch wiederholte und dabei das schwebende Bein so weit als möglich seitwärts ausstreckte, so kam ich erst bei einer seitwärtsen Verschiebung des Scheitels von 26 Cm. in die ruhige Gleichgewichtslage; und diese Bewegung entspricht einer Winkeldrehung von 19° 14‘. — Es wird hier- durch deutlich, dass jene Differenz der beobachteten von der berechneten Winkeldrehung aus der Nichtbeachtung des Ein- flusses zu erklären ist, welchen das schwebende Bein auf die Lage des Schwerpunktes äussert. Bei der Correetion durch Dorsalflexion des Fuss- gelenkes bleibt der Fuss ruhig auf dem Boden und das zum Stehen verwendete Bein neigt sich nach vorwärts in der Flexionsebene der Astragalus. Da aber die Richtung dieser Ebene nach vornen und auswärts ist, so wird durch die Beu- gung in diesem Gelenke der Körper auf dem unterstützenden Beine nach vornen und aussen geführt. Das Element „nach vornen“ in dieser Bewegung ‘gewährt uns hier weniger In- teresse; es genügt uns zu wissen, dass in demselben die horizontale Vorwärtsbewegung des Trochanter 5—6 Cm. be- trägt, dass sie also noch nicht hinreicht, den Körper seine Stütze auf der ganzen Fusssohle verlieren zu machen (vgl. später das Stehen auf den Zehen). Dagegen haben wir das zweite Element dieser Bewegung, nämlich das Element „nach aussen“, zu untersuchen. Führte ich die bezeichnete Bewegung ohne Veränderung der Lage des Rumpfes gegen den Oberschenkel und ohne Gestaltveränderung in dem Rumpfe selbst aus, so wurde durch diese der Trochanter um 7,5 Cm. in der Horizontalpro- jeetion quer nach aussen geführt. Da nun beim aufrechten Stehen der Trochanter in der Querprojection einen direeten Abstand von 81 Cm. von der Mitte des Astragalus hat, und von demselben Punkte einen horizontalen Querabstand von 10 Cm., so weist die angegebene Seitwärtsbewegung desselben um 7,5 Cm. auf eine Winkeldrehung in querer Richtung von 5°24 hin. Vergleiche ich wieder diesen Werth mit dem entsprechen- den Werthe, welchen die theoretische Untersuchung giebt, s0 Müllers Archiv. 1853 24 370 finde ich Folgendes: die Höhe des Promontoriums über der Verbindungslinie beider Pfannenmittelpunkte beträgt nach mehreren Messungen an richtig gestellten männlichen Becken im Mittel 8,6 Cm.; mit Hülfe dieses Maasses kann man seine Lage in der Querprojection am Körper ziemlich genau be- stimmen und dann seinen Abstand in dieser Projeetion von der Mitte des Astragalus messen. Dieses Maass giebt 90 Cm.; nach dem früher Gesagten bedarf aber der Schwerpunkt einer Bewegung in querer Richtung von 8,6 Cm., um beim Stehen auf einem Beine wieder seine Unterstützung zu finden. Berechne ich nun, wie viel Winkeldrehung in querer Rich- tung nothwendig ist, um dem den Schwerpunkt enthaltenden Promontorium die bezeichnete Bewegung nach seitwärts zu geben, so finde ich 5°14‘. — Dieser Werth ist dem vorher aus der Messung berechneten Werthe von 5° 24° überraschend nah, und es wird damit der Beweis geliefert, dass jene Be- wegung im Fussgelenke wirklich genau ihrem unbewussten Zwecke, den Schwerpunkt zu unterstützen, entspricht. Das Stehen auf den Zehen. Wenn wir auf den Zehen stehen, so ist die Fläche aller Zehen Unterstützungsmittel des Rumpfes auf dem Boden; die Schwerlinie muss demnach in den von den Zehen bedeckten Theil des Bodens fallen, wenn das Stehen auf einem Beine statt findet, oder in den Raum zwischen Zehen beider Füsse, wenn das Stehen auf zwei Beinen stattfindet. Natürlich kann auch bei dem Stehen auf den Zehen die verschiedenste Haltung des Rumpfes möglich sein, und es wäre eine eben so unnütze als undankbare Arbeit, alle diese Möglichkeiten zu untersuchen; ich beschränke mich daher darauf, nur die zwei Arten dieses Stehens zu untersuchen, welche durch möglichst wenige durch den Bau des Knochen- gerüstes nothwendig bedingte Muskelthätigkeit aus dem auf- rechten Stehen auf den ganzen Sohlen erzeugt werden, und welche beide auch bei dem aufrechten Gange nothwendig Anwendung finden. Damit wir uns aus dem aufrechten Stehen auf den ganzen 37l Sohlen in die Stellung auf den Zehen erheben können, ist nur die eine Bedingung zu erfüllen, dass nämlich der Schwer- punkt des ganzen Körpers soweit nach vornen gebracht wird, dass seine Schwerlinie vor dem Mittelpunkte des Metatar- susköpfchens I oder der Verbindungslinie dieser Mittelpunkte der rechten und linken Seite herabfällt; denn es ist nothwen- dig, dass zur Erzeugung dieser Stellung die Ferse vom Boden gehoben werde; so lange aber die Schwerlinie noch hinter den Mittelpunkt des Metatarsusköpfehens I fällt, bleibt die Ferse noch belastet, kann sich deshalb nicht vom Boden er- heben, — und wenn die Schwerlinie gerade auf den Mittel- punkt des Metatarsusköpfchens I fällt, so ist die Ferse zwar nieht mehr belastet, aber es ist auch keine Ursache für ihre Erhebung da, — erst wenn die Schwerlinie vor den Mittel- punkt des Metatarsusköpfchens I fällt, erhält dieselbe einen vorderen Hebelarm, durch dessen Hinunterdrücken um das Hypomochlion jenes Mittelpunktes die Ferse gehoben wird. Von den verschiedenen Arten, wie diese Lagenveränderung erzielt werden kann, führe ich als die wichtigsten folgende an: 1) durch Vorwärtskrümmung des Rumpfes in sich oder durch Vorwärtsneigung desselben auf der Drehaxe beider Hüftgelenke wird der gemeinschaftliche Schwerpunkt inner- halb des Körpers weiter nach vornen verlegt; 2) durch eine Beugung des Knies mit oder ohne compen- sirende Flexion des Hüftgelenkes (aber ohne Veränderung im Fussgelenk) wird der gemeinschaftliche Schwerpunkt nach vor- nen bewegt, bei compensirender Flexion des Hüftgelenkes dabei auch etwas nach vornen verlegt; 3) durch Beugung oder Sireeckung im Fussgelenke wird der gemeinschaftliche Schwerpunkt mit beinahe unveränderter Lage innerhalb des Körpers nach vornen bewegt. Nur die unter 3. genannten beiden Arten und die Art, wie sie das Erheben auf die Zehen bewirken, sind hier zu unter- suchen, weil sie mit der geringsten Muskelthätigkeit zu Stande kommen, und an ihnen die beiden typischen Formen des Verhaltens des Fussgelenkes gezeigt werden können; — bei den unter 1. und 2. genannten Arten der Bewegung bleibt, 24* 372 wenn sie rein ausgeführt werden, das Fussgelenk im Wesent- lichen vollkommen unverändert. Erhebung auf die Zehen durch Beugung (Dorsal- flexion) des Fussgelenkes. — In der aufrechten Stellung auf beiden Sohlen beträgt die Neigung der Tibiaaxe und somit auch der ganzen Beinaxe gegen den Horizont ungefähr 36, (vgl. erster Beitrag ete. S. 28); beugen wir nun die ganzen Beine mit dem ganzen Rumpfe als ein in sich unbewegliches Ganze nach vornen gegen den Fuss, so finden wir, dass bei einer Vorwärtsneigung der Beinaxe um 8° weiter nach vornen als in der Ausgangsstellung (also bei einer Neigung von un- gefähr 78° gegen den Horizont) die Ferse die Berührung mit dem Boden verliert, und dass wir dann allein auf der Fläche der Zehen stehen; eine Vorwärtsneigung von 2° weiter hebt dann auch die Metatarsusköpfehen vom Boden und wir fallen nach vornen über *). — Nehmen wir nun auch in der Profil- ansicht den Abstand des Mittelpunktes des Astragalus von dem Promontorium zu 90 Cm. an, (was ohne Fehler gesche- hen kann), so ergiebt sich bei Benutzung der angegebenen Winkelwerthe durch Berechnung, dass das Promontorium um 12,5 Cm. in der horizontalen Projection vorrückt, bis die Winkeldrehung von 3° ausgeführt und die Erhebung der Ferse erfolgt ist, und dass ein weiteres Vorrücken um 3,1 Cm. das Ueberfallen nach vornen bedingt. — Wenn nun die Lage des Promontoriums in der Profilprojeetion über der Mitte des Astragalus angenommen wird, und diese wegen der schiefen Stellung der Astragalusrolle um 1 Cm. vor den äusseren Knöchel fällt, so fällt die Schwerlinie im Augenblicke des Erhebens der Ferse 13,5 Cm. vor den äusseren Knöchel; — den horizontalen Profilabstand des letzteren von dem Mittel- punkte des Metatarsusköpfehens I finde ich aber 14 Cm. — *) Diese Winkelmessungen wurden so angestellt, dass ein Winkel- maass mit beweglichen Schenkeln und einer Kreistheilung so angelegt wurde, dass der eine Schenkel am Fusse, der andere am Unterschen- kel festlag und der Drehpunkt auf dem unteren Ende des äusseren Knöchels. Während der langsam ausgeführten Bewegung wurden die Grade abgelesen. 375 Obgleich diese beiden Werthe noch eine Differenz von 0,5 Cu. zu Gunsten der Fusslänge haben, kann doch durch diese Angaben der Satz als bewiesen angesehen werden, dass die Erhebung der Ferse beginnt, wenn die Schwerlinie vor den Mittelpunkt des Metatarsusköpfchens der grossen Zehe fällt, denn jene Maasse können nicht auf so viele Genauigkeit An- spruch machen, dass man um 0,5 — 1 Cm. rechten dürfte, namentlich, wenn dadurch ein Widerspruch gegen fest be- gründete Sätze entsteht. Wir erfahren also durch diese Untersuchung, dass der Mittelpunkt des Metatarsusköpfchens der grossen Zehe allein maassgebend für den Augenblick des Wechsels der Un- terstützung wird, und es bleibt noch übrig, die Betheiligung der übrigen Zehen in dieser Bewegung zu untersuchen. Die Mittelpunkte der Metatarsusköpfehen der übrigen Zehen lie- gen aber in einer schief nach hinten gesenkten Reihe neben denjenigen der grossen Zehe und die diese Reihe bezeich- nende Linie bildet in der Horizontalprojeetion einen Winkel von ungefähr 60° gegen die Axe des Metatarsusknochens I; dabei liegt der Mittelpunkt des Metatarsusköpfchens V in der Profilprojection um 4 Cm. hinter demjenigen des Meta- tarsusköpfehens I. Nach diesem sollte in dem Augenblicke, in welchem die Ferse vom Boden erhoben wird, auch das Metatarsusköpfehen V vom Boden erhoben werden. Die- ses geschieht aber nicht, sondern die ganze Reihe der Meta- tarsusköpfchen bleibt so lange am Boden, bis das Ueberfallen eintritt; Ursache dafür sind alle diejenigen Momente, welche den Kleinzehenrand des Fusses überhaupt immer federnd an den Boden andrücken. — Wird die Bewegung nur auf einem Fusse ausgeführt, so erhält der Körper wegen der Schiefheit der Flexionsebene des Astragalus eine geringe Neigung nach der Seite des ruhenden Pusses; — wird er aber auf beiden Füssen zugleich ausgeführt, so findet das Vorwärtsfallen voll- ständig in der fortgesetzten Mittelebene des Körpers statt. Man dürfte erwarten, dass in dem letzteren Falle eine Com- pensation der Auswärtsführung der beiden Beine z. B. durch eine Senkung des Beckens statt finden müsse. Ich konnte 374 aber nicht finden, dass die spina anterior superior des Hüft- beines eine sehr merkliche weitere Senkung zeigte, als es durch die Beugung des Fussgelenkes bedingt wurde, und ich muss deshalb annehmen, dass die Compensation innerhalb der Fusswurzel geschehe, was bei der geringen Bewegung von 8° wohl der Fall sein kann, indem die Seitwärtsführung bei derselben in keinem Falle von grosser Bedeutung ist. Erhebung auf die Zehen durch Streckung des Fussgelenkes. — Die gewöhnlichste Art, in welcher wir uns auf die Zehen stellen, und durch welche wir die sicherste und ruhigste Stellung erhalten, ist diejenige, welche durch Streckung des Fussgelenkes erzeugt wird. Nach Vollendung derselben ist die Stellung folgende: Die Zehen liegen flach auf dem Boden und bilden jede für sich ein steifes Ganze, denn sie sind bei der Streckung ihrer Phalangen in dem Maximum der Spannung des planta- ren Theiles ihrer Kapselbänder; der Fuss befindet sich in dem Maximum der Streckung und das Fussgelenk ist durch Muskelwirkung gesteift; der Metatarsus bildet einen Winkel von ungefähr 100° gegen die Zehen, und diese sind in dem Maximum ihrer Dor- salflexion fixirt durch das Anstossen der Basis ihrer ersten Phalanx an die Dorsalfläche der Metatarsusköpfehen und auch durch die Spannung des plantaren Theiles der Kapsel- bänder des Metatarso-Phalangalgelenkes. Es ist deutlich, dass wir hier ein ähnliches Verhältniss haben, wie bei dem aufrechten Stehen auf den ganzen Soh- len. Die sichere Ruhe wird dadurch hervorgebracht, dass die Schwerlinie in die von den Zehen gedeckte Bodenfläche oder zwischen die von den Zehen beider Füsse gedeckten Flächen hinabfällt; auf die Aequilibrirung durch Muskelwir- kung ist verzichtet und der nach vornen lastenden Schwere wirkt Bänderspannung und Anstemmen von Knochentheilen entgegen. Die Unmöglichkeit, mit gleicher Ruhe und Sicher- heit zu stehen, wenn man mit gehobenen Zehen auf den Me- tatarsusköpfchen zu äquilibriren sucht, und die starke Bela- stung aller Theile der Zehen, welche am Gegendrucke des 375 Bodens leicht wahrzunehmen ist, werden einen Jeden leicht überzeugen, dass die eben ausgesprochene Ansicht über die Lage der Schwerlinie die richtige ist. Für das Zustandekommen dieser Stellung genügt es nicht, dass der Fuss durch Streckung gehoben werde, denn dieses ist bei der aufrechten Stellung auf den ganzen Sohlen eine Unmöglichkeit; denn da die Schwerlinie des Körpers bei dem- selben in den vorderen Theil des Fussgelenkes fällt, so bleibt immer die Ferse belastet und auf den Boden gedrückt und eine Streckung im Fussgelenke führt nur zu einer Rückwärts- neigung des ganzen Körpers, welche so weit geht, als durch die Fersen eine Unterstützung des Schwerpunktes gegeben ist. Die Last des Körpers muss schon durch die Zehen un- terstützt sein, ehe die Erhebung durch die Streckung des Fussgelenkes geschehen kann. Die erste Bewegung, welche wir ausführen, wenn wir uns mit Streckung des Fussgelenkes erheben wollen, ist deshalb eine Belastung der Zehen und Lösung der Ferse vom Boden durch Vorwärtsneigung des Rumpfes, durch Beugung der Kniee, durch Beugung des Fussgelenkes oder durch zwei dieser Bewegungen, oder sie alle drei gemeinschaftlich. Erst nachher findet die Erhebung statt; deshalb hat die ganze Bewegung etwas Schlängelndes, wenn man sie im Profil sieht. Nachdem nun auf die eine oder die andere Art die Be- lastung der Zehen geschehen ist, findet die Erhebung durch die Streckung des Fussgelenkes statt. — Wird diese Bewe- gung an dem freien, nicht an dem Boden fixirten Fusse ausgeführt, so finden wir, dass durch dieselbe die Fussspitze mehr oder weniger vollständig in die nach unten fortgesetzte Beinaxe gerückt wird; dabei wird sie demnach nach hinten und innen hinabgeführt. Diese Führung können wir aber zerlegen in eine solche nach hinten und eine solche nach in- nen, und können vorläufig den Satz aufstellen, dass: 1) die Führung nach hinten durch Streckung in dem obe- ren Astragalusgelenke (zwischen Unterschenkel und Astra- galus) geschehe, und 2) die Führung nach innen Wirkung der Rotation in dem 376 unteren Astragalusgelenke (zwischen Astragalus und übriger Fusswurzel) ist. Wie durch die Streckung in dem oberen Astragalusgelenke die Führung nach hinten zu Stande komme, ist aus der be- kannten Gestalt der Astragalusrolle deutlich. Es ist je- doch nicht zu übersehen, dass wegen der schiefen Lage der Flexionsebene dieser Rolle (vergl. erster Beitrag $.26) mit der Senkung der Fussspitze nach hinten zugleich eine solche etwas nach innen gegeben ist. Der hauptsächlichste Theil der Senkung nach innen wird aber allerdings in dem untern Astragalusgelenk ausge- führt und durch dessen besondere Gestaltung ermöglicht. Dieses Gelenk ist eines der eigenthümlichsten in dem ganzen Körper, denn die zu seiner Bildung verwendeten Flächen sind Theile der Oberfläche eines Doppelkegels, bei wel- chem die Spitzen beider Kegel verbunden sind. Da aber zur Bildung eines jeden Gelenkes eine concave und eine convexe Fläche gehört, so müssen in diesem Gelenke vier Flächen unterschieden werden, nämlich die convexe und die eoncave Fläche des vordern Kegels und die convexe und concave Fäche des hintern Kegels. Der convexen Fläche des vorde- ren Kegels gehört aber die Gelenkfläche in der Peripherie des Kopfes des Astragalus an; während die entsprechende concave Fläche auf dem processus anterior caleanei und dem sustentaculum tali desselben Knochens gefunden wird (die Gelenkverbindung zwischen dem Kopfe des Astragalus und dem os navieulare gehört der Basis desselben Kegels an). Von dem hinteren Kegel dagegen trägt der Calcaneus auf seinem Körper die convexe und der Astragalus auf der un- teren Seite seines Körpers die entsprechende concave Fläche. Ich bin noch nieht im Stande, mit der wünschbaren Genauig- keit die Lage der Axe dieses Doppelkegels zu bezeichnen, doch kann ieh schon so viel angeben, dass dieselbe ungefähr von dem oberen äusseren Theile des Astragaluskopfes durch dessen Hals in den processus posterior des Caleaneus geht, — demnach bei einem Fusse, der in dem oberen Astragalus- gelenke möglichst gestreckt ist, ungefähr horizontal liegt, und 377 mit ihrer Riehtung die Richtung der Axe des oberen Astra- galusgelenkes so kreuzt, dass beide in der Horizontalpro- jeetion einen nach vorn und innen offenen spitzen Winkel gegen einander haben. Wenn demnach durch die Drehung um die Axe der Astragalusrolle die Fussspitze nach hinten und etwas nach innen geführt wird, so wird dieselbe durch die Drehung um die untere Astragalusaxe nach innen und etwas nach hinten geführt; beide Bewegungen sind daher im Wesentlichen dieselben, indem sie beide das Element der Einwärtssenkung und das Element der Hinterwärtssenkung enthalten; nur ist das eine Element in dem einen, das andere in dem anderen Gelenke vorherrschend. Wir dürfen uns deshalb nicht wundern, wenn wir sehen, dass bei allen Streckungen durch die Wirkung derselben Muskeln beide Ge- lenke immer gleichzeitig in Anspruch genommen werden. — Zu Gunsten grösserer Deutlichkeit habe ich vorher die Strek- kung der Fussspitze durch Ansprechung beider Gelenke zu scharf schematisirt; das eben Entwickelte wird zeigen, worin dieses „Zu-scharf* liegt und dasselbe zugleich verbessern. Was die Auffassung der Bewegung in dem unteren Astra- galusgelenke sehr erschwert und zur Annahme einer horizon- talen Drehung um eine verticale Axe zu verführen geeignet ist, ist der Umstand, dass der hintere Theil des Astragalus nach innen hinabsteigt, während der äussere Rand des Kop- fes nach aussen hinaufsteigt. Woher dieses komme, ist aus dem oben Gesagten deutlich und wird von einem Jeden leicht eingesehen werden, der sich das oben gegebene Schema die- ses Gelenkes genau vergegenwärtigt. Bei Bewegung des Fusses um den feststehenden Astragalus äussert sich dieses Verhältniss dadurch, dass die Fussspitze anscheinend eine bedeutendere Senkung und die Ferse eine bedeutendere He- bung erhält. Ich darf wohl nicht besonders darauf aufmerksam machen, dass der apparatus ligamentosus wichtiges Hemmungsmittel der Streckbewegung in dem unteren Astragalusgelenke ist, — noch auch darauf, dass wegen der weit nach vornen ge- henden Anheftungen des m. tibialis posterior und des m. pe- 378 ronaeus brevis die Verrückung der Fussspitze noch durch die Verschiebung der übrigen Fusswurzelknochen gegen einander vermehrt wird, wobei auch wieder das Kegelgelenk zwischen os euboides und Calcaneus (vgl. erster Beitrag S. 38) beson- ders in Anspruch genommen wird. Sehen wir aber von diesem nur unterstützenden Momente ab, so finden wir, dass in den beiden Astragalusgelenken zusammengenommen die Möglichkeit einer sehr vollständigen Bewegung der Fussspitze nach innen und einer solchen nach hinten gegeben ist. — Ist nun die Fussspitze an dem Bo- den fixirt, so wird durch dieselbe Bewegung das Fussge- lenk und der ganze Körper nach vornen und nach aussen geführt. — Geschieht das Erheben auf die Zehen nur auf einem Fusse, so kann der Körper leicht diesen beiden Be- wegungen folgen und findet durch dieselben schon von selbst die Unterstützung seines Schwerpunktes, oder bedarf dazu wenigstens nur geringer Correctionen. Wenn aber die Erhe- bung auf die Zehen beider Füsse geschieht, so kann der Körper zwar den Bewegungen nach vornen folgen, aber nicht denjenigen nach aussen, weil es unmöglich ist, dass er zu- gleich nach rechts und nach links sich nach auswärts bewege. Hier muss sich also eine Compensation finden, welche das Stehen auf den Zehen beider Füsse ermöglicht, und diese finden wir in den folgenden Verhältnissen: das untere Ende des Unterschenkels wird durch das Erheben auf die Zehen nach oben und aussen geführt; — wir können diese Bewe- gung wieder zerlegen in eine solche nach oben und eine sol- che nach aussen, wovon wir die erstern in der Profilprojee- tion untersuchen können, die letztern in der Horizontal- projection, Untersuchen wir zuerst die Bewegung nach oben, so finden wir Folgendes: der horizontale Profilabstand des un- teren Endes des äusseren Knöchels*) von dem Mittelpunkte *) Ich wählte den äusseren Knöchel, weil dieser allein eine feste Lage gegen die Drehaxe der Astragalusrolle hat (vgl. erster Bei- trag S. 26). 379 des Metatarsusköpfehens I beträgt 14 Cm., — der directe Profilabstand beider Punkte 15 Cm., — die Höhe des Mittel- punktes des Metatarsusköpfchens I über dem Boden 2 Cm., — die Höhe des bezeichneten Punktes des äusseren Knö- chels über dem Boden 7 Cm.; — aus diesen Zahlen ergiebt sich eine Neigung der den Profilabstand beider Punkte be- zeichnenden Linie von 19°28° gegen den Horizont. Nach geschehener Erhebung befindet sich der untere Punkt des äusseren Knöchels 15 Cm. über dem Boden, und sein hori- zontaler Profilabstand von dem Mittelpunkte des Metatarsus- köpfchens I ist alsdann 8,5 Cm.; — aus diesen Zahlen er- giebt sich eine Neigung der den direeten Profilabstand beider Punkte bezeichnenden Linie von 60°4‘ gegen den Horizont. Es hat demnach bis zum Maximum der Erhebung eine ver- ticale Winkeldrehung des Fusses um den Mittelpunkt des Metatarsusköpfehens I von 40° 36‘ statt gefunden und die- selbe hat den Körper um 8 Cm. gehoben. Untersuchen wir nun die Bewegung nach aussen, so finden wir Folgendes: Legen wir in der Horizontalprojeetion eine der Mittelebene parallele Linie (Grundlinie) durch den Mittelpunkt des Metatarsusköpfchens I, so finden wir einen horizontalen Querabstand des äusseren Knöchels von dieser Linie um 1,5 Cm.; — demnach bildet die Verbindungslinie des äusseren Knöchels und des Mittelpunktes des Metatarsus- köpfehens I in der Horizontalprojeetion einen Winkel von 6°% gegen die Grundlinie.e Nach vollendeter Hebung be- trägt dieser Winkel 18°45‘, denn der äussere Knöchel be- findet sich dann in einem horizontalen Querabstand von 4,5 Cm. von der Grundlinie. Es hat demnach eine hori- zontale Winkeldrehung um den Mittelpunkt des Meta- tarsusköpfchens I von 12% 36° statt gefunden und durch deren Vermittelung eine Führung nach auswärts (Abduetion) des äusseren Knöchels um 3 Cm. Wenn wir es kurz zusammenfassen wollen, so können wir sagen: es findet bei der Erhebung auf die Zehen beider Füsse in jedem einzelnen Fusse eine Erhebung seines äus- seren Knöchels um 40° 36° statt und eine horizontale Drehung 350 nach auswärts um 12° 36‘. — Dieses Moment nun, dass die Abduction des Knöchels dureh die horizontale Drehung (Ro- tation) zu Stande kömmt, giebt die Compensirung. Die Abduction wird nämlich bekanntlich bei dem aufreehten Ste- hen durch die Spannung des ligamentum superius des Hüft- gelenkes gehindert. Jene horizontale Drehung des Knöchels kann aber nur um eine Axe statt finden, welche durch die beiden fixirten Theile des Beines gezogen ist, nämlich durch den Mittelpunkt des Metatarsusköpfchens I und den Mittel- punkt des Schenkelkopfes; — an ihr nimmt deshalb das ganze Bein Theil und sie äussert sich als sogenannte „Ro- tation nach innen“ am Femur; durch diese wird aber das ligamentum superius erschlafft und erlaubt in gleichem Ver- hältnisse die Abduction. Dass wirklich der Oberschenkel diese Rotation erfährt, wird durch directe Beobachtung be- wiesen, indem man unter der aufgelegten Hand das Vorwärts- gleiten des Trochanters fühlt. Um jedoch diese Bewegung des Trochanters noch genauer zu bestimmen, wendete ich folgendes Verfahren au: Es wurde ein Winkelmaass mit zwei beweglich unter einander verbundenen Schenkeln ange- wendet, das freie Ende des einen Schenkels wurde in der Mittellinie des Körpers am oberen Rande der symphysis ossium pubis fixirt; dasjenige des andern auf dem Trochanter, Wenn nun die Bewegung ausgeführt wurde, so nahm jedes- mal beim Erheben auf die Zehen der Winkel des Instrumentes um 3° zu (von 48° auf 51°) und beim Niederlassen auf die Ferse nahm er wieder um diese 3° ab (von 51° auf 48°), Die Länge des beweglichen Scehenkels des Winkelmasses betrug 21,5 Cm., (diejenige des feststehenden Schenkels war 31 Cm.); jene Winkelveränderung wies demnach auf eine Lagenveränderung des an dem Trochanter liegenden Endes um 1,126 Cm. hin. Um so viel musste also auch der Trochanter seine Lage verändert haben und zwär durch eine Drehung nach auswärts um den Mittelpunkt des Schenkel- kopfes. Der Horizontalabstand dieses Mittelpunktes an der Mitte der äusseren Wölbung des Trochanters beträgt aber im Mittel 8 Cm., und der Winkel der diesen Abstand be- 381 zeichnenden Linie gegen eine durch beide Pfannenmittelpunkte gehende Querlinie beträgt in der aufrechten Stellung 40° (in nach hinten und aussen offenem Winkel). Aus diesen An- gaben ist unschwer zu bereehnen, dass nach geschehener Rotation (durch Erhebung auf die Zehen) der Trochanter in der Querprojeetion um 0,724 Cm. nach aussen getreten sein und dass die geschehene horizontale Winkeldrehung desselben 5° 15° betragen musste. — Die horizontale Winkeldrehung des äusseren Knöchels hatten wir aber vorher 12% 36° gefunden. Der Unterschied beider Winkel um 4° 18’ ist mir denn doch zu bedeutend, als dass ich glauben dürfte, ihn nur durch die Ungenauigkeiten erklären zu können, welche nothwendig in dieser Untersuchung sein müssen, bei welcher ich in die Be- rechnung von der Bewegung des Trochanter mehrere Facto- ren aufnehmen musste, welche auch nicht annähernd durch directe Messung bestimmt werden konnten, sondern nur das Mittel mehrerer Messungen an skeletirten Theilen sind. Ich werde deshalb darauf geführt, das Mehr der Drehung des äusseren Knöchels davon herzuleiten, dass derselbe wahr- scheinlich mit dem ganzen Fusse noch eine Horizontaldre- hung um den inneren Knöchel ausgeführt hat. Die eben beschriebene Compensation durch Rotation nach innen im Hüftgelenke reicht jedoch nicht vollkommen aus, den Widerstand des ligamentum superius zu beseitigen, sondern es ist für die erforderliche Erschlaffung dieses Ban- des noch eine Beugung des Rumpfes im Hüftgelenke nach vornen nothwendig. Dieses wird bewiesen dadurch, dass auch bei der aufrechtesten Haltung während des Erhe- bens auf die Zehen eine relative Senkung der spina anterior superior des Hüftbeines um 1,5 Cm. statt findet. — Der di- recte Profilabstand der Spina von dem Pfannenmittelpunkte beträgt aber nach Messungen an mehreren männlichen Becken im Mittel 9 Cm., der verticale Profilabstand beider Punkte 7 Cm. und ihr horizontaler Profilabstand 6 Cm.; — die den direeten Profilabstand bezeichnende Linie besitzt demnach eine Neigung von 5103’ gegen den Horizont. Werden diese Grössen zur Berechnung angewendet, so ergiebt sich, dass 382 eine verticale Senkung der Spina um 1,5 Cm. einer Winkel- drehung derselben um den Pfannenmittelpunkt von 13° 23‘ entspricht. Bliebe der Rumpf dabei in seiner ‚Haltung in sich unverändert, so würde durch diese Winkeldrehung der Scheitel eine horizontale Vorwärtsbewegung von 18,75 Cm. erfahren. Diese Vorwärtsbewegung ist aber viel zu bedeu- tend, als dass sie nicht compensirt werden müsste; — und die entsprechende Compensation geschieht durch Rück- wärtsbeugen des Rumpfes in der Lendenwirbel- säule, — daher die Anstrengung im Rücken und das Gefühl des Geraderichtens beim Stehen auf den Zehen. Das Erheben auf den Zehen beider Füsse ist demnach ein Prozess, an welchem das Knochengerüste in weitem Um- fange Theil nimmt. Vorbereitend ist eine Beugung des Fussgelenkes; — die Ausführung geschieht durch eine Streckung des Fussgelenkes, durch welche das untere Ende des Unterschenkels rotirt und abdueirt wird; — die Möglich- keit zu dieser Bewegung wird durch eine ergänzende Ro- tation mit Abduction im Hüftgelenke, und durch Flexion in demselben Gelenke, verbunden mit compensirender Rück- wärtsbeugung in der Lendenwirbelsäule gegeben. Ich mache übrigens noch besonders darauf aufmerksam, dass alle die beschriebenen Erscheinungen nur dann eintreten, wenn das Erheben auf die Zehen bei vollständig auf- rechter Haltung geschieht, bei welcher möglichst wenig Muskelthätigkeit zu bemerken ist und das Knochengerüste vorzugsweise in sich selbst ruht. Veränderte Stellung des Rumpfes giebt ganz andere Resultate, indem dadurch die durch den Widerstand des ligamentum superius nothwendig werdenden Compensationen wegfallen oder verändert werden. Ich führe für diesen Satz nur das Beispiel an, in welchem die Erschlaffung des ligamentum superius nur durch die Flexion im Hüftgelenke, nicht auch durch Rotation in dem- selben erzeugt wird; dabei muss natürlich auch die Rotation nach auswärts im Fussgelenke wegfallen, oder vielmehr muss sie durch eine Rotation nach aussen im Hüftgelenke aufge- hoben werden. Auf diesem Wege ist es uns möglich, auf 383 den Zehen beider Füsse uns ohne Entfernung der Fersen von einander beinahe eben so hoch zu erheben, wie mit Ent- fernung der Fersen von einander, aber dabei sinkt auch die Spina relativ um 5 Cm., was einer Winkeldrehung derselben um die Drehaxe der Hüfigelenke von 38°13’ entspricht. Würde der Rumpf dieser Bewegung folgen, so würde der Scheitel dadurch um 50,11 Cm. nach vornen geführt; es wird deshalb, um die angegebene Stellung einnehmen zu können, eine sehr bedeutende Compensation durch Rückwärtsbeugen in der Lendenwirbelsäule nothwendig. Auch bei der jetzt beschriebenen zweiten Art des Stehens auf den Zehen wird das Metatarsusköpfchen der grossen Zehe vorzugsweise wichtig und bestimmend, daher auch alle Mes- sungen nur an diesem genommen sind. Die Metatarsusköpf- chen der anderen Zehen haben dieselbe Bewegung und die- selbe Bedeutung als seitliche Stützen, wie bei der ersten Art des Stehens auf den Zehen. — Sollen bei der einen und bei der anderen Art die kleinen Zehen ausser Mitwirkung treten und das Stehen nur auf der grossen Zehe stattfinden, so ge- schieht dieses durch die Wirkung des m. peronaeus longus, welcher den äusseren Fussrand hebt und den Metatarsus- knochen der grossen Zehe stark gegen die Mittellinie der Fusssohle hinzieht. Anmerkung. Ich habe mich bisher mehrmals so aus- gedrückt, dass ich sagte, es müsse für die Ermöglichung einer gewissen Bewegung eine Erschlaffung des ligamentum superius aus seiner Maximumspannung in der aufrechten Stellung gegeben sein. Es ist mir für die richtige Auffas- sung der vorangehenden Deduetion und einiger wesentlichen Punkte in dem Folgenden wichtig, dass dieser Ausdruck nicht etwa so verstanden werde, dass nothwendig z. B. erst durch Muskelthätigkeit eine Flexion in der Hüfte geschehen müsse, ehe eine Abduction des Femur geschehen kann, — beide Bewegungen können auch gleichzeitig durch dieselbe Muskelwirkung geschehen, wie in dem angeführten Bei- spiele durch den m. glutaeus minimus, — oder es kann, um bei dem Beispiele zu bleiben, die Abduetion als die 384 primäre Bewegung ausgeführt werden, und es muss dann die dadurch entstehende Spannung des ligamentum superius als aetives Moment die Beugung erzeugen. So kann also auf die letztere Art die Compensation ohne besonders darauf gerichtete Muskelwirkung allein durch den Mecha- nismus der Knochen und Bänder erzielt werden. Die Metatarso-Phalangalgelenke der Zehen. — Bei der Erhebung auf die Zehen, auf welche Art diese auch geschehen mag, haben die Gelenke der Metatarsusköpfehen mit der ersten Phalanx der Zehen eine besondere Wichtig- keit; — es lohnt sich deshalb, diese noch einer besonderen Untersuchung in Bezug auf ihren Mechanismus zu unterwerfen, Die Gelenkflächen der Metatarsusköpfehen haben eine ei- genthümliche Gestalt, wie sie denjenigen Gelenken eigen ist, welche ich Ginglymo-Arthrodien nenne. Ich kann hier nicht weitläufiger darauf einChen, den Charakter dieser Art von Gelenken zu beschreiben, und will deshalb gleich mit besonderer Anwendung auf die Metatarsusköpfchen sagen, dass deren Gelenkfläche zerlegt werden kann in eine vordere Kugelfläche (Artbrodiefläche) und eine untere Rollfläche (Ginglymusfläche), deren Erzeugungslinie der Abschnitt eines grössten Kreises der Kugel ist, von welcher ein Theil die Arthrodiefläche bildet. — Die vier Köpfchen der Metatarsus- knochen der kleinen Zehen sind vollständig überein- stimmend gebaut und von vollständig der gleichen Grösse, — und haben ausserdem noch vollständig die glei- che Lage gegen den Boden. Die scheinbare Verschieden- heit dieser Köpfchen, wie sie sich an den neben einander skeletirten Knochen zeigt, rührt nur davon her, dass die Axe des Körpers derselben unter verschiedenen Winkelu in die Köpfchen tritt; — das Metatursusköpfchen der grossen Zehe unterscheidet sich von den andern nur durch die Grösse seiner Durchmesser, theilt aber mit ihnen das Prineip des Baues, der Lage gegen den Boden und der Einfügung des Körpers des Metatarsusknochens. In Bezug auf die Winkel- einfügung der Axe der Metatarsusknochen in die Köpfchen gilt das Gesetz, dass bei vollständig gleicher Lage der Köpf- 385 chen auf dem Boden die Axe eines jeden inneren von zwei Metatarsusknochen um 5° steiler gegen den Boden in das Köpfchen eintritt, als die Axe des äusseren. So tritt bei derjenigen Lage, welche alle Köpfchen bei dem aufrechten Stehen gegen den Boden haben, die Axe des Metatarsuskno- chens V ünter 20° Neigung gegen den Horizont in das Köpf- chen ein, diejenige des vierten unter 25°, diejenige des drit- ten unter 30°, diejenige des zweiten unter 35° und diejenige der grossen Zehen unter 40° Neigung gegen den Horizont. Da die Lage der einzelnen Zehen parallel dem Boden, also horizontal ist, so bildet die Axe der grossen Zehe mit der Axe ihres Metatarsusknochens einen nach oben offenen Win- kel von 140°, derselbe Winkel beträgt an der zweiten Zehe 145°, an der dritten 150°, an der vierten 155° und an der fünften 160%; — das Verhältniss der Gelenkflächen der Köpf- chen zu der ersten Phalanx ist aber au allen Zehen voll- ständig dasselbe. Der Bogen der Arthrodiefläche aller Köpfchen beträgt 120°. Der Bogen der Ginglymusfläche derselben 60°; — der Halb- messer der letzteren ist doppelt so gross als der Halbmes- ser der ersteren, so dass die absolute Bogenlänge beider Flächen vollständig gleich ist. — Eine vollständige Bewegung über die ganze Länge des Köpfehens müsste demnach mit einer Winkeldrehung von 180° geschehen, von welcher 120% um die Axe der Arthrodiefläche und 60° um die Axe der Ginglymusfläche ausgeführt werden. Die früher angeführte Berechnung gab bei dem Stehen auf den Zehen eine Erhebung um 40° (genauer 400 36°). ' Di- recte Messung zeigt, dass dabei wirklich der Winkel zwischen den Zehen und den Metatarsusknochen um ebensoviel vermin- dert wird, denn dieser Winkel ändert sich an der grossen Zehe von 140° auf 100° und an der kleinen Zehe von 1609 auf 120%. — Direete Messung zeigt ferner, dass in dem Ma- ximum der Beugung eine Aenderung dieses Winkels um 80° eintritt, so dass er an der grossen Zehe 220°, an der kleinen Zehe 240° wird. — Aus dem Maximum der Streckung (Dor- salflexion) in das Maximum der Beugung (Plantarflexion) Müllers Archiv, 1858, 25 386 beschreiben demnach die Zehen eine Winkeldrehung von 120°, von welcher 40° auf die Erhebung über die gewöhnliche Lage der Zehen beim aufrechten Stehen kommen ‚und 30° auf die Senkung unter diese Lage. Zum Bestreichen der ganzen Länge des Köpfehens ist aber, wie vorher gezeigt, eine Winkeldrehung von 180° noth- wendig; es bleiben demnach. noch 60° der Gelenkfläche ‚des Köpfchens übrig, welche nie von der Basis der ersten Pha- lanx berührt werden, und dieses sind. gerade die 60° der Ginglymusfläche; diese kann demnach keine Bedeutung für die Articulation der Zehen haben und wir müssen ihre. Be- deutung, in einer anderen Richtung suchen. Wir finden diese Bedeutung aber, wenn wir daran denken, dass an der plan- taren Seite der Basis der ersten Phalanx sich ‚eine sehr feste faserknorpelige Platte anreiht, ‚welche die Ginglymusfläche deekt und mit ihr articulirt; „diese Platte liegt parallel dem Boden und behält bei dem Stehen auf den Zehen diese Lage bei. Ihre Theilnahme an der Gelenkbildung muss das Glei- ten. der an den Boden angedrückten Theile der Metatarsus- köpfehen bei dem Erheben auf die Zehen wesentlich. erleich- tern, und wir dürfen deshalb die Gelenkverbindung der Gin- glymusfläche der Köpfchen mit dieser Platte als eine Art von Artieulation der Metatarsusköpfchen mit ‘dem. Boden ansehen. Die bezeichneten faserknorpeligen Platten der vier kleinen Zehen sind aber unter einander durch starke fibröse Stränge (die unpassend sogenannten ligamenta capitulorum ) unter einander vereinigt, und es ist deutlich, dass diese Vereini- gung theilweise den seitlichen Horizontalschub aufheben muss; welcher ohne diese Vorrichtung bei stärkerer Belastung leicht die Zehen zu stark von einander entfernen würde, ,— und dass sie die vier Gelenkflächen gewissermassen in eine ein- zige vierfächerige Hohlrolle verwandelt. — Die Platte an dem Metatarsusköpfehen der grossen Zehe ist, der grösseren Selbstständigkeit dieser Zehe entsprechend, unverbunden mit derjenigen der zweiten Zehe; und sie enthält ausserdem noch die Sesambeine, Die Rinnen, welche an der Ginglymusfläche 387 des Köpfchens zur Articulation mit diesen sich finden, unter- stützen wesentlich den vorher gewonnenen Satz über die Be- deutung der Ginglymusflächen an ‘den Metatarsusköpfchen überhaupt, denn sie weisen darauf hin, dass die Organisation dieser Fläche nur auf die Verbindung mit den Sesambeinen und nicht auf diejenige mit der ersten Phalanx Bezug hat. Die „Extension“ des Beines. Ich habe bereits in meinem ersten Beitrage (S. 20) eine Andeutung darüber gegeben, dass aus der Stellung des auf- rechten Stehens keine sogenannte Extension des Beines mehr möglich ist, wenn es auch möglich ist, den Fuss noch weiter nach hinten zu heben. Ich habe dieses hier noch weiter aus- zuführen. Wenn wirklich während des aufrechten Stehens das Hüft- gelenk in dem Maximum seiner Extension und das liga- mentum superius in dem Maximum seiner Spannung sich befindet, dann muss eine Hebung des Fusses nach hinten ohne Verrückung des Beckens nur unter Verhältnissen zu Stande kommen, welche das ligamentum superius erschlaf- fen, ‘diese sind aber Flexion ‘oder Rotation nach innen im Hüftgelenke. Dass eine Erschlaffung des Bandes durch Fle- xion nicht am Platze ist, wenn dadurch die Möglichkeit einer stärkeren Extension gegeben sein soll, ist deutlich. Ohne Verrückung des Beckens kann daher eine weitere Ex- tension des Beines nur dann zu Stande kommen, wenn vor- her durch eine Rotation des OÖberschenkels nach innen das ligamentum superius erschlafft ist; der Versuch wird einen ‚Jeden leicht davon überzeugen. Ich konnte nach geschehener Rotation nach innen den in dem Folgenden bezeichneten Punkt am condylus externus femoris auf eine Höhe von 52 Cm. über dem Boden und einen Horizontalabstand von 10 Om. vom Trochanter heben, was einer Winkeldrehung von 8° 31’ entspricht. Die gewöhnliche Art, wie eine stärkere Hebung des Fus- ses nach hinten in der aufrechten Stellung erzeugt wird, ist aber diejenige, welche durch eine Krümmung der Len- 25* 385 denwirbelsäule zu Stande kömmt, bei welcher das ganze Becken um den Kopf des ruhenden Schenkels gedreht wird. Das Bein wird dabei in unveränderter. Stellung gegen das Becken durch Muskelwirkung erhalten. Wenn wirklich die Hebung des Fusses ohne Rotation. nach. innen auf „diese Weise zu Stande kömmt, so muss die spina anterior superior des Hüftbeines sich in dem gleichen Maasse senken, in wel- chem der Fuss sich erhebt. Um dieses zu ermitteln, machte ich folgende Untersuchung: An. der äusseren Fläche des äus- seren condylus femoris wurde ein Punkt bezeichnet; dann wurde dessen Entfernung vom Trochanter gemessen, diese betrug 41 Cm.; seine Entfernung vom Boden betrug 5l Cm.; sein horizontaler Profilabstand vom. Trochauter war 4 Cm.; die Höhe des Trochanters über dem Boden war 91 Cm.; — aus diesen Werthen wurde für die aufrechte Stellung die Neigung des Femur (Verbindungslinie zwischen dem Tro- chanter und jenem Punkte am Kniee) gegen die Vertieale zu 5036‘ berechnet. — Es wurde dann eine Hebung des Fus- ses nach hinten ohne Rotation nach innen so weit ausgeführt als möglich war. Der Punkt am Knie war jetzt 56 Cm. über dem Boden erhoben und hatte einen horizonta- len Profilabstand von dem*Trochänter von 19 Cm.; daraus ergab sich eine Neigung des Femur gegen. die ‚Verticale von 270 37’; die Hebung des Fusses war demnach. durch ‚eine Winkeldrehung ‚von 221’ zu Stande gekommen. War diese Winkeldrehung eine flectirende in dem ruhenden Beine, so musste dieses an der Stellung der spina anterior superior des Hüftbeines erkannt werden. Aus den früheren Angaben über die Verhältnisse der Spina zu dem Pfannen- mittelpunkte lässt sich berechnen, dass durch eine Winkel- drehung von 22° 1“ nach vornen eine Senkung der Spina um 2,7 Cm. statt finden müsse. Die Messung zeigte nun, dass ihre Höhe über dem Boden von 100 Om. auf 97,5 — 96,5 Cm,, also im Mittel um 3 Cm. abgenommen hatte. — Der oben aus- gesprochene Satz über das Zustandekommen dieser Hebung ist damit bewiesen, und zugleich ist deutlich, dass diese Be- wegung dadurch ausgeführt werden kann, dass die Strecke 389 der Wirbelsäule und des Rumpfes überhaupt in der Lenden- gegend eine Krümmung erzeugen, welche durch Flexion im Hüftgelenke des ruhenden Beines compensirt wird, — oder dadurch, dass eine primäre Flexion im Hüftgelenke und dann eine compensirende Krümmung der Lendenwirbelsäule ge- schieht. Um nun weiter den Einfluss der Rotation nach innen zu untersuchen, wurde in der eben beschriebenen Hebung des Fusses nach hinten eine Rotation des ganzen Beines nach innen ausgeführt und nun weitere Extension versucht. Die Spina änderte dabei ihre Stellung nicht; sie war ja schon in der extremsten Stellung, welche ihr durch die Lendenwirbel- säule gegeben werden konnte; dagegen erfolgte noch eine bedeutende Hebung des Fusses, durch welche jener Punkt an dem Kniee auf 60 Cm. über dem Boden gehoben und in einen horizontalen Profilabstand von 25 Cm. von dem Tro- chanter gebracht wurde. Die Neigung des Femur gegen die Verticale betrug jetzt 37° 34‘. Es war demnach durch die geschehene Rotation noch eine Winkeldrehung in dem Hüftgelenke des bewegten Beines von 10°%3‘° ermöglicht worden. Anmerkung: Bei diesen Versuchen war Sorge ge- tragen, dass dem Rumpfe vor der Hebung des Beines eine feste Stütze an einem äusseren Gegenstande gegeben war, damit nieht unwillkührliche Aequilibrirungsversuche störend werden könnten. — Das Kniee wurde immer ge- streckt gehalten. Das Maximum der Hebung des Beines wird daher bezeichnet durch eine Drehung des Beckens nach vornen und unten, und durch eine Rotation des Beines nach innen (wie stark diese Rotation ist, wird später gezeigt werden). — Dieses Maximum kann aber nicht blos, wie in den obigen Versuchen, durch Muskelthätigkeit erzeugt werden, sondern auch durch eine äussere Gewalt, welche so wirkt, dass sie den Rücken und die Ferse einander zu nähern sucht. Es geht aus dem früher Gesagten hervor, dass in diesem Falle sad ligamentum superius durch seine Anspannung als actives 390 Moment sowohl das Hinabsteigen des Beckens als wie die Rotation des Beines bedingt. Eine solche äussere Gewalt wirkt aber bei einem jeden Schritte auf das hintere Bein ein, indem dieses, mit den Zehen auf dem Boden fixirt, gegen den weit nach vornen in fast aufrechter Stellung hinabsinkenden Rumpf in gezwungene Hebung nach hinten (Extension) gebracht wird. In der Zeit, in welcher nach einem Schritte Ruhe eingetreten ist, sehen wir deshalb auch den hinteren Fuss so gestellt, dass in der Querprojeetion die Mitte seiner Ferse gerade über den Zehen liegt. Dieses ist auch der Fall, wenn in dem hinteren Fusse keinerlei Bewegung durch Kniebeugung oder Fussstreckung geschehen, sondern die Bewegung des Schrittes nur durch das andere Bein ausgeführt war, oder durch Beugung im Fussgelenke des nun hinteren Beines bis zum Vorwärtsfallen des Körpers. — In einer späteren und theilweise noch in dieser Arbeit werde ich zeigen, wie Kniebeugung und Fuss- streckung in dem gewöhnlichen Gange einen Theil von die- ser Stellung der Ferse erzeugen, während sie zugleich die zu bedeutenden Veränderungen in dem Hüftgelenke be- schränken. Das Pendelu des Beines. Es wurde eben beschrieben, welche Stellung das hintere Bein bei steifem Kniegelenke und nicht gestrecktem Fusse nach Vollendung eines Schrittes besitzt. Der weitere Sehritt geschieht dann bekanntlich dadurch, dass das Bein von seiner Berührung mit dem Boden gelöst wird, nach vornen pendelt und wieder mit dem Boden in Berührung tritt. Die Lösung des hinteren Beines vom Boden kann auf die verschiedenste Art geschehen; jedoch ist es nicht genug, dass den Zehen desselben die Belastung genommen wird, worin eigentlich die Lösung besteht; — sondern es. muss auch zugleich mit dem lösenden Momente eine solche Hebung des Hüftgelenkes gegeben sein, dass dadurch der nöthige Raum in senkrechter Richtung für die Pendelung gegeben 391 wird. Befindet sich der Fuss in derjenigen Lage gegen den Unterschenkel, welche er beim aufrechten Stehen einnimmt; dann genügt eine Erhebung der Hüfte um 1 Cm., denn die grösste Dimension des Beines vom Trochanter bis zur Gross- zehenspitze beträgt dann 92 Cm., während die Höhe des Tro- chanter über dem Boden 91 Cm. beträgt. Befindet sich dagegen der Fuss in der Streckung mit gehobenen Zehen, so bedarf es einer Hebung von 5Cm., denn die grösste Dimension des Beines von dem Trochanter bis zur unteren Fläche des Grosszehenbal- lens ist dann 96 Cm.; sind aber auch die Zehen gestreckt, so ist eine Hebung von 11 Cm. nothwendig, denn die Entfernung des Trochanters von der Grosszehenspitze. beträgt 102 Cm. — Für die Hebung um 1 Cm. genügt die äquilibrirende Seit- wärtsneigung des Rumpfes auf dem ruhenden Beine, denn diese hebt die Pfanne der bewegten Seite um 4,4 Cm., durch eine Winkeldrehung von 14°51‘, und zur Hebung derselben um 1 Cm. ist nur eine Drehung von. 3° 20° nothwendig. Zur Hebung um 5 Cm. wäre aber eine solche Drehung von 16° 54° nothwendig, welche jedenfalls nieht ohne be- deutende compensirende Seitenkrümmung der Wirbelsäule zu erreichen ist; und eine Hebung um 11Cm. kann auf diesem Wege nur mit grösster Mühe ‚erreicht werden, da sie eine Winkeldrehung von 39° 45° erfordert. — Für die Pendelung des auch in seinen Zehen gestreckten Fusses ist deshalb eine Er- hebung auf die Zehen des ruhenden Fusses nothwendig, welche das Hüftgelenk um 8 Cm. vom Boden hebt, und dann muss immer noch eine Hebung von 3 Cm. durch die Seit- wärtsneigung des Rumpfes erreicht werden. Seitwärtsneigung des Rumpfes oder Erhebung auf die Zehen des ruhenden Fusses genügen deshalb für die Lösung vom Boden und die nöthige Hebung für die Pendelung bei gewöhnlicher oder etwas gestreckter Lage des Fusses bei steifem Knie; — nur für die stärkste Streckung des Fusses verbunden mit Zehenstreckung müssen beide zusammen thä- tig sein. Durch die Erhebung auf die Zehen wird aber auch, wenn keine Correetion durch Rückwärtsbeugeu in der Lendenwir- 392 belsäule geschieht, der Schwerpunkt des Körpers vor seine Unterstützung geführt und damit zugleich das für die Vorwärts- bewegung nothwendige Fallen eingeleitet; — und zugleich erhält durch dieselbe die Ferse eine Rotation nach auswärts und dadurch wird freier Spielraum für das Pendeln des hin- teren Beines gegeben. Die Erhebung auf die Zehen des vorderen Fusses erscheint somit als die angemessenste Art der Lösung des hinteren Fusses von dem Boden, weil durch dieselbe den meisten Zwecken gleichzeitig entsprochen wird, indem diese Bewegung ausser dieser Lösung zugleich in horizontaler und in verti- caler Richtung Raum für die Pendelung schafft und den Kör- per nach vornen wirft. — In dem Augenblicke, in welchem der Körper nach vornen fällt, ist ihr Zweck erreicht und die Streckung im Fussgelenke kann dann aufhören; — währt sie noch fort, so giebt sie ein neues Moment in die Gangbewe- gung (das des Abstossens durch das hintere Bein), welches in gegenwärtiger Arbeit noch nicht zu untersuchen ist. — Es ist nicht nöthig, dass dabei eine stärkere seitliche Aequili- brirungsbewegung ausgeführt werde als diejenige ist, welche schon in der Erhebung auf die Zehen selbst gegeben ist, denn die Gefahr des Seitwärtsfallens wird durch das wirklich ge- schehende Vorwärtsfallen fast aufgehoben. Die Richtung der Pendelung. — Wenn die Schwere Ursache der Pendelung ist, so muss sie auch die Pendelung in derjenigen Richtung führen, nach welcher der Schwerpunkt hinzieht. Sein Schwerpunkt zieht nun aber das Bein nicht nur nach vornen, sondern auch zugleich nach innen, wovon man sich überzeugen kann, wenn man sich, mit den Händen einen höheren Gegenstand greifend, frei in die Höhe zieht; die Fussgelenke fallen dann vor einander oder gar noch so, dass das linke z. B. nach vornen und rechts, von dem rech- ten zu liegen kömmt. Diese Erfahrung weist schon darauf hin, dass die Pendelung des Beines nicht nur nach vorwärts, sondern auch nach einwärts geschehen müsse, und die Unter- suchung bestätigt dieses vollständig. Bei einer jeden Art des Ganges fallen die Fussspuren so, 393 dass eine gerade Linie durch die Abdrücke aller Fersen ge- zogen werden kann. Ich will diese Linie die Ganglinie nennen. Es hängt von der Individualität des Ganges ab, ob diese Ganglinie mehr durch die äusseren Theile aller Fersen- abdrücke, oder mehr durch die inneren Theile derselben, oder durch ihre Mittelpunkte fällt. Ich will ihre Lage für die gegenwärtige Untersuchung so annehmen, dass sie die mittlere Lage durch die Mittelpunkte aller Fersenabdrücke hat. Das Gehen finde in einer gewöhnlichen Auswärtsrich- tung der Fussspitze statt, durch welche die Mitte des Ab- druckes des Grosszehenballens (als Projeetion des Mittel- punktes des Metatarsusköpfehens I auf den Boden) 6 Cm. queren Abstand von der Ganglinie erhält. Dann bildet die’ Verbindungslinie der Mittelpunkte des Grosszehenballens und der Ferse einen Winkel von 25% 23‘ gegen die Ganglinie. Während des Ruhens des hinteren Fusses ist aber in der Querprojection die Mitte der Ferse gerade über der Mitte des Grosszehenballens gelegen, besitzt demnach denselben Quer- abstand von der Ganglinie wie diese. Die Pendelung der Ferse ging also von einem Querabstand von der Gang- linie um 6 Cm. aus und endete in der Ganglinie selbst. Nehmen wir nun aber an, dass auch in der Profilprojec- tion die Mitte der Ferse gerade über der Mitte des Gross- zehenballens stehe (je nach Individualität des Ganges oder der Person finden auch hier grosse Verschiedenheiten statt), dann bezeichnet die Verbindungslinie zwischen der Mitte des Grosszehenballens der hinteren Spur mit der Mitte der Ferse der vorderen Spur desselben Fusses die Länge der Pendel- schwingung (Grösse der Oscillation), und die Neigung dieser Linie, gegen die Ganglinie bezeichnet die Riehtung der Pen- delungsebene. Mehrere Messungen an den Spuren*) eines bequemen Schrittes geben aber eine Länge dieser Linie von ungefähr 76 Om, und somit eine Neigung gegen die Ganglinie von 432, — Die Ebene der Pendelung des Beines *) Diese wurden durch Gehen mit entblössten und genässten Füs- sen auf dem Stubenboden gewonnen. 