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ZUR

GESCHICHTE DER DEUTSCHEN SPRACHE UND LITERATUR

UNTER MITWIRKUNG VON HERMANN PAUL UND WILHELM BRAUNE

HERAUSGEGEBEN

VON

EDUARD S1EVER8.

XXVII. BAND.

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HALLE A. S.

MAX NIEMEYER

77 78 GR. STEINSTRASSE 1902

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INHALT.

Seite

Ueber ruhe- und richtungsconstructionen mittelhochdeutsclier verba, untersucht in den werken der drei grossen höfischen epiker, im Nibelungenlied und in der Gudrun. 11. Von

E. Wiessner 1

Zu Albrecht von Johannsdorf. Von W. B r a u n e 69

Ostgennanisch-westgermanische neuerungeu bei Zahlwörtern. Von

R. L 0 e w e 75

Zi;m Meier Helmbrecht. Von Fr. Panzer 88

Zur gotischen etymologie. Von C. C. Uhlenbeck 113

Ueber Marti Thincso, Alaes/agis Bede et Fimmüene (?), Tuihanti, (langob.) thinx, (got.) ßeihs und (mnl.) dinxen-, dijssendach

etc., (mnd.) dimjsedach etc. Von W. van Helten . . . . 137

Zu Theobald Hoeck. Von A. Goetze 154

Der «'-Umlaut von c in den altnordischen sprachen. VonA. Kock 166

Zu den liedern der Jenaer handschrift. Von Fr. Saran . . , 191

Zu Walther 8i, 30 und 18, 1—28. Von demselben 199

Gän und stän im Memento niori. Von 0. Mendius. . . . . 205 Grammatische miscellen. 12. Zum /-uralaut im angelsächsischen.

Von E. Sievers 206

Die Substantivflexion seit mittelhochdeutscher zeit. I. teil : Mascu-

lina. Von H. Molz 209

Fechten. Von H. Osthoff 343

Ueber einige abkömmlinge der zweizahl in den germanischen

sprachen. Von F. Solmsen 354

Etymologisches. Von demselben 364

Alte Orthographie und moderne ausgaben. Von J. Franck . . 368 Weiteres zu langobard. gdircthinx und thinx (Beitr.27, 148ft".). Von

W. van Heiton 404

Zu Beitr. 26, 1 ff. ;]19f. Von 15. Kahle 408

INHALT.

Seite

Lautlich-begriffliche Wortassimilationen. Zur halbhundertjährigen

geschiclite des begriffs der Volksetymologie. Von J. Kj e d er q vist 409

Untersuchungen zum reimgebrauch Rudolfs von Ems. Von V. Junk 446 Bruchstücke einer althochdeutschen interlinearversion der Cantica.

Von I. J. Steppat 504

Rosenlieimer Nibelungenfragmente. Von W. Braune . . . . 542

Zu Wolfi'am von Eschenbach. Von demselben 565

il/e/^-e bei Wolfram von Eschenbach? Von A. Leitzmann . . 570

Lückeubüsser. Von E. Sievers 572

ÜBER

RUHE- UND RICHTUNGSCONSTRUCTIONEN

MITTELHOCHDEUTSCHER VERBA,

UNTERSUCHT IN DEN WERKEN DER DREI GROSSEN

HÖFISCHEN EPIKER, IM NIBELUNGENLIED

UND IN DER GUDRUN.

ILO

§ 128. In dieselbe kategorie wie die zuletzt besprochenen translocalen constructionen gehören auch die von mhd. läsen. S. Grimm, Gr. 42, 161 (136) und 998 (828). Auch hier handelt es sich um die unmittelbare Verknüpfung eines verbs, in dessen bedeutungssphäre eigentlich das moment der bewegung ganz fehlt, mit ziel- oder richtungsbezeichnungen.

Der spräche des Heliand sind dergleichen Wendungen nicht fremd. Steitmann berührt diese frage in seiner arbeit nicht. S. aber z. b. 2313 Thö (jencjun thea gestöös tö, höbun ina mid irö handim, encli uppan that hüs stigun, slitun thena seit obuna, endi ina mid sehin Utun an thena rakud innan 'Hessen ihn ... hinab in das haus hinein'.

Aehnliche Wendungen mit läzan kehren nicht selten in Otfrieds spräche wider, z. b. trennbare compositionen mit adverbien der richtung: 2,4,55 '0ha thu s/s', quad er, 'fjoles sun, luz thili nidar herasun in lüfte filu scono: das medium, innerhalb dessen die ganze bewegung stattfinden soll, auf die frage 'wo'; 2,5,21 M' sih oiih fon ther hohi thes hitses ni- darliazi; übertragen 2,14,83 Thaz sih liaz thiu sin diuri mit otmuati so nidiri, thaz Ihaz ewiniga Hb lerta thar ein armas tvib ; 5, 25, 5 Nu will ih thes giflizan, then segal nitharlazan. Vgl. auch framJäzan übertragen 4,30,24. Ebenso tharal. 5, 23, 164. Oder das simplex 4, 33, 25 Sar io ihia wila so liaz er sela sina in sines selben, fater hu)d u. ö.

Unter den citierten stellen erscheint, nach unserem modernen Sprachgefühl gemessen, allein die constructions weise in der

1) Den ersten teil der abhandlung s. Beitr. 26, 367—556.

Beiträge zur geschiclite der deutscheu spräche. XXVII. ^

2 WIESSNER

letzten nicht ganz gewöhnlich. Einer wörtlichen widergahe im gegenwärtigen nhd. mderstrebt auch eine andere wendung mit Jdzan, in Otfrieds spräche ziemlich beliebt und übertragener natur: in muat läzan 'in den sinn kommen, einfallenlassen'.

So 1,12,27 Ni laz thir innan thina hrust arges u'ülen gilust] 1,18,4:1 hinan thhies herzen kust ni laz thir thesa ivoroltlnst; 2,19,28 sie lazent in io then in muat, so wer so in Hohes filu duat: Kelle im Glossar s. 353 'ins herz schliessen'; 2,21,41 Ob ir in muat iu lazet, thaz sunta ir io hilazet; 5,4,63 In muat in iz ni lazen; ähnlich 5,7,36 ni meg ih thaz irkohoron, theih iamer fraivolusti gilaze in mino brusti; 38 ivard mir we mit minnu, theih sino liiihi in mih giliaz; ferner 5, 23, 36 tJuiz er hiar minnot gerno, mit minnu thes gifUzit, in muat so diofo Jazit; Hartm. 51 Ni laz thir in muat thin tlüo dat und 123 joli allero iro für laz thir in muat tliin. Das moment der beweguug findet iu derselben phrase iu einem besonderen verbum ausdi'uck 2, 21, 9 Ni lazet faran in thaz muat und 43 lazet qiieman iu iz in muat.

§ 129. Die translocale constructionsweise von mhd. läzen deckt sich grossenteils mit der des nhd. verbs, doch fehlt es nicht an durchgreifenden unterschieden: das gebiet derartiger Wendungen ist im mhd. breiter als in der heutigen schrift- und Umgangssprache. Die niasse der hierher gehörigen fälle lässt sich zunächst in zwei gruppen sondern:

I. läsen verbunden mit angäbe des ausgangspunktes oder des Zieles: das verbum erhält dadurch die befähigung, eine bewegung zu bezeichnen. Im nhd. sind translocale angaben der gleichen art neben lassen ganz geläufig: Gottfr. Keller, Der grüne Heinrich 3, 143 der niemanden in seine iverhstaU lässt. Vgl. DWb. 6, 218 f und 4, 221, c: eine reihe von belegen.

Hartm. Er. 2617 loand er an dem mäntac manec ros erledegte da. diu liez er von der hant sä, daz er ir deJieinez nam: vgl. unser loslassen; ebenso 4393 do muosten st läzen die zoume von denhanden; etwas seltsam 6184 die frotnoen er von im lie, nach dem Wortlaute 'eutliess sie von sich', nach dem contexte aber 'verliess sie'; 6832 er wart ril drute in gelän; 7441 swenn ez {daz ros nämlich) den fuoz zer erde lie ; 7879 swer üf die zinnen sitzen gie und er ze tal diu ougen lie (ähnlich 4393, aber ohne translocale bestiramung 9127); 9300 do sazter sin ahselbein daz ez an jenes brüsten schein, so daz er in niht zuo im liez. Greg. 1679 wold ich gemach für ere, so volgte ich iuwer lere und lieze nider minen muot, übertragen; 2089 mit grözem vlize er in des bat daz er des war mcme, stcenne er wider quceme, daz er in lieze tvider in. A. Heinr. 1259 er hiez sich läzen dar in ; 1269 Zehant do liez er in dar in. Iw. 6562 der mich in die burc liez; 6848 der 2virt sprach . . . und liez st uz den banden sä. nider läzen Iw. 1125. 4373 uud 4978. Auch übertragene wendungeu sind hier anzureihen:

RUHE- UND RlCHTUNaSCONSTRUCTIONEN. 6

1. Büchl. 888 du mäht ez uz dem mitote Um; Er. 564 daz sidt ir uz dem muoie Um; 1050 ich teil mich üs der ahte län 'ausser acht lassen'; 7008 des sidt ir dagen xmd üz iuwer ahte Um; 8413 daz ir der frage habet rat imd st gar üz der aide Uit; Iw. 3263 got der guote, der in üz siner huote dannoch niht vollecliche enUez.

Wo 1fr. P. 68,14 der uns zein ander lieze, ich valt in, odr er valte mich; 150,14 und Ud in zuo zim üf den pUm; 236,18 liezen st (die Jungfrauen) die hersten (Eepanse de schoye) ztvischen sich; vgl. auch 295, 10 Keie ez ors Uez in den walap ; 482, 17 in (den pellicänus) tivinget siner triwe gelust, daz er hizet durch sin selbes brüst, tint Imtz bluot den jungen in den munt; 540,1 Uf Uez er doch den wigant äne gesicherte hant; ebenso 543, 28 er (Gawan) Uez in (Lischoys Gwelljus) üf; Wh. 90, 2 süeziu Gyburg, Ui mich in 'lass mich ein'; 91,22 in Uizens dicke bäten der marcräve und de erlöste diet; 92,6 aUrst ist in Uizens zit; 163,15 doch ivolte si se niht läzen in; 164,1 Si Uez die maget wol gevar dar in; 229,19 viit vreuden wart er Uizen in. Auch die trennbaren compositionen an und nider läzen sind hier anzuführen: Parz. 21,15 ävoij loie tvenic ivirt gespart sin lip, swä man in Icezet an! 78, 21 ävoy nu wart er läzen an. Wh. 402, 18 swer si kan an geUtzen als ez der riterschefte gczem, mit viinem urloube er nem diz mcere an sich mit worten: 'wenn es jemand versteht, sie (als erzähler in der Schilderung) auf einander loszulassen' etc.: der jagdausdruck an allen drei stellen metaphorisch gebraucht. Dem nhd. gegenüber ganz fremdartig klingt Wh. 216, 9 derz firmamentum an Uez unt die siben plä- neten hiez gein des himels snelheit kriegen: Mhd. \vb. 1, 949a. 45 und Lexer 1,60 eitleren diese stelle nicht; an läzen heisst aber auch hier zweifellos 'loslassen, in bewegung setzen', mit dem bilde von der jagd, wie Parz. 782, 14. 15 vom pf erde, bez. vom reiten, nider läzen z. b. Parz. 226, 30 u. ö.

Gottfr. Trist. 880 ern such noch tröst noch zivivel an, daz enliez ouch in noch dar noch dan; 1277 und erwarp, daz man si zuo im Uez; 3428 heizet die jägere keren dan, die siün die warte säzen und sidn von ruore läzen: s. die anm. bei Bechstein; ähnlich. 3444 Hie mite kerten die jägere hin und kuppelten ir hunde . . . imd liezen z'einem hirze und 17294 da begundens in (d. i. in die trünne) ze ruore län: s. wider Bechsteins anm. ; ferner 7045 nu er den heim ze sich geivan und hin zem orse gähie imd dem also genähte, daz er die hant zem britel Uez 'dass er die band zum zügel hin bewegte, nach dem zügel griff'; 8794 übertragen der mir gestvigen hieze imd mich ze spräche lieze ; 9052 nu lie der veige välant einen döz xmd eine stimme so gnulich und so grimme üz sinem veigen giele; 9068 den giel er leider ze samene Uez; 17006 den man von innen niht in lät; 17502 er lie sin ouge dar in: er blickt durch das kleine fenster in die höhle! Nhd. nicht mehr wortgetreu widerzugeben; 18174 f. si hiez die kamerare alle die türe besliezen und nienien ouch in liezen, si selbe enhieze in in län; übertragen 18279 lät mich üz iuwerm herzen niht. Trist. 12638 von dem bette st sich lie (vgl. ganz ähnliche Wendungen im nhd., z. b. er lässt sich an einem seile vom fenster herab. DWb. 6, 226). sich nider läzen 3775. 5614. 9046. 11027. 14693. 16777. 16787. 17320. 18637. 18857. Vgl. auch 10666 und alse Tristan in gie, dem künege er sich ze füezcn lie. Unsiuulich 14223

1*

4 WIESSNER

ich läze ez allez zeiner haut beide liiit unde laut, Beclisteiu 'beiseitelassen, gleichgültig erachten ' .

Nib. 297, 4 got läze in nimmer niere ze Tenemarke in daz lernt; 1876, 2 nu wichet, Hiunen recken, ir lät mich an den ivint; 1881, 4 schuzzen si der gere so vil in sinen rant, daz er in durch die sivcere vmose läzen von der hant; 19iO, 1 Si heten die si ivolden läzen für den sal; 2036,3 daz ir die mortrcezen iht läzet fiir den sal. Mit adverbien der richtung: 216,1 Die vanen hiez er läzen in dem stwme nider, vgl. unser niederlassen = senken; 1777,1 lät si her näher baz; 1910,4 Dancivart liez ir deheinen die stiegen üf noch zetal; 2145, 1 Durch mortrcechen willen so liezen si dar in Guntlier und Gernöt; 2209,1 Lät ah den lewen, meister: wie in unserem dialekt: den hiind ablassen (von der kette). Im gleichen sinne blosses läzen Nib. 888,2. 901,2. 2298,3; auch verläzen 883,4 und 889,1.

Gudr. 69,2 daz kint er üz den kläicen zuo den jungen lie-. 111,1 Der gräve sinen schifman zem Stade niht enliez; 337,4 daz er die snellen helde durch mcere zuo ir kemenäten lieze; 728, 1 Do liezen die von Stürmen ninder üf den se die von 3Iörlande; 751,2 der hiez üf den sant die anker nider läzen; 833,2 so läze wir iuch vri urliuges immer mere üz mines herren landen; 1600, 1 Die vil edele gisel man üz den banden liez; 1697, 1 Vrou mite liez si alle minniclichen dan; übertragen 1003,4 daz mich diu küni- ginne üz der vriuntschefte niht gar läze; 1071,3 vrou Hilde hete nie läzen üz gedanken etc. nider läzen 58, 1. 290, 2. 781, 1. 1141, 1.

IL läsen in Verbindung" mit riclitungsbestimmungen in plirasen übertragenen cliarakters: = 'überlassen, anheimstellen' u. ä. mit präpositionslosem dativ. Nlid. ist diese function von lassen gänzlich erloschen, s. DWb, 6, 223, c.

Hartm. Greg. 3156 daz st liezen die tval an unseren herren got; A. Heinr. 1352 daz liez er liuterUch an got; Iw. 4547 daz siät ir an mich län; 4553 und lät die bete her ze mir; 4572 lät ez an stne hövescheit; 7649 ir müezent ane mich disen strft läzen beide; 7690 d^er strit ist läzen ze mir. Ganz parallel im Er. 4864 Gäwein, daz tuo ich an Keiin unde an dich. Bei Wolf r. ist diese Verwendung von läzen relativ recht selten anzutreffen : Parz. 304,27 diz läze ich an dich; 564,11 tvelt irz an mich län; 633,23 froioe, daz lät al balde an mich 'überlasst das nur mir'; 716,8 lät ir daz peidiu her ze mir: ich wil den kämpf undervarn; 746,26 herre, tvelt irs^) an mich län; 757,6 si liez in äventiure ir minne, ir lant unde ir Itp. Hierher gehört auch die formel en wäge (acc.) läzen, die speciell im Wh. öfters widerkehrt: 3,4 er liez en tväge iewedern tot, der sele und des libes; 11,4 die liezen vaste en wäge heidiu vinden unde fiust; 197,25 daz er sich selbe en iväge liez mit eim so kleinem her; 217, 3 daz ir Iqi unt ere en wäge lät durh Tybaldes rät; 269, 10 ob in da des rtches haut, vater, bruodr

^) So in der 5. ausgäbe , aber auch schon in der ersten. Wenn nicht vielleicht ein verschleppter druckfchler vorliegt (statt irz, wie auch Bartsch und jetzt Martin in den text setzen), wäre -s (= si) nui' auf mal zu be- ziehen, was gedanklich nicht angeht.

RUHE- UND RICHTÜNGSCONSTRUCTIONEN. 5

ioul mäfje ms tcolten Jan in icrif/e. Vgl. auch 25, S und 297, 24. Anders z. b. Gottfr. Trist. 6096 der ivicler einen man sin leben an die tcnge tvelle geben; 13252 nune was da nie^nen, der s/n leben an eine wäge icolie geben. Aehnlich 6162 so loil ich mine jugent und min leben durch got an även- tiiire geben. Oder Er. 5479 du setzest enwäge dinen lip vil sere; vgl. 8628 da von sin Up en tväge stät. Aehnliche Wendungen Iw. 2937. 7346 und 8002. : Cxottfr. Trist. 2421 si liezen ez an die geschiht; 6122 swä so man den vinde under disem lantgesimle, der ze hampfe si getan und an gelücke tvellc Um, tveder er genese oder entuo; 6159 geruochet ir ez danne an got geläzen unde an mich; 10651 disen rät den läze ich bältliche an dich; 15186 iedoch miios' er ez an daz län, duz da tvas wa'ger under den ztcein; 15548 si begunde ir swccre beide län an den gencedigen Krist; 15753 und ir geliip- peter eit, der hin ze got geläzen ivas; 16240 der mir ez lieze an mine kür; 18013 mit micheler areheit bevelhe unde läze ir leben an die mäze; 18104 an swen diu lät er' unde Up. Gottfr. verwendet phrasen dieser art also relativ häufiger als Hartm. und Wolfr. Im Nib.-l. sehr selten: 2103,1 D6 liez er an die vmge sele unde Up (vgl. 361,3); 1965,2 ich hän üf ere läzen nu lange miniu dinc. Ebenso selten in derGudr. : 1210,2 ir sidt an mich niht läzen also höhen rät.

Eine Unterabteilung dieser zweiten rubrik bilden reflexive Wendungen derselben art: 'sich (in vertrauen) jemandem hin- geben, sich verlassen auf jemand'; das DWb. 6, 227 führt für sich lassen mit an oder auf und acc. nur beispiele aus früheren Perioden des nhd. an, in der gegenwärtigen spräche ist diese redensart wol nicht mehr in gebrauch.

Hartm. Iw. 7173 verlegeniu müezeJcheit ist gote unde der tverlte leit: dane lät sich oiich niemen an niuwan ein verlegener man, vereinzelt in Hartm. 's werken; merkwürdiger weise erscheint sich läzen in dieser function dreimal in den ca. 8(X) versen des sog. 2. Büchh's: 156 daz si genäde an mir begie und sich an mine iriwe lie; 420 der sich an sine triwe lät und 791 diu sich danne an einen lät der triwe unde stcete hat. Sporadisch auch bei Wolfr.: P. 417, 29 sivelch Icünec sich last anitvernrät, vil twerhes dem diu kröne stät. Gottfr. Trist. 6384 an swederz ir iuch tvellet län, an kämpf oder an lantstrit, Bechstein 'sich für etwas entscheiden'; 6779 so lät ir iuch doch hiutc, iuircr laut nnd iuiver Hute, an den ich mich ver- läzen hän; in anderer bedeutungsfärbung 7577 sus liez ich mich an koufrät 'verlegte mich auf; wider anders 13999 herre, enlät iuch niht dar an 'kehrt euch nicht daran'. Nib. 159,3 des lät iuch an mich 'darin verlasst euch auf mich'.

§ 130. In den besprochenen zwei bez. drei functionen macht dem simplex das compositum verläsen concurrenz und zwar in der gleichen constructionsweise. Grimm, Gr. 4'^, 1033 (855). Ich behalte dieselben rubriken bei:

6 WIESSNER

I. NM. verlassen in dieser Verwendung ist ganz un- gebräuchlich.

Hartm. Greg. 2L47 das (nämlich daz hnrgeior) tvas im noch hcslozzen vor, und emvart niht dräte in verlän 'eingelassen'; ebenso 2305 nu ge- marJite diu jimcvrouice daz, sioenne si in dar in (in die kemenate) verlie, daz er dar lachende gie. Wolfr. P. 183, 3 sus tvart er in verläzen; 268, 11 Parziväl in üf verliez 'Hess ihn aufstehen'; 653,1 gein dem si kam ge- slichen, alda der in verläzen tvart; Wh. 105,17 cd iveinde wart er üz verlän, diu parte sanfte üf getan 'wurde er hinausgelassen'; übertragen Parz. 444, 12 daz wart ze heder sit getan, diu ors in den walap verlän. Relativ viel häufiger bei Gott fr.: Trist. 11570 und alse dicke, als ez ergie, daz er sin arme an si verlie 'seine arme um sie legte'; 18977 stvenn' er sin ouge an si verlie\ 19081 und cdse Tristan denne sin ougen etesivenne durch äventiure an si verlie, so widerlie s' ir ougen ie als inneclichen an den man. Uebertragen 1201 diu si edle ztt und alle tvege licet' in ir lere und in ir pflege und si uz ir huote nie verlie; 7159 der hat in üz der pflege verlän. N i b. 592, 1 Do löste si in balde, üf si in verlie.

II. Nhd., genauer in der heutigen Schriftsprache, tritt ver- lassen auch in dieser function nicht mehr auf. DAVb. 12, 729 f ; in unserer Umgangssprache concurriert verlassen aber mit ver- mieten, z. b. dieses zimmer ist an einen Jierrn zu verlassen. Auch ohne präpositionale bestimmung: alle ivohnungen sind verlassen (= vermietet).

Hartm. Iw. 7182 ir leben tvas niht verlän an deheine müezekheit; 7718 Do sprach der künec 'daz si getan', ivandez an in loas verlän. Aus Wolfr.'s werken nicht zu belegen. Dagegen bei Gottfr. auffallend geläufiger: Trist. 886 durch disen kriec und umbe daz, sone mohte er sinen vesten wän an ir dewederez verlän, cm haz noch ouch an minne; 7068 do er äne kraft und äne wer so sere türmelende gie und sich an den val verlie: s. Bechsteius anm. ; ferner 9600 sit ich in iuwerm fride hin und minen lib und sivaz ich hän an iuwer ere hän verlän; 9696 siis tvart ez dar an verlän 'man einigte sich dahin' etwa nhd. Aviderzugeben; 10640 Imhet ir 'z clanne an mic/i verlän? 13916 diu zwei {lip und sinne) hän ich so gar verlän an iuch und imvere minne; 15017 tmd sceligiu künigin, als liep cüs ich in süle sin, so si der zorn an iuch verlän; sivaz ir getuot, daz si getan, tiemet uns beide mich und in und leget ez under beiden hin : der sinn des in frage kommenden verses ist darnach 'die Verstimmung (zwischen mir und ihm) sei euch überlassen', nämlich zur Vermittlung in dieser angelegeuheit; 18022 diu ir lehen unde ir lip an die mäze verlät; 19335 in erhaniicie, daz si ir sinne so verre an sine minne umhe niht hcete verlän. In den beiden nationalepen findet sich kein derartiger beleg.

Reflexiv (vgl. s.5): sich verlassen ist heute nur noch mit auf zu verbinden (DWb. 12, 732); mhd. sind an und ze gebräuch- licher.

EÜHE- UND RICHTÜNGSCONSTRUCTIONEN. 7

Bei Otfr. heisst es einmal 2,11,61 Ni firlias sih kn'st in wara in thero liuto fara. Hartm. Greg. 698 der sich ze rehte an in verlät; Iw. 7693 ouch hat sich diu guote . . . so gar her ze mir verlän; 7340 tvand si sich ril gar rerliez ze sinem hoverehte. Bei Wo 1fr. selten: Parz. 824, 19 si hete sich gar an got verlän. Gottfr. Trist. 6781 s. 5 schon citiert; ferner Trist. 8886 ob ich mich's an iuch mac verlän; 10385 möht' ich mich hin ze in beiden einer rede verläzen; 17235 diu iväre wirtinne diu ha'te sich dar inne alrerste an ir spil verlän in anderer nuance: 'sich verlegen auf. N i b. 849, 4 sich an sine trimoe diu schcene künigin verlie. Vgl. Altd. pred. 3, 157, 13 von danne wände ir iuch hinz im verläzen habet unde ergeben.

Im Nib.-l. zeigt einmal erloiiben die gleiche constnictions- weise wie läzen (s. 2f.), verläzen (s. 6):

687, 4 die boten giengen dan da her Sifrit bi KriemhiJde saz. in icas ze hove erlovhet: da von so täten sie daz 'es war ihnen erlaiibt worden, vor das königspaar zii treten'. Grimm, Gr. 4^, 1024 (849). Vereinzelt ist Greg. 1263 Got erloubte dem Wunsche über in daz er Up nnde sin meisterte nach sinem werde. ^)

§ 131. Mhd. raten, nhd. raten, stellt verbunden mit trans- localen bestimmnngen oft in ganz prägnanter bedeutnng 'ich beabsichtige, einen durch meinen rat irgendwohin zu bringen' und zwar von eigentlicher bewegung und übertragen: er riet ihm nach Karlsbad, ich rate dir zu diesem arzte u. ä.; ebenso mhd.; fälle, wo das ziel des rates abstracten Charakters ist, übergehe ich hier:

Bei Hartm. z. b. 1. Biiclil. 582 Du verwizest mir daz, ba;ser lip, daz ich dir riet an daz unp; 1490 daz mir min sin an st riet; Iw. 783 unz mich min herze lerte, daz mir an minen wirt geriet; 1633 bestet si si also mich unde geroet ir her ze mir; 1651 daz si ir täte her ze mir; 2352 dem rieten aber diu ougen her. Noch prägnanter Greg. 58 alliu sündigiu diet die der tiuvcl verriet uf den ivec der helle 'diu'ch seinen bösen rat auf den weg der höUe brachte. Wo 1fr. P. 130,30 dähter an die muoter sin: diu riet an wibes vingerlin; von wirklicher bewegung z. b. Parz. 169,11 loan daz min muoter her mir riet; 225,23 ican ein hüs Vit hiebt: mit triwen ich iu rate dar; unsicher 421, 5 ir rät mir dar ich wolt iedoch, Bartsch 'dorthin, wohin ich ohnedies wollte': ein demonstratives dar ist wol zu ratet zu entnehmen (aus dem relat.). Gottfr. Trist. 8730 so ratet ir ze tcibe imcerm herren, sivar iuch dunJce guot: sirar abh. von dem zu er- gänzenden raten, in bezug auf eine person 'zu der'. Nib. 1083,3 rieten sine vriunde in Burgonden lant zuo einer stolzoi witwen; 2086,2 do ir mir zuo Etzeln rietet, rtter üz erJcorn. Von Avirklicher bewegung Gudr. 1141,4 einen houc si sähen vor in in dem mer und oitch vor dem

1) Mhd. wb. 1, 1017 a. 49 f. und Lexer 1, 653.

8 WIESSNER

berge einen )vaU wtten. da hm hegnnde raten Wate sinen lieläen an den ziten.

§ 132, Die alte spräche verbindet ebenso wie die moderne helfen mit translocalen ang-aben in ausgeprägter bedeutnng: ich helfe dir aus der gruhe, auf den hoden ii. ä., also = 'den weg ermöglichen'. DWb. 4. 2, 951 f. Paul, Wb. s. 213.

Hartm. Lieder MF. 211,3 got helfe uns dar, hin in den sehenden Tcör; El'. 4234 und hilf mir äne schände von disem lande; 5371 oder ich hilfe im üz not übertragen; 6861 daz er dem eilenden man uz dem lande hülfe cJ an] 9388 half erm üf hi der hant wie noch heute ich helfe dir auf; Greg. 2085 der half im üz für die stat; 3007 ich leere durch dine liehe dar, und hilfe dir üf den stein; A. Heinr. 1109 ir hülfe des tages der tot üzer tverltUcher not; Iw. 3864 und half dem lewen üz der not; 4176 mir hülfe von dirr arbeit siveder ez iveste von in zwein, her Gäivein ode her Iwein; 4259 hulft ir mir von sorgen; 4313 ich hilfe in von dirre not; 6342 got eine mac iu helfen hin. Aus Wolfr.'s werken und Gott- fr.'s Trist, sind mir nur wenig derartige fälle zur hand: z. b. Wh. 205,1 Ich half noch Terramere fürbaz gein herzesere 'half ihm noch weiter in herzenskummer, brachte ihn noch tiefer hinein'; ähnlich Parz. 447,15 ^vas des gräwen riters klage, daz im die heileclichen tage niht hülfen gein alselhem site daz er simder tväpen rite.'^) Trist. 4390 den bit, daz er dir helfe heim; 7933 und wem si half üz töcles not; 9603 helfet mir ze libe wider, d.h. 'befreit mich aus dieser todesgefahr'. Nib. 60,3 dar (= in Guntheres lant v. 2) sidt ir mir helfen, vater Sigmunt; 1878,4 er hülfe mir von hinnen; 1920,2 hilf mir, ritter edele, mit dem libe dan; 1922,3 daz du mir helfest himien; 2237, 4 er sach ivol daz im gerne sin neve het geholfen dan; 2259,4 loer sol mir denne helfen in der Amelunge lant? Das raoment der bewegung ündet seinen ausdruck in einem eigenen worte, z. b. Nib. 63,1 Und helfet mir der reise in Bargonden lant; vgl. 64,2. Gudr. 955,1 hülfen in die loinde in des vürsten lant; 1113,4 beginnet sin ieman vären, so helfet ir im, guote recken, dannen; 1334,3 manic ritter guot, die in gehelfen mähten von ir grözen sorgen; 1343,1 Welt ir Kü- drünen helfen üz der not; 1493, 3 Sprüngen sine recken und hülfen im von dannen.

§ 133. In dieselbe gruppe, wie die besprochenen trans- localen constructionen, gehören auch die Verbindungen von biten, (jtbietcn mit Zielangaben; vgl. Beitr. 26,545. Das Mhd. wb. 1,169a. 13 ff. bemerkt zu biten: 'wenn bifcn die bedeutnng von »laden« annimmt ... so ist diese noch jetzt gebräuchliche art zu reden aus der auch sonst gebräuchlichen auslassung eines voll Wortes gleich »gehen, kommen« zu erklären'. Als beispiel wird dabei Gudr. 544, 1 citiert: Hetele bat Hagenen mit im

') Einige weitere citate s. Mhd. wb. 1, 681a. 27 f.

RUHE- UND RTCHTUNGSCONSTRUCTIONEN. 9

hl sin laut] ganz älmlicli die anm. von Martin in der grossen ansgabe. Aelinliclie phrasen sind allerdings auch in der heutigen spräche anzutreffen: ich bitte dich zu mir, auf mein .tinimer u.a.; DWb. 2, 53 verzeichnet wol bitten = 'einladen, invitare', aber nicht dessen Verbindung mit translocalen bestimmungen. An sprachliche ellipse, d. h. Verkümmerung einer ursprünglich reicheren phrase durch verlust eines bestandteils, ist auch hier nicht zu denken. Der fall ist ja schliesslich gar kein anderer als z. b. ich lade dich ein in meine neue wolinung, oder einen irgendivohin rufen u. s. w. Es v/ird richtiger sein, in diesem falle von gedrungener ausdrucksweise zu sprechen, als von ellipse: bitten wird durch die Verbindung mit Zielangabe in seinem bedeutungsgehalt bereichert 'durch bitten (einen irgend- wohin) ZU bringen beabsichtigen',

Hartm. Er. 9769 der loirt mit sinen gesten, clier dar mohte bringen, erbiten unde beticingen,^) si machten eine lidclizU: dar gehört offenbar zu allen drei verben. Greg. 3175 diu gofes stimme sprach in zuo daz si des ncchstcn tages vrito BömcEre (nach Zwierzina a. a. o. s. -414) sesamene bceten. Gottfr. Trist. 3110 unz mich min mtiot hegunde biten und schünden sta'tecUche in fremediu kilnicriche. Häufiger hei Wo 1fr., auch hei he- rücksichtigixng des weit grössern umfangs seiner werke: Parz. 113,14 si düht, si hete Gahmi<reten wider an ir arm erbeten: 343,8 sivar man mm dienest ie gebat; 344, 22 in tödes leger für sich bater die fürsten sines landes;

*) twingen mit zielangahen begegnet auch sonst nicht, selten, eine redensart ganz gleichen Charakters, wie biten, gebieten mit bezeichnung des Zieles: im vcrbum liegt ursprünglich nichts von einer heweguiig. Aehn- liche constructionen sind auch nhd. bei zivingen, nötigen noch möglich. Mhd. z. b. bei Hartm. Greg. 1583 iedoch so man mich sere ie (Zwierzina, Zs. fda. 37, 413) unz her ze den huochen twanc, so turnierte mm gedanc. Uebertragen Er. 562 he^re, ivelch not twinget iuch üf den wän; 3718 wand in freu Minne betwanc üf einen valschen gedanc; l\v. 7790 in tivanc diu minnende not üf disen go'hen gedanc; und ähnliche fälle. Wo 1fr. P. 75,13 die werden twanc diu minnc dar; 130,27 der knappe ein vingerUn da vant, daz in gein dem bette twanc; 495,25 des twanc mich ir minnen kraft gein der wilden verren riterschaft; 558, 19 sicaz frouwen hie stet pfandes, die starkez wunder her betwanc; Wh. 820,20 swen denn sin herze ttvinget ivider hinder sich und niht hin für; oder 387,5 diz mcere giht daz gein dem strit in tioiinge höhiu minne ; 391, 21 daz die kristen imd die heiden gar gedigen alle zeiner schar . . . als obs in einer presse zesamne wcern getwungcn. Gottfr. Trist. 902 so er ie serer dannen ranc, so minne ie mere wider twanc; übertragen z. b. 19411 so was ie daz diu volleist, diu ir herze aller- meist an Tristandrs liebe twanc. Nib. 292,2 si (Siegfried und Kriem- hilde) twanc gen ein ander der seneden minne not.

10 WIESSNER

610,25 der künec Gawänn mit im bat ze Eosche Sabhhis in die stat; 729,4 die hete Artus gebeten e an dirre suone teidinc. Wh. 84, 7 er hete ouch ze vil der schar von Tesreizes krefte, in des geselleschefte üz sin selbes lande dar gebeten; 245, 25 daz si mit im tvcern gebeten üf sinen palas Glorjeten; 383,2 die sine gein dem strite batr. Uebertragen auch 810,4 Ich diene der känstecltchen hant für der heiden got Tervigant: ir kraft hat mich von Mahnmeten iinders toufes zil gchcicn. Wh. 242, 20 si sint ze strite etswä gebeten 'man hat sie irgendwo gebeten, in den kämpf zu ziehen ' ; auch 141, 25 herverte imd reise die gein Oransche sint erbeten ge- hört die richtungsangabe wol zum verb ; 94, 16 ... die besten er mit im hie bat, sine man und al min künne hat wol H. Paul, Beitr. 2, 327 recht, wenn er hat (nach ninopqt) einsetzt. Der fall ist natürlich anderer art als 242,20. Nib. 1362, 3 mit boten harte snellen er bat und ouch gebot zno siner höchgezite; Überschrift nach 666 ivie Günther S/friden zuo der höhzit bat. Gudr. 544,1 ist schon oben (s. 8f.) citiert; 269,4 dar zuo (= zur fahrt) bat man nieman, tcan den der küncc tcol mohte getrouwen. AuchOtfr. gehr&wcht bitten einmal so: 4,6,25 Nihein, quad, thoh thero manno, thi ih hera nu bat so gerno . . . so ninbizit es hiar. Sonst setzt er im selben sinne stets ladön.

In gleicher weise wird mhd. gebieten mit angaben des Zieles verbunden, wenn eine ortsveränderung des objects ver- langt wird. Heute sind dergleichen phrasen nicht mehr ge- bräuchlich: s. DWb.4, 1, 1, 1764. Vgl. aber ähnliche Wendungen: er ivard vor den könig befohlen oder beim fremdwort comman- dieren in der militärischen spräche: auf einen posten, nach Bosnien commandieren.

Hartm. Greg. 568 die iuwers landes tvalten, den jungen zuo den alten suU ir ze hove gebieten, und die iuioerm vater rieten (l.aufl.): Zwierzina, Zs. fda. 37, 412, vermutet ^ Die jungen zuo?^) nominativ!' Die construction ist, falls ich sie recht verstehe (demonstrativpron. den, im casus verschieden vom relativpron., ausgelassen bei voran gesetztem relativsatz) eine sehr harte. A. Heinr. 1460 biten iinde gebieten hiez er allenthalben dar die stnes Wortes ncemen war. In besonderer redeusart Er. 5928 : Haupt schreibt tvan du gähes nimst daz leben einem alsolhen man den diu tverlt niht über- winden kan, und gebeitest eime an siner stat dem ie diu werlt des tödes bat; die hs. hat aber vnd gebeutest ainem an sein stat, von Bech hergestellt als und gebiutest einem an sine stat, wol mit recht; vgl. seine anm. zu der stelle. Iw. 515 so gebiut in vride her ze mir gehört die richtungsangabe natürlich zum subst. vride. Wo 1fr. P. 6,2 sin elter sun für sich gebot den fürsten üzem rtche; 251,10 der lac von einer tjoste tot, als im diu minne dar gebot; 296,14 sin manhcit im gebot gencndecltche an manegen strit; bei vorausgehendem verb der bewegung 403,9 Gäwän fuor dar der künec gebot. Ferner Parz. 816, 16 er gebot ouch an dem selben mal den

') Von Paul in der 2. aufläge in den text aufgenommen.

RÜHE- UND RICHTUNGSCONSTRUCTIONEN. 11

tvtsen templetsen dar (=zumgral); knapp vorher steht neben biten in gleicher fnnction ein bewegungsverb : si bäten den von Zazamanc komen, den diu minne twane, in den temjicl für den gräl: hier fand das inoment der bewegung in einem eigenen verbum sprachlichen ausdrnck, womit natürlich noch nicht bewiesen ist, dass ellipse vorliegt, wenn dies nicht der fall ist; vgl. nur z. b. ich stosse dich zu hoden und ich stosse dich, dass du zu boden fällst. Auch I'arz. 432,29 gehört hierher: nach dem ffräle im Sicherheit gebot 'sein versprechen gebot ihm, nach dem grale zu fahren, ihn aufzusuchen'. Ferner Wh. 254,26 toaz höher mäge uns nam der tot, den diu minne her gebot; 339,3 für Tcrrameren ivas gebot n ... maneger riehen geselleschaft. Aus Gottfr.'s Trist, wäre nur auf 1377 zu verweisen, einen unsicheren fall: s. Beitr. 20, 376. Nib. neben biten 1362,3 (s. 10); Gudr. 3,1 Dem jungen Sigebande man gen hove gebot; nach einem bewegungsverb vorher 231, 3 an angest ich des bin, }Vate rite gerne, sivar ich im gebtute. Altd. pred. 3,21,30 tmde gebot dem Jcu^nige Herode für den Jceiser hinz Borne.

Gleiche constriictions weise zeigt besenden 'holen lassen'.

Z. b. Gottfr. Trist. 5957 vür den {^ Mörolt) so wurden besant ze Kurnetcäle und z' Engelant barune und ir genöze; oder 8045 daz Isöt in den palas vür ir vater tvart besant. N i b. 798, 4 wart der liiene Stfrit haue balde dar besant; 799,4 oder von ivelhen schulden ich da here si besant.

Auch er wein, erkiesen mit Zielangaben gehören in diese kategorie: durch wähl irgendiuohin berufen:, ganz ebenso noch heute, z. b. ins abyeordnetenlmus ivählen u. ä.

Hartm. Greg. 3933 ez kom von sinem geböte daz ich her tvart er weit; oder Wo 1fr. P. 448,18 durch daz der mensche tvas verlorn, durch schulde hin zer helle erkorn ; Wh. 101, 6 tmd daz ivir friunde hän verlorn,, die du dir selbe hast erkorn in der engele gesellekeit; 358,18 daz ist der eltste su/n min . . . zuo den goten Imn ich den erkorn durh sin eilen in min selbes schar. Vgl. auch Wh. 322,13 die belibene sint zer scclde erweit, kiesen: Parz. 478,3 nach im man kos stnen eltsten sun ze künege dar 'zum gral', vielleicht auch weniger sinnlich 'für den gral' (so Bartsch). S. Altd. pred. 3,240,7 da lebt er also hailiclichen, daz er da scicrc zaime apt erweit wart unde ouch do dar nach von der aptai zaime biscofe hinze Turns erweit wart.

§ 134. Für Wolfr.'s spräche charakteristisch und Hartm. wie Gottfr. gänzlich fremd ist die Verbindung von välien 'fangen, gefangen nehmen' (vom kämpf leben) mit Zielangaben, in der prägnanten bedeutung 'gefangen irgendwohin bringen'.

Parz. 85, 7 für daz poxdün reit zwen riiter üf ir Sicherheit, die tvärn hin uz gevangen, und kömn her in gegangen; 388, 14 der tvas gevangen hin in, Bartsch 'war gefangen in die Stadt abgeführt'; 392,21 die der ritter rot hin t'm hete gevangen; 665,3 Gärcl tint Gaherjet und rois Meljanz de Barbiga:! unde Jo freit fiz Idosl die sint hin üf (auf Lögroys) gevangen, e

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der buhurt iccere ergangen; 673, 13 iinrlr eine baniere ivtz ist er hin uf ge- vangen (eine Dg, einer GMgg): 673,22 imrst oueli mtn neve Jo freit hin nf gevangen. Im Wh. begegnet die phrase nicht; Wh. 115, 21 daz er ist un- gevangen hin hat mir formale ähnlichkeit, = 'so dass er entkam, ohne ge- fangen zu werden'.

Aehnliche Zielangaben bei erstr/ten: Parz. 673,20 die hont den pris hin üf erstriieu. Vgl. auch Wh. 412, 17 . . . mange siinderrotte . . . üz den hei er sich erstriten, daz er in ze verre tvas entriten: 'hatte sich im kämpfe entfernt'.

Das DWb. 4, 2, 1003 citiert eine ähnliche construction von nhd. fangen (D. städtechron. 2, 263, 10), die gewis ebenso zit erklären ist wie die eben besprochenen stellen im Parz.: fangen übernimmt hier die function eines bewegungsverbs. Anders die erklärung im DWb. a. a. o.

§ 135, Gleichfalls AVolfr. eig-entümlicli ist die Verbindung von gedihen mit Zielangaben, nlid., d. h. in der heutigen Schriftsprache, nicht mehr wortgetreu widerzugeben: unser ge- deihen verträgt nur abstracte richtungsconstruction. Betreffs der landschaftlichen entwicklung von gedeihen zu einem be- wegungsverb s. DWb. 6, 1, 1, 1988 f.

Parz. 172, 22 nngeverte und hänüi, dar gedihct manec sirii; mit über- tragener richtungsaugabe z. b. 190, 28 was der hurgcere nar gedigen an dise spise gar; oder 345,27 eins tages gedehez an die stat daz si der junge Tcilnec hat nach sime dienste minne. Mehr beispiele habe ich mir aus dem Wh. notiert: 42,29 der strlt gedieh tcidr iif den plan; 114,24 schiere der poynder tcas gedign unz wider gein der {gein den 'Km, an die t) porten; 391, 16 daz die kristen und die heiden gar gedigen edle zeiner scharf) Ferner übertragene Wendungen, die ebenfalls heute nicht mehr möglich sind: Wh. 50,12 shiiu ziveinzec tüsent tvärn gedigen nnz an vierzehen der sine; 89,28 ivas ir icerlichiu kraft gedigen et an den kapelän ; 158, 22 bin ich gedigen in ir schäm, die sma'he ich mir selbe erkös, ich den keiser Karl verlos.

§ 136. Interessant sind auch prägnante richtungsconstruc- tionen von klingen, er Hin gen, die ich in den angezogenen mhd. texten fast nur bei AVolfr. fand: 'klingend fahren, dringen'. Die mhd. wbb. erwähnen diese reichere bedeutung nicht beson- ders. Für das nhd. s. DWb. 5, 1182 -/.

Z. b. Parz. 747, 10 e du begundest ringen, min swert lieze ich Mingen beidiu durch iser unl durch vel; Wh. 346, 30 da swert durch heim erklingen; 883,9 vil Schilde der ganzen lotirden da zerfüeret, manec hehn also genieret daz diu sivert derdurch klungen. Vgl. auch 57, 10 diu sper mit krache loären hei üf in, ze volge unde engegen. Aus den hier berührten mhd. texten kenne ich nur parallelen Nib. 1907, 2 (Bartsch 1970, 2): in A sin loäfen her- lichen durch die helme ranc (Lachmann später dranc) den Etzelen recken

') Vgl. auch 135,23 herre, wol mich warf, daz iwer her komendiu vart in min hüs ist gedigen.

RUHE- UND RICHTUNGSCONSTKUCTIONEN. 13

üzer Hiunen lunt; B hat dafür er klaue; Giidr. 14:67, 3 hcere ich zuo uns vaste vil guoter siccrte erklingen.

Zalilreiclie Wendungen unserer schrift- und Umgangssprache tragen den gleichen Charakter: es wird der akustische effect einer bewegung direct mit angaben des zieles etc. verbunden, die bewegung selber kommt neben den beiden psychologischen hauptmomeuten: akustisches phänomen und localangabe oft nicht in einem eigenen worte zum ausdruck; durch die Ver- knüpfung mit translocalen angaben zur bezeiclmung einer tat- sächlichen bewegung kommt in die bedeutungssphäre des verbs das element der bewegung; z. b. der wind heult durch den ivald\ ich scJimettere das glas zu hoden; eine kugel pfiff an meinem ohr voräher] der hacli rauscht ins tat] der hall saust in die luft; der j^feil schtvirrt von der sehne; der eisenhahnziig imstet in die nacht hinaus] er keucht über die stiege u. s. w.

§ 137. In diese gruppe (s. § 122 ff.) ist auch noch eine dem mhd. Sprachgebrauch eigene redensart zu stellen: mir ist gäch (auch mit werden) in Verbindung mit angaben der ricli- tung auf die frage 'woher' oder 'wohin', entweder zur be- zeichnung einer sinnlichen bewegung oder metaphorisch des strebens z. b. nach einem ziele hin. Im nhd. wäre zu ver- gleichen ich habe es eilig irgendtüohin, die mhd. phrase ist aber ungleich häufiger. DWb. 3, 110 verzeichnet übrigens letztere constructionsweise in dem recht dürren artikel gar nicht. In unserem dialekt wird gncdig (== genötig, mhd. genöte) so ver- wendet: er häts gncdig ins tvirtshaus u. ä. S. v. Monsterberg- Münckenau a. a. o. s. 47 sieht sogar in diesen phrasen mit gäch ellipsen, gewis mit unrecht: die redensart ist dem verbum gclhen völlig gleichwertig, und wer denkt dort an ellipse?

Hartm. Lieder MF. 210, 17 da niemen stcete vinden mac dar ivas mir fjäch; 1. Büchl. 743 im (dem glück) enist ze niemen gäch; Er. 164 zuo in tvas im niht ze gäch; 2649 ze rosse ivart im also gäch; 4-118 wan durch vorhte des ivihes ... u-as im von dem lande gäch; 5ü74 ivirt im ein teil ze (fehlt in der hs.) zorne gäch; 6152 ivart im vome rosse gäch; A. Heiur. 953 dar zuo ist in allen gäch; Iw. 2542 tvart hern Itceine gäch geiväfent von der veste; 4187 mir ivas ze stnen hiäden alze liep und alze gäch; 4989 sus was im an den risen gäch; 5063 im ivart ze dem slage so gäch. Recht häufig- gebraucht Wo 1fr. diese redensart: Parz. 128,15 im was gein Artuse gäch; 141,29 do was im gein dem strite gäch; 150,29 ivus im von dem kilnegc gäch; 196,10 der siinnen ivas gein haclie gäch; 217,6 mir ivaire e mit ir dannen gäch; 281,80 daz im ivas von dem luoder gäch;

14 WIESSNER

338,25 sivem ist ze söVien werJien gäch; 341,15 den ivas yein herhergen guck; 363,13 er fragte tcar im wcer so gäch; 368,22 der meide loas zem gaste gäch; 511,15 sicem ist ze werder minne gäch; 517,12 dem was zer botsehe fte gäch; 536, 4 froive, wiest iu von mir so gäch? 626, 23 dem Icnappen tvas dannen gäch; 731,29 dem muoz gein sorgen wesen gäch; AVh. 122,2 nu dir von mir niht so gäch; 276,8 Rennewarte was zer spise gäch; 315, 10 so gäh v)as im üf die vart; 317, 16 so gäh was im ivider dan; 414, 17 nach den was Bennewarte gäch. Auch 324, 9 im ivas mit zorne gein in gäch gehört die richtuiigsangahe wol zu gäch, nicht zu zorne. Aber Parz. 237, 12 dem was ze hn/oi für si gäch dürfte für si zu knien, nicht zu gäch zu ziehen sein ; vgl. 244, 18 diu selbe kniete ouch für in dar.

Selten erscheint bei Gottfr. diese phrase mit trauslocalen angaben: Trist. 13841 dar ist ir not unde gäch; 18498 und ist iu von mir harte gäch.

Auch im Nib.-l. nicht gerade häufig: 1474,2 tcas in dannen gäch; 1516, 1 Er swanc in üz dem scheffe: dar zuo wart im gäch; 1588, 2 den was ein teil ze gäch nach den küenen gesten. Viel öfter in der Gudr. : 450, 4 den stolzen bnrgceren den ivas ze urliuge gäch ; 830, 4 den was zuo dem strite deste gäher; 840,1 Waten donekhcnen wart dannen gäch; 868,8 im loas gäch zem sande nach sinen vhiden; 1212,2 ir vil schcenen tveschen, war ist iu so gäch? 1263, 1 den ellenthaften degenen ivas von dem Stade gäch; 1358,2 gäclt ivas ir in daz venster.

In concurrenz mit dieser besprochenen phrase steht gähen mit translocalen angaben, bei den drei höfischen epikern und in den beiden nationalepen ziemlich häufig anzutreffen; ich zähle bei Hartm. 25 solcher fälle, bei Wolfr. 34, bei Gottfr. 8, im Nib.-l. 8, in der Gudr. 15.

Für Wolfr.'s spräche charakteristisch erscheint im Parz. öfters snel mit angaben der richtung verbunden, schnell bereit zu: s. K. Kinzel, Zs. fdph. 5, 17.')

Parz. 66, 13 iöi von Norivcege, gein valscheit der trcege und der snelle gein dem prise; 116,8 genuoge sint gein valsche snel; 122,10 der helt tvas gein prise snel; 268,20 diu frouwe mit ir blözem vel ivas zem Sprunge liarte snel; 412,2 gein elln si bede ivären snel; merkwürdig, dass sich diese fälle in die erste hälfte des Parz. zusammendrängen, in der zweiten aber und im Wh. verschwinden. Vielleicht ein blosser znfall ; immerhin müsste man nach der Verteilung der construction auf die ersten 12000 verse des Parz. in dessen folgenden partien und im Wh. zusammen noch mindestens acht belege erwarten ! Kinzel a. a. o. verweist auf die einzige ähnliche stelle bei Hartm. Er. 1642 unde ze allen eren snel Yivän von Lönel. Vgl. auch Otfr. 1,1,64 zi ivafane snelle so sint thie thegana edle.

Als antipoden dieser phrase gebraucht Wolfr. laz mit richtungsbezeiclinung :

') Vgl. auch W. Moebius, Die sprachlichen ausdrücke füi- gradverhält- nisse im Parzival, Leipzig 1898, a. 19.

RUHE- UND RICHTUNGSC0N8TRUCTI0NEN, 15

Parz. 217,12 vtanc werder man gein valsche laz; 420,16 hin ich gein dem strite laz ; wahrscheinlich gehört hierher auch Parz. 636, 3 dar zuo icas ouch niht ze laz gein der herzoginne ir haz; 820,2 Mach ist iemmer al min haz \ gein toiben vollecliche laz; Wh. 267,28 tind anderr miner mäge haz ums et gein mir niht ze laz. Vgl. auch das oben citierte trcege Parz. 66, 12. Es ist übrigens schwierig zu sagen , ob diese phrasen ganz sinnlich gemeint sind 'es nicht eilig haben zu etwas', oder abstract 'gegen- über, in bezug auf etwas lässig sein'. Letzteres scheint mir vorzuliegen Parz. 95, 24 itver reht ist gein mir laz und 292, 8 m/n lop tvcer gein tu niht so laz; vielleicht auch 570, 11 sin wer ist gein mir harte laz. Bei Hartm. vgl. 1. Büchl. 1857 der selbe ist zallen tilgenden laz, ze den Untugenden drcete.

Es erinnern diese mhd. phrasen in ihrer constructionsweise an die redeusart bei Otfried: funs wer d an mit angaben derrichtung: 2,2,32 thaz tvort theist man wortan, iz ward hera in ivorolt funs joh nu buit in uns: 0. Erdmanns benierkung in den Untersuchungen über die syntax der Sprache Otfrieds 2 § 167 'auch bei icerdan steht in mit acc. (wobei unsere stelle folgendermassen citiert wird) iz ward hera in woroW ist in dieser fassung ungenau, ja falsch. Ueber funs, das mit werdan eine geschlossene phrase bildet, darf man hier nicht hinwegsehen. Vgl. ferner 5,8,28 Wio druhtin deta, so imo zam, er unsan lichamon nam, wio er ward ouh hera funs joh nu buit in uns; 5,12,77 Bi thiu simes io zi gote funs mit then minnon untar uns; Hartm. 57 Hina umrd thiu worolt funs: Erdmann (grosse ausgäbe) 'ward bereit zum hingange, hinfällig zum untergange'.

§ 138. Wir wenden uns nun zu einer neuen verbalgruppe, die in der art der Verbindung mit präpositionalausdrücken vom heutigen spracligebrauch abweicht: mhd. genießen und engdtcn. Die person, von der nutzen oder nachteil ausgehen, steht nicht abhängig von präpositionen, die den ausgangs- punkt, den Ursprung einzuleiten pflegen, oder von solchen, die Ortsangaben auf die frage 'wo' vorangehen Wendungen, die uns nhd, in parallelen phrasen geläufig sind sondern mit wider und aceusativ! Eine auf fassung, die uns heute ganz fremd berührt.

genie2:en.

Hartm. Greg. 2947 und tcoldes gniezen wider got; Iw. 3137 sU min vrouwe ir jugent, schoene, rtcheit, unde ir tugent, ivider iuch niht geniezen kan. Wo 1fr. Wh. 208, 12 des muost du geniezen, bruoder, immer wider mich; Tit. 100, 4 des sol ich alles wider dich geniezen. Auch hier verwendet Woifr. das in seiner spräche so beliebte gein statt des bei ihm höchst seltenen ivider: Parz. 213,26 diu mir herze unde sin ie mit ir gewalt be- sloz, unt ich des nie gein ir genöz; 276, 27 och het ichs genozzen gein dem helde unverdrozzen; 787, 30 swie wenc ich des gein iu genöz. Gottf r. Trist. 14373 ez (das getwerc nämlich) genüzze es iemer under in. G u d r. 424, 4 des muge wir da heime ivider den Icünic Hetelen wol geniezen.

16 WIESSNER

engelten.^)

Hartm. 1. Büchl. 559 des ich loider dich engoUen han; Iw. 2013 das si ir grözen trimven | tvider si so sere engalt: Bech übersetzt ' dass sie für ihre treue ergebenlieit gegen sie (= Laiidiue) so sehr leiden musste', bezieht also ivider st zu triuwen: das enjambement würde ja nicht dagegen sprechen. Ebensogut könnte wider st aber auch zu engalt gezogen werden. Wolfr. Wh. 156, 4 enJcelden ichs niht müeze tcider got; aber gein Parz. 167, 11 tump- heit er icenc gein in enkalt; ebenso 227, 17 ivenc er des gein im enkalt. Anders in der Gudr. 194,3 des muosten si engelten von im harte sere.

Ygl. ähnliche coustructionsweise von gehüezen in Hartm.'s Greg. 169 den nieman mac gesüezen noch icider got gehüezen.

Oder andere pkrasen ähnlicher bedeutung und coustructionsweise ; z. b. Iw. 2668 zioäre du hast ie mere Ion ivider mich. Ebenso Trist. 14264 ez (= daz getioerc) hcete es iemer viere icider Marken Ion ttnd ere.

§ 139. yehern. Es fällt dem nhd. spracligebraiicli gegen- über auf, wenn Wolfr. im Wli. 63, 2 sagt: mir wart dtn tug ent- hafter lip ze freiide an dise tverlt erhorn: älinlicli z.b. MF. 25, 35 Do der guote Wernhart an dise tverlt gehorti tvart. Uebertragen Tit. 72, 4 ich icart in dine helfe erhorn. Wir gebrauchen heute gehorn. iverden nicht mehr mit richtungsangaben so sinnlicher natur, sondern nur mit abstracten adverbialen bestimmungen des Zweckes: zu hohen ehren gehören iverden u. ä. Diese diffe- renz der beiden Sprachperioden ist offenbar daraus zu erklären, dass im mhd. die einstige bedeutung des Wortes {tragen) noch ganz lebendig war, wie andere Wendungen beweisen, während sie sich heute ganz verflüchtigt hat, und der geltungsbereich des Wortes auf gehären in seiner ganz ausgeprägten bedeutung zusammengeschrumpft ist. Den geburtsact als eine bewegung, die geburt als einen weg aufzufassen, ist uns in anderen phrasen nicht fremd: zur ivelt hringen und zur ivelt lommen, Wendungen, die im mhd. auch schon leben:

Z.b. Parz. 146,6 dich hräht zcr tcerlde ein reine ivij); ebenso 303, 21; Wh. 191, 17; Greg. 760; anders Wh. 253, 7 von gott: der mich von nihte ze dirre werkle brähte. Oder Greg. 681 mit den vroutven er des jach duz nie (Zwierzina, Zs. fda. 37, 412 nie e?) zer tcerlde qualme ein kint also genceme; 2561 daz ich ie ze der werlt quam. Unsicher sind fälle wie Iw. 3963 der unsadigeste bistü der ie zer iverlde ivart geborn; Trist. 11701 owe, daz ich zer iverlde ie wart geborn! 17448 daz nie von wibes Übe deliein creatiure als uz erkorn ze dirre werkle ivürde geborn: Nib. 517,4 daz ich zer weide ie wart geborn; 2037,4 ezn ivurden küener degene zer werkle nie geborn: zer toerlde könnte hier doch auch auf die frage 'wo' stehen auf der weit.

') Das Mhd. \vb. belegt die fügung in einem einzigen fall (1, 521a. 23 f.).

RÜHE- UND KICHTÜNGSCONSTRUCTIONEN. 17

An dise iverU geborn loerden ist eine der lieblingswendungen in den Altd. pred.3: vgl. 8,36 do er an dise weite gehorn wolt werden und ungemein häufig im folgenden: 12,G. 11. 22,16. 32,32. 74,27.29. 75,40 'ezemverde', sprach er, 'ein man geborn in die weit etc. (in auch schon 32, 32). 80, 5. 81,33. 104, 29 linde alle die die tif dise weit ie geborn imirden. 129,30. 150,35. 168,1. 187,9. 188,33. 192,35. 203,33. 208,3. 210,39. 211,6. 213,38. 220, 42. 222, 2. 228, 17. 232, 36. 235, 9. 236, 30. Die reihe dieser zweifellosen fälle von geborn werden mit translocaler angäbe zeigt, dass auch die im folgenden angeführten nicht etwa zeugmatisch zu verstehen sind, wie dies 176, 29 daz der wäre Davides sun, daz ist der heilige Christus, her an dise werlt ist chomen unde geborn unde gemartert im letzten der drei glieder allerdings der fall ist. 4, 8 den hat iu diu vil here magt, uhiser vrowe Marie, ze tröste unde ze helfe an dise tvelte getragen unde geborn: tragen und ber)t, die beiden synonyma, also formelhaft verbunden; an dise weite gehört, wie die Stellung deutlich zeigt, auch zu tragen; dies ist also tat- sächlich mit bern völlig gleichbedeutend und bezeichnet nicht, wie man nach dem massstabe der uhd. Verhältnisse leicht glauben könnte, den zu- stand der Schwangerschaft, dessen resultat, der geburtsact, dann iu geborn tverden bez. gebcrn zum ausdruck käme, tragen steht also hier iu momentan- effectiver Verwendung: s. Beitr. 26, 398, anm. 1. Ebenso aiich 11,3. 23,16. 31,3. 205,40. 214,17.33. 217,11. Sehr häufig auch neben chomen: 4,34 ivan durch den unde ivider den so ist ocJi uu hiute der wäre gotes su>i, in dise weite chomen unde geborn; ebenso 7,32. 27,5. 11. 15. 34. 214,7. 228,8. 234, 17. 252, 40. Uebertrageu 249, 23 die iuch da habent erborn mit dem •heiligen gelouhen hinzc dem ewigen libe; ebenso 249,27.

Ueber got. gahairan mit richtungsbezeichniing auf die frage 'woher' s. Bornnaiin s. 21. Dem liier citierteii gabaurps us wamhai Sk.IIb wäre aus Otfrieds werk als verwante ausdrucks- weise an die seite zu stellen 2, 1, 10 wanta er (= gott) iz (= thaz wort) fon herzen gtbar 'da er es aus seinem herzen heraus zeugte'; s. vorher v. 8 und 9 Er allem anagifti theru druhtines giscefti, so wes iz mit gilusti in theru druhtines hrusti.

Es fällt hier zugleich auf, dass giberan vom vater gesagt wird, während im nlid. strenge zwischen gehären (von der mutter) und zeugen (vom vater) geschieden wird. Aber ge- hären hat bis in friihnlid. zeit herein ein viel weiteres geltungs- gebiet als heute, insofern es nicht nur von gott als vater (DWb. 4, 1, 1, 1641), sondern auch von den eitern überhaupt, ja vom vater allein (ebda. 1(3 lo f.) gebraucht wurde. Ebenso stehen die Verhältnisse erklärlicherweise auch in Otfrieds spräche: er gebraucht das verb z. b. von gott als vater auch 1, 5, 26 fatere gihorunan ebuneivigan, was Kelle im Glossar s. 171 übersetzt 'aus dem vater geboren als gieichewiger': s. über den

Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVII. 2

18 WIESSNER

ablativisclien dativ der abstammung' Erdmann, Grundz. 2, § 308. Oder von beiden eitern, z. b. des blindgebornen 3, 20, 6 Odo iz firworahtin ouh er fater inti mnater, sie fram so suntig tvarin, tlias sulili lind gibarin u. ö.; für die zeugung des vaters überhaupt (nicht nur gottes) bietet Otfried kein directes bei- spiel; vgl. aber 1, 12, 16 fon in ward ouh gihoraniu sin tnuater 'von ihnen (den königen) stammte auch seine mutter ab.'')

Ganz klare beispiele dieser art bieten aber die unter- suchten mhd. texte: z. b. Greg. 26 und ivcere aber er gehorn von Adame mit Abele: vgl. Martin, Zs. fda. 29, 466. Heute werden dergleichen präpositionale bestimmungen neben passivem ge- bären nur mehr abstract und zwar causal gefühlt, nicht als richtungsangaben; im mhd. ist eine allgemeine entscheidung darüber nicht leicht möglich. Immerhin ist es bemerkensAvert, dass neben geborn, erborn auch zweifellose localangaben auf die fi^age 'woher' erscheinen, um nämlich den geburtsort zu bezeichnen, eine Verbindung, die gegenwärtig nicht mehr ge- läufig ist. Wir setzen in diesem fall gebürtig.

Aus Hartmanns werken kommen noch folgende fälle in betraclit: Er. 1913 gräve Margön, gehören von Glufiön; 6122 Oringles liiez der riclie man, von Limors gehorn; 8508 der was von Winden geborn; 9724 ouch ivärn st beide . . . von einer stat ze Lüte erborn. Greg. 1276 die Hute dem Jcnajjpen jähen, alle die in gesuhen, daz von visclicere nie gehorn wmre dehein jimgelinc so scelden rieh; 2585 ich bin von einem herzogen vil endelichc ge- born; 2571 ir sult mir des verjehen von icannen ir geborn sit. A. Heinr. 49 tmd was von Oiiive geborn. Iw. 6126 nu gehörte ein vrouwe disen zorn: diu tvas üz der stat geborn : vgl. Beneckes anm. zu 6123. S. auch Henricis anm. zu 6126. Bei Gottfr. wie nhd. Trist. 2123. 7744. 8264. 17448. Dagegen 5887 der hiez Gurmün Gemuotheit und ivas geborn von Aff'ricä. Vgl. dazu 2694: von diseme lande ich biirtic bin; ebenso 5386. Oder 10516 ein ritter edel tind uz erkorn, von knnegen unze her geborn.

Aus Wolframs werken hat die hierher gehörigen stellen zu anderem zwecke auch C.Bock (Beitr. 11, 195f.) gesammelt. Ich begnüge mich aber nicht mit einem einfachen verweise, um in der arbeit keine lücke entstehen zu lassen, und gruppiere nach der art des präpositionalausdrucks.

a) Angabe des geburtsortes : Parz. 9, 12 woirstu von Gylstram geborn; 54, 27 von Sibilje uzer stat tcas geborn den er da bat; 56, 1 erst erborn von

') Heute fällt es schon etwas auf , wenn z. b. G. Keller im Grünen Heinrich 4,248 sagt: er denke aber nicht, ihr meister zu sein; denn vor ihm sind andere dtigcwescn, nach ihm loerden andere kommen, und jeder tcurde von der menge geboren [s. Nachtrag].

RUHE- UND RICHTUNGSCONSTRUCTIONEN. l9

AnscJioHwe; 108,9*0 er was von Anscliomve erhorn; 140,27 ein Waleis von der nmoter diu bistn geborn von Kanvoleiz; 473,27* er loas erborn von Prienlascors ; 479, 15* ez tvas ein heiden . . . geborn von Etlmise. Vgl. 728, 23 in möht iu niht gar bediuten ir namn und wan si warn erborn. Tit. 147, 1 Si ivas von Kunadic erborn. Wh. 205, 23* der riche Seciljoys ivas geborn von Palerne; 255,6 und der süeze kümc Tenabruns, erborn von Liwes Nu- gruns; vgl. auch 290,21 so vrägt ich wann du wcerst erborn und 464,29 man list da kunüiclie ir namen unde ir riche, wannen ieslicher loas erborn. b) Angabe der mutter, wie nhd.: Parz. 140,27; 441,9 iif erde nie so schöner lip wart geborn von menneschlichcr fridit nach mhd. Sprachgebrauch unbestimmt; e1)enso 457, 17 nie kiuscher fruht von Übe wart geborn, weil eben, gegen den moderneu Sprachgebrauch, das verbum auch vom zeugen des Vaters gesagt wird : so gleich in der folgenden stelle : Parz. 474, 27 ich bin von einem man erborn, der mit tjost hat den lip verlorn. Ferner 453, 26* der selbe fisiömras geborn von Salmön, üz israhelscher sippe erzilt; 464,8* von icem icas der man erborn] 499, 13 von Ither du bist erborn, Bartsch 'bist aus derselben familie wie er', also von entfernterer abstammung in männlicher linie (wie 453,26); 544,17* er ivas geborn von riters art; 591,6 si .smi erborn von küneges art; 656,15 von des nächkomn er ist erborn; 750,24 sin wtp, von der ich wart geborn; 751,30 ivir hänn ze rehter tjost verlorn, von dem wir bede sin erborn, wider vom vater; 754, 19 ivir rinden unsern rehten art, Hut von den ivir sin erborn. Tit. 38, 2 Der Franzoi- sinne Anphlisen ivart ein kint geläzen, erboren von fürsten künne; 58,2 ich hoire sagen, du sist erboren von der art u. s. w.; 128,2 erst von den Hüten erboren, die niht länt ir pris nider sigen. Wh. 30, 27 des toufes iver ouch niht mtdet, sine snid von den du bist erborn; 121,21 Heimrich und Irmschart, diu zwei von den ivir sin erborn; 131,1 Der was von ritters art erborn; 150,21 loä nii die von mir sint erborn? Es spricht der vater von seinen söhnen! 152,22 die von Heimrich sint erborn; 167,16 tvie hän ich armez ivip verlorn hclde die. von mir reborn tvärcn unde ouch ich von in! 170, 11 ob halt ein tvackerr (vgl. aber Paul, Beitr. 2, 324) garzün von mime geslähte tv(cre erborn; 184,28* der von Karle was erborn, der begienc du Karies tücke; 219,5* er jah, üz israhelscher art ivcer er von einer maget erborn (s. oben Parz. 453, 26); 293, 11 bin ich von iverder diet erborn; 318, 11 daz hcenet manegen edelen man, die erborn sint von miner art; 338, 27 der edele Pompeius, von des gesläht ich bin erborn; 358, 17 daz ist der eltste sun min, von minem ersten ivibe erborn; 462,25 v)ir sulen si loerdecUcher habn durch die diu von in ist erborn.

Wolfr.'s spräche eigentümlich und ohne parallele bei Hartm. und Gottfr. sind Wendungen von erborn mit üz und abstracten Substantiven (s. Bock a. a. o. s. 196) : Parz. 659, 29 sivenne ich gedanke an mich nim duz ich üz freuden bin erborn; 680,3 üz der tjoste geslehte ivarn si bede samt er- born; 732, 17 nu bin ich doch üz minne erborn; 738,21 dise zwene ivärn üz krache erborn, von maneger tjost üz prise erkorn; 763,20 der was üz rchtem i>ris erborn. Tit. 53,2 si warn üz lüterUcher minne erborn.^) Wh.

0 Besternte stellen von Bock übersehen. ') Bei Bock verdruckt.

2*

WIESSNER

288,18 st ivir reborn uz trhve ganz;'') 291,29 daz er uz ir geslehte ende- Uche wcere erhorn. Vgl. dagegen Parz. 140, 1. 2 du bist yehoni von tr/uwen, daz er dich sus kan rimven: doch fügen sich nicht alle angeführten stellen in die beiden von Bock a. a. o. aufgestellten regeln. Jedenfalls geht die behauptung, Parz. 140, 1. 2 sei ' mit dem Wolframschen Sprachgebrauch un- vereinbar', zu weit.

Nib. 400,1 (B: Bartsch 421,1) Er ist gehorn von Rtne; 1691,2 er ist gehorn von Tronije. Gudr. 484,3 diu moliic vil ivol s/n gehorn von küneges kümte; 485,3 si ivas von Portegäle geboren üz dem lande.

•Noch wenige worte über eine andere, naturgemäss nicht häufig auftauchende function von gehorn:

Wir sagen heute z. b. irgendeine eigenschaft ist einem angeboren. Ebenso z. b. in Gottfr.'s Trist. 17936 der seihe distel unde der dorn, weiz got der ist in an gehorn. Dagegen 997 und ist ez danne an ime gehorn Präposition mit dativ, heute nicht mehr möglich. Abweichend von unserem Sprachgebrauch sind auch die trennbaren compositiouen entstammenden participien mit accusativ der person construiert Iw. 6307 Ist iucli diu ar- muot an gehorn und Wh. 455, 11 ist mich von Karle üf erhorn daz ich sus vil hän verlorn?

§ 140. Yerwant in bedeutung und constructionsweise ist mhd. erhen in einigen fügungen: s. Grimm, Gr. 4^, 1047 (867) undMhd.wb. 1,440 a:

a) ein dinc üf einen bei Wolf r. öfters, z. b. Parz. 180, 27 . . . die stat ze Telrapeire. der künec Tampenteire het si gerbet üf sin kint wie im nhd. 'hatte sie vererbt auf seine tochter'; ebenso 213,18 ich muoz doch lasier erben üf alle mine nächkiimn; 824,5 richheit und höher art üf si beidiu gerbet wären. Tit. 126, 2 vil sadde unde minne üf in gerbet hat sin vater und diu talfinette Mahaude, diu sin muoter tvas. Wh. 117, 4 dem ivonet des küneges krie hi, da mit der keiser Karl vaht, der si hat gerbet unde hrdht üf sinen sun. Vgl. bringen allein in dieser function z. b. Parz. 251, 5 der bürge wirtes royäm, Terre de Salvcvsche ist sin nam. ez brähte der alte Tyturel an sinen sun; 455, 19 unt anderhalp icie Tyturel unt des sun Fri- mutel den gräl brceht üf Amfortas; 474,10 ir schilte sint von alter so: Tyturel si brähte an sinen sun rois Frimutel. Aehnlich Gottfr. Trist. 5193 seht, daz hat imver vater Kanel an iucJi geerhet unde bräht. Gleich- wertig trennbare composition, z. b. Parz. 451,7 sit Herzeloyd diu junge in het üf gerbet triuwe; vgl. auch 300,18; AVh. 455,15 von toem ist mich üf gerbet daz ich bin sus verderbet?

b) ein dinc erbet an einen: in den untersuchten mhd. texten zufällig nicht zu belegen. Vgl. Altd. pred. 3, 182, 34 ivan daz himilrich daz enerht hin ze niemen. Aehnlich aber die vereinzelte stelle in Wolf r.'s Parz. 77, 3 Kum ivider, und nim von miner hant kröne, zepter unde ein lant. daz ist mich an erstorben. Gottfr. gebraucht gleichbedeutend vallen an einen

^) Bei Bock verdruckt.

RUHE- UND RICHTÜNGSCONSTRUCTIONEN. 21

Trist. 5889 (s. Grimm, Gr. 4 2, 1044 [863] ) da viel äaz laut an in und stnes hruoder haut, der als wol erbe tvas als er. Ebenso die trennbare com- position einen an vallen Trist. 5213 die stete unde diu kastei . . . diu gab er üf Tristande . . . und ouch diu stncn da mite, diu in ivären an gevallen von sinen vordem allen.

Vgl. endlich auch Parz. 333, 30 Schildes ambet umben gral wirt nu vil güebet sunder twäl von im den Herzeloyde bar. er was ouch ganerbe dar.

Verben der g-emütsbeweg-ung, § 141. Die Zusammenfassung ist hier eine äusserliclie, nämlich nach der bedeutung, nicht nach einer durchgreifenden abvveichung in der constructionsweise gegenüber nhd. auffassung. Die Verhältnisse innerhalb der einzelnen phrasen sind hier recht verschieden.

Vor dem eingehen ins detail sei noch einmal (s. Vorbemer- kungen) betont, dass hier nur präpositionale fügungen zur spräche kommen, und von diesen wider nur solche, in denen die ur- sprünglich örtlich gemeinten Verhältnisse doch noch durch- schimmern. Fügungen anderen cliarakters werden hier über- gangen, oder höchstens als concurrenzen der erwähnten berührt.

§ 142. minnen u. ä.

Merkwürdig- ist die stelle in Gottfr.'s Trist. 13353 du harphest also schöne, daz ich ez an dich minnen sol, wo FB, unserem Sprachgebrauch schon näher, an dir schreiben. Vgl. die anra. bei Bechstein. Wie die stelle aufzufassen ist, zeigt das folgende: ich füere dich ze minnen mit mir und mit ir hinnen und gibe dir ouch alhie zehant dmen geheiz und dm gewant: 'dass ich es dir gedenken werde' (im guten sinn) = 'dass ich mich dir erkenntlich erweisen werde'. Die phrase ist in dem herangezogenen text- material völlig vereinzelt: s. Mhd. wb. 2, 1, 183b. 48f. Dieses bietet auch keine parallele zu der stelle im 2. Büchl. 538 seile, du mimtest andersicar, Bech 'dein liebesdienst gilt einer andern'. Aehnlich aber Trist. 11787 minn' unde meine anderswu! (reim auf da).

Geläufiger als diese recht seltenen richtungsconstructionen des verbs minnen sind solche des Substantivs minne, ob es nun allein steht oder mit einem verb, z. b. tragen, eine phrase bildet. Wir brauchen sie wie das mhd., da sie durch die Unsicherheit des einfachen genitivs (subjectiv oder objectiv) oft geboten sind.

Z. b. Parz. 486, 14 dtirch die getriive minne dier gein sinem tvirte truoc, vgl. unser liebe hegen zu einem; 726, 13 tvoU er denne minne tragn gein miner niftel. In coucurrenz damit der einfache dativ: z.h. Iw. 1424. Andere phrasen: Parz. 283,14 er jjßac der wären minne gein ir gar une wenken;

22 WIESSNER

oder 719, 23 waz Jiän ich unscclic man dem künege Gramoflanz (jetan, sit er gein mtme künne pfli'gt ... minne und unminne gröz? Aehnlicli 495,8 gein wiben minne er muoz verpjlegn. Parz. 439, 27 magtuomUchs herzen rcete mir gein im rütent minne; 684,20 ojj diu arge herzoginne im gein mir rcet unminne. Der stelle im 2. Büchl. 538 ähnlich ist N i b. 53, 3 ich en- wurbe dar mm herze gröze liebe hat. Vgl. auch Altd. pred. 3, 170, 24 daz ir iuch fitzt der heiligen minne paidiu hin ze got unde ouch wider iwern ebencristen.

§ 143. haszen u. ä. Betreffs der constriiction der verben feindlicher gesinnimg mit einfachem dativ vgl. Erdmann, Grundz.

2, § 273—277.

