LIBRARY UNIVERSITY OF CALIFORNIA RIVERSIDE

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M. DOEBERL

BAYERN UND DEUTSCHLAND

Bayern

und die BismarckisAe

Reidisgründung

Mündien und Berlin 1925 Druck und Verlag von R. Oldenbourg

BAYERN UND DIE BISMARCKISCHE REICHSGRÜNDUNG

Von

M. DOEBERL

Mündien und Berlin 1925 Druck und Verlag von R. Oldenbourg

Alle Rechte, einsdiließlidi des Qbersetzungsrechtes, vorbehalten Copyright 1925 by R. Olclenbourg, München

Wenige Ereignisse der deutschen und bayerischen Vergangen- heit bergen so hohe Interessen und so große Erinnerungen und sind doch zugleich so sehr mit Legenden überwuchert als das letzte Stadium der Gründungsgeschichte des Bismarckischen Reiches : mit Legenden überwuchert nicht bloß in der zeitgenös- sischen Publizistik, nicht bloß in der Memoirenliteratur, auch in der wissenschaftlichen Literatur der Gegenwart. Das gilt von der vielberufenen Schrift A. v. Ruvilles (,, Bayern und die Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches" 1909) und z. T. selbst von dem Werke Ottokar Lorenz' (,, Kaiser Wilhelm und die Begründung des Reiches" 1902), so wertvolle Mitteilungen dieser aus der deutschen Fürstenwelt bringt.

Meine Aufgabe ist es nun, an der Hand der bayerischen Staatsakten, die ich im bayerischen Ministerium des Äußern, im Münchener Geheimen Staatsarchiv, im Münchener Kriegsarchiv und im Münchener Geheimen Hausarchiv zum erstenmal ein- gesehen habe, aber auch der Akten des Auswärtigen Amtes und des Reichsamtes des Innern in Berlin sowie württem- bergischer und badischer Staatspapiere diese Legenden vollends zu zerstören und den Hergang rein realistisch, so wie sich das Bild aus dem unmittelbaren Arbeitsnachlaß der Epoche ent- hüllt, ohne Schönfärberei, aber unter Würdigung der Psychologie, der seelischen Voraussetzungen des bayerischen Staates und Volkes und seiner führenden Männer zu schildern. Dabei möchte eines nicht aus dem Auge verloren werden: heute steht der Bestand des deutschen Nationalstaates für jeden vernünftigen Deutschen außer jeder Diskussion; in der Zeit der Reichsgründung aber war er ein umstrittenes Problem.

Soweit das ohne Kenntnis der ungedruckten Akten mög- lich war, ist namentlich seitens Wilhelm Buschs (,,Die Kämpfe um Reichsverfassung und Kaisertum" 1906, ,, Württemberg und Bayern in den Einheitsverhandlungen 1870" in : Historische Zeitschrift, 1912), Georg Künzels (,,Bismarck und Bayern in der Zeit der Reichsgründung" 1910), Erich Branden- burgs (,,Der Eintritt der süddeutschen Staaten in den Nord- deutschen Bund" 1 910, ,,Die Verhandlungen über dieGründung

des Deutschen Reiches" in: Hist. Vierteljahresschrift, 1912)1), Wilhelm Stolzes (,,Die Gründung des Deutschen Reiches" 1912), Bernhard Weickers, (,,Vom Staatenbund zum Bundesstaat," 2. Teil 191 1) wertvolle kritische Vorarbeit zur Geschichte der Gründung des Deutschen Reiches geleistet worden. Ihnen bin ich ebenso zu Dank verpflichtet wie den hohen Stellen und Behörden, die mir Einsicht in die Akten gewährt haben. Besonderen Dank schulde ich dem Ministerialdirektor im bayerischen Ministerium des Äußern, Herrn Dr. Ernst v. Müller, der meine Arbeit nicht bloß amtlich sondern auch wissen- schaftlich in warmherziger und sachverständiger Weise ge- fördert hat.

^) Für die neue Auflage seines Werkes ,, Die Reichsgründung" (1923) zog er nunmehr auch die Akten des Auswärtigen Amtes in BerHn heran, soweit das im Rahmen seiner zusammenfassenden Darstellung möglich war. Wertvolle Mitteilungen aus dem Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin bringen auch Alfred Stern, Gesch. Europas von 1848 71, Bd. 10 (1924) u. Robert Howard Lord, The origins of the war of 1870, new documents from the German archives (1924).

Inhaltsverzeichnis.

Seite

Einleitung V

I, Bayerische Hemmungen i

II. Die Haltung Bayerns bei Ausbruch des Deutsch-französischen

Krieges ii

III. Bayerische Vorbehalte 43

IV. Bayerische Initiative in der deutschen Frage 58

V. Die Münchener Konferenzen 91

VI. Die Versailler Verhandlungen 103

VII. Aussprache mit Österreich 136

VIII. Das Kaiserproblem 143

IX. Der bayerische Landtag und die Versailler Verträge .... 176 X. Das Bismarckische Reich und sein Verhältnis zu Bayerns

König und Volk 192

Beilagen 215

Abkürzungen:

H. A. A. = Haupt archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin.

K. St. A, = Karlsruher Haus- und Staatsarchiv.

M. H. A. = Münchener Hausarchiv.

M. Kg. A. = Münchener Kriegsarchiv.

M. St. A. = Münchener Staatsarchiv (bez. Ministerium des Äußern).

R. d. I. = Registratur des Reichsministeriums des Innern in Berlin.

St. St. A. = Stuttgarter Haus- und Staatsarchiv.

I.

Bayerische Hemmungen.

Ein jubelnder und vorbehaltloser Eintritt Bayerns in das Deutsche Reich, in den preußisch-deutschen Nationalstaat, ist nicht erfolgt. Die bayerische Regierung wäre auch jetzt einem kleindeutschen Bundesstaat unter preußischer Führung lieber ferne geblieben. Sie betrachtete den Eintritt als eine Konzession und vollzog ihn schließlich nur gegen Gewährung von Sonderrechten.

Aber das ist ebenso gewiß: dieses Zögern, dieser Wider- stand hatte, wenn auch hier die Pflicht des Historikers er- füllt, auch hier Personen und Handlungen aus ihren Ver- hältnissen heraus beurteilt werden sollen, eine innere Berechti- gung. Bayern handelte als staatlicher Organismus aus einer gewissen inneren Notwendigkeit heraus.

Die Opfer, die der Norddeutsche Bund von den deutschen Fürsten verlangte, erschienen dem Herzog Ernst von Koburg so bedeutungsvoll, daß er dem Grafen Bismarck gegenüber die Frage aufwarf, ob es nicht besser wäre, eine Art von Me- diatisierung der deutschen Fürsten, eine Annäherung an das preußische Herrenhaus eintreten zu lassen.

Eine solche Selbstvernichtung konnte wohl von einem Herzog Ernst, der seine fürstliche Stellung nie besonders hoch eingeschätzt zu haben scheint, angeboten werden.

Nicht aber von dem bayerischen Staate, dem ältesten der deutschen Staaten, einem der ältesten europäischen Staaten überhaupt, einem Staate, der kein Augenblicksgebilde, keine will- kürliche Schöpfung eines Willensaktes war, der nach dem Urteile nicht bloß bayerischer Staatsmänner, sondern auchBismarcks die stärksten Vorbedingungen einer wirklichen Existenzfähigkeit aufwies: eine uralte staatliche Tradition, eine 1400jährige politische Gemeinschaft, eine 1000 jährige mit Land und Volk

Doeberl, Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. I

verwachsene Dynastie, ein ausgeprägtes Staatsbewußtsein seiner Bevölkerung, ein ursprüngliches, wurzelfestes, kraft- volles Volkstum, mit einer uralten Kultur, mit einer besonderen Eigenart der Lebensbetätigung in Wirtschaft und Gesellschaft, mit einem Wirtschaftsleben eigener Prägung bei aller Ver- flechtung in die deutsche Wirtschaft. Ludwig von der Pfordten schloß eine umfassende Denkschrift aus dem Jahre 1856 mit den Worten: ,,Man kann die jetzigen Glieder des Deutschen Bundes in zwei Klassen scheiden : in solche, durch die der Bund besteht, und in solche, die nur durch den Bund bestehen. Bayern gehört, wenn es nicht sich selbst aufgibt, unbestreitbar in die erste Klasse. Es trägt die Garantie seiner Fortexistenz in sich, in seiner Geschichte und der mit dieser verwebten Dynastie, in seiner Verfassung, in seinem Territorialumfang, in dem Selbstgefühl und der Kraft seiner Bevölkerung, in der Entwicklung seiner finanziellen, nationalökonomischen und politischen Machtverhältnisse und in den Beziehungen der europäischen Großmächte zu ihm und untereinander."^) Und auch Bismarck äußerte schon während seines Frankfurter Aufenthaltes zu dem damaligen bayerischen Bundestags- gesandten Freiherrn v. Schrenck: ,, Bayern könnte persönliche Politik treiben, weil es sowohl vermöge der Homogenität seines Staates als der Zahl seiner Bewohner für sich selbst zu leben vermöchte, während andere Staaten zweiten Ranges, wie Hannover und Kurhessen, im Hinblick auf ihre geo- graphische Lage sich nicht beikommen lassen könnten, von Preußen, dessen notwendige Enklaven sie seien, sich unab- hängig zu machen." Derselbe Bismarck wies in einem Schreiben vom Frühjahr 1865 den Gedanken einer ,,Mediati- sierung Bayerns in irgendwelcher Form als etwas Mögliches oder zu Erstrebendes "durchaus zurück: ,,Auch in Preußen wird in den Kreisen, welche überhaupt zu politischem Urteil befähigt sind, die selbständige Bedeutung Bayerns vollständig erkannt, welche der bayerische Herr Minister mit so gerechtem Selbstgefühl betont. Bayern ist vielleicht das einzige deutsche Land, dem es durch materielle Bedeutung, durch die bestimmt ausgeprägte Stammeseigentümlichkeit und die Begabung seiner Herrscher gelungen ist, ein wirkliches und in sich selbst be- friedigtes Nationalgefühl auszubilden. Die Bedeutung Bayerns steht nicht hinter der der anderen europäischen Staaten zurück, welche selbständig in Europa bestehen, ohne sich an

1) M. Doeberl, Bayern und Deutschland im 19. Jahrhundert (1917) S. 104.

einen Bund zu lehnen und ohne eine Verletzung ihrer Unab- hängigkeit zu besorgen . . . Unsere Verhältnisse weisen uns auf die Bundesgenossenschaft mit Bayern hin, aber nicht auf das exzentrische Streben uns einen kräftigen, in sich zufriedenen und abgeschlossenen, geographisch und volkstümlich zur Selb- ständigkeit berufenen Staat mit Gewalt oder List zu assimi- lieren." Derselbe Bismarck schrieb in der Übergangszeit zwischen 1866 und 1870 an seinen Vertreter in München, den Prinzen Reuß: ,,Wir stehen zu den süddeutschen Staaten in einem anderen, man kann sagen günstigeren Verhältnis als zu dem Norddeutschen Bund. In Betreff des letzteren er- fordert unsere eigene Sicherheit eine straffere Anziehung der Bande innerhalb des Bundesverhältnisses und für uns eine unbedingte Disposition über die Kräfte des Bundes nach innen und außen ... In Betreff Süddeutschlands bedürfen wir nicht derselben strengen Form der Einigung, sondern nur eines unzweideutigen Ausdrucks der nationalen Gemeinschaft, welcher gleichzeitig die Gewißheit gibt, daß die süddeutschen Staaten nicht einer feindseligen Tendenz gegen Norddeutsch- land, einer Anlehnung an fremde Mächte verfallen und daß die Pflege der gemeinsamen materiellen Interessen des deut- schen Volkes durch gemeinsame organische Einrichtungen sichergestellt wird . . . Ew. Durchlaucht wollen, namentlich auch in außeramtlichen Kreisen, der etwaigen Besorgnis ent- gegentreten, als schwebte uns der Gedanke vor, unser Verhält- nis zu Bayern jemals nach dem Muster zu ordnen, an welchem die geographische Lage uns nötigt Sachsen gegenüber festzu- halten." Er ermahnte den Nachfolger des Prinzen Reuß, den Gesandten Freiherrn v. Werthern, zu größtmöglicher Rück- sichtnahme auf bayerische Empfindlichkeiten: ,,Ew. Hoch- wohlgeboren können versichert sein, daß ich in dieser Richtung jede, auch anscheinend weitgehende, Rücksichtnahme und Bescheidenheit im amtlichen Verkehr mit Bayern bei S. M. dem König zu vertreten bereit bin und es nur billigen und Ihrer Aufgabe angemessen finden werde, wenn Sie sich zum Advokaten der bayerischen Wünsche und Auffassungen und dadurch zum Vermittler eines guten Verhältnisses zu machen suchen." Die Prophezeiung seines Gesandten von dem nahen Zusammenbruch des bayerischen Staates weist er bestimmt und entschieden zurück: ,,Wenn auch keinem Staate, der unsrige nicht ausgenommen, die Dauer zu garantieren, so zeigt doch ein Rückblick auf die Geschichte des bayerischen Staates in seinen Bevölkerungen ein starkes Beharrungs-

vermögen und in den Stammlanden eine starke Anhänglich- keit an die Dynastie."^)

Eine solche Selbstvernichtung konnte nicht erwartet werden von einer Dynastie mit der großen Vergangenheit wie der wittelsbachischen, die den bayerischen Territorial- staat geschaffen, vor den Hohenzollern um die Hegemonie Deutschlands gestritten hatte, die seit dem Dreißigjährigen Kriege wiederholt ein maßgebender Faktor selbst in der europäischen Politik gewesen war, die nach britischem Zeug- nisse für Kunst, Wissenschaft und schöne Literatur mehr ge- leistet hatte als manche europäische Großmacht, die in allem Wechsel der Jahrhunderte und bei allem Reichtum individueller Entfaltung gerade in ihren begabtesten und kraftvollsten Repräsentanten immer wieder zwei Grundzüge ihrer Wesen- heit offenbarte: einerseits das Bewußtsein der Zugehörigkeit und der Verpflichtung gegenüber einem größeren Ganzen, der deutschen Nation, anderseits das Streben nach terri- torialer Selbständigkeit und fürstlicher Selbstherrlichkeit.

Nicht von einem Ludwig IL, dem letzten König alten Stils, dem auf der langen Entwicklungsleiter fürstlicher Mentalität verstiegensten Repräsentanten einer tausendjährigen Dynastie, der von ,, seiner königlichen Stellung und seinem Herrscheramte", ,,dem Schönsten, Erhabensten auf Erden", wie er es nennt, die denkbar höchste Vorstellung, ein krankhaft gesteigertes und mißtrauisch bewachtes Selbstgefühl hatte, dessen Herrscherideal der eifersüchtigste Kronenträger, Lud- wig XIV., war. Wie so oft hat auch hier Bismarck gerechter geurteilt. ,,Die einen," hat er später einmal geäußert, ,, hätten dem Könige von Bayern zugemutet, in einem Einspänner hinter dem Reichsomnibus herzufahren. Die Vorwürfe, die in Preußen gegen König Ludwig erhoben wurden, weil er seine Stellung als souveräner Fürst nicht aufgeben noch we- sentliche Rechte an die Reichsgew^alt abtreten wollte, seien aber noch unsinniger gewesen. Könnte man denn glauben, daß ein Hohenzoller auf dem bayerischen Thron gleich mit beiden Füßen in die neue Reichsordnung hineingesprungen wäre?" Allerdings war der König kein Freund politischer Geschäfte, weil sie ihn in seinen romantischen, künstlerischen und literarischen Liebhabereien störten. Seine Arbeitslust und Arbeitskraft litt unter den seelischen Ablenkungsmomen- ten. Aber wenn es sich um Souveränität und Selbständigkeit

^) Weisungen Bismarcks im Hauptarchiv des Auswärtigen Amtes in Berlin.

handelte, zeigte er sehr früh ein lebhaftes Interesse und dieses wuchs mit den Jahren und war so notorisch, daß diejenigen, die ihn zu gewinnen suchten, gerade hier einsetzten. Seit dem Jahre 1866 lebte er in beständiger Furcht für die Un- abhängigkeit seiner Krone und die Selbständigkeit seines Landes. In dieser Besorgnis wurde er bestärkt vom Auslande wie vom Inlande, von Frankreich, von Österreich, auch vom Kaiser von Rußland solche Briefe des Kaisers liegen vor , ganz besonders aber von den Mitgliedern des königlichen Hauses. Seit dem Jahre 1866 hatte immer wieder der Bruder, der Oheim, der Großvater, der Großoheim vor den großpreußischen Tendenzen gewarnt. Auch diese Briefe sind zum Teil erhalten. Nach dem Bekanntwerden der (für die Versailler Verhand- lungen grundlegenden) Verfassung des Norddeutschen Bundes hatte König Ludwig I. an ihn geschrieben: ,, Soeben lese ich den Entwurf der Verfassung des Norddeutschen Bundes. Es ist schwer zu sagen, was er den Fürsten und Ständen übrig läßt. Möchtest Du Dich hüten, selbst im geringsten Teile Bayern mediatisieren zu lassen."^) Dieser König, der von Haus aus schwer zu einem politischen Entschlüsse zu bringen und so gerne geneigt war, selbst von einem wirklich gefaßten Ent- schluß in die frühere Entschlußlosigkeit zurückzufallen, glaubte sich durch die Vorstellungen der Mitglieder des königlichen Hauses, durch die Rücksicht auf sie, durch die Angst vor ihnen gebunden. Man fühlt es aus den Entschuldigungen, die er vorbringt, wenn er wirklich einmal in der deutschen Frage ein Zugeständnis gemacht hat. Und diesem im Grunde völlig unkriegerischen Könige war immer wieder von Frankreich wie von Österreich her gepredigt worden, daß Bayern, je entschiedener es den preußischen Versuchen, ihm weitere Konzessionen abzuringen, entgegentrete, um so wirksamer dem Weltfrieden diene: ,,Der König wird dadurch so heißt es in einer formell an den österreichischen Gesandten, tat- sächlich an den bayerischen König gerichteten österreichischen Weisung mit der Stellung seines Hauses und Landes zu- gleich das Interesse der Erhaltung des Friedens wahren; denn das Ausland wird keine gefährlichen Besorgnisse hegen, so- lange Übergriffe der angedeuteten Art durch den ausgesproche- nen Willen des Souveräns und des Landes zurückgewiesen wer- den, und man wird der Zukunft mit mehr Beruhigung entgegen- blicken, wenn man sieht, daß der König von Bayern den Be-

1) M. H. A.

I

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strebungen der Partei unzugänglich ist, welche zugunsten einer in Berlin zentralisierten Militärmacht mit der Vergangen- heit Bayerns und Deutschlands brechen will."

Eine solche Politik konnte nicht erwartet werden von Ministern, die für jedes Opfer an Souveränitätsrechten nicht bloß ihrem Könige sondern auch der Landtagsmehrheit Rechenschaft legen mußten, die nicht bloß von Österreich, von dem österreichischen Reichskanzler Grafen Beust, sondern mittelbar auch von Mitgliedern des Norddeutschen Bundes durch Schilderung ihrer Verfassungsnöte immer wieder vor der Verfassung des Norddeutschen Bundes gewarnt und von fast allen ihren Vertretern an den deutschen Höfen, vom Freiherrn v. Gasser in Stuttgart, vom Grafen v. Paumgarten in Dresden, vom Freiherrn v. Perglas in Berlin, vom Freiherrn V. Schrenck in Wien, dem früheren Ministerpräsidenten und Bundestagsgesandten, bis zum letzten Augenblicke vom Bei- tritt zum Norddeutschen Bunde, von dieser ,, Konfiskation aller wesentlichen Regierungsrechte", zurückgehalten wurden. Nicht von Ministern, deren Vorsitzender im Ministerrate, Graf Otto v. Bray- Steinburg, im Vaterhause wie auf seinen diplomatischen Missionen den Geist des alten, souveränen Bayerns, die Staatsauf fassung Montgelas', eingesogen hatte, Montgelas', dessen oberstes Staatsprinzip die Wahrung der unbe- schränkten Staatssouveränität nach innen und nach außen ge- wesen war. Gehörte der Vorgänger, Fürst Chlodwig von Hohen- lohe, dem Nachmärz an, fühlte er sich nach seiner Herkunft wie nach seiner Bildung und poHtischen Vergangenheit zuerst als Deutscher und dann erst als Bayer, so gehörte Graf Bray nach seinem Entwicklungsgange dem Vormärz an und war ganz zum Bayern geworden. ,,Ich gehöre zu jener älteren Gene- ration," äußerte er in einer entscheidungsvollen Stunde, ,, welche an dem Gewohnten und Hergebrachten hängt, be- sonders wenn sich damit der teure Name des bayerischen Vaterlandes verbindet." Graf Bray war denn auch von der patriotischen Volkspartei mit großen Erwartungen begrüßt worden. In der inneren PoHtik bedeutete sein Ministerium auch in der Tat einen Ruck nach rechts. In der deutschen Politik dagegen bedeutete die Nachfolge des Mitunterzeichners des Berliner Friedens keinen eigentlichen Systemwechsel. Aber das ist ebenso gewiß : Graf Bray betrachtete die deutsche Frage nicht als deutscher Patriot, sondern als Diplomat; dem nüch- ternen Diplomaten war die deutsche wie jede andere politische Frage nicht eine Herzensangelegenheit, sondern eine Verstan-

dessache. Er war zudem bei seiner Schweigsamkeit und Ver- schlossenheit nationalen Einflüssen von anderer Seite viel weniger zugänglich als Hohenlohe. Mit seinem Ministerium hatte nicht bloß Graf Tauffkirchen ausgespielt, sondern auch Freiherr v. Völderndorff : er war ihm zu durchlässig. Er hat tatsächlich ohne politischen Referenten regiert, er war, wie der württembergische Gesandte Freiherr v. Soden sich ausdrückt, in allen politischen Angelegenheiten sein eigener Referent. Von dem Grafen Bray war zunächst, ohne außer- ordentliche äußere Einwirkungen, die es ihm verstandesmäßig zu einem unabweislichen Gebote gerade der staatlichen Selb- ständigkeit machten, eine Initiative in der deutschen Frage kaum zu erwarten. Noch weniger ein vorbehaltloser Eintritt in den Norddeutschen Bund. Wer von den bayerischen Mi- nistern in seiner politischen Auffassung wie in seiner politischen Aktivität am frühesten die seelischen Voraussetzungen für eine Initiative in der deutschen Frage aufwies, das war Johann Lutz. Lutz war aber damals weder Ressortminister der aus- wärtigen und deutschen Angelegenheiten noch Vorsitzender im Ministerrate, sondern Justizminister und war zu klug und zu vorsichtig, als daß er sich mit den ihm wohlbekannten Gesin- nungen seines Königs in offenen Widerspruch hätte setzen wollen. Eine solche Selbstaufopferung war noch weniger von der Landtagsmehrheit, der patriotischen Partei, zu erwarten, die an die innere Umwandlung des politischen Glaubensbekennt- nisses Bismarcks nicht glaubte, in König Wilhelm und seinem ,, dämonischen" Kanzler nicht die Begründer deutscher Einheit, sondern die Vollender des großpreußischen Einheitsstaates, die Vertreter des ,,nimmersatten" preußischen Partikularismus, , ,der bloß auf Übervorteilung und den schließlichen Untergang der übrigen deutschen Staaten hinarbeite," schaute, die die Trennung von den Millionen deutscher Stammesgenossen jenseits der schwarzgelben Grenzpfähle als einen ,, blutigen Schnitt durch eine tausendjährige Verbindung" empfand, die vom protestantischen Kaisertum eine Gefahr für den Katholi- zismus, von der engen Verbindung Bayerns mit dem Militär- staate Preußen das Gespenst des Militarismus, vom Siege ihres stärksten und schärfsten Gegners, der Fortschrittspartei, auf nationalem Gebiet ein weiteres Vordringen des Fortschritts- programms im Bereiche der inneren Gesetzgebung und der Kulturpolitik besorgte. Der Herausgeber der ,, Historisch-poli- tischen" Blätter, Dr. Jörg, hat einmal geäußert: ,,Es ist in zahlreichen Organen gesagt worden, daß es sich nicht bloß

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um die Niederwerfung des französischen Erbfeindes handle, sondern auch um die Niederwerfung eines andern Feindes, nämUch um die Niederwerfung der Gegner der national- hberalen PoHtik bei uns." ,,Nur wenn ganz Deutschland auf den Plan tritt, sind wir gerettet vor nationalliberaler Tyrannis!" Gerade die innere Politik des Ministeriums Hohen- lohe und sein enges Verhältnis zur Fortschrittspartei hatten die Opposition der konservativ-katholischen Richtung, die nach der Katastrophe von 1866 kleinlaut geworden war, neuer- dings verschärft und erweitert . Darüber sind auch die , , Historisch- politischen Blätter", die für die Bismarckische Politik in den Anfängen seines Ministeriums oft ein überraschendes Verständ- nis bekundet hatten, in immer schärferen Gegensatz zur deutschen Politik Bismarcks geraten. Die Fortschrittspartei und mit ihr das Ministerium Hohenlohe wurden nicht bloß als die ,,Verpreußer" gebrandmarkt, sondern im Hinblick auf die Hohenlohesche Sozialgesetzgebung auch als die Zerstörer des bayerischen Wohlstandes, im Hinblick auf seine Kirchen- und Schulpolitik als die Zerstörer des Glaubens verschrieen. Der Liberalismus, in Bayern die Fortschrittspartei, hat, wie ich später noch näher zeigen werde, namentlich in den Kreisen der Intelligenz und des Beamtentums, beim Bürgertum und der protestantischen Landbevölkerung unermüdlich und erfolg- reich für den preußisch-deutschen nationalen Staatsgedanken geworben. Das ist sein Verdienst. Er hat aber auch damals wie später, in den siebziger Jahren, das religiöse Empfinden des katholischen Volksteiles zu wenig geschont und ihm damit das Einleben in die neue deutsche Entwicklung erschwert. Die patriotische Partei war nach der Auffassung des geistig be- deutendsten Führers der Partei, Dr. Jörgs, nichts anderes als die „Koalition aller derjenigen Elemente im Volke, die sich durch die tyrannische Herrschaft des Liberalismus aufge- schreckt fühlten zum Widerstände." Und dieser Koalition, dieser Landtagsmehrheit war in Thron- wie in Ministerreden, im Frühjahr und selbst noch bei Ausbruch des Krieges immer wieder das Versprechen gegeben worden, daß die bayerische Regierung nur einer solchen Gestaltung Deutschlands ihre Zustimmung erteilen werde, die die Selbständigkeit Bayerns nicht gefährde. Die patriotische Partei hat auf das Königs- wort in der Thronrede vom Januar 1870 auch immer wieder hingewiesen. Daß gerade Bismarck die Selbständigkeit Bayerns gegenüber unitaristischen Bestrebungen verteidigen würde, das wußte oder glaubte man damals noch nicht.

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Am allerwenigsten konnte man ein solches Opfer in einem Augenblick erwarten, da Bayern nicht etwa militärisch nieder- geworfen worden war, sondern Preußen und Deutschland durch sein bundestreues Verhalten wichtige Dienste erwiesen und die preußische Regierung und die preußische Presse, aber auch zahlreiche Zuschriften aus allen Kreisen und aus allen Gegen- den Deutschlands, die noch heute im Kabinettsnachlasse des Königs liegen, diese Verdienste überschwänglich gefeiert und damit das Selbstgefühl Bayerns noch gehoben hatten. In einem Augenblicke, da der König von Preußen eben noch die Zusicherung gegeben hatte, daß Bayerns staatliche Selbständigkeit gegenüber der deutschnationalen Richtung im Krieg und nach dem Krieg unversehrt erhalten bleiben solle, da die preußische Regierung ausdrücklich bekarÄt hatte : der gegenwärtige, ruhmreiche Krieg habe neuerdings dargetan, daß die berechtigte Selbständigkeit Bayerns mit der Größe imd den Interessen Deutschlands wohl vereinbar sei. Gegenüber anders gearteten Erwartungen der sächsischen Regierung erklärte der bayerische Gesandte am Dresdener Hofe: ,, Schon Fürst Hohenlohe habe den Eintritt Bayerns in den Bundes- staat als mit den souveränen Rechten seines Königs unverein- bar erklärt; um wieviel weniger könne nunmehr jetzt, nachdem durch glänzende militärische Erfolge mit einer ganz selb- ständigen, ohne auswärtige Hilfe organisierten Armee die volle Ebenbürtigkeit mit Preußen konstatiert sei, von Kon- zessionen die Rede sein, welche die obersten Kronrechte schmälern." 1) ,,Man kann uns doch nicht dafür strafen, daß wir so treulich mithalten," hatte schon vorher der frühere Minister Freiherr v. Schrenck zum badischen Gesandten in München geäußert. 2)

Wenn man mit Recht von preußischen Traditionen spricht, so darf man eben nicht vergessen, daß es auch ein bayerisches Erbe, bayerische Überlieferungen, bayerische Bindungen gab. Wie von Preußen, durfte man auch von Bayern keine Politik erwarten, die nicht seinem eigensten Wesen entsprach. Natur und Geschichte sind das eherne Gesetz, die Notwendigkeit, das Schicksal auch der Staaten.

Die menschliche Natur neigt dazu, alles sie Begeisternde dadurch zu erhöhen, daß sie es von den Arbeitsbedingungen loslösen möchte. Und doch liegt gerade hierin der Hauptreiz, den Wendepunkten der Nationen bis ins innerste Herz zu

^) Bericht Paumgartens vom 12. Okt. 1870, M. St. A. 2) K. St. A.

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sehen, wurzelt gerade hierin die weltgeschichtHche Größe des Lebenswerkes des größten deutschen Staatsmannes, der alle diese Schwierigkeiten überwand, in wenigen Wochen das schuf, wonach Generationen von Staatsmännern und Parla- menten vergebens gerungen.

Die Ankläger Bayerns sind in Wirklichkeit die Verkleinerer Bismarcks.

IL

Die Haltung Bayerns bei Ausbruch des Deutsch ^französischen Krieges

Der Schöpferkraft des Genies hat die Schöpferkraft des Krieges den Weg gebahnt.

Schon im Jahre 1860 hatte einer der Gründer der baye- rischen Fortschrittspartei, Karl Brater, die prophetischen Worte gesprochen: ,, Möchten alle wissen in Frankreich, daß Tausende bei uns den Moment eines französischen Angriffs als stärksten Zauber zur Schlichtung des inneren Haders, zur endlichen Lösung der deutschen Verfassungsnot fast un- geduldig herbeisehnen." Diesen französischen Angriff brachte der Sommer des Jahres 1870.^)

Kaiser Napoleon III. hatte früher mit Preußen gelieb- äugelt, solange es galt dem damals noch gefährlicheren Öster- reich Abbruch zu tun. Seit der Schlacht von Königgrätz erblickte die öffentliche Meinung Frankreichs in Preußen den

1) Aus der Literatur zur Vorgeschichte des Krieges verweise ich auf: Lenz, Gesch. Bismarcks^ (191 1) ; Marcks, Kaiser Wilhelm^ (1905) ; H. Delbrück, Das Geheimnis der Napoleonischan Politik in: Preuß. Jahrbuch., Bd. 82 (1890) ; W. Busch, Die Beziehungen Frankreichs zu Österreich und Italien (1900) ; Bourgeois-Clermont, Rome et Napoleon III. (1907) ; v. Petersdorff, Der Streit über den Ursprung des Deutsch-französischen Krieges in: Forsch, z. Brand, u. Preuß. Gesch., Bd. 9. u. 10; Brase, Emil Olliviers Memoiren und die Entstehung des Krieges von 1870 (1912); E. v. Wertheimer, Zur Vorgesch. des Krieges von 1870 in: Deutsche Rundschau Bd. 185 u. 186 (1920 u. 1921); H. Hesselbarth, Drei psychologische Fragen zur spanischen Thronkandidatur (1913); R. Fester, Briefe, Aktenstücke und Regesten zur Geschichte der hohenzoUernschen Thronkandidatur in Spanien (191 3); derselbe, Neue Bei- träge zur Geschichte der hohenzoUernschen Thronkandidatur {191 3); der- selbe, Die Genesis der Emser Depesche (1915) ; dazu Stern und Lord a. a. O. Meine Darstellung der Haltung Bayerns gründet sich vornehmlich auf die bayerischen Ministerialakten im Münchener Geh. Staatsarchiv und die einschlägigen Akten im Münchener Kriegsarchiv ; sie wurden ergänzt durch die Akten im Hauptarchiv des Auswärtigen Amtes in Berlin und durch die intime Korrespondenz zwischen den Grafen Beust und Bray im Nachlasse des letzteren. Vgl. dazu Beilagen I.

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gefährlicheren Gegner, den Vertreter des in der Einigung be- griffenen Deutschlands und damit jenes Systems, das Frank- reich seit Jahrhunderten planmäßig bekämpft hatte. Seit dem Scheitern der französischen Kompensationsforderungen vom August 1866 standen sich auch der Kaiser der Franzosen und der Leiter der preußischen Politik, Graf Bismarck, mit tiefstem Mißtrauen gegenüber. Den Ausgang des Luxemburger Handels vollends empfand Napoleon als eine schwere persönliche Demütigung. Frankreich wachte jetzt gemeinsam mit Öster- reich über der strengen Einhaltung des Prager Friedens, der der preußisch-deutschen Politik den Weg nach dem Süden versperren sollte. Der Kaiser der Franzosen arbeitete vom März bis Dezember 1869 persönlich an der Bildung einer europäischen Koalition gegen Preußen, an einem Bündnisse mit Osterreich, das die Erinnerung an das Jahr 1866 noch nicht verwunden hatte, und mit Italien, das dem früheren Bundes- genossen Preußen grollte, weil dieses seine Absicht auf Süd- tirol nicht unterstützt hatte. Das Ziel Frankreichs war Er- werbung des Rheins, Zerschlagung Deutschlands in möglichst kleine Staaten und Unterdrückung der hegemonistischen Bestrebungen Preußens. Zu einem Abschluß waren diese diplo- matischen Verhandlungen allerdings noch nicht gekommen, hauptsächlich weil Italien Absichten auf Rom hatte und aus diesem Grund Abzug der französischen Besatzungstruppen verlangte und weil Österreich beim Ausbruch eines Deutsch- französischen Krieges nicht sofort losschlagen, sondern erst den Gang der Ereignisse in Süddeutschland abwarten wollte. Immerhin hatten die Monarchen der drei Staaten im September 1869 persönliche Briefe ausgetauscht, in denen die Grundlage und der Geist der vorausgegangenen diplomatischen Verhand- lungen als moralisch verpflichtend anerkannt wurde, und hatten im Frühjahr und Frühsommer 1870 in Paris und in Wien militärische Besprechungen über einen künftigen Feld- zugsplan gegen Preußen stattgefunden. Napoleon glaubte im Ernstfall auf österreichische und italienische Waffen- hilfe rechnen zu dürfen. Und schon hatte Marschall Niel eine Erneuerung und Verstärkung der französischen Armee eingeleitet. Preußen blieben weder die französischen Bündnis- verhandlungen noch die französische Heeresreorganisation unbekannt.

Auf diesem Hintergrunde mit seinem ,,cauchemar des coalitions" ist der unmittelbare Anlaß zum Deutsch-französi- schen Kriege, die spanische Thronkandidatur des fürstlichen

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Hauses Hohenzollem, und das Verhalten Bismarcks zu ihr zu würdigen.

Die Spanier hatten durch eine MiHtärrevolution ihr Staats- oberhaupt, die Königin Isabella, verjagt. Sie sahen sich in ganz Europa um Kandidaten für ihren Thron um. Wiederholt dachte man an einen deutschen Prinzen, an ein Mitglied des fürstlichen Hauses Hohenzollern. Wiederholt lehnte das Haus ab. Im Sommer 1870 wurde der Antrag neuerdings gestellt und jetzt nahm der junge Erbprinz Leopold, der älteste Sohn des Fürsten Karl Anton von Hohenzollern, an.

Die Franzosen haben von jeher die Auffassung ver- treten, daß die hohenzollerische Kandidatur ein Werk Bis- marcks gewesen sei. Die Deutschen haben das lange Zeit bestritten. Die Franzosen haben recht behalten: der Bruder des Erbprinzen von Hohenzollern, König Karl von Rumänien, hat das Geheimnis in seinen Lebenserinnerungen ,,Aus den Denkwürdigkeiten König Karls von Rumänien" gelüf- tet. Seine Enthüllung wurde von anderer Seite bestätigt und ergänzt. Mag auch der Gedanke ursprünglich von Spanien ausgegangen sein oder noch früher von dem jetzigen preußi- schen Gesandten am Münchener Hofe, Freiherrn v. Werthern, der in einem Schreiben an Bismarck vom 25. Juli die erste Anregung der hohenzollerischen Kandidatur für sich in An- spruch nimmt 1): Bismarck unterstützte den Gedanken so, übte auf den Prinzen und dessen Vater, um ihre anfängliche Abneigung zu überwinden, einen solchen Druck aus, daß die hohenzollerische Kandidatur als sein Werk gelten kann im Gegensatz zu König Wilhelm von Preußen, der dem Projekte gleichgültig, im Grunde des Herzens sogar abgeneigt gegenüberstand. Um die Gefahr, daß die Angelegenheit mit einer diplomatischen Niederlage Preußens enden könnte, zu umgehen, gab Bismarck der Öffentlichkeit gegenüber die Kandidatur für eine Privatangelegenheit des fürstlichen Hauses Hohenzollern aus, an der die preußische Regierung keinen Anteil hätte und wofür sie die Verantwortung ablehne. Unter dem Schutze dieser klug genommenen Deckung betrieb er mit aller Energie die Kandidatur, schickte sogar hohe Beamte und Militärs wie seinen Mitarbeiter Lothar Bucher, den General V. Bernhardi und den Major im preußischen Generalstab V. Versen nach Spanien, um sich über die Lage und Stimmung daselbst aufzuklären.

1) H. A. A.

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Graf Bismarck hat sich in einer für König Wilhelm be- stimmten Denkschrift über seine Motive ausgesprochen. Er erwartete von einer deutschen Kandidatur wirtschaftliche Vorteile für Preußen und Deutschland in Spanien. Er ver- sprach sich aber auch politisch-militärische. Die Kandidatur war eben als politischer Gegenzug gegen die antipreußische Koalition gedacht: ein hohenzollerischer König in Spanien zwang im Fall eines Krieges den Kaiser der Franzosen, mit der Möglichkeit einer Bedrohung im Rücken zu rechnen, nötigte ihn also wenigstens ein Armeekorps an den Pyrenäen aufzu- stellen und damit seine Streitkräfte gegen Preußen zu schwä- chen. Spanien war vielleicht jetzt eine ähnliche Rolle zu- gedacht wie 1866 Italien. Man hat auch gemeint, Bismarck habe mit der vollzogenen Tatsache Frankreich überrumpeln und einen diplomatischen Erfolg über das französische Kaiser- tum erringen wollen, um dessen ohnehin erschüttertem An- sehen einen weiteren moralischen Schlag zu versetzen. Man hat selbst gemeint, Bismarck habe mit dieser Kandidatur von Anfang an den Franzosen eine Falle stellen und den Aus- bruch des Krieges beschleunigen wollen. Es ist wohl wahr- scheinlicher, daß, wie beim Ausbruche des Weltkrieges, beide Teile erst durch die Macht der Ereignisse immer weiter ge- trieben wurden: die französische Regierung durch die eigene Unvorsichtigkeit, Bismarck durch die Provokation seitens der Franzosen, in dem Augenblick, als diese durch über- spannte Forderungen einerseits sich ins Unrecht gesetzt, anderseits Preußen vor die Gefahr einer morahschen Nieder- lage gestellt hatten, die namentlich auf Süddeutschland nachteihg einwirken konnte. Jedenfalls hat Bismarck von diesem Augenbhck an die Entwicklung bewußt verschärft, in der Absicht den Krieg zu beschleunigen.

Bismarck wußte, daß ein Waffengang mit Frankreich, schon wegen der Lösung der deutschen Frage, für die Dauer unvermeidhch sei. Damals erachtete man es als die Pflicht eines Staatsmannes, einen Krieg, den er für die Dauer un- vermeidhch hält, zeithch zu seinen Gunsten zu fixieren, sei es durch Beschleunigung, sei es durch hinziehende Verhand- lungen. Nun aber wußte man im preußischen Generalstabe, daß das Instrument des Krieges, das Heer, trotz der Bemühun- gen des Marschalls Niel in Frankreich tatsächhch nicht fertig war, Preußen aber, dessen Heereseinrichtungen inzwischen in den neuen preußischen Provinzen wie in Süddeutschland durchgeführt waren, einen großen militärischen Vorsprung

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besaß, der jedoch für die Dauer kaum aufrechterhalten werden konnte. Miütärische Erwägungen forderten also eine Beschleu- nigung des Krieges und diese hielt Bismarck vielleicht auch durch die Rücksicht auf gewisse Vorgänge in Württemberg und in der bayerischen Kammer für geboten : aus Gründen, die ich schon früher anführte, namentlich kirchenpolitischen, hatte sich hier das Verhältnis zu Preußen wieder unfreundlicher gestaltet.

Aber freilich, die hohenzollerische Thronkandidatur war kein Kriegsanlaß, der von Haus aus geeignet war, günstig auf die Entwicklung der alles beherrschenden deutschen Frage einzuwirken. Ein ,, Prinz auf dem Throne Karls V." war keine nationale Angelegenheit, sondern eine dynastische, die das deutsche Interesse zunächst wenig oder nicht berührte die Franzosen haben das richtig herausgefühlt , war nicht das von den nationalen Parteien ersehnte ,, Moment eines französischen Angriffs", sondern glich eher einer Herausforde- rung Frankreichs. Alle derartigen Thronkandidaturen sind Gegenstände internationaler Verhandlungen gewesen und die französische Regierung übte von ihrem Standpunkt aus ein gutes Recht, wenn sie verlangte, daß eine Kandidatur, die sie ihrem Interesse, ihrer Sicherheit, ihrem moralischen An- sehen im Land gefährlich hielt, zurückgezogen werde. Auf Grund der Allianzverträge von 1866 fühlten sich die süd- deutschen Staaten, wenigstens Bayern und Württemberg, nur bei einem Angriffskrieg auf Deutschland zur Heeresfolge verpflichtet. Es war fraglich, ob im Fall eines aus der hohen- zollerischen Thronkandidatur entstandenen preußisch-franzö- sischen Waffenganges die süddeutschen Regierungen den casus belli als gegeben erachten würden. Es war selbst zu be- fürchten, daß der Zwischenfall die ohnehin schon gereizte Stimmung eines Teiles der süddeutschen Bevölkerung gegen Preußen verschärfen werde.

Wie nun Bismarck der, wie es schien, preußischen Heraus- forderung den Charakter eines französischen Angriffs, der dynastischen Angelegenheit des Hauses Hohenzollern die Gestalt einer nationalen Frage des deutschen Volkes zu geben wußte, war eines der Meisterstücke seiner Diplomatie. Aller- dings bereiteten ihm zwei ganz verschiedenartige Momente den Weg dazu: das herausfordernde Benehmen Frankreichs und das nach der Auffassung Bismarcks schwächliche Ver- halten König Wilhelms von Preußen.

Die Wahl des Prinzen Leopold durch die spanischen Cortes, die als eine vollendete Tatsache die Welt überrasch en sol te>

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verzögerte sich. Dadurch gewann die französische Presse unter Führung des offiziellen „Constitutionnel" Zeit, sich des Falles zu bemächtigen. Durch die französischen Zeitungen ging ein Sturm der Erregung und dieser pflanzte sich in die französische Kammer fort: „Das zweite Empire hat Italien und Preußen groß gemacht. Seine Schuld war Sadowa, seine Schuld ist es, wenn ein preußisches Reich, in dem die Sonne nicht unter- geht, entstehen sollte." Unter dem Druck der Presse und des Parlamentes gab die französische Regierung am 6. Juli im gesetzgebenden Körper Erklärungen ab, die einer Heraus- forderung an die preußische Regierung gleichkamen: ,,Wir glauben nicht, daß die Achtung vor den Rechten eines Nachbar- volkes uns verpflichtet zu dulden, daß eine fremde Macht, einen ihrer Prinzen auf den Thron Karls V. setzend, zu unserem Schaden das gegenwärtige Gleichgewicht der Kräfte in Europa stören und die Interessen und die Ehre Frankreichs gefährden könnte. Wir hoffen, dieser Fall wird nicht eintreten. Wir rechnen auf die Weisheit des deutschen und die Freundschaft des spanischen Volkes, daß sie es verhindern. Sollte es anders kommen, so würden wir, stark durch die Unterstützung des Parlamentes und der Nation, ohne Zaudern und ohne Schwäche unsere Pflicht zu erfüllen wissen." Schon fiel im Schöße des Parlamentes das Wort, daß man Zeuge einer Kriegserklärung gewesen sei. Schon verkündete der ,,Constitutionnel" am Morgen des 7. Juli, daß Frankreich zum Marschieren bereit sei. Da der Unter- staatssekretär im Berliner Auswärtigen Amte, v. Thile, in Vertretung des in Urlaub weilenden Grafen Bismarck erklärte, daß die Regierung des Norddeutschen Bundes von der Thron- kandidatur des hohenzollerischen Prinzen nichts wisse und daß diese als eine hohenzollerische Hausangelegenheit sie auch nichts angehe, erhielt der französische Botschafter am preußischen Hofe, Graf Benedetti, den Auftrag, das Haupt des hohenzollerischen Hauses, den zur Kur in Ems weilenden König Wilhelm, zu verpflichten, daß er dem Prinzen Leopold den Verzicht auf die spanische Thronkandidatur anrate oder gar befehle.

Der König lehnte ruhig und gemessen jede Verpflichtung ab: er lasse dem Prinzen volle Entschlußfreiheit, vermeide jede Beeinflussung. Aber er gab dem Grafen Benedetti doch zu verstehen, daß er einem Verzichte des Erbprinzen nichts in den Weg legen werde, er ging so weit, daß er den Grafen auf Briefe aus Sigmaringen, die er erwarte, vertröstete. In der

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gleichzeitigen Korrespondenz mit dem Vater des Prinzen, dem Fürsten Karl Anton von Hohenzollern, vermied es König Wilhelm zwar geflissentlich, einen Verzicht zu befehlen oder auch nur anzuempfehlen; er wollte die Verantwortung für ein Zugeständnis nicht übernehmen, das das deutsche National- gefühl verletzen konnte. Aber er gab doch brieflich wie münd- lich, durch seinen Adjutanten, deutlich zu verstehen, daß er einem Verzichte zustimmen werde, ja daß er den Kriegs- vorwand Frankreichs beseitigt wünsche. Wirklich traf am 12. Juli, zunächst in Madrid, dann in Paris, die Nachricht ein, daß der Fürst von Hohenzollern im Namen seines in den Bergen weilenden Sohnes angesichts der drohenden Ver- wicklungen auf die spanische Kandidatur verzichtet habe. Bismarck, der seinen König telegraphisch gebeten hatte, sich mit dem Grafen Benedetti auf nichts einzulassen, ihn vielmehr an seinen Minister zu verweisen, war nicht zufrieden mit der Haltung König Wilhelms. Er erklärte allerdings in Berlin, wohin er inzwischen aus dem Urlaube zurückgekehrt war, nach dem Berichte des bayerischen Geschäftsträgers: ,,Le prince a renonce, tout est fini." Aber in einem Ton und mit begleitenden Worten, die deutlich seinen Unmut verrieten. Demselben bayerischen Geschäftsträger entgegnete er später, als dieser die rasche Entsagung des Prinzen von Hohenzollern im Inter- esse des Friedens als ,,sehr chevaleresk" rühmte: daß er das gar nicht chevaleresk gefunden habe, vielmehr hätte der Prinz ent- weder die Kandidatur nicht annehmen oder, nachdem er sie angenommen habe, gleich nach Spanien gehen müssen, ohne viel zu fragen, keinesfalls aber die preußische Regierung in die Angelegenheit verwickeln dürfen. Bismarck sprach eine Zeit- lang von Rücktrittsgedanken.

In der Tat, die Haltung König Wilhelms konnte, wiewohl er und Fürst Anton von Hohenzollern den Schein einer Mit- wirkung des Preußenkönigs beim Verzichte des Erbprinzen von Hohenzollern vermieden hatten, für das Ansehen des preußischen Staates gefährlich werden: nach den Provo- kationen der französischen Zeitungen, der französischen Kammer und der französischen Minister konnte der Anschein entstehen, als ob nicht der Erbprinz von Hohenzollern, son- dern der Preußenkönig vor den französischen Drohungen zu- rückgewichen sei.

Und doch gebührt gerade König Wilhelm ein nicht ge- ringes Verdienst daran, daß der Waffengang Preußens mit Frankreich den Charakter eines Verteidigungskrieges und

Doeberl, Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. 2

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einer nationalen Erhebung annahm und damit zum Einigungs- kriege werden konnte. ,, Wilhelms persönliches Verdienst war es, daß er die Kandidatur entschlossen beseitigte und den Franzosen, wenn sie sich damit nicht zufrieden gaben, das Odium und die Folgen des Angriffs zuschob." Und die fran- zösische Regierung gab sich nicht zufrieden. Sie wollte nicht bloß den Verzicht des Erbprinzen von Hohenzollern, sie wollte, um sich einen diplomatischen Erfolg zu sichern und ihreStellung im eigenen Lande zu heben, eine ,,participation du roi de Prusse", eine königlich-preußische Stempelung des Verzichtes. Graf Benedetti erhielt am Morgen des 13. Juli den Auftrag, von König Wilhelm die weitere Erklärung zu fordern, daß der König von Preußen dem Verzichte des Erbprinzen zustimme und eine Bewerbung des fürstlichen Hauses Hohenzollern auch in Zukunft nicht zulassen werde. Das war eine glatte Herausforderung.

Bis jetzt war die Kriegsursache eine dynastische gewesen, galt in weiten Kreisen Preußen als der Angreifer, war der Krieg für Preußen ein schweres Wagnis; seit dem 13. Juli war der Waffengang ein Angriffskrieg Frankreichs, war die Kriegsursache eine nationale, verhieß der Krieg für Preußen und Deutschland Gewinn. Das Übrige besorgte die über- legene Politik Bismarcks, unterstützt von seinem politischen Zögling, dem Geheimen Rat Abeken, mit der Emser Depesche und der Kundgabe der Absicht einer preußischen Garantie- forderung gegen die Wiederkehr solcher französischer Heraus- forderungen — in demselben Augenblicke, da man sich fran- zösischerseits doch noch entschloß, mit der Billigung des Ver- zichtes durch den König von Preußen sich zu begnügen, die weitergehende Forderung fallen zu lassen. Angesichts der be- vorstehenden preußischen Garantieforderung und des drohen- den preußischen Ultimatums sah die französische Regierung die einzige Sicherung gegen eine innere Revolution in der Kriegs- erklärung an Preußen. Am 14. Juli wurde von einer engeren Konferenz, am 15. vom französischen Gesamtministerium die Kriegserklärung beschlossen.

Der seit Jahren von Tausenden ,, ersehnte Moment eines französischen Angriffs als stärkster Zauber zur Schlichtung des inneren Haders, zur endlichen Lösung der deutschen Ver- fassungsnot" war gekommen. Und schon hatte Preußen halbe Gewißheit, daß weder Österreich noch Italien dem Kaiser der Franzosen Waffenhilfe leisten würden. Rußland verpflichtete sich, Österreich mit 300000 Mann anzugreifen.

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wenn es losschlagen sollte. Schon hatte der englische Minister Gladstone zum preußischen Botschafter in London geäußert: Preußen sei bis an die äußerste Grenze der Versöhnlichkeit gegangen und Frankreich würde im flagrantesten Unrecht sein, wenn es trotzdem Krieg beginnen würde.

Es ist für die Entwicklung der deutschen Frage zunächst von Bedeutung, wie diese welthistorischen Vorgänge an die bayerische Regierung herangetragen wurden.

Die erste Nachricht von der hohenzollerischen Thron- kandidatur kam nach München durch den Vertreter des bayerischen Gesandten in Berlin, Freiherrn v. Tautphöus, und zwar in der Form, als ob die Wahl des Prinzen von Hohen- zollern bereits vollzogen sei. Tautphöus berichtete am 4. Juli: ,, Heute Nachmittag brachte das hiesige Wolf f sehe Telegraphen- bureau die Nachricht, daß von den spanischen Cortes ein Prinz von Hohenzollern zum König erwählt und bereits eine Deputation von Madrid abgereist sei, um demselben die Krone anzubieten." Erst am 7. Juli berichtigte und ergänzte er seine Meldung dahin: der spanische Gesandte habe auf tele- graphische Weisung aus Madrid der preußischen Regierung mitgeteilt, daß das spanische Ministerium beschlossen habe, den Prinzen von Hohenzollern den Cortes als Thronkandidaten vorzuschlagen, in der Erwartung, daß die Wahl Preußen ange- nehm sein werde.

Am 5. Juli meldete Tautphöus, der französische Geschäfts- träger in Berlin habe sich heute zum Unterstaatssekretär V. Thile begeben, um die Stellung der preußischen Regierung zur hohenzollerischen Thronkandidatur zu erfahren, wobei er ihm nicht verhehlte, daß die Nachricht in Paris einen un- günstigen Eindruck gemacht habe. Herr v. Thile sei durch die Frage sichtlich in Verlegenheit geraten, habe sich den Anschein gegeben, nur aus den Zeitungen davon Kenntnis zu haben, und schließlich geäußert, daß die preußische Regierung von der- artigen Verhandlungen nichts wisse. Dieselbe Unkenntnis habe anfänglich auch der spanische Gesandte in Berlin zur Schau getragen und sich dabei auf seinen Kollegen in Paris berufen, der telegraphiert habe, daß die Nachricht völlig unbegründet sei.

Der bayerische Geschäftsträger in Berlin hält von Anfang an die Möglichkeit einer Bismarckischen ,,Intrigue" nicht für ausgeschlossen: Graf Bismarck würde viel wagen, um dem

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Hause Hohenzollern eine Macht zu erringen, wie sie seit Karl V. nur von den Habsburgern in Europa besessen worden sei. Später hat sein Chef, der nicht gerade preußenfreundhche Ge- sandte Freiherr v. Perglas, unter Berufung auf authentische Quellen und auf Mitteilungen vertraulichster Natur, die Mitwirkung Bismarcks bei der Aufstellung der hohenzolleri- schen Thronkandidatur mit aller Bestimmtheit gemeldet und intime Einzelheiten über deren Vorgeschichte berichtet: ,,Mit allen offiziellen Drucksachen wird Bismarck uns (eingeweihte Diplomaten) nicht überzeugen können, daß er nicht, und zwar amtlich, um die hohenzollerische Kandidatur gewußt habe. Schon vor Monaten war dieselbe wiederholt dem Könige zur Billigung unterbreitet worden, der dieselbe längere Zeit verweigerte. Graf Bismarck hat allerdings damals die Er- örterungen darüber und Aufzeichnungen nicht in seinem Departement pflegen und arbeiten lassen, sondern er hat ver- anlaßt, daß letztere im Hausministerium zu geschehen hätten. Wohlbekannt war ihm die Sache, und ihre Behandlung ist ebenso unter seiner Leitung und seiner Verantwortlichkeit wie alle andern Maßregeln im Norddeutschen Bund erfolgt. Endlich hatte der König dem Andrang des Fürsten Hohen- zollern (des Vaters) nachgegeben, der hieher gekommen war und zwei Momente zur Erwägung empfahl, um den Beschluß zu erlangen, einmal den Wert für Spanien, einen deutschen Prinzen auf dem Thron zu haben, dessen Geburt und hohe Eigenschaften dem Lande Garantie der Entwicklung und Konsolidierung bieten würden, dann, daß im Fall eines Krieges Preußens mit Frankreich seine Erhebung auf den spanischen Thron von unschätzbarem Werte für Preußen sein würde."

Alle diese Meldungen waren derart, daß die hohenzolleri- sche Thronkandidatur als ein Ausfluß dynastischen Ehrgeizes und diplomatischer Intrigue und als ein Affront gegen Frankreich erscheinen konnte, nicht aber als eine nationale Angelegenheit, in der sich das deutsche Volk in der Rolle des Verteidigers befand. Und hierin mußten die Nachrichten noch bestärken, die über das Verhalten der neutralen Höfe, ihre Überraschung und ihre Mißbilligung, eintrafen, namentlich aus Wien. ,,Graf Beust" so meldete der interimistische bayerische Geschäfts- träger am österreichischen Hofe, Graf Fugger ,,ging bereit- willigst auf eine Besprechung hierüber ein und gab mir seine Ansicht bezüglich dieser Frage dahin kund, daß er glaube, daß das Projekt, den Prinzen Hohenzollern auf den spanischen

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Königsthron zu erheben, aufgegeben werden müsse, da es den Intentionen des Tuilerienkabinetts nicht entspreche und letzteres die Angelegenheit sehr ernst nehme . . . Der Reichs- kanzler fügte die Bemerkung bei, daß er den Grafen Bismarck in dieser Sache nicht begreife, indem, wenn die Kandidatur zu keinem Resultate führe, wie es bei der ernsten Haltung Frankreichs den Anschein habe, es für den Grafen Bismarck eine Blamage sei, während das Gelingen des Projektes einen Krieg mit Frankreich hervorrufen könne, der für Preußen unter ungünstigen Verhältnissen zu führen wäre, da besonders Süddeutschland sich nicht erwärmen werde, für einen Hohen- zollern die spanische Königskrone zu erwerben."

Die Nachrichten, die in den nächsten Tagen aus Paris eintrafen, lassen jedoch Sympathien für Frankreich nicht auf- kommen. Der bayerische Gesandte in Paris, Graf v. Quadt, meldet ein förmliches Wutgeheul aus der französischen Haupt- stadt : Die oppositionellen Zeitungen speien Feuer und Flamme gegen die hohenzollerische Thronkandidatur. Bald be- schränken sie sich nicht mehr auf Proteste, sondern erheben Forderungen an Deutschland. Schon liest man in der Zeitung ,,Paix", daß der Rhein für die Sicherheit Frankreichs unent- behrlich sei, schon verheißt ein französischer Deputierter in der gesetzgebenden Versammlung: ,,Wenn wir den Rhein nehmen, alsdann werden wir die Armee um looooo Mann verringern können", schon äußert ,,nach bester Quelle" der französische Außenminister Herzog v. Gramont selbst: ,,nous ferons plutot la guerre que de tolerer un HohenzoUern sur le tröne d'Espagne." Alle diese Wutausbrüche und Drohungen baut man nach dem Berichte des Gesandten auf die vermeint- liche Neutralität Süddeutschlands. Und dann meldet er den scharfen Protest im offiziellen ,,Constitutionnel", die bekannte Interpellation Cocherys, die herausfordernden Erklärungen Gramonts und Olliviers vom 6. Juli und den enthusiastischen Beifall, den sie im gesetzgebenden Körper hervorriefen. Er unterstreicht noch den herausfordernden Charakter dieser Erklärungen, stellt ausdrücklich fest, daß sich Ollivier nach der Aussage des bayerischen Legationsrates Rudhart, der der berühmten Sitzung im gesetzgebenden Körper anwohnte, folgender Worte bediente: ,,Chaquefois l'histoire nous le demontre que la France s'est montree ferme, l'Europe a plie devant la volonte de la France, exprimee sans exageration et dans les limites de son droit." Der Gesandte fügt hinzu: ,, Diese geflissentliche Rücksichtslosigkeit gegen das Berliner

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Kabinett, welches man in Gegensatz zum peuple Allemand stellt, ist nicht danach angetan, das Einlenken in Berlin zu erleichtern. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß nunmehr die französische Regierung es darauf abgesehen hat, mit Preußen anzubinden oder zum mindesten letzteres, falls es nachgibt, eklatant zu demütigen." Am lo. Juli telegra- phiert der Gesandte aus Paris: ,, Offizielle Blätter erklären heute bereits einen Verzicht Hohenlohes für ungenügend, verlangen Ausführung des Prager Friedens, Emanzipation Süddeutschlands von Preußen, Räumung vonMainz. ' ' Gleichzeitig faßt er seine Ein- drücke in die Worte zusammen: ,, Welches auch immer das Verhalten des Grafen Bismarck in der spanischen Throne kandidaturfrage gewesen sein mag, so berechtigen doch alle Symptome zu der Annahme, daß die französische Politik darauf abzielt, diesen erwünschten Prätext zu verwerten, um den Krieg mit Preußen einzuleiten. Dieser Vorgang des duc de Gramont erinnert unwillkürlich an den Neujahrsgruß, welchen Napoleon im Jahre 1859 an den österreichischen Botschafter V. Hübner gerichtet hat, mit dem Unterschiede, daß diesmal die parlamentarische Form gewählt wurde; daher bereits die Erklärung des duc de Gramont als du Huebnerisme parle- mentaire bezeichnet wird. Die Sprache der hiesigen Journale resümiert sich in dem Satz: II faut en finir, une guerre avec la Prusse etait inevitable apres l'humihation permanente infligee ä la France depuis quatre ans, mais encore y fallait- il un pretexte plausible . . . L'important etait d'avoir un pretexte de guerre qui n'interessät pas l'Allemagne; il faut donc saisir la balle au bond. Die Revanche von Sadowa ist nunmehr der Grundton der hiesigen Politik. Die bekannte Mobilität des französischen Temperaments offenbart sich bei diesem Anlaß wie beim italienischen Kriege."

Noch einmal melden die bayerischen Gesandtschafts- berichte eine Gelegenheit zu einem friedlichen Ausgleich zwischen Frankreich und Preußen die Emser Verhandlung. Am 9. Juli schreibt der bayerische Geschäftsträger in Berlin: ,,Wie E. K. Majestät aus meinem letzten Telegramm von heute morgen bereits zu entnehmen geruht haben, ist die spanische Frage in eine neue Phase eingetreten, insofern die Verhandlungen nunmehr von Souverän zu Souverän geführt werden und deshalb einen ganz persönlichen Charakter an sich tragen, wodurch die Aussichten auf eine friedliche Lösung wesentlich an Wahrscheinlichkeit gewonnen haben." Der Geschäftsträger berichtet gleichzeitig von den Bemühungen

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des englischen, italienischen und österreichischen Botschafters um die Erhaltung des Friedens und schließt mit der Hoffnung, daß der hohenzollerische Prinz vermocht werde, freiwillig auf seine Kandidatur zu verzichten, was wohl der einfachste Ausweg aus dem Dilemma wäre.

Aber schon wenige Tage später, am 12. Juli, künden die Vertreter Bayerns aus den europäischen Mittelpunkten des politischen Lebens neue Unruhe und Sorge. Freiherr v. Taut- phöus schreibt aus Berlin: ,, Trotz der etwas günstigeren Auspizien beharrt Herr v. Thile bei seiner Ansicht, daß der Krieg unvermeidlich sei. Es ist sehr auffallend, daß Herr V. Thile auch Diplomaten gegenüber mehrmals bereits die Überzeugung ausgesprochen hat, daß es zum Kriege kommen werde. Was ich um so mehr hervorzuheben mir erlaube, als der Staatssekretär sonst nie eine persönliche Ansicht kundzu- geben pflegt." Graf Quadt berichtet am gleichen Tage aus Paris: ,,Die französische Politik hat es entschieden darauf angelegt, in kürzester Frist den Krieg mit Preußen einzu- leiten. In den offiziellen Kreisen äußert man unverhohlen: On est admirablement prepare, c'est une occasion magnifique pour faire la guerre, il ne faut pas la laisser echapper, ce serait une grande calamite, si un arrangement pacifique prevalait. Daher auch die verletzendsten Zumutungen an den König von Preußen gestellt werden, um einen Ausgleich zu hintertreiben. Das desistement des Prinzen von HohenzoUern ist schon nicht mehr genügend, sondern es handelt sich darum, den König von Preußen zu Erklärungen zu nötigen, die eine eklatante Demütigung involvieren." Auch aus Wien meldet Graf Fugger: ,, Sowohl in diplomatischen Kreisen als im großen Publikum ist man hier der Ansicht, daß das Kabinett der Tuilerien die Thronbesetzung Spaniens durch einen Prinzen aus dem hohenzoUerischen Hause benutzen wolle, um mit Preußen den großen Kampf zu beginnen, und es ist auch schwer, sich das Auftreten des Herzogs von Gramont in der spanischen Frage gegenüber der französischen Kammer zu erklären, wenn nicht die Absicht bestünde, einen Konflikt herbeizuführen." Selbst der nichts weniger als preußen- freundliche bayerische Gesandte Freiherr v. Gasser schreibt am 12. Juli aus Stuttgart: „Der Herzog von Gramont und Herr Ollivier eröffneten die Unterhandlungen in einer derart undiplomatischen Weise, daß ein Nachgeben Preußens fast ausgeschlossen wird und man unwillkürlich an einen parti pris von Seiten Frankreichs zu denken gezwungen ist, Ist dem so,

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dann ist der Krieg die Revanche für 1866 und die spanische Thronkandidatur bloß der Vorwand. Die französische Re- gierung verfolgt alsdann eine Entschädigung auf Kosten Preußens das heißt Deutschlands. In demselben Augen- blicke tritt aber auch die Frage der Verpflichtung an Süd- deutschland heran."

Und dann kamen in rascher, überstürzender Folge die Nachrichten von dem Verzichte des Prinzen Leopold von Hohenzollern, von neuen, weitergehenden Zumutungen Frank- reichs an den König von Preußen, von der Garantieforderung Bismarcks, von den denkwürdigen Vorgängen in Ems und zuletzt, am 14. Juli, auf dem Weg über die preußische Ge- sandtschaft die von Bismarck telegraphisch übersandte Emser Depesche mit einem auf das monarchische Gefühl Ludwigs IL zugeschnittenen Zusatz: ,, Nachdem die Nachrichten von der Entsagung des Erbprinzen der Kaiserlich französischen Regierung von der Königlich spanischen amtlich mitgeteilt worden sind, hat der französische Botschafter in Ems Seiner Majestät dem Könige noch die Forderung gestellt, ihn zu autorisiren, daß er nach Paris telegraphiere, daß S. Majestät der König Sich für alle Zukunft verpflichtet niemals wieder seine Zustimmung zu geben, wenn die Hohenzollern auf ihre Kandidatur wieder zurückkommen sollten. S. Majestät hat es darauf abgelehnt, den französischen Botschafter nochmals zu empfangen, und demselben durch den Adjutanten vom Dienst sagen lassen, daß S. Majestät dem Botschafter nichts Weiteres mitzutheilen habe. S. Majestät der König von Bayern wird ein Gefühl dafür haben, daß Benedetti den König auf der Promenade wider dessen Willen provozirend angeredet hat, um obige Forderung stellen zu können." Am gleichen Tage berichtet Freiherr v. Tautphöus aus Berlin: ,,Den Krieg selbst hält man hier in allen eingeweihten Kreisen für unaus- bleiblich und herrscht hierüber eine seltsame Freude, nicht bloß in den von Siegeszuversicht erfüllten Offizierskreisen, sondern auch im Auswärtigen Amte. Insbesondere soll Graf Bismarck, wie Herr v. Thile selbst mir meldete, sich ganz in seinem Elemente fühlen. Die französische Botschaft ist ohne alle Nachrichten. Bezüglich der Vorgänge in Ems erzählte mir Herr v. Thile, Graf Benedetti habe den König auf der Promenade unaufgefordert angesprochen und um eine definitive Antwort ersucht. Der König habe ihm keine Antwort ge- geben und, als dann Benedetti später eine Audienz verlangte.

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habe ihm der König die bereits telegraphisch gemeldete Mit- teilung durch den Adjutanten machen lassen. Der Staats- sekretär sagte mir noch bei dieser Gelegenheit, er nehme seine früheren tadelnden Äußerungen bezüglich Württembergs wieder zurück, nachdem Freiherr v. Varnbüler mieux tard que Jamals inzwischen die württembergische Regierung Frank- reich gegenüber engagiert habe". Selbst der österreichische Reichskanzler Graf Beust muß gegenüber dem Grafen Fugger zugestehen, daß allerdings Frankreich durch sein Vorgehen den furor teutonicus auf ungeschickte Art gegen sich wach- gerufen habe.

Wie haben nun diese weltgeschichtlichen Vorgänge und Meldungen auf die bayerische Regierung, zumal auf den Leiter der bayerischen Pohtik, den Staatsminister Grafen Otto V. Bray- Steinburg, gewirkt ?

Es ist die Vermutung ausgesprochen worden, daß Graf Bray während seines Wiener Aufenhaltes durch den Herzog von Gramont, den damaligen französischen Botschafter am österreichischen Hofe, von den militärischen Abmachungen zwischen Frankreich und Österreich verständigt worden sei. Es hat sich auch nicht der leiseste Anhaltspunkt dafür in den bayerischen Staatsakten gefunden. Wer die peinlich korrekte Amtsführung des Grafen Bray beobachtet hat, zweifelt keinen Augenblick, daß er seiner Regierung darüber berichtet hätte. Was er auf Weisung seiner Regierung in den Jahren 1868 und 1869 tatsächlich aus den Wiener Kreisen berichtete oder berichten konnte, geht über Allgemeinheiten und über tempe- ramentvolle Äußerungen des Herzogs von Gramont, die dann von der Pariser Regierung dementiert wurden, nicht hinaus und wurde von ihm selbst in die Worte zusammengefaßt: „Die Idee und Gefahr eines Krieges besteht leider und lastet schwer auf Europa; zu bestimmten Entschlüssen hat es der alternde Napoleon, der durch einen Krieg nichts gewinnen, aber alles verlieren kann, nicht gebracht." Es ist nicht einmal wahrscheinlich, daß Gramont selbst damals schon in die Einzelheiten der französisch-österreichischen Verhandlungen eingeweiht war; diese wurden zwischen Kaiser Napoleon und dem österreichischen Botschafter Fürsten Metternich per- sönlich geführt.

Ebenso unbegründet ist die Beschuldigung, Graf Bray habe als Minister, trotz des bestehenden Schutz- und Trutz-

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bündnisses mit Preußen, die angeblichen verräterischen Ver- handlungen mit Frankreich fortgeführt. Auch davon findet sich in den bayerischen Staatsakten nicht die leiseste Spur. Dagegen spricht aber auch der Befund gerade der Akten, auf die Ruville ^) seine Behauptung gründet, der vielberufenen Papiere von Cer^ay, die Mitte Oktober 1870 im Schlosse des früheren Ministers Rouher von deutschen Soldaten erbeutet und nach Berlin gebracht wurden. In den Akten hat sich, wie auf eine amtliche Anfrage der bayerischen Regierung ausdrücklich festgestellt wurde, nichts gefunden, was bayerische Staatsmänner belastet hätte. ^) Dagegen spricht das Zeugnis der französischen Staatsmänner selbst : weder in den kritischen Juliwochen noch nach dem Kriege haben sich diese auch nur andeutungsweise auf derartige Verhandlungen berufen, wiewohl im Juli politische und nach dem Kriege persönliche Motive den Gebrauch so wertvoller Waffen nahegelegt hätten ; der französische Minister- präsident Olli vier hat später vielmehr ausdrücklich festgestellt, ,,daß von Verhandlungen mit den Kabinetten von München und Stuttgart keine Spur existiere".^) Dagegen spricht aber auch die Persönlichkeit, auf die gerade Ruville seine Hypo- these eingestellt hat, die PersönHchkeit des Grafen Bray, die von allen wirklichen Kennern gerühmte Ehrenhaftigkeit seines Charakters und die Korrektheit seiner Geschäftsführung, von der man sich beim Studium der Akten Schritt für Schritt überzeugt, nicht minder seine diplomatische Vorsicht, die allen politischen Abenteuern abhold war. Wenn der nüchterne, weltkluge, vorsichtige Staatsmann den bisherigen politischen Referenten Freiherrn v. Völderndorff, den liebenswürdigen Verfasser der ,, Harmlosen Plaudereien", der dem Minister zu beweglich, zu unruhig, aber auch zu redselig war, kalt stellte und die wichtigeren politischen Geschäfte allein oder mit seinem Sohn oder mit seinem Vetter Grafen Hugo v. Lerchen- feld verrichtete, so sind unmutige Äußerungen Völderndorffs über die Geheimnistuerei seines Herrn*) begreiflich, geben aber keine Berechtigung, die verwegensten Projekte und Ab- sichten des Meisters zu wittern. Das Ministerium Bray be- deutete gegenüber dem Vorgänger, dem Fürsten Hohenlohe,

^) Bayern und die Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches (1909).

2) Vgl. dazu ,, Augsburger Abendzeitung" vom 7. Juli 1909.

^) Revue des deux mondes vom i. Juni 1909, S. 508. Vgl. dazu Gra- monts Rechtfertigungsschrift „La France et la Prusse avant la guerre" (1872).

*) Mohl, Lebenserinnungen, S. 323; Lorenz, Kaiser Wilhelm und die Giüridung des Deutschen Reiches, S. 603; Ruville a. a. O. S. 141.

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wohl in der inneren Politik einen Ruck nach rechts und in der äußeren PoHtik eine größere Zurückhaltung, keineswegs aber eine politische Neuorientierung weder nach der Meinung des Fürsten Chlodwig von Hohenlohe, der ihn zu seinem Nach- folger empfahP), noch nach der Meinung des Königs, der ihn berief, noch nach der Meinung des Grafen Bismarck, der seine Wahl ausdrücklich billigte, seine Bedenken gegen eine An- nahme des Ministeriums überwinden half, ihm sogar auf eine Anfrage hin sagen ließ, daß er zu keinem bayerischen Diplo- maten mehr Vertrauen habe als zu ihm. 2)

Auch der Vorwurf, daß das Verhalten des Grafen Bray bei Ausbruch des Krieges zweideutig und unzuverlässig war, ist nicht begründet. Graf Bray ist allerdings nach seinem eigenen Bekenntnisse ,, nicht ohne allseitige Erwägung der Verhältnisse und nur schweren Herzens" in den Krieg einge- treten. Das war um so begreiflicher, als ihm zu Beginn der Krisis von der bayerischen Gesandtschaft die amtliche Nach- richt zuging, Italien habe mit Frankreich ein Bündnis ge- schlossen und stehe im Begriffe, mit 80000 Mann auf der Brennerstraße nach dem deutschen Süden vorzubrechen. Die Konstellation, die sich daraus in Verbindung mit einer öster- reichischen Demonstration auf der langen Grenze von Hof bis Bregenz und mit einer preußenfeindhchen Strömung im Lande für die bayerische Regierung ergeben hätte, hatte selbst nach dem für Bray nicht gerade wohlwollenden Urteil des preußi- schen Gesandten v. Werthern ,,etwas Beunruhigendes". Aber das Verhalten des Grafen Bray bei Ausbruch des Krieges war gleichwohl durchaus korrekt. Er hat sich keineswegs in bedenkliche Verhandlungen mit Kaiser Napoleon oder mit dem Leiter der österreichischen Politik, Grafen Beust, einge- lassen. Ich kann das an der Hand völlig einwandfreier Quellen, zunächst der intimen Korrespondenz zwischen den Grafen Bray und Beust, nachweisen.

In einem Schreiben vom 10. Juli 1870 an den ihm per- sönlich befreundeten österreichischen Reichskanzler Grafen von Beust, seinen ,, alten Göttinger Duzbruder", bekennt Graf Bray allerdings, daß er sich ,,den Bemühungen der Groß- mächte für die Erhaltung des Friedens sympathisierend an- geschlossen habe". In demselben Schreiben, dessen Adresse wohl zu beachten ist, übt er aber auch schon Kritik an der Haltung Frankreichs: ,, Unser Freund (Gramont) hat den

^) Denkwürdigkeiten I, 439.

2) H. A.A. Vgl. dazu Lorenz a.a.O. S. 602.

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diplomatischen Feldzug etwas hitzig und in einer Weise er- öffnet, die zu dem Glauben berechtigt, daß man in Paris lieber noch als wie Nachgeben des Gegners den Krieg will : qu'on veut en finir." Und er fährt weiter: ,,Ich möchte aber doch darauf aufmerksam machen, daß es für Frankreich sicher keine günstige Lage wäre, wenn es durch einen Angriff auf Deutschland uns alle zwingt, für eine Verteidigung seiner Grenzen mit einzutreten, und gleichzeitig auch mit Spanien sich verfeindet. Es wäre dies eine Lage ähnlich der Österreichs zwischen Preußen und Italien." Er fügt hinzu, daß er sich vorläufig in diesem Sinne dem französischen Gesandten Herzog von Cadore gegenüber geäußert habe, wiewohl er zurzeit ,,mit Berlin noch kein Wort über diese Sache ge- wechselt hätte". In der Tat hat er unmittelbar nach der herausfordernden Rede des französischen Ministers vom 6. Juli fast mit denselben Worten, wie Hohenlohe in der Krisis der Luxemburger Frage, gegenüber dem französischen Ge- sandten geäußert: ,, Sollte es zum Krieg kommen, so würde Frankreich Deutschland einig finden", wie gleichzeitig auch der damals in engster Fühlung mit ihm stehende württem- bergische Staatsminister v. Varnbüler den französischen Ge- sandten am Stuttgarter Hofe vor dem Nationalgefühl des Südens warnte: er solle sich keinen Illusionen hingeben.

Graf Bray erbat sich allerdings in dem Schreiben vom 10. Juli ,,vor Annahme einer bestimmten Haltung" des Grafen Beust Ansicht und Meinung. Graf Beust hat das in seinem Antwortschreiben vom 14. Juli sehr wohlgefällig ver- merkt.

Aber der Leiter der österreichischen Politik klagt auch in dem nämlichen Schreiben: ,,Ich vernehme schon aus Berlin, Graf Bismarck habe sich sehr anerkennend über die süd- deutschen Regierungen, namentlich über die Haltung Bayerns ausgesprochen, ich höre anderseits, man habe in München es bereits erklärt, man werde seine deutschen Pflichten zu tun wissen und ähnliches." Wenn dem so ist, dann habe Bayern dem Kriege, statt ihn zu erschweren, den größten Vorschub geleistet und habe es sich selbst zuzuschreiben, falls der erste französische Schuß auf Bayern losgehen sollte. Unter diesen Umständen vermeidet es der österreichische Reichskanzler, einen Rat für die Zukunft zu erteilen, beschränkt sich darauf festzustellen, was nach seiner Meinung Bayern gleich beim ersten Auftreten des spanischen Zwischenfalles hätte tun sollen : ,, Diese Hohenzollern-spanische Sache war für Euch eine bonne

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fortune. Hier hattet Ihr Gelegenheit auf den casus foederis sogleich mit aller Schärfe loszugehen auf dem günstigsten Terrain. Hier war von der deutschen Pflicht keine Rede, da von keiner deutschen Sache die Rede sein konnte. Dieses Vorgehen hätte in Berlin sehr zum Frieden und zur Versöhn- lichkeit wirken können, in Paris aber hättet Ihr etwas in der Hand, um es in die Wagschale zu werfen, falls man dort nicht versöhnlich sein wollte."

Gerade die vertrauliche Korrespondenz, die die Grafen Bray und Beust in der kritischen Zeit miteinander gepflogen haben, gibt demnach nicht nur keinen Anhaltspunkt für die Annahme bedenklicher Verhandlungen des Grafen Bray mit Frankreich oder mit Österreich, sie schließt solche geradezu aus. Auch die (von Wertheimer, Andrassy I, 503 gebrachte) Mitteilung, Bayern und Württemberg hätten kurz vor der Emser Depesche in Wien die Erklärung abgegeben, daß der Krieg Preußens mit Frankreich für sie keine Veranlassung biete, sich zu beteiligen, wird in dieser Form durch die Korrespondenz zwischen Bray und Beust nicht nur nicht bestätigt, sondern widerlegt. In den amtlichen Akten vollends fand sich nicht die leiseste Andeutung. Im Gegenteil, nach einem Berichte des bayerischen Geschäftsträgers in Wien vom 17. Juli äußerte Graf Beust in vorwurfsvollem Tone:',, daß es vielleicht mög- lich gewesen wäre, den Ausbruch von Feindseligkeiten zu ver- hindern, wenn Süddeutschland Preußen gegenüber erklärt hätte, daß bei einem wegen der Kandidatur des Prinzen HohenzoUern ausbrechenden Kriege es nicht den casus foederis für gegeben erachte".

Nach einem Berichte des bayerischen Gesandten im Haag vom 16. Juli vollends hat Graf Beust die französische Regie- rung förmlich gewarnt, ,,sich auf die Neutralität der deutschen Südstaaten zu verlassen". Und dieser Bericht wird durch ein englisches Blaubuch wie durch Beust selbst bestätigt. Graf Bray hat wohl gegenüber dem preußischen Gesandten den Wunsch geäußert, seine Regierung möchte eine Formel fin- den, die vor aller Welt dokumentiere, daß kein dynastisches Interesse an der spanischen Krone vorwalte. Aber er hat gegen- über demselben Gesandten schon vor dem 13. Juli ausdrück- lich anerkannt, daß Frankreich den Krieg suche und daß im Falle eines Angriffs Frankreichs auf Deutschland Bayern auf preußischer Seite stehen müsse.

Graf Bray hat noch weniger nach dem Verzichte des Prinzen Leopold auf die spanische Thronkandidatur und nach

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den neuen Herausforderungen des Herzogs von Gramont im Sinne Beusts gehandelt.

Wohl regte er mit Hilfe des englischen Gesandten am Münchener Hofe eine Vermittlung der Großmächte an: die Proposition des bayerischen Ministers ging auf eine prinzipielle Anerkennung des Grundsatzes hinaus, der bei der belgischen und bei der letzten griechischen Königswahl maßgebend ge- wesen war, daß nämlich kein Mitglied eines großmächtigen Herrscherhauses Prätendent eines anderen Staates sein dürfe. Dieses Vorgehen des Grafen Bray, das vielleicht wirklich mehr zur Beruhigung des eigenen Gewissens und zur Bekundung des guten Willens diente^), war so wenig verfänglich, daß es selbst vom preußischen Gesandten, wenigstens für seine Person, ausdrücklich gebilligt wurde. Der bayerische Minister holte zudem die Ansicht des Grafen Bismarck ein und dieser ließ ihm sagen: ,,Die spanische Königswahl interessiert uns gar nicht. Vermittlungsvorschläge können nur die Sicherung Deutschlands gegen französische gegenwärtige oder künftige Unternehmungen zum Gegenstande haben. Dafür ist es jetzt zu spät."

Nach dem Scheitern dieses Vermittlungsversuches voll- zog Graf Bray unentwegt das, was nach seiner auch Beust gegenüber vertretenen Überzeugung die klar ausgesprochene Vertragspflicht, die Ehre und der Vorteil Bayerns ver- langten. An eine Neutralität hat er nicht gedacht, noch weniger sie seinem König empfohlen, sie erschien im Hinblick auf die Vertragspflicht und die geographische Lage Bayerns unhaltbar. Graf Hugo v. Lerchenfeld, der spätere bayerische Gesandte in Berlin, der damalige Privatsekretär des Ministers, erzählt in seinen ungedruckten Erinnerungen: ,,Ich erinnere mich aus den ersten Tagen nach der französischen Kriegserklärung eines Gesprächs mit meinem Chef, in dem er sich über die Chancen der Erfüllung der Bündnispfhcht oder einer neutralen Stellung ungefähr so äußerte: .Gehen wir mit Preußen und ge- winnt dieses den Krieg, ^o ist Preußen gezwungen, den Bestand Bayerns zu achten. Unterliegt Preußen, so verlieren wir viel- leicht die Pfalz; aber mehr kann uns nicht geschehen; denn Frankreich muß die Selbständigkeit der deutschen Einzel- staaten immer begünstigen; das gleiche tritt ein, wenn wir neutral geblieben sind und Frankreich siegt. Siegt aber Preußen, obwohl wir es gegen den Vertrag im Stiche gelassen

^) Sorel, Hist. dipl. de la guerre franco-allemande I, io6.

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haben, dann erwartet uns das Schicksal Hannovers. Es wäre finis Bavariae.' Graf Bray fügte jedoch bei: ,Ich lasse mich von diesen Erwägungen übrigens nicht allein leiten. Ich habe die Bündnisverträge unterzeichnet und werde sie halten. Ich hoffe zudem zuversichtlich, daß wir siegen werden." Der angebliche Gegensatz zwischen dem Könige, der den Bündnisfall anerkannt hätte, und dem Grafen Bray, der der Anerkennung entgegengearbeitet hätte, bestand in Wirklichkeit nicht. Im Gegen- teil, wie immerso hat auch in dieser Frage die Regie- rung die Initiative ergriffen. Diese Initiative der Re- gierung ist durch die von Luise v. Kobell beeinflußte Über- lieferung hier wie in anderen Punkten zugunsten des Königs oder vielmehr des Kabinettsekretariates verschleiert worden.

Die bayerische Regierung war, bevor noch die Vermitt- lungsversuche scheiterten, tatsächlich schon über die Neutrali- tät hinausgegangen. Man kann das an der Hand der Staats- akten Schritt für Schritt verfolgen.

Am 14. Juli stellte der Gesandte des Norddeutschen Bundes, Freiherr v. Werthern im Auftrage seiner Regierung die Anfrage, auf welche Unterstützung Bayerns man bei einem französischen Angriffe rechnen könne. Darauf erklärte der bayerische Kriegsminister noch am nämlichen Abend: er verpflichte sich, die beiden bayerischen Armeekorps genau nach den Bestimmungen des in Berlin bekannten Mobili- sierungsplanes in Kriegsstärke zu stellen. Graf Bray aber äußerte am folgenden Morgen, indem er die Sprache Frank- reichs dem Tone und dem Inhalt nach verurteilte: Selbst wenn Bayern kein Bündnis mit Preußen geschlossen hätte, würde es im Fall eines französischen Angriffs auf deutsche Grenzen an seiner Seite stehen; um so mehr verstehe sich das jetzt von selbst. Hierin sei er mit all seinen Kollegen einig. Seine Majestät den König habe er von der Lage vollständig informiert, er habe ihn aber schon drei Wochen lang nicht mehr gesehen; doch zweifle er nicht daran, daß er sich in gleichem Sinne äußern werde.

Am Morgen des 15. Juli telegraphierte Bismarck an Freiherrn v. Werthern nach München: ,,Auf die heute ge- meldete Erklärung der französischen Regierung in der gesetz- gebenden Versammlung hat des Königs Majestät soeben die Mobilmachung des norddeutschen Heeres befohlen. Nach der uns von der Kgl. bayerischen Regierung zugegangenen Erklärung dürfen wir auf deren Einverständnis rechnen, wenn

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wir das ergebenste Ersuchen stellen, die Kgl. bayerischen Streitkräfte mit tunlichster Beschleunigung zur Verteidigung Deutschlands ausrüsten zu wollen." Im Laufe des Nach- mittags erhielt Freiherr v. Werthern den weiteren telegraphi- schen Auftrag, „bei der bayerischen Regierung anzufragen, ob sie geneigt sei, einen Bevollmächtigten behufs der zur Sicherung Deutschlands erforderlichen militärischen Verhand- lungen nach Berlin zu senden". Die Regierung kam sofort, ohne irgendwelches Zögern, allen diesen Wünschen entgegen. Noch am 15. Juli beauftragte der bayerische Kriegsminister den Generalquartiermeister, ,,zu vermittelnder Thätigkeit zwischen dem preußischen und dem diesseitigen Generalstab in allen Fragen und Detailarbeiten, welche auf die Mobili- sierung der bayerischen und ihre Kooperation mit preußischen Armeecorps sich beziehen, sogleich den Hauptmann Celsius Giehrl nach Berlin abzuordnen". Am nämlichen Tage fand ein Ministerrat statt und das Ergebnis der Beratung war das denkwürdige Schriftstück vom gleichen Tage, in dem Graf Bray allerdings mit der ihm eigenen und bei der Natur des Königs besonders gebotenen Vorsicht, aber doch mit nicht zu verkennender Deutlichkeit den entscheidenden Antrag auf Mobilisierung an seinen König stellte: Bei der drohenden Haltung Frankreichs gegen Preußen und der exponierten Lage der Pfalz, die jeden Tag einem Angriffe von französischer Seite her preisgegeben sein könne, lasse sich eine bindende Erklärung nicht länger hinausschieben. „Wie die Dinge liegen, wird es kaum möglich sein, daß Bayern sich neutral verhalte, und wenn eine aktive Anteilnahme am Kriege nicht zu um- gehen ist, dürfte die Wahl um so weniger Schwierigkeiten dar- bieten, indem ein Krieg Frankreichs gegen Preußen stets ein Angriffskrieg, ein Kampf um die Integrität des deutschen Ge- bietes sein wird und in diesem Fall der Artikel I des Allianz- vertrages vom 22. August 1866 die Verpflichtung Bayerns unzweideutig normiert hat, so wie dies auch schon nach dem alten deutschen Bundesrecht bestimmt gewesen war." Der Minister bittet also ,,in Übereinstimmung mit sämtlichen Staatsministern", „ihn unverzüglich mit denjenigen Direktiven zu versehen, welche ihn in den Stand setzen, die Pohtik Bayerns in dem Sinne zu führen, welche der Allerhöchsten Intention und Willensmeinung entspricht. Der treugehorsamst Unter- zeichnete würde sich glücklich schätzen, wenn Ew. Majestät ihm hier persönlichen allerunterthänigsten Vortrag gestatten und hierauf die allerhöchsten Befehle erteilen wollten. Es ist

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dies bis morgen früh unumgänglich nötig, wenn nicht alle zum Schutze des Landes nötigen Vorkehrungsmaßregeln sich verspäten sollten." Mit anderen Worten, der Minister bat um den Mobilisierungsbefehl.

War wirklich zur Zeit des Ministerrates eine Neigung des Grafen Bray zum Temporisieren vorhanden gewesen, so war diese rasch überwunden worden. Der Kriegsminister Freiherr V. Pranckh äußerte am Tage des Ministerratsbeschlusses: ,,Wenn ich bis morgen nicht die Mobilisierungsordre erhalte, so lehne ich alle Verantwortung ab." Der Hilfsarbeiter im Ministerium des Äußern, Ministerialsekretär Graf Maximilian V. Berchem, der am Morgen des i6. Juli den schriftlichen Antrag des Gesamtministeriums nach Berg überbrachte, meldete wachsende Erregung aus München und warnte, die Mobilisierung an Bedingungen zu knüpfen, die im Falle des Sieges überflüssig, im Falle der Niederlage wertlos seien, in beiden Fällen aber einen Schatten auf die Allianztreue werfen könnten.

Damals, als Graf Berchem den Antrag überbrachte, war am königlichen Hoflager zu Berg zwar nicht, wie man auf Grund der Darstellung der Luise v. Kobell gemeint hat, die Entscheidung schon gefallen, immerhin der Boden hiefür vorbereitet. Kabinettsekretär Eisenhart, der natürlich von den Ereignissen des 15. Juli noch am gleichen Tage telegraphisch unterrichtet worden war, hat in der Nacht vom 15./16. Juli im Sinne des ministeriellen Antrages auf den König einge- wirkt. Nach der Aufzeichnung, die er später selbst darüber niederschrieb^), hat sich der^ Vorgang am königlichen Hof- lager also zugetragen: ,,Als in den Julitagen 1870 die Er- eignisse in Ems zur bekannten Katastrophe führten, be- fand sich der König, dessen Hoflager damals in Schloß Berg am Würmsee war, auf einem mehrtägigen Gebirgsausfluge, von dem er am 15. abends gegen 10 Uhr heimkehrte. Alsbald nach der Ankunft wurde der Kabinettsekretär Eisenhart zum Vortrag beschieden, welcher an der Hand der eingelaufenen Berichte, Depeschen, Telegramme und Zeitungsnotizen einen ausführlichen durch Fragen oder Bemerkungen Sr. Maje-

^) Niederschrift des Staatsrats v. Eisenhart vom 2. Februar 1890, mir vermittelt durch Herrn Ministerialdirektor v. Müller. Es ist interessant zu beobachten, was Luise v. Kobell in ihrer Schrift ,, König Ludwig II. und Fürst Bismarck im Jahre 1870" (1899) aus der Niederschrift ihres Mannes gemacht hat. Den Zweck verrät sie mit den Schlußworten: „Mit dem Befehl zur Mobilmachung war der König auf Eisenharts Antrag dem Vortrag Brays zuvorgekommen."

Doeberl, Bayeni und die Bismarckische Reichsgründung. 3

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stät öfters unterbrochenen Vortrag erstattete. Der König erfaßte, vermöge seiner raschen Auffassungsgabe, sofort in richtiger Weise die Sachlage, drückte indes wiederholt den dringenden Wunsch nach friedlicher Beilegung des Konfliktes aus, ohne jedoch den Zweifeln des Kabinettsekretärs an der Erfüllung des königlichen Wunsches entgegen zu treten. In gewohnter Weise im Zimmer auf und ab gehend, sprach er nun in ausführlicher Weise über den casus foederis, dessen Gegebensein im Kriegsfall und über die möglichen Folgen, welche aus einem deutsch-französischen Kriege für Bayern erwachsen. Als der Sekretär die hohe Dringlichkeit der Sache hervorhob und weiter meldete, daß nach einer Abenddepesche Graf Berchem mit dem morgigen Frühzuge einen Antrag des Staatsministers Grafen Bray überbringen werde, erklärte der Monarch, seine Entscheidung bis nach Eintreffen jenes An- trages aufschieben zu wollen, und verabschiedete den Ministerial- rat. Als dieser das Schloß verließ, begann allmählich der Morgen zu grauen und lichte Wolken lagen über dem schweigsamen See. Mit dem Frühzug des i6. traf Graf Berchem ein. Er überbrachte das motivierte Gesuch^) Brays, mit dem Kriegsminister Freiherrn v. Pranckh heute noch zum persön- lichen Vortrag zugelassen zu werden. Graf Berchem teilte noch mit, daß in der Stadt große Aufregung herrsche, daß man von selten der ultramontanen Kammermehrheit eine bedenkliche Verschleppung befürchte und daß der Kriegs- minister mit Ungeduld der königlichen Entscheidung entgegen- sehe. Auftragsgemäß wurde S. Majestät geweckt und Höchst- demselben Brays Antrag überreicht. Als der Sekretär aber- mals den Wert rascher Entscheidung und die Kostbarkeit der einzelnen Stunde geltend machte, entstand eine längere Pause. Der König richtete sich im Bette auf, mit den Worten: ,,Mein Entschluß ist gefaßt, bis dat qui cito dat", wies hierauf den Sekretär an, den Mobilmachungsbefehl zu entwerfen und die beiden Minister zum Nachmittagsvortrag zu berufen. Die sofort gefertigten Konzepte wurden nun vom Könige mit kräftiger Hand unterzeichnet und wenige Minuten später befand sich durch den Telegraph der chiffrierte Königsbefehl in den Händen des Kriegsministers, welcher in umsichtiger Weise die nötigen Vorkehrungen getroffen hatte. Am Nach- mittage desselben Tages fuhren Graf Bray und Freiherr v. Pranckh in Hofequipagen von Starnberg nach Schloß Berg zum Vortrag, der bis in den späten Abend währte."

1) Sollte wohl richtiger heißen: den a. u. Antrag mit dem Gesuch usw.

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Tatsächlich wurde der Mobilisierungsbefehl am i6. JuU zunächst an den Grafen Bray gerichtet und lautete nach der Niederschrift in den Akten des Ministeriums des Äußern: „J'ordonne la mobilisation ; informez en le ministere de la guerre." Vom Ministerium des Äußern wurde der Mobili- sierungsbefehl sofort dem Kriegsminister zugeleitet, der noch am nämlichen Tag anordnete: i. Die beiden Armeekorps sind vollständig zu mobilisieren, 2. 16 Landwehrbataillone sind auf den Kriegsformationsbestand zu bringen, 3. der 17. Juli ist als der erste Mobilisierungstag anzusehen. Anordnungen zur militärischen Bereitschaft waren schon vorher ergangen.

Die Worte, mit denen Graf Bray den bayerischen Ge- sandten in Berlin von der ergangenen Mobilisierung unter- richtete, sind erst recht ein Beweis, daß der Minister mit seinem Antrag an den König ganz im Sinne der telegraphischen Weisung des Grafen Bismarck an den preußischen Gesandten v. Werthern vom 15. Juli verfahren wollte: ,,Auf ein von Baron v. Werthern mitgeteiltes Telegramm vom 15. ds. Mts. hat die Regierung Sr. Majestät des Königs der an sie gerichteten Einladung sofort durch die unterm gestrigen verfügte Mobili- sierung der gesamten Streitmacht entsprochen und die er- forderlichen Vorkehrungen getroffen, namentlich in betreff des Ausfuhrverbotes von Kriegsbedarf jeder Art, einschließlich der Pferde und Fourage."

Am gleichen Tage wurde durch eine telegraphische Wei- sung des Ministeriums des Äußern der bayerische Gesandte am Pariser Hofe , Graf v. Quadt, unter dem Vorwande eines Urlaubs von Paris abberufen: ,, Benutzen Sie Ihren Urlaub, um hier mündlich Aufschluß zu geben, die Geschäfte sind an Rudhart zu geben, wichtigere Papiere mitzunehmen."

Als dann am 18. Juli der preußische Gesandte im Auf- trage seiner Regierung unter Hinweis auf die Erklärungen des französischen Ministeriums und die von ihm getroffenen militärischen Maßnahmen an die bayerische Regierung das Ersuchen stellte, auf Grund der Bündnisverträge vom 22. Aug. 1866 den casus foederis für gegeben zu erklären, und der Minister gemäß einer Verabredung mit dem württembergischen Staatsminister v. Varnbüler sich telegraphisch eines gleichen Verfahrens seitens Württembergs versichert hatte, erbat und erhielt er am 19. Juli von seinem Könige die Ermächtigung, „dem Vertreter der preußischen Regierung sofort zu erklären, daß er den casus foederis als gegeben erachte". Am folgenden Tage telegraphierte Ludwig H. an den König von Preußen:

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„Mit Begeisterung werden Meine Truppen an der Seite ihrer ruhmgekrönten Bundesgenossen für das deutsche Recht und deutsche Ehre den Kampf aufnehmen. Möchte er zum Wohle Deutschlands und zum Heile Bayerns werden."

Und doch hatte der Herzog von Gramont gegenüber dem Grafen Quadt in lebhaften Farben geschildert, was Bayern als Feind, als Neutraler oder als Freund Frankreichs zu er- warten habe: ,,Im ersten Fall ist es klar, daß die bayerische Pfalz das Schlachtfeld Preußens und Frankreichs sein wird und daß diese Provinz durch diese Tatsache sich in der traurigen Lage befinden wird, von den zwei kriegführenden Mächten als erobertes Land behandelt zu werden. Es liegt an Bayern, zu überlegen, ob es die Verantwortung für die Kriegsnöte über- nehmen will, die sich über das Land ergießen werden. (Dabei deutete der Herzog von Gramont eine feindliche Haltung Österreichs gegen Bayern an, falls dieses die Partei Preußens ergreifen sollte.) Wenn Bayern neutral bleibt, wird Frank- reich sich zur Pflicht machen, ihm diese Stellung nach Kräften zu erleichtern; denn wir verkennen nicht die Schwierigkeiten, die sich für die bayerische Regierung in dieser schweren Frage ergeben. Als Freund wird Bayern, das versteht sich von selbst, mit uns die Früchte des Erfolges teilen. Aber es ist Zeit, daß sich Bayern in kürzester Frist erklärt; denn unsere Interessen sind zu stark gebunden, um länger warten zu können." Der Herzog von Gramont hatte anderseits die bündigste Erklärung abgegeben, daß Frankreich an keine Eroberung des Rheines denke: ,,Weit davon entfernt, kann ich Ihnen ver- sichern, daß Frankreich im Falle des Erfolges gegen Preußen sich wohl hüten werde, auch nur den kleinsten Fetzen deutschen Gebietes zu verlangen. Nach allem sind die rheinischen Pro- vinzen durchaus deutsch und es wäre ein ungeheurer Fehler der französischen Regierung, sich feindliche Elemente anzu- ghedern, die nur die Bänke der Opposition füllen würden. Unser Ziel ist d'empecher le Prussianisme en Allemagne, und ich begreife nicht, wie die Regierungen des Südens sich beeinträch- tigt fühlen könnten, wenn wir das Großherzogtum Baden, das nur eine Filiale BerHns ist, aufheben und wenn wir im Norden das Königreich Hannover wiederherstellen und es derart vergrößern, daß es die Gefahren, die ein übermächtiges Preußen in Deutsch- land bietet, verscheucht." Der Herzog von Gramont wieder- holte, daß Bayern in der Lage sei, seinen Untertanen die Geißel des Krieges zu ersparen, unbeschadet seiner Würde, da die Integrität des deutschen Gebietes gewahrt bleiben werde.

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Am 20. Juli verlangte der französische Gesandte Herzog von Cadore vom bayerischen Minister des Äußern bestimmte Aufschlüsse über die Haltung Bayerns. „Es ist uns sehr wich- tig," so lautete der Auftrag seines Ministers, der in der Form einer Verbalnote der bayerischen Regierung abschriftlich zugestellt wurde, ,,zu wissen, ob die bayerische Regierung sich durch die Verträge von 1866 gebunden glaubt und den casus foederis anerkennen wird. Wollen Sie sich darüber freundschaftlich, aber sehr bestimmt mit dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten aussprechen und ihm sagen, wie schmerzlich es für uns wäre, uns im Kriegszustande mit Bayern zu befinden. Nur gegen Preußen bereiten wir uns zum Kampfe vor und wir haben nicht die geringste Ursache zu einer Feind- seligkeit mit irgendeiner anderen Macht. Wir haben aus militärischen wie aus politischen Gründen ein großes Interesse daran, so bald als möglich über die Absichten des Münchener Kabinetts unterrichtet zu sein." Die Antwort gipfelte natür- lich in der Erklärung, daß Bayern gegenüber Preußen den casus foederis anerkannt habe. Unmittelbar darauf wurden die diplomatischen Beziehungen zwischen Bayern und Frank- reich abgebrochen, ohne daß eine förmliche Kriegserklärung von der einen oder der anderen Seite erfolgt wäre.

Jetzt erst, nachdem Bayern in den Krieg eingetreten war, und zwar erst am 25. Juli, erwiderte Graf Bray auf jenes Schreiben des Grafen Beust vom 14. ds. Mts. Es ist ebenso interessant wie lehrreich, dem Gedankengange des Ministers zu folgen, aber wiederum unter steter Berücksichtigung des Adressaten. ,,Wäre die spanisch-hohenzollerische Kandidatur so führt Graf Bray im wesentlichen aus durch den Ver- zicht des Kandidaten und der spanischen Regierung selbst nicht spurlos verschwunden, so hätte sie uns allerdings An- haltspunkte für ein Fernhalten vom Streite geboten ... So wie die Sache aber jetzt liegt, bleibt für uns als zwingende Notwendigkeit nur die Anerkennung unserer klar ausge- sprochenen Vertragspflicht und der Verzicht auf eine auch geographisch unhaltbare Neutralität . . . Daß es uns unmöglich war, uns zu isolieren und von allen übrigen deutschen Staaten zu trennen, würdest Du hier noch deutlicher empfinden als in Wien ... So blieb mir nichts übrig als die Teilnahme an der Aktion, deren große Übel und Gefahren ich nicht ver- kenne, welche aber bei den gegebenen Prämissen, als auf Recht und Vertrag begründet und die bloße Abwehr eines fremden Angriffs bezweckend, mir doch der sicherste, weil

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ehrlichste und korrekteste Weg zu sein scheint. Die Begründung der französischen Kriegserklärung ist nicht dazu angetan, mich anderen Glaubens zu machen."

Immerhin mußte sich hier der Minister in Rücksicht auf den Adressaten einige Zurückhaltung auferlegen. Um so deut- licher spricht sich seine Überzeugung von dem guten Recht und der nationalen Bedeutung des Eintritts Bayerns in den Krieg in dem Rundschreiben aus, das er am 26. Juli an die bayerischen Gesandtschaften richtete. Er setzte die Gründe für den Eintritt Bayerns in den Krieg auseinander und fuhr dann weiter: ,,Ew. Hochwohlgeboren dürfen glauben, daß die königliche Regierung nicht ohne allseitige Erwägung der Verhältnisse und nur schweren Herzens in einen Krieg ein- tritt, der voraussichtlich unermeßHche und schmerzliche Opfer fordern wird. Sie hat es aber sofort getan, weil es ihr bei der geographischen Lage Bayerns unmöglich schien, dem Kampfe durch eine, wenn auch bewaffnete Neutralität auszu- weichen, weil es für den König, unseren allergnädigsten Herrn, sich darum handelte, sein verpfändetes Fürstenwort einzulösen, und weil Allerhöchstderselbe nicht bloß treu zu seinem Volke, sondern auch treu zu Deutschland steht. Ich darf mich sicher der Erwartung hingeben, daß Sie dieselben Gesinnungen des Monarchen mit Aufrichtigkeit, Offenheit und Entschiedenheit vertreten werden, von welchen S. Majestät beseelt sind. Das bayerische Heer kämpft mit seinen Verbündeten für eine gerechte , gute Sache und auch unsere Bemühungen und Anstrengungen müssen unausgesetzt darauf gerichtet sein, zum Siege dieser Sache redlich und mit besten Kräften mitzuhelfen."

Von preußischer Seite wurde damals das bundestreue Verhalten Bayerns mit den wärmsten Worten anerkannt. Schon am 13. Juli meldete der bayerische Geschäftsträger in Berlin: ,,Herr v. Thile ersuchte mich, der königlichen Regierung mitzuteilen, daß deren bei dieser Gelegenheit bewiesene deutsche Haltung hier mit großer Anerkennung aufgenommen worden sei. Wir können, fügte er bei, die Haltung Badens und Bayerns in dieser Frage nur loben; ich sage ausdrücklich Bayern und Baden, womit er andeuten wollte, daß man in Berlin mit der Haltung Württembergs sehr unzufrieden war." Preußischerseits sah man sich wiederholt zur Mahnung an Bayern veranlaßt, die diplomatischen Beziehungen mit Frank- reich nicht früher als Preußen abzubrechen. ,, Übereilen Sie sich nicht in dieser Beziehung," äußerte Bismarck gegenüber dem bayerischen Gesandten am Abend des 16. Juli, „um viel

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mehr Zeit zu Ihren Kriegsrüstungen zu gewinnen." Seitdem Bayern in aller Form den casus belli anerkannt hatte und in den Krieg mit Frankreich eingetreten war, mehrt sich die Anerkennung seitens Bismarcks wie seitens des Preußen- königs. Bismarck nahm diese Eröffnung nach dem Berichte des bayerischen Gesandten mit tiefgefühlter Anerkennung entgegen: „Er hat mir als Vertreter Bayerns dankend und warm die Hand gedrückt und sichtlich war er von dieser patriotisch energischen Haltung und Sprache Ew. Kgl. Maje- stät ergriffen. Ew. Kgl. Majestät erhalten die Achtung und Bewunderung von ganz Deutschland." Vom Preußenkönig aber berichtete der Gesandte gelegentlich der Schilderung einer Tauffeier im Hause des preußischen Kronprinzen: „Als nach der Tafel im Muschelsaale des Neuen Palais der Cercle stattfand, kam der König unverzüglich auf mich zu, drückte mir lebhaft die Hand und sagte mir: Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, was ich empfinde, indem ich die Freude habe, Sie heute hier zu sehen. Hiebei winkte der König den unfern stehenden württembergischen Gesandten herbei, wieder- holte diese Worte an uns, als die Königreiche des Südens vertretend, und wiederholte mit bewegter Stimme, aber in ausdrücklicher Weise seine Anerkennung und dankte für die Haltung der Monarchen von Bayern und Württemberg, für die nationale und Vertragstreue Haltung Ew. Kgl. Majestät und Allerhöchst Ihrer Regierung, des bayerischen Volkes. Der König sprach zu mir und äußerte: Von unschätzbarem Werte ist, abgesehen von der Bedeutung an und für sich, diese patriotische Haltung Süddeutschlands für das deutsche Ge- samtvaterland, für die militärischen Operationen und den Erfolg unserer Waffen, welche Gott leiten und schützen wolle. Sie sind von französischer Seite gedrängt worden, man hat in Sie gebohrt bis zuletzt, aber Sie haben festgehalten. Ihre Haltung hat bereits besondere strategische Maßnahmen von selten Frankreichs erheischt, die das Vorgehen der französi- schen Armee gegen uns aufhalten, welches uns jetzt schon den größten Schaden hätte verursachen können ; unsere Mobili- sierung im Trierschen hätte vollkommen gestört werden können."

* Mit der Bejahung des Bündnisfalles durch die Regierung war die Frage, ob Bayern an der Seite Preußens gegen Frank- reich stehen werde, entschieden, war eine Bürgschaft für die Verwendung der bayerischen Truppen im nationalen Sinne

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gegeben. Die Entscheidung hing nicht mehr ,,in der Luft", wenn auch die Kammer erklärte, den casus foederis prüfen zu müssen. Kriegsminister v. Pranckh war nach dem Zeug- nisse Hugo v. Lerchenfelds entschlossen, die Mobilmachung auch dann durchzuführen, wenn die Kammer die Kriegsmittel ableh- nen sollte. In diesem Falle war eine Auflösung des Landtags oder eine vorübergehende Sistierung der Verfassung zu erwarten.

Die Mißtöne, die damals vom ,, Volksboten" Zanders, vom ,, Bayerischen Vaterland" Sigls und von einem Teile der bayerischen Abgeordneten angeschlagen wurden, sind aller- dings bedauerlich, sie haben aber auch im eigenen Lande die schärfste Zurückweisung erfahren und sie werden heute auch im eigenen Lager mißbilligt. Daß sie nicht der Gesamtstim- mung des Landes entsprachen, daß sich vielmehr auch in Bayern die öffentliche Meinung überwiegend auf die Seite Preußens stellte, das kam in dem Sturm der Begeisterung zum Ausdruck, den der Mobilmachungsbefehl entfesselte, auch in der Ovation, die am 17. Juli dem Könige vor der Residenz gebracht wurde.

Diese Stimmung blieb auch der Kammer der Abgeordneten nicht fremd 1) : trotz leidenschaftlicher Fehden geht ein patrioti- scher Zug durch die Verhandlungen.

Am 18. Juli stand auf der Tagesordnung: Fortsetzung der Beratung und Beschlußfassung über den ordentlichen Etat der Militärverwaltung für die Jahre 1870 und 1871. Der Kriegsminister v. Pranckh machte der Kammer offizielle Mitteilung vom königlichen Mobilmachungsbefehl und forderte für die Mobilisierung einen einmaligen Kostenaufwand von 5600000 Gulden und für den Unterhalt des Heeres, zunächst für den Rest des Jahres, 21 100 000 Gulden. Die Kammer überwies die Regierungsvorlage einem Ausschusse, der sich aus sechs Patrioten und drei Liberalen zusammensetzt; Vor- sitzender war der patriotische Abgeordnete Ruhland, Referent der ebenfalls patriotische Abgeordnete Dr. Jörg.

Am 19. Juli am Tage der französischen Kriegserklärung sollte Beratung und Beschlußfassung im Plenum stattfinden. Auf 7 Uhr abends war öffentliche Sitzung an- gesetzt. Lange vorher waren die Galerien zum Erdrücken voll besetzt. Vor dem Ständehaus bewegte sich eine so große Volksmenge, daß der Verkehr gehemmt war. Der Landtags- präsident hatte zum Schutze der Abgeordneten eine verstärkte

^) Meine Darstellung gründet sich hier vornehmlich auf die steno- graphischen Berichte.

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Militärwache in Anspruch genommen: sie stand im Landtags- gebäude in Bereitschaft.

