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I. Modellierter Kopf aus Neu-Guiuea

Slg. E. von der Heydt, Amsterdam

SACRAMENTUM ARTIS

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ECKART VON SyDOW

KUNST UND RELIGION DER NATURVÖLKER

GERHARD STALLING VERLAG

OLDENBURG X.O.

PR1NTED IN fJERMANY

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Mit 55 Abbildungen im Text und 85 Tafeln, davon 3 farbig.

Wellcome Library for the History and Understanding of Medicine

Ile Rechte, insbesondere das der Übersetzung, Vorbehalten, opyright 1926 by Gerhard Stalling A.-G., Oldenburg i. O.

Inhaltsverzeichnis

I. Allgemeine Einführung.

Form und Sinn der Primitivität . 9

Die Kunstform der Primitiven . 18

Das Doppelgesicht der primitiven Religiosität . . . . , . . 27

Die höhere Mythologie.

Die Idee der Gottheit . 31

Das Bild des Gottes . 49

D a s Ah nentum,

Die Toten als Mitlebende und Übermächtige . 61

Das Ahnenbild . 64

Ahnen-Kult . 81

DerTot emismu s.

Der Sinn des Totemismus . 90

Das Bild und der Kult des Totems . 94

Dämon Maske Geheimbund . 103

Magie.

Fetischismus . 124

Indonesische Zauberstäbe . 132

Sandgemälde und Heilkuren . 135

Religiöse und magische Ornamentik . 133

Zusammenfassung . . . . . 144

II. Übertragungen von Texten und Berichten.

Kosmogonische Mythen.

Tempelgedicht aus Hawai . 155

Die Schöpfungssage der Maori . 159

Schöpfungsmythen aus Tahiti . 163

Götter-Mythe aus Mota (Melanesien) . 166

Kosmogonischer Mythus aus Nias . 167

Aus der Raben-Sage der Tlingit (Nordwest-Amerika) . 171

Schöpfungs-Legende der Irokesen . 174

Aus der Mythologie der Zuni-Indianer . 184

Die Schöpfungsmythe von Alt-Kalaber . 197

5

Seite

Gebete . 201

Ahnenkult.

Die Einweihung in die Gemeinschaft des Familien-Schutzgeistes Malanda . . 209

Totem-Mythen und - Kulte.

Die Emus . 214

Gesang bei dem Fisch-Kultus der Aranda . 216

Geister-Erzählungen.

Geister-Mythe der Marshall-Insulaner . 218

Geister-Mythe von Neu-Mecklenburg . 219

Zauber-Riten.

Pandanus-Fruchtbarkeits-Zeremonie der Marshall-Insulaner . 220

Tafelabbildungen 1 80.

Quellen . 223

Beschreibendes Verzeichnis der Text-Abbildungen und

Tafeln . 230

Namen - Verzeichnis . 237

6

Vorwort

Dies Buch setzt Überlegungen fort, clie ich in meiner Arbeit über „Die Kunst der Naturvölker und der Vorzeit“ (I. Bd. der Propyläenkunstgeschichte, Berlin, 1923) begonnen hatte. Damals ging ich von der rein kunstwissenschaftlichen Unter¬ suchung der bildenden Kunst aus und suchte gemäß den Ergebnissen der Stil¬ kritik einige große Gebiete voneinander zu sondern und in ihrer ästhetischen Eigenart zu betrachten. In dem vorliegenden Buche erläutere ich diese typischen Unterschiedlichkeiten jener Bezirke durch die Verschiedenartigkeit ihrer Reli¬ giosität. Es zeigt sich, daß die gemeinsame metaphysische Grundgesinnung in beiden Richtungen vielfach zu parallelem Ausdruck drängt. Ob auf diesem Wege dauernde Ergebnisse festgelegt worden sind, muß die weitere Untersuchung lehren, die in der Richtung der angewandten Methode sich bemüht. Die Viel¬ fältigkeit der mythologischen Dogmatik bedeutet für sie ein ebenso großes Hemm¬ nis, wie die ungenügende Publizität der erhaltenen Kunstwerke und die noch unbefriedigenderen Mitteilungen über ihre Beziehungen zu religiösen oder pro¬ fanen Festen usw. Die vielversprechende psychoanalytische Erklärungsweise mußte leider vorderhand bei Seite gelassen werden, um nicht durch Sonder¬ erörterungen den Text allzusehr zu belasten; es soll ihr aber ein eigenes Werk gewidmet werden. Ein wesentliches Fundament der wissenschaftlichen Konstruk¬ tion bleibt bei solchen Voraussetzungen die eigene Vision des Zusammenhangs, die naturgemäß von der Sach-Kunde genährt sein muß. Die mannigfachen Be¬ schränkungen, die sich aus all dem ergeben, dürfen aber nicht als gültige Ein¬ wände gegen den Versuch selbst bewertet werden. Man nehme den Ausgang von den deutlichsten Unterschieden und Einheiten der primitiven Religiosität und Kunstkraft und suche alsdann in die weniger prägnant geschiedenen Bezirke den Zugang. So sehr ich meiner Untersuchung und dem assertorischen Ausdruck ihrer Ergebnisse den Charakter vorläufiger Problematik wahren möchte, so notwendig erscheint es mir doch, den fruchtbarsten Anbeginn solcher Einfühlung und Ver¬ gleichung ins Werk zu setzen.

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Den deutschen und ausländischen Museen und Privatsammlungen, deren weit¬ gehendes Entgegenkommen die Veröffentlichung der Abbildungen dieses Buches ermöglichte, sei auch an dieser Stelle Dank gesagt. Die Photographien der Bild¬ werke in holländischem Besitz wurden durch die gütige Vermittlung Plerrn Dr. Karl Witlis erlangt. Besonderen Dank möchte ich dem Verlage selbst aussprechen, der meine Illustrationswünsche in reichstem Maße erfüllte.

Die Tafelbilder 1 SO sind als Tafeln bezeichnet, die Abbildungen im Text als Textabbildungen (Abb.).

Eckart v. Sydow.

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Form und Sinn der Primitivität

Ein Hanptreiz der naturvölkischen Primitivität liegt zunächst nicht so sehr darin, daß sie so ist, wie sie nun einmal in dieser und jener Hinsicht beschrieben werden muß, sondern darin, daß sie anders ist, als das, woran wir in unserem eigenen alltäglichen Leben gewöhnt sind. Gerade dieser Gegensatz zwischen moderner Zivilisiertheit und der vermuteten Ursprünglichkeit war mit der Anstoß zur Ein¬ fühlung in das Ganz-Andere. Die Unerträglichkeit des Europäertums in seiner üblichen Form gab einer Neigung den Impuls, die zur Befreundung mit einer Kulturerscheinung trieb, die man instinktiv sympathisch begrüßte, ohne sich be¬ wußt die Frage vorzulegen, ob man gegebenen Falles nun wirklich sich in eine analoge Geistes-Formation einordnen könnte oder auch nur möchte. LTnter- schiede, ja Gegensätze sind in Hülle und Fülle vorhanden. Man braucht nur etwa an die Stellungnahme zu einer der äußerlich kennzeichnendsten Merkmale der Primitiven, ihrer Neigung zur Tätowierung mit Narben und Bemalung mit bunter Farbigkeit, zu denken, um einen bloß lyrischen Stimmungsrausch als einiger¬ maßen oberflächlich zu empfinden. Solche künstliche Umformung des mensch¬ lichen Körpers steht nun aber keineswegs allein, sie ist nur ein Glied in der Kette mehr oder minder raffiniert ersonnener Methoden, die zum gemeinsamen Ziele hin streben. Welches aber ist dies Ziel?

Freilich: haben die Primitiven mit all ihren vielfältigen, prächtigen und grau¬ sigen Festen und Opfern, mit all ihren so oft unerhört starken und farbenreichen und manches Mal monumentalen Mythologien, mit ihren komplizierten Heirats¬ vorschriften, mit ihrem alles und jedes irgendwie berührenden magischen Treiben .... haben die Primitiven mit all dem irgend eine wenn auch noch so unbestimmt zu formulierende Setzung eines Zweckes im Sinn? Der erste Ein¬ druck der Nachforschung scheint diese Frage zu verneinen. Denn überall, wo man die Naturvölker fragte, warum und zu welchem Zwecke sie diese oder jene Feierlichkeit veranstalteten, dort kam die Antwort: wir tun dies und jenes, weil unsere Vorfahren auch so gehandelt haben. Dies Bewußtsein der fast unbedingten Abhängigkeit von der Handlungsweise früherer Generationen ist es zunächst, was einen fundamentalen Unterschied zwischen uns und der Primitivität be¬ deutet. Denn wir sind gewohnt, der eigenen Subjektivität und ihren immer er-

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neuerten Erfahrungen zu vertrauen, jene aber folgen der Richtung, welche ihnen von den Ahnen gewiesen worden ist.

Allerdings darf man hier daran erinnern, daß dieser Unterschied in solcher abso¬ luten Schärfe nicht vorhanden ist, wenn wir unser Verhalten genauer prüfen. Denn auch bei uns ist das Vertrauen auf eine irgendwie präzisierbare Gerichtet¬ heit der Weltentwicklung vorhanden. Nur daß wir heftiger bestrebt sind, uns in jedem Augenblicke des Lebens Rechenschaft von dem Wege und von unserer Anteilnahme zu geben.

Dennoch haben wir auch mit diesem Worte wieder einen tiefgreifenden Gegen¬ satz berührt, der nun wirklich einen Gegensatz, nicht bloß einen Unterschied bedeutet. Wir glauben an Entwicklung in qualitativer Hinsicht, an eine Ent¬ wicklung, an der wir mitarbeiten können. Dem Primitiven ist solch Gedanke fremd. Wohl weiß auch er von einer Entwicklung bald metaphysischer, bald geschichtlicher Art, aber es handelt sich dann immer um Entwicklungen, die schon beendet sind und keine Fortsetzung verheißen. Oder anders gesagt: bei uns ist alles Leben auf rastlose Dynamik eingestellt, bei den Primitiven auf eine ruhevollere Statik.

Man ist geneigt, aus solchem freilich tiefgreifenden Unterschied weitgehende Folgerungen und eine logische Kette von Schlüssen zu ziehen, die jeweils ein Ge gensatzpaar nach Analogie solcher Antithese, wie Dynamik und Statik, auf¬ stellen würden. Aber dann vernimmt man wieder von der schnellen Veränderung der Sprachen der Primitiven, die im Laufe weniger Jahrzehnte manchmal eine gründlich veränderte Redeweise schaffen, oder von den kühnen Fahrten der Ozeanier und von anderen Völkerwanderungen oder von ihren fortdauernden Kriegen . . . und sieht sich aufs neue zur Frage nach dem Sinn der Primitivität gedrängt.

Freilich zeigt die Unmöglichkeit, eine logisch klare Antwort seitens der Natur¬ völker selbst zu erhalten, die Zwecklosigkeit, sie nach Art unserer europäischen Fragestellungen zu behandeln. Wir werden vielmehr den Gang der Untersuchung umkehren müssen, indem wir nicht nach einem Ziel uns Umsehen, das jenseits der Handlungen liegt, sondern nach dem Verhältnis des Handelns innerhalb einer Welt, die in ihrem Leben nicht eigentlich verändert, sondern bestätigt, bekräftigt werden soll. Bei uns trennt sich die Handlung vom Ziel, das jenseits der einzelnen Tat liegt, für den Primitiven handelt es sich regelmäßig um eine Handlung, die Selbstzweck ist. Bei ihm ist die Form des Lebens, insofern sie anerkannt ist, das Wesentliche, der durch Reflexion erkennbare Sonder-Zweck nebensäch¬ lich. Aus dem vollen Bilde ihrer formenden Kräfte können wir den Sinn der Primitivität bestimmen.

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Ein kennzeichnender Wesenszug der Primitivität ist ihr Streben nach einer mehr oder minder durchgeführten Systematik der Zusammengehörigkeit und wechselseitigen Entsprechung anscheinend ganz verschiedener Elemente der Natur und Kultur. Es wird hier u. a. der Zauber der sog. heiligen Zahlen wirk¬ sam. So ist z. B. bei den afrikanischen Joruben die Zahl 4 von überragender Bedeutung. Wir kennen dort 16 Götter, die besondere Aufgaben haben, das Ifa-Orakel mit seinem vier Himmelsrichtungen repräsentierenden Brett wird mit 16 Palmkernen befragt und 4 ihrer Würfe bilden jeweils eine Einheit, die Woche besteht aus fünf Tagen, deren jeder einzelne einem Gotte oder nach anderen Angaben vier Göttern zugehört, auch Farben ordnen sich vier Göttern zu.1)

Dieser horizontalen Gliederung gemäß den Raumgegenden läßt sich die mehr vertikale Gliederung des polynesischen Kosmos zur Seite stellen. In Neu¬ seeland baut sich über der Erde eine zehnfache Schicht übereinander gelagerter Himmel auf, der auf der anderen Seite der Erdscheibe eine zehnfache Unterwelt entspricht.2) Die Gestalt des Menschen wird mit den einzelnen Göttern in nahe Beziehung gesetzt, indem jedes Glied, ja jede Tätigkeit einem besonderen Gott unterstellt ist.3) Es wird kein Zufall sein, daß sich auch die Entwicklung der Welt, wie sie ein schönes Tempelgedicht Hawais darstellt, in nenn Perioden gliedert, auch hier im Sinne des Aufwärtsstrebens vertikal eingestellt!

In anderen Bezirken der Primitivität wird der Totemismus, d. h. die eng gefühlte Verwandtschaft zwischen Mensch und Tier, mit welcher sich vielerlei Nahrungs- und Efeiratsvorschriften verbinden, zum wirksamen Organisator der Zusammengehörigkeit: alle Naturerscheinungen werden in Australien von der totemistischen Stammeseinteilung miterfaßt, eine Zugehörigkeit, die auch dem Zauberer noch Regeln gibt. Das gleiche hat man in Holländisch Neu- Guinea beobachtet und mit einer Fülle von Beispielen belegt, auch hier erstreckt sich die totemistische Gemeinschaft bis auf die Richtungen der Himmels¬ gegenden.4)

Mit besonderer Schärfe kommt das Prinzip der Systematik bei den n ord- amerikanischen Zuni-Indianern zum Ausdruck, die mit seltener Allseitigkeit das ganze äußere Dasein ihm unterordnen. Als die Spanier diese Indianer entdeckten, wohnten sie in sieben weit auseinander liegenden Ort¬ schaften, und noch heute, da sie nur noch eine einzige Niederlassung bevölkern, haben sie die gleiche Zahl ihrer Einteilung zu Grunde gelegt. Ebenso kennen sie sieben Clane ihres Stammes, die sie nach verschiedenen Totem-Tieren getauft haben und die in innerer Beziehung stehen zu den Weltrichtungen, auf die sowohl jene Dorfteilung, wie diese Clanordnung hinzielen, zu den Richtungen Norden, Osten, Süden, Westen, Zenith, Nadir und Mitte. Der Clan der Mitte, dessen

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Toteintier der Papagei ist, gilt als der Mutterclan der anderen Clane. Die Natur wird demgemäß in zusammengehörigen Gruppen betrachtet: der Wind kommt vom Norden, das Wasser vom Westen, das Feuer vom Süden, das Erdreich vom Osten, im Norden ist der Winter zu Haus, der Frühling im Westen, der Sommer im Süden, der Herbst im Osten. Cushing führt diese Zuordnung der Jahreszeiten auf die Reihenfolge der Naturerscheinungen zurück, wie sie den Zunis geläufig war: aus dem Norden kommt der schärfste Wind, vom Westen kommen die Früh¬ lingsschauer, vom Süden die größte Hitze als Vorläufer des Sommers, vom Osten die herbstlichen Winde.

Dieser makrokosmische Schematismus spiegelt sich getreulich in jeder Einzelheit der Organisation wieder: jede größere Feierlichkeit, Versammlung, Zeremonie usw. weist jedem jener sieben Clane genau den ihm und keinem anderen in der Reihenfolge und in der Aufstellung zukommenden Platz an: zuerst rangiert der Norden, dann folgen Westen, Süden, Osten, Oben, Unten, dann die Mitte, die zugleich als allererste Gruppe gilt. Diese geographisch-soziologische Gruppierung hat ihr Ebenbild auf anderen Gebieten. So unterscheiden die Zunis sieben Farben, die sie den Weltgegenden zuordnen: Gelb dem Norden, Blau dem Westen, Rot dem Süden, Weiß dem Osten, die vielfarbige Mischung dem Zenith, Schwarz der unteren Region, die Vereinigung aller Farben in der Mitte. Selbst die Farbe ihrer Körner wird gemäß der Gegend der Aussaat bestimmt.

Auch die Berufe folgten gleichen Gedankengängen: Krieg und Zerstörung wurde dem Norden zugeordnet, Heilmittel und Jagd dem Westen, Landwirtschaft und Medizin dem Süden, Magie und Religion dem Osten, alle diese Tätigkeiten den drei anderen Richtungen. Ebenso die Geheimgesellschaften, deren wichtigste, die des Kaka-Tanzes, der Mitte zugewiesen wurde. In analoger Weise wird ferner jede Einheit wieder für sich in sieben Unterteile zerlegt, vielmehr gegliedert. Dies Übergewicht der Mitte, als das Kennzeichen der Zuni-Organisation, kommt auch in ihrer Mythologie zum Ausdruck, deren Wandersage immer von neuem belebt wird durch den Trieb, die Mitte der Erde zu suchen, als jene Stelle, in welcher kein verderbendrohendes Erdbeben mehr gespürt wurde. Doch ist es kaum glaublich, daß dieser rein äußerliche Gedanke, den Cushing, wie es scheint, mit in den Vordergrund stellen möchte5), der eigentlich ausschlaggebende ge¬ wesen wäre. Tiefer muß solche Systematik wurzeln, da ihre Triebkraft spurlos verschwunden wäre, sobald der ruhevolle Punkt der Erde erreicht war. Sie muß in einer innerlichen, durch keinerlei äußere Einflüsse zu vernichtenden Veran¬ lagung der seelischen und geistigen Struktur selbst begründet sein.6)

Jene Auszeichnung der Mitte macht es auch zweifelhaft, ob die Auffassung E. Cassirers, daß hier eine mystische Bewußtheit der R a u m - Auffassung zu¬ grunde läge, völlig zutrifft, da die Mitte ja kein eigentlicher Platz im Raume ist.

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Man könnte eher meinen, hier eine Ausgleichung der verschiedenen Raumrich¬ tungen zu spüren.

Prüft man die Aufzeichnungen Cushings selbst, so ist es deutlich, daß für den Wert jener Rangordnung der Clane zunächst die Reihenfolge der Jahreszeiten entscheidend ist.7) Denn die Jahreszeiten müßten für ein ackerbautreibendes Volk, wie es die Zunis sind, in der Tat wichtig genug sein, um darauf eine Rang¬ ordnung zu gründen, da sie ja den gefühlsmäßigen und praktischen Sinn des Landmannes auf das tiefste beeinflussen. Dieser Erwägung ordnet sich dann die Zuteilung der Totemtiere mit ihrer besonderen Eignung für die ihnen entsprechen¬ den Jahreszeit unter, da z. B. das Waldhuhn das Totemtier eines Nordclans ist, weil es nicht vor dem Winter flieht, sondern inmitten der schneebedeckten Ge- birgswälder eine weiße Färbung annimmt, oder da der Bär das Totemtier des Westens ist, weil er mit seinem Grauhaar dem abendlichen Zwielicht homogen ist. Die räumlichen Richtungen des Oben und Unten sind dann wohl ebenso zum Aus¬ gleich der wagerechten Seitenrichtungen bestimmt, wie die Bewertung der Mitte: gerade die Sehnsucht nach Gleichgewichtigkeit der Tendenzen, nach Ausbalan¬ cierung der nun einmal gegebenen radialen Triebe hat sie geschaffen.

Eine Reihe analoger, wenn auch nicht ganz so allseitiger Beispiele für den Trieb zur naturwüchsigen Systematik ist aus Nordamerika berichtet worden. So nehmen die Riten der Osage ihren Ursprung in der Unterscheidung zweier Mächte: des Elimmeis und der Erde, ordnen dieser Doppelheit sowohl Himmelsgegenden als auch Stammesgruppen unter; selbst die bauliche Anordnung des Häuptlingshauses spricht einen gleichartigen Symbolismus aus.8) Die Navajos gründen ihre Systematik auf die Vierzahl, die sie in vier Weltvierteln, Farben, Halbedelsteinen, Göttern usw. wiederfinden.9) Ein Häuptling der PotonacAlgonqian hatte schon im Anfang des 17. Jahrhunderts einem Europäer erklärt, daß sie nur fünf Götter im ganzen hätten, vier davon die vier Winde, die in den vier Ecken der Erde wohnen. Jene fünfte Gottheit wird von Brinton mit dem Gotte des Lichtes identifiziert, da sie größer sein soll, als die anderen, ihr Untertanen Gewalten.

In Amerika sind es dramatisch bewegte Naturkräfte, die dem Drange zur Syste¬ matik die naturhafte Bahn weisen. In Afrika durchdringt Eliinmel und Erde die menschliche Gemeinschaft. In Ozeanien ist es die Unterschiedlichkeit der geisti¬ gen, der göttlichen Kräfte, die über und in dem Menschen walten. So verschieden sich in Afrika, Ozanien, Amerika die Auswirkungen des systematisierenden Prinzips gestalten, so sehr stimmen sie eben in dieser grundsätzlichen Richtung überein, ein enges Band zwischen den anscheinend auseinander liegenden Ele¬ menten der Wirklichkeit und des Glaubens zu knüpfen. Freilich nicht so, als ob dieses Ziel in solcher Abstraktheit vorgeschwebt hätte, sondern die Voraussetzung aller sozialen, mythologischen Auswirkungen ist vielmehr überall „eine unmittel-

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bar gefühlte .... Verwandtschaft“10), die durch die mythische Erläuterung erst nachträglich begründet wird.

Diese Verwandtschaft ist in der Tat eine durchaus unmittelbare Erscheinung, die nicht begründet ist in irgendwelchen Absichten der Beherrschung von Natur¬ kräften etwa, sondern die vielmehr den Sinn hat, dem Menschen die Einordnung in die Naturmächte und unter sie zu erleichtern, ihm also die natürliche Richtung seines Handelns anzugeben. Nicht also ist die Natur ein Objekt seines Lebens und Wirkens, sondern vielmehr sein Subjekt. Er, der Mensch, ist die Auswirkung naturhafter Kräfte, von ihnen durchdrungen und ihnen untertan. Diese Natu r k r ä f t e ihrerseits aber werden wiederum als eine statische Ein¬ heit erlebt.

Der mythologische Ausdruck kann hierfür verschieden sein. Am nächsten liegt die Annahme eines allerhöchsten Wesens, aus welchem ein erstes Elternpaar, Himmel und Erde, hervorgegangen ist. Komplizierter ist dann schon der Gedanke der allmählichen Entwicklung aller Vielfachheit aus einer gemein¬ samen metaphysichen Quelle. Aber wie unterschiedlich, je nach der konstruktiven Begabung der Völker, der Mythus gestaltet ist, er spricht regelmäßig das Gleiche aus : die letzten Endes statischeEinheitlichkeitdesNaturgefüges als übergeordneter Weltmacht.

Das Spiegelbild dieser Einheitlichkeit trifft man überall, wo man die Untersuchung ansetzt. Im sozialen Leben ist die Stammesgemeinschaft maßgebend bezw. der Familienverband.11) Kein einziger handelt auf eigene Faust und eigene Verantwortung, sondern die Familiengenossen treten für ihn solidarisch ein, wie auch er für sie. Die bedenkliche Nebenwirkung dieser Ballung ist der Mangel an bedeutenden Persönlichkeiten. Wer etwas Überragendes leistet, erweckt den Ver¬ dacht, mit dämonischen Mächten in allzu naher Weise bekannt und befreundet zu sein. So droht ihm der stetige Vorwurf des Zauberns auf eigene Rechnung. Andererseits liegt in dieser Durchschnittlichkeit und Verfestigung die Gewähr für die eminente Stärke des Durchbruchs, falls die Kraft all solche Widerstände über¬ wunden hat.

Nicht minder deutlich, als im sozialen Leben, ist die Auswirkung des unmittel¬ baren Einheitsbewustseins im intellektuellen Gebiet. Hier hat Levy- Brühl sein oft zitiertes Gesetz der unmittelbaren Anteilnahme ge¬ funden, demgemäß jedes Einzelne als unmittelbar am Anderen beteiligt gedacht wird. Der Traum gilt als wirkliches Erlebnis usw. Die merkwürdigsten Ge¬ bräuche der Magie wurzeln hier: ein präzises Denkbild wirkt durch seine bloße Existenz in dem gewünschten Sinne, so daß ein bildhaft ausgeführter Mord den Tod des in effigie Getöteten zur Folge hat, usw.

Gleichwohl erfolgt eine Scheidung nach dem qualitativen Gesichtspunkt innerhalb

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der Wirklichkeit und besonders des menschlichen Lebens. Keineswegs ist der Primitive Relativist, für den jede Erscheinung von gleicher Bedeutung ist. Denn überall finden wir den Gedanken der Macht als den wesentlichen Maßstab. Jeder Mensch ist wertvoll, insoweit und nur insoweit er Macht hat. Das Faszinie¬ rende des Erfolges begleitet sie als Voraussetzung. Nur das starke, rücksichtslose und erfolgreiche Leben wird beachtet. Der Schwache, Arme hat keinerlei Be¬ deutung. Am drastischsten äußert sich diese Bewertung in dem Unsterblichkeits¬ glauben mancher Stämme, die dem Unbedeutenden, d. li. dem Armen, das Über¬ dauern des Todes versagen, während sie dem Vornehmen ein ausgezeichnetes Leben im Paradiese zusichern. Aber auch dort, wo diese radikale Folgerung nicht gezogen wurde, wird der sozial Unbedeutende von aristokratischer Mißachtung getroffen. Man kann die primitive Wertung wohl als naturwüchsigen Nietzsche¬ anismus bezeichnen. Viel reiner, als irgendwo in der Renaissancezeit prägt sich in jedem Zuge der primitiven Gesellschaften seine Forderung des großen, rück¬ sichtslosen und gewalttätigen Lebens aus, freilich ohne individualistische Prägung.

Statische Einheitlichkeit, Systematik, aristokratischer Machtwille in dieser Dreifachheit kann man auf unsere Art des philo¬ sophischen Sprachgebrauchs den Sinn der Primitivität finden.

Als viertes verbindendes und alldurchdringendes Moment tritt die Natur¬ haft i g k e i t hinzu. Die Maßstäbe der Systematik werden nicht im menschlichen Subjekt gesucht, sondern in der Ganzheit und Fülle der objektiven Wirklichkeit. Die Natur, die Landschaft selbst kommt in den Formulierungen der Primitiven zu Wort, ein bewußt werdender Kosmos spricht aus ihnen zu uns!

Diejenige Schicht aber, in welcher die Natur zum Bewußtsein kommt, ist die or¬ ganische. Auf ihr steht der Wert-Akzent. Denn um das Blut kreist die Gedankenwelt der Primitiven unaufhörlich, soweit sie sich mit sich selbst be¬ schäftigt. Die sozialen und politischen Verhaltungsmaßregeln erklären sich aus dieser Fürsorge. Ebenso die Auffassung der Stellung inmitten der Dinge: alle Einflüsse werden wesentlich bezogen auf den physischen Menschen aus Leib und Blut. Das was allen religiösen und magischen Zeremonien ihren eigentlichen Antrieb verleiht, ist die Rücksichtnahme auf das leibliche Wohlergehen im Dies¬ seits. Alle Bedeutung, die den Erscheinungen der Wirklichkeit zugemessen wird, richtet sich nach ihrem Einfluß auf das körperliche Behagen und Gedeihen. Lind wir werden späterhin die überaus große Wichtigkeit erkennen, die gerade dem Ahnendienste zufällt, also derjenigen religiösen Haltung, in welcher am stärksten Rücksicht genommen wird auf die bluthaften Zusammenhänge. Man kann daher

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das konkrete Weltbild der Naturvölker als den objektiven Geist auf seiner organischen Stufe der Verwirklichung be¬ zeichnen, wenn man sich hegelianisierender Ausdrücke bedienen will.

Durch die Einsicht in das Wesen der Primitivität als einer krafterfüllten, syste¬ matisierenden, durchaus statischen Einheitlichkeit naturhaften Lebens wird die Wesensnähe von Primitivität und Kunst und die Tatsache verständlich, daß primitives Leben sogleich als ästhetisch bestimmtes und fundier tesDasein angesprochen werden kann und muß. Denn Kunstübung, im weitesten Sinne als Künstlertum genommen, ist zugleich Ausdruck einer be¬ stimmten Art der Weltauffassung und der Lebenshaltung, aus welcher diese Welt¬ auffassung entspringt. Die Lebensart des Künstlers unterscheidet sich ja wesent¬ lich von anderen Daseinsarten, etwa der Sittlichkeit und der Religion, durch die Naivität und Unmittelbarkeit, aus der heraus der Antrieb quillt, welcher zur Darstellung und zur Erschöpfung seines Lebenszweckes in der Darstellung hin¬ strebt. Das Vegetative des menschlichen Seelenlebens wuchert gerade in seinem Bezirke am schrankenlosesten und strebt zu dem Gebilde hin, in welchem alles Traumhafte und Instinktive zur monumentalen Größe heranwächst. Je näher wir der sprudelnden Quelle der künstlerischen Phantasie kommen, um so seltsamer wird der Antrieb, dessen erstaunliche Wirkungen wir ästhetisch verfestigt wahr¬ nehmen. Man spürt: nicht der Einzelmensch ist es, der hier in überlegender Inteliektualität wirksam wird, sondern die allgemeinen Kräfte der Wirklichkeit si nd es, die fern vom persönlichen und subjektiven, bewußt willenshaften Er¬ messen in den Kunst- Werken kristallisieren. In den Farben und Linien, in den Klängen und Bauten spiegelt sich die Erregung des uralten Grundes des Daseins wieder. Es handelt sich im Bereiche der Kunst also weniger um die Welterfassung seitens des Menschen, als um eine Weltauffassung vermittelst des künst¬ lerischen Menschen. Ähnliches gilt auch von dem ethischen und religiösen Men¬ schen. aber doch in ganz anderer Art. Für diese beiden Menschenarten beruht ihr eigentliches Wesen in dem Spannungsverhältnis zwischen ihnen und der objektiven oder objektivierten Wirklichkeit, da der Ethiker sich durch den Stachel der Vorschrift immer von neuem weiter auf der Bahn zur sittlichen Voll¬ kommenheit getrieben fühlt, während der Religiöse durch die Art des ballastlosen Schwebens und Sichveränderns des visionär geballten Gehaltes seines Weltgefühls zur immer erneuerten subjektiven Einstellung auf gefordert wird. Solche Antriebe und sich verändernden Problemstellungen spürt wohl auch der ästhetisch pro¬ duktive Mensch, aber das für ihn Entscheidende ist doch das irgendwie endgültige

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Geli ngen der jeweilig als richtig anerkannten Lösung, ist das gelungene objektive Werk als solches. Diesem Charakter entströmt jene Ruhigkeit, die aller Erregt¬ heit zum Trotz das gelungene Werk umlagert und zugleich erfüllt.

Somit ist diejenige Tendenz, von der die Kunst als solche beherrscht ist, durchaus als eine statische, beharrende zu fühlen und zu erkennen. Der Wille zum Umsturz ist ein eminent unkünstlerischer Trieb, falls er nicht in einer vielleicht völlig verfahrenen Lage, die dem wahrhaften Kunstschaffen keinen Raum mehr bietet, wieder eine günstigere Vorbedingung für künstlerische Ar¬ beiten neu erringen muß. Nicht also im bewußten Verändern, sondern in der bildhaft beharrenden, bleibenden Formprägung der lautwerdenden, unter¬ bewußten, instinktiven Regungen allgemeiner Kräfte des Daseins liegt der Sinn des ästhetischen Schaffens, und um so stärker und reicher kommt er zum Aus¬ druck, je allgemeiner und fundamentaler die Mächte sind, die sich im Künstler regen, um in seinen Werken bleibende Gestalt zu gewinnen. Das Da-Seiende ist für den Künstler Anfang und Ende seines Ausdrucks und Verfestigungswillens. Eben dieses aber gilt auch für die Lebenshaltung des primitiven Menschen, wie wir sahen. Auch er lebt und wirkt im Umkreise der urtümlichen Mächte des Lebens und des Daseins. So stimmt der ästhetisch Produktive mit dem primitiven Menschen im Kernpunkte des Wesens überein. So ist d e r p r i m i t i v e M e n s c h der wahrhaft stilreine Mensch in des Wortes eigentlichster und um¬ fassender Bedeutung. Hier ist all das gegeben, was in seinen einzelnen Momenten längst als Bestandteil des Stil-Begriffs erkannt wurde: die unmittelbare Gegeben¬ heit und Eingebung, das überpersönliche Fluidum als unangetasteter Mutterboden, das Verwachsensein der künstlerischen mit den ethischen, sozialen, magischen Elementen der menschlichen Gemeinschaft. Dies alles ist gegeben als eine leben¬ dige und zugleich beharrungskräftige Symbiose von Trieben, an welche das Individuum der primitiven Schicht als an eine starke übermächtige Macht sich anschmiegt, um ihr einen nur wenig persönlich gefärbten Charakter zu geben. Die ästhetische Funktion ist bei den Primitiven in einem noch lebendigeren, spontaneren Stadium, als bei uns. Dafür ist sie enger mit den anderen Funktionen des Lebens verflochten und gibt ihnen ihren Charakter statischer Beharrlichkeit, der ihrem allgemeinen Wesen so entschieden das Übergewicht über die Vereinze¬ lungen der indivuellen Neigungen (mit seltenen Ausnahmen in der Siidsee usw.) gewährleistet. Der modernen Zeit gegenüber darf und muß man von einer über¬ wiegenden Bedeutung der ästhetischen Funktion sprechen, überall finden wir dafür die bündigen Beweise: von der Bemalung und Tätowie¬ rung im gewöhnlichen und erhöhten Leben bis zur Rezitation magischer Formeln, deren Kraft ausschließlich in ihrer geheiligten Form, nicht etwa in der persön¬ lichen Intensität der Frömmigkeit des Beters liegt.

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Die Kunstform der Primitiven

Der Sinn der Primitivität umgrenzt das Gebiet ihrer Kunstübung und gibt ihr die bestimmende Haltung. Da die organische Substanz, der Leib aus Fleisch und Blut, im Mittelpunkte des naturvölkischen Lebenskreises steht, ist es die Plastik, die am reinsten die künstlerischen Fähigkeiten der Naturvölker zum Ausdruck kommen läßt. Die Baukunst kommt weniger zur Geltung. Die Malerei hat eine Reihe bedeutender Arbeiten geschaffen, aber sie kann bei dem vereinzelten Auftreten ihrer selbständigen Kraft nicht als ein allgemeines Wahrzeichen der Primitivität gewertet werden. Als Dienerin der Plastik ist sie von größerer Wichtigkeit, fügt sich aber dann der Gesetzlichkeit der Plastizität ein; denn an sich ist sie ihrem Wesen nach eine allzu sehr ins Geistige und Abstrakte übergehende Kunst, als daß sie bei den Primitiven gleichmäßig mit der Plastik zur Ausbildung gelangen könnte.

Bevor wir in die nähere Erörterung der primitiven Kunstform eintreten, ist es notwendig, daß wir uns noch kurz mit einem E i n w a n d beschäftigen, der oft genug von völkerkundlicher Seite vorgebracht wird, um das ganze Bemühen der Kunstgeschichtler und Kunstwissenschaftler um die ethnographischen Objekte als zweckloszu bezeichnen, mit der Meinung nämlich, daß die Schnitzereien usw. der Primitiven garnicht einer ästhetischen Beurteilung unterworfen werden könnten und dürften, weil ihre Absicht vielmehr in der mystisch-magischen, als in der rein künstlerischen Sphäre läge. Die naturvölkischen Werke seien dem¬ gemäß in religiöser und magischer und soziologischer Hinsicht wertvoll und zu untersuchen, aber keineswegs kämen sie in ästhetischer Beziehung in Betracht.

Diese Auffassung ist gewiß nicht völlig unrichtig, aber sie übersieht doch das Wesentliche. Zunächst würde sich aus der vollen Zustimmung zu ihrer grund¬ legenden Voraussetzung die einschneidendste Verarmung der Kunstgeschichte ergeben. Denn die wesentlichsten Arbeiten der großen mittelalterlichen Zeiten bis hoch in die Renaissancezeit herauf entstammen durchaus nicht rein künst¬ lerischen Antrieben, sondern in unvergleichlich höherem Maße kultischen, über¬ geordneten Absichten; also müßten nach jener völkerkundlichen Auffassung der Kunstübung auch sie aus dem Kreise der eigentlichen Kunst-Betrachtung aus¬ geschieden werden. Übrig bliebe danach für sie nur die Produktion der neuesten Zeit, soweit der zeitgenössische Künstler einsam und nur für die Zwecke einer kleinen Schar von Liebhabern seine rein formalen Arbeiten in Ateliers herstellt. Aber es ist nicht nur diese Folgerung, welche die Voraussetzung widerlegt,

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sondern jene These seihst ist im Kernpunkt irrig. Sie basiert auf einer ideell- inhaltlichen Ästhetik, und diese ist recht eigentlich die Klippe, an welcher die ethnologische Forschung scheitert. In Wahrheit hat aber für die rein ästhetische Betrachtung nur die formale Einstellung u n d Be w ertu n g

Abb. I. König mit zwei Begleitern. Bronzeplatte aus Benin (Brit. Nigeria)

Recht. Denn auch jene mittelalterlichen Meisterwerke finden nicht deshalb eine so hohe ästhetische Anerkennung, weil in ihnen machtvolle Impulse der Gläubig¬ keit in dogmatischer Symbolik vor uns stehen, sondern weil in ihrer linearen und farbigen Struktur ein so eminentes Kraftgefühl der Linien als Linien und der

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Farben als Farben liegt, daß ihre rein formalen Beziehungen und Bewegungen von mitreißender Kräftigkeit sind. Wäre dies nicht der Fall, so möchten wir noch so viel Aufhebens von der anerkannten, etwa magisch heilkräftigen Wirkung katholischer Heiligenbilder machen, in künstlerischer Hinsicht kämen sie nicht in Betracht, wenn sie nicht durch ihre Formprägung berechtigten Anspruch auf ästhetische Wertung erheben würden.

Nicht die planmäßige Absicht des Urhebers bestimmt also die Auswahl nach ästhetischem Gesichtspunkt, sondern einzig die krafterfüllte Gestalt in ihren formalen Bezüglichkeiten, mögen sie nun dem Bildner selbst gleichgültig oder erwünscht gewesen sein. Für die bildende Kunst sind eine Reihe von phänomeno¬ logischen Bezirken bereits klar herausgearbeitet worden, von denen aus die Werke beurteilt werden müssen: das Plastische, das Malerische vor allem mit ihrer verschiedenartigen Formsprache. Das sind formale Systeme ohne Bezug zunächst auf inhaltliche Bestimmungen, falls man hierbei ideelle Bedeutungen im Sinn hat. Nur insofern wird man eine gewisse inhaltliche Bestimmung zuge¬ stehen können, als sich naheliegende Beziehungen zwischen den Grundprinzipien der rein abstrakt genommenen Künste und den einfachsten Gegebenheiten der menschlichen Daseinssphäre aufdrängen, so z. B. zwischen dem Architekturalen und dem Lebensraume oder zwischen der Plastizität und der menschlichen Kör¬ perlichkeit oder zwischen dem Malerischen und der menschlichen Blicksphäre. Es ist nicht einzusehen, warum ohne weiteres die primitiven Kunstwerke einer solchen Beurteilung und Bewertung nicht stand halten sollten. In jedem einzelnen Falle muß nachgeprüft werden, wie und wie groß die Formgewalt der Werke ist. Aber auch so ist für uns das Wissen um die inhaltliche Bedeutung einer Figur von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit. Denn die Freude über ein Kunstwerk enthält neben der rein formalen Betrachtung auch noch andere Quellen der Genugtuung, wenn etwa im Betrachter urtümliche Schichten aus ihrer zivilisatorischen Yerdrängtheit emporgehoben und der Vergessenheit ent¬ rissen werden, wie die Psychoanalyse dies für mancherlei Inhalte als wahrschein¬ lich dargetan hat. Die Klarheit über solche Quellen und ihre so vielfältig ver¬ schütteten Flußbetten ist von hohem, wenn auch außerästhetischem Interesse. Gleichwohl ist sie auch für die ästhetische Richtung des Bewußtseins nicht ohne Belang, da das Wissen um die Kompliziertheit der künstlerisch fixierten Kom¬ plexe jene Atmosphäre der Vertrautheit schafft, die für die fruchtbare Kunstforschung Voraussetzung ist. Denn wenn auch das Erlebnis der formalen Kräfte für sich vor sich gehen kann, so gewinnt es doch an Wärme und mit¬ reißender Gewalt, sobald auch die Einsicht in die religiöse, soziale usw. Be¬ deutung hinzutritt.

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Die Grundsätze der primitiven Kunstübung prägen sich am reinsten in der Skulptur aus. Sie geben ein deutliches Spiegelbild der allgemeinen Form¬ kräfte der Primitivität, so daß sie ein getreues Abbild der Lebenshaltung ihrer Träger sind. Drei Elemente hatten wir als grundlegend gefunden: statische Ein¬ heitlichkeit Systematik Aristokratismus. Ihnen entsprechen auf dem ästhe¬ tischen Sondergebiet: die symmetrische Einheit des Blocks und der Fläche die strenge Stilisierung die Betonung der höheren Partie.

Der Grundsatz der Block-Einheit, den uns mehr in seiner Abstraktheit, als in seiner wahrhaften, nicht bloß wirklichen Anschauung Ad. Hildebrandt nahebrachte, bezeugt sich überall, wo wir auch hinsehen mögen. Alles, was über diesen Bannkreis hinausgreift, alles künstlich Angefügte auch ist erst entstanden, als das primitive Daseinsgefühl schwankend wurde, zumeist unter verderblichem europäischen Einfluß. Der Umkreis des Blockes ist es, der den Bewegungen der Gestalten ihre Reichweite vorschreibt: in seinem Behälter senken und heben sich die Arme, in ihm hält sich der riesige Kopf aufrecht, in ihm wuchten die schweren Körper auf den regelmäßig im Knie sich beugenden Beinen. Eine gewisse Enge der Regsamkeit ist nicht zu leugnen, doch entschädigt dafür überreich die ur¬ tümlich waltende Mächtigkeit der Blutfülle und Lebenskraft.

xMit seltenen Ausnahmen vermeidet die Plastik daher die Schrägansicht, die den fruchtbarsten Spielraum für die Bewegungen der Gliedmaßen freigibt. Gerade die vielfältige Bewegtheit leitet ja zu der Verneinung der ursprünglichen Ein¬ heit hin. Und so sind die primitiven Schnitzer instinktiv darauf bedacht, Gesicht und ganze Gestalt so zu geben, daß sie von vorn betrachtet den tiefsten Eindruck machen. Mit Recht hat man von dem Gesetz der Frontalität gesprochen. Der Blick, der an der Plastik hintastet, wird also nicht in die Tiefe geführt oder wenigstens doch in eine nicht weit reichende Tiefe, sondern er wird in der Mitte des Blocks etwa aufgehalten, dafür sorgt das breite Gesicht mit seiner unver¬ hältnismäßig großen Fläche, dafür sorgen dann die Arme vor allem, die vom Leib sich wenig abheben und alsbald zu ihm sich zurückbiegen, dafür sorgen auch die ruhig und symmetrisch stehenden, in den Knien zumeist etwas einknickenden Beine.

Die Motive, die gewöhnlich verwandt werden, sind die allereinfachsten: Stehen, Sitzen, Knien, Tragen. In einzelnen Kunstgebieten entwickeln sich, der Inter¬ pretation der Eingeborenen zufolge, ganze Szenen, aber auch diese werden durch Gestalten in jenen einfachen Haltungen eher symbolisiert, als wirklich ausgeführt. Nur in Nordwestamerika, das besonders dramatisch veranlagt ist, kommt es zu besonderen Handlungen, wie einer Befehlsgeste mit ausgestrecktem Arm, der sich weit vom Körper abhebt, und hier ist auch ein Gebiet, in welchem manchmal die fruchtbare Schrägansicht gesucht und geformt wird.

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Die Malerei folgt dem Gesetz der Blockeinheit, aber mit einer ihrem be¬ sonderen Zweck gemäßen Abwandlung. An die Stelle der Block-Einheit tritt die Flächen-Einhei t. Denn nur durch sie läßt sich verhindern, daß der Blick in die freie Unendlichkeit schweifen kann, zu der er sich hingezogen fühlen würde, sobald er von der Oberfläche aus tiefer einzudringen vermöchte. Diese freie Unendlichkeit aber ist das, was der primitiven Gesinnung entgegengesetzt ist, die immerdar zur Verfestigung und Beharrung strebt. Diese beharrende Festigkeit kann in der Malerei nur durch die Beschränkung des Blicks auf die abgrenzbare Oberfläche erreicht werden. In ihrem Bezirk mag der Blick kreisen und schließlich ruhen, ohne zum Weiterschweifen in räumliche Fernen verleitet zu werden, deren Abschluß doch niemals absolut gelingt.

Dieses Prinzip, das man negativ als Vermeidung der Perspektive mit ihren Ver¬ schiebungen, Verkürzungen und Fernsichten bezeichnen kann, beherrscht auch die F arbwah 1 der Primitiven. Denn auch in der Farbmischung an sich könnte die Möglichkeit einer räumlichen Vibration liegen. Aber eben an solchen Mischun¬ gen hat der primitive Mensch keinerlei Freude, was ihn erregt ist Kraft der Einfachheit: der Gleich farbigkeit oder des scharfen Gegensatzes. Beide aber bleiben in der Fläche und wollen keineswegs ein Raumbild oder gar Weltbild be¬ deuten. Die einzige Ausnahme machen anscheinend manche Malereien der afri¬ kanischen Buschmänner. Aber da über ihrer Herkunft ein vorläufig undurch¬ dringliches Dunkel lagert und die vergleichende Überlegung eher an prähisto¬ rische Arbeiten, als an Werke eigentlicher Naturvölker denken läßt, müssen sie außer der Betrachtung bleiben, die mit gesicherten Dokumenten operiert. All die anderen Arbeiten der neueren Primitiven jedoch tragen jenen Charakter flächenhafter Darstellungsart mit reinen Farben, die in sich ruhen oder sich gegensätzlich, aber auf der gleichen Fläche gegensätzlich verhalten. Und die Zahl und Auswahlmöglichkeit der Farben ist begrenzt, Schwarz, Weiß, Rot, Grün, Blau, Gelb sind die Hauptfarben. Ihre Verwendung ist verschieden in den großen Kunstgebieten. So begnügt sich das Mittel gebiet Afrikas mit den dunklen Tönen von Schwarz und Dunkelbraun, wenn wir die Farbe seiner Schnitzereien in Be¬ tracht ziehen. Die Südsee treibt mit Schwarz, Weiß, Gelb, Rot ein oft aufreizendes, erregendes, durchaus malerisch empfindendes Spiel. Nordamerika hat die um¬ fangreichste Farbenskala zur Verfügung und gibt seinen Sandmalereien und auch manchen seiner Schnitzereien ein dramatisch kraftvolles Bild.

Diese Block- und Flächen-Einheit ist statischer Art, das heißt, alle ihre Elemente sind in ihrem Verhältnis zueinander so eingestellt, daß sie als End¬ ergebnis der Bewegungen von Linien und Farben ein Bild voll Ruhe und x\us- geglichenheit hervorbringen. Dies Resultat kann auf mancherlei Art erzielt wer¬ den. In der Primitivität geschieht es auf die einfachste Weise: mit Hilfe der

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Symmetrie. Jede Linie findet ihr Widerspiel in einer anderen gleichartigen und gleichwertigen Linie, indem beide jeweils auf f lächen sich zugeordnet sind, die irgendwo in der Mitte durchschnitten werden, die Farbigkeit auf den je¬ weils halbierten Schilden und Gerätschaften und Figuren entspricht sich, die Bewegungen der Gliedmaßen entsprechen sich wechselseitig. In all diesen Fällen ist das Ergebnis der Konstruktion das Bild und das ihm entströmende Gefühl der ruhigen, wenn auch noch so gedrungenen oder auch noch so elastischen Ge- haltenheit.

Der zweite Grundsatz der naturvölkischen Kunstübung ist die strenge Stili¬ sierung. Der primitive Mensch ist der wahrhaft stilvolle Mensch in der wesen¬ haften Bedeutung dieses Wortes: erfüllt von starken Kräften, die aber nicht aus der angeborenen Gesetzmäßigkeit des allgemeinen Blutstroms seines Stammes individualistisch ausbrechen, sondern in der ererbten Form ruhig weiterwachsen. Wie sich diese gruppenhafte Zusammengehörigkeit in all seinem Tun ausspricht, so prägt sie auch seinen Kunstgebilden den gleichen Stempel überpersönlicher Gültigkeit auf. Sein und ihr Dasein ist ein gleichartiges gleichsam kristal¬ linisches Gebilde beharrenderFormkräfte. Das was uns im Aus¬ druck der „Bindung“ geläufig ist, und offensichtlich mit Zwang und Vergewalti¬ gung zusammenhängt, dies ist für die Primitivität die ursprüngliche und selbst¬ verständliche, also zwanglose Lebens- und Kunstart.

Dieser Trieb zur Stilisierung trägt und treibt überall die naturvölkische Kunst. Am augenfälligsten kommt er darin zum Ausdruck, daß die Tätowierung übernommen wird, die schon dem lebenden Körper den Anschein einer Schmuck¬ fläche gibt. Manchmal geht sie in groben Narben über den Körper hin, manchmal erhebt sie sich wie zarte Stickerei nur wenig über ihn, hier und da bedeckt sie in vielfacher Musterung den ganzen Leib, in anderen Gebieten beschränkt sie sich auf kleinere Körperflächen. Die Tätowierungsmuster selbst sind stilisierte Wesen oder geometrische Ornamente. In beiden Fällen prägen sie dem physischen Wesen jenen allgemein gültigen Stempel auf, der auch das Kennzeichen der psychischen Art der Primitivität ist, wenigstens ist dies der herrschende Zug, in dessen großem Strom das individualisierende Kennzeichen untergeht.

Die Tätowierung findet ihren stilisierenden Charakter unterstützt durch die Sti¬ lisierung des Körpers selbst. Der Schnitzer und Maler gibt den Leib als Masse, zumeist ohne Angabe der Rippen, Wirbelsäule usw., bringt auch in die bewegteren Arme und gebeugten Beine keine Lebhaftigkeit des persönlichen Aus¬ drucks, sondern formt sie in ganz allgemeiner Weise nach dem Schema von Gliedmaßen, sodaß auch sie eher als Masse oder Fläche, denn als organisches Wesen wirken. Dieser typisierende Schematismus schmilzt oft genug ganz zu¬ sammen mit jenem Schmucktrieb, der in der Tätowierung sich äußert, und treibt

in dieser Versch wisterung zu einer fast restlosen Umbildung der Gliedmaßen und des Körpers und auch des Gesichtes hin, die das naturhafte Gegebene nach deko¬ rativen Gesichtspunkten umgestaltet. Aus dem Zusammenwirken der Linien und Wölbungen und Senkungen ersteht dann manches Mal ein überwiegend orna¬ mentales Gefüge. Es ist interessant anzumerken, daß dieser ornamentali- sierende Trieb sich im Gesicht stärker als im Körper und im Leibe stärker als in den Beinen durchsetzt. All dieser Aufwand kunstgewerblicher, oft genug genialer Begabtheit dient dem einen Endzweck: die naturhaft gegebenen Unterschiede umzudeuten in eine allgemeinere Vision voll Ausdruck urtümlicher Regungen.

Solche Urtümlichkeit der inneren Einstellung ist nun nicht bloß jene wilde Lei¬ denschaftlichkeit, an die wir zunächst zu denken gewöhnt sind. Wohl tritt auch sie auf, und ihr Ausdruck in Masken und Ahnen-, Götterbildern ist von oft hin¬ reißender Gewalt, handele es sich nun um Entsetzen oder Furcht oder Lebens¬ unkraft oder Todesstarre oder lauernde List oder losbrechende Wut. Nicht minder aber macht sich die andere Seite der Lebenshaltung geltend: das ruhevolle Schauen, die Nachdenklichkeit, ja sehr oft das Genügen an der einfachen Existenz ganz ohne Erregung oder gar Ekstase. All diese Gefühle aber bevorzugen in ihrer formalen Prägung die Allgemeinheit typischer Gültigkeit.

Typisierung und Ornamentalisierung sind die beiden Tendenzen der primitiven Stilisierung, beide gleichmäßig selbstverständlich und zwanglos sich auswirkend, soweit die Subjektivität des Bildners in Betracht kommt.

Noch deutlicher als in der Plastik beweist sich dies in der Malerei der Natur¬ völker. Denn während in der Schnitzerei die Wirklichkeit von bland und Bein und Leib noch immer einen Ballast mit sich führt, dessen Überwindung die Plastik nur annähernd erreicht, liegt die malerische Fläche derart vor uns, daß die natur¬ hafte Schwere und Massigkeit aufgehoben wird. Das malerische Gebilde schwebt so nur als leuchtende Vision vor uns. Wirkt dann in seiner Färb- und Linien- gebung noch außerdem eine besondere Begabung für abstrakte Formung mit, wie bei den nordamerikanischen Sandmalereien, so spinnen sich zarte, doch elastische Farbstrahlen über die Fläche hin und weben ein merkwürdig fremdartiges, aber sehr reizvolles Gespinst voll mythologischer Symbolkraft.

Dem allgemeinen kulturellen Grundsatz der Kraftsteigerung entspricht endlich das ästhetische Gesetz der Betonung des Kopfes und des Körpers im Unterschiede zu den unteren Gliedmaßen. Man kann sagen, daß im allgemeinen der Kopf im Verhältnis zum Körper und ferner der Rumpf im Verhältnis zu den Beinen übermäßig betont ist. Der Schwerpunkt liegt offensicht¬ lich im Kopf. Es bleibt die Frage, ob der eigentliche Antrieb zu dieser Poten¬ zierung nur im Schädelkultus zu suchen ist. Wäre dies der Fall, so bliebe

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unerklärt, warum denn auch der Rumpf übergroß ist gegenüber den Beinen, seine Größe könnte doch dann verhältnismäßig richtig sein, so daß nur der Kopf zu allzu mächtiger Breite und Höhe anwüchse. Da aber jene Tendenz zur Über¬ bewertung sich auch im Rumpfe dokumentiert, dem an sich keine besondere Ver¬ ehrung zuteil wird, so darf man höchstens von einem gewissen Anteil der Schädel¬ verehrung sprechen, wenn man jenes erstaunliche Merkmal der primitiven Kunst erklären will. Auch bei dieser, dem Völkerkundler sehr entgegenkommenden, Formulierung ist der religiöse Einfluß auf das Kunstwerk durchaus als gering und nebensächlich festgehalten. Die eigentliche Erklärung liegt im metaphysi¬ schen Gebiet. Der Schädelkultus möchte erst als Folge der allgemeinen Ein¬ stellung aufzufassen sein!

Aus dem Zusammenwirken der drei Momente der primitiven Kunstform: Einheit des Blocks, Stilisierung, Hervorhebung des Schädels und Körpers, erwächst jener Eindruck, den man mit der ästhetischen Kategorie der Monumentalität an¬ deutet.

Sicherlich möchte man angesichts einzelner Arbeiten der Naturvölker von Er¬ habenheit reden, so überwältigend ist der Eindruck ozeanischer Figuren. Und doch wäre das nicht völlig richtig. Erhabenheit bedeutet ja zunächst das Erhobensein und zugleich Erheben über das Maß des Alltags, Durchschnitts hin¬ aus, dann aber in der üblichen Erweiterung des Sinnes: das Streifen an das Jen¬ seitige der Wirklichkeit, im höchsten und eigentlichen Sinne die Maskierung der überirdischen Jenseitigkeit und den mittelbaren Hinweis auf das transzen¬ dente Absolute. Es ist die ins rein Geistige verweisende Übergröße, die wir eigentlich mit dem Worte der „Erhabenheit“ bezeichnen.

Von solcher Erhabenheit kann nun im ganzen Bezirk der naturvölkischen Kunst keine Rede sein. Wohl erheben sich die Masken zur Sichtbarmachung von Geistern, die den gewöhnlichen Menschen unsichtbar sind. Aber solche Wesen, Dämonen haben für den Primitiven eine durchaus reale Körpergröße, nur sind sie eben unsichtbar, außer für den Zauberkundigen. Ganz abseits von aller künst¬ lerischen und kultischen Beschäftigung bleibt die Vorstellung des höchsten Gottes. So muß man zu dem Worte der „Monumentalität“ greifen, um die innere Richtung der Primitivität auszusprechen. Monumental bedeutet die weltliche Fülle der Kraft, die Fähigkeit zur Aktivität zu schreiten, die Möglichkeit also handgreif¬ licher Äußerung, die nicht fern und erhaben über dem Wirklichen steht. Zugleich eine Erfülltheit mit Kraft, die so zusammengedrängt ist, daß sie gleichsam kristallisierte. So klingt Baukünstlerisches an, während Erhabenheit immer etwas Malerisches mitbedeutet, da das Sich-Erheben zugleich eine Vergeistigung ist.

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Das was uns heute als monumental erscheint: rasender Eisenbahnzug, dröhnende Fabrik . . das trägt einen rein dynamischen Charakter: voll von Bewegungen, Spannungen, die sich entladen wollen und auch wirklich entladen. Das Monu¬ mentale der Primitivität aber läßt die Regungen, die in seinem symmetrischen Formgebilde kreisen, wie in einem Käfig hin und her, vorwärts und rückwärts stürzen, nichts Explosives drängt weiter und weiter.

Dennoch bleibt es nicht abseits von der Umgebung, sondern bildet nur einen Kristallisationspunkt für sie. Denn die Gestalten der Schnitzereien z. B. stehen nicht in pompösen Bauten, die sie von der alltäglichen Welt isolieren, sondern in dürftigen Hütten, unter Überdachungen, mit dem täglichen Dasein der Menschen in naher, oft nächster Berührung. Der Maskenanzug ist das sichtbarste Dokument dieser Einstellung, denn er sammelt einzig in dem feststehenden Aufbau des eigentlichen Maskenhutes die streng stilisierenden Kräfte, während er in dem Gewoge der Blätter oder Haare des Gewandes selbst, das den Körper deckt, frei zur allgemeinen Natur hin den Übergang sucht und findet. So ist die Einord¬ nung in das Natur hafte, Gegebene der Wirklichkeit ein Kennzeichen der Kunst, wie der Metaphysik der Primitiven.

Der Unterschied zwischen der primitiven und der europäisch kultivierten Art und Ausprägung der ästhetischen Schaffenskraft ist oft ein beträchtlicher. Bei uns legt sie ihren Hauptwert auf die fertige Yerfestigtheit des Werkes abseits des Lebens, während in der Primitivität ihre Bedeutsamkeit vielfach eher in der Tätigkeit als solcher liegt, die vom Menschen ausstrahlt und sich im Werke niederschlägt. Erbaut der Europäer seine Werke der Kunst mit seinem ge¬ ronnenen, so der Primitive mit seinem noch fließenden, noch strömenden, noch dampfendem Blut als Bindemittel engster und heiligster Art.

Aus diesem Wesenszug der primitiven Plastik erklärt es sich, daß sie zahlreiche Kunstwerke umfaßt, die als solche nicht in jenem Sinne, den wir Europäer mit dem Worte des Kunstwerks verbinden und den wir früher umgrenzt haben: als festbestimmte, endgültig verfestigte Eormprägung zu begreifen, sondern Arbeiten sind, die jeweils Elemente in sich tragen, die irgendwie noch nicht fest geworden und fixiert sind. Vielfach tragen oder trugen naturvölkische Plastiken Decken, mit denen ihre Beine umhüllt sind, Perlenketten, die um ihren Hals ge¬ schlungen sind, Amulette, die von ihren Händen herabhängen, Kopf¬ bedeckungen und Naturhaare auf ihren Schädeln, Ohrringe in ihren Ohr¬ lappen. . . . Kurzum, eine Fülle von beweglichen, verschiedenen, kleinen und großen Dingen hängt oft lose und verschiebbar an dem eigentlichen festen und

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unerschütterlichen Kern des Bildwerks. Es ist, als habe die eine Tendenz, welche auf Verfestigung und Einheit gerichtet ist, ihr Ziel so hartnäckig und einseitig und erfolgreich verfolgt, daß ihr dennoch unüberwundener Gegenpol der Locke¬ rung und Mannigfaltigkeit auch seinerseits einseitig sich ein um so reicheres Eeld gesucht und geschaffen habe. Dieser Sachverhalt wird umso paradoxer, je mehr die Einfühlung in dies Beisammensein so verschiedenartiger Dinglichkeiten keinerlei ästhetisches Mißbehagen erweckt, sondern vielmehr eine merkwürdig reiche Modulation des Grundmotivs ergibt: die urtümliche Härte mildert sich, das Pathos umgibt sich mit Idyllik und aus den kleinen, aber so oft magisch be¬ deutungsvollen Dingen steigt ästhetische Luft des Märchentunis auf. Diese selt¬ sam starke Einheitlichkeit zwischen dem rein Plastischen und dem lockeren Be¬ hang und Schmuck wird uns innerlichst verständlich durch jene Einsicht in das Kunstwerk der Primitiven als in eine oft erst in der Kristallisation und ihrem Niederschlag begriffene, noch nicht zu Ende gekommene darum aber auch noch nicht erstarrte, unlebendig gewordene! Art der Kunst-Verwirklichung.

Sobald wir freilich ähnliches unternehmen, endet der Versuch regelmäßig mit einem vollen Mißerfolg. Zu sehr ist uns das Wissen um das Kunstwerk als eine endgültige Fixierung der Form in Fleisch und Blut übergegangen, als daß wir bei der Verwendung von verschiedenartigen Materialien nicht zu grotesken Resul¬ taten gelangten, lockeres Schmuckwerk zu verwenden, hat man garnieht erst versucht. Dort aber, in jener Welt, wo alles und jedes noch irgendwie ästhetisch berührt und belebt ist und wo die ganze Atmosphäre noch einheitlicher und voll von künstlerischer Produktivität ist, dort wird auch das im Kreise abstrakter Theoretik als schärfster Selbstwiderspruch anmutende Verfahren nicht nur er¬ träglich, sondern auch wünschenswert und lobenswürdig, da es von innen her begreiflich ist.

Das Doppelgesicht der primitiven Religiosität

Die vielfach erörterte Frage, inwieweit überhaupt von einer Religiosität der pri¬ mitiven Völker die Rede sein könne, nimmt ihren Ursprung in der Doppelsei tig- keit ihrer metaphysischen Überzeugungen. Für uns ist es eine durch Tradition geheiligte Übereinkunft, den Träger der weltschöpferischen Kraft entweder so sehr von der Wirklichkeit zu entfernen, daß er jenseits ihrer lebt, doch wie ein nachdenklicher Maschinist bei seiner gut oder schlecht gehenden Maschine an dem Wandel der Welt und besonders der Menschen tatkräftig Anteil nimmt, oder aber das Göttliche so ganz zu einem Fluidum verfließen zu lassen, daß es mit der Wirklichkeit sich amalgamiert und im Ausmaß seines Wesens mit ihr sich deckt, immerhin bleibt dem „Ganzen“ eine höhere Würde. In jenem Falle des Tlieis-

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mus trennt eine qualitative Kluft das weltliche vom göttlichen Wesen; im anderen Fall des Pantheismus sind beide eins und dasselbe, doch isoliert sich auch hier irgend etwas für das religiöse Bewußtsein von der greifbaren Wirklichkeit und nimmt einen Sonderplatz ein. In beiden Fällen wendet sich die Verehrung einem irgendwie Übernatürlichen zu, dem das Prädikat der „Heiligkeit“ zukommt.

Das religiöse Gefühl des Primitiven verteilt seine Wertakzente durchaus anders, indem es das wirklichkeitsfrohe Moment des Pantheismus vervielfältigt, dennoch aber den Theismus nicht völlig außer Kraft setzt. Für beide Elemente der Reli¬ giosität grenzt es zwei verschiedene Gebiete ab in der höheren und in der niederen Mythologie. Es ist diese letzte, die niedere Mythologie, die dem primi¬ tiven Menschen am nächsten und am wichtigsten ist. Der Glaube an den Eingott fern in der Höhe ist nebensächlich, soweit die Angelegenheiten des täglichen Lebens in Frage kommen. Wohl entstammen dem auf ihn bezogenen Gefühl zahl¬ reiche Sprüche und Lehren mit zweifellos hohem ethischen Inhalt. Aber ihre Tat¬ kraft ist gering, fast bloße Dekoration. Immer wieder tritt mit unnachlassender, ja wie es scheint wachsender Kraft das vielfältige Getriebe der unteren Mytho¬ logie in Wirksamkeit und duldet keinerlei Konkurrenz. Dämonen und Ahnen- Geister nehmen die ganze Höhe und Tiefe der primitiven Gläubigkeit in An¬ spruch und treiben sie durch Furcht und Machtwillen zur unablässigen Betäti¬ gung. Während in irgendeinem fernen Paradies der große Zauberer und Welt¬ schöpfer weilt, ohne ein lebhaftes Interesse für das Werk seiner Hände, das oft vom Menschen und seinem Widerspruch gegen göttliche Gebote verkümmert wurde, an den Tag zu legen. So richtet sich alles wirkliche, mit der Realisierung von wirklichen Wünschen und Befürchtungen rechnende Nachdenken auf die Gebilde der niederen Mythologie. Es sind Realitäten, die als wirklich und zu¬ gleich als überwirklich gefühlt werden. Denn es ist nicht der Gewaltige des Lebens, der immer sogleich verehrt wird, sondern man wartet gern bis sein Geist unsichtbar wurde, um ihm alsdann eine dauerndere Verehrung zu bereiten. Es ist nicht unmittelbar die Natui;, die das Erzittern der Religiosität hervorruft, sondern der Mensch wendet sich an den besonderen Geist des Wassers, der Höhle usw. Eine zwiefache Doppelheit also beherrscht das religiöse Wesen der Primitivität. Nicht nur die Trennung in höhere und niedere Mythologie findet statt, sondern es differenziert sich auch diese Sphäre. Der Charakter der Immanenz ist also nicht in pantheistischer Reinheit erhalten, sondern es waltet deutlich die Richtung zur Transzendenz hin als mitbestimmend. Immerhin ist es nicht die rein schöpfe¬ rische Fiktion des Allherrschers, die ausschlaggebend wurde, sondern der Haupt¬ akzent liegt doch auf den zu Allgemeinphantomen umgebildeten Wirklichkeits¬ elementen. Und die Immanenz konzentriert sich zu besonderen Kraftpunkten, von denen sie wiederum ausstrahlt.

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Hieraus ergibt sich ein seltsames Flackern der Phantasie. Es überstrahlt allen Glanz der Wirklichkeit mit seinem Teuer, aber die Ungewißheit seines Scheines läßt die von ihm beleuchteten und erleuchteten Dinglichkeiten hin und her schwanken. Überall ersteht das Bedürfnis einer besonderen Betonung und zu¬ gleich das eines immer wieder sich herstellenden Zusammenhangs. Der Strom des Lebens gewinnt in der ganzen Breite und Tiefe seines Getriebes den Anschein der Heiligkeit, zum mindesten der Willenskräftigkeit. In dem Gewebe der Wirklich¬ keit bilden sich Knotenpunkte erhöhter Mächtigkeit und Widerstandskraft, die aber in sich wiederum keine ewige Festigkeit zu bewahren beanspruchen, sondern gleichsam weitergleiten. Diese seltsame Beweglichkeit, Regsamkeit scheint die Formulierung dessen zu enthalten, was wir mit neuerer Terminologie als das „Leben“ bezeichnen. Denn auch uns schwebt bei diesem Wort keineswegs der Anblick einfacher Wirklichkeit vor, sondern es klingt jener Ton der Verehrung eines großen Mysteriums mit, dessen eigentliche Kennworte „heilig“ und „schick¬ salhaft" sind.

Dies „Leben“ ist es, dessen immaterielle Natur den Hauptanteil der religiösen Haltung der Primitiven beansprucht. Freilich ein „Leben“ nicht so, wie wir es fühlen: als vorwärtstreibende, den individuellen Wagemut als solchen bestäti¬ gende Macht, sondern als eine Gegebenheit, in die sich einzufügen die selbst¬ verständliche Pflicht der Einzelnen ist, als eine Gegebenheit auch, die im Laufe der Zeit zum ruhigen Gleichgewicht gekommen ist, das ihr fortan ständig inne¬ wohnt. Es ist also eine durchaus organische Auffassung des Daseins gegenüber unserer vergeistigenden, wenn auch nicht mehr beseelenden Richtung.

Es ist daher alles, was den blutshaften Zusammenhang betrifft, von besonderer Wichtigkeit. Gerade das Ahnentum steht im Mittelpunkte der niederen pri¬ mitiven Mythologie. Von ähnlich starker Bedeutung ist der Totemismus, die seltsame Auffassung einer bluthaften Verwandtschaft mit dem Untermensch¬ lichen, die auch nicht denkbar ist ohne ein ganz umfassendes Gefühl inniger Ge¬ meinschaftlichkeit zwischen Mensch und Tier, Pflanze, Gestein.

Das dritte mächtige Element der primitiven niederen Mythologie, das Dä¬ mon e n t u m , ist jenen anderen gegenüber weniger von Bedeutung, bleibt ihnen übrigens insofern innerlich verwandt, als die enge Verbundenheit zwischen dem primitiven Menschen und seiner Naturumgebung auch hier eine, freilich ent¬ ferntere, dennoch organische Zusammengehörigkeit voraussetzt.

Doch kann es nur auf den ersten Blick scheinen, als ob hier wirklich ein ver¬ nichtender Widerspruch zwischen der höheren Religiosität mit ihrem Streben nach Einfachheit und der niederen Mythologie mit ihrer naturfrohen Vielfältig¬ keit vorhanden wäre. Auch unser religiöses Bewußtsein erkennt dort, wo ihm die Fülle der Wirklichkeit instinktiv gegenwärtig ist, die Doppelgesichtigkeit der

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göttlichen Macht an: auf der einen Seite die klare Bewußt¬ heit des Schöpferischen mit seiner ethischen Einstellung und hohen Forderung, auf der an¬ deren Seite die dunkle Tiefe des Daseins, in welcher das Erschüt¬ ternde, Faszinierende, Erschrek- kende haust.1) Diese andere, uns nur noch im Verbrechen und Krieg vertraute Seite treibt die primitive Phantasie zur Vor¬ stellung dämonischer und ge¬ spenstischer Wesenheiten, die im Walde, in Höhlen, in tiefen Flüssen, überall dort, wo es un¬ heimlich und schaurig ist, ihr gespenstisches Wesen treiben. Hier verselbständigt sich die „andere“ Seite der göttlichen Doppel-Kraft und läßt als Ge¬ genwirkung die magischen Ma߬ nahmen des zur Notwehr ge¬ triebenen menschlichen Lebens¬ willens erstehen.

Die künstlerische Betätigung der Naturvölker hat von dem Gebiet der niederen Religiosität weit stärkere Antriebe erhalten, als von dem der höheren. Gerade im Ahnentum und im Dämonen- Abb. 2. Pfeifenkopf aus Kamerun (Grasland) tum liegt eine unerschöpfliche

Quelle der Anregung. Die Überweltlichkeit Gottes nährt nicht die ästhetische Phantasie und selbst die untergeordneteren Gottheiten standen dem unmittelbar organischen, tierbluthaften Wesen der Naturvölker zu fern, um ihnen be¬ deutendere Anregung zu geben, außer in jenen Fällen, wo auch sie durch Bluts¬ verwandtschaft den Menschen verbunden schienen.

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Dies ganze Problem der Zwiefaclilieit der religiösen Blickrichtung gewinnt da¬ durch an Bedeutung, daß im Bereiche der niedersten Stämme, insbesondere bei den Pygmäen, eine andere Einstellung herrscht, als bei den großwüchsigen Primitiven. Jene glauben an ein höchstes ewiges Wesen, das sie als Herrn und Schöpfer der Welt betrachten. Sie haben eine Art Monotheismus, der ihnen ge¬ nügt, ohne daß sie zu dem ganzen Reichtum dämonologischer, manistischer usw. mythischer Wesen zu greifen brauchten, der den großwüchsigen Naturvölkern zu eigen ist. Es muß hier dahingestellt bleiben, ob die Auffassung Konstantin Oesterreichs zutrifft, der da meint: „unrichtig wäre es, in dieser monotheistischen Struktur und dem Fehlen von Tempeln, heiligen Stätten und einer ausgedehn¬ teren Dämonologie und Mythologie einen Beweis besonderer religiöser Reife der Pygmäen zu erblicken, sie ist der Ausdruck intellektueller Unproduktivität“. Was wichtig ist, besteht hierin, daß diese Stämme, die man am ehesten als urzeit- lich zu betrachten geneigt ist, einen wesenhaft anderen Charakter zeigen, als die höher entwickelten Völker, wobei es nun auch wiederum durchaus zweifel¬ haft ist, ob diese höheren Gruppen früher einmal auf jener monotheistischen pygmäenhaften Stufe gestanden haben. Für unsere engere Problematik des Ver¬ hältnisses von Kunst und Religion scheidet jene ganze Schicht der kleinwüchsigen Primitiven aus, da sie in ästhetischer Hinsicht ebenso unproduktiv sind, wie in religiöser. In Betracht kommt für uns allein die Schicht der höher entwickelten großwiichsigen Naturvölker.

Die höhere Mythologie Die Idee der Gottheit

Wir sahen, daß in dem Weltbild der Naturvölker kosmische Potenzen zu uns sprechen, so daß in ihnen die Natur selbst zu Worte kommt. Dies Kennzeichen trägt auch die mythologische Welt der Primitiven an sich. Es handelt sich bei ihren Formulierungen nicht um rein geistige Konstruktionen, wie oft bei uns, die wir einen rein geistigen Gott ersehnen, sondern es wirkt in ihnen noch die ganze Fülle der Naturerscheinungen mit: das Anorganische, das tierhaft Or¬ ganische und das instinktmäßige Menschliche hat seinen Anteil an ihnen. Sie selbst aber sind ihrem Wesen nach \ i s i o n e n von dem was ist, nicht (wie bei uns) von dem was sein soll. Die Essenzen der Natur gewinnen in ihnenvisionäresFeben.

Ein solches traumhaftes Dasein ist aber nur möglich, sofern die Naturgewalt als menschliches Wesen erlebt wird. Und so ergibt sich ein Prozeß der vielfältig schillernden Verwandlung von Naturhaftem ins Menschliche, die in der unend-

liehen Mannigfaltigkeit der nüancierenden und betonenden Launenhaftigkeit der Identifikationen das Erkennen des eigentlichen, des wohl ursprünglichen Ver¬ hältnisses einer mythologischen Person zu einer besonderen Naturkraft sehr frag¬ würdig macht.

Das subjektive Verhalten des Menschen spielt mit hinein. Und zwar in doppel¬ ter Weise. Einmal drückt sich in der Auswahl der vergotteten Gegenständlich¬ keit seine vom instinktiven Nützlichkeitsbewußtsein regierte gefühlsmäßige Einstellung aus, je nachdem er Furcht oder Zuneigung empfindet, je nach¬ dem er Naturerscheinungen vermeiden oder anziehen möchte. Im ackerbau¬ treibenden Lande der Puebloindianer erfreuen sich die Regengötter einer beson¬ deren Wertschätzung, im Bereiche der vom Fischfang lebenden Küstenstämme die Dämonen der Seetiere usw. Von größerem intellektuellen Interesse aber ist der verstandesmäßige Einschlag der naturvölkischen Mythologien. Denn es bleibt nun nicht bei der bloßen Feststellung der da-seienden Natur¬ mächte, sondern es macht sich zugleich der Trieb zu einer problematisierenden Fragestellung geltend. Neben der Verehrung dessen, was ist und gilt, taucht die historisierende Frage nach dem Woher dieser Weltgestaltung auf, die der primitive Mensch um sich herum vorfindet. Zwei Probleme treten hierbei natur¬ gemäß in den Vordergrund: der Uranfang des Daseins und die weitere Entfaltung. Für beide Probleme finden wir alle jene Antworten mehr oder minder ausführlich ausgesprochen vor, die uns aus den großen und berühmten Mythologien der Kulturvölker vertraut sind: Schöpfung von außen her, stufen¬ weise Entwicklung unter fördernder Anteilnahme der außenstehenden schöpfe¬ rischen Kraft, stufenweise Entfaltung von innen her.

Von zwei Seiten aus wird also die mythologische Welt bestimmt. Einmal von den Gegebenheiten der Natur her. Und zweitens von der subjektiven, menschlichen Seite aus. Jene naturhafte Basis überwiegt jedoch, da der primitive Geist sich zunächst an das Gegebene anschmiegt. Ihr gemäß unterscheiden wir unter den Mythologien, je nachdem sie bald der anorganischen, bald der organi¬ schen, bald der geistigen Potenz den Hauptwert zuerteilen, drei ver¬ schiedene Gruppen.

Mit besonderer Schärfe werden wir diesen Unterschied in dem ersten Haupt¬ problem der Mythologien ausgedrückt finden, in der Frage nach der Welt¬ entstehung. Wir sind hier geneigt, sogleich von Welt-Schöpfung zu sprechen, gemäß unserer zivilisatorischen Artung. Der Primitive aber ist viel zu sehr auf das Statische, Ruhige angewiesen, um den Schöpfergott zu erträumen. Für ihn ist der Gott im wesentlichen der Ordner der Welt. Seine Gestalt assimiliert sich mit großen Naturkräften: Himmel, Sonne, Meer . . ., mit tierhafter Existenz, endlich mit menschlich-geistiger Wesenheit, je nachdem nun die schöpf erisch-

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ordnende Macht in den Mythen in anorganischer oder tierhaft organischer oder menschlich vergeistigter Art sich betätigt und ihre Verwandtschaft mit repräsen¬ tativen Elementen dieser Sphären zur Schau trägt, ergeben sich drei grundsätz¬ lich verschiedene Arten von Kosmogonien und Mythologien überhaupt. Für die anorganische Art, die überwiegend in A f r i k a*) zu Wort kommt, ist der einmalige schöpferische Ausbruch charakteristisch, nach dessen Begebenheit die aktive Ur-Potenz zur vollkommenen Ruhe gelangt und in ihr verharrt. Die organischeEinstellung zeichnet sich durch das Überströmen der schöpfe¬ rischen Kräfte in die Vielfachheit der Naturkräfte aus, unter denen dann die organische, insbesondere die Tier-Welt, eine wichtige Rolle spiel t . Eine Reihe von verschiedenartigen Ausprägungen dieses Grundgedankens hat Nord¬ amerika und vereinzelt auch Stid-Amerik a ausgebildet, die Naturkräfte bald in tierische, bald in menschliche Gestalten (besonders der Kulturheroen) zu¬ sammenballend, wobei eine enge, zumeist eindeutige Verbundenheit zwischen der Repräsentanz und der Naturmacht aufrecht erhalten bleibt. Die dritte Art der Mythologie, die der Vergeistigung, ist Ozeanien, insbesondere Polyne¬ sien, gelungen, indem hier die Überleitung des Naturhaften, sowohl des An¬ organischen wie des Organischen, ins Psychische und historisch Menschliche einen besonderen Wesenszug der dortigen Mythenbildung zeigt, der noch dadurch unter¬ strichen wird, dab den Göttern eine von den Elementen getrennte Daseinssphäre im Himmel zugewiesen wird.