Auffallend Wo 1fr. Parz. 824,15 vil gräven von ir lande begundenz an si hazzen: Bartsch 'h. sw. v., ungern sehen: statt an si würden wir an ir erwarten, wie die andere klasse von hss. auch hat hinze ir; indes auch in diesem ausdrucke liegt ein begriff der bewegung ' : eine merkwürdig ver- worrene aumerkung. hinze ir wäre, was bewegung oder ruhe anbelangt, einem an si völlig gleichwertig; ferner ist Bartsch aber hier ein versehen untergelaufen: nach Lachmanns aiisgabe gehört die lesart hi)ize ir Ggg nicht zu unserer stelle, sondern zu 824, 21. S. dagegen z. b. Walther 106, 19 dar umbe wunder nieman, ob ich an dem künege hazze, hat er ein herze als si da sägent, sol daz niht tverden schin.

Gleichbedeutend haz tragen, gewöhnlich mit einfachem dativ der person construiert.

Wolfr. gebraucht aixch präpositionale Wendungen: Parz. 324,10 ine trage gein im decheinen haz; 450,18 sit ich gein dem trage haz; 461,9 ouch trage ich hazzes vil gein gote; 627,11 doch truoc si iifen knappen haz; 779,29 Parziväl truoc üf si haz. Wh. 75,17 doch trag ich immer gein ir haz ; 266, 8 welch heiden da den grcesten haz äne Tybalden trüeg gein ir; 271,11 ir necheiniu haz gein im truoc; 272,30 so treit er Uhte gein mir haz. Aehnlich Parz. 634, 27 die gein dem künege Gramoflanz mit stcete ir hazzen kunnen tragn. Andere verwante phrasen: Parz. 609,28 sit ir daz, dar ich trage unverkornen haz, so tnot mir iwer loerdekeit beidiu liep Wide leit: dar = gein dem. Ferner Parz. 508,8 sivä man hazzen gein ir bot; 728, 13 und swaz er hazzes pflcege gein Lot von Norwcege; vgl. 693, 24 ir ungetriwer himtl iiver herze in siner hende ligt, dar iiver herze hazzes pfligt. war habt ir iuch durch minne ergebn? diu muoz doch sinre genäden lebn: dar = gein dem. Ebenso steht natürlich ?r«r in bezug auf die person (Itonje), wie sich klar aus dem folgenden diu ergibt. Wh. 349, 29 wan swa er gein rinden liefe haz. Parz. 502, 6 so muosiu haz gein wlben sparn. = haz selbständig Parz. 463, 2 sicer iuch gein im in hazze siht; vgl. 726,26 die gein ein andr in hazze sint und auch 748, 11 in zam ouch beden friunt- schaft baz dan gein ein ander herzen nit. Wh. 112, 26 der wolt keren sitien haz üf den marcräven äne not gehört die richtungsangabe wol zum verbum: vgl. nhd. seinen hass schleudern, werfen auf einen u. ä. Eichtungs- construction bei hassen (wie Parz. 824, 15) ist heute unerhört, in phrasen

RUHE- UND RICHTÜNGSCONSTRÜCTIONEN. 23

mit hass oder in selbständiger Verwendung des Substantivs aber ganz ge- läufig: hnss hegen, nähren, bniten gegen einen nnd z. b. Hannibals hass gegen die Bömer u. ä. Unsicher sind fälle wie Parz. 636, 3. 820, 1 nnd Wh. 267,27: s. s. 15. Bei Hartm. und Gottfr. sind diesen Wolf- ram sehen phrasen nur ausserordentlich wenige gleichen Charakters an die Seite zu stellen: Iw. 150 und ninwan haz ze den vrumen hast und Trist. ■1423 imd han es an mich selben haz, was an Parz. 82-4, 15 erinnert. An gelegenheit zu ähnlichen phrasen hätte es Gottfr. z. b. durchaus nicht gefehlt: er gebraucht haz tragen mit dativ der person ziemlich oft: z. b. 773. 1011. 6229. 8370. 10338. 10420. 13992. 14792. 14814 und liebt überhaupt dergleichen phrasen mit tragen und persönlichem dativ, z. b. 13715. 13923. 14057. 17740. 17766. 19041. 19071. 19173. 19330. Otfried gebraucht einmal in einer ähnlichen phrase in mit dativ: 3, 15, 29 Ni mag thiu ivorolt, ivizit thaz, haben in in thcheinan haz, Job. 7, 7 non potest mnndiis odisse vos.

§ 144. zürnen u.a. Grimm, Gr. 42, 1036 (858). Erdmann, Grundz. 2, § 276, 3. Heute steht das persönliche object dabei gewöhnlich im präpositionslosen dativ, während es mhd. durch an mit acc, ivider, gein eingeleitet wird.

Hartm. Er. 5774 frowe Entte zurnde vast an got; Wolfr. Wh. 92,28 ivan ich gein dir niht zürnen kan. Parz. 259, 26 sus tuot er gein mir zürnen schin, kein sicherer fall, da gein mir auch zu scMn tuon bezogen werden könnte. Die präpositionalformel gehört nicht zu zürnen, z. b. Parz. 346, 21 daz iwer zürnen üf mich get. Vgl. Iw. 7476 iiver haz ist gegangen über imvern givissen dienstman.

In concurrenz mit ich zürne steht mir ist zorn, in gleicher constructionsweise. Vgl. unser ich hin zornig auf, über einen: s. z. b. Kehrein, Nhd. gr. 2,1, § 292; im älteren nhd. auch an einen: Kehrein, Gr. 3, § 232.

Hartm. Iw. 702 ich sach tcol, ime tvas an mich zorn; 2225 ir ist üf mich vaste zorn. Wolfr. Wh. 390,14 im was üf Terrameren zorn; vgl. auch andere Wendungen, z. b. Parz. 114, 10 mm zorn ist immer niuwe gein ir; 114,15 unt bin ein habendiu zange minen zorn gein einem wibe; 360,1 Poijdiconjunzes zorn tvas ganz üf stnen neven Meljanz; 364, 6 al die gein im in zorne sint; 493, 28 got hat zorn behalten gein in ulze lange da; 606, 4 si kan noch zornes walden gein mir; 779,25 so daz er zorn gein ir verlür; 824, 20 sivaz zornes wart gein ir getan. Wh. 147, 1 Itver zorn ist an not bekant gein mir; 157, 12 iver hat dich zorn geler et gein der tumben muoter min? 159,22 ich loil ouch zorn gein ir beivarn. Gottfr. Trist. 13559 doch nam er (der truchsess) ime hin z'ime (Tristan) dar van ein friuntlichcz zorneUn. In den Altd. pred. 3 vgl. z. b. 91 Roths fragment do verstuont sich der heilige man daz der eivige rater sines zornes hin ze den liiden erwinden solte; 216, 25 nu hat unser herre von sinen gnaden sins ungern uotes unde sins zorns her zuns armen sundaren vergezen, und ganz ähnlich zeile 31 gehört die richtungsangabe avoI auch zu zorn, nicht zu vergezzen.

24 WIESSNER

Vgl. bei Otfried die ähnliche constructionsweise von sih belgan: 21,18,15 Thaz mamvilili gihorge, sih zi iamanne ni beige; 3,16,47.48 Zi imo thih ni hilgis, oha thu in samhazdag thaz dtiis; ouh ni beiget loidar mili, oba ih dünn so samalih. Vgl. Kelle, Glossar s. 39, auch Graff, Ahd. präp. s. 255.

§ 145. vorhte (Substantiv). In der heutigen spräche ist richtungsangabe auf die frage 'wohin' daneben wol nicht mehr möglich. Im mhd. erscheint diese fügung aber öfters, in klaren fällen auch in dem berücksichtigten gebiet.

Hartm. Iw. 4423 diu vorhte mid die sorgen die üf ten tac morgen heten w/p nnde man: kein sicherer fall; die richtnugsangahe, dem gedanken nach zu beiden gliedern zu ziehen, gehört grammatisch vielleicht nur zii sorgen: vgl. 7413. Gottfr. Trist. 12158 enliabet nime deheine vorhte her ze mir; 13618 so zöch in aher Tristan und diu vorhte dervan, die er hin z' ime hoete. Wolfr. Wh. 320, 13 ze iicer keinem hän ich daz ervorht: auf die frage 'wohin' oder 'wo'. Nib. 96, 2 durch die starken vorhte ... die si ze dem stcerte heten loid an den küenen man: s. Benecke zu Iw. 3225; 1419,2 tcan ir vorlit ze ir herren diu icas harte gröz. In den Altd. pred. 3 vgl. 118, 26 wan so gewinnet er vorhte hinz got, des hiüde er verlorn hat; so gewinnet er a)tgest unde vorhte hinz den vil mcenicvalten helletcizen. Dazu vgl. im folg. zeile 38 so geicinnet er denne ain vrüde ^inde ain ringez gemüt hinz got.

Auch richtungsconstruction auf die frage 'woher' steht neben vorlite hie und da:

Parz. 268, 7 durch die vorhte von ir man frou Jeschut diu wol getan siritscheidens gar verzagte. Ebenso ist vürhten im Xib. -1. mit von ver- bunden: 1737,3 ja vorhten si den tot von den zivein degenen; 2244,2 do vorht er schaden mere von der Hagen hant.

Aehnliche constrnctionen begegnen bei angest, wenn es den gemütszustand bezeichnet:

Wolfr. Wh. 230,17 teer ist der sarjunt? sul tvir iht angest gein im hän? und 266, 18 dar zuo dühte er sich ze wert, swaz volkes im ist undertän, solt ich angest gein den hän. Gottfr. Trist. 16136 alrerste was sin angest Stare ze dem ungchiuren man. Dagegen von: Trist. 2667 diz mügen wol guote Hute sin; i'ne darf kein angest von in haben. Eichtungsangabe un- persönlicher natur Trist. 14638 nu er des schates von in zwein bescheiden- liche wart gewar, nu Imte er michel angest dar, wan er erkunde sich iesä der väre unde der luge du: dur 'in dieser hinsieht, in dieser sache', übrigens viel zu schwerfällige phrasen, um das farblose wörtchen, das dem reim so sehr entgegenkommt, widerzugeben. Vgl. Iw. 6638 Sold ich Joch einen bestän, da müesc ich angest zuo hon.

§ 146. sorg 671, sorge. Die nhd. fügungen mit für, um, ivegen beziehen sich alle auf die person oder sache, in deren

RUHE- UND RICHTUNGSCONSTRUCTIONEN. 25

Interesse, zu deren gunsten dieser zustand des gemüts vor- waltet.') Mild, sind zum teil andere fiigungen üblich.

Hart in. Iw. 4423 ist schon s. 23 citiert; Iw. 7413 muoz ich aber sorgen üf den tac morgen. Wolfr. P. 325, 8 si jähen das her Gävmn des kanipfes sorge niüese hän gein siner icären manheit, des fürsten der da von in reit. Nib. 1497,2 ich bin ein vremder recJce mit sorge üf degene: Piper bemerkt 'die sorge haben in der richtnng nach hin, d.h. für, da- gegen sorge umbe sorge haben zur erlaugnng von'; eine behanptung, die dem Sachverhalt nicht entspricht. Erstens ist die bedeutimg von sorgen umbc viel zu prägnant und passt, um auf dem boden des Nib.-l.'s zu bleiben, allein 1576,2 jan hänt niht mere sorge dise degene, wan um die herherge; mit umbe wird vielmehr die person oder sache eingeleitet, in deren Interesse man besorgt ist, also wie nhd.;^) ferner hat sorgen üf an den andern stellen des gedichts nicht die von Piper gegebene bedeutung: Nib. 1509,2 hiute muoz ich sorgen üf lieber rriunde tot; 1530,3 si begunden sorgen üf den herten töt^): hier ist mit üf überall das befürchtete nioment an- geschlossen; ähnlich sind wol auch die beiden stellen im Iw. aufzufassen. sorgen üf einen = 'für einen' sonst zu belegen, war mir nicht möglich; an unserer stelle kann aber die bedeutung kaum eine andere sein. Immerhin lautet die formel für das regelmässige nicht, wie Piper sie aufstellt, son- dern etwa wie bei Grimm, Gr. -4^, 1011 (839): ^sorgen ftfheissi etw. besorgen, befürchten; sorgen umbe für etw. besorgt sein'.-*)

Auch andere fügungen erscheinen im Nib. -1. 1399, 2 icir mugen immer sorge zuo Kriemhilte htm. Auch v o n : 2313, 3 ja tet ir diu sorge von Hilde- brande ue; vor: 62, 4 wil ich äne sorge vor allen vtenden sfn. Vgl. auch Gudr. 1030,2 dar zuo ich keine sorge entriwcen nie geivan.

§ 147. Auffallend für unser modernes Sprachgefühl ist Otfr. 5, 23, 46 tha^ nmat ist in io tharasim, ni mugiüi silo freiven henisun: von Kelle im Glossar s. 270 übersetzt 'dahin (nach dem himmelreich) steht fortan nur ihr sinn; hier (auf erden) können sie sich nicht freuen'. Es ist dies die einzige stelle, wo lierasun 'hier' bedeuten soll, gegen eine ganze reihe anderer, wo es überall richtungsadverb ist, herasun heisst nicht 'hier', sondern der nhd. Sprachgebrauch fordert an seiner stelle 'hier'; die auffassung der alten und der gegenwärtigen spräche deckt sich in diesem falle nicht; in Otfrieds phrase liegt 'ihre freude kann sich nicht auf diese weit hier erstrecken'. Nhd. sind

') Mit wegen wird allerdings auch die besorgnis erregende person oder Sache angereiht.

2) Vgl. Nib. 68, 2. 1921, 2. 52, 2 und 843, 4. 512, 3.

3) Vgl. auch Nib. (Bartsch) 1459, 2 IL

*) S. auch Nib. 2024, 3 .s« dahten duz in bezzer locer ein kurzer tot danne lange da ze quelne üf ungefüegiu leit.

26 WIESSNER

richtungsconstructionen von skli freuen, in anderer function allerdings, auch noch geläufig: auf einen oder etwas, auf die Zukunft bezüglich {iihcr etwas geht dagegen auf gegenwart oder Vergangenheit). In prägnanter bedeutung, mit dem neben- sinn der bewegung z. b. er freut sich ins theater ('fi^eut sich zu kommen').

Die untersuchteu mhd. texte bieteu hier zu bemerkuugen fast gar keinen anlass; Trist. 5250 waz fröude ir herze liccte wider ir herren unde ir Jcint = nhd. 'über, in bezug auf; Greg. 3863 der guofe und der gewcere der vreute sich se gote: 'freute sich zu gott', heute noch üblich; vgl. zu gott hoffen. Greg. 3203 ähnlich ze gote wären si vil vrö. Nhd. auf würde stehen Nib. 268, 4 si vröuten sich der mcere gm der höhgezite tagen; 718,1 Allez duz gesinde freute sich dar zuo daz si komen sohlen; 1302, 3 vil manic hell genieit sich vreute gen dem schalle; 1322,1 Gegen der geste kämfte vreute sich ir muot.

§ 148. tvän u. ä. erscheint mhd. oft mit richtungsangaben die frage 'wohin', natürlich übertragen. Grimm, Gr. 4-, 1033 (856). Borrmann s. 30.

Hartm. 1. Büchl. 1077 ein vil ungeivisser tvän den ich zuo ir minne hän; 1115 durch wän üf ander minne. Iw. 1756 und hän auch noch ze vreuden wän. Gottfr. Trist. 4641 sicer ... üf duz lörschapelekin tvän äne volge ivelle hän; 5825 herr', unser tröst und unser tvän der wus also hin z' iu getan 'euch gegenüber'; 12972 des nam in lützel iemen tvar: niemen hcete tvän dar 'niemand hatte hiervon eine ahnung'. Vgl. 12692 wun niemen wände niht derzuo. 19061 er wolte liehe und liehen tvän wider die muget Isöte hän; 13557 ern hcete deheinen wän dar an. Aehnlich arcwän (nhd. 'gegen', gewöhnlich mindestens): Trist. 13721 der zwtvel unde der arcwän, den er zem neven solte hän; vgl. Altd. pred. 3, 185, 27 daz diu lute hinz ainen andern arctcan huhent duz ist vil mennislich. ztvivel wird von Gottfr. sonst mit an c. dat. construiert, ganz wie nhd.: s. Trist. 13798. 13800 und 13821; vgl. auch Hartm. Greg. 161. 2698.1) _ Nib. 49,2 sit er üf statte minne tragen tvolde tvän; 722,3 reit mit sinen fritmden Sifrit der degen und diu küniginne dar si het vröuden wän: dar steht nicht vielleicht für dar da, sondern gehört ganz organisch zu wän; 987,4 die Sifrides dcgne heten zuo dem strite wän; 1917,4 heten sine vinde ze lehne deheiner slahte wän.

Aehnlich wird mhd. tröst u. ä. construiert: vgl. nhd. ;zu- versicht auf vertrösten auf Graff, Ahd. präp. s. 50 und 255. Bei Otfried in c. acc. 1, 23, 45 Ni drostet iiiih in tliiu tliing, tliaz iagilih ist ediling.

*) Wo 1fr. dagegen setzt au einigen stellen des Wh., die ich mir notierte, gein: 150,2 oh du zwivel hast gein mir; 150,9 oh du zwivel gein mir treyst; 262, 12 min vroiave . . . gein der ich zwivel nie geivan.

RUHE- UND RICHTÜNGSCONSTRUCTIONEN. 27

Hartm. 1. Büchl. 843 wan der hluome ... hat zuo dem meien tröst, daz er danne tverde erlöst von des winters hant. Iav. 5168 auch hete mm her Iwein grözen tröst ze den zwein, daz got und ir imsclmlde den geioalt niene didde u. s.w. Wo 1fr. P. 366,14 zuo dirre ungeschihte sol iwer kümfteclkher tac uns troesten, wander trcesten inac.'^) Wh. 219,9 hän ich dich durch den verlorn, den sin selbes kümie hienc . . . zuo dem htm ich kleinen tröst daz u.s. w. Altd. pred. 3, 83, 11 er uniroste unde unvrouie si her ze disem lihe, unde frouie iinde tröste si vil wol hinz dem ewigen Übe.

§ 149. Im heutigen iihd. lieisst es regulär ich Jioffe etwas von dir = 'erwarte, dass du es mir mitteilst', oder allenfalls auch 'dass du es besitzest'. DWb. 4, 2, 1671 (ein einziger beleg). Ueber hoffen in, auf mit acc. und mit zu s. ebda. 1669 f.

Im mhd. spielt bekanntlich dingen die rolle unseres hoffen. Betreffs der constructionsweise dieses verbs s. Grimm, Gr. 4'^, 1034 (856). Die herangezogenen mhd. texte bieten hier äusserst spärliche belegsteilen. Zudem sind die mhd. Verhältnisse in diesem punkte etwas verworren: diesem dingen = 'hoffen, er- warten','-') im alid. verbum nach der 3. sw. conjugation (Braune, Ahd. gr. § 368 f.), steht nämlich in der bedeutung recht nahe das im mhd. formal identische dingen, im ahd. verbum nach der 2. sav. conjugation (Braune, Ahd. gr. § 366 f.), = 'unter- handeln, sich ausbedingen '.^^) Die constructionsweise des persön- lichen objects scheint die gleiche.

Hartm. 1. Büchl. 1864 als ich an got gedinge 'wie ich zu gott hoffe'. Wo 1fr. P. 175,29 ouch solt an iuch gedinget sin daz ir der meide ir vingerUn liezet, op siz möhte hän: das Mhd. wb. 1, 336b. 44 ff. schwankt hier zwischen den beiden dingen; Bartsch in seiner anm. entscheidet sich für das zweite (s. oben), mit recht, in rücksicht aiif den Zusammenhang. Sicher liegt das zweite dingen mit richtungsaugabe vor Parz. 266, 28 ich pin im liep, er lasset mich als ich gedinge wider dich. Vgl. aber 374, 4 öwt er stolz werder man, ivaz ich gedingen gein im hän! 'welche (grosse) hoffnung- setze ich auf ihn!' Das erste dingen mit richtungsconstruction dürfte auch Wh. 254, 11 zu sehen sein: )iu ding ich, herre, an iwer zidit . . . daz irz niht ivizet mir.

§ 150. In dieser verbalgruppe sind auch die dem mhd. Sprachgebrauch eigenen richtungsconstructionen (auf die frage 'wohin') bei rechen, gerich, räche am besten zu behandeln (Grimm, Gr.4'-^, 1035 [858]). Heute herscht durchaus eine fügung:

0 Gigg gein\ vgl. die anm. bei Bartsch.

2) Graff 5, 180. Mhd. wb. 1, 336 b. 20 ff.

3) Graff 5, 189. Mhd. wb. 1, 337 b. 33 ff.

28 WIESSNER

rächen eticas an einem, sich räclicn, räche nehmen an einem^ die räche an einem. Andere lebten nocli in frülmhd. zeit, s. Kehrein, Gr. 3, § 230 und 313.

an mit accusativ: einmal bei Wolf r. P. 824,21 imsclmlde manger an si räch (Ggg hinze ir). Vgl. nf mit acc. Parz. 529, 1 froioe, das ist sin räche üf mich.

über mit accusativ : s. Mhd. wb. 2, 1, 683 b. 31 f. Lexer 2, 359. D Wb. 8, 26. Gudr. 1278,2 daz sol ich Mnt rechen also über dich. Vgl. Iw. 4504 wold er daz rihten über mich unde lieze den gerich über mm unschiüdigen Teint; Wh. 350,2 nu sol din gerich über dlner basen tohter sin. Aehnlich Iw. 1677 disiu znlü wit dirre gerich gienge bilUcher über mich und 6760 über den gienc der gerich.

Wolfr. gebraucht die von ihm allenthalben begünstigte präposition gein auch hier öfters : Parz. 516, 9 ich künde ouch tvol gerechen dar gein der fromven icol gevar; Wh. 266,29 gein mir und al der u-tpheit solt un- gerochen sin ir leit. Aehnlich Parz. 330, 10 ez ist ein strenge schärpf gerich gein mir mit ivorten hie getan; auch 324, 18 ich enhet im rollen art mit Tcampfe rede ze bieten, mich räche gein im nieten. Weniger auffallend neben heren Parz. 169, 20' t(nd gein dem tiuvel kern gerich.

Mit ortsadverbien der richtung: Parz. 29,24 swar ir icelt, darst min gerich: die adverbien beziehen sich natürlich auf personen; 450,1 Ob ich Meinez dinc dar (Ggg da) rceche, ungern ich daz versprceche, ichn holt ein kus durch suone da: dar = gein in, die Jungfrauen sind gemeint.

Man könnte daran denken, Wh. 340, 2 dar nach si fürbaz ivolten üf

die kristenheit durch räche zu Parz. 529, 1 zu stellen, d. h. durch r. üf d.

kr. zu construieren : immerhin könnte die richtungsbezeichnnng auch von

fürbaz icolien abhängen : vgl. 339, 27 durh daz wart gesworn ein herrart uf

-die kristeyHieit.

Eeclit häufig ist aber im mhd. auch die unserem Sprach- gebrauch parallele constructions weise: rechen an mit dativ der person.

S. Hartm. Er. 136. 1038. 5761. 6107. 1. Büchl. 39. 69. 159. 523. 931. Iw. 858. 1545. 1673. 2473. 3997. 4241. 5001. 5069. 5207. 5849. 7558. Wolfr. P. 80,14. 421,9. 507,16. 554,12. 641,5. 698,7. 713,28. Tit. 69,3. 122, 3. Wh. 108, 26. 177, 24. 206, 18. 208, 14 (gerich). 217, 6. 219, 20. 237, 8. 304,8. 306,22. 408,24. Gottfr. Trist. 8626. 10183. 15615. 16588. Nib. 19, 2. 931, 3. 1703, 4. 2049, 4 (B Bartsch 2112, 4). 2095, 3. 2264, 3. errechen 2023, 2 (vgl. Bartsch 1879, 8 II). Gudr. 311, 4. 627,3. 712, 4. 837, 4. 845, 4. 846, 4. 901, 3. 1047, 4. 1365, 4.

§ 151. Hinsichtlich der richtungsconstruction ist auch der antipode von (sich) rechen hervorzuheben, die dem nhd. verzeihen entsprechende mhd. phrase verkiesen üf einen mit oder ohne acc. des objects: s. Benecke, Wb. zu Iwein s. 316 und Grimm, Gr. 4 2, 1023 (848).

RUHE- UND RICHTUNGSCONSTßÜCTIONEN. 29

Hart in. Iw. 7320 ich ivil iif dich verkiesen. Wolfr. gebraucht die phrase ziemlich oft: Parz. 58,9 er hat si daz se üf in verkür, swer den mag durch si verlür, daz si von im gesuochet ivas; 428, 17 helft mir daz min schulde min swestr üf mich verkiese; 428, 19 ich verkiuse üf iuch min herzeleit; 428,27 Kyngrimursel och verkös üf den kiinec, der in da vor verlos, daz er im stn geleite brach; 4G5, 11 ir sult üf in verkiesen; 471,23 ich enweiz op got üf si verkös; 503,19 des verkös Kingrivmrsel üf Gäioän; 614, 10 nu sidt ir des geruochen daz ir zorn verlieset unt gar üf mich ver- kieset; 614,26 frouive, ich hän üf iuch vcrkorn; 779,26 so daz er zorn gein ir verlür und äne kus üf si verkür. Wh. 184, 27 ouch wart des künges nit üf den marcgräven verkorn; 309,3 Sivaz iu die heiden hänt getan, ir sult si doch geniezen län daz got selbe üf die verkös von den er den lip verlos. Hierher zu stellen ist auch Parz. 441,18 al min gerich sol üf dich, neve, sin verkorn ; während hier die Stellung klar die construction erkennen lässt, fehlt dieses kriterium 779,12 si n-arp daz ein räche üf si verkoren ivcere: räche üf einen kommt bei Wolfram in einem sicheren fall ja vor: Parz. 529, 1 (s. 28). üf si gehört aber hier wol doch zu verkiesen ; das sporadische räche üf muss mit seinen ansprüchen dem geläufigen verkiesen üf wol weichen. Einmal setzt Wolfr. statt üf auch an: Parz. 51,3 daz hat min kus an si verkorn. Auch gein: Wh. 69, 5 küsse midi, verkius gein mir swaz ich ie schult getruoc gein dir. Parz. 267, 16 ein man, gei)i dem ist min gerich äne ir bete niht verkorn: ein unsicherer fall in formaler hinsieht, da gein nach Wolframs Sprachgebrauch zu gerich wie zu verkorn gehören kann; für letzteres spricht aber die Stellung. Unentschieden muss man dagegen Parz. 750, 22 lassen: gein mtnem vater der gerich ist minlialp noch unverkorn. Nur ganz äusserlich ähnlich ist Parz. 445, 20 diu vlust gein vinden was verkorn, Bartsch 'dieser verlust war für ihn zu Verschmerzen im vergleich mit dem funde'. Bei Gottfr. und in der Gudr. kommt verkiesen üf einen nie vor. Nib. 1054,1 si verkiesen wolde üf Günther den haz (Piper merkt an ' «/ G: abh. \on haz'); 1055,3 si verkös üf si alle, ivan üf den einen man: Piper ^verk. üf, aufgeben (nämlich den hass) mit bezug auf: die richtungsangabe hängt nicht vielleicht vom (gesetzten oder ausgelassenen) object ab und nur indirect von verkiesen (bei fehlendem object), wie man nach der ersten falschen construction Pipers glauben müsste. Das zeigen evident fälle wie herzeleit verkiesen üf einen Parz. 428,19 u. ä. Nib. 1400,2 mit küsse minnecliche si hat üf uns verkorn daz ivir ie geläten. Vgl. auch 1142, 13 II (Bartsch).

Bei Wolfr. wird auch das in der bedentiing liier nicht weit abliegende suoue = 'versühnung' mit gein und dativ der person verbunden, was in der heutigen Schriftsprache keine entsprechung hat. lieber ähnliches im Heliand s. Steit- mann s. 88.

Parz. 267, 3 nu erläz mich, küener degen balt, suone gein disem tvibe ; 267,7 gein der gunerten herzogtn mag ich suone gepflegen niht; 271,29 daz volc tvas al geliche geil das suone was worden schin gein der sceldebernden herzogin.

30 WIESSNER

Schliesslich sei hier noch eine sehr seltene constructions- weise von mhd. äröinven verzeichnet: nämlich verbindnng mit richtungsangabe, wo wir heute mit setzen:

Iw. 5285 swes ich mich vervueze icider unsern herren got, des gerieng ich schaden unde spot. herre, zuo dem dröt ir mir. ich getrutv im helfe haz dan ir: Benecke 'dieses ztio ist zu merken'; Bech verweist anf Wh. 221, 29 der künec Tyhalt hin zer tvide Arahelen dicke dreute.

§ 152. Richtungsangaben auf die frage 'wohin', welche die person oder sache bezeichnen, mit der etwas verglichen wird, erscheinen im mhd. manchmal, abweichend vom heutigen Sprachgebrauch, bei den verben des vergleichens. Die anderen fügungen dieser verben bleiben hier unberührt. Für die spräche des Heliand vgl. Steitmann s. 38.

genözen. A. Heinr. 464 man mähte icol genözen ir kintlich gemüete hin ze der enget güete.

geliehen.

Wb. 200, 16 //• tohter, diu so liehten sch/n gap daz ich die heide mit ir mangem underscheide . . . gein ir niht geliehen mac. Zu Wh. 268, 24 dar mag ich niht geliehen vgl. die bemerkungen von Panzer und Kraus, Beitr. 21, 236 bez. 558 f. Wh. 366, 7 ist iht wizers danne der sne, het ich daz gehceret e, so müht ich wol geliehen dar daz Tyhalt an im hete gar.

Wolframs spräche eigentümlich ist mezzen gein (mit dativ) + objectsacc. in dieser bedeutungsfunction: vgl. Mhd. wb. 2, 1,201b. 15 f. 'Die tropische bedeutung: prüfen, genau betrachten, mit dem wirklichen oder geistigen äuge, vergleichen (wie ja jedes messen ein vergleichen ist)'.

Parz. 145, 3 des site man gein prisc maz: niezzen steht hier nicht in der farl)losereu bedeutung von 'vergleichen' =^ sehen, erwägen, ob zwei gegenstände etc. gleiche merkniale besitzen oder nicht, sondern in einer reicheren bedeutungsfunction = zum bewusstsein kommen oder wissen, dass sie gleiche merkmale besitzen. Also der sinn der stelle ist: 'dessen benehmen man mit pris in beziehung brachte, pr?s an die seite stellte', d.h. 'dem man jjr/s zuerkannte'. Ebenso 162,19 et ninder nach der site kür, die man da gein prise maz; 275, 16 ir site man gein prise maz. Vgl. auch z. b. 284, 16 ff. zelent si Gäwänen . . . gein wcrdeclicher prises kraft . . .? 309, 29 die man da gein prise maz. Ferner Parz. 172, 23 diz (nämlich das gesagte) mezzet gein der minne, der oben erwähnten allgemeineren bedeutung von ' vergleichen ' entsprechend. Parz. 333, 17 swaz äventiure gesprochen sint, diene darf hie niemen mezzen zuo- 436,23 wes mizze ich freude gein der not. Tit. 33, 1 Swaz man an reinem ivibe sol ze ganzen tugenden mezzen. Wh. 189, 25 ich moize iu dinges dar genuoc gein dem der den

RUHE- UND ßlCHTUNGSCONSTRüCTIONEN. 31

zuher trnoc, xcan deiz hi von im smaJiet sagt Wolfram nach dem liebevoll ausgesponnenen vergleich Renuewarts mit einem adlerjungen. Anders ist Parz. 233, 23 zu fassen durch die Ithte in (den grunät juchant) dünne sneit stver in zeime tische maz, ungefähr 'messend bearbeiten, herrichten'; 292, 19 her Heinrich von VeldeJce stnen houm mit kunst gein iirerm arde maz: frau miune ist angesprochen; die bedeutung von mezzen dürfte hier etwa 'anpassen' sein. 337,6 ich Jcunde w/ben sprechen haz denne cds ich sanc gein einer maz: Bartsch 'als so wie ich meinen gesaug einer gegen- über gestaltete'; 434,15 der tjoste poinder gein im maz: vgl. auch nhd. sich mit jemand messen. In der übertragenen bedeutung 'prüfen, erwägen' steht das verb wol Parz. 424, 13 mäzen siz an manege stat und Wh. 181, 29 der muoz vil eben mezzen dar, ob er mir werdekeit bewar.

Ohne ein verb wie 'vergleichen' u. ä. ist zur einführung der person oder sache, mit der etwas verglichen wird, nhd. gegen = 'verglichen mit' ganz üblich: z. b. gegen seinen hruder ist er ein Schwächling. Ebenso stehen in diesem falle mhd. wider und gegen. Wider ziehen Hartm. und Gottfr. wider vor, Wolfr. gein. Ich führe nur eine reihe von beispielen an, ohne auf Vollständigkeit der belege anspruch zu machen:

Hartm. l.Büchl. 650; Er. 426. 4271. 6809. 8280. 8811. 9237; Greg. 847; Iw. 4901. 6341: überall ivider. Wolfr. P. 66,25. 188,6. 445,20. 583,11. 601,2. 656,7.8 herre, siniu 'wunder hie sint da eng ein kleiniu iminderltn, ivider den starken unindern sin dier hat in manegen landen: ivider im zweiten fall, um im ausdruck zu wechseln, wie mhd. in der epik oft; 755,21; Wh. 326, 13. 426,10. 434,14: überall gein. Gottfr. Trist. 2279. 3643. 4273. 4841. 8259. 8293: überall wider. N ib. 48, 2 und 779,2 wider; 684,4 gegen.

§ 153. Mhd. fernen, gezemen wird mit angaben trans- localer und intralocaler natur verbunden, beides bei nhd. memen, gemeinen heute mindestens nicht häufig; passen, gehören machen hier dem verb starke concurrenz. Ein nhd. beispiel aus Herder für ziemen mit translocaler bestimmung s. bei Heyne, Wb. 3, 1441, a) Mit translocaleu angaben: Wolfr. Wh. 128, 18 er zaame in eime strite michel haz denne an den tanz, wo im selben satz translocale und intra- locale auffassung wechselt: die bekannte Variation des präpositionalen ge- füges, vgl. Benecke zu Iw. 3225. Uebertragen Parz. 721, 10 ictwcder einen gesellen nam, der üf die reise wol gezam.

b) Weit öfter mit intralocalen angaben, manchmal nhd. recht auf- fallend: Hartm. Er. 3741 der ist ivünnecUch ir lip und so tvol genmme daz si baz bi tu zäune danne dort an jener stat; darnach ist wol auch 1. Büchl. 1469 wan st Z(cm wol an eins engeis stat dativische fügung an- zunehmen. Er. 5893 oive tvie ivol ich arme gezim an dinem arme! 9432 auch zceme disiu frouwe baz, diu disiu jär hinne saz, wider andern wiben.

32 WIESSNEß

10071 wer zceme has an stner stat? Greg. 2801 ez zceme haz in dlner haut ein hoHice unde ein gart. Wo 1fr., ausser dem oben citi erteil fall, Parz. 311,28 etsUcher zmn haz an der wide; vgl. auch 741:, 16 goi des niht langer mochte, daz Parziväl daz re nemen in stner hende solde zemen. Gott fr. Trist. 711 u'ie zimet der schaft in siner haut! 10169 oive der liehten hende, ivie zimet daz swert dar inne! Uebertragen 4591 daz man ez gerne verneme und an dem mcere tvol gezeme, wobei nach mhd. Sprachgebrauch dem accusativobject ez des ersten gliedes ein uominativ ez als subject zum zweiten zu entnehmen ist. Trist. 4651 so nemen wir an den bJuomen war, op si so wol dar an gezemen dürfte wol auch iutralocal aufzufassen sein, dar an = an dem loberise; vielleicht aber auch = an daz loheris^)

§ 154. Mit constructionen der richtmig', die in der gegen- wärtigen nhd. Schriftsprache nicht mehr möglich sind, erscheint öfters mhd. sntden als 1. 1. des schneiderhandwerks. Grimm, Gr. 4-, 1026 (851). Vgl. unser zuschneiden, in der Umgangs- sprache mit richtuugsangaben gebraucht, z. b, dieser roch ist nicht auf meinen körper zugeschnitten. Aehnlich bezeichnet beim mhd. verb die richtuugsangabe a) die person bez. einen körperteil derselben, für welche das kleidungsstück verfertigt wird, oder b) ein kleidungsstück (auch eine fahne u. dgl.), für das ein stück prächtigen Stoffes o. ä. zurecht geschnitten wird, um dann darauf genäht zu werden. Beide fügungen sind speciell in Wolframs werken gar nicht selten anzutreffen, min- destens die zweite nicht.

a) Parz. 127, 2 si sneit im hemde unde hruoch, daz doch an eime stücke erschein, unz enmitten an sin blankez hein; 145,24 al rot was sin kursit und wol an in gesniten tvit; 375,9 einen pfell mit golde vesten den sneit man an daz freuweUn; anders Gottf r. Trist. 2540 und was der (= der p feile) alse tvol gesniten nach sinem schanem Übe; 3345 sin gewant, . . . daz was mit grözer hövescheit nach sime Übe gesniten. Vgl. dagegen Wh. 821, 27 ir schämlieh wider tvenden diu kriuce solte sehenden, diu an si warn gemachet. b) Parz. 14, 16 der herre pflac mit gernden siten üf sine kovertiure gesniten anker lieht hermin; vgl. im folgenden v. 27f. ivapenroc und kursit ... hermhi anker drüf genad, giddiniii seil dran gedrcet; 31,10 sus stet diu kunegin gcmäl, fron Bclakdnc, sunder twäl in einen blankeii samtt gesniten (einen D, einem die übrigen hss.). ^ Wh. 24, 4 in die banicr ivas gesniten Amor der minne zere; 31,24 beidiii geslagen und gesniten üf ir iväpenlichiu, kleii was Kristes tot; 379,29 der goldes riche Tedaluon ... fuortc ecidemön daz tier, des Feyrafiz ze ivdppen pflac: in Poydjus vanen daz lac, mit grözer koste dar gesniten; 401,5 der truoe den visch, der den wu/rm, üf ir wäppenkleit gesnitn; 406, 19 vor und hindcn drüf (nämlich auf

1) Vgl. auch Trist. 10265 zorn unde wipheit, diu übcle bi ein, ander dement; trennbare coniposition im gleichen sinne Trist. 10862.

RÜHE- UND RICHTUNGSCONSTUUCTIONEN. 33

das kollicr) (jesnäen uz einem horten ein Jiriiice mit drin oHen; 408,9 Cernuhile mmic hriuce vant gesniten uf ir xcectc, die mit riterUclier tcete sinem puneiz vor gehielten: uf ir w. gehört wol zu gesniten und ist acc. plur.; sicher übrigens nicht: vgl. Trist. 2631 (s. unten). Bei Gottfr. vgl. Trist. 6618 ein eher dar üf gesniten tvas (auf den schild nämlich) vil meister- lichen imde ivol.

Merkwürdig berührt intralocale constructionsweise Tit. 143, 2 Uf einem samtt grüene als in meigcschem walde icas diu hahe ein horte gencvt, ril stein von arde manccraldc drüf geslagen: nhd. beim siraplex nähen kaum mehr möglich, avoI aber z. b. einen Tcnopf auf dem rocke annähen u.a. Ebenso Gottfr. Trist. 2631 die seihen ivallenden man die truogen unde h(eten an linlcappen unde solhe tvät, diu wallmren rehte stät, und uzen an ir wcete mermuschelen gencete, wo tvceU dat. sing. ist. Vgl. auch z. b. Er. 7786 ez xvärn verirorht dar inne (im zäum) mit schoenem sinne die einlif edeln steine.'^)

Vom nhd. Standpunkte seltsam erscheint auch Er. 1541 st näte seihe mit ir hant in ein hemde dez magedin, nicht mehr wörtlich widerzugeben; Tgl. 1551. Bei leblosen objecten ist die fügnng noch gestattet, z. b. eine leiche in linnen einnähen u.a. Ebenso Nib. 536,1 Ez irart in für- gespenge manic schosniu meit genaH vil minnecliche und 1790, 1 Do nccten sich die recken in also gitot gewant: übrigens entsprechen sich ja mhd. ncejen und nhd. nähen nur formal, nicht in der bedeutung. Und setzt man das nhd. äquivalent schnüren ein, so fällt der seltsame anstrich dieser phrasen sofort weg.

Sniden mit trauslocalen bestimmungen wird auch sonst in prägnanter bedeutung verwendet, den obigen fällen älinlicli, vom nhd. aber nicht verschieden:

Wolfr. P. 549,14 den estrich al ühervienc niwer hinz und hluomen ivol gevar wären drüf gesniten dar; vgl. bei uns z. b. hrot in die suppe schneiden = schneiden, so dass es hineinfällt. Parz. 551, 4 diu juncfromve niht vermeit, mit guoten zühten sie sneit Gäwän süeziu mursel uf einem hlanken ivastel schreibt G einen, was vielleicht ebenso aufzufassen wäre.

§ 155. Transiocale constructionen ganz ähnlichen Charak- ters, wie die letzterwähnte von sniden, begegnen hie und da bei mhd. hrechen:

Wolfr. P. 159,13 Iiüänet üf in hrach der liehten hhtomen zeime dach; 551,21 da hräht ein des ivirtes sun purzeln unde latün gehrochen in den vinager: vgl. in unserem dialekt ähnliche constructionen des etymo- logisch verwanten hröekeln, und hrokn (z. b. hrot in die milch). li^lliptisch mutet uns Greg. 3417 an: er si such zuo im gän, hrach er für die

') Gleichwertig intralocale auffassung Parz. 79Ü, 13 von iviirzen vianec gesti'ippe tvas üf den kultern gesagt. Translocal dagegen z.b. Tit. 44, 4. Wh. 287,12. 361,17; Trist. 12232. 12240.

Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVII. 3

34 WIESSNER

schäm ein li-id; die stelle erinnert sofort an Trist. 2934 eine sioisele hm er an die haut, worauf Paul schon in der grossen ausgäbe 1873 verwiesen hat. Vgl. Mhd. wb. 1,2-ilb. 421 Anders Nib. 814,2 hey uh(z man starke)- schefte vor dem münster brach vor Sifrides tvihe al zno dem sale dan: die mannen Siegfrieds reiten unter bühurdieren vor Kriemhilde auf ihrem wege vom münster zum sal. Piper scheint sich die Situation ganz anders vor- zustellen; er bemerkt 'bis zu dem saale hin, d. h. dass die Splitter bis dahin sprangen'; das liegt jedenfalls nicht im ausdruck der stelle. Die hier ge- gebene erklärung (nach Bartsch, commentierte ausg.) liegt wol viel näher.

, § 156. Erwähnenswert sind ancli einige fälle translocaler gebrauclisweise des mlid. spiln gegenüber intralocaler im nlid.; sie finden sich widerum in der spräche des Eschenbachers, die in bezug auf syntaktische merkwürdigkeiten überhaupt schier unerschöpflich reich ist.

Parz. 408, 26 üf disen Vierecken schilt was schächzabels vil gespilt, Avo also der kämpf in launiger, durch die Situation greifbar naheliegender weise mit dem spiele verglichen wird.') Bartsch bemerkt zu der stelle: 'man sagt im inhd. spiln üf daz bret, nicht «/' dem hrele, wenigstens ist ersteres üblicher'. Wieso Bartsch zu dieser behaiiptung kommt, weiss ich nicht; ein blick ins Mhd. wb. lehrt das gegenteil. Das. 1, 238b. 4 ff. 2-, 506a. 8 ff. sind für sp. üf dem brete mehrere belege zu finden, für sp. üf daz bret keiner. Aus den hier berücksichtigten texten ist wenig beizubringen: Gudr. 853,3 da fiinden si besunder maneger hande spil, in dem brete za- helen, wo die präposition m uns sehr auffallen muss ; Trist. 9892 ir sit daz irresameste spil, daz iemen üf dem breite kan. Besonders aber Wh. 59, 30 unz er vor im ligen sach des werden Vivtanses scliilt. üf dem icas strttes sus gespilt, also intralocal construiert.

Ganz anders ist die phi'ase bei Hartm. zu verstehen, im Greg. 1587 so man mich buoche (nach K. Zwierzina, Zs. fda. 37, 413) tcente, ivie sich min herze sente und min gedanc spilte gegen einem schilte! In der ersten aus- gäbe übersetzt Bech (nach dem Mhd. wb.) 'vor innerer aufregung, vor verlangen hüpfen, zappeln, zittern'; mit unrecht, wie mir scheint, Hess er später diese erklärung einer andern gegenüber fallen: spiln = 'kämpfen', also metaphorisch zu verstehen, was sich weniger gut in den context 1586 1592 einfügt; 1584 freilich heisst es so ttirnierte min gedanc.

Wol fr. eigentümlich ist die phrase an den ort spiln, was Haupt zu Er. 872 erklärt 'bis an das ende, die ecke des Spielbrettes'. Er citiert auch alle in frage kommenden vier fälle: Parz. 94,20 si spiltn ir mcere miz an den ort 'sie vertraten ihre Sache bis zum äussersten', d.h. sie taten ihr möglichstes. 244, 3 ein spil mit der ile het er unz an den ort gespilt. Bartsch merkt hier an: '•ein spil: anspielung auf das versteckspiel. mit

1) Ueber den vergleich von kämpf und spiel s. Haupt zu Er. 867. Zs.fda. 11, 54 f. Kinzel, Zs. fdph. 5, 21 f. ; zu unserer stelle speciell K. Ludwig, Der bildliche ausdruck bei W. v. E. s. 46 f.

RUHE- UND RICHTUNGSCONSTRUCTIONEN. 35

der ile, in eiliger weise, in aller eile. imz an den ort, bis aus ende: er hatte sich vollständig- unter dem bette versteckt': entschieden nicht passend. Die ganze stelle bezieht sich wider auf das Schachspiel: P. hatte mit der eile eine partie gespielt, ohne vor der entscheidung nachzugeben, er hatte im Wettstreit mit seiner partnerin, der eile, sein äusserstes getan; ohne metapher: er war ausserordentlich behend gewesen, nämlich als er unter die bettdecke schlüpfte. Parz. 653, 11 si spiltz mit vräge an munegen ort: Lexer 'mit fragen es auf verschiedene weise versuchen'; d.h. sie ver- suchte es gleichsam mit schachzügen nach verschiedenen richtungen. Wh. 113,24: cz ivirt e an den ort yespüt 'eher lasse ich es auf das äusserste an- kommen'. Au gleichartigen phrasen fehlt es uns nicht: den Jcrieff auf feind- lichen hoden liinüherspielen. Anders Trist. 19232 ir Mären oiigeu itnde ir sin diu spilten üf in dcnne.

§ 157. Im folgenden sollen im zusammenliang-e einige im verlaufe der arbeit schon liie und da gestreifte functionen von mild, über mit accusativ, ohe mit dativ behandelt werden, deren anschauliche basis von der heute vorhersehender, in der bedeutung gleichwertiger Wendungen verschieden ist. Doch ist uns die in den betreffenden mhd. fügimgen reflectierte räumliche anschauungsweise vom Standpunkte der heute noch lebenden sprachformen nicht ganz ungeläufig und unverständ- lich. Es handelt sich um drei fügungen, die man vielleicht am kürzesten durch die lateinischen bedeutungsäquivalente markiert: 1) ühe7- mit acc. = lat. per] 2) iiber mit acc, ohe mit dat. = lat. siq)ra; 3) Hier mit acc. = lat. trans.

§ 158. 1) über mit accusativ: Verbreitung einer handlung oder eines zustandes im räume (s. Steitmann s. 32). Der unterschied der alten und der modernen spräche ist hier bezüglich der raumanschauung, insofern sie sich im sprachlichen ausdruck widerspiegelt, ein recht sinnfälliger. Z. b. heisst es in Wolfr.'s Parz. 758, 19 der rtcJie Feiraftz ivas heidiu sivarz unde iviz aber al sin vel 'war allenthalben auf seiner haut schwarz und weiss gescheckt', stvar^ unde iviz iv. bezeichnet in unzweideutiger weise einen zustand, über al sin vel ist aber angäbe der richtung. Oder Parz. 784, 29 an den selben dten si stuonden üf übr al den rinc: üf sten ist aller- dings verb der bewegung, übr al den rinc aber nicht vielleicht als Zielangabe dazu gehörig. Auch Ortsangabe auf die frage Svo' kann natürlich, schon aus formalen gründen, nicht ge- meint sein: es hiesse ja sonst mhd. ob dem ringe. Den weg

3*

36 WIESSNEB

zur riclitig-en aiiffassimg- der beiden präpositionalausdrücke weist uns das begleitende ah iiber mit acc. bezeichnet hier die durchg-ängig-e Verbreitung des zustandes oder der handlung- über eine fläclie hin, der gleichen function des lat. per ganz parallel: der zustand oder die handlung hat im ganzen bereiche des durch über eingeleiteten locals statt. Der sinn der zweiten Parzivalstelle ist also: 'man erhob sich an der ganzen taf ei- runde von den sitzen'. Vgl. auch Beitr. 26, 506 f.

■Richtungsangabe dieser art tritt im gleichen sinn zu verben des zustandes wie der bewegung und ist bei letzteren wol zu scheiden von anderen, welche die ausdehnung der einzelnen bewegung bezeichnen (und auch mit über c. acc. eingeleitet sein können), nicht aber die Verbreitung iiber alle teile eines bestimmten gebiets bei einer summe gleichartiger bewegungen. Es ist also z. b. man hörte rüefen über al daz velt, so \\ie es hier steht, doppelsinnig: der ruf dringt über das ganze feld hinweg zu dem an seiner peripherie stehenden subjecte; ähn- liche Situationen Nib. 1488, 1 Und homet er nilit bezlte, so rüefet über fluot und 1916, 1 Der Miene videlcere rief über die mcnege. Oder es heisst 'man hörte allenthalben auf dem felde rufen', d.h. es rufen viele zugleich, die über das ganze feld hin zer- streut sind; ähnlich ist wol z. b. Gudr. 526,2 zu verstehen: den vride hört man rüefen da über al daz lant. Ja noch eine dritte auffassung wäre möglich: man könnte in dem gegebenen beispiel über al d. v. auch zum subjecte ziehen: der ruf wird von einer über das ganze feld ausgebreiteten anzahl von sub- jecten vernommen.

Die richtungsconstruction in diesem sinne ist wol be- greiflich: der räum wird mit den äugen des beschauers, des sprechenden etc. wirklich oder nur in der phantasie durch- messen, der blick gleitet über das betreffende local hin: also dieselbe sinnliche basis, die so vielen Wendungen unseres Sprach- gebrauchs zu gründe liegt: beruhen darauf in letzter linie doch alle Schilderungen von zuständen mit verben der bewegung, begleitet von richtungsangaben!

Es hiesse also nhd. auffassung in die alte spräche hinein- tragen, wenn man behauptete, mhd. über mit acc. stehe in diesem falle auf die frage 'wo': der nhd. Sprachgebrauch con- struiert so, abweichend vom mhd. Der ausdruck wäre minde-

RUHE- UND RICHTUNGSC0N8TRUCTI0NEN. 37

stens img-enau und deshalb gefährlich. Wir übersetzen diese mhd. über mit acc. durch Ortsangaben auf die frage 'wo'; um die Verbreitung über einen bestimmten räum zu bezeichnen, verwenden wir andere Sprachmittel, z. b. ein entsprechendes attribut bei der Ortsangabe (all, ganz etc., in der alten spräche schon gerne gesetzt) oder hinzufügung von adverbien des ortes, wie allenthalben, überall.

Hartra. Er. 1765 sine tvcere dm schosnste da und über die werlt ouch andersivä; 1987 daz beste Scharlach daz man vant über allez Engellant; 2003 der zobel was daz nie kein man deheinen bezzern (jeican noch timverren rant über allez Connelrmt; 2347 daz Jcein man deheine tiuwerre (knappen nämlich) rant ze Britanje über daz laut; 8545 des ist sin ere vil breit und ze ganzem lobe erkant über elliu disiu lant; 8805 und icurde ouch erkant über elliu disiu lant für alle ander man; 10047 daz iviten über elliu lant tcas sin tvesen und sin schin. Greg. 143 (nach K. Zwierzina, Zs. fda. 87, 410) daz er äne mäsen genas und sit ein wärer kempfe was, er eine über all die kristenheit (unerreicht als solcher in der ganzen ehr.): möglicherweise auch über =. 'mehr als'; 627 Do die herren über daz lant ze hove ivurden besant; 1691 er wirt vil lihte ein salic man und über (nach Zwierzina s. 418) diu lant für manegen herren erkant; 2008 daz er . . . ze dem besten ritter wart genant über elliu diu lant. Iw. 2364 die besten über min laut, Benecke 'in meinem ganzen lande': also attributiv; 3700 daz beste harnasch daz man vant und daz schoenest ors übr al daz lant. Diese über mit dem acc. von über al ist später die rede treten also, vielleicht rein zu- fällig, im Iw. gegenüber dem Er. und Greg, ersichtlich zurück.

Wo 1fr. P. 10,2 fünf ors erweit und erkant, de besten über al sin lant; 18,14 doch tvände der gefüege, daz niemen kröne trüege, künec, keiser, keiserin, des messenie er wolde sin, wan eines der die höchsten haut trüege üf erde übr elliu lant: vielleicht auch vom Vorrang, von der macht; 22, 1 daz er den pris übr mänegiu lant hete al ein zuo siner hant; 26, 18 sone getouohs an ritter milter hant vor im nie über elliu lant; 111,30 die besten über al daz lant bestatten sper und ouch daz bluot ze münster: 236,24 swaz ritter gesezzen ivas über al den palas ' platz genommen hatten im ganzen saale'; 258,3 er was der schcenste übr elliu lant; 285,24 manioeiz wol über manec lant; 814,26 die besten über elliu lant scezen hie mit tverde- keit; 824,25 ouch gib i'm vricle übr al daz lant; 478,27 ivart ie höher pris erkant über elliu nterlichiu lant; 618,4 der reloubet mir durch sinen pris von miner massenie erkant rtterschaft übr cd sin lant; 699, 14 die da säzen jähen silier hant, sie het den pris übr mangiu lant mit so hohem prise er- worben; 718,15 Artus liez die werden über al daz her diu kinder sehn; 755,2 was M dem selben tage über al daz her gemeiniu klage; 758,19 und 784,29 wurden schon s. 35 citiert; 784,1 Über cd den, rinc wart ver- nomn (d.h. 'an der ganzen tafeirunde sagte man sich') 'Cundrie Ict, surziere ist komn'; 822,29 Feirefiz hiez schriben ze Indgä übr al daz lant, wie kristen leben wart erkant 'Hess allenthalben im lande verkündigen'. Pagegen

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z. b. Parz. 63,6 der galm übr cd die siat erhcd bezeichnet i'ther cd d. st. den weg der verbaltätigkeit: der lärm gebt von der an dieser stelle ge- schilderten musikbande aus und wird weithin in die ganze Stadt gehört. AVh. 3, 27 siver sin geglühte kiinde spelien, daz stüende übr cd ir rtche der fürsten kraft geliche: sein geschlecht gelte an einfluss im ganzen reiche dem von fürsten gleich. Ebenso dürfte über mit acc. nicht die Überlegen- heit, sondern die Verbreitung 91,7 bezeichnen: u-an des kraft icas so gröz über al der heiden her; 99, 6 ivir hän daz selten freischet sider, daz so manec kostebcer gezelt für keine stat übr al daz velt so rielüicli wurde uf geslagen; 116, 6 doch tvart an riter nie bekant über al der Franzoyser lernt icäppenroc so köstlich ; 144, 1 Vil teppch übr al den pcdas lac ; 185, 22 an den selben stunden was da diu beste riterschaft über al der Frcmzeiser kraft; 197,20 über cd daz gevilde breit enphieng er die fürsten sunder: 220,22 diu höhe ivirde sine über cd die Sarrazine was erschollen imt erhört: 226,14 über cd sin her kein ander mein fuor im da so nahe bi; 339, 19 an disem rate ma- neger sas, ... und die hcehsten künge übr al daz her; 342,5 an sin selbes her über fünf lant \ diu her ze helfe in irnrn benant recht auifallend; über f. l. gehört zweifellos zum folgenden diu her: wir Avürden nach nhd. Sprach- gebrauch entschieden richtungsangabe auf die frage 'woher' erwarten: 'aus fünf Ländern'. Die nihd. construction ist so zu verstehen: die einzelnen kriegsleute der fünf heerhaufen gehören ihrer heimat nach in die ver- schiedenen gegendeu von fünf ländern. 457, 6 über cd diz her wirt ze breit der jämer. Anders wider 427,3 Sus kom der künec Purrel mit maueger pusinen hei: über al daz her der schcd derdöz.

Gottfr. Trist. 1882 er sprach die hcrren cd zehant über cdlez sines herren lant; 5272 Hie mite so wurden besant ze Parmenie übr cd daz lant die herren; 5813 diu lehen über cdlez lernt diu wil ich haben ze miner hant; 7210 Gurmün clö trüren began und hiez gebieten cd zehant über cd daz rtche ze Irlant 'hiess im ganzen reiche Irland den befehl verbreiten'; 7697 Diz mcere ivart gemeine über cd die stat ze Dereltn; 11363 cdsolhes spottes tvart da vil getriben über den pcdas 'allenthalben im saale'; 12566 Isöt diu ist besunder über al die toerlt ein wunder; 19100 so hete ouch er mit ime verant sin miiug' über al daz lant. Oefters im Trist, neben verben der rede (s. oben schon 7210 und 7697) : vgl. über formal ähnliche fügungen im Heliand Steitmann s. 35. Identisch sind die dort erwähnten construc- tionen mit den folgenden mhd. keineswegs. Vgl. Trist. 14090 da mite so Seite man zehant über hof und über laid: hier drückt über mit acc. au.s, dass die tätigkeit des sagen auf dem ganzen bezeichneten gebiete statt- findet: es handelt sich um die Verbreitung einer reihe von acten des sagen innerhalb des angegebenen locals. Ebenso 14945 daz er den neven und daz tvip und edlermeist sin selbes Up so hcete beswceret und z' übele vermeeret über hof und über laut; 15487 daz mich disiu torperheit vor einem järe ist eine cjeseit beicV über hof und über lant; 18395 und si ze spelle machet über hof und über lant; 19077 daz mem im so rillobes sprach über hof imd über lant.

Nib. 107,3 des redent vil die liutc über cllln disiu la)d; 269,4 des huop sich michel fröude über al daz Günthers lant; ähnlich 1328, 4 des

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ivart vil micliel vreuäe über al dez Etzelen lant; 555, 1 Der buJiurt was zer- gangen über al äaz velt; 708,4 vroinven kleider ... diu besten diu man vant oder inder künde erwerben über Sifrides lant. Dagegen ganz Avie nhd. 461, 4 diu vuere timrden künde in al der Niblunge laut. Mit durch ist die Verbreitung auf einer strecke ausgedrückt 647, 3 7nan hiez in allenthalben ir nahfselde legen sivä sis gerne nämen, durch der künege lant. Gudr. 526,2 wurde schon s. 36 citiert; 908,1 Do suochte man die töten über al den sant; 1321, 2 über allez ditze lant müezen haben arbeit die Hute dar inne. Ebenso in der prosa; vgl. z.b. Altd. pred. 3, 7, 2 so gebot och der selbe cheiser einen vride u'bcr elliu riclie; 7, 16 daz vil groz gebot daz wart och do geboten u^ber elliu diu riche; 112,3 daz si das heilige gots tvort chunten unde predigeten verre undc nahen u^ber alle dise ivelte; 141,27 do aver der heilige geloube über elliu diii lant gechundet unde geprediget ivart ; oder auch 92, 10 da ivart do dazze Borne unde wber alle die Christenheit ein vil gröziu vrüde; 109,20 do huob sich da von allerst mit vil grozem schalle der ge- meine ruof unde diu gemeine stimme des heren lobegesanges en allen vier enden u^ber allen den himel; 115, 35 imde daz och er denne da von ti'ber alle die tvelt erchant unde gert unde gelobt wurde.

§ 159. Den besprochenen fügimgen von über mit acc. gleichwertig ist auch mhd. über al als richtungsangabe im sinne der Verbreitung aufzufassen und mhd. neben der masse der anderen über mit acc. gleichen Charakters auch gewis noch als solche gefühlt worden. Nhd. steht nherall als erstarrte formel vereinsamt und wird daher nicht mehr verstanden. Wir construieren heute überall unbedenklich als ortsadverb auf die frage 'wo'.

Hartm. Er. 326 der roc was grüener vance, gezerret begarwe, abchcere über al = nhd. überall; ebenso 2311. 5423. 9628. 9757; Greg. 860. 3756; Iw. 899. 1226, vielleicht auch 4926. Wo 1fr. P. 144,26. 206,17. 615,10. 695,16; Wh. 58,3. 186,11. 295,8. 392,8. Gottfr. Trist. 10897. 11011. 11226. 15889. 18838. Nib. 527,1. 1299,1. 1445,1. 1600,3. 1632,1, viel- leicht auch 1762, 2.

Diese Ortsangabe über al verliert dann in der alten spräche oft das locale bedeutungselement und geht, in attributiver Ver- wendung, in unräumliche functionen über, die dem gegen- wärtigen Schriftdeutsch mindestens fremd sind: sammt und son- ders, ganz und gar, vollständig, oft = omnis, auch im sinne unseres überhaupt. Schriftdeutsch ist überall heute rein local; landschaftlich wird es aber auch = überhaupt gebraucht und zwar, wie Paul, Wb. s. 473 constatiert, in negativen frage- und bedingungssätzen. Es berührt uns heute fremdartig, wenn J. Grimm in der Gr. 4, 767 sagt: eine so fein gebildete spräche

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wie die lat. kennt üherall l'cine präp. mit dem dativ. Vgl, Mörike, Maler Nolten 2, 206 ohne edle rüchsichf auf entferntere familien- mitglieder {nähere leiten üherall nicht mehr). ... üher cd in diesen übertragenen fimctionen ist mlid. sehr geläufig; schon manche der obigen citate könnten mit dem gleichen recht hier eingereiht werden.

Vgl. ferner bei Hartm. Er. 233. 1697. 1940. 2375. 4042. 6855. 7863; Greg. 2231. 3155; Iw. 3115. 4654. 6232. Bei Wolfr. P. 34,25. 45,10. 86,13. 90,7. 192,23. 278,24. 284,24. 326,9. 362,17. 39.3,13. 460,2.5. 695,16. 705,15. 721,11. 802,11. 808,29; Wh. 72,6. 91,13. 223,13. 251,29. 304,19. 306,11. 328,1. 391,23. 397,7. 422,28. 439,2. 443,10. 462,18. Bei Gottfr. Trist. 2799. 2881. 3232. Nib. 751,4. 1125,1. 1612,1. 1683,1. 1762,2. 1788,2. 1935,2. 1955,4. 2046,1. 2058,2. 2112,2. 2314,1. Gudr. 53,2. 337, 1. 487, 1. 513, 1. 980, 1. 1127, 1. 1348, 1. 1529, 1.

§ 160. Einen merkwürdigen bedeutungswandel hat die stehende formel ahd. idmr hlüt mhd. üher lüt nhd. üher- laut durchgemacht. Wir betonen heute üherlaut, und die ab- leitung des wortes scheint ganz durchsichtig: adj, laut mit dem verstärkenden üher, vgl, ühergross, üherstarlc u, ä., wobei die bedeutung 'mehr als laut' d. h. laut in einem besonders hohen grade ja ganz entspricht. Nicht so in der alten spräche: im ahd,, wo speciell Otfried diese formel gerne gebraucht (Graff 4,1097), sowie im mhd., das durch die berücksichtigten literatur- denkmäler repräsentiert wird, hat die Verbindung ganz andere bedeutungen verschiedener abstufuug, aber ohne das element nimis. Es heisst dort 'mit lauter stimme, deutlich, vernehm- lich', in übertragener function 'offen, ohne hehl', Gewis liegt ursprünglich eine präpositionalformel, wie in üherall, zu gründe (vgl. Paul, ^M). s. 473), wozu die von Adelung vermerkte be- tonung üher laut sehr gut stimmt. Schwierig ist es nur, eine solche zu deuten. Mit dem adj. wird dabei nicht auszukommen sein; nach einer mündlichen bemerkuug von Sievers, die mir C. Kraus einst mitteilte, bildete die basis der formel die be- deutung 'über das gehör hin', also lüt ursprünglich subst. Der ausdruck wäre dann ursprünglich als ein fall von üher mit acc, im sinne der Verbreitung zu verstehen: die rede eic, wird von einer Vielheit von Individuen gehört, es handelt sich um eine reihe von höracten, ganz wie in den von Steitmann s, 35 citierten fällen. Der bedeutungswandel zu nhd, üherlaut ist leicht begreiflich: um von einer menge gehört zu Averden, muss

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die rede mit lauter, erhobener stimme gehalten werden; da kam das adj. lid und später das verstärkende iiher auf halbem wege entgegen. AVenn Weigand in seinem Wb. 2, 955 behauptet, mhd. existiere üherlüt nicht, so kann er damit nur meinen: in der heutigen bedeutungJ)

Die stellen aus Otfrieds werk s. bei Kelle, Glossar s. G37. In den hier berücksichtigten mhd. texten ist die formel weitaus nicht so häufig anzutreffen. Hartm. Er. 6525 hehle stille %md über lüt so dühtez se alle (jliclie, arme unde riche, ein micliel ungefuoge. Wolfr. P. 109,20 diu fromve in klafjete über lüt; 668,13 ein gezelt daz Iblis Clinschore durch minne scmde, da von man erste erkande ir zweier tougen über Kit: si wären bede ein ander trüt, wo allerdings die bedeutung schon stark modiftciert, d.h. das urspr. akustische element ziemlich verblasst ist; 713,10 daz mar kumt schiere über lüt, Bartsch 'wird allgemein bekannt': eine merkwürdige phrase, wenn m.an die angenommene urspr. bedeutung des präpositional- ausdrucks im äuge hat. Gewis ist diese hier nicht lebendiger als sonst gewesen; kumt steht hier vielmehr fast auxiliar, über lüt statt eines prä- dicatsnomens (und nicht vielleicht als richtungsangabe, abh. von kiniii). Gott fr. Trist. 3012 hie mite begimde er üherlüt (mit lauter stimme) den himden ruofen; 15051 ich spricJie daz wol üherlüt anders gefärbt: 'klar, ohne Umschweife'; die bemerkung Bechsteins 'adj. (nicht adv.)' ist nicht begründet und kaum richtig. Die bedeutung 'offen, ohne hehl' ergibt

[') Ich gehe bei der oben mitgeteilten erklärung von der annähme aus, dass nbar hlüt zunächst in der formel tdjar hlüt Sprech an technisch war und von da aus auch in andere Wendungen übertragen ist. Ubar hlüt sprechau aber bedeutete ursprünglich wol 'über die lauschende menge hin sprechen', sc. nachdem feierlich 'schweigen', genauer 'lauschen' oder 'gehör' geboten oder geheischt ist (vgl.z. b. das bekannte hljöös bidk allar heigar kindir der VQluspä als einleitung zur feierlicheil verkündung, auch mhd. stille f., Mhd. wb. 2, 2, 637 a, altfrz. oiez uM ähnliches). Dass in dem hlüt der formel ein dem an. hljöd entsprechendes verbalabstractum steckt, wird namentlich durch die genauen alts. parallelen thnn he nndar thern thiodu st ad endi thar gihorid obar hlust mikil thea godes Icra Hei. 2496 ff., endi fhero menigi sagde (sc. Pilatus) obar hht st mikil, thathe an themu hafion manne sulica firinspraka finden, ni malili etc. He). 5233 ff., auch Ullas hlust mikil, thagode thegan manag Hei. 3910 f., wahrschein- lich gemacht. Im älteren mhd. überwiegt ja auch durchaus noch die aus der angesetzten grundbedeutung leicht ableitbare bedeutung von 'öffentlich, vor aller äugen', im gegensatz zu 'heimlich'. Auch die bedeutung 'klar, ohne Umschweife' lässt sich nocli aus der urspr. anwendung der formel gut begreifen: eigentlich 'distinctis verbis, wie man es bei feierlicher Versamm- lung tut' u.dgl. Erst später setzt dann, wie es scheint, volksetymologische beziehung auf das adj. lüt 'laut' ein. E. S.]

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sich aus dem gegensatz Nib. 223,3 wan hiez der boten einen für Kriem- hilde gan. daz geschach vil totigen: jan torstes über U<t.

§ 161. 2) Mhd. wird oft ob mit dem dativ (= nlid. über mit dem dat.) als intralocale und über mit dem acc, (= nhd. über mit dem acc.) als translocale bestimmiing gesetzt in fällen, wo der moderne sprachgebraucli gewöhnlich das bedeutungs- moment stiirra im raumverhältnisse nicht ausdrückt. Ich meine phrasen wie z. b. bei Hartm. Er. 3724 ob dem tische er st (Enite) rant und bei Gottfr. Trist. 10148 Si (Isolde) nam daz sivert ze lidnden, si gicnc über Tristanden, da er in einem bade saz: nhd. widerzugeben 'er fand sie an dem tische (bei dem t.)' und 'sie gieng auf Tr. los, trat an Tr. heran'. Ueber dem tische in dieser Situation zu sagen, wäre heute wol schon ungewöhn- lich; es Messe dies vielmehr regulär 'sitzen an einem orte, der sich oberhalb des tisches, also höher als dieser befindet und zwar höher in verticaler (nicht schräger) richtung (Paul, Wb. s. 471), durch einen Zwischenraum von ihm getrennt'. In ein- zelnen erstarrten phrasen, wie über tische, aber auch in anderen redensarten, z. b. über den biichern sitzen u. ä., ist die alte fügung noch erhalten, aber schon nicht mehr eigentlich local, sondern causal oder temporal gefühlt. Es fällt gegenüber der Schrift- sprache sehr auf, wenn es z.b. im schweizerdeutschen (Schweiz, id. 1, 56) heisst Ueher alter gdn 'an den altar treten (vom priester)'') oder wer den andern ertödt, der soll über den todten (jän 'an die leiche heran treten, zu der sog. bahrprobe'; mit Übergang in causale bedeutung (ebda. 57) über etwas gehn oder liommcn\ das rieh niuss über den bnmnen zur tränJci gän wol noch rein local. Nhd. kommt also in solchen fällen {an dem tische sitzen, an einen liegenden oder gestürzten heran treten etc.) nur die nähe bei dem betreffenden objecte oder die be- wegung in dessen nähe sprachlich zum ausdruck; mhd. wird die art dieser nähe genauer angegeben (durch ob bez. über): in anderen fällen ich verweise nur auf fügungen wie an dem grase {daz gras), an dem arme, an dem bette, an daz schif ist das Verhältnis zwischen den beiden Sprachperioden gerade umgekehrt.

') Zu Heiiir. v. Melk, Erinnerung 162 sivcnne der brister ob dem alter stät verweist Heiuzel auf die Vor. gen. 42, 4 so der briester ob dem alter stet.

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Hartm. Er. 6924 s. Beitr. 26, 442; A. Heinr. 658. 847 und 849 s. ebda, s. 447; heute sind die g-e-vvöhnliclien fügungen an dem grabe stehen, an das grab herantreten; Greg. 1156 Do der vischcere und sin tinp über des süezen kindes Up so rehte rliz/'c tvären ' sorgfältig bemüht waren um ' ; 1263 s. s. 7. Iw. 3370 und also schiere do in ersach diu eine vronwe von den drin, do kertc st über in: das Mhd. wb. 3, 171b. 39 f. stellt diesen und gleichartige fälle unter col. 3 mit der Überschrift ' bewegung in senkrechter richtung nahe an etw. unten befindliches bezeichnend', was genau genommen nur für die locale Verwendung des nhd. über mit acc. passt, nicht aber für solche mhd. fälle, wie dieser hier einer ist. Greg. 1606 ob mit genitiv: ob des sateles ich schein nhd. auch auf dem satiel, meist aber wol im s. Er. 6319 und hies im lieht geicinnen diu oh im (dem für tot gehaltenen Er.) sohlen hrinnen: wol auch nhd. über ilnn.

Weit mehr fälle dieser art finden sich in Wolf r.'s werken. Parz. 61,2 Ein schifprüclce üf einem plan gieng übr einen toazzers trän, mit einem tor beslozzen ... dar ob stnont der palas, Bartsch 'über dem tore', vom nhd. sprachgebrauche nicht verschieden; ebenso 74, 19 in beschütten die ob im da striten : er liegt, vom pferde geschleudert, am boden ; dagegen 148, 3 nnt die ob [der] tavelrunder von rehtem prIse hcten stat: 160,6 der oh der iavelrunder den hcehsten pris solde tragn\ 233,24 swer in zeime tische maz; da obe der wirt durch rtchheit az; 237,16 s^cä der taveln hei niu stnont, da tet man vier knappen kuont daz se ir diens niht vergcezen den die drobe scezen ; 280, 16 über die tafelrunder wolt er in durch gesellekeit laden ; 322, 3 ob er geselleschafl teil nemn ob der tavelrunder; 322, 6 sceze drob ein triicen- löser man; 608,28 daz oh der tavelrunder im prises niemen glichen mac; 652,10 der künec ob tavelrunder az; 774,21 daz er mit uns besitze ob der tavelrunder; 776,19 diu getorste niht decheinen ivis über tavelrunder komn; 777, 5 wer tr'uege die rtchsten hant, der ie von deheime laut über tavelrunder gesaz; vgl. ferner 315, 9 tavelrunder prises kraft hat erlemi ein geselleschafl, die drüber gap her Parziväl; 684, 10 er niöht der tavelrunder doch gcniezen swnder, ivand in geselleschefte icernt al die drüber pflihte gernt ; 700, 23 mich schiet von tavelrunder ein verholnbcerez umnder: die mir e gäben ge- selleschaft, helfen mir geselleclicher kraft noch drüber; 776,30 die drt gerten sunder pfliht über tavelrunder; aiich 764,3 sivaz tavelrunder kreft ist bi, dem sizt hie niivan riter drt . . . etswenne ich ouch den pris erstreit, daz man min drüber gerte. Gleichwertig den citierten stellen ist auch Parz. 279,21 im gesäst nie über tvirtes bröt: vgl. dagegen Grimm, Gr. 4^, 1058 (876), entschieden falsch. Die dem heutigen Sprachgebrauch entsprechende fügung fehlt mhd. nicht: vgl. z. b. Er. 1737 die zuo der tavelrunde säzen. Ebenso ist wortgetreu nhd. widerzugeben Wh. 179, 7 übei'n tisch er bakle spranc: er setzt über den tisch hinweg; ebenso 182,7 durch waz so balde wcere der marcräre übern tisch gevarn. Andere ähnliche Wendungen Parz. 106,21 übr in kom sin kappelän 'kam zu ihm heran, der sterbend am boden lag'; 109,14 kom ein altwtser man durch klage über die frouiven sän ; 298, 7 da kom ouch mm her Gäwän über in, da Keie lac (mit der eigentümlichen unlogischen vorausnähme des deraonstrativs vor das beziehungswort); 381,7: vgl. Beitr. 26, 442; Wh. 61,23 über Vivianzen

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Tduct er flö ; der markgraf kniet nel)eu Y. nieder. Ferner Parz. 159, 29 ob (hm kiinege rou KuMmerJant, den töte FarziväUs Jiant, vrou Ghiover diu künegin sprach jcpmerlkher vorte sin; 353,7 ob im saz wibe hers ein fltiot; 506,20 do er (der verwundet am boden liegende) Gawänn ob im ersach; 518,22 er ze werke ilbr mich gesaz: 'der künstler setzt sich über sein werk' heute noch gebraucht, doch nicht räumlich ; 535,23 daz lät iu durch die frouiven leit, die ob iu sitzent: zur Situation vgl. 534, 20 f. Von der gleichen Situation Parz. 541, 20 ob in saz frornven ein her in den venstern üf dein palas; 554,29 ich hän in disen zivein tagen vil frouiven obe mir gesehen; 556, 9 daz ir mirz ruochet sagn, umb die frouiven ob uns hie; 615, 1-9 do er si ob dem brunnen sach. Wie nhd. wider Wh. 60, 16 der marcräve ersach daz ein briinne unde ein linde ob s/ner sicester kinde stuont. Nhd. schon nicht geM'öhnlich 65, 21 ich (der sterbend hingestreckte Vivians spricht) solt dich noch ob mir gesehen; 69, 19 der marcräve was mit klage ob siner sioester kinde; 71, 1 Alsiis ranc er ob im die naht: stets dieselbe Situation. Auifälliger aber 274, 15 swie diu künegin ob im saz, sin houbet ivas vil hoeher baz 'höher sass', d.h. ihr Sitzplatz war höher als seiner.

Gottfr. Trist. 1685 iedoch in aller dirre not kömen die sine über in (den gefallenen Eiwaliu); 1849 michel jämer unde klagen daz wart begangen ob ir grabe; 2870 ze dem hirze gienc er obene stän: 3015 vil schiere ivären s' (die hunde) alle da und stuonden ob ir sptse; 16745 ein frischer küeler brunne, durchlüter als diu sunne. da stuonden ouch dri linden obe . . . die schermeten den brunnen (anders als 16734); 18654 da stuont er guote wile ob in weinende unde klagende 'an ihrem grabe'; 2247 sns säzen si ztven' über daz spil; aiTifallender 10148, schon s. 42 citiert; ferner 10201 Nuhcete ouch Isöt iif gezogen daz swert und trat hin über in; 14626 Tristan gienc über den brunnen sä.