394 besitzt daher in dem gewählten Beispiele eine Neigung von 43% gegen die Mittelebene des Körpers. Das Aufsetzen des Fusses. — Indem während der Pendelung des Fusses die Ferse aus einem Querabstande von der Ganglinie um 6 Cm. in die Ganglinie selbst fällt, wäh- rend der Grosszehenballen den gleichen Querabstand von der Ganglinie behält, erfährt der Fuss eine Drehung seiner Fuss- spitze nach aussen, oder, was dasselbe ist, eine Drehung seiner Ferse nach einwärts um eine Axe, welche aus dem Mittelpunkte des Metatarsusköpfchens I in den Mittelpunkt des Schenkel- kopfes gezogen werden kann; mit anderen Worten: er erfährt die entgegengesetzte Drehung von derjenigen, welche er beim Erheben auf die Zehen erfährt. ‘Wenn nun die Länge der Verbindungslinie des Fersenmittelpunktes und des Grosszehen- ballen-Mittelpunktes 14 Cm. misst, so ergiebt sich daraus als die Grösse des Winkels dieser Drehung 25°23‘. Zwischen der hinteren Stellung eines Fusses und der vorderen Stellung desselben beschreibt also seine Ferse jedesmal eine Drehung von 25%23°; — von diesen können höchstens 12936‘ auf den Uebergang aus der Streckung des Fussgelenkes in die Beu- gung desselben kommen (vgl.: Stehen auf den Zehen), die übrigen 12° 47° müssen Rückkehr aus der durch die „Exten- sion“ des Beines erzwungenen Rotation sein. Wir werden hierdurch darauf hingewiesen, dieser Rotation die eben ange- gebene Grösse beizumessen. Ist, während der Fall des Körpers den Fuss wieder an den Boden drückt, die Fussspitze stark gesenkt, so wird dieselbe zuerst durch den Boden festgehalten und die Fort- setzung der Bewegung schiebt die Ferse viel weiter nach einwärts und vorwärts, als die Pendelung allein es yeran- lassen würde, Dadurch erhält zwar der Fuss eine sehr aus- wärtse Stellung, der Gang erhält aber zugleich eine bedeu- tende Querschwankung und Unsicherheit. Man sieht dieses bei dem tanzmeisterlichen Aufsetzen des Fusses. 395 Ich habe somit meine Aufgabe gelöst, die Elemente der Gehbewegungen unter den einfachsten Bedingungen ihres Zu- standekommens zu untersuchen, wohin namentlich gehörte, dass der Einfluss der Kniebiegung und einer nicht durchaus nothwendigen Fussstreckung ausgeschlossen blieb; deshalb wurde bei djesen Untersuchungen immer vorausgesetzt, dass das Knie stets in steifer Sreckung verharre. Nur auf diese Weise liessen sich die Grundgesetze der Gehbewegung in möglich- ster Einfachheit gewinnen; und wenn auch wohl niemals irgend Jemand so gehen wird, wie es in dem Obigen be- schrieben ist, so ist doch die Möglichkeit eines solchen Ganges vorhanden und dieses genügt, um dieser Untersuchung ihre Stellung anzuweisen. — In dem folgenden Beitrage werde ich untersuchen, wie eine Complication der gefundenen Gesetze zugleich aber auch Erleichterung des Ganges durch verschiedene hinzukommende Momente, namentlich durch die Kniebiegung uud die auch nach dem Eintreten des Fallens fortgesetzte Streckung des hinteren Fusses hervorgbracht wird. In Bezug auf die mitgetheilten Messungen habe ich noch zu bemerken, dass ich immer die betreffende Stellung aus- führte und dann die Maasse nehmen liess; wiederholte Mes- sungen derselben Stellungen gaben den Maassen durch Zie- hen eines Mittels die möglichste Genauigkeit. Winkelmessun- gen wurden mit den einzelnen ausdrücklich angegebenen Ausnahmen nie unternommen, sondern es wurden die Win- kel immer aus den Linienmessungen berechnet. ‘Wo die di- recte Messung ein zu unbestimmtes Maass geben müsste, er- setzte ich sie dadurch, dass ich statt ihrer das Mittel des entsprechenden Maasses an mehreren sceletirten männlichen Becken zur Berechnung verwendete; ‘wo dieses geschehen, ist es ebenfalls jedesmal besonders angegeben. 396 Ueber die unempfindliche Stelle der Netzhaut: im menschlichen Auge. Von ApoLeH Fick, Prosector in Zürich und PıurL pu Bois-REyMoND, Stud. med. in Zürich. (Hierzu Taf. XII.) Unvestreitbar ist die von Mariotte zuerst beobachtete un- empfindliche Stelle der Retina einer der wenigen sichern Ein- gangspunkte in die Erkenntniss von dem Mechanismus der Seelenactionen. In dieser Bedeutung wurde sie unseres Wis- sens von Volkmann*) zuerst aufgefasst. Leider sind aber seine Schlüsse unzulässig, da sie auf einer falsch beobachte- ten 'Thatsache beruhen. Wir glauben der über allem Zweifel stehenden Exactheit des erwähnten Forschers durch diese Behauptung keineswegs zu nahe zu treten, da wir uns im Verlaufe unserer Untersu- chung überzeugt haben, dass zur Auffindung neuer Thatsachen auf diesem Gebiete eine förmlich planmässige Erziehung des Auges gehört. Volkmann aber, der sich wohl nie mit einer eigentlichen Untersuchung über den fraglichen Gegenstand be- schäftigt hat, dürfte sich schwerlich dieser Mühwaltung unter- zogen haben. Gleichwohl hoffen wir, dass jeder — einmal aufmerksam gemacht auf die von uns gefundenen Thatsachen — dieselben leicht wird bestätigen können. Es sei daher *), Wagner’s Handwörterbuch. Art. Sehen. S. 337. 397 gestattet, hier eine Reihe von Versuchen vorzulegen, die ge- eignet sein dürften, einen Blick in die Mechanik der Seele zu eröffnen. Der bequemeren Uebersicht wegen mag hier noch eine kleine Betrachtung Platz finden, welche an die von Volk- mann a. a. OÖ. vorgetragene Ansicht anschliessend und die= selbe widerlegend, sogleich die später aufzuführenden That- sachen als von vornherein ableitbare Folgerungen erscheinen lässt. Man weiss, dass das optisch reelle Bild auf der Netz- haut des Auges mit dem System der objeetiven leuchtenden Punkte, die es veranlassen, in gewissen geometrischen Be- ziehungen steht, zwar nicht in der Beziehung der geometri- schen Aehnlichkeit, jedenfalls aber — und das genügt für uns — liegen die Bilder von zwei Punkten, deren Winkel- abstand aus dem Mittelpunkt des Auges betrachtet unendlich klein ist, auf der Retina einander unendlich nahe, so dass Bild und Objeet (im weitesten Sinne) eine sich vollkommen entsprechende Stetigkeit besitzen. Die Retina sendet nun von jedem ihrer Punkte im Allgemeinen eine Lichtempfindung zur Seele (deren Intensität unter andern auch des Werthes Null fähig ist — schwarz sehen —), und nur eine einzige Stelle, von einer geschlossenen Curve begränzt, im Bereiche der Eintrittsstelle des Sehnerven, macht davon eine Ausnahme; die auf diese Stelle fallenden objeetiven Lichteindrücke wer- den nicht zum Sensorium fortgeleitet. Mehrere Psychologen, und zwar solche, die ganz auf physikalischer Basis zu stehen vorgeben*), haben nun die Ansicht, die Seele setze die Raumvorstellung mosaikartig zusammen aus den von der Retina gelieferten Lichteindrücken. Wäre diese Ansicht richtig, so müsste ein kegelförmig be- gränztes Stück, das den blinden Fleck zur Basis und den Kreuzungspunkt der Richtungsstrahlen zur Spitze hat, und das wir den ungesehenen Raum nennen wollen, ganz aus der Raumvorstellung ausfallen. Es würde gleichsam die Vor- stellung um dieses Stück kleiner sein als der objective Raum. *) Siehe Waitz, Lehrbuch der Psychologie. 398 Diese Ansicht: vertritt Volkmann a. a. O. und zieht die vollkommen richtige Consequenz daraus, dass eine Linie, die den ungesehenen Raum durchsetzt, um das in demselben lie- gende Stück verkürzt erscheinen müsste. Wie wenig sich aber diese Ansicht schon mit der alltäglichsten Erfahrung verträgt, zeigt folgende Betrachtung: Man denke sich ‘das Sehfeld durch eine zur Sehaxe senkrechte weisse Fläche be- gränzt und auf derselben ein System von äquidistanten Pa- rallellinien in einer beliebigen Richtung gezogen, von denen zwei den ungesehenen Raum gerade berühren mögen; da nun die Berührungspunkte nach der soeben dargelegten Ansicht unbedingt in der Vorstellung zusammenfallen müssten, so könnten die Parallellinien nicht mehr parallel, ja nicht ein- mal mehr gerade erscheinen. Ebensowenig würden die übri- gen Linien des Systemes gerade gesehen werden können, sondern sie müssten an der Stelle, wo das Perpendikel von der Axe des ungesehenen Raumes auf sie fällt, eine Kniekung erfahren, da ja aus dem Maasse ihrer Entfernung an dieser Stelle das in jenem Raume befindliche Stück ausfiele. Wir glauben im Gegensatze hierzu behaupten zu müssen, dass die Seele a priori oder anderswoher eine stetige Raum- vorstellung besitzt, die mit dem objeetiven Raume Punkt für Punkt congruirt, und dass sie diese Vorstellung mit den von der Retina gelieferten Lichtempfindungen, soweit diese 'aus- reichen, erfüllt. Da diese aber eben wegen der mitten im Sehfelde gelegenen unempfindlichen Stelle nicht ausreichen, so muss sie den ungesehenen Raum durch Täuschung mit Lichtempfindungen ausfüllen, durch eine Täuschung, deren Gesetze sich von vornherein vermuthen lassen. Namentlich wird.man erwarten dürfen, dass die Qualität der in den un- gesehenen Raum hineingebildeten Empfindungen aus der un- mittelbaren Nachbarschaft hergenommen sein wird. In nähere Details wollen wir uns a priori nicht einlassen, sondern lie- ber die Thatsachen in einer Ordnung anführen, aus welcher die einzelnen Gesetze der Täuschung von selbst hervorgehen. Wir bemerken zuvor noch, dass alle Versuche viel leichter gelingen, wenn man den zu sehenden Objecten ansehnliche 399 Grössen giebt und sie dann natürlich auch in die erforderliche grössere Entfernung bringt. Lineardimensionen von 200— 300"m sind empfehlenswerth. Man lege einen ‚schwarzen Streifen auf weissem Grunde so, dass sein Retinabild den blinden Fleck durchsetzt und beiderseits überragt; dann erscheint er genau so lang, genau so breit, genau so geradlinig begränzt, kurz, genau eben so, als ob sein Bild auf eine andere durchweg em- pfindliche Stelle der Retina fiele (nur darf er keine gar zu geringe Breite besitzen). Dass das im ungesehenen Raum erscheinende Stück des Streifens, obwohl mit dem Ob- jecete übereinstimmend, doch nur durch Täuschung gesehen wird, geht, wenn es sich nicht von selbst verstände, daraus hervor, dass man es gerade so gut sieht, wenn es auch objec- tiv nicht vorhanden ist. Legt man nämlich einen unterbro- chenen schwarzen Streifen auf weissen Grund so, dass die Unterbrechung gerade im ungesehenen Raum liegt, so erscheint ein ununterbrochener Streifen. Ragt von dem Bilde eines sol- chen Streifens nur das eine Ende in den blinden Fleck hinein, so erscheint er um dieses Stück verkürzt, es wird also der ungesehene Raum mit der Empfindung des Weissen, die der umgebende Grund liefert, ausgefüllt *). Recht frappant sind die beiden folgenden Versuche: Man verfertige sich zwei Objeete von der Gestalt wie Fig.1u. 2, und halte sie so, dass in beiden Fällen die Umgegend von a rechts und links von der Linie be in dem ungesehenen Raum liegt, und man wird in beiden Fällen in glei- cher Weise eine Fläche zu sehen glauben, die durch die ununterbrochene gerade durchgehende Linie be in eine schwarze und weisse Hälfte getheilt ist. Wenn also zu beiden Seiten des blinden Fleckes heterogene Lichtempfin- dungen die Netzhaut treffen, so werden dieselben von der *) Vermuthlich beruht Volkmann’s Irrthum gerade darauf, dass es ihm nicht gelang, das Auge gerade so einzustellen, dass sein schwarzer Streif beiderseits den ungesehenen Raum überragte, und er sah daber in allen Fällen die im Text erwähnte Verkürzung. 400 Seele in den ungesehenen Raum jederseits hineingebildet bis zu einer geraden Trennungslinie, welche die beiden Punkte mit einander verbindet, an welchen das Bild der ob- jeetiven Trennungslinie aus dem blinden Fleck beiderseits hervortaucht. Dass dies selbst dann stattfindet, wenn die erwähnte Trennungslinie jede beliebige Krümmung hat, sieht man aus folgendem. Wie in Fig. 3 sei ein schwarzes Flä- chenstück von einem weissen abgegränzt durch eine Wellen- linie, und man lege das Object einmal so, dass das durch die mit @ bezeichnete punktirte Linie umschlossene Flächen- stück, ein anderes Mal so, dass das von der Linie 5 be- gränzte Stück in den ungesehenen Raum fällt; im ersten Falle wird man dann den Anblick Fig. 4 und im zweiten den der Fig.5 haben. Ebenso fällt auch von einem Kreise ein Seg- ment fort, wenn es in den ungesehenen Raum hineinragt. Man sieht leicht, dass man den Versuchen noch unzählige Gestalten geben kann, und man wird leicht nach den bis- herigen. Erfahrungen den Erfolg vorausbestimmen können. Noch zwei Formen gestatte man uns hier anzuführen, durch welche der Seele gewissermaassen eine Verlegenheit bereitet wird. Man betrachte ein Kreuz, das aus einem schwarzen und einem weissen Streifen besteht auf einem Grunde, gegen welchen weiss und schwarz annähernd gleich stark contrastirt (grau oder gefärbt) und zwar der Art, dass die Kreuzungs- stelle in dem ungesehenen Raum liegt. : Dann kann sich dreierlei ereignen, entweder die beiden Streifen erscheinen unterbrochen und der Ton des Grundes wird in den ungese- henen Raum ausgebreitet, oder der weisse Streifen geht durch und scheint den schwarzen zu bedecken, oder endlich der schwarze Streifen thut dies. Diese drei Fälle kommen wirk- lich vor, und zwar scheint das Eintreten des einen oder des andern. mehr oder weniger von Zufälligkeiten abzuhängen (nicht im Geringsten jedoch von der Willkühr, die überhaupt in allen diesen Erscheinungen ohne eine Spur von Einfluss ist). Indessen tritt der erste Fall ziemlich regelmässig dann ein, wenn die beiden Streifen sehr schmal sind und der zweite und dritte Fall treten vorzugsweise dann gern ein. — 401 vielleicht sogar regelmässig, — wenn entweder der weisse oder der schwarze Streifen stärker gegen den Ton des Grun- des contrastirt. Ein Zusammenhang zwischen der Richtung des Streifens und seinem ununterbrochenen Durchgehen, der nicht ganz ohne Wahrscheinlichkeit war, findet entschieden nicht statt. Wenn man durch zwei auf einander senkrechte Linien eine weisse Fläche in 4 Winkelstücke theilt und zwei Scheitelwinkel schwarz malt, die beiden andern weiss lässt, so sieht man diese Figur in allen Lagen gleich gestal- tet, welcher Theil ihres Retinabildes auch auf den blinden Fleck fallen möge, ja man sieht noch dieselbe Figur, wenn der gemeinschaftliche Scheitel in dem ungesehenen Raume liegt. Nur wenn man das Object so weit entfernt, dass etwa ein ganzes Winkelstück in jenen Raum hineinfällt, dann breitet sich die Qualität des Eindruckes von den beiden Nebenstük- ken her über dasselbe aus, und es erscheint dann die Figur entweder aus drei schwarzen und einem weissen oder aus drei weissen und einem schwarzen Stücke zusammengesetzt. Indem wir noch mit farbigen Papieren operirten, fanden wir einige sehr überraschende Thatsachen, die zwar streng genommen nicht zur Sache gehören, die aber einstweilen des mehr zufälligen Zusammenhanges wegen hier noch eine Stelle finden mögen. Betrachtet man einen farbigen Streifen auf farbigem Grunde, wenn beide Farben sehr intensiv und rein sind (wir bedienten uns namentlich eines rothen und eines blauen Papieres von nahezu homogener und daher blendend intensiver Färbung, wie es zum Anfertigen künstlicher Blu- men angewandt wird), so sieht man bei andanernder Fixation fast immer den Streifen verschwinden und die Farbe des Grundes durchgehen, wenn sein Retinabild um eine namhafte Grösse von der Sehaxe entfernt liegt, mag es sonst im blin- den Fleck liegen oder nicht. Besonders bemerkenswerth erscheint uns noch diese Fol- gerung aus den beschriebenen Thatsachen: Die Intensität der Empfindung kann nicht ganz allgemein proportional sein der lebendigen Kraft, welehe von der Nervenperipherie her auf das Sensorlum übertragen wird. Denn sonst müsste eine Müller's Archiv. 1858, 26 402 weisse Fläche von objeetiv gleicher Helligkeit nicht durch- gängig gleich hell gesehen werden, wenn irgend ein Theil davon im ungesehenen Raume liegt. Sollte man aber meinen, einer solehen Fläche werde überall gleich viel Helligkeit ent- zogen, um sie in den ungesehenen Raum zu verbreiten, so dass sie doch überall gleich hell erscheinen müsste, so kann man sich durch folgenden Versuch leicht überzeugen: man sehe durch ein enges, innen schwarzes Rohr auf eine weisse Fläche und lasse einmal den blinden Fleck im Bereiche des Lumens, ein anderes mal nicht; es müsste bei diesem Ver- suche doch offenbar ein beträchtlicher Unterschied der Hel- ligkeit hervortreten, was entschieden nicht der Fall ist. Eine fernere Reihe von Versuchen haben wir angestellt um zu ermitteln, was sich ereignet, wenn sehr intensiv leuch- tende Gegenstände in dem ungesehenen Raume liegen. Wenn man die Sonne ganz unmittelbar in denselben bringt, so ist man niemals im Stande, den Erfolg mit vollkommener Si- cherheit zu beobachten, weil immer noch eine grosse Zahl empfindlicher Retinaelemente von dem blendenden Lichte in der Umgebung der Sonne getroffen wird.” Doch scheint das scharfe Sonnenbild zu verschwinden und nur mit jenem er- wähnten Lichte der Umgebung der ungesehene Raum erfüllt zu werden. Geblendet bleibt, wie gesagt, das Auge im- merhin. Dieser wie einige der folgenden Versuche sind na- türlich sehr anstrengend und nicht leicht anzustellen, da es sehr schwierig ist, wenn ein sehr glänzender Punkt im Sehfelde liegt, einen andern vollkommen zu fixiren. Wir brachten ferner das Sonnenbildchen im Focus einer Sammellinse in den ungesehenen Raum. Ganz wie sich er- warten liess, verschwindet es vollständig und namentlich, wenn man sich soweit davon entfernt, dass auch noch der Glanz in der Umgebung desselben im ungesehenen Raume liegt, so sah man mit aller Bestimmtheit eine ununterbrochene schwarze Tafel (in welche die bildmachende Linse eingefügt war). Eine höchst eigenthümliche Erscheinung wurde noch 405 beobachtet. wenn man möglichst nahe an das Bildehen her- anging. In dem Momente nämlich, wo dasselbe recht in die Mitte des ungesehenen Raumes zu liegen kam, färbte sich der es immer umgebende Lichtnebel mit einem brillanten Purpur, doch ist die Erscheinung der unvermeidlichen kleinen Öseillationen des Auges wegen nie von langer Dauer. Wir haben es übrigens unterlassen zu dürfen geglaubt, die Licht- stärke des Bildehens genauer zu ermitteln. Es genügt zu sagen, dass es immer noch von ziemlich blendender Hel- ligkeit war. Liehtflammen und der Vollmond können immer leicht zum vollständigen Verschwinden gebracht werden. Es bleibt nun noch übrig unsere Messungen der Grösse des blinden Fleckes hinzuzufügen. Dieser Theil unserer Un- tersuchung erforderte eine mehrere Monate fortgesetzte Ue- bung, weil es so ausserordentlich schwierig ist, bei scharfer Fixation eines Punktes die Aufmerksamkeit auf einen andern zu richten. Ueberdies wurde noch die scharfe Fixation eines einigermaassen entfernten, durch die Kurzsichtigkeit, an der wir beide leiden, bedeutend erschwert. Nach vielen vergeblichen Versuchen fanden wir endlich die gleich zu beschreibende Methode am bequemsten. Sie lieferte bei jeder Wiederholung gut stimmende Resultate. Anf einer gut beleuchteten hellgrauen Wand wurde in der Höhe des Auges bei aufreehter Stellung als Fixationspunkt ein kleiner Kreis von schwarzem Papier aufgeklebt und die Durchschnittslinie der zur Wand und zum Fussboden senk- rechten Ebene, welche den Fixationspunkt enthielt, mit dem Fussboden durch einen Kreidestrich bezeichnet. In einer genau gemessenen Entfernung von etwas über 1” zur Linken von dieser Ebene war an der Wand ein senkrechter Faden befestigt, auf welchem sich ein zweiter kleiner schwarzer Kreis auf und ab verschieben liess, so dass er vermöge der Reibung in beliebiger Höhe fest stehen blieb. Stand nun dieser Kreis in einer gewissen gemessenen Höhe, so bewegte sich der Beobachter mit geschlossenem rechten Auge und das linke immer senkrecht über dem Kreidestriche haltend, rück- 26* 404 wärts von der Wand weg und bezeichnete die Stelle, wo bie genauer Fixation des ersten Kreises gerade die rechte Hälfte des zweiten Kreises in den ungesehenen Raum eintrat. Die nun gemessene Entfernung des Auges vom Fixationspunkt lieferte mit der Lage des verschwindenden Punktes, wie man leicht sieht, einen Punkt auf dem inneren (dem der Mittel- linie des Körpers zunächst gelegenen) Rande des blinden Fleckes. Durch mehrmaliges Hinundhergehen und wieder- holtes Messen wurde allemal die erste Messung controllirt und ein Mittelwerth als richtig angenommen. Bei schon er- müdetem Auge kam es zuweilen vor, dass eine Messung un- verhältnissmässig von den andern differirte. Wir glaubten indessen solche, als auf mangelhafter Fixation beruhend, ganz unberücksichtigt lassen zu dürfen. Durchschnittlich weichen die Messungen nicht viel über 0,02" von einander ab, und das Mittel dürfte wohl bis auf 0,01 genau sein. Hätten wir mit dem nämlichen Apparate Punkte des äus- seren Randes bestimmen wollen, so hätten wir soweit zurück- treten müssen, bis der kleine Kreis wieder auf der andern Seite aus dem ungesehenen Raume hervorgetaucht wäre. Diese Entfernung war aber so gross, dass eine vollkommen genaue Fixation nicht mehr möglich war. Wir hingen des- halb für diesen Zweck den Faden mit dem zweiten schwar- zen Kreise näher an den Fixationspunkt und bestimmten so die nun weit kleineren Entfernungen, in welchen der kleine Kreis gerade mit seiner rechten Hälfte aus dem ungesehenen Raume wieder auftauchte. Aus allen so gewonnenen einzelnen Daten construirten wir die Durchschnittskurve des ungesehenen Raumes mit einer Fläche, die in einer bestimmten Entfernung normal zur Sehaxe steht. Die beiden’Kurven in Fig. 6 geben eine genaue Darstel- lung davon für unsere linken Augen und für eine Entfernung von 0,3%. a ist der Fixationspunkt und ab die Horizontale, Einen Begriff von dem wahrscheinlichen Fehler in den von a aus gerechneten Polarkoordinaten dieser Kurve giebt die Betrachtung der Figur 7. Der Beobachter A stehe gerade so, dass ihm der Punkt d eben verschwindet, wenn er c ’ 405 fixirt. Das Dreieck Ocd ist bei ce rechtwinklig, und werde von der in der gewünschten Entfernung gedachten Tafel in der Linie ab geschnitten, die auf Oc ebenfalls senkrecht steht und eine der Polarkoordinaten ist. Setzt man 0c = B, cd = R und ar = r, lässt man Or = 1” sein, so hat man r = Die Grösse R kann für unsere Zwecke als absolut richtig gemessen angesehen werden, und der Fehler liegt allein in B, man setze ihn = AB, dann wird der Fehler Ar von r. z AB = — e AB. Im ungünstigsten Falle war nun R< 0,66 und B> 2,5, daher dr aB nicht grösser als 0,01 ist, so kann der Fehler in den Polar- koordinaten nicht grösser als 0,00105 sein. Wir haben übri- gens dieselben der grösseren Bequemlichkeit halber durch Zeichnung gefunden, was jedoch begreiflicherweise die Feh- lergränzen nicht wesentlich erweitert. Aus den in der Fig. 6 verzeichneten Grössen kann man nun mit Leichtigkeit den Winkelabstand der Durchschnitts- linien des ungesehenen Raumes mit der Horizontalmeridianebene des Auges von der Sehaxe berechnen, sowie die Differenz dieser beiden Winkel oder die Parallaxe derselben in jener Ebene. Aus ihr und der Entfernung des Kreuzungspunktes der Richtungsstrahlen von der Retina ergiebt sich endlich. Diese Grössen haben folgende Werthe: Winkelabstand des inneren Endes von der Sehaxe: 18,3% für den einen und den andern Beobachter, Winkelabstand des äusseren Endes 12,0 für den einen, 12,9° für den andern Beobachter. Daraus ergiebt sich im einen Falle eine Parallaxe von 6,3° und im andern eine von 5,4°. Legt man nun die von Moser*) angegebene Entfernung des von ihm sogenannten hinteren Hauptpunktes (der nicht zu verwechseln ist mit dem von Gauss soge- nannten Punkte) von der Retina zu Grunde, so ergiebt sich Ar = < 0,105, folglich wenn der obigen Annahme gemäss AB *) Dove’s Repertorium für Physik. Bd. V. S. 373. 406 als horizontale Breite des blinden Fleckes im einen Falle der Werth 0,00161®, im andern 0,00137m*). Ueber die Ursache der Unempfindlichkeit der besprochenen Stelle wagen wir noch kein Urtheil, doch scheinen uns die Grösse sowohl als die Gestalt derselben sehr entschieden gegen die Ansicht zu sprechen, als sei der Eintritt der Arteria centralis retinae der Grund. Hingegen möchte wohl der oben erwähnte pur- purrothe Lichtnebel von dem in dieser Arterie enthaltenen Blute herrühren, indem sich vielleicht, wenn dasselbe stark erleuchtet wird, ein rother Schimmer von an den Blutkörper- chen unregelmässig reflecetirtem Lichte verbreitet. Die hier noch beigefügten beiden kleinen Tabellen geben die einzelnen berechneten Polarkoordinaten von a aus ge- rechnet an, aus denen die beiden Kurven Fig. 6. construirt wurden, und zwar bezieht sich die erste auf Punkte des Randes links, die zweite auf Punkte des Randes rechts, die Werthe derselben sind ausgedrückt in Dezimaltheilen der Entfernung des Auges vom Fixationspunkt. — Die erste Spalte drückt den Polarwinkel folgendermaassen aus: für die Punkte des linken Randes giebt die in der ersten Spalte ent- haltene Zahl dividirt durch 1,115 die trigonometrische Tan- gente des Polarwinkels (von der Horizontalen ab als Anfang); für die Punkte des rechten Randes findet man die trigono- metrische Tangente des Polarwinkels von derselben Anfangs- linie aus gerechnet, wenn man die Zahl in der ersten Spalte durch 0,65 dividirt. Nach dem oben Gesagten müsste man, wenn der Meter als 1 genommen wird, die Radienveetoren der Fig. 6 mit '? multiplieiren, um die in den Tabellen ent- haltenen Zahlen zu erhalten. *) Die beträchtliche Abweichung der Valentin’schen Angaben von unsern kann Niemanden wundern, der seine Methode mit der unsrigen vergleicht. Siehe Valentin, Handbuch der Physiologie. II. Bd. 2. Abth. S. 105 ffgd. Ausserdem hat noch Hueck eine Messung und Zeichnung des blinden Fleckes gegeben (Müller’s Archiv. Jahrg. 1840. S. 90), doch haben wir die von ihm bemerkten Verästelungen desselben nicht finden können. Einige an demselben Orte von ihm angegebenen Versuche widersprechen zwar der Volkmann’schen Theorie, stimmen aber mit unsern nicht überein, 407 I. Punkte des linken Randes. Il. Punkte des rechten Randes. Radienvektoren. Radienvektoren. für Indivi-| für Indivi- a # duum A. | duum B. für A. für B. 0,15 | 0,309 | 0,09. | +01 | 0246 | oo +01 | 037 | 0327 |+05 | 0223 | oz 0 | 0330 | 0,30 o | o26 | 092 -015| 0321 | 0,334. | -005 | 0219 | 0,229 02 0312 rd. Bestim.| _ 01 | 0228 | 020 - 0,15 | 0242 | 0,252 0,269 +1 408 Beitrag zur Temperaturtopographie des Organismus. Von Lupwiıe Fick. Ein Stück Carotis eines Hundes von 3 Zoll Länge, an einem Ende fest zugebunden, über einen Thermometer gestreift, und bei einem Quecksilberstande von 12°R. in ein Gefäss mit Wasser von 50° dergestalt eingetaucht, dass durch einen dicht auf der Wasserfläche angebrachten Deckel und resp. dessen mittlere Oeffnung nur der in der Carotis steckende Theil des Thermometers mit dem Wasser (und dessen Däm- pfen) in Berührung kam, ergab binnen 35 Sekunden eine Steigung der Quecksilbersäule um 18° R. — Ich schloss den Versuch, bevor die Temperatur des Wassers erreicht war, da es nur der Schnelligkeit galt, mit welcher die Wassertempe- ratur durch Arterienwände im Vergleich zu andern Geweben hindurchgeht, ich also den Stillstand der Quecksilbersäule nicht abwarten durfte. — Derselbe Versuch mit einem ent- sprechenden Stücke Vena jugularis ergab bei einem gleichen ursprünglichen Quecksilberstande eine Neigung der Queck- silbersäule um 25° R. binnen 24 Sekunden. — Bei mehrmali- gen Wiederholungen dieser Versuche schwankte die Zeit, in welcher die Quecksilbersäule 5° R. erstieg, mehrmals um einige Sekunden, es blieb aber das Gesammtresultat immer ziemlich genau dasselbe, so dass unter allen Umständen die Leitungsfähigkeit der Venenwand (abgesehen von der ver- schiedenen Dieke) mehr als doppelt so gross war, als die der Arterie. — Zu bemerken habe ich dabei noch, dass die Arterien (obgleich in sie während des Lebens dasselbe 409 Thermometer mit Leichtigkeit eingeschoben wer- den konnte), stark ausgespannt werden musste, um das Thermometer aufzunehmen, während die viel weitere ent- sprechende Vena das Thermometer sehr locker umgab. In den rechten Ventrikel des Herzen seines kräftigen Hun- des wurde das Thermometer bis zur Spitze eingeschoben und unter obigen Vorsichtsmaassregeln, bei einem Quecksilberstande von 15°, in Wasser von 40° eingetaucht, worauf der Queck- silberfaden in 2 Minuten von 15° — 28° stieg. — Bei dem herausgenommenen Herzen sank das Thermometer, nachdem es in der linken Ventrikel bis zur Spitze eingeschoben war, sofort binnen 12 Sekunden bis 19°. — Da das ganze Herz vorher in beiden Ventrikeln die Temperatur 15° gezeigt hatte, so war in 2 Minuten die Temperatur des linken Lumen um 4°, die des rechten Lumen um 13° gestiegen. In den Bronchus eines unverletzten Lungenlappens das Thermometer so weit, als es ohne Zerreissung möglich, ein- geschoben, stieg im, Wasser von 38° der Quecksilberfaden von 15° bis 25° binnen 3 Minuten, und zwar in der ersten Minute nur um 1%, In das Parenchym eines Leberstücks wurde das Thermo- meter dergestalt eingestossen, dass es in der Mitte eines 4 Zoll langen und 1 Zoll dicken Leberstücks gegen 21% Zoll tief steckte. Es stieg durch die Lebersubstanz, im Wasser von 36°, die Quecksilbersäule von 15° bis 2514° binnen 3 Mi- nuten, und zwar in der ersten Minute um 4%. Auch diese Versuche geben bei mehrmaliger Wiederholung wie die Ge- fässwände fast völlig dieselben” Resultate. Ich bringe diese Versuche nur vor, um zu beweisen, wie ungenügend es ist, wenn man bei dem Studium der Teimpe- raturunterschiede einzelner Theile des Organismus sich be- ruft auf Messungen von Temperaturdifferenzen, welche an geschlachteten Thieren und der Abkühlung zugänglich ge- machten Körpertheilen vorgenommen sind. — Wenn der Un- terschied in der Abkühlungsfähigkeit des rechten und des linken Herzens so ungeheuer ist, wie vorstehend, so bewei- sen auch die eiligsten Messungen des Herzens nach Oeflnung 410 des Thorax für Temperaturdifferenzen des rechten und linken Herzens offenbar — nichts. Ganz ebenso leiden die Untersuchungen von Brodie und Andern über den Antheil der Respiration oder Nervenaction an der Wärmebildung, welche mit der Substitution einer künstlichen Respiration gemacht sind, an einem Fehler, den ich nirgends gerügt finde. | Es ist aus dem Bau der Respirationswege der warmblü- tigen Thiere sehr wahrscheinlich, dass ihre factische Blut- wärme grösser sein wird, als sie aus den wärmebildenden Faetoren in Verbindung mit den Wärmeverlusten im Binnen- raume des Körpers sich stellen würde, wenn die Communi- cation der Respirationsfläche mit der Atmosphäre grösser wäre als sie wirklich ist. — Der im Vergleich zu der Respi- rationsfläche im Lungenlumen ganz ausserordentlich kleine Querschnitt der Stimmritze muss eine Anhäufung von Wärme im Thorax so sehr begünstigen, dass ein Versuch, bei wel- chem eine freiere Communication zwischen Wärmebildungs- heerd und Atmosphäre als die normale angewendet wird, unbrauchbar erscheint für die Beurtheilung der normalen betreffenden Temperaturen. Dies sind unter Anderm Gründe, die es mir werthvoll erscheinen lassen, wenn als Grundlage zu weitern Studien zunächst der Versuch gemacht wird, die Temperaturtopogra- phie des Organismus möglichst genau festzustellen. — In diesem Sinne lege ich einstweilen die folgenden ther- mometrischen Messungen vor. Da die thermometrischen Messungen vollkommen genügen, um wesentliche Differenzen zu constatiren, wenn sie mit einem und demselben Instrument ausgeführt sind, so habe ich sie zunächst thermoelectrischen Messungen vor- gezogen, welche einmal sehr schwierig auszuführen, sehr be- trächtliche Fehlerquellen bietend, werthlos gewesen wären, wenn nicht nach jedem Versuche die Section des Thieres die Controlle über den mit der Nadel in Berührung gewesenen Ort geliefert hätte. Die folgenden Messungen sind alle mit einem und 411 demselben Instrument ausgeführt, einem Thermometer, dessen (platter) Quecksilberfaden von 0°— 80° 4 Pariser Zoll lang ist; das Glasrohr ist ziemlich fein und das Quecksilber- reservoir ist in einem langen Cylinder ausgezogen von der Dicke des Glasrohrs. Die Theilung ist nach Reaumur auf das Glasrohr eingeätzt und die Stelle von 25° —35° an der hinteren Seite geschwärzt, um mit grösserer Leichtigkeit im rechten Winkel auf den Quecksilberfaden zu sehn. Das In- strument ist bei den meisten Messungen bis in die Nähe von 30° in den Organismus eingeschoben worden und bei dem Herzen immer, bis man deutlich das Herz um den Quecksil- bereylinder pulsiren fühlte. — Zur Prüfung des Herzens wurde immer die rechte Seite des Halses aus selbstredenden Gründen gewählt. In Beziehung auf die Messungen der Hirntemperatur be- merke ich, dass die Kopfhöhle mit einem sehr kleinen Tre- pan geöffnet wurde, worauf die Dura mater zerschnitten und das ziemlich genau in die Trepanöffnung passende Thermo- meter geradezu in die Hirnmasse eingeschoben wurde. — Es war diese Operation besonders darum schwierig, weil sie mitten durch den musculus temporalis hindurch ausgeführt werden musste (die Gründe warum? leuchten von selbst ein); allein mit Ausnahme starker Krämpfe, die immer während des Einsenkens des Thermometers in die Hirnsubstanz ein- traten, vertrugen die Thiere die Operation ziemlich gut, blu- teten nicht sehr bedeutend und befanden sich nach der Ope- ration verhältnissmässig wohl. Ich lasse alle theoretische Betrachtung über die folgenden Versuche weg, da ich mit weiterer Untersuchung über die Temperatur des Organismus beschäftigt, solche erst später anzustellen gedenke. Einst- weilen aber scheint es mir nicht ohne Interesse, die folgen- den Thatsachen vorzulegen, da dieselben z. B. schon direet die Illusion von einer Temperaturdifferenz zwischen rechten und linken Herzen zerstören, vielmehr beweisen, dass im Thorax so viel freie Wärme vorhanden, dass das abgekühlte Venenblut schon im Herzen wieder erwärmt wird, — da die folgenden Versuche z. DB. das schon gekannte, aber für Beobachtungs” 412 fehler gehaltene mögliche Temperatur-Maximum im Reetum und Vagina als Thatsache feststellen u. s. w. Versuch I. Hund A. grosser Jagdhund, Morgens 11 Uhr, Temperatur des Zimmers 10°. (Der Hund ist unruhig und wird deshalb mit 40 Tropfen Opiumtink- tur, in den Mund geschüttet, narkotisirt). 1. Carotis 30° — (das Ther- mometer ist nur bis an den Eingang des Thorax einge- schoben). 2. Vena jugularis 31° (das Thermometer ist bis ins Herz geschoben). 4. Rechtes Herz 31° (!, St. ist seit d. Anf. verflossen). 5. Hirn 31° (unter heftigen Krämpfen). 6. Rechtes Herz 31°. 7. Linkes Herz 31°. 8. Penisschlauch 30°, 3. Carotis 31° (bis ins Herz| 9. Rectum 311°. geschoben). Perforation des Kopfes. 10. Hirn 31°, jedoch nicht ganz voll. — Ende 1 Uhr. Versuch I. Hund A. am Tage nach der ersten Operation, Morgens 11 Uhr, Temperat. d. Z. 10°. (Der Hund ist sehr ruhig — wird nicht narkotisirt). 1. Rectum 32° (jedoch nicht ganz voll). 2. Rechtes Herz 31°. 3. Linkes Herz 31°. 4. Hirn 311°. 5. Thorax 31° (das Thermo- meter wird durch eine in der Seite gemachte Troikar- öffnung in der Mitte. des Thorax eingeschoben). 6. Penisschlauch 29°, Versuch Il. Hund B. (kleiner Jagdhund) Nachmittags 4', Uhr, Temperat. d. Z. 10°. 1. Penisschlauch 28°. 2. Rectum 32°, jedoch nicht ganz voll. 3. Rechtes Herz 32°. 4. Peripherisches Venenende 32° (das Thermometer nach . Carotisherz 311°. . Venenherz 31! °. . Carotisherz 3114°. dem Kopfe zu bıs an 30° eingeschoben). Trepanation und bei der- selben heftige Krämpfe. 10. Reetum 311%°. 5. Hirn 31°. 11. Hım 3194: 6. Rectum 31'4°. 12. Penisschlauch 30'%° Nachdem sich die Krämpfe beruhigt haben, wird die vor- her sehr kräftige Respiration sehr langsam, besonders auf- fallend bei Versuch 8 u. 9, es tritt Sopor ein und der Hund erscheint fast sterbend; jedoch wird nach Beendigung des Versuchs gegen 5'% Uhr die Respiration wieder kräftiger und der Hund erholt sich wieder nach und nach. Versuch IV. Hund B. am Tage nach der ersten Operation Nachmittags 3 Uhr, Temperat. d. Z. 10°. 4 (Der Hund ist matt, jedoch völlig bewusst, beim Aufbinden sehr geduldig). 1. Penisschlauch langsam bis 2514,% . Recetum 26°, . Hohlvenenherz 27°. . Aortenherz 26°/,°. . Kopfhöhle 26'4°. . Venenherz 26°. . Arterienherz 25°/,°. . Hirn 25%/% (heftige Krämpfe). 9. Venenperipherie 25°. 10. Venenherz 25%/° (Herz- schlag sehr langsam, Respi- ration sehr klein). [pe wm 11. Rectum 2514 °. 12. Brusthöhle 251/4° (Herz- schlag langsam). 13. Venenherz 25°/° (Herz- schlag und Respiration im- mer langsamer). ‚14. Blut während des Sterbens aus den offnen Halsgefässen fliessend gemessen, indem nur der Quecksilbereylinder in die Wunde eingetaucht wird, 241/,9. 15. Brusthöhle unmittelbarpost mort. 241/,°, Ende 4 Uhr. Versuch V. Hund ©. (mittlerer Jagdhund) Nachmittag 3%, Uhr, Temp. d. Z. 111%°, (Der Hund hat sehr stark angefüllten Bauch). 414 . Reetum 32°, . Penisschlauch 281/,°. . Venenherz 32°. Pov- . Carotisherz 32°. [2,1 . Venenperipherie 31'%°. 6. Carotisperipherie fast 32°. 7. Reetum 31° (steckt in fe- stem Koth). 8. Penisschlauch 29'4°. Der Hund verhielt sich fortwährend ausgezeichnet ruhig. Versuch VI. Hund C. (am Tage nach der ersten Operation) Nachmittag 4 Uhr, Temperat. d. Z. 11°, 1. Rectum 321. 9. Hirn 32° (Schmerz, doch 2. Penisschlauch 31%/4° (sehr| nicht wirkliche Krämpfe). langsam). 5 1/0 . Venenherz 321% °. . Carotisherz 32'%°, . Venenherz 32!4°. . Carotidenherz 321°. . Venenherz 32!/,°. a SP ww . Venenperipherie 312°, 10. Linkes Herz 32!% (sehr knapp). 11. Rectum 32°. 12. Penisschlauch 311%. 13. Thorax 32°. 14. Hirn sehr nahe an 32°, 15. Venenherz 31°/,. Trepanation, dabei mässige 16. Arterienherz sehr nahe Schmerzensäusserung. an 32°. Versuch VI. Hund D. (grosser Hofhund, weiblichen Ge- schlechts), Vormittag 111% Uhr, Temperatur .d. Z. 145/40. 1. Rectum 32! (langsam ge-| Thermometer lässt sich nicht stiegen). weit hinaufschieben,; so dass 2. Vagina 321%° (sehr schnell| es nur unten von Oarotis gestiegen). Venenherz 3214 °. 3. 4. Venenperipherie 32° (sehr | haft. und Haut bedeckt ist.) Trepanation sehr schmerz- knapp und sehr langsam| 7. Hirn 32° (knapp), wegen steigend). grosser Unruhe wird Opium 5. Arterienherz 32'/, (beinahe in die Vene injicirt. 32149). $. Hirn (10 Minuten später) 6. Carotisperipherie 29° (das| 3114, 415 9. Hirn (10 Minuten später) |13. Vagina 32°. 31149 (b. Rhonchus u. Sopor). | 14. Hirn 31°. 10. Venenherz 31'% (Respirat.| 15. Reetum 3114°. sehr beschleunigt und kurz). 11. Arterienherz 32°, Während der Versuche Nr. 10—15 erscheint der Hund 12. Reectum nach starker Ent- | fast sterbend. leerung 31'%°. Am Anfang der Operation wurde zufällig der Pleurasack verletzt, so dass bei mancher Bewegung etwas Luft in den Thorax durch die Halswunde eintrat. — Ende 13/, Uhr. Versuch VI. HundD. (sechs Tage nach der ersten Operation), Morgens 9 Uhr, Temperat. d. Z. 15°, 1. Recetum 32'4°. 2. Vagina 3214°. 3. Thorax 32'4°%. (Da die Gefässe nicht wieder geöff- net werden konnten, so wurde das Thermometer in die Wunde längs der oblite- rirten Gefässe in dem Me- diastinum so tief in den Tho- rax eingeschoben, bis man mit demselben das Herz be- rührte und dessen Schläge deutlich fühlte. 4. Hirn 32'%°. 5. Thorax 3214°, 6. Hirn 3214°. Versuch 7. Reetum 3214°. 8. Vagina 323,0, 9.1 Thorax 323/49, 10. Hirn 321%°, 11. Bauchhöble 321°, (in der linea alb. geöffnet). ‚12. Thorax von aussen perfo- rirt 32140. 13. Vagina beinahe 33°, 14. Rectum 321°. 15. Hirn 323/4° (unter sehr heftigen Schmerzen). 16. Thorax von der Halswunde aus 3214°, (Respiration war immer langsam und tief). IX. Hund E. (grosser Hofhund), Morgens 11 Uhr, Temperat. d. Z. 10°, (Schon vor einem halben Jahre war an diesem Hunde Carotis und Jugularis dext. unterbunden gewesen). 416 1. Vagina 32°, 2. Rectum 32°, 3. Venenherz (durch die Ju- gularis interna) 32° (nicht ganz voll). 4. Venenperipherie (Thermo- meter ist nicht einzuführen). 5. Arterienherz 32°, 6. Arterienperipherie (Carot. sinistr.) 32°, 7. Reetum 321°. 8. Vagina 321°. 9. Arterienherz 32°, 10. Arterienperipherie 31°/,, (bei längerer Beobachtung zwischen 3114° und 32° schwankend). tn. Da durch die Vene der Weg nach dem Herzen sich nicht mehr praktikabel zeigt, wird das T'hermometer längs der grossen Gefüsse in den Mediastinalraum bisans Herz geschoben u. zeigt hier 32°, 12. Bauchwunde zwischen Fell und Muskelwand 31°. 113. Bauchhöhle 32°, 14. Vagina 321%. 15. Carotisherz 32° (sehr völ- | lig, fast mehr). 16. Thorax im Mediastinalraum wie oben 32°, 17. Reetum 32'%°. 13. Vagina 32'%° (fast mehr). Der Hund ist während der ganzen Operationszeit sehr ruhig, während des Einsenkens des Thermometers in den Me- diastinalraum starke palpitatio cordis. Nach Beendigung der Operation ist der Hund völlig munter. Versuch X. Hund E. (am Tage nach den Versuchen sub IX), Morgens 11', Uhr, Temp. 1. Rectum 3214°. 2. Vagina 321% °. 3. Thorax 32'4° (durch Ein- schieben längs der Gefässe vom Halse aus). Trepanation unter heftigen Krämpfen. 4. Trepanationswunde 31°, d. Z. 16°. (bei jedem Versuch, das In- strument ins Gehirn einzu- senken, heftige Krämpfe). 5. Hirntiefe 321°. 6. Vagina 33°. 7. Rectum 321%, 8. Hirntiefe 321% unter sehr heftigen Krämpfen. Versuch XI. Hund F. grosser Pudel, Morgens 10 Uhr, Tem- peratur d. Z. 13°. 4 417 ten nachher 31°. 5. Arterienherzıwährend'wie- „der )die,'Trachealwunde ge- „schlossen wird 31" °. | (6. Arterienherz'. nach | aber- maliger :Oeffnung. der Tra- chea 31'/ (inzwischen ist die Frequenz>.der Respira- tion. 'bis' ins unzählige: 'ver- mehrt.) . Reetum 3134 °. Arterienherz 31° bei offe- ner Trachea, puls. et respi- rat. innumerabilis; 1. Reetum: 321/,°. 2. Venenherz. 32°. 3. Arterienherz 32°, Wird die 'Trachea durch- schnitten bis auf die membra- nöse Hinterwand und das un- tere Ende aus der Wunde her- vorgezogen, sodass die Luft durch das volle Lumen dersel- ben in den Thorax ein- und ausströmen kann, worauf so-| 7 fort die Respiration sich sehr | 8. beschleunigt. 4. Arterienherz einige Minu- Durch eine Sutur wird die Trachea wieder. geschlossen, worauf die Respiration wieder ruhiger «wird und. der/’Hund ziemlich munter das Zimmer verlässt. Versuch XU. HundF. (am 5. Tage nach der ersten Bauen); Morgens 10 Uhr, Temperat. d.Z. 15°... „,»; Der Hund hat seit der ersten Operation fast Aldhiks gefressen; die Halswunde an der rechten Seite sehr geschwollen; da alle Muskeln durch 'geronnenes Exsudat ungeheuer verdickt und die verwundeten Gefässe in sehr festes Exedat eingebacken sind, so ist diese Seite nicht mehr praktikabel. 1. Reetum 32°. 3. Carotis sinistra (bis ins 2. Carotis sinistra (bis ins Herz) 321°. Herz) 32°/°, dann sehr nahe an 33°. Hierauf Eröffnung der Tra- 4. Carotis sinistra (5 Minuten später) 32°/,°. Darauf treten einige tiefe chea, nach welcher die Respi- | röchelnde Respirationen ein, rationsbewegungen beinah völ=\beil/welchen Blut ‚durch die lig ausbleiben, so dass am zu-| Trachealwunde sammengesuukenenThoraxsich | wird, worauf das Thermometer gar keine Respiration beobach- | wieder bis 32'4 sinkt und hier ten lässt. |bei abermals völligen 'Stll- Müllers Archiv. 1853 27 ausgehustet 418 stand der Respirationsbewe-| Rückkehr mässiger Respira- gungen stehen bleibt. tionsbewegung,; 5. Unterbindung der 'Carotis| 6. Rectum 3214° Ende 11 Uhr. und Herstellung (des norma-| Der Hund gehtzwar schwach len Respirationswegs, darauf, "aber doch munter weg. Eine. andere Versuchsreihe wurde mit 3 Männern A., B. und C. angestellt. A. ist 26 Jahr, B. 30 Jahr, C. 40 Jahr alt; alle 3 gesund und kräftig; 'C. etwas fett; A. und ©. mittlerer Grösse, B. etwas länger und mager. I. Temperatur des Zimmers 21°. A. B. ©. Mundhöhle unter der Zunge mit geschlosse- nem Munde 31° 301% ° 30%, 9 Achsel 2914| 290 | 290 NB. Viermal mit immer gleichem Resultate wiederholt. U. Nachmittag 3 Uhr. Temperatur d. Z. 15%. A. B. C. kräftige. Mahlzeit | kräftige. Mahlzeit ohne Wein, kräftige ohne. Wein und |m.2GläsernRoth- Mahlz. und Kaffee. ohne. Kaffee. wein u. Kaffee. Mundhöhle 2914° 2817° 30'4° Berum 3034 | 31° | 3134 II. Vormittag 11 Uhr. Temperatur d. Z. 140, A. B. C. Katarh: | Allgem. Unwohl- | Reconvaleseent 'v. sein. Katarh. Mund- 30%4° (1.Mess.) 30%4° (1. Mess.),| 30%4°..(1..Mess.) höhle, 310. (2. Mess.) | 304° (2. Mess.) |,3024° (2. Mess.) Reetum 31° | 31° 3114° 419 IV. Nachmittag 3%4 Uhr. Temperatur d. Z. 20°. A. B. C. Sur x e Mittagsmahl mit Reconvalescent, kräfti Mittagsmahl und 9 Glas Rothwein tiges Mahl und Kaffee. Kaffee. adKnlfse: Mundhöhle 30140 30149 30349 Rectum 31° | 31° | 3114° 420 Ueber die Brut des Oladonema radiatum und deren Ent- wickelung zum Stauridium. Von Dr. A. Kronn. {Hierza Taf. XIII.) D:. Beobachtungen, die ich hier mittheile, sind schon in einem Berichte aus Messina, den ich dem Herrn Herausgeber zusendete, in gedrängter Kürze zusammengestellt worden (dies. Arch. 1853. S. 137). Sie betreffen die Entwickelung einer von Dujardin entdeckten, den Syncorynen nahe ste- henden Polypengattung, die, wegen der ins Kreutz gestellten Arme oder Tentakeln der Polypenthiere, den Namen Stauri- dium erhalten hat. Das Stauridium besteht aus einem verzweigten, von einer Hornscheide umgebenen kriechenden Stämmchen oder Stolo, dessen sämmtliche Zweige einen keulenförmigen Polypen tragen. Jeder Polyp ist am obern Leibestheil, auf dessen Gipfel sich der Mund befindet, mit vier ins Kreuz gestellten Tentakeln versehen, in deren polsterartig angeschwollenen Enden eine ansehnliche Menge Nesselkapseln eingebettet ist. Vier ganz ähnlich gruppirte, nur kleinere Tentakeln, finden sich an der Basis des Leibes. Ihre Enden sind zwar knopfförmig verdickt, aber ohne Nesselkapseln. Das Mark oder die weiche Substanz des Stolo hängt stellenweise durch bänderartige Zipfel mit der hornigen Umhüllung zusammen, enthält ebenfalls Nesselkapseln und ist von einem Kanal durchzogen, der mit den Leibes- oder Magenhöhlen der Po- 421 lypen communieirt. Zu gewissen Zeiten, ‚namentlich bei reich- licher Nahrung, erzeugt das Stauridium Gemmen, die sich zu Medusen entwickeln. Diese Gemmen entstehen zu zweien bis dreien an der Basis der Polypen, dicht neben der untern Tentakelgruppe. : Die Medusen' trennem'sich zuletzt von den Polypen los, bilden sich völlig aus, und produciren Eier, aus denen wieder Stauridien hervorgehen. Sie sind nach Gestalt und Bau den Oceanien verwandt, zeichnen sich aber ganz besonders durch‘ ihre verästelten- Tentakeln aus, weshalb Dujardin ilnen den Namen! Cladonema ‘gegeben hat. In Betreff der nähern Details muss ich‘ auf die beiden Abhandlungen von Dujardin verweisen. (Comptes rendus de l’Academ. d. sciences 1843. T. XXI. p. 1273, und: Memoire sur le: dev@loppement des Meduses et. des polypes hydraires in Annal.; des seiene.. natur. 1845, p.257. Pl. 14 und 15. Fig. c1—cC19). Die Meduse Cladonema ist im Hafen: von Messina ziem- lich gemein. Man trifit sie dort häufig auf einer Conferve, welche in grossen Strecken den Meeresboden überzieht. Sie kommt nur selten an die Meeresoberfläche. Wie bei allen Oceaniden mit glockenförmigem Schirm und röhrenartig ausgezogenem Magen, so ‚entwickeln sich "die Zeugungsstoffe auch bei Cladonema in den Wänden dieses letztern Organs, wie es Dujardin schon für die Eier nach- gewiesen hat. Bei völlig ausgewachsenen Männchen findet sich der Samen in zahlreichen runden Kapseln angehäuft, die so sehr reifen Eiern gleichen, dass man sie ohne Beihülfe einer angemessenen Vergrösserung leicht mit diesen verwech- seln könnte*) Sperrt man ein. reifes Cladonemaweibchen in Gesellschaft eines Männchens in einem Glase, ab, so wird man nach kur- zer Zeit auf dem Boden und an den Wänden desselben eine *) In älinlichen Kapseln ist der Samen bei. den Männchen der Sarsiaden, namentlich 8, maerorhynchos enthalten. (Busch, Beob- achtungen über Anatomie und Entwickelungsgeschichte einiger wirbel- loser Seetbiere. 1851, 8. 12). 422 grössere oder. geringere‘ Menge 'gelegter Eier‘ antreffen !). Diese Eier sind entweder isolirt, oder: sie liegen zu zweien bis dreien, auch wohl in noch grösserer Anzahl, dieht neben einander. | Sie haften’ mittelst einer schleimigen viskösen Hülle dem Glase ziemlich fest an; besitzen’ aber noch eine beson- dere, dem Dotter dieht anliegende Membran (Dotter- ‚oder Eihaut).. Alle‘ diese’Eier sind als bereits befruchtet anzu- sehen, da das Keimbläschen ‘und der Keimfleck ihnen Jabge- hen. Auch überzeugt‘man sich bei ‘der mikroskopischen Un- tersuchung. des im Glase' enthaltenen Wassers, dass dasselbe mit. lebhaft sich regenden Zoospermien geschwängert ist. Es dauert nicht lange, so stellt sich auch der Furchungsprocess ein, der in bekannter Weise zu Ende läuft 2). Auf die völlige Ausbildung ‘der Jungen im Ei kann man vom Beginn der Furchung: an 'etwas’über 48 Stunden rechnen. Zuweilen gehen vier Tage darauf hin. Haben die Jungen die Eihülle durchbrochen, ‘so schwimmen sie mit Hülfe ziemlich langer Cilien, womit ihre Oberfläche dicht besetzt ist, hurtig umher. Sie sind eiförmig, an einem‘ der Enden stumpfer zugerundet und messen etwa 14, Millim. (s. Fig. 1). Während des Fortgleitens wälzen sie sich um ihre Längenachse, und tragen bald das stumpfere, bald das spitzere Ende voraus: Nicht selten sieht man sie ihre Gestalt wechseln, indem sie sich bald in die Länge strecken, bald wieder zusammenziehen. Was den innern Bau betrifft, ‘so unterscheidet man an-ihnen eine hellere Rindenschicht, welche einen dunklern, bei durch- fallendem Lichte gelblich erscheinenden und wahrscheinlich hohlen Kern einschliesst. Nach zwei bis fünf Tagen sieht man die Jungen, ‘mit kugelförmig zusammengezogenem Leibe, ruhig auf dem Bo- den oder an den Wänden des Glases verweilen; und bald darauf ‚findet man sie angeheftet. Der Wimperüberzug ist !) Dujardin vermuthet, dass das Weibchen sich seiner Tentakeln wechselsweise bediene, um die vom Magen sich loslösenden Eier auf- zufangen und an die Wand des Glases zu kleben. 