Skizzieren wir zunächst die Götter Afrikas. Mavu, der Gott der Eweer in Togo, hat die Welt erschaffen und wohnt über der Erde im Himmel, ohne sich grob um sie zu kümmern. Wegen schuldhafter Verfehlungen der Menschen ist er davon gegangen und hat seine Macht Untergöttern überlassen. Diese Gottes¬ vorstellung hat sich am sichtbaren Himmel gebildet, meint Spieth, der beste Kenner jenes Volksstammes. Darum sind ihm auch die Vertreter, Verkörperer der irdischen Welt untergeordnet: die Erdgötter vor allem, die den Verkehr zwischen Mavu und den Menschen vermitteln. Zu diesen Erdgöttern gehört als mächtigste Gottheit „die Mutter Erde“ selbst, sodann Berge, Flüsse, Bäume, Früchte, mancherlei Geräte, auch Tiere und Menschen. Hervorstechender Zug, meint Preuss, sei, dab es sich um einzelne Objekte, nicht um Zusammenfassungen natürlicher Gegenstände handle. In der Tat ist der Ursprung eines religiösen Ver¬ haltens gegenüber irgend einem Objekte in dem anscheinend offensichtlichen Be¬ weis der Macht zu suchen, die in jenem Dinge ihren Sitz hat. So wird z. B. der

*) Ähnlich auch in Australien.1)

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durch die Flucht in einen Termitenhügel Gerettete dort eine Macht verehren, der er sein Leben verdankt. Ähnlich wie mit Mavu steht es mit dem Gotte Nsambi an der Loangokiiste, der sich von der Menschheit zurückgezogen hat, weil sie ihn mit ihren kleinlichen Streitigkeiten belästigte.2) Schärfer betonen das Organisatorische des göttlichen Charakters die P a n g w e. Sie lassen am Anfang die Erde aus einem großen Baumpilz entspringen, eine Urmutter Alonkok weist dem Blitz und den Gestirnen ihren Platz an, er¬ zeugt dann zwei Zwillinge, aus deren Enkeln dann Nsambi und eine Frau entstehen, von denen die Men¬ schen abstammen. Nsambi hat sieben Söhne, entfernt sich aber aus irgend einem Grunde von ihnen, läßt sich von ihnen suchen und gibt ihnen alsdann Feuer, Nutz¬ pflanzen usw., aber auch Krankheiten. Von der Erde hält er sich seitdem fern.3) Am reichsten ist das mythologische System der J o r u b e n gestaltet. Hier steht an der Spitze O 1 o r u n , der Gott des Himmels, in überirdischer Jenseitigkeit. Von ihm geht die Schöpferkraft aus, wie die Mythe es zeigt: „Vordem gab es keine Erde. Es gab nur Olokun, das Meer, ein Wasser, das unten überall ausgebreitet war. Oben war Olorun, der Orischa des Himmels, er und Olokun, der Orischa des Meeres, waren gleich alt. Sie besaßen alles. Olorun hatte zwei Söhne. Der ältere hieß Oba- talla, der jüngere Obdudua. Olorun rief Orischa. Er gab ihm Erde. Er gab ihm ein Huhn mit fünf Fingern. Er sagte ihm: „Steig hinunter zur Erde und mache auf dem Olokun die Erde. Orischa ging. Unterwegs fand Orischa Palmwein. Orischa begann davon zu trinken und betrank sich. Dann schlief er ein. Olorun sah das. Da rief Olorun Obdudua und sagte ihm: „Dein älterer Bruder hat sich auf dem Wege nach dort unten be¬ trunken. Gehe du, nimm den Sand und das Huhn mit Abb. 3. Reiter zu Pferde, aus den fünf Fingern und mache Erde auf dem Olokun.“ Brit. Nigeria Obdudua ging. Er nahm den Sand. Er ging hinab und

legte ihn auf das Meer. Er setzte das Huhn mit den fünf Fingern darauf. Das Huhn begann zu scharren und dehnte den Sand aus und drängte das Wasser bei-

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seite. Die Stelle, wo das geseliali, war Ke, um das zuerst noch Meer floß. Obdudua herrschte als erster König über Ife. Das Olokun-Meer wurde kleiner und kleiner und rann durch ein kleines Loch von dannen . . . Orischa aber war er¬ zürnt, daß er die Erd¬ schöpfung nicht ausge- führt hatte, er begann einen Krieg gegen Ob¬ dudua. Sie kämpften lange miteinander, da¬ nach aber schlossen sie Frieden. Sie gingen spä¬ ter beide in die Erde und man sah sie nie wieder.“4) Tn der allgemeinen Auf¬ fassung ist Obatalla der Stellvertreter des Olorun. also zum Himmelsgott, geworden. Obdudua aber zur Göttin der Erde und Fruchtbarkeit. Sie er¬ zeugten einen Sohn und eine Tochter, Erdgott¬ heiten, deren wichtigere die Tochter ist, aus deren Leib bei ihrem Tode 15 tiefer stehende Gotthei¬ ten entspringen ; deren be¬ kanntere GestaltenSclmn- go, der widderköpfige Donnergott, Ogun, der Kriegsgott, Öko, der Gott des Ackerbaues, Ogun

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Abb. 4. Modell eines Tempelbezirkes in Kilauea, Hawai

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der Eisengott, usw. sind. Von diesem vielgliedrigen Olymp sind vielerlei Anregungen darstellerischer Art auf die Kunst ausgegangen.

Prüfen wir die Gottheiten Afrikas an sich, so zeigt sich oft die gleichermaßen enge Verbindung mit den einfachsten Elementen der Natur: Himmel und Erde kehren immer wieder in einem Paar wie Nsambi mpungu und Nsambi im südlichen Guinea, Osaw und Nsi in Kamerun usw. In einzelnen Ge¬ bieten scheint dieses Zusammenspiel der oberen Gottheiten nicht so klar zu sein, dann steht aber regelmäßig der Himmelsgott an der obersten Stelle, als ein Gott, der ohne eigentliche Verehrung da ist. Nur eine Art vagen Abhängigkeitsgefühls setzt die Menschen in ein lockeres Verhältnis zu ihm. klier haben wir den Typus eines Gottes vor uns, der nach einmaligem architektonischen Bemühen um die Welt sich gleichsam enttäuscht in die oberen Re¬ gionen des Himmels zurückgezogen hat, um die konkrete Weltbeherrschung den unteren Dorf-, Familien- und Privatgöttern zu überlassen, die in ih rer reichen Anzahl solcher Aufgabe wohl ge¬ wachsen erscheinen. Irgendwie plastisch und kon¬ kret wird der höchste Gott in keinem Falle, er bleibt ebenso allgemein, wie das Himmelsgewölbe selbst, mit dessen gleichgültiger statischer Un¬ beweglichkeit er verschmilzt. Wohl scheint er nicht überall identisch mit dem Himmel als Natur¬ erscheinung zu sein, wie ein Priester der Eweer von Mavu erklärt haben soll: er sei nicht „der Himmel selbst, sondern er hat seine Wohnung im Himmel“.5) iVber abgesehen davon, daß gerade diese Auffassung der Gottesgestalt modernisiert zu sein scheint, stellt sich hier wohl nur jener auch bei dem Fetischismus ausgesprochene Unterschied zwischen esoterischer und exoterischer Auffassung aus, die in beiden Fällen einen wesenhaften Konnex zwischen dem Substrat und dem Geiste aussagt, nur daß die Esoterik die Ver¬ bindung lockerer erscheinen läßt und das Schwergewicht auf den Geist legt. Die intime Zusammengehörigkeit der obersten Gottheit mit dem Himmel

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Abb. 5. Fetischfigur der Bateke (mittleres Kongogebiet)

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bleibt bestellen, lind ebenso die einer der wichtigsten

teils unterstellten göttlichen

teils zugeordneten,

Kräfte mit der Erde. Es ist eine durchaus elemen¬ tarische Schicht des religiösen Bewußtseins, die sich in der Struktur dieser Gestalten wieder¬ spiegelt, es ist das Statische, das A n - organische selbst, das zu höchstem Range steigert wird.

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Einen ganz andersartigen Typus des Gottes hat Poly¬ nesien hervorgebracht. In allen seinen Kos- mogonien hat es sich Gedanken gemacht über die Ent¬ stehung der Welt und über ihre Struktur. Hier ist anscheinend der einzige Ort im ganzen Gebiet der Primitivität, wo es Naturvölkern gelang, eine eigen¬ artige, großzügige und zugleich erstaunlich differen¬ zierte Weltentstehungslehre in hymnenhafter Dichtung auszusprechen. Das Hauptstück dieser metaphysischen und dichterischen Produktion, das Tempelgedicht, das Bastian aus Hawai mitbrachte, bringen wir in der Reihe der Texte so vollständig, wie es bei Bastian übersetzt vorliegt, zum Abdruck. Es reiht sich ohne Sehen ein in die wertvollsten Mythologien aller Zeiten und Völker.

Oft und oft ist als Quelle aller Mythologien die Sub¬ jektivität des menschlichen Gemütes bezeichnet worden, die ihre Gefühle: Sympathien und Gegensätz¬ lichkeiten, ihre Hoffnungen und Befürchtungen, nach außen setzend sich anschauliche Verkörperungen ihrer Instinkte schaffe. In radikal objektiviertem Sinne trifft dies auf den Typus der mythologischen Denkart zu, deren Dokument jenes Tempelgedicht von Hawai bildet. Zwar ist auch hier viel naturhaft objektives Material einbezogen, aber es wird mit der Subjektivität auf eine unlösbare Art verschmolzen. In

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Abb. 6. Scbango-Tanzkeule aus Joruba (Brit. Nigeria)

den Gang der fortschreitenden Entwicklung schieben sich psychologische Elemente ein, etwa Voranlagen für Geschicklichkeiten und dergleichen. Zu diesen seelischen und intellektuellen Einstellungen treten die Götter als spätere Ent¬ wicklungsstadien hinzu, so daß auch sie durchflossen und belebt sind von einem

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ihnen und den seelischen Qualitäten gemeinschaftlichen Lebensstrom, der sich alsdann in Gestalt des menschlichen Geschlechtes auf die Erde weiter ergießt. Indem die Gottheiten selbst im Laufe der Entwicklung mitgeboren werden, wird ihnen jenes äußerliche Verhältnis genommen, das dem Urhebergott eignet. Denn in ihnen und in dem Welthaften lebt dieselbe Kraft des Werdens. Gewiß wird das Moment des Willens nicht völlig ausgeschaltet, auch diese Götter sind tatenfroh und lebenslustig. Aber es bleibt die Atmosphäre des inneren Zusammenhanges erhalten, die Götter sind gleichsam persönliche Agenten der überpersönlichen Weltenergie.

Der Gang der Weltenwicklung, wie dies Gedicht ihn schildert, vollzieht sich in folgenden Etappen. Zuerst herrscht die Epoche des sonnenlosen Dunkels, in welchem nur ganz unbestimmt „das Grundbild künftiger Welt4' geahnt wird. Die Plejaden werden erwähnt, so sind auch die Sterne wohl als existierend zu denken. Nun beginnen die eigentlichen Äonen der Entstehung. Zunächst entstehen die Seetiere, Korallen, Würmer, dann höher organisierte Tiere, auch Pflanzen. In der zweiten Epoche treten die Insekten und Vögel hervor, in der dritten die Fische, in der fünften Schildkröten und Nutzpflanzen, in der sechsten Haustiere, ferner auch geistige Veranlagungen, Kunstfertigkeiten usw., in der folgenden Mäuse und Tümmler, in der achten Gedanken, Betsprüche, Zauberformeln usw., hier also vorwiegend psychische Schöpfungen, in der achten erhebt sich dieser Gang der Schöpfung zur Entstehung der Sonne, des Menschen und der Götter, um in den folgenden Stufen nach einem brunsthaften Zwischenspiel zur Geburt des Stamm¬ vaters des hawaiischen Fürstengeschlechtes überzuleiten.

Aber auch dort, wo solch eine raffinierte Metaphysik nicht bis auf unsere Tage kam, auch dort ist das Gefühl für einen grandiosen Pantheismus lebendig und wiederholt, wie in Tahiti, in vielfacher Betonung die gläubige Beteuerung: Taaroa: der Meeressand!, Taaroa: der Untergrund!, Taaroa: das Mächtige! . usw., in einem schönen Hymnus ausgesprochen, dessen Text wir später¬ hin aufführen. Zwar kommt hier zu dem innigen Gefühl der wurzelhaften Ein¬ heit die Geste des Schaffens hinzu, aber das Wesentliche liegt doch in dem Vers: „Da verwandelte er sich in seiner Einsamkeit in die Welt." Ebenso gewaltlos si nd die späteren Erzeugungen des Nebels, der Tapferkeit, des vulkanischen Erd¬ bebens, des Sturms usw., weniger kunstvoll, aber doch im Kern eng verwandt mit dem sich verwandelnden Leben, dessen epochale Veränderungen das Tempel¬ gedicht schildert.

Noch reiner das psychische Geschehen in den Vordergrund rückend, schildert die neuseeländische Mythologie das Entstehen der Welt. Innerhalb der Ur- nacht scheidet das Dunkel als besonderer Zeitabschnitt aus, aus ihr entsteht die Sehnsucht und das Empfinden und die Ausbreitung. Dann beginnt das Leben zu

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pulsieren, daraus entstehen der Gedanke und das geistige Leben, dann das Be¬ gehren, die höchste Macht, die Glorie, aufbrausende Liebe, Besitznahme, freudige Wollust, Begattung, lebendiger Atem, und nun flutet das Weltall im Raume, ge¬ spalten in den männlichen Himmel und die weibliche Erde. Alsbald stürzen Himmel und Erde in liebestoller Umarmung ineinander. Sie sind die Erzeuger aller Wesen: Götter, Menschen und Dinge. Ihre Kinder göttlicher Art berat¬ schlagten schließlich, empört über die Fortdauer der Dunkelheit, sie zu trennen, es gelingt dem Walde, der sich dem Himmel entgegenstemmt, wie dies im Einzelnen die Geschichte erzählt, die „von höchstem Alter und seit Jahrtausenden wörtlich von Priester auf Priester überliefert“ ist, wie der Gewährsmann Bastians sagt. Von dieser Trennung an beginnt nun das eigentliche Leben der Halbgötter, bis hinab zu der Zeit, da Maui-Potiki den Tod in die Welt brachte.

Die Gestalt d es höchsten Gottes wechselt ihre Bedeutung. Meist ist es Tangaroa, der den polynesischen Olymp bekrönt. Aber er wird da und dort mit ver¬ schiedenen Sphären in Verbindung gebracht: bald ist er der Gott der Luft, bald des Meeres, bald des Waldes, bald des Himmels usw. Das meerhaft Chaotische, Kreisende, das sturmhaft Wirbelnde liegt in seiner Natur im hohen Maße aus¬ gedrückt. Er ist weniger Persönlichkeit, als eine lebendige Intuition, mehr eine Andeutung, als eine klare Ausdeutung. Das pantheistische Element, wenn wir so sagen dürfen, läßt seine Wesenheit verschwimmen, gibt ihm einen farben¬ prächtigen Charakter, der auf und ab flutet in buntester Beweglichkeit. Ihm ähneln in dieser Hinsicht die anderen Gestalten der polynesischen Mythologie. Freilich stehen sie dem menschlichen Gesehlechte und seinen Bedürfnissen näher, als der höchste Gott, und sind anschauungsmäßig enger als er mit bestimmten Naturkräften verbunden, aber auch sie haben in dieser Beziehung etwas so Differenziertes und Bewegtes, daß ihr gleichsam malerischer Grundcharakter klar ist.

Weit lockerer als in Afrika ist die Beziehung dieser Gottheiten zu ihren Ele¬ menten in der Natur, da ihre Wesenheiten im Himmel weilen, von dort her auf ihre Tempel herabschauen. Dieser Himmel aber hat z. B. in Neu-Seeland neun Terrassen übereinander, deren jede von einer bestimmten Gruppe übernatür¬ licher Wesen eingenommen wird. Und unter diesen Terrassen bildet der materi¬ elle Himmel die unterste Stufe. So ist hier jede Möglichkeit exoterischer Ineins¬ setzung von Himmel und Gottheit, die in Afrika möglich und folgerichtig ist, ausgeschlossen.

Nicht weniger kompliziert ist die Konstruktion, sobald der Aufenthalt der schöpfe¬ rischen Mächte unterhalb des Erdbodens gedacht wird, wie in M a n g a i a. Hier erscheint die Götterwelt als eine ungeheure Kokosnuß, die in verschiedenen Sphären gegliedert ist, in deren unterer Höhlung die Dämonin „Uranfang“

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hockt, während seine tiefste Spitze selbst von dem Dämon „Daseins-Wurzel" erhalten wird, über dem sieh die Dämonen „Leben-Atem" lind „Langes-Leben“ be¬ finden, eine urtümliche Dreieinigkeit, die den „Ur¬ anfang“ trägt. Diese Dämonin nun löste von ihrer rechten Seite ein Stück ab, aus dem ein Fisch-Mensch hervorging: namens Vatea, er wurde der Vater der Götter und Menschen. Die ersten menschlich gebildeten Wesen waren zwei Zwillingssöhne Vateas: Tangaroa und Kongo, von denen Rongo als der mächtigere galt. Der metaphysisch-psychische Grundcharakter dieser Kon¬ zeption ist deutlich. Der Ausgang wird vom punkthaften Uranfang genommen, die Vibration tritt hinzu und leitet durch den Gedanken der Dauer zum mütterlichen Leben über, aus dessen fruchtbarem Boden dann die Leuchtkraft Vateas entspringt, die dann wiederum die Vorbedingung für die Wirksamkeit der anderen Gottheiten bildet.6) Zehn Himmel wölbten sich über Mangaia, das den oberen Ab¬ schluß der Unterwelt bildete.

Das eigentlich Schöpferische ist diesen Göttern nicht zu zeigen. Oft wird auch die verhältnismäßig lockere Ver¬ bindung mit Naturerscheinungen noch zu schwer emp¬ funden, dann überläßt man die aktive Seite der Welt¬ ordnung dem Halbgotte Maui, der die populärste Pvolle des polynesisehen Kulturheros spielte. Durch ihn geht das überwiegend psychische Wesen des Göttlichen über in die Aktivität.

Es entspricht diesem Sachverhalt, daß die göttliche Kraft in Polynesien überströmt in die Existenz menschlicher Wesen, vor allem in die Führergeschlechter, welche ihren Stammbaum verwurzelt finden in dem Gang jener Entwicklung, die wir in dem Tempelgedicht ausführlich angegeben sehen. Wohl treffen wir auch in Afrika, z. B. in Dahomey, Benin, Königsgeschlechter, deren jeweilige Abb. 7. Ifä-Klopfer aus Ife Vertreter göttliche Achtung genossen. Aber nirgends

Brit. Nigeria scheint es zu jener systematischen Kodifizierung solcher

Auffassung gekommen zu sein, wie in Polynesien, wo die weitreichende und tief¬ greifende Institution des Tabu die verschiedenartigste Nutzanwendung gewähr¬ leistete. Denn die Tabuierung eines Gegenstandes, Landstriches und Einzeldinges

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welcher Art auch immer, entzog ihn dem profanen Gebrauch und Besitz. Die Einzelheiten dieser für die Siidsee so überaus charakteristischen Einrichtung sollen hier nicht näher erörtert werden. Das Wichtigste ist gegenwärtig die Ein¬ sicht in den inneren Sinn Zusammenhang zwischen der geistigen Metaphysik und dieser ihrer Äußerung auf religiös¬ sozialem und religiös-politischem Gebiet. Er liegt darin, daß sowohl die Meta¬ physik, wie das politische Leben Poly¬ nesiens die religiöse Eigenschaft der Heiligkeit auch in spezifisch m e n s c h - liehe Sphären der Wirklichkeit ver¬ legen. Während der afrikanische Typus der Religiosität das anorganische Gebiet: Himmel und Erde in den Vordergrund stellt.

Indem so der Schwerpunkt der Reli¬ giosität höher gelegt wird, ändert sich auch die ganze Einstellung des Menschen zur Natur, ln Afrika haben wir eine fort¬ dauernde Bedrängtheit von großen Na¬ turkräften, in denen überall unheil¬ drohende Gewalten gesehen werden, ln Polynesien ist’s ganz anders: „mehrfach habe ich ältere Kolonisten in Neuseeland erzählen hören, wie sie bei gefährlicher Seefahrt in gebrechlichem Canoe oft ge¬ staunt hätten, wenn sich unter Sturmes- gebraus und Wogenschwall die Gestalt des alten Tohunga(-Priester) erhoben, um

Abb. 8. Fetischfigur der Bassonge (mittleres Kongogebiet)

so laut es seine Stimme erlaubte, dem Meere und dem Winde ein Schweigen zuzurufen ", erzählt Ad. Bastian.7) Diese in so manchen Zaubersprüchen sich erweisende gebieterische Haltung gegenüber der Natur ist die logische Folge des überragenden Wertes des Mennschen als eines Kindes jener Gewalten, die selbst die unmittelbare Herrschaft über die Natur ausüben. Und sie unterstreicht nur noch stärker die von uns betonte deutliche Trennung der geistigen Göttlichkeit

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von ihrem naturhaften Machtbereich. Denn wäre solche scharfe Scheidung nicht vorhanden und bewußt gewesen, so hätte der Neu-Seeländer nur die Wahl zwischen widerspruchsloser Unterwerfung oder flehender Bitte um Verschonung gehabt. Die Haltung der gebietenden Autorität gegenüber verderblichen Natur¬ erscheinungen ist der Ausdruck des Bewußtseins einer Getrenntheit von Gott und Gott-Mensch gegenüber der Natur.

Die m e 1 a n e s i s c h e n Inselgruppen Ozeaniens haben in keiner W eise teil an der Größe polynesischer mythenbildender Formkraft. Zwar erinnert mancherlei in den Begebenheiten, die mit den Namen Qat, Tagaroa, Suque und Lata sich verbinden, an polynesische Gottheiten. Aber es erscheint das ganze Niveau ins Novellistische übersetzt und herabgezogen. So tritt Qat als einer von 12 Brüdern auf, führt die Schöpfung aus und fährt dann in einem Ruderboote auf und davon, banaler kann ein Gott nicht gut erscheinen und verschwinden! So sind auch die anderen Figuren der Legenden ohne innere Größe. Alle wirk¬ lich bedeutende Religiosität wendet sich den Geistern der Verstorbenen zu, da die melanesische Art „nur Anschauungen auf Grund realer A^orbikler kennt und (ihr) transzendentes Denken unmöglich ist . . .“, wie denn ein Eingeborener erklärte: „Es gibt keine Götter in Nauru als nur die Seelen der Toten “.8)

Die kosmogonischen Erzählungen Mikronesiens gar klingen wie spiele¬ rische Phantastik. So wird in der Sage von der Welt-Entstehung der Marshall- Insulaner (Rälikgruppe) zuerst ein Wesen namens Loa oder Lowa ange¬ nommen, das zum Meere sprach: „Schau dein Inselriff!'' da erschien ein Riff, dann wiederum: „Schau deinen Sand!“ da erschien Sand auf dem Riff. Tn gleicher Weise erhüben sich auf den Befehl Lowas Pflanzen und Vögel, die weiße Möve schwebte in die Höhe und spannte kreisend das Himmelsgewölbe aus. Ebenso erschienen auf Lowas Wort vier menschliche Repräsentanten der vier Himmelsgegenden. Dann wuchs Lowa ein Blutgeschwür am Bein, aus dessen Aufbruch Wulleb und Limdunanij hervorgingen, Wesen, die vielleicht Ver¬ körperungen des festen Riffes (Wulleb) und des lockeren Felsens (Limdunanij) bedeuten könnten. Von dem zweiten Wesen wurden zwei männliche Repräsen¬ tanten des Zeniths und des Nadir geboren: Lanej und Lewoj. Der Stengel einer Pfeilwurzel ermöglichte ihnen den Aufstieg zum Himmel. Das friedliche Zu¬ sammenleben dieser Wesen wurde durch Mordpläne gestört, die sich gegen Wulleb richteten, durch lange Nachtwachen ermüdet stürzte er vom Himmel herab. Wie nun aus seinem Blutgeschwür Edao und Jemäliwut hervorgingen und was sie vollführten, um Zauberschildpatt zu holen, erzählt eine Sage, deren Text wir später geben. Edao fand nach allerlei Abenteuern in den Gilbertinseln seinen

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Tod, Jemäliwut, dem er mit seinem Schabernack das Leben schwer machte, ward zuguterletzt in einen Silberbaum verwandelt.9)

Noch phantastischer, aber zugleich viel kleinzügiger, fast kunstgewerblich klingen manche indonesische Mythologien, z. B. die folgenden der Niasser. Im Anfang war es finster. Es gab zwei Winde, der eine war schwarz, der andre war rot. Der Rücken des roten Windes war bemoost, und aus ihm erwuchs ein rotes Holz, oben auf seiner Spitze aber trug er Früchte und aus einem von ihnen entstand ein Mensch: Sihai, der Stumme, oder Sihai, der ohne Bewegung ist. Weder Arme noch Beine hatte er, sondern nur einen Rumpf ohne Kopf. Ein, nach Sundermanns Angabe böser Dämon formte ihm Arme, Beine und Kopf. Neun Nasen¬ löcher und neun Münder hatte er, und sein Atem stieß neun verschiedene Winde aus. Auf dem Rücken dieser neun Winde wuchs wiederum Moos, das zugleich Erde war. Daraus wuchs ein Baum, aus dem zwei dämonische Wesen entstanden. Afocha und Nadaoja. Aus einem Fruchtkolben des Baumes ward der Mensch, dessen Urenkel Sirao, der eigentliche Mensch der irdischen Menschen ist, dessen Schöpfung eine andere Version dem Gotte Lowalangi zuerteilt.

Diese andersartige Version der Weltentstehung gibt dem Rezitativ, dessen Text wir späterhin (S. 167) ausführlich zitieren, den mythologischen Rahmen. Über der Erde gibt es noch acht Schichten, die allmählich entstanden sind und von denen die Bewohner allmählich herabsteigen. Im Anbeginn wehten nur acht Winde, diese kamen zusammen und aus ihnen erwuchsen zwei Bäume. Aus den Frucht¬ kolben des einen ging ein Halbgott Latoere hervor, aus einem anderen Frucht¬ kolben dieses Baumes fernerhin eine Abfolge schädigender Dämonen, nach dem Stammvater Afocha genannt, als Menschenseelen-Jäger gefürchtet. Aus einem Fruchtkolben des anderen Baumes ging der Gott Lowalangi hervor, aus einem anderen Fruchtkolben aber ein Mensch noch ohne Leben. Trotzdem ihm Lowa¬ langi Leben gab, starb er wieder, aber aus seiner Herzgrube schoß ein anderer Baum auf, aus dessen goldenen Fruchtkolben wiederum ein Mensch entstand. Er wurde von Lowalangi zum Menschen gemacht, und seine Seele ward ihm zuge¬ wogen. Dann ward der Mensch als Geschenk gleichsam an Latoere, jenen Halb¬ gott, der der Stammvater der schädlichen Dämonen ist, gegeben, der über ihn verfügen kann. Die Nachkommen dieses ersten Menschen nun enthalten unter anderen in ihrer Reihe auch den Sirao, dessen Söhne zuerst unsere Erde be¬ völkerten. Bis zu ihm hin wohnten nämlich die Menschen in den neun Stock¬ werken des Himmels, erst seine Nachkommen ließen sich auf die eigentliche Erde nieder. Jene mythologischen Vorgänge der Entstehung von Bäumen, aus denen Götter und Menschen sprossen, spielen sich ebenso jenseits des Himmels ab, wie auch der Schauplatz der zuerst berichteten Kosmogonie der Himmel ist. Das Rezitativ, das wir in seinem Texte später ausführen, gibt dann eine dritte

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Version, die offenbar unvollständig ist, deren Voraussetzung gleichsam athmo- sphärischer Art aber aus den anderen Erzählungen klar wird.10)

Die no rd amerikanische Götter weit hat einem dritten Typus mytho¬ logischer Art zur Ausprägung verholten. Es tritt in ihr nämlich die in Afrika und Ozeanien irgendwie faßbare Gestalt des obersten Gottes zurück in die Unbe¬ stimmtheit des „großen Geheimnisses“, man darf sagen: des unbekannten Gottes. Dafür wird der Kultur heros überall in überragender Stärke sichtbar. Er ist es, der die Menschen zu dem macht, was sie sind. Gewöhnlich handelt er im Auf¬ träge jenes Gottes, der nur wie ein pathetischer Hintergrund wirkt, vor dem sich das menschliche Geschehen abspielt. So wird die dem göttlichen Prinzip inne¬ wohnende Tatkraft einseitig verstärkt und in den Vordergrund gerückt, sie ist es, die in den Mythologien am schärfsten hervortritt. Denn diese Mythen erzählen von den Wandlungen, welche die Menschen, bezw. der betreffende Stamm, der den Mythus glaubt, unter der Anleitung jenes Kulturheros durchgemacht haben. Überall ist es ein durchaus aktiver, handlungsfreudiger Zug, der die Gestalten im Einzelnen und in ihren Gruppen belebt. Daher haben diese Legenden denn auch einen gleichsam historischen Charakter erhalten, und die Atmosphäre der Einmaligkeit des Geschehenen umlagert sie, durchdringt sie.

Es unterstützt die ganze Art dieser Auffassung ein Sonderzug der nordamerika- nischen Mythen, der sie scharf von den afrikanischen und ozeanischen Legenden¬ bildungen unterscheidet, die Anerkennung eines grundsätzlich schadenbringen¬ den Prinzips, ausgedrückt in der Persönlichkeit eines Wesens von göttlichem Rang, das dem eigentlichen Weltschöpfer entgegen handelt. An mehreren Stellen der Mythenwelt finden wir solche Gestalten. Und es scheint doch wohl sekundär wichtig, ob diese Antithese zum gutartigen Schöpfergott missionarischem Einfluß in ihrer Existenz überhaupt oder in ihrer einzelnen Ausprägung zu verdanken sei. Die afrikanischen Völker und die ozeanischen Inseln sind den gleichen Ein¬ flüssen ausgesetzt gewesen, ohne ihnen zu unterliegen, warum sollte ihnen die an sich so sehr viel stärkere und zeugungskräftigere indianische Phantasie so sehr unterlegen sein? Das scheint schwer glaublich. Aber selbst wenn dies der Lall wäre, würde diese übrigens durchaus produktive Aufnahme des biblischen Teufels-Gedankens einen echt amerikanischen Wesenszug wenigstens als in seiner Anlage schon vorhanden beweisen: den zur Dramatik. Denn der Widerspruch zwischen den förderlichen und dem lebenshemmenden Prinzip ist scharf zu ge¬ spitzt und drückt sich in gegensätzlichen Handlungen aus. Sonderbar wäre es, wenn eine so tiefgehende Anlage sich nicht von selbst sinngemäß geäußert hätte.

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Diese ganze Einstellung der amerikanischen Mythologie mit ihrer handlungs¬ freudigen Dramatik enthüllt ihre innere Verwandtschaft mit der organischen Artung ihres Impulses noch stärker dadurch, daß sie teilweise den Kultur¬ heros in tierischer Gestalt verkörperte, und auch dadurch, daß sie oft bestimmten Tieren die Leitung von großen Naturmächten überträgt und z. B. den Adler den Donner, den Hasen das Morgengrauen, die Eule die abendliche Dämmerung hervorrufen läßt. Es bedeutet dann eine geringe Unterscheidung, ob diese Tiere durch ihr „Orenda“ die Natur regieren oder ob es heißt, daß

Abb. 9. Schale für Ifakerne aus Joruba (Brit. Nigeria)

riesige Vögel durch ihren Flügelschlag und das öffnen und Schließen ihrer Augen Donner und Blitz erwecken oder daß der Donnervogel mit seinen Flügeln Pfeile abschießt usw. Das Wesentliche bleibt die Zusammenballung der Naturkräfte zu menschlichen und tierischen Personifikationen und Aktivitäten, und dann das Hervortreten und Wirksamwerden in dieser Gestalt, so daß also die Naturmacht mitgerissen wird in den Gang der Handlung, die von dieser oder jener mytho¬ logischen Figur ausgeht. Während der afrikanische Gott, wie der Trowo von Togo, in den Dingen selbst vergegenständlicht und immobilisiert wird, tritt in der

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Gestalt des amerikanischen Gottes hier die Natur als selbständig handelnde Wesenheit in die Erscheinung; und so kann sie etwa in den magischen Kuren der Navajos in schauspielerischer personaler Maske auftreten.

Innerhalb dieses Grundcharakters sind nun mancherlei Unterschiede wirksam, und selbst auf verhältnismäßig engem Raume auseinander zu halten. So kennt

Abb. IO. Beratungsstuhl aus Banium (Kameruner Grasland)

der Norden von Kalifornien eine Rasse der Urzeit, die ein vorbildliches Prototyp der irdischen Menschheit war und alle menschlichen Einrichtungen und viele Naturerscheinungen hervorbrachte; daneben stehen Sagen von Kulturheroen. Mittel-Kalifornien dagegen kennt eine wahrhafte Erschaffung der Welt und Menschheit. Die Vorstellung des Schöpfers bleibt etwas unbestimmt, wird aber dramatisiert durch das Widerspiel des schädlichen Prinzips, verkörpert im Coyote,

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der den Tod in die Welt bringt. In Süd-Kalifornien endlich werden alle Dinge von Himmel und Erde als ersten Eltern hervorgebracht, unter Führung eines oder zweier Kulturheroen entwickelt sich die Geschichte der menschlichen Institu¬ tionen. Bei manchen Stämmen hat der Kulturheros die göttliche Gestalt völlig verdrängt, so z. B. bei den Ilaida, deren Kulturheros: der Rabe, ihnen zur gültigen Norm für ihr Tun und Treiben geworden ist.

Es ist interessant, zugleich zu bemerken, daß bei den Nordamerikanern der Kul¬ turheros die normative Quelle der anerkannten Moral geworden ist. In Afrika ist es da und dort der Himmelsgott, der mancherlei Gebote erlassen hat, bei den Ozeaniern ist es die Tradition, auf die alles zurückgeführt wird. Bei den Nord¬ amerikanern ist es die Tatkraft eines oder zweier Übermenschen, die einen histo¬ ristischen Charakter tragen. Diese Unterscheidung ist in dieser Formulierung gewiß einseitig, da sie der Wichtigkeit Mauis in Polynesien nicht gerecht wird, aber sie betont dennoch die wesentlichste Differenz.

Die amerikanische Mythenwelt inhaltlich hier auch nur andeutungsweise zu skizzieren, fehlt es an Platz. Eine ganz außerordentliche Kraft der Darstellung im Einzelnen und im allgemeinen Kontur zeichnet sie aus. So beginnt die Welt¬ entstehungslehre der Zuni-Indianer, deren ausführlicher Text späterhin zu finden ist (S. 184 ff.), mit der einsamen Existenz Awonawilonas, des Urgeistes, der sich in die Sonne verwandelt und Himmel und Erde hervorbringt. Aus der Vereinigung von Vater Himmel und Mutter Erde entstehen Geschöpfe, die im Bauche der Erde nach der Möglichkeit eines Auswegs suchen. Der weiseste der Weisen: Poshai- yankya, ersieht ihn, aber gelangt nur für sich allein ins Freie. Er eilt zum Sonn¬ vater und bittet ihn um Befreiung der Menschen. Sonnvater läßt zwei Befreier erstehen, zwei Brüder, denen er herrschaftliche Gewalt über die Erde verleiht. Sie öffnen mit magischen Messern die Tiefe der Gebirge und führen die Menschen herauf. Die befreiten Urmenschen waren noch tierhaft: schwarz, mit schuppiger Haut, Fledermausohren, kriechend. In der Oberwelt bilden sich nun die schon früher bemerkbaren Anlagen zur Priesterschaft und Weisheit aus. Die Organi¬ sation des Menschen in zwei Stämmen, dem Sommer- und Winterstamm, wird in die Wege geleitet, gemäß ihrer inneren Veranlagung wurden die Menschen bald der einen, bald der anderen Unterabteilung der beiden Hauptgruppen zu¬ geteilt. Heiratsgebote, Symbole, religiöse Brüderschaften stellen sich ein. Damals nun war die Welt noch im wogenden Zustande des Chaos. Erdbeben, Dämonen, Tierverwandlungen erwecken allgemeine Angst und treiben die Menschen zu neuen Wanderungen. Unter Führung der beiden Brüder suchen sie die ruhige Mitte der Welt. Zunächst beruhigen die Führer gemeinsam mit Sonnvater, der sie berät, die Natur, im vulkanischen Unwetter reinigen sie die Welt von Un¬ geheuern. Weitere Wanderung bringt sie mit anderen Menschen zusammen, von

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denen sie zauberkräftige Zeremonien lernen. Erneute Wanderungen. Ein wich¬ tiges Ereignis geschah bei dem Durchschreiten eines Flusses: vom Schauer er¬ griffen, warfen Mütter ihre kleinen Kinder ab, sie stürzten verschrumpfend ins Wasser, verwandeln sich in Eidechse, Chamäleon, Schildkröte usw., ihre Seelen aber sinken in die Tiefe des Totenreichs, wo sie von den einem Inzest ent¬ sprossenen Geistern elementarischer Urkräfte aufgenommen werden. Diese wie jene treten in einer wichtigen Zeremonie der Zunis auf, im Kaka-Tanz. Dort er¬ hält auch ein Abgesandter der Wanderer Belehrung über Tanzzeremonien usw. Nach wieder erneuter Wanderung werden die Menschen endgültig in richtige

Abb. II. Steinidole von den Necker-lnseln (Hawaigruppe)

menschliche Wesen verwandelt, Kriegsgötter und Priesterschaft werden einge¬ setzt. Endlich bezeichnet der Sonnvater selbst, in tierischer Gestalt, die gesuchte Mitte des Landes. Nun beruhigt sich die Welt. Die Ahnengeister organisieren die Maskentänze, die Maisgottheiten werden heimisch gemacht, das Kulturleben nimmt seinen Anfang.11)

Einen wesentlich anderen Charakter tragen die nordwest a m erikani - sehen Sagen, in deren Mittelpunkt vielfach der Rabe steht. Das was in anderen Gebieten menschenhaften Heilbringern zu vollbringen auferlegt wird, dies geschieht hier durch die Wunderkraft des Tieres, dem doch menschlicher Geist innewohnt. Eine Atmosphäre von Jägertum schwebt um diese Legenden.

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Listigkeit, Hinterhältigkeit und Klugheit, Abenteuerlust und Dienstbeflissenheit gehen ein sonderbares Gemisch mit Heroismus und Wohltätigkeit ein. Ein ge¬ wisser Hintergrund großartiger Phantastik fehlt nicht, bleibt aber in weit größerer Entfernung, als in den südlicheren Gebieten Nordamerikas. Als Beispiel solcher Raben-Mythen sei die Erzählung der Haida herausgegriffen.

Tn der Urzeit breitete sich über die grenzenlose Weite des Meeres die ebenso grenzenlose Weite des Himmels aus, aber es gab schon übernatürliche Wesen und sie saßen zu Häuf auf einem Eelsenriff inmitten der See. Der Rabe allein flog umher, ohne einen Halt für sein Niedersitzen zu finden. Da wandte er sich dem Himmel zu und kletterte zu ihm empor. Dort fand er im Himmelsland eine Ortschaft, und in dieser Ortschaft hatte die Häuptlingstochter gerade ein Kind geboren. Bei dem Einbruch der Nacht zog der Rabe das Kind aus seiner Haut und kroch selbst hinein. Aber man gab dem „Kinde“, da es so jung war, nichts zu essen. So flog der Rabe denn nächtlicher Weile durch die Ortschaft und pickte da und dort den Einwohnern Augen aus. Einer alten Frau blieb dies nicht ver¬ borgen, sie rief das Volk zusammen. Aber als man das kleine Wesen packte, ließ man es versehentlich fallen, da stürzte es nieder aus dem Himmelsland auf die Oberfläche des Meeres. Hier schwamm es einige Zeit herum, bis der Rabe mehrfach die Stimme vernahm: „Dein mächtiger Großvater lädt dich zu sich.“ Er fand alsbald einen Hauspfahl, stieg an ihm nieder und fand in dem Hause einen alten Mann in Gestalt einer Seemöve, die ihm zauberkräftige Dinge gab. Als er sie richtig zu nutzen gelernt, schuf er das Land der Haida usw. eine große Schöpfertätigkeit und Organisation der Weltelemente beginnt jetzt. End¬ lich, nachdem er die Welt so ziemlich geordnet, wird er von einem Bergdämon adoptiert und läßt vier Menschengruppen aus dem Erdboden entstehen: die Tsimshian, Haida, Kwakiutl und TJingit. Die weitere Erzählung beschäftigt sich dann mehr mit den Schicksalen der Haidaclane im Einzelnen.12)

Das Bild des Gottes

Die Zahl der erhaltenen Götterbilder primitiver Gebiete ist verhältnismäßig klein und auch die Bezirke, denen sie entstammen, sind geringfügig. Den weitaus größten Anteil haben die Gebiete von Oberguinea, Nordamerika und einige Inseln der Südsee. An anderen Punkten haben wir etliche Überreste von Re¬ präsentationen mythischer, hochgestellter Wesen, so in Australien die Darstellung einer legendarischen Schlange, doch ohne eigentlichen Kunstwert. Diese Be¬ schränktheit des Materials kann bei näherer Betrachtung nicht Wunder nehmen. Denn der Charakter der Überweltlichkeit ist gerade das, was jenen Primitiven, die für uns allein in Betracht kommen können, entgegengesetzt ist, ihnen

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wesensgemäß ist nur das Konkrete, anschaulich Ge* gebene und der Einfühlung Offenstehende. Wenig¬ stens liegt hier der Hauptakzent mit solcher Stärke, daß nur dort auf künstlerische Annäherung gehofft werden kann, wo auf irgend eine Weise die natur¬ hafte, leiblich unterbaute Vermittlung zwischen dem Menschen und dem Gegenstände geschaffen wird. Eine solche Vermittlung ist überall dort aus¬ geschlossen, wo der Gott in reiner oder zum mindesten angestrebter Transzendenz oder Unbe¬ stimmtheit konkreter Formulierung verharrt. Sie ist dagegen dort tunlich, wo ein lebensvolles Binde¬ glied angenommen wird. Wo eine Gottheit genea¬ logisch als Ahnherr fungiert, wird kunsthafte Dar¬ stellung in Frage kommen. Dieser Grundsatz be¬ weist sich denn auch überwiegend bei jenen drei Gebieten. In Joruba und in der Stidsee ist die Gott¬ heit der direkte menschlich gedachte Ahnherr der Familie, in Nordwestamerika ist der dort zur Dar¬ stellung gelangende Kultur-Heros zugleich der tierisch-totemistische Vorfahr dortiger Geschlechter, jener Grundsatz weist übrigens nur auf eine ein¬ schränkende Voraussetzung der Bildnerei hin. Keineswegs will er besagen, daß überall dort, wo totemistische oder ahnenkultische Verhältnisse vor¬ liegen, nun auch wirklich gleichsam automatisch bildnerische Tätigkeit einsetzen müsse. Man braucht nur nach Australien zu blicken, um sich sogleich davon zu überzeugen, daß auch die intensivste Frömmigkeit ohne künstlerisches Ergebnis, wenigstens in plastischer Beziehung, bleibt, wenn die besondere Veranlagung nicht vor¬ handen ist. Die ästhetische Funktion hat eine Selbständigkeit inne, die schon auf frühen Stufen sich dokumentiert, wenn auch in diesem Falle in negativer Weise.

Ein Zwittergebilde von Gottheit und Fetisch stellt die Figur des Legba der Eweer dar: ein menschenähnliches Tongebilde mit großem Genitale, das auf den Charakter des Fegba als Gott der Fruchtbarkeit und Zeugungskraft un¬ zweideutig hinweist. Der künstlerische Wert ist regelmäßig gleich Null, jene symbolische Hinweisung mit ihrem zugleich magischen Charakter genügt allen volkstümlichen Anforderungen.

Abb. 12. Götterbild aus Hawai

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Der jorubis ehe Götter liimmel stellte der Plastik mancherlei Aufgaben. Der höchste Gott Olorun freilich blieb ohne bildhafte Darstellung, da ihm auch kein Kultus gewidmet wurde. Wohl aber sind es die untergeordneteren Götter gewesen, die mit ihrer zwiefachen Funktion als Stammvater eines Geschlechtes und als Gott bestimmter Sphären zur Verbildlichung reizen konnten.

Da haben wir vor allem S c h a n g o (Abb. 6), den Donnergott, den Sohn der Allmutter Jemaja. Frobenius berichtet von ihm eine Legende, der zufolge Schango einstmals ein König gewesen wäre, der später erst zum Orischa geworden sei.13) So haftet an seiner Gestalt noch menschliche Wesensart und gibt seinem Kultus den vertraulicheren Hintergrund. Seine Abzeichen sind Steinbeile, Tanzkeulen, Rasseln, Ledertaschen, Töpfe usw. Der Widder ist ein heiliges Tier und so ist er selber widderhäuptig dargestellt.14) Höher in der Rangordnung des jorubischen Olymps steht das Paar Obatalla, der Llimmelsgott, und die Göttin der Erde, O d u d u a. Jenen stellen wohl die bekannten Statuetten eines Reiters zu Pferde dar, der manchmal von Sklaven begleitet wird (Abb. 5) die Erdgöttin die Plastik einer Mutter mit dem Kind an der Brust.15) Von den untergeordneten Göttern hat hauptsächlich E d s c h u den Schnitzern Anregung gegeben, seine Bilder zeigen ihn im Profil, mit riesigen Füßen, unbekleidet, geschlechtslos, als besonderes Merk¬ mal hat er immer lange Zöpfe.16) Seine Statuette wird regelmäßig neben die If a- Bretter aufgestellt, die der Wahrsagekunst dienen. Dieser Gebrauch, sich der Ifa- oder Palmkerne zum Orakelwurf zu bedienen, hat seinerseits der Schnitz¬ kunst mancherlei Gelegenheit gegeben, die benötigten Bretter und Schalen zu schmücken. Der Rand der Ifabretter wurde mit vielerlei naturalistischen Orna¬ menten bedeckt, die Schale, in der man die Kerne auf bewahrte, wird von Figuren getragen, die oft genug ins Genremäßige und Naturalistische verfallen, aber doch vielfach eine bedeutende Kunstleistung darstellen (Abb. 9).

In eine künstlerisch weit höhere Sphäre heben sich die seltsamen Doppel- Masken der Ekoi vom Kreuzfluß in Kamerun. Das eine Antlitz trägt männliche Züge, oft die eines Toten, zur Schau, das andre weibliche Gesicht blickt lebendig mit groß geöffneten Augen. Vater Himmel und Mutter Erde sind es, die hier vereint werden in den ergreifendsten Masken afrikanischer Herkunft.17) Manchmal tritt an die Stelle des weiblichen Gesichtes ein zweites männliches, aber auch dieses ist nur eine Parallelerscheinung zu der Verwandlung der Mutter Erde in Vater Erde, die im Laufe der Zeit eingetreten ist; die ursprüngliche Idee bleibt aber in Opfergebeten usw. lebendig. Das Problematische freilich ist das Totengesicht des Vaters Himmel. Man darf hier darauf hinweisen, daß bei nige- rischen Stämmen der Himmelsgott zugleich Herrscher im Totenreich ist, so daß man in Kamerun wohl eine gleichartige Vorstellung annehmen darf.18)

In Ozeanien ist die Ausbeute an plastischen Darstellungen der polynesischen

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Gottheiten geringer, als in Afrika, /.war ist an Skulp¬ turen aus Holz und Stein kein Mangel, wohl aber ver¬ mindert die Zweifelhaftigkeit der Benennung erhaltener Figuren die Identifikation der Statuen. So sind z. B. auf den Marquesas-Inseln eine Reihe von bedeutenden Steinskulpturen erhalten, die Baeßler19) abgebildet hat, aber man weiß nicht, welche genauere Bedeutung sie haben mögen. Bestimmtere Kunde kam von den Oster¬ inseln, daß die dort in Malereien und Skulpturen häufige Gestalt eines Vogels auf den Hauptgott Make-Make zu beziehen sei.20) Seine Vogelgestalt trägt oft zwei Köpfe, vielleicht, um das männliche und das weibliche Prinzip zu veranschaulichen.

Auf den andren polynesischen Inseln ist es nur Hawaii, das

einen

größeren

sein

eigen nennt.

Reichtum erhaltener Gottesbilder Man kennt den Kriegsgott Kukai- limoku aus einer ganzen Reihe seiner großen Feder¬ köpfe21), den Fischgott Kuul a, die Vulkangöttin P e 1 e aus vereinzelten Skulpturen (Berliner Museum für Völkerkunde), aber die identifizierende Ausbeute ist nicht umfangreich. Immerhin ist der übliche Typus der hawaiischen Gottheiten, der bei den meisten Figuren sich gleicht, deutlich: der groß aufgerissene Mund, die riesigen Augen, das mächtig wallende Haar. Es liegt in ihnen der gleiche Sinn sichtbar ausgesprochen, der auch die hawaiische Mythologie durchwaltet, die Tendenz zur großen, geschwungenen Formensprache malerischen Charakters. Sie würden diesen Charakter noch sicht¬ barer zur Schau tragen, wenn sie so erhalten wären, wie wir sie aus den alten Reisebeschreibungen kennen : prunkvoll gekleidet und mit Stoffen, Blumen und anderem Schmuck umgeben.22)

Wie sie aufgestellt waren, zeigen die Illustrationen der Reisebeschreibungen von Cook usw. Sie standen z. T. in den heiligen ummauerten Bezirken der Maraes (Abb. 4), z. T. unter einfachen Dächern, die sie vor dem Regen schützten, z. T. waren sie in Hütten aufgehoben, aus denen sie für große Feierlichkeiten hervor¬ geholt wurden. Das eindrucksreichste, volkstümlichste Fest scheint bei der Ein¬ setzung eines neuen Herrschers sich entfaltet zu haben, bei welchem die Statue eines Gottes ihm vorausgetragen wurde, während er zum Meere, um dort unter-

Abb. 13. Götterbild Rongos von den Hervey-Inseln

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zutauchen, wandelte und während er wieder zurück¬ kehrte.

Die Gestalt M a u i s , des polynesischen volkstüm¬ lichen Weltordners, scheint uns einmal mit einiger Wahrscheinlichkeit in einer geschlechtslosen, ein¬ äugigen. wagerecht liegenden, zum Himmel auf- schauenden Figur in der Bugverzierung eines Neu¬ seeländischen Hriegskanus erraten zu sein.23) Nordwest-Amerika hat keine eigentlichen Götterbilder, da im Vordergründe der dortigen Mythenwelt der Rabe steht. Aber von der Gestalt dieses Demiurgen ist eine Fülle von Anregungen in die plastische Kunst jener nordwestlichen Gegenden Nordamerikas geflossen. Denn er galt ihnen als Lichtbringer, Urheber des Lebens, war ein Sinnbild der Sonne. Auf Pauken, Trommeln, Rasseln tritt er in mannigfacher Art als Ornament oder als voll- plastische Gestalt, zumeist mit anderen symbol- kräftigen Figuren vereint, auf. Besonders günstig war seine Vogelgestalt für die Form der Rassel geeignet (Abb. 16). Und so sehen wir solche Rasseln vor uns, die einen Raben darstellen, der in seinem etwas auf gesperrten Schnabel ein rotbemaltes Stück¬ chen Holz, als Symbol des Lichtes und der Sonne, hält. Auf der nach unten gewendeten Brustseite trägt er ein großes Gesicht zur Schau: das Bild der Sonne. Auf seinem Rücken spielt sich eine Szene voll symbolischer Bedeutung ab. So liegt auf der einen Rassel eine menschliche Gestalt mit Wolfs¬ kopf ausgestreckt, die einen Frosch auf der Brust trägt, in dessen Zunge von rechts her der Schnabel eines Vogels beißt, bei der anderen Rassel beißt der Vogel unmittelbar

in die Zunge der

Abb. 14. Götterbild Rongos von den Hervey-Inseln

Gestalt selbst. Seler24) hat diese oft wiederkehrende Gruppe dahin gedeutet, daß die zurückgelehnte Gestalt des Wolfes usw. als Sinnbild der untergehenden Sonne, der Vogel als Totenvogel: als Eule, aufzufassen sei. Das Beißen würde eine auch sonst oft als zauberkräftig auf¬ gefaßte Handlung bedeuten, die sich auf den Glauben an das fließende Blut als magisch wirksame Substanz gründet. Im Ganzen haben wir somit in den Rasseln ein Bild der Mächte der Natur vor uns: unten die auf gehende, lebensspendende

Sonne, obenauf die untergellende Sonne, beide in der Gewalt des Raben, des Weltgestalters, wenn auch nicht Schöpfers und Gottes.

Die eigentlichen Götter gestalten Nordamerikas sind auf ein ver¬ hältnismäßig kleines Feld begrenzt, die Pueblos, eine Yölkergruppe, die auf den Hochebenen von Arizona, Neumexiko, Colorado, Utha usw. wohnt, und zu denen u. a. die Zunis, die Navahos usw. gehören. Unter ihnen sind die Navahos von wesentlicher Bedeutung. Denn ihre Mythologie hat jenen merkwürdigen Sand¬ malereien den Inhalt und auch die Form gegeben, die zwar schon hin und wieder das Interesse der Mediziner und der Religionsphilosophen, aber sonder¬ barer Weise noch nicht die Aufmerksamkeit der Kunstliebhaber geweckt haben, und doch gehören sie nicht nur zu dem Reizendsten, was die Naturvölker auf ästhetischem Gebiet geschaffen haben, sondern sie haben auch Anspruch auf eine absolute Geltung im Bezirke des künstlerischen Ausdrucks.

Skizzieren wir zunächst andeutungsweise den mythologischen Hinter¬ grund, aus dem diese farbigen Gebilde hervortreten. Wieder, wie bei den ver¬ wandten Zunis, handelt es sich um eine urzeitliche Rasse, die, von einer Flut aus der unteren Welt vertrieben, auf wundersam wuchernden Grashalmen das Himmelsgewölbe der oberen Welt erreicht. Mit diesen noch halb tierisch anzu¬ schauenden Menschen kamen Götter in menschlicher Gestalt auf die Erdober¬ fläche. Menschenfressenden Ungeheuern, die nun aus der Vermischung der ver¬ schiedenartigen Wesen entstanden, fielen alle Menschen zur Beute bis auf eine Frau. Diese aber gebar durch die Bestrahlung der Sonne eine Tochter, die wiederum vom Wasserfall einen Sohn empfing, der zum Kulturheros wird. In anderen Versionen ist er der direkte Sohn der Sonne und er hat dann auch einen Bruder. Sie machen sich auf den Weg zur Sonne, werden verschiedenen Proben unterworfen, schließlich von der Sonne mit Waffen ausgerüstet, um die Ungeheuer zu bekämpfen. Sie steigen nieder, töten die meisten Untiere, nur ein paar lassen sie leben, wie Armut, Kälte, Alter, alsdann formen sie auch die Menschen, lassen Ackerbau usw. werden, führen die magischen Heilkuren ein .... schlie߬ lich verlassen sie die Erde.

Eben diese magischen Heilkuren nun geben die Veranlassung, sich die Gestalten der Gottheiten in Masken und Sandgemälden erneut vorzuführen, denn die Götter selbst treten in ihnen als eigentliche Heilkünstler auf. Die haupt¬ sächlichsten Kuren dauern neun volle Tage lang, dienen übrigens nicht nur medizinischen Zwecken, sondern auch der Förderung der Ernte, der Herbei¬ führung des rechtzeitigen Niederfalls des Regens, kurz der materiellen Wohlfahrt des Volkes. Von den verschiedenen Zeremonien ist die als „Nacht-Gesang“ be¬ kannt gewordene am reizvollsten und in den meisten Einzelheiten uns durch eine vortreffliche Beschreibung AVash. Matthews vertraut.

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Von den vielen Gottheiten der Nava- Ii o s treten in ihm etwa zwanzig auf. Der wichtigste ist Hastseyalti, der Gott des Morgengrauens und des Osthimmels. Er ist der Füll rer der Götter, auch ihr Großvater genannt.

Er wird durch eine Maske gekennzeichnet, die allein von allen Masken des Festes weiß ist, und deren Augen und Mund-Öffnung von einem Symbol des aufsteigenden Nebels und einer herabhängenden Regenwolke umzogen ist. Vom Munde zur Spitze der Maske hinauf zieht sich das Symbol der Kornähre. Andere Streifen am unteren Teile symbolisieren das abendliche Licht und andere wiederum Regen. In dem Sandgemälde, das wir abbilden (Farbtafel TT), figuriert er im Osten an der geöffneten Seite d er LTmk reisu ng.

Am Rang fast gleich diesem Gott des Morgen¬ grauens steht Hastsehogan, der Gott des Westens und der Abenddämmerung. Seine blaue Maske, einfacher als die des Hastseyalti, stellt den Himmel dar. Auf jener Abbildung ist auch er zu sehen: im Westen, einen Stock in der Hand.

Ein dritter Gott Dsahadoldza trägt eine Maske, die halb rot und halb blau ist, da sein Wesen bald dem Wasser, bald dem Lande zu- gekelirt ist. So ist er mehr ein Sammelname für eine Vielfachheit von Gottheiten. Und auf der Abbildung eines Sandgemäldes (Farbtafel III) schweben ihre Reprä¬ sentanten zu beiden Seiten der Kornähre in der Mitte.

Eine Reihe anderer Götter treten ferner auf, bald in Masken, bald nur auf den Sandgemälden, ohne eine bestimmtere innere Persönlichkeit zu gewinnen.

Ihre Kopfmasken sind regelmäßig die gleichen helmartigen Gebilde, mit symboli¬ sierenden Wahrzeichen ihrer Beziehung zu diesen oder jenen Dingen der Wirk¬ lichkeit. Und ebenso regelmäßig sind auf den Gemälden auch ihre Körper ge¬ formt mit den langen gradlinigen Gestalten, die in ihren Lländen ihre Symbole zur Schau tragen.

Das ästhetisch Eindrücklichste sind die B o d e n g e m ä 1 d e mit ihrer ebenso großen Zartheit im Einzelnen, wie der Festigkeit der Struktur im Ganzen. Bald

Abb. 15. Holzpfeife der Haida-Indianer (Nordwest-Amerika)

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ist es die aufstrebende senkrechte Linie, die dein Ganzen durch die vielfältige Parallelität der Strichführung die Stärke verleiht, bald ist ein Schweben, gleich¬ sam ein Sichdrehen, das aber wiederum in sich gebrochen wird durch die Starr¬ heit der Einzelkörper, so daß nun doch als letztes Resultat eine große Ruhe der aufgehobenen Schwungkraft kund wird, die sich in sich ebenso stark hält, wie die andersartige Gefügtheit der vielen Parallelen. Der f a r b i g e Eindruck unter¬ streicht diesen Charakter fast überirdischer Beweglichkeit und zugleich Ruhe. In der Verteilung der Farbflecke ist die Auswahl so getroffen, daß das Schwer¬ gewicht der dunklen Töne am Rande liegt, so daß die an sich nicht allzu feste Linienkomposition nun ihrerseits gleichsam ins Schaukeln gebracht wird, das aber wiederum nicht in Kraft tritt, da auf der anderen Seite die Farbkomplexe sich durchaus das Gleichgewicht halten. Eine seltsame und bezaubernde Mischung von dynamischen und statischen Elementen ist hier gelungen, die in der Grazie ihrer Einzelheiten ebenso reizvoll ist, wie in der Stärke des großen, allumfassenden Konturs des Ganzen.

Fünf Farben dienen zu ihrer Herstellung: Weiß, Gelb, Rot vom weißen, gelben und roten Sandstein, Schwarz von Holzkohle, gemischt mit etwas rotem Sand¬ stein, Blau aus einer Mischung von Schwarz und Weiß. Zwischen zwei Steinen werden sie zu feinem Staub zerrieben. Den Farben selbst wohnt eine sakrale Bedeutung inne: Schwarz ist der Norden, weiß der Osten, gelb der Westen, blau der Süden. Die Zeichnung wird in den geebneten Boden der Medizinhütte ein¬ gefurcht und die farbigen Pulver werden in diese Rillen hineingestreut. Zuerst werden die nackten Körper der Götter gefärbt, dann die Kleider darum getan. Die Navaho-Schamanen versichern, daß die Bilder unverändert von Winter zu Winter und von Generation zu Generationen übertragen würden.

Wie der magische Einfluß, der von den Gestalten der Götter ausgeht, auf den Kranken, der Heilung sucht, übertragen wird, davon wird weiter unten die Rede sein (S. 135). Als Wesentliches ist aber hier, vor der Beschreibung der wunder¬ kräftigen Bilder vorweg zu nehmen, daß sie legendarische Situationen darstellen, in denen die Götter selbst eine Rolle spielen, daß fernerhin ihre magische Kraftäußerung durch die Göttermasken-Träger, also durch die leibhaftigen Gott¬ heiten selbst geleitet werden, so daß wir es hier mit einer dramatisch aktualisierten, nicht bloß in quasihistorischer Legendenform existierender Mythologie zu tun haben: der Mythus wird zum Schauspiel mit magischer Allgewalt.

Die Deutung des inneren Sinnes der in Kunstwerken gegebenen Göttergestalten Afrikas, Ozeaniens und Amerikas ist abzulesen aus der stilistischen Formstruktur. Und der stilkritische Vergleich dieser Bildungen drängt zur intensiven Erfassung

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mit noch größerer Kraft, als die auf sich seihst gestellte begriffliche Formulierung der jeweiligen Mythologie.

Bei den G ö 1 1 e r Skulpturen A f r i k a s spricht architekturale Begabung mit, drängt das naturhaft Starke ganz in sich zusammen, läßt überall die Blockeinheit nicht nur als Grenze, sondern auch als mitwirkende Aktivität spüren. Das Grad¬ linige Nigeriens ist kein purer Zufall, sondern wurzelt ebenso tief in der metaphy¬ sischen Anlage, wie die mythologischen Vorstellungen jener Gegend, deren inner¬ ster Kern, trotz aller äußeren Beeinflussung, die vorliegen mag, auf den Gottes¬ gedanken zurückweist, der sonst Westafrika gemeinsam ist. Der ästhetische Grundcharakter spiegelt hier das mythische Gefühl klar wieder, ln beiden Fällen haben wir es mit einer Ruhe vollkommener Statik zu tun, die in sich unbewegt ist und bleibt. Daß Gott die Welt geschaffen hat, ist gewissermaßen ein Zufall,

Abb. 16. Holzrassel der Haida-Indianer (Nordwest-Amerika)

es strahlt von diesem Gotte gegenwärtig kein unmittelbares Leben in die Welt aus. So ist es auch mit der afrikanischen Plastizität: auch ihre Gestalt bleibt in sich zusammen gehalten, bewegt sich nicht weiter, strahlt keine Extase aus. Die Geistigkeit ist gewiß nicht abzuleugnen, aber sie bleibt in sich selbst befangen. Ihr Vorzug ist, daß sie nicht ins All verdunsten kann, sondern in der ihr eignen Härte und Bestimmtheit bauwerkhafter Festigkeit besteht und dauert. Darum sind gerade die afrikanischen Bildwerke schwerer verständlich, als die Ozeaniens oder Amerikas. Denn in diesen lebt eine solche Spannkraft von dynamischen Mächten, daß man sich ohne weiteres von ihnen mit fortreißen lassen kann: sie überfallen den Betrachter und entführen ihn ohne seine eigene Anstrengung. Anders bei afrikanischen Figuren: hier wirkt nur die völlige innere Über¬ einstimmung Gemeinschaft stiftend, nur die Gleichartigkeit der innersten Substanz.

Neben die architekturale Plastik der Afrikaner tritt die ozeanische Kunst

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mit einem ganz anders despotischen Anspruch auf Anerkennung hin. Hier ist die großartige Gestikulation am Platze, die mit mächtiger, weit ausgreifender Ge¬ bärde sich im wesentlichen Sinne malerisch gibt, bei aller spielerischen Yer- schnörkelung im Einzelnen und Kleinen doch den Sinn für das Großzügige des Umrisses offenhält. Ein eigentümlich Schattenhaftes, erregt sich diese farbig helle Welt von innen her, drängt nach außen, aber nicht gewaltsam, sondern noch im höchsten Aufschwung voll Sehnsucht zum Schweben in der Höhe. Das gilt vor allem in bezug auf die polynesischen Göttergestalten, deren große, großartige Prägung das Ebenbild der polynesischen Mythologie ist. Wie in den muskulösen Gestalten der Hawaiischen Gottheiten das Blut des Lebens aufbraust und in ero¬ tischer Leidenschaft sichtbar anstürmt, so ist es auch mit ihren heiligen Legenden, in denen der Lebenswille in seinen vielfältigen Wandlungen und zugleich Empor¬ gipfelungen wie das Werden und Sich-Gestalten der erotischen Lebenskraft selbst geschildert wird. Immerhin aber ist diese Leidenschaft durchaus auch geistiger Artung, nicht bloß animalischer Natur, und so liegt das Überstarke jener Götter¬ bilder letzten Endes doch nicht in den schwellenden Muskeln, sondern in den riesigen Augen ihrer großen Gesichter. Diese geistige Freiheit, die sich ankündigt, gibt der Plastik Ozeaniens jenen durchaus anderen Charakter, der sie von der Afrikas so tiefgehend unterscheidet.

Wohl mag man theoretisch die gleichen Formprinzipien als für beide Gebiete gültig feststellen: Blockeinheit, Monumentalität, Symmetrie, Steigerung zur Höhe. Und doch ist der Unterschied da. Denn die Blockeinheit z. B. ist für die Ozeanier kein eigentliches aktives Element der Form, sondern eine Umgrenzung, mit wel¬ cher ihre Phantasie gleichsam ein Spiel treibt, ohne sie geradezu zu überschreiten, aber doch ohne die tiefe Achtung afrikanischer Einstellung. Monumentalität mit ihrem schon sprachlichen Anklang an bauliche Fügung ist den Ozeaniern nicht eigentlich fremd. Wohl aber ist sie für ihn mehr der Ausgang, die Basis, von der aus eine höher gerichtete Begeisterung sich aufzuschwingen unterfängt. Das Far¬ bige ihrer Figuren unterstreicht diesen Unterschied zu Afrika in der unzwei¬ deutigsten Weise. Wohl tragen die Plastiken der polynesischen Gottheiten keinen farbigen Überzug mehr, aber die Berichte der alten Reisenden entwerfen doch ein malerisch vielfältiges Bild von ihrer damaligen Erscheinung. Und wir dürften ohne weiteres annehmen, daß der sonst übliche Sinn für Buntfarbigkeit sich auch in ihren Götterbildnereien geäußert hat. Die Steigerung zur Höhe hier ist in Ozeanien noch stärker ausgeprägt, als in Afrika, und fügt so eine neue Betonung in das Bild des Unterschiedes ein, denn die Richtung hinauf, über sich hinaus wirkt der ganz geschlossenen Monumentalität afrikanischer Art entgegen.

Als eine dritte, unterschiedliche Art tritt das amerikanische Götterbild seinen afrikanischen und ozeanischen Nebenbuhlern zur Seite. Das zunächst

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Wichtige ist hier, daß es ein isoliertes Gottesbild, wie in Ozeanien und Afrika, gar nicht gibt. Was Amerika kennt, ist die Geschichte völkischer Institu¬ tionen, bei denen die Götter eine ausschlaggebende Rolle spielen. Und so dient denn auch die bildnerische Darstellung ihrer Gottheiten nicht der Anbetung, sondern vielmehr der Wirkung, die sie im Dienste der von ihnen selbst einge¬ richteten Gemeinschaft zu leisten haben. Ihre Verbildlichung ist also kein reli-

Abb. 17. korwar aus Holländisch- Neu-Guinea

\bb. 18. korwar aus Holländiscb- \eu-Guinea

giöser Selbstzweck, sondern hat eher sozial-politischen Charakter, da die legen¬ darische, also die wahrhafte Geschichte der Menschheit oder richtiger des besten Teiles der Menschheit, nämlich der Navahos usw., dargestellt wird. Das Zu¬ sammenwirken von malerischem Bodenbild und plastischem Maskenaufzug ist das Kennzeichnende für diese Doppelheit der Einstellung auf das Wahrhafte und darum Statische der Geschichte und zugleich auf die Aktualisierung, die Er¬ neuerung des dennoch Gewesenen im gegenwärtigen Tage. Der Akzent steht immerhin auf der dramatischen Aktualisierung der göttlichen

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Abb. IQ.

Beschneidungsmaske der Wangangela (Portugisisch Kongo)

Abb. 20. Mumifizierte Häuptlingsgestalt der Neuen Hebriden

Heilstaten. Und so könnte man die amerikanische Art als dramatisch im Unterschied zur afrikanischen Statik und zum ozeanischen Malertum kenn¬ zeichnen. Es ist in dieser Hinsicht bemerkenswert, daß Maskeraden, die sonst

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Zumeist den untergeordneten Dämonen zugeteilt sind, in Amerika auch den höheren Göttern auferlegt werden. So bleiben die Gottheiten nicht in über¬ irdischer Höhe, sondern nehmen handgreiflich Teil am irdischen Leben.

Freilich haben ihre Masken selbst keine eigentlich organisch treibende Form in sich. In ihrer Glätte haben sie eine Neigung zur Abstraktheit, die ebenso den Bodenbildern in ihrer Linienführung eigentümlich ist. Bei aller legen¬ darischen Fülle der Szenerie bleibt der Ausdruck immerhin schematisch und wesentlich symbolisch. Das stimmt äußerlich wiederum überein mit dem inneren Sinn der Mythen, in denen weniger die göttlichen Persönlichkeiten interessieren, als die Frage nach dem Woher und Wozu der Institutionen, deren Stifter die Götter sind. Man möchte für dies Verhältnis einen Ausdruck gebrauchen, der in indianischen Mythen vorkommt und der von übermenschlichen Wesenheiten als „Kontrollern” der Naturkräfte spricht. Hier handelt es sich ebenfalls um solche überwachenden Instanzen, diesmal in Hinblick auf die menschliche Kultur und Zivilisation. Und wie jene naturhaften Überwacher metaphysisch gesprochen nichts anderes sind, als die Konzentrationen der Naturkräfte selbst, so sind auch die Navaho-Gottheiten im Grunde identisch mit den Institutionen selbst, die sie regieren. Da es sich somit um wesenhaft abstrakte Tendenzen handelt, muß auch der künstlerische Ausdruck abstrakten Charakter tragen. Der dramatische Akzent ist damit nicht ausgeschieden, da es sich auf die Aktualisierung der Abstraktionen ankommt.

Besonders deutlich wird der Wesenszug dieser Einstellung, sobald man zum Ver¬ gleich die künstlerische Kultur der Nord Westamerikaner heranzieht. Dort ist ein viel intensiveres Gefühl der Verbundenheit mit der organischen Umwelt gegeben. Der Totemismus, auf den wir später ausführlicher zu sprechen kommen, ist dort noch nicht so überdeckt, wie bei den südlicheren Stämmen, sondern nur abgeschwächt, aber in der Wurzel erkennbar und konkret. Mythologisch äußert sich dies so, daß die Phantasie sich um die Schicksale des weltgestaltenden Raben kümmert, als seien es persönlich wertvolle Angelegenheiten; gerade das Konkrete, wenn auch phantastisch Konkrete seines Daseins interessiert immer von neuem. So ist auch die Kunst viel stärker auf die organische Potenz eingestellt: naturnahe Körper treten in der dortigen Plastik auf. komplizierte Stellungen werden nicht vermieden und in hohem Maße mutet diese Kunst blutdurchströmt an. Das dramatische Element dringt deshalb viel stärker durch, als im Süden, bemächtigt sich sowohl der Einzelfigur, wie größerer Kompositionen und wenn auch eine große stilbildende Kunstform deutlich zu Tage tritt, so läßt sie doch ihren organischen Inhalt deutlich als solchen empfinden. Neben der abstrakt dramatischen Form Amerikas steht hier die konkret und organisch dramatische P r ä g u n g.

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Das Ahnentum

Die Toten als Mitlebende und Übermächtige

Im Bannkreise einer Überzeugung, für die jedwedes Ding voll Lebenskraft und Dauer ist, wird das Erstaunliche des Sterbens mit weitaus stärkerer Intensität gespürt, als dort, wo der zivilisatorische Einschlag des Denkens das Erstarren und Zerfallen eines lebenden Organismus als etwas fast Selbstverständliches er¬ scheinen läßt. Für den Kulturmenschen bedarf es mancherlei Experimente, um annähernd einen einigermaßen stabilen Glauben im Sinne eines betonten Für¬ wahrhaltens der Unsterblichkeitshoffnung zu erzeugen. Für den Naturmenschen aber besteht all unser Zweifel nicht. Es ist eine Selbstverständlichkeit für ihn, daß die Verstorbenen weiterleben, aber nicht nur, daß sie irgendwo weiterhin sich eines angemessenen Daseins erfreuen, sondern vielmehr daß sie handelnd und herrschend in das tagtägliche Leben der Nachkommen einzugreifen bereit und kräftig genug sind. Und so hat das Sterben keine Verminderung, sondern eher eine Machterweiterung zur Folge.

Aus zwei Quellen fließt diese Überzeugung. Einmal ist der A h n h e r r an sich schon eine verehrungswürdige Persönlichkeit, da er in seiner Nachkommenschaft die Beweise seiner schöpferischen Kraft hingestellt hat. Der Manismus ist somit die über das Grab hinaus fortgesetzte Familiengemeinschaft.1) Und zum andern hat er nun, da er unsichtbar geworden ist, all jene Macht in sich gezogen, die eben aus der Unsichtbarkeit heraus allen Geistern erwächst, die aus dem Hinterhalt die armen Erdbewohner überfallen können, die auf ihre Augen zur Vermeidung der Gefahren angewiesen sind. So sind die Ahnen mit doppelter Macht ausgerüstet.

Wie aber leben die Geister der Abgeschiedenen? Nun, zumeist in gleicher Weise, wie hier auf Erden. Da den Primitiven der Gedanke einer völligen Verwandlung nicht zu Gebote steht, wie uns, so bleibt ihnen nur das Vertrauen auf eine Wieder¬ holung des irdischen Daseins. Dies ist wenigstens die Grundauffassung, die wir an sehr vielen Stellen geäußert finden. So hören wir aus Afrika die Worte von Eingeborenen: „Unsere Vorfahren sehen uns. Sie betrachten all unsere Hand¬ lungen. Falls wir schlecht sind, falls wir nicht getreulich den Überlieferungen folgen, die sie uns hinterlassen haben, dann senden sie uns Hunger, Krieg . .“ 2) Für die Pangwe geht im Jenseits alles nach irdischem Vorbild zu.3) Nord¬ amerika kennt die gleichen Überzeugungen: „Bei den Sioux . . gleichen die Toten alles in allem den Lebenden . . Sie sind nicht immer sichtbar. Manchmal hört man sie, ohne sie zu sehen, mögen sie auch in der Hütte zugleich mit einem Sterblichen anwesend sein. Es kommt vor, daß sie körperliche Gestalt annehmen,

daß sie sich mit einem Manne oder einer Frau, die den Lebenden angeboren, ver¬ heiraten, daß sie essen, trinken, rauchen, als wären sie gewöhnliche Sterbliche.4) Ähnliches hören wir aus der S ii d s e e.5)

Wohl wechseln die A orstellungen von der Macht der Geister der Verstorbenen. Aber der allgemeine Grundton der Überzeugungen ist der, daß ihre Nachkommen¬ schaft in hohem Maße abhängig ist von ihrer Gunst. Die Kehrseite dieser Auf-

Abb. 21. Dämonenmaske der Wangangela (Portugiesisch Kongo)

fassung dieses Verhältnisses ist weniger prägnant, die Meinung nämlich, daß nun auch die Geister im Jenseits abhängig sind von der Sorge, die ihnen zuteil wird durch die Hinterbliebenen. Zu einer Art Systematik ist diese Seite der wechselseitigen Abhängigkeit bei den indonesischen Bataks gesteigert, bei denen die Ahnen im Totenreiche je nach der Lebensfähigkeit ihrer Nachkommen¬ schaft und ihrer Fürsorge, die ihnen von ihr gewährt wird, im Totenreiche gleich¬ sam avancieren.6)

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Aber wenn die liier vorhandene Grundüberzeugung' sich sonst auch weniger stark äußert, so bleibt die allgemeine Voraussetzung der engsten Gleichartigkeit beider Welten doch deutlich und wirksam. Ja, man muß, um diesem Zusammenhänge gerecht zu werden, die Unterscheidung von zwei Welten überhaupt aufgeben und sich das Bild einer einzigen großen Gemeinschaft machen, bei welcher frei¬ lich die eine Seite den Vorteil der Unsichtbarkeit genießt.

Allerdings ist diese Unsichtbarkeit nur teilweise, wenn wir so sagen dürfen, ge¬ wahrt. Denn es ist nur folgerichtig, daß Naturen, die so sehr wie die der Natur¬ völker auf das Greifbare, Tatsächliche eingestellt sind, danach streben, ihre Ahnen irgendwie in greifbarer Gestalt bei sich zu haben, wenn nicht ganz, so doch wenigstens einen Bruchteil ihres Daseins, also ihres Körpers und seiner Knochen. Hier beginnt die bildende Kunst ihre Rolle zu spielen.

Das Ahnenbild

Die unterste und einfachste Stufe des Ausdrucks untrennbarer Zusammengehörig¬ keit ist naturgemäß die Aufbewahrung und Mitführung des wesentlichsten Teiles des Körpers des Verstorbenen: seines Schädels. So trugen die Bewohner der Neuen Hebriden die Schädel besonders geliebter Toter oft in einem Korbe lange mit sich herum und ließen sie an jedem Feste teilnehmen. Diese primitive Form wird an anderen Stellen, besonders in der Südsee (Südsalomonen, Neu-Meeklen- burg, Gazellenhalbinsel, Admiralitäts-Inseln, Deutsch Neu-Guinea, Borneo usw.) gesteigert, indem man den Schädel nach dem Vorbilde der Lebende n nachmodelliert. Aus Neu-Pommern sind zahlreiche Schädel (Toten-Masken) erhalten, bei denen der vordere Schädelknochen und der Unterkiefer des Men¬ schen verarbeitet ist; das Gesicht ist rot und weiß bemalt. An einem hinten an¬ gebrachten Querhölzchen hielt sie ein Tänzer im Munde oder in der Hand.

Oder aber es wurden die Schädel in einem großen Behälter gesammelt und auf solche Schädel-Ton n e wurde als Zeichen des Inhaltes eine menschliche Figur angebracht, die für sich keinerlei kultische Bedeutung hatte, so bei den Pangwe.7) Die, wie die Eingeborenen selbst sagen „allerneueste Form“ tendiert zur Verselbständigung solcher von der Ahnentonne getrennten Holzfigur. Hier ist der Prozeß der Entstehung einer richtigen Ahnenfigur aus einem bloßen Anzeichen für Schädel, also gleichsam aus einer Etikette des Inhaltes, offen¬ kundig (Taf. 6).