Unter atemloser Spannung im Saal und auf den Galerien verkündigte der Referent Jörg den Beschluß des Ausschusses: mit sechs gegen die drei Stimmen der Liberalen war bewaffnete Neutralität beschlossen worden. Der spanische Thronstreit, so rechtfertigte Jörg den Majoritätsbeschluß, berühre wohl die preußische Dynastie, aber nicht Deutschland, er liege außerhalb des Gebietes deutscher Ehre und deutscher Natio- nalität, es sei nach wie vor ein Streit zwischen zwei Groß- mächten, die nach dem ersten großen Zusammenstoße sich leicht auf unsere Kosten einigen könnten. Da das preußische Kriegsministerium erklärt habe, es könne Bayern bei einem Einfalle der Franzosen nicht schützen, so gebe es keinen anderen Ausweg als bewaffnete Neutralität. ,,Der entsetzliche Krieg nimmt seinen Ursprung in dem wirklichen oder vermeint- lichen Verstoß gegen die Hofetikette, das ist es, was mir wenig- stens das Herz am allertief sten bewegt." Jörg verstieg sich in seinem Eifer für bewaffnete Neutralität bis zu dem Satze: ,,Je mehr Sie Regimenter aufstellen, desto mehr gehen zum Feinde über." Der fortschritthche Abgeordnete Fischer von Augsburg gab seiner Verwunderung Ausdruck, daß man von einem Kriege zwischen Deutschland und Frankreich wie von einem Streite zweier Großmächte spreche, der uns nichts an- gehe, daß man von einem deutschen Könige eine Nachgiebig- keit auf eine Zumutung verlange, die für jeden Privatmann schimpflich sein würde. Nicht um den nächsten Anlaß des Konfliktes handle es sich, sondern um die Bedrohung Deutsch- lands. Eine Niederlage Deutschlands werde auch der Unter- gang Bayerns sein. Der Ministerpräsident Graf v. Bray vertrat ebenfalls mit einem bei ihm ungewohnten, warmen Nachdruck die Vorlage: Die Regierung achte die Rechte des hohen Hauses, sie verlange aber auch Achtung für ihre Rechte ; zu den Rechten der Krone gehöre die Entscheidung über Krieg und Frieden. Er sei Mitunterzeichner des Vertrages von 1866; er wisse, wie der Vertrag gemeint war: nicht zur Beihilfe bei einem Angriffskrieg, wohl aber zur Mithilfe bei der Verteidigung deutschen Gebietes. ,,Der Fall ist eingetreten, die Kriegserklärung ist erfolgt, die deutsche Grenze ist über- schritten." Der patriotische Abgeordnete Pfarrer Wester- mayer von St. Peter wandte ein: es gebe Fälle, wo die Sorge für den eigenen Hof, für Haus und Herd vordringlicher sei, wo man in Rücksicht auf die eigenen Angehörigen dem Nach-

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barn beim besten Willen nicht zu Hilfe kommen könne. Die Zuhörer tobten und schrien Pfuirufe; man fürchtete, daß es im Saale selbst zu Tätlichkeiten kommen werde. Die Unruhe wuchs von Minute zu Minute.

Da erhob sich der patriotische Professor Sepp es war der bedeutendste Moment in seinem Leben : „Ich wollte für bewaffnete Neutralität sprechen und habe mir Wort für Wort aufgezeichnet, um ja keinen Ausdruck zu improvisieren. Und jetzt komme ich mir vor wie der Prophet, der ausgezogen war, um zu fluchen, und er mußte segnen . . . Zwischen gestern und heute liegen zehn Jahre: die französische Kriegserklärung ist da, die preußische Thronrede setzt unseren Anschluß voraus. Wer fragt heute nach dem Anlaß des Krieges ? Gestern konnte man noch an das Weh von 1866 denken, heute ist der Zorn gegen die Welschen bei allen deutschen Männern erwacht. Wir Bayern haben an der Leipziger Schlacht nicht teilge- nommen, bei der neuen Nationalschlacht wollen wir dabei sein . . . Auch wir haben ein deutsches Herz und halten fest an dem Ausspruche des deutschesten unter den deutschen Fürsten: Wir wollen Deutsche sein und Bayern bleiben." Unter Führung Sepps vollzog ein Teil der patriotischen Abgeordneten eine Schwenkung im nationalen Sinne. Nachts um 2Y2 Uhr wurde abgestimmt : der Neutralitätsantrag wurde mit 89 gegen 58 Stimmen abgelehnt, der Regierungsantrag mit loi gegen 47 Stimmen angenommen. Ungeheurer Jubel erscholl, als der Beschluß der Kammer vor dem Ständehaus bekannt wurde. Unter nationalen Gesängen zog die tausend- köpfige Menge vor die Residenz und zum Hause des preußischen Gesandten.

24 Stunden später genehmigte die Reichsratskammer ein- stimmig, ohne Diskussion, die Mittel für den Krieg. Jetzt sei so begründete der Referent Freiherr v. Thüngen, der seinerzeit dem Zollparlamente so zähen Widerstand entgegen- gesetzt hatte, die Vorlage jetzt sei keine Zeit zu Empfindlich- keiten und Rekriminationen ; der casus foederis sei dem Buchstaben und dem Geiste nach gegeben. Aber auch ohne diesen würde Bayern die nationale Verpflichtung haben, mit Preußen gegen Frankreich zu gehen, dessen Regierung durch Beleidigung eines deutschen Fürsten die Ehre der deutschen Nation verletzt habe. Der deutsche Standpunkt allein und die ehrliche Vertragstreue sichern die Zukunft eines selb- ständigen deutschen Bayerns, auf alle Fälle sei es besser, mit Ehren unterzugehen als in Schanden zu leben.

III.

Bayerische Vorbehalte.

Von einem gemeinsamen Kampfe der Deutschen gegen den französischen Erbfeind, den die einen als den kürzesten und erfolgreichsten Weg zur Lösung der deutschen Frage be- grüßten, besorgten die andern den Verlust oder doch wenig- stens eine erhebliche Einschränkung der fürstlichen Souveräni- tät. Es war daher begreiflich, daß die deutschen Mittel- staaten, die seit der Gründungszeit des Deutschen Bundes als die zähesten Verteidiger des Souveränitätsprinzips galten, Bayern und Württemberg, vor Eintritt in den Deutsch- französischen Krieg eine Neigung bekundeten, sich gewisse Sicherungen für die Fortdauer ihrer staatlichen Selbständig- keit zu verschaffen. Der preußische Gesandte am Münchener Hofe sprach bereits am 12. Juli von solchen Bestrebungen des Leiters der bayerischen Politik, von dem Wunsche nach einer Neugestaltung der Allianzverträge vom Jahre 1866, die in der bisherigen Form so viel Anstoß in ,, Europa" erregt hätten, nach einer Revision der Zollvereinsverträge u. a.^) Der Ge- sandte nennt aber diese Bestrebungen ausdrücklich ,, Wünsche, nicht Bedingungen," ,,um aus der großen Krisis, der wir entgegen gehen, die bayerische Selbständigkeit zu retten." Und er fügt hinzu: ,, Nimmt der Krieg für uns ein glückliches Ende, so gebiert er das Deutsche Reich. Jene Wünsche stehen dann auf einem anderen Boden und Bayern wird sich in die neue Stellung im Reiche mit ungleich größerer Leichtig- keit finden als in seine bisherige."

Wenn aber solche Wünsche eine Zeitlang wirklich die Form von Bedingungen annahmen oder anzunehmen schienen, so ging der Anstoß dazu ursprünglich nicht von Bayern, sondern von Württemberg aus, von seinem leitenden Minister v. Varn- büler. Wie einem Berichte des Fürsten Chlodwig von Hohen-

1) H. A. A.

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lohe vom Juni 1868 an den König von Bayern^) zu entnehmen ist, hat Varnbüler schon im Frühjahr 1868 gegenüber dem poUtischen Referenten im bayerischen Ministerium des Äußern, Freiherrn v. Völderndorff, geäußert, Württemberg sei ent- schlossen, im Falle eines Krieges auf die Seite Preußens zu treten. Er hat aber gleichzeitig auch die Frage aufgeworfen, ob es nicht angezeigt sein dürfte, sich für die löbliche Erfüllung der Schutz- und Trutzbündnisse gewisse Äquivalente auszu- bedingen. Auf die Frage, was er unter diesen Äquivalenten verstehe, soll er erwidert haben: vor allem die Zusicherung, daß, möge der Krieg ausgehen, wie er wolle, der status quo un- verändert aufrecht erhalten bleiben solle. Der Gedanke, die Erfüllung der im Allianzvertrage von 1866 übernommenen militärischen Verpflichtungen an Bedingungen zu knüpfen, wurde von dem damaligen Leiter der bayerischen Politik, Fürsten Hohenlohe, abgelehnt und vom Grafen Bismarck, der auf Umwegen davon erfuhr, in der bestimmtesten Form zurückgewiesen .

Unmittelbar vor Beginn des Deutsch-französischen Krieges tritt der Gedanke wieder auf. Am 12. Juh 1870 weilte der württembergische Gesandte, Freiherr v. Soden, in Stuttgart und gab hier im Auftrage des Grafen Bray die Erklärung ab, daß Bayern in der Kriegsfrage aufs engste mit Württemberg zusammengehen und keinerlei Entscheidung treffen wolle, ohne sich vorher mit der württembergischen Regierung ver- ständigt zu haben. 2) Dabei berichtete er von einer Neigung des jetzigen Leiters der bayerischen Politik, ,,auf eine Auf- forderung Preußens zur Teilnahme am Kriege mit Frankreich die Bedingung zu stellen, daß Preußen bei einem mit sieg- reichem Erfolge begleiteten Kriege die Souveränität der süd- deutschen Staaten in ihrem bisherigen Bestand anerkenne und festhalte."^) Der württembergische Ministerrat*), dem Varnbüler am 15. Juli davon Mitteilung machte, fand es aber politisch klüger, einer Aufforderung Preußens zur Teilnahme am Kriege gegen Frankreich auf Grund der Allianzverträge bedingungslos zu entsprechen. Um den ungünstigen Ein- druck, den dieser sichtlich ihm selbst unangenehme Beschluß in Bayern hervorrufen konnte, zu verwischen, erschien Varn- büler am Abend des 17. Juli persönlich in München und stellte

1) M. St. A.

2) Beilagen I, nr. 3.

3) V. Mittnacht, Rückblicke, S. 52 ff.

*) Ebenda. Vgl. dazu Beilagen I, nr. 17.

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ausdrücklich fest, daß Württemberg nach wie vor mit Bayern in der gegenwärtigen Krisis zusammengehen wolle. ^) Im übrigen wäre Bismarck jetzt ebenso wenig wie im Jahre 1868 auf Be- dingungen eingegangen.

Tatsächlich ist denn auch die bayerische Regierung ebenso wie die württembergische ohne Bedingungen in den Krieg eingetreten. Sie wurde gerade deshalb bei der Beratung der Versailler Verträge im bayerischen Landtage von der Landtags- mehrheit scharf angegriffen.

Wohl aber ließ sich Bayern nachträglich, nach dem Ein- tritt in den Krieg, Sicherheiten für die Selbständigkeit des bayerischen Staates geben. Auf diesen Entschluß scheinen ganz besonders die Berichte des beim König höchst einfluß- reichen bayerischen Gesandten am preußischen Hofe, Freiherrn V. Perglas, eingewirkt zu haben. 2)

Schon am 17. Juli, nach der ersten Audienz, die ihm nach der Rückkehr aus dem Urlaube Graf Bismarck erteilte, berichtete der gegen die Absichten Preußens mißtrauische Gesandte aus Berlin an die Adresse des Königs: ,,Man ist hier voll- kommen siegesbewußt und erwartet sich von diesem Kriege die besten Erfolge für die Interessen Deutschlands, vielmehr Preußens. Dahin denkt man schon jetzt, um sich die Macht und die Stellung ein für allemal zu sichern. Es wird daher von den anderen selbständigen Staaten Deutschlands alles aufgeboten werden müssen, um gleichfalls bei der künftigen Neugestaltung die berechtigte politische Stellung sich zu sichern." Zwei Tage später erhob er neuerdings seine warnende Stimme: ,,Man ist hier siegesbewußt und nach außen und innen wird nach dem Sieg eine politische Organisation an- gestrebt werden, die schon jetzt in Erwägung und Beratung genommen wird, welche die Krone und die preußische Macht künftig von den noch bestehenden Beschränkungen ihrer Herrschaft befreien soll, ein eventuelles Ergebnis, welches Bayern und die Staaten südlich des Mains zunächst berührt." Am 23. Juli wiederholte Freiherr v. Perglas seine Mahnung: Bayern sei im Hinblick auf seine Vertragstreue berechtigt, zu erwarten, daß sich Preußen nach siegreichem Feldzug ebenso vertragstreu zeige, d. h. die volle Selbständigkeit Bayerns zu achten und zu erhalten willens sei, da gerade diese Selbständig- keit Preußen eine so starke moralische und materielle Unter- stützung gewährt habe ; der Besuch des Kronprinzen biete die

^) Antrag Brays vom 18. Juli (Beilagen I, nr. 20). 2) M. St. A.

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beste Gelegenheit, dieser Auffassung bestimmten Ausdruck zu verleihen. In der Tat äußerte der König von Bayern am

28. Juli bei der Anwesenheit des mit dem Oberbefehl über die süddeutschen Kontingente betrauten preußischen Kron- prinzen in einem Handschreiben an diesen den dringenden Wunsch nach Erhaltung und Sicherung der bayerischen Selbständigkeit 1) : „Mein treues Volk ist dem Rufe zur Fahne voll Opfermut und Begeisterung gefolgt und wird unter Deiner erprobten Führung die unberechtigten Angriffe des Gegners mit Gottes Hilfe siegreich zurückweisen. Ich glaube, unter diesen Verhältnissen die sichere Hoffnung hegen zu dürfen, daß Dein Vater, der König, die bundestreue und energische Haltung des größten der süddeutschen Staaten dadurch zu würdigen die Güte haben wird, daß Bayern sowohl beim Friedensschluß als auch nach diesem seine Stellung als selb- ständiger Staat gestützt auf seine langjährige Geschichte einnehme. Ich glaube, von der erlauchten Einsicht Deines erhabenen Vaters, des von mir so verehrten Königs, annehmen zu dürfen, daß es auch sein Wille ist, daß Bayerns staatliche Integrität gegenüber der deutschnationalen Richtung aus jenem Kampfe unversehrt hervorgehe und fortan erhalten bleibe. Ich habe es für meine Regentenpflicht gehalten, diese wichtige Sache in Anregung zu bringen, und bitte Dich, es mir nicht zu verübeln, vielmehr dem König und seinen Räten hie von Kenntnis geben zu wollen."

Auch der Minister Graf Bray brachte abends nach der Festvorstellung in einer Audienz beim Kronprinzen diesen Gegenstand zur Sprache. Nach dem Berichte des Freiherrn V. Werthern^) vermied der Kronprinz näher darauf einzugehen und beschränkte sich auf die kurze Erwiderung: es verstehe sich von selbst, daß Preußen einen so treuen Bundesgenossen nicht schädigen würde, ,,wenn auch eine festere Verbin- dung der einzelnen deutschen Stämme unter sich als bisher unvermeidlich sei". Der König von Preußen gab in einem Schreiben vom 5. August nicht bloß die gewünschte Zusicherung, er zollte auch dem bündnistreuen Verhalten Bayerns neuerdings die wärmste Anerkennung^): ,,Mein Sohn, der Kronprinz, hat mir den Brief mitgeteilt, den Sie am

29. Juli kurz vor seiner Abreise an ihn gerichtet haben. Ich danke Ihnen für Ihre offene Aussprache und weiß, daß mein

1) H. A. A.

2) H. A. A. ^) Ebenda.

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Sohn noch Gelegenheit gefunden hat, Ihnen zu versichern^ wie ich mit den Wünschen einverstanden bin, welche Sie in betreff der Selbständigkeit und Integrität Bayerns aussprechen. Ich bin seit Abschluß unseres Bündnisses jederzeit dafür eingetreten, daß gedeihliche Verhältnisse in Deutschland sich nur unter Ihrer freien und unabhängigen Mitwirkung und der unter Ihrem Szepter vereinigten deutschen Stämme ge- stalten können. Diese meine Gesinnung, das werden Sie mit mir fühlen, wird durch die treue Waffenbrüderschaft und die gemeinsame Hingebung für die Verteidigung der Unabhängig- keit unseres deutschen Vaterlandes zu einer unerschütterlichen Grundlage des Rechtes und der Selbständigkeit eines jeden der verbündeten deutschen Staaten werden. Sie wollen ver- sichert sein, daß das Vertrauen, welches Sie in meine Ge- sinnungen und meine Würdigung der Haltung Bayerns aus- sprechen, unter keinen Umständen getäuscht werden wird."

Der König hatte am Schlüsse des ersten Satzes, nach dem Vorgange seines Sohnes, eigenhändig den Zusatz hinzugefügt : „Wenn auch noch eine größere Übereinstimmung unserer Institutionen und Beziehungen anzubahnen wäre." Er be- gründete diesen Zusatz damit, ,,daß man sich die Hände frei halten müsse". ,,Die Selbständigkeit so unbedingt hinzu- stellen und mein vollkommenes Einverständnis, ohne meinen Zusatz, würde dereinst uns die Hände zu sehr binden und man uns in Deutschland sogar die Türe weisen, wenn nach so vielem Blut doch nichts Einigeres zustande käme als jetzt."

Anders der Bundeskanzler. Er hatte am 23. Juli in einer Weisung an den preußischen Gesandten General v. Schweinitz in Wien, die abschriftlich auch der preußischen Gesandtschaft in München zugeleitet wurde, die wohlberechnete Versicherung gegeben: ,,Wenn wir, wie ich hoffe, siegreich aus dem Kriege hervorgehen, so würden auch die süddeutschen Staaten von unserer Seite nicht um ein Haar breit stärkere Pression als bisher zur Eingehung engerer Beziehungen mit dem Nord- deutschen Bunde zu befahren haben ; wir würden nach wie vor das Maß unserer gegenseitigen Annäherung ganz allein von der freien Entschließung unserer süddeutschen Bundesgenossen abhängen lassen . . . Wir können mit den Süddeutschen nur in solchen Beziehungen leben, zu deren Erhaltung sie auch dann freiwillig entschlossen bleiben, wenn sie in gefahr- vollen Zeiten der vollen Freiheit eigener Bestimmung über- lassen sind."i) Er nahm Anstoß an der zurückhaltenden und

1) H. A. A.

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einschränkenden Erklärung des preußischen Kronprinzen. Er machte dem preußischen Gesandten in München Vorhalt, daß er „sich nicht entschieden genug im Sinne der Depesche an General v. Schweinitz ausgesprochen habe"; „sonst könnte der König von Bayern keine solchen Befürchtungen ausdrücken." Er erteilte ihm die Weisung, ,,es noch jetzt nachzuholen und mit aller Entschiedenheit zu sprechen, nicht so zurückhaltend, wie nach seinem Berichte der Kronprinz getan". Derselbe Kanzler nahm auch Anstoß an dem Zusatz des Königs und bestand auf seiner Streichung. Der König fügte sich wohl dem Wunsche des Kanzlers, aber, wie er ausdrücklich hinzusetzte, nur ,, ungern"^).

Die Anwesenheit des russischen Reichskanzlers Gortscha- koff in Berlin, sein geflissentliches Interesse für die ,, Souveräni- tät und Unabhängigkeit" der süddeutschen Staaten gab dem preußischen Unterstaatssekretär v. Thile nach eigenem Be- kenntnis am 6. und 7. August Veranlassung, Bayern ,,der absoluten Achtung seiner Souveränität und Selbständigkeit für alle Zukunft" zu versichern und die Unterstützung der preußischen Regierung gegen etwaige nationale Strömungen in Deutschland zu verbürgen. Er fügte aus freien Stücken dazu noch die weitere Versicherung, der preußische Gesandte am Münchener Hofe, v. Werthern, ,, werde sehr bestimmte Instruktionen erhalten, seine Haltung in Einklang zu bringen mit dieser Richtung der preußischen Politik"; ,,es würde dem preußischen Gesandten in München nicht zum persönlichen Vorteil gereichen, wenn er jetzt nicht mit richtigem Takt die Stellung ergriffe, um sich das Vertrauen zu erwerben, welches so intime Beziehungen zweier Regierungen absolut erheischen". Der Unterstaatssekretär las dem bayerischen Gesandten sogar den Bericht vor, den er über diese Aussprache an Bismarck erstattete.^)

Bayern hat also wohl nachträglich gewisse Sicherungen für seine Selbständigkeit erbeten und Bismarck hat sie ohne Bedenken gewährt. In den Krieg selbst aber ist Bayern ohne derartige Bedingungen eingetreten.

Noch weniger hat Graf Bray die Anerkennung des Bündnis- falles von dem Vorbehalt einer Gebietsvergrößerung abhängig

1) H. A. A. („Akten betreffend den Krieg mit Frankreich 1870/71", Bd. 20).

2) H. A. \. („Akten betreffend den Krieg mit Frankreich 1870/71", Bd. 21).

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gemacht. Die Vorstellungen, die über die Haltung des Grafen Bray in dieser Frage in der wissenschaftlichen Literatur i) ver- breitet sind, erweisen sich im scharfen Lichte der Akten ebenso- wenig begründet wie die soeben widerlegten irrigen Meinungen über seine Politik bei Ausbruch des Deutsch-französischen Krieges.

Der Gedanke einer bayerischen Landerweiterung trat erst nach der Anerkennung des Bündnisfalles auf und ging ursprünglich überhaupt nicht von Bayern aus, wurde viel- mehr von preußischer Seite angeregt.^)

Am 28. Juli schrieb der bayerische Gesandte Freiherr v. Per- glas aus Berlin: ,, (Unterstaatssekretär) Thile wünscht, daß die deutschen Waffen das Elsaß zurückerobern, daß dieses Land mit der Pfalz vereinigt werde und Bayern dort künftig die Vormacht Deutschlands bilde"; Bayern sollte nach einem Berichte des Freiherrn v. Perglas vom 6. August die Wacht am Oberrhein, Preußen die am Niederrhein übernehmen. In Übereinstimmung damit meldete am 6. August 1870 der bayerische Berichterstatter im deutschen Hauptquartier, Mi- nisterialsekretär Maximilian v. Berchem: ,,Wie ich aus Ge- sprächen mit zum König von Preußen intim stehenden Per- sönlichkeiten entnehmen zu können glaube, hat die preußische Regierung allerdings die Absicht, nach einem Siege Frank- reich zu verkleinern. Es wird mir immer wahrscheinlicher, daß eine Abtretung des von uns besetzten französischen Terri- toriums eine der hauptsächlichen Friedensbedingungen werden wird. Man hat mir aber auch schon von Abtretungen an Bayern gesprochen." Am 19. August berichtete er neuerdings, daß ,,in bestinformierten Kreisen und augenscheinlich nicht ohne höhere Veranlassung und mehrfach neuerlich von Ab- tretungen in Elsaß-Lothringen an Bayern gesprochen worden sei." Er gab auch den Grund an, warum an eine Vergrößerung süddeutscher Staaten, nicht aber Preußens gedacht werde: ,,Man scheint der Überzeugung zu sein, daß Preußen gegen- über der europäischen Lage und wegen Klarstellung der un- eigennützigen Motive der Kriegsführung aus dem Kampfe ver- größert nicht hervorgehen dürfe." Daß man damals in den politischen Kreisen Berlins mit der Überlassung des Elsasses

^) Jacob, Bismarck und die Erwerbung Elsaß-Lothringens (1905). Vgl. dazu W. Busch, Die Kämpfe um Reichsverfassung und Kaisertum 1870/71, S. i49ff., und Wentzke, Der deutschen Einheit Schicksalsland (1921).

^) Die folgende Darstellung gründet sich, soweit nicht anderes ver- merkt wird, auf die Ministerialakten im Münchener Geh. Staatsarchiv.

Doeberl, Bayern nnd die Bismarckische Reichsgründung. 4

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an Bayern rechnete, bezeugt auch die Korrespondenz Max Dunckers und Hermann Baumgartens. ^) Duncker hätte es nicht ungerne gesehen, ,,wenn Bayern diesen Zuwachs er- hielte, wenn es damit vollständig in den Organismus des Bundes gezogen werden könnte." Um so schärfer sprach sich Hermann Baumgarten dagegen aus.

Läßt schon die politische Tragweite der gemeldeten Äuße- rungen vermuten, daß sie nicht ohne Ermächtigung Bismarcks gemacht worden sind, so berichtet Berchem am 29. August eine darauf bezügliche Äußerung Bismarcks selbst: ,, Jedenfalls," so äußerte Graf Bismarck nach der wörtlichen Wiedergabe Berchems, ,, bestehe die Absicht, Metz und Straßburg wieder für Deutschland zu erwerben, um den Süden Deutschlands vor plötzlichen Einfällen Frankreichs sicherzustellen, denen der- selbe im ersten Augenblick eine wirksame Gegenwehr kaum würde entgegensetzen können. S. Majestät der König von Preußen sei jedoch hiebei keineswegs von dynastischen Rück- sichten geleitet." ,,Hiemit" so fährt Berchem weiter ,, deutete der Bundeskanzler an, daß man damit umgehe, wie ich schon früher zu berichten mir erlaubte, den süddeutschen Staaten die zu erwerbenden Strecken im Fall eines definitiven Sieges zu überlassen unter gemeinsamer (d. h. deutscher) Verteidigung dieser großen Waffenplätze." Damit steht in einem gewissen Einklang, was der militärische Bevollmächtigte Bayerns im deutschen Hauptquartier, Graf v. Bothmer, am 7. September 1870 an den bayerischen Kriegsminister be- richtete^) : ,,Euer Exzellenz beehre ich mich in vertraulicher Weise den Inhalt eines Gespräches mitzuteilen, welches ich heute an der kronprinzlichen Tafel mit meinem Nachbarn, Herrn Grafen v. Bismarck, führte. Der Bundeskanzler sagte mir, daß er die Friedensbedingungen, welche er, wenn möglich, durchzusetzen gedenke, schon fertig nach Frankreich mit- gebracht habe. Sie bestünden in der Abtretung von Straß- burg und Metz nebst dem Territorium, welches zur militäri- schen Sicherstellung notwendig sei, also dem Elsaß bis zum Kamm der Vogesen inkl. Pfalzburg und einem Stück Lothrin- gen. Er sagte, daß er nur von dem Gesichtspunkt ausgehe, den Franzosen die Wiedervergeltung, an welche sie ohne Zweifel denken würden, möglichst zu erschweren und ihnen die deut- schen Grenzen nicht so leicht wie bisher zugänglich zu machen. Wer in den Besitz der neuen Ländergebiete trete, sei ihm eine

^) Max Dunckers pol. Briefwechsel, S. 453 f. 2) M. Kg. A.

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Nebenfrage. Bayern könne das an die Pfalz stoßende, Baden das angrenzende Land erhalten. Die Hauptsache sei, daß deutsche Truppen die Franzosen beobachten und im Zaume halten. Preußen bedürfe keiner Gebiets Vergrößerung, werde sich aber nicht weigern, zur gemeinschaftlichen Verteidigung Deutschlands einen Teil des eroberten Landes zu übernehmen Ich bemerkte dem Grafen im Laufe des Gespräches, Preußen könne kein besseres Manöver gegen die antideutsche Partei in Bayern ausführen, als wenn schon jetzt Bedacht genommen würde, uns die dreißig Millionen zurückzuzahlen, welche uns der Friedensschluß von 1866 kostete worauf er mit dem Ausdruck der Befriedigung antwortete, daß dies eine ganz gute Idee sei."

Freiherr v. Pranckh gab von diesem Berichte dem bayeri- schen Ministerium des Äußern Kenntnis.

Von dem damaligen Leiter der bayerischen Politik, Grafen Bray, wurde eine Gebietserwerbung Bayerns auf Kosten Frankreichs nicht nur nicht angeregt, sie wurde viel- mehr im Grunde von ihm abgelehnt weil er daraus für Bayern und Deutschland eine dauernde Gefahr von Frank- reich her besorgte. Am 13. August schrieb er in diesem Sinn an den bayerischen Gesandten Dönniges in Florenz: ,,Dans votre entretien avec ms. de Visconti- Venosta il a ete question des projets qu'on preterait aux puissances Allemandes en cas de succes, et la pensee de demembrer le territoire fran9ais a ete mise en avant. Or, ms., la guerre ä laquelle le gouverne- ment et le roi s'est vu contraint de prendre part, est pour l'Allemagne une guerre defensive, qu'elle n'a point cherchee et qu'elle aurait ete heureuse d'eviter, si sa securite et son honneur le lui avaient permis. Rien n'est donc plus etranger au gouvernement Bavarois que des idees de conquetes. Le but qu'il poursuit, c'est une paix sure et durable, et s'il desire un desarmement de la France, il n'est ni pour l'humilier ni pour l'affaiblir, mais pour pouvoir reduire lui-meme ces charges militaires et arriver a un desarmement general que reclame l'interet de l'Europe tout entiere." Am 15. August wies Graf Bray den Freiherrn v. Perglas ausdrücklich an: ,,Den Äuße- rungen, welche sich auf eventuelle Überlassung französischer Gebietsteile an Bayern beziehen, ersuche ich mit Vorsicht und Zurückhaltung zu begegnen. Sowohl vom bayerischen als vom deutschen Gesichtspunkt aus möchte ich solchen Projekten, wenn sie Bestand gewännen, entschieden entgegentreten. Die Lostrennung französischer Gebietsteile und die gezwungene

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Vereinigung widerstrebender französisch gesinnter Bevölke- rung mit Deutschland wäre für mich gleichbedeutend mit der Perpetuierung des Krieges und des Nationalhasses zwischen beiden großen Völkern. Wenn der Zweck des zur Verteidigung deutschen Gebietes und deutscher Ehre unternommenen Krieges die Herstellung eines dauernden und sicheren Friedens ist, so würde nach meiner Überzeugung obiges Vorgehen uns von dem vorgesetzten Ziele weiter als je entfernen. Der jetzt auf den Völkern lastende hohe Militärstand müßte ein perpetu- ierlicher, die so nötige Abrüstung eine unmögliche werden. Solchen Nachteilen gegenüber erscheint mir ein Landerwerb als eine illusorische und vollständig ungenügende Kompen- sation. Vorstehende Bemerkungen dienen lediglich zu Ihrer persönlichen Information; ich halte es aber für nötig, Ihnen jetzt über meine Auffassung dieser noch fernen Eventualität keinen Zweifel zu lassen." Übrigens hatte auch Berchem in dem erwähnten Berichte vom 6. August 1870 geäußert: ,,Ich möchte aber glauben, daß hier eine Vergrößerung Bayerns kaum in dessen Interesse liegen würde."

Bei einer so ablehnenden Stellungnahme des leitenden Ministers war ein Landerwerb in Elsaß-Lothringen für Bayern von Anfang an wenig aussichtsvoll. Im übrigen wurde eine derartige territoriale Vergrößerung damals auch durch andere Umstände erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht: durch die Eifersucht der deutschen Fürsten, ganz besonders durch das Mißtrauen, das damals noch in den nationalen Kreisen aus politischen Gründen gegen Bayern bestand.

Die fortschrittliche und nationalliberale Presse forderte allerdings einstimmig Straßburg und Metz, Elsaß und Loth- ringen, aus nationalen wie aus militärischen Gründen: es handle sich um Rückgewinnung deutschen, von Frankreich ge- raubten Landes und um Sicherung der deutschen Grenze ; wolle man von Frankreich dauernd Frieden haben, so müsse man ihm dauernd Abbruch tun und sich einen dauernden Zuwachs sichern. Einen Landzuwachs Bayerns in Elsaß-Lothringen lehnten aber dieselben Blätter ebenso einstimmig ab: Die Be- völkerung Elsaß-Lothringens habe bis jetzt einem großen Reiche zugehört, sie würde es als Schimpf empfinden, in die klein- lichen Verhältnisse eines Kleinstaates gezwängt zu werden. Eine Landvergrößerung Bayerns würde die Eifersucht der anderen Südstaaten, zumal Württembergs, wachrufen, würde nur den bayerischen Partikularismus stärken und den ,, Dualis- mus in Musterform", den wir 1866 vernichtet zu haben meinten,

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wiederherstellen, an Stelle eines preußisch-österreichischen einen preußisch-bayerischen Dualismus heraufbeschwören. ,,Wenn Elsaß an Bayern käme," schrieben die ,, Münchener Neuesten Nachrichten" am i8. September, ,,dann würde sich ohne Zweifel manches Gesicht in München bei dieser Möglich- keit in die freundlichsten Falten legen, dann wäre ja die süd- deutsche Großmacht sozusagen fertig, dann könnte von der gefürchteten Unterordnung unter Norddeutschland gar keine Rede mehr sein, dann hätten wir den deutschen Dualismus, welchen wir 1866 vernichtet zu haben meinten, in besserer Form wiederhergestellt." Die nationalliberalen und fort- schrittlichen Blätter nahmen die Verwaltung Elsaß-Lothringens und damit ,,die Wacht über den Rhein" für die deutsche ,, Vormacht", für Preußen in Anspruch. Zeit und Erfahrung haben später manche dieser Stimmen bekehrt.

Ernster, aber erst später, im Zusammenhang mit den Versailler Verhandlungen und mehr unter dem Gesichtspunkt einer mäßigen Entschädigung für den territorialen Verlust des Jahres 1866 faßte der Gedanke einer territorialen Ver- größerung bei König Ludwig II. Wurzel; im Zusammenhang mit den Versailler Verhandlungen werden wir seiner gedenken. In Rücksicht auf den König und auf einflußreiche Kreise bei Hofe wie im Volke wurde der Gedanke auch von dem durchaus deutschgesinnten Kabinettsekretär Eisenhart genährt. Ge- rade Eisenhart aber scheint dem königlichen Wunsche die Richtung nach der badischen Pfalz gegeben zu haben. ,,Es fällt mir auf," schrieb er am 20. August an den Grafen Bray, ,,daß der Norden an einer etwaigen Gebietsvergrößerung keinen Anteil nehmen, sondern sie dem Süden überlassen will; was ist des Nordens Entgelt ? Wenn überhaupt territoriale Veränderungen eintreten, wäre es sicher ganz wünschenswert, jetzt schon den Umstand in Anrechnung zu bringen, daß Mann- heim und Heidelberg zu unseren alten pfälzigen Stammlanden gehörten und deren Besitz uns ein conttnuum unseres Land- komplexes bieten würde."

Graf Bray griff diesen Gedanken auf, vielleicht gerade deshalb, um eine bayerische Landerwerbung auf Kosten Frankreichs auszuschalten. Schon am 24. August schrieb er in einem Erlaß an den bayerischen Gesandten Freiherrn V. Perglas: ,, Vergrößerung Bayerns durch französische Terri- torien erscheint mir unter keinen Umständen wünschenswert, wohl aber Erwerbung ehemaliger pfälziger Landesteile behufs Herstellung der Kontiguität." Dabei dachte er nicht eigentlich

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an Heidelberg und Mannheim, sondern lediglich an einen schma- len Verbindungsstreifen zwischen Unterfranken und der Pfalz.

Wirksam, mit ganzer Seele hat der Minister auch dieses Projekt nicht verfolgt, wiewohl es ihm der König vor und während der Versailler Verhandlungen immer wieder ans Herz legte; er scheint sich im wesentlichen damit begnügt zu haben, unmittelbar nach dem Abschluß der Versailler Verhandlungen, am 25. November, die Frage in einem privaten Gespräche mit dem Großherzog von Baden anzuschneiden: ,,Die Einverleibung von Elsaß und Lothringen gebe zu den verschiedensten Kombinationen Anlaß . . . Vielfach und mit Wärme sei der Gedanke vertreten worden, Elsaß mit dem Großherzogtum Baden zu vereinigen und ein Königreich daraus zu gestalten. Dieser Fall, der ja ebenso wünschenswert als wahr- scheinlich sei, veranlasse ihn zur Frage, ob der Großherzog denn geneigt sei, eine Gebietsabtretung an Bayern zu genehmigen, wo- durch die beiden getrennten Territorien verbunden werden könnten. Er denke dabei weder an Heidelberg noch an Mann- heim, sondern nur an einen ganz schmalen Streifen Landes vom Main- und Tauberkreise bis an den Rhein. Er versichere, daß damit nicht gemeint sei, alte Ansprüche erneuern zu wollen, ... es sei ihm nur von hohem Wert, die Anschauungen des Großherzogs über eine solche Eventualität zu kennen, da eine direkte Verbindung seiner getrennten Territorien für Bayern so sehr wünschenswert sein müsse." Graf Bray hatte im voraus des Großherzogs Nachsicht dafür erbeten, daß ei ihm eine Frage vorlege, die ,,so sehr delikat sei". Die Ant- wort, die ihm zuteil wurde, war schroff ablehnend: ,,Die Zeit, in welcher man Land und Leute verschenkte, liegt weit hinter uns und daher wollen wir sie an einem Ort wie Versailles zur Ehre der deutschen Nation nicht wieder zurückrufen und in den Fehler unserer Feinde verfallen."^)

Ganz abgesehen übrigens von der Abneigung Badens und des Großherzogs von Baden, Gebiete der badischen Pfalz zu opfern, wollte die nationale Partei auch nicht das, was die notwendige Voraussetzung hätte sein müssen, eine Erwerbung elsaß-loth- ringischen Gebietes durch Baden, am allerwenigsten der Groß- herzog selbst, weil damit dem badischen Staat eine nationale Last auferlegt worden wäre, die er nach ihrer Meinung schon im Hinblick auf seine Größe nicht zu tragen vermocht hätte.

Immerhin hat Bismarck am Schlüsse der Versailler Ver- handlungen sowohl dem Grafen Bray als dem Grafen Holnstein

^) Tagebuch des Großherzogs von Baden zum 25. November.

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gewisse territoriale Aussichten für die Zeit der Friedens- verhandlungen eröffnet. 1) Als daher Graf Bray im Februar 1871 zur Teilnahme an den Friedensverhandlungen zum zweitenmal nach Versailles reiste, erteilte ihm König Ludwig II. in einem Handschreiben den Auftrag, ,, dahin zu wirken, daß eine Rückzession der im Jahre 1866 an die Krone Preußen abgetretenen bayerischen Lande, eventuell eine Gebiets- erweiterung im Süden der Pfalz (mit Weißenburg) erfolge, welche an Seelenzahl und Flächenraum jene verlorenen Distrikte wenigstens erreicht." Er gab ihm ein Handschreiben an Kaiser Wilhelm mit, in dem der Wunsch des Königs damit begründet wurde, daß Bayern im Deutsch-französischen Kriege durch seine sofortige Mobilmachung und sein ent- schiedenes Auftreten der deutschen Sache einen wertvollen Dienst geleistet, wie außer Preußen kein anderer deutscher Staat, daß es zugunsten der deutschen Einheit und des Deut- schen Reiches Opfer an seiner Selbständigkeit gebracht habe und daß es im Jahre 1866 der einzige von den gegenwärtigen deutschen Bundesstaaten gewesen sei, die neben einer nam- haften Geldsumme ein nicht unerhebliches Gebiet verloren hätten. Die Erfüllung des bayerischen Wunsches würde auch in den Kreisen versöhnend wirken, die den Verlust des Jahres 1866 als Angriffspunkt gegen Preußen benutzen.^)

Graf Bismarck, bei dem der Minister gleich nach seinem Eintreffen in Versailles diesen Wunsch zur Sprache brachte, verhielt sich anfänglich ablehnend, weil ,,ein solcher An- spruch Bayerns sowohl im Reichstag als im Bundesrat viel- fachen Widerspruch und seitens anderer Bundesstaaten ähnliche Ansprüche hervorrufen würde". Bei einer zweiten Unterredung ging der Reichskanzler auf den bayerischen Wunsch ein und sprach gleichzeitig die Geneigtheit des Kaisers aus, ihm seine Unterstützung zu leihen. Der badische Minister Jolly, in dessen Gegenwart Bismarck diese Zusage machte, erklärte sich im Namen seiner Regierung damit einverstanden, ebenso der württembergische Minister des Äußern Freiherr V. Wächter; Baden forderte als Gegenleistung eine Grenz- berichtigung zwischen Baden und der Schweiz, Württemberg eine Eisenbahnverbindung zwischen Bruchsal und Germersheim.

^) Das ergibt sich aus einer Äußerung Brays a. a. O. S. 192 und aus einer Äußerung Holnsteins gegenüber dem preußischen Gesandten v. Werthern.

^) H.A.A. („Akten, betreffend die Wünsche süddeutscher Regierungen nach einer Gebietserweiterung aus den von Frankreich im Friedensschlüsse abgetretenen Landesteilen.")

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Trotz des vertraulichen Charakters dieser Besprechung erschien bald darauf eine telegraphische Mitteilung davon mit einer Mischung von Wahrheit und Dichtung in der deutschen Presse, aber keineswegs, wie man gemeint hat, auf Grund einer Information durch die bayerische Regierung; hier war man vielmehr aufs peinlichste überrascht.

Die Folge davon war eine Flut von Zeitungsartikeln. Mit Ausnahme eines offiziösen Artikels in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung und offiziöser Artikel in der Augsburger Allgemeinen Zeitung sprach sich die Presse aller Farben mit größter, geradezu leidenschaftlicher Entschiedenheit gegen das Verlangen Bayerns aus. Der bayerische Gesandte am preußischen Hofe, Baron Perglas, argwöhnte, daß Bismarck selbst hinter der Preßfehde stehe: ,,Wenn man in Betracht zieht, daß die nationalliberale Presse überhaupt und die Karlsruher Zeitung ganz speziell Organe des Grafen Bismarck sind, durch welche er die öffentliche Meinung beeinflußt und leitet, um sich dann später, gestützt auf solche künstlich er- zeugte öffentliche Meinung, von eingegangenen Verpflich- tungen lossagen zu können, daß ferner diese Presse, wie ich nicht zu wiederholen brauche, erst auf erfolgte Weisung des auswärtigen Amtes die Annahme des Kaisertitels angeregt hat, liegt die Vermutung nahe, daß Graf Bismarck auch im vor- liegenden Falle die Presse seinen Interessen entsprechend benutzt."!) Zuletzt hat auch Perglas angesichts der Haltung der öffentlichen Meinung das Projekt für aussichtslos gehalten: ,,Die öffentliche Meinung hat sich gegen ein solches Projekt so entschieden ausgesprochen und die Ansichten aller Parteien im Reichstage sind in dieser Beziehung mit derselben so über- einstimmend, daß selbst der Einfluß des Reichskanzlers, wollte er ihn anwenden, in dieser Phase der Angelegenheit ein gün- stiges Ergebnis nicht mehr würde erzielen können. Damit will ich keineswegs sagen, daß es nicht dem Kanzler möghch gewesen wäre, in einer früheren Epoche und, als das Ansinnen von Bayern an ihn gelangte, zur Zeit des Abschlusses der Friedenspräliminarien in Versailles, die Sache in einer Weise einzuleiten, daß sie vielmehr alle Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Man dürfte sich doch an die Zeit erinnern, als nach der Eroberung des Elsasses, zu welcher Bayern entschieden mit- gewirkt hat, Bayern als die Wacht am Rhein bezeichnet und die Vereinigung des Elsasses mit Bayern als

1) Vgl. Berichte Perglas' vom ii., 14. und 17. März, vom 4. und 8. April 1871. M. St. A.

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ein ernster Gedanke im Auswärtigen Amte gefaßt und gepflegt wurde." Die aus Berlin zurückkehrenden Minister Lutz und Pfretzschner, von denen letzterer unmittel- bar vor seiner Abreise eine Aussprache mit Bismarck hatte, meldeten, der Vorschlag einer Lostrennung elsässischer Ge- biete zugunsten Bayerns würde im Reichstage trotz einer Unterstützung durch die preußische Regierung nach sicheren Erhebungen fast einstimmig verworfen werden; selbst die bayerischen Abgeordneten sähen sich nach ihren schriftlichen Erklärungen genötigt, dagegen zu stimmen, um nicht gänzlich isoliert zu bleiben.

Graf Otto von Bray- Steinburg, der auch dieses Projekt aus den bekannten Gründen nur zögernd und ohne innere Freude verfolgt und schon früher sowohl in einem Bericht an den König als in einer Mitteilung an seine Ministerkollegen auf die Nachteile (,,Inkonvenienzen") einer Einverleibung eines Teiles des Elsasses in die bayerische Pfalz, auf die ge- steigerte Verfeindung mit einem noch immer mächtigen Nach- barn, auf die mißgünstige Stimmung bei einem Teile der eigenen Bundesgenossen, auf die Belastung mit unwilligen und wider- strebenden Staatsangehörigen hingewiesen hatte, fürchtete jetzt ebenso wie seine Ministerkollegen, der Antrag auf eine Angliederung elsässischer Landesteile an Bayern werde im Reichstage lediglich eine das Ansehen Bayerns schwächende Niederlage zur Folge haben. Er erbat sich am 8. April 1871 von seinem Könige die Ermächtigung, ,,von einem Antrag auf Gebietsabtretung zur Zeit Abstand zu nehmen". Der König, der noch am 22. März signiert hatte: ,,Ich gewärtige, daß Meine Regierung die Erlangung der in Frage stehenden Ge- bietserwerbung nach Kräften anstreben werde, da Ich die von ihnen ausgesprochenen Befürchtungen nicht zu teilen vermag", gab jetzt, ,,wenn auch ungern", die erbetene Ermächtigung.

Immerhin hatte auch Graf Bray in jenen Antrag vom 8. April 1871, um den Widerstand des Königs leichter zu bre- chen, den ausdrücklichen Vorbehalt aufgenommen: ,,Es wird diese Ermächtigung nicht hindern, daß der wohlberechtigte Anspruch Bayerns einerseits und anderseits die ihm gezollte Anerkennung des Deutschen Kaisers und des Bundeskanzlers für spätere günstigere Konjunkturen aufrechterhalten werden."

Damals hatte sich bekanntlich Graf Bismarck bereits für die Schaffung eines Reichslandes entschieden nicht zuletzt, um den Erörterungen über die Zuteilung der eroberten Gebiete Elsaß und Lothringen den Boden zu entziehen.

IV.

Baycrisdic Initiative in der deutsdfien Frage.

Mit atemloser Spannung begleitete das deutsche Volk den Siegeszug der deutschen Heere in den unvergeßlichen Augustwochen des Jahres 1870: die Einbruchsgefechte von Weißenburg, Wörth und Spichern (4. bis 6. August), die drei großen Moselschlachten bei Colombey, Vionville-Mars la Tour und Gravelotte-St. Privat (14. bis 18. August), den abschließen- den Feldzug von Sedan.

Die nächste politische Wirkung der Katastrophe von Sedan war der Zusammenbruch des französischen Kaiser- tums, die Aufrichtung der ,, Regierung der nationalen Ver- teidigung", formell zunächst unter Trochu, tatsächlich unter Gambetta.

Die andere politische Wirkung der weltgeschichtlichen Vorgänge von Sedan waren diplomatische Verhandlungen, die zur Gründung des Deutschen Reiches führten.

Bismarck hatte dem preußisch-französischen Konflikt den Charakter eines französischen Angriffskrieges gegeben und dadurch den militärischen Anschluß Bayerns an Preußen im Kriege gegen Frankreich erreicht. Das war ein großer Erfolg. Aber Bismarck und die nationalen Kreise in Deutsch- land wollten mehr: nach ihrer Ansicht sollte der französische Angriff ,,der wirksamste Zauber zur Lösung der deutschen Verfassungsnot" sein.

Nun aber hatte sich Bayern gleichsam als Lohn für seine Bündnistreue, für seine Anerkennung des casus belli vom Preußenkönig und der preußischen Regierung Zusicherungen für die Fortdauer seiner politischen Selbständigkeit erbeten und erhalten. Und von der Haltung der nationalen ,, öffent- lichen Meinung" in Berlin berichtete Freiherr v. Perglas in der Zeit des ersten Waffenerfolges von Weißenburg, ,,daß sie

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daraus kein Kapital schlage für die preußische Suprematie, für den preußisch-deutschen Einheitsstaat, sondern im Gegen- teil die große Bedeutung dieses mit den Bayern erfochtenen Sieges für die Selbständigkeit Bayerns anerkenne, das aus freiem Entschluß Deutschland und Preußen so große, so außer- ordentliche Dienste geleistet habe." Augenblicklich stand man eben ganz unter der Spannung, der Ungewißheit und der Sorge eines beginnenden Krieges und unter dem Eindruck der Nützlichkeit des militärischen Anschlusses der Südstaaten an den Norddeutschen Bund.

Aber der Krieg hörte damit nicht auf, ein deutscher Einigungskrieg zu sein, weder in den Augen der nationalen Parteien noch nach den Intentionen Bismarcks noch nach der Auffassung des Auslandes. Der englische Außenminister äußerte zum norddeutschen Botschafter: ,,Er wünsche zwar nicht, daß in Deutschland noch irgend gewaltsame Annexionen von Königreichen oder Staaten stattfinden. Er glaube auch, daß man den süddeutschen Staaten alle lokale Autonomie lassen könnte, die sie etwa wünschen möchten. Aber ganz Deutschland, wie es sich jetzt militärisch darstelle, müsse auch in Zukunft politisch unter der Ägide von Preußen einheitlich, und zwar nicht bloß durch widerrufliche Verträge, sondern verfassungsmäßig einheitlich, dastehen und sowohl militärisch als diplomatisch dem Auslande gegenüber als eine einzige Macht sich darstellen. Keine fremde Macht habe ein Recht, sich darein zu mischen, und Frankreich müsse für die Zukunft auf jedes vermeintliche Recht der Kontrolle oder Einmischung aus- drücklich verzichten. "1) Selbst auf bayerischer Seite war das Verlangen nach Sicherung der bayerischen Selbständigkeit doch im Grunde nichts anderes als die richtige Erkenntnis, daß das militärische Zusammengehen des Nordens und des Südens den Wunsch nach einer politischen Einigung reifen werde. Die bayerische Regierung hatte sogar bereits von einer nach dem Kriege zu erwartenden Neugestaltung Deutsch- lands gesprochen. Der Kabinettsekretär Eisenhart vollends hatte am 9. August, bald nach Empfangnahme des beruhigen- den Handschreibens König Wilhelms, an den Grafen Bray geschrieben: er glaube im Hinblick auf den Inhalt des Briefes des Königs von Preußen, die sehr namhaften Erfolge der baye- rischen Waffen in zwei Schlachten, die Versicherungen des Unterstaatssekretärs v. Thile mit ziemlicher Ruhe in die

^) Bericht Bernstorffs vom 16. August 1S76, H.A. A. („Akten, betr. d. Deutch-franz. Krieg", Bd. 5).

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Zukunft blicken zu können. Er finde es aber trotzdem an- gemessen, einzelne Punkte zwischen den süddeutschen Staaten und dem Norddeutschen Bunde durch Staatsverträge klar und endgültig im Sinne eines weisen föderativen Verhältnisses zu regeln, um auf diese Weise feste Zustände zu schaffen und die bayerische Selbständigkeit nachhaltig zu sichern. ,,Ich halte das im Interesse Bayerns, Deutschlands, ja Europas gelegen ; sonst hört die deutsche Frage nie auf und der Süden ist ständigen politischen Schwankungen und Gefahren unter- stellt."!)

Sobald die öffentliche Meinung durch den Gang des Krieges sich des Sieges sicher fühlte, wandte sie sich mit wachsendem Hochgefühl und wachsender nationaler Be- geisterung der deutschen Frage zu, begehrte um so leiden- schaftlicher, daß die deutsche Einigung, die so große Erfolge errungen, auf verfassungsmäßigem Wege dauernd gesichert werde. Dieser Augenblick trat ein mit dem Siegeszuge der letzten Augustwochen und ihrer Krönung, der Kapitulation von Sedan.

Schon am 15. August schrieb einer der rührigsten, aber auch ungestümsten Führer der nationalen Partei, der Abge- ordnete Lasker, aus Berlin an Bismarck^): ,, Nachdem die Abwehr gesichert ist, tritt die Frage über das Endziel des Krieges in den Vordergrund, und sie beherrscht das Gespräch nicht bloß unter berufsmäßigen Politikern. Über territorialen Erwerb spreche ich nicht; das Verlangen ist angeregt, mannig- fache Verhältnisse werden darüber entscheiden, aber die Grenzerweiterung war nicht der deutsche Zweck des Krieges und wird nicht der Preis sein, welcher die Nation befriedigt. Dagegen darf ich, aus Wahrnehmung, als tiefe Überzeugung des Volkes bezeichnen, daß Deutschland jetzt an Stelle der Verträge mit den süddeutschen Staaten die Staatseinheit in Form des Bundes gewinnen werde. Ein minderer Ausgang würde zu den schwersten Täuschungen zählen." Lasker bat um Gutheißung der nationalliberalen Bestrebungen und regte zugleich eine Verständigung an über den ,, äußeren Betrieb dieser Bestrebungen". Bismarck vermied es, darauf schrift- lich zu erwidern. Der Mann, der mitten im Kriege seine Hand über ganz Europa hielt, ließ sich mit dem ,, Drang der fortschreitenden Kriegsereignisse" entschuldigen. Gleich-

1) M. St. A.

"■) H. A. A. (Akten, betr. den Deutsch-franz. Krieg, Bd. 39) ; Deutsche Revue XVII.

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zeitig ließ er dem Abgeordneten Lasker am 25. August durch seinen Stellvertreter in Berlin, den Unterstaatssekretär v. Thile, in freundschaftlicher und zugleich energischer Weise sagen, daß er noch außerstande sei, sich über die von Lasker berührten Gegenstände auszusprechen, da im Augenblick alle Gedanken auf die Gegenwart und den gemeinsamen Kampf um das nächste Kriegsziel, die Niederwerfung und dauernde Schwächung des Feindes, gerichtet sein müßten. ,, Deutschland werde sich gewiß selbst die Gestalt der Organisation geben, die es bedürfe ; dafür sei keine Sorge; zunächst komme es darauf an, durch den Frieden Frankreich in eine Lage zu bringen, daß es Deutsch- land nie wieder gefährlich werden könne. "i)

Bismarck scheiite eine Belastung seiner Politik mit einer einseitigen Parteiagitation, eine Belastung, vor der selbst Bennigsen seinen Parteifreund Lasker warnte. Er besorgte überdies gerade von nationalliberaler Seite ein ungestümes, überhastetes Vorgehen, dasselbe Vorgehen, das noch zu An- fang des Jahres 1870 mit dem Antrag auf Aufnahme Badens in den Norddeutschen Bund die deutsche Entwicklung eher geschädigt als gefördert hatte. Ein Artikel in der ,, Kreuz- zeitung" vom 22. August, der ähnliche Besorgnisse zum Aus- druck brachte, ist vielleicht nicht ohne Fühlung mit Bismarck entstanden. Bismarck setzte zudem auf nationalliberaler Seite eine zu weitgehende unitaristische Tendenz auf Kosten der Fürsten voraus ; die ,, Gedankenspäne für den Fall eines Friedens wie auch für die endliche Feststellung der deutschen Gesamt- heit", wie sie eben damals in deutlicher Anlehnung an national- liberale Bestrebungen vom preußischen Kronprinzen aus- gingen, mit konstituierendem Reichstag, mit Oberhaus und Reichsministerium und starkem Mißtrauen gegen die Fürsten, mußten ihn in dieser Auffassung bestärken.

Bismarck gedachte wohl, die Nationalliberalen im ge- gebenen Augenblick als Läufer auf seinem politischen Schach- brett zu verwenden, aber seine deutsche Politik wollte er auf Grund seiner ganzen Vergangenheit, seiner Erfahrungen mit der deutschen Bewegung des Jahres 1848 und seiner Kenntnis der Staats- und Weltanschauung des Preußenkönigs in erster Linie mit den Fürsten machen. Er hat denn auch tatsächlich zu derselben Zeit, da er dem Abgeordneten Lasker sagen ließ, der Zeitpunkt für eine Initiative in der deutschen Frage sei noch nicht gekommen. Schritte getan, um den König von

^) Ebenda.

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Bayern für diese Initiative zu gewinnen. Am 24. August mel- dete der bayerische Berichterstatter im Hauptquartier, Graf Berchem, nach München: „Ich habe im Auftrag S. K. H. des Prinzen Luitpold weiter zu berichten, daß Graf Bismarck sich dahin äußerte, Preußen und der Norddeutsche Bund würden bereit wilhgst Vorschläge akzeptieren, welche S. M. der König von Bayern nach Allerhöchst seiner Bequemlichkeit im Interesse einer engeren nationalen Einigung zu machen sich etwa veranlaßt sehen würden."^)

Damit erschöpfen sich die Schritte Bismarcks in diesen Tagen nicht. Der Wunsch der bayerischen Regierung nach Teilnahme an den künftigen Friedensverhandlungen, den Graf Bray in einer Depesche an den bayerischen Gesandten in Berlin vom 18. August geäußert hatte, gab Bismarck Veranlassung, am 25. August dem Vorstande des norddeutschen Bundeskanzleramtes, Minister Rudolf v. Delbrück, den Auf- trag zu erteilen, mit einer wichtigen Mission nach Dresden zu gehen. Er sollte die sächsische Regierung von der Absicht unterrichten, über den Inhalt des Friedensschlusses eine Ver- ständigung auf deutscher Seite durch eine gemeinsame Vor- beratung der deutschen Fürsten herbeizuführen; sie sei dem König von Preußen geradezu ein persönliches und politisches Bedürfnis. Er sollte zugleich zur Kenntnis der sächsischen Regierung bringen, daß der König von Preußen unter allen Umständen entschlossen sei, nicht Frieden zu schließen ohne bedeutende territoriale Abtretungen Frankreichs; sie seien für den Schutz Deutschlands unentbehrlich und würden vom deutschen Volk einmütig gefordert. Er sollte aber auch aus- drücklich erklären, daß damit nicht in erster Linie eine Ver- größerung Preußens angestrebt werde, daß vielmehr für die Verfügung über die von Frankreich abzutretenden Gebiets- teile allein das allgemeine Interesse Deutschlands maßgebend sein solle. 2)

Delbrück traf am 3. September, unmittelbar unter dem Eindrucke der Ereignisse von Sedan, in Dresden ein und hatte am folgenden Tage wiederholt Aussprachen mit dem Minister Freiherrn v. Friesen, aber auch mit dem Könige Johann von Sachsen. Der König sprach seine volle Bereitwilligkeit

1) Berichte Berchems, M. St. A.; Bray a. a. O. 152. Die Initiative zu dieser Aussprache ging, wie schon Hohenlohe, Denkwürdigkeiten II, S. 24, richtig sah, von Bismarck aus.

^) Weisung Bismarcks an Thile vom 25. August, H. A. A. ; dazu Del- brück, Lebenserinnerungen Bd. II, 409 ff.

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aus, an einer Vorberatung der deutschen Fürsten über den künftigen Friedensschluß teilzunehmen. Die sächsische Re- gierung pflichtete Delbrück darin bei, daß von Frankreich eine beträchtliche territoriale Abtretung gefordert werden müsse und daß die abzutretenden Länder nicht mit einem deutschen Einzelstaate, sondern mit der Gesamtheit aller deutschen Staaten zu vereinigen seien. Die sächsische Re- gierung war mit Delbrück auch darüber einig, daß die not- wendige Voraussetzung für diese territoriale Regelung die Lösung der deutschen Frage sei. Freiherr v. Friesen knüpfte daran die Frage, ob Preußen dafür bereits ein festes Programm habe. Delbrück erwiderte, er glaube nicht, daß seine Regierung in dieser Frage die Initiative ergreifen werde, er glaube viel- mehr, daß hiezu niemand mehr berufen sei und mehr Interesse habe als Sachsen ; in einem allgemeinen Deutschen Bunde werde naturnotwendig der föderative Charakter kräftiger zur Geltung kommen als im Norddeutschen Bund und werde Sachsen die isolierte Stellung los werden, in der es sich gegenwärtig als einziger Mittelstaat zwischen Preußen und den norddeut- schen Kleinstaaten befinde, i) Delbrück schied aus Dresden mit der Überzeugung, daß Sachsen bei der bayerischen Re- gierung die nötigen Schritte tun werde, um. diese für die Ini- tiative in der deutschen Frage zu gewinnen. 2)

In der Tat wurde der sächsische Gesandte am Münchener Hofe, Graf Könneritz, am 10. September vom Freiherrn V. Friesen angewiesen, bei nächster Gelegenheit eine Aus- sprache über die deutsche Frage mit dem bayerischen Minister- präsidenten herbeizuführen^). Er hatte nicht bestimmte, detaillierte Vorschläge zu machen, wohl aber sollte er auf die unvergleichliche Gunst des gegenwärtigen Augenblickes für eine föderalistische Lösung der deutschen Frage hinweisen. Es sei mit Bestimmtheit zu erwarten, daß der größte deutsche Staat, dem naturgemäß die militärische Führerschaft zufallen müsse, Preußen, gerade im gegenwärtigen Augenblick um so geneigter sein werde, seinen Bundesgenossen freundlich ent- gegenzukommen und ihnen die gewünschten Sicherheiten zu geben, je nachdrücklicher es wiederholt anerkannt habe.

1) Daß dieses Moment tatsächlich auf die sächsische Regierung an- spornend gewirkt hat, dafür liegen eine Mehrzahl untrüglicher Zeugnisse vor.

^) Bericht Delbrücks vom 5. September, Beilagen II, nr. i ; H. A. A. und R. d. I.; dazu Delbrück, Lebenserinnerungen, Bd. II, 410.

^) Abschrift der Weisung an Graf Könneritz vom 10. September und des Berichtes des Grafen vom 13. September, H. A. A.

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in wie hohem Grade die Erfolge des Krieges der Mitwirkung der süddeutschen Staaten und der Tapferkeit ihrer Armeen zu danken seien. Die gegenwärtige deutsche Bewegung unter- scheide sich von früheren ganz wesentHch dadurch, daß sie nicht antimonarchisch und nicht unitarisch sei. Wenn aber die Hoffnung des deutschen Volkes getäuscht werde und dann an Stelle des Vertrauens wieder Mißtrauen und Parteizwist trete, dann werde eine Verständigung für lange Zeit geradezu unmöglich werden. Am 12. September hatte Graf Könneritz die von seiner Regierung gewünschte Aussprache mit dem Grafen Bray und legte ihm dabei die sächsische Depesche vom IG. September zur Einsicht vor.

Inzwischen hatte Bismarck eine neue Gelegenheit er- griffen, um Fühlung mit den Anschauungen der bayerischen Regierung in der deutschen Frage zu gewinnen. Graf Karl V. Tauffkirchen^), der frühere politische Referent und Mit- arbeiter des Fürsten Chlodwig v. Hohenlohe, damals bayerischer Gesandter in Rom, war auf sein Betreiben am 29. August zum Präfekten der provisorischen Verwaltung des Maasdeparte- ments in Bar le duc ernannt worden. Vor seinem Amts- antritte fragte er beim Bundeskanzler an, ob er sich bei ihm zur Audienz melden dürfe. Nach einigen Tagen, am 7. Sep- tember, erhielt er nacheinander drei dringende Depeschen mit der Einladung zu kommen. Am Morgen des 8. September hatte er eine Aussprache mit dem Bundeskanzler, ,, welche ohne Störung nahezu 2V2 Stunden dauerte". Bismarck führte unter anderem aus: Er sei weit entfernt, auf Bayern einen Druck auszuüben; das Wort des Königs von Preußen, sein eigener bestimmter Wille, die Verpflichtung des Dankes, die der Norddeutsche Bund Bayern gegenüber habe, seien ebenso viele Bürgschaften dafür, daß Bayern sein freier Wille gelassen werde. Er möchte vielmehr, gerade um sich nicht in die Ge- fahr zu begeben, durch irgendeinen Vorschlag die Gefühle des bayerischen Königs zu verletzen, diesem die Initiative über- lassen. Er sei bereit, die Verhandlungen mit den übrigen süd- deutschen Staaten so lange auszusetzen, bis die bayerischen Vorschläge besprochen seien. Aber allerdings, diese Initiative hätte bald zu erfolgen; sonst müßte die deutsche Frage ohne Bayern geregelt werden. Württemberg, Baden und Hessen würden dann in den Norddeutschen Bund eintreten, unter

^) Das Folgende nach K. A. v. Müller, Bismarck und Ludwig II. im September 1870 in: Hist. Zeitschr. Bd. 111 (1913); dazu Forsch, z. Brand, u. Preuß. Gesch. 1914.

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Bedingungen, die sich ohne Teilnahme Bayerns von der bis- herigen Verfassung des Norddeutschen Bundes nur sehr wenig unterscheiden dürften; bezügUch Badens und Hessens wisse er dies ganz gewiß. Es Hege in der Natur der Dinge, daß eine solche Entwicklung auch die bisherigen Beziehungen zu Bayern lockern müßte. Er verbarg auch nicht, daß un- günstige Strömungen und Absichten vorhanden seien, die von den seinen wesentlich abwichen. Er ließ so berichtet wenigstens Tauffkirchen, der vielleicht in seinem Eifer für die nationale Sache die Worte Bismarcks noch etwas verschärft hat bei Wiederaufnahme des Gesprächs am Abend selbst die Möghchkeit durchbhcken, daß, wenn Bayern draußen bliebe, der Zollverein nach Ablauf der Vertragsfrist gekündigt und die Rheinpfalz gegen den Willen der bayerischen Regierung in den Nordbund gedrängt werden könnte. Er ließ schheß- hch das war der Sinn und Zweck seiner Ausführungen, seiner Verheißungen wie seiner Schwarzmalereien den König von Bayern um baldigste Übersendung von Bevoll- mächtigten mit bestimmten Vorschlägen ersuchen. Graf Tauffkirchen versprach die Mission so rasch als möglich auszu- führen. In der Nacht vom 12. /13. September traf er in Mün- chen ein.

Auch damit begnügte sich Bismarck nicht. Er will sich selbst der badischen Regierung bedienen, um Bayern für die von ihm so heiß begehrte Initiative in der deutschen Frage zu gewinnen. Die Weisung, die er zu diesem Zwecke von Reims aus an den preußischen Gesandten Grafen v. Fleming nach Karlsruhe richtete, ist nicht minder bezeichnend als der münd- liche Auftrag, den er dem Grafen Tauffkirchen erteilte, um so bedeutsamer vielleicht, weil sie unmittelbar von Bismarck selbst oder wenigstens unter seiner Aufsicht niedergeschrieben wurde. Er schrieb am 12. September an den Grafen v. Fle- mingi) : ,,Auch ich hege keinen Zweifel, daß die Gemeinsamkeit aller deutschen Stämme im gegenwärtigen Krieg einen fördernden Einfluß auf die dauernde Einigung Deutschlands üben werde, ohne daß von irgendeiner Seite ein Zwang oder ein Druck ausgeübt wird. Auch in dieser Hinsicht wird die gemeinsame und persönliche Verständigung der deutschen Fürsten nicht ohne Frucht bleiben. Die Initiative zu be- stimmten Vorschlägen werden wir von den süddeutschen Regierungen erwarten dürfen, deren freien Willen wir in der

^) Weisung vom 12. September, H. A. A. Doeberl, Bayern und die Bismarckische Reichsgründung.

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Sache wie in der Form achten werden. Wenn, wie wir über- zeugt sind, die großherzoghche Regierung diese Entwicklung zu fördern wünscht, so würde sie meines Erachtens besser als wir in der Lage sein, durch vertrauliche Anregungen, namentlich in München, die dortige Regierung zur Aussprache ihrer Auffassung von dem künftigen Verhältnisse Süddeutsch- lands und besonders Bayerns zum Norden zu bewegen. Unsere Stellung zur Sache ist bisher schwierig, weil wir ganz im Dunkeln über die persönlichen Stimmungen des Königs von Bayern sind und vor allem Eröffnungen vermeiden müssen, welche vielleicht nur deshalb Mißtrauen und Empfindlichkeit wecken könnten, weil sie in der Form und in einzelnen Materien anders bemessen sind, als erwartet wird, während in anderen vielleicht mehr Bereitwilligkeit zum Entgegen- kommen, als wir vermuten, vorhanden sein kann. Auch müssen wir jeden Schein einer Pression auf den König ver- hüten, während die großherzogliche Regierung sich ohne Bedenken vertraulich informieren und dadurch eine von Bayern gegebene Basis der Verhandlung zutage fördern könnte."

Um dieselbe Zeit weilte Staatsminister v. Delbrück im preußischen Hauptquartier, in Reims, und arbeitete im Auf- trag und selbstverständlich in Fühlung mit Bismarck, der ihn unmittelbar nach seiner Rückkehr von Dresden dorthin berufen hatte, an einer Denkschrift über die künftige Gestal- tung Deutschlands.^)

Was erreicht werden soll, so führt er hier aus, ist abstrakt in wenig Worten auszudrücken: an die Stelle der Allianz- verträge Preußens mit Bayern, Württemberg und Baden und des Zollvereinsvertrages soll ein dauernder bundesstaatlicher Organismus treten. Die Grundelemente dieses bundesstaat- lichen Organismus sind durch die Verfassung des Norddeut- schen Bundes, durch den Zollvereinsvertrag und vielleicht noch mehr durch die Erfahrungen des Krieges vorgezeichnet: ein Parlament als Vertretung der Nation, ein Bundesrat als Vertretung der Fürsten, eine einheitliche Spitze mit vollzie- hender Gewalt als Attribut der preußischen Krone. Ihren Inhalt und ihre Bedeutung erhält indessen diese Organisation erst durch die Bestimmung ihres Wirkungskreises.

Daß dieser Wirkungskreis die kriegerische Verteidigung Deutschlands umfassen muß, haben die letzten Monate in mehr

^) Denkschrift vom 13. September, H. A. A.; dazu Delbrück, Lebens- erinnerungen, Bd. II, 410 ff.

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als einer Beziehung klargestellt. Eine aus sehr heterogenen Elementen zusammengefaßte Kammermehrheit hat sowohl in Bayern als in Württemberg kurz vor dem Ausbruch des Krieges eine Lage herbeigeführt, die, ohne den Ausbruch des Krieges, die Regierungen beider Staaten vor die Wahl zwischen einer Auflösung der Armee und einem Staatsstreich gestellt haben würde. Das Interesse beider Staaten und ganz Deutsch- lands verlangt gebieterisch eine Bürgschaft gegen die Wieder- kehr einer solchen Lage und diese Bürgschaft kann, solange verfassungsmäßige Zustände aufrechterhalten werden sollen, nicht durch Mihtärkonventionen, sondern nur dadurch ge- währleistet werden, daß der Militäretat und die Militär- organisation der Einwirkung der Landesvertretungen ent- zogen und, unter verfassungsmäßiger Feststellung ihrer Grund- lagen, der Reichsvertretung überwiesen werden. Ferner hat der gegenwärtige Krieg gezeigt, daß Deutschland unüber- windlich ist, wenn seine kriegerischen Kräfte zur rechten Zeit in einer Hand zusammengefaßt sind. Dem richtigen Blick und dem patriotischen Herzen der süddeutschen Fürsten ist es zu danken, daß diesem Kriege keine Erörterungen über den casus foederis vorhergingen. Deutschland bedarf aber einer Garantie dafür, daß in Zukunft selbst die Möglichkeit solcher Erörterungen ausgeschlossen bleibt. Ein Gemeinwesen mit gemeinschaftlicher und einheitlich geleiteter Land- und See- macht muß aber auch in seinen Beziehungen zum Ausland einheitlich geleitet sein, einschließlich der Konsulate, des Handels, des Zoll-, Schiffahrts- und Eisenbahnwesens, des Münz-, Maß- und Gewichtsystems sowie des Handels- und Wechselrechtes.

Es würde sich also handeln um ein Deutsches Reich, bestehend aus dem Norddeutschen Bund und den süddeutschen Staaten, bestimmt zum Schutze Deutschlands und zur Pflege der Interessen des deutschen Volkes, ausgestattet mit Gesetz- gebung und Aufsicht über Landheer und Seemacht, über Zölle, Verbrauchssteuern und Schiffahrtsabgaben, über das Maß-, Gewicht- und Münzwesen, über Handels- und Wechselrecht und über den Schutz des deutschen Handels im Auslande. Die Gesetzgebung würde durch einen Bundesrat und ein Parlament ausgeübt werden, der Oberbefehl über die Land- und Seemacht sowie die sonstige Exekutive würde der Krone Preußen zustehen. Im Zusammenhange damit regte Delbrück, wie übrigens schon vorher Bismarck im Gespräch mit dem Grafen Tauffkirchen, die Erneuerung der Kaiserwürde an:

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„die Verbindung des Namens Kaiser von Deutschland mit dieser Exekutive würde die erlauchten Träger der preußischen Krone nicht erhöhen, wohl aber die Aufnahme der Neugestal- tung Deutschlands bei Fürsten und Völkern fördern".

„Der gegenwärtige Augenblick, wo die Nation gehoben ist durch die Erfolge, welche Deutschland als solches zum erstenmal seit Jahrhunderten und glänzender als jemals er- langt hat, ist der günstigste, der gedacht werden kann. Der nationale Aufschwung, den der Krieg hervorgerufen hat und jede gewonnene Schlacht steigerte, hat alle partikularistischen Elemente zum Teil mit fortgerissen, zum Teil zum Schweigen gebracht. Die zentripetalen Kräfte sind in Deutschland niemals mächtiger gewesen als heute. So erfreulich dieser Aufschwung auch ist, so wird man sich doch über seine Natur nicht täuschen dürfen. Je plötzlicher und energischer er sich entwickelte, um so gewisser wird ihm eine Reaktion folgen. Diese Gewiß- heit fordert auf, rasch zu handeln und vorsichtig zu handeln. Rasch zu handeln, damit die entscheidenden Entschlüsse ge- faßt werden, bevor die rückläufige Strömung beginnt. Vor- sichtig zu handeln, damit nicht die rückläufige Strömung her- vorgerufen werde." Unter solchen Umständen empfiehlt sich vor allem eine rasche Verhandlung mit den deutschen Für- sten, und hiezu bietet eine passende Gelegenheit die zur Vorberatung der Friedensbedingungen in Aussicht genom- mene Fürstenkonferenz.

Die Denkschrift fand nach dem Zeugnis Delbrücks die Gutheißung des Bundeskanzlers wie des Königs. Wenn aber Delbrück in seinen späteren Memoiren behauptet, daß die Denkschrift im ganzen das Bild dessen enthielt, was durch die späteren Verfassungsverträge geworden sei, so ist das doch mit einigem Vorbehalt aufzunehmen. Die Denkschrift hat ja nach der Aussage des Verfassers selbst es absichtlich vermieden, auf Einzelheiten einzugehen, z. B. das Gebiet der gemein- samen Angelegenheiten nach allen Seiten fest zu umgrenzen.

Damals, als der sächsische Gesandte dem bayerischen Ministerpräsidenten die Depesche seiner Regierung vom 10. September vorlegte, als im Auftrage Bismarcks Graf Tauffkirchen in München eintraf, als Bismarck selbst die dringende Mahnung nach Karlsruhe richtete und in seinem Auftrage Staatsminister v. Delbrück die vom 13. September datierte Denkschrift über die künftige Gestaltung Deutsch- lands fertigstellte, war die Entscheidung am bayerischen Hofe bereits gefallen, hatte Bayern die Initiative in der deut-

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sehen Frage schon ergriffen. Von wem ging die Initiative aus und welches war das entscheidende Motiv hiefür? Auch darüber hat man sich viel den Kopf zerbrochen und ist nicht selten in die Irre gegangen.

Die Initiative ging nicht vom König aus, sondern vom Ministerium. Am 12. September erbat Graf Otto v. Bray- Steinburg und mit ihm das bayerische Gesamtministerium in einem von Bray eigenhändig entworfenen sogenannten alleruntertänigsten Antrage die königliche Ermächtigung zu Verhandlungen über ein Verfassungsbündnis mit dem Nord- deutschen Bund.^) Es befindet sich weder in den bayerischen Staatsakten noch in dem Antrage selbst die geringste Spur, daß ihm ein königlicher Auftrag vorausging. Im Gegenteil, das Ministerium erbat sich in diesem Antrag erst die könig- liche Ermächtigung zu diplomatischem Vorgehen in der deutschen Frage und zugleich Indemnität für die bereits unter- nommenen Schritte in derselben Angelegenheit. Freiherr V. Werthern berichtet allerdings unterm 10. September^) : „Unter dem Druck der öffentlichen Meinung hat der König seine Minister gestern beauftragt, ein Programm auszuarbeiten." Allein diese Mitteilung beruht entweder auf einer falschen Vermutung oder einer falschen Information. Wie wir schon bei der Vorgeschichte des Mobilisierungsbefehls beobachten konnten, bestand in der Umgebung des Königs Neigung, in entscheidenden Momenten die Initiative des Ministeriums in eine Initiative des Königs umzubiegen und das Verdienst daran sich zuzuschreiben. Und Luise v. Kobell hat ihr Bemühen bei der Nachwelt fortgesetzt.

Der Antrag ist zwar vom 12. September datiert. Aber der Unterzeichnung des Antrags ging ein Ministerrat voraus. Dieser Ministerrat fand, wie schon die ,, Augsburger Abend- zeitung" und die ,, Münchener Neuesten Nachrichten" aus jener Zeit berichteten und wie durch eine Mitteilung des preußi- schen Gesandten v. Werthern an das Berliner Auswärtige Amt bestätigt wird, wenigstens in seiner ersten Sitzung am 9. September statt. Zwischen dem Ministerrat und der Aus-

^) Das Schriftstück, das in den Denkwürdigkeiten des Grafen Bray, S. 1 36, unter Weglassung der Formalien und der Unterschriften gedruckt ist, ist keine ,, Denkschrift", sondern ein ,, All eruntertänigster Antrag", der von sämtlichen Ministem unterzeichnet wurde.

-) H. A. A.

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fertigung des Antrags an den König erging eine Mitteilung an die Presse^) und zugleich eine Mitteilung und Anfrage an Preußen wegen der einzuleitenden Verhandlungen mit dem Norddeutschen Bunde, beide am ii. September. An diesem Tage gab Graf Bray dem Gesandten v. Werthern bekannt^) : „Die bayerische Regierung begreife, daß die kriegerischen Ereignisse eine Veränderung der politischen Gestalt Deutsch- lands nach sich ziehen müßten. Die Stellung Bayerns werde modifiziert werden, je nachdem der Nordbund in seiner bis- herigen Form weiterbestehe oder aufgelöst werde und einem neuen, ganz Deutschland umfassenden Platz mache. Unzweifel- haft hätte Bismarck sich über diese Frage schon schlüssig gemacht. Er bitte daher, ihn von seiner Auffassung zu unter- richten, um alsdann mit geeigneten Vorschlägen auftreten zu können." Für beide Schritte, die Mitteilung an die Presse und die Anfrage an Preußen, suchte das Ministerium in dem Antrage vom 12. September gewissermaßen die Indemnität nach: man liebte es seit der amtlichen Wirksamkeit von der Pfordtens, den schwer zu einem Entschluß sich durchringenden König vor Tatsachen zu stellen.

Übrigens meldete der stets gut unterrichtete württem- bergische Gesandte v. Soden schon am 6. September aus München^): daß auch in Bayern infolge der glorreichen Waffentaten der deutschen Heere die Überzeugung alle Kreise zu durchdringen beginne, daß die deutsche Frage in ein anderes Stadium getreten sei. Am 8. September berichtete er, daß auch Graf Bray ihm gegenüber ,, heute zum erstenmal" aus seiner Reserve in der deutschen Frage herausgetreten sei und offen zugegeben habe, nach dem siegreichen Kriege werde das alte Verhältnis in Deutschland nicht fortbestehen können. Zwei Tage später, am lo. September, teilt er mit, daß Graf Bray schon vor mehreren Tagen mit dem (gemäßigten) fort- schrittlichen Abgeordneten Marquard Barth eine Besprechung gepflogen und dabei ausdrücklich geäußert habe: er beab- sichtige demnächst seinem König in dem mit Barth besproche- nen Sinne ausführlich Vortrag zu halten.*) Noch bestimmter und noch früher berichtet über diese Wendung der baye- rischen Politik der nichts weniger als bayernfreundliche badische Gesandte Robert Mohl.

^) Allg. Zeitung Nr. 256 vom 13. September.

^) Telegramm Wertherns vom 11. September, H. A. A.

3) St. St. A.

*) Ebenda.

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Unter diesen Umständen ist es ausgeschlossen, daß die von Bismarck angeregte Vorstellung des sächsischen Ge- sandten vom 12. September oder die Sendung des Grafen Tauffkirchen, der im Auftrage Bismarcks frühestens in der Nacht vom 12. /i3- September in München ankam, auf den Entschluß des bayerischen Ministers noch einen maßgeben- den Einfluß übten. Allerdings hatte sich der sächsische Gesandte am Münchener Hofe schon vorher, schon im August, bemüht, Bayern für eine Initiative in der deutschen Frage zu gewinnen, aber mit so geringem Erfolg, daß er am 24. August zu Freiherrn v. Werthern äußerte, er stoße in München auf einen so entschiedenen Widerspruch, daß er nicht wage, seinen König zu einem Schritt zu bewegen, der voraussicht- lich ohne Resultat bleiben würde, i) Er bekennt noch in einem Berichte vom 13. September 2), daß Graf Bray bei mehreren Versuchen, seinerseits die deutsche Frage zu be- rühren, „nicht recht darauf eingegangen sei"; erst in den letzten Tagen sei ,, infolge der nationalen Bewegung" eine Wendung bei ihm eingetreten. Selbst die bekannten Ministerratssitzungen in Stuttgart vom 7. bis 10. September^), bald nach der Entlassung Varnbülers, unmittelbar vor der Abreise des württembergischen Kriegsministers v. Suckow in das Hauptquartier, werden schwerlich auf den Entschluß des Grafen Bray haben einwirken können; sie wurden ja Bayern zunächst geheimgehalten. Die württembergische Regierung hat ebenso wie die sächsische die Initiative aus- drücklich Bayern zugeschrieben.

Damit will aber keineswegs gesagt werden, daß die Haltung Württembergs und das Drängen Badens ohne Ein- fluß auf die bayerische Politik in der deutschen Frage geblieben sei. Die württembergische Regierung hatte gerade in diesen Ta- gen, am 9. September, an ihren Vertretejf in München geschrie- ben : ,,Euer Hochwohlgeboren wollen dem Herrn Minister (Bray) , ohne der im Ministerium bereits eingeleiteten Be- ratungen zu erwähnen, bemerken, daß die Kgl. Regierung eine anderweitige Regelung des Verhältnisses der süddeutschen Staaten zum Nordbund für unvermeidlich hält, daß sie glaubt, es sollte die Initiative hiezu so bald als möglich von süd- deutscher Seite ergriffen werden, und daß sie wie bisher den größten Wert darauf legen werde, gemeinsam mit Bayern

^) Bericht Wertherns vom 24. August. H. A. A.

2) Abschrift, H. A. A.

3) Mittnacht, Rückblicke S. 81.

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vorgehen zu können."^) Und vom badischen Gesandten konnte Graf Bray dem preußischen Vertreter schon am 8. September-) mitteilen, daß er im Auftrage seiner Regierung angefragt habe, wie Bayern sich die Zukunft Deutschlands vorstelle. Bray hatte hinzugefügt: er könne darauf nur erwidern und wolle das auch dem preußischen Gesandten sagen, das Wohl- wollen und Entgegenkommen, dessen sich Bayern in der letzten Zeit preußischerseits zu erfreuen habe, sei so groß, daß er mit vollem Vertrauen die weitere Entscheidung Bismarck überlasse. Das bayerische Ministerium hat zudem den Ein- fluß der süddeutschen Höfe auf die deutsche Politik Bayerns im bayerischen Landtag ausdrücklich anerkannt. Es ist selbst nicht ausgeschlossen, daß die bloße Nachricht von der Anwesenheit Delbrücks in Dresden und von seiner unmittelbar darauf erfolgten Berufung ins Hauptquartier, Ereignissen, die von der durch Bismarck bedienten Presse kräftig unter- strichen und in München auf Grund telegraphischer Mit- teilungen des bayerischen Gesandten am Berliner Hofe vom 6. und 8. September mit der künftigen Gestaltung Deutsch- lands in Zusammenhang gebracht wurden, den Entschluß des Grafen Bray beschleunigt hat. Graf Bray schrieb am II. September an den Grafen Berchem: ,,Die Berufung des Ministers Delbrück in das Hauptquartier hat zur Annahme Veranlassung gegeben, daß man sich dort in vorsorglicher Weise mit dem Einfluß zu beschäftigen beabsichtige, welchen die ruhmreichen und welthistorischen Ereignisse der letzten Zeit, an welchen auch die bayerischen Truppen sich so rühm- lich beteiligten, auf die künftige innere Gestaltung Deutsch- lands zu üben berufen sind. Wir erkennen diese notwendige Einwirkung vollkommen an und werden derselben auch be- züghch Bayerns innerhalb der Grenzen seiner zu wahrenden Selbständigkeit bereitwilligst Rechnung tragen."^)

Das entscheidende Motiv aber zur Initiative der bayeri- schen Regierung in der deutschen Frage war die unter dem Einfluß des Sieges von Sedan gesteigerte nationale Erregung.

Das hat Graf Bray wie in dem eben erwähnten Schreiben und in dem Antrage vom I2. September so auch im Landtage selbst bekannt: ,,Das Ereignis von Sedan, welches nicht habe vorausgesehen werden können, habe alle früheren Voraus- setzungen als nicht mehr zutreffend erscheinen lassen."

^) Schneider, Württembergs Beitritt zum Deutschen Reich, S. i47f.

2) Bericht Werthenis vom 8. September, H. A. A.

3) M. St. A.

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Daran hielt er auch in seinen „Denkwürdigkeiten" fest: „Unter dem Druck der populären Bewegung entschlossen sich die Minister, die Genehmigung des Königs zur Einleitung von Beratungen mit einem Vertreter des Norddeutschen Bundes zu veranlassen." Das wird in den Landtags Verhandlungen eben- so vom Justizminister v. Lutz und in einer Aussprache mit dem hessischen Minister Dalwigk^) vom Kriegsminister v. Pranckh bezeugt. Das wird bestätigt durch das Zeugnis des sächsischen Gesandten in München Grafen Könneritz wie des württem- bergischen Gesandten Freiherrn v. Soden und des badischen Ge- sandten Robert v. Mohl. Das wird ebenso bestätigt durch das Zeugnis des preußischen Gesandten. Er berichtet in den kritischen Tagen immer wieder, daß die bayerische Regierung „unter der ungeheuren Pression der nationalen Partei" stehe. Er schildert diese nationale Bewegung in Bayern, namentlich in seinen Berichten vom 5. und 9. Sep- tember^), in glühenden Farben: unter dem Eindruck der erhebenden Ereignisse der letzten Tage sei in München der Enthusiasmus zu einer Bedeutung gewachsen, wie es jemand, der den phlegmatischen Charakter der Stadt kenne, gar nicht für möglich gehalten hätte: ,,Es ist, als ob das Volk Preußen erst entdeckte, unscheinbare Nebensachen üben hierauf einen unverhältnismäßigen Einfluß. So z. B. setzt die Bauern nichts mehr in Verwunderung als die in den Briefen und Telegrammen Sr. M. des Königs an L M. die Königin Augusta immer wiederkehrenden Worte: ,unter Gottes Beistand', .welche Wendung durch Gottes Fügung' usw. Sie staunen über die Frömmigkeit Sr. Majestät, nachdem ihnen ihre Priester gesagt haben, daß die Protestanten nicht an Gott glauben und sie von uns protestantisch gemacht werden würden." Werthern berichtet am 9. September, Graf Bray habe am 8. September, am Tage vor der entscheidenden Ministerratssitzung, eine Unterredung mit einem der Führer der nationalen Partei, Marquard Barth, gehabt und zu ihm geäußert, er eigne sich sein Programm über den Eintritt Bayerns in den Bund an. Derselbe Werthern telegraphierte am IG. September^) an das Auswärtige Amt in Berlin, daß man in München ,, unter dem Druck der öffentlichen Meinung, die sich in den Versammlungen der letzten Tage aussprach," am 9. September darangegangen sei, ein Programm

^) Schüßler, Die Tagebücher des Freiherrn v. Dalwigk, S. 450. 2) H. A. A. ^) Ebenda.

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über den Anschluß Bayerns an den Norddeutschen Bund auszu- arbeiten.

Das wird endlich bestätigt durch die Tatsachen selbst.

Zu Anfang des Deutsch-französischen Krieges lebte man in banger Sorge um den Ausgang des Krieges, um das Schicksal des einzelnen Waffenganges. Mit den beispiellosen Waffen- erfolgen wuchs das Selbstvertrauen, wuchs die nationale Be- geisterung und mit ihr der Gedanke an die Zukunft, erfaßte immer weitere Kreise und wurde zu einer alles überwältigenden, elementaren Gewalt seit den weltgeschichtlichen Vorgängen von Sedan: das Erlebnis des gemeinsamen Krieges hatte den schlummernden Riesen des deutschen Nationalgefühls wach- gerüttelt. ,,Das deutsche Volk," heißt es in einer Adresse der Universitätsstadt Göttingen an den bayerischen König, ,,hat in diesen Tagen eine Bluttaufe empfangen . . . Ineinander geflossen ist das Blut der Bayern und Preußen, der Sachsen und Schwaben und hat uns alle umgeschaffen zu neuen Men- schen, die vergessen ihre besonderen Namen und nur wissen, daß sie Deutsche sind."^) Daß die Bayern gleich zu Anfang des Krieges an zwei siegreichen Gefechten beteiligt waren und dabei nicht unerhebliche Verluste erlitten, nennt der badische Gesandte nicht ohne Grund ein ,, wahres Providenz- werk, das die Teilnahme außerordentlich gesteigert und die Menge mit Stolz erfüllt habe". ,,Mir ist wie an einem Feier- tage," schrieb eine süddeutsche Frau an ihren Vater, ,,als ob meine Seele Flügel hätte. Alles, wofür wir in halben Kinder- jahren geschwärmt, das nimmt nun jetzt Form und Gestalt an." Selbst Treitschke bekennt: ,,Wer die jüngsten Wochen im deutschen Süden verlebte, dem ward zumute, als ob alle Menschen besser und reiner würden, als ob das Kleine und Niedrige abfiele von den Geistern."

Was im Jahre 1860 einer der Gründer der bayerischen Fortschrittspartei, Karl Brater, vorausgesagt hatte, das ging jetzt in Erfüllung: der französische Krieg wurde der wirk- samste Zauber zur Lösung der deutschen Verfassungsnot. Die Partei Karl Braters'^), die von Anfang an den deutschen Bundesstaat und das deutsche Nationalparlament zum Ziele hatte, die seit dem Jahre 1866 sich innerlich von Österreich

^) Aus dem Kabinettsnachlaß des Königs, M. H. A. 2) Zum folgenden vgl. Erich Frisch, Die Einigung Deutschlands im Lichte d. bayer. Publizistik. Diss. Leipzig 1915.

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losgelöst hatte, das Heil Deutschlands von Preußen, die Zukunft Deutschlands von dem Kristallisationskerne des Nord- deutschen Bundes erhoffte, nicht mehr durch die Freiheit zur Einheit, sondern durch die Einheit zur Freiheit schreiten wollte, und ihre publizistischen Organe, voran das vorzüglich redigierte ,, Wochenblatt der Fortschrittspartei" und die da- mals in Bayern gelesensten Blätter, die ,, Augsburger Abend- zeitung" und die ,, Münchener Neuesten Nachrichten", forderten mit der ganzen politischen Leidenschaft und Aktivität, die dieser Bewegungspartei eigen war: Beseitigung der Mainlinie, Eintritt der Südstaaten in den Nordbund, Schaffung eines einheitlichen Bundesstaates unter preußischer Führung. ,,Es gibt in diesem Augenblicke für Bayern keinen konservativeren Schritt als den Eintritt in den Norddeutschen Bund, der sich dadurch naturgemäß zum Deutschen Bunde erweitern würde. . . Es gibt aber auch für Bayern keinen günstigeren Augenblick als den gegenwärtigen, wo man in Berlin angesichts der ge- meinsam errungenen herrlichen Siege sicher bereit ist, Bayern jene Zugeständnisse zu machen, die seine Stellung, seine nationalen, namentlich aber seine finanziellen Eigentümlich- keiten zu fordern scheinen, insoferne sie nur nicht in Wider- spruch stehen mit dem Heile Gesamtdeutschlands." ,, Großes hat Bayern und sein König in diesen Tagen . . . für Deutsch- lands Größe und Macht getan, Größeres vermag sein König noch zu leisten. An Süddeutschland, an Bayern vor allem ist es, die alte Herrlichkeit des Deutschen Reiches zurückzu- fordern, jene Einheit zu begründen, in welcher die Verschieden- artigkeit der einzelnen Stämme weiten Raum und Sicherheit zur Entfaltung, die berechtigte Selbständigkeit der einzelnen Fürsten . . . festen Schutz findet. Möge Bayerns König das entscheidende Wort sprechen, das Wort, das den Geist des Kaisers Friedrich Barbarossa im Kyffhäuser weckt und dem Deutschen Reiche gibt die alte Kraft und Herrlichkeit!"

Selbst gemäßigtliberale Blätter wie die ,,Neue Würz- burger Zeitung" empfehlen den Eintritt Bayerns in den Nord- bund, Umwandlung des Zollparlamentes in ein deutsches Vollparlament, Übertragung des erblichen Kaisertums an den Oberfeldherrn des Norddeutschen Bundes. Sie bezeichnen die Erweiterung des Nordbundes zum allgemeinen Deutschen Bunde für Bayern geradezu als eine ,, hochkonservative Maß- regel"; denn ein vereinzeltes Bayern könne wohl eine Gefahr für Deutschland, sicher aber nicht ein lebensfähiges und ge- sichertes Glied der europäischen Staatenfamilie sein, während

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Bayern im Anschluß an das übrige Deutschland berufen sei, eine ehrenvolle und einflußreiche Stelle in Deutschland einzu- nehmen.

Auch innerhalb der patriotischen Partei gab es jetzt eine gemäßigte Gruppe, die, wenn auch nicht den Eintritt in den Norddeutschen Bund, so doch wenigstens ein Verfassungs- bündnis mit ihm befürwortete, sei es durch Umwandlung des Norddeutschen Bundes in einen allgemeinen deutschen auf loserer Grundlage, sei es in der Form eines weiteren Bundes. Die allgemeine Logik der Tatsachen verwischte, um mit den Worten der Augsburger Postzeitung zu sprechen, manche Unterschiede zwischen den Programmen der patriotischen und der Fortschrittspartei und wies auch die patriotische Partei auf den Weg ,, durch Einheit zur Freiheit". ,, Manches," so führte sie am 7. September aus, ,,was vor dem Kriege halt- oder erreichbar war, ist es heute nicht mehr;" ,,welt- crschütternde Tatsachen bleiben nie ohne tiefgehende Konse- quenzen." Selbst das rechtsradikale ,, Bayerische Vaterland" erkennt, wenn auch resigniert, schon am 8. September die Zwangsläufigkeit der deutschen Verfassungsbewegung an: ,,Die vollendeten Tatsachen der Siege in Frankreich haben die Stellung und Programme der Parteien vollständig geändert. Es gibt keine Partei mehr in dem Sinne wie vor dem Kriege." ,,Die Zukunft Bayerns und Deutschlands ist nach unserem Dafürhalten mit der Niederwerfung und Demütigung Frank- reichs entschieden. Nichts steht der Einigung Deutschlands mehr im Wege, faktisch ist es bereits geeinigt." Nicht bloß die ,, Augsburger Postzeitung", auch das ,, Vaterland" und die ,, Donauzeitung" betrachten einen Deutschen Bund mit Parla- ment als etwas Selbstverständliches oder als etwas Unab- wendbares, Unentrinnbares.

Die nationale Erregung äußerte sich auch in wachsender Erörterung der Kriegsziele auf Versammlungen und in Adressen. Schon hatten in einem Aufruf an das deutsche Volk Berliner Notabein aller Parteien zu einer Adresse an den siegreichen Oberfeldherrn des deutschen Heeres aufgefordert: ,,Die Welt muß erfahren, daß Herrscher und Volk entschlossen sind nachzuholen, was 1815 uns vorenthalten worden ist, ein freies, einiges Reich und geschützte Grenzen." Am i. Sep- tember, unmittelbar unter dem Eindruck der Katastrophe von Sedan, erklärten auch hervorragende Männer Münchens ihre volle Zustimmung zu der Berliner Kundgebung und sprachen in einem Telegramm an ihren Landesherrn das un-

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erschütterliche Vertrauen aus, daß er im Verein mit den ver- bündeten Fürsten dem deutschen Volke durch die Wieder- erwerbung der deutschen Lande Elsaß und Lothringen einen dauernden Frieden sichern, jeden Versuch einer fremden Ein- mischung in die Friedensverhandlungen energisch zurück- weisen und der deutschen Nation zu einer gemeinsamen, ihrer Stellung würdigen Gesamtvertretung verhelfen werde, deren Bedürfnis die deutschen Fürsten und das deutsche Volk längst anerkannt hätten. Unterschrieben war das Telegramm von den beiden Bürgermeistern und dem Vorstande des Ge- meindekollegiums sowie von den Vertretern zahlreicher Anstalten und Vereine. Am 3. September billigten der Magistrat sowohl als das Gemeindekollegium in feierlichen Sitzungen die Er- klärungen ihrer Vorstände.

In Rücksicht auf die Empfindsamkeit des Königs legten sich die Führer der bayerischen Bewegungspartei noch eine gewisse Zurückhaltung auf. Agitatoren wie August Vecchioni und Julius Knorr schritten in der Veranstaltung von Demon- strationen, Umzügen und Versammlungen weiter, als es der offiziellen Parteileitung erwünscht war. Unter ihrer Einwirkung gingen in den nächsten Wochen die Münchener Gemeinde- kollegien noch energischer auf der am i. und 3. September beschrittenen Bahn vor. Jetzt mehrten sich auch die Zu- stimmungen aus allen Landesteilen Bayerns. Der König selbst schrieb an seine Minister: ,,Aus Anlaß der beiden bei Sedan von der deutschen Armee erkämpften Siege seien ihm aus allen Teilen des Landes telegraphische Adressen zuge- kommen", und übersandte sie ,,zur Einsicht und Zuständig- keitserklärung" an das Gesamtministerium. Bald hatten diese Adressen die Zahl 1000 erreicht. Der größte Teil stammte aus Oberbayern, aus Schwaben, Franken und der Pfalz, der geringste aus Niederbayern. Die meisten forderten den Ein- tritt in den Norddeutschen Bund, wenn auch mit gewissen Einschränkungen.

Dem Könige gingen zahlreiche Zuschriften auch von einzelnen Personen Deutschlands und Bayerns, aus den Kreisen der Gebildeten wie des Volkes zu.^) Besonders charakteristisch sind die zugleich anfeuernden und zugleich drohenden Worte eines „Sachsen", aus Leipzig: ,, Zerschmettert durch die ge- einte Kraft unseres Volkes liegt der hochmütigste und ge- fürchtetste Erbfeind am Boden und sieht sich in seiner eigenen

^) Sie befinden sich im Kabinettsnachlasse des Königs im Münchener Hausarchiv.

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Schande. Frei können wir unsere eigenen noch immer sehr unbefriedigten nationalen Angelegenheiten ordnen. Ihnen als zweitmächtigstem deutschen Fürsten ist es vergönnt, den Schlußstein in das nationale Gebäude zu fügen, welches König Wilhelm begründet hat." Wie der Verfasser das be- gründet, wird kaum die Zustimmung des Königs gefunden haben: ,, Selbst dem Blindesten muß es einleuchten, daß die unendliche politische Schmach und Schande, welche seit 300 Jahren über Deutschland hereinbrach, nur durch die Verblendung und Uneinigkeit seiner Fürsten und Völker herbeigeführt worden war. Auch jetzt ist diejenige Einheit, welche uns zur äußeren Sicherheit notwendig ist, noch nicht in erforderlicher Stärke vorhanden; denn sie beruht noch zum Teil auf sogenanntem guten Willen. Ja, Majestät, täuschen wir uns nicht, hätten Sie nicht zufällig selbst ein Herz und Ver- ständnis für Deutschlands Größe gehabt, so war auch diesmal wieder möglich, daß Bayern und Süddeutschland überhaupt zum mindesten neutral blieben und damit entweder abermalige Schmach oder gänzliches Aufhören der Einzelstaaten gefolgt wären. Es muß Ew. Majestät eigener Wunsch für die Sicher- heit Deutschlands und Ihres eigenen Landes sein, daß nicht mehr oder weniger freier Wille, sondern ein durch die deutsche Verfassung auszuübender Zwang alle deutschen Länder und Fürsten einig finde. Majestät, nur das Wiederaufleben des Deutschen Reiches auf moderner Grundlage ist es, welches uns mit nationaler Sicherheit nationale Befriedigung geben kann. Der König von Preußen, weil ihn einmal die Vorsehung zu unserem Führer bestimmt hat, darf nicht nur die Macht eines Kaisers haben, wie es bereits der Fall ist, er muß auch den Namen bekommen, es muß die äußere Form geschaffen werden, welche zugleich das Gemüt der Nation befriedigt. Mit weit größerer Freudigkeit würden Fürsten und Volk sich dem Kaiser von Deutschland als jetzt dem Könige von Preußen unterordnen, und es würde dann manches Bittere genommen werden, es würde im letzteren Falle unabwendbar eine Verpreußung Deutschlands eintreten, während in ersterem eine Verdeut- schung Preußens eintreten muß. Majestät, wie günstig liegen jetzt die Verhältnisse hiezu! Ihnen, eben erst in das Mannes- alter eingetreten, kann es kaum eine persönliche Überwindung kosten, den greisen König Wilhelm, welcher Ihr Großvater sein könnte, als Kaiser anzuerkennen, selbst seine Erwählung hiezu, wie Sie es der Sachlage nach allein vermögen, zu be- antragen und dafür den unsterblichen Ruhm eines groß-

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herzigen Menschen und Fürsten zu ernten." Der Sachse sucht den bayerischen König zu beruhigen über die Gefahr eines Cäsarismus. Aber die Mittel, die er gegen diese Gefahr vor- schlägt, werden noch weniger den Beifall des Königs gefunden haben: ,, Hiergegen kann in der zukünftigen deutschen Ver- fassung gründlich gesorgt werden, und es ist hiefür der Reichs- tag der natürlichste Bundesgenosse der deutschen Fürsten, welche neben ihm ein Herrenhaus bilden müßten nach Art der enghschen Verfassung ... In die Hand der aus Reichs- tag und Fürstenhaus bestehenden Vertretung müßte was zur Bedingung des Eintritts von Süddeutschland gemacht werden könnte eine ähnliche, womöglich noch größere Macht gelegt werden, als sie die einzelnen Landesvertretungen gegenüber den Regierungen besitzen. Vor allem müßte das Heer auf die deutsche Verfassung vereidigt werden. Majestät, man hält Sie vielfach für einen Idealisten; möchten Sie der Welt zeigen, daß Sie es im edelsten Sinne des Wortes sind, möchten Sie in selbstloser Weise dem Sehnen des Volkes entgegenkommen, die Wiederherstellung von Kaiser und Reich, die Erfüllung der Jugendträume der Edelsten unseres Volkes zum Heile des Vaterlandes und der Einzelstaaten vorbereiten! Wahrlich, der Name eines deutschen Herzogs als mitwirkenden Gliedes des jetzt mächtigsten Reiches von Europa ist sicherlich nicht geringer als der Titel eines Königs, der zur Zeit der tiefsten Erniedrigung und Schmach unseres Vaterlandes von dem fluchwürdigen Napoleon geschaffen wurde." Und diese Worte kamen, wie der Verfasser selbst schreibt, nicht aus dem Munde eines jugendhchen Schwärmers, sondern eines gereiften Mannes!

Ein gutes Stimmungsbild von Bayern in diesen Tagen der nationalen Erregung gibt eine Korrespondenz aus München vom 13. September in der Berliner Nationalzeitung: ,,Es hat sich schon jetzt ziemlich tiefgehende Verstimmung im Gesamt- publikum eingeschhchen, deren Spitze nicht gegen das Mini- sterium allein gerichtet ist. Zu bedauern ist, daß sich der König ähnlich wie im Jahre 1866 so auch neuerlichst wieder von seiner Residenz entfernt hält und wieder die Einsamkeit am Starn- berger See sucht, wohin auch die Volkswünsche schwer zu dringen vermögen. Der Hauptpunkt der gegenseitigen Ver- stimmung übrigens ist, es besteht darüber kein Zweifel, die deutsche Frage ganz allein. Dies hat schon vor mehreren Tagen unverhohlen offenen Ausdruck gefunden: nicht nur wurde sie nachdrücklichst betont in mehreren liberalen Bezirksvereins-

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Versammlungen und mit scharfen Worten es gerügt, daß das Ministerium nicht bereits den König zur sofortigen Initiative veranlaßt habe, sondern es wurden diese Vorgänge auch in dem in Altbayern gelesensten Blatte (den ,, Münchener Neuesten Nachrichten") schon vor ein paar Tagen unumwunden be- richtet. Daneben fährt insbesondere die Augsburger Abend- zeitung, das Hauptorgan der bayerischen Nationalliberalen und zugleich das in ganz Bayern gelesenste Blatt, fort, in einer Reihe von Artikeln auf den sofortigen Beitritt Bayerns zum Norddeutschen Bund energisch zu dringen. Die besonders in der Augsburger Allgemeinen Zeitung veröffentlichten offiziösen Gegenartikel, welche, um Zeit und dann die sichere Rettung des Status quo zu gewinnen, ein vorläufiges Beschwich- tigen ausgesprochenermaßen bezwecken, verfehlen nicht nur diesen Zweck, sondern gießen geradezu Öl ins Feuer. Noch mehr verletzt es, wenn ein anderer Offiziosus heutzutage noch mit allgemeinen Phrasen daherkommt, wie z. B. mit folgender: Was den Eintritt in den Norddeutschen Bund betrifft, so darf daran erinnert werden, daß die Bestrebungen darauf ge- richtet sein müßten, einen Deutschen Bund an die Stelle des Nordbundes zu setzen, und daß in dem hoffentlich nicht fernen Augenblick, wo dieses ersehnte Ziel erreicht ist, der dermahge Norddeutsche Bund aufhören wird zu sein." Das Stimmungs- bild der Berliner Nationalzeitung deckt sich mit den Be- obachtungen, die Bennigsen und Lasker während ihres Mün- chener Aufenthaltes machten, i)

Auch fühlt man sich eines Bundesgenossen in der natio- nalen Propaganda sicher, der bayerischen Armee. ,,Der heim- kehrende Krieger," schrieb das ,, Wochenblatt der Fortschritts- partei", ,,der mit seinen preußischen und sächsischen Kame- raden die Todesgefahr und die Siegesfreude geteilt, wird nicht ruhiger Zuhörer bleiben, wenn man sich wiederum unterstehen sollte, das Lügenwerk von ehemals zu beginnen. Schon jetzt üben die einzelnen heimkehrenden Verwundeten einen sehr bemerklichen Einfluß auf die Stimmung namentlich in den Landbezirken aus, und die Feldpost wird wenige Briefe in unsere bayerischen Gaue bringen, welche nicht Worte der Anerkennung für die norddeutschen Bundesgenossen ent- halten." Damit stimmt fast wörtlich überein, was der gewiß nicht bayernfreundliche badische Gesandte Robert v. Mohl an seine Regierung berichtete: ,,Bei den bayerischen Truppen ist,

1) H. Oncken, Rudolf v. Bennigsen II, S. i8off.

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wie sich namentlich aus den Äußerungen der Verwundeten oder sonst zurückgekehrten Krieger erkennen läßt, eine gänz- liche Umwandlung gegen die Preußen eingetreten. Dieselben sind des höchsten Lobes voll über die Preußen, und zwar nicht etwa bloß über deren militärische Eigenschaften und Leistungen, sondern über ihre freundschaftliche Kamerad- schaft, ihre Aushilfe, wenn sie durch ihre bessere Verpflegung früher oder reichlicher versehen sind als die Bayern durch ihr unfähiges Kommissariat. Man hört in diesen Beziehungen die ergötzlichst-naiven Anekdoten, und ich selbst habe einen Bauern erzählen hören, sein Sohn habe ihm geschrieben: wenn sie nach Hause kommen, so werden sie die Pfaffen von der Kanzel prügeln, welche sie greulich angelogen haben. Es sei gar nicht wahr, daß die Preußen alle lutherisch seien; sehr viele seien Katholiken und er selbst habe Feldpriester bei ihnen gesehen, "i)

Diese nationale Bewegung des deutschen Volkes, dieser Drang der öffentlichen Meinung, dieser Druck der deutsch- nationalen Bewegungspartei hat schließlich auch auf die zögernden Regierungen und Staatsmänner ihre Wirkung aus- geübt. ,,Die bedeutendsten Mitglieder der Regierung," so schrieb Lasker am 24. September an Delbrück über die Ein- drücke, die er und Bennigsen während ihrer Anwesenheit in München von der Haltung der bayerischen Staatsminister gewonnen hatten, ,,die bedeutendsten Mitglieder der Regierung haben wir überzeugt gefunden, daß der jetzige Augenblick dem Interesse Bayerns sehr diene, wenn es jetzt den Bund abschließt. Keine spätere Zeit werde in gleicher Weise den föderativen Charakter des Bundes zu wahren tauglich sein; versäume Bayern die Gelegenheit, so sei der Einheitsstaat im Laufe der Zeit nahezu unabwendbar."^) Es findet sich in den Akten auch nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, daß sich Graf Bray nach dem Siege von Sedan mit der Absicht getragen hätte, die bayerischen Truppen aus Frankreich zurückzu- ziehen, weil für Deutschland keine Gefahr mehr bestehe und man nicht verpflichtet sei an einem Angriffskrieg teilzu- nehmen. Der wirklich vorhandene Arbeitsnachlaß aus der Zeit der Reichsgründung, der Umstand, daß gerade damals die Siegesstimmung auch in Bayern ihren Höhepunkt erreichte, daß eben damals unter dem Eindruck dieser nationalen Stim- mung auch die bayerische Regierung ihre entscheidende

^) Bericht Mohls vom 27. August, K. St. A. 2) H. Oncken a. a. O. Doeberl, Bayern und die BismaLTckische Reichsgründung. 6

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Wendung in der deutschen Verfassungsfrage vollzog, lassen keinen Raum für ein solches Abenteuer des Ministers.

Die bayerische Regierung stand vor dem unvermeidlichen Konflikte zwischen einem natürlichen Selbsterhaltungstrieb und dem elementaren Bedürfnis einer nationalen Gemein- schaft, vor der Wiederkehr des Jahres 1848, vor einer ver- stärkten Wiederkehr dieses Jahres. Und dieses Jahr hatte gelehrt, daß Parteien, daß Volksbewegungen rücksichtsloser und gewalttätiger sind als Regierungen und Dynastien.

Gegenüber diesen populären Kräften sucht die bayerische Regierung Deckung bei dem, der vielen noch vor kurzem als der gefürchtetste Gegner der bayerischen Selbständigkeit gegolten hatte, bei Bismarck.

Bismarck weist den Gedanken einer Vergewaltigung des „herrlichen Verbündeten", den Verdacht einer Ausnutzung seiner Notlage weit von sich, vermeidet nach außen geflissent- lich eine Gemeinschaft mit der nationalen Agitation, läßt durch eine ,, Berliner Korrespondenz" in der ,, Augsburger Allgemeinen Zeitung" ausdrücklich erklären : ,,Es hieße die Lage der europäischen Verhältnisse und die Interessen Preußens und Deutschlands gänzlich verkennen, die Undankbarkeit gegen die in treuer Waffenbrüderschaft zu uns gestandenen süd- deutschen Staaten auf die Spitze treiben und die Regierung des Königs von Preußen zu einem schnöden Wortbruch an- reizen, wenn man ihr zumutet und empfiehlt, daß sie die süd- deutschen Staaten zwinge in den Norddeutschen Bund, wie er jetzt geordnet ist, einzutreten und damit eine Selbständig- keit aufzugeben, deren Wert für die gemeinsamen Interessen Deutschlands gerade in dem jetzigen Kriege sich so glänzend bewährt hat."

