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Medicinische Studien

über

SALI CYLSÄURE

und

SALICYLATE.

Nach französischen und englischen officiellen Berichten übersetzt von

M. Witt ich.

Leipzig, 1878. von Joh. Ambr.

Herausgegeben durch

Friedrich v

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No.

ß.v.

Druck von Metzger & Wittig in Leipzig.

Vorwort.

In der Sitzung des 26. Juni 1877 der Academie de medecine in Paris wurde von Prof. Germain See ein Vortrag über den medicinischen Werth der Sali- cylsäure und deren Präparate gehalten, welcher, auf vielseitige, höchst exacte Beobachtungen und Erfah- rungen sich stützend, eine solche Fülle von beach- tenswerthem Material enthält, dass es berechtigt erscheinen durfte, mit der Erlaubniss des berühmten französischen Klinikers diese so ausführliche Arbeit auch den deutschen Medicinern in bequemerer Weise zugänglich zu machen, selbst auf die Gefahr hin, sehr vielen deutschen Aerzten nicht durchweg Neues zu bieten.

Einige andere Berichte des Auslandes glaubte ich zur weiteren Illustrirung des von See berührten Themas nicht übergehen zu sollen und habe diese daher der klassischen Arbeit von See angeschlossen. Jede derartige Mittheilung dient schliesslich immer dazu, grössere Klarheit in eine Sache zu bringen, durch welche Aerzte wie Leidende nur gewinnen können.

IV

Man hat gegen mich, nachdem ich in Folge der epochemachenden Entdeckungen von Kolbe die Salicylsäure allgemein zugänglich gemacht, den leicht- fertigen Vorwurf erhoben, dass ich die Salicylsäure zu einem Universalmittel aufgeputzt hätte. Die Mo- tive für solche Insinuationen waren in den meisten Fällen unschwer zu finden. Man wird mich aber für urtheilsfähig genug halten dürfen, um mir zuzutrauen, dass ich sehr genau weiss, wie abgeschmackt es wäre, den Männern der Wissenschaft und Praxis mit einer so bizarren Behauptung gegenübertreten zu wollen. Die Anwendung der Salicylpräparate in der Medicin und im practischen Leben ist einfach die unabweisbare logische Folge exacter wissen- schaftlicher Untersuchungen. Ich habe es da- her für richtig und würdig gehalten, die Sache sich selbst entwickeln zu lassen, da ich zuversichtlich an- nehmen durfte, dass Diejenigen, welche von den Eigen- schaften des Präparates belehrt, dasselbe für die ge- eigneten Gebiete hinlänglich schätzen und gebrauchen lernen würden, wenn es seinen Zwecken entspräche. Meine Erwartungen sind durch die Thatsachen bei Weitem übertroffen worden, und wenn auch die Salicyl- säure unmöglich ein Specificum für Alles sein konnte wie auch Prof. See in dem ersten Theil seiner acade- mischcn Rede die noch nicht völlig geklärten Ver- hältnisse und zum Theil negativen Resultate ohne jede Schönfärberei darlegt so haben die Salicyl- präparate innerhalb ihres fest gezeichneten Gebietes sich doch so viel Freunde erworben, dass der voll- gültige Beweis der Thatsachen an die Stelle der

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wissenschaftlichen Speculation und Hypo- these getreten ist.

Die Arbeit des französischen Klinikers zerfällt wesentlich in 3 Hauptabschnitte: in dem ersten werden, nach einigen historischen und chemischen Aufzeichnungen, die physiologischen Wirkungen der Salicylsäure besprochen und als Ergebniss hervor- gehoben, dass physiologische Dosirungen von 2 bis 4 Gramm pro Tag nicht die geringste Stö- rung im Organismus hervorzurufen geeignet sind, während als therapeutisch heilsamste Dosen 5 bis 6 Gramm Salicylsäure (oder 10 Gramm sali- cylsaures Natron) angesehen werden dürfen. Es stimmen diese Zahlen auch mit den von anderer Seite angegebenen überein.

Im zweiten Abschnitt theilt See seine Re- sultate bei fieberhaften Krankheiten, Typhus u. s. w., mit und kommt zu dem Bekenntniss, dass er hier keine so durchschlagenden Erfolge aufzuweisen habe, um in diesen Fällen die Salicylsäure und deren Natronsalz als Specificum ansehen zu können; hierbei lenkt er die Aufmerksamkeit der Mediciner auf das Chinin, salicyl., welches da voll befriedigt hätte, wo ihn Chinin, sulf. und Natr. salicyl. jedes für sich bei jahrealtem Fieber hartnäckig im Stich gelassen.

Im dritten Abschnitt endlich führt er die Fälle des Rheumatismus und der Gicht vor, für welche die Salicylsäure als sicherstes Specificum zu erklären er keinen Anstand nimmt. Der an die Arbeit von See sich anschliessende Aufsatz von

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Hery (aus dem Moniteur scientifique, Paris 1877) möge als Stimmungsbild dafür dienen , wie man in der französischen medicinischen Welt die klinischen Ergebnisse des Prof. See aufgenommen und endlich die dem Londoner Lancet (1877) entnommenen No- tizen beanspruchen durch die genauesten klinischen Aufzeichnungen der dirigirenden AerzteDr. Whipham im St. George-Hospital und Dr. Engledue Pri- deaux im London Hospital um so mehr Aufmerk- samkeit, als in ihnen gerade die viel verbreitete Ansicht, dass alte verschleppte Rheumatismen mit Salicylpräparaten nicht geheilt werden könnten, schlagend widerlegt wird.

Mein verehrter Freund Witt ich hat bei der Herausgabe und Uebertragung dieser Arbeiten durch seine reichen Sprachkenntnisse mich in anerkennens- werther Weise eifrig unterstützt, wofür ihm meinen besonderen Dank hier auszusprechen ich nicht unter- lassen kann.

Dresden, im Februar 1878.

Friedrich von Heyden.

I

Inhalt.

Seite

Vorrede III

I. Abhandlung von Prof. G. See 1—77

Geschichte der Salicylsäure i

Chemie der Salicylsäure 4

Verschiedene Salicylpräparate, Dosirung und Art der

Anwendung 6

Wirkung der Salicylsäure auf Fermente und Gährung 10

Physiologische Wirkung auf Thiere 12

Physiologische Wirkung der Salicylsäure und ihrer Derivate auf den gesunden oder kranken Menschen 16

Klinische Beobachtungen 25

Behandlung septischer Krankheiten 25

Anwendung des salicylsauren Natrons als Antipyreti- cum bei specifischem Fieber und bei Entzündungen 29 Anwendung der Salicylsäure bei rheumatischen Affectionen, Gelenkrheumatismen, acuten, fieberhaften und fieberlosen Rheumatismen . 35

Dauer der Krankheit bei Behandlung mit Salicyl-

Medicamenten 42

Vergleiche mit anderen Behandlungsmethoden ... 44

Chronische Rheumatismen. Trockene Ar- thritis; knotige Arthritis 47

Acute und chronische Gicht 53

VIII

Seite

Resume der Beobachtungen bei acuter Gicht ... 64

Beobachtungen über chronische Gicht 65

Nierensteine, Nieren- und Blasenaffectionen ... 69

Neuralgie

Schmerzhafte Affectionen des Rückenmarks ... 72

Innerliche Schmerzen 74

Schlusssätze 75

II. Gicht und Rheumatismus, von Dr. Hery in Paris . 78 95

Ueber die Erblichkeit der Gicht 79

Der Schmerz bei der Gicht 80

Definition der Gicht 81

Ihr Verlauf 83

Natur der Gicht 85

Die Diät 87

Behandlung 91

III. Ein schwerer Fall von acutem Gelenkrheumatismus mit Pericarditis und Bronchial-Pneumonie, von Dr. Whipham

in London 96

IV. Behandlung von Gelenkrheumatismus, von E. Prideaux

in London 107

Studien über die Salicylsäure

Behandlung des acuten und chronischen Rheumatismus , der acuten und chronischen Gicht und der verschiedenen Affektionen des Nervensystems mit salicylsaurem Natron.

Mittheilung an die medicinische Akademie zu Paris am 26. Juni und 3. Juli 1877. Von Professor Gemiciin See.

Im Jahre 1830 entdeckte der Apotheker Leroux in Vitry-le-Frangois während des Suchens nach einem Surrogat des Chinin -Sulfats in der Weidenrinde eine krystallisirende Substanz, der er den Namen Salicin bei- legte. Dieselbe besass eine dem Alkaloid der China- rinde ähnliche Bitterkeit und schien berufen zu sein, bei der Behandlung von Fieberkrankheiten ebenso wie das Chinin eine wichtige Rolle zu spielen; die Versuche, die man aber in verschiedenen Pariser Hospitälern damit unternahm, realisirten keineswegs die Hoffnungen, welche man darauf gebaut hatte. Da das Mittel nur in seltenen hallen von Ertolg begleitet war, so begann man seine Wirksamkeit zu bezweifeln und schliesslich fiel es beinahe vollständig der Vergessenheit anheim.

v. Heyden, Studien über die Salicylsiitirc.

und die

Geschnellte der Salicylsäure.

I

Im Jahre 1831 fand Pagenstecher, Apotheker in Bern, in den Blüthen der Spiraea Ulmaria oder Wiesen- königin eine Salicyl-Verbindung, deren Identität mit dem Bliithenöl dieser Pflanze von Dumas und Ettling nach- gewiesen wurde.

Später erkannte Cahours bei der Prüfung einer unter dem Namen Gaultheria- oder Wintergreen-Oel be- kannten Essenz die Identität derselben mit dem Methyl- Salicylat, welches man durch die Destillation von zwei Theilen Holzgeist, zwei Theilen Salicylsäure und einem Theil Schwefelsäure erhält. Man lässt, um Salicylsäure zu gewinnen, das Wintergreen-Oel mit kaustischem Kali kochen, präcipitirt darauf vermittelst Chlorwasserstoff- säure, wäscht das Präcipitat mit kaltem Wasser und lässt es von neuem in kochendem Wasser oder Alkohol krystallisiren. Heut zu Tage bedient man sich nur noch des Kolbe 'sehen Verfahrens, welches auf der synthe- tischen Darstellung beruht: durch Gewinnung der Salicyl- säure aus Phenol. Wenn man einen Strom Kohlensäure in Phenol leitet während zu gleicher Zeit Natrium darin sich auflöst, so bildet sich unter Entwicklung von Wasser- stoff Natron -Salicylat.

Die physiologische Geschichte dieses Heilmittels reicht bis zum Jahre 1855. Zu dieser Zeit machte Bertagnini an sich selbst Versuche, welche durch ihre Präcision höchst bemerkenswerth sind. „Zwei bis drei Gramm Salicylsäure,“ sagt er, „bringen keine Wirkung hervor; wenn man aber an zwei aut einander folgenden Tagen sechs bis sieben Gramm täglich ein- nimmt, so verursacht dies Ohrensausen und ein Gefühl von Betäubung.“ Eine Stunde nach dem Einnehmen

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der Säure erscheint dieselbe im Urin und man constatirt in der ausgeschiedenen Flüssigkeit eine stickstoffhaltige Säure, die er mit dem Namen Salicylursäure bezeichnet.

Diese Beobachtungen sind vollkommen exact.

Die Substanz war indessen in Vergessenheit ge- rathen, bis Kolbe im Jahre 1S74 und 1875 einer Reihe von Abhandlungen die Analogie des Derivates mit der Carbolsäure selbst nachwies und ihre antiseptischen Eigenschaften zur allgemeinen Kenntniss brachte.

Von dieser Zeit an bemächtigten sich die Aerzte des neuen Mittels und wendeten es bei allen septischen, eiterigen, zymotischen oder Fermenten und Parasiten zu- geschriebenen Krankheiten an. Die Anwendungen wurden so zu sagen zahllos und die wissenschaftlichen Fachzeitungen Deutschlands, Englands, Amerika’s und Italiens sparten kein Loblied auf die unvergleichlichen Tugenden dieses Universalmittels. Man wendete es wirklich bei Septicämien , sowie bei allen specifischen, typhösen und Ausschlags -Fiebern an; ferner bei ent- zündlichen Symptomfiebern und zuletzt beim fieberhaften Gelenkrheumatismus.

Inmitten dieser unzähligen Wunder und gewagtesten Behauptungen unternahm ich es vom November 1876 an, die Thatsachen einer strengen Kritik zu unterwerfen und alle Behauptungen, alle statistischen Nachrichten durch zugleich klinische und physiologische Experimente zu controliren. Diese Versuche führten mich zwar zum Negiren mancher gewagten Behauptung, aber auch zu neuen Anwendungsarten. Die Wirkung der Salicylsäure bei acutem Rheumatismus erregte durch ihre Einfachheit und Zuverlässigkeit mein Erstaunen und ich unternahm

1

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in Folge dessen weitere Versuche in der Behandlung des chronischen Rheumatismus und besonders der Gicht in allen ihren Formen, gleichviel ob sie schmerzhaft, oder langsam und chronisch auftrat.

Die Unterdrückung des Schmerzes bei diesen ver- schiedenen schweren Krankheiten veranlasste mich, mit Hülfe dieses Mittels eine gewisse Anzahl schmerzhafter Affectionen zu behandeln, welche mit dem Rückenmark oder den dasselbe umgebenden Nerven in engem Zu- sammenhänge stehen.

Es sind die Resultate dieser zahlreichen Unter- suchungen, welche ich der Akademie unterbreite. Zuerst will ich die chemischen Eigenschaften der Säure erwähnen und sodann die pharmaceutischen Präparate und die Gruppe der Derivate, also der Salicylate, welche der reinen Säure vorzuziehen sind, beleuchten.

Chemie der Salicylsäure.

Die chemischen und pharmaceutischen Untersuchun- gen, welche ich über diesen Gegenstand veröffentlichen will, sind mir durch die Unterstützung eines ausgezeich- neten Apothekers, des Herrn Gallois, des Chemikers Herrn Gar dy und meines Pharmaceuten Herrn Val mont in seltenster Weise erleichtert worden. Man löst, um Salicylsäure (nach neuer Kolbe’ scher Methode) zu bereiten , Phenol in seinem Aequivalent concentrirter Natronlauge auf, verdampft und erhitzt das Residuum so lange, bis die Masse zu einem trockenen Pulver geworden ist. Auf diese Weise gewinnt man Phenol- natron, welches man bis über ioo Grad erhitzt und mit

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einem Strom trockener Kohlensäure behandelt. Darauf erhöht man die Temperatur nach und nach so lange, bis sich unter dem Einfluss der Kohlensäure kein Phenol mehr entwickelt.

So bildet sich also salicylsaures Natron in Gestalt einer braunen, alkalischen Flüssigkeit, welche man mit Chlorwasserstoffsäure präcipitirt.

Die frei gewordene Salicylsäure ist mit etwas Phenol vermischt und es entsteht eine krystallinische Masse, welche man durch mehrere auf einander folgende Krystallisa- tionen reinigt.

Durch das Verfahren von Kolbe, Rautert1) und Tresh, auf welches ich nicht näher eingehen kann, wird sie reiner dargestellt.

Wird die Salicylsäure in einer wässrigen Lösung krystallisirt, so nimmt sie die Gestalt langer Nadeln an.

Sie löst sich in 300 Theilen kalten (18 °) und 20 Theilen kochenden Wassers, bedeutend besser dagegen im Alkohol, Aether oder Glycerin.

Millon’s Reagens färbt die wässrige Lösung roth; ein Zusatz von Eisensalzen verursacht eine violette Fär- bung, die sehr intensiv und selbst bei einer Tausendstel- Lösung bemerkbar ist. Es ist dies ein fast sicheres Mittel, um die Anwesenheit von Salicylsäure im Urin zu entdecken, in welchen sie nach Verlauf einiger Minuten übergeht.

') Rautert reinigt das Product durch Sublimation; hierbei tritt aber stets partielle Zerlegung ein und die also mit Phenol ver- unreinigte, anfangs schön aussehende Salicylsäure ist nicht rein und fällt allmälicher Zersetzung anheim. v. H.

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Die Salicylsäure verbindet sich leicht mit Basen, Natron und Ammoniak und bildet in diesen Zusammen- setzungen sehr leicht lösliche Salze, welche keinen kaustischen Geschmack besitzen. Wir werden die sehr verschiedenen Compositionen dieser Salze noch näher bezeichnen.

Verschiedene Salicylpräparate, Dosirung und Art der Anwendung.

Zu den bis jetzt angewendeten Salicylpräparaten gehört i) die Salicylsäure, 2) das salicylsaure Natron, 3) das salicylsaure Chinin, 4) das salicylsaure Lithium, welches ich darstellen liess, um es bei der Behandlung der Gicht in Anwendung zu bringen, und 5) das Salicin, das bereits gebraucht wurde und jetzt neuerdings wieder von englischen Aerzten empfohlen wird.

1) Salicylsäure. Diese Säure ist von Anfang an in Gebrauch gewesen und ihr ist die Hauptwirkung der Salicylate übrigens auch zuzuschreiben. Sie bietet aber, selbst im reinen Zustande, mancherlei Unbequem- lichkeiten dar und da sie sich in Wasser nur schwer, in ver- dünntem Alkohol nicht viel besser auflöst1) und es ferner geradezu unmöglich ist, sie in Verbindung mit Glycerin einzunehmen, so ist der Gebrauch dieses Medicamentes mit mancherlei Schwierigkeiten verknüpft. Am besten lässt sie sich noch als Pulver einnehmen und dies habe ich auch angewendet. Beim Beginn meiner Unter- suchungen verschrieb ich täglich 5 bis 6 Gramm in

l) Die Salicylsäure löst sich in Alkohol absol. im Verhältniss von 1:4! v- H.

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io oder 12 Theilen und liess dieselben zweistündlich in ungesäuertem Brod oder in Oblaten einnehmen.

Das Pulver verursacht jedoch, wenn es nicht gut eingewickelt ist, einen irritirenden Geschmack und kann durch Anhängen an dem Pharynx oder der Speiseröhre in imangenehmer Weise wirken. Es sollen sogar kleine Blutungen dieses Organes vorgekommen sein (Wolfs- berg) und einige Male will man bei der Section kleine Magengeschwüre gefunden haben. Es steht übrigens fest, dass dieDosis in einigen solcherFälle übertrieben gross war. So waren einem von Goldammer citirten Tuber- culose-Kranken täglich 12 Gramm verabreicht worden.1)

Wenn ich die tägliche Dosis auf fünf oder sechs Gramm beschränkte und das Ganze nicht auf einmal, sondern nach und nach einnehmen liess, so habe ich, wenn das Medicament or- dentlich eingewickelt war, niemals den gering- sten unangenehm en Zufall beobachten können. Buss hat 30 Sectionen gemacht und die Salicylsäure hat niemals Spuren im Magen zurückgelassen.

Man hat sich bemüht, die Löslichkeit der Säure mit Hülfe von Borax, Ammoniak -Citrat und Natron- Phosphat zu vergrössern ; das einfachste Mittel wird jedoch die Umwandlung der Säure in Salicylat bleiben.

') Von Seiten vieler Aerzte wurde unerklärlicher Weise Werth darauf gelegt, ein möglichst gross und hart krystallisirtes Präparat zu erhalten, welches durch die Schärfe seiner spiessigen Nadeln allerdings leicht den Pharynx reizen konnte. Seitdem man die Vorzüge der reinen, sehr weichen, flockig krystallisirten Säure genügend kennen gelernt, sind solche Uebelstände nicht mehr be- hauptet worden. v ij

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2) Salicylsaures Natron. Dies Salz hat gar keinen kaustischen Geschmack und zeigt eine bedeutende Löslichkeit im Wasser. Da sich die Salicylsäure allem Anschein nach im Organismus mit dem Natron verbindet, welches sie im Blut vorfindet, so sollte das salicylsaure Natron vorzugsweise mit Kalisalzen oder Ammoniaksalzen verwendet werden, welche man gleichfalls zu verwerthen gesucht hat.

Dieses Salz besteht nicht , wie man neulich ge- schrieben hat, aus Salicylsäure und Salz zu gleichen Theilen. Die Analyse meines Pharmaceuten Valmont hat im Gegentheil ergeben, dass io Gramm salicylsaures Natron in runder Zahl 8 Gramm Salicylsäure enthalten; es besteht also aus */5 Salicylsäure und lJ5 Natron und man verschreibt mithin eigentlich nur Salicylsäure, die in leicht löslicher Gestalt und um 1/B reducirt einge- nommen wird. Die Dosis kann natürlich nicht in allen Fällen die gleiche sein und richtet sich darnach, ob es sich um eine mit Fieber verbundene Krankheit, eine fieberlose, subacute Affection, oder um eine chronische Krankheit handelt. Im ersteren Fall muss man, um eine therapeutische Wirkung zu erreichen, 9 bis 10 Gramm täglich verschreiben , während im zweiten , wenn die Schmerzen nicht zu heftig sind, die Dosis Anfangs 7 bis 8 Gramm nicht überschreiten darf. Nur in dem Fall besonders heftiger Schmerzen müsste die Dosis ebenfalls 10 Gramm betragen. Wenn es sich um eine chronische Krankheit handelt, so sind starke Dosirungen für den Anfang nicht zu empfehlen, da die sich in ihrer Folge entwickelnden Inconvenienzen den Kranken gleich bei dem Beginn der Behandlung entmuthigen können.

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Zwei unumgänglich nothwendige Vorsichtsmassregeln sind dabei zu beobachten. Wenn die Dosis bestimmt ist, muss das Salz in einer grossen Flüssigkeitsmenge aufgelöst werden. Ich verschreibe z. B. io Gramm salicylsaures Natron in ioo Gramm Wasser und lasse jeden einzunehmenden Esslötfel voll noch mit einem halben Glase Wasser verdünnen. Die zweite nicht we- niger wichtige Massregel besteht darin, dass die Dosis gleichmässig auf den ganzen Tag vertheilt wird. Es ist von grosser Wichtigkeit, dass so bedeutende Dosen, wie sie früher gewisse deutsche Aerzte verschrieben, niemals auf Einmal eingenommen werden, denn dies ist das sicherste Mittel Intoxications-Erscheinungen her- vorzurufen. Bei fortgesetztem Gebrauch empfiehlt es sich auch, das Mittel .so viel als möglich mit den Mahlzeiten zu verbinden.

Falls es der Magen nicht gut verträgt, lasse ich es mit Vichy- Brunnen oder gewöhnlichem Wasser unter Zusatz von eau-de-vie verdünnen.

3) Salicylsaures Lithium. Bei der acuten Gicht und gichtischen, chronischen Affectionen erschien es mir rationell, die Salicylsäure mit Lithium zu verbinden, welches bei Behandlung dieser Krankheit unbestreitbare Vortheile darbietet. Das salicylsaure Lithium, dessen ich mich bedient habe, enthält 5/6 Salicylsäure, so dass man also 5 Gramm Salicylsäure und I Gramm Lithium giebt, wenn man 6 Gramm dieses Salzes verschreibt. Ich konnte mich aber noch nicht mit Gewissheit davon überzeugen, ob das salicylsaure Lithium vor dem salicyl- sauren Natron irgend welche Vorzüge besitzt.

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4) Salicylsaures Chinin. Wir hatten mit diesem seit zwei Jahren bekannten Salze bis dahin noch nicht experimentirt. Das von mir in Anwendung ge- brachte Medicament enthält 7/io Chinin. Brown1), der es als Antipyreticum benutzte, zieht es dem salicylsauren Natron vor. Wir werden bei Gelegenheit des Wechsel- fiebers wieder darauf zurückkommen.2)

5) Sali ein. Das von Maclag an in der Dosis von 1 bis 2 Gramm zweistündlich verschriebene Salicin wirkt durchaus nicht so günstig als die Salicylate, da- gegen hat es nach Herrn G übler seiner kräftigenden Eigenschaften wegen einige Vorzüge vor denselben auf- zuweisen.3)

Wirkung der Salicylsäure auf Fermente und

Gährung.

Da die Salicylsäure vom Phenol abgeleitet wird, so bemühte man sich zu untersuchen, ob sie auch im Be- sitz von dessen desinficirenden , fäulnisswidrigen Eigen- schaften sei. Die Resultate Hessen nicht auf sich warten und bestätigten die theoretischen Vermuthungen.

So weiss man jetzt, dass eine kleine, einer Mischung von Amygdalin und süsser Mandelmilch zugesetzte Quan- tität Salicylsäure die Entwickelung des Geruches der bittern Mandel-Essenz verhindert.

Ferner weiss man, dass Glycose, der eine Spur Salicylsäure zugesetzt worden ist, bei der Berührupg mit

') Edinburg medical Journal, Nov. 1876.

2) Seite 31.

3) Dr. Stricker negirt die günstigeren Wirkungen des Salicins geradezu. (Deutsch, milit. ärztl. Ztschr. 1877, No. 1.) v. H.

II

Hefe nicht mehr in Gährung übergeht und dass eine bereits begonnene Gährung sofort durch den Zusatz einer ganz kleinen Menge dieser Substanz gehemmt wird. Die Salicylsäure verhindert auch die Entstehung von Pilzen auf der Oberfläche des Bieres und manche In- dustrielle brauchen sie, um den Wein vor dem Um- schlagen zu bewahren. Frisches, mit Salicylsäure einge- riebenes Fleisch kann der Luft mehrere Wochen lang ausgesetzt werden ohne in Fäulniss überzugehen.

Auch Brod conservirt sich im Sommer, wenn der Hefe eine kleine Quantität dierer Säure hinzugefügt wird oder wenn man es beim Herauskommen aus dem Ofen mit einer verdünnten Lösung der erwähnten Substanz befeuchtet. Nach Kolbe genügt x Gramm Salicylsäure zur Conservirung von 20 Liter Wasser an Bord der Schiffe.

Verdampft man die Säure auf einer nicht zu stark erhitzten Platte, so reinigt sie die Luft und desinficirt die Mauern des Zimmers, in welchem sie sich verflüch- tigt. In diesen Fällen bietet die Salicylsäure vor der Carbolsäure den Vortheil der Geruchlosigkeit.