Oder es wurde der Schädel in eine Holzfigur eingefügt, die so zum Träger, zum Behälter des Schädels wurde; dann haben wir die sog. Kor wäre von Hol¬ ländisch Neu-Guinea (Abb. 17 18). Ahnenfiguren aus Holz, in seltenen Fällen aus Stein, deren Verehrung im Seelenglauben der Papua gründet. Sie

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II. Sandbilder der Navaho-Indianer

setzen voraus, daß eine der beiden Seelen des Menschen nach seinem Tode in der Nahe seiner Heimat herumirrt und den Hinterbliebenen für Beratung zur Ver¬ fügung steht, falls sie sich durch ein geeignetes Medium an sie wenden. Zu dieser Verbindung zwischen Lebenden und Toten dient das Ahnenbild des Korwar. In zwei Arten ist er aus Holländisch Neu-Guinea her bekannt. Der wohl ältere Typus verwendet den Original-Schädelknochen, den man reinigt und durch hölzerne Ohren und Nasen, durch Augen aus Fruchtkernen oder Glasperlen dem Lebendigen angleicht. Der andere Typus ersetzt den Kopf des Toten ganz und gar durch eine Nachbildung in Holz. Zwischen ihnen steht vermittelnd ein dritter Typus, der Schädelknochen in das Holz der Ahnenfigur einfügt. Dieser Kopf erhebt sich in erdrückender Größe über einem schmächtigen Körper, der zu

Abb. 22. kulttigur aus einem Geisterbaus in Deutsch-Neu-Guinea

ebener Erde hockt und gewöhnlich eine Art Balustrade vor sich hin hält. Diese Balustrade läßt bei näherer Untersuchung die z. T. stark ornamentalisierte Dar¬ stellung einer Schlange erkennen, die wohl aus mythologischen Motiven ent¬ nommen ist. Wie es scheint, glauben die Eingeborenen in den doch sehr typisch anmutenden Gesichtern der Korware individuelle Porträte zu sehen.8)

Die Reproduktion (im eigentlichsten Sinne) des Verstorbenen begnügt sich hier und da nicht mit dem bloßen Erneuern des Gesichtes, sie schreitet zur W iederherstell u n g des ganzen K ö r p e r s. So auf den Neuen LI e b r i d e n (Abb. 20). Hier steckt man die Schädel der niederen Klassen zwar einfach auf spitze Stäbe, aber den Überresten der Angehörigen höherer Kasten widmet man eine bis ins Einzelne gehende Sorgfalt der Erneuerung des vollen Anscheins des Lebens. Am Totenschädel wird mit Kokosfasern, J on und klebrigem Pflanzensaft das Gesicht aufmodelliert und seine Oberfläche wird mit harzartiger

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Masse verstrichen, dann der Kaste des Toten entsprechend mit Ocker und Ruß bemalt. Als Augen dienen Deckelschalen von Schnecken. Als Haar wird das eigene des Toten genommen. Dann fügt man als Schmuck noch einen Federbusch für das Haar und den Nasenstab hinzu. So wird der Kopf „eine genaue Reproduktion des Lebenden“. Ähnlich verfährt man mit der Nachmodellierung des Körpers mit Hilfe von Bambus, Stroh, Rindenfasern, man überzieht sie mit harzartiger Masse und gibt in der Bemalung jegliche Einzelheit genau wieder: Nabel, Brustwarze, Knie und Zehen, Kleidung. Federschmuck, Armbänder als Rangabzeichen werden angebracht. In die Rechte gibt man diesen Statuen das im Kultus wichtige Muschelhorn und in die Linke den Schweinekiefer, der ebenfalls irgend eine quasireligiöse Bedeutung zu haben scheint. Die Modellierung ist mit diesem Resultate der Erneuerung oft nicht zufrieden, sie geht mythologisierend weiter: läßt aus den Schultern mit Federn und Kräutern geschmückte Stangen wachsen, an denen die Schädelmasken verstorbener Söhne befestigt sind, ja auch die Achseln selbst werden in Gesichter verwandelt. Diese seltsamen, vielköpfigen Gebilde stellt man an die Innenwände der Männerhäuser; bei großen Festen er¬ halten sie Nahrung vorgesetzt.0)

Diese naturhaften Reliquien hatten den Nachteil, daß sie nur zu leicht dem Unter¬ gänge ausgesetzt waren. Brandstiftung, Überfälle, Unvorsichtigkeit drohten mit ih rem radikalen A^erlust. Da mußte es von selbst an gezeigt und praktisch er¬ scheinen, an ihrer Stelle feste Dokumente der überlebenden Kraft der Ver¬ storbenen herzustellen. So finden wir in Neu-Seeland Grabdenkmale für Häuptlinge, die fern von der Heimat starben, es sind aus Holz geschnitzte Fi¬ guren mit umgehängten Tüchern und Kleidungsstücken und mit der genauen Nachahmung aller Gesichtstätowierungen, denn an diesen erkennt der Maori, wem das Denkmal gilt.10) Ähnlich verfuhr man in Nordamerika bei den Indianern.11) Hier wie dort suchte man die größte Ähnlichkeit mit dem Ver¬ storbenen zu erreichen, zum mindesten es so weit zu bringen, daß jeder Kundige erkennen konnte, wer an der betreffenden Stelle begraben war. Wie es denn überhaupt ganz logisch ist, bei dem absoluten Beharrungsstreben der Natur¬ völker ihre Richtung auf das Festhalten der einmal lebenden Persönlichkeit ge¬ richtet zu vermuten. Und so kann das extremste Beispiel, das wir bei den afrikanischen Mossi finden, nicht weiter wunder nehmen: bei ihnen wird jeder Verstorbene durch eine Vertreterin, die sein ganzes Benehmen und seine Gestalt nachahmt, für eine geraume Zeit schauspielerisch am Leben erhalten, dem Volksglauben gemäß ein gefährliches Amt, da die Lebenszeit der Repräsen¬ tantin durch ihre darstellerische Funktion abgekürzt wird.12)

Überblicken wir nun die großen Gebiete der eigentlichen Ahnen-Figuren, die zu Kultzwecken dienten oder doch die enge Verbundenheit der Verstorbenen mit

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den Lebenden dokumentierten, so beginnen wir mit Polynesie n. Am innigsten war in Neu-Seeland die bildnerische Kunst bemüht, den Zusammenhang zwischen den Generationen aufrecht zu erhalten. Hier zeigt die plastische Verzierung der großen Häuser der Vornehmen regelmäßig auch den Ahnen des Erbauers und dessen Söhne, Name und Taten des Dargestellten und durch dies Kunstwerk Gepriesenen sind noch jetzt oft bekannt. Diese Genauigkeit der Beziehungen und der Kenntnisse deutet auf die Absicht der neuseeländischen Besteller hin: porträt¬ ähnliche Bildnisse ihrer Vorfahren zu erhalten. Wie gut ihnen dies gelungen er¬ schienen sein muß, geht aus einer ihrer Erzählungen hervor, die da berichtet, wie

Abb. 23. Scbädclhalter aus Deutsch-Neu-Guinea

Tangaloa, der Gott des Meeres, der bloß an gemalte Kunstwerke gewöhnt war, eine geschnitzte Figur auf dem First eines neuseeländischen Hauses zuerst zu Gesicht bekam, wie er dann erstaunt das Haus erklomm, die Figur umarmte, weil er sie für einen wirklichen, lebenden Menschen hielt!13) Also auch hier haben wir noch die naturalistische, auf Täuschung ausgehende Nachahmungs¬ absicht. Freilich im Zusammenhänge mit einer religiösen Auffassung, für welche jeder Einzelne der höchsten Schicht eine bestimmte Individualität besaß, trotz aller Aufnahme in den Kreis der wenn auch unteren Götter.

Auf Tahiti und den anderen Gesellschaftsinseln hießen die Bildnisse der Toten anscheinend Tees oder Tiis. Nach der Mitteilung Georg Försters waren es dünne.

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bis zu 18 Fuß lange Holzbretter mit sechs oder acht eingeschnitzten kleinen menschlichen, abwechselnd männlichen und weiblichen Gestalten, deren oberste freilich jedesmal eine männliche Figur bildete. Fünfzehn solcher beschnitzten Holzbretter sah er rund um den Marae des Königs von Tiarroboo, namens Aheatua, gestellt, sein Vater j. R. Förster erzählt von 20 bis 30 Tiis, die mit 15 bis 20 Gestalten ornamentiert gewesen wären.14) Den Geistern der Tiis, auch Oramatuas Tiis benannt, wandte sich die religiöse Scheu jener Insulaner mit be¬ sonderer Sorgfalt zu. Denn da es sich bei ihnen zumeist um Tote handelte, die bei Lebzeiten durch Wildheit und herrscherhafte Brutalität sich hervorgetan hatten, so mußte man von ihnen nach ihrem Tode um so härterer Verfolgung gewärtig sein, falls man ihren Kult irgendwie vernachlässigte. )

Gehen wir jetzt zu Melanesien über, so finden wir jenes Streben nach Porträtähnlichkeit auch hier (Abb. 22). So in Neu-Guinea, wo in den Ahnen¬ bildnissen etwa Krankheiten, an denen der Tote starb, offensichtlich angedeutet sind. Die Abhängigkeit der bildnerischen Kunst von manistischen Auffassungen ist hier besonders stark und so werden die Männerhäuser so allseitig nnt den Gesichtern von Geistern ausgeschmückt, daß sie völlig von Geistern besessen scheinen: ..Das ganze Gebäude scheint hier einen Geist vorzustellen; ein großes, mit hohem Tanzhut geschmücktes Geistergesicht blickt von jeder Giebelwand. - aus jedem Giebelfenster schauen die Schädel Verstorbener, und oben auf der Spitze der ragenden Türme breitet ein Riesenvogel seine Schwingen und scheint einen Menschen oder einen Menschenkopf (den Sitz der Seele?) in die Luft zu tragen.“16) Das kleinere Kunsthandwerk geht diesem großen Vorbilde in solchen Bemühungen, durch das Bild der Ahnen seine Kräfte magisch zu bannen, parallel, indem es auf Nackenstützen, Armbändern usw. jene Motive wiederholt. Wir haben in diesen Gebieten wohl die reichhaltigste Schatzkammer derartiger künst¬ lerischer Formulierungen vor uns.

Überraschend großartige Ahnenbilder entstammen dem B i s m a r c k - - A r c h i - p e 1 , vor allem Neu-Mecklenburg, über die Krämers Mitteilungen17) neuer¬ dings Licht verbreitet haben. Es sind nun nicht nur einfache Darstellungen des Verstorbenen, sondern sie haben irgendeine Aktivität in sich, die sich verflicht mit Schlangen, Eidechsen, Vögeln usw. kurz mit Tiergestalten, die eine im Einzelnen noch unaufgeklärte Bedeutung mystischer Art haben (Abb. 28). Da haben wir besonders die prächtigen Uli-Figuren, imposante Häuptlingsgestalten, manchmal doppelgeschlechtlicher Art, umwunden von Schlangen, zwischen deren Windungen da und dort der Kopf eines Menschen hervorlugt. In der ganzen kraft¬ erfüllten Art der hohen Haltung eines der stärksten Dokumente der zu Grunde liegenden Ahnenverehrung, - nirgends sonst in der Welt ist eine solche Kon¬ zentration mütterlich -väterlicher Zeugungskraft so anschaulich und macht-

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Abb. 24. Ahnenfigur aus Haiti

voll vor Augen gestellt, und welche emanierende Machtfülle stürzt aus den herrischen Blicken solcher Augen auf uns zu! Ihren Leib umgeben Gürtel und Schmuckstäbe, oft mit Andeutungen von Schlangen¬ gestalten. In ihrem Phallus und in den schwellenden Brüsten darf man eine Art Fruchtbarkeitszauber ver¬ muten. Diese Figuren stehen unter einem schützenden Dach oder man stellt sie oben auf die Spitze einer kegelförmigen Hütte. Eine Reihe von 12 Arten der Uli führt Krämer auf, je nach der Haltung usw. unter¬ schieden (Taf. 54 57).

Von geringerem künstlerischen Interesse sind die anderen Totenfest-Schnitzereien oder Mala n g g a n e Neu-Mecklenburgs. Sie zeigen z. T. den Toten mit der Totenfestmaske bedeckt und von allerhand Tiergestalten umringelt. Der Geist des Toten soll dem Schnitzer die Inspiration gegeben haben, welche Figuren er wählen muß. Gegenüber der monumentalen Klarheit jener Ulifiguren schwebt hier oft und oft ein so unklares Durcheinander bunt verflochtener Gestaltungen vor uns, daß man nur mit Mühe das Eine von dem Anderen zu trennen vermag, um alsdann doch wieder von der verwirrenden Arabeskenhaftigkeit all dieser Verwickelungen sich faszinieren zu lassen und den Augenblick gesteigerter Intuition nachzuerleben, in welchem diese sonderbar komplizierten Wiederspiegelungen welches Geschehens? entstanden. Krämer hat nun zunächst die Feststellung gemacht, daß die Gruppierungen von mehreren Menschen übereinander nicht, wie Schurtz vermutete, als Ahnengalerien zu deuten sind, sondern verstorbene Zeitgenossen darstellen. Inhaltlich haben seine For¬ schungen aber nicht viel Aufschlußreiches ergeben. Nur soviel darf wohl als sicher angenommen werden, daß die zahlreich dargestellten Vögel auf einen Vogel- totemismus zurückweisen. Andere Schmuckstücke zeigen etwa den Taro und Fregattvogel, sie deuten so vielleicht auf den himmlischen Ursprung des Taro hin. Eine Fülle von Ahnenfiguren aus Kre i d e sind aus Neu-Mecklen- b u r g bekannt geworden.18) Es handelt sich um weibliche und männliche Figuren, zum Teil mit überwiegend rotbraunen Mustern bemalt, Figuren, deren ältere Gruppe sehr einfache Stilgebung hat mit zylinderrunden Körpern, an die sich die Arme reliefartig anlegen, während die jüngere Art mit naturgetreueren und bewegteren Körpern und Gliedmaßen operiert; in beiden Fällen ist das künst¬ lerische Ergebnis einigermaßen belanglos. Es sind Ahnenfiguren, die von be¬

stimmten Handwerkern auf

Bestellung

der

Angehörigen

verstorbener

Einge-

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borenen

gegen

Bezahlung an-

Abb. 25. Ahnenskulptur der Osterinsel

gefertigt werden. Nach dem Be¬ richt eines Reisenden werden sie in eine Art kleine Toten¬ kapelle gestellt, die mit aller¬ hand bunten Pflanzen ausstaf¬ fiert ist. Diese Hütte ist für Frauen tabuiert, die aber vor der Hütte ihr Klagegeschrei über den Tod ihrer Angehörigen erheben müssen. Nach etlicher Zeit werden diese Figuren dann von den Männern stillschwei¬ gend entfernt und zerschlagen. Dieser Art der Beseitigung ha¬ ben wir es wohl zuzuschreiben, daß die ältesten Vertreter nur in Stücken auf uns gekommen sind; die guterhaltenen jüngeren Ar¬ beiten haben wir wohl zum Teil der Exportmöglichkeit zu ver¬ danken. Mit Ahnenbildern im eigentlichen Sinne dürfen wir die Steinbilder des Iniet- Geheimbundes bei den Ein geborenen des nordöstlichen Feiles der Gazelle-Halb¬ insel N e u p o m m e r n s viel¬ leicht nicht bezeichnen.19) Die Bildnisse, aus weichem Sand¬ stein und Tuff, sollen anfänglich nichts anderes als Miniaturdenkmäler ver¬ storbener Mitglieder der Inietzunft gewesen sein, die an sich nur eine Art Künstler-, speziell Bildhauer-Gilde gewesen wäre. Da man aber von ihnen Ent¬ haltung von Schweine-, Känguruh-Fleisch usw. fordert, ist die Interpretation Meiers, als seien die gegenwärtig wichtigen animalistischen Auffassungen ihrer Figuren erst ein späteres Ergebnis, kaum richtig. Jedenfalls haben wir jetzt eine durch magische Handlungen und Anschauungen zusammengehaltene Gemein¬ schaft vor uns. Denn man meint, daß die Inietfiguren Krankheiten heilen und er¬ zeugen können, eine große Scheu umgab diese Bilder. Allerdings stellen die

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Fi guren alles Mögliche dar: Menschen, Tiere, Schlangen, Haifische, außerdem Liegetrommeln, Masken, Wassergefäße, es ist aber nicht einzusehen, was diese Dinge mit Speiseverboten zu tun haben sollten. So scheint mir eher die andere Auffassung gerechtfertigt, daß vielmehr die Erweiterung des Darstellungskreises ein Ergebnis schon zur Verweltlichung drängender Kräfte sei.

Die bedeutendsten Dokumente des melanesischen Ahnentums aber sind die mächtigen Stein kolosse der Oster - In sei, von denen seit kurzem erst gute fotografische Abbildungen veröffentlicht sind, die nun eine andere Meinung über ihre völkische Zugehörigkeit zu bilden erlauben, als sie bisher richtig er¬ scheinen mußte. Wir verdanken diese Mitteilungen der Expedition von Frau Scoresby Rout lege, die 1914 und 1915 die Insel gründlicher als

Abb. 20. Ahnenskulpturen der Osterinsel

jemals vorher durchforscht hat.20) Es handelt sich um mächtige Brust- und Leib¬ bilder, die in allen Stadien der Ausarbeitung vorhanden sind, um Figuren: z. T. bis 5 m hoch, die zumeist den gleichen Typus des Gesichtes mit vorstehender Stirn ohne Augenbrauenwülsten, mit schmalen, etwas vorgeschobenen, geschwun¬ genen Lippen, eingedrückter, spitzer Nase, lang herabhängenden, durchbohrten Ohren zeigen; auf ihren Köpfen ruhten früher große turbanartige Mützen aus rotem Tuff. Ihre Wirkung liegt fast ausschließlich in ihrem allein näher durch¬ gearbeiteten Gesicht, einem Gesicht, das seinerseits wiederum alle Kraft in den Augenhöhlen sammelt, freilich in Augenhöhlen, die leer: ohne Augapfel und Pupille, sich öffnen, vielmehr offen stehen. So scheinen sie blicklos. Oder sind sie ganz und gar Blick geworden und ganz und gar Auge? Treibt hier ein ungeheurer künstlerischer Wagemut zum paradoxesten Symbol der Hingegeben- heit an die innere Unendlichkeit? ein Wagemut, der umso ergreifender wäre, als

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die Bewußtheit der Problematik fehlen mußte! Wie man sich aber auch immer das seltsame Faktum der leeren Augenhöhlen erklären mag, es bleibt ungemindert der starke Ausstrom künstlerischer Kraft und eine Atmosphäre voll Erhabenheit um diese Gestalten her. Tiefes Geheimnis umlagert sowohl die innere Bedeutung, wie auch den Vorgang ihrer Aufstellung auf den Plattformen, für die sie großen Teils gearbeitet waren und auf denen sie zur Zeit der ersten Entdeckung der Insel noch zum Teil standen. Lind auch von ihrer ehemaligen kultischen Verehrung, die im Zusammenhänge mit dem Aufgang der Sonne gestanden zu haben scheint, ist

Abb. 27. Ahncnskulpturen der Osterinsel

keinerlei sichere Kunde auf uns gekommen. Nirgends stehen die fertigen großen Figuren mehr auf ihren alten Platz, sie sind umgestürzt und dabei zumeist zer¬ trümmert. Die annehmbarste Hypothese ist, daß diese großen Steinfiguren dem alten Ahnenkult dienten und eine Parallele zu den melanesischen Tindalo-Bild- nissen sind. Die z. T. weit gedehnten Plattformen würden dann wohl eine Art Erbbegräbnis der Häuptlingsfamilien sein.

Neben diesen wesentlichsten Figuren gibt es dann noch eine weitere Gruppe, die nicht mehr einem so ungeheuren metaphysischen Impuls gehorcht, sondern ein schon naturalistischeres Gepräge zeigt mit schon rundlich hervorquellenden Augen. Diese Richtung setzt sich weiter fort bei kleinen Holzfiguren, die

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z. T. bereits anatomische Kenntnisse beweisen und Rippen, Beine usw. in orna¬ mentaler Gliederung zeigen. Wir haben hier wohl eine gradweise „Entwicklung4' vor uns, die von der abstrakten zur naturalistischen Formgebung führt. Denn auch innerhalb der Holzfiguren scheint die stärkste Naturalistik den späten Figuren anzugehören. Der Stilcharakter hat sich also im Laufe dieser Entwick¬ lung sehr tief geändert, falls wir die großen Steinfiguren in sie einbeziehen. Aus einer monumentalen Gradlinigkeit der alten Werke ist eine geschwungene Zier¬ lichkeit der neuesten Produkte geworden.

Diese Verwandlung ist von bedeutendem Interesse, wenn wir die Frage der Zu¬ gehörigkeit der alten Bildhauer erwägen, ob sie melanesischen oder polv- nesischen Ursprungs gewesen sein mögen. Soweit diese Frage durch die For¬ schungen Scoresby Routledges gefördert worden sind, muß man dazu neigen, die Ureinwohner für Melanesier zu halten, denen dann auch die Bildskulptoren angehört hätten. Polynesische Einwanderer würden dann späterhin die Insel be¬ setzt und beherrscht haben. Dafür spricht die Langohrigkeit, der Vogelkult, an welchem der König der Insel nicht teilnahm, und die halb vogelhafte, halb mensch¬ liche Zwitterfigur in Felsgravierungen, alle diese Merkmale haben ihren Ur- sprung oder wenigstens ihre nächste Analogie in melanesischem Gebiet.

Die stilkritische Vergleichung der großen Osterinselfiguren, die jetzt auf Grund der Rontledgeschen Abbildungen zum ersten Male ermöglicht ist, unter¬ stützt diese Annahme melanesischen Ursprungs durchaus. Die nächste Analogie der Gesichtsformung ist in der Tat auf den melanesischen Salomons-Inseln zu finden. Dies gilt aber nur von der vermutlich ältesten Gruppe der Inselskulpturen. Die vermutlich späteste Gruppe hat in ihrer gesehnörkelten Linienführung etwas viel eher Polynesisehes. Und so möchte die Vermutung nicht unberechtigt sein, daß diese dem eingewanderten Volkselement, wenigstens im formalen Resultate, zu verdanken seien.

Bei aller Anerkennung der Leistungen des Bismarckarchipels kann man aber die Augen nicht davor verschließen, daß die Werke der Osterinsel wesenhaft höher stehen, als die Neu-Mecklenburgs. Das steil Aufgetürmte jener Kolosse gibt ihrem Charakter einen Glanz von Erhabenheit, der den Uli-Figuren nicht zu eigen ist. Denn bei diesen Ahnengestalten ist alles und jedes in den Dienst der Monumentalität gestellt. Neben der unendlichen Ruhe und Konzentration der Osterinsel wirken sie aller ausgleichenden Symmetrie zum Trotz zu erregt und zur Tat, zur Gewalttat bereit, als daß man den Steinfiguren nicht den Vorzug geben müßte. Die inhaltliche Atmosphäre trägt hierzu mancherlei bei. Von den Figuren der Osterinsel wissen wir nur die Namen, welche ihnen von den Ein¬ geborenen beigelegt werden (so berichten frühere Forscher) oder vielmehr die ihrer Skulptoren, so sagt jetzt Scoresby Routledge, aber keine Einzelheiten

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ihres Lebens. Bildschnitzer der Ulis aber deuten ihre Bewegtheit in legendarischer, anekdotenhafter Weise um und aus. So legt schon das Dunkel der Ungeschicht¬ lichkeit, der mangelnden Erzählungskunst eine gewisse Leere um jene Gestalten, deren innerlicher Gehalt gleichwohl solcher Fremdheit zu widersprechen scheint, denn welche Fülle der Kraft und wirklicher Tatenfreudigkeit möchten wir den Menschen nicht Zutrauen, deren Erinnerung solche Gcdenk-Bilder erzwang! Eben dies Paradox der Einheit höchster Lebensmacht mit dem transzendierenden Verzicht ist es, das dem Wesen der Erhabenheit seinen mitreißenden Zug ver leiht. Bei den Ulifiguren aber ist es die Monumentalität rein für sich, die in ihrem einfacheren Wesen sich offenbart: auch hier hohe Fülle des Lebens und in sich

Abb. 28. Fischschniizerei aus Neu-Mecklenburg

zusammengepreßter Kraft, aber zugleich der Wille, diese Kraft dem Irdischen, dem Leben selbst zuzuwenden und in seinem machtvoll gesteigerten Kreise das volle Genüge zu finden.

Es lag früher, bevor man die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit des melanesischen Ursprungs der Osterinsel-Figuren kannte, nahe, in diesem äußeren und inneren Unterschiede der östlichen melanesischen von den westlichen mela¬ nesischen Skulpturen einen Ausdruck vielmehr der verschiedenartigen Auffassung der Ahnen bei den Melanesiern und bei den Polynesiern zu suchen und zu finden. Die Erhabenheit, so argumentiert man, der Osterinselwerke bezeugt die Auf- gehobenheit der polynesischen Ahnherren im Stammbaum der Götter, während der melanesische Bildner der niederen Mythologie dienen mußte: Ahnenkult und Dämonentum. Mir scheint, daß die neuere Wendung der Osterinsel-Frage auf einfachere Weise auch dem Problem der religiösen Äquivalenz zu statten kommt.

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Denn wir können nun sagen, daß gerade auch in den melanesischen Osterinsel¬ figuren die Tendenz Melanesiens zum Aus¬ druck kommt, die darauf ausgeht, den Überbau der höheren Mythologie von der niederen aufzehren zu lassen. Gerade als Beweis solcher Kraft wären die Osterinsel¬ skulpturen zu bewerten: in ihnen stößt der Untergrund hinauf in die Höhe! In der Tat, scheidet man diese Figuren aus der polynesischen Kunstwelt aus, so liegt deren eigentlicher Akzent auf den Götter¬ gestalten von Hawaii, die neuseelän¬ dischen Werke haben doch einen allzu ornamentalen Charakter!

Immerhin sind beide Gruppen von Ahnen¬ gestalten, die Melanesiens und die Poly¬ nesiens, durch den engen Zusammenhang mit der höheren Mythologie der Gottheiten geweiht, sei es nun, daß die eine ihre Verherrlichten an die Stelle der Götter setzte, sei es, daß die andere Gruppe den genuinen Zusammenhang zwischen Ahn¬ herren und Gott voraussetzte. Dadurch schließen sich beide Gruppen Ozeaniens wieder in sich zusammen gegenüber der Kunst Afrikas. In Afrika fehlt jene Verbundenheit, wenigstens in dieser Aus¬ prägung betonter Stärke. Wohl führen anmaßende Königsgeschlechter Nordwest- Afrikas ihren Ursprung auf göttliche Wesen

Abb. 29. Maske aus Deutsch-Neu-Guinea

zurück, aber im ganzen Gebiete des Kongo, dem Kernstück westafrikanischer Kultur und Kunst, scheint diese Verbindung zu fehlen. Die wesentlichsten Ahnenfiguren Afrikas treten denn auch in Bezirken auf, die ohne differenzierte hohe Mythologie sind: Kamerun, Kongoreich usw. Und diese Schnitzereien sind denn auch von einer ganz anderen Art, wie die Ozeaniens. Da alle Kraft der Gottheit sich konzentriert und isoliert in dem Gedanken des Him¬ melsgottes, der fern und teilnahmslos ist, entfällt für den irdischen Menschen der Zug ins Erhabene. Da fernerhin dem religiösen Gefühle Afrikas der immanente Sinn für das dynamisch Sich- Verwandelnde fehlt, der dem polynesischen Mythus seinen

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Reichtum und seinen metaphysischen Reiz gibt, so entfallt die Vielfältigkeit der Bewegung. Als Positives bleibt die schlichte Einfachheit und Klar¬ heit. Diese beiden, zunächst ja nur formalen, Elemente erfüllen sich dann und wann mit einer menschlichen W ärme, die bildhaft den allgemeineren Aus¬ spruch f robenius rechtfertigt, mit dem er die Ahnenverehrung Afrikas formuliert: „Ich stehe nicht an, den unverfälschten Ahnendienst der Naturvölker, diese alles durchdringende Überzeugung von der Ewigkeit des Seelenlebens, diese Opfer¬ freudigkeit, die immer zu Tage trat, wenn die Toten einer Sache bedurften, diese stille und tiefe und innigste Zuneigung zu den Toten, ich stehe nicht an, das alles als eine der herrlichsten Blüten zu bezeichnen, die je der Menschengeist gezeitigt hat. Ich habe so manches Mal schon bedacht, wieviel wärmer doch diese Fürsorge für die Toten bei jenen ist. als bei uns. Ich habe schon oft empfunden, daß eine unendliche Wucht, ein so tiefes Gefühl der Heiligkeit diese Menschen durchglüht, daß wir naturalistische Wesen sie sicherlich nicht nachzuempfinden vermögen.“21)

Die Art und Weise, wie etwa Ahnenfiguren die Sessel von Häuptlingen tragen oder bewachen, oder w ie die Ahnengestalten selbständig dastehen, trägt ganz den Sinn des Frobenius’schen Ausspruchs und Urteils zur Schau: in der schlichten Einfachheit ihrer Haltung äußert sich die ruhige Selbstsicherheit des Da-Seins. Die organische Zeugungskraft als ruhende, unendliche Fülle wohnt ihnen inne. Es liegt hierin freilich eine gewisse Problematik. Denn wir denken unwillkürlich bei allem, was mit der Generationsfolge, mit der Geschlechtlichkeit zusammen¬ hängt, an die dynamische Erregung, an jene vielfältige Yerwandlungsfähigkeit, die in der ozeanischen Mythologie immer von neuem die Phantasie aufregt. Diese Seite erotischer Lustbarkeit fehlt der afrikanischen Ahnenfigur. Aber sie spiegelt analog nur wieder, was auch der Persönlichkeit des afrikanischen Himmelsgottes ihre Eigentümlichkeit gibt: die gedrängte Ballung der Statik, die wohl zu dem einmaligen schöpferischen Akte ausbricht, aber im Innersten ohne Bewegtheit dauert und beharrt. Ganz getreulich ist diese Spiegelung gewiß insofern nicht, als nun doch bei dem irdischen Ahnen der Gedanke aktiver Zeugungskraft zu un¬ mittelbar sich geltend macht, um verschwiegen zu werden. Aber es bleibt immer¬ hin der überwiegende Anschein der Zurückhaltung und der gleichsam architektu- ralen Formgebung der Einzelfigur.

Afrika und Ozeanien sind die Hauptgebiete der Ahnenbildnerei, soweit sie be¬ deutende künstlerische Werke hervorbrachte. In Indonesien ist der Ahnen¬ dienst von nicht geringerer Wichtigkeit, aber der ästhetische Ertrag ist unver¬ gleichlich weniger groß. Den Grund hierfür zu finden, ist nicht leicht. Möglicher Weise hat die Vielfältigkeit des Kultes alle künstlerische Produktivität auf sich gezogen. Wahrscheinlich aber muß man den eigentlichen Grund darin suchen.

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\bb. 30 und 31. Pautiwa-Tanzmaske der Zufii-Indianer

daß der Alme nicht mehr in so unmittelbarer Nähe gespürt wird, wie in Afrika und Ozeanien. Die Versetzung der Ahnenseele ins Jenseits mag hier nicht nur die Bande intimen Zusammenhanges gelockert, sondern auch die Anspannung des künstlerischen Willens gelähmt haben. Für die Insel Nias versagt freilich diese Deutung, und so müssen wir hier uns mit der Feststellung eines künstlerischen Mankos zufrieden geben (Taf. 78 f.) Das Gleiche wäre von Nordwest-Neuguinea zu sagen, dem Ursprungslande der meisten Korware.

In Nord amerika ist der Einfluß der Ahnengestalt auf die bildende Kunst fast gleich Null. Wohl haben die Zuni lebendige Achtung vor ihnen, da sie die Vermittler zwischen Mensch und Gottheit bilden, und so wagt man z. B. Gebäude, an deren Anblick, mag er auch noch so ruinös sein, sie sich längst gewöhnt haben, nicht zu verändern, weil sich die Toten dann nicht mehr zurecht finden möchten.22) Aber die Kunst wendet sich ihrer Darstellung nur in den Tanzzeremonien zu, da sie in der historischen Entwicklung der Zunis eine Rolle gespielt haben. Wir bilden die Maske des obersten Leiters der Kaka, Pautiwa, ab (Abb. 30, 31). Er gehört zu jenen Ahnengöttern der Zunis, in welche die Kinder verwandelt wurden, welche vom Rücken ihrer Mütter bei dem Überschreiten eines Flußes herabgefallen und verschwunden waren (vgl. oben die Zuni-Mythe S. 45). Doch werden die Ahnen hier nur als Masse bewertet und so ist der Ahnenkult, falls man von einem solchen reden will, ganz allgemeiner Art, gerade das persönliche Element, das den Ahnendienst in Afrika so sympathisch macht, fehlt. Selbst diese nächste verwandtschaftliche Beziehung wird historisiert. Wie die Zunis, so verfahren auch die Hopis: auf ihren großen Winterfesten treten Katcinas auf, ursprünglich großen Teils wohl Personifikationen von Geistern der Vorfahren mit Symbolen, durch die man jene Toten gekennzeichnet glaubt (Taf. 61), gewisse Clane haben besondere Festlichkeiten, in denen die Ankunft jener Vorfahren dramatisch dargestellt wurde.23)

Die Ahnenstatuen werden bald in der Hütte selbst, bald in besonderen Häuschen aufbewahrt. Zu einer besonderen baulichen Formgebung kommt es auch im zweiten Fall nicht, es handelt sich im Grunde nur um Überdachungen, aus deren Einfachheit die Figur denn um so wirkungsvoller hervortritt, so auf den Neuen Hebriden, in deren Ahnenhäuschen (auf Gaua) eine große Gestalt mit ganzem Körper, flankiert von zwei fast ganz ornamentalisierten Gesichtern bis zum Firstbalken emporragt, der seinerseits einen Vogel mit ausgebreiteten Schwingen trägt, auch er flankiert von zweien seiner Art.24) Anderwärts, in Ambrym, werden die Bildnisse in der Nähe von Tanzplätzen ins Gebüsch gestellt, neben ihnen bläst der Hinterbliebene in der Dämmerung auf seiner Bambus-

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Abb. 32. Schild der Bogen-Priesterschaft der Zuni-lndianer

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flöte und lockt den Geist des Ahnen herbei, dessen Nahen ihm ein Rascheln der Blätter verkündet, ihm klagt er sein Leid und bittet ihn um Hilfe.

Auf solche selbständigen Werke beschränkt sich der primitive Schnitzer nicht. Man wünscht naturgemäß die Hilfe oder zum mindesten die Anwesenheit der mächtigen Vorfahren in mancherlei Nöten des Lebens zu nützen. So stellt man ihre Figuren oben auf die Szepter der Baluba-Häuptlinge25) oder man läßt sie die Sitzplatten von Häuptlingsstühlen tragen oder hinter ihnen, gleichsam bei der Beratung inspirierend, hoch auf gerichtet stehen.

Die Stärke der Abhängigkeits- und Anhänglichkeitsgefühle angesichts der Vor¬ fahren bringt es mit sich, daß nicht nur solche großen Werke entstanden. gerade die Kleinplastik fand eine lohnende Aufgabe in der Herstellung der Ahnenfigur. Aber es ist interessant, daß die Miniaturbilder, vor allem die aus Elfeubein, von ganz geringer künstlerischer Kraft sind. Nicht nur, daß sie keinen Zug von Porträtähnlichkeit besitzen dies würde man ihnen eher als Vorzug anrechnen, aber daß sie künstlerisch so gut wie völlig belanglos sind, das ist eine durchgehende Erscheinung. Nur ganz selten, daß plötzlich ein gut ge¬ schnittenes Gesicht erscheint und erstaunen läßt! Der eigentliche Grund liegt wohl darin, daß die ganze Art der primitiven Bildauffassung auf das Große, Monumentale gerichtet ist, - das Miniaturhafte ist an sich schon eine abseits liegende Aufgabe.

Außer den eigentlichen Ahnenbildern mit und ohne Reliquien realer Leiblichkeit gibt es dann noch eine Fülle von uneigentlichen, aber offenbar nicht minder überzeugungskräftigen Symbolen der ahnenhaften Kraft , so etwa ein geschnitzter Speer oder ein vier Meter langes, an einem Ende rot bemaltes Stück Holz26) oder ein einfacher, roher, unbehauener Holzblock oder einfache Pfähle oder bekleidete, mit öl bestrichene große Holzklötze oder bemalte Kiesel¬ steine27) usw. Im allgemeinen ist also das Symbol etwas Aufrechtstehendes, es ist klar, daß hierbei der Phallus als Vorbild, zum mindesten als Anregung gedient hat.

Wahrscheinlich liegt etwas Ähnliches auch der Zusammenfügung von Ahnen¬ köpfen mit Elefantenzähnen zugrunde, die wir bei vielen der bekannten ge¬ gossenen Köpfe aus Benin annehmen können. Ein alter Reisebericht erzählt von „Menschenköpfen, von eben so einem Künstler in Kupfer gegossen, als der Bildhauer war, und an jedem Kopf war ein Elefantenzahn. Dieses waren einige von des Königs Göttern“.28)

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Ahnen-Kult

Die allgemeine Atmosphäre des Verhältnisses zwischen Lebenden und Ahnen¬ schaft ist freilich nicht ganz voll so widerspruchsloser Verehrung, wie es nach den oft bewundernswerten Monumenten der Toten scheinen könnte. Die völlig materialistische Einstellung der Naturvölker auf die handgreiflichsten Güter des Lebens, wie Gesundheit, Reichtum und Kinderzuwachs prägt von vornherein ihren Gebeten einen grob habgierigen Charakter auf, der dem höchsten Gott gegenüber keineswegs in den Hintergrund tritt und sich angesichts der untergeordneten Instanz, die sowieso eine unbefangenere Aussprache möglich macht, umso un¬ genierter gibt. Die Gebete, die etwa die Ba-Nkouma bei ihren Ahnen-Opfern vortragen, haben einen verhältnismäßig demütigen Charakter: „Oh ihr alten Väter und Mütter, warum behauptet ihr, daß wir euch hungern lassen! Da habt ihr das Rind, das ihr haben wollt. verzehrt es mit unseren Vorfahren, die vor und nach euch gestorben sind, mit denen, die uns kennen und mit denen, welche uns nicht kennen. Gebt uns das Leben, gebt uns und unseren Kindern Güter; denn ihr habt uns auf Erden gelassen und es ist klar, daß wir hier auch unsere Kinder zurücklassen werden. Warum seid ihr erregt wider uns? Warum verachtet ihr dies Dorf, das doch das Eure ist? Ihr seid es, die es uns gegeben haben. Vertreibt doch, wir bitten euch herzlich darum, alle bösen Geister, die leiden machen, alle schlimmen Erkältungen und Krankheiten. Da habt ihr die Spenden, die wir euch bringen und durch deren Vermittlung wir euch unsere Bitte vortragen.“29) Hier ist der J on noch ganz zurückhaltend. Bei anderen Gelegenheiten wird den Vorfahren der Standpunkt dann schon erheblich deut¬ licher klar gemacht: . . . . Ihr seid wahrhaftig zu nichts nutze . . . ihr macht uns nur Ungelegenheiten! Wir können noch so viele Gaben herbeischleppen, ihr schenkt uns kein Gehör! An allem leiden wir Mangel! Und ihr habt nur Haß für uns! . . .“30) Der Tonfall der Ansprachen ist demgemäß nonchalant und zu¬ gleich monoton, „nichts in der Haltung des Sprechers drückt Furcht oder auch nur Respekt aus“. Freilich ändert sich diese Haltung, sobald einschneidende Not¬ lage zum dringenden Appell an die Vorfahren zwingt. Dann sieht man an der Ogowe-Küste „nicht selten auf Bergesspitzen oder längs der Grenze dichter Wälder große Gruppen von Männern und Frauen stehen, die in den kläglichsten und rührendsten Tönen ihre Ahnen anflehen. Bei dieser Ahnenverehrung sind hier und da auch Bilder gebräuchlich.“31)

Die allzugroße Familiarität zwischen Ahne und Nachkommenschaft ist es, die jene herausfordernde und verletzende Sprache ermöglicht. Man behandelt eben die Verblichenen, als wären sie noch in Munterkeit lebendige Zeugen des gegen¬ wärtigen Daseins, in der Tat: warum helfen sie dann nicht den Kindern aus aller Not?

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Das immerhin Rührende des alltäglichen Zusammenlebens bleibt darum doch bestehen. Als ein Missionar einmal einen Benin-Neger nach der Bedeutung eines großen mit öl übergossenen Fetisches fragte, erhielt er zur Antwort: „Das ist mein Vater. Siehe, was ich ihm noch täglich gebe: dieses öl muß er trinken, mit jenem muß er sich einreiben, um kräftig und gewandt zu bleiben; da hat er auch Früchte, Wasser und alles, dessen er bedarf, um gut zu leben. Morgens und abends komme ich, um ihn zu fragen, was er nötig hat. 3_)

Größere Feierlichkeit als in dem Verhalten der Afrikaner lag in den Bittgesuchen, die von Königen der Südsee-Inseln an die Geister ihrer Vorfahren gerichtet wurden. Ein Bericht aus Tonga zeigt uns den König Finow in Begleitung mehrerer Häuptlinge als Trauernde und Hilfeflehende gekleidet, d. h. in Matten und um ihre Nacken Baumblätter-Flechten geschlungen, vor dem Grabe sitzend und ihre Wangen mit den Fäusten schlagend, dann erhob sich einer der Führer und wandte sich mit diesen Worten an den Geist des Vaters des Königs: „Sieh diesen Mann (den König), der nach Tonga gekommen ist, um seine Feinde zu bekämpfen. Sei ihm gnädig und gewähre ihm deinen Schutz. Er geht zur Schlacht und hofft, damit nichts Böses zu tun. Immerdar hat er Tooitonga mit höchster Achtung behandelt und alle religiösen Zeremonien pünktlich erfüllt.“ Alle Teil¬ nehmer ließen sich nach diesen Worten ein Stück Kavawurzel geben, die er vor dem Begräbnisplatz am Erdhügel niederlegte.33)

Die allgemeine Verbundenheit des Ahnengeistes mit dem tagtäglichen Leben seiner Nachkommenschaft wird auf alle Weise aufrecht erhalten, und alle die vielen kleinen Handlungen, die diesem Verhältnise entfließen, darf man wohl schon als eine Art Kult bezeichnen. Dazu gehört etwa auf N i a s die Gepflogenheit, daß die neue Frau des Sohnes bei dem Eintritt in das Haus ihres Ehemannes den Ahnen vorgestellt wird, sie muß die Palmblätter anfassen, die an seiner Statue hängen.34)

Je intensiver der Manismus in die Lebensverhältnisse der Völker eingriff, umso dienstbeflissener war die Nachkommenschaft gegenüber den Ahnengeistern. Im Kultus kommt dies durch den Reichtum und die Auswahl der Opfergaben zum Ausdruck. Das Beste, was man opfern konnte, und zwar so oft wie möglich! Das Beste bedeutete: Menschenopfer. In der Südsee und in Afrika waren sie ge¬ bräuchlich bei besonders dringlichen Anliegen und Festlichkeiten. Gewiß nicht überall, denn auch in der Religion ist der tatkräftige, tatsächliche Ausdruck einer Gesinnung bei verschiedenen Völkern verschieden, auch wenn die Ge¬ sinnung, der Wunsch selbst gleichartig ist. Am brutalsten klingt eine Schilderung aus dem afrikanischen Dahomey: „Am frühen Morgen . . . begab sich der

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König in aller Stille nach Bantama, in das Haus der toten Könige. Es ist ein langes Gebäude, in das man durch eine lange Galerie eintritt. Innen teilt es sich in kleine Zellen, deren Tiiren mit einem seidenen Vorhang verhängt sind. Darin werden die verstorbenen Könige, d. h. ihre mit Golddraht zusammengefügten Skelette in reich geschmückten Särgen aufbewahrt; jeder umgeben von allem, woran er im Leben Freude gehabt hatte. Am Tage der „Costüme“ wird jedes Skelett auf den Stuhl in seiner Zelle gesetzt, damit ihm der König die ihm be¬ sonders bereitete Speise vorsetze. Nach dem Essen spielt die Musikbande jedem der toten Monarchen seine Lieblingsmelodie; dann werden einige der Menschen, die man in der Hauptstadt dafür bestimmt, mit einem durch die Wange ge¬ stochenen Messer stumm gemacht und hergeschleppt hat, als Opfer geschlachtet. Mit ihrem Blut wäscht darauf der König das Skelett; ist er mit dem einen fertig, so geht er in die nächste Zelle zur gleichen Arbeit, bringt das Essen, gibt das Kriegslied an und befiehlt die Schlachtung der Opfer.“ Es ist nur zu begreiflich, daß das ganze Mausoleum an der Heiligkeit der königlichen Skelette teil hatte, auch die kleinste Ausbesserung an diesem Gebäude kostete Menschenblut.35) Die Interpretation jener Missionare und anderer, als ob solche Todesopfer dem Verkehre mit der jenseitigen Welt dienten, so daß die Getöteten als Boten ins Jenseits zu fungieren hätten, kann nur für eine epigonenhafte, schon mit Distanzen arbeitende Auffassung richtig sein. Die frühere Bedeutung wird sein, daß die Ahnengeister wirkliches Blut erhalten sollten, um den ihm innewohnenden Lebensgeist zu trinken. Die ursprünglichste Meinung aber ging dahin, das Toten¬ fest abgekürzt noch einmal zu begehen, der Sinn dieses Totenfestes aber ist der, daß alles dem Toten gehörende Eigentum mit ihm ins Grab getan, ihm ins Anderssein mitgegeben wird. Denn dem Westafrikaner steht es fest, daß auch in der Unterwelt jeder in seinem irdischen Zustande fortlebt: der König als König, der Sklave als Sklave.

Eingehende Beschreibungen machen uns mit den Ahnenfesten der afri- kanischenPangwe vertraut, über die Teßmann und Trilles berichtet haben. Anschaulich schildert Teßmann36) den Vorgang. „Die im Dorfe befindlichen Ahnen¬ tonnen werden auf dem Festplatz am Ende vor der hinteren Wand auf gestellt. Einige Pangwes nahmen die Ahnenfiguren in die Hand, gingen hinter die Wand und ließen sie in der Art unserer Kasperle-Theater oben auf der Wand tanzen. Die Köpfe der Figuren waren mit Federhauben versehen, ihr Unterkörper war mit einem Tuch verhüllt. Im Gänsemarsch zogen sie aus dem Hintergründe heran und machten ihre possierlichen Bewegungen vor der Wand. Sie drehten, schüttelten sich, suchten an ihr hinauf zu klettern, hingen ermattet von ihrem Rande herunter . . Unterdessen wurden die Schädel aus der Tonne genommen, auf einer Bank vor der Wand aufgestellt und gezählt.“ Der zweite Teil des

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Festes begann mit einem Tanz, der von der Musik kräftigst begleitet wurde. Die Neulinge wurden jetzt herbeigeführt und eine Schar von Männern rückte auf sie los: mit den Schädeln in beiden Händen dicht über dem Boden und sie hin- und herbewegend. In einer Linie kamen sie langsam unter Tanzbewegungen von dem Schädelplatze heran und stellten dann wieder in gleicher Weise die Schädel auf ihren Platz zurück. Dieser Tanz wurde mehrfach wiederholt, und die Leute wurden immer begeisterter, „man sah förmlich, wie die alten Fangs aus ihiei Gruft stiegen“. Dann sammelten sie sich zu neuem tanz, kamen gemeinsam auf die Neulinge zu und tanzten ihnen zwischen Armen und Beinen hindurch. Als die Schädel wieder auf ihrem Platze standen, trat ein älterer Mann auf, gebot Stille und reinigte die Schädel von dem Fluche, der auf sie wegen ihrer Nach¬

lässigkeit gelegt war. Nach einiger Zeit begann der Tanz der Ahnenfiguren von neuem, ebenso der Schädeltanz, dann wurde ein Huhn geopfert, sein Blut zu einer Art Salbe gemischt, mit der die Schädel und die Neulinge eingerieben wurden. Nach einer ähnlichen Prozedur wurden die Schädel in die Tonne zurückgelegt. Dem üblichen Festschmaus folgte eine Prozession, in welcher die Holzfiguren ins Dorf zurückgetragen wurden, unter Eulenhuhu und Uhugeschrei. Der zweite Festtag brachte das Bitt-Gesuch an die Schädel, also den ITauptteil des Festes. Die Ahnenschädel wurden wieder auf den Boden gestellt und ein älterer Mann aus dem Dorfe hielt eine Ansprache, in welcher er den Ahnen Vorwürfe machte, daß sie es ihrem Dorfe so schlecht ergehen ließen: Krankheit, kein Glück bei der Jagd . . . Nun möchten die Ahnen den Lauf der Dinge zum Besseren wenden. Opfergaben würden ihnen ja gebracht werden. Ein Schaf wurde so¬ gleich geschlachtet. In der folgenden Nacht müssen die Neulinge auf dem Schädelplatz die Trommel schlagen, man meint, daß sich die Ahnenseelen dann dort aufhalten.

Der Kultus der großen Osterinselfiguren ist uns noch unbekannt, vielleicht, daß alte Reiseberichte doch noch dereinst eine Ahnung von ihm ver¬ mitteln möchten. Die kleineren holzgeschnitzten Holzgötter wurden zur Zeit der Fruchtreife, des Fischfanges, der Eiersuche angerufen, mit Perrücken bedeckt und bekleidet scheinen sie in Prozessionen herumgeführt worden zu sein. Eingehender sind wir über die Festlichkeiten unterrichtet, bei denen die Uli- Figuren Neu-Mecklenburgs eine Rolle spielen.37) Es handelt sich bei ihnen immer um die ausgiebige und darum sehr lang dauernde und kostspielige Ehrung eines großen Häuptlings. Sie besteht in einer zusammenhängenden Reihe von Festen, die sich aus zwölf Teilfesten zusammensetzt und die sich über Jahre hinziehen kann. Da beginnt man zunächst damit, den Schädel des Verstorbenen auszugraben und in der Ecke des Männerhofes wieder einzuscharren, darüber

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Abb. 33 und 34. Holzbecher der Bakuba (Kongogebiet)

wilde Bananen, Dracaenen und eine heilige avasop-Pflanze einzupflanzen, deren Wurzeln den Schädel durchwachsen soll. Unter mancherlei Zeremonien, Tänzen, Schweineessen werden dann späterhin die Ulifiguren herbeigeholt, bemalt, auf¬ gestellt. Schließlich nach dem letzten Teilfest wickelt man die Ulifiguren wieder ein und ver¬ brennt man den Schädel. Frauen dürfen an den Festlichkeiten selbst nur indirekt teilnehmen, sie haben die Erlaubnis, außerhalb des Männer¬ hofes ihre Tänze aufzuführen.

Auf den melanesischenAdmiralitäts- inse 1 n bewahrte man zunächst den Leichnam bis zur vollständigen Verwesung auf, wusch dann das Skelett, zerlegte es, tat die Knochen in ver¬ schiedene Körbe, die man ins Meerwasser hinab¬ ließ, um sie zu bleichen, dann legte man sie in eine Holzschachtel, die man im Hause des Toten aufstellte. Nach einiger Zeit wurden die Rippen des Toten verteilt, hierzu veranstaltete man ein großes Fest, dem eine weitere weit größere Festlichkeit folgte: die „Feier zu Ehren des Schä¬ dels meines Vaters“, wie sie dort benannt ward. Eine Hauptsache inmitten der vielen nötigen Vor¬ bereitungen war die Errichtung eines Gerüstes, für dessen Schmuck die ganze Kunst des Holz¬ schnitzers aufgeboten wurde, um das Gerüst mit den Gestalten von Schildkröten, Vögeln und an¬ deren Figuren zu verzieren; auf dieses Gerüst wurde der Schädel gelegt. Das Fest wird durch Trommelton eröffnet. Der Gastgeber rühmt in einer Ansprache den Toten und die Anwesenden. Dann tritt der Priester hervor, nimmt den Schädel in die Hand und hält ihn dem Gastgeber hin, der mit einem in öl getunkten Dracaenenbüschel den Schädel berührt und die Worte spricht: „Du bist mein Vater.“ Nach wiederholtem Trommelschlag tut er einen zweiten Schlag auf den Schädel und sagt: „Nimm das zu deinen Ehren bereitete Essen an!” Abermaligem Trommelschlag folgt die dritte Berührung des Schädels mit den Worten: „Beschütze mich. Beschütze meine Kinder. Beschütze meine Leute.“ Wiederum lauter Trommelschlag. Dann folgt

Abb. 35.

Ahnenf igur der ßakongo

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das eigentliche Festessen, mit dem die Feier ab¬ geschlossen wird. Den Schädel bewahrt man weiterhin sorgfältig auf.38) Hier wird zwar kein eigentliches Ahnenbild verehrt, aber der Ahnen¬ kult wird doch Anlaß zur Entfaltung einer viel¬ seitigen künstlerischen Produktion.

Den „K o r w a r e n“ Neu-Guineas (s. oben S. 64) wird Tabak und Speiseopfer gespendet. Ehr¬ fürchtig grüßt sie der Eingeborene, indem er sich zur Erde beugt, die Hände faltet und zur Stirn hebt. Man begnügt sich nicht damit, diese Kor- ware im Hause zu haben, selbst auf der Reise und im Boot mag man sich nicht von ihnen trennen, um jederzeit sich bei ihnen Rat holen zu können. Bei solchen Befragungen nimmt der Fragesteller das Bildnis in die Hand oder duckt sich vor ihm zu Boden, um auf diese oder jene Weise vom innewohnenden Geist inspiriert zu werden, Zittern und Frösteln zeigt den Erfolg an. Das „Medium“ gibt dann im Namen des Toten die gewünschte Auskunft.

Am eingehendsten sind wir über den Ahnenkult im i n d o n e s i s c h e n Archipel unterrichtet.

Und zwar hören wir Genaueres von der Insel N i a s. Hier wird regelmäßig nach dem Ableben eines Häuptlings eine Holzstatue von ihm ge¬ schnitzt und dann wird, dies scheint das unter¬ scheidende Merkmal gegenüber anderen Bezirken zu sein, solch Bildnis künstlich zum Wohnsitz dieses Ahnen gemacht: der Priester lädt seine Seele ein, im Bilde zu wohnen, wartet am Grabe das Erscheinen einer kleinen Spinne ab, setzt sie im Hause vor das Ahnenbild und wartet ab, bis sie auf die Statuette zuläuft, diese Spinne hält man für das Überbleibsel des Herzens des Toten. Nachdem somit der Ahnengeist im Bildnis Wohnung ge¬ nommen hat, tanzen die Hinterbliebenen vor ihm, jeder Anwesende opfert ein Ei, Geschichten werden erzählt (welchen Inhaltes wird nicht berichtet), endlich erbittet man von ihm Kindersegen, erfolgreiche Schweinezucht, gute Ernte usw.

Abb. 36.

Ahnenfigur der Bakongo

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Zeigt sieli im Bildnis irgend ein Sprung, so meint man, die Spinne und mit ihr der Ahnengeist sei entsprungen, dann muß ein neues Bild hergestellt werden, und die Zeremonie wiederholt sich. Bei Opferfesten stellt man dann diese Bilder mitten unter die Menge und legt ihnen Speisen in den Arm. Auch bestreicht man sie mit Blut, damit das an sich tote Holz Seelenstoff empfängt. Nach und nach findet sich eine ganze Anzahl solcher Figuren zu¬ sammen, und mit der Verzweigung der Familie nimmt auch die Zahl der be¬ teiligten Eigentümer zu; wer gerade diese Ahnenreihe braucht, weil er die Vor- faliren auf seine Notlage aufmerksam machen will, der leiht sie sich aus. Doch soll das Bild des ältesten Ahnherren immer den Nachkommen des ältesten Sohnes verbleiben.

Bei aller Verehrung, die diesen Bildnissen zuteil wird, hört man doch vereinzelt von Fällen offner Rebellion, wenn sich der väterliche Geist allzu hartherzig zeigt. Ein Nias-Insulaner, den seine Gläubiger hart drängten, packte in plötzlichem Wutanfall das Bild seines Vaters und steckte es unter die brütende Henne mit den Worten: „Da du mir nicht zu Ehre und Reichtum verholten hast, darfst du dich heut Nacht unter dem Bruthuhn aufhalten“, am nächsten Morgen schleuderte er die Statue zum Dachfenster hinaus in die Büsche.39)

Zu jenen alltäglichen Kulthandlungen tritt eine weitere besondere Ehrung für Häupter mächtiger Familien: analog den südseeinsulanisehen und afrikanischen Beispielen sendet man weitere Todesopfer dem Verstorbenen nach. Jedoch mit dem Unterschiede zu jenen, daß solche Ehrung gewöhnlich längere Zeit nach dem Todesfall erfolgt. Etwa ein Jahr nach dem Tode des Fläuptlings gräbt der älteste Sohn die Gebeine des Vaters wieder aus, ein Priester sitzt dabei und singt:

„Nicht in Ruhe kann mehr schlafen,

Nicht in Ruhe kann mehr liegen Hier des großen Häuptlings Seele,

Hier d ie Seele des Balugu (Ehrentitel),

Unten in des Armen Feldhaus,

Ruhestatt für tausend Menschen,

Unten in der Armen Hütten,

Wo zehntausend haben Platz.

Auf, wohlan, geh jetzt schon schlafen.

Auf, wohlan, leg jetzt dich nieder Oben bei dem alten Adel,

Bei der Herrlichkeit der Ahnen,

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Hoch in Tete lloli ana’a Rechtem Platz für edle Leute,

Hoch in Tete Holi liamo,

Würdgem Ort für große Menschen!“

Die Knochen des Vaters trägt der Sohn dann ins Haus, stellt sie vor die Ahnen¬ bilder hin, unter denen auch das frische Bildnis seines Vaters sich befindet. Später werden dann die Gebeine von neuem an anderem Ort begraben. Nun nimmt die Schädeljagd ihren Anfang. Die Mörder werden gedungen. Vor ihrem Auszug schmückt man das Bild des Toten und ruft es mit einem langen Gedicht an, dessen Kernstück so lautet:

„Wir opfern dir, um Köpfe zu holen,

Verruchter Köpfe blutige Schädel.

Du sollst dich nun nicht länger schämen,

Du brauchst dich nun nicht weiter zu grämen,

Du hast ja Söhne, tüchtige Fechter,

Du Vater blutsverwandter Geschlechter.

Die lassen dich jetzt nicht im Stich.

So gib du ihnen guten Fang.

Auf ihrem langen, wichtgen Gang,

Wir wollen ja ehren nur dich.“

Kehren die Ausgesandten erfolgreich, also mit Menschenköpfen versehen, heim, so stellt man das Idol „Saho“ auf den Platz vor dem Hause auf und beginnt den Gesang:

„Nun geh’ und rufe uns den Toten,

Bring den her, der jüngst gestorben.

Wir senden dich als unsern Boten.

Sag ihm, daß noch nicht verdorben Der Väter Sitte bei den Söhnen.

Denn es ist nun da die Beute,

Geholt von deinem Sproß, dem schönen,

Totenschädel fremder Leute.“

Der Schädel wird dann zum Grab des Verstorbenen gebracht. Dann geht es wieder zum Ilaus zurück, wo ein Priester zum Bildnis des Verstorbenen betet und ihn um Segen für jedwede Tätigkeit des Sohnes anfleht. Zum Schluß wird der Beuteschädel an der Front des Hauses befestigt. Eine Statuette des dämo¬ nischen Nothelfers des „Knoppensnellens ', Bela Zamu genannt40), zeigt unsere Abbildung (Taf. 64).

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Die außerordentliche Stärke des manistischen Gefühles spricht sich überall aus, wo immer Avir die Primitivität prüfen. In besonders drastischer Weise spüren wir sie dort, wo selbst Dinge, die anscheinend nur dem untergeordneten Gebrauche dienten, als vollgültige Stellvertreter der Toten aufgefaßt werden. Daß wirkliche Überbleibsel der Verstorbenen, wie Schädel usw., zur Andacht anregen können, ist uns noch einigermaßen geläufig. Aber wie begreift man die Verehrung etwa von Ahne n stähle n? Und doch ist sie den Eweern in S ii d - T o g o eine Selbstverständlichkeit. Alle großenKrieger jenes Volksstammes haben einen Ahnen¬ stuhl, wer keinen Stuhl der Vorfahren hat, genießt keinerlei Achtung. Nur Helden dürfen sich Stühle schnitzen, und so führt ein solcher Stuhl Beinamen, die seine Macht verherrlichen: ..wer den Stuhl verehrt, kann durch niemand über¬ wältigt werden“ usw. „Wird der Ahnenstuhl mit in den Krieg genommen, so erfaßt er zuweilen einen Menschen. Wird der Erfaßte krank, so fragt er einen Priester nach der Ursache. Dieser antwortet: „Der Ahnenstuhl läßt dir sagen, er habe dich gesegnet. Willst du nun, daß du auf dem Stuhle sitzest? Willst du das, so wirst du wieder gesund werden.“ Der Stuhl sagt: „Du sollst auf mir sitzen, sollst mir dienen und mir Opfertiere schlachten ". Er bekommt nun vom Priester die Anweisung, daß er sich zwei Trommeln . . . ein Schwert, einen großen Schirm und den Königsstuhl beschaffen solle. Den Schirm solle er über diesen Gegenständen aufspannen. Wenn das Jahr zu Ende geht, solle er einen Widder schlachten und der ganzen Stadt ein Mahl bereiten . . . Wenn er diese Aufgaben pünktlich erfülle, so werde ihm der Stuhl alle Ausgaben ersetzen, die er seinet¬ wegen gehabt habe." Für solch einen wunderkräftigen Stuhl wird ein besonderes Haus gebaut, das nur zu kultischen Zwecken an Geburtstagen betreten werden darf: nach einem Gebet wird Mehlwasser über den Stuhl ausgegossen, aus Mehl geknetete kleine Kügelchen werden auf ihn gelegt und alle Anwesenden knien nieder, - dann schenkt ihnen allen der Stuhl ein heldenhaftes Herz. Dieser Kult us scheint allen Vorfahren gewidmet zu sein, für die also in ihrer Gesamt¬ heit ein Stuhl die vollgültige Repräsentanz ist.41)

Der Totemismus Der Sinn des Totemismus

Totemismus bezeichnet einen ganzen Komplex von Erscheinungen religiöser und sozialer Art, der bestimmt wird von dem Zusammengehörigkeitsgefühl einer Gruppe von Menschen mit einer bestimmten T i e r - , Pflanzen-, Steinart usw., eine Zusammengehörigkeit, die sich auf Blutsverbundenheit gründet und die sich in strengen Heiratsvorschriften, zumeist exogamischer Natur, und in ehrfurchts¬ vollem, zumeist durch Efiverbote betonten, Verhalten den zugehörigen Totem-

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Abb. 37* Häuptlingsstäbe der Songo (Portugiesisch-kongo)

dingen gegenüber äußert. Der Ursprung dieser Auffassung, die noch Dis in unsere europäischen Tage herauf Reste ihrer urtümlichen Einstellung in Gestalt der Wappentiere bewahrt hat, mag in den Zeiten des ältesten jägertums zu suchen sein, als ein gleichartiges Dasein die Tiere als überwertige Wesen neben

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die damaligen Menschen stellte, Es liegt primär zu Grunde die allgemeine Flüssig¬ keit der Elemente der Wirklichkeit, jenes Gesetz der Anteilnahme, das die innere Wesensschau nicht bloß, sondern vielmehr die WFsens-Erfühlung von Tier, Pflanze und Gestein dem Primitiven zur Selbstverständlichkeit macht.

Das grundlegende Verwandtschaftsgefühl zwischen Mensch und Tier ist fast überall in der naturvölkischen Welt stark ausgeprägt. So glauben die afri¬ kanischen E w e , daß auch die Tiere dem Gotte Opfer bringen, der mit ihnen wie mit den Menschen spricht. Die Schilluk leiten ihre Abstammung von der Kuh her: „Die Kuh ist unser Urahne; sie gebar eine Kürbisschale; diese spaltete sich, und aus ihr hervor kamen unser Stammvater . . ., ferner der Strauß und der Rabe. Diese beiden Tiere sind unsere Brüder, sie gehören zu unserer Familie. Bei den P an g we geht nach dem Tode des Stammvaters einer Familie seine Seele in das Schutztier und dessen Nachkommenschaft ein.1) An der Gold¬ küste malen Angehörige eines Leopardenclans bei dem Verscheiden eines ihrer Leute die Zeichnung eines Leoparden an die Wand und bemalen sich selbst und die Leiche mit Flecken nach dem Vorbild des gefleckten Leopardenfells.2)

Freilich ist in Afrika solch Bewußtsein der Blutseinheit verhältnismäßig schwach ausgeprägt. Bei den P a n g w e , deren Totemismus nach der Darstellung Trilles sehr kompliziert ist, ist der Ahnherr des Stammes nicht identisch mit dem Totemtier, sondern sie unterscheiden zwei Stammväter: den des Stammes und den der Tierart, die unter sich durch Geist und Blut verbunden wurden.3) Sie kennen also nur eine nach der Erschaffung der Menschen und Tiere begründete Verbrüderung.

Stärker ist die Angleichung bei den nordwestamerikanischen Indianern. Hier sind die Vorfahren einer Gruppe etwa Menschen gewesen, die die Fähigkeit hatten, die Gestalt eines Mannes oder Weibes zu verlassen, um die der Fischotter anzunehmen. Analog gelten dort die Tiere der Urzeit nicht als einfache Tiere, sondern sie waren zugleich Menschen und konnten nach Be¬ lieben beiderlei Gestaltung annehmen. Es besteht eine Verwandschaft zwischen den heute lebenden Tierarten und den ebenso benannten der Urzeit, aber keine direkte Abstammungslinie.4)

Manche nordwestlichen Stämme, wie z. B. die T 1 i n g i t , behaupten zwar jetzt nicht mehr die direkte Abstammung ihrer beiden Clane des Raben und des Wolfes von diesen Tieren selbst, sondern lassen ihre Stammväter ihre Clanzeichen von dem Tiere erhalten, das mit übernatürlichen Kräften ausgerüstet war. Aber der Totemismus jener Stämme ist verblaßt und so kann auch jene Legende von der Begegnung des Ahnen mit seinem und der Sippe Totemtier wohl eine abge¬ schwächte Formulierung des früheren Glaubens enthalten. Das wird denn auch dadurch bestätigt, daß die nahverwandten Kwakiutl von einer Epoche sprechen.

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in welcher die Verwandlung der Tiere in Menschen vor sich ging.5) Die gleiche Auffassung vertreten die Winnebago, ein Sioux-Stamm, der seine Clane von ver¬ wandelten Tieren herleitet, und die Menomini und Delaware n, die den Ursprung ihrer Clane auf die Tiere selbst zurückführen, deren Eigenschaften in gewissem Sinne auch die der Clangenossen sind.

D ie Stei gerung von Afrika zu Amerika hin wird in Australien weiter fortgesetzt, ln Afrika hatten wir in manchen Gegenden die Gemeinschaft zwischen Stamm¬ vater und Tierart, in Amerika die genealogische Ableitung des Menschen vom Tier. Eine dritte Stei gerung ist noch möglich: die Erhebung der Totemtiere zu einem fast göttlichen Range. Dies geschieht in Australien.

Den Zusammenhang zwischen Mensch und Tier stellen sich die zentral¬ australischen A r a n d a folgendermaßen begründet vor. Die Erde, welche als ewig gilt, war anfänglich vom Meere bedeckt, aus dem verschiedene Berge ragten. Auf diesen Höhen lebten einzelne, unerschaffene, mit göttlicher Kraft ausgerüstete Wesen, die wiederholt zum Himmel hinaufstiegen, um dort im Reiche Altjiras, des guten Gottes, zu jagen, übrigens eines rothäutigen Mannes mit Emu-Füßen, der viele hundebeinige Frauen und viele Söhne und Töchter mit Tierbeinen hat. Am Abhange eines dieser Berge befanden sich viele Menschen mit noch zusammengewachsenen Gliedern, geschlossenen Augen und Ohren, also menschenartige Wesen, die überdies noch untereinander zusammengewachsen waren. Als nun eines Tages jener Himmelsgott Altjira den irdischen Halbgöttern verbot, in seinem Reiche zu jagen, trieb einer von ihnen, der Totem-Gott einer elsterartigen Vogelart, das Meer zurück, so daß das Festland erschien. Einige jener Götter stiegen, dem Verbote Altjiras zum Trotz dennoch in den Himmel hinauf, da versank der höchste Berg und sie sind dort oben als Sterne ge¬ blieben. Als sich das Wasser verlief, traten die Totem-Götter aus ihren unter¬ irdischen Höhlen hervor. Meist hatten sie Menschengestalt, doch hatten sie die Fähigkeit, die Tiere, deren Namen sie führten, hervorzubringen, sich ihrerseits in deren Gestalt zu verwandeln, ja, manche wanderten dauernd als Tiere umher. Bei allen Totemgöttern treten die charakteristischen Eigenschaften des betreffenden Tieres hervor: der Känguruh-Totem-Gott frißt Gras, wie ein wirk¬ liches Känguruh usw. Diese Götter wanderten oft herum, lehrten Lernbegierige Kultushandlungen, um das Gedeihen und die Vermehrung ihres Totems zu be¬ wirken. Heimgekehrt warfen sie sich müde auf den Boden nieder, und ihre Leiber wurden z. T. in Hölzer, z. T. in Steine verwandelt, die tjurunga, d. h. der eigene, verborgene Leib, genannt werden. Dann gab es auch andere dotemgötter, die an ihrem ursprünglichen Platz blieben und sich schließlich in Bäume und Felsen verwandelten. Die Seelen der Totemgötter gingen in die Erde, wo sie mit rotem Leib angetan, in unterirdischen Höhlen leben, des Nachts aber kommen

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sie hervor, betrachten ihre früheren Leiber und wollen Katzen, Eidechsen usw. jagen.

Neben solchen Totemgöttern lebten in der Urzeit noch viele Frauen, die über göttliche Kräfte verfügten, auf Erden. Auch sie verwandelten sich in Felsen und Sträucher, während ihre Seelen ebenfalls in der Erde weiterleben.

Das Los der hilflosen zusammengewachsenen Menschenwesen wurde durch den Totemgott einer fliegenfressenden Eidechsenart gründlich verbessert: er trennte die einzelnen Wesen voneinander, öffnete ihre Organe und machte ihre Glied¬ maßen gebrauchsfähig; auch Heiratsordnung, Beschneidung usw. führte er bei ihnen ein. Analog verfuhr späterhin ein gleichartiger Totemgott, der weiter nach Süden ging. So waren diese beiden Totemgötter die Kulturträger der Aranda.

Vervollkommnet wurde diese Belehrung durch den Wallaby-Totem-Gott Putia- putia, der den Menschen das Schnitzen der Tjurunga und die Zeremonien der Kultushandlungen beibrachte.

Aber nicht bloß für die lebenden Tiere haben ihre gotthaften Vorfahren genea¬ logische Bedeutung, auch die Menschen stehen unter ihrem organischen Einfluß. Denn an den Orten, an denen die verwandelten I.eiber jener Tiergötter weilen, leben Kinderkeime, die durch die Kraft der Götter angetrieben in vorüber¬ gehende Frauen eindringen und so die werdenden Menschen zu Abkommen der 1 otem Vorfahren stempeln. Jeweils dort also, wo die Mutter zuerst das keimende Leben spürt, ist die Stelle, wo ein totemgott sich kraftvoll erwiesen hat, und so wird aus dem betreffenden Orte die Totemzugehörigkeit des Kindes ab¬ geleitet.6)

So wird nicht bloß das Bild der Landschaften von dem Einfluß jener Urtotem- tiere beherrscht, da sie selbst sich in Felsen usw. verwandelten, sondern auch das tierische und menschliche Leben nimmt von ihnen seinen Ausgang. Das wird noch deutlicher werden, sobald wir uns dem Einfluß des Totem-Gedankens auf die bildende Kunst zuwenden.

Das Bild und der Kult des Totems

Die außerordentliche Wichtigkeit des Totemismus für die Australier ließe wohl auf einen ausgebreiteten Einfluß seines Vorstellungskomplexes auf die bildende künstlerische Phantasie schließen. An den großen Prunk der Riten hochkulti¬ vierter Völker gewöhnt, sind wir geneigt, am materiellen Reichtum die Stärke religiöser Vorstellungen zu ermessen. Dies trifft nicht immer so zu. Vielmehr verhält es sich oft umgekehrt: je intensiver die Religiosität ist, desto symbolischer, desto mehr auf das Gebiet der puren Andeutung eingestellt, gibt sich die siclit-

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Abb. 38 und 39. Holzfigur aus Afrika

bare Hinweisung. Überdies freilich ist im Falle Australiens die Schwäche des künstlerischen Triebes an sich in Rechnung zu stellen.

In Australien ist das totemistische Lebensgefühl am reinsten ausgeprägt und auf die höchste mythologische Stufe gehoben worden, so daß sich die Phantasie der Zentral-Australier fast ausschließlich mit den Totemkulten beschäftigt. Der Apparat, der für diese Feste benötigt wird, ist nicht umständlich: die Be¬ malung des Körpers, eine sparsame Schmückung des Körpers und endlich die Tjurunga.

Die Tjurunga, das ist das Wesentliche. Zwei Arten solcher Steine oder Hölzer gibt es, von denen die eine eben tjurunga, die andere papa-tjurunga heißt. Die tjurunga gilt als der gemeinsame Leib des Menschen und seines Totem- vorfahrens, dessen Schutz sie ihm gewährleistet; sie verbindet ihn auch mit dem jetzigen Totemwesen und ermöglicht ihm, ihre Vermehrung zu fördern. Wird die tjurunga mit Fett und rotem Ocker bestrichen, so gehen schöpferische Kräfte von ihr aus, die den lebenden Totemtieren zufließen. Die papa-tjurunga gilt als der andere, der zweite Leib des Menschen und stellt seine magische Ver¬ bindung mit demjenigen Totemvorfahren her, von dessen in Felsen und der¬ gleichen Dingen verwandelten Leib sein Kindskeim ausgeschickt wurde. Übrigens gehören tjurungen sowohl Männern, wie Frauen, aber die Frauen dürfen ihre heiligen Steine nicht sehen und auch vor den Kindern werden sie geheimgehalten. In einer Llölile werden sie aufbewahrt.

Diese tjurungen tragen nun anscheinend geometrische Zeichnungen, die mit einem Opossumzahn eingeritzt werden, aber diese rein ornamentalen Ritzungen haben eine sehr anschauliche, eine höchst konkrete Bedeutung: konzentrische Kreise sind Zeichen für Lagerplätze, Bäume, Rücken, Fett eines Totemvorfahren usw.,

Parallelen bezeichnen einen Fußpfad, Tätowierungen eines Totemvorfahren usw.7) In ihrem Zusammenhänge beziehen sich die Zeichnungen inhaltlich auf das betreffende Totemwesen.

Die Tjurungas unserer Abbildungen zeigen (Abb. 40) Arabesken, die Episoden aus dem Leben einer mythischen Eidechse bedeuten sollen: a) ist der große, b) kleinere Lagerplätze der Eidechse, c) bedeutet die Wege, die sie gegangen ist, d) gebogene Tjurungahölzer, mit denen sie ihren Lagerplatz reinigte, e) zeigt sie in sitzender Stellung, f) und g) Fuß- und Schwanzeindrücke, die sie auf ihren Wanderungen hinterlassen hat. Oder sie zeigen (Abb. 41) in ihren Vertiefungen Körperteile usw. des Emu: a) und b) bedeuten Rückenzeichnungen, c) seine Eingeweide, d) den Mastdarm, e) das Fett, f) die Schenkel, g) den Hals, h) die Fußspuren des Tieres, i) weist auf Ausbesserungen eines Sprunges hin. Oder (Abb. 42) sie beziehen sich auf die Raupe einer Mottenart und zeigen in konzen¬ trischen Kreisen ihre Lagerplätze und zu ihren Seiten viele Fußspuren der

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Raupe. Eine Reihe anderer Formationen beschäftigt sich mit gleichermaßen rebusartigen, bilderschrifthaften Andeutungen menschlicher und astraler usw. Motive.

Die so ganz und gar einfachen und ausdruckslosen tlolz- und Steingebilde sind von einer Atmosphäre demütiger Frömmigkeit umgeben. „Ein Mensch, der eine tjurunga besitzt, wie etwa das Schlangen-tjurunga, wird sie mit der Iland un¬ unterbrochen reiben; unterdessen erzählt er in singendem Tonfall die Geschichte der Schlange aus der Frväterzeit, bis er allmählich zu fühlen glaubt, daß eine besondere Verbindung zwischen ihm und dem heiligen Gegenstände bestehe, daß gewisse Eigenschaften vom Gegenstände zu ihm hin und von ihm zum Gegen-

Fig. 2

Abb. 40. Eidechsen -Tjurunga aus Mittel- Australien

stände hin fließen.“8) So wird das Stück Holz oder Stein langsam in ein lebendiges Wesen verwandelt, in ein Wesen, das vor allem in den Totemkulten eine auch die Gemeinschaft tief ergreifende Belebung empfängt.

Mit großer Genauigkeit ist uns der Hergang der Totem-Kulte bei den zentral-australischen Stämmen der Aranda und Loritja durch Strehlow berichtet worden.9) Die eigentlichen Zeremonien, die der Vermehrung und dem Gedeihen des Totems dienen und die an bestimmten heiligen Plätzen stattfinden, an denen der Totem-Vorfahre in der Urzeit seine Heimat oder seinen Aufenthalt hatte, heißen mbatjalkatiuma, während der bekannte Terminus intijiuma, den Spencer und Gillen verwenden, bei ihnen nur eine Art Probe-

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Vorführung unter Fortlassung wichtiger Einzelheiten bedeuten soll. Der Gesang der eigentlichen Zeremonie ist nun der folgende.

In der Nähe der heiligen Höhle, in welcher die tjurungen aufbewahrt werden, wird eine Vertiefung für die Darstellung bereitet, einige Männer holen die heiligen Hölzer und Steine, bestreichen sie mit rotem Ocker und Fett und legen sie auf eine Zweigunterlage. Die zu Darstellern ausgesuchten Männer müssen dem be¬ treffenden Totem selbst oder doch durch ihre Mutter vermittelt angehören. Sie werden so geschmückt, wie der Totem-Ahne der Urzeit geschmückt gewesen sein soll: ihr Körper wird mit Fett eingerieben und mit „allerlei Linien und Zeichen mit rotem oder gelbem Ocker oder mit schwarzer Kreide überzogen. An den Säumen dieser Striche werden Vogeldaunen angeklebt, Klebestoff gibt das eigne Blut. Oft wird mit Daunen der ganze Oberkörper und der Kopf beklebt.

Abb. 41. Emu-Tjurunga aus Mittel-Australien

Den Kopf krönen Zweige, die in ein Kissen hineingesteckt werden, das auf dem Kopfe des Darstellers befestigt wird; auch diese Zweige werden mit Daunen beklebt. Außerdem steckt man oft eine tjurunga ins Haar, um so die Schaffens¬ kräfte des Totems in sich überzuleiten. Andere Schmuck gegenstände trägt man in den Händen oder auf dem Kopfe: aus Haaren gefertigte Schnüre und daran befindliche Knäule, die um den Hals gehängt werden, dann Bögen usw. All diese Dinge stellen Körperteile des betreffenden Totem-Urahnen dar. So bedeutet ein Haarknäul Herz oder Magen usw. Außerdem bedient man sich oft eines Gerätes, das aus zwei über einem Stock befestigten Querstöcken besteht und das man dann mit Schnüren aus Menschen- oder Tierhaaren überspannt und mit Vogel¬ daunen beklebt; an den Enden der Stöcke werden Federbüschel angebunden. Auch dies Kulturgerät stellt irgendeinen Körperteil des Totem-Urahnen dar. Man trägt es meist auf dem Kopf. Alle diese Gegenstände können jedoch bei den Zeremonien fehlen, ohne daß sie ihre Wirksamkeit einbüßen. Regelmäßig jedoch

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müssen Abbilder der Speere jener Uralinen auf dem Festplatz aufgestellt werden : Speere, die mit Garn umwickelt und mit Vogeldaunen beklebt sind.