Bismarck ist in der nationalen idealistischen Bewegung nicht aufgegangen, er hat vielmehr auch sie in seinen und seines realpolitischen Staatsgedankens Dienst gestellt. Er verspricht in einem feinberechneten Doppelspiel einerseits Deckung gegen die nationalen Kräfte, benutzt aber anderseits dieselben Kräfte, denen er bisher Schweigen auferlegt hatte, als Ansporn, als ,, leichte Kavallerie", wie ein Zeitgenosse sich ausdrückt, um Bayern zu freiwilliger Initiative auf dem Wege zum klein- deutschen Nationalstaate zu bestimmen. Immer wieder be- richtet der bayerische Berichterstatter Graf Maximilian V. Berchem aus dem preußischen Hauptquartier, der bayerische Gesandte Freiherr v. Perglas aus der preußischen Hauptstadt von den Anschlägen der nationalen Partei gegen die Souveräni-

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tat der Südstaaten, von den Versicherungen des Grafen Bismarck, Bayern zu keinem Opfer in nationaler Beziehung zu drängen, aber auch von seiner Geneigtheit, in Verhand- lungen hierüber mit Bayern einzutreten. Schon am 23. August hatte Graf Berchem die bereits früher erwähnte Äußerung Bismarcks überschrieben: Preußen und der Norddeutsche Bund würden bereitwilligst diejenigen Vorschläge akzeptieren, welche S. M. der König von Bayern nach Allerhöchst Seiner Bequemlichkeit im Interesse einer engeren nationalen Einigung zu machen sich etwa veranlaßt sehen würde. Bismarck hatte nach demselben Bericht aber auch hinzugefügt: Preußen und der Norddeutsche Bund verzichteten darauf, auf diese Ent- schlüsse irgendwelche Pression zu üben, indem ein für Nord- deutschland günstig gesinntes Bayern der nationalen Sache mehr nütze als ein widerwillig in nähere Beziehung gebrachtes Land.^) Daß auch diese bald drohenden, bald beruhigenden, bald anspornenden Meldungen aus dem preußischen Haupt- quartier und der preußischen Hauptstadt zu den treibenden Motiven der deutschen Politik Bayerns zählten, wird wiederum durch die bayerischen Minister ausdrücklich bestätigt.

Mit der schöpferischen Kraft des Krieges und dem Idealis- mus der bis auf das Jahr 1848 zurückgehenden völkischen Bewegung verbindet sich die schöpferische Kraft der staats- männischen, realpolitischen Persönlichkeit.

Aus dieser Wurzel, unter dem Einfluß einerseits der seit den Tagen von Sedan wachsenden nationalen Bewegung, anderseits der bald beruhigenden, bald anregenden Einwirkung des preußischen Staatsmannes, reift in einem längeren Ent- wicklungsprozesse der Entschluß der bayerischen Regierung, gegenüber weitergehenden unitaristischen Bestrebungen der nationalen Partei Sicherung zu suchen in einem Verfassungs- bündnisse mit dem Norddeutschen Bunde. Die kluge, maßvolle Politik Bismarcks hatte bereits bewirkt, daß die Ratgeber der bayerischen Krone von der preußischen Regierung für das födera- tive Prinzip weniger fürchteten als von der liberalen Partei.

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Aus solchen Erwägungen heraus stellte Graf Bray den Antrag vom 12. September. Es ist interessant der Begründung des Antrags zu folgen: Der im Jahre 1866 geschaffene Zustand sei ein provisorischer, eine Folge einerseits der preußischen Siege, anderseits des Widerwillens Frankreichs und Öster-

^) M. St. A. Berichte Berchems,

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reichs gegen die Ausdehnung der preußischen Machtsphäre über Süddeutschland. Dieses letztere Hindernis gegen eine Einigung des außerösterreichischen Deutschlands sei infolge der Ereignisse der jüngsten Zeit hinweggefallen. Ein ein- facher Eintritt Bayerns in den Norddeutschen Bund müsse auch jetzt noch abgelehnt werden, da es mehr als auffallend wäre, wenn der Lohn Bayerns für seine Vertragstreue, für seine wert- volle moralische und materielle Hilfe in nichts anderem be- stünde als in dem Beitritt zu einem von ihm früher zurück- gewiesenen Bunde. Aber nicht so richtig wäre es, ein Ver- fassungsbündnis überhaupt abzulehnen: Bayerns tausend- jährige Geschichte weise stets auf eine Verbindung mit Deutsch- land hin, das europäische Staatensystem habe für isolierte kleinere Staaten keinen Raum, namentlich wenn diese im Widerspruch mit dem mächtig wirkenden Nationalitäts- prinzip stünden. Die öffentliche Meinung fordere eine bessere Einigung Deutschlands und dieser Stimme müsse in billigem Maß entsprochen werden. Das Interesse der Krone erlaube keine weitere Verzögerung der Verhandlungen; im jetzigen Augenblicke, da das Gefühl der großen, von Bayern, seinem König und seinem Heere der nationalen Sache geleisteten Dienste das öffentliche Bewußt- sein beherrsche, seien die günstigsten Bedingungen für den Eintritt zu erhalten.

Als unerläßliche Zugeständnisse an Gesamtdeutschland bezeichnet der Antrag: eine im Kriege als einheitliches Ganzes sich darstellende und wirkende deutsche Heeresmacht und was Bayern so oft abgelehnt hatte eine allgemeine deutsche Volksvertretung. Als zu reservierende Krön- und Landesrechte: i. Das Recht der Vertretung nach außen mit Einschluß der Befugnis, Verträge zu schließen, soweit solche dem Zweck und den Interessen des Bundes nicht wider- sprechen; 2. die Militärhoheit im Frieden über die einen ge- schlossenen Körper bildende Armee; 3. eigene Gesetzgebung, Verwaltung und Finanzen, soweit solche nicht durch besondere Bestimmungen des Bundesvertrages der Kompetenz des Bundes unterliegen ; 4. selbständige Leitung des Post-, Eisenbahn- und Telegraphen Wesens .

Noch wichtiger war die Frage nach der Art der verfassungs- mäßigen Verbindung, in die Bayern mit dem Norddeutschen Bunde treten könnte oder sollte. Am liebsten wäre der baye- rischen Regierung, wenn Preußen den seit vier Jahren be- stehenden straffen Norddeutschen Bund fallen ließe und durch

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einen neuen, allgemeinen Deutschen Bund auf veränderter, loserer Grundlage ersetzte. Aber selbst in diesem Falle wollte die bayerische Regierung ihren Anschluß nicht vollziehen ohne eine Sonder- oder Ausnahmestellung, deren Maß abhängig gemacht würde von dem Verfassungsinhalte des neuen, all- gemeinen Deutschen Bundes. Das war der eine Fall der baye- rischen Alternative.

Läßt aber Preußen den Norddeutschen Bund fortbe- stehen und bildet ihn etwa gar im Sinne des Einheitsstaates weiter, so wäre der Eintritt in ihn jetzt ebenso abzu- lehnen wie vor dem Kriege. Wohl aber müßte auch dann an die Stelle des bisherigen völkerrechtlichen Bandes, mit anderen Worten des internationalen Schutz- und Trutz- bündnisses, eine staatsrechtliche und organische Verbindung, und zwar jetzt ein weiterer verfassungsmäßiger Bund Süd- deutschlands mit dem Norddeutschen Bunde treten, natürlich wiederum unter Sicherung all der Rechte, die sich Bayern vorbehalten will. Das war der andere Fall der bayerischen Alternative. Ein solches Verfassungsbündnis konnte nach bayerischer Auffassung um so leichter hergestellt werden, ,,da das früher in der französischen Auffassung des Prager Vertrages liegende Hindernis nicht mehr bestehe." Man sieht schon jetzt : die Art der Verbindung zwischen dem Süden und dem Norden wird die ,, Kardinalfrage".

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Auf den Antrag vom 12. September verfügte König Ludwig^) in einem Allerhöchsten Signate vom 17. September eigenhändig: ,,Ich verordne, daß auf Grund dieses Antrags ein erschöpfendes Gutachten ausgearbeitet, Mir überreicht und in Verhandlungen getreten werde." Schon zwei Tage später bringt er den Entwurf in Erinnerung: ,,Mit Rücksicht auf die Dringlichkeit der Sache und insbesondere auf die un- mittelbar bevorstehende Ankunft Delbrücks in München beauftrage Ich Mein Gesamtministerium den auf Meinen Befehl ausgearbeiteten und im Ministerrat bereits diskutierten Entwurf, die Regelung der deutschen Frage betreffend, bis morgen Mittag an Mich in Vorlage zu bringen." Noch am nämlichen Tage telegraphierte Graf Bray an den Kabinett- sekretär Eisenhart, ,,daß ein detaillierter Entwurf bis jetzt noch nicht vereinbart sei, morgen zur Diskussion komme und

^) Das folgende nach M. St. A. (,, Akten über die Verfassung Deutsch- lands" I.)

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womöglich abends noch abgesandt werde; vor Allerhöchster Genehmigung werde mit Delbrück nicht darüber beraten werden." Am 20. September fand dann die Ministerrats- sitzung statt. Die hier vereinbarte Vertragsskizze wurde noch am nämlichen Tag an das Hoflager des Königs nach Schloß Berg abgeschickt. Darauf signierte der König am 21. Sep- tember: „Die ebenso klare als gründliche Skizze des Bundes- vertrags entspricht Meiner Intention mit Ausnahme des dem Bundesoberhaupte persönlich eingeräumten Inspektions- rechtes, welches Ich unter keinen Umständen zuzugestehen gewillt bin." ,, Dagegen räume Ich ein, daß den früheren ähnliche Inspektionen stattfinden, wobei die von letzteren gemachten Wahrnehmungen Meinem Kriegsminister zur Kennt- nisnahme zu dienen haben. Nach Beendigung der mit Del- brück auf der Grundlage erwähnten Entwurfes zu pflegenden Besprechungen sehe Ich eingehender weiterer Berichterstattung entgegen." Die Skizze, die bei den am folgenden Tage be- ginnenden Münchener Konferenzen bayerischerseits als Richt- schnur diente, hat sich bis jetzt nicht vorgefunden.

Mit dem Antrage vom 12. September und den sich daran anschließenden Münchener Konferenzen trat die deutsche Frage in das Stadium der entscheidenden Wendung, des psychologischen Momentes ein. Damit ergriff gerade die Re- gierung, die sich bisher am zähesten gegen eine kleindeutsche Lösung des Verfassungsproblems gewehrt hatte, die Initiative zu Verhandlungen auf der Grundlage des kleindeutschen Programms. In einem diplomatischen Gedankenaustausche mit der befreundeten österreichischen Regierung erkannte sie die geschichtliche Notwendigkeit dieser Lösung ausdrücklich an: ,,Sie betrachte es als eine unabweisliche Folge der großen Ereignisse der letzten Zeit, daß die unter gemeinsamer Führung im Kriege gegen Frankreich verbündeten deutschen Staaten nicht einfach zu den früheren Verhältnissen zurück- kehren, sondern in einen dauernden Verein auf vertragsmäßiger Grundlage eintreten."

Es wird niemals mit mathematischer Sicherheit festzu- stellen sein, wie weit die Ratgeber der Krone der eigenen Initiative, wie weit sie dem Drucke der öffentlichen Meinung folgten. So tief kann man selten den Diplomaten ins innerste Herz schauen.

Das ist allerdings gewiß: Graf Bray war ein kühler, schwungloser Diplomat, kein Blender, ein nüchterner Ge- schäftsmann, schon in seiner äußeren Erscheinung, wie sie

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uns Moritz Busch geschildert hat. Wie in der PoUtik überhaupt nicht der Enthusiasmus das führende Wort spricht, so hat auch Graf Bray die Initiative zu Verhandlungen in der deut- schen Frage gewiß weniger aus stürmischer Neigung des Herzens als vielmehr in kluger Erkenntnis der Macht der nationalen Bewegung und des Gebotes der Stunde ergriffen. Der letzte Akt in der Gründungsgeschichte des Deutschen Reiches ist ein durchaus realpolitischer Vorgang und als solcher zu würdigen.

Aber Graf Bray war auch ein durchaus ehrlicher Staats- mann. Seine Ehrlichkeit war nach dem Zeugnisse des Freiherrn V. Soden ,,bei allen Diplomaten, die ihn kannten, geradezu sprichwörtlich". Wir sind berechtigt zur Annahme, daß nicht bloß der Kabinettsekretär Eisenhart sondern auch Mitglieder des bayerischen Ministeriums und hier wiederum nicht bloß der Justizminister v. Lutz und etwa der Minister des Innern v. Braun sondern auch Graf Bray von der Stim- mung von Sedan und von der Größe des deutschen Staats- mannes ergriffen waren. Den Ministern wurde im Landtage sogar der Vorwurf gemacht, daß sie sich ,,von der nationalen Idee ungebührlich weit hätten bestimmen lassen". Der Minister, der dies berichtet, Lutz, bestreitet die Berechtigung des Vorwurfs keineswegs, fügt aber hinzu: es sei ihnen damit das begegnet, wovon niemand in diesem Hause und außer- halb desselben vollständig frei geblieben sei.

Tatsächlich hat gerade in diesen Tagen Graf Bray an Bismarck einen Brief geschrieben voll Verehrung für den großen Staatsmann, aber auch mit vollem Verständnis für die Größe der Zeit: ,, Möchten Ew. Exzellenz Sich überzeugt halten, daß wir den welthistorischen Ereignissen der letzten Zeit voll Rechnung tragen und uns wohl bewußt sind, daß eine neue, große Zeit, so wie sie reiche Früchte verspricht, auch manche Zugeständnisse fordert. S. M. der König von Bayern teilt hierin die Überzeugung seiner Räte und der großen Mehrzahl seines Volkes." Es ist durchaus einseitig, wenn der immer subjektive und gegen Bayern voreingenommene Robert V. Mohl am 27. August an seine Regierung berichtet: ,,Graf Bray ist und bleibt immer ultramontan und österreichisch gesinnt."

Derselbe Graf Bray hatte schon im Jahre 1867 das Rund- schreiben Hohenlohes vom 28. Februar mit dem über Ludwig von der Pfordten hinausgehenden Ziele eines Verfassungsbünd- nisses mit dem Norddeutschen Bunde ausdrücklich gebilligt, mit

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Worten, an deren Aufrichtigkeit nicht gezweifelt werden kann: „Gewohnt, den mir von maßgebender Stelle zugehenden Direk- tiven gewissenhaft zu folgen, kann ich dies im gegenwärtigen Falle mit um so größerer Genugtuung tun, als die im erwähnten Ministerialerlasse enthaltene Präzisierung der bayerischen Politik meiner eigenen Überzeugung von dem, was wir unter den gegenwärtigen schwierigen Verhältnissen anstreben können und sollen, vollständig entspricht."^)

Als er selbst zu Anfang des Jahres 1870, nach dem Ab- gang des Fürsten Hohenlohe, das Ministerium übernahm, äußerte er in seiner programmatischen Erklärung vom 30. März : ,,Was ich Ihnen verspreche, ist eine offene Politik und selbst- verständhch eine ehrliche und loyale Politik. Eine offene Politik hat für uns um so weniger Schwierigkeiten, als wir keine geheimen Verträge haben, keine geheimen Verpflichtungen, keine geheimen Pläne und überhaupt keine politischen Ge- heimnisse. Was wir wollen, was wir anstreben, das darf die ganze Welt erfahren: wir wollen Deutsche, aber auch Bayern sein."

Als der Minister im September 1870 sich entschloß, die Initiative in der deutschen Frage zu ergreifen, wandte er sich an den bayerischen Parlamentarier, der die deutsche Politik des Vorgängers, des Fürsten Hohenlohe, am lebhaftesten gegen die patriotischen Angriffe verteidigt hatte, an den Führer der Fortschrittspartei, Marquardt Barth. Wir sind jetzt über den Vorgang durch den Bericht des württembergi- schen Gesandten Freiherrn v. Soden eingehend unterrichtet. Soden berichtet am 10. September^) : Staatsminister Graf Bray habe vor mehreren Tagen den Abgeordneten Marquardt Barth aufgesucht, unter dem Vorwand, ihn um seine zu An- fang des Monats Februar bei der Adreßdebatte über die deutsche Frage gehaltene Rede zu ersuchen; nachdem die beiden längere Zeit miteinander konferiert hatten, habe der Minister von dem Abgeordneten einen Verfassungsentwurf erbeten, den Barth für den Fürsten Hohenlohe ausgearbeitet hatte; zwei Tage später sei Graf Bray wieder bei Barth er- schienen und habe ihm erklärt, er sei mit seinen Gedanken ganz einverstanden und werde in diesem Sinne dem Könige Vortrag erstatten. Tatsächhch zeigt sowohl der Antrag des Grafen Bray vom 12. September als auch das Programm, das die bayerischen Minister auf den Münchener Konferenzen

1) Bericht Brays vom März 1867, M. St. A.

2) St. St. A.

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vertraten, eine gewisse Verwandtschaft mit dem Entwürfe Barths. Das Verwandtschaftsverhältnis würde sich genauer feststellen lassen, wenn die vom Grafen Bray dem König vor- gelegte Verfassungsskizze erhalten wäre.

Über diese ,, Wendung der Dinge" herrschte nach dem- selben Berichte Sodens im fortschrittlichen Lager große Be- friedigung. Man bemühte sich hier durch Vorsicht und Zurück- haltung und Vermeidung jeder Pression dem Minister die Arbeit, namentlich bei seinem Könige, zu erleichtern. In diesem Sinne wirkten die Führer der bayerischen Fortschritts- partei auch auf ihre Gesinnungsgenossen aus Berlin, die national- liberalen Abgeordneten Lasker, Bennigsen und Forckenbeck, die vom lo. bis 15. September in München weilten. i) Diese fanden zwar die Versailler Zugeständnisse an Bayern, wie sie Barth in seinem Memoire in Vorschlag gebracht hatte, zu weitgehend und suchten sie in einem neuen Verfassungs- entwurfe, den sie dem Minister überreichten, etwas abzu- schwächen. Lasker war auch der Verfasser einer Adresse vom 18. September an den König, in der das Münchener Gemeinde- kollegium die Bitte aussprach, S. M. möge geruhen, ,, durch Vereinbarung mit den verbündeten Staaten die Vollendung des deutschen Bundesstaates auf der Grundlage der Verfassung des derzeitigen norddeutschen Bundes als Abschluß des opferreichen nationalen Kampfes herbeizuführen". ^) Aber auch die Berliner Parlamentarier schieden mit den besten Ein- drücken aus München. Auch sie vermieden alles, was die Empfindlichkeit des Königs reizen und dem Minister die nationale Arbeit erschweren konnte.

Um so ungehaltener war Graf Bray über das Vorgehen des Grafen Tauffkirchen und seiner Freunde, der ,,Hohenloheschen Clique", wie er sie nannte, die auch ihrerseits einen Ver- fassungsentwurf ausarbeiteten und ihn ohne Genehmigung, ja ohne Kenntnis des Ministers am 17. September mit einem offiziös khngenden Leitartikel in der ,, Augsburger Allgemeinen Zeitung" publizierten.^) Der Entwurf war unter diesen Um- ständen für die Öffentlichkeit eine Sensation. Und die Wirkung auf den König! Auf den König, dessen angebliche nationale Gesinnung man gegen den Minister ausspielte, von dem aber der Minister wußte, daß er aus freiem Entschlüsse kein wesent-

^) H. Oncken, Bennigsen, S. 181.

^) ,, Münchener Neueste Nachrichten" 1870, Nr. 263. ^) Ich nehme alle drei zuletzt erwähnten Verfassungsentwürfe in die Beilagen auf (Beilagen II, nr. 4, 5 u. 6), um den Vergleich zu erleichtern.

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liches Hoheitsrecht zugunsten einer nationalen Lösung der deutschen Frage opfern würde. Und dazu der Terrorismus, der zum Verdruß der weiter bhckenden Parteigenossen von dem Kreise um Juhus Knorr, den Herausgeber der „Münchener Neuesten Nachrichten", geübt wurde, und der Widerhall, den dieses Übermaß im patriotischen Lager weckte. ,,Alle diese Momente haben den Minister wieder in eine etwas rückläufige Bewegung gebracht." Und das unmittelbar vor Beginn der Münchener Konferenzen,

V. Die Mündicncr Konferenzen.

Schon vor der Absendung des entscheidenden Antrags an den König hatte Graf Bray die ersten Schritte unter- nommen zur Einleitung von Vorbesprechungen mit dem Norddeutschen Bunde. In einem Erlasse vom ii. September beauftragte er den Berichterstatter Bayerns im Hauptquartier, Grafen Berchem, den Bundeskanzler über die wichtigste Vor- frage auszuholen, über die Frage, ob der Fortbestand des Norddeutschen Bundes oder ein auf veränderten Grundlagen zu errichtender allgemeiner Deutscher Bund in Aussicht genommen sei: ,,Es wäre uns von hohem Werte, die Absichten Preußens über diesen Gegenstand, sobald sie feststehen wer- den, zu kennen, weil auch unsere Beschlußnahme und Vor- schläge verschieden sein müssen, je nachdem es um den Fort- bestand des jetzigen Norddeutschen Bundes oder um dessen Ersetzung durch einen auf veränderten Grundlagen zu er- richtenden allgemeinen Deutschen Bund sich handeln wird."^) Am nämlichen Tage wandte er sich mit dem gleichen Anliegen an den preußischen Gesandten in München. Dieser berichtete darüber noch am ii. September an das Auswärtige Amt in Berlin. 2) Am folgenden Tage äußern Graf Bray und Freiherr v. Werthern ^) den Wunsch, es möchte ein Vertreter des Norddeutschen Bundes nach München geschickt werden, mit dem man auf dem Weg einer Vorbesprechung den Boden gewinnen könnte, auf dem dann die eigentlichen, entscheidenden Verhandlungen in der deutschen Frage zu führen wären. Im Sinne der telegraphischen Berichte des Freiherrn v. Wer- thern vom II. und 12. September telegraphierte dann Unter- staatssekretär V. Thile am folgenden Tage an Bismarck*) :

1) M. St. A.

2) H. A. A.

3) Ebenda. *) H. A. A.

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„Die bayerische Regierung erkennt die Notwendigkeit einer Veränderung der politischen Gestaltung Deutschlands. Graf Bray wünscht zu wissen, ob nach preußischer Auffassung der Norddeutsche Bund weiterbestehen oder einem neuen, ganz Deutschland umfassenden Bunde Platz machen solle. Nach Lösung dieser Vorfrage wird Bayern mit geeigneten Vorschlägen auftreten. Nützlich zu diesem Zwecke wäre es, wenn Minister Delbrück nach München kommt." Bismarck war kaum im Besitze dieser Mitteilung, als er noch am näm- lichen Tage in einem Telegramm an Thile das Eintreffen Delbrücks, der eben seine Denkschrift über die Neugestaltung Deutschlands in Reims fertiggestellt hatte, in München an- kündigte.^) Wieder einige Tage später, am 17. September, kann er dem preußischen Gesandten in München bereits melden, daß Delbrück am 15. September vom preußischen Hauptquartier über Berlin nach München gereist sei. 2)

Mit diesen Vorgängen kreuzte sich die Mission des Grafen Tauffkirchen an den König Ludwig von Bayern und ihre Auswirkungen. In der Nacht vom 12. /13. September traf Tauffkirchen mit der Meldung in München ein: Bismarck würde die Sendung eines bayerischen Bevollmächtigten ins Hauptquartier freudig begrüßen und jeden Vorschlag einer bundesmäßigen Annäherung mit weitgehenden Bürg- schaften entgegennehmen. Am 13. September hatte Tauff- kirchen Audienz beim Könige.^) Zum erstenmal zeigte sich die Macht Bismarcks über Ludwig H. Bevor der Antrag des Gesamtministeriums vom 12. September dem Könige vor- gelegt worden war, war dieser in einer augenblicklichen Anwandlung von Furcht und zugleich von Vertrauen für die Entsendung von Bevollmächtigten mit Vorschlägen in das Hauptquartier gewonnen und war damit eigentlich schon über das hinausgegangen, was sein Minister gegenüber Bis- marck und dem preußischen Gesandten zunächst angeregt hatte. Auf Befehl des Königs vom 13. September^) mußte Graf Bray dem Bundeskanzler schon jetzt telegraphisch die Geneigtheit Bayerns kundgeben, einen bayerischen Bevoll- mächtigten mit entsprechenden Vorschlägen ins preußische Hauptquartier abzuordnen. Gleichzeitig sprach der König die Erwartung aus, daß ihm diese Vorschläge ,,so bald als

1) H. A. A.

^) Ebenda.

3) K. A. V. Müller a. a. O.

*) Beilagen II, nr. 2.

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immer möglich" zur Prüfung und Genehmigung unterbreitet werden, ,, zumal er durch Graf Tauffkirchen gehört habe, daß eine weitere Verzögerung Bismarck immerhin zu ein- seitigen Vertragsabschlüssen mit anderen süddeutschen Staaten veranlassen könnte". Am 15. September meldete der Minister den Vollzug des königlichen Befehls, aber mit dem bezeich- nenden Zusatz: ,, wie wohl dem Allerhöchsten Befehle durch den Antrag des Gesamtministeriums vom 12. September teilweise bereits entsprochen sein dürfte".^) Tatsächlich dachte der Minister nicht daran, den von ihm eingeschlagenen Weg zu verlassen, war keineswegs gewillt jetzt schon einen bayerischen Bevollmächtigten mit bayerischen Vorschlägen ins Haupt- quartier zu entsenden, wollte vielmehr das Erscheinen eines norddeutschen Bevollmächtigten in München abwarten. Und Bismarck kam ihm entgegen, teilweise entgegen.

Der Anregung des Grafen Bray und des Freiherrn v. Wer- thern stattgebend, hatte er inzwischen bereits die Entsendung des Staatsministers Delbrück zu einer Vorbesprechung nach München beschlossen. Württemberg, das noch am 12. (!) Sep- tember durch seinen Vertreter, den bayernfreundlichen Frei- herrn V. Soden, von dem wesentlichen Inhalte des bayerischen Antrags von diesem Tage unterrichtet worden war,^) hatte in einer Weisung des Ministerverwesers des Äußern v. Taube vom 14. September^) an den württembergischen Gesandten in München die bayerische Alternative ausdrücklich gebilligt und den Wunsch ausgesprochen, mit Bayern gemeinsam zu handeln: ,,S. Kgl. Majestät legen besonderen Wert darauf, daß eine solche Erklärung von Bayern und Württemberg in wesentlicher Übereinstimmung erfolge. Die Gründe hierfür liegen so nahe und finden zudem in der bisherigen engen Ver- bindung der beiden Nachbarstaaten eine so selbstverständliche Rechtfertigung, daß ich mich einer näheren Ausführung der- selben füglich enthalten kann." In der Tat wurde Württem- berg nach der Ankunft Delbrücks mit dessen ausdrücklicher Zustimmung telegraphisch eingeladen, zu den Münchener Konferenzen einen Bevollmächtigten zu entsenden. Als Ver- treter Württembergs erschien in der Nacht vom 21./22. Sep- tember der Justizminister v. Mittnacht. Der badische Ge- sandte V. Mohl regte gleichzeitig die Teilnahme Badens an

^) Beilagen II, nr. 3. 2) St. St. A.

^) Schneider, Württembergs Beitritt zum Deutschen Reich 1870 in: Württemberg. Vierteljahrshefte f. Landesgesch. N. F. XXIX, S. 149 f.

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den Münchener Konferenzen an, erklärte aber drei Tage später, seine Regierung wünsche eine Beteihgung an den Münchener Konferenzen nicht, da sie beabsichtige, die Aufnahme Badens in den Norddeutschen Bund zu beantragen. ^) Übrigens er- klärte Delbrück bei dieser Gelegenheit, daß sein Auftrag nur der bayerischen Regierung gelte und daß er die Zuziehung Württembergs und Badens Bayern überlasse.

Am 20. September war Delbrück in München eingetroffen. Vom 22-/27. September währten die Münchener Konferenzen. 2)

Die Konferenzen hatten nur den Charakter einer unver- bindlichen Vorbesprechung. Aber während Graf Bray von dieser Vorbesprechung preußische Vorschläge erwartete, er- klärte Delbrück noch vor der Eröffnung der Konferenzen, gleich bei der ersten Besprechung mit dem Grafen Bray: er sei nicht beauftragt, im Namen der preußischen Regierung Vorschläge zu machen, sondern die Propositionen der süd- deutschen Regierungen entgegenzunehmen und, wenn es ge- wünscht werde, auf Grund seiner Kenntnis der Norddeutschen Bundes Verhältnisse sie zu besprechen. Er wiederholte diese Erklärung zu Beginn der Konferenzen. Damit war eigentlich schon die Situation zuungunsten Bayerns verschoben.

Delbrück hatte aber auch alles zu vermeiden, was von vornherein die Verhandlungen zum Abbruch bringen oder die bayerischen Bevollmächtigten verhindern konnte, zu den definitiven Verhandlungen nach Versailles zu kommen. Als daher bei jener ersten Begegnung der bayerische Minister die Kardinalfrage anschnitt, ob Preußen bereit sei, sein Bundes- verhältnis zu den norddeutschen Staaten zu ändern, mit anderen Worten die Verfassung des Norddeutschen Bundes preiszugeben, erwiderte Delbrück in einer Form, die einer Verhandlung auf dieser Grundlage auswich, ohne aber die

1) K. St. A.

'■^) Ich kann jetzt zum erstenmal den vollen Wortlaut des darüber auf- genommenen Protokolls vorlegen (Beilagen II, nr. 10). Zu seiner Ergänzung füge ich den Finalbericht Delbrücks vom 27. September an (Beilagen II, nr. 11). Es ist das um so notwendiger, als einige Zugeständnisse der baye- rischen Bevollmächtigten nicht Aufnahme in das Protokoll fanden, weil sie der königlichen Genehmigung entbehrten. Delbrück hat das in seinem Finalbericht ausdrücklich festgestellt und hinzugefügt: ,,Es wurde ver- sucht, S. M. den König zu bestimmen, zum Zweck eines Vortrages über die Ergebnisse der Besprechungen (also auch über die bayerischen Zu- geständnisse) nach München zu kommen. Dieser Versuch mißlang aber, und so glaubten sie, die einmal (vom Könige) genehmigten Propositionen wenigstens formell aufrechterhalten zu müssen. Das Protokoll der Be- sprechungen gibt daher kein wirldiches Bild über ihr Ergebnis."

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Frage nach dem Fortbestand des Norddeutschen Bundes grundsätzUch zu entscheiden: ,,S. M. der König habe zu einer Erwägung dieser Frage bisher keinen Anlaß gefunden. Und auch er für seinen Teil vermöchte einen solchen Anlaß jetzt und vor der näheren Kenntnis der Vorschläge Bayerns nicht zu erkennen. Preußen habe noch keinen Grund gefunden, die Frage einer näheren Erwägung zu unterwerfen, ob mit der Gründung eines allgemeinen Deutschen Bundes eine Änderung des zwischen den Staaten des Norddeutschen Bundes bestehen- den Verfassungs Verhältnisses zu verbinden sei. Und er habe daher eine solche Änderung nicht vorauszusetzen." Auch diese Erklärung wiederholte Delbrück bei der Eröffnung der Kon- ferenzen. Damit erreichte er einen zweiten Vorteil: daß man tatsächhch nicht einen weiteren Bund, sondern einen allge- meinen Deutschen Bund zum Gegenstand der Konferenz machte und nach dem Zeugnisse Marquardsens^) mit aus- drücklicher Genehmigung des Königs der Besprechung die Verfassung des Norddeutschen Bundes zugrunde legte. ,,Man kam dahin überein," so berichtet das Protokoll, ,,zu dem Zwecke, um festzustellen, welchen Inhalt die Verfassung eines allge- meinen Deutschen Bundes nach Auffassung der süddeutschen Regierungen haben könnte, den Inhalt der Verfassung des Norddeutschen Bundes nach der Folge ihrer Artikel zum Leitfaden für die nun folgenden Besprechungen zu nehmen, mit dem selbstverständlichen Vorbehalt einer neuen An- ordnung der Materie und der sich voraussichtlich als notwendig darstellenden neuen Redaktion."

An den Konferenzen nahmen sämtliche bayerische Minister teil, freihch nach dem Berichte Delbrücks in einem sehr un- gleichen Maße. Graf Bray beschränkte sich in der Regel darauf, die einzelnen Artikel der Bundesverfassung vorzu- lesen. Die Feststellung und Vertretung des bayerischen Stand- punktes überließ er für das Kriegswesen dem Freiherrn V. Pranckh, für die übrigen Rechtsgegenstände dem Justiz- minister V. Lutz. Von Lutz gewann Delbrück die Über- zeugung, daß er sich mit der norddeutschen Bundesverfassung gründlich beschäftigt und über die künftige staatsrechtHche Stellung Bayerns zu Norddeutschland sich eine selbständige Meinung gebildet hatte.

Die bayerischen Bevollmächtigten erklärten, daß es ihnen aufrichtig darum zu tun sei, in dem neuen Deutschen

1) Deutsche Revue XVII, 2, 182,

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Bund ein lebensfähiges Verfassungsgebilde zu schaffen, und daß sie deshalb der Gemeinschaft alle unentbehrlichen Opfer zu bringen bereit seien. Sie fügten aber auch hinzu, daß ihnen ebenso dringlich die Erhaltung der Selbständigkeit der Einzel- staaten am Herzen liege und sie deshalb alle entbehrlichen Abtretungen von Regierungsrechten ablehnen müßten. Was für den neuen, allgemeinen Deutschen Bund entbehrlich sei, darüber gingen freilich die Ansichten der Konferenzteilnehmer auseinander.

Nach bayerischer Auffassung sollte u. a. aus dem Kreise der Bundesangelegenheiten ausscheiden und dem Einzel- staate, wenigstens Bayern, vorbehalten bleiben: das Staats- bürgerrecht, das Gewerbewesen, die Heimat- und Nieder- lassungsgesetzgebung, die erst zur Zeit des Ministeriums Hohenlohe erlassen worden war und sich bewährt hatte, das Immobiliarversicherungswesen, die Besteuerung von Bier und Branntwein, das Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen, endlich das Straf recht und das gerichtliche Verfahren, ins- besondere auch für die Armee. Sie verlangten für Bayern auch eine gewisse Zahl von Bundesbeamtenstellen.

Man einigte sich darüber, daß folgende Gegenstände der Zu- ständigkeit des Einzelstaates, wenigstens Bayerns, überlassen werden könnten: die Gesetzgebung über die Heimats- und Niederlassungsverhältnisse; das Eisenbahn-, Post- und Tele- graphenwesen mit dem Vorbehalte, daß dem Bunde das Recht gewährt werden solle, die für die Verteidigung des Bundes- gebietes erforderlichen Eisenbahnen auf Grund eines Bundes- gesetzes, ohne Einholung der Zustimmung der Landesregierung zu bauen sowie für den Bau und die Ausrüstung der für die Landesverteidigung wichtigen Eisenbahnen einheitliche Normen festzusetzen; endlich die Gesetzgebung über die inneren Getränkesteuern, die Besteuerung von Bier und Branntwein.

Anderseits waren die bayerischen Bevollmächtigten bereit, das Gesetzgebungsrecht des Bundes über Freizügigkeit, Paß- wesen, Fremdenpolizei, Versicherungswesen (mit Ausnahme der Immobiliarversicherung), Auswanderung, Preß- und Ver- einswesen anzuerkennen. Im Laufe der Besprechungen ge- standen sie dem Bund auch das Gesetzgebungsrecht über Staatsbürgerrecht (Bundesstaatsangehörigkeit) zu und ver- zichteten auch auf die Stellung einer gewissen Quote der Bundesbeamten, sie wagten aber nicht, diese letzteren Zu- geständnisse in das Protokoll aufzunehmen, weil sie vom Inhalte der vom König genehmigten Vertragsskizze abwichen.

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Man war weiterhin einig über die Annehmbarkeit der Reichstagsbestimmungen und des Reichstags Wahlgesetzes des Norddeutschen Bundes für den allgemeinen Deutschen Bund. Man war einig über die Annehmbarkeit der meisten Bestim- mungen des Norddeutschen Bundes über den Bundesrat. Aller- dings forderten die bayerischen Bevollmächtigten für den Bundes- rat des künftigen allgemeinen Deutschen Bundes nicht mehr bloß, wie bisher im Zollbundesrate, 6, sondern 8 Stimmen. Aber auf die Einwendungen Delbrücks und Mittnachts hin ließen sie den Anspruch auf Vermehrung der bayerischen Stimmen im Bun- desrat ebenso fallen wie den auf verfassungsmäßige Fest- stellung der Vertretung Bayerns im 3. und 4. Ausschusse des- selben. In das Protokoll wurden diese beiden letzteren Zu- geständnisse nicht aufgenommen, wiederum weil sie der königlichen Ermächtigung entbehrten.

Auch darüber herrschte Einverständnis, daß an der Spitze des neu zu gründenden allgemeinen Deutschen Bundes ebenso wie an der Spitze des Norddeutschen Bundes ein Bundes- präsidium stehen und dieses vom König von Preußen, stell- vertretend vom König von Bayern geführt werden solle. Graf Bray wollte diesem Bundespräsidium wohl die völker- rechtliche Vertretung der im Norddeutschen Bunde be- griffenen Staaten überlassen. Aber im übrigen sollte, ent- sprechend vielleicht einem vom Könige von Bayern besonders nachdrücklich geäußerten Wunsche, den süddeutschen Re- gierungen, insbesondere der bayerischen, ihre diplomatische Vertretung bleiben ,,und zwar nicht allein in denjenigen Angelegenheiten, die den betreffenden Staat allein angehen, sondern auch in denjenigen Angelegenheiten, welche den im Bunde begriffenen Staaten gemeinschaftlich seien" weil eines der wesentlichen Kriterien der Selbständigkeit eines Staates in dem Rechte der gesandtschaftlichen Vertretung liege. Delbrück erklärte, daß man den süddeutschen Staaten keineswegs das Gesandtschaftsrecht für ihre besonderen Angelegenheiten verkümmern wolle. Aber im übrigen be- zeichnete sowohl er wie Mittnacht die völkerrechtliche Ver- tretung des Bundes durch das Bundespräsidium einschließ- lich des Konsulats Wesens als unerläßlich. Auch hierin scheinen sie die Zustimmung sämtlicher bayerischer Minister^) mit Aus- nahme des Grafen Bray gefunden zu haben, der hier der Ent- scheidung des Königs nicht vorgreifen wollte.

1) Von Lutz hat es Abgeordneter Lasker ausdrücklich bezeugt. Doch er 1, Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. 7

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Neben der völkerrechtlichen Vertretung war das umstrit- tenste Gebiet das Bundeskriegswesen und damit gerade das Gebiet, das Delbrück mit besonderer Vorsicht behandeln mußte, aus doppelten Gründen: weil er es nicht beherrschte und weil sein König daran ein besonders reges Interesse nahm. Bayern stellte hier weitgehende Forderungen: i. Das bayerische Heer bildet einen in sich geschlossenen Bestandteil des deut- schen Bundesheeres mit selbständiger Verwaltung unter der Militärhoheit des Königs von Bayern, im Kriege unter dem Oberbefehle des Königs von Preußen als Bundesfeldherrn. Die Anlage neuer Befestigungen kann auf bayerischem Gebiete nur mit Zustimmung des Königs von Bayern geschehen. 2. Bayern behält seine gesamte Militärgesetzgebung bis zur verfassungsmäßigen Beschlußfassung über den Wirkungskreis der Bundesgesetzgebung. 3. Bayern trägt die Kosten und Lasten des bayerischen Kriegswesens, mit anderen Worten behält sein eigenes Militärbudget, wenn dieses auch, namentlich bezüglich der militärischen Präsenzstärke, dem norddeutschen Budget anzupassen ist. 4. Bayern regt an, die Präsenzstärke des deutschen Heeres von i Prozent auf ^4 Prozent der Be- völkerung herabzusetzen, da es Bayern unmöglich sei, ein so hohes Militärbudget zu tragen. 5. Bayern will die Marine und die hiefür erforderlichen finanziellen Lasten von der allgemeinen Bundesgemeinschaft ausgeschlossen und auf die norddeutschen Staaten beschränkt wissen, weil diese an dem Bestand einer Marine vorwiegend interessiert seien.

Immerhin machten im Laufe der Besprechungen die bayerischen Bevollmächtigten auch hier Zugeständnisse. Sie räumten dem Bundespräsidenten das Inspektionsrecht ein, um sich von der Einheitlichkeit der Organisation und Formation und von der Vollzähligkeit und Kriegstüchtigkeit des baye- rischen Kontingentes zu überzeugen; sie ließen auch ihren Einspruch bezüglich des Marinewesens fallen, beides wiederum ohne königliche Ermächtigung. Bezüglich des Inspektions- rechtes erklärte der bayerische Minister des Innern, der König, bei dem er gestern zum Vortrag in Berg gewesen sei, habe ausdrücklich erklärt, daß er damit nicht einverstanden sei. Der Kriegsminister bemerkte dazu, er wisse davon nichts. Im übrigen berief sich Delbrück auf seine mangelnde Sachkenntnis auf mihtärischem Gebiet und behielt damit hier die Entschei- dung einem späteren Stadium vor.

Die Ansicht Ruvilles und Ottokar Lorenz', daß es keinem der beiden Teile mit den Münchener Verhandlungen Ernst

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gewesen sei und das Ergebnis der Münchener Konferenzen einen empfindlichen Rückschlag zugunsten des bayerischen Partikularismus bedeutet habe, bedarf nach den Ausführungen Künzels und Brandenburgs, die durch die Münchener und Berliner Akten durchaus bestätigt werden, keiner Wider- legung mehr. Allerdings, das Urteil über das Maß der Ergeb- nisse lautete und lautet verschieden.

Der Vertreter des Norddeutschen Bundes, Staatsminister V. Delbrück, bekundete, nach außen wenigstens, Befriedigung über den Verlauf der Münchener Konferenzen. Soferne er an den Willen Bayerns zu einer verfassungsmäßigen nationalen Einigung und an seine Bereitwilligkeit zu Zugeständnissen an die neue Gemeinschaft glaubte, war seine Zufriedenheit begründet; soferne er aus der Tatsache, daß mit Zustimmung Bayerns den Münchener Beratungen die Verfassung des Nord- deutschen Bundes zugrunde gelegt wurde, damals schon auf eine grundsätzliche Neigung der bayerischen Regierung zum Eintritt in einen allgemeinen Deutschen Bund auf der Grund- lage der Verfassung des Norddeutschen Bundes schloß, war er im Irrtum.

Die bayerische Regierung war von dem Ergebnisse der Münchener Konferenzen weniger befriedigt trotz einer ent- gegenstehenden Äußerung in den späteren Denkwürdigkeiten des Grafen Bray: nicht bloß daß Delbrück gleich zu Beginn der Besprechungen die Zusage einer Änderung des zwischen den Staaten des Norddeutschen Bundes bestehenden Ver- fassungsverhältnisses geflissentlich vermied, auch das Maß der von ihm in Aussicht gestellten Zugeständnisse an Bayern konnte der bayerischen Regierung, konnte namentlich dem Grafen v. Bray auf zwei wichtigen staatlichen Lebensgebieten nicht genügen. In der Tat vernimmt man bald nach den Münchener Konferenzen, daß man in den bayerischen Re- gierungskreisen enttäuscht war.^) Der Justizminister v. Lutz hat es im Landtag offen ausgesprochen, er gibt auch einen glaubwürdigen Grund hiefür an: ,,Die Verhandlungen wurden gepflogen unter dem Eindrucke der aus dem Hauptquartier kommenden außerordentlich freundlichen Mitteilungen, die wir freilich zu unseren Gunsten etwas zu weit ausgelegt hatten." Die Enttäuschung klingt auch aus einer Landtags- rede des Kriegsministers Freiherrn v. Pranckh heraus : nur das eine sei unschwer zu erkennen gewesen, daß der Norddeutsche

^) Berichte Sodens, St. St. A.

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Bund in keinem Falle zu wesentlichen Änderungen der Ver- fassung sich herbeilasse; die Folge davon sei gewesen, daß die Staatsregierung ein weiteres nationales Bündnis anstreben wollte, diese Willensmeinung habe auch die Genehmigung des Königs gefunden. Graf Bray selbst hat unmittelbar nach den Münchener Konferenzen in einer amthchen Mitteilung das Er- gebnis der Besprechungen dahin zusammengefaf3t : ,, Zunächst hat die königliche Regierung sich Klarheit darüber verschaffen wollen, ob Aussicht vorhanden sei, den gegenwärtig bestehenden Norddeutschen Bund durch eine neue, auf veränderter Basis für sämtliche deutsche Staaten zu errichtende föderale In- stitution zu ersetzen. Die Besprechungen mit dem Minister Delbrück haben erkennen lassen, daß eine solche Aussicht sich nicht eröffne. Preußen ist nicht gesonnen, den Nord- deutschen Bund in seiner jetzigen Verfassung aufzugeben oder einen Austritt Sachsens und Oberhessens aus demselben behufs der Assimilation mit den süddeutschen Staaten im künftigen Bunde zu gestatten. Es bleibt sonach für Bayern und für das gemeinschaftlich mit ihm handelnde Württem- berg nur übrig: die Gründung eines den Norddeutschen Bund in seinem bisherigen Bestand und die süddeutschen Staaten umfassenden weiteren Bundes zu versuchen".^)

Das war auch der Standpunkt, für den sich am 26. Sep- tember in einer Versammlung im ,, Bamberger Hof" zu München die gemäßigten Mitglieder der patriotischen Fraktion unter dem Vorsitze des Kammerpräsidenten v. Weiß erklärten. Auch sie sehen die beste Lösung der deutschen Frage in der Auflösung des Nordbundes und in seiner Ersetzung durch einen deutschen Bundesstaat auf loserer Grundlage. Aber auch sie glauben nicht an die Erreichung dieses Zieles und ent- scheiden sich daher wie der Minister für einen weiteren Bund zwischen dem Norddeutschen Bund und den süd- deutschen Staaten. Als Hauptaufgabe dieses Bundes bezeich- nen sie Umwandlung des durch den Zollverein und die Allianz- verträge geschaffenen völkerrechtlichen Verhältnisses in ein staatsrechtliches und Zuweisung aller der Gegenstände, die eine gemeinschaftliche Regelung als wünschenswert erscheinen lassen, wie des Handels- und Wechselrechtes, des Schutzes des literarischen und künstlerischen Eigentums, der Cxesetz- gebung über die Rechtshilfe, eines deutschen Tndigenates u. a. Und dieses Programm erklärte der Minister auf einem Emp-

1) M. St. A. Vgl. dazu Beilage II, nr. 12 und 13.

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fangstage vom 29. September vor deutschen und auswärtigen Diplomaten ausdrücklich als Programm auch der bayerischen Regierung, „nachdem leider Herr v. Delbrück die Gründung eines neuen, die sämtlichen reindeutschen Staaten in gleicher Weise umfassenden Deutschen Bundes unter Beseitigung des dem Einheitsstaat entgegengehenden Norddeutschen Bundes als unannehmbar für Preußen bezeichnet habe." Er rechne bei der weiteren Entwicklung der deutschen Frage auf das Einvernehmen mit Württemberg, er hoffe und wünsche, Preußen für die Belassung der Militärhoheit im Frieden unter Wahrung des Prinzips des einheitlichen deutschen Heeres zu gewinnen und auch für die diplomatische Vertretung, soweit sie die Angelegenheiten des Bundes betreffe, einen befriedigenden Mittelweg zu finden. Der extreme Flügel der patriotischen Partei vollends sprach sich auf einer Versamm- lung in Geiselhöring am 11. Oktober selbst gegen den weiteren Bund aus, weil er zu einem Aufgehen Bayerns in Preußen führe. Er war im Grunde gegen jede bundesstaatliche Einigung mit dem Norden.^)

Über den König äußerte sich der stets gut unterrichtete Freiherr v. Soden in seinem Berichte vom 30. September: ,,Ich halte es für meine Pflicht, noch einmal mit aller Be- stimmtheit und nach von mir aufs neue eingezogenen ganz zuverlässigen und sicheren Nachrichten zu konstatieren, daß vS. M. der König von Bayern sich gegen irgendwelche wesent- lichen Einschränkungen seiner Souveränitätsrechte erst neuer- dings wieder bei mehreren Gelegenheiten den Ministern gegen- über ausgesprochen hat und daß alle entgegengesetzten Nach- richten, welche gemäß der von der Fortschrittspartei adop- tierten Taktik dahin gehen, König Ludwig wünsche und be- treibe aus eigenem Antrieb, mehr oder weniger in Wider- spruch zu seinen Ministern, eine Lösung der deutschen Frage im sogenannten nationalen Sinne, d. h. auf der Basis oder gar durch den Eintritt in den Norddeutschen Bund, irrig sind." Die Art, wie der König die Münchener Konferenzen beim Empfang der Minister Delbrück und Mittnacht behandelte, die Frage, die er hierüber an Mittnacht richtete, das Schweigen, das er darüber gegenüber Delbrück bewahrte, bestätigen das Zeugnis Sodens.

^) über diese Versammlungen vgl. „Bayerischer Kurier" Nr. 268 vom 29. September und ,, Augsburger Postzeitung" Nr. 237 vom 30. Sep- tember und dazu den Bericht des Freiherrn v. Soden vom 30. September, St. St. A.

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Der württembergische Gesandte schließt seinen inhalts- reichen Bericht vom 30. September^) mit den Worten: „Es läßt sich trotz der von fortschrittlicher Seite eingetretenen Adreßbewegung für den aufmerksamen Beobachter nicht ver- kennen, daß, je länger der Krieg dauert, die momentane, nach den großartigen Erfolgen der deutschen Waffen beinahe ausnahmslos begeisterte Stimmung nachläßt, und, je mächtiger der Druck auf die Parteibewegung wieder wird, desto leichter könnte wieder ein teilweiser Umschwung in der sogenannten öffentlichen Meinung Platz greifen". Grund genug für Bismarck und für die nationalen Kreise innerhalb wie außerhalb Preußens die definitiven Verhandlungen in der deutschen Verfassungs- frage zu beschleunigen, damit nicht die deutsche Bewegung versande.

1) St. St. A.

VI. Die Vcrsaillcr Verhandlungen.

Die Münchener Konferenzen waren nur als Vorbespre- chungen gedacht, die entscheidenden Verhandlungen sollten im Hauptquartier stattfinden.

Bevor diese anberaumt wurden, regte Bismarck durch den Minister Delbrück während dessen Anwesenheit in München wie durch den Grafen Tauffkirchen nach dessen Rückkehr nach Frankreich eine persönliche Zusammenkunft König Ludwigs II. mit dem Preußenkönig in Fontainebleau an, um sich mit ihm über die wichtigsten Punkte der deutschen Frage zu verständigen, bevor die entscheidenden Verhand- lungen mit den übrigen Regierungen im Hauptquartier begannen.

Graf Bray, unterstützt von einzelnen Mitgliedern des Hofes ^), hat auch diese Anregung aufs wärmste befürwortet. 2) Er hob die bedeutsame, der Machtstellung Bayerns voll Rech- nung tragende Rolle hervor, die damit angeboten werde. Er wies auf ,,die wohl nicht wiederkehrende Gelegenheit hin, für Bayern jene besonderen Rechte und Bevorzugungen in Anspruch zu nehmen, welche ihm gebühren und die einmal durch Preußen zugestanden gesichert seien, während in einer allgemeinen Versammlung von Bevollmächtigten das Geltendmachen solcher Ansprüche vielfach Widersprüchen und unendlicher Schwierigkeit begegnen würde". Er warnte vor den Folgen einer Ablehnung; ,,man würde sich erinnern, daß der Berliner Hof schon seit Jahren einem Gegenbesuch entgegensieht, und aus persönlicher Gereiztheit könnte leicht eine bleibende Schädigung hoher staatlicher Interessen sich ergeben".

^) Der Adjutant Sauer empfahl dem Kanzler Bismarck eine per- sönliche Reise zum König.

^) Antrag Brays vom 13. Oktober bei Bray, Denkwürdigkeiten, S. 145 f. Das Gesamtministerium hat den Antrag am 16. Oktober erneuert. Bei- lagen III, nr. I.

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Der König kam nicht. Der wichtigste Grund lag aber nicht etwa in der deutschen Frage, er lag in der Menschenscheu des Monarchen. Am i8. Oktober ließ er dem Hofsekretär Düfflipp folgenden Auftrag zugehen: ,,Mit jedem Tag hegen Majestät mehr die Überzeugung, wie unmöglich es ihm ist, die in Aussicht stehende Reise nach Frankreich anzutreten. Majestät glauben daher, daß es notwendig ist irgendeine Krankheit vorzuschützen, z. B. Sehnen verdehnung, und möchte Herr Hofrat Sorge tragen, daß dieses unter dem Publikum und den Soldaten bekannt werde."

Wohl aber brach am 20. Oktober Graf Bray gemeinsam mit dem Justizminister v. Lutz und dem Kriegsminister Freiherrn v. Pranckh nach Versailles auf.

Die Entsendung bayerischer Bevollmächtigter ins Haupt- quartier zu den entscheidenden Verhandlungen, nicht mehr bloß zu Vorbesprechungen, hatte Bismarck allerdings schon vor den Münchener Konferenzen durch den Grafen Tauff- kirchen angeregt und Graf Bray sie damals schon ausdrücklich zugesagt. Daß aber die Entsendung der bayerischen Bevoll- mächtigten zu diesem frühen Zeitpunkt erfolgte, das hatte seinen Grund in einem besonderen Schritte Bismarcks und Württembergs.

Wiederholt war Bismarck gerade im Hinblick auf Bayern vor einer Verschleppung der deutschen Verfassungsfrage ge- warnt worden.

Auch Delbrück hatte seinen Bericht über die Münchener Konferenzen mit den Worten geschlossen: ,,Ich kann nicht dringend genug empfehlen, unverzüglich zur Eröffnung von Verhandlungen auf der Grundlage der Vorschläge Bayerns einzuladen und dabei unsere Gegenvorschläge zu machen. Alle unsere Freunde in Bayern raten zur Eile und die der Sache zugetanen Mitglieder des bayerischen Ministeriums selbst wünschen nichts sehnlicher als eine rasche Entscheidung."^) Auf dem Wege über Baden und Württemberg sollten die Verhandlungen beschleunigt werden. Dort konnte sich Bis- marck mit einer Weisung an die preußische Gesandtschaft in Karlsruhe begnügen. Hier bediente er sich des Kriegs- ministers Suckow, der damals im deutschen Hauptquartier weilte, um einen hohen Orden seines Monarchen an den König von Preußen zu überbringen. Suckow hatte seit dem Sturze Varnbülers, unterstützt von der nationalen Partei im Lande,

^) Beilagen II, nr. 11.

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planmäßig dahin gearbeitet, Württemberg in der deutschen Frage von Bayern loszulösen und im Zusammenhange damit den Einfluß des auswärtigen Departements zurückzudämmen.^) Die Mitteilungen, die er Bismarck über den Stand der deutschen Frage in Stuttgart gab, insbesondere über die Bereitschaft der württembergischen Regierung zu neuen, definitiven Ver- handlungen, klangen vielversprechend.-) Am 30. September schrieb Bismarck an den preußischen Gesandten in Karls- ruhe Grafen v. Fleming: ,,Ein Antrag Badens auf Aufnahme in den Norddeutschen Bund wäre in diesem Augenblick als (irundlage für und als Druck auf die Verhandlungen mit Bayern willkommen . . . Nach Suckows mündlichen Äuße- rungen muß ich annehmen, daß auch Württemberg auf vollen Anschluß einzugehen bereit ist."^) Am folgenden Tage kehrte Suckow nach Stuttgart zurück mit einer Einladung an seinen König in das Hauptquartier zur Besprechung der deutschen Frage.

Ziemlich gleichzeitig, aber unabhängig voneinander, er- hielt Bismarck aus Karlsruhe den badischen Antrag auf Aufnahme in den Norddeutschen Bund und aus Stuttgart die Nachricht, daß der König von Württemberg den Wunsch hege, vor seiner Reise ins Hauptquartier die Grundlagen der deut- schen Bundesverfassung festgestellt zu wissen, und daß Suckow und Mittnacht bereit seien, zur Ergänzung und Fortführung der Münchener Verhandlungen sich nach Versailles zu begeben. Am 14. Oktober telegraphierte Bismarck an die preußische (jesandtschaft in München: ,, Teilen Sie dem Grafen Bray vorläufig mit, daß ich von Mittnacht und Suckow das An- erbieten, behufs weiterer Besprechungen hieher zu kommen, erhalten und angenommen habe und Bayern anheimstelle, entweder auch hier zu unterhandeln oder des Staatsministers Delbrück Rückkehr nach München abzuwarten."^) Schrift- lich war die Mitteilung hie von schon am 12. Oktober durch Feldjäger abgesandt worden.

^) ,, Suckow hat seit dem Sturze Varnbülers das Übergewicht ge- wonnen, seine Tendenz ist, das Auswärtige Amt, das früher alle übrigen De- partements zu beherrschen suchte, lahmzulegen und mit manchen klein- staatlichen Grundsätzen zu brechen." Schreiben des preußischen Gesandten in Stuttgart von Rosenberg vom 19. Oktober. H. A. A.

*) Am 21. September telegraphierte Bismarck an Delbrück: ,, Suckow hier, Disposition günstig, anscheinend Beitritt zum Norddeutschen Bund, wenn keine Einigung mit Bayern gelingt." H. A. A.

3) H. A. A.

*) H. A. A.

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Graf Bray, ohnehin schon beunruhigt durch einen offiziellen Artikel des württembergischen Staatsanzeigers vom 9. Oktober und durch die Ausstreuungen des von einem Besuch in Stutt- gart zurückgekehrten preußischen Gesandten v. Werthern über eine Wendung der württembergischen Politik^), fürchtete von Württemberg ein einseitiges Vorgehen und einen Vor- sprung in der deutschen Frage. Er hat seinen Antrag auf Ent- sendung von Bevollmächtigten nach Versailles beim König ausdrücklich damit begründet: „um Württemberg nicht den Vorteil der Initiative zu lassen". Er wurde in seinem Argwohn bestärkt durch die gleichzeitige Meldung von einer angeblichen Äußerung des Grafen Bismarck: ,,I. Mt. der König und die Königin von Württemberg sowie die Kgl. Württembergische Regierung seien neuerdings viel mehr als früher geneigt, sich prinzipiell auf der Basis der schon bestehenden Verhältnisse mit Preußen zu verständigen, und verlangten eigentlich gar keine Konzession; trotzdem sei die Kgl. Preußische Regierung geneigt, den beiden süddeutschen Königreichen eine gleich bevorzugte Stellung einzuräumen, bei deren Bemessung sich aber Bayern auf den von Württemberg eingenommenen, ge- mäßigten Standpunkt zu beschränken habe." Es bedurfte, wie Graf Bray in einem Schreiben vom 18. Oktober an die bayerische Gesandtschaft in Stuttgart ausdrücklich erklärte^), trotz beruhigender Erlasse aus dem Stuttgarter Auswärtigen Departement der bestimmtesten Versicherungen des württem- bergischen Gesandten, um ihn der Annahme zugänglich zu machen, daß in den Ansichten der württembergischen Re- gierung in jüngster Zeit eine Änderung nicht stattgefunden habe. Der Nachfolger Varnbülers im Auswärtigen Ministerium, Graf Taube, wollte in der Tat nicht einseitig vorgehen, er wies den württembergischen Gesandten Freiherrn v. Soden am 14. Oktober telegraphisch an: ,, dahin zu wirken, daß Bayern, ohne Delbrücks Rückkehr abzuwarten, mit im Haupt- quartier zu erscheinen sich entschließe".^) Soden gab dem

^) „Daß die Kgl. Württembergische Regierung nunmehr eine selb- ständige, von den Anschauungen der Kgl. Bayerischen Regierung ganz un- abhängige Position in der deutschen Frage genommen habe und die bisherige Solidarität oder, wie er sich ausdrückt, das Hin- und Herschieben zwischen Stuttgart und München ein Ende erreicht habe, auch wahrscheinlich eine separate Verständigung zwischen Preußen und Württemberg in der deutschen Frage ohne gleichzeitige Regelung der Sache mit Bayern bevorstehe." Be- richt Sodens vom 10. Oktober. St. St. A.

2) M. St. A.

3) St. St. A.

107

Grafen Bray einen Brief an Herrn von Mittnacht mit, in dem er auch seinerseits ausdrückhch ersuchte, ,, nicht zu weit zu gehen, sondern im Verein mit Bayern die keineswegs un- günstige Situation möghchst zur Erlangung guter Bedingungen auszunützen". 1) In Versailles ist dann aber die württem- bergische Abordnung unter dem Einflüsse des Kriegsministers V. Suckow fast ostentativ ihren besonderen Weg gegangen. Bezeichnend war schon die Eile und Geflissentlichkeit, mit der man eine gemeinsame Fahrt mit den bayerischen Bevoll- mächtigten zu vermeiden suchte. Gegenüber dem preußischen Gesandten in Stuttgart gab Suckow als Grund hiefür an: „damit sie nicht als Anhängsel der Bayern erschienen".^) Auf die Frage desselben preußischen Gesandten, ob nicht Minister Mittnacht geneigt sei, sich in den meisten Fragen dem. bayerischen Standpunkt anzuschließen, antwortete Suckow, ,,daß er nach den darüber mit ihm gepflogenen Erörterungen dies nicht mehr besorge. Auch der König habe auf seinen Wunsch Herrn v. Mittnacht ausdrücklich gesagt, er wünsche nicht, daß Württemberg ans bayerische Schlepptau sich an- hänge".^) Im Hauptquartier angekommen, teilte Suckow dem Minister v. Delbrück gleich bei der ersten Begegnung unauf- gefordert mit, daß er und Herr v. Mittnacht Vollmacht hätten mit Preußen abzuschließen, gleichviel, ob mit oder ohne die süddeutschen Genossen.*) Er hatte ja schon während seiner ersten Anwesenheit im Hauptquartier die Erwartung aus- gesprochen, daß die Verhandlungen mit Württemberg ge- trennt geführt werden, und Bismarck hatte dies ,,als seine Ansicht bestätigt".^) Über das Benehmen der württem- bergischen Minister in Versailles haben sich sämtliche bayerische Bevollmächtigte bitter ausgelassen, auch der bayerische Be- richterstatter im Hauptquartier, Graf Berchem. Er schrieb am 24. Oktober nach München: ,,Es ist nicht bloß mir allein aufgefallen, wie ostentiös Minister Mittnacht den Grafen Bray zu vermeiden schien."^)

1) M. St. A.

2) H. A. A. ^) Ebenda.

*) Schreiben Delbrücks an Lasker vom 26. Oktober bei Brandenburg, Der Eintritt usw., S. iii f.

*) Suckow, Rückschau, S. 168; Mittnacht, Rückblicke, S. 82.

®) M. St. A. Auch Graf Hugo v. Lerchenfeld, der den Grafen Bray als Privatsekretär nach Versailles begleitet, erzählt in seinen Erinnerungen, daß es Mittnacht gewesen sei, der jede Fühlung abgelehnt habe. Und er fügt hinzu : „Wenn Mittnacht ein überlegen kluger Kopf und dabei auch

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. Bismarck hatte in dem Telegramm vom 14. Oktober Bayern freie Wahl gelassen zwischen einer wiederholten Unter- handlung mit Delbrück in München und zwischen einer Unter- handlung mit Bismarck im Hauptquartier. Graf Bray erbat sofort nach Empfang des Telegramms Bismarcks telegraphisch die königliche Genehmigung zur Abordnung bayerischer Bevoll- mächtigter nach Versailles. Er begründete seinen Antrag damit, daß „direkte Unterhandlungen mit Bismarck vorzu- ziehen seien." 1) Er rechnete auf das „praktische Gefühl des Grafen Bismarck, mit dem leichter zu verhandeln sei als mit allen seinen Agenten, Herrn v. Delbrück nicht ausgenommen". Dank den Bemühungen des Kabinettsekretärs Eisenhart konnte Bray schon am 16. Oktober (vormittags 10 Uhr) seine und des Kriegsministers Abordnung ins Hauptquartier melden^) Am folgenden Tage hat er dann allerdings beim König ange- regt^), ob nicht statt seiner, ähnlich wie in Württemberg, der Justizminister Lutz abgeordnet werden sollte, da ,,die Be- sprechungen im Hauptquartier größtenteils innere und juristi- sche Fragen betreffen, die diplomatischen dagegen auf wenige Sätze sich beschränken". Schließlich hat er sich am 20. Oktober gemeinsam mit dem Kriegsminister Freiherrn v. Pranckh und dem Justizminister Lutz nach Versailles begeben, weil nach der Ansicht des Gesamtministeriums ,,bei einer so wichtigen Verhandlung mit einer fremden Macht der Minister des Äußern nicht fehlen dürfe". Die Bevollmächtigten sind eine Folge nicht bloß der Kürze der Zeit, sondern mehr noch der Eigenart des Königs ohne besondere Instruktion*) nach Versailles gegangen. Als Grundlage für die Verhand- lungen dienten ihnen die Verfassungsskizze vom 20. September und das Protokoll der Münchener Konferenzen samt den vom König schriftlich und mündlich dazu gemachten Bemerkungen.

ein durchaus lauterer Charakter war, konnte er doch der launischste und un- guteste Mensch sein, der mir vorgekommen ist. Er war nicht immer so; er konnte oft eine bestrickende Liebenswürdigkeit entfalten, wenn es ihm paßte; aber oft ohne erkennbaren Grund paßte es ihm nicht. Bray, der stets freundliche, vornehme Mann, und der kratzbürstige Mittnacht mußten sich abstoßen. Und Mittnacht und Lutz paßten auch nicht zusammen: diese trauten sich gegenseitig nicht über den Weg."

1) M. St. A.

'■^). Ebenda. ^) Ebenda.

*) Die spätere Berufung der Minister auf ihre Instruktion darf ebenso- wenig urgiert werden wie ihre spätere Ankündigung einer neuen Instruktions- einholung. Was Friesen, Erinnerungen III, 163 u. 183, von späteren Weisungen des Königs oder gar der zurückgebliebenen Minister erzählt, ist unbegründet.

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Aus den Münchener Konferenzen hatte Graf Bray zwar keine amthche Erklärung, immerhin aber den Eindruck mit- genommen, daß Preußen nicht gesonnen sei, die straffe Ver- fassung des Norddeutschen Bundes preiszugeben und den Norddeutschen Bund durch einen allgemeinen Deutschen Bund auf loserer Grundlage zu ersetzen. Er kam daher nach Ver- sailles mit dem Entschlüsse, dem Norddeutschen Bund nicht beizutreten, die Verhandlungen vielmehr auf der Grundlage eines weiteren, aber ebenfalls unauflöslichen, verfassungs- mäßigen Bundes zu führen. Dieser Entschluß war aber keines- wegs gleichbedeutend mit der Absicht, die Verfassungsverhand- lungen zum Scheitern zu bringen. Hatte ja nach dem öfter erwähnten Berichte des Grafen Berchem vom 21. September^) Bismarck selbst wenn auch nur aus diplomatischen Gründen auf eine Anfrage Brays (vom 1 1 . September) die Möglichkeit eines weiteren Bundes ausdrücklich zugelassen. Nur ,,eine Eventualität" hatte er damals schon mit aller Bestimmtheit zurückgewiesen: daß Teile des gegenwärtigen Norddeutschen Bundes, wie etwa das Königreich Sachsen, aus dem engeren Verbände des Nordens entlassen und in engere Beziehungen zu Süddeutschland und damit zum weiteren Bunde gestellt würden. An den preußischen Gesandten in Dresden, Eich- mann, schrieb er um dieselbe Zeit (19. September)^): daß er jedem Versuche zu einer Lockerung des Norddeutschen Bundes ,,a limine entgegentreten würde". Noch schneidender war die Ablehnung, als im November vom großherzoglich hessischen Ministerpräsidenten Freiherrn v. Dalwigk eine Reform der norddeutschen Bundesverfassung angeregt wurde.

Zu Beginn der Versailler Verhandlungen^) stehen sich die preußischen und die bayerischen Bevollmächtigten schroff gegenüber. Graf Bismarck und der von ihm zu seiner Unter- stützung nach Versailles berufene Minister Delbrück wollen verhandeln auf der Grundlage des Beitritts Bayerns zum Norddeutschen Bund oder vielmehr auf der Grundlage eines nach der Verfassung des Norddeutschen Bundes zu bildenden allgemeinen Deutschen Bundes, Graf Bray auf der Grundlage eines engeren und weiteren Bundes. Bayern überbietet noch das Maß der in München geforderten Reservatrechte oder

^) Beilagen II, nr. 9.

2) H. A. A.

^) Delbrücks Schreiben vom 26. Oktober und 8. November bei Branden- burg, Der Eintritt, S. iiif. und 113!.; Braj^s Bericht vom 28. Oktober a. a. O. S. 173 ff.

iiö

greift auf Forderungen zurück, die man auf den Münchener Konferenzen schon hatte fallen lassen. Nicht aber, wie man gemeint hat, um die Verhandlungen abzubrechen, sondern um sich auf einem gerade von der alten Diplomatenschule oft begangenen Wege bessere Bedingungen zu sichern. Staats- minister V. Lutz hat später, bei den Landtagsverhand- lungen, einen dankenswerten Kommentar dazu gegeben: ,, Selbst wenn wir mit der Absicht nach Versailles gegangen wären und auch die Tatsache, daß wir nach Versailles gingen, ist ein Zeichen , um jeden Preis ein Deutsches Reich zu errichten, würde man uns nicht haben zumuten können, daß wir in vornherein dies sagen. Wer wird denn, wenn er ein Haus zu kaufen gedenkt, aller Welt sagen, daß er dieses Haus haben muß, und wenn der letzte Heller darauf ginge". Der nationalliberale Abgeordnete Lasker hat hier gleich anfangs richtig gesehen: ,,Herr Lutz hat einiges an sich von der Weise, in welcher die Geschäfte des bürgerlichen Verkehrs vollzogen zu werden pflegen : Bieten, Abdingen und Vergleichen. Einiges Entgegenkommen bewahrt er vermutlich für die letzte Instanz auf."

Allerdings die Bedingungen, die das innere Staats- recht betrafen und die zum erstenmal am 26. Oktober von Lutz vertreten wurden, enthielten, abgesehen von dem Vor- schlagsrecht bei der Besetzung der Reichsämter, von dem etwas hochgespannten Anspruch auf acht Stimmen im Bundes- rat (Reichsrat), von der unter sächsischem und hessischem Einfluß gemachten, aber nicht ernstlich verfolgten Anregung eines Staatenhauses und vielleicht noch von dem Veto gegen Kompetenzerweiterungen des Bundes, nichts, worüber nicht leicht eine Einigung oder ein Kompromiß stattfinden konnte. Aber weiter gingen die Forderungen bezüglich der militäri- schen Selbständigkeit und der völkerrechtlichen Vertretung.

Über die militärischen Fragen fand, wie ich jetzt protokollarisch feststellen kann^), ebenfalls am 26. Oktober die erste Besprechung zwischen den Kriegsministern v. Roon und v. Pranckh statt. Der bayerische Kriegsminister hielt an den wesentlichen militärischen Forderungen, wie sie in München aufgestellt worden waren, insbesondere an der Militärhoheit im Frieden fest, wollte die bayerische Armee nicht in der allgemeinen Bundesarmee aufgehen lassen. Er schlug aber bezügUch des strittigen Militärbudgets einen

^) Beilagen III, nr. 3.

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Mittelweg vor: der Reichstag solle jeweilig für die gesamte deutsche Bundesarmee einschließlich der bayerischen einen „Pauschalsatz pro Kopf der Friedensstärke" feststellen und der bayerische Landtag das Militärbudget im einzelnen ge- nehmigen, ohne aber an der aus jenem Pauschalsatz errechneten Gesamtsumme einen Abstrich vornehmen zu dürfen. Pranckh gab auch ausdrücklich zu Protokoll, er würde in der bisherigen Präsenzstärke des Norddeutschen Bundes kein Hindernis für eine verfassungsmäßige Verbindung mit diesem erblicken, wenn eine solche Stärke durchaus als notwendig erkannt würde. Er gab auch sonst eine Reihe beruhigender Erklärungen, suchte namentlich die Zweifel des preußischen Kriegsministers an einer gleichmäßigen Ausbildung und einem gleichwertigen Militärbildungswesen zu zerstreuen. Aus dem Verlaufe dieser ersten Besprechung glaubte Freiherr v. Pranckh auf eine schnelle Verständigung schließen zu dürfen.

Aber Kriegsminister v. Roon, der selbst die Gemeinsam- keit der militärischen Gradabzeichen verfassungsmäßig fest- gelegt wissen wollte, gab zwar in einer Note vom 29. Oktober und in einer zweiten Besprechung vom 31. Oktober^) zu, daß die bayerischen Vorschläge einen wesentlichen Fortschritt auf dem Wege zu der allseitig gewünschten politischen und mili- tärischen Einheit bedeuteten. Er erklärte aber, daß sie noch immer nicht ausreichend seien, um die Grundlage für ein ver- fassungsmäßiges Bundes Verhältnis zu bilden; die baye- rischen Sonderrechte würden kaum jemals die Zustimmung des norddeutschen Reichstages finden. Halte Bayern an seinen Forderungen fest, dann müßte es sich auf eine Er- weiterung oder Fortbildung des internationalen Allianz- vertrags vom August 1866 beschränken. Mit anderen Worten: die Altpreußen unter Führung Roons wollten kein verfassungs- mäßiges Bündnis mit Bayern, weder einen weiteren Bund noch einen Beitritt zum Norddeutschen Bunde, sondern lediglich einen erweiterten internationalen Vertrag auf der Grundlage des Schutz- und Trutzbündnisses vom Jahre 1866 weil sie in den bayerischen Reservatrechten eine Ansteckungsgefahr für den Bund und eine Gefährdung des engeren preußischen Lebens- gebietes besorgten. Immerhin erschien dem Kriegsminister V. Roon auch eine bloße Erweiterung des Allianzvertrags vom August 1866 wichtig genug, um dafür ein Zugeständnis seiner Regierung in Aussicht zu stellen : einen Verzicht auf die Kündbarkeit des Zollvereins.

^) Beilagen III, nr. 3 und 4.

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Die Forderungen Bayerns bezüglich der völkerrecht- lichen Vertretung lernen wir aus einem der beiden Ver- fassungsentwürfe kennen, die Graf Bray nach vorausge- gangener mündlicher Besprechung am 30. Oktober dem Mi- nister Delbrück schriftlich überreichte und über die er am I. November eine Aussprache mit Bismarck hatte. i) Ich kann sie jetzt im Wortlaute vorlegen.^) Danach schließt das Königreich Bayern mit dem durch den Beitritt Badens, Hessens usw. erweiterten Norddeutschen Bund einen weiteren, aber ebenfalls verfassungsmäßigen Bund, der den Namen ,, Deutsches Reich" führt. Das Präsidium im Reiche steht dem Könige von Preußen zu, der als solcher den Titel ,, Deutscher Kaiser" führt. Die Vertretung nach außen ist eine gemeinsame Angelegenheit des ,, Reiches". Diese Vertretung und damit auch die Instruktionserteilung an die Reichsgesandten findet aber nicht durch den Kaiser allein, sondern durch den Kaiser und den König von Bayern gemeinschaftlich statt; der Kanzler müßte also von jeder diplomatischen Note, die er erläßt, nicht bloß dem Könige von Preußen, sondern auch dem von Bayern Kenntnis geben. Auch Friedensverträge und sonstige Reichsverträge müssen unter Zuziehung des Königs von Bayern, bzw. eines bayerischen Bevollmächtigten, ge- schlossen werden. Diese Bestimmungen des Verfassungs- entwurfs haben in den Kreisen von Versailles, die davon er- fuhren, einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Auch der König von Preußen äußerte sich gegenüber seinem Schwieger- sohne, dem Großherzoge von Baden, der in diesen Tagen in Versailles eintraf, höchst ungehalten über die politischen Ansprüche Bayerns: er sehe nicht ein, wie man sich mit ihnen einigen solle; es sei ihnen über den Erfolgen ihrer Armee der Kamm gestiegen und doch sei dazu keine besondere Ver- anlassung ; denn nur der steten Einfassung in preußische Korps verdankten sie ihre Leistungen.^) Tatsächlich waren diese Be- stimmungen praktisch so wenig ausführbar, daß man kaum an den Ernst des bayerischen Ministers glauben kann. Sie gingen auch noch immer weit über das hinaus, was der Minister in seinem Antrag an den König vom 12. September Bayern vorbehalten hatte.

^) Vgl. Schreiben Brays an Bismarck vom i. November bei Bray a.a.O. S. 180; Bericht Brays an den König vom 3. November, ebenda S. 177 ff. ; Bericht Mittnachts vom 4. Nov. bei Schneider a.a.O. S. 168 f.

■-) Beilagen III, nr. 5.

^) Tagebuch des Großherzogs von Baden zum 7. November.

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Minister v. Delbrück scheint, wie aus seiner Korrespondenz mit Lasker hervorgeht, sehr schwarz über die bayerischen Forde- rungen geurteilt, an dem Erfolge der Verhandlungen mit Bayern fast verzweifelt zu haben. Bismarck hat trotz alledem innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit sein Ziel erreicht. Er hatte sein Spiel damit begonnen, daß er getrennte Ver- handlungen mit den süddeutschen Staaten pflog. Er führte sein Spiel damit fort, daß er jeden einzelnen der süddeutschen Staaten für einen einseitigen und möglichst raschen Abschluß zu gewinnen suchte oder daß er mit einem unmittelbar bevor- stehenden einseitigen Abschluß drohte. Hier kam ihm die Richtung Suckow entgegen. Indem sich jetzt auch Mittnacht, der nach den Berichten Sodens sachlich und persönlich in München nicht befriedigt worden war, dieser Richtung an- schloß, vollzog sich der entscheidende Wendepunkt in der süddeutschen Politik. Die von Bray überreichten Verfassungs- entwürfe dienten dem Grafen Bismarck dazu, einerseits die Kluft zwischen Bayern und Württemberg zu erweitern^), anderseits beide Teile zu beschleunigtem Abschluß anzu- treiben: die württembergischen Bevollmächtigten, indem er an der Hand der Entwürfe Brays den Nachweis erbrachte, daß Bayern mit dem Anerbieten des Kaisertitels sich eine Ausnahmestellung, namentlich auf dem Gebiete der aus- wärtigen Politik, zu sichern suche; den Grafen Bray, indem er ihm erklärte, daß er mit Württemberg dem Abschlüsse nahe stehe. Das Mißtrauen zwischen den bayerischen und württem- bergischen Bevollmächtigten hat das Spiel wesentlich er- leichtert.

Graf Bray und seine Ministerkollegen beklagen sich zwar über Württemberg, das seine eigenen Wege gehe; sie wären zweifellos bereit gewesen, mit den württembergischen Bevoll- mächtigten in Fühlung zu bleiben.-) Sie übersehen auch keineswegs die Gefahr der getrennten Verhandlungen. Aber sie erheben doch keinen Einspruch gegen solche. Es ist grund- falsch, daß Bray mit Bismarck in Versailles Brust an Brust um Württemberg gerungen hätte. Bray hat auch die bekannte (spätere) Intrigue des bayerischen Gesandten am Stuttgarter Hofe, die im letzten Augenblick die königliche Genehmigung der württembergischen Übereinkunft mit Bismarck hemmte,

^) Bericht Mittnachts vom 2. November bei Schneider a. a. O. S. 166 f.

^) Das ergibt sich aus den Berichten Brays und wird bestätigt durch das Zeugnis Hugo v. Lerchenfelds. Daran können auch die Anklagen und Selbstentschuldigungen Mittnachts in seinen ,, Rückblicken" nichts ändern. Doeberl, Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. ö

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nicht veranlaßt, er hat sie vielmehr ausdrücklich mißbilligt, i) Die bayerischen Minister fühlen sich durch das Verfahren Bismarc ks nicht vergewaltigt, sie stimmen der getrennten Verhandlung wie dem getrennten Abschluß vielmehr aus- drücklich zu, sie versprechen sich davon auch für Bayern gewisse Vorteile, zumal eine Erleichterung des Weges für Gewinnung von Sonderrechten.

Damit war aber Bayern isoliert und durch diese Isolierung die Möglichkeit eines weiteren Bundes soviel wie ausge- schaltet, da für sich allein, ohne die anderen Südstaaten, Bayern unmöglich einen weiteren Bund mit Norddeutschland schließen konnte. Das wurde später von bayerischer Seite ausdrücklich anerkannt. Graf Bray schrieb am 15. November an den außerordentlichen Gesandten Bayerns in Wien, Frei- herrn V. Schrenck: ,,Der weitere Bund ist durch die jetzige Isolierung Bayerns unausführbar geworden. "2) Noch deut- licher sprach sich Lutz in einem späteren Schreiben vom 21. Januar 1871 aus^): ,,Von einem weiteren Bunde konnte nur die Rede sein, wenn Bayern gemeinschaftlich vorging mit Hessen, Baden, Württemberg. Anders war es auch nicht gemeint mit dem weiteren Bund im Prager Frieden."

Die mündliche und schriftliche Aussprache mitBismarck und Delbrück über seine Entwürfe überzeugte den Grafen Bray vollends von der Undurchführbarkeit des weiteren Bundes.

Bismarck stellt den bayerischen Minister in der münd- lichen Aussprache vom i. November vor die Wahl zwischen einem bloß internationalen und darum auflöslichen Bündnis auf der Grundlage des Schutz- und Trutzbündnisses des Jahres 1866, von dem der Kanzler weiß, daß er die öffentliche Meinung in Bayern nicht befriedigen würde, und zwischen einem einheitlichen Verfassungsbündnis auf der Grundlage des Norddeutschen Bundes, von dem er weiß, daß er allein der Mehrheit der Nation entspricht. Bismarck gibt aber gleich- zeitig die Neigung kund, innerhalb des einheitlichen Ver- fassungsbündnisses den Wünschen Bayerns, soweit sie nicht die diplomatische und militärische Einheit Deutschlands ge- fährden, durch Ausnahmebestimmungen, sei es in der Form von Konventionen, sei es in der Form von Zusätzen zur Bundesverfassung, weitgehend Rechnung zu tragen. Auf die

1) Vgl. S. 125.

2) M. St. A. ^ Ebenda.

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„Modalitäten" dieser Ausnahmebestimmungen oder Sonder- rechte läßt er sich noch nicht näher ein. Nur die gemeinschaft- liche Instruktionserteilung weist er schon jetzt mit Bestimmt- heit zurück, weil er darin eine Beschränkung der eigenen politischen Beschlußnahm.e erblicke. Er deutet aber gleich- zeitig die Möglichkeit eines Ersatzes an: die Kreierung eines diplomatischen Ausschusses des Bundesrates mit bayerischem Vorsitz und die Vertretung der Reichsgesandten durch die bayerischen.

Und die bayerischen Bevollmächtigten beginnen zurückzu- weichen. Tatsächlich schon früher, als man gemeinighch an- nimmt, schon am 2. November. Graf Bray erklärt in einem Schreiben an Bismarck von diesem Tage^), daß er nur für einen weiteren Bund von seinem König ermächtigt sei, daß er zum Eintritt in einen allgemeinen Deutschen Bund, den Bismarck neben einer internationalen Allianz vorschlage, einer erweiterten Vollmacht bedürfe und diese nach Empfang- nahme bestimmt formulierter Vorschläge in München erholen müsse. Er bat um baldigste Übergabe dieser Vorschläge 2), damit er und seine Ministerkollegen möglichst bald nach München abreisen könnten. Man sieht ganz deutlich: Graf Bray rechnet bereits mit der Möglichkeit eines Eintritts Bayerns in den allgemeinen Deutschen Bund ; die andere von Bismarck gestellte Alternative tritt daneben so sehr zurück, daß sie fast verschwindet. Selbst der Entschluß zur Reise nach München stand keineswegs so fest, als er in dem Schreiben an Bismarck auftritt. In seinem Bericht an den König vom folgenden Tage^) spricht der Minister bereits von der Möglich- keit einer nachträglichen Einholung der königlichen Geneh- migung: ,,es werde von der Natur der preußischen Vorschläge abhängen, ob es sich als tunlich herausstellt, daß wir hier salva ratificatione denselben beitreten, oder ob es vielmehr ratsam erscheint, ohne jeden Abschluß nach München zu- rückzukehren, um vor allem Euerer K. Majestät Bericht zu erstatten und Allerhöchst Ihre Beschlußnahme zu beantra- gen." Wenige Tage später wiU der Großherzog von Baden bei seiner ersten Begegnung mit den bayerischen Bevollmächtigten

1) Bei Bray a. a. O. S. i8o f.

2) Nach dem Berichte Sodens vom 3. November (Schneider a. a. O. S. 168) hätte Bismarck dem Grafen Bray versprochen, „demnächst den Entwurf einer sämtliche deutsche Staaten umfassenden deutschen Bundes- akte vorzulegen".

3) Bei Bray a. a. O. S. 177 ff.

8*

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von Minister Lutz vernommen haben: „Ich hoffe, daß wir der Welt das Schauspiel ersparen werden, von hier abreisen zu müssen, um Fragen zu erledigen, in denen wir die Grenzen kennen, bis zu welchen wir selbständig vorgehen können. Wir dürfen nicht unverrichteter Dinge von hier abreisen und ich hoffe, daß die Einigung möglich ist."^)

Graf Bray nimmt in dem Schreiben an Bismarck vom 2. November bereits auch die Forderung zurück, die am meisten Anstoß erregt hatte, seine Forderung bezüglich der auswärtigen Vertretung und der gemeinsamen Instruktions- erteilung. Er schrieb an Bismarck: ,, Nachdem der zu Miß- verständnissen führende Satz über die diplomatische In- struktionserteilung Anstoß erregt hat, lasse ich denselben fallen und hoffe, daß es gelingen wird, eine den gestrigen Äußerungen Ew. Exzellenz anpassende Formulierung zu fin- den." Wie weit auf diesen Entschluß die Vorstellungen seiner Kollegen, wie weit die des sächsischen und des hessischen Ministerpräsidenten 2) eingewirkt haben, läßt sich an der Hand der verfügbaren Quellen nicht entscheiden.

Bismarck wiederholt in seinem Antwortschreiben vom 4. November^) die mündlich gestellte Alternative, läßt aber keinen Zweifel über die von ihm gewollte Wahl: Bayern möge sich zum Eintritt in den einheitlichen, allgemeinen Deutschen Bund entschließen. Das sei die einzige Basis, die den Wünschen der deutschen Natioii entspreche, zugleich weit genug, um der Stellung Raum zu gewähren, auf die Bayern vermöge seiner Bedeutung in einem Deutschen Bund An- spruch habe. Die militärischen Verhältnisse könnten durch einen besonderen völkerrechtlichen Akt, die übrigen Be- ziehungen müßten auf der Grundlage der Verfassung des Norddeutschen Bundes geregelt werden. Bismarck legte gleichzeitig einen Entwurf von Zusätzen und Abänderungen zu dieser Verfassung bei, wie sie in Versailles bei den Ver- handlungen mit Württemberg, Baden und Hessen besprochen und zum Teil schon vorher, auf den Münchener Konferenzen, von Bayern vorgeschlagen worden waren. Er vermied es aber jetzt ebenso grundsätzlich wie früher, bestimmt formu- lierte Verfassungsvorschläge zu machen, nicht bloß weil er sie gemäß seiner bisherigen Praxis von Bayern erwartete,

^) Tagebuch des Großherzogs.

^) Ich möchte Brandenburg darin beistimmen, daß dieser Einfluß nicht erhebUch gewesen ist.

3) Bei Bray a. a. O. S. 181 f.

117

sondern auch, um den bayerischen Bevollmächtigten keine Handhabe zu geben, ihre Reise nach München anzutreten und damit zu rechtfertigen. Die Friedensverhandlungen mit Thiers und der Plan eines Fürstentages in Versailles boten ein weiteres Mittel, die bayerischen Bevollmächtigten im deutschen Hauptquartier zurückzuhalten. Gleichzeitig beschleunigte Bis- marck die Verhandlungen mit den übrigen süddeutschen Staaten, um mit diesen rasch zum Abschluß zu kommen.

Ehe diese zu Ende geführt waren, vollzog sich auf baye- rischer Seite die entscheidende Wendung. Der Kriegsminister v. Roon hatte in den Verhandlungen mit Freiherrn v. Pranckh ein bloß internationales Bündnis mit Bayern in Aussicht ge- nommen, aber mit gesteigerten mihtärischen Anforderungen an Bayern. Gegenüber den Einwendungen des bayerischen Kriegs- ministers, daß eine Erhöhung der Mihtärausgaben Schwierig- keiten im bayerischen Landtag auslösen würde, hatte er auf die Möghchkeit hingewiesen, diesen Widerstand dadurch zu überwinden, daß man preußischerseits die längst begehrte Unkündbarkeit des deutschen Zollvereins bewilHge. Dem trat jetzt Bismarck entgegen. Er sandte am 7. November die ihm vorgelegten Protokolle über die beiden Besprechungen der Kriegsminister vom 26. und 31. Oktober an Roon zurück und sprach sich in dem Begleitschreiben i) aufs schärfste gegen den Versuch aus, den Zollverein mit einem internationalen Allianzvertrag in Verbindung zu setzen: ,,Laut des Protokolls vom 31. vorigen Monats haben Euere Exzellenz aus Ver- anlassung der Bemerkungen des Freiherrn v. Pranckh über die Schwierigkeiten, welchen eine Erhöhung der Geldleistungen für die bayerische Armee im Schöße der bayerischen Kammern begegnen würde, darauf hingewiesen, daß in der Verbindung einer Unkündbarkeit des Zollvereins mit einem jene Er- höhungen bedingenden Bündnisvertrag eine Kompensation für die Annahme des letzteren durch die bayerischen Kammern zu finden sein dürfte. Ohne die Richtigkeit dieser Hinweisung bezweifeln zu wollen, glaube ich doch schon jetzt mich von meinem Standpunkt aus gegen die angedeutete Verbindung aussprechen zu müssen. Die Genehmigung derselben durch den Reichstag halte ich für dergestalt aussichtslos, daß ich schon aus diesem Grunde davon abraten muß, eine solche Kombination bei weiteren Besprechungen mit dem Freiherrn v. Pranckh ins Auge zu fassen, und, um Mißverständnissen bei den königlichen bayerischen Bevollmächtigten vorzubeugen,

1) H. A. A.

118

Euere Exzellenz ganz ergebenst ersuche, den königlichen baye- rischen Herrn Kriegsminister hiervon baldtunlichst in Kenntnis setzen zu wollen." Bismarck behielt damit das Mittel in der Hand, ,,von dessen Anwendung Preußen hoffen konnte, später selbst den bedingungslosen Eintritt Bayerns in den Bund zu er- zwingen", i) Gerade darin aber lag nach dem Zeugnisse des bayerischen Kriegsministers die ,, dringende Aufforderung für Bayern, nicht jene spätere Zwangslage abzuwarten, seinen Anschluß vielmehr eben jetzt zu vollziehen, da derselbe unter dem noch ungeschwächten Eindruck und gewisser- maßen in der täglichen unmittelbaren Erkenntnis des Wertes der bayerischen Waffengemeinschaft noch unter günstigeren, später nicht mehr erreichbaren Bedingungen für Bayern mög- lich ist". 2)

Bismarck hatte damit der einen der beiden von ihm ge- stellten Alternativen, dem internationalen Bündnisse, den letzten Wert genommen. Das ist selbstverständlich den bayerischen Bevollmächtigten nicht entgangen.

Graf Bray, der noch vor wenigen Tagen erklärt hatte, daß er für Verhandlungen auf der Grundlage eines einheitlichen Deutschen Bundes eine neue Vollmacht seines Königs erholen müsse, entschließt sich jetzt, am 8. November, nach verschie- denen Aussprachen mit seinen Ministerkollegen, zur Annahme der neuen Verhandlungsgrundlage ohne eine weitere königliche Ermächtigung. Am 8. November schrieb Minister Delbrück an Lasker, die bayerischen Herren hätten ihn heute, nachdem sie einige Tage unsichtbar gewesen waren, um eine Besprechung gebeten. ^) Am 9. November konnte er dem sächsischen Kollegen Freiherrn v. Friesen mitteilen, die bayerischen Minister hätten ihn aufgesucht und mit ihm gesprochen ; sie hätten ihre anfäng- liche Idee eines weiteren Bundes aufgegeben und auch im übrigen ihre früheren Forderungen modifiziert und wollten jetzt in den allgemeinen Bund eintreten unter Bedingungen, über die nach seiner Ansicht eine Verständigung möglich sein werde. *)

Die Gründe, die den Grafen Bray und seine Minister- kollegen bestimmten, hat jener im wesentlichen in einem

1) H. A. A.

2) Beilagen III, nr. 11.

2) Schreiben Delbrücks bei Brandenburg a. a. O. S. 115, oben. Die Wendung ist vielleicht schon am 7. November eingetreten, da Bray an diesem Tage an Daxenberger telegraphierte, daß sie vor dem 16. November kaum in München eintreffen könnten. Bray a. a. O. S. 186.

*) Friesen, Erinnerungen III, S. 180.

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Schreiben an den Vertreter Bayerns am Wiener Hofe, Freiherrn V. Schrenck, vom 15. November^) niedergelegt: Auf dem Wege bloß internationaler Verträge würde eine wirkliche Einigung Deutschlands nicht erreicht, etwas Definitives nicht ge- schaffen, vielmehr den Gegnern der deutschen Politik Bayerns ein Vorwand zu dauernder Agitation gegeben werden. Die Lebensnotwendigkeiten des bayerischen Staates aber könnten ebensogut durch Verbriefung von Sonderrechten innerhalb der einheitlichen, gesamtdeutschen Bundesverfassung ge- sichert werden, wie auf dem Weg über einen weiteren Bund. Zwischen dem 8. und 11. November fanden, nach dem Berichte Brays vom 11. November 2), zwei Besprechungen mit Bismarck und Delbrück statt. In diesen Besprechungen haben sich nach demselben Berichte Brays die Ansichten bereits ,, einiger- maßen geklärt". Die bayerischen Bevollmächtigten erklären sich bereit, auf der neuen Verfassungsgrundlage zu verhandeln. Sie machen im einzelnen neue Zugeständnisse. Sie ver- sprechen zugleich ihrerseits Entwürfe über die militärische und staatsrechtliche Stellung Bayerns im künftigen Deutschen Bunde vorzulegen. Sie versprechen neuerdings, den König von Bayern für das Anerbieten der Kaiserkrone zu gewinnen. Am II. November berichtet Graf Bray über die neue Verhandlungsgrundlage an seinen König. Er rechtfertigt ihre Annahme mit der Entschuldigimg, daß damit eine Änderung mehr der Form als dem Wesen nach eintrete.^) Am folgenden Tage richten die bayerischen Bevollmächtigten ein eindring- liches Gesamtschreiben an denselben in der Kaiserfrage, das noch durch ein Privatschreiben des Ministers Lutz verstärkt wird.*) Um dieselbe Zeit übergibt der bayerische Kriegs- minister den von ihm ausgearbeiteten Entwurf^) zu einer Militärkonvention mit Bayern; da der preußische Kriegs- minister seit der Note Bismarc ks vom 7. November erkrankt war, wurde der Entwurf an den Kanzler weitergegeben. Der Entwurf hält auch jetzt an allen wesentlichen militärischen Forderungen Bayerns, insbesondere an der Militärhoheit im Frieden und an dem eigenen Heeresfinanzwesen fest, er gibt aber weitere, viel detailliertere Sicherheiten für eine volle Übereinstimmung der bayerischen Heereseinrichtungen mit

1) M. St. A.

2) Bei Bray a. a. O. S. 188 f.

3) Bray a. a. O. S. 188 f. *) Darüber im Kap. VIII. ^) Beilagen III, nr. 8.

120

denen des künftigen Bundes: hinsichtlich der Wehrpflicht, der Dauer der Zugehörigkeit zum Heere, der Friedenspräsenz- stärke, der finanziellen Aufwendungen, hinsichtlich der Or- ganisation, Formation und Ausbildung, hinsichtlich der Be- waffnung und Ausrüstung. Zur Erhaltung dieser Überein- stimmung sollen die beiderseitigen Militärbevollmächtigten in Berlin und München über die einschlägigen Anordnungen ent- sprechende Mitteilungen durch die Kriegsministerien erhalten. Zu gleichem Zwecke sollen norddeutsche und bayerische Offiziere als Delegierte an den beiderseitigen größeren Truppen- übungen teilnehmen. Der Entwurf gesteht auch ausdrücklich zu, daß in den Fahneneid der bayerischen Soldaten die Ver- pflichtung aufgenommen werde, den Befehlen des Bundes- feldherrn im Kriege unbedingt Folge zu leisten. Die Anlage militärischer Befestigungen und Eisenbahnen auf bayerischem Gebiet im Interesse der gesamtdeutschen Verteidigung bindet er nicht mehr an eine förmliche Zustimmung des Königs von Bayern, sondern nur an eine ,, Vereinbarung" mit der baye- rischen Regierung.

Bezüglich des inneren Staatsrechtes hatten die bayerischen Bevollmächtigten für den 12. November eine Aufzeichnung in Aussicht gestellt. Tatsächlich hat sie Justiz- minister V. Lutz erst am 16. November fertiggestellt und konnte sie, da er an diesem Tage nach seinem eigenen Zeugnis dreimal vergebens bei Bismarck anklopfte, um sie ihm persön- lich zu überreichen, erst am 17. November durch einen Boten übermitteln. Lutz ließ in dieser jetzt vorliegenden Aufzeich- nung^) die so oft geäußerten Bedenken gegen das Gesetz- gebungsrecht des Bundes nicht bloß in Sachen des Staats- bürgerrechtes (Bundesstaatsangehörigkeit), des Gewerbelebens und Immobiliarversicherungswesens, sondern auch des Straf- rechtes und Zivilprozesses fallen oder gab sich nnt der Auf- nahme gewisser Kautelen in ein Separatprotokoll zufrieden. Er willigte selbst in eine allerdings beschränkte Gesetzgebung des Bundes auf dem Gebiete des Eisenbahn-, Post- und Tele- graphenwesens, begnügte sich mit 6 Stimmen im Bundesrate, gab seine Zustimmung, daß bei der Beschlußfassung über eine Angelegenheit, die nicht den ganzen Bund betreffe, nur die Stimmen derjenigen Bundesstaaten gezählt werden, denen die Angelegenheit gemeinschaftlich sei. Vom Staatenhaus war nur nebenher, vom Vorschlagsrecht bei Besetzung

^) Beilagen III, nr. 9.

121

der Reichsämter überhaupt nicht mehr die Rede Was Lutz neben der Beibehaltung des eigenen Heimats- und Nieder- lassungsrechtes, neben der gesonderten Besteuerung des Bieres und Branntweins, neben der Leitung des Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesens besonders nachdrücklich forderte, das war eine Bürgschaft gegen majorisierende Verfassungsbe- schlüsse : Anträge auf Änderung der Bundesverfassung sollten fallen, wenn sie 14 Stimmen im Bundesrate, mit anderen Worten die Stimmen der drei Königreiche Bayern, Württemberg und Sachsen gegen sich hätten. Reservatrechte sollten nur mit Zu- stimmung ihres Inhabers modifiziert werden können. Lutz konnte wirklich in dem Begleitschreiben sagen: ,,daß die be- stehenden Differenzen auf ein Minimum beschränkt seien". Auf dem Gebiete der auswärtigen Politik endlich hatte man für den Verzicht des Grafen Bray auf gemeinsame Ver- tretung und gemeinsame Instruktionserteilung schon zu Beginn der Versailler Verhandlungen einen Ersatz und inzwischen auch die ,, entsprechende Formulierung" gefunden. Nach einer undatierten Aufzeichnung ^) sollte im Bundesrat ein diplomatischer Ausschuß aus Vertretern Bayerns, Sachsens und Württembergs gebildet werden unter dem Vorsitze Bayerns und mit dem Rechte der Kontrolle und der Antrag- stellung in äußeren Angelegenheiten des Bundes. Zugleich sollten die bayerischen Gesandten die Bundesgesandten im Behinderungsfalle vertreten und Bayern für diese Bereit- stellung seiner Gesandtschaften für den diplomatischen Dienst des Bundes von der Beitragspflicht für die äußere Bundes- vertretung entbunden werden.

*

Wenn man sich einmal unabhängig macht von den Quellen, die aus der Erinnerung oder aus zweiter und dritter Hand schöpfen, sich frei macht von Kundgebungen der Presse, die eine bestimmte Tendenz verraten, und von Äußerungen der Staatsmänner, die einen bestimmten politischen Zweck ver- folgen, und den unmittelbaren Arbeitsnachlaß dieser Tage auf sich wirken läßt: dann entschleiert sich vor unseren Augen immer deutlicher ein anderes als das herkömmliche Bild von den Versailler Verhandlungen.

Der Ausgleich zwischen dem Standpunkte Bismarcks und dem ursprünglichen des Grafen Bray war nicht leicht. Aber die Auseinandersetzung zwischen beiden wurde keines-

^) Beilagen III. nr. 10.

122

wegs mit der Leidenschaftlichkeit geführt, die man nach zeit- genössischen und späteren Darstellungen annehmen möchte. Die Versailler Verhandlungen hatte Bismarck mit den Worten eröffnet: „Wir wollen kein verstimmtes Bayern im Bunde, ein freiwilHges, kein verstimmtes." Er war von Anfang an entschlossen Bayern größere Zugeständnisse zu machen als den übrigen süddeutschen Staaten. Er hatte schon am 24. Sep- tember an Delbrück geschrieben i) : ,,Der Ausschluß der Bundeskompetenz für Bayern bezüglich einer Reihe selbst erheblicher Gegenstände der Bundesgesetzgebung ist meines Erachtens an sich kein Grund, die Aufnahme Bayerns zu ver- sagen. Die Zeit müßte dann nachholen, das Überschreiten des Rubicon wäre gewonnen." Es ist allerdings von Zeit zu Zeit eine Unterbrechung oder ein Stillstand in den Verhand- lungen zu erkennen, aber niemals in dem Sinne, daß sie auf einen toten Punkt gekommen wären, den Bismarck nur mit einem deus ex machina, etwa mit dem vielberufenen Akten- fund von Cergay, hätte überwinden können. Standen aber die Verhandlungen wirklich einmal vor der Gefahr der Versandung, so war diese Gefahr nach einer kurzen Verhandlungspause von drei oder" höchstens vier Tagen am 8. November mit der Einlenkung der bayerischen Minister auf den neuen Ver- handlungsweg überwunden. Was Bismarck gegenüber den Ausgeburten ausschweifender Phantasie oder überhitzter Leiden- schaft ruhig lächelnd vorhersagte, das war eingetreten: die Bayern begannen unter annehmbaren Bedingungen zu kapitu- lieren. Und Bismarck, der jetzt die Verhandlungen mit den Bayern immer ausschließlicher führte, kam ihnen bei der Auseinandersetzung über die Einzelheiten der Sonderrechte großzügig und weitherzig entgegen. Die damaligen Schwierig- keiten der militärischen Lage, die seit der russischen Kün- digung des Pontusvertrages drohende europäische Verwicke- lung und dazu der bevorstehende Zusammentritt des nord- deutschen Reichstages haben vielleicht seine Neigung zu Zu- geständnissen noch vermehrt.

Was die eben wieder aufgenommenen Verhandlungen zu zerschlagen drohte, hat dann schließlich auf preußischer Seite die Verhandlungen beschleunigt und gefördert: der württembergische Zwischenfall.

Am 12. November konnte in einer Besprechung zwischen Bismarck und den württembergischen Bevollmächtigten volle

1) H. A. A.

123

Übereinstimmung festgestellt werden. In derselben Bespre- chung eröffneten aber die letzteren, sie müßten vor Unter- zeichnung des Vertrages nach Hause reisen.^) Am Vorabende war nämlich von Stuttgart die telegraphische Weisung ein- getroffen, vor ausdrücklicher Genehmigung des Königs von Württemberg dürfe keinesfalls ohne Bayern abgeschlossen werden. Bismarck, aber auch sein König, waren, wie wir aus den Aufzeichnungen des Großherzogs von Baden wissen, über die unerwartete Störung empört. Im ersten Moment äußerte Bismarck zum Großherzoge von Baden: ,,er sei nun ent- schlossen mit der ganzen Sache vor die Öffentlichkeit zu treten, damit man endlich sehe, was denn das für Regierungen seien, mit denen er zu verhandeln habe. Er hoffe, daß dann ein Druck von unten kommen werde, dem weder Württemberg noch Bayern in die Länge widerstehen könne. Diese Regie- rungen schienen ganz zu übersehen, von welch gefährlichen Elementen sie umgeben seien. Er könne nichts dafür, wenn sich nun eine Bewegung entwickle, welche diesen Staaten die Existenzfrage stelle ; dann könne es wohl zu spät sein sich eines Besseren zu besinnen."^) Bismarck gab, wohl unter dem Ein- flüsse der württembergischen Bevollmächtigten, die Schuld dem bayerischen Gesandten am württembergischen Hofe, Freiherrn v. Gasser. Noch am nämlichen Tage machte sich seine Erregung in einem von ihm eigenhändig verfaßten Tele- gramm an den preußischen Minister des Innern Luft: ,,Ew. Excellenz ersuche ich vertraulich dahin zu wirken, daß in nationalliberalen Blättern in einer weder als offiziös noch als telegraphiert erkennbaren Form folgendes Thema amplifiziert behandelt werde: die deutschen Besprechungen in Versailles sollen zwischen den norddeutschen Ministern und denen von Württemberg, Baden und Hessen die Übereinstimmung der Ansichten in zum Abschluß reifer Form hergestellt haben, mit Bayern aber ein Ergebnis noch nicht abzusehen sein und diese Verzögerung zurückhaltend auf die definitiven Ent- schließungen in Stuttgart wirken."^) Am folgenden Tag erließ er an das Auswärtige Amt in Berlin folgende Weisung: ,,Wenn Herr Rosenberg, wie ich glaube, beurlaubt ist, so veranlassen Sie ihn zu sofortiger Rückkehr nach Stuttgart, weil dort der antideutsche Einfluß des bayerischen Gesandten die Ver- sagung dessen durchsetzt, worüber wir hier mit den württem-

^) Schneider a. a. O.

2) Tagebuch des Großherzogs.

3) H. A. A.

124

bergischen Ministern uns einigen."^) In der Tat hatte Freiherr v. Gasser, wie er in einem Berichte vom 9. No- vember 2) selbst bekennt, in diesem Sinn auf den Hof und die Regierung von Württemberg eingewirkt. Handhabe dazu gab ihm ein Privatschreiben des Grafen Bray aus Versailles vom 3. November, worin dieser mitteilte, daß die württem- bergischen Bevollmächtigten vollständig ihre eigenen Wege gegangen seien und daher auch er ,, darauf bedacht sein müsse, lediglich die Stellung Bayerns ins Auge zu fassen." Gasser brachte den Inhalt dieses Schreibens zur Kenntnis des württembergischen Ministers des Äußern Grafen v. Taube, des Kabinettchefs Freiherrn v. Egloffstein und durch Ver- mittlung der Königin auch zur Kenntnis des Königs ^'on Württemberg, ,,die nötigen Erläuterungen und Wünsche hinzu- fügend." ,, Diese Taktik war," wie Gasser in demselben Schrei- ben vom 9. November an seinen König berichtet, von Erfolg gekrönt; ,,denn bereits am Nachmittag sei Freiherr v. Egloff- stein zu ihm gekommen, um die Sache gründlich zu besprechen und ihm ebenfalls Mitteilungen zu machen". Nach einer anderen Quelle^) soll Egloffstein bereits von ,, gemeinschaft- lichem Abbruch und Verlegen der Verhandlungen auf später" gesprochen haben. Mit Hilfe des preußenfeindlichen Kabinetts- chefs Egloffstein gelang es, das leicht erregbare Gemüt des Königs von Württemberg mit Mißtrauen gegen Bismarck und gegen seine eigenen Bevollmächtigten zu erfüllen. Das wird durch ein Schreiben des preußischen Gesandten in Stuttgart, V. Rosenberg, vom 17. November*) ausdrücklich bestätigt. Die spärliche Berichterstattung der württembergi- schen Bevollmächtigten hat nach demselben Zeugnisse^) der Intrigue Vorschub geleistet: „Wenn es während der Versailler Konferenzen gelang, die Stimmung des Königs mißtrauisch zu machen, so hat General Suckow insofern selbst dazu bei- getragen, indem er versäumt hat, von Versailles aus an S. Mt. zu berichten."

Das Vorgehen Gassers entsprach wohl der augenblick- lichen Stimmung des bayerischen Königs. Der König hat das Verfahren nicht bloß nicht mißbilligt, er hat dem Gesandten einige Tage später, am 11. November, den Auftrag erteilt, dem

1) A. a. o.

^) Beilagen III, nr. 6.

^) Telegramm Sodens vom 9. November.

«) H. A. A.

*) Bericht Rosenbergs vom 20. November, ebenda.

125

Könige von Württemberg von seiner Einladung nach Versailles und von seiner Abneigung, dieser Einladung zu folgen, Kenntnis zu geben und ihm die Frage vorzulegen, ob auch er eingeladen sei und ob er der Einladung zu folgen gedenke, i) Und wieder ein paar Tage später berichtet der württembergische Gesandte Freiherr v. Soden aus München^) : von sehr hoher Seite ge- meint ist wiederum der König von Bayern sei durch eine dritte Person die Frage an ihn gerichtet worden, ob Württem- berg allein, auch ohne Baj'ern, in den Norddeutschen Bund eintreten werde, ob der König von Württemberg entschlossen sei, dieselbe Stellung zu übernehmen wie der König von Sachsen, oder ob er nicht lieber eine ,,demarche" bei seinem Schwager, dem Kaiser von Rußland, machen wolle, dessen Kanzler schon einmal zu Beginn des Krieges für die Souveränität der süd- deutschen Staaten eingetreten sei.

Das Vorgehen des Freiherrn v. Gasser fand aber keines- wegs die Billigung des Grafen Bray. Er hat unmittelbar nach dem Empfang des Telegramms vom 9. November, in dem der Gesandte den Wunsch des Königs von Württemberg nach einem Zusammengehen mit Bayern mitteilte, diesen ange- wiesen, alle weiteren Schritte zu unterlassen, da die württem- bergischen Verhandlungen bereits zu weit vorgerückt seien. ^)

Bismarck muß sich auch bald von diesem Sachverhalt überzeugt haben. Tatsächlich veranlaßte ihn der württem- bergische Zwischenfall, nicht bloß mit Baden und Hessen ohne Rücksicht auf Württemberg abzuschließen, sondern auch die Verhandlungen mit Bayern zu beschleunigen, statt mit Württemberg vorerst mit Bayern eine Verständigung herbeizu- führen. Obwohl Suckow und Mittnacht in Stuttgart, wo sie am 15. November eintrafen, König und Ministerrat sehr bald von der Richtigkeit ihres Standpunktes überzeugten und mit neuem Mißtrauen gegen Bayern erfüllten, konnten sie nicht mehr verhindern, daß ihnen Bayern mit der Unterzeichnung der Verträge zuvorkam.

*

Auf bayerischer Seite wurden die Verhandlungen in diesem letzten Stadium wieder wesentlich gefördert durch die unter der Einwirkung des Krieges fortschreitende nationale Bewegung. Man lese nur die Schreiben des Kabinettsekretärs

^) M. St. A. Vgl. dazu Beilagen III, nr. 12. Einen Brief an den König von Württemberg hat Ludwig II. nicht geschrieben. 2) St. St. A. ^) Schreiben Brays vom 10. November; Bray a. a. O. S. 198.

126

Eisenhart, des Staatsrats Daxenberger und des Staats- ministers V. Schlör^), die sie im November an den Grafen Bray nach Versailles richteten, und die Beschwichtigungs- versuche der zu Hause gebliebenen Minister.

Das Beamtentum, die Intelligenz, die städtischen Ele- mente, ein guter Teil selbst der bäuerlichen Bevölkerung gaben immer deutlicher ihrem Unmut über den schleppenden Gang der Versailler Verhandlungen Ausdruck. Die Briefe und Zei- tungen meldeten, namentlich aus München, von wachsender Erregung. Die von dem preußischen Gesandten geflissentlich verbreitete Nachricht, Württembergs Eintritt in den Nord- deutschen Bund stehe unmittelbar bevor, hat die Aufregung noch gesteigert. Die ,, Münchener Neuesten Nachrichten" schrieben am ii. September, sie könnten nicht glauben, daß ein bayerischer Minister den Mut finde, das Werk der nationalen Einigung zu verderben. ,,Wer hat den Mut, den Fluch einer solchen Tat zu übernehmen und seinen Namen für alle Zeiten zu einem Schimpfwort in Deutschlands Gauen zu machen ? Wir wollen keinem unserer Minister die Beleidigung zufügen, ihn einer solchen Tat für fähig zu halten."