2) Der Furchungsprocess ist schon von Dujardin beobachtet aber seiner Bedeutung nach ganz verkannt worden. 423 verschwunden, und. aus den; früher behende herumschwim- menden Wesen. sind nun ‚lauter festsitzende ‚Scheiben gewor- den. ' Die Struetur, .hat''hierbei, keine Aenderung, erlitten, denn man unterscheidet an der Scheibe noch 'recht wohl die dunklere Kernsubstanz, ‚umgeben von der Corticalschicht, die sich nach’ dem Rand der ‚Scheibe hin..als lichtere Zone zu erkennen gibt. Es: erhebt sich nun bald die Mitte der Scheibe in einen rundlichen Hügel, ‚die erste, Anlage einer. Sprosse, die sich nach und nach zu einem, Polypen. entwickelt. Der Hügel (s. Fig. 2) ist hohl, und .die ganze Scheibe scheint schon jetzt von einer dünnen Hornhülle überzogen, die man indess erst später deutlich‘ wahrnimmt. Der Hügel wächst nun immer mehr heran und nimmt die Gestalt eines cylin- drischen Zapfens an. Der Zapfen als unmittelbarer Auswuchs der ‚Scheibe besteht 'aus den beiden schon erwähnten Schich- ten und enthält einen aus der früheren Höhlung hervorgegan- genen Kanal.‘ Der. Zapfen ‚ist‘ nichts anderes als der ‚Leib des sich bildenden Polypen, der Kanal wird zur Magen- oder Leibeshöhle. Dicht unter dem obern Ende des Polypenleibes, auf wel- chem noch keine Spur von einem ‚Munde. wahrzunehmen, sprossen nun vier 'warzenförmige Vorsprünge hervor. Es sind die Ansätze der obern Tentakeln, oder. richtiger ihre äussersten Enden, die zunächst hervorkeimen und in welchen schon jetzt einzelne Nesselkapseln sichtbar sind (s. Fig. 3)*). Mittlerweile ist an der'Scheibe auch die Hornhülle siehtlicher geworden, indem sich die Rindenschieht, von. der. letztern ab- gehoben und gegen das; Centrum zurückgezogen ‚hat. Die Verbindung zwischen beiden wird jetzt durch verzweigte Bäu- der unterhalten, die als Fortsätze von der Rindenschicht ausgehen. Der junge Polyp ist nun einer schwachen Streekung und Krümmung fähig. Während der Polyp immer stärker heranwächst,, bilden sich auch die Anfangs noch als kurze Stümpfe erscheinenden *) Die Nesselkapseln erscheinen zuweilen erst später, nachdem die Tentakeln schon eine gewisse Grösse erreicht haben. 244 Tentakeln immer mehr aus. In'ihren 'polsterartig verdiekten Enden: häufen sich ‘die Nesselkapseln immer mehr 'an. Letz- tere sieht man jetzt auch in der Rindenschicht der Anhef- tungsscheibe. Der Leib läuft oberhalb der Tentakeln'in einen konischen Vorsprung oder Zapfen aus, "auf dessen abgerun- deter' Spitze der Mund schon ‘deutlich zu’ sehen ist (s. Fig. 4—6). Es scheint aber der Mund viel früher, sobald die Tentakeln nur einigermaassen entwickelt sind, sich zu bilden. Der Polyp, ist‘ reger ‘und 'rühriger. "Gewöhnlich steht er gerade aufrecht mit horizontal vorgestreekten Tentakeln, und nur' zuweilen krümmt er den Leib nach der einen oder der ändern Seite. Nicht selten‘ werden die Tentakeln wechsels- weise einander genähert, oder bald nach oben, bald nach unten geneigt.‘ Der'Mundzapfen verändert seine Gestalt auf das Mannichfaltigste, je nachdem der Mund sich mehr oder weniger erweitert. Im weiteren Verlauf der Entwickelung erscheinen an der Basis des Polypen vier 'warzenförmige Höcker, die Rudi- mente der untern Tentakeln nämlich, während zu gleicher Zeit auch schon der Stolo aus dem untersten festsitzenden Theil des Polypen hervorwächst. Hat der Stolo eine gewisse Länge erreicht, so unterscheidet man deutlich seine hornige Scheide und die innere von einem Kanal durchzogene Sub- stanz, in deren äussere Schicht eine Menge Nesselkapseln eingelagert ist (s. Fig. 7). Diese Schicht hängt stellenweise durch bänderartige Fortsätze mit der Hornscheide zusammen. Im Kanal, der gegen die Leibeshöhle des Polypen offen ist, sieht man eine körnerreiche Flüssigkeit hin- und herströmen. Was aber die Anheftungsscheibe betrifft, so ist von ihr nur die Hornhülle zurückgeblieben, indem ihre Weichtheile, wie es scheint, 'theils auf die Bildung des Polypen, theils des Stolo verwandt worden sind (s. Fig. 7). Der Polyp bildet sich endlich so weit aus, dass man zwei Leibesabtheilungen unterscheidet, nämlich das Köpfchen (ea- pitulum) mit den beiden bereits entwickelten Tentakelgruppen, und, eine untere kürzere und dünnere, in, eine ‚Hornscheide eingeschlossene Portion, auf der das Köpfchen wie auf einem 425 Stiele sitzt (s: Dujardin l.'e. Fig. €1) '). "In der äusseren Leibesschicht des Polypen nimmt man‘ nun auch einzelne Nesselkapseln wahr. ' Unterdess ist‘ auch "der 'Stolo ‚länger geworden. ' Bald bemerkt man, dass: sein vom: Polypen' ab- gewendetes Ende dieker wird und sich in einen runden‘ Hügel erhebt. Es ist dieser Hügel nichts anderes als die Knospe eines neuen Polypen, der bis zu seiner definitiven Gestalt dieselben Phasen wie der ältere durchläuft?).. Das Wachs- thum des jungen Polypenstockes liess sich nicht weiter ver- folgen. Zum Schluss fasse ich die wichtigsten Resultate, die sich aus den eben mitgetheilten Beobachtungen ergeben, in fol- gende Sätze zusammen; 1) Die aus den: Eiern des Cladonema hervorgehende: Brut besteht aus bewimperten Jungen. Diese ‘stimmen mit den Jungen der höhern Acalephen (Aurelia, Cyanea, Cephea) und im Wesentlichen auch mit den in den sogenannten Bierkap- seln der Hydrapolypen entstehenden Jungen (planulae) voll- kommen überein, Auch theilen sie mit‘ ihnen die Bestimmung sich festzusetzen und in Polypen auszuwachsen. Die Ansicht Dujardins, nach welcher der Polyp unmittelbar aus den Eiern des Cladonema hervorgehen sollte, ist somit widerlegt. 2) Das Junge wandelt sich, nachdem es sich festgesetzt, in eine Scheibe um, aus der eine zum Polypen sich entwik- kelnde Sprosse hervorwäichst. Es ist also hier derselbe Vor- gang, den schon Loven bei der Entstehung der ersten Cam- panulariensprosse beobachtet hat. (Wiegmanns Archiv für Naturgesch. 1337. S. 260). 3) Das Stauridium erzeugt durch Knospung die Meduse Cladonema, welche durch Eier sich fortpflanzt; die aus den ') Steht der Polyp ganz senkrecht, so überzeugt man sich, dass die untern Tentakeln mit den obern alterniren, also sich gegenseitig durchaus nicht decken. ?) Auch Dujardin hat ein junges Stauridium mit einem Stolo und zwei darauf sitzenden Polypen beobachtet. Diese, so wie eine vorhergehende Entwickelungsstufe, wo erst ein Polyp, sind auch die einzigen, deren Erwähnung geschieht. 426 Eiern sich 'entwickelnde Brut 'kehrt wieder zur Form. des Polypen zurück. Eine Wechselfolge, heteromorpher Genera- tionen, von denen die höher organisirte, die, Meduse, als die Stammform' zu betrachten ist, wäre somit faktisch‘ nachge- wiesen. Erklärung der Figuren. Fig.1. Das Junge des Cladonema. Vergröss. 290. a die Rindenschicht, b der Kern. Fig. 2. ‚Die festsitzende Scheibe, in die das Junge sich umge- wandelt hat. Vergröss. 120 (natürl. Grösse 5 Millim. im Durchm.). a die Rindenschicht der Scheibe, als lichtleere Zone sich darstellend, b die erste Anlage einer Polypensprosse, in Form eines rundlichen Hügels, ce durchscheinende Höhlung dieses Hügels. Fig.3. Ein sich ‚bildender, Polyp mit den Rudimenten der ‚obern Tentakeln. Vergröss. ? a die Homhülle der Scheibe, 5 die Rindenschicht der Scheibe, e der Leib des Polypen, dd die hervorkeimenden Endanschwellungen der obern Tentakeln, in welchen schon einzelne Nesselkapseln sichtbar sind. Fig.4. Ein stärker ausgebildeter Polyp, in seitlich geneigter Stellung. In der Rindenschicht der Anheftungsscheibe haben sich Nes- selkapseln entwickelt. Vergröss. 100. abc wie in Fig. 3, dd die obern schon ziemlich entwickelten Ten- takeln, e der Mundzapfen. Fig.5. Ein Polyp in demselben Stadium ungefähr wie der in Fig. 4, nur stärker vergrössert. Der Polyp ist stark eontrahirt und die Tentakeln eingezogen. Seitenansicht. — Bezeichnung wie in Fig. 4. Fig.6. Ein noch weiter entwickelter Polyp in vollkommen senk- rechter Stellung. Vergröss. 120. — Bezeichnung wie in Fig. 4 u. 5. Fig.7. Ein junges Stauridium, dessen sämmtliche Tentakeln entwickelt sind und das bereits einen Stolo hervorgetrieben hat. Ver- gröss. 100. a der Leib des Polypen, 5 der Mundzapfen, ec die obern Tenta- keln, dd die unteren Tentakeln, e der Stolo, von dem hier nur ein Theil abgebildet ist, f Hornscheide des Stolo, g Rindenschicht des- selben mit eingelagerten Nesselkapseln, % Kanal des Stolo, i zu- rückgebliebene Hornhülle der frühern Anheftungsscheibe. 427 I Ueber das Kiemengerüst der Labyrinthfische. Von Dr. WILHELM PETERS. (Hierzu Taf. XII. Fig. A). Es ist das Verdienst Cuviers, zuerst die blättrigen labyrinth- förmigen Nebenorgane der Kiemen gewisser Fische genauer kennen gelehrt und die Familie der Labyrinthfische errichtet zu haben. Die Benennung „des poissons ä pharyngiens labyrinthiformes,“ welche er dieser Familie gegeben, ist jedoch weniger passend, da sie aus der Annahme hervor- gegangen ist, dass jene Organe die verwandelten obern Schlundknochen!)’seien. Denn diese, übrigens von allen neueren Schriftstellern ?2) getheilte Meinung‘ finde ich bei einer genaueren anatomischen Untersuchung des Kie- mengerüstes der hierher gehörigen Fische nicht bestätigt. Zu diesen Untersuehungen wurde ich durch die Bearbei- tung der Flussfische von Mocambique veranlasst, indem ich bei der von mir 'entdeckten Gattung Ctenopoma mit sehr entwickeltem Labyrinth ®) die obern Schlundknochen in ihrem Bau nieht wesentlich von denen der gewöhnlichen Knochen- fische abweiehend fand.’ Glücklicherweise ist unser anatomi- sches Museum so reich an diesen kostbaren Fischen, dass ich, mit Ausnahme von Macropodus, sämmtliche Gattungen, ’) Regne animal. 2. &d. p. 225. — Hist.; nat. des poissons. VII. p- 323. 329 al. — Legons d’anatomie comparte. 2. &d. VII. p. 272. sqq. 2) cf. z. B. Stannius, vgl. Anat. 1846. p. 42 u. 115. — Milne Edwards, eours &l&m. d’hist. nat. Zool. 6. &d. 1852. p. 450. ’?) 8, dieses Archiv. 1846. Taf. X. Fig. 13. 428 (Anabas, Helostoma, Polyacanthus, Colisa, Trichopus, Spiro- branchus und Ophicephalus) vergleichen konnte. Bei allen diesen sind die oberen Schlundknochen zwar klein, aber von gewöhnlichem Bau und das sogenannte Labyrinth geht allein aus einer eigenthümlichen Entwickelung des 3. Gliedes (pleu- real v. piece branchiale artieulaire) vom 1. Kiemenbogen hervor. Die Schwierigkeit der Untersuchung liegt nur darin, dass die dritten Glieder der drei letzten Kiemenbogen sehr zart und fein, die Zwischenhäute der Kiemenbogen dagegen sehr stark sind und die beiden letzten oberen Schlundknochen, obgleich gegen einander beweglich, sehr fest durch Bandmasse zusam- mengehalten werden, so dass bei der Präparation leicht künstliche Trennungen und Verbindungen zu Stande kommen. Die von Laurillard in der Hist. nat. des poissons. Vol. VII. Taf. 206 gegebene. Abbildung. des Kiemengerüstes ‚von Osphromenus olfaz ist in mehrfacher Hinsicht mangelhaft, Ich habe. daher gerade diese Art hier zur Erläuterung dieses Gegenstandes gewählt, und eine genaue Abbildung des Kie- mengerüstes von einem. 115 Mm, langen Exemplar in natür- licher. Grösse hinzugefügt. An dem dritten Gliede der Kiemenbogen kann man bei den meisten Knochenfischen zwei Fortsätze unterscheiden, in welche sein oberes Ende zerfällt; einen: obern oder ‚äussern, Processus muscularis, und (als. Fortsetzung ‚des. Stam- mes) einen, untern oder innern, Processus artieularis, welcher letztere sich mit dem ihm entspreehenden Os pha- ryngeum superius durch ein Gelenk verbindet. Der Processus muscularis nimmt an seinem äussern Rande die letzten oder oberen Kiemenblätter auf, während sein innerer Rand den oberen Muskeln der Kiemenbogen zur Insertion dient. ‚Der Processus articularis dagegen wird entweder ganz von Mus- keln und Haut umhüllt,. oder dient auch ‚noch den letzten oberen (oder inneren, den Kiemenblättern entgegengesetzten) Fortsätzen seines Kiemenbogens zur Befestigung. An den letzten drei Kiemenbogen der Labyrinthfische sind nun diese Theile, abgesehen von ihrer Zartheit, ganz wie bei anderen Fischen gebaut. Dagegen theilt sich. das entspre- 429 chende Glied des ersten Kiemenbogens bei ihnen sogleich in seine beiden Fortsätze, so dass sein Stamm nur äusserst kurz ist. Der obere. oder äussere 'Fortsatz,; Processus mus- eularis, ist wie gewöhnlich an seinem äussern Rande bis zur Spitze mit den oberen Kiemenblättern besetzt, dagegen dient sein entgegengesetzter innerer Rand dem Labyrinth zur Be- festigung. Der innere Fortsatz, Processus articularis,, geht aber mitten durch das Labyrinth hindurch, und er ist‘es, von dem die Blätter desselben ihren Ursprung: nehmen, doch so, dass man ihn immer als diekeren Stamm verfolgen kann, der oben mit einem freien stumpfen Ende aus ihnen hervortritt, um sich durch ein Gelenk mit seinem Schlundknochen (sty- let, Cuv.) zu verbinden. Bei der Gattung Ophicephalus, welche Cuvier und Va- lenciennes nur als Anhang zu den Labyrinthfischen stel- len, findet die Theilung des dritten Gliedes vom ersten Kie- menbogen in derselben Weise statt, aber die Grundlage des Labyrinthes besteht nur in einer einfachen, zwischen den beiden Fortsätzen ausgespannten Lamelle. Bei diesen Fischen wird das Labyrinth durch eine von der innern Fläche des Schlä- fenbeins (temporal, Cuy.) entspringende Knochenlamelle ver- mehrt. Auch zeichnet sich das Skelet von Ophicephalus durch die nach vorn gerichteten unteren Fortsätze der Basalglieder des dritten Kiemenbogens (wie bei den Tetrodonten) aus. Ein wesentlicher Unterschied der Labyrinthfische von an- deren mit Nebenorganen der Kiemen versehenen Fischen besteht darin, dass bei den Labyrinthfischen die Entwickelung dieser Organe nicht auf Kosten der Kiemen geschieht, indem sie an der den Kiemen entgegengesetzten innern Seite des Kiemenbogens stattfindet. Denn bei Clarias und Heterobran- chus liegen die blumenkohlförmigen ' Nebenkiemen auf der äusseren oder der Kiemenseite der dritten Glieder vom zweiten und vierten Kiemenbogen, und ebenso verhält e& sich mit dem auf dem vierten Kiemenbogen liegenden Labyrinth von Ehrenbergs Heterotis nilotieus. 430 i Erklärung der Abbildung. Tafel XIII. Fig. A stellt das Kiemengerüst von Osphromenus olfae Commerson, von der innern Seite betrachtet, ‚dar- e.Copula des Zungenbeins; yy Bogen des Zungenbeins, an welchem die Kiemenhautstrahlen festsitzen. Ü c' Copula des ersten Kiemenbogens. ce? Copula des zweiten und dritten Kiemenbogens. ce?’ und ce? Knorpliche' Fortsetzungen der Copula. 2,1, 27,8 Labyrinth des ersten Kiemenbogens. 1,1,1,1 Erstes oder Basalglied (p. artieulaire inferieure) der Kiemen- bögen, von denen der des vierten Kiemenbogens ganz knorpelig ist. 2,2,2,2 Zweites Glied (piece branchiale prineipale) der Kiemenbögen. 8,3, 3. 3 Drittes Glied (piece branchiale artieulaire) der Kiemenbögen. m,m,m,m Processus museularis dieser Glieder. a, da,a, a Processus artieularis derselben Glieder, 4,4,4,4 Obere Schlundknochen, Ossa pharyngea snperiora, von denen der erste, stylet Cuv., dünn und platt, die übrigen dicker, und wie gewöhnlich, an ihrer freien Oberfläche mit spitzen, scharfen Zähnen bewaffnet sind. p;p Untere Schlundknochen, Ossa pharyngea inferiora. 431 Ueber einen Wurm aus der Gruppe. der. Angwillulae, Enoplus: quadridentatus. von Dr. W. BERLIN in Utrecht. (Hierzu Taf. XIV. u. XV.) Aıs ich im vorigen Herbst das Glück hatte, den Geheime- rath J. Müller nach Triest zu begleiten, kam mir unter Anderem während der vergleichend -anatomischen Untersu- chungen ein kleiner Wurm vor, der zu den Anguillulae zu gehören schien, aber mit Augen und kleinen Borsten am Vorderkörper versehen war. Ich verfolgte diesen Wurm län- gere Zeit. Die Resultate, die ich dabei erhalten, will ich bier kurz ‚aufzeichnen. Der Wurm lebte frei im Meere, Er wurde zuerst in einem Gefässe gefunden, in denen Seeigel und: Weichthiere ‘waren, die wir mit einigen niederen Pflanzen vom Grunde des Mee- res heraufgeholt hatten. Ich glaubte nun den Wurm in hin- reiehender Anzahl zur Untersuchung an den Pflanzen ‚die an den Pfählen der Schwimmschule wuchern, erhalten zu können. Ich erhielt so jedoch nur jüngere Formen, so dass ich mich entschliessen musste, an dem ersten Fundorte wie- derum zu suchen, was nicht ohne Erfolg geschah. Es war dies eine unweit des Ufers gelegene’ Stelle, auf der Fahrt von Triest nach dem Dorfe S. Bartholomeo zu, eine Strecke weit vorbei der Quarantäneanstalt, wo der Meeresgrund zeit- weise deutlich sichtbar war und die Tiefe’ es gestattete, mit- telst einer an einer langen Stange befestigten Pincette, deren einer Arm durch ein daran 'befestigtes' Seil beliebig dem 432 anderen genähert oder von ihm entfernt werden konnte, Ge- genstände vom Grunde heraufzuholen. Es waren die mit Algen bewachsenen Steine, auf die ich vorzüglich mein Au- genmerk gerichtet hatte, und die der Erwartung ganz ent- sprachen. Der Wurm hat eine runde Körpergestalt; sein vorderes Ende ist mit einer Mundöffnung versehen und namentlich bei den älteren ein wenig schmäler als der Körper, und meistens ungleichrandig (Figur 6) mit einigen kleinen ecki- gen Vorsprüngen versehen, während der Anfang des Ver- dauungskanals in der Mitte durch eine seichte Vertiefung angedeutet ist (Taf. XIV. Fig.8, 10, 134). Das hintere Ende ist abwechselnd mehr spitz oder stumpf. Im Ganzen genommen habe ich es öfter spitz angetroffen. Ich bemerke im. Voraus, dass ich mich nicht bewogen gefunden ‚habe, die- sem, Charakter einen Werth für die Unterscheidung von Spe- cies beizulegen. Das spitze Ende entsteht meistens dadurch, dass sich der Körper hinter der Analöffnung erst allmählig ver- schmälert, und bald darauf eine sehr. geringe Breite erreicht, in der.er sich einige Zeit bis zum Ende erstreckt (Taf. XIV. Fig. 1@). Dies , Schwanzende hat eine. sehr‘ verschiedene Länge, z.B. bei einem Wurm von 3,7uu ‚war es. 0,2mm/]ang, bei einem ..von 1,25»9m dagegen. 0,16mm )., \. Kürzer/ ist’ ge- wöhnlich. das 'stumpfe Ende (Fig..18«@), das. sich ‚nicht weit jenseits der, Analöffnung . erstreckt, und. ‚dadurch. gebildet wird, ‚dass, ‚die, von. beiden Seiten: nur. wenig 'convergirenden Körperränder sich mit ‚einer ‚breiten Basis, vereinigen. ‚Mag nun das Körperende spitz ‚oder stumpf sein, immer. sieht man am Ende noch ‚einen kleinen Anhang (Fig. 15, 175,186, 295), dessen Form natürlich nach der des Körperendes..mo- difieirt ist, und in dessen Mitte 2 Streifen wieiein Röhrchen verlaufen. Mag man nun. diesen Anhang für eine.Saugscheibe halten wollen oder nicht, ‚so viel ist sicher, dass der: Wurm sich mit diesem Ende gerade wie mit dem vorderen Körper- ende fest, an das, Objectglas heften ‚kann, ‚um‘ .den , Körper schlängelnd um diesen Punkt herumzuführen, was selbst mit einer solchen Lebhaftigkeit geschieht, ‚dass man ‚vergebens 433 versuchen würde, irgend eine mikroskopische Untersuchung anzustellen, wenn man diese Lebhaftigkeit nicht erst etwas beschwichtigt durch das Auflegen eines Glaspläftehens. Die Haut ist elastisch nnd lässt die inneren Organe durch- scheinen. Kurz vor dem Tode zeigt sie nicht selten viele Querrunzeln, so dass ‚der ganze Körper (Fig. 7) wie quer- gefaltet erscheint. Am Kopfe trägt dieser Wurm seitlich zweierlei Härchen oder Häkchen, die sich durch ihre Grösse deutlich von ein- ander unterscheiden. Die kleineren treffen wir schon bei den kleineren Formen an (Fig. 3a); sie lassen sich später bei allen Grössen wiederfinden. Ihre Zahl wie ihre Stellung ist nicht constant, meist sind deren drei vorhanden. (Fig. 95, wo das vorderste einen Uebergang zu den grösseren zu ma- chen scheint). Auch an dem After finden wir bei den Männ- chen (den grösseren) nicht selten 2 dergleichen Häkchen (Fig. 27a). Die grösseren Häkchen treten in: Verband mit einer gewissen Entwickelungsstufe eines anderen Theiles auf, dem wir jetzt unsere Aufmerksamkeit schenken wollen. Es ist dies ein am Kopfe vorkommendes Schild, das bei den kleinsten Formen vermisst wird, in seiner einfachsten Form aber schon bei Thieren von 1,33"m vorkommt (Fig. 5a, 6a, 9e). Die Form dieses Schildes ist einfach glockenförmig, es bietet noch nichts Besonderes dar, als dass es bald etwas mehr, bald etwas weniger in die Länge gezogen ist. Bei den grösseren 'Thieren, den Männchen nämlich, treten die schon erwähnte grössere Art der Häkchen und ausserdem noch auf dem Schlund gelegene Theile hinzu. Der Häkchen giebt es jederseits 2 Paare. Das eine Paar liegt an der obe- ren, das andere an der unteren Seite (Fig. Sc, 10a). Ge- wöhnlich sieht man einen doppelt - contourirten Streifen (etwa einen sie bewegenden Muskel), der die Häkchen der einen Seite mit denen der anderen vereinigt (Fig. 12d). Die Häkchen selbst sind am breitesten an ihrer Basis, laufen in einer seichten Krümmung nach oben und endigen spitz. Die auf dem Schlunde gelegenen Theile erscheinen unter ver- schiedener Form, je nach ihrer gegenseitigen Lage und nach Müller's Archiv. 1853, 28 434 der Lage des Thieres. 4 Platten scheinen die so verschie- denen Bilder darzubieten, wie man aus Fig. 11a ersieht, die den Kopf von Fig. 10 unter dem Compressorium vorstellt. An den Fig. 13 isolirten Platten sieht man, dass ihr oberer Rand gezähnelt ist und dass ihre Breite von oben nach unten abnimmt. Welche Bedeutung ist diesen Theilen nun beizu- messen? Man würde zunächst durch ihre Lage vorne auf dem Schlunde dazu geführt werden, sie mit der Einnahme der Speisen in Verband zu bringen. Aber warum fehlen sie dem ausgebildeten Weibchen? (Fig. 14). Das Schild bei dem Weibehen bleibt einfach ohne die grösseren Häkchen, ohne Platten, ohne den Streifen, der die Häkchen gewöhnlich verbindet. Auch die kleineren Häkchen fehlen den Weib- chen grösstentheils.. An dem von mir abgebildeten (Fig. 14) von 5,08"m Grösse, fand ich nur ein Paar kleine Häkchen vorne am Körper (Fig. 145), gerade wie sie bei lem kleinen Wurm (Fig. 3) vorkommen. An dem unteren Leibe eines Männchens habe ich ausserdem 2 mal längere Haare (Fig. 276) angetroffen, die an beiden Seiten des Lei- bes befestigt waren, die sich etwa in einer Länge von 0,66mm vom anus an herauf erstreckten. Sie lagen immer nur auf einer Seite frei, wie dies in Fig. 27 angegeben ist, und stan- den in ungleicher Entfernung von einander. Die unteren waren die kleineren. Speisekanal: Wie schon beiläufig erwähnt wurde, fängt der Speisekanal mit einer terminalen Oeffnung am vorderen Ende an (Fig. le, 36, 55, 65, Sa, 9a). Mitunter kam mir dieser Anfang etwas trichterförmig vor (Fig. 2a). Diese Oeffnung führt in den (muskulösen?) Schlund, der vorn etwas breiter (Fig. 5c, 8d) ziemlich gerade bis zu einer mehr oder weniger erweiterten Stelle verläuft. Bei den grösseren Thieren findet man gewöhnlich mehr oder we- niger regelmässige Querstreifen auf dem Schlunde. Sie er- strecken sich bald von der einen Seite zur anderen, bald nehmen sie die Breite des Schlundes nur theilweise ein; ihr Verlauf ist bald mehr gerade, bald mehr wellenförmig gebogen (Fig. 8e, 16a). Ihnen mehr oder weniger entspre- 435 chend sieht man nicht selten den Rand des Schlundes ‚mehr oder weniger gekerbt. Es sind diese Querstreifen nichts als Falten, die auch sogleich verschwinden, so wie der Oeso- phagus aus dem Körper entfernt wird. Auch findet. sich nieht selten braunes Pigment hier und da namentlich an den Seiten und in der Mitte aufgelagert. In der Mitte des Oe- sophagus befindet sich die Schlundöffnung als ein enger Ka- nal (Fig. 3e, 5d, Sf, 14a). Die erweiterte Stelle, bis zu der sich der Oesophagus erstreckt, der Magen der Autoren ist am deutliehsten ausgeprägt bei- den jüngeren. Formen (Fig. 15), bei den älteren ist sie schwächer, gewinnt dagegen an Länge (Fig. 165). Unterhalb dieser erweiterten ‚Stelle nimmt der Darm seinen Ursprung, bei. den grösseren For- men nicht selten mit einer Einschnürung,. . Die Entfernung seines Anfanges vom Munde betrug bei einem ‚5mm Jangen Wurm 0,87m, "bei einem 3,7um langen 0,8"w, bei einem 4,4lum Jangen 0,83w@, bei einem 5,08"m langen Weibchen 1,16° m, bei einem kleineren Wurme von 2,66wn Länge 0,7um , woraus für die grösseren Würmer selbst, wenn man die wechselnde Grösse des Schwanzendes in Betracht zieht, eine Schwankung für die Länge von Schlund und Magen hervorgeht. Der Darm verläuft ziemlich gerade durch den Leib des Wurmes, und ist nicht in seiner Lage gebun- den, so dass man ihn. wohl einmal im Leibe des Thieres nach der einen oder anderen Seite sich bewegen sieht. Mit- unter hat er Einschnürungen und Erweiterungen (Fig. le, 25e); diese sind ziemlich constant an Stellen, wo die Eier an- gehäuft liegen. Inwendig ist die Darmoberfläche mit Zellen bekleidet, die ihr eine bräunliche Farbe geben, und in meh- reren, der Breite des Darmes entsprechenden nicht immer deutlich ausgesprochenen Reihen stehen (Fig. 15, 256). Es ist dies die Leber der Autoren. Aber welches Recht hat man zur Annahme einer Leber, 80 lange kein Zusammen- hang der braunen Farbe mit Galle, und in einem Örganis- mus, wo kein Kreislauf nachgewiesen ist? Dass die Leber- zellen auf der inneren Darmwand aufsitzen, schliesse ich daraus, dass ich sie bei Anwendung von Druck mit dem 28* 436 Darminhalte (worunter häufig Baeillarien) aus dem Anus austreten sah. Will man nun noch ein Reetum an dem Darme unterscheiden, so giebt eine am Ende des Darmes gelegene seitliche Biegung hierzu Gelegenheit. Auf diese Biegung folgt der After (Fig. 17c, 254). Die Entfernung des Anus vom Munde betrug bei einem 5"m langen Wurm 4,75mm, bei einem 5,08"m langen 3,5%m, bei einem 4,41mm langen 4,16mm, bei einem 3,7mım langen 3,5um, Bei den Männchen liegt am Rectum jederseits ein soge- nanntes Spieulum. Bei den kleineren werden sie vermisst. Selbst bei Würmern von 2um Länge wurden sie noch nicht gesehen. Sie treten zuerst in der Form von gekrümmten Stäbchen auf mit dunkelen Contouren (Fig. 17d). Bei An- wendung von Druck bleiben sie hartnäckig in der Leibes- höhle des Wurmes zurück, während der übrige Inhalt her- ausgepresst wird. Fig. 17 ist das Hinterende eines so 'ge- drückten Wurmes. Eine höhere Entwiekelungsstufe dieser Theile stellen die Fig. 19 und 20 vor). Um die Beschreibung zu erleichtern, kann man etwa Körper und Hals an ihnen unterscheiden. Der oben bauchige Körper geht auf der dem Anus zugekehrten Seite mehr oder weniger gerade in den Hals über, auf der anderen Seite wird die Vereinigung durch eine concave Linie vermittelt. Der kurze schmale Hals ist oben flachrund. Der längere Körper wird nach unten schmä- ler und ist etwas nach der Anusöffnung zu gekrümmt. Auf der Mitte des Körpers befindet sich ein doppelteontourirter Streifen, etwas in der Richtung des Körpers gekrümmt (etwa der Rest des früheren Stäbehens?). Auch diese Form ist noch nicht bleibend und wird später durch folgende vertreten. Der Hals ist viel kleiner geworden und auf einen runden Knopf redueirt, der sehr kurz ist und bei seinem Uebergang in den Körper eine deutliche Einschnürung zeigt. Der Kör- per selbst ist viel schmäler geworden (Fig. 21, 22, 24a, 25e) und hat deutliche Doppeleoutouren (etwa Rinne?), auf deren unterem Theile quere Einkerbungen vorkommen (Fig. 215, 225). Der sanft gebogene Körper wird nach unten schmäler und endet spitz (Fig. 22c). Dies Ende steckt in einer Art 437 Scheide (Fig. 22d, 2lc). Die Scheide ist aus 2 Stücken zu- sammengesetzt, die sich ziemlich gleich sind (Fig. 22, 24). An ihrem oberen Theile sind sie am breitesten und werden nach unten hin schmäler; ihr oberer Rand ist ausgebuchtet ‘ (Fig. 21) und geht in einen spitzen seitlichen Anhang, über, der unten mit der Scheide verschmilzt. , Fig. 25f scheint die Möglichkeit zu zeigen, dass die beschriebenen Organe aus der Analöffnung hervorgestreckt werden können. Die so eben beschriebenen Organe sind ‚der Penis der Autoren. Es ‚be- darf also einer Rechtfertigung, wenn ich sie hier abgehandelt habe, anstatt sie mit den Geschlechtsorganen zu beschreiben. Ich glaubte nämlich einen anderen Theil als Penis ansprechen zu müssen, und diesen Organen keine andere. Funetion als die von Haftorganen beilegen zu müssen, um so mehr, da ich durchaus keinen Zusammenhang mit den. Geschlechtsor- ganen habe auffinden können, der, wäre. er vorhanden ge- wesen, doch nieht so leicht hätte entgehen können, da ja der eine Theil dieses Haftorganes über, der andere unter dem Darme liegt. Den Weibchen gehen, wie ‚gesagt, diese Organe gänzlich ab. Die Länge dieser Theile beträgt unge- fähr 0,5um, Neben den Verdauungswerkzeugen nehmen die Geschlechts- organe den grössten Theil der Leibeshöhle ein. Die Thiere sind getrennten Geschlechtes. Die Geschlechtsorgane, (die in der Leibeshöhle etwas tiefer liegen: als die Verdauungswerk- zeuge, erstrecken sich beinahe der Länge. nach. durch den ganzen Leib. Vorne scheinen sie mit 2 Hörnern anzufangen (Fig. 89, 14c, 125). Ihr Ende scheint bei dem Männchen bis weit hinter die Analöffnung. zu. reichen: (Fig. 25.9)... In ihrem Verlaufe durch die Leibeshöhle wird das Geschlechts- organ grösstentheils durch den Darm bedeckt und ist bald mehr oder weniger deutlich auf der einen oder anderen Seite oder an beiden Seiten zu erkennen (Fig.25%). Der Inhalt des Geschlechtsorganes bietet bei dem Männchen insofern nichts Abweichendes von den Nematoden (zu denen unser Wurm gehört) dar, als nie Zoospermien, sondern nur die ihnen äquivalenten Samenkörner wahrgenommmen werden konnten. 438 Ich will nicht zu sehr auf mein Gedächtniss vertrauen, und damit die Lücke, welche ich bei der Behandlung des Hoden- inhaltes lassen muss, anfüllen, da ich zu meinem Bedauern keine genügenden Angaben darüber in meinen Notizen auf- finden kann*). Als Penis glaube ich bei diesen Thieren ein Organ erklären zu müssen, dessen Anfang 0,33 mm oberhalb des Anus gelegen war, und das nur bei den grösseren, also mehr entwickelten Thieren wahrgenommen wurde (Fig. 25:, 260, 23). Es ist dies ein Organ, das seinen Ursprung auf oder in dem Geschlechtsorgan mit breiter Basis nimmt und nach vorne schmäler wird (Fig. 25%). In seinem Inneren scheint ein kleiner Kanal zu sein, dessen Länge und Breite mit Veränderung der Lage etwas verschieden erscheint (Fig. 265, 257). Für die Ausdehnung der Geschlechtstheile in der Leibeshöhle des Weibchens gilt im Hauptsächlichsten das früher für die Ausdehnung der Geschlechtsorgane Er- wähnte. Das Weibchen hat seine Vagina nach meinen‘ Noti- zen etwa auf der Mitte der Körperlänge, wie bei Ehren- berg’s Anguillula. Beim grössten von mir beobachteten Weibchen sah ich im vorderen Theile’des Ovariums (Fig. 144) einfache gekernte Zellen, die sich nach und nach ausbildeten zu den Eiern, welche in der Nähe des Uterus der Breite nach in einen Schlauch eintreten, der etwa 0,92mm Länge hat (Fig. 28c) und oben spitz zuläuft. In diesem Schlauche liegen die Eier unten d. h. nahe beim Uterus dicht auf ein- der und decken einander theilweise. Nach oben zu nehmen sie an Grösse zu und erreichen zu gleicher Zeit eine höhere Entwickelungsstufe. Dabei sieht man deutlich, wie die Dot- termasse in den verschiedenen Eiern von unten nach oben zunimmt. Es versteht sich von selbst, dass irgend eine Vor- richtung vorhanden sein muss, um die 0,92 mm yom Uterus *) Ich finde unter meinen Zeichnungen nur die Formen, welche Reichert (Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Samenkörperchen bei den Nematoden, Müller’s Archiv 1847) als Mutterzellen der so- genannten „Keimzellen“ der Samenkörperchen, als jüngste Keimzellen der Samenkörperchen und als Entwickelungsstufe von diesen bis zu den reifen Keimzellen abbildet und beschreibt, wieder. 439 entfernten, am meisten entwickelten Eier diesem zuzuführen. Unterhalb des Uterus befindet sich ein zweiter Schlauch, für den ganz dasselbe gilt, was für den beschriebenen angeführt wurde, aber in umgekehrter Reihefolge. Entsprechend diesen beiden Schläuchen ist auch der Uterus (Fig. 21 d) zweihörnig. Er liegt etwa am Ende des zweite Drittheils der Körperlänge. Mitten zwischen diesen Hörnern nimmt die Vagina (Fig. 28e) ihren Ursprung,‘ die ın ihrer Mitte einen Kanal (Fig. 28f) hat, der in Fig. 29 noch deutlicher abgebildet ist, wie er bei Lageveränderung des Wurms wahrgenommen wurde. Von Sinnesorganen wurden nur Augen wahrgenommen. Schon bei ganz kleinen (0,2um) Thieren sind sie als punktförmige pigmentirte Organe vorhanden (Fig. 1d). Wo sie bei den grösseren nicht durch aufgelagertes Pigment undeutlich wer- den und mitunter verschmelzen (Fig. 8h) nimmt man an ihnen deutlich einen linsenförmigen Körper wahr, (Fig. 4A u.B) der in einer mehr oder weniger deutlichen Pigmentmasse ein- gebettet ist. Bei einem 5,53um Jangen Wurme lagen sie 0,0832m vom Munde entfernt. Nach dieser Beschreibung des Wurmes bleibt nichts übrig, als ihm eine Stelle im Systeme anzuweisen. Die ursprüng- liche Auffassung, als hätte ich es mit einer Anguillula zu thun, wurde bald durch die Beobachtung der entwickelteren Formen zurückgewiesen. Um kurz zu sein, habe ich den beschriebenen Wurm am meisten übereinstimmend mit der Beschreibung Dujardin’s von seinem neuen Genus Eno- plus (Nematoides ‚Enopliens Duj. — Nematoidea Proctucha, Gamonematoidea Diesing.) gefunden, die ich hier folgen las- sen will: „Vers filiformes, plus ou moius amincis de part et „Wautre, et davantage en arriere; — tete anguleuse ou tron- „quee, herissee de soies roides, opposees, peu nombreuses; „bouche armee interieurement de trois pieces en crochet (ma- „ehoires?); — oesophage musculeux, presque cylindrique, tra- „vers@ par un canal triquetre; queue terminde par une sorte de „ventouse; une ou plusieurs taches oculiformes formde par des „amas de pigment rouge sur l’oesophage en avant; — tegument „lisse. — Mäle ayant un orifice suppl&mentaire (anus ou ven- 440 „touse?) en avant de l’orifice genital; — deux spicules egaux, „forts et courbes en faucille. — Femelle ayant la vulve si- „tuee vers le milieu, l’uterus divise en deux branches op- „posees, et les oeufs elliptiques proportionellement grands.“ Diese Beschreibung stimmt im Wesentlichen mit unserem anatomischen Befund überein, und wenn ich auch 4 Platten am Oesophagus fand, wo Dujardin nur 3 vorfinden konnte, so glaube ich dem Merkmale nicht mehr Wichtigkeit beilegen zu müssen, als dass ich ihm den Speeiesnamen entlehne und den beschriebenen Wurm im Gegensatze zu dem E. triden- tatus von Dujardin Enoplus quadridentatus nenne. Am Schlusse sei es mir noch erlaubt zu bemerken, dass mir bei meinen Untersuchungen viel mehr Männchen als Weibchen aufgestossen sind, etwas, was der Angabe Anderer, die sich mit dieser Art Thieren beschäftigt haben, gerade ent- gegengesetzt ist. Erklärung der Abbildungen. Fig.ı. Ein junger Wurm. « Mund, b Magen, ce Erweiterungen und Einschnürungen am Darme, d Augen, e Geschlechtsorgan. Fig.2. Oberer Theil eines jungen Wurmes, um den trichterför- migen Eingang in den Schlund a zu zeigen. Fig.3. Junger Wurm mit Haken a, b Mundöffnung, e Schlund- höhle. . Fig. 4. A Isolirtes Darmstück mit darauf gelegenen Augen, B ein Auge noch grösser gezeichnet. Fig.5. a Das Schild, 5 Mundhöhle, ce vorne erweiterter Schlund, d Schlundhöhle am vorderen Theile des Wurmes. Fig.6. Erster Anfang des Schildes bei einem jungen Wurme, 5b der Mund. Fig. 7. Quergefalteter Wurm, s. d. Text. Fig. 8. Vorderkörper des Enoplus quadridentatus. « Mund, b eckiger Vorderrand, e grosse Haken, d vordere Schlunderweiterung, e Querfalten am Schlunde, f Schlundhöhle, g Hoden, A Augen. Fig. 9. Kleinerer Wurm mit 3 kleinen Haken 5, und einem rudimentären d, a Mund, e Schild. Fig. 10. a Die grösseren Haken, 5 eckiger Vorderrand, e Schlund- platten. 441 Fig.11l. Ist Fig. 10 unter dem Compressorium, um die 4Schlund- platten zu zeigen. Fig. 12. a Mund, 5 Hoden, e Schlundplatten, d der Verbin- dungsstreifen der grösseren Haken. Fig.13. Die einzelnen Schlundplatten aus Fig. 11. Fig. 14. Vorderer Theil eines Weibehens von 5,08wm Grösse, dessen mittlerer in Fig. 28 dargestellt ist, = Schlundhöhle, 5 kleiner Haken, ce Anfang des Ovariums, d Inhalt des Ovariums, e Augen. Fig.15. Darmstück (a) eines jungen Enoplus mit Leberzellen bekleidet. Fig. 16. Magen und Anfang des Darmes eines grösseren Enoplus. a Querstreifen auf dem Magen und dem mitgezeichneten Schlundstücke. Fig. 17. Erste Entwickelungsstufe des am Anus gelegenen Greif- oder Haftorganes d, an einem stark gedrückten Wurme, ce Anus, 5 Saugscheibe. Fig. 18 zeigt stumpfes Ende @ mit der Saugscheibe b. Fig. 19 u. 20. Zweite Entwickelungsstufe des Haftorganes des Männchens 20 in natürlicher Lage. Fig. 21 u. 22. Dritte Entwickelungsstufe, @ doppelt eontourirter Rand, 5 Kerbung, ce Fig. 21 und d Fig. 22 Scheide, e Fig. 21 spitzes Ende des in der Scheide steckenden Haftorganes, d Fig. 21 Rectum. Fig. 22 ist Fig. 21, wie sie sich nach Anwendung von Druck darstellt. Fig. 23. Penis. Fig.24. Lage des Haftorganes @ und des Penis, nachdem der Darm sich auf die Seite gelegt hat, b Körperwand. Fig. 25. a Spitzes Ende, 5 Saugscheibe, ce gebogener Darm, d Reetum und Anus, e Haftorgan, f wie es sich hervorstreckt, g Ende des Hodens, k Hoden, i Penis, k der inwendig gelegene Kanal. Fig. 23, 24 u. 25 gehören zu demselben 5,33nm Jangen Wurme. Fig.26. Der Penis a, b sein inwendiger Kanal, c Geschlechts- organ, d Darm. Fig. 27. Ein hinteres Stück eines allda mit langen Haaren (5) versehenen 4,41mm langen Wurmes. Fig. 28. Mittleres Stück eines 5,08mm grossen Weibchens (F. 14). a Darm, b Leberzellen, c ein Schlauch mit Eiern in verschiedener Entwickelungsstufe, d doppelter Uterus, e Vagina, f mittlerer Kanal, der in Fig. 29 bei einer anderen Lage noch deutlicher dargestellt ist. 442 Notiz über die in der Leibeshöhle der Synapta digitata vorkommenden Körper. Von Dr. W. BERLIN in Utrecht. Wie Leydig in Müller’s Archiv 1852 richtig bemerkt, sieht man schon am lebenden Thiere oft ein schwarzbraunes oder schwarzes Gebilde frei in der Leibeshöhle herumßotti- ren. Auch die übrigen Eigenschaften, die er diesen Körpern zuerkennt, Weichheit, leichtes Auseinanderfallen bei Berührung, Ausbreitung über das Objectivgläschen durch ein aufgelegtes Deckgläsehen, grosse Schwankungen in der Grösse fand ich ganz bestätigt. Ich sah deren manchmal mehrere in einer Leibeshöhle, und vermisste sie nie bei einigen von den zahl- reichen uns zugeführten Synapten. Getrocknet waren sie bei auffallendem Lichte dunkelbraun und bei durchfallendem dunkelgoldgelb. Unter den Formelementen, die Leydig in ihnen gefunden haben will, beschreibt er 3, die er als Ent- wickelungsstufen von einander betrachtet, 1) Gebilde wie rundliche Eier mit Dotterhaut und feinkörnigem Dotter, ohne Spur von Keimbläschen; 2) Gebilde wie regelmässig gefurchte Eier, eine verschiedene Zahl von Furchungskugeln, jede mit hellem Kerne von einer gemeinsamen Haut umschlossen, und 3) Blasen mit ovalen scharf eontourirten Körperchen, von hellem Ansehen, die an Pseudonavicellenbehälter erinnern. Die drei Formen deutet er nun als Entwickelungsstadien eines Schma- rotzerthieres. Ich habe keine Formen finden können, die mit den unter 2. und 3. beschriebenen oder mit der zu 3. hinzu- gefügten Abbildung in Einklang zu bringen gewesen wären, trotz der grossen Anzahl schwarzer Körper, die ich zur Untersuchung verwendete. _Die unter 1. gegebene Vorstel- lung verwesentlichte sich jedoch wiederholt in den Bildern, die ich bei dieser Untersuchung zu sehen bekam. Sie mach- 445 ten mir nicht den Eindruck eines Eies; ich blieb aber über ihre Bedeutung im Dunkeln, bis ich auf die Idee kam, die Bauchflüssigkeit der Synapten so aufzufangen, dass keine fremden Formelemente beigemischt wurden, um sie so auf ihre Formelemente zu untersuchen. Aus dieser Untersuchung wurde mir bald klar, dass dies eiähnliche Gebilde Leydigs nichts sei, als ein verändertes Wimperorgan. Die abgefalle- nen Wimperorgane werden, wie man dies auch an anderen abgestorbenen Theilen von niederen Thieren oder an ganzen Thieren der Art oft zu sehen Gelegenheit hat, körnig, und zwar zuerst die untere innerhalb des Rahmens gelegene Stelle, grösstentheils von der Fortsetzung des Peritonaeums gebildet*), dann auch die Sohle‘ des Pantoffels. Nachdem diese Veränderung eingetreten ist, ‘beobachtet man einen Wechsel in der Form der Wimperorgane, der darin besteht, dass die der Mündung angehörige Leiste nicht mehr zu un- terscheiden ist und das Wimperorgan nun als aus einem oberen breiteren Theile (Platte des Pantoffels mit Rahmen umgeben) und einem unteren schmäleren, der durch eine ge- ringe Einchnürung vom oberen abgesetzt ist, und zugleich kleineren Theile bestehend betrachtet werden kann. Indem nun dieser untere Theil immer kleiner wird und der obere an Umfang gewinnt, entsteht ein rundes Scheib- chen, an dem man noch als letzte Reste des unteren Theiles eine schwache excentrische Andeutung findet. Auch diese verschwindet und man hat dann die von Leydig sub 1, er- wähnte Form, indem ein Theil des Rahmens das runde Ge- bilde unverändert umgibt und die Dotterhaut nachahmt. Dies letztere ist jedoch nicht immer der Fall, so dass die Endmetamorphose als ein heller runder mehr oder weniger grobkörniger Körper auftritt. Von Ankerhaken habe ich nie etwas in diesen Körper- chen finden können. Somit zerfallen grösstentheils die Gründe, welche Leydig für die Gleichstellung dieser Körper mit *) Siehe: Ueber Synapta digitata und über die Erzeugung von Schnecken u. #, w. von J. Müller. Berlin 1852. 444 den in der Bauchhöhle der Lumbrieinen gefundenen an- geführt hat. Ich werde diese Gründe weder durch andere widerlegen, noch überhaupt eine Theorie über die Bedeutung dieser Körper aussprechen, da mir die Resultate der Unter- suchung hierzu noch zu ungenügend sind, und ich darin für die eine wie die andere Theorie wohl Gründe finden könnte, aber ebendeshalb für keine einzige genug haltbare. Es sei mir nur noch erlaubt Einiges, was ich gesehen, an das be- reits Mitgetheilte anzuschliessen. Sehr häufig und mitunter sehr zahlreich fand ich die Kalkkörperchen, welche in den 5 Längsmuskeln der Körperwände, in den Wänden des Ring- kanals und seiner Aeste zu den Tentakeln, in den Wänden der Poli’schen Blase u. s. w. vorkommen, in den schwarzen Körpern vor. Verschiedene Reagentien habe ich angewendet, um auch so zu versuchen, etwas über die Natur dieser Körper zu erforschen. Die meisten gaben negative Resultate. Schwefelsäure und Jod färbten constant einige Theile und mitunter viele blau, woraus ich schliessen zu dürfen glaube, dass diese Körper mehr oder weniger pflanzliche Stoffe (Cel- lulose) enthalten *). Ausserdem nahm ich noch eine eigen- thümliche Reaction wahr. Nach Einwirkung von Natron näm- lich wurden einige kleinere Stellen violet gefärbt. Diese Re- action wurde auch an den veränderten Wimperorganen in der Flüssigkeit der Bauchhöhle und einmal an jungen mikrosko- pischen Krebsen wahrgenommen. Ich muss sie vorerst noch unerklärt lassen. Ich habe ausserdem den Inhalt der Poli- schen Blasen bei der Holothuria tubulosa untersucht, der einige fast jedesmal mehr oder weniger bräunliche körnige Masse enthält. Dem Ergebnisse dieser Untersuchung kann ich aber nichts entnehmen, was die Natur der schwarzen Körper mehr aufklären könnte, als dies schon geschehen, es sei denn, dass ich auch in ihnen stets dieselbe Reaction wie auf pflanzliche Cellulose antraf. *) Diese Reaction nahm ich noch dieser Tage an Körpern wahr, die ich in Synapten, welche 8 Monate lang in Weingeist aufbewahrt waren, aufsuchte. 445 Der Nervus spinosus. Von Professor H. LuscHka in Tübingen. Vor drei Jahren wurde von mir“) unter dieser Bezeichnung ein Zweig des dritten Astes vom Quintus beschrieben, wel- cher durch das Stachelloch in die Schädelhöhle gelangt, dem Laufe der mittlern Hirnhautarterie folgt, sich in vordere, in die Substanz des grossen Keilbeinflügels tretende, und in rückwärts laufende Fädchen spaltet. welche an der vordern innern Fläche des Felsenbeines sich in die Tiefe senkend, theils in die Substanz desselben, theils in die Haut sich be- geben, welche die Zellen des Zitzenfortsatzes auskleidet. Nach den ersten Wahrnehmungen hegte ich die Vermuthung, dass einzelne Beobachter den Nervenin dem bisweilen vom Ohr- knoten zur Arteria meningea media tretenden Fädchen zum Theil erkannt haben. Dieses war mir deshalb wahrschein- lich, weil der Nervus spinosus den Ohrknoten nicht selten durchsetzt, um seinen weitern Verlauf zu gewinnen. Erneute Untersuchungen haben mich nun darüber belehrt, dass jenes aus dem Ganglion oticum bisweilen an die mitt- lere Hirnhautarterie abgehende Zweigchen von dem Nervus spinosus nach allen Beziehungen hin gänzlich verschieden ist. Das von Fr. Arnold**) zuerst gesehene, aber nach seiner Angabe von ihm nicht immer gefundene und seiner Bedeutung nach nicht erkannte Fädehen des Ohrknotens zur Arteria meningea media, ist ein äusserst zartes, grauröthli- *) Die Nerven in der harten Hirnhaut. Tübingen 1850. S. 35. **) Dissert. de parte cephalie. nerv. sympath. in homine. Heidel- berg 1826, 446 ches, weiches, mit einem Gefässnervchen aus dem Sympathi- cus auch seinem vorliegenden Gehalte an schmalen Röhrchen nach sehr übereinstimmendes Nervchen. Es entspringt aus dem obern Ende des hintern Umfanges vom Ohrknoten und wendet sich sofort zur innern Seite der Arteria meningea media, noch vor ihrem Eintritte in die mittlere Schädelgrube. Das Nervchen zerspaltet sich alsbald in einige feinste mit blossem Auge kaum noch sichtbare, über jenes Gefäss hin- weglaufende Fädchen. Schon wenige Linien jenseits des Sta- chelloches, dem Stamme der Arteria spinosa, sowie ihren gröberen Zweigen entsprechend, ist nur in der abgelösten und mit Essigsäure befeuchteten Zellscheıde da und dort unter dem Mikroskope noch ein Bestandtheil jenes Nervchens zu ent- decken. Ueber sein schliessliches Verhalten lässt sich nur soviel ermitteln, dass seine Elemente mit der weitern Ver- zweigung der Arteria meningea media in deren Wandungen sich so verlieren, dass sie jeder Methode der Untersuchung gänzlich unzugänglich werden. Dadurch aber ist jedenfalls soviel ausser Zweifel gesetzt, dass jenes Zweigchen aus dem Ohrknoten ein wahrer Gefässnerv ist, welcher mit den Nu- tritionsvorgängen der harten Hirnhaut in nächster Bezie- hung steht. Ganz damit im Einklange ist es, warum diejenigen Beob- achter, welchen jenes Zweigchen aus dem Ohrknoten über- haupt zu Gesichte kam, dasselbe doch nicht immer finden konnten. Wie ich mich auf das Bestimmteste, und zu wieder- holten Malen überzeugte, entspringt dasselbe in der That nicht immer aus dem Ganglion oticum, sondern es ist häufig nur eines von jenen, die Art. maxill. int. umspinnenden Ge- fässnervchen, welches sich, während ein zweites Fädchen als sympathische Wurzel in das Ganglion oticum tritt, mit Um- gehung dieses Knotens auf der Arteria mening. media da- hinzieht. Der Nervus spinosus ist von dem beschriebenen Ner- ven ganz verschieden, und ein selbstständiger, rein cere- braler Zweig aus dem dritten Aste des Quintus. In der Re- gel nimmt er seinen Ursprung aus dem Ramus maxill. inf. 447 währenddessen: Verlauf durch das eiförmige Loch, wendet sich sodann unter einem Bogen nach rückwärts zum Fora- ınen spinosum, um bei seinem Verlaufe durch diese Oeffnung bald über, bald unter dem Stamme der mittlern Hirnhaut- aterie, schliesslich neben derselben, sehr selten unter ihr lie- gend, im äussern Blatte der Dura mater an die Orte seiner Bestimmung hinzuziehen. Nieht selten ist es, dass das feine, weisse, härtliche, fast nur aus doppelt contourirten Röhrchen bestehende Nervchen aus dem dritten Aste des Quintus noch diesseits des eiförmigen Loches, in der mittlern Schädelgrube, andere Male aber auch erst unter dem Foramen ovale vom hintern Umfange des Stammes abgeht. Bei der leztern Art des Ursprunges kömmt es bisweilen vor, dass der Nervus spinosus das Ganglion oticum durchsetzt, aber von dessen Masse, sowie von jenem grauröthlichen Fädchen sich sogleich schon durch seine weisse Farbe unterscheidet. Während seines Verlaufes vom Foramen ovale an durch das Stachelloch gibt der Nervus spinosus häufig ein feinstes Fädchen ab, welches in die Knochenbrücke zwischen jenen beiden Oeff- nungen eintritt oder aber am äussern Umfange des eiförmi- gen Loches sich in die Substanz des grossen Flügels vom Keilbeine einsenkt. Wie ich aus Aufzeichnungen meiner frü- hern Untersuchungen entnehme, geht ein solches feinstes Knochennervchen sehr gewöhnlich aus dem äussern Umfange des dritten Astes vom Quintus hart unter dem eiförmigen Loche ab und geht, kaum einige Linien lang, in eine kleine nach aussen von jenem Loche befindliche Oeffnung. Es ist die Regel, dass der Nervus spinosus sich erst, in der mittlern Schädelgrube angekommen, theilt und zwar: in zwei hintere, in das Felsenbein tretende, und in zwei vor- dere in die Substanz des vordern Abschnittes des grossen Keilbeinflügels gelangende Fädchen. Ungeachtet der genauesten von mir gegebenen Beschrei- bung des Stachellochnervens, haben sich doch bereits irr- thümliche Auffassungen in die Literatur eingeschlichen. So bemerkt Hyrtl*) sowohl historisch als sachlich ganz unrich- *) Lehrbuch der Anntomie des Menschen. 3. Aufl. 1853. S. 648. 