Sind alle Vorbereitungen getroffen, so lassen sich die alten Männer als Zuschauer nieder, die Darsteller nehmen in der Vertiefung des Platzes ihre Stellung ein und einer der alten Männer ruft die jungen Leute herbei. Diese kommen heran¬ gelaufen und bewegen sich mit den im Takt ausgestoßenen Lauten: wa-wa-wa- jaijaijaijaijai fortwährend um die Darsteller herum, bis zum Abschluß der Dar¬ stellung ein älterer Mann die Darsteller an der Schulter ergreift und sie aus der Ekstase reißt. Die Vorführung selbst besteht in der Nachahmung des Totemtieres in seinen Bewegungen oder auch nur im Erzittern des Leibes (als äußeres Zeichen wohl der Besessenheit durch den Totemgeist). Währenddessen sitzen die alten Männer abseits und singen ihre tjurunga-Lieder, deren Takt ein Alter durch Aufschlagen eines Stockes auf den Boden angibt. Diese Lieder unterstützen den Fruchtbarkeitszauber der Zeremonien, sie sind von den in der Erde lebenden „verborgenen Menschen“ mitgeteilt worden, die nächtlicher Weise aus ihren unterirdischen Wohnungen hervorkommen und den Schlafenden ihre Gesänge

Abb. 42. Raupen-Tjurunga aus Mittel-Australien

eingeben. Sie enthalten Wandersagen der Totem-Urahnen oder Schilderungen aus dem Naturleben der Tiere, in deren Gestalt jene umherzogen oder Be¬ schreibungen der Bäume und Pflanzen, in welche sich andere Urwesen verwandelt haben. Das Totem, der Totem-Vorfahre und der Totem- Abkömmling, also der Darsteller, sie erscheinen in diesen tjurunga-Liedern als untrennbare Einheit. Die Vortragsweise der Lieder besteht in einem eintönigen, mit Hebungen und Senkungen der Stimme abwechselnden Kantillieren; auf den Wortakzent wird keinerlei Rücksicht genommen.

Die nordamerikanischen Stammesfestlichkeiten, die einen vielfältigen und z. T. prunkvollen Charakter tragen, scheinen den gleichen ur¬ sprünglichen Kern zu umhüllen, wie es offensichtlicher die australischen Zere¬ monien tun: die Wiederholung der Entstehungsgeschichte des Stammes. Da bei dieser Entwicklung die Totemtiere eine wichtige Rolle spielen, so treten gerade sie in den Vordergrund der Tänze und Maskeraden. So gehörte zu den Ein¬ weihungsriten der Mandans der Büffeltanz, in welchem die Darsteller mit Tiermasken und -Fellen tanzten, eine magische Handlung, durch deren Aus-

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fülirung die Büffel herbeigezogen und vermehrt werden sollten. „Die Tänzer personifizierten zweifellos die Totemtiere ihrer Clane Bären, Schwäne, Wölfe und ahmten in ihren Darstellungen die Bewegungen und Bekleidungen der Tiere . . . nach.“10) Deutlicher ist die historische Beziehung bei den Sia Neu- Mexikos, deren Katsuna-Zeremonien eben die Katsuna vor Augen führen, mythologische halb menschliche, halb tierische Wesen, die der Stammessage zu¬ folge die Sia in die irdische Welt hinein begleiteten und seit jener Zeit noch in enger Verbindung mit den Regen und Schnee bringenden Naturkräften stehen. Eine der bekanntesten Feste der Hopi, der Schlangentanz, geht gleichfalls auf diesen Ursprung der totemistischen Ahnenverehrung zurück, und ebenso sind die in andern Festen auftretenden Katcinas des Bären, der Antilope, des Büffels Rest¬ bestände aus einer Zeit, in welcher die Hopi noch nicht Ackerbauer waren.11) Die bekannte Plastik der Nordwestamerikanischen Indianer drängt auf ihren sog. Totempf eilern eine vielfältige Schar menschlicher und tierischer Gestalten zusammen (Taf. 58, 59). Manche dieser Säulen stellen ein Wappen über das andere, manche wiederum sind geradezu bilderschriftlicher Art, da sie z. B. Episoden aus der Mythologie des Raben usw. bedeuten. Zu jedem Totem- pfeiler gehört eine bestimmte Erzählung oder zum mindesten Aufzählung des Inhaltes. Inwieweit jene Pfähle wirklich ihren Namen mit Recht tragen, läßt sich gegenwärtig schwer ausmachen. Alan darf im allgemeinen wohl vermuten, daß sich hinter den heute üblichen Legenden von der Verleihung dieses oder jenes Wappens durch wundertätige Tiere usw. ein ursprünglicher Totemismus verbirgt. Man darf dies umso eher annehmen, als auch die einheimische mythische Sagen¬ welt, in deren Mittelpunkt der Rabe als Weltgestalter steht, durchaus von dem Gefühl der Wesensgleichheit von Mensch und Tier genährt ist.

Die Formbildung geht diesem Inhalt parallel. Denn nirgends in der natur¬ völkischen Kunstwelt ist so innig wie dort die Verbindung von Tierhaftem mit Monumentalität gelungen. Die afrikanische Plastik hat ähnliche Anläufe in Kamerun versucht, doch ohne den unzweideutigen Erfolg der Haida usw., da das architekturale Grundgefühl der Afrikaner ihnen das Gefühl für das organische Leben und seine wahrhafte Plastizität verwehrt. In Ozeanien wiederum ist die Tierfigur eine malerische Dekoration. Anders in jeder Beziehung in Nordwest¬ amerika: hier ist wahrhaft organisches Dasein geformt, gewiß stilisierend, aber doch in solcher Weise, daß das dekorative Element nicht überwuchert, sondern dem unmittelbaren dramatischen Willen, der in jeder guten Plastik lebt, Spiel¬ raum läßt. Ein starker Bewegungsdrang durchpulst die Figuren, treibt auch die Linien auf und ab. Diese Konturen aber verdunsten nicht, wie in Ozeanien, zu malerischem Schnörkelspiel, sondern enthalten und bewahren die organische Kraft, die im Blute mächtig ist. Gerade in diesem Gebiete ist das sog. Verständnis

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des menschlichen und tierischen Körpers am weitesten fortgeschritten, wenn man die Arbeiten der Primitiven durchmustert. Und auch die kleineren kunstgewerb¬ lichen Schnitzereien haben dort eine außerordentlich dramatisch geführte Kraft des Schnittes. Religion wie Kunst hält sich in jener Einstellung, die wie keine andere der Plastik günstig sein muß: für beide liegt das Wesentliche im Tier¬ haften, Organischen!

Der afrikanische Totemismus scheint von geringerer Intensität, als der amerikanische und australische, zu sein. Nur ein einziger Forscher berichtet von einem wirklichen Totemtierkulte aus dem Gebiete der Pangwe. Sonst aber be¬ schränkt sich sein Trieb auf die bildnerische Kunst allein, vielleicht daß noch einige Geheimbundzeremonien mit ihm in Zusammenhang stehen.

Die vom Totemismus vermutlich früher getragene Plastik ist nun freilich umfangreich genug im nördlichen Westafrika vertreten. „Büffel, Stier und Widder, Elefant, Leopard, Hundsaffe, Vogel, Krokodil, Eidechse, Frosch, Schlange, Ka¬ ninchen und Chamäleon. Sie alle stehen in Beziehung zum geistigen Leben des Westafrikaners, sie haben eine mythische Bedeutung und genießen zum Teil eine besondere Verehrung.“12) Derartige Nachahmungen des Totem-Tieres finden wir in Kamerun auf allen möglichen Erzeugnissen des Kunsthandwerks: Häuptlings¬ stühlen, Tabakspfeifen, Schüsseln usw., dann an den Pfosten von Beratungs¬ häusern, als Masken usw. Ein ganzes Tierparadies wimmelt vor uns. Freilich ist all dieser Schmuck jetzt nur noch von profaner, rein ästhetischer Bedeutung, aber seinen Motiven liegen doch Formen zugrunde, die aus einer einstmals religiösen Vorstellungsrichtung erwachsen sind. Man darf auch wohl vermuten, daß die Tänze, bei denen man die Büffel- und andere Tiermasken trug, zugleich eine Feier des Tieres als Totemwesens darstellten.

Der formale Unterschied dieser afrikanischen Plastik von der nordwestamerika¬ nischen liegt in der ungebundneren Naturalistik Kameruns. In Amerika durch - dringt mit großer Kraft der Wille zum Stil, ja zur Stilisierung die mannigfachen Tiergestalten, und bringt Kompositionen hervor, deren lineare Verschlingungen zwar nie die irrgartenhafte Phantastik des Bismarckarchipels erreichen, aber in ihrem Spiel eine bewußte Vielfältigkeit zeigen, die der Linie als solcher eine schon ans Ornamentale streifende Bedeutung zuleitet. In Kamerun ist es wesent¬ lich anders: die unmittelbare Gedrungenheit des Körpers in seiner naturhaften Gegebenheit steht hier stark im Vordergrund des Interesses.

Fragt man nach der religiösen Parallele, so liegt sie klar zu Tage. In Nordwest¬ amerika steht das totemistische Element in Zusammenhang mit der weltgestalten¬ den demiurgischen Kraft. In Afrika fehlt solch mythischer Überbau, einzig das Gefühl der Natur-Verbundenheit leitet hier den plastischen Ausdruck. So wird

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das Naturliafte nicht über sich hinaus gesteigert, sondern bleibt in der dumpferen Schicht seines Daseins behalten.

Jenes einzige Dokument eines Totemkultes unter den Pangwe (s. oben) gibt Trilles.13) Die Auswahl des Totemtieres (daß solche Wahl stattfindet, das Tier als solches nicht schon von vornherein gegeben ist, bedeutet an sich bereits ein schwaches totemistisches Gefühl) die Auswahl des Totemtieres erfolgt durch den Seher. Dann wird an einem ebenso vom Seher bestimmten Tage und Orte dem erlegten Tiere ein Opfer dargebracht, damit sein Tod nicht von den ihm verwandten Tieren gerächt wird, man begibt sich dann zu einer verabredeten Stelle im Walde, wo man den Zauberer trifft. Hier wird das Tier zerlegt, um aus seinen Eingeweiden den guten und schlechten Erfolg vorauszusagen. Dann beginnt der Tanz um das Tier, ein Tanz, den Gesänge begleiten, in denen man das Wohlwollen des Tieres erfleht. Zunächst erfolgt eine Art Vorstellung:

Bittsteller:

Chor:

Bittsteller:

Chor:

Bittsteller: Chor :

Ich bin Ovon, Sohn des Esoya,

Ich bin ein Sohn des Esisis.

Dies ist Ovon, Sohn von Esoya,

Dies ist ein Sohn der Esisis.

Ich habe die vorgeschriebenen Zeremonien erfüllt.

Er hat die vorgeschriebenen Zeremonien erfüllt,

Er hat sie erfüllt.

Jetzt bereite ich dich mit aller Kraft: Totem-Medizin ! Yo, Yo! er bereitet die Medizin!

Nun folgt ein langsam feierlicher Tanz. Von Zeit zu Zeit ertönt der Gesang: „Yo!, Yo! er bereitet die Medizin' ', dann herrscht Stillschweigen. Nach einiger Zeit

hört der Tanz auf und der Chor beginnt wieder

Chor :

Mit aller Kraft, Totemtier,

Mit aller Kraft bereite ich dich.

Bittsteller:

Ich gebe dir einen Schädel,

Einen Schädel von Albinos und vom Schimpanse.

Chor :

Er gibt ihm einen Schädel,

Einen Schädel von Albinos und vom Schimpanse.

Bittsteller:

Schau her, ich bin rein,

Schau her, mein Herz ist gelehrig.

Chor:

Betrachte uns mit Wohlwollen,

Betrachte uns ohne Zorn.

Bittsteller:

O Sitz der Arglist und Feinheit, ich rufe dich an,

Ich rufe dich an, o Sitz der kriegerischen Tapferkeit!14) Kriegspfeife, ich rufe dich an!

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Chor: O Sitz der Arglist und der kriegerischen Tapferkeit, er ruft dich an!

Er ruft dich an, o Sitz der kriegerischen Tapferkeit!

Kriegspfeife, er ruft dich an!

Bittsteller: Ich bin Ovon, Sohn des Esoya,

Ich bin Sohn der Esisis.

Chor: Er ist wahrlich Ovon, Sohn des Esoya,

Er ist ein Sohn der Esisis.

Dann entzündet der Häuptling den Scheiterhaufen, auf dem der Leichnam des Tieres liegt, während er verbrennt, beginnt der Tanz und Gesang von neuem. Unter allerhand Vorsichtsmaßregeln sind Bananenblätter gepflückt worden, nun häuft man sie zum Lager zusammen und legt auf sie die gebratenen Stücke des Tieres, um sie so den Teilnehmern der Feier zu servieren.

Außer den Totemtieren kennen die Pangwe u. a. auch Totembluinen; ein von Trilles beschriebener Tanz stellt das Wachsen der Blume dar.

Dämon Maske - Geheiinbund

Hellster Art, rauschhaften kaum etwas

Wer sich nach dem Zweck missionarischer Bekehrungstätigkeit erkundigt, erhält gemeinhin von den interessierten Kreisen die Ansicht zur Antwort: „Wir befreien die Heiden von den Dämonen.“ Das ist nur in gewissem Sinne richtig. Zutreffen¬ der lautete die Antwort: wir verdrängen die heidnischen Dämonen durch die der modernen Zivilisation. Denn im Gefolge der kolonisatorischen Tätigkeit ziehen die modernen Dämonien einher: Trunksucht, Prostitution, Geschlechtskrankheit, eingehüllt in die Stickluft trostloser Langweiligkeit, ein Komplex unerfreu- gegen den die Eingeborenen das zivilisatorische Gegengift der Arbeitsamkeit noch nicht kennen, dies Gegengift, von dem man Besseres sagen kann, als von der eigentlichen Krankheit, die es lindern, vielmehr verhüllen soll. Ein nachdenklicher verdienstvoller Missionar, Nassau, tut einmal den Ausspruch, daß von einer Besserung der Lage eines Neger¬ stammes kaum die Rede sein könne, da anstatt einer einzigen Jungfrau, die jähr¬ lich einem Dämon geopfert werden mußte, nunmehr hunderte der europäisierten Prostitution zum Opfer fielen. . . .

Aber wie man sich nun auch zu diesen Veränderungen in der Bewertung stellen mag, es bleibt jener Anspruch auf den Ruhm, die einheimischen Dämonen ver¬ trieben zu haben, in weitem Umfange zu Recht bestehen, wenn man ihn rein objektiv faßt. AVill man aber damit sagen, daß eine sehr intensive Unbehaglich- keit, die uns Europäer christlicher Herkunft bei dem Terminus „Dämon“ ergreift, auch den Primitiven zugeschrieben werden müsse, ja ihm in noch höherem Maße,

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bis zur schaudervollen Angst gesteigert, eigne, so ist diese innere Meinung jenes Satzes wiederum selir erheblich einzuschränken.

Das eigentümliche Gefühl der Bedrücktheit durch die unheimlichen Erscheinun¬ gen der Wirklichkeit und des Traumes scheint weder in Polynesien noch in Amerika sich auszuwirken. Hier ist der Zusammenhang der Menschen mit der Kraft des Weltursprungs oder auch der Weltordner zu eng und bewußt, als daß es dem Gefühl der Schwäche Spielraum ließe. Wohl sind auch in Amerika, z. B. bei den Kagaba1), die Geister der Natur den Menschen ursprünglich feindlich gesinnt, aber die Urväter haben sie besiegt und in den Dienst der Kagaba ge¬ zwungen: „Um die Kagaba zu verstehen, müssen wir Sonne und Nacht, die Schrecken und Segnungen des Himmels und die Schatten des Todes, alles Grauen im Aufruhr der Natur, Erdbeben und drohenden Felssturz, Regen, Kälte .... als überwunden durch die natürliche Macht des Stammes ansehen.“2) Jene Urväter nun haben alle schädlichen und nützlichen Dämonen zu Verträgen zu bestimmen gewußt, kraft deren sie den Menschen dienstbar wurden. Ja, die Dämonen selbst

geben an, wie man sie anreden und beeinflußen müsse, damit sie gegen die Übel wirksam sich einsetzen, die sie selbst herbeiführen. Zu diesen Mitteln gehören der Tanz, dann der von ihm unabtrennbare Gesang, drittens das Aufsetzen einer Maske oder eines Gesichtes, das dem Dämon mit dessen Bewilligung ab¬ genommen worden ist.

Diese Maske selbst ist ein Dämon. Der Masken-Dämon also ist hier ein selbständiges Wesen, das nur auf den zugrundeliegenden Naturdämon ein¬ wirkt, obwohl die ursprüngliche Idee darin besteht, daß der Naturdämon durch die Maske in menschlicher Botmäßigkeit sich befindet. Mit dem Tanz und dem Gesang bildet die Maske eine Einheit, da der Gesang das angestrebte Ziel angibt, während der Tanz das Wunschbild vor Augen führt, dessen Sinn die Beherrschung der dämonischen Macht ist, die durch die Maske personifiziert wird. Handelt es sich um bestimmte Wesenheiten, wie Dämonen der Krankheit usw., so ist hiermit die visionäre Quelle für mancherlei Masken unmittelbar gegeben. Aber auch indirekt wirkt der Wunsch nach Verbildlichung sich aus, und gibt der bildenden Kunst nicht weniger als der Pantomime vielseitige und fruchtbare Anregungen, da mancherlei Naturkräfte nur symbolisch darstellbar sind, wie etwa bei den Kagaba das Feuer durch den Puma, böse Seen durch Schlangen, Regen durch den Frosch usw.

Gerade die Masken sind es überwiegend, in denen der Sinn der Dämonie sich offenbart. Zwar führt auch sonst oft genug der Wille zur magischen Bannung der Gewalten das Werkzeug des primitiven Bildschnitzers und Malers, aber an anderer Stelle gelingt ihm kaum eine so eindrucksvolle Darstellung, wie hier, wo der Dämon lebendig wird. Gewiß speist sich das Maskentum auch aus anderen

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Quellen, wie dem Totenkult (Egun in Joruba), kriegerischem Terror, polizeiliafter Anonymität, schauspielerischer Launenhaftigkeit usw., aber seine wesentlichsten Impulse verdankt es dem Dämonentum, dessen seelischen und geistigen Komplex, von urtümlichem Schauer geballt und vom Irrsinn durchzuckt, es mit besonderer Genialität und Kongenialität ausdrückt. Die schamanistische Phantasie ist es, deren kunstreich oft bis zur Extase erhöhte Geistigkeit Inhalt und Form der Dämonen-Masken beherrscht. Die Vielfältigkeit der Leidenschaften spielt durch diese Gebilde hin, manchmal erschreckend in ihrem wilden Ungestüm, seltener beruhigt wie gesättigter Unhold, immer irgendwie zur Schädigung bereit. Ma¬ gische Kraft wohnt in ihnen. Darum dürfen Frauen zumeist sie nicht sehen wie schädlich der geschlechtliche Verkehr auf die magischen Fähigkeiten des Menschen wirkt, ist allbekannt, und auch Kinder hält man von ihrem Anblick fern, wohl um sie zu schonen. So wittert eine Luft voll Geheimnis und Ehrfurcht um sie, hier wie sonst das Kennzeichen religiöser Einstellung.

Es ist eine fast selbstverständliche Folgerung, daß sich um solche Kernpunkte und Wahrzeichen mystischen Lebens eine menschliche Institution als schützender Mantel legen mußte, der wie sie der Ausdruck psychischer Konzentration und Bereitschaft zur Ekstatik sein wollte. Dies sind die sog. Geheimbünde.

Zwar ist es nicht unbedingt nötig, daß sich zur magisch-mimischen Dämonen¬ beschwörung ein abseits stehender Bund bildet, da z. B. die von Koch-Grünberg beschriebenen Zeremonien der südamerikanischen Totenfeste3) von den Dorf¬ genossen ausgeführt werden, aber gerade dies Beispiel zeigt deutlich die ver¬ schwindende, fast entschwundene Urtümlichkeit der Auffassung, da Frauen und Kinder zuschauen, ja sogar mit den Maskenträgern in Berührung kommen dürfen. Parallel mit dieser Abschwächung geht die Verringerung der geistigen Intensität, die in den Masken lebt, ohne die Gabe unmittelbaren Ergreifens wirken sie in ihrer graziösen Buntfarbigkeit fast spielerisch, so anmutig ist die Linienführung ihrer Ornamentik und so erregungslos ist der Ausdruck ihrer Gesichter.

Anders ist die Symbolkraft der Masken abgeschlossener Geheimbü n d e. Mit diesem üblichen Terminus fassen wir zunächst alle Arten von Bünden bei primi¬ tiven Völker zusammen, mögen sie nun ihre Zusammenkünfte geheim oder offenkundig abhalten. Das Gemeinsame ihres Treibens bleibt doch der Wille zur Macht auf religiösem, auch auf politischem und sozialem Gebiet, ein Wille zur Macht, der sich den Frauen, Kindern und Nichteingeweihten gegenüber dadurch äußert und zur Geltung bringt, daß als geistiges, reales, wirksames Zentrum dieser Bünde ein dämonischer Spirit behauptet wird. Manchmal fehlt freilich dieser Hinweis, und wir haben es dann mit einfachen Zusammenschlüssen mit besonderen weltlichen Zwecksetzungen zu tun.

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Über die Rolle, die diese Bünde in der alten Zeit des Heidentums gespielt haben, und über ihren Platz innerhalb einer vielleicht logisch zu konstruierenden Ent- wicklung der primitiven Gesellschaftsordnung herrscht noch wenig Klarheit. Was wir vor uns sehen, ist ein überaus buntes Bild bald spezifisch religiöser, bald ganz weltlicher Vereinigungen, zu denen sich weiterhin schwer definierbare Zwittergebilde beider Einstellungen gesellen. Es wäre verlockend, die Reihenfolge so zu denken, daß am Anfang der Entwicklung die Gemeinschaft des Stammes gestanden hätte, in die nach Absolvierung der Jugend- Weihen alle Genossen des Stammes auf genommen worden wären, daß dann, etwa infolge einer allmählich sich geltend machenden hierarchischen Staffelung und infolge der Begrenzung der Mitgliedschaft, sich ein mehr politisch-sozialer Verband herausgebildet hätte, bis dann endlich nur noch eine lockere gesellschaftliche Vereinigung übrig geblieben sei. So scheint es Webster4) zu meinen. Grundsätzlich ausgedrückt würden wir es also mit einem V e r w e 1 1 1 i c h u n g s p r o z e ß einer einstmals überwiegend r e 1 i g i ö s - sozialen Vereinigungsform zu tun haben. Es läßt sich nicht leugnen, daß sehr viel für diese Auffassung spricht; mancherlei kann man besonders zu Gunsten des ursprünglichen Zusammenhangs des Geheimbundwesens mit der Initiation der Jugend anführen. Der Tatbestand jedoch zeigt eine große Vielfältigkeit der Bünde in ihren Zwecken und äußeren Formen.

Zumeist sind die Geheimbünde mit Tänzen und Maskereien verbunden, die Mehrzahl der sog. l anzmasken dürfte bei ihnen Verwendung gefunden haben. Diese Welt der phantasievollen, ja oft phantastischsten Plastik ist es vornehmlich, die auf uns Europäer einen so großen Reiz ausübt. Überblickt man ihre Reihen, so möchte man zwei große Gruppen unterscheiden je nach der Intensität ihres Ausdrucks und nach der in ihm sich ankündigenden seelischen, geistigen Struktur. Die eine Gruppe würde all diejenigen Werke zusammenfassen, die aus sich irgend einen Schauer erweckenden Impuls ausströmen, die andere Gruppe würde im Gegensatz hierzu die beruhigten, die gutartigen Vermummungen umzeichnen. Denn wir haben auf der einen Seite mächtige Masken, in denen noch viel von ursprünglichem Ungestüm enthalten ist, so die nordwestamerikanischen Masken und manche afrikanischen, auf der anderen Seite graziöse, bunt und prächtig ornamental geformte Tanzhüte etwa des melanesischen Bismarckarchipels oder Südamerikas. Die Verschiedenheit des Geistes, der sich in ihren unterschiedlichen Formensprachen äußert, möchte man gern in Zusammenhang bringen mit der mehr oder minder starken Dämonik, die in den Gesellschaften waltet, die sich jener Maskenanzüge bedienen.

Daß dem so sei, dafür spricht die logische Überlegung und die unmittelbare Intuition. Der Nachweis jedoch stößt auf mancherlei Schwierigkeiten. Die wesentlichste liegt darin, daß der überall geleistete Schwur vollkommener Ge-

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heimhaltung, dessen Verletzung mit der Todesstrafe bedroht ist. auch die zum ( hristentum Überge- tretenen oft hemmt, nähere Angaben über die Vorgänge inner¬ halb ihrer heidni¬ schen Gemeinschaf¬ ten zu machen. Eine Weitere Problematik aber liegt darin, da II manchmal das Ge¬ heimnis insofern sich lüftet, als den Kandi¬ daten, die in den Ge¬ heimbund a u f ge n om- men werden wollten und nun die reale Ge¬ meinschaft mit einer sp irit uc llen M acht u n - heimlicher Art er¬ warteten, nach der Überstehung man¬ cherlei pei nigender Prüfungen ex officio die Enthüllung ge¬ macht wurde: daß durchaus keine un¬ heimliche Gewalt in den Masken und l än-

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Abb. 43. Medizinmann der Ahtena-Indianer (Nordwest-Amerika)

all dies Drum und Dran nur ein Mittel sei, im Kreise abergläubischer Stammesgenossen zur Macht zu gelangen. So hören wir es zu wiederholten Malen aus Afrika und auch aus Amerika.5) Man ist dann wiederum geneigt, solche Fälle zu verallgemeinern und so aus ihnen zu schließen, daß überhaupt kein Dämonentum bei ihnen mitspiele. Aber das geht zu weit. Es gibt zum mindesten eine ganze Reihe von Geheim-

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blinden, bei denen die Verbindung mit einer dämonischen, übermenschlichen Macht angestrebt und in ihrer Art erreicht wird. Die Feste z. B. der Hamatsa

wären völlig unbegreiflich, wenn in ihnen nicht ein intensives Bewußtsein um dämonische Mächte sich ausspräche.

Dämon, Maske, Geheimbund das sind drei Erscheinungen, deren Umkreis sich jetzt keineswegs mehr deckt; sie treten nicht immer gleichzeitig auf. Dort aber wo ihre Kreise zusammenfallen, dort ist die Stätte der tiefsten und eigentlichsten Schau und Formprägung. Die Quelle aller Dämonien scheint der egoistische Wille der organischen Schicht zur Macht zu sein. Er äußert sich im Bereiche der naturvölkischen Gesellschaften vor allem im Krieg und in der Zauberei. In das Gebiet kriegerischer Lebensgewohnheiten primitiver Art führen in der inten¬ sivsten Weise die Zeremonien der Geheimbünde nordwestamerikanischer Indianer, deren anschauliche Schilderung Boas gegeben hat. Wir wählen die Hamatsa, den Geheimbund des Menschenfresser-Geistes, als deutliches Beispiel.

Der Geheimbund de r FI a mats a ist der Legende nach vom Geiste Baxbakualanu Xsiwae gegründet, einem Menschenfresser-Geist der Ge¬ birge, der immer auf der Jagd nach Menschenfleisch ist; seine Sklavin ist Kinqa- lalala, che ihm Menschen fängt und Leichname ausfindig macht. In seinem Haus, nahe der Tur sitzt der Rabe Qoaxqoaxualanii, der die Augen der gefressenen Menschen auspickt. Außerdem lebt in seinem Hause ein Fabelvogel Hoxhok, der das Gehirn der Getöteten schlürft, und ein menschenfressender Grizzly-Bär. Ein Indianer, dem Baxbakualanu oder einer seiner Gefolgschaft begegnet, kann ein Hamatsa werden oder auch ein Menschenfresser geringen Grades oder auch der Grizzly-Bär oder auch ein Gehilfe des Geistes usw.

Die allererste Bekanntschaft mit dem Treiben des Dämons und seiner Gehilfen¬ schaft unddieursprünglicheEinweihungin die erforderlichen Riten wird von mehreren Legenden verschieden geschildert. Der interessantesten Sage zufolge sandte einstmals ein Häuptling seine vier Söhne auf die Jagd. Er warnt sie vor dem Betreten zweier Hütten, in deren einer der Grizzly-Bär, in deren andeiei der Menschenfressergeist hausen. Aber die Gewarnten folgen seinem Rat nicht, treffen wagemutigen Sinnes mit dem Bären zusammen, den sie töten, betreten dann, durch den glücklichen Erfolg ermutigt, die Behausung des menschenfressenden Dämons, aus der blutroter Rauch aufsteigt. Nun berichtet die Erzählung selbst weiter. „Sobald sie eingetreten waren, rief sie ein Weib an. Tawixamaye, einer der Söhne, wandte sich zu ihr hin und das Weib sagte: „Ich will euch helfen. Dies Haus, in welchem ihr jetzt seid, gehört Baxbakualanu Xsiwae. Nun handelt so, wie ich euch sage, und habt Obacht auf das, was ihr sehen werdet. Grabt ein tiefes Loch in jener Ecke des Hauses. Dann legt Steine

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ins Feuer und wenn sie rotglühend sind, tut sie in die Höhlung.“ Als die Brüder dies getan hatten, fuhr sie weiter fort: „Nun bedeckt die Höhlung mit Brettern. Sobald Baxbakualanu Xsiwae nach Haus kommt, wird er mit seiner Maske vor dem Gesicht zu tanzen beginnen.“ Sobald die Brüder ihr Werk vollendet hatten, ließ sich ein pfeifender Ton hören. Da sagte das Weib: „Setzt euch. Ich werde sagen, daß ich Futter fand, damit er nicht merkt, was wir überdeckt haben“. Baxbakualanu trat herein und schrie „hap!“ Dann stießen Floxhok und Qoax- qoaxualanu ein Freudengeschrei aus. Baxbakualanu Xsiwae streckte sich aus. Dann stand er wieder auf. Er geriet in Erregung und schritt viermal um das Haus mit seinem Ruf „hap!“ Dann ging er in einen Schlafraum. Sobald er dort hineingegangen war, kam der Rabe heraus, mit Federn auf seinem Kopfe, die ihm bis auf den Leib herabhingen, und er tanzte rund um das Feuer. Der Rabe ging dann wieder in den Schlafraum zurück. Dann kam Qoaxqoaualanu heraus und schrie „hap, hap, gou, gou! und tanzte rund um das Feuer. Dann ging er wiederum in den Schlaf raum zurück und heraus trat Baxbakualanu Xsiwae, schreiend „hap! Er tanzte um das Feuer und ging in seinen Schlafraum. Dann kam Iloxhok und schrie „hap, hap, ho, ho!“ Er tanzte rund um das Feuer und ging wieder in seinen Schlafraum. Nun kamen Baxbakualanu Xsiwae und seine vier Kinqalalala und die vier Qominoqa heraus. „Hap, hap!“ sagte Baxbakualanu Xsiwae. Die Kinqalalala sangen und sagten „hoip!“ und manchmal sangen die Qominoqa „hai, hai, hai“ . Baxbakualanu Xsiwae tanzte. Sobald er aber zu der Höhlung kam, welche die Männer ausgegraben hatten, zog Tawixamaye die Bretter fort, mit denen sie bedeckt war. Baxbakualanu sah aufwärts in die Höhe, während er tanzte. Da fiel er in das Loch auf die glühroten Steine nieder. Darauf schütteten sie das Loch zu. Nun war er tot. Sobald er starb, starben alle Kinqa¬ lalala und Qominoqa auch dahin. Auch die Sänger wurden ohnmächtig. Tawixa¬ maye nahmen ihnen, da sie nicht sehen konnten, all ihre Schmuckstücke aus rotem Cederbast fort. Er nahm die Masken und den Hamatsa-Pfahl und die Pfeifen an sich. Das alte Weib sagte ihm, was er tun sollte. Sie lehrte ihm den Sang des Baxbakualanu Xsiwae . :

1. Die Hamatsa-Maske des Gesichtes, die Hamatsa-Maske der ganzen Welt, die hübsche Maske des wirklichen Baxbakualanu Xsiwae. Die Hamatsa- Maske des Antlitzes, die Hamatsa-Maske der ganzen Welt, die hübsche Maske, a ma ma ma me ha me!“

Dieser Gesang wiederholt sich mit gleichen Wendungen für die anderen Masken des Raben usw. Andere Versionen lassen den Dämon selbst die Gesänge lehren.

Die E inweihungszeremonie der Ifainatsa ruft immer von neuem das legendarische Urerlebnis zur Anschauung zurück. Der Neuling verweilt drei bis

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vier Monate lang im Walde und wird hier dem Menschenfresser-Geiste untertan. Nur eine Verwandte als Begleiterin, die wie die Genossin des Dämons selbst den Namen Kinqalalala führt, darf ihn aufsuchen, um ihm Nahrung zu bringen. Endlich kehrt er in seine Heimat zurück, erfüllt vom Dämon und ihm gleich in Begierde nach Menschenfleisch. Besessen von Xsiwae stürzt er sich auf jeden, der ihm nahe kommt, und zerfleischt dessen Arme und Brust; so war es wenig¬ stens in früheren Zeiten, neuerdings begnügte man sich mit kleineren Haut- streifchen. Ihn umringen bei diesem Gange vom Walde zum Festhaus die sog. Heilenden, Diener der Hamatsa, und Gehilfen jener Kinqalalala, mit dem Ge¬ töse ihrer Rasseln seine Aufregung zu dämpfen bemüht. Dies ist der Beginn des Festaktes. Seine Gipfelung aber erreicht er in dem eigentlichen Menschenfressen der Hamatsa, den ein Tanz der Geleiterin einleitet: sie betritt als Führerin den Raum, trägt in ihren Händen den Leichnam und schreitet in mannigfacher Wen- du ng zum Hintergründe des Festsaales, wo sie ihn auf einer großen Trommel niederlegt, der Neuling folgt ihr, nun springen die älteren Mitglieder des Bundes vom Dache des Hauses, auf dem sie bis dahin gesessen, herab, eilen herbei, nackt und erregt, rennen um das Feuer im Saal, dann tritt der Zeremonien¬ meister hinzu, teilt den Leichnam in Stücke und nun verschlingen sie die ihnen zukommenden Fleischstücke unzerkaut! Nach diesem Höhepunkt der Feier, der realen Nachahmung des vorbildlichen Dämons, wird der Neuling von den Heilen¬ den zur See geleitet und untergetaucht. Der innere und äußere Tumult legt sich, beruhigt kehren nach dieser Reinigungszeremonie die Hamatsa heim.

Während der Neuling hier mehr als Gegenstand der allgemeinen Bemühung er¬ scheint, die ihn von dem Zustande der Ekstase in das gewöhnliche Leben über- znleiten sucht, tritt er in den Tänzen, die während der tagelangen Feier aus¬ geführt werden, auch als Hauptperson auf. Dies geschieht in Tänzen, die das dämonische Vorbild nachahmen. So tanzt er mit seiner Geleiterin, die vor ihm herschreitet, das Gesicht ihm zugewandt und die erhobenen Arme und Hand¬ flächen vor ihm hochhaltend, als trüge sie menschliche Beute für ihn, er aber kauert nieder, streckt in zitternder Erregung die Arme seitwärts und bewegt sie von der einen zur anderen Seite, mit langen Schritten vorwärts stoßend, das Ge¬ sicht hochhaltend und in seine charakteristischen Schreie ausbrechend: „Hap, Hap! Heilende halten ihn am Nackenring fest, um die Zuschauer vor ihm und vor einer allzu realen Nacheiferung des Dämons zu schützen. Nach ein paar Runden verschwindet er in dem als Hütte des Menschenfressergeistes durch das Ge¬ mälde seines Gesichtes gekennzeichneten und abgetrennten Raum des Festsaales, dann tritt er hervor mit der Kopfmaske des Raben des Xsiwae, einer Maske mit oft mannslangem Schnabel, der auf und nieder klappt, manchmal mit Zweigen behängt, die bis zum Boden reichen. Bei ihrem Auftreten beginnt der Gesang:

Abb. 44- Hamatsa-Doppelmaske der Kwakiutl (Nordwest-Amerika)

Wa! Über jedermann kommt Schrecken von der Tsetsaeqa-Maske des Baxbakualanu Xsiwae.

Wa! Über jedermann kommt Schrecken vor der Menschenfresser- Maske des Qoaxqoaxualanu Xsiwae!

Seine Hakenschnabelmaske macht das Herz klopfen!

Seine Hoxhok-Kopf-Maske läßt das Herz klopfen!

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Andere Tänze folgen, dann aber erscheint endlich der Dämon selbst in eigner Gestalt; er wird mit dem Gesang begleitet bei seinem Tanz:

Er trägt die Ilamatsa-llaupt-Maske, die er erlangte vom Baxbakualanu Xsiwae, rund um unsre Welt!6)

Die ganze große Gruppe der Masken der Nordwestamerikanischen Indianer ist durch das betont Grausige ausgezeichnet. Auch wenn wir von den Hamatsa- Masken absehen, drängt sich das Furchtbare immer von neuem auf. Ein tobendes Brausen der Leidenschaften macht sich Luft. Vielfach tierhaft, manchmal mit menschlichen verzerrten Zügen, immer aber angespannt auf das Äußerste, als wäre hier das Menschliche nur insoweit tätig, daß es die tierischen Ausbrüche sachlich zum Bewußtsein brächte. Selbst dort, wo der bloße Nützlichkeitwille mäßigend einwirkt, auch dort ist das überschäumende bluthafte, tierisch leiden¬ schaftserfüllte Wesen sichtbar, selbst in den Schüsseln und Hornlöffeln lebt es sich kraftvoll aus.

Von dieser Provinz ursprünglicher dämonischer Mächte scheint diese Tendenz M'ei^ei ausgestiahlt zu sein und sich der Eskimos in Alaska bemächtigt zu haben.7) klier hat nun die originale Einstellung eine wesentliche Abbiegung er¬ litten. Aus dem Grausigen ist ein Alpdruck geworden, aus der Dramatik eine gleichsam lyrische Stimmung, voll von lastender Schwere. Ein merkwürdiger Mangel an organischem Zusammenhang zeichnet diese Gruppe aus, dafür stellt sich eine wie gewollt anmutende Seltsamkeit ein: oft ungeschlachtne Züge, gro¬ teskes Übertreiben, willkürliches Spiel mit dem Reiz des Schreckenden. Wohl hängen dazwischen einzelne Schönheiten zur Schau, in denen ausgeglichene Zart¬ heit fast überirdisch schwebt. Aber im allgemeinen ist der andere Zug zum Tra¬ gisch-Grotesken hin der ausschlaggebende.

Soweit wir bis jetzt die Verhältnises durchschauen können, ist dort in Nordwest- Ameiika der Gipfelpunkt des Dämonischen und seiner künstlerischen Ausdrucks¬ formen in Masken und Zeremonien erreicht. Das ist ganz logisch. Als Grundlage der Kultui ist das tiefe Einheitsgefühl von Mensch und Tier gegeben gewesen. Als Sonderbegabung dieses Gebietes, etwa im Unterschied zu Australien, die gioße Dramatik der Haltung und der Sinn für künstlerisch steigernden Ausdruck. Die Einheit dieser drei Elemente spiegelt sich getreulich in den Schnitzereien wieder. Die eigentliche Triebkraft wirkt in dem zum menschlichen Bewußtsein emporstoßenden Tierhaften, und dies ist es, was so recht eigentlich die Prägung der Dämonie verleiht, da der Hauptton eben auf dem Tierischen stehen bleibt, ohne daß eine Sublimierung vorgenommen wird. So ist es weniger ein Sich-

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Befreien aus unterer zur oberen Schicht, als vielmehr ein Zurückreißen der oberen durch die untere Schichtung.

In den anderen Gebieten der Primitivität liegen die Vorbedingungen für das Dasein und den künstlerischen Ausdruck des Dämonischen weniger günstig. Sowohl in Afrika, wie in Ozeanien haben wir andere vorherrschende Einstel¬ lungen, die das Maskenwesen regieren.

ln Afrika fehlt das totemistische Gefühl gewiß nicht ganz, aber die Gebiete, in denen man es vermuten darf, sind nicht groß, wenigstens nicht im Verhältnis zu den riesigen Gebieten, die von ihm frei sind. So mangelt der eigentlich tierisch organische Untergrund, dessen herrischer Ausbruch in Nordwestamerika einen solch phantastischen Wirbelsturm der Maskeraden dahinstürmen ließ. Denn die eigentliche Afrikanizität ist viel zu sehr auf das Aufbauende, ruhig Beharrende des architekturalen Wesens eingestellt, um den wilden Aufruhr der organischen Mächte dulden zu können, der aus so weit entlegenen, pulsierenden Tiefen auf¬ schäumt. Soll der statisch eingestellte Mensch dennoch auf das Tiefste erregt werden, so muß die Tinie nach rückwärts, nach unten hin kürzer gehalten werden, sie darf nur im menschlichen Geschlechte liegen und so den Menschen nicht mit Tieren, sondern mit Menschen verbinden. Der afrikanische Dämon ist daher im wesentlichen Sinne nicht das Tier als Vorfahr oder Blutsbruder, sondern der menschliche V orfahr. Das afrikanische Geheimbund- und Maskenwesen ist daher überwiegend manistisch beeinflußt und größtenteils im Umkreis der Be- schneidungs-Riten begründet. Daher ist all das Getier, das sich als Maskerade darbietet, verhältnismäßig unerheblich, unvergleichlich aber ist in ihrem inner¬ lichen Werte die Gesichtsmaske Afrikas.

Das Negative der Dämonie fehlt gewiß nicht, dem frei Uebendigen gegenüber macht sich mit stärkstem Gewicht das Gewesene geltend, um das Freie fest¬ zuhalten im Bannkreis der Toten. Aber wenn man dies grundsätzliche Bedenken ethischer Art beiseite setzt und sich rein dem ästhetischen Ausdruck zuwendet, so erstaunt man immer wieder über die Fülle des Gefühles, das auch noch in den Totenmasken wohnt, und über die Verschiedenartigkeit der Regungen, die sie beleben. Mag der seelische Sinn der Maske großoffenes Schauen sein oder inten¬ sives Ergrimmen, jähzorniger Aufbruch des Kriegs oder tätliches Erstarren, immerdar ist ein innerer Strom spürbar, der hemmungslos in den weichen oder eckigen Gesichtern kreist, ist eine innige Belebung zu fühlen, die auch aus den gebrochenen Augen noch spricht. Noch kann man nicht die feineren Unter¬ schiede der kleineren Provinzen Westafrikas festlegen. Man muß sich mit der

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Abgrenzung' von Riesengebieten begnügen. Diese freilich sind deutlich genug unterschieden. Wir heben ein paar heraus, um ihre Verschiedenartigkeit zu zeigen.

Da haben wir Masken aus j orub a. Von kräftigem, scharfem Schnitt, gehalten, gedrungen, ohne viel Variation innerlicher Art und ohne viel Lebendigkeit, wie es der streng hieratischen Art jenes Gebietes entspricht. Von einer gewissen Glätte in der Behandlung, die von militärischer Disziplin zeugt, übrigens aber frisch und gleichsam wagemutig in der Schneidigkeit des ganzen Schnittes und der Schnittigkeit.

Dann haben wir auf der fast entgegengesetzten Seite des Kontinents die Masken des inneren, vor allem des südlicheren Kongogebiete s.8) Innerlich sind sie den Joruba- Arbeiten noch entgegengesetzter, als in der äußeren Lage der Ge¬ biete. Eine hohe Haltung gibt sich in ihnen kund, die weit entfernt ist von der vergleichsweise naiven Art des nördlichen Westafrika. Zugleich ein seltsames Erstarrtsein, bei aller Anspannung in den Zügen der prachtvollen Kriegs¬ maske mit den hervorstechenden, gebieterischen Augensternen klingt irgend eine unirdische, zum mindesten durchaus unnaive Pathetik mit. Diese seltsame und ergreifende Stimmung hat übrigens ihren Wiederhall in all den maskenhaften Gesichtern auf den Bechern der Bakuba etwa. Irgend etwas wie ein Zuende- Kommen spricht aus diesen Antlitzen ebenso stark, wie aus den religiösen Auf¬ fassungen, die anscheinend nur noch dem Ahnenkulte Raum geben, sonst aber in einem Stadium der Unbestimmtheit verharren (Taf. 9, 11, 17/19).

Ganz anders gibt sich Karne r u n. Hier ist alles voll von Lebenslust und Frische. Nicht das militärisch Disziplinierte liegt ihm, wohl aber die unmittelbare Naivität bäuerlicher Naturverbundenheit. Das Totemistische scheint hier nur noch eine Art Stimmung zu sein, bietet aber immerhin noch eine gewisse Brücke der Ver¬ mittlung von Mensch zum Tier, ohne daß jenes dämonische Abhängigkeitsver¬ hältnis entstünde, das für Nordwestamerika kennzeichnend ist. Geheimbünde der Sklaven an der Kameruner Küste bedienen sich etwa der Masken von Büffeln, in denen sie das Treiben der wilden Büffel zum Klange der Stimme des eigent¬ lichen Maskenträgers, der ein netzartiges Gewand mit Federkrone trägt, mar¬ kieren, indem sie einen Pisangstamm mit ihren hölzernen Schnauzen und Hörnern bearbeiten usw.9)

Doch haben diese Bünde keinerlei eigentlich religiösen Charakter mehr. Sondern sie sind der gleichen Tendenz anheimgefallen, die auch sonst die afrikanischen Geheimbünde auszeichnet, dem Streben nach politischer Herrschaft, zum minde¬ sten Ordnung. Diese Einstellung hat nichts Erstaunliches an sich, wenn man be¬ denkt, daß die Wurzel des afrikanischen Maskenwesens die gleiche ist, wie die der sozialen Gestaltung, eben der Manismus, das Ahnentum, der Ahnendienst. Wo

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wir in Afrika auch hinschauen, überall geht mit derartigem Geheimbundwesen der Wille zur Festigung irgend einer Gesellschaftsordnung Hand in Hand.

Das was sich in Amerika als schöpferischer Antrieb des Maskenwesens erweist, fehlt in Afrika nicht völlig. Auch hier kennt z. ß. Angola tierhaft groteske Masken von Flußgeistern10), die Bambara haben den Kult des Dämons Tji wara, dessen Masken die bekannten Aufsätze mit Antilopenhörnern sind.11) ln der Tat handelt es sich hier um Dämonen im eigentlichen Sinne des Wortes. Aber die

Ausgestaltung der Masken, die zu ihnen gehören, hat gar nichts wahrhaft Dä¬ monisches, irgendwie Erschreckendes an sich, die afrikanische Struktur der festgefügten Form hält auch diese Versuche der Plastizität in ebenso engen Schranken, wie die des Gefühles, läßt in dem einen Falle, in Angola, etwas lediglich Dumpfes, Triebhaftes, Chaotisch-Wirres, im anderen Falle etwas höchst Graziöses, aber Gefestigtes, nicht irgendwie Brutales entstehen.12)

Hier ist auch der Masken des Sso-Kultes de r P a n g w e zu gedenken, den Teßmann eingehend beschrieben hat. Bei den Südpangwe beginnt das Fest mit

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der Errichtung eines großen Gerüstes für den Phallustanz. Am Abend der Vorfeier wird unter diesem Zeichen ein Tanz aufgeführt, dessen Inhalt rein sexueller Art ist. Ihm folgt ein ausgiebiges Beschimpfen der Weiber, die in einem Hause eingeschlossen sind. Dann folgt im Schattenmänner - Tanz die Dar¬ stellung des Sso, die unser Bild zeigt: um einen oder auch mehrere Männer mit Hörnermasken, die ihren Kopf „ganz wunderlich“ bewegen, kriechen, huschen, flattern andere ganz und gar in Lendentücher vermummte Gestalten (Abb. 46). Teß- mann hält den Hörnermaskenträger für die Verkörperung des M o n d e s , da seine Maske der rein nächtlich lebenden Schwarzrücken-Schopfantilope entlehnt ist, und die anderen Vermummten für böse Seelenwesen. Am nächsten Tag tritt zu¬ nächst ein Sprecher auf, der einen Irrsinnigen vorstellt, um nach Teßmanns Deu¬ tung die untergehende Sonne zu symbolisieren (?), alsdann folgt ein Tanz des Zeremonien-Leiters, in welchem er die Zeit der aufgehenden Sonne andeutet, und endlich als wichtigster Teil die Darstellung der bei dem Aufgang der Sonne erwachenden Natur durch Trupps der Neulinge, die eingeweiht werden, um dann zur Symbolik des Krieges, der Honigsuche usw. überzugehen. Am zweiten Festtage tanzen die Neulinge auf dem Gerüst den P hallustanz. Am dritten Tage werden auf einem Kultplatz zwei Lehmfiguren errichtet, ein Schwein und eine Riesenschlange, dann ein Graben ausgehoben und mit Baumstämmen überdeckt, endlich eine Art Sumpf zugerichtet. Eingeweihte setzen eine Schweineherde in Szene, indem sie unter Grunzen und Schreien durch die Pflanzungen laufen. Auf dem Dorfplatze folgt ein erregungsvoller Tanz, den man nach Teßmanns Beschreibung als einen Phallustanz ansprechen muß. Schließlich werden die Neulinge durch den Schmutz des „Sumpfes gezogen, so daß sie dem Schwein ähnlich ausschauen.

An anderem Ort wird der Sso derart gefeiert, daß eine Lehmfigur (siehe die Abbildung 45), die wie die Schattendarsteller (s. o.) den Mond darstellen soll, über dem unterirdischen Gang errichtet wird, diesen selbst füllt man mit Ameisennestern und läßt die Neulinge durch ihn hindurchkriechen. In den Schacht, der durch den im Rücken der Figur steckenden Pfahl freigehalten wird, versenkt man bei der Weihe die „Medizin“, welche aus zauberkräftigen und giftigen Pflanzen usw. besteht.

Die Interpretation, die Teßmann all diesen Vorgängen gibt, ist durch eine ge¬ wisse abstrakte Symbolistik getrübt. Er möchte einen Gegensatz von Gut und Böse konstruieren, dergestalt, daß der Mond und das Geschlechtliche als das Böse, die Sonne dagegen als das Gute gefühlt und dargestellt würde. Ob diese ethisierende Ausdeutung irgend eine Unterlage in den Aussagen der Eingeborenen findet, bleibt unklar. Läßt man die einfache Darstellung der Tatsachen, wie sie Teßmann berichtet, auf sich wirken, so scheint sich lediglich in diesem Kulte eine

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Einführungin das Natu rieben zu zeigen. Das Wesentliche bleibt dabei durchaus das wiederholt betonte geschlechtlicheElement, dessen Wesen der Neuling kennen lernt. Zwar stellt Teßmann ausdrücklich in Abrede, daß diese Kulte etwas mit einer Einweihung von Jünglingen zu tun hätten, aber die ganze Art der Prüfung der Standhaftigkeit der Neulinge, ihre Bemalung mit weißer Farbe usw. spricht doch dafür, daß wir hier Vorführungen und Proben vor uns haben, die ursprünglich ihren Sinn in der Einweihung der Heranwachsenden in

Abb. 46. Schattendarsteller bei dem Sso-Kult der Pangwe

die Gemeinschaft des Stammes und seiner Männer fanden. Es würde sich m. E. demnach um eine degenerierte Initiation handeln, die von ihrem eigent¬ lichen Zweck losgelöst ward.

Es ist übrigens nicht uninteressant, hier das Problem der IIörner-Masken, das Karutz an zahlreichem Material erörtert hat, in nunmehr deutbarerer Form vor uns zu sehen. Karutz hatte die Lösung darin zu finden geglaubt, daß er diese Masken als T r o p h ä e n m a s k e n ansprach, so daß sie aller mythischen oder religiösen Bedeutung bar wären. Hier bei den Pangwe zeigt sich nun, daß seine

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Auffassung zum mindesten nicht allgemein richtig ist, wie auch das Beispiel der Bambara-Masken das Gleiche beweist. In beiden Fällen handelt es sich um dämonische Natur Wesenheiten, die dargestellt werden, so daß hier doch eine religiöse Bedeutsamkeit zu Grunde liegt. Ob außerdem noch totem- istische Einflüsse mitsprechen, bleibt eine offne, wohl nicht zu bejahende Frage, da Trilles, der die Bedeutung des Totemismus für die Pangwe so hoch anschlägt, Masken nicht erwähnt.

In Melanesien darf man nach der ganzen Struktur der aktuellen Geisteslage etwas Ähnliches erwarten, wie in Afrika. In beiden Gebieten herrscht der Ahnen¬ dienst. Freilich tritt ihm in Melanesien der Glaube an außermenschliche Dämonen eng zur Seite. Aber wir haben auch die andere Bestimmung noch zu bedenken, die von der Vergangenheit Melanesiens herein wirkt, die einstmals der höheren Mythologie eine viel größere Herrschaft zuwies, als sie jetzt besitzt. So ist die ganze Atmosphäre, in welcher wenigstens die westlichen Inselgruppen atmen, eine wesentlich andere, als die in Afrika. Es wirkt irgend ein, ich möchte sagen, herrschaftlicherer Zug in den Masken Melanesiens sich aus. Sie haben alle einen Schwung in der Linienführung, die weit höher hinaufweist, als das afrikanische Niveau es gestattet. Aber andererseits macht sich bei der engeren Einfühlung sogleich eine unleugbare Leere geltend, die sicherlich jenem Degenerations¬ prozeß zu danken ist, von dem wir eben sprachen. Die meisten Masken Mela¬ nesiens befinden sich auf dem Wege zur Ornamentalisier u n g der ur¬ sprünglichen Form. Dies gibt ihnen etwas Reizendes oft und oft etwas Spiele¬ risches, das ganz in Einklang steht mit dem Charakter ihrer Mythologien. Denk! man daran, daß in Polynesien einstmals die Arreois als priesterhafte Schau¬ spielertruppe auftraten, um auf den verstreuten Inseln das Leben der Welt, vor allem der Sonne zu feiern, denkt man fernerhin an die Wahrscheinlichkeit des Abstiegs der Melanesier von einer ähnlichen Höhe, so möchte man meinen, gleich¬ sam noch einen letzten Rest der uralten Schöpferkraft der Rasse noch in den entleerten, schwach gewordenen Resten der letzten Masken vor sich zu sehen. Kaum noch erfüllt von einer ernsthaften Funktion. Eine Analogie zu Afrika ist insofern vorhanden, als auch hier die maskierten Geheimbünde die Ordnung auf¬ recht erhalten. Aber sie sind hier offenbar abhängiger von den Häuptlingen, so fehlt ihnen der demokratische Unterbau Afrikas. Es sind mehr Gesellschafts¬ klubs aus ihnen geworden, mit allen Vorrechten und Anmaßungen unpolitischer Exklusivität.

D as Auszeichnende der melanesischen Masken darf deswegen nicht verschwiegen werden. Es liegt eben in jenem selben Charakter der ästhetischen Freiheit, des

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spielerischen Sich-Behagens, der selbst noch in den Masken für Totenfeste auf¬ klingt. Nirgends sonst haben wir in der Tat einen solchen Reichtum eigen¬ williger, individueller Phantastik, wie gerade hier in Melanesien, wo jede Insel¬ gruppe, ja fast jede Insel und Landschaft ihre eigene Launenhaftigkeit hat. Eine leuchtende Farbigkeit umflattert sie, die ihnen eine ganz andere Leichtigkeit gibt, als die schwermütige Dunkelheit oder einfache, erschreckende Weiblichkeit der afrikanischen Masken (Taf. 28 29).

Ursprünglichere Verhältnisse führen Einweihungszeremonien auf Inseln der Tor resst r a ß e uns vor Augen, die Haddon13) anschaulich geschildert hat. D iese Feierlichkeiten stehen hier nicht am Ende, sondern am Anfang der Ein¬ führung der Jünglinge in das Leben der Erwachsenen. Nach den Worten des englischen Forschers tragen sie totemistischen Charakter, wenngleich er aus seiner Mitteilung nicht klar hervorgeht, sondern eher auf d ä m o n i s tisch¬ fetischistischen Ursprung zurück verweist. In diesen Zeremonien sind große, flache, aus Schildpatt hergestellte, rotgefärbte Masken in Gebrauch, die ein mächtiges menschliches Gesicht mit einem Bart aus menschlichen Kiefer¬ knochen und einem bekrönenden Busch weißer Taubenfedern zeigen, rück¬ wärts hängt eine Schildkrötenschale herab. Eine solche Gesichtsmaske ist offen¬ bar identisch mit der von uns abgebildeten Art (Taf. 26). Daneben kommen auch Haifisch-Masken, ebenfalls aus Schildpatt gefertigt, zur Verwendung. Diese Masken, deren wichtigere die Gesichtsmaske ist, werden von den Leitern der Zeremonie getragen, die in feierlichem Tanzschritt auf die erwartenden Jünglinge zuschreiten, um die für sie bereitgestellten Opfergaben in Empfang zu nehmen und vor allem um durch ihren Anblick und ihre Bewegungen jenen Eindruck des Seltsamen und Übermenschlichen zu erwecken und einzuprägen, der überall dort in den naturvölkischen Schichten aufgerufen wird, wo es gilt, ein Ereignis, eine Handlung als weihevoll und Ehrfurcht gebietend in der Erinnerung aufrecht zu erhalten. Demselben Zweck dient auch die Legende, die den Jüng¬ lingen vorgetragen wird und die in ihrer fabulierenden Märchenhaftigkeit sich von der Brutalität nordwestamerikanischer Mythen ebenso weit entfernt, wie der Ausdruck der Dämonenmasken beider Gebiete sich unterscheidet.

Diese Legende von Malu erzählt zunächst von vier Brüdern, die nach ver¬ schiedenen Richtungen in die Welt verschlagen wurden, und beschäftigt sich dann ausschließlich mit dem Schicksal eines dieser vier, der Malu hieß. Dieser Malu landete an einer Insel und fand ein einziges Haus, das von zwei Insulanern, Dorg und seiner Frau Kabur, bewohnt war. Kabul* war gerade mit Fischen beschäftigt, als Malu mit zerbrochenem Boot herantrieb. Als Malu sie sah, ver¬ wandelte er sich in einen Tintenfisch, kroch auf sie zu und schlang seine Arme um ihren Leib und Nacken. Aber als er von der zurückflutenden Woge wieder

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mit ins Meer gerissen wurde, versuchte er ver¬ geblich zum zweiten Male die Vergewaltigung; Ka¬ hn r tötete ihn mit einem schmalen Speer und tat ihn in ihren Korb. Sie setzte ihn in ein Felsloch nieder, holte ihren Mann Dorg herbei und zeigte ihm den Tintenfisch mit den Worten: „Dies ist dein Heiligtum!“ Dann nahmen sie den Korb mit nach Hause. Während der Nacht nun beob¬ achteten sie aufmerksam den Korb und sahen, wie der totgeglaubte Octo- pus glänzenden Auges plötzlich aus dem Korb heraus kroch, zu Boden fiel und sich in einen Menschen verwandelte, dann verließ er die Hütte, wanderte um das Eiland rund herum, kehrte zurück und ver¬ wandelte sieh wieder in einen Tintenfisch. Dorg überlegte bei sich: „Was soll ich machen? Ich bin froh, daß ich ihn habe!“ Am Morgen bemalte er sich mit roter Farbe, Abb 47. Dämonen-Tanzmaske bei Totenfeiern der legte Panzer und Gürtel

Kobeua-Indianer (Süd-Amerika) an unc| schmückte sein

Haupt mit Federn des Kasuars und der Taube; Kabur bemalte sich ebenfalls, blieb aber im Hause, während Dorg nun hinausging und den Spuren Malus folgte

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rund um die Insel herum. Alle Welt war sich dar¬ über einig, daß Dorg ein hervorragendes Wunder¬ wesen sein Eigen nennen konnte. Aber der Neid erwachte sogleich und zwei Brüder von Dorgs Frau beschlossen, den Malu-Tintenfisch an sich zu brin¬ gen. Sie besuchten den Schwager, übernachteten bei ihm, beobachteten die gleichen seltsamen Vorgänge der Verwandlung Malus in einen Menschen und dann wiederum in einen Tintenfisch, warteten, bis diesmal beide, Dorg und Kabur, ihre Wanderung auf den Fußspuren Malus angetreten hatten und nahmen den Korb mit dem Tintenfisch an sich. Der eine von beiden Brüdern nahm die Maske, so heißt es nun in der Erzählung, die hier plötzlich die Gestalt des Tintenfisches in das Dämonengesicht verwandelt, und gab dem anderen Mitgehilfen eine Trommel und dann tanzte er. Dorg kam zu spät der Gedanke, daß seine Abwesenheit zu solchem Diebstahl ausgenutzt werden konnte, und als er sein Eigentum zurück¬ holen wollte, ward er schnöde abgewiesen. Von da an wuchs und wuchs der Ruf des Wundertieres, von überall her kamen Staunende, es zu schauen! Die Einweihungsfeier, deren Mittelpunkte jene Maskentänze und die einige Einzelztige ihrer Auf- füh rung erläuternde Legendenerzählung bilden, schloß eine Anerkennungsfeier für die Ini¬ tiierten wiederum mit Tänzen und Maskeraden ab, in denen Hunde und Tauben dargestellt wurden und deren innerer Sinn noch dunkel ist. Diesen Zere¬ monien folgten acht Monate Unterricht, in denen die Jünglinge in allen Notwendigkeiten des täglichen Lebens unterwiesen wurden.

Die Maskenkostüme Südamerika s14) setzten die ^bb. 48. Schild aus Deutsch- melanesische Tendenz zur Ornamentalisierung noch Neu-Guinea (Malu)

weiter fort. Das tropische Waldgebiet ist

dort vor allem fruchtbar gewesen. Der Formenreichtum ist freilich nicht so er¬ staunlich, wie in Melanesien. Es handelt sich gemeinhin um eine umfängliche Kopfverkleidung, die sich manches Mal weit in die Höhe hebt oder ein der Kappe

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aufgemaltes Gesicht trägt oder in einer ziemlich flachen Holzmaske in Gesichts¬ form besteht, eine Kopfmaskierung, an die sich eine streifenweise bemalte Jacke anschließt, von der ans ein langer Faserbehang niederfällt. Der Anschluß dieser Maskenanzüge an den Körper ist ziemlich straff und unterscheidet sich schon hierdurch von den freier wallenden, oft zu geradezu riesenhafter Größe geweiteten Masken Melanesiens. Der malerische Eindruck freilich ist vielleicht noch größer bei manchen Verkleidungen, die mit bunt strahlendem Federschmuck sich schmücken, um naturhaft mit den Vögeln, Schmetterlingen usw. zu wetteifern, deren innewohnenden Dämon sie darstellen sollen. Dort aber, wo diese herrliche Schmuckmöglichkeit nicht ausgenutzt wird, sondern die eigene Phantasie zur Leistung auf gerufen wird, ist der Erfolg nicht eben groß. Die einfachsten Muster werden benutzt, um die Fläche mit Schematen zu füllen, die z. T. einen natur¬ haften Sinn enthalten, oder es werden einfache Gesichter den Kappen angefügt, um den Dämon zu zeigen. So amüsant und oft prachtvoll heiter diese Maskenwelt sich gebärdet, so sehr fehlt ihr doch das, was Nordwestamerika den Antrieb zu seinen erschütternden Werken gab: das Gefühl für das Furchtbare der Dämonie. Nur selten huscht über manche Maskengesichter ein Abglanz jener Urkraft hin. Und doch sind sie innerlich noch nicht so tief profanisiert, wie die Masken Mela¬ nesiens. Sondern sie stellen immer noch reale Geistwesen dar: Dämonen, Tiere, Riesen, Zwerge. Manche Paradoxien stellen sich bei der Identifikation der Masken ein, so etwa, wenn als einer der gefährlichsten Dämonen ein schöner azurblauer Schmetterling gilt, der in einem Flusse die Malaria brauen soll (Abb. 47). Aber das Gefühl für den einwohnenden Dämon wird dadurch nicht geschwächt. Die Tänze, in denen diese Masken getragen werden, hängen hier mit den Toten¬ festen zusammen. Die Indianer schreiben den Tod dem schädlichen Einflüsse eines Dämons zu, suchen in den Maskentänzen nach der verkörperten Ursache der Leiden und lassen die Dämonen selbst auftreten, wohl um sie von weiteren Un¬ taten abzuhalten, indem man sich ihnen unterwirft. Soweit Schädlinge der Feld¬ früchte oder wilde Tiere usw. in den Tänzen nachgeahmt werden, sollen sie gleichfalls durch das Nachahmen ihrer Haltungen und Bewegungen, also auch durch die darin liegende Anerkennung ihrer Herrschaft magisch beeinflußt und dem Menschen günstig gestimmt werden. Eine sehr große Zahl von Tanzmotiven entspringt hier der Naturbeobachtung.

Das Rätsel, das der schlagende Widerspruch zwischen dem tiefen dämonistischen Wirklichkeitsgefühl und der geringen Ausdruckskraft der Masken stellt, ist nicht einfach zu lösen. Wäre auch hier ein Abstieg von früherer Flöhe festzustellen, so ließe sich dies als Grund wohl anführen. Aber die Nachricht, daß in einer Gegend jenes Gebietes in früheren Zeiten phantastische Menschen- und Tierköpfe ge¬ tragen wurden, die über einem Gestell mittels Baumharz modelliert waren, gibt

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Abb. 49. Weibliche Holzfigur am Tragband aus Deutsdi-Neu-Guinea

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für solche Begründung noch nicht den genügenden Hintergrund. Verständlicher wird diese verhältnismäßige Schwäche eher dadurch, daß man auf den mensch¬ lichen Charakter jener Eingeborenen selbst hinweist, der in seiner Weichheit und Gutartigkeit auch den Ausgeburten seiner Phantasie seine eigne innere Art zuteil werden läßt.

Besonders scharf tritt der eigentümlich nachgiebige Charakter Südamerikas her¬ vor, wenn wir seine Masken mit denen Nordwestamerikas vergleichen, es herrscht hier ein ausgesprochener Gegensatz von Brutalität und Zartheit, ur¬ sprünglichem Naturalismus und Ornamentalisierung. Dieser Unterschied findet seine Parallele in der mythenbildenden Sphäre. Denn wohl ist auch Südamerika von dem Gefühl der Wesenseinheit von Mensch und Tier beherrscht, aber sein Dämonen- und Geisterglaube bleibt ohne Systematik im Zustande unplastischer Konzeptionen, wie sich denn auch vom Geheimbundwesen kaum noch Spuren linden. Wenn Ehrenreich1’) schreibt: „In der mangelhaften Entwicklung religiöser Ideen und Kultgebräuche bei den Südamerikanern besteht der Hauptunterschied ihrer Geisteskultur von der ihrer nördlichen Verwandten“, so trifft diese Formu¬ lierung in hohem Maße auf die beiderseitige Kunstübung zu und läßt aufs Neue den engen Zusammenhang zwischen Religiosität und Kunstübung aufleuchten.

Fassen wir das Ergebnis unserer Untersuchung der Masken und Dämonen kurz zusammen, so ergibt sich, daß die schärfsten ästhetischen Gegensätze innerhall) der Maskenwelt zwischen dem Süden und Nordwesten Amerikas bestehen: hier die tieihafte Dämonie in ihrer ganzen Ausdruckskraft, dort im Süden ein weit größerer Reichtum dämonischer Motive, aber ohne die auch nur annähernde Fähigkeit des Nachdrucks in künstlerischen Gestalten. Zwischen beiden steht das afrikanische Maskenwesen als Ausdruck dämonischer Manistik und das Masken- tum Melanesiens als Zeugnis für den Aufstieg unterer Schichten des religiösen Lebens infolge des Schwachwerdens der oberen Macht, nicht infolge eignen Auftriebs.

Magie

Fetischismus

Die Grundlage der Hoffnung, durch Zauberformeln, symbolische Handlungen usw. wirkliche Veränderungen handgreiflicher Art in der Welt hervorzurufen, z. B. durch die schauspielhafte Vorführung einer erfolgreichen Büffel jagd den Ertrag der realen Jagd zu sichern, ist die Überzeugtheit von der Allmacht der Gedanken in dem Zusammenhänge der Elemente der Wirklichkeit. Wille und Abbild verspricht an sich schon die Realisierung eines bestimmten Wunsches ohne

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eigenes Übergehen zum Handgreiflichen der Tat, die nur als Bestätigung, als Ein- heimsung einer schon gesicherten Beute erscheint. Eine Fülle von Zeremonien hat sich aus diesem Gedankengang herausgebildet, auf die wir zumeist weiter nicht eingehen, da ihr künstlerischer Ertrag nicht dem Gebiet der bildenden Kunst angehört. Anders steht es mit einigen Äußerungen der magischen Auffassung, deren Form nicht eigentlich dramatischer Art ist, hier und da haben die Werk¬ zeuge und Mittel der Zauberei Formen erhalten, die in der Tat der bildenden Kunst ein weites Betätigungsfeld offen lassen. Am wichtigsten ist der Feti¬ schismus der Afrikaner geworden.

Das Wort .,Fetisch“ gilt zunächst ganz allgemein für jedes außergewöhnliche Ding, dem man irgend eine besondere Wirksamkeit zuschreibt, es bezieht sich aber besonders auf künstlich zusammengestellte zauberkräftige Substanzen, die von kundiger Iland ausgewählt und behandelt werden müssen, um den Erfolg zu garantieren. Hier ist es also nicht der Erfolg, der dem Behälter der Zauberkraft ein gewisses Ansehen verschafft, sondern die Einschätzung und Hochachtung geht voraus und wünscht die Bestätigung durch die zu erzielenden Ergebnisse, wie Gesundheit, Abwehr von Diebstählen, Erfolg im Handel und dergleichen.

Eine wenn auch geringfügige Naturbeobachtung spielt freilich mit. Wenn z. B. kleine Teile des Elefanten oder des Leoparden usw. die Art ihrer tierischen Kraft enthalten, so liegt hier eine Art von Naturbeobachtung doch vor. Nur daß sie dem Teil die Wirksamkeit des Ganzen zuschreibt, ist der gedankliche Fehlgriff. Im allgemeinen freilich wird dieser Unterschied wohl gespürt. Denn es scheinen regelmäßig zauberkräftige Formeln verwandt zu werden, um in das Teil die Kraft¬ fülle des Ganzen zu pressen. Ob bei solchen magischen Praktiken irgend eine Theoretik zugrunde liegt, läßt sich bei der Unzugänglichkeit der Zauberer nicht sagen. Wir unsererseits würden gern meinen, daß die Willenskonzentration gleichsam kondensiert werden möchte, haftbar gemacht würde am bestimmten und geeigneten Gegenstand. Die Beschreibung der Anfertigung von Amuletten in Kamerun würde solcher Auffassung eine gewisse Stütze bieten: „Bei der An¬ fertigung sitzt er unter einem Baum oder in einem Mattenzeltchen. Unter unver¬ ständlichem Gemurmel, mit finsteren Gebärden und unheimlichen Blicken berührt er bald diesen, bald jenen Gegenstand, den er vor sich hat: Muscheln, . . Anti¬ lopenhörner, Krebsscheren, kleine Stäbchen, Pflanzenfasern, Federn, Stücke von Schlangen-, Krokodil- und Leopardenhaut, steckt ein Stäbchen in das seitwärts durchlöcherte Antilopenhorn und versetzt dieses in kreisförmige Schwingungen, dreht die Pflanzenfasern zu Schnüren, knüpft und schlingt dieselben zu Amuletten zusammen und füllt es unbemerkt mit Pfeffer, Asche, Haaren und Staub zum Medizintäschchen, das den Widersacher töten soll. Jede Bewegung wird mit Flüchen und Zaubersprüchen begleitet und geweiht. Für die Außenwelt ist er

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unempfindlich.“1) Die anscheinende Willenskonzentration ist doch wohl nur eine Täuschung der Interpretation. Die Beobachtung lehrte überall als Grundunter¬ schied zwischen Europäertum und Exotik den Mangel willensmäßiger Härte bei den 1 rimitiven. So ist es doch wohl ausschließlich das Vertrauen auf die Kraft der Zauberformeln an sich, die den Erfolg verbürgt.

Wird nun bei diesen Beschwörungen ein Geist herbei gerufen, mit den kraftvollen Dingen magisch verbunden, sodaß ihre Wirksamkeit zugleich eine geistige Macht bezeugte? In den von Pechuel-Loesche durchforschten Gebieten ist dies nicht der Fall; hier arbeiten die zauberkräftigen Mischungen in durchaus mechanischer Weise. Es bleibt aber die Frage offen, ob nicht ursprünglich eine andere Auf¬ fassung zugrunde lag, die im Taufe der mannigfachen Kolonisierungen verblaßte, wenigstens dem Europäer verborgen bleibt. In der Tat zeigen andere Territorien, wie z. B. die Stämme des Ogowe-Gebietes, deren Fetischismus Nassau eingehend dargestellt hat, eine solche Richtung, bei ihnen wirkt in dem Fetisch eine be¬ stimmte, persönlich konzentrierte Kraft, also ein Spirit, den der Zauberer mit seinen organischen und anorganischen Ingredienzien verbunden hat. Hier haben wir also einen zweiten Typus geistigerer Haltung, beider aber erfahren wir aus dem Nassau’schen Buche über diese Seite der fetischistischen Praxis so gut wie nichts. Wohl aber bringt es eine Reihe von Kraftstoff-Bereitungen für Jagd, Reisen, Handel usw. Eindrucksvoll klingt die Schilderung der Herrichtung des Kriegs-Fetisches nach der Beschreibung eines Eingeborenen. Es wird etwas entfeint vom Dorf ein Haus gebaut, in dem allein der Zauberer wohnt, während er sich mit den Geistern über die wirkungsvollste Herstellung der Präparate in Einvernehmen setzt. Ist er damit fertig, so läßt er aus dem Walde bestimmten Samen holen, geht selbst dann hinan«, wählt einen bestimmten Baum aus, bläst die zerkauten Samenkörner gegen seinen Stamm mit den Worten: „Pha-a-a! Die Büchse schießt! Laß sie mich nicht treffen! Rindenstücke werden von diesem, dann unter gleichem Ausspruch von anderem, bestimmten Baum ge¬ brochen, gesammelt und heimgebracht. Des Nachts geht der Zauberer mit einem Speer zu einem frischen Grab, öffnet es und stößt den Speer in den Schädel des loten, mit einem magischen Spruch. Dann trennt er den Schädel vom Rumpf und trägt ihn auf der Spitze des Speeres zurück in sein Haus, tut ihn hier in einen Topf, in welchem schon die Rindenstücke liegen, besprengt alles mit dem Blut eines Opfertieres und läßt die Mischung kochen. Mit Tropfen aus dieser Mischung besprengt er die aufgereihten Krieger. Alsdann mischt der Zauberer Blut des Opfertieres mit gepulvertem Rotholz und tut dies zusammen mit dem abgeschnittenen Kopf in ein Eichhörnchen-Fell. Nach einem gemeinsamen Essen aus einer Mischung bestimmter Ingredienzien öffnet der Zauberer jenen Eellsack und benetzt die Biust der Krieger mit dem roten Saft, indem er die Worte spricht:

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„Laß keine Kugel hier treffen!“ Unter seiner Führung gehen die .Männer in Prozession zur Ortschaft. Der Zauberer läßt zum Beweis, daß er selbst kugelfest geworden sei, einen (blinden) Schuß auf sich abfeuern. Kriegstänze, die bisher die magischen Vorbereitungen begleitet hatten, beschließen sie nun. In dieser Praxis spielt der Schädel eines Toten eine wichtige Rolle, man ist demgemäß versucht anzunehmen, daß der Geist jenes Toten als kugelfest machende Kraft mitwirkt, vielleicht ihr Hauptträger ist. Andere Fetischbereitungen insolvieren die Anrufung eines bestimmten Dämons, z. B. für günstige Jagd, andere wiederum erfordern die Ermordung eines Menschen, um seiner Seele bestimmte Aufträge zur Förderung etwa des Handels zu geben, andre sind nicht so blutdürstiger Art, indem sie sich mit Pflanzen usw. begnügen.2)

Die westafrikanischen Fetisch - Figuren sind der bedeutendste künstlerische Ausfluß magischer Überzeugungen. Das magisch Wichtige des Fetisches ist nicht seine menschliche oder tierische Gestalt. Das, was die Figuren zum zauberkräftigen Wesen macht, ist die Erfüllung mit irgendeiner wunder¬ tätigen Substanz, die von geschulter Hand zubereitet wird. Ihre Kräftemischung muß sorgfältig erwogen werden, um sie zur derjenigen Wirksamkeit zu befähigen, die gerade erwünscht ist. Die zahllosen Kräfte, die in dem natürlichen Geschehen sich auswirken, müssen von einander isoliert und dann durch überlegende Ver¬ bindung verstärkt werden, damit ein wirklich erstklassiges Eabrikat zustande kommt. Es ist dabei wohl zu beachten, daß derartige Kunstprodukte immer nur in einer Richtung wirksam gemacht werden können, die Vielseitigkeit einer dämonenhaften Kraftquelle ist ihnen versagt. Will man mehrere Ziele auf magisch-fetischistischem Wege erreichen, so muß man sich mehrere Fetische her- richten lassen. Es handelt sich also bei einem Fetisch um „ein künstlich mit verdichteter Kraft versehenes Werkzeug“.3) Es unterscheidet ihn demgemäß von jeglichem Idol, daß ihm kein Kultus gewidmet wird, sondern daß nur mechanische Gebrauchsvorschriften ihm gegenüber in Frage kommen.

Die äußerliche Gestaltung des Fetisches scheint gleichgültig zu sein, die künst¬ lerische Formengebung gar hat nicht die mindeste Bedeutung für den eigentlichen Zweck seiner Herstellung. Daß hierbei dennoch manches Mal sehr achtungswerte Werke zustande kommen, hängt lediglich von der ästhetischen Begabung der Schnitzer ab. Allerdings ergeben sich hierzu wieder aus den unterschiedlichen Zwecken, denen der Fetisch dienen soll, verschiedenartige Motive der Formu¬ lierung, die aber rein symbolischen Charakter haben und der Wirkung des inne¬ wohnenden Kraftstoffes kein Deut hinzufügen. Ausschließlich Fetische gegen

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Krankheiten sind es, die solche Variationen aufweisen, vielfach richtet sich die Haltung des Körpers nach dem Leiden, das abgewehrt oder geheilt werden soll; so hält sich ein Fetisch gegen Ohrkrankheit etwa ein Ohr usw. Umfänglich ist aber die Liste solcher Besonderheiten nicht, es überwiegt weitaus die starre, statische Haltung. Nur im Blick der Augen liegt oft konzentrierte Energie, die das übliche Maß afrikanischer Willenskraft um ein Vielfaches übersteigt.

Das äußerlich Auffallendste ist einmal der Behälter der Kraftsubstanz und dann die Bespickung mit Nägeln usw. Die eigentliche Fetischsubstanz wird zumeist in die Bauchgegend hineingetan und durch einen Verschluß verwahrt, nach außen oft durch eine Glasscheibe verstärkt, deren Glitzern die schädlichen Geister ab- schrecken soll. Ästhetisch wirkungsvoller als der oft recht plump anmutende Fetischbehälter ist die Benagelung. Manchmal wuchert ein ganzer Wald von Nägeln, Scherben und anderen Spitzigkeiten aus dem Körper der Figuren, etwas Unheimliches bekommen sie hierdurch, das sonst kaum in ihrem Charakter liegen würde. Tritt noch ein gewisser ruinöser Zustand des Holzes hinzu, so sehen wir oftmals Schreckgespenster vor uns, die ebenso widerlich wie faszi¬ nierend sind. Der eigentliche Zweck dieser Mißhandlungen aber liegt in der mechanistischen Absicht, auf solche Weise die Kraft des Fetisches zu reizen und aktiv zu machen. Ist der Zweck erreicht, hat sich z. B. der Dieb, welcher vom Fetische verfolgt werden soll, freiwillig oder aus Furcht vor dem Fetische ge¬ meldet, so wird der Nagel wieder herausgezogen, da andern Falles die angeregte Zauberkraft weiter wirken würde.