Da die Salicylsäure die Eigenschaft besitzt, Fer- mente zu neutralisiren und das Entstehen mikroskopischer Pilze zu verhindern oder aufzuhalten, so durfte man hoffen, sie den Intoxicationen gegenüber, welche der Entwicklung niedriger Organismen zugeschrieben werden , von der mächtigsten Wirkung zu finden und man glaubte, sie würde sich durch Vernichtung dieser noch wenig be- kannten schädlichen Substanzen, die man mit den Namen Sepsis und Zymose bezeichnet, als Antisepticum par excellence documentiren.

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Unter dem Rinfluss dieses Gedankens präparirte Prof. Thier sch für die Wundbehandlung eine Mischung von Amylon und Salicylsäure, sowie eine mit einer V300 Salicylsäure -Lösung durchtränkte Watte. Indessen war er, obgleich er sich zu den erreichten Resultaten Glück wünschen kann, doch zu der Erklärung genöthigt, dass sich in einzelnen Fällen der Micrococcus auf der Wundfläche entwickelt habe1).

Müller, Buchholtz, Jury und Lajoux haben bei dem Studium der Bacterien und Schimmelbildungen ähnliche Erfahrungen gemacht.

Physiologische Wirkungen auf Thiere.

Wenn man Thieren längere Zeit schwache Dosen, x bis 2 Gramm, Salicylsäure einflössl, so erleidet sowohl ihre Verdauungsthätigkeit, als die Ernährung und der allgemeine Gesund- heitszustand nicht die geringste Störung (Feser und Friedberger); die Wirkung des Speichels und Magensaftes auf die Nahrung wird in keiner Weise gehemmt.

Die Pflanzenfresser vertragen grössere Dosen Salicyl- säure ohne Unbequemlichkeiten zu empfinden, als die Fleischfresser der gleichen Grösse , welches Resultat darauf schliessen lässt, dass die Ausscheidung dieser Substanz durch die Nieren bei den Pflanzenfressern schneller als bei den Fleischfressern vor sich geht. In der That führen die Nahrungsmittel der Ersteren dem Blut bedeutende Mengen alkalischer Salze, besonders

J) Wie auch bei Carbolsäure beobachtet.

v. H.

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Carbonate zu, welche die Ausscheidung der Salicylsäure befördern. Man beobachtet übrigens bei den Fleisch- fressern, welche man einer Pflanzendiät unterwirft, eine analoge Erscheinung. Grössere, längere Zeit fortgesetzte Gaben der Säure bringen bei den Pflanzenfressern bei verminderter täglicher Futterration Erscheinungen hervor, welche auf verzögerte Ausscheidung der Salicylsäure durch geringere Zuführung alkalischer Salze schliessen lassen.

Man beobachtet in Folge übertrieben grosser Dosirungen folgende Erscheinungen:

Athmungsbeschwerden. Buss hat bei Kaninchen Dyspnoe, langsamere respiratorische Bewegungen und Zuckungen constatirt.

Unsere Experimente mit Kaninchen und Hunden haben die Exactheit dieser Erscheinungen erwiesen: die Thiere unterliegen beinahe stets nach 2 oder 3 Injectionen von je 1 bis 2 Gramm salicylsaurem Natron, welches mit xo bis 15 Theilen Wasser verdünnt ist.

Köhler schreibt den Tod der Asphyxie zu. Man findet, sagt er, bei der Section im unteren pleuralen Gewebe Ecchymosen, eine passive Lähmung der Lungen und im Herzbeutel eine seröse Flüssigkeit. Wenn man den nervus vagus noch während des Lebens untersuchen kann, so zeigt sich die langsamere Respiration noch deut- licher. Die Salicylsäure vermindert also die Erregbarkeit des nervus vagus der Lunge, woraus eine ungenügende Sauerstoff-Entwiökelung und ein Ueberschuss von Kohlen- säure im Blot entsteht.

Circulationsstörungen. Modificationen der Tempe- ratur. — Köhler behauptet, beim Hunde eine rasche

Abnahme der vasculären Spannung beobachtet zu haben und schreibt dies der Wirkung der Salicylsäure auf die intracardialen Nervenknoten oder auf den Herzmuskel selbst zu, deren nervenbewegende Thätigkeit beeinflusst wird. Dasselbe Resultat zeigte sich nach der Injection einer Lösung von salicylsaurem Natron in die Jugular- Ader eines Kaninchens.

Unsere eigenen Laborator ien-Versuche con- statirten niemals die geringste Modification weder der Arterien - Spannu ng noch der Herz- schläge. Die letztere Thatsache stimmt mit den Beob- achtungen von Reiss überein.

Die Temperatur erfährt bei nicht fiebernden Thieren nur sehr unerhebliche Modificationen. Reiss Hess einen Hund 5 Gramm in Carbonat oder Natron-Phosphat ge- löste Salicylsäure einnehmen und erreichte im Durch- schnitt im Zeitraum von vier bis sechs Stunden nur eine Temperatur-Reduction von 9/10 Grad. Bei Thieren, wel- chen Fürbringer Eiter einspritzte, um eine fieber- hafte Septicämie zu provociren, brachte in der Dosis von 2 Gramm verabreichte Salicylsäure bei neun unter sechs- zehn Fällen keine Abkühlung der Temperatur hervor.

Köhler, der salicylsaures Natron in das Blut eines Hundes einspritzte, constatirte zuerst ein Sinken der Temperatur und des Pulses; als er aber diese Sub- stanz s elbst in zehnfacher Dosis in den Magen des Thieres ein führte, vermochte er keine Wirkung mehr zu beobachten. Meine Experimente haben sowohl in Bezug auf Temperatur als auf Circula- tionsstörungen niemals irgendwie bemerkenswerthe Re- sultate ergeben.

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Nervöse Erscheinungen. Das Nervensystem wird durch betäubend starke Dosen nicht modificirt; es ent- wickeln sich nach Darreichung solcher schliesslich Con- vulsionen oder starrkrampfähnliche Zustände, die weniger das Resultat der Asphyxie als der Wirkung der in über- triebener Menge injicirten Medicamente auf das Nerven- sytem sind. Die allgemeine Sensibilität, sowie diejenige der Haut wird nicht modificirt; andrerseits wird die fortleitende Kraft der Nerven nicht verringert und die reflexive Kraft des Rückenmarkes erleidet schliesslich anscheinend keine Veränderung.

Diese negativen Thatsachen sind um so wichtiger, als eine der merkwürdigsten Eigenschaften dieses Medi- camentes darin besteht, dass es, beim Menschen an- gewendet, eine ausserordentlich schmerzstillende Wirk- samkeit entfaltet.

Fasst man alle die an Thieretl gemachten Experimente zusammen, so muss man gestehen, dass sie sehr schwierig und zu gleicher Zeit von geringem Werth sind. Schwierig sind sie in sofern, als man in das Zellengewebe nicht viel Salicyl- säure oder salicylsaures Natron einspritzen kann, ohne örtliche Wirkungen hervorzurufen. Spritzt man diese Substanzen in die Adern, so bringen sie mechanische W irkungen hervor, denen nothwendig Rechnung getragen werden muss, da man zur Injection einiger Gramm salicylsauren Natrons eine grosse Menge Wasser braucht. Das Einnehmen erregt bei Kaninchen und Hunden im Magen oft Widerwillen und Erbrechen und man kann die physiologischen Wirkungen dann nicht mehr mit Sicherheit beobachten.

Aus diesen Gründen lassen sich aus den mit Thieren unternommenen Experimenten noch keine richtigen Schlüsse auf die Wirkungen ziehen, welche das Medi- cament bei dem Menschen hervorbringt.

Physiologische Wirkung der Salicylsäure und ihrer Derivate auf den gesunden oder kranken Menschen.

Um physiologische oder heilende Wirkungen produ- ciren zu können, muss die tägliche Dosis des Medi- camentes mehr als 2 bis 3 Gramm betragen; die thera- peutische Gabe ist 5 bis 6 Gramm Salicylsäure oder 7 bis 10 Gramm salicylsaures Natron, welches in vieler Beziehung vorzuziehen ist.

Man beobachtete Erscheinungen: 1) auf die Ver- dauungsorgane; 2) auf das Nervensystem der Sinne; 3) auf das Central-Nervensystem; 4) auf das Herz, den Puls, die Respiration, die Temperatur; 5) auf die Aus- scheidungsorgane und deren Producte; 6) auf das Blut.

1. Verdauungsorgane.

Nimmt man 2 bis 5 Gramm Säure auf einmal und wieder- holt die Dosis noch an demselben Tage, so verursacht dies häufig Schlafsucht und Uebelkeit, zuweilen auch ein brennendes Gefühl in der Kehle und im Magen. Diese Uebelstände lassen sich aber sehr leicht vermeiden, wenn man die Dosis von 5 bis 6 Gramm in 10 bis 12 Theile theilt und dieselben in alkoho- ligem Syrup oder ungesäuertem Brod einnimmt. In noch sichererer Weise verhindert man das Auftreten dieser Erschei- nungen durch 8 Gramm salicylsaures Natron, welches in einer grossen Flüssigkeitsmenge gelöst und in 4 oder 5 Theile getheilt wird. Auf diese Art ist die directe Wirkung des Medicamentes auf die Verdauung?- Schleimhäute gleich Null und mehrere

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meiner Schüler, die das Salicylat in der erwähnten moderirten Weise einnehmen, konnten ihre Arbeiten fortsetzen, ohne die geringste Appetit- oder Verdauungsstörung zu empfinden. Bei Fieberkranken zeigten sich, nach meinen Beobachtungen, nur sehr selten Schlafsucht und Erbrechen, und diese Zufälle waren selbst dann nur vorübergehend, wenn die Dosis mehrere Tage lang in derselben Stärke angewendet wurde. Wenn ich das Medicament aber bei chronischen Krankheiten für die Dauer etlicher Wochen verschrieb, sogeschah es doch zuweilen, dass die Kranken plötzlich, wenn auch nur ganz vorübergehend, einen gewissen Ekel davor empfinden, der mich nöthigte, das Medi- cament einige Tage auszusetzen. Diese Störung in den Ver- dauungsorganen wird übrigens in solchen Fällen sogleich beseitigt, wenn man die Lösung in Vichy-Brunnen oder mit etwas Alkohol zusammen einnehmen lässt.

. Gehörsaff ectionen ; Ohrensausen, Schwerhörig- keit.

Die beständigste, oft sehr rasche Wirkung grosser Dosen der Salicylpräparate ist die Entwicklung von Ohrensausen; sowohl gesunde Individuen als fieberfreie Kranke, ja sogar Fieberkranke empfinden dasselbe in fast gleichmässiger Weise, wenn sie die täg- liche Dosis von 5 bis 6 Gramm Salicylsäure oder 10 Gramm sali- cylsaurem Natron erreicht haben. Beinahe Alle klagen nicht allein über dies seltsame Geräusch im Gehörsorgan und im ganzen Kopf, sondern vergleichen es noch mit einem entfernten Rollen, einem gleichsam wellenartigen Gefühle. Es ist indessen immerhin bemerkenswert!!, dass diese Empfindungen nicht von der geringsten geistigen Störung, weder von Hallucinationen noch von schwindelähnlichen Gesichtsillusionen, begleitet werden, wie dies unter dem Einfluss des Chinin-Sulfats oder bei der See- krankheit der Fall ist. Es kommt sehr selten vor, dass die Kranken Gegenstände in röhrender Bewegung zu sehen glauben oder das Gefühl haben, als ob sie sich selbst im Kreise drehten; höchstens entsteht zuweilen ein gewisses Schwanken oder viel- v. Heyden, Studien über die Salicylsäure. 2

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mehr eine Unsicherheit im Gange, die indessen durchaus nicht von längerer Dauer ist.

Nächst dem Ohrensausen und Kopfgeräusch bildet die Ab- nahme der Sensibilität des Ohres, sowie eine Schwerhörigkeit, welche übrigens niemals oder sehr selten bis zu völliger Taub- heit vorschreitet, die gewöhnlichste Erscheinung. Die erwähnte Schwerhörigkeit stellt sich auch nur dann ein, wenn man zwei bis drei Tage lang täglich mindestens 6 Gramm Salicylsäure oder io Gramm salicylsaures Natron gebraucht hat und nimmt bei fortgesetztem Ge- brauch des Mittels keineswegs zu; sie bleibt, ebenso wie das Ohrensausen, stationär und nimmt sogar meistens ab, ohne dass die Dosis in erheblicher Weise verkleinert worden wäre.

Jedenfalls verschwindet sowohl das Ohrensausen als das Geräusch im Kopfe sofort, wenn das Mittel herabgemindert wird, und die Schwerhörigkeit lässt niemals die ge- ringsten Spuren zurück; sie ist auch nie von so langerDauer wie nach längerem Gebrauch der Chinin- Präparate oder starken Dosirungen der letzteren.

3. Central- Nervensystem.

Bei therapeutischen Dosen lassen sich beim ge- sunden Menschen keine Störungen in den Func- tionen der Gehirn- und Rückenmarksnerven beob- achten. Die Sinne selbst erleiden mit Ausnahme des Gehörs keine Störung und wenn man in einigen Fällen eine Abnahme des Gesichts wahrzunehmen glaubte, so könnte dies nur eine Folge übertrieben starker oder zu rasch auf einander folgender Dosen gewesen sein.

In diesen Fällen beobachtete man auch das Auftreten eines stillen Deliriums, ohne Phantasien; seltener einen dem Deli- rium tremens ähnlichen Zustand. Man kann dreist be- haupten, dass io bis 12 Gramm bei einem gesunden Menschen nie Störungen der Gehirn- und Rücken- marksnerven verursacht haben. Handelt es sich um

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Fieberkranke, so entwickelt sich natürlich leichter Delirium. Bei zwei Typhuskranken, bei welchen der Thermometer 40 Grad zeigte, brachten 10 Gramm salicylsaures Natron täglich nach sieben bis acht Tagen ein stilles Delirium hervor, welches von einem beträchtlichen Sinken der Temperatur (2 bis 3 Grad) be- gleitet war. Als man das Medicament nicht mehr anwendete, hörte das Delirium sofort auf, die Hitze stieg jedoch wieder bis auf 40 Grad und die Krankheit nahm bis zur Heilung ihren regelmässigen Verlauf.

Uebrigens habe ich niemals Störungen des Gefühls- oder Bewegungsvermögens wahrnehmen können. Die starrkrampf- artigen Zusammenziehungen, von denen Leonardi- Aster ein Beispiel anführt, sind mir bei meinen Beobachtungen niemals vorgekommen und der Collaps, der auf das Einnehmen zu starker Dosen folgt, hat sich ebensowenig jemals bei meinen Kranken gezeigt. Indessen genügt der Gedanke, dass eine ein- zige Intoxications-Erscheinung, wie das Delirium, überhaupt Vorkommen kann, um die Wirkung des Medicamentes auf das strengste überwachen zu lassen und darauf zu achten, dass die angegebene Dosirung nie überschritten und nicht in zu rasch aufeinander folgender Weise verabreicht wird.

Schliesslich muss man das Mittel sofort herabsetzen, sobald sich das geringste Intoxicationszeichen zeigen sollte.

4. Wirkung der Salicylsäure auf Herz, Puls und Temperatur.

Man beobachtet zuweilen beim gesunden Menschen partielle Vascularstörungen, die besonders der Blutcirculation des Ge- hirns und Gesichts zuzuschreiben sind. Das Herz schlägt dabei regelmässig fort, der Rhythmus und die Anzahl der Herzschläge bleibt in normalem Zustande und auch der Puls erfährt nicht die geringste Modification.

Die Respiration, welche bei übertrieben starken Dosen ent- schieden beeinflusst wird, erfährt bei dem Gebrauch von 8 bis 12 Gramm salicylsauren Natrons keine Veränderung. Die Tem- peratur selbst sinkt nicht im Geringsten.

Zwei meiner Schüler nahmen eine Zeit lang täglich 5 bis 6 Gramm Salicylsäure, dann 10 Gramm salicylsaures Natron ein und sie sind nie im Stande gewesen, die geringste Modification weder der Temperatur noch des Puls- schlages constatiren zu können.

Ge dl (in Krakau) verabreichte 8 fieberfreien Personen 3 bis 5 Gramm Salicylsäure und konnte bei der Hälfte derselben nichts Bemerkenswerthes entdecken; 4 Mal fand ein Sinken der Temperatur statt, welches jedoch nie mehr als 0,8 Grad betrug, und 3 Mal waren die täglichen Temperatur-Schwankungen ausserordentlich unbedeutend.

Riegel (in Cöln) experimentirte bei gesunden Individuen mit 4 bis 5 Gramm reiner Salicylsäure und konnte dabei keine wesentliche Abnahme der Temperatur beobachten. Ja, Lür- mann, der einem Rheumatismuskranken Salicylsäure verschrie- ben hatte, will sogar in Folge dessen einen heftigen Fieber- anfall veranlasst haben. Der Puls stieg auf 160, die Temperatur auf 41 Grad. Er wandte das Mittel 3 Mal von Neuem an und 3 Mal zeigten sich dieselben Resultate. Ich habe bei einer jungen Chorea-Kranken, der ich salicylsaures Natron verschrieben hatte, eine ähnliche Erfahrung gemacht; sie bekam einen Fieber- anfall, dessen Ursache wir nur auf das Einnehmen des verord- nten Medicamentes zurückzuführen vermochten.

Im gesunden oder fieberfreien Zustande bleibt die Tem- peratur also normal; sie sinkt niemals in bemerkenswerther Weise und auf längere Zeit; in einigen Ausnahmefällen ist sie sogar so hoch gestiegen, dass ein wirklicher Fieberanfall ent- stand. Wie verhält sich die Sache nun bei Fieberkranken? Dies ist eine Frage, welche wir bei Gelegenheit der antipyre- tischen Eigenschaften, welche man der Salicylsäure bei der Be- handlung typhöser und rheumatischer Fieber zuschreibt, erörtern wollen.

Interpretation der Störungen des Gehirns und der Sinne. Ist die vollständige Integrität der Herzfunctionen, die Regel- mässigkeit des Pulsschlages und das integrale Verhalten des Vascular-Druckes eine Bürgschaft dafür, dass sich keine Störungen der localen Blutcirculation entwickeln können? Claude Ber-

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nard behauptet in einigen Fällen die Unabhängigkeit der Cir- culation gewisser Organe und es giebt Medicamente, welche auf die vasomotorischen Nerven oder auf die Blutgefässe eines be- stimmt abgegrenzten Körpertheiles einwirken. Die Arterien des Gesichts und Gehirns werden vermöge ihres ausserordentlich zarten, beweglichen Gewebes rascher als an anderen Stellen zu erhöhter Thätigkeit angeregt und man frägt sich in solchen Fällen mit Recht, ob nicht vielleicht Congestionen oder im Gegentheil Blutmangel im Gehirn die Folge sein könnten. Ist im gegenwärtigen Fall das Geräusch im Gehirn, das Ohren- sausen und die Abnahme der Gehörsfähigkeit mit einer Pertur- bation der Blutcirculation in Zusammenhang zu bringen?

Nimmt man 8 bis io Gramm salicylsaures Natron auf ein- mal oder in rasch aufeinander folgenden Dosen, so erhitzt sich das Gesicht und es entstehen zuweilen Wallungen, sowie eine Art von Trunkenheit. Dies ist aber nur vorübergehend und ent- wickelt sich überhaupt nur in Folge zu rasch auf einander folgender grosser Dosen.

Wird dagegen die Säure allmälig verabreicht, so mani- festirt sich weder Färbung und Entfärbung des Gesichtes, noch Schwindel, es zeigt sich mit einem Wort keine Störung der Circulation. Es ist also noch keineswegs bewiesen, dass die Gehörs-Perturbationen mit einer Blutleere oder Blutüberfüllung des Gehirns in Verbindung stehen.

Man wird also eine einfache Störung in der Function der Gehörsnerven, das heisst zuerst eine Hyperästhesie, dann eine eine Abnahme des Gehörvermögens, annehmen müssen.

5. Elimination der Salicylsäure und des salicyl- sauren Natrons im Urin.

Die Elimination des salicylsauren Natrons und der Salicyl- säure geht sowohl bei dem gesunden als dem kranken Menschen sehr rasch von Statten ; man findet diese Substanzen schon zehn Minuten nach dem Einnehmen im Urin vor.

Vermittelst einer Eisenchlorid-Lösung lässt sich die Gegen- wart von Salicylsäure leicht constatiren; der Urin nimmt so- gleich eine charakteristische violette Färbung an.

Man findet die Säure zum grossen Theil in freiem Zustande. Fleischer hat, um dies darzulegen, Urin in Gegenwart einer Säure destillirt und es gelang ihm auch mit Hülfe von Aether einen Theil derselben wiederzugewinnen. Diese Experimente können jedoch nicht als triftiger Beweis gelten, da ein Ueber- schuss an Phosphat in dem experimentirten Urin hinreichte, um die Gewinnung der freien Salicylsäure zu ermöglichen.

Ein anderer Theil der Säure verbindet sich mit Kali. So- wohl die Salicylsäure, als das salicylsaure Kali ist im Aether löslich.

Ein dritter Theil endlich ist in combinirtem Zustande im Aether unlöslich.

Ich füge noch hinzu (und dies ist ein Punkt von Bedeu- tung), dass eine partielle Umwandlung der Salicylsäure in Sali- cylursäure stattfindet. Ebenso wie sich die Benzoesäure im Körper in Hippursäure umsetzt, ebenso fixirt die Salicylsäure im Organismus einen Theil der Leimzucker-Elemente und bildet eine der Hippursäure analoge zusammengesetzte Säure, welcher Bertagnini den Namen Salicylursäure beigelegt hat.

Um sie darzustellen, sammelt man Urin, concentrirt den- selben durch Verdampfung, scheidet die Mutterlauge der Salze aus, säuert mit Chlorwasserstoflfsäure an und schüttelt das Ganze mit Aether durch. Die Aetherlösung lässt nach der Verdampfung eine stark saure, krystallisirbare Flüssigkeit zurück, welche man bis zu 140 Grad erhitzt; es verflüchtigt sich Salicylsäure und das Residuum besteht aus Salicylursäure.

Picard verwendete kürzlich zur Trennung der beiden Pro- ducte Benzol und Aether, da die Salicylsäure in Aether weit löslicher ist, als die Salicylursäure. Die letztere Säure löst sich in kochendem Wasser sehr gut, weniger dagegen in Aether; die wässrige Lösung färbt ebenso wie die Salicylsäure Eisensalze violett.

Die vollständige Elimination der Salicylsäure ist oft nach 24 Stunden, meistens jedoch nach 48 Stunden beendet; trotz dessen habe ich einmal bei einem Typhuskranken, der das Medi- cament seit sechs Tagen nicht mehr brauchte, Spuren desselben gefunden.

Wenn ich diese Schnelligkeit der Elimination betone, so geschieht dies nur, um darauf hinzuweisen, dass das Medica- ment nicht in rasch aufeinander folgenden Dosen verschrieben werden möge, wie sie von einigen ausländischen Aerzten em- pfohlen werden. Man muss es (und dies ist auch das sicherste Mittel, jeder Intoxications-Erscheinung vorzubeugen) in getheilten Dosen verordnen, so dass der Kranke beständig unter der Einwirkung des Medica- mentes bleibt. Man thut am besten daran, die Dosis von 8 bis io Gramm in gleichmässiger Weise auf die 24 Stunden des Tages zu vertheilen und also alle fünf oder sechs Stunden 2 Gramm zu verabreichen.

Die Salicylsäure wirkt auch bei ihrer Elimination, und in- dem sie selbst zahlreiche Modificationen erfährt, auf die Nieren, die Ausscheidung des Urins und die Beschaffenheit desselben.

In gewissen Fällen vermehrt sie die Quantität des Urins und scheint als diuretisches Mittel zu wirken. Diese Wirkung ist aber keineswegs stets die gleiche und kann weder bei der Erklärung der übrigens noch zweifelhaften antipyretischen Thätig- keit der Säure hoch für das Verständniss der Herzstörungen, welche einige Beobachter mitgetheilt haben, irgendwie in Be- tracht kommen.

Die Zusammensetzung des Urins ist im Gegentheil beinahe immer modificirt, höchstens ist eine grössere Menge Indican zu bemerken. Zuweilen hat mein Chemiker auch das Vorhanden- sein einer braunen, dunkeln, tanninartigen Substanz constatirt, welche kürzlich unter dem Namen Pyrocatechin besprochen worden ist und welche man in gewissen Pflanzen in normalem Zustande vorfindet.

Nierensteinleidende eliminiren eine grössere Menge Harn- säure oder die Nierensteine scheiden sich vielmehr mit grösserer Leichtigkeit aus.

Bei Gichtkranken zeigt die Elimination der Harnsäure zu- weilen eine nicht unbedeutende Vermehrung. Das gilt beson- ders von den acuten Anfällen , die von Zeit zu Zeit in der chronischen Gicht Vorkommen. Ich habe einst bei einem Kran- ken die Beobachtung gemacht, dass die Quantität der eliminirten

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Harnsäure, welche in normalem Zustande 0,80 Gramm pro Liter beträgt, drei Tage lang sich auf der Höhe von 3 Gramm erhielt, ohne dass die geringste Aenderung der Diät statgefunden hätte.

Der Harnstoff erfährt weder im normalen Zustande noch in pathologischen Verhältnissen irgend welche bemerkenswerthe Modification.

Sind die Nieren lädirt, so ist das Medicament in grossen Dosirungen nicht ohne Gefahr anzuwenden und es ist stets von Wichtigkeit, der Integrität dieser Organe im Voraus hierfür sich zu versichern. Ich habe selbst Gelegenheit gehabt, bei einem Rheumatismuskranken, der an zeitweiliger Nephritis litt, eine nicht unbedeutende Hämaturesie zu beobachten, und der gleiche Fall ist bei einer parenchymatösen Nephritis vorgekommen. Leonardi Aster will dies selbst im physiologischen Zustande in Folge einer zu starken Dosis Salicylsäure bemerkt haben. Beiz spricht auch von Albuminurie und Nephritis; er fügt aber hinzu, dass sich diese Irritation nicht mehr gezeigt habe, seit er an Stelle der Salicylsäure salicylsaures Natron verwendet.