Womöglich noch erregter als in München war die Haltung der öffentlichen Meinung im Fränkischen, was den Kenner dieser Provinzen und ihrer Geschichte nicht überraschen wird. Als sich in den ersten Tagen des November das Gerücht von einem Abbruch der Versailler Verhandlungen verbreitete und man von der Möglichkeit sprach, daß man sich mit einer bloßen Militärkonvention begnügen werde, verlangte der „Fränkische Kurier"^) eine Umbildung des Ministeriums, da die beiden Minister v. Bray und v. Lutz wohl keine einzige Partei im Lande hinter sich hätten. Selbst die gemäßigte, vielfach auch für amtliche Mitteilungen benutzte ,,Neue Würz- burger Zeitung" erhob ihre warnende Stimme, wies auf die Parteikämpfe hin, die einem isolierten Bayern drohten, und erklärte ausdrücklich, daß das bayerische Volk deutsch sein wolle, nicht nur der Sprache und dem Namen nach, sondern deutsch als Nation, daß es nicht abgedrängt werden wolle von dem gewaltigen deutschen Organismus, daß ihm das Schutz- und Trutzbündnis und der Zollverein als kündbare und internationale Verträge keinen Ersatz dafür bieten könnten.

^) Bei Bray a. a. O.

^) In Nr. 313 vom 10. Nov.

127

Schon sah sich die Regierung genötigt, in einer offiziösen Mitteilung an die Hoffmannsche Korrespondenz sowie in einer offiziellen Erklärung des Ministers des Innern v. Braun gegenüber dem ersten Bürgermeister von München die öffent- liche Meinung förmlich zu beruhigen: die Gerüchte von einem Abbruch der Versailler Verhandlungen seien gänzlich unbe- gründet, im Gegenteil ein Abschluß in allernächster Zeit zu erwarten. Welches Empfanges mußten unter diesen Ver- hältnissen die bayerischen Minister gewärtig sein, wenn sie mit leeren Händen aus Versailles zurückkehrten?

,,Gott gebe", schrieb am i6. November der damalige Referent im Justizministerium, der spätere Justizminister Fäustle, an Kabinettsekretär Eisenhart i), ,,Gott gebe, daß sich die deutsche Verfassungsfrage durch einen befriedigenden Ab- schluß mit Bayern glücldich löst! Ein isoliertes Bayern ist unhaltbar und der stete Spielball der patriotischen (ultra- montan-bureaukratisch-feudalen) sowie der im Falle des Mißlingens der Unterhandlungen sicher rasch sich entwickeln- den demokratischen (Volks-) Partei. Ein großherziger Ent- schluß des Königs in dieser Stunde sichert ihm nicht bloß die Sympathie und das höchste Ansehen, sondern auch dauernd die Krone und die Existenz Bayerns als eines selbständigen Wesens. Die Größe Bayerns, außer Deutschland ohne wesent- lichen Einfluß, wird innerhalb des Bundes bei vernünftigem Machtgebrauche vielfach entscheidend wirken können und am besten etwaigen Übergriffen Preußens wirksam entgegen- zutreten vermögen. Alles, was man der Gesamtheit schuldet, wenn sie ihren Zweck erfüllen soll, muß man ihr gewähren, und zwar jetzt, damit man nicht zum größten Schaden hinter- drein genötigt sein wird, das dem mutigen Trotze eines auf- geregten Volkes zuzugestehen, was man vorher der bescheidenen Bitte versagt hat. Und am Ende wird der bayerische Staat und die Krone durch Konzessionen an das Haus Hohenzollern weit weniger gefährdet als im Falle der Isolierung durch fort- währendes Nachgeben gegenüber den Forderungen der Häuser Kolb (Demokrat) und Greil (Patriot). Wie notwendig ist es gerade für die immer brennender werdende Frage des Kirchen- staatsrechtes, wenigstens die deutsche Frage aus der Welt zu schaffen und eine feste politische Stütze an einem festgefügten deutschen Staatsganzen zu besitzen."

1) M.St.A.

128

Tatsächlich war der bayerische Gesandte am Dresdener Hofe auf Grund der Mitteilungen des Freiherrn v. Friesen schon am 17. November in der Lage, das Einvernehmen zwischen Bismarck und den bayerischen Bevollmächtigten ausdrücklich festzustellen. Der badische Minister Jolly vollends schrieb am 14. November aus Versailles an seine Gemahlin: „Hinsichtlich Bayerns habe ich den Verdacht oder anständiger die Vermutung, die durch einzelne wohl absichtliche Äußerungen Delbrücks bestätigt scheint, daß sie in offener oder stiller Übereinstimmung mit Preußen nur warten, bis die anderen beigetreten sind, um dann mit wirklichen oder scheinbaren Vorzügen ebenfalls beizutreten." Fast wörtlich stimmt damit überein ein Eintrag, den der Groß- herzog von Baden am 18. November in sein Tagebuch machte : ,,Es wird mit jedem Tage wahrscheinlicher, daß Bismarck mit den Bayern einig ist und nur die Verhandlungen hinhält, bis Württemberg den Beitritt zum Bund ausgesprochen hat, um dann mit den bayerischen Bevollmächtigten zum Ab- schluß zu kommen." Damit steht auch in gewissem Einklang, was der badische Gesandte in Berlin, Graf Türkheim, später, nach dem Abschluß der Versailler Verträge, von Berlin aus berichtete : es habe zwischen den bayerischen Bevollmächtigten und Bismarck eine förmliche oder stillschweigende Abmachung bestanden, erst den Abschluß mit den übrigen süddeutschen Staaten abzuwarten und dann auf erheblich abw^eichenden Grundlagen auch ihrerseits abzuschließen. i)

Das war allerdings eine zu optimistische Auffassung. Schwierigkeiten und Stockungen gab es auch in diesem letzten Stadium der Verhandlungen namentlich auf militärischem Gebiete. ,,Wir sind," schrieb am 17. November Graf Bray an seine Gemahlin^), ,,nach dem Abgang der Vertreter der übrigen deutschen Regierungen allein noch hier und müssen also trachten, an einem der nächsten Tage auf unsere Be- dingungen ein Ja oder Nein zu erlangen. Wenn eine Ver- ständigung nicht gehngt, so wird nicht die Frage der äußeren Vertretung und der Diplomatie das Hindernis bilden denn darüber sind wir so gut wie im reinen , wohl aber wird dies die mihtärische Frage und, wenn ich nicht sehr irre, kommt hier der Widerspruch nicht vom Grafen Bismarck". In der Tat, diese letzten Kämpfe hatte Bismarck weniger mit den bayerischen Bevollmächtigten als mit den Gegnern der baye-

1) K. St. A.

2) Bray a. a. O. S. 16^.

129

Tischen Ausnahmestellung innerhalb wie außerhalb des Haupt- quartiers zu führen, mit den Führern der großen politischen ParteierL, mit den Fürsten und Regierungen des Norddeutschen Bundes und dem von ihnen beeinflußten Bundesrate, mit dem Kriegsminister Roon, der nach dem Urteile Bismarcks ,, alles unter eine Kappe bringen wollte" i), mit dem preußischen Kronprinzen, der noch am i6. November in einer heftigen Auseinandersetzung mit Bismarck tadelte, daß man Bayern und Württemberg so zart behandle, statt fest und gebietend aufzutreten und ihnen die Macht zu zeigen^), und mit dem eigenen Könige, der gerade in diesen Tagen seinem Schwieger- sohne gegenüber das einheitliche deutsche Heer immer wieder als seinen dringendsten Wunsch bezeichnete. Gegen diese Widersacher mußte Bismarck noch am 19. November die Hilfe des Großherzogs von Baden anrufen.^) Großherzog Friedrich hat uns in seinem Tagebuche den Vorgang dramatisch ge- schildert: ,, Bismarcks erstes Wort war, er bitte mich, ihm in einer sehr wichtigen Frage beizustehen. Die Württemberger sind bekanntlich dem Bunde beigetreten und wir verhandeln heute nur noch telegraphisch mit ihnen über einige untergeordnete Militärfragen, in denen wir aber nicht nachgeben wollen. Mit den Bayern habe ich gestern und heute viele Stunden verhandelt und von ihnen erlangt, daß sie in den Bund ein- treten. Dieser Eintritt muß aber erkauft werden durch Ge- währung einer bayerischen diplomatischen Vertretung und einer selbständigen Militäradministration. Wenn unsere innere Verbindung auch zu wünschen übrig läßt, so haben wir doch ein gemeinsames Band , das durch die wachsenden Bedürfnisse der Nation immer fester geschlungen werden wird; wir haben eine gemeinsame Vertretung der Interessen der Nation; wir haben eine monarchische Spitze, die zugleich als Heerführer die Einheit des Heeres in sich verkörpert. Alle diese Vorzüge ge- statten nicht nur, sondern gebieten, das Gute dem Besseren vorzuziehen und somit das Mögliche auszuführen. Hat Bayern diese Schwelle betreten, und zwar mit unserem Beistand, so ist von einem Rückgang keine Rede mehr; es kann nur noch vorwärts schreiten und wir dürfen der Zukunft die bessere Entwicklung getrost überlassen. Nun ist aber hier die Schwie- rigkeit zu überwinden, daß unser König sich nur ungern zu

^) Vgl. Tagebuch des Kronprinzen zum 21. November und Moritz Busch, Tagebuchblätter I, 423.

2) Tagebuch des preußischen Kronprinzen zum 16. November. ^) Tagebuch des Großherzogs zum 19. November. Doeberl, Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. 9

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diesen militärischen Konzessionen entschließen wird, während wir doch dadurch den großen und unschätzbaren Vorteil er- langen die Kaiserfrage zu lösen, noch bevor der Krieg zu Ende ist. Auch beim Kronprinzen fürchte ich auf Widerstand zu stoßen, da er mir vor wenig Tagen so herbe Vorwürfe darüber machte, daß ich durch meine Nachgiebigkeit gegen die Bayern die deutsche Einigungsfrage verderbe, daß ich darüber krank geworden bin. Wie soll es mir allein gelingen, diese beiden hohen Herren von der Notwendigkeit zu überzeugen, daß wir hier einen bleibenden großen Erfolg erlangen können, wenn wir davon abstehen, etwas Vollkommenes leisten zu wollen da ich weiß, daß die Militärpartei gegen mich wieder an- kämpfen wird. Überzeugt, daß Sie mit mir die Größe und Bedeutung dieses wichtigen Augenblicks als einen entscheiden- den Wendepunkt für die künftigen Geschicke Deutschlands erkennen werden, glaube ich hoffen zu dürfen, daß Sie Ihren Einfluß bei König und Kronprinz geltend machen werden, damit sie von der Gunst dieser Lage Gebrauch machen mögen. Benützen wir diesen Vorteil nicht, so fällt Bayern in die Hände Österreichs und wird seine Truppen abberufen. Dann sind wir in der Notwendigkeit, die bayerische Armee zu entwaffnen, und geben der Welt ein Schauspiel deutscher Zwietracht, das alle unsere ferneren Unternehmungen lähmt und sogar das Band mit den übrigen Bundesgenossen in bedrohlicher Weise lockern wird."

Dieser Kampf wurde verschärft und vergiftet durch die zeitgenössische Publizistik, die sich anfänghch allein gegen das bayerische Ministerium gewendet, sogar den bayerischen König gegen sein Ministerium auszuspielen gesucht hatte, die aber jetzt ihre Pfeile auch gegen die Person des Königs richtete, sich bis zur kaum verhüllten Aufforderung an die bayerischen Truppen zum Hochverrat verstieg. ,,Wir glauben nicht," schrieb die Berhner Börsenzeitung in diesen Tagen, ,,daß die bayerische Armee den Schimpf, welcher dem Lande und am fühlbarsten ihr selbst angetan werden soll, ruhig hinnehmen würde. Unser Fritz hat die braven Bayern zu oft zum Siege geführt, als daß sie sich jetzt von ihm möchten losreißen lassen, um dem Schwanenritter zu folgen oder mit dem Tann- häuser nach Rom zu pilgern."

Damals, am 19. November, als Bismarck die Hilfe des Großherzogs von Baden gegen das Hauptquartier anrief, hatte er bereits das Mittel in der Hand, womit er die Hilfe des Großherzogs von Baden gewann und den Widerstand

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im Hauptquartier brach. Wie er am 19. November dem Großherzog mitteilte und wie diesem am 24. November Graf Bray bestätigte, hatte er damals bereits die bestimmte Zusage der bayerischen Bevollmächtigten, ,,daß gegen die Erhaltung einer selbständigen Armee Bayern die Kaiserfrage zum Beweise seiner Bundestreue beantragen wolle." Selbst über die Art und Weise, wie das geschehen solle, waren, wie der sächsische Minister v. Friesen am 16. November von Bismarck erfuhr, schon alle Einzelheiten besprochen worden. Das Kaiser- problem nahm in Versailles eine entscheidende Stelle ein, auch zuletzt bei der Entscheidung des Königs von Preußen. Als der Großherzog am 23. November beim König vorsprach, teilte dieser ihm mit, ,,daß er den Vortrag des Bundeskanzlers über die bayerischen Verhandlungen schon heute entgegen- genommen und, wenn auch ungern, die Konzessionen geneh- migt habe, welche von Bayern verlangt wurden, um dafür die Initiative in der Kaiserfrage zu ergreifen"^).

Am II. und 17. November hatten die bayerischen Be- vollmächtigten ihre schriftlichen Vorschläge überreicht, am 20. folgten die preußischen Schlußerklärungen, die sich, selbst auf militärischem Gebiete, auf geringe Modifikationen beschränkten. Am 23. fand die beiderseitige Unterzeichnung des Versailler Hauptvertrags statt. Es war gegen 10 Uhr abends. Moritz Busch befand sich, wie er selbst erzählt^), mit Bismarck-Bohlen und Hatzfeld beim Tee. ,, Plötzlich öffneten sich die Flügeltüren, Bismarck steckte den Kopf mit freund- lichster Miene herein und kam dann, als er noch Gesellschaft sah, mit einem Becher zu uns an den Tisch, wo er Platz nahm." ,,Nun wäre der bayerische Antrag fertig und unterzeichnet," sagte er bewegt. ,,Die deutsche Einheit ist gemacht und der Kaiser auch. Es ist ein Ereignis. Die Zeitungen werden nicht zufrieden sein, und wer einmal in der gewöhnlichen Art Ge- schichte schreibt, kann unser Abkommen tadeln. Er kann sagen, der dumme Kerl hätte mehr fordern sollen; er hätte es erlangt, sie hätten gemußt, und er kann Recht haben mit dem Müssen. Mir aber lag mehr daran, daß die Leute mit der Sache innerlich zufrieden waren. Was sind Verträge, wenn man muß ! Und ich weiß, daß sie vergnügt fortgegangen sind. Ich wollte sie nicht pressen, die Situation nicht ausnützen. Der

^) Tagebuch des Großherzogs. ^) Tagebuchblätter I, 427 f.

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Vertrag hat seine Mängel, aber er ist so fester. Was fehlt, mag die Zukunft beschaffen."

Bismarck lehnte die Kreierung eines weiteren Bundes ab und forderte den Eintritt Bayerns in ein einheitliches Ver- fassungsbündnis auf der Grundlage der Verfassung des Nord- deutschen Bundes; der Haupt vertragt) bestimmte ausdrück- lich, daß die bisherige norddeutsche Bundesverfassung auch die Verfassung des mit Bayern abzuschließenden ,, Deutschen Bundes" sein solle. Aber Bismarck willigte doch in einige Änderungen dieser Verfassung, die für alle deutschen Bundes- staaten gleichmäßig Geltung haben sollten: so in eine Ver- besserung des Stimmverhältnisses im Bundesrate, in eine schärfere Umschreibung des Wirkungskreises dieses Kollegiums, in die Schaffung eines Ausschusses für die Auswärtigen Ange- legenheiten, der zwar in die Auswärtige Politik nicht störend eingreifen, wohl aber Mitteilungen empfangen und Anregungen geben sollte, in eine Beschränkung des Kriegsrechtes des Bundespräsidiums zugunsten des Bundesrates, in die Aus- übung eines Vetorechtes gegen Verfassungsänderungen durch eine verhältnismäßig geringe Zahl von Stimmen des Bundes- rates; Verfassungsänderungen gelten als abgelehnt, wenn sie im Bundesrate 14 Stimmen gegen sich haben. Die Vorschrif- ten der Reichsverfassung, durch die bestimmte Rechte ein- zelner Bundesstaaten in ihrem Verhältnisse zur Gesamtheit festgestellt sind, können nur mit Zustimmung des berech- tigten Einzelstaates abgeändert werden.

Bismarck bewilligte anderseits Bayern eine Ausnahme- stellung innerhalb des Bundes, ein erhebliches Maß von staat- licher Selbständigkeit und politischer Einflußnahme. Er beließ Bayern seine besondere Verwaltung des Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesens, beschränkte selbst das Aufsichts- und Gesetzgebungsrecht des Bundes auf diesen Gebieten. Er beließ Bayern seine besondere Besteuerung des Bieres und Branntweines, sein besonderes Heimats- und Nieder- lassungsrecht, das Recht der Aufsicht und der Gesetzgebung über diese Verhältnisse. Er beließ Bayern seine diplomatische Vertretung und entschädigte es für den Verzicht auf die gemeinsame Instruktion der Bundesgesandtschaften mit dem ständigen Vorsitz im diplomatischen Ausschuß des Bundes- rates. Er beließ Bayern seine Militärhoheit im Frieden und sein eigenes Heeresfinanzwesen, mit Worten, die sich deutlich

1) K. Weber, Neue Gesetz- und Verordnungensammlung, VIII, 674 ff.

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anschließen an den Entwurf des Freiherrn v. Pranckh vom 10. November: „Das bayerische Heer bildet einen in sich ge- schlossenen Bestandteil des deutschen Bundesheeres mit selb- ständiger Verwaltung unter der Militärhoheit S. Mt. des Königs von Bayern" ; ,,die Kosten und Lasten des bayerischen Kriegswesens werden von Bayern ausschließlich und allein getragen." Bayern behält auch, einem schon auf den Münche- ner Konferenzen geäußerten Wunsche entsprechend, seine besondere Militärgesetzgebung bis zur verfassungsmäßigen Beschlußfassung über die der Bundesgesetzgebung anheim- fallenden Materien. Die Beschränkungen, denen das bayerische Heeresfinanzwesen unterliegt, entsprechen dem Wortlaute des vom bayerischen Kriegsminister genehmigten Protokolls vom 26. Oktober. Die Beschränkungen, denen der König von Bayern in Ausübung seiner Militärhoheit unterworfen ist, folgen wörtlich dem Entwürfe vom 10. November: bezüglich der Or- ganisation, Formation, Ausbildung und Mobilmachung, be- züghch der Bewaffnung, Ausrüstung und der Gradabzeichen, bezüglich des Oberbefehls des Bundespräsidiums im Kriege und der entsprechenden Verpflichtung im Fahneneid, bezüglich der Anlage von Festungen auf bayerischem Gebiete. Ebenso fol- gen dem Entwürfe vom 10. November die Bestimmungen über die Information der beiderseitigen Militärbevollmächtigten. Da- zu kommt noch etwas, was der Kriegsminister offenbar in Rück- sicht auf den ausdrücklichen Widerspruch des Königs nicht in seinen Entwurf aufzunehmen gewagt hatte, was die baye- rischen Bevollmächtigten tatsächlich schon auf den Münchener Konferenzen zugestanden hatten und was auch in dem Protokoll vom 26. Oktober stillschweigend vorausgesetzt war: die Aus- dehnung des Inspektionsrechtes des Bundesfeldherrn auf das bayerische Kontingent, mit der Einschränkung, daß er sich ,,über die Modalitäten der jeweiligen Vornahme" wie über das ,, Ergebnis der Inspektion" mit dem Könige von Bayern ,,ins Benehmen setzen" müsse.

Am Tage der Unterzeichnung dieses Hauptvertrages gab Bismarck in einem sogenannten Separat- oder SchlußprotokolP) eine Reihe von weiteren vertragsmäßigen Zusicherungen: so bezüglich des Verehelichungswesens, des Staatsbürgerrechtes, der Immobiliarversicherung, der Bundesgesetzgebung der Übergangszeit, der Beteiligung Bayerns an der ferneren Ausarbeitung des Entwurfs eines allgemeinen deutschen

1) K. Weber a. a. O. VIII, 679 ff.

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Zivilprozeßgesetzbuches. Bismarck erkannte Bayern weiterhin das Recht zu auf den Vorsitz im Bundesrat im Falle der Verhinderung Preußens und auf eine angemessene Vergütung der bayerischen Ausgaben für den diplomatischen Dienst i) und übernahm dazu die Verpflichtung, beim Abschluß von Post- und Telegraphenverträgen mit außerdeutschen Staaten Ver- treter der angrenzenden Bundesstaaten zur Wahrung ihrer besonderen Landesinteressen zuzuziehen.

Als am Tage nach der Unterzeichnung des Hauptvertrages Graf Bray noch eine besondere Erklärung zu Gunsten des Rech- tes der Eirizelstaaten, über Landesinteressen Verträge abzu- schließen, vorlegte und die Forderung mit der Empfindlich- keit seines Königs begründete, dem ein solches Vertragsrecht ausdrücklich als zu machender Vorbehalt bezeichnet worden sei, wurde auch diese Erklärung in dem von den bayerischen Bevollmächtigten festgelegten Wortlaut abgegeben: ,, Nach- dem es grundsätzlich feststeht, daß alle durch die Bundes- verfassung nicht ausdrücklich dem Bund abgetretenen politischen Rechte den einzelnen Staaten verbleiben, so ist zwar zweifellos, daß die Berechtigung Staatsverträge über Landesinteressen abzuschließen jeder deutschen Regierung gebührt, insoweit solche Verträge mit dem Bundeszwecke nicht im Widerspruch stehen. Es wird aber ausdrücklich ausge- sprochen und anerkannt, daß der Krone Bayern dieses Recht unter allen Umständen gewahrt bleiben solle." 2)

Im Anschluß an diese Übereinkunft wurde vom Könige von Preußen noch die weitere Zusage gemacht:^)

1. Bei Friedensverträgen, die nach einem Bundeskriege ge- schlossen werden, soll stets ein Bevollmächtigter des Königs von Bayern zugezogen werden, der sich an den Verhandlungen beteiligen und durch das Bundeskanzleramt seine Instruktion erhalten wird.

2. Den durch Artikel 13 des Berliner Friedensvertrages vom 22. April 1866 erhobenen Ansprüchen Preußens auf die vormalige Düsseldorfer Gemäldegalerie soll eine Folge nicht gegeben und damit auf diese Ansprüche ein für allemal ver- zichtet werden.

^) ,,In Anbetracht der Leistungen Bayerns für den diplomatischen Dienst des Reiches und der Entlastung, die den Reichsgesandtschaften durch den Bestand bayerischer Gesandtschaften erwuchs." Dafür sollen die bayerischen Gesandten den Reichsgesandten Beihilfe leisten und sie von Fall zu Fall auf Grund besonderer Vollmacht vertreten.

2) M. St. A. Vgl. Beilagen II, nr. 10.

') Ebenda. Vgl. Beilagen II, nr. to.

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Auf den Gang der staatsrechtlichen Verhandlungen in Versailles und damit auf den Versailler Vertrag hatte der König einen unmittelbaren Einfluß nicht mehr geübt: er wurde wieder einmal vor vollendete Tatsachen gestellt. Nicht bloß, daß keine Weisungen eingeholt wurden, auch die Bericht- erstattung war man darf wohl sagen absichtlich lücken- haft. Für die Minister brachte dieses Verfahren bei der krank- haften Unschlüssigkeit des Königs eine wesentliche Erleichte- rung , für den Geschichtsforscher bedeutet es eine wesentliche Erschwerung. Der König selbst klagt in einem Schreiben an Bray vom 28. November i), daß er noch immer ohne die ent- sprechenden Informationen sei: ,,Den Verhandlungen in Versailles zwischen meiner Regierung und dem Nordbund bin ich während der ganzen Dauer der Konferenzen mit der größten Aufmerksamkeit gefolgt. Trotzdem vermochte ich keinen erschöpfenden Einblick zu gewinnen, da weder von Ihrer Seite noch jener der beiden anderen abgeordneten Staats- minister periodische Detailberichte erstattet wurden und die allerdings zahlreich eingelaufenen Meldungen den Gang der Besprechungen mehr im allgemeinen kennzeichneten. Auch über die Hauptpunkte des erzielten Übereinkommens habe ich weder auf telegraphischem Wege noch durch einen Kurier Meldung erhalten und bin daher bis zur Stunde nicht in der Lage, bezüglich meiner Ratifikation einen Entschluß zu fassen."

Er hat aber wie gewöhnlich gegen die nicht mehr abzuändernden Verträge keine Schwierigkeiten erhoben. Er hätte allerdings, um mit seinen eigenen Worten zu sprechen, gewünscht, ,,daß es möglich gewesen wäre, das föderative Prinzip noch entschiedener zur Geltung zu bringen." Aber er hat die Verträge durch Handschreiben vom 7. Dezember^) ge- nehmigt. Er hat den beteiligten Ministern nach ihrer münd- lichen Berichterstattung in Hohenschwangau in dem näm- lichen Handschreiben seine Anerkennung und seinen beson- deren Dank ausgesprochen. Er hat gegenüber den Prinzen des Kgl. Hauses, um seine Haltung in der deutschen Frage zu rechtfertigen, ausdrücklich festgestellt: ,,daß sowohl die Militärhoheit als auch das Gesandtschaftsrecht der Krone Bayern vollständig gewahrt und derselben in einigen wert- vollen Punkten, wohin auch die Teilnahme an den Friedens- schlüssen zu zählen, eine Sonderstellung eingeräumt sei."^)

1) M. St. A.

^) Beilagen III, nr. 13.

3) M. H. A.

VII. Aussprache mit Österreich.

Derselbe König lehnte kurze Zeit vorher einen letzten Einmischungsversuch Österreichs in der bestimmtesten Form ab.

Der österreichische Reichskanzler Graf Beust hatte wiederholt, am 21. September und am 17. Oktober, mündlich durch Vermittlung des bayerischen Gesandten in Wien, schrift- lich durch Vermittlung seines Gesandten in München erklärt: Österreich habe auf Grund des Artikels IV des Prager Friedens ein Recht darauf, über eine Neugestaltung der Beziehungen Süddeutschlands zum Norddeutschen Bund vernommen und um seine Zustimmung angegangen zu werden. Er hoffe und glaube auch, Bayern werde sich seine Selbständigkeit auch fernerhin erhalten; darauf zielende Bemühungen würden bei der kaiserlichen Regierung bereitwilligst Unterstützung finden, i)

Am II. November erschien der österreichische Reichs- kanzler, ,,der seine in die Schweiz reisende Gemahlin bis München begleitete," im bayerischen Ministerium des Äußern, beim Vertreter des Grafen Bray, dem Staatsrate Daxenberger, und machte die dringendsten Vorstellungen, daß Bayern seine politische Selbständigkeit behaupten, dem Norddeutschen Bunde ferne bleiben möge. Er beteuerte, ihm liege die Absicht einer Einmischung in die deutsche Verfassungsfrage ferne, ihm könne nur erwünscht sein, nicht in die Lage zu kommen von dem Artikel IV des Prager Friedens Gebrauch zu machen. Aber er verlangte, daß man bei der Neugestaltung Deutsch- lands Österreich die Achtung bezeige, auf die ihm der Artikel IV des Prager Friedens ein Anrecht gebe, daß man es ihm mög- lich mache zu schweigen. Er ließ durchblicken, daß der Eintritt Südhessens, Badens, ja selbst Württembergs in den Norddeutschen Bund ihm keine Veranlassung geben werde, positive Einwendungen zu machen. Er erklärte aber um so entschiedener, daß die Sache ganz anders liege, wenn Bayern, ein Staat hart an der österreichischen Grenze, von solcher Größe und Bedeutung, daß er zwei volle Armeekorps

1) Vgl. Beilagen III, nr. 2.

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im letzten Kriege stellen konnte, in den Norddeutschen Bund eintrete und damit Preußen das Recht der Entscheidung über Krieg und Frieden auch für diesen wichtigen Teil Deutsch- lands erlange. Er fügte hinzu: Der weitaus größte Teil der österreichischen Monarchie wünsche nicht in eine staatsrecht- liche Verbindung mit Deutschland zurückzukehren. Was man aber wünsche, sei, daß man Österreich bei der Regelung dieser Fragen auch keine Mißachtung bezeige und damit die Emp- findlichkeit namentlich in Ungarn verletze.^)

Dafür, daß Beust während seiner Anwesenheit in München Anstrengungen machte, um an die Stelle des Grafen Bray den früheren Ministerpräsidenten Freiherrn von der Pfordten zu setzen oder daß er gar solche Anstrengungen mit Zustim- mung des Grafen Bray selbst gemacht hätte, dafür findet sich nicht der geringste Anhaltspunkt. Nach dem Berichte Daxen- bergers an den König 2) hätte der österreichische Reichs- kanzler es wohl als eine politische Notwendigkeit bezeichnet, daß die Staaten Preußen und Österreich nicht unmittelbar aufeinander stoßen, sondern daß ein Vermittlungsglied zwischen ihnen bleibe. Aber im übrigen habe er im Gegensatz zu früher jetzt eine für Preußen und den Norddeutschen Bund sehr freundliche und friedliche Stimmung zur Schau getragen und ausdrücklich den Wunsch nach guten internationalen Bezie- hungen ausgesprochen.

Der König von Bayern war aber schon über die von Daxen- berger berichteten Vorstellungen des österreichischen Reichs- kanzlers ungehalten. ,,Er habe," signierte er unter den Be- richt, ,,aus den Äußerungen des österreichischen Reichs^? kanzlers ungern den Versuch zu entnehmen geglaubt, sich in Angelegenheiten mischen zu wollen, die er lediglich mit seinen Räten der Krone zu ordnen gewillt sei". Einen Ein- mischungsversuch in die Besetzung der oberen Staatsämter hätte er bei der Empfindlichkeit, mit der er gerade in persön- lichen Fragen die Rechte der Krone wahrte, noch viel schroffer zurückgewiesen.

Graf Bray, der langjährige und durch so viel persönliche Fäden mit Österreich verbundene Vertreter Bayerns am Wiener Hofe, wünschte allerdings, daß bei der Neuordnung der deutschen Verhältnisse die Empfindlichkeit Österreichs in Rücksicht auf Artikel IV des Prager Friedens geschont, daß es bei dieser Gelegenheit wenigstens der Form nach ,, begrüßt

1) M. St. A.

*) Beilagen III, nr. 7.

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werde". Er brachte diesen seinen Wunsch ebenso wie die darauf bezüghchen Mitteilungen und Anregungen des Grafen Beust während seines Versailler Aufenthaltes Bismarck gegenüber offen und ehrlich zur Sprache.

Er wollte damit aber keineswegs Österreich gegen Preußen ausspielen oder gar gemeinsam mit dem Grafen Beust Umtriebe gegen die deutsche Politik Bismarcks an den süddeutschen Höfen machen. Er hatte ja gerade dem Grafen Beust gegen- über den Abschluß eines Verfassungsbündnisses zwischen den süddeutschen Staaten und dem Norddeutschen Bunde geradezu für eine geschichtliche Notwendigkeit erklärt, wenn er auch gelegentlich wieder die Bedeutung der Verfassungsverhandlun- gen dem österreichischen Reichskanzler gegenüber aus nahe- liegenden Gründen etwas herabzudrücken suchte. Er wollte vielmehr die alte bayerisch-österreichische Freundschaft er- halten und einer neuen Trübung der preußisch-österreichischen Beziehungen vorbeugen. Als diese Beziehungen unter dem Einflüsse der bekannten Interventionsdepesche, die die Wiener Hofburg am 13. Oktober in Fühlung mit England nach Berlin richtete, neuerdings gefährdet wurden, trug er keine Bedenken, von Versailles aus auch gegen den Grafen Beust Stellung zu nehmen. Am 27. Oktober telegraphierte er an den bayerischen Vertreter in Wien^): ,,Die Fassung einer in Berhn mitgeteilten österreichischen Depesche hat im Vergleich mit der konzilianten Sprache Englands hier einen peinlichen Eindruck hervor- gebracht und den Glauben an bedrohliche Gesinnungen Österreichs in dem Maße begründet, daß dies auf die Ver- handlungen mit Frankreich wohl Einfluß üben, dann aber für die Beziehungen zu Österreich höchst gefährliche Rück- wirkungen hervorrufen könnte. Machen Sie Graf Beust hierauf in freundlicher Vorsorge aufmerksam." Er wollte damit, wie er am nämlichen Tage in einer Weisung an den bayerischen Gesandten näher ausführte 2), ,, gleich anfangs den Konse- quenzen eines Mißverständnisses entgegentreten, von welchen für die österreichisch-deutschen Beziehungen eine ernste Ge- fahr zu befürchten sei". ,,Ich hielt es für meine Pflicht, einem drohenden Zerwürfnisse im Keim entgegenzutreten und bei dem regen Interesse, welches Bayern speziell an der Erhaltung freundnachbarlicher Verhältnisse zu Österreich nimmt, dem Herrn Reichskanzler die Gelegenheit zu bieten, das von mir angenommene Mißverständnis rechtzeitig aufzu-

1) M. St. A. ^) Ebenda.

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klären." Sein Ziel war die Wiederannäherung Preußens an Österreich, die Herstellung womöglich selbst ver- tragsmäßiger Beziehungen des neuen Deutschlands zur österreichischen Monarchie.

Bismarck gab nicht zu, daß den nach Auflösung des Deutschen Bundes zu voller Souveränität gelangten süd- deutschen Staaten eine Verständigung über eine nationale Verbindung mit dem Norddeutschen Bunde durch Artikel IV des Prager Friedens versagt sei. Er zeigte aber immerhin volle Bereit wiUigkeit, sich mit Österreich darüber ins Benehmen zu setzen. Er bezeichnete sogar die Herstellung vertragsmä- ßiger Beziehungen zur Monarchie als wünschenswert.

Und doch hatte noch vor wenigen Wochen der Versuch einer Annäherung Preußens an Österreich eine kühle, der Ablehnung gleichkommende Aufnahme gefunden. Im September 1870, in der Zeit unmittelbar vor Beginn der bayerischen Initiative in der deutschen Verfassungsfrage, hatte sich Bismarck in Versailles wohl nicht zuletzt in Rücksicht auf Bayern,um Bayern leichter für seine nationalen Absichten zu gewinnen an den im Hauptquartier weilenden Schwager des pohtisch einflußreichen Erzherzogs Albrecht, den bayerischen Prinzen Luitpold, gewendet'), indem er ihm auseinandersetzte, wie sehr die staatliche Ordnung in Europa von der sozialen Re- volution bedroht werde und wie wünschenswert es angesichts dieser Gefahr sei, daß die führenden Herrscherhäuser Europas sich der Gemeinsamkeit der monarchischen Interessen gegen den drohenden Umsturz bewußt bleiben. Den Bedenken des Prinzen, als ob die preußische Politik für Österreich noch immer ebenso gefährlich sei wie im Jahre 1866, begegnete er mit der bestimmten Versicherung, daß Preußen nicht nur keine feindlichen Absichten gegen Österreich hege, sondern es gerne sehen würde, wenn auch das Vertrauen zwischen Österreich und Rußland sich befestige. Wirklich schrieb der Prinz an seinen Schwager im Sinne der von Bismarck gemachten Anregung. Der Brief wurde am 16. September vom Aus- wärtigen Amt in Berlin über die preußische Gesandtschaft in Wien an den Erzherzog befördert. Dieser legte ihn dem Kaiser und dem Reichskanzler vor. Die Antwort, die Prinz Luitpold durch Vermittlung des Grafen Beust wiederum über die preußische Gesandtschaft in Wien vom Erzherzog Albrecht erhielt, war eine ziemlich unverhüllte Ablehnung, ähnlich der,

1) H. A. A. Vgl. dazu Moritz Busch, Tagebuchblätter I, 190 ff.

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die in der Zeit der Luxemburger Frage die Mission des Grafen Tauffkirchen erfahren hatte: Österreich fühle, solange nicht sein Interesse durch Anerbietung bestimmter politischer Vorteile angeregt würde, kein Bedürfnis einer Anlehnung an Preußen; wenn dieses, wie es scheine, den Wunsch oder das Bedürfnis einer Annäherung an Österreich habe, so ver- misse man bisher jede Äußerung darüber, was Preußen dafür an Österreich zu bieten habe; der Kaiser werde gerne alles in Erwägung ziehen, was auf direktem Wege an ihn gelange. Und wie im Jahre 1867 folgten der diplomatischen Abweisung höhnische Presseäußerungen, die Preußen beschuldigten, daß es die ,, Heilige Allianz" von den Toten erwecken möchte.

Daran erinnerte jetzt Bismarck nicht ohne Bitterkeit. Gleichwohl war er noch immer geneigt, die von Bayern so heiß begehrte Wiederannäherung an Österreich zu suchen^) und zunächst das zu erfüllen, was Reichskanzler Beust auf eine Anfrage des Grafen Bray als das Mindestmaß diplomatischen Entgegenkommens bezeichnet hatte. Am 14. Dezember 1870 richtete er an den preußischen Vertreter in Wien, General von Schweinitz, eine Depesche^), mit der Weisung sie dem öster- reichischen Reichskanzler zu übermitteln. Darin machte Bis- marck amtliche Mitteilung von der Neugestaltung Deutsch- lands, betonte dabei mit besonderem Nachdruck, daß ihn bei den Verhandlungen mit den süddeutschen Regierungen die Rücksicht auf den Prager Frieden und auf gute Beziehungen zwischen Deutschland und Österreich geleitet habe, und sprach die Hoffnung aus, diese Neugestaltung Deutschlands möchte sich einer wohlwollenden Aufnahme und Würdigung seitens Österreichs-Ungarns erfreuen. ,, Deutschland und Österreich- Ungarn werden mit den Gefühlen des gegenseitigen Wohl- wollens aufeinander blicken und sich zur Förderung der Wohl- fahrt und des Gedeihens beider Länder die Hand reichen."

Graf Beust gab sich mit dieser ,, Begrüßung bezüglich des Prager Friedens "zufrieden. Er ließ zwar dem bayerischen Gesandten in Wien durch einen Ministerialbeamten neuerdings sagen, man sehe mit Bedauern die süddeutschen Staaten zu einem Bund unter preußischer Oberherrschaft sich einigen und betrachte die Erhöhung des Königs von Preußen zum Deutschen Kaiser mit schmerzlichen Gefühlen, insbesondere habe den Kaiser unangenehm berührt, daß die Initiative zu

^) Vgl. Platzhoff, Die Anfänge des Dreikaiserbundes in: Preuß. Jahr- bücher, Bd. 188 (1922). 2) H. A. A.

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dieser Neugestaltung der Dinge gerade von Bayern ausge- gangen sei. Aber er ließ gleichzeitig auch erklären, daß man weder gegen das eine noch gegen das andere Anstand erhebe und sich in die neugeschaffene Lage zu finden suchen werde. ^) Die preußische Depesche erwiderte Beust am 26. Dezember im freundschaftlichsten Tone 2) : die Einigung Deutschlands unter preußischer Führung sei ein Akt von historischer Bedeutung, eine Tatsache ersten Ranges in der modernen Entwicklung Europas; in allen maßgebenden Kreisen Österreich-Ungarns herrsche der aufrichtigste Wunsch, mit dem mächtigen Staats- wesen die besten und freundschaftlichsten Beziehungen zu pflegen; diese Gesinnungen hätten in der Person S. Mt. des Kaisers ihren erhabenen Schützer und Förderer; er werde die Erinnerungen, die seine Dynastie in der glanzvollen Ge- schichte von Jahrhunderten mit den Geschicken des deutschen Volkes verbanden, nicht anders auffassen als mit den wärmsten Sympathien und mit dem rückhaltslosen Wunsche, daß dieses Volk in den neuen Formen seines staatlichen Daseins die wahren Bürgschaften einer glücklichen, für seine eigene wie für die Wohlfahrt des ihm in Sprache, Sitte und Recht so vielfach verwandten Kaiserstaates gleich segensreichen Zu- kunft finden möge. Unterstaatssekretär v. Thile äußerte gegenüber dem bayerischen Gesandten in Berlin lebhafte Befriedigung über den Inhalt der österreichischen Depesche, ebenso die offiziöse preußische Presse.^)

Noch war hier nur von freundschaftlichen Beziehungen die Rede, noch war selbst das Mißtrauen bei den beiderseitigen Völkern und Staatsmännern nicht völlig überwunden. Aber schon im Herbst war eine viel gelesene und viel besprochene Flugschrift erschienen: ,, Gedanken über die österreichische Politik der Zukunft." Von ihr war als Ziel der Zukunft aufge- stellt worden: ,,eine internationale Allianz zwischen Öster- reich und Deutschland." Zur besonderen Mitarbeit bei der Verfolgung dieses Zieles war darin vermöge seiner Stammes- verwandtschaft, seiner geschichtlichen Beziehungen, seiner politischen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen Bayern ausersehen: ,,Die neue Stellung, die Bayern zum Norddeutschen Bund einnehmen wird, gewährt ihm die Möglichkeit, die wechselseitigen Interessen Österreichs und Deutschlands zu

1) M. St. A.

2) H. A. A.

^) Berichte Perglas' vom 21. und 29. Dezember 1870 und vom 5. und 7. Januar 1871; M. St. A.

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fördern, und ein Ministerium Bray dürfte seine schönste Wirk- samkeit auf diesem Gebiete finden." Und vom Verfasser dieser Flugschrift berichtete der bayerische Gesandte in Berlin, Freiherr v. Perglas, daß er in nahen Beziehungen zum Grafen Beust stehe. Dieser habe die Flugschrift dem General Schwei- nitz in die Hand gegeben mit den bedeutsamen Worten: ,,daß sie die richtige Darlegung der Lage in Österreich darstelle". Die Besorgnis einer völligen Lösung des Freundschafts- verhältnisses Bayerns zu Österreich hatte dem Grafen Bray die Verhandlungen über ein Verfassungsbündnis mit dem Nord- deutschen Bunde wesentlich erschwert. Die Annäherung Preußens an Österreich, die Bereitschaft Bismarcks zur Her- stellung selbst vertragsmäßiger Beziehungen Deutschlands zur österreichischen Monarchie war es, die ihm nach eigenem Bekenntnisse die letzten Bedenken gegen den Eintritt in den Norddeutschen Bund überwinden half. Am 25. November schrieb er an seine Gemahlin: ,,Was mich beruhigt und zu meiner Entschlußnahme mächtig beigetragen hat, ist die hier herrschende Geneigtheit, sich Österreich zu nähern und zu diesem Reiche die freundschaftlichsten Beziehungen zu unter- halten. Da dies dem wohlverstandenen Interesse beider Länder entspricht, hoffe ich, daß es gelingen wird, dieses gute Ver- ständnis auf der sicheren Grundlage eines Staatsvertrages zu befestigen."^) Ähnlich sprach er sich auch am 7. Januar in einem Erlaß an den bayerischen Gesandten in Berlin, Freiherrn v. Perglas, aus. 2) Und noch bei der Beratung der Versailler Verträge im bayerischen Landtag äußerte er: ,,Der dritte Punkt ist die Erhaltung und Pflege der freundschaft- lichsten, innigsten Beziehungen zu unserem mächtigen Nachbar- staate. Bayern ist hierbei ganz besonders interessiert und beteiligt. Ich habe nicht versäumt, mit den hervorragendsten Staatsmännern in Versailles diesen Gegenstand eingehend zur Sprache zu bringen, und ich muß es bestimmt aussprechen, daß ich dort in dieser Beziehung den entgegenkommendsten Ansichten und Wünschen begegnet bin. Ja noch mehr, es wurde daselbst der Wunsch ausgesprochen, daß es gelingen möge, durch internationale Verträge das bestehende Freund- schaftsverhältnis noch fester zu knüpfen. Die seither der Öffentlichkeit übergebene Depesche des Grafen Bismarck aus Versailles vom 14. ds. Mts. sprach sich in dieser Hinsicht sehr bestimmt aus."

^) Bray a. a. O. S. 170 f. 2) M. St. A.

VIII. Das Kaiserprobicm.

Bismarck hat sich mit den Zugeständnissen an das Eigen- leben des bayerischen Staates geradezu die Mithilfe des baye- rischen Ministeriums in einer Frage gesichert, deren völkische, moralische, seelische Bedeutung damals ganz anders als heute eingeschätzt wurde.

,,Soll der Partikularismus leicht, wahrhaft und überall überwunden werden, so bedarf es eines deutschen Kaisers, der über den deutschen Königen steht. Das nationale Kaiser- tum bildet die sicherste Brücke über den Main. Den Kaiser- prunk könnte die deutsche Nation entbehren, aber den Kaiser nicht." So schrieb Adolf Schmidt im Jahre 1866. Schon damals empfahlen die Großherzöge von Oldenburg und von Weimar und die Herzöge von Koburg und von Meiningen die Annahme des Kaisertitels wegen seiner Anziehungskraft auf Süddeutschland.

In der Übergangszeit zwischen 1866 und 1870 traten nationalliberale Kreise und Organe für das gleiche Ziel ein, weil sie davon eine neue Werbekraft für den deutschen Ge- danken erhofften. Bismarck hatte früher auf den Kaiser- titel keinen so hohen Wert gelegt, daß er sich deshalb neue Schwierigkeiten innerhalb wie außerhalb Deutschlands hätte schaffen wollen. Je länger je mehr lernte auch er die werbende Kraft dieses volkstümlichen Zauberwortes, namentlich auf den Süden, schätzen.

Schon im Frühjahr 1870 gingen durch die diplomatische Welt Gerüchte von der beabsichtigten Annahme des Kaiser- titels durch den König von Preußen. Publizisten und Diplo- maten, Juhus Fröbel und Johann Kaspar Bluntschli, Hohen- lohe, Friesen und Sir Robert Morier, der englische Gesandte in Darmstadt, haben darüber berichtet, i) Doch läßt sich aus

^) Vgl. neben Ruville a. a. O. und Küntzel a. a. O. namentlich Branden- burg, Die Verhandlungen über die Gründung des Deutschen Reichs a. a. O. ^ 494 ff-

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diesen Meldungen nur so viel mit Bestimmtheit herausschälen, daß im April 1870 in den Kreisen der Diplomaten, Parla- mentarier und Journalisten über einen Kaiserplan gesprochen worden ist.

Gewichtiger sind zwei andere Zeugen: der französische Geschäftsträger in Hamburg George Rothan, ganz besonders aber der französische Ministerpräsident Emile Ollivier, der sich auf aktenmäßige Belege stützen kann. Aus ihren Aussagen durfte mit ziemlicher Sicherheit geschlossen werden, daß Bismarck im Frühjahr 1870 bei den Großmächten, wenig- stens bei England, sondierte, wie sie sich zur Annahme des Kaisertitels durch den König von Preußen, und zwar wohl eines norddeutschen Kaisertums, verhalten würden.

Dazu kann ich einen neuen Zeugen vorführen, den baye- rischen Berichterstatter im deutschen Hauptquartier, Grafen Maximilian v. Berchem. Nach dessen Berichte vom 18. Ok- tober 1870 über eine Unterredung mit Bismarck äußerte dieser zu Berchem: ,, England habe im verflossenen Jahre den Vor- schlag gemacht, durch Realisierung der Kaiseridee den Status quo definitiv zu fixieren und dadurch die Kriegsgefahr abzu- wenden " Mit anderen Worten, die englische Diplomatie hat nach der Äußerung Bismarcks den Kaisergedanken be- günstigt, weil dadurch die deutschen Verhältnisse zur Ruhe kämen und die Kriegsgefahr abgewendet werden könnte.

Diese Zeilen waren bereits geschrieben, als ein Aufsatz von Walter Platzhoff in der ,, Historischen Zeitschrift"^) aus den Akten des Auswärtigen Amtes in Berlin nähere Einzel- heiten über den von Bismarck erwähnten Meinungsaustausch mit England brachte.

In einer Audienz, die der englische Außenminister Lord Clarendon dem preußischen Botschafter in London, Grafen Berpstorff, am 11. Januar 1870 gewährte, sprach der Brite zuerst von der erfreulichen Besserung der preußisch-öster- reichischen Beziehungen und richtete dann an den Botschafter die Frage, ,,wie es nach dem Übergange des königlichen Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten an den Nord- deutschen Bund mit der amtlichen Bezeichnung sowohl Sr. Majestät des Königs als Haupt des Bundes wie Allerhöchst- seiner Vertreter im Ausland gehalten werden solle". Die anderen Mitglieder des Bundes seien sehr eifersüchtig darauf, daß die deutsche und Bundesqualität zur Geltung und

1) Band 127 (1923).

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Anwendung komme und nicht die preußische Bezeichnung allein vorwalte. Anderseits könne man das Allerhöchste Haupt des Bundes doch unmöglich als Präsidenten des Norddeutschen Bundes bezeichnen. Er bedaure, daß der König von Preußen nicht sofort nach dem Kriege von 1866 den Kaisertitel ange- nommen habe, wo jedermann dies erwartet habe und niemand Opposition dagegen gemacht haben würde. Er glaube aber, es werde bald geschehen, schon aus dem Grunde, ,,um das Militärbudget im Jahre 1872 im Reichstag durchzubringen, welches sonst sehr gefährdet sein werde . . ., da schon eine Menge von Abgeordneten ihren Wählern gegenüber Ver- pflichtungen eingegangen seien, gegen die Verlängerung des gegenwärtigen Standes der Bundesarmee einzutreten, wenn nicht ein weiterer Schritt der Art geschehe". Die Annahme des Kaisertitels werde zwar in Wien mißfallen, könnte aber durch Anknüpfung freundschaftlicher Beziehungen zu Öster- reich erleichtert werden. Auch in Paris werde die Annahme des Kaisertitels nicht gefallen; er habe aber den englischen Bot- schafter in Paris beauftragt, auf die französischen Minister dahin zu wirken, daß sie nicht durch unüberlegte Äußerungen in den Kammern die öffentliche Meinung aufregten, sondern dem französischen Publikum begreiflich machten, daß das deutsche Volk nur das tue, was die französische und andere Nationen längst getan haben und wozu es selbst ein volles Recht habe. Auf eine Anfrage des Grafen Bernstorf f gab er zu erkennen, daß es für Österreich hart sein würde, wenn der König von Preußen sich Kaiser von Deutschland nennen wollte; er empfehle daher den Titel eines Kaisers in Deutschland.

Nach diesem einwandfreien Berichte des Grafen Bernstorf f, den ich inzwischen im Auswärtigen Amte zu Berlin selbst eingesehen habe, ist also wirklich die Initiative zu einer Aus- sprache über das Kaiserprojekt nicht vom preußischen Bot- schafter ausgegangen, sondern von dem englischen Außen- minister. Veranlassung dazu gaben ihm aber, wie er zu Bern- storf f äußerte, Nachrichten aus Berlin über einen bevorstehen- den Schritt in der Kaiserfrage.

Graf Bismarck erhielt Bernstorffs Bericht am 14. Januar und erwiderte ihn am 17. in einem ausführlichen Erlaß an den deutschen Botschafter. Bismarck erörterte darin zunächst die Gründe, die ihn 1866 bestimmten seinem Könige nicht zur Annahme der Kaiserwürde zu raten: die Rücksicht auf den Artikel IV des Prager Friedens, auf die französische Eifer- sucht, auf die Empfindlichkeit der süddeutschen Staaten.

Doeberl, Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. lO

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„Mochte man sich," so führte er aus, ,,dazu neigen, den Kaiser- titel von ganz Deutschland oder nur von Norddeutschland herzunehmen, in jedem Falle zeigte die Situation ernste Be- denken, ja Gefahren. In das Friedensinstrument aufgenom- men, hätte der Titel Kaiser von Deutschland einen direkten Widerspruch mit der in Artikel IV gezogenen Mainlinie aus- gedrückt. Und auch wenn durch einen einseitigen Akt ange- nommen, hätte er sicher mit Frankreich, dessen Eifersucht durch den Artikel IV beschwichtigt war, eine neue Spannung erzeugt, den dynastischen Stolz Bayerns . . . empfindlich ver- letzt und möglicherweise unsere Beziehungen zu Süddeutsch- land ungünstig gestaltet, in einem Augenblicke, wo Rußlands Stellung zu uns noch unklar und Italiens Freundschaft zweifel- haft war. Ich brauche nicht auszuführen, wie gefährlich das Zusammentreffen aller dieser Wirkungen bei der damaligen Sachlage werden konnte. Der Kaisertitel, wenn ihm auch eine moralische Bedeutung beiwohnt und wenn diese Bedeutung sich auch allmählich in realen Vorteilen ausprägen würde, erschien mir zunächst als eine Formsache, und nur um einer solchen willen wollte ich die Erreichung des Friedens nicht aufs Spiel setzen." In demselben Erlasse gesteht aber auch Bismarck, daß er die Bedeutung, welche die Äußerlichkeiten in der Meinung seiner Landsleute haben, unterschätzt habe und daß er sich jetzt ernsthaft mit dem Kaiserplane beschäftige. ,,Der preußische Partikularismus will nicht den König von Preußen in dem Bundespräsidenten aufgehen lassen, sondern umgekehrt, akzeptiert zwar, was dem Könige virtuell zuge- wachsen ist, gefällt sich aber in betrübenden Betrachtungen darüber, wie viel ihm, scheinbar, genommen sei oder durch den weiteren Ausbau des Bundes genommen werden solle . . . Diesen Erscheinungen gegenüber empfinde ich das Mangeln des Kaisertitels; denn wäre er angenommen, so würde es den konservativen Massen wie Schuppen von den Augen fallen." Die Wahl zwischen deutsch und norddeutsch sei allerdings schwierig: die alten Bedenken gegen norddeutsch bestünden fort ; er habe aber von der dynastischen Überspanntheit einen solchen Eindruck, daß es ihn nicht überraschen würde, wenn die förmliche Proklamierung eines Anspruchs auf Supe- riorität und selbst Souzeränität, wie er in der Annahme des deutschen Kaisertitels läge, Bayern zum diplomatischen Bruch, vielleicht zum Bündnisbruch, bestimmen sollte. Er beauftragt Bernstorff, dem englischen Außenminister für die Anregung und für die Sondierung in Paris zu danken, die Kaiser-

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frage nach Anleitung seines Erlasses noch einmal mit ihm zu besprechen und über die Bedenken, die Bismarck auf der einen und auf der anderen Seite sehe, seine Ansicht zu er- bitten.

Am 27. Januar 1870 hatte Graf Bernstorff eine zweite Audienz beim englischen Außenminister. Lord Clarendon hatte inzwischen offenbar unter dem Eindruck der Nach- richten aus Paris seine Ansicht geändert : ,,Er habe sehr viel und ernsthaft die Frage überlegt und durchdacht und sei nach Abwägung aller einschlagenden Betrachtungen und Rück- sichten zu dem Resultate gelangt, daß er von seinem allge- meinen Gesichtspunkt aus einen jetzt plötzlich zu tuenden Schritt wie den in Rede stehenden doch nicht für opportun halten könnte." Das französische Ministerium habe über die neue Organisation des Berliner Auswärtigen Amtes und der Vertretung des Norddeutschen Bundes ,, etwas Emotion" empfunden, da es darin einen Schritt weiter in der Unifikation erblicke; die Annahme des Kaisertitels, wenn auch nur des norddeutschen, würde es noch stärker emotionieren, weil es darin erst recht eine Mediatisierung der Bundesstaaten, namentlich Sachsens, sehen würde. Norddeutschland habe zwar ein volles Recht zu tun, was es wolle, und sei stark genug, um einen Krieg mit Frankreich nicht zu fürchten; da aber Preußen das Wesen der Macht und der großen Stellung bereits besitze, erscheine es ihm nicht der Mühe wert, ,,um der Form und des Titels willen die Störung der jetzigen Ruhe Europas zu riskieren". ,, Dasjenige, was dermaleinst kommen solle und müsse, werde sicherlich durch Abwarten nicht ver- lorengehen." Die aus Paris eingelaufenen Nachrichten über die Aufnahme des Kaiserprojektes hatten den Minister be- stimmt, seine frühere ,, Auf munterung" nach englischer Art in eine ,, freundschaftliche Warnung" umzubiegen. Die Äuße- rungen Ciarendons bewiesen Bismarck, daß das Einverständnis der großen Mächte augenblicklich nicht zu erreichen sei. Außenpolitische Schwierigkeiten wegen einer bloßen Form- frage hervorzurufen scheute er um so mehr, als er wußte, daß die Zeit für den Kaisergedanken arbeitete. Bismarck konnte warten.

Das darf also jetzt als gesichert gelten: um die Jahsre- wende 1869/70 beschäftigte sich Bismarck mit der Kaiber- frage; im Januar fanden diplomatische Aussprachen über ein norddeutsches Kaisertum zwischen dem preußischen Botschafter und dem englischen Außenminister in London statt.

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Aber Maßnahmen zur Verwirklichung des Kaiserplanes hat Bismarck damals nicht getroffen. Er konnte Ende April 1870 dem englischen Botschafter Lord Loftus und dem französi- schen Botschafter Grafen Benedetti auf ihre Anfrage ohne Verletzung der Wahrheit erwidern: er wisse wohl, daß viele das Kaisertum wünschten und daran auch glaubten; auch er sei der Überzeugung, daß die engere Verbindung zwischen dem Norden und dem Süden nur eine Frage der Zeit sei; dagegen könne er die bestimmte Versicherung geben, daß augenblicklich nichts derartiges im Werke sei. Der König von Preußen war in die Verhandlungen nicht eingeweiht; dem Erlaß an Bernstorff hatte Bismarck eigenhändig das Post- skriptum hinzugefügt: ,,Zur Verhütung jedes Mißverständ- nisses bemerke ich, daß ich bisher die persönlichen Ansichten Sr. M. des Königs über die Kaiserfrage festzustellen niemals Gelegenheit gehabt und auch heute keine Gewißheit in dieser

Beziehung besitze."

*

Ruville geht im Anschluß an Olli vier und Rothan noch weiter. Er behauptet: Bismarck habe im Frühjahr 1870 oder gar schon im Herbst 1869 förmliche Anträge auf Er- richtung eines deutschen Kaisertums an die Höfe von München und Stuttgart gebracht und habe schon damals die Könige von Bayern und von Württemberg, und zwar ersteren ohne Wissen seines Ministeriums, für das preußische Kaisertum gewonnen.

Diese Behauptung steht im Widerspruche mit anderen sicher beglaubigten Tatsachen gerade so wie Ruvilles Fabel vom sogenannten Königswort aus dem Jahre 1866 oder wie seine sensationellen Behauptungen vom Aktenfunde von Cer9ay. An der Hand der bayerischen Akten bin ich jetzt in der Lage, sie mit aller Bestimmtheit zu widerlegen.

Am 29. April 1870 berichtete der bayerische Gesandte Freiherr v. Perglas aus Berlin von Gerüchten über einen preußischen Kaiserplan, dem Rußland günstig gestimmt sei, den es unter gewissen Voraussetzungen sogar unterstützen wolle. Der österreichische Reichskanzler Graf Beust, mit dem der damalige bayerische Geschäftsträger in Wien, Graf Fugger, auf Weisung des Grafen Bray eine vertrauliche Be- sprechung über den Bericht des Freiherrn v. Perglas hatte, machte die weitere Mitteilung: nach den aus Berlin in Wien eingetroffenen Berichten sei die Meldung von der beabsichtigten Annahme des Kaisertitels zuerst dem englischen Gesandten

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Lord Loftus über München zugekommen. Auf eine Anfrage des österreichischen Botschafters Grafen Wimpffen habe zwar der preußische Unterstaatssekretär v. Thile eine der- artige preußische Absicht entschieden verneint, ebenso habe der König von Preußen dem französischen Botschafter Grafen Benedetti gegenüber den Plan in Abrede gestellt, aber trotz- dem habe nach seiner Meinung in Berlin die Absicht be- standen, den Kaisertitel anzunehmen. Beust fügte hinzu: er glaube sicher, daß darüber Verhandlungen mit Sachsen, Württemberg und Baden stattgefunden hätten.^)

Diese letztere, vermutungsweise gemachte Äußerung gab nun dem Leiter der bayerischen Politik Veranlassung, an den Höfen von Stuttgart und Dresden amtliche Erkundigungen einzuziehen. Die Informationen, die er aus Stuttgart erhielt, ließen mit Bestimmtheit erkennen, daß beim König und ins- besondere der Königin von Württemberg damals durchaus keine Neigung bestand, einem solchen Projekte Vorschub zu leisten, und daß sich der verschwägerte Kaiser von Rußland während seines Aufenthaltes in Stuttgart ausdrücklich für die Erhaltung des status quo in Deutschland ausgesprochen hatte. Die gleiche Abneigung gegen ein solches Kaiserprojekt wurde dem Minister vom königlichen Hof in Sachsen ge- meldet. Die sächsische Regierung erklärte zudem am 7. Mai, daß Preußen ,,nie, auch nicht in der vertraulichsten Weise, bei ihr Derartiges angeregt habe, ja daß auch nicht die ge- ringste Andeutung gemacht worden sei, die auf die Existenz eines solchen Planes schließen lasse." Vom bayerischen Könige vollends ist mit keinem Worte die Rede."^)

Bismarck hatte wohl im März 1870 in einem vertraulichen Gespräche mit dem Großherzog von Baden über die künftige Gestaltung Deutschlands die ,, Überzeugung ausgesprochen, daß die richtige Lösung dieser Frage nur in der Schaffung eines deutschen Kaisertums beruhe."'*) Aber von Anträgen auf Errichtung eines Kaisertums an die süddeutschen Höfe oder auch nur an Sachsen findet sich in den bisher bekanntge- wordenen Quellen keine Spur.

Bismarck hat sich noch zu Beginn des Deutsch-französi- schen Krieges in der Kaiserfrage die strengste Zurückhaltung auferlegt und ist aufdringlichen Vorstößen in der Presse scharf

^) Bericht Fuggers vom 4. Mai, Beilagen IV, nr. i. 2) M. St. A.

^) Schreiben des Großherzogs von Baden an Bismarck vom 6. Oktober 1870, H. A. A.; jetzt bei Stern a.a.O. Bd. X, S. 594^

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entgegengetreten. Er schrieb noch am 4. August 1870 an den preußischen Minister des Innern^) : „Zeitungen, welche, wie die Kreuzzeitung jetzt, namenthch ehe der Sieg gewiß, von Kaiserideen sprechen, schädigen unsere Pohtik und stören die süddeutsche Bundesgenossenschaft. Ew. Exzellenz wollen die Zeitungsredaktionen hiervon verständigen und mit Unter- drückung der in dieser Beziehung nachteilig wirkenden Organe bedrohen." Bismarck scheute in diesem Anfangsstadium des Krieges ganz besonders die Empfindlichkeit der süddeutschen Höfe, und zwar gerade die des Königs von Bayern, von dem Graf Bray noch am 8. September 1870 äußerte: ,,daß er ganz außer sich sei, wenn man vom Kaisertum auch nur spreche."-) Er scheute damals auch die Eifersucht der europäischen Groß- mächte, nicht nur Österreichs und Frankreichs, auch Rußlands.

Unmittelbar vor und nach dem Tage von Sedan, Ende August und Anfang September, tritt das Kaiserprojekt lauter und bestimmter auf, in der norddeutschen nationalliberalen Presse sowohl wie in der süddeutschen fortschrittlichen, namentlich in zwei in Bayern besonders stark verbreiteten Blättern, in den ,, Münchener Neuesten Nachrichten" und in der ,, Augsburger Abendzeitung": der Ruf sowohl nach Er- neuerung des ,, alten Kaiserreiches Deutscher Nation", wie der Wunsch, daß der König von Bayern die Initiative zur Gründung des neuen deutschen Kaiserreichs ergreifen möge.

Das Kaiserprojekt der nationalliberalen und der fort- schrittlichen Presse blieb nicht ohne Widerspruch im eigenen Lager. In dem kühleren, mehr verstandesmäßig einge- stellten Norden äußerte sich der Widerspruch stärker als in dem gefühlsmäßigeren, mit der Kaiseridee länger und tiefer verwurzelten Süden. Die einen warnenden Stimmen sahen in dem werdenden preußisch-deutschen Bundesstaat eine völhg neue, ganz moderne Schöpfung und glaubten, daß der ,,alte, verstaubte und vergilbte Purpur aus der langen Nacht des Kyffhäusers die scharfe Luft des neuen Tages nicht mehr ertrage"; ihr Herrscherideal war nicht der staufische Kaiser Rotbart, sondern der neuzeitliche Preußenkönig Friedrich der Große. Die anderen besorgten von der Anknüpfung an das römisch-deutsche Kaisertum das Wiederaufleben imperia- listischer Tendenzen. Im Norden war einer der folgerichtigsten

1) H. A. A.

2) Bericht Sodens vom 9. September, St. St. A.

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und zähesten Vertreter dieser mehr praktischen, mehr ver- standesmäßigen Auffassung, einer der nüchternsten Beurteiler der Kaiseridee der bekannte nationaüiberale Führer Bam- berger. Im Süden erging sich namenthch der fortschritthche ,, Fränkische Kurier" in trüben Warnungen vor dem Kaiser- tum mit seinen imperiahstischen Versuchungen ; man versäume darüber seine häushchen Angelegenheiten und ernte den Haß der Nachbarvölker. Selbst das einflußreichste Organ der bayerischen Fortschrittspartei, das ,, Wochenblatt der Fort- schrittspartei", stand anfänglich dem Kaiserprojekte gleich- gültig, wo nicht ablehnend gegenüber. Am schärfsten setzte der Widerspruch gegen dieses ,, Kaisertum der National- liberalen" bei der patriotischen Presse ein aus politischen wie aus kirchenpolitischen Gründen.

Aber gerade der lebhafte Streit mußte die Aufmerksamkeit der bayerischen Regierung und des bayerischen Königs auf sich ziehen. Und diese Kaiser-Diskussion erfuhr jetzt seitens des Hauptquartiers nicht bloß keinen Einhalt mehr, Bismarck fühlte sich jetzt stark genug, aus seiner Zurückhaltung heraus- zugehen. Seine langsam vortastende Kaiserpolitik beginnt aufs neue. Noch in der ersten Hälfte des September, während seiner Anwesenheit in München, überbringt der bayerische Diplomat Graf Tauf fkirchen die ersten Andeutungen, aber auch die ersten leisen Werbungen unmittelbar aus dem Hauptquartier selbst, i)

Und jetzt, aber erst jetzt ergeht vom Könige von Bayern eine amtliche Anfrage nach dem Kaiserprojekt. Er schrieb am 14. September, offenbar unter dem Eindruck der Mit- teilungen Tauffkirchens, an den Grafen Bray-): ,,Ich habe allen Grund anzunehmen, daß sowohl die hohen preußischen Regierungskreise als auch der Berliner Hof der Kaiseridee nichts weniger als ferne stehen. Es ist Mir nun von hohem Interesse sehr rasch zu erfahren, welche Stellung die Höfe von Dresden, Stuttgart, Karlsruhe und Darmstadt zu dieser Sache ein- nehmen. Wollen Sie daher Meine Gesandten an den be- zeichneten Orten beauftragen, in vertraulicher und äußerst behutsamer Weise Erkundigungen darüber einzuziehen, welche Auffassung bezüglich des angeregten Punktes bei den be- treffenden Höfen besteht." Darauf erwiderte der Minister am folgenden Tage^) : ,,Nach der Meldung des Grafen Tauff-

1) Vgl. K. A. V.Müller, Bismarck und Ludwig. II. a.a.O. S. looff. ; derselbe in: Forsch, z. brandenburg. und preuß. Gesch. 1914, S. 580 und 584.

2) M. St. A. ^) Ebenda.

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kirchen scheint die Idee der Annahme des Kaisertitels durch den König von Preußen dem Grafen Bismarck in der Tat vorzuschweben und es ist nicht zu leugnen, daß, wenn auch mit diesem Titel keinerlei Prärogative über die zum Nordbund ge- hörigen Staaten verbunden werden, die Kaiseridee an sich ge- eignet ist, in der Öffentlichkeit zu irrigen Annahmen Anlaß zu geben." Graf Bray äußert Bedenken gegen eine Anfrage bei Hessen-Darmstadt und beim Königreiche Sachsen, weil diese Staaten einem solchen Antrage sich doch nicht ent- ziehen könnten, und ebenso gegen eine Anfrage bei Baden, weil die badische Regierung sie sofort zur Kenntnis der preußi- schen bringen würde. Mit Württemberg dagegen habe er bereits einen vertraulichen Gedankenaustausch eingeleitet.

Bevor noch der Minister darüber Mitteilung gemacht hatte, tritt im Zusammenhang mit der Einladung des Königs von Bayern nach Fontainebleau die Absicht auf Annahme des Kaisertitels mit aller Bestimmtheit auf und zugleich der Wunsch, bei der Zusammenkunft in Fontainebleau die Zustimmung, wo nicht das Anerbieten des Königs von Bayern zu erlangen.

Der Leiter der bayerischen Politik, Graf Otto v. Bray- Steinburg, kein Mann von rascher Initiative, ein Mann der alten Schule, war selbstverständlich kein ,, Vorkämpfer der kleindeutschen Einigung unter preußischer Führung", war selbstverständhch ebensowenig von Anfang an ,,ein ent- schiedener Anhänger des Reichs- und Kaisergedankens". Er hat sich in den kritischen Stunden des Kriegsausbruches wie der einsetzenden deutschen Verfassungsfrage, wie der be- ginnenden Kaiseragitation nicht leicht, nicht ohne inneres Widerstreben zu entscheidenden Entschlüssen durchgerungen. Aber der nüchterne Staatsmann mit einer jahrzehntelangen diplomatischen Erfahrung war nicht der schroffe Partikularist, um nicht hier wie dort die unabweislichen Forderungen der Zeit zu erkennen. Er hatte schon am 8. September zu dem befreundeten württembergischen Gesandten Freiherrn v. Soden geäußert : ohne die Kaiserkrone werde es ebensowenig abgehen wie ohne eine gemeinsame deutsche Volksvertretung^). Er beschwört jetzt, am i. Oktober^), nicht bloß seinen König, die Einladung nach Fontainebleau anzunehmen, er empfiehlt das Anerbieten der Kaiserkrone aufs wärmste, bittet Ludwig IL eindringlich, wenn ihm die Reise nach Fontainebleau durchaus unangenehm sein sollte, die Zustimmung zur Annahme des

1) St. St. A.; dazu Mittnacht, Rückblicke S. 117. ^) Beilagen IV, nr. 3.

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Kaisertitels schriftlich oder durch einen Bevollmächtigten auszusprechen. Was ihn darin bestärkte und zu einer ihm un- gewohnten Eindringlichkeit der Vorstellung anspornte, war, daß seinem Könige für eine Initiative in der Kaiserfrage weit- gehende Zugeständnisse in bezug auf eine Ausnahmestellung der Krone und des Landes Bayern im künftigen Deutschen Bund in Aussicht gestellt wurden, namentlich auf militäri- schem Gebiete. Allerdings fügte Bray noch den Wunsch hinzu: ,,Wenn die Absendung eines Bevollmächtigten zu diesem Zwecke behebt würde, wäre derselbe zu beauftragen, von der gewünschten Ermächtigung nur dann Gebrauch zu machen, wenn die Zugeständnisse Preußens sich dieser Kon- zession als würdig und ebenbürtig erwiesen."

Der König bringt dem Minister seine frühere Anfrage in Erinnerung, wie sich die süddeutschen Höfe, zumal Württem- berg und das Königreich Sachsen, zur Kaiseridee verhielten.^) Der Minister erwidert, die Meldungen aus Stuttgart und aus Dresden heßen deutlich erkennen, daß die Höfe von Württem- berg und von Sachsen dem Kaisergedanken jetzt ebenso ab- geneigt gegenüberstünden wie vor dem Kriege, inzwischen aber zur Erkenntnis gekommen seien, daß ,, einem entschiedenen Auftreten des Wunsches Preußens nicht werde mit Erfolg entgegengewirkt werden können, und zwar um so weniger, als von Seite Badens und vieler anderer deutscher Fürsten das bereitwilligste Entgegenkommen zu erwarten sei". Auf einen Widerstand Württembergs und Sachsens sei demnach nicht mehr zu rechnen.^)

Kurz vor seiner Abreise nach Versailles, am i8. Oktober, erhielt Graf Bray ein Schreiben aus dem Hauptquartier, das ihn in seiner Unterstützung des Kaiser pro jektes erst recht be- stärkte. Graf Maximilian v. Berchem berichtete am 14. Oktober : ,,Im Gegensatz zu den früheren Monaten begegnet mir die Tat- sache, daß jetzt in maßgebenden Kreisen ziemlich häufig von der Kaiseridee gesprochen wird. Man hat mir im Privatgespräch zu verstehen gegeben, daß die Realisierung desjenigen, was man hier unter dem Begriff Partikularwünsche subsumiert, am leichtesten durch eventuelle Angebote der Kaiserwürde, namentlich gegenüber dem andernfalls bestehenden häufigen Widerspruche der anderen Fürsten, erreicht werden könnte. Ich hielt mich verpflichtet hievon Meldung zu tun und habe diese Ansicht von Keudel, welcher eine ähnliche Äußerung

^) Beilagen IV, nr. 4. 2) Beilagen IV, nr, 5.

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Delbrücks streng vertraulich zitiert, vertreten hören, ebenso von Pückler, welcher zu verstehen gab, daß diese Auffassung auch dem Könige Wilhelm naheliege. Bismarcks Ansicht in dieser Frage kenne ich nicht, er spricht weniger wie je, es scheint mir aber die Sache auch vom Bundeskanzleramte so aufgefaßt zu werden, daß Preußen keine Schwierigkeiten machen dürfte, die geforderten Reservatrechte zu konzedieren, •daß aber der öffentlichen Meinung gegenüber dies leichter ginge, wenn man an die alten Formen des Reiches anknüpfen könnte."^)

Es besteht Grund zu der Annahme, daß Graf Bray noch vor seiner Abreise nach Versailles, zu den Verhandlungen in der deutschen Verfassungsfrage, vom Könige die Zusage einer schriftlichen Ermächtigung oder eines schriftlichen Anerbietens der Kaiserwürde gegen gewisse Zusicherungen, namentlich bezüglich eines kleinen Landzuwachses, erwirkt hat. 2) Der Gedanke einer, wenn auch nur mäßigen territorialen Ver- größerung hatte eben, wie schon früher berichtet wurde, inzwischen beim Könige kräftiger Wurzel gefaßt als beim Minister und wurde in Rücksicht auf gewisse Mitglieder des königlichen Hauses und auf einflußreiche Kreise bei Hofe wie im Volke auch von dem durchaus deutsch gesinnten Kabinett- sekretär Eisenhart genährt. ,,Ich glaube in der Tat," schrieb dieser an den Grafen Bray, ,,daß hierdurch sehr viele die politische Einbuße, die wir denn doch erleiden, leichter ver- schmerzen würden. Damit, daß nur Opfer gebracht werden und nichts in Austausch kommt, damit sind mit Ausnahme der Nationalliberalen wohl wenige zufrieden."^) Ein Ge- dankengang, der auch auf preußischer Seite Würdigung fand. „Es dürfte uns schwer sein," äußerte der preußische Botschafter Graf Bernstorff gegenüber dem englischen Außen- minister, ,,den Königen von Bayern und Württemberg eine solche capitis diminutio in einem Augenblick aufzuerlegen, wo sie ihre Pflicht gegen uns treu erfüllen und an unserer Seite einen ehrenvollen Frieden für uns erkämpfen. Es dürfte gerade deshalb, abgesehen von anderen Gründen, vielleicht nötig sein, ein territoriales Entschädigungsobjekt für unsere Bundes- genossen zu finden, was nicht wohl anders als in einer Gebiets- vergrößerung auf Kosten Frankreichs zu suchen sein möchte."

1) M. St. A.

^) Das wird durch eine Mitteilung des badischen Staatsrates v. Geizer bestätigt. Tagebuch des Großherzogs von Baden zum 30. November.

^) Schreiben Eisenbarts an Bray vom i . November, bei Bray a. a. O. S. 176.

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Gerade Eisenhart scheint dem könighchen Wunsche die Richtung nach der badischen Pfalz, nach einem Verbindungs- streifen zwischen Unterfranken und der Rheinpfalz, gegeben zu haben. Graf Bray griff den Gedanken jetzt, aber erst jetzt auf, vielleicht gerade deshalb, um eine bayerische Land- erweiterung auf Kosten Frankreichs auszuschalten. Wirksam, mit ganzer Seele hat der Minister das Programm einer Land- vergrößerung auch jetzt nicht verfolgt, ebensowenig wie früher; ihm lagen Sicherheiten für die Selbständigkeit Bayerns mehr am Herzen als territoriale Vergrößerung.

Gleich nach ihrer Ankunft i) in Versailles erklärte Bis- marck den bayerischen Ministern: im Jahre 1866 habe er den Bezeichnungen Kaiser und Reich keinen Wert beigelegt; jetzt aber sei er zur Überzeugung gekommen, daß man damit die öffentliche Meinung und den Reichstag, auch den Kronprinzen von Preußen für gewisse Realitäten, auch für die Zugeständ- nisse an Bayern geneigter stimmen könne. Der Kanzler suchte den bayerischen Bevollmächtigten den Kaisertitel durch die Vorstellung annehmbarer zu machen, daß es ihrem Könige leichter fallen müsse, gewisse Rechte einem deutschen Kaiser als dem benachbarten Könige von Preußen einzuräumen. Er wies auf die Stimmung in den fürstlichen Kreisen hin, die drängten und die Bayern zugedachte Rolle selbst übernehmen könnten. Er appellierte an ihr monarchisches Gefühl, indem er mit der Möglichkeit drohte, daß der zum November aus- geschriebene Reichstag des Norddeutschen Bundes und mit ihm das deutsche Volk den Fürsten mit der Kaiserproklamation zuvorkommen könnte, wie im Frühjahr 1849. ,,Wenn die Sache von den Fürsten kommen solle, müsse es jedenfalls vor Schluß des Reichstags geschehen; es werde ihm vielleicht ge- lingen Manifestationen im Reichstage hinauszuschieben, sie gänzlich zu verhindern läge aber schwerlich in seiner Macht." Er hat auch tatsächlich noch am 26. November dem Präsi- denten das Bundeskanzleramtes, Staatsminister v. Delbrück, die ,, vertrauliche" Weisung nach Berlin erteilt, ,, dahin zu wirken, daß eine Anregung zur Annahme des Kaisertitels nicht in den ersten Sitzungen erfolge". Es war keine Redensart,

^) Die folgende Darstellung gründet sich, wo nichts anders vermerkt wird, auf die einschlägigen Ministerialakten im Geh. Münchener Staats- archiv (,, Akten über die Verfassung Deutschlands", Konvolut I), die zum Teil in Brays ,, Denkwürdigkeiten" gedruckt sind.

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wenn Bismarck zu den bayerischen Bevollmächtigten äußerte, ,,daß es ihm am wünschenswertesten sei, wenn die Sache von Bayern käme". Die bayerischen Minister gewannen geradezu den Eindruck, daß hier der Schwerpunkt der Situation liege, daß um diesen Preis Zugeständnisse reellerer Art zu erringen seien. 1) In der Tat, hier lag für Bismarck eine entscheidende Stelle seiner politischen Berechnungen.

,, Kaiser und Reich," erklärte Bismarck dem Großherzoge von Baden in Versailles, ,, müssen die Folge dieses Krieges sein; denn nur auf diesem Wege ist eine gute Entwicklung der deutschen Zustände zu erwarten." Sollte der zögernde Preußen- könig^) für den Kaisertitel gewonnen werden, dann mußte das Angebot von den Fürsten kommen, voran von dem zweit- mächtigsten Fürsten des außerösterreichischen Deutschlands, von dem Könige von Bayern. Dann mußte gerade dem vor- gebeugt werden, womit Bismarck den bayerischen Bevoll- mächtigten drohte, der Initiative des Reichstages, weil, wie ein zeitgenössischer Diplomat sich ausdrückte, der Preußen- könig ,,die Kaiserkrone alter widriger Reminiszenzen wegen niemals vom Volke angenommen hätte". Anderseits konnte gerade das Kaiserangebot des Königs von Bayern in der Hand Bismarcks zu einer Waffe werden, um den Widerstand des Reichstages und des Bundesrates gegen die unvermeidlichen Verfassungszugeständnisse an Bayern zu überwinden.

Graf Bray geht in der Kaiserfrage das machen jetzt die bayerischen Akten zur unwiderleglichen Gewißheit fortan vom Anfang bis zum Ende der Versailler Verhandlungen Schulter an Schulter mit Bismarck. Nicht aus Begeisterung ^ Begeisterung war dem nüchternen Staatsmanne fremd , wohl aber in der Hoffnung, um diesen Preis für Bayern gün- stigere Aufnahmebedingungen in den deutschen National- staat zu gewinnen. Die Behauptung, daß er von dieser Frage

^) Bericht Brays vom 25. Oktober a. a. O.

2) Noch am 13. November äußerte König Wilhelm zum Großherzoge von Baden: ,,er sei eigentlich der Annahme des Kaisertitels sehr abgeneigt, da er mit den alten preußischen Traditionen ungern breche und auch glaube, daß in Preußen diese Veränderung empfindlich berühren werde. Als Kaiser von Deutschland komme ihm die Stellung zu Preußen vor wie die Ungarns zu Österreich. Aber er sehe wohl ein, daß es nun einmal nicht zu ändern sei, und wolle sich darein ergeben." Noch am 19. November bekannte er seinem Schwiegersohne: ,, Diese Änderung wird mir entsetzlich schwer, schwerer wie meinem Sohn, der es nicht erwarten kann, weil ihm eine Vergangenheit fehlt, die man nur in meinem Alter ganz zu würdigen weiß." Tagebuch des Großherzogs.

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sich geflissentlich ferngehalten habe oder gar von Bismarck planmäßig ausgeschaltet worden sei oder daß er auch nur das Interesse daran verloren hätte, ist völlig unbegründet.

Graf Bray gibt gleich zu Beginn der Versailler Verhand- lungen die Geneigtheit Bayerns zum Anerbieten der Kaiser- krone kund, wiewohl er von seinem Könige nicht dazu ermäch- tigt ist. Er nimmt die Bezeichnung ,, Kaiser und Reich" in jene Verfassungsentwürfe auf, die er für Bismarck ausarbeitete. Er unterstützt Bismarck aufs eifrigste, als dieser den Kaiser- plan neuerdings mit dem Gedanken eines Fürstentages, und zwar diesmal in Versailles, in Verbindung setzt. Er tritt wie früher für die Reise des Königs nach Fontainebleau so jetzt für eine Reise nach Versailles aufs lebhafteste ein, wie- wohl er die Menschenscheu seines Monarchen kennt. Er richtet am 12. November, am entscheidenden Wendepunkte der Versailler Verhandlungen, mitsamt den übrigen Bevoll- mächtigten ,,zur Entlastung ihres Gewissens" eine gemeinsame Vorstellung an den König mit der eindringlichsten Darlegung der Gründe, die für eine Reise nach Versailles sprächen, i) Er läßt durch ein Privatschreiben des Ministers Lutz vom 13. November^) an den Staatsrat Daxenberger den in München zurückgebliebenen Ministern ins Gewissen reden, ihre Vor- stellung zu unterstützen: „Wenn das Ministerium nicht deut- lich spreche, werde es seinerzeit großen Vorwürfen nicht ent- gehen und vielleicht vom Könige selbst Vorwürfe erhalten." ,, Württemberg hat abgeschlossen und ist Mitglied des Deut- schen Bundes, wenn auch die Urkunde noch nicht vollzogen ist. Von Baden und Hessen versteht sich dies von selbst." Er erwirkt in der Tat, daß sich die Minister des Innern, der Finanzen und auch der des Handels der Vorstellung ihrer Ministerkollegen anschlössen und in einem gemeinschaftlichen Antrage den König beschworen, der ,, ebenso ehrerbietigst als dringend gestellten Bitte im Interesse der Krone und des dem König von Gott anvertrauten Landes Folge zu geben". ^) Er spielt gegen den zögernden König ganz im Geiste Bismarcks

1) Dieses Gesamtschreiben fehlt in den Akten, findet sich auch nicht in dem Nachlasse des Königs. Der spätere Ministerialrat Graf, der damals als Hilfsarbeiter mit in Versailles weilte, hat dazu später auf Grund persönlicher Erinnerungen mitgeteilt, daß ihm das Schreiben von Lutz in die Feder diktiert und dann im Original, ohne Rückhaltung eines Konzeptes, nach München expediert worden sei. Registraturvermerk vom 16. April 1909. Vgl. Bei- lagen IV, nr. II.

2) Beilagen IV, nr. 7. ^) Beilagen IV, nr. 8.

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und der von diesem bedienten Presse das Schreckgespenst des Zollparlamentes oder des Reichstages aus, der dem Könige mit der Kaiserproklamation zuvorkommen werde. Er geht dabei selbst über die besonderen Anliegen des Königs, an die dieser die Initiative in der Kaiserfrage geknüpft wissen wollte und die er durch Eisenhart immer wieder einschärfen ließ^), leicht hinweg : das eine, eine mäßige Land Vergrößerung in der ba- dischen Pfalz, die zugleich als Ersatz für den territorialen Verlust des Jahres 1866 gedacht war, gehöre in das Gebiet der Friedens- verhandlungen und werde erst dann ernstlich in Erwägung gezogen werden können, wenn Frankreich das Prinzip territori- aler Abtretungen anerkannt habe, die andere ,, bewußte Ange- legenheit" — gemeint ist ein finanzielles Anliegen, eine wenig- stens teilweise Rückzahlung der Bayern 1866 auferlegten Kriegsentschädigung, aber nicht an den Staat, sondern an den König entziehe sich, wie er bereits in München bemerkt habe, gänzlich seiner Kompetenz und könnte ohne den größten Nachteil und ohne dringende Gefahr von ihm nicht in An- regung gebracht werden. 2) Er entsendet schließlich am 21, und 24. November die beiden historischen Telegramme, die nach der Aussage des Königs selbst die Entscheidung in der Kaiserfrage brachten, die telegraphischen Mitteilungen: die Reise nach Versailles werde entbehrlich, wenn Seine Majestät die Initiative zur Übertragung des Kaisertitels schriftlich zu übernehmen geruhe; die Kaiserwürde sei unaufhaltsam; wenn der König von Bayern die Initiative ablehne, würden die in Versailles anwesenden Fürsten und der Reichstag sie über- nehmen.3) Graf Bray erklärte am 24. November auf eine Anfrage des Großherzogs von Baden ausdrücklich: die baye- rischen Bevollmächtigten hätten sich verpflichtet, die Kaiser- angelegenheit bei ihrem Könige durchzusetzen, und sie glaubten sicher das Ziel zu erreichen.*)

Das war in den eingeweihten Kreisen Wiens so notorisch, daß man hier den Grafen Bray den ,, Kaisermacher" nannte. Das war derselbe Minister, der angeblich ausgezogen war, um Kaiser und Reich wieder im Untersberge verschwinden zu machen.

^) Bray a. a. O. 175, 176, 192.

*) Beilagen IV, nr. 9.

") Beilagen IV, nr. 10 u. 12.

*) Tagebuch des Großherzogs von Baden.

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Die Initiative ging demnach auch in der Kaiserfrage, ebenso wie früher bei der Anerkennung des Kriegs- oder Bündnisfalles und beim Eintritt in die Ver- fassungsverhandlungen, auf bayerischer Seite vom Ministerium aus, nicht vom Könige. Ludwig II., der Ema- nuel Geibel das ihm von Maximihan IL gewährte Gnaden- gehalt entzogen hatte, weil er in einer seiner Dichtungen König Wilhelm als den künftigen Kaiser begrüßte, ist das Anerbieten der Kaiserkrone unendlich schwer geworden. Die Behauptung, daß er Ende Oktober ,, förmlich darauf gebrannt hätte", ,,sein heiligstes Recht, die Verleihung der Kaiserkrone, zur Ausübung zu bringen", ist ebenso eine Aus- geburt der Phantasie wie die andere Behauptung, daß er schon im Frühjahr 1870 oder gar im Dezember 1869 vom Grafen Bismarck für das preußische Kaisertum gewonnen worden sei. Er hat vielmehr die dem Grafen Bray vor dessen Abreise nach Versailles in der Kaiserfrage in Aussicht gestellte schriftliche Ermächtigung selbst jetzt noch zurückgehalten^), weil er zuerst die zwei Zugeständnisse erfüllt sehen wollte, die ihm besonders am Herzen lagen. Kaum war Bray abgereist, so sandte Eisen- hart am 24. Oktober eine chiffrierte Depesche an ihn ab: ,,S. Majestät will vor Berichterstattung von Exzellenz weder die bekannte Ermächtigung noch Brief absenden."

Der einsam auf Schloß Hohenschwangau weilende König Ludwig hat sich noch mehr dagegen gesträubt, persönlich auf einem Fürstentag in Versailles zu erscheinen und hier dem Preußenkönige die Kaiserwürde anzutragen. Er suchte nach einem glaubhaften Hinderungsgrund. Er entschied sich zu- letzt für eine Sehnenverdehnung. Er ließ dem Abgesandten des Großherzogs Friedrich von Baden, dem Staatsrate v. Geizer, der ihn durch Verherrlichung der Kaiseridee und durch die Aussicht auf unvergänglichen Ruhm zu gewinnen suchte, durch Eisenhart sagen: als konstitutioneller Fürst könne er sich über eine so wichtige Angelegenheit nicht eher äußern, als bis er mit seinen Ministern, deren Rückkehr er erwarte, Rücksprache genommen habe. Er lehnte die eindringliche Gesamtvorstellung seiner Minister noch am 20. November ab, wiewohl ihm der Kabinettsekretär Eisenhart stundenlang auseinander setzte: die Reise nach Versailles sei notwendig zur Wahrung des persönlichen Prestiges, zur Förderung guter Beziehungen mit dem preußischen Hofe, zur Belebung des

1) Nach Geizer unter dem Einflüsse des Prinzen Otto.

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bayerischen Geistes in der Armee, zur Niederhaltung der Aktion im Lande, zur Erreichung mögUchst großer Konzessionen.

Erst auf jene Mitteilungen des Grafen Bray vom 21. und 24. November begann der König einzulenken. Der Entschluß ist ihm noch in letzter Stunde außerordentlich schwer geworden, wenn es auch nicht leicht zu entscheiden ist, was ihm schwerer fiel: die eigene Überwindung oder die Überzeugung anderer daß er nicht anders handeln könne. Er schrieb an die Mit- glieder des königlichen Hauses, er rechtfertigte sich vor ihnen. Das vom Kabinettsekretär redigierte Schreiben an die Prinzen Karl, Adalbert, Ludwig und Karl Theodor vom 25. November ist verhältnismäßig ruhig und sachlich abgefaßt.^) Das vom Könige persönlich verfaßte Schreiben an seinen Bruder Otto^) vom gleichen Tage wahrt in dem Bestreben, sich vor seinem Bruder zu rechtfertigen, kaum noch die königliche Würde. Nachdem er seinen Bruder durch angelegentliche Erkundigung nach seinem Befinden und mit einem unfreundlichen Seiten- blick auf die gemeinsame Mutter, ,,die Cousine des deutschen Kaiserkandidaten", wie er sie nennt, günstig gestimmt zu haben glaubt, beginnt er zögernd und entschuldigend: ,,Ich erlebte mittlererweile viel Trauriges! Selbst der bayerisch- monarchische Bray beschwor mich mit Pranckh und Lutz, so bald als möglich jenem König die deutsche Kaiserkrone anzubieten, da sonst die anderen Fürsten oder gar der Reichs- tag es tun würde. Könnte Bayern allein, frei vom Bunde stehen, dann wäre es gleichgültig. Da dies aber geradezu eine politische Unmöglichkeit wäre, da Volk und Armee sich dagegen stemmen würden und die Krone mithin allen Halt im Lande verlöre, so ist es, so schauderhaft und entsetzlich es immerhin bleibt, ein Akt von politischer Klugheit, ja von Notwendigkeit im Interesse der Krone und des Landes, wenn der König von Bayern jenes Anerbieten stellt, da, nachdem Bayern nun doch einmal aus politischen Gründen in den Bund muß, hinterher der nun doch nicht mehr fernzuhaltende Kaiser von mir bon gre mal gre anerkannt werden muß!" ,, Jammervoll ist es, daß es so kam, aber nicht mehr zu ändern."

Einige Mitglieder des königlichen Hauses haben dem Könige den Entschluß noch wesentlich erschwert. Prinz Luitpold, der spätere Prinzregent, hatte schon am 21. November an seinen königlichen Neffen geschrieben: ,,Was die auch mir in die Seele verhaßte deutsche Kaiseridee betrifft, so begreife ich voll-

^) Beilagen IV, nr. 13. 2) Beilagen IV, nr. 14.

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kommen, daß Du, lieber Ludwig, nicht geneigt bist, dem König von Preußen vorzuschlagen, den Titel eines deutschen Kaisers anzunehmen, und stimme vollkommen Deinem Ent- schlüsse bei, dies nicht zu tun. Nach der von Anfang so löb- lichen Erfüllung des Allianzvertrags, nach all den an Gut und so kostbarem bayerischen Blut gebrachten Opfern ist Bayerns König, ist Bayern selbst berechtigt, von Seite Preußens ein dankbares Entgegenkommen zu erwarten. Ich kann mir daher leider nur zu gut vorstellen, welche kummervollen Stun- den Du, lieber Ludwig, so manchmal zubringen wirst." i) Der damals in München weilende Prinz Otto suchte noch in einem Schreiben vom 28. November ^) den Widerstand seines Bruders neu zu beleben: ,,Als ich Deinen Brief gelesen, kamen heiße Tränen in meine Augen und noch jetzt schmerzt mich die erschütternde Mitteilung, die Du mir gemacht, so oft sie mir wieder in den Sinn kömmt. Doch habe ich immer noch ein wenig Hoffnung. Vielleicht kömmt was Unerwartetes dazu und rettet uns noch vor dem Untergang! Noch ist's nicht zu spät. Höre noch einmal meine Stimme; ich beschwöre Dich, das Schreckliche nicht zu tun! Wie kann es denn für einen Herrn und König eine zwingende Gewalt geben, seine Selb- ständigkeit dahinzugehen und außer Gott noch einen Höheren über sich anerkennen zu müssen! Wird der Name Bayern noch geachtet, nur noch genannt werden im Ausland ? ! Mögen wir auch für den jetzigen Augenblick Vorteile und Zugeständ- nisse erlangen, die vielleicht von großem Umfang sind, so wiegen sie doch gewiß nicht den hundertsten Teil von jenem Nachteil auf, den wir durch Hingebung der Selbständigkeit erleiden. Mögen diese Konzessionen auch für den Augenblick beträchtlich sein, mögen sie auch vielleicht für 20 bis 30 Jahre erhalten bleiben, so wird doch gewiß immer mehr davon abge- zwackt werden und in 50 bis 100 Jahren, wenn es recht lange währt, sind sie uns vielleicht sämtlich abgerungen." Die Ant- wortschreiben der übrigen Prinzen sind bis jetzt nicht zu- gänglich geworden.

Der mißtrauische König vollzieht seinen Entschluß auch jetzt nicht, ohne zuvor den Oberststallmeister v. Holnstein, der eben damals besondere Macht über ihn besaß, an Bismarck zu entsenden, um durch ihn ,,das Terrain rekognoszieren" und seine beiden besonderen Anliegen sichern zu lassen, die er

1) M. H. A.

2) Beilagen IV, nr. 15.

Doeberl, Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. II

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offenbar durch den Grafen Bray zu wenig energisch vertreten glaubt.

Der Oberststallmeister, der am Abend des 25. Novem- ber in Versailles eintrifft, erlangt Gewißheit, daß das Kaiser- problem der einzige Grund sei zur Einladung der deutschen Fürsten nach Versailles, daß aber der König von Bayern, wenn er die Unbequemlichkeit einer Reise nach Versailles scheue, den Antrag auf Erneuerung des Kaisertums auch in schriftlicher Form an den König von Preußen richten könne. Der Oberststallmeister scheint von Bismarck auch gewisse territoriale und finanzielle Zusagen erhalten zu haben. Er empfängt gleichzeitig aber auch die bestimmte Mitteilung, daß die in Versailles versammelten Fürsten oder der Nord- deutsche Reichstag mit dem Antrag auf Errichtung des Kaisertums hervortreten werden, wenn ihnen nicht der König von Bayern in kürzester Frist zuvorkomme. Der Oberst- stallmeister ersucht Bismarck um eine schriftliche Darlegung seiner Meinung über die Kaiserfrage in einem Schreiben an den König von Bayern, er erholt seinen Rat über die Form des schriftlichen Antrages, er bittet zuletzt um einen förmlichen Entwurf eines Kaiserbriefes, den man seinem Könige nur zur Unterschrift vorzulegen brauche. Bismarck vollzieht diesen Wunsch, aber erst nach einigem Zögern, da er, wie er dem Großherzoge von Baden gestand, dem Grafen Holnstein an- fänglich ,, nicht recht getraut habe".^) Er entwirft ein Schrei- ben, in dem der König von Bayern dem Preußenkönige mit- teilt, er habe sich mit dem Vorschlag an die deutschen Fürsten gewendet, bei ihm anzuregen, daß er mit der Ausübung der Präsidialrechte in dem neuen Deutschen Bunde den Titel eines Deutschen Kaisers verbinde. Bismarck verfaßt gleich- zeitig ein persönliches Schreiben an den König von Bayern mit dem auf die Psyche Ludwigs II. berechneten Motive: die in Versailles übernommenen Verpflichtungen könne der König von Bayern wohl einem Deutschen Kaiser, nicht aber dem Könige von Preußen, leisten; nur der Titel Deutscher Kaiser bekunde, daß die damit verbundenen Rechte aus freier Übertragung der deutschen Fürsten und Stämme hervor- gehen. ,,Der Deutsche Kaiser ist ihr Landsmann, der König von Preußen ihr Nachbar. "2)

^) Tagebuch des Großherzogs zum 27. November. ^) Luise V. Kobell, König Ludwig II. und Fürst Bismarck im Jahre 1870 (Beilage).

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Der Entwurf des Kaiserbriefes findet nicht bloß die Zustimmung des Grafen Holnstein, sondern auch die Billigung des Grafen Bray und des Gesamtministeriums. Kabinett- sekretär Eisenhart hat ja in einem Schreiben an den Grafen Bray ausdrücklich geäußert, daß der Kaiserbrief von diesem revidiert worden sei. Es ist wenig wahrscheinlich, daß die Reise des Grafen Holnstein ohne Kenntnis Brays geschah, es ist vielmehr durchaus glaubwürdig, daß Bray beauftragt wurde, die Ankunft Holnsteins anzumelden. Es besteht sogar Grund zur Annahme, daß Graf Bray in Rücksicht auf die zu erwartende Ankunft Holnsteins seinen Aufenthalt in Versailles verlängert hat. Wir wissen jetzt aus den (ungedruckten) Aufzeichnungen eines Teilnehmers, des Grafen Hugo v. Lerchen- feld, des späteren langjährigen Gesandten am preußischen Hofe, daß Graf Holnstein sich in Versailles beim Grafen Bray meldete, daß die Minister gemeinsam mit dem Grafen Holn- stein die Rückreise nach München antraten und daß unter- wegs der freilich ergebnislose Versuch gemacht wurde den von Bismarck entworfenen Kaiserbrief etwas wirksamer zu ge- stalten. Nach einer Mitteilung Bismarcks an Staatsminister von Delbrück vom 30. November i) stellten die drei bayerischen Minister bei ihrer Abreise von Versailles ebenso wie Graf Holnstein die unverzügliche Anregung der Kaiserfrage in Aussicht. Bismarck fügt in dem Schreiben hinzu: ,,Ich habe allen vieren gesagt, die Sache sei eilig, wenn verhindert werden solle, daß der Reichstag die Initiative nehme; wir wünschen diese Verhinderung dringend." Um ganz sicher zu gehen sandte Bismarck den bayerischen Bevollmächtigten nach ihrer Abreise von Versailles am 30. November auf dem Wege über die preußische Gesandtschaft in München die weitere Mit- teilung zu: ,,Nach Delbrücks telegraphischen Nachrichten sei die Stimmung im Reichstage bezüglich der Annahme des bayerischen Vertrages unerwartet schwierig und seien deshalb alle bei der Armee befindlichen Abgeordneten heute tele- graphisch nach Berlin einberufen; nach denselben telegraphi- schen Meldungen würde aber der Kaiser, wenn von Bayern beantragt, das Gleichgewicht wieder herstellen, falls es bis Montag im Reichstag bekanntgegeben werden könnte."

Wiederum wirkt die Botschaft Bismarcks aus dem Munde Holnsteins ähnlich wie früher aus dem Munde des Grafen Tauf f kirchen : der König ist offenbar von den mündlichen Meldungen seines Oberststallmeisters beruhigt und von dem

1) H. A. A.

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psychologisch fein gehaltenen Begleitschreiben Bismarcks ge- schmeichelt ; er ist anderseits von den Absichten der nationalen Kreise geängstigt. Das ist zu schließen aus der Schnelligkeit, mit der er nun ausnahmsweise seine Entschlüsse faßt und aus- führt. Derselbe König, der noch am Tage vorher dem Grafen Bray geschrieben hatte, er könne in der Kaiserfrage einen wohlgemessenen Entschluß erst dann fassen, wenn er wenig- stens die Hauptpunkte der Versailler Verträge genau kenne und gebilligt habe^), wartet den Bericht des Ministers nicht mehr ab, selbst nicht die Rückkehr seines Kabinettsekretärs, der den Auftrag hatte, mit den eben von Versailles zurück- gekehrten Ministern über die Ergebnisse der Versailler Ver- handlungen zu konferieren, unterzeichnet am Nachmittag des 30. Novembers den von Bismarck verfaßten Kaiserbrief und überschickt ihn noch am nämlichen Tage durch den Grafen Holnstein an Eisenhart nach München.

Er legt allerdings ,,die Frage der Absendung des Briefes" ,,in die Hände" des bei der Entscheidung abwesenden Kabinett- sekretärs mit der Begründung: ,, Mittlererweile werden Sie Näheres über die deutsche Verfassungsfrage durch meine Minister gehört haben und aus diesem Grunde werden Sie imstande sein, die Sachlage richtig beurteilen zu können. Sollte ein anders gefaßter Brief daher als besser und ange- messener sich herausstellen, sollten die Opfer, die man im Verfassungsentwurf von mir verlangt, zu groß sein, gut, so zerschlägt sich die Sache und ich ermächtige Sie, den Brief an den König von Preußen zu zerreißen."^) Aber das geschah, wie so oft, nur aus der dem König eigenen Scheu vor Ver- antwortung — um wie in allen wichtigen Fragen die Ver- antwortung auf einen andern abzuschieben.

Kabinettsekretär Eisenhart weilte nach dem Berichte seiner Frau im Residenztheater, als Graf Holnstein mit dem Kaiserbrief in München eintraf. Der Kabinettsekretär hatte bereits vorher mit dem Grafen Bray und den beiden anderen von Versailles zurückgekehrten Ministern über den Versailler Vertrag sowohl wie über den Entwurf des Kaiserbriefes konferiert. Der Entwurf war von den Ministern neuerdings ausdrücklich gebilligt worden. Der Kabinettsekretär glaubte sich daher berechtigt, den Kaiserbrief abgehen zu lassen, ohne eine erneute Aussprache mit den Ministern zu pflegen, ohne die ausdrückliche Zustimmung namentlich des Ressort-

^) Beilagen IV, nr. 16 und 17.

*) Gedruckt bei Böhm Ludwig 11.^ S. 304.

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ministers Bray einzuholen. Nach der Darstellung Luise v. Kobells hätte allerdings Eisenhart noch in der Nacht eine Aussprache mit dem Justizminister Lutz gehabt, der ihn in seinem Entschlüsse bestärkt habe. Wir sind nicht in der Lage diese Nachricht zu kontrollieren, aber das ist gewiß: mit dem Vorsitzenden im Ministerrate, der in dieser Angelegenheit zu- gleich Ressortminister war, hat er keine Aussprache gesucht. Wohl aber hat er nachträglich, am 3. Dezember, zugleich zu seiner Rechtfertigung, ihm einen kurzen, aber doch sehr inhaltsreichen Bericht erstattet i): ,,Am 30. nachmittags schrieb Seine Majestät an den König von Preußen, wobei der von Ew, Exzellenz revidierte Bismarckische Entwurf wortgetreue Benutzung fand. Zugleich schrieb Seine Majestät an mich in München, die Frage der Absendung des Briefes in meine Hand legend. Es war mir daher von größtem Werte, vorher über die Sache mit Ew. Exzellenz gesprochen zu haben. Die Bismarckische Redaktion schien mir zwar etwas stark ge- schäftlich, aber die Form ist doch nicht die Hauptsache. Gegen den Inhalt des Briefes vermochte ich nach bestem Wissen und Gewissen nichts einzuwenden und so wurde denn nachts V2I Uhr der Brief gesiegelt. Graf Holnstein fuhr dann noch zum norddeutschen Gesandten und morgens 6 Uhr nach Versailles, wo er heute ankommt. Morgen findet mutmaßlich offizielle Übergabe des Briefes statt, wozu Prinz Luitpold von S. Majestät beordert wurde."

Die Aufgabe des Historikers ist: weniger anzuklagen als vielmehr zu verstehen. Die Pflicht obliegt ganz besonders einer so krankhaft veranlagten Persönlichkeit gegenüber wie König Ludwig H., der politisch ein Kind war.

Wir wissen heute, daß die Anregung zur Kaiserproklama- tion nicht von Bayern ausging. Wir wissen, daß der König und das königliche Haus , zumal der königliche Bruder Prinz Otto, dem Kaiserplan abgeneigter gegenüber standen als das Ministerium, daß der bayerische König, als sein Ministerium längst für das Kaiserprojekt gewonnen war, nur langsam und zögernd sich dazu verstand, daß er noch in den letzten Tagen das Gutachten von Mitgliedern des königlichen Hauses einholte und sich durch den Grafen Holnstein von Bismarck gewisse Sicherungen und Gegenleistungen erbat. Wir wissen, daß der Kaiserbrief Ludwigs H. wörtlich oder fast wört ich nach dem, um mit Eisenhart zu sprechen, ,, etwas stark ge- schäftlichen" Entwürfe Bismarcks geschrieben wurde.

^) Beilagen IV, nr. 19.

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Wir wissen aber auch, daß der Antrag auf Kreierung des Kaisertums und damit gleichsam einer höheren, übergeordneten Souveränität in Deutschland das war, wie wir jetzt wissen, tatsächlich die Meinung im deutschen Hauptquartier für einen Ludwig II. mit seiner krankhaft gesteigerten Vorstellung von der königlichen Würde ein schweres Opfer, ,,ein Herab- steigen von der jetzigen Stufe", wie Kabinettssekretär Eisenhart im November zu Staatsrat Geizer äußerte, oder, um mit den Worten des preußischen Botschafters Bernstorf f zu sprechen, eine ,, deminutio capitis" bedeutete, ein schweres Opfer nicht bloß für ihn, sondern auch für sein Haus, für das er sich recht- fertigen, seinem Bruder Otto gegenüber entschuldigen , für das er Gegenleistungen aufweisen zu müssen glaubte. Ein ein- facher Berliner Bürger hat in einer Zuschrift an den König mit schUchten Worten das zum Ausdruck gebracht: ,,Eure Königliche Majestät haben sich durch diese Tat des freien Willens, die an Mut, Opferwilligkeit und Selbstverleugnung durch keine Heldentat im Felde übertroffen wird, den Dank der Mit- und Nachwelt gesichert." Wir wissen, daß König Ludwig IL, trotz schwerer Bedenken einzelner Mitglieder des königlichen Hauses, der deutschen Einheit dieses Opfer brachte und daß es, wie Eisenhart dem Grafen Bray richtig erklärte, für einen könighchen Willensakt nicht auf die Form, sondern auf den Inhalt- ankömmt.

Am 30. November richtete Ludwig IL den Kaiserbrief an den Preußenkönig. Am 3. Dezember überreichte ihn Prinz Luitpold, der spätere Prinzregent, dem Könige Wilhelm. Der Kabinettsekretär Eisenhart nennt es eine ,, seltsame", der Großherzog von Baden eine ,, merkwürdige Fügung", daß gerade Prinz Luitpold der Überbringer des Kaiserbriefes war; der Prinz hatte sich eben gegen das Kaiserprojekt besonders scharf ausgesprochen. Zum Großherzoge von Baden äußerte König Wilhelm unmittelbar nach Überreichung des Kaiser- brief es ^): ,, Prinz Luitpold habe den Kaiserbrief in sehr nüch- terner Form übergeben, worauf er ihn in seiner Gegenwart ge- lesen und ihm dann gesagt habe, der Antrag des Königs von Bayern überrasche ihn; denn gerade von ihm habe er sich denselben am wenigsten erwartet, da ja die Verhandlungen mit den bayerischen Ministern erwiesen hätten, daß König und

1) Tagebuch des Großherzogs.

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Regierung sich nur schwer entschlössen den neuen Bund zu schheßen. Er werde den Brief alsbald beantworten und den Antrag des Königs von Bayern annehmen, sobald er von allen Fürsten gebilligt sei. Er hoffe, daß daraus ein festes Band der Einigkeit erwachse, das um so nötiger sei, als eigentlich nur Baden mit großem Entgegenkommen das Einigungswerk ermöglicht habe."

Am 30. November und in den folgenden Tagen wandte sich König Ludwig im Sinne des Kaiserbriefes an die Fürsten und freien Städte Deutschlands mit dem Vorschlage, gemein- sam mit ihm beim Könige von Preußen in Anregung zu bringen, daß er mit der Ausübung der Bundespräsidialrechte die Führung des Titels eines Deutschen Kaisers verbinde. Der Antrag wird damit begründet, daß nach dem Beitritte Süd- deutschlands die dem Könige von Preußen übertragenen Präsidialrechte sich über alle deutschen Staaten erstreckten und daß der Kaisertitel geeignet sei zum Ausdruck zu bringen, daß diese Vorrechte der König von Preußen ,,im Namen des gesamten deutschen Vaterlandes auf Grund der Einigung seiner Fürsten ausübe." i) König Ludwig IL äußerte ausdrücklich den Wunsch, daß das Anerbieten der Kaiserkrone in der Presse ,,als eine nationale Tat in das gebührende Licht gesetzt und in diesem Sinn auf die süddeutsche Stimmung eingewirkt werde". Auch in dem Anschreiben an die deutschen Fürsten und Städte wird mit Zustimmung des Königs der nationale Charakter des Vorganges ausdrücklich betont: ,,es sei ihm ein erhebender Gedanke, daß er sich durch seine Stellung in Deutschland und durch die Geschichte seines Landes berufen fühlen könne, zur Krönung des deutschen Einigungswerkes den ersten Schritt zu tun." Ähnlich äußerte sich der König einige Tage später in einem Schreiben an den Bevollmächtigten des Großherzogs von Baden, Staatsrat Dr. Geizer: ,,Mir aber gereicht es zu einem befriedigenden Bewußtsein, daß ich durch den unterm 30. November an den König von Preußen ge- richteten Vorschlag, die Ausübung der Bundespräsidial- rechte mit der Führung des Titels eines deutschen Kaisers verbinden zu wollen, unter freudiger Zustimmung meiner Mit- fürsten zur festen und dauernden Einigung Deutschlands das Meinige nach Kräften beizutragen vermochte."

Den Mitgliedern des königlichen Hauses gegenüber recht- fertigte der König in einem Schreiben vom 4. Dezember

1) Beilagen IV, nr. 18.

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den Kaiserbrief mit den Versailler Verträgen, die sowohl die Militärhoheit als auch das Gesandtschaftsrecht der Krone Bayern vollständig gewahrt und derselben in einigen wert- vollen Punkten, wie der Teilnahme bei Friedensschlüssen, eine Sonderstellung eingeräumt hätten. Er rechtfertigte den Kaiserbrief in demselben Schreiben aber auch mit der Not- wendigkeit, zu verhüten, daß der König von Bayern von den zurzeit in Versailles versammelten Fürsten überholt werde. 1)

Am i6. Dezember kann König Ludwig dem Könige von Preußen telegraphisch mitteilen, daß seinem Antrag auf Ver- leihung der Kaiserwürde sämtliche Mitfürsten und freien Städte ,,in freudiger Einmütigkeit" 2) ihre Zustimmung erteilt hätten. Der Großherzog von Baden hatte, im Einvernehmen mit Bismarck, den Erfolg wesentlich erleichtert und be- schleunigt: er hatte die in Versailles anwesenden und die bei der Loirearmee befindlichen regierenden deutschen Fürsten für Zustimmung gewonnen und ihre Zustimmung telegraphisch nach München übermittelt; er hatte sich auch telegraphisch an die Könige von Sachsen und Württemberg sowie an den Großherzog von Hessen und den Herzog von Braunschweig gewandt. Er war es auch, der den König von Bayern unter Hinweis auf die zu erwartende Kaiserdeputation des Reichs- tages zu eiaer beschleunigten, telegraphischen Mitteilung der Zustimmung der deutschen Fürsten und freien Städte ver- anlaßte.^)

Trotzdem ist das Kaisertum noch in letzter Stunde unter Schmerzen geboren worden.