Die Gebrauchsvorschriften wechseln je nach dem Zweck, dem der Fetisch ge¬ widmet ist. Im allgemeinen sorgt man für die Kräftigung der menschenartigen Gebilde durch Kraftnahrung, wie sie sich auch bei den Lebenden bewährt: man bespuckt und bestreut sie mit Kolanuß, man streichelt sie, schüttelt, klopft und erwärmt sie. In wichtigen Fällen tritt das Benageln hinzu. Im Ganzen bewegt sich die Behandlung in der Richtung der Verstärkung der von vornherein dem Fetisch eingeprägten Dynamik.

Deutlicher als bei den menschlichen Figuren tritt dies bei einfacheren Zube¬ reitungen hervor. Da gibt es etwa einen Ilandelsfetisch, der aus einem großen, mit Rottangsplinten umflochtenen Ball besteht, der im Dorf unter einem Schatten¬ dach unter einem niedrigen Gerüst ruht. Geht es mit den kommerziellen Ver¬ hältnissen der Dorfbewohner schlecht, so wird ihm eine Ermunterung zuteil: er wird mit weißer Farbe angemalt und von Männern, die seit dem letzten Sonnen¬ untergang in jeder Hinsicht enthaltsam gewesen sind, wie im Fußballspiel durch die Ortschaft hin und her getrieben. Komplizierter sind die Vorbereitungen eines wichtigen Unternehmens durch die Behandlung fetischhaltiger Dinge. Pechuel- Loesehe beschreibt sie so: „der Fetisch-Besitzer läßt ein Feuer anzünden, worein

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er allerlei Kräuter, Holzschnitzel, Rindenstückchen, Harze . . . und andere Dinge wirft; dann nimmt er sein Fetischbündel, schüttelt, pufft und klopft ... es unter Ausrufungen, hält es über das Feuer, damit der Rauch es durchziehe, schwingt es ringsum, indem er sich mit ausgebreiteten Armen um sich selbst dreht, macht einige Schritte, wirft sich in Positur und rüttelt mit drohender Gebärde nach Aufgang und Untergang der Sonne, vielleicht auch nach Norden und Süden. Dann macht er wiederum einige Sprünge, schwingt das Bündel wiederum ringsum, und hält es wiederum über das Feuer, worin er vielleicht gleichzeitig etwas Schie߬ pulver verpuffen läßt. Nach diesem einleitenden Zauber, den mancher schon für genügend hält, geht ein anderer erst an die eigentliche Handlung, die ihm die Hauptsache ist. Mit einem großen Buschmesser oder Säbel reißt er um sich in die Erde einen Kreis, legt eine Matte hinein und setzt sich darauf in vorge¬ schriebener, oft unbequemer Haltung. Nun nestelt er sein Bündel auseinander, klingelt mit Schellen oder Glöckchen, bläst auf den Pfeifen, murmelt, klappt die Hände. Er öffnet das Beutelchen und Täschchen, klopft sie, haucht sie an, nimmt Farbe, betupft damit die Fetische und sich selbst an der Stirn, neben den Augen, an den Backen, am Kinn. Dann wieder Klingeln, Pfeifen, Murmeln, Händeklappen. Abermals kramt er im Bündel und bringt ein Stückchen Kolanuß zum Vorschein; davon wird ein wenig abgeschabt und über die Hand auf die menschlich ge¬ stalteten Zaubermittel geblasen oder ein wenig abgeknabbert, gekaut und darauf gesprudelt. Klingeln, Pfeifen, Murmeln, Händeklappen. Der Beschwörer rutscht auf die entgegengesetzte Seite des Kreises, der Inhalt des Bündels wird anders geordnet. Klingeln, Pfeifen, Murmeln, Händeklappen. Er sucht ein Stückchen Rinde oder Holz oder Knochen heraus und schabt auch davon über die Zauber¬ dinge. Dann hebt er sie einzeln auf, horcht und riecht daran, drückt etliche an Brust und Stirn. Wieder Klingeln usw. Nun holt er eine andere Farbe hervor und betupft die Fetische und sich. Schließlich wickelt er vielleicht einen Faden ab, den er sich ins Haar legt, oder zieht eine Feder heraus, die er hinter das Ohr steckt. Mancher läßt dabei eine Flinte abschießen oder eine Handvoll Pulver ins Feuer werfen. Zum letzten Male Klingeln, Pfeifen, Murmeln, Händeklappen. Dann packt er alles wieder gewissenhaft zusammen, schnürt das Bündel, hängt es an die linke Schulter, streicht vorsichtig mit der flachen Hand einen Teil des in die Erde gerissenen Kreises glatt und schreitet dort hinaus.“

Mit überraschender Stärke haftet der Glaube an die Wirksamkeit solcher Fetisch¬ maschinen im Gemüt der Primitiven. Wohl kann dauernder Mißerfolg in Mo¬ menten höchster Verzweiflung zur Rebellion führen, wie es jenem berühmten Fetischpriester des Kongogebietes wiederfuhr, der bei wachsender Krankheit alle Künste spielen ließ, endlich die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen einsehend zur Zerstörung all seiner Fetische und Ahnenbilder schritt; nach seinem alsbaldigen

9

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Verscheiden jedoch folgte die Dorfgemeinschaft seinem Vorbilde keineswegs, laut jammernd suchte sie vielmehr den Zorn der Geister, die sein Unglaube sicher¬ lich in höchstem Maße aufgebracht haben mußte, zu besänftigen.4)

Ein großer Teil der westafrikanischen menschlichen Statuetten ist der Be¬ kämpfung von Krankheiten gewidmet. Der gleiche medizinische Gedanke hat auch in anderen Gebieten die künstlerische Produktion angeregt. So versuchen die indonesischen Bataks den Kranken, die ihre Seele verloren haben, wieder zu ihr zu verhelfen: sie verfertigen und bekleiden ein menschliches Bildnis, tun in seine Nabelgegend seelenstoffhaltige Substanzen des Kranken, etwa Haare, Nägel usw., tragen dies so präparierte Bild dorthin, wo sie die Seele des Er¬ krankten vermuten, legen es dort nieder und rufen die Seele. Läßt sich eine Stimme vernehmen, so vertraut man darauf, daß man Erfolg gehabt hat. Oder man legt eine menschliche Statuette auf ein Gestell, setzt ihm Nahrung vor, trägt es ins Freie, der Zauberer ruft nun: „Nimm, was dir gehört!“, hört man dann in der Ferne irgend eine Stimme, so meint man, daß die Krankheit auf den aus der Ferne Antwortenden übergeht.5)

Eine Vermittlerrolle spielt solch Bildwerk in Nias (Taf. 65). Hier wird bei Er¬ krankung ein Priester gerufen, der festzustellen hat, an welchen Geist man sich hilfesuchend wenden muß. Dann wird ein Idol hergestellt und mit Palmblättern geschmückt. Eine Opfergabe wird dann gebracht, der Kranke berührt das Idol, der Priester sitzt daneben, schlägt die Trommel und sagt seine Gebete her. Man bittet den Geist des Idols, daß er bei dem schädigenden Geiste vorstellig werde und ihn verhindere, den Kranken weiterhin zu schwächen, dafür möge er sich an dessen Stelle lieber einen anderen Insulaner aussuchen. Findet dies Gebet Erhörung, so sendet eine andere Instanz, die sehr unbestimmter Natur ist, das Heilmittel in Gestalt einer großen Wolke, die der Priester in einem Tuch fängt und von der er glühwürmchenhafte Teile dem Kranken an die Stirn setzt.6)

Es leuchtet auch in diesen untergeordneteren Regionen des Glaubens der grund¬ sätzliche Unterschied zwischen afrikanischer und amerikanischer Einstellung auf. ln Afrika hatten wir eine verhältnismäßig mechanische Art der überlegten Ausarbeitung, durch welche den wundertätigen Dingen die Kraft des Wirkens eingeflößt oder verstärkt und gerichtet wird. Wie der afrikanische Schöpfergott zur Welt, so verhält sich auch der afrikanische Medizinmann zum Fetisch, beide machen ihr Werk. Anders wirkt sich die magische Kraft der außergewöhnlichen Dinge in Amerika aus. Hier wohnt die Wunderkraft den Dingen selbst inne. Es handelt sich hier weniger um künstliche Wundermittel, als vielmehr um gegebene Naturdinge, die an sich kraftvoll sind, wie Schädel von Wölfen, Häuten von Füchsen usw. Anorganische Dinge fehlen nicht, aber sie

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stell

Anorgan iselies

en nicht in vorderer Reihe. Und dort, wo an sich zu hohem Range erhoben wird, auch im Kern ein organisch lebendiges Wesen er-

da wird schaut.

Der klassische Fall wird aus dem Gebiete der Zuni berichtet. Sie haben nämlich Fetische aus Gestein, dessen Naturform tierhaft ausschaut und durch die Be¬ arbeitung noch tierähnlicher gemacht worden ist. Der Ursprung solcher Naturspiele aber wird von der Legende auf die Wundertaten jener zwei Sonnen¬ kinder zurückgefiihrt, von denen die

Zunilegende

so

viel Gutes zu berichten hat. Als diese beiden Helden auf ihren Wanderungen oft und oft auf Raubtiere trafen, die dem menschlichen Geschlecht schädlich werden konnten, da trafen sie sie mit dem Blitze, der

ausstrahlte, und spra-

von

ihren magischen Schilden

dien so zu ihnen: „Wir haben euch in Fels verwandelt auf ewige Zeit, damit ihr den Menschen nicht Böses zufüget, sondern ihnen in hohem Maße nützlich sein könnt. Anstatt Menschen zu fressen, sollt ihr ihnen dienen kraft des zauberkräftigen Atems der Beute¬ lust, kraft des Herzens, das für immer in euch schlagen soll.“ Die geistigen Urbilder dieser Raubtier¬ geschlechter weilen freilich in der Unterwelt, auch hier in durchaus systematischer Weise um einen Mittelpunkt gruppiert. Ihre irdischen Fetische werden von den Zuni-Priestern gleichsam in Gefangenschaft gehalten und mit ausgearbeiteten Gebeten, Zeremonien usw. als Vermittler zwischen jenen Urbildern oder „Beute-Göttern“ hoch verehrt. Zur Zeit der Winter Sonnenwende findet das Hauptfest solcher Anbetung statt.

Das Problematische ist hier freilich, daß unter den Beute-Göttern auch Maulwurf und Dachs neben Bären,

Berglöwen, Adler, Wolf Vorkommen. Vielleicht daß jene Mythe nur einen totemistischen Ursprung überdeckt.7)

Es wäre sehr interessant, die polynesische Form der Fetische zu analysieren. Leider lassen die Nachrichten hierüber in Stich. Das Wesentliche scheint zu sein, daß die Zaubersprüche der Priester den Dingen ihre

Abb. 50. Ornamentiertes Holz¬ kästchen aus Neu-Seeland

magische Wirksamkeit verleihen.8) Nicht also ist es die handgreifliche Verände¬ rung, die der Fetischist vornimmt, wie in Afrika, nicht ist es so, wie in Amerika, daß den Dingen selbst außerordentliche Kraft innewohnt, sondern die Durch- geistigung seitens des wortkundigen Priesters stellt hier das wirksame Agens dar. Dies wäre es denn auch, was wir sinngemäß von Polynesien, als von dem Gebiete der geistigen Elastizität, zu erwarten hätten.

Indonesische Zauberstäbe

Die Zauberstäbe der indonesischen Bataks gehören zu dem üb¬ lichen Handwerkszeug der dortigen Zauberer, die zugleich Medizinmänner und Geisterkundige sind (Taf. 70 72). Sie werden aus hartem Holz geschnitzt, Menschen- und Tierbilder verwachsen auf ihnen ineinander. Ein Zauberstab wird jeweils angefertigt, wenn sich Teile eines Stammes trennen wollen. Denn es steckt in ihm viel Kraft: er hilft im Kriege den Feind besiegen, bei trockenem Wetter kann er zum Regenzauber benutzt werden. So scheint auch der figurale Schmuck Blitz und Regen zu versinnbildlichen. Das Wesentliche eines Zauberstabes, also das was ihm seine eigentliche Macht verleiht, ist der künstlich gebildete Kraftstoff, der aus dem Seelenstoff eines getöteten Menschen gewonnen wird. Die Art und Weise, mit der hierbei verfahren wird, zeigt auf eine selten klare Weise die eigen¬ tümliche Logik, mit welcher auf Grund seltsamer Voraussetzungen der Primitive vorgeht, und zugleich die brutale Rücksichtslosigkeit, mit welcher er sein Ziel verfolgt: den Willen zur Macht. Die Voraussetzung ist diese, daß es möglich ist, eine Seele auch nach dem Tode ihres sichtbaren Körpers so in der Gewalt zu behalten, daß man sich ihrer zu allen möglichen Zwecken bedienen kann. Folge¬ richtig leitet sich die Handlungsweise davon ab. Man bemächtigt sich eines Kindes, läßt es Hunger leiden, um es gefügig zu machen, füttert es, um seine Zuneigung zu gewinnen, gräbt dann vor dem Dorf eine Grube und stellt das Kind mit verbundenen Augen hinein, wobei der leitende Zauberer sich an die oberen Gewalten also wendet: „Wir wollen Leben machen, darum rüsten wir dies zu, wenn ein Fluch von ihm ausgeht, so treffe er das Herz des Feindes des Veranstalters, er soll ausgesandt werden zu beschleichen das Leben der Söhne und Töchter, das Leben der Häuptlinge und der Menge seiner Feinde!“, dann läßt sich der Zauberer von dem Kinde alles dies versprechen: zu folgen, wohin auch immer es geschickt wird, das Leben dessen zu holen, gegen den es aus¬ gesendet wird, zu gehorchen jeglichem Aufträge, über Felder, Häuser, Dörfer zu wachen .... usw., bis ein Pakt vollständiger Dienstbarkeit geschlossen ist. Wäh¬ rend dieser Unterredung haben andere Teilnehmer dieser Handlung Blei ge¬ schmolzen. Sobald die Dienstfertigkeit des Kindes nach allen Seiten klargestellt

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und gesichert erscheint, wird ihm dies glühende Blei in den Schlund gegossen. Die Leiche des plötzlich Gemordeten wird zunächst begraben, dann wieder her¬ ausgeholt, um aus diesem oder jenem Körperteil ein Schutzmittel gegen böswillige Geister herzurichten. Aus dem Leichenwasser aber bereitet man einen besonders wirksamen Zauberstoff, dessen Besitzer die Seele des Getöteten nun zu allen möglichen Zwecken mißbrauchen kann.

Als Probe von Flüchen, deren Ausführung der Seele aufgetragen wird, werden die folgenden Sätze berichtet: „Flaue ab den Odem dieses meines Feindes! den Odem seines Weibes! den Odem seiner Kinder! Vernichte den Odem meines Feindes, verzehre wie Feuer, mache seinem Leben den Garaus, rotte ihn aus mit Stumpf und Stiel! Er werde wie ein abgemähter Feldrain, wie abgeschlagenes Schilfrohr! Er stürze in sich zusammen, wie ein ausgebrannter Reisighaufen, er werde wie ein abgewaschener Reibstein, wie ein mit Wasser ausgeschütteltes Bambusgefäß! Keine zwei sollen übrig bleiben, ja nicht einer! Sein Reisfeld bringe keine Frucht; es sei niemand da, die Reisvögel fortzuscheuchen. Ohne Nachkommen sterbe die ganze Sippe, keiner behalte einen Genossen! Also mache dich auf, Großvater, bei Sonnenregen und Wolkendunkel, daß er im Stehen erbebe, im Sitzen zusammenschauere, im Liegen erschreckt auffahre, weil unser Großvater ihm den Odem nimmt!“9)

Sandgemälde und Heilkuren

Auf magischem Wege geht die Behandlung von Krankheiten bei den Navahos vor sich, die sich dazu jener wundersamen Bo den bilde r bedienen, von deren großem ästhetischen Reiz früher gesprochen wurde. Das Wesentlichste der Be¬ handlung besteht darin, daß der Kranke auf einer bestimmten Stelle der Bilder niedersitzen muß und daß der Schamane oder der Gott selbst dann seine mit Speichel befeuchteten Hände auf bestimmte Punkte der Malereien und alsdann die so gefärbten Handflächen auf den Patienten drückt. So überträgt er also die Substanz und damit die Heilkräfte der göttlichen Figur auf den Leidenden. Zu¬ gleich verbindet sich mit dieser Bemalung eine kräftige Massage.

Das Bild nun an sich stellt jeweils ein Ereignis aus der Mythologie der Navahos dar. So unsere Abbildung (Farbtafel II) eine Vision an einem See. Der schwarze Mittelpunkt symbolisiert den See, das schwarze Kreuz übereinander gelegte Stämme, und die farbigen Randstreifen bedeuten mit ihrem Weiß den weißen Wasserschaum, mit ihrem Gelb Wasserpollen, mit ihrem Blau und Rot Farben des Regenbogens. Zwischen den Kreuzbalken wachsen vier Kornähren, wie am Rande des Sees in der Mythe, in den symbolisierenden Farben. Acht Gottheiten sitzen auf den schwimmenden Balken, darum sind sie ohne Beine gegeben. Vier

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Gottheiten stehen aufrecht an der Peripherie, daher sind ihre Beine zu sehen. Die Rundheit des Kopfes bedeutet bei den Figuren, daß sie männlich, deren Eckigkeit, daß sie weiblicher Natur sind. Die Figuren im Norden und Süden repräsentieren Gebirgsschaf-Gottheiten, die in dem zu Grunde liegenden Mythus eine große Rolle spielen. Die weiße Figur im Osten ist Hastseyalti, die schwarze im Westen Hastsehogan. Er und jene beiden Gottheiten sind gedacht als Anstoßer und Beweger des Kreuzes. Das ganze Bild ist eingefaßt von der Regenbogen- Göttin, in deren freie Hände die Medizinschale gestellt wird, so daß auch sie sich aktiv an der Heilung beteiligt. Die Darstellung als solche aber ist die Wieder¬ erweckung des mythischen Vorgangs, wie die Feste der Pueblovölker überhaupt zur Dramatisierung ihrer Legenden neigen.

Die eigentliche Behandlung ging in dem Falle, den Matthews beschreibt, so vor sich. Bevor der Kranke herbeikommt, vollzieht der Schamane schon ein paar rituelle Handlungen: er streut Mehl und Samenstaub auf die Figuren usw. Als¬ dann beginnt ein Gesang, der das Erscheinen der Gottheiten ankündigt und be¬ gleitet. Der Patient selbst tritt nun ein, stellt sich auf die Ostseite des Boden¬ bildes und streut Mehl nach allen vier Richtungen darüber. Dazu spricht er: „In Schönheit wandle ich. In Schönheit ist’s wieder vollendet. Tn Schönheit er¬ hole ich mich wieder. Schönheit vor mir, so wandle ich. Schönheit hinter mir, so wandle ich. Schönheit über mir, so wandle ich. Schönheit unter mir, so wandle ich. Schönheit rund um mich her, so wandle ich. So wird es wundervoll werden, mein Enkelkind.“ Dann tritt der heilende Gott in die Erscheinung, taucht einen Zederzweig in eine Wasserschale inmitten des Gebäudes und besprengt die wichtigsten Punkte der Darstellung. Nun nimmt der Kranke auf dem westlichen Kreuzbalken Platz. Der Gott selbst geht daran, die göttlichen Figuren mit dem Wasser zu besprengen, das von der Hand der Regenbogengöttin gleichsam ge¬ halten wurde, dann nimmt er Farbstaub von den befeuchteten Figuren und über¬ trägt sie von ihren Füßen auf die des Patienten, von ihren Köpfen auf den des Kranken und so fort. Tn diesem Falle nahm also ein Gott selbst die sonst oft vom Schamanen vollbrachten Heilungsakte vor. Es schließt dieser Akt mit dem Einatmen vom Rauch verbrannten Pulvers durch den Kranken.

Zu demselben Zyklus des Festes gehört die Abbildung auf Farbtafel III. Sie soll eine Zeremonie darstellen, die zwischen Gottheiten an einem bestimmten mythi¬ schen Platze stattgefunden. Dieser Ort ist durch die umrahmende Figur ange¬ deutet. Das Gebäude steht in einer langen Höhle gegenüber einem weißlichen Kliff. Die schwarze Linie im Westen stellt die Höhle dar, die schmalen weißen Randlinien repräsentieren die Häuser in der Höhle. Die Legende berichtet, daß der Regenbogen die Wohnungen der Götter erleuchtete, darum zieht sich seine Gestalt auf dem Bilde durch die schwarzweiße Linie hindurch. In der Mitte der

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Grundlinie erhebt sich in Abstufung eine Wolke, aus welcher eine Kornähre in die Höhe wächst. Die zwölf Figuren inmitten des abgeteilten Doppelraumes sind Gottheiten, teils Götter, teils Göttinnen. Die Heilakte werden hier, nur kompli¬ zierter von einem größeren Gefolge der Götter, in grundsätzlich gleicher Art vorgenommen, wie bei dem früheren Bilde. Auch hier ist das Wesentliche die Einbeziehung des Kranken in die aktualisierte Mythologie durch die Götter selbst.

Religiöse und magische Ornamentik

Tn den Fetischfiguren, den Sandmalereien usw. gewinnt die Zauberkraft ihren selbständig wirksamen Ausdruck, da die ganze Gestalt von Magie durchdrungen und überdeckt wird, doch bleibt, so oft auch an ihre Wirksamkeit appelliert wird, eine gewisse Isolierung gegenüber dem täglichen Leben bestehen. Damit war der regen, in jedem Augenblick mit den Einflüssen unsichtbarer Wesenheiten be¬ schäftigten und ihnen mißtrauenden Phantasie der Naturvölker nicht völlig Ge¬ nüge getan. Ihr mußte es darauf ankommen, immerfort gegen schädliche An¬ griffe geschützt zu sein und andererseits im gleichen Maße die LIilfe jener Mächte in Anspruch zu nehmen. Dies konnte nur so ins Werk gesetzt werden, daß auch die Gebrauchsgegenstände des Alltags sichtbar unter den Schutz der Gottheiten und Dämonen gestellt wurden. In außergewöhnlichen Fällen mochte man dann zu der Fetischen und zu dem Medizinmann seine Zuflucht nehmen, tagaus, tagein jedoch mußten Symbole an deren Stelle treten, die ihre Zauberkraft weniger dramatisch, aber doch sichtbar und unzweideutig innehatten. Hier ist die Wurzel der religiösen und magischen Ornamentik der Naturvölker gefunden. Zugleich ist damit ein augenfälliger Unterschied zwischen der zivilisierten und der primitiven Gebrauchskunst erklärt. Bei den neueren zivilisierten Völkern hat sich mehr und mehr die Tendenz durchgesetzt, eine abstrakte Form ohne Orna¬ ment herauszuarbeiten. Der reine Zweckgedanke entscheidet hier über die Ge¬ staltung, der das Ornament besten Falles zur Verdeutlichung des Nutzens und Gebrauches ein- und untergeordnet wird. Der Rationalismus der Zweckmäßig¬ keit herrscht. Ganz anders bei den Primitiven. Auch hier ist der Gebrauchs¬ zweck von wesentlicher Bedeutung, aber es verbindet sich sogleich mit ihm der Gedanke einer Zusammenfassung mit religiösen und magischen Werten. Wohl ist dieser Gedankengang bei der Gebrauchskunst nicht ganz so deutlich, wie bei der Veranstaltung von Jagden usw., deren guter Erfolg mehr magischen Kräften der Priester und dem Einflüsse unsichtbarer Gewalten zugeschrieben wird, als der Güte der Waffen und der Kraft der eigenen Gliedmaßen. Denn die Notwendigkeit zwingt zu einem starken Gefühl für das einfach Zweckhalte der Gebrauchsgegen-

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Abi). 51a. Ornamcnfik der Huichol-Indianer

stände, wie Schüssel, Pfeil, Lagerstatt usw. Aber auch hier tritt jener Wille zur mög¬ lichst engen Verbin¬ dung mit der über¬ mächtigen Welt un¬ sichtbarer Kräfte in Geltung und sucht nach Möglichkeit sei¬ nen Herrschaftsan- spruch durchzusetzen. Seinem Antrieb ent¬ springt eine fast un¬ endliche Fülle man¬ nigfacher Ornamente. Gewiß sind nicht alle naturvölkischen Ver¬ zierungen sogleich als magisch oder allge¬ mein religiös aufzu¬ fassen. Jene vielfälti¬ gen Ornamente, die Kroeber bei den Ara- pahos Nordamerikas untersucht hat, haben anscheinend gar keine religiöse Bedeutung. So merkwürdig und geschmackvoll diese Indianer Prairie-Wür- mer oder Büffel oder allgemeine Ideen, wie

völlig

Glück usw. in

abstrakter, geometrischer Ornamente ihrer Mocassins usw. darstellen, so wenig hat diese Art einen metaphysischen Sinn, der überdies auch dadurch geschmälert würde, daß Erfindung und Ausdeutung ganz individuell verschieden ist.10)

Ebenso profan gebärdet sich das Gebiet der Südsee, das Emil Stephan unter¬ sucht hat.11)

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Abb. 51 b. Ornamentik der Huichol-Indianer

Aber es bleibt immerhin eine reiche Fülle von Figuren und Motiven, die religiösen und ma¬ gischen Impulsen ihren Ursprung verdanken.

All die Möglichkeiten, welche in der natur- völkischen Geisteswelt liegen, werden ausge¬ schöpft: Gottheiten, Ahnen, Totemwescn, Dä¬ monen werden angerufen. Aber nicht bloß an¬ gerufen, aufgefordert, sondern in ihrer Wesen¬ heit hereingezogen in die irdische Welt. In¬ dem sie in ihren Symbolen und Bildern aul den Gegenständen des täglichen Gebrauches angebracht werden, nehmen sie handgreif¬ lichen Anteil am Ergehen der Menschen,

werden sie zu ihren Schützern und Dienern. Ihrem Unwillen entgeht man, indem man ihr Wahrzeichen im Besitz hat; ihre Gunst erweckt man ebenso durch diesen sichtbaren Anruf ihrer Kraft. So ist man sowohl geschützt, als auch gefördert.

Die reichste Systematik solcher religiösen Ornamentik hat C. Lumholtz bei den II u i c h o 1 - 1 n d i a n e r n des westlichen Mexiko entdeckt und beschrieben. Dies Volk trägt überall seine Gebete und religiösen Gefühle in sichtbarer Form mit sich: Gürtel und Bänder werden als Regenschlangen ausgedeutet und gelten als Gebete um Regen und um das, was in seinem Gefolge auftritt: reiche Ernte, also Wohlstand, also Macht. Ähnlich bedeutungsvoll sind Zeichnun¬ gen einer Blume, die zur Regen¬ zeit blüht und somit auch ihrer¬ seits eine Bitte um Wachstum des Getreides ist. Das Aug- ornament ist das Symbol der Kraft des Schauens, und das Ornament, welches das Auge Gottes bedeutet, drückt den Wunsch aus, daß Gottes Auge auf dem Träger ruhen möge.

Alle Ornamente also sind fort¬ währende Gebete!

Der regelmäßig abstrakt geo¬ metrische Ausdruck für sie ist freilich nicht immer eindeutig.

Denn das gleiche Symbol kann Abb. 51c. Ornamentik der Huidiol-Indiancr

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vielerlei bedeuten: Zick-Zack-Linien etwa Regenschlangen, Blitze, das Meer rund um die Welt, auch Täler und Hügel am Horizont, außerdem Pflanzen mancherlei Art. Aber der religiöse Gehalt bleibt unzweideutig stark.12)

Ebenso ausdrucksreich, wenn auch mehr symbolisch als beschwörend ist die Or¬ namentik der Pueblo-Indianer, wie sie auf ihren alten Töpfereien mit starker Stilkraft sich ausbreitet. Charakteristischer Weise wird das Gefäß selbst als lebendig auf gefaßt und eine Ileihe von Verhaltungsmaßregeln beim Brennen hat in dieser Meinung ihren Ursprung. So sind denn auch die Verzierungen der Gefäße voll Lebenskraft und voll von mythologischem Sinn. So werden etwa die Gottheiten der Winde durch Voluten, der Regenbogen durch den Halb- kieis, der Blitz durch die Zickzacklinie dargestellt. Die ornamentale Kompo¬ sition, die wir abbilden (Abb. 52), bedeutet den Himmel (a), den Platz der Himmels-

Abb. 52. a modernes und b altes Regen-Symbol der Hopi-Indianer

götter (b), Wolken (c), Regenfall (d), insgesamt den Sturm, der das Objekt von Gebeten und Riten war, bei denen man sich des Kruges bediente, auf dessen Wandwölbung das Ornament sich befindet. Ein Gefäß (Abb. 54) repräsentiert z. B. die Mutter Erde, ihr gezackter Rand ist der von Gebirgen umgrenzte Horizont, Ornamente auf der Bauchung stellen Kaulquappen, Frösche usw., kurz Tiere dar, die einen engen Zusammenhang mit dem Regen haben. Andere Ornamente, wie die der Butterblume, künden die Sehnsucht nach der warmen Jah reszeit (Abb. 53).13)

Voll von mythologischen Bezüglichkeiten sind vor allem die Altäre der Zu n i s. Der Altar der Brüderschaft der Adler-Feder, den wir abbilden (Taf. 60), ist blaugrün gefärbt und symbolisiert durch seine Farbe das Firmament. Sein ganzer Aufbau ist ebenso, wie jede seiner Einzelheiten von der gleichen symboli¬ sierenden Richtung beherrscht. So sind die flankierenden Holztafeln von den Gesichtern der Regendämonen bekrönt, deren untere dunkle Hälfte Regenwolken und deren abgestufte Bedachung Cumuluswolken darstellt. Die Vorderseite der

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vorderen Bretter zeigen im Norden den gelben Puma, im Süden den roten Puma. Zwischen den vorderen und hinteren Brettern ragen zwei Blitzschlangen in die Höhe. Die beiden hinteren Bretter sind durch den Halbkreis des Regenbogens verbunden, der das gelbe Gesicht des Mondes trägt. Von oben herab hängt ein mythischer Vogel und unter ihm die Figur des Sternes der vier Winde, mit Cumuluswolken an den vier Enden bedacht. Inmitten dieses Alters stehen Sym¬ bole der Lebenskraft, die vom Weltgeiste Awonawilona ausströmt: Federn, die eine Kornähre umhüllen; ihre Zahl richtet sich nach der Anzahl der Angehörigen der Brüderschaft, deren jedem eines dieser Symbole gehört. Vor diesem ganzen Aufbau stehen Fetische und heilige Gerätschaften, die wir der Reihe nach be-

Abb. 53. Symbolische Ornamentik der Zuni-Indianer

zeichnen: 1. Puma aus gelbem Sandstein, 2. Bär aus schwarzer Lava, 3. Bison aus schwarzer Lava, 4. Dachs aus rotem Sandstein, 5, Weißer Wolf aus weißem Quarz, 6. ein Medizinstein aus polierter Lava, 7. und 8. Bärenklauen mit Federn, 9. Flöte, 10. Korb für heiliges Mehl, 11. Medizingefäß mit zwei Adlerfedern, 12. Speise, 13. Steinfigur, 14. ein Gefäß.

Einfacher ist der Zusammenhang mit dem Ahnentum und dem Totem- wesen auszudrücken. Hier genügt es, die Gesichter der Vorfahren und die Leiber der Tiere an den Pfeifenköpfen, Türbalken, Häuptlingsstühlen anzu¬ bringen, um überall mit der handgreiflichen Gegenwart der Toten auch ihren wohltätigen Einfluß zu verbürgen. Es mag dahingestellt bleiben, ob jene Inter¬ pretation, die March in der Weiterführung Stolpescher Untersuchung polyne- sischer Ornamente auf Zierkeulen usw. gegeben hat, richtig ist, wonach diese abstrakt geometrischen Kerbschnitte eine Art Stammbaum bedeuten würden. In der Tat ist die allmähliche Überleitung aus der rein abstrakten Form ins Naturalistische der menschlichen Gestalt und umgekehrt möglich. Aber die

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March’sche Interpretation, der gemäß jenes Neben- uncl Übereinander von mathematischen Formkom- plexen die Zwischenglieder zwischen dem göttlichen Ahnherren und dem Haupte des lebenden Stammes bezeichnen sollen, ist vorläufig noch etwas vager, fast mythologisierender Natur.14)

Vielfältiger nimmt die Ornamentik Bezug auf die Welt der D ä m o n e n. Hier ist die Stätte der eigent¬ lich magischen Symbole und Zeichen. Wenn der N o r d w e s t-A m erikaner seine Fischerei fördern Abb. 54. Ornamentierte Schale der will, so schnitzt er in die Keulen, mit denen er die Zufii-lnclianer, heil. Mehl Fische totscldägt, Bilder des Wales, des Seelöwen, des Haifisches, weil diese Tiere erfolgreiche Verfolger der gleichen Beutetiere sind. Oen Schüsseln aber gibt man mit Vorliebe die Gestalt des ergiebigsten Seewildes, der Robbe.1) Von der symbolischen Bedeutung des Raben auf den Rasseln haben wir früher schon gesprochen (S. 5j>). Südamerikanische Indianer, die sich vorwiegend vom Fischfang ernähren, stellen ihre Ornamentik hierauf ein: Ruder und Boote, Trinkschalen und Eßgeräte zeigen Fischfiguren, die zugleich als Fruchtbarkeitssymbole dienen. Ein mythologischer Hintergrund fehlt hier nicht, da die Fische legendarisch in manchen Gebieten Südamerikas als Kulturver¬ mittler und Fruchtbarkeitsträger aufgefaßt werden.16)

Diese Wahrzeichen der dämonischen Macht, der man sich unterwirft und die man sich hierdurch dienstbar macht, sind überwiegend naturalistischer Art. Man will erreichen, daß der Dämon sein Ebenbild erkennt und anerkennt und sich dem¬ gemäß hilfreich erweist. Zur eigentlichen Zauberei, also der Ausübung magischer Wirkungen durch abstrakte Zeichen, haben es Stämme der Halb¬ insel Malakka gebracht. Sie erfanden ein umfangreiches magische s Figurensystem, deren Muster die Eigentümer der Kämme usw., auf denen sie angebracht werden, vor Krankheiten und anderem Unheil schützen sollen. Es heißt, daß ein Gott aus Blumen, die im Besitze des Gottes waren, der die Krankheiten sendet, die Muster konstruierte, welche Schutz gewähren. Man stellt sich die Wirksamkeit dieser ganz einfachen, zumeist aus Strichen in vielfachen Kombinationen bestehenden Figuren so vor, daß der krankheitshaltige Wind, der vom Donnergott gesandt wird, vor ihnen zu Boden fällt. Oder aber man reibt mit den in Wasser getauchten Blumenmustern die schmerzenden Stellen.17) Hier ist es also nicht der Dämon selbst, der zur Hilfe herbeigerufen wird, sondern es tritt schon eine zivilisierte Zwischeninstanz in Kraft.

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Werfen wir zum Schluß noch einen Blick auf das Verhältnis der Orna¬ mentik zu den Dingen, deren Verzierung sie bildet.18) Wesentliche Unter¬ schiede trennen die großen Gebiete und charakterisieren sie in der Art, wie sie das Zweckhafte mit dem Religiösen und Magischen vereinigen.

Tn Afrika trennt sich gewissermaßen das Ornament vom eigentlich Zweck¬ haften. Auf diesem zweiten Element liegt der stärkere Akzent. Sitzfläche und haltende Gestalt sind deutlich geschieden: jene wird eben von dieser unterstützt. Das Gefäß wird von der Figur, die es hält oder die es auf dem Deckel bekrönt, durchaus geschieden. Die eigentlichen Ornamente, die es bedecken, bedrohen nicht sein Eigenleben, sondern ordnen sich seiner übermächtigen Wölbung ein. Diese selbst richtet sich keineswegs nach dem animalischen oder menschlichen Wesen, die sich mit ihm zu tun machen, sondern folgt seiner eigenen Gesetzlich¬ keit der Konstruktion. Das Ruhende, Stehende drückt sich in ihm aus, das auch in der afrikanischen Mythologie zu spüren ist. Die Lehre vom Gemachtsein der Welt und ihrer von nun an statischen Existenz findet hier in der Gebrauchskunst ihren Wiederhall. Eine gewisse Ausnahme bilden diejenigen Dinge, die mit dem Ahnentum enger verflochten sind. Die Kameruner Pfeifenköpfe und die Becher des Kongogebietes lassen unter dem Impuls des Ahnendienstes ihre ornamen¬ talen Elemente zu überraschend großer Bedeutung anschwellen. Und auch die reich, manchmal überreich verzierten Türpfosten Kameruns verdanken wohl der gleichen Quelle ihre enggedrängten, da und dort übereichen Schnitzereien. Anders die nordamerikanische Ornamentik. Die Schnitzereien der Nordwest-Stämme folgen dem eingewurzelten, tierhaften Antrieb, der auch in ihrer Mythologie erkennbar ist. Gefäße und Löffel werden als tierische oder menschliche Gebilde gegeben, und diese organischen Bildungen setzen sich nicht scharf, wie in Afrika, von dem eigentlichen Gebrauchsteil ab, sondern gehen un¬ mittelbar in ihn über oder schmiegen sich zu untrennbarer Einheit an ihn an. So gibt man etwa der Fettschüssel die Form einer Fischotter oder eines Vogels, der Leib dieser Tiere selbst bildet die Höhlung des Gefäßes, oder die Orna¬ mentik läßt in fühlbarer Plastizität die tierischen Formen hervortreten.

Ebenso scharf äußert sich der dramatische Charakter in den Arbeiten der Pueblo-Indianer. Freilich nur ins Abstrakte gewandt, wie dies ja auch bei ihrer Mythologie der Fall ist. Auch hier tritt der ornamentale Teil des Werkes in den Vordergrund und lenkt die Aufmerksamkeit durchaus von dem Gegenstände selbst ab. Die Formensprache dieses Dinges selbst nun ist eben¬ falls abstrakt geworden: kantig, eckig (wenigstens bei den alten Stücken) und ordnet sich so der ganzen, auf das Abstrakte gerichteten Art dieser Völkergruppe ein. Diese Einordnung ist aber zugleich eine radikale Unterordnung: wenn auch der Nutzwert erhalten bleibt, fügt sich doch seine Formensprache nach Mög-

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lichkeit in den Willen zum Symbol ein, der das ganze Leben der Puebloindianer regiert, indem etwa die Randung eines Gefäßes als Darstellung des Horizontes gemeint ist. Der organischen Art der Dramatik tritt hier die abstrakte Weise zur Seite, wie dies auch in den beiderseitigen Mythenwelten der Fall ist. Vergeistigter als die afrikanische und amerikanische Ornamentik ist die Formen¬ sprache Ozeaniens, besonders Polynesiens. Von jeher ist der eminente

Abb. 55- Dctke der Tlingit-Indianer (Nordwest- Amerika)

Schwung aufgefallen, mit dem sowohl die Gefäße, Keulen, Ruder, als auch ihr ornamentaler Schmuck geformt sind. Einen bewunderungswürdigen Reichtum hat vor allem Neu-Seeland hinterlassen. Hier gehen die abstrakteren Form¬ elemente mit den notwendigen Dingformen eine Einheit ein, in welcher aber dem Impuls der abstrakten Bewegtheit der Sieg zufällt. Von Uberwucherung der Ornamentik kann man schwerlich sprechen, wohl aber davon, daß das Ding, sei es nun Gefäß oder Tür oder Hauspfosten, zur Grundlage der reichen Verzierung wird, die sich darüber ausbreitet. Wie es in der eigentlichen Plastik sich mit der

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Blockeinheit verhielt, so geschieht das Gleiche auch hier in der Gebrauchskunst: das Ornament mißachtet nicht die strenge Gebundenheit an die nutzhafte Grund¬ setzung’, aber es treibt sein Spiel mit dieser Gesetzlichkeit, indem es sich fast zum Eigenwert erhebt. Gerade die Abstraktheit ihrer Linienführung läßt etwa die Trägerfiguren einer Schüssel mit dieser vermöge der Identität der Zierlinien zusammenschmelzen, die sich wie ein Schleier über beide Elemente ausbreiten. Das unaufhörliche Auf und Ab der Spiralen und Verschnörkelungen, das sich Verflechten ihrer verschlungenen Gänge, das auseinander Hervorwachsen und wieder ineinander Zurückfließen formuliert in einer malerischen, nicht tief in die Materie einschneidenden Art der Bearbeitung ein Bildgefüge, das in seiner ganzen Tendenz gut zusammenstimmt mit jenem wogenden Weltbild, das aus den hei¬ ligen Gesängen der Polynesier aufleuchtet: mit seinem dynamischen und zugleich vergeistigenden Sichaufschwingen aus dem dunklen Hintergrund der Urnacht in das Licht des Tages und der Bewußtheit.

Die ornamentale Art und Kraft Melanesiens ist dem gegenüber geringer. Die Musterung ist einfacher, kürzer im Atem, mehr auf Ruhe eingestellt. Dafür tritt der dingliche Zweck schärfer hervor. In glücklichen Momenten gelingen dann Resultate, wie etwa die großen Schalen der Admiralitätsinseln, die durch die Fülle ihrer Kraft und die Beschwingtheit ihrer Umrisse immerhin erstaunlich sind. Aber im Ganzen trägt die melanesische Gebrauchskunst im Verhältnis zur polynesischen den gleichen Unterschied zur Schau, der auch ihre Mythologien trennt, da Melanesien ein geringeres Maß an Phantasie und Größe der Wesens- Schau zeigt.

Die Ornamentik Indonesiens neigt noch stärker zum Kunstgewerblichen, wie die Melanesiens. Eine weit größere Fülle verschiedenartiger Motive besticht zunächst. Aber man erkennt bald den Einfluß der vielfältigen Einflüsse, die sich gerade auf diesem Erdgebiete kreuzten. Bei aller Anerkennung der technischen Gewandtheit bleibt doch zuletzt das gleiche Gefühl, wie angesichts indonesischer Mythologien bestehen, daß der überaus kultivierte Verzierungstrieb und fabu¬ lierende Drang ohne den Gehalt ist, der ihm wahrhafte Größe und Schönheit verleihen könnte.

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Zusammenfassung

Wir haben die vorliegende Untersuchung der Beziehungen zwischen Religion und Kunst der Naturvölker unter der Voraussetzung der identischen Einstellung von ästhetischer und religiöser Einstellung geführt. Diese Voraussetzung war zunächst eine Arbeitshypothese und es fragt sich nun am Schluß der Arbeit, inwieweit sie gerechtfertigt worden sei.

Bevor wir aber die Ergebnisse im einzelnen zusammenstellen, scheint es mir zweckmäßig, zwei andere Versuche zu streifen, die von völkerkundlicher Seite beifällig begrüßt dem Problem des Zusammenhanges der naturvölkischen Kunst mit den sonstigen Erscheinungen der primitiven Welt von zwei anderen Seiten her näher zu kommen suchen. Der eine Versuch glaubt eine durchgängige Ab¬ hängigkeit der Kunstübung von den Wirtschaftsformen, der andere die Ab¬ hängigkeit der Kunst von soziologischen Bedingungen naehweisen zu können. Die erste Theorie ist dem Geiste der materialistischen Geschichts¬ theorie entsprungen. Angedeutet von E. Grosse, in größerem Umfange aus¬ geführt von H. Kühn, gebilligt von K. Woermann, macht sie einen scharfen Schnitt zwischen naturalistischer und abstrakter Kunstprägung und versucht zu zeigen, daß die naturalistische Kunst lediglich im Bereiche von Jagd und Fisch¬ fang treibenden Stämmen, die abstrakte Kunst aber im Kreise Ackerbau treiben¬ der Völkerschaften zu finden sei. Die Erklärung für solche Verteilung der Kunst¬ formen sucht sie einerseits in der intensiven Beschäftigung der Jäger mit ihrem Wild, die sie zur scharfen Beobachtung zwänge, während andererseits der Acker¬ bauer diese innige Berührung mit dem Getier nicht mehr für seine Existenz not¬ wendig habe.

Es muß schon theoretisch bedenklich machen, daß diese Erklärung übersieht, wie eng der Viehzüchter mit seinen Tieren verbunden ist, sie müßte also auch im Bereiche der Viehzüchter naturalistische Formen der Kunstprägung naehweisen. Dies geschieht jedoch nicht. Aber auch der tatsächliche Befund spricht sonst gegen die behauptete Abhängigkeit der Kunstübung vom wirtschaftlichen Be¬ trieb. Denn das gleiche Gebiet der Eskimo in Alaska, deren naturalistische Ritz¬ zeichnungen zum Beweise jener Abhängigkeit herangezogen werden, ist das Ur-

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sprungsland abstrakter Formen von Dämonen-Masken, deren subjektive Phan¬ tastik ebenso eigenwillig, wie ergreifend ist. Die Darstellung von Gegenständen und Örtlichkeiten auf den tjurungas der Australier, bei denen man gemäß ihres Jägertums einen rein naturalistischen Kunstcharakter vermuten müßte, ist wiederum absolut abstrakt, teils ornamental, teils arabeskenhaft bewegt. Andererseits läßt sich zeigen, daß auch die andere Seite der Theorie, welche dem Ackerbauer eine besonders abstrakte Kunstart zuschreibt, ebenfalls die Zeugnisse tatsächlichen Befundes gegen sich hat. Denn der Ackerbau treibende Neger des Kameruner Graslandes ist der Schöpfer einer durchaus naturalistischen Kunst, wie ja auch Benin und Süd-Nigerien überhaupt eine überwiegend naturnahe Kunst hervorgebracht haben. Dafür zeugen nicht nur die Arbeiten der Gebrauchskunst, sondern auch die kultisch wichtigen Masken und Götterbilder. Kaum minder prägnant ist der naturalistische Einschlag in den Arbeiten des östlichen Kongo¬ gebietes, wo es sich ebenfalls um bodenbebauende Stämme handelt. So klafft auch hier ein Zwiespalt zwischen der vermuteten und der tatsächlich geübten Kunst. Angesichts all dieser Widersprüche kann von einer Allgemeingültigkeit der materialistischen Erklärung nicht die Rede sein, weder im Bereiche der zeichnenden, noch im Bereiche der plastischen Kunst.

Ein anderer Versuch, den Fritz Gräbner mit dem Aufgebot größerer sozio¬ logischer und weltanschaulicher Perspektive angedeutet hat, scheint mir nicht minder mißlungen. In seinem „Weltbild der Primitiven“ (1924, München), das eine Reihe recht wertvoller Problemstellungen und Materialien enthält, geht er im Ganzen von dem Ergebnis der soeben kritisierten Theoretik aus, sucht aber den Grund der formalen Unterschiede naturalistischer und abstrakter Kunst¬ arten im soziologischen und weltanschaulichen Charakter zweier großer Schich¬ ten und Kulturkreise zu verankern. Die bodenbauenden Völker sind nach seiner Darstellung zugleich mutter-rechtliche Kulturen mit animistischer Weltauf¬ fassung, während die eigentlich als primitiv geltenden Stämme, insbesondere die Australier und Buschmänner, der magischen Einstellung huldigen sollen und in wirtshaftlicher Hinsicht nomadenhafte Jäger sind. In diesem wirtschaftlichen und weltanschaulichen Unterschied meint er auch die Unterschiede der Kunst¬ formen begründet zu finden, er fügt also der materialistischen Theorie nur einen idealistischen Überbau hinzu. Als dritte große Gruppe setzt er den vater¬ rechtlichen Kreis hinzu, dessen Kunstübung nun freilich nicht näher analysiert wird.

Eine Kritik dieser Darstellung Graebners braucht zu keinen anderen Argu¬ menten zu greifen, als zu denen, die schon der Meinung Großes gegenüber gel¬ tend gemacht wurden. Der Tatsachenbefund, von dem sie ausgeht, als sei er eine festgefügte Grundlage, ist in wesentlichen Teilen falsch. Als besonderes Material

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des Gegenbeweises aber könnte man die vielen Ahnenbilder anführen, die durch¬ aus naturalistischer Art sind, ganz im Gegensatz zur Folgerung der reinen Abstraktion, die man aus der Graebnerschen prinzipiellen Theoretik der animisti- sclien Auffassung im mutterrechtlichen Kreise ziehen müßte.

Wertvoll jedoch bleibt die Theorie Graebners insofern, als sie die wesentlichsten Bezirke der naturvölkischen Kunst im Bereiche der mutterrechtlichen Ein¬ stellung zeigen würde, falls sie in ihrer Einteilung zu recht besteht und falls die Arbeiten der Buschmänner aus der Reihe der naturvölkischen Kunst zu streichen wären. Sind solche Thesen richtig, so würde dieser Ursprung der wesentlichsten Kunstübung die metaphysische Auffassung des Künstlertums bestätigen, die nicat ausschließlich im männlichen, sondern ebensosehr im weiblichen Wesen und in ihrem Zusammenflüsse die Quelle der künstlerischen Produktivität sieht. Aber so interessant diese Perspektive ist, so problematisch sind noch ihre Voraus¬ setzungen.

Beide Theorien des Materialismus und der Soziologie könnten übrigens umgekehrt werden. Da die Kunst in schöpferischer Eigenkraft handelt, liegt der Versuch nahe, nicht in Verschiedenheiten der Wirtschaft und Rechtsverhältnisse die Quelle der Kunstarten, sondern in der Verschiedenartigkeit der künstleri¬ schen Einstellung die Anregung zur wirtschaftlichen und sittenhaften Differenz zu suchen. Aber wie man auch immer die Akzente der Anregung und des eigentlichen Ursprungs setzen möge, es fehlt auch solchem wahrhafteren Versuch die notwendige Unterlage des tatsächlichen Befundes, da sich keine durchgängige Parallelität des Verhaltens der verschiedenen Funktionen und Phänomene nachweisen läßt.

Wesentlich anders ist das Ergebnis der von uns angestellten Untersuchung der Beziehungen von Kunst und Religion. Von vornherein nahmen wir den Standpunkt der aktivistischen Eigenkraft beider Sphären ein, der uns von dem passivistischen Irrtum inhaltlicher Ästhetik freihält.

Wir haben unsere allseitige Aufmerksamkeit im wesentlichen auf drei Gebiete gerichtet: Afrika, Amerika, Südsee. Es ergab sich bei der Untersuchung für Afrika das Überwiegen des statischen Charakters im Bereiche der höheren Mythologie, des Ahnentunis, des Dämonischen, der Magie durchaus in Parallele mit dem allgemeinen statischen Wesen der afrikanischen Plastizität. Es ergab sich für Amerika, insbesondere die näher untersuchten Gebiete Nordamerikas, daß im Mythus, im Dämonentum und in der Magie der dynamische Charakter einen überwiegenden Einfluß ausiibt, wie denn auch die plastischen und malerischen Arbeiten jener Gegenden den gleichen Typus zur Schau stellen. Dieser Charakter des Dynamischen wird in der S ü d s e e weiterhin gesteigert und aus dem Be¬ reiche der Plastizität nunmehr in eine wesentlich malerische Art überführt, die

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ihm den Einschlag der dramatischen Schwere nimmt und an seine Statt den Schimmer schwebender Leichtigkeit setzt. Dieser Charakter der fließenden Leichtigkeit und dekorativen, großlinigen und großfigurigen Gestikulation ist sowohl im Bereiche der hohen Mythologie, wie des Ahnentums, der Dämonen und der Magie festzustellen: überall strebt das Objektive zur Sub jektivierung der Vergeistigung.

Weniger klar läßt sich das weitere Problem entscheiden, ob die eigentlich religiöse Kunst zugleich einen formalen Sonder Charakter zeigt. In verschiedenen Bezirken scheint uns eine Parallele zwischen tieferer Religion und ab¬ strakterer Kunstübung vorzuliegen. So erklären wir die größere Abstraktheit der totemistischen Bildwerke in Australien verglichen mit denen Nord¬ westamerikas und Afrikas aus der stärkeren religiösen Bezogenheit der jeweils abstrakteren Bildungen. Der gleiche Einfluß schien uns die größere oder ge¬ ringere Monumentalität und Erhabenheit der melanesischen, polynesisehen, afrikanischen Ahnenfiguren zu erklären.

Besonders offensichtlich ist die religiöse Einwirkung auf die Kunstform bei den Eskimos sichtbar. liier klafft ein außerordentlicher Unterschied zwischen den graziösen, durchaus auf die naturalistische Wiedergabe der Umrißlinien einge¬ stellten Ritzzeichnungen und den abstrakt expressionistischen Dämonen-Masken gefürchteter Wald- und Berggeister. Zwischen beiden Gruppen steht das Masken- tum, mit dessen Hilfe die Geschlechter der Fische, Schwäne usw. beschworen werden; wie in der zugrunde liegenden Idee ist auch in der Formprägung diese Doppelheit von Naturalismus und Abstraktheit unverkennbar.

Problematischer wird dies Verhältnis von Kunstform und Religiosität freilich gerade im Bereiche des Gottes bil des selbst. Von vornherein wird man im Sinne jener Feststellungen bei der Gottheit eine überwiegend abstrakte Figu¬ ration vermuten dürfen. Dies trifft in der Tat bei den nordamerikanischen Puebloindianern zu. Aber weder in der Südsee noch in Afrika zieht die Kunst¬ übung die genau gleiche Schlußfolgerung, hier wie dort bleibt das mensch¬ liche Gesicht und der menschliche Leib nachfühlbar erhalten. Man ist geneigt, die amerikanische Formbildung durch die Verschmolzenheit des Gottes mit der allgemeinen und insofern abstrakten Naturkraft zu erklären und für Afrika und die Südsee die mangelnde Reinheit der Identität beider Potenzen geltend zu machen. In der Stidsee unterscheidet sich der Gott von der ihm zugeordneten Kraft der Natur und darf und muß daher, bei seiner Bildgestaltung, menschliche Züge tragen. Für die jorubische Götterwelt Afrikas ist wohl der manistische Einschlag von wesentlicher Bedeutung gewesen, da jede Gottheit nicht bloß die Naturgewalt repräsentiert, sondern zugleich Stammvater eines Clans ist; so ist hier die naturhafte, vermenschlichende Bildung begreiflich und notwendig. Die

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gleiche Doppelheit des Ursprungs darf man vielleicht auch bei den Doppelmasken Kameruns mutmaßen.

Man darf also im Ganzen nur bedingt den Schluß wagen, daß die K unstform einen um so abstrakteren Charakter zeigt, je allgemeinere religiöse Mächte sie darstellt.

Man könnte vielleicht meinen, daß jener Nachweis einer Parallelität der Religion und der Kunst vorauszusehen und einer besonderen Bemühung nicht wert sei, da religiöse und künstlerische Vorstellungsart von vornherein als identisch anzu¬ sehen wäre. Daß dem aber nicht so ist, geht aus dem Vergleiche der Formkräfte hervor, die uns bei den Indonesiern im Bereiche ihrer Ahnen-Verehrung und ihrer Ahnen-Bilder deutlich wurden: eine außerordentliche Stärke der Religiosität kontrastiert mit einer fast unbegreiflichen Belanglosigkeit der Bild¬ form. Hier ist die verschiedenartige Qualität das Problematische der Ver¬ gleichung. An anderer Stelle stehen wir vor einer noch wesentlicheren Schwie¬ rigkeit der verschiedenartigen Einstellung, die aus dem Vergleiche der mytho¬ logischen und der künstlerischen Produkte der Zentralaustralier er¬ wächst. Bei diesen ist die mythenbildende Phantasie durchaus naturnahe, denn die Beschreibungen der Handlungen und Erlebnisse der Totemgötter sind voll von naturalistischen Zügen. Ganz anders aber sind die Zeichnungen der heiligen Hölzer und Steine, der sog. tjurungas, bei denselben Stämmen, denn sie sind mit einzelnen wenigen Ausnahmen durch und durch abstrakt. Und ebenso proble¬ matisch ist für die schärfere logische Prüfung und Vergleichung der Umstand, daß die Deifikation der tierischen Totem-Ahnen in Australien zu abstrakteren Bildungen geführt hat, als die wenn auch manistisch beeinflußte Darstellung göttlicher Wesenheiten in Afrika, Amerika, Ozeanien. In beiden Fällen ist ein wesenhafter Unterschied beider Gebiete des Geistes, der religiösen und ästhetischen Sphäre, unleugbar. Der etwaige Hinweis auf die Unmöglichkeit bild¬ hafter Darstellung wird durch das Vorhandensein zum Teil sehr realistischer Arbeiten aus ähnlich kultivierten Gebieten Australiens*) widerlegt. Es bleibt noch die hypothetische Erklärung jenes Unterschiedes aus dem vielleicht zu vermuten¬ den verschiedenen Alter der tjurungas und der Mythen übrig, aber damit ist der gesicherte Boden der Untersuchung wieder verlassen. So stehen wir hier doch noch vor einer ungelösten Schwierigkeit, vielmehr vor einer Tatsache, die in diesem Falle jedenfalls die durchgängige Übereinstimmung von künstlerischen und mythologischen Formrichtungen verneint. Das ist umso interessanter, als diese

*) Diese Überlegung gewinnt noch an Gewicht, wenn man die von Howith in seinem Buche «The Native Tribes of South-East Australia» (1904, London) S. 553 gegebene freilich sehr schlechte Abbildung einer menschlichen Figur für Einweihungs-Zeremonien mit ihrem ziemlich naturalistischen Charakter betrachtet.

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Stämme der Aranda und Loritja zu der unteren Stufe, zu den eigentlich „Primi¬ tiven“, immerhin mit mutterrechtlichem Einschlag, gehören. Es zeigt sich schon in dieser Schicht eine verhältnismäßige Selbständigkeit der religiösen und künst¬ lerischen Produktivität von einander. Aus dieser Feststellung kann man freilich keine weitreichende Folgerung ziehen, da es durchaus noch unklar ist, ob man eine zeitliche Entwicklungsreihe der primitiven, mutterrechtlichen, vaterrecht¬ lichen Einstellung aufstellen kann.

Wir werden uns also, wie es scheint, zunächst damit begnügen müssen, in den großen Gebieten der religiösen und künstlerischen M y t h i k der Naturvölker eine Parallele zwischen Religion und Kunst auf ge wiesen zu haben, indem wir die stilkritische Methode auf die Religion und die sinnkritische Methode auf die Kunstwerke anwendeten. Diese Parallelität setzt sich nur im Kern durch, und es bleibt eine große Eockerheit der äußeren Schichtungen sichtbar, die eine allseitige und unbedingte Übereinstimmung zwischen religiöser und künst¬ lerischer Anlage und Ausdrucksweise verhindert. Es muß noch dahingestellt bleiben, ob dieser negative Teil des Ergebnisses unserer Untersuchung dauernd zu Recht bestehen bleibt. Die intuitive Vermutung spricht dafür. Denn das Leben und Sinnen des naturvölkischen Menschen trägt einen durchaus komplexen Charakter. Es kennt nicht die Eindeutigkeit der Beziehungen, die von unserer gegenwärtigen Zivilisation über alles geschätzt wird, sondern es ist von dem oszillierenden Pulsschlag des Lebens selbst erfüllt, und es fühlt sich in dunkelndem und wieder sich erhellendem Lichte der Natur wohler, als in der gleichmäßigen Helligkeit künstlicher Beleuchtung. So muß es auch bei unserem Sonderproblem sich in der Tat so verhalten, daß zwar die Grundhaltung in Kunst und Religion äquivalente Wege sucht und schafft, aber bei der Durchführung im Einzelnen jeweils vielfältige Abweichungen von dieser Grundnorm nicht nur erlaubt, sondern auch fordert.

Im tiefen Grunde bewegen sich die religiösen und künstlerischen Instinkte der primitiven Kulturen in parallelen Bahnen und schaffen damit jene vorbildliche Einheit der geistigen Kultur, die auch jetzt wieder das Losungswort der schöpferi¬ schen Menschen ist. Es bedarf nicht der Unterstreichung des wesenhaften Unter¬ schiedes, der zwischen der Einstellung des primitiven und des modernen Menschen herrscht: hier die dynamische, abstrakte Extatik der Utopie, dort im Bereiche der Primitivität die Übermacht der statischen, naturhaften Mystik der Gegebenheit, um die tiefe Kluft zwischen beiden polaren Kulturrichtungen deutlich zu machen. Wesentlicher ist die Einsicht in die Gefahr, welche nicht nur unserer, sondern aller Kultur überhaupt aus der isolierenden Abstraktion der Kulturfunktionen erwächst, und wesentlicher wiederum ist die Idoffnung auf den erneuernden und

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kräftigenden Einfluß, der unbewußt aus dem Studium der primitiveren, der urtüm¬ licheren Kulturen in unsere Zukunft einströmen wird. Von dem bewußten Willen ist hier allerdings weniger zu erwarten, als von dem allmäh lichenWirken des liebgewonnenen Denkbildes. Hierfür ist uns das Wort Hegels die Gewähr: „Sobald die Vorstellung einmal verändert ist, hält die Wirklichkeit nicht mehr stand.“

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Übertragungen von T exten und Berichten

Die Auswahl der folgenden Texte, für deren Abdruckerlaubnis ich auch hier den verschiedenen Verlagen meinen Dank sage, wurde von der Erwägung be¬ stimmt, daß eine Fülle von märchenhaften Erzählungen, die ihre Stoffe großen Teils aus der Tierwelt entnehmen, bereits veröffentlicht ist, so daß dieses ganze Gebiet hier ausgeschieden werden konnte. Der Elauptakzent wurde auf die Mythologie, die sich mit der höheren Götterwelt, insbesondere mit ihrer Teil¬ nahme an der Welt-Entstehung beschäftigt, gelegt, da sich hier eine Reihe aus¬ gezeichneter Texte vorfindet, die noch einigermaßen unbekannt sind. Überdies sind die plastischen Arbeiten, welche die Götter vor Augen führen, gering an Zahl, so gleicht die Bevorzugung ihrer Mythologie den Nachteil aus, in welchem sie sich gegenüber dem reichen Schatz an Ahnenfiguren, Dämonenmasken usw.

befinden.

Kosmogonische Mythen

Tempelgedicht aus Hawai

Die erste Periode

Pi in dreht der Zeitumschwung zum Ausgebrannten der Welt,

Zurück der Zeitumschwung nach aufwärts wieder,

Noch sonnenlos die Zeit verhüllten Lüchtes,

Und schwankend nur im matten Mondgesehimmer Aus der Pie jaden nächtgem Wolkenschleier Durchzittert schattenhaft das Grundbild künftger Welt.

Des Dunkels Beginn aus den Tiefen des Abgrunds,

Der Uranfang von Nacht zu Nacht,

Von weitesten Fernen her, von weitesten Fernen,

Weit aus der Ferne der Sonne, weit aus den Fernen der Nacht.

Noch Nacht ringsum.

Geboren in Nacht,

Geboren der Abgrund, aus der Nacht als Männliches Geboren das Nacht-Dunkel, aus der Nacht als Weibliches,

Geboren die Milben im Gewimmel, geboren das Gewimmel in Reihen, Geboren die Würmer, die grabenden, die Erde aufwerfend, geboren ihre Mengen mit Nachkommenschaft,

Geboren die im Schmutz sich windenden, geboren ihre zuckenden Reihen, Geboren See-Eier ohne Zahl, geboren ihre streifige Nachkommenschaft in Reihen.

Es folgt die Entstehung von allerhand Seegetier: Muscheln, Seeschwämmen usw. Dann fährt der Hymnus, zur geschlechtlichen Zeugung übergehend also fort:

Und das Männliche, schwellend in Zeugungskraft,

Und das Weibliche, zur Empfängnis ergeben,

Geboren die Tange in der See,

Geboren die Algen im Schlamm, und rasch vermehrt ihrer Kinder Zahl, Bewacht von den Schlinggewächsen am Lande;

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Als Pfeiler der Kraken im Gebrause.

Im Streit das Wasser Speise der Aufwaelisenden.

Waltend die Götter allein, noch keine Menschen.

Und das Männliche voll Zeugungskraft,

Und das Weibliche zur Empfängnis bereit.

Geboren die Fadengewinde in der See,

Bewacht von den Gräsern drinnen im Lande,

Der Kraken als Pfeiler im Gebrause;

Im Streit das Wasser zur Speise der Aufwachsenden.

Waltend die Götter allein, noch keine Menschen.

Und das Männliche voll Zeugungskraft,

Und das Weibliche zur Empfängnis bereit.

So geht es weiter für acht Arten See- und Landg’etier, und dann heißt es:

Das Männliche aus dem Wasser entstehend in den Göttern,

Das Schlüpfrige im Wasser aufwachsend durch Zehrung In rauschend flutender Beschwemmung des Landes Die Würzelchen der Seehalme umhertreibend Aufschwellende Strömung von alters her in der Nacht,

Voll aufgefüllt und übergefüllt,

Voll hier und da,

Voll fern und nah,

Der Erdträger hebt sich zum Himmel empor,

Des Abgrunds Walten im Luftkreis verschwindet in der Nacht. Noch Nacht überall.

Die zweite Periode

Und das Männliche zum Weiblichen in Herrlichkeit;

Das Männliche geboren, schwarz dunkel flutend,

Das Weibliche geboren, hell aufgeschlossen flutend,

Überschattet die See, überschattet das Land,

Überschattet das Wasser, überschattet der Berg,

Überschattet in dichter Nacht, tatenlos rastend.

Dann sproßt es wunderbarlich überraschend in neuen Blättern, Es sprossen grad aufrecht die Blätter, schimmernd scheinend,

Es drängt zum Wachstum hin, die Blätter wie beschämt.

Geboren die schwarz dunkle Nacht, das Männliche,

Beiwohnend der weitgebreiteten Nacht, dem Weiblichen, Geboren das Zauberding, der Wunderbare,

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Geboren der Wunderbare,

Geboren der Wunderbare und seine Verwandten.

Hervorkommen ihre Kinder, die fliegenden,

Geboren die Raupen, als Anverwandte,

Die Reihe der Kinder in den Schmetterlingen, den fliegenden, Geboren die Ameisen usw.

Dann entstehen Libellen, Heuschrecken, Fliegen, 26 Arten Vögel, von denen z. B. heißt:

Geboren die Reiher in der Verwandtschaft,

Die Züge ihrer Kinder in fliegendem Geschlecht,

Und das Gevögel fliegend in Schwärmen Und am Himmel unter Führung Fliegenden Herabkommend zum Niedersitzen, die Flügel flappend,

Zum Niedersitzen auf dem Boden des Insellandes.

Vögel auf dem Lande geboren,

Vögel in der See geboren.

Geboren das Männliche voller Zeugungskraft,

Geboren das Weibliche zur Empfängnis bereit,

Geboren die Möwen in der See,

Bewacht von den Falken am Strande,

Der Kraken als Pfeiler im Gebraus.

Im Streit zur Speise dem Vogel.

Waltend die Götter allein, noch keine Menschen.

Und das Männliche voll Zeugungskraft,

Und das Weibliche zur Empfängnis bereit.

Geboren die Enten in der See,

Bewacht von den Habichten am Lande.

Der Kraken als Pfeiler im Gebrause.

Die Frucht als Fleisch dem Vogel zur Speise.

Waltend die Götter allein, noch keine Menschen.

Geboren das Männliche voller Zeugungskraft,

Geboren das Weibliche zur Empfängnis bereit.

Weiter entstehen 12 Arten Vögel: Seeadler, Eulen usw.:

Und in Wolkenhaufen erheben sich die Vögel im Geräusch der Flügel, Und Gesang ringsum der Vögel, der singenden,

Der in Schwärmen hochfliegenden,

Zur Sonne aufwärts,

Niedersitzend dann auf dem Festland wieder der Vögel Kinder, gefüttert in der Nacht,

Fettrund treibend im Schwimmen, wohlgemästet Umherspielend zwischen den Seegewächsen,

Auf den spiießenden Spitzen der Schilfe, aul den Blättern der Zweige.

Der aus der Nacht geborenen Zweige,

Noch waltet vorwiegend die Nacht.

Es waltet die stolze Nacht,

Noch waltet die Nacht in der Zeitperiode der schwarzen Nacht.

Mit erster Dämmerung Zeichen, in der Fülle der Zeit gewordenen Nacht. Noch Nacht ringsum.

Geboren die Kinder der tiefdunkelnden Nacht,

Umhergeworfen, zerstreut in blau dunkler Nacht.

Mit lockender Liebesbewerbung im duftenden Schmuck.

In dem aul noch kahlem Lande in der Nacht Umhergestreuten.

Die dritte Periode

Die Entstehung von 50 bischarten schließt mit dem Auftreten eines Wunders: Und das Männliche voll Zeugungskraft,

Und das Weibliche zur Empfängnis bereit,

Geboren der Wunderbare innerhalb der See,

Bewacht von dem Aal am Strande,

Der Kraken als Pfeiler im* Gebrause.

Im Streite die See als Speise den Fischen.

Waltend die Götter allein, noch keine Menschen.

Und das Männliche voll Zeugungskraft,

Und das Weibliche zur Empfängnis bereit.

Geboren die Büsche an der See,

Bewacht von den Sträuehern am Lande usw.

Weiterhin entstehen 24 Baumarten, dann heißt es weiter:

Und langsam nahte der Walfisch diesen Seen,

Weidend niedrig unter des Wassers Fläche,

Weiter hinaus im Ozean die Riesenfische,

In der Tiefe walten sie, des Meeres Bewohner,

Die Tritonen, die langsamen, blasend im Schnauben.

Wegrollend und verschlingend auf dem Weg Den Weg des Gewürms, im Strudel fortgerissen,

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Die Polypen im Wasser umspritzt, aufliegend mit Bauch, mit Rücken, Schwankend in des Wassers Wogen, schwankend in den stillen Wassern, Versammelt all das Wurmgetier,

In zahllosen Mengen, zusammengedrängt, ins Verderben rennend.

Die vierte Periode

Der Beginn des jüngsten Geschlechtes in bläulichem Fischgeflute,

Das Dunkelblaue waltet hier aus dem Ozean Powehiwehi’s,

Die See des Gewürms in tiefblau dunkelnder Nacht.

Der Kraken auf dem Trocknen am Rande des Landes, er der Fisch, Angestrandet unter dunkelblauem Walten aus der Nachtsonne her.

Noch Nacht.

Aufstehend in undeutlicher Trübe geheiligter Sonne Das Breitgeblätterte flutend in einsamer Öde,

Übergebreitet zum Besitz von Wasser und Land,

Dorthin kriechend, hierhin kriechend,

Hervorgedrängt die Haufen kriechenden Gewürms,

Auf dem Rücken kriechend, auf dem Antlitz kriechend,

Im Nacken das Leben, für die Erde die Rückseite,

Aber das Antlitz aufrecht im glorreichen Schmuck.

Ausdörrende Verwüstung des Dunkels im Dunkel.

Das Männliche in der Nacht als Dunkel im Dunkel geboren,

Und so als Dunkel im Dunkel geboren als Männliches,

Wie die Nacht tiefer Schwärze als Weibliches.

Geboren die Menschen als gedoppelte Frucht Geboren als Blatt in der Nacht hinieden.

Hierher das Feststellende,

Hierher das Bewegende,

Rollt das Kleinkind gleitend auf den Haufen des Sandes.

Die Kinder der dichtwolkigen Nacht werden geboren.

Geboren eine Nacht.

Geboren die Nacht glorreichen Schmuckes,

Geboren aus der Nacht wird die Gestaltform des Menschen erschaut. Geboren in der Nacht das schwache Geschlecht der Schildkröten, usw.

Dem weiteren Entstehen der Eidechse folgt die Vorwegnahme menschlichen Treibens in merkwürdiger Parallelisierung zur Lebensart der Reptilien:

Getanz im Umhergetriebe der Wurmgetiere,

Wackelnd mit langem Schwanz,

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Ärger und Zank, bissig und zornig,

Hader und Streit um das Essen, das Fressen,

Greuel und Missetat auf dem Lande,

Doch schon überbreitet das Piligras das Land,

Nun die Arbeit, die schmutzige Arbeit,

Die Arbeit, die niederwirft in Schlaf den Ermüdeten,

Der Stab zur Stütze des Wandrers,

Umherwankend auf dem Lande im Gekreuch Geboren die Arbeit, gleich der des Gewürms.

Noch Nacht ringsum.

Als Begleiterscheinung solcher komplizierten Schöpfungen bricht wilder Aufruhr in der Natur los.

Die fünfte Periode

Die heftigen Brunstausbrüche dauern fort. Das wichtigste Säugetier, das Schwein, erscheint. Die Nacht trennt sich als besonderer Zeitabschnitt des Tageslaufes vom Licht. Es entstehen Voranlagen für Verstand und Unverstand, Geschicklichkeiten und Kunstfertigkeiten (Flechten von Fischkörben, Bootbau, usw.).

Die sechste Periode läßt die Mäuse und Tümmler iu der See entstehen.

Die siebente Periode

erfüllt sich mit psychischen Schöpfungen: Seh- und Hörbildern, Gedanklich- keiten, Betsprüchen, Zauberformeln, wie es scheint (vergl. Bastian 1. c. S. 139) gelehrt vom Vogel, der durch die Gebete die Zustände der Depression ausgleicht. Der Verlauf der Entwicklung nimmt seinen Fortgang:

Und das Fortgleiten dröhnt in den Geburten.

Die achte Periode erhebt den Menschen endlich ans Tageslicht:

Geboren der Mensch wie ein Blatt,

Geboren die verborgenen Götter.

Graubärtig, grauhaarig der Mensch,

Rot erglänzt die Stirn der Götter.

Die ungestümen, ruhelosen Naturkräfte beruhigen sich nun, freudige Friedens¬ stille (Lailai) breitet sich aus, in deren Glanz das Weib geboren wird, das deshalb Lailai benannt ist:

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Hernieder in die Geburten die Sonne blickt.

Heiß aus den Augen strahlend,

He raufsaugend in mächtigem Zug.

Dem Menschen regt sich das Fliegen,

Er eilt der Sonne zu.

Licht tritt hervor.

Und im Erdgebebe hebt sich das Land,

Lailai emporzutragen,

Und, der Himmel im Zenith zerspalten,

Tritt die Mittagssonne hervor,

Die Lrau schwebt auf zum Himmel,

Der Heimat himmlischer Herkunft.

Kinderlos steigt sie empor In Reinheit pflanzlichen Wachstums.

Der Sand auf der Erde spottet Über das Lliegen zum Himmel.

Der Geburt des Weibes folgen die Entstehungen von Kii, dem Manne, dann von Kane, dem Gott, und von Kanaloa, dem Kraken. Diese Periode schließt nicht mehr mit dem Refrain „Nacht überall“, sondern mit:

Ao, Licht.

Die neunte Periode

Der Weltenbau festigt sich. Lailai verbindet sich mit der männlichen Weltpotenz, eine größere Zahl von Zeugungen elementarer Art und von Hirngeburten aus dem Verstände erfolgen. Mit den Kindern wird fortgezeugt. Der Refrain betont:

Das Licht dauert fort.

Lailai verbindet sich mit Kanaloa, kehrt dann zurück, vermählt sich mit Kane, bricht aber mit Kii die Ehe, bringt dem Menschen den Taro herab und gebiert endlich den Stammvaer der Fürstenfamilie Hawais, Kumahaina. Es folgen ihm fast eintausend Generationen, bis zur Gegenwart.

Die Schöpfungssage der Maori 2)

Die Himmel, die über uns sind, und die Erde, die unter uns liegt, sind die Er¬ zeuger der Menschen und der Ursprung aller Dinge.

Denn früher lagen die Himmel auf der Erde, und alles war Finsternis. Nie waren sie getrennt gewesen. Und die Kinder des Flimmels und der Erde suchten den Unterschied zwischen Licht und Finsternis zu entdecken zwischen Nacht und Licht; denn die Menschen waren zahlreich geworden; aber die Finsternis währte noch fort.

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Im Andenken an diese Zeit sagt man: „während der Nacht“, „die erste Nacht“, „von der ersten bis zur zehnten Nacht, von der zehnten bis zur hundertsten, von der hundertsten bis zur tausendsten Nacht“, was Imdeuten soll, daß die Finster¬ nis ohne Grenzen und das Licht noch nicht vorhanden gewesen war.

So ratschlagten die Söhne Rangis, des Himmels, und Papas, der Erde, mitein¬ ander und sprachen: „Lasset uns Mittel suchen, um Himmel und Erde zu ver¬ nichten oder sie voneinander zu scheiden“. Da sprach Tumatauenga: „Lasset uns die beiden vernichten“. Darauf sprach Tane-Mahuta: „Nicht also; sie mögen von¬ einander geschieden werden. Lasset den einen emporsteigen und für uns ein Fremder werden, den anderen lasset unten bleiben und uns eine Mutter sein“.

So beschlossen die Kinder des Himmels und der Erde, ihre Eltern voneinander zu reißen; Tawhiri-Matea allein hatte Mitleid mit ihnen. Fünf beschlossen, sie zu trennen, nur einer hatte Mitleid.

So suchten sie durch die Vernichtung ihrer Eltern die Menschen zu vermehren und gedeihen zu machen, und im Andenken an diese Dinge sagt man: „Die Nacht! die Nacht! der Tag! der Tag! das Suchen, das Ringen nach dem Licht! nach dem Licht!“

Nun erhob sich Rongo-Matana, um den Himmel von der Erde zu trennen, aber es gelang ihm nicht. Dann versuchte Haumia-Tikitiki seine Kraft, aber es gelang auch ihm nicht. Dann erhob sich Tangaroa, um seine Eltern auseinander zu reißen, aber er konnte es nicht tun. Tumatauenga versuchte es dann, doch auch sein Bemühen war ebenfalls erfolglos.

Zuletzt erhol) sich Tane-Mahuta, der Waldgott, um gegen Himmel und Erde zu kämpfen. Seine Arme erwiesen sich als zu schwach, so beugte er sein Haupt nieder, stieß mit den Füßen nach oben und riß sie auseinander. Da wehklagte der Himmel und rief die Erde: „Weshalb dieser Mord? Warum diese große Sünde? Warum willst du uns vernichten? Warum willst du uns trennen?“ Aber was kümmerte dies Tane? Aufwärts sandte er den Einen, abwärts die Andere; und daher spricht man: „Tane stieß, und Himmel und Erde wurden geschieden.“ Er ist’s, der die Nacht von dem Tage getrennt hat.

Sogleich bei der Trennung des Himmels von der Erde wurde das Volk sichtbar, welches bis dahin in den Höhlungen an ihrer Eltern Brüsten verborgen gewesen war. So gedachte nun Tawhiri-Matea, der Windgott, seine Brüder zu bekriegen, weil sie ihre Eltern getrennt hatten; denn nur er hatte nicht eingewilligt, das Weib vom Gatten zu scheiden. Seine Brüder waren es, die beschlossen hatten, sie zu trennen, und nur eine, die Erde, als Mutter zu lassen. So beschloß der Sturm¬ gott, daß kein Frieden sein sollte, und er erhob sich und folgte seinem Vater, dem Himmel, und blieb bei ihm in den offenen Räumen des Himmelsgewölbes; und da sie dort waren, beratschlagten sie miteinander. Der Himmel gab Rat und

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der Wind gab acht, und als er Belehrung empfangen hatte, zog er seine Kinder groß, und sie wurden zahlreich und stark; und er sandte sie aus, einige nach Westen, einige nach dem Süden, einige nach dem Osten und andere nach dem Norden, und so sind auch ihre Namen.