Nach Buss findet man auch im Schweiss Salicylsäure, welche Thatsache indessen nicht verbürgt ist.

Gewiss ist, dass die Salicylsäure oft den Schweiss hervor- ruft ; man kann diese Diaphorese sowohl im fieberfreien als fieberhaftem. Zustande beobachten; bei Rheumatismuskranken er- schien mir indessen die natürliche Tendenz zum Schweiss nicht in höherem Maassstabe vorhanden zu sein.

Buss hat auch im Speichel und Auswurf das Vorhanden- sein von Salicylsäure constatirt und O ulmont hat sogar in der serösen Flüssigkeit einer Hautblase Spuren davon entdecken wollen.

0. Verhalten der Salicylsäure im Blut.

Nach Feser und Friedberger verbindet sich die Salicyl- säure im Blut mit albuminösen Stoffen und sie haben durch Experimente mit Eiweiss oder Serum oder Blut selbst, welchem Salicylsäure zugesetzt worden war, constatirt, dass es unmöglich ist , die letztere auszuscheiden , wenn das Ganze mit Aether durchgeschüttelt wird. Daraus schliessen sie, dass das Hinder-

niss, welches dieser Ausscheidung entgegen steht, in der Ver- bindung liegt, welche sich zwischen der Salicylsäure und den albuminösen Stoffen gebildet hat.

Mir scheint die Meinung, welche Binz über diesen Punkt äussert, rationeller zu sein. Nach ihm enthält das Blut Salicyl- säure und kein salicylsaures Natron ; letzteres ist der fortwäh- renden Einwirkung von Kohlensäure unterworfen, welche Salicyl- säure frei macht.

Fleischer hat die Exactheit dieser Beobachtung bestätigt; wollte man die Salicylsäure durch einfaches Schütteln mit Aether aus dem Blut ausscheiden, so müsste das salicylsäure Natron in Aether löslich sein; dies ist aber nicht der Fall und die Salicylsäure kann nur herausgezogen werden, wenn das alkalische Natron vorher durch einen Strom Kohlensäure oder durch den Zusatz einer anderen Säure zersetzt wird.

Friedberger und Zimmermann glauben, dass die Ver- bindung der Säure mit den Natronsalzen des thierischen Blutes die Wirkung der Säure abzuschwächen vermag. Köhler be- obachtete keinen Unterschied in der Wirkung, gleichviel ob er Salicylsäure oder Salicylat in die Adern eines Kaninchens ein- spritzte. Wenn man dagegen salicylsaures Natron in den Magen bringt, so ist seine Wirkung weniger energisch als die der Salicylsäure. Das Salz soll besonders Antipyreticum, die reine Säure Antisepticum sein; in Wirklichkeit differiren die beiden Substanzen aber nur in Bezug auf den letzten Punkt: die Säure allein ist im Besitz antiseptischer Eigenschaften.

Soviel über die physiologischen Wirkungen der Salicyl- präparate.

Klinische Beobachtungen.

I. Behandlung septischer Krankheiten.

Die Untersuchungen von Kolbe und Thier sch haben bewiesen, dass die Salicylsäure in ihrer äusseren Anwendung als Antisepticum bezeichnet werden kann,

obgleich sie in dieser Beziehung, ihre Geruchlosigkeit (und Nichtflüchtigkeit, D. Uebers.) ausgenommen, keine bedeutenden Vorzüge vor der Carbolsäure, der Thymian- säure und Benzoesäure (Salkowski) besitzen soll. Ent- wickelt sie diese antiseptischen Eigenschaften auch septi- cämischen, miasmatischen, ansteckenden, eiterigen, von Fermenten oder Bacterien hergeleiteten Krankheiten gegenüber ? Es sind in dieser Richtung zahlreiche Ver- suche unternommen worden.

Septieämie. Fürbringer hat durch Einspritzen gesun- den oder mit einer Chlor-Natriumlösung verdünnten Eiters unter die Haut von Hunden und Kaninchen eine künstliche Septieämie hervorzubringen versucht. Nach genügender Entwicklung des sep- ticämischen Fiebers liess er die Thiere Salicylsäure einnehmen, ohne Resultate damit zu erzielen. Die verabreichten Dosen waren allerdings entschieden viel zu schwach.

Die von Feser und Friedberger künstlich hervorgerufene eiterige Infection, die mit stärkeren Dosen Salicylsäure behandelt wurde, erfuhr keine Modification.

Als inneres Mittel scheinen die Salicylpräparate bei diesen schweren Krankheiten, welche sich häufig in Folge von Trauma- tismus, chirurgischen Operationen oder Puerperalzuständen ent- wickeln, keine Wirkung hervorzubringen. Ob sie an Stelle der Car- bolsäure in der ListeFschen Wundbehandlung, bei der Wundbehand- lung im Allgemeinen oder bei krankhaften puerperalen Zuständen irgend welche Vortheile darbieten, vermag ich nicht zu entscheiden.

DiphtEeritis. Die Diphtheritis ist eine im höchsten Grade ansteckende Krankheit, deren Gift noch unbekannt ist, in welcher man aber der Thätigkeit gewisser, sich auf den Schleimhäuten des Pharynx aufhaltenden Parasiten eine bedeutende Rolle zuschreibt. Unter dieser Fahne musste sie die Vorkämpfer der Salicylsäure natürlich zu Experimenten reizen und die Versuche sind in der That gerade bei dieser verhängvissvollen Krankheit mit dem grössten Vertrauen auf glänzende Erfolge unternommen worden.

Wagner behauptet, 15 Diphtheritisfälle mit bestem Erfolge

mit zweistündlich 0,10 Gramm Salicylsäure, die er sowohl inner- lich, wie als Gurgelwasser verordnete, behandelt zu haben. Jeden- falls sind dabei in der Diagnose einige Irrthümer zu verzeichnen und die einfache Bräune figurirt unter dem Namen Diphtheritis, ohne es in der That zu sein. Wenn die Respiration wirklich croupartig wird und die Krankheit den Larynx ergreift, ist auch von der Salicylsäure nichts mehr zu hoffen und man kann sie daher auch nicht für ein eigentliches Diphtherjtismittel ausgeben. Stei- nitz hat 34 an Scarlatina mit diphtheritisartiger Bräune erkrankten Kindern mit Erfolg Salicylsäure verabreicht; ich kann darin nichts Wunderbares finden, da diese bei Scarlatina auftretende Bräune beinahe immer schon von selbst heilt.

Derselbe Autor behauptet, von n wirklichen Diphtheritis- fällen 9 geheilt zu haben.

Schultze hat bei 10 Diphtheritisfällen, welche er mit localer Anwendung pulverförmiger Salicylsäure behandelte, nur 2 Todes- fälle zu beklagen gehabt. Ruch, Weber, Tenholt und Stuart haben ebenfalls mit Hülfe dieses Mittels Erfolge erreicht.

In den meisten dieser Beobachtungen scheint die Phantasie jedoch keine ganz untergeordnete Rolle gespielt zu haben, sie sind unvollständig und lassen sich vom diagnostischen Standpunkte aus nicht genau controlliren. Bei einem wirklichen Diphtheritisanfall, welchen ich im Hospital bei einer jungen Frau zu behandeln hatte, verschwanden die falschen Membranen sehr rasch und kamen auch nicht wieder zum Vorschein. Ich hatte Salicylsäure als Gurgel- wasser verschrieben, Injectionen in den Hals verordnet und liess dabei innerlich salicylsaures Natron brauchen; in diesem Fall schien es mir, als ob die locale antiseptische Wirkung des Medicamentes bei der Heilung eine Rolle spiele; die Nützlichkeit der Salicyl- präparate als inneres Mittel bei der Behandlung von Diphtheritis ist mir indessen noch immer zweifelhaft. ')

*) Unzweifelhaft spielt die locale Wirkung der Salicylsäure bei Diph- therie, Croup, Bräune eine höchst beachtenswerthe Rolle; jedoch berichtet u, A. auch neuerdings Dr. Laudon in Elbing (Berl. klin. Wochenschr. 1878. No. 6) von einem schweren mit maligner Angina (Diphtheritis) complicirten Fall, wo Salicylsäure auch intern gegeben einen entscheidenden Erfolg erwies. v. H.

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Herr Mo i zart äussert sich in seiner These in ähnlicher Weise im Namen meines Freundes und Collegen Bergeron, welcher bei seinen Beobachtungen im Hospital St. Eugenie den Nutzen localer Anwendung förmlich constatirt, in Bezug auf den inneren Gebrauch des Mittels bei dieser schweren Krankheit jedoch seine Zweifel nicht unterdrücken kann.

Sollte das Medicament bei seiner örtlichen Anwendung wirk- lich die Kraft besitzen, die locale Entwicklung jener Parasiten, welche die Ursache der Diphtheritis sind, zu zerstören und aufzu- halten, so würde dei IMedicin schon allein damit ein grosser Dienst erwiesen. Indessen sind die Versuche nach dieser Richtung hin auch noch nicht in endgültiger Weise zur Entscheidung gelangt.

Mucor. Bezüglich des Mucor kann ich, trotz der Be- hauptungen Berthold’s, welcher 8 Kranke, von denen 3 sehr schwer leidend waren, rasch geheilt haben will, nur meine früheren Ansichten wiederholen.

Ich wende mich jetzt zu den neuen, bei zymotischen und eiterigen Affectionen angewendeten Behandlungsmethoden:

Lungenentzündung. Berthold verschrieb bei einer Lungenentzündung 5 Gramm Salicylsäure und stellte den Kranken wieder her. Dagegen scheiterte die gleiche Behandlung in einem ähnlichen Fall vollständig, obgleich der üble Geruch des Auswurfes allerdings zu verschwinden schien.

Diabetes. Man nahm auch Veranlassung, die Salicylsäure bei der Zuckerkrankheit, deren Ursache gewisse Aerzte der Ent- wicklung eines speciellen Fermentes zuschreiben, in Anwendung zu bringen und Ebstein und Müller experimentirten in der That im Jahre 1875 in dieser Richtung, jedoch ohne Erfolg. Später be- handelte Dr. Ebstein in Göttingen zwei schwere Diabetesfälle, von denen der eine alt, der andere von kürzerem Datum war, mit salicyl- saurem Natron. In dem einen Fall verschwand der Zucker nach elf Tagen aus dem Urin und in dem anderen producirte der Kranke nach 23 Tagen der Behandlung nur 880 Gramm Urin, in welchem die Glucose-Quantität nur noch im Verhältniss von 13 zu 1000 Gramm vorzufinden war. Spillmann und Kien berichten ebenfalls Günstiges über die neue Behandlungsmethode und der Erstere con- statirt bei einem veralteten, der Letztere bei zwei Diabetesfallen,

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von denen der eine von kürzerem Datum, der andere chronisch war, bemerkenswerthe Besserung.— Dagegen hat Herrenschmidt seiner- seits zwei Diabeteskranken täglich sechs Wochen lang drei Gramm Salicylsäure verordnet, ohne mehr als mit den gewöhnlichen bei Glycosurie angewendeten Mitteln auszurichten. Man kann daraus wohl den Schluss ziehen, dass das Medicament, mit welchem wir uns beschäftigen, nicht eigentlich als Specificum gegen Diabetes an- zusehen ist und dass dasjenige, welches wirklich im Stande sein wird diese Krankheit radical zu heilen, wohl noch aufgefunden werden soll.

H. Anwendung des salicylsauren Natrons als

Antipyreticum bei specifiscbem Fieber und bei Entzündungen.

Die antiseptischen Eigenschaften, welche die Salicyl- säure als äusserlich angewendetes Desinfectionsmittel entschieden besitzt, während ihre Kraft als innerlich wirkendes Antipyreticum noch immer nicht voll bewiesen ist, mussten natürlich den weiteren Gebrauch des Medi- camentes bei Krankheiten veranlassen, in welchen das Fieberelement mit dem specifischen Charakter auftritt. Man experimentirte also, jedoch ohne Erfolg, zuerst bei eitrigen Infectionen, dann bei Ausschlagsfiebern und schliesslich beim typhösen Fieber. Die Anwendung der Salicylpräparate erschien in diesen Krankheiten um so mehr geboten, als man ihnen ausser der Fähigkeit die Entwicklung von Fermenten auf halten zu können, auch noch antipyretische Eigenschaften zuschrieb.

Fieber im Allgemeinen. Buss in St. Gallen, einer der eifrigsten Verfechter der Salicylmedicamente, rühmte ihre Wirkung als Antipyretica und erkannte ihnen nicht allein die Kraft zu, die Körpertemperatur herabzubringen, sondern auch die Fähigkeit, einen ruhigeren Pulsschlag der Fieberkranken zu veranlassen , vorausge-

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setzt, dass die verabreichte Quantität noch einmal so gross als die in solchen Fällen verordnete übliche Menge Chinin sei.

Jahn bestätigt es, dass die Salicylsäure in der täglichen Dosis von 4' bis 6 Gramm ein vortreffliches Antipyreticum bildet, welches im Stande ist, die Temperatur um i,8 bis 3,6 Grad F. und den Puls um 10, zuweilen 20 Pulsschläge zu ermässigen.

Bei 12 Fällen von fieberhaften Affectionen will Nathan eine sehr bedeutende Temperaturabnahme, in einem dieser Fälle eine Ermässigung des Pulses um 60 Pulsschläge bemerkt haben. Der- selbe Autor zieht das salicylsaure Natron dem Chinin, Veratrin und der Digitalis bei weitem vor.

Miers erklärt, dass er oft schon eine oder zwei Stunden nach dem Einnehmen der Salicylsäure eine Temperaturabnahme von 2, 3 und selbst 6 Centigraden beobachtet habe. Goldammer, Beiz, Brand und besonders Buss sprechen sich in demselben Sinne aus. Dagegen will Wolfsberg in Professor Ziemssen’s Klinik in München bei der Behandlung von anhaltendem, sowie bei remitti- rendem Wechselfieber nur vorübergehende, unbedeutende oder gar keine Erfolge erreicht haben. - Zimmermann in Greifswald und Martelli verzeichnen dieselben Resultate. Um diese wider- sprechenden Behauptungen besser beurtheilen zu können, müsste man die Details der Beobachtungen und den Charakter der Fieber, um welche es sich hier handelt, näher betrachten können.

Aussehlagsfleber. Da man die Salicylsäure a priori als inneres Antiseplicum und Antipyreticum ansah, so versuchte man ihre Wirkung auch bei Ausschlagsfiebern und besonders bei Vario- liden oder Pocken. Schwimmer verordnete sie bei 75 Pocken- fällen und erreichte nur 55 Heilungen. Solche Resultate sind nicht sehr ermuthigend und geben uns noch nicht das Recht, die Sälicyl- säure bei Ausschlagskrankheiten als Specificum zu betrachten.

W eehselfleber. Aus denselben Gründen versuchte man bei Wechselfieber das Miasma zu neutralisiren und die dieser Krank- heit eigenthümliche Wiederkehr des Fiebers zu verhindern. Senator, Fischer, Rosenstein (Leyden) und Hiller experimentirten in dieser Richtung mit Salicylsäure, erreichten jedoch sehr verschieden- artige und nicht unanfechtbare Resultate. Wenn das Fieber auch

für ein oder zwei Tage verschwand, so kehrte es doch wieder zurück und wich in vielen Fällen dem Einfluss des Chinin-Sulfats.

Ich gebe hier drei Beobachtungen, welche die Wirkungslosig- keit der Salicylsäure und des salicylsauren Natrons beim Wechsel- fieber zu beweisen scheinen.

Im ersten Fall handelt es sich um ein tägliches Wechselfieber, welches sich der Betreffende vor zwei Jahren in der Sologne zuge- zogen hatte. Das Chinin -Sulfat vermochte die Anfälle nicht in definitiver Weise zu beseitigen und auch io Gramm salicylsaures Natron modificirten dieselben in keiner Weise.

Der zweite Fall bezieht sich auf einen Mechaniker, der drei Jahre in Rumänien gelebt und dort das dreitägige Fieber bekom- men hatte. Der Kranke war seit einem Jahr nach Frankreich zu- rückgekehrt und war weder durch Chinin noch durch salicylsaures Natron vollständig zu heilen.

Dasselbe fand bei einem dreitägigen, von einem Aufenthalt in der Sologne herrührenden Fieber statt.

Gegenüber diesen Misserfolgen und um mir von der Wirkung der Salicylsäure genaue Rechenschaft ablegen zu können, versuchte ich das Medicament mit Chinin in Verbindung zu bringen. Das salicylsäure Chinin, welches sowohl Herr Hebert, Ober- Apotheker am Hotel-Dieu, als mein Pharmaceut Herr Val mont darstellen, ist ein sehr beständiges Salz, welches sich im Wasser schwer, in Alkohol dagegen leichter löst. Ich liess 0,40 Gramm in Pillen oder Pulvern einnehmen und vom ersten Tage ab verschwanden die Anfälle sofort!

Mithin genügten da, wo sich sehr bedeutende Dosen Chinin als erfolglos bewährt hatten, 30 Centigramm sali- cylsaures Chinin, um die Anfälle vollkommen zu be- seitigen. Ich beobachtete dieVorsicht, das Medicament noch vierzehn Tage fortgesetzt brauchen zu lassen und das Fieber zeigte sich nicht mehr während der Zeit, welche die Kranken noch im Hospital zubrachten (vier- zehn Tage).

Indessen kamen mir in meiner Privatpraxis zwei Fälle von Wechselfieber vor, von denen sich der eine als Sumpffieber mit un-

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regelmässigen Anfällen, der andere als Symptomfi'eber mit Broncho- Lobular-Pneumonie erwies. Tn diesen beiden Fällen war auch die Anwendung des salicylsauren Chinins in vorerwähnter Dosirung von keinem Erfolge begleitet und ich konnte erst durch Erhöhung der Dosis auf 90 Centigramm eine heilende Wirkung erreichen.

Senator war in mehreren Fällen von Wechselfieber nicht glücklicher, dagegen behauptet Brown (Edinburger medic. Journal, Nov. 1876) mit der Dosis von 60 Centigramm bis 2,40 Gramm nach Verlauf einer Stunde eine beträchtliche Temperatur-Abnahme (bis zu 5 Grad F.), sowie eine Ermässigung des Pulsschlages herbei- geführt zu haben.

Das salicylsaure Chinin würde vor dem salicylsauren Natron den Vortheil darbieten, dass es keinen Schweiss provocirt und dem Chinin insofern vorzu ziehen sein, als es weder Ohren- sausen noch Schwerhörigkeit wie das blosse Chinin verursacht. Wenn ich annehme, dass die Zusammensetzung des salicylsauren Chinins überall mit dem von mir angewendeten Medicament iden- tisch ist, so verschreibt man in der Dosis von 2,40 Gramm salicyl- saurem Chinin in der That 1,60 Gramm Chinin.

Typhöses Fieber. Gerade beim typhösen Fieber ist das neue Heilmittel in seiner doppelten Eigenschaft als Antisepticum und Antipyreticum am meisten gerühmt worden. Buss hat mit

2 Gramm Chinin und 4 bis 8 Gramm salicylsaurem Natron ver- gleichende Versuche angestellt und die dabei erreichten Resultate sprechen alle zu Gunsten des letzteren Mittels. Die Behandlung war übrigens complicirt und die Temperatur- Abnahmen von 2 bis

3 Grad müssen zum grossen Theil auch der Wirkung der Bäder zugeschrieben werden.

Riess verschrieb während der Typhus-Epidemie in Berlin im Jahre 1875 260 Typhuskranken salicylsaures Natron und obgleich die Sterblichkeit damals die Höhe von 24 Procent erreichte, fand doch in allen Fällen eine Temperaturabnahme von 1, 2 bis 3 Grad statt. Gewöhnlich jedoch war die Abkühlung der Temperatur nur von der Dauer etlicher Stunden, sehr gutartige Fälle natürlich ausgenommen. Bei diesen letzteren dauerte sie oft ein bis zwei Tage, jedoch immer erst am Ende der zweiten Woche.

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Die Salicylpräparate hatten also auf die Dauer der Krankheit keinen Einfluss und vermochten auch nicht auf das Endresultat der- selben in günstigerer Weise einzuwirken.

ln der Klinik in Rostock beobachtete Moeli ebenfalls eine nicht geringere Sterblichkeit: 5 Todte auf 34, während bei der Be- handlung.mit Chinin-Sulfat und lauen Bädern nur 4 von 85 Fällen einen tödtlichen Verlauf nahmen.

In der Frer i chs’ sehen Klinik in Berlin constatirte Ewald bei 100 nach dieser Methode behandelten Kranken 80 Mal eine leichte Abkühlung der Temperatur. Die Abendtemperatur überstieg nicht die des Morgens , aber die Sterblichkeit war trotzdem noch beträchtlich. Sowohl Moeli als Ewald beobachteten starken Schweiss, den sie mit Recht als unabhängig von dem Sinken der Temperatur betrachteten, welches dem Ersteren oft vorausgeht. Die Temperaturabnahme ist auch vom Puls unabhängig, der meistens sehr rasch schlägt; die Verbrennung ist mit einem Wort geringer, der Schweiss stärker und im Uebrigen nehmen alle anderen Vor- gänge ungestört ihren guten oder schlechten Verlauf. Damit ziehe ich die Bilanz dieser Behandlungsmethode.

Wunderlich’s Klinik liefert Beiz nur transitorische Re- sultate, die Münchener Klinik veranlasste Wolfsberg zu keinen günstigen Schlüssen und die im Ffeidelberger Flospital gemachten Beobachtungen haben auch keine entscheidenden Resultate ergeben.

In England hat man ähnliche Erfahrungen gemacht.

Tn Frankreich haben die Herren Gueneau de Mussy, Herard, Jaccoud und O u 1 m o n t kürzlich Versuche unternommen, aus welchen hervorzugehen scheint, dass die Temperaturabnahme nur eine vorübergehende ist.

Bei meinen Beobachtungen, welche sich auf 12 Fälle be- schränken, habe ich niemals eine wirkliche, dauerhafte Fieberab- nahme, sondern nur temporäres, einige Zehntel Grad betragendes Sinken der Temperatur bemerkt. Nur bei zwei Typhuskranken habe ich eine wirkliche Abkühlung wahrgenommen; der Thermometer sank auf 39 bis 37 Grad, zu gleicher Zeit entwickelte sich aber ein Delirium, welches erst nach der Unterdrückung des Medicamentes sein Ende erreichte. Sofort nach dem Aussetzen des Mittels stieg die Hitze wieder bis beinahe 40 Grad. Es hat aber keinen Sinn, v. Heyden, Studien über die Salicylsänre, 3

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wenn man eine zweifelhafte Temperatur-Ermässigung um den Preis von Zufällen dieser Art erkaufen wollte.

Die Schlüsse, welche ich aus meinen experimentellen und klinischen Untersuchungen ziehen kann, sind dem Medicament in Bezug auf Krankheiten dieser Art nicht günstig und ich vermag die Salicylsäure allein nicht als eigentliches Antipyreticum anzusehen.

Phlegmasie, Pneumonie, Erysipelas, Phthisis.

Das oben Gesagte findet auch auf fieberhafte Phlegmasien, Symptom- fieber und specifische Pyrexie seine Anwendung. Keine Thatsache spricht bis jetzt Bei der Behandlung von Pneumonie, Erysipelas oder Tuberculose zu Gunsten der Salicylsäure. Eine einzige Art der Phlegmasie ist diesem Gesetz nicht unterworfen, nämlich der acute, fieberhafte Rheumatismus und wir werden sofort sehen, in welcher Weise dieser Ausnahmefall zu interpretiren ist.

Anwendung der Salicylsäure bei rheuma- tischen Affectionen, Gelenkrheumatismen, acuten, fieberhaften und fieberlosen Rheumatismen.

Es war natürlich, dass man bei einer Krankheit, in welcher das Fieber in den meisten Fällen eine 'hervor- ragende Rolle spielt, ein Heilmittel versuchte, welches als energisches Antipyreticum galt und aus diesem Grunde wendete man sich zur Salicylsäure.

Buss verschrieb zuerst, nachdem er allerhand Ver- suche angestellt, einigen Rheumatismuskranken 15 bis 20 Gramm salicylsaures Natron; die Resultate waren zufriedenstellend, es traten jedoch Nebenerscheinungen auf, die von der entschieden übertriebenen Dosis her- rührten.

Erst Stricker1) brachte die wahren Eigenschaften der Salicylsäure zu unserer Kenntniss. Er behandelte 14 an acutem Gelenkrheumatismus Erkrankte zweistünd- lich mit Dosen von 50 Centigramm bis 1 Gramm und heilte Alle. Der Schmerz hörte auf und die Temperatur sank in weniger als 48 Stunden. Nach Stricker ist also

J) Berlin, klin. Wochenschrift 1876. Ztschr. 1877.

Deutsch, milit. - ärztl. 3*

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die Salicylsäure das wahre Specificum für Rheuma- tismus, d. h. dasjenige Mittel, welches sich am besten dazu eignet, eine bisher unbekannte specielle Schädlich- keit im Blut der Rheumatismuskranken zu bekämpfen. Stricker glaubte mit der Salicylsäure den Rheumatismus direct anzugreifen; er bekämpfte mit ihr in Wirklichkeit den Schmerz und die Geschwulst der Gelenke.

Riess behandelte 27 Kranke in derselben Weise sobald die Temperatur über 39 Grad stieg; er hatte dabei eben nur das Fieber im Auge. Sehr oft indessen traf die Fieberabnahme nicht mit dem Verschwinden der localen Erscheinungen zusammen und die letzteren ver- schwanden oft lange vor dem Fall der Temperatur.

Leonardi Aster beobachtete 39 Fälle, bei denen Heilung erfolgte und verzeichnete nur einen einzigen Misserfolg.

Man braucht nur die Beobachtungen von Beiz, Steinitz, Teuffel, Hildebrand, Putnan und Sie- weking anzuführen, um dort dieselben Schlüsse wieder- zufinden. Englische und amerikanische Journale bringen in reichem Masse die charakteristischsten Thatsachen; To wie, Hodghem, Warren und Brown berichten von 100 Fällen, in welchen Heilung eintrat und Moore betrachtet die Salicylsäure als Specificum.