In den beiden volksepen scheinen dergleichen constructionen nicht häufig gebraucht zu sein: aus der Gudr. sind mir gar keine belege zur band, aus dem Nib.-l. nicht viele: 1858,3 da Dancwart mit den knehten ob den tiscJien saz; vgl. 922, 1 der herre Sifrit ob dem, brunnen tranc; 2003,1 kam diu küniginne über in gegän: Iring liegt todeswund am boden, Kriemhilde tritt zu ihm heran. Vom nhd. weicht es nicht ab, wenn es 867, 2 heisst mir troumte Mnt leide, wie obe dir zetal vielen zwene berge 'wie über dir zusammenstürzten', d.h. auf dich niederstürzten.

In mild, prosa herschen ganz die gleichen Verhältnisse; vgl. z. b. aus den Altd. pred. 8, 63, 5 vor dem tische da man im da ob dient; 63,9 die ob sim heiligen tische sine geistliche u-irtschaft raineclichen niezen ; 179, 24 da saz der havencere ob sime werche (ganz ebenso 215,38); 190,39 do er do aines tages an sime gebet ob dem alter stuont und 241, 10 do stuont der guote sant Ambrosius ...ob sime alter 'an, bei dem altare': s. s. 42.

§ 162. 3) Sehr merkAVÜrdig- Avegen des Widerspruchs zwischen der form und dem bedeutungsgehalt scheint auf den ersten blick mild, über mit dem acc. = 'jenseits' oder nhd. über mit dem dat.: also formal richtungsangahe und der bedeutung nach

RUHE- UND RICHTUNGSCONSTßUCTIONEN. 45

auf die frage 'wo' zu con^triüeren, wie es scheint. In ent- sprechung* des nhd. über mit dem dativ wäre mhd. ohe mit dat. zu erwarten. Denn über mit acc. auf die frage 'wo', als an- gäbe der ruhe, wie im Tatian obar c. acc. (= lat. super: Graff, Ahd. präp. s. 158; ausgäbe von E. Sievers^ s. 476), existiert sonst mhd. nicht: über, im mhd. auf accusativische rection beschränkt,') leitet vielmehr stets angaben der richtung ein, obc solche der ruhe: die ahd. Verhältnisse sind hier noch viel unbestimmter: s. Graff, Ahd. präp. s. 155 f.

Bei genauerem zusehen entpuppt sich denn auch dies über mit acc. = 'jenseits' als angäbe der richtung; wenn Hartm. z. b. im Greg. 2979 sagt ich weiz Jiie bi uns einen stein, ein lütsel über disen se, so erklärt sich der Charakter der localen bestimmung, richtungsangabe bei der Schilderung eines ruhe- zustandes, daraus, dass der blick des sprechenden hierbei über den see hinüber schweift, die schon öfters erwähnte erscheinung. über den se heisst also eigentlich 'über den see hinaus'. Im Mhd. wb. 3, 170b. 35 f. ist die stelle fälschlich unter col. 1 'über eine fläche hin' citiert, statt unter col. 2 'über etwas hinaus, jenseits' (171a. 32 f.). Ueber die gleiche function von ahd. ubar

') Vgl. Mhd. wb. 3, 170b. 7 f. ' ilher: im ahd. kommt bisweilen der dativ vor: für das mhd. käme für den dativ vielleicht die redensart ühev rücke tragen ... in betracht; sicher ist der dativ in md. quellen': dazu werden u. a. folgende zwei stellen citiert : A. Heinr. 69 er truoc den arbeitsamen last der ercn über rücke und Gudr. 627,2 das. er über rücke truoc den grözen last: an beiden stellen ist aber rücke acc, wie andere inGottfr.'s Trist, zeigen: 13122 über sinen rucke fuorte er eine rotten; s. auch 2645 auch truogen s' über ir ruckcbein . . . geistlich siende bahnen; er trug eine harfe über den rücken kann man wol heute noch sagen. Es liegt dabei nicht ellipse vor, etwa von 'gelegt' o. ä., sondern einfach bezeichnung der ausdehnung, erstreckung. Eichtungsangaben ganz ähnlicher natur: Parz. 63,15 leite der (legen teert ein hein für sich üfez phert, mven stirül über blöziu bein in sehr gedrängter ausdrucksweise; 232,16 duz ivuren junc- fromven dar. zwei schapcl über blöziu hur bläeniin icas ir gebende; vgl. auch 230, 3 le vier gesellen sundersiz, da enzxvischen ivas ein iinderviz. derfür ein teppech sinewel. Dagegen z. b. 231:, 10 iesUchiu ob ir hCire truoc ein kleine bläemin schapel. Und ebenso, wie nhd. auf dem rücken tragen, auch mhd. z. b. Trist. 18433 waz half, daz er der quäle entweich von Kurnc- iväle, und si im doch üf dem rucke lue alle zit naht unde tac? Oder Greg. 2291 der schidde diu (Zwierzina, Zs. fda. 37, 413) «/' sin selbes rücke lue; vgl. auch Trist, 1622 die not cun uns gcivcnden, diu uns nu se rucke lit.

46 WIESSNER

s. Graff, Alid. präp. s. 165 und Graff, Wb. 1, 86. EicLtungsangabe ganz ähnlicher natur z. b. Parz. 481, 22 ivir gewunnen Geön ze helfe unde Fisön, Eufrates unde Tigris, diu vier wazzer uzem 2Kirdis, so nälin hin ziio ir süezer smac dennoch niht stn ver- rochen mac, oh kein würz dinne qucenie, diu unser trüren nceme.^) Vgl. übrigens ausdrücke wie herwärts. Hiniiher im sinne von 'jenseits' im älteren nhd., s. Kehrein, Gr. 3, § 294.2) Vgl. auch Schweiz, id. 1, 59. Fügungen dieser art sind auch der modernen Schriftsprache nicht fremd; ich notierte mir gelegentlich der lectüre von Friedr. Jodls Lehrbuch der psj'chologie z.b. folgende stellen: s. 524 Von den Zeiträumen, welche über die grenze un- mittelbarer ivahrnehmung hinausliegcn, oder s. 525 darüber hinaus beginnt dasjenige, ivas ich die horizontlinie der zeit nennen möchte.

Zu Iw. 554 s. Beitr. 26, 553. Wolf r. P. 28, 21 suohte mich von über vier der Schotten Mnec mit stnem her; 31, 16 tnir die andern ähie uns suochet noch des stolzen Fridehrandes her, die yetouften von über vier; 535,7 überz wazzer stiiont dez kastei; zu Parz. 686, 15 s. Beitr. 26, 400. Wh. 32, 22 . . . ins gedrenge reit gein dem strite ieslichez her der künege von über vier; 94,7 duz ir vater selbe wcere komn üf AUschanz von über vier; 363,22 do en- phienc des schetises her von den gesten über vier grözen kuviber schiere; 412, 16 u'uz half s/n gröziu hers Icraft, die im sin vater schuof ze wer, vittuge swnderrotte, über vier?^) Im Nib.-l. recht häufig, und zwar in

') Vgl. C. Lucae, De Parzivalis poematis "Wolframi Escheuhacensis locis aliquot difficilioribus s. 33 : 'versus 23 verha so nähn hinzuo, ut quibus motus ad locum aliquem exprimatur, cum dictis subsequentibus, quibus res loco acta sine motu narretur, parum convenire videntur'. Sein mis- verstäudnis liegt klar zu tage: s. n. h. charakterisiert hier als richtungs- augabe eben einen zustand, keine bewegung. Damit erledigt sich auch der Vorschlag Zarnckes (Berichte der kgl. sächs. gesellsch. d. wiss. zu Leipzig, philol. -bist. cl. 1870, s. 201), hinter ziio komma zu setzen ixnd ;> süezer smac etc. als der form nach unabhjingigen folgesatz zu fassen. Ueber Bechs (Germ. 7, 298 f.) ungerechtfertigte Umstellung in v. 23. 24 s. Zarncke a. a. o. ir ist gewis mit Zarncke auf das folgende würz zu beziehen : vgl. P. Hagen, Der gral (QF. 85) s. 32.

^) Das. § 24:8. 249 will er Wendungen wie hindisen, hindisshalb durch Verderbnis aus hiedisen, hiedisshalb erkhären; vgl. aber z. b. Uhland, Volks- lieder 458 her dishalb des tvassers schlug man das gelegcr an.

3) Hier wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch Parz. 278, 12 einzu- reihen sein: einhalp an des küneges rinc über eins prnnnenursprinc stuont ir poulmi üf dem plan: die quelle trennt das Zeltlager des königs von ihrem zelte, Wolfram spricht vom Standpunkte der handelnden personen, die von Artus' zelten zu dem der Cunneware wandeln. Bartsch übersetzt dagegen 'auf der stelle, wo ein quell hervorsprudelte', also über mit dat., was nicht angeht.

RÜHE- UND RICHTUNGSCONSTRUCTIONEN. 47

der stehenden Verbindung Wormz ither Bin, stets als geschlossener ausdvuck zu fassen; 171,3 also si ivolten riten von Wormz über Ein; 648,3 daz shi sun könne . . . von Wormez über Bhi; 1345, 2 so sult ir boten senden ze Wormz über Bin] 1652,3 daz die helde kcemen von Wurmez über Bin; 1677,3 saget tvaz ir mir bringet von Wormz über Bin; 1747,3 min dienst ich in enböt . . . ze Wormz über Bin; 1981,3 des edeln ingesindes von Wormz über Bin; 2030,3 daz du nie kovien ivcerest vonWurmz über Bin; ferner 324, 1 lieniwin ma're sich huoben über Bin: s. Beitr. 26, 483 f. (im Mhd. wb. 3, 171a. 37 f. auch unter der col. 2 'jenseits').

In dieselbe kategorie gehört schliesslich auch über gein, z. b. Parz. 762, 15. 25, gein über z. b. Wh. 263, 17 und gein im gleichen sinne z. b. Wh. 249, 27 oder 327, 16 ; engegen Er. 6431 ; Trist. 17379 {gegen) u. ö., zum teil richtungsangaben in der zustandsschilderung. Vgl. bei Otfried ähnlich z. b. 4, 19, 42 ingegin in, so ih sageta, so stnant er inti tJiageta. Nhd. gegoi- über, im älteren nhd. auch bloss gegen im gleichen sinne, z. b. in Luthers spräche.

Das MM. wb. enthält an der oben (s. 45, anni. 1) citierten stelle im folgenden den passus: 'Sonst stellt stets der acc, um das »wo« und das »wohin« auszudrücken, während bei ohe der dativ steht.' Sieht man den ganzen artikel des Mhd. wb.'s (sowie in Lexers Wb.) durch, so ergibt sich aus der natur aller belege für räumliches über mit acc, dass sie eigentlich als angaben der richtung aufzufassen sind, nach den oben gegebenen ge- sichtspunkten. Die angäbe, über mit acc. stehe auch auf die frage 'wo', ist nur eine bequeme fassung des gedaukens: das dabei stehende verbum muss nicht gerade stets eine bewegung (wie im regulären nhd. Sprachgebrauch), es kann auch einen zustand bezeichnen, was ja den tatsachen entspricht.

§ 163. Zum ausdrucke der Verbreitung einer bewegung oder eines zustandes über eine fläche oder über einen räum hin dienen im mhd. auch einige doppelverbindungen von richtungsadverbien, die wir in der gleichen gestalt nhd, zum teil nicht mehr besitzen. So z. b. die formel her unde dar.

Es ist übrigens zwischen dem Sprachgebrauch der einzelnen autoreu hier wol zu scheiden. Hartm. gebraucht die formel niemals. Gottfr. dagegen öfters: Trist. 682 .s* zogctcn sich her unde dar: wörtlich sind nur zwei offenbar entgegengesetzte richtungen angegeben: zum sprechenden her und von ihm weg. Es gilt aber von der formel ganz dasselbe, was Paul im Wb. s. 219 über hin und her sagt: 'Bei der Verbindung der beiden gegensätze hin und her braucht keine Vorstellung von bestimmten punkten vorzuliegen; sie ist nur der ausdruck für abwechselnde bewegung nach entgegengesetzten richtungen.' Das sich zogen findet nach allen richtungen statt, sie wogen nach allen selten durcheinander. Trist. 1745 si ivunt sicJi

48 WIESSNER

linde brach ir Jq) sus unäe so, her unäe dar; 2734 si fraf/eten her oder dar; 3883 da yie das volc her unde dar; 11030 und frägete her unde dar; 13247 Der hünic sach her unde dar; 18890 die (sc. schar) täten stherwide dar mit häzUchem st rite; anders 11785 Mre dar oder her, verwandele dise ger, minn' unde meine anderswäl 'dortliiu oder hierhin' (d.h. zu jener oder zu dieser dame), von einer beliebigen richtung. her dar s. Trist. 15254. Sehr gerne verwendet Wo 1fr. diese dem reim so entgegen kommende formel: Parz. 148,21 Der Tcnappe tmheitcungen ivart harte ril gedrungen, gehurtet her unde dar; 408,16 diu Icünegin lief her tint dar; 565,18 dar inne (im palas) bette ein tvunder lac her unt dar besunder, Bartsch '/jev i«rf dar ist auffallend bei lac: doch vgl. sitzen, stän; also: mau hatte gelegt'. Gewis unrichtig. Die auffassuug von ligen als verb der beweguug wäre hier sehr gezwungen, um so mehr, als der näher gelegenen aiTffassung von ligen als zustandsverb nichts im wege steht: die formel her unt dar kann eben auch verben des zustands begleiten und bedeutet dann dessen Ver- breitung nach allen richtungen (in einem bestimmten räum), ganz ähnlich dem oben erörterten über mit acc. ; die erklärung dafür ist die gleiche. 566,3 gienc min her Gäivän beidiu her unde dar; 567, 15 wie daz bette her unt dar sich stiez; 572,4 her unt dar begimdez (der kämpf) gen; 718,5 Ärtüs und Bene unt dise knappen zwene riten her unde dar; 757,2 dar an (am loäpenroc) stuont her unde dar tiwer steine gein ein ander, Bartsch 'nach beiden selten zu: eine doppelte reihe edler steine', her unde dar sagt hier ziemlich dasselbe wie gein ein ander 'einander gegenüber'. AA"h. 22, 2 zegegen wider, her unt dar ivart mit manlichen siten Hcdzebiers her durchriten; 58,9 die hörnen her und dar gehurt; 125,16 als sm wäpen- roc, mit steinen dar, drüf verwieret her unt dar; 187,29 da ivxre ein migefnunt gebür vil Uhte in dem schalle gedigen zeinem balle von hurte her unde dar; 313, 20 ouch sah man her unde dar daz velt al überglesten mit phellen den besten; 443, 7 seht wie den stoup der starke wint her und dar zetribe.

Merkwürdig ist nun dieselbe formel bei Wolfr. ziemlich oft in einer ungleichmässigen gestalt gebraucht: her unde da, also adv. der richtung und der ruhe.

Z. b. Parz. 377,24 ouch sach man her unde da (reim auf slu) viange banier zogen in: Bartsch bemerkt dazu 'ungleichmässiger ausdruck für hie unde da oder her unde dar\ Die formel hie unde du gebraucht Wolfr. in seinen werken nie {hie da Wh. 114, 16). Bei der häufigen widerkehr der formel ist auch an ein schreiberversehen nicht zu denken; die hss. schwanken dabei nur selten, nach Lachmanns lesarten zu schliessen. Bei Gottfr. ist diese iucoucinuitüt der formel unerhört, bei Hartm. erscheint sie ja, wie gesagt, überhaupt nicht, ebenso in derGudr., imNib.-l. in A gleichfalls nie. Das Mhd. wb. belegt her unde da auch nur bei Wolfr. und zwar ohne jeden commentar. Zweifellos ist hier der gewöhnlichen formel her unde dar, ohne sorge um die sprachliche und logische con- ciunität, dem reim zu liebe gewalt angetan. Parz. 419,20 ich hau in Galiciä beidiu her unde du mange burc reht unz an Vedrun; 668,7 si

RUHE- UND RICHTÜNGSCÖNSTRUCTIONEN. 49

keiien her {Gghhi, ghie) micle da mit Gäiväns marschalc üf die sin; 7-17, 27 als ein geschrihen permint, stoarz unde blanc her nnde da, sus nante mim EcJcubä; 791,23 och stuont her unde da turkoyse mit lippareä: 800,24 in eime gezelt höh unde wit, da her unt da (so DGg, dar dg) in alle Sit clärer froutcen lac genuoc: der fall ist ganz gleichwertig dem oben citierten 565,18; höchst auffallend wäre hier die migleichmässigkeit der formel, wo kein reimzwang vorliegt; die hss. schwanken denn auch. Jedenfalls wäre die störrige formel ausserhalb des reimes hier ganz vereinzelt. Wh. 8, 10 Frovenze her unde oucli da (reim auf India) geivan sit jämers künde ; 56, 16 sus streit er her (so Knt; hie Imopv: reim auf sla) tmde da ^verliehen üf dem plan; 105,25 si sprachen her (so Kmntx, Jiie 1, alle hie op) unde da 'diz ist der künec von Persiä'; 193,1 Er vrägete inherundedä. er sprach 'ich hin von Meckä'; 200,6 sah man her unde da (reim auf gra) von velde und üz den porten, ich mein gein al den orten sivä gein Orlens diu straze lac, diu wart getretet icol den tac.

Aus Otfrieds werk könnte man vergleichen 2,7,73 himil sehet ir indan, tliie engila ouh hera nidargan. Ni mugid iz bimidan, sehet ir se stigan herot inti tharasun ubar then mennisgen sunt Widerholte bewegung, aber nur in zwei richtuiigen , vgl. Joh, 1, 51 videbitis ccelum apertum et angelos dei ascendentes et descendentes supra fdium hominis.

Wälirend, wie gesagt, die formel hie unde da bei Wolfr. nie erscheint, gebrauclit er öfters hie iinde dort, dort unde hie, und zwar im sinne der Verbreitung-, oder auch von ZAvei ganz bestimmten punkten:

Parz. 409, 28 baz geschict an spizze hasen, ich ivcene den gesäht ir nie, dan si ivas dort unde hie, zicisclien der hüff'e mide ir brüst; ebenso 450, 9. 514, 23. 641, 3. 690, 17. Anders Tit. 44, 2 immer scbUc hie unt dort an den stceten pris die gezelten 'in diesem und in jenem leben': vgl. 144,4; auch Wh. 4, 11 ; dagegen Wh. 78, 28 daz ors mit hurte in näher truoc, daz die riemen vorme knie brüsten dort ^Dide hie vielleicht ohne bezug auf zwei best, stellen ; ebenso 180, 18. 225, 2. 446, 4. S. ferner dort hie (in Frank- reich — in Deutschland) Wli. 5, 14; ähnlich 43,26 f.; der gegensatz dort hie, hie dort ist Wolfr. im Wh. überhaupt recht geläufig; vgl. z. b. 14, 27 f. (wie Tit. 44, 2). 187, 12. 187, 13. 14. 197, 4. 209, 2. 225, 18. 247, 26 {hie oder dort). 211,21. 286,26. 304,25. 316,21. 392,9. 414,14. 439,22. 441,24. 449,10. 11 und wol noch öfter. Bei Hartm. vgl. Er. 2468 man sach in dort und hie; an Parz. 409,28 erinnert Er. 7353 {dort unde hie), hie da s. Ivv. 3734, hie dort 5406. Gottfr. gebraucht auch hie unde dort, z. b. Trist. 11485; dort unde hie z. b. Trist. 18876; da unde hie 16731; auch hie dort z. b. 2393. 3638. 18877. 78. 18883. 85. da unde da 9206 scheint eine vereinzelte doppelverbinduug. Gottfr. eigentümlich ist die formel ^vä unde Mhd. wb. 3, 517b. 10 f. 'hie und da, an mehreren stellen', fast nur belege aus Gottfr.'s Trist.; ich habe mir folgende augemerkt: 653. 3885. 3996. 7508. 8810. 9205. 10075. 11114. 15201. 16101. Vgl. übrigens uuär anta iiuur = per loca, j)(t^sim Graff 4, 1198.

Heiträge zur gcschichte der deutschen spräche. XXVII. /^

50 WIESSNER

Die im nlid. übliche doppelverbinduiig zur bezeiclinimg der 'abwechselnden bewegimg nach entgegengesetzten rich- tungen' (s. s.47) hin und Jier setzt Wolfr. in diesem sinne nie.

Lieder 8, 31 din wiplich güete neme min ivar, und st min schilt hiui hin und her steht sie in ganz anderer fuuction: 'auf meinem heim wege und bei der rückkehr hierher'. i) Aber Parz. 813,6 sivie vil man her ode hin spise truoc, sin munt ir doch niht az. Auch bei Hartm. kommen nur sehr wenig stellen dafür überhai;pt in betracht : von nur zwei beweguugen Iw. 2128 so snel ist dehein man noch niht äne gevidere clazz hin und her leidere möht Jcomen in so kurzer vrist. Vgl. her ode hin 7880. Aber, wie nhd., hin unt her z. b. Er. 2448. 3874. hin her von nur zwei richtungen Er. 6865. Im Nib.-l. s. 1609,2 hin und her ividere ivart da vil gesehen an meide und an vromven.

Ganz im sinne von nhd. hin und her (s. DWb, 4, 2, 1373) verwendet Gottfr. öfters diese formel:

So vielleicht Trist. 2577 iif eine schocne sträze, diu ivas ze giioter mäze breit unde geriten hin unde her, wenn nicht doch nur die zwei ganz be- stimmten richtungen der strasseubahn gemeint sind. Sicher aber Trist. 3800 und vorschete ouch da starke von stete ze stete, hin unde her; ebenso 6752. 8105. 13535. 13587. Dagegen Trist. 8560 gemietet et in allen daz, daz si selbe mit mir varn, hin unde her mit mir hewarn iutcer dinc und iuwer ere 'auf der hin- und rückreise'.

Häufiger setzt aber Gottfr. die umgekehrte formel, her unde hin, im nhd. viel seltener als hin und her, vgl. DWb. 4,2,1003.2)

So Trist. 5650. 9181. 10817. 12050. 13527. 13682. 14670. 15698. 17157. 17394. 18893: also fast lauter belege aus der zweiten hälfte des werkes, was freilich auch zufall sein kann, her oder hin Trist. 17053; hin her 4051; her hin 7605. 861:9 und wahrscheinlich noch öfter.

Einem her unde dar oder hin unde her u. s. w. gleichwertig gebraucht das Nib.-l. öfters die formel tvider unde dan, eigent- lich 'zurück und von da wider hin', eine Verbindung, die mir in Hartmanns und Wolframs werken, wie in Gottfrieds Trist. nicht aufgestossen ist:

Nib. 731,2 man sach die helden wenden wider unde dan; 1473,1 Do suohte er näh den vergen wider unde dan; 2070,2 di versuochten ez vil sere

') Vgl. Wittenweilers Ring 22 c. 22 Wer seu fragt 7vol hin also um. ein sach, setj sprachent do = 'als sie so auf dem liiuwege waren'. Aehn- liche knappe Wendungen in der heutigen Umgangssprache : hin ivars lounder- schön v/nd her hat's geregnet.

*) Vgl. z. b. Mörike, Gedichte (In der frühe) s. 31 Es wühlet mein ver- störter sinn noch zivischen zweifeln her und hin.

RUHE- UND RICHTUNGSCONSTRUCTIONEN. 51

ividcr linde dem; 2150,1 Ber vogt von Bechelceren gie ivider unde dan; 2229,1 Die tvlle gie och Wolfhart heidiu ivider nnt dan. lu der Gudr. vgl. 744, 1 Si teilten gröze gäbe wider iinde dan.

Aelinlich bei Wolfr. einige male wider unde für (z. b. Parz. 588, 26), ßr unde ivider (z. b. Parz. 591, 22 oder AVh. 277, 26).

Gottfr. verwendet öfters die formel dar unde dan, ursprüng- lich von zwei entgegengesetzten richtungen 'dorthin und von dort (wider) weg',') also conträr dem wider unde dan, meist auch bei Gottfr. von zwei bestimmten richtungen.

Z. b. Trist. 16997. 17119. 17649. NM. hin und her entsprechend z. b. Trist. 10963. 12677 'in jeglicher hinsieht', dar noch dan Trist. 880. Ebda. 15152 oh iemen ht getraute dem bette dar oder dan daz man in spurte ab oder an (Bechstein 'anf dem weg vom bette weg oder auf das bette zu') zeigt ab oder an dem dar oder dan (genauer *dan oder dar) in der be- deutung gleichwertig: vgl. dazu 833. 890. 8104. 15303. 15341. Bei Wolfr. s. Parz. 21, 16 ivie rehter dar unde dan entwichet unde Teeret'. Chiastische Stellung.

§ 164. Mehrfache interessante abweichungen des mhd. Sprachgebrauchs vom herschenden nhd. hinsichtlich der auf- fassung von ruhe oder richtung ergeben sich bei rede Wen- dungen, die einen Vorzug, vorrang, ein übertreffen U.S.W, bedeuten, in den präpositionalen ausdrücken, welche die übertroff ene, hintangesetzte, nachstehende person oder Sache umschreiben. Alle diese rangverhältnisse sind ja ur- sprünglich ganz durchsichtig local aufgefasst worden, in meta- phorischen redensarten, deren räumliches element im laufe der zeit verblasste. Hierbei herschen, abgesehen vom ruhe- und richtungsverhältnis, zwei auffassungen mhd. so gut wie in der modernen spräche, die man vielleicht durch die schlagworte 'horizontal, vertical' markieren könnte.

§ 165. L Horizontale auffassung. Die bevorzugte, überlegene person (oder sache) hat im vergleich zu der zurück- gesetzten, hintanstehenden einen günstigeren platz im ebenen terrain, günstiger, insofern er ganz allgemein ausgedrückt irgend einem wertobjecte näher ist, wobei sich natürlich die widergabe des rang- und Wertverhältnisses dui'ch

1) Bei Mörike, Gedichte s. 200 (Der alte turmhahn) heisst es: Mein herr fangt an sein predigtlein studieren; änderst mag's nicht sein; eine weil am ofen brütend steht, unruhig hin und dannen geht.

52 WIESSNER

ein raumverhältnis auf erfalirimg-en des alltäg-lichen lebens in diesem sinne stützt. Das ist die sinnliche basis solcher Wen- dungen, später längst nicht mehr durchgefühlt.

Hier springt nun eine merkwürdige Verschiedenheit des mhd. vom gegenwärtigen Sprachgebrauch sofort in die äugen: heute ist uns in diesem falle (vgl. z. b. ich liebe sie vor allen frauen) der vorrang, das übertreffen ein zustand, daher con- struction der ruhe: vor mit dativ. Neben dieser fügung er- scheint aber im mhd. auch sehr geläufig vür mit accusativ, offenbar construction der richtung, wobei, wie die folgenden fälle zeigen, das verbum keinerlei einfluss auf die casusrection besitzt. Vorrang und Vorzug ist also nach dieser fügung eine bewegung vor die übertroff ene person oder sache hin, an ihr vorbei, so dass sie zurückbleibt: nhd. nur durch vor mit dem dat. oder durch mehr als widerzugeben.

Hartm. vor mit dat.: Er. 2613 tet ers vor in allen 'da tat er es ihnen allen zuvor'; 4870 ist daz ir ditze tuot, daz loil ich vor im allen han swaz ir mir liebes habt getan; 7253 daz im kein werltsache icas vor (hs. von sinnlos) dem gemache; 8264 vor ir (so Haupt und Bech in der 3. aufläge; die bs. hat in: die änderung in ir scheint mir nicht gerade ge- boten) was diu vierde in Ubes gezierde; 8287 muoste im ivol gevallen diu ziveinzegest vor in allen; Greg. 257 vor allen dingen minne got 'liebe gott über alles'; Iw. 6618 icaz ob iu sol gevallen der pris vor in allen? vür mit acc. ; Lieder MF. 214, 24 Ez ist ein ungelückes gruoz, der get für aller hande swcere; unsicher Er. 1332. 33 unde daz si ncemen . .. einen Tcus für einen slac ^ind guote naht für Übeln tac: denn /'wr könnte hier auch = 'anstatt' stehen: durchsichtig aber 1767 ir scha'ne für die andern gie; 2387 derz dicke für in hete getan: vgl. Er. 2613; 2728 daz ez niemen für in tcete; 3359 tvcere ich niuwan tot (daz nceme ich für dise not) wider unsicher; ebenso vielleicht 4883 jan lebt er niht den ich für in iezuo tcolde sehen (nach Lachniauns besserung); 5126 daz er xvcare für in guot; 5236 ob st ein phlaster für in (Haupt 'besser als er') gciyrüeven künde; 8450 daz ich dar an gewinne sundern pris für alle die die noch her kämen ie ; 8806 unde wurde ouch erkant über elliu disiu lant für alle ander man ; 9544 die selben stat ich prise für alle boumgarten; Greg. 641 st heten iemer der werkle spot gedultet für daz scheiden, wider nahe 'anstatt'; 1400 daz ir mich eilenden kneht ... für allez iuwer gesinde ... habt erzogen; 1453 so hast du tugent und ere für lasier und für spot erkor n: 'anstatt' oder 'lieber als'? 1590. 91 ouch tvas mir ie vil ger für den griff'el zuo dem sper, für die veder ze dem siverte; 1677 ivold ich gemach für ere; 1692 er ivirt vil lihte ein scelie man und über (nach Zwierzina, Zs. fda. 37, 413) diu lant für manegen herren erkant; 1984 da von er tvart ze schalle und ze prise für st alle; 3822 da von get gnade für daz reht; A. Heinr. 80 er tcas für

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al sin Minne gepriset unäe gecret; Iw. 688 die selben vreude ich prise für alle die ich ie gesach; 918 ermverdes vür mich geivert; 1972 daz si deheiner vrümekheit iemen vür ir herren jach ; 4010 und weinen vür daz lachen Jcös ; 6053 daz also gar ze prise stät vür manegen riter iimer Up ; 7382 ich minnet ie ... den liehten tac vür die naht; 7392 ich minnet ... den tac vür allez dazder ist; im 1. Büchl. endlich 109 daz ich üz al der werlt ein wip ze frotven über minen lip für st licete niht erJcorn; 1806 tvan ich des tiefen meres fluot . . . für disen himber ivüete. Also steht vür mit acc. iu diesem sinne weitaus in der niehrzahl der fälle bei Hartm. gegenüber vor mit dat. Vgl. auch Er. 2569 ivapcnroc und sin kröne mähte in üz (richtungsangabe) schöne.

Ebenso gebraucht Wolfr. dieses vor mit dat. relativ recht wenig: Parz. 365,29 den jungen tvcrden süezen man vor al der iverlt ich minne 'mehr als alles, über alles in der Avelt'; nicht wie nhd. vor der ganzen ivelt = palam, was an dieser stelle sinnwidrig wäre; vgl. 692, 4; Tit. 131, 4 daz ich den Gräharzoys vor al der werlde nu mit urloube so minne da- gegen 'vor aller weit, öft'entlich'; Parz. 531,25 si tcas im reht ein meien zit, vor allem blicke ein flört; 723, 25 doch truoc der werde Parziväl den pris vor ander clärheit; Tit. 9,4 daz ir prts wirt vor anderm prise der helle; Wh. 18, 7 daz in der pris tvcere bereit vor ander heres fluot (s. Panzer, Beitr. 21, 228 ; dagegen Kraus ebda. 542) ; im grenzgebiet von vor = ' an der spitze von' oder 'in gegen wart von' liegen fälle wie Wh. 30, 8 da ieslicher kröne vor sinen fürsten schöne truoc; vgl. 73,5. 204,21. 215,29. 382,10. In der starken majorität der fälle setzt Wolfr. aber vür mit acc, dem nhd. Sprachgebrauch gegenüber oft recht seltsam : Parz. 26, 14 sin zuht wac für alle ziüit; 87,16 ivan sist im holt für elliu wtp; 257,32 doch nceme ich sölhen hlözen lip für etslich ivol gekleidet ivip ; 296, 8 an im wac für der minnen löt; 306,27 er ivcere gebluomt für alle man; 334,29 etsioenne ouch leit an dem orte fürbaz ivigt; 338,6 diu prüevet manegen une haz derneben oder für in baz; 380,13 so tvcer da pris für in gegert; 388,10 die zivene behielten da den pris, für si niemen keinen tvis; '406,7 min trimve ein löt an dem orte fürbaz wcege; 431,14 iwer pris für alle prise tvigt; vgl. auch 584,3 solten dise kumher sin al ein, Gäiväns kumber slüege für; 635,8. 10 für war der künec minen lip minnet für elliu loip. des wil ich in geniezen Um: ich pin im holt für alle man; 686,25 sit si für alle gewinne dienst büte nach siner minne; vgl. die anm. von Bartsch; 692,4 diu such Gäivänn kreftelös den si für al die iverlt (GG'^gg vor alder iverlde) erkös zir höhsten freuden kröne; 698,29 daz er den pris für alle man von rehten schulden solle hän; 715,7 din tröst für atider tröste wigt; Tit. 147,4 sizöchin[von kinde] unze an schiitlich vart und kös in für alle geioinne ; Wh. 78, 6 ivand er mit strite künde und niemen für sich gunde deheinen pris ze bejagenne 'er gönnte es niemand, einen rühm zu erwerben, der über ihn (d.i. den seinigen) hinansgieng; 125, 30 diu kost für alle koste gienc; vgl. auch für- gezcehe 184,4; 205,15 Thesereiz der het ie genuoc priss für sine genöze; 207, 10 die fluht ich für sterben kös ; 310, 2 Ich diene der künsteclichen hant für der heiden got Tervigant; 323,28 der jach daz nie so guot gezelt koim üf tvisen noch üf velt, ern nccme ein kemenüten da für, nahe der be-

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deutung 'anstatt', wie auch in den vorher citierten stellen; 331,7 daz nie fürsten soldier für dich tvart haz geeret; 347,19 von dem erst erschinenen tage unz an des jüngsten tages schin muoz Thesereiz gepriset sin für al Adams geslehte; 371,27 die aber da nämn ir ende, die fuoren gein der Jiende diu des soldes hat geivalt, der für allen solt ist gezalt 'den man höher zu schätzen hat als jeglichen anderen sold'. Vgl. noch 378,23 daz vor andern sinn genözen tvas gezilt und gestözen sin höher pris so rerre für.

Verwant diesem vür mit acc. ist die adver bialformel vor US, die AVolfr. nicht selten neben dem verbum gebraucht Hartm. und Gottfr. nie um einen vorrang u.s.w. zu be- zeichnen: vgl. unser ehvas voraus haben vor einem.

Parz. 357,27 sin tat tvas vor üz so helcant: vgl. Paul, Bei tr. 2, 86, wo fast alle in betracht kommenden stellen verzeichnet sind; 365,25 er müest vor üz der höhste sin; 608,27 und hat Gmcän erworben soVien pris vor üz besunder; 630,8 von Lögroys diu herzogin truoc vor üz den besten schin. In unserer Umgangssprache circulieren übrigens ganz ähnliche Wendungen : voraus eine loar schön u. ä. *) Ferner 645, 26 mit ivünnedicher fromven schar, die für war bt miner zit an prise vor üz hänt den strit; 700, 11 daz Parziväl al eine vor üz trüeg so clären lip ; 808, 17 ein gesiz vor üz geheret was. Zweifellos gehört hierher auch Parz. 217, 10 vor üz mit maneger schoie rieh diu messnie vor im az: vor üz ist nähere bestimmung des grades (zu rieh), nicht des ortes (so Bartsch: vorn an); "VVh. 102,2 deti ich vor uz so meine; 184,2 den man vor üz so dorfte jehen priss in sölher hoehe; 189,6 und kiust vor üz daz beste; 220,5 der ie werden wiben vor üz ir rehts also verjach; 254,2 den pris truog er vor üz al ein; 287,4 der vor üz ist bekant zer höhsten esJclirie; 434,9 hoch mit höher ahte hat rcemisch krön vor üz den strit; 462,4 den beiden vor üz wcere benant so manec höhlicher pris.

Gottfr. gebraucht vor mit dat.: Trist. 696 der ez des tages und an der stete ze wünsche vor in allen tete;^) 1795 daz ist vor edlem löne, deist aller triuive ein kröne; 3240 er begunde im wol gevallen. vor den andern edlen sin herze in sunder üz erlas; 11445 den muose er äne sine n danc vor allen dingen meinen; 11458 hüef es vor allem giiote; 12547 daz ime vor allen dingen ist; 13809 daz ist im danne ein herzeleit vor allem herzeleidc; 16526 ivan ime was ie genöte niJit dinges vor Isöte. Ganz auffallend selten im vergleich zur spräche Hartm.'s und Wolfr.'s setzt er vür mit acc. in dieser function: Trist. 12528 er die minne vür si kos (nämlich

*) Vgl. Gottfr. Keller, Die leute von Seldwyla 2, 75 was dem männchen vor allem aus gefiel.

2) Trist. 1022 daz min sin von den andern allen an in einen ist ge- vallen: ebenso Golther in seiner ausgäbe; Massmann setzt dagegen vor (so auch Bechstein noch in der zweiten auQ..): s. Job. Kotteukamp, Zur kritik und erklärung des Tristan, Götting. diss., s. 10 und Trist. 8515 von den ge- danken bin ouch ich von den andern allen so sere an si gevallen.

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triutce und ere). Zu vergleichen wäre höchstens noch Trist. 10902 dem Wunsche s'einem endezil, da vür er niemer komen kein.

In den beiden volksepen wird gerne vor mit dem dat. in diesem sinne gesetzt: Nib. 271, 4 der man so grözer schcene vor allen juncvromven jach; 399, 3 daz ir mich ruochet (jrüezen, fiirsten toJiter milt, vor disem edeln recken temporal, dabei auch im sinne des Vorzugs ; 605, 3 diu liebe swester diu ist mir vor in allen die ich noch ie (fcsach; 761,2 so soltuvorim Um Günther den recken 'vor ihm den Vorzug G. geben'; 761,4: der miioz vor allen kü- nigen, daz tvizze, ivcerliclie sin; im übergaugsgebiet vom örtlichen zum ab- stracten stehen die folgenden fälle 760, 2. 3. 770, i. 781, 4. Ferner 877, 4 den lop er vor in allen an dem gejeide geivan; 918, 1 den bris von allen dingen truoc er vor manegem man; 958, 3 ein leit . . . daz ir vor allen leiden an ir herze gut ; 1745, 4 Dancicart und Wolfhart, . . . die saeh man tvol ir tugende vor den anderen jihlegen : 1908, 2 doch such man vor in allen Vol- keren stein gein den vtenden, localer Sphäre nahe; 2309,4 an dem mir herzen leide vor edlem leiele geschach. G u d r. 165, 2 der junge Heigene lernte, daz helele wol gezam, vor so manegem degene: die hs. hat von; vor passt wol allein in den Zusammenhang und wird deshalb auch von allen heraus- gebern eingesetzt; 395,4 ivande iuwer stimme eliu ist vor aller vreude unde ob aller kur zivile ein gimme: s. Martins anm. in der grossen ausgäbe; 572,3 da von er geivan vor anderen degenen also michel ere; 615, 3 elaz si ir tugent prisent vor meiden und vor wtben; 762,2 daz er elie vrouwen guol heete vor in edlen; 775,3 ez habe einen vrieelel diu herUche meit, den si im herzen minne vor edler slahte diete; 1023,4 elie er vor edlen meiden ze einem liebe gerne haben wolte. Seltener steht dagegen vür mit acc: Nib. 550,4 man möhte Kriemhilde für Prünhilde jehen; 582,8 er neeme für si eine niht tijisent anderiu wip, nahe der bedeutung 'anstatt'; 853,4 für edle mine vriunele getrouwe ich iu wol; 2126,3 daz ich in wol getrmve für edle ander man. Gudr. 51,3 daz er vür si alle ... da spilte mit gevuoge; 170,4 üz allen landen gerte er vür si bezzer eleheine: 'anstatt'? 406,3 zicelvc, die ze prtse vür mich singent verre; 578,4 vür amier schcene vroiiicen lohetc man Kiitrün tegeliche; 1020,4 e ich vür minen vriedel ieman minne; vgl. auch 1685, 3 daz vür küneges gäbe sin gäbe reichte verre.

In den Altd. pred. 3 ist vor mit dat. zur bezeichnung des Vorranges etc. durchaus das gewöhnliche: z. b. 17,21 tvan in uhiser herre, eler heilige Christus elo mint vor andern sinen jungern; 30,30 von elanne so bistu ge- segent unde gehailiget vor allen tviben; 214, 36 also ist ouch si vil heriii kuniginne vor allen heiligen daz aller oberste houpt; 233,19 der niun chore eler ist ieloch ie eiiner vor elem andern unde ie eiiner ob elem andern, noch ganz local zu fassen; 246, 17 daz in daz vor einelern gots trüten chiint unde geivizen ist; 246,29 daz si vor einelern gots trüten sunelerlichen sint; 247,32 die unser herre vor anelern sinen trüten eilso geheiliget unele gerthett; ganz ähnlich 248,11. 13; 255,11 loie eler himiliske kunic da ze den sinen ewigen hochcitcn elie sinen erweiten holden, sunelerlichen ie ainen vor dem aneleren, da geziert unde gert habe ; ebenso 255, 13. 16. 19. 26 ; 255, 14 ähnlich 246, 17 ; vgl. auch 257, 4 elie sint nu von iinsers herren orelenunge der heiligen Christen-

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hait an der stet vor. Recht selten steht dagegen vilr mit dem acc: 211, 35 siver in dirre weit iht des hat daz im lieher ist denne ich im si iinde daz er für mich minnen loil; 218, 22 imde ir ditze arme eilende mere minnet denne die eivigen haimüte unde ditze vil churce cit minnet für den eivigen lip.

§ 166. II. Verticale anff assung. S. Grimm, Gr. 4^, 1057(875 f.), auch 1024 (849). Graff, Wb. 1, 87. Graff, Ahd. präp. s. 166—168. Mhd. wb. 3, 172 a. 19 ff. Die bevorzugte, überlegene person oder sache hat gegenüber der zurückgesetzten, nach- stehenden einen höher befindlichen, überragenden, beherschen- den platz: zahllose redensarten, welche mit dem rangsverhältnis zu tun haben, gehen in letzter linie auf diese anschauliche grundlage zurück. Ohne weiter auf diese schon mehr oder weniger abstract gefühlten phrasen einzugehen, möchte ich hier nur ein moment betonen: zur anreihung der hintan- gesetzten, untergebenen u.s.w. person (oder sache) verwendet die heutige spräche üher mit acc: nichts geht über einen trunJc Maren wassers] oder icli liehe dich über alles; her sehen, gebieten, herr sein über einen u. s. w. lieber mit dat. in dieser f unction ist in der Schriftsprache ungebräuchlich. Mhd. aber ist im gleichen falle obe mit dat. ganz geläufig in concurrenz mit über mit acc. Während also bei horizontaler auffassung die dativische phrase siegte, drang bei verticaler die accusativische durch.

Hartm. scheint nur über mit acc. zu gebrauchen: 1. Büchl. 108 daz ich uz al der werlt ein loip ze frowen über mlnen lip für si Juete niht er- Icorn; 527 tocer ich geivaltec über dich so du bist über mich; Er. 35 diu ist künegin über daz lant; 2110 ouch herren über der tiverge lant; 3363 der mich von grözer armuot ze frowen schuof über michel guot; 4470 ich bin Tiünec über Irlant ; 6036 und Jcrönde mich diu werlt al ze frouiven über elliu tvip; 6200 mich dxmiket daz si tvol gezeme ze frouiven über min lant; 6265. 66 joch herre über ein richez lant: dar über sidt ir frouwe sin; 8604 wan er was herre über daz lant; 8933 daz ir wünneclicher lip geprist woir über elliu wip; 9374 min vater ist ein künee rieh ... über Destrigüles lant; 9677 ja hat dich immer mere got und ellenthaftiu hant gekrccnet über elliu lant; Iw. 3640 diu ist ouch vrouive über ditz lant; vgl. 3621 gebietet über mich.

Ebenso verwendet Gottfr. nur über mit acc: Trist. 325 der seihe herre er wcere ein Lohnoiscere, künec über daz lant ze Lohnois; vgl. 1591; gebieten über 3371. 4496; 4447 ob du künic ivesen sollest und herre übr allez Kurnewal; 4497 ivis iemer künic über Kurnuml; 8888 er ist hie mar- schalc über diz lant; 11401 und daz si toesen sohle fr ouiv' über allez Enge- lant; 13936 ir habet doch ze iuwerr hant beidiu Hute unde lant, diu sint iuwer umde min: dar über sit gebietcerin; 18741 sin lant und sin ere du bat er in herre über sin.

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Wo 1fr.: ob mit dat. Parz. 43, 2i der ist ob cd den Floren her; 254,25 ouch mahtu tragen schöne immer scelden kröne höhe ob demverden; 319,7 und dennoch mer im ivas bereit schäm ob edlen stnen siten; 319,11 schäm ist ob siten ein güebet uop; 399, 28 ob den alln was einer her; 465,4 stt er uns sippe lougent niht, den ieslich enget ob im siht; 532, 14 sit ir sivene ob minnen her; 533, 30 diu minne ist ob den andern hoch; 556, 16 her, da ist not ob aller not; 654, 14 die lenge und ouch die breite treit iiver pris die kröne ob anderen prisen schöne; 734,30 in bestet ob allem strite ein vogt; Tit. 12, 4 da^ (der gral nämlich) toas der wünsch ob irdeschem riche ; Wh. 1, 9 hoch edel ob edler eelelkeit; 1,27 ivisheit ob edlen listen; 45,22 der drier tat iveis so benant, ob heidenischer ivirde erkant ; 292, 11 man gap etswä ze swester mir ob aller clärheit lobes kränz, ein maget, diu nam der sunne ir glänz und eine reihe anderer tähnlicher Wendungen mit ob. Vgl. auch Parz. 315, 2 Künc ÄHüs, du stüent ze lobe höhe dinn genözen obe. über mit acc: Parz. 13, 14: s. s. 37; 49,21 hiute bin ich hie tvorelen herre überz lernt; 474,22 der icas ouch herre übern gräl; 476,16 iveer ich dein herre übern gred; 480,22 wer sol schirmer sin über des ejrCdes touejen? 494,29 truoe si kröne über zwei lant; 499,4 diu was frouwe überz lant (gleichlautend 514, 28) ; 554,17 he7-re, gebietet über mich; 558,26 ir muget mit freuden herre sin über mei- negen lichten scMn; 688,14 des kraft was über in so gröz; 730,18 daz er ir libs und über ir lant von rehte herre iveere (üher diesen Wechsel in der constructionsweise s. die schon öfters citierte anm. Beueckes zu Iw. 3225 und C. Kraus, Beitr. 21, 546 f.); 803,3 wederz ist eler knabe der künc sol sin übr iicer lernt? 823, 10 daz sin sivester eine strit tvas fromve übr memegiu lant so tvit; 824, 2 Sit über lant ein frouwe saz (so nur D; lanch die übrigen); Wh. 1,3 schepfeere über alle geschaft; 345,7 ir sit künege über zehen richiu leint; 347,6 er was künec über fünf lant; 375,24 über den walt Lignedöe der selbe ouch forstmeister icas ; 434, 17 als het der Kanabeus suon hcehe übr alle elheidenschaft.

In den beiden volksepen erscheint ob mit dat.: N ib. 661,3 elen ejwalt . . . der so riehen vrouwen ob landen wol gezam ; vgl. auch 394, 7 tvol locer er künic rieh ob witen vürsten lanelen. Gudr. 18,3 muoste er tragen kröne ob edelen vürsten rtche (zu 395, 4 vgl. s. 55) ; 550,3 elaz er herre locere ob siben riehen landen; 1022,4 elaz er niht kröne trüege und eloch herre hieze ob küneges lande. Auch M7>e>- mit acc. : Nib. 768, 2 sit er elin eigen ist und du über uns beieliu so getvaltic bist; 1064,3 der möhte meister sin wol in al der werlde über islichen man ; 1176, 1. 3 Ir sult ouch werelen vrouwe über manegen werden man . . . und über manege vrouwen. Aus der Gudr. allerdings ist mir kein einziger beleg dafür bekannt.

Die prosa der A 1 1 d. p r e d. 3 kennt beide fügungen ; 193, 20 so hat er sie zivene sunderlichen ob andern sinen heiligen also verre gehailiget tinde gert: gleich darauf (z. 27) der gleiche gedanke in anderer wendung unde hat elannoch sunelerlichen die zwene herren . . . über die anelern ir husgenoz also verre gehailiget xmele geret. Im folgenden, 194, 41 eine dritte Variation: loan si nu unser herre vor andern sinen heiligen sunelerlichen hat geheiliget unele gert; vgl. ferner 204, 12 ... ain boiim, eler tvcis ob den

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andern allen, und 35 ain botmi . . . der in allen oh ist tinde vor ist; 248, 12 das si ob andern sinen heiligen sint fursten unde herren; 261, 36 so sie unser herre über alle dise tverlt sunderlichen da mit (jeliailiget vnde gert hat (oder Verbreitung?).

§ 167. Am Schlüsse dieser ausfülirung'en sollen noch ein paar adverbiale ausdrücke, localangaben allgemeiner natur, die dem modernen schriftdeutschen Sprachgebrauch gegenüber zu bemerkungen anlass bieten, übersichtlich erörtert werden.

So z. b. die in der heutigen Schriftsprache erloschenen, mhd. aber wol geläufigen Verbindungen localer adverbien her dan 'von da (einem entfernteren orte) her (zum sprechenden) ' und hin dan 'von da (einem dem sprechenden näher gelegenen orte) weg, fort': so wenigstens die ursprünglichen bedeutungen.')

Dem österr.-bair. dialekt sind beide formein heute noch völlig geläufig, hcrdmi bezeichnet hier die richtung zum sprechenden her, hida^i die vom sprechenden weg. Nach meiner kenntnis unseres dialekts werden übrigens diese Verbindungen, regulär mindestens, nicht zur bezeiclmung der richtung bei bewegungsverben verwendet, wo vielmehr die umgekehrten formein datier (= dan her) und dmii (= dan hin) üblich sind,2) sondern bei zustandsverben. Ja man fühlt herdan, hidmi schon als Ortsangaben auf die frage 'wo', in der bedeutung 'hie', hier beim sprechenden, bez. 'illic', abseits vom sprechen- den. Ursprünglich waren selbstverständlich alle diese ver-

1

1) Ueber nhd. herdann s. DWb. 4, 2, 1076, über hindann ebda. 1404; hier auch über die misverständliche umdeutung der forrael in hintan, die Ver- nalekeu, Deutsche syntax 2, 158 f. unrichtig aus hinien an erklärt. Vgl. ferner Graff, Wh. 5, 43. 51. 52. Mhd. wb. 1, 303 a. 26 f. Lexer 1, 410.

2) Aehuliche Verbindungen zweier localadverbien zu einem neuen wort sind auch sonst geläufig, wobei durch die verschiedene Stellung der beiden glieder doppelgestaltigkeit hervorgerufen wird. Z. b. herein einher mit differenzierter bedeutung; im dialekt nur einer im sinne des herein der Schriftsprache. Unser dialekt gebraucht überhaupt allgemein die formein mit nachgesetztem her, hin, im gegensatze zur Schriftsprache; z. b. heraus ausser (= aus her); hinauf avfi (= auf hin); Jtinaus aussi (= aus hin) (Gottfr. Keller sagt in den Züricher novelleu einmal [s. 332] aber unter der hedingung, dass du dem jungen keine mittel zur einfältigkeit und herz- losen pr ahler ei aushingibst); herauf aufer (= auf her); hinein eini (ein hin); ferner hinab äbi (ab hin); herab aber (ab her); hinum umi {um hin); herum umer (um her); herüber überer (über her); hinüber überi (über hin).

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bindungen als riclitungsangaben gefühlt; da vSolche aber zur bezeichnung der läge eines zustandes (in der Umgangssprache unserer gegenden z. b. im schatten lierdann liegen, schlafen) oder einer tätigkeit (z. b. auf dem aclier hidann arheiten) so gut wie zur bezeichnung der bewegungsrichtung gebraucht werden können, entwickelte sich in diesen fällen dann das ge- fühl, als stünden sie auf die frage 'wo' (vgl. üherall u. ä.). Der dialekt benützte die doppelheit der form zur differenzierung: herdan, hidaiz stehen bei verben des zustandes oder der tätig- keit zur bezeichnung der richtung, in der diese liegen, daner, dani bezeichnen ausschliesslich die bewegungsrichtung.

Für die formein dan her, dan hin finden sich in den hier untersuchten mhd. texten keinerlei belegstellen; das Mhd. wb. a. a. 0. verzeichnet auch keine ; vgl. Lexer und Graff a. a. o. her dan, hin dan dagegen sind mhd. ziemlich viel gebraucht; die Verteilung auf die einzelnen autoren ist allerdings sehr ungleich.

Auch mhd. sind her dan und hin dan bei offenbaren verben des zustands anzutreffen, naturgemäss in selteneren fällen; es ist daher aus der Verbindung dieser richtungsangaben mit einem verbum dieses nicht direct als bewegungsverb zu er- schliessen.

Z. b. Hartm. Greg. 1066 der arme hi dem Möster saz, der riche wol hin dan haz 'weiter weg'. Wo 1fr. P. 636,21 daz het ein underscheit erkant, daz die rtter eine loant heten snnder dort hin dan; 353,10: vgl. Beitr. 26, 476 ; 763,6 bi Gäwäne saz sin ane, Oryelüse üzerhalp her dane; Wh. 274, 24 daz underschiet niht wan sin gran. mir io(er noch liep, ivcern die her dan, d. h. wenn er die bartsprossen nicht gehabt hätte; wesen kann sicli allerdings mit richtungsangaben auch im sinne der bewegung ver- binden; 390,8 iind habe er verre dort hin dan 'möge er uns damit weit vom halse bleiben'. Gottfr. Trist. 8947 nu snch er verre dort hin dan vier gewäfende man über unrjeverte tmd über velt ein lützel balder danne enzelt fliehende gälopieren 'weit abseits'; 17418 hin dan lac er, her dan lue si: s. Beitr. 26, 460. Ebenso AI td.' pred. 3: 146,41 der ander man der stuont aver vil verre dort hindan alhinder der ture; ebenso 223, 21. 24. Auch 98, 34 wan paidiu de quaderstaine unde och daz holzwerch . . . daz ivas allez vil verre hindan gefuget unde gordent.

Ungleich öfter bezeichnen aber her dan und hin dan eine bewegungsrichtung.

Bei Hartm. freilich sehr, ja auffallend selten gegenüber Wol fr. und Gottfr.; Er. 3025 vil guhes ruhte si hin dan; Greg. 1384 ist hin nach

60 WIESSNER

Zwierzina, Zs. fda. 37, 413 zu streichen ; Iw. 2253 7ran er saz (s. Beitr. 26, 435) verre hin dan. Viel häufiger bei Wolfr. : P. 75,24 reit der künec von Zazamanc hin dein da in niemen dranc; 170,7 man den tisch hin dan genam; 205,16 manec wert armman, den man töten truoc her dan; 206, 4 die Tcundez fiwer hin dan (Ggg her dan) ivol schaben; 230, 28 sazte i'uch verre dort hin dan; 292,22 er hat her dan (jespalten; 311,22 diu den zivivel lool hin dan kan schabn; 360,4 doch bräht der iverde junge man vil tjost durch sinen schilt her dan; 386,26 het in verr hin dan getribn der herzöge Kardefablet; 437,4 her dan uf ungetretet gras warf erz ors; 522,20 der lounde sprach: 'hin dan von mir!' 552,5 man den tisch hin dan enpfienc; 595,30 Jcerter von der hure her dan gein shnc getriwen wirte; 622,4 si truogez harnasch her dan; 639,3 man truoc die tische gar her dan ; 663, 4 dem künege sunder dort hin dan wart manc witer rinc ge- nomn (vgl. Beitr. 26, 477) ; 713, 19 stet verre dort hin dan : vgl. Beitr. 26, 451 ; auch 726, 7 der schenke gienc her wider dan. Wh. 130, 2 daz man in tvtse iedoch hin dan; 182,1 Man nam die tische gar hin dan; 270,21 als touwic spitzic rose stet und sich ir rüher balc her dan klübt; 211, 6 tisch- lachen wurden geslagn zesamene und niht hin dan getragn; 322,14 siver die schalen vor hin dan schelt. Relativ sehr häufig sind diese adverbial- formeln in Gottfrieds werk: Trist. 2887 die büege leite er dort hin dan und 2911 tuot diz dort hin danne (MF dane, W dan) baz; 2917 daz hcete er allez über ein vil schöne dort hin dan geleit; 3042 nu nemet iuwer hüt hin dan; 3903 Bual gie von dem ivege stän und nam sunder dort hin dan einen getageten hoveman; 5183 sin hüeteUn und sin gewant leit' er höf schliche dort hin dan; 7025 den heim den sluog er ime iesä, daz er wcete al dort hin dan; 9155 er sprancte verre dort hin dan; 9731 Ir friunt der kiinie nam si von dem rate dort hin dan; 10915 der roc der was ir heinlich, er tele sich nähe zuo der lieh: ern truoc an keiner stat hin dan; 11575 tuot itiwer arme hin dan; 12739 ir zungen bringet mir her dan; 13412 er sprancte ein lützel her dan; 16155 ivan er (= Urgau) ivas ime (= Tristan) ze nähe komen und hcete sinen swanc genomen ze verre hinder ime hin dan : Urgan schmettert mit seiner stange hinter Tr., der ganz nahe bei ihm steht, nieder: seine waffe reicht zu weit für den nahkampf; 17297 so geschieden die hunde einen fremeden hirz hin dan; 17411 und leiten sich da ivider nider von ein ander ivol hin dan; 18381 und fuorte in sunder dort hin dan. Uebertragen Trist. 10040 nu hete ir muoter ouch gesaget ir vater umbe den koufman allez von ende her dan; 11944 von ende mante st her dan; 12497 Brangosne seite in beiden die rede von ende her dan; 12885 si sageten ... cd von ende ir rede her dan.

Höchst merkwürdig ist es aber, dass her dan und hin dan in der spräche beider nationalepen fast nie anzutreffen sind. Ein einziger fall ist mir in der Gudr. aufgestossen: 1379,1 muoter, get hin dein.

§ 168. Im Mhd. wb. 1, 150a. 18 wird enior glossiert durch 'in der höhe, in die höhe, empor'; ebenso bei Lexer und in Benec.kes Wb. zum Iwein. Ausführlicher spricht über diese durch zusammenrücken eines präpositionalausdrucks entstandene

ItUHE- UND RICHTTJNGSCONSTßUCTIONEN. 61

composition Hejiie in seinem Wb.: ^»emj-ior« in die höhe, zu- sammenrückung- aus ahd. accusativ. Verbindung in por, die neben dativ. in höre von einem subst. por, hör flrst, giebel, gipfel besteht; mhd. enhor, enhorc . . . mit dem begriff der rulie (Iw. 300) und der bewegung, welcher letztere nhd. allein ge- blieben.' Darnach ist mhd. enhor (enhore) also entweder trans- locale oder intralocale bestimmung, während nhd. cvipor nur mehr in der ersteren function vorkommt.

Vom nhd. Standpunkte wäre natürlich besonders das uns heute befremdliche mhd. enhor, enhore auf die frage 'wo' mit der bedeutung 'in der höhe, oben', in alto (wie DWb. 3, 433 paraphrasiert) interessant. Das von Heyne in seinem Wb. ge- wählte beispiel Iw. 300 ist aber ein misgriff ; die stelle lautet: Jiienc ein tavele vor dem tor an swcin Ixtenen enhor 'nun hieng vor dem tore eine tafel an zwei ketten empor, in die höhe', ganz wie im nhd. (nicht 'oben, in der höhe'). Allerdings ist hallen hier intransitiv und bezeichnet einen zustand, steht also in durativer function wie nhd. hangen] enhor steht des- wegen aber nicht auf die frage 'wo', sondern enthält angäbe der richtung. Die bewegung, deren reflex in der richtungs- bestimmung liegt, geht nicht im ruhenden objecte vor sich, sondern im blicke des beschauers, des sprechenden, der zuerst die massige tafel trifft und dann sozusagen an den ketten zu deren befestigungspunkten emporgieitet. Es ist schliesslich ein ganz gleichwertiger fall, wenn wir nhd. z. b. sagen eine rote schleife hieng ihr von der hrust auf die hiiee nieder, oder im Iw. selbst 586 es hanget von eim aste von golde ein hecJce her ahc; und 1090 siveder ros od man getrat iender uz der rehten stat, dazz ruorte de vallen und den haft der da alle dise Jcraft imd daz swcere slegetor von nidere üf höhte enhor, so nam ez einen val also gähcs Jier ze tal daz im niemen entran: auch hier wird der ruhezustand durch richtungsangaben ge- schildert.

Bei Hart in. erscheint enhor sonst mir noch zweimal im Iw., jedesmal zur hezeichnung einer hewegungsrichtung : 4672 mit (jrözen kreften stach er in enhor uz dem satele hin und 5336 rehte vliegent stach er in enhor üher den satel hin. Bei Wolfr. ist enhor stets angäbe der richtung: Parz. 381, 15 zucten in die sine enhor; 493, 1 Säturnus louft so hohe enhor; 539, 17 des prls so höhe e srvcht enhor; 567, 12 er hnop sich ,~C)n Sprunge enhor; 589, 12 werc das Ine stuont enhor: slän ist zustaudsverbum,

62 WIESSNER

'emporragte, in die höhe ragte'; 649,27 hcer iröst im zucket freude enbor; Wh. 45, 12') des jjr?s einhor noh hiut in hoher ivirde siveht: in h. iv. ist das medium, in dem die ganze bewegung erfolgt, oder, vielleicht wahi'schein- licher, modal zu fassen; 77,23 die Schildes schirhen fingen enhor; 433,10 des riches vane siceht enhor; uns ungewöhnlich 401,20 von Salenie EJctor fuorte den vanen höhe enhor 'hielt die fahne hoch in die höhe, trug sie hoch in die höhe gerichtet'; vgl. dazu 373, 2 Der starke gruve Landrts bürt den vanen höh durch sinen prts. Bei Gottfr. erscheint enhor an einigen nicht leicht verständlichen stellen : ganz plausibel ist ja Trist. 5242 ir herze daz fuor rehte enhor; schwerer zu verstehen ist schon 10927 er (der mantel) stcehete, da er nider sanc, weder zer erden noch enhor, offenbar eine weitere ausführung zu dem vorangehenden er was ze kurz noch ze lanc; die glieder entsprechen sich paarweise, aber in chiastischer Stellung: der sinn wäre dann: der mantel ist weder zu lang er schleift nicht auf dem boden nach noch zu kurz er flattert wegen seiner länge (und schwere) nicht in die höhe. Ferner Trist. 13594 sus gieng er allez enhor und grei- fende mit holden an müren iinde an wenden, hiz er z'ir heider hette kam: von den erklärungsversuchen der schwierigen stelle, die Bechstein in seiner ausgäbe kurz anführt, scheint mir am glaubwürdigsten immer noch der des Mhd. wh.'s (1, 150a. 31, wobei freilich die gleichsetzung mit höher nicht glücklich ist); wer in einen saal geht, scheint nach den gesetzen der per- spective in die höhe zu gehen für den, der am eingange steht. W. Hertz (Tristan und Isolde neu bearbeitet, 2. aufläge 1894) übersetzt : So drang er tiefer in das zimmer. Trist. 15981 er (der rise Urgdn) kerte unstäteliche dar mit einer harte langen stäheUnen Stangen, die truog er höhe unde enhor 'die trug er hoch in die höhe gerichtet': s. Wh. 401,20. Merkwürdig ist Trist. 17505 diu (nämlich Tristan und Isolde) sach er ouch da heide in der kristallen llgen enhor, die einzige stelle in dem ganzen hier berücksichtigten mhd. textmateriale, wo enhor in der bedeutung 'in der höhe, oben' zu stehen scheint. Sieht mau die belegstellen des Mhd. wb.'s näher an, so er- gibt sich für enhor fast durchwegs die bedeutung 'in die höhe, empor'; nur eine stelle ist der im Trist. Gottfr.'s gleichzusetzen: s. K. von Würz- burg, Troj. kr. s. 14, v. 1094 f. diu höchgesit mit eren geblüemet schöne u-art alsus. dar kam der künic Prtamus von Troye und zwene siner süne, die säzen üf der tilgende hüne schön unde iverdecUclie enhor: der eine der hiez Hector und Elenus der ander: sitzen ist hier zustandsverb wie ligen in der Tristanstelle. Vielleicht ist sogar in diesen beiden fällen enhor als richtungs- augabe zu verstehen, vom heutigen Sprachgebrauch allerdings abweichend, insofern wir bei liegen, sitzen ein empor überhaupt nicht gebrauchen können.'^) Es wäre dann Trist. 17505 zu übersetzen: 'diese beiden sah er dort im

1) Bei Lexer falsch citiert (95, 12).

■■') Grillparzer, Ein bruderzwist in Habsburg (ausgäbe von Aug. Sauer, 9, 74, 4) Indes mich das gespenst der hlut'gen Zukunft verfolgt his in mein innerstes gemach und, nachts empor auf meinem lager sitzend, der trommel ruf, des schlachtenlürms getos mir wachend schlägt ans ohr, den träum er- gänzend: hier ist sitzen als verb der bewegung zu verstehen.

RUHE- UND RICHTUNGSCONSTRUCTIONEN. 63

krystallbett liegen, so dass sie mit ihren leibern darüber emporragten', das liegende paar bildet eine erliöbuug über der Üäche des bettes; ähnlich dann die stelle im Troj. krieg.

Ich will mich übrigens betreffs der existenz von mhd. enhore, enbor in der bedeutung 'oben, in der höhe' jeder Ver- allgemeinerung der hier gemachten beobachtung enthalten; constatiert sei nur auf grund der dargelegten tatsachen, dass mhd. enbor, in der erdrückenden niehrheit der fälle mindestens, wie nhd. empor angäbe des ortes auf die frage 'wohin' (nicht 'wo') istJ)

§ 169. Im laufe der vorliegenden Zusammenstellungen wurde widerholt scharf betont, dass die Verbindung eines verbs mit angaben der richtung kein unbedingt verlässliches krite- rium für dessen actionsart ist. Richtungsbezeichnungen be- gleiten eben manchmal auch zweifellose verben des zustandes, um dessen örtliche ausdehnung oder entfernung anzugeben: das mass einer dimension, einer entfernung ist in letzter Instanz bewegung von einem punkte des raums zu einem andern.

Die spräche geht nun eine universelle erscheinung, auf die zum Schlüsse dieser arbeit noch hingewiesen sein soll noch weiter; ein zustand, ein sein wird durch bewegungs- verben geschildert, verbunden mit angaben des ausgangspunktes, der richtung, des Zieles ; ohne dass tatsächlich von einer be- wegung die rede sein kann, erscheinen metaphorisch verben der bewegung xaz tS^oxrjv. Es ist dies nicht etwa nur eine erscheinung der poetisch oder rhetorisch gehobenen spräche:

') C. Kraus, der überhaupt für diese arbeit lebhaftes Interesse zeigte, machte mich auf eine parallele zu Iw. 300 aufmerksam, in der Martina des Hugo V. Langenstein: 101,4 Svmelich och Mengen an den füezen höh enbor. Vgl. dazu in Wittenweilers Ring 45 c, 8 . . . Die man derschlagen und ge- vangen, dar zuo höh embor derhangen: vgl. unser aufhängen. Glaube 2295 Sint tvart si ein wih also gut, daz st über des Jordanis t'lut ginc obene inbore mit trockenetn vozspore beide hine und here (eine stelle, auf die mich gleichfalls C. Kraus verwies) scheint inbore synonym dem obene zu stehen, wofür die lautliche gestalt {in -bore) spricht; doch möchte ich auf letzteres argument kein gewicht legen: man vergleiche z. b. nur mis- verständliche vertauscluingen ähnlicher natur bei nider nidere. Sollte der fall vielleicht Trist. i;}5y4 gleichzustellen sein? Danu stünde das folgende hine und here leicht zeugmatisch, insofern inbore natürlicli zu hine allein passt.

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der alltägliclie spracligebraucli weist sie auf schritt und tritt auf. Vgl. z. b. nur sich ausdehnen, erstrecken, erheben, empor- ragen, abfallen (von einer f eiswand z. b.) u.s.w. Ebenso in der literaturspraclie in zahllosen Wendungen: z. b. Goethe, Götz (Werke 13, 1) 222, 21 die fenster des grossen saales gehen steil herab aufs tvasscr; oder Gottfr. Keller, Der grüne Heinrich 1,176 liornblumen und roter mohn und in den tväldern bunte pilze begleiteten mich längs der ganzen Strasse (wo das subject in wirklicher bewegung ist); 4, 112 die linden stiegen unabsehbar in den dunhelblauen durchsichtigen himmel hinein u.s.w.

Eine bewegung liegt hier nicht in dem völlig ruhigen object der gesichts Wahrnehmung, sondern in ihrem subject: der blick ist es, der messend über das bewegungslose object hingleitet; seine bewegung (tatsächlich oder in der phantasie) wird dann metaphorisch ins object hinaus verlegt.')

Ebenso in der alten spräche. Ich habe mir aus dem be- rücksichtigten mhd. gebiete eine reihe von fällen notiert, wo bewegungsverben, besondei'S gen, gän zur widergabe eines zu- standes verwendet sind. Von einer abweichung des mhd. Sprachgebrauches vom modernen kann hier nicht die rede sein, was die gesammte erscheinung betrifft. Unsere heutige spräche, besonders die literarische, ist nur im ganzen in solchen Wen- dungen viel kühner als die ältere.

Bei Hartra. vgl. Er. 551-i der stich erg/'e mit solher kraft daz im nwl ellenlanc der schaft üz gienc vor dem (lis. den) ongen: Bech, Gei'm. 7, 454 scheint gienc hier als wirkliches, nicht metaphorisch schilderndes hewegungs- verh verstanden zu haben und schreibt daher m^^ /«'enc: tatsächlich sagt dies gar nichts anderes als das gienc der hs., die änderung ist also überflüssig. üz gienc steht im sinne von 'ragte heraus'. 6640 der ivec didite sivillanc der zuo den turn üz gie ; 7136 dar in gienc dehein tor me nniivan üz gegen dem se; 7317 als ein penselstrich er (der strich) gienc zwischen den ören dan; 7325 umb ietweder ouge gienc ein rinc der selben vanoe; 7349 daz swarze ein wizer rinc bevie, ein sicarzer umb daz ivize gie; 7353 sin kel die und üf gezogen, ze rehter mäze gebogen, kleine da se anz Jwubet gie; 7655 diu ende ein liste bevie diu nider zuo der erde gie; 7742 . . . in eine schiben ... diu nider für den zoph gie imde vor dem houpte hie; 7815 . . . an eine wegescheide. tveder ze Britanje in daz lant giengc, daz ivas in unerkant; 7888 da stuont ein stat vil riche, bezimhert rtcMiche, diu einhalp

') Sehr hübsch kommt dies einmal in einer wcndung E. Mörikes zum ausdruck: Gedichte s. 268 (Sommer-refectorium) : Ha, wie entzückt aufsteiget das aug im flug mit den schlanken pfeilern!

RUHE- UND RICHTUNGSCONSTRUCTIONEN. 65

an daz icazzer gie; 8522 ich weste icol, der wec gienge in der iverlt etesivä; 8704 ich sage in daz dar innhe müre noch grabe gie; 8713 ... an einer ril verhohlen stat: da gienc ein engez phat; 8751 man sach ein ivolken drmnhe gän: die wölke umgibt eleu baiimgarten. Greg. 2771 NU gie ein Stic (der tvas smal) nahe (Zwierzina, Zs. fda. 37, 414) hi einem se ze tat. A. Heinr. 1230 unze daz er durch die ivant ein loch gände vant. Iw. 3303 Hie gienc ein vensier durch die ivant; 5054 als lanc so der rüke gut von den ahseln her abe; 6127 vür die (die vrouwe) sin sträze rehte gienc; 7088 daz ietweders stich geriet da schilt unde heim schiet; 7234 ivande st vil uninden in kurzer stunt enpfiengen, die niht ze verhe giengen.

Bei Gottfr. Trist. 5323 nu hiez er ... die ritter under ir rocke leiten ir halsperge unde ir dinc, und so daz niemen keinen rinc uz dem geivande lieze gän: kein panzerring sollte unter den rocken zu sehen sein; 6685 und was diu (vorher ein ictziu decke) lang und alse rieh, daz st ivol ebene nider gie dem orse vaste vür diu knie; 10949 vürbaz da viel er (der mantel) selbe ivider imd nam den valt al z' ende nider; 15849 ime gienc umbe sin krügeltn ein ketene, diu ivas guldtn; 16733 da man iiz und in gie, da gieng ein tür eriniu vür; 16990 Innen an der erinen tür da giengen zivene rigele vür; ebenso 17432 . . . biz hin an der fossiuren tür. da giengen zwene rigele vür; 16996 ein valle tvas ouch innen ... die meistoi-e ein heftelin, daz gie von uzen dar in; 18206 swaz er gesehen künde, daz in diu decke sehen lie, das für daz deckelachen gie ze dem oberen ende etc.

Bei Wolf r. P. 60, 28 Ein schifprücke üf einem plan (Ggg an einen, was H. Paul, Beitr. 2, 74 in den text setzen will) gieng übr einen wazzers trän; 120, 14 da nähen bi im gienc ein stic; 142,4 eine sträze er gevienc, diu gein den Bertcnegsen gienc; 181,3 dar über (= über daz wazzer) gienc ein brükken slac; 226,6 da gent unkunde ivege; 247,18 die porten vander wit offen sten, derdurch üz gröze slä gen ; 313, 23 zwen ebers zene ir für den munt giengen tcol spannen lanc; 397,26 Gäwäns sträze üf einen walt gienc; 426,6 ... als Munsalvcesche: sivä diu stet, von strite rüher wec dar gel; 535,2 Von passäschen ungeverte gröz gienc an ein wazzer daz däflöz; 589, 2 Uf durch den palas eines/t gienc ein geivelbe niht ze ivit: vgl. C. Lucae^ De uonnullis locis Wolf raniiauis s. 34 f. (mit tafel) ; Wh. 97, 29 iver sol der dritten porten pHegu, diu üz gienc gein dem plane? 154,28 einen gürtel bräht von Lunders ... {des drum tet üf die erden val: diu rinke ein rubtn tiure), da mit tvas diu gehiure umbevangen an der krenke; 406,14 ez muose ein kollier ouch hän, daz sich gein der kel zesamene vienc. der slitz unz üf den geren gienc.

Nib. 74, 1 Diu ort der swerte giengen nider üf die sporn; vgl. 385,6 mit swerten ivolgetän, diu üf di sporn giengen den wcetlichen man. Gudr. 552, 3 diu ros von Tenemarke diu zöch man üf den sant, den die mane verre üf die hüeve giengen.

In den Altd. pred. 3 vgl. z. b. 232,34 da gent ouch die zico reiche dem enget oben über daz houpt; ganz ähnlich 232,39 die sehs iietche, da man die heiligen enget mit malt, der gent dem enget zwo nider für die fuze, zwo oben über daz hopt, zwo die habt er enneben sincr siten; ähnlich z. 42 und 233,3.

Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVIL ^

66

WIESSNER

[Nachtrag- zu s. 18 anm. Vgl. E. T. A. Hoffmann (Grisebach), Kreis- leriana 36 Von unhegüterten, ohscuren eliern, oder rvider von. künstlern ge- boren . . . ; Nachricht von den neuesten Schicksalen des hundes Berganza 90 . . . von niedern eitern geboren . . . ; ebda. 115 Er war von vornehmen eitern geboren.]

Terzeichnis der behandelten verl)en etc.

Die Seitenzahlen von 366 556 beziehen sich auf bd. 26, die von 1 65 auf

bd. 27.

ab erstrtten 403

ab ervehten 403

ab erzürnen 402

ab gewinnen 395

an behaben 413

an beherten 403

an blicken 503

an erblicken 508

an ertriegen 402

an ertwingeh 402

an geborn 20

an gesigen 411 f.

angest 24

an gestriten 413

an getvinnen 395 f.

an kaphen 502 ff.

an läzen 3

an rüefen, riiofen 522 f.

an sagen 534

an scJmen 523

an sehen 501 ff.

an sprechen 533

an strtten 420

an suochen 380

an vehten 420

arcwun 26

begän (begen) 490 begraben 486 f. bejagcn 393 belangen 388 [belgan sih] 24 bereiten sich 480 f. bergen 484 f. besenden 11

besliesen 487 f. bestaten 486 fteiew 531 öettm 477 f. betwingen 402 &^Ym 531. 8 ff. &2im 519 f. blicken 503 6ofe s?«, iverden 538 ?»-fc7teH 33 f.

(Zar MJide (Zan 51 denken 543 f. 551 f. dienen 404 ff. dienest 405 f. dingen 27

(Zo?*i ?<>t(Ze ///e u. ä. 49 drüuwen 30 durchligen 457 dürfen 549

eischen 388 f. enbarn 532 enbicten 538 ff', ewöor 60 ff'. engelten 16 enpfähen 468 ff. erbeizcn 442 f. erZ^e« 20 f. erbiten s. ^//e« erborn s. gebern erglesten s. glesten ergraben 487 erheben sich 483 er/«o?rt 400 f.

erhceren s. hceren erkennen 514 f. erkiesen 11 erklingen s. klingen erkoufen s. kaufen erliuhten s. liuhten erloicben 7 erringen 403 erscMnen s. scMnen erstrtten 402 f. 12 ertwingen 401 f. ervarn 512 ervehten 403 ervinden 513 f. er wein 11 enverhen 391 ff'. erzürnen 402

Of(t67t 13 f. gebern 16 ff. gebieten 10 f. gebüezen 16 gedenken s. denken u. 535 gedienen s. dienen gedihcn 12 gedingcn s. dingen gegenrede 529 gegemoort 529 geliehen 30 geligen 464 f. geloben s. ZoZ^ew gemuothaft 387 geniezen 15 genözen 30 (/ev 386

RUHE- UND RICHTFNGSCONSTRUCTIONEN.