Die patriotische Presse in Bayern, die von Anfang an dem preußisch-deutschen Kaiserprojekt Abneigung und Miß- trauen entgegenbrachte, erhob gerade damals, in den Wochen um die Jahreswende, flammende Proteste gegen dieses Idein- deutsche ,,schwarzweißrote Kaisertum", dieses ,, Kaisertum der Nationalliberalen". Übertreibungen im nationalliberalen und fortschrittlichen Lager, Überschwenglichkeiten, aber auch Überhebung, selbst ein gewisser Terrorismus, namentlich auf kirchlichem Gebiete, hatten den kurze Zeit schlummernden Widerspruch der Patrioten neuerdings angefacht.

Die ,, Augsburger Postzeitung" legte sich eine gewisse „staatsmännische" Mäßigung auf, wandte sich weniger gegen

^) Beilagen IV, nr. 20.

2) M. St. A.

2) Tagebuch des Großherzogs zum 3., 5., 6., 8. und 11. Dezember.

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das Kaisertum an sich als vielmehr gegen den drohenden militärischen und zentralistischen Charakter desselben, hinter dem das Gespenst der demokratischen Republik stehe. Um so leidenschaftlicher ist die Sprache der durch und durch demo- kratisch denkenden und fühlenden extrem-patriotischen Blätter, der ,, Donauzeitung", ganz besonders aber des ,, Volksboten" und des ,, Vaterlandes". Sie lehnen jede Gemeinschaft mit dem neuen Kaisertum ab, sie eifern gegen das Kaisertum überhaupt. ,,Caesarem habemus," diese Losung ist der ,, Donauzeitung" gleichbedeutend mit einer Zuchtrute, die unser Herrgott dem deutschen Volke geschickt hat. Dem ,, Vaterlande" ist die neue Kaiserkrone die vergrößerte preußi- sche Pickelhaube, die Verkörperung des verhaßten preußischen Wesens, die Vollendung des Einheits- und Militärstaates, das Zuchthaus. Seine Morgengabe sei ,,mehr Kriege, mehr Krüppel, mehr Totenlisten und mehr Steuerzettel", sein Wahlspruch heiße: Gewalt geht vor Recht. Sie eifern ganz besonders gegen das protestantische Kaisertum. Ein deutscher Kaiser ohne den Mittelpunkt der abendländischen, der katholi- schen Christenheit, ein protestantischer Kaiser entbehre jeder historischen und rechtlichen Grundlage. Das alte, echte, römisch-deutsche Kaisertum sei eine Schöpfung Papst Leos IIL und Karls des Großen gewesen, das neue, preußisch-deutsche, protestantische Pseudokaisertum sei eine Erfindung Luthers und des Schwedenkönigs Gustav Adolf. Dieser habe sich mit den protestantischen Reichsständen verschworen, an die Stelle des katholischen den protestantischen Kaiser zu setzen und damit die Vormacht des christlichen Abendlandes zu protestantisieren. Das Erbe des Schwedenkönigs habe das Haus Hohenzollern übernommen und nach zweihundert- jährigem blutigen Ringen nahezu verwirklicht. Noch fehle aber Böhmen und die übrigen habsburgischen Erblande und die Kaiserstadt Wien. Im nächsten Kriege werde Hohen- zollern zum vernichtenden Schlage auch gegen das Haus Habsburg ausholen.

Von einer höheren geistigen Warte aus wendet sich gegen das kleindeutsche Kaisertum das literarisch höchststehende Organ der patriotischen Presse, die ,, Historisch-Politischen Blätter". Sie kämpfen mit geistigen Waffen, die oft wörtlich an die Dialektik des bekannten Publizisten Konstantin Frantz erinnern. Ihnen steht über der Nationalität die Menschheit. Für die Menschheit ist das Christentum in die Welt gekommen und mit ihm der Gedanke einer Geistes- und Interessen-

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gemeinschaft der europäischen Völker, der Gedanke einer sie umspannenden christlichen Rechts- und Gesellschaftsordnung. Im römisch-deutschen Reiche war diese christliche Rechts- und Gesellschaftsordnung verwirklicht, unvollkommen selbst noch in der heiligen Allianz und im Deutschen Bunde. Der revolutionäre Liberalismus hat die christliche Gemein- schaft zerstört und an ihre Stelle das Eigenrecht der National- staaten, den modernen Macht- und Militärstaat gesetzt. Der erste und der dritte Napoleon haben dieses neue Staats- ideal auf den Thron erhoben. Der Napoleonismus in Paris hat seine Fortsetzung gefunden in dem Napoleonismus von Berlin. Das neue Kaisertum mit seinem zentralistischen und militaristischen Nationalstaat ist nicht der Nachfolger des universellen römisch-deutschen Kaiserreichs, sondern das Geisteskind des napoleonischen Cäsarismus. Je großartiger die Vorstellung war, die man in diesen Kreisen vom mittel- alterlichen Kaisertum hatte, wenn sie auch zum Teil auf Illusion beruhte, desto schroffer war der Widerspruch gegen die neue Kaiseridee.

Diese Sprache der bayerisch-patriotischen Blätter fiel um so mehr auf die Nerven, als der Versailler Vertrag noch immer der Zustimmung des bayerischen Landtags harrte und auf diesem Landtage die patriotische Partei über die Mehrzahl der Stimmen verfügte. Die pessimistischen und nur allzu temperamentvollen Berichte des badischen i) und des preußi- schen Gesandten in München, die nach Versailles gelangten, waren nicht geeignet die Stimmung im Hauptquartier zu be- ruhigen.

Die Vorgänge in Bayern waren nicht die einzige Sorge des Kanzlers und seines Königs.

König Johann von Sachsen und sein erster Minister Freiherr v. Friesen waren darüber verstimmt, daß der König von Bayern seinen Kaiserbrief ,,ohne vorherige Verständigung mit den anderen Souveränen geschrieben hatte", daß insbe- sondere der König von Sachsen ,,ganz beiseite gelassen worden war". Sie waren um so mehr verstimmt, als sich mit dem Anschreiben des Königs von Bayern zwei Schreiben des Königs von Sachsen gekreuzt hatten, in denen König Johann die Könige von Bayern und Württemberg zum persönlichen Besuch in Versailles einlud, um einerseits die Einigkeit Deutsch- lands vor aller Welt kundzutun, um anderseits die Kaiserfrage

^) Tagebuch des Großherzogs von Baden zum 29. Dezember.

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in Anregung zu bringen. Die Gereiztheit richtete sich nicht bloß gegen Bayern sondern auch gegen Bismarck. Vergebens entschuldigte der Kanzler die „Schnelligkeit und Form- losigkeit" des Verfahrens mit den Verhältnissen in Bayern, zumal mit dem „sehr kranken" Zustande des Königs Ludwig: „das Terrain in München sei derart, daß ein Umschwung des Windes jeden Tag möglich sei, wenn nicht die momentane günstige Stimmung benützt werde." Sachsen lehnte es ab, im Bundesrate den durch die Annahme des Titels ,, Kaiser und Reich" notwendig gewordenen Antrag auf Abänderung des Textes der Bundesverfassung zu stellen. Bismarck sah sich genötigt, Sachsen- Weimar dafür zu gewinnen.^)

Noch immer fehlte die amtliche Annahme des Kaiser- titels. Der Kronprinz von Preußen und viele fürstliche Per- sönlichkeiten wollten, daß am Neujahrstage Kaiser und Reich feierlich proklamiert würden. 2) Der König von Preußen, der sich nur schwer mit dem Kaisergedanken befreundete, nur schwer für den Empfang der ,, Kaiserdeputation" des Reichs- tags gewonnen worden war, bestimmte, daß mit der feierlichen Verkündigung gewartet werden solle, bis die Zustimmungs- erklärungen sämtlicher nord- und süddeutscher Fürsten und freien Städte amtlich mitgeteilt und die Versailler Verträge von den süddeutschen Landtagen genehmigt und von den süddeutschen Souveränen ratifiziert worden seien. Was aber bisher von Bayern in der Kaiserfrage geschehen war, waren einseitige Handlungen des Königs, die der ministeriellen Gegenzeichnung entbehrten: der Kaiserbrief sowohl wie das Anschreiben an die deutschen Fürsten und die Bekanntgabe ihrer Zustimmung an den Preußenkönig. Noch fehlte die amtliche Zuleitung der Zustimmungserklärungen der deutschen Staatsoberhäupter, noch fehlte die Zustimmung des bayerischen Landtags zum Versailler Vertrag. Noch am 31. Dezember schrieb daher König Wilhelm an Bismarck: ,,Mein Sohn fragt mich soeben, ob morgen eine Proklamierung von Kaiser und Reich stattfinde, da mit dem i. Januar die neue Ver- fassung ins Leben trete. Ich erwiderte: nein; denn Bayern ist völlig en retard mit der offiziellen Anzeige der Zustimmung der Fürsten, so daß dies jedenfalls abgewartet werden muß, ganz abgesehen von der Verzögerung des Votums der zweiten Kammer."^) Das Einzige, was die in Versailles anwesenden

^) H. A. A. („Acta betr. die Annahme des Kaisertitels", Bd. I.) ^) Tagebuch des Großherzogs von Baden zum 28. Dezember. ') H. A. A. („Acta betr. die Frage wegen Annahme des Kaisertitels", Bd. II.)

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Fürsten erreichten, war, daß der Großherzog von Baden in einer Neujahrsrede an der königUchen Tafel zu Versailles der Neugestaltung Deutschlands Erwähnung tun durfte. Er sprach damals die wenigen und bescheidenen, aber inhalts- schweren Worte: ,,Das deutsche Heer hat unter Ew. Majestät glorreicher Führung die Einheit der deutschen Nation gegen den äußeren Feind erkämpft . . . Der heutige Tag ist dazu bestimmt, das ehrwürdige Deutsche Reich in verjüngter Kraft erstehen zu lassen. Ew. Majestät wollen aber die angebotene Krone des Reiches erst dann ergreifen, wenn sie alle Glieder desselben schützend umfassen kann. Nichtsdestoweniger erblicken wir heute schon in Ew. Majestät das Oberhaupt des deutschen Kaiserreiches und in dessen Krone die Bürg- schaft unwiderruflicher Einheit." i)

Der Vorgang hatte einen tiefen Eindruck auf den König hinterlassen, seinen inneren Widerstand gegen die Kaiser- proklamation geschwächt. Als dann von der bayerischen Regierung die Zustimmungserklärungen der deutschen Fürsten und Städte eintrafen, zeigte er dem Könige von Bayern in einem amtlichen Schreiben vom 12. Januar an, daß er die Kaiser- würde annehme ,, nicht im Sinne der Machtansprüche, für deren Verwirklichung in den ruhmvollsten Zeiten unserer Geschichte die Macht Deutschlands zum Schaden seiner inneren Entwicklung eingesetzt wurde, sondern mit dem festen Vorsatz, als deutscher Fürst der treue Schirmherr aller Rechte zu sein und das Schwert Deutschlands zum Schutze derselben zu führen." ,, Deutschland stark durch die Einheit seiner Fürsten und Stämme, hat seine Stellung im Rate der Nationen wieder gewonnen und das deutsche Volk hat weder das Bedürfnis noch die Neigung, über seine Grenzen hinaus etwas anderes als den auf gegenseitiger Achtung der Selbständigkeit und gemeinsamer Förderung der Wohlfahrt begründeten freundschaftlichen Verkehr der Völker zu er- streben." Am 15. Januar gab der Preußenkönig seinen end- gültigen Willen dahin kund, daß am 18. Januar, dem Jahres- tage der ersten preußischen Königskrönung, auf den bereits Bismarck die Aufmerksamkeit gelenkt hatte, ohne weitere Rücksicht auf den bayerischen Landtag das Kaisertum proklamiert werden solle.

Aber noch im letzten Augenblick erhoben sich heiße Kämpfe um die Titelfrage. Der Kronprinz von Preußen und

^) Vgl. dazu das Tagebuch des Großherzogs von Baden.

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die Mehrzahl der in Versailles anwesenden Fürsten, voran der Großherzog von Baden, wünschten den Titel ,, Kaiser von Deutschland". ^) Der Kronprinz sprach sich ganz besonders in einer Denkschrift vom ii. Januar hiefür aus. Der König von Preußen schloß sich ihm an. Auch Bismarck hatte sich an- fänglich, auf eine Anfrage des Staatsministers Delbrück vom 8. Dezember, für den' ,, Kaiser von Deutschland" erklärt. Er hatte aber schon damals die Klausel hinzugefügt: ,, Wo- möglich"; ,, wollen die andern das nicht, so geht der deutsche Kaiser auch." Wiederum sind es die bayerischen Bevoll- mächtigten, die bei den Verfassungsberatungen im Nord- deutschen Bundesrate Bedenken gegen den Titel ,, Kaiser von Deutschland" erhoben, ,,weil er sich von der Form ent- ferne, welche in dem Kaiserbriefe für die Bezeichnung der Kaiserwürde gewählt worden sei," und sie erreichten, daß nicht bloß der Bundesrat den Titel ,, Deutscher Kaiser" in die neue Bundesverfassung aufnahm, sondern daß sich jetzt auch Bismarck für diesen Titel entschied. Er hat die Gründe hiefür in zwei Berichten an seinen König vom 5. und 14. Januar 1870 auseinandergesetzt: er berief sich auf die Erklärungen der bayerischen Bevollmächtigten im Norddeutschen Bundes- rat, auf den Wortlaut des Kaiserbriefes, auf den Wortlaut der Zustimmungserklärungen der deutschen Fürsten und freien Städte, auf den Wortlaut der neuen Bundesverfassung. „Nicht bloß der König von Bayern habe diesen Ausdruck gebraucht, auch die meisten deutschen Fürsten bei ihrer Zu- stimmung zum Antrage des Königs von Bayern. Dieser Titel sei unter einhelliger Zustimmung sämtlicher deutscher Regie- rungen in die neue Bundesverfassung übergegangen. Er schließe sich an die Traditionen des alten Reiches an." Der Titel ,, Kaiser von Deutschland" dagegen ,, weise auf ein Staatsgebiet hin und enthalte einen Anspruch auf Landes- hoheit, welcher in den dem Kaiser zustehenden Rechten nicht enthalten sei."

Zwischen König und Kanzler kommt es in einem zu Ver- sailles abgehaltenen Kronrate zu leidenschaftlicher Ausein- andersetzung. Schon ist der Befehl gegeben die Kaiser- proklamation abzusagen. In letzter Stunde siegt die Auffassung Bismarcks. Der Zwiespalt warf aber noch auf die Anfänge der Kaiserproklamation seine Schatten-) : der König von Preußen,

1) H. A. A. („Acta betr. die Annahme des Kaisertitels", Bd. II.) Vgl. dazu das Tagebuch des Großherzogs von Baden, passim.

^) Tagebuch des Großherzogs von Baden zum 18. Januar.

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ohnehin wenig begeistert für den Kaisertitel, war nervös über- reizt durch gewisse Begleiterscheinungen desselben, durch das eigenmächtige Vorgehen Bismarcks, durch die Abordnung der Kaiserdeputation des Reichstags, die ihn an die Zeit der Deutschen Revolution und des Frankfurter Parlaments er- innerte, nicht zuletzt auch wiederum durch die Vorgänge in Bayern. Er war zudem aus der ihm eigenen seelischen Ruhe gebracht durch die nagende Sorge wegen der militärischen Ereignisse der letzten Wochen, namentlich der schwierigen Lage vor Paris.

Am i8. Januar 1871 vollzog sich der weltgeschichtliche Vorgang der Kaiserproklamation im Spiegelsaale des Versailler Schlosses mit seiner prunkhaften Ausschmückung, mit seinen weltberühmten Meisterwerken Lebruns, am Schau- platze des Königs, dessen System eben zusammengebrochen war, an demselben Tage, an dem vor 170 Jahren der Hohen- zoller Friedrich L die preußische Königskrone sich aufs Haupt gesetzt hatte. In der Mitte war ein Altar errichtet. Vor dem Altar standen im Halbkreis die anwesenden Fürsten und Prinzen der regierenden Häuser, rechts und links vom Altar Deputationen sämtlicher Truppenteile der siegreichen Armee, rechts die preußischen, links die bayerischen. Im Hintergrunde des Saales hatten die Fahnen und Standarten der preußischen und bayerischen Regimenter Aufstellung genommen. Da die Verhandlungen über die Versailler Ver- träge im bayerischen Landtage noch nicht abgeschlossen waren, war den beiden bayerischen Armeekorps freigestellt worden, ob sie an der Feier teilnehmen wollten. Sie erwiderten damit, daß sie zahlreiche Deputationen von Offizieren und Unteroffizieren und den größten Teil ihrer Fahnen nach Versailles entsandten. Auch sämtliche Prinzen des könig- lichen Hauses, die im Felde standen, nahmen an der Feier teil. Auch Prinz Luitpold und der Bruder des Königs, der spätere König Otto.

Für die meisten Teilnehmer war der 18. Januar ein Tag weihevoller Erinnerung i), für den Prinzen Otto war es ein Tag des Schmerzes und der Trauer. ,, Ach Ludwig," schrieb er am 2. Februar an seinen Bruder^), ,,ich kann Dir gar nicht beschrei- ben, wie unendlich weh und schmerzlich es mir während jener Zeremonie zu Mute war, wie sich jede Faser in meinem Innern

1) Ganz besonders für den Großherzog von Baden. Vgl. dessen Schilde- rung in seinem Tagebuch.

2) M. H. A.

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sträubte und empörte gegen all das, was ich mit ansah. Lief es doch dem gerade entgegen, für was ich tief innerlich glühe und was ich von Herzen liebe und wofür ich mit Freuden mein Leben einsetze . . . Welchen wehmütigen Eindruck machte es mir, unsere Bayern sich da vor dem Kaiser neigen zu sehen ; ich war eben von Kindheit an so was nicht gewöhnt ; mein Herz wollte zerspringen. Alles so kalt, so stolz, so glän- zend, so prunkend und großtuerisch und herzlos und leer . . . Endlich drängte man sich durch diese Knäuel zurück und aus dem Saale hinaus. Mir war's so eng und schaal in diesem Saale, erst draußen in der freien Luft atmete ich wieder auf. Dieses, wäre also vorbei."

IX.

Der bayerische Landtag und die

Versailler Verträge.

Damals, als die Deputationen der bayerischen Regimenter an dem weltgeschichtlichen Vorgange von Versailles teil- nahmen, tobte in der Heimat ein leidenschaftlicher Kampf um die Versailler Verträge. Die Stimmung kam namentlich beim Jahreswechsel zum Ausdruck, in den Neujahrspredigten sowohl wie in den Neujahrsbetrachtungen der Tagesblätter.

Der patriotische ,, Volksbote" Zanders faßte seine Ansicht von den Versailler Abmachungen in drei Sätzen zusammen: ,, Bayern kapituliert, Preußen kommandiert, das bayerische Volk muß zahlen, zahlen, wieder zahlen." Sollten die Versailler Verträge wirklich angenommen werden, so schlägt er zur Entlastung des Volkes eine Herabsetzung der Ministergehalter vor. Wie dem ,, Volksboten" Zanders, so ist auch dem ,, Bayeri- schen Vaterlande" Sigls das Jahr 1870 ein von Gott zur Strafe ge- schicktes Jahr: ,, Darüber jubeln, daß die Krone Cäsars, die dem Manne von Sedan eben zur Genugtuung für alle ehrlichen Leute vom Haupte geworfen worden ist, jetzt einem andern aufs teure Haupt gesetzt werden soll, das können wir schon gar nicht zuwege bringen; Preuß ist Preuß, ob er König oder Kaiser tituliert wird." Dasselbe ,, Vaterland" sieht in den Verträgen von Versailles die letzte Etappe zum Einheits- staat und hält es für unmöglich, daß die ehrlichen Männer der patriotischen Partei dazu ja sagen und damit alles verwerfen und opfern können, wofür das bayerische Volk seit drei Jahren redlich, mutig und unablässig gekämpft habe; für unmöglich, daß sie ihr Programm und ihre ganze Vergangenheit ver- raten und es über sich bringen, vor ihren Wählern als Leute zu erscheinen, die ihr Wort nicht gehalten haben. ,, Männer halten ihr gegebenes Wort, zu jeder Zeit, mag da kommen, was da wolle; Männer erwägen nicht ängstlich die Folgen, sondern tun ihre Pflicht, mag daraus entstehen, was da wolle."

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Und doch wäre es falsch, in Bayern nur wüste Agitation sehen zu wollen. Innerhalb der patriotischen Partei gab es neben der extremen eine gemäßigte Richtung, die sich nament- lich in der ,, Augsburger Postzeitung" zu Worte meldete. Sie zweifelt an dem föderativen Charakter des künftigen Bundes, sie fürchtet die preußische Präponderanz, sie hat Bedenken selbst gegen die privilegierte Sonderstellung der Südstaaten: ,, Privilegierte Stellungen gehören immer zu den peinlichen Situationen und bergen in unserer allen Privilegien mit Recht so abholden Zeit keine Garantie für längere Dauer." Trotz- dem empfiehlt sie Annahme der Verträge: ,,Die Patrioten werden nicht eigensinnig und starrsinnig, wie man hofft und glaubt, sondern ernst und gewissenhaft die Vorlagen nach dem Maßstabe ihres Programms prüfen; ist die Selbständigkeit der Krone und sind die wichtigsten Rechte des Volkes nicht an der Wurzel angegriffen, so werden sie zustimmen, da ja eine Einigung Gesamtdeutschlands auch ein wesentlicher Teil ihres Programms ist." Es schließt sich der Schwenkung trotz scharfer Kritik die ,, Donauzeitung" an; sie ist der Überzeugung, daß die Verträge von Versailles von keiner Macht der Erde rückgängig zu machen seien, von keinem König, von keinem Minister, von keiner bayerischen Kammer, auch wenn wir 157 Patrioten hineinbrächten. Sie wünscht, namentlich im Artikelzyklus ,,Zur Lage", immer wieder, daß sich die erforder- liche Zweidrittelmehrheit in der Kammer finden möge: durch Verwerfung der Verträge würde nichts geändert, wohl aber durch die unvermeidlichen Neuwahlen die patriotische Partei schwer geschädigt werden. Es folgt der ,, Bayerische Kurier", es folgt die ,,Pfälzer Zeitung", zuletzt lenkten müde und resig- niert selbst die leidenschaftlichsten Gegner, der ,, Volksbote" und das ,, Vaterland", auf den Weg ein, der nach Versailles führte freilich mit der stillen Hoffnung, daß die Verträge die ,, unausbleibliche europäische Koalition nicht überdauern werden."^)

In diesem Sinne äußerten sich auch patriotische Flug- schriften wie die von dem Abgeordneten Advokaten Simmerl verfaßte Flugschrift ,,Was dann": ,, Allein, ohne Bundes- genossen, mit katholischen Kasinos und Bauern vereinen den Kampf aufnehmen mit der Regierung, dem Großbeamtentum,

1) Nach einem Berichte des preußischen Gesandten vom 22. Januar ging der Herausgeber des ,, Volksboten", Zander, sogar so weit, ,,ihn um eine Unterredung und um Direktiven bitten zu lassen", die er ihm aber versagt hätte. H. A. A.

Doeberl, Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. I-^

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dem Offizierstand, der ganzen protestantischen Bevölkerung, der gegnerischen Presse, allen Städten des Landes, mit dem ganzen Druck der afterliberalen öffentlichen Meinung im Bunde mit dem Preußentum und dessen Agenten im Lande ist aussichtslos und töricht." ,, Wollen die Patrioten die Rechte der Krone verteidigen gegen den Willen ihres Trägers, die Selbständigkeit des Landes gegen den Willen der Landes- regierung, das Wohl und Interesse des Volkes gegen den Willen der Mehrzahl der Bevölkerung?!"

Kann man von der patriotischen Presse immerhin sagen, daß sie nur der Not gehorcht, mit einer gewissen Resignation der Macht der Verhältnisse sich gefügt habe, so gab die liberale Presse Bayerns ihrer Freude über die ,, Wiedergeburt des Reiches durch Nacht zum Licht" in schwärmerischen, ent- husiastischen Kundgebungen Ausdruck. ,,Der nationale Ge- danke," schrieb am 25. November die ,, Augsburger Abend- zeitung", ,,hat über alle entgegenstehenden Hindernisse ge- siegt, wir haben das einige deutsche Vaterland, die schönste und beste Frucht der deutschen Siege! Es gibt fortan keine Mainlinie mehr, der Süden ist mit dem Norden fest verbunden, alle Deutschen sitzen in Zukunft in ein und demselben Parla- mente, das deutsche Volk hat endlich eine nationale Regierung, nationale Institutionen, es ist, um es mit einem Worte zu sagen, endlich einmal zur Nation geworden." Auch die Mün- chener ,, Neuesten Nachrichten" begrüßten die erste Kunde von dem Abschlüsse der Versailler Verträge mit einem warm ge- schriebenen Artikel. Als der Inhalt der Verträge bekannt wurde, äußerte das streng fortschrittliche Blatt zwar Ent- täuschung und Kritik, aber nur, weil nach seiner Ansicht die nationalen Forderungen nicht voll und ganz erfüllt worden seien; ,, sonst hätte man nicht bei Bestimmungen über die Diplomatie beharren können, die keine Wahrung des An- sehens der bayerischen Krone, sondern nur eine Mehrung unnützer Kosten für das bayerische Volk brächten, noch hätte man sich der völligen militärischen Einheit Deutsch- lands widersetzt und, wenn auch ohne Absicht, in kritischer Zeit Sonderbestrebungen und daher auch schimpflicher Speku- lation des Auslandes dadurch eine Pforte offen gelassen." ,,Was der bayerische Vertrag gewährt, ist das äußerste, bei dem die nationalen Pflichten Bayerns noch erfüllt werden können." Trotzdem empfiehlt das fortschrittliche Blatt die Annahme des Vertrages, es erwartet vom künftigen Parlamente die Fortbildung der deutschen Einheit: ,,Wenn aus den Kon-

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Zessionen der Fürsten und den Abmachungen der Staats- männer die Verfassung Deutschlands nicht vollendet und preiswürdig hervorgegangen ist, so ist es eben an dem Volk und an seinen Vertretern, durch Ausdauer und Intelligenz aus dem Stümperwerk der Diplomaten ein Meisterwerk für das Volk zu machen."^)

Ähnlich nahm auch die demokratische Presse an den Versailler Verträgen Anstoß, nicht weil sie ihr zu sehr deutsch, sondern zu wenig demokratisch waren, weil sie zu wenig her- übernahmen aus der vom deutschen Volke beschlossenen Reichs Verfassung des Jahres 1849. Aber auch sie gibt sich schließlich zufrieden, daß wenigstens drei Grundelemente ihrer Volksverfassung, die ehedem von konservativer Seite als Ausgeburt des revolutionären Geistes verdammt worden seien, von den Fürsten und Diplomaten in das neue Reich herübergenommen wurden: das einheitliche Parlament, das demokratische Wahlrecht und der deutsche Kaiser. ,,Man mag es immerhin als einen Sieg der Volkssache betrachten, daß die Fürsten und Diplomaten jetzt des deutschen Volkes Forderungen auf ihre Fahne schreiben und die Ansprüche Deutschlands wenigstens insoweit erfüllen müssen, daß sie einzelne und nicht unwichtige dieser Ansprüche in Erfüllung zu bringen gezwungen sind."

Gegenüber den Bemängelungen von rechts und von links findet in der Augsburger ,, Allgemeinen Zeitung" eine der Regierung nahestehende Stimme in den Versailler Ver- trägen ein getreues und deshalb wohlberechtigtes Ebenbild der Doppelstellung Bayerns: ,, Bayern hat nach seiner Größe, Geschichte und geographischen Lage internationale Lebens- fähigkeit. Auf der anderen Seite aber ist Bayern zugleich ein Teil Deutschlands, ein bedeutender und wichtiger zwar, aber doch nur ein Teil, der des Ganzen bedarf und einer dauernden Trennung von demselben nicht gewachsen ist. In dieser Doppelstellung, welche nach der einen wie nach der anderen Seite ihre innere Berechtigung und ihre exklusiven Anhänger hat, liegt die Schwierigkeit, eine Formel für die Einfügung Bayerns in den deutschen Bundesstaat zu finden, und zugleich eine Erklärung dafür, daß der bayerische Bundes- vertrag weder vom Standpunkte des reinen Partikularismus noch von demjenigen einer nationalen Idealpolitik als an- sprechend befunden wird. Er ist der getreue Ausdruck der

^) Den Einheitsstaat das ist gegen Erich Frisch zu betonen wollten aber auch die ,, Neuesten Nachrichten" nicht.

12*

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gegebenen realen Verhältnisse, deren Schwierigkeiten sich im Wege frommer Parteiwünsche nicht beseitigen lassen." Mit eindringlichen Worten redet dieselbe ,, Allgemeine Zeitung" den Vertretern des bayerischen Volkes, in deren Hände das Schicksal der Versailler Verträge gelegt sei, ins Gewissen: ,,Ein Volk, das so mächtig seinem Verlangen nach einem einheitlichen Staatswesen Ausdruck gegeben, läßt sich von diesem nicht mehr abbringen; es wird über die Häupter der sich ihm Entgegenstemmenden hinweg doch zum Ziele gelangen; diese aber werden für alle Zukunft das Brandmal zu tragen haben, eine große Zukunft ihres Volkes mit Wissen und Willen zu vernichten unternommen zu haben."

Damals, als in der Presse das Feldgeschrei für und wider die Versailler Verträge ertönte, hatten bereits im bayerischen Landtage die denkwürdigen Verhandlungen begonnen. Der König war durch die Versailler Verträge wie durch die Initiative in der Kaiserfrage für einen zustimmenden Beschluß des Land- tags moralisch verpflichtet. Er hat auch tatsächlich durch mehrere Handschreiben, die für die Öffentlichkeit bestimmt waren, den Ausstreuungen, als ob es ihm mit der Zustimmung zu den Bündnisverträgen nicht ernst gewesen sei, zu begegnen und auf den Landtag im Sinne der Annahme der Verträge einzuwirken gesucht.

Nicht minder vertragstreu war das Verhalten der Minister, die an den Verhandlungen in Versailles persönlich teil- genommen hatten. Graf Bray, der die Versailler Verträge den Kammern vorlegte, hat sich allerdings als den Mann der älteren Generation bezeichnet, der an dem Gewohnten und Hergebrachten hänge und dem daher die Entscheidung für die neue Ordnung der Dinge schwer geworden sei. Aber er fügte auch hinzu: ,,Auf der anderen Seite begründen wir, indem wir den Verträgen unsere Zustimmung geben, ein deutsches Föderativbündnis, eine mächtige Gemeinschaft, ausgestattet mit allen Attributen einer Großmacht ersten Ranges. In diesem Deutschland aber erhält Bayern durch die Verträge eine bevorzugte Stellung, welche seiner historischen und geographischen Bedeutung entspricht und welche ihm die Möglichkeit gibt, Einfluß zu üben auf den Bund und durch den Bund auch auf weitere Kreise seine Wirksamkeit zu erstrecken." Es war keine Redensart, wenn er zum Freiherrn V. Werthern äußerte, er sinne auf alle Mittel, um die Landtags-

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mehrheit zu beschwichtigen. Es war völlig unbegründet, wenn der preußische Gesandte in seiner temperamentvollen Art äußerte, Graf Bray scheine die Annahme der Versailler Ver- träge gar nicht zu wünschen.

Graf Bray war freilich kein Redner, er war auch in Rechtsfragen zu wenig geübt und überließ daher mit Genehmigung des Königs die Begründung und Erläuterung der Versailler Verträge dem Minister, aus dessen Feder ,,die schließliche Fassung der Verträge herrühre", dem Justizminister v. Lutz. Und dieser ergriff seine Aufgabe mit ebensoviel Sachverständnis als nationalem Schwung. Ganz besonders in der groß angelegten Rede vom 14. Dezember, in der er vor der Kammer der Abgeordneten die Vorgeschichte und die Motive der Versailler Verträge entwickelte. Er be- gleitete den Siegeszug der deutschen Heere von Weißenburg und Wörth über Saarbrücken und Metz bis zur Kapitulation von Sedan, gedachte der aus diesen Siegen geborenen deut- schen Bewegung, der nationalen Überzeugung, daß all die herrlichen Erfolge der Einigkeit des deutschen Vaterlandes entstammen und daß diese Einheit nicht mehr auseinander fallen dürfe. Er schilderte dann die Initiative der bayerischen Regierung zu einer Neugestaltung Deutschlands, die unter dem Einflüsse jenes militärischen Siegeszuges und jener natio- nalen Bewegung und in Übereinstimmung mit den Anschau- ungen des bayerischen Volkes herangereift sei, schilderte die Münchener Konferenzen und die Versailler Verhandlungen, schilderte auch die Zwangslage, die Gefahr einer Isolierung, die Bayern genötigt habe, mit dem Norddeutschen Bund unter viel ungünstigeren Bedingungen abzuschließen, als sie noch im Jahre 1866 und selbst noch unmittelbar vor dem Deutsch- französischen Kriege zu erlangen gewesen wären. Er gab dabei zu den Münchener und Versailler Verhandlungen einen zwar mit kritischer Vorsicht zu benutzenden, aber wertvollen Kommentar, den ich wiederholt für meine frühere Darstellung auszuschöpfen bemüht war. Er schloß mit einer persönlichen Rechtfertigung der Minister gegen den Vorwurf des Ressort- partikularismus, gegen die Anklage, sie hätten überall nur für ihre besonderen Departements gesorgt um zu Hause selbständig zu sein: ,,Wo ist denn die Selbständigkeit, die sich der Minister des Äußern gewahrt hat ? Die deutsche Politik wird auch nach unserem Vertrage von Deutschland gemacht und nur darauf haben wir bestanden, worauf wir, wie ich glaube, das Recht haben zu bestehen, daß man die

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deutsche Politik nicht immer und ewig einfach uns über den Kopf hinweg macht. Wo ist denn die Selbständigkeit des Herrn Kriegsministers? Sein Budget wird ihm in der Hauptsache von der Reichsregierung zugesendet. Wenn er erfüllt gewesen wäre von dem Streben, selbständig und möglichst wenig be- helligt zu sein, dann verzeihen Sie meine Aufrichtigkeit würde er auch die Detailberatungen nicht in dieses Haus, sondern in den Reichstag verlegt haben. Denn daß es dort leichter geht als hier gewöhnlich, wissen Sie alle recht gut. Endlich, wo ist denn meine Selbständigkeit, die Selbständig- keit des Justizministers ? Ich habe nicht einen Federstrich vor den Justizministern des übrigen Deutschen Reiches mir vorbehalten, nicht aus Zwang, sondern, weil ich fühle und weiß, was es um ein gemeines deutsches Recht ist, und weil ich es nicht wagen mag, mit den Kräften, die dem einzelnen Staate zu Gebote stehen, auf dem Gebiete der Gesetzgebung Konkurrenz zu machen der ganzen Wissenschaft des deutschen Vaterlandes."

Die Reichsratskammer erteilte schon am 27. Dezember im Ausschuß 1), am 30. Dezember im Plenum^) fast einhellig ihre Zustimmung zu den Versailler Verträgen. Der Referent, Reichsrat v. Neumayr, gab zwar zu, daß der letzte und durch- schlagende Grund, der den Ausschuß bewogen habe, die An- nahme der Verträge zu empfehlen, die zwingende Macht der äußeren Verhältnisse und die drohende Isolierung Bayerns gewesen sei. Er fügte aber auch hinzu: ,, Damit will nichts weniger ausgesprochen werden als der Gedanke, daß nunmehr Bayern mit stumpfer Verdrossenheit und Verbitterung eines Gezwungenen in den Bund treten soll, eines Gezwungenen, der nur grollend die ihm aufgedrungenen Fesseln stets im Auge hat und wohl gar im stillen hinterlistige Pläne schmiedet, um sie bei der nächsten Gelegenheit wieder abzustreifen. Ist einmal der Bund geschlossen, dann müssen die Bedenken und Befürchtungen, deren offene Darlegung und gewissenhafte Prüfung jetzt unsere Pflicht ist, abgetan und begraben sein. Als ein treuer, rückhaltlos verlässiger Genosse muß Bayern in den Bund treten und nicht retrospektive Klagen und Gelüste, sondern ein frisches Ergreifen des einmal Gegebenen und Angenommenen muß die Losung sein." Fürst Hohenlohe und Justizminister v. Lutz aber räumten in ihren Reichsratsreden

^) Protokoll des I., II. und III. Ausschusses in Betreff der deutschen Verfassungsverträge vom 27. Dezember.

2) Protokoll der 18. Sitzung der Kammer der Reichsräte.

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unter den Mächten, die die bayerische PoHtik in neue Bahnen gelenkt hätten, die erste Stelle dem erwachten Nationalgefühl, der ,, deutschen Idee" ein. Graf Bray führte als weiteres Motiv an die Wiederannäherung Preußens an Österreich, ,,die Erhaltung und Pflege der freundschaftlichsten und innig- sten Beziehungen zu unserem mächtigen Nachbarstaate."

Die zweite Kammer bildete einen Ausschuß, der sich aus II Mitgliedern der patriotischen Partei, 3 Mitgliedern der Fortschrittspartei und einem Demokraten zusammensetzte und unter dem Vorsitze des Würzburger Oberbibliothekars Dr. Ruland tagte. Zum Referenten des Ausschusses wurde der bekannte Publizist Dr. Jörg gewählt, der auf die erste Nach- richt von dem Inhalte der Verfassungsverträge in den von ihm redigierten ,, Historisch- Politischen Blättern" geschrieben hatte : ,, Unsere Mittelstaatenpolitik hat ihre Kapitulation von Sedan vollzogen; es ist zu Ende mit ihr und mit uns." ,,Die Franzosen sind noch nicht soweit besiegt, daß sie die Friedensbedingungen Preußens unbesehen annehmen zu müssen glauben, aber der kräftige Alliierte Preußens, der zu den glorreichen Siegen gegen den Erbfeind an Gut und Blut so viel beigetragen, der hat die Waffen gestreckt und kapituliert." Das Ergebnis der Vor- beratung war denn auch, daß der Ausschuß im Sinne Jörgs mit 12 gegen 3 Stimmen den Versailler Verträgen die An- erkennung versagte und sich für die Aufnahme neuer Ver- handlungen im Sinne des weiteren Bundes mit dem künftigen Deutschen Reich auf der Grundlage des Allianzvertrages und des Zollvereins erklärte.

Am II. Januar brachte der Referent des Ausschusses, Dr. Jörg, den Mehrheitsantrag vor das Plenum des Landtags mit einer ausführlichen schriftlichen und mündlichen Kritik der Vorlage und der Regierungspolitik: die Regierung sei mit sich selbst in Widerspruch geraten; sie habe am 19. Juli sich bereit erklärt die Selbständigkeit Bayerns zu wahren und selbst ein nationales Verfassungsbündnis abzulehnen; sie habe sich im September zu der Einsicht bekehrt, daß ein Ver- fassungsbündnis notwendig sei, sie habe aber auch jetzt den Eintritt in den Norddeutschen Bund wegen seiner entschiedenen Hinneigung zum Einheitsstaat abgelehnt. Was sie im Sep- tember als unmöglich bezeichnet, habe sie im November voll- zogen: den Eintritt in den Norddeutschen Bund ohne wesent- liche Änderung seiner Verfassung. Es sei eine in der Geschichte unerhörte Zumutung und ein jedem unbefangenen Gemüte unerträglicher Gedanke, daß ein Land und Volk mit dem

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aufgebotenen Opfer an Gut und Blut an der Seite eines Bundes genossen auf Leben und Tod kämpft, um zum Lohne dafür an den letzteren seine politische Selbständigkeit und staat- liche Existenz zu verlieren. Die Zwangslage, der die baye- rische Regierung nach ihrem Geständnis unterlegen ist, sei nicht durch eine Gefahr von außen, sondern durch die innere Agitation geschaffen worden. Wenn Württemberg sich keine Zukunft seiner eigenen Existenz mehr zutrauen zu dürfen glaube, so beweise das nicht, daß auch für Bayern eine solche Zukunft nicht mehr blüht. Er fühle sich nicht bevollmächtigt, ,, unser liebes altes Bayerland aus unseren Händen zu geben und an Preußen auszuliefern". ,,Wenn ich jemals zu den vertrauten geheimen Ratgebern des letztverstorbenen regieren- den Königs gehört hätte, ich hätte meiner Lebtage lang nicht mehr den Mut, vor der Kirche zu den Theatinern vorbeizu- gehen; denn ich müßte fürchten, es möchte, aus einem Stein- sarge heraus von unsichtbarer Hand gestoßen, ein Mauerstück vom Dache fliegen und mich zermalmen zum Lohn für die so gut geratene dritte Großmacht in Deutschland." Er schloß mit einem leidenschaftlichen Appell an die Kammermehrheit: ,, Meine Herren, es hat in Preußen vor dem Krieg im Jahre 1866 ein vierjähriger Verfassungsstreit gewütet. Man hat die Kammer in Preußen viermal oder, ich glaube mich nicht zu irren, sogar fünfmal aufgelöst ; und dieser ganze Konflikt, dieser ganze große Streit hat sich nur gedreht um die neue Armee- reorganisation. Und wir, meine Herren, sollten eine Kammer- auflösung, unter Umständen selbst einen Konflikt fürchten, wo es sich handelt um die Existenz unseres Landes, wo es um den letzten Versuch sich handelt, die berechtigte Selb- ständigkeit unseres Landes zu retten, wenn es möglich ist ? Und es wird, mit Gottes Beistand hoffe ich es zuversichtlich, es wird möglich sein."

Die Haltung der Landtagsmehrheit entfesselte in der gegnerischen Presse einen Sturm der Entrüstung. ,,Die Ver- werfung der Verträge," schrieben die ,, Münchener Neuesten Nachrichten", ,,ist eine Beleidigung ganz Deutschlands, dessen Volk seit fünfzig Jahren die Einigung anstrebt. Sie ist eine Beleidigung Preußens, des mächtigsten Staates Europas, der die größten Opfer für Deutschlands Ehre und Macht ge- bracht hat. Sie ist eine Beleidigung des Königs von Preußen und des Königs von Bayern, die ein so erhebendes Beispiel deutscher Eintracht gegeben haben. Sie ist eine Verhöhnung der gesamten deutschen, namentlich aber der ba^^erischen

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Armee, die ihr Blut wahrlich nicht deswegen vergossen hat, damit die alte Zerrissenheit, der alte Hader zwischen den Deutschen fortdauere. Sie ist endlich die tiefste Schmach für Bayern, weil die Verwerfung der Verträge einer, wenn auch nicht offenen, doch versteckten und daher um so gefährlicheren Bundesgenossenschaft mit Frankreich gleichkommt."

Die fortschrittliche Minderheit des Landtags beantragte Annahme der Verträge in einem ebenfalls motivierten Minori- tätsgutachten. Allerdings stellte auch dieses Minoritäts- gutachten fest, daß die Versailler Verträge nicht volle Zu- friedenheit gewähren, aber nicht, weil sie dem Reiche zu viel Zugeständnisse bieten, sondern weil sie den freiheitlichen Forderungen der Fortschrittspartei nicht genügen, vor allem aber, weil sie zugunsten der Selbständigkeit Bayerns nicht zu wenig, sondern zu viel Vorbehalte machten. Und dasselbe Minoritätsgutachten fährt weiter : ,,Läßt der Vertrag auch noch vieles zu wünschen übrig, welches zu erreichen später die Auf- gabe des Reichstages und zum Teil auch des bayerischen Landtages sein wird, so ist doch nicht zu verkennen, daß durch denselben für die nationale Sache Großes gewonnen wird. Daß der casus foederis mit seinen Gefahren für die Sicherheit des jedesmaligen Zusammengehens, wenn Deutsch- lands Grenzen oder Deutschlands Ehre und Interessen be- droht sind, aus der Welt geschafft wird; daß an die Stelle des kündbaren Zollvereins ein festgegründetes Deutsches Reich tritt, in welchem alle Zoll Vereinsstaaten vereinigt sind; daß die deutschen Staaten und das deutsche Volk im Bundes- rat und Reichstag unter dem von den deutschen Fürsten in lange nicht dagewesener Einigkeit selbst gesetzten Kaiser zu einem Achtung gebietenden Organismus sich verbunden sehen; daß das Reich als politische Einheit durch deutsche Gesandte und deutsche Konsuln im Staatenkreise künftig vertreten sein wird; daß wir eine deutsche Marine und ein deutsches Heer haben werden, wie wir bisher ein gemeinsames Zoll- und Handelswesen schon gehabt haben ; daß die Verkehrs- anstalten und so viele zur Unifizierung geeignete Zweige der Gesetzgebung künftig räumlich wie dem Stoffe nach in weit ausgedehnterem Maße als bisher gemeinsam sein werden : das alles zusammengenommen ist, zumal es auch der so geschaffenen Einheit an der Fähigkeit der Fortbildung nicht fehlt, ein so bedeutender Fortschritt, daß wir es gegen das Vaterland nicht verantworten zu können glauben würden, wenn wir das Gute, was uns geboten wird, um der Schlacken willen, die noch

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damit verquickt sind, zurückweisen wollten." Und die Ver- teidiger dieses Minoritätsgutachtens, die Wortführer der Fort- schrittspartei, ein Marquard Barth, ein Freiherr v. Stauffen- berg, ein Dr. Schauß kämpften mit dem ganzen Rüstzeug ihrer nationalen Persönlichkeit für die Versailler Verträge. Es ist eine unglaubliche Verkennung der tatsächlichen Verhält- nisse, wenn Ottokar Lorenz die Behauptung wagt, in dem Minoritätsvotum sei der tiefgehende Gegensatz, der den bayerischen Partikularismus gegen alles erfüllte, was das Reich und seine Zukunft betraf, niedergelegt worden.

Aber freilich, die patriotische Partei bildete damals die Mehrheit, und die extreme Richtung dieser Partei hatte in Dr. Jörg, Pfarrer Pfahler und Lyzealprofessor Dr. Greil ent- schlossene und zielbewußte Führer, die namentlich auf die geistlichen und bäuerlichen Elemente des Landtages geradezu einen Terrorismus ausübten. Auf die geistlichen Abgeordneten wirkten sie mit dem Hinweis auf die Gefahr der Protestanti- sierung, auf die bäuerlichen mit dem Hinweis auf die finanziellen Folgen der Versailler Übereinkunft; die Forderung von 41 Millionen Gulden, die unmittelbar nach der Rede des Justizministers Lutz der Kriegsminister Freiherr v. Pranckh für Kriegsbedürfnisse vom Landtage forderte, diente als Be- weisinstrument. Eine Zeitlang waren sie allerdings durch die Ereignisse von Sedan zurückgedrängt und etwas kleinlauter geworden, seit einiger Zeit, nicht zuletzt unter dem Eindrucke der schweren Menschenverluste des Orleanischen Feldzuges, waren sie wieder selbstbewußter geworden. Ging man ja so weit, die Preußen zu beschuldigen, ,,sie hätten die Bayern bei Orleans sitzen lassen, um in Versailles einen Druck auszu- üben". Sie wußten ihre Autorität zu verstärken durch Be- rufung auf bald offene, bald geheime Zustimmung von Mit- gliedern des königlichen Hauses, anderseits durch das von Jörg ausgestreute Gerücht, daß der König die Ablehnung der Versailler Verträge wünsche. Sie gaben sich das Ansehen, als ob sie einen Rückhalt selbst im Auslande hätten ; der Besuch des Grafen Beust in München am 15. Dezember mußte ihnen als Unterlage dienen. Einzelne Redner, wie Dr. Jörg, Dr. Ruhland, Dr. Greil und Wisnat, ergingen sich in leidenschafthchen Ausfällen nicht bloß gegen die Versailler Abmachungen, son- dern auch gegen das verbündete Preußen. Ihre Reden waren immer neue Variationen des gleichen Themas: ,,Ich traue Preußen nicht, ich will mit ihnen nichts zu schaffen haben."

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Doch die Haltung der Kammermehrheit entsprach keines- wegs der Stimmung der Mehrheit des bayerischen Volkes. Im bayerischen Landtagsarchiv befindet sich ein höchst lehr- reicher Akt aus der Zeit der Verhandlungen über die Ver- sailler Verträge. Er enthält Hunderte von Telegrammen und Zuschriften aus den verschiedensten Teilen des Königreichs, nicht bloß aus den neubayerischen, sondern ebenso aus den altbayerischen Kreisen, auch nicht bloß aus den städtischen, sondern ungleich zahlreicher aus den ländlichen Gemeinden. Unter ihnen befinden sich wohl zwei Kundgebungen von Arbeiterversammlungen in Augsburg und Nürnberg, die nach dem Vorgange der bürgerlichen Demokratie die Berufung eines konstituierenden Parlaments forderten, aber im übrigen nicht eine, die sich gegen die Versailler Verträge erklärte, alle verlangten vielmehr unbedingte Annahme derselben. Be- sonders zahlreich sind die Eingaben aus dem Wahlbezirke des Wortführers der Kammermehrheit Dr. Jörg und sie alle ver- wahren sich ausdrücklich gegen jede Gemeinschaft mit dem Antrag ihres Abgeordneten. Immer wieder wiederholt sich die Erklärung, daß jeder Tag der Verzögerung nur die Ent- rüstung steigere, den Wunsch nach Kammerauflösung lauter mache.

In der Tat hatte das bayerische Gesamtministerium für den Fall, daß die Kammer der Abgeordneten die Vorlage ab- lehne, Vorbereitungen zur Auflösung der Kammer und zur Anordnung von Neuwahlen bereits getroffen. Graf Bray schrieb am 7. Januar an den bayerischen Gesandten in Berlin, Freiherrn v. Perglas: ,,Wenn die erforderliche Stimmenzahl von zwei Dritteilen der Abgeordneten für die Annahme der Verträge nicht gewonnen werden könnte, werde nichts übrig blei- ben, als von dem verfassungsmäßigen Kronrechte der Kammer- auflösung Gebrauch zu machen." i) Tatsächlich liegt der An- trag auf Auflösung der Kammer abschriftlich bei den Akten. Am 13. Januar konnte Freiherr v. Werthern melden, daß das Auflösungsdekret vom König unterzeichnet in der Hand des Justizministers sich befinde. 2) Eine Landtagsauf lösung brachte viele der patriotischen Abgeordneten in die Gefahr des Mandats- verlustes.

Gleichzeitig wurden ihnen die besten Trümpfe aus der Hand genommen. Der König drückte dem Präsidenten der

1) M. st.A.

2) H.A.A.

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Kammer der Reichsräte telegraphisch seine Befriedigung über die Abstimmung der Reichsratskammer aus, er sprach in einem Handschreiben dem Erzbischofe von München einer- seits die Anerkennung für seine Abstimmung in der Reichsrats- kammer, anderseits die Hoffnung aus, daß er seinen Einfluß bei der Geistlichkeit der zweiten Kammer in gleicher Richtung geltend machen werde, und widerlegte damit die namentlich von Jörg verbreitete Auffassung, daß dem König an der An- nahme der Verträge nichts gelegen sei. Selbst die Kurie gab deutlich zu verstehen, daß sie die Annahme der Verträge wünsche; in eingeweihten Kreisen erzählte man sich sogar, daß der Papst die Absicht ausgesprochen habe, eine Kaiser- deputation von Kardinälen mit dem Kardinalstaatssekretär Antonelli an der Spitze zur Beglückwünschung an den Preußen- könig abzusenden. Einer der streitbarsten bayerischen Kir- chenfürsten, Bischof Senestrey von Regensburg, sprach sich in einem Briefe, der dem preußischen Gesandten von seinem Vertrauensmann im Lager der patriotischen Abgeordneten vorgelesen wurde, für die Verträge aus. Pfarrer Wester mayr von St. Peter in München legte zwar sein Mandat mit der Erklärung nieder, die geistliche Beeinflussung bringe sein Gewissen als Abgeordneter in Konflikt mit dem dem Ober- hirten schuldigen Gehorsam. Aber das Verhalten der baye- rischen Kirchenfürsten hatte doch den Beweis erbracht, daß die angebliche Gefahr, die von den Versailler Verträgen dem Katholizismus drohe, an den obersten Stellen der Kirche nicht anerkannt werde. Der bayerische Minister des Äußern end- lich teilte die Antwort des Grafen Beust auf die bekannte preußische Depesche vom 14. Dezember mit und entzog damit allen Spekulationen auf Unterstützung von Wien den Boden. Am 3. Januar kann der Gesandte v. Werthern melden, daß infolge aller dieser zusammenwirkenden Umstände sich bereits 29 Patrioten für den Antrag erklärt hätten, so daß nur noch zwei Stimmen von der verfassungsmäßig erforderlichen Zweidrittelmehrheit fehlten. ^) An der Spitze dieser Sezession stand der erwähnte Vertrauensmann des Freiherrn v. Werthern, der Redakteur der Augsburger Postzeitung, der Abgeordnete Dr. Huttier. Er unterhielt seit längerer Zeit enge Beziehungen zum preußischen Gesandten, den er auch über die intimsten Vorgänge in der Kammer der Abgeordneten unterrichtete. ,,Ein Zufall und sein Wunsch haben mich zusammengeführt," schrieb Freiherr v. Werthern, ,,doch so groß ist seine Sorge,

1) H. A. A.

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sich vor seiner Partei zu kompromittieren, daß ich ihn bloß bei Nacht und am dritten Orte sehen kann." Für den schhmm- sten Fall waren, wie im Sommer 1870, Volksdemonstrationen vorbereitet, von denen man nach den Mitteilungen des preußi- schen Gesandten dieselbe überzeugende Wirkung auf die patriotischen Abgeordneten erhoffte wie am 19. Juli. Und zuletzt wirkten die Nachrichten von den militärischen Erfolgen des Generals v. Werder.

Zehn Tage hatte die Redeschlacht gewährt. Noch ein- mal wendet sich in zweistündiger Rede der Justizminister V. Lutz an die Volksvertreter, eindringlich wie der Schwur- gerichtspräsident an die Geschworenen, um die Regierung gegen den von Jörg erhobenen Vorwurf des Widerspruchs und der mangelnden Folgerichtigkeit und seine Rede vom 14. Dezember gegen Mißdeutungen zu schützen, um anderseits den Abge- ordneten die Schwere ihrer Verantwortung ins Gewissen zu rufen: ,,Die Stunde der Entscheidung naht; jedes Votum bringt eine große Verantwortung mit sich. Auch auf uns, meine Herren, liegt eine außerordentlich große, eine furchtbare Verantwortung. Wir waren uns dessen von allem Anfang an wohl bewußt ; wir alle, die wir beim Vertragsabschlüsse beteiligt gewesen sind, haben schwer gekämpft im Innern, so schwer als irgendeiner von Ihnen, der sich über das Ja oder Nein schlüssig macht. Könnte der Kamin im Hotel Petit Vatel, wo der Herr Kriegsminister einlogiert war, sprechen, meine Herren, er könnte Ihnen von vielen, vielen sorgenvollen, angsterfüllten Stunden erzählen, die dem Abschlüsse der Verträge voran- gegangen sind. Manche Bitte um Rat, manches sorgen- beschwerte Briefchen habe ich an bewährte Vaterlandsfreunde geschrieben, um mich ihres Rates zu versichern. Meine Herren, wir sind nach langem Ringen zum Schlüsse gekommen, daß die Verträge Bayern nicht erspart werden können, daß sie wegen seiner ganzen Gestaltung und wegen seiner ganzen Geschichte unvermeidlich sind, daß sie für Bayern vorteil- haft und notwendig sind. Unsere Verantwortung wird groß sein, aber glauben Sie mir, die Verantwortung, die diejenigen tragen, welche Nein sagen, ist nicht um ein Quentchen ge- ringer . . . Wahrlich ungeheuer ist die Verantwortung, die den einen trifft, durch dessen Stimme etwa die Verträge ver- worfen werden. Bei dem wahrhaftigen Gott! Ich möchte dieser eine nicht sein." König Ludwig II. hat in einem be- sonderen Handschreiben dem Minister in warmen Worten für die Vertretung der Bündnisverträge gedankt.

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Unmittelbar nach den Schlußworten des Ministers gab der Abgeordnete Dr. Huttier im Namen seiner Parteifreunde die Erklärung zu Protokoll: ,,Wir unterzeichnete Mitglieder der patriotischen Fraktion der Kammer der Abgeordneten halten eine bundesstaatliche Einigung Deutschlands für dringend not- wendig. Diese bundesstaatliche Einigung sollte aber nach unserer Überzeugung in Wirklichkeit auf dem Föderativprinzip beruhen, wobei die Selbständigkeit der einzelnen Staaten möglichst gewahrt zu bleiben vermöchte . . . Diesem Prinzip entsprechen allerdings die vorliegenden Verträge nur in un- vollkommenem Maße. Ein wahres Föderativverhältnis unter diesen schon ihrer Macht und Größe nach so ungleichen Staaten ist durch die Übermacht der Präsidialgewalt und das ihr gerade in den wichtigsten Fragen eingeräumte Veto, dann durch die Unbilligkeit des Stimmenverhältnisses mehr oder minder illusorisch gemacht; die Gefahr des Einheitsstaates ist nicht vermieden; die Militärhoheit Bayerns mehr als nötig geschmälert ; die Mihtärlast für jetzt nicht nur nicht vermindert, sondern bedeutend erhöht; wichtige Rechte der Krone und des Landes sind nicht der Bundesregierung und der deutschen Volksvertretung, sondern der Krone Preußen übergeben; endlich sind durch den Mangel eines verantwortlichen Bundes- ministeriums sowie den in der Diätenlosigkeit liegenden hohen Zensus der Abgeordneten zum Reichstage die Bürgschaften für den Bestand und die Entwicklung der bürgerlichen Freiheit geschmälert und verkümmert . . . Trotzdem haben wir Unter- zeichnete nach gewissenhafter Prüfung und Überlegung uns entschlossen, den Verträgen um der Lage willen, in der sich unser bayerisches Vaterland befindet, unsere Zu- stimmung nicht zu versagen. Wir möchten die Verantwortung für die weit größeren Übelstände, die aus der Verwerfung der Verträge für Bayern hervorgehen müssen, nicht teilen . . . Die berechtigte Sehnsucht des ganzen deutschen Volkes nach seiner gesamtstaathchen Einigung teilend, schließen wir fest und treu an dasselbe uns an. Wir erwarten aber von der Königlich Bayerischen Staatsregierung, daß sie ihre künftige Stellung und Tätigkeit im Bundesrate des Deutschen Reiches dazu benutzen werde, um im Verein mit der deutschen Volks- vertretung denjenigen Keim einer wahrhaft föderativen Bundesverfassung zu pflegen und vor schlechten Einflüssen zu schützen, von dem wir wünschen, daß er von neuem tiefe Wurzeln im deutschen Volksleben fasse und zu einem mächtigen Baum deutscher Stärke und Einheit heranwachse." Die

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Abstimmung ergab am 21. Jamiar 1871 die erforderliche Zwei- drittelmehrheit. Am 30. Januar konnte dann durch eine als Verfassungsgesetz anzusehende ,, Königliche Erklärung" den Versailler Verträgen in Bayern gesetzliche Geltung mit rück- wirkender Kraft vom i. ds. Monats verliehen worden.

Der nationale Gedanke hatte nunmehr auch in der baye- rischen Abgeordnetenkammer gesiegt und zugleich einen tiefen Riß in den Turm der patriotischen Partei gebracht . Es ist durchaus glaubwürdig, was der bayerischer Vorliebe gewiß unverdächtige badische Gesandte v. Mohl berichtet: auch von denen, die gegen die Versailler Verträge gestimmt, hätte sich eine große Zahl, besonders aus dem Bürger- und Bauernstande, sehr be- friedrigt über den Gang der Abstimmung geäußert : sie hätten nicht anders stimmen können, aber es sei ihnen viel lieber, daß sie unterlegen seien, i)

Die Freude über den Sieg des nationalen Gedankens fand Widerhall in den begeistertsten Artikeln. In besonders schwung- vollen Worten ließ sich eine Stimme aus der Pfalz in der Kaiserslauterer Zeitung vernehmen: ,, Jetzt also ist das Deutsche Reich fertig, der letzte Stein eingefügt in den mäch- tigsten Bau durch das zustimmende Votum unserer Abgeord- netenkammer. Schätzen wirs nicht geringer um deswegen, daß es mühsam abgerungen wurde; eben weil im heißen Kampfe errungen, ist es für uns, für ganz Deutschland von besonderem Werte ; denn es hat in strenger, harter Probe an den Tag gebracht, daß der deutsche Gedanke wirklich feste Wurzeln geschlagen hat, auch in Bayern."

Dr. Jörg dachte freilich anders darüber. Er begleitete in den ,, Historisch-politischen Blättern" die Abstimmung im bayerischen Landtage mit den düsteren prophetischen Worten : ,,Consummatum est." ,,Die Ruine wird abbröckeln und ein- sinken von einem Landtage zum andern und in einigen Jahren wird sich auch das bayerische Volk an den Gedanken gewöhnt haben, daß man kein Königreich zu erhalten braucht, wenn man ein Kaiserreich über sich hat."

1) K. St. A.

X.

Das Bismarckisdic Reich und sein Verhältnis zu Bayerns König und Volk.

Was durch die Versailler Verträge begonnen worden war, das wurde durch den Bundesrat und durch den Reichstag des Norddeutschen Bundes fortgesetzt und auf dem ersten Deutschen Reichstage vollendet.

Die ersten Nachrichten, die der bayerische Gesandte am Berliner Hof über die Aufnahme der Versailler Verträge im Bundesrat und Reichstag des Norddeutschen Bundes brachte, lauteten wenig günstig.^) In den Kreisen des Bundes- rates trat die Eifersucht und Verstimmung über die Bayern eingeräumte Sonderstellung un verhüllt zutage. In diesen Kreisen glaubte oder hoffte man, daß die Verträge mit Bayern vom Reichstag abgelehnt und so Bayern zu weiteren Kon- zessionen genötigt werden würde. In der Tat begegneten hier die Verträge auf allen Seiten des Hauses schärfstem Wider- spruche. Noch Ende November zweifelt die Berliner ,, Börsen- zeitung", ein führendes Organ der nationalliberalen Partei, an der Zustimmung des Reichstages und wirft die Frage auf, ob es nicht besser sei, daß Bayern vorerst draußen bleibe. Seit Anfang Dezember wirbt dieselbe nationalliberale Presse immer deutlicher für die Genehmigung der Versailler Verträge ; die meisten der den Südstaaten, zumal Bayern, zugestandenen Vorrechte seien doch ,, ungefährlicher Natur". Zuletzt war es der Führer der nationalliberalen Partei selbst, Bennigsen, der vor Ablehnung der Verträge warnte, weil dadurch die ganze Arbeit von Versailles hinfällig gemacht würde; er leugne keineswegs, daß die Verträge Hindernisse und Schwierigkeiten schlimmster Art bereiten könnten, aber er hält einen ernsthaften, dauernden Widerstand Bayerns gegen den einmütigen Willen des deutschen Volkes für unmöglich,

1) M. St. A.

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da er an den kraftvollen Elementen, die in der neuen Ver- fassung lägen, zerschellen würde. ^)

Wer den Widerstand überwand, war wiederum an erster Stelle Bismarck. Er ließ den beim Heere befindlichen Mit- gliedern des Reichstages Befehl erteilen, sofort nach Berlin zu reisen, um den Reichstag beschlußfähig zu erhalten. Er suchte von Versailles aus mit der ganzen Wucht seiner Autorität auf die Führer der nationalliberalen und konservativen Parteien einzuwirken. Er gab unmittelbar nach Übersendung der bayerischen Verträge, am 26. November^), Erläuterungen zu ihnen, die formell an den Staatsminister v. Delbrück, tat- sächlich an den Bundesrat und noch mehr an den Reichstag des Norddeutschen Bundes gerichtet waren: ,,Der Teil der Verträge, welchen Ew. Excellenz noch während Ihrer hiesigen Anwesenheit durchzuberaten Gelegenheit hatten, wird wegen der Reservate im Heimat- und Staatsbürgerrecht, wie ich hoffe, irgendwelchen Bedenken im Reichstage nicht begegnen. Noch weniger kann ich glauben, daß Anstoß genommen wird an den in den diplomatischen Beziehungen Bayern eingeräum- ten Ehrenrechten . . . Eher läßt sich allerdings erwarten, daß der auf das Kriegswesen des Bundes bezügliche Teil der Verträge zu eingehenden Diskussionen Veranlassung geben und die in dieser Beziehung an Bayern gewährten Konzessionen Widerspruch finden werden. Meiner Überzeugung nach aber stehen diese Konzessionen und die ganze an Bayern einge- räumte Stellung der nationalen Entwicklung Deutschlands nicht im Wege; es ist vielmehr alles erreicht, was wesentlich notwendig ist, um das bayerische Heer zu einem integrierenden und wirksamen Teile des Gesamtheeres Deutschlands zu machen und die Geschlossenheit Deutschlands nach Außen wie seine Entwicklungsfähigkeit im Innern zu sichern. Mit der Erreichung des Wesentlichen aber mich zu begnügen und den Abschluß nicht an dem jetzt Unerreichbaren scheitern zu lassen schien mir durch die Umstände geboten." Er ver- weist auf die Persönlichkeit des bayerischen Fürsten, auf den noch währenden Krieg mit Frankreich, auf die- neutralen Mächte und die noch immer nicht abzuweisende Möglichkeit ihrer Einmischung, auf die neue europäische Krise infolge der russischen Kündigung des Pariser Vertrages in der Frage des Schwarzen Meeres. ,,Will der Reichstag sich mit dem Er- langten nicht begnügen und alles wieder in Frage stellen,

^) H. Oncken, Bennigsen II, S. 203f. 2) H. A. A.

Doeberl, Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. 13

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so muß er für die Folgen die Verantwortung tragen, welche die Regierung Seiner Majestät zu übernehmen sich nicht getraut." Bismarck ließ aber auch durch Delbrück verschwiegene und einflußreiche Abgeordnete darauf hinweisen, ,,daß der König von Bayern von unsicherer Gesundheit, kinderlos und sein Bruder ganz in ultramontanen Händen sei", ,,daß ein Regierungswechsel in München, wenn er plötzlich einträte, die ganze Situation sehr zu unserm Nachteil ändern würde." ^) Das wirksamste Mittel, mit dem Bismarck den Widerstand brach, war der Kaiserbrief Ludwigs II.

Am 2. Dezember wurden die bayerischen Verträge vom Bundesrat einstimmig angenommen, mit der alleinigen Ab- änderung, daß auf Antrag Hessens und mit Zustimmung Bayerns dem Ausschusse für Auswärtige Angelegenheiten neben Bayern, Württemberg und Sachsen noch zwei jährlich zu wählende Bevollmächtigte anderer Bundesstaaten beigegeben wurden. Am 9. Dezember 1870 erteilte auch der Reichstag mit 197 gegen 32 Stimmen den Verträgen die Zustimmung.

Damit hatte Bismarck in wenigen Monaten erreicht, was in der Zeit des Frankfurter Parlamentes und des preußischen Unionsprojektes in langen Monaten und Jahren vergebens angestrebt worden war: die Vereinigung des ganzen außer- österreichischen Deutschlands zu einem nationalen Bundes- staate, Mit monarchischer Spitze, mit moderner Volksver- tretung, mit Zuständigkeiten, die dem Reiche alles gaben, was die Einheit, die Macht und die Wohlfahrt des neuen Deutsch- lands forderten, mit einer Geschlossenheit, die an nationaler Festigkeit und Leistungsfähigkeit das größere römisch-deutsche Reich weit übertraf. Auf einer Grundlage, die nicht bloß von Ludwig von der Pfordten, sondern auch vom Fürsten Chlodwig von Hohenlohe wegen der damit verbundenen Gefahr einer Mediatisierung abgelehnt worden war, auf der Grundlage des Norddeutschen Bundes, einer Grundlage, die der Studien- freund des Grafen Bray, der österreichische Reichskanzler Graf Beust, als Bruch des Artikels IV des Prager Friedens bezeichnet und eben noch durch einen persönlichen Besuch in München abzuwenden gesucht hatte, einer Grundlage, die der bayerische Gesandte am Wiener Hofe eben noch als für Bayern unannehmbar erklärt hatte.

Die Versailler Verträge bedeuteten für Bayern den Bruch mit einer mehrhundertjährigen Vergangenheit. In diesem Sinne,

^) Schreiben Bismarcks an Delbrück vom 27. November und 6. De- zember. H. A. A.

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nicht im Sinne von Reichsfeindschaft sind die elegischen Worte des Grafen Bray zu deuten, mit denen er vom alten Bayern ähnlich wie König Wilhelm vom alten Preußen Abschied nahm: „Dies ist der Anfang des neuen Deutschlands und, wenn unsere Entwürfe angenommen werden, das Ende Alt- bayerns; es wäre nutzlos sich darüber täuschen zu wollen." Selbst Fürst Chlodwig von Hohenlohe gestand in der Kammer der Reichsräte, daß die bayerische Selbständigkeit durch die Versailler Verträge mehr und tiefer erschüttert werde, als dies durch irgendeine staatsrechtliche oder internationale Verbindung geschehen sei, in der sich Bayern seit Abschluß des Westfälischen Friedens befunden habe.

Neben dem Augenmaß für die Lebensnotwendigkeiten des Gesamtstaates besaß aber Graf Bismarck etwas, was den Unitariern von damals wie denen von heute fehlte : den histori- schen, von mechanischen, fremdländischen Staatstheorien freien Blick für die Eigenart des deutschen Landes und des deutschen Volkes.

Allerdings knüpft die Verfassung des Bismarckischen Reiches ebenso wie die des Norddeutschen Bundes, die ihr zugrunde liegt, an das Verfassungswerk des Frankfurter Parlamentes an. Aber Bismarck nahm aus der Paulskirche nur so viel westeuropäische, demokratische Elemente herüber, als er für die Verwirklichung seines Machtgedankens brauchen konnte, zumal das einheitliche Parlament und das demokrati- sche Wahlrecht. Im übrigen beließ er nicht bloß die alten Mächte, die 26 Bundesstaaten, er baute auf ihnen das neue Reich auf. Träger der Bundesgewalt ist weder ein Einzelner, ein Monarch, noch die Gesamtheit des deutschen Volkes, sondern die verbündeten Herrscher. Sie vollziehen ihre ge- meinsame Tätigkeit aber nicht in persönlichem Zusammen- tritt, sondern durch eine Vertretung, den Bundesrat. Dieser enthält im Gegensatz zum Staatenhause der Frankfurter Reichsverfassung kein Element der Volksvertretung mehr, sondern besteht lediglich aus Vertretern der bundesstaatlichen Regierungen. Und diese handeln nicht nach freier Abstim- mung, sondern nach festen Instruktionen. Damit aber der Bundesrat nicht in die Schwerfälligkeit des alten Bundes- tages zurückfalle, setzte Bismarck den Kaiser über ihn als Bundespräsidium. Kaiser und Bundesrat bilden ein ver- klammertes System. Symbol dieser Verklammerung ist der Reichskanzler, zugleich aber auch Symbol der engen Ver- bindung zwischen dem Reich und dem führenden Bundes-

13*

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Staate, Preußen, dessen Ministerpräsident er ist. Freilich wird damit auch das Schicksal des Reiches davon bedingt, daß das ganz auf die Person Bismarcks zugeschnittene Reichs- kanzleramt mit einem Manne besetzt wird von der Leistungs- fähigkeit und der staatsmännischen Größe des ersten Kanzlers.

Die Zuständigkeit des Bundesrates und seiner Organe erstreckt sich nur auf jene Gegenstände, die dem Reich aus- drücklich vorbehalten sind.

Nachdem Bismarck dem Gesamtstaate das zur Erfüllung seiner Aufgaben nötige Maß von Zuständigkeiten gesichert hatte, überließ er dem Einzelstaate Raum für ein kraftvolles Ausleben seiner staatlichen Persönlichkeit in weiser Ab- stufung nach Umfang und Geschichte. F. W. Förster bezeichnet allerdings nach dem Vorgange seines Lehrers und Vorbildes, Konstantin Frantz', das Bismarckische Reich als ,,unitaristisch und zentralistisch" , als eine ,, mechanische Einigung durch Blut und Eisen". In Wirklichkeit war das Bismarckische Reich so wenig das Ideal der zeitgenössischen Unitarier, daß gerade sie scharfe Kritik an ihm übten wegen seines föderalistischen Charakters: ,,Er hat offenbar von staats- rechtlichen Dingen fast keinen Begriff. Eine Verfassung ist ihm etwas Irrelevantes. Er ist sicher, solange er regiert, mit den Königen fertig zu werden. Was nachher kommt, kümmert ihn nicht." i) Und da^- Bismarckische Reich ist so wenig das Ideal der heutigen Unitarier, daß einer der Urheber des Weimarer Reichsverfassungsentwurfes er- klärte: ,,Der neue Bau des Deutschen Reiches müsse ganz bewußt auf den Boden gestellt werden, den Bismarck bei seiner Reichsgründung ganz bewußt nicht betreten hat."

Wie einst beim Eintritt in das mittelalterliche Reich König Heinrichs L, so ist auch beim Eintritt in das neue Deutsche Reich Bayern das größte Maß von Selbständigkeit gewährt worden. Mit den diplomatischen und militärischen Zugeständnissen trug Bismarck Rechnung dem Umfang und der Leistungsfähigkeit des Königreiches, der großen histori- schen Vergangenheit des Staates und seiner tausendjährigen, mit Land und Volk verwurzelten Dynastie, aber auch dem starken Selbstbewußtsein des bayerischen Volkes. Mit der Be- lassung der selbständigen Verwaltung des Verkehrswesens, des bayerischen Heimats- und Niederlassungsrechtes nahm er schonend Rücksicht auf die zähe Sonderart des bayerischen

^) Hermann Baumgarten an M. Duncker, 8. Dezember 1870, in: Dunckers pol. Briefwechsel, S. 462.

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Volkes, auf sein starkes kulturelles Sonderleben. Er schützte zugleich diese Sonderrechte gegen majorisierende Zugriffe des Bundesrates und des Reichstages durch den bekannten Artikel 78, der Verfassungsänderungen mit dem bloßen Einspruch der drei Königreiche Bayern, Württemberg und Sachsen unmöglich machte.

Die Reichsverfassung war echt Bismarckisch auf real- politische Bedürfnisse zugeschnitten, setzte sich aus den ver- schiedenartigsten Elementen zusammen, entsprach so wenig einer bestimmten Rechtstheorie, daß jahrelang darüber Streit geführt werden konnte, ob das Reich ein Bundesstaat oder ein Staatenbund sei. Bismarck nahm aus dem alten Deutsch- land so \äel Mannigfaltigkeit, als noch lebensfähig war und von dem neuen Deutschland ertragen werden konnte, und schuf so ein Kunstwerk, das zwar regelwidrig, aber um so lebensfähiger war. Es war, wie ein einwandfreier Zeuge und Sachverständiger, Graf Hugo von Lerchenfeld, in seinen Memoiren schreibt, ,, eines der gelungensten Werke, die je nach langen, mühsamen Vorbereitungen geschaffen worden sind. Bei meiner nahezu 40 jährigen Tätigkeit als stimm- führender Bevollmächtigter zum Bundesrat habe ich oft mit Bewunderung auf die Schöpfer der Verfassung zurückge- blickt."

Gerade diese seltene Verbindung von Einheit und Auto- nomie, von Einheit des Gesamtstaates und von Besonderheit der Gliedstaaten, hat das deutsche Volk zu einer beispiellosen schöpferischen Kraftentfaltung in den Werken des Friedens wie des Krieges befähigt, die die glänzendsten Kaisertage des alten Reiches überbot und in der nächsten Generation die Bewunderung, aber auch den Neid einer Welt hervorrief. Was ehedem Zwist und Unsegen gewesen, das hat er so in eine Quelle des Reichtums gewandelt.

*

Die Sehnsucht zweier Generationen schien erfüllt, er- füllt, was eben noch eine deutsche Frau aus Hannover dem Könige Ludwig geschrieben hatte: ,,Der alte Barbarossa ist erwacht, die Raben umflattern nicht mehr den Kyffhäuser, Kaiser Friedrich ist ausgezogen mit seinen Getreuen und hat seinen Schild an des Birnbaums dürren Ast gehängt, er hat sein Volk befreit und groß gemacht vor allen Völkern der Erde . . . Bauen Ew. Majestät der deutschen Nation einen Weihnachts- baum auf, so schön, wie ihn nur einmal die Welt gesehen:

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vor 1000 Jahren, am Weihnachtsabend des Jahres 800, in der Peterskirche zu Rom!"^)

Freihch, mit dem alten römisch-deutschen Kaisertum hatte das neue nichts zu tun. König Ludwig II. hat es in seinem Schreiben an den badischen Staatsrat Geizer vom 12. Dezember in bewußter Übereinstimmung mit diesem als eine „selbständige Neuschöpfung" bezeichnet. Er hat auch immer wieder betont, daß der Kaisertitel keinen neuen Rechts- inhalt schaffe, nur eine andere Bezeichnung für das Bundes- präsidium sei, daß er vielmehr zum Ausdruck bringe, die dem Bundespräsidium zustehenden Rechte übe der König von Preußen nicht, wie der alte Kaiser, aus eigenem Rechte, sondern im Namen des gesamten deutschen Vaterlandes, auf Grund der Übertragung durch die deutschen Fürsten.

Mit dankbarem Herzen hat man um die Jahreswende außerhalb der weißblauen Grenzpfähle der Verdienste Bayerns und seines Königs gedacht. Besondere Anerkennung zollt dem ,, tapferen Vorgehen Ludwigs IL auf der wundersamen Bahn der großen Weltereignisse dieses denkwürdigen Jahres 1870" ein Huldigungsschreiben des Presbyteriums einer west- fälischen Kirchengemeinde 2) : ,, Unser deutsches Vaterland hat große Ursache, nächst Gott Euerer Königlichen Majestät den wärmsten Dank für das große Werk der Truppenvereini- gung von Süd- und Norddeutschland darzubringen . . . Un- möglich hätte Preußen allein, ohne die Truppenvereinigung aller deutschen Staaten, den Kaiser der Franzosen mit seinem mächtigen Kriegsheer besiegt, wenn nicht der Herr unser Gott, in dessen Händen die Herzen der Könige sind, Euerer Königlichen Majestät Herz für die gute und gerechte Sache Deutschlands geneigt und bestimmt hätte, welches jeder Deutsche im In- und Ausland dankbar anerkennt. Hat Euere Königliche Majestät in diesem mutigen Vorgehen der deutschen Truppenvereinigung wahrhaft Großes getan, nicht minder groß ist die Tat, daß Allerhöchst Sie an der Spitze von Deutschlands Fürsten das im Wiener Frieden zerstückelte Deutschland zu einem neuen und mächtigen Deutschland vereinigen und dieses bewundernswürdige Werk deutscher, nationaler Einigkeit mit der Kaiserkrone verherrlichen, dessen Träger nach Allerhöchst Ihrer freien Entschließung unser siegreicher König Wilhelm sein wird, dessen weißes Ehrenhaupt würdig ist mit der deutschen Kaiserkrone geschmückt zu werden. Dafür ge-

1) M. H. A.

2) M. H. A.

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bührt vor allem Euerer Königlichen Majestät von allen echten, treuen Deutschen der innigste Dank, indem diese Tat ein ebenso großes Meisterstück ist als der wundervolle Siegeslauf unserer heldenmütigen Armee! Es freut uns, daß diese Erneuerung der deutschen Kaiserwürde nicht die Wiederaufsetzung der alten römisch-deutschen Kaiserkrone sein soll, die Kaiser Franz IL am 6. August 1806 niederlegte, noch viel weniger eine solche, welche die Frankfurter Nationalversammlung 1848 aus geraubten deutschen Königs- und Fürstenkronen fabrizieren wollte."

König Ludwig IL berauschte sich wohl gern an solchen nationalen Lobesergüssen. Es war ihm, wie Luise v. Kobell einmal richtig sagte, willkommen, wenn man aus seiner Not eine Tugend machte. Der wirklich bestimmende Faktor in der deutschen Politik des Jahres 1870 ist er nicht gewesen weder bei Ausbruch des Krieges noch in der deutschen Ver- fassungsfrage noch gegenüber dem Kaiserproblem. Der ,,ewig zwischen Wollen und Nicht wollen schwankende König" wurde meist vor vollendete Tatsachen gestellt, seine verfassungs- mäßig unentbehrliche Zustimmung wurde ihm in mehr oder minder hartem und zeitraubendem Kampf abgerungen. Die nationalen Schritte der letzten Monate vollzog er im Grunde freudlos oder nur mit halber Seele. Innerlich mit- erlebt hat er sie nicht. Mit dem Kaiserbriefe schien er sich, wie ein Zeitgenosse sich ausdrückt, ,, gänzlich verausgabt zu haben".

Bald folgte wie immer die bei dem Geisteszustand des Königs unvermeidliche seelische Depression. Der preußische Gesandte Freiherr v. Werthern berichtet in den auf die Kaiser- proklamation folgenden Relationen immer wieder von diesen seelischen Verstimmungen.^) Er will in einem Berichte vom 31. Januar wissen, daß sich der König seit der Unterzeichnung der Versailler Verträge nur schwarz kleide und Hemdknöpfe und Uhrkette aus Trauer- Jaspis trage. Er will vom Grafen Holnstein vernommen haben, es sei ein Glück, daß die Kaiser- proklamation und die Unterzeichnung der Versailler Verträge bereits erfolgt sei ; heute würde weder das eine noch das andere zu erreichen sein. Er berichtet am 18. Februar von anderen Äußerungen des Grafen Holnstein: daß die Veränderungen, die mit dem Könige vorgingen, ihm große Besorgnis einflößten; aufgestachelt durch die königlichen Prinzen habe sich der

1) H. A. A.

200

König in Vorwürfe über die Verminderung seiner Souveränität und in den größten Haß gegen Preußen hineingeredet; bei jedem Hofdiner, ja vor jeder Audienz trinke er große Massen schweren Weines, um seine Scheu vor den Menschen zu über- winden, und eröffne ihnen alsdann, ohne alles Ansehen der Person, durch unvorsichtige Reden die tiefsten Einblicke in die geheimsten Falten seines Herzens; so z. B. habe er zum Grafen Schönborn und dem Baron Frankenstein gesagt: er sei zu den Verträgen gezwungen worden und würde sie nie freiwillig unterzeichnet haben; zu einem englischen Kapitän Fairholm, der mit eingeladen war: der Kaiser werde demnächst hieher kommen, um sich in seinen neuen ,, Provinzen" huldigen zu lassen ; zum Generaladjutanten Grafen Pappenheim : er könne es nicht länger aushalten und werde abdanken. Tatsächlich hatte er schon vor mehreren Wochen, zur Zeit der Versailler Verhandlungen, mit diesem Gedanken gespielt oder vielmehr gedroht, hatte den Kabinettsekretär beauftragt ein Abdankungsdekret zugunsten seines Bruders Otto bereit- zuhalten, hatte diesen sogar aus dem Felde herbeirufen lassen um dann, als die angeblichen Abdankungsabsichten in das Volk drangen, alles aufzubieten, die Abdankungsgerüchte wieder zu zerstreuen. Jetzt kam er darauf zurück und soll dem Prinzen Otto einen Brief geschrieben haben mit der Adresse: ,,An Seine Majestät den König Otto I. von Bayern." Auch soll er sich nach dem am schnellsten wirkenden Gift erkundigt haben. Von der Diskussion bis zur Ausführung solcher Gedanken ist erfahrungsgemäß ein weiter Weg, aber als Symptom ist es immerhin lehrreich, daß überhaupt solche Gedanken aufkommen konnten. Der Gesandte stellt mit Recht ausdrücklich fest, daß bei diesen Äußerungen eines ge- störten Gemütes viel Komödie mit unterlaufe. Aber er be- fürchtet doch, daß sie ,,die Möglichkeit einer plötzlichen Rückkehr zur äußersten Reaktion oder, wenn die Wirkung der Spirituosen hinzukomme, zu einem Akte der Verzweiflung in sich schließen."

Nach einer von Gottfried Böhm gemachten Mitteilung hätte der König bald nach dem Abgange des Kaiserbriefes dem Kabinettsekretär Eisenhart den schriftlichen Auftrag erteilt, das Schreiben von König Wilhelm zurückzufordern.^) Er habe hinzugefügt, niemals hätten ihn die Fluten des Alpsees mehr angezogen um darin seinem elenden Dasein ein Ende zu machen. Jch bin nicht in der Lage, diese Nachricht zu kontrol-

^) Böhm, Ludwig II. ^

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lieren. Eine amtliche Auswirkung hat der angebhche Auf- trag sicherUch nicht erfahren. Aber das ist gewiß, daß der König bald den Versuch unternahm, einzelne Bestimmungen des Versailler Haupt Vertrags rückgängig zu machen.

Schon am 3. Dezember 1870, am Tage nach der Über- reichung des Kaiserbriefes, schrieb Kabinettsekretär Eisen- hart an den Grafen Bray: ,, Seine Majestät machen, obwohl durch Kaiserbrief und Vollmacht an Minister v. Lutz die Sache als entschieden anzusehen ist, noch immer Schwierig- keiten wegen Bundesexekution, Fahneneid, Bundesgesetz- gebung bezüglich Kriegszustandes, Bundeskompetenz in Ver- fässungsstreitigkeiten etc."^)

Wenige Wochen später machte König Ludwig den Ver- such, aus dem Fahneneide die im Versailler Vertrage vorge- schriebene Verpflichtung gegenüber dem Bundesfeldherrn im Kriege herauszunehmen. Er beauftragte den Prinzen Luitpold, in diesem Sinne auf den Preußenkönig einzuwirken. Am 10. Ja- nuar 1871 entledigte sich der Prinz in einer Audienz, die er sich vom Könige von Preußen erbat und die ihm dieser vor dem Diner gewährte, des heiklen Auftrags. Graf Berchem telegraphierte darüber am 12. Januar 1871 an das Ministerium des Äußeren: ,,Bismarck teilte mir vertraulich mit, daß Prinz Luitpold im Auftrage des Königs dem König Wilhelm den Wunsch aussprach, aus dem Fahneneid die Verpflichtung, den Befehlen des Bundesfeldherrn im Kriege zu folgen, heraus- zunehmen."2) Schon am Tage vorher hatte Bismarck eine gleichlautende telegraphische Mitteilung an den preußischen Gesandten in München gerichtet. 2) Noch vielsagender war die Motivierung des Schrittes durch den Prinzen Luitpold, wie sie Bismarck in diesem Telegramm nach München meldete: ,,Die Opposition sei in Bayern darum so groß, weil man dort gehofft hätte, die Kaiserwürde werde zwischen Bayern und Preußen alternieren, und man müsse darum suchen, sie durch eine solche Konzession zu beschwichtigen."*)

Der König von Preußen war verstimmt, er erklärte es für unmöglich, einen solchen Wunsch des Bayernkönigs im Bundesrat und im Reichstag durchzusetzen, er verlangte eine

1) M. St. A.

2) Beilagen IV, Nr. 22,

3) Beilagen IV, Nr. 21.

*) Danach wurde also bayerischerseits nicht die Forderung nach einer Alternierung der Kaiserwürde gestellt, sondern vom Prinzen lediglich er- wähnt, daß in bayerischen Kreisen der Glaube an eine Alternierung verbreitet gewesen sei.

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schriftliche Erklärung. Bismarck bezeichnete gegenüber dem Grafen Berchem die Forderung des Prinzen Luitpold als gleichbedeutend mit der Preisgabe der Versailler Verträge und mit einer Rückkehr zum alten Bündnisverhältnis. Der Kanzler möchte nicht an einen solchen Auftrag des Königs von Bayern glauben, er möchte eine Intrigue annehmen, der der König ferneste.he. Er beauftragt den preußischen Ge- sandten in München, mit Hilfe des Grafen Holnstein oder des Kabinettsekretärs Eisenhart zu sondieren, ob der König seinem Oheim wirklich einen solchen Auftrag erteilt habe. Am folgenden Tage weist er denselben Gesandten telegraphisch an, die drei Minister, die Bayern in Versailles vertreten hatten, vertraulich zu fragen, ob sie von dem Schritte Kenntnis hätten.

Freiherr v. Werthern suchte Fühlung mit dem Grafen Holnstein sowie mit den bayerischen Ministern. Graf Holn- stein glaubte allerdings, daß der König dem Prinzen Luitpold den Auftrag erteilt habe, aber nicht aus eigener Initiative, sondern nur um sich des unablässigen Drängens der Mitglieder des königlichen Hauses zu erwehren. Er folgerte daraus, daß es mit dem Auftrage nicht so ernst gemeint sei und es ihm leicht fallen werde, den König nach der Rückkehr in seine Hauptstadt von der Vergeblichkeit eines solchen Schrittes zu überzeugen. Bezüglich der Begründung des königlichen Auftrages durch den Prinzen Luitpold kam der Gesandte zu dem Ergebnis, daß sie dem Prinzen Luitpold ,, ausschließlich und allein" angehöre, da weder von einem Abgeordneten noch von einer Zeitung der äußersten Rechten, die sich doch in den letzten Wochen in den groteskesten Äußerungen und Wünschen wahrhaftig überboten hätte, auch nur die leiseste Andeutung eines derartigen Anspruchs gemacht worden sei. Aus einer Aussprache mit den Ministern glaubte der Gesandte folgern zu dürfen, daß Lutz und Freiherr v. Pranckh von der Absicht des Königs zu einem solchen Schritte nichts wußten, Graf Bray aber eingeweiht war. In Wirklichkeit erhielt auch Graf Bray erst in der Nacht vom 12. /13. Januar von dem Schritte des Königs Kenntnis, und zwar nicht vom Kabinett- sekretär Eisenhart, sondern vom Grafen Berchem, in jenem Telegramm vom 12. Januar, das dieser auf Veranlassung Bismarcks nach München gesandt hatte.

^) Siehe darüber den Bericht des Großherzogs von Baden. Beilagen IV, Nr. 23.

^) Telegramm Wertherns vom 15. Januar 1871.

203

Aus dem Verhalten des Prinzen Luitpold in Verbindung mit der Berichterstattung des Freiherrn v. Werthern wollte man im Hauptquartier schließen, daß die Initiative zu dem Antrage nicht vom Könige, sondern vom Prinzen Luitpold aus- ging. Das erhält durch ein Schreiben des Königs von Bayern scheinbar eine gewisse Bestätigung. Als nämlich Ludwig IL von der Verstimmung des Hauptquartiers über den Antrag des Prinzen Luitpold vernahm, schrieb er an den Hofsekretär Düfflipp: ,,Die Thronrede, seine Haltung am 19. Juli, sein Kaiserbrief, seine Briefe an Baron Stauffenberg und Lutz bewiesen seine deutsche Politik zu deutlich, als daß ein denken- der Mensch Konzessionen an die dummen Patrioten für möglich halten könne; es gebe aber Dinge, gegen die Götter und auch ein König vergeblich ankämpfe." Wer aber die Empfindlichkeit König Ludwigs IL und anderseits die kluge Zurückhaltung des Prinzen Luitpold kennt, wird sich kaum davon überzeugen lassen. Um so weniger, wenn er einige Wochen später, zum i. März, im Tagebuch des Großherzogs von Baden liest: ,,Aus München sind gestern merkwürdige Nachrichten eingetroffen. Darnach soll der König sich seit einiger Zeit sehr nachteihg darüber äußern, daß man ihn in der deutschen Kaiserfrage völlig mißverstanden habe. Er sei weit entfernt, einen erblichen Kaiser zu wünschen, und würde nie darauf eingegangen sein, einen solchen Antrag zu stellen, wie er getan, wenn er hätte voraussetzen können, daß es die Folge davon sein würde."

Im übrigen hatte der Zwischenfall^) keine weiteren Folgen, da man von beiden Seiten es vermied ihn weiter zu berühren. Aber einen Blick in das Innere des Königs hatte er doch eröffnet.

Bezeichnend war es auch, daß König Ludwig in dem Schreiben vom 24. Januar 1871, in dem er für die Antwort des Königs von Preußen vom 12. Januar und damit für die An- nahme der von ihm angebotenen Kaiserkrone dankte, des weltgeschichtlichen Vorgangs der Kaiserproklamation in Ver- sailles auch nicht mit einem Worte gedachte. 2)

Bezeichnend sind nicht minder die Bemühungen des Königs, Besuche des preußischen Hofes sich vom Leibe zu halten : den vermeintlichen Besuch des Kaisers, den wirklichen Besuch des Kronprinzen. Diese Abneigung gegen einen Be- such des Kaisers im Frühjahr 1871 ging nach einer Nachricht so weit, daß der bayerische Gesandte in Berlin, Baron Perglas,

^) Vgl. dazu auch Moritz Busch, Tagebuchblätter II, S. 47. ^) Beilagen IV, Nr. 25.

204

telegraphisch angewiesen wurde, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln dagegen zu arbeiten und unter anderen Gründen auch anzuführen, daß in München epidemische Krankheiten herrschen I^) Und doch hatte der Kaiser damals gar nicht die Absicht, den Rückweg von Versailles über die süddeutschen Residenzen zu nehmen. Es war nur ein Gerücht, das Freiherr v. Perglas aus höchst unsicherer Quelle nach München gemeldet hatte.

Ernster war die Absicht des preußischen Kronprinzen, zum Truppeneinzug in München zu erscheinen. Um so zäher die Bemühungen des bayerischen Königs, diesen zweiten Besuch des Kronprinzen zu hintertreiben. Sie setzen sich vom Früh- jahr bis zum Sommer fort, bis hart vor dem Eintreffen des Kronprinzen.'-^) Der preußische Gesandte hatte den Rat er- teilt, an dem Besuch unbedingt festzuhalten; der Kronprinz erfülle damit nur einen immer lauter werdenden Wunsch der Stadt München. Der Gesandte fügte hinzu: er möchte dafür einstehen, daß der König, wie gewöhnlich, sich ins Unvermeid- liche finden werde, wenn er diesem nicht ausweichen könne. Der König schickte sich allerdings ins Unvermeidliche, gab dem preußischen Kronprinzen von Röhrmoos bis München das Geleite, wohnte an seiner Seite dem Truppeneinzuge bei, trank bei der militärischen Tafel im Schlachtensaale der Residenz auf das Wohl der Armee und ihres ruhmreichen Führers, lud ihn noch am folgenden Tage, am 17. Juli, auf die Rosen- insel im Starnberger See ein. Aber dem Glanzpunkte der Feierlichkeiten, dem großen Militärbankett, blieb er fern und am folgenden Tage verließ er beim Morgengrauen, noch vor seinem Gaste, die Hauptstadt. Kurz vor der Ankunft des Kronprinzen hatte der König an seinen Bruder geschrieben : ,, Denke nur, Otto, aus politischen Gründen, gedrängt von allen Seiten, habe ich mich veranlaßt sehen müssen, zum Truppeneinzug den Kronprinzen von Preußen einzuladen, was mich geradezu zur Verzweiflung bringt; ach es ist wirk- lich kein Wunder, daß seit dem vorigen Jahre (Feldzug, Ab- schluß der Verträge etc. etc.) mir das Regieren und die Leute verhaßt wurden, und doch ist die königliche Stellung und das Herrscheramt das Schönste, Erhabenste auf Erden. Wehe mir, daß ich in eine solche Zeit hineingeschneit wurde, in der mir alles vergällt wird." 3)

1) M. St. A.

^) Vgl. darüber die Berichte des preußischen Gesandten, H. A. A.

•■') Brief Ludwigs II. vom 8. Juli 1871, M. H. A.

205

Der preußische Gesandte Freiherr v. Werthern sucht einen der Gründe für diese Wendung in dem Einflüsse der Kaiserin Ehsabeth von Österreich: „Die Ursache dieser Ver- stimmung hegt jenseits der bayerischen Grenze, sie kommt von Wien, und zwar direkt von Ihrer Majestät der Kaiserin Ehsabeth. Graf Holnstein hat dies glückhch entdeckt und glaubt diese schädliche Einwirkung durch die Bemerkung entkräftet zu haben, daß Ihre Majestät die Kaiserin den König seit dem Bruch der Verlobung mit Prinzessin Sophie gründ- lich haßt." Ich möchte den politischen Einfluß der Kaiserin Elisabeth, wenn er sich überhaupt in diesen Tagen geltend gemacht hat, nicht überschätzen, um so weniger als damals die Beziehungen zwischen Ludwig und Elisabeth nicht mehr so innig waren wie früher.

Die Gründe lagen tiefer. Sie lagen in dem inneren Zwie- spalt seiner Seele. Gewiß spielte er gerne den nationalen König, ließ sich gerne wegen seiner nationalen Verdienste und Opfer feiern, trotz seiner Verehrung für den Sonnen- könig. Aber er hing gleichzeitig mit einem mehr als könig- lichen Selbstgefühl, mit einer fast mystischen Andacht am Herrscheramte, empfand tief und schmerzlich den Verlust jedes einzelnen Kronrechtes, bangte gleichzeitig vor dem Urteile derer, die sich als Wächter dieser Kronrechte aus- gaben, und besaß doch nicht den Mut und die Festigkeit und bei seinen seelischen Ablenkungsmomenten auch nicht die Zeit, Gefahren für die Selbständigkeit Bayerns zähen, anhaltenden Widerstand entgegenzustellen, Worten die Tat folgen zu lassen. Es war notorisch, daß der König sich regel- mäßig in das Unvermeidliche fügte, wenn er ihm nicht aus- weichen konnte. Lehrreich ist der Bericht des preußischen Gesandten über eine Audienz vom 7. März 1871.^) Der Ge- sandte nahm die Gelegenheit wahr, um dem Könige zu sagen, welch mächtigen Enthusiasmus seine Politik in Norddeutsch- land, auch außerhalb der Regierungskreise, hervorgerufen habe und welch tiefe Sympathie man daselbst für seine aller- höchste Person empfinde. Der König, sichtlich erfreut, fällt dem Gesandten ins Wort: ,,0h, ich habe nur meine Pflicht getan, meine Pflicht gegen Deutschland." Und doch, un- mittelbar darauf bricht seine alte Besorgnis vor Preußen wieder durch: er spielte in derselben Audienz sehr deutlich auf die Tendenz Preußens zum deutschen Einheitsstaat an. Seit dem Jahre 1866 lebte er unter dem Banne der Furcht für

1) H. A. A.

206

Krone und Selbständigkeit. Bruder und Oheim, Großoheim und Großvater hatten diese Besorgnis beständig genährt. Freiherr v. Werthern hatte recht, wenn er an Bismarck schrieb : ,,Aus kleinen Zügen drängt sich mir die Überzeugung auf, daß die korrekte Haltung und Willfährigkeit des Königs Ludwig immer noch in schwerem Konflikte mit seinem wittels- bachischen Stolze liegt und ihren Ursprung weit weniger im Vertrauen als im Gefühl der Ohnmacht und Furcht hat."^)

Dieser Zwiespalt seiner Seele wurde genährt von einem Teile seiner Umgebung, von Mitgliedern des königlichen Hauses, von Mitgliedern der Hofgesellschaft, die wie der Erb- graf von Schönborn in dem angeblichen Besuche des Kaisers eine ,, Insulte für Bayern" erblickten. Von den Prinzen berichtet der preußische Gesandte, daß die Mehrzahl derselben, namentlich die Prinzen Karl und Adalbert, den König mit Briefen und Memoires, von denen die des Prinzen Karl von dem früheren Minister von der Pfordten ver- faßt seien, ,, unablässig bestürmten und seinen an sich nicht sehr starken Willen zu erschüttern suchten". Von der Hof- gesellschaft äußerte einmal Graf Holnstein in seiner drastischen Weise, daß sie noch heute jeden Preußen betrachte, als ob er aussätzig sei. So wenig der König sonst mit diesen Leuten verkehrte, in kritischen Augenblicken liebte er es, ihnen gegen- über sein Herz auszuschütten, sich in seinen Besorgnissen von ihnen bestärken zu lassen oder ihnen nach dem Munde zu reden. Der König liebte es, wie Freiherr v. Werthern richtig urteilte, namentlich bei Erteilung von Audienzen, verschiedenen Personen verschiedenes zu sagen, je nach ihrem politischen Standpunkte. Dieser Zwiespalt wurde auch genährt von mehr als einem der bayerischen Diplomaten an fremden Höfen, besonders dem Gesandten in Berlin, Freiherrn v. Perglas. Der Vertreter Preußens am Münchener Hofe, Freiherr v. Werthern, war zweifellos ein mehr als mittelmäßig begabter, ungewöhn- lich rühriger Diplomat. Aber gerade seine Überlegenheit und Aktivität war nicht geeignet, die Besorgnisse des Königs zu beruhigen. Im Gegenteil erhoben sich gegen ihn in Bayern so viele Anklagen, daß sich selbst Bismarck eine Zeitlang mit dem Gedanken beschäftigte, ihn abzuberufen.

Der Zwiespalt der Seele des Königs wurde auch genährt durch das Verhalten mancher nationaler Kreise im Süden wie im Norden. Je geflissentlicher sich der König von den nationalen Feiern in München fernehielt, desto mehr nahmen

^) Bericht Wertherns vom 12. Mai 1871 a. a. O.

207

sie gerade hier nach den Berichten des preußischen Gesandten einen „unnötig ungeduldigen und gegenüber dem König oppositionellen Charakter", an, was Ludwig II, nach der- selben Quelle zu Äußerungen reizte, wie: er werde jetzt be- jubelt, weil er durch die Versailler Verträge einen Teil seiner Hoheitsrechte verloren habe; er wisse nicht, wie er zu diesen Verträgen gekommen sei.^) Was der König auf dem Weg über die bayerische Gesandtschaft in Berlin von Äußerungen der nationalen Presse des Nordens zu lesen bekam, war noch weniger geeignet, seine Besorgnisse zu beschwichtigen: das durch die Versailler Verträge Erreichte sei nur etwas Unvoll- kommenes, nur eine Station auf dem Wege zum Einheits- staaten) Man bekommt geradezu den Eindruck, daß der bayerische Geschäftsträger mit seiner Berichterstattung auf den Argwohn des Königs spekulierte, namentlich wenn er hinzu- fügte : es werde eine feierliche Kaiserkrönung geplant, sei es mit der alten Kaiserkrone Karls des Großen, die man sich vielleicht von der Gefälligkeit des Grafen Beust erbitten werde, sei es mit einer neuen Kaiserkrone in Form eines ge- krönten Helms.

Der tiefste Grund für das Verhalten des Königs aber lag in seinem Geisteszustände. Mag es anfangs nur eine latente Anlage gewesen sein, es zeigten sich sehr bald und immer deutlicher die Symptome der Geisteskrankheit. Dieses Leiden ist unter dem Einflüsse der politischen Aufregungen, aber auch seines künstlerischen und künstlichen Traumlebens und seiner Abschließung von der Außenwelt, die ihm einerseits die Wohltat der eigenen wie der fremden Kon- trolle entzog, die anderseits sein Mißtrauen nährte, mit jedem Jahre gewachsen. Ein persönliches Zusammentreffen, eine persönliche Aussprache mit dem Preußenkönig hätte vielleicht manches Mißtrauen überwinden können; vor drei Jahren war der König tatsächlich von einer Begegnung mit König Wilhelm in Augsburg in auffälhg gehobener Stim- mung zurückgekehrt. Aber diesem Zusammentreffen, dieser Aussprache ging jetzt Ludwig grundsätzlich aus dem Wege. Das Mißtrauen saß ihm schon zu tief in der Brust. In seiner Einsamkeit aber ,, konstruierte er sich", um wieder mit Frei- herrn V. Werthern zu sprechen, ,, Phantome". ,,Sein Reich

war nicht von dieser Welt."

*

^) Bericht Wertherns vom i. Februar 1871.

2) Bericht Perglas' vom 21. Januar 1871, M, St. A.

208

Je kränker der König war, desto schwieriger, aber auch desto verdienstvoller war das Wirken der amtlichen und ver- antwortlichen Ratgeber des Königs in diesen Jahren: voran des Grafen Otto v. Bray- Steinburg, aber auch der Minister Lutz und Pranckh. Dieses Wirken ist damals wie später nicht immer gebührend gewürdigt worden. Nicht geringe Verdienste haben sich um Bayern und Deutschland auch einige Mitglieder der nächsten Umgebung des Königs er- worben, mit denen Bismarck durch Vermittlung seines Mün- chener Gesandten in steter Fühlung stand: Kabinettsekretär Eisenhart, Hofsekretär Düf flipp und nicht zuletzt der Ober- stallmeister Graf Holnstein, der schon auf die Haltung des Königs bei Kriegsausbruch einen wesentlichen Einfluß geübt hatte. ,,Es gibt hier niemand," schrieb der preußische Ge- sandte im kritischsten Augenblicke der Kaiserfrage, ,,der, wie er, mit genauester Kenntnis der Eigentümlichkeiten der maßgebenden Personen einen guten Willen und die Energie verbindet, auf eine befriedigende Lösung der Komplikationen des gegenwärtigen Moments hinzuwirken." Die Bedeutung des Adjutanten Major Sauer dagegen dürfte überschätzt worden sein.

Das Größte hat aber auch hier Otto v. Bismarck ge- leistet. Hinter und über all den geschilderten Aktionen stand die Riesengestalt des großen Kanzlers. Nicht die letzte und nicht die geringste von seinen weltgeschichtlichen Leistungen war das Vertrauensverhältnis, das er zum Könige von Bayern und zu immer weiteren Kreisen des bayerischen Volkes herzu- stellen verstand.

Bismarcks unitaristische Gegner sahen darin allerdings nur ein verderbliches, des preußischen Staates unwürdiges ,, systematisches Kokettieren mit Bayern", eine ,, raffinierte Tendenz, den Schneekönig von Hohenschwangau mit Huldi- gungen zu überschütten".^) Bismarck selbst hat in den Tagen der Reichsgründung wiederholt geäußert: er wisse wohl, daß ihm seine Zugeständnisse an Bayern mißdeutet würden. Aber es sei ihm darauf angekommen, daß Bayern freiwillig, ohne das Gefühl einer Vergewaltigung oder auch nur der Ausnützung einer Zwangslage, vielmehr mit dem Bewußtsein einer seiner Größe und seiner historischen Vergangenheit entsprechenden Stellung in das Reich eintrete, weil nur Reichsfreudigkeit den dauernden Bestand des Reiches ver-

^) Hermann Baumgarten an Duncker, 8. Dezember 1870, in: Dunckers pol. Briefwechsel, S. 461 f.

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bürge. Wie er im Jahre 1866 einem Frieden mit Bayern wider- sprach, der eine dauernde Verstimmung des bayerischen Selbstgefühls um eines belanglosen Landgewinnes willen ge- bracht hätte, so wies er im Jahre 1870 Versuche zu einer Ver- gewaltigung Bayerns zurück und vermied selbst einen wider- willigen Eintritt Bayerns in das Reich immer in der weisen Erkenntnis, daß völkische Einigkeit noch wichtiger sei als staatliche Einheit, daß Treue nicht aus Zwang, sondern aus Freiheit komme. An einem zufriedenen Bayern lag ihm, um mit seinen eigenen Worten zu sprechen, mehr als an „hundert der schönsten Paragraphen". ,,Ew. Majestät" schrieb er am 24. Dezember 1870 an den König von Bayern, „setzen mit Recht voraus, daß auch ich von der Zentralisation kein Heil erwarte, sondern gerade in der Erhaltung der Rechte, welche die Bundesverfassung den einzelnen Gliedern des Bundes sichert, die dem deutschen Geist entsprechende Form der Entwicklung und zugleich die sicherste Bürgschaft gegen die Gefahren erblicke, welchen Recht und Ordnung in der freien Bewegung des heutigen politischen Lebens ausgesetzt sein können."^)

Auch in der Folge hat Bismarck die föderativen Grund- lagen des Reiches sorgsam gewahrt, die Besonderheit und die Freiwilligkeit behutsam gepflegt. Er hat in der umfassenden Korrespondenz mit König Ludwig IL aus den siebziger und den achtziger Jahren den Föderalismus immer wieder als Pflicht der historischen Gerechtigkeit, als Forderung der politischen Nützlichkeit und Notwendigkeit, als starkes Boll- werk gegen Angriffe revolutionärer Elemente bezeichnet, die auf dem Boden einer unitarischen Verfassung viel schwerer abgewehrt werden könnten.

,,Ich bin beglückt", schrieb er in den siebziger Jahren an Ludwig IL, ,, durch das Vertrauen, welches Ew. Majestät mir aussprechen, und werde stets bestrebt sein dasselbe zu verdienen; aber auch unabhängig von persönlichen Bürg- schaften dürfen Ew. Majestät auf diejenigen (Bürgschaften) rechnen, welche in der Reichsverfassung selbst liegen. Letztere beruhen auf der föderativen Grundlage, welche sie durch die Bundesverträge erhalten haben, und können nicht ohne Vertragsbruch verletzt werden. Darin unterscheidet sich die Reichsverfassung von jeder Landesverfassung. Die Rechte Ew. Majestät bilden einen unlöslichen Teil der Reichsverfassung und beruhen daher auf denselben sicheren Rechtsgrundlagen

1) M. H. A.

Doeberl, Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. 14

210

wie alle Institutionen des Reiches. Deutschland hat gegen- wärtig in der Institution seines Bundesrates und Bayern in seiner würdigen und einsichtigen Vertretung im Bundesrat eine feste Bürgschaft gegen jede Unitarisierung oder Über- treibung der einheitlichen Bestrebungen. Ew. Majestät wer- den auf die Sicherheit des vertragsmäßigen Verfassungs- rechtes auch dann volles Vertrauen setzen können, wenn ich nicht mehr die Ehre habe dem Reich als Kanzler zu dienen."^) In einem Schreiben vom 29. Juni 1877 erklärte sich Bismarck gegen die Institution verantwortlicher Reichsminister „nicht um alleiniger Minister zu bleiben, sondern um die ver- fassungsmäßigen Rechte des Bundesrates und seiner hohen Vollmachtgeber zu wahren". ,,Nur auf Kosten der letzteren könnten die erstrebten Reichsministerien geschäftlich dotiert werden. Und damit würde ein Weg in der Richtung der Zentralisierung eingeschlagen, in der wir das Heil der deutschen Zukunft, wie ich glaube, vergebens suchen würden." Be- sonders charakteristisch ist ein Schreiben Bismarcks an den König aus den letzten Jahren, vom 3. April 1885: ,,Das huld- reiche Schreiben, mit welchem Ew. Majestät mich unter dem 29. März beehrt haben, gibt mir einen neuen Anlaß, dem Gefühle ehrfurchtsvoller Dankbarkeit Ausdruck zu geben, mit welcher ich auf die Jahre zurückblicke, während deren Ew. Majestät Gnade eine starke und unwandelbare Stütze bei der Erfüllung meines Berufes gewesen ist. Die nationalen Erfolge, denen ich in den jüngsten Tagen die ehrenvolle An- erkennung der verbündeten Fürsten und einer großen Zahl ihrer Untertanen verdanke, wären unerreichbar geblieben ohne den mächtigen Beistand Ew. Majestät. Die Erfahrungen von zwei Jahrzehnten haben gezeigt, daß die Einigkeit und die auf ihr beruhende defensive Stärke Deutschlands mehr von seinen Dynastien als von seinen Parlamenten zu erwarten hat ; in dieser Wahrnehmung allein schon liegt der Beweis dafür, daß das föderative Prinzip, in dessen Betätigung Ew. Majestät die bestehenden Einrichtungen sanktioniert haben, nicht nur der historischen Gerechtigkeit, sondern auch der politischen Nützlichkeit entspricht. Ich darf alleruntertänigst versichern, daß ich an demselben für alle Zukunft ebenso festhalten werde wie an der dankbaren Anhänglichkeit für Ew. Majestät."-) Versuchen des Reichstages, ,,sich als unitaristischen Konvent aufzuspielen," trat Bismarck mit der größten Schärfe

1) M. H. A.

2) M. H. A.

211

entgegen, wie er anderseits auch demokratische Anschläge auf das Gefüge des preußischen Staates mit der ganzen Wucht seiner kraftvollen Persönlichkeit niederrang.