In Frankreich hat man bisher erst wenige Beob- achtungen über die Wirksamkeit der Salicyl - Medi- camente bei acutem Gelenkrheumatismus gesammelt. Dessen ungeachtet haben mehrere Collegen, die Herren Laboulb^ne, Hdrard, Oulmont, Guüneau de Mussy, Chauffard Versuche gemacht, welche in pe- riodischen Sammlungen oder als besondere Mittheilungen

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veröffentlicht worden sind. Die Vorträge der Herren Brouardel-Lasögne und Hardy sprechen sich über diese Behandlungsweise sehr günstig aus, während sich in der Sociöte des hospitaux zwischen den Herren Löpine, Dujardin-Beaumetz einerseits und Ernest B esnier und Dumontpallier andrerseits lebhafte Debatten er- hoben haben. Die ersteren stimmen für die Salicyl- Behandlung, während Herr Besnier zweifelt und Herr Dumontpallier, allerdings ohne experimentirt zu haben, leugnet.

Ich beabsichtige alle im Hospital zu Paris und in meiner Privatpraxis beobachteten Thatsachen hier zur Kenntniss zu bringen.

Die Gesammtsumme beträgt 52 Gelenkrheumatismus- Beobachtungen, von denen 19 fieberhaft und 33 fieberlos waren. Im Hospital wurden davon 44 Fälle beobachtet und sowohl vom _Chef der Klinik als unter meiner Lei- tung von meinen Schülern mit der grössten Aufmerksam- keit verfolgt. Einige dieser Kranken wurden täglich mit 6 Gramm Salicylsäure behandelt; die Mehrzahl erhielt salicylsaures Natron in der Dosis von 10 Gramm, in 200 Gramm Wasser gelöst und so auf 24 Stunden ver- theilt, dass die Gabe 5 Mal erfolgte. Da das Medi- cament innerhalb 48 Stunden zum grössten Theil wieder ausgeschieden wird, so ist es sehr wichtig, mit dem Ge- brauch desselben noch 10 12 Tage nach der Heilung fortzufahren; ohne Beobachtung dieser Vorsichtsmassregel sind Rückfälle ganz unvermeidlich. Unter den 19 an fieberhaftem Rheumatismus Erkrankten hatten 12 bereits die zweiten, dritten und vierten Anfälle und fast Alle litten schon an Störungen der Herzfunctionen. Bei diesen

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1 2 Kranken hatten die früheren Anfälle immer 3 Wochen bis 3 Monate gedauert.

Dagegen dauerte der Anfall bei der Behandlung mit dem Salicylat nie länger als drei Tage und es fand dabei keine Ausnahme statt. Die Resultate blieben auch stets dieselben, gleichviel ob die Krankheit von 2, 4, 8, 14 Tagen datirte und nach 2 3 Tagen war sie in jedem Fall gehoben.

Das Alter der Kranken ist nur in Bezug auf die Dosirung des Medicamentes von Bedeutung. Zwei Kin- dern von 8 und 12 Jahren verschrieb ich täglich 2 bis 3 Gramm Salicylat und hatte damit nach 2 Tagen den erwünschten Erfolg. Die Ausbreitung des Rheumatismus auf verschiedene Theile des Körpers bietet der Heilung kein Hinderniss dar; der einzige Misserfolg, welchen ich zu verzeichnen habe , bezieht sich gerade auf einen Rheumatismus, der mono-articulär geworden war und, nachdem er zuerst in den vier Gelenken zum Vorschein gekommen, sich im Handgelenk localisirt hatte.

Im Allgemeinen macht man folgende Be- obachtungen:

1) Die Schmerzen hören oft schon nach 12 bis 18 Stunden auf; dies ist eine beständige Erscheinung.

2) Die Entzündung der Gelenke verliert sich nach 1 bis 3 Tagen, jedoch niemals früher, als der Schmerz verschwindet. Die Geschwulst nimmt ab, selbst dann, wenn Gelenkwassersucht vorliegt; natürlich geschieht dies schneller, wenn die Anschwellung die periarticulären Ge- webe noch nicht erreicht hat.

3) Die Bewegungen werden vom dritten Tage an leicht und frei; ich habe Kranke gesehen, deren untere

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Gliedmassen vollständig von der Krankheit ergriffen waren und die doch nach 2 bis 3 Tagen aufstehen konnten.

4) Das Fieber, welches sich in einigen Fällen bis zu einem sehr hohen Grade gesteigert hatte, wich nie- mals vor dem vollständigen Verschwinden der Schmerzen.

Dies beweist nochmals, dass das sogenannte rheu- matische Fieber keinen wesentlichen Fiebercharakter be- sitzt und dass es nur die Wirkung, nicht aber die Ur- sache des rheumatischen Zustandes ist. Wenn das Fieber auch dann noch anhält, wenn die Geschwulst des Ge- lenkes bereits nachgelassen hat, so ist dies ein Zeichen, dass sich in einem anderen Gelenk eine neue Entzün- dung vorbereitet und in solchem Falle ist es sehr wichtig, dass der Gebrauch des Medicamentes nicht unter- brochen wird.

Analyse 33 fieberloser Fälle. Bei heftigen oder weniger heftigen fieberlosen Rheumatismusfällen sind die Resultate genau ebenso günstig, als bei fieberhaftem Rheumatismus und ich bin sehr erstaunt darüber, dass Stricker die Wirkung des Salicylates bei subacuten Affectionen in Abrede stellt.

Unter den 33 Kranken, von denen ungefähr die Hälfte bereits früher Anfälle von 4, 6, ja sogar 12 Wochen gehabt hatte, befand sich nicht ein Einziger, der nicht schon nach 2 bis 3 Tagen geheilt gewesen wäre; nach dem Aufhören der Schmerzen und der Geschwulst der Gelenke konnten Alle aufstehen und nachdem die Be- handlung 3 bis 4 Tage gedauert hatte, waren ebenso Alle im Stande zu gehen. Trotz dessen war die Heilung nur unter der Bedingung als vollendet zu betrachten,

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dass das Medicament noch weitere io bis 14 Tage angewendet wurde.

Das Unterlassen dieser Vorsichtsmassregel führte in fast unvermeidlicher Weise Rückfälle mit sich. Der Grund datiir ist sehr einfach; das Medicament wird sehr rasch wieder ausgeschieden und man findet nach 3 bis 4 Tagen im Urin nur noch selten Spuren davon; ich habe höchstens nur bei 2 oder 3 Ausnahmefällen noch nach 5 bis 6 Tagen Salicylsäure im Urin entdeckt. Man darf also nicht auf eine verlängerte Wirkung des Medi- camentes rechnen.

Rückfälle. Ich musste einige Male absichtlich die Anwendung des Medicamentes unterbrechen, woraus Rückfälle entstanden. Sobald ich aber aufs neue die- selbe Behandlungsweise vorschrieb, zeigte sich sofort wieder die am Anfang der Krankheit beobachtete thera- peutische Wirkung. Bei 4 Kranken wiederholten sich diese Rückfälle 3 Mal, aber nach 1 bis 2 Tagen fand jedes Mal wieder die Heilung statt. Daraus lässt sich schliessen, dass keine Rückfälle Vorkommen, wenn das Medicament eine Zeitlang fortgesetzt wird , dass sie aber sehr häufig sind, wenn die Behandlung nach 4 bis 5 Tagen unterbrochen wird und dass man sie endlich immer wieder durch dasselbe therapeutische Mittel beherrschen kann.

Am Anfang meiner Versuche verlängerte ich den Aufenthalt der Kranken im Hospital, um den Verlauf der Krankheit zu beobachten. Jetzt lasse ich sie nach einigen Tagen gehen und verpflichte sie nur noch zur Fortsetzung des Medicamentes. Wir haben dafür noch immer keine officielle Erlaubniss, obgleich die Abkürzung

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des Aufenthaltes der Kranken in den Sälen für die öffent- liche Wohlthätigkeit eine bedeutende Ersparniss ist.

Wirkungen des Salicyl-Medicaments auf Complicationen. Am Beginn dieser Versuche drängte sich mir eine ernste Frage auf: Uebt das

Salicyl-Medicament einen günstigen oder un- günstigen Einfluss auf die Entwicklung oder den Verlauf der Complicationen aus, welche den Gelenkrheumatismus so oft begleiten? Die Blutarmuth, die sehr oft eine Folge des langanhaltenden Rheumatismus ist, wollen wir mit Stillschweigen übergehen, da sich annehmen läst, dass man durch Abkürzung der Krankheit die schwächende, entkräftende Wirkung des Rheumatismus verhindert. Ich habe dafür schon Be- weise erhalten und kann keine Blutarmuth in Folge von Rheumatismus mehr constatiren. Besonders handelt es sich aber um Störungen der Herzfunctionen, welche den Rheumatismus so oft begleiten. Wenn die Herzklappen bereits in Folge früherer Anfälle nicht mehr in gehöriger Weise functioniren, so sind die Salicyl-Medicamente nicht im Stande, einen modificirenden Einfluss auszuüben. In einigen Fällen, bei denen einerseits Dispnoe, andrerseits Oedem eintrat, fürchtete ich fast, dass das Medicament auf den Verlauf der Herzkrankheit einen schädlichen Einfluss ausüben könne. Da aber auch nach Unter- drückung des Medicamentes dieselben Erscheinungen andauerten, so konnte man dieselben füglich nicht dem Gebrauch des Salicylates zuschreiben.

In eine andere Kategorie von Thatsachen gehören drei Fälle, bei denen sich sofort beim Beginn des rheu- matischen Anfalles Endocarditis entwickelte; das Arznei-

mittel störte den Verlauf der Herzaffection nicht, ver- schlimmerte ihn aber auch in keiner Weise.

Bei einer dritten Kategorie von Kranken, die wäh- rend der drei ersten Tage der Krankheit in das Hospital eintraten, entwickelte sich keine Entzündung, weder des Pericardiums noch des Endocardiums. Es lässt sich also in logischer Weise voraussetzen, dass man durch schleuniges „Unterdrücken“ der Krankheit eine Erkran- kung "der Herzmembranen verhüten kann. Man kann also, wenn der Kranke sofort richtig behandelt wird, auf die Localisirung und Beschränkung der Krankheit auf die serösen Höhlen der Gelenke hoffen. Man hat in Deutschland indessen einige entgegengesetzte Thatsachen beobachtet, welche die Unabhängigkeit des Herzens in Frage zu stellen scheinen. Ich kann diese Beobachtungen aber nicht für correct halten, da sie die Dauer der Krankheit vor dem Beginn der Behandlung nicht an- geben.

Ich will diese wichtige Frage mit der Erklärung ab- schliessen, dass das Natron salicyl. auf frühere Störungen der Herzfunctionen von keinem Einfluss ist, dass es aber, wenn es sofort beim Auftreten der Krankheit an- gewendet wird, die Erkrankung der inneren serösen Theile verhindern kann.

Dauer der Krankheit bei Behandlung mit Salicyl-Medicamenten.

Die Dauer der Krankheit wird durch Salicyl-Medi- camente in eigentümlicher Weise abgekürzt. Nach

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2 bis, 3 Tagen sind sowohl die Schmerzen, als das Fieber und die Geschwulst der Gelenke vorüber.

Hier handelt es sich nun also nicht mehr um nur einzelne glückliche Heilungen. Alle Kranken (52) haben ohne Unterschied den ungeheuren Vortheil der Ab- kürzung der Krankheit gemessen können. Ich höre schon im Voraus die Einwendungen gewisser Gelehrten, welche sich jedem Fortschritt, jeder bestimmten Demon- stration widersetzen. Man wird sagen: die Krankheit ist wechselnd und verschiedenartig; man wird an die Enttäuschungen erinnern, welche schon manche viel- gepriesene und schnell vergessene Arznei hervorgerufen hat; man wird die grossartige Erwartung und schliess- liche Verzweillung der Aerzte ausmalen. Meine Ant- wort darauf wird von der weisen Bemerkung eines unserer grossen Kliniker, Chomel’s, dic- tirt sein, welcher, um überzeugt zu werden, verlangte, dass man ihm 30 bis 40 Kranke zeige, die in 14 Tagen geheilt worden seien. Ich kann deren 51 auf 52 aufweisen, deren Heilung binnen 2 bis 3 Tagen erfolgte.

Man wolle einmal Vergleiche mit früheren Zahlen anstellen. Ein ausgezeichneter, zuverlässiger Arzt, Pro- fessor Lebert, berichtete seiner Zeit bei einer Statistik von 108 Fällen, dass von denselben 10 Fälle 5 bis r4 läge, 58 16 bis 35 Tage, 40 36 bis 55 Tage und darüber gedauert haben. Unter 108 sind also nur 10 nach 5 bis 14 Tagen geheilt worden, die übrigen 98 haben im Durchschnitt 36 Tage auf ihre Genesung warten müssen.

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Vergleiche mit anderen Behandlungsmethoden.

Unter diesen Methoden erwähne ich zuerst die anti- phlogistische Methode, welche, nach Herrn Bouillaud’s Aussage, die Dauer der Krankheit noch am meisten abkürzte. Man weiss genugsam, von welcher Bedeutung diese Abkürzung in solchen Fällen ist. Indessen dauern die den besten Verlauf nehmenden, nach dieser Me- thode behandelten Fälle immer noch länger, als die hartnäckigsten und schlimmsten bei der Salicyl- Behandlung.

Ich spreche nicht weiter vom Kali-Nitrat, der Digi- talis, dem Brech Weinstein, Aconit, Veratrin, in einem Wort von der ganzen Reihe der in ähnlichen Fällen angewendeten antipyretischen Mittel. Die darauf bezüg- liche Statistik hat in Betreff der Dauer und Schwere der Krankheit ein recht trauriges Ansehen.

Sind die mit Pflanzensäuren und besonders mit den Alkalien erreichten Resultate vielleicht besser? Die Be- handlung mit Alkalien wird in England, Deutschland, selbst in Frankreich sehr gerühmt, da sie besonders den Complicationen in energischer Weise entgegentreten soll. Es scheint auch, nach englischen Aerzten (Dick, Chambers), als ob die Alkalien die Zahl der beglei- tenden Herzkrankheiten auf fünf Procent beschränkt hätten.

Ausser der antipyretischen Methode und den Oxy- dations-Mitteln (Säuren und Alkalien) hat man noch die ausleerende, schweisstreibende Methode durch das Ja- borandi und sein Alkaloid, das Pilocarpin gerühmt. Ich habe letztere Methode mehrmals versucht, ohne mehr

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zu erreichen, als einen peinlichen Speichelfluss, häufiges Erbrechen und eine unnütze Diaphorese.

Es würden mir somit noch die beruhigenden Mittel zur Erwähnung übrig bleiben: Opium und Morphium als Einspritzungen, Kalium-Bromür und Chloral, welche alle nur Palliativ-Mittel zur Linderung der Schmerzen bilden.

Ferner citire ich als mit schmerzstillenden Eigen- schaften begabte Mittel das Colchicum , welches sich bei der Gichtbehandlung eines wohlverdienten Rufes er- freut, das Propylamin, von Avenarius vor 20 Jahren rühmlichst erwähnt und trotz der schönen Versuche Dujardin-Beaumetz’s bald vergessen, das von Lut- ten angepriesene Zink-Cyanür und endlich die Carbol- säure, welche in einer T/IOO Verdünnung als Einspritzung unter die Haut nach Kunze und Senator sofortige Linderung herbeiführt. Unter diesen Arznei -Mitteln, welche man schmerzstillend nennen könnte, ist das Chinin-Sulfat aber das einzige, welches sich mit Berech- tigung auf seinem Platz in der Wissenschaft behauptet hat.

Beim Vergleich des Natron salicyl. mit dem Chinin-Sulfat stellt es sich heraus, dass das Letztere die Schmerzen zwar ebenso wie das Erstere vermindert, dass es dies aber lang- samer und um den Preis einer wirklichen In- toxication thut; es lässt die Temperatur und den Puls rascher sinken, aber seine Wirkung, welche besonders antifebril ist, ist mit der raschen, entschiedenen, unschädlichen Wir- kung des Salicylates nicht zu vergleichen.

Acuter Muskelrheumatismus. Bei 2 Kranken

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haben wir eine schmerzhafte Zusammenziehung der Hals- muskeln innerhalb 2 Tagen unter dem Einfluss des Salicyl-Medicamentes weichen sehen. In einem andern Fall, der sich durch allgemeine Muskelschmerzen und bereits 1 tägiges Fieber charakterisirte, wurde die schon eingetretene Steifheit des ganzen Körpers durch dasselbe Mittel binnen 2 Tagen in definitiver Weise vollständig beseitigt.

Die gleichen günstigen Resultate erreichte ich mit der gleichen Behandlungsweise bei 2 Lumbago-Fällen, deren Ursache schwer zu erklären war.

Rheumatische oder bien norrhagi sehe Ar- thritis.— Die unter dem Namen blennorrhagische Ar- thritis oder blennorrhagische Synovitis bekannten acuten Gelenk- Affectionen scheinen durch das Salicyl-Medicament nicht in bemerkenswerther Weise beeinflusst zu werden, und obgleich Leonardi Aster einen geheilten Fall citirt, so können wir doch keine entschiedene Wirkung des Mittels auf diese gewöhnlich wenig schmerzhaften Schä- den constatiren, welche besonders durch Hydarthrosis, Muskelsteifheit und Sehnenentzündung charakterisirt sind.

Verschiedene rheumatische Affectionen: Chorea. Es war nur natürlich, dass man wegen des engen Zusammenhanges der Chorea mit dem Rheumatis- mus die Anwendung des Salicylates bei der rheumatischen Chorea versuchte. Nachdem wir aber 3 Chorea-Kranke in dieser Weise behandelt hatten, bemerkten wir bald, dass das Medicament auf Chorea keinen Einfluss ausübt.

Dasselbe lässt sich von allen rheumatischen Affec- tionen sagen, welche nicht Gelenkrheumatismus, Muskel- rheumatismus oder Neuralgie sind.

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Chronische Rheumatismen. Trockene Arthritis; knotige Arthritis.

Es handelt sich hier um schwere, hartnäckige Rheu- matismen ; auch spreche ich hier nicht von jener trocke- nen Arthritis, auf welche Herr Gosselin gelegentlich der Schwierigkeiten der Diagnose der trockenen Arthritis des Hüftgelenks aufs Neue soeben die Aufmerksamkeit gelenkt hat, sondern ich beziehe mich nur auf eine in dem Namen chronische, lccalisirte oder allgemeine ein- fache Arthritis zusammengefasste Gruppe, welche mit dem Rheumatismus zu gleicher Zeit oder in dessen Ver- lauf auftritt.

In eine zweite Reihe von Thatsachen muss man jene abscheuliche Arthritis, jenen chronisch fibrösen Rheumatismus stellen, dessen Typus Jaccoud so genau schildert und det von Entstellungen und auffallenden Verkrümmungen begleitet ist.

Eine dritte, viel wichtigere und häufigere Reihe umfasst jene Art knotiger Arthritis, von welcher Char- cot eine ausgezeichnete Beschreibung gegeben hat. Es ist dies die Knochen- Arthritis, welche nach und nach die Gelenkdrüsen, die Knorpel, das Knochengewebe der Gelenke ergreift und schliesslich dies alles zu Elfenbein verknöchert, nachdem sie die schwersten hypertrophischen Veränderungen hervorgebracht hat.

Gerade bei diesem knochigen Rheumatismus be- merkt man am häufigsten Verkrümmungen der Finger, Hände und Fiisse, Verunstaltung der Knochen, Ver- schiebung der Gelenke, knochige Geschwülste, Verunstal- tung oder Geschwulst der periarticularen, extrasynovialen

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Gewebe mit Zusammenziehung der Muskeln und benach- barten Sehnen.

Eine vierte und letzte Serie bezieht sich auf die aus dem Rückenmark hergeleitete Arthritis, über welche kürzlich verschiedene Zweifel aufgetaucht sind.

Ausserdem muss ich noch die partiellen knotigen Auswüchse an den Fingern erwähnen, von welchen Heberden berichtet und die ihren Sitz ebenfalls im Knochengewebe haben.

Ich habe besonders die einfachen, chronischen Rheu- matismen im Auge, die Sclerosis (Verhärtung der Augen- lidränder) und die knochige Arthritis. Wir müssen uns um so mehr damit beschäftigen, als sowohl die Einen als die Andern in gewissen Momenten wirkliche, acute, schmerzhafte Paroxysmen hervorbringen. Es sind dies auf verschiedene Formen des chronischen Rheumatismus übertragene Anfälle von acutem Rheumatismus.

Gerade diese häufigen und schmerzhaften Paroxys- men waren es, welche den Gedanken herbeiführten, die Salicyl-Behandlung beim chronischen Rheumatismus an- zuwenden. Meine Voraussetzungen realisirten sich in der glücklichsten Weise. Diese acuten Anfälle ver- schwanden genau ebenso wie der acute Gelenk-Rheu- matismus nach 3 bis 4 Tagen. Ich habe dies 3 Mal im Hospital, 2 Mal in meiner Privatpraxis beobachten können. Mein Freund Bouchard, der in Bicetre Arzt ist, hat dieselben Erfahrungen bei 4 Greisen gemacht, welche an chronischem Rheumatismus mit Paroxys- men litten.

Dabei ist zu bemerken, dass diese Paroxysmen sonst im Allgemeinen sehr schwer weichen. Die Morphium- Einspritzungen, das Kalium -Bromür und Chloral helfen

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entweder nicht oder können der Länge dieser Anfälle wegen nicht fortgesetzt gebraucht werden, da das Mor- phium oft Ekel, das Kalium-Bromür allgemeine Ent- kräftung und das Chloral eine übertriebene und schäd- liche Schlafsucht verursacht.

Das Natron salicyl. ist deshalb von solcher Bedeutung, weil man durch einige starke Dosen innerhalb weniger Tage das Aufhören der Schmerzen erreichen und darauf das erlangte Resultat mit viel kleineren Dosen aufrecht erhalten kann. Während ich diese Paroxysmen behan- delte, machte ich oft bezüglich der Abnahme der peri- articulären Geschwulst und der Muskelsteifheit die er- staunlichsten Wahrnehmungen. Diese Beobachtungen veranlassten mich, die gleiche Behandlungsweise bei chro- nischem Rheumatismus ohne diese plötzlichen Schmerz- Steigerungen anzuwenden.

Folgende Resultate wurden in dieser Richtung er- zielt: Bei 2 Fällen von einfachem, chronischem Rheu- matismus, welcher beide Kniee und Ellbogen occupirte, verschwand nach 3 Tagen die Entzündung der Gelenke, die bereits seit 6 Monaten andauerte und die Arbeiter vollständig am Arbeiten gehindert hatte. Bei dem Einen von Beiden blieb noch eine gewisse Steifheit im Ell- bogen zurück.

Bei einem dritten Kranken, der mir in’s Hospital gesandt wurde, handelte es sich um allgemeine, chro- nische, nicht deformirende Arthritis, welche diesen Mann seit 11 Jahren zu vier bis sechs Monaten Unthätig- keit jährlich verdammte. Dieses Mal wurde er nach sechs Tagen vollkommen frei in allen Gelenken aus dem Hospital entlassen.

v. Heyden, Studien über die Salicylsäurc,

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Bei 5 Kranken aus meiner Stadtpraxis beobachtete ich genau dieselben Erscheinungen; die Geschwulst der Gelenke, welche bereits seit Monaten, bei einem dieser Kranken seit 3 Jahren, vorhanden war, wich nach 6 bis 8 Tagen und kam auch nicht wieder zum Vorschein, da das Medicament einen Monat hindurch nicht einen einzigen Tag lang ausgesetzt wor- den war.

Also weicht die ganze Reihe der chronischen, ein- fachen, von selbst oder im Verlauf von andern Krank- heiten entstehenden Rheumatismen (von der Kategorie der Paroxysmen ganz abgesehen) dieser Behandlungs- weise und zwar ohne das geringste Hülfsmittel, das heisst also ohne gleichzeitige Anwendung von warmen Bädern, Dampfbädern oder anderen innerlich zu ge- brauchenden Medicamenten.

Eine zweite Reihe Thatsachen bezieht sich auf den knorpeligen Rheumatismus. Ich beobachtete einen Arthritis-Fall dieser Art, bei welchem Schulter und Ell- bogen der linken Seite ergriffen waren. Die Glieder fingen bereits an sich zusammenzuziehen: nach 8 Tagen jedoch war völlige Heilung eingetreten. Der erstaun- lichste Fall in dieser Art bezieht sich indessen auf eine Dame, welche 2 Jahr nach dem Bruch der rechten Schulter eine wirkliche Verkrümmung der Finger, Atro- phie der Hand, bedeutende Geschwulst der Fingergelenke aufwies. Sie hatte bei der geringsten Bewegung die heftigsten Schmerzen und die Finger waren fast voll- ständig unbeweglich geworden. Diese Kranke, bei welcher einer unserer Collegen knochigen, fibrösen Rheu- matismus constatirt hatte, sollte nach den Quellen von

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Bourbonne-les-Bains gehen, kam jedoch noch 8 Tage vorher mich wegen ihres zweijährigen Uebels zu con- sultiren. Nach 6 Tagen war jede Zusammenziehung verschwunden, sie hatte keine Schmerzen und die Hand hatte ihre vollkommene Biegsamkeit wiedererlangt.

Ich komme zu einer dritten Kategorie, welche bis jetzt so zu sagen der ganzen medicinischen Wissenschaft Trotz geboten hat, zur Arthritis deformans, welche bisher ohne jeden Erfolg bald mit Alkalien, Arsenikbädern, Jod und Leberthran, bald mit Hydrotherapie, schwefeligen oder salzhaltigen Mineralwässern und elektrischen Strö- men behandelt worden ist. Niemand kann die Vor- züglichkeit dieses oder jenes Mittels behaupten, obgleich ich jüngst in einer medicinischen Zeitung einen wunder- baren Fall erwähnt finde, bei welchem Herr Guöneau de Mussy durch Anwendung von Arsenikbädern Hei- lung bewirkt hat. Man liest übrigens auf der 6. oder 7. Zeile dieser Beobachtung: Man wendete 4 Gramm Natron salicyl. an und die Heilung liess nicht auf sich warten.