67

gerich 27 f. (jern 381 if. (jeruochen s. ruochen gesezzen sht 437 gesidcle rihten 478 gesigen s. sigen gesinnen 389 gesitzen s. S2teen u. 436 f. gestän, gesäten 452 gewalt 394 ff. getvehenen 532 gewinnen 394 ff. grewiis sm 515 gezemen s. zemen glam, glast s. glesten glesten 492 ff. grüezen, gruoz 531

/ta«(, emen nemen an

die h. u. ä. 417 f. /ta^', /ta^; tragen etc. 22 hazzen 22 /ie&e« s/c/j 481 ft". helfen 8

herhergen 473 ff. herherge nemen 476 f. /«er fZa» 58 ff. /jer i/»»{ie da 48 f. Äe/' tmde dar 47 f. /tcr ?<«(Ze hin u. ä. 50 /j/e unde dort u. ä. 49 hin dan 58 ff. Am tfHfZe her n. ä. 50 hoher stän 450 f. /io/« 399 ff. hoeren 509 fi'. /(w.se>i 479 /«M«CH 479

jehen 529 justieren 421

kämpf 421 kiesen 11

fcmi gewinnen 397 A/ji< /mf/ew 397 f. klingen 12 f.

kamen 472 A-o?f/Vrt 407 f. kriegen 421 künden 537 f. kumien 547 Ä-ioife 472 f.

lachen 496

Z«^ 14 f.

Zo^aw 1 f.

Zä^^ew 2 ff.

Zegie« 460. 467

Zese« 376 f.

Z«^e>j verb d. bew. 457 ff. ;

des zustds. 466 f. livhten 492 ff'. lohen 530 f. Zon nemen 414 f. loschieren 475 f. Zose» 509

'/»«/•e sa^ew 536 f. mezzen 30 f. minne 21 f. minnen 21 müezen 547 f. mi'igen 547 muoten 386 f. w?<of haben 387

nahtselde nemen Hl nemen 416 f. niderläzen 2 ff. '/^^cZer Z/(7e>t 458 f. w/(Zer s/f^e« 427 ff. w»(Zer staw (sf m) 446 f.

oZ> = supra 42 ff. ; vom Vorrang 56 ff.

räche 27 f.

r«fe» 7 f.

rttf nemen 415

rechen 27 f.

rede, rede« 528 f.

j'ei'se 554

r/nc nemen 477

nie« 422 ruochen 388 riiefen, riiofen 522 ff. ; e^newi 542

sa^e» 529; = iiuntiare 537 ff.

Ysamanön\ 375

samenen 374 ff.

samenunge 376

schäm 376

scheiden 389

sc/ii»? s. schinen

schinen 492 ff.

schomcen 504 f.

schulde 408 f.

se/ie«. 502 ff.

se/^e« 438 f.

sidelen 478 , si'^fe 413

sigehaft werden 413

sigelös geligen 462

s/r/e>i 409 ff.

s<(jfe nemen 412 f.

s?H s. tvesen

sitzen üf daz ras 425 f. t'0>i dew? ro.sse 426 f. als bew.-verb 430 ff. als zustds.-verb436 f. = ansässig sein etc. 437

snel 14

sniden 32 f.

sorge, sorgen 24 f.

spannen (gezclt oder Ziw^en) 479

spiln 34

sprechen 524 ff. ; = fest- setzen 540 f.

stän, sten als bew.-verb 441 ff. ; als zustds.-verb 452 f.; = gerichtet sein 453 f. ; = stehen bleiben ; aufhören 452

strit 422 striten 420 ff. sidn 548 f. 5*

68

WIESSNER, RUHE- UND RICHTUNGSCONSTRUCTIONEN.

sundern 377 suochen 377 ff. st(one 29

ijost, ijostieren 422 tot ligen (beligen) 461 ff. tot vaUen 463 f. treten 453 trost 26 f. tugen 549 tuon 489 f. tivingen 9

?(&er der Verbreitung 35 ff.; = supra42ff.; = jenseits 44 ff. ; vom Vorrang 56 ft'.

über al 39 f.

über lüt 40 f.

ühersigen 410

überstrUen 410 f.

übei-vehten 411

umbeligen 457

unminne 22

unschulde 409

unscJiiddic 409

urloiibes gern 384 f.

urloitp 416

urloup nemen 415 f.

i}/ ersten 446

i'//' /t6/<er .sfwM 450 f.

wf siV^e» 425 üfslahen eingezelt 478 f. wf s^a» (sfe>() 445 f. «^ erdröuicen 402 «i ertw/ngen 402

v«;je« 4181; 11 f. vollen 20 f. vart 552 ve/iiew 420 ff. t?e2(/e Z?'</e>i 464 verbergen 485 f. verdienen 403 ff. vergezzen 544 verlciesen 28 f. verläzen 5 ff. verneinen 512 f. ver rillten sich 481 verscliiäden 408 versehen sich 519 versenJcen 487 versohl 408 f. versperren 488 versuochen 380 f. verwunden 422 vinden 513 f. vor vom Vorrang 50 ff. vordem 387 f. vorhte 24 vor i<^ 54 vrägen 530

vröuiven sich 26 [/tms trer^an] 15 vür vom Vorrang 50 ff.

iüan 26

tt'ar nemen 517 f.

warnen sich 481

warten 517 ff.

?<;a ?m(?e ti'd 49

loellen 549 ff.

«t'er (^^e »'. s?>i, komen)

421 «jer&e» 389 ff. werden 552 wesen 552 ff". widersagen 537 wider unde dan 50 f. ivillekomen 471 f. tcinken 542 wizzen 515 f. tvunde 422 f. wünschen 385

zemen 31 f. ^^e r«cÄ-e 451 ^^orn 23

r»o geiceheiien 532 ^-«0 sprec^ien 525 f. ^TMo vordem 387 ^-ürHC»! 23 swtvel 26

WIEN.

EDMUND WIESSNER.

zu ALBRECHT VON JOHANNSDORF.

MF. 86, 22 iincl noch harfer, hülfe ez iht lautet nach BC und ouch me, und hülfe cz iht. Als lesart von A gibt Pfeiffers abdruck vn noch harte, wogegen MF. in allen auflagen vn mich harte bietet, also nach Lachmanns abschriften. Offenbar auf letzterer lesart fussend fragt Schönbach (Beiträge zur erklärung altd. dichtwerke 1. Die älteren minnesänger, Wien 1899 = WSB. 141) s. 81: iäge nicht der Überlieferung näher unde ouch harter ?' Nun hat aber die hs. A so deutlich wie möglich noch, nicht mich. Es geht also daraus hervor, dass man differenzen zwischen Pfeiffers abdrücken und Lachmanns abschriften nur durch einsichtnahme in die hss., nicht durch vertrauen auf eine der beiden autoritäten entscheiden darf. Es ist geradezu ein mangel des apparats in MF., dass an einer stelle wie dieser nicht einmal auf die tatsache der ab- weichung von Pfeiffer hingewiesen wird. Für eine neue auf- läge von MF, wäre es also dringend nötig, alle solche zweifel- hafte stellen nach den jetzt ja leicht zugänglichen hss. zu verificieren. Der text in MF. mit der leichten und evidenten besserung von harte in harter schliesst sich also eng an A an. Uebrigens sollte man an unserer stelle nach den ausführungen von C. Kraus, Zs. fda. 44, 150 ff. geneigt sein, die lesart BC anzunehmen, da für den conditionalsatz hier sicher ein nhd. * wofern nur' am platze ist.

87, 17 ff. hätte ich gegen Schönbachs ergänzungsversuch (s. 82) einzuwenden, dass lieber geselle, gesihe ich dich ie des- halb unwahrscheinlich ist, weil in dem futurischen ausdruck doch wol nur iemer, nicht ic stehen könnte; vgl. z. b. gleich 88,5 oh ich si iemer mere gesehe.^) Soll also hier ie reim wort

1) Aus dem gleichen gruude sind die vorschlage Eeinhold Beckers (Alth. minnesang s. 223) abzuweisen, wenn er 92,26 und 93,3 nicmcr in nie umändern will.

70 BRAUNE

sein, so müsste der ausdruck anders gewant werden. Es wären aber auch noch andere reimworte denkbar, z. b, verlie, das Albrecht auch 90, 22 im reim hat. Ueberhaupt nimmt die lücke, wie Haupt richtig sagt, alle Sicherheit: ich möchte es gegenüber Schönbach sogar für wahrscheinlicher halten, dass 87, 20 der mann spreche. Denn die str. 3 antwortet jedenfalls nicht auf die frage der dame 87, 15. IG. Vielleicht lag die antwort in der lücke, wobei man freilich in der trümmerhaften zeile. 87, 17 (die von Haupt und Schönbach angenommene besserung derselben hat v. d. Hagen zum urlieber) das si sprach in ich sprach ändern müsste, mit darauf folgender directer rede.

87, 37. Haupt vermutet in der anmerkung ivinde statt ünde der hss., und Schönbach s. 82 findet diese Vermutung dadurch bestätigt, dass die spräche des Neuen testamentes marc und venttts häufig verbinde, unda dagegen gar nicht kenne. Nun hat ja gewis Schönbach in seiner an belehrung so reichen abhandlung seine tiefe kenntnis der mittelalterlichen theologie für die erkläruug der älteren minnesinger in frucht- barster weise verwertet. Auch ist Albrecht ein ganz besonders unter dem einflusse religiöser ideen stehender dichter. Aber trotzdem darf man nicht schliessen, er könne nur etwas ge- sagt haben, was auch im NT. stehe. Allerdings ist mcr und ünde eine tautologische Verbindung, insofern die wogen im meere enthalten sind. Aber wenn deshalb die prosa des NT. mare et unda vermeidet, so darf ein dichter sich doch hierin freier bewegen, wie ja auch Nib. 1318,2 steht daz in niht enschadete diu ünde noch diu fluot. Zudem ist starc ein häufiges epitheton bei ünde (z. b. Nib. 1511, 3), auch als verbum ist toben dabei durchaus üblich. Ich wüsste also nicht, weshalb man hier conjicieren sollte, zumal die übereinstimmende Über- lieferung der beiden unabhängigen zeugen A und BC dem ein starkes hindernis entgegen stellt.

88, 17. Gegen beide nicht näher verwante hss. (A und C) hat Haupt das mi im eingange des verses gestrichen und damit den auftakt beseitigt, den die drei übrigen Strophen des tones an dieser stelle haben. Das überlieferte Hesse sich wol ver- stehen, wenn man nach gesten v. 15 ein komma, nach eivccUche V. 16 einen punkt setzte. Freilich würde dann der Inhalt von V. 17 sich nur als eine Variation von v. 16 darstellen. Es ist

zu ABBRECHT VON JOHANNSDORF. 71

zuzugeben, dass die lierstellung Haupts einen besseren gedauken- fortschritt scliafft. Aber es ist doch gewagt, gegen die durch das metrurn gestützte doppelte Überlieferung nn zu streichen.

89, 5 die aber mit listen wellent sin hat gegen die drei übrigen Strophen des tones einen takt zu wenig. Hornoff, CTerra. 33, 409. 420 sucht dem abzuhelfen, indem er die als ein- silbigen takt lesen will. Das halte ich für verfehlt, weil erstens das relativpronomen hier nicht den logischen accent hat (der vielmehr auf listen liegt) und deshalb nicht einen einsilbigen takt füllen kann. Zweitens würde dadurch der vers gegen die drei parallelen verse auftaktlos gemacht. Da wir in dieser Strophe nur einfache Überlieferung haben (B und C aus der quelle BC), so ist abhilfe durch conjectur ohne be- denken. V. d. Hagen hat hie ergänzt {die aber hie mit listen ivellent stn), was an sich nicht übel wäre. Aber es ist noch ein anstoss da, der zugleich mit beseitigt werden kann, näm- lich mit listen. Schönbach fühlt diesen anstoss, wenn er nötig findet zu bemerken (s. 83): 'unter listen sind hier schlechte liebeskünste verstanden: Zauberei, unkeusche begierden u. s.w.' Aber würde das wol durch das einfache list in der älteren mhd. zeit haben ausgedrückt werden können? Ich glaube kaum. Das einfache mhd. list, welches vorwiegend im guten sinne vorkommt, kann ja in der bedeutung 'Schlauheit' schon nach der ungünstigen seite hin sich neigen; auch wo es 'Zauber- künste' bedeutet, ist durch die sache selbst die Verschlechterung gegeben. Aber immer kommt man noch mit der grundbedeutung 'klugheit, Schlauheit' aus, also mit der fundierung auf das in- tellectuelle gebiet. AVo dagegen, wie an unserer stelle, das ethische gebiet betreten wird im gegensatz zu se relite sich betvarn , da reicht das einfache list nicht, da kann erst durch ein ethisches epitheton, wie valseh, arc, übel etc., diese Wendung hervorgebracht werden. Ich halte es für evident, dass die quelle BC durch auslassung eines solchen adjectivs vers und sinn verstümmelt hat und würde lesen: die aber mit valschen (oder argen) listen ivellent sin, wobei valseh mit ze rehte und list mit sich bewarn correspondiert.

89, 18. Die änderung von sich BC in sin ist doch wol unnötig. Nach den beiden schon von Haupt in der anm. an- geführten stellen aus Gottfried von Neifen und Walther, denen

72 BRAUNE

Wilmauns zu Waltlier 112, 20 noch Tauliäuser MSH. 2, 83 a das ich mich ir für eigen jach hinzufügt, scheint es sicher, dass in der formel sich für eigen jehen eine syntaktische ent- gleisung stattgefunden hat, indem statt des genetivs der acc. der person eintrat, vielleiclit unter heeinflussung durch geben. Die vorläge der quelle BO muss jedenfalls schon sich gelesen haben. Dem Schreiber BC war allerdings diese construction nicht geläufig. Nur so erklärt es sich, weshalb er unter Zer- störung des i'eims jehen durch gehen ersetzte.

90, 36. Schönbachs emendation htrs unde lerne geivahsen scheint mir sehr angemessen zu sein. Wenn er aber weiter das schöne darauf deuten will, dass die blumen ^ruhig' bei einander stehen und sich nicht wie bei Walther über ihre länge streiten, so ist mir das zu weit hergeholt, hur^ unde lanc kann eine der beliebten Umschreibungen für 'alle zu- sammen' sein, wie 'alt und jung, arm und reich' u.s.w. und schöne als 'streitlos' zu fassen ist doch gesucht. Der sinn des verses wird einfach sein: 'die blumen und kräuter unter der linde standen alle zusammen (kurze und lange) schön da, sie ergaben einen prächtigen anblick'. Die wähl des ausdrucks hurs unde lanc ist durch die anschauung nahe gelegt, dass neben den kurzen blumen, wie klee, gras u.s.w., doch auch rosen genannt sind, die sich als sträucher hoch über das übrige erheben. Wenn Schönbachs conjectur ferner dazu dienen soll, hier einfluss W^althers zu erschliessen, so kann ich darin prin- cipiell nicht folgen. Durch seine kreuzlieder werden für Johannsdorfs dichtung die jähre 1188 90 als sichere punkte gegeben. Walther erscheint für uns datierbar zuerst 1198, und ob wir seine anfange über 1190 zurückrücken dürfen, ist doch zweifelhaft (Burdach, Walther v. d.V. 1,3): jedenfalls aber gehören seine lieder vom streit zwischen blumen und klee nicht in seine anfängerzeit. Dazu ist Johannsdorf hinsichtlich der reinheit seiner reime entschieden altertümlicher als Walther. Ich kann demnach, so lange nicht gewichtigere beweise er- scheinen, beeinflussung Albrechts durch Walther nur für un- wahrscheinlich halten.

91, 2. Das ioch der liss. (auch in C, nicht noch) in och zu ändern, ist unnötig.

91, 8 ff. Von den vier Strophen dieses tones stammen 1. 2

zu AL.BRECHT VON JOHANNSDORF. 73

aus der quelle BC (= B 16. 17, C 17. 18). In BC folgte noch die Strophe 91, 36 (18 B, 19 C), womit die quelle BC zu ende ist. Es schliessen sich in C nun nachtrage aus anderen quellen an, zuerst (C 20) die Strophe 88, 5, sodann folgen als C 21. 22 die Strophen 3. 4 unseres tones. Haupt hat dieselben als beson- deres lied hinter 1. 2 gesetzt. Die überlief ernng aber erlaubt es ebensowol, sie voranzustellen und 1. 2 folgen zu lassen. Das empfiehlt sich deshalb, weil dann alle vier Strophen zu- sammengefasst werden können. Die drei ersten Strophen 3. 4. 1 spricht die dame. Sie erörtert darin mehr theoretisch die schrecklichkeit des bruches eines minne Verhältnisses; denn sie ist im augenblicke noch frei von liebesempfindung: also ein ganz anderer Standpunkt, als ihn der dichter in allen seinen niannesstrophen einnimmt. Auf einen mann bezogen erhält 91, 34 verlüre ich minen friunt und besonders 91, 13 wid tverde ich iemen liep, der st siner trimve an mir gemeint besseren sinn. Und das ir in 91, 9 wird verständlicher, wenn es auf sivei herzeliep der vorigen Strophe (91, 29) zu beziehen ist. AVir haben hier sonach einen mehrstrophigen frauenmonolog; vgl. Burdach, Eeinmar u. A^'alther s. 78. Den schluss des gedichtes bildet dann die mannesstrophe 91, 15, in welcher der liebende ritter die entscheidung über sein Schicksal in die hand der bis dahin noch nicht gebundenen dame legt. Nachträglich sehe ich, dass schon B. Obermann in seiner Übersetzung (Deutscher minnesang, Reclams ÜB. 2618 f. s. 59 f.) die Strophen in dieser weise angeordnet hat.

91, 36. Schönbachs auffassung der Strophe und seine darauf gegründete conjectur 92, 3 siver mich vor ir nennet kann ich mir nicht aneignen. Im aufgesange sehe ich nicht zAvei stufen, sondern eine. Die beiden stellen variieren den- selben gedanken: 'selbst meinen feind würde ich fi-eundlich empfangen, wenn er von »ihr^ lierkäme und mir von ihr künde brächte; ich würde ihm daraufhin verzeihen, auch wenn er mich ganz ausgeraubt hätte'. Eine Steigerung bringt erst der abgesang: 'ja selbst wenn es ein todfeind wäre, der mir mord- brand angetan hätte, so würde ich ihm wenigstens ein jähr lang freund sein für eine künde von ihr'.

92, 7. Die echtheit dieser Strophe (über deren metrisclie herstellung Dietr. ]V[ül]er, Albi'. v. .1., Osnabrücker progr. 1894,

74 BRAUNE, ZU ALBRECHT VON JOHANNSDORF.

s. 21 ff. ZU vergleichen ist) scheint mir doch dadurch widerlegt zu werden, dass nur hier die negation in der form tiict auf scMet und liet gereimt wird, während in den sicher echten liedern Albrecht oft genug nlht und iJd reimt, um diese formen als die ihm zukommenden erkennen zu lassen. Vgl. iJit : geschiht

86, 22; niht : geschiht 88, 24 (iht : niht 89, 19); niht : ühersiht 89, 34; niht : geschiht 91, 23. 94, 31.

Finden wir so für diese Strophe Hornoffs ansieht bestätigt, so wird die von ihm Germ. 33, 397 ff. behauptete unechtheit auch der beiden folgenden töne (92, 16 ff. 93, 12 ff.) nicht von vornherein als unwahrscheinlich gelten dürfen. Ich möchte vielmehr im gegensatz zu Schönbach hierin Hornoff folgen. Freilich für 92, 16 ist entscheidendes nichts weiter beizubringen, als dass man sagen kann: die grundstimmung und der Inhalt ist von den sonstigen liedern Albrechts sehr verschieden. Dasselbe gilt auch für 93,12, in welchem allein die hiiote auftritt. Aber dieser ton weist durch seinen ausgeführten dialog in eine weit spätere zeit. In diesem siebenstrophigen liede (sonst bewegt sich der dichter nur zwischen 1 4 Strophen) ist jede Strophe kunstvoll so verteilt, dass der erste Stollen und die erste zeile des abgesangs dem ritter, der zweite Stollen und die zweite zeile des abgesangs der dame zufällt. Wol lässt auch Albrecht die dame sprechen. Aber in dem liede 91, 8 ff. noch in der altertümlichen weise, ohne directe anrede. Ein ansatz zum dialog findet sich in dem verstümmelten liede

87, 5 ff. Aber zu der stufe des kunstvollen stichischen dialogs, wie in 93, 12, ist nicht einmal Walther vorgedrungen. E. M. Werner sagt Anz. fda. 7, 131: 'A. v. Johannsdorf ist von 1185 1209 nachgewiesen; ich glaube, er ist später als Morungeu an- zusetzen, besonders wegen seiner ausgezeichneten behandlung des dialogs 93, 12 f., er übertrifft noch Walther (vgl. Anz. 7, 61).' Das ist ganz richtig beobachtet: wenn dieses lied von Albrecht wäre, so müsste er ein nachfolger Walthers sein und wäre aus des Minnesangs Frühling zu beseitigen, in welchen er nach seinen sicheren liedern und nach der zeit seines auftretens sehr wol passt.

HEIDELBERG. W. BRAUNE.

ostgermanisch -westgermanische neui:rungen bei Zahlwörtern.

Gliederimg- der Germanen 4 ff. habe ich ausser den bereits bekannten gemeinsamen neuerungen von je zwei der drei germanischen dialektgruppen auch einige bis dahin noch un- beachtete aufgezählt, sowie darauf aufmerksam gemacht, dass sich trotz der engeren verwantschaft zwischen ostgermanisch und nordgermanisch in einer bestimmten periode auch gemein- schaftliche neuerungen des ostgerm. und westgerm. abweichend vom nordgerm. in folge der Wanderung der Ostgermanen aus Skandinavien nach Ostdeutschland vollzogen haben. Wenn sich hier die Wichtigkeit einer zuvor überhaupt noch nicht in diesen Zusammenhang gestellten ganzen art von neuerungen, die der nominalen Wortbildung, für die frage der gliederung und geo- graphischen Verschiebung der dialekte und der sie sprechenden Stämme gezeigt hatte, so wird man sich doch gewis auch da- nach umsehen dürfen, ob nicht auch noch andere gleichfalls bisher noch nicht herangezogene arten von neuerungen für diese frage in betracht kommen können. Gewis wird mein schriftchen auch in dieser beziehung nocli mannigfacher er- gänzungen bedürfen, von denen eine wenigstens an diesem orte nachzutragen mir selbst gestattet sein möge. Die art der neuerungen, auf die ich hier hinweisen will, betrifft flexion und bildungsweise von Zahlwörtern.

In betracht kommt hier vor allem die declination der zahlen 4—19. Das got. und das westgerm. weichen hier in zwei punkten gemeinsam vom nord. ab, indem sie erstens die 4 nicht unter allen umständen declinieren, und zweitens von 4—19 lebendige casus nach der i- declination bilden können. In beiden beziehungen hat hier das nord. nach ausweis der ver Wanten sprachen den indog. zustand gewahrt, wenn man

76 LOEWE

von dem eine besondere erklärung erheischenden umstände ab- sieht, dass dasselbe bei 13 19 bestimmte erstarrte casusformen für die ursprünglichen flexionslosen formen eingesetzt hat. Was aber die 4 betrifft, so wurde dieselbe im indog. gleich den ihr vorangehenden Zahlwörtern stets decliniert, was bei den ihr folgenden gerade niemals der fall war. Im got. sowol wie im westgerm. ist 4 aus der Zahlenreihe 1 4 ausgeschieden und in die reihe 5 19 übergetreten, wobei es nichts ausmacht, dass letztere gruppe selbst durch teilweise annähme der /-flexion den alten zustand gleichfalls verlassen hat. Denn obgleich das got. und das westgerm. sowol in bezug auf partiellität und totalität der flexion wie auch auf Verwendung der flectierten und der unflectierten formen von einander abweichen und in letzterer beziehung sich sogar noch unterschiede zwischen den einzelnen westgerm. dialekten finden, so wird doch die 4 im got. wie in jedem westgerm. dialekt genau so wie 5—19 und nirgends so wie 1 3 formell und functionell behandelt.

Ihre alte consonantische flexion hat die 4 allerdings auch nord. nicht gewahrt. Sie ist dort in die grosse, ihr gebiet überhaupt sehr erweiternde adjectivische o/«-declination über- gegangen, nach der ja das zahlwort einn einschliesslich seines plurals sowie die auch als cardinalia fungierenden distributiva, darunter ferner, abgewandelt wurden. AVenn gleichwol in flörer, fiörar, fiogor trotz der analogiebildung nach der all- gemeinen flexion der adjectiva doch die unterschiede in der Stammesgestalt nicht verwischt wurden, so geht daraus doch wol hervor, dass weniger der positive trieb, auch die vierzahl in die alles gleichmachende adjectivdeclination überzufüliren, als der negative, die alte isolierte flexion aufzugeben, die ver- anlassung zur neubildung gegeben hat. Dabei wird der verfall der consonantischen declination überhaupt die neuerung sehr begünstigt haben. Auch im got. und westgerm. wird die alte flexion der 4 Avegen ihrer Isoliertheit und des allgemeinen Ver- falles der consonantischen declination beseitigt worden sein. Doch AMirde die vierzahl hier nicht in eine andere declinations- klasse übergeführt, sondern nach dem muster der ihr folgenden Zahlenreihe jeglicher flexion entkleidet. Auch wenn wir über die geographische läge des ostgerm. und des westgerm. zu einander nichts wüssten, würden wir es für sehr wahrschein-

OSTG.-WESTG. NEUERUNGEN BEI ZAHLWÖRTERN. 77

lieh halten dürfen, dass die beiden gTuppen diese neuerimg- gemeinsam vollzogen haben, also einmal einander benachbart gewesen sind. Denn es geschieht doch in flexionssprachen gewis weit seltener, dass declinierte Wörter nach dem muster von indeclinabeln die declinationsendungen einfach abwerfen, als dass umgekehrt indeclinable Wörter endungen von decli- nierten annehmen. Wo sonst ein wort in seiner declination isoliert wird, da ist es der natürliche Vorgang, dass es sich nach einer anderen declinationsgruppe richtet, wie das ja auch in unserem falle im nord. geschehen ist. Nur der umstand, dass die der vierzahl vorangehenden drei zahlen alle ganz verschieden flectierten, die ihr folgenden fünfzehn aber gleich- massig jeder flexion entbehrten, lässt es begreiflich erscheinen, dass sie hier überhaupt ihre flexion verlor. Einen analogen process haben wir tatsächlich auch bei lat. qtiaUiwr. Wollte man indes aus letzterer neuerung schliessen, dass auch das got. und das westgerm. leicht unabhängig von einander die vierzahl ihrer declination beraubt haben könnten, so wird dem gegenüber wenigstens darauf hingewiesen werden dürfen, dass im lat. die ganze Zahlenreihe 5—100, nicht bloss 5 19, auf den Verlust der flexion hingewirkt hat. Noch weit weniger liesse sich übrigens zu gunsten einer solchen annähme die tat- saclie anführen, dass das got. und das westgerm. verschiedene Stammesgestaltungen der 4 aufweisen: bei der absoluten gleicli- heit der bedeutungen und der grossen ähnlichkeit der formen konnte die neuerung natürlich auch über die ostgerm.-westgerm. grenze dringen. Jedenfalls dürfen wir, da die neuerung an sich nicht besonders nahe lag, das ostgerm. und das westgerm. aber in der zeit ihrer nachbarschaft auch andere neuerungen gemeinsam vollzogen haben, auch den Verlust der flexion bei der vierzahl mit Wahrscheinlichkeit hierhin rechnen.

Weit auffallender als die Übereinstimmung des got. und westgerm. in diesem flexiousverluste ist allerdings die in der partiellen Überführung der indeclinablen zahlen 4— 19 in eine bestimmte flexionsgruppe, in die i -declination. Es kommt hinzu, dass got. wie westgerm. die unflectierten formen die häufigeren bleiben. Die unterschiede, die hier zwischen beiden dialektgruppen vorhanden sind, lassen sich leicht als secundär erkennen. Dass die defective formation, wie sie im got. erhalten

78 LOEWE

ist, sehr leicht zu einer totalen werden konnte, wie sie west- genn. vorliegi, bedarf keiner auseinandersetzung. Wenn aber das westgerm. im gegensatz zum got. zwischen flectierten und. unflectierten formen functionell scheidet, so entspricht das nur dem allgemeinen gesetze der Sprachentwicklung, wonach von gleichbedeutenden formen fast immer die einen zuletzt wider untergehen oder in ihrer function von den anderen getrennt werden (Paul, Prinz, d. sprachg.3 s. 230 ff.).

-Wenn die flectierten formen im westgerm. die substan- tivische function übernahmen, so erklärt sich das natürlich daraus, dass hier nicht wie bei der adjectivischen casus und genus des Zahlworts bereits durch die endung des zugehörigen Substantivs gekennzeichnet waren.') Wenn speciell das deutsche die flectierten formen auch da gebraucht, wo die Zahlwörter als adjectiva nach ihrem Substantiv stehen, dieselben aber bei umgekehrter Stellung streng meidet, so hängt das mit dem streben nach endflexion zusammen, demselben streben, das die infictische flexion des pronomens 'dieser' im nord. wie im westgerm. allmählich zu einer suffictischen gemacht hat: was bei dem einheitlichen worte die Schaffung neuer formen veranlasst hatte, erwies sich bei der wortgruppe wenigstens von einfluss bei der auswahl zwischen verschiedenen schon vorhandenen formen. Dass übrigens infictische flexion auch gerade bei Zahlwörtern möglichst vermieden wird, zeigt sich besonders in den ordinalien von 13 19 derjenigen germ. dia- lekte, die auch noch den ersten bestandteil dieser Wörter durch ein ordinale ausdrücken, des got. und des ahd.: diese lassen hier übereinstimmend das vordere ordinale ohne flexion. Unflectiert bleiben ja westgerm. (die got. formen sind nicht belegt) auch die Vorderglieder der cardinalia 13 19, abgesehen nur davon, dass ahd. bei flexion von 13 der vordere bestandteil mitdecliniert wird (drin zenin bei Notker). Da die dreizahl als selbständiges wort stets flectierte, so hatte sich ein so

1) Dieser Unterscheidung- liegt die zwisclien den ags. pluvalformeu hundreclu und hunäred (nach dem plural hund wie auch püsend neben ßüsendu) nicht so fern. Ersteres kommt nur in absolutem gebrauche vor. Wo der plural ausser durch die vorgesetzte einerzahl auch noch durch den abliängigen pluralischen genetiv gekennzeichnet war, wurde eine besondere endung desselben als überflüssig empfunden.

OSTG.-WESTG. NEUERUNGEN BEI ZAHLWÖRTERN. 79

starkes gefülil für ihre flexion gebildet, dass sie da, wo syn- taktisch eine flexionsform von 13 gefordert wurde, gleichfalls der flexion unterlag, obwol diese hier eine infictische war. Es kam als verstärkendes moment hinzu, dass drl selbst nach der «-declination abgewandelt wurde, nach der an der be- treffenden stelle ja auch der zweite bestandteil von clnsehan seine casus formierte.

Das ags. kennt im gegensatze zum deutschen die flectierten formen der zahlen 4 19 nur in substantivischem gebrauche, nicht auch in adjectivischem nach Substantiven, i) Da die flectierten formen gerade bei der häufigsten gebrauchsweise der Zahlwörter, der adjectivischen vor Substantiven, nicht an- gewant werden, so ist es wahrscheinlich, dass ihre einschrän- kung auf bestimmte functionen zuerst da, wo diese noch die grösste ausdehnung haben, im deutschen, erfolgt ist. Von letzterem aus wird sich dann diese einschränkung in ab- geschwächtem masse auf das ags. fortgepflanzt haben.

Einen unterschied herausgebildet haben ahd. und ags. auch in der behandlung der einer in den zwischenzahlen. Das ahd. flectiert hier den einer, wenn derselbe dem zehner voraus- geht, z. b in un.mn fiOTK inti ohtozug järo (Tatian), wol haupt- sächlich, weil in diesem falle der einer an der substantivischen function des zehners teilnimmt. Freilich findet diese flexion auch da statt, wo bereits der zehner adjectivisch fungiert, z. b. in niuni inti niimmg rcJde (Tatian). Das mag teils auf dem einflusse des durchaus noch überwiegenden substantivischen gebrauchs der zehner beruhen, teils auch in der entfernung des einers von seinem substantivum und damit in seiner rela- tiven Selbständigkeit begründet sein. Dagegen wurden im ags. einer und zehner der zwischenzahlen in weit engerer be- ziehung zu einander gefühlt. Dort wird, wie sich an den nur declinierte formen kennenden zahlen ersehen lässt, die vor den zehner tretende und mit ihm durch and verbundene einerzahl in den nom.-acc. neutr. gesetzt, gleichviel in welchem casus der zehner selbst stellt, z. b. in pdra hvd and hventisra nianna: der einer wird hier trotz des and ganz als integrierender und

') Hierbei ist davon a])znseheii, dass bei 13—19 bestimmte erstarrte flexionsformen da gebraucht werden, avo bei 4 12 die nnflectierten formen stehen, worüber weiter x;uten.

80 LOEWE

deshalb indeclinabler wortteil der zwischenzahl, deren am ende stehender zehner ihr neutrales geschlecht bedingt, empfunden.') AVird doch selbst bei den ordinalien wenigstens von twcsen regelmässig die neutralform twd an die spitze der mit and gebildeten zwischenzahl gestellt, und sind überhaupt die einer in dieser Zusammensetzung gleichfalls nicht flectierbar. Nur der dativ tivdm {twcem) kommt hier bei den ordinalien vor, vielleicht auch drim\ bei den cardinalien sind beide formen nachgewiesen. Sievers, Ags. gr.^ § 326 anm. und § 338 erklärt dies aus der einsilbigkeit dieser dative, was sicher das richtige trifft, da hier die zwischenzahl in ihrem wortinneren nicht in gleichem masse verändert wurde, als wenn hier wie im genetiv noch eine ganze silbe hätte eingeschaltet werden müssen. Doch wäre das auch hier höchstwahrscheinlich nicht möglich gewesen, wenn es sich nicht umsonst stets flectierende einer gehandelt hätte.

In einem falle hat das ags. abweichend vom deutschen den flectierten formen eine besondere ausdehnung verliehen, nämlich bei den compositis 13 19. Hier steht der nom.-acc. des masc. -fem. auf -e durchw^eg da, wo bei 4 12 die unflec- tierte form gebraucht wird. Wenn der Angelsachse in adjec- tivischer function stets driUne, drityne, feoivertene, feoivertyne im gegensatze zum einfachen Un, iyn anwendet, so ist das entweder dadurch veranlasst, dass man die dvandvacomposita in höherem grade pluralisch als die einfachen zahlen oder dass man bei den mit doppeltem haupttone gesprochenen zweisilbigen ""driten {*drityn), *ßften (*fiftyn), *sicxfcn (*siextyn) beim zu- sammenstoss mit einem Substantiv die unmittelbare aufeinander- folge dreier haupttöne unwillkürlich als störend empfand, in Avelchem letzteren falle dann die dreisilbigen composita von 10 nach dem muster der zweisilbigen das -e angenommen hätten; übrigens könnten auch beide Ursachen zusammen- gewirkt haben. Wie man aber auch die sache auffassen mag, es ist klar, dass das festwerden der casusendung bei den

') Man vergleiche liierinit die assiiiiilatiou im geuus in einer so ein- heitlichen Verbindung wie nhd. das hah ntuJ (jnt neben die habe aus ahd. haba = afries. hava; wo nhd. etwa das hab allein vorkommt, ist es erst aus der Verbindung das hab und gut ausgelöst. Paul, Prinz, d. sprachg.^ s. 308 führt aus Pestalozzi sogar den gen. seines habs und (jiits an.

OSTG.-WESTG. NEUERUNGEN BEI ZAHLWÖRTERN. 81

dvandvacompositis erst erfolgt sein kann, nachdem die Schei- dung zwischen formen substantivischer und adjectivischer function stattgehabt hatte oder frühestens während dieselbe stattfand, da sonst die formen auf -e auch bei substantivischem gebrauche durch alle casus geführt sein müssten. So aber wurde dieser häufigsten casusform diejenige function für alle casus verliehen, die bei 4 12 die formen ohne casusendung erhalten hatten oder gleichzeitig erhielten. Dass die functions- erweiterung dieser formen auf -e bereits zu einer zeit, da die Angelsachsen noch auf dem continente sassen, stattgehabt hat, ergibt sich aus der teilnähme des ostfries. daran, wo es z. b. fiiiwertine gegenüber tian heisst.

Freilich hat nun diese aus einer westgerm.-ostgerm. neue- rung hervorgewachsene anglofries. eigentümlichkeit das west- germ.-ostgerm. gebiet noch überschritten. Dem Verhältnis von ags. Hen zu driUne bis ni^ontcne entspricht nämlich, worauf mich Sievers aufmerksam macht, was den auslaut betrifft, das von an. tiu zu prcttdn bis nüidn, deren n ja nur vor einer flexionsendung erhalten sein kann. Es ist hier meiner meinung nach eine anglofries. eigentümlichkeit in das benach- barte nord. gedrungen, wie ja diese beiden dialekte vermöge ihrer nachbarschaft verschiedene gemeinsame neuerungen un- abhängig von den übrigen dialekten vollzogen haben. Hatten einmal im ags. bei 13 19 ganz bestimmte flexionsformen die- jenige function übernommen, die bei 4 12 die unflectierten in strenger sonderung von den flectierten ausübten, so waren erstere für das Sprachgefühl selbst zu unflectierten formen ge- worden, die auch in einen germanischen nachbardialekt ein- dringen konnten, der eine lebendige declination bei 5 19 überhaupt nicht kannte. In diesem mangel einer lebendigen declination gerade bei diesen zahlen, bei 5 12 auch in dem mangel erstarrter casusformen, stimmt ja das nord. genau noch zum indog., und es kann daher doch wol nicht zweifelhaft sein, dass es sich niemals an der durchflectierung dieser zahlen beteiligt hat. Ausserdem Hesse es sich sclnver denken, dass, wenn einmal eine lebendige «-declination bei 5 19 auch im nord. aufgekommen wäre, die «-casus bei 5 12 wider durch die alten indeclinablen formen, bei 13 19 durch formen, die für das Sprachgefühl in die reihe dieser eingetreten waren,

Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVII. (J

82 LOEWE

verdrängt sein sollten, wo doch 1 4 und substantiviscli auch die zahlen nach 19 stets flectierten, und wo überhaupt in- declinabilia leichter in eine bestimmte flexion übergehen, als dass declinierte Wörter die ihrige verlieren.

Dazu kommt noch, dass unter den verschiedenen theorien, welche über den Ursprung der i- flexion von 4 19 aufgestellt worden sind, diejenige Osthoffs, Morph, unters. 1, 131 am an- nehmbarsten erscheinen muss, wonach got. taihunim, fichvörim, ainlihhn, twalihim u.s.w. in prwi ihren ausgangspunkt haben. Denn wer über fichvörim von einem nom. pl. neutr. ^fichföri oder über ainlihim, twalihim von einem *ainlibi, *twalibi oder über fimßm von einem *ftmfi ausgeht, müsste, um zum dativ auf -im als allgemeiner bildungsweise der zahlen 4 19 zu gelangen, eine doppelte analogiebildung voraussetzen, während man, wenn man prim als musterform zu gründe legt, nur eine einzige anzunehmen hat. Hat aber die 3 die flexion veranlasst, so lässt es sich auch am besten verstehen, warum die nenerung im ostgerm. und westgerm. schon bei der 4 beginnt, während man im nord., wo die 4 nach eigener weise und so gut wie die 3 unter allen umständen flectierte, nur die 4 als muster einer flexion hätte erwarten können, es wäre denn dass die 4 selbst die ^■-declination angenommen hätte.

Uebrigens wird im ostgerm.-westgerm. nicht bloss der dat., sondern gleichzeitig auch der gen. von 4 19 nach dem muster der 3 facultative flexion übernommen haben. Man könnte hier freilich zunächst daran anstoss nehmen, dass im got. dem Jmje, Jirim nicht ein *fidicönje, fidicörim, sondern ein fuhvöre, fid- wörim entspricht, wonach hier also die substantivische i-decli- nation das muster abgegeben zu haben scheint. Dem gegen- über muss man sich aber klar machen, dass im got. gen. pl. auch der substantivischen /-stamme einmal ein i vor der flexionsendung gestanden haben muss. Got. gaste verdankt seine entstehung erst der nach dem Vollzüge der vocalischen auslautsgesetze geschehenen analogiebildung: dags, dag : gasts, gast = dage : gaste. Da sich im plural sonst die flexionen der männlichen und weiblichen substantiva vollständig glichen, nahmen auch letztere im gen. pl. -e für -ije an, während sie im sing., wo sie zwei casus abweichend bildeten, ihren unter- schied von den masculinen aufrecht erhielten. Des weiteren

OSTG.-WESTG, NEUERUNGEN BEI ZAHLWÖRTERN. 83

konnte nun allerding-s im got. die substantivische i-declination auch auf die numerale einwirken, nachdem sich einmal eine solche dort gebildet hatte. Es konnte die proportion entstehen: gastim : fidivörim = gaste : fidivüre. Da ältere formen von den analogieformen nicht sofort verdrängt zu werden pflegen, so konnte hier sogar die doppelformigkeit von *gastiße und gaste auf erzeugung einer doppelformigkeit *ftdwörije und fidwöre mit hinwirken. Wenn ^rije selbst von keiner analogieform verdrängt wurde, so lag das daran, dass in den genetiven von got. 4 19 überall ein unbetontes i gerade wie bei den Sub- stantiven der i-declination vorhanden war, Jnije dagegen mit seinem betonten i den Substantiven ferner stand. Auch ist es begreiflich, dass eine form, in der gerade der in der analogie- form nicht vorhandene vocal den ton trug, leichter wider- stand leisten konnte als eine solche, in welcher der vocal nur unbetont war.

Wenn es eine flexion von 4 19, wie ja auch noch im got., ursprünglich nur im gen. und dat. gab, so lag das daran, dass diese beiden casus speciellere beziehungen als der blosse subjectscasus und objectscasus, die ja so vielfach unter sich die gleiche form haben, zum ausdruck bringen, für ihre be- sondere kennzeichnung also leichter ein bedürfnis entstehen konnte. Ganz analog haben ja auch im sanskrit dieselben Zahlwörter (ausser der noch nach alter weise durchgängig flectierenden 4) in allen casus mit ausnähme des nom. und acc. flexionsendungen angenommen.

Die Überführung der zahlen 4 19 in die i-declination hat nach den vorangegangenen erörterungen in einer zeit stattgefunden, in der die Goten in den Weichselgegenden Sassen. Eine bestätigung dieser chronologischen bestimmung aus anderen momenten dürfte sich wenigstens für den terminus ad quem gewinnen lassen. Wie ich IF. 13, 41 f. wahrscheinlich gemacht zu haben glaube, beruht das -e von krimgot. sevene, nyne, thiine gegenüber fyder, fyuf, seis auf anlehnung an die mit thiine gebildeten dvandvacomposita, von denen Busbeck thiinita, thiinetua, thiinetria nennt, welche letztere form nur nur eine umkehrung von -ägs. preotyne darstellt. Danach scheint sich also auch noch die specielle neuerung, dass in einem teile des germ. das -i des nom. acc. pl. fem. (aus -y/> oder aus -ins,

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84 LOEWE

Streitberg', ürgerm. gr. s. 243), welches anglofries. wie krimgot. lautgesetzlicli als -e erscheint, an die adjectivisch fungierende form angetreten ist, noch vor dem abzuge der Heruler und Goten an das Schwarze meer vollzogen zu haben. Wir haben hier also wahrscheinlich einen Vorgang, den ein teil des west- germ. mit einem ihm benachbarten teile des ostgerm, (ich halte die Heruler, die vorfahren der Krimgoten, jetzt für in Mecklen- burg wohnende Ostgermanen; vgl. IF. 13, 66 ff.) und dem ihm benachbarten nord. im gegensatze zum übrigen westgerm. wie übrigen bekannten ostgerm. (got.) vorgenommen hat. Wenn aber diese functionserweiterung des -i noch vor dem abzug der Heruler und Goten von der Ostsee fallen dürfte, so selbst- verständlich erst recht die entstehung der i-declination bei den betreffenden und den ihnen vorangehenden zahlen.

Letzteres lässt sich fi-eilich noch besser auf einem anderen wege zeigen. Dem westgerm. f von ags. twelf, twelfa, ahd. swelf, zivelfo steht das got. h von twdlif (tivalib), tivalihe, tiva- lihivintrus. u. s. w. gegenüber. Grammatischer Wechsel aber könnte nicht vorliegen, wenn nicht zur zeit der spiranten- erweichung formen mit verschiedener betonung existiert hätten. Es ist nun aber sehr unwahrscheinlich, dass die got. formen mit stimmhaftem Spiranten nur von den compositis ausgegangen sein sollten, zumal doch auch der stimmlose spirant der ordinalia dagegen wirkte. Vielmehr wird auch das h von tivalihe, ttva- liUm lautgesetzlich sein. Die Überführung von 4—19 in die «■-declination hat also höchstwahrscheinlich schon vor eintritt des Vernerschen gesetzes stattgehabt, der sicher noch in vor- chiistliche zeit, also lange vor den abzug der Goten aus dem Weichselgebiete fällt. Wenn sich hier eine ältere sprachliche neuerung über ein engeres gebiet, das damalige südgermanische (d.h. ost- und westgermanisch), eine jüngere wider über ein weiteres, das gesammte germanisch, verbreitet hat, so bedarf das keiner weiteren erläuterung. Zu bemerken ist aber, dass wir durch die genauere begrenzung der spanne zeit, in welcher die zahlen 4—19 ihre «-casus angenommen haben, auch die zeit näher begrenzen können, in welcher die vierzahl ihre flexion einbüsste, was natürlich schon geschehen sein muss, bevor dieselbe in gemeinschaft mit den folgenden zahlen flexionslose formen und «-casus neben einander setzen konnte.

OSTG.-WESTG, NEUERUNGEN BEI ZAHLWÖRTEEN. 85

Eine gemeinsame neuerung des ostgerm. und westgerm. hat wahrscheinlich auch bei der zahl 20 stattgefunden. Mit Streitberg, Urgerm. gr. § 167 sind hier natürlich die dualischen formen des nord. (ostnord. tinglm, westnord, tuttugu, tuttogo) für ursprünglich, die pluralischen der übrigen dialekte für neuerungen zu halten. Die westgerm. bildung zeigt hier in ihrem ersten gliede deutlich einen dat., weshalb man das ganze wort für einen dat. angesehen hat, wie denn z. b. Sievers, Ags. gr.-^ § 324, anm.l, ags. twcfmtis, twentig, hventig aus einem ^tivdm tigum verkürzt sein Hess. Aber selbst wenn das ags. wort indeclinabel wäre, so Hesse es sich doch nicht gut denken, dass ein casus von so specialisierter bedeutung wie der dat., der zudem seltener als nom. und acc. war, die der Verkürzung anheimfallende normalform des Wortes hergegeben haben sollte. Obenein ist der dativ hier gerade als Uventigiim erhalten, während üventlj im älteren ags. nur für nom. und acc. steht. Auch wäre es nicht zu verstehen, warum nicht neben twentig auch ein *örmtig stünde. Es bleibt uns nichts übrig, als nur das Vorderglied von westgerm. 20 als dat. aufzufassen, der in jeder casusgestalt des ganzen Wortes unverändert blieb. Die westgerm. gestalt der 30 begreift sich auch auf diese weise sehr gut. Denn wenn sowol der dieser zahl vorausgehende zehner sowie alle ihr folgenden ihr vorderglied unflectiert Hessen, konnte auch das ihrige am leichtesten seine flexion verlieren. Hier drang nun aber der nom.-acc. als normalform und weitaus häufigste form durch, und zwar geschah nach aus weis von ags. dritig, as. thrUich, ahd. drissug diese uni- formierung zu einer zeit, in der tigjus wie im got. und nord. noch masc. war.

Aus dieser betrachtung ergibt sich die richtigkeit der deutung Streitbergs a. a. o., der den dat. hier in instrumentalem sinne fasst, wonach also ags. hventig, as. Uventig, ahd. siveinsuc 'mit zwei die zehner, zweimal die zehner' bedeutet. Der instrumental eines Zahlwortes wird ja überhaupt nicht selten in oder zur Verbindung mit einem anderen zahlworte gebraucht. So zunächst in sociativem sinne bei dvandvacompositis wie in abaktr. nava satciis Jiamnromca '1900' (Jackson, Avesta gram- mar § 368, note) und bei den ags. zehnern, die, selbst cardinalia, den zweiten bestandteil eines aus einer und zehner zusammen-

86 LOEWE

gesetzten ordinale ausmachen wie in dridäa eac tiventi^um, während in den distributiv gebrauchten dativischen formein des ags. wie ticcem ond üvcem, düsendum ond Öiisendiim beide dative wol in sociativem sinne aufzufassen sind. In dem seltenen westnord. prentdnde, aschwed. l)ydentdnde, in dessen erstem bestandteil Noreen, Aisl. u. anorw. gr.- § 385 anm., einen dat. erkannt hat, ist dieser hier gleichfalls sociativ gebrauchte casus mit der folgenden zahl zu einem einzigen gebilde ver- schmolzen, das noch einheitlicher in dem schon vor der assi- milation des n an folgendes t entstandenen gewöhnlichen west- nord. 7»'e//«w, o'&iworA. prcettan erscheint; wenn der Skandinavier speciell die 13 im gegensatze zu den folgenden zahlen als ein 'zehn mit drei' auffasste, so entsprang das der empfindung, dass mit dieser zahl nach der Unterbrechung durch 11, 12 die dvandvacomposita der 10 einsetzten. Den dat. in pren- tdnde, Jirdentdnde aber vergleicht Noreen weiter gut mit dem in ahd, zweinsug, ags. twentig (das er nur unrichtig dem got. twaim tigum gleichsetzt), in dem erst recht ein einheitliches wort vorliegt, nur dass hier der dativ nicht in sociativ, sondern in multiplicativ instrumentalem sinne gesetzt ist.

Dieselbe bildungsweise wie bei der westgerm. 20 liegt nun wahrscheinlich auch im got. vor. Wenn man seit J. Grimm, Gr. 2, 948, stets als sichere got. nominativform für 20 ein *twai tigjus angesetzt hat (das nirgends auch nur mit einem Sterne bezeichnet ist), so ist dem gegenüber darauf hinzuweisen, dass von diesem zahl Worte einzig der dat. Uvaim tigum Iaw. Wh '^\ als beleg existiert. AVenn nun auch ein genau nach preis tigjus U.S.W, gebildetes Htvai tigjns an und für sich durchaus mög- lich erscheint, so lässt sich doch auch von iivaim tignni der nom. als *twaim tigjus ansetzen.

Um die Wahrscheinlichkeit letzterer annähme zu prüfen, ist es wichtig zu erfahren, ob die verdrängte dualform im got. und im westgerm. gebiete gleichzeitig untergegangen ist. Diese frage aber ist deshalb höchstwahrscheinlich zu bejahen, weil das verschwinden des duals aus der declination in jedem ein- zelnen germanischen dialekte gerade nur mit ausnähme des duals der personalpronomina erfolgt ist, der dual des nomens also überhaupt durch einen gemeingermanischen act durch den phiral verdrängt wurde. Der dual 20 aber konnte nicht

OSTG.-WESTG. NEUERUNGEN BEI ZAHLWÖRTERN. 87

einfach durch den phiral beseitigt werden, weil der plural 'die zehner' im gegensatze zur alten form 'die beiden zehner' von den formen 'drei zehner u.s.w.' gerade des Unterscheidungs- merkmals entbehrt haben würde. Aus diesem gründe beliess hier auch das nord. ausnahmsweise den dual, gab jedoch dessen nunmehr völlig isolierte flexion entweder schon gleichzeitig oder sehr bald darauf im anschluss an die flexionslosigkeit der zahlen 5 19 auf. Das westgerm. dagegen liess auch den dual 20 mit allen übrigen dualen des Substantivs untergehen und ersetzte denselben gleichfalls durch den plural. Wenn hier nun nicht einfach die zweizahl attributiv zu diesem plural hinzutrat, sondern 'mit zwei die zehner' gesagt wurde, so prägt sich in dieser ausdrucksweise die hier durch den ersatz des duals durch den plural veranlasste schärfere Unter- scheidung von den benennungen 'drei zehner u.s.w.' aus; die entstehung war also derjenigen der an. 13 nicht unähnlich (vgl. s. 86). Dagegen war es etwas anderes, wenn später im anglischen ohne weiteren anlass ein twwgentij nach der Pro- portion dri : ^hvoe^en (wofür twcege) = dritis : twce^entig ge- schaffen wurde.

Was nun das got. betrifft, so hätte dasselbe doch höchst- wahrscheinlich den alten dual 20 als indeclinable form gleich- falls erhalten, wenn es zur zeit des Unterganges des nominalen duals noch in Skandinavien gesprochen worden wäre. Da aber der dual in der declination, ausgenommen beim Personal- pronomen, höchstwahrscheinlich bereits verdrängt wurde, bevor die Goten an das Schwarze meer gerückt waren denn sonst hätten sich letztere an dieser neuerung schwerlich beteiligt ') so wird auch der dual von 20 noch zu dieser zeit untergegangen sein. War nun aber das verschwinden des duals 20 im got. zu gleicher zeit durch die gleiche Ursache wie im westgerm. veranlasst, und trat hier im got. wie im westgerm. der mit 'zwei' umschriebene plural von *ligus ein, so wird das got, diese Umschreibung wahrscheinlich auch in derselben weise v/ie das westgerm. vollzogen haben, von dem es damals nur

^) Sie taten dies auch nicht hei Verdrängung des duals durch den plural heim verhum, die sich also nach ihrem ahzuge an das Schwarze meer üher das jiordgerm. und westgerm. wie viele andere neuerungen ver- breitet hahen wird.

88 ^ PANZER

durch anderes ostgerm. gebiet, nicht aber wie das nordgerm. durch das meer geschieden war.

CHAELOTTENBUEG. EICHAED LOEWE.

ZUM MEIER HELMBRECHT.

Es herscht immer noch keine völlige einigkeit darüber, welche von den beiden recensionen dieses gedichtes in bezug auf die localisierung der handlung das ursprüngliche biete. Auch nach den bekannten Untersuchungen von Keinz, deren schöne ergebnisse uns das gedieht mit neuer lebenswärme erfüllten, haben die angaben der Berliner hs. noch manchen füi^ ursprünglicher gegolten, und erst neuerdings ist ihnen in Strnadt wider ein Verteidiger erstanden, i) Und in der tat muss man zugeben, dass die ganze frage und zwar sowol von den anhängern der Ambraser, als denen der Berliner hs. seltsamer weise niemals ernsthaft von der seite aus unter- sucht worden ist, die hier allein eine zwingende entscheidung geben kann.

Denn es lässt sich nicht verkennen, dass die nachweisuugen von Keinz, so bestechend sie erscheinen, doch tatsächlich für eine entscheidung unserer frage keineswegs durchschlagend sind. Wollte Keinz eine solche erbringen, so hätte er nach- weisen müssen, dass, was A und B gemeinsam haben, sich mit der localisierung von B nicht vereinigen lässt. Das ist nun tatsächlich nicht geschehen. Der nach weis eines Helmbrechts- hofes tut es noch nicht. Der name Helmbrecht ist weiter ver- breitet, leicht mag es auch im Traungau bauern und bauern- geschlechter dieses namens gegeben haben (der hofname ist ja durch das gedieht gar nicht bezeugt); ja wir wissen nicht einmal, ob die erzählung nur überhaupt auf einem wirklichen Vorkommnis beruht. Die Versicherung des dichters (v. 7 f.), er habe das erzählte selbst erlebt und gesehen, bietet dafür

^) Linzer Volksblatt Tom 10. jan. 1894; ich kenne den aufsatz nur ans dem referat von Keinz, Anz. fda. 20, 2G2 ff.

ZUM MEIER HELMBRECHT. 89

jedenfalls keine gewähr; streng genommen widerspricht ihr schon V. 1638, und die weiter unten näher auszuführende tat- sache, dass beträchtliche und nicht unwichtige stücke der er- zählung unserem dichter durch directe literarische entlehnung zugekommen sind, erbringt im gegenteil die gewisheit, dass zum mindesten nicht alles im gedichte historisches geschehnis sein kann. Was aber sonst an geographisch greifbaren namen begegnet, findet sich entweder nur in A oder nur in B •) und ist jeweils durchaus sinngemäss. Nun hat Keinz ja vieles aus dem gedichte in spräche und sitte der Gilgenberger gegend widergefunden. Sollte damit aber zugleich die Originalität von A er\nesen werden, so hätte er zeigen müssen, dass spräche und sitte des Traungaus den angaben des gedieht es nicht entsprechen. Das ist nun nicht geschehen, 2) und kann wahr- scheinlich nie geschehen, indem der wenig östlicher auf gleichem sprach- und Stammesgebiet gelegene Schauplatz von B sich hierin kaum durchschlagend vom Innviertel unterscheiden möchte. Und so wäre es denn an sich ganz wol denkbar, dass die localisierung von B das ursprüngliche böte, und erst ein Schreiber, der den Helmbrechtshof bei Gilgenberg kannte, die namen dessen Umgebung entsprechend umgeändert hätte.

Es gibt nun aber doch ein von all diesen Überlegungen ganz unabhängiges moment, von dem aus sich für eine ent- scheidung des problems mindestens ein hoher grad von Wahr- scheinlichkeit erzielen lässt. Es ist das das grundsätzliche Verhältnis der beiden hss. zu dem originale, das sich doch noch aus anderen stellen als den zwei versen mit den strittigen Ortsangaben feststellen lässt. Eine neue ausgäbe des gedichtes, die ich eben hergestellt habe, gibt mir auch sonst veranlassung, einiges hierüber zu sagen.

Ich schicke voraus, dass die nachstehenden ausführungen sich auf eine neue vergleichung der hss. stützen. Die Berliner

0 Ob JcienlHe 1-127 xmd loch J391 als namen zu gelten haben, ist ebenso unsicher wie ihre allenfallsige localisierung.

2) Wenigstens lässt sich das einzige, was Keinz nach dieser seite an- geführt hat (MSB. 1865, 824-. 32(5) sofort Aviderlegen. Oestlich vom Innviertel soll weder das krautessen, noch der ausdruck ruohen graben gelten (sondern ruoben ziehen); aber der Oesterreicher Seifr. Helbling sagt 1, 646 rüeben graben, und vom krautessen ist ebda. 943 ft'. ausführlich genug die rede.

90 PANZER

konnte ich selbst benutzen. Eine sorgfältige collation der Ambraser hs., die lierr cand. phil. A. Eicliler in Wien für mich anzufertigen die gefälligkeit hatte, ei-gab, dass Bergmanns ab- druck der hs. im Anzeigeblatt zu den Wiener Jahrbüchern der literatur bd. 85. 86 (1839) mit grosser genauigkeit veranstaltet ist. Er hat nur die in der hs, sehr willkürlich gesetzten grossen anfangsbuchstaben vieler Wörter durchgehends in kleine verwandelt und sonst einige kleine änderungen der Orthographie des Schreibers mangelnder typen wegen vorgenommen, ohne ge- naue consequenz. So ist das ü der hs. im allgemeinen durch uo, öfter aber auch durch u widergegeben, ä zuweilen durch ae, zuweilen aber auch durch ä oder a; S durch oe oder ö. Oefter schreibt die hs. e für mhd. ce; der druck setzt dafür e, e oder ae. Die haken über u, v, iv, y sind im druck nicht widergegeben.

Im übrigen sind nur folgende meist sehr unbedeutende fehler in Bergmanns abdruck zu berichtigen (ich setze die lesart der hs, hinter die klammer): 34 Ä;op/e] lio^lie, 39 dacli\ tach, 44 lioere}i\ lioren, 61 iüinstern\ wünstern, 87 dem] den, 90 Jiorct] höret, 108. 900, 1715 her] heer, 111 etztrunnen] enn- trunnen, 133 hleine] Maine, 152 stvey] Zicay, 158 soll] soll, 274 rocke] roch, 362 nyni] Nym, 396 den] dem, 406 hat] het, 415 vnnz] unns, 515 sie] die, 529, 536 welches] welhes, 548 ge- niesset] geniessent, 574 soll] soll, 591 vnd] vmh, 625 zivay] zwey, 647 pflege] phlcge, 707 ander] aiinder, 755 taten] tatten, 824 saem] zam, 906 scy] sey, 929 huhnrdircn] Buhurdieni, 954 juncMerrn] Junckhern, 959 Ernest] Ernst, 980 leider] laider, 991 vcrnym] vernym, 1042 sclüafen] schlaffen, 1071, 1175 Helmprcchtc{n)] I£elemprechte{n), 1136 mocJitet] mocht et, 1218 kuabe] knabe, 1273 meiner] meinen, 1304 lange] lannge, 1379 viel] vil, 1402 gefüllet] ge füllet, 1419 man] mann, 1460 Gote- linden] Gottelinden, 1465 hoeret] höret, 1486 sendet] senndct, 1494 {sie) fehlt und auch der räum dafür, ebda, got] gott, ebda. Letnpcrslint] Lemperschlint, 1544 er fiindcn] erfunden, 1589 Vaters] Vater, 1608 in] ein, 1664 raucher] rauher, 1717 tvas] Wes, 1778 nie] nicht, 1832 ym] Im.

Stellen wir nun zunächst fest, dass keine der liss. aus der anderen abgeschrieben sein kann, indem jede nachweisbar echte verse enthält, die der anderen fehlen. Welche von ihnen steht aber dem original näher?

ZUM MEIER HELMBRECHT. 91

Wir können hier sofort einen schritt weiter tun, der zu- nächst den abstand zwischen dem original und den abschritten durch ein mittelglied ausfüllt. Ein blick auf die lesarten lehrt, dass beide hss. sich fortlaufend fast in jedem verse von einander unterscheiden. Wer aber die abweichungen einzeln prüft, erkennt bald, dass sie trotzdem einem zweige der Über- lieferung' angehören. Es finden sich eine g-anze reihe gemein- samer fehler in AB, die nicht unabhängig von einander ent- standen sein können; die hss. müssen also auf eine gemeinsame vorläge zurückgehen, die nicht das original war.

Am meisten fällt in die äugen, dass beide hss. dort, wo der dichter eine rede ohne ausdrückliche einführung gelassen hatte, nachträglich ein er spracli hinzufügen, das den vers zerstört: 299. 361. 471. 561. 601. 717. 1185. 1257. 1265. 1743. 1779, {si) sprach 1492. Obwol nun die hss. auch für sich noch gelegentlich solche einführungen zeigen (A 419. 617; B 913), so kann bei dieser niasse von fällen doch kein zufälliges zu- sammentreffen mehr angenommen werden; besonders ist das auch bei v. 279 ausgeschlossen, wo beide hss. ein bestimmteres der vater sprach einschieben.

Ein weiterer schlagender fall bietet sich in der bezeich- nung der abschnitte. Haupt, Zs.fda.4,321 hat bereits angemerkt, dass die hss. an vielen stellen abschnitte der erzählung durch grosse, bunte anfangsbuchstaben bezeichnen; zumeist geschieht das dort, wo eine neue rede anfängt. Es ist nun charakte- ristisch, dass beide hss. fälschlich bei 985 einen abschnitt an- deuten, statt bei 984, wo die rede des sohnes beginnt.

Dazu kommen dann die lesarten. Zwar wenn beide hss. 1633 kost{e) schreiben statt Jcüste, und selbst das unsinnige ar^ne statt härme 1388 wäre noch als zufälliges zusammen- treffen erklärbar, indem beide Schreiber das veraltete wort nicht mehr verstanden und nun das nächstliegende dafür ein- setzten. Aber an anderen stellen ist der zufall ausgeschlossen. So wenn beide hss. 627 (wol durch zurückgleiten des auges auf 624) ein rabe schreiben statt des allein möglichen der r. oder gleich wider 631 {a)ive den raben {a)we den c{h)ran statt des redten und der Iran. 438 schreiben beide hss. tverjset statt conj. wise, 1067 beide einen statt ein, 1271 beide meinen statt miner, 1780 beide niht statt nie, 1785 beide alle statt alles,

92 PANZER

1892 beide sinnlos ye statt 7iie. In dem euch AB 799 hat Haupt richtig- einen fehler für in vermutet, das von der vor- läge schon in iu verlesen wurde. Ebenso hat Haupt wol mit recht 47 üs Kriechen (und 88 tenJce?) für das original an- genommen statt des von beiden hss. gebotenen von kriechen (und lenke); für die vv. 32(5 f. und 1134 sind unten s. 107 f. gemein- same fehler der hss. angenommen und zu begründen gesucht. 96 steht in A die tvarn, in B der tvos statt des zu erwartenden diu was, das schon in der vorläge entstellt gewesen sein muss. Ebenso fehlen die vv. 1718—20, die in A überladen sind, in B offenbar deshalb, weil sie in der vorläge schon entstellt waren; ebendaher stammt bereits das den vers überladende der junge A 668 und B hat deshalb gCcändert. Auch 1651 scheint in beiden hss. verderbt, aber der Wortlaut der vorläge ist nicht wol reconstruierbar. Ein fehlerhafter zusatz schon der vorläge scheint das von AB gebotene uns v. 185, ebenso gehabt 681, das den vers zerstört. Auch das vnd v. 1053 wird wol (trotz 1197) ebenso fehlerhafter einschub der vorläge sein wie das ir 1340, 1434, üs 1732 und e (aus 1796 versehentlich ge- nommen) 1795. Umgekehrt fehlte das ew- 1773 wol schon in der vorläge von AB. Einige male ist auch die Wortstellung in beiden hss. sichtlich nach der vorläge gestört; vgl. die les- arten zu 719. 751. 928. 968. 1211. 1571.

Nach alledem kann es nicht zweifelhaft sein, dass A und B wir wissen nicht ob unmittelbar oder durch Zwischenschriften, jedenfalls aber in directer linie einer gemeinsamen vorläge entstammen. In welcher der hss. ist diese nun genauer wider- gegeben?

Wenden wir uns zunächst zu A, so wird sofort deutlich, dass diese hs. vielfach eine falsche lesart bietet. Ich zähle die fälle vollständig auf, indem ich sie unter bestimmte gesichts- punkte ordne, die ihr wesen erklären.

1. Zunächst zeigt A mehrmals einfache verschreibungen: 718 lat lat statt got lat,^) 1180 habest nemest statt habe nemest, 1347 schallar statt scharlat, 120 irs tverche statt ir iverehes und sonst einige Verwechslungen in den endungen, wie 143. 157

*) Ich gebe die richtige lesart hier regelmässig in der A gemässeu Orthographie.

ZUM MEIER HELMBRECHT. 93

einer statt einen, 394 dem statt den, 421. 761 seihen statt sel- he{r), 578 der statt des, 736 meinen statt ?)«em; 1634 &a?c?er statt ?^mV?e, 1069 Hclemprechte statt Helmpreclit

2. Eine besondere gruppe von fehlem ist in A daraus entstanden, dass der Schreiber seine vorläge flüchtig angesehen und, völlig unbekümmert um den sinn, statt der richtigen Wörter graphisch ähnliche gesetzt hat. So ist statt des prät. het mehrmals hat geschrieben: 842. 916. 1362; 755 sprachest statt sprichest, 1756 vor statt von, 1101 vnd ymmer an statt ymmer vnz an, 1384 tvann statt wän, 923 man statt mi(n), 892 heilt statt heint, 1814 deuhe statt (^'/e&, 1034 nahen statt vahen, 1921 ivarent statt varent, 1406 geivern statt geiverren, 1022 &er«y7 statt tra«7, 1028 rmtZer statt nY^er, 1026 /?eZ^ statt /«em und wese^ statt t^w e^.

3. Handelt es sich in der eben aufgeführten gruppe überall um sinnlose entstellung flüchtig gelesener, ganz gewöhnlicher Wörter, so werden von unserem Schreiber nun auch seltene oder veraltete Wörter, die er vermutlich nicht verstand, einfach durch graphisch ähnliche ersetzt ohne jede rücksicht auf den sinn der stelle. So ist 247. 48 mey geschrieben statt men, 648 hie trat statt hin drat, 717. 747 swester liindeldn statt soetc l: (vgl. unten s. 107), 728 de hraytra statt dohra ytra, 1077 einen port abgeschlagen statt emen horten wol beschlagen, 1713 deuol statt deu sal, 1809 heraus statt Rons (d. i. Bü.z), 1831 von seinen hinden statt von siben binden, auch 1350 tobel halte ich für einen fehler statt hohel.

4. Eine weitere gruppe von fehlem ergibt sich in A daraus, dass räumlich nahe stehende verse den Schreiber gestört haben. So sind nach 318 schon einmal die verse 323 f. geschrieben, die dann am gehörigen orte widerholt werden. 166 ist tüeche- lein geschrieben statt röclcelein nach tnoch 169, 235 farte ( : drate) statt iväte nach dem reimwort von 243, 275 ivol stenden statt uähen nach 274, 277 tauben statt fraiven nach 276, 276 die statt den nach 277. 657 f. sind die reimwörter umgestellt. 940 steht danne statt da nach 939, 1031 f. stehen disem und dem richtiger in B, 1418 steht ganz sinnlos starp statt stap nach 1419, 1475 vnd fürten auf rossen zu statt auf tvagen vnd auf r. z. nach 1474, 1754 mir statt mich nach 1753. 1755. Auch 596 do ragte dir ist wol fehler (vgl. B) nach 594

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(wo keine Veranlassung bestellt von A abzuweichen). Aelinlicli ist 58 auf der hauhen statt darauf, weil jenes wort im voraus- gehenden oft genannt war (vgl. besonders 28): hier mag auch 39 haube fach statt houhetdach verzeichnet sein, ebenso 110 die iiunne statt die.

5. In den letzten beispielen sind wir schon von den rein graphischen, also physisch bedingten fehlem, recht eigentlichen 'versehen', zu fehlem gelangt, die auf psycliologischer grund- lage ruhen. Sie sind äusserst selten bei unserem Schreiber. Eine kleine gruppe ergibt sich daraus, dass einige male ein- zelne Wörter sich mit solchen vertauscht zeigen, die ihnen durch sinn oder gegensinu verwant sind. 124 steht fälschlich der vater statt die müter und entsprechend 125 der statt die, 572 wetjsse statt sivartse, 761 dein statt mein. Allenfalls etwas gedacht haben könnte sich der Schreiber bei seiner lesart, wenn er 1565 im schrieb (auf ieglicher 1561 bezogen) statt m; alle anderen hier angeführten lesarten ergeben unsinn.

6. Sehr selten sind auslassungen in A. Ein einziges mal fehlt ein voll wort: 602 riehen] sonst nur pronomina und Par- tikeln. Mehrfach ist die negation en- weggelassen (650. 784. 804. 1149. 1225. 1372. 1732; 1773 fehlte sie schon in der vor- läge); ferner fehlen 36. 1874 dar, 202 und, 628. 1742 ez, 893 min, 973 da, 1692 er, 1699 dise, 1804 das, 1810 liin, 693 cZo (?), wol auch 1409 in (obwol gewern auch absolut stehen könnte). Mehrfach fehlt in A das pronomen, mit dem ein vorauf- gegangenes Substantiv aufgenommen oder ein folgendes voraus- genommen wird: 205 in, 423 den, 479 der, 644 diu, 890 die. Da diese stilistische besonderheit sonst für unseren dichter gesichert ist (Helsig, Metrik u. Stilistik im M. Helmbr. s. 82 ff.), so wird auch hier überall B das ursprüngliche haben. Ausser- dem hat A vier verse ganz ausgelassen: 1505. 06 wider durch graphisches versehen wegen der gleichen reimworte in 1503 und 1677. 78.

7. Ebenso selten wurde in A sinn oder vers durch zusätze gestört. Einiges dankt sein dasein fortgeschrittener sprach- entwicklung, wie das ze 278, dir 398, die artikel in 308. 549. 794. 875. 1314. 1397, auch das icU 353 lässt sich hier an- führen. Einige nichtssagende partikeln sind, seltener als sonst in jungen hss., zugesetzt: 312 auch, 1334 wol, 966 hey, wol

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aiicli 1646 ee. Ein ganz sinnloser einschub ist das vnä (und seinem statt seinen) in v. 1742. Das mich 1600 kann aus der vorläge stammen (B hat an derselben stelle ein störendes da), 1662 ye mer vnd mere ist eine art dittograpliie. Mehrfach haben wider benachbarte verse eingewirkt: 433 ist vnd ein- geschoben nach 434, 497 nie nach 494, 536 das nach 537, 627 sass nach 624. Eine bedachte zutat kann man etwa finden in 182 gerne (nach geläufiger formel), 788 es in ewr malhen statt etvr malhen (es = das essen 785); endlich die verdeutlichenden einschübe er sprach 419. 617 und der heijsset 1934. Dass die Überladung der verse 1718—20 aus der vorläge stammt, ist oben s. 92 bemerkt. Einige male darf man Umstellung der ursprünglichen Wortfolge in A annehmen, so 388. 1057. 1163. 1689. 1707. 1868, ohne dass alle fälle gleich sicher sind.

8. Au letzter stelle wären endlich die gelegentlich schon gestreiften fehler anzuführen, die durch fortgeschrittene sprach- entmcklung, unverständlich werden alter Wörter, formen und constructionen in A entstanden sind. Daher 600 das frage statt des fr., 729 an einander statt einander, 1039. 1109 nun statt niuwan, 1234 dich riiefen statt dir r., 1461 naigte statt neic, 1090 die zivei warn der diernen not statt der zweier tvas d. d. n., 1106 pawr statt gepaivr, 1397 gehen statt gegeben, auch 1200 vnd statt noch, 1631 preuÜich gewant statt hriutegewant und dazu die consequente Umschreibung aller laut- und flexions- formen in die spräche des 16. jh.'s.

Damit ist erschöpft, was A an sicheren fehlem bietet. Ziehen wir das facit aus unseren betrachtungen, so ergibt sich für das Verhältnis von A zur vorläge folgendes. A muss seine vorläge sehr genau widergegeben haben. Willkürliche, durch einen bewussten denkact des Schreibers bewirkte abweichungen von ihrem texte finden sich wol überhaupt nicht. Die haupt- sächlichsten fehler in A erklären sich vielmehr gerade daraus, dass der Schreiber seine vorläge rein mechanisch copierte und gar nicht selten völlig unbekümmert um den sinn dessen, was er niederschrieb; nur bei solcher arbeitsweise konnten sich so lächerliche fehler einstellen, wie wir sie oben besonders in den gruppen 2 und 3 zusammengestellt haben.

Ein völlig anderes bild gibt nun die betrachtung von B. Es ist schon bezeichnend, dass die nachweisbaren abweichungen

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dieser lis. vom original sich keineswegs so klar auf feste rubriken aufteilen lassen wie die von A. Und es ist weiter sehr charakteristisch, dass die lesarten von B viel weniger direct falsches und vor allem eigentlich nie völlig sinnloses bieten, wie wir das bei A so häufig gefunden haben. Denn die wenigen fälle, in denen B eine sinnlose lesart aufweist (212 Vnd vnib vnd vmh statt AI vmh v. v., 635 vasser statt vater, 386 Ekvell statt Enhvell, 606 Vhcl vclt statt Vier velt, 1345 fritschat statt fritsclial, 1003 nascr statt maser, 475 da man statt das man da) sind einfache verschreibungen.

Daneben finden sich einige wortvertauschungen, die man als lesefehler deuten könnte. Sehr zum unterschiede von A sind aber die vom Schreiber fälschlich eingesetzten Wörter nicht einfach nach der ähnlichkeit des schrift- oder lautkörpers ohne jede rücksicht auf den sinn gewählt, sondern seine lesart gibt dem einzelnen satze stets noch einen wenigstens erträglichen sinn, wenn auch der Zusammenhang sie als falsch erweist. So wenn 228 der trewe det geschrieben ist statt der stetvr del,^) 521 die tvirde statt die witze, 321 hosen scliücli vnd karraun statt li. vnd seh. von l:, 381 völliger reieher statt vollicleicher, 502 da für er statt der für ere, 571 dein phlügen als wol bedachte lesart statt dem phlüge, 602 aller reichtum vnd fröden statt aller reiehen fr., 1001 hrief vnd minne statt brief von m., 949 ivun vn iihercJiraft statt umnne iih., 963 reit statt jeit, 1081 schüchriemen statt schiich mit riemen, 1129 richter statt reicher, 1333 da zu hofe statt zu häufe, auch 1792 sloss statt stoss ist nicht blosser schreib- oder lesefehler, sondern v»'ol überlegt.

Auch sonst zeigt sich so ziemlich für alle fälle, in denen die lesart in B ohne weiteres als falsch bezeichnet werden kann, der denkende Schreiber, der fälschlich zwar, aber mit vollem bewusstsein auf grund eines denkactes, von der vorläge abweicht, die er nirgends mechanisch copiert. Ich führe einige charakteristische fälle an. 81 her Bietreich ist üble correctur des richtigen JDiethern A. 132 steht durch ir briider ere statt dem bruoder durch sin ere: der Schreiber zog die verse noch zum vorangehenden, als hätte die Schwester 'dem bruder

'; Die richtigen lesarteu wider in der Orthographie von B.