Mit dieser föderativen Politik hat Bismarck zwischen dem Nationalstaat und den Einzelstaaten eine solche Inter- essengemeinschaft geschaffen, daß nicht der Reichstag, viel- mehr ganz im Sinne der ursprünglichen Absichten Bismarcks die im Bundesrate vertretenen Regierungen die Stützen des neuen Reiches wurden, dieselben territorialen Gewalten, die das alte Reich gesprengt, die eben noch mit der preußischen Vormacht um Sein oder Nichtsein gerungen hatten.

Mit dieser weisen Selbstbescheidung, mit dieser organischen Staatsauffassung hat Bismarck und das war das Meister- stück seiner Diplomatie, einer seiner schönsten Erfolge gerade den Fürsten, der sich persönlichen Werbungen am wenigsten öffnete, und den Staat, der sich am längsten und zähesten gegen den kleindeutschen Bundesstaat unter preußi- scher Führung gesperrt hatte, zu Trägern zugleich und zu Bürgen der deutschen Einheit gewonnen. Ein lebendiges Zeugnis ist das ungewöhnlich warme Vertrauensverhältnis zwischen dem jugendlichen König Ludwig IL und dem eisernen Kanzler, wie es aus der langjährigen Korrespondenz i) zwischen diesen ungleichen Charakteren ganz eigenartig hervorleuchtet.

König Ludwig IL hatte, wie einer seiner Kabinett- sekretäre richtig bemerkte, eigentlich nur zwei Menschen, denen er bis an sein Lebensende aufrichtig, herzlich und ohne Schwanken zugetan war: eine Frau und einen Mann. Die Frau war seine Kusine, die Kaiserin Elisabeth von Österreich, und der Mann hieß Bismarck. ,,Den kannte er, den bewunderte er, auf den verließ er sich. Konnte ich ihm einen Brief des Reichskanzlers überreichen, in dem er dem Könige die Fort- setzung der deutschen Politik auf föderativer Grundlage zusicherte, so hatte ich eine gute, sonnige Stunde, in der ich manches erreichte, was sonst unmöglich gewesen wäre. Er erschien dann frisch, verjüngt, wie von einem Alp befreit." 2) ,,Es drängt mich," schrieb der König am 6. Juli 1877 an den Kanzler, ,,es drängt mich, Ihnen, mein lieber Fürst, zu sagen, mit welcher Besorgnis mich vor einiger Zeit die Nachricht von der Möglichkeit Ihres Rücktritts erfüllte. Je größer meine persönliche Verehrung für Sie und mein Vertrauen zur födera- tiven Grundlage Ihres staatsmännischen Wirkens ist, desto

1) M. H. A.

*) Felix Philippi, Münchener Bilderbogen, S. 53 ff.

14*

212

schmerzlicher hätte ich ein solches Ereignis für mich und mein Vaterland empfunden. Zu meiner wahren Freude ist es nicht eingetreten und ich wünsche dem Reiche von Herzen, daß Ihre Weisheit und Tatkraft dem Reich und dem reichs- treuen Bayern noch lange nicht fehlen möge. In Ihrer Stellung zur immer wieder auftauchenden Frage verantwortlicher Reichsministerien erscheinen Sie als der starke Hort der Rechte der Bundesfürsten und mit wahrhafter Beruhigung nehme ich von Ihnen das Wort entgegen, daß das Heil der deutschen Zukunft nicht in der Zentralisation zu suchen ist, welche mit der Schaffung solcher Ministerien eintreten würde. Seien Sie überzeugt, daß ich es an ^nichts fehlen lassen werde, um Ihnen im Kampfe für die Aufrechterhaltung der Grund- lagen der Reichsverfassung die offene und vollste Unter- stützung meiner Vertreter im Bundesrate für die Zukunft zu sichern."

Und der Kanzler ? Er berichtet dem Könige von seiner Arbeit am Dienste des Reiches, von seinen Beziehungen zu Rußland, zu Österreich, zur Kurie, von seinen Erfolgen , aber auch von seinen Sorgen und Konflikten. Auch die Fürstin greift einmal zur Feder, um in rührenden Worten zu danken für die königliche Huld und die feinfühlige Sorge, die sie und ihren Gemahl Jahr für Jahr während ihres Kissinger Bade- aufenthaltes betreuen.

Das Vertrauen des Königs zu Bismarck war so uner- schütterlich, daß Ludwig IL noch in den letzten Tagen vor der Königskatastrophe seinen Rat und seine Hilfe anrief.

Unter der Regierung Ludwigs IL und seiner beiden Nachfolger ist Bayern geradezu zu einem der Eckpfeiler des nationalen Staates hinaufgewachsen, zu dem vertrauensvoll die emporblickten, die ehedem an seiner nationalen Trag- kraft gezweifelt hatten. Reich und Nation sind in das Innerste des bayerischen Volkes hineingewachsen.

Hatte vor dem Kriege des Jahres 1870 die Heeresreform noch zu kurz eingesetzt, um die bayerische Armee wirklich völlig gleichwertig der preußischen erscheinen zu lassen, fehlte damals der Mannschaft bei aller Tapferkeit die straffe Disziplin des preußischen Heeres, fehlte den meisten Offizieren der Lehrgang der Akademie, der wissenschaftliche Charakter, fehlten den bayerischen Truppenführern die Erfahrungen auf den alljährlichen Reisen des Großen Generalstabs: so hatte inzwischen, schon seit den achtziger Jahren, die bayerische Armee die volle Ebenbürtigkeit erlangt und hat sie im Weit-

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kriege glänzend bewährt trotz oder vielleicht gerade wegen des föderalistischen Prinzips. Wie freudig ist der Bayer, der Altbayer wie der Neubayer, in den Weltkrieg gezogen! Wo stand ein Regiment in deutschen Landen, das mit höheren vaterländischen Idealen in den Tod ging als das Regiment ,,List" ? Was hat allein der Klerus aller Konfessionen an nationaler Aufklärungsarbeit während des Weltkrieges ge- leistet, auch der katholische Klerus, der unter dem Ein- fluß der kirchenpolitischen Kämpfe noch in den siebziger Jahren argwöhnisch beiseite gestanden ? Gerade während des Weltkrieges wurde von der deutschen Reichsregierung ausdrücklich anerkannt, daß sich die föderative Reichs- verfassung aufs neue glänzend bewährt habe, daß sie den Bedürfnissen und Verhältnissen Deutschlands auf den Leib geschnitten und deshalb sorgsam zu pflegen und vor unitaristi- scher Verkümmerung zu behüten sei. Es war erst der revolu- tionären Legende vorbehalten, auch dieses Ruhmesblatt des alten Bayern zu zerpflücken und den letzten wittelsbachischen König desselben Verbrechens zu beschuldigen, mit dem die Totengräber des agilolfingischen Herzogtums den letzten Agilolfinger belastet hatten. In Wahrheit konnte König Ludwig am Schlüsse des Weltkrieges von sich und seinem Volke sagen: ,,reipublice inserviendo consumor". Sie hatten sich im Dienste des Kaisers und des Reiches verzehrt.

Mit der steigenden politischen Erkenntnis, aber auch mit dem politischen, wirtschaftlichen und seelischen Hineinwachsen Bayerns in die nationale Arbeitsgemeinschaft, in die er- weiterte, große und starke Welt des Bismarckischen Reiches hat diese Wendung der deutschen und der bayerischen Politik in dem persönlichen Verhältnisse des bayerischen Volkes zu Bismarck symbolischen Ausdruck gefunden : Otto v. Bismarck, dem Bayern ehedem ,,der böse Dämon des deutschen Volkes", die Inkarnation harter, ausschließlich preußischer Macht- politik, wandelte sich in den Augen des bayerischen Volkes zum eisernen Roland, der über dem Ansehen des deut- schen Namens in der Welt, aber auch über dem föderalisti- schen Charakter der Reichs Verfassung wacht.

Unter dem Einflüsse der Weimarer Verhandlungen, die auch dem bescheidensten Mann aus dem Volke zum greifbaren Bewußtsein brachten, daß von den Parteien eine ungleich größere Gefahr für den gesunden Föderalismus drohe als ehedem von den Regierungen und den Dynastien, ist das Bild des großen Kanzlers in der Seele des bayerischen Volkes ge-

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wachsen. Heute ist Bayern, und zwar nicht bloß die etwas anspruchsvolle Kapitale, sondern auch die weniger geräusch- volle Provinz ein Sammelbecken des Bismarckischen Reichs- gedankens. Auch das ist eine Auswirkung der Bismarckischen Reichsgründung, eine der wunderbarsten und doch zugeich folgerichtigsten.

Was jüngst einer der verständigsten und sachlichsten Historiker Englands, Gooch, in seinem Buche ,,Germany" von Deutschland und dem deutschen Volke schrieb, das gilt auch von Bayern und dem bayerischen Volke: ,,Die Einheit des Reiches steht fest gegen innere und äußere Feinde." ,,Der Oberbau des Bismarckischen Gebäudes ist eingestürzt, aber sein Fundament hat den Sturm überstanden. Der heutige Partikularismus will Verschiedenheit, aber nicht Auseinander- gehen, Einheit in Mannigfaltigkeit, nicht nationalen Selbst- mord."

Was dem deutschen Volke die Erfahrungen der letzten Jahre mit äußeren wie mit inneren Mächten mehr oder minder deutlich zum Bewußtsein brachten, dem hat der Engländer treffenden Ausdruck gegeben: Die unvergleichliche, wahrhaft staatsmännische Größe Bismarcks offenbarte sich in seinen diplomatischen Erfolgen nicht mehr als in der weisen Mäßigung, mit der er diese gebrauchte. In der Zeit der Reichsgründung hat er diese Mäßigung gegenüber Frankreich wie gegenüber Bayern bewiesen. Es war ganz im Geiste Bismarcks gedacht, wenn am 23. November, dem Tage der Unterzeichnung der bayerischen Verträge, der sonst sehr aktivistische preußische Gesandte v. Werthern an den nationalliberalen Führer v, Bennigsen schrieb: ,, Berliner Maßstab, angelegt auf Bayern, führt allemal zu falschem Resultat."

BEILAGEN

I.

Zur Haltung Bayerns bei Ausbruch des Deutsdi^französiscfien Krieges.

I. Wien 1870 Juli 7 (präsentiert 8.). Graf v. Fugger an den König

von Bayern.

(Original.)

In den jüngst verflossenen Monaten hat die Frage der Neu- gestaltung der inneren Verhältnisse Cisleithaniens fast ausschließ- lich das hiesige Kabinet beschäftigt. In der äußeren Politik hin- gegen war die Verhandlungen des Konzils ausgenommen keine Frage aufgetaucht, die das allgemeine Interesse in Anspruch genommen.

Es hat daher die Nachricht von der Kandidatur des Prinzen Leopold von Hohenzollern auf den spanischen Königsthron auch hier nicht nur auf der Börse Aufregung verursacht und dem Steigen der Kurse Einhalt gethan, sondern auch in politischen Kreisen große Sensation gemacht.

Ich hatte nun gestern Gelegenheit, den Herrn Reichskanzler vor seiner Abreise, die nächsten Sonntag oder Montag erfolgen wird, zu sehen, und ermangelte nicht, das Gespräch auf diese Thronkandidatur zu lenken.

Graf Beust ging bereitwilligst auf eine Besprechung hierüber ein und gab mir seine Ansicht bezüglich dieser Frage dahin kund, daß er glaube, daß das Projekt, den Prinzen Hohenzollern auf den spanischen Königsthron zu erheben, aufgegeben werden müsse, da es den Intentionen des Tuilerien-Kabinetts nicht entspreche und Letzteres die Angelegenheit sehr ernst nehme. Zugleich theilte mir der Reichskanzler mit, daß ihm soeben der spanische Gesandte Herr del Mazo im Auftrage seiner Regierung die Eröffnung gemacht habe, daß die Thronbesteigung des Prinzen Leopold nicht ohne vorhergehende Genehmigung der Cortes vollzogen werde.

In dieser Mittheilung erblickte Graf Beust bereits eine ,,recu- lade" der spanischen Machthaber und den ersten Schritt, von der gefaßten Idee ganz abzustehen.

Die aus Berlin hier eingetroffenen Nachrichten über die Frage der spanischen Thronkandidatur gehen dahin, daß man dort voll- ständig in Abrede steUe, von preußischer Seite irgend einen Ein- fluß ausgeübt zu haben.

Der Reichskanzler fügte die Bemerkung bei, daß er den Grafen Bismarck in dieser Sache nicht begreife, indem, wenn die Kandi-

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datur zu keinem Resultate führe, wie es bei der ernsten Haltung Frankreichs den Anschein habe, es für den Grafen Bismarck eine ,,blamage" sei, während das Gelingen des Projektes einen Krieg mit Frankreich hervorrufen könne, der für Preußen unter ungün- stigen Verhältnissen zu führen wäre, da besonders Süddeutschland sich nicht erwärmen werde, für einen Hohenzollern die spanische Königs kröne zu erwerben.

Die freundschaftliche Aufnahme, welche Erzherzog Albrecht von Seite des Kaisers von Rußland in Warschau gefunden, und die Auszeichnung, die dem österreichischen Prinzen durch die Ver- leihung des Großkreuzes des St. Georgs-Ordens geworden ist, haben hier den besten Eindruck gemacht, und es ist daraus zu entnehmen, daß die Beziehungen zwischen Rußland und Österreich in ein günstigeres Verhältniß getreten sind. M.st.A.

2. Paris 1870 Juli 7 (präsentiert 9.). Gesandter Graf v. Quadt an den König von Bayern.

(Original.)

Die kategorische Erklärung des Duc de Gramont, ein ent- schiedenes Veto gegen die spanische Throncandidatur des Prinzen Hohenzollern, hat einen außerordentlich enthusiastischen Beifall im Corps legislatif hervorgerufen. Gramont überbot noch in schar- fen Ausdrücken die Protestation des Constitutionnel. An der Börse erfolgte eine baisse von i fr. 40 cts. Der allgemeine Eindruck ist, daß seit 1859 ^^^ erstenmale wieder das französische Machtbewußt- sein zum Ausdrucke gekommen. Aus der im heutigen Journal officiel veröffentlichten Erklärung des Duc de Gramont hebe ich den Passus hervor:

,,Nous ne saurions nous resigner ä souffrir tranquillement qu'une puissance etrangere vienne par un de ses princes s'asseoir sur le trone de Charles Quint pour deranger l'equilibre actuel des forces en Europe et mettre en peril les interets et l'honneur de la France. Cette eventualite ne se realisera pas et nous comptons sur la sagesse du peuple Allemand et la fiere amitie du peuple Espagnol."

Diese geflissentliche Rücksichtslosigkeit gegen das Berliner Cabinet, welches man in Gegensatz zum peuple Allemand stellt, ist nicht darnach angethan, um das Einlenken in Berlin zu erleichtern. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß nunmehr die Französische Regierung es darauf abgesehen, mit Preußen anzu- binden oder zum mindesten letzteres, falls es nachgibt, eklatant zu demüthigen.

Im Corps legislatif spiegelte sich der kriegerische Eindruck in dem Antrage des Herrn Picard ab: ,,Le premier devoir du Depute est de ne pas laisser le Gouvernement engager la France sans le concours des representants de la Nation."

Herr Cremieux beantragte die Debatte des Budgets zu vertagen, da voraussichtlich dasselbe durch die bevorstehende kriegerische Wendung der Dinge wesentliche Modifikationen erleiden würde.

Herr Emile Ollivier betonte die Friedensliebe der kaiserlichen Regierung: ,,Le Gouvernement veut la paix, avec passion le meilleur moyen de la conserver, c'est la declaration franche et energique de sa politique, parceque chaquefois que la France s'est

219

montree ferme, on ne resiste pas ä ce que veut la France sans exageration et dans les limites de son droit." Im Gegensatz zu dieser Version der Abendblätter und zu der abgeschwächten Version im heutigen Journal officiel constatirt Herr Legationsrath Rud- hart, welcher der Sitzung anwohnte, daß Herr Ollivier sich folgen- der Ausdrücke bediente : ,,Chaquefois l'histoire nous le demontre que la France s'est montree ferme, l'Europe a plie devant la volonte de la France, exprimee sans exageration et dans les limites de son droit."

Herr Arago constatirte ,,que le Ministere vient de faire deux choses nommer le Roi d'Espagne et declarer la guerre."

Wenn auch bei diesem Anlaße die Kriegsgefahr sich noch ein- mal verziehen sollte, was der heute telegraphisch gemeldete Artikel des Constitutionnel in Aussicht stellt, so ist man doch zur Annahme berechtigt, daß fortan der Krieg zwischen Frankreich und Preußen näher wie je gerückt ist und der nächste beliebige Incident dessen Ausbruch herbeiführen wird. Die Gotthardsdebatte, die Discussion über das Militärbudget, endlich die HohenzoUern'sche Throncan- didatur haben den Französischen Chauvinismus in Fluß gebracht.

Beifolgender Artikel im ,,Soir" des Herrn EdmondAbout ,,Les Prussiens en Espagne" kennzeichnet als Ausdruck eines Oppositions- blattes die heutige Situation; Die Pression der öffentlichen Meinung, deren Indifferenz früher bei dem Belgischen Eisenbahnconflikt sich nicht verwerthen ließ, ist endlich gefunden, um die Kriegsaventüre nach Belieben zu spielen. M.st.A.

3. Stuttgart 1870 Juli 12 (präsentiert 13.). Gesandter v. Gasser an den König von Bayern.

(Original.)

Soeben verlasse ich Freiherrn von Varnbüler, welcher durch Freiherrn von Soden von der für ihn so überaus aufrichtigen und freundschaftlichen Haltung Euerer Königlichen Majestät Herrn Staatsministers desÄußern unterrichtet und dankbarst erfreut, auch seinerseits mir erklärt hat, keinerlei Entscheidung in der brennen- den Frage zu treffen, ohne mit Euerer Königlichen Majestät Regie- rung sich vorher verständigt zu haben. Außerdem würde Freiherr von Varnbüler alle ihm zukommenden interessanten Mittheilungen sowohl in München als auch mir bekannt geben. Ich dankte dem Minister herzlichst für diese Zusagen und sprach die Überzeugung aus, daß, wenn der Krieg wirklich nicht vermieden werden könnte, die von uns zu fassenden Entschlüsse durch das absolute Zusammen- gehen Bayerns und Württembergs um Vieles erleichtert würden.

Von Paris ist bisher nur ein Telegramm an den französischen Gesandten zur Kenntnis des Freiherrn von Varnbüler gelangt, worin das französische Cabinet auf die Präcedenzfälle in Belgien, Griechenland und Neapel verweist, um die Berechtigung zu dem Verlangen auszusprechen, daß König Wilhelm dem Prinzen Leopold die Annahme der spanischen Krone untersage.

Der preußische Geschäftsträger hat, in Abwesenheit des Baron Rosenberg, gestern dem Minister zwei Telegramme übersendet, in welchen eigentlich blos das Vorhandensein der Krisis constatirt wird. Eine Antwort darauf wird Baron Varnbüler nicht geben;

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für den Fall sie aber verlangt würde, erwidern, daß ihm die Anhalts- punkte für Formulirung einer Ansicht bisher noch fehlten.

Auf die Sache selbst eingehend, scheint mir Baron Varnbüler richtig zu urtheilen. Es ist nicht zu läugnen, daß die Inthronisation des Prinzen von Hohenzollern in Madrid Frankreich in eine unvor- theilhaftere politische Stellung bringt; denn, wenn auch aus dem preußisch-hohenzollerschen Vertrage von 1859 ^^^ ^^^ dem be- treffenden preußischen Gesetze rechtlich deducirt werden muß, daß Prinz Leopold kein Königlich Preußischer Prinz ist, so genügt in Betreff seiner künftigen faktischen Stellung, welche doch gewiß einer Unterstützung vom Auslande bedürfen würde, auf diejenige des Prinzen Carl von Rumänien zu verweisen; etwa auch an die heimliche Sendung von Zündnadelgewehren zu erinnern, welche als Eisenbahn-Bestandtheile durchgeschmuggelt werden sollten, und dergleichen.

Es ist also ganz erklärlich, daß Frankreich sein ganzes politi- sches Gewicht für die Beseitigung einer für die Zukunft drohenden Gefahr einsetzt. Darüber hätte es in Madrid und, da die ,, Kreuz- zeitung" bereits zugegeben, daß König Wilhelm seine persönliche Genehmigung zur Annahme der Candidatur gegeben, in Berlin zu verhandeln.

Die Consequenzen gingen primo loco nur diese drei Staaten an, und Süddeutschland müßte ganz unbetheiligt bleiben.

Nun eröffnete aber der Herzog von Gramont und Herr Ollivier die Unterhandlungen in einer derart undiplomatischen Weise, daß ein Nachgeben Preußens fast ausgeschlossen wird und man unwill- kührlich an einen parti pris von Seiten Frankreichs zu denken ge- zwungen ist. Ist dem so, dann ist der Krieg die revanche für 1866 und die spanische Throncandidatur blos der Vorwand; die franzö- sische Regierung verfolgt alsdann eine Entschädigung auf Kosten Preußens das heißt Deutschlands; in demselben Augenblick tritt aber auch die Frage der Verpflichtung an Süddeutschland heran.

Frankreichs offiziöse Zeitungen erklären die Regierung zu- friedengestellt, wenn Prinz Leopold auf die Candidatur verzichtet. König Wilhelm solle dem Prinzen die Annahme verbieten.

Mir scheint, und Freiherr von Varnbüler glaubt ebenfalls, daß, da Prinz Leopold kein preußischer Prinz ist, König Wilhelm ihm ernstlich und aufrichtig von der Annahme abzurathen hätte; dadurch aber den berechtigten Forderungen Frankreichs auch vollständig genügen würde.

Es sind leider Symptome vorhanden, daß die jetzige Lage schon seit geraumer Zeit vorbereitet worden wäre. So sagt mir heute Baron Varnbüler, der württembergische Geschäftsträger in Carlsruhe erinnere ihn daran, daß er ihm seinerzeit von einer Äuße- rung des Herrn von Freidorf f vom i. Mai berichtet hätte, wonach ein epochemachendes Ereigniß im Anzüge sei; und die Königin Augusta von Preußen soll bei ihrer Abreise von Baden-Baden vor 14 Tagen geäußert haben, sie wisse nicht, ob es ihr möglich sein werde im Herbste zurückzukehren. Andrerseits erhalte ich heute von einer recht glaubwürdigen Persönlichkeit aus Frankfurt einige strengvertrauliche Nachrichten, welche ich glaube, nicht un- erwähnt lassen zu sollen. Denn danach hätte der Herzog von

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Gramont bezüglich der Hohenzollern-Candidatur offenbar blos den Überraschten gespielt; es wäre ein bloßes Scheinmanöver, hinter dem sich die eigentlich viel tiefer gehende und gefährlichere Ver- bitterung verstecke. Diese Erbitterung hieße: Baden.

Preußen hätte nämlich, natürlich unter Connivenz des Groß- herzogs, Baden bereits vollkommen in eine norddeutsche Militär- provinz, das badische in ein norddeutsches Armeecorps verwandelt, dessen Kriegsministerium nur die Befugnis eines norddeutschen Corpskommandos besitzt, während der badische Militärstaat bis in das geringste Detail von dem Berliner Kriegsministerium ge- leitet wird. (Modificatis modificandis ist ja Ähnliches auch hier in Stuttgart seinerzeit versucht worden!)

Da aber ein derartiges blankes Vasallenthum selbst von dem jetzigen badischen Landtage bestimmt nicht gebilligt, noch weniger aber die Mittel zur strikten Ausführung der von dem Berliner Ministerium geforderten militärischen /Anordnungen und Ein- richtungen in dem Großherzogthum aufzubringen gewesen wären, so hätte sich Preußen auch die Aiisf ührungen unter specieller Leitung seiner Offiziere vorbehalten und bezahle direkt die zwischen dem höchst möglich zu erreichenden badischen Kriegs- budget und dem wirklichen \'erbrauch entfallende Differenz, während das badische Ministerium dafür zu sorgen hätte, daß diese Summe auch in der Abrechnung nicht zur Erscheinung komme.

Dieses, auch politisch, qua Preußen, ohne Zustimmung des Bundesrathes nicht einzugehende Verhältniß mit Baden soll sozu- sagen dadurch entdeckt worden sein, daß jetzt eben, unter Leitung des preußischen Genieofficiers Kutzbach, die Hauptwerke von Rastatt mit je einem eisernen Drehthurme (ähnlich, wie auf den monitors) armirt werden, von denen jeder zwei 75 Pfünder führe. Sechs sollen projektirt, einer schon fertig sein. Man schiene sich in Paris, von wo aus natürlich formell nichts dagegen gethan werden könnte, die Belege dafür beschafft zu haben, daß diese Thürme auf preußische Anordnung und mit preußischem Gelde um 442000 Tha- ler hergestellt werden.

Sollte die Hohenzollerische Candidatur demnach nur ein Anfang des Anfangs sein? M.st.A.

4.Wieni870 Juli 12 (präsentiert 13.). Graf v. Fugger andenKönig

von Bayern.

(Original.)

Bei der großen Wichtigkeit der plötzlich aufgetauchten Tages- frage hat der Reichskanzler Graf Beust seine vorgehabte Abreise zum Gebrauch der Badekur in Gastein auf unbestimmte Zeit ver- schoben. Zugleich ist der Graf hiedurch so beschäftigt, daß er leider nicht zu sprechen und auch an dem letzten Empfangstage das diplomatische Corps nicht gesehen hat.

So viel im Allgemeinen über die Intentionen des hiesigen Cabinetes bezüglich seiner Stellung dem französisch-preußischen Konflikt gegenüber bekannt wurde, wird die Haltung Österreichs die einer abwartenden Neutralität sein. Daß seine Bemühungen, den Frieden zu erhalten, nach beiden Seiten gerichtet werden, ist umso gewisser, als bei den unfertigen inneren \'erfassungsverhält-

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nissen Österreichs jede äußere politische Verwicklung die nach- theiligsten politischen Folgen mit sich brächte.

Es hat auch der drohende Ausbruch eines Krieges wegen der Thronkandidatur des Prinzen von Hohenzollern gestern eine deroute auf der Börse verursacht, wie sie selbst in den verflossenen Kriegsjahren 1859 ^^'^ 1S66 nicht vorkam. Diese panique wurde besonders durch die in einem Morgenblatte enthaltene Meldung bewirkt, im Ministerium des Äußern sei auf amtlichem Wege die Nachricht eingetroffen, daß König Wilhelm von Ems aus eine schroffe Erwiederung an Kaiser Napoleon abgeschickt und der spanische Botschafter in Paris von seinem Hotel die nationale Flagge entfernt habe.

Diese beiden Nachrichten wurden in der gestrigen ,, Wiener Abendpost" dementirt, und Vorsicht in der Aufnahme aller Privat- nachrichten bezüglich der Tagesfrage anempfohlen.

Sowohl in diplomatischen Kreisen als im großen Publikum ist man hier der Ansicht, daß das Kabinet der Tuilerien die Thron- besetzung Spaniens durch einen Prinzen aus dem Hohenzollern- schen Hause benützen wolle, um mit Preußen den großen Kampf zu beginnen, und es ist auch schwer, sich das Auftreten des Herzogs von Gramont in der spanischen Frage, gegenüber der französischen Kammer, zu erklären, wenn nicht die Absicht bestünde, einen Konflikt herbeizuführen. M.st.A.

5. Paris 1870 Juli 12. Graf v. Quadt an den Grafen v. Bray.

(Original.)

Der Artikel des Moniteur, den ich berichtlich eingesendet, ist, wie ich höre, vor seiner Veröffentlichung im Conseil des Ministres vorgelesen worden. Gleichwohl beschränkt sich vorerst, wie ich bereits telegraphisch gemeldet, die Verhandlung zwischen Paris und Ems auf die spanische Throncandidaturfrage. Die spezifisch preußisch-dynastische Streitsache ist offenbar der beste Deckmantel, um mit Preußen anzubinden. Die fran- zösische Politik hat es entschieden darauf angelegt, in kürzester Frist den Krieg mit Preußen einzuleiten. In den offiziellen Kreisen äußert man unverhohlen: ,,0n est admirablement prepare, c'est une occasion magnifique pour faire la guerre, il ne faut pas la laisser echapper, ce serait une grande calamite, si un arrangement pacifique prevalait." Daher auch die verletzendsten Zumuthungen an den König von Preußen gestellt werden, um einen Ausgleich zu hintertreiben. Das desistement des Prinzen von Hohenzollern ist schon nicht mehr genügend, sondern es handelt sich darum, den König von Preußen zu Erklärungen zu nöthigen, die eine eclatante Demüthigung involviren: ,,Le cabinet des Tuileries exige la respon- sabilite du Roi de Prusse, c'est sur cette question de responsabilite que reside la difficulte de la Solution." Die Reise des Prinzen Napo- leon in das Baltische Meer, angeblich wissenschaftlicher Natur, steht offenbar in Zusammenhang mit dem hier gegen Preußen beschlossenen Krieg. Wenn auch von Seite Englands alles aufge- boten wird, um den Krieg zu verhindern, so ist doch bei der nun ein- getretenen Sachlage kaum denkbar, daß diese Bemühungen Erfolg haben könnten. In der That bei dem hier in hellen Flammen auflo-

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dernden Chauvinismus und der Popularität des Krieges gegen Preußen wäre die kaiserliche Dynastie in Frankreich compromittirt, falls nicht eine eklatante Demüthigung von Preußen erzielt wird. Ein Ausgleich wäre ohnedieß offenbar nur mehr eine Pause ,,il faut en finir" wiederhallt es in ganz Frankreich, welches den be- waffneten Frieden satt hat.

Der kleine Aufschub für die Antwort Preußens bis Morgen Mittwoch ist wohl das maximum der Concessionen, welche Frank- reich der Friedensliebe Englands gemacht. Es circulirt zwar das Gerücht, daß eine ansehnliche Zahl von Deputirten sich zu Herrn OUivier begeben und demselben Folgendes vorgestellt: ,,de ne precipiter aucune resolution, que la Chambre n'accordera de sub- sides pour la guerre que si le Gouvernement prouve qu'il a epuise tous les moyens de negociation pacifique." Gleichwohl steht fest: die Majorität im Corps legislatif wird dem Winke der Tuilerien folgen, woselbst die sämtliche Umgebung des Kaisers den Krieg als unver- meidlich in Aussicht stellt.

Bei dieser Sachlage darf ich mir erlauben Euer Excellenz ergebenst zu ersuchen, mich geneigtest mit Instructionen ver- sehen zu woUen in Bezug auf die Haltung, welche ich gegenüber dem Duc de Gramont einzunehmen habe.

Nachträglich darf ich noch hervorheben, daß das ,, Journal des Debats" sowie der ,,Temps" in der brennenden Tagesfrage ganz isolirt stehen und nichts weniger als maßgebend angenommen werden können.

In der gestern telegraphisch mitgetheilten Äußerung des Duc de Gramont im Corps legislatif bediente er sich der Worte: ,,Tous les cabinets auxquels nous nous sommes adresses paraissent admettre la legitimite de nos griefs."

Bei der gegenwärtigen Sachlage werde ich mir fortan erlauben, Berichte politischen Inhalts, deren Geheimhaltung vor Frankreich wünschenswerth erscheint, durch in München wohnende verläßige, Privatpersonen an Euer ExceUenz gelangen zu laßen. M.st.A.

6. Berlin 1870 Juli 13 (präsentiert 14.). Freiherr v.Tautphoeus an den König von Bayern.

(Original.)

Graf Bismarck, welcher auf der Durchreise nach Ems gestern Abend hier angelangt war, fand ein lelegramm von dort vor, welches ihm die erfolgte Verzichtleistung des Prinzen Leopold auf seine Candidatur zur Kenntniß brachte, was ihn bewog in Berlin zu bleiben, da, wie er sagte, der König seiner nicht mehr in Ems bedürfe. Er gedenkt bis morgen hier zu bleiben. Der Bundes- kanzler conf erirte Abends mit dem russischen Staatskanzler Fürsten Gortschakoff und hatte auch mit dem Grafen De Lannay eine Begegnung.

Wie ich aus zuverlässigster Quelle vernehme, soU der Graf für den Moment keine weitere Gefährdung des Friedens besorgen, er sagte zu meinem Gewährsmann : ,,Le Prince a renonce, tout est fini." Dagegen soll er keine Zuversicht in die Dauer der friedlichen Beziehungen zwischen Preußen und Frankreich, welche jetzt aus- schließlich von der taktvollen Haltung des französischen Cabinets.

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abhängen, hegen. Herr von Thile, welchen ich heute Morgen be- suchte, erzählte mir, daß die preußische Regierung eigentlich nur halboffizielle Kenntniß von dem Verzichte des Prinzen, welcher, wie ich glaube, zunächst englischem Einflüsse zu verdanken ist, erhalten habe, da ihr diese Nachricht von Herrn von Werther aus Paris telegraphirt worden sei, welcher gerade bei dem Herzoge von Gramont sich befunden habe, als Olozaga demselben den Verzicht offiziell notifiziert hätte. Ich hielt es nicht für nöthig Herrn von Thile zu widersprechen, obwohl ich aus bester Quelle wußte, daß noch gestern Abends durch ein Telegramm des Königs selbst die bereits angeordnete Mobilisirung einiger Armeecorps wieder abbefoh- len worden war und überdieß auch das Telegramm an den Grafen Bismarck von Ems aus aufgegeben worden ist. Herr von Thile entschuldigte mit großer Geschäftsüberhäufung, daß er das diplo- matische Corps in den letzten Tagen mehrmals nicht habe empfan- gen können, und ersuchte mich der königlichen Regierung mit- zutheilen, daß deren bei dieser Gelegenheit bewiesene deutsche Haltung hier mit großer Anerkennung aufgenommen worden sei. ,,Wir können", fügte er bei, ,,die Haltung Badens und Bayerns in dieser Frage nur loben; ich sage ausdrücklich Bayerns und Badens", womit er andeuten wollte, daß man in Berlin mit der Haltung Württembergs sehr unzufrieden sei.

Die Aussichten für die Zukunft glaubte der Staatssecretär, vielleicht im Interesse Preußens, sehr schwarz ausmalen zu müssen.

M. St. A.

7. Berlin 1870 Juli 14. Telegramm Bismarcks an den nord-

deutschen Gesandten v. Werthern in München.

Nachdem die Nachrichten von der Entsagung des Erbprinzen der Kaiserl. Französischen Regierung von der K. Spanischen amtlich mitgetheilt worden sind, hat der Französische Botschafter in Ems Seiner Majestät dem Könige noch die Forderung gestellt, ihn zu autorisiren, daß er nach Paris telegraphire, daß S. Majestät der König sich für alle Zukunft verpflichtet, niemals wieder seine Zustimmung zu geben, wenn die HohenzoUern auf ihre Kandidatur wieder zurückkommen sollten.

S. Majestät hat es darauf abgelehnt, den Französischen Bot- schafter nochmals zu empfangen, und demselben durch den Ad- jutanten vom Dienst sagen lassen, daß S. Majestät dem Botschafter nichts VVxiteres mitzutheilen habe.

S. Majestät der König von Bayern wird ein Gefühl dafür haben, daß Benedetti den König auf der Promenade wider dessen Willen provozirend angeredet hat, um obige Forderung stellen zu können.

M. St.A.

8. Berlin 1870 Juli 14 (präsentiert 15.). Freiherr v. Tautphoeus

an den Staatsminister Grafen v. Bray.

(Original.)

Die Aufregung fängt allmählich an, obwohl spät, doch um so lebhafter alle Klassen der hiesigen Bevölkerung zu ergreifen, ins- besondere sollen die königlichen Prinzen äußerst kriegerisch ge- sinnt sein und der Kronprinz dem Grafen Bismarck vorgeworfen haben, daß er den König in Ems allein gelassen und zu einem mit der Würde Preußens nicht vereinbaren Schritte veranlaßt habe.

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Der Bundeskanzler bleibt selbstverständlich unter den ob- waltenden Verhältnissen hier, woselbst ein Ministerrath dem andern folgt.

Es gelang mir Herrn von Thile heute auf dem Wege in den Ministerrath einige Augenblicke auf der Straße festzuhalten und theilte mir derselbe mit, daß der König heute Abend, spätestens Morgen früh zurückerwartet werde, dann dürfte die Mobilisirungs- ordre sofort gegeben werden und sei die Einberufung des Reichstags auf nächsten Montag oder Dienstag in Aussicht genommen.

Den Krieg selbst hält man hier in allen eingeweihten Kreisen für unausbleiblich und herrscht hierüber eine seltsame Freude nicht blos in den von Siegeszuversicht erfüllten Offizierskreisen, sondern auch im Auswärtigen Amte, insbesondere soll Graf Bismarck, wie Herr von Thile selbst mir andeutete, ,,sich ganz in seinem Element" fühlen. Die französische Botschaft ist ohne alle Nachrichten. Bezüglich der Vorgänge in Ems erzählte mir Herr von Thile, Graf Benedetti habe den König auf der Promenade unaufgefordert an- gesprochen und um eine definitive Antwort ersucht. Der König habe ihm keine Antwort gegeben und als dann Benedetti später eine Audienz verlangte, habe ihm der König die bereits telegraphisch gemeldete Mittheilung durch den Adjutanten machen lassen. Der Staatssecretär sagte mir noch bei dieser Gelegenheit, er nehme seine tadelnden Äußerungen bezüglich Württembergs wieder zu- rück, nachdem Freiherr von Varnbüler ,,mieux tard que jamais" inzwischen die württembergische Regierung Frankreich gegenüber engagirt habe. Durch einen merkwürdigen Zufall verirrte sich ein Schreiben des Grafen Bismarck an Fürst Gortschakoff in die Gesandtschaf tskanzelei ; ich vermuthe, es enthielt Paraphirungen mit Bezug auf den Krieg. Die Umstände erlaubten nicht Näheres festzustellen . m. st. a.

9. Wien 1870 Juli 14. Graf v. Fugger an den Staatsminister Grafen v. Bray.

(Original.)

Bei der Intimität, die zwischen dem französischen und dem hiesigen Cabinete besteht, war vorauszusehen, daß in der so wich- tigen Frage über die Thronkandidatur des Prinzen von Hohenzollern zwischen hier und Paris ein lebhafter Ideen-Austausch statt finden würde.

Über die eigentlichen Verhandlungen selbst ist jedoch bis jetzt nichts bekannt geworden, und ich kann Euerer ExceUenz nur eine mir von sicherer Quelle zukommende Nachricht mittheilen, durch welche ein Anhaltspunkt über den Inhalt der bezüglichen Verhandlungen gegeben sein dürfte.

Als nämlich gestern der preußische Gesandte, General von Schweinitz, dem Reichskanzler im Auftrage seiner Regierung mit- theilte, daß zufolge eines Telegramms des Baron Werther aus Paris daselbst der spanische Botschafter Olozaga dem Herzoge von Gramont den Verzicht des Prinzen von Hohenzollern auf die spanische Krone eröffnet habe, nahm Graf Beust Gelegenheit, dem preußischen Gesandten ein Telegramm des Fürsten INIetternich zu zeigen, in welchem der österreichische Botschafter den Reichs-

Doeberl, Bayern und die Bismarckische Reichsgrändung. 15

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kanzler bittet, im jetzigen Moment weder den Prager Frieden noch die süddeutsche Frage in Paris in Anregung zu bringen, um dadurch nicht die angebahnte Ausgleichung des entstandenen Kon- flikts zu erschweren.

In dieser Eröffnung des Grafen Beust ist wohl der ernste Wille zu erkennen, daß Österreich bestrebt ist, seine Vermittlung zur Er- haltung des Friedens nach beiden Seiten hin aufrichtigst eintreten zu lassen. m. st. a.

IG. Wien 1870 Juli 15 (präsentiert 16.). Graf v. Fugger an den Staatsminister Grafen v. Bray.

(Original.)

Nachdem die Verzichtleistung des Prinzen Leopold von Hohen- zollern auf die Thronkandidatur hier bekannt geworden war, hat wie ich vernehme Graf Beust nicht gesäumt, in eindringlicher Weise nach Paris den Rath ergehen zu lassen, das französische Cabinet möge sich mit dem eben erfolgten Resiiltat seines Auftretens in dieser Sache begnügen und an Preußen nicht etwa andere For- derungen stellen.

Man hoffte bereits, daß der entstandene preußisch-französische Konflikt dadurch beendet und der Friede wieder gesichert sei.

In diesem Sinne hat auch gestern der ungarische Minister- präsident Graf Andrassy eine an ihn im Unterhause zu Pest gerichtete Interpellation beantwortet und dabei das Verdienst des Grafen Beust um die Erhaltung des Friedens gerühmt.

Um so unangenehmer überraschte daher der auf telegra- phischem Wege bekannt gewordene Zwischenfall in Ems. Über den eigentlichen Vorgang daselbst scheint noch keine voUe Gewißheit zu herrschen und daher die Tragweite dieses Ereignißes nicht mit Bestimmtheit bemeßen werden zu können. Doch hat es hier in allen Kreisen einen ernsten Eindruck gemacht, und man hält den Bruch zwischen Frankreich und Preußen für fast unvermeidlich.

Hiebei ist zugleich hervorzuheben, daß alle Journale sich für die strikte Neutralität Österreichs in dem allenfalls ausbrechenden Krieg aussprechen und dieselbe von der kaiserlichen Regierung erwarten. M.st.A.

II. Paris 1870 Juli 14. HerzogvonGramont an den Gesandten Frankreichs in München, Herzog von Cadore.

(Kopie, mitgeteilt vom Herzog von Cadore.)

Ms. le Duc, la rapidite avec laqueUe les evenements se sont succede depuis quelques jours, ne m'a pas permis de Vous tenir, autrement que par le telegraphe, au courant des impressions du Gouvernement de l'Empereur. Vous etes, d'ailleurs, suffisam- ment instruit des motifs du grave debat qui divise la France et la Prusse et je puis me dispenser de revenir avec Vous sur le detail des faits qui l'ont souleve. Le jour la candidature inattendue du Prince de Hohenzollern nous a ete revelee, nous avons senti que l'equilibre de l'Europe, non moins que les interets essentiels de notre pays, etaient directement menaces et, sans perdre un instant, nous avons en prenant les cabinets ä temoins rappele la Prusse ä l'observation de cette regle salutaire de la jurisprudence interna-

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tionale moderne, regle acceptee par tous dans l'interet de chacun qui veut qu'aucune grande Puissance ne deplace la balance des forces en recherchant pour un de ses princes une couronne etrangere. L'Europe a rendu justice ä la legitimite de notre reclamation; nos instances, appuyees par la pression d'une opinion que je puis dire unanime et par l'intervention des gouvernements amisde lapaix, ont obtenu un premier resultat considerable, la renonciation du prince Leopold de Hohenzollern ä sa candidature. Nous etions fondes ä concevoir, des lors, l'esperance que la question serait bientot resolue dans un sens pacifique et nous etions decides ä faire tout ce qui dependrait de nous pour qu'il en füt ainsi. Mais la prudence commandait qu'avant de nous croire desinteresses dans cette affaire, nous eussions une assurance positive contre le retour du peril qui nous avait si inopinement surpris. La meme Situation pouvait renaitre et le Prince Leopold revenir ä son premier projet, l'exemple donne par son frere, le Prince Charles de Roumanie, pouvait etre une tentation pour lui ; il devait etre un avertissement pour nous. Afin que notre confiance füt justifiee, il etait indis- pensable que le Roi de Prusse sans retour d'ailleurs, sur le passe, promit de ne point autoriser dans l'avenir le Prince de Hohenzollern ä monter sur le tröne Espagnol. La parole demandee au Roi ne compromettait en rien son honneur, son hesitation ä la donner devait nous inspirer des doutes sur la sincerite de la politique Prussienne; son refus devenait aussi alarmant pour notre patrio- tisme qu'offensant pour notre dignite.

Ms. le Comte Benedetti qui, sur l'ordre de l'Empereur, s'etait rendu aupres du Roi Guillaume ä Ems ä epuiser avec son auguste interlocuteur les arguments les plus propres ä le toucher, sans pouvoir obtenir la simple declaration que nous reclamions. En vain notre ambassadeur, interprete de nos sentiments, a adjure le Roi de donner ä la paix du monde ce gage devenu necessaire de ses intentions pacifiques. Sa Majeste non seulement a repousse cette demande d'une maniere absolue, mais Elle a temoigne qu'Elle entendait se reserver pour toutes les circonstances sa liberte d'action, et, apres cette reponse si peremptoirement negative, Elle a refuse d'accorder ä ms. Benedetti la nouvelle audience qu'il sollicitait. Ainsi les procedes ont ete aussi blessants pour nous dans la forme que la reponse a ete peu satisfaisante dans le fond et, comme pour empecher que nous n'eussions aucune Illusion ä cet egard, le Gouver- nement Prussien s'est häte de faire connaitre publiquement par l'intermediaire de ses journaux officieux, notammentdelagazette de l'Allemagne du Nord le deni d'audience oppose ä ms. le comte Benedetti.

Je pense qu'apres cet eclat il ne saurait y avoir un doute sur la volonte precongue du Cabinet de Berlin de nous pousser ä bout. Si une rupture, que nous nous sommes tant efforces et que nous nous efforgons encore de detourner, devenait malheureusement inevitable, l'Europe jugerait de quel cote ont ete la moderation, le droit et le souci de l'interet general des Puissances, de quel cote les dessins menagants pour la tranquillite commune. Nous nous sommes soigneusement gardes de compliquer par d'autres griefs le litige qui jusqu'ä ce jour il est essentiel de bien l'etablir a porte exclusivement sur la question du tröne d'Espagne.

15*

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Loin de chercher ä agrandir le champ de la discussion, nous l'avons restreint et circonscrit, et la nettete de notre conduite ä cet egard est une preuve assez manifeste de la loyaute de nos in- tentions. Je tiens surtout ä ce que les Gouvernements Allemands soient completement eclaires sur ce point, parcequ'il est le plus propre ä leur faire voir notre politique dans son vrai jour. II faut qu'ils sachent que tandisque la Prusse, poursuivant un interet qui n'avait rien d'Allemand, vouait ä des ambitions dynastiques et ä des plans de preponderance Europeenne toutes les forces dont eile dispose, la France n'a eu d'autre objet que de repousser une atteinte calculee pour compromettre gravement la securite territo- riale. Les Etats d'Allemagne meridionale doivent s'y tromper moins que tous autres, car on essaiera sans doute de les entrainer dans une querelle que la Prusse a fait naitre en demarquant des visees absolument etrangeres aux justes et nationales preoccupations des populations Allemandes. Mais le terrain cette puissance s'est placee elle-meme, est precisement trop en dehors des voies de l'Allemagne pour que les Gouvernements du Sud puissent l'y suivre, et nous avons la confiance qu'ils repousseront energiquement toutes les tentatives qui seraient faites pour les amener ä s'associer aux combinaisons aventureuses de la Maison Royale de Prusse.

M. St.A.

12. Berlin 1870 Juli 15 (präsentiert 16.). Freiherr v.Tautphoeus an den Königvon Bayern.

(Original.)

Herr von Thile empfing mich soeben und eröffnete mir, daß die preußische Regierung großen Werth darauf lege, daß sowohl die militärische als die politische Aktion der süddeutschen Staaten mit der hiesigen möglichst gleichzeitig und gleichmäßig erfolge.

Es sei deßhalb Baron von Werthern telegraphisch angewiesen worden, zu diesem Zwecke mit der bayerischen Regierung in's Benehmen zu treten, und hoffe man, es werde bayrischerseits auf seine deßfallsigen Mittheilungen, welche, wenn nicht dem Buch- staben, so doch dem Geiste der Allianzverträge entsprächen, bereit- willig eingegangen werden. Herr von Thile bezeichnete insbesondere die gleichzeitige Abberufung der Gesandtschaften aus Paris als besonders wünschenswerth und fügte bei, man werde von hier aus ein gleiches Ansinnen, wie an Bayern, auch an Baden und Württem- berg im Interesse eines gleichzeitigen diplomatischen und mili- tärischen Vorgehens gegen Frankreich stellen. Der Staatssekretär bat um Entschuldigung darüber, daß die deßfallsigen Mittheilungen an die bayerische Regierung wegen ihrer Dringlichkeit nicht in Form einer Note, sondern mittelst Telegramms an Baron von W^erthern erfolgt sei. Überhaupt war das Bestreben des Staats- sekretärs unverkennbar, mir gegenüber besonders zu betonen, daß die preußische Regierung das Eingehen auf ihre Propositionen als den Freundschaftsdienst eines Alliirten ansehen werde und wohl wisse, daß der Buchstabe des Vertrages dieselbe nicht berechtige jetzt irgendwelche Forderungen zu erheben.

Herr von Thile behandelte die ganze Angelegenheit mit sehr viel Takt und großem Aiifwande persönlicher Höflichkeit.

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Herrn von Thile zufolge wäre die allgemeine Mobilmachung sowohl in Frankreich als in Preußen in den nächsten Tagen zu erwarten. Ohne Zweifel würden die in der Nähe der französischen Grenze befindlichen Armeecorps und Festungen zuerst kriegsmäßig gerüstet werden. Die militärischen Details werden durch den Militärbevollmächtigten Baron von Freyberg ohnedieß zur Kennt- niß Eurer Königlichen Majestät gebracht werden. Ich inter- pellirte den Staatssekretär bezüglich der Stellung Belgiens und Hollands, worauf er sich dahin äußerte, die Neutralität Belgiens sei ohnedieß durch europäische Verträge garantirt und auch Holland habe erklärt, es werde seine Neutralität aufrecht zu erhalten wissen. Von preußischer Seite ist sohin eine Verletzung der Neutralität dieser beiden Staaten, wie es scheint, nicht beabsichtigt. Von hier aus vermag ich nicht zu beurtheilen, ob Frankreich, welches sich Europa gegenüber jetzt ohnedieß in einer falschen Position und ohne Allianzen befindet, auch noch durch eine Verletzung der Neu- tralität dieser Staaten die Zahl seiner Gegner zu vermehren keinen Anstand nehmen wird!

Während ich mit Copiren dieses Berichtes beschäftigt war, ließ mich soeben Graf Bismarck zu sich rufen. Er empfing mich mit großer Zuvorkommenheit und ließ sich eingehend über die Situation aus. Zunächst erwähnte er des Auftrages, welchen Freiherr von Werthern heute erhalten habe, der die von mir bereits oben an- geführte Mittheilung für München zum Gegenstande hat. Dann ging er auf die Stellung der übrigen Mächte zu Preußen über. Bezüglich dieser äußerte er sich ungefähr folgendermaßen: Öster- reich scheine ungeachtet seines Ressentiments gegen Preußen be- griffen zu haben, daß die Existenz zweier großer Militärmächte in Europa eine Garantie für dessen Ruhe sei. Österreichs Hal- tung werde deßhalb jene einer unbedingten, eher wohl- wollenden Neutralität Preußen gegenüber sein. Hierüber habe er durch das Cabinet von St. Petersburg auf Grund der Besprechungen des Kaisers Alexander mit dem Erzherzog Albrecht in Warschau indirekt Kenntniß erhalten. Was an Euere Majestät von dem Grafen Tauffkirchen aus Rom über die Haltung Italiens berichtet worden sei, erweise sich als unrichtig der Graf sagte , , Schwindel" und stamme der Irrtum davon her, daß Nigra und die Kaiserin von Paris aus für Aiif Stellung eines Corps von 80000 Mann durch das Königreich Italien agitirt hätten. Sogar aus Schweden und Holland habe er Telegramme erhalten, welchen gemäß die dortigen, Preußen sonst nicht sehr geneigten Regierungen ihre Anerkennung bezüg- lich dessen Haltung ausgedrückt hätten. Die Lage sei zwar ernst, jedoch für Deutschland militärisch günstig, nur die Küsten würden voraussichtlich zu leiden haben, da eine bedeutende maritime Aktion Frankreichs bevorstehe. Schließlich fügte er bei, selbst wenn Frankreich jetzt erkläre vom Kriege abstehen zu wollen, könne Preußen, nach dem was vorgefallen sei, nicht mehr zurück und hoffe er, Bayern werde in aUen Fällen ein treuer Bundesgenosse sein.

Soeben erfahre ich, daß Baron von Werther in Paris wegen Mangel an Energie bei Gelegenheit der letzten Verhandlungen einen unfreiwilligen Urlaub erhalten hat. m. st.A.

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13- Berlin 1870 Juli 15. Telegramm des Freiherrn V. Tautphoeus.

Es geht Note an Bayern ab, mit Aufforderung Allianz- Vertrag nachzukommen, da Angriff außer Zweifel; man will Stärke, Zeit, Ort, Concentrirung bayerischer Armee wissen. Südstaaten einge- laden, Commissäre nach Berlin zu schicken. Spanien wird auch Krieg erklären; Österreichs Ruhe durch Rußland moralisch garan- tirt. M. st.A.

14. Berlin 1870 Juli 15. Telegramm Bismarcks an den norddeutschen Gesandten in München v. Werthern.

Auf die heute gemeldete Erklärung der Französischen Regierung in der gesetzgebenden Versammlung hat des Königs Majestät soeben die Mobilmachung des Norddeutschen Heeres befohlen.

Nach den uns von der Königlich Bayrischen Regierung zu- gegangenen Erklärungen dürfen wir auf deren Einverständniß rechnen, wenn wir das ergebenste Ersuchen stellen, die K. Bayerischen Streitkräfte mit thunlichster Beschleunigung zur Vertheidigung Deutschlands ausrüsten zu wollen.

Ausfuhrverbot von Kriegsbedarf jeder Art, einschließlich Pferde und Fourage, heute ergangen, und in der Hoffnung, daß dasselbe in Bayern gleichfalls erfolgen werde, ist die Grenze gegen Süddeutsch- land offen gelassen. Sofort mitzutheilen.

Noch ohne Nachricht von Kriegserklärung, dagegen Meldung, daß Franzosen auf Luxemburg marschiren; Mobilisirung ge^^tern befohlen; Kronprinz Oberbefehl. m. st.A.

15. München 1870 Juli 15 (expediert 16. früh per Estafette). Antrag des Grafen Bray an den König.

(Original.)

Die Spannung, welche seit einer Woche zwischen Preussen und Frankreich aus Anlaß der Bestimmung des Prinzen Leopold von Hohenzollern zum Könige von Spanien eingetreten ist, hat auch durch die Verzichtleistung desselben auf die Spanische Krone nicht abgenommen, vielmehr ist der politische Conflikt zwischen den beiden mächtigen Staaten seit den letzten Tagen wesentlich ver- schärft worden, und ein Krieg zwischen Preussen und Frankreich scheint unvermeidlich zu seyn.

Bei dieser hochernsten Lage der Dinge hält es der treugehor- samst Unterzeichnete für seine Pflicht Ew. Majestät Nachstehendes ehrfurchtsvollst vorzutragen.

Wie Allerhöchstdieselben aus dem anruhenden Telegramm der K. Gesandtschaft zu Berlin vom 15. July Mittags zu entnehmen geruhen wollen, hat die K. Preussische Regierung an Bayern bereits eine Note ergehen lassen, womit auch die Regierung Ew. M. zur Theilnahme an dem Kriege aufgefordert und zugleich mit den übrigen süddeutschen Staaten eingeladen werden soll, sofort in einer zu Berlin abzuhaltenden Conferenz mit preussischen Corn- missären sich über die Modalitäten dieser Theilnahme, in Gemäßheit des AUianzvertrages, zu verständigen. Von der K. Württembergi- schen Regierung ist, wie Allerhöchstdieselben aus dem gleichfalls anruhenden Telegramme des Freiherrn von Gasser aUergnädigst

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ersehen, jene von Preussen bezielte militärische Cooperation bereits zugesagt, und um so mehr wird also die schleunigste Beschluß- fassung Ew. M. dringend geboten erscheinen.

Der treugehorsamst Unterzeichnete hat sich bisher darauf beschränkt, im mündlichen diplomatischen Verkehr die thunlichste Reserve zu beobachten und vor der nunmehr erfolgten näheren Entwickelung des Differend keinerlei bindende Erklärung abzu- geben. Eine solche läßt sich aber heute nicht länger verschieben, und Ew. M. werden hiebei ganz besonders in's Auge zu fassen geruhen, in welch exponirter Lage gegen Frankreich sich die Bayerische Rheinpfalz befindet, die jeden Tag einem Angriffe von französischer Seite her preisgegeben seyn kann. In der That erwartet man schon heute, daß der Kaiser Napoleon in Paris seine zweifelsohne kriege- rischen Entschlüsse in einer Botschaft an das Corps legislatif an- kündigen läßt, und in dieser Beziehung erlaubt sich der treugehor- samst Unterzeichnete Ew. M. ein weiteres Telegramm des Grafen Quadt allerunterthänigst beizuschließen. Durch ein dem süddeut- schen Correspondenzbureau zugekommenes Telegramm wird diese Erwartung bestätigt.

In Anbetracht vorstehender wichtiger Mornente fühlt sich nunmehr der treugehorsamst Unterzeichnete in Übereinstimmung mit sämtlichen Staatsministern gedrungen, an Allerhöchstdieselben die ehrfurchtsvollste Bitte zu richten, daß Ew. M. geruhen wollen, ihn unverzüglich mit denjenigen Directiven zu versehen, welche ihn in den Stand setzen, die Politik Bayerns in dem Sinne zu führen, welcher der Allerhöchsten Intention und Willensmeinung entspricht. Der treugehorsamst Unterzeichnete würde sich glück- lich schätzen, wenn Ew. M. ihm hier persönlich allerunterthänigsten Vortrag gestatten und hierauf die Allerhöchsten Befehle ertheilen wollten. Es ist dieß bis morgen früh unumgängHch nöthig, wenn nicht alle zum Schutz des Landes nöthigen Vorkehrsmaßregeln sich verspäten sollen.

Wie die Dinge liegen, wird es kaum möglich seyn, daß Bayern sich neutral verhalte; und wenn eine active Antheilnahme am Kriege nicht zu umgehen ist, dürfte die Wahl um so weniger Schwie- rigkeiten darbieten, indem ein Krieg Frankreichs gegen Preussen stets ein Angriffskrieg, ein Kampf um die Integrität des deutschen Gebietes seyn wird und in diesem FaUe der Artikel I des Allianz- vertrags vom 22. August 1866 die Verpflichtung Bayerns unzwei- deutig normiert hat, sowie dieß auch schon nach dem älteren deutschen Bundesrecht bestimmt gewesen war. m.si.a.

16. Paris 1870 Juli 14 (präsentiert 16.). Graf v. Quadt an den König von Bayern.

(Original.)

Die Erklärungen des Duc de Gramont sowie die Sprache des Constitutionnel und der anderen offiziösen Organe berechtigen zur Annahme, daß das Ministerium Gramont-Ollivier vorerst in fried- liche Bahnen eintreten will. Die von Herrn Gramont noch als schwebend bezeichneten Unterhandlungen dürften wohl nur in der Formulierung des Hohenzollern'schen Verzichtes liegen; einen Krieg deßhalb anzufangen, nachdem die Hauptsache, der Verzicht

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selbst, gesichert ist, dürfte als zu wenig gerechtfertigt erscheinen. Dieses wird als Standpunkt des Ministeriums angenommen werden können.

Indeß die kühle Aufnahme, welche die oben erwähnten mini- steriellen Erklärungen im Senate gefunden, und die große Erregung im Corps legislatif, woselbst Jerome David und Clement Duvernois, bekanntlich die Intimen der Tuilerien, ihre Interpellationen gegen das Verhalten des Ministeriums gestellt, erwecken immerhin noch ernste Besorgniße, daß das Ministerium zur Demißion gedrängt werden könnte. In diesem Falle würde die Frage offenbar deplazirt werden und die griefs gegen Preußen, respective die Kriegsfrage in den Vordergrund treten.

Wenn auch ursprünglich der Kaiser sorgsam darauf bedacht war, den Artikel 4 des Prager Friedens und die Süddeutschen Militär- Verträge von 1866 nicht als entree en matiere des Krieges zu ver- werthen, indem Seine Majestät bislang das Erwachen der deutsch- nationalen Frage ferne halten woUte, so steht doch dahin, ob bei der gegebenen Sachlage nach der so unglücklichen Hohenzollern- schen Campagne Napoleon nicht zum Krieg genöthigt sein wird. Ein Hauptargument der Kriegsparthei liegt darin, daß die Fort- dauer des bewaffneten Friedens, welch' letzterer durch die Hohen- zollernsche Differenz in seinen Lasten noch gesteigerter wurde, keine Lösung ist; vielmehr das heute militärisch vorbereitete Frankreich wesentliche Einbuße erleiden müßte, falls man nun Preußen Zeit laßen würde, seine Kriegsrüstungen zu betreiben. Zu dem kömmt noch in Betracht, daß das Prestige im Innern durch diesen Vorgang im hohen Grade beeinträchtigt ist: ,,rindecision de l'Empereur est entre deux pressions, celle del'Angleterre pour la paix et l'attitude de l'Europe et d'autre part son entourage qui pousse avec frenesie ä la guerre." Eine energische Demon- stration der Kammern müßte den Ausschlag für den Krieg geben. Es fehlt indeß auch nicht an Friedenselementen, welche sich namentlich mit der Berechnung trösten, daß Frankreich mit seiner finanziellen Prosperität weit mehr in der Lage ist, die Fortdauer des bewaffneten Friedens fortzusetzen und Preußen dadurch in Verlegenheit zu setzen.

In Bezug auf Belgien erfahre ich aus bester Quelle, daß der Duc de Gramont den belgischen Gesandten während der kriege- rischen Aspecten zu sich kommen ließ und demselben folgendes eröffnete :

,,Le Gouvernement Imperial est completement etranger aux insinuations malveillantes repandues dans quelques journaux sur la pretendue participation du Roi des Beiges dans l'af faire Hohen- zoUern; nous desirons rester dans les meilleurs termes avec la Belgique et l'incident des chemins de fer de l'an dernier a plustöt contribue comme les petites querelles entre amis ä cimenter nos bonnes relations avec la Belgique; mais il Importe au Gouvernement Imperial, ajouta Monsieur de Gramont, que la Belgique se trouve en mesure de faire respecter sa neutralite dans une guerre eventuelle. Le Baron Beyens donna les meilleurs assurances sur ce point ä Monsieur de Gramont en affirmant que toutes les mesures etaient prises par la Belgique pour sauvegarder sa neutralite." m.si.a.

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17- Stuttgart 1870 Juli 15 (präsentiert 16.). Gesandter v. Gasser an den König von Bayern.

(Original.)

Nachdem der Verzicht des Fürsten von HohenzoUern auf die Thron-Candidatur seines Sohnes auch hier die Überzeugung her- vorgebracht hatte, daß der französisch-preußische Streit beigelegt sein dürfte, und die öffentliche Meinung bis dahin für Preußen zum Mindesten kühl gewesen war, schlug dieselbe rasch um, als die Nachricht eingetroffen, daß Frankreich ein noch weiteresVerlangen stelle.

Wie Euerer Königlichen Majestät Regierung durch das vor- gestrige Schreiben des Freiherrn von Varnbüler bekannt ist, hielt dieser, bis zu genauerer Information, mit einer Äußerung Preußen gegenüber zurück; Baron Varnbüler war ebenfalls der Meinung, daß gewisse Bedingungen an Preußen gestellt werden sollten, und brachte diese Meinung im heutigen Ministerrathe vor. Wie ich soeben telegraphisch anzuzeigen mich beehrt habe, ist aber von den Ministern der Beschluß gefaßt worden. Seiner Majestät die mili- tärische Betheiligung Württembergs auf Seite Preußens ohne allen Vorbehalt zu empfehlen. Dieser Beschluß ist von allen andern Ministern, wie mir Baron Varnbüler sagte, mit Entschiedenheit gefaßt worden, da sie von der Meinung ausgehen, daß dadurch die Stellung Württembergs nach dem Kriege, Preußen gegenüber, welches dem Süden moralisch ungemein stärker verpflichtet sein würde, eine weitaus günstigere wäre.

Baron Varnbüler ist soeben nach Wildbad abgereist, um den Fürsten Gortschakoff zu sehen; er kehrt morgen früh hieher zu- rück.

Soeben hat der französische Gesandte seinen Curier aus Paris erhalten. Die französische Regierung legt, bezüglich der zweiten Forderung, unter Anderem auch großes Gewicht darauf, daß ,,Sa Majeste (König von Preußen) a non seulement repousse cette demande d'une maniere absolue, mais Elle a declare qu'Elle en- tendait se reserver pourtouteslescirconstances sa liberted'actions."

In diesem Augenblick trifft die Nachricht von der französischen Kriegserklärung ein.

Gott schütze Euere Majestät und Bayern!

P. S. Die Minister haben ebenfalls beschlossen. Seine Majestät den König zu ersuchen, nach Stuttgart zurückzukehren. m. st. a.

18. München 1870 Juli 17. Telegramm des Graf en v. Bray an Freiherrn v. Perglas in Berlin.

Auf ein von Baron Werthern mitgetheiltes Telegramm vom 15. d. M. hat die Regierung Sr. M. des Königs der an sie gerichteten Einladung sofort durch die unterm Gestrigen verfügte Mobilisirung der gesammten Streitmacht entsprochen und die erforderlichen Vorkehrungen getroffen, namentlich in Betreff des Ausfuhrver- botes von Kriegsbedarf jeder Art, einschließlich der Pferde und Fourage.

Baron Werthern ist in Kenntniß gesetzt. m. st.A.

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19- Berlin 1870 Juli 17. Freiherr v. Perglas an den König

von Bayern.

(Original.)

Die Lage bis zum gestrigen Tage ist Euerer Königlichen Maje- stät ausführlich und genau durch Freiherrn von Tautphoeus bericht- lich zur Kenntniß gebracht worden. Gleich nach meiner Rückkehr auf meinen Posten gestern Mittag habe ich Herrn von 1 hile besucht und mich bei Graf Bismarck gemeldet, der mich noch an demselben Abend V2I0 Uhr empfangen hat. Der Staatssekretär des Auswär- tigen Amtes sowohl als der Bundeskanzler sprachen mir Anerken- nung aus für die Vertragstreue Haltung Bayerns. Graf Bismarck erklärte mir, daß nunmehr kein Mittel bestehe, um den Krieg zu ver- hindern. Fast alle Cabinete, sagte der Bundeskanzler, und die öffentliche Meinung überall in der Welt beschuldigen Frankreich ausschließlich diesen ungerechten Krieg veranlaßt zu haben. Die Stimmung in ganz Deutschland sei für Preußen und dafür, nun den Krieg gegen die Franzosen mit aller Macht und Wucht aufzunehmen ; aus Provinzen, wo ein solcher nationaler patriotischer Geisi kaum erwartet werden durfte, äußerte er sich lebhaftigst in dieser Richtung. Wir werden 480000 Mann am Rhein aufstellen, sagte der Minister, und 300000 noch übrig behalten zur Vertheidigung der Küsten und Seehäfen, wobei der Kanzler die Haltung Hamburgs rühmend her- vorhob. In obiger Ziffer hatte Graf Bismarck die Truppen der süddeutschen Staaten nicht eingerechnet, die er im weiteren Ver- laufe der Unterredung auf nahe 120000 M. anschlug und dabei bemerkte, daß Frankreich nur 280000 M. aufstellen könne.

Man ist sich hier vollkommen siegesbewußt und erwartet sich von diesem Kriege die besten Erfolge und Garantien für die Zukunft

für die Interessen Deutschlands, vielmehr Preußens, dahin

denkt man schon jetzt, um sich die Macht und die Stellung ein für allemal zu sichern. Es wird daher von den anderen selbstständigen Staaten Deutschlands alles aufgeboten werden müssen, meine ich, um gleichfalls bei der künftigen Neugestaltung berechtigte poli- tische Stellung zu nehmen und sich zu sichern.

Eine Kriegserklärung war auch gestern Abend noch nicht an Preußen erfolgt, sagte mir der Bundeskanzler, und sind auch die diplo- matischen Beziehungen zwischen Preußen und Frankreich noch nicht abgebrochen. Herr Le Sourd ist hier imd Graf Solms als Geschäfts- träger in Paris, da Herrn von Werther die Weisung zugegangen in Urlaub zu gehen. Graf Bismarck sagte mir: ,,Ich habe ihn ange- wiesen Urlaub zu nehmen, er ist zu schwach gewesen und hat nicht verstanden dem Herzog von Gramont mit der nöthigen Entschie- denheit zu begegnen, er ist überhaupt seiner Stellung nicht ge- wachsen." (Graf Bismarck findet hier Gelegenheit sich des Baron Werther zu entledigen, dessen Berufung nach Paris gegen seinen Willen erfolgt ist, er wirft ihn weg mit Mißachtung, um nicht einen andern trivialen Ausdruck zu gebrauchen).

Wenn der Abbruch der offiziellen Beziehungen zwischen Preußen und Frankreich durch Abberufung der resp. Botschafter erfolgt sein wird, ,,wenn Graf Solms die Pässe zugeschickt sein werden", sagte der Graf, ,,und Herr Le Sourd um seine Pässe bitten wird", dann erwartet sich der Kanzler, daß der Abbruch auch von Seite der anderen deutschen Regierungen erfolge und nicht früher;

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er fügte bei: ,, Übereilen Sie Sich in Bayern in dieser Beziehung nicht, um vielmehr Zeit zu ihren Kriegsrüstungen zu gewinnen." Der französische Militärbevollmächtigte Stoffel ist auch noch hier, der zu den besonders privilegirten Freunden Graf Bismarcks gehört. Über ihn äußerte sich der Kanzler gestern, daß er der französischen Regierung die Aufschlüße und Pläne über die mari- timen Verhältniße und die Seehäfen Norddeutschlands geliefert habe.

Von meiner Seite habe ich den Bundeskanzler in Erfüllung meiner Instruction ,,der Vertragstreue" Bayerns versichert. Ich habe ihn zugleich gefragt, was von der Haltung Österreichs zu erwarten sey, worauf er mir erwiederte, wie er schon ausführlicher an Baron 1 autphoeus geäußert hatte, daß Österreich die Neutralität beobachten werde.

Der österreichische Geschäftsträger hat bisher, wie ich von ihm vernehme, keinerlei Eröffnungen hier gemacht mit Ausnahme der Mittheilung einer Circular-Depesche zur Zeit der Kandidatur des Erbprinzen von Hohenzollern. Graf Bismarck ist auch voll- kommen versichert, daß die Ansicht, daß die italienische Regierung nunmehr Frankreich gegen Deutschland irgendwie unterstützen werde, absolut gegen das Interesse Italiens sey; nur einige be- stochene Leute, wie sie es bei Custozza und Lissa waren, und ,, Nigra mit Eugenie" können eine französisch-italienische AUiance träumen. Er äußerte sich sehr zufrieden über den Ausdruck der öffentlichen Meinung in England und, als er mir ein Privattelegramm vorlas, in welchem die Beobachtung einer vollen Neutralität Englands betont war, fügte er stiUe bei: ,,Ich hoffe nicht immer" (diese Bemerkung ist gewiß bezeichnend und dürfte für die Stellung, welche von Rußland erwartet wird, Aufklärung geben). Als ich den Kanzler frug, ob das gestern publicirte Privattelegramm Begründung habe, daß Rußland aktiv gegen Preußen vorgehen werde, wußte er von dieser Nachricht nichts und bezeichnete sie natürlich als unrichtig. Selbst aus Schweden und Dänemark wollte Graf Bismarck Kundgebungen von Sympathien für Deutschland gegen Frankreich erhalten haben.

Nun keine Rücksichten mehr zu beobachten seyen, welche er bisher noch geachtet habe, will Graf Bismarck demnächst das noch nicht im vollen Umfange bekannte beleidigende Verfahren Bene- dettis gegen den König veröffentlichen. Die Gelegenheit hiefür dürfte bei der Eröffnung des Reichstags geboten sein, der zum Dienstag den 19. berufen ist. In der gestrigen Sitzung des Bundes- rathes ist beschloßen worden eine Anleihe von 120 Millionen Thaler zu verlangen. In derselben sind alle wichtigen Bestimmungen in maritimer Beziehung und bezüglich des Seerechtes im Kriege be- schloßen worden. Graf Bismarck hat in einem langen expose dem Bundesrath die Lage dargestellt, um ihn von der Frankreich aus- schließlich zur Last fallenden Schuld des Krieges zu überzeugen, und ist er einstimmig in allen Anforderungen unterstützt worden.

Als ich Graf Bismarck bemerkte, daß die rasche Entsagung des Erbprinzen von Hohenzollern im Interesse des Friedens sehr chevaleresque von seiner Seite gewesen sey, entgegnete er mir, daß er dieses gar nicht chevaleresque gefunden habe, vielmehr hätte der Prinz entweder die Kandidatur nicht annehmen oder, nachdem

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er sie angenommen habe, gleich nach Spanien gehen müßen, ohne viel zu fragen, keinesfalls aber die preußische Regierung in diese Angelegenheit verwickeln dürfen.

(Meiner Überzeugung nach war bei Ausbruch der spanischen Revolution, wenn nicht schon vorher, dieser Prinz für den spanischen Thron von Preußen in Aussicht genommen. Kein Cabinet und kein Monarch hat der spanischen Revolution soviel Sympathie bezeugt, als das preußische und König Wilhelm).

Von Augenzeugen höre ich, daß die Begeisterung in Berlin für den König bei Seiner Rückkehr vorgestern Abend, überhaupt bei Seiner Reise an allen Orten eine außerordentliche, unbe- schreibliche und rührende gewesen sei. Bei Umarmung des Kron- prinzen vergoß der König Thränen. Alles drängte sich an den König, um ihm die Hand zu küssen, was er diesesmal gewähren lassen mußte. Nun ist man hier in den eiligsten und eifrigsten Kriegs- rüstungen, beklagt aber an offizieller Stelle, daß die Mobilisirung der Armee nicht schon einige Tage früher angeordnet wurde . Herr von Thile bemerkte mir, man müße sich gefaßt machen, daß Frankreich anfänglich Vortheile erringen werde ; Moltke würde nur mit Massen vorgehen und einzelne Armee-Corps vorerst nicht operiren lassen.

Graf Bismarck entließ mich freundlich um lo Uhr, da er mit dem Kriegsminister zu conferiren hatte, ohne mir besondere und weitere Mittheilungen für Euerer Königlichen Majestät Regierung zu machen. Dieselben erfolgen übrigens direct durch Vermittlung der K. Preußischen Gesandtschaft in München. M.st.A.

20. München 1870 Juli 18. Antrag des Grafen v. Bray an den König von Bayern.

(Original.)

Der treugehorsamst Unterzeichnete beehrt sich, Euerer König- hchen Majestät zu melden, daß Baron Varnbüler gestern Abends nach 8 Uhr hier eingetroffen ist, um mit ihm eine eingehende Besprechung über die durch die neuesten Ereignisse gleichmäßig berührten Staatsinteressen Bayerns und Württembergs zu pflegen.

Der Württembergische Minister des Äußern hat sich vor Allem bemüht, den ungünstigen Eindruck zu verwischen, welchen die telegraphische Meldung über einen am 15. gefaßten Beschluß des Württembergischen Gesammtministeriums hier hervorgebracht hat, gemäß welcher jener Beschluß auf sofortigen bedingungslosen An- schluß an Preußen gelautet hätte. Baron Varnbüler erläuterte, daß eben nur über die zu stellenden Bedingungen Beschluß gefaßt worden sei, keineswegs aber über eine endgültige Zusage an Preu- ßen, welche schon durch die Abwesenheit Seiner Majestät des Königs von Württemberg und durch Dessen mangelnde Zustimmung aus- geschlossen war.

Freiherr von Varnbüler fügte bei, daß auch bis zur Stunde in Stuttgart, so wenig wie in München, eine förmliche Einladung Preu- ßens zur Erklärung über den casus foederis eingelaufen sei und daß somit die Nothwendigkeit, sich hierüber auszusprechen, keineswegs gegeben sei.

Daß ein solcher Ausspruch insbesondere nicht öffentlich er- folgen dürfe, solange von keinem der Hauptbetheiligten eine Kriegs-

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erklärung vorliegt, ist selbstverständlich und würde ein Voran- gehen in kriegerischer Richtung zur Folge haben, welches mit der eigenthümlichen Stellung der deutschen Südstaaten nicht verein- bar ist.

Aus eben diesem Grunde hat sich der treugehorsamst Unter- zeichnete veranlaßt gesehen, einen Artikel der Correspondenz Hoff- mann, welche meldet, daß Bayern mit Preußen in den Kampf gegen Frankreich vorgehen werde, als vom Ministerium des Äußern nicht ausgehend zu bezeichnen, nachdem ihm eine solche Ankün- digung jedenfalls verfrüht erscheint.

Freiherr von Pranckh hat sich dieser Erklärung im Namen des Kriegsministeriums angeschlossen.

Mit dem Freiherrn von Varnbüler ist über die gesammte Haltung beider Regierungen während der gegenwärtigen Ciisis vollständige Übereinstimmung erzielt worden, und es steht zu hoffen, daß das Verhalten der K. Württembergischen Regierung dieser Zusage entsprechen werde, weil ihr eigenes Interesse dem Einhalten ihres Versprechens entspricht.

Baron Varnbüler hat heute Früh um 6 Uhr München zur Rück- kehr nach Stuttgart verlassen.

Eingesehen.

München, den 20. Juli 1870

Ludwig. M.st.A.

21. München 1870 Juli 18. Der norddeutsche Gesandte V. Werthern an den Grafen v. Bray-

(Original.)

Am 14. d. M. hat der unterzeichnete Gesandte des Norddeutschen Bundes die Ehre gehabt, bei Sr. Excellenz dem Herrn Grafen von Bray, K. bayerischer Minister des Äußern, im Auftrage seiner Regierung anzufragen, ,,auf welche Unterstützung Seitens Bayerns dieselbe im Falle eines französischen Angriffs rechnen könne".

Die hierauf erfolgte Antwort Sr. Excellenz lautete dahin: daß in diesem Falle Bayern auf der Seite des Norddeutschen Bun- des stehen werde, und bemerkte Hochderselbe, daß er sich in diesem Sinne bereits gegen den Kaiserlich französischen Gesandten geäußert habe.

In Übereinstimmung mit dieser Mittheilung steht die von Sr. M. dem Könige von Bayern unter dem 16. d. M. angeordnete Mobilisirung der K. bayerischen Armee.

Die bekannten von der Kaiserlich französischen Regierung abgegebenen Erklärungen in Verbindung mit den von derselben getroffenen militärischen Maßnahmen lassen keinen Zweifel auf- kommen, daß der Kriegsfall schon jetzt eingetreten ist.

Der Unterzeichnete glaubt daher, das durch die Bündniß- verträge vom 22. August 1866 begründete Verhältniß zwischen den beiden hohen Regierungen, dem Ernst der Lage entsprechend, mit vollkommener Klarheit feststellen zu soUen, und dem zu Folge b)eehrt er sich den Herrn Minister des Äußern ganz ergebenst zu ersuchen, constatiren zu woUen, daß die K. bayerische Regierung den casus foederis durch die Haltung Frankreichs als gegeben erachtet.

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und sieht derselbe, unter dem Drange der Umstände, ohne Verzug einer gefälligen Rückäußerung ergebenst entgegen.

Der Unterzeichnete benutzt diesen Anlaß, dem Herrn Grafen von Bray den Ausdruck seiner vorzüglichsten Hochachtung zu erneuen. m. st.A.

22. München 1870 Juli 19. Telegramm des Grafen v. Bray an den Gesandten Freiherrn v. Gasser in Stuttgart.

Durch preußischen Gesandten wurde durch Note angefragt wegen Anerkennung casus foederis. Wunsche zu erfahren, ob gleiche Anfrage in Stuttgart erfolgte, und wie Varnbüler zur Zeit antwortet. m.si.a.

23. München 1870 Juli 19. Handschreiben König Ludwigs IL

an den Grafen v. Bray.

(Original.)

Mein lieber Staatsminister Graf Bray! Ich habe von der Note des am hiesigen Hofe beglaubigten preussischen Gesandten vom 18. Juli 1. J. Einsicht genommen und ermächtige Sie, dem Vertreter der preussischen Regierung sofort zu erklären, daß Ich den casus foederis als gegeben erachte, wonach die weiteren Maßnahmen unverzüglich einzuleiten sind. Indem Ich Ihrem bisherigen umsichtigen Verhalten Meine vollste Anerkennung zolle und auf Ihre fernere opferwillige und thatkräftige Mit- wirkung rechne, verbleibe Ich mit bekannten Gesinnungen

Ihr gnädiger König

Ludwig M.st.A.

24. Wien 1870 Juli 17 (präsentiert 19.). Graf v. Fugger an den

Grafen v. Bray.

(Original.)

Es ist mir soeben möglich geworden, den Herrn Reichskanzler zu sprechen und seine Ansicht über den preußisch-französischen Konflikt zu vernehmen.

Graf Beust äußerte sich dahin, daß er nun selbst alle Hoffnung auf irgend eine friedliche Lösung aufgegeben habe, und bestätigte mir, daß außer dem von Eurer K. M.Regierung gemachten Vermittlungs- vorschlag von keiner Seite Schritte zur Verhütung des Kriegsaus- bruches versucht wurden.

Er glaubte zugleich seine Meinung dahin aussprechen zu sollen, daß es vielleicht möglich gewesen wäre, den Ausbruch von Feind- seligkeiten zu verhindern, wenn Süddeutschland Preußen gegen- über erklärt hätte, daß bei einem wegen der Kandidatur des Prinzen HohenzoUern ausbrechenden Kriege es nicht den casus foederis für gegeben erachte.

Der Reichskanzler fügte bei, daß allerdings Frankreich durch sein Vorgehen den furor Teutonicus auf ungeschickte Art gegen sich wachgerufen habe, und daß daher die Kabinete in München und Stuttgart genöthigt waren, der allgemeinen Stimmung Rech- nung zu tragen.

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Zugleich bedauert Graf Beust, daß Süddeutschland dem Hauptanprall der Franzosen ausgesetzt sein werde.

Schließlich betonte er die neutrale Haltung Österreichs in dem bevorstehenden Kampfe, indem er bemerkte: Österreich werde diesmal Zuschauer bleiben. m.si.a.

25. Paris 1870 Juli 17 (präsentiert 19.). Graf v. Quadt an den Grafen v. Bray.

(Original.)

Gemäß der mir gestern gewordenen Weisung begab ich mich heute, nachdem der Duc de Gramont auf meine Anfrage mich um 3 Uhr Nachmittags empfangen, begleitet von Herrn Legationsrath Rudhart, um letzteren anläßlich meines Urlaubs als interimistischen Geschäftsträger vorzustellen, ins Ministerium des Äußern. Als ich beim Duc eingetreten war, eröffnete ich demselben, daß ich von dem mir Ende vorigen ^Monats schon bewilligten Urlaub morgen Gebrauch machen würde, mit dem Bemerken, daß Herr Legationsrath Rud- hart mit mir gekommen, um als Geschäftsträger vorgestellt zu werden.

Der Duc de Gramont empfieng mich auf das freundlichste und bat mich sofort den Herrn Legationsrath eintreten zu laßen, indem er einen großen Werth darauf lege, daß derselbe als Geschäfts- träger seinen Eröffnungen beiwohne.

Monsieur de Gramont debuta par le differend qui s'etait eleve avec le Roi de Prusse en affirmant que le telegramme officieux de la ,, Norddeutsche AUg. Zeitung" ne presentait pas le differend sous son veritable jour, qu'il avait l'air d'insinuer comme quoi Ms. Benedetti aurait regu un affront ce qui n'etait pas. Tout au contraire, continua le Duc, Ms. Benedetti a ete dans les meilleurs termes avec le Roi pendant toute la duree de son sejour ä Ems; il n'y a rien eu de blessant dans les procedes personnels du Roi pour notre ambassadeiu". Je ne voudrais rien dire qui put faire tort au Roi, car apres tout il viendra un moment ou vaincus ou vainqueurs nous nous serrerons encore la main; mais je ne puis cependant dissimuler que le Roi n'a pas ete ä la hauteur de la Situation: L'absence de Ms. de Bismarck ä Varzin et par suite l'interim de Ms. de 1 hiele ont contribue de leur cote ä compliquer la Solution du differend; c'est malheureusement ce concours de circonstances fächeuses, qu'il faut attribuer l'insucces des negociations entamees par nous avec la Prusse. La question a ete bien simple et pouvait se resoudre sans prejudice des deux gouvernements en cause: Je ne sais si vous etes au courant de la proposition du Comte Bray dont les procedes sages ont ete vivement apprecies par nous, car la Solution proposee par votre ministre menagait toutes les positions en invitant le Roi de Prusse ä reconnaitre en principe ce qui avait ete pratique par la France au sujet du Duc de Nemours pour la Belgique et par l'Angleterre pour le Prince Alfred, appele au tröne de Grece par l'unanimite des Grecs, et ces princes y renongant par les considerations qui resultent de ce principe.

Le Roi de Prusse en se refusant ä cette satisfaction qui aurait repondu ä nos vues, par sa precipitation ( le telegramme precite de la Norddeutsche Allg. Zeitung ) a compromis la Solution paci-

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fique. Je sais, continua le Ministre, que votre Gouvernement n'a pas encore reconnu le casus foederis jusqu'ä present, ce dernier ne pouvant s'appliquer qu'au cas d'une violation de fait du territoire Allemand; mais l'eventualite imminente d'une guerre avec laPrusse doit forcement emmener une violation: dans l'etat des choses il nous est impossible de diff erer plus longtemps afin d'etre fixe si nous avons la Baviere comme ennemie, neutre ou amie. Dans le premier cas il ist evident que le Palatinat Bavarois sera le champ de bataille de la Prusse et de la France et cette province se trouvera par le fait dans la triste position d'etre traite par les deux belligerants comme pays conquis c'est ä la Baviere de reflechir si eile veut prendre la responsabilite des fleaux qui vont fondre sur elles. A cette occasion le Duc de Gramont fit entrevoir sans la nommer, la position hostile de l'Autriche envers la Baviere au cas qu'elle serait partisan de la Prusse; si eile reste neutre, la France se fera un devoir de lui f aciliter cette position de son mieux, car nous ne me- connaissons pas les difficultes qui resultent pour le Gouvernement Bavarois dans cette grave question; comme ami, il s'entend de soi meme qu'elle partagera avec nous le benefice des succes. Mais il est temps que la Baviere se prononce dans le plus bref delai, car nos interets sont trop engages pour attendre plus longtemps.

En faisant observer au Duc de Gramont, combien le sentiment national Allemand etait surexcite par le langage provoquant des journaux frangais qui representaient la conquete du Rhin comme objectif de la guerre, combien il etait difficile aux gouvernements Allemands de se mettre en travers de ce courant national, le Duc de Gramont accentua l'assurance positive, que ces journaux expri- maient le contraire des vues du Gouvernement Imperial; loin de la, dit le Ministre, je puis vous affirmer que la France, en cas de succes contre la Prusse, se gardera bien de demander le moindre petit lambeau du territoire Allemand. Apres tout, fit-il observer, les provinces Rhenanes sont foncierement Allemandes et ce serait une faute colossale de la part du Gouvernement Frangais de s'annexer les Clements hostiles qui ne feraient que grossir les bancs de l'opposition. Notre but, ajousta Ms. de Gramont, est d'empecher le Prussianisme en Allemagne et je ne comprends pas en quoi seraient leses les Gouvernements du Sud si nous annulons le grand duche de Bade qui n'est qu'une succursale de Berlin (A cette occasion le Duc de Gramont s'exprima tres vivement contre les procedes du grand duc de Bade) et retablissons dans le Nord le Royaume de Hannover en l'agrandissant de maniere ä ecarter les dangers qu'offrait la Prusse preponderante en Allemagne. Le duc de Gramont repeta que la Baviere est ä meme d'epargner ä ses Su- jets le fleau de la guerre sans prejudice de sa dignite puisque l'in- tegrite du territoire Allemand sera sauvegarde.

Je ne meconnais pas les difficultes qui resultent pour votre Gouvernement de la Situation, et je fais une large part ä ces motifs qui l'ont fait hesiter ä prendre un parti, mais d'un autre cote il nous est impossible de differer, car aussi nous avons ä lutter contre un courant national qui au bout de huit jours, comme vous avez pu le remarquer, a pris des proportions colossales; il Importe donc que la Baviere se prononce dans le plus bref delai et pese serieu-

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sement les graves consequences qui resulteront pour eile, si eile se fait le partisan de notre ennemi la Prusse.

Hier endigte unsere Unterredung.

Wenn auch die vom Duo de Gramont gegebenen Zusagen auf- richtig gemeint sein dürften, so kann ich doch nicht unterlassen, zu bemerken, daß bei dem hier vorherrschenden Chauvinismus nicht denkbar ist, daß ein siegreiches Frankreich eine so ungewöhnliche Uneigennützigkeit an den Tag legen wird. ^

Der Hessische Gesandte hat die Instruction bekommen, sein Verhalten nach jenem des Norddeutschen Botschafters zu regeln; der Württembergische Gesandte ist zur Zeit noch ohne Instruction.

Unangenehmes Aufsehen erregt es dahier, daß Amerika die gesandtschaftlichen Archive von Preußen übernommen hat.

In den letzten Nächten haben hier mehrfache Ruhestörungen republikanischen Charakters stattgefunden, wobei die Friedens- und Kriegsparthei gegenseitig demonstrirten. m. st.A.

26. Berlin 1870 Juli 19. Telegrammdes Gesandten v. Perglas.

Mir aufgefallen, daß Graf Bismarck gegen mich ein besonderes Drängen für rasche Kriegsbereitschaft Bayerns nicht geäußert hat, dieß übrigens vielleicht ohne Absicht, puisque les Communications ä cet egard ont lieu par voie directe militaire. Er schien mich sogar zu mißverstehen, als ob (man) en Baviere etwa die diplomatischen (Be- ziehungen) mit Frankreich früher, als von hier geschehen werde, abbrechen wolle, und seine Ermahnung, uns hier nicht zu übereilen, war mir auffällig. Je m'attendais etwas mehr warme und lebhaftere Anerkennung der Haltung de la Baviere. Ob Preussen gedenkt allein zu siegen et exclusivement et seule über die künftige Geschicke Deutschlands zu bestimmen? Des Königs von Bayern erwähnte Graf Bismarck nicht. m. st.A.

JJoeberl. Bayern und die Bismarckische Reichsgrflndung. l6

n.

Zur Geschichte des bayerischen Initiativ^ antrags vom 12. September 1870 und der Münchener Konferenzen

I. Berlin 1870 Sept. 5. Staatsminister v. Delbrück an

Bismarck.

(Original.)

Ew. Excellenz sind durch den Herrn Staats-Sekretär von Thile davon in Kenntnis gesetzt, daß ich in Befolgung des in dem Erlasse vom 25. v. Mts. ertheilten Auftrages mich nach Dresden begeben habe. Ich bin daselbst am 3. ds. Mts. Mittags angekommen, am folgenden Tage von Seiner Majestät dem Könige von Sachsen empfangen und habe sowohl mit letzterem als auch wiederholt mit Herrn Freiherrn von Friesen die in dem gedachten Erlasse berühr- ten Fragen besprochen.

Von der Absicht Seiner Majestät des Königs, vor dem Beginn der Friedens- Verhandlungen über den Inhalt des Friedens die Ver- ständigung auf deutscher Seite durch gemeinsame Vorberathung der deutschen Fürsten herzustellen, waren Seine Majestät der König Johann und sein Minister bereits durch Seine Königliche Hoheit den Kronprinzen von Sachsen unterrichtet. Der König sprach seine volle Bereitwilligkeit aus, der Einladung zu einer solchen Vorberathung zu entsprechen, und bemerkte, daß er in diesem Sinne seinem Sohne geschrieben habe.

Sowohl Seine Majestät als auch Herr von Friesen kamen mir mit dem Anerkenntniß der Nothwendigkeit einer beträchtlichen Gebiets-Abtretung Frankreichs an Deutschland entgegen. Beide betonten bei der Begründung dieser Ansicht in erster Linie die Rücksicht auf die Einmüthigkeit der öffentlichen Meinung und auf die Gefahr, welche die Täuschung der einmüthig gehegten Erwartungen herbeiführen würde. Voller Ersatz der Kriegskosten wurde ferner als nothwendig angesehen.

Vielleicht mit noch größerem Interesse, als die Friedens- bedingungen, faßte man in Dresden die Folgen des Krieges für die deutsche Frage ins Auge. Herr von Friesen sah diese Frage als von der Frage der Gebiets- Abtretung unzertrennlich an. Wenn Preußen eine spezielle Vergrößerung im Süden nicht erstrebe, sondern nur die allgemeinen Interessen Deutsch- lands bei der Bestimmung über den Landerwerb entscheiden lassen wolle, so erheischten diese Interessen eine Gestaltung, welche

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einerseits die Bedeutung dieses Erwerbes als einer Vormauer gegen Frankreich sicherstelle, andererseits dem berechtigten Verlangen der Bewohner des abzutretenden Gebiets entspreche, Glieder einer großenNation zu bleiben. Möge man dieses Gebiet einem süddeutschen Staate überlassen oder zu einem besonderen Gemeinwesen machen, immerhin könne ihm nicht eine Stellung gegeben werden, wie sie die süddeutschen Staaten einnehmen, und ebenso wenig werde man die süddeutschen Staaten in einer anderen Stellung lassen können, als dem neuen Gebiete gegeben werde. In den Norddeutschen Bund, wie er sei, würden Bayern und Württemberg nicht eintreten, aber die Gemeinschaft des Vertheidigungs-Systems zu Lande und zur See sowie die Gemeinschaft der Vertretung nach Außen, wie solche im Bunde beständen, und wohl Anderes noch würden sie annehmen müssen und können. Herr von Friesen knüpfte an diese Erwägungen die Frage, ob man nach dieser Richtung ein Pro- gramm habe.

Ich erwiderte, daß ich nicht glaubte, Preußen werde in dieser Frage die Initiative ergreifen, vielmehr schiene mir, daß zu derselben Niemand mehr Beruf habe als Sachsen. Herr von Friesen ver- neinte dies nicht, wies aber darauf hin, daß eine solche Initiative doch einige Sicherheit über das Einverständniß Preußens mit den leitenden Gesichtspunkten voraussetze. Im weiteren Verlaufe der Unterhaltung fiel dann die Andeutung, daß ein engerer Bund und ein weiterer Bund neben einander doch mancherlei Unzuträglich- keiten haben würden und die Bundesverfassung sehr rasch ent- standen sei, worauf ich bemerkte, daß wir in der Handelspolitik und im ZoUwesen ja jetzt schon einen engeren neben einem weiteren Bunde hätten und diese Einrichtung zwar keine vollkommene, aber doch eine ganz operationsfähige sei.

Schließlich gab mir Herr von Friesen zu, daß es gut wäre, die beiden Fragen, die französische und die deutsche, formell aus- einander zu halten, und daß die evidente Nothwendigkeit, über den Landerwerb eine sachgemäße Bestimmung zu treffen, sehr geeignet sein werde, die Lösung der deutschen Frage zu fördern.

Seine Majestät der König von Sachsen sprach sich, wie es nicht anders sein konnte, sehr viel reservirter aus. Den Zusammen- hang der beiden Fragen betonte er gar nicht, er hob nur mit großer Bestimmtheit die Nothwendigkeit des militärischen Anschlusses der süddeutschen Staaten an Norddeutschland hervor und schien nach dieser Seite hin den Erfolg nicht zu bezweifeln.

Als Ergebniß meiner Wahrnehmungen glaube ich die Ansicht aussprechen zu können, daß man hier zu irgend einer festen Meinung über die Bestimmung des Landerwerbes noch nicht gelangt ist und daß man in der deutschen Frage auch dann die Initiative zu ergreifen geneigt sein wird, wenn Vortheile für die Stellung Sachsens im Bunde dabei nicht in Aussicht stehen. Wollen Ew. Excellenz von dieser Disposition Gebrauch machen, so wird, wie ich glaube, Herr von Friesen zu einer eingehenden Äußerung bereit sein, vorausgesetzt, daß man unsererseits in einen Meinungsaustausch über seine Vor- schläge eintreten wiU. h.a.a.

i6*

244

2. Schloß Berg 1870 September 13. König Ludwig II. an

Graf Bray.

(Original.)

Mein lieber Staatsminister Graf Bray!

Durch Grafen Tauffkirchen habe Ich soeben erfahren, daß Graf Bismark einer Initiative Bayerns bezüglich Vorschlägen über dessen Stellung in Deutschland entgegensehe und bezüglich deren Berücksichtigung weitgehende Zusicherung gemacht habe. Ich beauftrage Sie, dem norddeutschen Gesandten sofort behufs tele- graphischer Kundgabe an Graf Bismark zu eröffnen, daß Ich jene Mittheilung mit Befriedigung aufgenommen habe und sich dem- nächst ein bayerischer Bevollmächtigter mit entsprechenden Vor- schlägen im preussischen Hauptquartier einfinden wird.

Zugleich erwarte Ich, daß jene Vorschläge sobald als immer möglich Mir zur Prüfung und Genehmigung unterbreitet werden, zumal Ich durch Grafen Tauffkirchen gehört, daß eine weitere Zögerung Graf Bismark immerhin zu einseitigem Vertragsabschlüsse mit anderen süddeutschen Staaten veranlassen könnte.

Mit bekannten Gesinnungen

Ihr gnädiger König m. st. a.

Ludwig.

3. München 1870 September 15. Graf Bray an König Ludwig IL von Bayern.

(Konzept.)

Ew. K. M. Allerh. Immediatbefehle vom 13t u. 14t d. M. hat der tr. g. Unterzeichnete zu erhalten die Ehre gehabt.

Wenn dem ersteren durch den AUerunterth. Antrag des Ge- sammt-Ministeriums v. 12. d. M. theilweise bereits entsprochen sein dürfte, so hat der ehrerb. Unterz. gleichwohl nicht unterlassen, die Geneigtheit zur Absendung eines Bevollmächtigten in das preu- ßische Hauptquartier telegraphisch dorthin kund zu geben. Nach- dem inzwischen die Ew. K. M. bereits vorliegende telegraphische Meldung des bevorstehenden Eintreffens des Ministers Delbrück hieher gelangt ist, dürfte unmaßgeblichst die Ankunft des letzteren und eine Besprechung mit demselben vor Absendung des bayerischen Bevollmächtigten abzuwarten sein.

Nach Meldung des Grafen Tauffkirchen scheint die Idee der Annahme des Kaisertitels durch den König von Preußen dem Grafen Bismark in der That vorzuschweben, und es ist nicht zu läugnen, daß, wenn auch mit diesem Titel keinerlei Prärogativen über die zum Nordbund nicht gehörigen Staaten verbunden werden, die Kaiseridee an sich geeignet ist, in der Öffentlichkeit zu irrigen Annahmen Anlaß zu geben.

Schon hierin liegt vor Allem ein Grund für Bayern, den Bei- tritt zum Nordbund unter allen Umständen zu perhorresciren, weil die Staaten des Nordbundes sich der bereits bestehenden und immer deutlicher hervortretenden Präponderanz des Bundesoberhauptes in keiner Weise zu entziehen vermögen. Eben aus diesem Grunde dürfte die ohne Zweifel geringe Geneigtheit des Königs von Sachsen bezüglich der Kaiseridee nicht maßgebend sein und schließlich

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einer gezwungenen Zustimmung weichen müssen. Ein gleiches ßewandniß hat es mit dem schon zur Hälfte dem Nordbund einverleibten Hessen-Darmstadt und seinem Großherzoge. Da- gegen ist Baden anbelangend durchaus nicht anzunehmen, daß dessen Souverän einem Wunsche seines erlauchten Schwiegervaters, wenn ein solcher deutlicher hervortritt, den geringsten Widerstand entgegensetzen würde. Vielmehr ist mit Sicherheit vorauszusehen, daß eine bayerische Anfrage, wäre sie auch noch so behutsam ge- stellt, aus Karlsruhe sofort zur Kenntniß der preußischen Regierung gebracht werden würde.

Es bleibt sonach nur Württemberg, und der tr. g. Unterz. hat sofort Anstalt getroffen, damit über den fraglichen Gegenstand mit dem dortigen Hofe ein vertraulicher Ideenaustausch vorgenommen werde.

Bezüglich der erstgenannten drei Höfe bittet der tr. g. Unterz. die obigen Betrachtungen Allergn, in Erwägung ziehen zu wollen und ihm Allerhöchste Weisung Allergn, zugehen zu lassen, wenn eine Anfrage an dieselben gleichwohl gerichtet werden eollte.

4. Deutsche Verfassungsskizze von Marquardt Barth.

(Abschrift.)

Der Beitritt Bayerns zu dem Bunde, welcher bisher als Nord- deutscher bezeichnet wurde, könnte auf der Grundlage der Ver- fassung dieses Bundes vom i. Juli 1867 geschehen, wenn dabei für Bayern folgende Modifikationen bewilligt würden.

§1

Die Theilnahme Bayerns an der gemeinsamen Gesetzgebung erfolgt bei den in Artikel IV, Zeile 9, 13 und 15 angeführten Gegen- ständen nur mit dem Vorbehalte, daß die betreffenden Gesetze in Bayern nur mit Genehmigung des bayerischen Monarchen einge- führt werden können, wobei es der Landesgesetzgebung vorbehalten bleibt zu bestimmen, ob S. M. der König von Bayern die Zustim- mung der Landesvertretung zu erholen haben oder ob diese durch die Zustimmung des Reichstags ersetzt wird.

§2 Die in Artikel 4 erwähnte Aufsicht seitens des Bundes hat sich Bayern gegenüber auf das Erinnerungsrecht bei ungenügendem Vollzug der Bundesgesetze zu beschränken.

§3 Bayern erhält im Bundesrate je 6 Stimmen.

§4. Die in Artikel 19 der Bundesverfassung vorgesehenen Exeku- tionsrechte stehen Bayern gegenüber dem Bunde nicht zu.

§5 Die Gemeinsamkeit der Steuern und der Gesetzgebung (darüber Artikel 35 der Bundesverfassung) erstreckt sich für Bayern nicht auf Bier und Branntwein.

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§6 Der Ertrag der Zölle und der gemeinschaftlichen Verbrauchs- abgaben (Artikel 38) fließt Bayern nach Verhältniß der Kopfzahl der Bevölkerung zu, wogegen Bayern, soweit es bei den Bundes- ausgaben betheiligt ist, an denselben in gleichem Verhältnisse durch Matrikularbeiträge zu konkurriren hat.

§7 Eisenbahnen für Rechnung des Bundes anzulegen (Artikel 41) ist dieser in Bayern nur nach vorgängiger Verständigung mit der bayerischen Staatsregierung befugt.

§8 Das Post- und Telegraphenwesen (Artikel 48) behält Bayern für sich, wird dasselbe jedoch nach den Gesetzen des Bundes ein- richten.

§9

Anlangend das Bundeskriegswesen (Artikel Syff .) behält Bayern seine eigene Armee, die es auf eigene Kosten erhält, daher zur Er- haltung der übrigen Bundesarmee nicht konkurrirt, es wird aber die bayerische Armee nach den Bundesvorschriften eingerichtet und auf dem durch diese festgestellten Stande erhalten werden, auch bleibt dem Bundesfeldherrn der Oberbefehl im Kriege auch über die bayerische Armee. Dieselbe kann von ihm jederzeit auch im Frieden inspizirt werden.

§ 10

Festungen (Artikel 65) können in Bayern nur mit Zustimmung der bayerischen Staatsregierung angelegt werden.

§11 Die Befugniß, wegen Bedrohung der öffentlichen Sicherheit den Kriegszustand zu verhängen, steht in Bayern dem Bundesfeld- herrn nicht zu (Artikel 68).

§ 12 In Betreff der Bundesfinanzen (Artikel ögf.) richten sich die Rechte und Pflichten Bayerns nach § 7.

§13 Die in Bayern gegen den Bund begangenen Verbrechen (Ar- tikel 75) werden vor den bayerischen Gerichten abgeurtheilt.

§ 14 In Verfassungsstreitigkeiten (Artikel 76) hat sich der Bund, wenn solche zwischen der Krone Bayern und der bayerischen Landesvertretung entstehen sollten, nur dann einzumischen, wenn er von beiden Theilen angegangen wird.

§15 Veränderungen der Bundesverfassung (Artikel 78), durch welche die Rechte und Pflichten des bayerischen Staates als Bun- desglied alterirt werden, sind an die Zustimmung der Krone Bayern gebunden und bleibt hierbei die Bestimmung, ob S. M. der König der Mitwirkung der Landesvertretung bedürfe, der Landesgesetzgebung überlassen.

247

Werden in Bayern diese Modifikationen bewilligt, so kann die Reform der Bundesverfassung der weiteren Entwicklung innerhalb des Bundes selbst überlassen bleiben. h. a.a.

5. Deutsche Verfassungsskizze von Lasker.

(Abschrift.) I.

Artikel 4 der Bundesverfassung soll keine Restriction erleiden ; dagegen dürfte es keinen wesentlichen Schwierigkeiten unterliegen, die Stimmenzahl Bayerns im Bundesrathe auf die doppelte des nächstgrößten Staates zu erhöhen, also etwa auf 8 zu bestimmen, vorausgesetzt, daß auch die Stimmenzahl Preußens dahin erhöht wird, daß seine künftige Stimmenzahl zur künftigen Gesamt- stimmenzahl in dem bisherigen Verhältnisse bleibt.

IL

Artikel 19 soll zwar nicht auf Bayern unanwendbar erklärt, aber gleichzeitig mit dem Beitritt Bayerns in einer Weise geändert werden, daß genügender Schutz gegen willkürliche Handhabung den Einzelstaaten gegenüber gegeben ist.

III. Daß sich die Gemeinsamkeit der Steuern und der Gesetzgebung darüber für Bayern nicht auf Bier und Branntwein beziehen soll, wird als ein Bayern einzuräumendes Sonderrecht anerkannt.

IV.

Artikel 41 der Bundesverfassung soll für Bayern dahin modi- fiziert werden, daß Eisenbahnen für Rechnung des Bundes in Bayern ohne Zustimmung der bayerischen Regierung zwar auf Grund eines Bundesgesetzes im Interesse der Vertheidigung des Bundes, nicht aber im Interesse des gemeinsamen Verkehrs errichtet werden können.

V.

Soferne Bayern sein Post- und Telegraphenwesen den Vor- schriften des Bundes gemäß einrichtet und verwaltet, wird dagegen, daß es diese Anstalten selbständig behält, keine prinzipielle Er- innerung gemacht, wenn sich die Maßregel als ohne Schädigung der Gemeinsamkeit technisch durchführbar herausstellt.

VI.

In Beziehung auf das Bundeskriegswesen ist fest zu halten, daß die Gesetzgebung und die Lasten sowohl für den Staat als für den Einzelnen in Bayern dieselben wie sonst im Bunde sein müssen; wogegen im übrigen die Vereinbarungen zwischen den beiden Monarchen über die Bayern in dieser Branche einschließlich des Festungswesens einzuräumenden besonderen Befugnisse bei der Legislative keinen Schwierigkeiten begegnen dürfen.

VII. Artikel 68 der Bundesverfassung soU zwar auch auf Bayern Anwendung finden, jedoch wird die Forderung als gerecht aner- kannt, daß das darin vorgesehene Bundesgesetz gleichzeitig mit dem Eintritt Bayerns erlassen werde.

248

VIII.

Die Vorschriften über Regulirung des Bundesbudgets sind mit den Bayern schließlich gewährten Sonderrechten in Überein- stimmung zu bringen.

IX.

Gegen eine entsprechende Modifizirung des Artikel 75 wird nichts erinnert, ebenso wird gegen einen Vorbehalt, daß Absatz 2 des Artikels 76 nur dann Anwendung auf Bayern finden soll, wenn Regierung und Landesvertretung zugleich auf Vermittlung durch den Bund anträgt.

X.

Dem Bedenken zu Artikel 78 soll dadurch abgeholfen werden, daß für Verfassungsänderungen überhaupt eine größere Mehrheit im Bundesrathe bestimmt und außerdem Bayern gegen solche Änderungen, wodurch sein Stimmrecht oder eines der ihm ein- geräumten Sonderrechte berührt wird, ein freies Veto gegeben wird.

H.A. A.

6. 1870 Sept. 17. Deutscher Verfassungsentwurf von Freiherrn v. V ölderndorff.

(Abschrilt.)

Art. I. Das Königreich Bayern tritt in eine verfassungsmäßige Ver- bindung mit dem Norddeutschen Bunde, welcher in Folge dessen den Namen eines ,, Deutschen Bundes" annimmt.

Art. II. Als Grundlage der Verfassung dieses Deutschen Bundes wird im Allgemeinen die Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. April 1867 angenommen und zu den einzelnen Artikeln der- selben Nachstehendes festgestellt.

Art. III. § I. Zu Art. 6.

Bayern wird in dem Bundesrathe 6 Stimmen führen.

Art. IV. § 2. Zu Art. 8.

In dem ersten Ausschusse des Bundesrathes (Militär) wird Bayern jederzeit durch ein von S. M. dem König von Bayern zu bestimmendes Bundesmitglied vertreten sein.

§ 3.

Hinsichtlich der Ausschüsse für Zoll- und Steuerwesen, für Handel- und Verkehrs- sowie für Rechnungswesen hat es bei den Bestimmungen des Art. 8 und 3 des Zollvertrages sein Bewenden.

Art. V.

§ 4. des Bündnisses vom 26. V. 1849. § 4 zu Art. 11.

Das Bundespräsidium ist verpflichtet, den Bundesrath über den Gang diplomatischer Verhandlungen, welche zur Abwendung der Gefahr äußeren Krieges oder zum Abschluß von Allianzen oder behufs Herstellung des gestörten Friedens geführt werden, in voll- ständiger Kenntniß zu erhalten.

249

§ 5-

Zu etwaigen Friedensverhandlungen nach einem Bundeskriege

wird stets auch ein von S. M. dem König von Bayern zu ernennender

Vertreter Bayerns zugezogen werden.

§6.

Gegen den Beschluß von drei Viertheilen der Stimmen des Bundesraths, also gegen 44 Stimmen, kann ein Bundeskrieg nicht erklärt werden.

§7-

Es werden unter den zu ernennenden Bundes-Gesandtschaften durch das Bundespräsidium drei Posten bezeichnet werden, für welche die Vertreter auf den Vorschlag Sr. M. des Königs von Bayern ernannt werden sollen.

§8.

Den Bundesgesandtschaften in Wien, Paris und Rom wird ein von S. M. dem Könige von Bayern zu ernennender Legationsrath beigegeben, welcher als Bundesbeamter angesehen werden soll und alle Rechte und Plichten eines solchen besitzt.

Art. VI.

§9. Zu Art. 35.

Die Bundesgesetzgebung über die Besteuerung des Branntweins und Bieres erstreckt sich nicht auf den Umfang des Königreichs Bayern diesseits des Rheins, es wird jedoch möglichste Überein- stimmung der Belastung dieser Objekte auch für das diesseitige Bayern angestrebt werden.

Art. VII.

§ 10. Zu Art. 36.

Hinsichtlich der Erhebung und Verwaltung der Zölle und Ver- brauchssteuern und deren Überwachung hat es bei den Bestimmun- gen des Zoll Vertrages sein Bewenden.

Art. VIII.

§ II. Zu Art. 38.

Der Ertrag der Zölle und Verbrauchssteuern verbleibt Bayern und hat es hinsichtlich der Vertheilung der gemeinsamen Einnahmen bei den Bestimmungen des Zollvertrages sein Bewenden.

Art. IX. § 12. Zu Art. 41.

Das Bundespräsidium wird in Bayern nur mit Zustimmung der Bayerischen Regierung Bundes-Eisenbahnen anlegen oder an- legen lassen.

Art. X. §13-

Die Artikel 48, 49 und 50 der Norddeutschen Bundesverfassung finden auf Bayern keine Anwendung.

Art. XI. § 14. Zu Art. 56.

Das Bundespräsidium wird eine dem Stimmenverhältniß im Bundesrathe angemessene Anzahl bayerischer Staatsangehöriger zu

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den Posten der Consiiles missi berufen, auch vor Ernennungen zu Bundeskonsuln die zu wählende Person der K. Bayerischen Re- gierung mittheilen und deren etwaige Erinnerungen thunlichst be- rücksichtigen.

Art. XII.

§ 15. Zu Art. 61.

Vorerst findet der Art. 61 auf Bayern keine Anwendung; doch soll alsbald eine allgemeine deutsche Militärgesetzgebung für den Bund eingeführt werden, hierbei ist die preussische Gesetzgebung zur Grundlage zu nehmen.