448 tig: dass der dritte Ast des Quintus einen feinen Zweig*) zur mittlern harten Hirnhautaterie sende, welcher sich dicht unter dem Foramen ovale in einen obern, und in einen un- ern Ast theile. Der Stachellochnerve gewährt bei Vergleichung mit den von mir aufgefundenen und so genannten „Nervi sinu vertebrales**) ein besonderes morphologisches Interesse. Während der als erster Zweig aus dem gemeinsamen Stamme eines jeden Rückenmarksnerven entspringende Ramus sinu vertebralis die Haut der Blutleiter des Wirbelkanales und die Substanz des Wirbels zugleich versorgt; sehen wir am Kopf die Beziehung des Nervensystems zu den Blutleitern und zu den Schädelknochen durch zwei von verschiedenen Seiten her kommende Nerven ausgedrückt; durch den Nervus tentorii aus dem ersten Aste des (Quintus, welcher zu den Blutleitern der Dura mater geht, und durch den Nervus spinosus, welcher sich in Schädelknochen erstreckt. *) Hyrtl nennt den Zweig „Nervus spinosus Arnoldi;“ obgleich derselbe, wie sowohl in meiner Schrift (S. 35.) als auch in dem spä- ter erschienenen Handbuche Arnold’s (Bd. II. 2te Abthl. S. 901.) von diesem selbst angeführt wird, von mir „Nervus spinosus genannt und seinem Ursprunge, seiner Natur, seiner schliesslichen Verbreitung nach, entdeckt wurde. **) Vgl. die Nerven des menschlichen Wirbelkanales. Tübingen 1850. S. 9. Anmerkg. 449 Ueber die Adaption des Auges. Von Lupwıc Fick. Mit einer Nachschrift von Apoupu Fick. (Hierzu Taf. XV. Fig. 30.) Wenn man den Stand der Frage über die Adaption für das Nahesehen und Fernesehen prüft, so ist.die Literatur über die Thatsache nieht weit hinausgekommen; die Vorstellungen über den Mechanismus der Adaption bewegen sich ‚nach wie vor innerhalb hypothetischer Behauptungen., — Uebrigens ist wohl anzunehmen, dass die hypothetischen Vorstellungen: von diesem Mechanismus sich heutigen Tages auf die Annahme von Bewegung oder Formveränderung der Linse be- schränken, indem wohl Wenige noch Adaptionsapparate in den Augenmuskeln, überhaupt ausserhalb des Bulbus, suchen werden. Helmholtz hat kürzlich der Berliner Akademie. Beob- achtungen vorgelegt, welche es höchst wahrscheinlich machen, dass beide, Bewegung und Formveränderung der Linse, gleich- zeitig die Adaption bewirken. — Ich halte die Uvea für den Apparat, welcher neben der durch die Pupillenbewe- gung sich ausführenden Adaption für die der Retina adäquaten Liehtmengen, auch die Adaption für das Nahe- oder Fernesehen durch Linsenbewegung und Linsen- formveränderung vermittelt, indem sie wechselnde Blutquanta bald vor, bald hinter die Linse, ver- setzt. Müllers Archiv. 1858. 99 450 Ich glaube diesen Satz in folgenden Betrachtungen und Beobachtungen zu beweisen. F 1; Die Abbildungen, welche Arnold, Gerlach, Hassal ete. von den Injectionen der Uvea, in specie der Chorioidea und Processus ciliares geben, sind vollkommen naturgetreu aber geben das Bild einer, nur im Zustande gewaltsamer Gefäss- erweiterung eintretenden Gefässcommunication zwischen den Gefässen der Iris und Chorioidea; sie sind von Embryonen- augen oder von sogenannten vollständig gelungenen (d. h. ge- waltsamen) Injectionen aller Gefässe des Bulbus hergenom- men. — Der Sachverhalt des Gefässsystems innerhalb der Uvea wird am besten klar an partiellen Injektionen, deren ich seit Jahren eine grosse Anzahl an Menschenaugen so- wohl, als an Augen der Haussäugethiere vorgenommen habe. Wenn man den Bulbus mit seinen Umgebungen aus der Or- bita herausschneidet, so gelingt es mit feinen Injektionsappa- raten ziemlich leicht, die verschiedenen Blutgefässe, welche in den Bulbus eindringen oder aus ihm herauskommen, ein- zeln zu injieiren. — Ich habe bei Injektion der einzelnen Gefässe, welche sich in der Chorioidea verbreiten, niemals eine Injection der Iris erhalten. — Dagegen füllen sich bei solcher partieller Injection völlig constant ent- sprechendeMengen der Ciliarfortsätze. Durchjede Vena vor- ticosa (Fgi. 30.v) füllt sich ein Theil der Chorioidea und ein entsprechender Theil der Giliarfortsätze und zwar in gleiche Maasse, wogegen der, der Zonula Zinii entsprechende gefal- tete Theil (die hinteren Ausläufer der freien Fortsätze) zwi- schen glatter Chorioidea und freien Ciliarfortsätzen nur mit wenigen gestreckten Gefässen versehen, sich darstellt. — Die Capillarschicht der Chorioidea (Ruyschiana) (Fig. 30.c,e) in- jieirt sich von diesen Venen aus nicht, auch die Arterien- verzweigung der Chorioidea ‘nur. unvollkommen. — Injieirt man von den Ciliararterien der Chorioidea, so füllt sich auch wieder von diesen viel leichter und früher als: die inwendige Capillarschicht (Ruyschiana) das gröbere langmaschige | Arte- 451 rien- und Venennetz der Chorioidea) und ein. entsprechender Theil der Processus ciliares, und dann erst in 2ter Reihe .der entsprechende Theil der Ruyschiana, übrigens ebenso wie bei der Injection von den Venen aus, nicht, ein einziges Gefäss ‚der Iris. Die Zahl der bei. solchen partiellen Injeetionen sich so leicht füllenden Ciliarfortsätze ist immer’ kleiner, als sie sein würde, ‚wenn. sie genau dem. gefüllten Rayon der Cho- rioidea entsprechen sollte... Es ‚beweist ‚dies, ‚dass. wenn schon die Gefässverbindung zwischen Chorioidea und Ciliar- fortsätzen sehr leicht, und inmmerhin. leichter ist ‚als zwischen Chorioidea uud deren Ruyschiana, doch‘ein etwas grösserer Widerstand dem Abfluss in die Ciliarfortsätze als. der Verbrei- tung im ‚groben Gefässnetz der, Chorioidea entgegensteht. — Es folgt hieraus, dass der in den genannten Abbildungen an- gegebene, Gefässzusammenbang zwischen dem, Gefässsystem der Iris und: Chorioidea sehr gering ist und ‚erst unter ge- wissen Verhältnissen ‚sich. öffnet, :die eben ‚bei, partiellen: In- jectionen, so lange, eine directe Verbreitung der Flüssigkeit in. der Chorioidea noch möglich ist, nicht stattfinden. Es stehen übrigens diese Wahrnehmungen. vollkommen in Einklang mit der bekannten Isolation der Zuflüsse, zur’ Cho- rioidea und ‚zur Iris, und limitiren nur. die: Verbindung zwi- schen beiden getrennten Systemen, — Uebrigens ist es auch längst bekannt, dass in den Augen der Embryonen..die .Ge- fässverbindung der Iris und Chorioidea lebhafter, als bei den Erwachsenen ist. — Es geht daraus ‚hervor,. dass die Isola- tion dieser, beiden Systeme durch die ‚Function des. Auges sich entwickeln, also der Grund. ihrer Isolation d. h. der Widerstand des Ueberfliessens aus den Gefässen der Chorioidea in die der Iris, mit dem Gebrauche des Auges wachsen muss. Lassen wir den Grund dieser faktischen Trennung beider Gefässsysteme, der ‚natürlich nirgends ‚als. in. dem. Gewebe des Orbicul, ciliaris (Tens. chorioid. Brücke) zu ‚suchen: ist und halten uns nur an die Thatsache ‚der beiden faktisch ge- trennten Systeme, , so, wird. sich, für, das. Gefässsystem. ‚der Chorioidea mit Ruyschiana und Processus ciliaris das in Fig. 30. 29 452 gegebene Schema des Cireulationsapparates nicht abweisen lassen. Dass diese Gefässformation der Chorioidea und Cihiarfort- sätze nicht die geringste Aehnlichkeit mit allen 'den Cireula- tionsapparaten hat, welche in der Mehrzahl der Organe den Stoffwandel und nichts als ‘diesen vermitteln, leuchtet ein. Der Mangel eines Capillarnetzes mit Ausnahme der Ruy- sehianasehicht, der direete Uebergang zwischen Venen’ und Arterien, qualifieiren diesen Theil der Uvea ganz entschieden als einen von den gewöhnlichen Vegetationsapparaten verschie- denen Theil des Gefässsystems. — Ueberdies ist es bekannt. wie ausserordentlich gering der Stoffwandel in den Gebilden der Uvea im Normalstande des Auges und wie unabhängig der Stoffwandel der Chorioidea von den Vegetationsprocessen der innerhalb derselben gelegenen Gebilde (Linse, Retina, Corp. vitr.) ist, welche Gebilde bekanntlich eigene abgeschlossene Gefässsysteme besitzen. Dass der Gefässapparat der Cho- rioidea nichtim entferntesten als blosser Produetionsheerd einer Pigmentschieht aufzufassen ist, beweisen ausser den Vegeta- tionsverhältnissen, Mangel an Lymphgefässen ete. zur Genüge die Augen der Albinos’ bei Mensch und Thier, deren 'Ge- fässapparat der Uvea bekanntlich vollkommen entwickelt ist. Was bedeutet nun dieser 'sonderbare Gefässapparat, der zwischen die Skelethaut, und die sensitiven und lichtbrechen- den Gebilde sich einschiebt? — Sollten die Gefässe dieses Apparates eontraktil, er selbst irritabel sein, so läge die Deu- tung, dass dieser Apparat durch abwechselnde Füllung und Entleerung seiner einzelnen Glieder functionirt, unendlich nahe! — Betrachten wir die Substanz, in welche der Gefässapparat der Chorioidea eingebettet, von welcher er zusammengehalten ist, so kann man mit gehöriger Vorsicht und Geduld alle, in der That alle Pigmentzellen, aus dem vor dem grössten Querdurchmesser liegenden Abschnitt der Uvea herauswa- schen, und dann (durch Ausspannen der Chorioidea auf dem von mir angegebenen Apparat zum Aufspannen thierischer Membranen) sieh leicht überzeugen, dass die grosse Gefässschicht 459 in ein dünnes, etwas elastisches und völlig structarloses Stra- tum ‚eingebettet, respeetive, völlig eingeschmolzen ist. Dieses Stratum trägt erst die stärkeren oder schwächeren: Schichten von Pigmentzellen, und (an der inneren Seite), von dem Rande der Ora serata an, die als Ruyschiana bekamnte Capillar- schicht; diese beiden (Pigment und ‚Capillar.) ‚sind ‚in. der vorderen Hälfte in ein unendlich zartes, in dem. hinteren Au- genabschnitte ‚derber werdendes Bindegewebsgebälke. einge- lassen, respektive durch dasselbe zusammengehalten, welches in manchen Organismen sich bei gleichzeitig zurücktretender Pigmentausscheidung so sehr entwickelt, dass es 'zu der Annahme, einer besonderen Membran, Tapetum chorioideae, Veranlassung gegeben hat. — ' Das die grobe Gefässschicht verbindende strukturlose elas- tische Stratum ist nicht so stark wie das Lumen der -Gefässe, so dass das in der Vertiefung zwischen, zwei Gefässen lie- gende Pigment bei der nicht ausgespannten Chorioidea so; er- scheint, als ob-es die ganze Chorioidea durehdränge. Wäh- rend die nicht gespannte Chorioidea längs der dicht aneinander gelagerten Gefässe tief gerieft erscheint, so stellt sich die ausgespannte flach cannelirt dar. Auf die Bestimmung ‚der Gewebe im Kleinen durch chemische Reaetionen, gebe ich aufrichtig gestanden gerade nicht so viel wie von manchen Seiten beansprucht wird, doch willich bemerken, dass die Substanz der Ciliarfortsätze nach vollständiger Entfernung des Pigments durch Behandlung mit, Salpetersäure und Ammoniak eine gelbe Färbung be- kommt, welehe sich auch in dem Stroma des Ligament.ciliare (Vensor chorioid. Brückii), jedoch. bei verschiedenen Thieren sehr verschieden stark darstellt. — Dagegen entwickelt sich in dem structurlosen Stroma. der groben Gefässschicht der Chorioidea bei gleicher Behandlung keine Färbung. Die Nerven, welche nach ‚der Iris laufen, habe ich zwar nicht, wie es von älteren Anatomen behauptet wird, bis in die Ciliarfortsätze selbst verfolgen können, doch habe ich mit voller Bestimmtheit bei Verfolgung der Blendungsnerven einzelne Aestchen derselben sich in die Tiefe des Ligt. ciliar« 454 (Tens. ch. Br.) nach innen, gegen die Process. ciliar. hin ein- senken sehen, woselbst sie deutlich einen von dem Verlaufe der eigentlichen Blendungsnerven abweichenden Verlauf neh- men, Ueber ihre Endigung kann ich allerdings nichts Ge- naueres angeben, da siein der unmittelbaren Nähe der Pro- cessus Öiliares immer undeutlich wurden und nicht mehr dar- stellbar waren. Erinnern wir uns endlich noch an die bekannte Thatsache, dass zwar Retina und Zonula Zinnii mit dem glatten und ge- falteten Theil der Chorioidea zum Theil gar nicht, zum Theil sehr schwach verklebt sind, dass dagegen gerade an der Stelle, wo die Verlängerungen der unter sich und mit der Zonula Zinii verklebten Chorioidalfalten als freie Processus ei- liares in die hintere Augenkammer hineinragen, eine verhält- nissmässig sehr derbe Befestigung zwischen Linsenkapsel und Chorioidea sich bildet. Ueberblickt man alles Vorgetragene und denkt sich die in die hintere Augenkammer hineinragenden Process. ciliares als erectile und contractile Gefässe, so ist, bei constanter Gestalt des Bulbus, ein Apparat gegeben, durch welchen die Anfüllung der Proe. ciliares, vermittelst der Flüssigkeit der vorderen Augenkammern, einen Druck auf die vordere Linsenkapsel, und die Entleerung der Process. ceiliares in die Venae vorticosae einen Druck auf die hintere Lin- senkapsel ausüben muss. Eine bekannte Thatsache ist es aber, dass die concentri- schen Schichten der Linsensubstanz nicht nur nach dem Mit- telpunkte hin immer fester werden, sondern auch, dass sie nach den Scheiteln der Linse hin dünner, nach der Peri- pherie der Linse hin breiter sind. — Es ist mit andern Worten jede Schicht der Linse nach dem Kerne hin mehr einer Kugel ähnlich als die vorhergehende. Es ist ferner hier wichtig, dass die vordere Linsenkapsel- wand etwas elastisch und die feste Verbindung der Linsen- kapsel mit der Uebergangsstelle der freien Ciliarfortsätze in die Chorioidalfalte vermittelt, durch die Zonula Zinii sehr elastich ist; — sowie endlich der Unterschied zwischen 455 dem Inhalt des Bulbus vor und hinter. der Linse, welcher zu- nächst darin ‚besteht, dass in: der vorderen Augenkammer eine Flüssigkeit, — in dem: Bulbus hinter ‚der Linse ‚eine nicht liessende Masse 'enthälten ist. Die stärkste Anfüllung der Process. ciliares würde, wenn man die Linsenkapsel mit. Inhalt als vollkommen ‚starre Scheidewand zwischen dem in die mit Wasser ‚gefüllte, Au- genkammer 'hineinragenden und dem: den Glaskörper umge- benden Theil der Uvea zu denken hätte, nur eine so geringe Verschiebung dieser Scheidewand nach hinten und umgekehrt die Entleerung derselben indie: hinteren Venen: nur eine .'so geringe Verschiebung nach vorne bewirken, dass diese Lin- senbewegung nicht zur Adaption für Nahe- und Fernesehen hinreichen würde. — Dagegen ist es bei den Consistenz- verhältnissen der Linse und dem gleichmässigen Druck des Glaskörpers klar, dass bei dem Entleeren der Processus ciliares durch die Anfüllung der Chorioidea der Scheitel der Linse vor dem Glaskörper stärker, nach vorn weichen muss, als die Peripherie; d. h. mit andern Worten, dass die um ein Minimum vorrückende Linse ‚auf ihrer vordern Seite etwas convexer werden ‚muss.,, I. Wie vorstehend habe ich seit Jahren meinen Schülern die Verhältnisse der Uvea explieirt und dabei nicht verfehlt, als meine Ansicht auszusprechen, dass in der. Uvea (resp. in Proc, eiliar und Ven. vorticos.) in der ausgeführten Weise der Adaptionsapparat des Auges gegeben sei, wobei ich die Con- traetilität der Processus ciliares aus der Thatsache supplirt habe, dass in den Augen aller Organismen, die nieht unter den Erscheinungen der. heftigsten Hirncongestion erstorben sind, stets die Process. ceiliares blutleer, dagegen bei Erdrosselten und Erhängten mit Blut. gefüllt sind. - Die im höheren Alter d. h. bei anfangender Torpidität der irritablen Apparate eintretende Ferusichtigkeit, — .d. i. das Unvermö- gen die (aktive) Adaption in.die Nähe zu bewirken, so wie viele andere pathologische Thatsachen, welche für ‚meine 456 Ansicht sprechen, übergehe ich hier, weil es mich zu weit führen würde. Dabei habe ich auf die Richtung einzelner Blendungsnerven gegen die Ciliarfortsätze hin, die Erregbar- keit der Processus analog der Irritabilität der Iris als in einem ‚eigenthümlichen Reflexverhältniss 'mit der Sensibilität der Retina befindlich, angenommen. . Im Verlaufe dieses Sommers ist es mir endlich gelungen, an weissen Kaninchen, deren Augen vorher durch eingeträu- felte Lösung von Belladonna-Extract in Congestion versetzt waren, durch Reizung mit dem Inductionsapparat, eine wirk- liche Contraetion — Entleerung der Processus ciliares — sichtbar zu machen. Ich habe allerdings vielfach vergeblich experimentirt, da der Versuch begreiflicherweise zu den sub- tilsten gehört, die an lebenden Thieren zu machen sind; doch hat sich in diesen Herbstferien mein Bruder Adolf Fick aus Zürich ‘mit mir vollkommen von der Richtigkeit der Sache überzeugt. Man fixirt das vorbereitete Kaninchen möglichst genau, hängt an das te Augenlied eine durch eine Feder schliess- bare Pineette, durch deren Gewicht dasselbe hinreichend um- geklappt und fixirt wird; schneidet darauf die Cornea 'mög- lichst dieht an ihrer Seleroticalverbindung ab, lässt sie je- doch an einem kleinen Stücke in Verbindung mit dem Bulbus, um diesen leichter an der zurückgeschlagenen Cornea fixiren zu können. Man kann nun die sehr dehnbare Blendung leicht am Rande fassen und zurückschlagen, auch kann man sie, um bessere Ansicht der Strahlenkrone zu gewinnen, einschneiden, da ihre geringe Blutung nieht hinderlich ist. Man kann nun einen Theil der mit Blut stark injieirten Processus reizen und sich unter der Reizung entleeren sehen. — Begreiflicherweise drängt sich die Linse sehr leicht stark nach vorne und hindert dabei den Versuch, weleher übri- gens zuweilen auch dann noch gelingt, wenn die Linse durch die vordere Kapselwand entfernt wird, wobei freilich die Ge- fahr einer Verletzung der centralen Blutgefässe des Auges noch grösser wird, deren Blutung sofort den Versuch zerstört. Marburg, den 18. October. Aechschnift Die in vorstehendem Aufsatze meines Bruders entwik- kelte Ansicht über den Hergang der’ Adaption theile ich voll- kommen, namentlich seit ich mich von der Contraetilität der Ciliarfortsätze durch den Augenschein überzeugt habe. Ich folge gern daher der Aufforderung des Verfassers in dieser begleitenden Notiz das Resultat einer kleinen Rechnung bei- zufügen, welches die optische Zulänglichkeit der Hypothese ziemlich ausser Zweifel setzt. Ich lege die Listingschen Data für ein unendlicher Ferne angepasstes Auge zu Grunde, nehme an, die Peripherie der Linsenkapsel ist vollkommen unverrückbar, Vorder- und Hinterfläche der Linse sind Ku- gelsegmente. Es trete jetzt durch aktive Entleerung der Ci- liarfortsätze soviel Blut aus der hinteren Augenkammer in den Chorioidealraum hinter der Linse, dass der Scheitel ih- rer Vorderfläche um 0,0006% vorwärts rückt; da der Raum- inhalt der ganzen Linsenkapsel unverändert bleiben muss, so muss offenbar auch die Schicht der hinteren Fläche nach vorn rücken, und zwar habe ich der Einfachheit wegen an- nehmen zu dürfen geglaubt, dass dieses Vorrücken jenem an Grösse gleich kommt, was bei diesen kleinen Gestaltverän- derungen ohne Zweifel sehr nahezu richtig ist. Unter dieser Voraussetzung habe ich nun die Halbmesser der veränderten Linsenflächen — immer als Kugelflächen genommen — er- mittelt und dann mit Beibehaltung der der Natur der Sache nach unveränderten Data nach den Gauss’schen Principien berechnet, für welche Entfernung das so veränderte Auge angepasst ist. Ich fand diese Entfernung 0,218" ungefähr. Es darf uns nicht wundern, dass dieselbe weit grösser ist als der Nähepunkt eines mittleren Auges; da fast sämmtliche zu Grunde gelegten Annahmen in dem Sinne vom Wahren abweichen, dass sie eben diese Entfernung vergrössern müs- sen. Einmal nämlich ist die Grösse, um welche die Scheitel der Linse vorrücken "sehr klein gegriffen und man kann wohl annehmen, dass die Contractilität der Ciliarfortsätze weit 458 mehr zu leisten im Stande ist. Ferner aber ist die Lis- tingsche Angabe, dass der Brechungsindex des Glaskörpers dem der wässrigen Feuchtigkeit gleich ist, für unsere Rech- nung höchst ungünstig theils schon ‚an sich, theils aber .da- durch, dass, wenn man den Brechungsindex des Glaskörpers grösser dächte, man auch die Krümmung der: hinteren Linsen- fläche verstärken müsste, was das Resultat unserer Rechnung ebenfalls dem gewünschten weit näher bringen würde. Erklärung der Abbildung Taf. XV. Fig. 30. 1. Theil der Linse; p. Processus ciliaris: v. Vena vorticosa; a. Arteria chorioidea; u. Vasa capillaria Ruyschiana. 45) Ueber das Verhalten der unsichtbaren Lichtstrahlen: von hoher Brechbarkeit in den Medien des Auges. Von T. C. DONDERs. Es ist allgemein bekannt, dass das Licht, welches durch ein Prisma hindurchtritt, in Lichtbündel von verschiedener Brechbarkeit gesondert wird, und dass das Sonnenlicht dem- zufolge ein Spektrum bildet, worin roth, orange, gelb, grün, blau, indigblau und violet nebeneinanderliegen. Die rothen Strahlen weichen am wenigsten von. ihrer ursprünglichen Richtung ab; sie besitzen am wenigsten Brechbarkeit. Die grösste Brechbarkeit kommt den violeten Strahlen zu, die auch desswegen im Spektrum die äusserste Grenze bilden. Schon lauge ist es bekannt, dass überdiess noch andere Lichtstrahlen im Sonnenlichte vorhanden sind, und zwar von geringerer Brechbarkeit diesseits der rothen und von grösse- rer jenseits der violeten. Erstere sind als Wärmestrahlen mit dem Thermometer oder mit thermo-elektrischen Instru- menten, letztere durch ihre Einwirkung auf Tinct. Guajaci, Nitras argenti und andere empfindliche Reagentien wahrzu- nehmen. Letztere heissen gewöhnlich die chemischen Licht- strahlen. Beide sind für das Auge unsichtbar. *) *) Dass die Strahlen von ziemlich höherer Brechbarkeit als H di- rekt gesehen und also nicht gänzlich absorbirt werden, hat Helm- holtz nachgewiesen. Er fing das Spektrum durch Prisma und Linse gebildet, auf einem Schirme mit einer Spalte auf, und betrachtete das Licht, das in die Spalte eintfiel dureh ein Prisma, wodurch die Diffusion des wenigen weissen Lichtes, das wegen der Unvollkommenheit von 460 Für die Physiologie, vielleicht auch für die Physik, ist es von unverkennbarer Bedeutung, die Ursache dieser Un- sichtbarkeit zu erforschen. Im Wesen bieten diese Strahlen keinen Unterschied dar von den sichtbaren; nur Wellenlänge und Brechbarkeit bilden Unterschiede und diese Unterschiede sind’ doch gewiss äusserst 'gering zu nennen, wenn man sie vergleicht mit, dem Unterschiede zwischen den’mit dem Ohre wahrnehmbaren akustischen Wellen und den ihnen zukom- menden Wellenlängen. Es ist besonders der Beachtung werth, dass nur ein Theil des Spektrums, ‚das in seiner Mitte liegt, sichtbar ist, während gerade die weniger brechbaren auf der einen Seite, wie die mehr brechbaren auf der anderen nicht unmittelbar gesehen werden. A priori lassen sich zwei Ursachen für diese Unsichtbar- keit auffinden, eine physikalische und eine physiologische. Die physikalische wäre in der Absorption genannter Strahlen in den Medien des Auges gelegen, so, dass sie die Retina nicht erreichen würden; die physiologische (die einmal physi- kalisch zu werden hofft) wäre dagegen in der Unempfindlich- keit der Retina für diese Strahlen gelegen. A priori scheint die eine wie die andere Erklärung annehmbar. Schon vor einigen Jahren hat sich Brücke*) bemüht, dies Problem zu lösen. Guajac hat die Eigenschaft durch die Strahlen von hoher Brechbarkeit dunkler blau, durch die von geringer Brechbarkeit weniger blau gefärbt zu werden; die Strahlen von höchster Brechbarkeit im sichtbaren Spektrum Prisma und Linse noch vorhanden war, im Auge so gut wie eliminirt war. „Auf diese Weise, sagt er, gelingt zum Beispiel ausserordentlich gut, das jenseits der Linien H liegende wegen seiner Schwäche neben den übrigen Farben für gewöhnlich unsichtbare Violet frei von allem weissem Lichte in einer mindestens eben so‘grossen Breite sichtbar zu machen, als. das gewöhnlich sichtbare Violet zwischen der Linie @ und H einnimmt.“ Wenn man das Licht auf einem Schirme auffängt, dann könnte diese Materie leicht einige inwendige Dispersion veran- lassen; man würde dann verändertes Licht sehen. _ Dem war in den Versuchen von Helmholtz zuvorgekommen. *) Müllers Archiv, 1845 S. 262 und 1846 S. 379. 461 machen die Farbe aber auch schon dunkler ‘blau. Brücke trocknete nun im Dunkelen Guajak-Tinktur auf einer kleinen Schüssel und liess dann die Lichtstrahlen, welche durch die verschiedenen Medien des ' Auges hindurchgetreten waren, auf dieselbe einwirken. Währenddem die Theile der Tink- tur, worauf das Licht direkt einwirkte‘, schnell dunkelblau wurden, wurden diejenigen, ‘auf welche‘ das Licht erst ein- wirkte, nachdem es durch eine Linse gegangen war nur gelb- grün, ja die dunkelblaue Farbe ward allmählich (manchmal erst nach 24 Stunden) durch regressive Veränderung wiederum gelbgrün, wenn die Linse ‘vor derselben angebracht war. Cornea und Corpus vitreum brachten dieselbe Wirkung, aber nur in geringerem Grade hervor. Die Wirkung erreichte ihr Maximum, wenn Cornea und Lens eombinirt wurden. Aus diesen Beobachtungen schloss Brücke, dass die Lichtstrahlen von hoher Brechbarkeit (und darunter vorzüglich die unsicht- baren), welche die Guajakfarbe dunkelblau machen, durch die Medien des Anges, vorzüglich durch die Linse, absorbirt werden und mithin die Retina nicht erreichen können. Dieses Resultat fand er später bestätigt, als er die ver- einigten Augenmedien (mit Ausnahme ‘des Humor 'aqueus) zwischen dem Lichte und einem für die Strahlen von hoher Brechbarkeit sehr empfindlichen Papiere (von Karsten in Gebrauch gezogen) brachte. Bei den Untersuchungen von Karsten’ fiel das Maximum zwischen @ und H, mithin in die Strahlen von höchster Breehbarkeit des sichtbaren Spek- trums. Es stellte sich nun heraus, dass die Einwirkung des violeten Lichtes nach dem Durchgange durch die genannten Medien noch so bedeutend war, dass schon nach 1'% Minute ein ganz schwarzer Punkt mit braunem Halo auf dem Pa- pier gebildet wurde, dass dagegen diese Einwirkung auf der Grenze der violeten Strahlen so sehr abnahm, dass die laven- delgrauen Strahlen von geringster Brechbarkeit nach verschie- denen Minuten nur einen hellbraunen Punkt hervorriefen. In der Nähe der Gruppe AM des Draper'schen Spektrums war die Einwirkung so vollkommen aufgehoben, dass das Papier sogar nach 10 Minuten durchaus keine Reaktion zeigte. Die 462 Linse allein wirkte ungefähr ‘so stark als die vereinigten Au- genmedien. Eine der wichtigsten Entdeckungen, womit ‚C. G. Sto- kes*) neuerlichst die Naturlehre bereichert hat, bietet uns die Mittel dar, um die durch Brücke erhaltenen Resultate zu prüfen. Diese Entdeckung schliesst sich an eine Beobachtung von Sir John Herschel an, die Jedem zugänglich ist. Indem man nämlich das Sonnenlicht in eine Auflösung von Sulphas ehinini in verdünntem Acid, tartarieum oder Ac. sulphur. ein- fallen lässt, sieht man, wie, die oberflächlichen Lagen eine schöne himmelblaue Farbe**) zeigen, in Folge der Dispersion des Lichtes in diesenLagen. Herschelnannte dies epip oli- che Dispersion, Am schönsten sieht man die blaue Farbe hervortreten, wenn man längs der Oberfläche, auf. welche das Licht einfällt, nach einem dunkelen Hintergrunde hin- sieht; man sieht dann deutlich, wie sich die Farbe bis zu einer gewissen Tiefe in der Flüssigkeit erstreckt, und zwar um so tiefer, je weniger concentrirt die Flüssigkeit. Wenn man gerade durch die Flüssigkeit hinblickt, dann ist sie durch- scheinend und fast farblos, während die Flüssigkeit inwendig wirklich farblos ist. Herschel hatte auch schon wahrgenommen, dass Licht, welches einmal durch eine Auflösung von Sulph. Chin. hin- durchgetreten war, die Eigenschaft. verloren hatte, in: ei- ner zweiten Auflösung dieselbe Wirkung hervorzubringen. Das Licht war mithin verändert, nachdem es durch eine solche Auflösung hindurch getreten war, und so verändertes Licht nannte Herschel vorläufig epipolisirtes Licht.***) *) On the change of refrangibility of light. Philosophieal transac- tions. 1852. P. II p. 463. * **) Die blaue Farbe entsteht da, wo das Licht in die Chininlösung übergeht. Wenn man eine starke Auflösung von Sulph. Chin. in Was- ser tröpfelt, dann ist es, als ob sich ein blaues Präcipitat bildet, das sich bald vertheilt, um einer blauen Farbe an der Oberfläche der Flüssig- keit Platz zu machen. **«) Philosophical Transactions for 1845. „On a case of) superficial co- 463 Sir David Brewster, der schon einige Jahre früher die inwendige Dispersion des Lichtes im Fluorspath entdeckt und beschrieben hatte, wiederholte*) die Versuche von Her- schel, mit dem Unterschiede jedoch, dass er das Licht durch eine Linse hindurch in die Chininlösung einfallen liess, wo- bei er nicht allein an der Oberfläche, sondern tief in der Flüssigkeit sogenannte Dispersion wahrnahm. Ersprach.auch von Polarisation des Lichtes, die hierbei aus dem Spiele bleibt. Von diesen Wahrnehmungen ausgehend ist Stokes zu einer eben so zweifellosen als unerwarteten Erklärung dieser Erscheinungen gekommen, welche in einer (mittelbaren) Ver- änderung von Brechbarkeit mancher Lichtstrahlen ge- geben ist. The Royal Society of London hat diesen wichtigen Entdeckungen gehuldigt dadurch, dass sie Stokes fast unmittelbar die Rumford Medal für 1852 zuerkannte. Die blaue Farbe in den oberflächlichen Lagen der Chinin- lösung hängt, wie Stokes bewiesen hat, nicht von den sicht- baren blauen Strahlen des Spektrums ab, sondern ist bedingt durch das Sichtbarwerden der stark brechenden Strahlen, nachdem ihre Brechbarkeit eine geringere geworden ist. Diese Lichtstrahlen werden von der Flüssigkeit nicht regelmässig reflektirt, sondern inwendig dispergirt, so dass sie von der Flüssigkeit aus sich nach allen Richtungen verbreiten, und dadurch die Flüssigkeit gleichsam als Licht-Quelle auftritt. Insoferne nun ist es keine unmittelbare Veränderung der Brechbarkeit, sondern eine Erregung von Strahlen von ge- ringerer Brechbarkeit im Sulph. Chin. Auf einer gewissen Tiefe aber (und zwar um so tiefer, je schwächer die Lösung) haben alle Strahlen von hoher Brechbarkeit für solche von geringerer Platz gemacht und von da anfangend hört die in- wendige Dispersion auf, Epipolisirtes Licht von Herschel ist Licht, worin die Strahlen von hoher Brechbarkeit fehlen. lour presented by a homogeneous liquid internally colourless* and on the epipolie dispersion of Light. *) Transact. of the Royal Soc, of Edinbarg T. XXI. 1846 464 Ich darf hier nieht die höchst interessanten Versuche von Stokes inihren Details erwähnen. | Ich muss mich auf die Mit- theilung eines überraschenden und überzeugenden Versuches beschränken, an den sich unsere Untersuchungen anschliessen; er besteht in: dem Sichtbarmachen des Spektrums der che- mischen ‘Strahlen. Lässt man ein gut gebildetes Spektrum auf’ einen gewöhnlichen Schirm fallen, dann sieht man nur die bekannten Farben von roth bis zu violet, (durch einige schwarze Streifen (Frauenhofersche von A-H.), die den Man- gel von Strahlen von gewisser Brechbarkeit im Sonnenlichte repräsentiren, unterbrochen. Ersetzt man nun den gewöhn- lichen Schirm durch einen solchen, der mit einer Auflösung von Sulphur Chin. bestriehen und getrocknet ist, dann wer- den hierauf unmittelbar die Strahlen von hoher Breehbarkeit sichtbar, während sich das Spektrum bis über das Violet hin- aus mit einer allmählig schwächeren, grösstentheils blauen Farbe ausbreitet, in welche auch das Violet theilweise ver- ändert ist. ‘Auch hierin sieht man gewisse Streifen (von H—P), die ungefähr den Streifen entsprechen, welche Bequerel gefanden und abgebildet hat, an Stellen wo die Farbenver- änderung von empfindlichen Stoffen ausblieb.*) Wenn man vor eine Spalte, die das Licht in ein dunkeles Zimmer einfallen lässt, einen gläsernen Behälter, mit paralel- len Flächen und mit Sulph. Chin. gefüllt, stellt, dann sind die *) Die Entfernung von H—P ist ungefähr so gross wie von B—H. In der Note H erwähnt Stokes, dass er die dunkelen Linien noch in einer Entfernung von H erkennen konnte, die 2mal so gross ist wie die von B—H und zwar nach Anwendung von Quarz -Prismen; die Strahlen von höchster Brechbarkeit, deren Existenz sogar durch die Photographie noch nicht ermittelt war, werden mithin im. Glase absorbirt.. Später theilt Stokes noch mit (Pogg. Ann. 1853 Nr. 8 S. 627), dass das Spektrum von den Lichtbogen zwischen den Metall- spitzen der stärksten Batterie der Royal instit,, mit Anwendung von Prismen und Linse von Quarz erhalten, nicht weniger als 6—8mal so lang als das gewöhnlich sichtbare war, und dass es, sobald ein Stück Glas zwischen Lichtquelle und Spektrum geschoben war, bald auf ei- nen kleinen Bruchtheil seiner früheren Länge reducirt wurde. Auch die Atmosphäre scheint im Winter für die Strahlen von höchster Brechbarkeit nieht durchscheinend zu sein. 465 Strahlen von hoher Brechbarkeit nach dem Durchtritte des Lichtes, durch inwendige Dispersion aus demselben entfernt und von nun an ist es gleichgültig, ob man das Licht, durch ein Prisma analysirt, auf einen mit Sulph. Chin. benetzten oder auf einen gewöhnlichen Schirm fallen lässt. Das sicht- bare Licht im chemischen Spektrum verschwindet ebenso, wenn man das Gläschen unmittelbar vor dem Schirme hält. Verschiedene andere Stoffe, vorzüglich pflanzliche, haben die eben auseinandergesetze Eigenschaft, wenn auch nicht in gleiehem Grade mit dem Sulp. Chin. gemein. Auch sie ver- ursachen eine inwendige Dispersion des Lichtes. Stokes macht besondere Erwähnung von einem gelben, Canary glass genannten Glase, das wegen seines Urangehaltes die erwähnte Erscheinung in hohem Masse darbietet, wodurch es eine Schönheit erlangt, die es zum Luxusartikel gestempelt hat. Dies Glas als Schirm benutzt, lässt die dunkeln Linien ausser- ordentlich deutlich wahrnehmen. Ein gelbes Glas, im Be- sitze des Herrn Prof. van Rees, das dem Sonnenlichte die Strahlen von hoher Brechbarkeit entnahm, war jedoch nicht geeignet, um das chemische Spektrum sichtbar zu machen, so dass dies Glas sich wesentlich von dem durch Stokes gebrauchten unterscheidet. Ward dies Glas vor die Spalte oder den Schirm gehalten, dann war an der Stelle des chemischen Spektrums jede Spur yon Licht verschwunden. Aus dem Vorhergehenden geht hervor, dass die Strahlen von hoher Brechbarkeit, die in’s Auge einfallen, nicht wahr- genommen werden, ‘weil sie in einem der breehenden Medien absorbirt worden oder weil sie in einem derselben dispergirt und somit zu Strahlen von geringerer Brechbarkeit werden. Es fragt sich nun, ob das Eine oder das Andere im Auge geschieht? Letzteres ist unwahrscheinlich, weil die Strahlen dann die Augenmedien beleuchten würden, und somit der Wahr- nehmung durch die Retina nicht entgehen könnten. Ueber- diese haben wir auf diesen Medien keine epipolische Farben und kein chemisches Spektrum wahrnehmen können. Ersteres hätten wir nach den Versuchen von Bruecke Müllers Archiv. 1853. 30 466 zu erwarten. Unsere Versuche lehrten uns jedoch das Ent- gegengesetze. Die erste Bedingung, um die Versuche mit einigem Er- folge anzustellen, war die Herstellung eines guten Spektrums. Mein werther College und Freund van Rees war im Besitze der hierhergehörigen Hülfsmittel, und beeilte sich die Ver- suche von Stokes zu wiederholen. Das Sonnenlicht fiel, wie gewöhnlich durch eine Spalte auf ein Flintglas- Prisma von 45°, 34mm Höhe und 54mm Breite, das auf einem Ab- stande von 6 Metern von der Spalte aufgestellt war;. ein zweites Crownglas-Prisma von ganz gleichen Dimensionen war neben dem Ersten zur weiteren Dispersion angebracht, und das Licht, das aus diesem hervortrat, ward durch eine gute achromatische Linse von 1,9 Meter Brennweite (gerade wie die Prismen aus der Frauenhofer'schen Fabrik) ‘zu einem schönen Spektrum vereinigt, das in einem angrenzen- den dunkelen Stübehen, in einer Entfernung von 3 Metern von der Linse, aufgefangen werden konnte, wodurch das diffuse Licht, von den auf die Wand fallenden Spiegelbildern des Prisma’s, ausgeschlossen ward. Das Spektrum war sehr breit; die Entfernung von H—B betrug nicht weniger als 19,5 Centimeter. Inzwischen war selbst, nachdem die un- gebrauchten Flächen des Prisma schwarz gemacht waren, noch nicht alles diffuse Licht entfernt, weil die Linse und das Prisma sich leuchtend vorthun durch unregelmässige Re- flexion, eine Folge von nicht auszuweichender Unvollkommen- heit. Dies diffuse Licht war jedoch so schwach, dass es uns überflüssig vorkam, um es wie Helmholtz*) zu eliminiren, Nun würden die Versuche von Stokes mit einem ge- wöhnlichen und einem mit Sulph. Chin. bestriehenen Schirme wiederholt, und die Ausbreitung des Spektrums auf letzerem so überraschend gefunden, dass man nicht unterlassen kann Stokes beizupflichten, wenn er sagt: „altogether the pheno- menon had something of an unearthly appearance.“ Die Helle und Deutlichkeit des Spektrums hingen natür- *) Poggendorffs Annalen. B. LXXXVLI S. 501. licherweise zum Theile von der Helle der Sonne ab. Es gab dem besten Spektrum von Stokes um etwas nach, aber die ‚ Streifen der Gruppe n‘waren doch gut zu sehen, und das Licht war doch gerade soweit sichtbar, als Stokes Streifen abgebildet sind, wenn es auch allmählig schwächer ward. Vielleicht hängt die geringere Vollkommenheit unseres Spek- trums mit seiner grösseren Breite zusammen, die jedoch für unsere Versuche sehr erwünscht war. Die Entfernung von B—H im Spektrum von Stokes betrug nur ungefähr 11% Engl. Zoll. Die schöne Gelegenheit, welche mir Prof. van Rees anbot, um das Verhalten der Lichtstrahlen von hoher Brechbarkeit zu den Medien des Auges zu untersuchen, konnte ich nicht ubenutzt lassen, wäre es auch nur, um die Resultate von { Bruecke,die auch Stokes a priori für wahrscheinlich hielt*), r constatiren zu können. Ich füllte Gläschen von verschiede- ae ner Grösse, mit je zwei paralellen Wänden und oben offen - dem Corpus vitreum einiger Rindsaugen. Die Lage Cor- eum, welche das Licht zu durchlaufen hatte, betrug Die Schwächung war wenigstens geringer als wenn ein leeres Gläschen von gleicher Form vorgehalten wurde, wobei frei- lieh stärkere Reflexion an den inneren Glaswänden stattfindet. Eine dickere Lage Corpus vitreum (bis zu 9 Centim.) bewirkte eine stärkere Lichtschwächung wegen der unvoll- kommenen Durchsichtigkeit (vorzüglich durch die nicht zu vermeidenden beigemischten fremden Molekule); allein diese Lichtschwächung war nicht bedeutender für die Strahlen von hoher Brechbarkeit, die nur auf dem mit Sulph. Chin. be- strichenen Schirme wahrzunehmen sind, als für das gewöhn- liche Spektrum. Derselbe Versuch wurde wiederholt mit dem humor aqueus aus Rinderaugen, wobei das Licht eine Lage *) L. c. p. 547 „Indeed, it seems very likely, that the high refran- gible rays never reach the retina, but are absorbed by the conts (coats ist wohl nicht der passendste Ausdruck) of the eye. 30* Auch bei diesen Ver- suchen fand nur eine allgemeine Lichtschwächung statt, die» von Reflexion abhängig war. — Dieselben Medien wurden nun auch vor den Schirm gehalten und auf- und abbewegt. Als Schirm gebrauchten wir entweder ein mit- einer Lösung von Sulph. Chin. gefülltes Gläschen, durch welches die ge- wöhnlich sichtbaren Strahlen durchliefen, oder den gewöhn- lichen Schirm, aber dann wurden die Strahlen bis zum Vio- let im ersten dunkelen Zimmer abgeschnitten um die schwachen Lichtstrahlen des äussersten Spektrums besser wahrnehmen zu können. Die letzte Methode war die beste und gab die schärfsten Resultate. Es zeigte sich über allen Zweifel er- haben, dass die Lichtstrahlen von hoher Brechbarkeit, die auf dem Chinine-Papier in leuchtende verändert waren, durch die genannten Medien hindurchgelaufen waren, von Violet an bis dahin, wo auch ohne die Einstellung der genannten Medien Licht auf dem Schirme gesehen war. Insofern d abgeschnitten und so möglich ohne Falten in ganz frischem Zustande in Glaskörper aufgehängt. Die kleinen Falten, die nicht zu umgehen sind, veranlassten kleine, schwache, schat- tenähnliche Flecke in dem Theile des Spektrums, dessen Licht die Cornea durchlaufen hatte; ein Unterschied aber in Wirkung auf das Licht von verschiedener Brechbarkeit war auch jetzt nicht wahrzunehmen. . Die Linse ward mit ihrer Kapsel in den mit Glaskörpern gefüllten Gläschen aufgehängt, mit ihrer Axe vertikal auf die A Gläschens. Rindvieh, Schweine, Schaafe lie- ferten hierzu das Material. Die Linsen wurden in den schmal- sten Gläschen oft etwas abgeplattet. Uebrigens behielten die Linsen eine gewisse Brennweite, die, freilich viel grösser ward, während sie im Glaskörper schwebten, in jedem Falle aber verhinderte, dass ihr Verhalten zu den Licht- 469 strahlen durch ihre Stellung vor die Lichtspalte untersucht werden konnte. Es war denn auch hinreichend, das Gläschen mit der Linse vor dem Spektrum auf- und abzubewegen, um die Ueberzeugung zu erhalten, dass auch die Linse den Strahlen von hoher Brechbarkeit kein Hinderniss in den Weg setzt. 3 Diese Methode ist sehr vollkommen und entspricht der vier- ten von Stokes angewendeten. In der ganzen Gruppe p ward auf dem Chinine-Spektrum unverkennbar noch ein schwaches Bildchen gesehen, das durch die Linse aus den stärksten brechbaren Strahlen gebildet war. Hierbei konnte jedoch das diffuse Licht, das den ganzen Schirm mehr oder weniger be- leuchtete, noch einigem Zweifel Raum lassen, weil auch ober- und unterhalb des Spektrums ein schwaches Bildchen gebil-. det wurde. Wenn man jedoch diese Bildchen mit einander verglich, es sei beim Auf- und Abbewegen des Gläschens, es sei durch das Aufhängen von zwei Linsen im Gläschen eine über der anderen (wodurch zu gleicher Zeit ein Bildchen vom diffusen Lichte und eines vom Spektrumlichte gesehen und verglichen werden konnte), so entschied die grössere Helle und die bläuliche Farbe des letzteren. — Soviel ist also ausgemacht, dass auch die Strahlen von hoher Brechbarkeit, als solche unsichtbar, durch die Linse hindurchlaufen, wenn ich auch nicht mit Gewissheit aussprechen durfte, dass sie dies im glei- chen Verhältnisse mit den weniger brechbaren thun. Nachdem also die verschiedenen Medien einzeln unter- sucht waren, war man wohl zu dem Sehlusse berechtigt, dass auch die vereinigten Medien Strahlen von jeder Brechbarkeit durchlassen würden. Es könnte jedoch auch wünschenswerth erscheinen, dies noch zum Gegenstande der direkten Unter- suchung zu machen. Zu dem Behufe ward ein Kaninchen- auge im Aequator durchgeschnitten, und die vordere Hälfte, worin Cornea, humor aqueus, Linse mit Kapsel and Glas- körper vereinigt waren, in einem mit Glaskörper von Ochsen- augen gefüllten Gläschen aufgehängt, mit der Gesichtsaxe vertikal auf die Seitenwände. Ward dies vor den Schirm 470 gehalten, dann mussten die Strahlen die vereinigten Medien durchlaufen, ehe sie den Schirm erreichten. Bei dem ersten Versuche war das Resultat, wenigstens über / hinaus, un- sicher, was wir auf Rechnung der engen Pupille schreiben zu müssen glaubten. Nun ward ein Hund, dessen Pupille durch Sulph. atropini bedeutend erweitert war, durch Ein- blasen von Luft in die Vena jugularis getödtet, die Augen unmittelbar ausgeschnitten, im Aequator getrennt, und die vorderste Hälfte der beiden, eine über der anderen auf die bereits erwähnte Weise aufgehängt. Man sah nun von H bis o ein bläuliches Bildehen im Spektrum, während das vom diffusen Lichte abhängige Bildchen über und unter dem Spek- trum viel schwächer und grau war. Ueber o hinaus liessen sich die beiden Bildchen nicht mehr gut unterscheiden; an der Stelle war denn auch bei dem Sonnenlichte, das uns zu Gebote stand, die Beleuchtung sehr schwach, so dass wohl nur die scharfen Grenzen des Spektrums hier die grössere Beleuchtung erkennen liessen. - Endlich ist es mir nicht entgangen, dass ich mich auch davon zu überzeugen hatte, ob die verschiedenen Lagen der Retina für die Strahlen von verschiedener Brechbarkeit durch- dringbar sind. Ich fand dies um so mehr geboten, als die Untersuchungen von H. Müller und van Trigt”) nahezu bewiesen haben, dass die Empfindlichkeit für die Liehtwellen der Stäbchenlage wenigstens nicht der Ausbreitung des Ge- sichtsnerven zukommt, Es wäre mithin möglich, dass die ge- nannten Strahlen auf der Retina absorbirt würden, ehe sie die Stäbchenlage erreichen. Zu dem Zwecke des Versuches wurden an verschiedenen Augen die verschiedenen Häute bis auf die Retina an einer kleinen Stelle entfernt und dann das Auge durchgeschnitten, (wobei die Retina leicht zerriss) oder die ganze Retina wurde isolirt, was meistens besser gelang, und dann theilweise im Glaskörper aufgehängt. Wiewohl ein solches Stück viel von seiner ursprünglichen Durchsich- tigkeit eingebüsst hatte, so war die Wahrnehmung, dass *) Verg. Nederl. Lancet 3. Serie D II. bl. 458. 471 auch durch diese Membran die Strahlen von hoher Brech- barkeit nicht zurückgehalten wurden, doch ganz ungehindert. Das Resultat unserer Untersuchungen ist mithin: dass, wenn auch nicht alle, so doch die meisten Strah- len von höherer Brechbarkeit als das Violet, die Stäbchenlage der Retina erreichen und dass mit- hin der Grund ihrer Unsichtbarkeit in der Re- tina selbst zu suchen ist. Sollen wir uns nun zufrie- den stellen mit Melloni’s Ausspruch, dass diese kleineren Wellen nicht harmonisch sind mit der molekulären Elasti- eität der empfindlichen Lage der Retina und dass darin die Ursache verborgen liege, weswegen sie keine Lichtempfin- dung hervorrufen? Das Problem muss jetzt die Physiker unter den Physiologen beschäftigen und soviel möglich auf dem Wege des Experimentes ausgemacht werden. In erster Reihe käme dann wohl das Verhalten der Strahlen von ho- her Brechbarkeit zur Retina noch näher zur Untersuchung. Brücke’s Untersuchungen zu kritisiren bin ich nicht be- rechtigt, weil ich keine Versuche nach seiner Methode an- gestellt habe. Sovielist gewiss, dass unsere Methode zu einem entscheidenden Resultate geführt hat. Möchte es jedoch näher gezeigt werden, dass aus den Ver- suchen, wie sie Brücke, ein Forscher hochgeschätzt wegen seiner Gründlichkeit und Genauigkeit, angestellt hat, noth- wendig auf eine Absorption von chemischen Strahlen ge- schlossen werden muss, dann kann eine Auflösung des Wi- derspruches nur zum Vortheile der Wissenschaft gedeihen. In Betreff der Strahlen von geringster Brechbarkeit, der Wärmestrahlen, die diesseits des Roth liegen, hat Brücke gelehrt, dass sie höchst wahrscheinlich durch die Augenme- dien absorbirt werden. Mir fehlen die Wahrnehmungen, die mich zum Ausspruche eines Urtheiles hierüber berechtigen könnten. en 472 Ueber die Gattungen der Seeigellarven. Von Jom. MÜLLER. Gelesen in der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin am 17. November 1853. Die Beobachtungen über die Entwickelung und Metamor- phose der Echinodermen sind schen so weit ausgeführt, dass diese Vorgänge jetzt vollständig bekannt sind. Wenn jene Untersuchungen bei den Seeigeln bereits in das Stadium ge- ireten sind, dass es sich um die Eigenschaften der Larven in den verschiedenen Gattungen der Seeigel und nm die Un- terscheidung und Bestimmung der Arten und ihre Geschichte handelt, so ist dies vorzüglich dem wichtigen Antheil zu danken, welchen Krohn unausgesetzt an diesen Arbeiten genommen hat. Zur Bestimmung der Larven waren künst- liche Befruchtungen der Seeigel nothwendig; da die Beobach- De andlens an den auf diesem Wege erzielten Larven nicht ug fortgeführt werden kann, so kam es darauf an spätern Alterszustände der verschiedenen Arten in der e aufzusuchen. Bei einem zweimonatlichen Aufenthalt in Er bis zur Mitte des October 1353 in der Gesellschaft der Herren Professor Troschel, Dr. Max Müller und Stu- direnden J. Althaus hatte ich wieder eine reiche Gelegen- heit die Beobachtungen über die Echinodermen fortzusetzen und namentlich diejenigen über die Seeigel in der letztge- nannten Richtung zu erweitern. Die bei Messina gemeinen Arten der Seeigel sind Echinus 473 lieidus, E. brevispinosus, Echinocidaris aequituberculata, Spa- tangus purpureus, Echinocyamus tarenlinus. Die Larven der vier ersten sind auch dort gewöhnlich, Von andern Larven erschienen wieder die beiden bekannten Holothurienlarven, Pluteus paradozus, bimaculatus, die Larve der Ophiothriz fra- gilis, die Bipinnaria von Triest, Tornaria, und eine neue Art von Brachiolaria, deren 3 der Gattung eigene Arme auf der ventralen Seite in ganzer Länge von Papillen eingefasst sind. Ich behalte mir vor bei einer ‘andern Gelegenheit auf diese Larve zurückzukommen, wenn es gelingen sollte, die Beob- achtungen über die Tornaria und die wurmförmige Asteri- denlarve zu vervollständigen. Aus der Gattung Echinus sind durch künstliche Befruch- tung bis jetzt die Larven dreier Arten auf die Species be- kannt und bestimmt worden. Die Befruchtung ist an Echi- nus lividus Lam. durch Krohn, auch durch Busch und mich selbst ausgeführt und steht nunmehr fest, dass der von Der- bes befruchtete Seeigel, welchen er esculentus nannte, wie ich vermuthet hatte, ebenfalls E. lividus Lam. war. Die Larve des E. brevispinosus Risso (esculentus Blainv.) ist von Krohn nach künstlicher Befruchtung beschrieben Arch. f. An. und. Physiol., 1853. p. 139. und p. 361, bei E. pulchellus Ag. ist diese durch mich ausgeführt. Die Helgoländischen Seeigel- larven ohne Scheitelfortsätze sind schon auf die Gattung Echi- nus bestimmt, die Arten noch unbestimmt. Bei Echinoeidaris aequituberculata DesM, haben Busch und Krohn, bei Spa- tangus purpureus Krohn (a. a. Ö. p. 255) die a > aus- geführt. Hierdurch sind auch die Seeigellarven mit € fortsätzen von Helgoland, Nizza und Triest als Spatangoid: bestimmt worden, ’ Alle Seeigellarven aus den verschiedenen Gattune e nus, Echinocidaris, Spatangus haben einen ventralen Theil des Schirme, die Markise und einen dorsalen Theil desselben, welcher sich auf das Mundgestell verlängert. Alle haben im ausgewachsenen Zustande mindestens 8 Arme, nämlich 4 Schirmarme (2 ventrale und 2 dorsale) und 4 Arme des Mundgestells, (die 2 Hauptarme und 2 Nebenarme desselben). Ti 474 Im jüngern Zustande sind statt dieser $ Arme nur 4 vorhan- den, nämlich die ventralen Schirmarme oder Markisenarme und die Hauptarme des Mundgestells, deren Kalkstäbe bogenför- mig von den Kalkstäben der Markisenarme ausgehen. Die Kalkstäbe der Markisenarme sind in die Kuppel verlän- gert, ebenso geht ein Ast aus dem Bogen für die ersten Arme des Mundgestells mehr oder weniger weit im Körper der Larve fort gegen die Kuppel hin oder selbst bis in dieselbe. Beide sind in der Kuppel zuweilen zu einem Rahmen ver- bunden, wie bei einigen Echinen und bei den Spatangoiden. Wenn die dorsalen Seitenarme oder dorsalen Schirmarme ent- stehen, so wird ein Ast ihrer Wurzel allmählig mehr oder we- niger weit an der Rückseite des Körpers nach der Kuppel verlängert, entsprechend den Leibesästen der ventralen Schirm- arme. Sie verbinden sich entweder mit dem primitiven Kalk- gerüst, wie bei der sehr eigenthümlichen Echinuslarye von Helgoland I. Abhandlung. Taf. IV Fig. 1. 