Beobachtungen über knotigen Rheumatis- mus. — Ich gebe hiermit das Hauptergebnis meiner Beobachtungen: Bei 2 Greisen, die im Hospital behan- delt wurden, fand kein Erfolg statt; bei einem dritten Fall knotiger Arthritis, einem noch jungen Mann, zeigte sich eine bedeutende Besserung.

Die 3 bemerkenswerthesten Fälle aus meiner Privat- praxis sind folgende:

Im ersten Fall handelte es sich um eine knotige Arthritis, an welcher ein öojähriger Mann seit bereits 16 Jahren litt. Die Krankheit hatte die 4 grossen Ge-

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lenke der unteren Gliedmaassen, die Rücken-Wirbelsäule, die Handgelenke und Finger ergriffen; das Gehen war unmöglich, der Körper so zu sagen unbeweglich und das Erfassen von Gegenständen, sowie das Schreiben seit 2 Jahren unausführbar. Nach i tägiger Behandlung waren die oberen Gelenke frei und jetzt ist nur noch eine gewisse Steifheit der Beingelenke zurückgeblieben.

Der zweite Fall bezieht sich auf eine knotige Arthri- tis der Kniee und Finger.

Der dritte Fall war ausserordentlich schwierig. Eine Dame von 42 Jahren, welche ich mit Herrn Briau zu- sammen behandle, leidet seit 2 Jahren an knotiger Arthritis der Kniee, Knöchel, kleinen Fussgelenke, Hand- gelenke, Finger und Ellbogen. Diese sehr schmerz- hafte Krankheit hatte ein intensives Fieber, verbunden mit bedeutender Appetit- und Schlaflosigkeit, herbei- geführt, welch letztere seit dem Auftreten der Krankheit nicht einen einzigen Tag gewichen war.

Nach 8 Tagen waren, trotzdem das Einnehmen von 8 Gramm Natron salicyl. viel Schwierigkeiten ver- ursachte, die oberen Gelenke frei, die Schmerzen vor- über und die Kniee ohne Geschwulst. Die Füsse blieben geschwollen. Die Besserung ist evident, aber die Hei- lung hat seitdem keine Fortschritte gemacht, weil die Kranke nicht mehr als 4 bis 5 Gramm des Salicyl-Salzes ertragen kann.

Ich fasse diesen Theil meiner Untersuchungen zu- sammen und sage, dass an der Nützlichkeit des Salicyl - Medicamentes bei den verschiedenen Arten des chronischen Rheumatismus nicht zu zweifeln ist. Der Rheumatismus mit Paroxysmen

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wird sofort geheilt; der einfache chronische Rheumatismus weicht mit derselben Leichtig- keit; der scleröse oder fibröse Rheumatismus verhält sich genau ebenso und bei der knotigen Arthritis erlangt man endlich in den meisten Fällen bedeutende Modificationen und beson- ders gänzliches Aufhören der Schmerzen.

Wir müssen indessen hinzusetzen, dass in letzteren Fällen bei fortgesetzt grossen Dosen die Heilung nur um den Preis der schon erwähnten Unannehmlichkeiten zu erreichen ist. Dieselben bestehen in Ohrensausen, Brausen im Kopf, mehr oder weniger heftig auftreten- der Schwerhörigkeit und im Anfang der Behandlung in Beängstigungen, welche kürzere oder längere Zeit anhalten.

Nach einiger Zeit tritt selbst beim fortgesetzten Gebrauch der gleichen Dosen in diesen Zuständen, welche ich Salicylismus nennen möchte, eine Verringerung derselben ein. Für den übrigen Organismus ist niemals eine üble Folge zu fürchten.

Acute und chronische Gicht.

Die schmerzstillenden Eigenschaften des Natron salicyl. bei rheumatischen Affectionen veranlassten mich, diese Methode bei jener so complicirten Krankheit an- zuwenden, welcher man den Namen Gicht beigelegt hat. Als ich vor 5 Monaten meine ersten Versuche in dieser Richtung unternahm, hatte noch Niemand daran gedacht, dieses Mittel bei solchen Zuständen anzuwenden und meine therapeutischen Voraussetzungen wurden bald

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durch die klinischen Ergebnisse völlig gerechtfertigt. Ich konnte nicht allein das beinahe unmittelbare Verschwin- den der Schmerzen constatiren, sondern auch das rasche Aufhören der Gelenkschwellung. Die acuten Gicht- anfälle waren in 48 Stunden überwunden!

Aber noch mehr. Als ich die Anwendung des Medicamentes auch auf chronische Gicht erstreckte, war ich nicht wenig überrascht, Zertheilung der ältesten Ge- lenk-Schwellungen, Abnahme, ja sogar manchmal voll- ständiges Verschwinden der Tophi und wiederkehrende Beweglichkeit in Gelenken zu erreichen, welche seit Monaten und Jahren von der Gicht so in Besitz ge- nommen waren, dass sich falsche Ankylose gebildet hatte.

Diese unverhofften Resultate stellten selbst die- jenigen in den Schatten, welche das Salicyl-Medicament bei der Behandlung von Arthritis deformans hervor- gebracht hatte. In der That eignet sich die ganze Con- stitution der Krankheit, sowie die Natur der articulären Läsionen besser für die Wirkung des Arzneimittels, als dies bei den tiefergehenden , knochigen Läsionen des knotigen Rheumatismus der Fall ist.

Andrerseits dient die specielle Alteration des Blutes, welche die Gicht constituirt im Vergleich zu den gänz- lich hypothetischen Modificationen der Blutflüssigkeit im Rheumatismus, dafür bis zu einem gewissen Punkte zur Erklärung, dass die Wirkung des Medicamentes bei der Gicht noch günstiger ist als beim Rheumatismus.

Welches sind eigentlich die der Gicht charak- teristischen Züge? Sie ist eine chronische, constitutio- neile, meistens erbliche Krankheit und charakterisirt sich

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1) durch einen Ueberschuss von Harnsäure im Blut und deren correspondirende Abnahme im Urin;

2) durch acute Gelenkschwellungen, denen eine bedeutendere Ausscheidung von Harnsäure durch die Nieren folgt;

3) durch Ansammlung von Uraten in den Gelenken und Muskel-Geweben, welche Bildungen Tophi genannt werden;

4) durch vorübergehende oder permanente Stö- rungen der wichtigsten Organe, wie des Magens, Her- zens, der Blutgefässe, Lungen, Nieren und Haut. Daraus entsteht dann Magengicht, atheromatöse Degeneration der Blutgefässe (besonders des Gehirns), gichtisches Asthma, Brustbeschwerden, Arthritis und endlich Nie- rensteine, Harnstoff-Infarcte und jene schwere Krankheit, welche man mit dem Namen „gichtische Nieren“ be- zeichnet.

Der durch die Arbeiten Garrod’s bekannt ge- wordene Ueberschuss an Harnsäure im Blut beträgt 28 bis 175 Milligramm Harnsäure auf 1000 Gramm Blut, während diese Flüssigkeit im normalen Zustande kaum wahrnehmbare Spuren davon enthält. Es handelt sich nun darum, zu wissen, auf welche Weise dieser Zustand des Blutes modificirt werden kann und vor Allem um die Erforschung der Ursache dieser abnormen Anhäufung von Harnsäure.

Theorie der Gicht. Man hat in dieser Hin- sicht mehrere zulässige Interpretationen angenommen. Die erste derselben würde folgendermassen lauten: Ge- schieht die Ernährung eines Individuums durch sehr stickstoffhaltige Lebensmittel und findet zu gleicher Zeit

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Mangel an Bewegung statt, so werden die Nahrungs- principien nur einem unvollständigen Verbrennungsprocess unterworfen; statt sich in Harnstoff umzubilden, der das letzte Stadium des Verbrennungsprocesses der Eiweiss- stoffe bezeichnet, gelangen sie nur zu einem in der Oxydation weniger vorgeschrittenen Product und ver- wandeln sich in Harnsäure, welche sich im Blut, der Lymphe und in den Geweben ansammelt.

Diese Säure entsteht hauptsächlich in der Milz; sie findet sich dort während und nach der Verdauung in bedeutender Quantität und als Beweis dafür kann ein mehrere Stunden nach dem Verzehren der Nahrungs- mittel im Urin wahrgenommener Ueberschuss der Säure gelten. Eine zu reichhaltige Nahrung veranlasst also in doppelter Weise die Production von Harnsäure, indem sie dem Körper erstens zu viel Material zuführt und die Functionen der Milz andrerseits in aussergewöhn- lichem Maasse steigert.

Unter die, eine Production der Gicht am meisten begünstigende Lebensweise ist besonders die stickstoff- haltige £>iät zu rechnen (Lehmann, Ranke); ferner die Consumption übermässig fetter Genussmittel (Meisner und Koch), welche den vollständigen Verbrennungs- process der Gewebe stören, sowie diejenigen Substanzen, welche Asparagin und apfelsauren Kalk enthalten.

Ungerechter Weise hat man auch schliesslich den Alkohol als einen Stoff bezeichnet, welcher für sich selbst und zu seiner eigenen Verbrennung Sauerstoff absorbirt und somit die völlige Oxydation der Eiweissstofte und ihre Umwandlung in Harnstoff verhindern würde. Dei Verbrennungsprocess des Alkohols ist im Körper iibei-

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haupt sehr mangelhaft und der grösste Theil desselben geht ganz unverändert in die Gewebe und Ausschei- dungsiliissigkeiten über. Man weiss übrigens auch, dass die Alkoholiker, welche unsere Hospitäler bevölkern, nicht an der Gicht leiden. Zu dieser veranlassen andere Er* nährungsbedingungen und ich habe in dieser Beziehung soeben eine zu reichliche, stickstoffhaltige und fette Diät hervorgehoben.

Als Nebenbedingung der Gicht hat man eine sitzende Lebensweise hingestellt und gesagt, dass der Mangel an Bewegung bei geringerer Sauerstoff-Absorbirung ebenfalls die völlige Verbrennung der Harnsäure verhindert, wäh- rend Bewegung und Muskelthätigkeit den Eintritt des Sauerstoffs in das Blut begünstigen und in Folge dessen die völlige Verbrennung der Eiweissstoffe und die Bil- dung des Harnstoffs aus Harnsäure veranlassen.

Dabei sind -ebenso viel Irrthümer als Worte zu verzeichnen, denn die Muskelbewegung vermehrt einer- seits niemals die kleine in den Muskeln enthaltene Quantität Harnstoff, noch die Ausscheidung desselben im Urin; andrerseits können alle Gichtkranke sowohl vor, wie während ihrer Anfälle und in den dazwischen liegenden Intervallen stets eine normale Quantität Harn- stoff im Urin aufweisen, welche Quantität ebenso, wie im physiologischen Zustande, nur durch die Ziffer der absorbirten stickstoffhaltigen Principien eine Veränderung erfährt.

Bezüglich des Einflusses der Bewegung auf die Elimination der Harnsäure herrschen vollkommen wider- sprechende Meinungen.

Uebrigens bedarf die aus der Diät entspringende

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Uricämie zu ihrer Entstehung keiner weiteren Unter- stützung, denn sie ist, wenn sie einmal existirt, allein in Folge der Zuführung überschüssiger Stickstoff-Principien vorhanden oder der Consumirung gewisser Lebensmittel, wie z. B. dem Fett, welches den Sauerstoff von seiner ursprünglichen Bestimmung ablenkt und dem Gebrauch gewisser Substanzen zuzuschreiben, die sich leicht in Harnsäure umwandeln. Es scheint also fast, als ob die Uricämie nur eine vom chemischen oder hygieinischen Standpunkt aus zu erledigende Frage wäre und als ob eine Modification der Diät zur Heilung der Gicht führen müsste.

Dagegen sind aber ernste Einwürfe zu erheben. Wenn man in das Blut eines Hundes Harnsäure ein- spritzt, so verwandelt sich diese Säure in Harnstoff (Frerichs und Wühler); wie geht es aber zu, dass das Thier nach wie vor Harnsäure ausscheidet? Warum bleibt Harnsäure im Urin? Warum findet keine völlige Umwandlung in Harnstoff statt? Die Antwort würde dahin lauten, dass die uricämische Function normal und unzerstörbar ist. Weiter kann man einwenden, dass die im Urin eliminirte Quantität Harnsäure von der allge- meinen Diät viel weniger als der Harnstoff beeinflusst wird. So enthält der Urin also bei gemischter Nahrung auf 1000 Gramm Urin 0,50 bis 0,80 Centigramm Harn- säure und 23 Gramm Harnstoff, bei stickstoffhaltiger Nahrung 0,98 Centigramm Säure und 86 Gramm Harn- stoff. Der Letztere hat sich also um das Dreifache ver- mehrt, während die Menge der Harnsäure fast die gleiche geblieben ist. Woher kommt es, dass die stickstoffhaltige Diät in beinahe exclusiver Weise bei der Entstehung der

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Uricämie eine so schlimme Rolle spielt? Die Antwort darauf ist nicht schwer zu finden und würde den dritten Einwand gegen die allein von dem Genuss zu reich- haltiger Nahrungsmittel herrührende Uricämie bilden.

Pettenkofer und Voit haben dargelegt, dass über- mässig stickstoffhaltige Genussmittel eine grössere Quan- tität Sauerstoff zur Erscheinung bringen und dass die- selbe vollständig für die Verbrennung der Eiweissstoffe und für ihre Umwandlung in Harnstoff ausreicht. Es entsteht dann eine Art Ausgleich zwischen der eiweiss- haltigen Nahrung und der Proportion des absorbirten Sauerstoffs. Die Uricämie ist also nicht das ausschliess- liche Ergebniss einer zu viel Albumin enthaltenden Diät; die schädlichste und für die Entwicklung der Gicht ge- eignetste Ernährung würde in reichlich stickstoffhaltigen Genussmitteln bestehen, denen noch Zucker, Leimsub- stanz und Fett beigemischt ist; in diesem Fall wird weniger Sauerstoff als im zuerst angeführten absorbirt, die Oxydation ist in Folge dessen geringer, es entwickelt sich Fett in den Geweben und durch die zu reichliche Consumption entsteht schliesslich eine wirkliche Verfettung und vielleicht ein Ueberschuss von Harnsäure im Blut und in den Geweben. In diesen Fällen ist die Uricämie also in dem Sinne relativ, als Harnsäure sich nicht in Harnstoff umwandelt, sondern sich ansammelt. Indessen wird dadurch noch immer keine Erklärung für die Gicht der mageren Individuen und die der Armen gefunden, welche übrigens sehr selten ist.

Um in alle diese Probleme etwas Licht zu bringen, hat man eine Theorie aufgestellt, welche mit der Er- nährungstheorie in keinem Zusammenhänge mehr steht;

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man behauptet, dass die Harnsäure im Blut zurückge- halten wird, weil die Nieren keine genügende Elimina- tionskraft besitzen (Garrod).

Es giebt Thiere, welche sich für eine derartige Be- weisführung vortrefflich eignen, nämlich die Vögel, die ihrer Natur nach im Urin nur Harnsäure eliminiren. Zalesky bewerkstelligte dadurch, dass er den Abgangs- kanal eines Vogels beseitigte, eine Anhäufung dieser Säure und des Harnstoffs in der Lymphe, dann im Blut und beobachtete schliesslich eine harnstoffhaltige An- sammlung in den peripherischen Organen.

Bei den Gichtkranken besteht aber für die Elimina- tion des Harnstoffs wenigstens beim Beginn der Krank- heit kein Hinderniss, die Nieren sind vollkommen intact und werden erst in einer vorgeschritteneren Krankheits- periode der Sitz atrophischer Läsionen oder harnstoff- haltiger Ansammlungen. Ihre unzureichende Thätigkeit kann also nicht als Ursache der Harnsäure- Anhäufung im Blut angesehen werden.

Diese Hypothese der Uricämie lässt sich also nicht aufrecht erhalten.

Ich erwähne noch eine dritte Theorie, welche weder auf einem Zurückhalten, noch auf einem Ueberschuss in der Production der Harnsäure beruht. Sie basirt auf der Unlöslichkeit derselben im Blut unter gewissen diätetischen Verhältnissen. Die stickstoffhaltige Diät führt dem Blut einen Ueberschuss an Phosphor- und Schwefelsäure zu, welche diese so mit den alkalischen Basen verbinden, dass die Umwandlung der kaum lös- lichen Harnsäure in lösliches Natron-Urat nicht vor sich gehen kann. Wie entsteht aber in solchem Fall die

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Ansammlung der Harnsäure in den Geweben und Ge- lenken?

Auf diese Weise liessen sich eher die Nierensteine, nicht aber die Gicht erklären. Die Nierensteine ent- stehen in der That in Folge der Unlöslichkeit der Harn- säure im Urin, der zu concentrirt ist, um sie auflösen zu können. Wenn diese Flüssigkeit zur Verdünnung des in den Nieren enthaltenen Harnstoffs und der Harnsäure nicht ausreicht, so bilden sich in den Nieren und der Blase krystallinische Harnstoff-Ansammlungen, welche wir Nierensteine nennen.

Die Nierensteine sind aber kein Synonym der Gicht, denn erstens enthält der Urin der Steinkranken keinen Ueberschuss an Harnsäure, sondern dieselbe einfach krystallisirt oder amorph, ungelöst. Ausserdem können Nierensteine ohne Gicht vorhanden sein und schliesslich ist unter 4 Gichtkranken höchstens einer, der zu gleicher Zeit an Gicht und Nierensteinen leidet.

Die beiden letzten Theorien sind also unhaltbar. Wir können weder ein Zurückhalten noch ejne unlös- liche Ansammlung der Harnsäure, sondern nur eine von ursprünglich äusseren Ursachen abzuleitende Uricämie anerkennen, die einem Ueberschuss an albuminösen Sub- stanzen zuzuschreiben wäre. Da aber diese vielgestaltigen Stoffe eine erhöhte Sauerstoff- Absorbirung veranlassen, so muss man diejenige Diät als die schädlichste be- trachten, welche nicht allein stickstoffhaltige Principien, sondern noch grosse Quantitäten Fett, Leimsubstanz oder Zucker in sich schliesst. Die Sauerstoff-Absorbirung ist in diesem Fall eine normale, diese hinzugesetzten Sub- stanzen verbrauchen jedoch für ihre eigene Rechnung

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eine gewisse Quantität Sauerstoff, welche zur Verbrennung, also zur Bildung von Harnstoff im Verhältnis zu den Nahrungsmitteln und den albuminösen Geweben, verwen- det werden sollte. Auf diese Weise kann man sich die von den Gichtkranken ausgeschiedene normale Quantität Harnstoff, trotz der in den Organismus eingeführten grösseren Menge stickstoffhaltiger Principien, erklären. Die erste Function der hinzugetretenen kohlenwasserstoff- und leimhaltigen Nahrungsmittel würde also darin be- stehen, dass sie das Abnutzen der organischen Gewebe verhindern und so für den Organismus gleichsam Er- sparnisse machen. Ihre weitere Thätigkeit würde sich auf die UmwandlHng der Gewebe oder Eiweissprincipien im Fett erstrecken.

Man kann sich auf diese Weise den gewöhnlichen Zustand der Gichtkranken erklären. Diese Regel bietet jedoch zahllose Ausnahmen dar und man kann sich ver- mittelst der von Genussmitteln abzuleitenden Uricämie die Entwicklung der Gicht im Allgemeinen noch immer nicht klar legen. Die von Aussen her entstandene Uri- cämie ist nicht in absoluter Weise bewiesen und der Einfluss der Diät ist durchaus nicht über jeden Einwand erhaben. Wir müssen uns also damit begnügen, eine Diathese der Harnsäure zu constatiren, ohne deren äusser- lichen Ursprung ausschliesslich zu betonen und ohne es zu vergessen, dass die Pathologie auch Ernährungsfehler und Abweichungen des normalen Typus aufzuweisen hat. Der Typus der ganzen Krankheit besteht in der diabe- tischen Glycämie, deren äusserer Ursprung nicht immer leicht zu beweisen ist und es ist die uricämische Function, welche in ihrer Steigerung die Gicht oder wenigstens

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ihren wirklichen chemischen und biologischen Charakter bildet. Die Gicht ist in der That zu drei Vierteln eine erbliche und immer eine constitutioneil chronische Krank- heit, welche mit oder ohne acute Manifestationen auftritt.

Therapeutische Schlüsse. Aus dieser Dis- cussion geht hervor, dass die Diät bei der Production neuer Anfälle nicht immer im Spiele ist, dass die Sauer- stoff-Einwirkung nur eine zweifelhafte Rolle spielt und dass es hauptsächlich darauf ankommt, die Elimination der Harnsäure zu erleichtern oder ihre überschüssige Entstehung zu verhüten.

Das Natron salicyl. ergiebt bei der Behandlung folgende Resultate: bei Nierenleidenden begünstigt es vor Allem die Ausscheidung der Harnsäure, ohne indessen diese Wirkung zu übertreiben; man kann manchmal bei Gichtkranken, die nicht an Nierensteinen leiden, per Liter Urin i'/2 bis 3 Gramm Harnsäure constatiren.

Andrerseits bildet die Salicylsäure , indem sie sich im Organismus theilweise in Salicylursäure verwandelt, einen weiteren Vortheil; sie verbindet sich nämlich mit dem in verschiedenen Organen, notorisch in der Leber, vielleicht auch in den Nieren, enthaltenen Leimzucker und wird so eine zusammengesetzte Säure, welche man Salicylursäure nennt. Diese entführt nun dem Organis- mus eine gewisse Quantität Leimzucker, welcher ein sehr wichtiger blutbildender Stoff ist. In dieser Beziehung gleicht die Salicylsäure Punkt für Punkt der Benzoe- säure und die guten Eigenschaften der Benzoate ge- messen bei der Gichtbehandlung eines wohlverdienten Rufes. Indessen ist das Natron salicyl. der Benzoesäure insofern wieder in jedem Punkt überlegen, als es ausser-

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dem die schnellste Einwirkung auf den Schmerz und auf die Schwellung der Gelenke zeigt, während die Benzoate oder das Lithium diese Wirkung vermissen lassen. Das Natron salicyl. hat also verschiedene gleich- zeitig wirkende Eigenschaften: schmerzstillende Kraft, zertheilende Wirkung, ausscheidende Wirkung in gewissen Fällen; endlich die Fähigkeit, einen Theil des Leim- zuckers zu assimiliren, der eine der wichtigsten blut- bildenden Substanzen ist.

Resume der Beobachtungen bei acuter Gicht.

Ich habe 7 an acuter Gicht Leidende behandelt. Der erste dieser Kranken ist 54 Jahre alt und leidet seit 20 Jahren an der Gicht. Seine Anfälle wiederholen sich jährlich 3- bis 4 Mal und dauern immer wenigstens 4 Wochen. Am 15. Januar zeigte sich die Krankheit in intensivster Weise im rechten Handgelenk, sowie im Knie und Gelenk des linken Beines. Die Schmerzen und die Geschwulst waren sehr bedeutend. In Folge des täglichen Gebrauches von 10 Gramm Natron salicyl. verschwanden die bezeichneten Erscheinungen innerhalb 3 Tagen und die Gelenke erlangten wieder ihre völlige Geschmeidigkeit. Bei einem berühmten Künstler von 75 Jahren, der seit 30 Jahren an Anfällen litt, erlangte ich dieselben Resultate. Nach zweitägiger Behandlung verschwanden alle Schwellungs-Erscheinungen, ohne dass das Medicament die allgemeine Gesundheit irgendwie schädlich beeinflusste. Bei einem Kranken , der an Fingern und Knieen zahlreiche Tophi zeigte und dessen sehr schmerzhafte Anfälle gewöhnlich mehrere Wochen

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dauerten, bewirkte das Natron salicyl. zu io Gramm in 24 Stunden das Auf hören der Schmerzen. Das Mittel wurde darauf in Dosen von 5 Gramm fortgesetzt ein- gegeben und die tophischen Schwellungen nahmen in sehr bedeutender Weise ab.

Ein anderer Kranker, welchen ich seit langer Zeit täglich mit 3 Gramm Kalium-Jodtir behandelte und dem seit 2 Jahren kein Mittel mehr half, bekam einen sehr heftigen, weitausgedehnten Anfall, der durch den Ein- fluss der Salicylpräparate nach 4 Tagen überwunden war.

Es wäre unnöthig, wenn ich noch weitere Beob- achtungen anführen wollte; sie zeigen die vollkommenste Analogie, nämlich rasches Aufhören der Schmerzen, Ab- nahme der Gelenkschwellung und Heilung des Anfalles in 3 oder 4 Tagen.

Dr. Bouchard, ausgezeichnetes Mitglied der Fa- cultät, hat bei 2 'Kranken dieselben Erscheinungen be- obachtet.

Beobachtungen über chronische Gicht.

Diese Beobachtungen, 14 an der Zahl, umfassen die chronische Gicht in allen Formen; ein einziger dieser Kranken zeigte den Typus der lähmungsartigen indolenten Gicht, die sich in beiden Hand- und Fuss- gelenken localisirt hatte. Bei diesem Kranken veran- lasste das Medicament nach 14 Tagen eine sehr merk- liche Abnahme der Gelenk-Anschwellungen.

Bei den andern 13 hatte die Krankheit seit mehreren Monaten (bei 2 Kranken sogar seit 3 Jahren) alle Ge- lenke der unteren Gliedmassen ergriffen und immobilisirt und bei der geringsten Bewegung, ja sogar beim ruhigen

v, Heyden, Studien über die Salicylsäure. 5

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Liegen zeigten sich sofort die heftigsten Schmerzen. Diese Gelenke, hauptsächlich die Kniee, Füsse und Zehen, waren beträchtlich angeschwollen, die Glieder zusammengezogen und die periarticulären Gewebe sämmtlich ödematös. Bei 5 dieser Kranken hatte die Gicht noch zu gleicher Zeit die Hand- und die kleinen Fingergelenke ergriffen, so dass sie weder Gegenstände erfassen noch schreiben konnten. Ausserdem liess sich bei 2 dieser Patienten beschränkte Ankylose der Schulter und des einen Ell- bogens constatiren und schliesslich zeigten von den 13 Kranken 10 an verschiedenen Körperstellen Tophi, bald in der Nähe der Gelenke, bald von denselben entfernt.