Art. XIII. § 16. Zu Art. 62.

S. M. der König von Bayern wird mindestens eine gleich hohe Summe, wie die in Art. 62 bezifferte, auf die bayerischen Militär- einrichtungen verwenden und hierüber stets die erforderlichen Nach- weisungen liefern. Im Übrigen findet Art. 62 auf Bayern keine An- wendung.

Art. XIV.

§ 17. Zu Art. 63.

Die dem Bundesfeldherrn im Frieden zustehenden Rechte werden in Bayern durch den Bundesrathsausschuß für Militärwesen ausgeübt.

§18.

Die Bestimmung der Bekleidung der bayerischen Armee bleibt S. M. dem König von Bayern allein überlassen.

Art. XV. § 19. Zu Art. 64.

Die in Art. 64 getroffenen Bestimmungen finden auf Bayern keine Anwendung.

Art. XVI. § 20. Zu Art. 65.

Das Bundespräsidium wird innerhalb des Königreichs Bayern von dem im Art. 65 ihm eingeräumten Rechte keinen Gebrauch machen.

Art. XVII. § 21. Zu Art. 68.

Preussen verpflichtet sich, den Kriegszustand in Bayern nur mit Zustimmung der bayerischen Regierung zu erklären.

Art. XVIII.

§ 22. Zu Art. 71.

Von den gesetzlich für jedes Etatsjahr festgestellten Bundes- ausgaben wird Bayern die nach seiner Bevölkerungszahl auf das- selbe auszuschlagende Quote in zwei Hälften, die erste bis längstens I. Juli jeden Jahres, an die Bundeskasse abführen.

Art. XIX. § 23. Zu Art. 75.

Insolange ein gemeinsames Bundesobergericht nicht besteht, werden in Bayern gegen den Bund begangene Verbrechen nach

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bayerischen Gesetzen und vor dem zuständigen bayerischen Ge- richte abgeurtheilt werden.

Art. XX.

§ 24. Zu Art. 78.

Vorschläge auf Abänderung der Verfassung gelten auch bei Annahme durch zwei Drittheile des Bundesrathes als abgelehnt, wenn Bayern sich in der Minderheit des Bundesrathes befindet.

H.A.A.

7. Stuttgart 1870 September 19 (präsentiert 21.). Gesandter V. Gasser an den König von Bayern.

(Original.)

Ich habe mehrere längere Unterredungen mit dem Grafen von Taube, mit dem Cabinetschef Freiherrn von Egloffstein und mit dem Justizminister von Mittnacht gepflogen. Letzerer wird über alle brennenden Fragen von Seiner Majestät dem Könige zu Rathe gezogen und wird wohl in der allernächsten Zeit, insoweit General von Suckow es zuläßt, die maßgebendste Persönlichkeit hier seyn.

Ich habe diesen Herren die in München eingetroffenen Nach- richten nicht vorenthalten und sie waren wenig erbaut zu erfahren, daß Graf Bismarck an eine Modifikation der norddeutschen Bun- desverfassung wahrscheinlich nicht denke. Sie erklärten mir mit aller Bestimmtheit, daß ein Eintritt in den Norddeutschen Bund mit aller Entschiedenheit von Württemberg verweigert werden würde; ja die Herren Lasker und von Bennigsen, welche vorgestern hier eingetroffen sind, hätten den Führern der hiesigen ,, deutschen" Partei gerathen, von ihrem dahin zielenden Verlangen ein für alle Mal abzustehen.

Herr von Mittnacht gelangt zu folgendem Resultate : gegenüber dem Begehren der ,, deutschen" Partei nach engerem Anschlüsse an Norddeutschland und den ebenso ungeeigneten Forderungen der ,, demokratischen" Partei in Hinsicht der Umgestaltung des Militär- systems wäre es im Interesse der Regierung, den jetzigen Augenblick zu benützen, um durch eine Vereinbarung mit der preußischen Regierung, auf Grundlage der gemeinschaftlich gewonnenen Er- fahrung, einen Zustand zu schaffen, welcher, obigen Verlangen so viel thunlich Rechnung tragend, die Lage fixire und künftigen Wühlereien der Parteien den Boden entziehe.

Da aber allem Anscheine nach an eine Umwandlung des jetzigen Norddeutschen Bundes in einen die Selbstständigkeit der Staaten wahrenden Deutschen Bund nicht wohl zu denken ist, entstehe die weitere Frage, welche Gegenstände sich denn als Objekt für eine Vereinbarung eignen und in welcher Form diese Vereinbarung zu geschehen habe.

Vor allem, und auch Preußen am nächsten berührend, wäre eine Verständigung bezüglich der Armee; nach dem so glänzenden Feldzuge kann man sich der Wahrscheinlichkeit nicht verschließen, daß Frankreich bedacht seyn wird, sobald nur immer möglich Ver- geltung zu versuchen; ein zweiter siegreicher Feldzug wird wohl erst Ruhe vor Frankreich schaffen. Es läge also im Interesse der süddeutschen Staaten, gestützt auf die jetzt gemeinschaftlich ge- wonnene Erfahrung, gleichmäßige Prinzipien für die Aufstellung des gesammten deutschen Heeres zu gewinnen; wodurch, bei ver-

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tragsmäßiger Feststellung, indirekt das ständische Recht der Aus- gabenbewilligung verhältnißmäßig allerdings beschränkt würde.

Was nun die Form betrifft, so würde man hier einen Vertrag für das Geeignetste halten. Die Herren Lasker und Bennigsen erklärten aber Herrn von Mittnacht, daß der norddeutsche Reichs- tag einen Militärvertrag nie zulassen werde, und zwar, weil sofort nach dem Friedensschlüsse die liberalen in Berlin Erleichterungen betreffs der Militärlast verlangen würden und sich die Möglichkeit des Erfolges dadurch nicht entziehen lassen könnten, daß die Bun- desregierung sich, den süddeutschen Staaten gegenüber, zu bestimm- ter Leistung verpflichtet hätte. Sie denken also an die Überwei- sung der Militärfrage an das Zollparlament.

Weder hierüber, natürlich, noch über sonstige Gegenstände, welche etwa gemeinschaftlich behandelt werden könnten, ist die hiesige Regierung zu einem Entschlüsse gelangt; alles dieses ist in ihrem Schooße nur vorläufig besprochen worden und Herr von Mittnacht hat mir den heißen Wunsch der Regierung ausgesprochen, sich vor allem mit Bayern zu verständigen und pari passu mit Eurer Königlichen Majestät Regierung zu gehen. Nachdem der preußische Gesandte hier mitgetheilt hat, daß Herr von Delbrück demnächst nach München kommen werde, hierher zu gehen aber vermeiden möchte, weil er sonst auch nach Carlsruhe und nach Darmstadt sich begeben müßte, hat die hiesige Regierung nach München den Wunsch geäußert, einen Abgesandten zu den Be- sprechungen mit Herrn von Delbrück nach München abzuordnen; Justizminister von Mittnacht würde diese Mission erhalten und, sobald die Antwort Eurer Königlichen Majestät Regierung hier eingelaufen seyn wird, hofft er noch vor der Ankunft des Herrn von Delbrück in München eintreffen zu können, um mit dem Herrn Grafen von Bray zu conferiren.

Zum Schlüsse bitte ich allerehrfurchtsvoUst hinzufügen zu dürfen, wie abermals beim Durchlesen der norddeutschen Bundes- verfassung darin die ganze Confiscation durch Preußen aller wesent- lichen Regierungsrechte und aller Haupt-Finanzquellen der Staaten sich mir wiederholt vergegenwärtigt hat.

Bedenkt man, daß die süddeutschen Staaten die gesegneteren, reicheren Länder Deutschlands sind, auch die besseren Volk sstämme enthalten, so kann man sich des Gefühls nicht erwehren, daß jedes Aufgeben von Rechten ohne Gegenleistung zu Gunsten Nord- deutschlands nach und nach für die Dynastien wie für die Länder verderblich werden müsse. Will Preußen von seiner absorbi- renden Politik nicht ablassen, dann dürfte der Status quo ante bellum jeder Änderung vorzuziehen seyn und sowohl in Bayern als in Württemberg von der Treue und Vaterlandsliebe ratificirt werden.

Erfolgreiches Verlangen nach Änderung des Militärsystems dürfte aber nach den neuesten Ereignissen nicht zu befürchten seyn.

M.St.A.

8. Berlin 1870 September 19 (präsentiert 21.). Freiherr V. Perglas an Graf Bray. Vertraulichst. (Onginai.)

Lieber Freund! Delbrück hat mich heute ins Bundeskanzleramt gerufen zum Austausche der gewissen Ministerial-Erklärungen.

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Ich sagte ihm dann, wie er ,, willkommen" in München sei, worauf er mir erwiederte, daß er ja einem von München geäu- ßerten Wunsche entgegenkomme, deßhalb auch mehrere Tage früher das K. Hauptquartier verlaßen habe, als es seine Absicht gewesen sei.

Über seine Mission äußerte sich der Staatsminister nicht ein- gehend, doch hörte ich von ihm zuerst, daß für den künftigen Friedens-Abschluß eine deutsche Fürsten-Conferenz, ein Fürsten- Congreß, in Aussicht genommen werde, und von einer anderen Seite vernehme ich, daß er auf französischem Boden stattfinden soll; darüber weißt Du vielleicht mehr als ich.

Thile konnte ich heute nicht sprechen; gleichwohl habe ich mich bemüht mich zu informiren, wie Delbrück in München zu operiren gedenke, und habe hiefür ganz verläßige Daten erhalten.

Eine Initiative soll Delbrück nicht nehmen, daher bringt er keine Vorschläge und erwartet vielmehr das Entgegenkommen und die Anträge Bayerns. Delbrück sagte mir allerdings so viel, daß die Erwerbung französischen Gebiets, die nach seiner Ansicht unerläßlich ist, den Anlaß biete in militärischer und politischer Beziehung sich zu besprechen und zu verständigen, aber war im Übrigen schweigsam.

Nun, meine ich, muß die bayerische Regierung in Berück- sichtigung der politischen Lage und gewisser nothwendiger Con- sequenzen des Krieges und der nationalen Stimmung in der deut- schen Frage, nämlich der künftigen Gestaltung Deutschlands, Entgegenkommen bezeugen, aber im ^'oraus gegenüber Del- brück sehr bestimmt die Gränze dieser Concessionen gezogen haben. Von Bayern wird das Geschick Süddeutschlands abhängen. Die Grundsätze, die Du vertrittst mit Deinen Kollegen, verbürgen wohl, daß der Krone und Selbständigkeit Bayerns nichts wird vergeben werden. Von hier aber werden die heftigsten Anläufe genommen, um den Boden des patriotischen conservativen Ministeriums zu untergraben, den König zu gewinnen, dessen nächste Umgebung man mehr oder weniger als diesen preußischen national-liberalen Wühlern geneigt betrachtet, deren Ge- nosse Stauffenberg ist, aber auch nicht weniger Tauffkirchen, der ja immer nur da verwendet wird, wo es ihm gilt seine Person für diese Interessen zu verwerthen. Die nationalliberale Partei hat deßhalb das terrain in München aufgesucht, und möglich ist, daß sie die Anwesenheit Delbrücks benützt, um Pression nach Oben und Unten zu üben. Delbrück hält stets Fühlung mit diesen Leuten, daher warne ich. Hier träumt diese Partei schon von einem nahenden Ministerium Hohenlohe, Tauffkirchen, Stauffenberg, Luxburg, und kömmt ihre Zeit, würde es bald aus sein mit der Souveränität des Königs von Bayern.

Entgegen bin ich versichert, daß je bestimmter Bayern auf Grund der Interessen seiner politischen Existenz das Programm für die neue Gestaltung Deutschlands selbst aufstellt und die Gränze seiner (etwaigen) Concessionen bezeichnet, desto mehr wird es geachtet werden. Delbrück darf keinem Schwanken, keiner Unent- schiedenheit, keiner Disharmonie im Ministerium, am Allerwenig- sten aber national-liberalen Zusicherungen an offiziellen Stellen und bei triebigen Persönlichkeiten begegnen (welche Letztere

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beßer an ihren Posten wären), sondern im Gegentheile muß er die bayerische Regierung fest und entschloßen finden, die Selbständig- keit des Landes zu erhalten, wie es schon Deine Sorge war beim Ausbruche des Krieges und wofür Dir direkt und durch mich die besten Zusicherungen gemacht worden sind, von denen nur zu pro- iftiren ist. Pression will man auch hier nicht üben, aber man läßt sie ausüben. Der König unser Allerhöchster Herr will Sich nichts vergeben, aber von Oben scheint doch ein Wind zu wehen, im Wider- spruche mit den conservativen Grundsätzen, welcher die ganze liberal-nationale Sippschaft in Berlin in die freudigste Stimmung versetzt, um das lerrain in München und dadurch ganz Süddeutsch- land gewinnen zu können.

Daß Bayern die Initiative nimmt bezüglich der Lage und neuen Ordnung der Dinge, ist vortrefflich. Die Zeitverhältniße sind zudem günstig, indem mehr als je die Fürsten sich im monarchischen Inter- esse aneinander zu schließen haben. Die Achtung für Bayern und Anerkennung seiner Leistungen, die es aus eigener selbständiger Kraft vollbracht hat, ist so groß, daß man mit uns rechnen wird.

Delbrück ist entfernt kein Diplomat und muß mit ihm ganz positiv verkehrt und verhandelt werden. Versichere ihm von Anfang an, daß die National-liberalen sich irren, wenn sie etwa ihm (Delbrück) weiß machen woUen, daß das terrain in München bereits gewonnen sei.

Ich stelle Dir auch anheim, von meinem Briefe den Gebrauch zu machen, der Dir geeignet erscheint, insbesondere bei Deinen Kollegen.

Mit aufrichtigsten und treuen Gesinnungen

Dein ergebener Perglas. m.si.a.

9. Lagny 1870 September 21 Abends (präsentiert 27.). Bericht des Grafen v. Berchem.

Ich habe Heute Mittags Seine Excellenz den Grafen Bismark in Ferrieres gesprochen und ihm den Inhalt des hohen Erlasses vom II. September bekanntgegeben. Der Bundeskanzler schien von dem Inhalte des hohen Erlaßes angenehm berührt zu sein und bat mich, ihm streng vertraulich Abschrift zu laßen, was ich ohne Autorisation nicht angetragen hätte, nachdem es aber verlangt wurde, nicht glaubte verweigern zu dürfen.

In Betreff der künftigen inneren Gestaltung Deutschlands begann Graf Bismark zu bemerken, daß er auf die Frage, ob der Fortbestand des jetzigen Nordbundes oder dessen Ersetzung durch einen auf veränderten Grundlagen zu errichtenden allgemeinen Deutschen Bund in Aussicht genommen sei, vorerst eine bestimmte Antwort abzugeben nicht in der Lage sei. Es komme hiebei zu- nächst darauf an, welches die Wünsche der süddeutschen Staaten seien, und handle es sich darum zu wissen, ob je nach dem Re- sultate der erzielten Verständigung der Zuwachs an Macht, den das in sich zu festigende Deutschland durch Erweiterung des Bundes auf Süddeutschland erhalten solle, einen Ersatz bieten würde für den eventuellen Verzicht auf die enge Centralisation des Norddeut- schen Bundes, die doch zunächst Deutschland zu der gegenwärtigen dominirenden Stellung in Europa verholfen habe.

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Es seien verschiedene Wege denkbar, fuhr Graf Bismark fort, um die Verbindung zwischen den deutschen Staaten zu kräftigen; und besprach Seine Excellenz zuerst die Möglichkeit der Erstreckung des Norddeutschen Bundes auf ganz Deutschland unter allgemeinem Verzichte auf gewisse der Centralgewalt im Norddeutschen Bunde bisher zuständigen Rechte. In dieser letzteren Beziehung könnten allerdings preußischerseits Concessionen gemacht werden, allein der Bundeskanzler betonte, daß dieselben über ein gewisses Maß nicht hinausgehen könnten, und schien er selbst daran zu zweifeln, daß dieselben den deutschen Süden speciell Bayern befriedigen würden. Allerdings wurde als zuläßig erachtet, Bayern, welches allein an Größe um mehr als zweimal den größten süddeutschen Staat überrage, hiebei ein besonderes Präcipuum in der Weise ein- zuräumen, wie es der K. bayerischen Regierung etwa convenire und wie es selbst im Deutschen Reiche von einzelnen Churfürsten- thümern und Kreisen besessen worden sei. Diese Eventualität schien dem Herrn Grafen zunächst für den Fall vorzuschweben, wenn, wie dieß als Hypothese bemerkt wurde, nicht bloß Baden, sondern auch Württemberg in dem bisherigen Norddeutschen Bunde einbegriffen würde.

Auch den Fortbestand des bisherigen Status quo unter Regelung derjenigen Punkte, in denen Seitens der süddeutschen Staaten eine Verständigung gewünscht werden würde, berührte der Bundeskanzler oberflächlich und so zu sagen nebenbei. Ich glaubte jedoch zu entnehmen, daß dieß als eine Lösung des Problems seinerseits nicht erachtet werde.

Vorzüglich besprach Seine Excellenz ohne in eine Detailfrage: einzugehen die Eventualität der Forterhaltung des Norddeut- schen Bundes unter Abschluß eines weiteren Bundes mit Süddeutsch- land, wobei, behufs Creirung der Verfaßung des weiteren Bundes, den süddeutschen Staaten gegenüber aus der norddeutschen Bun- desverfaßung dasjenige gestrichen würde, was den süddeutschen Staaten nicht convenire. Dieß scheint mir Graf Bismark als den am nächsten liegenden Weg zu betrachten und legt Derselbe großen Werth darauf innerhalb dieses Rahmens Vereinbarungen zu erzielen, welche es der deutschen Demokratie unmöglich machten, die deutschen Staaten und speciell die nach Ansicht des Herrn Grafen zunächst in dieser Beziehung bedrohten süddeutschen Staaten militärisch wehrlos zu machen. In der eventuellen Reali- sirung dieser Idee erblickt Graf Bismark die Schaffung des Deut- schen Reiches. Obgleich es hier nicht speciell erwähnt wurde, bin ich der Überzeugung, daß auch bei dieser Art und \\'eise der Gestaltung der inneren Verhältnisse Deutschlands für Bayern speciell eine besonders privilegirte Stellung zu erreichen wäre.

In diesem Sinne bemerkte Graf Bismark weiter habe er sich gegenüber Excellenz von Delbrück, dem Präsidenten des Bundes-Kanzleramtes, geäußert, welcher seiner Aufforderung gemäß bereits in München eingetroffen sein müsse, um die Wünsche der K. Regierung zu vernehmen, hiebei Detailfragen zu besprechen und Aiifschlüße zu geben, wenn sie verlangt werden sollten. Von den süddeutschen Staaten mehr zu verlangen, als dieselben selbst zu bieten bereit seien, wurde als vollkommen unzuläßig bezeichnet.

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An eine Eventualität sei jedoch nicht zu denken, daß Theile des gegenwärtigen Norddeutschen Bundes das König- reich Sachsen zum Beispiel aus diesem engeren Verband heraus- gelaßen würden, um dann in nähere Beziehungen zu Süddeutsch- land zu treten. Dieß sei in Sachsen selbst nur der Wunsch einer particularistischen Minorität, die im allmählichen Absterben be- griffen sei. Ein Gleiches gelte von Hessen.

Man habe ihm dem Bundeskanzler sogar Vorschläge unterbreitet von gewisser Seite, welche gegen die Selbstständigkeit der kleineren Staaten des Norddeutschen Bundes gerichtet waren, allein darauf werde er niemals eingehen, da er auf die Verfassung des Norddeutschen Bundes beeidigt sei und vor die Gerichte ge- stellt werden könnte.

Für den einfachsten wenn nicht den einzigen Weg, die vielen zu lösenden Fragen zu erledigen, hält Graf Bismark den seinerzeitigen Zusammentritt der deutschen Souveraine unter Bei- ziehung ihrer Minister. Durch loyale Besprechung der Souveraine unter sich könne am Leichtesten eine Verständigung erzielt werden, welche noch ganz andere als hochpolitische Rücksichten erheischten. Die gemeinsame Gefahr des Continentes sei der Socialismus mit seinen Gefahren nicht bloß für die staatlichen, sondern auch für die gesellschaftlichen Existenzen bis zur letzten Verirrung der Ne- girung des Privateigenthums und namentlich des Grundeigen- thums. Diese Gefahr sei kein bloßes Gespenst mehr, und drückte der Bundes-Kanzler die Hoffnung aus, Rußland, wenn es seinen slavischen Interessen entsagen wollte, und Österreich, wenn das- selbe weniger politisirte, dieser gemeinsamen Gefahr gegenüber Deutschland zu nähern.

Das von mir Heute Mittags in Ferrieres aufgegebene Telegramm lautete:

Erlaß vom ii. September erhalten. Delbrück ist in dieser Sache vom Grafen Bismark instruirt und in der Lage, Aufschlüße zu geben. Ersterer ist wohl schon in München eingetroffen. Bericht folgt. M.St.A.

IG. München 1870 September. Protokoll der Münchener

Konferenzen.

(Abschrift.)

Die Excellenzen

Staatsminister und Präsident des Bundeskanzleramtes des

Norddeutschen Bundes Herr Delbrück,

der K. württembergische Justizminister Herr v. Mittnacht,

dann die K. bayrischen Staatsminister

Herr Graf v. Bray,

Herr v. Pfretzschner,

Herr v. Schlör,

Frhr. v. Prankh,

Herr v. Lutz,

Herr v. Braun sind in den Tagen vom 22ten bis 26. September in München zu- sammengetreten, um Vorbesprechungen über die Bildung eines die sämmtlichen deutschen Staaten in sich begreifenden Verfassungs- bündnisses zu haben.

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Von Seiten Sr. Excellenz des Herrn Staatsministers Delbrück wurde erklärt, daß er nicht beauftragt sei, im Namen der preußischen Regierung oder des Norddeutschen Bundes Vorschläge zu machen, sondern den Propositionen der süddeutschen Regierungen ent- gegensehe. Zugleich bemerkte er auf eine ihm gegebene Veranlassung, daß Preußen noch keinen Grund gefunden habe, die Frage einer näheren Erwägung zu unterwerfen, ob mit der Gründung eines all- gemeinen Deutschen Bundes eine Änderung des zwischen den Staaten des Norddeutschen Bundes bestehenden Verfassungs- Verhältnisses zu verbinden sei, und daß er daher eine solche Änderung nicht vor- auszusetzen habe. Man kam hierauf dahin überein, zu dem Zwecke, um festzustellen, welchen Inhalt die Verfassung eines allgemeinen Deutschen Bundes nach Auffassung der süddeutschen Regierungen haben könnte, den Inhalt der Verfassung des Norddeutschen Bundes nach der Folge ihrer Artikel zum Leitfaden für die nun folgenden Besprechungen zu nehmen mit dem selbstverständlichen Vorbehalte einer neuen Anordnung der Materien und der sich voraussichtlich als nothwendig darstellenden neuen Redaktion.

Zum Eingang und Art. i wurde allseitig anerkannt, daß sie die erforderlichen Modificationen zu finden hätten, deren Bezeichnung im Einzelnen hier vorzunehmen aber kein genügender Anlaß ge- funden wurde.

Zu

Art. 2 erklärten die Vertreter der K. bayrischen Regierung, daß gegen Übernahme des ersten Satzes in die Verfassung des neuen Deutschen Bundes kein Bedenken obwalte, daß dagegen statt der weiteren Sätze dieses Artikels die Aufnahme der in dem Zollvereinsvertrage enthaltenen Bestimmungen über die Publikation der gemeinschaft- lichen Gesetze gewünscht werde, wonach diese Publikation nicht im Reichsgesetzblatte, sondern von den Regierungen der einzelnen Staaten in deren Gesetzblättern vorzunehmen wäre, worauf S. ExceUenz der Herr Staatsminister Delbrück unter dem Einver- ständnisse Sr. Exe. des Herrn v. Mittnacht sich dahin aussprach, daß die zuletzt erwähnte Publikationsform zwar für eine vertrags- mäßige Verbindung mehrerer Staaten, wie der Zollverein eine solche sei, nicht aber für mehrere in einer Gesammtverfassung einge- schlossene Staaten als angemessen erachtet werden könne.

Der Inhalt des

Art. 3 wurde von Seiten der Vertreter der beiden süddeutschen Staaten nicht beanstandet; es wurde jedoch bei der Besprechung dieses Artikels ein allseitiges Einverständnis darüber konstatirt, daß die Frage, ob und welche nach Emanation der Verfassung des Nord- deutschen Bundes für dessen Gebiet erlassene Gesetze auch für das Gebiet der süddeutschen Staaten Geltung erlangen sollten, einer besonderen Feststellung bedürfe.

Zu

Art. 4 wurde die Frage über die ,, Beaufsichtigung Seitens des Bundes" späterer Erörterung vorbehalten.

Anlangend die einzelnen Ziffern dieses Artikels, so proponirte die bayrische Regierung in Anbetracht, daß ihr zwar ernstlich und

Doeberl. Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. I?

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aufrichtig darum zu thun sei, in dem neuen Deutschen Bunde ein lebensfähiges Verfassungsgebilde zu schaffen, und daß sie deshalb der Gemeinschaft alle unentbehrlichen Opfer zu bringen bereit sei, daß ihr aber ebenso dringlich die Erhaltung der Selbstständigkeit der einzelnen Staaten am Herzen liege und deshalb von ihr alle entbehrlichen Abtretungen von Regierungsrechten etc. abgelehnt werden müßten, zu

Ziffer I zwar die Gesetzgebung über Freizügigkeit, Paßwesen und Fremden- polizei, das Versicherungswesen abgesehen vom Immobiliar- versicherungswesen — , über Kolonisation und die Auswanderung nach außerdeutschen Landen der Bundeskompetenz zu überweisen, dagegen die Gesetzgebung über die Heimaths- und Niederlassungs- verhältnisse (im Hinblick auf den einschneidenden Eingriff in die neue bayrische Socialgesetzgebung), über Staatsbürgerrecht und den Gewerbebetrieb (ersteres in Anbetracht des engen Zusammen- hanges der betreffenden Bestimmungen mit dem bayrischen Staatsverfassungsrechte, letzteres wegen Mangels einer absoluten Nothwendigkeit gemeinsamer Gesetzgebungen) den Einzelnsou- veränetäten vorzubehalten.

Dem gegenüber sprach sich S. Excellenz Herr Staatsminister Delbrück mit besonderem Nachdrucke für die Nothwendigkeit der Gemeinsamkeit der Gewerbegesetzgebung und dafür aus, daß statt der Competenz über das ,, Staatsbürgerrecht" dem Bunde die Com- petenz der Gesetzgebung über ,, Bundes- und Staatsangehörigkeit" eingeräumt werden möge, da im Hinblick auf die Handhabung der Bestimmungen über diese Materie durch die deutschen Gesandten und Consuln eine Einfachheit und Gemeinschaftlichkeit derselben unentbehrlich sei.

Zur Motivirung des Vorbehaltes bezüglich der Immobiliar- gesetzgebung wurde auf die eigenthümlichen bayrischen Einrich- tungen bezüglich des Immobiliarversicherungswesens, die das ganze Hypothekarwesen beherrschen, Bezug genommen. Der K. württ. Bevollmächtigte unterstützte die Auffassung der K. bayr. Regierung bezüglich des Wegbleibens der Bestimmungen über Heimaths- und Niederlassungsverhältnisse.

Der Inhalt der

Ziffer 2 wurde von den Vertretern der süddeutschen Regierungen nicht beanstandet vorbehaltlich der über das Steuerwesen bei dem Ab- schnitte über das Bundesfinanzwesen zu machenden Bemerkungen.

Ebenso blieben die Ziffern 3, 4, 5 und 6 unbeanstandet. Im- gleichen die

Ziffer 7. Nur wurde hier von Seiten der bayrischen Regierung der Vorbehalt gemacht, daß ihr namentlich im Hinblick auf diejenigen Orte, an welchen lediglich die bayrische Industrie ein Interesse an Aufstel- lung eines Consuls haben werde, das Recht verbleibe, bayrische Consuln im Auslande aufzustellen und ausländische Consuln in Bayern zu empfangen und mit dem Exequatur zu versehen.

S. Exe. Herr Staatsminister Delbrück erwiderte hierauf, daß zwar der Empfang auswärtiger Consuln von Seite der bayrischen

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Regierung in Anbetracht der Beschränkung des Wirkungskreises solcher Consuln auf bayrisches Gebiet keinem Anstände begegnen werde, die Abordnung bayrischer Consuln nach dem Auslande dagegen nicht zulässig erscheine, aber auch nicht erforderlich sei, da gerade darin eine der segensreichsten und imponirendsten Wir- kungen des norddeutschen Verfassungsbündnisses gelegen gewesen, daß das vielköpfige deutsche Consulatswesen sein Ende gefunden habe und an dessen Stelle überall ein ,, deutscher Consul" getreten sei und im Übrigen bereitwilligst auch da deutsche Consuln auf- gestellt werden würden, wo auch nur ein einzelner Bundesstaat ein Interesse daran habe.

Ziffer 8 wurde in der jetzigen Fassung von den Vertretern der bayr. Regie- rung für unannehmbar erklärt, aber das Zugeständniß angeboten, dem Bunde

1. die Festsetzung von einheitlichen Normen für Construc- tionen und Ausrüstung der für die Landesvertheidigung wichtigen Eisenbahnen und

2. das Recht zur Erbauung von Eisenbahnen für Rechnung des Bundes auf bayrischem Gebiete auf Grund eines Bundesgesetzes selbst ohne Zustimmung der bayrischen Regierung, soferne die Eisenbahn im Interesse der Vertheidigung des Bundesgebietes als erforderlich sich darstellt, zu überweisen. Der Vertreter Württem- bergs schließt sich dieser Proposition an.

Ziffer 9 wurde nicht beanstandet,

Ziffer 10 dagegen als gänzlich unannehmbar abgelehnt, worauf sich S. Exe. Herr Staatsminister Delbrück das Weitere hierüber bis zur Be- sprechung des VIII. Abschnittes der Bundesverfassung vorbehielt.

Ziffer II wurde von Seite der bayrischen und württembergischen Regierung insoweit, als dieselbe von der Rechtshilfe in Civilsachen handelt, nicht beanstandet und dabei bemerkt, daß gegen Ausdehnung des für den Norddeutschen Bund erlassenen Rechtshülfegesetzes auf das Gebiet des neuen Deutschen Bundes in soweit, als es die Civil- rechtspflege im Auge hat, kein Bedenken obwaltet.

Dagegen wurde bemerkt, daß man nicht den gleichen Stand- punkt bezüglich der Rechtshülfe in Strafsachen einzunehmen ver- möge und daß nach ihrer Auffassung für das Gebiet des Straf rechtes nur der Abschluß eines, allerdings möglichst weitgehenden Aus- lieferungsvertrages übrig bleibe.

Ziffer 12 wurde nicht beanstandet,

Ziffer 13 erklärte die bayrische Regierung nur mit Einschränkung auf das Handels- und Wechselrecht annehmen, bezüglich aller anderen hier erwähnten Gesetzgebungsgebiete dagegen nicht genehm halten zu können, indem sie hiebei auf die ihr für die Ausscheidung der Com- petenzen zwischen dem neu zu gründenden Bunde und den Einzeln- staaten maßgebenden Grundsätze sich berief und die Ansicht aus-

17*

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sprach, daß diesen Grundsätzen gegenüber den von einzelnen Stän- den gehegten Sympathien für eine weiter gehende Rechtsgemein- schaft nur ein geringeres Gewicht beigelegt werden könne, abgesehen von den Inkonvenienzen, die sich für Bayern aus dem Fallenlassen seines vor Kurzem erst revidirten Strafgesetzbuches und Civil- prozesses unter Annahme des norddeutschen Strafgesetzbuches ohne Betheiligung an der Berathung desselben ergeben würden.

Nachdem S. Exe. Herr Staatsminister v. Mittnacht erklärt hatte, daß Württemberg mindestens für Gemeinsamkeit der Ge- setzgebung über das Obligationenrecht sich ausspreche, und ange- regt hatte, ob nicht durch eine besondere Verfassungsbestimmung gemeinsame Behandlung einzelner besonderen, im Art. 4 nicht auf- gezählten Angelegenheiten unter den für Verfassungsänderungen vorgeschriebenen Formen möglich gemacht werden könnte, sprach sich Herr Delbrück mit besonderer Betonung für die Gemeinschaft- lichkeit des Obligationenrechtes aus, die eine Consequenz des ge- meinsamen Handelsgesetzbuches sei, worauf die bayr. Regierung die Abtretung der Competenz über das Obligationenrecht an den Bund als einZugeständniß bezeichnete, das nicht unbedingt von der Hand gewiesen werden wolle. Die Ausdehnung der Zuständigkeit des Bundes-Oberhandelsgerichtes in Leipzig auf Süddeutschland erklärten die bayrische und württembergische Regierung unter der Voraussetzung nicht beanstanden zu wollen, daß die sachliche Competenz des Gerichtshofes und das Verfahren desselben für die aus den süddeutschen Staaten an ihn kommenden Rechtssachen nach den in diesen Staaten geltenden Prozeßgesetzen sich zu be- messen hätte, eine Voraussetzung, die von Sr. Exe. dem Herrn Minister Delbrück dann als selbstverständlich bezeichnet wurde, wenn die Ziff. 12 im Übrigen nach Maßgabe der bayr. Vorschläge gefaßt werde.

Ziffer 14

wurde vorbehaltlich der Besprechung der Details nicht beanstandet. Zu

Ziffer 15

erklärte die bayrische Regierung, nach ihrer Auffassung solle sich nach der Absicht der norddeutschen Bundesverfassung die Com- petenz des Bundes auf Feststellung gemeinsamer medicinal- und veterinärpolizeilicher Maßregeln zur Abwehr und Bekämpfung von Epidemien und Seuchen und nicht weiter erstrecken. In diesem Sinne halte sie die Ziffer 15 für annehmbar.

Art. 5 wurde nicht beanstandet, doch hätte der württ. Bevollmächtigte gewünscht, daß statt ,, Einrichtungen" ,, gesetzlichen Einrichtungen" gesagt würde. Aus Anlaß dieses Artikels wurde auf die Frage zurückgegriffen, welche Stellung für die süddeutschen Staaten gegenüber den seit Gründung des Nordbundes für denselben erlas- senen Gesetzen die angemessene sei, und dabei allseitig anerkannt, daß diese Gesetze nicht ohne Weiteres für den erweiterten Bund, für den sie ja gar nicht promulgirt seien, Geltung erlangen könnten, sondern eine spezielle Abmachung über Einführung dieser Gesetze, und zwar eines jeden einzelnen von ihnen, sei es auf demselben Wege, auf welchem die Verfassung zu Stande kommt, sei es auf dem

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Wege der Verabschiedung mit dem neuen Parlamente, vorbehalten bleibe.

Desgleichen wurde anerkannt, daß selbst bezüglich der dem Bunde zugewiesenen Gegenstände die in den einzelnen Staaten geltenden Gesetze und Verordnungen etc. in solange in Kraft bleiben sollten und auf dem bisherigen Wege der Einzelngesetzgebung abgeändert werden könnten, bis eine bindende Norm vom Bunde ausgegangen sei.

Anlangend den Abschnitt vom Bundesrathe, so wurden die

Art. 6 u. 7 mit den selbstverständlich gebotenen Modificationen Seitens der bayrischen Regierung für acceptabel erklärt. Die bayrische Re- gierung sprach jedoch das Verlangen aus, daß ihr im Bundesrathe nicht bloß 6 Stimmen, wie bisher im Zollbundesrathe, sondern deren 8 zuerkannt würden, welchem Verlangen gegenüber Herr Delbrück und Herr v. Mittnacht das Bedenken aussprachen, daß dasselbe zu großen Schwierigkeiten und insbesondere zu der Nothwendig- keit einer umfassenden Revision des Abschnittes von den Stimm- berechtigungen führen werde.

Art. 8 erklärte die bayrische Regierung für annehmbar, sie verlangte jedoch das Vorrecht, daß in den unter Ziff. i, 3 u. 4 genannten Aus- schüssen eine ständige Vertretung durch Bevollmächtigte einge- räumt werde, welche Seine Majestät der König von Bayern zu er- nennen habe.

S. Exe. Herr Staatsminister Delbrück erklärte diesem Ver- langen gegenüber, daß gegen die gewünschte stete Vertretung Bayerns in dem sub i genannten Ausschusse umso weniger ein Anstand werde erhoben werden, als ein gleiches Vorrecht auch Sr. Maj. dem Könige von Sachsen zugestanden sei, daß dagegen die Ein- räumung eines gleichen Vorrechtes für die anderen Ausschüsse mit dem Principe schwerlich vereinbar sein werde, wonach die Mit- glieder derselben durch Wahl bestimmt werden müßten, während es sich in Anbetracht der Wichtigkeit Bayerns von selbst so machen werde, daß der bayr. Bevollmächtigte in denselben durch Wahl eine Stelle finde.

Der Vertreter Württembergs behält sich eine Proposition be- züglich der Vertretung Württembergs in dem Ausschusse zu i vor.

Bei Besprechung dieses Artikels wurde von den .Vertretern der bayrischen Regierung in Anregung gebracht, daß die Zuständigkeit und Aufgabe der Ausschüsse des Bundesrathes sogleich bei Fest- stellung der Verfassung des neuen Deutschen Bundes bestimmter normirt und festgestellt werden möge und zwar hauptsächlich in der Absicht, damit die Vorlagen des Bundesrathes an den Reichstag die zum Vollzuge der Bundesgesetze nöthig werdenden Instruktionen, die in der Competenz der Bundesregierung liegenden Erlasse und Verordnungen, mit einem Worte die ganze Geschäftsaufgabe des Bundesrathes, in soweit dies der Natur der Sache nach von dem Bundesrathe selbst geschieht, von dessen Ausschüssen als seinen Organen vorbereitet und bearbeitet wird. Alles dies vorbehaltlich des selbstverständlichen Initiativrechtes der einzelnen Bundes-

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regierungen, ihren etwaigen Anträgen ausgearbeitete Projecte zum Grunde zu legen.

Der Herr Justizminister von Mittnacht bemerkte hiezu, daß vielleicht nähere Bestimmungen über Stellung und Befugnisse des Bundesrats (vgl. Art. 37 der norddeutschen Bundesverfas- sung), welche auch sonst (Art. 17) als wünschenswert erscheinen, die Erreichung des von der K. bayr. Regierung angestrebten Zieles sichern würden.

Die Art. 9 u. 10 wurden nicht beanstandet.

Bezüglich der Bestimmungen über

das Bundes-Präsidium

und insbesondere den

Art. II,

so war allseitiges Einverständniß darüber vorhanden, daß auch an der Spitze des neuzubegründenden Deutschen Bundes ein Bundes- präsidium stehen solle, das selbstverständlich Seine Majestät der König von Preußen zu führen haben werde.

In Ansehung des dem Bundes-Präsidium in Art. 11 zugewiese- nen Rechtes, den Bund völkerrechtlich zu vertreten und im Namen des Bundes Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen, machte S. Exe. der Herr Staatsminister Graf Bray in der Erwägung, daß eines der wesentlichsten Kriterien der Selbstständigkeit eines Staates in dem Rechte der gesandtschaftlichen Vertretung liege, in dem Übergange dieses Rechtes an eine andere Macht also auch die folgenschwerste Beeinträchtigung dieser Selbstständigkeit der ein- zelnen Staaten liege, Namens der bayr. Regierung den Vorschlag, es im Wesentlichen bei dem dermaligen Zustande zu belassen, wo- nach jede einzelne deutsche Regierung ihrerseits für ihre diplo- matische \'ertretung zu sorgen habe und zwar nicht allein in den- jenigen Angelegenheiten, die den betreffenden Staat allein angehen, sondern auch in denjenigen Angelegenheiten, welche den im Bunde begriffenen Staaten gemeinschaftlich seien, während nichts da- gegen zu erinnern sein werde, wenn der Bund auswärtige Gesandte bei sich empfange und dem Bundespräsidium nach wie vor die diplomatische Vertretung des gesammten Nordbundes zukomme.

Diesem Vorschlage gegenüber entspann sich eine einläßlichere Discussion der Materie von der völkerrechtlichen Vertretung des Bundes, in welcher sich namentlich S. Exe. Herr Staats- minister Delbrück gegen den Vorschlag des Herrn Greifen v. Bray aussprach, indem er zunächst darauf hinwies, daß der Deutsche Bund ein ganz neues Staatengebilde sein werde und daß, wenn dem Bundespräsidium die völkerrechtliche Vertretung dieser neuen Schöpfung übertragen werde, von einem Übergange bisheriger Souveränetätsrechte Bayerns an den Bund um so weniger die Rede sein könne, als man den süddeutschen Staaten keineswegs das Recht verkümmern werde, neben den Gesandten des Deutschen Bundes ihre eigenen Gesandten für ihre besonderen Angelegenheiten zu haben und Gesandte auswärtiger Staaten bei sich zu empfangen. Außerdem wurde in der stattgehabten Discussion die Frage der praktischen Durchführbarkeit des bayrischen Vorschlages einer eingehenden Beleuchtung unterzogen.

263

Was das Recht der Kriegserklärung betrifft, so proponirte S. Exe. Graf Bray anzuerkennen, daß das Bundespräsidium das Recht haben müsse, den Krieg sofort zu erklären, wenn deutsches Gebiet angegriffen werde, dagegen im Rückblick auf die von Preußen bei Auflösung des vormaligen Deutschen Bundes gemachten Vor- schläge auszusprechen, daß das Bundespräsidium in allen anderen Fällen vor Abgabe der Kriegserklärung der Zustimmung des Bundes- rathes sich zu versichern verpflichtet sei, endlich daß, um dem Bundesrathe ein Urtheil über die Sachlage und sonach ein Votum möglich zu machen, das Bundespräsidium die Zusage zu geben hätte, es werde den Bundesrath von dem Verlaufe und dem Inhalte der einschlägigen Verhandlungen, die zur Abwendung einer Kriegsgefahr geführt werden, stets erschöpfend verständigen.

Bezüglich des Friedensschlusses endlich erhob Bayern den Anspruch, daß zu den Friedensverhandlungen jeweils ein bay- rischer Bevollmächtigter zugezogen werden und dieser Anspruch in der Verfassung anerkannt werden solle.

Hinsichtlich des Abschlusses von Staatsverträgen wurde auf Verlangen der Vertreter der bayrischen Regierung ausgesprochen, daß den einzelnen Staaten das Recht, Staatsverträge über Angelegen- heiten zu schließen, welche nicht in den Kreis der Bundesangelegen- heiten gehören, nicht zu beanstanden sein werde.

Der Vertreter \\'ürttembergs hält die völkerrechtliche Vertre- tung des Bundes durch das Präsidium für unerläßlich und schließt sich bezüglich des Rechtes der Kriegserklärung der bayrischen Proposition an.

Art. 12, 13 u. 14 wurden nicht beanstandet, nur wurde in Anregung gebracht, ob es nicht angezeigt sei, von Berufung und Schließung des Bundesrathes Umgang zu nehmen und denselben als ein permanentes Organ zu betrachten, nachdem er doch einen Theil der Regierungsrechte des Bundes auszuüben berufen sei. S. Exe. Herr Staatsminister Del- brück bemerkte hierauf, daß faktisch das, was die Anregung der bay- rischen Regierung bezwecke, bereits erreicht sei durch die Kürze der zwischen Schließung und Wiederberufung des Bundesrathes regel- mäßig verstreichenden Frist, daß aber an der Einrichtung des Art. 12 festgehalten worden sei, um den anderen Charakter, den der Bundesrath an sich trage, den parlamentarischen nämlich, dadurch auszudrücken.

Art. 15 wurde nicht beanstandet, nur proponirte Bayern, ihm im Falle der Verhinderung Preußens den stellvertretenden Vorsitz im Bundesrathe zuzuerkennen.

Art. 16 u. 17

wurden als annehmbar bezeichnet. Zu

Art. 18, den Bayern im Übrigen nicht beanstanden zu wollen erklärte, erhob dasselbe das Verlangen, daß in der Verfassung ausgesprochen werde, es solle eine gewisse, nach irgend einem bestimmten Verhältnisse festgestellte Zahl von Bundesbeamten nach dem Vorschlage Seiner

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Majestät des Königs aus bayrischen Staatsangehörigen ernannt werden.

S. Exe. Herr Staatsminister Delbrück entgegnete hierauf, daß die Aufnahme einer solchen Bestimmung in eine Verfassung nicht als unbedenklich sich darstelle, dem ausgesprochenen Verlangen übrigens schon in der bisherigen Praxis des Zollvereins vollständig entsprochen worden sei und zweifellos auch in der Folge nach Thun- lichkeit werde entsprochen werden, für eine ausgiebigere Beach- tung desselben aber bei der von Bayern vorgeschlagenen Competenz des Bundes schwerlich eine passende Gelegenheit sich ergeben werde, da außer den Zollvereinsbeamten nur noch die Consuln und etwa noch das Personal des Bundeskanzleramtes werde in Betracht kommen können.

Von Seiten der bayr. Regierung wurde schließlich bemerkt, daß immerhin eine Betheiligung von Beamten der einzelnen Staaten bei Besetzung der Bundesämter sich als wünschenswert, vielleicht sogar als nothwendig darstellen könne und für diesen Fall eine Bestimmung dahin sich empfehlen dürfte, solchen zu einem Bundes- amte berufenen Beamten die von ihnen erworbenen dienstlichen Rechte im einzelnen Staate vorzubehalten.

Der Art. 19 wurde von der bayrischen Regierung beanstandet. Nach einer eingehenden Besprechung der Sache, in welcher darauf hinge- wiesen wurde, daß ohne eine wirksame Controle des Vollzuges der kompetenzmäßigen Anordnungen des Bundes eine lebensfähige Gestaltung desselben nicht denkbar sei, wurde jedoch zugegeben, daß der Inhalt dieses Artikels etwa in folgender Fassung Annahme finden könne :

,,Wenn Bundesglieder angehalten werden. Diese

Exekution ist von dem Bundesrathe zu beschließen und von

dem Bundespräsidium zu vollstrecken."

Hiermit und durch die Bemerkungen zu Art. 8 wurde der Vorbehalt zum Eingange des Artikels 4 für erledigt erachtet.

Der Inhalt der

Art. 20 32 vom Reichstage wurde nicht beanstandet. Auch wurde anerkannt, daß das Wahl- gesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes auf den neuen Deutschen Bund ausgedehnt werden solle.

Zu Art. 32 wird von dem württ. Bevollmächtigten die Ge- währung eines Ersatzes für Reisekosten in Anregung gebracht.

Was das in den Art. 33 37 behandelte

Zoll- und Handelswesen betrifft, so wurde von Bayern vorgeschlagen, die hier enthaltenen Bestimmungen durch den Inhalt des Zollvereinsvertrages zu er- setzen, sofern derselbe nicht dadurch eine Änderung nothwendig erfahren muß, daß fortan an die Stelle eines vertragsmäßigen Ver- hältnisses ein verfassungsmäßiges treten soll.

Besonders betont wurde hierbei von der bayr. und württ. Regierung, daß sie auf der Bestimmung beharren müssen, wonach

265

sich die Bundesgesetzgebung für diese Staaten nicht auf die Besteue- rung von Bier und Branntwein erstrecken dürfe.

Auch wurde allseitig anerkannt, daß selbstverständlich mit Überführung des Vertragsverhältnisses in ein verfassungsmäßiges die Kündbarkeit des Zollvereins in Wegfall zu kommen habe.

Zu den

Art. 41 47 vom Eisenbahnwesen

wurde von Seite Bayerns und Württembergs auf das zu Art. 4 Ziff. 8 Vorgetragene Bezug genommen und daraufhin die Streichung der

Art. 41 46 beantragt, wogegen die Aufnahme des

Art. 47 nicht beanstandet ward.

Zu

Art. 48—52

ward von Seite Bayerns der Wegfall beantragt, gleichwie dies zu Art. 4 Ziff. 10 geschehen war, da Bayern die Verwaltung seines Post- und Telegraphenwesens und die hieraus resultirenden Einnahmen für sich reserviren zu müssen in der Lage sei, zumal eine Gemein- schaftlichkeit aller Reglements und Betriebseinrichtungen nicht einmal als durchführbar sich darstellen werde und auch in Ansehung Süddeutschlands ein Bedürfniß hiefür nicht anerkannt werden könne.

S. Excell. Herr Staatsminister Delbrück erklärte hierauf, daß an eine ausnahmslose Durchführung dieses Standpunktes doch kaum werde gedacht werden können und daß mindestens die Competenz der Bundeslegislative anerkannt werden sollte

1. hinsichtlich der Gesetzgebung im Postwesen bezüglich des Verhältnisses der Postanstalt zum Publikum, daß sodann hin- sichtlich der Regelung der Posttaxen für den Wechselverkehr der einzelnen Bundesstaaten unter sich und

2. hinsichtlich des Abschlusses von Postverträgen mit dem Auslande unter Vorbehalt des Vertragsrechtes für die Einzelnstaa- ten in Fällen, in welchen lediglich die letzteren betheiliget sind, die Zuständigkeit des Bundes Platz greifen sollte.

Über diese Punkte behielt sich die bayr. Regierung weitere Erwägung vor, während das Einverständniß Württembergs mit denselben erklärt werden konnte.

Für den Fall der Annahme dieses Vorschlages hielt man all- seitig dafür, daß demselben seine Stelle bei Ziff. 10 des Art. 4 an- zuweisen sein würde.

Zu den

Art. 53—55 wurde von Seite der bayrischen Regierung hervorgehoben, durch Aufnahme der Bestimmungen der Verfassung des Norddeutschen Bundes über

Marine und Schiffahrt in die Verfassung des Deutschen Bundes werde die Finanzlast der süddeutschen Staaten um ein Erhebliches vermehrt. Wenn man nun

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erwäge, daß gerade die Höhe der Ausgaben, namentlich für mili- tärische Zwecke, schon in ihrem dermaligen Bestände im Süden Deutschlands schwer empfunden wurde und ein sehr bedeutender Grund für die inneren Schwierigkeiten gewesen sei, die in jüngster Zeit in den süddeutschen Staaten den Regierungen entgegengetreten sind, so werde die Behauptung gerechtfertigt sein, daß an der Ver- mehrung dieser Last sehr leicht die Annahme der neuen Bundes- verfassung in den süddeutschen Ländern scheitern könnte, und er- scheine somit ebensowohl für die Regierungen dieser Länder wie für Preußen und den Norddeutschen Bund, denen ja allen in gleichem Grade an dem Zustandekommen einer Reconstituirung Deutsch- lands gelegen sein müsse, ein ernster Anlaß gegeben, in Betracht zu ziehen, ob nicht für den Deutschen Bund von einer Gemeinschaft- lichkeit der Marine und der hiefür erforderlichen finanziellen Lasten Abstand zu nehmen sei, zumal hiefür auch der Umstand spreche, daß die norddeutschen Staaten, wenn nicht ausschließlich, so doch vorwiegend, bei dem Bestände einer Marine betheiliget seien.

Herr Staatsminister Delbrück hielt dieser Auffassung entgegen die Ansicht fest, daß vorbehaltlich der Frage, wie es mit der Bei- tragspflicht für die Kosten der 2 Kriegshäfen zu halten sei, die in Übereinstimmung mit den Bestimmungen über die Landfestungen zu entscheiden sein werde keinem Mitgliede die Beitragspflicht für die Marine werde nachgesehen werden können, nachdem die Flotte, sowohl was den Schutz des deutschen Gebietes im Kriegs- falle als was den Schutz des deutschen Handels im Frieden auf allen Meeren der Erde angehe, allen deutschen Staaten in gleichem Maße zu Gute komme.

Für den Fall, daß Bayern sich der Beitragspflicht zur Marine unterziehen würde, erkannten hierauf die Vertreter der bayr. Re- gierung an. daß die Art. 53 55 ihre Stelle auch in der Verfassung des neuen Deutschen Bundes zu finden hätten, und hoben nur noch hervor, daß alsdann im Hinblick auf den Umfang des Bundes- gebietes und in Berücksichtigung weit verbreiteter Gefühle dieFlagge aus den Farben Schwarz, Gold und Rot zu bestehen haben oder eine andere Flagge zu wählen sein dürfte, wodurch die Gesammtheit des neuen Bundes repräsentirt würde.

Nachdem

das Consulatswesen Art. 56 schon zu Art. 4 Ziff. 7 die erforderliche Besprechung gefunden hatte, wurde zur Besprechung des

Bundeskriegs Wesens übergegangen (wobei Justizminister v. Mittnacht sich außer Stand erklärte, in Abwesenheit des württ. Kriegsministers die Ansichten seiner Regierung zu vertreten) und zunächst darauf hingewiesen, daß in Art. 4 Ziff. 14 Alles dasjenige, was an dem Militärwesen der Legislative anheimfällt, dortsei bst schon der Legislative des Bundes zugewiesen und somit der Competenz der Gesetzgebung der Einzeln- staaten entrückt sei. Im Übrigen wurde der Inhalt des

Art. 57 vorbehaltlich der gebotenen redaktionellen Änderung nicht bean- standet.

267

Zu Art. 58 wurde von Bayern vorgeschlagen, statt desselben folgende Be- stimmungen aufzunehmen :

Die Kosten und Lasten des bayrischen Kriegswesens, einschließ- lich der auf bayrischem Gebiete gelegenen Festungen, werden von Bayern selbst getragen

Zur Motivirung dieser Bestimmimg war bei verschiedenen Anlässen im Laufe der Berathungen von bayrischer Seite hervor- gehoben worden, Bayern erkenne bereitwillig an, daß der Schutz des deutschen Gebietes von allen verbündeten Staaten nach gleichem Maße geleistet werden müsse und deshalb weder Bevorzugungen noch Prägravationen zulässig seien, daß der Zweck eines aus- giebigen Schutzes der deutschen Staaten nur durch ein einheitliches, in allen wesentlichen Punkten gleichförmig organisirtes Heer erreicht werden könne, dagegen halte man bayrischerseits dafür, daß mit Statuirung eines durchweg gemeinschaftlichen Militärbud- gets die Selbstständigkeit der einzelnen Staaten weiter, als für den Bundeszweck erforderlich sei, angegriffen werde und daß dadurch ohne zureichende Gründe den einzelnen Staaten die Vortheile ent- zogen würden, die ihnen unter Umständen daraus erwüchsen, daß nach ihren socialen und wirtschaftlichen Verhältnissen den Ver- pflichtungen für die Armee mit geringeren finanziellen Opfern ent- sprochen werden könne, ganz abgesehen von dem Aufwände für Kasernirungsbauten etc. und davon, daß z. B. eine wesentliche Änderung der Gagenverhältnisse eine einschneidende Änderung der Besoldungsverhältnisse der Civilstaatsdiener zur unausbleiblichen Folge haben würde. Dem Einwände, daß bei diesem Vorschlage den Einzelnparlamenten die Macht eingeräumt sei, Bayern an der Leistung seines billigen Antheils für den militärischen Schutz Deutschlands durch Ablehnung von den erforderlichen Summen zu verhindern, wurde mit dem Bemerken begegnet, daß die Legisla- tive über das Militärwesen der Bundesgesetzgebung und ebenso die Feststellung der übrigen wesentlichen Substrate der militärischen Leistungen der einzelnen Staaten der Bundesregierung zustehe, wie sich aus den folgenden Artikeln ergeben werde.

Bezüglich der Festungen wurde noch bemerkt, daß mit der hier vorgeschlagenen, dem Status quo entsprechenden Bestimmung die Vereinbarung der deutschen Staaten darüber nicht ausgeschlossen werden solle, daß gewisse schon vorhandene Festungen die Eigen- schaft von Bundesfestungen haben, andere neu angelegt werden sollten und wie deren Verhältnisse, dann die der Küstenbefestigung zu ordnen seien.

Zu

Art. 59 wurde von Seite Bayerns der erste Satz des Absatzes i, desgleichen der Absatz 2 als annehmbar, Satz 2 des Absatzes i aber als gegen- standslos und darum als cessirend bezeichnet.

Art. 60

wurde von Seite Bayerns nicht beanstandet vorbehaltlich nach- folgender Bemerkung:

Schon bei dem Abschnitte über die Marine ist ausgeführt, daß die Höhe der finanziellen Leistungen der deutschen Staaten für

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militärische Zwecke und die dadurch bedingte Erhöhung der Steu- ern zum weitaus größten Theile die inneren Schwierigkeiten hervor- gerufen habe, mit denen die deutschen Regierungen in jüngster Zeit zu ringen gehabt. Durch Art. 60 werde, was Bayern speziell angehe, diese Last noch um ein beträchtliches erhöht. Ein solcher Erfolg der deutschen Verfassungsreform werde nicht etwa blos eine weitgreifende Unpopularität derselben zur Folge haben, sondern sogar ernstlich in Frage stellen, ob die beabsichtigte Reform die Zu- stimmung der Einzelnparlamente finden könne. Da nun auch die Völkerschaften der norddeutschen Staaten schon große Anstren- gungen gemacht hätten, um die auf ihnen ruhende Militär-Last zu kürzen, und bei der bevorstehenden Behandlung der Frage im Par- lamente auf diese Bestrebungen wieder zurückkommen würden, so müsse die bayr. Regierung mit besonderem Nachdrucke die Frage anregen, ob es nicht gerathen sei, alsbald bei Vereinbarung der neuen Bundesverfassung die vielleicht doch nicht vermeidbare Reduction der Armee eintreten zu lassen und die Präsenzstärke sofort auf % Prozent der Bevölkerung herabzusetzen. Auch politische Erwä- gungen wurden hiefür angeführt, und insbesondere die, daß nach Bildung des neuen Deutschen Bundes die deutsche Armee selbst bei diesem Prozentsatze die größte in Europa sei und eine noch größere Armee die Eifersucht und Coalitionen anderer europäischer Völker gegen Deutschland wach rufen könne. Für den

Art. 61 wurde von Bayern folgende Fassung vorgeschlagen:

Bayern behält seine gesammte Militärgesetzgebung nebst den dazu gehörigen Vollzugs-Instructionen und Verordnungen und Erläuterungen etc. etc. bis zur verfassungsmäßigen Beschluß- fassung über die der Bundesgesetzgebung anheimfallenden Materien.

Außerdem wurde in Anbetracht des Umstandes, daß die Straf- gesetzgebung dem Wirkungskreise des Bundes nicht anheimfallen .soll, proponirt, dem Art. 4 Ziff. 14 den Zusatz zu geben:

mit Ausnahme des Militär-Strafrechts und Strafprozesses sowie der Militär-Kirchen-Ordnung.

Zu

Art. 62 proponirte die bayr. Regierung in Consequenz ihrer Auffassung über das Militärbudget die Weglassung und den Ersatz desselben durch eine Ergänzung des Art. 60 mit dem Beisatze, daß die daselbst statuirte Präsenzstärke bis zu deren Änderung durch ein neues Bundesgesetz in Geltung zu bleiben habe. Für

Art. 63 schlug Bayern folgende Fassung vor:

Das bayrische Heer bildet einen in sich geschlossenen Be- standtheil des deutschen Bundesheeres mit selbstständiger Verwaltung unter der Militärhoheit Seiner Majestät des Königs von Bayern; im Kriege unter dem Oberbefehle Seiner Majestät des Königs von Preußen als Bundesfeldherrn.

269

Für Organisation, Formation und Ausbildung (taktische Reglements und Präsenzstand) besteht Einheit zwischen dem bayrischen und norddeutschen Heere.

Das Bundespräsidium hat die Pflicht und das Recht, sich durch Inspectionen von dieser Einheit in Organisation und For- mation sowie von der Vollzähligkeit und Kriegstüchtigkeit des bayrischen Contingentes zu überzeugen, und wird sich über die Modalitäten der jeweiligen Vornahme und über das Ergebniß dieser Inspektionen mit Sr. M. dem Könige von Bayern ins Vernehmen setzen.

Die Anordnung der Kriegsbereitschaft (Mobilisirung) des bayrischen Contingentes oder eines Theils desselben erfolgt auf Veranlassung des Bundespräsidiums durch S. M. den König von Bayern.

Die Anordnungen des Bundespräsidiums bezüglich der mit dem norddeutschen Heere verfassungsmäßig einheitlichen Einrichtungen des bayrischen Heeres werden der bayr. Re- gierung durch den in Art. 8 Nr. i bezeichneten Bundesraths- Ausschuß zum Vollzuge mitgetheilt.

Vorbehalten ist für die bayr. Regierung demnach: Benennung und Numerirung der Regimenter etc., Uniformirung, Ausrüstung und Bewaffnung (System Werder), Garnisonirung, Personalwesen und Militärbildungsanstalten, überhaupt alle in obiger Formulirung nicht berührten Militär-Hoheitsrechte.

Art. 64 Absatz I wurde von Bayern mit der Modification, daß nach „Bundesfeldherrn" einzuschalten sei: ,,im Kriege" für angenommen erklärt, zu Absatz 2 und 3 aber die Weglassung proponirt. Zu dem entsprechend zu verändernden

Art. 65 proponirte die bayr. Regierung folgenden Zusatz:

Die Anlage neuer Befestigungen auf bayrischem Gebiete kann nur mit Zustimmung Sr. M. des Königs von Bayern geschehen. Art. 66 u. 67 wurden in Consequenz früherer Propositonen abgelehnt,

Art. 68 wurde gleichfalls abgelehnt, dagegen proponirt, in einer neuen Ziffer des Art. 4 auszusprechen, daß der Bundeslegislative die Re- gelung der hier besprochenen Materie anheimfalle. Zu dem Abschnitte

von den Bundesfinanzen wurde bemerkt: Nachdem Bayern die Gesetzgebung über die Besteuerung von Bier und Branntwein vorbehalten bleiben müsse und selbstverständlich auch der Bezug des hieraus entspringenden Einkommens, nachdem ferner Bayern sein Post- und Telegraphen- wesen an den Bund abzutreten nicht in der Lage sei, stehe fest, daß der Bund nicht durchweg seine Einnahmen mit Bayern gemein- schaftlich haben könne. Andererseits seien auch die Ausgaben nicht durchweg gleich, da Bayern, abgesehen von der Marine, seine Aus-

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gaben für das Militär für sich zu bestreiten gedenke. Daraus folge, daß ein gemeinsames Budget nach Maßgabe der

Art. 69 72 nicht möglich sei. Es werde deshalb die Streichung dieser Artikel proponirt und der Ersatz derselben durch die Bestimmung, daß nur das gemeinschaftliche Ausgabenbudget und die Aufwie- gung der Ausgaben durch Matrikularbeiträge nach dem Maßstabe der Bevölkerung durch den Bund festzustellen sei.

Der württ. Bevollmächtigte schließt sich den Anschauungen der K. bayr. Regierung bezüglich des Bundesfinanzwesens im all- gemeinen an. Gegen

Art. 73 besteht keine Erinnerung.

Art. 74 wurde nicht beanstandet, und

Art. 75 zum Wegfall empfohlen, allerdings aber eine entsprechende Er- gänzung der Particular-Gesetzgebung in Aussicht gestellt.

Art. 76 Absatz I wurde als annehmbar erklärt, Absatz 2 dagegen ab- gelehnt, desgleichen

Art. ']'].

Württemberg würde gegen die Beibehaltung von Art. 76 Abs. 2 und Art. 'j'] eine wesentliche Einwendung nicht erheben.

Zu

Art. >]% erklärte die bayrische Regierung, daß sie denselben annehme unter der Voraussetzung, daß ihr

1. bezüglich aller eine Erweiterung der Bundes-Competenz und

2. aller das Stimmrecht sowie die Sonderstellung Bayerns betreffenden

Verfassungsänderungen ein Veto eingeräumt wird.

Der Vertreter Württembergs würde davon ausgehen, daß der Widerspruch einer zu bestimmenden Zahl von Stimmen Verfas- sungsänderungen sollte verhindern können.

Schließlich wurde von Bayern und Württemberg die Aus- dehnung der Bundeslegislative auf die Gesetzgebung über das Preß- und Vereinswesen proponirt. m. st.A.

II. München 1870 September 27. Hauptrelation des Staats- ministers V. Delbrück über die Münchener Konferenzen.

(Original.)

Nachdem ich am 19. d. Mts. aus Chateau-Thierry nach Berlin zurückgekehrt war, habe ich mich am folgenden Tage nach München begeben und bin daselbst am 21. vormittags eingetroffen.

Graf Bray erklärte mir in einer Unterhaltung, welche sofort nach meiner Ankunft stattfand, daß Bayern von der Nothwendig-

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keit überzeugt sei, an die Stelle der Vertragsverhältnisse, welche zur Zeit zwischen ihm und Norddeutschland bestehen, ein organisches Verhältniß treten zu lassen. Auf seine Frage, ob ich zum Abschluß eines auf solcher Grundlage beruhenden Abkommens mit Voll- macht und Instruction versehen sei, bezeichnete ich, der mir Allerhöchst ertheilten Weisung gemäß, meine Aufgabe dahin, die Vorschläge Bayerns für die Neugestaltung seines Verhältnisses zu Norddeutschland entgegenzunehmen und, wenn solches gewünscht werden sollte, auf Grund meiner Kenntniß der Norddeutschen Bundesverhältnisse zu besprechen. Die weitere Frage, ob Preußen bei der Neugestaltung seines Verhältnisses zu Bayern auch auf eine Änderung seines durch die Bundesverfassung begründeten Ver- hältnisses zu den Staaten des Norddeutschen Bundes eingehen werde, beantwortete ich mit der Bemerkung, daß S. M. der König zu einer Erwägung dieser Frage keinen Anlaß gefunden hätte und daß ich für meinen Theil einen solchen Anlaß für jetzt und vor näherer Kenntniß der Vorschläge Bayerns nicht zu erkennen vermöchte. Endlich fragte mich Graf Bray, ob es in meiner Absicht oder in meinem Auftrage liege, von München nach Stuttgart zu gehen und, verneinenden Falls, ob ich damit einverstanden sei, daß der K. Württembergische Justizminister Herr von Mittnacht an den Be- sprechungen in München Theil nehme. Ich antwortete, daß mein Auftrag nur der K. Bayerischen Regierung gelte und daß ich daher die Zuziehung des Herrn von Mittnacht, gegen welche ich nicht das Mindeste einwenden würde, lediglich Bayern zu überlassen hätte. Herr von Mittnacht kam infolgedessen in der Nacht vom 21. /22. hier an und hat an den Berathungen von Anfang bis zu Ende theil- genommen.

Auch die Theilnahme der Großherzoglich-Badischen Regierung wurde noch am Tage meiner Ankunft von dem Großherzoglichen Gesandten bei mir angeregt. Ich bemerkte ihm, daß sich mein Auf- trag auf die Entgegennahme der bayerischen Vorschläge beschränke und ich daher eine Initiative für die Betheiligung Badens nicht ergreifen könne, daß ich aber gegen eine solche Betheiligung, wenn dieselbe im Einverständniß mit Bayern erfolge, nicht das geringste Bedenken haben würde. Die Frage erledigte sich demnächst da- durch, daß Herr von Mohl mir drei Tage später amtlich eröffnete, seine Regierung wünsche eine Betheiligung an den Münchner Be- sprechungen nicht, da sie beabsichtige, die Aufnahme Badens in den Norddeutschen Bund zu beantragen. Bei diesem Antrage werde sie, wie er schon jetzt bemerke, zweierlei voraussetzen: näm- lich die Aufrechthaltung des bestehenden Systems der Getränke- steuern, sodann eine besondere Verständigung über die Einführung der im Norddeutschen Bunde erlassenen Gesetze. Herr von Mohl bat endlich um Mittheilung der Ergebnisse der Münchner Be- sprechungen und ich habe keine Bedenken getragen diese Bitte zu erfüllen.

Die Eröffnung und Besprechung der bayerischen Vorschläge erfolgte am 22., 23., 24., 26. und 27. d. Mts. unter Betheiligung sämtlicher bayerischer Minister und des Herrn von Mittnacht. Am 25. fand über das Kriegswesen eine Vorbesprechung zwischen dem Kriegsminister, dem Justizminister und mir statt.

272

Den Besprechungen wurde die Norddeutsche Bundesverfassung zum Grunde gelegt und die bayerischen Vorschläge gestalteten sich als die amendements zu den einzelnen Bestimmungen dieser Ver- fassung. Als Proponenten fungierten und zwar für den nicht auf das Kriegswesen bezüglichen Theil der Justizminister von Lutz, für das Kriegswesen der Kriegsminister Freiherr von Pranckh, beide auf Grund protokollarisch niedergelegter Beschlüsse früherer Ministerkonferenzen. Meinungsverschiedenheiten unter den Mi- nistern und zwar gerade über ganz entscheidende Punkte traten wiederholt hervor und wurden in meinem Beisein erörtert. So lehnte Herr von Lutz es ab, bei den Fragen über die völkerrechtliche Ver- tretung des Bundes und über das Marinewesen als Redner zu fun- giren.

Die Betheiligung der einzelnen Minister an der Discussion war eine sehr ungleiche. Graf Bray beschränkte sich in der Regel darauf, die einzelnen Artikel der Bundesverfassung vorzulesen, und über- ließ es Herrn von Lutz sodann das bayerische Votum abzugeben. Wo er letzteres selbst abgab, wie bei Artikel ii, geschah dies durch V^erlesung der vorher erwähnten protokollarischen Aufzeichnungen ; in die Diskussion griff er selten ein, wenn es geschah, meist unter An- rufung der alten Bundesverfassung. Der Minister des Innern Herr von Braun hat überhaupt nur wenig Worte gesprochen, welche nichts zu erkennen gaben als Besorgniß vor Eingriffen der Bundes- gewalt in sein Ressort. Der Finanzminister Herr von Pfretzschner betheiligte sich lebhafter als sein Kollege und war entgegenkom- mender als letzterer, vielleicht mehr aus Schwäche als aus Über- zeugung. Herr von Schlör, der Handelsminister, vertrat mit Sach- kenntniß und Geschick die sein Ressort betreffenden Fragen; wo er über andere Dinge sprach, neigte er der nationalen Auffassung zu. Der Justizminister Herr von Lutz zeigte, daß er sich mit der Bundes- verfassung gründlich beschäftigt und über die Stellung Bayerns zu uns in dieser Verfassung eine selbständige und durchdachte Meinung gebildet hatte. Er machte den Eindruck, daß er von der Nothwen- digkeit einer Einfügung Bayerns in den Bundesorganismus innerlich überzeugt und daß ihm an dem Gelingen einer Verständigung ernst- lich gelegen sei. Von dem Kriegsminister würde dasselbe zu sagen sein, wenn auch seine Motive etwas andere sind. Er will eine tüch- tige Armee, also Freiheit von jeder wirksamen Betheiligung des bayerischen Landtags an der Feststellung des Militärbudgets, und erkennt, daß dieses Ziel nur durch einen Anschluß an Norddeutsch- land zu erreichen ist. Die gesammte Haltung Bayerns, wie sie sich als das Ergebniß dieser verschiedenen Stellungen der Minister und des souveränen Selbstgefühls Sr. M. des Königs von Bayern darstellt, bezeichnet der Minister von Mittnacht im Gegensatze zur Haltung Württembergs sehr treffend dahin, daß man in München sich be- mühet habe zu sagen, welche Rechte Bayern nothwendig an den Bund abtreten müsse, während man in Stuttgart sich gefragt habe, welche Rechte Württemberg nothwendig sich vorzubehalten habe.

Die Vorschläge Bayerns (wie sie sich aus den Besprechungen ergeben) sind in der Anlage enthalten. Bevor ich auf ihre Einzel- heiten eingehe, habe ich zwei allgemeine Bemerkungen vorauszu- schicken.

273

Ich habe mich im allgemeinen darauf beschränkt, die einzelnen Bestimmungen der Bundesverfassung in das richtige Licht zu stellen und, wo eine Abänderung beansprucht wurde, die politischen und materiellen Gesichtspunkte geltend zu machen, welche für die Auf- rechthaltung sprechen. Es ist mir auf diesem Wege gelungen, zahlreiche Abänderungsvorschläge theils ganz zu beseitigen, theils in annehmbare Form zu bringen. Dem Anspruch auf fernere Eigen- verwaltung der Posten und Telegraphen und auf Ausscheidung der inneren Getränkesteuern aus dem Kreise der gemeinschaftlichen Gesetzgebung bin ich nicht entgegengetreten. Umgekehrt habe ich die völkerrechtliche Vertretung des Gesammtbundes durch das Prä- sidium, den Wegfall der Landeskonsulate und die Annahme des Abschnittes der Bundesverfassung über Marine und Schiffahrt als unerläßliche Voraussetzungen des Bundesorganismus bezeichnet. Bei dem Abschnitt über das Kriegswesen habe ich mich auf den Mangel an Fachkenntnissen bezogen und nur das Inspectionsrecht als unbedingt nothwendig festgehalten.

Die protocoUarischen Aufzeichnungen über die Ministerkon- ferenzen, deren ich bereits erwähnt habe, hatten Sr. M. dem König von Bayern vorgelegen und die Allerhöchste Genehmigung erlangt. Durch dieses Verfahren hatten sich die bayerischen Minister in hohem Grade beengt. Sie gestanden im Laufe der Besprechungen zu, daß die Gesetzgebung über Bundes- und Staatsangehörigkeit und über das Obligationenrecht dem Bunde zustehen solle, sie ließen den Anspruch auf Vermehrung der bayerischen Stimmen im Bundes- rathe und auf verfassungsmäßige Feststellung der Vertretung Bayerns in dem 3. und 4. Ausschuß fallen, sie verzichteten auf die Stellung einer gewissen Quote der Bundesbeamten durch Bayern, sie waren mit den von mir wegen des Post- und Telegraphenwesens gemachten Andeutungen einverstanden und sie ließen auch ihren Widerspruch hinsichtlich des Marinewesens fallen, sie wagten es aber nicht, diese ihre Erklärungen in die Aufzeichnungen aufzunehmen. Es wurde ersucht, S. M. den König zu bestimmen, zum Zwecke eines Vor- trags über die Ergebnisse der Besprechungen nach München zu kommen, dieser Versuch mißlang aber, und so glaubten sie, die einmal Allerhöchst genehmigten Propositionen wenigstens formell aufrechterhalten zu müssen. Die Anlage gibt daher kein wirkliches Bild über die Ergebnisse der Besprechungen.

Zu den Einzelheiten bleibt mir folgendes zu bemerken übrig.

L Aus dem Kreise der Bundesangelegenheiten soll nach der Ansicht Bayerns ausgeschieden werden:

1. das Gewerbewesen,

2. die Heimatsgesetzgebung,

3. das Immobiliarversicherungswesen,

4. die nicht bereits jetzt im Zollverein gemeinschaftlichen Steuern,

5. das Eisenbahnwesen, vorbehaltlich des militärischen Ge- sichtspunktes, und die Herstellung von Land- und Wasserstraßen,

6. das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren, insbesondere auch für die Armee.

Württemberg würde sich mit der Ausscheidung der unter 2 und 4 bezeichneten Materien und einer minder großen Beschränkung

Doeberl. Bayern und die Bismarckische Reichsgrüadung. l8

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der Competenz in Eisenbahnangelegenheiten begnügt haben. Auf die Ausschließung des Gewerbewesens wird, wie ich überzeugt bin, Bayern schließlich verzichten.

II. Bayern und Württemberg wünschen, die Mitwirkung des Bundesrathes bei der Ausführung der Bundesgesetzgebung verfas- sungsmäßig festgestellt zu sehen.

Bei Bayern herrschten in dieser Beziehung ziemlich unklare Vorstellungen, Herr von Mittnacht drückte den Gedanken klar und praktisch dahin aus, daß dasjenige, was die Bundesverfassung im Artikel 37 unter Nr. i, 2 und 3 über die Befugnisse des Bundes- rathes rücksichtlich des Zoll- und Steuerwesens bestimme, generali- sirt werden möge. Abgesehen von den Militärangelegenheiten drückt dieser Antrag nichts Anderes aus als die Fixirung der im Norddeut- schen Bunde bereits bestehenden Praxis und bezeichnet daher ein unbedenklich zulässiges und wohl zu verwertendes Zugeständniß.

III. Über die unbedingte Nothwendigkeit der völkerrechtlichen Vertretung des Bundes durch das Präsidium waren sämmtliche bayerische Minister, mit alleiniger Ausnahme des Grafen Bray, mit mir einverstanden. Die einflußreichsten Personen in der Umgebung Sr. M. des Königs von Bayern sind der nämlichen Ansicht und man meint, daß selbst die bayerischen ,, Patrioten" bei diesem Punkte die Ersparungsrücksichten über den Patriotismus setzen würden. Hier liegt die einzige Schwierigkeit in der Allerhöchsten Entschlie- ßung.

IV- Bei seinen Vorschlägen über das Kriegswesen ging Bayern von folgenden Gesichtspunkten aus. Die bayerische Armee soll ein der norddeutschen vollkommen ebenbürtiges Contingent des Bun- desheeres sein. Hierzu ist erforderlich die Einheit der Militair- gesetzgebung ausschließlich des Strafrechtes und Strafprozesses sowie des Kirchenwesens sowie der Anordnungen zur Ausführung dieser Gesetzgebung und die Einheit der reglementairen Vor- schriften, ausschließlich der Benennung und Numerirung der Re- gimenter, Uniformirung, Ausrüstung, Bewaffnung und Bildungs- anstalten. In diesen einheitlichen Materieh unterwirft sich Bayern der Gesetzgebung des Bundes, bezw. des Bundesoberhauptes. In allen übrigen Beziehungen will es seine Selbständigkeit wahren und kann es ohne Schaden für die Gemeinschaft seine Selbständigkeit wahren. Denn wenn die Friedenspräsenzstärke seiner Armee re- lativ dieselbe ist, wenn die Organisation, Formation und Ausbildung nach den im Norddeutschen Bunde bestehenden Anordnungen erfolgen muß, sind alle nothwendigen Elemente des Militairetats so vollständig festgelegt, daß dem bayerischen Landtage die Bewilli- gung dieses Etats unbedenklich überlassen werden kann. Ist dies aber der Fall und ist ferner dem Bundespräsidium die Befugniß gewahrt, die Ausführung der einheitlichen Anordnungen zu be- aufsichtigen, so tritt die Rücksicht in ihr Recht, welche Bayern vermöge seiner staatlichen Bedeutung für seine Selbständigkeit in Anspruch nehmen kann.

Diese Gesichtspunkte wurden mir von dem Kriegsminister bei der ersten Besprechung des Gegenstandes dargelegt. Jedoch ohne Erwähnung des Inspectionsrechtes. Ich bemerkte ihm, daß ich als Laie seine Darlegungen einer Kritik im einzelnen nicht unter-

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werfen könne, daß dieselben aber selbst für einen Laien eine Lücke erkennen ließen, durch welche sie ihren Boden verlören, nämlich die Controlle der Ausführung durch die Centralgewalt. Er bestritt diese Bemerkung sichtlich nur, um von mir zu hören, daß ein Bundesorganismus, wie er bisher bei unseren Besprechungen vor- geschwebt habe, ohne jene Controlle nicht denkbar sei, und ging alsdann bereitwillig auf die nähere Bestimmung des Inspections- rechtes ein. Das Ergebniß unserer Besprechung war, daß er die be- zügliche Bestimmung der Convention mit Sachsen für annehmbar erachtete. Als aber am folgenden Tage der Gegenstand in der Ge- sammt-Conferenz erörtert wurde, legteer, statt jener Bestimmung, eine Formulirung vor, welche ich wieder für nicht zulässig erklärte, worauf dann endlich der zu Artikel 63 gemachte \'orschlag zum Vor- schein kam. Es geschah dies am 26. d. Mts. Am folgenden Tage wurde die anliegende Aufzeichnung verlesen und als es zum Artikel 63 kam, bemerkte der Minister des Innern, er habe am Tage zuvor bei Sr. M. dem König in Berg Vortrag gehabt und bei dieser Gelegen- heit die Eröffnung erhalten, daß Allerhöchstdieselben mit dem Vor- schlage nicht einverstanden seien. Ich schwieg, der Kriegsminister bemerkte, er wisse davon nichts, und so blieb der Vorschlag stehen und man ging weiter.

V. Eine lange, jedoch ergebnißlose Discussion führte die Festungsfrage herbei. Die Auffassung Bayerns, ins Concrete über- setzt, lautet: wir haben jetzt drei Festungen, Landau, Ingolstadt und einen Theil von Ulm; Landau woUen wir entfestigen, Ingolstadt wollen wir so lange unterhalten, als es uns convenirt, für Ulm wollen wir zu unserem Theile sorgen ; eine neue Festung, welche wir brauchen, nämlich Ludwigshafen, soll der Bund auf seine Kosten anlegen. Hier trat zunächst Württemberg entgegen. Herr von Mittnacht bemerkte, daß bei Annahme des bayerischen Standpunktes W ürt- temberg gar nicht daran denken werde, das für sein Interesse völlig nutzlose Ulm zu unterhalten. Schließlich mußte Bayern zugeben, daß die Festungen ein wesentliches Stück des Vertheidigungs- systems des Bundes seien und daß es schlechthin nicht angehe, die Disposition über dieselben dem Gutbefinden der einzelnen Staaten zu überlassen.

Ich habe es absichtlich unterlassen, mich in München über die weitere formelle Behandlung der Angelegenheit auszusprechen, weil ich den Allerhöchsten Entschließungen Sr. M. des Königs in keiner Weise vorgreifen wollte.

Formell zulässig sind zwei Wege: wir können Bayern ersuchen, sich zunächst über die noch nicht zugestandenen prinzipiellen Fragen, völkerrechtliche Vertretung, Konsulatswesen und Marine, auszusprechen, oder wir können mit Gegenvorschlägen vortreten.

Welcher von diesen Wegen zu wählen ist, hängt meines Erach- tens von der Entschließung über die Frage ab, ob die Vorschläge Bayerns über das Kriegswesen mit dem bundesstaatlichen Organis- mus für vereinbar erachtet werden. Wird diese Frage verneint, so würde ich für den ersten Weg stimmen, weil sich alsdann die Dinge so lenken ließen, daß die Verständigung nicht bloß an der Militär- frage scheitert. Wird sie bejaht, so kann ich nicht dringend genug empfehlen, unverzüglich zur Eröffnung von Verhandlungen auf der Grundlage der Vorschläge Bayerns einzuladen und dabei unsere

18*

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Gegenvorschläge zu machen. Alle unsere Freunde in Bayern rathen zur Eile und die der Sache zugethanen Mitglieder des bayerischen Ministeriums selbst wünschen nichts sehnlicher als eine rasche Ent- scheidung. H.A.A.

12. München 1870 September 28. Graf Bray an den Gesandten Freiherrn von Schrenck in Wien.

(Konzept.)

In Ihrem Berichte vom 21. 1. M., welchen ich Sr. M. dem Könige vorzulegen nicht unterlassen habe, erwähnen Ew. Exe. einer Besprechung mit Sr. Exe. dem Grafen von Beust über die Frage der künftigen Constituirung Deutschlands in ihrer Bezugnahme und ihrem Verhältniß zu den Bestimmungen des Prager Friedens.

Es ist mir dies ein willkommener Anlaß, diesen Gegenstand mit Ew. Exe. zur Sprache zu bringen und Ihnen in Kurzem über die in den jüngsten Tagen hier gepflogenen Besprechungen mit dem preußischen Staatsminister Delbrück und dem württembergischen Justizminister v. Mittnacht Nachricht zu ertheilen.

Es ist nicht zu verkennen, daß die allen deutschen Staaten ge- meinsame Führung des Krieges gegen Frankreich und die großen Ereignisse dieses Feldzuges für die Zukunft der deutschen Staa- ten und die Gestaltung der deutschen Verhältnisse nicht ohne Ein- wirkung bleiben können. Auch Bayern wird diesen historischen Thatsachen und der in allen Klassen der Bevölkerung hervorgeru- fenen Stimmung Rechnung tragen müssen. Dabei besteht aber die feste Absicht, die Selbständigkeit des Landes, die Souveränität der Krone aufrecht zu erhalten und der neu zu begründenden Gemein- schaft nur jene Zugeständnisse zu machen, welche ein föderatives Verhältniß unbedingt erheischt.

Um eine sichere Grundlage für unsere Beschlußnahmen zu gewinnen, war es uns von Werth zu erfahren, ob Preußen beabsich- tige, den deutschen Nordbund unverändert zu erhalten, oder ob es dessen Ersetzung durch einen auf veränderten Grundlagen zu errichtenden allgemeinen Deutschen Bund in Aussicht nehme.

Die Berufung des Präsidenten des Bundeskanzleramtes Del- brück in das Hauptquartier und dessen bevorstehende Rückkehr nach Deutscliland bot uns Gelegenheit zu sicherer Information, und auf meinen Wunsch erfolgte des Ministers Delbrück Abordnung nach München.

Derselbe erschien hier ohne alle \'ollmacht, lediglich beauftragt zum Austausche der preußischen Ansichten gegen die der bayeri- schen Regierung über die künftige Gestaltung der deutschen Ver- hältnisse. Wir erfuhren durch ihn, daß, wie es zu vermuthen ge- wesen, von Seite Preußens an ein Aufgeben des festgegliederten Norddeutschen Bundes, insbesondere an die Gestattung des Aus- trittes des Königreiches Sachsen oder Oberhessens, nicht gedacht werde.

Letzteres wäre in vielfacher Hinsicht erwünscht gewesen. Angesichts aber der feststehenden Thatsache des unveränderten Fortbestandes des Nordbundes und der Wahrscheinlichkeit des Eintrittes Badens in denselben blieb für Bayern nur der Ausweg: in Gemeinschaft mit Württemberg, welches sich ihm anschließen zu

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wollen durch das Organ des Ministers Mittnacht erklärte, die Gründung eines weiteren Bundes neben dem Norddeutschen Bunde und außerhalb desselben zu versuchen.

Es ist dies der Gegenstand der Besprechungen mit Herrn Delbrück gewesen. Im Großen und Ganzen hat sich keine bedeu- tende Divergenz der Ansichten ergeben, nachdem Herr Delbrück von vornherein erklärte, lediglich die \'orschläge Bayerns entgegenzuneh- men, selbst aber keine Anträge zu stellen zu haben. Gleichwohl war es nicht zu vermeiden, daß über die als gemeinsam zu erklären- den Angelegenheiten und über ihre Behandlung im Bunde sich Meinungsverschiedenheiten ergaben. Da es sich um den Abschluß irgend eines Instrumentes z. Z. nicht handelte, sondern nur ein bloßer Meinungsaustausch beabsichtigt war, werden die gepflogenen Besprechungen immerhin zur Grundlage späterer Verhandlungen dienen können, und ist durch dieselben Klarheit über die gegensei- tige Auffassungsweise gewonnen. Wenn ich den Art. 4 des Prager Friedensvertrages betrachte, so scheint mir derselbe mit dem beabsichtigten weiteren Deutschen Bunde nicht im Widerspruche zu stehen, da durch den letzteren die dort vorgesehene nationale Verbindung der süddeutschen Staaten mit dem Norddeutschen Bunde erstrebt wird, die Herstellung eines Vereins der Südstaaten unter sich aber, wie in \Men wohl bekannt ist, sich ungeachtet wiederholter \"ersuche als unerreichbar erwiesen hat.

Es hindert dies nicht, daß wir den größten Werth darauf legen, in fortlaufendem Benehmen mit der Kaiserl. Österreichischen Re- gierung über aUe in der Constituirung Deutschlands vorzunehmen- den Änderungen zu verharren, und ich behalte mir vor, sobald weitere Schritte hierin erfolgen, Ew. Exe. fortgesetzte Mittheilungen zugehen zu lassen, um Sie in den Stand zu setzen, diesen wichtigen Gegenstand mit dem Herrn Reichskanzler eingehend zu besprechen.

13. Irlbach 1870 Oktober 4. Graf Bray an den Gesandten

in Berlin (sowie an die Gesandten in Stuttgart, London

und St. Petersburg.)

(Koozept.)

Euer Hochwohlgeboren ist bekannt, daß während der letzten Tage des verflossenen ]\Ionats in München zwischen den Mitgliedern der bayerischen Regierung, dem Präsidenten des norddeutschen Bundeskanzleramtes Delbrück und dem K. württembergischen Minister v. ^littnacht Besprechungen über die deutsche Frage statt- gefunden haben.

Der preußische Minister Delbrück war bald nach seiner Rück- kehr aus dem Hauptquartier des Königs Wilhelm auf meinen Wunsch nach München gekommen, da es der K. Regierung daran liegen mußte aus ganz verläßiger Quelle zu erfahren, ob die K. preußische Regierung, um den im Art. IV des Prager Friedens vorgesehenen nationalen Anschluß des deutschen Südens an den Norden zu ermög- lichen, geneigt sein werde, die Verfassung des Nordbundes umzu- gestalten und auf einer gänzlich neuen Basis wieder zu begründen. Zog Preußen vor, den Norddeutschen Bund unverändert zu erhalten, so blieb für die zum unbedingten Eintritt in diesen Bund ungeneig- ten Südstaaten nur die Bildung eines weiteren Bundes übrig, zu

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welchem eine Ausdehnung der Befugnisse des Zollbundesrathes und des Zollparlamentes als der geeignete Weg sich darstellte.

Die eingehenden in München gepflogenen Besprechungen haben allen Theilnehmern an denselben den letzteren Weg als den unter den gegebenen Verhältnissen allein zum Ziele führenden er- kennen lassen, da nur in solcher Weise ein nationales Band ge- schaffen werden kann, neben welchem die berechtigte Selbstän- digkeit von Staaten wie Bayern und Württemberg zu wahren möglich ist.

So gründlich die verschiedenen hiebei in Betracht kommenden Fragen erörtert wurden, war doch von dem Abschluß eines be- stimmten und bindenden Abkommens von keiner Seite die Rede, wogegen für künftige Verhandlungen nunmehr sichere Anhalts- punkte gewonnen sind.

Dies ist der gegenwärtige Stand der Frage, und ich glaubte um so mehr E. H. hierüber vertraulich Mittheilung machen zu sollen, als in öffentliche Blätter in diesem Betreffe häufig falsche Unter- stellungen Eingang gefunden haben. Ich behalte mir vor, nach dem Eintritt der zu erwartenden weiteren Verhandlungen fortgesetzte Mittheilungen über diesen wichtigen Gegenstand an E. H. gelan- gen zu lassen.

III.

Zur Gcsdiichte der Vcrsaillcr Verhandlungen.

I. München 1870 Oktober 16. Antrag des Gesamtstaats- ministeriums an den König.

(Original.)

Die treugehorsamst Unterzeichneten haben im versammelten Ministerrathe von dem Allerhöchsten Telegramm Euerer Königlichen Majestät von gestern Kenntniß genommen, und werden die mit- unterzeichneten Minister des Königlichen Hauses und des Äußern und Kriegsminister nicht verfehlen, alsbald nach Empfang der Allerhöchsten Vollmachten sich in das K. preußische Hauptquartier zu begeben.

Die treugehorsamst Unterzeichneten glauben aber einer ge- bieterischen Pflicht gegen Euere Königliche Majestät und gegen Bayern zu genügen, indem sie bei noch ausstehender Allerhöch- sten Entschließung auf ihren allerunterthänigsten Antrag vom 13. laufenden Monats die dort gestellte ehrfurchtsvollste Bitte um Allerhöchste Annahme der in Aussicht gestellten Einladung des Königs von Preußen submissest erneuern. Sie haben dazu um so dringenderen Anlaß, als nach neueren Nachrichten auch der König von Württemberg eine Einladung gleicher Art erhalten und bereits acceptirt hat. Der König Karl beabsichtigt alsbald nach dem Schlüsse der nun beginnenden Verhandlungen Sich nach Versailles zu begeben. Von weit höherem Werthe und größerer Wirkung wäre es zweifellos, wenn es Euerer Königlichen Majestät gefällig wäre, durch Allerhöchst Ihre Gegenwart den Forderungen, die im Inter- esse Bayerns durch dessen Vertreter zu stellen sein werden, die wirksamste und mächtigste Unterstützung zu leihen, indem die Benützung des jetzigen Momentes eine wohl nie wiederkehrende günstige Gelegenheit bietet.

Graf V. Bray v. Pfretzschner v. Schlör Frh. v. Pranckh v. Lutz

V. Braun. *

Ich verfüge, daß sich die Staatsminister Graf von Bray-Stein- burg, Freiherr von Pranckh und von Lutz so rasch als möglich ins preußische Hauptquartier begeben, und sehe periodischer Bericht- erstattung über den Gang der Verhandlungen entgegen. Der durch gegenwärtiges Signat erledigte Antrag vom I3ten dß. liegt bei.

Linderhof den 18. October 1870.

Ludwig. M. St. A.

280 . .

2. Wien 1870 Oktober 17. Freiherr von Schrenck an König Ludwig II. von Bayern.

(Original.)

Als ich heute in die Staatskanzlei kam, theilte Herr Graf von Baust mir mit, er habe die Nachricht erhalten, daß die Herren Staatsminister Graf von Bray und Freiherr von Pranckh von Mün- chen, dann Herr von Mittnacht und Freiherr von Suckow von Stuttgart sich nächster Tage in das preußische Hauptquartier nach Versailles begeben werden, um daselbst über die künftige Stellung der süddeutschen Staaten zu dem Norddeutschen Bunde zu ver- handeln.

Graf Beust war durch diese Nachricht sichtlich unangenehm berührt. Er habe gehofft, äußerte derselbe, die süddeutschen Staaten, insbesondere Bayern und Württemberg, würden bestrebt sein, die Selbständigkeit, welche sie aus den Ereignissen des Jahres 1866 gerettet haben, aufrecht zu halten, vmd er habe nicht geglaubt, daß der gegenwärtige Krieg, in welchem diese Staaten ihre durch die Allianz- Verträge mit Preußen übernommenen Verpflichtungen so treulich und erfolgreich erfüllen, hievon etwas ändern werde. Dennoch scheine es nun anders zu kommen, und er könne nicht bergen, daß ihn die Hast, mit welcher die Sache betrieben werde und nun, während des Krieges, im Hauptquartiere von Paris zum Ab- schluße gebracht werden wolle, insbesondere aber die offizielle Kundgabe der K. württemberg'schen Regierung über die dortselbst hiebei in Aussicht genommenen Ziele, welche mit einer internatio- nalen Stellung schwer vereinbar seien, mit Besorgniß erfüllen.

Das Kaiserliche Kabinet, fügte der Herr Reichskanzler bei, habe seit dem Jahre 1866 bezüglich der deutschen Angelegenheiten die größte Zurückhaltung beobachtet, aber diese könne doch nicht so weit gehen, daß eine etwaige Nichtbeachtung der Bestimmungen des Artikels IV des Prager Friedensvertrages von demselben still- schweigend hingenommen würde; als eine solche Nichtbeachtung müßte er es aber betrachten, wenn etwa das Verhältniß der süd- deutschen Staaten zu dem Norddeutschen Bunde ohne Vorwissen Österreichs anders festgestellt und die vollzogene Thatsache nur nachträglich der K. K. Regierung zur Kenntniß gebracht werden wolle.

Vielseitig sei gerade in neuester Zeit eine Verständigung und Begründung freundnachbarlicher Beziehungen zwischen den deut- schen Staaten und Österreich als wünschenswerth bezeichnet worden und er anerkenne die Berechtigung dieses Wunsches voll- kommen, offenbar würde aber dessen Erfüllung nicht erleichtert, wenn das in dem Prager Friedensschluße begründete Verlangen des Wiener Cabinets, über eine beabsichtigte Neugestaltung der Bezie- hungen Süddeutschlands zu dem Norddeutschen Bunde mit seiner Äußerung vernommen und um seine Zustimmung hiezu angegangen zu werden, unbeachtet bleiben sollte; nicht blos in deutsch-öster- reichischen Provinzen, sondern auch in Ungarn würde ein solches Vorgehen unzweifelhaft Mißstimmung hervorrufen.

In diesem Sinne, schloß der Reichskanzler, habe er aus Anlaß der erwähnten Nachricht sofort an die K. K. Gesandtschaften in München und Stuttgart geschrieben und wünsche nur, daß seine Bemerkungen dortselbst geneigte Beachtung finden mögen.

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Ich erwiderte demselben, daß inhaltlich der Eröffnung, welche mir, nach der Anwesenheit des Herrn Delbrück in München, von Seite des K. Staatsministeriums des K. Hauses und des Äußern zu- gegangen sei, der genannte K. preußische Minister in München ohne Vollmachten und ohne Vorschläge mitzubringen erschienen sei, zunächst nur um zu vernehmen, was man daselbst beabsichtige, daß sonach dessen Anwesenheit dortselbst lediglich zu einem Gedanken- austausche, der bei künftigen Verhandlungen zu einer Grundlage dienen könne, keineswegs aber zu irgendwelcher bindenden Abrede geführt habe; ehe aber nicht durch beiderseitige Übereinstimmung des Näheren festgestellt sei, was geschehen solle, fehle selbstver- ständlich noch ein mittheilbares Resultat der eingeleiteten Ver- handlung.

An dem Prager Friedensschluße sei Bayern nicht betheiligt gewesen, und für dieses aus demselben keine Verpflichtung erwach- sen; dennoch aber, deßen sei ich überzeugt, würde von Seite der K. Regierung derselbe nicht unbeachtet gelaßen werden, und zuver- sichtlich bestehe Seitens derselben der Wunsch, die fragliche An- gelegenheit im Einverständniße mit dem K. K. Cabinete geregelt zu sehen.

Aus der erwähnten Kundgabe, fügte ich bei, hätte ich aber auch vernommen, daß Euere K. Majestät des entschiedenen Willens seien, AUerhöchstdero Souveränitätsrechte wie Bayerns selbstän- dige Stellung ungeschmälert aufrechtzuerhalten, und es könne hie- nach in dieser Beziehung dem Ergebniße der bevorstehenden Ver- handlungen in Versailles mit Vertrauen entgegengesehen werden; die etwa weiter gehenden Absichten der K. württemberg'schen Regierung würden gewiß ohne Einfluß auf die bayerischen Bevoll- mächtigten zu bleiben haben. m. st. a.

3. Versailles 1870 Oktober 29. Kriegsminister von Roon an Freiherrn von Pranckh.

(Original.)

Euerer Excellenz übersende ich in der Anlage das von Ihnen ge- nehmigte, nun von mir vollzogene Protokoll über unsere am 26. ds. Mts. stattgehabte Besprechung in duplo, mit der Bitte ergebenst, dasselbe geneigtest gleichfalls vollziehen und in einem Exemplar dem- nächst an mich zurückgelangen lassen zu wollen.

Bezüglich eines weiteren Fortganges der Sache erlaube ich mir, bei dieser Gelegenheit noch ergebenst zu bemerken, daß ich die K. Bayerischer Seits in Betreff des Kriegs-Wesens gemachten Vorschläge, wie diese in den Münchener Vorbesprechungen und auch in unserer Conferenz bisher Ausdruck gefunden haben, im Allgemeinen als einen wesentlichen Fortschritt zu der wünschenswer- then und von allen Seiten erstrebten politischen und militärischen Einheit Deutschlands zwar gern anerkenne, leider aber gute Gründe habe, daran zu zweifeln, auf der vorgeschlagenen Basis eine Modi- fication der Bundesverfassung herbeigeführt zu sehen. Wiewohl es sich bei Ihren Vorschlägen nicht sowohl um eine bloße Erwei- terung des Bündnißvertrages von 1866 als vielmehr um Bayerns wirklichen Eintritt in den Bund zu handeln scheint, so glaube ich doch, daß die Zustimmung des Reichstages zu Ihren Propositionen nur für die erste Form einer näheren Verbindung zu erwarten ist;

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auch dürften Ihre Wünsche, nur wenn es sich dabei um ein engeres Bündniß handelt, mihtärischer Seits warm befürwortet werden können.

Für fernere Besprechungen der Sache würde ich Euerer Excel- lenz täglich, in der Regel von i Uhr Mittags ab, zur Disposition stehen können und mir nur die Bitte erlauben, dazu Tag und Stunde vorher zu bestimmen. Bei diesem Anlaß erneuere ich gern den Aus- druck meiner vorzüglichen Hochachtung. m. Kg. a.

Versailles 1870 Oktober 26. Protokoll der Verhandlungen zwischen Roon und Pranckh.

(Abschrift.)

Im Verfolge der in München vom 22. 26. September er. zwi- schen Ministern deutscher Regierungen stattgefundenen Vorbe- sprechungen waren heute die unterzeichneten Kriegsminister hier zu einem Meinungsaustausch über die künftigen militärischen Be- ziehungen Bayerns zur deutschen Bundesarmee zusammenge- treten.

Einverstanden war man beiderseits damit, daß diese Conferenz noch nicht bindende Vereinbarungen, sondern nur gegenseitige Informationen bezwecken solle.

Zunächst wurde Seitens des K. Preußischen Kriegsministers bemerkt, wie es mit Rücksicht auf den lediglich militärischen Zweck der Besprechung wohl nicht darauf ankomme, die Mün- chener Vorverhandlungen nochmals in extenso durchzugehen, wie es sich vielmehr empfehlen werde, sich auf diejenigen, das Heer betreffenden Punkte zu beschränken, in denen die Vorschläge der K. Bayerischen Regierung von den Bestimmungen der Nord- deutschen Bundesverfassung wesentlich abwichen.

Als solche würden hauptsächlich zwei Punkte zur Erörterung zu stellen sein, nämlich:

1. zum Artikel 60 der Bundesverfassung die Feststellung der Friedenspräsenzstärke des Bundesheeres auf i % der Bevölkerung und

2. zum Artikel 62 das beanspruchte Ausscheiden des Etats der Bayerischen Armee aus dem Budget der Bundesarmee.

(cfr. Die Königlich Bayerischen Vorschläge zum Artikel 58).

In Betreff des ersten Punktes führte der K. Preußische Kriegs- minister aus, wie eine Reduction der Präsenzstärke, aiif % % der Bevölkerung, die Gesammtarmee Deutschlands auf einen ge- ringeren Stand herabsetzen würde, als der jetzige der Norddeutschen Bundesarmee allein ist, und daß eine der Zahl nach so reducirte Armee dem Bedürfniß nicht voll genügen würde, zumal von der- selben süddeutsche Festungen und Garnisonen Besatzung erhalten müßten. Seitens des K. Bayerischen Kriegsministers wurden diese Verhältnisse anerkannt und hinzugefügt, wie man diesen Vorschlag nur gemacht habe, um der ganzen Sache, bei den pekuniären Opfern, die dem Königreiche Bayern immerhin angesonnen werden müssen, leichter Eingang zu verschaffen; er würde indeß seinerseits ein Hinderniß in dem Festhalten von i % nicht erblicken, wenn eine solche Stärke für durchaus nothwendig erkannt würde.

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In dieser Beziehung erklärte der K. Preußische Kriegs- minister, wie der Bund nur das Interesse habe, das absolut Noth- wendige zu fordern, weshalb eine weitere Erwägung noch nicht aus- geschlossen sei, ob etwa bei dem Hinzutritt Süddeutschlands eine geringe Herabminderung des vorerwähnten Prozentsatzes ohne Schädigung thunlich erscheine.

Bezüglich des vorerwähnten zweiten Punktes des Aus- scheidens der K. Bayerischen Militäretats aus dem Bundesbudget hob der K. Preußische Kriegsminister hervor, wie diese Frage mit der Regulirung der allgemeinen Finanzverhältnisse des ge- sammten Bundes zusammenhinge, wie es ihm ferner aber bedenk- lich erschiene, die Bewilligung des Bayerischen Militäretats in das Belieben des Bayerischen Landtages zu stehen ; er könne sich über- haupt kein Bild davon machen, in welcher Weise, ohne Schädi- gung der Armeeinteressen, die Durchführung des K. Bayerischen Vorschlages, auch bezüglich der Rechnungslegung und Controle, gedacht wäre. Deshalb glaube er, es seinerseits als empfehlens- werther bezeichnen zu müssen, wenn die Bewilligung durch den Reichstag erfolge und das Königreich bezüglich seines Militär- budgets in ein ähnliches Verhältniß träte, wie dies hinsichtlich des Königreichs Sachsen bestehe.

Seitens des K. Bayerischen Kriegsministers wurde ein solches Verhältniß als nicht in der Absicht der K. Bayerischen Regierung liegend bezeichnet und erklärt, daß Bayern vielmehr in ein ver- fassungsmäßiges Bündniß treten wolle, ohne dadurch seine Armee in der allgemeinen deutschen Armee in gewissem Grade aufgehen zu lassen. Er stelle sich das Budgetverhältniß in der Weise vor, daß Seitens des Reichstages die Bewilligung für die Bayerische Armee in einer einzigen Position erfolge, welche pro Kopf der Frie- densstärke einen Pauschalsatz feststelle. Diesem Betrage ent- sprechend würde das titel weise geordnete Militärbudget dem Bayerischen Landtage zur Feststellung vorzulegen sein, ohne daß dieser berechtigt erschiene, an der Gesammtsumme Abstriche vor- zunehmen. Die Rechnungslegung und Controle würde dement- sprechend durch die bezüglichen K. Bayerischen Revisionsbehörden erfolgen.

Nachdem der K. Preußische Kriegs-Minister auf die Incon- venienzen aufmerksam machte, welche ein solcher, den Keim zu Conflikten in sich tragender. Modus unfehlbar ergeben würde, wiU der K. Bayerische Kriegs-Minister zwar die Schwierigkeiten nicht verkennen und behält sich deshalb eine fernere Erwägung der practischen Ausführung des K. Bayerischen Vorschlages, an dem er im Principe festhalten zu müssen glaube, noch vor.

Bereit erklärte er sich dabei noch, die von dem K. Preußi- schen Kriegs-Minister mit Rücksicht auf die sociale Stellung der Officierscorps etc. befürwortete Gleichmäßigkeit in den Gagen etc., in den Pensionen, soweit erforderlich, gern anzustreben, und bemerkte, in letzterer Beziehung seien die neuerdings ergangenen, resp. in Aussicht genommenen K. Bayerischen Bestimmungen, auch bezüglich der Invaliden-Beneficien der Mannschaften, den K. Preußischen im Wesentlichen conform.

Hiernächst äußerte der K. Bayerische Kriegsminister in Be- treff der Bestimmungen des Artikels 6i der Bundesverfassung die

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Ansicht, an dem hierzu bei den ]\Iünchener Vorbesprechungen gemachten Vorschlage festhalten zu müssen.

Seitens des K. Preußischen Kriegsministers wurde hierzu besonders hervorgehoben, wie wünschenswerth, ja nothwendig für das Bundesheer eine gleichmäßige Rechtspflege resp. Strafgesetz- gebung sei, was andererseits zwar anerkannt, indeß noch betont wurde, daß nachdem erst im vergangenen Jahre für die K. Bayerische Armee ein neues Strafgesetzbuch eingeführt sei schon gegenwärtig ein \^'echsel, abgesehen von den großen Schwie- rigkeiten, Bedenkliches habe; außerdem müsse aber doch die Mili- tär-Strafgesetzgebung mit dem Civilstrafgesetzbuche in einem gewissen Einklänge bleiben und, solange das letztere nicht in ganz Deutschland identisch sei, erschiene eine Änderung des Bayerischen Militär-Strafgesetzes unthunlich.

Bezüglich des Artikels 63 der Bundes-Verfassung hält der K. Bayerische Kriegsminister den in den Münchener Vorbe- sprechungen gemachten \'orschlag ebenfalls aufrecht.

In dieser Beziehung erwiederte der K. Preußische Kriegs- minister nur, wie ihm eine Garantie zu fehlen scheine, daß auch im Frieden die Ausbildung der K. Bayerischen Armee in gleich- mäßiger Weise mit derjenigen der Bundes-Armee stattfinde, und daß eine Abstellung der etwa bei Inspicirungen wahrgenomme- nen Mängel mit Erfolg bewirkt werden könne.

Seitens des K. Bayerischen Kriegsministers wurde dem entgegnet, wie in der Annahme der tactischen Reglements der Bundes-Armee und der bezüglichen Bestimmungen für Bayern, so wie in dem vorhandenen Streben nach Gleichmäßigkeit, die prac- tische Garantie zu liegen scheine und wie er, mit Rücksicht auf die zarte Natur der Frage, eine anderweite verfassungsmäßige Regu- lirung nicht für thunlich erachten könne.

Was ferner die von dem K. Preußischen Kriegs-Minister für besonders wünschenswerth bezeichnete Herstellung gemeinsamer Gradabzeichen betreffe, so verkenne er die Bedeutung und Wich- tigkeit dieses Punktes keineswegs; dennoch halte er dafür, daß von einer verfassungsmäßigen Stipulirung einer bezüglichen Verpflich- tung, aus nahe liegenden Gründen, abgesehen werden müsse; emp- fehlen könne er deshalb nur wiederholt, die Fassung des Artikels 63 nach den Münchener Vorschlägen zu acceptiren, was ihm um so un- bedenklicher erschiene, als in der Münchener Fassung des Artikels 19 immerhin eine gewisse Garantie liege. Wenn ferner der K. Preußi- sche Kriegsminister einen vorzugsweise hohen ^^'erth auf das Militär-Bildungs-Wesen lege, so befände er sich damit in erfreu- licher Übereinstimmung. Dies mache indeß eine volle Gemeinsam- keit nicht nothwendig, und wenn sich die K. Bayerische Regie- rung in dieser Beziehung ihre Selbständigkeit bewahre, so glaube er, würde dies durchaus ohne Nachtheil für die Sache ge- schehen und zweifle er nicht, daß sich die K. Bayerischen Militär- Bildungs-Anstalten den K. Preußischen immer mehr nähern und in nicht ferner Zeit gleichkommen würden.

Der ferner vom K. Bayerischen Kriegsminister festgehaltene Vorschlag in Betreff der Fassung des Artikels 64 der Bundes- verfassung gab dem K. Preußischen Kriegsminister zu der Be- merkung Anlaß, wie es seiner Ansicht nach nicht räthlich sein

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würde, den Zusatz ,,im Kriege" in die Verfassung aufzunehmen; ebenso glaube er, daß sich eine andere Fassung als die von der K. Bayerischen Regierung für den Zusatz zum Artikel 65 vorge- schlagene empfehlen würde, durch welche dem erkennbaren Wunsche der K. Bayerischen Regierung ohne Schädigung der allgemeinen Interessen Rechnung getragen werden könne. Von beiden Seiten wird eine anderweitige Fassung des Zusatzes zu proponiren ver- sucht werden.

Bezüglich des Artikels 68 der Bundes- Verfassung erkennt der K. Bayerische Kriegsminister zwar das Bedürfniß eines Gesetzes über den Kriegs- und Belagerungs-Zustand an, ist indeß der An- sicht, daß für Bayern diese Sache bis zur Regulirung durch ein allgemeines Bundesgesetz auf sich beruhen bleibe.

Schließlich wurde Seitens des K. Preußischen Kriegs- ministers noch hervorgehoben, wie der im Artikel 62 der Bundes- verfassung normirte Betrag von 225 Rth. jährlich pro Kopf der Friedens-Präsenzstärke des Bundesheeres das Bedürfniß für die Zukunft nicht decke, namentlich, wenn ferner daraus auch die in Folge des jetzigen Krieges und der neueren liberaleren Invaliden- Pensions-Gesetzgebung unverhältnißmäßig steigenden Ausgaben des Pensions-Titels bestritten werden sollten. Deshalb liege es in seiner Absicht, diese Ausgaben, welche an und für sich kaum zu den Einrichtungen des Bundesheeres gerechnet werden könnten, im gesetzlichen Wege auf die allgemeinen Staats- resp. Bundeslasten zu verweisen.

Der K. Bayerische Kriegsminister nahm hiervon Notiz, glaubte indeß, eine Erklärung in dieser Beziehung nicht abgeben zu können, da diese Frage eine wesentlich finanzielle sei, welche das gesammte Bundesbudget berühre und deshalb von ihm nicht ein- seitig zu beurtheilen wäre.

Weiter fand sich Nichts zu bemerken, und ist dies Protokoll beiderseits vollzogen worden.

gez. von Roon,

gez. von Pranckh. m. Kg. a.

4.Versailles 1870 Oktober 31. Protokoll der Verhandlungen zwischen den Kriegsministern von Roon u. von Pranckh.

Zur Fortsetzung der am 26ten d. Mts. stattgefundenen Be- sprechungen traten heute die unterzeichneten Kriegs-Minister wie- derum zusammen.