Darauf sandte er den Wirbelwind und den Sturm aus und trübe, dunkle Tage, und triefende, frostige Himmel und dürre, sengende Windstöße und das ganze Heer des Himmels; in Wolken Staubs führte der Sturmgott sie an! Jetzt stürzen sie vorwärts, dahin wo der Waldgott sich kühn erhebt und dem Sturme zu trotzen scheint. Ein Windstoß genügt: tief unten am Boden liegt er, mit all seinen Zweigen, Fraß für Moder und Wurm.

Jetzt wenden sie sich gegen die Gewässer. Ha! Tangaroa verläßt die wellen¬ zernagte Klippe und flieht in die Tiefe des Ozeans. Aber Tangaroas Kinder trennten sich. Der Sohn Tangaroas war Punga, und Punga hatte zwei Söhne: „Schwimmender Fisch“ und „Schrecken“, das große Reptil, dessen anderer Name war „Bestürzung“. Als nun Tangaroa zum Ozean floh, stritt sein Geschlecht, und einige riefen: „Fasset uns ins Wasser flüchten“, andere riefen: „Fasset uns auf das Land eilen“; so schieden sie sich nach ihren Familien, die Familie des „Schreckens“, des Reptils, blieb auf dem Lande, aber die Familie Pungas suchte den Ozean auf.

So wurden sie durch den Zorn des Sturmes zerstreut, und von daher stammt das Wort: „Lasset uns auf das Land eilen“, „Lasset uns in das Meer flüchten“; denn „Schwimmender Fisch“ hatte zu „Schrecken“ gesprochen: „Laß uns in das Wasser“, aber „Schrecken“ antwortete: „Nein, auf das Land!“ Darauf sagte der Fisch: „So geh denn auf das Land, geh zu dem flammenden Farnkrauthaufen“. Da antwortete die Eidechse: „Wenn ich auch auf angehäuftem Farnkraut ge¬ braten werde, so sollen doch Schrecken und Bestürzung über die Menschen kommen, wenn ich mit emporgerichteten Stacheln und zerreißenden Klauen aus meiner Höhle hervorkomme; aber du gehe in das Wasser, geh und lass dich als Speise in Körben aufhängen.“ Da sagte der Fisch: „Wenn ich auch in den Körben mit gekochter Speise hänge, nur große Verräterei kann mich aus meiner Zuflucht in der Tiefe hervorlocken“. So trennten sich die beiden; der eine ging zum Meere, der andere aufs Land. Und seit jener Zeit ist unaufhörlicher Krieg zwischen dem Meere oder den Wassern und dem Lande gewesen, weil einige Kinder der Wasser sich auf das Land geflüchtet hatten.

Und die Kinder Tangaloas werden fortwährend durch den Waldgott vernichtet, nämlich durch Canoes und Netze und Speere und Haken, und die Kinder des Waldes werden ihrerseits vom Ozean verschlungen: die Canoes werden von den Wellen begraben und Fluten unterhöhlen die Erde und spülen Bäume und Häuser hinaus in das Meer. So plündern die Wasser immer das Land und trachten

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danach, das Land gänzlich zu zerstören, auf daß die großen Bäume des Waldes in das Meer hinausgetragen und ein Rauh des Ozeans werden mögen.

Nun wandte sich der Sturm gegen Rongo-Matana und Haumia; aber die Erde riß sie hinweg und verbarg sie in ihrem Busen, und der Sturm suchte sie ver¬ gebens, denn die Erde verbarg ihre Kinder.

Endlich wendet sich jetzt der Sturm gegen Tu, aber seine Wut und seine Kämpfe sind nutzlos, Tu achtet ihrer nicht. Er allein unter den Kindern des Himmels und der Erde hatte seine Stimme für die Vernichtung seiner beiden Eltern er¬ hoben, und er allein ist stark im Kampf. Alle seine Brüder waren vor dem schneidenden Sturm unterlegen: Tane ward umgebrochen und niedergeworfen, Tangaroa floh in den Ozean, Rongo und Haumia flohen in die Erde, aber Tu stand aufrecht auf den offenen Ebenen seiner Mutter Erde, bis die Wut der Himmel und die Winde nachließen.

Hiernach reihete sich Geschlecht an Geschlecht, aber der Tod kam nicht zu Tu. Nicht eher, als mit der Geburt Mauis, des Sohnes von Taranga, kam der Tod in die Welt. Er war es, der durch sein Vergehen gegen Hine-Nui-te-Po dem Menschengeschlechte den Tod gebracht hat, und ohne dieses würden die Menschen ewig gelebt haben.

Tu war entschlossen, seine älteren Brüder zu bekriegen, weil sie zu unentschlossen gewesen waren, um ihn in dem Kampfe gegen den Sturm beizustehen, als dieser seine Eltern zu rächen versuchte. So wandte er sich zuerst gegen Tane. Er ge¬ dachte auch, daß Tanes Geschlecht jetzt zahlreich und stark wurde und ihn deshalb bald selbst bekämpfen würde. So macht er nun Schlingen und Fall¬ stricke, er hängt sie in die Bäume, ha! Tanes Kinder werden gefangen und getötet. Dann suchte Tu die Söhne Tangaroas und fand sie im Meer schwimmend. Er schneidet den Flachs, er knotet das Netz, er zieht es durch das Wasser. Ha! die Söhne Tangaroas sterben auf dem Strande.

Nun sucht er seine Brüder Rongo und Haumia, welche die Erde vor dem Sturm verborgen hatte. Aber ihr Haar, das sich über dem Boden zeigte, verriet sie. Nun spaltet er den Hartholzbaum mit steinernem Keil und verfertigt den spitzen

Holzspaten. Nun flechtet er Körbe und gräbt die Erde. Rongo und Haumia werden aufgedeckt und liegen trocknend in der Sonne. So verschlang Tu seine Brüder und verzehrte sie, weil sie ihn im Kampfe gegen die Himmel und den Sturm allein gelassen hatten; denn er war der einzig Tapfere im Kriege.

Als nun Tu all seine Brüder überwunden hatte, teilte er seine Namen und nannte sich: Tu der Zornige, Tu der Grimmige, Tu der Verschlinger von Heeren, Tu des Handgemenges, Tu des feinmaschigen Netzes, Tu der Störer der Erde. Diese Namen wiesen auf seine besiegten Brüder und auf ihn selber hin. Vier von ihnen verschlang er, aber einer blieb geheiligt. Dies war der Sturm, und er bleibt ewig

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tils ein W idersacher des Menschen, und seine Kraft ist der seines jüngeren Bruders, Tn, gleich.

Nun suchte Tu Gebete und Zaubersprüche, durch die er seine Brüder nieder- drücken und sie zu gewöhnlicher Nahrung für sich umformen könnte. Er hatte auch Zaubersprüche gegen die Winde, um Stille herbeizuführen, Gebete, um Kinder und Reichtum und reichliche Ernten und gutes Wetter zu erflehen, und auch Gebete für die Seelen der Menschen.

Es trug sich während des Kampfes zwischen dem Sturme und seinen Brüdern zu, daß ein Teil der Erde verschwand. Die Namen der Alten, durch welche der größere Teil der Erde vernichtet wurde, waren aber: „Heftiger-Regen“, „Lang- anhaltender-Regen“, „Lautschallender-Regen“, und Hagel. Ihre Kinder waren Nebel und Triefende-Winde und Tau. So ward der größere Teil der Erde von Wasser überschwemmt und nur ein kleiner Teil blieb trocken.

Das Licht fuhr nun fort, sich zu vermehren, und wie das Licht zunahm, so ver¬ mehrte sich das Volk, das zwischen Himmel und Erde verborgen gewesen war. Tumatauenga und seine Brüder, sie, die während der ersten großen Finsternis, während des Suchens und Ringens, als das alte Erdbeben herrschte, dagewesen waren. Und es reihete sich Geschlecht an Geschlecht, bis hinab zur Zeit Maui- Pokis, der den Tod in die Welt brachte.

Nun bleibt in diesen letztem Tagen der Himmel weit von seinem Weibe, der Erde, entfernt; aber die Liebe des Weibes wird in Seufzern zu dem Gatten empor- getragen. Dies sind die Nebel, die von den Gipfeln der Berge aufwärts schweben, und die Tränen des Himmels fallen auf sein Weib nieder: siehe die Tautropfen!

Schöpfungsmythen aus Tahiti 3)

Er war da Taaroa war sein Name,

Um ihn her war es leer.

Nirgends Erde, nirgends Himmel,

Nirgends Meer, nirgends Menschen.

Taaroa ruft ohne Widerhall

Da verwandelte er sich in seiner Einsamkeit in die Welt. Diese Wurzelungen das ist Taaroa,

Die Felsen, das ist Er,

Taaroa: der Meeressand!

Taaroa hat er sich selbst genannt.

Taaroa: die Klarheit,

Taaroa: der Keim,

Taaroa: der Untergrund,

Taaroa: das Unvergängliche,

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Taaroa: das Mächtige,

Schöpfer des Weltalls,

Des großen und heiligen Weltalls,

Das nur die Schale Taaroas ist;

Er ist’s, der es in schöner Ordnung belebt.

(Taaroa ruft:)

„Ihr Wurzelgründe! Ihr Felsen!

Du Meeressand! Wir sind!

Kommt herbei, Ihr, die ihr diese Erde bilden sollt !“

Er drängt sie dringlichst, doch die Dinge weigern die Vereinigung.

Da: mit seiner Rechten schafft er die sieben Himmel als erste Grundlage. Und das Licht wird geschaffen, Dunkelheit gibt es nicht mehr.

Alles liegt schaubar da, das Innere der Welt leuchtet.

Der Gott steht entzückt und bezaubert angesichts der Unendlichkeit.

Die Bewegung ist erschaffen.

Beendet ist die Aufgabe der Boten,

Beendet ist die Aufgabe des Redners,

Festgelegt sind die Wurzelgründe,

Festgelegt sind die Felsen,

Festgelegt sind die Körner des Sandes,

Es kreisen die Himmel,

Die Himmel haben sich erhoben,

Das Meer erfüllt seine Tiefen. Beendet ist die Schöpfung der Welt.

Es schlief Taaroa bei der Frau,

Ohina, Göttin des Draußen oder des Meeres, so nennt sie sich; daraus ent¬ sprangen

Die schwarzen Wolken, die weißen Wolken, der Regen.

Es schlief Taaroa bei der Frau,

Bei der Göttin des Drinnen oder der Erde, so nennt sie sich; ihnen entsproß Der erste Keim, der unter der Erde sprießt.

Es ward geboren danach alles, was auf der Erde wächst,

Es ward geboren danach der Nebel der Gebirge,

Es ward geboren danach, den man den Tapferen nennt,

Es ward geboren danach, die die schön geschmückte Frau man nennt.

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Es schlief Taaroa bei der Frau,

Oh ina, Göttin der Luft, so nennt sie sich.

Von ihm wurden erzeugt: Regenbogen, so nennt es sich.

Ward geboren danach der Schimmer des Mondes, so nennt es sich,

Wurden geboren danach rote Wolken, roter Regen.

Es schlief Taaroa bei der Frau,

Oliina, Göttin des Erd-Inneren, so nennt sie sich:

Ward erzeugt von ihnen das unterirdische Grollen.

Es schlief Taaroa mit der Frau genannt Jenseits-der-Erde,

Sie erzeugten diese Götter:

Sie gebar Teirii, und er war ein Gott.

Sie gebar Tefatou, und er war ein Gott,

Sie gebar Rouanoua, und er war ein Gott.

Darauf den Gott Roo, der seitwärts aus dem Leib seiner Mutter kam mit dem, was er drin ergriff.

Die Legende berichtet hier den Zustand Roos bei der Geburt, seine allmähliche Entwicklung und fährt dann fort:

Es gebiert die Frau, was noch in ihr war;

Und es trat heraus, was noch eingeschlossen war:

Die Erregung,

Der Sturm,

Die wütende Windsbraut,

Die Ruhe nach dem Sturm.

Und der Ursprung dieser Geister ist eben der Ort, von dem die Boten aus¬ gesandt sind.

Gespräch zwischen Tefatou und Hina, den Geistern der Erde und des Mondes: Sprach Hina zu Tefatou:

Lass den Menschen nach seinem Tode wieder auferstehen. Antwortet Tefalou:

Nein, nicht werde ich ihn wieder auferstehen lassen.

Sterben soll die Erde,

Sterben soll die Pflanze, sie wird sterben Ebenso wie die Menschen, die sich von ihr nähren.

Sterben soll der Boden, der sie herbringt,

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Sterben soll die Erde, enden soll die Erde,

Enden soll sie, um nie wieder zu erstehen.

Antwortet Hina:

Tu, wie du willst,

Ich aber werde den Mond wieder auferstehen lassen.

Hina dauerte fort.

Fatous Werk verging-; der Mensch muß sterben.

Götter-Mythe aus Mota (Melanesien)4)

Qat war nicht ursprungslos, sondern er hatte eine Mutter, die Qatgora hieß, und diese seine Mutter war ein Stein, der auseinander barst und ihn gebar. Er hatte keinen Vater und er kam auf der Landstraße zur Welt. Er wurde groß und konnte sogleich sprechen. Er fragte seine Mutter, welches sein Name wäre, denn wenn er einen Vater oder einen Onkel mütterlicherseits hätte, würde einer von ihnen ihm seinen Namen gegeben haben, meinte er. Dann nannte er sich selbst: Qat, Er hatte auch Brüder. Der älteste war Tangaro Gilagilala, Tangaro der Eluge, dei allwissend war und die anderen belehren konnte. Der zweite war Tangaro dei Narr, der \on nichts etwas wußte und sich wie ein Narr betrug. Die anderen waren Tangaro Siria, Tangaro Nolas, Tangaro Nokalato, Tangaro Noav, Tangaro Nopatau, Tangaro Noau, Tangaro Nomatig, Tangaro Novunue, Tangaro Novlog; elf an der Zahl, alle Tangaro, zusammen zwölf mit Qat. Die Namen der neun letzten sind von den Namen der Baum- und Pflanzenblätter her genommen: Nessel-Blatt, Brotfrucht-Blatt, Bambus-Blatt, Kokosnuß-Blatt, Schirm- palmen-Blatt, dem Namen Tangaros angefügt, der zweifellos einerlei ist mit dem Tagaro der Neuen Hebriden und dem Tangaro der Polynesier. All diese Tangaros wuchsen auf, sobald sie geboren waren, und nahmen ihren Wohnsitz im Dorf Alo Sepere, wo ihre Mutter, in einen Stein verwandelt, noch zu sehen ist. Dort begann Qat Dinge, Menschen, Schweine, Bäume, Felsen zu machen, wie es ihm gerade in den Sinn kam. Aber als er alle Arten von Dingen gemacht hatte, wußte er noch nicht, wie er das nächtliche Dunkel hervorrufen sollte, und den ganzen Tag über war es lichthell. Da sprachen seine Brüder zu ihm: „Hallo! Qat, hier ist immer Helligkeit, das ist äußerst unangenehm; kannst du nichts für uns tun?“ Als er nun suchte, was er mit dem Tageslicht tun könnte, da hörte er, daß es nächtliches Dunkel in Vava, einer Torres-Insel, gab. So nahm er denn ein Schwein und band es und legte es in sein Boot und segelte nach Vava, wo er nächtliches Dunkel kaufte von I Qong, der Nacht, die dort lebte. Andere sagen, daß er zum Fuß des Himmels ruderte, um Dunkel von der Nacht zu kaufen, und daß die Nacht seine Augenbrauen schwarz färbte und ihm den Schlaf an diesem Abend zeigte und ihn am Morgen belehrte, wie er die Dämmerung machen könne.

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Qai kelirte zu seinen Brüdern heim mit dem Wissen um das nächtliche Dunkel und mit Geflügel und anderen Vögeln, deren Geschrei das Zeichen für die Rück¬ kehr des Lichtes geben sollte. Er ließ seine Brüder Schlafplätze bereit machen; und sie flochten Kokosnuß-Matten und breiteten sie im Hause aus. Dann sahen sie zum ersten Mal, wie die Sonne sich bewegte und westwärts niedersank und die riefen Qat zu, daß sie davon kröche/' Bald wird sie verschwunden sein, ant¬ wortete er, und wenn ihr einen Wechsel auf der Erde seht, dann ist’s Nacht." Darauf ließ er die Nacht heraufkommen. “Was kommt dort hervor aus dem Meer und bedeckt den Himmel?“, schrien sie. "Das ist Nacht, antwortete er, setzt euch nieder an zwei Wänden des Hauses, und wenn ihr etwas in euren Augen spürt, so legt euch nieder und verhaltet euch ruhig.“ In diesem Augenblick ward es dunkel und ihre Augen begannen zuzufallen. ,,Qat! Qat! was ist das? werden wir sterben?“ „Schließt eure Augen, sagte er darauf, geht schlafen, darum handelt es sich.“ Als die Nacht lange genug gedauert hatte, begann der Hahn zu krähen und die Vögel zwitscherten. Qat nahm ein Stück roten Obsidians und zerschnitt die Nacht mit ihm. Das Licht, über das sich die Nacht ausgebreitet hatte, begann wieder zu scheinen, und Qats Brüder erwachten. Danach beschäf¬ tigte er sich wieder mit der Gestaltung von Dingen.

Kosmogonischer Mythus aus Nias 5)

(Aus einem Rezitativ bei Toten-Feiern für verstorbene Häuptlinge.)

Es erhob sich der höchste Gott,

Es erhob sich der hohe Loeo Zaheo(=;Gott),

Er ging, um zu baden, zu schmücken den Körper,

Er ging, um zu baden und wieder aufzutauchen,

Da droben an der Quelle, die wie ein Stück vom Spiegel,

Da droben an der Quelle, die wie ein Stück von Glas.

Er nahm sich eine Handvoll Erde,

Er nahm sich Erde, so groß wie ein Ei.

Als er sah seinen Schatten im Wasser,

Als er sah seinen Schatten in der Tiefe.

Er trug sie ins Dorf unter das Rathaus,

Er trug sie ins Dorf unter das Wohnhaus,

Seine Erde, die eine Handvoll,

Seine Erde, so groß wie ein Ei.

Er bildete sie wie ein Ahnenbild.

Er bildete sie wie ein Kind,

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Seine Erde, die wie eine Handvoll,

Seine Erde, so groß wie ein Ei,

Er holte die Schalen der Wage,

Er holte die Schalen zum Wiegen,

Er holte das Gewicht, wie ein Huhn gestaltet,

Er holte das Gewicht, wie ein Hahn gestaltet,

Er legte es auf die Schale der Wage,

Er legte es auf die Schale zum Wiegen.

Er wog den Wind gleich dem Golde,

Er wog den Wind gleich dem Goldstaub,

Als er ihn legte auf die Schale der Wage,

Als er ihn legte auf die Schale zum Wiegen.

Dann legte er ihn auf die Rippen (der Figur), Er legte ihn zum Hauche des Atems,

Daher redete er gleich dem Menschen,

Daher sprach er wie ein Kind,

Da droben vor dem höchsten Gotte,

Da droben vor dem höchsten Loeo Zaheo(=Gott).

Dann gab er ihm auch einen Namen,

Er gab einen Namen, als er da war:

„Sihai, da droben, der keine Nachkommen hat“, „Sihai, da droben, der keine Kinder hat.“

Es erhob sich der höchste Gott,

Es erhob sich der hohe Loeo Zaheo,

Er wies seinem Werk einen Platz an,

Er stellte sein Werk an seinen Platz,

Den Sihai, der keine Nachkommen hatte,

Den Sihai, der keine Kinder hatte.

Er dachte nach, mit Sinnen,

Er dachte nach, es bewegte ihn.

Da droben den höchsten Gott,

Da droben den hohen Loeo Zaho,

Als er jemand hatte, der ihm glich an Gestalt, Als er hatte, der ihm glich an Körper.

Es gab noch keine Sonne, als Richtschnur für die Tausende, Es gab noch keinen Mond, als Richtschnur für die Menge.

Finster noch war das Land Gottes,

Finster noch war das Land des Loeo Zaho.

Es setzte ein der höchste Gott,

Es setzte ein der hohe Loeo Zaho,

Da droben den Sihai, der keine Nachkommen hatte,

Da droben den Sihai, der keine Kinder hatte.

„Geh auf die Erde, die bewegt wird vom Nordwind,

„Geh auf die Erde, die bewegt wird vom Zugwind.“

Es wurde gebaut für ihn ein Haus von Riesenfarn,

Es wurde gebaut ein Haus aus festem Holz.

Es setzte ein der höchste Gott,

Es setzte ein der hohe Loeo Zaho,

Den Toeha Sihai, der keine Nachkommen hatte,

Den Toeha Sihai, der keine Kinder hatte,

Und an einem Tage, an einem Tage,

Und einst, an einem Mittage,

Da starb er, da ging aus das Leben,

Da starb er, da riß ab die Seele,

Da droben dem Sihai, der keine Nachkommen hatte,

Da droben dem Sihai, der keine Kinder hatte.

Siehe, daran sah man es, das war das Zeichen,

Siehe, daran sah man es, das war das Merkmal:

Es wuchs hervor aus seinem Munde,

Es wuchs hervor aus dem Hauche des Atems

Der Baum, genannt Feuer-Mahara,

Der Baum, genannt Baum-Mahara.

Was hervorwuchs aus seinem Munde,

Was hervorwuchs aus dem Hauche des Atems

Die Stein-Palme, die Feuer-Palme,

Die Stein-Palme, die Rauch-Palme.

Als sie Knospen trieb, als sie Früchte trug,

Als sie Früchte trug, als sie blühte,

Und als der Wind wellte, der die Erde bewegte,

Und als der Wind wehte, der das Gestein bewegte,

Da fielen die Knospen, die nahezu reifen,

Da fielen die Knospen, die reifen.

Die Knospen, gleichwie Spinatsamen,

Die Knospen, gleichwie Mohnsamen im Tal.

Die sind der Grund der Krankheit gleichwie Kohle,

Die sind der Grund der Krankheit gleichwie Diho-Kohle.

Was hervorsproßte da droben aus dem Munde,

Was hervorsproßte da droben aus dem Hauche des Atems

Des Sihai, der keine Nachkommen hatte,

Des Sihai, der keine Kinder hatte.

Dann erwuchs ihm noch aus dem Knoten der Kehle, Dann erwuchs ihm noch aus dem Knoten der Kiemen

Der Baum, von dem das Gold herkommt,

Der Baum, von dem des Mehl herkommt.

Und was her vor wuchs aus der Herzgrube,

Was hervorwuchs oben aus der Lebergrube,

Der Toraa, von dem die Tausende abstammen,

Der Toraa, von dem die Menge abstammt.

Und das Auge an der rechten Seite der Gestalt,

Das Auge an der rechten Seite des Körpers,

Das gab die Sonne als Richtschnur für die Tausende,

Die Sonne als Richtschnur für die Menge.

Und das Auge an der linken Seite der Gestalt,

Das Auge an der linken Seite des Körpers,

Das gab den Mond als Richtschnur für die Tausende, Den Mond als Richtschnur für die Menge.

Das war da droben der Nutzen des Werkes,

Das war da droben der Nutzen des Geschaffenen.

In dem Dorfe des höchsten Gottes.

In dem Dorfe des hohen Loeo Zaho.

Und der Baum, die Feuer-Palme,

Der Baum, die Rauch-Palme,

Der gab den Samen für die Krankheit wie Feuerkohle, Den Samen für die Krankheit wie Dilio-Kohle,

Es spaßte der Wind, der oberste Nordwind,

Es spaßte der Wind, der oberste Zugwind,

Da stießen aneinander die Feuerstämme,

Da stießen aneinander die Rauchstämme.

Da löste sich die Blattstielhülle, die feurige,

Es löste sich die Blattstielhülle, die rauchige;

Und das gab das Flammenhuhn, das Feuerhuhn,

Das gab das Flammenhuhn, das Rauchhuhn,

Und das brachte den Tod den sterblichen Wesenen,

Das brachte den Tod der abreißenden Seele.

Aus der Raben-Sage der Tlingit (Nordwest-Amerika) )

Ein mächtiger Häuptling bewahrte Tageslicht, Sonne und Mond in einer Kiste auf. welche er sorgsam in seinem Hause bewahrte. Er wußte, daß einst Yeti, der Rabe, in Gestalt einer Fichtennadel kommen würde, sie ihm zu rauben; deshalb verbrannte er alles trockne Laub, das sich in der Nähe seines Hauses fand. Der Rabe aber wollte das Tageslicht befreien. Er flog lange, lange Tage, um das Haus des Häuptlings zu finden. Als er endlich ankam, setzte er sich am Rande eines kleinen Teiches nieder und dachte nach, wie er in das Haus kommen könne, in das er nicht einzutreten wagte. Endlich kam die Tochter des Häupt¬ lings aus dem Llause heraus, um Wasser aus dem Teiche zu schöpfen. Er sprach zu ihr: „Ich will dich zur Frau haben, aber dein Vater darf es nicht wissen, denn er will nicht gestatten, daß ein Fremder sein Haus betritt.“ Jene aber fürchtete den Zorn ihres Vaters und schlug die Werbung des Raben aus. Da verwandelte sich Yeti in eine Fichtennadel und ließ sich in den Teich fallen. Nach kurzer Zeit dachte er: „Oh, käme doch des Häuptlings Tochter, Wasser zu holen!" Kaum hatte er das gedacht, da nahm jene einen Eimer und machte sich bereit, zum Teiche zu gehen. Ihr Vater fragte: „Warum gehst du selbst? Ich habe doch viele Sklaven, die für dich Wasser holen können?" „Nein, erwiderte die Tochter, ich will selbst gehen, denn sie bringen mir immer trübes Wasser". Sie ging zum Teiche und fand viele Fichtennadeln auf dem Wasser schwimmen. Vorsichtig

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schob sie sie zur Seite, elie sie Wasser schöpfte. Eine aber war trotz ihrer Vor¬ sicht in den Eimer geraten. Sie versuchte es, sie zu fangen und hinauszuwerfen, aber immer wieder entschlüpfte sie ihrer Hand. Da ward sie ärgerlich und trank das Wasser mit der Nadel. Die aber war Yeti. Als sie ins Haus zurück kam und ihr Vater sie fragte, ob sie reines Wasser gefunden hätte, erzählte sie, wie eine Eichtennadel ihr immer wieder aus der Hand geschlüpft sei und sie dieselbe end¬ lich mit herunter geschluckt habe. Infolge dessen ward sie schwanger, und als nach neun Monaten ihre Zeit gekommen war, veranstaltete ihr Vater ein großes Fest und hieß seiner Tochter ein Lager aus Kupferplatten bereiten, die mit Biber¬ fellen bedeckt wurden. Aber sie konnte nicht gebären. Da befahl der Häuptling seinen Sklaven, Moos zu holen. Sie gehorchten. Ein Moosbett ward für die Tochter bereitet und da genaß sie eines Knaben, der aber niemand anders war als Yeti.

Der Knabe wuchs rasch heran und sein Großvater liebte ihn über die Maßen. Alles, was der Knabe sich wünschte, gab er ihm, selbst die kostbarsten Felle. Eines Tages aber schrie der Knabe unablässig und wollte sich nicht beruhigen lassen. Er rief: „Ich will die Kiste haben, die dort am Dachbalken oben hängt.“ Es war aber die Kiste, in welcher der Häuptling das Tageslicht, die Sonne und den Mond aufbewahrte. Der Großvater versagte ihm diese Bitte auf das Ent¬ schiedenste. Da schrie der Knabe, bis er halb tot war vor Weinen, und seine Mutter weinte mit ihm. Da der Großvater fürchtete, sein Enkel könnte sich zu Tode weinen, nahm er endlich die Kiste herunter und ließ ihn hineinblicken. Da sah Yeti das Tageslicht. Der Häuptling verschloß dann die Kiste wieder und hing sie an ihren früheren Platz. Sogleich fing der Knabe wieder an zu schreien und zwang so endlich den Alten, die Kiste wieder herunter zu nehmen und zu öffnen. Jener ließ ihn durch den eben geöffneten Spalt hineinblicken. Da rief der Knabe: „Nein, mehr! mehr!“ und ließ sich nicht beruhigen, bis der Alte die Kiste weiter öffnete. Ehe er dies tat, verstopfte er aber alle Ritzen und Löcher des Hauses, besonders den Rauchfang. Dann gab er dem Kleinen die Kiste, um damit zu spielen. Dieser vergnügte sich sehr damit, er ging mit ihr im Hause herum und warf sie wie einen Ball in die Höhe. Bald aber wollte er den Rauch¬ fang geöffnet haben und als der Großvater nicht sogleich einwilligte, schrie er wieder. Endlich öffnete dieser den Rauchfang ein wenig. „Nein, mehr! mehr!“ schrie der Knabe. Als er endlich ganz offen war, nahm der Knabe die Gestalt eines Raben an, barg die Kiste unter seinen Flügeln und flog von dannen.

Und er flog zu den Menschen, welche im Dunkeln fischten, und sprach: „O, gebt mir etwas Fisch!“ Die Menschen aber verspoteten und verlachten ihn. Da sprach er: „O, habt Erbarmen mit mir! Gebt mir etwas Fisch, dann gebe ich euch das Tageslicht.“ Da lachten die Menschen und sagten: „Du kannst ja doch kein

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Tageslicht machen. Wir kennen dich, Rabe, du Lügner!“ Er bat sie nochmals um etwas Fisch und als sie es ihm wiederum abschlugen, hob er einen Flügel etwas und ließ den Mond hervorschauen. Da glaubten ihm die Menschen und gaben ihm etwas Hering, der damals noch keine Gräten hatte. Der Rabe aber war böse geworden, weil die Menschen ihm nicht geglaubt hatten. Deshalb steckte er den Fisch voll Fichtennadeln und seitdem haben die Heringe Gräten. Dann setzte er Sonne und Tageslicht an den Himmel, zerschnitt den Mond in zwei Hälften, setzte die eine als Mond an den Himmel und ließ diesen abwechselnd zu- und abnehmen. Die andere schlug er in kleine Stücke und machte die Sterne daraus. Als es aber Tag wurde und die Menschen einander sahen, liefen sie auseinander. Die einen wurden Fische, die anderen Bären und Wölfe, die dritten Vögel. So entstanden alle Arten von Tieren.

Im Anbeginn hatten die Menschen kein Feuer. Yeti aber wußte, daß die Schnee- Eule, die fern draußen im Ozean wohnte, es bewachte. Er hieß alle Menschen (die damals noch die Gestalt von Tieren hatten) einen nach dem anderen gehen, um das Feuer zu holen; aber keinem gelang es. Endlich sagte der Hirsch, welcher damals noch einen langen Schwanz hatte: „Ich nehme Fichtenholz und binde es an meinen Schwanz. Damit werde ich Feuer holen.“ Er tat, wie er gesagt, lief zum Hause der Schnee-Eule, tanzte um das Feuer herum und brachte endlich seinen Schwanz ihm nahe. Da entzündete sich das Holz und er lief davon. So geschah es, daß sein Schwanz verbrannte und seither hat der Hirsch einen Stumpf schwänz.

Der Rabe war damals noch weiß, wie die Möve. Seine Frau war die Tochter eines mächtigen Häuptlings, des Spechtes, der einen reichen Vorrat an Harz sein eigen nannte. Allzu gern hätte der Rabe einen Teil davon gehabt. Eines Tages, als alle Spechte gerade vor dem Hause spielten, schlich er sich hinein, tauchte seinen Finger in das rote Harz und steckte ihn dann in den Mund. Da klebte der Finger fest und er konnte ihn nicht wieder aus dem Munde entfernen. Als die Spechte nach Hause kamen und sahen, daß der Rabe Harz gestohlen hatte, ergriffen sie ihn, räucherten ihn, warfen ihn in eine Kiste, auf deren Boden sie ihn, den Rücken nach unten gewandt, festklebten, und seine Augen mit Harz verschmier¬ ten. Dann warfen sie ihn ins Meer. Als er nun so auf den Wellen umhertrieb, hörte er eine Raubmöve über sich schreien. D iese flehte er an, ihm Nahrung zu geben und ihn zu erlösen, sie aber beschmutzte ihn nur statt dessen. Endlich, nachdem er lange auf dem Wasser umhergetrieben war, erbarmte sich eine Möve seiner. »Sie bespie ihn mit Fett; das Harz löste sich und er konnte wieder seine

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Augen öffnen und sich bewegen. Als er endlich ans Land gekommen, sah er. daß er ganz schwarz geworden war.

Yeti wollte Menschen erschaffen. Er arbeitete menschliche Gestalten aus Stein. Er blies aul sie und die Steine wurden lebendig, starben aber bald wieder. Da machte er menschliche Gestalten aus Erde, blies auf sie und sie wurden lebendig. Aber auch sie starben bald wieder. Er schnitzte Menschen aus Holz und belebte sie, indem er auf sie blies. Auch sie starben bald. Da machte er menschliche Gestalten aus Gras und blies aul sie. Sie wurden lebendig und wurden die Ahnen des Menschengeschlechtes. Daher wachsen und vergehen die iMenschen wie Gras.

Schöpfungs-Legende der Irokesen 7)

Da waren einst, wird erzählt, Menschenwesen, die auf der anderen Seite des Himmels wohnten. Gerade im Mittelpunkte ihres Dorfes stand das Haus ihres Häuptlings, in dem er mit seiner Frau und einem Kinde, das beide hatten, einem Mädchen, wohnte. Er wunderte sich, daß er bei alledem sich einsam zu fühlen anfing. Nun war der Alte sehr hager, denn seine Knochen waren ausgetrocknet, und das kam auch daher, daß er unzufrieden war, weil sie beide das Kind hatten, und man konnte meinen, daß er möglicher Weise eifersüchtig war.

Nun währte diese Lage der Dinge bis zu der Zeit, wo der Alte anordnete, daß man versuchen sollte, sein „Wort ' zu erraten, d. h. daß sie ein Traumfest ab¬ halten sollten, um das Geheimnis zu ermitteln, das aus seiner Seele hervortreten wollte. So taten die Stammesangehörigen eine Zeit lang nichts, als sich einer nach dem andern dort einzufinden. Nun suchten sie dort immerfort sein „Wort“ zu erraten. Sie bezeichneten der Reihe nach alle möglichen Dinge, je nachdem jeder einzelne glaubte, daß der Alte sie wünsche. Nach einiger Zeit sagte dann einer von ihnen: „Vielleicht habe ich jetzt das „Wort“ unseres Häuptlings er¬ raten. Und was er begehrt, ist: daß der hohe Baum, der ihm gehört, entwurzelt werden soll, dieser Baum, der dicht bei deiner Wohnung steht.“ Der Häupt¬ ling sprach zustimmend: „Ich danke dir!“

So sprachen denn die Menschenwesen: „Wir müssen vollzählig sein und wir müssen einander helfen, wenn wir den hohen Baum entwurzeln, es müssen mehrere sein, um jede einzelne Wurzel zu fassen.“ So entwurzelten sie ihn und pflanzten ihn anderswo wieder ein. Da fiel die Stelle ein, aus der sie den Baum mit seinen Wurzeln herausgenommen hatten, und bildete eine Öffnung durch die Himmelserde. Und alle Menschenwesen sahen hindurch. Es war merkwürdig: unter ihnen war es grün und keine andere Farbe.

Sobald die Menschen- Wesen hindurchgeblickt hatten, sagte der Häuptling zu seiner Frau: „Komm, laß uns beide nun gehen, es ansehen.“ Da nahm sie ihr Kind rittlings auf ihren Rücken. Den Weg bis zu der Öffnung legte er mit An¬ strengung zurück, er bewegte sich langsam. Die beiden kamen an den Ort, wo die Höhle war, und der Alte schaute sie sich an. Als er es satt hatte, sagte er zu seiner Frau: „Nun ist die Reihe an dir. Komm!“ „Oh, sagte sie darauf, ich fürchte mich davor“. „Komm nun, tu es doch! sprach er, sieh es dir an!“ Da nahm sie die Enden des Mantels, den sie trug, in ihren Mund, stützte sich auf ihre rechte Hand und sie stützte sich auch auf die andere Hand, sie griff mit beiden Händen fest in das Erdreich hinein. So schaute sie nun hinunter. Sobald sie nun ihren Nacken niederbeugte, ergriff er sie am Bein und stieß ihren Körper hinunter durch das Loch.

Nun schwebte dort der Feuerdrache mit dem weißen Leib, und wahrlich, er war es, den der Alte mit Eifersucht betrachtete. Da nahm Feuerdrache einen Maiskolben heraus und siehe! er gab ihn ihr. Sobald sie ihn erhielt, steckte sie ihn in ihren Busen. Dann gab er ihr ein anderes Ding, das Nächste in der Reihe, einen kleinen Mörser und auch die Mörserkeule. Dann nahm er wieder ein anderes Ding aus seinem Busen, das war ein kleiner Topf. Dann gab er ihr wiederum etwas anderes als Nächstes in der Reihe, einen Knochen. Dann sprach er: „Dies wahrlich ist es, was du von nun an immer essen wirst."

Nun war es so, daß unter ihr allerhand furchtbare männliche Menschen- Wesen hausten. Zu diesen gehörte der Feuerdrache, dessen Leib von reiner weißer Farbe war, der Wind und die dichte Nacht.

Da berieten diese männlichen Menschen-Wesen mit einander und sagten: „Stünde es nicht in unseren Kräften, der Frau beizustehen, deren Körper von dort oben her zu uns hernieder stürzt?“ Nun sprach jedes der Menschen-Wesen und sagte: „Vielleicht würde ich im Stande sein, ihr zu helfen.“ Die Schwarzlinde sprach: „Vielleicht könnte ich dies tun“. Da meinten die anderen Menschenwesen: „Du bist ganz und gar nicht dazu im Stande, denn du hast keinen Verstand". Der Langfisch sprach alsdann: „Vielleicht könnte ich es tun“. Da sprachen die Menschen-AVesen: „Und wieder sagen wir, du kannst nicht ein bißchen dazu tun, weil der Hals zu lang ist“. Da meinte nun die Schildkröte: „Vielleicht möchte ich im Stande sein, dem Frauenzimmer Hilfe zu bringen." Da billigten alle Menschen-Wesen diesen Vorschlag. Die Schildkröte schwamm nun genau zu der Stelle hin, wo die Frau niederstürzte. Da stieg dann die Frau auf den Panzer der Schildkröte. Und sie brach in Tränen aus.

Nach einiger Zeit erinnerte sie sich, daß sie ja noch Erde in ihren Händen hielt. Da öffnete sie ihre Hände und streute die Erde über die Schildkröte hin. Als sie dies tat, schien es, als ob diese Erde an Größe zunähme. Da streute sie wieder

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und wieder Erde umher. In kurzer Zeit war die Erde recht groß geworden. Nun wurde sie gewahr, daß sie selbst es war, ja sie ganz allein, die diese Erde formte. So begann sie nun, unaufhörlich und unablässig von Ort zu Ort zu wandern. Sie wußte, wahrlich, daß, wenn sie hin- und herwandelte, die Erde an Größe zunahm. So dauerte es denn nicht lange, bis die verschiedenen Arten der Sträucher aufwuchsen und auch jegliche Art von Gras und Rohr. Nach kurzer Zeit sah sie, daß sich eine Ranke der wilden Kartoffel entwickelt hatte. Da stand die Frau da draußen auf und sprach: „Nun wird das Gestirn des Lichtes sichtbar werden, welches das Tages-Gestirn genannt werden soll.“ Und wirklich, früh am Morgen, ging das Gestirn des Lichtes auf und kam hervor und ging weiter, bis es an den Ort kam, wo das Gestirn des Lichtes untergeht. Wahrlich, als das Gestirn des Lichtes unterging, wurde es Nacht oder Dunkelheit. Da stand sie wiederum auf, da draußen, und sprach: „Nun wird also bald hier und da ein Stern an vielen Orten auf der Fläche des Himmels sichtbar werden.“ Da geschah es wirklich so. Jetzt gab sie an, da draußen wo sie stand, und gab Fingerzeige, wie die Sterne benannt werden sollten. Im Norden sind gewisse, einzelne Sterne, von denen sagte sie: „Verfolger des Bären sollen sie heißen!“ Alsdann sprach sie: „Es wird ein großer Stern erscheinen und er wird immer auf gehen, ehe es Tag wird, und er wird „Morgenstern ' genannt werden.“ Dann wies sie wieder hin und sagte abermals: „Jener Sternhaufen dort drüben wird die „Sichtbare Gruppe“ genannt werden und sie werden wahrlich wissen, wo das Jahr ist in seinem Lauf. Und diese andere Gruppe heißt „Tanz-Sterne“. Und wiederum sprach sie von der, welche benannt ist „Sitz-Stern“. Sie sprach: „Wahrlich, diese werden jene begleiten.“ „Ausgebreitete Biberhaut sollen diese heißen. Immer, wenn man wandert in der Nacht, wird man diese Gruppe beobachten. Einige Zeit danach sprach sie, die Ulf rau, und wiederholte es mehrmals: „Es werden Menschen-Wesen wohnen an einem weit entfernten Orte.“ Und weiterhin sprach sie: „Biber werden dort hausen, wo Wasserströme sind.“ So geschah es in der Tat, und der Grund hierfür lag darin, daß sie, die Urfrau, ein wahrhafter Natur¬ dämon ist.

Nun war nach einiger Zeit das Mädchen-Menschenwesen, die Tochter der Ur¬ frau, herangewachsen. Und es war auch viel Wald rings umher. Nun lag nahe dabei ein entwurzelter Baum, auf welchem das Kind immer spielte. Sie pflegte sich dann und wann zu schaukeln, und wenn sie müde wurde, stieg sie herunter. Im Gras kniete sie nieder. Wunderschön war es, wenn der Wind wehte, wie es oft geschah, wenn sie es inne wurde, daß der Wind ihren Körper betraf, empfand sie Entzücken.

Einmal, nach einiger Zeit nun, beobachtete die Urfrau sie und meinte nachdenk¬ lich: „Man könnte tatsächlich auf den Gedanken kommen, daß meiner Tochter

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Leih nicht allein sei. Heda, sagte sie, hat dich niemand zuweilen besucht?“ „Nein“, sagte das Mädchenkind. Da sprach die Urfrau: „Ich glaube wirklich, man könnte denken, daß du einem Kinde das Leben geben wirst.“ Da sagte das Mädchen¬ kind: „Ja, dort, wenn ich mich schaukelte, kniete ich nieder und fühlte, wie der Wind in meinen Körper eindrang.“ Da sprach die Uralte: „Wenn es so ist, so ist’s wahrhaftig nicht gewiß, daß dies für dich und mich gut ablaufenn wird.“ Bald nachher wurde es offenbar, daß zwei männliche Knaben in dem Leib des Mädchens waren. Und nun gerieten die beiden oft in Streit miteinander und jeder von ihnen beiden sagte: „Du sollst der Ältere sein!“ „Gerade du sollst es sein!” so redeten die beiden andauernd. Da sagte einer von ihnen, der sehr häßlich und mit Warzen bedeckt war: „Du sollst der erste sein, der geboren wird.“ Da sagte der andere: „Gerade du sollst es sein.“ Da sagte der Warzige: „Gerade du sollst der erste sein, der geboren wird.“ „So sei es“, sagte der andere, du wirst wohl deine Pflicht tun.“ „So sei es“, sagte der Warzige. Da wurde der geboren, der der Ältere war. Kurz darauf bemerkte die Uralte, daß anscheinend noch einer geboren werden sollte. Der eine war eben erst geboren, als der andere auch zur Welt kam. Sie waren kaum geboren, als ihre Mutter starb. Und man sagt, daß der Warzige aus dem Nabel seiner Mutter hervorkam. Da weinte die Uralte. Und sie nahm sich der Zwillinge an. Dann grub sie nicht weit davon ein Grab und legte ihre tote Tochter da hinein und legte ihren Kopf nach Westen zu. Dann sprach sie zu ihr. Sie, die Urfrau, sprach: „Nun hast du die Führung auf dem Pfade übernommen, der fürderhin zwischen der Erde und dem Himmel droben sein wird. Sobald du dort oben im Himmel angelangt bist, mußt du sorg¬ fältig dir einen Platz aussuchen, wo du immerdar wohnen wirst.“ Dann schüttete sie das Grab zu. Nun blieb ihr nichts mehr zu tun übrig, als für die Zwillinge, die beiden Kinder, zu sorgen.

Nach einiger Zeit, erzählt man, wurden die beiden Knaben groß, und sie pflegten sich dort zu tummeln. Späterhin, als der Ältere zum J üngling ward, fragte er seine Großmutter: „O Großmutter, wo ist denn mein Vater? Und wer ist denn überhaupt mein Vater? Und wo ist denn der Ort, wo er wohnt?“ Da sagte die Urfrau: „Wahrlich der Wind ist dein Vater. Woher auch immer der Wind weht, in der Richtung liegt die Wohnung deines Vaters.“ „Ja, so," erwiderte der Jüng¬ ling. Da stand nun der Jüngling draußen vor der Tür und beobachtete die Rich¬ tung des Windes, aus der er blies. Und dann sagte er: „Ich wünsche meinen Vater zu sehen, damit er mir hilft.“ Da sprach er: „Weit dort drüben steht die Wohnung meines Vaters, des Windes. Er wird mir helfen. Er wird die Körper aller Arten von Menschenwesen machen und jedenfalls noch anderes, das mir eine Hilfe sein wird.“ So brach er auf. Er war nicht weit gegangen, als er in der Ferne den Ort sah, wo die Behausung seines Vaters stand. Er kam dort an

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und dort wohnte ein Menschen- Wesen, das vier Kinder hatte, zwei Knaben und zwei Mädchen. Der Jüngling sprach: „Ich bin nun angekommen. O Vater, du mußt mir helfen. Und das, was ich brauche, sind Tiere und noch einiges andere.“ Sie freuten sich alle, als sie ihn sahen. Und der Alte, ihr Vater, sprach: „So sei es. Treulich will ich dir alles geben, was du verlangt hast, als du hierher kamst. Vor allem aber will ich, daß ihr, meine Kinder, euch durch einen Wettlauf er¬ heitert. Ich habe eine Flöte, um die ihr einer miteinander ringen sollt und das wird euch Freude bereiten. Und ihr sollt einen Wettlauf rund um diese Erde veranstalten und sollt die Flöte gewinnen.“ So standen sie auf der Linie, von der sie auslaufen sollten. Da sagte der Jüngling, der aus der Ferne gekommen war: „Ich möchte gern, daß der Wirbelwind hier stehen soll, damit er mir helfe.“ So geschah es: der Wirbelwind stellte sich auf. Dann sprach der Jüngling weiter: „Du mußt, sage ich dir, deine äußerste Schnelligkeit anwenden, denn ich will unmittelbar hinter dir hereilen.“ Und es geschah wirklich, daß die beiden Männer immer bei dem ganzen Kreislauf um die Erde die Führung hatten. Sobald sie das Rennen begannen, folgte der Jüngling dicht hinter dem Wirbel¬ wind her, und sie stoben dahin. In kurzer Zeit machten sie den Rundlauf. Weit überholten die zwei die beiden anderen. Der, welcher die Flöte trug, über¬ gab sie nun seinem Vater. Da nahiji sie der Alte und sprach: „Es ist klar, daß du nun wirklich alles von mir gewonnen hast, was du von mir für dich erbatest.“ Darauf legte er dort ein Bündel nieder, einen gefüllten Sack, der sehr schwer war. So gab er nun wirklich seinem Sohne, der von fernher gekommen war, dieses Bündel und auch die Flöte, die er gewonnen hatte, und sprach dazu: „Ich sage, daß dies euch beiden gleicher WTise gehören soll, dir und deinem jüngeren Bruder.“

So nahm nun der Jüngling das Bündel auf und trug es an einem Stirntragband auf dem Rücken von dannen. So wanderte er so lange, bis er müde wurde und der Sack anfing, schwer zu werden. Da rief er aus: „Hier könnte ich eine Weile Rast machen! ' So setzte er sich denn nieder und untersuchte den Sack. Er dachte für sich: „Ich kann mir die Geschichte mal ansehen, denn der Sack gehört mir ja.“ Nun packte er ihn wirklich aus und deckte es auf. Sofort als er den Sack öffnete, gab es oftmals einen Ruck. Siehe, da kamen alle die verschiedenen Arten von Tieren hervor, die sein Vater ihm gegeben hatte. Er war überrascht, daß alle die Tiere so plötzlich herauskamen. Das geschah, als er den Sack ganz weit öffnete. Und da trampelte jedes auf ihm herum. Das letzte Tier, das hervor¬ kam, war das gefleckte Rehkalb. Da schoß er nach ihm. Am Vorderbein, ein wenig über der Stelle, an der der Huf ansetzt, traf er es. Es entkam ihm. Da sprach er: „So wird es immer mit dir sein. Heilung wird für dich niemals mög¬ lich sein. Dein Fett wird zu jeder Zeit eine gute Medizin abgeben, und es

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wird immerdar ein wirkungsreiches Heilmittel sein. Sobald jemand Augen¬ schmerzen spürt, soll er seine Augen mit deinem Fett einreiben und sie alsdann verbinden; dann wird es immer möglich sein, ihn zu heilen.“

Dann brach er wieder von dieser Stätte auf. Als er wieder an die Stelle kam, wo seine Wohnung stand, sagte er zu seinem jüngeren Bruder: „Sieh dir an, was unser Vater uns beiden geschenkt hat.“ Als er zu seiner Großmutter kam, sprach er: „Nun bin ich im Hause meines Vaters zu Besuch gewesen. Er gab mir ein sehr wertvolles Geschenk. Komm mit mir hinaus ins Freie! Da wirst du den großen Lärm aller der verschiedenen Arten der Tiere hören!“ Da gingen sie hinaus und horchten auf den lauten Lärm all der verschiedenartigen Tierarten. Da erhob sich die Urfrau und sie redete und sprach also: „Hier laßt jenes Tier stehen: das ist der Elch, so soll dies Wesen genannt werden. Hier laßt ein anderes stehen, eins, das nur um ein wenig kleiner ist, das soll Hirsch benannt sein. Nun wieder ein anderes, laßt es hier stehen, und siehe, dieses nächste soll Bär benannt werden. Nun wieder ein anderes, das nächste, laßt es hier stehen, und dies nächste in der Reihe soll Büffel benannt sein. Dieses, wahrlich, ist gerade die Anzahl der Jagdtiere, die von ansehnlicher Größe sind. Sobald hier Menschen wohnen werden, sollen dieses die Namen der mannigfachen Tiere sein. Wenn die Menschen hier wohnen, sollen sie all den anderen Tieren Namen geben!“

Darauf sprach der Jüngling: „Es soll hier eine Höhlung in dem Boden sein, und sie soll voll von öl sein!“ Wahrlich, so geschah es. Da sprach er: „Hierher laßt den Büffel herbeikommen!“ Im Nu stand er da. Nun sprach der Jüngling: „Tauche dich dort unter!“ So geschah es, am anderen Ufer kam er ans Land aus dem Ölteich und war unglaublich fett geworden. Da sprach der Jüngling: „Jetzt soll der Bär antreten!“ In kurzem stand der Bär da. Nun sprach er wiederum: „Jetzt mußt du in das öl untertauchen!“ So geschah es; am anderen Ufer stieg er wieder aus dem Ölteich ans Land und auch er war so fett geworden, wie er nur immer konnte. Da sprach der Jüngling zu ihm: „Was willst du nun tun und wie willst du den Menschenwesen dich nützlich erzeigen?“ „Wahr¬ scheinlich nur so, sagte der Bär, daß ich vor ihnen fliehen werde.“ Da belud er ihn, indem er Fleisch um seine Beine legte, und so geschah es, daß seine Beine so dick sind. Dann sprach der Jüngling: „Der Hirsch soll herbeikommen!“ Sobald er da stand, sagte er: „Hier in das öl sollst du tauchen!“ Da stürzte er sich nun hinein und landete am anderen Ufer des Ölteiches und war so fett ge¬ worden, wie es ihm nur möglich war. Da sprach der Jüngling: „Womit und auf welche Weise willst du den Menschenwesen helfen?“ „Was mich anlangt, so werde ich nicht vor ihnen fliehen“, entgegnete der Hirsch. „Wie willst du denn das fertig bringen?“ sprach der Jüngling. „Ich werde sie beißen“, entgegnete er.

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Da sprach der Jüngling: „Dann soll es dir so und gerade so ergehen“ und nun zog er ihm einzeln die oberen Zähne aus. Dann sprach er: „Nun sollen die Körper von all den Tieren, die Hörner tragen: Büffel, Elch usw. in der gleichen Weise sich verändern!“ Das ist der Grund, weshalb sie keine Oberzähne haben. Alle die verschiedenen kleinen Tiere: der Waschbär, der Dachs, das Stachel¬ schwein und auch das Stinktier, alle stürzten sich in den Ölteich und tauchten darin unter. Nur diese sind es, die angenommen wurden. Dann gibt es andere, die nicht angenommen wurden. Ich sage, diese si nd es: die Fischotter, die Otter, die Sumpfotter und das Wiesel. Das sind diejenigen, die ausgeschlossen wurden und die dort in der Nähe zuhauf kamen. So stürzte sich die Sumpfotter in das öl. Sobald sie heraus kam, ergriff sie der Jüngling und hielt sie in die Höhe und er streifte ihren Körper durch seine Hände, das ist der Grund, weshalb ihr Leib etwas länger wurde. Und so geschah es weiterhin. Ihre Leiber wurden allesamt in dieser Weise verwandelt: die Fischotter, die Otter, die Sumpfotter und das Wiesel. Und dies sind diejenigen, deren Leib diese Verwandlung durch¬ machte: der Wolf, der Panther, der Fuchs. Alle diese wurden ausgeschlossen und bei Seite gesetzt.

Nun hatten die beiden Knaben die Gewohnheit, weit zu wandern. Tag für Tag wanderten die beiden sehr weit. Dort, weit weg, pflegten die beiden, Fallen zu legen. So also gingen die beiden Tag für Tag aus. Die Tiere, welche bösartiger Natur waren, haßten die beiden. Nun pflegten die beiden, wenn sie fortgingen, natürlich zusammen zu gehen. Da sprach eines Tages der Ältere: „Geh du allein dies Mal dorthin. Du allein sollst zunächst unsere Fallen nachsehen.“ Und also geschah es. Kaum war er fortgegangen, da töteten ihn die bösartigen Tiere. Da merkte der ältere Bruder, daß sie den jüngeren getötet hatten. Und er fing an zu weinen. Und da er am lautesten weinte und wehklagte: „Wehe, wehe, wehe, wehe !!“, da entstand ein Getöse da und dort im Himmel. Und es erschraken die bösartigen Wesen und sprachen untereinander: „In ganz kurzer Zeit kann der Himmel einstürzen, weil er so laut jammert. Besser ist’s, daß sein jüngerer Bruder zurückkehrt, nichts anderes wird seinem Geheul Einhalt gebieten.“ Da schämte sich der Jüngling, weil so viele Wesen sahen, daß er wehklagte. Da verschloß er seine Behausung überall. Gerade, als er damit fertig war, sprach gleich darauf Feuerstein von draußen: „Oh älterer Bruder, nun bin ich wieder zurückgekehrt!“ Da sprach der Ältere von innen: „Du kannst nicht herein, du mußt sogleich fortgehen, ja, du mußt es. Du sollst die Führung auf dem Pfad übernehmen, den die Mutter von uns beiden gegangen ist. Auf ihm sollst auch du wandern. Du sollst den Spuren folgen derer, die unsere Mutter war! Und nicht weit von hier sollst du dich niedersetzen. Von dort aus sollst du die Weise des Lebens beobachten, das die menschlichen Wesen, die auf der Erde leben,

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führen. Nun wird sich der Pfad teilen dort, wo du dich niederlassen wirst. Einer der Wege wird an den Ort führen, wo die Behausung ist dessen, der „Be¬ fehlshaber“ heißt, der andere wird an den Ort führen, wo der „Höhlen-Bewohner“ sich aufhält. Und du wirst auch „Höhlen- Wesen“ als Diener haben. Nun sollst du auch diese Flöte nehmen und du sollst fortwährend auf ihr blasen. Sobald ein Mensch den Atem aushaucht, alsobald wird man die Flöte vernehmen.“

Nach einiger Zeit wunderte sich der Jüngling und sprach zu sich selbst: „Warum verzehrt Großmutter eigentlich keine wilden Kartoffeln?“ Da fragte er sie und sagte: „O Großmutter, was bedeutet es und warum issest du keine wilden Kar¬ toffeln?“ „Ich speise immer ganz für mich allein“, sagte sie, „ich nehme wirk¬ lich Nahrung zu mir.“ Da überlegte er: „Nun will ich sie doch einmal heute Nacht beobachten!“ Da machte er ein Loch in sein Kleid. Dann legte er sich nieder und tat, als ob er schliefe. Trotzdem sah er durch das Loch in seinem Kleid. Da hindurch sah er und beobachtete den Platz, an dem gewöhnlich seine Großmutter ruhte. Da ging sie nun, die LTrfrau, hinaus. Nun blickte sie in die Richtung des Sonnenaufgangs hin. Nun war der Stern, der Tagbringer, auf¬ gegangen. Da sprach sie, die Urfrau: „Nun will ich meinen Topf, der auf dem Feuer steht, wegnehmen.“ Da nahm sie nun wirklich den Topf von dem Feuer fort, und tat auch die wilden Kartoffeln in eine Schüssel von Rinde und es war gerade eine Schüssel voll. Da kramte sie rasch unter ihren Habseligkeiten in einem Sack herum, den sie hervorzog, und sie nahm Mais heraus. Dann röstete sie ihn. Da knallte es, und es gab einen ganzen Flaufen zersprungener Mais¬ körner. Dann nahm sie einen kleinen Mörser heraus, schlug ein paar Mal auf ihn und der Mörser ward groß und er wuchs zu richtiger Größe heran. Nun nahm sie die Mörserkeule aus ihrem Sack. Dann tat sie wieder verschiedene Schläge darauf und auch sie nahm an Größe zu. Dann zerstieß sie den Mais und machte Mehl daraus. Nun kramte sie wieder in ihrem Sack: sie nahm wieder einen kleinen Topf heraus und tat, wie früher, indem sie mehrmals auf ihn schlug, und auch er nahm an Größe zu. Nun setzte sie den Topf auf und machte Maisbrei darin. Als er gar war, kramte sie wieder in ihrem Sack und nahm einen Knochen heraus, einen Biberknochen. Sie schabte ihn und schüttete den Knochenstaub in den Topf und nun plötzlich schwamm öl auf seiner Oberfläche. Da nahm sie den Topf vom Feuer. Dann sie den Brei. Als der Jüngling dies beobachtet hatte, legte er sich schlafen.

Am nächsten Morgen, in der Frühe, ging die Urfrau, wie gewöhnlich, fort, um wilde Kartoffeln zu graben. Sobald sie verschwunden war, ging er an den Ort, wo seine Großmutter für gewöhnlich sich aufhielt. Und er begann, unter ihren Sachen zu wühlen. Er nahm einen Maiskolben heraus, an dem nur noch einige wenige Körner waren es waren vielleicht nur noch drei und eine halbe Reihe

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von Körnern daran , fing dann an, die Körner zu schälen, er schälte sie alle und dann dörrte er sie. Da knallte es und zersprang und gab einen ganzen Haufen. Dann kramte er weiter und nahm einen kleinen Mörser heraus und eine Mörserkeule. Dann benutzte er sie, um auf den Mörser zu schlagen, und da vergrößerten sich beide. Und nun schüttete er das geröstete Maiskorn aus. Dann zerstieß er es im Mörser und da wurde wirklich Mehl daraus. Dann suchte er wieder in dem Sack der Großmutter und nahm einen kleinen Topf heraus und schlug auf diesen Topf mit irgend einem Ding. Da vergrößerte auch er sich. Nun setzte er den Topf auf das Feuer und tat auch Wasser hinein. Dann schüttete er all das Mehl da hinein. Und so bereitete er sich Maisbrei. Dann durchsuchte er wiederum den Sack seiner Großmutter und nahm einen Knochen heraus und er tat ihn da hinein und er bekam Brei im Überfluß. „Ho, ho, sagte er schmun¬ zelnd, das schmeckt gut!“ Bald darauf kehrte seine Großmutter heim. Sie sprach: „Nun, was für Sachen machst du da?“ „Ich habe mir Maisbrei gemacht“, sagte der Jüngling, „und es schmeckt mir gut. auch du davon, Großmutter, es ist viel davon da.“ Da weinte sie und sprach: „Nun hast du mich wahrlich ge¬ tötet. Das war ja der ganze Rest, der für mich übrig blieb!“ „Es ist schlecht von dir, daß du es mir mißgönnst. Ich will anderen Mais holen und auch einen Knochen.“

So traf er am anderen Tag seine Vorbereitungen. Als er mit seiner Arbeit fertig war, sagte er: „Nun kann ich fortgehen.“ Und er ging davon. Er kam an den Ort, wo Menschenwesen wohnten. Sobald er in die Nähe ihres Dorfes kam, machte er alles fertig. Aus seinem Bogen machte er einen Hirsch und aus seinem Pfeil einen Wolf. Dann sprach er: „Wenn ihr beide durch das Dorf rennt, so wird immer einer von euch den anderen überholen.“ Dann verwandelte er sich in einen uralten Mann. So ging er zu dem Ort, wo die Menschen wohnten. Als er dorthin gelangte, gab man ihm Essen, gab man es dem Uralten. Während er aß, hörten die Menschen, das ein bellender Wolf sich näherte, vermutlich ver¬ folgte er ein Wild. Da gingen sie alle hinaus vor die Tür. Sie sahen, wie ein Wolf einen Hirsch verfolgte, der auf sie zukam, und sahen, wie er im Begriff war, ihn zu packen. Da eilten sie alle dorthin. Nun blieb der Uralte allein, und er aß. Als sie alle fortgeeilt waren, stürzte er dorthin, wo die aufgereihten Mais¬ kolben hingen. Zwei Schnüre von Maiskolben nahm er herunter und hing sie sich über die Schulter und ging rasch von dannen. Er war schon weit fort¬ gelaufen, als sie merkten, was er getan hatte, aber sie verfolgten ihn gar nicht. Er kam wieder zu Haus an, und warf die Maiskolben am Platz seiner Gro߬ mutter zu Boden: „Hier sind sie, sagte er, du kannst nun damit tun, was dir be¬ liebt. Du kannst dir überlegen, ob du vielleicht ein paar von ihnen einpflanzen willst.“

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Als es Tag wurde, sagte er: „Wohlan, ich will gehen, einen Biber zu erlegen. „Da ging er an die Stelle, die ihm seine Grobmutter als günstig bezeichnet hatte, weil es dort viele Biber gäbe. Dort fand er denn auch die Stelle, wo die Biber hausten. Er sah dort einen, schoß ihn und tötete ihn. Dann nahm er seinen Körper am Stirntragband auf den Rücken und trug ihn heim. Bald kam er dort¬ hin, wo ihre Wohnung war. Wie vordem, so tat er auch jetzt: dort wo seine Großmutter saß, warf er die Beute hin. „Hier“, sagte er. „Gut so!“, sprach die Urfrau. Dann zogen sie beide dem Biber draußen vor der Tür das Fell ab. Sie hielten beide seinen Körper an verschiedenen Stellen. Als nun die beiden bei¬ nahe mit ihrer Arbeit fertig waren, da war eine Blutlache auf dem grünen Feld. Da nahm sie, die LTralte, eine Flandvoll von dem Blut und bespritzte damit die Lenden ihres Enkels: „Ha, ha, machte sie, die Urfrau, nun wahrlich, mein Enkel¬ sohn. jetzt wird bei dir die Menstruation eintreten!“ „Pfui darüber!“ sagte der Jüngling, „nicht wir Männer sind es, die unter solchen Zuständen leiden werden, sondern ihr, ihr Frauen, ihr seid es, die in jedem Monat von solch einem Un¬ wohlsein befallen werdet.“ Nun nahm er seinerseits eine Handvoll geronnenen Blutes und warf es zwischen die Schenkel seiner Großmutter und sprach dann: „Bei dir ist nun wirklich die Menstruation eingetreten.“ Da fing die Uralte an zu weinen und sie sprach: „Wie lange wird denn dieser Zustand gewöhnlich dauern?“ Da antwortete der Jüngling: „So viele Tage, als Flecken auf dem Hirschkalb sind. Solange wird es wahrlich dauern.“ Da fing sie, die Uralte, wieder zu weinen an und sprach: ..Solange kann es unmöglich dauern, un¬ möglich!“ „Wieviel Tage sollen es denn sein?“ sagte er. „Ich würde die Zahl der Streifen auf dem Rücken eines gestreiften amerikanischen Eichhörnchens annehmen“, meinte sie. „Nun gut!“ sagte er. Darauf fuhr er fort: „Vier Tage soll ein Frauenwesen der Sitte gemäß draußen bleiben. Dann, sobald sie alle ihre Kleider, der Sitte gemäß, gewaschen hat, soll sie wieder die Behausung ihrer Angehörigen betreten dürfen.“

Nach einiger Zeit sprach sie, die Uralte, mehrmals: „Und es sollen Berge er¬ scheinen auf der Oberfläche dieser Erde!“ Und siehe da, es geschah also. „Und es sollen auch Flüsse sein auf der Oberfläche der Erde!“ sprach sie wieder. Da, in der Tat, geschah es so.

Da sprach der Jüngling: „Nun, denke ich, werden wir beide, du und ich, nach Hause zurückkehren, und du und ich, wir werden beide an den Ort gehen, den uns meine Mutter bereitet hat, damit wir beide dort für immer bleiben sollen.“ „So sei es!“ sprach die Uralte.

So wurde es Wahrheit, daß die Großmutter und ihr Enkel fortgingen. So gingen denn die beiden hinauf in die Höhe. Dies ist der Schluß der Legende.

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Aus der Mythologie der Zuhi-Indianer8^

Die Schöpfung der Welten oder der neue Beginn Vor dem Anfang der neuen Schöpfung war nur Awonawilona, der Schöpfer und Erhalter des Alls, der All-Vater-Vater ; nichts anderes war im weiten Raum der Zeiten, nur schwarze Dunkelheit überall und trostlose Leere.

Im Be ginn der Neu-Schöpfung sammelte Awonawilona sich in sich seihst und dachte nach außen in den Raum. Nebel voll Fruchtbarkeit, Dämpfe kräftigen Wachstums entwickelten sich und stiegen empor. Alsdann schuf sich der All- Erhalter selbst kraft seiner angeborenen Weisheit in Wesen und Gestalt zur Sonne um, die wir für unseren Vater erachten und die damals wirklich ward und sichtbar. Als sie erschien, flutete durch die Räume strahlendes Licht, und zugleich mit der Erleuchtung der Räume ballten sich die großen Nebelwolken zusammen und fielen hernieder, Wasser schwoll aus Wasser, ja! und die welt¬ umfassende See.

Der Sonnen-Vater griff in das eigene Fleisch und formte aus ihm den Samenstoff für die Doppelwelt, durchtränkte damit die großen Wasser und siehe! in der Glut seines Lichtes ergrünten die Wasser des Meeres und Schaum stieg auf und wuchs weit und schwer, bis daß er sich wandelte, o Wunder! und ward zu der der vielfältig umfassenden Mutter Erde und dem alles bedeckenden Vater Himmel.

Die Schöpfung der Menschen und Geschöpfe

Als nun diese Doppelwelt auf dem großen Weltmeer beieinander lag, entsprang aus ihrem fruchtbaren Antrieb das Leben der Erde; das war der Ursprung aller Wesen der Erde, Menschen und Geschöpfe, in dem vielfältigen Mutterschoß der Welt.

Mutter Erde schwoll aul und sank in die Tiefe, vom Meere umfangen, und sie stieß den Vater Himmel von sich, so trennte sie sich, umfangen vom Wasser tief unten, vom Vater Himmel. AVie eine Frau noch vor der Geburt Unheil ahnt, das ihrem Erstgeborenen droht, so überdachte Mutter Erde die Zukunft, und schob die Geburt ihrer zahllosen Nachkommenschaft auf, um währenddessen mit dem Vater Himmel sich zu beraten. „AVie sollen denn unsere Kinder, so sprachen sie zueinander, nach ihrer Geburt einen Ort von dem andern unterscheiden können, selbst bei dem hellen Licht von Vater Sonne?“

Wie alle außerordentlichen Wesen, waren Mutter Erde und Vater Himmel ver¬ änderlich, wie Rauch im Wind, fähig, sich nach Belieben zu verwandeln und sich nach Gutdünken in irgend einer Form darzustellen, wie Tänzer mit ihren Masken.

So sprachen sie zueinander, wie Mann und Frau: „Sieh da!“ sagte Mutter Erde,

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als nahebei eine große abgestufte Kugel erschien, die innen voll Wasser war, „so sollen die Wohnungen meiner kleinen Kinder auf mir sein. Vom Rande jedes Weltlandes wandern sie ein, abgestufte Berge sollen entstehen, viele in einer Gegend, so daß sich ein Land vom anderen unterscheidet und in ihnen ein Ort vom anderen. Siehe!“ sprach sie, spuckte auf das Wasser, schlug es und rührte es mit den Fingern durcheinander. Dampf bildete sich, sammelte sich um den abgestuften Rand und stieg höher und höher. „So“, sprach sie, „und aus meinem Busen sollen sie ihre Nahrung saugen, denn auf diese Weise sollen sie die Kraft des Lebens finden, die auch uns erhält, denn siehe!“ Dann blies sie mit ihrem warmen Atem über die Höhen hin; weißflockiger Dampf löste sich los, schwebte über das Wasser dahin, wurde erschüttert durch den kalten Atem des bereiten Vater Himmel und schüttete sogleich dünnen Nebel und Regen in Überfülle herab! „Gerade so sollen weiße Wolken von den großen Wassern am Rande der Welt aufsteigen, sollen sich häufen an den fernen Bergeshöhen und emporgetragen werden durch den Atem der Geist-Wesen, sollen von der Kälte gehärtet und zerbrochen werden und das Wasser des Lebens in feinem Regen herabschütten, gerade in die hohle Wölbung meines Schoßes! denn da vor allem ist es, wo die Kinder der Menschheit und der anderen Geschöpfe nisten sollen, in Wärme vor deiner Kälte geschützt.“

Siehe! selbst die Bäume auf den hohen Bergen, nahe den Wolken und dem Vater Himmel krümmten sich tief zur Mutter Erde hin, um Wärme und Schutz zu finden! Warm ist Mutter Erde, kalt Vater Himmel, sowie das Weib das warme, der Mann das kalte Wesen ist!

„So sei es“, sagte der Vater Himmel. „Doch nicht allein sollst du unsern Kindern hilfreich sein, denn siehe!“ und er breitete seine Hand aus mit der Handfläche nach unten und in alle ihre Furchen und Spalten setzte er glänzende gelbe Ge¬ treidekörner; im Dämmern des frühen Weltmorgens glühten sie wie Feuerfunken und folgten der Bewegung seiner Hand über der Kugel, und ihr Spiegelbild schwankte in den Tiefen des Wassers. „Siehe!“ sagte er, indem er auf die sieben Körner zeigte, die er mit Daumen und vier Fingern umschloß, „auf solche Weise sollen unsere Kinder geleitet werden; denn schau: wenn der Sonnen-Vater nicht nahe ist und deine Höhen wie das Dunkel selbst sind, so daß alles darin ver¬ borgen liegt, dann sollen unsere Kinder durch Lichter geführt werden, ähnlich diesen Lichtern aller sechs Regionen, die um das mittelste kreisen, so wie in und um diesen Mittelpunkt, in dem unsere Kinder wohnen sollen, alle anderen Ge¬ biete des Weltraums liegen. Ja, und wie diese Körner aus dem Wasser wieder¬ leuchten, so sollen Samenkörner, die ihnen gleichen, aus deinem Busen sprießen, wenn meine Wasser ihn berühren, um unsere Kinder zu ernähren.

So und auf andere Weise bedachten sie vielerlei für ihre Nachkommenschaft.

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Der Anfang der Menschen und Geschöpfe Nun begann im tiefsten Grunde der vier Höhlen des Schoßes der Welt der Same der Menschen und Geschöpfe Form anzunehmen und zu wachsen. So wie in den Fiern an warmen Orten alsbald Würmer entstehen, welche wachsen und plötz¬ lich ihre Schale zerbrechen und, wie es der Zufall fügt, zu Vögeln, Fröschen oder Schlangen werden, so wuchsen die Menschen und alle Geschöpfe mannigfach und vervielfältigten sich in vielen Arten. So wurde der tiefste Grund der Welt¬ höhle übervoll von lebenden Wesen: der Schoß der schwarzen Tiefe oder der werdenden Schöpfung, weil er der Platz der ersten Gestaltbildung war und schwarz wie ein Schornstein bei Nacht, unrein wie das Innere des Bauches. Überall waren unfertige Geschöpfe, die wie Schlangen eines über das andere krochen, in schmutziger und schwarzer Finsternis, dicht zusammengedrängt trat eins auf das andere, sie bespuckten einander und trieben sonstigen unan¬ ständigen Mutwillen, bis schließlich Murren und Klagen laut wurde, bis viele von ihnen zu entkommen versuchten, als sie klüger und menschenähnlicher wurden.

Der Aufstieg der ersten Menschen aus dem Erdinnern

Dann erschien, so erzählt man, unter den Menschen und Lebewesen der Weiseste der Weisen und der Erste, der allheilige Meister Poshaiyankya. Er war es, der in der Tiefe der Gewässer erschien, so wie Sonn-Vater in den Weiten der Höhe, und der aus der untersten See sich erhub und voll Mitleid mit den Menschen nach oben emporstieg, kraft seiner eingeborenen Weisheit fand er den Aus¬ weg aus dem ersten Weltschoß auf so dunklen und engen Wegen, daß die, welche in dem ungewissen Licht sich zu Häuf drängten, ihm nicht folgen konnten, so gierig waren sie und so heftig stritten sie wider einander! So fuhr er denn allein in die Flöhe aus einem Schoß durch die andern hinauf in die große Weite des Tageslichtes. Da lag nun die Erde wie eine ungeheure Insel inmitten der großen Wasser, feucht und schwankend. Und allein strebte er weiter tagwärts dem Sonnenvater zu, ihn flehte er an, die Menschheit und die Geschöpfe dort unten zu erlösen.

Die Geburt und Befreiung der Menschen und Kreaturen

Nun wuchsen Dinge in den Tiefen wie Gräser und rankende Reben. Dann hauchte das geliebte Paar auf die Stengel dieser Gräser, die, wie Gras dem Licht immer entgegen wächst, unterhalb der Öffnung kräftig wuchsen, welche sie (in die Oberfläche der Erde) gehauen hatten und durch sie herab gestiegen waren. Sie griffen die Grashalme und gingen um sie herum, trieben sie an zu unge¬ heurem Wachstum und wanden sie aufwärts, bis sie wunderbar ins Licht hinein-

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ragten. Und wo sie jeweils die Halme ergriffen, prägten sich Rillen und Daumen¬ eindrücke ein, aus denen Laubbäume sich verzweigend hervorbrachen. Die Zwei formten daraus eine große Leiter, auf der Menschen und Kreaturen zu der zwei¬ ten Höhle hinaufsteigen sollten, damit sie nicht in späterer Zeit durch die Wehen der Erdmutter heftig emporgeschleudert zu Teufeln und Krüppeln entstellt würden.

Diese Leiter hinauf, zu der zweiten Welthöhle hin, folgten die Menschen und Wesen den beiden Kleinen, aber Mächtigen in gedrängter Menge. Aber viele fielen zurück und bevölkerten, in Dunkelheit verloren, die Unterwelt, aus der sie erst nach Zeiten unter schrecklichen Erdbeben befreit wurden, und sie wurden zu Ungeheuern und entsetzlich grausigen Wesen der Urzeit. Siehe! in diesem zweiten Schoß war es finster wie die Nacht stürmischer Zeit, aber er war größer und höher, als der erste gewesen war, weil er näher dem Nabel der Erdmutter lag, weshalb er auch der Nabel-Schoß oder der Ort der ersten Geburt hieß. Liier vermehrten sich abermals die Menschen und Wesen, und der Lärm ihrer Klagen wurde laut und flehend. Wiederum führten die Zwei sie aufwärts auf der Leiter, deren Wachstum sie antrieben, dies Mal nicht alle zur gleichen Zeit, sondern nacheinander in Gruppen, damit sie während dessen die Ahn¬ herren der sechs Menschen-Rassen werden könnten: der gelben, der gelblich grauen, der roten, der weißen, der gemischten und der schwarzen Rassen, und mit ihnen führten sie all ihre Götter und Kreaturen mit. Doch auch jetzt, wie vorher, blieben große Mengen zurück oder kamen um. Die dritte große Welt¬ höhle, zu der die Menschen und Kreaturen nun hinaufgestiegen waren, war größer als die zweite und höher und heller, wie ein Tal im Sternenlicht, und hieß „Seheiden-Schoß“ oder „Ort der Geschlechtswerdung“ oder der „Schwanger¬ schaft4’. Denn da begannen die verschiedenen Völker und Wesen sich für sich zu vermehren. Und da die Nationen und Stämme der Menschen und Kreaturen auch hier so zahlreich wie vordem wuchsen, so ward auch hier Überfülle. Wie vorher wurden auch von hier Generationen nach Generationen hinausgeführt, aber wie vorher gingen auch jetzt hierbei viele verloren hinauf in die nächste und letzte Welthöhle, „die Unbedeckbare und Äußerste“ oder „der Schoß der Geburt“.

Hier war es licht wie im Morgendämmern, und die Menschen begannen zu schauen und ihren Anlagen gemäß dies oder jenes zu lernen. Dabei lehrten die Zwei sie zuerst unseren Sonnen-Vater suchen, der, wie sie sagten, ihnen Weisheit und Kenntnis der Lebenswege enthüllen würde, so lehrten sie sie, wie wir die kleinen Kinder. Aber wie die anderen Welthöhlen so ward auch diese nach langer Zeit von Nachwuchs übervoll. Und endlich führten die Zwei in Abständen die Menschengeschlechter und die Lebewesen in die große Ober-

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weit, welche die „Welt des ausgebreiteten Lichtes“ oder des „Wissens“ oder „Sehens“ heißt.

Die Unreife und Unsicherheit der Welt, als sie noch jung war So wie es mit den Menschen und Kreaturen war, so verhielt es sich mit der Welt; sie war jung und unreif. Schwankend war ihre Oberfläche, wie ein Sumpf; selbst die höher gelegenen Orte waren feucht, wie der Boden einer

Höhle, sodaß die Samenkörner, die auf ihn fielen, in die Höhe schossen, und selbst der Abfall be gann zu wachsen.

Eidbeben erschütterten und spalteten die Welt. Zauberwesen, Dämonen und Ungeheuer der Unterwelt stürzten hervor. Kreaturen wurden wild, wandelten sich zu Raubtieren, andere wurden ängstlich und fielen ihnen zur Beute. Elend und Hunger nahmen überhand, schwarze Zauberei, Krieg und Streit brachen aus, als die Angst in die Herzen der Menschen und Kreaturen einzog. Ja, Furcht war überall unter ihnen, und das Volk preßte voll Schrecken seine Kostbar¬ keiten an sich und ward zu Wanderern, die von dem Samen des Grases lebten und von toten und erschlagenen Dingen sich nährten. Doch sie wurden immer noch immer gen Osten durch die „Zwei Geliebten“ geführt, die ihnen sagten und sie lehrten, daß sie im Hellen und auf den Pfaden der Sonne die Mitte der Welt suchen müßten, über welcher allein sie die Erde fest finden würden und wo sie ruhen und in Frieden sich niederlassen könnten.