So war im Anfang meiner Behandlung der locale Zustand der Kranken; die inneren Organe waren intact mit Ausnahme des Herzens, welches bei 2 Kranken Arythmus mit Fett-Degeneration zeigte; auch fand sich bei diesen Beiden Oedem der Füsse. Bei 2 Anderen bemerkte ich Nierensteine , bei einem Dritten Albumin- spuren im Urin.

Alle diese Kranken hatten ohne Unterschied die verschiedensten in solchen Fällen gebräuchlichen Mittel angewendet, die ich hier anführen will;

1) Colchicum-Präparate in den verschiedensten Ge- stalten, als Weintinctur, Elixir, Pillen, Syrup, Samen- oder Knollenpräparate. Die meisten Kranken brauchten die Medicin nur bei Steigerung des Uebels, viele fühlten eine momentane Linderung, aber die meisten konnten mit dem Gebrauch des Mittels nicht fortfahren.

2) Chinin -Sulfat mit oder ohne Colchicum.

3) Grüner Kaffee.

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4) Eschen -Tisane.

5) Verschiedene Lithiumsalze.

6) Benzoate.

7) Alkalien.

Ich erwähne nur die gebräuchlichsten Mineral- Brunnen, welche die meisten unserer Kranken tranken: die warmen alkalischen Quellen von Vichy und Carls- bad; die schwächeren, weniger mineralischen, aber oft nützlicheren Brunnen von Plombieres, Neris, Wildbad, Teplitz; die Chlornatrium.-haltigen Brunnen von Bour- bonne und Wiesbaden, die Lithiumquellen von Ems und Royat und schliesslich auch die Hydrotherapie.

Resultate der Behandlung. Das Salicyl- Medicament wurde also unter den ungünstigsten Verhält- nissen angewendet. Ich gebe hier die erzielten Resultate und erwähne zugleich die durch das Medicament veran- lassten unangenehmen Zustände.

Alle diese Kranken, welche das Salicylat 1 4 Monate ohne Unterbrechung brauchten, fühlten schon nach den ersten Dosen eine ebenso rasche Linderung, ein ebenso schnelles Verschwinden der Schmerzen, wie dies bei der acuten Gicht oder beim Gelenkrheumatismus stattfindet. Nach und nach, d. h. also innerhalb eines Zeitraumes von 6 bis 14 Tagen verschwand die Geschwulst der periarticulären Gewebe, die Bewegungen wurden frei und bei den meisten Kranken blieb nur eine unbedeutende Schwellung der Gelenke zurück, welche aber schliesslich ebenfalls wich. Nur sehr wenige dieser Patienten be- hielten Spuren von Anschwellung.

Indessen liess sich bei der nothwendigen hohen Plosirung die Herstellung auch hier nicht immer ohne

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Unbequemlichkeiten erreichen. Es traten Gehörsstörungen, Ohrensausen, Geräusch im Kopf und sehr oft eine mehr oder weniger bedeutende Schwerhörigkeit ein, die ge- wöhnlich wieder abnahm, sobald man die tägliche Dosis Natron salicyl. auf 4 bis 5 Gramm herabsetzen konnte.

Bei 2 Kranken beobachtete ich eine Art Trunken- heit mit Schwäche in den Gliedern und Schwanken im Gange; diese Erscheinungen hielten nur so lange an, als das Medicament in täglichen Dosen von 8 bis 10 Gramm verabreicht wurde.

Sehr oft entwickelt sich sehr reichliche Diaphorese, welche ebenfalls nach etlichen Tagen verschwindet.

Bei einem Fall zeigte sich endlich eine peinliche Schlafsucht, die nach einigen Tagen der Behandlung mit diesen hohen Dosen wieder aufhörte.

Die unangenehmsten Erscheinungen des Salicylismus sind also einerseits Schwerhörigkeit, andrerseits Muskel- schwäche ; diese Erscheinungen zeigen sich besonders bei Greisen.

Falls eine Herzkrankheit vorhanden ist, so erfahren sowohl die anomalen Herzschläge, als der Puls und die Spannung der Arterien keine Modificationen; trotz seiner diuretischen Eigenschaften hat das Medicament auf Herz- beutelwassersucht keinen Einfluss.

Mit grosser Vorsicht muss das Mittel angewendet werden, sobald irgendwelche Alteration der Nieren (die Nierensteine ausgenommen) constatirt wird. Wenn die Nieren, sei es durch Krankheit oder durch Alter, be- schädigt sind, so wird die Ausscheidung der grossen Dosen des Medicaments verzögert und es entsteht daraus

6c,

einerseits die sich als Albuminurie charakterisirende locale Nieren -Irritation, anderseits in Folge der An- sammlung des Medicaments im Blut eine besondere In- tensität des Salicylismus.

Metastase des Herzens oder Magens ist noch nie- mals in Frage gekommen.

Nierensteine, Nieren- und Blasenaffectionen.

Bei Gelegenheit der Gicht will ich auch von der Wirkung des Salicyl- Medicaments auf die Nierensteine und deren verschiedene Manifestationen sprechen. Wenn es sich um nephralgische Kolik handelt, so scheint das Mittel die Beendigung der Krisis zu beschleunigen und die Fortschaffung der Steine zu begünstigen. Handelt es sich um schmerzlose Nierensteine, so provociren so- wohl das Salicylat als die reine Salicylsäure ein reich- liches Ausscheiden von Nierensand.

Selbst bei Kranken, bei welchen lange keine Aus- scheidung des Sandes stattgefunden hat, veranlasst das Medicament das Erscheinen krystallisirter oder amorpher Harnsäure im Urin. Diese Thatsachen sind um so zu- verlässiger, als ich den gleichzeitigen Gebrauch von Mineralbrunnen nicht gestattete, um die Wirkung des Heilmittels ohne jede andere Hülfe genau abschätzen zu können.

Nephritis eignet sich mit Ausnahme der Nierensteine nicht zur Anwendung dieses therapeutischen Mittels, wel- ches hämorrhagische Congestionen veranlasst und die Albuminurie vermehrt.

Bei Blasenkrankheiten, besonders Cystitis mit Urin- Zersetzung, hat man Salicylsäure - Einspritzung zu ^300

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oder V 500 empfohlen. Der innerliche Gebrauch von 3 Gramm Säure war nach Fürbringer bei mehreren Kranken der Heidelberger Klinik genügend, um beim Blasenkatarrh den Alkaliengehalt des Urins, den schlechten Geruch und die in grosser Anzahl vorhandenen Bacterien zu vernichten; die Eiterkügelchen blieben indessen vor- handen, obgleich der Säuregehalt wieder in richtiger Weise zum Vorschein kam; diese Thatsachen sind je- doch im Ganzen noch wenig zuverlässig.

Herr G übler hat ganz Recht, wenn er sagt, dass die Salicylsäure ein directes Antizymoticum ist, welches gegen die in. den betreffenden Organen statt- findenden Gährungen sehr energisch wirkt, auf welches man aber in Bezug auf das Blut nicht mit Sicherheit rechnen darf.

Neuralgie.

Als ich die schmerzstillende Wirkung der Salicyl- Präparate bei der Behandlung von Gicht und Gelenk- Rheumatismus kennen gelernt hatte, versuchte ich es auch, sie bei der Behandlung schmerzhafter Affec- tionen überhaupt anzuwenden. In der folgenden Reihe nervöser Zustände erschien mir ihre Anwendung geboten.

Neuralgia ischiadica. Ich behandelte 4 Fälle mit Salicylat und beobachtete Folgendes:

Bei *2 Fällen von schon alter Ischias erfolgte die Heilung nach wenigen Tagen, dagegen muss ich auch einen Misserfolg bei einem dritten Fall, ebenfalls aus meiner Privatpraxis, constatiren. Es handelte sich in diesem letzteren um einen seit 3 Jahren an Neuralgia

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ischiadica Leidenden, bei welchem kein einziges Mittel irgendwie geholfen hatte.

Bei einem vierten im Hospital behandelten Fall war der Misserfolg ebenso schlagend. Es handelte sich um ein junges Mädchen, welches übrigens auch durch das Brennen mit dem Paquelin’schen Apparat nur eine vorübergehende Erleichteruug empfand.

Tic douloureux des Gesichts. Eine der merkwürdigsten Thatsachen bezieht sich auf die Wirkung dieses Heilmittels bei Tic douloureux des Gesichts. Es handelte sich um einen Kranken, der seit io Jahren an dieser Krankheit litt und regelmässig mehrere Monate des Jahres im Hospital zubrachte. Er war im Hotel-Dieu von Herrn Fauvel behandelt worden und durch An- wendung von Chinin-Sulfat und Bromür hatte man seine Schmerzen meistens etwas gelindert. Als er in meiner Abtheilung anlangte, stand er gerade unter dem Einfluss einer höchst schmerzhaften Krisis. Nach 24 Stunden war er mit Hülfe von 10 Gramm Salicylat von allen Schmerzen befreit. Nach seinem eigenen Geständniss unterbrach er nach 3 Tagen den weiter vorgeschriebenen Gebrauch des Mittels und bekam in Folge dessen einen Rückfall. Dieses Mal verlangte er selbst wieder nach dem Medicament und war in 48 Stunden geheilt. Nach J4 Tagen verliess er das Hospital, ohne länger als 2 oder 3 Tage an Schmerzen gelitten zu haben.

Heftiger oder chronischer Kopfschmerz; Migräne. Ich sah 2 Kranke, welche an beständigem Kopfweh litten und dadurch geheilt wurden, dass sie 6 Tage lang täglich 4 bis 6 Gramm Natron salicyl. ein- nahmen.

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Bei Migräne Hessen sich ebenfalls günstige Resultate constatiren ; dieselben bilden jedoch keine Regel. Ich behandelte 4 Kranke in dieser Weise, erhielt aber bei 2 derselben kein anderes Resultat, als ich es vorher mit Chinin -Sulfat und Kalium -Bromür erzielt hatte, welch letztere Behandlung bei den meisten Fällen hilft.

Schmerzhafte AfTectionen des Rückenmarks.

Es handelt sich hier um jene schweren Rücken- marks-Affectionen, Myelitis superficialis, Sclerosis der hinteren Nervenstränge und um andere Nervenstörungen, die schwer zu definiren und von heftigen anhaltenden Schmerzen in den Hüften, in der Gürtelgegend oder von unbestimmten, in ihrer Verbreitung nicht genau zu begrenzenden Schmerzempfindungen begleitet sind. Be- sonders spreche ich von der schweren Krankheit, welche unter dem Namen veränderliche Ataxie oder Sclerose der hinteren Rückenmarksnerven vielfache Schmerzen, Hyper- ästhesie, Krämpfe und partielle Zusammenziehungen her- vorbringt, ohne dass bei diesen gleichsam blitzartigen Schmerzen irgend welche Regelmässigkeit, irgend ein bestimmter Typus zu constatiren wäre. Gerade die Ataxiekranken sind es, welche uns den von Duchenne (de Boulogne) so gut beschriebenen, traurigen Eindruck machen. Sie leiden an keinen Bewegungs - Störungen, keinen Ocular-Erscheinungen; die Krankheit ist, wie dies C har cot auch bewiesen hat, gleichsam zusammenhangs- los. In diesen Zuständen, gleichviel bis zu welchem Grade die Motilität bereits zerstört ist, treten oft Perioden der Verschlimmerung ein, welche man schneidende, blitz-

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artige Schmerzen nennen könnte, heftige Krisen, welche zuweilen mit Magenkrisen abwechseln und ganze Monate lang andauern können.

Es gilt nun, die furchtbaren Schmerzen dieser un- glücklichen Ataxiekranken zu lindern und wir haben zu diesem Zweck, obwohl meistens ohne Erfolg, die ener- gischsten Linderungsmittel, wie Morphium-Einspritzungen, Chloral als Trank oder Klysma angewendet. Diese Mittel veranlassen wohl einmal eine kleine Ruhepause, aber die Dosis muss dann bis zum Morphinismus und Chloralis- mus gesteigert werden.

Ferner hat man es mit electrischen Strömen ver- sucht, welche aber gerade während der Krisen nicht zu benutzen sind, ferner mit der Hydrotherapie, die bei schmerzhaften Phasen der Krankheit kein irgendwie günstiges Resultat producirt und mit den beruhigenden Brunnen (z. B. Neris), welche wenigstens einiges Gute zu bewirken scheinen. Endlich hat man auch Kaliurn- Bromür gebraucht, welches die Kranken jedoch bedeu- tend schwächt.

Selbst bei besonders schwierigen, schmerzhaften Zu- ständen bringt das Natron salicyl. meistens ein fast un- mittelbares Aufhören der Schmerzen hervor. Ich erhielt dafür die schlagendsten Beweise bei einer 54jährigen Frau im Hospital, bei 2 Fällen meiner Privatpraxis und bei einem vierten Fall, den ich mit meinem Collegen Vidal zusammen behandelte. Herr Bouchard hatte seinerseits die Güte, mir 4 Beobachtungen mitzutheilen, die er in Bicetre an Ataxiekranken machte, deren Lei- den auf Jahre schon zurückzuführen war. Er verordnete bei den schmerzhaften Krisen 10 Gramm Natron salicyl.

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und die Schmerzen hörten noch denselben Tag oder am anderen Morgen auf. Beinahe immer war man ge- nöthigt, nach Unterbrechung des Gebrauchs nach etlichen Tagen wieder auf das Mittel zurückzukommen und im Verlauf von xo bis 14 Tagen hörten die Schmerzen dann in definitiver Weise auf.

Bei einem Ataxiekranken, welchen ich im Hospital beobachtete, verschwanden die Schmerzen nach 2 Tagen. Als der Kranke aber wegen des Ohrensausens und der Schwerhörigkeit das Einnehmen des Medicamentes ver- weigerte, erschienen die Krisen von Neuem, wichen aber in definitiver Weise, sobald der Kranke das Mittel wieder anwendete.

In 2 Fällen, welche ich in meiner Praxis beobach- tete, hörten die heftigen Schmerzen sehr rasch auf. Das- selbe geschah bei einem Ataxiekranken, bezüglich dessen mich Plerr Vidal um meinen Rath fragte; die Schmerzen hörten sofort auf, es blieb nur ein schmerzloser Krampf in den Füssen im Moment des Gehens zurück.

Ausser diesen Ataxiekranken hatte ich Gelegenheit, 3 an Myelitis Leidende zu behandeln, bei welchen theil- weise Lähmung mit Schmerzen in den unteren Gliedern eingetreten war. Es gelang mir, die Schmerzen zu stillen; jedoch schien es mir, als ob das Medicament die Muskel- schwäche vermehrte und ich liess es nicht mehr brauchen, sobald die Schmerzempfindungen aufhörten.

Innerliche Schmerzen.

In Bezug auf Affectionen des Magens und der Därme habe ich bemerkenswerthe Resultate nicht be- obachtet.

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Ich erwähne zum Schluss nur einen Fall von Leber- kolik, der durch den Einfluss des Salicyl-Medicamentes nach 2 Stunden aufhörte.

Nach diesen die rheumatischen und gichtischen Krankheiten behandelnden Details kommt der gelehrte Autor in seinem Vortrage zu folgenden Schlusssätzen:

1) Im Gelenkrheumatismus hat man die entschie- densten, schnellsten Erfolge beobachtet, so dass man mit Sicherheit im Verfolg von 2 bis 4 Tagen auf die Heilung von acutem, fieberhaftem oder fieberlosem Rheumatismus rechnen kann; 51 Fälle bekräftigen dies.

2) Bei chronischem, einfachem Rheumatismus sind die von mir gemachten Versuche sehr befriedigend aus- gefallen; das Gleiche lässt sich auch von den acuten Krisen sagen, welche sich von Zeit zu Zeit sowohl beim einfachen Rheumatismus als bei der knotigen Arthritis zeigen; die schmerzhaften Anfälle weichen ebenso rasch als im acuten Gelenkrheumatismus. Ausserdem nehmen die Gelenk -Schwellungen bedeutend ab und die Be- wegungen werden frei. Dies geschieht selbst nach jahre- langen Schmerzen, nach Steifheit und Unbeweglichkeit, sobald die Knochen-Verbildungen nicht zu arg und zu weit vorgeschritten sind. (12 chronische Rheumatismus- fälle geheilt oder gebessert.)

3) In der acuten und chronischen Gicht sind die Resultate von grösster Bedeutung. Gleich bei meinen ersten Versuchen überraschte mich die Schnelligkeit, mit welcher die schmerzhaftesten acuten Anfälle ver-

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schwanden. Im Zeitraum von 2 bis 3 Tagen waren Schmerzen, Gelenkschwellung, Rothe der Haut und Em- pfindlichkeit beim Berühren gewichen.

Bei der chronischen Gicht werden durch fortge- setzte Behandlung mit ganz mässigen Dosen die Kranken vor jedem acuten Anfall geschützt.

Andrerseits verschwinden die chronischen periarti- culären Schwellungen mit Leichtigkeit; die Tophi der Gelenke nehmen ab und entzünden sich nicht mehr; mit einem Wort, die Heilung kann eine vollständige sein, ohne dass sich irgend welche Metastase des Herzens, Magens, der Respirationsorgane oder des Ge- hirns entwickelt. Ich habe unter den 2 1 Fällen, welche ich beobachtete, nicht ein einziges Mal die Erfahrung gemacht, dass sich die Gicht auf innere Organe ge- worfen hätte.

Andere unangenehme Zufälle, als Gehörsstörungen und eine Art von Schwäche oder Narcotismus finden nicht statt ; die beiden letzteren Erscheinungen ver- schwinden aber sofort, wenn die Dosis kleiner ge- geben wird.

Unter den Affectionen, welche hauptsächlich gich- tischer Natur sind, müssen die Nierensteine erwähnt werden, welche sich mit Hülfe des Natron salicyl. leichter ausscheiden. Das Natron salicyl. bietet ausser- dem den Vortheil, dass es die nephritischen Schmerzen lindert.

4) Die Salicyl -Medicamente scheinen gewisse Fa- cialis-Neuralgien in günstigster Weise zu modificiren; diese Wirkung ist indessen noch nicht definitiv festge-

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stellt; dasselbe lässt sich über die Behandlung von Ischias durch dieses Mittel sagen.

5) Bei schmerzhaften Rückenmarkskrankheiten bringt das Natron salicyl. die schätzenswertheste, beruhigendste Wirkung hervor. Bei fortgesetzter Behandlung scheint es nur- einen gewissen Grad von Schwäche zu veran- lassen.

Eine medicinische Eroberung.

Gicht und Rheumatismus durch salicylsaures Natron geheilt.

Von Dr. Iiery in Paris.

Tantum prodesse.

So lange die Salicylsäure aus der rein wissen- schaftlichen Sphäre nicht heraustrat und sich ihre An- wendung höchstens auf einige chirurgische Operationen oder auf gewisse Fabrikationszweige der Industrie be- schränkte, war das Interesse, welches man ihr widmete, nur ein mässiges; als aber plötzlich eine der bedeu- tendsten Autoritäten vor versammelter Akademie die bewunderungswürdigen Eigenschaften dieses neuen thera- peutischen Mittels bei Behandlung von Gicht und Rheu- matismus in allen Gestalten proclamirte, da zollte ihr die medicinische Presse einstimmig die Lobsprüche, die sie verdiente, und sie nahm, gleichsam wie ein Künstler, der sich durch ein Meisterwerk plötzlich als solcher zeigt, den ihr gebührenden Platz ein.

Es handelt sich hier wohlverstanden nicht etwa nur um einen vorübergehenden, übertriebenen Enthusiasmus

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für eine gleichsam in die Mode gekommene Sache; nach dem Geständniss selbst Derjenigen, welche jede therapeutische Neuerung nur mit der äussersten Zurück- haltung aufnehmen, hat die Salicylsäure eine sehr glück- liche Revolution in der Behandlung dieser Krankheiten hervorgebracht, welche sich bis jetzt jeder Behandlungs- weise gegenüber ziemlich unzugänglich gezeigt haben. Wir hielten uns also für vollkommen berechtigt, unserer kleinen Abhandlung den Titel „eine medicinische Er- oberung“ voranzusetzen, denn wir sind fest davon über- zeugt, dass die glänzenden Erfolge, deren sich dieses Arzneimittel bereits rühmen kann, alle Vorurtheile, welche sich seiner Verbreitung noch entgegensetzen könnten, in raschester Weise besiegen wird.

Ueber die Erblichkeit der Gicht.

Ist die Gicht ein Uebel, welches man sich zuziehen kann, oder ist sie im Wesentlichen eben so erblich wie der Krebs oder die Lungenschwindsucht? Ohne als entscheidender Richter in einer Frage auftreten zu wollen, über welche noch so vielfach hin und her debattirt wird, neigen wir uns doch zu der Ansicht, dass die Erblich- keit beim Entstehen dieser Krankheit eine vorherrschende Rolle spielt und dass der erste Gichtstoff, abgesehen von der Mitwirkung der gewöhnlichen bestimmenden Ur- sachen, nach Art der Fermente mit einer Eigenthüm- lichkeit und Sicherheit der Wirkung heimlich in uns fortarbeitet, die ihres Gleichen in der Pathologie höch- stens bei der Tuberculose, der Glycosurie und der In- cubatio virulent, findet. Möge man die Sache erklären

So

und interpretiren, wie man wolle: die Erblichkeit der Gicht erscheint uns als 'eine festbegründete Thatsache und Herr Germain Söe selbst äussert sich in fast identischer Weise, wenn er sagt, dass drei Viertel aller Gichtfälle als erbliche Krankheiten zu betrachten seien.

Dies ist auch die Meinung eines alten, sehr geist- reichen Gichtkranken, dessen Zeugniss wir hier anführen wollen. „Ich bin, sagte er uns, ebenso wie viele Andere, welche ich citiren könnte, ein schlagendes Beispiel für die Bedeutung des Wortes Erblichkeit in der Aetiologie der Gicht. Meine Vorfahren waren seit mehreren Generationen gichtisch; ich habe Alles aufgeboten, um dieser traurigen Erbschaft zu entgehen; das verhängniss- volle Naturgesetz hatte aber seinen unwiderruflichen Spruch gethan und ich konnte nichts weiter thun, als mich seinem Verdammungsurtheil beugen. Wenn es aber, wie Aza'is behauptet, wahr ist, dass jedes Unglück irgend etwas Gutes mit sich bringt, so tröste ich mich heute mit dem Gedanken, dass ich durch diese harte Lehrzeit meinen unversöhnlichen Feind gut kennen ge- lernt habe und nun besser im Stande bin, Diejenigen, welche meine Rathschläge für die neue Behandlungs- methode, die mir so ausserordentliche Dienste geleistet, zu hören wünschen, auf den richtigen Weg zu weisen.“

Ohne dass er es direct sagt, ist constatirt, dass hier von dem salicylsauren Natron die Rede ist.

Der Schmerz bei der Gicht.

Der Schmerz spielt nach Aussage aller Leidenden bei dieser Krankheit eine so wichtige Rolle, dass es

Si

fast scheint, als seien alle anderen Erscheinungen darin gleichsam zusammengefasst. Dies veranlasste auch einen alten Professor der Klinik zu dem Ausspruch, dass die zur Zeit des Hippokrates lebenden Griechen, falls sie jemals versucht gewesen wären, dem Podagra einen Tempel zu errichten, über die Eingangsthür nichts Bes- seres hätten schreiben können, als das einfache Wort: ’:Uyoc.

Wie bei allen Krankheiten, in welchen dies Ele- ment vorherrscht, hat auch der Gichtschmerz seine ver- schiedenen Abstufungen, von jenen flüchtigen, hin und wieder gleitenden Schmerzen an, die sich in den kleinen Gelenken noch nicht fixirt haben, bis zu dem fürchter- lichen, unerträglichen Gefühl („amarissimus“, wie Syden- ham sagt) hin, welches die Zehen zusammenschnürt, sie mit scharfen Dolchstichen durchbohrt und den Kran- ken alle Phasen einer wirklichen Tortur durchleben lässt.

Ein alter normannischer Arzt des XVI. Jahrhunderts, Bretonnagan, welcher der Gicht eine souveraine Ab- neigung zu zollen scheint, sagte in marotischen Versen, dass die Hölle einem Menschen, der jedes Verbrechen begangen habe, keine grausamere Strafe auferlegen könne und dass selbst das Rad des Ixion und die Qualen des Tantalus der Gicht vorzuziehen .seien. Sydenham, welcher, ohne sich in gleich hyperbolischer Weise zu äussern, gegründete Ursache hatte, die Gefühle des nor- mannischen Arztes zu theilen, da er seine Abhandlung über das Podagra während der unaufhörlichen Anfälle desselben verfasste, sagte, dass die Gicht mehr geist- reiche als beschränkte Leute umbringe. Die Statistik hat sich in dieser Richtung noch nicht vernehmen lassen,

v. Heyden, Studien über die Salicylsäure. 6

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indessen ist dies immerhin eine recht liebenswürdige Art und Weise, seine Leidensgefährten zu trösten.

Definition der Gicht.

Ein moderner Schriftsteller, Ferrus, beschränkt sich bei der Definition der Gicht zu ihrer Charakterisi- rung auf die Aufzählung der hauptsächlichsten Krankheits- erscheinungen, welche sie hervorruft: scheinbar ohne äussere Veranlassung entstehende periodische Schmerzen, Entstehung von Tophi. Das ist Alles.

Cruveilhier, der nicht weniger sparsam mit den Details ist, erblickt in ihr nur den schmerzhaften Aus- bruch eines seiner Natur nach unbekannten Krank- heitsstofifes.