2. oder laufen frei aus wie bei den andern Echinen und bei den Spatangen. Dann ist wenigsteus ein querer Ast aus der Wurzel dieser Stäbe am Rücken der Larve entwickelt, dem Querast der Markisenstäbe entsprechend. In einigen Fällen verschwindet jetzt das frühere Kalkgerüst der Kuppel wie bei Echinus brevispinosus und den Spatangoiden. Die Kalkstäbe der Ne- benarme des Mundgestells entwickeln sich bei allen Seeigel- larven aus einem eigenen Kalkbogen in der Rückenwand des Mundgestells. ® Ueber die Gattung Echinus und über Echinus brevispinosus RR. schiedenen Seeigelgattungen sind durch einige ei- gene Charaktere ausgezeichnet; diese Charactere sind aber an den jungen Larven, wie sie durch künstliche Befruchtung "und»Zucht erhalten werden, noch nicht ausgeprägt, so z.B. sind die Wimperepauletten der Gattung Echinus eigenthüm- liche von der ‚allgemeinen Wimperschnur unabhängige Bil- dungen, aber diese entstehen erst nach der Entwiekelung aller Fortsätze, also an den Echinuslarven mit 8 Fortsätzen. 475 In diesem Zustande trifft man die Larven meist nur im Meere an. Am vollständigsten sind die Beobachtungen an den Lar- ven des Echinus lividus, deren spätere Zustände indess gänz- lich mit den in Helgoland beobachteten Sceigellarven mit Wimperepauletten übereinstimmen. Die Arten der Gattung Echinus weichen theils in der Form der Kuppel und ihrem Kalkgerüste, theils in den Kalkstäben der Schirmarme ab, welche meist einfach, zuweilen wie nach Krohn’s Beobach- tungen an der Larve des Echinus brevispinosus auch ge- gittert sind. Mehrere Arten der Gattung haben einen pyramidalen Scheitel, so Echinus lividus, pulchellus, und die Helgoländische Echinuslarve I. Abhandlung Taf. IV Fig. 3. Taf. V. Fig. 9. Bei diesen sind allein die Kalkstäbe der Markisenarme bis in den Scheitel verlängert, bald keulenförmig (E. lividus), bald verästelt (E. pulchellus), bald krückenförmig, wie bei der ebenerwähnten Helgoländischen Larve. Andere Echinus- larven haben eine niedrige runde Kuppel wie E. brevispinosus und Helgoländische Larven. In diesem Kalle sind die Kör- peräste aus den Kalkstäben der ersten Mundarme am Rücken bis zur Kuppel verlängert, symmetrisch mit den ventralen Kalkleisten aus den Markisenarmen und beide die ventralen und dorsalen Kalkleisten gewöhnlich in der Kuppel zu einem Kalkrahmen verbunden, der bei E. brevispinosus vierseitig ist, bei der Helgoländischen Larve I. Abh. Taf. IV Fig. 1. 2. aber ein complicirtes Balkenwerk in der Kuppel bildet, mit wel- chem sich dann auch noch die Verlängerung des Kalkstabs der dorsalen Seitenarme verbindet. Bei den Larven des £. brerispinosus vergeht der primitive oder provisorische Kalk- rahmen, wie er der vierarmigen Larve eigen war, nach begon- nener Eintwickelung der dorsalen Schirmarme allmählig ganz bis auf die freien Enden der Leibesstäbe aus den ventralen Schirmarmen, welchen analog der Ausläufer der nachentstan- denen dorsalen Schirmarme bis in die Kuppel verlängert wor- den ist. Die Larven der mehrsten Arten von Echinus sind an den Seiten des Schirms sehr stark ausgesehnitten und geht die 476 . Wimperschnur ohne Verlängerung auf einen Fortsatz vom dorsalen zum ventralen Rande des Schirms, so dass ihnen die Aurieularfortsätze anderer Larven von Echinodermen feh- len. Aurikeln oder Auricularfortsätze nannte ich die Fort- sätze am Uebergang der Wimperschnur von der Rückseite zur Bauchseite am hintern Theil des Körpers oder Schirm, VI. Abhandlung, Die Larve des E. brevispinosus macht nun eine Ausnahme von den übrigen Echinen, dass sie in ihrem, spätern von Krohn beschriebenen Zustand kurze Auricularfortsätze an der Kuppel besitzt. Diese Larve weicht überhaupt von den Larven anderer Echinus mehr ab, als diese von einander abzuweichen pflegen, so dass es sich verlohnt, die Phasen, welche sie durchläuft, voll- ständig kennen zu lernen. Das mehrste ist daran schon von Krohn gesehen und beschrieben und es ist mir nur übrig geblieben, die Gegenwart selbständiger Wimperepau- letten, welche dieser Larve zu fehlen schienen, festzustellen. Die Eigenthümlichkeiten dieser Larve geben aber auch den Schlüssel zum Verständniss der Larven der Echinocidaris und Spatangen und darum halte ich es für nöthig in das ganze Detail ihrer successiven Veränderung einzugehen. Die von Krohn durch künstliche Befruchtung erzielten jün- geren Larven von E. brevispinosus sind schon dadurch aus- gezeichnet, dass die Markisenarme einen gegitterten Kalkstab enthalten. So wie diese Stäbe, so geben auch die davon ausgehenden ersten Kalkstäbe des Mundgestells einen Ast in das bauchige Hinterende des Körpers oder die Kuppel, so dass ein Gestell von 4 Kalkleisten, 2’ ventral, 2 dorsal nach der Kuppel dringt und hier wieder durch Querleisten mehr oder weniger vollständig verbunden ist. Hierdurch wurden nunmehr einige von mir schon abgebildete Seeigel- larven von Nizza und Triest IV. Abh. Taf. VIII Fig. 1 — 8.-VI. Abh. Taf. VIII Fig 3—5 auf diese Species bestimmt, Als weitere Entwickelungsstufen liessen sich nach Krohn mit gleichem Recht zwei einander überaus ähnliche Larven- arten beanspruchen, die bis zur Vollzahl der Fortsätze häufig im Meer bei Messina vorkamen. Sie unterscheiden sich 477 hauptsächlich nur durch die Beschaffenheit. der alkstäbe in den dorsalen Seitenfortsätzen, während das Kalkgerüst sonst völlig übereinstimmt. Bei der einen Art A sind diese Stäbe einfach eylindrisch, bei der andern B gegittert wie diejenigen der Markisenarme. Beiderlei Larven habe ich bei Messina wiederholt und bis zur vollendeten Entwickelung gesehen. Die Gitterstäbe der Seeigellarven sind überall wo sie vorkommen dreikantig. So ist es auch bei der Form B mit den Kalkstäben in beiden, den ventralen und dorsalen Schirm- armen, die Maschen des Gitters sind ziemlich gleichförmig vom obern bis untern Theil des Stabs. Bei der Form A sind die einfachen Kalkstäbe in den dorsalen Seitenarmen einfach rund, nicht dreikantig, die Gitterstäbe in den Markisenarmen von A sind dreikantig, hören aber am letzten Drittel des ausgewach- senen Arms auf, gegittert und dreikantig zu sein und sich plötzlich verdünnend, werden sie einfach walzig. Die Maschen des Gitters sind in diesen Stäben am innern angewachsenen Theil viel grösser als weiter ab, sie werden allmählig immer kürzer, so dass auf eine Strecke, die oben 3 Maschen umfasst, weiter unten 5 Maschen kommen. Zuletzt werden die Lö- chercehen überhaupt sehr klein, bis am letzten Drittel alle Spur derselben verloren ist. So gross die Unterschiede in diesen Kalkstäben bei beiden Formen sind, so ist doch die gedrungene Gestalt der Larven mit sehr dicken kurzen Armen, die Form der Aurikeln, wel- che sie erhalten und eine noch zu beschreibende eigene Ge- staltung des Schirms an den reiferen Larven so völlig über- einstimmend, dass sie vielleicht nur Varietäten einer Species nämlich d. E. brerispinosus sind. Hiefür lässt sich anführen, dass bei der Ophiurenlarve von Helgoland Pluteus paradoxus in seltenen Fällen die Stäbe der Auriculararme statt einfach zu sein, ein Maschenwerk entwickeln wie die Abbildung im Archiv 1846 Taf. VI Fig.3 zeigt, und dass es unter den Spa- tangoidlarven grosse Verschiedenheiten in der Ausbildung des Gitters giebt, während aber die dreikantige Beschaffenheit der Stäbe in den Schirmarmen dieser Larven constant ist. Am kuppelförmigen Ende entwickeln sich bei beiden auf 478 E. brevispinosus bezüglichen Larven in ihrem reifern Zustande die seitlichen Arcaden der Wimperschnur zu Aurikeln oder Auvieularfortsätzen. Bs sind die von Gegenbauer an einer Larve von Messina mit $ Armen gesehenen handhabenför- migen Fortsätze. v. Siebold und Kölliker Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie. 4. Band. p. 329. Krohn hat sie als Aurikeln oder Auricularfortsätze bezeichnet. Der letzgenannte Forscher hat auch schon bemerkt, dass zu dieser Zeit der viereckige Kalkrahmen der Kuppel, den die jün- gern Larven besassen, in der reifern Larve wieder verschwin- det, dagegen sich in der Kuppel ein starker querer Balken entwickelt, dessen beide Enden in zwei divergirende Zacken auflaufen. Da der aufsteigende Zweig die Aurikel stützt, so kann man ihn als Kalkstab eines Aurieulararms ansehen. Nach- dem der frühere Kalkrahmen in der Kuppel ganz verschwun- den, endigt der longitudinale Ast der Markisenstäbe zu diesem Rahmen frei, der longitudinale dorsale Ast eben dahin aus dem Kalkbogen für das Mundgestell ist ganz verschwunden. Statt dessen hat sich ein Ast aus der Wurzel des dorsalen Seiten- arms bis in die Kuppel verlängert. Die Leibesstäbe aus den 4 Schirmarmen reichen also symmetrisch bis zur Kuppel; auch gleichen sich die von denselben Stellen ausgehenden queren Zweige. In diesem Stadium der Larve gehen einige Veränderungen an dem Schirm vor sich, mit welchen der Lauf der Wimper- schnur am Rand des Schirms mehr Biegungen erhält. Die Mar- kise ist durch Ein- und Ausbuchten, verbunden mit Biegungen gleich einem Darmgekröse, in 3 Abtheilungen gebracht, wovon die seitlichen ausgebogen und aufgewendet epaulettartig er- scheinen, die mittlere aber tief niedergedrückt ist. Der mitt- lere Theil der Markise ist schnabelartig verlängert, hängt lang herab bis nahe zum Munde. Dies ist der Vorsprung des Schirms, welchen Krohn dem Steg einer Geige vergleicht. Bei der Bipinnaria asterigera verlängert sich der analoge Theil der Körperwand ebenfalls schnabelartig. Die Form dieses Schna- bels ist bei der Larve des Echinus brevispinosus manchen Ver- änderungen unterworfen, meist ist er auf der äussern Oberfläche 3 Be 2 ee % . ‘ 479. * etwas ausgehöhlt und gleicht dann einer hervorstehenden Hohl- kehle. Auf diesem Schnabel und zwar an der Wurzel der Hohl- kehle öffnet sich der After. An der Rückseite des Körpers tre- ten jederseits zwischen dem Schirmarm und dem Mundgestell ganz ähnliche epaulettartige Ausbiegungen hervor wie auf der ventralen Seite, wie dort von der Wimperschnur besetzt. Dem Schnabel der Markise gleicht aber ein auf dem Rücken des Mundgestells hervortretender Vorsprung der Haut gleichfalls von der Gestalt einer Holilkehle. Die Seitenränder dieses Vorsprunges sind von der Wimperschnur besetzt, der. vor- dere Rand ist frei davon. Auf diese Seitenränder des Vor- sprungs geht die Wimperschnur von den epaulettenartigen Buchten über und setzt sich dann erst in’nochmaliger Bie- gung zurück und wieder vorwärts auf die Arme des Mund- gestells fort. Diese Vorsprünge finden sich in gleicher Weise an beiderlei Formen der Larve mit einfachen und gegitterten dorsalen Seitenstäben gleichwie auch die Aurieularfortsätze. In diesem Zustande sind die Larven ©), gross. Die Larve erhält zur Zeit der Entwicklung der Seeigel- anlage auch noch selbständige Wimperepauletten, welche in diesem Fall ausserordentlich breit sind, so dass sie einander an der Mitte der Bauchseite und Rückseite sehr nahe kom- men und beinahe aneinander stossen. Bei allen bisher bekannt gewordenen Seeigellarven mit Wimperepauletten sind diese selbständige Bildungen, d.h. un- abhängig von der allgemeinen Wimperschnur. Bei der in Rede stehenden Larve schien davon eine Ausnahme statt zu finden. Krohn bemerkte, dass es zweifelhaft sei, ob die Wimper- epauletten des E. brevispinosus sich so wie bei anderen Seci- gellarven verhalten, denn sie schienen nicht neu hinzugekom- mene Theile, sondern bloss stärker entwickelte Parthien der bestehenden Wimperschnur zu sein. Diess war auch meine Vorstellung, als ich der ersten Larve dieser Art von der” Form mit gegitterten Stäben der dorsalen Seitenarme änsich- tig wurde, bei welcher der Umbo der Seeigelanlage schon die fünfblättrige Figur in seinem Innern erhalten hatte. Spä- ter sind mir öfter Exemplare der Form mit einfachen Stäben | 4 480 der dorsalen Seitenarme vorgekommen, bei denen die See- igelanlage noch weiter entwickelt war. An diesen habe ich mich wiederholt auf das vollkom- menste überzeugen können, dass die Wimperepauletten hier ebenso selbständig als in den andern Arten von Echinus sind. Die wahren Wimperepauletten entwickeln sich über den epau- lettartigen Ausbiegungen des Schirms und bedecken dann bei der Ansicht auf den Hintertheil' der Larve leicht den Lauf der allgemeinen Wimperschnur. In andern Lagen sieht man die Bogen der allgemeinen Wimperschnur, welche unter den selbständigen 'Wimperepauletten und ihnen parallel laufen, übrigens durch einen deutlichen Zwischenraum davon ge- trennt sind. Es bleibt daher Gattungscharacter für die Larven der Echinusarten, dass sie Wimperepauletten ausser der allge- meinen Wimperschnur erhalten, welche dagegen anderen Seeigellarven fehlen. Zur Zeit der Vergrösserung der Seeigelanlage stehen meh- rere Pedicellarien auf der Kuppel der Larve, sie sind gestielt und entwickeln sich aus blasenförmigen Auswüchsen auf der Oberfläche des Körpers, eine steht gewöhnlich auf dem jetzt zwischen den Aurikeln versteckten Scheitel der Larve. Die Wimperschnur und die Haut des durchsichtigen Kör- pers der Larve sind hin und wieder mit rothen Puneten be- setzt. Die Larven bewegen in diesem Stadium zuweilen die Hauptarme oder Schirmarme gegeneinander, eine Bewegung, welehe ich noch nicht an andern Echinuslarven, wohl aber an einer auf Echinocidaris aequituberculata bezüglichen Larve ge- sehen habe. Es scheinen daher in dem Körper der Seeigel- larven auch Muskelbündel angelegt zu sein, worauf vielleicht die an der ausgehöhlten Seite des Körpers sichtbaren und in der 4ten Abhandlung bezeichneten gebogenen Linien zu deuten sind. i wi w 481 II. Ueber eine Larve mit Gitterstäben, Auricular- fortsätzen und Wimpeln des Schirms. Ein einzigesmal kam in Messina die in einer Abbildung vorgelegte Seeigellarve mit Gitterstäben der 4 äusserst langen Schirmarme vor. Sie gleicht der reifen Larve des E. brevis- pinosus durch ihre breiten Aurieularfortsätze an dem Scheitel, welche wie dort durch einen Querstab verbunden sind, der sich an den Enden in einen auf- und einen absteigenden Ast theilt. Die Aurikel sind grösser als bei jener. Der Schirm der Larve ist durch 4 grosse symmetrischen Lappen oder Wimpel ausgezeichnet, welchen die Wimperschnur folgt. Von diesen Lappen gehören 2 der Markise und zwischen ihnen befindet sich eine mittlere schnabelförmige oder hohlkehlen- förmige Verlängerung der Markise von derselben Form wie bei der Larve des E. brevispinosus. Die andern Lappen be- finden sich zwischen den dorsalen Seitenarmen und der Ver- längerung des Schirms zum Mundgestell. Eigentliche Wimper- epauletten waren nicht vorhanden. Auf der Rückseite des Mundgestells waren zwei fernere Lappen entwickelt, zwischen dem dorsalen Seitenfortsatz und dem ersten Arm des Mundgestells und auf diese Lappen die Wimperschnur ausgezogen, welche von dem hintern Wimpel des Schirms auf den eben erwähnten Lappen und von diesem erst auf den ersten Arm des Mundgestells überging. Diese Bildung erinnert auch an den dorsalen Vorsprung an der Larve des Echinus brevispinosus. Die Stäbe der 4 Schirmarme sind bis ans Ende gegittert, die Maschen sind gegen das freie Ende der Stäbe länger als am mittlern und entgegengesetzten Theil und gegen das freie Ende hin doppelt so lang als am entgegengesetzten Theil. Die Länge der Schirmarme (1) ist auffällig gross. Sie sind doppelt so lang als die ganze übrige Larve von den Aurikeln bis zum Ende der Mundge- stellarme. In dem einzigen beobachteten Fall waren die 4 symmetrischen Schirmarme sehr divergirend und klafterten bis 2”, Milller's Archiv. 1858 a1 482 Diese Larve hat einige Aehnlichkeit mit der Larve des E. brevispinosus, sie unterscheidet sich davon durch die äus- serst langen und viel dünnern Schirmarme und die grosse Ausbildung der Schirmlappen oder Wimpel. Es bleibt der- malen zweifelhaft, ob sie eine Varietät derselben oder die Larve eines andern Echinus oder gar einer andern Gattung ist. Die Entscheidung der letzten Frage wird davon abhän- gen, ob die Larve noch auf ihren 4 Schirmlappen Wimper- epauletten erhält, oder ob diese ausbleiben und es bei den Schirmlappen sein Bewenden hat, es wird noch an Cidaris und Diadema zu denken sein, von deren Larvenform man ver- muthen kann, dass sie den Echinocidaris näher stehe als den Echinus. Da die Larve der Echinocidaris aequituberceulata nach Krohn mit Gitterstäben versehen ist, so scheint es, dass an sie zunächst gedacht werden müsse; ich glaube jedoch, dass mit grösserer Wahrscheinlichkeit die im folgenden Ar- tikel beschriebenen Larven zu Echinocidaris gerechnet werden. III. Ueber eine der Gattung Echinocidaris ver- wandte Larve. Busch hat den Jugendzustand der Larve von Echinoci- daris aequituberculata nach künstlicher Befruchtung dieses Seeigels beschrieben und abgebildet. Sie gleicht in ihrer Gestalt ganz den jungen Echinuslarven und schien nur darin eigenthümlich zu sein, dass die Kalkstäbe der Markisenarme dreifach waren. Auch Krohn hat durch künstliche Befruch- tung die Larve dieses Seeigels erhalten und bis zur Bildung der 4 ersten Arme erzogen. Statt aber dreier einfacher Kalkstäbehen in jedem der Markisenarme sah Krohn in denselben einen ganz schön geformten Gitterstab. Die wi- dersprechenden Beobachtungen von Busch und Krohn sind ohne Zweifel nicht an verschiedenen Arten von Seeigeln, son- dern beide an derselben Art angestellt. Die von dem erstern mitgebrachten Exemplare der benutzten Art sind in der That 483 Echinoeidaris aequitubereulata Desm. Die Identität des Ob- jeets wird auch durch die Beschaffenheit der Gitterstäbe wahrscheinlich. Diese sind nämlich, wo sie bei Seeigellarven vorkommen, immer dreikantig und zwischen den drei vor- springenden Leisten vertieft, so dass in die Mitte zwischen die Leisten die Löcher des Gitterwerkes fallen. Bei Messina war eine Larve in allen Stadien der Entwik- kelung häufig, welche ich als die Larve der Echinocidaris aequituberculata deute sowohl wegen des Verhaltens der Kalkstäbe in der Kuppel und wegen der Beschaffenheit ihrer Markisenarme als wegen der Form der Stacheln des Seeigels, in welchen sie sich verwandelt. Die Hauptkalkstäbe, welche sich in die Markisenarme fortsetzen, breiten sich nämlich in der abgerundeten Kuppel zu einem Bausch von Aesten aus, welehe quer denjenigen der andern Seite entgegenkommen, so dass der Anschein entsteht, als ob sie sich von rechts und links verbinden, welches jedoch nicht der Fall ist. Die- ses Verhalten erinnert sogleich an die Abbildung von Busch. Unsere Larve von Messina hat ferner die Kalkstäbe in den Markisenarmen so gebildet, dass darauf sowohl die Angabe von Busch als die widersprechende von Krohn passt. Der Kalkstab der Markisenarme ist nämlich dreikantig mit tiefen Furchen zwischen den drei Leisten. An allen jüngern Exemplaren waren diese Stäbe einfach dreikantig ohne Durch- brechung der Mitte, d. h. ohne Gitterwerk; nur an der Abgangs- stelle des dreikantigen Stabs befindet sich darin ein Loch. Bei älteren Exemplaren, deren Markisenarme viel länger ge- worden, war jedoch das Endtheil dieser Stäbe von feinen Löcherchen durchbrochen, also gegittert. Dagegen enthalten die dorsalen Seitenarme, welche sich wie gewöhnlich viel später als die ersten Fortsätze entwickeln, immer einen in ganzer Länge gegitterten Kalkstab. Da in allen jüngern Exemplaren dieser sehr häufigen Larve die Markisenarme noch ohne Gitter waren, so könnte es zweifelhaft scheinen, ob meine Larven dieselben wie die von Krohn nach Be- fruchtung der Echinoeidaris aequitubereulata erhaltenen Lar- 31* 484 ven seien. Ich halte aber den Uebergang dieser Larve in Echinocidaris aequituberculata für wahrscheinlich und werde die Gründe dafür hernach anführen. Das Verhalten der Kalkleisten im Körper der Larve ist so wie bei den andern Seeigeln. An der ventralen Seite geht von den Hauptstäben ein Ast, welcher sich mit dem der andern Seite kreuzt. Der Balken des Mundgestells geht wie gewöhnlich von den Stä- ben ab, die sich in die Markisenarme fortsetzen. Aus diesem Bogen geht ein Ast zur Rückseite über dem Magen einem gleichen der andern Seite entgegen. Diese Aeste sind in ih- rem Verlauf gebogen, so dass die gegeneinander stossenden Enden zuletzt nach vorn d. h. von der Kuppel abgewendet sind, was für diesen Seeigel sehr characteristisch ist. Noch ehe die dorsalen Seitenarme hervorbrechen, erhält diese Larve auf der Kuppel Auriculararme, welche schnell zu einer ausserordentlichen Länge auswachsen und am Ende gleich den Schirmarmen mit einem dunkelvioletten Fleck ver- sehen sind. Im Innern dieser Arme befindet sich ein einfa- cher Kalkstab. Die Kalkstäbe der Auriculararme sind in der Kuppel durch einen queren Balken verbunden, welcher in der Mitte sich erweiternd hier durch eine Oeffnung durchbrochen ist. Die Lage der Querleiste ist hinter den Enden der in die Kuppel tretenden Kalkstäbe. Der quere Balken theilt sich an den Aurikeln in einen kurzen absteigenden Ast und den Kalk- stab des Auricularfortsatzes. Die Richtung der Aurieulararme ist dieselbe schiefe wie an den seitlichen Kuppelarmen der Spatanguslarven. Diesen Armen entsprechen offenbar die Au- riculararme der fraglichen Larve; auch entspricht die gemein- schaftliche Querleiste der Auricularkalkstäbe dieser -Larve dem Kalkbogen der Spatanguslarven, von welchem die Kalk- stäbe der seitlichen Kuppelarme ausgehen. Die Wimper- schnur, welche vor der Erscheinung der Auriculararme ganz einfach ihren Bogen an den Seiten des Schirms der Larve bildete, bekleidet jetzt die ganze Länge der Auriculararme auf beiden Seiten. Die Larven sind reichlich mit violetten Flecken besät. 485 Die dorsalen Seitenarme entwickeln sich bei dieser Larve später als die Auriculararme. Ihre Kalkstäbe sind immer ge- gittert. An ihrer Wurzel gehen von ihnen drei divergirende einfache Aeste in den Körper der Larve, welche nicht mit den andern Kalkstäben verbunden sind. Die Nebenarme des Mundgestells entstehen und verhalten sich wie bei andern Seeigellarven, ihre Kalkstäbe sind wie gewöhnlich bogenför- ınig auf dem Rücken der Larve verbunden, aus welchem Bogen sich ein mittlerer gerader Ast erhebt. Die Larve hat jetzt 10 Arme, in diesem Zustand ist sie von Gegenbauer gesehen und als Seeigellarve mit 8 gewöhnlichen und 2 über- zähligen langen Scheitelarmen erwähnt. Sie erhält aber noch zwei Arme mehr, im reifen Zustande hat sie nämlich 12 Arme, Die 2 zuletzt entstehenden Arme mit Kalkstäben feh- len den Echinuslarven, dagegen sie bei den reifen Spatangus- larven vorkommen. Sie befinden sich zwischen den dorsa- len Seitenarmen und dem Mundgestell. Ihre Kalkstäbe sind Aeste aus dem Kalkbogen, welcher die Kalkstäbe der Neben- arme des Mundgestells verbindet ganz wie bei den Spatan- guslarven. Diesen gleieht die fragliche Larve auch darin, dass sie keine Wimperepauletten erhält. Von diesen verschieden sind 4 symmetrisch stehende Zipfel, die sich am Rande des Schirms entwickeln, und welche nach der Kuppel hin aufgeschlagen sind; auf diese Zipfel ist die Wimperschnur mit ausgezogen. Die beiden ventralen' Zipfel befinden sich am ventralen Schirm, zwischen dem mittlern Theil der Markise und den Markisen- armen, die dorsalen zwischen den dorsalen Seitenarmen und dem zweiten Paar der dorsalen Seitenarme. Durch den Besitz dieser Zipfel und den Mangel des mitt- lern Kuppelarmes unterscheidet sich die fragliche Larve von der Larve der Spatangen. Ich habe diese Larve auch im Zustande der Entwickelung des Seeigels gesehen, welcher auf der linken Seite des Ma- gens gelagert war. Die Larve war auch schon mit gestiel- ten Pedicellarien versehen, Bei den am weitesten’ entwickel- 486 ten Larven ist die Kalkkrone der Hauptstäbe in der Kuppel verschwunden und diese Stäbe enden jetzt einfach. Dagegen hat sich von ihnen an den Stellen, wo früher die einfachen Aeste abgingen und weiter hinaus eine netzförmige Kalkplatte entwickelt, und zwar sowohl nach der ventralen Seite hin als nach dem seitlichen Umfang der Larve. Auch die gegitterten Kalkstäbe der dorsalen Seitenarme, deren Wurzel früher aus mehreren einfachen divergirenden Aesten bestand, haben jetzt an ihrer bis zur Kuppel verlän- gerten Wurzel und von ihren Rändern sich in durchlöcherte Kalkplatten ausgebreitet, sowohl nach der dorsalen als la- teralen Seite des Larvenkörpers. Junge Seeigel von 24,” Grösse, welche von dieser Larve stammen und deren Abkunft einmal noch an den Resten der dreikantigen Kalkstäbe und des characteristischen Auricular- kalkgerüstes erkennbar war, wurden öfter gefischt. Sie wa- ren rund und stark abgeplattet. Auf der ventralen Seite waren 5 grosse Saugfüsse von der Form wie bei Eehinus entwickelt, mit ringförmigen Kalkscheibehen am Ende wie bei den Echi- nen und Echinocidaris. Auf der Rückseite waren dünne na- delförmige Stacheln aus feinen Kalknetzen, am Rande aber dicke Stacheln mit plattem breiterem abgerundetem Ende, deren Kalknetz mit weiten Maschen versehen war. Auch standen auf dem Rücken gestielte Pedicellarien. Die platten Stacheln , scheinen den platten ventralen Stacheln mit spatelförmigem Ende bei Echinoeidaris aequituberculata zu entsprechen. Zu Diadema würden wohl die Saugfüsse, aber nicht die spatel- förmigen Stacheln, zu Cidaris nicht Form und Bau der Saug- füsse, zu Echinus nicht der Mangel der Wimperepauletten und die secundären dorsalen Seitenarme, zu Spatangoiden nicht Form und Bau der Sauger passen. Die Verwandtschaft der Echinocidaris und Spatangen ist bei den ausgebildeten Seeigeln in dem Verhalten der Saug- füsse zu erkennen, welche bei den Echinocidaris auf der Rückseite des Seeigels gefiedert und kiemenartig werden. Es lässt sich erwarten, dass die den Echinocidaris in dieser Hin- 487 sicht nahestehenden Diadema und Cidaris in den Larven dem Typus der Echinocidaris folgen werden. Eine von Kölliker bei Messina gesehene Seeigellarve hat zehn von Gitterstäben gestütze Arme, von denen die zwei über- zähligen bedeutend langen und rechtwinklig zu einander ge- stellten vom Scheitel abgehen und hat ferner seitlich am obern Leibesende zwei handhabenförmige weiche Fortsätze , über welchen die Wimperschnur hinläuft. Die Scheitelarme wür- den den Armen der letztbeschriebenen Larve gleichen, mit welcher die Beschaffenheit der Kalkstäbe und die Handhaben indess nicht stimmen wollen; die letztere hat zur Zeit wo die 4 Schirmlappen ganz entwickelt sind 12 Arıne, IV. Ueber die Spatangoiden. Obgleich die Larve eines Spatangoiden im vollkommen ausgebildeten reifsten Zustande schon in den Helgoländischen Beobachtungen von 1846 aufgetreten ist, so hat doch die Deutung dieser Larven lange auf sich warten lassen. Diese Larven sind in der Regel mit dreikantigen Gitterstäben des Schirms versehen und am meisten durch ihren unpaaren Scheitelfortsatz mit gegittertem Kalkstab ausgezeichnet. In ihrem reifern Zustande besitzen sie auch Seitenarme der Kup- pel, aber zu keiner Zeit Wimperepauletten. Die Bestimmung der Larven mit Gitterstäben war ohne die Hülfe der künstlichen Befruchtung nicht möglich und konnte ohne diese höchstens zu der Ueberzeugung führen, dass es unter diesen Larven mehrere Arten geben müsse. So lange nur die Helgoländische Larve mit Gitterstäben be- kannt war, war sie es, auf welche die Deutung solcher Larven zurückging. Als ich daher 1847 im Sunde einen jungen Seeigel mit Zähnen beobachtete, an dem noch Reste von Gitterstäben hafteten, so schien es, dass die Larve mit Gitterstäben auf die zahnlosen Seeigel der Spatangoiden nieht bezogen werden könne, Jene Zähne stimmten aber in ihrer Form weder mit Cidaris noch mit Echinoeyamus, hatten viel- 488 mehr die Firste an der untern Seite des Zahns wie die Zähne der Echinus. In Nizza und Triest waren die Beobachtungen über die Seeigellarven mit Gitterstäben fortgesetzt worden und es sind die Beobachtungen und Abbildungen darüber in der IV. Ab- handlung Taf. VII. und VI. Abhandlung Taf. VIII. nieder- gelegt. Diese führten mich wohl zu der Unterscheidung meh- rerer unter sich und von der Helgoländischen Art abweichen- den Formen mit Gitterstäben und zur Annahme mehrerer Arten innerhalb einer eigenen von Echkinus verschiedenen Gattung. Diese scheinbaren Widersprüche erhielten durch Krohn’s Beobachtungen eine befriedigende Auflösung und Erklärung. Durch die Mittheilung desselben aus Messina Archiv 1853. S. 137 sind Seeigellarven mit Gitterstäben ohne unpaaren Scheitelstab bestimmt worden in Folge der Befruch- tung von Echinus brevispinosus und Echinocidaris aequituber- ceulata. Nachdem nun abermals durch diesen Forscher ver- möge der künstlichen Befruchtung eine der Formen mit Git- terstäben und einem Scheitelstab als Spatangus purpureus be- stimmt ist, Archiv 1853 p. 255., so halte ich es für höchst wahrscheinlich, dass alle mit Gitterstäben und zugleich mit einem Scheitelstab versehenen Seeigellarven den Spatangoiden angehören. Das wichtigste Merkmal scheint in der Gegen- wart des unpaaren Arms auf der Kuppel, weniger in der ge- gitterten Beschaffenheit der Stäbe des Schirms zu bestehen. Es ist mir nämlich in Messina wiederholt auch eine Form die- ser Larven mit unpaarem Scheitelstab vorgekommen, bei wel- cher die Stäbe der Arme des Schirms zwar dreikantig aber nicht gegittert sind. Was den in Helsingör- beobachteten jungen Seeigel mit Zahnanlagen und Resten von Gitterstäben betrifft, I. Abh. Taf. VII. Fig. 9., so ist die wahrscheinlichste Erklärung mit Krohn anzunehmen, dass er auf einen Echinus des Nordens zu beziehen, dessen Larve gleich dem E. brevispinosus Git- terstäbe besitze. Auch glaube ich mich bestimmt zu erinnern, dass unter den dort oft gesehenen Seeigellarven mit Gitter- 489 stäben Formen ohne unpaaren Scheitelstab nicht fehlten. Leider besitze ich aber darüber keine Aufzeichnungen, und ich unter- liess in Helsingör die Larven mit Gitterstäben zu zeichnen, mit denen ich mich in Helgoland die längste Zeit beschäftigt hatte. Wie die Sauger bei dem von mir dort beobachteten jungen Seeigel mit Zahnanlagen und Resten der Gitterstäbe beschaf- fen waren, darüber ist auch nichts aufgezeichnet. Junge Seeigel mit kolbigen Enden der Sauger wie bei den jun- gen Spatangen sind übrigens in Helsingör mehrfach gesehen und wiederholt gezeichnet worden. I. Abh. Taf. VO. Ich erwähne diese Einzelheiten, weil es immer noch nicht ganz gewiss ist, ob der in Helsingör beobachtete junge Seeigel mit Zahnanlagen und Resten der Gitterstäbe auf einen Echinus zu beziehen ist. Es lässt sich allerdings der Einwand erhe- ben, dass vielleicht die jungen Spatangen mit Zahnanlagen versehen wären und dass diese später verloren gingen. Bei unsern jetzigen Kenntnissen über die Seeigel mit Gitterstäben ° ist dies nichts weniger als wahrscheinlich, indess wird doch bei ganz jungen Seeigeln mit Resten von Gitterstäben, und solehen mit kolbigen Saugfüsschen darauf zu achten sein. In Messina hatte ich die reichste Gelegenheit, die Beob- achtungen über die Spatangoiden wieder aufzunehmen. Die Aufgabe die ich mir gesetzt habe, war die Deutung ihrer verschiedenen Formen, wie weit sie auf Altersunterschiede, wie weit auf Gattungsunterschiede der Spatangoiden zu beziehen. Die Unterschiede der von mir in Helgoland, Nizza und Triest beobachteten Formen mit Scheitelstäben und der von Krohn beobachteten Entwickelung des Spatangus Purpureus, elche bis zur Erscheinung der dorsalen Seitenarme un arme des Mundgestells fortgeführt ist, mussten hie ei ihre Erklärung finden. 2 Am einfachsten ist die Gestalt der jüngern Larve vor der Zeit der Entwickelung des Scheitelfortsatzes. Krohn Archiv. f. A. u. Ph. 1853. Taf. VII. Fig. 1. Sie hat jetzt nur die Markisenarme oder Arme des ventralen Schirms und den dorsalen Schirm. In der zweiten Abbildung Krohns ist der 490 Scheitelfortsatz mit seinem Stab heryorgetreten und die Arme des Mundgestells angedeutet, die Figur also 5armig, in der dritten und vierten Abbildung sind die dorsalen Seiten- arme und die Nebenarme des Mundgestells hervorgetreten. Meine Abbildungen von Nizza Abh. 4 Taf. VIII. Fig. 10—13 und von Triest Abh. 6 Taf. VII. Fig. 7—10 enthalten ana- loge Formen, welche darin abweichen, dass der Scheitelstab und die Gitterstäbe des Körpers in ganzer Länge gegittert sind, während in Krohns Form der. dem Ursprung nähere Theil in einer grossen Strecke ungegittert ist. Die Form von Triest ist auch in der dreischenkligen Basis des Scheitelstabs abweichend. Bis dahin besitzen diese Formen 9 Arme. Die am weitesten entwickelte Form ist dann die bei Helgoland bis zur Metamorphose beobachtete mit 13 Armen, es sind nun hinzugetreten das zweite Paar der dorsalen Seitenarme und die Seitenarme der Kuppel, deren Stäbe sich aus einer bogenförmigen Verlängerung des Scheitelstabes entwickelt ha- ben. Erwägt man noch, dass es eine Form von Spatangoiden- larven giebt, deren Scheitelstab zum Theil gegittert, und de- ren übrige Kalkstäbe völlig ungegittert sind, so fehlt es nicht an Verschiedenheiten der Formen unter den Spatangoidlar- ven, welche auf die in den Europäischen Meeren vorkom- menden Gattungen von Spatangoiden Spatangus, Amphidetus, Brissus, Brissopsis, Schizaster bezogen werden könnten. Ich habe indess in der Beobachtungsreihe von Messina durch Aufzeichnung aller Uebergangsstufen die Ueberzeugung ge- wonnen, dass die in Helgoland beobachtete vollendete Form das Ziel ist, welchem alle bis jetzt bekannten Spatangoid- larven it weniger als 13 Armen zugeführt werden, d.h. dass alle $; itangoidlarven zuletzt Seitenarme des Scheitels und das zweite Paar der dorsalen Seitenarme erhalten, und dass das mehrste, was bisher von den Unterschieden der Spa- tangoidlarven beobachtet ist, auf Altersunterschiede zu be- ziehen ist. Aus der Zeit, wo der unpaare Scheitelarm noch nicht aus- gebildet ist, das Hinterende der Larve vielmehr einfach 491 spitz endigt, ist eine von mir gezeichnete Larve von 14’ Grösse. Der Kalkstab des Markisenarms theilt sich im Kör- per der Larve wie gewöhnlich in 3 Aeste, der eine geht quer hin und begegnet dem gleichnamigen der andern Seite, mit dem er sich bald kreuzet. Der zweite Ast geht bogen- förmig nach der Rückseite in den Mundschirm und verlängert sich in den Arm des Mundgestells, der dritte Ast des Marki- senstabs setzt sich in die spitze Kuppel fort; diesem Ast ana- log ist an der Rückseite des Larvenkörpers jederseits eine Kalkleiste, welche sich aus dem Kalkbogen für das Mundge- stell erhebt. Es gehen also an der ventralen Seite und in gleicher Weise an der dorsalen Seite zwei, im ganzen 4 Kalkleisten in die Kuppel, die beiden seitlichen sind hier durch eine Querleiste verbunden, so dass auf jeder Seite des Larven- körpers ein deckiger Rahmen entsteht; die Längsleisten setzen sich noch etwas weiter fort, indem die entsprechenden beider Seiten bis zur Berührung convergiren, die ventralen Leisten dringen bis in die Spitze der Kuppel und legen sich dort an einander, die beiden andern begegnen sich sogleich. Dieses Stadium ist etwas älter als das von Krohn von Spatangus purpureus abgebildete a. a. O. Taf. VII. Fig. 1. Während aber beim Spatangus purpureus die Kalkstäbe der Markisenarme, so weit sie bis jetzt entwickelt sind, noch niehts von Gitter enthalten und der gegitterte Theil derselben sich erst später anzubilden hat, so sind die Kalkstäbe der Markisenarme in unserm Fall von der Abgangsstelle der Aeste bis ans Ende gegittert. Wenn der Scheitelfortsatz und sein Kalkstab sich ausge- bildet hat, so läuft seine Basis in 3 fast horizontale Schenkel- aus, wovon zwei divergirend nach aussen, der dritte dorsal ge- riehtet ist. Die ventralen Kalkleisten der viereckigen Kalk- ralımen begegnen sich dann vor dem Anfang des Scheitel- stabs, bald mehr bald weniger hoch. Eine dreischenklige Basis des Scheitelstabs habe ich bei allen von mir in Triest und Messina beobachteten Spatan- 492 goidenlarven dieses Stadiums wahrgenommen und sie mag in in dieser Zeit wohl allgemein sein. So bleibt die Basis des Scheitelstabs aber nicht, vielmehr sind die beiden seitlichen Schenkel der Basis bestimmt sich in die Bogen zu verlän- gern, welche in den Helgoländischen Larven ausgebildet sind und von welchen erst wieder die Kalkstäbe der Seitenarme der Kuppel ausgehen sollen. Da die beiden Schenkel der Basis des Scheitelstabs divergiren, die Schenkel des Kalkbo- gens aber in einer gemeinschaftlichen Ebene liegen, so ist die Verlängerung in dieser Richtung erst dadurch möglich, dass sich an den Enden der frühern Schenkel der Basis des Schei- telstabs ein Winkel oder Knie ausbildet. Dass aber die ge- nannten Schenkel sich in die spätern Bogen verlängern, da- von habe ich mich durch alle Uebergangsstufen überzeugt. Wenn die Bogen sich ausgebildet haben, ist der dorsale der drei früheren Schenkel der Basis unverändert geblieben, zu- weilen findet sich diesem gegenüber jetzt noch ein ihm ent- gegengesetzter ventraler Dorn an der Basis des Scheitelstabs. Zur Zeit, wo sich der Bogen der Basis des Scheitelstabs über der Kuppel entwickelt, geht der frühere Rahmen von Kalkleisten in der Kuppel durch Resorption ganz verloren. Die quere Verbindung der ventralen und dorsalen Leiste in der Kuppel, wovon die erstere die Fortsetzung des Markisen- armes, die letztere ein Ast des Kalkbogens für den ersten Arm des Mundgestells war, ist nicht mehr vorhanden, die Längsleisten sind nicht bloss verkürzt, sondern die dorsale Längsleiste verschwindet ganz, während der Stumpf der ven- tralen bleibt. Dieser entsprechend ist aber an der Rückseite des Körpers und der Kuppel der Larve jederseits eine ähn- liche Längsleiste entstanden, welche die Verlängerung des Gitterstabs des später entstandenen dorsalen Seitenarms ist, von welchem zugleich unter einem rechtem Winkel ein que- rer Ast an der Rückseite des Körpers hingeht. Früher war der Körper durch 4 Längsleisten und ihre Verbindung in der Kuppel gestützt, welche die Verlängerung der Gitterstäbe der Markisenarme und der einfachen Stäbe des Mundgestells waren, jetzt ist der Körper gestützt durch die Verlängerung der gitterigen Markisenstäbe und die Ver- längerung der gitterigen Stäbe der dorsalen Seitenarme. In- dem die früher völlig fehlenden dorsalen Seitenarme ihre Kalk- leisten nach der Kuppel verlängern und diese Arme selbst den Markisenarmen in Länge gleich geworden sind, so ist nun erst die Symmetrie der 4 Arme des Schirms und ihrer Gitterstäbe hergestellt. Auch gleicht sich der Körper an der Ventral- und Dorsal- seite durch die Querleisten, welche von den Kalkstäben der 4 Arme ausgehen, und welche an der ventralen und dorsalen Körperwand hingehend denen der andern Seite begegnen. Die Querleisten an der ventralen Wand sind noch vor dem Darm, nicht wie die Querleisten dieser Stäbe bei den Echinen, wel- che unter dem Darm hingehen. Ich habe indess in einzelnen Fällen einen tiefen queren und einen oberflächlichen queren nach der Haut gerichteten Ast der Stäbe der Markisenarme wahrgenommen und Krohn hat bei der Larve des Spatangus purpureus auch 2 Querleisten abgebildet, wovon die eine sich nach der Aftergegend estreckt. Die Entwickelung der Ne- benarme des Mundgestells mit ihrem Kalkbogen hat nichts eignes und verhält sich wie bei allen Seeigellarven; sehr spät entwickelt sich das zweite Paar der dorsalen Seiten- arme mit einfachen Kalkstäben, welche Aeste des mittlern Kalkbogens des Mundgestells, d. h. des Kalkbogens der beiden Nebenarme des Mundgestells sind. Das successive Hervorwachsen der Seitenarme der Kuppel und ihrer Kalkstäbe aus dem Kalkbogen des Scheitelstabs habe ich in vielen Fällen gesehen. Wichtig war mir die neu gewonnene Belehrung, dass die Seitenarme der Kuppel wie bei Echinoeidaris Auriculararme sind, was ich bei den frag- lichen Larven von Helgoland nicht bemerkt hatte, an denen überhaupt in diesem Stadium der Lauf der Wimperschnur so wenig deutlich war, dass ich sie bei diesen Larven in der Zeichnung gar nicht anzugeben im Stande war. Es hat da- her in der sechsten Abhandlung in der Erklärung der sche- we 494 matischen Abbildungen ein Irrthum stattgefunden, dass die Seitenarme des Scheitels dieser Larve in gleicher Bedeu- tung wie der Mittelarm des Scheitels genommen vom Lauf der Wimperschnur ausgeschlossen angesehen sind. Nach- dem die Aurikeln des E. brevispinosus bekannt geworden, war es mir sogleich gewiss, dass die Deutung der fragli- chen Arme bei den Larven mit Scheitelstäben einer Revi- sion bedürfe, ob sie nämlich gleichbedeutend mit dem unpaa- ren Scheitelstab sind oder sich bei dem Lauf der Wimper- schnur betheiligen. Ich habe mich in Messina an geeigneten Exemplaren von Spatangoidlarven überzeugen können, dass die Wimpersehnur auf die sich entwickelnden Seitenarme des Scheitels mit ausgezogen wird. N An allen in Messina beobachteten Spatangoidenlarven die- ses Stadiums habe ich ferner ein eigenthümliches Verhalten der Kalkstäbe in den Auriculararmen beobachtet, welches mir bis dahin unbekannt war. Diese Stäbe, Aeste des Kalkbo- gens des Scheitelstabes sind nämlich zwar einfach ohne Gitter und im grössten Theil ihrer Länge von eylindrischer Gestalt, ibr Anfang dieht am Ursprung aus dem Kalkbpgen ist dage- gen auf eine kurze Strecke spindelförmig erweitert und an dieser Stelle meist dreikantig. Die Kanten sind hohe dünne Leisten mit tiefen Furchen dazwischen. Der Scheitelarm, die Markisenarme und die dorsalen Sei- tenarme enthalten bei allen Spatangoidlarven dreikantige Kalkstäbe mit hohen Kanten und tiefen einspringenden Win- keln, und immer ist der Anfang dieser Kanten nicht ganz gerade, sondern beschreibt vom Ursprung an eine leichte all- mälige Wendung, z. B. entspringt am Scheitelstab eine der Kanten ventral seitlich über dem rechten Schenkel der Basis und steigt von da schief über die ventrale Fläche des Schei- telstabs nach der linken Seite. Dieselbe Wendung bemerkt man am Ursprung der Kanten der Kalkstäbe der Schirmarme. Noch sind in den reifern Larven die Ausbreitungen der Kalkbildung zu erwähnen, welche von den Kalkstäben aus- gehen. so ein Kalknetz, welches sich von dem mittlern Kalk- 495 bogen des Mundgestells und seiner Mittelleiste aus entwik- kelt, ferner durchlöcherte Platten, welche sich aus den vor- dern und hintern Leibesstäben nach der Seite des Körpers hin entwickeln. Zuletzt entsteht die Frage, ob man neben der Larve des Spatangus purpureus noch mehrere andere Arten oder Gat- tungen von Spatangoidlarven unterscheiden könne. Nach- dem ich die Gewissheit erlangt habe, dass die dreischenk- lige Basis des Scheitelstabs sich in den Bogen für die spä- tern Aurieulararme entwickelt, so ist diese Unterscheidung sehr unsicher geworden und es bleiben als verlässigere An- haltpuncte nur die Unterschiede in den Kalkstäben selbst übrig. Bei den von Krohn beobachteten Larven des Spa- tangus purpureus war der Anfang aller Gitterstäbe auf eine gute Strecke von Gitter frei, die in seiner 3. Figur gegen 1/4 der Länge der Stäbe beträgt, der übrige Theil der Länge der betreffenden Stäbe ist gegittert, und dies war, wie auch aus den Abbildungen der verschiedenen Alterszustände zu ersehen, ohne Zweifel Regel bei der ganzen Brut. welche Krohn aus einer künstlichen Befruchtung erzogen hatte. Wenn dieser Fall allgemeine Regel für Spatangus purpureus wäre, so würde ich weder in Messina noch an irgend einem andern Ort eine Larve dieses Spatangoiden beobachtet haben; denn in den von mir beobachteten Spatangoidlarven waren die betreflenden Gitterstäbe entweder in ganzer Länge gegit- tert, oder doch nur ein äusserst kleiner Theil der Wurzel von der Gitterbildung ausgeschlossen. Dagegen habe ich unter vielen Spatangoidlarven von Messina vier gesehen, deren 4 lange Schirmarme zwar wie gewöhnlich dreikantıge Stäbe aber ohne alles Gitterwerk einschlossen; denn dass der Kalkstab bei seiner Theilung im Körper zwei Löcherchen enthielt, kann wohl nicht in Betracht kommen. Der Schei- telstab dieser Larven war im untersten Viertel ungegit- tert, im übrigen gegittert. Eine dieser Larven hat noch den frühern Kalkrahmen der Kuppel. Sie zeichnet sich durch die % 496 ungewöhnliche Stärke dieses Kalkgestells in der Kuppel aus, auf welchem die 3 Schenkel des Scheitelstabs ruhen. Dieselbige Larve mit ungegitterten dreikantigen Schirm- stäben sah ich auch mit entwickelten Auricularfortsätzen und mit der ersten Anlage des Seeigels Die Verwandlung beginnt, wenn die Larve alle 13 Fortsätze erhalten und die Auriculararme eben angefangen haben, hervorzutreten, mit der ersten Anlage des Seeigels als Umbo auf der linken Seite bei Magen und Schlund; die davon ausgehende Röhre öffnet sich auf dem Rücken links zwischen Magen und Schlund mit einem deutlichen Porus. Der Scheitel der Larve wird hierbei nach hinten gerichtet gedacht. Der Kalkbogen an der Basis des Scheitelstabs für die Aurikeln varürt und giebt es Fälle, wo seine beiden Hälften, statt gebogen zu sein, vielmehr einen Winkel mit einander bilden. 497 Die Mechanik des Kniegelenks. von Prof. HERMANN MEYER in Zürich. (Dritter Beitrag zur Lehre von der Mechanik des menschlichen Knochen- gerüstes. ) (Hierzu Taf. XVI.) Ich habe in meinem letzten Aufsatze (zweiter Beitrag etc.) gezeigt, wie ein Gang mit den wenigsten Hülfsmitteln zu Stande kommen kann, und habe gezeigt, wie die Betheili- gung des Fussgelenkes und des Hüftgelenkes für diesen Zweck genügen. Es ist dadurch möglich gewesen, die Gesetze der Gehbewegung unter den einfachsten Bedingungen kennen zu lernen, und namentlich den Einfluss zu ermitteln, welchen die Bewegungen des Fussgelenkes auf das Zustandekommen des Ganges haben oder haben können. — Es ist nun aber eine bekannte Thatsache, dass bei dem gewöhnlichen Gange die Bewegungen des Kniegelenkes so wesentlich betheiligt sind, dass man sie gerne und zum Theil mit Recht als die Haupterzeuger der Gehbewegung ansieht. Meine nächste Auf- gabe muss es daher sein, den Einfluss der Kniebewegung auf die Ausführung des Ganges zu ermitteln und für diesen Zweck zu untersuchen, in wie ferne etwa auch durch die Kniebewegung allein ein Gang zu Stande kommen kann. Freilich drängt sich bei der Stellung dieser Aufgabe zunächst die Bemerkung auf, dass eine irgend bedeutendere Biegung des Kniegelenkes, bei welcher der Schwerpunkt unterstützt bleiben soll, nicht geschehen kann, ohne dass gleichzeitig eine Dorsalflexion in dem Fusse Statt findet, und dass die damit gegebene Vorwärtsneigung der Tibia sogar ein sehr wesentliches Moment für die Gehbewegung wird. Es geht Müllers Archiv. 1858, 32 498 daraus hervor, dass ein Gang, welcher durch primäre Knie- bewegung zu Stande kömmt, nothwendig schon auf zusam- mengesetztere Hülfsmittel angewiesen ist, indem bei demsel- ben alle drei Hauptgelenke des Beines in Anspruch genommen werden, wenn auch das Fussgelenk vielleicht nur in so weit betheiligt werden muss, dass es die feste Stellung einer mittleren Dorsalflexion einnimmt. Ich werde demnach in diesem Aufsatze die Elemente unter- suchen, welche durch das Kniegelenk in die Gehbewegung kommen, und für diesen Zweck zuerst den Bau und die Mechanik des Kniegelenkes überhaupt besprechen. Das Kniegelenk und seine Bewegungen. Im Kniegelenke finden sich zunächst drei Gelenke ver- einigt, welche wohl von einander unterschieden werden müs- sen, wenn man einen deutlichen Begriff von der Mechanik desselben gewinnen will. Diese drei Gelenke sind: 1. Das Gelenk der Patella gegen das Femur, 2. und 3. zwei Gelenke der Tibia gegen das Femur, ein inneres und ein äusseres. Das Patella-Femur-Gelenk ist in der Hauptsache ein Ginglymus, besitzt aber einige Eigenthümlichkeiten, über welche ich später noch sprechen will. Die wichtigsten Gelenke sind die beiden Tibia-Femur- Gelenke, über welche ich zunächst zu reden habe. Beide sind Ginglymo-Arthrodien und die Flächen des Femur, welche denselben dienen, grenzen sich gegen die Fläche, welche die Gelenkverbindung mit der Patella vermittelt, durch eine deut- liche Furche ab. Beide Gelenke sind Ginglymo- Arthrodien, von einander getrennt durch die Fossa intercondylica des Femur und die Eminentia intermedia der Tibia. Die Beschaffenheit des äusseren Kondylus des Femur entspricht. dem Charakter einer Ginglymo-Arthrodie genau. Durch alle ihre höchsten Punkte kann eine gerade Ebene gelegt werden, welche dann den Kondylus in zwei ungefähr gleiche seitliche Theile trennt. Die Durchschnittslinie dieser geraden Ebene mit der Gelenkfläche des Femur (die Profil- 499 kurve des Kondylus) zeigt eine Krümmung der Gelenkfläche an, welche von den Gebrüdern Weber als spiralig bezeichnet wird, und diese Auffassung wird von ihnen (Mechanik ete. S. 174) durch die Bestimmung der Krümmungshalbmesser einzelner Stellen der Kurve gerechtfertigt. Ich finde es je- doch viel einfacher und brauchbarer, diese Profilkurve nach Art der Profilkurven der Metatarsusköpfehen (vgl. zweiter Beitrag, S. 384) in zwei Kreistheile von verschiedenem Halbmesser zu zerlegen. Ich unterscheide einen hinteren und einen vorderen Kreisbogen; der hintere misst 120°, der vor- dere 40° und der Halbmesser des ersten verhält sich zum Halbmesser des zweiten wie 5 zu 9. — Uebrigens stimmt mit dieser Auffassung auch die Webersche Bestimmung der Krüm- mungshalbmesser im Wesentlichen überein; denn die ersten sechse der von ihnen angegebenen Krümmungshalbmesser schwanken zwischen 16,85 und 22,47 Mm.; die beiden letzten sind 47,36 und 53,00 Mm.; hier ist also auch ein plötzlicher sehr rascher Wechsel sichtbar, vor und nach welchem die Zahlen wenig differiren. Weiter lässt sich die Vergleichung der beiderseitigen Resultate nicht führen, indem die Gebr. Weber nicht angeben, weleher der beiden Kondylen es war, an welchem sie ihre Bestimmungen gemacht haben, und in- dem ihre Methode, die Kurve zu gewinnen und zu bestimmen, weniger Sicherheit bietet, als die meinige. Sie haben einen mit der Säge gemachten Durchschnitt abgezeichnet und hatten damit keine Bürgschaft dafür, dass sie wirklich die Ebene der Profilkurve getroffen hatten; die von ihnen gegebenen Zahlwerthe der Krümmungshalbmesser rechtfertigen sogar die Vermuthung, dass sie nicht die richtige Profilkurve gewonnen haben, denn wäre dieses der Fall, dann würden jene Werthe eine stetig zunehmende Reihe darstellen müssen, um auf eine Spirale gedeutet werden zu können, und nicht eine schwan- kende,*) — Ich habe die höchste Profilkurve der Kondylen 1) Die Reihe der von den Gebr. Weber bestimmten Krümmungs- halbmesser ist: 16,85 — 17,58 — 16,97 — 17,42 — 19,76 — 22,47 — 47,36 — 53,00 Mm. 32* 500 durch ein feines Fadennetz mit Hülfe eines Fernrohres ab- gezeichnet, die Zeichnung gleich auf ein Papier mit grösseren Quadraten eingetragen und dadurch eine möglichst genaue Zeichnung erhalten, an welcher sich Bestimmungen leicht aus- führen liessen.?) — Nach meinen Bestimmungen findet also die Bewegung der Tibia um den Condylus externus femoris nach einander um zwei Drehaxen statt und hat eine Grösse von 160°, wenn man (nicht ganz genau) annimmt , dass der- selbe Punkt der Gelenkfläche der Tibia nach und nach mit allen Punkten der Krümmungslinie des Condylus femoris in Berührung trete. Diese Grösse stimmt ziemlich genau mit den Weberschen Bestimmungen (Mechanik ete. $. 