Der Wiederbeginn der Suche nach der Erd-Mitte Als die Menschen beinahe vergessen hatten, die Mitte zu suchen, erzitterte die Erde von neuem, und die Muschelhörner ließen Warnungsrufe erschallen. Murren erhub sich, als die „Zwei Geliebten“ kamen und sie wiederum auf¬ riefen, doch brachen sie und die Anderen, mit denen sie zusammen gewohnt hatten, auf. Sie nahmen mit sich, was sie nur immer konnten, vor allem Samen des Getreides, der ihnen außer ihren Kindern am wertvollsten war, und suchten sicheren Zufluchtsort. Denn jetzt hatte sich ihre Nachkommenschaft vermischt; so bildeten ihre Kinder ein einziges Volk. Wo immer sie rasteten, dort bauten sie große Häuser aus Stein, alle beieinander, wie man es noch heute sieht. Und in den Ebenen errichteten sie jeweils Hütten, um das neue Sprießen und das Wachstum der Samenkörner zu bewachen. Darum hungerten sie niemals, ob sie nun weiter wanderten oder am Orte blieben.

Die verwandelnde Sünde des Bruders und der Schwester

Weit wanderten sie, und als der Tag sich nahte, sahen sie vor sich einen fernen, hohen Berg.

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Laß uns eilen, o Schwester, meine Schwester!

Du bist müde von der Reise, meine Schwester.

Wir wollen rasten im Schatten jenes Berges.

Ich will dir eine Hütte aus Zeder bauen

Und in den Klippen nach Wild suchen.

Und du sollst glückselig ruhen, o Schwester.

So sprach er, denn er liebte seine Schwester und ihre Schönheit. Wahrlich, sie war sanft und wunderschön.

Und so eilten sie vorwärts. Als sie den Berg erreichten, baute der Bruder eine Hütte aus Zederzweigen im Schatten eines Baumes. Dann ging er davon, um Wild zu suchen. Als er einige Beute gemacht hatte und zurückkam, schlief seine Schwester in der Hütte; so trat er leise auf, damit er sie nicht störte denn er liebte seine Schwester und leise ließ er sich vor ihr nieder und betrachtete sie, sein Kinn auf die Hand gestützt. Der Wind wehte sanft hin und her, und sie schlief weiter. Ihr weißer Baumwoll-Mantel und ihre Kleider waren ans leichtem Stoff für die Reise gemacht, und so spielte der Wind mit ihnen, sobald er über ihre ausgestreckte Gestalt hin glitt. Als der Bruder sie so sah, ergriff ihn rasende Liebe zu ihr, stärker als Bruder-Liebe, stärker als Liebe von Ver¬ wandten zu einander! .

Toll war er und hemmungslos im Tun. Und die Schwester, die davon erwachte, floh in lautem Entsetzen von ihm, dann in Scham und heißem Zorn machte sie ihm bittere Vorwürfe. Seltsame Wesen waren sie, seltsamer als die meisten Menschen unserer Tage, denn sie waren die Kinder von Kawimosa, dem Priester, und einer priesterliclien Mutter in den Zeiten der Schöpfung und Erneuerung. Und so, wie die außerordentlichen Wesenheiten, waren sie wandelbar nach ihrem eigenen Willen; ja, und alle Dinge waren im Werden, als die Welt noch neu war! Schau her! Darum nun, als sie ihn schalt, wurden ihre Augen größer und glänzend, und ihr Gesicht ward fleckig und verzogen. Und als er sie sah und hörte, stand er verwirrt und wie von Sinnen vor ihr, mit gesenktem Haupt, roten und verschwollenen Augen, seine Stirn gebeugt und brennend rot.

„Du Schamlosester“ rief das Mädchen. „Wisse, daß du niemals zu deinem Volk zurückkehren wirst! Ja, auch ich will es nicht! Siehe! Ich will durch meine Macht ein tiefes Wasser schaffen, das diesen Berg teilen soll! Allein sollst du auf der einen Seite hausen, auf der anderen Seite ich für mich! Ich will eine Grenze ziehen und ein reißendes Wasser strömen lassen zwischen dem Tagland und dem Nachtland, zwischen all unserem Volke und uns!“ Sie stampfte mit ihrer Sandale, während sie sprach, und eine tiefe Spur entstand; denn der Berg war hohl und hallte wieder. Dann eilte sie ungestüm zur Westseite des Berges

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und zog mit dem Hacken eine Rille durch den Sand von Süden nach Norden, und tief wurde die Furche, die sie zog. Und als der Bruder sie fliehen sah, lief er hinter ihr her und rief mit heiserer Stimme. Als er ihr aber nahe gekommen war, blieb er stehen und starrte sie an; und seine irrsinnige Wirrheit ward größer, als vorher, aber dies Mal aus Angst und Furcht vor ihrer Wut und Ent- stelltheit. Als sie sich wieder umwandte, warf er seine Arme in die Höhe, schlug sich an den Kopf und die Schläfen, raufte sich die Haare und zerriß sich die Kleider und schlug voll Wildheit seine Nägel wie Krallen in Augen und Mund, bis große Beulen und Knollen aus seinem Kopfe wucherten; seine Augen glotzend verschwollen, seine plärrenden Lippen verzogen sich im Weinen; Tränen und blutiger Schweiß überströmten ihn ganz, und er warf sich kopfüber zur Erde und rollte sich im Staub, bis er gänzlich mit der dunklen Erde dieser Ebene be¬ deckt war. Und als er wieder emporsprang, blieb die rote Erde an ihm haften, wie die Haut am Fleisch haftet, und seine Häßlichkeit verhärtete sich.

Das Mädchen starrte auf ihn in wildem Entsetzen über das, was sie angerichtet hatte! Und nun wurde auch sie mit Angst erfüllt und sie schrie laut, warf ihre Arme empor und rann hierher und dorthin, und so groß ward ihr Kummer und Verzweiflung, daß ihr Haar ganz weiß wurde. Siehe! nun jammerte sie kläglich und bemitleidete ihren Bruder, denn wie Frauen sind dachte sie: er tat es aus Liebe zu mir! So jammerte sie zärtlich nach ihm und lief zu ihm hin. Wieder sah er sie an, denn er war irrsinnig, und als er sie nahe vor sich sah, so seltsam und häßlich anzuschauen, da lachte er laut und heiser, aber dann stand er still, die Llände vor sich zusammengeschlagen und den Kopf gesenkt, irrsinnig! Wenn er lachte, lachte auch sie; wenn er schwieg, und in sich zusammensank, schrie auch sie und drang mit Bitten in ihn. So war es zwischen ihnen immer seit jenen Tagen. Sie sprachen laut miteinander; sie lachten oder sie weinten. Sie waren nun wie alberne Kinder, die auf der Erde spielen; dann wiederum waren sie weise, wie Priester und hohe Wesen, und hielten feierliche Ansprachen wie Eltern an Kinder und wie Führer an das Volk.

Die Spuren im Berge und Sand sanken tiefer und tiefer; denn die Erde erbebte oftmals, wie gewöhnlich in dieser Zeit. Und so ward der Berg in zwei Hälften gespalten und Wasser cpiollen in der Mitte empor. Die Furche im Sande wurde tiefer und tiefer und schneller und schneller rann in ihr das sich sammelnde Wasser. In das Innere des Berges floh das Paar, nicht getrennt, sondern zu¬ sammen, im Irrsinn. Unaufhörlich tönte ihr Geschnatter und Geschrei über das weite Wasser und von der einen Seite des Berges zur anderen. Von nun an hausten sie zusammen in den Höhlen des Ortes, den sie gewählt hatten, ver¬ gaßen die Gesichter der Menschen und gaben sich keine Rechenschaft von ihrer häßlichen Lage.

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Die Geburt der Alten oder der Ahnen der Kaka

Nacheinander wurden diesen beiden zwölf Kinder geboren. Aber: weder Jungen noch Mädchen waren es! Denn sieh nur! Das erste war ein Weib im ganzen Umriß, aber ein Mann nach Gestalt und Muskelkraft. Aus der Mischung zu vieler Samen einer Art entsteht das zwiefache Wesen, das Mann und Weib zu gleicher Zeit ist, so wie aus einem Samenkorn des Getreides mit zwei Kernen eine Ähre reift, die weder von der einen noch von der anderen, sondern von beiderlei Art ist. Aber nicht ganz bösartig war dies erste Kind, da es aus Liebe wenn auch aus Tollheit geboren war, ehe seine Eltern verwandelt wurden; so hatte es keinen Teil an ihrer Entstellung. Doch so war es nicht mit seinen Brüdern; männlichen Wesen ähnlich, doch wie Knaben, waren sie ohne Frucht des Geschlechtes! Denn die Frucht bloßer Wollust führt zu nichts, so wie Ge¬ treide, das sich selbst außerhalb der Zeit sät, nicht zur Reife gelangt. Denn ihre Eltern, zur Häßlichkeit verwandelt, hausten beieinander sinnlos und vereinten sich in müßigem Spiel oder aus Leidenschaft unbegeistert von der Lust des Auges oder des Herzens. Und siehe! ähnlich dem Vater wurden seine späteren Kinder, aber verschieden wie seine Launen. Denn damals geschah, wie auch jetzt, daß sie in der Art und Weise dessen, was die Mutter am meisten ansah, während sie sie trug, geformt wurden, wie der Ton durch die Gedanken des Töpfers; darum umgeben wir unsere Frauen mit Sorgfalt und enthüllen nicht vor ihnen üble Dinge: weder geschlachtetes noch gelähmtes Getier, damit ihre Kinder nicht schwach oder krüppelhaft werden. So wurden sie stämmige Tölpel, aber dunkelfarbig und gezeichnet mit den Beulen ihres Vaters. Einfältig waren sie, doch zugleich weise, wie die Götter und Hohenpriester. Denn wie Einfältige und Irre von Dingen reden, die sie gerade sehen, und vielleicht weise Worte und Prophezeihungen äußern, so sprachen sie und wurden Teilnehmer und Förderer, selbst Interpreten und Weise, der alten Tanzdramen oder der Kaka. Namen hatten sie, aber nicht Namen von Menschen, sondern Namen voll Wider¬ sinn. So der „Priester-Sprecher der Sonne“. Nachdenklich ist er, selbst in der Hast des Tages, wie sein Vater war, als er sich schämte, meist karg im Sprechen und dann so belanglos schwätzend, genau wie ein Kind oder ein kindischer Alter.

Dann ist da der „Priester-Krieger des Bogens“. So feig ist er, daß er sich hinter Leitern verkriecht, ohne Zweifel, weil er sie für Bäume hält, und der hinter allen anderen zuriickbleibt, sobald er erschrickt, und er fährt zusammen, selbst wenn nur ein Blatt raschelt oder eine Spinne in die Nähe kommt; und er sieht überall hin, nur nicht geradeaus, wann immer Gefahr droht.

Da ist die „Fledermaus“, die besser ins Sonnenlicht blicken kann, als irgend ein anderer von ihnen, aber kraftlos im Schatten wird und einem Schattenfleck auf

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dem Boden ausweiclit, wie eine Frau einem dunklen Platz, seihst wenn er nicht größer wäre, als das Loch eines Käfers.

Da ist auch der „Träger der Unsichtbarkeit“. Er hat Hörner wie ein Seewolf und ist knorrig, wie eine Kürbiskeule, und es gelingt ihm niemals, sich zu ver¬ bergen, selbst wenn er sich hinter den Sprossen einer Leiter versteckt oder hinter den Federn eines Truthahns. Doch hält er sich immer für unsichtbar. Und er ist stolz auf sein Äußeres, das er für so schön wie das eines jungen Mädchens erachtet.

Da ist „Misrnut“, der kaum anderes tut, als lachen und freundlich aussehen, denn grinsen kann er nicht. Lind sein jüngerer Bruder, der „alte Bock“, der der größte von allen ist, und der mit seinen Augen, die er sich vor Kummer fast ausgerieben hat, damals, als sein jüngerer Bruder von den Schlangen-Kaka gefangen und fortgetragen wurde so alt aussieht, wie eine gehörnte Kröte, aber er ist so behende, wie ein Rehkalb, und kichert, wie ein Mädchen, ja und schreit so lustig, wie ein kleiner Junge beim Spielen.

Der nächste Bruder, der „Mürrische“ oder „Bekümmerte“, trauert auch um seinen jüngsten Bruder, der von den Kaka gestohlen wurde, solange, bis seine Augen ganz ausgetrocknet waren und sein Kinn ganz eingeschrumpft und spitz Vor¬ stand; aber trotzdem ist er lebendig und fröhlich und in der Tat immer so bereit¬ willig, wie das freundlichste aller Wesen.

Die Jüngsten nun, der „Säugling“ und der „alte Jüngling“, sind die Anmaßend¬ sten der Neun, die immer den anderen gute Ratschläge geben und einherstol¬ zieren, wie ein junger Priester bei seinem ersten Tanz oder wie ein jugendlicher Krieger, der durch frühe Triumpfe allzu altklug und selbstbewußt ward.

Und während der Vater sinnlos dasteht mit gebeugtem Kopf, die Hände vor sich gefaltet oder sie wie zwei gebrochene Bogen an den Seiten herabhängen läßt, tollen und spielen diese Kinder, wie er und seine Schwester damals sich be¬ trugen, als sie kindisch wurden, wirklich wie Idioten führen sie sich auf oder wie kindische Greise oder alte Weiber, die wieder jung wurden, unbeständig wie Gelächter, von jedem Ding um sie her beeinflußt und aufgeregt; aber in Gegenwart der alten Kaka betragen sie sich gemessen, obgleich das bei ihnen ungewohnt ist. Und sie sind die Ausleger all der alten Aussprüche von tieferer Bedeutung. Deshalb werden sie die Gatten der Kaka oder des heiligen Tanz- Dramas genannt. Und man spricht von ihnen selbst bei den Vätern des Volkes als von den Weisen der Alten. Und höchst wertvoll sind sie nach Ansicht der Wesen und Menschen! Was aber ihre Geburt und ihre näheren Umstände an¬ langt, so sagt man, daß alles anders gewesen sei, als wie gewöhnlich; denn daher schreibt sich der Zustand vieler Dinge von heutzutage, seien es nun Götter oder Menschen oder selbst Geister Verstorbener.

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Der Ursprung des Todes durch das Sterben und der Aufenthalt

der Seelen und der Kaka

Nicht lange Zeit dauerte die Beratung der jähzornigen Väter des Bären und des Kranichs. Nein, geradewegs gingen sie hinein in den Strom und tasteten sich vorwärts mit den Füßen auf der Furth, denn so rot waren seine Wasser, daß man die Fußstapfen nicht durch sie hindurch sehen konnte; so fanden sie den Weg hinüber. Aber groß war ihre Furcht trotzdem. Denn alsbald, da sie das Wasser beobachteten, das sich gerade unter ihren Blicken bewegte, überfielen sie seltsame Schauer, als ob sie sich selbst in wirkliche Wasser-Wesen verwandel¬ ten, gerade wie Schwindel die befällt, die lange in bewegtes oder vorbei¬ fließendes Wasser hineinschauen, in dessen Mitte sie stehen. Trotzdem gewannen sie standhaft den Weg zum anderen Ufer. Aber die armen Frauen, welche mit den kleinen Kindern auf dem Rücken ihnen dicht auf den Fersen folgten, waren empfindlicher und wurden vollständig durch diese fürchterliche Angst vor dem Wasser verwirrt. Deshall) wurden die Kleinen, die sie noch fester an sich preßten, da sie noch ganz klein waren, durch das Entsetzen, das sie überfiel, verwandelt. Sie wurden kalt und kälter, sie wurden schuppig, bekamen Schwimm¬ häute und scharfe Klauen an Händen und Füßen und auch einen längeren Schwanz, als ob sie im unruhigen Wasser schwimmen und steuern sollten. Siehe! Sie kamen plötzlich den Müttern, die sie trugen, wie tote Wesen vor und sie zappelten und kratzten die nackten Schultern der Mütter, bis sie laut schreiend die Kinder nicht mehr festhielten und sogar beinahe von sich gestoßen hätten, um entsetzt davon zu fliehen. So fielen zahllos viele nieder in die eilenden Wasser, laut und kläglich winselnd, sowie man sie jetzt noch nachts in jenen einsamen Gewässern schreien hört. Denn kaum waren sie von der Flut ver¬ schlungen, als sie ruderten und fortschwammen, immer noch schreiend durch und durch leibhaftig verwandelt. Dann je nach ihrem verschiedenen Totem- Familienwappen wurden einige zu Eidechsen, Chamäleons und Wassermolchen, andere zu Fröschen, Kröten und Schildkröten. Aber ihre Seelen sanken mit dem Gefühl des Fallens, Inuner-Fallens, durch das Wasser hindurch, wie das Wasser selbst, wenn es ausläuft, durch den Sand in die Tiefen sickert. Dort, unter der Lagune des hohlen Berges, wo er zuerst von der unheilvollen Mädchen-Schwester in zwei Hälften getrennt wurde (wie wir dies früher erzählt haben), dort wohn¬ ten zu ihrer Zeit die Seelen-Wesen der alten Krieger und des gewaltsamen Todes. Dort waren die Städte der Zu-ende-Gekommenen oder der Toten, der Wohnort der Geister. Da war auch die große Stadt der Kaka, die Stadt der vielen Städte, in der für immer das große Versammlungshaus der Geister stand, das Kiva, mit den sechs großen Räumen, in deren Mitte zur Zeit der Ratsversammlung der Gott-Priester aller Kaka sitzt, der die kürzlich Verstorbenen in dem Tanz der

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Güte übt und von ihnen die Gaben und Botschaften der Sterblichen fiir die Un¬ sterblichen empfängt.

Nun, als die Kleinen sanken, immer tiefer sanken, ohne etwas zu sehen, da fingen die Lichter der Tänzer an, über ihnen aufzuleuchten, und sie wurden den Alten eingeordnet und zu ihnen gezählt. Und nachdem sie so unter die unsterblichen Alten aufgenommen waren, siehe! da gingen die Kleinen den Weg des Todes und den Pfad des Sterbens. Denn in jenen alten Zeiten folgten ihnen, wohin sie gingen, andere, die sie suchen wollten und die auch verstarben. Und wieder andere folgten diesen, und so ging es fort bis zum heutigen dag. Aber die Mütter, die immer noch weinten, wußten das nicht, sie wußten nicht, daß ihre Kinder ungefährdet zurückgekommen waren, dorthin, woher sie selbst gekommen waren und wohin sie auch unbedingt wieder gehen mußten, dorthin gezogen durch die Klagen ihrer eigenen Herzen in der Zeit der Trauer. Laut jammerten sie immer noch am anderen Ufer des Stromes.

Wie die Ente den See der Toten und die Götter der Kaha fand

D ie Ente flog daraufhin auf die Berge zu, von denen her das aufdringliche Ge¬ schwätz kam, und dann hinter die Berge und weiterhin zum See in seiner hohlen Tiefe. Da schwamm sie hin und her, auf und ab, und quackte und rief laut. Und siehe! die Lichter der Kiwitsin der Kaka begannen im Wasser zu glühen und als sie hinschaute, sah sie, wie der Salamopia des Nordens mit der Schnauze zuerst wie von ihrer eigenen Art sich aus dem Wasser erhob, Salamopia, den die Götter der Kaka .... abgesandt hatten, um der Ente zu befehlen, unter¬ zutauchen und ihnen die Botschaft, welcher Art sie auch sein möge, zu über¬ bringen. Die Ente folgte und tauchte hinab, nieder in die großen Versammlungs¬ hallen. Dort erzählte sie von den weiten Fahrten, die sie gemacht hatte, wie sie Kyäklu fand und führte und wie nun Kyäklu in der Ebene jenseits der Berge mit blinden Augen dasaß, verkrümmt und ohne Ohr für ihren Ruf.

Wie die Götter der Kaka die Ente berieten „Ja, wir kennen ihn gut!“ antworteten die Götter. „Kraft unseres geheiligten Atems atmete sein Vater und seine Mutter, als die Tage noch jung waren, und sie werden von uns gezählt werden, wenn die Zeit erfüllt ist. Siehe! Weil er durch seinen Kummer und seine schweren Sorgen entstellt wurde, während er doch nur kyaiyuna war, ist er nun unveränderlich geworden, so hat es geendet; ja, und ewig soll er so bleiben, wie einer von uns! Wahr ist auch dies, daß sein Bruder und seine Schwester mit ihren sonderbaren Nachkommen in den Bergen wohnen, die nahebei sind. Steige nun aufwärts mit deinen klingenden Muscheln und locke diese Kinder an das Ufer des Sees. Sie werden laut von dem Wunder

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reden, wie sie in ihrer Erregtheit sogar von den Dingen der Zukunft reden. Sie werden den Alten keine Ruhe lassen, bis sie auch herunterkommen, um dich zu sehen. Du trägst die heiligen Muscheln und Sandkörner des Kyäklu, an deren Hand er früher, als die Tage für die Menschen noch neu waren, gewöhnlich seine Geschichten erzählte. Wenn sie sie sehen, dann werden sie sogleich ernst werden und deinen Worten lauschen, denn sie werden die Dinge wieder erkennen, die sie ihn tragen sahen, als sie noch klein waren, alles in den Tagen, die für die Menschen noch neu waren. Sage ihnen, daß sie sofort eine große Sänfte her- riehten sollen aus Pfählen und Schilfrohr, und daß ihr Vater mit all seinen Kindern .... sie dorthin tragen soll, wo Kyäklu in der weiten Ebene so voll Trauer sitzt. Laß sie ihn grüßen und bring ihn hierher. Sie können nicht hinein- gehen, aber sie können ihm den Weg zeigen und ihm sagen, wie er gefahrlos zu uns kommen kann, denn wie unsereins ist er geworden . . . Sage dem Enkel¬ kind, deinem Vater zugleich, dem Kyäklu, daß er nicht länger trauern solle, und nicht zögern, sondern gradewegs hierher kommen, damit er von uns die Deutung des Sinnes der Vergangenheit seines Volkes erhalte und erfahre, wie es ihm später ergehen wird.

Wie auf clas Geheiß der Ente die Kayemäshi den Kyäklu suchten und ihn zu dem See der Toten brachten

So tat also die Ente, wie befohlen, so taten auch die Kayemäshi, einer und alle, wie es von der Ente ihnen befohlen war, und ehe der Morgen kam, gingen sie mit einer Sänfte dorthin unter den Klängen eines seltsamen und freundlichen Liedes, hinunter zur nördlichen Ebene gingen sie und trugen ihre Sänfte. Und als sie den Kyäklu fanden, blickte er hinauf zum Sternenlicht und weinte; aber ihr Vater, sein jüngster Bruder, stand über ihm und sang die beruhigende, aber schwermütige Trauerweise und auch er beugte das Haupt und weinte. Aber plötzlich hob er sein Antlitz und wie ein fröhliches Kind, das seine Spielgefährten trifft, schmeichelte er den schweigsamen Kyäklu hinein in die große weiche Sänfte, die sie für ihn herbeibrachten.

Wie die Kayemäshi Kyäklu zu seinem Volke trugen

Dies sagte Kyäklu, als sie ihn auf die Sänfte gesetzt hatten, und gehorsam er¬ hoben die Kayemäshi sie auf ihre Schultern und trugen sie davon der Fährte entlang nach Osten zu, die wir westwärts hinabsteigen nach dem Tode und nach der Erfüllung des Lebens. Als sie durch die Ebene schritten unter lauten wechsel¬ seitigen Rufen, da rannte das kleine Volk aus den Dörfern der Murmeltiere hervor und stellte sich auf, ihnen zugewendet unter lautem wechselseitigen

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Rufen. Das belustigte und erfreute die Kayemäshi so sehr, daß sie stolz auf ihren Meister und Onkel Kyäklu wurden und den ganzen späteren Weg über von den Zuh örern, die sie bei jedem Prairielmnde-Dorf gehabt hatten, sangen: von den Jünglingen der Murmeltiere und von ihren Mädchen. Und so sangen sie freudig, als sie sich dem Lagerplatz des Volkes näherten, so daß niemand er¬ schrak, sondern alle sich wunderten, wer wohl jene seltsamen, freundlichen Leute wären, die da ankamen, und wer es war, der da mit so außerordentlicher Sorgfalt von der weitgereisten Ente geleitet wurde, und den sie auf ihrer Sänfte trugen. So singen sie immerdar, wenn sie Kyäklu von der westlichen Ebene herbringen, entlang der Flußfährte der Toten, und so glücklich und gespannt erwarten wir ihr Nahen und unsere Kleinen wundern sich, wie es die ersten Menschen jener Tage taten.

Die Wiederkehr Kyäklus uncl seine heiligen Lehren für das Volk

Schnell erkannten die Väter des Volkes ihren verlorenen Kyäklu, geführt und vorbereitet von den Zwillingen, und sorgsam brachten sie ihn unter, wie wir einen heimkehrenden Verwandten sorgsam und still mit der Zigarette der Ver¬ wandtschaft willkommen heißen und ihn und uns selbst reinigen, ehe er spricht, damit er kein Unheil mit sich bringen möge, das wir vielleicht mit dem Atem seines fremden Wortes empfangen.

So taten die Väter des Volkes dem Kyäklu und den Alten, indem sie ihn in ge^ schlossener Versammlung empfingen. Lbid wie jemand, der ausgehungert zuriick- kehrt, zuerst nichts zu essen bekommt, außer einem Schluck Getränk, so wurde Kyäklu nur mit diesem bewirtet. Aber seine Träger wurden schnell mit Gaben an Nahrung und Kleidung überhäuft, welche sie wahrhaftig nur unordentlich zu tragen wußten! Dann sprach Kyäklu Worte des Trostes zu den Trauernden und erzählte ihnen, wie ihre Kleinen unter den Wassern, in die gesunken waren, in Frieden in der Gesellschaft der Götter lebten und wie alle Männer und Mütter ihnen dahin folgen würden, wenn ihre Zeit erfüllt wäre.

Und dann sprach er mit der Ente in seiner Hand, der Eührerin seiner Blindheit, in gemessener Weise und Betonung zu den Klängen der Glöckchen am Halse der Ente die Worte der Schöpfung, und erzählte von seinen Wanderungen und von den Reden der Götter und Wesen, wie sie ihm mitgeteilt worden waren, und gab die Richtlinien der heiligen Gebräuche. Alles teilte er mit ohne eine Pause zu machen, wie es noch seine Gewohnheit ist, von Mittag zu Mittag, jedem Einzelnen der sechs Versammlungen, damit kein Teil vergessen würde. So hörte unser Volk zuerst von den verlorenen Boten, .... und von ihren verlorenen Kindern in der Stadt der Geister, ja, auch von den Geister-Wesen und

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Menschen und Tieren und von den Seelen der alten Menschen, die vor Zeiten gestorben sind, ja, und noch mehr lernten sie: daß. alle, sogar die, welche aus Angst vor dem Wasser geflohen waren, sich dort zusammenfinden würden, sobald ihre Zeit erfüllt war.

Die Schöpfungsmythe von Alt-Kalabar 9) (West-Afrika)

Abasi erhebt sich und nimmt seinen Sitz ein. Alle Dinge schafft er, alle Dinge oben, alle Dinge unten: schafft das Wasser und den Wald und die Flüsse und die Quellen und die Tiere des Waldes. Er schafft alle Dinge, die da sind in der ganzen Welt, aber den Menschen schafft er nicht, denn der Mensch lebt im Jen¬ seits mit Abasi. Kein Mensch lebt auf der Erde, wohl aber die Tiere des Waldes, die Fische, die im Wasser wohnen, die Vögel, welche die Luft durchfliegen, und andere Geschöpfe der Fülle, zu zählen sind sie nicht. Aber Menschen gab es keine, sie wohnten droben mit Abasi in seiner Stadt; und so oft Abasi nieder¬ saß und aß, kamen sie herbei, um mit ihm und seiner Atai der Unterhaltung zu pflegen.

Zeit schwindet hin. Einst redet Atai, sie ruft. Er antwortet; sie spricht: „Ge¬ schaffen sind die Dinge; sie sind gut. Dort ist die Erde schön, die du aus¬ gebreitet, hier der Himmel schön, in dem wir wohnen. Aber ein Haupt fehlt dem, was du geschaffen, ein Ordner fehlt, und nur der Mensch vermag dem Fehler abzuhelfen, wenn du ihn dorthin stellst. Siehe, wie es geschehen kann, daß er die Erde bewohne und Feuer entzünde; denn kalt ist es im Himmel, so lange kein Feuer auf Erden brennt.“ Abasi ist schweigend und stumm. „Atai“ sagt er sodann. „Hier bin ich“, antwortet sie. Er spricht: „Nicht in den Grenzen meiner Macht ist solcher Versuch. Würde ich den Menschen auf die Erde stellen, der Mensch, dort wohnend und lebend, würde bald mit mir sich messen, würde zu sagen beginnen: „Ich bin gleich ihm“, würde zu sagen beginnen: „Ich kenne alles, was geschehen“. Siehst Mittel und Wege, es zu hindern, daß er in seinem Stolze sich nicht überhebe, dann mag es geschehen, daß der Mensch auf Erden wohne.“ Sagt sein Gemahl: „Der Mensch wird sich nicht solches anmaßen; hast du ihn dorthin auf die Erde gestellt, so werde ich über ihn wachen. Der Mensch wird selbst begreifen, daß er sich mit dir nicht vergleichen kann . . . .“ Abasi stimmt bei: „Wohl, sagt er, so mag es sein.“

Zeit schwindet hin. Abasi nimmt einen Menschen männlichen Geschlechtes, „Der soll auf Erden wohnen“, sagt er. „Der Mensch soll die Erde bewohnen, und wenn es Essenszeit ist, wenn man im Himmel den Tam-Tam läutet, so soll er aufsteigen, um Speise zu nehmen, und wenn gesättigt, so soll er niedersteigen und zur Erde zurückkehren. Passende Zeiten sind: am Morgen, dann mag er

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zum Himmel kommen; am Mittage, dann mag er kommen; am Abend, dann komme er. Alle seine Speise genieße er dort.“ Abasi redet zum Manne, daß er niemals wünschen dürfe, Speise unten zu finden, denn würde er eßbare Speise unten finden, so würde er sich nicht weiter um andere Speisen kümmern, er würde nichts anderes denken und hoffen, er würde nicht ferner nach oben für seine Speisen kommen, und würde die Folge sein, daß er Abasi vergäße.

Atai spricht zu Abasi: „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein lebe, er bedarf eines Weibes. Für den Mann ist es recht, mit der Frau zu leben, für die Frau, mit dem Mann“. Abasi stimmt bei, er antwortet der Atai: „So sollte es sein. Aber gäbe ich dem Manne eine Frau, mit ihm zu wohnen, so wird es geschehen, daß Kinder geboren werden, männliche und weibliche Kinder, so daß der Menschen viele werden, und sind ihrer viele, so werden die mich vergessen.“ Atai sagt zu ihm: „Wohlan, so laß es geschehen, daß sie dort beisammen wohnen, aber nicht die gleiche Matte (zum Schlafen) gebrauchen.“ Abasi stimmt zu. Er nimmt die Frau, sagt ihr, daß sie dort mit dem Manne wohnen müsse; die Frau geht, sie setzt sich zum Manne, sie wohnen beisammen. Abasi warnt sie, nicht dieselbe Matte zu gebrauchen. Sie stimmen bei und leben in Gesellschaft; dann wenn die Zeit des Essens gekommen ist, steigen sie nach oben an den geeigneten Tagen, die Frau geht nach oben mit ihrem Gatten, sie essen dort, und wenn sie gegessen, stehen sie auf.

Die Freundin schließt sich ihr an. Sie bittet um Erlaubnis, sie begleiten zu dürfen und geht mit ihr zur Erde. „Nenne mich Freundin“ sagte sie zur Frau. Sie spricht zu ihr: „Das Land, das ihr bewohnt, scheint, ein gutes Land, aber wie kommt es, daß ihr so untätig seid?“ „Wieso“ meint die Frau. Die Freundin spricht: „Ihr sagt, daß ihr nicht die Mittel wünscht, um euch selbst Speise zu bereiten, aber die lange Reise, die ihr täglich zu unternehmen habt, ist sie euch nicht zur Last? So eßt ihr Speise, die euch nicht gehört, und doch könnte eure eigene Hand euch welche schaffen. Abasi gehört dieser Wald, ich gebe es zu, aber war es nicht Abasi, der euch gebot, hier zu wohnen? Weshalb sucht ihr nicht die Mittel, den Wald zu bebauen, damit ihr eure eigene Speise haben mögt?“ Ihre Freundin antwortet: „Wahr ist es, was du sprichst. Aber Abasi lehrt uns, daß wir nicht wünschen dürften, eigene Speisen auf Erden zu haben, da er uns stets dort oben Speise geben würde. Er warnte uns, daß, wenn wir den Boden anbauten und eigene Speisen hätten, wir uns nicht mehr um anderes kümmern würden, nicht mehr zum Himmel aufsteigen würden, dort zu essen, daß wir Abasi vergessen würden, und dann würde Abasi zürnen.“ Antwortete ihre Freundin: „Er wird nicht zürnen, er wird nichts dazu sagen.“

Zeit schwindet hin. Sie kommen nach oben, um zu essen, ihre Freundin gibt ihr eine Axt und sagt: „Gib das deinem Gatten, daß er den Wald lichten möge, und

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ist es geschehen, so laßt es mich wissen.“ Sie stimmt bei, sie nimmt die Axt, sie gibt sie ihrem Gatten. Der Mann lichtet den Boden seiner Hütte gegenüber, er reinigt und säubert ihn. Die Freundin ist benachrichtigt. Sie sagt: „Laß es liegen, daß es trockne.“ Sie stimmen bei. Dann, als die niedergelegten Büsche alle dalagen und trocken waren, nimmt die Freundin Feuer vom Himmel, bringt es und sagt: „Entzünde Feuer und wirf es in den Wald.“ Sie zündet das Feuer, der Gatte zündet, die Freundin zündet. Sie gehen und werfen es in den Wald, das Feuer verzehrt den Wald. Die Freundin kehrt zurück, sprechend: „Wenn du die Speiseglocke hörst, hab acht und komm.“ Sie stimmt bei. Sie hören die Speiseglocke, sie gehen, sie essen, und nach dem Essen stehen sie auf. Ihre Freundin ruft sie zu sich. Sie gehen zu dem Hause, die gibt ihr alle Arten von Samen und Früchten, die sie um ihre Hütte pflanzen. Bald kommt ihre Freundin und bringt ein Messer, eine Haue und eine Hacke, und ruft den Mann, und sie gehen zusammen zu der Stelle, die niedergebrannt ist. Sie machen sie rein, teilen sie in Felder für verschiedene Fruchtarten, die sie pflanzen. Alle kehren zurück. Sie sitzen zusammen in der Hütte, und wenn die Zeit der Speise kam. gingen sie und aßen. Nicht lange dauerte es und alles sproßte hervor. Die Yams treiben ihre Schößlinge. Alles wächst auf. Ihre Freundin sagt: „Laß deinen Mann die Yams zerschneiden und pflanzen, daß er sehe, wie jeder Sprößling eine neue Frucht gibt.“ Der Mann tut so, und Speise sproßt in Fülle überall; den selben Tag gehen sie zum Himmel, um das Abendmahl zu essen, und bei der Rückkehr legt sich die Frau, wie gewöhnlich, auf ihre Matte, der Mann auf die seinige. Die Nacht ist halb vorüber, als der Mann sich erhebt und der Frau naht. „Abasi wird zürnen“ meint sie. „Er wird nicht zürnen“, sagt er. „Und sollte er auch zürnen, seine Befehle sind schon gebrochen, indem wir den Boden bebauten. So laß uns auch seine übrigen Verbote verachten.“ Nach langem Sträuben gibt die Frau nach.

Der Tag graut und Monate ziehen vorüber; die Frau empfing denselben Tag, an dem sie mit dem Gatten zusammenschlief. Ihre Freundin kommt zum Besuch. „Komm mit“ sagt sie, sie gehen zu Felde, die Freundin nimmt einen Stock, um aufzugraben. „Komm, sagt sie, laß uns sehen, was wir gepflanzt haben, laß uns sehen, wie es aussieht“; sie stimmt bei. Sie graben die Erde auf, sie ziehen den Yamknollen heraus und behalten ihn. „Lade auf“, sagt ihre Freundin; sie tut so, sie kehren zum Hause zurück. Ihre Freundin unterweist sie in allem Notwen¬ digen; sie gibt ihr Pfeffer und Salz und alles Nötige, sie gibt ihr Topf und Löffel und Kalebasse, und Mörser und Mahlstein, dann geht sie fort.

So sitzen sie beisammen, bis die Frau die Yams gekocht hat; dann essen sie, Gatte und Gattin; die Frau geht nicht mehr um die Essensstunde nach Abasis

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Stadt. Abasi fragt den Mann, er sagt „Wo ist seine Frau?“ „Sie ist krank“ sagt er, er wollte nicht sagen, sie sei schwanger, denn er fürchtet Abasis Zorn.

Die 1' rau zählt die Monate und als ihre Zeit gekommen, gebärt sie einen Sohn. So leben sie beisammen. Nicht lange nachher und sie gebärt eine Tochter; so leben sie beisammen. Sie gehen nicht mehr für Speise nach Abasis Stadt; der Vater lehrt die Kinder, lehrt sie, was er weiß.

Denselben dag ruft Abasi der Atai, er redet sie an. er spricht: „Siche jetzt, wie es geschehen, was ich gesagt, der Mensch, hat er meiner nicht vergessen?“ „Laß das, sagt Atai, überlaß es mir, ich werde wachen.“ Atai sendet den Tod, der dod kommt, er tötet den Gatten, er tötet die Gattin, er tötet beide Eltern, die Kinder bleiben allein, die Kinder leben zusammen; sie leben zusammen, weshalb nicht in Ruhe und Frieden? weshalb in Streit? Welcher Grund liegt vor? Aber dennoch streiten sie. Abasis Atai ließ Streit unter ihnen entstehen und Tod und jedes Übel, weil ihr Vater Böses getan hatte.

Eines Tages geschieht es, daß der älteste Sohn und die zweite Tochter streiten mit dem zweiten Sohn und der ältesten dichter. Da geschieht es, daß der älteste Sohn und die zweite Tochter alle Bücher ihres Vaters nehmen und alle Sachen, die er nach Sitte der Weißen zu gebrauchen pflegte. Sie nehmen dies alles, sie entfliehen damit, sie gehen in das Dickicht des Waldes und lassen sich in seinen verborgensten Winkeln nieder. Die älteste Tochter und der zweite Sohn nehmen die Hacke und die Haue und das Schneidemesser und alles, was zum Leben ge¬ hört. Sie fliehen in das Dickicht des Waldes, sie lassen sich dort nieder, sie zeugen Kinder, sie bebauen den Boden, sie hauen den Wald weg, sie brennen ihn nieder, und von dem Rauch werden sie schwarz; der älteste Sohn und die zweite Tochter, auch sie zeugen Kinder, aber sie bleiben weiß. So leben wir zusammen, Schwarze und Weiße, beide von einem Vater und von einer Mutter. . .

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Gebete

Hawaisdie Liturgie bei großen Festlichkeiten

Der Priester: Die Gemeinde: Der Priester: Die Gemeinde: Der Priester:

Die Gemeinde:

Alle:

O Kane und Ku, der Baumeister, ist es wahr?

Es ist wahr, es ist so!

O großer Lono, wohnend am Wasser, ist es wahr?

Es ist wahr, so ist es.

Belebend, vermehrend, bewegend, erliub er das Eiland. Ist es wahr ?

Es ist wahr, es ist so, es ist wahr, - es ist so, es ist wahr! es ist so! Der wahrhafte Gott!

Kane-Po-Lani, o himmlischer Vater, mit Ku dem Baumeister im flammenden Himmel, mit dem großen Lono mit den blitzenden Augen, ein Gott, der Gott des Lichts, das feste Licht des Himmels, auf Erden stehend, auf der Erde Kane-kumu-honua’s, er ist Gott. Es ist wahr, es ist so! es ist wahr, es ist so! Er ist der wahr¬ hafte Gott!

Gebet bei einem Menschenopfer für Rongo 2)

Herrlicher, edler Priester!

Süßer Friede, wohlgefällige Gabe!

Unzerreißbar gefesselt und fest gebunden.

Dieses Menschen Hände und Leib.

Geweiht durch die Götter diesem Schicksal,

Geweiht zum Rongo-Opfer.

Großer Vatea ist der Hüter des Meeres,

Durch ihn erregt,

Durch ihn beruhigt.

Hier ist Eisenholz von edlem Wuchs,

Ein herrlicher Baum,

Vielfach verzweigt.

201

Fäll* diesen Eisenholz-Baum,

Zerteile seinen Stamm,

Zersplittere ihn mit Keilen,

Um Speere daraus zu machen.

Das Eisen-Holz hat jeder Zeit nur Todbringende Speere Eür Krieger gegeben,

Seit undenklicher Zeit.

Und tapfer haben wir sie gebraucht.

Die wilde I i-Wurzel der Hügel war unsere Nahrung,

Jetzt aber werden wir die Fülle haben,

Diesen Tag wollen wir gründlich genießen.

Unlängst verbargen wir uns in Klüften,

Dem Zuflucht sort der Besiegten,

Aber jetzt werden wir in Fülle haben,

Gründlich genießen wollen wir diesen Tag.

Gehet um Frieden ")

Einzel-Stimme des Königs:

Ein blutendes Opfer ist auserwählt für unseren Altar.

Vertrieben ist vom Land das Böse,

Das aus der Unterwelt emporgestiegen.

Alle Trommeln und alle Stimmen:

Laß Frieden beginnen. Wolkenlos sei der Himmel!

Laß Frieden beginnen. Wolkenlos sei der Himmel!

Verscheuche alles Böse! Verscheuche es!

Verscheuche, verscheuche es für immerdar!

Oh, laß jede drohende Wolke für gänzlich verschwinden!

Gesänge zur Einleitung des Festes von Riuvak, einem V erehrer

von Tane )

(verfaßt von Kirikovi, Oberhäuptling von Mangaia um 1760)

Solo: O Tane, großer Vater der Unterwelt,

Steig empor, dich satt!

CI ior : Wozu d ienen diese Tiki-Klüfte?

Den Einwohnern der Unterwelt.

Tuova, der sieben Mal um seinen Sohn wehklagte.

Fragte: „Warum kamst du zurück in diese Welt?“

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„Ich kam zur Belehrung Um Speise-Opfer für die Toten,

Speise-Opfer für die in der Geisterwelt,

Speise-Opfer von ihren Verwandten,

Die noch in dieser Oberwelt weilen.“

Solo: Was bedeutet diese Pause in deinem Tanz, o Tane? Chor: Ist’s ein Gebot der Götter? Brich es!

Sind’s drohende Kriegswolken? Zerstreue sie!

Ha! Ila! Die große Papa ist meine (Tane’s) Mutter.

Aber warum, o Papa, stiegst du hinab zur Unterwelt,

Die Ehe von einer Gottheit zu erhalten?

Ach! Du Imst dein Haupt geschoren.

Würde gefragt: welcher Gott Verzehrte unsere Verwandten?

Ich ganz allein habe es vollbracht.

Ich (Tane) bin ein Herrscher, getrieben von bösem Geist. Ja, Kongo, ich will die Seele unserer Vorfahren Trinken. Ich will es ohne Unterlaß.

Ruf nach Musik und Tanz:

Schlagt die Trommel von Tane,

Diese Lippen, die so süß sprechen.

Solo: Vorwärts!

Chor: Wie wohl tönt Tane’s Stimme,

Der wahrhafte Widerhall des Himmels.

Solo: Tane, ich will deine Trommel schlagen!

Chor: Wer aber soll die Führung haben?

Ich (Tane), denn Groß-Papa ist meine Mutter.

Zweiter Ruf nach Musik und Tanz:

Herbei mit duftenden Blättern!

Herbei mit süß duftenden Blumen!

Mit Myrthengirlanden für die Ankunft Tane’s!

Solo: Vorwärts!

Chor: Pflücket alle Arten woldriechender Blumen!

Solo: Hailoh!

Chor: Audi siiß duftender Myrthen viel Und weißer Pandanus-Blüten.

Solo: Aber was tun bei Regen-Schauern?

Chor: Wenn auch Regen-Schauer fallen,

Heut Nacht und morgen wollen wir fröhlich sein.

Zaubergeister des Unterreichs bereiten Flechten Myrthenblätter in ihr Haar,

(zum Tanz) sich vor.

Brechen Schößlinge der heiligen Königsmyrthe.

Das b est beginnt in den Rongo und Tane geheiligten Nächten.

Gebet vor einem Mord-Überfall5)

Hier ist unser sicherer Helfer,

Bei unserem Werk sei uns zu Diensten:

Stell an der Tür dieses Hauses,

O du göttlicher Omataianuku!

() du göttlicher Outuutu-der-Große,

Und Avaava-der-Große!

Wir wollen einen Meuchel-Mord vollführen,

Steh zu unserer Linken hilfreich,

Laß alle vom Schlafe befallen sein.

Sei wie ein hochragender Kokusnuß-Baum, um uns zu tragen. O Haus, ergriffen bist du von unserem Gott!

Versenke alle Dinge in Schlaf!

Breite iielen Schlaf aus über diese Wohnungen Schlaft ein: Besitzer des Hauses!

Schlaft ein: Schwelle dieses Hauses!

Schlaft ein: kleine Insekten dieses Hauses!

Schlaft ein: Käfer in diesem Haus!

Schlaft ein: Ohrwürmer in diesem Haus!

Schlaft ein: Ameisen in diesem Haus!

Schlaft ein: Frocknes Gras über diesem Haus!

Schlaft ein: Mittelpfosten dieses Hauses!

Schlaft ein: First-Pfeiler dieses Hauses!

Schlaft ein: Haupt-Dachsparren dieses Hauses!

Schlaft ein: Gebälk dieses Hauses!

kleine Dachsparren dieses Hauses! kleine Pfosten dieses Hauses!

First-Bedachung dieses Hauses!

Rohrwände dieses Hauses!

Schlaft ein: Strohdach dieses Hauses!

Erwacht etwa unseligerweise einer der Inwohner,

Schlaft ein Schlaft ein Schlaft ein Schlaft ein

So versenke ihn gründlich wieder in Schlaf! Dem Willen Gottes muß der Me nsch sich fügen. O Rongo, gib uns vollkommenen Erfolg!

Gehet eines Schamanen der Navajo-Indianer ß)

1. Vom Gipfel des Jemez-Berges kommt mir Nagaynezgani zur Hilfe. Vom Gipfel des San-Francisco-Berges kommt mir Thobajischeni zur Hilfe.

2. Aul dieser Seite, auf der Spitze des Schwarz-Berges, kommt mir Nagaynezgani zur Hilfe. Auf dieser Seite, auf dem Rücken der Weiß-Berge, kommt mir Thobajischeni zur Hilfe.

3. Wiederum auf dieser Seite, auf dem Gipfel der Carrizo-Berge, kommt mir Nagaynezgani zur Elilfc. Wiederum auf dieser Seite, auf dem Gipfel der Carrizo-Berge, kommt mir Thobajischenie zur Hilfe.

4. Wiederum auf dieser Seite, auf dem Platze des Auftauchens, kommt mir Nagaynezgani zur Hilfe herbei. Wiederum auf dieser Seite, auf dem Platze des Auftauchens, kommt mir Thobajischeni zur Hilfe herbei. Obwohl Sanft¬ wind das Tor bewacht, öffnet Nagaynezgani mit seinem schwarzen Stab mir den Weg. Er kommt mir zur Mille herbei. Hinter ihm öffnet Thobajischeni mir mit seinem blauen Stab den Weg. Er kommt mit ihm zu meiner Hilfe herbei.

5. Wiederum auf dieser Seite ölfnct mir Nagaynezgani mit seinem schwarzen Stab den Weg durch den ersten aus schwarzer Wolke gebildeten Raum. Er kommt zu meiner Hilfe herbei. Hinter ihm öffnet Thobajischeni mit seinem blauen Stab mir den Weg. Er kommt mit ihm zu meiner Hilfe herbei.

ö. 8. Wiederholt den gleichen Spruch für den 2. Raum aus blauer Wolke, den 3. Raum aus gelber Wolke, den 4. Raum aus weißer Wolke,

9. 12. Wiederholt den gleichen Spruch für den 1. 4. Raum aus schwarzem, blauem, gelbem, weißem Nebel.

13. Wiederum auf dieser Seite öffnet Nagaynezgani mir mit seinem schwarzen Stab den Weg dort, wo die roten Flüsse sich treffen. Er kommt mir zur Hilfe herbei. Hinter ihm öffnet Thobajischeni mit seinem blauen Stabe mir den Weg. Zu meiner Hilfe kommt er mit ihm herbei.

14. Wiederum auf dieser Seite öffnet Nagaynezgani mir durch den ersten Raum aus schwarzem Gestein mit seinem schwarzen Stabe den Weg, obwohl Rot-Bär die Tür bewacht. Er kommt zu meiner Hilfe herbei. Hinter ihm öffnet Thobajischeni mit seinem blauen Stab mir den Weg. Zu meiner Hilfe kommt er mit ihm herbei.

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15. 17. Wiederholung für den 2. Raum aus blauem Gestein, bewacht von der großen Rotschlange, für den 5. Raum aus gelbem Gestein, bewacht vom Rot-Coyote, für den 4. Raum aus weißem Gestein, bewacht vom Rot-Habicht.

18. Wiederum an dieser Seite, am Eingang der rotgedielten Hütte, der Wohnung der Anführerin der Dämonen, öffnet Nagaynezgani mit seinem schwarzen Stab mir den Weg. Er kommt zu meiner Hilfe herbei. Hinter ihm öffnet Thobaji- scheni mit seinem weißen Stab mir den Weg. Zu meiner Hilfe kommt er mit ihm herbei.

19. 21. Wiederholung des gleichen Spruchs für Ecke, Feuer-Platz, Mitte der

Hütte.

22. Wiederum auf dieser Seite, an der Rückwand der Hütte, öffnet Nagaynezgani mit seinem schwarzen Stab mir den Weg. Er kommt mir zur Hilfe herbei. Thobajischeni hinter ihm öffnet mit seinem blauen Stab mir den Weg, wo meine Füße liegen, meine Glieder liegen, mein Körper liegt, mein Geist liegt, der Staub meiner Füße liegt, mein Speichel liegt, mein Eiaar liegt.

23. Nagaynezgani legt sein großes Stein-Messer und seine Sprecher-Kethawn in meine Hand, mit ihnen dreht er mich herum, dem Laufe der Sonne gemäß, bis ich sie vor mir schaue: „Frau Häuptling! Mein Enkel ist mir jetzt wieder zurückgegeben. Suche nicht, nach ihm zu fahnden! Sprich kein Wort! Jetzt gehen wir mit meinem Enkel wieder heimwärts. Er ist mir zurückgegeben“.

24. Wiederum auf dieser Seite, in der Mitte der Eliitte, öffnet Nagaynezgani mir mit seinem schwarzen Stab den Weg. Er geht auf dem Rückwege vor ihm hin¬ aus. Ich gehe auf dem Rückwege hinter ihm hinaus. Hinter mir öffnet Thoba ji¬ scheni mit seinem blauen Stab den Weg vor mir. Er geht hinter mir hinaus auf dem Rückwege. Sie gehen mit mir hinaus auf dem Rückwege.

25. 44. Wiederholung des Spruchs für Ecke, Eingang der Hütte, dann für den

1. Raum aus weißem Gestein, den 2. Raum aus gelbem Gestein, den 5. Raum aus blauem Gestein, den 4. Raum aus schwarzem Gestein. dann für den Kreuzungsort der roten Flüsse, dann für den 1. Raum aus weißem Nebel, den 2. Raum aus gelbem Nebel, den 5. Raum aus blauem Nebel, den 4. Raum aus schwarzem Nebel, dann für den 1. Raum aus weißer Wolke, den

2. Raum aus gelber Wolke, den 5. Raum aus blauer Wolke, den 4. Raum aus schwarzer Wolke, dann für den Platz des Auftauchens, des Platzes Coyote- Lauf, des Platzes Zwei-Hängeflaschen, des Platzes Braun-Dimsach, des Platzes Sanfter Wind unter einem Baum.

45. Wiederum auf dieser Seite, in der Richtung auf meine Eliitte hin, öffnet mir Haschayalthi mit seinem weißen Stab mir den Weg. Er geht vor mir hinaus auf dem Rückweg. Hinter mir öffnet Hasehayhogan mit seinem blauen Stab

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den Weg für mich. Er geht vor mir hinaus auf dem Rückweg. Sie gehen mit mir hinaus auf dem Heimweg.

46. Wiederum auf dieser Seite, zwischen den vielen Fährten, die zu meiner Hütte hin füh ren, öffnet Haschayalthi mit seinem weißen Stab mir den Weg. Er geht vor mir hinaus auf dem Rückweg. Hinter ihm öffnet Haschayhogan mit seinem blauen Stab mir den Weg. Er geht hinter mir hinaus auf dem Rück¬ wege. Sie gehen mit mir hinaus auf dem Heimweg.

47. Wiederum auf dieser Seite, in der Mitte meines weiten Feldes: verschönt durch das weiße Korn, verschönt durch das gelbe Korn, verschönt durch das runde Korn, verschönt durch alle Arten von Körnern, verschönt durch den Samenstaub des Korns, verschönt durch Heuschrecken, öffnet Haschayalthi mit seinem weißen Stab mir den Weg. Er geht deswegen vor mir her auf dem Heimweg. Ich halte mich deswegen hinter ihm auf dem Heimweg. Hinter mir öffnet Haschayhogan mit seinem blauen Stab für mich den Weg. Er geht des¬ wegen hinter mir her auf dem Heimweg. Sie begleiten mich deswegen auf dem Heimwege.

48. Wiederum auf dieser Seite, im Eingang meiner Elütte aus Tag-Licht, öffnet Elaschayalthi mit seinem weißen Stab den Weg für mich. Er geht vor mir hinein auf der Rückkehr. Ich gehe hinter ihm hinein auf der Rückkehr. Hinter mir öffnet Haschayhogan mit seinem weißen Stab den Weg für mich. Er tritt hinter mir ein auf der Rückkehr. Sie treten mit mir ein auf der Rückkehr.

49/51. Wiederholung dieses Spruches für Ecke, Feuer, Platz, Mitte der Hütte.

52. Wiederum auf dieser Seite, der Rückwand meiner Hütte zugewendet, öffnet Haschayalthi mit seinem weißen Stab den Weg für mich. Er setzt sich nieder vor mir. Ich setze mich hinter ihm nieder. Hinter mir öffnet Haschayhogan mit seinem blauen Stab den Weg für mich. Er setzt sich hinter mir nieder. Sie setzen sich mit mir auf den Fußboden meiner Hütte, wo meine Füße liegen, wo meine Glieder liegen, wo mein Körper liegt, wo mein Geist liegt, wo der Staub meiner Füße liegt, wo mein Speichel liegt, wo mein Haar liegt.

53. Zu meinen Füßen bin ich zurückgekehrt, zu meinen Gliedern bin ich zurück¬ gekehrt, zu meinem Körper bin ich zurückgekehrt, zu meinem Geiste bin ich zurückgekehrt, zu meinem Speichel bin ich zurückgekehrt, zu meinem Haar bin ich zurückgekehrt.

54. Meine Füße sind mir wiedergegeben, meine Glieder sind mir wiedergegeben, mein Körper ist mir wiedergegeben, mein Geist ist mir wiedergegeben, der Staub meiner Füße ist mir wiedergegeben, mein Speichel ist mir wieder¬ gegeben, mein Haar ist mir wiedergegeben.

55. Die Welt vor mir ist in Schönheit wieder erstanden.

Die Welt hinter mir ist in Schönheit wieder erstanden.

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D ie Welt unter mir ist in Schönheit wieder erstanden.

Die Welt über mir ist in Schönheit wieder erstanden.

Alle Di nge um mich her sind in Schönheit wieder erstanden. Meine Stimme ist in Schönheit wieder erstanden.

Alles ist in Schönheit wieder erstanden.

Alles ist in Schönheit wieder erstanden.

Alles ist in Schönheit wieder erstanden.

Alles ist in Schönheit wieder erstanden.

Erläuterun g. Der Navajo-Schamane sprach diese Formel-Sprüche, um sich vor Bedrohungen zu schützen, die ihm aus der Rezitation derjenigen Mythen erwachsen konnten, welche die Erlebnisse seiner Stammes-Vorfahren in der Unterwelt berichten, denn hier sei „das Land des lodes“, „eine Stätte mächtiger und bösartiger Geister . Das Gebet setzt nun voraus, daß er bei seinem Aufent¬ halt in den unteren Welten seinen „Astralleib“ durch den magischen Einfluß jener Dämonen verloren habe. Von dem Beter das Verlorene wieder zu verschaffen, kommen die mächtigsten Kriegsgötter der Navajos ihm zu Hilfe. Nagaynezgani kommt vom Osten, Thobajischeni vom Westen. Sie treffen sich in der Mitte des Navaho-Landes, wo die Menschen zuerst die Erde von der Unterwelt aufsteigend betraten. Liier steigen die Kriegsgötter in die Unterwelt hinab und entreißen der Zauber-Göttin im Triumph jene Astralleiblichkeit. Sie geleiten den Beter in die Nähe seiner Heimat zurück und friedvolle Gottheiten begleiten ihn weiter in seine Hütte zurück, wo die getrennten Elemente wieder vereint werden, sodaß um „alles in Schönheit“ wiederhergestellt ist, der vierfach wiederholte Satz: „Alles ist in Schönheit wiedererstanden“, schließt analog dem christlichen Amen alle Gebete der Navajos.

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Ahnenkult

Die Einweihung in die Gemeinsdiaft des Familien-Sdiutzgeistes

Malanda1)

(Erzählt von einem eingeborenen Batanga, der Christ wurde.)

Ich wußte, daß man dabei war, ein Haus am Waldrand, ziemlich nahe unserer Ortschaft zu bauen. Ich und andere Burschen und junge Leute schauten den starken Erwachsenen zu, die es errichteten. Aber ich wußte nicht, zu welchem Zweck oder wofür dieser Bau in Angriff genommen wurde. Ich entsann mich später, daß weder Mädchen noch Weiber der Arbeit zusahen oder dabei herum¬ lungerten, wie es doch sonst bei anderen Bauten gewöhnlich der Fall war. Ich wußte nicht, daß man ihnen verboten hatte, es sich anzuschauen. Der eine Giebel wurde offen gelassen.

Ich brachte auch die Errichtung dieses Baues in keine Verbindung mit dem Tode eines grade vor zwei Wochen verstorbenen mächtigen Mannes aus unserer Familie. Jetzt weiß ich, daß die älteren Leute der Familie in der Art und Weise seines Sterbens oder in Dingen, die unmittelbar darauf sich ereigneten, ungünstige Zeichen gesehen hatten, die sie ein drohendes Unheil für uns befürchten ließen. Sechs oder acht unserer führenden männlichen erwachsenen Familienmitglieder hatten, wie ich jetzt weiß, eine geheime Beratung abgehalten und sich dafür ent¬ schieden, daß Malanda angerufen werden sollte.

Ich wußte damals nicht viel von Malanda. Ich kannte den Namen, wußte, daß er eine Macht bedeutete und daß er gefürchtet war aber wie und warum, hatte man mir nicht gesagt.

Ich weiß jetzt, daß während der Errichtung dieses Hauses einer oder zwei andre Männer eine männliche Figur schnitzten auch daß einige jener älteren Leute in eben derselben Nacht, nachdem das Haus vollendet war, den Leichnam, der fast zwei Wochen im Grabe gelegen hatte, ausgruben und ihn in das Haus brachten. Da zogen sie zwei Zähne heraus, befestigten sie in den Holzhöhlungen, die die Augen des Bildnisses darstellten, und überdeckten sie mit zwei kleinen Spiegelstücken, die sie über ihnen befestigten. Und sie stellten das abstoßend

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bemalte Bildnis aul den Deckel eines großen Behälters, der aus der inneren Rinde eines Baumes gemacht war, am geschlossenen Ende des Hauses hin.

Dann schnitten sie den Kopf vom Rumpf ab und schöpften das verfaulte Gehirn heraus. Dies mischten sie mit Kreide und gepulvertem Rotholz und der Asche anderer Pflanzen, und banden diese Mischung sorgsam mit Pflanzenblättern zu einem Bündel zusammen. Ich kannte und hatte solche Dinge schon gesehen, die man als sehr wertvolle „Medizinen“ schätzte und mit denen man die Stirn oder andere Körperteile einrieb. Dann banden sie den kopflosen Leichnam auf¬ gerichtet an einer Seitenwand des Hauses fest und hielten seine Arme aus¬ gestreckt mit Hilfe von gekreuzten Plolzstücken fest. Eines Morgens ganz in der Früh e, gerade nach der Vollendung des Hauses merkte ich zuerst, daß etwas Un¬ gewöhnliches sich vorbereitete, denn da vernahm man die Rufe der älteren Leute auf der Straße: „Malanda ist gekommen!“ Frauen und Mädchen fürchteten sich. Sie wußten, daß sie Malanda nicht sehen durften. Und wir Burschen waren von einer unbestimmten Furcht erfüllt, die uns von unseren gewohnten lärmenden Spielen abzog. Wir kannten den Namen „Malanda“. Er war eine Macht, er war ein Mysterium. Mysterium ist eine Last, es mag gut oder schlecht sein. Unmittelbar danach gingen alle Erwachsenen in den Wald. Nach ungefähr einer Stunde kehrten sie wieder heim, auf ihren Schultern einen langen, dicken Baum¬ stamm.

Sie befahlen etwa zwanzig jungen Männern und Burschen, auf dem Baumstamm nieder zu sitzen. Das Geheimnisvolle, das mich bedrückte, ward nun schwerer. Unsere Mütter und Schwestern wagten nicht einmal, uns teilnahmsvoll anzusehen. Jene Männer waren unsere Väter und Onkel und ältere Brüder, aber ihre Stimmen klangen barsch, ihre Gesichter waren voll Strenge, in ihren Augen lag keinerlei Blick einer verwandschaftlichen Anerkennung, und ihre Hände gingen rauh mit uns um. Ich war wie geblendet und hilflos in meinem eigenen Dorf und inmitten meiner eigenen Verwandten, aber ohne ein Wort des Mitleids oder auch nur einen freundlichen Blick irgendeines Menschen! Und jeder von den Zwanzig war auch zu sehr mit seinem eigenen Schicksal beschäftigt, als daß er mit einem Leidensgenossen gesprochen hätte. Soweit unsere Behandlung in Be¬ tracht kam, so hätten wir ebenso gut Sklaven bei einem anderen Stamm sein können. Ohne irgendwie einen eigenen Willen zu haben, taten wir, was uns be¬ fohlen wurde.

Man befahl uns, unsere Köpfe rückwärts zu werfen, unsere Nacken zu beugen, bis es uns weh tat, und mit offenen Augen in die Sonne zu sehen. Als die Sonne am ganzen Morgen heiß und glänzend in die Höhe stieg, gab man eifrig Obacht, daß wir mit rückwärts gebogenen Köpfen, niedergestreckten Armen dastanden und mit unseren Augen der brennenden Sonne in ihrem Aufstieg folgten. Meine

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Kehle war vor Durst wie verdorrt. Mein Gehirn begann sich zu drehen, der Schmerz in meinen Augen ward unerträglich, und mein Gehör versagte; alles um mich herum wurde schwarz und ich fiel auf den Stamm nieder.

Jeder einzelne von uns war erschöpft oder für den Augenblick ohnmächtig, die Augen wurden uns verbunden und dann wurden wir mit in das Haus ge¬ nommen. Als ich es, immer noch mit verbundenen Augen, erreichte, wußte ich nichts von dem, was dort war. Ich spürte nur einen schrecklichen Geruch. Die gleichen rauhen Hände und harten Stimmen hatten Gewalt über mich. Auch mit verbundenen Augen konnte ich fühlen, daß die Augen, die auch mich sahen, grausam blickten.

Es war nutzlos, Widerstand zu leisten, als sie mich mit Ruten zu peitschen be¬ gannen. Meine Schreie verschärften nur die Hiebe. Ich merkte, daß Unterwerfung ihre Streiche milderte. Als ich schließlich aufhörte, mich zu sträuben oder zu schreien, wurde die Binde abgenommen. Das Entsetzen vor dem kopflosen Körper, der seine verwesenden Arme mir entgegen streckte, und vor den stierenden Spiegel-Augen des Bildnisses überwältigte mich, und ich versuchte zu fliehen. Das war unütz. Ich wurde ergriffen und noch strenger geschlagen, wie vordem, bis ich keinen Eigenwillen oder Wunsch hatte, sondern nur noch die tiefste Unter¬ werfung fühlte unter den Willen der wie auch immer gestalteten natürlichen oder übernatürlichen Macht, in deren Hände ich gefallen war.

Nachdem wir alle Zwanzig auf solche Weise zur widerwärtigen Unterwerfung gezwungen waren, wurden wir weniger streng behandelt. Man begann uns einige Freundlichkeit zu zeigen. Man gab Obacht auf unsere körperlichen Bedürfnisse. Wir erhielten zu essen und zu trinken. Ich beobachtete einen gelegentlichen Blick des Wiedererkennens. Ich begann zu fühlen, daß ich in eine Gemeinschaft auf¬ genommen wurde. Etwas Männliches lag in dem Gedanken, mit einem Geheimnis vertraut zu werden, zu welchem jüngere Burschen nicht zugelassen wurden und von dem alle Frauen ausgeschlossen blieben. Das gab mir das Gefühl von höherer Stellung. Da gab es Menschen, auf die ich herab sehen konnte! Es begann etwas wertvoll zu werden, weil ich soviel dafür ausgestanden hatte. Ich begann mich an den Leichnam meines Verwandten zu gewöhnen. Gewiß, ich war ein Ge¬ fangener; aber die Tage wurden uns erleichtert durch eine Fülle von Belehrungen und Zeremonien, die der Doktor mit uns vornahm.

Zuerst wurden wir nacheinander feierlich gefragt, ob wir von einer Zauberkraft besessen wären. . . An anderer Stelle hätten wir mit Entrüstung den Zusammen¬ hang mit einem solchen Greuel abgestritten. Aber angesichts dieses Leichnams, in der Gegenwart der unbekannten Macht, in deren Reich wir eingeführt werden sollten, in den Händen erbarmungsloser Untersuchung und nach der Vernichtung unseres eigenen Willens, da durften wir doch nicht lügen. Würde die Macht

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nicht wissen, (laß wir Lügner wären? Wir sagten, was wir liir Wahrheit hielten einige gaben es zu, andere leugneten. Das Yaka-Biindel wurde geöffnet; etwas von seinem Staub wurde: der (schon erwähnten) Gehirnmischung hinzugefiigt. Von diesem Gemisch wurde eine Salbe gemacht. Aul die Brust derer, die ver¬ nein! halten, wurden mit dieser kraft igenden Salbe Längsstriche gezogen. Auf der Brust derer, die bejaht hatten, wurden zur ßeinigung wagerechte Linien mit der gleichen Mischung gezogen. Vom Doktor wurden wir über unsern ver¬ schiedenen Zustand, als von einer Zauberkraft Besessene oder Nicht-Besessene, beleh rt.

Mit lebhafter Aufmerksamkeit sahen wir zu, wie eine Grube in dem Boden des Hauses gegraben wurde. Als eine Tiefe von über sechs f erreicht war, wurde (du Tunnel seitwärts unter einer Seitenwand des Nauses gegraben, mit einer öllnung nach außen ein oder zwei Ruten weiter, wo dann eine niedrige Hütte aulgestellt wurde, um sie zu verdecken. Der Doktor und drei oder vier der kräftigsten älteren Leute trugen den Leichnam hier hinein, und ließen ihn dort ungefähr zehn lagt' lang, während welcher Zeit der Doktor lange bei ihm ver¬ weilte.

Nachdem wir in dem I lause' fast zwanzig l äge uns aulgehalten hatten, fühlte ich nicht mehr, daß ich ein Gefangener war, wiewohl ich doch eingesperrt blieb; aul das Meiste war ich interessiert beim Zusehen und Anteilnehmen an diesem großen Mysterium. Den loten 1 meldete ich nicht länger. Selbst wenn man körperliche Schmerzen mir zugelügt hätte, würde ich sie mit Freuden als den Breis eines Wissens aul mich genommen haben, das so mancherlei Anrecht auf Stolz gewährte. Ich war auf dem Wege zum Mitbesitz an Rechten und Besitztum des Schutzgeistes der Familie.

Nach ein paar Tagen wurde der Leichnam, jetzt fast zum Skelett geworden, aus dem Tunnel herauf geholt und der Länge nach durchschnitten. Seine Hälften wurden ein paar Fuß auseinander, einander parallel und ziemlich nahe den beiden Seiten des Hauses hingelegt. Wir wurden in zwei Abteilungen gegen die Wände zusammen gestellt, dann befahl man uns, aufeinander zuzugehen, vorsichtig über die uns zugewendete I lälltc des Körpers fortzusteigen, und ihn auf keinen Fall zu treten. Und die beiden Abteilungen trafen sich in der Mitte.

Wir fühlten nun, daß wir frei waren, obwohl wir noch keine solche Ankündi¬ gung erhalten hatten. Wir hatten einen lurchtbaren Fid geschworen, alles geheim zu halten. Wir zogen vor, zu bleiben und die endgültige Ordnung des Hauses mitzuerleben. Der Doktor und ältere Leute nahmen nunmehr die Gliedmaßen des Skeletts auseinander, denn der Leichnam war zum Gerippe geworden, da der Mann jetzt mindestens lünl Wochen tot war und da das verweste Fleisch last ganz und gar sich losgelöst hatte. Die Knochen wurden i n den Rindenbehälter

getan, auf welchem das Bildnis stand. So wurden sie dem Inhalte des Yaka, oder des Familienfetisches, hinzugefügt. Alsdann, nach dreiwöchiger Gefangenschaft in dem Hause, gingen wir in einer Prozession aus ihm hervor, die Älteren an der Spitze mit dem Behälter und dem Bildnis und marschierten zur Dorfstraße. Dort wurde der Behälter und das Bildnis niedergesetzt; und ein fröhlicher Tanz begann mit Trommel und Gesang, mit allem Volk des Dorfes, Männlein und Weiblein. Ein Schaf oder eine Ziege wurde getötet und ein Fest vorbereitet. Während der Tanz begann, verbeugten sich die Älteren rund um den Behälter und beteten auf den Knien zum Bildnis. Von Zeit zu Zeit paradierte ein Mann vor ihm, hohe Schritte und tiefe Verbeugungen machend und plötzlich sich auf- riehtend und stark atmend: „Ha! Ha!“ Und die Dorfschaft war froh, denn sie fühlte nun gewiß, daß kein Unheil sie treffen konnte. Ich war in Sicherheit, und bereit, in der nächsten Zeit der Gefahr, an der Tortur der nächsten Schar junger Burschen teilzunehmen, denn war ich nicht ein Teilhaber an der Gemeinschaft des Familien-Schutzgeistes?

Der Behälter und das Bildnis wurden in einen Hinterraum der Wohnung des Dorfhäuptlings beiseite gestellt, der oftmals einen Teller mit Essen, als Opfer¬ gabe, in Empfang nehmen würde und auch manchmal eine Gabe von Kleidungs¬ stücken oder anderen Gütern; und die Dorfschaft fühlte sich in Sicherheit. Trotzdem wurde das Haus nicht abgerissen; es stand leer und unbenutzt da. Falls aber, selbst nach einem Jahr noch, irgendein Unglück die Ortschaft träfe, dann waren die Älteren gewiß, daß irgend etwas bei der Malanda-Zeremonie unrichtig ausgeführt worden war. Und alles mußte mit dem nächsten verstorbenen männ¬ lichen (niemals weiblichen) Toten und mit einer neuen Schar von Neophyten wiederholt werden. Ein Weib kann einem Peil der erwähnten Zeremonien unter¬ worfen werden, falls sie der Zauberei verdächtig ist oder auf Befragen sich der Benützung schwarzer Magie für schuldig bekennt. Um sie von diesem Übel zu reinigen und den Folgen ihrer Taten entgegen zu wirken, wird sie zu jener kleinen Hütte über dem Tunnelende gebracht und etliche der oben beschriebenen Zeremonien werden mit ihr vorgenommen; niemals aber wird sie mit in das Haus genommen und auch nicht dem Leichnam gegenüber gestellt.

Totem-Mythen und -Kulte

Die Emus1)

(Diese Emus waren Emu-Totem-Göter, die in Emugestalt in ihre Eieimat zurück - kehrten. Die im Text angegebenen Worte bilden jeweils in ihren ganzen Sätzen,

also z. B. „Er grunzt . weiter laufen! , einen tjurunga-Gesang, der bei dem

Emukultus gesungen wird. Hier sehen wir die Entstehung solcher Gesänge also vor uns: sie besingen Episoden aus dem Leben und der Wanderung der Totem- Götter. Vgl. die Quelle, S. 43 A 4.)

Vor langer Zeit hielten sich viele Emus in Iliunba, einem Platz im fernen Osten auf, wo sich ein Wasserloch in einem Wasserlauf befand. Unter Anführung eines alten männlichen Emu verließen sie ihren Lagerplatz, um in ihre Eieimat im Westen zurückzukehren. Sie kamen auf ihrer Wanderung nach dem Platz Emu- Futter, wo sie Immota-Pflanzen, kleine Steine und Kohlen fraßen: nachdem sie sich gesättigt hatten, liefen sie weiter nach Ininjilultaka, wo ein böses Wesen in Menschengestalt, Bankalanga genannt, ein Emu speerte und verzehrte, worauf die anderen Emus die Flucht ergriffen und abends nach Leiert ja (— Steingeröll) kamen. Am andern Morgen erhob sich der Emu-Vater und weckte mit grun¬ zendem Laut die jungen Emus, die nun nach Westen weiterliefen. Der Emuvater bildete die Nachhut. Sie durchschnitten in der Nähe von Tjoritja den Todd Creek bei Alice Springa und gelangten über Tnorunja nach Tnaburuta, wo sie sich zum Schlaf niederlegten. Am andern Morgen erhob sich grunzend der Emu -Vater:

Er grunzt, er grunzt. Wir wollen weiter laufen, wir wollen weiter laufen! Nach¬ dem sie zwei Tage weiter gewandert waren, kamen sie an einen Wasserlauf, namens Ulkuantja, im Norden von Owen Springs gelegen, wo sie wieder Inmota- Pflanzen fraßen und sich zur Ruhe niederlegten; am andern Morgen flötete der Emu-Vater:

Er flötet, er flötet, er lockt, er lockt (zum Weitergehen)! Die Emus liefen in west¬ licher Richtung weiter, wurden jedoch bald von zwei wilden Hunden verfolgt, die sich am Wege versteckt hatten. Der eine Hund hatte schon ein Emu an den Schwanzfedern gepackt, die er ihm ausriß, worauf das Emu in die Erde hinein ging; die übrigen Emus aber liefen in solcher Eile weiter, daß ihnen die Knie¬ muskeln knackten:

Mit schnell (sich bewegenden) Muskeln laufen sie. Mit Knacken des Kniegelenks

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laufen sie. Eiligen Laufs kamen sie Nkitjinga, wo der Ellery Creek die McDonell Ranges durchbricht, liefen dann weiter zu einer Ebene, Sumpfboden genannt, wo sie angesammeltes Regenwasser tranken, und kamen weiter auf ihrer Wanderung nach Ilbamina, in der Nähe von Gien Holen, wo sie in eine große, mit Binsen und Rohr bewachsene Fläche gerieten und stolperten:

In den Binsen stolpern sie, Mit schnell (sich bewegenden) Muskeln stolpern sie. Hier wandten sie sich nach Norden und kamen nach Tnata-irkinja, wo sie sich den Bauch kratzten und sich auf ihm mit rotem Ocker einen breiten Kreis machten, dies kommt in dem t jurunga-Gesang zum Ausdruck:

Das Bauchfett (bezeichnet) der Kreis, Den Magen (bezeichnet) der Kreis. Bald erblickten sie große, graue Raubvögel, inkeninkena genannt, vor denen sie sich fürchteten und davonliefen; in dem tjurunga-Lied heißt es deshalb:

Mit dem Kniegelenk laufen sie fort, über spitzige Bergzüge und über Steingeröll. Sie liefen in westlicher Richtung weiter und kamen an einen tiefen Creek. Als sie in das Flußbett hinabsprangen, brach ein altes Emu seine Beine entzwei:

Ich habe (meine Beine) entzwei gebrochen, In der Mitte sind sie ganz durch¬ brochen, weshalb dieser Platz Ultakalia genannt wird. Während zwei junge Emus mit dem alten Emu, das sich die Beine gebrochen hatte, hier blieben und Kultushandlungen aufführten, liefen die übrigen Emus weiter und kamen an eine große Kiesfläche, die sie überschritten, indem sie den Hals bald links, bald rechts wandten, um einen besseren Pfad zu erspähen:

Auf der großen Kiesfläche laufen sie, sie bewegen das Genick, sie bewegen den Hals. Wieder kamen sie an einen Creek und sprangen vom hohen Ufer in das weiche Flußbett, sodaß sie tief in den Sand einsanken:

Im weichen Sande sinken sie ein. In dem Flußbett sinken sie ein. In der Nähe dieses Creeks befand sich ein hoher Berg, Felsspitze genannt, wo sich zwei Emu- Männer aufhielten, namens Krumm-Arm und Lang-Hals. Diese erblickten schon von weitem den von den ankommenden Emus auf gewirbelten Staub. Krumm- Arm stellte sich den Emus in den Weg, ergriff eines von ihnen und trug es davon, worauf die Emus in einer großen Steinhöhle Zuflucht suchten, die sich in der Nähe befand. Krumm-Arm holte dürres Gras herbei und zündete es im Eingang der Höhle an. Doch nur ein einziges Enni erstickte in dem Rauch; alle andern fanden einen Ausweg und liefen unter der Erde weiter, bis sie an dem Ort Emu- Rückgrat aus der Erde hervorkamen. Nachdem sie eine lange Strecke auf der Erdoberfläche weitergelaufen waren, verschwanden sie wieder in der Erde und kamen bei dem Platze Schlangenei heraus. Bald erblickten sie einen sehr hohen Berg, namens Hoher Berg, von den Loritja Apauuru genannt, in dessen Nähe sie viele andere Emus erblickten, an denen sie unbemerkt vorbei liefen; sie gelangten nach dem Platze Schlangengift-Driise, wo sie wieder in die Erde eingingen:

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Alle gehen sie (in den Boden) ein, Die grüngeschwänzten. Sie kamen wieder an die Oberfläche bei Banchfett, wo sich viele Emus aufhielten, deren Anführer „Der Hungrige“ sie anrief; sie gingen jedoch in die Erde hinein und kamen bei einem großen Wasserlauf, namens Antala, wieder heraus. Nachdem sie hier geruht und gefressen hatten, kamen sie über Höhlenplatz und Lose-Erde nach Kalkstein. Wieder gingen sie in den Boden ein und kamen nach langer Wanderung bei Herz- Platz hervor, wo sie müde in tjurunga verwandelt wurden. Die dortige Steinhöhle wird Emu-Eingang genannt und gilt als großer Emu-Totem-Platz.

Gesang bei dem Fisch-Kultus der Aranda 2)

Wenn der Schaum (verschwunden ist), wollen wir bestimmt (aus dem Wasser) hervorkommen,

Wenn der Schaum (verschwunden ist), wollen wir bestimmt (aus dem Wasser) hervorkommen.

Wirklich, wimmelnd breiten sie sich aus.

Wirklich, vor den Grasbüschen breiten sie sich aus.

Über das Fischwehr springen sie hinüber,

Den Kopf herausstreckend, springen sie hinüber.