Viele Andere haben uns Definitionen geliefert, die man eher Beschreibungen nennen könnte, und es unter- liegt auch keinem Zweifel, dass die beste Definitions-- weise der Gicht eben ihre Beschreibung ist. Ohne den Letzteren nachsprechen zu wollen, müssen wir doch, sagen, dass dif Gicht, gleichviel ob sie erblich oder nicht erblich, acut oder chronisch auftritt, sich durch einen Ueberschuss von Harnsäure im Blut charakterisirt, . welcher Ueberschuss sich äusserlich durch periarticuläre Anschwellungen, sowie durch plastische Stoff- Ansamm- lungen bemerkbar macht, welche sich unter dem Namen Tophi in den Gelenken oder fibromusculären Geweben bilden. Innerlich offenbart sich die Gicht in vorüber- gehenden oder permanenten Störungen der Organe, welche unter dem Namen Asthma, Nierensteine, nephro- tische Kolik und selbst Blasen-Catarrh mehr oder weni- ger auf eine gichtische Diathese zurückzuführen sind.

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Ihr Verlauf.

Es existirt nichts Hinterlistigeres, nichts Ueber- raschenderes als das Auftreten dieser launenhaften Krank- heit. Wenn sie sich auch häufig durch nicht misszu- deutende Vorboten ankündigt, so überrascht sie uns ebenso oft mitten in der Nacht im blühendsten Gesund- heitszustand und erreicht mit rasender Schnelligkeit ihren Höhepunkt. Dann stösst der arme Patient, wenn er nicht mit aussergewöhnlichem Stoicismus begabt ist, die herzzerreissendsten Seufzer aus, der Druck selbst der leichtesten Decke wird ihm unerträglich und er wendet alle möglichen Mittel an, um sich Linderung zu ver- schaffen. Wenn dieser Anfall, nach Paroxysmen von sehr verschiedenartiger Zeitdauer, sich durch seine eigene Heftigkeit erschöpft zu haben scheint, stellt sich wieder vollkommene Ruhe ein. Höchstens erscheinen noch dann und wann, wie die letzten Blitze nach einem Ge- witter, andere Anfälle, die aber nach und nach mit all- mählich sich ‘vermindernder Heftigkeit auftreten.

Leider darf man aber nicht vergessen, dass nach jedem Anfall die gichtische Anlage zurückbleibt, welche sich wohl einmal während etlicher Wochen oder Monate austobt, aber bei der geringsten Ver- anlassung und selbst ohne eine solche sofort wieder andere Anfälle, erneute Schmerzen zu veranlassen ver- mag. Dies Schwanken zwischen momentaner Besserung und plötzlichen Anfällen bildet jahrelang die Existenz der unglücklichen Gichtkranken, bis sie endlich, in schweren Fällen, von der eisernen Faust des Uebels völlig bezwungen werden und halb oder ganz gelähmt,

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mit verkrümmten Gliedern vegetiren müssen. Haben nicht schon viele gekrönte Häupter, viele berühmte Leute, wie unsere liebenswürdigen Dichter Roger de Beauvoir und Thdophile Gauthier, in dieser Weise enden müssen? Auch unser vortrefflicher Fabeldichter, der seiner Zeit täglicher Zeuge des durch die Gicht an- gerichteten Unheils war, schreibt ihr einen ihrer würdigen Ursprung zu, wenn er sagt:

Quand l’enfer eut produit la goutte

Andrerseits schreibt Dr. Erasmus, welcher sehr leidend war, an einen Freund: „Ich habe Nierensteine, Du hast die Gicht, wir haben diese beiden Schwestern geheirathet.“ Er täuschte sich nicht! Dieser gemein- same Ursprung, der seinem Scharfblick nicht entgehen konnte, wurde später von unsern geschickten Klinikern Recamier und Trousseau klar bewiesen, so dass er keinem Zweifel mehr unterliegen konnte. Sie legten ausserdem noch dar, dass das nervöse Asthma und die Migraine unter verschiedenen Masken und Benennungen auf die gleiche Abstammung zurückzuführen sei. Uebri- gens sprechen sie zu gleicher Zeit die tröstliche Wahr- heit aus, dass die verschiedenen Glieder dieser Familie nur wechselweise von unseren Geweben Besitz ergreifen und dass ein Collectiv-Auftreten derselben noch niemals vorgekommen ist. Trousseau liebte es, für diesen bizarren Wechsel ein interessantes Beispiel zu citiren. „Ich habe einen Freund,“ sagte er, „der sehr zeitig bereits an Asthma und Gichtanfällen litt. Wenn er in den Gelenken eine anschwellende Bewegung fühlt, ist sein Athem ganz ausgezeichnet; dagegen sind die Ge- lenke frei, sowie sich Erstickungsanfälle seiner bemäch-

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tigen. Schliesslich, wenn er an nephritischer Kolik und an Nierensteinen leidet, hat er weder Gicht noch Asthma.“

Natur der Gicht.

Vielleicht wäre hier der geeignete Ort, um unsere Ansicht über die Natur der Gicht kurz auseinanderzu- setzen; aber die Entwicklung dieser These, welche kein irgendwie praktisches Interesse darbietet, würde uns über die Grenzen einer einfachen Abhandlung hinausführen. Ueberdies sind alle auf diese Sachen bezüglichen Fragen, nach den mehr oder weniger geistreichen Hypothesen zu urtheilen, welche Prof. See in seiner letzten Arbeit der Feuerprobe seiner strengen Kritik unterwirft, noch weit davon entfernt, einigermaassen klar und entschieden beantwortet werden zu können. Wenn wir unter diesen Hypothesen eine Wahl zu treffen hätten, so würden wir uns ohne Zögern mit derjenigen einverstanden erklären, welche in der Gicht eine Steigerung oder vielmehr eine Abweichung der Function erblickt, die bei der Bildung der Harnsäure das Hauptmoment bildet. Diese Ansicht ist ganz gewiss die richtige, und an dem Tage, an welchem es uns gelingen wird, diese Function auf ihre normale, regelmässige Thätigkeit zu beschränken, werden alle Erscheinungen der Gicht sicher sofort ver- schwinden, um allen Attributen der Gesundheit Platz zu machen.

Lassen wir indessen diese noch so vielfach be- strittene Frage ruhen und wenden wir uns zu einer an- deren, die zwar auch noch nicht völlig erledigt ist,

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obgleich sie schon lange durch klinische Beobachtungen endgültig entschieden sein sollte. Es handelt sich darum, zu wissen, bis zu welchem Punkte und innerhalb welcher Grenzen die Gicht zu behandeln ist. Wir haben weiter oben die Meinung eines Arztes citirt, nach welcher die Gicht nichts anderes wäre als der Ausbruch eines seiner Natur nach unbekannten Krankheitsstoffes. Heisst es nun nicht die Anstrengungen der sich selbst helfenden Natur, dieses pharmacum naturae des grossen englischen Praktikers durchkreuzen, wenn man durch einen vielleicht ungestümen Eingriff dieses geheimnissvolle Arbeiten stört? Ist es nicht besser, um noch klarer zu sprechen, dass man eine Krankheit conservirt, welche gleichsam mit dem Leben verbunden ist, anstatt den Ausbruch einer anderen Krankheit zu provociren oder vorzu- bereiten, bei welcher dies nicht der Fall ist?

Ueber diese Doctrin wird seit langer Zeit in der Wissenschaft hin und her gestritten und man muss gestehen, dass sie bei gewissen Formen der Gicht, bei sehr alten Leuten zum Beispiel, zuweilen ihre Berech- tigung hat.

Heisst das aber, dass man in allen anderen Fällen dem Uebel seinen ungestörten Verlauf lassen muss, an- statt es in seinen Fortschritten zu hemmen? Wenn man logisch verfahren wollte, dürfte man es dann auch nicht wagen, irgend welches Mittel gegen chronische Haut- krankheiten anzuwenden, und Ausschlagskrankheiten, wie Pocken, Masern und Scharlachfieber könnten wir aus den gleichen Gründen nur als müssige Zuschauer be- obachten, da wir ja fürchten müssten, durch die An- wendung eines Arzneimittels eine innere Krankheit

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hervorzurufen, die vielleicht schlimmer wäre als das ursprüngliche Uebel selbst.

Ein solches System, strikte durchgeführt, würde nichts Geringeres als das ruhige Abwarten bei jeder Krankheit zum Gesetz erheben, was ungefähr auf die Aufhebung der ganzen Arzneiwissenschaft hinauskäme. Ich weiss nicht, ob die Kranken viel dabei verlieren würden, aber das weiss ich bestimmt, dass es bezüglich der Gicht unsere Pflicht ist, gegen die Verbreitung einer solchen Doctrin zu protestiren, besonders seit Anwen- dung der neuen Behandlungsmethode.

So sehr man auch nach unserer bescheidenen Mei- nung diesen besonderen Krankheiten gegenüber bei sehr alten Leuten, denen sie, um mit Trousseau zu reden, gewissermaassen zur Gewohnheit geworden sind, mit äusserster Vorsicht zu handeln hat, ebenso sehr muss man sich von veralteten Retrocessions-Theorien fern zu halten suchen.

Wir freuen uns, dass wir in diesem Punkt mit einer so grossen Autorität, wie Prof. G. Sde ist, überein- stimmen. Dieser Letztere sagt, dass er bei 21 von ihm beobachteten Fällen kein einziges Mal irgend welches Zurücktreten der Gicht auf innere Organe zu constatiren gehabt habe. Ist dies entgegen jenen Behauptungen Sydenham’s und Trousseau’s nicht genug gesagt?

Die Diät.

Unserer Meinung nach, die mit derjenigen der meisten Aerzte übereinstimmt, welche über Gicht ge- schrieben haben, ist die Diät bei Behandlung dieser

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das mächtigste Hülfsmittel. Natürlich wird man vollblütige, sinnliche, seit langer Zeit an gute Kost und Müssiggang gewöhnte Menschen nicht ebenso be- handeln können wie solche Personen, die von schwäch- licher Constitution sind, viel im Zimmer arbeiten und deren Blut wenig bildende Kraft besitzt. Im ersten Fall muss man vor Allem durch geeignete Diät und Be- wegung auf Ausscheidung flüssiger Stoffe hinwirken; im zweiten, in welchem die atonische Gicht vorzuherrschen scheint, gilt es, dem Organismus die ihm mangelnden Widerstandsmittel zuzuführen.

In der That spielt die Verdauungsthätigkeit bei der periodischen Wiederkehr und Intensität der Anfälle eine so bedeutende Rolle, dass allen Kranken, denen ihre Heilung am Herzen liegt, vor allen Dingen eine sorg- fältige Diät zu verordnen ist. Der Ausdruck „seine Gicht ernähren“ heisst also, sich selbst mit ausserordent- lich stickstoffhaltigen, albuminösen Substanzen ernähren, welche eine kräftige Verarbeitung oder Verbrennung erfordern. Wenn die Verdauungs- und Athmungsorgane in diesem Falle ihre Thätigkeit nicht verdoppeln, so entsteht ein Missverhältnis zwischen Production und Consumtion und in dessen Folge die Gicht, welche im Grunde nichts anderes ist als eine Reaction, die der Organismus in der geeignetsten, wenn auch vielleicht nicht gerade lin- desten Form bewerkstelligt, um das Individuum am Leben zu erhalten. Müssen wir hierin nicht die weise Vorsehung der Natur bewundern, welche in den Kreis- lauf des Lebens eingreift und auf verschiedenen Rei- nigungswegen gewisse heterogene Producte beseitigt, welche im richtigen Moment das regelmässige Spiel

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unserer Organe in’s Stocken bringen könnten? Aber nicht allein eine zu stickstoffhaltige Ernährung ist, mit Aus- nahme der Erblichkeit, im Stande, die Wiederkehr der Anfälle zu veranlassen, oder die Krankheit bei Solchen zum Ausbruch zu bringen, die bis dahin von derselben befreit waren. Alle anstrengenden geistigen Arbeiten, im Uebermaass genossenes Vergnügen, Alles, was die Fähigkeiten oder Leidenschaften zur höchsten Entwick- lung bringt, in einem Wort Alles, was anstrengt, ent- nervt, überreizt, muss unter die nächsten entscheidenden Ursachen der Gicht gerechnet werden. Wir dürfen im In- teresse unserer Gichtkranken ohne Zögern das Höchste for- dern, um das Geringste zu erhalten. „Die Leidenden möch- ten alles mögliche thun,“ sagt Ferrus, „wenn sich ihre Schmerzen erneuern, und sie verzichten auf die kleinste Vorsichtsmaassregel, sobald sie weder gesund sind.“ Verhält sich die Sache nicht so in den meisten Fällen?

Uebrigens hat die Gicht, jederzeit ihre Unheilbaren aufzuweisen gehabt, die man „Volontaire“ nennen könnte. Während der strengen römischen Republik waren der- artige Kranke selten; als Augustus aber nach seinen Siegen in seinem Gefolge alle jene von Luxus und Ver- gnügen und von den Schätzen des Orientes Ueber- sättigten nach Rom brachte, da war die Gicht bald nichts Ungewöhnliches mehr. Was vermochten die weisen Rathschläge und Mittel der Schüler des Galenus gegen den allgemeinen, Alles mit sich fortreissenden Zug der Zeit? Daher stammt vielleicht der berühmte ovidische Vers über die Unheilbarkeit der Gicht:

Nodosam nescit curare medicina podagram.

Wir brauchen nicht so weit zurückzugreifen. Die

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Dinge lagen zur Zeit der Regentschaft und des Direc- toriums, jenen Uebergangszeiten, ziemlich ebenso. Und selbst heut zu Tage, wie Viele giebt es nicht unter den berühmtesten und bewundertsten Männern, die mit dem raffinirtesten Epicurismus ihren Angriffen Trotz bieten, um schliesslich doch auch zu einem verspäteten Nach- denken über sich selbst zu erwachen!

Wir haben also gegründete Ursache, die Gicht als einen Feind zu betrachten, mit welchem nicht zu spassen ist, denn sie bereitet selbst Denen zuweilen unerwartete Ueberraschungen, welche sie mit der grössten Aufmerk- samkeit beobachten. Erkläre sich wer es kann diese seltsamen Evolutionen ein und derselben Krankheit, diese schmerzhafte Thätigkeit sowohl auf der Oberfläche als im Innern unserer Gewebe, welche heute die Lunge fast bis zur Erstickung zusammenpresst (gichtisches Asthma) und morgen im Kopfe ein Gefühl hervorruft, als wenn er zerspringen müsste (Migraine), welche un- erträgliche nephritische Schmerzen verursacht (Nieren- steine) und wechselweise in den verschiedensten Organen des Körpers zur Erscheinung kommt. Pierre Desault, der Verfasser einer vortrefflichen Abhandlung über die Gicht, sagt ebenfalls, durchdrungen von den ernstlichen Verlegenheiten, welche eine in ihrem Auftreten so wechselnde Krankheit dem Praktiker bereitet: „Wenn ich zu einem sonst Gichtkranken gerufen werde, der an irgend einer beliebigen anderen Krankheit, die Ansteckungs- krankheiten ausgenommen, leidet, so verliere ich die Gicht nie aus dem Auge, sondern untersuche immer erst arg- wöhnisch, ob ihre Laune sich nicht hinter einer neuen Maske versteckt hat.“

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Solche scharfsichtige Reflexionen dürfen in der Praxis nie ausser Acht gelassen werden.

Behandlung.

Wenn man diesen Punkt der Geschichte der Gicht erreicht hat, wird man von dem sicheren Ton über- rascht, mit welchem die meisten Aerzte ihrer Behand- lungsmethode Vortheile zuschreiben, deren Privilegium sie allein zu besitzen scheint. Und dennoch, was finden wir auf dem Grunde jeder dieser Methoden beinahe immer wieder? mehr oder weniger maskirt das Colchi- cum, welches die Basis aller dieser Behandlungsmethoden bildet, wie das Opium diejenige des Brustsyrups; das- selbe Colchicum, welches seit Paul d’Egine unter dem Namen „Hermodacte“, *) bis auf Storckes, der es zuerst unter seinem wirklichen Namen anwendete, immer in allen gut empfohlenen antiarthritischen Compositionen zu finden gewesen ist. Die Geschichte des Colchicums müsste also eigentlich auch die Geschichte der Gicht von ihrem Ursprung bis zum heutigen Tage umfassen.

Da wir, als wir uns dem Studium der Gicht und ihrer Behandlung widmeten, durchaus nicht die Präten- sion hatten, eine neue Methode aufzubringen, sondern nur bereits erworbene Erfahrungen benutzen wollten, so wendeten wir uns natürlicherweise zum Colchicum und ahmten darin das Beispiel Scudamore’s nach, welcher

x) Unter dem Namen Hermodactyli scheinen im Alter- thum und noch im Mittelalter die Knollen mehrerer Colchicum- Arten auch mit denen anderer Pflanzen zusammengeworfen worden

v. H.

zu sein.

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es vielfach anwendete, obgleich er es im Grunde als ein sehr unsicheres und manchmal sogar gefährliches Arzneimittel betrachtete. Das Colchicum besitzt neben andern Eigenschaften auch diejenige der raschen Ein- wirkung auf den Schmerz, welcher, wie wir bereits ge- sagt haben, bei der Gicht eine so bedeutende Rolle spielt. Daher schien seine Anwendung geeigneter, als diejenige anderer Mittel, welche zwar nicht seine Incon- venienzen, aber noch viel weniger seine Vortheile dar- boten. Wir waren indessen immer weit davon entfernt, die übertrieben günstige Meinung Everard Home’s zu theilen, welcher nach iSmonatlichem eigenem Ge- brauch das Colchicum als Specificum betrachtete. Eben- sowenig konnten wir mit Fievöe übereinstimmen, der seine Wirkung bei der Gicht mit der Wirkung des Chinins bei Wechselfieber in Vergleich brachte. Zwischen unserer aufrichtigen Meinung und einem absoluten Ver- trauen lag eben immer der ganze Spielraum, welcher eine Möglichkeit von einer Gewissheit trennt. Wir wollen damit sagen, dass wir im Laufe der Zeit auf etwas Besseres hofften. Unsere Hoffnung ging auch beinahe bald in Erfüllung. Im Jahre 1855 erschien eine vor- treffliche Broschüre der Herren Bonjean und Soc- quet, welche die vortreffliche Wirksamkeit der Ben- zoate und Natron-Silicate besprach. Diese Mittel mussten erprobt werden und wir thaten es auch sofort mit dem lobenswerthesten Eifer. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, müssen wir hier erklären, dass wir allerdings unter den bis dahin angewendeten Mitteln keines kannten, dessen Wirkungen sich sicherer, dauerhafter und weniger gefährlich erwiesen. Wir können aber nicht einräumen, dass

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diese Methode schnellere Heilung veranlasste, da ihr das Colchicum in dieser Beziehung ohne Zweifel vorzuziehen war. Durch Verbindung der verschiedenen Mittel war es uns indessen möglich, gute und legitime Erfolge zu erreichen, und ohne zu glauben, dass die Wissenschaft in diesem Punkte ihr letztes entscheidendes Wort gesprochen habe, dachten wir doch, wir würden noch lange im Besitz des einzigen therapeutischen Mittels bleiben müssen, welches unseren Anforderungen einigermaassen entsprach. Da brachte die ausländische Litteratur das Lob der Salicylsäure und ihrer Derivate und besprach ihre An- wendung bei denjenigen Krankheiten, bei welchen uns die Benzoate und Silicate geboten erschienen. Die medicinische Welt begann sich zu regen: Herr Ger- main See, der berühmte Professor der Klinik, unter- nahm in seinem Hospital klinische Versuche und unterwarf alle in den Fachjournalen mitgetheilten Gelenkrheuma- tismus-Fälle der strengsten Kritik. Sobald er aus diesen Untersuchungen sichere Schlüsse zu ziehen vermochte und Beobachtungen gesammelt hatte, die zur Ueber- zeugung zwingen mussten, las er vor versammelter Aca- demie im Juni und Juli 1877 eine Abhandlung, welche das grösste Aufsehen erregte.

Der Mittheilung einer solchen Autorität gegenüber, die von den unbestreitbarsten Thatsachen unterstützt wurde, verstummte jeder Zweifel.

Der Verfasser giebt hierauf ein Resume der vorstehenden Arbeit von See, welche hier füglich übergangen werden kann; er fährt sodann fort:

Wir müssen gestehen, dass alle diese vollkommen verbürgten Thatsachen dermassen von der gewöhnlichen

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Regel abweichen, dass sie kaum Glauben finden würden, wenn sie nicht von einer unserer bedeutendsten medi- cinischen Autoritäten bestätigt worden wären, wenn sie nicht in Gegenwart vieler competenter Zeugen statt- gefunden und vor einer Versammlung von Fachgelehrten, der sie öffentlich vorgetragen wurden, ihre Sanctionirung erlangt hätten.

Vor einer solchen Menge von Beweisen muss jeder Scepticismus weichen.

Hatten wir also nicht Recht, als wir am Anfang unseres Aufsatzes von einer medicinischen Eroberung, einer friedlichen Eroberung sprachen, welche der Mensch- heit nur Gutes erweisen kann?

Eine andere, wenn auch nur nebensächliche gute Eigenschaft des salicylsauren Natrons, welche indessen durchaus nicht verachtet werden darf, ist, dass es sich sehr leicht einnehmen lässt, da es sich in Wasser voll- kommen gut auflöst, weder Geruch noch besonders unangenehmen Geschmack entwickelt und ausserdem i zu sehr mässigem Preise zu beschaffen ist. Man hat: es deshalb schon das Chinin der Armen genannt. Sollte damit gesagt werden, dass es mit seinen anderem bereits so zahlreichen Eigenschaften auch noch diejenige eines antipyretisehen Mittels par excellence verbindet? Bis jetzt haben wir noch keinen positiven Grund daran zu glauben, aber ebenso wenig dürfen wir dem Mittel eine Zukunft in dieser Richtung schon jetzt absprechen. Wir haben in dieser Beziehung noch die kommenden Ereignisse abzuwarten.

Es wird Viele geben, welche sich berufen fühlen werden, die Unannehmlichkeiten des neuen Mittels her-

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vorzuheben, denn welches Medicament hätte deren nicht. Haben wir nicht beim Chinin, beim Jod eine Art von Betäubung, ohne von den zahlreichen anderen vorüber- gehenden Intoxicationen zu sprechen? Wir werden also auch bei sehr starken Dosirungen eine Salicyl-Reaction haben, das Ungefährlichste, was in dieser Art existiren kann. Uebrigens kennen wir kein einziges Medicament, welches sich die öffentlichen Sympathien schneller ge- wonnen hätte, und wir können es uns nicht versagen, auf diesen neuen Ankömmling, welcher gleich durch die Pforte des Erfolges und unter dem Patronat einer hohen wissenschaftlichen Autorität in die Mitte der medicinischen Welt eingetreten ist, mit einem gewissen Gefühl von Dankbarkeit hinzublicken.

Den Zweifelnden rufen wir nur zu: Versucht es! Unser erblicher . Gichtkranker, der seit seiner Heilung keinen Rückfall gehabt, kann uns dies nicht oft genug wiederholen.

(Auszug aus dem Moniteur scientifique des Dr. Quesneville.

December 1877.)

Die folgenden Notizen, welche dem Londoner Lan- cet vom 13. October und 3. November 1877 entnommen sind, mögen, wie schon in der Vorrede hervorgehoben, noch als Beweis dafür gelten, dass die Salicylsäure bei Gelenkrheumatismen , im Gegensatz zu verschiedenen widersprechenden Behauptungen, selbst dann noch in- dicirt ist, wenn die Krankheit in Folge von Verschleppung und längerer Dauer bereits den schlimmsten Charakter angenommen hat.

Ein schwerer Fall von acutem Gelenkrheumatismus mit Pericarditis und Bronehial-Pneumonie, welcher, als der Patient anscheinend bereits im Sterben lag und die Alkalien-Behandlung sich als erfolglos erwiesen hatte, durch Anwendung von salicyl- saurem Natron geheilt wurde.

Unter Behandlung von Dr. Whipham im St. George- Hospital zu London.

Dr. Owen hat die Güte gehabt, folgende Beobach- tungen aufzuzeichnen.

Sydney D., 21 Jahre alt, Klempner, wurde am 13. Dec. 1876 mit einem heftigen Anfall von acutem

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Gelenkrheumatismus im Hospital aufgenommen. Sein Vater hatte 2 Mal das rheumatische Fieber gehabt und seine Mutier war, wie man sagte, „gichtisch“. Der Patient selbst hatte als Kind Masern und Scharlach- fieber überstanden und litt bis zu seinem 15. Jahre an Kopfweh und einem übelriechenden Ohrenfluss. In späteren Jahren war er trotz seines übermässigen Bier- trinkens kräftig und gesund gewesen. Andere geistige Getränke hatte er selten zu sich genommen. Schon 3 Wochen vor der Aufnahme im Hospital litt er an Catarrh, allgemeinem Uebelbefinden und Schmerzen in den Schultern und 14 Tage vor dem Beginn unserer Beobachtungen stellten sich bereits nach und nach hef- tige Schmerzen in den Gelenken ein, welche mehrere der Letzteren gleichzeitig afficirten. Der ihn behan- delnde Arzt wollte es vorläufig nicht gestatten, dass er in das Krankenhaus gebracht würde. Ungefähr 1 Woche nach Beginn des acuten Gelenkschmerzes warf er eines Nachts die Bettdecken von sich, worauf sich am fol- genden Morgen Husten und Dyspnoe zeigte. In diesem Zustande verharrte er bis zu seiner Aufnahme. 5 Tage vorher entstand auch noch Diarrhöe. Bei der Auf- nahme wurde Schmerz, Anschwellung, Rothe der Hand- und Fussgelenke, Husten mit leicht schaumigem Aus- wurf und Dyspnoe constatirt; die Zunge war roth und dick belegt. Diarrhöe unbedeutend, kein Erbrechen. Der Patient war sehr schwach und niedergeschlagen. Das Thermometer zeigte am Morgen 102,1° Fahrenheit, Abends 102,6° F. Die Brust war von guter Resonnanz und nur an der Herzspitze verhältnissmässig dumpfer Klang. Die linke Brustseite zeigte sich bei Druck

v. Heyden, Studien über die Salicylsäure. 7

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empfindlich. Dabei war die Respiration nicht ohne Schwierigkeit und man hörte an Spitze und Basis ein heiseres Röcheln. Die Empfindlichkeit der Leber er- streckte sich ungefähr bis 2 Zoll unter die Rippen, nahm dagegen nach oben hin nicht zu. Der ganze Unterleib zeigte sich im Allgemeinen sehr geschwächt, die Haut war feucht und strömte einen eigenthiimlich starken Mäusegeruch aus. Alle 4 Stunden wurden 2 Gran Chinin-Sulfat und 1 Drachme Kali Bicarbonat mit Citro- nensäure verabreicht; ausserdem täglich 3 Unzen Brannt- wein und zur Schlafenszeit einen 15 Gran Chloral ent- haltenden Trank.