171), nach welchen sie die Grösse der Kniebeugung durch direkte Mes- sungen an der Leiche 156°, 166° und 172°, am Lebenden 136,5° und 153,1° finden. Diese Werthe sind aber doch im- mer etwas zu gross für eine Geleukfläche von 160°; die so- gleich folgende Beschreibung der Beschaffenheit des inneren Kondylus wird die Erklärung geben, wie dieses Plus zu Stande kömmt. Der innere Kondylus des Femur hat einen ganz eigen- thümlichen Bau. Er ist in der Richtung von vorn nach hinten länger als der äussere Kondylus?) und ist dabei in seiner Fläche gekrümmt, so dass er nach innen konvex und nach aussen gegen die Fossa intercondylica hin konkav ist. Bei genauerer Untersuchung zeigt es sich, dass an demselben zwei wesentlich verschiedene Theile zu trennen sind, näm- lich ein hinterer, welcher dem äusseren Kondylus parallel, in seiner Profilkurve ihm vollständig gleich ist und in der- selben die gleiche Eintheilung in zwei eben so grosse Kreis- 1) Mit dem gleichen Verfahren sind auch die in dem zweiten Bei- trage mitgetheilten Bestimmungen der Profilkurve der Metatarsusköpf- chen gewonnen. 2) Eine ganz unrichtige Angabe ist die, welche man so häufig findet, dass der innere Kondylus tiefer nach unten reiche als der äus- sere, — sie hat dieselbe Quelle, welche die lange geltenden Irrthümer über das Becken hatten, dass nämlich die Beschreibung nur trockenen Präparaten entnommen wird, welche auf dem Tische liegen, D 501 bogen zeigt, — und ein vorderer, welcher sich bogenförmig nach aussen wendet, so dass seine Konkavität nach der Fossa intercondylica hinsieht. — Die Krümmung dieses zwei- ten Theiles des inneren Kondylus ist sehr schwer näher zu bestimmen, indem ihre Konvexität nach unten und nach innen sieht. Den besten Begriff erhält man noch von dieser Fläche; wenn man sie als den abgerundeten Rand der Basis eines Kegels ansieht, dessen Spitze bei aufrechter Stellung in dem Condylus externus tibiae gelegen, und dessen Axe (zugleich die Rotationsaxe dieses Gelenktheiles) demnach in der be- zeichneten Stellung von oben, vorn und innen nach unten, hinten und aussen gerichtet ist. — Nach annähernder Be- stimmung hat der Bogen dieser Fläche ungefähr 60° und die Axe geht in der aufrechten Stellung unter einer Neigung von ungefähr 45° gegen den Horizont durch den vorderen Theil der Eminentia intermedia tibiae in den Condylus externus tibiae. — Aus diesem ist deutlich, dass eine Bewegung des Femur um diese Axe die resultirende aus einer extendiren- den (oder flektirenden) und einer um eine vertikale Axe ro- tirenden Bewegung sein müsse, und es erklärt sich daraus, warum die Grösse der Flexionsbewegung im Kniegelenke be- deutender ist, als sie nur nach der Gestalt der Ginglymo- Arthrodien-Flächen des Femur sein könnte. Die Kondylen des Femur besitzen demnach, abgesehen von der Axe der Patellarolle, drei Axen, die erste, beiden Kondylen gemeinschaftlich, geht durch die Mittelpunkte der hinteren Bogen (mit kleinerem Halbmesser) beider Kondylen, die zweite, ebenfalls beiden Kondylen gemeinschaft- lich, geht durch die Mittelpunkte der vorderen Bo- gen (mit grösserem Halbmesser) beider Kondylen, die dritte, eigentlich nur dem inneren Kondylus ange- hörig, ist die zuletzt beschriebene schiefe Axe. Ich will in dem Folgenden die erste als untere quere, die zweite als obere quere und die dritte als schiefe Axe des Kniegelenkes bezeichnen. Für viele Fälle ist es jedoch nicht nothwendig, die untere und die obere quere Axe 502 besonders zu unterscheiden und in diesen will ich beide ge- meinschaftlich als Drehaxe des Kniegelenkes benennen. Mit dieser ist aber die später zu berücksichtigende Rotations- axe des Kniegelenkes nicht zu verwechseln. Um diese drei Axen geschieht bei Beugung und Streekung des Kniegelenkes die Bewegung in verschiedenen Zeiten. Bei der Streckung geschieht die Bewegung zuerst um die untere quere, dann um die obere quere und dann um die schiefe Axe, oder kürzer, erst um die Drehaxe und dann um die schiefe Axe. So lange die Bewegung um die Drehaxe ge- schieht, bewegt sich die Tibia in der Flexionsebene; sobald aber die Bewegung um die schiefe Axe geschieht, erfährt die Tibia bei noch fortgesetzter Streckung eine Rotation, durch welche die Fusspitze mehr nach auswärts gestellt wird; da- durch kömmt aber auch zugleich die Tuberositas tibiae etwas nach aussen unter der Patella zu stehen, während sie am gebogenen Knie gerade unter derselben liegt. Da nun aber die Gestalt der Gelenkflächen mit Nothwendigkeit die Rota- tion der Tibia im letzten Zeitraume des Streckens bedingt, so werden damit die Unterschenkelstrecker zugleich Rotatoren nach aussen für die Tibia*) und in dieser Eigenschaft finden sie ihre Antagonisten an der Gruppe: M. sartorius, graeilis, semitendinosus. Bei gestrecktem Knie sind nämlich die bei- den Flexoren des Unterschenkels, der M. semimembranosus und der M. biceps in einer solchen Lage, dass sie keine direkt rotirende Wirkung auf die Tibia ausüben können, ob- gleich ihre flektirende Wirkung eben wegen der Gestalt der Gelenkfläche des inneren Condylus femoris im Anfange der Beugung eben so nothwendig die (einwärts) rotirende Neben- wirkung haben muss, wie die Wirkung der Extensoren des Unterschenkels am Ende der Streckung die (auswärts) roti- rende Nebenwirkung hat. Jene Gruppe der drei Muskeln, sartorius, gracilis und semitendinosus, ist aber so angeord- net, dass ihre Sehnen in querer Richtung die Axe der Tibia *) Ueber einen scheinbaren Widerspruch in diesem Satze vergl. eine spätere Bemerkung bei Besprechung der Patellabewegung. 503 kreuzen und sich an dem hervorragendsten Punkte der Tibia- oberfläche ansetzen; sie ist deshalb mögliehst günstig ange- ordnet, um die in Streckung befindliche Tibia nach einwärts zu rotiren und damit eine Beugung einzuleiten, welche sie in Fortsetzung ihrer Wirkung noch wesentlich unterstützen. In dieser Bedeutung schliesst sich dieser Gruppe auch der M. poplitaeus an, dessen Hauptwirkung aber auf das Liga- mentum laterale externum posterius Bezug hat (s. später). Aus dem Entwickelten geht der wichtige Satz hervor, dass jede Kniebeugung durch eine Rotation der Tibia, und somit der Fussspitze, nach innen eingeleitet und jede Kniestreckung durch eine Rotation der Tibia, und somit der Fussspitze, nach aussen be- endet wird*). Wenn die Kniebeugung vollendet ist, dann ist eine Rota- tion der Tibia in weiterem Umfange möglich; diese ge- schieht aber nicht um die schiefe Axe, sondern um eine solche, welche ungefähr mit der Längenaxe der Tibia und deren Fortsetzung nach oben zusammenfällt und welche ich die Rotationsaxe des Kniegelenkes nennen will. Wenn die schiefe Axe als der mathematische Centraltheil jenes ge- krümmten Theiles des Condylus internus femoris eine feste Lage zu den Kondylen des Femur und eine veränderliche zu der Tibia hat, so hat die Rotationsaxe als der mathema- tische Centraltheil der beiden oberen Flächen der Tibia eine wechselnde Lage gegen die Kondylen des Femur, indem sie der jedesmaligen Lagerung der Tibia entsprechend ihre Lage ändert. — Die Möglichkeit der Rotation der Tibia um diese Axe wird hauptsächlich dadurch gegeben, dass die beiden Gelenkflächen der Kondylen der Tibia sich kegelartig in die Eminentia intermedia erheben, und dadurch, dass die Gelenk- flächen der Kondylen des Femur an ihrer der Eminentia intermedia tibiae zugewendeten Seite weniger weit hinab- *) In meinem ersten Beitrage S. 32 habe ich schon auf dieses Ver hältniss vorläufig aufmerksam gemacht und gezeigt, welche Wichtigkeit dasselbe für die Sicherheit des aufrechten Stehens hat. 504 gehen. — Ueber die verschiedene Grösse der möglichen Ro- tation bei verschiedenen Graden der Beugung des Kniees s. später. Die Bänder des Kniegelenkes. — In dem Femur- Tibia-Gelenke sind, wie schon vorher erwähnt, zwei Gelenke vereinigt. Da aber die zu denselben gehörigen Gelenkflächen je zwei und zwei auf demselben Knochen (Tibia und Femur) unbeweglich mit einander vereinigt sind, so ist es natürlich, dass beide Gelenke in einer gewissen Abhängigkeit von ein- ander sind und dass die Bewegungen des einen derselben immer von dem andern in höherem oder geringerem Grade getheilt werden müssen. Dennoch aber lassen sie sich ana- tomisch genau trennen, so dass ein jedes der beiden Gelenke mit seinen bestimmten Charakteren dasteht. Dem Charakter der Ginglymo-Arthrodie entsprechend, sollte ein jedes dieser Gelenke Flexions- und Extensionsbewegungen und in der Beugung Arthrodiebewegungen haben. Schneidet man ein Kniegelenk dergestalt in zwei Theile, dass beide Gelenke getrennt sind, so findet man auch an einem jeden einzelnen die bezeichneten Bewegungen möglich. Wegen ihrer festen Vereinigung unter einander müssen sich aber die Arthrodie- bewegungen bis zu einem gewissen Grade gegenseitig hem- men, so dass von denselben nur noch diejenigen Bewegun- gen übrig bleiben, welche um eine gemeinschaftliche Axe ausgeführt werden können, nämlich die fortgesetzten Bewe- gungen in der Flexionsebene und die Rotationen um eine gemeinschaftliche Axe, welche zwischen beiden Gelenken liegt (die Rotationsaxe). Flexion und Extension, Rotation nach innen und Rotation nach aussen sind deshalb die in dem Kniegelenke möglichen Bewegungen. Diesen Bewegun- gen entsprechend muss auch die Einrichtung der Bänder sein; es müssen dieselben so eingerichtet sein, dass sie durch be- ständige Fixirung vollständige Sieherung der Flexions- und Extensionsbewegungen geben, dabei aber doch die Rotation erlauben und in einem gewissen Zeitraume der Bewegung diese hemmen. Diesem Dienste entsprechen sechs Bänder, 505 von welchen je drei einem Gelenke angehören; es sind fol- gende: Dem inneren Gelenke zugehörend: Lig. laterale internum anterius!). Lig. laterale internum posterius. Lig. cruciatum posterius. Dem äusseren Gelenke zugehörend: Lig. eruciatum anterius. Lig. laterale externum anterius?). Lig. laterale externum posterius?°). Das Lig. laterale internum anterius ist ein sehr langes Band, welches 6—8 Cm. unterhalb der Gelenkfläche der Tibia an deren innerer Oberfläche spitz entspringt und sich mit einem 1—1,5 Cm. breiten, im aufrechten Stehen horizontal abgeschnittenen Rande an dem Condylus internus femoris ansetzt. — Dieses Band ist unter allen Verhältnissen gespannt, jedoch so, dass in der Beugung mehr sein vor- derer, in der Streckung mehr sein hinterer Rand gespannt ist. Bei den Rotationen (um die schiefe Axe und um die Rotationsaxe) wird es mit dem Femur nach hinten und vorn bewegt und rutscht dabei auf der inneren Oberfläche des Con- dylus internus tibiae hin und her; die Entfernung seiner Maxi- mumstellung nach hinten und seiner Maximumstellung nach vorn beträgt am Rande der Gelenkfläche der Tibia gemessen ungefähr 1 Cm. Die Tibiaanheftung des Bandes bleibt bei dieser Verschiebung ruhend und seine grosse Länge gestattet die Verschiebung. Das Lig. laterale internum posterius ist ein schma- leres und kürzeres Band, welches in dem aufrechten St en gerade hinter dem vorigen liegt und demselben parallel ist. Es entspringt von dem Rande der inneren Gele Tibia, gerade vor dem Ansatze des M. semimembranosus und setzt sich im aufrechten Stehen gerade hinter dem Femur- 1) Lig. laterale internum Auct. 2) Lig. laterale externum longum Auct. 3) Lig. laterale externum breve Auct. 506 ansatze des Lig. laterale internum anterius an den Condylus internus femoris fest. Mit der Cartilago semilunaris interna ist es eng verbunden. Dieses Band ist gespannt in der Strek- kung, in der Beugung dagegen ist es erschlafft und erlaubt die Rotation; es wird Hemmungsband für die Rotation nach innen, und hat dabei eine Neigung von ungefähr 45° gegen den Horizont, während es im Stehen senkrecht ist. — Wegen der wandelbaren Lage des Lig. laterale internum anterius und wegen der Eigenthümlichkeit seines eigenen Femuran- satzes hat dieses Band verschiedene Lagen zu dem Lig. late- rale internum anterius, in der Beugung wird nämlich sein Femuransatz von diesem letzteren verdickt und in der Rota- tion nach innen sein Tibiaansatz. Das Lig. eruciatum posterius ist gespannt in der Beugung, am meisten in der Rotation nach innen; in derje- nigen nach aussen erschlafft es theilweise, indem nur sein äusserer Rand gespannt bleibt. In der Streckung erschlafft es; aber durch die Rotation und die schiefe Axe wird sein innerer binterer Rand wieder gespannt. — Man sollte er- warten, dass dieses Band in der Beugung und in der Rota- tion nach innen erschlaffe; die Erklärung dafür, dass dieses nicht der Fall ist, giebt sich daraus, dass die Beugung durch eine Rotation nach innen (um die schiefe Axe) eingeleitet wird und dass bei einer solchen die beiden Anheftungsstellen des Bandes von einander entfernt werden. Das Lig. eruciatum anterius ist gespannt während der Streckung, aber erschlafft während der Beugung. Es ist am schlaffsten bei dem Maximum der Rotation nach aus- sen in der Beugung, weniger schlaff in dem Maximum der Rotation nach innen in der Beugung. Es nimmt in der Strek- kung seine Spannung erst an, wenn die Rotation um die schiefe Axe beginnt, und erhält seine straffste Spannung am Ende derselben; zuerst wird nämlich der obere Rand ge- spannt und dann erst das ganze Band. Es ist demnach Hem- mungsband für die Rotation um die schiefe Axe während der Streckung; es mag dieses nach den Anheftungen dieses Ban- des auffallend erscheinen, erklärt sich aber leicht daraus, 507 dass der hinterste Theil des Condylus externus femoris bei der Rotation um die schiefe Axe gehoben und nach aussen geführt, demnach von dem Tibiaansatze des Bandes ent- fernt wird. Das Lig. laterale externum.anterius setzt sich an dem Condylus externus femoris an einem Punkte an, welcher im aufrechten Stehen hinter der Drehaxe gelegen ist; an dem Capitulum fibulae setzt es sich in der Mitte von dessen äus- serem Rande an, scheidenartig umschlossen von der Sehne des M. biceps femoris. Es ist gespannt während der Streckung und zwar erhält es seine vollständige Streckung erst durch die Rotation um die schiefe Axe und in der Rotation nach innen bei der Beugung; — seine Verbindung mit dem M. bi- ceps femoris mag ihm auch noch in anderen Stellungen einen gewissen Grad der Spannung geben können. Das Lig. laterale externum posterius ist Theil eines zusammengesetzteren mit dem M.poplitaeus enge zu- sammenhängenden Apparates, welchen ich bei dieser Gele- genheit beschreiben will, wenn auch ein Theil desselben erst in dem Späteren Wichtigkeit erlangt. Von einer Stelle des Condylus externus femoris, welche im aufrechten Stehen ge- rade unter dem Femuransatze des Lig. laterale externum an- terius gelegen ist, entspringt ein starker Faserzug, welcher sich theilweise ani dem hinteren Umfange des Capitulum fibu- lae ansetzt (Lig. lat. ext. posterius), theilweise in einem Bogen (arcus poplitaeus) nach innen geht; in dem Win- kel zwischen beiden Theilen entspringt mit einem breiten Ansatze der M. poplitaeus; in diesen geht aber auch noch ein dritter bedeutender Theil jenes Faserzuges direkt über, welchen man als Sehne des M. poplitaeus zu beschreiben pflegt. Der innere Theil des Arcus poplitaeus setzt sich mit einem äusseren und einem inneren Zipfel wieder an das Femur an. Der äussere Zipfel setzt sich der Kapsel einge- webt an den Condylus externus femoris in der Fossa inter- eondylica an; der innere Zipfel, fester und rundlicher, ver- bindet sich mit dem hinteren Rande der Cartilago semiluna- ris externa und setzt sich dann als ein besonders erkenn- 508 barer Straug an den Condylus internus femoris hinter dem Lig. erueiatum posterius, mit welchem er mehr oder weniger verbunden ist. Diesem Zipfel schliesst sich noch ein beson- derer Faserzug bei, weleher vom Capitulum fibulae entspringt, und welchen ich Habema cartilaginis semilunaris ex- ternae nennen will. Diese Habena, das Lig. lat. ext. po- sterius und der innere Zipfel des Arcus poplitaeus bilden also gewissermassen die drei Seiten eines Dreiecks. Es ist deut- lich, dass dieser Apparat in seiner Gesammtheit ein Hem- mungsband für die Cartilago semilunaris externa darstellt und zugleich ein Lig. laterale externum für das Kniegelenk. — Das Lig. lat. externum posterius ist gespannt in der Strek- kung und bei der Beugung in der Rotation nach aussen; seine Verbindung mit dem M. poplitaeus erlaubt ihm aber auch, wie es scheint, in allen anderen Stellungen eine Spannung; — dass namentlich in der Beugung diese Anspannung durch Muskelwirkung Bedeutung gewinnt, scheint daraus hervorzu- gehen, dass an der Aussenfläche des Condylus externus fe- moris eine Rinne sichtbar ist, in welcher bei der Beugung die Sehne des M. poplitaeus liegt, und welche offenbar durch den Druck dieser Sehne erzeugt ist. Ich will sie Suleus poplitaeus nennen. Wir sehen demnach, dass in folgenden Stellungen fol- gende Bänder gespannt sind: in der Streckung: Ligamentum laterale internum ante- rius (hinterer Rand), — Lig. laterale internum po- sterius, Lig. crueiatum posterius (hinterer Rand), — Lig. eruciatum anterius und Lig. laterale externum anterius. Durch die Rotation um die schiefe Axe wird die vollständige Spannung erst erzeugt bei dem Lig. lat. int. post., dem hinteren Rande des Lig. eruc. post., dem unteren Rande des Lig. cruc. ant. und des Lig. lat. ext. ant.; — erst die Rotation um die schiefe Axe giebt daher die vollständig fixirende Bänderspannung der Streckung. in der Beugung: bei dem Maximum der Rotation nach innen: Lig. 509 laterale internum anterius (vorderer Rand), — Lig. laterale internum posterius, — Lig. cruciatum poste- rius und Lig. laterale externum anterius. bei dem Maximum der Rotation nach aussen: Lig. laterale internum anterius, — lig. eruciatum poste- rius, — lig. laterale externun posterius. Diese Zusammenstellung zeigt, dass in einer Beugung, bei welcher die Tibia stets in dem Maximum ihrer Rotation nach innen gehalten wird, dieselben Bänder in Spannung bleiben mit der Ausnahme, dass in dem Augenblicke, in welchem die Rotation um die schiefe Axe in die reine Beu- gung um die Drehaxe übergeht, die Spannung von dem Lig. eruciatum anterius auf das Lig. erueiatum posterius übertra- gen wird. Eine Beugung des Kniees in der angegebenen Art ist demnach die sicherste Art der Beugung, und ich erinnere deshalb noch einmal an das, was ich oben über die Theil- nahme der Muskelgruppe sartorius, graeilis, semitendinosus an der Beugungsbewegung gesagt habe, durch welche Theil- nahme das einwärts rotirende Element in der Beugung das Uebergewicht über das auswärts rotirende Element erhält*). Das verschiedene Verhalten der beiden Lig. lateralia ex- terna erklärt sich daraus, dass dieselben in der Beugung eine gekreuzte Lage haben, wobei aber das Lig. laterale ex- teruum anterius oberflächlicher gelegen ist. Die Semilunarknorpel. — Die Semilunarknorpel des *) Nach den Wägungen der Gebrüder Weber ist das Verhältniss der Massen der betheiligten Muskeln folgendes: Flexoren mit Rotation nach Flexoren mit Rotation nach innen: aussen: m, sartorius. ... . . 125,7 m. biceps femoris . . 275,4. m, gracilis ..... 822 m, semitendinosus . 128,2 m, poplitaeus. ... 24,0 m. semimembranos. 206,5 566,6 Es ist demnach ein Plus der Masse auf Seiten der Flexoren mit Rotation nach innen von 291,2 d. h. die Masse derselben ist ungefähr doppelt so gross, als diejenige des m. biceps femoris. 510 Kniees gewinnen für den Mechanismus desselben eine sehr grosse Bedeutung; es ist deshalb nothwendig, dieser noch mit einigen Worten zu gedenken. — Der innere Semilunar- knorpel entspringt ganz vorn am Condylus tibiae internus und setzt sich weit hinten an der Eminentia intermedia an; er bildet beinahe einen Halbkreis, welcher wegen seiner An- heftungen sehr wenig Verschiebbarkeit hat, dagegen ein sehr nachgiebiges Labrum cartilagineum darstellt, welches mit Leichtigkeit sich den wechselnden Flächengestalten anschmiegt, welche der Condylus internus femoris in seinen Bewegungen ihm zur Berührung bietet. — Anders verhält sich der äus- sere Semilunarknorpel; derselbe entspringt nämlich gerade vor dem Gipfel der Eminentia intermedia und setzt sich ge- rade hinter demselben wieder an; es ist daher ein fast kreis- förmiger Ring, welcher neben seiner Nachgiebigkeit eine sehr grosse Verschiebbarkeit hat und auf der kegelförmigen Ge- lenkfläche des Condylus externus tibiae hin- und herrutschen kann. — Der innere Semilunarknorpel ist daher nur als eine wandelbare Ergänzung für die Gelenkfläche der Tibia anzu- sehen, der äussere ist dagegen auch eine zeitenweise Ergän- zung der Gelenkfläche des Femur; — mit anderen Worten: in dem inneren Kniegelenke werden alle Bewegungen zwischen dem Femur und dem Semilunarknorpel ausgeführt und die dadurch bedingten Bewegungen des Semilunarknorpels auf der Tibia sind sehr unbedeutend oder wenigstens nicht be- deutender, als es für die Akkommodation an die Gelenkfläche des Femur durchaus nothwendig ist; — in dem äusseren Kniegelenke wird dagegen ein grosser Theil der Bewegungen, namentlich alle Rotationsbewegungen, zwischen dem Semi- lunarknorpel und der Tibia ausgeführt, so dass man füglich sagen könnte, es sei eine Ginglymo-Arthrodie zwischen dem Femur und dem äusseren Semilunarknorpel und ein Rotations- gelenk zwischen diesem und der Tibia. — Die Bewegungen des äusseren Semilunarknorpels verhalten sich aber zu den Gesammtbewegungen im Kniegelenk folgendermassen: In der die Streckung schliessenden Rotation um die schiefe Axe wird der innere Kondylus der Tibia nach vorn geführt und der 5ll äussere nach binten; durch diese Bewegung erhält der äus- sere Semilunarknorpel seine extremste Stellung nach vorn auf der Tibia — wenn dann im Beginne der Beugung die entgegengesetzte Rotation geschieht, dann tritt der Knorpel wieder rückwärts und wird durch die mittels aller Beuge- muskeln ausgeführte Flexion mit Rotation der Tibia nach innen in seine extremste Stellung auf der Tibia nach hinten geführt. In der Beugung ausgeführte Rotationsbewegungen führen den Knorpel auf der kegelförmigen Gelenkfläche des Condylus externus tibiae um den Mittelpunkt der Eminentia intermedia hin und her. — Bei allen diesen Bewegungen dreht sich, rollt und schleift der innere Condylus femoris nur in seinem festliegenden Semilunarknorpel, während dieser, dem wechselnden Drucke weichend, seine Gestalt den wechseln- den Bewegungen akkommodirt. Mit diesen verschiedenen Bedeutungen sind auch verschie- dene Bandvorrichtungen in engstem Zusammenhange, welche auf die beiden Semilunarknorpel Bezug haben. Der innere Semilunarknorpel ist ziemlich fest mit der Tibia durch kurze straffe Bandfasern vereinigt und hat insbesondere auch noch eine feste Verbindung mit dem Lig. laterale internum posterius. Der äussere Semilunarknorpel hat dagegen im Allgemeinen nachgiebige Verbindungen mit der Tibia, aber dafür einige festere Regulatoren und Hemmungsbänder. Ein Bandstreifen, welchen auch die Gebrüder Weber abgebildet haben, entspringt von der Tibia gerade über dem Capitulum fibulae; ich will ihn Retinaculum cartilaginis semi- lunaris externi nennen, denn er tritt als Hemmungsband für die Rotation sowohl nach vorn, als nach hinten auf. Das wichtigste Band für den äusseren Semilunarknorpel ist aber der in dem Früheren beschriebene mit dem M, poplitaeus und dem Lig. laterale externum posterius in Verbindung ste- hende Apparat, welcher aus dem Arcus poplitaeus und der Habena cart. semilun, ext. gebildet wird. Diese beiden Stränge stellen in ihrer Vereinigung ein Hemmungsband durch Gegen- druck dar, welches ein Ausweichen des Knorpels bei der Rotation nach innen verhindert, indem es von der Tibia und 512 dem Femur aus über denselben hingelegt ist; — bei der Ro- tation nach aussen bedingt derselbe Apparat die Verschiebung des Knorpels nach vorn; ersteres ist mehr die Funktion der Habena, letzteres mehr die des Arcus poplitaeus. Ausser- dem wird es auch durch die Verbindung dieses Apparates mit dem M. poplitaeus bedingt, dass in der Rotation nach innen der Knorpel nach hinten gezogen wird, so dass seine Verschiebung nicht blos dem Druck des Condylus femoris überlassen ist. — Das unbeständige Ligamentum transversum, welches die vorderen Ränder beider Semilunarknorpel mit einander verbindet, muss, wenn es vorhanden ist, eben- falls die Bedeutung eines Hemmungsbandes für eine zu starke Verschiebung des äusseren Semilunarknorpels nach hinten haben. Die Patella. — Die Patella tritt zwar nicht in so un- mittelbare Beziehungen zu dem Mechanismus des Kniegelen- kes, wie die Semilunarknorpel, indem sie nur ein Sehnen- knochen (Sesambein) in der Strecksehne des Unterschenkels ist; da ich aber im Stande bin, auf mehrere bisher über- sehene interessante Punkte in dem Mechanismus derselben aufmerksam zu machen, so will ich noch einige Bemerkun- gen über diese hier anknüpfen. Bekanntlich bewegt sich die Patella um eine besondere Rolle, welche vor den beiden Kondylen des Oberschenkels gelagert ist, und hat auf derselben eine Kreisbewegung in einer senkrechten Ebene. Neben dieser muss sie aber auch noch eine horizontale Bewegung haben, denn sie muss mit dem Femur durch die Rotationen um die schiefe Axe beim Schliessen der Streckung und beim Beginnen der Beugung, so wie auch 'bei den Rotationen um die Rotationsaxe hin und her geführt werden, wenn diese Bewegungen bei fest- stehendem Unterschenkel geschehen. Die letzteren Bewe- gungen in der Beugung bieten dem Verständnisse keine Schwie- rigkeit, weil dabei die Extensoren des Unterschenkels er- schlafft sind. Dagegen bietet die Bewegung der Patella bei den Rotationen um die schiefe Axe einige Schwierigkeit. Ist die Streckung so weit vollendet, dass nur noch die Rotation 513 um die schiefe Axe zu geschehen hat, so steht die Patella senkrecht über der Tuberositas tibiae und die Strecksehne (Ligamentum patellae) steht mit dem M. reetus femoris in Kontinuität. Durch die Rotation um die schiefe Axe wird sie etwas nach innen gedrängt und dabei stark gegen den äusseren höheren Seitentheil ihrer Rolle an dem Femur ge- drückt. Dabei findet aber nun das auffallende Verhältniss statt, dass die Streckmuskeln eine Biegung nach einwärts erfahren müssen; hilft die Schwere des Körpers diese Bewe- gung ausführen, dann können wir uns dieses leichter erklä- ren; da aber diese Einwärtsbiegung auch dann geschieht, wenn die Schwere des Körpers nicht hilft und z.B. am auf- gehobenen Beine das Maximum der Streckung erzeugt wird, so dürfte es fast scheinen, als ob die Streckmuskeln durch ihre eigene Thätigkeit ihren eigenen Widerstand überwinden müssten. Es ist deutlich, dass dieses eine vollständige Un- möglichkeit ist und es muss demnach ein besonderes Moment vorhanden sein, welches diese Einwärtsbewegung der Patella ermöglicht und bedingt. Wir finden dieses aber in der An- ordnung des M. vastus internus. Der M. vastus externus ist nämlich viel kürzer und setzt sich nur an den oberen Rand der Patella an. Der M. vastus internus dagegen geht viel weiter hinunter und seine unteren Fasern treffen noch grossen- theilse den inneren Rand der Patella; die Resultirende des gemeinschaftlichen Zuges aller Streckmuskeln führt daher die Patella schon mehr nach innen; ein Theil der Sehne des M. vastus internus setzt sich aber auch direkt an die Tibia nach innen von der Tuberositas derselben und giebt durch sein Anziehen der Tibia jene Rotation nach aussen, welche sie an dem Schlusse der Streckung erfährt und durch welche das untere Ende des Ligamentum patellae mit der Tubero- sitas tibiae nach aussen geführt wird. — Ausser diesen Be- wegungen erfährt aber auch noch die Patella eine Hebung ihres inneren Randes in der Beugung, welche bedingt wird durch die grössere Länge des Condylus internus femoris in der Richtung von vornen nach hinten. Was nun die Gestalt der Patella und ihrer Rolle am Müller’ Archiv, 185% 33 54 Femur angeht, so kann es nicht entgehen, dass beide nieht kongruent sind, indem die Gestalt der Rolle eine im senk- rechten Durchschnitte kreisförmige ist, während die Gestalt der Patella-Gelenkfläche in dem gleichen Durchschnitte eine ebene und öfters sogar konvexe ist. Obgleich sich mit ziem- lieher Sicherheit nachweisen liesse, warum die Patella diese Gestalt in ihrer Entwickelung erhalten muss, so will ich doch für jetzt darauf verzichten, um nicht zu weitläufig zu werden und will nur darauf aufmerksam machen, wie diese Gestalt der Patella in den gewöhnlichen Stellungen, welche entweder Streckungen oder Beugungen sind, nur mit einer Hälfte auf ihrer Rolle liegt, nämlich in der Streckung mit der unteren und in der Beugung mit der oberen Hälfte, — und dass ihre Lage überhaupt gar nicht durch ihre Berührung mit der Rolle bestimmt wird, wie dieses bei anderen auf einander liegenden Gelenkflächen der Fall ist, sondern durch ihre Verbindung mit der Strecksehne des Unterschenkels. Aus dem früher Gesagten geht nun ferner hervor, dass in der Streckung das untere Ende der Patella schon durch die Art der Anheftung des M. vastus internus mehr nach innen gestellt wird, welche Wirkung auch der Druck des Femur auf den untersten Theil der Patella bei der Rotation um die schiefe Axe hat; — in der Beugung steht aber die Längenaxe der Patella mehr senk- recht. Sie wechselt deshalb bei dem Uebergange aus der Beugung in die Streckung ihre Lage gegen die Axe der Rolle. Würde sie ihre Lage nicht ändern, so wäre die Rolle ein reiner Rotationskörper und die Linie, welche die tiefste Stelle ihres Umfanges bezeichnete, wäre von vorn gesehen (in der Querprojektion) eine gerade Linie; diese Linie ist aber jenen Bewegungen der Patella entsprechend eine gebogene und ihre Konkavität sieht nach aussen. Wenn ich in der Quer- projektion an die beiden Enden dieser gebogenen Linie Tan- genten lege, so durchschneiden sich diese unter einem Win- kel von 172°. Die Winkeldrehung der Patellaaxe bei der Rotation um die schiefe Axe beträgt daher ungefähr 8°. — Man kann sich dieses Verhältniss am Leichtesten vorstellen, wenn man sich die Patella wie die Scheibe eines Pendels an 515 dem M. rectus femoris aufgehängt denkt und dann diesem Pendel eine Bewegung von 8° hin und her giebt, wobei frei- lich als Ende der Bewegung nach der äusseren Seite hin die Senkrechte angesehen werden muss. Die grosse Beweglichkeit der Patella findet ihre Beschrän- kung und Sicherung an einem starken Bandapparat, wel- cher die Patella in ihren verschiedenen Lagerungen, nament- lich aber in der Beugung befestigt. Die einzelnen Theile die- ses Bandapparates sind zwei Haltbänder, Retinaculum patellae externum und internum; zwei in Gestalt einer Schlinge fixi- rende Bänder, Ligamentum flabelliforme internum und exter- num und mehrere Streifen der Beinfascie. Die wichtigsten von diesen Bändern sind die beiden Retinacula patellae. Das Retinaculum patellae externum ist ein sehr starkes Band, welches mit dem Ligamentum ileo-tibiale auf das Engste verbunden ist. Es besteht eigentlich aus einem oberen und einem unteren Theile; der erstere ist ein von ‚dem Ligamentum ileo-tibiale abgehender starker und breiter Strang, welcher sich an den äusseren Seitenrand der Patella ansetzt. Bedeckt von diesem liegt der untere Theil, welcher an der Anheftungsstelle des Ligamentum ileo-tibiale an der Tibia entspringt, noch eine Strecke weit mit dem eben ge- nannten Bande vereinigt ist und dann an den äusseren Seiten- rand der Patella tritt. — In der Beugung des Kniees tritt das Ligamentum ileo-tibiale weit nach hinten und das mit demselben verbundene Retinaculum patellae externum fixirt, dadurch angespannt, die Patella sehr bedeutend auf den äus- seren breiten Theil ihrer Rolle; — in der Streckung des Kniees, wo das Ligamentum ileo-tibiale dem äusseren Rande der Patella näher kömmt, wird das Retinaculum schlaff ge- nug, um die Verdrängung der Patella nach innen zu gestatten. Das Retinaculum patellae internum ist ein breiter Strang von wechselnder Stärke, welcher von der Tibia nach innen von dem gemeinschaftlichen Ansatze der Muskelgruppe sartorius, gracilis, semitendinosus entspringt und sich an den inneren Seitenrand der Patella zwischen den Ansätzen des M. vastus internus und des Ligamentum patellae anheftet, — 33* 516 Manchmal entspringt es auch höher oben an dem Rande der Gelenkfläche der Tibia und ist dann gewöhnlich schwächer. Das Lig. flabelliforme externum ist eine oberfläch- liche Schicht des Retinaculum patellae externum, welche sich auf der vorderen Fläche der Patella mit dem Lig. flabelli- forme internum schlingenförmig vereinigt. Das Lig. flabelliforme internum, dessen Ende eben angegeben wurde, ist der oberflächliche Theil eines starken flachen Sehnenstranges, welcher nach innen von dem gemein- schaftlichen Ansatze der Muskelgruppe sartorius, gracilis, semitendinosus an der Tibia angeheftet ist. An diesem Strange lassen sich drei Schichten unterscheiden, welche jedoch näher dem Ansatze an der Tibia fest unter einander verbunden sind; die tiefste Schicht ist das Retinaculum patellae internum, die mitllere der Tibiaansatz des M. vastus internus nnd die ober- flächliche das Lig. flabelliforme internum. Weitere Befestigung erhält die Patella noch durch zwei Sehnenbogen der Beinfascie, deren einer von der Faseia- eruris sich ablösend die Patella von oben umgreift, während der andere von der Fascia femoris sich loslösend unter der Patella hindurchgeht, wo er als oberflächliche Schicht quer auf dem Lig. patellae liegt. Beide Schlingen sind dünn und flach und nur an der Richtung der Faserung zu erkennen. DasRückwärtslehnen des Rumpfes mit und ohne Kniebeugung. — Die Lage des Schwerpunktes im menschlichen Körper. Bei den Kniebeugungen findet immer ein Nach-Rückwärts- Hinabsenken des Rumpfes und somit auch des Schwerpunktes statt. Es muss demnach als erste Vorarbeit für die Unter- suchung des Kniebeugens im Stehen angesehen werden, dass erforscht werde, wie weit der Schwerpunkt nach hinten ge- rückt werden darf, bis derselbe seine Unterstützung durch die Fusssohle verliert. Diese Untersuchung reiht sich an eine frühere an, welche die Aufgabe hatte, zu erforschen, wie weit der Schwerpunkt nach vorn bewegt werden darf, bis ein Umfallen um die Metatarsusköpfchen eintritt, und wird vereint mit dieser Mittel an die Hand geben, die bis jetzt 517 noch nieht genügend untersuchte Lage des Schwerpunktes im aufrechten Stehen zu finden. Das Rückwärtslehnen des Rumpfes mit steifem Knie. — Wenn der ganze Körper, soweit möglich in seiner Haltung ganz unverändert, nur durch Bewegung im Fuss- » gelenke rückwärts gelehnt wird, bis das Metatarsusköpfchen I eben von dem Boden gelöst wird, so ergiebt die direkte Messung, dass dabei der Trochanter*) eine Lage von 2,5 Cm. horizontalen Profilabstandes nach vorn von dem äusseren Knöchel genommen hat; — da aber derselbe im aufrechten Stehen einen solchen von 8,5 Cm. hatte, so betrug seine hori- zontale Verschiebung 6 Cm. — Durch die hierdurch ausge- drückte Bewegung ist die Axe des ganzen Beines aus einer Neigung gegen den Horizont von 84° 7° in eine solche von 83° 16° getreten, hat demnach eine Winkeldrehung im Fuss- gelenke von 4° 9’ ausgeführt. (Die Beinlänge von dem äusse- ren Knöchel bis zum Trochanter wieder zu 83 Cm. gerechnet.) Das Rückwärtslehnen mit Kniebeugung. — Wird mit feststehendem unverrücktem Unterschenkel der ganze Rumpf in sich und im Hüftgelenke unverändert aus dem auf- rechten Stehen rückwärts geneigt, indem nur eine Kniebeu- gung ausgeführt wird, so erfährt dabei der Trochanter eine horizontale Verschiebung nach rückwärts um 6 Cm., ehe das Metatarsusköpfehen I vom Boden gehoben wird. — Da nun der Oberschenkel, wie das ganze Bein, eine Neigung von 5° 53° gegen die Senkrechte hat, so muss derselbe, bis der Trochanter über der Drehaxe des Kniees steht, die Winkel- drehung von 5° 53° durchlaufen; durch eine solche erhält aber der Trochanter bei einer Entfernung um 43 Cm. von der Drehaxe des Kniees eine horizontale Verschiebung von *) Da es hier von grösserer Wichtigkeit ist, als in den früheren Versuchen, zu wissen, welcher Punkt mit diesem Namen gemeint sei, so bemerke ich, dass ich mit „Trochanter“ in diesen Abhandlun- gen den vorragendsten Punkt des oberen vorderen Randes des Tro- chanter bezeichne, welcher der Messung am Leichtesten zugänglich ist und in der Profilprojektion möglichst genau den Mittelpunkt der Pfanne bezeichnet. 518 4,4 Cm. Es hat demnach bis zum Ende des Versuches noch eine horizontale Verschiebung von 1,6 Cm. (6—4,4) zu er- fahren, und diese entspricht einer um 2° 8° fortgesetzten Winkeldrehung des Femur im Kniegelenke. Die ganze Win- keldrehung des Femur, durch welche die genannte horizon- tale Verschiebung des Trochanters um 6 Cm. zu Stande kömmt, beträgt demnach 8° 1° (2°8°+5°533°). Die Lage des Schwerpunktes in der Horizontal- projektion. — Die bisherigen Untersuchungen über die Lage des Schwerpunktes des gesammten menschlichen Körpers von Borelli und den Gebrüdern Weber leiden an einem grossen Mangel, indem durch dieselben die Lage dieses Punk- tes nur durch die Durchschnittslinie zweier Ebenen bestimmt wird. während doch die Lage eines Punktes im Raume nur durch drei Ebenen bestimmt werden kann. Nachdem näm- lich als selbstverständlich vorausgesetzt sein musste, dass der Schwerpunkt in der Mittelebene des Körpers zu suchen sei, glaubten die genannten Forscher allen weiteren Ansprü- chen 'Genüge gethan zu haben, wenn sie durch den bekann- ten Versuch mit dem überschlagenden Brette die Höhe des Schwerpunktes über dem Boden bestimmten. So werthvoll die Kenntniss des Ergebnisses ist, welches durch diesen Ver- such gewonnen wurde, so genügte dasselbe doch noch nicht, einen genauen Begriff von der Lage des Schwerpunktes zu geben, denn jener Versuch lehrte zunächst nur die Hori- zontalebene kennen, in welcher er zu suchen sei, — und da ausserdem seine Lage in der Mittelebene des Körpers mit Recht anzunehmen ist, so wird durch diese Bestimmung auch die von vorn nach hinten den aufrechtstehenden Körper durchsetzende Linie bezeichnet, von welcher er ein Punkt sein muss. Eine genaue Kenntniss seiner Lage, welche für die Mechanik des Körpers von grösster Wichtigkeit ist, wird aber erst erreicht sein, wenn ermittelt ist, welcher Punkt dieser Linie der Schwerpunkt sei, Dieses wird aber erzielt, indem auch die Querebene des Körpers bestimmt wird, in welcher der Schwerpunkt gelegen sein muss. Die vorher behandelten Versuche geben dazu das Mittel an die Hand; 519 ich ergänze dieselben aber noch durch die etwas veränderte Wiederholung eines früheren Versuches'), durch welchen untersucht wird, wie weit nach vorwärts der Körper mit steifen Knieen und Hüftgelenken nur durch Beugung (Dorsal- flexion) im Fussgelenke geführt werden kann. Wird aber der ganze Körper, in sich unverändert, durch Dorsalflexion im Fussgelenke so weit nach vorwärts ge- neigt, bis die Ferse eben vom Boden gelöst wird, d.h. bis die Schwerlinie in die Verbindungslinie der Mittelpunkte bei- der Metatarsusköpfchen I fällt, dann hat der Trochanter am Ende des Versuches einen horizontalen Profilabstand von 18,5 Cm. nach vorn von dem äusseren Knöchel. Da aber derselbe Abstand im aufrechten Stehen 8,5 Cm. beträgt, so erfuhr der Trochanter demnach eine horizontale Verschiebung nach vorn um 10 Cm. Mit Benutzung der bekannten Grössen der Beinlänge (von der Spitze des äusseren Knöchels bis zum Trochanter) von 83 Cm. und der Neigung der Beinaxe gegen die Senkrechte (im aufrechten Stehen) von 5° 53° finde ich nun, dass dieser Verschiebung des Trochanter eine Winkel- drehung im Fussgelenke von 7° entspricht?). Nach diesem Versuche bedarf es demnach einer Vorwärts- neigung im Fussgelenke um 7°, bis die Schwerlinie in die /erbindungslinie der beiden Metatarsusköpfchen I fällt; — nach dem vorher besprochenen Versuche führt aber eine Rückwärtsneigung des Körpers im Fussgelenke um 4° 9° die Schwerlinie in die Verbindungslinie des hinteren Randes beider Fersen. Die beiden eben bezeichneten Verbindungs- linien der Fersen und der Metatarsusköpfehen haben- aber einen Abstand von 17,5 Cm. gegen einander, denn die Spitze des äusseren Knöchels liegt 14 Cm. hinter dem Metatarsus- köpfehen I und 3,5 Cm. vor dem hinteren Fersenrande. — Die Verbindungslinie des Schwerpunktes mit der Mitte der 3) Vgl. zweiter Beitrag S. 372. 2) Die früher mitgetheilte direkte Winkelmessung ergab 8°, Aus bekannten Gründen muss aber der aus gemessenen Linien berechnete Werth von 7° für genauer gehalten werden. 520 Verbindungslinie beider äusseren Knöchel, welche ich künftig die Knöchel-Schwerpunkt-Linie nennen will, hat dem- nach einen Weg von 11% 9’ (7°+4° 9’) zurückzulegen, da- mit der an ihrem oberen Ende befindliche Schwerpunkt die horizontale Verschiebung von 17,5 Cm. erfahre. Nachdem der Schwerpunkt einen Weg von 14 Cm. horizontaler Verschiebung von vorn nach hinten erfahren, steht die Knöchel-Schwer- punktlinie senkrecht und erhält darnach wieder in ihrer weiteren Bewegung eine Rückwärtsneigung. In diesen An- gaben sind die nöthigen Grundlagen enthalten, auf welche sich weitere Berechnungen stützen lassen. Wir finden näm- lich durch Berechnung jetzt unschwierig, dass die Knöchel- Sehwerpunktlinie im Maximum ihrer Vorwärtsneigung 8° 57’ und im Maximum ihrer Rückwärtsneigung 2° 12° Neigung gegen die Senkrechte besitzt und dass ihre Länge 90 Cm. beträgt. Nehme ich nun als Ausgangspunkt des Versuches diejenige Stellung an, in welcher die Schwerlinie in die Verbindungs- linie beider hinteren Fersenränder fällt, so weiss ich aus den früheren Versuchen, dass eine Vorwärtsbeugung im Fussge- lenke um 4° 9° nothwendig ist, um dem Schwerpunkt wieder dieselbe Lage zu geben, welche er im aufrechten Stehen hatte; 2° 12° dieser Bewegung führen ihn aber mit 3,5 Cm. Horizontalverschiebung bis in die Lage senkrecht über dem äusseren Knöchel; weitere Beugung um 1° 57° nach vorn führt ihn demnach erst in seine frühere Lage zurück. Dieser Winkeldrehnng entspricht aber eine Horizontalverschiebung des Schwerpunktes nach vorn um 3,062 Cm. — Nach dieser Berechnung fällt ‚also die Schwerlinie im aufrechten Stehen um 8,062 Cm. vor der Verbindungslinie der beiden äusseren Knöchel herunter. Ich benutze noch den Versuch mit der Rückwärtsbeugung im Kniegelenke für den gleichen Zweck. — Die Länge der Knöchel-Schwerpunkt-Linie beträgt 90 Cm.; die Länge der Axe des Unterschenkels 40 Cm., der Winkel zwischen beiden Linien misst 3° 56° (Neigungswinkel der Beinaxe gegen die Senkrechte von 5° 53‘ minus dem Neigungswinkel der Knöchel- 521 Schwerpunktlinie gegen die Senkrechte von 1° 57‘). Mit die- sen Grundlagen berechnet sich die Verbindungslinie des Schwer- punktes mit der Verbindungslinie beider Knieaxen (Knie- Schwerpunkt-Linie) auf 50 Cm. Länge (genauer 50,17 Cm.). Die Horizontalprojektion der Knieaxe liegt aber 4,5 Cm. vor der Verbindungslinie der beiden äusseren Knöchel, dem- nach 8 Cm. (4,5+3,5) vor dem hinteren Fersenrande. Der Schwerpunkt muss demnach eine Horizontalverschiebug nach vorn um 8 Cm. erfahren, wenn er aus einer Lage senkrecht über dem hinteren Fersenrande in eine Lage senkrecht über der Knieaxe gelangen soll; dieser Verschiebung entspricht aber eine Winkeldrehung der Knie-Schwerpunktlinie um 9013’. Eine Winkeldrehung von 8° 1’ ist aber nur nöthig, damit der Schwerpunkt in seine Lage, die er im aufrechten Stehen hatte, aus der Rückwärtsbeugung zurückkehre. Denke ich deshalb, dass die Knie-Schwerpunktlinie um das Zuviel von 1° 12° (9°13°— 8° 1’) sich wieder rückwärts bewege und berechne, einer wie grossen Horizontalverschiebung des Schwerpunktes diese Winkeldrehung entspreche, so finde ich 1 Cm. — Nach dieser Berechnung fällt demnach die Schwerlinie 1 Cm. hinter der Axe beider Kniee hinunter; da aber deren Horizontal- projektion 4,5 Cm. vor der Verbindungslinie beider äusseren Knöchel liegt, so geht daraus eine Lage der Schwerlinie um 3,5 Cm. vor der Verbindungslinie der beiden äusseren Knöchel hervor. Ich habe somit zwei Bestimmungen über die Lage der Querebene gewonnen, in welcher der Schwerpunkt gelegen ist, nämlich 3,06 Cm. und 3,50 Cm., also im Mittel 3,28 Cm. vor den äusseren Knöcheln, — somit also auch (14--3,28) hinter dem Metatarsusköpfehen I, und 5,22 Cm. (8,5 — 3,28) hinter dem vorderen Rande des Trochanters (oder dem Pfannenmittelpunkte). — Diese Bestimmungen bestätigen demnach vollständig den Satz, welchen ich in meinem ersten Beitrage auf andere Gründe hin entwiekelt habe, dass näm- lich die Schwertlinie hinter dem Hüftgelenke und vor dem Fussgelenke herunter gehe, Den Zahlen, auf welche ich so eben diese Beweisführung gestützt habe, will ich jedoch keinen 522 grösseren Werth beilegen, als sie ihrer Natur nach verdienen. Es sind individuelle Werthe, welche zunächst nur für den- jenigen Körper Geltung haben, welchem die Messungen ent- nommen sind. Wenn demnach auch die gewonnenen Haupt- resultate als durchaus feststehend bezeichnet werden dürfen, so ist dennoch nicht zu verkennen, dass in den gewonnenen Zahlwerthen individuelle Schwankungen nothwendig vorkom- men müssen. Man könnte nun auch das Verlangen stellen, dass ich nach diesen Bestimmungen auch den Punkt des Körpers ge- nauer anatomisch bezeichne, in welchem der Schwerpunkt gelegen ist. Ich kann jedoch in Antwort auf ein solches Ver- langen nur an das erinnern, was ich bereits in meinem ersten Beitrage S. 21 über die nothwendige beständige Schwankung in der Lage des Schwerpunktes gesagt habe, — und könnte darauf hin es gänzlich verweigern, mich darüber auszusprechen; da ich aber oben eine Lage des Schwerpunktes zur Berech- nung benutzt habe, welche als eine ziemlich genau bestimm- bare angesehen werden muss, diejenige nämlich, welche sich in der Haltung des aufrechten Stehens mit angeschlossenen Armen findet, so kann ich diese doch auch benutzen, um die Lage des Schwerpunktes für diese Haltung zu bestimmen. Durch Anwendung der Konstruktion mit den aus dem Obi- gen bekannten Grössen finde ich aber, dass derselbe eine Ent- fernung von 9,5 Cm. von dem Trochanter hat und da der Trochanterpunkt in der Profilprojektion auch ziemlich genau den Pfannenmittelpunkt bezeichnet, so kann man sagen, dass der Schwerpunkt 9,5 Cm. von der gemeinschaftlichen Axe beider fHüftgelenke entfernt liege. Die Verbindungslinie des Schwerpunktes mit dem Mittelpunkte dieser Axe (Hüft- Schwerpunktlinie) bildet in der Konstruktion einen nach hinten offenen Winkel von 136° 30’ gegen die Beinaxe, und hat demnach im aufrechten Stehen eine Neigung von 52° 23’ (136° 30‘ — 84° 7') gegen den Horizont nach hinten. — Diese Bestimmung hat zwar für die Gränzen, innerhalb welcher sie gültig ist, eine nicht unbedeutende Anwendbarkeit; man möchte aber lieber eine Bestimmung haben, welche einen 6 52 o anatomisch bezeichenbaren Punkt als den Sitz des Schwer- punktes angiebt. Die Möglichkeit, selbst dem oben in sei- nem Verhältnisse zur Beinaxe genau bestimmten Punkte eine Lage durch einen anatomisch benannten Punkt anzuweisen, ist jedoch eine sehr geringe. Ich will es aber dennoch ver- suchen, einen solehen Punkt zu bezeichnen, der wenigstens für die meisten Körper im aufrechten Stehen annähernd rich- tig ist. — Die Gegend, in welche der Schwerpunkt fallen muss, ist jedenfalls die Gegend des Promontoriums und es lag deshalb nahe, dass die Gebrüder Weber die Lagenbe- stimmung der von ihnen gefundenen Horizontalebene nach dem Promontorium gaben; dieselbe liegt nach ihnen 0,87 Cm. über dem Promontorium. Ich muss es bedauern, dass sie sich nicht deutlich darüber ausdrücken, welchem Punkte sie diesen Namen geben. Nach der Konstruktion in dem von ihnen gegebenen bekannten Abdrucke der Wirbelsäule mit dem Becken scheint es, dass sie unter „Promontorium* den Mittelpunkt der oberen Fläche des ersten Kreuzbeinwirbel- körpers verstehen; — ich verstehe unter „Promontorium“ die Mitte des vorderen oberen Randes des ersten Kreuzbeinwirbel- körpers, einen Punkt, welcher der Messung immer zugäng- lich ist. Wenn wirklich jene Horizontalebene, in welcher der Schwerpunkt liegen soll, nach ihrer Meinung 0,87 Cm. über dem von mir vermutheten Punkte gelegen ist, dann liegt die- selbe 2,0 Cm. über dem von mir Promontorium genannten Punkte, denn dieser liegt in dem Weberschen Abdrucke um 1,3 Cın. tiefer als der nach meiner Vermuthung von ihnen als Promontorium aufgefasste Punkt. Nach dieser Korrektion werde ich mit „Promontorium“ nur den von mir angewen- deten Punkt bezeichnen. Ich will es für jetzt ausser Acht lassen, dass das Promontorium wegen der Veränderlichkeit seiner Lage sehr wenig geeignet ist, einen genauen Ausgangs- punkt für Lagenbestimmungen. zu geben, sondern will nur eine mittlere Lage des Promontoriums als eine konstante an- nehmen und mich nach dieser richten. Nach einem Mittel aus I1 Becken fällt die Senkrechte aus dem Promontorium 0,4 Cm, hinter dem Pfarmenmittelpunkte herunter. Da nun 524 aber der Pfannenmittelpunkt ziemlich genau mit dem Tro- chanterpunkte in der Profilansicht zusammenfällt, und da nach dem früher Entwickelten die Schwerlinie 5,22 Cm. hinter dem Trochanterpunkt herunterfällt, so muss die Schwerlinie 5,18 Cm. hinter dem Promontorium herunterfallen. Trage ich die beiden Bestimmungen: 2,0 Cm. über dem Promontorium und 5,18 Cm. hinter demselben in den Weberschen Ab- druck der Wirbelsäule mit dem Becken in der richtigen Stellung des Beckens ein, so finde ich eine Lage v u 5 Mm. vor der Spitze des Processus spinosus des untersten Lenden- wirbels. — Ich mache noch eine andere Bestimmung: Ich bestimme in dem Weberschen Abdrucke der Wirbelsäule und des Beckens die Lage des Pfannenmittelpunktes nach dem Mittel aus 11 Becken und beschreibe mit dem Radius 9,5 Cm. (Länge der Hüft-Schwerpunktlinie) einen Kreis um den Pfannenmittelpunkt. Wo dieser Kreis die Senkrechte schneidet, welche 5,18 Cm. hinter dem Promontorium her- untergeht, da muss der Schwerpunkt liegen; der Punkt, wel- chen ich auf diese Weise finde, liegt in der hinteren Fläche des zweiten Kreuzbeinwirbelkörpers 2,3 Cm. unter dem durch die vorige Bestimmung gewonnenen Punkte und 1 Cm. tiefer als ein Punkt, welcher gewonnen wird, wenn man die Weber- sche Bestimmung „0,87 Cm. über dem Promontorium* auf meinen Promontoriumspunkt bezieht und nach der vorher an- gewendeten Methode den Schwerpunkt sucht. — Es würde ein vergebliches Beginnen sein, wenn ich versuchen wollte, noch genauere Bestimmung zu suchen; man bedenke, dass das Webersche Maass ein individuelles ist, dass meine Maasse individuelle sind, dass der Beckenabdruck ein indi- vidueller ist, dass ich noch Mittelzahlen aus einer grösseren Anzahl von Becken zu Hülfe nehmen musste, und dass die mit diesen Hülfsmitteln annähernd gewonnene Bestimmung nur für die Haltung des aufrechten Stehens richtig ist. Wir können deshalb nur sagen, dass in einem wohlgebauten Körper mit mittleren Verhältnissen des Beckens der allgemeine Schwerpunkt indem zweiten Kreuz- beinwirbelkörper oder über demselben im Canalis 525 sacralis gelegen ist, wenn der Körper die Haltung des aufrechten Stehens hat. — Ich sage ausdrücklich „mit mittleren Verhältnissen des Beckens,* weil sich darunter eine bestimmtere Lage des Promontoriums verstehen lässt. Ohne diese genauere Angabe über die Gestalt des Beckens würde eine Lagenbestimmnng des Schwerpunktes nach dem Promontorium durchaus unzulässig sein, weil, wie ich schon früher einmal andeutete, das Promontorium eine höchst wan- delba e Lage hat. Es würde zu weit führen, wenn ich diesen letzteren Satz hier noch umständlicher beweisen wollte, des- halb werde ich denselben in einem Anhange besprechen, iu welchem ich mich zugleich noch einmal über die Beckennei- gung auszusprechen habe. Die Kniebeugung im Stehen auf beiden Beinen und auf einem Beine. — DieRotation des Femur im Kniegelenke. Die in dem Vorigen behandelte Art der Kniebeugung im Stehen ist, wie deren genauere Untersuchung lehrte, nicht sehr ergiebig, denn sie beträgt nur 8° 1’, weil nach Vollen- dung dieser Bewegung der Schwerpunkt keine Unterstützung mehr findet. Viel ergiebiger muss dagegen diejenige sein, bei welcher der Schwerpunkt gleichzeitig mit seiner Rückwärts- senkung eine so bedeutende Bewegung nach vorn erfährt, dass er dadurch die Unterstützung durch die Füsse nie ver- liert. Es ist dieses diejenige, bei welcher gleichzeitig mit seiner Flexion das ganze Kniegelenk durch Dorsalflexion im Fussgelenke nach vorn geführt wird. Während bei der vor- her beschriebenen Art des Kniebeugens noch eine kleine Erhebung über den Boden gegeben ist, weil am Ende des Versuches das Femur eine senkrechtere Lage (2° 8' gegen die Senkrechte nach hinten) besitzt, als vorher (5° 53’ gegen die Senkrechte nach vorn), so kann bei dem jetzt zu behandeln- den Versuche eine ergiebige Senkung des Rumpfes erzeugt werden. Um diese Untersuchung mit absoluter Genauigkeit anstellen zu können, müsste man vorher viel genauere Kenntnisse und Messungen über Gestalt und Lage der in Anwendung kom- x 526 menden Gelenkflächen besitzen und müsste dabei zugleich die Mittel an der Hand haben, die nothwendigen Punkte innerhalb der Gelenke am unverletzten Gliede von aussen zu bestimmen. Beides ist gegenwärtig noch nicht möglich; ich wähle deshalb als Mittel zur Untersuchung statt der Axen des Unterschenkels und des Oberschenkels zwei andere Linien, welche denselben ungefähr parallel verlaufen und zur Gewin- nung der Hauptresultate sich wenigstens vollständig genügend erweisen. Die Ungenauigkeit, welche durch die Subs rung dieser Linien erzeugt wird, wird reichlich dadurch wieder aufgewogen, dass es möglich ist, deren Endpunkte von aus- sen ganz genau zu bestimmen. Die substituirten Linien sind diejenigen, welche folgende drei Punkte mit einander verbin- den, nämlich 1) die untere Spitze des äusseren Knöchels, Knöchelpunkt, 2) das äussere Ende der Drehaxe des Kniees, Kniepunkt und 3) den schon früher bezeichneten Trochanterpunkt. Die Linie, welche die ersten beiden Punkte unter einander verbindet, 40 Cm. lang, nenne ich die Unterschenkellinie, — diejenige, welche die letzten bei- den Punkte mit einander verbindet, 43.Cm. lang, nenne ich die Oberschenkellinie; beide Namen sind gewählt, weil die betreffenden Linien die in ihrem Namen angedeuteten Gliedtheile zu vertreten bestimmt sind, un Da diese Linien nicht die Axen sind, mit welchen ich bisher gerechnet habe, so darf es nicht wundern, wenn einige Zahlen, welche auf dieselben Bezug haben, kleine Verschie- denheiten von früher gewonnenen Zahlen verwandter Bedeu- tung erkennen lassen, und dass z. B.die Neigung dieser bei- den Linien, welche ich mit einer kleinen Korrektion als in Kontinuität stehend annehme, als 80° 35’ gegen den Boden bestimmt ist, während in dem Früheren die Neigung der Beinaxe gegen den Boden zu 84° 7' berechnet wurde. Die geringe Differenz zwischen den beiden eben angegebenen Winkeln mag aber auch zugleich zeigen, dass zur Gewin- nung von Hauptresultaten die Beinaxe ganz füglich durch unsere angenommene Linie vertreten werden kann. > Um nun die jedesmalige Lage dieser beiden Linien im ü 527 Laufe der Versuche zu bestimmen, wähle ich die Methode, dass ich die drei durch dieselben verbundenen Punkte durch Bleilothe auf den Boden projieire und dann die Lage der projieirten Punete durch je zwei Ordinaten auf zwei Abseissen- linien bestimme. Die Abseissenlinien haben ihren O-Punkt in der Horizontalprojektion des Knöchelpunktes; die eine von ihnen (A) geht aus diesem Punkte gerade nach vorn, parallel der Durchschnittslinie zwischen der Mittelebene des Körpers und dem Boden, — die andere (B) geht aus dem O-Punkte ger: ich aussen, parallel der Durchschnittslinie einer Quer- ebene des Körpers mit dem Boden. Ich bestimme nun zuerst die Lage dieser drei Punkte im aufrechten Stehen (Versuch I.), — sodann so, wie sie sich zeigt, wenn im Maximum der Beugung beider Unterschenkel gegen den Fuss der Rumpf durch Beugung der Kniee, aber ohne Beugung im Hüftgelenke, zurückgelehnt wird (Ver- such I.), — und dann so, wie sie sich in demselben Ver- suche darstellt, wenn derselbe nur mit einem Beine ausge- führt wird (Versuch III). Ich fand dafür die Werthe, welche in der folgenden Tabelle zusammengestellt sind. Die Grössen sind in derselben in Centimetern ausgedrückt — und unter A. und B. stehen die Werthe der Ordinaten, welche auf der in der Ueberschrift genannten Abseissenlinie errichtet sind. iE II. III. ANMDENANNT B: AB: 1. Knöchelpunkt.. 