„Vor dem Fischwehr schwimmt auf und ab,

In Scharen schwimmt auf und ab.“

Durch das Fischwehr kehren sie schnell heim,

Unbemerkt vom (Cormoran) kehren sie schnell heim.

„Springe hinüber, springe hinüber!

Durch das Fischwehr schwimme hindurch.“

Schüttele (die Fische) von dem Schaft des Fisch-Speeres ab!

Nimm (die Fische) schnell von dem Schaft des langen Fisch-Speeres ab „O Krebs, treibe (sie) her Springe (ihnen) nach, o Krebc,‘‘

Die bärtigen (Fische) schwimmen umher,

In Scharen schwimmen sie umher.

„(Ihr mit dem) geschlossenen Maul breitet euch aus!

Ihr Fische breitet euch doch aus! '

„Auf den weichen Boden kehrt zurück, ihr mit dem spitzen Rücken!

In die Tiefe kehrt zurück, ihr mit dem spitzen Rücken!“

„In der Tiefe streckt (euch zum Schlafen) aus!

In der Tiefe streckt (euch) aus!“

In den Schlamm bohren sie sich ein,

In den Schlamm bohren sie sich ein.

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Nach der Erläuterung Strehlows kommen hier Fische mit einer Flut ange¬ schwommen und zeigen sich an der Oberfläche. Der Totemgott des Cormoran wirft Grasbüschel in die ankommende Flut, die Fische schwimmen bei diesem Wehr h in und zurück, andre springen hinüber, währenddessen speert der Cormoran etliche Fische, die der kleine Krebs ihm zutreibt. Später bohren sich alle Fische in den Schlamm des Flußbettes ein.

In der Aufführung dieser Kulthandlung treten zwei ältere mit rotem Ocker ein- geriebene Männer auf, die einen Gürtel von angeklebten Daunen tragen um den Leib. Eine Art Nest aus Gras, das mit Schnüren umwickelt ist, wird den Dar¬ stellern auf den Kopf befestigt. Es stellt eine Fischwehr dar, mit dem der Totem- urahne Fische gefangen hat. Ferner tragen die Darsteller eine tjurunga auf dem Kopf und einen Schild auf dem Rücken. Die so geschmückten Männer setzen sich in Schilde, die für sie auf den Boden gelegt sind, reiben sich ihre Oberschenkel mit den Händen und ahmen die Bewegungen des Cormoran-Totemurahnen nach, der die von ihm gefangenen Fische verzehrt und die Gräten hinter sich wirft. Darauf werden die jungen Männer herbeigeführt, die um die Darsteller herum¬ gehen.

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Geister- Erzählungen

Geister-Mythe der Marshall-Insulaner1)

Der einfältige Geist

Drei Menschen wohnten an der Ostseite, ein Geist an der Westseite der Insel. Die Menschen belauerten den Geist, als er seine Kokosnußkrabbe fütterte: „Krabbe dieser Baumhöhlung, krabbele!“ Die Krabbe kam hervor, und er fütterte sie.

Er ging und grub ein Wassergrübchen, seine Fische herein zu rufen: „Rollet an Land, rollet an Land, kommet alle ans Land! „Dann rief er seinen Fregattvogel: „Ding am Ende der Sandbank, ducke dich und stoß aufs Land!“ Der Vogel schwebte herab und fraß Fische. Dann sprach er: „Balistes, Balistes, plätschert; gelöst, löse es!“ Die Balistes kamen an die Oberfläche.

Er ging fort, und die Männer töteten den Fischschwarm, den Vogel und die Krabbe, die sie in einen Korb legten und ihrer Mutter zutrugen. Die Gebrüder hießen Janinue und Jomakro.

Die beiden gingen und divinierten, um den Platz zu erfahren, an welchem sie braten könnten, denn sie fürchteten den Geist. Als sie mit der Divination fertig waren, wußten sie, daß auf der ganzen Insel der Bratplatz ungünstig, daß er aber auf einem Baum gut sei. So nahmen sie die Krabbe und ihre Mutter und stiegen auf einen Baum. Dann ließen sie ihre Mutter dort braten, nahmen ihre Krebs¬ schale und gingen fischen.

Der Geist begann nun, seine Kinder (Tiere) zu suchen, fand aber, daß alle ver¬ schwunden waren; und er ward zornig und traurig ob der Tiere, weil sie ver¬ schwunden waren. Nachdem er sie gesucht und nicht gefunden hatte, durchging er alle Stellen der Insel, fand sie jedoch nicht.

Abends setzte er sich unter den Baum, auf dem sich die Frau befand. Der Geist dachte jedoch nicht daran, daß dort ein Mensch sei, ließ sich in seiner Müdigkeit jedoch dort nieder, um auszuruhen.

Er saß unter dem Baum, als eine Krabbenschere herunterfiel. Er schaute in die Höhe, sah die Frau und sprach: „Ich werde dich fressen!“ Er stieg hinauf, allein die Frau bezauberte ihn: „Der Alte auf dem Kanel-Baum gleitet hinunter bis nach unten!“ Er glitt hinab bis zur Wurzel: „Nun werde ich den Baum abnagen!“ Die Alte schrie: „Janinue-ninue, Jamakro-makro, hier wird genagt, hier frißt man eure Mutter, er ist mitten auf der Insel erschienen!“

Die beiden Männer sputeten sich und kamen an Land; und als sie kamen, ging der Geist ihnen schnell entgegen und sprach: „Ich werde euch verspeisen!“ Beide

218

sagten: „Friß uns nicht, denn wir werden dir einen Igelfisch zu essen gehen.“ „Von welchem Ende soll ich ihn verschlucken?“ „Mit dem Schwanzende zuerst'“ Beide bezauberten ihn: „Der Kopfstachel des Fisches ist dort gebogen, geht dort¬ hin, der Stachel jenes sparigen Fisches!!“ Der Geist starb.

Geister-Mythe von Neu-Mecklenburg 2)

Geschichte von einem I oten-Geiste, der Fische fing Einstmals beschlossen zwei Männer zu fischen. Ein Totengeist stand an der Giebelseite und er machte den einen Mann krank und zu dem anderen sprach er: „Komm, wir beide wollen auf Fischfang ausgehen!“ Sie spannten das Netz auf und sie gingen und fischten. Wenn sie Fische herausholten, verschlang sie der Totengeist. Und dann fischten sie auf der höchsten Stelle des Riffs, die bei der Ebbe zuerst frei wird, und der Mann fragte: „Wohlan, weide du mal die Fische aus, ich will ans Ufer steigen.“ Und der Mann beredete die Krabbe: „Wenn der Totengeist ruft, so wirst du antworten“, und er floh davon. Und der Geist ver¬ schlang die Fische und rief: „Heda!“ und Krabbe antwortete: „U“. Und der Geist sah den Mann nicht und rief abermals: „Heda!“ und Krabbe antwortete: „U!“ Und der Geist ging weiter und er ging an der Krabbe vorbei und er rief: „Heda!“ und Krabbe antwortete: „U!“ Und der Geist ging wieder zurück und er rief nahe bei der Krabbe, und Krabbe rief: „U!“ Und der Geist scharrte tatsächlich die Krabbe aus, er biß sie, zerbrach sie und sie. Und der Geist rief: „Heda!“ und Krabbe antwortete: „U!“

Aber ein Fuß von ihr war dort in den Sand hinab gefallen. Und der Geist rief, hob auch das Bein von ihr auf, verschlang es und dann lief er daAron, damit er den Menschen einholte. Er lief, lief, lief, lief, und er rief: „Heda! Hollah! Ich will nur deine Eeber haben, die Fische sind für dich! Wo bist du?“ Und er ließ ein Leuchten von sich ausgehen, damit er den Mann sehen könnte, und er nahm ihn in der Tat wahr, und er umfaßte ihn fest. Und sie kämpften und sie kämpften und sie kämpften. Und der Geist war im Begriff, den Mann zu verschlingen, aber der fuhr ihm zwischen den gespreizten Beinen hindurch. Und der Mann fesselte ihn mit einer Liane, band ihn fest an einem Baum und ging in das Gehöft. Und sie hatten Furcht, daß der Geist nicht noch einmal käme, und sie schrien und machten die Schweine schreien, und sie bearbeiteten die Holztrommel und sie schlugen die Handtrominel. Und sie brannten den Mann mit Nesseln und bespien ihn, und er Ingwer und sein Körper beruhigte sich. Und sie legten sich nieder. Am Morgen sprach der Mann: „Wir wollen einmal nach dem Geiste sehen, ich habe ihn ja am Baum festgebunden.“ Und sie gingen hin, und sie sahen den Totengeist: er war zu einem Knochen aus Hartholz geworden!

219

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Z a u b e r-R i t e n

Pandanus-Fruditbarkeits-Zeremonie der Marshall-Insulaner

An einem bestimmten, vom Häuptling festgesetzten Tage versammeln sich alle Männer des Atolls am Ende einer Insel, allerlei rohe Speisen dorthin beisammen¬ tragend, die von ihnen allein im Steinherd zubereitet werden. Ein Palmwedel, in Vogelform zusammengebunden, wird mit der Spitze gen Osten auf den Boden gelegt. Der Zeremonienmeister bezaubert diesen „Vogel“ mit folgenden Worten:

Dies ist der Vogel, den sie (die Geister von der Geisterinsel Elb) ostwärts gesandt haben, um von den Speisen des Atolls zu genießen.

Er ist geflogen nach Biginni,

Er kreist dort,

Er schaut dort,

Er sucht dort,

Er findet dort nichts.

Er fliegt halt weiter nach Wotto.

Er kreist dort,

Er schaut dort,

Er sucht dort,

Er findet ni chts.

Ailininae,

Er kreist dort,

Er schaut dort.

Er sucht dort,

Er findet dort nichts;

Er fliegt weiter nach Ujae,

Er kreist dort,

Er schaut dort,

Er sucht dort,

Dort findet er was.

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Nach d iesen Worten schlägt der Zauberer mit einem Zweige der ( hinahanfstaude auf den „Vogel". Eine Pandanusfrucht durchsicht er mit einem spitzen Stock und trägt sie feierlichen Schrittes westwärts, indem er spricht:

Pandanus des Gottes im Westen, Lawulleb,

Nehmet sie westwärts, nehmet sie westwärts,

Leget sie draußen vor die Pliitte des Lawu lieb!

Auf gleiche Weise trägt er die Frucht der Reihe nach ostwärts zu Lökomran, süd¬ lich zu Lörök, und nordwärts zu Lajbuineamueu. Dann ruft er aus:

Es fällt Platzregen: Wetter für Kokospalmen,

Es fällt prasselnder Regen: Wetter für Pandanus,

Es kommen Schauer: Wetter für Brotfrüchte, usw.

Danach ruft er, die Pandanus nach Osten werfend:

Bei der Schnepfe auf dem freien Platz,

Wirf sie dorthin.

Sodann reißt er die für die See bestimmte Pandanusfrucht . . . auseinander und schleudert sie ins Meer, damit dadurch viele Fischscharen in die Lagune einziehen mögen. Eine andere Pandanusfrucht . wird, nachdem folgende Worte ge¬

sprochen, vergraben: „Pandanus für Wachstum, wirf ihn dorthin, damit sie ihn nehmen und vergraben, auf daß der Boden dieser Insel fruchtbar sei!"

Den Schluß d ieses ersten Teiles der Feier bilden die Worte: „Kostbar, . . . o ich bin ja der Salbende (Zeremonienmeister)".

Nun werden durch Divination Leute bestimmt, die „das Feuer oder die Opfer¬ stätte beenden“ müssen. Die Opferstätte befindet sich unweit des Außenstrandes an einer beliebigen freien Stelle oder unter einem Baum, ein Ort, der während dieser Feier von keinem Uneingeweihten betreten werden darf. . . . Sie bereiten auf dem dort befindlichen großen Steinherd verschiedene Speisen und außerdem besondere auf einem kleinen Feuer, von welch letzterem keine Frau genießen darf. Aus diesen Extraspeisen nehmen die erwählten Männer ungenießbare Teilchen, die sie in ein kanuförmig gefaltetes Pandanusblatt (. . Wullebs Kahn) legen. Das Kanu wird auf die See gesetzt, damit es westwärts treibe.

Nach Verlauf von zwei Tagen kehren die Männer von der Opferstätte zurück, mit gellender Stimme schreiend: „Der Geist schwenkt vom Außenstrand ins Innere ein!“ Von den mitgebrachten Speisen erhalten die Frauen einen Strang auf¬ gereihter Fische und rohe Brotfrüchte.

Gegen Ende der Feier begeben sich sämtliche Männer zur Hütte des Zauberers. Dort lodert bereits unweit der Schlafstätte ein Feuer. Au einer Seite der Hütte

221

zieren sich die Frauen mit allerlei Schmucksachen. Sobald die Toilette fertig ist, kreischt die alte in der Hütte befindliche Zauberin sechsmal: „Joooooooo, juon,

jooooooo, ruo . bis nach dem sechsten Schrei alle Frauen, mit weit-

aufgerissenen Augen die Männer anglotzend, in die Hütte stürzen, wo die alte Zauberin in höchster Aufregung den als Mensch angesehenen Pandanus mit Fu߬ tritten traktiert und ausruft:

„Es strömt und flutet ostwärts:

Stoß und bewirf den Kerl,

Bewirf den Kerl und stoß ihn:

Außenriff im Norden, Außenriff im Süden,

Riff für den Fang fliegender Fische, . .

Wirf ihn draußen vor Wullebs Hütte,

Damit dieser fortstoße und in Scharen ostwärts herschicke Bonitos,

Albakors usw.,

Damit er sie herziehen lasse zum Strande der Wissenden,

Die dadurch vom Verkehr ausgeschlossen seien;

Ziehet ihn fort! Ziehet ihn fort! Ziehet ihn fort nach Eb (Insel der Geister).“

Ein allgemeines Essen, wobei die Frauen auch rohe Pandanusfrüchte genießen dürfen, was ihnen während des Jahres verboten ist, beschließt die Feier. Sie findet statt, damit die Atolle nicht arm an Speisen seien, sondern damit reichlicher Regen falle, viele Fische und Vögel heranstreichen und keine Flutwelle die Insel verwüste oder gar zerstöre.

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Berichtigungen und Zusätze

S. 34, in der Schöpf ungsmythe ist mit „Orischa von Zeile 13 v. u. an Obatalla gemeint.

S. 56, Zeile 15 v. oben, Zusatz: Nach van Whig: „L Etre suprßme desBakongo“ in den„Reclierches des Sciences Religieuses“, Paris, 1920, hat Nzambi in der Auffassung jener Kongoneger noch eine durchaus aktive Rolle inne. Plier hätten wir also in Afrika eine Aus¬ nahme von der otiosen Haltung des höchsten Wesens.

S. 60, Abb. 20: statt „mumifizierte“ heißt es richtig: modellierte.

S. 171, Zeile 11 von oben: statt „Wesenen“ heißt es richtig: Wesen.

S. 224, Zeile 6 v. oben, Zusatz zu Anm. 5: Unsere Auf¬ fassung von der obersten Gottheit Afrikas findet ihre Stütze auch bei A. B. Ellis: „The Yoruba speaking Peoples“, 1894, London, S. 35: Olorun ist das ver¬ gottete Firmament, der personale Himmel (wenn auch mit menschlichen Eigen¬ schaften, wie Schläfrigkeit, Faulheit usw.), wie Nvan- kupon bei den Tshi, Nyonmo bei den Gas, Mavu bei den Ewe. Vergl. auch 1mm. Bellow: „Kultus und Kultur der Tshi-Neger“ in den Basler Missions¬ studien, 1907.

S. 224, Zeile 23 von oben, Zusatz: Abb. in E. v. Sydow: „Kunst der Naturvölker . . .“ S. 108, 109.

S. 224, Zeile 3 von unten: statt „00“ heißt es richtig 1 4.

S. 226, Zusatz zu Anm. 41: zum Ahnenkultus der Kongo-Neger vergl. van Whig: „Etudes Bakongo“ 3. Bd. der Congo-Bibl., Brüssel, S. 146 ff.

S. 230, links, Zusatz zu Abb. 6: vergl. „Man“, XIII. Bd., 1913, S. 169 ff.

S. 231, links, Zeile 5 von oben: statt „61“ heißt es richtig: 60.

S. 232, Zeile 12 von oben, Zusatz: vergl. Boas im RBEW. f. 1895 (1897), S. 472 f., 480.

S. 236, rechts unten, Zusatz: Uber den Zusammenhang dieser Sandgemälde mit den Malereien der Zuni vergl. RBEW. X. Bd. f. 1888/89 (1893), S. 210 f.

Quellen

I. 1. Kapitel.

1. Seite 10. Leo Frobenius: „Und Afrika sprach“, 1912 14, Berlin, II, 280 ff.

2. Ebd. Ad. Bastian: „Hl. Sage der Polynesier“, 1881, Leipzig, S. 50.

5. Ebd. A. Bastian: „Hl. Sage . .“, S. 56 ff.

4. Ebd. P. Wirz: „Die Marind-anim von Holland. Süd-Neuguinea“, 1922, Hamburg.

5. Seite 12. XIII. RBEW. 1891/92, S. 375.

6. Ebd. Cushing: „Outlines of Zuni-Creation-Myths,“ XIII. RBEW. 1891/92, Stevenson: „The Zuni-Indians“ XXIII. RBEW. 1904.

7. Seite 13. Cushing: „Outlines . . S. 370.

8. Ebd. XXXVI. RBEW. 1914/15, S. 51, 59, 68 f.

9. Ebd. Mem. of the American Mus. of Nat. Hist. VI, 1902.

10. Seite 14. E. Cassirer: „Die Begriffsform im mythischen Denken“, 1922, Hamburg, S. 19.

11. Ebd. W. Ni e m e y e r hat sehr richtig hier eine Analogie zum Verhalten der Tiere erkannt. Er zitiert in der „Kündung“ (Plamburg, 1922) aus dem Buche Hans Volkelts über „Vorstellungen der Tiere“ Beispiele, wie diese: Für die Biene, die zum Stock zurückfliegt, ist das Flugloch keine einzelne, für sich bestehende Wirk¬ lichkeit, sondern ein unablösbarer Bestandteil der Vorstellungswelt, in deren Ganz¬ heit sie lebt und das sie als Ganzheit auffaßt. Die heimkehrende Biene fliegt daher auf die ehedem ihr bekannte Stelle des Fluglochs auch dann zu, wenn man den Stock verschoben hat. Eine ganze Reihe ähnlicher Erfahrungen lehrt, wie sehr die Tiere abhängig sind von der Vorstellung, die sie von der Gewohnheit ihres täglichen Lebens gewonnen haben. „Innerhalb dieses Ganzen sind die Handlungen des lieres äußerst zweckmäßig, außerhalb dieses Lebensganzen versagt das 1 ier." A olkelt prägte dem¬ gemäß für die Vorstellungsart der Tiere den Begriff der „Komplexqualität“.

I. 3. Kapitel.

1. Seite 30. Vgl. R. Otto: „Das Heilige“, 1923, Breslau. Ein vortreffliches Buch, dessen Thesen freilich nur im systematischen Sinne richtig sind, nicht aber, wie dies von P. W. Schmidt in seinem Buche: „Über Menschheitswege zum Gotterkenneu , 1925, München, dargetan ist, in historischer Hinsicht.

*) Abkürzung RBEW = Report of the Bureau of Etlmology, Washington.

15

223

I. 4. Kapitel.

1. Seite 33. R. Söderblom: „Werden des Gottesglaubens“, S. 115 f.

2. Seite 34. Peckuel-Loesche: „Volkskunde von Loango“, 1907, Stuttgart, S. 269.

3. Ebd. G. Teßmann: „Die Pangwe“, 1915, Berlin, II, 15 ff.

4. Seite 55. L. Frobenius: „Und Afrika sprach“, 1, 309.

5. Seite 36. Söderblom: „Werden des Gottesglaubens“, 1916, Leipzig, S. 140.

6. Seite 40. Will. Wyatt Gill: „Mytlis and Songs from the South Pacific“, 1876, London,

S. 20 f.

7. Seite 41. Ad. Bastian: „Hl. Sage der Polynesier“, S. 46.

8. Seite 42. Hamburger Südsee-Expedition von 1908 10, II, 262.

9. Seite 45. A. Erdland: „Die Marshall-Insulaner“, 1914, Münster i. W„ S. 308 ff.

10. Seite 44. H. Sundermann: „Die Insel Nias und die Mission daselbst“, 1905, Barmen,

S. 61 ff.

11. Seite 48. Cushing: „Outlines . . .“ in XIII. RBEW. 1891/92.

12. Seite 49. Swanton: „Contributiones to the Ethnology of the Haida“ in Mein, of the Americ. Mus. of Nat. History. VIII. Bd„ 1905/09, S. 72 ff.

15. Seite 51. L. Frobenius: „Und Afrika sprach“, II, 236.

14. Ebd. Abb. in Einstein: „Afrikanische Plastik“, 1921, Berlin (Orbis pictus), Taf. 1.

15. Ebd. A. B. Beils: „The Joruba speaking Peoples“, andere Deutung bei C. Einstein: „Afrikanische Plastik“, Abb. 4; ich denke hier eher an Obatala zu Pferde und Odudua kniend.

16. Ebd. L. Frobenius: „Und Afrika sprach“, II, 255 ff.

17. Ebd. Amaury Talbot: „In the Shadow of the Bush", 1912, London, S. 16, 44.

18. Ebd. Thomas: „Edo speaking Peoples of Nigeria“, 1910, London, S. 24.

19. Seite 52. Biißler: „Neue Südsee-Bilder“, 1900, Berlin, Taf. XIX ff.

20. Ebd. Geiseier: „Die Osterinsel“, 1883, Berlin, S. 17.

21. Ebd. E. v. Sydow: „Kunst der Naturvölker und der Urzeit“, 1923, Berlin, Abb. 217.

22. Ebd. Dumont d’Urville: „Voyages“, I, 436.

23. Seite 53. A. Eichhorn: „Alte Maori-Holzskulpturen“, im Baessler-Archiv II. Bd„ 1912.

24. Seite 53. Ed. Seler: „Gesammelte Abhandlungen“, 1915, Berlin, V. Bd„ S. 9 ff. („Die Lichtbringer bei den Indianerstämmen der Nordwestküste“).

I. 5. Kapitel.

1. Seite 62. Allgem. Missionszeitschrift, 43. Bd„ 1916, S. 65, ebenso B. Ankermann: „Totenkult und Seelenglaube“ in Ztschr. f. Ethnologie, 50. Bd„ 1918.

2. Ebd. Zitiert bei Levy-Brühl: „La mentalite primitive“, 1922, Paris S. 51.

3. Ebd. G. Teßmann: „Die Pangwe“, II, 114.

4. Ebd. Dorsey: „Siouan Cults“ in XI. RBEW., S. 485.

5. Ebd. Vgl. Eckart v. Sydow: „Ahnenbild und Ahnenkult“, 1925, Berlin, S. 00.

6. Seite 63. Warneck: „Lebenskräfte des Evangeliums“, 1908, Berlin, S. 51, 67.

7. Seite 64. Teßmann: „Die Pangwe“, II, 115 ff.

224

8. Seite 65. Oskar Nuoffer: „Ahnenfiguren von cler Geelvinkbai, Holland. Neu-Guinea“ in d. Abhandlungen des Zoolog, und Anthropolog. Museums zu Dresden, XII, Bd , Nr. 2, 1908.

9. Seite 66. Felix Speiser: „Südsee, Urwald, Kannibalen 6, Leipzig, 1915, S. 207 f.

10. Ebd. Ferd. Hochstetter: „Neu-Seeland“, 1865, Stuttgart, S. 201, 298 f., 507.

11. Ebd. Memoirs of the Americ. Mus. of Nat. Hist. IV. Bd., 1909, S. 272, Abb. 95, 96.

12. Ebd. Eug. Mangin: „Les Mossi“, im „Anthropos“, IX., 1914, S. 752 f.

15. Seite 67. Aug. Hamilton: „The Art Workmanship of the Maori-race in New-Zealand“ S. 152.

14. Seite 68. I. G. Frazer: „Belief in Immortality“ II, 515/14. Moerenhout freilich möchte den Terminus Tii in anderer Weise verwenden, gesteht aber selbst ein, daß er diese ganze Angelegenheit der Tiis nicht durchschaue („Voayages aux lies du Grand Ocean“, I, 459 ff.).

15. Ebd. Will. Ellis: „Polynesian researches“, II, 201 ff. Die Abbildungen, die Ellis von solchen tiis gibt (Idol-Tafel, Nr. 7) zeigen freilich Rundplastik; sie waren in aus¬ gewählte Stoffe gekleidet, mit duftendem Öl gesalbt; Diener schliefen des Nachts in ihrem Haus im Marae.

16. Ebd. O. Reche: „Neu-Guinea" in der Hamb. Südsee-Expedition, 1908 ff., II, A 1, S. 576, 556 ff.

17. Ebd. Augustin Krämer: „Die Malanggane von Tombara“, 1925, München, ferner: Elisabeth Krämer-Bainow und Aug. Krämer: „Bei kunstsinnigen Kannibalen der Südsee, Wanderungen auf Neu-Mecklenburg, 1908/09“, 1916, Berlin.

18. Seite 69. G. Antze: „Ahnenfiguren aus Kreide von Neu-Mecklenburg“, im Jahrbuch ds. Städt. Mus. zu Leipzig, IV. Bd., 1910.

19. Seite 70. J. Meier im „Anthropos“*, VI. Bd., 1911, S. 857.

20. Seite 71. Scoresby Routledge: „The Mystery of Easter Island“, 1920, London. Carl Skottsberg: „The Natural History of Juan Fernandez and Easter Island, I. Bd.: Geography, Geology, Origin of Island Life. I. Teil: Notes on a visit to Easter Island“, 1920, Upsala. Zusammenfassende Literaturangaben bei Lehmann: „Bibliographie der Osterinsel“, im „Anthropos“, II. Bd., 1907. Vgl. ferner „Folk-Lore“, 1917, S. 556 ff.

21 Seite 76. L. Frobenius: „Aus d. Flegeljahren der Menschheit“, 1901, Hannover, S. 157.

22. Seite 78. Cushing: „Outlines of Zuni creation myths“, XIII. RBEW, 1896, S. 558.

25. Ebd. Fewkes in XXL RBEW. 1905, S. 16.

24. Ebd. F. Speiser: „Südsee, Urwald, Kannibalen“, 1915. Leipzig, S. 17, 77.

25. Seite 80. Colle: „Les Baluba", 1915, Brüssel, II., 455.

26. Ebd. Parkinson: „50 Jahre in der Südsee“, S. 527.

27. Ebd. Achelis: „Religion der Naturvölker“, 1909, Leipzig, S. 85 f.

28. Ebd. „Allgem. Historie der Reisen zu Wasser und zu Lande“, 1749, Leipzig, IV. Bd., S. 449.

29. Seite 81. H. A. Junod: „The life of a South African tribe“, II, 568.

50. Ebd. S. 585.

15*

225

51. Ebd. W. Schneider: „Die Religion der afrikanischen Naturvölker“, 1891, Münster i. W„

S. 126.

52. Seite 82. Ebd. S. 20.

55. Ebd. Mariner: „Tonga-Islands“, I, 188 ff.

54. Ebd. Sundermann: „Nias . . .“, S. 55.

55. Seite 85. Ramseyer u. Kühne: „Vier Jahre in Asante. Tagebücher der Missionare R. u. K. aus der Zeit ihrer Gefangenschaft“, 1875, Basel, S. 110, 115.

56. Ebd. G. Tefimann: „Die Pangwe“, II, 121 ff.

57. Seite 84. Elis. Krämer-Bainow, s. oben, S. 275 ff.

58. Seite 84. Parkinson: „50 Jahre in d. Südsee“, 1907, Stuttgart, S. 405 ff.

59. Seite 79. Sundermann: „Die Insel Nias . .“, 1905, Barmen, S. 78 ff., Joh. Warneck:

„Lebenskräfte des Evangeliums“, 5. Aufl., 1908, S. 50, 61.

40. Seite 80. Fries: „Das Koppensnellen auf Nias". in Warnecks Allgem. Miss. Zeitschrift, XXXV. Bd., 1908, S. 75 ff.

41. Seite 90. 1. Spieth: „Die Religion der Eweer in Süd-Togo“, 1911, Leipzig, S. 246. 1. Spieth: „Die Ewe-Stämme“, 1906, Berlin, S. 79 ff. Über die gleichartige Auffassung des Aschanti, insbes. über ihren goldenen Stuhl, der die Seele ihres Volkes be¬ herbergte, vgl. Rattray: „Ashanti“ (1925, Oxford).

I. 6. Kapitel.

1. Seite 92. D. Westermann in der Allgem. Missions-Zeitschr., XLII. Bd., 1915, S. 275 ff.

2. Ebd. „Anthropos“ X1V/V. Bd., 1919/20, S. 496 A.

5. Ebd. Trilles: „Le Totemisme chez les Fang“, 1912, Münster i. W., S. 50 A.

4. Ebd. Levy-Brühl: „Das Denken der Naturvölker“, 1921, Wien, S. 75.

5. Seite 95. Fr. Boas im RBEW for 1895, Washington 1897, S. 440.

6. Seite 94. Strehlow-v. Leonhardi: „Sagen der Aranda u. Loritja“, Frankfurt a. M„ 1, 52.

7. Seite 96. Strehlow-v. Leonhardi: „Aranda u. Loritja“, I, 80.

8. Seite 97. Spencer u. Gillen: „Northern Tribes of Central Australia“, S. 277 f.

9. Ebd. Strehlow-v. Leonhardi: „Aranda u. Loritja“, 1, 1 ff.

10. Seite 100. Webster: „Primitive secret societies“, New-York, 1908, S. 184 f.

11. Ebd. S. 158 A 5, 159 A 4.

12. Seite 101. P. Germann: „Das plastisch-figürliche Kunstgewerbe im Graslande von Kamerun“, i. Jahrbuch des Mus. f'. Völkerk. in Leipzig, IV. Bd., 1910, S. 16.

15. Seite 102. Trilles: „Le Totemisme c-hez les Fang“, S. 552 ff.

I. 7. Kapitel.

1. Seite 104. Preuß: „Forschungsreise zu den Kagaba-Indianern der Sierra Nevada de San Marto in Kolumbien“, im „Anthropos“, XIV/V. Bd., 1919 f., S. 587 ff.

2. Ebd., ebd. S. 561.

5. Seite 105. Koch-Grünberg: „Zwei Jahre unter den Indianern Zentral-Brasilien“, Berlin, 1910, I, 156 ff., 11, 170 ff.

226

4. Seite 106. Webster: „Primitive secret societies“, 1908, New York, S. 155.

5. Seite 107. Ebd., S. 187.

6. Seite 112. Boas: „Social Organisation and secret societies of the Kwakiutl Indians“ im RBEW. für 1895, Washington, 1897; vgl. auch Breysig: „Völker ewiger Urzeit“, 1907, Berlin, ferner die interessante Deutung des Menschenfressergeistes als Symbol der Nacht, dem gegenüber der Rabe als Lichtbringer erschiene, durch Seler: „Ge¬ sammelte Abhand 1.“, V. Bd.

7. Ebd. Nelson: „1 he Eskimo about Bering Strait“ im XVIII. RBEW. für 1896/97, Washington 1899.

8. Seite 114. Eine gute Sonderstudie über die Masken des Kongogebietes: J. Maes: „Aniota-Kifwebe“, Antwerpen, 1924.

9. Ebd. P. Wurm: „Die Religion der Küstenstämme Kameruns“, 1904, Basel, S. 12 ff.

10. Seite 115. Schachtzabel: „Im Hochlande von Angola“, 1925, Dresden.

11. Ebd. Jos. Henry: „Les Bambara“, 1910, Münster i. W., S. 142 ff.

12. Ebd., die beste Übersicht mannigfacher afrikanischer Maskentypen findet man immer noch bei Leo Frobenius: „Masken und Geheimbünde Afrikas“, 1898, Halle a. d. S. eine sehr wertvolle Ergänzung und Korrektur bringt das Buch von Maes (Anm. 8).

15. Seite 118. Haddon: „The secular and ceremonial dances of Torres Straits“ im Intern. Archiv f. Ethnographie, Leiden, \ I. Bd., 1895.

14. Seite 121. Koch-Grünberg: „Zwei Jahre unter den Indianern“, 2 Bde., 1909/10, Berlin. W. Krickeberg: „Amerika“ in Busehans „Völkerkunde“, 1922, Stuttgart, S. 274.

15. Seite 124. P. Ehrenreich: „Die Mythen und Legenden der Südamerikanischen Ur- völker in ihren Beziehungen zu denen Nordamerikas und der alten Welt“, 1905, Berlin,

S. 10.

I. 8. Kapitel.

1. Seite 126. P. Wurm: „Religion der Küstenstämme Kameruns“, S. 8.

2. Seite 127. Nassau: „Fetichism in West- Afrika“, 1904, London, S. 65, 74, 107, 165, 175 ff., 181.

5. Ebd. Pechuel-Loesche: „A olkskunde von Loango“, 1907, Stuttgart, S. 554.

4. Seite 150. „Annales du Congo“, 1902/06, Brüssel, I, 2 (Religion), S. 148.

5. Ebd. Warneck: „Lebenskräfte“ des Evangeliums“, S. 44.

6. Ebd. H. Sundermann: „Die Insel Nias . . .“, S. 85 ff.

7. Seite 151. Cushing in II. RBEW. 1885, 14 ff.

8. Seite 152, z. B. Plamilton: „The Art Workmanship of the Maori race“, 1896, Dunedin, S. 295.

9. Seite 155. Joh. Warneck: „Die Religion der Batak“, 1909, Leipzig, S. 64 ff .

10. Seite 156, in Bull. American. Mus. of Nat. Hist. XVIII. Bd., New-York, 1902, S. 5. ff., über das Gleiche bei den Sia: ebd. S. 272 ff.

11. Ebd. E. Stephan: „Südsee-Kunst“, 1907, Berlin.

12. Seite 158. Carl Lumholtz: „Decorative Art of the Huichol Indians“ im III. Mein, of the Americ. Mus. of Nat. Hist., 1904; C. Lumholtz: „Unknown Mexiko“, 1905, II, 204 ff.

227

13. Ebd. Fr. Ham. Cushing: „A Study of Pueblo Pottery as illustration of Zuni Culture“ im IV. RBEW. für 1882/83, Washington, 1886, S. 510 ff.

14. Seite 140. March im XXII. Journal of the Anthropological Institute, S. 324.

15. Ebd., L. Adam: „Nordwestamerikanische Indianerkunst“, 1924, Berlin (Orbis pict.)

S. 13.

16. Ebd., H. Kunicke: „Der Fisch als Fruchtbarkeitssymbol bei den Waldindianern Süd¬ amerikas“, im „Anthropos“, VII. Bd., 1912, S. 206 ff.

17. Ebd. Th. W. Danzel: „Die Anfänge der Schrift“, 1912, Leipzig, S. 104 ff.

II. 1. Abteilung.

1. Seite 155 ff. Ad. Bastian: „Die heilige Sage der Polynesier“, 1881, Leipzig, S. 70 ff., 116 ff. (mit Genehmigung des Verlages F. A. Brockhaus, Leipzig).

2. Seite 159 ff., ebd. S. 29 ff.

3. Seite 163 ff. I.-A. Moerenhout: „Voyage aux iles du Grand Ocean“, 1837, Paris, I, 417 ff. Die von Gauguin in seinem „Noa-Noa“ berichteten Sagen und Gebete sind nichts anderes als Abdrücke aus Moerenhout!

4. Seite 166 ff. H. Codrington: „The Melanesians“, 1891, Oxford, S. 156 f.

5. Seite 167 ff. H. Sundermann: „Die Insel Nias und die Mission daselbst“, 1905, Barmen (mit Genehmigung des Verlages des Missionshauses).

6. Seite 171 ff. Franz Boas: „Indianische Sagen von der Nord-Pacifischen Küste Amerikas“, Berlin, 1895, S. 311, 314, 519 (mit Genehmigung des Verlages Behrend und Co., Berlin).

7. Seite 174 ff. I. B. Hewitt: „lroquoian Cosmology“ im XXL RBEW. 1905.

8. Seite 184 ff. Fr. H. Cushing: „Outlines of Zuni Creation Myths“ im XIII. RBEW. Washington, 1896, S. 379 ff., 588, 398, 405, 409—411; 413 ff.; vgl. hierzu oben Seite 47 f. die Übersicht über den ganzen Mythus. Eine andere Version von Stevenson im XXIII. RBEW. 1904.

9. Seite 197 ff. Ad. Bastian: „Der Fetisch an der Westküste Guineas“, 1884, Berlin, S. 184 ff. (mit Genehmigung der Weidmannschen Buchhandlung).

II. 2. Abteilung.

1. Seite 201. Abr. Fornander: „An account of the Polynesian Race“, 1878, London, S. 61. ^ gl. Kalakaua: „The Legends and Myths of Hawai,“ her. von Daggert, 1888. New York, S. 35.

2. Ebd. W. W. Gill: „Myths and songs of the South Pacific“, 1876, London, S. 295 f.

5. Seite 202. Ebd. S. 299.

4. Ebd., ebd. S. 217 ff.

5. Seite 204. Ebd. S. 150 f.

6. Seite 205. Washington Matthews: „The prayer of a Navajo Shaman“ im Americ. Anthropologist I, 1888, Washington, S. 149 ff. (mit Genehmigung der „Am. Anthro¬ pological Association). Vgl. „American Antiquarian“ 1883, April, „American Naturalist“ 1885, Oktober, V. RBEW.

228

II. 3. Abteilung.

1. Seite 209 ff. R. H. Nassau: „Fetichism in West-Afrika“, 1904, London, S. 520 ff. (mit Genehmigung von Charles Scribners Sons, New York).

II. 4. Abteilung.

1. Seite 214 ff. C. Strehlow-M. v. Leonhardi: „Die Aranda- und Lorizja-Stämme in Zentral-Australien“, 1907, Frankfurt a. M., I, 42 ff. (mit Genehmigung des Völker- Museums in Frankfurt a. M.).

2. S. 216, ebd. III, 75 ff.

II. 5. Abteilung.

1. Seite 218, A. Erdland: „Die Marshall-Insulaner“, 1914, Münster i. W„ S. 238 ff.

2. Seite 219. G. Peekel: „Religion und Zauberei auf dem mittleren Neu-Mecklenburg“, 1910, Münster i. W„ S. 28 ff. (mit Genehmigung des ,,Anthropos“-Verlages).

II. 6. Abteilung.

1. Seite 220 ff. A. Erdland: „Die Marshall-Insulaner“, 1914, Münster i. W., S. 316 ff.

229

Beschreibendes Verzeichnis der Text- Abbildungen und Tafeln

Abkürzungen: M. f. V. = Museum für Völkerkunde. L.-M. = Linden-Museum

Abb. 1. (S. 19.) König von zwei Begleitern ge¬ stützt. Reliefplatte aus Benin (Britiscli- Nigeria). Berlin, M. f. V., III C 7653. Bronzegullplatte. Die Beine des Königs laufen in Eidechsen aus, nach unten hin windet sicli eine Schlange. Man darf auf Zusammenhang mit Schlangenkultus schließen, der u. a. in Dahomey ver¬ breitet war. IE: 41 cm, Br.: 36,5 cm.

Abb. 2. (S. 30.) Pfeifenkopf aus Kamerun (Gras¬ land). Braunschweig, Städtisches Mu¬ seum, A III.c 350a. Bronzeguß. H. : 27 cm.

Abb. 3. (S. 54.) Beiter zu Pferde, Teilstück eines Elefantenzahnes mit Rundplastik in der Mitte; aus Britisch-Nigeria (Jorubaar- beit?). Berlin, M. f. V., 111 C 4296. Wahr¬ scheinlich ist Obatalla, der Himmels- gott, dargestellt. H. : 94 cm (Schild¬ krötenkopf bis zum unteren Maul). Br.: ca. 12 cm.

Abb. 4. (S. 55.) Modell eines Tempelbezirkes von Kilauea in Hawai. Honolulu, Ber- nice Bishop Museum. 1681.

Abb. 5. (S. 36.) Fetischfigur der Bateke (mittler.

Kongogebiet). Berlin, M. f. V., III C 3927. Holz, mit Resten weißer Bema¬ lung im Gesicht. II.: 44 cm, Br.: 8 cm.

Abb. 6. (S. 57.) Schango-Tanzkeule aus Joruba (Brit. -Nigeria). Hamburg, M. f. V., 14, 135: 3. Ganze E. : 61,5, Br.: 7, 9, T. : 5,9 cm.

Abb. 7. (S. 40.) Ifa-Klopfer aus Ife (Nigerien). Stuttgart, L.-M., Nr. 91524. H.: 51 cm.

Abb. 8. (S. 41.) Eetischfigur der Bassonge (mitt¬ leres Kongogebiet). Berlin, M. f. V., III C 1792. Holz mit Kupferbeschlägen und -Nägeln. IE.: 29 cm.

Abb. 9. (S. 45.) Ifa-Schale aus Joruba (Nigerien).

Hamburg, M. f. V., 14, 135:4. II.: 15,4, gr. D. : 17 cm.

230

Abb. 10. (S. 46.) Palaverstuhl aus Bainum (Kame¬ run). Leipzig, M. f. Y. M. A. f. 12570. IE: 45 cm.

Abb. 11. (S. 48.) Steinidole v. den Necker-Inseln der IEawai-Gruppe. Honolulu, Berniee ßisli op Museum, 737.

Abb. 12. (S. 50.) Götterbildnis aus Hawaii. Eben¬ dort, 916. Holz.

Abb. 13 u. 14. (S. 52 f.) Rongo-Bildnis von den Hervey - Inseln (Rarotonga). London, Britisches Museum. Drei Söhne wachsen aus der Brust des Gottes hervor. Vergl. Brigham: „Report of a jouruey around thc world“, 1915, Honolulu, Abb. 236. IE: 68,58 cm.

Abb. 15. (S. 55.) Holzpfeife der Haida. Berlin, M. f. V., IV A 2330. Die vier Mündungen geben vier verschiedene Töne. Helles Holz mit roter Bemalung. Dunkler Auf¬ satz. II.: 48, Br. 19 cm.

Abb. 16. (S.57.) Rassel der IEaida-Indianer (Nord¬ west-Amerika). Berlin, M. f. V., IV A 731. Holz, schwarz, blau, weiß bemalt. Gestalt eines Raben mit einem Kohle- stiick im Schnabel. Auf dem Rücken der rote Wolf, der einen Frosch ver¬ schlingt, in dessen Zunge der Kolibri beißt. L. : 54, IE: 13, Br.: 9 cm.

Abb. 17. (S. 59.) Korwar aus Holländiscli-Neu- Guinea (Geelvinkbai). Leiden, M. f. V., 929/202. Helles Holz, Augen: blaue Per¬ len. II.: 27 cm.

Abb. 18. (S. 59.) Korwar aus IIoll. Neu-Guinea (Geelvinkbai). Ebenda, 929/692. Dunkles Holz, Augen eingesetzt. Um den Hals Bastfäden. H. : 35 cm.

Abb. 19. (S. 60.) Maskenanzug der Wangangela, Portugiesisch-Kongo). Berlin, M. f. V., III C 31752 a d. Besclineidungsmaske.

4

Hut schwarz mit roten Flecken. Hose, Jacke und Gürtel aus dunklen Bast¬ fasern. H.: Hut: ca. 100 cm, Hose: 93 cm, Jacke: 95 cm, Gürtel: 17 cm.

Abb. 20. (S. 61.) Häuptlingsfigur von den Neuen Hebriden (Melanesien). Berlin, M. f. V., VI, 13206. Rotes Gesicht, brauner Kör¬ per, schwarz - weiße Armbemalung, schwarze Bruststreifen. H.: 183 cm, Br. : 44 cm.

Abb. 21. (S.63.) Dämonenmaske der Wangangela (Portugies. -Kongo). Berlin, M. f. V., III C 31744. Weißbemalter roter Rinden¬ bast-Stoff. H. : 43 cm, Br.: 20 cm.

Abb. 22. (S. 65.) Kult-Figur aus einem Geister¬ haus in Deutsch - Neu - Guinea (Sepik, Dorf Radja). Stuttgart, L.-M., Nr. 61611. Schwarz-weiß-rot bemalt. Kopf: mumi¬ fizierter Schädel. H. : 77, Br.: 244 cm.

Abb. 25. (S. 67.) Schädelhalter aus Deutsch-Neu- Guinea, Kaiserin Augustafluß. Dresden. M. f. Y. u. T., Nr. 25159. Die Schädel sind oberhalb des bemalten Rinden¬ stücks angebracht. Die Augenfelder sind dunkel, die zwei Flecke oberhalb der Augen schwarz, die Linien rot. Das Stück stammt aus einem „Tempelhause des Enddorfes“, nach Angabe von Schlaginhaufen: „Eine ethnographische Sammlung vom Kaiserin Augustafluß“, S. 27 f. (Dresdner Publikationen, XIII. Bd. 1910—11.)

Abb. 24. (S. 69.) Ahnenfigur aus Haiti (Mittel¬ amerika). Braunschweig, Städtisches Museum, A IV c Nr. 28. Speckstein. H.: 7,2, Br.: 3 cm.

Abb. 25 27. (S. 70 73.) Bildwerke der Oster¬ insel. Nach K. Scoresbv Routledge: „The Mystery of Easter Island“, Titel¬ bild und Taf. 57 u. 59.

Abb. 28. (S. 73.) Fischfigur von Neu-Mecklen- burg (Melanesien.) Berlin, M. f. Y. VI 27 760. Holzschnitzerei. Malangan. Schwarz-weiß-rote Bemalung. L. : 122, Br.: 37, IT: 45 cm.

Abb. 29. (S. 75.) Maske aus Deutscli-Neu-Guinea (Kaiserin Augustafluß). Dresden, M. f. V. u. T. 24980. Holz mit echten Men¬ schenhaaren. Gesicht: weiß mit roten Linien u. Ornamenten. Umrandung der Augen, Nasenlöcher: schwarz. IT: 70 cm.

Abb. 30 u. 51. (S. 77.) Pautiva-Tanzinaske der Zuni-Indianer. Nach XXIII. RBEW (f. 1901—02) 1904, Taf. XXVIII, S. 33.

Abb. 32. (S. 79.) Schild der Bogen-Priesterschaft der Zuni-Indianer. Nach II. RBEW, 1881, Taf. X., S. 40.

Abb. 33 u. 34. (S. 85.) Holzbecher der Bakuba, (inneres Kongogebiet). Sammlung Vecht, Amsterdam. 25, 65 : 1. II.: 21 cm.

Abb. 55 u. 36. (S. 86 f.) Grabfigur der Bakongo. Hamburg, M. f. V. 25, 26 : 1. H.: 25 cm.

Abb. 37. (S. 91.) Drei Häuptlingsstäbe der Songo (Portugies. Kongo). Berlin, M. f. V. III C 4626 (mit männl. Figur), 1303 (mit 2 Vögeln), 1505 (mit Reiter). Braunes Holz. Länge der ganzen Stäbe: 65 cm, 61,5 cm, 55 cm, Höhe der Plastik: 25 cm, 22 cm, 17 cm.

Abb. 38 u. 59. (S. 95.) Holzfigur aus Afrika.

Sammlung Vecht. Amsterdam. Größen¬ angaben nicht erhalten.

Abb. 40. (S. 97.) Eidechsen-Tjurunga aus Mittel- Australien. Frankfurt, M. f. V., 8047. Flaches PIolz, nach den Rändern hin verdünnt. Die vertieften Linien mit gelbem Ocker ausgefüllt. L. : 50, Br.: 8,4 cm. Nach Strehlow v. Leonhardi: „Aranda u. Loritja“. I. Bd., Taf. I, 2.

Abb. 41. (S. 98.) Emu-Tjurunga aus Mittel-Au¬ stralien. Ebenda, 7655. Quelle wie bei Abb. 40: I. Bd., Taf. II, 4. L.: 44,8, Br.: 8 cm.

Abb. 42. (S. 99.) Raupen-Tjurunga aus Mittel- Australien. Ebenda, 7657. Quelle wie bei Abb. 40: I. Bd., Taf. III, 7. L. : 38, Br.: 6 cm.

Abb. 43. (S. 107.) Medizinmann der Atnah-Indi- aner (Copper-River). Berlin, M. f. V., IV A 6510 f., 6516 f., 6580, 6430, 6504, 6501 f., 6508, 6538, 6525, 6529, 6499, 6595. Rückenansicht bei M. Bartels: „Medizin der Naturvölker“, S. 70. Vor dem Ge¬ sicht eine bunte Holzmaske, die aber nicht den Dämon der Krankheit dar¬ stellt, sondern wohl nur dem Schutze dient. An einem Halsring hängt eine Anzahl pfriemenartiger Knocheninstru¬ mente herab, die z. T. wie Fischottern aussehen, die als Schutz- und Plilfs-

231

geister der Medizinmänner besonders wichtig sind.

Abb. 44. (S. 111.) Doppel-Maske der Kwakiutl.

Berlin, M. f. Y. IV A 1244. Holzmasken mit braunem Faserbehang und grünen Gesichtsmasken, die herabhängen. Die Doppelmaske ist schwarz mit weißen und roten Streifen. Sie stellt auf der einen Seite den Dämon der Hamatsen, auf der anderen seinen Begleiter, den Raben, dar. H. : 105 (mit Behang), H. (des Dämons): 15 cm.

Abb. 45. (S. 115.) Sso-Figur der Pangwe (in Akonangi). Ygl. G. Teßmann: „Die Pangwe“, II. Bd., Taf. XIX, Abb. 209.

Abb. 46. (S. 119.) Schattendarsteller beim Sso- Kult der Pangwe (in Bebai). Vgl. G. Teßmann: „Die Pangwe“, II, S. 55, Abb. 5.

Abb. 47. (S. 120.) Tanzmasken-Anzug der Ko- beua-Indianer (Nordwest-Brasilien, Rio Cudniary). Stuttgart, L.-M., Nr. 79867. Diese Maske wird bei Totenfesten be¬ nutzt und stellt einen Schmetterling- Dämon dar, der die Malaria-Krankheit erregt. II.: 150 cm.

Abb. 48. S. 121.) Schild aus Deutsch-Neu-Guinea (Main, am Hunsteingebirge). Stuttgart, L.-M., Nr. 90339. Schwarz-weiß-rot. H. : 150, Br.: 35 cm.

Abb. 49. (S. 123.) Anhängefigur aus Deutsch-Neu- Guinea, Kaiserin Augustafluß (Pagern). Dresden, M. f. V. u. T., Nr. 24926. Schwarze Holzfigur an geknüpftem I ragband. H.: 12,3, L.: 33,5 cm (mit Band).

Abb. 50. (S. 131.) Holzkästchen aus Neu-Seeland.

Frankfurt a. M., M. f. V.. 10555. Braunes, hartes Holz. Unterseite. L.: 42,5, Br.: 12, T.: 4 cm.

Abb. 51. (S. 136 f.) Ornamentik der Huichol-Indi- aner. a) nach Lumholtz: „LInknown Mexiko“, II. Bd., S. 221. b u. c) nach Lumholtz: „The Huichol Indians“ in Mem. Amer. Mus. Nat. Hist. III. Bd. 1 T., S. 292, Fig. 412 und S. 501, Fig. 423.

Abb. 52. (S. 138.) Ornamentik der Hopi-Indianer Nach IV. RBFW. 1882— 1883. 1886, S. 517.

Abb. 55. (S. 139.) Ornamentik der Zuni-Indianer Ebendort, S. 519, Fig. 559 f.

Abb. 54. (S. 140.) Ornamentierte Schale der Zuni- Indianer für hl. Mehl. Ebendort, S. 518. Abb. 55. (S. 142.) Decke der Tlingit. Berlin, M.

f. V., I\ A 396. Gelbliche, bläuliche, weiße und schwarze Handweberei der Frauen. Uber dem Gesicht in der Mitte stehen stilisierte Tanzhutaufsätze, unter dem Gesicht beiderseits je eine Schwanzflosse des Wales, mit Aug- ornament. Das ganze Muster stellt nach Leonhard Adam („Nordwestameri¬ kanische Indianerkunst“ 1923, S. 37) einen fünfflossigen Schwertwal dar, dessen Kopfprofil die Seitenfelder ent¬ halten würden. H.: 126 cm, Br.: 180 cm.

Tafeln

Afrika.

Taf. 1. Bronzekopf aus Benin (Brit. Nigeria).

Sammlung Baron v. d. Heydt, Zand- voort. II.: 52, Br.: 23 cm. laf. 2. Maske der Bafum (Grasland von Kame¬ run). Berlin, M. f. V., 111 C 21654. Holz. Die Zöpfe sind mit Menschenhaaren ge¬ füllt. H. : 34 cm, Br.: 23cm.

1 af. 5. Maske der Bekom (Grasland von Kame¬ run). Berlin, M. f. V., 111 C 21232. Holz. Tierische und menschliche Züge verbun¬ den. H.: 45 cm, Br.: 25 cm. laf. 4. Maske der Bafa (Kamerun). Berlin, M.

1. V., 111 C 10196. Holz mit Haarbehang. Ganz flaches Gesicht, halb rot, halb weiß gefärbt. PL: 38 cm, Br.: 21 cm, ohne Behang.

Taf. 5. Maske vom Opobo-Fluß, Kalabar (Kame¬ run). Berlin, M. f. V., III C 19317. Holz mit Faserbehang. Schwarz. II.: 26 cm, Br.: 15 cm, ohne Behang, laf. 6. Ahnenschädel-Tonne mit zwei Ahnen¬ figuren der Ngumba (Südküste Kame¬ runs). Berlin, M. f. V., III C 6689. Auf dem Rande der Tonne sitzen die beiden Holz-Figuren, die eine männlich, die an¬ dere (rechts) weiblich, mit Plilfe eines nach unten verlaufenden Zapfens lose auf. ln der Tonne Schädel, Medizin und leere Büchsen. Die männliche Figur trägt mannigfache Amulette. H. : 58 cm (männl. Figur).

232

Taf. 7. Doppel-Ahnenbild. Sammlung Baron v.

d. Heydt, Zandvoort. H. : 67, Br. 24 cm. Starker europäischer Einschlag.

Taf. 8. Holzmaske. Ebendort. Schwarz. H. : 58, Br.: 20 cm.

Taf. 9. Maske aus Egoma (Kongo). Lübeck, M.

f. V., Nr. 6777. Holz. Gesichtsfläche dun¬ kelbraun, unterster Rand mittelbraun, Zickzackfläche darüber: Naturholz. H. : 38, Br.: 22 cm.

Taf. 10. Geschnitzter Türpfosten aus Neukame¬ run (Dorf Ntoko am Likuala Mosaka). Berlin, M. f. V., III C 29973. Holz. Schwarze Frisur, braunes Gesicht mit schwarz-weiß-roter Tätowierung. Oberes Ende eines Türpfostens. II.: 40 cm.

Taf. 11. Maske der Urua (östl. Kongogebiet). Ber¬ lin, M. f. Y., 111 C 14963. Holz, schwarz¬ weiß ornamentiert. H. : 38 cm, Br.: 21 cm. Taf. 12. Weibliches Ahnenbild der Baluba (mitt¬ leres Kongogebiet). London, Britisches Museum.

Taf. 13. Ahnenfigur der Urua (östl. Kongoge¬ biet). Berlin, M. f. V., III C 17366. Röt¬ liches Holz. II.: 40 cm.

Taf. 14. Weibliche Ahnenfigur mit Gefäß aus Urua (Ost-Kongo). Stuttgart, L. M., Nr. 82366. Schwarzbraunes Holz. H. : 50 cm. Taf. 15. Ahnenfigur der Urua (östl. Kongogebiet).

Berlin, M. f. V., III C 16998 b. Schwarzes Holz. Ygl. Nachtrag, S. 237. H. : 42 cm, L. : 35 cm, Br.: 17 cm.

Taf. 16. Gesicht der Ahnenfigur der Urua. Teil¬ aufnahme von Tafel 15. H. : 12 cm., Br.:

10 cm.

Taf. 17. Becher der Bakuba (mittleres Kongoge¬ biet). Berlin, M. f. V., III C 19652. Schwarzbraunes Holz. H. : 17 cm, Br.:

11 cm.

Taf. 18. Maske der Bakuba (mittleres Kongoge¬ biet). Berlin, M. f. V., III C 3247. Holz mit Faserbehang. Schwarz-weißes Muster der Mundpartie, darüber schwarz-weiß- rote Streifen. TI.: 44 cm, Br.: 17 cm, ohne Behang.

Taf. 19. Maske der Bakuba (mittl. Kongogebiet).

Berlin, M. f. V., III C 26361. Holz mit Faserbehang. Schwarze Bekrönung, rote Gesichtseinfassung, schwarz- weiß-rotes Muster auf Backen und Augen. II.: 50 cm, Br.: 27 cm, ohne Behang.

Taf. 20. Gesicht der Ahnenfigur der Baluba. Teil¬ aufnahme von Tafel 21. Linke Gesichts¬ hälfte heller als die rechte.

Taf. 21. Ahnenfigur der Baluba (mittleres Kon¬ gogebiet). Berlin, M. f. V., III C 3246. Holz, dunkelbraun. II.: 72,5 cm, Br.: 19,5 cm.

Taf. 22. Stuhl der Baluba (mittleres Kongoge¬ biet, Lualaba). Berlin, M. f. V., III C 4240. Hellbraunes Holz. Tätowierung und Haartracht sollen für Bakuba cha¬ rakteristisch sein laut Katalogzette]. II.: 63 cm, Br.: 24,5 cm.

Taf. 23. Ahnenfigur der Vatsivokve (Portugies.- Kongo). Berlin, M. f. V., III C 2969. Schwarzes Holz mit schwarzem Woll- haar. IT: 33 cm, D.: 23 cm.

Taf. 24. Juju-Kopfaufsatz der Ekoi (Kamerun).

Berlin, M. f. V., 31522. Die Unterlage, Ge¬ flecht und Holz, mit brauner Haut über¬ zogen. IT: 35 cm, Br.: 11 cm.

Taf. 25. Fetischfigur der Bassonge-Benekki (mitt¬ leres Kongogebiet). Berlin, M. f. V., III C 1803. Hellbraunes Holz. Kaurimuschel als Augen. Kupferbeschläge als Täto¬ wierung und Haarschmuck. H.: 27,5 cm.

S ii d s e e.

Taf. 26. Maske von den Jervis-Inseln (Torres- straße, Süd-Neu-Guinea). Dresden, M. f. Y. u. T. 6567. Alle Teile, außer Augen, Nase, Mund, aus Schildkröt, mit gefloch¬ tenen Schnüren verbunden. Nase aus Holz und Schildkröt, Mund aus Holz und Harz. Farbe des ganzen Gesichtes und der Nase: weiß, Mund, Gesichtsstreifen und Umrandung: rot. Ganze Hinterseite rot gefärbt. Die Maske liegt beim Tra¬ gen ziemlich wagerecht über dem Kopf, mit dem Gesicht also nach oben ge¬ wendet. II.: 138, Br.: 71, T.: 60 cm.

Taf. 27. Schädelmaske aus Neu-Pommern. Ber¬ lin, M. f. Y., Y1 3499. Schwarz- weiß-rote Bemalung. H. : 23 cm, Br.: 14 cm.

Taf. 28. Tanzmaske der Sulka (Süd-Neu-Pom- mern). Stuttgart, L. M., Nr. 84651. Diese Maske ähnelt der von Parkinson, 1. c. Tafel 46 abgebildeten Sisu-Maske, von der P. sagt: „Diese laufen schnell einher und die Weiber stimmen ihnen zu Ehren

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einen Gesang an“. (S. 637.) Da die Maske oben mit Vogelfedern versehen ist, wird sie einen Vogel symbolisieren sollen. H. : 150 cm, soweit sichtbar.

I af. 29. 1 anzmaske ans Neu-Pommern (Gazelle¬ halbinsel, Nakanai). Stuttgart, L.-M., Nr. 55226 a. Weiße Gesichtsfläche, spitz nach vorn vorstoßend mit breitem, dunklem Mund. Nach Park inson: „30 Jahre in der Siidsee“, S. 640, Abb. 1 16 bei Beschnei¬ dungsfestlichkeiten getragen. H. 130 cm.

Taf. 50. Totenfestmaske aus Neu. -.Mecklenburg (Melanesien). Berlin, M. f. V., VI 2832. Die Haarraupe ahmt die früher übliche I rauerfrisur nach. Das Haar wurde durch Kalk und Färbemittel gell) ge¬ beizt, zur Totenfeier wurden die Sei¬ ten des Kopfes abrasiert, so daß nur vom mittleren Stirnrand bis zum Nacken die Haare wuchsen. Das Gesicht ist schwarz-weiß-rot bemalt. L.: ca. 41 cm, Br.: ca. 17 cm.

Taf. 51. Nashornvogel-Figur aus Neu-Mecklen- burg (Nördl. N.-M., westl. v. Lamasson). Stuttgart, L.-M., Nr. 57251. Schwarz- weiß-rot. H.: 142, Br.: 86,10 cm.

1 af. 52. Schädel aus Neu-Guinea. Sammlung Ba¬ ron v. d. Heydt, Zandvoort. II.: 25, Br.: 14 cm.

Taf. 33. Schädel aus Neu-Guinea. Seitenansicht von Taf. 32.

Taf. 34. Uli-Figur aus Neu-Mecklenburg. Samm¬ lung Baron v. d. Heydt, Zandvoort. Schwarz-weiß-rot bemalt.

Taf. 35. Uli-Figur aus Neu-Mecklenburg. Ganze Ansicht der Schnitzerei von Taf. 34. H. : 116 Br,: 36 cm.

1 af. 36. Uli-Gestalt aus Neu-Mecklenburg (Nord- k äste des Mittelteils, Surahil-Bezirk Lua- sigi), von der Seite. Stuttgart, L.-M., Nr. 45809. Schwarz-weiß-rot. H.: 160 cm, T.: 50 cm.

1 af. 57. Uli-Gestalt aus Neu-Mecklenburg (Nord¬ küste des mittl. Neu - Mecklenburg). Stuttgart, L.-M., Nr. 45809. Von vorn.

Br.: 55 cm.

daf. 58. Dir aus dem Rats- und Versammlungs¬ hause der Maoris (Neu-Seeland). Stutt¬ gart, L.-M., Nr. 82979. H. : 125, Br.: 75 cm.

Taf. 59. Holzschnitzerei der Tami-Insel. Berlin, M. f. V., VI 30306. Schwarz-weiß-rote Be¬ malung in Resten. II.: 169, Br: 31,5, T.: 27 cm.

Taf. 40. Steinfigur von den Marquesas-Inseln. Stuttgart, L.-M., Nr. 65020. Grauer Stein. H. : 35, Br.: 11,40 cm.

Taf. 41. Götterbild aus Hawai (Molokai). Hono¬ lulu, Bernice P. Bishop Museum, 967. In Tapa eingewickelt in einem Tal aufge¬ funden.

Nord-Amerika.

Eskimo in Alaska.

Taf. 42. Dämonen-Maske. Berlin, M. f. V., IVA 5180. Hölzerne Maske (mit Elenhaar), weiß, schwarz, grün, rot bemalt, den Dä¬ mon der Seepapageien oder Krabben¬ taucher darstellend. Diente den Scha¬ manen zur Beschwörung. H. : 46, Br.: 46 cm.

Taf. 43. Seelenvogel (Gallowin-Bai). Berlin, M.

f. V., IVA 3119. Holz. Rote und weiße Bemalung in Resten. Vogel mit Men¬ schengesicht. Diese Figur wurde bei Totenerinnerungsfesten von der Decke mit einer Schnur herabgelassen, sobald ein neuer Gast eintrat, gleichsam als ob der Tote den Gast begrüßen wollte. H. : 27,5, Br. : 36 cm.

Taf. 44. Dämonen - Maske (Kwikpagemutten). Berlin, M. f. V., IV A 4403. Holzmaske mit weißer Bemalung und roten Flecken, die Blutstropfen symbolisieren. Sie stellt einen bösen Geist dar, der im Gebirge lebt und mit Vorliebe auf Menschen Jagd macht; seine besonderen Kennzeichen sind die schiefe Nase und der verscho¬ bene Mund. LI.: 53,5, Br.: 21 cm.

daf. 45. Dämonen-Maske (unterer Yukon). Ber¬ lin, M. f. V., IV A 4440. Hölzerne Maske, weiß bemalt mit rötlichem rechten Auge und weißen Flecken darin, vielleicht ebenfalls einen bösartigen Berggeist darstellend. II. : 19,5, Br.: 25 cm.

1 af. 46. Dämonen-Maske (Mündung des Kusko- quim). Berlin, M. f. V., IVA 5147. Höl¬ zerne, weiß bemalte Maske, die den Hilfsgeist des Schamanen als Schwan¬ geist darstellt, der die Schwäne, Gänse,

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Enten und andere Vögel im Frühling zur Küste bringt; sie wird in den letzten Winterfesten gebraucht. II. :84, Br. :61cm.

Taf. 47. Dämonen-Maske (Cap Vancouver bis Cap Awinoff). Eerlin, M. f. V., IV A 5178. Hölzerne Maske in Form einer Fischotter mit Resten ehemaliger Be¬ malung: rote Mundpartie auf weißem Grunde. Dien^ wohl den Schamanen zur Beschwörung. L. : 48, Br.: 50 cm.

Nordwest-Amerika.

Taf. 48. Maske der Tlingit oder Haida. Berlin.

M. f. V., IV A 657. llolz-Maske mit weißer Bemalung, roten Ornamenten auf den Backen, blauem Querstreifen über der Stirn. II.: 26.5, Br.: 26 cm.

Taf. 49. Maske der Haida. Berlin, M. f. V., IVA 2475. Holzmaske mit grüner und blauer Gesichtsbemalung, roten Lippen und Nasenflügeln, braunen Tierfellstücken. II.: 29, Br.: 29 cm.

Taf. 50. Klapp-Maske der Kwakiutl. Eerlin, M. f.

V., IV A 1245. Holz, grün (Mittelpartie), blau, rot bemalt. H.: 52, Br.: 25 cm (ge¬ schlossen). Vgl. Boas: „Societis . . .“, S. 557.

Taf. 51. Rassel der Kwakiutl. Berlin, M. f. V., IV A 1599. Heliga-Rassel der Hamatsen. Blau-schwarz bemalt. L. : 27, Br.: 14 cm. Vgl. Boas: „Societies . . .“, S. 459.

Taf. 52. Tanzmaske der Bilchula-Indianer (Nord¬ west-Amerika), geschlossen, geöffnet: Taf. 55. Stuttgart, L.-M., Nr. 19178. Schwarzer Adlerkopf, als Symbol des Donners und der Nacht, bzw. der unter¬ gegangenen Sonne (vergl. dazu Seler: „Der Lichtbringer . . . .“ im V. Bde. sr. Abhandlungen). H. : 45 cm.

Taf. 55. Tanzmaske der Bilchula-Indianer (Nord¬ west-Amerika), geöffnet. Stuttgart, L.- M., 19178. Holz-Klappmaske, zeigt offen das Gesicht der Sonne, die so als strah¬ lende Tages-Sonne gemeint ist. Das menschliche Gesicht trägt adlerhaft ge¬ bogene Nase. Der breite Randstreifen zeigt oben und unten je ein Vogelge¬ sicht, wohl der Eule, als eines Nacht¬ vogels, rechts und links sind orna¬ mental Flügel angedeutet. Farbgebung: blau-schwarz-rot-weiß. Br. (von Schna¬ belspitze zu Spitze) : 97 cm.

Taf. 54. Löffel der Haida. Berlin, M. f. V. IV A 8185. Bergziegenhorn. Darstellung: zu unterst Vogel in Eulentypus, darüber Rabe als Lichtbringer mit erhobenen Händen, darüber wohl wiederum der Rabe. L. : 51 cm.

Taf. 55, Häuptlingsgestalt der Kwakiutl. Berlin, M. f. V., IVA 1256a. Holzfiguren. Un¬ tere Gesichtspartie des Häuptlings blau bemalt, unterer Vogel mit roten Farb¬ resten; auf dem Kopf des Häuptlings dunkles Fellhaar. Der untere Vogel ist ein Uhu und stellt ein Totemtier dar, der Adler auf dem KojMe zeigt an, daß der Häuptling aus der Adlerfamilie stammt.

H. : 255, Br.: 55,5 cm (unt. Vogel).

Taf. 56. Cedernbast-Decke der Tlingit-Indianer (Nordwest - Amerika). Stuttgart, L.-M., Nr. 48714. Darstellung wohl des Seeun¬ geheuers Sisiutl mit ihrem Doppelkopf. II. : 87, Br.: 147 cm.

Taf. 57. Maske der Hesquiaht. Berlin, M. f. V., IVA 7162. Holz. Weißer Untergrund mit schwarzen Streifen und braun-roter Na¬ senspitze. Bedeutung unbekannt. II. : 85. Br.: 49, T. : 21 cm.

Taf. 58. Totempfeiler der Haida-Indianer. Nach R. Swanton: „Ethnology of t he Haida“ in Mein, of the Amer. Mus. of Nat. Hist., VIII. Bd., 1905, Taf. II, 2, 5, 4. Diese Pfeiler enthalten die Wappentiere der Familie des betreffenden Häuptlings (im

I. Pfahl: Grizzly-Bär, Mond, Bergziegen, im 2. Pfahl: Schwertwal, Mond, Rabe, im 5. Pfahl: alter und junger Schwertwal, oben auf ein Hundshai, Zwischenfigur unerklärt), außerdem aber auch my¬ thische Wesen, so die 2 Wächter auf dem 1. Pfeiler (Warner vor heran nahendem Feind), und Bildnis des Häuptlings selbst, so die bekrönende Figur des 2. Pfeilers (mit Kupferplatten unter dem Arm).

Taf. 59. Grabdenkmal der Haida. Quelle wie bei Taf. 58; Swanton, Taf. VI. Bei den Hai¬ das „Grabväter“ genannt. Die Leichen wurden zuerst in einen kleineren Sarg, alsdann in den größeren Behälter getan. Der abgeb. „Grabvater“ wurde für eine Häuptlingsfrau errichtet und trägt ihr Hauptwappen, den Hundshai. Vgl. Text bei Swanton, S. 129 f.

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Pueblo-Indianer.

Taf. 60. Altar der Brüderschaft der Adlerfeder der Zuni-Indianer. Nach XXIII. RBEW., 1904, Taf. 58. Be§chreibg. s. oben Seite 158.

Taf. 61. Tanzmasl cen der Hopi-Indianer. Nach XXI. BREW.f. 1889 f„ 1905. Taf. 20. Zeich¬ nungen von Eingeborenen. Grüne Mas¬ ken mit gelben, roten, schwarzen Drei¬ ecklinien vorn. Rote Körperbemalung.

faf. 62. Geflochtener Teller der Hopi-Indianer. Stuttgart, L.-M., Nr. 44658. Darstellung des Regengottes mit dem Regenbogen über seinem Haupte. D.: 45 cm. Rot¬ blau-grün-gelb.

Taf. 65. Iloehzeitsdeeke der Hopi (Pueblo-Indi¬ aner). Stuttgart, L.-M., Nr. 50455. Die gestickten Ornamente haben symboli¬ schen Charakter: Darstellung der Re¬ genwolken, der Blitze, des Donners, also agrarische Fruchtbarkeits - Symbolik. Diese Decke gehört zur Zeremonial- traclit der Braut und wird vom Bräuti¬ gam in dem unterirdischen Kultraum, der Kiva, hergestellt. Obere Borte: schwarz und grün, Adler: schwarz, Wolken: rot-blau-grün-gelb, untere Borte: schwarz-grün-rot und etwas blau. II.: 150, Br.: 190 cm.

Indonesien.

Taf. 64. Idol aus Nias. Leiden, Ethnograph. Mu¬ seum, 1629 Nr. 79. Rotbraunes Holz. Stellt den Schutzgeist der „Koppen- snellers“ dar. Vergl. J. P. Klei weg de Zwaan: „Heilkunde der Niasser“, 1915, Haag, S. 29. H.: 50 cm.

Taf. 65. Idol aus Nias. Ebenda. 1629, Nr. 55 A.

Rotbraunes Holz. Dies Idol wird bei Krankheiten auf das Dach des Hauses gestellt. Vergl. de Zwaan 1. c. S. 57. H. : 54 cm.

Taf. 66. Schnitzerei aus Lakor. Ebenda, 1476 Nr. 8. IE: 57, Br. 27 cm.

Taf. 67. Schnitzerei aus Lakor. Ebenda, 1476 Nr. 9. II.: 62 cm.

Taf. 68. Elfenbeinschnitzerei der Bataks. Rotter¬ dam, Mus. Land- en Volkenkunde, Nr. 2454. H.: 12,5 cm.

Taf. 69. Idol aus Nias. Leiden. Ethn. Museum, 1116 Nr. 45. Braunschwarzes Holz. H. : 9,2 cm.

Taf. 70. Zauberstab der Bataks. Rotterdam, Mus.

Land en Volkenkunde Nr. 15218. IE: 40 cm. (Teilstück.)

Taf. 71. Zauberstab der Bataks. Ebenda. Nr. 17525. IT: 55 cm. (Teilstück.)

Taf. 72. Zauber stab der Bataks. Leiden. Ethn.

Museum. Ganze Höhe: 119 cm. Der ab¬ gebildete Teil 50 cm.

Taf. 75. Horn der Bataks. Rotterdam, Museum Land en Volkenkunde Nr. 21521. II.: 26,5 cm.

Taf. 74. Maske der Bataks. Leiden. Ethn. Holz.

Augen mit Spuren von Zinnblech. Museum Leiden. 1767 Nr. 55. Hellgelbes Auf der Stirn Ziegenfell. II.: 29, Br.: 19 cm. Vgl. Katalog VIII, Batakländer, bearbeitet von II. W. Finger, S. 120 f.

Taf. 75. Kopf von den Tenimber-Inseln, Ebenda, 1955 Nr. 2. (Fragment von Opferschale?) Dunkles schweres Holz. Hinten durch- lochter Zapfen. IT: 28 cm.

Taf. 76. Maske aus Borneo. Ebenda, 78 t Nr. 246.

Holz mit schwarzen Brauen, Pupillen, Augenrändern, Schnurrbart, roten Lip¬ pen. Kinnbart u. Haare aus Faser- büscheln. 9 schwarze Oberzähne. II. 52, Br.: 19,5 cm. Gebraucht im Tiwah-Fest. Taf. 77. Geistermaske aus Borneo (Makaham).

Ebenda, 1508 Nr. 155. Hellbraunes Holz mit schwarzen Streifen und Spiralen. In den Augen Spiegeln. Bart: hellgelbe Fasern. Unterkiefer beweglich. H. : 47, Br.: 54 cm.

Taf. 78. Ahnenbilder der Suid-Wester-Eilanden.

Ebenda, 1649 Nr. 25 u. 1649 Nr. 25. IE: 28 u. 56 cm.

Taf. 79. Ahnenbilder aus Letti. Ebenda. 1121 Nr.

10. IT: 17 cm. Sockelbreite 4 bzw. 5 >2 cm. Taf. 80. Tanzmaske der Wamakonde (Deutsch- Ostafrika). Stuttgart, L.-M., 45757.

Schwarzes Holz mit weißen Tätowie¬ rungsmustern. H.: 54, Br.: 25,5 cm.

1. Farbtafel (Titelbild): Modellierter Kopf aus Neu-Guinea. Sammlung des Baron v. d. Heydt, Zandvoort. II. : 25 cm.

II u. III. Farbtafel: Navaho-Sandgemälde. Nach W. Matthews: „Navahos Nigth Chant“ in Mein. Amer. Mus. Nat. Hist., VI. Bd., 1902, Taf. VI (Text: S. 121ff.) u. Taf. VIII (Text: S. 151). Vgl. oben Seite 54, 155.

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Wellcome Library for the History and Understanding of Medicine

Nachtrag zur Taf. 15, 16. Nach dem Buche des Pater Colle über die Baluba beißt diese Figur Bettlerin oder Tochter des Geistes; nach J. Maes’ mündlicher Mitteilung wird eine derartige Schnitzerei vor die Tür der Schwangeren und Arbeitsunfähigen gestellt, um Almosen aufzunehmen, nach der Geburt des Kindes wird sie fortgeworfen. Es bleibt hiernach der religiöse Charakter der Figur durchaus fraglich.

Namen - Verzeichnis

Admiralitätsinseln S6 f.

Altjira 95 Angola 115 Aranda 95 f., 148 Arapahos 156 86 f.

Awonawilona 47

Bäjämi 51 Baessler 52 Bakuba 106 Bambara 115 Ba-Nkouma 81 Bastian 57, 41.

Bataks 65, 150, 152. Baxbakualanu Xsiwae 108 ff.

Bela Zamu 89 Benin 80, 82

Cassirer 12 Cushing 12

Dahomey 82 f. Delawaren 95 Dsahadoldza 55

Edscliu 51 Einstein Ehrenreich 124 Eka 51

Eskimo 112, 145, 147 Ewee 50, 90, 92

Frobenius 76

Graebner 145 Grosse 144

Haddon 118 Haida 100 Hamatsa 108 ff. Ilastsehogan 55 Hastseyalti 55 Flawai 57, 54, 50 Hopi 78, 158 Plowitt 148 Huichol 156

Ifa-Brett 51 Iniet 70

Joruba 11, 54 f., 51, 105, 114

Kagaba 104.

Kamerun 114 Koch-Grünberg 105 Kroeber 156 Kühn 144 Kukailimoku 52 Kuula 52 Kwakiutl 108 ff.

Lata 42 Levy-Brühl 14 Loa (Lowa) 42 Loritja 95 ff. Lowalangi 45 Lumholtz 157

Maes 257 Make-Make 52

Malu 119 Mandans 99 Mangaia 59 March 159 Marquesas-Inseln 52 Marshall-Inseln 42 Matthews 154 Maui 55 Mavu 55, 56 Menomini 95 Mossi 66

Nassau 105 Nava jos 15, 54, 155 ff. Neu-Guinea 64 f., 68, 87.

Neue Hebriden 65, 78 Neu-Mecklenbnrg 68 ff., 84 ff. Neu-Pommern 70 Neu-Seeland 58 f.,

66 f., 142

Nias 45 f., 87 f., 150 Nienieyer 225 Nsarnbi 54 Nuoffer

Obatalla 51, 48 Obdudua 55, 51 Olokun 54 Olorun 54 Osage 15 Osterinsel 71 ff.

Otto 7

Pangwe 54, 62, 64, 85, 92, 102, 115 f.

Parkinson Pechuel-Loesche 126 ff.

Pele 52 Potonac 15 Pueblo-Indianer, s. Zuni, Hopi.

Qat 42

Rabe 48 f., 55, 100

Scliango 55, 51 Scoresby Routledge 71 ff.

Seler 55 Schilluk 92 Sia 100 Sioux 62, 95 Stephan 156

Tahiti 58, 67 Tangaloa 58 f., 67 Tessmann 85, 115 Tlingit 92 Togo 55, 82 Tonga 82

Tjurunga 96 ff., 145 Torresstraße 118 f. Trilles 85, 102 ff.

Yolkelt 225

Webster 106

Zuni 11 ff., 47 f., 78, 151, 158 f.

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Den Druck des Textes und der Tafeln besorgte die Firma Gerhard Stalling A.-G., Oldenburg i. O. Den Einband fertigte die Buchbinderei Carl Einbrodt, G. m. b. H., Leipzig an. Die Klischees der einfarbigen l afeln lieferte die Firma Köhler & Lippmann, Braunschweig, die Klischees zu den mehrfarbigen Tafeln lieferten die Firmen Nauta & Hagen, Amster¬ dam und Richard Labisch & Co., Berlin, das Papier die Papierfabrik Scheufeien, Oberlenningen-Teck (Württemberg)