14. Dec. Temperatur: Morgens ioi°F.; Abends 102,1° F. ; Puls 88; Respiration 44. Die Schmerzen in den Gelenken haben abgenommen und alle Symptome deuten auf Besserung hin. Zweimalige Ausleerungen. Die Zunge zeigt über dem weissen Belag auf jeder Seite einen schmutzig braunen Streifen. Der Unterleib ist noch sehr empfindlich und auf der Haut wird eine An- zahl hellrother Flecke sichtbar, welche bei Druck ver- schwinden und keine eigentliche Erhöhung bilden. Der Urin ist natürlich gefärbt, durch harnsaure Salze getrübt, enthält kein Eiweiss und die Phosphate sind in fast normaler Quantität vorhanden.

15. Dec. Temperatur: Morgens 101, F.;

Abends io2,4°F.; Puls 88, nicht ganz regelmässig; Re- spiration 44. Die Schmerzen haben keine Veränderung erfahren, Husten und Dyspnoe sind gebessert, nur der Auswurf etwas blutstreifig und eiterig. Dreimalige Aus- leerungen; Unterleib empfindlich, jedoch keine Flecke; die Zunge ist trocken und die braunen Flecke treten

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noch deutlicher hervor. Ebenso ist der Hautgeruch noch ausgesprochener. Die präcordiale Dumpfheit zeigt sich in derselben bis jetzt beobachteten Ausdehnung; die während eines Theiles des gestrigen Tages hörbare Friction ist verschwunden und die Herzschläge klingen sehr entfernt. Zur Schlafenszeit wird dem Patienten ein Morphiumtrank verabreicht.

17. Dec. Temperatur: Morgens 103,2° F.; Abends 103,6° F.; Puls 104, stark; Respiration 44. Schmerz und Anschwellung haben nachgelassen; geringes Delirium; zweimalige Ausleerungen; Zunge sehr belegt; Herzschläge stark; keine Friction (Patient scheint für Percussion zu krank zu sein); Unterleib empfindlich; leichter hirseförmiger Ausschlag, aber keine rothen Flecke. Der Urin ist von natürlicher Farbe, klar, alka- lisch, etwas albuminös und wenig Phosphat enthaltend.

18. Dec. Temperatur: Morgens 103,6° F.; Abends 103,6° F.; Puls 120, hart; Respiration 54. xx Uhr Morgens: Während der Nacht delirös, am Mor- gen bei Bewusstsein; beim Husten Brustschmerzen, sowie Schmerzen beim Bewegen der Hände. Der Hautgeruch ist weniger bedeutend; Patient ist sehr herunter. Alle 4 Stunden werden 5 Gran Ammoniak-Carbonat, 20 Tropfen Aethergeist und 1 Drachme einer aus 1 Unze Chinchona und zja Unze Camphorwasser bestehenden Composition verabreicht. Zur Nacht wird ein Chloral- trank verschrieben, sowie ausserdem täglich eine Mischung von 1 1 Unzen Branntwein.

19. Dec. Temperatur: Morgens 103,2° F.; Abends 102,8° F.; Puls 110; Respiration 44. Mittags: Patient hatte eine schlaflose Nacht ohne bedeutendes

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Delirium. Seit der letzten Notiz siebenmalige Aus- leerungen; Zunge dick belegt; der Zustand ist im Ganzen so wie gestern. Urin natürlich gefärbt, klar, sehr sauer, etwas albuminös und mit mässigem Phosphatgehalt. Das Herz war seit dem 17. aus Furcht vor Erkältung nicht untersucht worden. Heute liess sich keine pericardiale Friction vernehmen. Es werden 20 Gran Bismuth-Nitrat zum sofortigen Einnehmen verschrieben und die Wieder- holung des Medicamentes für den Abend angeordnet. Ausserdem noch zur Nacht ein Morphiumtrank (J/4 Gran).

20. Dec. Temperatur: Morgens ioi,x° F.;

Abends roi,8°F.; Puls 108, schwach; Respiration 43. ix Uhr Vormittags: Bis zur vorigen Nacht Diarrhöe, die sich indessen mit Hülfe von Bismuth unterdrücken lässt. Kein Delirium und fester Schlaf. Patient fühlt sich wohler, hat aber in den Gelenken immer noch be- deutende Schmerzen. Der Unterleib ist ausserordentlich empfindlich und es zeigt sich reichlicher Schweiss. Für gelegentlich erforderliche Anwendung wird eine Kreide- mischung verschrieben.

21. Dec. Temperatur: Morgens 100,1 0 F.; Abends ioi,i° F. Mittags: kein Delirium. Während der Nacht zweimalige Ausleerungen. Patient schläft jetzt.

23. Dec. Temperatur: Morgens ioi,i° F.; Abends ioi,i° F. ; Puls 104, schwach; Respiration 36. Mittags: Kein Delirium. Neigung zu Diarrhöe, welche vermittelst der Kreidemischung unterdrückt wird. Der Schmerz in den Gelenken und der Schweiss ist so wie früher. Bei festem Druck findet grosse abdominale und präcordiale Empfindlichkeit statt. Die Herzspitze (Prä- cordia) ist resonnirend, die Herzschläge klingen schwach

IOI

und man vermag kein Murmeln oder keine Friction wahrzunehmen. Der Urin ist hellbraun, durch harn- saure Salze getrübt und schwach albuminös.

24. Dec. Temperatur: Morgens 99,4° F.;

Abends ioi,i° F. Die Schmerzen in den Gelenken sind nicht mehr so heftig.

25. Dec. Temperatur: Morgens 99,4° F.;

Abends 100, F. Natron-Umschläge. Wiederkehr der Schmerzen in den Gelenken.

26. Dec. Temperatur: Morgens 99,4° F.; Abends 101° F.; Puls 96; Respiration 30. Die Schmerzen in den Gelenken bessern sich durch die Umschläge. In der Nacht Ausleerung, jedoch keine wirkliche Diarrhöe. Die Haut ist trocken, das Gesicht blass und der Aus- wurf eiterig; auch ist der Mäusegeruch noch immer etwas vorhanden und der Unterleib und die Herzspitze sehr empfindlich. Der Urin ist dunkel, klar, sauer und mit schwachen Eiweissspuren versehen.

28. Dec. Temperatur: Morgens 990 F.; Abends iox° F.; Respiration 32. Auch während des ruhigen Liegens zeitweilige Schmerzen in den Hand- und Fuss- gelenken; die anderen Gelenke schmerzen jedoch nur, wenn sie bewegt werden. Reichlicher Schweiss und Mäusegeruch, keine Diarrhöe. Die Zunge ist sehr be- legt, der Urin klar, dunkel und sauer.

1. Jan. 1877. Temperatur: Morgens 99,8° F.; Abends ioi,6° F.

2. Jan. Temperatur: Morgens 100, F.; Abends ioi,2° F.; 3 Uhr Nachmittags: Puls 100. Die Zunge ist weniger belegt, die Haut feucht und der Mäuse-

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geruch nicht mehr so intensiv. In beiden Handgelenken sind die Schmerzen sehr heftig.

5. Jan. Es werden 10 Gran Bismuth und 6 Tropfen schmerzstillende Opiumlösung in ix/2 Unze Gewürznelken-Infusion verschrieben.

6. Jan. Temperatur: Morgens 990 F.; Abends 99,6° F.; Puls 104. Der charakteristische Geruch ist kaum noch wahrnehmbar. Der Schweiss ist reichlich, die Schmerzen in den Handgelenken haben nachgelassen. Erbrechen. Ausleerung.

10. Jan. Temperatur: Morgens ioo,4°F.; Abends 101,5° Puls I3°- Zunge beinahe rein. Der Schmerz hat im rechten Handgelenk abgenommen, steigert sich aber im linken Handgelenk und linken Ellbogen. Er- brechen.

13. Jan. ix Uhr 45 Min. Vormittags: Zunge roth und rein; heftige Schmerzen; keine Uebelkeit; leichter Husten mit einer geringen Quantität eiterigen Auswurfs. Man verschreibt x/2 Drachme Aethergeist in ix/2 Unze Chinin und eine vierstündlich einzunehmende Eisenmixtur. Ausserdem täglich 8 Unzen Portwein und 4 Unzen Branntwein.

14. Jan. Temperatur: Morgens 99° F.; Abends 99° F. Ein flechtenartiger Ausschlag, der vom rechten Mundwinkel ausgeht und sich über einen Theil der Wange verbreitet. Erbrechen.

15. Jan. Leichte Linderung der Schmerzen. Sehr beunruhigendes Erbrechen. Alle 4 Stunden eine aufbrausende Ammonik-Citrat-Mixtur einzunehmen.

17. Jan. Temperatur: Morgens 98° F.; Abends 98° F. Keine Schmerzen. Während der letzten 2 Tage

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Husten. Die Untersuchung ergiebt etwas Dumpfheit der linken Basis; das Athrnen klingt natürlich, mit Aus- nahme des erwähnten Theiles, an welchem sich heiseres Röcheln vernehmen lässt.

18. Jan. 5 Gran Ammoniak-Carbonat, 5 Gran Kalium-Jodid in einem Chinchona-Trank von 1 1j2 Unze dreimal täglich einzunehmen.

19. Jan. Temperatur 99,1° F.; Puls 92; Respi- ration 33. Der Schmerz zeigt sich von Neuem in der linken Schulter und im linken Handgelenk, der Husten hat dagegen nachgelassen. Der Auswurf ist bei dem- selben jedoch zähe, schaumig und an einigen Stellen moderfleckig. Die linke Basis klingt dumpf und lässt beim Athrnen einige schleimige Töne hören. Der Appe- tit ist gut und die Zunge rein und roth.

23. Jan. 10 Tropfen Eisen-Perchlorid in einer bitteren Mixtur dreimal täglich einzunehmen. Ausser- dem Branntwein.

26. Jan. Seit dem gestrigen Morgen klagt Pa- tient über erneute heftige Schmerzen im linken Arm und Bein, die sich auch bis zu einem gewissen Grade auf den rechten Arm erstrecken. Die Zunge ist rein. Temperatur ioo° F. ; Puls 108, sehr schwach. Es wer- den jetzt 20 Gran salicylsaures Natron, in Kümmel- wasser alle 2 Stunden einzunehmen, verordnet.

27. Jan. Temperatur 99,1° F.; Puls 112, schwach. Zunge rein und Appetit gut. Die Schmerzen haben seit gestern bedeutend nachgelassen. Der linke Arm ist viel besser, dagegen schmerzt das linke Knie sehr heftig. Patient ist weniger muthlos. Die Mixtur

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wird alle 4 Stunden eingegeben und für das Knie eine Jod-Salbe verordnet.

30. Jan. Temperatur 98,5° F.; Puls 96. Zunge rein. Keine Schmerzen. Patient fühlt sich viel wohler. Die Mixtur wird sechsstündlich wiederholt.

5. Febr. Temperatur 98,5° F.; Puls 88. Patient ist während der letzten 3 Tage aufgewesen und bessert sich sehr rasch. Die Mixtur wird zweimal am Tage verabreicht.

10. Febr. Puls 92. Leichte Wiederkehr des Schmerzes im rechten Knie und Rücken. Die Mixtur wird dreistündlich fortgebraucht.

14. Febr. Patient hat gar keine Schmerzen mehr.

27. Febr. Gelegentliche vorübergehende Schmer- zen in den Schultern. Der Gang ist in Folge der Schwäche etwas schwankend. Zunge rein und Athmung regelmässig; Appetit gut, Puls 100. Patient wird nach Morley’s Reconvalescenten- Hospital in Wimbledon geschickt.

x. März. Gelegentlich Schmerzen. Drei Mal täglich 1 Drachme Eisen-Phosphat-Syrup. Im Fall ein- tretender Schmerzen 20 Gran salicylsaures Natron.

18. März. Seit einer Woche keine Schmerzen. Patient ist viel kräftiger.

28. März. Aus dem Reconvalescenten-Hospital entlassen.

Bemerkungen von Dr. Wipham. Von dem heftigen Auftreten des rheumatischen Anfalles ganz ab- gesehen, ist obiger Fall auch noch insofern interessant, als er die segensreiche Wirkung der jetzt allgemein be- kannten Salicylsäure in klarster Weise darlegt . und zu-

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gleich die Thatsache feststellt, dass die Anwendung des Medicamentes auch dann noch angezeigt erscheint, wenn die lang anhaltende Dauer der rheumatischen Symptome bereits äusserste Erschöpfung herbeigeführt hat. Der Patient war schon bei der Aufnahme ausserordentlich schwach und empfand heftige acute Schmerzen, zu deren Linderung starke Dosen Alkalien mit 2 Gran Chinin verordnet wurden. Da bereits Diarrhöe vorhanden war und sich dieselbe bekanntlich in Folge solcher starken Alkaliendosen sehr häufig in noch höherem Grade ent- wickelt, so fügte man noch Kali-Bicarbonat hinzu, in der Hoffnung, dass der acute Schmerz, welcher das bei Weitem vorherrschende Element bildete, dadurch besei- tigt werden würde. Der anfänglich mit harnsauren Salzen getrübte Urin wurde nach 5 Tagen alkalisch, am 6. Tage war def Patient jedoch so schwach, dass Be- lebungsmittel und stärkende Mixturen in Anwendung kommen mussten. Die Diarrhöe hielt immer noch an und wich erst am 8. Tage nach dem- Gebrauch 2 starker Dosen Bismuth. Die Schmerzen in den Gelenken blie- ben ohne Linderung und es fand trotz aller angewen- deten Mittel in den nächsten 3 Wochen wenig oder gar keine Besserung statt. Man debattirte oft darüber, ob der Gebrauch der Salicylsäure nicht gerathen sei, ver- warf die darauf bezüglichen Vorschläge jedoch stets wieder wegen der grossen Schwäche des Pa- tienten, die man vermittelst dieses Medicamentes zu vermehren fürchtete. Die Temperatur des Kranken war inzwischen von 102 0 F. allmählich auf 99 0 F. herab- gegangen. Am 11. Jan. 1877, 4 Wochen nach der Aufnahme, wurde dem Patienten Chinin, Eisen und

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Aether mit Alkohol (Branntwein und Portwein) ver- schrieben und 3 Tage später zeigten sich an der linken Lungen-Basis Symptome von Broncho-Pneumonie. Vom 15. bis zum 23. Jan. nahm er verschiedene Mixturen, wie Ammoniak, Kalium-Jodid, Eisen-Perchlorid, Phos- phorsäure und Strychnin. Am 26. Jan. kehrten die Schmerzen, die kürzlich etwas nachgelassen hatten, mit erneuter Gewalt zurück und am folgenden Tage, als man an der Rettung des jungen Mannes bereits verzweifelte, entschloss man sich endlich zur An- wendung der Salicylsäure und verschrieb als letz- tes Zufluchtsmittel salicylsaures Natron in kleinen Dosen, zweistündlich einzunehmen. Das Resultat dieser Veränderung in der Behandlung war ein fast unmittel- bares und die Fortschritte der Besserung setzten Alle in Erstaunen, welche den Fall beobachtet hatten. Noch am 25. Jan. hatte man alle Hoffnung auf Besserung aufgegeben und am 26. Jan. mit dem Gebrauch des salicylsauren Natrons angefangen. Am 27. Jan. war der Patient viel wohler und kräftiger und 3 Tage später hatte er keine Schmerzen mehr und fühlte sich viel besser. Noch 3 Tage später (2. Febr.) stand er be- reits auf.

Im Februar und März litt Patient noch an gelegent- lichen unbedeutenden Schmerzen in verschiedenen Ge- lenken, welche nach Einnehmen des Medicamentes immer sofort auf hörten, und am 28. März verliess er Atkinson Morley’s Reconvalescenten- Hospital in ver- hältnissmässig guter Gesundheit.

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Behandlung des acuten Rheumatismus durch Salicylsäure-Präparate.

Von Engledue Prideaux, Resident Surgeon am Scarborough Dispensary und Accident Hospital in London.

Es sind im Lancet kürzlich verschiedene Fälle von acutem Gelenkrheumatismus berichtet worden, welche mit Hülfe der Salicylsäure und deren Präparate geheilt wurden; die erreichten Resultate erscheinen jedoch in keinem derselben bezeichnend genug und die durch die neue Behandlungsweise erzielten Wirkungen werden nir- gends so klar dargelegt, wie man es wohl erwarten könnte.

Nachdem ich einige 20 Fälle mit Salicylsäure be- handelt habe, finde ich, dass die Erfolge in schlagend- ster Weise den' Beweis dafür liefern, dass dieses Prä- parat die Kraft besitzt, durch seine fast unfehlbare Wirksamkeit die Krankheitsdauer abzukürzen. Meine Be- handlungsmethode scheint indessen von der gewöhnlich gebräuchlichen einigermaassen abzuweichen und sie ist es gerade, der ich meine grossen Erfolge jedenfalls zu- zuschreiben habe. Da die im Gefolge der Krankheit auftretenden Complicationen, besonders die Herzcompli- cationen, mehr zu fürchten sind, als die Krankheit selbst, so scheint es mir in der Hauptsache darauf anzukommen, dass die Dauer der Krankheit abgekürzt und ihre In- tensität vermindert wird, denn es unterliegt keinem Zweifel, dass die Gefahr der Herzcomplicationen um so näher liegt, je länger die Krankheit dauert und je hef- tiger sie sich entwickelt. Ich halte aus diesem Grunde diejenige Behandlung für die beste, welche die Dauer

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der Krankheit am schnellsten abkürzt und durch Ge- brauch von Salicylsäure in den von mir angewendeten Dosirungen lässt sich dieselbe, wie ich mit Bestimmtheit behaupten kann, in den meisten Fällen auf 36 bis 48 Stunden im Ganzen beschränken.

Nach meiner Methode verordne ich Erwachsenen während der ersten 12 Stunden stündlich oder zwei- stündlich 20 Gran Salicylsäure in Lösung, je nach der Heftigkeit der Symptome und der Art und Weise wie sie verschwinden. Als ich die Methode zuerst anwen- dete, löste ich die Säure in Natron-Bicarbonat und fand den plötzlichen raschen Fall der Temperatur häufig be- unruhigend. Später benutzte ich Ammoniak-Carbonat, um diesen Collaps zu vermeiden und die Wirkung der Salicylsäure doch dabei nicht zu beeinträchtigen, und jetzt gebrauche ich stets folgende Formel: Salicylsäure 20 Gran; Ammoniak-Carbonat 5 Gran; Natron- Bicarbonat 5 Gran und 1 Unze Wasser. Dies bildet eine sehr angenehme Mischung, welche Kinder gern einnehmen und die kein Erbrechen hervorruft.

Meine Patienten zeigen nach den ersten 12 Stunden der Behandlung nicht ganz unbedeutende Symptome von Salicylismus, wenn ich es so nennen darf. Da- gegen ist die Temperatur eine fast normale geworden und alle Krankheitssymptome sind in beinahe magischer Weise verschwunden. Die Schmerzen und die Gelenk- Anschwellungen haben aufgehört und nachgelassen, die Patienten geben dem Arzt die Versicherung, dass sie fürchterlich geschwitzt hätten, und drücken den Wunsch aus aufzustehen. Nun lasse ich die 20 Gran-Mixtur nur alle 4 bis 6 Stunden, je nach den Umständen, ein-

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nehmen und die Salicylismus-Erscheinungen verschwin- den, sobald die Dosis nicht mehr so häufig verabreicht wird. Nach i oder 2 Tagen setze ich einer Unze Mix- tur noch 5 Gran Eisen-Citrat und Ammoniak zu und lasse dies eine Zeit lang brauchen.

Ich fuge hier noch einige Notizen über einige mir kürzlich vorgekommene Fälle bei.

Fall 1. 30 Jahre alter Mann. Anschwellung im linken Knie und Knöchel; intensive Schmerzen. Tem- peratur um 6 Uhr Nachmittags 102,8 F.; Puls 142. Die 20 Gran-Mixtur stündlich verordnet. Nach Verlauf von 6 Stunden ist die Temperatur 99,8° F. Am näch- sten Tage ist sie normal und alle Symptome verschwunden.

Fall 2. i9jähriges Mädchen. Beide Kniee und Knöchel sind sehr geschwollen. Pericardiale Effusion mit heftigem Schmerz. Die 20 Gran-Mixtur alle 2 Stun- den einzunehmen. Temperatur ioi,8° F.; Puls 142. Am 2. Tag: Temperatur 98° F. ; Puls 88. Anschwel- lungen und Schmerzen beseitigt. Unbedeutende peri- cardiale Frictionstöne. Patientin steht am 3. Tage auf.

Fall 3. 20 Jahre alter Mann. Ist bereits die ganze Woche krank gewesen. Beide Kniee stark ge- schwollen. Patient stöhnt vor Schmerzen und vermag sich nicht zu bewegen. Temperatur 101,2° F. ; Puls 140. Die 20 Gran-Mixtur wird alle 2 Stunden verabreicht. 2. Tag: Patient ist aufgestanden, die Geschwulst ist verschwunden, ebenso die Schmerzen. Temperatur 99° F.; Puls 96. Dieser Mann ging am 4. Tage bereits wieder arbeiten.

Bei dieser Behandlungsmethode, welche ich auch bei Kindern, natürlich in proportionirter Dosirung, an-

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wende, erreiche ich stets die besten Resultate und ich kann dreist behaupten, dass sich nach Beginn derselben niemals Herzcomplicationen entwickelten, ja dass sogar bereits vorhandenes Herzgeräusch (welches übrigens vielleicht nicht von organischen Läsionen herrührte) beseitigt wurde, während die pericardiale Effusion immer entschieden abnimmt.

Allerdings ist es richtig, dass diese rasche Methode die Kranken vielleicht mehr schwächt, als es auf andere Weise geschieht, sie ist aber die bei Weitem sicherste und zuverlässigste. Die Reconvalescenz zieht sich in einigen Fällen etwas in die Länge, dafür ist aber die Krankheit selbst unendlich mehr abgekürzt und der Patient wird bei dieser Behandlung am schnellsten wieder hergestellt.

Unglückliche Symptome sind mir in meiner Praxis niemals vorgekommen, und wenn die begleitenden Symptome zuerst auch manchmal beunruhigend aussehen, so verschwinden sie doch bei Verminderung der Dosis sehr rasch, ohne eine Spur zurückzulassen.

Es sind allerdings Fälle berichtet worden, in denen die Salicylsäure keinen Erfolg hatte. Da ihre vortreff- liche Wirkung aber sonst so einstimmig anerkannt wird, so ist die Annahme wohl erlaubt, dass die Dosis in diesen Fällen zu klein war und in Folge dessen die gewünschten Resultate ausblieben. (Hierbei erwähne ich, dass 20 Gran Salicylsäure 30 Gran salicylsaurem Natron gleichkommen, welch Letzteres jetzt fast allge- mein angewendet wird.) Aber trotz dieser wenigen Misserfolge erscheint mir die Salicylsäure bei der Be- handlung des acuten Rheumatismus von ungleich grösserem

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Werth, als jedes andere bis jetzt zu diesem Zweck ver- wendete Mittel, da ihre Wirkung bei geeignetem Ge- brauch ausserordentlich sicher ist und die Gefahr der Herzcomplicationen durch rasche Abkürzung der Krank- heit am Besten vermieden wird. Schon die letztere Eigenschaft allein müsste die allgemeine Einführung des Salicyl-Medicamentes bei Rheumatismen rechtfertigen.

Verlag von Joh. Ambr. Barth in Leipzig.

Fontheim, K. , H. Kolbe u. F. A. Zürn. Ueber die Wirkung der Salicylsäure als Arzneimittel. Drei Abh. 8°. 12 Seit. 1875. M. 0,40.

Heyden, Friedr. v. Die Salicylsäure und ihre Anwen- wendung in der Medicin, der Technik und im Hause. gr.-8°. 36 Seit. 1876. M. 0,80.

Hüfner, G-. Betrachtungen über die Wirkungsweise der ungeformten Fermente als theoret. Einleitung in die Lehre v. d. Verdauung, gr. 8°. 29 S. 1872. M. 0,75.

Kolbe, Herrn. Chemische Winke für praktische Ver- wendungen der Salicylsäure. gr.-8°. 15 Seit. 1876.

M. 0,40.

Abweisung nicht begründeter Urtheile von Halb- chemikern üb. d. antiseptischen Eigenschaften d. Sa- licylsäure. — E. v. Meyer u. H. Kolbe, über die antisept. Wirk. d. Salicyl- u. Benzoesäure in Bierwürze u. Harn. 6°. 43 Seit. 1875. M. 0,90.

Meyer, Ernst v. , u. H. Kolbe. Versuche über die gährungshemmende Wirkung der Salicylsäure u. and. aromat. Säuren. 8°. 21 Seit. 1875. M. 0,50.

Neubauer, C. Ueber die gährungshemmende Wirkung der Salicylsäure. (3. Abh.) 8°. 16 Seit. 1875. M. 0,40.

Erdmann, B. A. Die Anwendung der Electricität in der praktischen Medicin. 4. ganz umgearb. Aufl. von Duchenne-Erdmann, die örtl. Anwend. d. Electr. u. s. w. gr. 8°. VIII, 311 Seit. m. 72 eingedr. Holz- schnitten. 1877. L20-

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