00.00 OWATO 2. Kniepunkt .... 5445 8,0 27,9 9,0 29,5. 3. Trochanterpunkt 10,5 8,5 10,5 21,5 18.0 23,5. Aus diesen Werthen lassen sich mit Hülfe der früher an- gegebenen Grössen der Unterschenkellinie (40 Cm.) und der Oberschenkellinie (43 Cm.) nach bekannten Regeln alle Grös- sen berechnen, welche für die weitere Untersuchung gebraucht werden. Von diesen will ich aber hier nur diejenigen zusam- menstellen, welche eine Belehrung über den Erfolg der aus- geführten Bewegung zu geben im Stande sind. Die Höhe der drei Punkte über dem Boden stellt sich nämlich als folgende heraus: 528 I. II. I, 1. Knöchelpunkt . .. 7,0Cm. 7,0 Cm. 7,0.Cm. 2. Kniepunkt ..... 46,5 36,5 32,4 3. Trochanterpunkt . 88,8 79,0 73,0 Die angegebene Höhe des Knöchelpunktes ist durch direkte Messung bestimmt; die übrigen Grössen sind aus den oben gegebenen Werthen berechnet. Nach dieser Zusammenstellung beträgt die in den Versuchen erzielte Senkung des Trochanter- punktes und somit des ganzen Rumpfes: a I: I. I. Sr 0,0 Cm. 9,3 Cm. 14,3 Cm. Ich gehe nun zur genaueren Untersuchung der Versuche II. und III. über. Kniebeugung mit beiden Beinen im Maximum der Vorwärtsneigung der Tibia. — In dem aufrechten Stehen (Versuch I.) hat die vereinigte Unterschenkel- und Oberschenkellinie eine Neigung von 80° 38‘ gegen den Hori- zont. Bei dem im Versuche U. erreichbaren Maximum der Beugung der Tibia gegen den Fussrücken erhält die Unter- schenkellinie eine Neigung nach vorn von 42° 10’ gegen den Horizont. Denken wir uns nun für's Erste, dass diese Be- wegung im Fussgelenke ohne eine gleichzeitige Kniebeugung ausgeführt worden sei, so müsste dadurch die Oberschenkel- linie dieselbe Neigung nach vorn erhalten haben. Wir finden aber am Ende des Versnches die Neigung der Oberschenkel- linie zu 80° 46° gegen den Horizont nach hinten, und daraus geht hervor, dass die Beugebewegung, welche dieselbe in dem Versuche gegen die Unterschenkellinie erfahren hat, 57° 4' beträgt (1800 — 42° 10° — 80° 46‘). Wollen wir nun den Einfluss dieser Bewegung auf den Schwerpunkt untersuchen, so sind wir genöthigt, die eben besprochenen Bewegungen auf die Profilebene zu projieiren, ein Verfahren, welches bei dem früheren Versuche nicht nöthig war, weil die Beinaxe eine zu unbedeutende Neigung gegen die Mittelebene des Körpers hat, als dass dieselbe von grosser Wichtigkeit für den Werth der Rechnung sein könnte. Hier wird es aber nothwendig, weil bei der Bewegung der Kniee 529 nach auswärts die Axen des Unterschenkels und des Ober- schenkels eine bedeutende Neigung gegen die Mittelebene erhalten und dieses noch in höherem Maasse bei den von mir gewählten Oberschenkel- und Unterschenkellinien der Fall ist. Durch eine auf die oben mitgetheilten Messungen ge- stützte Rechnung finde ich nun aber, dass am Ende des Ver- suches die Profilprojektion des Neigungswinkels der Unter- schenkellinie gegen den Horizont 44° 37' beträgt, und für die gleiche Projektion des Neigungswinkels der Oberschenkel- linie gegen den Horizont finde ich 81° 25‘; demnach ist die Profilprojektion der im Knie ausgeführten Beugung 53° 58‘; der übereinstimmenden Genauigkeit wegen bestimme ich auch noch die Profilprojektion des Neigungswinkels der Unter- schenkellinie gegen den Horizont im aufrechten Stehen und finde diese 83029‘. Nehme ich nun nach den früher gege- benen Berechnungen die Länge der Knie-Schwerpunktlinie zu 50 Cm. an, wobei ich die geringe Verkleinerung vernach- lässigen kann, welche diese Linie durch die Auswärtsstellung der Kniee erhält, — und benutze ich weiter für die Berech- nung das in dem früheren gewonnene Resultat, dass die Schwerlinie 3,23 Cm. vor dem äusseren Knöchel und somit 1,22 Cm. hinter der Knieaxe herunterfällt, so finde ich, dass in dem aufrechten .Stehen die Knie-Schwerpunktlinie eine Neigung von 88° 36' gegen den Horizont nach hinten hat oder nach vorn eine Neigung von 91% 24‘, demnach 7° 55’ mehr als die Unterschenkellinie in der Profilprojektion (910 24° — 83° 29°). Denke ich nun wiederum die Beugung des Unter- schenkels gegen den Fussrücken zuerst ausgeführt, ohne gleichzeitige Kniebeuguug, so wird dadurch der Winkel der Unterschenkellinie gegen den Horizont, wie vorher gezeigt, zu 44°37' (in der Profilprojektion), und die Neigung der Knie-Schwerpunktlinie wird damit zu 52° 32’ (440 37'+70 55°); durch die Kniebeugung von 53° 58° (in der Profilprojektion) wird diese sodann in eine Neigung von 73° 30' (1800 — 53° 58‘ — 52° 32') gegen den Horizont nach hinten geführt. Die Berechnung ergiebt aber, dass in dieser Stellung ihre Hori- zontalprojektion eine Länge von 14,5 Cm, hat; um eben so Müllers Archiv. 1853, 34 530 viel muss also die Schwerlinie am Ende des Versuches hinter der Verbindungslinie beider Kniepunkte herunterfallen; da diese Linie aber nach der in der Tabelle gegebenen Messung 37,9 Cm. vor der Verbindungslinie beider Knöchelpunkte liegt, so ist deutlich, dass am Ende des Versuches die Schwerlinie 13,4 Cm. vor der Verbindungslinie der Knöchelpunkte her- unterfiel. Sie fiel demnach nahe hinter die Metatarsusköpf- chen I. und wir erkennen daraus, dass die Senkung des Rum- pfes nach hinten noch weiter hätte geführt werden können. Die grosse Schwierigkeit, den Rumpf in unveränderter Ge- stalt weit rückwärts zu lehnen, macht es erklärlich, dass diese Stellung bei den wiederholten Messungen immer wieder als die ungezwungenste angenommen wurde. — Berechnung auf bekannte Grundlagen lehrt nun aber, dass eine Senkung der Knie-Schwerpunktlinie bis zu 60° 50’ Neigung gegen den Horizont den Schwerpunkt über seine Unterstützung im auf- rechten Stehen (3,28 Cm. vor dem äusseren Knöchel) geführt haben würde, — eine Senkung bis zu 56° 50° hätte ihn über den äusseren Knöchel geführt — und eine Senkung bis zu 52° über den hinteren Rand der Ferse. — Diese Zahlen er- klären hinlänglich die Schwierigkeit, die Senkung weiter aus- zuführen, als dieses in dem Versuche geschehen ist. Die Messung ergiebt nun aber auch, dass der Kniepunkt in dem Versuche nicht nur nach vorn, sondern auch nach aussen gerückt ist und zwar um 2,6 Cm.; um eben so viel ist demnach das untere Ende des Femur nach aussen ge- führt (abduzirt) worden, und dieses Verhältniss bedingt ein besonderes Verhalten der Theile im Hüftgelenke. Wir wer- den diese Abduktionsbewegung am Besten verstehen, wenn wir die geschehene Bewegung des ganzen Beines in seine einzelnen Elemente zerlegen. Die Tibia hat gegen den Fuss eine schiefe Flexion erfahren; die Stellung, welche sie da- durch erhalten hat, können wir uns so entstanden denken, dass wir annehmen, es habe die Tibia zuerst eine Flexion gerade nach vorn und dann eine Rotation nach auswärts er- fahren. Die Bewegung derselben enthält demnach eine flek- tirende und eine rotirende Komponente; durch die erstere 531 bekömmt das obere Ende der Tibia eine Bewegung nach vorn und abwärts, durch die zweite eine solche nach hinten und aussen, Den Bewegungen der flektirenden Komponente kann das untere Ende des Femur leicht folgen; die Bewe- gung der rotirenden Komponente findet dagegen Widerstand an dem Lig. superius des Hüftgelenkes. Um sich diese Ver- hältnisse leicht vorzustellen, denke man zuerst die Fussbeu- gung und Kniebeugung mit geschlossenen Knieen ausgeführt und lasse dann die Rotation geschehen. Diese Rotation muss dann den Mittelpunkt ihrer Bewegung in einer Axe finden, welche wir aus dem Astragalus in den Mittelpunkt des Schen- kelkopfes ziehen. In dem Hüftgelenke geschieht daher bei der Ausführung des Versuches eine Rotation des Femur nach aussen; da aber diese Rotation des Femur nicht um die Axe des Femur selbst geschieht, sondern um eine Axe, welche weit hinter dem Knie hinuntergeht, so ist mit derselben zu- gleich eine Abduktion des Femur verbunden. Durch eine Rotation nach aussen wird aber das Lig. superius angespannt und da dasselbe in der Haltung des aufrechten Stehens schon in dem Maximum seiner Spannung ist, so muss diese An- spannung als ein flektirendes Moment in dem Hüftgelenke wirken und eine Vorwärtsneigung des Beckens auf der ge- meinschaftlichen Axe beider Hüftgelenke erzeugen. Wie be- deutend diese Beckenbewegung sei, konnte ich nicht mit Zu- verlässigkeit messen; jedenfalls scheint sie nicht sehr bedeu- tend zu sein und nur in so ferne Interesse zu gewähren, als ihr Vorhandensein beweist, wie auch schon ohne Zuthun der Muskeln die bei der Kniebeugung so gerne ausgeführte Aegui- librirungskompensation durch Beugung des Hüftgelenkes ein- geleitet wird. Die Kniebeugung auf einem Beine im Maxi- mum der Vorwärtsneigung der Tibia. — Sehen wir die Zahlen nach, welche unter III. die Maasse für diesen Versuch in den oben mitgetheilten Tabellen angeben, so fällt uns zuerst auf, dass das Maximum der Tibianeigung 2° 45’ (42° 10° — 39° 25‘) mehr beträgt, als in dem Versuche II., während in diesem das Maximum schon erreicht schien. Diese 34* 532 Differenz blieb bei wiederholten Messungen immer so gleich, dass es deutlich war, dieselbe sei ein Charakteristisches für diesen Versuch. Suchen wir nach einer Erklärung für diese Erscheinung, so finden wir eine solche in Folgendem: die Schiefe der Flexionsebene der Astragalusrolle giebt der Tibia eine Bewegung, welche, wie oben entwickelt, einen beden- tenden Widerstand an dem Femur findet, oder vielmehr an dem Rotationsdruck, unter welchem dasselbe durch die an dem Lig. superius wirkende Schwere des Rumpfes steht. Dieses Moment muss beschränkend auf die Bewegung der Tibia einwirken und in der Fortsetzung seiner Wirkung den inneren Fussrand durch Verschiebung der Fussknochen nach innen hinabdrücken, so dass dadurch der Astragalus eine Veränderung seiner Lage erfährt. Wenn daher auch in dem Versuche III. die Grösse der Bewegung zwischen Tibia und Astragalus ohne Zweifel die gleiche ist, wie in dem Ver- suche II,, so ist der Erfolg auf die Lage der Tibia doch ein anderer, weil wegen freierer Beweglichkeit aller Theile jener Druck auf den inneren Fussrand aufhört. Ferner hat das Femur eine grössere Neigung gegen den Boden. Es besitzt nämlich 75° 27° Neigung nach hinten. Die Neigung der Tibia gegen den Boden um 39° 25° nach vorn, wie bei den früheren Versuchen, zum Ausgangspunkte der Kniebeugung nehmend finden wir dann, dass das Femur eine Flexionsbewegung gegen die Tibia von 65° 3° (180% — 390 25° — 75° 27°) ausgeführt haben muss, also 804’ (65° 8° — 5704’) mehr als in dem vorigen Versuche. — Ausserdem hat der Trochanter eine horizontale Verschiebung von 7,5 Cm. in der Querprojektion erfahren. Ehe ich zur Besprechung der dadurch angedeuteten Bewegung des Femur übergehe, will ich zuerst darauf aufmerksam machen, dass durch die Seitwärtsbewegurg des 'Trochanters die seitliche Aequilibri- rung des Körpers vollständig erreicht wird. Von dieser Be- wegung kömmt 1 Cm. auf die Seitwärtsbewegung der Tibia und 6,5 Cm. demnach auf die Bewegung des Femur. Um nun die geschehene Bewegung des Femur zu unter- suchen, denken wir uns, dass dasselbe erst, wie in dem vo- 533 rigen Versuche, eine Flexionsbewegung gegen die Tibia von 5704’ ausgeführt habe. Durch eine solche wird dasselbe aber in eine Neigung gegen den Boden von 6° 29‘ nach hin- ten (39° 25° + 570 4' = 96° 29°) gestellt. Der Trochanter- punkt besässe in dieser Stellung eine Höhe über dem Boden von 75,1 Cm. und seine Horizontalprojektion hätte einen Ab- stand von der Abseissenlinie A um 10,5 Cm. und von der Abseissenlinie B um 24,9 Cm. — Um aus dieser Stellung in eine solche zu kommen, in welcher er 74 Cm. über dem Boden und seine Horizontalprojektion 13 Cm. von der Ab- seissenlinie A und 23,5 Cm. von der Abseissenlinie B ent- fernt ist, muss er eine Bewegung nach aussen, hinten und unten erfahren. Da aber dabei das Knie-Ende des Femur an derselben Stelle bleibt, so ist es deutlich, dass diese Bewe- gung durch eine nach abwärts und auswärts gehende Rota- tion des Femur im Kniegelenke geschehen muss und zwar um die schiefgestellte Axe der Tibia. Um diese Bewegung möglichst scharf aufzufassen, können wir sie zuerst in zwei - Komponenten zerlegen, deren eine eine fortgesetzte Flexion und deren andere eine horizontale Rotation um eine vertikale Axe ist. Wie gross die flektirende Komponente sei, ist unschwer zu ermitteln, da das Femur am Ende der schie- fen Rotation eine Neigung von 75° 27' gegen den Boden hat und im Beginne derselben eine solche von 83° 31’ (180% — 96° 29°), so hat dasselbe durch die schiefe Rotation 8° 4' mehr Neigung gegen den Boden erhalten; 30 4' beträgt dem- nach die flektirende Komponente. — Die horizontal roti- rende Komponente muss durch etwas umständlichere Rechnung gefunden werden, deren Mittheilung hier zu weit führen würde; ich gebe daher nur das Resultat, dass die- selbe 10° 16‘ beträgt (in der Horizontalprojektion 41° 47'). Die schiefe Rotation, welche beide Bewegungen in sich vereinigt, berechnet sich sodann zu 13% 26°. Es würde aber auch hier zu weit führen, wenn ich das ganze Rechnungs- verfahren mittheilen wollte, durch welches dieser Werth ge- wonnen wurde, Es gilt nun noch zu untersuchen, in welchem Verhältniss 534 die Grösse der in diesem Versuche ausgeführten Rotations- bewegung zu derjenigen steht, welche bei einem gleichen Beugungswinkel zwischen Tibia und Femur ausgeführt wer- den kann. Ich mass für diesen Zweck die möglichen Rotations- bewegungen zwischen Tibia und Femur auf folgende Art. Ein Bogen Papier wurde auf den Boden gelegt und durch eine Linie die Projektion der Mittelebene auf densel- ben gezeichnet; der Bequemlichkeit der nachfolgenden Mes- sung wegen wurden auch noch mehrere Parallelen zu dieser Linie gezogen. Darauf wurde durch eine Wickelbinde das Fussgelenk unbeweglich gemacht und zugleich ein brei- tes, flaches Lineal unter die Fusssohle gebunden. Durch Linien, welche an diesem Lineal auf dem Bogen gezogen wurden, wurde dann die jedesmalige Stellung des Fusses bezeichnet und deren Winkel gegen die Mittelebene des Kör- pers oder eine dieser parallel liegende Ebene dann durch . direkte Winkelmessung bestimmt. Die Beugung im Kniege- lenk wurde durch einen angelegten Winkelmesser regulirt. . Ich fand nun, dass bei allen Beugungsstellungen des Kniees die Rotation der Fussspitze nach innen immer die gleiche Grösse hatte und immer bis zu 5—10° nach innen von einer der Mittelebene parallelen Linie ging; die Rotation der Fuss- spitze nach aussen hatte dagegen verschiedene Grade. Ich gebe in der folgenden Tabelle unter a die Grösse des Rota- tionswinkels nach aussen von einer der Mittelebene parallelen Linie, die Grösse also, welche der Rotationswinkel hat, wenn im Anfange des Versuches die Axe des Fusses der Mittel- ebene des Körpers parallel steht; da die Fussaxe aber bei der gewöhnlichen Stellung der Füsse einen Winkel von 21° gegen die Mittelebene des Körpers hat, so gebe ich unter b die Grösse der aus der gewöhnlichen Fusstellung möglichen Rotation der Fussspitze nach aussen, welche also um 21° geringer ist, als die unter a stehende Grösse. 535 Ausgeführte Grösse der Rotation Beugungsbewegung nenne nee] = nach aussen. im ak Knies. a b. 30° . 150° 320 110 60° 120° 33° 12° 90° 90° 420 21° 120° 60° 52° 31° Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, dass nach geschehener Beugungsbewegung von 60° die bei gewöhnlicher Fusstellung noch mögliche Rotation nach aussen zwischen Tibia und Femur 12° beträgt. Wir haben aber vorher gefunden, dass bei dem Uebergange des Versuches II. in den Versuch Ill. nach einer Beugungsbewegung des Femur gegen die Tibia von 57° 4° die sich anschliessende schiefe Rotationsbewegung eine Grösse von 13° 26° hatte; diese Werthe stimmen mit den angegebenen Werthen so genau, dass wir kein Bedenken tragen dürfen zu erklären, dass die veränderte Lage des Femur gegen die Tibia in dem Versuche III. nur durch die Rotation im Kniegelenke zu Stande kömmt, und dass an der Grösse der flektirenden Komponente der dazu nöthigen Be- wegung eine fortgesetzte Flexionsbewegung keinen Antheil hat. Die flektirende Komponente kömmt nur dadurch zu Stande, dass die Axe der Tibia, um welche die Rotation geschieht, eine Neigung von 39° 25° gegen den Horizont hat, dass demnach die Rotationsebene des Femur eine solche von 50° 35° besitzt. — Durch die erwähnte Rotation wird aber auch zugleich das Maximum der möglichen Rotation erreicht, und die Kenntniss dieser Thatsache weist uns darauf hin, dass die in dem Versuche erzeugte Kniestellung eine durch Bänderspannung hinlänglich fixirte und gesicherte ist. — Be- merkenswertli erscheint es dabei noch, dass beinahe das gleiche Maximum der Rotation nach aussen sich auch schon für die geringere Flexionsbewegung im Knie von 30° heraus- stellt, indem daraus zu erkennen ist, dass auch schon bei geringeren Graden der Kniebeugung, wie sie z. B. im ge- wöhnlichen Gange vorkommen, die seitliche Aequilibrirung 536 durch Rotation des Femur im Kniegelenke zu Stande kom- men kann. Wird die Stellung des Versuches III. nicht aus derjenigen des Versuches II. erzeugt, sondern so gewonnen, dass vor- her im aufrechten Stehen der Schwerpunkt durch einen Fuss unterstützt wird, so muss die Bewegung, welche das Femur dann erhält, eine Resultirende sein aus einer Flexion um die Drehaxe des Knies und einer Rotation um die Rotationsaxe desselben (fortgesetzte Axe der Tibia). Niederhocken, Niedersitzen, Niederknieen. Die in dem oben behandelten Versuche II. untersuchte Art der Kniebeugung geht in das Niederhocken über, wenn ihre Fortsetzung durch kompensirende Beugung im Hüftge- lenke bis zur Berührung des Bodens durch die Tubera ischii ermöglicht wird. Bei der stärksten Flexion des Femur gegen die Tibia berühren jedoch die Tubera ischii den Boden noch nicht; und deshalb ist der letzte Theil des Niederhockens immer ein Rückwärtsfallen um die gemeinschaftliche Axe beider Fussgelenke oder um den hinteren Rand der Fersen oder um beide, wodurch das Knie zugleich bedeutend nach rückwärts geschoben wird. In geringerem Grade ausgeführt oder in ihrer Ausführung durch die Berührung der Tubera ischi mit irgend einem feststehenden Gegenstande unter- brochen ist diese Bewegung diejenige des Niedersitzens. Das Niederknieen ist seiner wahren Natur nach we- niger eine Kniebeugung als eine Bewegung des ganzen Kör- pers um die Axe der Metatarsusköpfehen nach vorn, welche aber durch Kniebeugung kompensirt bis zur Berührung des Bodens durch die Kniee geführt werden kann. Fussgelenk, Hüftgelenk und auch Kniegelenk können dabei in den ver- schiedensten Graden der Beugung sein, vorausgesetzt nur, dass diese sich gegenseitig zur Unterstützung des Schwer- punktes kompensiren. Wird die Bewegung des Niederhockens oder des Nieder- knieens nur mit einem Beine ausgeführt, dann kann die seitliche Aequilibrirung ganz allein durch Rotation des Femur 537 im Kniegelenke zu Stande kommen, wie in dem vorher be- sprochenen Versuche III. Die gewöhnliche Art des Niederlassens auf ein Knie, wobei die ganze Fusssohle des anderen Beines mit dem Bo- den in Berührung bleibt, besteht in einer niederhockenden Bewegung des einen und einer niederknieenden Bewegung des anderen Beines. Diese Art des Niederknieens wird des- halb vorzugsweise geübt, weil sie dem Rumpfe eine sehr freie Beweglichkeit nach hinten und nach vorn gewährt und mit grosser Leichtigkeit aus einem jeden Schritte dadurch erzeugt werden kann, dass die Senkung des Rumpfes weiter geführt wird, als bei der Schrittbewegung; die gebeugte Stel- lung des vorderen Beines ist ja bei jedem Schritte schon der Anfang einer niederhockenden — und das Umfallen des hin- teren Beines um die Axe der Metatarsusköpfehen schon der Anfang einer niederknieenden Bewegung, bei welcher häufig genug, namentlich beim Bergabgehen, eine beträchtliche Beu- gung des Kniegelenkes Statt findet. Der Gang mit dem Kniegelenke. In dem Bisherigen sind die Elemente zum Verständnisse eines Ganges enthalten, welcher dadurch zu Stande kommen kann, dass nur in dem Kniegelenke eine primäre Bewegung Statt findet. Wie die Hebung und Senkung des Rumpfes durch die Bewegungen des Kniegelenkes geschieht, wie da- bei die Aequilibrirung stets durch die Bewegung selbst er- zeugt und wie sogar die kompensirende Hüftgelenkbeugung dureh dieselbe eingeleitet wird, wurde in dem Behandelten nachgewiesen und damit die Möglichkeit gezeigt, dass durch nur primäre Kniebewegung eine Gehbewegung zu Stande kommen kann. Ich habe nur noch ein Wort über die Pendelung bei einem nur mit den Knieen ausgeführten Gang zu sagen. Für die Pendelung ist Raum in der Höhe und seitlicher Raum nothwendig. Der Raum in der Höhe wird dadurch gegeben, dass das stützende vordere Bein sich im Kniegelenke streckt; das hintere gelöste Bein kann dann an dem gestreckten ste- 538 henden vorbei pendeln, und es ist dieses um so leichter mög- lich, als bei dem Loslösen immer eine Kniebeugung sich ein- zustellen pflegt; diese erscheint aber als Wirkung der Schwere und auch als Nebenwirkung der M. gastrocnemii, welche das Fussgelenk strecken, wenn dieses bei dem Gange betheiligt ist. — Der seitliche Raum für die Pendelung wird dadurch gewonnen, dass durch die in der Streckung gegebene Auf- hebung der äquilibrirenden Rotation des Femur im Knie der ganze Rumpf nach der Seite des schwingenden Beines hin- bewegt wird. Wenn aber dadurch der Aufhängepunkt des letzteren mehr nach aussen geführt wird und dennoch, wie der Versuch lehrt, ein Fuss immer vor den andern gesetzt wird, so ist damit der Beweis geliefert, dass auch bei dem Gange mit primärer Kniebewegung eine schiefe Pendelung des Beines Statt findet. Anhang: Ueber die Unbestimmtheit der Lage des Pro- montoriums und über die Bestimmung der Becken- neigung. Ich habe bereits in meinem ersten Beitrage (S. 30) Ein- sprache gethan gegen die Anwendung der Conjugata zur Be- stimmung der Beckenneigung und habe mich dabei vorzugs- weise auf die wandelbare Lage des Promontoriums berufen; — aus dem gleichen Grunde habe ich in dem vorstehenden Aufsatze nur unter grossen Beschränkungen die Lagenbe- stimmung des Schwerpunktes nach dem Promontorium unter- nommen. Ich habe nun diese Bemerkungen über das Pro- montorinm noch zu motiviren. Ich könnte mich zwar für diesen Zweck auf das berufen, was ich an einem anderen Orte*) bereits über die Gestaltung der Beckenformen gesagt *) Henle und Pfeufers Zeitschrift. N. F. Band IH. S. 173. 539 habe, welche durch Rhachitis und durch Osteomalaeie des Beckens bedingt werden, denn diese sind nur extreme For- men, die durch ungewöhnliche Gradverhältnisse in dem Zu- sammenwirken der beiden Faktoren entstehen, welche die Gestalt des Kreuzbeins und somit die Lage des Promonto- riums in allen Individuen bedingen, des Druckes der Schwere nämlich und des Gegendruckes der Kreuzbeinwirbel, — aber ich will meinen Satz auf die Untersuchung einer Anzahl von Becken gründen, welche zu den gesunden Formen gerechnet werden. Es wird sich durch diese Untersuchung zeigen, dass die Lage des Promontoriums keine genauere Bestimmung zu- lässt, als die Lage der höchsten Stelle der Brust- oder Hals- wirbelsäule, indem sie von denselben Verhältnissen wie diese abhängig ist. Ich benutze für die Untersuchung die Profilprojektion von 11 Becken, 3 männlichen (1.2. 3.) und 8 weiblichen, welche durch Messungen gewonnen und auf Papier entworfen ist. Die Becken haben die mannichfachste Gestalt, gehören aber alle zu den „normal gebauten,“ d. h. es sind solche, bei welchen eine entschiedenere Abweichung von dem typischen Bau nicht in die Augen fallend oder nur auf Einzelnheiten beschränkt ist. - Als erste Aufgabe muss es erscheinen, irgend ein, wenn auch nur annähernd, konstantes Verhältniss zu finden, wel- ches als Ausgangspunkt weiterer Bestimmungen dienen könne; die Schwierigkeit dieser Aufgabe erscheint als keine geringe, wenn man an die verschiedenen Momente denkt, deren Zu- sammenwirken die Beckengestalt bestimmt, von welchen die hauptsächlichsten sind: Schwere, Resistenzfähigkeit der Kno- chen nnd Muskelzug. Möglichst konstante Verhältnisse kön- nen nur da gefunden werden, wo möglichst wenig Einfluss der bezeichneten Momente wirksam werden kann. Auf den oberhalb der Pfanne liegenden Theil des Beckens wirkt vor- zugsweise die Schwere des Rumpfes gestaltgebend, auf den unterhalb der Pfanne liegenden Theil vorzugsweise die Wir- kung der Oberschenkelmuskeln; an der Grenze zwischen bei- den Theilen, wo diese beiderlei Einflüsse nur in ihrem Mini- 540 i mum wirksam sind, werden wir deshalb ein möglichst kon- stantes Verhältniss antreffen. Welches diese Grenze sei, ist am Kreuzbeine sehr scharf ausgesprochen. In der Mitte des dritten Kreuzbeinwirbels findet sich nämlich an der vorderen Fläche desselben immer eine Einknickung, welche den nach oben gelegenen Beckentheil und den nach unten gelegenen Perinäaltheil des Kreuzbeines von einander trennt; — die Gestalt und Lage des ersteren bestimmt der Druck der Schwere, diejenige des letzteren die Thätigkeit einiger Mus- keln; für die erstere Einwirkung ist aber die Resistenzfähig- keit der Knochen von viel grösserer Bedeutung als für die letztere; der Beckentheil des Kreuzbeines muss deshalb we- gen grösserer Mannichfaltigkeit der gestaltgebenden Momente variablere Verhältnisse zeigen als der Perinäaltheil desselben, und diese Verhältnisse müssen sich namentlich in der Lage- rung des Promontoriums aussprechen. Die Verbindungslinie desselben mit dem oberen Endpunkte der Symphysis ossium pubis (die Conjugata) kann daher keine so konstante Lage gegen den Horizont haben, dass sie als Bestimmungsmittel für die Lage des Beckens angewendet werden dürfte. Aus wiederholt von verschiedenen Forschern angestellten Messun- gen erfahren wir auch, dass die mittlere Neigung der Con- jugata gegen den Horizont allerdings 60° betrage, dass aber bedeutende Schwankungen wahrgenommen werden, als deren Grenzen Krause 55° und 65° angiebt. Wir sind daher genöthigt, eine andere Linie zu suchen, welche genauer die Beckenlage bezeichnen kann; und es drängt sich hier die Aussicht auf, dass eine solche Linie ge- funden werden könne, deren Ausgangspunkt eben jene Stelle des Kreuzbeines in der Mitte des dritten Wirbels ist, welche durch ihre Einknickung das Ende der Einwirkung der Schwere bezeichnet. Welcher Punkt soll aber der Endpunkt dieser Linie sein? Es ist keine Wahl, es muss der obere Symphy- senpunkt*) sein, denn ein anderer benutzbarer ist nicht vor- *) Mit diesem Namen bezeichne ich denjenigen Punkt der Sym- physis ossium pubis, welcher gerade zwischen den beiden Tubercula pubis gelegen ist. 541 handen und es gilt nur noch sich zu überzeugen, dass der- selbe auch für Gewinnung konstanterer Verhältnisse geeignet sei. Wir thun dieses, indem wir die Lage der mit seiner Hülfe gewonnenen Linie zu Theilen untersuchen, welchen wir eine konstantere Lage zugestehen müssen, also zu dem unteren Theile des Kreuzbeins und namentlich zu dem Sitz- Scham-Bein, dessen Lage durch die Wirkung der Oberschen- kelmuskeln bestimmt wird und deshalb eine ähnliche Gleich- mässigkeit ın verschiedenen Individuen haben muss, wie die Ausbildung dieser Muskeln. — Ich nenne jene Linie, welche den oberen Symphysenpunkt mit dem Mittelpunkte der vor- deren Fläche des dritten Kreuzbeinwirbels verbindet, die Normalconjugata*) und untersuche zuerst, welche Win- kel dieselbe bildet gegen 1) die Verbindungsliuie des oberen Symphysenpunktes mit dem hinteren oberen Punkte des Tuber ischii (in der Profilprojektion) — I, 2) die Verbindungslinie des oberen Symphysenpunktes mit dem Mittelpunkte des un- teren vorderen Randes des fünften Kreuzbeinwirbelkörpers — II, und 3) die Conjugata — III. Becken. 18 II. III. \ 40° 220 330 2 38 19 30 EM 40 23 34 4 4 21 32 5 38 18 33 6 al 18 28 7 42 19 al 8 39 19 27 9 38 19 26 10 39 20 29 ae ae A 21 1 Mittel: 39%,,%. 191040. 301440. Differenz der Extreme: 42—-38=4°, 23-18=5°. 34—-26=8°, *) In dem erwähnten Aufsatze in der Zeitschrift von Henle und Pfeufer habe ich dieser Linie den ganz angemessen erscheinenden Namen „diagonaler gerader Durchmesser“ gegeben; ich ünde 542 Diese Zusammenstellung lehrt sogleich, dass die Normal- eonjugata und die beiden unter 1 und 2 angegebenen Linien ein so konstantes Lagenverhältniss zu einander haben, dass eine derselben zur Bestimmung der Beckenneigung angewen- det werden kann, wenn wir nur für dieselbe die Wahrschein- lichkeit einer konstanteren Lage hinstellen können. Diese Wahrscheinlichkeit können wir aber der Linie 1 beimessen, weil ihre Lage durch die Wirkung der Oberschenkelmusku- latur bestimmt wird. Wir werden auch keinen Augenblick anstehen, aus der Zahl dieser drei Linien die Normaleonju- gata zu wählen, weil diese wenigstens einen Endpunkt hat, auf dessen Lagerung möglichst wenig Einflüsse einwirken. — Die Konstantheit der unter I. stehenden Winkel ist nament- lich auffallend, weil bei einem Mittel von 39%4,° die Diffe- renz der Extreme nur 4° beträgt; etwas weniger günstig er- scheinen die Zahlen unter II., weil die Differenz der Extreme auf ein Mittel von 19!%/,° 5° beträgt, jedoch wird das Ver- hältniss viel günstiger, wenn wir bedenken, dass 7 von die- sen Zahlen zwischen 19 und 21 fallen. — Ganz anders ist es mit den Zahlen unter III. Nicht nur finden wir hier auf ein Mittel von 30%14,° eine Differenz der Extreme von 8°, sondern zwischen 29 und 31 fallen auch nur 4 von diesen Zahlen. Wir sind demnach berechtigt, die Normalconjugata zur Neigungsbestimmung des Beckens zu verwenden, weil sie eine möglichst konstante Lage zu anderen geraden Becken- durchmessern hat, denen wir nur geringe Veränderlichkeit der Lage beimessen dürfen. Aber welche Neigung gegen die Horizontale soll die Normalconjugata besitzen? Wir dürfen, um dieses zu bestimmen, das unter III. stehende Mittel ver- wenden, welches uns lehrt, dass die Conjugata eine mittlere Neigung von 30° gegen die Normalconjugata besitzt; — da nun aber nach zahlreichen Bestimmungen der verschiedensten Forscher die mittlere Neigung der Conjugata gegen den Ho- mich aber veranlasst, diesen Namen gegen den obigen zu vertauschen, um Verwethselungen mit der „Diagonalconjugata“ der Geburts- helfer zu vermeiden, - 543 rizont 60° beträgt, so ist die Neigung der Normalcon- jugata auf 30° gegen den Horizont zu bestimmen. Wir werden diesen Satz um so lieber annehmen, wenn wir die mögliche Schwankung der Conjugataneigung um 10° (65° — 55°) mit der Grösse 8° der Schwankungen des Win- kels (IIL) vergleichen, welchen die Conjugata gegen die Nor- malconjugata hat, denn wir ersehen daraus, dass die Schwan- kungen der Grösse dieses Winkels hinreichen, um die Schwan- kungen in der Neigung der Conjugata gegen den Horizont zu erklären. i Ziehe ich nun in meinen Konstruktionen eine Linie, welche von dem oberen Symphysenpunkte beginnend nach hinten geht und 30° unter der Normalconjugata bleibt, so darf ich diese nach dem Obigen als die absolute Horizontale ansehen; und habe nur noch zu prüfen, ob diese Linie kon- stantere Verhältnisse an der unteren Beckenapertur zeigt, und ob solche Verhältnisse mit Erfahrungen übereinstimmen, welche auf anderem Wege gewonnen sind. In dieser Beziehung finde ich es vor Allem bemerkenswerth, dass die eben bezeichnete Horizontale an 9 von meinen 11 Beckenkonstruktionen durch den dritten Steissbeinwirbel geht; — an den Becken Nr. 7 und Nr. 9 geht sie dicht unter der Steissbeinspitze hindurch; bei beiden findet sich eine sehr starke Krümmung des Steiss- beins, welche aber bei beiden offenbar nur Folge der Prä- paration ist, indem schon der erste Steissbeinwirbel eine auf- fallende Abknickung nach oben zeigt; gebe ich den beiden "Steissbeinen eine solche Stellung, dass ihre Krümmung in Kontinuität steht mit der Krümmung des Kreuzbeines, dann geht bei Nr. 7 die Horizontale ebenfalls durch den dritten, bei Nr. 9 aber durch den vierten Steissbeinwirbel. Wir dür- fen demnach sagen, dass die bezeichnete Horizontale eine konstante Lage gegen die Steissbeinspitze hat. — Bemerkenswerth ist ferner noch die sehr konstante Lage der Horizontalen zum oberen geraden Durchmesser der un- teren Beckenapertur, Ich gebe den Winkel, welchen beide Linien gegen einander haben, unter IV. und stelle unter V. die Neigung der Conjugata zur Horizontalen daneben. Becken. IV. V. 1 220 630 2 29 60 3 23 64 4 22 62 5 24 63 6 24 58 7 24 61 8 25 57 9 28 56 10 24 59 11 25 61 Mittel: 24/,°. 60%,,°. Differenz der Extreme: 29—22=7°. 64-56=8°, Es könnte auf den ersten Anblick erscheinen, als ob die Zahlen unter IV. ungünstiger wären, als die unter V.; ge- nauere Prüfung beseitigt aber diese Meinung, indem die dem Mittel zunächst stehenden Zahlen 24 und 25 bei 6 Becken gefunden werden, und indem nach Wegnahme der beiden. ' Zahlen 28 und 29 unter den anderen Zahlen die Differenz nicht mehr als 3 beträgt. Bei V. kömmt dagegen der dem Mittel zunächst stehende Werth von 60 und 61 nur dreimal vor, und alle Zahlen zwischen den Extremen 56 und 64 sind in der Reihe zu finden. — Das Mittel unter IV. 245/,° stimmt auch sehr gut zu der Angabe von Krause, dass der obere gerade Durchmesser der unteren Beckenapertur eine Neigung von 20° gegen den Horizont besitze. Auf die obige Entwickelung mich stützend, darf ich dem- nach den Satz aussprechen, dass eine möglichst allge- mein gültige Bestimmung der Beckenstellung im aufrechten Stehen dadurch gegeben wird, dassman der von mir aufgestellten Normalconjugata eine Neigung von 30° gegen den Horizont beimisst. Ich bin nun durch die Bestimmung einer Horizontalen in den Stand gesetzt, Angaben zu machen, durch welche. das Schwankende in der Lage des Promontoriums hinlänglich 545 hingestellt wird, und theile für diesen Zweck folgende Mes- sungen mit, nämlich unter: VI. Die Entfernung des Promontorinms von der durch den oberen Symphysenpunkt gehenden Horizontalen (verti- kaler Abstand des Promontoriums von dem oberen Symphy- senpunkte). VI. Grösse eines Abschnittes dieser Horizontalen, wel- cher zwischen dem oberen Symphysenpunkte und einer aus dem Promontorium gefällten Senkrechten liegt (horizontaler Abstand des Promontoriums von dem oberen Symphysen- punkte). VII. Entfernung des Promontoriums von der Normal- conjugata. - IX. Länge der Conjugata. X. Entfernung des Promontoriums von dem Pfannen- mittelpunkte. XI. Lage des Pfannenmittelpunktes vor (+) oder hinter (-) einer aus dem Promontorium gefällten Senkrechten. XII. Winkel zwischen der Conjugata und der Sehne des Beckentheiles des Kreuzbeines. (Die Längenmaasse sind alle in Millimetern ausgedrückt.) Becken. VI. VI. VII. IX. X. XI XI 1 Da EIER 23 He 2a 79 2 4 048 438.97 72 -5,5 106 3 9 Aa eo 10 83 +5, 9 4 1 De 15 15 +3 % 5 108 53.63; 115 92u0013,5 92 6 94 58 53 110 73 +13 Ü ae I ER FETT 4 95 8 BO aA 106, 70, —,1,5' 108 1) 109 72 57 130 90 +13 101 10 94 48.557 0105 084 045 8 11 108 Sy 12 Th 90 Mittel: 100'%, 55%, 58%, 114%, 86%, + 4/2 9417,90 Maximum: 119 72 71 135 105 +18 108° Minimum: 84 48 48 9Uu,.70 „5b . 798 Differenz: 35 24 23 38 35 23,5 29° Müller's Archiv. 1859. 35 546 Diese Zahlen beweisen hinlänglich, dass das Promonto- tium eine so wenig konstante Lage hat, dass es für Lagen- bestimmungen mit absoluten Maassen sehr ungeeignet und jedenfalls von allen Punkten an dem Becken der ungeeig- netste ist. (Vgl. übrigens noch den Aufsatz über die Entste- hung der Beckenmissstaltungen in der Zeitschrift von Henle und Pfeufer. N. F. Band Ill. S. 173.) v Erklärung der Abbildungen. In Fig. 1. gebe ich etwas verkleinert die Profilkurven der beiden Condyli femoris, «. des inneren, — b. des äusseren. Der mit unter- brochener Linie gezeichnete Theil des inneren Kondylus ist der der schiefen Axe zugehörige Theil desselben. Fig. 2u.3. giebt eine Darstellung des hinteren Hemmungsappa- rates der Cartilago semilunaris externa. — In Fig. 2. sind dargestellt: a. Der Arcus poplitaeus ohne seinen äusseren Anheftungs- zipfel. b. Das Ligamentum laterale externum posterius., ce. Die Habena cartilaginis semilunaris externi. d. Die abgeschnittene Sehne des M. poplitaeus. Fig. 3. zeigt das Verhältniss des M. poplitaeus zu diesem Band- apparat; zugleich ist in derselben Figur der äussere Anheftungszipfel des Arcus poplitaeus (e) dargestellt. i (In Fig. 2. sind die drei Elemente des Apparates etwas mehr auseinander gehalten, als es in Wirklichkeit derFall ist; ich musste dieses im Interesse der Deutlichkeit thun.) Fig. 4. . Ligamentum ileo -tibiale. . Dessen Ansatz an der Tibia. . Retinaculum patellae externum. . Ligamentum laterale genu externum anterius, Ligamentum laterale genu externum posterius, in sei- ner Richtung mit dem vorhergehenden gekreuzt. Ligamentum laterale genu internum anterius. . Tibiaansatz des M. vastus internus. . Patellaansatz des M. vastus internus. . Retinaculum patellae internum. . Ansatz der Muskelgruppe: sartorius, gracilis, semi- tendinosus. Fig.6. DieLage des Schwerpunktes in der Profilprojektion beim aufrechten Stehen eingezeichnet in einen Theil des Weberschen Abdruckes der Wirbelsäule und des Beckens. vrabi > Fig. 5. ybunb 547 kh. Die absolute Horizontale. vv. Die absolute Vertikale, in welcher der Schwerpunkt liegt. Die Bestimmungen $S’ und S” sind mit Hülfe der Weberschen Bestimmung der Lage des Schwerpunktes (8,7 Mm. über dem Promon- torium) gewonnen. Die Bestimmung $’ ist gültig, wenn unter „Pro- montorium“ p. zu verstehen ist, — 8” dagegen, wenn mit diesem Namen der Punkt P. gemeint ist. — Die Bestimmung S’’ ist gewon- nen durch die von mir bestimmte Entfernung des Schwerpunktes von der gemeiaschaftlichen Axe beider Hüftgelenke. Ueber den Grad der Genauigkeit dieser Bestimmungen und die Bedingungen ihrer Gültig- keit vgl. den Text. N. ist die Einknickung des dritten Kreuzbeinwirbels, welche das hintere Ende meiner Normalkonjugata bezeichnet. Ueber die Abweichung meiner Horizontalen von derjenigen, welche die Gebrüder Weber auf ihrem Abdrucke gezogen haben, findet sich eine Erklärung in demjenigen, was in dem Vorhergehenden über die Beckenneigung gesagt ist. Genaueren Nachweis über die Fehlerquelle in dieser Weberschen Bestimmung der Horizontalen wird eine bald erscheinende Arbeit über die Gestalt der Wirbelsäule geben. 