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ZU ehren' der nonne die leinwand geschenkt als weiteres ent- gelt für die haube. 249 hmve mir ist gewis falsch, aber doch sinnreich statt hüu-e tvir. 221 f. sind die plurale ver- häuften, geivunnen, lieten unrichtig, da nur von der niutter die rede ist, aber wol durchdacht: der Schreiber nahm anstoss, dass 227 unvermittelt der vater angeredet wird und bereitet sein auftreten gleichsam vor, 269 schreibt B statt tvcete, das der Schreiber nicht verstand, mänte; das zerstört den reim ( : scete), gibt aber an sich einen guten sinn. Ebenso 1572 äss (d. h. äs) statt mas. 384 Ich niüs ot haben rinder ist gewis falsch, aber nicht sinnlos. 557 des hmves steiirer ver- stand B wol als 'ausüber des baus'. 642 die ist falsch für der, indem dem Schreiber statt hüete 641 hehüete vor- schwebte. — 711 ist statt freiweih, das der Schreiber wol nicht verstand, einfach ivcih geschrieben; ebenso rücksichtslos hat er, aber doch völlig richtig, 717. 718. 747 die flämischen formen ins hochdeutsche übersetzt, während A sie, mechanisch copie- rend, teilweise sinnlos entstellt. 723 steht ^7ei«jtm(/ew falsch für den j.: der Schreiber dachte an Helmbrecht. 1114 steht vnd Stummeln oder hahen statt 5^. o. h., weil B die Infinitive fälschlich als 3. pl. conj. mit dem vorausgehenden verse zu- sammennahm. — 1220 ist das von Nonarre Nareye A, das dem Schreiber von B unsinnig schien, fälschlich, aber sehr verständig geändert in von nauarre hylarye. 1244 disen hahe ich in den rucke A verstand B das ruclic 'rauch' fälschlich (wie Haupt, vgl, dagegen Schmeller, Bair, wb.^ 2, 48) als 'rücken', wobei hahe natürlich keinen sinn gab; B ändert es daher in plew und erhält so einen verständigen satz. 1365 ist dein sorge falsch statt diu sorge, aber doch wol überlegt. 1738 hat der Schreiber söget iuiver, das er nicht verstand, durch ein nicht sinnloses sogt aus ersetzt. 1778 ist es falsch für er: B dachte an das leint Uli. 1910 ist fälschlich träume ( : haume) statt tromn ( : houm) geschrieben, weil der Schreiber an die vier träume dachte, die der alte 577 ff. berichtet hat, während hier nur vom letzten die rede ist.

In all diesen fällen also (die sich vermehren Hessen) sehen wir den Schreiber vollkommen willkürlich mit dem texte seiner vorläge umspringen, die er sich ganz nach seinem Verständnis und belieben zurechtlegt. Daraus erhalten wir nun auch den

Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVII. 7

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massstab für jene zahllosen anderen fälle, in denen der lesart von A eine Variante in B gegenüber steht, ohne dass letztere sich ohne weiteres als falsch bezeichnen Hesse. Es kann hier nicht an eine anf Zählung dieser fälle gedacht werden, indem man dafür schier jeden vers ausschreiben müsste; es ist aber klar, dass hier überall von vornherein die Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Wortlaut der gemeinsamen vorläge in A be- wahrt, in B willkürlich geändert ist. Man gewinnt den ein- druck, dass der Schreiber von B sich jeweils eine anzalil verse der vorläge überlesen und dann ohne weitere nachprüfung, den sinn festhaltend, aber im Wortlaut willkürlich ändernd (bes. mit ersetzung der originalen Wörter durch synonj^ma und ände- rung der Wortstellung) in seiner abschrift widergegeben hat. Zudem schreckte er aber auch vor bewussten änderungen keineswegs zurück. Und wer im einzelnen nachprüft, wird leicht erkennen, dass der Schreiber auch liier selbst im kleinen nicht ohne plan und absieht verfahren ist; insbesondere wird sein bestreben, fehlende Senkungen zu ergänzen, deutlich, vgl. die lesarten zu 3. 29. 49. 59. 313. 516. 1066. 1489. 1599. 1617 u. s. w.

Auch in bezug auf auslassungen und zutaten bewegt B sich sehr viel freier als A. Namentlich mit den partikeln und pronomina wird sehr willkürlich umgegangen: vü, wol, so, und, auch, ye, ot, liey, gar, da, nu u. s.w.; mir, mich, dein, es, das, des, icht u.s.w. fehlen oder werden noch viel öfter ein- geschoben, wie es die willkür oder die metrik des Schreibers geraten erscheinen Hess. Auch vollworte finden sich ein- geschoben (655 stät, 844 ward nach 843, 913 der vater sprach zur einführung der rede, 954 baid, 999 andern, 1056 gnüg, 1081 bracht er, 1131 selaid, 1179 bösen, 1214 fürder, 1304 selb, 1512 frawn, 1553 der chnappe, 1773 laider nach 1772) meist mit Störung des verses, so dass B auch dort als unecht gelten muss, wo seine zutat an sich keinen anstoss erregt. Seltener ist auslassung von vollworten: 282 fehlt zehen, 524. 535 al, 709 knehte, 1275 ist.

Endlich ist auch der versbestand in B beträchtlich ver- schieden von A. Ein plus weist B allerdings nur an zwei stellen auf. Hiervon wird man die zwei verse nach 44 kaum für das original in anspruch nehmen mögen: sie sind völlig

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inhaltsleer und von ß sichtlich erfunden, weil der Schreiber den Charakter von v. 44 als parenthese nicht erkannte und nun nach einem hauptsatz für 45 f. bedürfnis fühlte. Dagegen sind die plusverse hinter 740 für den Zusammenhang- zwar ent- behrlich, aber nach form und Inhalt ohne tadel und dem dichter wol zuzutrauen; da A auch an zwei anderen stellen je zwei verse übersprungen hat, so möchten sie immerhin echt sein.

Viel grösser aber ist die zahl von versen und versgruppen, die B weniger hat als A. Gerade hier hat der bestand von B öfter Verteidiger gefunden, und besonders Helsig, Metrik und Stilistik im M. Helmbr. s. 7 ff. ist sehr freigebig mit der an- nähme von Interpolationen in A gewesen. Schon die allgemeinste erwägung lehrt die völlige unwahrscheinlichkeit dieser an- nähme. Da die differenz nicht aus der vorläge stammen kann denn die war ja für A und B dieselbe müsste A die verse hinzugedichtet haben, eine für diesen Schreiber, wie wir ihn kennen, ganz unmögliche annähme. Stellen wir dagegen fest, dass in B auch eine ganze zahl einzel verse fehlen (152. 324. 1062. 1292. 1698), zu denen die reimentsprechungen in der hs. enthalten sind, so wird durch diese sicheren fälle offenbar auch für die übrigen, wo es sich um versgruppen handelt, auslassung in B von vornherein wahrscheinlich.

Dabei zeigt denn auch eine betrachtung im einzelnen so- fort wieder, dass die kürzungen bewusst und unter bestimmten gesichtspunkten erfolgt sind; nur 245. 46 scheinen durch ein einfaches augenversehen übersprungen.

355. 56. 399—402 und 413. 14 sind sichtlich deshalb über- gangen, weil der Schreiber sie nicht verstand, wie sie auch dem gelehrten erklärer von heute noch die grössten Schwierig- keiten bereiten. Dass das plus von A hier überall dem origi- nale entspricht, ist um so weniger zweifelhaft, als ein teil von V. 414 auch in B noch erhalten ist, indem er dort zu 415 hinüber gezogen wurde.

Wenn B 1 531. 32 übergeht, so kann man zweifelhaft sein, ob der Schreiber sie für überflüssig gehalten oder der gleichen reimworte von 1529 f. wegen übersehen hat, wie ja ganz analog in A 1505 06. fehlen: sie stützen sich aber gegenseitig. Dagegen hat er 21 26 sichtlich darum übergangen, weil sie ihm den Zusammenhang zu unterbrechen und überflüssig zu sein schienen;

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hatte er doch bereits in der Überschrift gesagt, was der dichter freilich nur im gedichte selbst anbringen konnte. Aehnlich schienen ihm wol auch 253 58 den fortgang des gespräches unnütz aufzuhalten.

1715 20 Hess B unter gleichzeitiger abänderung von 1714 vermutlich deshalb aus, weil von einer anstellung des alten Helm- brecht 'bei hofe' früher nichts erzählt war; nach 913ff. war er ja nur dort aus- und eingegangen, um käse und eier zu verkaufen. Ebenso blieben 229 232 in B wie ich denke darum weg, weil die Schwester dem bruder ja nichts geschenkt hatte, wenn man 132 mit B liest durch des hnioder ere, worüber oben s. 96 f. Diesem Schreiber ist mit solchen Überlegungen kaum zu viel zugemutet.

113 116 sind klärlich des Inhalts wegen ausgelassen, indem der österreichische Schreiber des 15. jh.'s ein stärkeres bedürfnis empfinden mochte, den mantel über die schaden der kirche zu decken als der dichter des dreizehnten. Die schluss- verse 1923 ff. aber Hess B weg, weil sie keinen erzählungs- inhalt mehr besitzen und der Schreiber bei 1922 bereits der meinung war, dass der scriptor debet pretium habere.

Ich konnte für B nicht wie für A sämmtliche stellen vor- führen, wo seine lesarten sich mit Sicherheit oder Wahrschein- lichkeit als nicht ursprünglich erkennen lassen; doch wird das gesagte zui' Charakteristik dieser hs. reichlich genügen. Sie ist in scharfem gegensatze zu A von einem denkenden Schreiber geschrieben, der mit seiner vorläge absolut willkürlich umgieng und den text ohne respect vor der Überlieferung beinahe vers für vers nach seinen persönlichen Überzeugungen einrichtete,')

1) Unser B enthält bekanntlich den j. Titurel von derselben band. Es dient den obigen ausführungen zur willkommenen bestätigung, was Zarncke, Der graltempel s. 405 über diese hs. beobachtet: ' Eine ganz vorzügliche hs. scheint D' zu sein, sorgfältig nach guter vorläge geschrieben. Aber bald bemerkt mau. dass der Schreiber (oder seine vorläge) darauf ausgeht, den vers zu glätten [vgl. ol)en s. 98]. Fast überall ist der reine iambische rhythmus hergestellt und namentlich der ausfall der anakrusis fast durchaus vermieden. In betreff der einsilbigen worte du, du, nü, so, u'ol, eil, gar, zwar u. a. hat daher diese hs. kein vertrauen zu beanspruchen [s. oben s. 98]. Dass man dem so den vers glättenden bearbeiter auch weitergehende Um- arbeitungen zutrauen dürfe, unterliegt keiner frage. Ueberall weist die ver- gleichung der hs. auch solche fälle, oft dem nachdenken des bearbeiters

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während A die vorläge stumpfsinnig und fast mechanisch copierte. Durch diese betrachtungen ist aber, denke ich, nun auch der feste punkt gewonnen, von dem aus sich in dem streite, von dem wir ausgegangen sind, eine zuversichtliche entscheidung aussprechen lässt: wenn A und B v. 192 und 897 in der angäbe der Ortsnamen auseinandergehen, so darf man nun mit grösster Wahrscheinlichkeit um nicht zu sagen Sicher- heit behaupten, dass A das ursprüngliche bietet, B aus eigenem geändert hat. Und die veranlassung zu dieser änderung in B liegt ja durch einen glücklichen zufall klar zu tage. Es ist bekannt, dass die Berliner hs. auf dem vorsatzblatte in gleich- zeitiger Schrift eine reihe von namen eingetragen zeigt: Joliö Havczendörffcr, Lienhart Mewrll, Marycz Nerndlinge'' , tv. v. Kelhashardt, Motesta GassnerinJ) Strnadt hat die hier ge- nannten persönlichkeiten als angehörige von familien nach- gewiesen, die im 15. jh. im Traungau dicht nebeneinander ge- sessen und untereinander verschwägert sind; aus ihren kreisen muss die hs. hervorgegangen sein. Sie ist also im Traungau geschrieben und nennt darum statt des obscuren Hohenstein und Haldenberg lieber Wels und den Traunstein, und wenn sie für Wanghausen das kleine Leonbach einsetzt, so ist das sichtlich dem auf dem Vorsatzblatt genannten herrn Lienhart Mewrll zu lieb und ehr geschehen, der nach Strnadts nach- weis seit 1400 besitzer von Leonbach gewesen ist. 2) So wird bei diesem gedichte nun einmal alles lebendig; wir erkennen aus einer zusammenhängenden erwägung der lesarten, dass B hier neue namen eingeführt haben muss, und sogleich klären die nachweise eines historikers aus ein paar zufällig erhaltenen namen uns auf, wie die hs. zu solcher änderung gekommen ist.

sehr zur ehre gereichende, nach; auch die Strophen, in denen wir durch Wolframs bruchstücke noch eine besondere controle ausüben können, beweisen, wie sehr sich D^ oft von dem ursprünglichen entfernt' u. s.w.

') Anz. fda. 20, 263 wird noch ein H Hmstbry aufgezählt. Es ist be- greiflich genug, dass Strnadt diesen mysteriösen herrn nicht urkundlich nachzuweisen vermochte; an stelle dieses angeblicheii namens steht in der hs. nämlich ganz deutlich // Hin ist Jtin.

2) Solche naivitäten begegnen öfter. In der abschrift der schönen abenteuer Sucheuwirts im C'gm. 4871 (Germ. 7, 275, meine Lohengrinstud. s. 6 f.) ist im texte für den namen des dichters überall der des besitzers der hs., Hans von Trenbach, eingesetzt.

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Und wir miissteii ebenso aus inneren gründen die namen in A für die ursprüngliclien erklären, und schon liegen die Unter- suchungen von Keinz bereit, die unser ergebnis aufs schönste erläutern und von aussen bestätigen.

Die vorstehende Untersuchung hat zugleich die grundsätze festgelegt, nach denen bei der kritischen herstellung unseres denkmals zu verfahren ist. Ihr kann nur A zu gründe gelegt werden, als der weitaus treuere repräsentant der gemeinsamen vorläge, und die fehler dieser hs. sind fast mehr aus sich selbst als aus B zu bessern. Es ist wahrscheinlich, dass hierbei in klein igkeiten manches in B erhaltene originale, das in A verwischt ist, verloren geht; immerhin wird man bei solchem verfahren das original sicherer und reiner gewinnen, als bei einer reichlicheren auswahl von lesarten aus B, die schliesslich doch nur nach sehr subjectiven momenten geschehen könnte. Da die gemeinsame vorläge von AB nachweisbar bereits fehler- haft gewesen ist, braucht der herausgeber aber auch kein be- bedenken zu tragen, gegebenenfalls einmal über beide hss. hinaus das echte durch conjectur herzustellen.

"Wer Haupts ausgäbe unter solchem gesichtspunkte be- trachtet, wird in ihr eine ganz ausgezeichnete leistung an- erkennen müssen. Sein text zeigt sich in jedem worte genau überlegt und auf eine klare erkenntnis des hss.-verhältnisses gegründet. Dagegen sind die besserungs vorschlage, wie sie besonders Pfeiffer und Helsig in massen vorgebracht haben, meist ohne alle rücksicht auf das grundsätzliche Verhältnis der hss. ins blaue hinein gemacht, indem sie aus B auswählen, was dem geschmack und ohr des kritikers gerade zusagt; sie sind darum auch in ihrer mehrzahl unbrauchbar. Glücklicher und vorsichtiger ist Lambel in der 2. aufl. seiner ausgäbe ver- fahren. Ich habe an nicht allzu viel stellen veranlassung ge- habt, in der herstellung meines textes (in Pauls Altd, textbibl. no. 11) von Haupt abzuweichen. Einiges davon mag in den nach- folgenden bemerkungen seine erklärung und rechtfertigung finden.

V. 1. Ob man im versinnern saget oder seit zu schreiben habe, ist aus den reimen nicht zu entscheiden. Sie bieten -ei- < -age- wie -ei- aus -ege- bez. -äge- mit altem ei gebunden (pari, geseit : edellceit 507; part. geJcleit 'geklagt' : hreit 1021; 3. sg. treit : hreit 153, : geJdcit 'gekleidet' 225, : part. geleit 'ge-

ZUM MEIER HELMBRECHT. 103

legt' 189, das seinerseits 403 auf bereit gereimt ist; meide : ougenweide 951, meiden : beiden 205); daneben steht aber auch gesaget : betaget 1047. Ich habe hier (und entsprechend im folgenden) seit geschrieben gegen saget A, weil das seit B aus der AB gemeinsamen vorläge stammen muss, indem v. 3, wo der Schreiber von B das verbum aus eigenem ergänzt hat, um nach seiner gewohnheit die Senkung zu füllen, saget geschrieben ist. Auch V. 963 beweist die falsche lesart reit B (jaget A) für die vorläge im prät. jeite, nicht jagete.

V. 12 könnte man allerdings versucht sein, mit B ttf die aksel zu schreiben , wie Neidh. XL VII, 22 sin Tiär im iif die ahsel gät, Konrad von Haslau 67 die wisen jelient, da^ ist tvär, in rehter lenge geivahsen Jiär stc baz dan üf die ahsel hin. Aber B mildert auch sonst wol den originalen text, wo er ihm zu übertreiben scheint, wie es z.b. 648, genau entsprechend unserem falle, mit änderung der präp. durch den gater schreibt, wo A den beiden über den gater springen lässt; auch erinnere man sich der beschreibung Hugdietrichs: sin hdr was im reide, dar zuo lanc unt val: ez gienc im über die ahsel üf die hüffe hin ze tal Wolfd. B 2,3 und der unten s.llO angezogenen parallel- stelle aus Neidhard, vgl. auch Erec 279 f.

Auch V. 14 würde man geneigt sein, B zu folgen und erz gevienc zu schreiben, stünde nicht die erfahrung entgegen, dass B durchweg mit dem präfix sehr willkürlich wirtschaftet (sieht B gesteht A 161, gereiten reiten 265, hassen ge- hassen 268, merest genierest 294, gryppen gegripen 770, getraut traut 1038, binden gebinden 1075, gegürten gürten 1171, getrüege trüege 1563, getüt tut 1758; erslüg

slüg 79, erhellen hellen 214; sehen besehen 262, be- rewen rewen 1299, hielt behielt 1710; raehen errachen 1877; verstvand swand 1567; zerzarte zarte 1895; gefullet

erfüllet 59, gesivachet verstvachet 159, verslos beslos 196, bechlaide geldaide 309, zerstroubet bestroubet 628 U.S.W., vgl. lesarten zu 632. 736. 1139. 1160. 1206. 1635). Auf jeden fall aber muss auch das vie von A perfectiv verstanden werden: 'er nahm jetzt sein haar und steckte es in die haiibe'. Denn auch im folgenden beschreibt der dichter nicht den fertigen Helmbrecht, sondern lässt ihn vor unseren äugen ein stück seiner kostbaren kleidung nach dem andern anlegen; dabei ist

104 PANZER

mit bewundernswerter kunst leise verschleiert, dass die stücke ja doch allmählich erst in seinen besitz gelangen. Dass vienc die unserem gedichte zukommende form des prät. ist, hat Zwierzina, Zs. fda. 45, 67 richtig beobachtet; zu den dort angeführten reimen kommt noch vmhevienc : gienc in den zwei vermutlich echten zeilen, die B hinter 740 bietet. Die doppel- form gienc gie (: nie 127, : knie 593, : verlie 1815) kann nicht auffallen, da der dichter auch lie^ ( : stie^ 661) neben lie ( : hie W79,,: gie 1815) gebraucht und überhaupt doppelformen nicht meidet (sol sal, gesaget geseit, genant genennet, st ivese u. a.). Auch das prät. liie ( : lie 1679) kann nicht gegen ein vienc beweisen, da auch andere dichter die prät. von vähen und hähen verschieden behandeln, vgl. Zwierzina, Zs. fda. 45, 51. 54. 55.

v. 24 schreibt Haupt nante; ich habe das von der Über- lieferung gebotene nennet beibehalten (und so im folgenden ähnliches) nach v. 859 erwachet (3. sg. prät.) : gemachet (part.). Speciell zu nennet vgl. auch das part. genennet : erkennet imp. 1735, gesetset : geletzet 1465 (neben part. genant 497. 915. 927; geschant 575; gemlt : versalt 355. 1205, prät. garte 1895).

V. 35 schreiben die herausgeber seit Keinz das Hin; ich habe wider der lim eingesetzt. Denn erstens wird nur diese form durch die Überlieferung gerechtfertigt. A schreibt hier der lün, B das leym, v. 86 und 95 steht in beiden hss. dem leym{e). Nach allen regeln einer methodischen textkritik kann daraus für die vorläge von AB nichts anderes erschlossen werden als dtv (oder weniger wahrscheinlich, da B durch- gehends geringere Sicherheit bietet, das) Ihn. Zweitens passt die von Keinz für 'das lün'' angegebene bedeutung 'der in die höhe stehende oder überhaupt der obere teil der haube' gar nicht für unsere drei stellen. Die einteilung der haube ist nach der Schilderung unseres gedichtes vollkommen klar: auf dem rechten hauptflügel ist die eroberung Trojas dargestellt, auf dem linken die Karlssage; der trennende streif in der mitte ist mit vögeln bestickt. Der randstreif, der vorne am vorderen haarrand längs der stirne hinläuft, zeigt den tanz, der am hinteren haarrand zwischen den obren laufende streif aber die scenen aus der Rabenschlaclit. Mit einem schematischen grundriss also so:

ZUM MEIER HELMBRECHT.

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4. Tanzende ritter und frauen

1. Karlssage

2. Troj. krieg

5. Rabenschlacht.

8. 4 und 5 stehen nacli der versicherimg- des dicliters auf dem Um, was also nichts anderes bedeuten kann als streifen, hor- dure. Und hierzu passt die zuerst von Bergmann gegebene ableitung des wortes aus lat. linibus. Allerdings erscheint dies wort in den quellen sonst gewöhnlich in ganz anderer form: ahd. limhal, mhd. limbel, Ihnmel < mmhulus mit der bedeutung 'ein kleiner streifen leder'. Docli hat bereits J. Grimm in den GGA. 1839, s. 1740 für unsere stelle auf Frisch 1, 615 verwiesen, wo erklärt ist: ^Limhel ist das deminutiv von Leimh, limhus, wel- ches noch im obd. dialekt gewöhnlich ist, säum'. Ich habe zwar in den mir zugänglichen obd. Wörterbüchern dies Lcimh nicht linden können; doch führt wenigstens das Elsässische Wörterbuch 1,592 neben dem fem. liene = mhd. line ein 'liene m. = ein dünner lederstreifen' auf. Um, wie A beim ersten vorkommen schreibt, ist ein leicht erklärlicher lesefehl er für das Um der vorläge. Denn dass diese die alten längen nicht diphthongiert zeigte, wird durch eine reihe falscher diphthon- gierungen in beiden hss. völlig sicher gestellt. Nur so er- klären sich fehler wie WeiUege A 79 statt Witege, iveitt 'holz' A 1827, wo wit als wtt misverstanden ist, peyssc B 408, das hizze in hizc und heleiben B 1473, das heUhen in heUben ver- lesen hat, richter statt ricJier B 1129 und Sleintzgeiv B 1539. Ebenso erweist der fehler eucli AB 799 statt in und heut A 892 statt Jdnt, wol auch deuhe B 1814 statt dieii für die vorläge hl, nicht eu.

V. 39. Dass hom die unserem gedichte gemässe form ist, nicht Icam, wie die herausgeber schreiben, ist an sich gewis und wird durch die reime wenigstens indirect bestätigt; unter den 8 paaren auf -am findet sich kein ham, das doch bequem genug gewesen wäre.

106 PANZER

V. 51. Eneas konnte wol aus dem eroberten Troja tifdaz mer entrinnen, aber in deti kielen kann er doch nur m/" dem mer entfliehen. Wer die lesart von A beibehalten will, müsste üf daz mer erklären als 'auf das hohe meer', was wol zu künstlich wäre.

V. 107 scheint das alle A prägnanter als das von Haupt aus B aufgenommene edles. 'Nun hört', sagt der dichter v. 104 f., 'wie die haube für Helmbrecht angefertigt ward; weiss ja doch noch keiner von euch, wie er zu diesem prachtstück ge- kommen ist'.

V. 110 f. habe ich nach B hergestellt. Die anstössige wider- holung des wortes nunne in A 109. 110. 112 war zu beseitigen wie das Mibe in A 58; vgl. oben s. 94.

V. 164 habe ich mit A sivar ich danne Mre geschrieben. Die lesart von B: sivar ich der lande Mre, die Haupt ein- gesetzt hat, findet im sonstigen gebrauch des gedichtes keine stütze, vgl. 460. 293. 534.

V. 252—255 müssen in klammer geschlossen werden. Denn der alte meier will mit ihnen nicht die selbstgerechte Ver- sicherung abgeben, dass er sich stets getriuwe, gewcere u.s. w erweise; sondern diese verse sind direct an den söhn gerichtet und unterbrechen die beschreibung der allgemeinen lebens- führung des alten, die nach 251 erst 255 fortsetzt: 'mit be- stimmtheit erwarte ich das (dass du in ehren abstirbst), und du kannst mirs glauben, denn ich meine es gut mit dir {ich hin getriutve) und bin wahrhaft (getvcere) und gebe keinen schäd- lichen ratschlag {niht ein verrätcerey.

V. 288. Ich habe die enklise des pronomens beibehalten, wo sie von einer der hss. geboten wird, da sie durch die reime vand er : ander 959, tvas er : maser 1003, west ir : sivester 1053, ivelt ir in : geht mir in 1527 für den dichter genügend ge- sichert ist. Ich habe deshalb auch die apokope in mnost ich, . sold er u. s. w. je nach den hss. bestehen lassen.

V. 275 ist die lesart von A meiner ivol steenden hauhen mit ihrer anstössigen widerholung nach dem s. 93 f. gesagten zu beurteilen und demgemäss zu beseitigen.

V. 306 f. verfehlt die interpunction von Haupt (punkt hinter 306, komma hinter 308) den sinn der stelle. Lambel hatte sie in der 1. aufl. beibehalten und v. 306 erklärt: 'für zugunsten.

ZUM MEIER HELMBEECHT. 107

Er würde schwören, dass der, welcher sie trägt, ein ritter sei', was natürlich schon deshalb unmöglich ist, weil die haube doch wol nicht diu tverc beide heissen kann. In der 2. aufläge ist sinngemäss interpungiert (komma hinter 306, punkt hinter 308), aber die erklärung von 306 ^für gegen' trifft auch noch nicht das richtige, stvern für ein dinc heisst, wie aus den im Mhd. wb. 2, 2, 770a und 771a gegebenen beispielen zu ersehen ist, 'schwören, dass man mit einer sache nichts zu tun hat'. Der ganze abschnitt ist deutlich gegliedert: 1) 303 308, 2) 309—317, 3) 318—324, d. h. 1) wer meine haube sieht, schwüre tausend eide, dass ich nie mit ochsenpeitschen und pflügen zu tun hatte; 2) habe ich meinen rock an, so sehe ich gewis nicht so aus, als ob ich je gedroschen hätte; 3) habe ich meine hosen und schuhe an, so wird niemand behaupten wollen, dass ich je zäune gefertigt hätte.

V. 326 f. habe ich hergestellt: meier Biiojn-eJd seinem eidem bin ich im immer nie versigen. Vorausnehmen eines obliquus im nom. ist bei unserem dichter sehr beliebt; vgl. besonders 1067 ein fuhspeh so yuoter den hrälit er siner muoter, 836 tär unde tor da soltu niht sin lenger vor, 1306 ivtrouch und mirre beide da mite si dich umbegät und Helsig s. 83. Die her- stellung von 327 erklärt zugleich die Verderbnis in B {ny^n- mer nier).

V. 420 besteht keine veranlassung, mit Haupt, den wol nur metrische bedenken geleitet haben, von A abzuweichen. Das enjambement, wie es diese lesart voraussetzt, findet sich oft, vgl. 462. 472. 582. 604. 1046. 1130. 1186. 1578. 1728.

V. 522 habe ich mit B lebendiger geschrieben nach 542. A verstand wol das baz vor dem comparativ nicht.

V. 717. 747 kann ich in dem swester kintcMn von A nur eine sinnlose umdeutung oder Verlesung sehen, wie sie dieser hs. geläufig sind (oben s. 93), während B nach seiner art gewaltsam aber richtig ins hd. übersetzt. Dagegen bin ich 764 A trotz Schröders vielleicht bestechendem besserungs- vorschlag, DLZ. 1887, 1272 auch mit dem sakent gefolgt, das sich (mit Wilmanns, D. gramm. § 72 a. 2) als hypernd. bildung auffassen lässt. Die forderung, dass diese verse in rein nd. bez. nfrk. spräche übertragen werden müssten, würde, wie mir scheint, dem Charakter der verspotteten erscheinung nicht gerecht.

108 PANZER

V. 719 habe ich hergestellt nach den vermutlich echten Versen, die B hinter 740 hat.

V. 1082 liest Haupt mit B ander m'emen; ich kann dem aber keinen brauchbaren sinn abgewinnen. Worin soll die hövescheit liegen, dass Helmbrecht die schuhe für niemand anders als gerade den knecht mitbrachte, und was soll dann 1086 f. heissen? Der knecht hat sich seither doch nicht ge- ändert. Man muss also wol mit A anders lesen; d. h.: auf andere art hätte Helmbrecht für niemanden schuhe gebracht; so lange er zu hause knecht war, wäre es dem höfischen jungen nie eingefallen, für den vriman etwa ein paar schuhe anzurühren. Erst jetzt, wo er als Junker heimkehrt, darf seine hövescheit es sich leisten, dem knecht ein paar als ge- schenk zu bringen.

V. 1134 liegt ein fehler schon der vorläge vor. Möht et ers erbUen, wie Haupt liest {mocht et ers A, möcht ers B), müsste mit Lambel erklärt werden: 'könnte ers nur erleben'. Das v>'äre an sich ein sehr seltsamer gedanke, und ich finde zudem kein beispiel, wo erUten so viel wie 'erleben' wäre. Ich lese daher möhtet irs erhiten 'wenn ihrs nur erwarten könntet', d.h.: wartet nur, er soll mirs schon entgelten! vgl. Walth. 61, 20.

V. 1350 scheint ein kohel B doch avoI ein vernünftigerer Aufbewahrungsort für kostbare Stoffe als ein tohel A. Die änderung dieser hs. fällt unter die gruppe 3, oben s. 93.

V. 1651 mag die vorläge schon verderbt gewesen sein. Haupts herstell ung ist wenig einleuchtend; ich bin A gefolgt, wozu sich V. 26 f. : mit einer Icurzen rede sieht lande ich in daz mcere ivaz üf der hiWen wcere erziuget annähernd vergleichen lässt. mcere als subject und hcßret als 3. sg. ind. zu nehmen und zu erklären 'hier hört die geschichte auf mit der erzäh- lung, wie u.s.w.' wird sich doch wol verbieten.

Die herstellung von v. 1732 ir hebt iucli holde für die tür ist durch 1791 gegeben.

V. 1746 besteht kein grund, hier schon mit B in die 2.person überzugehen.

P^ndlich bedürfen die sprachformen, wie ich -sie in meiner ausgäbe eingeführt habe, in einem punkte vielleicht noch der rechtfertigung. Ich habe mich im allgemeinen bemüht, die

ZUM MKIER HELMBRECHT. 109

spräche des gedicktes in der form herzustellen, die durch die reime festgelegt wird. Dagegen habe ich im versinnern ^, ü, m geschrieben, obwol nach den reimen kein zweifei sein kann, dass der dichter diphthongiert hat. Es waren lediglich prak- tische erwägungen, die mich zu diesem gewis inconsequenteu und im gründe unwissenschaftlichen verfahren geführt haben. Die einfiihrung der diphthonge hätte zugleich die Veränderung der alten ei, ou in ai, au bedingt, und es wäre ein sprachbild entstanden, das den text, wie die dinge einmal liegen, zur ein- fiihrung ins mhd. unbrauchbar gemacht hätte. Gerade für den ersten Unterricht aber wollte ich das gedieht bereit legen, das nach so vielen selten gelegenheit zur anknüpfung frucht- barer erörterungen bietet. Erleichtert wurde mir der entschluss zu meinem vorgehen durch die erwägung, dass dem lernenden ja auch an anderen punkten bedeutet werden muss, dass unsere mhd. Orthographie eine conventionelle ist, die beinahe von denkmal zu denkmal einer anderen lautlichen Interpretation bedarf. Auch der Zwiespalt zwischen der Schreibung im reim und im versinnern liess sich ertragen im hinblick darauf, dass wir auch sonst wol vom reim gebotene erscheinungen, z. b. die diphthongierung von t und ü vor gewissen consonanten, nicht ins versinnere einzuführen pflegen. Consequent wollte ich dagegen darin bleiben, dass ich im versinnern dann auch kein bouwen, tromven neben den sonstigen %X, wie die älteren ausgaben es schreiben, geduldet habe, da ich diesen formen nicht mit Martin, DLZ. 1901, sp. 2328 eine ausnahmestelluug zuerkennen kann; ihr häufigeres vorkommen im reim erklärt sich nur aus der grösseren zahl der für sie gebotenen reim- möglichkeiten.

Zum Schlüsse noch eine literargeschichtliche bemerkung. Dass der v. 217 genannte Neidhard den grundton für unser gedieht hergegeben hat, ist besonders von Rudioff, Unter- suchungen zu M. Helmbr. s. 5 ff. richtig auseinandergesetzt worden. Wenn aber öfter bemerkt wird, dass man doch nicht von nachahmung odei- entlelinung sprechen dürfe (vgl. z. b. die anm. vonKeinz zu v.29, Lambel s. 135), so ist es vielleicht nicht überflüssig, einmal darzulegen, dass zwei lieder Neidhards oder richtiger abschnitte aus solchen, zeile für zeile in den M. Helm- brecht aufgenommen sind. Einmal die zuerst von C. Schröder

110 PANZER

herbeigezogene str. von Hildemars lianbe, Haupt 86, 3 ff. Auf sie sind uzen vogelin üfgenät 86, 8 wie auf Helmbreclits haube die vogel üf genät sind 19, und zwar mit siden 86, 8 = H. 96. 276. Da hat manic hendel dne vinger suo geriieret e si si gezierten sagt Neidhard 86,9; von der linwdt unseres beiden aber heisst es in offenbarer nachahmung jener stelle: ah dem tuoclie entrunnen ivol sihen wehcere, e ez vohcehet wcere 135. Wie Neidhard mit seinem daz mich niemen liegen lät 86, 10 versichert AVernher gerade bei der Schilderung der haube mehrfach die Wahrheit seiner erzählung (9. 30 f. 60. 74. 88 f.). Neidhard verflucht 86, 11 f. denjenigen, der tuch und seide zu der haube aus AVälschland gebracht hat; Wernher schreit 54 f. sein wehe über den bauern, der eine so kostbare haube trägt. Neidhard schildert 86, 15 f. die gewunden locJae lange, die, val und reit, hangent verre vür daz hinne hin ze tal; von unserem beiden heisst es 11 f., dass sein haar reide iinde val oh der ahsel hin ze tal mit lenge volleclichen gienc. Hildemar wird 86,231 getadelt, weil er ivil ehenhiuzen sich ze werdem in- gesinde daz hi hoveliuten ist getvahsen unde gezogen; der junge Helmbrecht wird getadelt, weil er sich will genözen tmd ge- liehen dem wol gehornen hoveman 338 f., den rehten hoveliuten 296, deren art ihm nicht angeboren ist 244 f. Hildemar wird 86,25 geweissagt: hegrtfents in, si zerrent im die hühen also swinde, e er wwnet so sint im diu vogelin enpflogen-, unser held. wird von den bauern ergriffen, die ihm die haube so Meine zarten 1895, dass die aufgenähten vögel auf dem weg verstreut liegen 1886 f.

Das zweite ebenso intensiv benützte stück ist Neidh.27, 15 ff. Dort mahnt die mutter die tochter ab: tohterUn, dich sin niht gelangen, wil du die ritter an dem reien drangen die dir niht ze mäze ensulen sin, tohterUn, du ivirst an dem schaden ivol ervunden, ganz wie der alte meier den söhn 337 : ivilt du dich sicherltchen genözen und geliehen dem wol gehornen hoveman, da misselinget dir an. Die alte stellt der jungen vor 27, 20: der junge meier miiotet din und führt das näher aus in einer nur in c überlieferten Strophe (Haupt s. 128) : der hat doch rinder unde stvin, Jcorn unde tvin; der alte stellt dem söhne 280 f. vor: ez ivil gehen dir der meier liuoprecJit sin hint, vil schäfe, swtne und zehen rint. Die tochter weist die alte ab

ZUM MEIER HELMBRECHT. 111

27,21: gießet mir den meier an die versen. ja trihve ich einem rittet- wol gehersen: ziviu sol ein gehüiver mir ze man? wie Helmbrecbt den vater zurückweist 300: ich trtace in hoveltchen siten immer also ivol getccscn sam die ze hove ie sint geivesen und 326: meier Fiuoprecht zeinem eidem hin ich im immer me verzigen. Die mutter sieht ein 27,32: dtn nmot dich allez von mir treit, wie Helmbrecht 226 erklärt: min iviUc mich hinz hove treit, und die junge will nichts mehr hören 27,33: muoter min, ir läzet iuiver lägen, wie Helmbrecht dem vater seine mahnungen verweist 259: lieher vater min, siuic und die rede sin. Die erklärung der tochter aber 27,34: ich ivil mtne vriunde durch in ivägen ist wörtlich aufgenommen in Gotelinds erklärung für den 'ritter' Lemberslind 1429: wizze, doz ich icäge vater, muoter und mäge, wie auch schon die frühei'en worte des Neid- hardschen mädchens 27, 23: zwiu sol ein gehüiver mir ze man? der enkan mich nach minem vnllen niht getriuten in Helm- brechts bemitleidenden äusserungen gegen die Schwester 1365 f. widerkehren.

Dass sich ausserdem vielfache Übereinstimmungen besonders in der Schilderung der üppigen kleidung des dörpers, seines benehmens beim tanze, dem flämen u.s. w. finden, ist bekannt. Ich gebe noch kurz eine Zusammenstellung auffälligerer be- rührungen im Wortlaut, wovon einiges schon von Eudloff an- gemerkt ist. Das rüehen graben Neidh. 43, 4. 43, 23 kehrt Helmbr. 1361 wider. Zu Neidh. 50, 1 daz sich doch vil llhte mac verrtden vgl. Helmbr. 1808 doch mac ez sich verriden. Zu Neidh. 51, 35 38 dar zuo treit er ouch ein höhez collier umhe den kragen: derst üf und iif gezieret wol mit einem tuoche löten, daz sol jungen mägden an dem tanze ivol hehagen vgl. Helmbr. 204 f., zu 52,2 vor im gencese niemen Helmbr. 411 f., ZU 52, 10 reit er daz houhet iif dem crophe vil verivendec- lichen Helmbr. 406. Zu Neidh. 57, 1 er slahes daz diu sitnne durch si schine vgl. Helmbr. 1836 ich zerre in also kleine sam daz in der sunnen vert. Zu 64, 8 daz er gegen ir in ruomewät sin hölzel schiuzet vgl. Helmbr. 1497 Lemherslint schöz sinen holz mit gefiiegen Worten stolz gegen Gotelinde. Mit 64, 13 c er in diu ören klanc vgl. Helmbr. 216 den wihen ez durch diu ören klanc, mit 68, 38 tiiont im die secke vil gedon die da ritent sinen kragen Helmbr. 264 mir

112 PANZER, ZUM MEIER HELMBRECHT.

suhl oncJi ätne seche nimmer riten den Iragcn, mit 93, 40 tve der muoter diu mir in ze schaden truoc Helmbr, 516 ive daz dich muoter getruoc. geuphän schilt Neidhard die bauern 102,11 und Helmbreclit heisst geutöre 41. Neidh. 215, z. 16 (nur in c; aus dem Hildemarliede) heij waz er isens ceze kehrt Helmbr. 410 hey ivaz ich tsens vrceze {ceze B; vgl. 1749) wider.

FREIBURG i. Br., augiist 1901.

FRIEDRICH PANZER.

ZUR GOTISCHEN ETYMOLOGIE.

Die folgenden bemerkungen sind veranlasst durch Theodor von Grienbergers eingehende und lehrreiche Untersuchungen zur got. wortkunde (Wien 1900) und sollen begründen, warum ich bei der dritten ausgäbe meines gotischen Wörterbuches, welche in Vorbereitung ist, aber erst nach zwei oder drei Jahren wird erscheinen können, in gewissen punkten von den Grienbergerschen anschauungen glaube abweichen zu müssen.

1. Äha. Grienberger s. 3 sagt: 'Das wort macht den eindruck einer kurzform, wobei ein mit af- componierter ver- wantschaf tsname vorausgesetzt ist. Vgl. lat. dbaviis »ältergross- vater«, ahncpös »ururenkel«. Da sich mit kindern gesegnete ehepaare im deutschen »vater« und »mutter« zu nennen pflegen, so kann aha ursprünglich »vater« bedeutet haben.' Dieses letztere ist ganz richtig, und schon vor einigen jähren (Beitr. 22, 188) habe ich die Vermutung ausgesprochen, dass wir es mit einem alten worte für 'vater' zu tun haben (vgl. Diefen- bach, Vergl. wb. 1, 1). Freilich glaube ich nicht, dass wir einen mit af- componierten verwantschaftsnamen zu gründe legen müssen. Hätten wir nur got. aha 'ehemann', so könnten wir annehmen, dass die ursprüngliche bedeutung 'nachkomme, söhn' gewesen wäre und dass sich daraus 'junger mann' entwickelt hätte, welchenfalls wir aha als eine ableitung von af betrachten könnten, ähnlich wie as. adaro, ags. eafcra 'nachkomme'. Dem würde auch der isländische ausdruck eptir afa nicht wider- sprechen, denn afi könnte hier ebensowol 'sobn' wie 'vater' bedeuten. Aber wie Hesse sich die bedeutung 'grossvater', welche aft schon im altnordischen hat, mit dieser auffassung vereinigen? Eine ableitung von «/kann aha afi deshalb nicht sein, und falls wir von der bedeutung 'vater' ausgehen

Beitrage zur geschichte der deutschen spräche. XXVIL ft

114 UHLENBECK

müssen daraus lassen sich ja die bedeutungen 'eliemann' und 'grossvater' beide leicht erklären , dann dürfen wir auch nicht an die kurzform eines mit af- zusammengesetzten Wortes denken, denn ein solches hätte nur 'ahne' oder 'enkel', nicht aber 'vater' oder 'ehemann' bedeuten können.

2. Ahrs. Das ags. wort ist sicher nicht äfor, sondern dfor und entspricht dem ahd. eihar 'herb, schrecklich, greulich'. Von Zusammenhang mit dbrs (Grienberger s. 3) darf keine rede sein. Gehört ags. dfor, ahd. eihar etwa zu gr. ciIjivq 'steil, jäh abstürzend, plötzlich, schwierig', alxpa 'schnell, sogleich'? Vgl. mit (p gr. (xl(f:vrfi, h^ai(pvi]c 'plötzlich'. Als gemeinsame grund- bedeutung von *aipr6-, '^aipü- wäre 'uneben, rauh' zu ver- muten. Was das gotische wort anbetrifft, mag Liden (Stud. zur aind. und vergl. sprachgesch. s. 74 ff.) das richtige getroffen haben. Die früher von mir gebilligte gleichung got. abrs : aind. ambhrnd-, dnibhas (Johansson, IF. 3, 239 ff.) scheitert an dem nasal, und czech. ohr, slowak. ohor 'riese' wird wol wie der volksname der Avaren aus ahrs entlehnt sein (so Grienberger a. a. 0.).

3. Afaikan. Got. -aikan, ahd. eihhan, eihhön, eihhinen ist nicht genügend erklärt. Osthoffs gleichung got. af-ailcun : aind. ejati (Beitr. 13, 395 f.) trägt den ahd. verwauten keine rechnung und ist deshalb mit Kögel (Beitr. 16, 512 f.) abzu- lehnen. Offenbar verfehlt sind die ausführungen Sütterlins (IF. 4, 100 f.), auf welche ich nicht einzugehen brauche. Grien- berger s. 4 stellt -aikan zu lat. äio, indem er germ. k hier als suffixal betrachtet, welche auffassung zwar nicht unmöglich, mir aber sehr wenig wahrscheinlich ist. Vielleicht ist -aikan eigentlich 'äussern' und gehört zu aksl. üü 'aus'. Lit. Iss wird dann vor tonlosen consonanten aus *)i entstanden sein, wie lit. äsz 'ich' zunächst auf *ä£ zurückgeführt werden muss (vgl. aksl. azü). Nach Wood (Journ. of germ. phil. 2, 219) hätte auch aind. vddati ursprünglich 'äussern' bedeutet und wäre es mit üd zu verbinden, was jedoch nicht für sicher gelten dail

4. Afdauips. Grienberger s. 5 f. trennt afdauißs, '^afdöjafi von daujjs, dau])us und stellt es zu lit. dövyti 'umherjagend abquälen', das m. e. besser mit Brückner (Die slav. fremdwörter s. 81) als lehnwort aus klruss. davyty aufgefasst wird. Slav. daviti 'würgen, bedrängen, quälen' ist aber sicher kein facti-

ZUR GOT. ETYMOLOGIE. 115

tivimi zu gT. {)tco 'laufe' (wie Grienberger von lit. dövyti an- nimmt), sondern vielmehr zu an. deyja, as. döjan, ahd. touwen 'sterben'.

5. Afivalwjan. Grienberger s.lO hält das w von -walwjan, lat. volvo U.S.W, für 'participialen Ursprunges'. Es gibt aber eine indog. wz. *uel(e)u-, welche im arischen leider mit *uer{e)i^- zusammengef allen ist (s. mein Etym. wb. der aind. spräche s.293). Man beachte aind. vrnöti = indog. ^id^-n-m-ti (mit Hirt be- trachte ich nur das n als infix) und aind. varüiram = gr. tXvT()Oi\ Wie *i(el(e)ii- sich einerseits zu *iier{e)u-, anderer- seits zu *MeZ(e)- verhält, wage ich nicht zu entscheiden.

6. Aha. Die Wörter aha, alima, ahjan gehören m. e. weder zur WZ. *og- 'sehen', noch zur wz. *«/:- 'scharf (vgl. Tamm, Etymologisk svensk ordbok s. 3 f.). Germ, ah- ist 'sinnen', und diese bedeutung lässt sich kaum aus 'scharf sein', eher noch aus 'sehen' erklären. Gegen die ableitung aus *og- spricht jedoch das fehlen der labialisation. Vermutungsweise stelle ich die sippe von aha zu gr. oxvoq 'bedenklichkeit, zaudern', oxvLco 'trage bedenken, zaudere', 6xv?]Q(jg 'saumselig', deren bedeutungen sich wol aus der des nachsinnens erklären lassen. Dass die griech. Wörter einmal / gehabt hätten, ist nicht wahrscheinlich, denn bei Homer haben oxvoq, oxveco vocalischen anlaut (anders Leo Meyer, Griech. etymologie s.502). Vgl. Grien- berger s. 12.

7. Ahahs. Grienberger s.ll vergleicht lat. agm7tts' dunkel'. Semasiologisch ansprechend, aber unsicher wegen des got. h statt h.

8. Ai^ei. Nach Grienberger s. 16 wäre aipei eigentlich 'die tragende, trächtige', zu gr. olaoo 'werde tragen', oloxöc, 'zu tragen, erträglich'. Eher ist aipein- aus *diti-n- eine feminin- bildung zu einem lallwort *aita 'vater': vgl. ir. aite 'pflege- vater, erzieher', dessen i aber auch durch «-epenthese erklärt werden kann (Stokes, Urkelt. Sprachschatz s. 9). Eine ähnliche urschöpfung finden wir auch im baskischen, wo aita 'vater' bedeutet. Viel häufiger ist der typus at{t)a (s. mein Etym. wb. der got. spräche 2 s. 18), der durch das erst nach der laut- verschiebuug entstandene got. atta repräsentiert wird (anders Grienberger s. 32 f.).

9. Arhaips. Falls es wirklich ein germ. *a>-5a- 'arbeiter,

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knecht' gegeben hat, so darf man dieses nicht mit Grienberger s. 27 f. von aksl. rahü, rohü, urslav. *orbü losreissen. Die gemein- same grundform ist *arhho- oder ^orhho-. Armen, arhaneak hat entweder ar oder r : falls ar, so werden wir germ. *arda-, slav. *orhu auf *arh]io- zurückführen müssen. Die von Grien- berger vermutete herkunft von '^arda- aus der wz. *ar- 'pflügen' ist unwahrscheinlich, weil das suffix -hho- sonst nicht zur bil- dung von nomina agentis gebraucht wird.

10. Asneis. Ob asneis, ags. esne, ahd. asni, esni 'lohn- arbeiter' mit asans 'ernte' zu verbinden sei, möchte ich jetzt bezweifeln. Eher beruht asneis auf dem nur aus der Frecken- horster heberolle bekannten asna 'zins, abgäbe'. Schon Hej-ne hat in seinem glossar zu den Kleineren altniederdeutschen denkmälern as. asna mit ahd. asni verglichen.

11. Bairahagms. Grienberger s. 42 vermutet ein nomen *ba{ra- 'frucht' zu hairan 'tragen'. Solch ein nomen würde aber eher a aus indog. o haben. Ein indog. *bJiero- 'frucht' ist nicht wahrscheinlich.

12. BireJcs. Grienberger s. 48 f. verbindet hirekjai, hireiJcjai, bireikeim mit ivrehei, wrikan, indem er Schwund eines u- in der compositionsfuge annimmt. Er beruft sich auf aglaitci, aglaiti, *aglaits, in denen zwischen g und l ein iv S3aikopiert sein soll: *ag-wlaits wäre dann eine bildung wie an. Jwassleitr, sUrUitr u. dgl. (Grienberger s. 10 f.). Man bedenke aber, dass die laut- lichen bedingungen in bireks und *aglaits durchaus verschiedene wären. In letzterem falle liesse sich der Schwund eines tv wol durch die Stellung zwischen zwei consonanten erklären, wäh- rend in einem "^bi-wreks das iv ebenso erhalten bleiben müsste wie in frawrikan, gawrikan, frawröhjan, gawrisqan. Darum ist Grienbergers erklärung von bireks wol unbedingt abzu- lehnen, seine scharfsinnige deutung von *aglaits aber jedenfalls als möglich zu bezeichnen.

13. Dius. Ags. dcor 'wild, kühn, verwegen, heftig' kann ursprünglich 'schnaubend' bedeutet haben und zur wz. 'hVieus- {*dhues-) 'atmen' gehören. Got. diuza-, an. dyr, ags. deor, ahd. tior 'wildestier' ist entAveder eine Substantivierung des adjec- tivs *deuza- 'wild' (Kluge ^ s. 394), oder es schliesst sich als 'das atmende' unmittelbar an die bedeutung der verbal wurzel an. Anders Grienberger s. 58, der den Sibilanten von diuza- als

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ableitend betrachtet und das wort mit einer ursprünglichen bedeutung- 'das laufende, schnelle' zu gr. d^tm stellt. Will man aber dmm- mit .9^£Vo verbinden, so wird man eher von 'herum- laufend, herumstreifend' ausgehen müssen: vgl. etwa a.mä.mrgd- 'im walde herumschweifendes tier, wild, gazelle', das trotz des (j kaum von mrjdti, av. mardsaiti 'streift, wischt', gr. afisQ-yco 'streife ab', ofWQyvv^ui 'wische ab' getrennt werden kann.

14. Breihan. Grienberger s. 59 f. vergleicht lit drimhü, dnhti 'in dickflüssigen oder breiartigen stücken fallen'. Aber dieses ist nicht zu trennen von drybau, dryhoti 'dick und voll hangen, besonders von breiigen oder auch sonst weichen massen', das in einen ganz andern vorstellungskreis als den des treibens hineinführt. Lit. drih- {dryh-) hat kein echtes i, sondern gehört in die sippe von drebiü, drebti 'breiiges werfen, dass es spritzt', gr. xQb(fco 'mache dick, mache gerinnen', an, draf, ags. drcef, ahd. pl. treMr 'hefe, treber', ags. drof, ahd. truohi 'trübe', got. drühjan u.s.w. An. sncer drifr bedeutet auch nicht dasselbe wie lit. snegas driniba (eigentlich: 'der Schnee fängt an dick zu werden')! Grienberger hat sich durch die bewegungsbedeutung von lit. drimhh ('dick und breiig fallen') zu seiner combination verleiten lassen, aber diese ist hier nicht von haus aus der verbalwurzel eigen, sondern nur durch die inchoative conjugationsweise verursacht, wie aus dem durativen dryboti ('dick und voll hangen') klar hervorgeht. Vgl. hundü, husti 'erwachen' : hundü, hudefi 'wachen'; juntü, jüsti 'durch das gefühl gewahr werden, zu fühlen bekommen' : jaucmi, jaüsti 'fühlen'; himhü, Tabu 'woran hängen bleiben, sich anhäkeln' : kybau, Jcyboti 'dauernd hangen'; kvimpü, kvlpti 'zu duften beginnen' : kvepiü, kvepeti 'duften'; mingü, mtgti 'einschlafen' : megh, megöti 'schlafen'; ssunku, szüMi 'auf- schreien' : smukih, .smüJdi 'schreien', welche beispiele sich ohne mühe vermehren Hessen. Drimhü, drihti ist also nichts anderes als 'anfangen dick und breiig zu sein', während germ, *drtban vielmehr 'fortwährend in unruhige bewegung ver- setzen' und 'sich fortwährend unruhig bewegen', also 'treiben' und 'sich treiben' bedeutet. Leider weiss ich *dridan nicht zu erklären. Verhält es sich etwa zu lit. drehit, dreheti 'zittern, beben' wie an. svkta 'sengen, brennen' zu ahd. swedan 'langsam dampfend brennen' und germ. *gripan zur wz.

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*ghreb{h)-? In andern Worten: haben wir in dreheti : *ärtban einen bisher unbeachteten fall der wurzelvariation e : ei zu sehen ?

15. Fatirmüljan. Grienberg'er s. 66 stellt ahd. inw^a, an. müli 'maul' zu gr. fivm 'schliesse mich', das mit recht von Prellwitz s. 207 als eine onomatopoetische bildung aufgefasst wird. Mveiv ist eigentlich 'den laut mft (gr. fw, fw) ver- ursachen, mu- sagen'. Vgl. czech. myjati 'muhen', lett. maut 'brüllen', lat. mutio, muttio 'mucke', mfitus 'stumm', und mit Ä;-suffix russ. mycati 'brüllen', myl- 'gebrüll', serb. slov. czech. mukati 'brüllen', gr. fivxäof/ai 'brülle', mhd. mulien, muiven, mügen 'brüllen' (das aber eher mit Kluge '' s. 274 als eine junge neuschöpfung zu betrachten ist), aind. müJca- 'stumm'. In diesen Zusammenhang gehört, wie schon Prellwitz s. 205 gesehen hat, das vorzugsweise von tieren gebrauchte müla, natürlich nicht als 'die sich schliessende', sondern als 'die muhende, den mu-l?ii\t machende', und dasselbe gilt von aind. muklia-, das aber neben 'maul, rächen, schnauze' auch 'mund, angesicht' bedeutet. Got. munps ist wahrscheinlich von müla zu trennen und nach alter annähme mit lat. menttim verwant. Auch an. ags. mund, ahd. miint 'band', das nach Grienberger ebenfalls 'die sich schliessende' bedeutet hätte, möchte ich anders beurteilen, denn wenn vdr eine wurzeletymologie dafür suchen, ist es geraten, den wahrscheinlichen Zusammenhang mit lat. manus nicht aus dem äuge zu verlieren.

16. Filhan. Die grundbedeutung des Wortes wird doch wol 'graben' sein. Schrader (Reallex. s. 869) vergleicht lit. pelke 'torfbruch', pelldos, pelhe's pl. 'torf. Falls der guttural ableitend ist, darf man noch aksl. pleti, russ. poloü 'jäten' heranziehen. S. v. filhan gibt Grienberger nebenbei eine ety- mologie von ahd. swelahan 'schwelgen', welche wesentlich mit der meinigen (Beitr. 26, 308) identisch ist. Ich bemerke aus- drücklich, dass nicht mir, sondern Grienberger die priorität gebührt. Gr. tlxco ist aber auf grund von bXxöq : lat. sidcns, ags. sulh wol als "suelkö aufzufassen, woneben "^uellw in aksl. vlekq,, lit. velhü (vgl. mein Etym. wb. der aind. spräche s. 277 s. V. valJcds).

17. Fi tan. Dass fitan 'gebären' mit an. fefa 'seinen weg finden, zurechtkommen, finden' identisch sei, ist durchaus

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imwahrsclieinlich. Feta gehört mit fet 'schritt' zur wz. ^peä- ' gehen'; fitan aber, dessen bedeutung sich kaum mit der von feta vermitteln lässt, ist nicht von ir. idu, pl. idain 'geburts- welien' zu trennen (Feist, Beitr. 15, 547) und hat also indog. i. Darum ist Grienbergers gleichung (s.70) fitan : ?L])Y.ptst 'tragen', pulimai 'wir bringen', pudanns 'getragen habend', obwol sema- siologisch ansprechend, auf grund des vocalismus äusserst be- denklich. Vielleicht gehört apr. pist mit hd. fassen zusammen (Berneker s. 312). Dieselbe ablautsstufe wie in scpr. pist, pidimai i^ped-) finden wir in got. fetjan 'schmücken', ags. fceted 'ge- schmückt', deren verwantschaft mit hd. fassen freilich nicht ganz sicher ist.

18. Frasts. Aind. häld- bedeutet sowol 'einfältig, töricht' wie 'kind, knabe'. Darum ist es möglich got. frasti- 'kind' mit d.\ü. prostii 'einfach, einfältig' zu verbinden. Anders Ost- hoff (Beitr. 20, 89 ff.), Grienberger s. 74 f.

19. Fratvardjan. Got. fratvardjan 'verderben, entstellen', ahd. fanvartan 'verderben', fanvurt, ags. forwyrd 'das ver- derben' sind einerseits von got. fraivair^an, ahd. farwerdan, as. farweräan, ags. forwcorpan 'zu gründe gehen', andererseits von ahd. ivari(j)an, ags. ivyrdan, as. a-wardian 'verderben' kaum zu trennen. Nach Schade s. 1101 hätte frawardjan zwar mit frawairpan nichts zu tun und wäre es vielmehr mit aksl. vr(idu (aus *verdu) 'schaden, beschädigung, Verletzung, wunde' urverwant. Eher aber glaube ich, dass ahd. wart{j)an, ags. ivyrdan, as. -wardian sich aus frawardjan farwartan losgelöst und von diesem die bedeutung 'verderben' übernommen haben, welche eigentlich nur durch die Zusammensetzung mit fra- ver- ursacht war. As. a- in a-wardian scheint nur perfectivierend ZU sein.

20. Gadrahan. Die grundbedeutung von ags. nl, drabhe, an. nl. draf, ahd. trebir ist 'dicke, breiige masse' (s. mein Etym. wb. der got. spräche ^ s. 37 s. v. dröbjan), und Grienberger s. 79 f. stellt diese sippe mit unrecht zu gadrahan 'aushauen'. Dagegen muss ich zugeben, dass verwantschaft von gadrahan mit aksl. ^'drohi 'kleines zeug', drohmu 'fein, zerstückelt', drohiti 'fein- machen, zerstückeln' sehr wahrscheinlich ist und dass ich sie in meinem Etym. wb. nicht als 'ganz unsicher' hätte bezeichnen sollen. Aus dem baltischen vergleiche ich jetzt noch lit. drohe'

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'leinwand', drahuiis, drehuzis 'ein kleicUingsstück', deren ältere bedeutung 'abgehauenes stück zeug' gewesen sein wird. Eine parallele dazu ist aksl. r^hü, russ. ruh 'lumpen', czecb. ruh 'kleid', Obersorb. ruh 'leinenes tuch', russ. ruhacha 'hemd' zu aksl. *r(ihiti, russ. ruhiti 'hauen' (vgl. Miklosich s. 281).

21. Ganipnan. Ags.^enipan 'dunkel werden', ^ewy) 'mist, nebel, wölke', sendpan (Exod. 475), wozu auch wol nl. geniep (*genijp) in in liet geniep 'im finstern, heimlich, heimtückisch', geniepig 'heimtückisch', erweisen für got. ganipnan 'betrübt werden' die eigentliche bedeutung 'sich verfinstern'. Vermut- lich beruht die sippe auf einer wz. ^neih- 'dunkel glänzen' und 'glänzen' im allgemeinen: vgl. lit. mbras 'schwarzer käfer, Johanniswürmchen' (das Grrienberger s.89 mit recht heranzieht), ii'. noih, noeh 'heilig', apers. naiha- 'schön, gut'. Auch Liden (Stud. zur aind. und vergl. Sprachgeschichte s. 60) nimmt 'glän- zend' als grundbedeutung von ir. noih und apers. naiha- an, im übrigen aber beurteilt er die Wörter ganz anders, indem er ihr h auf hh zurückführt und als ableitend betrachtet.

22. Garedan. Grienberger s.90 f. vergleicht lit. redas, reda 'Ordnung', re'dgti 'anordnen, bekleiden, schmücken'. Mit un- recht, denn die litauischen Wörter sind zweifelsohne aus der sippe von aksl. r^dü, russ. klruss. rjad 'Ordnung' entlehnt: s. Miklosich s. 276 und Brückner, Die slav. fremdwörter s. 125. Für die bedeutung 'bekleiden, schmücken' von lit. redyti, isz- redyti vgl. russ. rjaditX, das u. a. 'ankleiden, putzen' bedeutet, izrjaditt, narjaditV]}UtzeYi, ausschmücken', narjad 'anzug, putz'.

23. Gatarnjan. Zusammenhang von gafarnjan mit lid. ;sorn (Grienberger s. 92 f.) ist mir zweifelhaft. Jedenfalls hat 0orn nichts mit lit. durnas 'rasend, toll' zu tun, denn dieses ist sicher aus klruss. wruss. diirnyj, poln. durny entlehnt: s. Brückner, Die slav. fremdwörter s. 82. 171.

24. Gatim an. Grienberger s. 93 f. stellt gatiman, gatarnjan, lat. domäre u.s.w. zu gr. dem, ölör/fii 'binde'. Dies kann nicht richtig sein, denn die wurzel von öto) ist nicht *de-, sondern *de- (vgl. aind. dyati, dita-, dätar-, dänian-), während für gatiman, gatarnjan eine wz. *demä- anzusetzen ist.

25. Gilpa. Das wort gill)a 'sichel' ist noch immer dunkel. Mit an. gelda 'castrieren' wird es nichts zu tun haben, denn an. geldr, ahd. galt 'gelt, keine milch gebend, unfruchtbar', das

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offenbar mit gelda verwant ist, lässt sich kaum aus einer wurzel mit der bedeutung 'schneiden' ableiten. Persson (De origine ac vi primigenia gerundii et gerundivi latini s. 31) vermutet für gilpa die grundbedeutung 'gewetzt, geschärft' und denkt an Zusammenhang mit lett. galMa, galüäs ' Wetzstein', lit. ga- Idndu, gldndau 'wetze, schärfe', welche etymologie zwar mög- lich, kaum aber wahrscheinlich ist. Grienberger s. 97 dagegen will güpa mit aksl. Mcbo, lit. gclefis, geUts 'eisen' vermitteln, was begrifflich und formell als äusserst bedenklich bezeichnet werden muss, denn einerseits wird die sichel wol älter sein als der gebrauch der metalle (vgl. Schrader, Eeallex. s. 763), und andererseits beruht zeUso gclezis auf einer zweisilbigen WZ. ^g(Ji)eleg{h)- {: ^\\ yalxöc;'^), woraus gillm sich durchaus nicht gewinnen lässt. Bedenken wir aber, dass viele Wörter für 'sicher von wurzeln mit der bedeutung' schneiden' abgeleitet sind, so werden wir dies auch von gil])a vermuten dürfen. Solche fälle sind nämlich gr. aQjii], aksl. srüpü (^sirpü) zu lat. sarpere 'beschneiden, durch schneiden der seitenzweige be- rauben', ahd. sarf, sarpli, sarpf 'scharf; gr. yQwjcior zu lat. carpere pflücken', lit. Icifpti 'mit der scheere schneiden', aind. Irpäna- 'schwert', gr. oca.Qjiöq 'frucht', ags. luerfest, ahd. herhist 'ernte, herbst'; gr. Sgejiccpt] zu öq8jt(x) 'schneide'; lat. secula zu secäre 'schneiden'; Simä.dätra-, npers.cZäs zu aind. ^a^i 'schneidet' ; lat. falx mit lit. dalgis 'sense' (s. Schrader a.a.O.) zu hd. dial. dalgen 'schlagen', eigentlich wol 'schneiden'. Demnach kann gü])a zu einer wz. *ghel- 'schneiden' gehören, welche in armen. ddem 'furche, pflüge', aind. Jiala- 'pflüg' (s. Hübschmann, Ar- men, gramm. 1, 471) vorzuliegen scheint.

26. Grundu-. Auf grund von an. grunnr mit nn aus nj) müssen wir das d von grundu- auf vorgerm. t zurückführen (Kluge 6 s. 153). Darum gehört grundu- nicht, wie Grienberger s. 99f. annimmt, zu ags. gr indem 'zerreiben', dessen d wegen lit. grendu, grendiiu 'reibe', lat. frendo 'knirsche' als Vertreter von vorgerm. dh betrachtet werden muss. Entfernter Zusammen- hang zwischen '"ghrn-tu- und *ghrcn-dh- ist allerdings nicht ausgeschlossen, denn eine ursprüngliche bedeutung 'zerriebenes, zerbröckeltes' ist für grundu- sehr wahrscheinlich (Persson, AVurzelerw. s. 72 f.). Zunächst vergleiche ich grundu- aber mit gr. ;(f()«c (fi) 'kies", das früher ein ^- stamm gewesen sein kann

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und dann sein d von ÖEiQad-, aind. drslidd- übernommen haben wird. Die grimdform von "^x^gär- ist *ghcrnt-, womit ^glirrd- in grundu- ablautet. Das neutrum yjQctdoc. ist entweder eine verhältnismässig junge bildung, oder aber es verdankt sein d dem einfluss von xegäc, nachdem dieses schon ein J- stamm geworden war. Nach Persson hätten grundu- und ifgäq nur die Wurzel *gJier-, ^'ghr- mit einander gemein.

27. Hazjan. Grienberger s. 111 f. vergleicht mit unrecht lat^ queror, das mit aind. rvdsiti auf indog. '^kiies- beruht, wozu aus dem germ. an. livcesa, ags. VuvcEsan 'keuchen' (anders Zu- pitza, Germ. gutt. s. 58).

28. Iliufan. Grienberger s. 113 denkt an Zusammenhang mit lit. hiijyfdi, hfqKiuti 'schwer atmen', das mit hväpas 'hauch, duft', hvepti 'hauchen', lcvej)eti 'duften' verwant ist (s. mein Etym. wb. der aind. spräche s. 58 s. v. Icüpyati). Vielleicht trifft Grienberger das richtige, denn auch lat. queror 'klage' : aind. Qvas- 'atmen, schnaufen, seufzen' hat eine ähnliche bedeutungs- entwicklung durchgemacht. Identisch mit limfan wäre aind. cöpati 'bewegt sich, rührt sich', ursprünglich entweder 'atmet, ist lebendig' oder aber 'ist in wallender bewegung' : die wz. H'euep- vereinigt ja die bedeutungen 'hauchen' und 'wallen' in sich. Das verbum cöpati ist, abgesehen vom Dhätupätha, nur aus einem rätsei bekannt: kmi svij jätam na copati? andam jätum na copati.

29. Hlifan. Hierher stellt Grienberger s. 116 f. noch lit. sUpti, lett. slept 'verbergen, verheimlichen'. Aber wie beurteilt er das anlautende s in sUpti? Geht er etwa mit Johansson (Beitr. 14, 295) von einer wz. *sk(e)lep- aus, welche sich einer- seits zu *klcp- (got. hlifan, lat. depo, gr. xXtxrco), andererseits zu "^'slep- (lit. slepti, lett. slcpt) entwickelt hätte?

30. Hröt. Nach Grienberger s. 119 f. wäre hröt vielleicht mit gr. 'AQÜÖTj 'spitze eines baumzweiges' zu verbinden. Dieses ist aber eigentlich 'die schwingende' und gehört zu xQadüo) 'schüttele, schwinge' (so Prell witz s. 161. Leo Meyer, Griech. et. s. 390 f.). Grienberger und Hirt (Ablaut s. 77) stellen hröt übrigens mit ableitendem dental zu gr. xägä 'haupt'. Wahr- scheinlicher ist die etymologie Wiedemanns (IF. 1, 194) : wie dach zu decken, so wird hröt zu aksl. kryti gehören.

31. Inraühtjan. Got. inraühtjan 'ergrimmen' ist selir

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verschieden erklärt worden. Leo Meyer (Got. spräche s. 278) und Johansson (Beitr. 15, 236) denken an Zusammenhang mit gr. oQft], das auf einer indog. wz. *nerg- beruht (vgl. ir. ferg 'zorn', aind. m-j- 'kraftfülle') und dessen tief stufe im germ. eher ur als ru enthalten würde. Leo Meyer vergleicht auch aind. rghmjdti 'bebt, tobt, rast', rgltävant- 'tobend, stürmisch', wovon gr. ogyjofiai 'rege mich, tanze' nicht getrennt werden kann: die grundbedeutung der wurzel ist 'sich wild bewegen', woraus die bedeutung von mraühtjan sich allerdings erklären Hesse. Grienberger s. 129 f. stellt mraühtjan zu ahd. riohhan 'rauchen, dampfen, duften, riechen', ags. reocan 'rauchen, duften', an. rjüM 'rauchen, dünsten', womit er auch das aji. Xey. ags. reoc 'wild' (Beow. 122) verbindet. Inraühtjan wäre dann eigentlich 'zu rauchen anfangen, in dampf geraten', und gr. />i~//oc; 'ge- mütswallung* : aind. ilhrmd- 'rauch' wird von ihm als parallele dazu angeführt. Wider anders Zupitza (KZ. 37, 405), der in- raühtjan mit ir. redit 'wutanfall' vergleicht. Der Wahrheit am nächsten dürfte aber Diefenbach (Vergl. wb. 2, 167) ge- kommen sein, wenn er am Schlüsse des artikels sagt: 'vielleicht dürfen wir, mit andrer grundbedeutung, eher ahd. giruhit »ex- asperat« von ruh, nhd. rauh, rauch vergleichen'. In der tat glaube ich jetzt, dass inraühtjan in die sippe von ags. ruh, ahd. ruh gehört: vgl. aind. rukshd- 'rauh, dürr, herb, unwirsch', lit. rüksztas 'sauer', rüksdas, raühsslas 'runzel', rüläi 'runzelig werden', raüUi 'runzeln'. Es fragt sich dann nur, ob das dem got. verbum zu gründe liegende substantivum "raühti- 'herbe, unwirschheit' oder aber 'das runzeln der stirn' bedeutet habe. Inraühtjan ahmin, inraühtjan in sis wäre letzternfalls eigentlich 'sich runzeln im geiste, sich runzeln in sich', ein bildlicher ausdruck, der sich leicht verstehen lässt,

32. Jiuleis. Gegen Grienbergers etymologie (136 f.), nach welcher *kqlo- mit Mi. jenJcü, jelii 'blind werden' zu verbinden wäre, spricht der von ihm nicht beachtete, aber kaum leugbare Zusammenhang von jenkü, jekti mit äJdas 'blind', lat. aquilus 'dunkel'. Das j von jhUi ist ebensowenig ursprünglich wie dasjenige von jimläi 'gewohnt werden', jaukmti 'gewöhnen' (: aksl. vyknati, uciti u.s.w.). Falls, wie ich vermute, der name des julfestes zu aind. yäc- gehört, so wird er sich auf die einladuuff der abgeschiedenen seelen zum totenfeste beziehen.

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Diese modiflcation meiner früheren ansieht verdanke ich einem gespräche mit dr. Edv. Lehmann (Kopenhagen).

33. Kalhjö. Got. mip kalkjöm 'mit huren', kaJJdnassus 'hnrerei, ehebruch' sind noch nicht genügend erklärt. Diefen- bach (Vergl. wb. 2, 439 f.) denkt an die sippe von ir. celg 'list, verrat', aus welcher kolJ<yjö entlehnt sein könnte. Leo Meyer (Got. spräche s. 3) vergleicht das vieldeutige aind. järd- 'lieb- haber, buhle', das eher mit gr. yafißQOQ zusammengehört (von Bradke, IF. 4, 87 ff.). Schrader (Eeallex. s. 67) vermutet ent- lehnung aus einer spräche, wo ein mit k anlautendes, mit gr, jtaXXaxlc, jta^.Zaxrj, jiälXaB, urverwantes wort existierte, indem er das jr von üraXlaxh auf grund von aksl. clovehu 'mensch' aus indog. q erklärt. Aber clovekü hat gewis nichts mit dem lehnwort jiaXXaxig zu tun, das nicht von hebr. piUeges, plleges, aram. ptlaqtä, pelaqtä und wahrscheinlich auch nicht von armen, harfs (mit h aus fj?) getrennt werden darf (vgl. Lewy, Semit, fremdwörter s.66 f. Jensen, ZDMG. ^8, 468 f.; Hittiter und Armenier s. 211 f.). Eine ansprechende etymologie von clovekü (eig. 'menschenkind', vgl. ags. Jude, hcelcd, ahd. lielid 'mann' und lit. vaikas 'knabe, söhn') hat Brugmann (IF. 12, 26) vor- geschlagen. Schraders *kaUaki- der einen oder der anderen 5afe«?- spräche, woraus kalkjö sich als entlehnung erklären Hesse, hängt also nicht nur in der luft, sondern es ist mit bestimmtheit als misproduct zu bezeichnen, denn jiaXXaxlg hat, wie die semitischen Wörter und armen, harts (?) beweisen, niemals mit q angelautet, sondern es ist mit p aus einer spräche Vorderasiens entlehnt worden. Schrader gibt übrigens seine Vermutung nur 'in ermanglung einer besseren'. Sie Hesse sich aber vielleicht doch in etwas modificierter gestalt als möglich aufrecht halten, nämlich wenn man kalk- durch assi- milation aus *2^alk- erklären wollte. Dieses *palk- könnte dann auf gr. jtaXXaxiq oder auf eine thracische form dieses lehnwortes zurückgeführt werden. Aber welch ein gebäude aus unbeweisbaren hypothesen! Siebs (KZ. 37, 313), der sich nicht auf eine Widerlegung älterer ansichten einlässt, gibt jetzt eine neue erklärung von kalkjö, indem er es mit ags. scielcen 'dienerin, hure' verbindet. Aber dieses ist das femininum zu scealc wie ivielen zu wealh, Itignen zu pe^n, Jn{e)iven zw peoiv. Wenn ich Siebs recht verstehe, so betrachtet er kalkjö als eine

ZUE GOT. ETYMOLOGIE. 125

art fem, zu sMll-s. Warum dann aber nicht *s]ialJijö? Und wie erklärt sich bei Siebs' auffassung die bedeutung von Jialkinassus, das auch 'von männlicher seite ausgeübte hurerei' (Grienberger s.l37) bezeichnet? Etwas brauchbares über Jicdljö ist meines wissens noch nicht vorgebracht. Mit slov. mlik- zene (Miklosich s. 406) hat kalhjö selbstverständlich nichts zu tun, und Siebs hätte seine zweifelnde bemerkung darüber unter- drücken sollen. Falls aber Grienberger das zweite Ic in Imllijö, Jcalkinassus mit recht für ableitend hält, so liegt es nahe, an verwantschaft mit aksl. icUti, ielati 'wünschen, begehren, trauern' zu denken, Kalkjö wäre dann eigentlich 'die lüsterne', Vcalkinön 'lüstern sein', kalkinassus 'lüsternheit'. Anders über zeUti, Mati Zubaty (Arch. f. slav, phil, IG, 425), der von dem begriffe des seelenschmerzes ausgeht, während ich allen be- deutungen von Meli, zalX, salovati den begriff des 'begehrens, sich sehnens' zu gründe lege. Vgl. russ. zelatt 'wünschen, be- gehren, verlangen, sich nach etwas sehnen', zali 'es ist zu be- dauern, es ist schade', iahst i 'mitleid, betrübnis', zaleti 'be- dauern, beklagen, schonen', mlkij 'kläglich, beklagenswert', ialko 'es erregt mitleid', salovaU 'einen gern mögen, einem gewogen sein; schenken, verleihen, beschenken; besuchen', zalovattsja 'sich beklagen, sich beschweren'. Das i von Mäi steht meiner etymologie von kalkjö nicht im wege, denn auch nach Hirts ausführungen über die gutturalfrage (BB. 24, 218 ff,) sind wir berechtigt, die c'- laute der srtfejM-sprachen sowol auf reine velare wie auf labiovelare zurückzuführen (vgl, Zupitza, KZ, 37, 398 ff,), Slav. s = indog. reinvelarem g liegt vor in aksl. zeravX : gr. ytQaroq, aksl. Medica : lat. gelu, aksl. ztma : gr. Yt[ico, lat. gcmo. Slav. s = indog. reinvelarem gh linden wir in aksl. sely : gr. x^-^i^e, aksl, Madükü : gr, ;fo2a()f c. Got. kalkjö veihält sich also zu aksl. Meli wie got, kalds zu aksl. Medica. Was aber das zweite k in kalkjö anbetrifft, könnte man im zweifei sein, ob wir es mit einem suffix zu tun haben, oder ob wir kalk- Cgol-g-) als eine bildung mit gebrochener reduplication auffassen müssen.

34. Kara. Bei Grienberger s. 138 lesen wir: 'Grund- bedeutung von kara scheint »besch werde« zu sein. Das wort also wol ablautend zu got.kaürus, gr.ßaQvg, lat. (/>-avw »schwer«'. Man bedenke aber, dass got. kaüru-, urgerm. Vcuru- auf *gMm-

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mit 5 aus einer älteren labiovelaren media zurückgeliJb und dass der Verlust der lippenrundung durch das folgende u verursacht ist. Wäre Jcara mit kaiirus verwant, so hätte es ^cjara lauten müssen, aus welchem gründe ich Grienbergers Vermutung nicht billigen kann.