Gegenstand der Erörterung bildeten die im Schreiben des K. Preußischen Kriegs-Ministers vom 29ten d. Mts. geäußerten Anschauungen in Betreff der Seitens der Königlich Bayerischen Regierung über die Neugestaltung der deutschen Verhältnisse gemachten Vorschläge.

Der K. Bayerische Kriegs-Minister spricht sich dahin aus, daß das vorgedachte Schreiben wie dies auch ihm willkom- men sei die \^erhandlungen zunächst auf den Cardinalpunkt hinführe: welche Art von Verbindung zwischen dem Königreich Bayern und dem Norddeutschen Bunde fernerhin angestrebt werden soUe, ob ein verfassungsmäßiges Bündniß oder ob nur eine Erweite- rung der Grenzen des bisherigen Allianz- Vertrages ?

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Nachdem der K. Preußische Kriegs-Minister bestätigt hatte, daß es allerdings wesentlich darauf ankomme, diese Vorfrage zu erledigen, und sein Schreiben vom 29t. d. Mts. deshalb bezweckt habe, diese Frage zur Erörterung zu bringen, erklärte der K. Baye- rische Kriegs-Minister hierauf, wie der Auftrag Seiner Majestät des Königs von Bayern und die Vollmacht, welche ihn nach Ver- sailles geführt, dahin gehe, auf der Grundlage der Münchener Vor- besprechungen über ein verfassungsmäßiges Bündniß zu verhandeln. Hiermit würden nicht bloß die militärischen, sondern auch die po- litischen und inneren Verhältnisse zusammenhängen.

Wenn nun K. Preußischer Seits diese Basis wie nach dem Schreiben anzunehmen nicht als geeignet erachtet werde für die erste Alternative, so befände er sich nicht in der Lage, auf Grund seiner Vollmacht in Betreff der zweiten definitiv zu verhandeln. Sonach würde diese zweite Alternative nur in vorläufige Erwägung zu nehmen sein. Indeß glaube er, auch in dieser Be- ziehung \'ollmacht erhalten zu können, müsse jedoch wünschen, daß bei ferneren Besprechungen insofern sich dieselben nicht lediglich auf militärische Vorfragen bezögen auch seine Collegen, die K. Bayerischen Staats-Minister Graf Bray und von Lutz, zu- gezogen würden.

Hierauf entgegnete der K. Preußische Kriegs-Minister, daß nach seiner Auffassung für den Eintritt Bayerns in den Bund die Münchener Abmachungen auch nach ihrer eventuellen Modi- fication im Sinne der vorletzten Besprechung vom 26ten October keine geeignete Grundlage abgäben.

Einestheils läge darin sachlich eine solche Sonderstellung Bayerns, daß deren Acceptirung eine Reaction auf andere Regierun- gen befürchten ließe, mit denen eine Verständigung in der Voraus- setzung geschehen sei, resp. erfolge, daß nicht einer Regierung ein Praecipuum zugestanden werde.

Anderntheils glaube er mit Bestimmtheit annehmen zu können, daß der Reichstag auf einen großen Iheil der Bayerischer Seits bei den Münchener Vorbesprechungen gemachten Special-Forderun- gen keinen Falls eingehen würde; mißlich sei es überhaupt, an einen Reichstag, dessen 1 endenzen auf Einheit gerichtet seien, ein solches Ansinnen zu stehen.

Hiermit habe er nur die äußeren Gründe hervorgehoben, ohne auf die gleichfalls vorhandenen inneren in der Sache einzugehen.

Sonach würde die Ausarbeitung eines Bündniß- Vertrages auf dieser Basis voraussichtlich eine vergebliche Arbeit sein, obwohl er wisse, daß man jetzt in Bayern mehr Werth auf einen wirklichen Bund lege wie früher.

Lennoch ist der K. Preußische Kriegs-Minister der Meinung, daß der militärische Zweck der Verhandlung wohl erreicht werden könne, wenn sich die K. Bayerische Regierung, bei Festhaltung ihrer speciellen Wünsche, zu einem Abkommen mit dem Nord- deutschen Bunde verstehe, was ihr wenn er sich so ausdrücken dürfe gewissermaßen ein Instrument in die Hand gäbe, den Bayerischen Ständen gegenüber die Interessen der K. Baye- rischen Armee, namentlich auch bezüglich des Etats, mit Erfolg wahrzunehmen; er glaube daher, daß diese Alternative specieU dem K. Bayerischen Kriegs-Minister nicht unangenehm sein könne.

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der ja persönlich durch seine Amtsverwaltung schon so Vieles für die Armee gethan und erreicht habe, wie daraus hervorgehe, daß die Bayerische Armee von 1870 sehr verschieden von der von 1866 sei.

Dieser Auffassung der Sachlage glaubt der K. Bayerische Kriegs-Minister sich anschließen zu können. Wenn nun zur Er- reichung dieses Zwecks die Besprechung sich auf eine Erweiterung des Allianz- Vertrages richte, so würde sich die Bayerischer Seits bei den Münchener \'orbesprechungen proponirte Grundlage aller- dings modificiren, weil bei einer solchen Verbindung der Character der, so zu sagen, particularen Selbstständigkeit mehr erhalten werden könne und es nur darauf ankomme, daß die Armee so tüchtig wie möglich sei, um die Verbindlichkeiten desAllianz-Vertragesdei866, resp. das erweiterte Bündniß, voll zu erfüllen. Eine Erhöhung der Geldleistungen für die Armee sei aber Seitens der Bayerischen Kammer freilich nur dann zu erwarten, wenn Bayern dafür andere Vortheile geboten würden.

Hierzu bemerkte der K. Preußische Kriegs-Minister, daß nach seinem Dafürhalten als Compensation für das Zustandekommen eines erweiterten Bündniß- Vertrages die damit verknüpfte ünkünd- barkeit des Zollvereins anzusehen sei, und würde diese auch wohl Seitens der Bayerischen Kammer als eine ausreichende Gegenlei- stung anerkannt werden.

Mit Rücksicht hierauf und um über alle Hindernisse hinweg zu kommen, empfehle es sich vielleicht, zunächst und wie er aus- drücklich hervorheben wolle ohne irgendwelche bindende Be- deutung, eine Art Vertrags-Entwurf zu einer solchen Militär-Con- vention aufzustellen und denselben dann den weiteren Bespre- chungen, behufs der Verständigung, zu Grunde zu legen.

Der K. Bayerische Kriegs-Minister theilt diese Ansicht und wird versuchen, einen solchen Entwurf aufzustellen.

Bei dieser Gelegenheit erwähnte derselbe noch, wie es ihm für das Zustandekommen der Vereinbarung sehr vortheilhaft erschiene, wenn außer der Unkündbar keit des Zoll- Vereins zugleich eine de- finitive Beseitigung der im Jahre 1866 gegen Bayern erhobenen An- sprüche auf das Eigenthum der sogenannten Düsseldorfer Gallerie erfolge, da dies eine Angelegenheit sei, welche sowohl Sr. Majestät dem Könige von Bayern als der gesammten Bevölkerung sehr am Herzen liege.

Hierin sei jedenfalls ein Mittel geboten, über kleine Hindernisse hinweg zu kommen, wenngleich er auf diesfällige Frage des. K. Preußischen Kriegs-Ministers aussprechen zu müssen glaube, darin ein Ausgleichungs-Objekt für wesentliche Punkte der vor- liegenden Frage nicht erkennen zu können.

Schließlich wird noch das beiderseitige Einverständniß darüber wiederholt ausgesprochen, daß der aufzustellende Entwurf nach dieser Besprechung nur als ein noch keinen Iheil bindender Vor- schlag zu betrachten und zu behandeln sei, da sie in dieser Beziehung sich mit ihren Herren Collegen noch gar nicht benommen, viel , weniger die Allerhöchste Zustimmung nachgesucht hätten.

v. Roon v. Pranckh m. Kg.A.

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5- Zwei Verfassungsentwürfe Brays, überreicht am 30. Ok- tober. Abschrift I. Zwischen dem durch den Beitritt Badens, Hessens etc. er- weiterten Norddeutschen Bunde (dem Deutschen Bunde?) und dem Königreiche Bayern wird ein unauflöshches Verfassungsbündniß geschlossen. (Diese nationale Gesammt Verbindung soll fortan den Namen: ,,Das Deutsche Reich" führen).

Diese Verbindung wird geschlossen zum Schutze des Reichs- gebietes und des innerhalb desselben gültigen Rechtes unter nach- stehenden Bedingungen:

I. Als gemeinsame Angelegenheiten werden erklärt : nach Maß- gabe der Münchener Besprechungen.

II. Die Überwachung der Reichsangelegenheiten soll einem „Reichs, rath" als gemeinsamen Organ übertragen werden, und bei der Ge- setzgebung der ,, Reichstag" als gemeinschaftliche Vertretung aher deutschen Bevölkerungen mitwirken. Für die Wahl der Abge- ordneten ist das Wahlgesetz für das Parlament des bisherigen Nord- deutschen Bundes maßgebend.

Die Übereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Ver- sammlungen ist zu einem Reichsgesetze erforderlich und ausreichend. Die Reichsgesetze erhalten ihre verbindliche Kraft durch die Ver- kündung von Reichswegen durch das Reichs-Gesetzblatt.

(Staatenhaus). III. Im Reichsrathe führt Bayern 8 Stimmen. In Verhinderungsfällen Preußens führt Bayern den Vorsitz. In dem ersten, dritten und vierten Ausschusse wird Bayern ständig vertreten.

IV. Das Präsidium im Reiche steht der Krone Preußen zu. Der König von Preußen führt den Titel ,, Deutscher Kaiser" (Kaiser von Deutschland?) (Kaiser der Deutschen?)

V. Die Vertretung des Reiches nach Außen findet durch den Deut- schen Kaiser und den König von Bayern gemeinschaftlich statt, und es haben sich bezüglich der Reichsangelegenheiten die bayeri- schen Gesandten den Reichsgesandten anzuschließen und sie, wo es gewünscht wird, oder auch ständig zu vertreten.

Die Instructions-Ertheilung ist in der Regel eine gemein- schaftliche. In dringenden Fällen erfolgt sie durch das Reichs- Kanzleramt allein unter gleichzeitiger Mittheilung an Bayern. Die Accreditirung fremder Gesandten für das Reich erlolgt beim Deutschen Kaiser.

Verträge für das Reich werden durch den Kaiser unter Zu- ziehung des Königs von Bayern abgeschlossen.

Das Recht, Staatsverträge für sich allein über Gegenstände abzuschließen, welche nicht in den Kreis der Reichs- Angelegen- heiten gehören, bleibt Bayern unbedingt gewährt.

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VI.

Der Kaiser ist berechtigt, den Krieg sofort zu erklären, wenn deutsches Gebiet angegriffen wird. In allen andern Fällen hat der- selbe vor Abgabe der Kriegserklärung die Zustimmung des Reichs- rathes zu erholen.

Zu den Friedens- Verhandlungen nach einem Reichskriege wird stets auch ein Bevollmächtigter Bayerns zugezogen werden.

VII.

In Bezug auf die Zoll- und Handels-Verhältnisse bleibt der Inhalt der bisherigen Zollverträge, insbesondere des \^ertrages vom 8. July 1867, sowie der seither erlassenen Vereinsgesetze bis zu einer etwaigen verfassungsmäßigen Änderung in Kraft. (Die Kündbar- keit des Zollvereins fällt hinweg.)

VIII. Bestimmungen über das Reichskriegswesen gemäß Über- einkommen der beiderseitigen Herrn Kriegsminister.

IX. Bayern übernimmt die Leistungen für die Reichsmarine im Verhältniß seiner Bevölkerung. Bestimmung über die Flagge.

X.

Das gemeinsame Ausgabenbudget und die Aufbringung der erforderlichen Geldmittel durch Matrikularbeiträge nach dem Maß- stabe der Bevölkerung wird im Wege der Reichsgesetzgebung fest- gestellt.

XI.

Von den Reichsbeamten wird eine näher zu bestimmende Anzahl nach bayerischem \'orschlage ernannt.

XII.

Abänderungen der Reichsverfassung, wodurch die Bayern ein- geräumten Sonderrechte alterirt werden würden, können nur mit Zustimmung Bayerns erfolgen.

Abschrift IL

Zwischen dem durch den Beitritt Badens, Hessens etc. etc. erweiterten Norddeutschen Bunde (dem Deutschen Bunde?) und dem Königreiche Bayern wird auf Grund der deutschen Bundes- verfassung — aber mit nachstehenden Abänderungen derselben in Betreff Bayerns ein unauflösliches, nationales Verfassungsbünd- niß geschlossen.

Die vorstehenden Stipulationen bilden einen Anhang der deutschen Bundes- Verfassung und gelten fortan als ein integriren- der Theil derselben.

In allen Fällen, wo zwischen diesen Feststellungen und dem Texte der deutschen Verfassungs-Urkunde Verschiedenheiten be- stehen, hat für Bayern lediglich das mit demselben abgeschlossene besondere Abkommen Geltung und Verbindlichkeit. u.st.A.

Doeberl. Bayern und die Bismarckische Reichsgrfindung. I9

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6. Stuttgart 1870 November 9. Freiherr von Gasser an König Ludwig II. von Bayern.

(Original.)

Inmitten meiner trüben Stimmung über die hiesigen Verhält- nisse erhielt ich vorgestern Abends ein Schreiben des Grafen von Bray aus Versailles vom 3ten dieses Monats, dessen Inhalt dahin geht, daß die württembergischen Vertreter dort vollständig ihre eigenen Wege gegangen seyen, die preußischen Verhandlungen mit jedem der süddeutschen Staaten gesondert geführt werden und, nachdem dem Grafen von Bray der Stand der Verhandlungen mit Württemberg an maßgebender Stelle als dem Abschluße nahe be- zeichnet worden, derselbe darauf bedacht seyn müße, lediglich die Stellung Bayerns ins Auge zu faßen. Als post scriptum war jedoch hinzugefügt, daß der Graf mit Herrn von Mittnacht soeben noch eine Besprechung gehabt hätte, welche ein wenigstens theil- weises Zusammengehen nun vielleicht doch noch als möglich er- scheinen ließe.

Ich habe mir es nun gestern zur Aufgabe gemacht, noch weitere Schritte, und zwar so eindringlich als möglich, zu machen, um ein offeneres, vertrauensvolleres Zusammenwirken des Herrn von Mitt- nacht mit dem Grafen von Bray zu veranlaßen; ohne Zurück- haltung theilte ich den Inhalt des an mich gerichteten Privatschrei- bens des Grafen von Bray dem Grafen von Taube, dem Geheimen Rathe von Egloffstein mit und ließ es auch zur Kenntniß Ihrer Majestät der Königin gelangen, die nöthigen Erläuterungen und Wünsche hinzufügend. Diese Taktik war von Erfolg; denn bereits am Nachmittage kam Freiherr von Egloffstein zu mir, um die Sache gründlich zu besprechen und mir ebenfalls Mittheilungen zu machen. Aus Allem geht nun klar hervor, daß Graf Bismarck, mit ge- wohnter Perfidie, Bayern und Württemberg zu entzweien sucht; denn, nach hierher vor ein paar Tagen gelangtem Telegramm des Herrn von Mittnacht, ist derselbe auch über das Stadium der Be- sprechung noch nicht hinausgekommen; Graf Bismarck hat ihm aber vorgeschlagen, zum Abschluße zu schreiten, unter dem Vor- geben, daß Bayern gegen gewisse demselben zu machende weitere Zugeständnisse den Kaisertitel angeboten habe. Dem Grafen von Bray hat der loyale Bundeskanzler aber erklärt, er sey mit Württemberg dem Abschlüsse nahe.

Soviel l, nredlichkeit hat Sr. Majestät dem Könige die Augen geöffnet und Freiherr von Egloffstein hat mir erklärt, der König wolle mit aller Entschiedenheit, daß Herr von Mittnacht mit dem Grafen von Bray fest zusammengehe. Ich ersuchte nun inständig Freiherrn von Egloffstein darauf zu wirken, daß Herr von Mittnacht sogleich dahin instruirt werde, nur die gleichen Zugeständnisse wie Bayern zu machen; zum späteren Nachgeben in den Punkten, welche man gemeinschaftlich nicht würde erreicht haben, wäre ja für Württemberg immer Zeit. Freiherr von Egloffstein versprach mir dieses und äußerte sogar, daß, wenn Preußen an übermäßigen Forderungen festzuhalten gewillt sey, es für Bayern und Württem- berg von entschiedenem Vortheile wäre, die Verhandlungen abzu- brechen imd bis nach dem Friedensschlüsse zu verlegen.

Freiherr von Egloffstein theilte mir außerdem mit, daß S. Majestät der König neuerdings davon gesprochen habe. Seinem

291

Gesandten bei Eurer K. Majestät, Freiherrn von Soden, das Mini- sterium der Auswärtigen Angelegenheiten anzubieten.

Im Hinbhcke auf alles dieses habe ich geglaubt heute früh an Herrn Grafen von Bray folgendes lelegramm in Chiffern abgehen lassen zu sollen :

,, Schreiben vom 3ten erhalten. Preußen will uns trennen, denn Mittnacht telegraphirt vorgestern, daß er nicht über Besprechun- gen gekommen, ihm aber Bismarck Abschluß vorgeschlagen, weil Bayern, gegen gewisse Zugeständnisse, Kaisertitel angeboten. Ich habe dieses negirt; Soden, auf Anfrage, ebenfalls. König will, daß Mittnacht mit Ihnen fest zusammengehe. Ich habe Egloff- stein, welcher sogar von gemeinschaftlichem Abbrechen und \''er- legen auf später spricht, gebeten anzuregen, daß Mittnacht instruirt werde nur die gleichen Zugeständnisse wie Bayern zu machen.^) Es ist die Rede, Soden Äußeres zu geben. Brief folgt." m. st.A.

7. München 1870 November 12. Bericht des Staatsmini- steriums des K. Hauses und des Äußern an den König

von Bayern.

(Original.)

Der österreichische Reichskanzler Graf Beust, welcher seine in die Schweiz reisende Gemahlin bis München begleitete, ist gestern hier angekommen und hat dem treugehorsamst Unterzeichneten einen längeren Besuch gemacht.

In der fast anderthalb Stunden währenden Besprechung konnte die deutsche Frage nach aUen Seiten hin betrachtet werden, und es bedarf wohl kaum besonderer Auseinandersetzung, daß Graf Beust von ganzem Herzen eine selbstständige Stellung Bayerns im deut- schen Verfassungsgebiete wünscht. Sie scheint ihm nicht bloß für Bayern, sondern auch für Österreich nothwendig zu sein, damit die Staaten von Preussen und Österreich nicht unmittelbar aufeinander- stossen, sondern noch ein \'ermittlungsglied bleibe.

Ihm sei ferne, bemerkte der Reichskanzler, irgend eine Ein- mischung Österreichs in die deutschen Verfassungs-Angelegenheiten anstreben zu wollen; ihm könne sogar nur sehr erwünscht sein, nicht in die Lage zu kommen, von dem Artikel IV des Prager Friedens- Vertrages Gebrauch zu machen; nur müße in dieser Richtung we- nigstens die Form gewahrt, es müße bei der Neugestaltung Deutsch- lands Österreich diejenige Achtung bezeigt werden, wozu es, abge- sehen von allem Übrigen, durch den besagten Artikel IV. ein sicheres Recht habe, und es müsse ihm also möglich gemacht werden, zu schweigen.

Der Eintritt Südhessens, Badens, ja selbst Württembergs in den Norddeutschen Bund scheint dem Grafen Beust keinen Fall ab- zugeben, um positive Einwendungen zu machen. Anders aber, meinte er, liege die Sache, wenn Bayern, ein Staat hart an der öster- reichischen Gränze, von solcher Größe und Bedeutung, der jetzt zwei volle Armee-Corps gestellt habe, in den Norddeutschen Bund, wie er ist, einträte; da könne es doch nicht gleichgiltig sein, daß da

1) Alleninterthänigste Bemerkung. Ähnliche chiffrirte Benachrichtigung des Grafen ßray erfolgte auch von hier au.s, nachdem Baron Soden deß- halb mit mir Rücksprache, genommen. von Daxenberger. m. St.A.

19-

292

Preußen das unbedingte Recht der Entscheidung über Krieg und Frieden habe, auch dieser wichtige Theil Deutschlands unter diese Entscheidung falle. Übrigens erklärte sich Graf Beust im Laufe der Conversation wiederholt, nach seiner Beurtheilung der in Versailles verweilenden bayerischen Staatsmänner, überzeugt, daß Bayern ein solches bundesstaatliches V'erhältniß ohne die größten Äquiva- lente nicht eingehen werde, derartige Äquivalente aber von Seite Preußens kaum gegeben werden könnten oder zu finden wären.

Graf Beust besprach auch seine eigene Stellung und, wie es gar nicht im Wunsche des bei Weitem größten Theiles der österreichi- schen Monarchie liege, mit Deutschland wieder in eine staatsrecht- liche Verbindung zu treten; was man aber wünsche, sei, daß man Österreich bei der Ordnung dieser Fragen auch keine Mißachtung bezeige und damit die Empfindlichkeit besonders in Ungarn ver- letze. Im Ganzen war die heutige Stimmung des Reichskanzlers eine für Preußen und den Norddeutschen Bund sehr freundliche, friedliche, begleitet von dem Wunsche nach guten internationalen Beziehungen.

Der treugehorsamst Unterzeichnete hat diese Gesinnungen in zwei, zufällig gleichzeitig dahier eingelaufenen Berichten Ew. K. Majestät Gesandten in Berlin vom 8ten und gten dieses Monats, welche hieneben beigeschloßen sind, wiedergefunden, und glaubt deßhalb seine eigene allerunterthänigste Berichterstattung be- beschränken zu dürfen. Einen Umstand jedoch erlaubt er sich noch kurz zu erwähnen, daß es ihm aus gelegentlicher Äußerung des Grafen Beust klar geworden ist, daß die orientalische Frage, bei welcher Österreich so tief betheiligt ist, wieder vor der Thüre steht, und, wie es scheint, will Rußland die Verträge von 1856 kündigen.

In tiefster Ehrfurcht verharrend

Staatsrath v. Daxenberger.

*

Die unterm I2ten u. I3ten ds. Mts. erstatteten Berichte habe Ich mit hohem Interesse eingesehen, aus den Äusserungen des österreichischen Reichskanzlers aber ungern den Versuch zu ent- nehmen geglaubt, sich in Angelegenheiten mischen zu wollen, welche Ich lediglich mit Meinen Räthen der Krone zu ordnen gewillt bin.

Hohenschwangau 1870 November 16.

Ludwig. .M.st.A.

8. \'ersailles 1870 November 11. Hartrott „Oberstlieutenant und Chef des Stabes des Kriegsministers" an Bismarck.

(Original.)

Ew. Excellenz habe ich die Ehre, infolge eines mündlichen durch den K. bayerischen Oberstlieutenant Fries ausgesprochenen \\'unsches des K. bayerischen Kriegsministers General der Infan- terie Freiherrn von Pranckh, den von demselben ohne Concurrenz des diesseitigen Kriegsministeriums ausgearbeiteten Entwurf zu einer Militär-Convention mit Bayern zur geneigten Kenntnißnahme gehorsamst zu überreichen.

Secret präsentirt 10. 11. 1870.

S. M. der König von Preußen als Oberhaupt des Deutschen Bundes und S. M. der König von Bayern, geleitet von der Absicht,

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die durch den Bündniß- Vertrag zwischen Preußen und Bayern vom 22. August 1866 geschaffenen Beziehungen zwischen Bayern und dem Norddeutschen Bunde auf der Grundlage der durch den Schutz des deutschen Gebietes bedingten gemeinsamen x\ction der deutschen Heere dauernd sicher zu stellen, haben über die Art und Weise dieser Sicherstellung beschlossen, in Verhandlungen einzutreten und zu diesem Behufe zu Bevollmächtigten ernannt:

S. M. der König von Preußen etc. etc.

S. M. der König von Bayern etc. etc.

Diese Bevollmächtigten haben ihre Vollmachten ausgetauscht und, nachdem dieselben in Ordnung befunden worden, über die nachfolgenden Vertrags-Bestimmungen sich geeinigt:

Art. I. (v. A. 62 und 63 der Norddeutschen Bundesverfassung). Das K. bayerische Heer bildet einen in sich geschlossenen Bestand- theil des deutschen Bundesheeres mit selbstständiger Verwaltung unter der Militärhoheit Sr. M. des Königs von Bayern, im Kriege unter dem Oberbefehl des Bundesfeldherrn.

Art. n. (v. A. 58 w. o.). Die Kosten und Lasten des bayerischen Kriegswesens werden von Bayern selbst getragen.

Art. ni. (v. A. 57 w. o.) Die K. bayerische Regierung wird in ihrer Gesetzgebung die Bestimmung aufrechterhalten, daß jeder Bayer wehrpflichtig ist und sich in Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten lassen kann.

Art. IV. (v. A. 59 w. o.) Die K. bayerische Regierung gestaltet ihre Gesetzgebung dahin, daß jeder wehrfähige Bayer 12 Jahre lang, in der Regel vom voUendeten 20. bis zum beginnenden 33. Lebens- jahre, dem Heere und zwar die ersten drei Jahre bei den Fahnen (active Armee), die nächsten vier Jahre der Reserve und die letzten fünf Jahre der Landwehr angehöre.

Art. V. (v. A. 60 w. o.). Die Friedenspräsenzstärke des baye- rischen Heeres wird gleichmäßig mit jener des Bundesheeres nor- mirt.

Art. VL (v. A. 63 w. o.). In Bezug auf die Organisation, Formation, Ausbildung und Gebühren, dann hinsichtlich der Mobil- machung wird Bayern volle Übereinstimmung mit den für das Bundesheer bestehenden Einrichtungen herstellen. Bezüglich der Bewaffnung und Ausrüstung, ferner der Militärgesetzgebung und der zu ihrer Ausführung, Erläuterung und Ergänzung erlassenen Reglements und Exercitien behält sich die K. bayerische Regie- rung die Herstellung der vollen Übereinstimmung mit dem Bun- desheere vor.

Art. VII. (v. A. 64 w. o). Im Kriege sind die bayerischen Trup- pen verpflichtet, den Befehlen des Bundesfeldherrn unbedingt Folge zu leisten. Diese Verpflichtung wird in den Fahneneid auf- genommen.

Art. VIII. Bayern behält die Festungen Ingolstadt und Ger- mersheim sowie die auf seinem Gebiete belegenen Fortifikationen Ulm und die seiner Zeit etwa auf demselben in gemeinsamem mili- tärischen Interesse noch angelegt werdenden Befestigungen in voll- kommen vertheidigungsfähigem Stande. In Betreff des gemeinsamen

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mobilen Festungs-Materials bleibt bis auf weiteres die Übereinkunft vom 6. Juli 1869 in Kraft.

Art. IX. (v. A. 65 w. o.) Die Anlage von neuen Befestigungen und von Eisenbahnen auf bayerischem Gebiete im Interesse der gesammtdeutschen Vertheidigung wird Bayern (vorbehaltlich jewei- liger spezieller Vereinbarung) zugestehen. An den Kosten für den Bau und die Ausrüstung solcher Befestigungsanlagen auf seinem Gebiete betheiligt sich Bayern in dem seiner Bevölkerungszahl ent- sprechendem Verhältnisse gleichmäßig mit den deutschen Bundes- staaten.

Art. X. Sämtliche feste Plätze und andere Befestigungsanlagen auf bayerischem Gebiete stehen unter bayerischen Kommandanten und haben ausschließlich bayerische Besatzung.

Art. XL (v. A. 62 w. o). Die Feststellung des bayerischen Militärausgaben^Etats erfolgt auf der Grundlage der Bestimmungen gegenwärtiger Übereinkunft.

Art. XII. Zur steten gegenseitigen Information in den durch diese Vereinbarung geschaffenen militärischen Beziehungen er- halten die Militärbevollmächtigten in Berlin und München über die wichtigeren einschlägigen Anordnungen entsprechende Mittheilung durch die respectiven Kriegs-Ministerien. Zu gleichem Zwecke werden norddeutsche und bayerische Offiziere als Delegirte gegen- seitig zur Iheilnahme an den jährlichen größeren Truppenübungen beordert.

Art. XII. Diejenigen Gegenstände des bayerischen Kriegs- wesens, betreffs welcher die vorliegende Vereinbarung nicht aus- drückliche Stipulationen enthält sohin insbesondere die Bezeich- nung der Regimenter etc., die Uniformirung, Garnisonirung, das Militär-Bildungs- und Personalwesen u. s. w. bleiben durch die- selbe unberührt.

Art. XIV. Vorstehender Vertrag soU ratifiziert und soUen die Ratifikationen binnen drei Wochen nach der Unterzeichnung in . . . ausgetauscht werden. Zu Urkund dessen haben die eingangs be- nannten Bevollmächtigten diesen Vertrag in doppelter Ausferti- gung am heutigen Tage mit ihrer Unterschrift und ihrem Siegel versehen. h.a. a.

9. Versailles 1870 November 17. Justizminister von Lutz

an Bismarck.

(Original.)

Ew. Excellenz übersende ich die in Aussicht gestellte Zuschrift, aus welcher Sie gütigst entnehmen wollen, daß die zwischen uns bestehenden Differenzen auf ein Minimum reduzirt sind. Ich war gestern dreimal vor Ihrer Thüre, in der Hoffnung, Ew. Excellenz die Zuschrift persönlich überreichen und noch eine Besprechung haben zu können, um, womöglich, Klarheit in unsere Lage zu brin- gen. Leider muß ich befürchten, daß ich mich nicht mehr mit Ew. Excellenz zu besprechen Gelegenheit haben werde, was ich umsomehr bedaure, als auch wir nicht länger mehr von Berufung unserer Kammern Umgang nehmen dürfen und infolge davon unsere Rück- kehrnachhause nicht länger mehr verschoben werden kann. Übrigens

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spreche ich mit Vergnügen auch bei diesem Anlasse Ew. Excellenz meine hochachtungsvollste Ergebenheit aus.

Punkte, über die eine Verständigung, und solche, für

welche eine Übereinstimmung noch nicht erzielt ist.

(Reihenfolge der Artikel der Norddeutschen Bundesverfassung zimi

Leitfaden genommen.)

Art. I, 2, 3, Einigung.

Art. 4.

Z. I haben mir Ew. Excellenz erklärt, es bestehe kein Hinderniß dagegen, für Bayern die Gesetzgebung über dieHeimats- und Nieder- lassungsverhältnisse vorzubehalten ; es wurde deshalb ein Zusatz zu dieser Ziffer des Inhalts in Aussicht gestellt, daß das Gesetzgebungs- recht des Bundes über die Heimats- und Niederlassungsverhältnisse sich auf das Könip^reich Bayern nicht erstrecke.

Anlangend das Staatsbürgerrecht, so ist in München die Weg- lassung dieses ^^'ortes gewünscht worden. Es hat sich aber bei nä- herer Besprechung ergeben, daß damit nicht das gemeint sei, was es nach bayerischem Staatsrecht bedeutet, nicht die Befugniß zur Ausübung gewisser politischer Rechte, sondern nur die Staatsan- gehörigkeit, resp. die Bundes- Staatsangehörigkeit. Gegen die Beibehaltung wird kein Anstand mehr erhoben. Ich lasse auch den Widerspruch gegen die Beibehaltung der Worte ,,und über den Gewerbestand" fallen.

Bezüglich des Versicherungswesens bin ich zufrieden mit der Erklärung, es solle in das Separat pro tokoll ein Satz des Inhalts aufgenommen werden: wenn sich die Gesetzgebung des Bundes einmal auf das Immobiliarversicherungswesen erstrecken sollte, soll die Anwendung des betreffenden Gesetzes auf Bayern von der Zustimmung der bayerischen Regierung abhängig sein.

Z. 7 zieht die früheren Bedenken zurück unter der Voraus- setzung, daß in dem in Aussicht genommenen Separatprotokoll das Recht Bayerns, ausländische Konsuln zu empfangen und auf seinem Gebiet mit dem exequatur zu versehen, anerkannt und die Zu- sicherung gegeben wird, daß deutsche Konsuln an einem auswärti- gen Orte aufgestellt werden, auch wenn es nur bayerische Inter- essen sind, die dieß als wünschenswerth erscheinen lassen. (Rand- bemerkung mit Blei: , »Verwendung bayerischer Konsuln nach Möglichkeit zugesichert").

Z. 10 Post und Telegraphenwesen. Hier handelt es sich zunächst darum, die Legislatur des Bundes über beide Gegenstände anzuer- kennen. ^^'enn ich mich recht erinnere, lautet der Vorschlag über den Umfang, in welchem dieß geschehen soU, wie folgt: Dem Bunde ausschließlich steht die Gesetzgebung über die Vorrechte der Post und Telegraphie, über die rechtlichen Verhältnisse beider Anstalten zum Publikum, über die Portofreiheiten und das Post-Taxwesen, jedoch ausschließlich der Tarif bestimmungen für den internen Ver- kehr, endlich die Regelung des Post- und lelegraphenverkehrs mit dem Auslande zu. Da dieser Vorschlag weiter geht als die in Mün- chen vorgeschlagene Fassung und ich meinerseits zu einem end- giltigen Bescheid über diesen Punkt mich nicht für befugt hielt, habe ich hierwegen um besondere Instruktionen gebeten, diese bis

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jetzt aber noch nicht erhalten. Ich glaube indessen, daß sich hier- über wird eine Verständigung erzielen lassen.

Z. II und 13. Meine früher gemachten Einwendungen ziehe ich zurück, bin einverstanden, daß beide Ziffern in der für Bayern verbindlichen Bundesverfassung eine Stelle finden. Als eine Consequenz erkenne ich die Übernahme des für den Norddeut- schen Bund erlassenen Strafgesetzbuches und des in der Ausarbei- tung begriffenen Civilprozesses.

Daß als Z. 16 beigefügt werde: die Bestimmungen über die Presse und das Vereinswesen entsprechen den in München geäußer- ten Wünschen der bayerischen Regierung.

Art. 6.

Erkläre ich, daß Bayern sich mit Zuweisung von sechs Stimmen genügen lassen werde.

Art. 7.

Ich darf hier wohl darauf zurückkommen, daß die Schaffung des Staatenhauses in der von mir skizzirten Zusammenfassung viel- leicht ein Mittel wäre, um die hier in München von Bayern und Würt- temberg geäußerten Wünsche in ausgiebiger Weise zu befriedigen.

Gegen den Zusatz, inhaltlich dessen bei der Beschlußfassung über eine Angelegenheit, welche nicht dem ganzen Bunde gemein- schaftlich ist, die Stimmen nur derjenigen Bundesstaaten gezählt werden, welchen die Angelegenheit gemeinschaftlich ist, habe ich selbstverständlich keine Erinnerung.

Art. 8.

Ich darf wohl annehmen, daß der von bayerischer Seite ange- sprochene ständige Sitz in dem ersten Ausschuß von Preußen zu- gestanden wird, wenn ich auch zugeben muß, daß die betreffende Bestimmung ihre Stelle da zu finden haben wird, wo die militäri- schen Beziehungen Bayerns zum Bunde zum Ausdruck gelangen. x\us gleichem Motiv erwähne ich, daß S. Excellenz Graf Bray die Proposition bezüglich der Creirung eines diplomatischen Comitees acceptirt.

Art. 13—14-

Wenn ich Ew. ExceUenz recht verstanden habe, wurde die in München gemachte Anregung, daß im Falle der Verhinderung Preußens der Vorsitz im Bundesrathe Bayern zustehen solle, von preußischer Seite nicht beanstandet, was ich mir hiemit zu consta- tiren erlaube. (Randbemerkung mit Blei: ,, Das ist noch geschehen, indes halte ich die Sache für zulässig, da es sich nicht um die V^er- tretung des Bundeskanzlers, sondern Preußens handelt.)

Art. 19. Mit Fassung einverstanden bezüglich der Bundesexecution, füge aber hinzu: über die übrigen Bestimmungen bezüglich des Bundespräsidiums sich zu äußern muß ich Sr. Excellenz dem Grafen Bray anheimgeben.

Art. 20. Erkläre mich bereit, zur Übertragung des Wahlgesetzes für den Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 31. Mai 1869 auf Bayern mitzuwirken und stimme zu, wenn Bayern für den Reichstag so

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viel Abgeordnetensitze zugewiesen werden, als es Abgeordnete im Zollparlament hatte.

Art. 35. Gegen die von Preußen hier neuerdings in Aussicht genommene Fassung (Zollgesetzgebung) keine Bedenken: In Bayern, Württem- berg und Baden bleibt die Besteuerung des inländischen Brannt- weins und Bieres der Landesgesetzgebung vorbehalten. Die Bundes- staaten werden jedoch ihr Bestreben darauf richten, eine Überein- stimmung der Gesetzgebung über die Besteuerung auch dieser Gegenstände herbeizuführen.

Art. 38. Wird sich wohl erst definitiv eine Äußerung abgeben lassen, wenn feststeht, wie sich die Verhältnisse bezüglich des Militär- wesens gestalten. (Randbemerkung mit Blei: ,, richtig").

Art. 53— 55- Er kläre ich mich bereit, nunmehr die Zustimmung Bayerns auszusprechen.

Die Gestaltung der Artikel 57 "j-^ wird, sofern nicht in Mün- chen schon eine Übereinstimmung erzielt ist, vom Resultat der Verhandlungen über das Kriegswesen abhängen.

Art. 74—77-

Lasse ich den bisherigen Widerstand fallen, so sehr ich auch fortwährend der Meinung bin, daß sie für alle Betheiligten in gleichem Maße bedenklich.

Art. 78.

Würde ich wünschen die Fassung: Veränderungen der Verfassung erfolgen im Wege der Gesetzgebung. Sie gelten als abgelehnt, wenn sie im Bundesrat 14 Stimmen gegen sich haben. Es scheint mir nur bilhg, daß von einer Verfassungsänderung Umgang genommen werde, wenn die drei Königreiche sich gegen sie aus- sprechen. Endlich bitte ich in dem bereits mehrfach geäußerten Satze einen entsprechenden Ausdruck zu sichern, daß iura singulo- rum nur mit Zustimmung des Betheiligten modifiziert werden können und daß Bayern gegenüber Competenz-Erweiterungen ein Veto mindestens mit der Wirkung zustehe, daß die auf Grund der Com- petenz-Erweiterung zu erlassenden Gesetze in Bayern keine Geltung haben. h.a.a.

10. Entwurf ohne Überschrift und ohne Datum.

1. S. M. der König von Preußen ertheilen kraft der Allerhöchst Ihnen zustehenden Präsidialrechte, mit Zustimmung Sr. M. des Königs von Bayern, den K. bayerischen Gesandten an den Höfen, wo solche beglaubigt sind, Vollmacht, die Bundesgesandten im Verhinderungsfalle zu vertreten, und es wird festgesetzt, daß in allen Fällen, wo diese zur Geltendmachung allgemeiner, deutscher Interessen erforderlich oder von Nutzen sein werden, die bayerischen Gesandten den Bundesgesandten ihre Hilfe leihen.

2. Es wird im Bundesrathe ein diplomatischer Ausschuß gebil- det aus den Vertretern Bayerns, Sachsens und Württembergs, unter

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dem Vorsitz Bayerns mit der Berechtigung der Controle und An- tragstellung bezüglich der äußeren Angelegenheiten des Bundes. 3. S. M. der König von Preußen wird die Zustimmung des Bundes dafür in Anspruch nehmen, daß anerkannt werde: es sei von Seite Bayerns durch die Bereitstellung seiner Gesandtschaften für den diplomatischen Dienst des Bundes der Beitragspflicht für die äußere Bundesvertretung Genüge geleistet, unbeschadet der ver- hältnißmäßigen Leistungen für den Unterhalt der Consulate und des Bundeskanzleramtes. h.a. a.

II. Versailles 1870 November23. KriegsministervonPranckh an König Ludwig IL von Bayern.

(Original.)

Eurer K. Majestät berichtet der treugehorsamst Unterzeichnete im Folgenden alluntei thänigst über den militärischen Theil der gegen- wärtigen Verhandlungen zwischen Allerhöchst Ihren bevollmächtig- ten Ministern und den Bevollmächtigten des Norddeutschen Bundes. Die Erörterung der militärischen Fragen fand zunächst in besonde- ren Conferenzen des treugehorsamst Unterzeichneten mit dem preußischen Kriegsminister v. Roon statt. Allein diese Conferenzen in Folge Erkrankung des Generals von Roon überhaupt auf zwei beschränkt hatten nicht das gewünschte Ergebniß. Während näm- lich nach dem Verlaufe der ersten derselben (26ten October). eine schnelle Verständigung auf der Basis der Eurer K. Majestät bekannten Münchener Besprechungen möglich schien, erklärte der preußische Kriegsminister in der zweiten Zusammenkunft eben jene Verabre- dungen als nicht ausreichende Grundlage für den Eintritt Bayerns in den Bund. Vor Allem lasse die verlangte wesentliche Bevor- zugung Bayerns eine Rückwirkung auf die anderen Staaten befürch- ten, welche sich mit Preußen in der Voraussetzung geeinigt hätten, daß keinem Bundesgliede erhebliche Vorrechte eingeräumt würden. Dann aber werde auch der Norddeutsche Reichstag bei seinen so ausgesprochenen Einheitstendenzen jener Sonderstellung Bayerns durchaus entgegen seyn. Unter diesen Verhältnissen sei der mili- tärische Zweck wohl nur durch ein Separatbündniß zu erreichen, welches im Sinne einer Consolidirung des Allianzvertrags vom Jahre 1866 die durch denselben bedingte gemeinsame Action der bayerischen mit der norddeutschen Armee im Kriege durch mög- lichste Einheit des beiderseitigen Heerwesens im Frieden vorbereite und dauernd sicher stelle, und schon dieses Ergebniß könne für werthvoll genug gelten, um preußischer Seits für das Zustandekom- men einer solchen Vereinbarung die Unkündbarkeit des Zollvereins als Compensation zu bieten.

Indessen, abgesehen davon, daß die letztere eventuelle Zusage bei dem ausdrücklich noch unverbindlichen Charakter der Be- sprechungen mit dem preußischen Kriegsminister ebenfalls völlig unverbindlicher Natur war, so stand wohl überhaupt außer Zweifel, daß jene Lösung keineswegs in der Absicht Preußens liege, sondern daß vielmehr ein Verzicht auf das Kündigungsrecht der Zollver- träge, also auf dasjenige Mittel, von dessen Anwendung Preußen hoffen könnte, später selbst den bedingungslosen Eintritt Bayerns in den Bund zu erwirken, auch jetzt nur um den Preis des Eintrittes denkbar sey.

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Eben diese Situation aber enthält nun anderen Theils die drin- gende Aufforderung für Bayern, nicht jene spätere Zwangslage ab- zuwarten, seinen Anschluß vielmehr eben jetzt zu vollziehen, da der- selbe unter dem noch ungeschwächten Eindrucke und gewissermaßen in der täglichen unmittelbaren Erkenntniß des Werthes der bayeri- schen Waffengemeinschaft noch unter günstigen, später nicht mehr erreichbaren Bedingungen für Bayern möglich ist. Und bei solcher Sachlage entsprach es somit vollständig auch den Interessen Bay- erns, daß Graf Bismarck, welcher vor wenigen Tagen die Leitung der in's Stocken gerathenen Verhandlungen aufgenommen, einfach zu dem verfassungsmäßigen Bündnisse mit Bayern zurückkam.

Es steht nunmehr ein Abschluß in naher Aussicht. Die Mün- chener Verabredungen haben hiebei auch in den wesentlichsten militärischen Fragen hauptsächlich zur Richtschnur gedient; nur waren theils einige Zusätze in Betreff des Festungswesens, theils in anderen Punkten Modificationen nöthig. Die bedeutendsten der- selben aber fallen nur mit den militärischen Forderungen auch in Bayern zusammen, insofern sie dahin gerichtet sind, die namhaften, doch für die Schlagfertigkeit der Armee ganz unabweisbaren und wohlbegründeten Leistungen im Norddeutschen Bunde als bindenden Maßstab des Aufwandes für das Heer auch in Bayern festzustehen und die Wiederholung ähnlicher Gefahr der Desorganisation von der bayerischen Armee für die Zukunft fern zu halten, wie sie nach den Kammerverhandlungen kurz vor dem Beginne des Krieges unmittelbar nahe lag.

Eurer K. Majestät bevollmächtigte Minister werden nicht ver- fehlen, sobald der entworfene Vertrag ihrerseits unter den ent- sprechenden Vorbehalten zum Abschlüsse gelangt seyn wird, den- selben zur Allerh. Kenntniß zu bringen. M.Rg.A.

12. Stuttgart 1870 November 23. Freiherr von Gasser an Staatsrat von Daxenberger.

(Original.)

Ich habe Ihr geehrtes Schreiben vom 20ten erhalten. Ganz im Vertrauen gesagt, bedauere ich ungemein die Demarche von Bray; sie hat hier bis zu einem gewissen Grade mißgestimmt; ich glaube aber dieses Gefühl ziemlich wieder verwischt zu haben. Dagegen scheinen Suckow und Mittnacht diesen Umstand benützt zu haben, um den König zum Abschluße zu drängen. Damit wird wohl auch zusammenhängen, daß man hier von dem Schreiben, welches unser AUergnädigster Herr an mich gerichtet hat, mehr als nöthig gesprochen haben wird. Soden ist die mir vom Könige in der Audienz gegebene Antwort mitgetheilt worden. Nun hat man in München davon Wind erhalten und hat noch das Seinige beigefügt ; denn Eisenhart schreibt mir, in München erzähle man sich, unser König habe dem hiesigen geschrieben, er halte es für ,, unter seiner Würde", einer Einladung nach Versailles zu folgen. Der König hat nun dem Könige Carl gar nicht geschrieben und in dem Schreiben an mich steht nichts derartiges; ich begreife nicht, wie ein solches Gerede hat entstehen können, ich müßte mich denn wieder überzeugen, daß der Fortschrittspartei jedes Agitations- mittel recht ist. Ich habe gestern Eisenhart nach Hohenschwangau

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geantwortet. Mit den hiesigen großdeutschen Parteiführern bin ich, so zu sagen, nicht in Verbindung. -- Sowohl Probst als Oester- len sind jeder ein Mal zu mir gekommen und ihr Anliegen habe ich nach München berichtet ; ich habe sie mehr angehört als mich ausge- sprochen und namentlich betont, daß, wie die Sachen nun ein Mal lägen, wir fest darauf bauen könnten, daß Bray und Pranckh ihr Möglichstes thun würden, um zu retten, was zu retten ist, und etwas Unannehmbares gewiß nicht unterzeichnen würden. Die gestern bereits von der ,,Allg. Ztg." gegebene Nachricht von einer Möglich- keit der Reise unseres Königs nach Versailles, im Zusammenhange mit der Abreise von Holnstein, hat hier sehr frappirt; ich kann nun nicht annehmen, daß, nachdem König Carl sein eventuelles Hin- gehen ganz den Entschlüssen unseres Königs untergeordnet hat, er, für den Fall eine Änderung in den Absichten eintrete, nicht zu allererst benachrichtigt würde. Ich darf Sie aber, verehrtester Herr Staatsrath, darum bitten, Ihr Augenmerk darauf zu richten, daß hier kein Übersehen stattfindet und daß der König von Würt- temberg eventuell rechtzeitig benachrichtigt werde. Wenn die Reise Holnsteins in keinem Zusammenhange mit einer etwaigen Reise des Königs stünde, so würde ich Ew. Hoch wohlgeboren sehr verbunden seyn, wenn Sie die Güte haben wollten, mich durch ein paar Worte darüber aufzuklären. m. st. a.

13. Hohenschwangau 1870 Dezember 7. König Ludwig II. an das Gesammtministerium.

(Original.)

Ich habe die anruhenden, Mir in Vorlage gebrachten vier Ur- kunden einer ernsten und wiederholten Prüfung unterstellt. Zwar hätte Ich gewünscht, daß es möglich gewesen wäre, in der Bundes- verfassung das föderative Princip entschiedener zur Geltung zu bringen; doch will Ich deshalb den getroffenen Vereinbarungen Meine Genehmigung nicht versagen und gebe hiemit schon jetzt den nach Versailles entsandten Ministern, deren erfolgreicher Thätig- keit gelungen ist, der bayerischen Regierung so werthvolle Sonder- interessen zu wahren. Meine vollste Zufriedenheit und Meinen ganz besonderen Dank zu erkennen. Ich bin damit einverstanden, daß nunmehr das Verfaßungsbündniß nebst Schlußprotokoll zur Be- rathung im Staatsrathe gelange, und bestimme, daß von den Mini- stern Graf Bray, Freiherr von Pranckh und von Lutz über die von denselben in Versailles vereinbarten Bestimmungen \^ortrag er- stattet werde. m. st.A.

IV. Zur Gcsdiiclite des Kaiscrprobicms.

I. Wien 1870 Mai 4 (präsentiert 6.). Graf Fugger an König Ludwig IL von Bayern.

(Original.)

Ich habe den oben citirten hohen Ministerialerlaß (vom i. Mai) zu empfangen die Ehre gehabt und nicht ermangelt, den Inhalt des- selben zum Gegenstand einer vertraulichen Besprechung mit dem Herrn Reichskanzler zu machen.

Graf Beust nahm die Mittheilung über die Annahme des deut- schen Kaisertitels von Seite des Königs von Preußen mit großem Interesse entgegen und war sichtlich befriedigt, daß Eurer K. Majestät Regierung die fragliche Angelegenheit in dieser Weise mit dem hiesigen Kabinett zur Sprache brachten, worüber er mir auch wiederholt seine Anerkennung aussprach. Er theilte mir auch gleich bereitwilligst mit, was ihm selbst über die Sache bekannt ist.

Nach den aus Berlin hier eingetroffenen Berichten sei die Nach- richt über die projektirte Annahme des Kaisertitels zuerst dem eng- lischen Gesandten Lord Loftus zugekommen, und zwar habe der- selbe von München aus eine Andeutung erhalten.

Auf eine hierauf gestellte Interpellation des Grafen Wimpffen habe der Unterstaatssekretär von Thile die Sache entschieden verneint.

Ebenso habe der König von Preußen selbst dem französischen Botschafter Grafen Benedetti gegenüber die angedeutete Absicht, den Titel ,, Kaiser von Deutschland" anzunehmen, in Abrede gestellt.

Der Reichskanzler ist der Meinung, daß wenn auch die den Grafen Benedetti und Wimpffen gewordenen Antworten verneinend lauteten, doch anzunehmen sei, daß in Berlin die Idee der Annahme des erwähnten Titels geherrscht habe. Er glaubt sogar, daß Ver- handlungen darüber mit Sachsen, Württemberg und Baden statt- gefunden haben. Von letzterem Staate sei Baron Roggenbach nach Varzin gesendet worden, um dem Grafen Bismarck die Bedenken mitzutheilen, welche von Seite Badens gegen das Projekt gehegt wer- den, indem die betreffende Annahme in Süddeutschland einen sehr ungünstigen Eindruck machen würde.

Graf Beust ist der Ansicht, daß die Sache vertagt sei, indem die Anerkennung des Titels schon deswegen große Schwierigkeiten be- reiten müßte, weil in keinem Vertrag von ,, Deutschland" die Rede sei. Man habe wohl norddeutsche Bundesgesandten accreditiren

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können, da ein Norddeutscher Bund bestehe, jedoch der Titel ,,Kaiser von Deutschland" würde besonders hier, wo in der österrei- chischen Monarchie selbst so viele Deutsche lebten, nicht ruhig hingenommen werden können.

Bezüglich der Aufnahme Südhessens in den Norddeutschen Bund äußerte sich der Graf dahin, daß er fest überzeugt sei, der Großherzog von Hessen werde dazu nicht zu bewegen sein.

Auch fügte er ausdrücklich bei, daß die in der aus Berlin mit- getheilten Depesche vom 29ten vor. Monats enthaltenen Ansicht : Frankreich werde aus dem Eintritte Südhessens in den Nordbund keinen casus belli machen, ein falscher calcul sein dürfte.

Zum Schlüsse bemerkte der Graf, daß er Eurer K. Majestät Regierung dringendst anempfehle, auf diese Fragen ein wachsames Auge zu haben, und er versprach mir, seine ihm desfalls zukom- menden Nachrichten und Wahrnehmungen stets bereitwilligst mit- theilen zu wollen. m. st.A.

2. Schloß Berg 1870 September 14. König Ludwig II. an

Graf Bray.

(Original.)

Mein lieber Staatsminister Graf von Bray-Steinburg! Ich habe allen Grund, anzunehmen, daß sowohl die höheren preußischen Regierungskreise, als auch der Berliner Hof der Kaiser- idee nichts weniger als ferne stehen. Es ist Mir nun von hohem Inter- esse, sehr rasch zu erfahren, welche Stellung die Höfe von Dresden, Stuttgart, Karlsruhe und Darmstadt zu dieser Sache einnehmen. WoUen Sie daher Meine Gesandten an den bezeichneten Orten be- auftragen, in vertraulicher und äußerst behutsamer Weise Erkun- digung darüber einzuziehen, welche Auffassung bezüglich des ange- regten Punktes bei dem betreffenden Hofe besteht, und was letzterer etwa hierin zu thun gedenkt. Mit Rücksicht auf die vorliegende Dringlichkeit sehe Ich beschleunigter geheimer Berichterstattung entgegen. m. st.A.

3. Irlbach 1870 Oktober i. Graf Bray an König Ludwig IL

von Bayern.

(Konzept.)

Der treugehorsamst Unterzeichnete beehrt sich einen soeben erhaltenen Bericht des K. Gesandten Grafen Tauffkirchen aus Ferrieres vom 24ten v. Mts. Eurer K. Majestät beifolgend zu unter- breiten.

Derselbe dient dem Telegramm vom gleichen Datum, welches AUerhöchstdenselben bereits vorliegt, zur Bestätigung und weiteren Ausführung. Es ergibt sich aus demselben mit größter Evidenz, daß die Absicht der Proklamirung König Wilhelms zum Deutschen Kaiser vorliegt ; daß aber dem Könige sehr viel daran gelegen ist, vor Allem die Zustimmung, wo nicht ein Anerbieten Eurer K. Maje- stät zu erlangen, und daß eben deßhalb eine frühere Zusammenkunft mit AUerhöchstdenselben allein in Fontainebleau gewünscht wird. Dagegen wird die Geneigtheit zu weitgehenden Concessionen in Bezug auf eine Ausnahmsstellung der Krone und des Königreiches Bayern in Deutschland deutlich ausgesprochen.

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Der tr. g. U. kann angesichts dieser so bestimmten Angaben seinen schon früher gestellten ehrfurchtsvollsten Antrag lediglich submissest erneuern, dahingehend, daß Eurer K . Maj est ät ehrerbietigst und dringend zu beschwören seien, die beabsichtigte Einladung des Königs von Preußen nicht definitiv abzulehnen; sofern aber die Reise nach Frankreich Allerhöchstdenselben absolut nicht genehm wäre, schriftlich oder durch einen Bevollmächtigten die gewünschte Zustimmung zur Kaisertitelannahme dem Könige Wilhelm aus- zusprechen. Wenn die Absendung eines Bevollmächtigten zu diesem Zwecke Allerhöchst beliebt würde, wäre derselbe zu beauftragen von der gewünschten Ermächtigung nur dann Gebrauch zu machen, wenn die Zugständnisse Preußens sich dieser Concession als würdig und durch ihren überwiegenden Nutzen der Gegenleistung als eben- bürtig erweisen.

Wenn der tr. g. U. es nicht unterläßt, auf diesen unwillkom- menen Gegenstand abermals zurückzukommen, so drängt ihn dazu die Erwägung, daß nach Ablauf einer gewissen Frist eine Prokla- mirung durch eine Mehrzahl kleinerer deutscher Fürsten bevorsteht und daß die nicht zu verweigernde Zustimmung zu einem bereits angenommenen 1 itel den Werth bei weitem nicht haben würde, wie ein der Oktroyirung der Kaiserwürde gleich zu achtendes Anerbieten, und daß im gleichen Verhältniß die Geneigtheit zu Gegenconcessio- nen schwinden müßte.

Der ehrerb. ü. kann deßhalb die baldige Ergreifung einer mit den nöthigen Cautelen zu umgebenden Initiative nicht warm genug Eurer K. Majestät pflichtmäßig und ehrfurchtsvollst empfehlen.

M. St. A.

4. Schloß Berg 1870 Oktober 3, König Ludwig II. an Graf Bray

(Original.)

Mein lieber Staatsminister Graf Bray! Es ist Mir, wie Ich Ihnen bereits vor einiger Zeit mittheilen ließ, von höchstem Interesse zu erfahren, ob etwa die preußische Re- gierung bei den süddeutschen Staaten und Sachsen bezüglich der Kaiseridee eine, wenigstens indirekte Thätigkeit zu entwickeln ver- suchte und wie sich Württemberg und Sachsen zu jener Idee zu ver- halten gesonnen sind. Ich sehe daher möglichst beschleunigter Berichterstattung entgegen und verbleibe mit bekannten Ge- sinnungen

Ihr gnädiger König

Ludwig. M. st.A.

5. München 1870 Oktober 9. Graf Bray an König Ludwig IL

von Bayern.

(Konzept.)

Schon in Folge einer früheren AUergnädigsten Anregung der Kaiserfrage durch Eurer K. Majestät hat der ehrerb. Unterzeichnete nicht unterlassen, über etwaige Schritte, welche von Preußen in diesem Betreffe bei anderen deutschen Höfen etwa geschehen wären, Erkundigung einzuziehen. Deren Ergebniß läßt sich dahin zusam- menfassen, daß direkte Anträge nirgends gesteht worden sind, daß es aber ebensowenig an deutlichen Insinuationen sowohl in der Presse als aus dem Munde hochgestellter Persönlichkeiten gefehlt hat.

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Bereits vor Beginn des Krieges war von der Annahme des Kaisertitels durch den König von Preußen in weiteren Kreisen die Rede gewesen. Erkundigungen, welche damals in Stuttgart einge- zogen wurden, ließen mit Bestimmtheit erkennen, daß von Seiten des Königs und insbesondere der Königin von Württemberg durch- aus keine Neigung bestand dem Projekte Vorschub zu leisten und daß auch der Kaiser von Rußland sich während seines Aufenthaltes in Stuttgart für die Erhaltung des Status quo in Deutschland aus- gesprochen habe.

Alle aus Dresden eingetroffenen Meldungen ließen eine gleiche Abneigung am K. sächsischen Hofe gegen die neue Titulatur erkennen.

Seitdem hat der Krieg durch seine Erfolge eine neue Situation geschaffen; die Stimmung an den genannten Höfen ist nach allen hieher gelangten ,, Andeutungen" die nämliche geblieben; überall aber ist die Erkenntniß durchgedrungen, daß einem entschiedenen Auftreten des Wunsches Preußens nicht werde mit Erfolg entgegen- gewirkt werden können, und zwar umso weniger, als von Seite Badens und vieler anderer deutscher Fürsten das bereitwilligste Entgegenkommen zu erwarten ist.

Der treugehorsamst Unterzeichnete kann deßhalb nicht umhin, die im Allerhöchsten Handschreiben vom 3ten 1. Mts. gestellte Frage dahin zu beantworten, daß auf einen Widerstand Württembergs oder Sachsens gegen die ernstlich und mit Entschiedenheit auf- tretende Kaiseridee nicht zu rechnen sei. m.si.a.

6. Versailles 1870 Oktober i8. Bericht des Grafen v. Berchem

(Original.)

Nachmittags um 2 Uhr erhielt ich gestern das Telegramm, in- haltlich dessen ich beauftragt wurde, die bevorstehende Ankunft Ihrer Ex'cd des Staatsministers des Äußern und des K. Kriegs- ministers im großen Hauptquartier zu melden. Ich traf S. Excellenz den Grafen Bismarck erst um acht Uhr Abends und übermittelte ihm den mir gegebenen Auftrag. Der Bundeskanzler schien durch Freiherrn von Werthern bereits Kenntniß dessen zu haben, was ich ihm mitzutheilen hatte, und nahm diese Eröffnung dankend entgegen. Der Präsident des Bundeskanzleramtes v. Del- brück war in diesem Augenbhck zugegen und schienen beide Herren erwartet zu haben, daß auch der K. Staatsminister der Justiz V. Lutz nach Versailles kommen werde. Wie diese Annahme ent- standen, blieb mir unbekannt, doch äußerten beide Herren, nach- dem es sich wohl um Ausarbeitung von Punktationen z. B. in Betreff der Gewährung gegenseitiger Rechtshilfe, des Handelsrechtes und der Zollgesetzgebung (es wurde auch das Telegraphenwesen erwähnt) handeln werde eine Arbeit, der sich in ihrem peniblen Detail Ihre Exiil? Grafen von Bray und Freiherr von Pranckh wohl nicht unterziehen wollten —, daß die Mitanwesenheit des K. Staats- ministers der Justiz vor Allem für die juristische Behandlung des Details erwünscht erschiene. Ich habe demnach theilweise chiffrirt Heute Morgens telegraphirt : ,, Mittheilung von Graf Bismarck dan- kend entgegengenommen. Graf Bismarck und Delbrück deuteten wiederholt an, daß für die juristische Behandlung des geschäft-

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liehen Details und technische Fragen die gleichzeitige Abordnung Ministers Lutz hieher sehr begrüßt werden würde."

Aus den Worten des Bundeskanzlers schien mir hervorzugehen, daß derselbe absolut keine Einwendung erhebe gegen den Status causae et controversiae, wie er sich durch ]Mittheilungen an Herrn von Delbrück in München und durch dessen Erwiederungen im breitesten Rahmen festgestellt. Wäre das Gegentheil der Fall, ich glaube, der Bundeskanzler hätte hierüber ein Wort fallen lassen. In der Conversation bemerkte er, im Gegensatz zu seiner früheren An- sicht lege er nunmehr allerdings Werth auf die Kaiseridee, aller- dings nur für den Fall, daß dieselbe völlig spontan von den deut- schen Fürsten ausgehe, so daß dieselbe kein Ausdruck der Volkssou- veränität werde nach Art des durch suffrage universel gebildeten Empire, so daß dieselbe auch nicht in das Verfassungsrecht der einzelnen Staaten übergehe, sondern ein bloßes auf Geschichte gestütztes Symbol der Selbstständigkeit der deutschen Fürsten werde. Welche Macht in dieser Idee liege, schließe er daraus, daß im verflossenen Jahre England einmal den Vorschlag gemacht habe, durch Realisirung dieser Idee den Status quo definitiv zu fixiren und dadurch die Kriegsgefahr abzuwenden. Ich darf wohl bitten, diese Äußerung des Bundeskanzlers, welche er in einer Privatconversation machte, als eine streng vertrauliche zu betrachten und zu behandeln. Ein Präjudiz für die Nichter- füllung dieser Idee wurde durchaus nicht ausgesprochen.

Die Vorbereitungen zur Belagerung sind noch weit zurück; man hat auch verschiedene gute Gründe, sich nicht zu übereilen. Es steht fest, daß die Unterhandlungen mit Bazaine fortdauern und glaubt man, zu einem guten Resultate zu gelangen. Für heute wird ein Ausfall der Besatzung erwartet und sind aUe Vorbereitungen dagegen getroffen . m. st . a.

7. Versailles 1870 November 13 (präsentiert 19.). Minister V. Lutz an Staatsrat v. Daxenberger.

(Original.)

Lieber und verehrtester Herr CoUega!

So wie die Dinge liegen, haben wir uns für verpflichtet gehalten, an S. Majestät den König den beiliegenden Bericht ergehen zu lassen. Es geschieht dies zur Entlastung unseres Gewissens, mag dann folgen, was da wiU. Wenn das Ministerium nicht deutlich spricht, wird es seiner Zeit großen Vorwürfen nicht entgehen und vielleicht von Sr. Majestät Selbst Vorwürfe erhalten. Im Auf- trage der Herren CoUegen Bray und Pranckh habe ich Sie nun zu bitten, diesen Bericht den übrigen Herren Ministern zur Einsicht vorzulegen und darnach denselben an S. Majestät den König abzusenden, indem wir es den Herren Collegen überlassen, ob sie sich dem Berichte anschließen wollen oder nicht. Im letzteren Falle bedarf es natürlich nichts als der einfachen Absendung desselben.

Württemberg hat abgeschlossen und ist Mitglied des ,, Deut- schen Bundes", wenn auch die Urkunde noch nicht vollzogen ist. Von Baden und Hessen versteht sich dies von selbst. Württemberg hat im Wesentlichen die sächsische Militär-Convention angenommen; nur einige Bedingungen über die Ernennung der Commandanten sind günstiger und eine Phrase über Ersparungen ist beigefügt.

Doeberl. Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. 20

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In dieser Woche werden wir ans Messer kommen. Ob etwas zu Stande kommt, ist mindestens zweifelhaft. Sonst ist's hier miserabel ! Wir sehnen uns alle drei sehr zurück ! Mit aufrichtigen Grüßen an Sie und alle Collegen.

Ihr aufrichtig ergebener Lutz. m. st.A.

8. München 1870 November 19. Gemeinschaftlicher Antrag der Staatsminister des Innern, der Finanzen und des

Handels an den König.

(Konzept.)

Die treugehorsamst Unterzeichneten haben sich heute, nach Empfang des ehrfurchtsvollst beigeschlossenen Berichtes der in Versailles verweilenden Staatsminister vom 12. d. Mts., versammelt und, nachdem sie von dessen Inhalte Einsicht genommen, erlauben sie sich, nach der Stimme ihres Gewissens und Pflichtgefühles vor Allerhöchstdenselben auszusprechen, daß sie den gesammten In- halt des anliegenden Berichtes theilen. Die treugehorsamst Unter- zeichneten schließen sich der in dem Berichte ebenso ehrerbietigst als dringend gestellten Bitte innigst an und beschwören auch ihrer- seits Ew. Majestät derselben allerhuldvollst im Interesse der Krone und des Allerhöchstdenselben von Gott anvertrauten Landes Folge zu geben.

In tiefster Ehrfurcht verharrend

Pfretzschner Schlör Braun. M.st.A.

9. Versailles 1870 November 14. Graf Bray an den Kabinett-

sekretär Ministerialrat Dr. Eisenhart.

(Konzept.)

Ew. Hochw. habe ich den Empfang Ihrer beiden geehrten Zu- schriften vom 3iten v. M. u. iten d. M. ergebenst zu bescheinigen. Das erste darin berührte Thema entzieht sich, wie bereits in München bemerkt, gänzlich meiner Competenz und Einwirkung und es könnte dasselbe ohne den größten Nachtheil und ohne dringende Gefahr von mir nicht in Anregung gebracht werden. Ich behalte mir darüber mündliche Auseinandersetzung vor.

Die Angelegenheit einer Gebietsvergrößerung gehört in das Gebiet der Friedensverhandlung und wird erst ernstlich und effektiv in Betracht gezogen werden können, wenn mindestens die Friedens- präliminarien zur Sprache kommen werden und von Frankreich das Prinzip territorialer Abtretungen förmlich anerkannt sein wird. Dies ist, wie E. H. bekannt, bis jetzt noch immer nicht der Fall und es wird darauf mit Sicherheit nicht zu bauen sein, solange eine von ganz Frankreich anerkannte legale Regierung nicht besteht.

Gesprächsweise habe ich diese i^rage mit dem Herrn Grafen V. Bismarck allerdings schon berührt, von dem Gesichtspunkte ausgehend, daß Bayern nach den Leistungen dieses Feldzugs vor allem schon Anspruch habe, einen Ersatz für den im Jahre 1866 erlittenen Verlust an Land und Leuten zu erlangen. Der Bundes- kanzler hat einen solchen Anspruch Bayerns in keiner Weise be- kämpft, denselben vielmehr beifällig aufgenommen, allein auch seinerseits von den dereinstigen Friedensbedingungen abhängig gemacht.

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Dem telegraphisch ertheilten Allerhöchsten Auftrag einer Be- richterstattung durch die IMinister von Pranckh und von Lutz ist bereits durch einen an S. K. Majestät gemeinsam gerichteten Bericht entsprochen worden. Die darin ausgeführten Gründe für eine Hieher- kunft unseres Allergnädigsten Herrn drängen sich dem hier Weilenden unter den jetzigen Umständen gebieterisch auf.

Nach Absendung des fraglichen Berichtes geht mir heute das Telegramm E. H. vom ißten zu, woraus ich zu meinem lebhaften Be- dauern entnehme, daß S. Majestät in Folge einer Sehnenverdehnung erkrankt sind und somit eine Reise nicht unternehmen können. Ich werde nicht ermangeln hievon geeigneten Orts Anzeige zu machen und bin bis jetzt nicht in der Lage zu ermessen, ob, etwa in der Hoffnung später eintretender Besserung, die beabsichtigte Einladung gleichwohl abgesendet werden wird oder nicht.

Geschieht Ersteres, so wird hiefür wohl die Erwägung maßge- bend sein, daß bei der Allgemeinheit der Maßregel eine Einladung an S. Majestät nicht fehlen dürfe. Gelegentlich einer gestern bei Sr.M. dem Könige von Preußen gehaltenen Hoftafel, zu welcher sämmtliche bayerische Bevollmächtigte und deren Begleiter zur Feier des Ge- burtsfestes der Königin-Witwe geladen waren, theilte mir Graf Bismarck mit, daß statt des Prinzen Adalbert zur Überbringung eines K. Handschreibens nach Bayern auch von dem Großherzog von Sachsen-Weimar für diese Sendung die Rede sei, was Letzterer sehr zu wünschen scheine.. Der Bundeskanzler hielt es jedoch für angemessener, wenn mit einem solchen Auftrag der Onkel Sr. M. betraut würde.

Die Erkrankung Sr. M. des Königs war damals, wie bereits erwähnt, noch nicht bekannt.

Die württembergischen Bevollmächtigten sind, wie ich nach- träglich durch Minister von Lutz in Erfahrung brachte, nach Vollen- dung ihrer hiesigen Aufgabe, aber ohne förmliche Unterzeichnung, gestern von Versailles abgereist, mit dem Vorbehalt zum formellen Abschluß hieher zurückzukehren. Mir ist von denselben während der ganzen Zeit ihres hiesigen Aufenthaltes eine geschäftliche Mit- theilung nicht gemacht worden.

Die Großherzoge von Baden und Oldenburg weilen Beide am K. Hoflager. Von Letzterem wurde mir mitgetheilt, daß, vorzugs- weise durch wirksames Zuthun des preußischen Gesandtenin Athen, von Wagner, die längere Zeit rückständige Rate der griechischen Schiild an die Königin Amalie bezahlt worden sei. Der Großherzog äußerte dabei Namens seiner durchlauchtigsten Schwester den leb- haften Wunsch, daß es unserem Allergnädigsten Herrn gefallen möge, dem gen. Gesandten, welcher wiederholt eine äußerst ersprießliche Thätigkeit in dieser, das ganze K. bayerische Haus interessirenden Angelegenheit entwickelt habe, durch Verleihung einer entsprechen- den Ordensdekoration auszuzeichnen. Ich darf nicht unterlassen, E. H. zu ersuchen, diesen Wunsch des Großherzogs und seiner K. Schwester der huldvollsten Bedachtnahme Sr. M. des Königs zu empfehlen. m. st.A.

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10. Hohenschwangau 1870 November 21. Kabinettsekretär

Eisenhart an Staatsrat v. Daxenberger.

(Original.)

Heute Nachmittag traf folgendes Telegramm ein:

,, Reise hierher wird entbehrlich, wenn S. M. schriftlich die Initiative zur Übertragung des Kaisertitels, die doch jedenfalls erfolgt, zu übernehmen geruhen. Bericht folgt. Bitte um telegraph. Antwort.

Bray."

Schade, daß das Telegramm nicht 30 Stunden früher anlangte; ich hätte mir gestern 2 sehr unerquickliche Stunden gespart, und Seine Majestät werden jetzt mit Recht annehmen, die von mir vor- gebrachten Gründe : die Reise sei nothwendig zur Wahrung des per- sönlichen Prestige, zur Förderung guter Beziehungen mit dem preuß. Hofe, zur Belebung des bayer. Geistes in der Armee, zur Niederhaltung der Action im Lande, zur Erreichung möglichst guter Concessionen alle die Gründe seien äußerst fadenscheinig gewesen.

Ich beklage das Unterbleiben der Reise tief. Möge ich unrecht haben. m. st. a.

11. Versailles 1870 November 21. Antrag des Grafen Bray

an den König.

(Konzept.)

Durch Telegramm vom löten d. M. ist zu E. K. M. Allerhöchster Kenntniß bereits gebracht worden, daß es gelungen ist, die Ab- sendung S. K. H. des Prinzen Adalbert von Preußen oder einer an- deren fürstlichen Persönlichkeit an AUerhöchstdero Hoflager rück- gängig zu machen.

Die Absendung der Einladung zum Fürstencongreß überhaupt zu hindern war dagegen, bei der Allgemeinheit dieser Maßregel, nicht möglich, und, wie ich vernehme, ist der mit Überbringung des königlichen Schreibens betraute Flügeladjutant im Begriff nach München abzugehen, wenn er nicht bereits abgereist ist. Im ge- meinsamen Berichte vom 12. d. M. haben E. K. M. hiesige Bevoll- mächtigte die wichtigen Gründe hervorgehoben, welche für die An- nahme der Einladung des Königs Wilhelm sprechen, und die Nach- theile einer Ablehnung derselben wahrheitsgetreu geschildert.

Nachdem jedoch E. K. M. zu wiederholten Malen die geringe Geneigtheit nach Versailles zu kommen geäußert haben, war es mein eifriges Streben, ein Auskunftsmittel zu finden, wodurch Allerhöchstdenselben die unwillkommene Reise, ohne Benachtheili- gung der staatlichen Interessen, erspart werden könnte. Ein solches Mittel ergibt sich nun in Folgendem: Wie E. K. M. bekannt ist, wird hier sehr großer Werth darauf gelegt, daß das Werk der deut- schen Einigung einen würdigen und monarchischen Abschluß durch die dem neuen Bunde beizulegende Benennung: ,, Deutsches Reich" und durch die Übertragung des Kaisertitels an König Wilhelm erhalte. Man wünscht aber, daß die Initiative hiezu nicht vom Reichstage , sondern von den deutschen Fürsten mit dem Könige von Bayern an deren Spitze erfolge. Der deutsche Fürstencon- greß wird dazu den Anlaß bieten, und darüber, daß die versammelten

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Fürsten das Anerbieten in jedem Falle machen werden, besteht volle Gewißheit. Ist dies aber ein Mal geschehen, so ist eine Ver- weigerung der Anerkennung ebenso unthunlich, als eine nachträg- liche Zustimmung unwürdig und peinlich wäre. Ich habe mir nun durch eingehende Besprechung mit Graf Bismarck Sicherheit da- rüber verschafft, daß, wenn E. K. M. durch ein Allerh. Schreiben (mit thunlichster Beschleunigung des zu kurzer Sitzung versam- melten deutschen Reichstages wegen) dem Könige von Preußen den Titel eines deutschen Kaisers antragen, dies den Besuch, wenn nicht nutzlos, doch entbehrlich machen würde. Die Bevollmächtigung eines königlichen Prinzen zur stellvertretenden Theilnahme am Fürstenkongreß wäre in diesem Falle genügend. Anlaß zu einem solchen Schreiben wäre durch die Erstreckung des Vorsitzes König Wilhelms über ganz Deutschland gegeben. In Anbetracht nun, daß die Titelübertragung und Annahme jedenfalls kommen wird, daß sie, wenn unvermeidlich, besser aus eigener, freier, königlicher Initiative E. K. M. als durch späteres, unfreiwilliges Anerkennen geschieht, endlich, daß dadurch die Summe der politischen Rechte der Krone Preußen nicht vermehrt wird, erlaube ich mir, die Er- greifung dieser Initiative durch ein an den König Wilhelm zu richten- des Allerhöchstes Handschreiben ebenso dringend als ehrfurchtsvoll zu empfehlen. Die politischen Vortheile eines solchen gewiß schweren, aber hochherzigen Entschlusses werden nicht ausbleiben, und für die persönlichen Beziehungen wird mit Beseitigung lästiger Besuchsreisen nachhaltig gesorgt seyn.

Wenn ich es wage E. K. M. allerunterthänigst um beschleunigste Allerh. Beschlußnahme zu bitten, so hat dies seinen Grund in einer sonst zu befürchtenden Manifestation des Reichstages, zu welcher eine zahlreiche Partei drängt und welcher zuvorzukommen ein un- verkennbares monarchisches Interesse gebietet.

Auch hier ist man von dieser Nothwendigkeit durchdrungen, da eine von jener Versammlung zuerst angebotene Würde einen ganz anderen Charakter annehmen würde als die Übertragung durch gleichberechtigte Fürsten. Hierin liegt auch der Grund des hohen Werthes, welcher einem für alle übrigen deutschen Souveräne maß- gebenden Vorantreten E. K. M. beigelegt wird, und zugleich ein Zeichen allgemeiner Anerkennung des Allerhöchstdenselben ge- bührendes Vorranges.

Vorstehenden allerunterthänigsten bittlichen Antrag beehre ich mich in Übereinstimmung mit dem Kriegsminister von Pranckh und Staatsminister von Lutz E. K. M. huldvoUster Würdigung und Entschlußnahme zu unterbreiten und dringend zu empfehlen.

M. St.A.

12. Hohenschwangau 1870 Nov. 25. Kabinettsekretär Eisenhart an Staatsrat v. Daxenberger.

(Original.)

Empfangen Sie vor Allem meinen verbindlichsten Dank für die gemachten Mittheilungen. Sämmtliche Anträge und Meldungen des H. Staatsministers Grafen Bray habe ich im Allerh. Auftrage nach Versailles beantwortet.

Gestern ist wieder ein Telegramm in der Kaiserfrage gekommen. ,,Die Käiserwürde ist unaufhaltsam, Zustimmung Bayerns unver-

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meidlich. Wenn nicht S.M. Initiative ergreifen, was sehr gewünscht wird, so werden die in Versailles versammelten Fürsten und beson- ders das Parlament entschieden die Sache lösen." So der wesentliche Inhalt des Telegramms. Seine Majestät haben jedoch noch keinen Entschluß gefaßt und wollen noch ein Paar Tage zuwarten.

Wissen Ew. Hochwohlgeboren etwas Genaueres darüber, daß Exe. Graf Bray bis Graf v. Holnstein's Eintreffen in Versailles dort bleibt? Bitte um geneigte Notiz.

Die Briefe der Gesandten v. Gasser und Freiherrn v. Schrenkh beehre ich mich zurückzusenden. Der dritte ist der eines anonymen Flegels. Der Mann scheint gewußt zu haben,warum er sich mit seinen Anliegen gerade an Freiherrn v. Schrenkh als Vermittler wendet !

Der politische Theil des Briefes des Freiherrn v. Schrenkh ist mir im Vertrauen gesagt unfaßlich; wie kann ein früherer Minister und Bundestagsgesandter und Reichsrath mit an- deren Worten eine staatsmännische Capacität glauben, daß jetzt, wo die nationale Strömung so stolz und gewaltig, jetzt, wo leiden- schaftliches Parteileben in unserem Lande die Regierungsgewalt so hemmt, Bayern auf die Dauer isolirt bleiben könne! Ich halte es für absolut unmöglich und glaube nicht, in dem Fall der Irrende zu sein. m. st.A.

13. Hohenschwangau 1870 November 25. König Ludwig II. an die Prinzen Karl, Adalbert, Ludwig, Karl Theodor.

(Abschrift.)

Schon nach den ersten Waffenerfolgen haben sich in national- liberalen Kreisen Stimmen für die Übertragung der Kaiserwürde an den König von Preußen erhoben. Sowohl die Presse dieser Partei als konservative preußische Blätter haben diesem Gedanken Nah- rung gegeben und auch im Großen ITauptquartier ist man laut ein- getroffener Berichte bereits im September der Frage keineswegs mehr ferngestanden; in weiterer Entwicklung der Sache erhielt Ich unterm 30. Oktober von Sr. K. Hoheit dem Großherzog von Ba- den ein längeres Schreiben, in dem er Mich dringend und wiederholt bittet, ,, dem ruhmvollen Heerführer der Deutschen durch einen hoch- herzigen Akt königlicher Initiative des Reiches Krone anzubieten". Und als Ich mit Erwiederung des Schreibens zögerte, sandte S. K. Hoheit ,, seinen Freund", den Staatsrat Dr. Geizer, nach München, welcher Mir gegenüber auf die Realisirung der Kaiserfrage in an- gedeutetem Sinne kräftigst wirken sollte. Volle Klarheit in der Sache brachte ein gestern aus Versailles eingetroffenes Telegramm des Staatsministers Grafen Bray, welcher schon früher das volle Einverständniß Bismarcks mit der Kaiseridee berichtet hatte, und welches Telegramm meldet, daß nach Berliner Mittheilungen der Antrag im Reichstage wegen der Kaiserwürde unaufhaltsam sei, Preußen nebst den anwesenden Fürsten auf Meine Initiative großen Werth legen, außerdem ohne diese vorgingen, daß der Kaiser sicher komme und eine nachträgliche Zustimmung Bayerns unver- meidlich, die äußerst kurze Reichstagsaktion jedoch zu schleunig- stem Handeln veranlasse.

In dieser für Bayerns Krone und Land äußerst wichtigen und folgenschweren Angelegenheit, welche auch die Mitglieder des königlichen Hauses in hervorragender Weise berührt, möchte Ich

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in voller Würdigung des Ernstes der Lage keinen Entschluß fassen, ehe ich nicht Gelegenheit hatte, Ew. K. Hoheiten und Liebden wohlgereifte (mutatis mutandis auf weiser seltener Erfahrung be- ruhende) Anschauung kennen gelernt zu haben, und dient es Mir zur Beruhigung Derselben gutachtliche Äußerung in das Bereich Meiner Erwägungen ziehen zu können, weshalb Ich Ew. K. Hoheit auffordere Mir zur recht reiflichen Überlegung, aber mit möglichster Beschleunigung Deren Ansicht in dieser leider so brennend gewor- denen Frage in Kürze zum Ausdruck zu bringen. Mit dem hohen Wunsche, es möge der Allmächtige auch in Zukunft Mein geliebtes Bayern in Seinen Schutz nehmen, bin Ich in freundvetterhchem Wohlwollen Ew. K. Hoheit gutwilliger Vetter, Neffe,

Ludwig. M. H.A.

14. Hohenschwangau 1870 November 25. König Ludwig II.

an seinen Bruder Prinzen Otto.

Lieber Otto!

Sehr wijrde es mich freuen, wieder einmal Nachricht von Dir zu erhalten. Wie geht es vor allem mit Deiner Gesundheit ? Schone Dich recht, gehe ja nicht zu früh zur Armee ab, besser gar nicht. Gewiß sprach sich die Cousine des deutschen Kaiserkandidaten recht unpolitisch aus, so daß jedes blauweiße Herz empört sein muß?!

Ich erlebte mittlerweile recht viel Trauriges! Selbst der bay- erische, monarchische Bray beschwor mich mit Prankh und Lutz so bald als möghch jenem König die deutsche Kaiserkrone anzu- bieten, da sonst die anderen Fürsten oder gar der Reichstag es thun würde. Könnte Bayern allein, frei vom Bunde stehen, dann wäre es gleichgültig, da dieß aber geradezu eine politische Unmöglichkeit wäre, da Volk und Armee sich dagegen stemmen würden und die Krone mithin allen Halt im Lande verlöre, so ist es, so schauderhaft und entsetzlich es immerhin bleibt, ein Akt von politischer Klugheit, ja von Noth wendigkeit im Interesse der Krone und des Landes, wenn der König von Bayern jenes Anerbieten stellt; da, nachdem Bayern nun doch einmal aus politischen Gründen in den Bund muß, hinterher der nun doch nicht mehr ferne zu haltende Kaiser von mir bon gre mal gre anerkannt werden muß. Da die Sachen leider so stehen, Widerstand vergebhch wäre, so gebietet es das Interesse, wenn die übrigen Fürsten oder gar das Volk von mir über- flügelt werden. Jammervoll ist es, daß es so kam, aber nicht mehr zu ändern. Schreibe recht bald.

Meine herzlichsten Grüße Dir sendend, umarme ich Dich, lieber Otto, und bleibe in aufrichtiger, brüderlicher Liebe stets Dein treuer Bruder Ludwig. m. h. a.

15. München 1870 November 28. Aus einem Briefe des Prinzen

Otto an König Ludwig IL

(Original.)

Lieber Ludwig! Für Deinen lieben Brief, der mir herzliche Freude bereitete, entrichte ich meinen innigsten Dank ! Bin ich doch in dieser schwe-

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ren, jammervollen Zeit tagtäglich viele Stunden in Gedanken bei Dir und hoffe und ersehne, daß all' der Kummer und das Elend sein Ende nehmen möge und daß endlich wieder einmal glückliche, erfreuliche Zeiten für Dich und das alte Bayerland kommen mögen ! Denn auf Regen folgt Sonnenschein, und wie oft schnell wechselt nicht das Glück in der Politik. Ich vertrau' auf Gottes Schutz, und er wird doch einst den Hochmuth und Anmaßung zu Schanden machen und dem Recht und der Wahrheit den Sieg verleihen ! !

Als ich Deinen Brief gelesen, kamen heiße Thränen in meine Augen, undnoch jetzt schmerzt mich die erschütternde Mittheilung, die Du mir gemacht, so oft sie mir wieder in den Sinn kömmt. Doch habe ich immer noch ein wenig Hoffnung. Vielleicht kömmt was Unerwartetes dazu und rettet uns noch vor dem Untergang ! Noch ist's nicht zu spät. Höre noch einmal meine Stimme; ich beschwöre Dich, das Schreckliche nicht zu thun! Wie kann es denn für einen Herrn und König eine zwingende Gewalt geben, seine Selbständigkeit dahin zu geben und außer Gott noch einen Höheren über sich an- erkennen zu müssen! \\'ird der Name Bayern noch geachtet, nur noch genannt werden im Ausland ? !

Mögen wir auch für den jetzigen Augenblick Vortheile und Zu- geständnisse erlangen, die vielleicht von großem Umfang sind, so wiegen sie doch gewiß nicht den hundertsten Theil von jenem Nachtheil auf, den wir durch Dahingebung der Selbständigkeit erlei- den.

Mögen diese Concessionen auch für den Augenblick beträchtlich sein, mögen sie auch vielleicht für 20 30 Jahre erhalten bleiben, so wird doch gewiß immer mehr davon abgezwackt werden und in 50 100 Jahren, wenn es recht lange währt, sind sie uns vielleicht sämmtlich abgerungen!

Was wird nicht der erste Schritt alles nach sich ziehen! Oh! mög' Gott ihn von uns fern halten ! ! Welche Undankbarkeit, welche bodenlose Niedertracht liegt nicht darin, daß die Preußen sich so gegen Dich benehmen, der Du so edel und uneigennützig gegen sie gehandelt hast! Gar keinen Namen aber kennt das Verhalten jenes Theiles Deiner Unterthanen, die zu ihnen halten und ihnen gar offen oder auch hinterrücks in die Hände arbeiten!

Wie fühle ich es mit Dir, daß Dich dieß alles tief schmerzen und kränken muß! Doch ich hoffe, daß mit Gott wieder bessere Zeiten kommen müssen.

Doch nun bitte ich es mir zu verzeihen, wenn ich so offen und laut meine Gesinnung ausgesprochen! Doch es drängt mich dazu und es mußte heraus. Wie bedaure ich Dich, daß Du immer mit solch' leidigen Angelegenheiten zu thun haben mußt. m. h.a.

16. Hohenschwangau 1870 November 28. König Ludwig IL an den Grafen Bray.

(Abschrift.)

Den Verhandlungen in Versailles zwischen Meiner Regierung und dem Nordbund bin Ich während der ganzen Dauer der Kon- ferenzen mit der größten Aufmerksamkeit gefolgt. Trotzdem ver- mochte Ich keinen erschöpfenden Einblick zu gewinnen, da weder von Ihrer Seite noch jener der beiden anderen abgeordneten Staats-

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minister periodisch Detailsberichte erstattet wurden und die aller- dings zahlreich eingelaufenen Meldungen den Gang der Bespre- chungen mehr im allgemeinen kennzeichneten. Auch über die Hauptpunkte des erzielten Übereinkommens habe Ich weder auf telegraphischem Wege noch durch einen Kurier Meldung erhalten und bin daher bis zur Stunde nicht in der Lage bezüglich Meiner Ratifikation einen Entschluß zu fassen. Gleichwohl haben Sie jüngst die Anerbietung der Kaiserwürde gutachtlich beantragt und hiedurch ein Vorgehen Meinerseits befürwortet, welches den festen Entschluß dem neuen Bunde beizutreten unbedingt voraussetzt. Ich erkenne es zwar dankbar an, daß Sie gleich dem Kriegs- und Justizminister beseelt von warmer Anhänglichkeit für Ihre Heimat die Interessen der Dynastie und Bayerns mit rühmenswerther Aus- dauer und Festigkeit vertreten; trotzdem müßte Ich es beklagen, wenn durch obgedachte Verfahrungsweise Nachtheile für Krone und Land erwüchsen, welchen unschwer hätte vorgebeugt werden können, und sehe Ich wenigstens nunmehr ungesäumter Aufklärung ent- gegen. M.H.A.

17. Hohenschwangau 1870 November 29. König Ludwig IL

an den Grafen Bray.

(Original.)

Mein lieber Staatsminister Graf von Bray! Sie haben vor Kurzem in Übereinstimmung mit dem Kriegs- und Justizminister die Anerbietung der Kaiserwürde an den König von Preußen im Hinblicke auf die gegebenen Verhältnisse gutachtlich bei Mir befür- wortet. Nun kann ich aber in dieser Angelegenheit einen wohlbe- messenen Entschluß erst dann fassen, wenn Ich wenigstens die Hauptpunkte des mit dem Norddeutschen Bunde erzielten Überein- kommens genau kenne und gebilligt habe. Gleichwohl ist Mir weder hierüber noch über die Details der Verhandlung der ersehnte Bericht zugegangen, hiedurch aber gegen Meine Absicht eine Lage geschaf- fen worden, welche meine Thätigkeit und Meinen Entschluß in jener allerdings dringenden Lage hemmt, und welche Sie nun schleu- nigst beseitigen werden. Im übrigen erkenne Ich es freudig und gerne an, daß Sie gleich den genannten Ministern beseelt von treuer An- hänglichkeit an Krone und Land die Interessen der Dynastie und Bayerns mit bewährter Umsicht und rühmenswerther Festigkeit zu vertreten suchten, und entbiete Ich den Zurückgekehrten Meinen Königlichen Gruß. Mit bekannten Gesinnungen Ihr

gnädiger König Ludwig M.st.A.

18. Hohenschwangau 1870 November 30. König Ludwig IL

an die Fürsten und Freien Städte Deutschlands.

(Abschrift.)

Die von Preußens Heldenkönige siegreich geführten deutschen Stämme, in Sprache und Sitte, Wissenschaft und Kunst seit Jahr- hunderten vereint, feiern nunmehr auch eine Waffenbrüderschaft, welche von der Machtstellung eines geeinigten Deutschlands glän- zendes Zeugniß gibt. Beseelt von dem Streben, an dieser werden- den Einigung Deutschlands nach Kräften mitzuwirken, habe Ich nicht gesäumt, deshalb mit dem Bundeskanzler-Amte des Nord-

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deutschen Bundes in Verhandlungen zu treten. Dieselben sind jüngst in Versailles zum Abschlüsse gediehen. Nach dem Beitritte Süd- deutschlands zum deutschen Verfassungsbündnisse werden die Seiner Majestät dem Könige von Preussen übertragenen Präsidial- rechte über alle deutschen Staaten sich erstrecken. Ich habe Mich zu deren Vereinigung in Einer Hand in der Überzeugung bereit erklärt, daß dadurch den Gesammtinteressen des deutschen Vater- landes und seiner verbündeten Fürsten entsprochen werde, zugleich aber in dem Vertrauen, daß die dem Bundespräsidium zustehenden Rechte durch Wiederherstellung eines Deutschen Reiches und der deutschen Kaiserwürde als Rechte bezeichnet werden, welche Seine Majestät der König von Preußen im Namen des gesammten deut- schen Vaterlandes auf Grund der Einigung seiner Fürsten ausübt. In Würdigung der Wichtigkeit dieser Sache wende Ich Mich an Euere etc. mit dem Vorschlage, in Gemeinschaft mit Mir bei Seiner Maje- stät dem Könige von Preußen in Anregung zu bringen, daß die Aus- übung der Bundespräsidialrechte mit Führung des Titels eines Deutschen Kaisers verbunden werde. Es ist 5lir ein erhebender Gedanke, daß Ich Mich durch Meine Stellung in Deutschland und durch die Geschichte Meines Landes berufen fühlen kann, zur Krönung des deutschen Einigungswerkes den ersten Schritt zu thun, und glaube Ich der freudigen Zustimmung Euerer etc. entgegen sehen zu dürfen. m. st.A.

19. Hohenschwangau 1870 Dezember 3. Kabinettsekretär Eisenhart an den Grafen Bray.

(Original.)

Eurer ExceUenz

beehre ich mich über die Kaiserangelegenheit Nachstehendes zu berichten.

Am 30. Nachm. schrieb S. Majestät an den König von Preußen, wobei der von Eurer Excellenz revidirte Bismarck'sche Entwurf wort- getreue Benützung fand; zugleich schrieb S. Majestät an mich in M., die Frage der Absendung des Briefes ,,in meine Hände legend". Es war mir daher von größtem Werthe, vorher über die Sache mit Eurer Excellenz gesprochen zu haben. Die Bismarck'sche Redaktion schien mir zwar etwas stark geschäftlich; aber die Form ist doch nicht die Hauptsache ; gegen den Inhalt des Briefes vermochte ich nach bestem Wissen und Gewissen nichts einzuwenden, und so wurde denn Nachts halb ein Uhr der Brief gesiegelt, Graf Holn- stein fuhr dann noch zum norddeutschen Gesandten und morgens sechs Uhr nach Versailles, wo er heute ankömmt. Morgen findet muthmaßlich officielle Übergabe des Briefes statt, wozu K. H. Prinz Luitpold von Sr. Majestät beordert wurde. Welch seltsame Fügung kann man mit dem Preußenkönig sagen, Prinz Luitpold! über- reicht einen Kaiserbrief an König Wilhelm! Am 2. schrieb S. Maje- stät höchsteigenhändig an König von Württemberg und König von Sachsen; die betreffenden Gesandten wurden angewiesen die Briefe schleunig, womöglich persönlich den Souverains zu überreichen. Am gleichen Tage und heute erfolgten Schreiben im Curialstyl v. Sr. Majestät unterzeichnet an sämmtliche Bundesglieder, auch die freien Städte.

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Zur geneigten Einsicht lege ich Copie der Schreiben an.

Graf Holnstein ist beauftragt, den in Versailles befindlichen Bundesfürsten die Briefe zu überreichen, wobei ich bemerke, daß S. Majestät dem Großherzog von Baden gleichfalls heute höchsteigen- händig schrieb ; der Brief ist eine Erwiederung auf die großherzog- lichen Briefe und weicht daher in der Form von den anderen wesent- lich ab. Das punctum saliens, Kaiserwürde und Reich, ist natürlich auch enthalten. Sämmtliche Briefe sind bereits auf der Post.

S. Majestät machen, obwohl durch Kaiserbrief und Vollmacht an Minister von Lutz etc. die Sache als entschieden anzusehen, noch immer Schwierigkeiten wegen Bundesexekution, Fahneneid, Bundes- gesetzgebung bezüglich Kriegszustand, Bundescompetenz in Ver- fassungsstreitigkeiten etc. Hat die Bestimmung in § 13 Absatz 2 des Vertrages vom 23. November 1870: ,,Die Bundesstaaten wer- den ihr Bestreben darauf richten, eine Übereinstimmung der Gesetzgebung über Besteuerung auch der Gegenstände (Brannt- wein und Bier) herbeizuführen, hat diese Bestimmung etwas Be- denkliches? Ich bin weder Finanzmann noch Nationalökonom, um diese Frage mit Sicherheit lösen zu können! S. Majestät erhielten heute anliegenden Brief d. dto. Namür 30. XI. 70. Wäre es vielleicht angemessen, H. von Niethammer zu einem Berichte aufzufordern, in welchem jene Belgier, die sich um bayerische Verwundete und bayerische Transporte verdient gemacht, namhaft gemacht werden, um diese durch Handschreiben, ministerielle Anerkennung und dergl. anzuerkennen und hierdurch deren Opferwilligkeit und Eifer zu erhöhen ?

Mit ausgezeichneter Verehrung und Hochachtung Eurer Ex- cellenz ganz ergebenster Eisenhart.

S. Majestät lassen mir eben sagen, daß Allerhöchstdieselben wünschen, es möge Höchstderen Anerbieten des Kaisertitels in der Presse veröffentlicht und dabei das Vorgehen der Krone Bayerns als eine nationale That in das gebührende Licht gesetzt und auf die südbayerische Stimmung in diesem Sinne eingewirkt werden.

Es handelt sich somit meines Erachtens nicht um einen ,, offi- ziellen" Artikel, sondern höchstens um einen als ,,inspirirt" zu betrachtenden; vielleicht gefällt es Eurer Excellenz Freiherrn von Völderndorff oder Dr. Maier mit Abfassung jenes Artikels zu be- trauen, beide wären meines Erachtens der mit Vorsicht zu behan- delnden Aufgabe gewachsen. Ergebenster Eisenhart.

M. St.A.

20. Hohenschwangau 1870 Dezember 4. König Ludwig II. an den Prinzen Adalbert.

(Abschrift.)

Durchleuchtigster Fürst! Ew. K. Hoheit Erwiderungsschreiben vom 28. vorigen Monats habe Ich zu erhalten das Vergnügen gehabt und sage Denselben für die rasche Erledigung Meines Ersuchens (vom 25. November) freundlichen Dank. Ew. Liebden werden aus dem mittlerweile veröffenthchten Versailler Bündnis entnommen haben, daß sowohl die Militärhoheit als auch das Gesandtschafts- recht der Krone Bayern vollständig gewahrt sind und derselben in

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einigen wertvollen Punkten, wohin auch dieTheilnahme bei Friedens- schlüssen zu zählen, eine Sonderstellung eingeräumt ist. Deshalb und um von den zur Zeit in Versailles versammelten Fürsten nicht überholt zu werden, habe Ich in Meinem Brief vom 30. November beim König von Preußen die Führung des Kaisertitels (denn nur dieser ist nach Meinen Intentionen in Frage) in Anregung gebracht und sämmtliche Bundesfürsten sowie die freien Städte brieflich um ihre WiUensmeinung angegangen. Indem Ich dies Ew. K. Hoheit kund thue, bin Ich ... m.h.a.

21. Versailles 1871 Jan. 11. Telegramm Bismarcks an Freiherrn von Werthern.

Prinz Luitpold hat Sr.Majestät dem König, angebhch im Auftrage des Königs Ludwig, mündlich den Wunsch ausgesprochen, die bayerische Armee von dem in allen Verträgen vorgeschriebenen Passus, im Fahneneide die Verpflichtung des Gehorsams gegen den Bundesfeldherrn auszusprechen, zu entbinden und diesen Passus für Bayern zu streichen. Er hat dabei angedeutet, die Opposition sei in Bayern darum so groß, weil man dort gehofft hätte, die Kaiser- würde werde zwischen Bayern und Preußen alterniren, und man müsse darum suchen sie durch eine solche Concession zu beschwich- tigen. Wenn S. Majestät persönlich geneigt wäre, einer solchen Aus- nahme für Bayern zuzustimmen, so würde er dies den übrigen deutschen Fürsten gegenüber nicht durchführen können. Es im Reichstage durchzubringen ist vollends unmöglich. Wenn es daher wirklich die ernste Absicht des Königs Ludwig wäre, was ich nicht glaube, so würde der Abschluß mit Bayern unmöglich und würden auf das alte Bündnisverhältnis zurückgewiesen. Es ist mir aber zweifelhaft, ob das Ganze nicht eine Intrigue ist, welcher der König Ludwig selbst fremd ist. Ich bitte Ew. Excellenz, ohne sonst noch von der Sache zu sprechen, durch Graf Holnstein oder Herrn Eisenhart zu sondiren, ob der König seinem Oheim wirklich einen solchen Auftrag ertheilt hat. h. a. a.

22. 1871 Januar 12., Abends 5 Uhr 55 Min. Telegranim des Grafen von Berchem an das Ministerium des Äußern.

Bismarck theilte mir vertraulich mit, daß Prinz Luitpold im Auftrage des Königs dem Könige Wilhelm den Wunsch aussprach, aus dem Fahneneide die Verpflichtung, den Befehlen des Bundes- feldherrn im Kriege zu folgen, auszunehmen. Diese Concession werde in' Bayern sehr befriedigen.

König Wilhelm verlangte schriftliche Eröffnung; er erklärte für unmöglich, dieß im Bundesrath und Reichstage durchzusetzen, und ward verstimmt.

Bismarck bezeichnet diese Forderung, nachdem die Bestim- mung vertragsmäßig, als identisch mit Fallen der Verträge und im Widerspruch mit den königlichen Briefen der letzteren Zeit und be- zweifelt, ob die Tragweite der Forderung sich vergegenwärtigt wird.

M. St.A.

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23- Aus dem Tagebuch des Großherzogs von Baden

a) Mittwoch, den ii. Januar 1871.

Gestern erbat sich Prinz Luitpold von Bayern eine Audienz beim König und wurde auch sofort empfangen. Der Prinz eröffnete dem König, er sey vom König von Bayern beauftragt mitzutheilen, daß wohl ein wesenthches Mittel, die Verträge in der bayerischen zweiten Kammer annehmbar zu machen, darin hegen würde, wenn der vereinbarte Eid des Heeres nicht in dieser Form beibehalten würde. Die bayerische Armee sey doch ein sehr großer Heerkörper, für den man besondere Rücksichten haben müsse, und daher hoffe der König von Bayern, daß der König von Preußen gerne auf diesen Wunsch eingehen werde.

Der König erwiederte dem Prinzen, er erinnere sich in diesem Augenblick des Wortlautes der Verträge nicht so genau, um eine be- stimmte Antwort geben zu können, allein er halte jetzt schon dafür, daß eine solche Änderung überhaupt und besonders aus dem Grunde nicht getroffen werden könne.

Der Prinz erwiederte, es sey auch nicht die Absicht, den Vertrag zu ändern, sondern nur eine geheime Verabredung zu treffen, daß der Vertrag in diesem Punkte nicht zur Anwendung kommen soUe.

Der König wieß diese Aufforderung ab und behielt sich eine entscheidende Antwort vor.

Der König theilte diese Unterredung heute dem Kronprinzen mit

b) Donnerstag, den 12. Januar 1871.

Über die Angelegenheit des Prinzen Luitpold habe ich folgendes zu ergänzen. Der Prinz hatte den Auftrag dem König einen Brief des Königs von Bayern zu übergeben und hat bei diesem Anlaß die gestern erzählten mündlichen Eröffnungen gemacht. Da nun der König den Brief des Königs von Bayern in Gegenwart des Prinzen nicht öffnete, sondern erst später gelesen hat, so ergab sich folgendes aus seinem Inhalt. Der König von Bayern hatte den ihm durch den Fürsten Lynar überbrachten Brief des Königs von Preußen, wodurch dieser ihn nach Versailles zu kommen einladet, noch nicht be- antwortet. Nun schreibt er aus Hohenschwangau, ein längeres Unwohlsein habe ihn zu seinem Bedauern verhindert den Fürsten Lynar zu empfangen und auch zur Zögerung dieser Antwort genö- thigt. Er bedauere, daß seine Gesundheit es ihm nicht erlauben werde der Einladung nach Versailles zu folgen. Mehr steht nicht in dem Brief und von den sonstigen Fragen, die Prinz Luitpold an- regte, ist kein Wort im Brief gesagt.

Der König hat nun dem Prinzen Luitpold gesagt, die von ihm angeregten Fragen seyen in dem Brief seines Königs nicht ent- halten und auch nicht darauf hingewiesen, daß der Prinz solche Er- öffnungen zu machen habe; ob der Prinz wohl darüber Näheres zu sagen wisse, da die Fragen so bedeutungsvoll seyen, daß man sie doch streng geschäftlich behandeln müsse ? Der Prinz war sehr verlegen, antwortete in widersprechenden Redensarten und brachte endlich folgenden Ausweg. Er müsse wiederholt betonen, daß es sich nicht um eine Änderung des Vertrags handle, sondern nur um eine geheime Verabredung darüber, daß man übereinkomme von der Anwendung der Bestimmungen des Vertrags Umgang zu nehmen.

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Der Jesuit in Generalsuniform in der Gestalt eines bayerischen Prinzen ! Der König brach das Gespräch in höflichster Form ab, es gehörte viel Nachsicht dazu, um höflich zu bleiben. Schließlich beim vScheiden sagte der König zum Prinzen, er werde den König von Bayern direct über diese vom Prinzen vorgetragenen Wünsche be- fragen. Da plötzlich wurde es klar, daß die ganze Sache vom Prin- zen ausgehe, denn er beeilte sich zu sagen: er bitte darum dies selbst thun zu dürfen, er wolle sofort an den König berichten; viel- leicht habe er den Auftrag nicht richtig verstanden. Der König erwiederte nichts mehr.

c) Freitag, den 13. Januar 1871. In Folge der Unterredung mit dem Prinzen Luitpold von Bayern hat Graf Bismarck an Herrn von Werthern nach München telegraphirt, um sich zu verlässigen, ob der Prinz im Auftrag seines Königs gehandelt hat oder aus eigenem Antrieb. Werthern ant- wortet, der König habe keinen officiellen Auftrag ertheilt, d. h. durch das Ministerium oder Cabinet sey die Angelegenheit nicht gegangen und mit dem Prinzen Luitpold stehe der König nicht in Verbindung. Werthern nimmt mit Bestimmtheit an, diese Sache sey von den Prinzen in Scene gesetzt; sie seyen überhaupt bekannt- lich die entschiedensten Gegner Preußens und der deutschen Sache. Bezeichnend für diesen Zwischenfall ist auch eine Äußerung, welche Prinz Luitpold dem König gegenüber bei der genannten Unter- redung gethan hat. Er begründete die Sonderstellung Bayerns im neuen Reiche dadurch, daß er das Kaiserthum nicht als erbhch betrachtet und das Wort Alternat fallen Heß. Leider Heß der König diese Äußerung unbeachtet.

24. Versailles 1871 Januar 12. König Wilhelm von Preußen an König Ludwig IL von Bayern.

(Original.)

Durchlauchtigster Großmächtigster Fürst, freundlich lieber Bruder und Vetter.

Nachdem der von Euerer Königlichen Majestät ergangenen Aufforderung zur Herstellung des Deutschen Reiches und seiner Kaiserwürde die einmüthige Zustimmung der deutschen Fürsten und freien Städte entgegengebracht worden ist, halte Ich es für eine Mir gegen das gemeinsame Vaterland obliegende Pflicht, dem an Mich ergangenen Rufe Folge zu leisten.

Euerer KönigHchen Majestät, Allerhöchstwelche dem Gedanken des Wiedererstehens von Kaiser und Reich zuerst Ausdruck gege- ben, spreche Ich es aus, daß Ich die Deutsche Kaiserwürde annehme, nicht im Sinne der Machtansprüche, für deren Verwirklichung in den ruhmvollsten Zeiten unserer Geschichte die Macht Deutsch- lands zum Schaden seiner inneren Entwicklung eingesetzt wurde, sondern mit dem festen Vorsatz soweit Gott Gnade giebt als Deutscher Fürst der treue Schirmherr aller Rechte zu sein und das Schwert Deutschlands zum Schutze derselben zu führen.

Deutschland, stark durch die Einheit seiner Fürsten und Stämme, hat seine Stellung im Rathe der Nationen wieder gewonnen,, und das Deutsche Volk hat weder das Bedürfniß noch die Neigung

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über seine Grenzen hinaus etwas Anderes als den auf gegenseitiger Achtung der Selbständigkeit und gemeinsamer Förderung der Wohl- fahrt begründeten freundschaftlichen Verkehr der Völker zu er- streben.

Sicher und befriedigt in sich selbst und in seiner eigenen Kraft wird das Deutsche Reich wie Ich vertraue nach siegreicher Beendigung des Krieges, in welchen ein unberechtigter Angriff uns verwickelt hat, und nach Sicherstellung seiner Grenzen gegen Frank- reich ein Reich des Friedens und des Segens sein, ein Reich, in welchem das Deutsche Volk finden und genießen wird, was es seit Jahrunderten gesucht und erstrebt.

Mit der Versicherung der ausgezeichnetsten Hochachtung und wahren Freundschaft verbleibe Ich Euerer Königlichen Majestät freundwiUiger Vetter und Bruder Wilhelm.

M. St.A.

25. München 1871 Januar 24. König Ludwigll. von Bayern an Kaiser Wilhelm.

(Konzept.)

Durchlauchtigster Großmächtigster Fürst, freundlich lieber Bruder und Vetter!

Euere Kaiserliche Majestät haben die Güte gehabt, Mir in dem schätzbaren Schreiben vom 12. d. M. mitzutheilen, daß Aller- höchstdieselben es für eine Ihnen gegenüber dem gemeinsamen Vaterlande obliegende Pflicht gehalten haben, der einmüthigen Auf- forderung der deutschen Fürsten zur Herstellung des Deutschen Reiches und seiner Kaiserwürde zu entsprechen und die deutsche Kaiserwürde anzunehmen.

Mit lebhafter Freude begrüße Ich diesen Entschluß und spreche aus vollem Herzen den innigen Wunsch aus, es möge Gott Euere Kaiserliche Majestät noch viele Jahre hindurch mit der Fülle Seiner Segnungen erfreuen, auf daß der hochherzige Vorsatz Euerer Kaiserlichen Majestät, auf der von Allerhöchstdenselben Selbst be- zeichneten Grundlage des Rechtes und der Gesittung stets Schirm- herr des Friedens, der Freiheit und der Wohlfahrt des Reiches zu sein, im vollsten Maße seine Verwirklichung finde.

Ich hege mit Euerer Kaiserlichen Majestät die feste Überzeu- gung, daß das Reich, in welchem nunmehr die Staaten und Stämme Deutschlands in machtvoller Eintracht verbunden sind, eine dau- ernde Bürgschaft gewähren wird für die Erhaltung und Förderung der höchsten Güter der Nation ; denn die gleichen Gesinnungen, die Euere Kaiserliche Majestät Allerhöchstselbst bei der Herstellung der Kaiserwürde beseelt und geleitet, werden deß' bin Ich gewiß als ein kostbares Erbtheil auch auf die Nachfolger in der Kaiser- würde sich fortpflanzen, bis in die spätesten Zeiten, zum Heile Unseres gemeinsamen Vaterlandes und zum Segen der kommenden Geschlechter.

Genehmigen Euere Kaiserliche Majestät die Versicherung der vorzüglichen Hochachtung und wahren Freundschaft, womit Ich verbleibe Euerer Kaiserlichen Majestät freundwilliger Bruder und Vetter Ludwig.

M. St.A.

IN DER SCHRIFTENREIHE

BAYERNuDEUTSCHLAND

ist bereits erschienen:

M. DOEBERL

Bayern und die Deutsche

Frage in der Epoche des Frankfurter

Parlaments

276 Seiten und 25 Urkundenbeilagen. Brosdi, Mk, 5, Halbfeinen Mk. 6.20

a

er Verfasser, wohl einer der besten Kenner der bayerisdien Gesdiichte, begann mit diesem Buche diese Reihe von Mono» graphien über die deutsdie Pohtik Bayerns im 19. Jahrhundert. Auf Grund eines eingehenden Studiums amtlidier und privater Quellen, die größtenteils bisher unbekannt waren und von denen eine Anzahl im Anhang abgedruckt wird, behandelt Döberl die Stellung Bayerns zur Deutschen Frage in den Jahren 1848 und 1849. Seine Darstellung der Haltung, die der größte deutsche Mittelstaat zur Frage der deutschen Einheit und Ver= fassung, zu Preußen und Österreich einnahm, bildet für uns eine sehr wesentlidie Ergänzung zur Beurteilung der Geschichte dieser Zeit. Die zahlreidien Ergebnisse der Arbeit Döberls sind nicht nur für den Historiker, sondern auch für den Poli= tiker sehr lehrreicb und lesenswert.

Arcßiv für Pofitik und Gescßicßte: Wifßefm Mommsen

R. OLDENBOURGVERLAG MÜNCHEN UND BERLIN

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