36* 548 Die Individualitäten des aufrechten Ganges. Von Prof. HERMANN MEYER in Zürich. (Vierter Beitrag zur Lehre von der Mechanik des menschlichen Knochen- gerüstes. ) (Hierzu Taf. XVII. u. XVIII.) Ich habe in den beiden früheren Aufsätzen über den auf- rechten Gang die einzelnen einfachen Elemente untersucht, welche den gewöhnlichen Gang zusammensetzen, indem ich die Grenzen der Vor- und Rückwärtsbewegung aufsuchte, innerhalb welcher der Schwerpunkt unterstützt ist, — indem ich die Gesetze der seitlichen Aequilibrirung unter verschie- denen Verhältnissen bestimmte, — und indem ich das Zu- standekommen und die Wirkung der Bewegungen in dem Fussgelenke, dem Hüftgelenke und dem Kniegelenke ermit- telte. Ich habe nun an diese Vorstudien noch die Unter- suchung anzureihen, wie die gewöhnlichen Arten des Ganges und deren Varietäten zu Stande kommen. Bei dieser Gele- genheit habe ich etwas weitläufiger die Gesetze zu unter- suchen, nach welchen überhaupt eine Vorwärtsbewegung des Rumpfes durch Hülfe der Beine zu Stande kommen kann. Wenn wir aber die eben gestellte Aufgabe ins Auge fas- sen, so drängt sich uns zuerst die Bemerkung auf, dass bei verschiedenen Individuen eine so grosse Verschiedenheit der Gangbewegung besteht, und dass ein jedes einzelne Indivi- duum sogar in dem gewöhnlichen Gehen je nach Laune oder Bedürfniss so häufig in der Art seiner Gangbewegung ab- wechselt, dass es als eine vollständige Unmöglichkeit er- scheinen muss, eine einzelne Gangart als Gang xar 2&oyn» zu beschreiben. Es muss dieses anch natürlich erscheinen, 540 wenn wir bedenken, dass der „Gang“ nichts Gegebenes ist, sondern nur überhaupt in einer Vorwärtsbewegung des Kör- pers mit Hülfe der Beine besteht, — dass bei einem so kom- plizirten Apparate, wie das Bein einer ist, die mannichfachste Art der Anwendung für den bezeichneten Zweck möglich ist, — und dass ein Jeder „geht,“ wie er eben kann oder mag. Wir sind deshalb genöthigt, uns auf die Untersuchung zu beschränken, durch welche Hülfsmittel und welche Kom- bination derselben überhaupt ein „Gang“ zu Stande kommen kann. Wir lernen dadurch nicht nur alle Modifikationen des Ganges kennen, welche bei Gesunden vorkommen können oder vorkommen, denen alle Hülfsmittel für den Gang zu Gebote stehen, sondern wir finden damit auch zugleich den Schlüssel für Erklärung aller „krankhaften* Gangarten, d.h. der Gangarten derjenigen Individuen, bei welchen ein oder das andere Hülfsmittel des Ganges aus beliebiger Ursache ausfällt, so dass das betreffende Individuum sich auf die An- wendung der übrigen beschränken muss. Zwei Grundgesetze des Ganges und deren Kom- bination. Die Anwendung der Beine zum Zustandekommen einer Vorwärtsbewegung des Körpers kann nach zwei gänzlich von einander verschiedenen Grundgesetzen geschehen. Nach dem einen wird der Rumpf in einer horizontalen Ebene vorwärts bewegt, — nach dem anderen in einer vertikalen. Bei beiden kommen ganz verschiedene mechanische Grund- lagen in Anwendung. Erstes Grundgesetz: Die einfachste mit den wenig- sten Hülfsmitteln zu Stande kommende Art der Ortsbewe- gung durch Anwendung der Beine ist die Drehung um eine vertikale Axe in dem Hüftgelenke eines feststehenden Beines. Nach vorangegangener Beugung des Rumpfes im Hüftgelenke nach vorn, wodurch das Ligamentum superius erschlafft wird, findet eine Seitwärtsbeugung im Hüftgelenke statt, durch welche eine Aequilibrirung des Rumpfes auf einem (z. B. dem linken) Beine erzeugt und zugleich der 550 rechte Fuss etwas von dem Boden erhoben wird. Eine Ro- tation des ganzen Rumpfes um eine senkrechte Axe in dem linken Hüftgelenke führt dann die rechte Beckenhälfte und mit ihr das rechte Bein in einem horizontal liegenden Kreisbogen nach vorn und innen. Mit dem Nachlasse der Thätigkeit der Muskeln, welche die Seitwärtsbeugung erzeugt haben, wird das Gleichgewicht aufgehoben und das vorher gehobene rechte Bein kömmt durch Vermittelung der Schwere wieder in Berührung mit dem Boden, um nun die Rolle zu übernehmen, welche das linke Bein gehabt hatte. — Bei die- ser Art der Fortbewegung wird also ein jedes Hüftgelenk abwechselnd zum Mittelpunkte einer horizontalen Kreisbewe- gung des Beckens sammt dem anderen Beine; auf ähnliche Weise lässt man einen Zirkel über das Papier hingehen, in- dem man mit der rechten Spitze einen kleinen Kreisbogen um die linke beschreibt, dann diese fixirt und in der gleichen Hauptrichtung wieder die linke Spitze in einen Kreisbogen um die rechte führt. — Dabei kann natürlich die Stellung der Beine in sich sein, welche sie will, und dieselbe wird nur einen Einfluss auf die Ausgiebigkeit des einzelnen so entstandenen Schrittes haben können; am ausgiebigsten wird der Schritt aus leicht einzusehenden Gründen bei in sich gestrecktem Beine, welches in dem Hüftgelenke in Abduk- tion steht. Ziemlich rein findet sich dieses Grundgesetz angewendet in dem Gange, welchen Personen annehmen müssen, die ein hölzernes Bein besitzen; bei diesen kömmt die Vorwärtsbe- wegung des hölzernen Beines auf diese Weise zu Stande. Zweites Grundgesetz. — Die zweite Art der Fort- bewegung des Rumpfes durch die Beine besteht darin, dass durch Beuge- und Streckbewegungen der Beine der Rumpf in einem vertikal liegenden Bogen vorwärts bewegt wird, wobei abwechselnd das eine und das andere Bein mass- gebend für das Zustandekommen des Bogens wird und den oder die Mittelpunkte der Bewegung als horizontaleAxen in sich enthält. Diese Bewegung ist diejenige, welche die Gebrüder Weber untersucht haben; jedoch legen sie einer 551 in der Bildung dieses Bogens Theil nehmenden Fallbewegung zu viele Wichtigkeit bei, indem sie dieselbe als die Haupt- sache ansehen. Ich habe übrigens nachher noch die Ent- stehung dieses Bogens weitläufiger zu behandeln, und werde alsdann die dafür zusammenwirkenden Momente genauer un- tersuchen und begnüge mich deshalb für jetzt mit der Auf- stellung dieses Gesetzes im Allgemeinen. Kombination. Bei den gewöhnlichen Gangarten findet sich das erste Grundgesetz für sich allein nie angewendet, denn es ist zu mühsam und zu wenig ausgiebig, auf diese Art vorwärts zu schreiten. Häufiger findet sich das zweite Grundgesetz ziemlich rein angewendet. Das Gewöhnlichste aber ist eine Vereinigung beider, wobei der Schwerpunkt iu einem schiefliegenden Bogen vorwärts geführt wird, der eine jede beliebige Neigung zwischen der senkrechten und der wagerechten haben kaun. So viele verschiedene Neigungen hier möglich sind, eben so viele Individualitäten des Ganges sind schon allein durch dieses Moment gegeben. Herrscht die Anwendung des ersten Grundgesetzes vor, so hat der Gang etwas Wackelndes durch die nothwendig damit verbundenen horizontalen Schwankungen. Wir finden diesen Gang häufig bei sehr fetten Leuten, welche wegen bedeutenderer Schwere des Rumpfes das Prinzip des Hebens und Senkens desselben nur schwer anwenden können, — wir finden ihn aus dem gleichen Grunde bei Schwangeren, — wir finden ihn ferner bei Personen, welche Lasten auf dem Kopfe tragen, namentlich solche Lasten, welche vertikale Schwankungen nicht vertragen, wie z. B. gefüllte Wasser- eimer; — wir finden ihn bei Personen, welche dem Gange dadurch etwas Gravitätisches geben wollen, dass sie mit mög- lichst wenig Streck- und Beugebewegung in den Beinen doch möglichst weite Schritte nehmen u. 8. w. Herrscht die Anwendung des zweiten Grundgesetzes vor, so hat der Gang etwas Schwankes und Nickendes, wie wir dieses bei flüchtigem und schnellem Schritte sehen und bei langen Personen, deren Rumpf eine Neigung besitzt, nach vorn überzuhängen. ni But IV Die Modifikationen des zweiten Grundgesetzes. In der Ausführung der das erste Grundgesetz dar- stellenden horizontalen Bewegung sind keine wesentlichen Verschiedenheiten möglich, denn der Halbmesser der Kreis- drehung ist ein Gegebenes, nämlich die Breite des Beckens von dem Hüftmittelpunkte der feststehenden Seite an gerech- net; — und ebenso ist die Axe der Drehung eine gegebene, nämlich eine Senkrechte, in welcher Schwerpunkt des Kör- pers und Hüftmittelpunkt gelegen sind. — Die Variationen, welche hier noch möglich sind, sind sehr unbedeutend und bestehen in einer mehr oder weniger genauen Unterstützung des Schwerpunktes durch den Hülfsmittelpunkt und in der Grösse des ausgeführten Kreisbogens. Sehr viel wichtiger und bedeutender sind die Modifikatio- nen, welche in der Ausführung der Bewegung des zweiten Grundgesetzes möglich sind, denn bei dieser wirkt eine grosse Anzahl einzelner Momente zusammen, welche durch verschiedenartigste Kombination unter einander grosse Ver- schiedenheit der Erfolge bewirken können. Im Allgemeinen kann man sagen, dass der vertikale Bo- gen durch eine Kreisdrehung des Schenkelkopfes um den Mittelpunkt eines tiefer gelegenen Gelenkes zu Stande kömmt. Den Anfang seiner Erzeugung bezeichnet der Augenblick, in welchem der Fuss nach vollendeter Pendelung den Boden berührt, — und das Ende bezeichnet der Augenblick, in welchem das andere Bein den Boden berührt, um seine Be- wegung zu beginnen. Die Verschiedenheiten nun, welche sich in der Art zeigen, wie der vertikale Bogen zu Stande kömmt, gründen sich theils auf die Verwendung der tiefer liegenden Gelenke als Bewegungscentra, — theils auf die Kräfte, welche ihn hervorbringen, Die Eintheilung des vertikalen Bogens und seine Bewegungscentra. — Setzen wir zuerst das einfachste mögliche Verhältniss. Es finde ein Gang mit steifen Knieen Statt und es sei in dem Augenblicke, in welchem der eine Fuss niedergesetzt wird, der Schwerpunkt durch den hinteren Rand seiner Ferse unterstützt; dann ist die Möglichkeit ge- geben, dass das nun hintere Bein vom Boden gelöst und die Vorwärtsbewegung ganz allein dem nun stehenden Beine über- lassen wird. Eine solche kann dann nur auf die Weise ge- schehen, dass in dem Fussgelenke als Bewegungscentrum eine Bewegung ausgeführt wird, durch welche das Hüftgelenk in einem Kreisbogen so weit nach vorn bewegt wird, bis der Schwerpunkt über dem Metatarsusköpfchen steht. Aus dem, was in dem Früheren über das Stehen auf den Zehen gesagt ist, ist deutlich, dass keine andere Bewegung möglich ist, wenn nur ein einziges Gelenk Bewegungscentrum sein soll; — aus demselben geht freilich auch zugleich hervor, dass diese Bewegung eine schief nach aussen gehende ist, deshalb also auch noch eine seitlich wirkende Komponente enthält, durch welche die Aequilibrirung bedingt wird. Da wir es hier aber für jetzt nur mit den Verhältnissen zwischen hinten und vorn zu thun haben, so kann diese seitlich wirkende Komponente als für den Gegenstand der Untersuchung von keiner Bedeu- tung ausser Acht gelassen werden. Aus dem gleichen Grunde können wir auch in dem Späteren die Seitwärtsbewegung un- berücksichtigt lassen, welche bei der Kniebeugung durch Ro- tation des Femur um die Rotationsaxe des Kniegelenkes be- dingt wird. — So lange die bezeichnete Bewegung um das Fussgelenk geschieht, ist der Schwerpunkt stets durch den Fuss unterstützt und wird um 17,5 Om. vorwärts bewegt. Findet sich nun, wenn das Ende dieses Bogens erreicht ist, das unterdessen pendelnde Bein wieder auf den Boden ge- setzt und zwar so, dass der hintere Rand seiner Ferse in der Profilprojektion mit dem Mittelpunkte des Metatarsus- köpfchen I. des bis dahin stehenden Beines zusammenfällt, #0 kann dieselbe Bewegung in dem anderen Beine beginnen*). Dieses ist die einfachste, mit den wenigsten Hülfsmitteln zu Stande kommende Art der Erzeugung des vertikalen Bogens. *) Fig. 13 lehrt, dass ein Aufsetzen des Beines unter der gegebe- nen Bedingung nur mit einiger Kniebeugung möglich ist. 554 Ich will deshalb den so entstandenen Bogen als Haupt- bogen bezeichnen, in der Folge jedoch diesen Ausdruck auch anwenden, wenn die Bewegung nicht gerade in dem Fussgelenke geschieht, und will in dieser weiteren Fassung unter Hauptbogen denjenigen verstehen, welchen das Hüft- gelenk beschreibt, während der Schwerpunkt durch die Sohle unterstützt ist. \ Das Maximum des Hauptbogens kann nicht bedeutender sein, als dass die durch denselben gegebene horizontale Vor- wärtsbewegung des Hüftmittelpunktes 17,5 Cm. beträgt, d.h. die Länge vom hinteren Fersenrande bis zum Mittelpunkte des Metatarsusköpfchens I. in der Profilprojektion. Jeder Schritt könnte also nicht länger sein, als 17,5 Cm. oder für dasselbe Bein 35 Cm. — Die mittlere Schrittlänge beträgt aber ungefähr das Doppelte (etwa 70—80 Cm.)*), und diese grössere Ausdehnung des Schrittes wird ermöglicht durch die Anfügung der Ergänzungsbogen an den Hauptbogen. — Nehmen wir in dem Beispiele des Ganges mit steifen Knieen an, es sei in dem Augenblicke, in welchem der Schwerpunkt über dem Metatarsusköpfchen I. des linken Fusses ankömmt, der rechte Fuss schon niedergesetzt, jedoch so, dass der hintere Rand seiner Ferse eine Strecke weit vor dem Meta- tarsusköpfchen I. des linken Fusses liegt, dann kann das linke Bein noch nicht von dem Boden gelöst werden, ehe eine Verschiebung des Hüftgelenkes nach vorn um die ganze eben bezeichnete Strecke stattgefunden hat, deren Maximum bei steifem Knie 22 Cm. beträgt, und für diesen Zweck muss noch eine entsprechende Drehung des rechten Beines um seine Astragalusaxe geschehen. Den Bogen, welchen in die- ser Drehung das Hüftgelenk beschreibt, nenne ich den hin- teren Ergänzungsbogen und brauche auch diesen Aus- *) Es ist zu bedauern, dass Fechner in seiner dankenswerthen Notiz (Centralblatt Nr. 9,) über die gegenseitigen Grössenverhältnisse des männlichen und des weiblichen Schrittes nicht das genaue Maass des durchschrittenen Raumes angiebt, denn dadurch wäre ein sehr gutes Mittel zur Bestimmung der mittleren Schrittlänge gegeben ge- wesen, da er ec. 70,000 Schritte von c. 3000 Personen gezählt hat. 555 druck über die Grenzen des gewählten Beispieles hinaus, nämlich überhaupt für denjenigen Bogen, welchen das Hüft- gelenk des vorderen Beines beschreibt, bis nach dem Auf- setzen seines Fusses der Schwerpunkt über den hinteren Rand der Ferse geschoben ist. — Lassen wir nun aber den Schwerpunkt über dem Metatarsusköpfchen I. des linken Bei- nes angekommen sein, ehe der Fuss des rechten Beines den Boden berührt hat, dann tritt das Verhältniss ein, welches in dem „zweiten Beitrage* S. 372 besprochen ist; es fällt nämlich bei Fortsetzung der Bewegung der ganze Rumpf nach vorn, bis der rechte Fuss den Boden berührt und wei- teren Fall hemmt. Der Bogen, welchen das Hüftgelenk hier- bei beschreibt, muss stets ein Kreisbogen um den Mittelpunkt des Metatarsusköpfchens I. sein, wenn in der Gestalt des Beines selbst keine Aenderung eintritt; — nur bei an dem Boden festgeheftetem Fusse wäre auch hier der Mittelpunkt der Kreisbewegung wieder im Astragalus. Den auf solche Art entstandenen Bogen nenne ich den vorderen Ergän- zungsbogen und verstehe unter diesem Namen überhaupt _ denjenigen Bogen, welchen das Hüftgelenk des stehenden Beines durch Umfallen des ganzen Körpers nach vorn be- schreibt. — Diesen vorderen Ergänzungsbogen haben die Ge- brüder Weber mit zu vieler Wichtigkeit behandelt und als Haupttheil der Gangbewegung angesehen. Ich habe hiermit die Entstehungsweise des vertikalen Bo- gens bei dem Gange mit steifem Knie gezeigt, ich will nun noch mit wenigen Worten seine Entstehungsweise andeuten, wenn das Bein nur im Knie beweglich ist, Denken wir das vordere Bein so aufgesetzt, dass die Sohle flach auf dem Boden liegt, die Tibia in dem Maximum ihrer Flexion gegen den Fussrücken und das Knie so gebogen sei, dass die Schwerlinie noch hinter dem hinteren Rande der Ferse her- unterfällt, dann findet der hintere Ergänzungsbogen und der Hauptbogen das Bewegungscentrum in der Drehaxe des Kniees und der vordere Ergänzungsbogen wird dadurch ge- bildet, dass das ganze Bein mit dem Rumpfe um den Mittel- punkt des Metatarsusköpfchens I. fällt, wobei es diejenige 556 Koiebiegung beibehalten kann, welche es in dem Augenblicke hatte, in welchem der Schwerpunkt senkrecht über dem Me- tatarsusköpfchen I. ankam. Mit diesen beiden Arten der Entstehung der drei Elemente des vertikalen Bogens habe ich nur die typischen Formen derselben hingestellt, diejenigen nämlich, bei welchen von den Theilen des Beines entweder nur das Fussgelenk oder nur das Kniegelenk neben dem Metatarsophalangalgelenk der Zehen betheiligt ist. Beide kommen in der Wirklichkeit beim gewöhnlichen Gange nur unter aussergewöhnlichen Umstän- den vor, z.B. bei Gelenksteifigkeiten. Bei gesunden Beinen pflegen im gewöhnlichen Gange das Fussgelenk und das Knie- gelenk zusammen in Anspruch genommen zu werden. Welche verschiedene Möglichkeiten in Art oder Grad der Kombina- tion hier vorkommen können, ist unmöglich in erschöpfender Weise darzustellen; daher begnüge ich mich mit der Aufstel- lung folgender allgemeiner Sätze: Der vordere Ergänzungsbogen findet immer das Centrum seiner Bewegung in dem Mittelpunkte des Me- tatarsusköpfehens I.; das Bein kann während der Aus- führung desselben in sich eine Stellung haben oder an- nehmen, welche es will; — der hintere Ergänzungsbogen und der Hauptbogen können erzeugt werden 1. um das Centrum des Fussgelenkes bei verschiedener unverrückter Beugungsstellung des Knies, welche jedoch nicht weniger Grade als 115 haben darf, weil sonst das Maximum der Beugung der Tibia erreicht wird, ehe der Schwerpunkt über dem Metatarsusköpfchen steht; 2. um das Centrum des Kniegelenkes bei verschiedener unverrückter Beugungsstellung des Fussgelenkes, welche jedoch der Art sein muss, dass an dem mit der ganzen Sohle aufstehenden Beine die Nei- gung der Tibia gegen den Boden 75 oder weniger Grade hat, weil sonst das Maximum der Knie- 557 streckung erreicht ist, ehe der Schwerpunkt über dem Metatarsusköpfchen angekommen ist; 3. um das Centrum des Fussgelenkes, während zugleich in dem Kniegelenke eine Beugung oder Streckung innerhalb 180° und 115° Stellung des Femur gegen die Tibia geschieht; u 4, um das Centrum des Kniegelenkes, während dieses durch eine Bewegung im Fussgelenke (Beugung oder Streckung) selbst in einem Kreisbogen geführt wird, — wobei jedoch die Ferse nicht vom Boden erhoben werden darf, weil sonst der Hauptbogen ganz weg- fallen würde (vgl. was nachher über den Zehengang gesagt wird); 5. kann auch der hintere Ergänzungsbogen auf eine Art (z. B. Art 2) erzeugt werden und der Hauptbogen auf eine andere (z. B. Art 3); — dieses Verhältniss ist das im gewöhnlichen Gange am meisten geübte. ‘ Verhältniss der drei Theile des vertikalen Bo- ® gens zu einander. — Die beschriebenen drei Bogen kön- nen in das verschiedenste Verhältniss zu einander treten. Die Geschwindigkeitsverhältnisse in der Schnellig- keit ihrer Ausführung können verschieden sein, namentlich in dem hinteren Ergänzungsbogen und dem Hauptbogen, deren Ausführung der Muskelthätigkeit übergeben ist. Beide kön- nen schneller, beide langsamer ausgeführt werden, oder der eine schneller, der andere langsamer. Auf die Schnelligkeit der Ausführung des vorderen Ergänzungsbogen kann nur der Grad des Impulses von hinten (Geschwindigkeit) einen Ein- fluss äussern, mit welchem der Schwerpunkt über dem Me- tatarsusköpfehen ankömmt; mit je grösserer Geschwindigkeit dieses geschieht, um so schneller muss auch die Fallbewe- gung geschehen. } Die Grössenverhältnisse der drei Bogen treten in wichtigere und bedeutendere Beziehungen zu einander und werden die Quelle nicht nur sehr vieler individueller Modi- fikationen des Ganges, sondern auch der Entstehung fester 558 stehender Arten des Ganges. Es kann nicht nur eine un- endliche Mannichfaltigkeit in der Kombination verschiedener Grössen eines jeden der drei Bogen auftreten, sondern es kann sogar der eine oder der andere und sogar zwei Bogen gänzlich wegfallen. Das erstere bedingt mehr die Modifi- kationen des gewöhnlichen Ganges, — das letztere inehr die Entstehung besonderer Gangarten. Ich rede zuerst von diesen letzteren. In dem schleichenden Gange (schleichenden Sohlen- gange) fällt der vordere Ergänzungsbogen weg, indem immer der Schwerpunkt noch durch den hinteren Fuss unterstützt wird, bis der vordere Fuss eine sichere Stellung gewonnen hat; er ‚findet seine Anwendung beim Beschleichen, beim Gehen im Dunkeln namentlich auf unbekannten Wegen u. s. w. In dem Eilgange (Sohlen-Eilgange) fällt der hintere Ergänzungsbogen weg, indem in dem Augenblicke, in wel- chem der vordere Fuss den Boden berührt, der Schwerpunkt schon durch dessen Ferse unterstützt wird; — er findet ® Anwendung im sehr schnellen Gehen. Bei dem Zehengange fällt der Haucdien weg; denn es muss, da bei diesem die Sohle den Boden gar nicht be- rührt, sondern nur die Metatarsusköpfchen nebst den Zehen dem Rumpfe zur Unterstützung dienen, der hintere Ergän- zungsbogen, welcher den Schwerpunkt bis über das Meta- tarsusköpfchen I. bewegt, unmittelbar an den vorderen Er- gänzungsbogen angrenzen, welcher über das Metatarsusköpf- chen I. beginnt. So ist es wenigstens in dem mathematischen Schema; in Wirklichkeit findet sich aber doch ein, wenn auch sehr kleiner, Hauptbogen, weil die Unterstützung, welche der Grosszehenballen gewährt, doch eine gewisse Breite in der Richtung von vorn nach hinten besitzt. Verbindet sich mit dem Zehengange das Prinzip des schlei- chenden Schrittes, so entsteht der schleichende Zehen- gang, welcher nur den hinteren Ergänzungsbogen besitzt; — und verbindet sich mit demselben das Prinzip des Eilganges, so entsteht der Zehen-Eilgang, bei welchem nur der vor- dere Ergänzungsbogen vorhanden ist. 559 ® Ich unterscheide demnach nach dem Vorhandensein der einzelnen. der drei Theile des vertikalen Bogens folgende Gangarten: gewöhnlicher Gang — mit den drei Theilen, — schleichender Sohlengang, Sohlen-Eilgang, Zehengang — mit zwei Theilen, — schleichender Zehengang, Zehen-Eilgang mit nur einem Theile. Ich erinnere daran, dass ich in dem Obigen auch, freilich mehr als mathematische Aufgabe einen Gang aufgestellt habe, welcher nur aus Hauptbogen besteht und den man stampfenden Gang nennen könnte, so dass demnach ein jeder der drei Theile des vertikalen Bogens schon für sich zur Erzeugung einer Ganghbewegung genügt. Ich gebe noch eine Uebersicht dieser Gangarten, indem ich das Vorhandensein eines Bogens mit (+), das Fehlen desselben mit (—-) bezeichne, und füge noch die Hinweisung auf die entsprechenden Figuren zu. F n Hinterer Haupt- Vorderer igur. angart. rgänzungs- “ Ergänzungs- . bogen. Bogap: ode, ? 7. 16. gewöhnlieher Gang + . en 10. schleichender Sohlen- I gang + 2 = 9. Sohlen-Eilgang = + us 8. Zehengang + = + 12. schleichender Zehen- ni 2 £ gang Er — — - 11.» Zehen-Eilgang _ = as +13. stampfender Gang - # en ” "Soll ich nun noch eine Karakteristik der Modifikatio- nen des gewöhnlichen Ganges geben, so muss ich in der ganzen Fortbewegungslinie, welche der Rumpf in meh- reren Schritten beschreibt, zuerst zweierlei Abschnitte unter- scheiden: es sind die Abschnitte, welche den Hauptbogen entsprechen und die zwischenliegenden Abschnitte, deren jeder den vorderen Ergänzungsbogen je eines hinteren und den hinteren Ergänzungsbogen je eines vorderen Beines enthält. Ich will diese Abschnitte als Hauptbogenabschnitte und Ergänzungsabschnitte bezeichnen. Der gewöhnliche Schritt mit einem Beine besitzt 70— 80 Cm. Länge. Da nun 560 auf denselben auch zwei Fusslängen von zusammen 35 Cm® Länge kommen, und da die Fusslänge in der Grösse genau der Horizontalprojektion des Hauptbogens gleich ist, so fallen von der Länge eines Schrittes 35 Cm. auf die beiden Haupt- bogenabschnitte und 35—45 Cm. auf die beiden Ergänzungs- absehnitte. Um eine bestimmte Norm aufzustellen, können wir demnach festsetzen, dass bei dem gewöhnlichen Gange die Hauptbogenabschnitte gerade so gross sein sollen, als die zwischenliegenden Ergänzungsabschnitte. Die Hauptbogen- abschnitte sind aber ein Gegebenes und deshalb von unver- änderlicher Grösse bei demselben Individuum ; die Ergänzungs- abschnitte dagegen sind wandelbar in ihrer Grösse und so- mit auch ihr Verhältniss zu den Hauptbogenabschnitten ein veränderliches. Werden sie kleiner als diese, so wird der Gang dem stampfenden Gange ähnlicher, denn in diesem sind sie gleich Null, — ich nenne diesen Gang „kurzen Schritt; * werden sie dagegen grösser, so entsteht ein behenderer, a.’ giebiger Gang, den ich „langen Schritt“ nennen will; da Verhältniss der Gleichheit beider Abschnitte nenne ich „mitt, leren Schritt“ *). In dem einzelnen Ergänzungsabschnitte sind aber wieder die beiden Elemente zu trennen, aus welchen er zusammen- gesetzt ist. Je nachdem nun die Grenze zwischen beiden dem vorderen oder dem hinteren Beine näher liegt, werden die vorderen oder die hinteren Ergänzungsbogen grösser. Nehmen wir, um wieder eine Norm aufzustellen, an, das riehtige Verhältniss zwischen beiden Elementen sei das der gleichen Grösse und nennen wir den Gang, bei welchem diese Bedingung erfüllt ist, „ruhigen Schritt.“ Je weiter nun nach vorn in der vorderen Hälfte des Ergänzungsabschnittes die Grenze zwischen beiden Elementen fällt, um so mehr nähert sich der Gang dem Eilgange, in welchem das vordere Element gleich Null ist; — je weiter dagegen nach hinten *) Ich habe die Gangarten durch den Ausdruck „Gang“ bezeich- net und wähle den oft synonym gebrauchten Ausdruck „Schritt,“ um die Varietäten des „gewöhnlichen Ganges“ zu benennen, i “ 561 in der hinteren Hälfte des Ergänzungsabsehnittes die Grenze fällt, um so mehr nähert sich der Gang dem schleichenden Gange, denn in diesem ist das hintere Element gleich Null. Ich nenne den zwischen dem ruhigen Schritte und dem Eil- gange liegenden Gang den „flüchtigen Schritt,“ den zwi- schen dem ruhigen Schritte und dem schleichenden Gange liegenden „trägen Schritt.“ Ich habe wohl kaum nöthig, darauf aufmerksam zu machen, dass diese drei Varietäten, als auf der Theilung des Ergänzungsabschnittes beruhend, als Unterabtheilungen einer jeden der drei vorher aufge- stellten Varietäten vorkommen können und dass demnach mit dieser Eintheilung neun Varietäten des „gewöhnlichen Ganges“ aufgestellt sind. Ich gebe nun noch eine Uebersicht dieser Modifikationen in einer tabellarischen Zusammenstellung, indem ich dabei die oben aufgestellten Normen als Grundlage nehme und das bei denselben geltende Verhältniss durch Zahlwerthe ausdrücke, welche jedoch für sich natürlich keinen absoluten Werth ha- ben, noch auch haben können. Die unbestimmten Zwischen- werthe bezeichne ich durch die senkrecht gestellten Zeichen des Wachsthums und der Abnahme (V und \), so dass also das /\ bei „kurzer Gang“ einen Werth bezeichnet, der zwi- schen 0 und 2 liegt, oder von O0 bis 2 zunehmen kann, aber nie weder 0 noch 2 selbst sein darf. Die Uebersicht wäre vielleicht verständlicher, wenn ich statt dieser Bezeichnung ebenfalls bestimmte Zahlwerthe gewählt hätte; damit hätte ich aber leicht den Begriff erwecken können, als hätten diese Zwischengrössen einen bestimmten Werth. Ich habe übrigens dennoch, um diese Erleichterung der Auffassung zu gewäh- ren, hinter den Zeichen bestimmte Zahlwerthe in Klammern beigefügt, welche ich als Beispiels-Grössen aufgefasst zu sehen wünsche. Zur näheren Erläuterung bitte ich auch noch die Erklä- rung zu Fig. 16 zu vergleichen. Müller’ Archiv. 1883, 36 [> > IV Gang. Hanptbogenabschnitt. Ergänzungsabschnitt. stampfender Gang 2 0 kurzer Schritt (Sohlenschritt) 2 A () mittlerer Schritt (Sohlenschritt) 2 2 langer Schritt (Sohlenschritt) 2 >2 (8) vorderes hinteres Element. Sohlen-Eilgang 2 0 2 flüchtiger Schritt (Sohlensehritt) 2 Na ruhiger Schritt (Sohlenschritt) 2 1 1 träger Schritt (Sohlensehritt) 2 NA) Ze schleichender Sohlengang 2 2 0) Nach denselben Grundsätzen lässt sich die auf die gegen- seitigen Grössenverhältnisse der Elemente des Ergänzungs- abschnittes gegründete Eintheilung auch auf den Zehengang anwenden und in diesem entstehen dadurch die Varietäten des flüchtigen, ruhigen und trägen Zehenschrittes; die Varietäten des kurzen, mittleren und langen Zehen- schrittes lassen sich in gleicher Weise auch aufstellen, aber es lassen sich keine absoluten Grenzen zwischen denselben aufstellen, wenn man nicht die Werthe der Ergänzungsab- schnitte des kurzen, mittleren und langen Sohlenschrittes unmittelbar auf den Zehenschritt übertragen will. Die erzeugenden Kräfte des vertikalen Bogens und die Richtung der einzelnen Theile desselben. — Der Lauf. — Im Allgemeinen ist der vertikale Bogen die Resultirende von aufwärts und von abwärts wirkenden Komponenten verbunden mit vorwärts und mit rückwärts wirkenden Komponenten. Da die letzteren in schiefen Rich- tungen der ersteren enthalten sind, so können wir uns dar- auf beschränken, nur die ersten zu berücksichtigen. Die auf- wärts wirkenden Komponenten, durch Hebungen erzeugt, werden stets durch Muskelthätigkeiten hervorgebracht, seien diese, anatomisch gesprochen, Beugungen oder Streckungen. Die abwärts wirkenden Komponenten, durch Senkungen er- zeugt, werden meistens durch die Schwere hervorgebracht, 563 können aber dureh Muskelthätigkeiten unterstützt oder modi- fizirt werden. Der vordere Ergänzungsbogen ist eine Fallbewe- gung um einen gegebenen Mittelpunkt (das Metatarsusköpf- chen I.). Er wird deshalb immer durch die Schwere erzeugt und hat, wenn die Stellung des Kniegelenkes und des Fuss- gelenkes die gleiche bleibt, die Gestalt eines abwärts gehen- den Kreisbogens. Findet aber während seiner Ausführung eine Veränderung in einem oder in beiden Gelenken statt, wodurch eine Verlängerung (Streckung) oder Verkürzung (Beugung) des Beines entsteht, dann ist er die Resultirende des Fallbogens und der aufwärts strebenden Streekung oder der abwärts strebenden Beugung, und wird im ersteren Falle flacher, horizontal (Fig.11) oder sogar aufsteigend (Fig. 8 u. 9), im letzteren Falle steiler nach abwärts gerichtet. Der Hauptbogen wird erzeugt durch eine Drehung des ganzen Beines um die Astragalusaxe. Er ist daher, wenn während seiner Ausführung keine Veränderung in dem Knie- gelenke geschieht, ein Kreisbogen mit einem aufsteigenden und einem absteigenden Theile; die Grenze zwischen beiden bezeichnet die Stellung des Hüftgelenkes über dem äusseren Knöchel. Den aufsteigenden Theil erzeugt stets Muskelthä- tigkeit in dem Beine selbst oder in dem hinteren Beine (durch fortgesetzte Streckbewegung desselben); den absteigenden_ Theil erzeugt die Schwere, etwa unterstützt durch Muskel- thätigkeit*). Wird aber während der Ausführung desselben *) Es ist hier der Platz, ein Wort über die Wahl des Punktes an- zufügen, welchen ich die Bogen beschreiben lasse. Ich habe den Hüft- mittelpunkt gewählt, weil dessen Bewegungen genau zu bestimmen sind, während der eigentlich massgebende Schwerpunkt eine verschie- dene Lage (z. B. durch Haltung) haben kann. In den obigen Sätzen bringt jedoch die gewöhnliche Lage des Schwerpunktes hinter dem Hüftgelenke Schwierigkeiten, weil der aufsteigende Theil des Schwer- punktbogens noch fortdauert, während das Hüftgelenk schon in dem absteigenden Theile seines Bogens ist, und doch wollte ich nicht von der sonst durchgeführten Darstellung abweichen. Man denke sich des- halb, um diese Schwierigkeit zu beseitigen und auf das Hüftgelenk anwendbar zu machen, was eigentlich vom Schwerpunkte gilt, für die 36* 564 das Knie gestreckt oder gebeugt, oder erst gebeugt und dann wieder gestreckt oder umgekehrt, so ist die Gestalt des Hauptbogens eine Resultirende der Kreisbewegung um das Fussgelenk und der Kreisbewegung um das Kniegelenk und die Richtung der Sehne des Bogens kann dann auch bei vor- herrschender Kniestreckung eine horizontale werden (Fig. 13), oder auch eine aufsteigende (Fig. 15), während sie bei un- veränderter Kniestellung stets eine absteigende ist (Fig. 7) und durch Kniebeugung noch stärker absteigend wird. — Der Hauptbogen kann aber auch durch Drehung des Femur in dem Kniegelenke erzeugt werden und ist dann bei unver- rückter Fussgelenkstellung ein Kreisbogen; — findet aber gleichzeitig mit seiner Ausführung eine Veränderung in der Beugungsstellung des Fussgelenkes Statt, dann ist er eine Resultirende dieser beiden Bewegungen. Der hintere Ergänzungsbogen wird dadurch erzeugt, dass das Verhältniss der Beinlängen zu einander ein anderes wird, so dass nach vollendeter Ausführung des Bogens das vordere Bein kürzer, das hintere länger ist als vorher. Die- ses kann aber herbeigeführt werden durch verkürzende Beu- gungen des vorderen Beines, oder durch verlängernde Strek- kungen*) des hinteren Beines, oder durch eine Vereinigung beider Bewegungen. Bleibt die Länge des einen der beiden ‚Beine die gleiche, so ist die Bewegung nothwendig durch Muskelthätigkeiten zu erzeugen, welchen, wenn sie Senkun- gen zur Folge haben (bei der Beugung des Kniegelenkes im vorderen Beine, und bei der Beugung im Fussgelenke und der Streckung des Kniegelenkes im hinteren Beine) die Schwere nachhelfen kann. Findet sich aber eine Vereinigung beider Bewegungen, dann können verschiedene Fälle eintreten: ent- Sätze über den Hauptbogen den Schwerpunkt stets in der Profilpro- jektion senkrecht über dem Hüftgelenke stehend. *) Beugung und Streckung ist hier nur von der Gesammtverände- rung des Beines zu verstehen, wobei nicht zu verkennen ist, dass z. B. eine Streckung durch Fussgelenkstreckung zu Stande kommen kann, wenn auch deren Wirkung durch gleichzeitige Kniebeugung theilweise aufgehoben wird. 565 weder werden beide durch Muskelthätigkeit (mit Unterstützung durch die Schwere) ausgeführt, — oder es wird nur die Strek- kung des hinteren Beines durch Muskelthätigkeit erzeugt, während das vordere passiv durch die Bewegung des hin- teren Beines und durch die Schwere zusammengeknickt wird, — oder es wird die Beugung des vorderen Beines durch Mus- kelthätigkeit (und Schwere) erzeugt, während das hintere Bein durch diese Bewegung passiv entfaltet wird. Bei dem Zusammenwirken so vieler erzeugenden Momente ist es deut- lich, dass das bewegende Moment bei der Erzeugung des hinteren Ergänzungsbogens die Resultirende von vielen in verschiedenartigster Weise kombinirten Kräften sein kann oder muss. Ist an dem vorderen Beine nur ein Gelenk beweglich, so ist die Bewegungsbahn vorgeschrieben und der hintere Ergänzungsbogen ist ein aufsteigender Kreisbogen; sind aber zwei oder (wie beim Zehengange) drei Gelenke beweglich, dann kann er die Richtung jener resultirenden Kraft haben, deren Erzeugniss er ist und kann horizontal oder auch ab- steigend (Fig. 3. 9. 15) sein. Da die erzeugenden Kräfte in verschiedenster Kombina- tion und Reihenfolge wirken können, so ist es deutlich, dass auch die Möglichkeit vorhanden ist, dass ein jeder einzelne der drei Bogen auch eine gerade Linie sein kann. Der Lauf kömmt dadurch zu Stande, dass zu den eben aufgeführten bewegenden Kräften noch eine neue kömmt. Diese ist aber der Rückstoss des Beckens, welcher dadurch erzeugt wird, dass in dem Augenblicke, in welchem der Schwerpunkt über dem Metatarsusköpfchen steht, also im Augenblicke des Beginnes des vorderen Ergänzungsbogens oder kurz nachher, eine heftige, rasch ausgeführte Beinstrek- kung (Sprungbewegung) im Fussgelenke oder im Kniegelenke oder in beiden geschieht. Der Rückstoss des Beckens wirft dann den ganzen Körper in die Luft, und die Richtung des vorderen Ergänzungsbogens wird eine Resultirende aus der Zusammenwirkung der Kräfte, welche ihn vorher erzeugt haben und der Wurflinie. Höher wird er, wenn die Sprung- bewegung im Augenblicke seines Beginnens eintritt, — weiter, 566 wenn sie erst etwas später wirkt, weil dann ihre Richtung mehr nach vorn ist. Der Lauf geht immer aus dem schnell- sten Schritte hervor, und ist deshalb eine Modifikation des Eilschrittes; da dieser aber ein Sohlen-Eilschritt und ein Zehen-Eilschritt sein kann, so giebt es auch zwei Arten des Laufes, nämlich den Sohlenlauf und den Zehenlauf. In dem letzteren ist die Fortbewegungslinie des Rumpfes eine Reihenfolge von Wurflinien, in dem ersteren eine solche mit zwischengeschalteten Hauptbogen. Fällt bei dem Sohlenlaufe die Schwerlinie nicht in den hinteren Rand der Ferse, wenn der Fuss aufgesetzt wird, sondern weiter nach vorn, so wird der Hauptbogen kürzer; und, je weiter nach vorn sie fällt, desto mehr nähert sich auch der Sohlenlauf dem Zehenlauf und kann endlich ganz in denselben übergehen. Die Fortbeweguhgslinie des Rumpfes. Aus dem Bisherigen wird deutlich sein, dass es eine voll- ständige Unmöglichkeit ist, eine bestimmte Linie anzugeben, in welcher der Schwerpunkt vorwärts bewegt werden muss. Ja nicht einmal für die einzelnen Gangarten ist dieses mög- lich, weil die Gestalt und Richtung der einzelnen Theile des vertikalen Bogens so sehr verschieden sein können je nach der Art des Zusammenwirkens der erzeugenden Kräfte. Nur im Allgemeinen lassen sich Bemerkungen über ihre Gestalt aufstellen. Theilen wir die ganze Fortbewegungslinie, um sie besser übersehen zu können, in einzelne Theile, so kön- nen wir als Grenzpunkte zwischen denselben den Augenblick annehmen, in welchem der Schwerpunkt über dem Metatar- susköpfchen I. steht, weil hier die Aequilibrirungsschwankung ihr Maximum erreicht hat. Jeder solche Theil schliesst also einen Hauptbogenabschnitt und einen Ergänzungsabsehnitt in sich. Nehmen wir einen jeden solchen Theil als eine gerade Linie an, dann ist die Horizontalprojektion der Fortbewe- gungslinie eine Zickzacklinie, deren Abweichungen von.der Horizontalprojektion der Mittelebene des stehenden Körpers nach rechts und nach links die Grösse der Aequilibrirungs- schwankungen bezeichnet, welche ihrerseits durch die Art 567 bestimmt wird, wie die Füsse (mehr in Abduktion oder in Adduktion des Beines) aufgesetzt werden. Iu dieser Zickzack- linie können demnach grosse Verschiedenheiten in Bezug auf die Länge der einzelnen Linien und in Bezug auf die Winkel, unter welchen diese gegen einander gestellt sind, bestehen. Der einzelne Theil der Fortbewegungslinie kann nun aller- dings möglicher Weise eine gerade Linie sein, aber in fast allen Fällen ist er eine Curve, deren Bildung die Resulti- rende ist aus der Gestalt des vertikalen Bogens und einer horizontalen Komponente (s. erstes Grundgesetz). Die letz- tere ist bei feststehendem Beine allerdings ein Kreisbogen, wie in der Aufstellung des ersten Grundgesetzes entwickelt wurde; bewegt sich aber das stützende Bein vorwärts, wäh- rend dieser Kreisbogen ausgeführt wird, dann nimmt sie mehr die Gestalt eines Bogenstückes aus der langen Seite einer Ellipse an. 3 Bei der grossen Menge der im Gange zusammenwirken- den Kräfte liegt übrigens auch die theoretische Möglichkeit einer solchen Kombination derselben vor, dass dadurch eine Fortbewegungslinie erzeugt wird, welche eine gerade Li- nie ist. Das schwebende Bein. Alle bisher besprochenen Modifikationen des Ganges fin- den ihren Grund nur in dem Verhalten des auf dem Boden stehenden Beines, welches der eigentliche Vermittler des Gehens ist. Während eines Theiles seiner Bewegung ist aber das andere Bein frei und wird nach vorn bewegt, um als- dann seinerseits die Stützung und Vorwärtsbewegung des Kör- pers zu übernehmen. Es ist dabei in seinem Hüftgelenke aufgehängt und während es die Bewegung nach vorn in einem Bogen um seinen Hüftmittelpunkt ausführt, wird der Auf- hängepunkt selbst vorwärts bewegt; der Bogen, welchen da- bei der Fuss beschreibt, ist demnach eine Resultirende aus dem Kreisbogen um seinen Hüftmittelpunkt und aus der Vor- wärtsbewegung, deren Charakter in dem Vorhergehenden be- sprochen worden. 568 Verschiedenheiten in der Bewegungslinie des Fusses müssen daher theilweise durch die eigene Bewegung des Bei- nes entstehen, theilweise durch die mitgetheilte Bewegung desselben. Bleibt das Bein während der Vorwärtsbewegung in sich unverändert, dann ist die Bewegung des Fusses um das Hüftgelenk ein Kreisbogen; sie erfährt aber eine Abwei- chung von dieser Richtung, wenn das Bein während der Aus- führung derselben eine Beugung oder eine Streckung erfährt. Die mitgetheilte Bewegung des Beines muss wegen ihrer grossen Mannichfaltigkeit eine grosse Menge von Variationen in der Bewegungslinie des Fusses erzeugen. Die Kräfte, welche die Bewegung des schwebenden Bei- nes vermitteln, sind 1) die Schwere, welche nach dem be- kannten Satze der Gebrüder Weber das Bein in einer Pen- delschwingung nach vorn bewegt, und 2) Muskelthätigkeit, welche theils die Pendelbewegung beschleunigen kann, — theilweise dieselbe nach vorn vergrössert, — theilweise das nach vorn gehobene Bein bis zum Augenblicke des Nieder- setzens fixirt. Die Zeit, welche der Vorwärtsbewegung gegönnt ist, ist die Zeit des Hauptbogens und des vorderen Ergänzungsbo- gens; denn während der hintere Ergänzungsbogen ausgeführt wird, muss das Bein noch am Boden bleiben, um den Schwer- punkt unterstützen zu helfen. Daraus geht aber die Noth- wendigkeit hervor, dass in den Gangarten, in welchen der eine oder der andere oder gar beide Bogen fehlen, irgend eine Kompensation gegeben sein muss, welche die Schwin- gung in der gegebenen Zeit ermöglicht; diese Kompensation besteht aber in einem längeren Verweilen des stehenden Bei- nes in einer unterstützten Stellung oder in einer durch Mus- kelkraft: beschleunigten Schwingung oder in Anwendung dieser beiden Momente. Der Zehengang und der schleichende Gang liefern Beweise für diesen Satz. Das Ablösen des Beines vom Boden ist durch alleinige Neigung des Beckens nach vorn (vgl. den Abschnitt „Exten- sion des Beines* S. 337) möglich, oder durch eine Kniebeu- gung; letzteres ist das Gewöhnliche, denn sie ist gleichzeitige 569 Wirkung der fussstreckenden M. gastrocenemii und erleichtert durch Verkürzung des Beines die Pendelung. Das Aufsetzen des Fusses ist entweder Folge der Fall- bewegung des vorderen Ergänzungsbogens, wie im Eilgange, oder Folge einer Beugung in dem hinteren Beine, wie bei dem schleichenden Gange. In dem ersten Falle wird die Schwingung unterbrochen und das eben aufgesetzte Bein steht senkrechter als in dem letzten Falle, wo es die Schwingung vollenden kann. Von diesem Umstande rührt das Ueberstür- zende und Unsichere des flüchtigen Schrittes her gegenüber dem ruhig Wiegenden des trägen Schrittes. Ich habe hiermit auf die Quellen der vielen Modifikationen in der Gangbewegung hingewiesen. Ich konnte dem Gesag- ten noch Manches hinzufügen, wie Modifikationen des Gan- ges auch noch durch Nebendinge erzeugt werden können, z. B. durch ungewöhnliche Theilnahme von Muskelthätigkeiten im schwebenden Beine, — durch gekünsteltes Aufsetzen der Füsse, — durch die Haltung des Körpers, ob dieser die gleiche Stellung gegen den Boden behält, oder vorwärts ge- neigt oder rückwärts geneigt getragen wird, ob er unnöthige Schwankungen nach vorn und hinten oder nach den Seiten macht, — und durch mancherlei andere Momente, welche die Laune des Einzelnen oder die Nothwendigkeit oder der Zufall in die Ausführung der Gangbewegung hineinbringt. Solches würde aber in zweckloser Weise unabsehbar weit führen. Darum genügt es mir, durch die obige Auseinander- setzung gezeigt zu haben, woher die Verschiedenheiten der Gangarten und Gangvarietäten abzuleiten sind, — damit er- klärt zu haben, warum ein jedes Individuum seinen eigen- thümlichen Gang haben kann und muss, — und damit be- wiesen zu haben, dass sich gar kein Gang als „Gang“ zer ?&oynv beschreiben lässt, wenn auch wegen Gleichheit der Hauptverhältnisse in dem Gange aller Individuen mit ge- sunden Beinen eine gewisse Gleichartigkeit vorhanden sein mußs. 570 Zugleich wird aber auch aus dem Entwickelten deutlich, wie bei dem Ausfallen eines Hülfsmittels (z. B. bei einem steifen Knie, einem steifen Fussgelenke) die mannichfachsten Kompensationen möglich sind, indem so viele Momente zur Erzeugung einer jeden Theilbewegung des Ganges zusammen- wirken oder wenigstens zusammenwirken können. Es führt deshalb auch nicht einmal der gleiche Fehler (wie z. B. Steif- heit des Knies) mit Nothwendigkeit zu derselben abnormen Gangart, und wenn solche abnorme Gangarten bei verschie- denen Individuen mit dem gleichen Fehler die gleichen sind, so ist dieses nur ein Zufälliges und nicht ein Nothwendiges. Anmerkung. Indem ich hiermit diese Skizzen über den Gang und seine Elemente schliesse, fühle ich mich anfgefor- dert, meine gelegentlich schon einmal ausgesprochene Be- merkung zu wiederholen, dass nämlich alle in diesen Auf- sätzen gegebenen Zahlwerthe nur individuelle Bedeutung ha- ben können, so dass die durch dieselben gewonnenen oder in denselben niedergelegten Sätze zwar als Sätze überhaupt hinlänglich begründet dastehen, dass aber den angewandten Zahlwerthen individuelle Schwankungen zugestanden werden müssen. Erklärung der Abbildungen. In den beigefügten Zeichnungen Fig. 1—16 habe ich mich bemüht, einige der gewonnenen Sätze in möglichst übersichtlicher Weise dar- zustellen und habe für diesen Zweck die in Rede kommenden Theile auf die einfachsten Verhältnisse zurückgeführt. Welche Theile des Bei- nes durch die einzelnen Linien dargestellt werden sollen, ist von selbst klar; die dickeren Punkte zwischen den einzelnen Linien stellen die _ Drehpunkte, beziehungsweise Profile der Drehaxen, des Hüft-, Knie-, Unterschenkel - Astragalus- und Metatarso -Phalangalgelenkes I. dar; statt des Rumpfes ist nur der gemeinschaftliche Schwerpunkt des gan- zen Körpers gezeichnet und durch eine Linie mit dem Hüftgelenkpunkte verbunden. Die Neigung dieser Linie gegen den Boden ist in den Gangfiguren mit wenigen Ausnahmen als dieselbe gezeichnet, welche sie im aufrechten Stehen hat. Ich vernachlässige damit allerdings das im Gehen gewöhnlich geschehende Vorwärtsneigen des Rumpfes, darf dieses aber wohl thun, da dasselbe mit den wenigen berücksichtigten 571 Ausnahmen keine Hauptbedingung des Zustandekommens der Gehbe- wegung ist und ich durch diese Behandlung an Einfachheit der Dar- stellung gewinne. Der einzige dadurch hervorgebrachte Fehler ist der, dass dadurch öfters der Beugungswinkel des Rumpfes und des Ober- schenkels nach hinten spitzer ausfällt, als er durch die Bewegung im Hüftgelenke allein werden kann. Warum ich die Bewegungslinien des Hüftgelenkes und nicht die- jenigen des Schwerpunktes gebe, darüber habe ich mich schon in einer Anmerkung zum Texte ausgesprochen. In den Figuren 5—16 sind rechtes und linkes Bein dadurch unter- schieden, dass die Linien des einen ausgezeichnet, diejenigen des an- deren dagegen unterbrochen gezeichnet sind. Die Bewegungslinien sind punktirt. Die absoluten Wagerechten und Senkrechten sind durch dünne ausgezogene Linien gegeben. Ich habe an den Gangfiguren allen, soweit nicht andere Interessen es verboten, die Bewegungen mit steifen Knieen gezeichnet, weil da- durch einerseits die Darlegung der Prinzipien vereinfacht und anderer- seits zugleich der in meinem zweiten Beitrage aufgestellte Satz be- wiesen wird, dass das Kniegelenk für die Ausführung einer Gangbe- wegung nicht nothwendig ist. Fig. 1 und 2. stellen das Bein im aufrechten Stehen dar, — Fig.1. in den beiden extremsten Stellungen, welche ohne Verände- rungen im Hüftgelenke möglich sind, — Fig. 2. in der gewöhnlich beim zwanglosen Stehen angenommenen Stellung. Fig. 3. Das Niederknieen, welches in folgende einzelne Akte zerlegt gedacht ist, die ich durch die Lage bezeichnen will, welche der Schwerpunkt durch dieselben erhält: 1) aufrechtes Stehen im Maxi- mum der Vorwärtsneigung — a, 2) Beugung im Fussgelenke bis zum Maximum — b, 3) kompensirende Knie- und Hüftgelenkbeugung — c, 4) Umfallen um den Mittelpunkt des Metatarsusköpfchens IL — d, 5) kompensirende Kniebeugung bis zum Maximum — e. Fig. 4. Das Niederhocken, dessen gedachte einzelne Akte ich in gleicher Weise, wie vorher, bezeichne — 1) aufrechtes Stehen im Maximum der Rückwärtsneigung — a, 2) Beugung im Fussgelenke bis zum Maximum — b, 3) kompensirende Knie- und Hüftgelenkbeu- GE =, 4) Umfallen um den hinteren Fersenrand entwe- 'r ohne Veränderung im Kniegelenk — d, oder mit fortgesetzter Beu- gung bis zum Maximum — e. (Niedersitzen oder Niederhock en). Fig. 5. Das Niederknieen auf einem Knie; das vordere Bein in niederhockender, das hintere in niederknieender Stellung. — a und b zeichnet die extremsten Stellungen des Rumpfes bei der ge- wählten Entfernung der Füsse, weil die Winkel « und # Maxima sind. Fig. 6. Die drei Elemente des vertikalen Bogens; « — Hauptbogen, — b — hinterer Ergänzungsbogen, — e — vorderer Er- 572 gänzungsbogen. — a und 5 finden ihren Mittelpunkt in dem Fussge- lenke d, — c in dem Metatarsusköpfehen e, jedoch so, dass dieser Bogen die Resultirende ist aus einer Fallbewegung um e und einer Fussstreckung, welche, vor dem Fallen ausgeführt, das Hüftgelenk bis f gehoben haben würde. Anmerkung. a, b,c werden in den folgenden Figuren in gleicher Anwendung gebraucht. Fig. 7 dasselbe wie Fig. 6. — Mittelpunkt von 5b in d, — von a in e, — von e in g. — Diese Schematisirung stellt die drei Bogen in schärferer Trennung hin. Fig. 8. Zehengang — Ausfall des Hauptbogens (a), Mittel- punkt von Bine; — ce Resultirende einer Hebung durch Fussstreckung bis d und einer Fallbewegung um g. Fig.9. Sohlen-Eilgang — Ausfall des hinteren Ergänzungs- bogens (b); — Mittelpunkt von @ in e; — ce Resultirende einer He- bung bis d und einer Fallbewegung um g. — Beim Aufsetzen des Fusses ist der Schwerpunkt schon durch dessen Ferse unterstützt. Fig.10. Schleichender Sohlengang — Ausfall des vorderen Ergänzungsbogens (c); — Mittelpunkt von « und 5 ine. — Beim Auf- setzen des Fusses ist der Schwerpunkt noch durch den hinteren Fuss unterstützt. Fig.11. Zehen-Eilgang — Ausfall von a und 5; c Resulti- rende einer Hebung bis d und einer Fallbewegung um g. Fig.12. Schleichender Zehengang — Ausfall von a und ec; b Resultirende einer Drehbewegung um A bis nach e und einer Sen- kung durch Fussbeugung von e bis f. Fig.13. Stampfender Gang — Ausfall von 5b und c; a Re- sultirende einer Drehbewegung um e und einer Hebung durch Knie- streckung bis d. Fig. 14 zeigt die mathematische Möglichkeit einer nur durch Be- wegung des Kniegelenkes bedingten Gangart, wobei aber der Rumpf nach vorn geneigt sein und 5b ausfallen muss. — Mittelpunkt von a und e in fl. Fig.15. Maximum der Bewegung eines Beines in der Gangbewegung bei vorgelehntem Rumpfe (eine mathematische Auf- gabe). — 5’ hinterer Ergänzungsbogen des folgenden Schrittes. — Die Stellungen A und A’ sind Maxima, bestimmt durch die Maximum- winkel « und £; die Stellungen B und B’, den Augenblick bezeich- nend, in welchem der vordere Fuss aufgesetzt wird, sind als mittlere Stellungen gewählt; wird gedacht, das Bein sei im Augenblicke der Aufsetzung des Fusses im Maximum der Streckung, dann würden die Stellungen B, B’ solche sein, wie sie durch die Lage des Hüftpunktes in o und o’ bezeichnet wird; ein solcher Gang hätte aber keine Wahr- scheinlichkeit der Ausführbarkeit für sich, und ist deswegen durch die Lagen o und o’ nur angedeutet. 573 Fig.16. Die Fortbewegungslinie beim gewöhnlichen Gange als Gerade (in der Profilprojektion) gedacht. — a Hauptbogenabschnitt, b+.c Ergänzungsabschnitt. (Beim mittleren Schritt ist @=b+c; beim kurzen Schritt ist a>b+c; beim langen Schritt ist «c); beim schleichenden Sehritt nach b (ce= o)). Ueber das Auge und das Gehörorgan bei den blinden Fi- schen (Amblyopsis spelaeus Dekay) aus der Mammuthhöhle. Von JEFFREYS WYMAN.*) Fig. 2. Ich habe Gelegenheit gehabt, vierzehn Stück von Amblyopsis von einem bis 4'% Zoll Länge zu untersuchen, aber nur in drei bis vieren konnte man die Augen durch die Haut ent- decken. In den drei neuerdings zergliederten Exemplaren waren die Augen erst nach der Entfernung der Haut und sorgfältiger Trennung des losen umgebenden Gewebes, wel- ches die Orbita ausfüllt, sichtbar. In einem 4 Zoll langen *) Aus Sillimans American Journal of science and arts, 24 ser. 1854. März. No, 50. p. 258 ., im Auszuge übersetzt von W. Peters. 575 Fische massen die Augen '/,, Zoll in ihrem Längsdurchmesser, waren von ovaler Gestalt und schwarzer Farbe. Ein Nerven- faden (Fig. 1.a) wurde deutlich von dem Augapfel bis zu den Schädelwänden verfolgt, aber der Zustand des Inhalts der Schädelhöhle in Folge der Einwirkung des Alkohols war der , dass es unthunlich war, die Weise der Verbindung des Nervus optieus mit den Lobi An bestimmen. Einige wenige Muskelfasern wurden bis in die unmittelbare Nach- barschaft des Auges verfolgt und selbst in Berührung mit demselben gefunden, ohne jedoch die regelmässige Anordnung der vollkommener gebildeten Augen andrer Fische zu zeigen. Unter dem Mikroskop bei einer etwa 2Ö0maligen Vergrös- serung wurden die folgenden Theile deutlich erkannt: 1. Aeusserlich eine ausserordentlich dünne Membran (Fi- gur 1.5), welche die ganze Oberfläche des Auges bekleidete und in Continuität mit einer dünnen Umhüllungshaut des Seh- zu stehen schien und daher als Selerotica betrachtet ine Schieht von Pigmentzellen (Fig.1.d) von meistens onaler Gestalt, am reichlichsten im vordern Theile des 3. Unter dem Pigment eine einfache Schicht farbloser Zel- len (Fig. 1.c), grösser als die Pigmentzellen und jede dersel- ben mit einem deutlichen Kern versehen. 4. Im vordersten Theil des Augapfels ein linsenförmiger, durehsichtiger Körper (Fig. 1.e), der aus einer äussern Mem- bran mit zahlreichen gekernten Zellen bestand. Dieser lin- senförmige Körper schien durch eine vordere Verlängerung der äussern Membran des Augapfels befestigt zu sein. 5. Der Augapfel war von einem losen Gewebe bekleidet, welches ziemlich allgemein mit ihm verwachsen war, und in einigen Fällen gelbe fettige Substanz enthielt. In einem Exem- plar bildete er einen runden, durch die Haut zu jeder Seite des Kopfes sichtbaren Fleck, welcher ganz das Ansehen eines kleinen Auges hatte; — dessen wahre Natur nur durch das Mikroskop bestimmt wurde. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die eben erwähnte Erscheinung Hrn. Dekay missleitet 576 hat, wenn er behauptet, dass das Auge in gewöhnlicher Grösse, aber von der Haut bedeckt, vorhanden sei. Wenn die oben erwähnte oberflächliche Membran richtig Scelerotica genannt ist, so mag die Pigmentschicht als Cho- rioidea betrachtet werden. Die Form sowohl als die Lage der transparenten gekernten Zellen innerhalb der Chorioidea entsprechen am meisten der Retina. Weder Pupille noch Iris wurden entdeckt, wenn man nicht als Repräsentant der letzteren die vergrösserte Zahl von Pigmentzellen im vordern Theile des Augapfels betrachten will. Das Ohr. — Man hat gesagt, dass die blinden Fische so- wohl für den Schall als für Schwingungen anderer Art im Was- ser sehr empfindlich seien. In dem einzigen Falle, in wel- chem ich das Gehörorgan zergliedert habe, waren alle seine Theile sehr entwickelt. Was den allgemeinen Bau anbelangt, so weichen die Theile nicht wesentlich, sondern nur in ihren Grösseverhältnissen von denen anderer Fische ab. Die h zirkelförmigen Canäle sind sehr lang und die beiden, v sich vereinigen, um durch einen gemeinschaftlichen Gar den Vorhof einzutreten, dehnen sich nach oben und innen unter dem Schädelgewölbe so aus, dass sie den entsprechen. den Theilen der entgegengesetzten Seite ganz nahe kommen. Der Otolith, welcher im Utriculus enthalten ist, zeigt nichts Merkwürdiges, aber derjenige des Vestibulums, dessen Gestalt in Fig. 2.e angedeutet ist, erscheint sehr gross im Vergleich zu dem eines Leuciscus von etwa derselben Grösse. Die Fig. 2. zeigt etwa dreimal vergrössert das Gehirn und Gehörorgan: a. Lobi et Nervi olfaetorii, 5. Lobi cerebri, c. Lobi optici, d. Cerebellum, e. Otolith in situ, f. Medulla oblon- gata, g. die Augen. Öumand se, Miller's Arehiv 1853 . 2 ä - - 0 Zap Tapll Öuinancd #0 MillersAndur 1853, [ Zar Onand u Taf M Schaltun del r; ITIPRARITEE, = RER ee os INN REIN RR REEOHTER RR 5 re RS ER = — E I SISFRITE = 02 S w veresuge 2 ana AR { Ouinand se 29 Tapyil. 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