35. Kaupatjan. Got. Imupatjan ist nur ^xoXacpiC.£iv\ Darum ist ableitung von einem stamme ^kaiqiat- 'köpf wahr- scheinlicher als Grienbergers etymologie (s. 139), nach welcher Txaiipatjan eigentlich 'jemand als waare, als corpus vile, behan- deln' bedeutet hätte und als got. neubildung zu iMujJön oder zu einem dem ags. ceaj) 'vieh', ahd. Jwuf 'handel' entsprechen- den nomen aufzufassen wäre.

36. Kr iu st an. M. e. hat Iriustan mit ags. crüdan 'drängen, treiben', nl. hruien 'trudere, propellere' nichts zu schaffen (vgl. Grienberger s. 142), wol aber kann es mit russ. grusti 'gram', aksl. sügrustiti 'sich grämen' ( : lit. grüdäu 'stampfe, rühre das gemüt') zusammenhängen. Zu germ. *krüdan 'treiben' gehört aber as. krüd, ahd. krüt 'kraut', dessen ursprüngliche bedeutung 'trieb' gewesen sein wird (z. t. anders Franck s. 523 f.). Der dental ist ableitend, wie aus gr. ßgvco 'strotze, sprosse' (eig. 'treibe') hervorgeht. Germ. *krüd- 'treiben' ist zunächst aus ^qrnd- entstanden; die lippenrundung ist vor dem r gesetzmässig verloren gegangen. Vgl. Kluge" s. 225, der kraut zwar nicht mit *krudan 'treiben', wol aber mit gr. ßgico ver- binden möchte.

37. Kunaivida. Nach Grienberger s. 143 wäre in kuna- widöm, dessen u er als lang ansetzt, eigentlich 'in leibesbanden'. Dagegen lässt sich aber einwenden, dass ein germ. *krma- 'leib' sonst nirgends eine spur hinterlassen hat. Grienberger sieht freilich in lit. künas 'leib' ein altes lehnwort aus dem germ., und zur stütze seiner auffassung von kunaivida beruft er sich auf lit. kumjczia 'halseisen', das nach ihm von künas abgeleitet wäre, in Wirklichkeit aber aus poln. wruss. kunica entlehnt ist (Brückner, Die slav. fremd Wörter s. 99). Das nicht-lit. suffix von kumjczia hätte Grienberger warnen sollen! Gehört lit. künas etwa mit kelt. *kouno- 'schön' (s. Stokes, Urkelt. Sprachschatz s. 89) zu ahd. scomvön, ags. sceawian 'schauen', got. skauns 'schön', skuggwa ' Spiegel' u.s.w.? Dann wäre kelt. ^kouno-

ZUR GOT. ETYMOLOGIE. 127

von lit. smuniis zu trennen. Etwas positives über hinawida aber weiss ich nicht vorzubringen.

38. L eh eis. Grienberger s. 147 stellt *Ma- 'medicina' (aksl. Iw. lekii) zu ahd. lacha 'lache', nind. Iahe ' Salzlake' : an. Ukr 'bach' und geht von einer bedeutung 'heilquelle, mineralwasser' aus. Aber die sippe von lekeis ist wol sicher aus dem keltischen entlehnt, und ich hätte dies in meinem Et. wb. der got. spräche 2 s. 101 nicht anzweifeln sollen (vgl. Stokes, Urkelt. Sprachschatz s. 251).

39. Liuts. Grienberger s. 150 f. trennt Zmfe 'heuchlerisch, falsch', lutön 'betrügen', ags. lot 'betrug', lytig 'listig, falsch', lütian, ahd. lu^en 'verborgen liegen, sich versteckt halten', aksl. luditi 'täuschen' von an. lata, ags. lütan 'sich neigen'. Die begriffe 'list' und 'falschheit' haben sich aber auch sonst aus 'krummheit' entwickelt, und deshalb glaube ich, dass auch ^leucl- 'täuschen, trügen' nicht von *leud- 'sich beugen, sich neigen' verschieden sein wird. Vgl. ags. seap 'krumm, falsch' : aksl. gü{h)nati, gyhati 'biegen'; aksl. Iqkavu 'listig, arglistig' : l^hq,, Iqsti 'biegen'; aind. hut'da- 'gebogen, kraus, krumm, falsch, hinterlistig'; ags. tvrenc 'krümmung, list, ranke' : wrencan ''drehen'. Ags. lütian und ahd. lu^en werden ursprünglich 'ge- bogen sein' bedeutet haben.

40. Luftus. Grienberger s. 152 f. vergleicht lit. luhä 'ein- zelnes brett der stubendecke', pl. lubos 'die bretterne stuben- decke', lett. luba 'dachschindel', luhU 'spleissen'. Die halt. Wörter scheinen aber eher aus dem slav. entlehnt zu sein (s. Brückner, Die slav. fremdwörter s. 104. 177). Diefenbach (Vergl, wb. 2, 154) und Wood (Journ. of germ. phil. 2, 221) stellen luftus 'luft', an. lopt 'luft, oberes geschoss des hauses' zu hd. lüpfen, das zur indog. wz. Heij.p- 'abschälen, losmachen' gehört. Vielleicht aber ist got. luftus, an. lopt 'luft' von an. lopt 'oberes geschoss' zu trennen. Ist luftu- etwa aus '^Iptu- entstanden und mit aind. dlpa- 'klein, gering', lit. alpstu, alpti 'verschmach- ten, ohnmächtig werden', alpnas 'schwach, ohnmächtig' verwant? Die ältere bedeutung von luftu- wäre dann 'dünn, ätherisch'.

41. Manauli. Grienberger s. 155 erklärt das wort aus man- (vgl. manleika) und ^aulja- zu germ. *aula-, indog. *oq(9)lö- ('als direete entsprechung zu oculus'). Unwahrscheinlich, weil

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sonst keine spur eines '^aida- 'aug-e' zu finden ist. Eher hat Holthausen (Anz. fda. 24, 34) das riclitige getroffen.

42. Ma])a. Vielleicht ist majm eig. 'zermalmer, verderber' und gehört zu lat. mateola ' Werkzeug zum einschlagen in die erde', aksl. motyha 'hacke', aind. matyä- 'egge oder walze' (ähnlich Persson, Wurzelerw. s. 34). Euss. motatt 'vertun, ver- schwenden' gehört nicht hierher, sondern ist mit motati 'has- peln, aufwinden' und motatX 'bewegen, schütteln' identisch. Dagegen kann aind. mathma- 'wanze', dessen bildungs weise freilich dunkel ist, mit Diapa zusammengehören. Auch von der WZ. "^mel- 'zermalmen' sind zugleich Wörter für schädliche insecten und für Werkzeuge zum schlagen abgeleitet: vgl. got. malö, an. mQlr, aksl. mott 'motte', ahd. miltva, mhd. miUve 'milbe' : aksl. rnlatü 'hammer', lat. malleus, martulus ("^mal- tulus) 'dasselbe'. Anders über majja Hirt (Ablaut s. 95) und Grienberger s. 157.

43. Nidwa. Nach Grienberger s, 166 wäre nidtva ein mit dem Suffix ^-iua gebildetes abstractum von *w?'- 'nieder', das unerweitert in ags. niliolid), ni{o)wol, neoivol, neol vorläge. Aber Cosijn (Tijdschr. v. ned. taal- en letterk. 8, 243 ff.) hat wahrscheinlich gemacht, dass das einmalige nihold (Corpus- glossen) nur ein Schreibfehler für niJiol ist und dass dieses mit nhvol in gramm. Wechsel steht. Nihol, niivol ist also gar keine Zusammensetzung von ni- und hcald, sondern eine ab- leitung von indog. *mq- mit Z-suffix. Cosijn vergleicht die sippe von aksl. po-niknati, nicati 'pronum esse', nici 'pronus' ohne eine Z-ableitung nachweisen zu können. Ist nihol, niwol zunächst mit dem part. niMü zu verbinden? Das germ. wort beruht auf *nüßo-, ^niqU-, slav. nildü dagegen auf *neiqlo-. Was got. nidwa 'rost' anbetrifft, wage ich nichts positives vorzuschlagen. An Grienbergers ^ni-tiid 'niederschlag' glaube ich nicht, aber auch Lidens etymologie (Stud. zur aind. und vergl. Sprachgeschichte s. 60), welche an lat. rcnuleo, niico an- knüpft, ist nicht ganz überzeugend.

44. Nöta. Got. nöta m. oder nutö n. 'schiffshinterteil' ist vielleicht eig. 'der obere teil': vgl. ?i^^\.nadä 'über'. Anders Grienberger s. 167 f. (vgl. Diefenbach, Vergl. wb. 2, 120).

45. Qi])an. Grienberger s. 172 vergleicht lat. veto. Mit

ZUR GOT. ETYMOLOGIE. 129

unreclit, denn veto hat indog. u (s. Stokes, Urkelt. sprachscliatz s. 268. Zupitza, Germ, glitt, s. 87).

46. Eile an. Zu riJmn, ufrahjan gehört aus dem baltischen alit. ranszitis (d.i. ranzytis), lit. rähjtis, lett. rözites 'sich recken', das sich zunächst an aind. rnjdti anschliesst (s. Bezzenberger, Beitr. zur geschichte der lit. spräche s. 42). Auch das hierher- gehörige an. raJch; ags. ranc zeigt den nasal (Zupitza, Germ, gutt. s. 198). Von dieser sippe zu trennen sind lit. reisiüs, reisztis 'sich brüsten, die brüst hervortun', rdizytis 'sich recken', ahd. reihhan, ags. rcecan 'reichen'. Wider in einen andern Zu- sammenhang gehört ahd. rihJian 'regnare', das trotz des starken praet, gereih mit Kluge 6 s. 314 als eine ableitung von *n7i;- ' herscher' zu betrachten ist. Grienbergers ausführungen über reilis (s. 175 f.) sind verfehlt, denn es ist durchaus unzulässig, germ. ^nh- von kelt. nx, lat. rex, aind. rdj- losziireissen. Die 'angebliche entlehnung' aus dem keltischen bleibt mir noch immer wahrscheinlich.

47. Bülisns. Grimm (s. Diefenbach, Vergl. wb. 2, 178) ver- bindet röhsns 'vorhof, verhalle' mit as. ralmd, ags. reced 'ge- bäude, haus, palast, tempel', das nach Osthoff (IF. 8, 62) in die sippe von ir. do-imm-urc 'ich enge ein', aind. argala-, argalä- 'riegel' hineinführt, und Wood (Journ. of germ. phil. 2, 229 f.) stellt das got. wort zu gr. aQxim, lat. arceo 'wehre ab', arx 'bürg', arca 'kiste', lit. rahmti 'schliessen', räJdas 'Schlüssel', armen, argel 'hindernis'. Ich glaube jetzt, dass rühsns wirk- lich mit der ursprünglichen bedeutung 'einschliessung, ein- geschlossener räum' im letzten gründe auf indog. "^areg- oder "^areli- beruht, natürlich ohne entscheiden zu können, ob wir dem got. Worte die wurzelform mit g oder die /j-dublette zu gründe legen müssen, Got. röhs-ni- (denn so teile ich) ist aber nicht unmittelbar von *areg-, *arek- abgeleitet, sondern es ist ein -m'-abstractum zu einer 5-erweiterung dieser wurzel. Eine solche aber liegt vor in aind. m/is/m^/ 'bewacht, beschützt, be- hütet, wehrt', das sowol im klassischen sanskrit wie in der veda- spräche mit r auftritt und somit kaum indog. l enthalten wird. Bdkshaü verhält sich zu ''''arek- wie gr. aXegm zu *aleh und nur dann kann man rdksJiati und aXe^co, oder besser indog. *{d)relcs- und *cdeks- mit einander gleichsetzen, wenn man indog. *areJc- {*areg-) und *ale]c- als differenzierungen einer und der-

Keitriige zur geschiclue der deutschen spräche. XXVII. 9

130 UHLENBECK

selben wiirzel betrachtet. Anders über röhsns Grienberger s. 176 f. (gr. ccQ^yco, agcoyt'/).

48. Sagqs. Vielleicht haben wir germ. ^sanqi-z anzu- setzen. Nach Grienberger s. 177 wäre lett. sanhis 'sumpf, pfuhr aus diesem germ. ^savqi-z entlehnt, und wirklich lässt die bedeutung des lett. Wortes sich leicht als eine specialisierung des begriff es 'Senkung' auffassen. Dennoch scheint Grienberger lett. sanhis unrichtig zu beurteilen. Warum soll das wort deim aus dem germ. entlehnt sein? Eher gehört es als echt- baltisches wort zu lit. senhh, seldi 'fallen, sich senken (vom Wasserstande)', seJclhs 'seicht', aksl. pre-s^knqti, 2^re-s^cati 'ver- siegen' (weiteres bei J. Schmidt, Krit. der sonantentheorie s. 62 ff.). Got. sigqan, sagqs (nur dat. saggqa) repräsentieren eine neben indog. ^senq- stehende wurzelvarietät mit aus- lautender media, worauf auch armen, aiikanim 'falle' hinzu- weisen scheint (s. Meillet, MSL. 8, 288).

49. Saiivala. Die alte gleichung sanvala : gr. aiokog 'beweglich' wird doch das richtige treffen. Die bedeutungs- entwicklung ist so ziemlich dieselbe wie bei russ. retivoje 'herz, gemüt' : retivyj 'unruhig, heftig, eifiig, feurig, mutig'. Neben *saiuolo- steht *saiuo-, das in lat. saevus 'wild' erhalten ist. Vgl. Grienberger s. 179.

50. Saiws. Nach Grimm (s. Diefenbach, Vergl. wb. 2, 183) wäre saiwi- 'see, meer' mit saiwala 'seele' verwant. Das tertium comparationis ist die rastlose bewegung. Jetzt glaube ich, dass diese auffassung von saiwi- jeder andern vorzuziehen ist : die wogende wassermasse ist nach ihrer saevitia benannt. Ahd. gisig 'stagnum, palus, lacus' gehört nicht hierher, sondern zu ahd. sigan. Vgl. Grienberger s. 179.

51. Saupa. Grienberger s. 182 f. stellt 5«M7>a 'Ao/oc' zum pronominalstamm, der in ahd. sus, susUh vorliegt. Dieses wird kaum richtig sein. Wood (Journ. of germ. phil. 2, 218) geht aus von einer bedeutung 'fountain, spring, source', woraus sich 'cause, reason, origin' entwickelt hätte, und vergleicht goil.saupr 'sprudelquelle', ■Sig^.sead, mhd. sö^ 'brunnen' (got. saul>s 'opfer').

52. Sifan. Mit *safjan *5ö/" 'wahrnehmen', das von alters her (vgl. lat. sa2no) in die ablautsreihe von alan, lat. alo gehört, kann 5?"/«^ 'fi'ohlocken' trotz Grienberger s. 184 f. nicht verwant sein. Auch an. seß, ags. sefa, as. seto 'sinn,

ZUR GOT. ETYMOLOGIE, 131

gemiit' ist wegen seines e von *safjan *söfzi\ trennen. Wol aber werden sifan und sefi sefa sedo zusammengehören, denn auch germ. *hugi- vereinigt die bedeutungen 'sinn' und 'freude' in sich. Wood (Journ. of germ. phil. 2, 218) vermutet ebenfalls Zusammenhang von sifan mit sefa und vergleicht ferner aind. sdpati 'pflegt, macht sich zu tun um', gr. tjtco 'besorge, behandele' und gr. sxpco 'koche, siede', armen, ephem 'koche, backe'. Die indog. wz. *5ep- bedeutet etwa 'sich rastlos und ungestüm bewegen, rührig sein, wallen'.

53. SJcip. Got. an. afries. as. skip, ags. scip, ahd. seif, scef 'schiff' beruht auf germ. *sliipa- und ist also nicht, wie Grien- berger s. 189 f. annimmt, mit as. sTieppian, ahd. scepfan 'schöpfen' zu verbinden. Bedenken wir aber, dass Wörter für 'boot, schiff oft auf bezeichnungen von 'bäum' oder 'holz' zurückgehen, so liegt es nahe, einen ähnlichen lu^sprung von *skipa- zu ver- muten. Germ, "^skipa-, vorgerm. *s]dbo- beruht wahrscheinlich auf einer wurzelvarietät von indog. ^^skcip- 'spalten' in aksl. scepiti, cepiti 'spalten', gr. oxijimv 'stab, stock', oxoijcoc 'töpfer- scheibe', lat. sctp)io 'stab, stock', an. sJcifa, ahd. selha 'scheibe' (vgl. Zupitza, Germ. gutt. s. 156). Die bedeutungen 'stock' und 'scheibe' lassen sich aus 'abgespaltenes holzstück' erklären, und *s]:ibo- 'schiff verhält sich semasiologisch zu "^sJceip- 'spalten' wie an. heit, ags. hat 'boot' zu '^hekl- 'spalten', womit Liden (Stud. zur aind. und vergl. sprachgesch. s. 34) und Kern (Tijd- schr. V. ned. taal- en letterk. 17, 237) es überzeugend verbunden haben.

54. Slaivan. Grienberger s. 192 vergleicht lat. langueo, languor, indem er von einer wurzel mit auslautender labio- velarer media aspirata ausgeht. Die gruppe yu in langueo scheint aber vielmehr auf indog. ^w zu beruhen: vgl. gr. Xayycür 'zaudern', .^«//«gco 'zaudere', lit. lingMi 'sich wiegen, wackeln', und ohne nasal gr. yMjaQÖq 'schmächtig', h'iYco 'höre auf, ir. lacc 'schlaff, schwach', an. slalcr, ags. slcec, ahd. slali 'schlaff U.S.W. Langueo i.st also wol von einem nomen Haftg-uo- ab- geleitet. Slawan aber gehört mit mhd.5?«r 'faulenzer, faulenzen', schw. dial. slummen 'schmächtig, schwach', norw. dial. sloyma 'diinn werden, vom getreide', ags. sMwa 'schlummer' (s. Persson, KB. 19, 262) zu lit. lidujus, lidutis 'aufhören', lett. Vauju, l'ant 'zulassen', apr. au-JaUt 'sterben', au-lausennien acc. 'das sterben',

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lit. lavönas deiche'. Die 5-lose form der wurzel wird im germ. durch got. leiv, letvjan und durch an. Iura 'schhimmern', mengl. luren 'düster blicken', mhd. luren 'lauern' vertreten.

55. S war an. Das verbum hat den ablaut von alan und wird deshalb nicht zur wz. *uer- (gr. hqco u.s.w.) gehören. Oder haben wir es mit einem ähnlichen fall wie faran : aksl. 2:>era zu tun? Vgl. Grienberger s. 204.

56. Swes. Mit Grienberger s. 204 haben wir sivesa- als eine participialbildung zu betrachten. Jetzt erkläre ich sivesa- aus *stvessa-, indog. *suedh-to- zu gr. eiooO-a, Id^oq, rj&og, lat. sodalis ( : suesco, sucvi, suetus). Für germ. ss statt des zu erwartenden sd aus dh-t vgl. gawiss, diswiss zu gawidan. Sives ist also eigentlich 'gewohnt, vertraut'.

57. Tahis. Grienberger s. 207 trifft mit Wood (Publ. of the mod. lang. ass. 14, 334) zusammen. Anders Bugge (Beitr. 24, 446 f.). Mit unrecht stellt Grienberger lit. daimjcää 'topf zur WZ. ^dl-: es ist vielmehr aus poln. donica entlehnt (Brückner, Die slav. fremdwörter s. 79).

58. Tals Jan. Ist lit. su-taUti, taUyti, lett. tahlt 'prügeln' aus got. taUjan 'belehren, zurechtweisen' entlehnt? Anders Zupitza (Germ. gutt. s. 205).

59. Tel' an. Hirt (Ablaut s. 30) stellt tekan zu lat. tango, gr. xtraymv: das erhaltene t wäre durch den einfluss von attekan = attinyere zu erklären. Dieses kann nicht richtig sein, denn vorgerm. *ad-Ug- (*atteg-) hätte *assek- ergeben müssen. Tekan bleibt also unerklärt, denn lat. digikis hat wurzelhaftes i und gehört mit taihis zusammen, während gr. öäxrvXoq nach Brug- manns ausführungen (IF. 11, 284 ff.) wol auf "^dnt-qido- beruhen und mit an. ündr 'zinke, zacke, spitze' verwant sein wird.

60. Timrjan. Zur wz. *dem- 'zimmern' stelle ich auch noch aksl. d^tlü 'specht' aus *dem-tlo- (eig. 'zimmerer').

61. Peihan. Grienberger s. 214 vergleicht lit. ^mM, ^^M 'taugen, passen', tdih(s 'ebenmässig gefügt, geordnet', apr. teickut 'schaffen'. Aber as. githungan, ags. gejmngen weist auf eine wz. *tenk-, und ])eiJian ist erst durch entgleisung in die ablautsreihe von heitan hineingekommen. Vielleicht sind lit. ükti, teTkti, tdihus ähnlich zu beurteilen (Zupitza, Germ, gutt. s. 140), denn tinkü aus indog. ''Hnkö hätte zunächst die

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neubildimg üMi hervoiTufen können, wodurch dann der anstoss zu ablautsbildungen der ?- reihe gegeben wäre.

62. Piuhs. Die ursprüngliche bedeutung ist wol nicht 'räuber', sondern 'dieb' : vgl. piuhjö 'heimlich, verstohlen'. Daher gehört es eher zu lit. tüpti 'sich niederkauern', tupeti 'hocken, kauern' (auf wen diese gleichung zurückgeht, weiss ich nicht) als zu gr. tvjctco 'schlage' (Grienberger s. 215). Auch aksl. tati, ir. tdid, aind. täyü-, stäyü-, stend- bezeichnen den dieb als den heimlichen, verstohlenen (vgl. aksl. taja 'ver- berge', taj 'heimlich', aind. stäydti 'ist verstohlen').

63. P Top Jan. Grienberger s. 218 beurteilt lit. tröhjti 'durchbringen, schädigen' nicht richtig. Ohne zweifei ist trötyti ein lehnwort aus dem slavischen: vgl. aksl. tratiti 'verbrauchen', slov. tratiti 'verwenden, verschwenden', serb. tratiti 'verlieren', poln. trade 'verschwenden', klruss. tratyty 'hinrichten', russ. tratiti 'verbrauchen, verschwenden, vertun, verlieren' (Brückner, Die slav. fremdwörter s. 147. Miklosich s. 360). Ueber verwant- schaft von Jrrö]>Jan mit tratiti zuletzt Hirt, Beitr. 23, 293.

64. PrUts fi 1 1. Verwantschaf t mit usjjriutan (Grienberger s. 218f.) ist unwahrscheinlich: eher hat Persson (BB. 19, 268) das richtige getroffen. An. Jrrot 'mangel' beruht natürlich nicht 'auf dem des mechanisch geschädigten, durch abstossen defect gemachten', sondern schliesst sich nahe an das verbum an: vgl. er veizluna prijtr, par til er ]}raut sJcer qU u. dgl. (s. Cleasby-Vigfusson s. 746). An. proti 'geschwulst' hat nichts mit Prot 'mangel' zu schaffen, denn es gehört mit prütinn 'ge- schwollen', ags. prutian 'aufgeblasen sein', also auch mit got. prutsfiU, ags. prüstfell zusammen.

65. Ufta. Der begriff 'frequent' könnte sich aus dem des gestreuten entwickelt haben. Das dem adverbium zu gründe liegende adjectiv *M/to- identiflciere ich mit aind. part. uptd- 'geworfen, gestreut, gesät' zu vdpati 'wirft, streut, sät'. Pronominaler Ursprung von ufta (vgl. Diefenbach, Vergl. wb. 1,64. Leo Meyer, Got. spräche s. 79) ist mir nicht wahrscheinlich.

66. Ulhandus. Urverwantschaft von ulhandus mit kXi<fäq (Grienberger s. 225) ist durchaus unwahrscheinlich. Man be- achte, dass iXt(päq in der älteren zeit nur 'elfenbein' bedeutet, weshalb verwantschaf t mit aXffOQ 'weisser fleck auf der haut', lat. albus 'weiss' jedenfalls möglich ist. Wenn Grienberger

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s?,t(fäg in die sippe von eXarpog, iXXöc liineinzieht, trägt er der ursprünglichen bedeutung 'elfenbein' keine rechnng. Gegen Palander (Ahd. tiernamen s. 100) nehme ich an, dass ulbanchts irgendwie aus aXt<päg (-vr-) entstanden ist. Der bedeutungs- unterschied steht dieser annähme kaum im wege. Apr. tvelo- blundis ist nicht 'vielleicht', sondern gewis erst aus dem slav. entlehnt, denn es setzt die neben velihadü belegte form velihladü voraus. Zunächst wird es auf poln. tvielhlnd beruhen.

67. Usstagg. Grienberger s. 233 f. hält den imperativ usstagg nicht für eine corruptel, und wirklich findet ein got. *siaggcm eine stütze in an. stanga 'stechen'. Identisch mit stanga wäre *staggan freilich nicht, denn das an. verbum flectiert wie fagna, got. faginön. Auch mit mhd. stengen 'zur arbeit antreiben' {*stangjan) lässt ein got. ^staggan sich nicht identificieren. Jedenfalls gehört usstagg in die sippe von an. stinga, ags. stingan, wozu u. a. an. stgng, ahd. stanga ' Stange'. Mit unrecht stellt Grienberger diese Wörter zur wz. *st(h)ä-, deren bedeutung sich kaum mit der von stingan vermitteln lässt. Auch mit as. stekan, ahd. stehhan, lat. insilgäre, gr. öt/^cö, öTiy^ia U.S.W, wird stingan nicht verwant sein, denn einerseits w^eist germ. g auf indog. gli oder k, andererseits lassen sich bei ^stig- keine nasalierte formen auftreiben. Eine w^z. ^stegh- 'stechen' aber kann vorliegen in russ. stegati, steg- nut\ 'hauen, peitschen, steppen', und dazu könnte stingan eine präsensbildung mit nasalinfix sein: vgl. lit. stingü, stlgti 'ruhig werden, ruhe finden zum bleiben an einer stelle', stlnJcstu, stmkti 'gerinnen, steif werden'. Die bedeutungen 'ruhe finden zum bleiben' und 'gerinnen' können sich aus 'stecken bleiben' ent- wickelt haben, und lit. in kann auf n zurückgehen. Begrifflich zu weit ab steht lit. stcngiu, stengti 'sich anstrengen'. Oder hat dieses einmal, nicht -reflexivisch, 'stacheln, antreiben' be- deutet und lässt es sich mit mhd. stengen 'zur arbeit antreiben' (*stangjan) vergleichen, das sicher zu stingan gehört? Aber warum lautet das wort dann nicht stengtis?

68. Waihsta. Falls ivaihsta 'ecke' zu ahd. tvlhhan, aind. vijdte gehört (Grienberger s. 234), so müssen wir ahd. winhil, ags. ivincel ferne halten, denn dieses hat wol sicher in aus indog. en: vgl. ahd. winlcan 'schw^anken, nicken, winken', ags. wincian 'nicken, winken', ahd. wanlwn, an. vaMa 'wanken'.

ZUR GOT. ETYMOLOGIE. 135

lit. vmgis 'bogen, krümmiing"' {in aus n), vengiu, vengti 'ungern tun', alban. vank, vangu 'feige, radkranz', aind. vanjula- 'ca- lamus rotang'. Danach ist auch Kluge^s. 426 zu berichtigen.

69. Wainags. Grienberger s. 235 und Wood (Mod. lang, notes 16, 23) vergleichen u. a. lit. vaina, vainas 'krieg', das sicher aus slav. vojna entlehnt ist, wie vatskas 'heer' aus slav. vojsJio und vajavoti 'bekriegen' aus slav. vojevati (vgl. Brückner, Die slav. fremdwörter s. 150). Slav. voj, voinii, vojniM 'krieger', vojna 'krieg', vojslv 'heer', vojevati 'krieg führen' gehören wahrscheinlich zu aksl. j;o-yma^i 'unterwerfen', bulg. na-vijani 'siege', lit. vcjh, vyti 'nachjagen, verfolgen', aind. veti 'ist hinter etwas her, verfolgt' u.s, w.

70. Wainei Grienbergers erklärung (s. 235) aus tvenja ei ist unhaltbar. Man würde wenigstens wenei, weinei erwarten.

71. Wöpjan. Wöpjan ist urverwant mit aksl. vahiti. Lit. vohyti 'locken', lett. mZ;?^ 'Vorgericht fordern', das von Grien- berger s. 243 f. herangezogen wird, ist aus dem slav. entlehnt (Brückner, Die slav. fremdwörter s. 154. 188). Frivöhyti 'an- locken' beruht auf russ. privdhitt, wruss. privdbic und iszvöhyti 'herauslocken' auf einem russ. isvdhiti, wruss. izvdhic (letztere Zusammensetzung kann ich nicht nachweisen). Poln. ivdb' ' lock- pfeife' ist wegen seines erweichten h nicht mit ags. ivöp, as. wöp, ahd. ivuof gleichzusetzen, sondern als eine andere ableitung derselben wz. zu betrachten.

72. Wrilian. Nicht mit Grienberger s. 245 zu gr. ()i]yvvm, tQQcoya, das im got. etwa ^ivrelmn, *tvaiwröJc (wie letan, lailöt) lauten würde. Auch die bedeutungen stimmen nicht.

73. WriJ)us. Es ist nicht geraten, mit Grienberger s. 245 f. tvrijms als ablautsform zu dän. vraad, ags. wrceÖ zu betrachten und es von aind. vräta- loszureissen.

74. Wruggö. Falls ahd. ringan, ags. wrin^an mit ahd. würgen verwant ist, darf lit. rengiüs, reügtis 'sich schwerfällig bücken' nicht mit Grienberger s. 246 herangezogen werden, denn ivurgen gehört sicher mit lit. vermi, aksl. vrü^cj, zusammen. Liden (Ein balt. -slav. anlautsgesetz s. 9f.) will ivringan von würgen trennen, indem er wegen aschw. vrä, an. r^ 'winkel, ecke' das g von wringan auf vorgerm. k zurückführt: es ist aber durchaus nicht ausgemacht, dass vrä rg mit icringan verbunden werden muss. Es sei aber bemerkt, dass auch bei

136 UHLENBECK, ZUR GOT. ETYMOLOGIE,

Lidens auffassimg- von ivringan Zusammenhang mit rcfigtis ausgeschlossen ist. Reügtis ist wahrscheinlich mit ags. ivrencan verwant (s. zuletzt Liden a. a. o. s. 13 f.).

Auf den vorhergehenden Seiten habe ich zwar manches be- sprochen, was mir in Grienbergers Untersuchungen als verfehlt oder gewagt erscheint, viele andere seiner etj'-mologien aber habe ich beiseite gelassen, auch wenn sie mich durchaus nicht überzeugen. Nur da wollte ich auf seine auf Stellungen ein- gehen, wo ich etwas schlagendes dagegen einwenden konnte. Die etymologische Wortforschung bleibt leider zu sehr von subjectiven anschauungen und neigungen abhängig, und in den meisten fällen kann ja niemand sagen, dass gerade seine eigene auffassung die richtige ist.

LEIDEN, october 1901. C. C. UHLENBECK.

UEBER MARTI THINCSO, ALAESIAGIS BEDE ET FIMMILENE (?), TUIHANTI,

(langob.) THINX, (got.) PFAHS und (mnl.) DINXEN-, JDIJSSENDACH etc., (mnd.) DINGSEDÄGH etc.

In betreff der lesart des auf einem der bei Housesteads (Borcovicium) aufgefundenen votivaltäre nach llarti stehenden Wortes herscht keine einstimmigkeit. Nach Hübner (s. West- deutsche zs. für geschichte und kunst 3,121), Scherer (S.Sitzungs- berichte der Berliner akademie 1884, s. 571) und Weinhold (s. Zs. fdph. 21, 2) wäre aus den Photographien bez. abklatschen und abschriften Tkmgso zu lesen (doch betont erstgenannter, dass die 6 und C in der inschrift nicht scharf unterschieden sind). Nach Siebs (s. Zs. fdph. 24, 452), dem eine ihm von Wein- hold geliehene sonderphotographie zur Verfügung stand, steht tatsächlich ein C da, wenngleich eine unbedeutende verdickung am unteren bogen möglich erscheinen lässt, dass ursprünglich ein G gemeisselt war. Pleyte (s. Mededeelingen der k. akad. van wetenschappen, afd. letterk. 3, 2, 112) erklärt aber aus- drücklich, dass nach der Photographie das vor s stehende schriftzeichen mit dem C von cives, nicht mit dem G von Gcr- niani, Augusü und Alacsiagis übereinstimmt. Zu einer ent- scheidung dürfte hier vielleicht die folgende erwägung führen.

Scherer erblickte (Sitzungsber. 574), unter berufung auf das in der U)-kunde von Arezzo begegnende got. Imgsis, in thvmjsa- einen adjectivstamm, der mittelst des secundärsuffixes -a- von dem neutralstamme thingsa- abgeleitet wäre, der, im langobard. thinx erhalten, sich zu dem gemeingerm. neutralstamme thinga- ' Volksversammlung' verhielte wie got. wcihs, stamm wcihsa-, zum stamm wlM- (lat. vicus). Ihm schloss sich Weinhold, was die formelle deutung betrifft (s. Zs. fdph. 21, 4), ohne bedenken

138 VAN KELTEN

an. Beide übersahen indessen: erstens dass das etymologisch und semantisch dunkle hugsis als gen. zu einem nom. *lmgs steht, der, je nachdem das w lang oder kurz war, zu den aus der -«5-klasse in die -a-declination übergetretenen got. bildungen weihs, J)eihs (mit regelrechter synkope von -i-) bez. ahs, ais (mit analogischer synkope, vgl. Beitr. 21, 476^) zu stellen ist; zweitens dass langobard. thinx nicht ohne weiteres mit einem Tlmujso zu gründe gelegten neutralstamme thingsa- zu iden- tificieren ist, indem für ersteres synkope eines vor -s stehenden vocals geltend zu machen, 2) für das in rede stehende wort der altarinschrift aber schwerlich an vocalschwund, sondern viel- mehr an bildung durch mit s anlautendes suffix zu denken (s. gleich unten) ; drittens dass in solchem derivatum einem bekannten lautgesetz zufolge vor -s nur h, keinenfalls die gutturale media am platze wäre.

Kauffmann stellt (s. Beitr. 16, 209) ein Jmigs = 'cuneus' auf, das im grammatischen Wechsel zu got. J)eihs stände und eine ableitung ergeben hätte, die sich in der formel 3Iars Thingsus = 'Genius cunei' vorfände; zu gleicher zeit aber erwähnt er Kluges in Pauls Grundr. 1 ', 317 geäusserte yqy- mwtimg Thingsus ?i\is Jmigiso-? Siebs leitet (Zs. fdph. 24, 454) pings her aus flectiertem ])ingses, das entweder auf tenqses oder auf tcnqueses zurückgienge. Von grammatischem Wechsel kann hier aber schwerlich die rede sein, weil aus hs nach Verners gesetz kein gs hervorgieng. Und was die annähme

^) Wo fahs (aus *fahis) zu streichen, das mit rücksicht auf ahd. fahs, ags. feax etc. als durch -s (nicht -is) gebildetes derivatum zu gelten hat.

'■') Zunächst synkope nach Sievers' gesetz in den flectierten formen thinxes etc. (aus *ßi)igises etc.), dann auf amilogischem wege thinx für *pin(jis.

Beachtenswert ist das, im gegensatz zu dem sonst in westgerm. primär bildungen als rest von altem postvocalischen -s(-) begegnenden -»•(-) (vgl. ags. salor, dögor, si^or, stiilor, hocor, hryöer, ahd. ahir, ehir, iresiii; trebir, afries. hnther, as. ei'ero, hönero etc.), in unserem wort er- scheinende -s, dem meines wissens nur das -s des ahd. as. masculinen -isa- stammes /f//.s und von langobard. jjans 'votum, bannum" [vgl. Brunner, Deutsche rechtsgesch. 1, 147 anm. 22] zur seite steht). Hiernach aber ist für thinx und paus das nämliche ableitungssuffix, jedoch, was thinx (vielleicht auch was paMs) betrifft, neutr. genus anzusetzen; vgl. im Edict. Eoth. § 171 ' omne (varr. omnem mit dem häufigen -em für -e des nom. acc. sg. neutr.) thinx ... quod prius feceraV und 174 'thinx, quuä cuitca feciV-

UEBER MARTI THINCSO ETC. 139

von vocalsynkope in der paeniütima angeht, so sei auf in unserer insclirift stehendes Fimmilene oder besser Fimmüenie (s. unten s. 146) hingewiesen: der vocalsch wund in der paenultima eines Simplex ist bekanntlich jüngeren datums als die Wirkung der auslautsgesetze, und auf noch im dialekt der dedicierenden Tuihanti gesprochenes *-i (aus *-l) des nom. sg. ist zu schliessen aus dem -e- der endung -enie, das erst in der folge durch dieses -i und das -j- der flectierten casus in -i- umgewandelt werden sollte. [Die annähme eines durch vor der Umwandlung von 'C- erfolgte vocalapokope entstandenen -cn des nom. sg., das in der folge durch anlehnung an -innj- der anderen casus zu -in geworden wäre, dürfte sich nicht empfehlen, da sich von einem für den fall zu erwartenden nachzügler -cn nicht die geringste spur findet; vgl. dem gegenüber neben ags. hrpcs, cynn etc., as. hed, flet etc. und lainni, muddi, ahd. hrucki, hunni etc. begegnende reste der alten nominativform as. feni, ahd. heti, mhd. rihe etc. und beachte hierzu Beitr. 16, 278 mit anm. 2]. Ausserdem aber wäre wol zu erwarten, dass der Steinmetz, wenn er ein Jmig-so oder Jungs aus dem munde seiner auftrag- geber gehört hätte, den stimmlos gesprochenen guttural + s durch X oder es (vgl. wegen dieser vulgärlat. Schreibung das Corpus inscript. lat. 8, 1111) und nicht durch gs dargestellt hätte.

Ob man dann aber vielleicht an nachlässigkeit des Stein- metzen glauben dürfte, der, als er ein Pingiso einzumeisseln hatte, das / vor s ausliess? Dies für möglich zu halten, ver- bietet die Inschrift der südlich vom Hadrianswall, in Brougham Castle (also nicht weit von der fundsteile des Borcovicium-altars) aufgefundenen altars, die Hübner zuletzt (s. Westdeutsche zs. 3, 124) als Deo Belatucadro (wegen dieses keltischen namens des Mars vgl. Glück, Kelt. namen bei Caesar s. 6) a muro sivi (oder) Tustingso etc. entzifferte, und die, wenn auch ihre ver- witterten Schriftzüge keine absolut zuverlässige fixierung des inhalts gestatten, doch keineswegs zur lesung von vor -so stehendem i berechtigt.

Nicht die geringste Schwierigkeit macht uns im gegenteil eine lesart Thincso. Aus mnl. dijs{s)endach, dJcendach (mit c zur darstellung von gedehnter stimmloser sibilans, wie z. b. in bloecem = Uoesseni, 'liijcele = liijssele, vgl. wegen des ersten belegs Mnl. wb. i. v., wegen des andern Rijmkron. v. Viaenderen

140

VAN HELTEN

6551. 6761. 7027. 7581. 9317) und dinxenäacli ^dienstag' (s. wegen der belege Mnl. wb. 2, 209) ergibt sich die ehemalige existenz von zwei zur bezeidmung von ^Tiwaz oder -oz ver- wanten formen, von *Pingisö (wozu der gen. ^Pingisen oder -isin, der durch die Avirkung von Sievers' sjiikopegesetz Pincsen- oder -in = mnl. dinxen- ergab) und von durch binde- vocalloses suffix gebildetem *PinJisö (wozu *I>in]isen oder -sin, woraus "^Plhsen oder -in, dem durch das westnfrk. gesetz der assimilierung von hs zu ss mnl. dijssen- etc. entspricht). Solches *PtnJisö nun konnte der römische Steinmetz durch Thincso darstellen: das th als notbehelf zur bezeichnung von dentaler stimmloser spirans (wie in Tacitus' Nerthus, Germ. 40, Greg. Turonensis' Thoringiam 2,9 und den Beitr. 25,457 er- wähnten tlmnginus, Thcodcgisilus etc.); n zur bezeichnung des nasalelements, das, wie aus ags. afries. und dialektisch-mnl. ü aus q (in ags. fön, hon, dohte, hröhte etc., afries. hr ächte, [e]brocht, thugte, thochta memoria, mnl. dochte, gedacht, hrochte, hrocht neben dachte etc.) hervorgeht, sich verhältnismässig lange muss behauptet haben und erst einzeldialektisch schwand; i) c eben- falls als notbehelf zur bezeichnung der im lat. fehlenden stimm- losen Spirans (man beachte die lautsubstition x bez. et für hs bez. ht bei der widergabe von germ. Wörtern durch lat. autoren oder bei entlehnung derselben in roman. sprachen und vgl. hierzu das Zs. fda. 9, 246, bei Mackel, Die germ. elemente in der franz. spräche s. 137 und Beitr. 25, 275. 460 bemerkte, sowie die im Grundr. f. germ. phil. 12, 332 aus lat. Schriftstellern citierten taxonina adeps 'dachsfett', taxo 'dachs').

^) Vgl. auch Streitbergs Urgerm. gramm. § 93. Gegen dieses ö kann das in Tacitus' Annales 11, 16. 17 überlieferte Actunicro mit actu- = ags. 6ht- in Öhthcre (?) (vgl. Bremer, Zs. fdph. 22, 251) nicht als beweis für im l.jh. n. Ch. stattgefundenen schwund des nasalelements avif kommen; denn vorausgesetzt dass die Überlieferung in der tat Tacitus' Schreibung des namens repräsentiere (vgl. in Nipperdejs ausgäbe dieses autors die note zu Actumero: 'Der name ist unsicher, da die hs. c. 17 Catumero hat und bei StraboS, 4 steht OvxQOfaj(joi- rjytfiörog Xätnor, welches derselbe zu sein scheint'), so dürfte hier wol ein fall einer völlig begreiflichen uichtschreibung des nasalelements vorliegen. Bremers bemerkuug, dass die Römer, die in ihrem m^sa den nasalvocal durch en widergaben, wenn damals noch nasal- vocal gesprochen wäre, Anetumerus geschrieben- hätten, kann nicht für einwandfrei gelten : die auf historisclier basis beruhende darstellung von f s durch ens bedingt doch keineswegs die darstellung von fremdem q,h durch anc.

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Die so für den Borcovicium-altar zu fixierende lesart Thincso gewährt keinen schwachen grund dazu, für das von Hübner aus dem oben erwähnten, in Brougham Castle auf- gefundenen altar herausgelesene -tingso als die eigentliche lesart -tincso zu vermuten.

Nach Scherer (Sitzungsber. s. 574 ff.) und Weinhold (Zs. fdph. 21, 4 f.) wäre ihr 3Iars Thingsus unter anknüpf ung an lango- bard. tliinx^) als 'gott der Volksversammlung' bez. als 'gerichts- gott' zu fassen. Indessen abgesehen davon, dass sich von einer sich auf die Volksversammlung oder die gerichtssitzung be- ziehenden function des *Tiwas oder -os keine spur findet,^) wäre es nach Kauffmanns benierkung (Beitr. 16, 207) schwer zu be- greifen, was die fiiesischen cavalleristen am Hadrianswall (lies die in dem cuneus Frisioriim stehenden Tuihanti, d. h. Soldaten aus TAvente) dazu veranlasst haben könnte, dem 'Präsidenten' des im thmg versammelten Volkes, ihrem volksversammlungs- gott oder ihrem gerichtsgott einen dankaltar zu errichten, '■*) Siebs setzt (Zs. fdph. 24, 454) ein mit got. peihs 'zeit' in Zu- sammenhang stehendes Thing oder Thing{i)so an, das in der bedeutung 'gott der zeit' eine benennung des himmelsgottes repräsentieren sollte, bleibt uns jedoch eine sachliche begrün- dung dieser annähme schuldig; aus den spuren aber, welche der nordische mythus von Tyr und Fenrir und die erzählung von des gottes fahrt zu Hymir von dem einstmaligen himmels- gott *Ttwo^ oder *I)nvo^ aufweisen (vgl. Zs. fdph. 21, 1 und Pauls Grundr. 32, 316 f.), ist schwerlich für die nordische mythologie, geschweige denn für die der südlicheren Germanen auf eine noch in der für die forschung zugängliche periode erhaltene Verehrung von *Tuva^ oder -oz als himmelsgott zu schliessen. Einleuchtender erscheint beim ersten blick in sachlicher hin- sieht Hirschfelds und Kauffmanns fassung von 3fars Thingsus

>) S. unten den excurs I.

2) Aus dem vom heerwesen handelnden cai). 7 der Germania ist dem Zusammenhang- gemäss nur auf eine von den priestern im namen des kriegs- gottes ausgeübte militärische gerichtsbarkeit zu schliessen: et ditces exemplo potius quam imperio ; siprompti, si conspicui, si ante aciem agant, admiratione praesimt. Ceterum neque anmadvertere neque vincire, ne verberare quidem nisi sacerdotibus permissum: non quasi in poenam nee dncis iussu, sed velut deo imperante, quem adesse bellautibus credunt

*) S. unten den excurs II.

142 VAN HELTEN

oder besser T/M"ncsH.s (s. oben) als 'sclmtzgott des cuneus', dem die cives Tuihanti nach dem vorbild rein römischer dedicationen an den Genius legionis, Genius centuriae, Genius coliortis etc. ihre votivaltäre gewidmet hätten (vgl. Westd. zs, f. gesch. ii. kunst 8, 137 anm. 49. Beitr. 16, 207. 209). Doch regen sich hier die folgenden bedenken: erstens ist die annähme von mit got. l)eihs im ablautsverhältnis stehendem Jyings oder ev. von dem got. wort formell entsprechendem J)tnlis (s. oben), dem mit rück- sicht anf die identität zwischen ding- nnd heerverband eine aus 'Volksversammlung' entwickelte bedeutung cuneus beizu- messen wäre, und von aus solchem ])V^}is gefolgertem Mars Thincsus = Genius cunei zu problematisch;') zweitens würden die nicht den cuneus Frisioriim bildenden, sondern nur dem- selben zugeteilten dedicanten wol nicht eine eventuell dem ganzen cuneus obliegende religionspflicht übernommen haben; und drittens ist es wenig glaubhaft, dass ein eigentlich 'mit dem ctineus in Verbindung stehend' bedeutendes adjectiv sich zu einer für den gott verwanten selbständigen benennung emporgeschwungen hätte, die in den gegenden, wo *Jjingisen{e)^ bez. *Jnnhsen(e)s da^oz als widergabe von dies Martis auf- gekommen, den alten namen Tlwaz verdrängt hatte.

Am einfachsten würde sich jedenfalls auch mit rück sieht auf den Charakter der dedicanten unsere frage lösen, wenn für ""Pi^lisö bez. *Pingisö (vgl. oben) eine bedeutung

1) In betreff des auch sonstwo in beziehung zu Thincso, thinx und piiifi erwälmten got. peihs (s. noch Cosijn, Mededeelingen der k. akad. von wetenschappeu, afd. letterk. 3, 2, 114. Heinzel, Wiener sitz.-ber. phil.-hist. cl. 119, 52. Siebs, Zs. fdph. 24, 453) sei im vorbeigehen bemerkt: erstens dass der Zusammenhang eines 'zeit' bezeichnenden nomens mit 'rechtsstreit, klage, gerichtliches verfahren, rechtssitzung, Volksversammlung' u.s.w. bedeutenden Wörtern sich in semantischer hinsieht kaum begreift; zweitens dass got. fieihs nicht im allgemeinen 'zeit' bedeutete, sondern als ausdruck für 'die geeignete' bez. 'die für etwas bestimmte zeit' begegnet (vgl. Rom. 13, 11 jah pata tvitandans pata peihs, paiei viEl ist uns ju ns slepa urreisan = xcd ro^TO eiSoztg ror xaiQov, ozi w(jcc rj^aq tjöij fc VTirov ey£(Jx)-fjfcci; und 1. Thessal. 5, 1. 2 Appan U pcilisu jah mEla, hrdprjus, ni puurhum ei izivis mdjcmna; unte silhcuts (ßaytjicö witup putei dags frmijiiin swe piuhs in naht swa qimip = Il£()l dh zuir ■/j)6riüv xal xwv xatttöir, udthpoi, UV XQeluv txers vfxtv y()ä(pta&ai. avxol /«(> äxiJißwi^ ol'dcae ort tj/-tt-ij(c xv(jiov ujg xXtTiTijg iv vvxxl ovxwq l'()'/£xai) und als solcher etymologisch zu lit. xwi-tihti 'passen' zu stellen ist.

UEBER MARTI THINCSO ETC. 143

'krieger' glaubliaft zu machen wäre. Und dies ersclieint mir in der tat möglich : zwar nicht durch berufung von dat du neo dana halt dinc ni gcleitos mit sus sippan man (Hildebr. 81), wo divic 'rechtsstreit' nach Scherer (Sitzungsber. d. Berl. akad. 1884, s. 575) durch Übertragung für 'kämpf stehen könnte, sondern durcli heranziehung von etjanologisch niclit von Inmj etc. zu trennenden aslov. tqza lis, rixa, onus (eig. 'das zur an- strengung nötigende'), t^gati rixari, t^gü labor, t§zaM agricola, t^mteli agricola, operarius, t^rMi opus facere etc., die für die Wörtersippe auf semantisch zu gründe liegendes 'sich an- strengen' bez. 'anstrengung' hinweisen (vgl. ahd. filz opera und contentio, dissensio), mit rücksicht worauf nach ahd. ags. ivinnan 'sich anstrengen' und 'kämpfen', mli^.hrieg 'anstrengung' und 'kämpf für die derivata ""Imlis (mit suffix -5, wie die zu der -tt-klasse übergetretenen neutra ahd. falis, sahs, ags. feax, seax, meox etc.; oder "^Jmhso mit suffix -so, wie das masc. ahd. lefs? wegen der geschlechtlich niclit zu fixierenden, mit -s oder -50 gebildeten verbalia *tehs, *tahs 'diebstahl' vgl. Beitr. 25, 575), und *Jnngiso (mit suffix -iso, wie wie langob. tJdnx, s. oben s. 138 anm. 2) eine bedeutung 'kämpf anzusetzen wäre; dazu als schwache secundärbildung (vgl. got. spilla 'verkündiger', staua 'richter' zu 5p?7Z 'fabel' und 'Verkündigung',') staita'ur- teir, ags. steora 'Steuermann' zu steor 'Steuer') "^Jni^hsü und '*])ingisö 'kämpfer'.^)

1) Diese bedeutung anzusetzen nach spillön 'verkündigen'.

*) Als Varianten der (oben s. 139 aufgeführten) zu diesen götternamen stehenden chjs(ii)en-, dlnxemladi begegnen in mnl. quellen noch (wegen der belege s. Mnl. wb. a. a. o.) : tlinsen-, dinccmlach durch compromiss aus dinxeu- und dijsseu- (dlcen-) dach; disensdach durch einwirkung von woedens- in woedensdach 'mittwoch'; dinx- und dtjsdach mit dmx-, dijs- durch an- lehnung an maen-, sondach (neben manen-, Sonnendach; Synkope durch die Wirkung vom mnl. gesetz, das ausfall von -e-, d. h. -a-, zwischen gleichen dentalen erforderte) oder aus compositionsstamra *p/ngisa-, *pi"]isa- (vgl. ahd. mänatay). Beachte noch bei Kiliaen verzeichnetes dijsnen-, d'iscndagh (die form ist nach De Bo's Idiot, noch jetzt in Westflandern in schwang); dingsdayh (= im jetzigen nul. üblichem, als divsdach gesprochenem namen) mit divs- aus dinx- durch synkope von zwischen nasal und s sehendem Je (vgl. bei Kiliaen verzeichnetes pingslerdagh, nnl. piustcren aus liinlcstereyi, das noch als historische Schreibung erhalten geblieben, sowie bei Kil. er- wähntes und auch nnl. a)igst, d.h. aust, für mnl. aitxt); dijmdagh (eine noch jetzt dialektisch, u. a. in der provinz Gelderland gesprochene form mit

144 VAN HELTEN

Wie aber erklärt sich die Verwendung von Thincso als dativ in der Inschrift? Es liegt auf der hand, dass der römische Steinmetz, wenn er aus dem mund des oder der germ. dedicanten den namen des göttlichen wesens, dem die mdmung galt, im nom. oder im dat. hörte, das sufflx der einen oder der anderen form, falls dasselbe einer in der Inschrift zu verwen- denden dativendung gleich oder ähnlich war, ganz oder nahezu ungeändert (d. h. nur nach bedarf umgebildet) in den lat. text eintrug. So findet sich auf einem im oberen Ahrtale ge- fundenen altare (s. Bonner jahrb. des Vereins von altertums- freunden im Eheini. 53, 172) zu Mercurio (vgl. Zs. f da. 35, 208) ein germ. dat. Hannini (zu ^Hannjö, wahrscheinlich = 'todes- gott', vgl. Siebs in Zs. fdph. 24, 146 ff.). So haben die Neha- lennia-votivsteine als dativ entweder Nelialen{n)iae bez. -e = germ. *Nehcden{n)iea oder (seltener) Ne}ialen{n)i (s. die von Kauf f mann in den Beitr. 16, 211 f. zusammengestellten In- schriften) = dem nom. auf altes -eni oder -enni (mit nn aus den fiectierten casus). Eine genaue parallele aber zu diesem Nehalcn{n)i gewährt unser Thincso sowie auch das nach dem oben (s. 139) erörterten, auf dem altar von Brougham Castle zu lesende Tustincso, für dessen t = germ. Jj man Tacitus' Caiunlda (Ann. 2, 62. 63) mit Catu- = (ags. headu-, ahd. Haclu-), die bei lat. Schriftstellern begegnenden, auf germ, *J)ahso (= ahd. dahs) hinweisenden taxo, taxonina adeps (s. oben s. 140) ver- gleiche, dessen Tus- aber Schwierigkeit bereitet: die fassung von Tus als durch Omission entstandener lesart für Tius (die in den Sitzungsber. der Berl. akad. 1884, s. 575 für nicht un- denkbar gehaltene latinisierung von Tjus zu Tus ist a limine abzulehnen) bedingt die annähme von (allerdings an sich nicht unbegreiflichem) misverständnis des Steinmetzen, der Tius mit

durch das ^j■-zeicllen dargestelltem, aus i entwickeltem diphthong a^i); durch compromiss von dijs- und dins- (mit durch einwirkung von s für v ein- getretenem dentalen nasal; die form dins- gilt noch jetzt im nnl. neben divs-). Sodann auch in Schiller -Lübbens wb. erwähntes dingsedaghes mit dingse- aus *pingi.sa- und die in Schmellers wb.'-* 2, 1071 aus dem 13. jh. an- gehörenden Urkunden des Berliner archivs citierten di)is{c)-, dincedagh, dijsdach. Rätselhaft ist mir das -t- in bei Schmeller begegnenden daist-, dingstdag, bei Schiller-Lübben stehendem dingstage (das wol als Schreibung für dingst-dage zu gelten hat) und von Kiliaen i. v. dingsdagh verzeich- netem dijsldagh. Auch dynschedach (bei Sch.-Lübb.) ist mir unklar.

UEBER MARTI THINCSO ETC. 145

dessen appositum für ein wert gehalten hätte, und von (mit der erfahnmg im widersprach stehendem) in zweisilbiger form vor cons. im nrwestgerm. stattgefundenem vocalschwund; läge es hier aber nicht nahe, in Tus- ein (mit t für J) stehendes) JrUs- zu erblicken, das sieh dem unverkennbar in an. Jmshund, -ImndraÖ 'tausend' (d.h. 'grosses hundert') zu tage tretenden compositionsteil Jms- 'gross-' vergliche (beachte dazu Beitr. 13, 327 f. und Pauls Grundr. 1-, 491), und also aus Tustincso zu erschliessendes '"''Pusjni^liso als 'grosser krieger' zu deuten?

Durch die gebotene Zurückweisung von *Tüccu oder -os als 'volksversammlungs-, gerichts-, himmels- und schutzgott' kommt die (übrigens zum teil auch in formeller hinsieht zu beanstan- dende) deutung in wegfall von seinen zwei (auf den beiden Borcovicium-altären erwähnten) begleiterinnen Alaesiagis (Alai- siagis) Bede et Fimmüene (diese beiden namen stehen bekannt- lich nur auf dem einen der altäre, der auch Marti Thincso statt des in der anderen Inschrift einfach als Marti erseheinen- den götternamens bietet) als 'den allgeehrten, gebot und ge- schickte ausführung' (s. Sitzungsber. d. Berl. akad. 1884, s. 579 f.), 'den schrecken der erle (d. h. stürm, blitzfeuer), Mora et Festi- •natio' oder 'der für das bodthing und der für das fimelthing als schützerin des friedens tätigen göttin' (s. Westd. zs. 3, 292 f. und Sitzungsber. der Wiener akad. phil.-hist. cl. 119, 51 ff.), 'den gesetzessprecherinnen, der zum ding fordernden und der durch belehrung Streitsachen zum endlichen austrag bringenden' (s. Zs. fdph. 21, 12 ff.), 'den gewaltig einherfahrenden göttinnen, der schreckenden Bed und der stürmenden Fimmila' (s. Zs. fdph. 24, 441 ff.), 'den hilfreichen, der helfenden trösterin und der eile (mit der die ersehnte hilfe erwartet wird)' (s. Beitr. IG, 201 ff.); vgl. auch noch Hennings alaisiagis 'den lehrenden' (Zs. fda. 42, 19:5). Vielmehr sind als die gefolgschaft des kriegsgottes bildend personificierte abstracta nach art voi) Aü^ioq und <Pößoc, Favor und Fallur, genossen des 'Ji()7]ci bez. Mars (vgl. Grinnn, Mytli.2 s. 188 und Myth. 1^, 172) zu erwarten. Und ich möchte demnach vorschlagen, für JBedc an das von Siebs (Zs. fdph. 24, 448 f.) behufs seiner 'schreckenden Bed' berufene iindurhä- doda = 'durch schrecken niedergestreckt' (Hei. 4851 uurthun, nämlich die Juden, die Jesus gefangen nehmen wollten, als dieser sich zu erkennen gab, undarhädoda, ihat sia undar

Beiträge zur guschichte der deulsciien spräche. XXVII. ^Q

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hac fellun) anzuknüpfen, das, wie aus undar- zu folgern, eigent- lich als kämpf esausdruck für 'durch einflössen von schrecken besiegen' verwant sein niuss; also *Bciedu, wozu als dat. ^Bäedm, latinisiert Bede (vgl. auch die nach Zimmers in der Zs. fdph. 24, 449 erwähnter mitteilung mit imderhädoda ver- wanten altir. hüadraim turbare und hi'iadach 'siegreich').

Als die colleg-in dieser 'schrecken erregenden göttin' aber wäre die personification von 'gewantheit' (= 'die kriegsgewant- heit verleihende') am platz, deren bezeichnung durch Fimmi- lenie sich m. e. folgenderweise plausibel machen lässt (ich sage Fimmilenie mit -ie, nicht mit -e, wie bisher gelesen wurde: der Photographie der Inschrift zufolge steht hier nach Fimmile- nicht die einfache, durch Verwendung eines Striches für den zweiten verticalschaft des n- und den verticalschaft des e- Zeichens gebildete ligatur, sondern es findet sich noch ein den oberen horizontalstrich des c-zeichens nach links gleichsam fortsetzender, den verticalschaft des n- (und c) Zeichens über- ragender kurzer strich, der sonst bei den e- zeichen nicht be- gegnet und in dem man versucht ist, einen durch versehen statt des über dem zweiten verticalstrich des w-zeichens stehen sollenden kurzen «-Zeichens gemeisselten horizontalstrich zu erblicken; Avegen eines solchen w-zeichens mit darüber stehen- dem i vgl. die in nummer 36 und. 441 von Brambachs Rheini- schen Inschriften begegnende darstellung von ni): mit rücksicht auf das bereits von Scherer (Sitzungsber. der Berl. akad. 1884, s. 579) behufs seiner Fimilö 'geschickte ausführung' heran- gezogene an. fimr 'geschickt, behend' (vgl. auch in den Malb. gll. erscheinendes, Beitr. 25, 298 besprochenes fimlch 'gewant, gelernt') wäre eine adjectivbildung (nach art von ahd. fesil 'fruchtbar', chragü 'schwatzhaft', durhü 'durchlöchert', vgl. Kluge, Nom. stammbild. § 190) fimiloz 'gewant' anzusetzen {fim- und fimil- zu einer verbalwurzel fmi gehörend; wegen des mm für m vgl. Sitzungsber. der Berl. akad. 1884, s. 579 f. und beachte auch die Beitr. 25, 247 betonte nachlässigkeit der vulgärlat. Schreibung von einfachem und doppeltem cons.); dazu ein mit suffix -m, flect. -n{n)j- gebildetes ab str actum, das sich vergleicht mit as. tvöstun und tvusiunnia 'wüste' (aus *wUstuni etc. zu *tcUstu-), as. fastunnia 'fasten' (aus *fastum etc. zu *fastu-), as. henginnia 'zustand des hängens' (aus Vianginl

UEBER MARTI THINCSO ETC. 147

etc. zu hanf/i-, stamm des prototypus von ahd. hengcn;^) das einfache n von -enie ist vieldeutig: die durch j erwirkte con- sonantendehnung- könnte einer jüngeren Sprachperiode an- gehören als die, woraus unsere Inschrift stammt (vgl. indessen die gewis nicht gerade jungen Nehalenniae- bez. -ewme-belege), oder das n kann durch ein Wirkung des einfachen ii des nomi- nativs für nn eingetreten sein, oder es kann durch unacht- same Schreibung für nn stehen.

Für die deutung von alai- bez. alaesiagis endlich haben Kauffmann und Sievers durch ihre erörterungen über das wort (Beitr. 16, 201 ff. und 257 ff.) den weg gebahnt; nur hat man das adjectiv nicht durch 'den hilfreichen' zu übersetzen, son- dern durch 'den kriegsehre, sieg verleihenden' (vgl. mhd. mnl. durch restrictive Verwendung des nomens für 'kriegsehre, sieg' stehendes ere).

Dass die weibliche, bekleidete und die kein symbol tragende rechte erhebende figur auf der rechten seile des einen der Borcovicium-altäre (wegen der beschreibung derselben s. Westd. zs. 3, 121, wegen ihrer nachzeichnung Archaeolog. Aeliana von 1884, X und besonders abbildung I in den Mede- deelingen der k. akad. van wetenschappen, afd. letterk. 3, 2) eine Alaisiaga darstellt, unterliegt natürlich keinem zweifei. Fraglich ist es aber, ob die auf dem halbkreisförmigen (eben- falls bei Housesteads gefundenen) relief rechts und links von Mars schwebenden, nackten (oder doch nur ein eng an-

^) Scherers, Weiiiholds, Siebs', Kauffmanns und Heinzeis ansatz von Fimilö (s. Sitz.-ber. d. Berl. ak. 188-t, s.579. Zs. fdpb. 21, 13. 2i, J48. Beitr. IG, 205 und note 4. Wiener sitz.-ber. pbil.-hist. cl. 119, 53) als durch -üo gebil- deter ableitung, wozu eine form mit -en- als flexionselemeut, hat den oben heryorgehobenen, der ligatur für ne beigegebenen strich gegen sich, der eben nicht auf eine lesart ne hinweist. Uebrigens wäre gegen die annähme von -eti- als stammabstufuiig der schwachen fem. declination einzuwenden, dass die hinsichtlich ihrer bilduiig völlig dunklen namen, nämlich der name Caterenc der gemahlin des burguudischcn forsten Gundobald (vgl. Grimms Gesch. d. d. spr. s. 491^) und IJadolena (in Fürstemanns Namenb. 1, 1145), schwerlich als Zeugnisse für solches -en- dienen können, dass aber für Hlu- denae neben Hludanae (s. Beitr. 18, 134 f.) keinesfalls ein gerra. dativ -eni bez. -ani für möglich zu halten (wie sollte der Steinmetz diese endungen in -enue, -anac unigf^bildet haben?), sondern eben im hinblick auf das mit -a- wechselnde -e- an participiale oder damit gleichstehende bildung zu denken ist.

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148 VAN HELTEN

liegendes, kurzes g-ewand tragenden), in der erhobenen recliten etwas stabälinliclies, in der herabhängenden linke einen kränz haltenden weiblichen gestalten (wegen deren beschreibung bez. nachzeichnung ich auf Westd.zs. 3, 124 f. und 5, tafel 13, Archaeologia Ael. a. a. o. und Mededeel. der k. akad. abbildung III verweise) desgleichen Älaisiagae seien. Hübner (Westd. zs. 3, 126) und Scherer (Sitz.-ber. der Berl. akad. 1884, s. 581) nehmen hier zwar Identität an; doch erblickten Mr.-. Six van Hillegom, Plej'te (s. Mededeel. der k. akad. s. 104) und Hirschfeld (Westd. zs. 5, 321 anm. 2) in den nackten figuren zwei Eroten und äussert sich Heinzel (Wiener sitz.-ber. phil.- hist. cl. 119, 54) betreffs der frage folgenderweise: 'bei den altären handelt es sich um den germanischen Mars Thincsus, bei dem relief um den römischen. Die schwebenden nackten ... gestalten rechts und links von Mars sind, wie mir die collegen Beundorf und Bormanu versichern, römische genien'. Jedenfalls empfiehlt es sich bei dieser Sachlage, aus den ge- stalten des reliefs nicht etwaige Schlüsse behufs einer deutung des Älaisiagae zu ziehen.

Excurs I.

Langobardisch (gaire-) thinx.

Ueber die bedeutung dieses Wortes und über das compo- situm gaire-, gäre-, gärithinx sei es mir gestattet, hier einen kurzen excurs zu bringen. Nach Pappenheim, der (in Gierkes Untersuchungen zur deutschen Staats- und rechtsgesch. 14, 30) die semantische Identität der beiden Wörter hervorhebt, sollen die nomina niclit nur 'rechtsgiltige Schenkung' und 'das ver- tragsmässige vermachen eines Vermögens oder eines teils des- selben', sondern auch 'Volksversammlung' bezeichnen (s. daselbst spec. s. 35. 45 ff. und 30 f. und A'gl. wegen der letzten, auch von anderen rechtsgermanisten angenommenen bedeutung die in der Zs. der Savigny-stiftung 7, 53 note 1 verzeichnete literatur). Schi'öder deutet (in der ebengenannten Zs. 7, 53 ff.) gairethinx als 'freilassung durch zuwerfen des gers', als 'erbeinsetzung durch gerreich ung' und als 'durch erhebung oder beiührung eines Speeres sj^mbolisierten übertragungsact'. Brückner über- setzt (in seiner Sprache der Langobarden s. 212. 205) thinx durch 'das ding, die auf dem ding vollzogene rechtsgiltige

UEBER MARTI THINCSO ETC. 149

handlung', bes. Schenkung' und gairethmx durch 'das öffent- liche ding, zu dem die Langobarden mit dem ger bewaffnet kamen', sowie durch 'die auf dem ding vollzogene handlung, bes. Schenkung'.

Wegen der bedeutung 'Volksversammlung', die aus Eotha- rius' Edict. c. 386 Prorsetifcm vero äisposiiionis nostrae edidvm . . . in hoc mcnihrammi scriherc iussinms, pcrtractantes et suh hoc tarnen capitnlo rcscrvantcs ... , quin etiam et per gaire- thinx secunäum ritus gcntis nostrae confirmantes, ut sit haec lex firrna et stahelis hervorgehen sollte, beachte man zu- nächst Schröders bemerkung (in gedachter Zs. 7, 53): dass erstens die auslegung von gairethinx als 'Volksversammlung' gegenüber dem Wortlaute des Ed. Roth, per gairethmx secun- äum ritus gentis nostrae confirmantes undurchführbar sei, da das erfordernis der Zustimmung der Volksversammlung unmög- lich als ritus gentis nostrae hätte bezeichnet werden können; und zweitens die worte secunäum ritus g. n. notwendig die an- wendung eines volksrechtlichen Symbols andeuten. Sodann aber vergleiche man die gleich unten anzuführende stelle, deren et per gairthinx ipsum confirmit genau mit dem per gaire- thinx confirmantes von cap. 386 übereinstimmt und so zu der folgerung nötigt, dass auch an letzterer stelle ein 'durch rechts- giltige Schenkung' bezeichnender ausdruck vorliegt: die gesetz- sammlung wird hier eben als eine vom fürsten dem volk ver- liehene Schenkung dargestellt.

Wegen der bedeutung 'rechtsgiltige vergabung' ist cap. 224 des Ed. Roth, zu beachten: Si quis servum suum ]}roprium aut ancillam suani lileros äimittere voluerit, sit licentia qualiter ei placuerit. Nam qiii fulcfree et a sc extrem cum, est haamunä, facere voluerit, sie äehit facere. Traäat eum prius in manu alteri homines liheri et per gairthinx ipsum confirmit; et ille sceonätis traäat in tertium in eoäem moäo, et tertius traäat in quartum. Et ipse quartus äucat in quadruhium et thingit in gaiäa et gisil, et sie dicat: äe quattuor vias uhi volueris amhulare, liberam habeas potestatem ... Et si sine heredes legetimüs ipse qui haamunä factus est, moriuus fuerit, curtis regia Uli succiäat, nam non patronus aut hereäes patroni ... Item qui fulcfree fecerit et quattuor vias ei äeäerit et haamunä a se, est

150 VAN HELTEN

extraneum, non fecerit, talem legem patromis cum ipso vivat, trmiquam cum frairem mit cum alio parente sno libero Lango- hardo: id est si filiüs mit filias legitimus, cpii fulcfree f actus est, non demiserit, patronus succidat. Hieraus ergibt sich, dass ZAvar für den formalisraus der vollfreilassmig (wodurch der unfreie fulcfree 'gemeinfrei' und cmiund 'von der Vormundschaft befreit' wurde) ausser der (auch für die freilassung zum fulcfree vorgeschriebeneu) führung iji quadntlium noch eine j^er gair- tliinx zu conflrmierende traditio in manu alfcri homines liberi erforderlich war, diese confirmatio per gairthinx aber, wie Pappenheim (s. 35) richtig betonte, nichts auf die freilassung als solche bezügliches enthält und nur das tradere in manu betrifft. Demgemäss ist auch in cap. 222 des nämlichen edicts Si quis ancillam suam propriam matrimoniare volucrit sihi ad uxorcm, sit ei licentiam; tamen deheat eam libera tJüngare . . . et legctimam facere per gairthinx das p. g. als ausdruck für 'durch Schenkungsformalität' zu fassen. Auffällig erscheint hierneben zwar der umstand, dass tliingare nicht nur 'vertrags- mässig vermachen', sondern auch 'freilassen' bezeichnet (s. Edict. Rothari 156. 222. 224. Liutpr. 9. 55. 77. 140); ob aber Pappenheim im rechte ist, wenn er (s. 39) meint, dass tliin- gare ursprünglich nur diejenige freilassung bezeichnete, die per thinx stattfand, in der folge aber neben dieser engeren bedeutung die weitere von 'fi-eilassen (überhaupt)' angenommen hätte, dürfte zu bezweifeln sein: bei der scharfen Unterscheidung der mit gairethinx und ohne dasselbe stattfindenden frei- lassungen, wäre es kaum denkbar, dass ein eigentlich für die erste gerichtshandlung verwanter ausdruck auch für die andere in schwang gekommen wäre. Eher begreift sich für thingare ein semantischer entwickelungsgang: 'veräussern durch rechts- giltigen act', woraus durch specialisierung der bedeutung 'frei- lassen'.

Für die erklärung der erwähnten bedeutungen des offenbar zu germ. ping gehörenden langobard. Substantivs (vgl. oben s. 138 anm. 2) und des verbs pingun (woraus thingare des lat. textes) ist natürlich von einer grundbedeutung 'rechtsstreit' bez. 'einen rechtsstreit führen' auszugehen; daraus durch be- griffliche ausdehnung 'rechtsgeschäft' bez. 'ein rechtsgeschäft vornehmen', woraus durch specielle Verwendung 'gerichtliche

UEBER MAllTI THINCSO ETC. 151

Vergabung' und S^ertragsmässiges vermachen' bez. 'veräussern durch rechtsgütigen act'.

Mit rücksicht auf die bedeutungen 'rechtsgiltige Schenkung' und 'vertragsmässiges vermachen' empfiehlt es sich wol, der bei der veräusserung üblichen formalität des in den schoss Werfens eingedenk (vgl. Schröder, Deutsche rechtsgesch.^ s. 60 note 10 und Beitr. 25, 453 ff.), für den ersten compositionsteil von gairetliinx nicht einen reflex von an. geirr, ahd. as. ger 'speer' ins äuge zu fassen, sondern ein dem stamm von ahd. gero, ags. 6«''^'j ^^^- 9'<^'^'^ 'schoss' entsprechendes gairc- (gciir-, gärt'). Gegen solche deutung spricht gewis nicht die von Schröder (Zs. der Sav.-stift. 7, 54) vermutete Identität der durch per gairthinx und in gaida et gisil der oben citierten § 224 bezeichneten Symbole: indem das tJiingit in gaida et gisil ('soll er freilassen mit den bänden auf der pfeilspitze und dem pfeil- schaft', vgl. wegen dieser ausdrücke Schröder a. a. o. s. 54 f.) sich auf die vom dritten treuhänder zu vollziehende freilassung bezieht, hat die von dem patronus und den zwei andern ti-eu- händern vorzunehmende traditio den zweck, den mit der voll- freilassung zu beglückenden zum extraneum von dem patronus, d. h. in bezug auf denselben zum cmmnd zu machen. Ausser- dem aber macht die vorgeschlagene fassung das aufstellen zweier scharfsinniger, jedoch schwach begründeter hypothesen Schröders unnötig, nämlich der annähme (s. Schröder a. a. o. s. 5), dass der festucatio oder werpitio eine gerreichung zu gründe gelegen und der Vermutung (a. a. o. s. 59), dass der könig, die Übertragung der gesetze dem volke bestätigend, sich bei dem gairetliinx beteiligt, also zugleich mit der versammelten volks- gemeinde den sper erhoben und durch die luft geschwenkt habe oder dass eine berührung seines Speeres durch die der übrigen stattgefunden.

In formeller hinsieht ist ferner aus thingare (=Jnngm, vgl. as. thingon, ahd. dingün) auf ein neben *pingis bez. Jmix stehendes (oder jedenfalls ehemals stehendes) ^J)ing zu schliessen, denn zu ''''])ingis oder Jrinx könnte nur ein verb *J)ingisun oder pinxün gehören.

152 VAN HELTEN

Exciirs II.

T u i h a n t L

Für die fixienmg- der etlmisclien Zugehörigkeit der auf den beiden Borcoviciiim-altären erwähnten Tuihanti fehlt uns jeg- licher anhält (vgl. auch Bruuner in der Zs. der Sav.-stift. 5, 227). Ueber die etymologie des Völker- und des dazu geliörenden, auch nach besiedlung des Tui]ianti-\3iT\^ts, durch die Sachsen erhalten gebliebenen gaunamens eine Vermutung.

Nach aslov. saditi judicare, s(pdij judex wäre germ. '^liantaz oder -«» (bez. -oz oder -ö«) Judicium und daraus gebildetes, sub- stantiviertes bahuvrihi - adjectiv *Ttcihnnfan (bez. -ö») 'zwei gerichtsbezirke enthaltender gau' (also eig. mit ellipse eines dem althochd. getvi, goinvl, got. gmvi entsprechendem nomens) denkbar. [Die alte Stammform des dazu gehörenden völker- namens ist aus dem latinisierten Tuilmnti nicht zu ermitteln; vgl. Tacitus' Angli, Frlsii, Chasuarii = alten Anglijez oder -Is (ags. Ensle), Fnson{e)3 (afries. Frisa), CJiasowaröz.]

Durch vocalapokope und ausfall von h (das ■wort wurde, als das simplex ausser gebrauch geraten, nicht mehr als com- positum empfunden), sowie contraction der zusammenstossenden vocale zum diphthong entstand aus *Ttvihanta jüngeres ^Ttviant, das mit locativsuffix -/') begegnet in in pago Nortlduianii (anno 797, s. Lacombl., Urkundenb. 1, n.9), in xmgo NorJittueanti (anno 799, s. Lac. 1, n. 14) mit den eo, ea (für io, ia) der as. litera- rischen denkmäler zu vergleichendem ca (d. h. fa, s, Beitr. 16, 289 und 254) und in pago Thuehenti (anfang der 2. hälfte des 9. jh.'s., s. Mon. Germ. SS. 2, 680) mit falschem Th und mit h als trennungszeichen der componenten des diphth., i'' und aus a geschwächtem «^ Aus dem diphth. contrahiertes e bez. etwa schon daraus gekürzten (im jetzigen Ttvente vorliegenden) vocal gewähren: in Ttvente (a, 1028, s. van Mieris, Charterb. v. Holl. en Zeeland 1, 63), comiiatum Turnte nuncupatum und infra Tuente (zw. 1027 und 1054, s. Muller, Cartul. van Utrecht s. 93) mit aus dem locativ in andere casus eingedrungener endung;

*) Wegen desselheii vgl. ausser Beitr. 8, 324 ff. uoch Beitr. 14, 121. 15, 487 f. und 2(], 559 (den 15, 487 verzeiclineten as. locativ Grupilimß hat Schilling übersehen, als er Beitr. 26, 559 meinte, dass die endung -/ bisher bei -rt- Stämmen ausser in Th/atmaUi und den von Althof beigebrachten -bergi nicht für das as. belegt wäre).

UEBER MARTI THINCSO ETC. 153

und mit lat. endung in Tuenta (a. 1050, s. v. d. Bergh, Oor- kondenb. v. Holl. eii Zeeland ii. 83), hona Thnenthir, per Tuen- tJiiam (a. 1291 bez. zw. 1298 1304, s. Oorkoiidenb. v. Groningen en Drente 1, 126. 140), pc>- Tventhiam, Thventye gen. (a. 1329, s. Müller, Regesta van liet bisdom Utrecht 1,224.271; wegen noch anderer belege s. Oorkb. v. Gron. en Drente 2, 482). Man vergleiche auch den parallel gebildeten naraen des nördlich A'^on Twente gelegenen gaus: in pago Thricnte vocato (a. 994 und 1025, s. Mon. Germ., Dipl. reg. 1, 143 und Muller, Cartular, V. Utrecht s. 75) mit k = die von oben citiertem Tkuehenü, de Tlirient (10. oder 11. Jh., s. Crecelius, Collectae etc. 1, 12), in pago Thrcant (a. 820, s. Lac. 1, n. 40), beides in der nominativ- form, in pago Threnie nomiuafo (a. lOOG, s. Muller, Cartul. v. Utr. s. 72), comitattim de TJirenfe (a. 1024 bez. zw. 1056 und 1062, sowie a. 1025, s. Muller, Cartul. s. 74. 97 und Oorkb. v. Gron. en Drente 1, 13), m cornitatu T{li)rente (a. 1040, s. Muller, Cartul. s. 84 und 81), infra Thrente (zw. 1027 und 1054, s. Muller, Cartul. s. 93), nostre ditioni in Thrente (a. 1046, s. Muller, Cartul. s. 89), dccano de Thrente (a. 1217, s. Oorkb. v. Gron. en Drente 1, 42), in pago ThrBnte nominato (zw. 1050 und 1062, s. Muller, .Cartul. s. 95); und mit lat. endung qin inde transiens venit Thrianta (Mon. Germ. SS. 2, 381), in, de Thrmta (a. 1200 bez. 1224, s. Oorkb. v. Gron. en Drente 1,29. 46), in cornitatu Threntia, scuUelo Threniie, per Threntiam (a. *1225 bez. 1247. 1250. 1291, s. Oorkb. V. Gron. en Drente 1, 55. 69. 72. 128), in Drcnthia, Brenthie, -tye gen., per Brenthiam (a. 1256. 1291 und 1329, s. Oorkb. V. Gron. en Dr. 1, 79. 126. 127. Muller, Eegesta v. h. bisdom Utrecht 1, 224. 281); (wegen noch anderer belege s. Oorkb. V. Gron. en Dr. 2, 442).

GRONINGEN. W. VAN HELTEN.

zu THEOBALD HOECK.

Köster bemerkt Anz. fda. 26, 288, dass von den gedichten des Schönen blumenfelds cap. 46. 47 n. a. für den g'esang, andere walirscheinlich für den spreclivortrag- gedichtet seien. Zur näheren feststellung dieses Unterschieds eignet sich die be- obachtung der bei Hock häufigen enjambements, denn ein gedieht mit enjambement von Strophe zu Strophe, wie etwa Hücks cap. 2, oder von vers zu vers, wie cap. 76, ist schlecht- liin unsangbar, und auch bei leichteren enjambements, wie z. b. 21, 23 f., hätte sich Hock, wenn er für den gesang gedichtet hätte, die Wirkung mutwillig stark beeinträchtigt. Wie sehr das Verständnis des textes von der erkenntnis des enjambements abhängt, zeigt 14, 11 ff., wo Jellinek, Zs. fdph. 32, 398 In in On ändern will, während bei richtiger interpunction Höcks text einen guten sinn gibt:

Vncl da ich wuer ein Knableiii uuer,

Verzehret ich mein Jugeudt

In fürwitz. Liehes-Tugeudt

Mich jrret nichts: vmh thet ich stieren

Mit Fischen, Voglen, andern Thiereu.

Beim gesang kann das Verständnis solcher Strophen nicht erreicht werden, das ist nur möglich bei stillem lesen oder Sprechvortrag. Dafür also werden von Höcks gedichten die bestimmt sein, die enjambements aufweisen, das sind 78 von den 92. Und von den übrigbleibenden sind wider die meisten aus inhaltlichen gründen unsangbar: cap. 4. 12. 15. 23. 33. 44. 55. 69. 73, lauter gedichte moralischer oder referierender art, die am Schlüsse meist mit einem drum eine gute lehre aus- sprechen, oder mit einem also, sivar, in summ ihren bericht zusammenfassen. So bleiben nur 7. 8. 27. 47 und 68, doch stehen auch ihrer sangbarkeit bedenken entgegen.

zu THEOBALD HOECK. 155

Wenn hier auch die einschnitte meist am ende der rhyth- mischen reihen liegen, so erfolgt doch keine regelmässige gliederung der Strophe in perioden. So läuft in cap. 7 der text ohne interpunction durch

zwischen reihe 1 und 2 in Strophe 2 und 6, 9 '^ 1

3 4 2, 3 und 4, 4 5 1

!■! 11 ^ 11 ^ 11 11 ^1

ausserdem findet sich einmal interpunction in reihe 3, dreimal in reihe 5, und zwar hier wider einmal nach der ersten hebung, zweimal nach der zweiten Senkung. Aehnlich haben cap. 8 und 27 nach allen reihen ausser nach 2 gelegentlich inter- punction, und auch in cap. 68, dessen Strophen sich im all- gemeinen in zwei gleichgebaute perioden zerlegen lassen, wird dieses princip in Strophe 5 durchbrochen. So lebendig diese wechselnde periodisierung beim Sprechvortrag wirkt, beim gesang stört sie. Dasselbe gilt in cap. 7. 8 und 27 von der repetition am ende jeder Strophe, die sich zwar, wie fast alles bei Hock, wirksam recitieren lässt, aber beim versuch, die gedichte zu singen, gegen die vorletzten reihen abfällt: am .stärksten ist der abfall für mein gefülil 7, 30 und 8, 25, also da, wo der selbständige Inhalt der letzten reihen die kraft- vollste recitation erlaubte. Und wenn man endlich über die sangbarkeit von cap. 68 urteilen will, wird man die worte iven ichs sagen soll 68, 17 nicht ganz übersehen dürfen. Mehr fällt ins gewicht, dass Hock seine gedichte nicht lieder nennt, sondern capitel, und seine Sammlung nicht liederbuch, sondern (s. 2, z. 10) TraääÜein, dass er in der vorrede und sonst immer nur von einer moralischen Wirkung seiner gedichte zu sprechen w^eiss, dass er s. 2, z. 13 und mehrfach in cap. 5 von seinen lesern spricht, endlich dass er nirgends ausser in einem falle die melodie angibt, nach der die gedichte zu singen wären. Cap. 46 hat Hock offenbar auf eine ihm bekannte melodie gedichtet, deren la la la la am Schlüsse jeder Strophe in sein gedieht übergegangen ist. Aber das enjambement zwischen str. 10 und 11 (das über den schlusstriller hinweggeht!) macht Höcks gedieht unsangbar. Darauf folgt nun als cap. 47 des neudrucks, im original aber bemerkenswert genug ohne nummer, das einzige gedieht der Sammlung, über dem wie

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sonst in den liederbüchern der zeit die melodie angegeben wird, zugleich das einzige, bei dem weder formelle noch inhalt- liche gründe die sangbarkeit ausschliessen. Dieses gedieht er- regt nnn durch seinen Inhalt schweren zweifei an seiner echt- heit. Zwar dass der dichter hier keine seiner sonstigen quellen benutzt, oder dass er 47, 11 f. in Itali&n gewesen zu sein vor- gibt, kann einen solchen zweifei nicht begründen, aber dptss Hock, der kenner Ovids, der in cap. 25 das paar Mars und Venus eingehend behandelt hat, Mars für den vater der Venus halten sollte, ist unglaubhaft. Das geschieht aber in cap. 47, dessen dichter der Venus den dienst aufsagt: Driimh ivil ich von dir fliehen, Mit deini Vatter hin ziehen, Ihm dienen in dem Krieg. Anderseits bieten reime und i'hythmik des liedes nichts, was bei Hock unmöglich wäre, mit voller «Sicherheit lässt sich also nicht behaupten, cap. 47 sei das einschiebsei eines un- befugten, der sich durch Höcks cap. 46 an das ihm etwa anderweit bekannte Volkslied erinnert fühlte. Mag aber cap. 47 echt sein oder nicht, jedenfalls nimmt es eine solche ausnahmestellung ein, dass die vorsieht geboten erscheint, beim urteil über den gesammtcharakter von Höcks dichtung von dieser zweifelhaften nummer abzusehen und den sonst glatten befund, dass Hock für den Sprech vertrag, nicht für den gesang gedichtet hat, durch sie nicht stören zu lassen. Wer es für unwahrscheinlich hält, dass gewissermassen unter den äugen des dichters ein fremdes lied in seine Sammlung geraten sein soll, vergleiche die Anz. fda. 26, 305 ausgeschie- denen Zusatzstrophen, an deren unechtheit sich doch nicht zweifeln lässt. Einzig bei cap. 11 str. 6 scheint die ausschlies- sung nicht genügend begründet, weil sie wol nur wegen der zweisilbigen Senkungen 11,30 und 11,83 vorgenommen ist; wir werden aber sehen, dass zweisilbige Senkungen Hock nichts fremdes sind.

Mit der erkenntnis, dass Hock nicht für den gesang ge- dichtet hat, erschliesst sich auch eine andere eigentümlichkeit seiner gedichte dem Verständnis. Nur wenn dem dichter nicht die melodie im obre klingt, nach der einmal das entstehende lied gesungen Averden soll, ist es möglich, dass er fehlerhafte verse baut, das ist aber Hock auffallend oft widerfahren. Die verse 6,4. 16,10.22. 44,30. 57,33. 80,3.15. 89,15 haben so,

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wie sie dastehen, einen fuss zu viel, 5,26. 67,35. 92,35 einen fuss zu wenig-, dem ersten verse von cap. 30. 41. 46 und 68 fehlt der auftakt, 6, 8 hat gar zwei füsse zu viel. Der drucker kann diese fehler nicht verschulden, sondern der dichter selbst, der, abgesehen davon, dass er seine gedichte in unfertigem zustand dem druck übergeben hat, damit verrät, dass er mit dem äuge für das äuge gedichtet hat. Man hilft dem dichter nach, nicht einer fehlerhaften Überlieferung, wenn man diese metrischen fehler wegconjiciert, ebenso wenn man etv/a nach 27,8 Der ChristcnJicit einschiebt, nd.ch. 4S, 18 Vernunft vnd Ehr vermugend, nach 45, 28 Klug Heden fürn Vnd Bäsonniern, nach 57, 18 Lust vnd Begirden. Zudem wäre die mehrzahl der derart fehlerhaften verse 'nur mit unerlaubter willkür einzurenken' (Anz. fda. 26, 303). Mit mehreren dieser verse sucht sich Köster auf eine unphonetische art abzufinden, er schlägt Anz. fda. 26, 298 vor, 16, 22 v' schmachten, 57, 33 v'stehen zu lesen. Diese kürzung mit BÄbendts 58, 8 zu vergleichen, gienge auch dann nicht an, wenn hier bis und nicht wie 6,25 bei contrahiert wäre. Ein ausfall des r an dieser stelle ist weder aus Hock noch sonst zu belegen, und wenn man vrschmächten schreibt, bleibt das wort doch dreisilbig, so gut wie es dreisilbig bliebe, wenn man vrschmächtn schriebe. Ebenso bleiben die reime 12, 6 f. und 38,34. 36 klingend, auch wenn man sie mit Anz. fda. 26, 295 Schaidn : erlaidn, Gnadn : schadn schreibt. Ein metrischer fehler ist aber in der Verwendung dieser reime nach Beitr. 13, 134 nicht zu sehen.

Köster gebraucht dasselbe auskunftsmittel auch zu dem zwecke, die im texte des Blumenfelds nicht seltenen zwei- silbigen Senkungen zu beseitigen. Er liest z. b. 3,63 Wers nit mag leydn der küfs cucJis punt, 6, 11 Aufsstehn bifshcr vnd auch geduldn hab mihsen. Die Senkungen bleiben natürlich zwei- silbig, ebenso der auftakt 3, 24 Muster aufs euch, schneidn zu jhrm Zeug, oder 11,30 Abr tausent Lust vnd Freivden. Auch verse wie 3, 18 Scidn auff euch tvinden nach der art, 4, 23 Das böfs entgegen erlcydn nit auch, 33, 20 Auch gwinnen vnd nicht verlieren, die ja schematisch ohne zweisilbige Senkung gelesen werden könnten, wird man nicht im ernst so lesen Avollen. Da aber somit Hock sichere zweisilbige Senkungen hat, darf man nicht correcturen vornehmen, bloss um solche zu beseitigen,

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also lüclit 6,80 der, 11,2 dem, 11,31 mtr, 11,38 cim, 19,8 auch, 45, 36 vnd, 75, 63 da streichen. Im g-egenteil fordert der sinn, an einigen stellen gegen den text zweisilbige Senkungen oder auf takte zu schaffen, nämlich 38,9 Wo Lieh recht ist Calid vnd Standhafft statt V'Lieh (vgl. tvo lieh nit ist mit trewen schein, da thut die lieh misUngen Ambraser liederbuch 181, 13 f.), 15, 10 Gleichen nachtheil er thut gehen st. Gleich, 16, 10 Dafs wir das ewig vmh das seitlich niöcJiten enverhen st. iverhen, 87, 34 f. An Schildt setztn oder in Helm, Liefsn au ff dem Bein hin schivimmen st. seist, Liefs, wol auch 3, 63 Wers nit mag leyden der Idifs euchn imnt (denn hund ist bair. masc, vgl. Zs. fdph. 32, 398), 16,11 Da sein wir aher Christen nur miim. Munde st. mit Munde. So ergibt sich ein minimum von 86 zweisilbigen Senkungen und auf takten, davon fallen 13 auf die ersten sechs, 18 auf die letzten sieben gedichte Höcks. Auf- fallendes ist an diesem befund durchaus nichts, denn Hock hat ja nicht für den gesang gedichtet, und so konnten ihm die zweisilbigen Senkungen und auftakte praktisch gar nicht im wege sein. Im gegenteil wäre es befremdend, wenn gerade ein solcher dichter 'zu den ersten gehörte, die am ende des 16. jh.'s für strophische gedichte reine Jamben anwenden möchten' (Anz. fda. 26, 303, vgl. Zs. fdph. 32, 401). Endlich darf man auch nicht ausser betracht lassen, dass Hock in seiner weise zweisilbige Senkungen theoretisch gelten lässt, wenn er 19, 36 f. vom deutschen dichter verlangt: Man viufs die Pcdes gleich so wol scandiren. Den Dactilum vnd auch Spondeum rieren. Angesichts dieser stelle ist es unwahrscheinlich, dass Hock zweisilbige Senkungen hat meiden wollen, wenn er es aber gewollt hat, ist es ihm mislungen wie manchem vor ihm, ein novum bieten seine verse in diesem punkte keinesfalls.

Die folgenden knappen bemerkungen gehen nicht darauf aus, neue quellen von Höcks gedickten nachzuweisen in dieser hinsieht würde die lateinische lyrik der zeit noch viel ausbeute gewähren sondern sie wollen das Verständnis des textes fördern und die zahl der unverständlichen stellen ver- ringern.

S. 2, z. 12 doch in genere steht parenthetisch: ohne jemand bestimmten treffen zu wollen: vgl. cap. 38 Überschrift: in gemein rede ich. 2, 14 lies entscheidnus st. entscheidens. cap. 1,

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V. 8. 2, 16 ff. 44, 2 weisen auf frühere dichtungen Höcks hin, die nach 1, 8 auch veröffentlicht wurden, nach 4, 7. 5, 58 viel- leicht nicht in deutscher spräche ahgefasst waren. 1,30 Also ivurt er iviczig mit seinem schaden Sachs, Fabeln 3, 62, 43.

1,41 Nimmer than ist die beste Sit fs! Sachs, Fastn. 57, 383.

2, 14 Biiel ist vielleicht 'g-ehuhle'. 2, 53 man könnte an die lesung- Ihcit st. Mert denken, wenn nicht Höcks mundart ein leeren = 'plagen' kennte: Sachs, Fabeln 67,196. 3,171,9. Fastn. 36,266. 37,210. 45,319. 46,283. Der sinn ist also: das gesetz plagt den nicht, der fromm ist, die katze fängt nur die maus (der moralist nur den sünder), nur der nichts- würdige tadelt alles. 2, 58 1. ronn st. vom. 3, 3 durch die ungeschickte Wortstellung ist der sinn verdunkelt, gemeint ist: so lasst euch gleich einen pass schreiben. Das ganze ge- dieht ist der pass, der nach Landes brauch die künftige reise vorzeichnet, ziehet 3, 8 ist passez. Die erste hälfte des ge- dichtes hat ähnlichkeit mit Lauremberg, Scherzgedichte, be- schluss V. 91—102. Zur idee des passes für bücher vgl. Schade, Satiren 1^, 151. 3,36 1. gschorne Clerisey st. geschicorne.

3, 56 Hey ich will drumb nicht sterben, dann ich bin der ders andern thut: Wir sind Clirisamskinder : vns rMirt kein Schinder Garg. 323 (1582). 4, 4 ebenso sicher, wie gras zu heu wird, gefällt dir das nicht. 4, 18 ist Ja gegen Kochs Je beizu- behalten. — 4,23 erleyden bedeutet ^'erleiden'. Wie die stelle Anz. fda. 26, 299 anfgefasst wird, gibt sie keine klare antithese.

4, 55 schiveig du st. schweigstu. 5, 5 es kann schliesslich aus allem gutes folgen, vgl. 85, 48 f. jenem st. jedem kann ich für keine besserung halten. 5, 43 ff. die beziehung zu Garg. 6 (1582) hat schon Hauffen, Euph. 7, 821 bemerkt. 5, 56 Bas auch die Teutsche sprach süsiglich wie Griechische springe Garg. 54. 6, 15 Wolt Gott, ich tver bey Schaff vnd Bindt Erzogen, als ein Hirten Jcindt, Oder baldt ividcr alles hoffn In meinem ersten Bad ersoffn Barth. Riugwalt, Eckart J la (1590).

6, 43 enthält vielleicht eine anspielung an die historia von Christoffel und Feronica, wie sie Schumann im Nachtbüchlein no. 22 erzählt. Anklänge an diese geschichte bietet auch 6,27: und fiel Cupido mit einem pfeyl auff ihn, auch Venus mit ihrem strich und liebe, das er gantz taub und gleich mat ivard Naclitb. 80, 4 und 15,38: Es ist wol ivar, tvann einer kein gelt hat, so

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ist er veracht von iveih und hinden, freunden und fe'mden unnd müfs Jimder der tliür sitzen, da er sunst, ivann er gelt het, miifst oben an tisch sitzen 146, 21. Nach 5, 27 kennt ja Hock das Nachtbüclilein. 7, 19 1. niclit st. ich. 8, 1 Nun hin ich ein- mahl frey Von Liehes Banden . . . Kein Traivren ist hey mir nicht mehr vorhanden Venusgärtlein no. 30, vgl. no. 68. 9, 13 hör ist der parenthetisch gesetzte imperativ, die interpunction nach 3Ieer ist zu streichen, dagegen nach Segel punkt zu setzen. Ring bedeutet bei Hock 14, 21. 7(3, 27 (ebenso z. b. Sachs, Fastn. 40,32) leicht, sorglos, Tegel ist seine form für 'tiegel' (vgl. Sachs, Fabeln 65, 261) und wird hier 'glückshafen' bedeuten. Der sinn der stelle ist also, dass wir das leben leichtherzig aufs spiel setzen. 11,32 \. gleieJivil st. gleichu-ol. 12,1 tra sie mich hctten lassen bleihen, als ich hin, teeren sie des vnd anders mer von mir vertragen hlihen. Murner, Luth. narr hg. von Kurz 4. Las jdern hleihen teer er ist Eingwalt, Eckart 0 3b. 13, 13 1. Netz st. Nöst? 13,28 nach mcim hrauch 'wie mirs ergangen ist', 13,38 Der nit einr ürten hcytten mag, Der ist ein schlächtcr tvirt, fürwar Manuel, "W'einspiel V. 1296 f. Äin schlechter wirdt, der gehaissen ivirdt, so nicht ain Zöch mag x)orgen Jaufuer liederbuch 11 (Neue Heidel- berger Jahrbücher 3, 275). Es mufs auch sein ein höser Wirth, der eins nicht borgen Imn, es Minpt noch ivohl ein gleicher Fall, dafs ich jhm tvol bezahlen Jean, ich weifs ivol meinen Mann Venusgärtlein no. 114. Es ist auch ein schlechter 3Iann, der kein Stibchen borgen Jean, hifs zum andern Morgen 136 (aus Grefflinger, Seladons weltliche lieder, Frankfurt 1651).

14, 18 1. solt St. wolt. 14, 26 Jiäll, mhd. Jimle 'glatt'. 14, 45 1. leicJiter st. leyder. Leyden, wie Anz. fda. 26, 300 vor- geschlagen wird, steht als Verstärkung nur beim uomen, nicht beim verbum. 14,58 1. Jier st. EJir. 15,35 Jdinget ist 'gelingt'. 15,55 als das VolJc tvirt, also tvirt der priester Lotzer, Sendbrief (1523) B 2 a. 16,34 du kannst zw^ar alt werden, aber nicht ewig leben, dagegen ist das ewige leben im jenseits ohne ende, etvig ist gar ein langer Jcaitf Uhland, Volkslieder no. 353. 16, 52 2^ecJcen 'schlagen' Schmeller 1, 202.

17, 34 jeder Mansch ist fast des andern Teuffei, off't meJir als der Teuffei Selbsten, Homo Jiomini lupus. Homo Jiomini diaholus Moscherosch, Gesichte ed. Bobertag 28. 17,37 1.

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Freundschafft st. Freund 17, 45 die zusatzstroplie leitet zu cap. 18 über. 17,45 gibt noch einmal die lehre von cap. 17: nur so lange man noch nicht ins wasser gefallen ist, ist vorsieht etwas wert. Darauf folgt das im einzelnen unklare recept zu einem liebeszauber, an das der interpolator durch 18, 39 erinnert wurde. Zur sache vgl. Epp. obsc. vir. 2,42. 18,29 es sein vil die do gelauhen vnd sprechefi, das allcijn die hrin- nende stral der liebe sich von dem gesicht der äugen hegeben, vnd nit meynen noch sprechen ivöllcn das etlich durch hören sagen grosse liebe enpfangen haben Decameron hg', von Keller 272, 16. 19, 51 Vnd mufs ich nur bey hiesiger gelegenheit ohne scheiü dieses errinnern, das ich es für eine verlorene arbeit halte, im fall sich jemand an vnsere deutsche Poeterey machen wolle, der, nebenst dem das er ein Poete von natur sein mufs, in den griechischen vnd Latcimschen büchcrn nicht ivol durch- trieben ist Opitz, Poeterey, neudr. 19, vgl. Borinski, Poetik der renaissance 50. 19, 56 JDoch mufs ich gleichwol behennen, das auch an Verachtung der Poeterey diejenigen nicht ivenig schuldt tragen, ivelche ohn allen dancJc Poeten sein ivollen, vnd noch eines theils zum vberflufs, ebener massen ivie Julius Cesar seine kaJde glitte, sie jhre vnwissenheit vnter dem Lorbeerhrantse verdeclicn das. 12. 20, 38 1. verschtvelgen st. vber schwelgen.

21, 40 gmain ist subst., vgl. DWb. unter Gemeinde 3 d ^.

21,48 1. ^schaffen st. beschaffen. 22, 61 Zu Todt die guten Steiger fallen . . . die guten Sivimmer Ertrinclcen, ivennjr stünd- lein Iwmbt Sachs, Fastn. 8, 206 ff. Gute schivymer ersauffen gern. Gute Tilymer fallen gerne Luthers Sprichwörtersammlung 4. 5 und commentar. Die besten fechter werden erschlagen Simrock, Deutsche Sprichwörter 2314. 23, 18 Wol 'welches'. 24, 12 1. aufhern st. anfarn. 24, 21. 71, 40 Murner NB. 60. 25, 22 Wer von versagen tvil verzagen, dem mag wol nimmer lieb be- tagen Schmeller 1,593 aus Cgm. 379 f. 45, vgl. Hans -Sachs- Forschungen 367. 26, 11 tücl'c, mhd. dicJce, bair. bis ins 19. jli. belegt. 27, 2 dz Firmament, die Ellement ivuren tragen mit mier laid Jaufner liederbuch 11,5. 28,17 schcncJcen: dass man dir etwas schenkt. 28, 25 Wan wuecher guct das haf- telt nicht, Wie man pey allen ivuchrern sieht, Vnd raicht nit an den driten stamen Sachs, Fastn. 78, 273 ff. 31, 15 1. trinld St. treyt. 33, 9 1. Beichs Piäth st. Bäth liäth 33, 10 1.

Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVII W

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Klöster Bäth st. Klöster. 34, 34 hundert jar vnrecht tJion ward nie hain stund recht Lotzer, Sendbrief (1523) B 2 a. Bann unrecht thiin hundert jar Ward nie kein stunde recht fürwar Schade, Satiren 2 2, 166. 35,9 er als der eynfeltig pauer tut tJiete, der nach dem enpfangen schaden den stal züspert Deca- meron 427, 26. ir wölt erst den stall zu tliun, so die Mw hinaufs sein Scliade, Satiren 3 2, 144 (Regensburg 1524). So dw den ivilt den stal zv machen, So ist dir schon heraus die Jctv Saclis, Fabeln 153, 144 f. So schon ist aus dem stall die hve 231, 121. Jetzt so ist aufs dem Stal die Ku, Witt du den Stal erst sperren zu 369, 75 f. Sein mantel hench Er nach dem wint, E im ztvrint, Weil die Jiw ist im stalle 3, 163, 63 ff. Hoichta, Ju, Ju, den Gatter zu, das aufstieg kein Ku Garg. 125. ivas darf man das loch stopfen, tvan die hüner aufsgeflogen sind? Praktik 57. 35, 38 Des sprichworcz hab ich gleich war gnümen: So pald gen marck die narren Mimen, So losen den die kremer gelt Sachs, Fastn. 79, 253 ff. Hans-Sachs-Forschungen 360. : 37 Überschrift und 23 Sollicitiren ist Juristenwort, vgl. Drescher, Arigo 100. 38 Wann schmal vnd ring ist lieh vnd gunst Bey Blutfreunden Sachs, Fabeln 358, 54. 38, 30 1. hulden st. schulden. 38, 59 62 geben eine sapphische Strophe, Avenn man ohscuris vor nehidis einschiebt. 39,1 Sachs, Fabeln 3, 169, 11—20. 39, 7 : 10 Güttern : hefürdern, 49, 17 : 18 hefürdern : Güttern sind reine reime, da in Höcks mundart wie fast in ganz Ostmitteldeutschland r vor dentalem verschlusslaut ausgefallen ist, wenn in der nächsten silbe ein zweites r folgte. Dieses lautgesetz gilt für Baiern seit dem 14. Jh., vgl. DWb. s. V. fodern. Lexer s. v. vordem, vürder, vürderer. Weinhold, BG. § 162. Drescher, Arigo 141 f. Sachs reimt Fabeln 86, 215 f. (1546) fadem (poscere) auf hadern, Uhland, Volkslieder no. 192 (1555) Tatter auf hausvatter, Hätz- lerin 2, 58, 231 f. voder auf hader, Aus oberpfälzischen Urkunden von 1557: damit fuderlich der Kirchenrath ... bestellet und he- furdert tverden Brunner, Geschichte der reformation des klosters und Stiftlandes Waldsassen s. 140. damit der Gottesdienst ge- fodert und erhaltten 141. das den amptleuthen hierin fuder- liche heueich zugeschickt wurden 142. mit ahihuung der abgötti- schen Bilder und anderer der gl. füderliche Verrichtung 144. das sie Gottes werkh treiben, reine lehre födern und hanndhaben

zu THEOBALD HOECK. 163

145. Ires Vermögens födern, handhaben und erhaltten 145. Aus den modernen mundarten \g\. Athur, gaderobe, hazer, mattern, patterre, und umgekehrt lartholsch (Albrecht, Leipziger mund- art 143). Entsprechend ist bei Hock 11,28 Medrer zu lesen, 40, 17 f. Tatern matern, 48, 1 u. ö. hefüdert, 56, 14 matert. 40, 25 Wir asn vnd dnmclien, sassen zamen Vnd lohten sant Werten alivegen Sachs, Fastn. 12, 244 f. 42, 21 1. Bern st. Ben. 43, 41 sein ist das gericht, vgl. Eöm. 12, 19. 44, 15 1. Muffen st. hafften. 45, 28 1. scalieren st. salieren. 46, 10 wer reifs nicht nach Zs. fdph. 32, 398 in siefs ändern will, muss doch refs schreiben, denn das wort reimt auf hes Sachs, Fastn. 13, 154. 37, 96. Fabeln 46, 32. 137, 8, es Fabeln 76, 18. 3, 196, 5, Biogenes Fastn. 44, 290, les Fastn. 81, 52, füerhes Fabeln 158, 26, fres Fabeln 3, 32, 46, versa fs Hätzlerin 2, 58, 154, vergess Ambraser liederbuch 56, 46. 46, 20 Wie man denn spricht: Zwen Hund allein Bleiben nicht eins an einem bein Sachs, Fastn. 43, 123. siven hund an einem beine, die seind selten eins Ambraser liederbuch 32, 19 f. tvie zwey hunde an einem Jcnochen sich durchaus nicht vertragen Jiönten Ziegler, Asiatische Banise, neudr. 373, 25. 46, 26 (der verschuldete zecher spricht) Vnd wens vns gleich vmbschlecht alsant, Nem wir den langen spis int hant: Im feld die schuldger vns nicht finden Sachs, Fastn. 64, 215 ff. 46,35 prangen "stolz einher- gehen': Barmit wil ich den haimhin prangen Sachs, Fastn. 82, 42, ebenso Fabeln 29, 47. 93, 11. 3, 19, 41, ironisch mit dem ge- danken an pranger: Müest im stocJc auf dem Kirclioff prangen Fabeln 349, 30. 47, 5 gemeint ist ein kartenspiel, bei dem man 'sich aussagt', wenn man 31 punkte hat. 47,9 Leid- lichr wer mir, vnd het auch lieber Bas drey oder vierteglich Fieber Sachs, Fastn. 26, 5. Berhalb wer mir nutzer vnd lieber, Bas ich het das vierteglich Fieber 28, 13 f. 49, 24 iveil vnter guten Freimden all ding soll gemeyn sein, wie der Lufft vnnd der Sonnenschein Garg. 91 (1582). 51, 34 1. vom st. vorn. 52 Überschrift Zeit (nU labor) macht hew Luther, Sprichwih'ter- sammlung no. 321. Also haben auch die Gräci gesagt: Ager non producit, sed annus Luther, Erlanger ausgäbe 48, 177. 55, 1 wems glück ivol wil, der hat gut spiel, mag allzeit frö- lich leben Ambraser liederbuch 197, 7 f. Assez bicn danse, ä qui la fortune chante Moscherosch, Gesichte, neudr. 133. 56, 49

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ich hob eyn geßterten magen, er ist iveit hol vnd wachtelgleichich wie S. Benedicts Stiffel, hodenlofs on solleder, ivie der, tvelchen der Teuffei zu Spir mit talern solt füllen Garg". 383. Sachs, Fabeln 350. 59,24 iveichen 'mild werden'. 59,30 War thüet das alt Sprichwort noch jeden: Des herren fäes munter vnd tvacJcer Düngen gar ivol den seinen aclcer. Auch so werd das fiech allermaist Von seines herren atvgen faist, So er selb darsv schawen thiv Sachs, Fabeln 148, 260 ff. 62, 23 1. auff st.-, auch. 64, 5 Ich ivurt zv aim maister einpracht, Der sünst noch ain geseien het, Mit dem auf der stör arheitn thet, Wie den der prauch ist in dein lant (im Unterinntal), Peg vns heraüsen vnpelmnt Sachs, Fabeln 259, 6 ff. 64, 14 ein ein- steckkalender mit stiften, früher im Leipziger Dominicaner- kloster, befindet sich jetzt auf der Universitätsbibliothek zu Leipzig-. Nach dem kalender wurden die tempora amoris be- stimmt, s. Schönaich ed. Köster 206, 25 ff. 495, 46. 64, 34. 85, 68. 89, 14 fürwitziges st. fünvitz (Zs. fdph. 32, 397) erklärt sich als umgekehrte Schreibung, wenn Hock das adjectiv für- ivitz, das Sachs, Fabeln 281, 47. 331,130. 333,211 braucht, gekannt hat. 65, 3 Hie hah ich grohe fedren gschnitten Scheidt, Grobianus v. 98. 65, 18 sprach wie Schmeller 2,697, Tfeiffen wie Schumann, Nachtb. 280, 4. 282, 12. 65, 23 Aufs vnd ein machen die Meydlin gern Garg. 259 (1582). 65, 35 man erwartet das gegenteil von wendten schimpff. 65,45 Aber botz Murrners guckguch, ivas sehe ich, du hast ein krummen Latz, bist aufsgethan Garg. 401 (1582). Der gut Lentz ivas ausgethon, het kein sichern platz mehr Frey, Gartenges. 33 f. Das bild stammt vom austragstübel. 66, 59 ich glaub müg- liclicr sein da fs mein apfelgrau pferd schreiben und lesen lerne, dann dafs unsere ptfaffen und bischof, ivic die iezund leben, selig werden Neu Karsthans bei Schade, Satiren 2 2, 24. 68, 14 1. zugrissen st. zugenissen. 68, 15 das lestii mich gemessen, ja hinder sich Ambraser liederbuch 4, 9. defsgleichen liebet sie auch mich, von Hertzen grund ja hinder sich Venusgärtlein no.lll. 71,4 weicht von der üblichen fassung ab: Vbel essen vnd hart ligen Sachs, Fastn. 52, 367. Fabeln 144, 134. 160, 18. 282,84. 282,154. 335,10. 3,20,78. 3,22,158. Schumann, Nachtb. 18, 11 f. 73, 3 Da mit freüntlichen augenplicken Die lieb mit lieb sich thuet erquicken Sachs, Fabeln 215, 87 f. 73, 30 ab-

zu THEOBALD HOECK. 165

liähcre eine weibsperson fleischlich gebrauchen Fischer, Schwab, Wörterbuch 1, 30. Staub-Tobler 2, 935. 75, 52 1. Bie st. Der.

7G, 16 so fein er sich auch anpasst, so muss er doch ... 76,47 bleibt auch nach Anz. fda. 26, 298 unverständlich, etwa nach 60, 24 zu bessern: In schier zum Narren Schmidt. 79, 1 JBächssenschiessen, Glocken giessen, Teiiffel bannen, Armprost spannen, iver dz nicht wol Jean, solls vnderivegen lan Garg. 331 (1582). 79, 9 ivas ausrichtsam. 81, 5 1. Türcli st. March

81, 22 Der pfaff sich segnet vnde Recht tvie ein pfeüffer stünde Sachs, Fabeln 52, 39 f., ebenso 3, 96, 39 f. Stund als ein pfeyffer an der stet, Der ainen dancz verderbet het 168, 145; ebenso 210,96. 315,115. schemeten sich, wie ein Pfeifer der den Dantz verterbt hat Garg. 206 f. 83, 26 1. Sols eines tauren: wenn das jemand dauert, so bitte man den bauern: dann wird er übermütig (so im einklang mit Schmeller 1,457; anders Anz. fda. 26, 314). 84, 31 Dannjhr wüfst, das Körbel- Jcraut grosse hrafft hat, also dafs jhene Fraw jhren Mann, der sonst einen bei jhr fand, vberredt, er hett Korbein gessen, iveil er noch einen bei jr sah Garg. 231. 85, 11 1. Dem alles st. So allem. 87, 39 f. Wann man aber alle huren solt die Thonaiv hinab schichen, wurden die tveiber leyäen theür werden Montanus, Schwankbücher, neudr. 54 f. 91, 85 f. her, sehr zu streichen, vgl. Anz. fda. 26, 289. 92, 49 1. vilen st. wilden.

LEIPZIG, 13. december 1901. ALFRED GOETZE.

DER I- UMLAUT VON E IN DEN ALTNORDISCHEN SPRACHEN.

Wie bekannt, gibt es in den altn. sprachen viele Wörter, bei denen während einer frülieren periode eine lautentwicklung von kurzem e zu kurzem i eingetreten ist, z. b. isl. mihill (ver- glichen mit gY.fiiyac), birna 'bärin' (< %ernwn, Ygl.hera 'bärin'), hi^ia 'bitten' (< *deMon). Diese entwicklung ist durch den auf die wui'zelsilbe folgenden vocalischen oder consonantischen i-laut hervorgerufen worden. Dieselbe erscheinung findet sich auch in den andern germ. sprachen wider, ausser im got., wo germ. kurzes e überhaupt in kurzes i übergegangen oder doch nahezu mit diesem laute zusammengefallen ist.

Nachdem schon ältere forscher, wie Jessen und Heinzel, gelegentlich eine entwicklung von e zu i vor einem folgenden /-laute betont hatten, unterwarf Läffler in der Tidskrift for filologi n.r.2, 1 ff. 146 ff. 231 ff. die frage einer sehr gründlichen und verdienstlichen Untersuchung. Ihr resultat ist (vgl. s. 288), dass der Übergang e zu i vor folgendem «-laut während der zeit der germ. Spracheinheit eingetreten sei. Das lautgesetz ist also seiner meinung nach urg er manisch; und dieser seiner auffassung sind seitdem fast alle forscher beigetreten, die sich später zu der frage geäussert haben.

Auch in den gebräuchlichsten handbüchern wird diese lautentwicklung als urgermanisch hingestellt. Dies tun z. b. noch Brugmann im Grundriss 1- (1897) und Betlige in der Laut- und formenlehre der altgerm. dialekte, hrsg. von Dieter (1898 1900). Emil v. Borries, der eine Specialabhandlung über dieses thema mit dem titel 'Das erste Stadium des i-umlautes im germanischen' (1887) veröffentlicht hat, meint, dass das 2. und 3. jh. n. Chr. 'die blütezeit des wandeis von e zu «' (s. 81) gewesen sei.

DER I-UMLAUT VON E IM ALTN. 167

Der einzige, der hiergegen in gewisser beziehimg opponiert hat, ist meines Wissens Bugge. Im Arkiv n. f. 4, 9 f. spricht er sich folgendermasseu aus:

'Nach Bremer soll dieser lautübergang [e >> * vor folgendem t, j] von der deutschen Nordseeküste ausgegangen und das e in betonter offener silbe in folge der einwirkung eines folgenden i im l.jh. n.Chr. zu i geworden sein.*) Doch scheint urnordisch erilaR in den Inschriften von Kragehul, Lindholm, Varnixm und entstellt auf mehreren bracteaten, namentlich auf no. 49 und 4:9b bei Stephens (spät urnord. eiriiaR Veblungs- naes, By) zu zeigen, dass betontes kiu'zes e in offener silbe im urnord. bis gegen 600 unverändert blieb, wenn in der nächsten silbe * nach nicht palatalem cousonanten folgte. Im 7.jh. hatte zwar das / der zweiten silbe palatalisierend auf das e der ersten silbe in eiriiaR gewirkt, dasselbe jedoch noch nicht zii i verändert. Dasselbe wort führen die Irischen annalen zum jähre 847 in der form ereil an. Dass ein betontes e in offener silbe im urnord. durch den einfluss eines i der folgenden silbe nicht zu i verändert worden ist, geht auch aus norw.-isl. seÖir aus *se- zvider *sewidai, hUÖo hleÖo aus *hlewiÖun hervor. Ebenso kann altdän. skialnap aus urnord. *skeJmößuR oder *skelimÖHR erklärt werden. Ält- norw. setr stammt am ehesten von urnord. *setiR, altnorw. rekr von urnord. *reqiR. *rehviR. Der gegensatz zu sigr hat wol seinen grund in dem g des letzteren.'*)

Bugge ist aber der ansieht, dass in geschlossener silbe ein kurzes germ. e zum mindesten schon in urnord. zeit in i übergegangen sei, wenn in der nächsten silbe i (i) folgte, und zwar unabhängig davon, welcher consonant dem /-laut der endung voraufgieng, z. b. *birgiwgu (a. a. o, s. 8 f .) , *sibjosteR (Norges indskrifter s. 34).

Der ansieht Bugges, dass der <-umlaut von e in offener silbe noch nicht in urnord. zeit eingetreten wäre, trat z. b. Noreen, Urgerm. lautlehre s, 15, anm. 3 entgegen.

Ich bin der meinung, dass die lehre von der lautentwick- lung von e zu i vor /, * in folgender silbe, was die Verhältnisse in den altn. sprachen anlangt, gründlich zu verändern ist.

Die allermeisten Wörter, die hierbei mit in betracht kommen, sind solche, in welchen der e-laut der Wurzelsilbe durch einen oder mehrere cousonanten von dem folgenden i- oder j-laut getrennt ist, also Wörter vom typus mikill,

1) Vgl. Bremer, Zs. fdph. 22, 252.

*) Vgl. auch Norges indskrifter s. 101.

1G8 KOCK

hirna (< ^^dermön). Diese sind darum unbedingt die wiclitigsten, und ich behandle sie deshalb zuerst.

Dann will ich einiges über solche Wörter bemerken, wie das vielleicht aus urnord. zeit nachgewiesene ]m]0R Tune (alt- sch^\. Jmar, isi.pridr), d.h. Wörter, in welchen ein conso- nantisches i + vocal (vorurnord. ^lireiöz) unmittelbar auf den germ. e-laut folgte.

Im Arkiv 4, 141 ff. = Beitr. 14, 53 ff. (vgl. auch Beitr. 18, 417 ff.) versuchte ich zu zeigen, dass man in den altn. sprachen für den 'gewöhnlichen' i-umlaut (d.h. für den i-umlaut gutturaler vocale) zwei verschiedene perioden geliabt habe, welche durch eine dritte dazwischenliegende getrennt waren, in der kein i-umlaut eintrat.

Diese meine ansieht über die i-umlautsperioden in der altn. spräche in einem hauptsächlich vorhistorischen Stadium dürfte nunmehr allgemein angenommen sein.

Ich will nun hier nachzuweisen suchen, dass in Wurzelsilben mit e-laut, auf den ein oder mehrere consonanten sowie zugleich ein i- oder i-lant folgten, der Übergang von e zu i während der gemeinnord. zeit eingetreten ist, und zwar während zweier getrennter perioden, die vollkommen den beiden perioden des 'gewöhnlichen' i-umlauts entsprechen.

Ehe ich dies im einzelnen zeige, will ich jedoch im an- schluss an Bugges oben angeführte auslassungen erst dartun, dass die herschende ansieht über die entwicklung von e zu i unrichtig ist, d.h. also die ansieht, dass e schon in urgerm. zeit in jeder Wurzelsilbe zu i übergegangen sei, auf welche ein vocalischer oder consonantischer /-laut folgte.

Das praet. zu M..}üyia 'schützen' heisst in der alten spräche lüepa. Die inff. *}iauion, ^prauion sind zu isl. Jieyia, preyia und die praett. *Jiatviöön, ^liraiviöön zu isl. IuIIm, J)rapa ge- worden. In ganz entsprechender weise entwickelte sich der inf. *hleuion (vgl. ags. lilieivan) zu isl. lüyia und das praet. *hletviäön zu isl. hU])a\ vgl. Sievers, Beitr. 15, 402. Kock, IF. 5, 157. 161 f. Dieses isl. hUpa zeigt, dass die entwicklung von e zu i vor i nicht urgerm. ist. Denn wenn dies der fall ge- wesen wäre, so hätte Viletvi^ön in urgerm. zeit zu *hliividön werden müssen, woraus sich im isl. ViUpa entwickelt haben würde; dann aber wäre das isl. hlejja nicht zu erklären.

DER I-UMLAUT VON E IM ALTN. 169

Das got. s'mjan 'nälieix', scliwed. sy würde isl. im inf. ^syia lieissen: das praet. lieisst im isl, sepa, das part. sclw. In liarmonie mit hJyia : Jilejm sind die älteren formen des wortes folgende gewesen: inf. *seuion : praet. ^setvidön : part. *setviöo2 (vgl. die eben angef. stellen). Wenn irgend ein urgerm. i-wm- lant vorhanden gewesen wäre, so wären die formen isl. praet. sejja, part. se])r nicht zu erklären.

Im älteren isl. ist der name des volkes der Wenden ge- wöhnlich nom. Vinjjr, gen. VmJ)a; ein vers von Arnorr Jarla- skald zeigt jedoch, dass er den gen. Ven])a (vgl. u^ndlande im Ägrip) gebrauchte. Wie bekannt gibt die Schreibung mit np (nicht nd) in VinJ)r an , dass zwischen dem w und 7> ein vocal A^erloren gegangen ist (vgl. hinda mit nd, aber praet. vanpa etc. aus *wanidö etc.) Bei Plinius heisst das volk Venedi, bei Tacitus Veneti, bei Jordanes Winidae; im ahd. wird Winid ge- brauclit; s. Bugge, Ark. 2, 228 ff. 287. Bremer, Zs. fdph. 22, 251. Diese formen zeigen, dass der name in urgerm. zeit *Wened-, etwas später ^WcnirJ- geheissen hat. Wäre nun urgerm. der i-umlaut durchgeführt worden, so hätte *Wenid- in allen casus zu *Wimd- werden müssen; und es wäre dann unmöglich, den .e-laut in isl. gen. Venpa zu erklären.

Bei Jordanes findet sich als name eines volkes im süd- lichen teile der skandinavischen halbinsel Bergio, ein wort, welches mit herg zusammenhängt. Dasselbe hat trotz des folgenden i den e-laut der Wurzelsilbe beibehalten. Vgl. Bugge, Ark. n. f. 4, 9, der jedoch den e-laut durch beeinflussung von Seiten der spräche des got. Schreibers erklären will.

Der comparativ und der Superlativ zu ülr lieissen isl. verri, verstr, welchen formen im got. der comparativ tvairsiza, im ahd. wirsiro, wirsisto, im alts. wirsa, wirsista, ivirrista, im ags. iviersa, tvierrest{a), tviersta entsprechen. Nimmt man an, dass es einen urgerm. i-umlaut gegeben habe, so sind isl. verri, verstr vollkommen unerklärlich. In urnord. zeit haben die- selben offenbar geheissen : *ivermm, *tcermstaR in der zweiten silbe mit einem i, das schon in urgerm. zeit vorhanden ge- wesen sein muss. Man müsste also, wenn ein germ. i-umlaut existiert hätte, isl. *virri, *virstr zu finden erwarten.

Die Schreibung erilap in den Inschriften von Kragehul, Lindholmen und Varnum zeigt, dass zur zeit der abfassung

170 KOCK

derselben das gerra. e in der Wurzelsilbe niclit in i über- gegangen war, Aveun darauf consonant + i folgte. Dies wird auch diuxli ereil in den Irischen annalen zum jähre 847 be- stätigt; Bugge a.a.O. Ohne erfolg haben Läffler, Burg, Noreen und Brate dieses mit ihrer auffassung unvereinbare erilaR zu erklären versucht.

Läffler denkt sich in der Tidskr. f. fil. n.r. 2, 316 die mög- lichkeit, dass der auf das e folgende r-laut 'das e länger vor der ein Wirkung des folgenden i geschützt habe', und Burg, Die alt. nord. runeninschriften s. 39 meint, in den nord. sprachen sei der i-umlaut des e durch ein auf das e folgendes r über- haupt verhindert worden. Indessen zeigen Wörter wie hirti 'klarheit', Urta ^berhtian 'klar machen', hirting 'erglänzen' ( : hiartr *ber]itaR, vgl. got. hairhts), pl. birnir 'baren' ( : sg. Moni), pl. firjrir ( : sg. fior^r 'bucht'), birki 'betulae', birhia 'birkensaft', birJcinn 'birken' ( : biork 'birke', *berJcu) u. a. m. zur vollen evidenz, dass ein folgender r-laut in den nord. sprachen nicht im stände war, die entwicklung von e zu i bei folgendem /, i zu hindern.

In der Nordisk revy 1884—85, sp. 362 nimmt Noreen an, dass der e-laut in erilaR von der im ags. eorl, alts. erl begeg- nenden Stammform ""erlo- entlehnt sei, und Brate ist in Bezz. Beitr. 11, 183 der gleichen ansieht. Zu gunsten dieser hypo- these Hesse sich auch das urnord. erla (auf der Etelhemspange) anführen, welches so von Noreen, BB. 11, 201 und von mir in den Bidrag tili svensk spräkhistoria s. 108 ff., von Bugge jedoch in Norges indskrifter s. 148 und schon in der Tidskr. f. fil. 7, 246 mrla gelesen wird.

Noreens erklärung des e-lautes in erilaR ist aber offenbar eine gekünstelte. Lautgesetzlich hätte das wort nach ihm *irilaR heissen sollen. Statt dessen aber treffen mr in drei verschiedenen Inschriften erilaR (später eirilaR), und es ist gar kein zweifei, dass auch das gewöhnliche appellativum isl. iarl, altschw. icerl von diesem in urnord. zeit verhältnissmässig oft begegnenden erilaR ausgegangen ist. Im uom. pl. hiess dieses in urnord. zeit *erilöR, im gen. pl. *erüö, im acc. pl. ^crilann, formen, die nach dem verlust des i nom. *erlaii, gen. acc. *erla und durch brechung iarlan, iarla ergaben. Nach dem pl. iarlar, iarla ist dann der sg. iarl gebildet worden; vgl. sg. harl (ur-

DER 2-UMLAUT VON E IM ALTN. 171

nord, *karilaR) nach dein pl. karlar. Es wäre nun wunderbar, wenn sowol das urnord. erilaR (drei mal) als auch das irische lehuwort ereil und das isl. iarlar (pl. zum sg. iarl) eine form darstellen (oder auf eine solche zurückweisen) sollten, in wel- cher das e durch analogiebildung erklärt werden müsste. Da ist doch die annähme, urnord. erilaa, das ir. lehuwort ereil und der isl. pl. iarlar seien ganz einfach lautgesetzliche formen, bei weitem vorzuziehen.

Die Unmöglichkeit der jetzt herschenden auffassung, nach der es nur eine periode der entwicklung von e zu i vor i, i gegeben haben soll, geht noch aus folgenden umständen hervor.

Das ir. ereil ist auf ein gemeinnord. *crün, *erül zurück- zuführen. Hieraus können wir den schlusssatz ziehen, dass wenigstens in gewissen gegenden die entwicklung von e zu / um das jähr 800 in *erül und natürlich auch in andern mit diesem gleichzustellenden Wörtern: "^meöi (dat. sg. zu M.miopr; dat. später mijri), '^meJcill (isl. niikill : niiolc 'viel', präp. "^medil (isl. mipU) etc. noch nicht eingetreten war.

Vielleicht könnte jemand darum annehmen wollen, dass der Übergang von e zu i vor i, i in den altn. sprachen in allen Stellungen erst nach dem jähre 800 eingetreten wäre.

Wie aber stimmt dies zu der tatsache, dass eine entwick- lung von e zu i vorliegt in praet. urnord. *derdidö > dirßa (zu dirfa 'dreist machen'; vgl. isl. diarfr < ^derdan), in urnord. inf. *derdian > dirfa und in vielen andern Wörtern? Ich führe beispielsweise nur an praet, girnda (< *gernido), inf. girna (< *german, vgl. giarn), birna 'bärin' (< *berniö, vgl. hiorn, bera), Irpa (< *JErpiö, vgl. iarpr).

Die entwicklung ^derbido > dirfpa steht eben in directem widerstreit mit formen wie *erill, *meöi etc. um das jähr 800, wenn man nur eine umlautsperiode annimmt.

Denn wann gieng denn der i-laut der zweiten silbe in langsilbigen Wörtern, wie praet. dirfpa (< *derdiäo) und inf. dirfa (< *derdian) verloren? Die Björketorp-inschrift aus den Jahren 700 725 hat in dem langsilbigen worte barutR, d. h. b{a)rytii (< *briutiR 'bricht') das i der zweiten silbe bereits verloren. Ferner lehrt uns hosli (< *haside, dat. von ViasidaR 'hasel') mit verlorenem k, dagegen sunu (acc. 'söhn') mit stehen- gebliebenem u, beide in der Rökinschrift, dass der vocal der

172 KOCK

mittelsilbe in dreisilbigen Wörtern fr tili er verloren gieng, als derselbe vocallaut als nltimayocal in zweisilbigen Wörtern. Also miiss z. b. das praet. (*derdiöfö >) isl. cUrfpa und aucli der Inf. {*deidian >) isl. dirfa den «-laut der zweiten silbe bereits verloren haben, ehe der f-laut in dem barutn (hri/tR) des Björketorpsteins verloren gieng, also vor dem jähre 700 (725).

Aber wenn der /-laut in *derdiöö, *derdian vor der ent- wicklung von e zu / im dat. *mcdi > mijn etc. verloren ge- gangen wäre, und man doch nur eine periode für die entwick- lung von e zu i gehabt hätte, so würde ja *derdiäö, *derdian niemals eine entwicklung von e zu i bekommen haben, und die isl. dirfpa, dirfa etc. wären nicht zu erklären.

Hieraus dürfte mit voller gewisheit hervorgehen, dass die herschende auffassung betreffs der entwicklung von c zu i vor /, i unhaltbar ist; die entwicklung kann nicht urgerm. gewesen und nicht gleichzeitig in allen Wörtern eingetreten sein, wo sie in den altn. literatursprachen vorliegt.

Dagegen stellt sich die sache sehr einfach, wenn man für die entwicklung von e zu i zwei getrennte perioden annimmt, die den beiden für den ('gewöhnlichen') i-um- laut der gutturalen vocale in den altn. sprachen ent- sprechen.

Ich stelle nämlich folgendes schema auf:

I. Die ältere «-Umlautsperiode. Der i-laut der zweiten silbe gieng in lang silbigen Wörtern verloren und bewirkte dadurch (durch seinen wegfall) den «-umlaut.

Der /-Umlaut der gutt. vocale: Der j-umlaut von e:

praet. *dümidö > cUmda praet. *derbiÖö > dirfpa

inf. *dömian > dema inf . *derhian > dirfa.

IL Während einer darauf folgenden periode gieng der i-laut der zweiten silbe der kurz silbigen Wörter verloren, aber ohne umlaut zu bewirken.

praet. *tdliÖö >> Uüpa praet. ViletoiÖö > hUpa.

III. Die jüngere «-umlautsperiode. Ein noch immer erhaltenes i, j, bewirkt den umlaut.

Der umlaut der gutt. vocale: Der umlaut von e:

pl. *gastiii gesttr pl. *feröiK > f/'rßir

inf. Halje^an > telia inf. *skelian > skilia.

DER I-UMLAUT VON E IM ALTN. 173

Die accentuierung von *derdiäö war natürlich dieselbe wie die von ^äömidö, nnd die accentuierung von ^hUiviöö war die- selbe wie die von "^taliöö. Der schwächer accentuierte i-laut der langsilbigen *derdi^ö, ^dömidö gieng früher verloren als der stärker accentuierte ?-laut der kurzsilbigen Vüewido, *taliöö.

Da der ältere i-umlaut sowol in *derdid>ö > dirfjja als auch in ^dömidö > dömda durch den verlust des «-lauts der zweiten Silbe bewirkt wurde, und da der /-laut der beiden wörter- gruppen gleichzeitig verloren gieng, so trat natürlich der i-i\m- laut gleichzeitig in dirfpa und in dömda ein.

Auch der jüngere /-umlaut ist gleichzeitig oder wenigstens annäherungsweise gleichzeitig in "^ferdin > firpir und in "^yaslin > gestw durchgefühi-t worden.

I. In Übereinstimmung mit dieser meiner theorie ist der ältere umlaut von e zu i z. b. in folgenden langsilbigen Wörtern eingetreten*): praet. fir])a '^firräa (< "^ferridö, vgl. fiarran, got. fairra), praet. und inf. hirpa 'hüten' (•.hior])), nista 'mit nest (reisekost) versehen', vir])a 'abschätzen' (: vcrj»-), hrigpa 'verändern' (vgl. das starke verb bregPa), praet. rigndi, inf. rigna ( : regn), praet. siglda, inf. sigla ( : segl)^ praet. shirpa, inf. shirra ( : shiarr), praet. spilta, inf. spüla ( : spiall), praet. vüta, inf. vüla (vgl. z. b. Kluge, Et. wb.^ unter wild), Mrna (< *kerniö = Jäarni 'butterfass'), vipta (= veptr 'subtemen'), firar pl. (< ^ferhiön, vgl. fior 'leben'), Jwirr (der umlaut stammt aus dem acc. sg. Vctverrian- etc., vgl. got. qairrus).

Der ältere i- umlaut ist auch in dem worte ' Schwester' eingetreten. Im nom. sg. hatte man in urnord. zeit swestar, im nom. pl. *stvestriR (vgl. Bugge, Ark. n. f. 4, 17). Der nom. pl. *stvestriR wurde durch den älteren /-umlaut zu "^stvistm, worauf sich das i auf den sg. verbreitete, so dass man nom. "^stvistar : obliqu. casus *stüistur, jung, sgstur erhielt.

II. Während der zeit zwischen der älteren und der jüngeien i-umlautsperiode ist das i, ohne umlaut zu bewirken, z. b. in folgenden kurzsilbigen Wörtern verloren gegangen:

') Liiifler teilt in seiner abhaudhing- in der Tidskr. f. ftl. u. r. 2 eine ausführliche beispielsammlung mit, nnd ich habe jene Sammlung anwenden kiJnuen, obgleich wie schon erwähnt Läffler und ich sehr verschiedene ansichten betreffs der lautentwickhmg von e zu i haben.

174 KOCK

Praet. urnord. ^lüeiviöö > isl. hlepa (zu }ihjia\ urnord. *5e- u'idö > isl. scJm (zu isl. *S7/?«, schwed. sij, vgl. got. siujan). ')

Wie s. 170 erwähnt worden ist, liiess urnord. erilaR im nom. pl. *eril(jR, gen. erüö, acc. *erilanR; später nacli Verlust des / nach kurzer Wurzelsilbe *erlaR, *erla, *erla und nach der durch- fährung der jung, «-brechung iarlar, iarlu, iarla, woraus sich der sg. iarl bildete. Ein urnord. *sl-elinUjmR, *sJcelinöäuR (vgl. das verbum sMia) wurde durch den Verlust des i nach kurzer Wurzelsilbe und durch übrigens bekannte lautgesetze zu *sJiel- ndöR, welches duixh die jüngere a-brechung weiter zu altschw. sJcialnaJjer, altdän. skialnath entwickelt wurde.

Der Wechsel isl. Tl^/^r 'Wenden', gen.Venl^a (gewöhnl.VinJja) ist folgendermassen zu erklären. Das wort wird als consonan- tischer stamm flectiert; man hat also gehabt nom. acc. pl. *Wenid[i]R : gen. pl. ^Weniöa. In dieser form "^WeniÖa wurde das i nach kurzer Wurzelsilbe synkopiert, ohne umlaut zu be- wirken, also Wcnöa. Dagegen wurde später durch den jüngeren ^■-umlaut der nom. acc. pl. '"^WeniÖR zu ^WiniÖR. Da nun der Völkername Eistr 'Esten', der auch ein conson antischer stamm ist, gen. Eista : nom. acc. EistR flectiert wurde, so veränderte sich die flexion gen. Wenöa : nom. acc. ^WmiäR zu gen. VenÖa : nom. acc. Vhidr (später bekam der gen. Vinlm sein i von Vinpr). In ähnlicher weise gieng auch der vocal der ableitungssilbe z. b. im pl. elptr 'schwane' (^alM[{\R, vgl. ahd. alhi^) verloren.

Hier mögen noch ein paar Wörter erwähnt werden, obgleich es zweifelhaft ist, ob sie hierher gehören. Indoeur. urgerm. ""esi 'bist' heisst isl. es, das im Island, als 3.sg. fungiert. Dem urgerm. "^medi (vgl. gwfikxä,-) ahd.wvY/) entspricht isl. me}) 'mit'. Falls

1) Vgl. auch Kock, W. 5, 158. 162 f. betreffs der entwicklmig *Meiviöd >• hlepa, *sewiÖö > sepa, sowie betreffs der praet.-form JiUpu \mä des part. sepa.

") Die beurteilung bieivou stellt im Zusammenhang mit der schwer zu lüseuden und viel umstrittenen frage, ob indoeur. vocale im absoluten auslaut in urgerm. zeit verloren giengen oder nicht; vgl. über diesen gegenständ z.b. Sievers, Beitr. 5, 119 ff. Paul, ebda. G, 121 ff. 170. van Helfen, ebda. 14, 282 f. 17, 567 f. (vgl. auch IF. 7, 339 ff.). Bremer, Zs. fdph. 22, 249. Jahrb. d. ver. f. niederd. spracht. 16, 163. Jellinek, Germ, flexion s. 17. Hirt, IF. 6, 72. Streitberg, Urgerm. gr. § 170. Brugmanu, Gruudr. 1, § 659, anm. u. 1^ § 1029. Walde, Die germ. auslautgesetze § 110 (vgl. auch IF. 12, 372 ff.). So weit ich sehe, ist diese auslautsfrage noch ungelöst.

DER I-UMLAUT VON E IM ALTN. 175

indoeur. urgerm. -e, -i im absoluten auslaut mindestens kurz- silbiger zweisilbler noch urnordiscli erhalten blieb, so wurden urnord. "^esi, *medi lautgesetzlich zu isl. es, mej). Es ist aber auch möglich, dass es, me]) schon im urgerm. einsilbig wui'den. (Der Wechsel anorw. meJc, peli, seh neben isl. anorw. mik, J)il; sili dürfte auf jeden fall anders aufzufassen sein.) Die be- urteilung des e-lautes in es, meJ) hat aber natürlich in keiner weise irgend welchen entscheidenden einfluss auf die hier von mir dargestellte theorie über den /-umlaut des kurzen e.

III. Während der Jüngeren i-umlautsperiode wurde der umlaut durch einen noch immer in der endung erhaltenen i- oder *-laut bewirkt, und der jüngere «-umlaut wurde sowol in kurzsilbigen wie in langsilbigen Wörtern durchgeführt.

Beispiele für kurzsilbige Wörter: hipül (vgl. part. hepinn zu hipia), himinn, aschw. himil ( : alts. Jiedan, ags. heofon), isl. Pilir (völkername, vgl. Pelamgrl:), aschw. ihl 'eiszacken' (: isl. iohull, iaM), isl. dat. sg. tigi, nom. pl. tigir ( : nom. sg. tegr, tigr, aschw. tiugher), dat. Jäli, nom. pl, küir ( : nom. sg. kiolr), adän. Filing (vgl. aschw. Fikmgxhedhe Svenskt dipl, 2, 21, FiwlmigJis- stadha ebda. 5, 403 und isl. Fiolvarr, Lundgren, Fornsvenska personnamn pä-m^r och- ung s. 13). Da isl. vmr 'freund', alts. tvini mit dem lat. Venus 'Schönheit' zusammenzubringen sein dürfte (vgl. Noreen, Ark. n. f. 2, 308), so gehört auch der pl. vinir hierher. ^

Beispiele für langsilbige Wörter: fipri n. {-.fiopr), snilli t snillmgr ( : sniallr), milti n. ( : aschw. mialte), virli n. ( : verJi) -vipri n. ( : vepr\ gildi n. ( : gialda), hilpir ( : kiolp), spillir, Spilling ( : sjnaU), hilmir ( : hialmr), aschw. Birghir, isl. Birgingr ( : biorg), filling 'feil von jungen ziegen' ( : feil), Skilßngr

1) In Übereinstimmung mit dieser auftassnng erkläre ich den namen Vingolf. Es heisst in der Snorra Edda (ed. Finnur Jonsson s. 19): Annan sal gerpu ßeir; pat var hi^rgr, er gypiurnar ättu, oh var Jiami allfagrt hüs; hann icalla vienn Vingolf. Die etymologie des Wortes Vingolf ist bis jetzt dunkel gewesen. Dass es kurzen Maut in der ersten silbe hatte, ist aber unzweifelhaft (vgl. Finnur Jönsson, Ark. n. f. 2, 280 ff.). Das erste compositionsglied Vin- hat, meiner meinung nach, hier die bedeutung 'schön' beibehalten; vgl. teils lat. Venus 'Schönheit' und isl. vcmn 'schön' (mit anderer ablautstufe), teils den ausdruck allfagrt hits. Vingolf h^- deutet also 'der schöne saal'.

176 KOCK

( : sMdlf)j livijdingr ( : Jivejjo), hvirfiU ( : Jwerfa), ascliw. Wirmü- sliogher ( : isl. Vermaland), nimne *nmmi 'verstand' ( : isl. nemo) etc.;

isl. sitia ( : setimi), liggia ( : leginn), gilia (vgl. ascliw. gkülsJccqyer, giolslrqjer 'imziichV), si'fiar \}\., sifiungr {: sefi 'ver- wanter'), pl. n/piar (sg. m'pr 'verwanter' : nefi, lat. nepos), Jrilia 'diele' (vgl. das flmiisclie lelinwort teljo) etc.

Wie bereits erwähnt, haben die Inschriften von Veblungs- n?es und Bj (beide ums jähr 650) eirilap, die Inschriften von Kragelml, Lindholmen und Varnum (welche älter sind) dagegen erilaR. Die Schreibung eirilan ist vielleicht so aufzufassen (vgl. Bugge, Ark. n. f . 4, 9), dass die palatalität des e-lautes in spät- urnord. zeit durch einen in der folgenden silbe befindlichen und noch in den literatursprachen vorhandenen ?-laut wenig- stens dialektisch in gewissem masse vermehrt wurde, ohne dass jedoch der e-laut der Wurzelsilbe in dieser Stellung in i über- gegangen wäre.

In verschiedenen Wörtern ist in gewissen formen der ältere, in andern der jüngere umlaut eingetreten. Dies ist z. b. in einem fem. /-stamm wie gi2^t 'gäbe' der fall. Dasselbe wurde in urnord. zeit flectiert sg. nom. *geftiR, acc. '^gefk) pl. nom. *geftJii, acc. ''"gcftniR (später durch analogiebildung ^geffu). Im nom. acc. sg. trat der ältere umlaut ein (gipt), im nom. acc. pl. der jüngere {giptir). Ebenso verhält es sich mit nij^t 'ver- wantin' (vgl. lat. neptis), -sipt 'verwantschaft' (enthalten in Icarlsipt, livennsipt, vgl. sefi)^ vist 'auf enthalt' (vgl. vesa, vera). Feminina wie z. b. dirf]) 'keckheit', denen got. Wörter auf -?^rt entsprechen (vgl. got. mildißa etc.) erhielten auch in gCAvissen casus älteren, in andern jüngeren /-umlaut. Man flectierte z. b. sg. nom. *derdijm, ^derhiÖu : gen. "^derdiJwR, *derdiööJi. Der nom, *derdi]ju, *derdiJu wurde durch den jüngeren /-umlaut zu *dirdid; der gen. *dcrd-i])ön, ^derlJidoR dagegen durch den älteren i-umlaut zu *dirddfaii. Später gieng auf dem wege der analogie (vgl. *dirdäait) der /-laut der ultima von *dirdiff verloren und man erhielt dirfp : gen. dirfJmR. In virl-J), virld ( : verlx), birgj) ( : hiarga), girnd ( : giani), snüd ( : sniallr), vild ist die entwick- lung eine ganz ähnliche gewesen.

Isl. niß- 'nebel' kommt nur als erstes glied von compositis

DER I-UMLAUT VON E IM ALTN. 177

vor: Niflhcimr, Niflhcl, niflfarlnn, niflvegr. Ihm entspreclien alid. nebul, alts. nedal; der 2-laiit in isl. nifl- lehrt uns jedoch, dass seine ältere form ""nebil- gewesen ist. Beitr. 18, 422 habe ich gezeigt, dass adän. namen wie Regnüd, Ilegnhurgh, Begn- frith etc. lautgesetzlich aus *Ra^ina-heldiR etc. entwickelt sein können. Dieses ^Ea^ina-Jicldin wurde nämlich durch den Ver- lust des 'compositionsvocals' und des ultima vocals in ^-heldtR zu *Bagin-hildR, und später dann durch den jüngeren i-umlaut zu "^Be^inüd^R). Erst darnach wurde der Maut der zweiten silbe in *Beginild > Begnild synkopiert. Die entwicklung von *nebila-liahnaR > *nedil-hahnaR > ^nidil-hemiR > NifJ-heimr kann ganz analog gewesen sein. Doch ist es ungewis, ob das i der zweiten silbe von isl. ^nibil-heimR (Niflheum-) lautgesetz- lich verloren gegangen ist oder in folge der einwirkung eines vormals angewanten simplex *mfl. Bei der flexion '*nidiU : pl. "^nidlaR (lautgesetzlich "^neblaR) wurde nämlich leicht ein sg, "^nihl, *mfl neugebildet.

Wie bekannt, ist der umlaut gutturaler vocale oft auf dem wege der aualogie in formen eingedrungen, wo er lautgesetz- .lich nicht berechtigt ist. So heisst es z. b. von ferill im pl. ferlar statt lautgesetzlichem *farlar (< "^farilüR). In ähnlicher weise hat sich bisweilen das durch ^-umlaut entstandene i auf dem wege der aualogie verbreitet. So hätte z. b. die laut- gesetzliche flexion von hijyill heissen sollen: nom. sg. hipill (< '^beöilaR) : nom. pl. %ej)lar (< %eöiloR),. aber das i ist vom sg. in den pl. biliar eingedrungen. Im späten ascliw. hat bipU einmal im dat. pl. bedhlom Lg. III, aber der e-laut dieser form ist jung. Das subst. bidhü wurde im späten aschw. lautgesetz- lich zu bedhil durch die entwicklung von i zu e in offener silbe (Kock, Fornsv, Ijudl. 2, 454 ff.), und aus dem sg. bedhil hat der dat. pl. bedhlom sein e erhalten. Wie bipül : bijjlar ist auch himinn : himnar, aschw. liimil : himlar zu erklären. Isl. sigl)r 'sicher hat einmal flectiert: nom. sg, *sesiäaR : nom. pl. "^'se^iööR, später nom. sg. *sisi^R (durch jüngeren umlaut) : nom. pl. *sesdaR. Von *si^icfR wurde der /-laut auf *sc^^aR, sigjjar übertragen, wonach dann wider der nom. sg. sigj)r gebildet wurde; vgl. den Ursprung von iarl, Jcarl etc.

Die lautgesetzlichen formen von verben des typus ascliw.

Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVll. \2

178 KOCK

Jcrcefia sollten bekanntlich lauten inf. Jcrcefia : praet. krafpe : part, Jcr(BiviJ)er, in sj'nkopierten casus (nom. pl. etc.) krafpir etc. Bisweilen begegnen uns jedoch im aschw. formen des praet. und der synkopierten casus des part. pass., in welche der umgelautete vocal auf dem wege der analogie eingedrungen ist, z. b. praet. hwffdhe (vgl. z. b. Kock, Beitr. 18, 443). Auch in Jüngern isl. hss. finden sich beispiele solcher formen.

Das verbum skilia hätte lautgesetzlich im isl. sküia : praet. *skeipa : part. pass. skilij^r, und in den sj^nkopierten casus (nöm. pl. etc.) *skelpir etc. flectiert werden müssen. Da nun das praet. skil])a und die synkopierten casus des part. pass. skiljjir etc. heissen, so ist der «"-laut vom inf. skilia etc. und vom part. skilipr her eingedrungen; vgl. den Vorgang bei dem aschw. praet. krmffähe. In derselben weise lassen sich isl. ])ilia 'mit bretterbekleidung versehen" : praet. pillja : part. ])ili])r erklären. Diese auffassung des i-lautes in den praett. skü])a, ])ilj)a wird durch das praet. vilda (zu vilia) bestätigt. Da das got. tvilda keinen vocal zwischen dem l und d hat, und das älteste isländisch (z. b. das Stockholmer Homilienbuch) vilda mit Id (nicht IJ) wie im praet. skiljja [< ^skeliäö] verwendet), so ist in urnord. zeit auch kein «-laut zwischen dem l und d von vilda verloren gegangen. Dessen wurzelvocal i muss also vom inf. vilia etc. (vgl. lat. velim mit e) entlehnt worden sein, wo er lautgesetzlich ist. In ebensolcher weise haben die praett. skilpa, piljja ihren wurzelvocal entlehnt.

Warum aber sind in den nord. sprachen die praett. skilpa und ]jilj)a die einzigen gebräuchlichen formen, während die praet.-formen des typus kneffdlie im ältesten isländischen noch gar nicht, in etwas späteren isl. hss. nur selten und im aschw. nicht eben häufig vorkommen? Die frage ist leicht zu beant- worten. Die Ursache ist die, dass die spräche eben nur die beiden verben skilia und pilia von diesem tj^pus besass, dass dagegen eine grosse menge von verben wie krefia : kraf^a, velia : valjja, dvelia : dvalpa etc. flectiert wurden. Man empfand darum den Wechsel von e : a im inf. krefia : praet. krafpa als etwas für die flexion des wortes notwendiges, während der äusserst seltene Wechsel von i : c in skilia : *skeljja, pilia : "pelpa als etwas abnormes aufgefasst und darum auf dem wege der analogie entfernt wurde.

DER jr-UMLAUT VON E IM AIVrN. 179

Verben vom typiis rerpa : varj) : orjmtn haben im isl. in Übereinstimmung- mit der vocalisation im inf. und in der 1. und 3. person pl. den vocal e im praes. sg. {vcrpr etc.). Schon mit der alten auffassung des umlauts von e erklärte man das e in verpr (statt *virpr) etc. als auf dem wege der analogie von ver])a, verpiim eingeführt, und diese aufassung ist richtig. Da das aschw. im gegensatz zu isl. hresta, hregPa (bei Gul^l'ormr Sindri jedoch einmal salbrigpandi, s. Finnur Jonsson, Det norsk- isl. skjaldesprog s. 91), sleppa, spretta mit praes. hrestr, hregpr, sleppr, sprettr die formen hrisfa (neben hrcesta), hrighpa, slippa (neben slceppa) und das neuschw. spritta anwendet, so meint Brate, Äldre Vestmannalagens Ijudlära s. 17, dass der i-laut in hrista, hrighjM und möglicherweise auch in slippa, spritta von den lautgesetzlichen praes.-formen hrister (< %restiR) etc. herrühre, wie er auch denselben Ursprung für das i in den kurzsilblern aschw. gin-a, gita, nima annimmt. Zu einer zeit, wo auch ich der ansieht war, der i-umlaut des e sei urgerm., suchte ich im gegensatz zu jener annähme Brätes den ?-laut in aschw. hrista etc. durch analogieeinwirkung von selten der grossen menge von verben des typus finna zu erklären. Da man flectierte funno : fan : finna; spimno : span : spinna etc., so wurde bei der flexion hrusto : hrast : hrcesta etc. die form hrcesta (hrccster) zu hrista {hrister) etc. umgebildet (Ark. n. f. 2, 18). Da wir aber jetzt eingesehen haben, dass der «-umlaut von e nicht urgerm, ist, sondern aus einer weit jüngeren zeit herrührt, so ist es wahrscheinlich, dass aschw. hrista etc. teil- weise den lautgesetzlichen i-laut im praes. sg. ^hristn etc. be- wahrt haben; zu seiner Verbreitung aber hat die einwirkung der verba von dem oben hervorgehobenen typus funno : fan : finna besonders kräftig beigetragen.

Den e- (ce-) laut in isl. verri, verstr, aschw. vcerre, vcerster erkläre ich auf folgende weise. Streng lautgesetzlich hätten diese formen i-laut haben sollen, Urnord. *wermm, *tvermstaR (vgl, s. 169) waren nämlich langsilbler, und hätten in allen formen lautgesetzlich umlaut bekommen sollen. Die entwick- lung wurde aber durch analogieeinwirkung gestört. Bei der flexion nom, sg, "^werRistan : nom. pl, *wermsteR entAvickelte sich der pl, *tverRistCfi etc, durch den älteren umlaut zu ^tvimsteR etc., während der e-laut im sg. *iveriiist{a)ii vorläufig unver-

12*

180 KOCK

ändert stehen blieb. Bei der flexion ^icermstR : pl. HvlrsteR wurde später der e-laut von der ersteren form auf die letztere übertragen, so dass man einen pl. HversteR erhielt, und nach dem pl. *tversteR, verstir wurde der sg. verstr (statt des laut- gesetzlichen *ivirRistR, welches durch den jüngeren /-umlaut aus *tverRistR entstanden war) gebildet. Der yocal e wurde aus dem Superlativ auf den comparativ (verri) übertragen. Eine sehr gute parallele hierzu hat man in dem comparativ hatri [neben hetri], superl. hastr [neben he^fr]. Lautgesetzlich sollte man (in folge des ^Ä-umlauts) im compar. nur hetri, im superl. sg. *hetistr, im pl. ha^tir erwarten (Kock, Ark. n. f. 4, 257 f.). Nach dem pl. ba^tir wurde aber der sg. ha^tr ge- bildet, und aus dem Superlativ das a in den comparativ ein- geführt, so dass man hatri erhielt.

Die vocalisation von verri, verstr bildet eine kräftige stütze für meine annähme zweier getrennter perioden der entwicklung von e zu i vor /, denn nimmt man nur eine umlautsperiode an, so wird der e-laut in diesen formen ganz unerklärlich.

Neben isl. iarl findet sich der name Erlingr. Gewöhnlich dürfte das Verhältnis dieser beiden formen zu einander so auf- gefasst werden, dass *Iarlingr durch /-umlaut zu *Ierlingr, Erlingr geworden sei. Ich habe jedoch Fornsv. Ijudl. 1, 50, anm. 2. 227 ff. Alt- und neuschw. acc. s. 225. Beitr. 18, 459 und an anderen orten gezeigt, dass Wörter auf -ing, -ang, -ung in der alten spräche auf diesen silben facultativ fortis hatten, und dass bei dieser accentuierung weder bei gutturalen vocalen der i- umlaut eintrat (aschw. im{n)ninger neben pmminger), noch bei u der a-umlaut (isl. liundng 'honig'), noch der i(-um- laut. In Übereinstimmung hiermit erkläre ich Erlingr statt des zu erwartenden *lrlingr daraus, dass der fortis auf der zweiten silbe lag oder doch liegen konnte (''ErUngaR). Im isl. hertingr : hirtingr 'lucido colore' (vgl. hiartr) findet sich dieser Wechsel wider; hertingr hat ursprünglich auf der zweiten, hirtingr auf der ersten silbe den fortis gehabt.

Im Ark. n. f. 4, 256 ff. habe ich gelegenheit gehabt zu zeigen, dass in einem genau begrenzten falle der /-umlaut auch in kurzsilblern eingetreten ist, welche den i-laut nach der Wurzelsilbe verloren haben. Dies ist nämlich der fall,

DER I-UMLAUT VON E IM ALTN. 181

wenn auf die kurze silbe die lautverbind ung -in- folgte; dann haben i und r im verein den umlaut bewirkt, so z. b. im praes. sg. *JwmiR > Icom'R > Jcemr (zu Jioma)] ^fariR > *far^R > ferr (zu fara), pl. ^hnotiR > *hnot'R > /m^/r (zu /?Mo#j. Dieser um- laut ist nach dem verlust des i in kurzsilblern wie *taMö > talj)a eingetreten, und dürfte gleichzeitig oder doch ungefähr gleiclizeitig mit dem jüngeren /-umlaut durchgeführt worden sein. Ich habe diese erscheinung ^■Ä-umlaut genannt. Diese meine ansieht scheint nunmehr von den meisten forschern an- genommen zu sein.

Da wir gefimden haben, dass der ?- umlaut des e in den vorhistorischen nord. sprachen während zweier getrennter Perioden eingetreten war, wie das auch mit dem i-umlaut der gutturalen vocale der fall ist, so liegt die Vermutung nahe, dass der /ß-umlaut auf den vocal c ebenso eingewirkt habe, wie auf die gutturalen vocale.

Doch gibt es der fälle, in denen man mit gewisheit einen //f-umlaut von e constatieren kann, nur wenige, und das be- ruht darauf, dass mit ausnähme der 2. und 3. person sg. praes. gewisser starker verba nur äusserst w^enige Wörter zu finden sind, in denen der ^ä- umlaut des c lautgesetzlich einzu- treten hatte.

Ein derartiges wort ist aber sigr 'sieg'. Das skr. saJias und die bei Tacitus aufgezeichneten germ. namen Segimerus, Seginnmdus, Segestes zeigen, dass sigr ein 05/e5-stamm mit indo- eur. e in der Wurzelsilbe gewesen ist. In urnord. zeit hat das wort *segiR geheissen, woraus dann durch «^-umlaut sigr ent- stand. Der nom. sg. urnord. HveniR (vgl. oben s. 175) ist in derselben weise zu isl. vinr 'freund' ebenso wie ^peiviR (vgl. got. ])kvi) zu isl. piR ' Sklavin '1) geworden.

Ausserdem liegt ?/f-umlaut in der 2. und 3. pers. sg. praes. gewisser verba vor. Dies ist der fall in isl. hipr, altschw. hiper (< urnord. %eÖiR\ zu hipia), isl. sitr, aschw. siter (< urnord. ■"^§e^?■/^; zu sitia), isl. liggr, aschw. liglier, ligger (< urnord. *le^iR] zu liggia), isl. piggr, diSohw . pigger (< urnord. *pe^iR; znpiggia), isl. sJcilr : aschw. skil (< urnord. *sJieliR; zu sUlia), also in praesensformen von verbis, die auch im inf. und in der 3. pl.

•) Vgl. z. t. Kock, IF. 5, 154.

1 82 KOCK

praes. i in der Wurzelsilbe haben. Obwol die 2. 3. pers. sg. praes. von Jnlia, so viel ich weiss, in der alten spräche nicht nach- gewiesen sind, so hatten doch auch diese formen natürlich i in der Wurzelsilbe.

Kurzsilbige starke verba mit e als wurzelvocal im inf. und der 3. pl. praes. (bera, efa etc.) haben dagegen im isl. immer und im aschw. unbedingt am häufigsten den wurzel- vocal e (ce) auch in der 2. und 3. pers. sg. praes. (isl. bcrr, etr etc., aschw. beer, ceter etc.). Forscher, die den /-umlaut des e für urgerm. halten, erklären das e (ce) in berr, beer etc. als auf dem wege der analogie von bcra (bcpra) etc. her eingeführt. Diese erklärung ist richtig, und eine ähnliche analogieeinwir- kung hat sich bei den langsilbigen verbis (isl. verpr etc. s. s. 179) geltend gemacht. Hiermit lässt sich vergleichen, dass im aschw. die lautgesetzlich umgelauteten vocale m (e), e etc. (im praes. sg. isl. ferr, Icemr etc.) meistens auf dem wege der analogie durch a, o (aschw. far, A'omber etc.) ersetzt worden sind, vocale, die aus den übrigen formen des verbums ein- gedrungen sind. Das aschw. hat aber den wurzelvocal i in den verbis gnva, praes. gnver (neben gcewa, praes. gmver\ gita, praes. giter (neben gceta, praes. gceter), nima (im Skänegesetz inf. nmmce, aber praes. sg. nnnber); vgl. isl. gefa, geta, nema (vgl. oben s. 179). Da die obige Untersuchung gezeigt hat, dass die lautgesetzliche entwicklung von e zu i in der 2. 3. sg. praes. nicht urgerm., sondern weit jünger, und zwar durch den nord. ?Ä- Umlaut entstanden ist, so darf man annehmen, dass der i-laut in aschw. ghca, gita, nima teilweise von den dui'ch ir. umgelauteten praesensformen giiver, gitcr, niniber ausgegangen ist; zu seiner Übertragung auf andere formen der verba haben jedoch die von mir im Ark. n.f. 2, 18 f. angeführten umstände kräftig beigetragen. Auch im praes. sg. aschw. slr 'sieht' (ur- nord. *.seh)iR mit dem einheitlichen laut h wie im got. saihan) liegt /^-Umlaut vor oder kann er doch vorliegen. Da aber aschw. sea dialektisch zu sia (Kock, Ark. n. f. 1, 382 f.) ge- worden ist, so kann der «-laut in str wenigstens zum teil auch von sia übertragen worden sein.

Hier möge eine bemerkung über die flexion der verba Imyia 'schlagen' und gnyia 'tosen' platz finden. Man flectierte im isl. inf. hiyia, praet. lnil)a (neben Inypa, Jcnupa), part. htipr

DER I-UMLAUT VON E TM ALTN. 183

(neben hiy{i)])r, lmü{i)pr) und inf. gnyia, praet. in einer lis. der Heimskr. 1, 112 (ed. Finnur Jönsson) gni]iu (neben der ge- wöhnlicheren gnüjM, gnyjjo); vgl. besonders Finnur Jonsson, Det norsk-isl. skjaldesprog s. 107. In vorgeschichtlicher zeit hat der inf. von hmjia ^hicuian geheissen (vgl. Sievers, Beitr. 15, 402), praes. sg. '^hietviR, praet. "^hieivWö, part. nom. sg. *hieividaR, nom. pl. ■'"htcivideR. Hieraus entstanden lautgesetzlich inf. Inyia, praes. sg. (durch den //J-umlaut) *knhüR, *kmR, praet. "'hieda, part. nom. sg. VcnnvidR, nom. pl. H-neivdiR, HmediR. Bisweilen finden sich in der literatursprache formen wie kkeß (< "^Iiefit zu Jcefia : praet. Jcafjta), wo der /-laut der zweiten silbe durch den einfluss des nom. pl. Jcafpir etc. verloren gegangen ist (vgl. Kock, Beitr. 18, 433). Ebenso ist auch der vocal der zweiten silbe in VmhvidR durch den einfluss der synkopierten formen HmewÖiR etc. verloren gegangen, so dass man VcniivÖR > liniin- bekam. Aus dem part. hiilyr und dem praes. '"^hnlÖR i^hiipr) ist t bisweilen auf das praet. (knijja) übertragen worden. Die formen hiylm : hiy{i)lir, Imüjm : l-nü{i)J)r sind natürlich neuschöpfungen zu dem praes. Jmyia (vgl. Sievers a. a. 0. Kock a. a. o. s. 434). Das praet. gnipa ist in derselben weise wie hiipa zu erklären. Nach Jmyia : knyjm, hmpa hat jedoch gnyia : gnyj)a auch auf dem wege der analogie bisweilen die form gnijja neu bilden können; die bedeutungen der beiden verba berühren sich nämlich z. t.; vgl. gnyia d 'trsenge ind paa om saadanne ting, af hvilke man ser sig forul?empet eller besvferet' (Fritzner '^).

Die isl. Wörter r0lc{h)r n. 'dunkel' (auch ragna reh) und setr n. 'sitz' sind gleichwie sigr o.9/e,s- stamme; vgl. teils got. rirps, gr. EQfßog, skr. rajas, teils gr. töog, skr. sddas (Kluge, Nom. Stammbildungslehre § 145). Das isl. rekih))' hat sich aus einem urnord. ""reh' an entwickelt. Es ist ungeAvis, ob setr in urnord. zeit *setaR (von dem aus man isl. *siatr erAvartet) oder *setin (von dem aus man isl. *sitr erwartet) geheissen hat. Der e-laut in setr ist von den verwanten Wörtern sef, setliüs, set- berg, -seti (in hepseti, dröttseti, hdseti) etc. entlehnt Avorden.

Ich füge einige bemerkungen über folgende Avörter hinzu, in welchen man ohne g-rund /-umlaut von e hat sehen Avollen, oder doch vielleicht gern zu sehen geneigt sein dürfte.

184 KOCK

In der Ascliw. gramm. s. 153 nimmt Xoreen die namen Vir])ar : Vcercend mit als beispiele für Wörter mit germ. i- Um- laut des e auf, jedoch ohne grund. Der name der landschaft Yärend heisst im Cod. bildst. Ywmnd, in latinisierter form im Dipl. 1. 461 W(erandia, in VGL. 4 Warnend, im isl. Vernd und Verund. Die be wohner der landschaft heissen Virjjar (gen. Uirpa, dat. Uirjmm SML. Add. 1, 7); vgl. Rydqvist 2, 268. Bugge, Norsk sagafort^lling og sagaskrivning i Irland s. 154. Värend hat im neuschw. die acc. 1 mit levissimus auf der ultima. Gleichwie nun aschw. Jmsand mit der acc. 1 und levissimus auf der ultima zu Jmscend, neuschw. tusen mit ce, e in der ultima geworden ist (Kock, Alt- und neuschw. accent. § 162), so ist Vcerand mit derselben accentuierung zu Vrermid, Värend geworden. Die form Vcerand mit a in der ultima ist also alt. Virpar hat indoeur, i, das in '^Wirand- > Vcerand durch den o-umlaut lautgesetzlich zu ce geworden ist; s. meine darstellung des «-Umlauts Beitr. 23, 544 ff. Falls Virjjar 'bewohner von Värend' mit dem isl. vir]}ar 'männer' identisch und mit dem isl, i'err' mann' (dessen e durch «-umlaut aus / entstanden ist, vgl. lat. vir) verwant ist, so wird diese meine auffassung da- durch noch bestätigt.

Schon Bugge hat im Ark. n.f. 4, 10, anm. angenommen, dass hiwigaR in der Aarstadinschrift in der ersten silbe indoeur. /-laut (nicht ein durch «-umlaut aus älterem e entstandenes i) habe. iniR auf dem Möjebrostein hat in der Wurzelsilbe ein langes i, was alternativ schon von Noreen, Aisl. gramm.- s. 261 vermutet worden ist. Wenn Noreen, Urgerm. lautl. s. 15 als stütze für die annähme eines urgerm. i-umlauts des e das ur- nord. alawin anführt, dürfte es genügen, daran zu erinnern, dass diese runenverbindung (alawin) sich nur auf dem bracteaten no. 67 findet, und dass Burg, Die alt. nord. runeninschriften s. 174 dieselbe mit drei fragezeichen versieht. Diese äusserst unsichere runenverbindung muss also wenigstens vor der band ganz von der discussion ausgeschlossen werden. Dies gilt, so weit ich sehe, auch betr. des von Noreen ebenda angeführten wiliR (auf dem hobel von Vi); die bedeutung dieses Wortes ist nämlich völlig dunkel.

Auf dem bracteaten Stephens no. 57 liest man gibuauna, Avas von Läffler in der Antiqv. Tidskr. 6, no, 2, s. 14 in gibu auna

DER I-UMLAUT VON E IM ALTN. 185

geteilt und mit 'der ahnen gäbe' übersetzt wird. Im Ark. n. f. 4, 23 äussert Bug'ge anlässlicli des /-lautes in gibu: 'es lässt sich kaum noch entscheiden, ob in urnord. gibu = anorw. gJQf {Jj^ifHer) das i durch einwirkung von selten des folgenden u . . . oder des voraufgehenden g entstanden ist'. Dagegen meint Noreen, ürgerm. lautlehre s. 15, dass das durcli den urgerm. /-Umlaut entstandene i im praes. sg. '^gidin auf dem wege der analogie auf gibu (aschw. gf'f) übertragen worden sei. Burg a. a. 0. s. 49 ist dagegen der ansieht, dass in dieser Inschrift die /-rune sowol in haltika als auch in gibu den wert von c gehabt habe, eine auffassung, die Bugge schon früher aus- gesprochen hatte. In diesem falle würde gibu ganz einfach die ausspräche gebu ergeben.

Nun ist aber, wie Bugge später in Norges indskrifter s. 305, anm. mit recht hervorhebt, die ganze deutung der runen- verbindung gibuauna als 'der almen gäbe' zweifelhaft. Wie mein freund prof. Tegner bemerkt, stehen dieser deutung auch sachliche Schwierigkeiten entgegen. Die Inschrift ('Icli lieisse Hariuha, der wenig wissende. Eine gäbe der ahnen') findet sich auf einem bracteaten, der also eine 'gäbe der ahnen' sein soll. Wer sollte nun diesen bracteaten haben anfertigen lassen, Hariuha oder die ahnen? Wenn Hariuha ihn hätte verfertigen lassen (was die worte: 'ich heisse Hariuha, der wenig wissende' andeuten würden), so kann er schwerlich 'eine gäbe der ahnen' sein, denn es wäre doch gar zu gekünstelt, anzunehmen, dass Hariuha nur das material (gold) von den 'ahnen' erhalten und dann selbst den bracteaten habe ver- fertigen lassen. Wenn ihn dagegen die 'ahnen' verfertigen Hessen (und darauf deuten die worte 'eine gäbe der ahnen' hin), so ist die Inschrift 'ich heisse Hariuha, der wenig wissende' sonderbar.

Unter solchen umständen dürfte man wo^ bereclitigt sein, dieses in seiner bedeutung so problematisclie wort gibu aus der discussion über die lautentwicklung von e zu / auszu- schliessen.^)

*) Wenu man iiiclitsdestoweuiger die existenz eines urnord. uom. sg\ gibu annehmen will, so kann dieselbe mit meiner auffassung des /-unilauts von e folgendermassen erklärt werden. Im Ark. n. f. 2, 17 babe ich gezeigt, dass im aschw. folgendes lantgesetz angewendet Avurde: 'Aveun in kurz-

186 KOCK

Wenn nun die runenverbindung gibuaiina auf dem brac- teaten no. 57 ganz dunkel ist, so ist dies in gleichem grade bei birgwgu auf dem Opedalstein der fall. Bugge fasst im Ark. n.f. 4, 8 birgwgu als nom. sg. eines fi'auennamens ä\t.'*Bergingu auf. Der wert der fi\nften rune in birgwgu (hier nach Bugge immer durch u widergegeben) ist aber sehr zweifelhaft. Nach dem, was Bugge im Ark. n.f. 4, 6 selbst mitteilt, hat er ihr erst 'nach langem zaudern'') den wert v zuerteilt. Hierzu kommt, dass andere Wörter mit der ableitungssilbe -ing in uinord. Inschriften nicht (wie das in birgwgu der fall ist) mit g nach u geschrieben werden, sondern es hat der kämm von Vimose harwa, der Skäängstein hariwa nur mit w (nicht ng). Auch Noreen (Aisl. gramm.2 s. 261) hält die lesung birgwgu für zweifelhaft und ihre bedeutung für ganz dunkel. Wenigstens vor der haud darf mau also das höchst zweifelhafte birg/;gu ganz gewis nicht mit in die discussion über die ent^ncklung von e zu i ziehen. 2)

silbleru die palataleu cousonanten l-, g dem fe-laut der Wurzelsilbe voran- gehen und die folgende silbe zugleich einen i-laut enthält, so geht der ce-laut in / über', z. b. kcetil ^ Jcitt/l, kitfei. Schon bevor in späturnord. zeit der ältere /-umlaut des e durchgeführt wurde (in *derhiöö > d/'rfpa etc.), ist im wesentlichen übereinstimmend mit dem genannten schwed. lautgesetz folgendes urnord. lautgesetz angewendet worden: 'Avenigstens in kurzsilblern ist der e-laut in / übergegangen, wenn ihm die palatalen cousonanten l; g voraufgiengen und zugleich in der nächsten silbe ein ^ folgte', z. b. pr. *geb/R'^*gibtit. Von *gibiR ist der /-laut auf das subst. '*gebu übertragen worden, so dass man g/bu bekam (vgl. z. t. Noreens oben referierte ansieht von gibn). Vgl. Kock a. a. 0. s. 18 f. über aschw. ghvin, giirir etc. Mit der hier ev. angenommenen urnord. lautentwicklung von. *gebin zu '''gibiR lässt sich auch vergleichen, dass, obgleich in urnord. zeit der a-umlaut in kurzsilblern mit i in der Wurzelsilbe sonst eintrat, dies jedoch nicht der fall war bei Wörtern, in denen k, g dem /-laut voran- giengen (isl. skip, skin etc., nicht ^skej), *sken etc., Kock, Beitr. 23, 545).

') 'efter Isenge at have vaklef.

^) Uebrigens wäre es natürlich denkbar, dass wenn ein '^b/rg/vgu in urnord. zeit existiert haben sollte, die entwicklung von *berg/vgu zu *bir- givgu vor der älteren /-umlautsperiode des e (in *äerbiÖö > äirfpa) ein- getreten wäre, und das zusammenwirken des palatalen ^ imd des ?-lauts der zweiten silbe die frühzeitige entwicklung zu ^birgiugu hervorgerufen hätte. Vgl. dass im gotischen ß zu % übergegangen ist, wenn demselben sowol ein k als ein / nachfolgte Qekeis'^ kikcis etc.: Kock, Ark. n.f. 2,20, anm. KZ. 36, 583).

DER I-UMLAUT VON E IM ALTN. 187

Der indoeur. diphthong ei ist, wie bekannt, in allen germ. literaturspraclien zu langem t geworden {gworelym : gotsteigan, isl. stzga etc.). MögliclierAveise bildet der auf einem denkstein bei Xanten vorkommende name Älateivia ein beispiel eines noch erhaltenen ei (vgl. Much, Beitr.17, 168. Streitberg, Urgerm. gramm. § 64, a). Dass schon in urnord. zeit der indoeur. di- phthong ei in i übergegangen ist, geht hervor z. b. aus dem nom. sg. f. minu Opedal, acc. sg. m. minino Strand (vgl. isl. mimi < indoeur. *meino-), dat. sg. woduride Tune (vgl. isl. ripa, vorgerm. ""reidh-). Also dürfte der indoeur. diphthong ei in späturgerm. zeit zu 7 monophthongisiert worden sein.

Da also e + consonant + i oder i in urgerm. zeit noch unverändert erhalten geblieben (noch urnord. erüaR etc.), der indoeur. diphthong ei (vor consonanten) jedoch in urgerm. zeit zu i geworden ist (inf. ""sii^an- etc.), so fragt man sich: wie ist in urgerm. bez. urnord. zeit e + heterosyllabischem i + vocal in der Wurzelsilbe behandelt worden bei Wörtern wie z. b. indoeur. ""treies {gwxQtia, goi. p'eis 'drei')? Die Wörter, welche hierbei in betracht kommen, sind gering an zahl, und es ist unsicher, ob sich in irgend einer urnord. Inschrift etwas derartiges findet. Statt der früher allgemein angenom- menen lesung der Tuneinschrift pu'woR . . . arbiwa . . . siwosteR lesen aber Vigfusson, Corpus poeticum 1, 573 und (nunmehr) Bugge, Norges indskrifter s. 29 ff. ]m\OR . . . arbija sijosteR. Falls diese letztere lesung richtig ist, so ist j^rijoR der nom. fem. zu dem Zahlwort 'drei' und sijosteR 'die nächsten verwanten' der nom. pl. m. des Superlativs zu einem urgerm. adj. "^seiaz (vgl. afries. sia 'spross, nachkomme'); s. Bugge a.a.O. s. 33 f. und Läffler in den Uppsalastudier s. 1 ff. Ark. n.f. 8,98 ff. 21-1 ff.') In diesem fall zeigen f>rijOR aus älterem ^preiöz und sijosteR aus älterem *sewstai, dass e + heterosyllab. i + vocal wenigstens schon in urnord. zeit in ii übergegangen ist, und diese entwick- lung ist wol in diesem falle in späturgerm. zeit eingetreten.

^) Bugge uimnit a. a. (>. an, das« sijosteR eine felilritzung für 'sibjosteR sei, während Läftler sijosfCR für richtig eingemeisselt hält und es mit afries. aia zusammenstellt. Ich halte Bugges auffassung nicht für die richtige, teils weil man mit ihr eine fehlritzung anzunehmen genötigt ist, teils weil (wie diese meine ahhaadlung zeigen dürfte) c vor consonanten + v in urnord. zeit nicht in /-laut übergegangen ist.

188 KOCK

Ijautphysiologisch ist es äusserst leicht begreiflich, class die ent- wicklung- von e zu / vor heteros}-!!. i (in j^ijoR etc.) leichter und darum zeitiger eingetreten ist, als die entwicklung von e zu i vor consonanten -f ? (in erüaR, im dat. sg. "^medi > isl. mipi etc.).

Der germ. diphthong eu ist in urnord. Inschriften in iu übergegangen, wenn u oder / in der nächsten silbe folgte: liubu Opedal, iu]?ingaR Reistad, niuwiia bracteat Stephens no. 80; er ist jedoch als cu stehen geblieben, wenn die nächste silbe ein a oder ö enthielt: skil^aieubaR Skärkind, ÄleugaR Skääng, Menno Vimose (Burg, Die alt. nord. runeninschrifteu s. 36. Bugge, Ark. n. f. 4, 22). Da der diphthong eii nicht nur vor i, sondern auch vor ii in m tibergegangen ist, so ist es selbst- verständlich, dass wir es hier nicht mit einem «-umlaut im ge- wöhnlichen sinne zu tun haben. Vielmehr kann man die ent- wicklung so auffassen, dass der diphthong eu in urnord. zeit in iu übergegangen ist, wofern diese entwicklung nicht von einem in der folgenden silbe stehenden a oder ö verhindert wurde.

Aus der obigen Untersuchung geht unter anderm hervor, dass der kurze e-laut in urgerm. zeit nicht zu i wurde, wenn consonant (bez. consonanten) + i oder i darauf folgten. Diese lautentwicklung ist zu sehr verschiedenen zeiten und unter teilweise sehr verschiedenen Verhältnissen in den verschie- denen germ. sprachen nach der Spaltung der urgerm. spräche eingetreten. "Während Tacitus Segimcrus, Seginmndus, Hermi- noncs schreibt, hat dagegen Vellejus Paterculus (unter Augustus und Tiberius) Sigimerns (ausführlicheres bei Bremer, Zs. fdph. 22,251). Dies zeigt aber, dass bei gewissen südgerm. Völ- kern das e in der Wurzelsilbe schon sehr zeitig in / über- gegangen ist, wenigstens wenn darauf ein palataler consonant + i folgte.

In diesem zusammenhange erinnere ich an meine Unter- suchung des a- Umlauts Beitr. 23, 484 ff. Ich kam dort unter anderm zu dem resultat, dass der a-umlaut von u und von i nicht urgerm., sondern in den verschiedenen germ. sprachen nach der Spaltung der urgerm. spräche eingetreten sei. Da wir nun gesehen haben, dass auch ein kurzer e-laut nicht in urgerm. zeit in i übergegangen ist, wenn darauf consonant

DEE I-UMLAUT VON E IM ALTN. 189

(bez. consonanten) und / oder / folgten, so sind also mehrere wichtige lautentwicklimgen , die meistenteils für urgerm. ge- halten wurden, nunmehr als einzelsprachlich aufzufassen. Dies harmoniert vollständig damit, dass der i-umlaut gutturaler vocale seit langem als eine einzelsprachliche erscheinung auf- gefasst worden ist. Nach der Spaltung der urgerm. spräche haben sich also im wesentlichen gleichartige umlauts- tendenzen geltend gemacht. Diese tendenzen aber sind in den verschiedenen germ. sprachen teilweise zu verschiedener zeit aufgetreten und zum guten teil in sehr verschiedenem umfange und unter sehr verschiedenen bedingungen durch- geführt.

Als hauptresultat der vorstehenden Untersuchungen glaube ich folgendes bezeichnen zu können:

1. AVenu auf einen kurzen e-laut in der Wurzelsilbe ein consonant (bez. consonanten) und i oder i folgten, so blieb der e-laut doch in urgerm. zeit unverändert, und er wurde in der urnord. bez. gemeinnord. spräche in folgender weise be- handelt:

I. Die ältere /-umlautsperiode. Der i-laut der zweiten Silbe gieng in langsilblern verloren und bewirkte gleich- zeitig mit seinem wegfall umlaut, z. b. praet. *dcrdidö > dirfjja.

II. Während einer Zwischenperiode gieng der i-laut der zweiten silbe in kurzsilblern verloren ohne umlaut zu be- wirken, z. b. praet. ^Meividö > Jdelm.

III. Die jüngere umlautsperiode. Ein bisher noch er- haltenes /; i bewirkte umlaut, z. b. pl. ^'ferdin > firjm'.

AVenn dem c-laut einer kurzen Wurzelsilbe in der nächsten silbe die lautverbindung in folgte, so trat ?ß-umlaut ein, z. b. *sesiR > sigr.

Dagegen bewirkte ein mit fortis accentuiertes / keinen umlaut, z. b. Erlingr (< ^ErUngan).

Sowol der «'-umlaut als auch der Vß-umlaut haben also in demselben umfange auf e wie auf die gutturalen vocale ge- wirkt.

100 KOCK, DER I-UMLAI)T VON E IM ALTN.

2. Der indoeur. diplithong ei ist schon in urnord. zeit in 7 übergegangen, z. b. minu (Opedal), und diese lautentwicklung kann darum als in späturgerm. zeit eingetreten aufgefasst werden. Falls man auf dem Tunestein l^ijoR, sijosteR lesen muss, so bilden diese Wörter beispiele für die lautentwicklung von e zu i unmittelbar vor i + vocal, und auch diese laut- entwicklung kann in diesem falle in späturgerm. zeit ein- getreten sein.

-. LUND, im Januar 1902. AXEL KOCK.

J

zu DEN LIEDERN DER JENAER HANDSCHRIFT.

Jetzt wo die Übertragungen der Jenaer lieder nach langen conferenzen und vielen correcturen und revisionen reinlicli ge- druckt vorliegen und wo die zeitliche entfernung das äuge für die mängel der eigenen arbeit schärft, mögen noch einige bemerkungen ') zu dem werke folgen.

Es handelt sich dabei vor allem um eins. Wie bd.2, s. 109 ff. gezeigt ist, gehören die Jenaer lieder zur art des gemischten rhythmus. Gewisse orchestische reihenformen liegen zu gründe. Mit diesen ist spräche verbunden, so dass ein orchestisch- sprachlicher rhythmus entsteht, der, wie s. 111 f. annimmt, dem orchestischen näher steht als dem reinen sprachlichen. Oefters hat auch der melische rhythmus anteil an der mischung, be- sonders in den liedern Wizlavs.

Die orchestischen reihenformen sind streng bestimmt. Sie festzulegen ist auch in unserem falle nicht schwer. Dagegen sind die formen des reinen sprachlichen und besonders meli- schen rhythmus frei und wechselnd. Eücksicht auf den melo- dischen sinn der composition kommt hinzu. Die notation gibt für die rhythmisierung keinen anhält. Deshalb ist es unmög- lich, in jedem falle den wirklichen rhythmus eines der lieder eindeutig in noten oder zeichen zu fixieren. 2) Dem geschmack

^) Oefter begegnende unrichtige Silbentrennungen wie iros-teryn statt tro-sieryn, gelü-cTce statt gelüc-lce wird sich der leser leicht selbst verbessern. Er lese also auch dic-ke, erste, vur-sten, irlo-ste, mei-ster, sin-yhen, Icun-sten, tru-ghen, hoi^-sten. Bei den Substantiven auf -heit ist zweckmässiger, statt der etymologischen Schreibung z. b. hunnec-heit, die teiluug baime-cheä zu wählen, wie meist, aber nicht durchgehend geschehen ist. Richtiger wäre auch wol beste, Jcristen u. s.w.

2) Vgl. 2, 149.

192 SAR AN

bleibt vieles überlassen: der eine wird diese, ein anderer jene nuance vorziehen. Ich hatte ans diesem gründe zuerst die absieht, schematisch zu übertragen, d. h. die orchestischen grundformen rein schematisch zu notieren und alles sprach- lich-melische, alles was den individuellen sinn- und stilgemässen Vortrag angeht, dem leser anheimzustellen. Dadurch wären freilich notenbilder entstanden, die den praktischen musiker be- fremdet, jedenfalls das singen und spielen der Übertragungen etwas beeinträchtigt hätten. Nach Übereinkunft mit Holz und BernouUi habe ich von dieser rein scheraatischen notation ab- stand genommen und die rhythmisierung so gestaltet, dass sie dem wirklichen Vortrag erheblich näher kommt. Freilich sind noch reste der älteren weise geblieben, die ich ohne schaden hätte beseitigen können. Anderes musste bleiben, da ohne Willkür eine entscheidung für diese oder jene figur nicht mög- lich gewesen wäre.

Was an der Übertragung rein schematisch ist, wird s. 150 angedeutet. Es ist vor allem die notierung der reihenschlüsse. Sehr oft muss man sich eine fermate dazu denken, ähnlich wie beim protestantischen kirchenlied. Die s. 112 citierte stelle einer meistersingertabulatur scheint das sogar, wenigstens für die gereimten stücke, zu fordern. Der sinn verlangt es auch für die reimlosen sehr oft, die fälle verdeckter oder schwacher einschnitte ausgenommen. Durch die fermate wird die zeit der Schlussnote merklich verlängert.

Wo das Schema der orchestischen grundform durch pause genügend zeit lässt, ist jedoch Schlussdehnung auch im text ausgedrückt worden und hätte noch öfters ausgedrückt werden können. So ist z. b. in II (Stolle), 1,3 b auf {rey-)ne eine -^T^ nur zu denken. Ebda, in Ib ist aber die schlussdehnung durch die ganze note über -heit ausgedrückt.

Rein schematisch mussten Schlüsse behandelt werden wie 11,43,9b trayen, ebda. 8a' -ivcyen, d.h. wo der text zwei 'ver- schleif bare' Silben (v^x), die notierung ligatui- auf der ersten derselben hat. Hier ist zunächst die frage zu entscheiden, ob solche Worte beim Vortrag wirklich zwei silben oder nur eine (iragn, wegn) zu beanspruchen haben. Das kann nur durch umständliche kritische und statistische Untersuchungen ermittelt werden, Untersuchungen, die für den zweck unserer publication

zu DEN LIEDERN DER JENAER HS. 193

nicht angestellt zu werden brauchten. Erweisen sich diese Worte wirklich als zweisilbig, so muss die ligatur zerlegt wer- den; entsprechen in anderen Strophen dann einsilbige reime, werden die töne wider verbunden. Bedarf ein solcher schluss einer fermate, so wird die zweite note der ligatur im vertrag gedehnt. Wo der schluss der zu gründe liegenden reihenform durch pausen auszufüllen wäre, hätte man auch im notentext platz, ohne Störung der Übersichtlichkeit die dehnung zu be- zeichnen. III, 43, 8a' -ivegen könnte man daher event. notieren: 1 J J- I I J J^J

wegen oder ii^ßyen. Doch bedürfen solche ausätze noch umständlicher begründung.

Auch wo über einem zweisilbigen wort der form C >< nur eine note steht, ist die notation schematisch zu verstehen. VII, 1,7 b o&e = J ist vielleicht als | J J. | auszuführen.

Ich gehe nun die einzelnen lieder durch, i) 11,1. Hinter Ib hristenheit setze ein komma. Der sinn ist: wenn man das lob der engel und der rechtgläubigen Christen verbände, so würde es doch noch nicht genügen. Ebda. 10 b. Vielleicht besser | ^ I J

-leit . III, 17, 6 b fussnote f lies swie.

43,8 a'. Vielleicht | J J. |

-wegen. 9 b lies über den (liuten) eine halbe note statt des vierteis.

54,8 a' stört die doppelte (schematisch gemeinte) halbe pause. Besser wäre | J J | oder | J J. |

sicJd sieht .

Ebda. 9 b. Für phlegen und 10 b iveg^n gilt dasselbe wie oben für -ivegpi. Der Strichbalken gehört liinter die zweite pause.

57, la hinter wesen ein punkt. In 3 a kommt dem (vriun-)de statt der ligatur nur ein a zu. Die fussnote 1 ist durch eine entsprechende bemerkung zu ergänzen. Fussnote ** lies vur- scamten, da die Orthographie sc fordert.

0 'T ^ bedeutet, dass an solchen stellen die hs. ligatur hat, diese aber rerlegt werden muss.

Beiträge zur geschkhte der deutschen spräche. XXVIl, X3

194 SAUAN

63, fussnote2 ist die von Holz - Bernoiilli vorgesclilagene Streichung- des g gewis richtig.

IV, 14, Ib. Man braucht wol kaum des reimes auf tsorn (= J) wegen die ligatur über {ge-)horn ebenfalls = J zu setzen. I J J I oder I J J. I ist für sie gefälliger. Ebenso schreibe

ich jetzt für den schluss von 5 b nert | J J | J , trotzdem

wert in 6 a nur als J angesetzt ist. Durch Schlussdehnung kann leicht ausgleich geschaffen werden, falls ein solcher über- haupt nötig ist.

V, 1, 5b. Ob gan, {ge)-ivan auch 1 J J | oder | J J. | . 7 b Mn entsprechend ^ .

3, 5 b setze vor uzen einen gedankenstrich.

TI, 4, 4b sind in der fussnote 2 die eckigen klammern um d zu streichen.

28, 1 b ist die füllpause hinter stoz in spitze klammern ( > gesetzt zu denken; sie fällt beim Übergang von 2 zu 3 natür- lich fort. Dasselbe gilt auch von später auftretenden ein- geklammerten pausen. Neben dem g' über Ben (3 a) ist ein g' in spitzen klammern ( J) nachzutragen; es tritt für g'= J beim Übergang von 3 zu 4 ein. Das d' über -feu (3 b) notiere man als viertel und setze in spitzen klammern noch ein d' daneben, also J ( J ) , damit der Übergang von 3 zu 1 glatt werde. Zu 3 a' vergleiche die anmerkung s. 86.

41,1a Magen = | J J- | J ? la'b, 2a'b sind wegen der

engen syntaktisch-melodischen Verbindung der beiden reimstücke besser als sechser mit zusammenziehung aufzufassen. Also

_ 1 _ 1 _.!.'C3^ - - i Ä

ist daz, daz mich vürsneit mynne, o Ave! daz gro- ze her - tze - leit ymmer me.

Indes ist der schluss beider reihen von -sncit, -leit an durch Inhalt, Stimmung, binnenreim und die verzierende viertönige ligatur so bedeutsam, dass er eine verlangsamung des tempos fordert. Die notenwerte der Übertragung können deshalb bleiben. Nur streiche man den punktierten balken, der zwischen f und g steht und punktiere zum zeichen der dehnung den taktstrich zwischen g und f der ligatur.

zu DEN LIEDERN DER JENAER HS. 195

In 3 b ist neben das d' = J über mich ein zweites d' = ^ in spitzen klammern zu setzen. Es tritt beim Übergang von 4 zu 5 ein. In der fussnote 1 lies {vnt-)laden. Die halbe pause in 7a' über lebe ist, als füllpause, in spitze klammern zu setzen. In der fussnote 4 auf s. 15 streiche das ein- geklammerte g. 19 a'" lies 1 ^^ I J ^^^^d streiche die halbe

^ ^^

pause. Fussnote 1 streiche 'hs.' Fussn. no. 3 lies | ^ | ^ I

lieh . Kette 32b setze a über -d{e) in runde klammern, weil es ergänzt ist. 47 a lies J J

Idagen . YII, 1, Ib wird man tac als | J J | , aber 3 b mac als J J I J notieren dürfen. 2 a {ivi-)sen des Übergangs

wegen ohne pause und als | J J. | oder | J J | . Die nota- tion über den reimen von 2 b, 4 b, 5 b, 6 b, 7 b ist schematisch; vielleicht als | J J. | auszuführen.

XT, 1, 2b, 4b ist am schluss hinter der halben pause noch eine zu ergänzen: | -- . Ebenso am schluss von Gb. Ueber die ausführung der ligatur vgl. oben s. 192 f. Kette 6 ist in diesem ton der kette 2, d. h. stollen 2, sehr ähnlich. S. die fuss- note 1 auf s. 22.

XIII, 1, 6b. Die dehnung im 4. 5. takt ist von Bernoulli aus melodischen gründen als wünschenswert bezeichnet worden. Rhythmisch wäre sie nicht nötig.

XV, 9, 2 b. Hinter gut ist ein komma passender.

XYI, 1, 2 a. Die eingeklammerte note muss ein viertel sein.

XXI, s. 34, fussn. 1 lies '3b und 5b = stoUenscliluss und fast = 5 a".

69,3. Zwischen 3a und b punktierter balken (verdeckte lanke). Hinter 8 b doppelbalken.

81, 7a. Ueber daz lies c' h a. Fussnote 2 lies 'stollens 2'.

XXIir, 1, 5a lies menschenouge[ii\.

48, 1 b. (gol-)de ist als 1 J J | auszuführen und zu schreiben.

56,7 b. phliget, 8 b siget eventuell = I J J- I J

XXIV, 12, 7 b schreibe vil = U | J

13*

196 SARAN

15,1b ist vielleicht vroyde auf \ o \ J o \ ^^^^^ ^'^^^^ ^^^^ I J J I ^ zu dehnen. Dann entsprechen die Schlüsse von Ib, 2 b

und 3 b. Ib, 2 b wären dann textvierer, auf die zeit eines Sechsers gestreckt.

18, la schreibe Uil = | © | J --- , 5a man = | © I o I

19,3b ist der taktstrich hinter her zu punktieren, weil her ist einen gedehnten fuss ausmacht.

22, 3 a. Der punktierte taktstrich vor -che ist durchzu- ziehen, weil -che eine hebung bekommen muss. Dasselbe gilt für 3 a'. Die Strophe ist metrisch schwierig. Bleibt man streng bei der hs., so muss man annehmen, die reihen 3a_-!-_l_l_lw und 3a' ^-------^ seien durch schluss-

verlängerung auf die zeit eines sechsers gedehnt worden. Das ist sehr wol möglich, nur dass man dabei die schwerlich zu rechtfertigende form de heylige mit in kauf nehmen müsste. Diesen in der rhythmik s. 146 festgehaltenen Standpunkt habe ich in den Übertragungen, deren druck später als der der rhj^thmik fertig geworden ist, verlassen und vorgezogen, de hey-li-ghen zu schreiben, zwei noten ergänzend. Aber auch so ist die Periode noch nicht in Ordnung. Man nimmt wol am besten an, dass in 3a zwei silben fehlen:

3a JU J IJLU U JU J U JJ U

dem valschen rate du (— ) uut - wi - che.

Von der ligatur über tvi- trenne man zugleich die ersten zwei noten ab. In 3 a' streiche man die beiden ergänzten noten wider und verteile die silben etwas anders unter die melodie, auch hier wider von der ligatur über li- die ersten zAvei noten wegnehmend. Also

3a' J U J I J J^J I J JJ I J J I JLU I JJ

de hey-li- ghen mit- pliau dich al ghe- li che.

Durch diese änderung wird die anmerkung auf s, 88 unten von den Worten 'Denn ein zusammenstoss' an gegenstandslos.

XXV, 48, 6 b. Hinter harmimge doppelbalken. 66. Ueber die Schlüsse von la", 3a', 4a' vgl. das oben gesagte.

zu DEN LIEDERN DER JENAER HS.

197

71,5 b. 6 b setze hie, die = | ^ 1 J . 94,2 b. Hinter lihe pimkt.

108, la. 4 a setze tvol, an = \ J J \ . Ebenso 2 a. 5 a tvol, man. Ebenso 9a nam. Fussnote 1 lies 'ton h.' XXIX Leicli 14b lies statt J"7j J J J .

15 a ist das eingeklammerte d ohne klammern zn lesen, das zweite d = J in spitze zn setzen. Denn d == J verbindet sich mit dem letzten viertel von 14b znr halben. 1(3 a. 17a dagegen beginnen mit d = J . Dasselbe gilt für 19 a. 28 a. 59 b setze tac = ^ .

37, 17 b streiche den strichbalken am schlnss.

XXXb, 27, 3b hinter Imnder strichbalken.

Anmerkungeu (s. 85 ff.).

In der Vorbemerkung ist zu den tönen, von denen die lis. nur den text überliefert, XIX, 4 nachzutragen. Die analyse wird unten noch gegeben.

I Fragment. 7\ ist von 10b hinter IIb zu rücken.

II, 1,5a. Diese anmerkung ist zu streichen, da sie durch •die von. Holz in der Überlieferung eingesetzte besserung gegen- standslos gew^orden ist.

S. 86, z. 15 V. 0. lies VI, 1. 19 v. o. lies 13—27.

S. 87, z. 11 V. u. streiche die anmerkung. XIX, 4.

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S.88, Z.8 v.o. lies 'str.37'. Z. 4— 1 v.u. streiche von den Worten an 'Denn ein zusammenstoss'. Vgl. oben s. 196.

Rhythmik (s.91ff.). S. 101, z. 4 v.u. lies statt 'die blosse gruppierung' 'die blosse Zusammenfassung und entsprechung'.

198 SARAN

S. 110, z. 10 V. 0. lies 'oben s. 98'.

S. 112, fussnote 2 lies 'orcliestiscli-spracliliclie reilienform'.

S. 113, notenbeispiel kette 4 a lies Stva. Der einschnitt zwischen la nnd b ist zwar durch reim und katalexe fest- gelegt, diu'ch die enge syntaktische Verbindung der beiden reihen entsteht indes die gerade hier sehr bedeutsame Wirkung einer absichtlich übergangenen, verdeckten lanke. Darum halte ich es jetzt für richtiger, den balken zwischen 1 a und b zu punktieren. S, 130 sind dann die worte z. 21 v.o. 'reim immer' zu streichen. Es gibt also auch verdeckte lanken bei endreim der reihe.

S. 117, kette la ist die eckige klammer über die ganze ligatur a g zu setzen.

S. 123, z. 1 v.u. lies '39a. 40a', z.2 v.u. lies 'leich 3a'.

S. 124, z. 7. 8 v.o. streiche 'XXV, 36, 5b'. Der reimverhält- nisse wegen ist die stelle da^ er luder in einen zweier und vierer zu zerlegen.

Ebda. z. 13 v.u. streiche 'XXV, 52, 3b'.

S. 125, Z.18 lies '5 reihen: XXV,35, 1— 2' u.s.w.

S. 126, z. 13 V. u. Dass man im minnelied nicht von drei-, sondern richtiger Zweiteilung reden müsse, zeigt P. Meyer, Romania 19 (1890), s. 11 f.

S. 127, z. 9 ff. V. u. sind nicht klar genug gefasst. Z. 9 ist 'den' gesperrt zu denken. Deutlicher wäre: einschnitte nenne ich die grenzen zwischen den schlagen und zwischen solchen gruppen, die durch Zusammenfassung entstehen. Sie liegen deshalb fast alle auf der plusseite des Systems.

S. 128, Z.6 v.u. lies 'in XVIII, 1'.

S. 131, z. 1 V. u. streiche 'VI, 30, 2'. Z. 2 v. u. lies 'leich 35. 36'.

S. 132, z. 6 V. 0. lies 'leich 35. 36'. Z. 11 v. o. lies 's. 99, fussnote 3'.

S. 135, z. 12 V. 0. lies '11, 1, 2a vuge\

S. 137, z. 4 V. 0. streiche 'z. b. VI, leich, 6 a' und die fussu. 1.

8. 145, z. 4 lies 'leich 20a' ... ich '. Z. 8 v. o. lies 'bei- nahe zerreisst'. Z. 11 v.o. lies 'leich 30a", Z. 9 v.u. lies

zu DEN LIEDERN DER JENAER HS, ZU WALTHER 84, 30 ETC. 199

: 1_1_^_. Z.12 V.U. lies 'd.h. L^l^jT^'. Z. 13 v.u. lies 20 statt 19. ^

S. 146, z. 17 V. 0. ff. Zu diesen zeilen vgl das oben s. 196 gesagte.

S. 149, z. 16 v.u. ff. Schlüsse der form v^x mit ligatur auf der ersten und widerholung der schlussnote der ligatur auf der zweiten silbe habe ich auf Holzens Vorschlag- so auf- gefasst, als ob die note über der zweiten silbe nicht dastände. Meist wird diese auffassung das richtige treffen. Vgl. etwa VI, 4, 3 b und 4 b. Manchmal ist aber doch wol widerholung des tones anzunehmen. Vgl. VI, 30, 2 b und 2 a mit 3 b. Die rhythmische form der Schlüsse ist eben nicht genügend sicher zu erkennen.

HALLE a. S. FRANZ SARAN.

ZU WALTHER 84, 30 UND 18, 1—28.

Die von Lachmann gegebene erklärung und textgestalt des Spruches 84,80 befriedigt nicht völlig, ob wol sie von den herausgebern und erklärern») auch weiterhin beibehalten ist. Die Situation ist folgende. 2) Friedrich IL hat Deutschland verlassen und ist in Italien. Walther verweilt in Deutschland. Offenbar von Italien aus hat der kaiser dem sänger eine grosse auszeichnung zu teil werden lassen. Deshalb ist es Walthern nicht möglich (m Mn) persönlich zu danken, wie er gerne möchte. Er muss seinen dank übermitteln lassen. Die vom kaiser gewährte auszeichnung (mtver ere v. 37), die für den dichter zugleich einen nutzen (frum v. 37) darstellt, ist eine kerze. Sie ist JcündecUchen gesendet. Das bedeutet schwerlich, wie Wilmanns deutet, 'klüglich'. Jcändec bedeutet auch 'be- kannt, bekannt machend', das adverb also 'öffentlich'. Auch Paul erklärt im glossar 'offen, vor aller äugen',

*) Wackernagel deiitet anders. Paul verhält sich zweifelnd. =*) Vgl. Wilmanns, Leben s. 137.

200 SARAN

Die grosse der auszeiclmung- wird in v. 34 f. durch die wirkung-en geschildert, die von der brennend vorgestellten kerze ausgehen. Ihr licht hat uns, d. h. bei uns in Deutsch- land, viele äugen völlig geblendet {er ■'blendet). V. 34 kann, so wie ihn Lachmann gibt, unmöglich richtig sein. Soll die kerze auch dem empfänger, für den sie frum und ere bedeutet, die Wimpern versengen und die äugen völlig blenden? Gewis nicht. Man lese also der construction von v. 34 entsprechend: diu hat uns der häre vil hesenget an den hrän. Das feuer der kerae Avar so intensiv, dass es bei uns in Deutschland viele haare in den wimpern versengt, viele äugen völlig geblendet hat. Das bild ist witzig übertrieben. Hinter erhiendet setze man einen punkt.

V. 36 erklärt Lachmann: 'wenigstens haben alle einen grossen teil des weissen im äuge zu mir gewant, neidisch nach meinem glück geschielt'. Die wörtliche widergabe der zeile ist dem sinne nach sicherlich richtig. Das beweist der aus- druck schuhen v. 37. Wer schuhet, wendet das weisse der äugen nach vorn. Aber grammatisch lässt sich die stelle kaum so rechtfertigen. Der blosse dativ mir neben wenden in der bedeutung 'nach mir hinwenden' scheint mir nicht mhd. Parallelen finde ich wenigstens nicht. Man streiche also si und lese dafür ^c. Das subject alle genügt ja völlig für den vers. Doch übersetzt Lachmann mit 'wenigstens'. Diese Über- setzung überzeugt ebensowenig wie die erklärung von Wil- manns zur stelle, der die partikel als einleitung eines be- teuernden Satzes nimmt. Seine parallelen aus MF. lassen die bedeutung 'dennoch' noch durchschimmern. Mit dieser adversativen bedeutung lässt sich aber hier nichts anfangen. Es ist noch 'bis jetzt noch' zuschreiben. Also übersetze ich: 'bis jetzt noch haben alle viel von dem weissen ihrer äugen zu mir hin gewendet'.

Was bedeutet diese wendung? Lachmann und alle er- klärer nach ihm beziehen sie auf neidisches schielen. Aber diejenigen welche nach der kerze schauen, brauchen doch nicht zu schielen. Und denkt man die beziehung des verses 36 zur kerze weg, dann versteht man erst recht nicht, wie jene Wendung 'neidisch nach dem glücke jemands schielen' bedeuten kann. Ich glaube, der sinn der worte ist ein anderer. Wenn

zu WALTHER 84,30 UND 18,1—28. 201

man jemand das weisse der äugen zudrelit, sieht man an ihm vorbei. Dreht man ihm viel des weissen zu, dann sieht man weit vorbei. Ich finde in den Worten also einen ausdruck der nichtachtung, des geflissentlichen ignorierens. Hinter v. 36 setze man doppelpunkt und übersetze nun: 'noch bis jetzt haben mich alle geflissentlich ignoriert: nun hat mein nutzen und eure ehrenbezeigung ilir vorbeisehen in dieser (z. 33 mit- geteilten) weise zu schänden gemacht', d. h. ich nehme jetzt eine geachtete Stellung ein.

Die Überreichung der kerze bedeutet eine kaiserliche gnade, die vorteil und ehre zugleich verlieh. Welcher art sie gewesen ist, hat man noch nicht feststellen können. Es ist nicht einmal zu sagen, ob die Übersendung der kerze wörtlich oder bildlich verstanden werden, symbolisch oder wirklich auf- gefasst w^erden muss. Das iuwer herze deutet auf eine kerze besonderer art; eine die der kaiser in procession getragen hat? Die kerze ist nach dem empfang angezündet worden, wie V. 34f. zeigt. Auf dem altar einer kirclie? Ist es erlaubt, eine stelle bei Gregor von Tours, Hist. Franc. 10,9 (s.412) zur deutung heranzuziehen? Brunner erwähnt sie D. rechtsgesch. 2, x (nachtr. zu 1, 244). Mir hat sie mein in mittelalterlicher rechtsgeschichte wolbewanderter College Wechssler nachgewiesen, mit der frage, ob sie sich verwenden Hesse, die in rede stehende strophe AValthers zu deuten. Gregor sagt dimissi sunt postea multo a coniuge Waroci cum cereis et tahulis quasi liheri. Giesebrecht übersetzt freilich 'bei kerzenschein'. Brunner meint aber a.a.O., der herr habe dem knecht ausser dem freibrief auch eine Wachs- kerze gereicht als symbol der freilassung. Der freigelassene sei dadurch in die klasse der cerarii eingetreten. Ich habe sonst keine beispiele für diese art der freilassung finden können. War sie im 13. jh. überhaupt noch üblich?

Ist die stelle für unsern spruch verwendbar, dann hätten wir ein zeugnis dafür, dass der dichter vom kaiser freigelassen und in die social und materiell gut gestellte klasse der wachs- zinspflichtigen ') erhoben wäre.

') Ueber diese vgi. Schröder, DRC-f." s. 223. 450 und die dort angeführte literatur.

202 SARAN

Passen würde die deutung an sicli sehr gut. Doch mögen andere, rechtskundige entscheiden, ob sie zulässig ist.

Man kann aus der Strophe mit Sicherheit weiter nichts schliessen, als dass Walther von seinen naclibarn oder ge- nossen zunächst ignoriert wurde und erst durch eine über- raschend grosse auszeichnnng seitens des kaisers achtung er- langte. Die Strophe gehört mit 84, 14 zu demselben ton. AValther fühlt sich in dieser offenbar gross im besitz seines lehens und der Zugehörigkeit zu den ministerialen des kaisers. Bezieht sich v. 36 vielleicht auf diese kreise, in die der arme Sänger durch des kaisers gnade aufgenommen war? Man könnte 84, 30 geradezu mit 84, 14 zu einer einheit verbinden.

Mit diesem Spruche bringt man seit Lachmanu 18, 15 in Verbindung. Der Meissner bringt Walthern nach C ein lief, nach A ein lieht. Die lesart von C lehnt Lachmann als sinnlos ab und setzt, besonders im hinblick auf 84, 33 lieht in den text. Von den herausgebern schreibt nur Paul liet, ohne im übrigen den sinn zu erklären.') Er hält die Strophe für ein lob des Meissners, nicht Ludwigs.

Aber lieht ist unmöglich, und zwar aus grammatischen gründen. Der Meissner hat Walthern das geschenk gebracht, AValther besitzt es. Nun heisst es in der nächsten zeile, es vert, d.h. es ist unterwegs. "Wäre das geschenk ein licht, so könnte es nur heissen daz viior. Oder man müsste annehmen, Walther habe das licht weiter gegeben, es sei die bestimmung der kerze gewesen, von band zu band zu gehen. Aber was bollte dieses bedeuten?

Die Schwierigkeiten heben sich, wenn man liet schreibt. Eine liedstrophe hat AYalther vom Meissner empfangen. Sie ist von Ludwig ausgegangen, sei es dass er sie selbst gedichtet, sei es dass er sie hat von seinem hofdichter machen lassen. Die Strophe ist noch im Umlauf (vert). Publicum und sänger verbreiten sie immerfort weiter. Auf diese weise (vielleicht aucli im auftrag Ludwigs) ist sie Walthern zugekommen. Der inhalt der Strophe ist für Walther so schmeichelhaft (v. 19. 23),

') Vgl. auch Iloltzniaini, Genn. 1,250, der h'ct verteidigt, jedoch \m- haltbare coiubiuatiouen daran knüpft.

zu WALTHER 84,30 UND 18,1—28. 203

dass er Ludwigs nicht mit ebenso schönem lobe gedenken kann, wie dieser des dichters. Der dank Walthers für die grosse ehre richtet sich, wie der schluss der Strophe von v. 21 an beweist, an den urheber des liedes, also an Ludwig, nicht an den Meissner. Ludwig ist offenbar ein vornehmer herr: das tvert V. 22 und vor allem der Inhalt der verse 26 ff. beweisen es. Wer es ist, lässt sich nicht feststellen; für Ludwig von Baiern spricht nichts.

Was war das nun für eine liedstrophe? Li A und C geht 18, 15 unmittelbar eine andere gleichen tones voraus, die in form und Inhalt nicht wenig für Walther anstössiges hat, nämlich 18, 1. Wilmanns weist auf v. 4 lat ez A, latz C hin, eine bei Walthern ungewöhnliche kürzung bez. eingangssenkung. Ferne]' die schwebende betonung von v. 9 singe{n)t, die man anerkennen muss, wenn man nicht eingangspause, also Unregel- mässigkeit im reihenanfang zugeben will. v. 10, den Lach- mann ändert, bietet in A eine schwebende betonung: daz ge- licliet sich relite dlse ars ünde mäne; in der besser passenden lesart von C ausfall der Senkung drs ünde mäne. Durch- schlagend ist keine dieser stellen, zusammengenommen bedeuten sie, zumal innerhalb einer Strophe, doch etwas. Sicher für die unechtheit spricht nur die art, wie Walther erwähnt wird. Es wird von ihm in dritter person geredet, er wird wie ein unbeteiligter mit her eingeführt. Auch darf man billig be- zweifeln, ob sich Walther den derben vergleich von v. 10 ge- stattet hätte. Liest man die Strophe ohne Voreingenommenheit, so ist der sinn, dass Walther von einem uns unbekannten gegen angriffe eines Wicman oder Volcnant in schütz genommen wird. Alan meint zwar (Wilmanns z, strophe), Walther rede hier in dritter person von sich, um durch objectivität stärker zu wirken. Es ist aber sonst nicht seine noch der fahrenden art, polemik in dieser objectiven weise zu treiben; gegen angriffe eines andern Sängers hätte er sich wol direct scharf gewendet. Auch würde der angeblich objective ausdruck nur die wirkuug der Strophe schwächen statt sie zu heben.

Kurz, form und Inhalt der strophe sprechen nicht für Walther. Paul bezweifelt deshalb die echtheit (ausg. z. st.). In der tat, warum soll sich nicht eine für Walthers kunst eintretende, seinen namen nennende strophe in Sammlungen

204 SARAN, ZU WALTHER 84,30 UND 18,1—28.

seiner lieder verirrt liaben? Eine Strophe, die den Marner gegen die angriffe eines kunstgenossen, des Meisners, verteidigt, siehe Jen. hs. XI (Gervelin), 18. Vgl. auch XXI, 88.')

Ich meine nun, dass das liet Walth. 18, 1 die in 18, 15 erwähnte Strophe ist. Ein Sänger Wtcman oder Volcnant muss danach vor Ludwig Walthers kunst (18, 12) irgendwie abfällig erwähnt haben: Ludwig, ein gönner und Verehrer dieser kunst, lässt jene antwortstrophe dichten, in der vielleicht das sehr derbe bild 18, 10 auf seine eigenen ausdrücke zurückgeht. Die Strophe kommt in Umlauf, durch den Meissner auch zu Walther. Der dichtet die dankende antwort 18, 15 und nun circulieren beide Strophen zusammen, so wie sie die Über- lieferung in A und C noch bietet. Denn beide Strophen sind später auch zusammen in die sammelhandschriften eingegangen. Wir haben ein beispiel dafür auch in der Jenaer hs., wo II, 5 eine strophe des Harteckers ist, auf die Stolle II, 6 antwortet. Beide liet sind dann in der hs. dem Stolle zugeschrieben worden. In C findet sich Walther 18, 15 ausser als no. 131 noch einmal als no. 109, hier aber allein, ohne 18, 1. Der Sammler, auf den diese Überlieferung zurückweist, hat vielleicht noch den Ur- sprung und die beziehung der beiden liet gekannt.

1) Ich füge für die, welche sich von der richtigkeit der ausfühnuigeu von Sievers in seiner rectoratsrede üherzengt haben, hinzu, dass beide Strophen auch in der tonlage stark differieren. Walth. 18, 15 liegt in meiner Vortragsweise ziemlich hoch, Avie Walthers lieder überhaupt, 18,1 merklich tiefer.

HALLE a. S. FEANZ SARAN.

GÄN UND STÄN IM MEMENTO MORI.

Als ergänzung entsprechender beobachtung-en für das ale- mannische und bairische Sprachgebiet und vorwiegend spätere zeit lohnt es sich, die Verwendung der ä- bez. (5 -formen der verba gä7i und stein im alemannischen Memento mori fest- zustellen.

Zweimal str. 6, 5 zergät ( : sersldt 6, 6) und str. 16, 4 gät (inmitten des verses) zeigt das gedieht die regelrechten alem. a-formen; ihnen steht eine mit e gegenüber: gen str. 11, 6; diese isolierte, in einem alem. denkmal so früher zeit aulfällige form ist vermutlich des reims wegen gesetzt ein anderer grund ist kaum zu finden (vgl. unten) , und es ist doch die Um- stellung drin gen vorzunehmen, welche Steinmeyer, MSD. 2-', 165 schon vorgeschlagen hat, allerdings infolge anderer erwägung.')

Bestärkt wird jene Vermutung durch die str. 11, 8 folgende, durch den reim ( : armen) hinlänglich gesicherte form sten (die einzige dieses verbums im M. m.), welche wie die e-formen von gän sonst dem bair. und fränk. dialekt eigen ist.

Dass die wenig reimfähigen e-formen da, wo sie nicht durch den reim gefordert wurden, später bei alem. dichtem viel seltener Verwendung fanden als die (sehr reimfähigen) mit ä bei bairischen (vgl. Bohnenberger, Beitr. 22, 214 ff.), kommt hier besonders für str. 11, 6 gen drin auch in betracht.

Wir haben also im M. m. wahrscheinlich zwei parallelen zu den in der folge zeit vorkommenden, aber ziemlich seltenen fällen, dass ein alem. dichter der reinheit des reims zu liebe die seinem dialekt fremden e-formen von gdn und stän ge-

') Der reim seihen : drhi, den Steinmeyer durch die Umstellung- bessern möchte, wäre an sich im M. m. wol möglich, vgl. Scherer, Zs. fda. 24, 442.

206 MENDIUS, GAN UND STÄN IM MEMENTO MORI.

brauclit. wie umgekehrt bair. dichter häufig die alemannischen mit ä setzen. 1)

Freilich ist auch an die möglichkeit zu denken, an welche hr. prof. Braune erinnerte, dass der alem. fassung der Strasshurger hs. ein nicht alem. original zu gründe liegt.") Dann würden sich die oben bezeichneten Verhältnisse der e- bez. a-formen in dem gedieht entsprechend umkehren. Auch andere formen verbieten eine solche annähme nicht durchaus.

^) Vgl. Braune, Ahd. gr.^ §§ 382 iiiid anm. 2. 383 und anm. 1 (über den Wechsel von «- und e-formen auffränk. und bair. gebiet in ahd. zeit ebda. § 383, anm. 2, dazu Bohuenberger a. a. o. 210). Bohuenberger s. 209 ff. Kraus, Festgabe für Heiuzel, Halle 1898, s. 152 ff. ZAvierzina, ebda. s. 467 f. (Wein- hold, Alem. gr. § 332, s. 323. § 336, s. 330).

''') Die Vermutung, dass dieses gerade bair. gewesen sei, möchte ich nicht aussprechen etwa mit hinweis darauf, dass auch der anfang des Ezzo- lieds in derselben Strasshurger hs. offenbar aus einer bair. quelle geflossen ist die formen hechom 2,7 (: gmidon; = bequctm Vor. hs.) und chom 6,9 (-.u-ären, Steinm. wäron; = hechom [■.iväreu] Vor. hs.) machen dies wahrscheinlich (vgl. Braune a.a.O. § 340, anm. 3c); siet 1, 6 (= siiit Vor. hs.) könnte auch fränk. sein (Braune §§ 382 und anm. 2. 383 und anm. 1) ; denn die vielleicht anzunehmende vorläge des M. m. konnte selbstverständ- lich von der des Ezzolieds dialektisch verschieden sein.

HEIDELBERG. OTTO MENDIUS.

GRAMMATISCHE MISCELLEN.

12. Zum i-umlaut im augelsächsischeu.

Zur füllung des bogens mögen hier ein paar gelegentliche notizen zur lehre vom «-umlaut im ags. platz finden.

1) In § 100, anm. 3 meiner Ags. grammatik ist darauf hin- gewiesen, dass der vocal des ersten gliedes eines compositums bisweilen durch den vocal der Stammsilbe des zweiten gliedes umgelautet wird, wie z. b. in hlcef-disc neben lildf-ord. Dazu möchte ich nachtragen, dass sich diese erscheinung im ang- lischen namentlich auch bei eigennamen zeigt. So hat (wie für die namen mit Ed- bereits Chadwick, Studies in OPl s. 4

SIEVERS, GRAMMATISCHE MISCELLEN. 207

beobachtet hat) der Liber vitae die namen Ed-uini, Eed-ric, Hcem-^üs, der lat. Beda Ed-uini, jEd-uini, Ed-ric, Eed-gils, H(Em-gils, neben Ead-uini LY. und vielen iimlautslosen formen (vgl. die belege in Sweets' OET. 506. 627. 629 etc.) ')

Es wäre verlockend (wie dies in der Ags. gr.^ in der anm. s. 227 f. geschehen war), ancli den formgegensatz in den namen der verwantenreihe Hr ed-ric : Hröö-sdr, -mund, -ulf im Beowulf hierher zu beziehen. Aber die sache ist doch höchst zweifel- haft, da hier das erste glied als alter 5-stamm an sich zwischen Umlaut und nichtumlaut schwanken kann. Schon in den ältesten quellen zeigt sich dies schwanken, und zwar ohne rücksicht auf den vocal des zweiten gliedes. Nach den OET. 641. 648 hat z. b. der LV. Hrod-for, -uaru, -uald, -uulf neben Hrod-frith, -uini und umgekehrt Hrwö-herct, -hurs, -jßofu, -Idc, -uald neben nur einem Hrded-uini. Und abgesehen von dem mehrsilbigen (poetischen) lirödor kennt die spätere (poetische) spräche ausser- halb der Personennamen bekanntlich überhaupt nur umgelau- tetes hreö.

2) Zu § 100, anm. 6 ist als ältester literarischer beleg für nichtumlaut alter i- stamme im ersten glied von compositis scultheta in den Corpusgl. 799 Sweet = 20, 26 Wright-Wülker nachzutragen. Dazu treten dann einige alte eigennamen mit Sa- statt des spätem See-. Im lat. Beda steht Sabercto etc. bei Sweet, OET. 39. 54 in allen alten hss., 69. 375 wenigstens neben Sceherchto etc. (die alte Moorehs. kennt nur die ä-form). Ebenso lesen wir in den Sachs, genealogien bei Sweet 179, 13 f. S{aweard)ins, Sd-weard, Sd-herliting und Sd-berht. Da dem- nach nun die beispiele für nichtumlaut nicht mehr allzu isoliert erscheinen, so darf man das nichteintreten des umlauts wol für die eigentliche lautliche norm erklären.

Es ist darum auch nicht unwahrscheinlich, dass die im spätws. nicht seltene form nead für nied, nyd erst aus com- positis ohne Umlaut wie nead-^afol, sild, -hdd, -Jices, -öcarf, -ivis etc. (Bosworth-Toller 717 ff.) abgelöst worden ist, ebenso mög- licherweise gemeinwests. leode leute (woneben ein Hiede gar nicht vorkommt) aus den zahlreichen compositis mit liod-, Uod-.

1) Das von Chadwick a. a. o. fussn. als ausnähme angeführte Ed-^ylli, stellt sich vielleicht zu Ags. gr. § lüü, anm. 5. Vgl. das kent. Jle-gyÖe, Hce-^yöe urk. 34,3. 19 neben Ilea-syde 3 (OET. 441 f.).

208 SIEVERS, GRAMMATISCHE MISCELLEN.

Auszuschliessen sind dagegen liier natürlich bildungen wie ons-sum, sivot-mete, stvöt-stence neben den adjectiven eusc, sivete, denn hier liegen der composition bekanntlich noch die alten w-stämme zu gründe.

3) Zu den Ags. gr. § 100, anm. 7 erwähnten compositis ohne Umlaut im zweiten glied lassen sich etwa noch nachtragen (be- lege bei Bosworth- Toller, wo nicht anders angegeben): mit Partikel an erster stelle: ce-cnosle degener (Wright-Wülker), de-, d-scdere (?) nicht geschoren (nicht *-sciere,'^-scyre); or-leahtre tadellos, or-tüdri effectum Corp. 723 (hs. nach Sweet, Wülker und Hesseis onüidri] vgl. aber Wright-Wülker 226, 19 Effetum ortydre); mit Zahlwort: tivy-höie doppelbusse habend, twi-hweole zweirädrig (nur acc. üvihweolne), ticy-sceatte doppelt zu zahlen, dri^care dreijährig, fyöer-föte vierfüssig {feoÖor-föta, -o pl. LR.^); ferner earfod-Jidtve schwer zu sehen, midfeonve in mittlerem lebensalter befindlich CP. 385, 31, toran-ea^e triefäugig.

Von sufflxbildungen ohne umlaut kommt ausser den a. a. o. bereits erwähnten -isc (vgl. noch ceorlisc, s<^'aÄlisc und bes. namen wie sallisc, romdnisc), -incel (belege s. Ags. gr. § 248, anm. 4) und -inj (man beachte besonders die patronymica wie Eafins, Eopxnns, Brandinj, Wödenins etc., die überhaupt keinen umlaut haben, auch das adverbiale -insa wie in eallin$a neben eallungd) das -en jüngerer stoffadjectiva in betracht, wie in swejlen, stoccen, treotven (seolcen neben sücen, seolfren neben sylfren) zu sivefl, stocc, lieoiv, sioluc, siolufr u. ä.

LEIPZIG, 8. märz. 1902. E. SIEVERS.

DIE SUBSTANTIVFLEXION SEIT MITTELHOCHDEUTSCHER ZEIT.

I. teil: Masculina.

Aus dem beg-riff der scliriftspraclie als kimstspraclie ergibt sicli die tatsaclie, dass diese den verschiedensten einwirkimg-en von seilen der mundarten ausgesetzt ist. Zalilreiclie schwierig-- keiten bieten sich bei der erklärung der nhd. sprachlichen Verhältnisse, wenn man unmittelbar an die spräche der mhd. klassiker anknüpft. Erst die erforschung der mundarten hat neue ausblicke eröffnet und zur erkenntnis mancher erschei- nungen geführt. Seit Jacob Grimm bis auf die gegenwart hat es nicht an gelungenen versuchen gefehlt, eine brücke zwischen nhd. und mhd. sprachniedersetzung zu schlagen. Für die ganze nhd. epoche aber ich meine die zeit von 1350 1800 ist das gebiet der formenlehre noch nicht behandelt worden. In der vorliegenden arbeit habe ich mir die aufgäbe gestellt, einen teil dieses zweiges der nhd. grammatik im Zu- sammenhang zu betrachten: es ist die flexion des Substantivs.

In der einleitung überblicke ich zunächst die abhandlungeu, die sich mit dem gegenständ beschäftigen, und suche den wert ihrer ausführungen für meine darstellung zu bestimmen. Daran wird sich die aufzählung sprachwissenschaftlicher einzelunter- suchungen schliessen, die für die nhd. zeit recht zahlreich sind, für mein thema indes wegen der Unzulänglichkeit ihres materials oft im Stiche lassen. Es folgen die angaben der von mir ge- prüften texte und daran reihen sich zum Schlüsse der einleitung die titel der älteren grammatiken, deren regeln zur ergänzung der aus den texten gewonnenen resultate nicht durften über- sehen werden.

Beiträge zur gescliichte der deutschen spräche. XXVII. "14

210 MOLZ

In betreff der citate ist folgendes zu bemerken: Die angaben des fundortes sind meist unterblieben, wenn eine form aus Gortzitza, Kelirein oder einer andern darstellung entlehnt wurde. Aber auch bei einigen von mir selbst unter- suchten texten sind leider die belegsteilen nicht notiert worden. 80 bei Rosenblut, Folz, Purgoldt, Pauli, Manuel, Alber, Julius von Braunschweig, Mathesius und Ayrer. Ich verfuhr bei der Prüfung der denkmäler natürlich statistisch, unterliess aber im anfang, durch falsche Vorbilder verleitet, die genauere auf- zeichnung des fundortes jeder form. In diesem falle nun bitte ich um glauben. Dem wissenschaftlichen wert der darstellung geschieht darum kein abtrag; da, wo meine notizen für die lexikographie Interesse beanspruchen dürfen, sind die beleg- st eilen aufgezeichnet. Für die belegstellen galt mir bei allen denkmälern dasselbe princip: die erste zahl gibt die seite an, die zweite die zeile. Ein stern hinter einem citat bedeutet, dass die betr. form im reim steht.

Arbeiten über die nhd. substantivflexion.

W. 0. Gortzitza, Die nhd. substantivdeclination. 1. teil, progr., Lyck 1843. 2.teil, Herrigs archiv 16, 405ff. 3. teil, progr., Lyck 1866. Gortzitzas arbeiten sind besonders für die zeit der blute der deutschen literatur als Sammlungen von hohem werte. Ihnen verdanke ich im wesentlichen die citate aus den werken von Herder, Wieland, Goethe, Schiller u. a.

J. Kehrein, Grammatik des 15.— 17. jh.'s. 1, § 267—318. Die Sammlungen Kehreins waren zur ergänzung meiner eigenen Untersuchungen willkommen. Albrecht von Eyb, Aventin, Sachs, Moscherosch sind abei' von neuem geprüft, wodurch zugleich ein massstab für die Zuverlässigkeit von Kehreins citaten ge- wonnen wurde.

Klaudius Bojunga, Die entwicklung der nhd. substantiv- declination, Leipzig 1890. Burdach hatte ohne zweifei auch Bojungas abhandlung im äuge, als er von einzeln verdienst- lichen Specialuntersuchungen auf dem gebiete der nhd. spräche redete. Bojunga hat, anknüpfend an die forschungen von Paul und Behaghel, die associativen und lautphysiologischen Vor- gänge in der nhd. substantivflexion dargestellt. Der weg, den Bojunga in dieser beziehung eingeschlagen, ist auch von mir

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 211

verfolgt worden. Auf seine Untersuchung" muss ich also ein für allemal verweisen. Das material indes, auf das sich Bo- jungas erörterungen gründen, kann nicht als genügend be- zeichnet werden. Der mangel an ausreichender lectüre hat den verf. zuweilen zu irrigen Schlüssen geführt. Auch die heimat und damit die dialektischen eigentümlichkeiten der ein- zelnen schriftsteiler haben bei Bojunga nicht die gebührende beachtung gefunden. Trotzdem bietet das ganze der arbeit eine so reiche fülle von sicheren ergebnissen, dass ich den ins allgemeine gehenden theoretischen erörterungen nicht allzu viel neues hinzufügen kann.

0. Behaghel, Pauls Grundr. I2, 752 ff.

Endlich muss hier noch erwähnt werden W. Friedrich, Die flexion des hauptworts in den heutigen mundarten, Giessener diss., Halle 1901. Die arbeit Friedrichs, die eine Zusammen- fassung der in der modernen dialektliteratur zerstreuten an- gaben über die flexivischen erscheiuungen des hauptworts in den mundarten darstellt, ist zur ergänzung meiner ausführungen herangezogen. Oft genug stehen die bei Friedrich erwähnten tatsachen auch mit meinen ergebnissen in einklang. Der ver- gleich des heute in der mundart bestehenden und der in unsern texten begegnenden erscheiuungen wird in diesem falle einen rückschluss auf den Zeitpunkt gestatten, seit welchem die mundart sich in ihren heutigen bahnen bewegt. So wird auch Friedrichs arbeit dazu beitragen, manche Wandlungen, die sich in unserer nhd. substantivfiexion vollzogen haben, ins rechte licht zu rücken.

Da aber alle natürliche Sprachentwicklung einem ununter- brochenen Wandel unterworfen ist, werden die angaben Fried- richs häufig mit den in meinen texten landschaftlich begrenzten eigentümlichkeiten nicht übereinstimmen. Dem gegenüber soll meine arbeit gleichsam die geschichte der flexion auch in den Schriftsprachen der einzelnen dialektgebiete aufzeigen bis zu dem Zeitpunkt, wo die im wesentlichen auf md. grundlage be- ruhende nhd. bildungssprache sich bahn zu brechen beginnt; d.h. nach dem auftreten Luthers. Ich rede ausdrücklich von der flexion der Schriftsprachen einzelner dialekte. Denn es darf als ausgemacht gelten, dass die spräche eines Kyb, Pauli, Aventin oder irgend eines andern autors aus der frühnhd. zeit

14*

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weit entfernt gewesen ist, die reine lieimisclie mundart widerzu- geben. Wann lagen die in der abhandlung Friedrichs gezeich- neten flexivischen Verhältnisse in den mundart en vor? Zu wel- chem Zeitpunkte gaben die mundarten die Casusunterscheidung auf? Diese fragen lassen sich an der hand der erwähnten disser- tation durch eine sorgfältige prüfung solcher denkmäler, die be- sonders mundartliches gepräge tragen, einer sicheren lösung zuführen. Die beantwortung dieser fragen greift über mein thema hinaus. Vielleicht kann bei anderer gelegenheit darauf eingegangen werden.

Schliesslich ist es noch wichtig, darauf hinzuweisen, dass bei der reflexion über die gestaltung, den aufbau einer Schrift- sprache psychologische erwägungen in höherem grade am platze sind als bei der erklärung dialektischer eigentümlichkeiten. Die mit der niederschrift eines wortes zusammenhängender rede verbundene müsse und Überlegung weckt weit mehr die er- innerungsbilder verwanter vorstellungskategorien als die rasch- heit des gesprochenen wortes. Dazu wäre vor allem die be- handlung der mhd. schwachen masculina in den mundarten (Friedrich s. 40. 46) und in der Schriftsprache (s. unten unter 'masculina mit -ew-suffix') zu vergleichen,

Vorarbeiten. J. Grimms darstellung der nhd. spräche in seiner Deutschen grammatik leidet unter dem allgemeinen mangel seiner zeit an genauerer kenntnis der Schriften des 14. 17. jh.'s. Dieser lücke ist sich Grimm bekanntlich wol bewusst gewesen. Er gibt, Gr. vorr. xi dem wünsch ausdruck, dass andere unser wissen von dem werden der Schriftsprache durch sprachliche Untersuchungen der schritten jener zeit des Übergangs ver- tiefen möchten. Dem rufe des meisters folgte als erster K. A. Koberstein, der in den jähren 1828 1852 mit seinen Unter- suchungen Ueber die spräche des österreichischen dichters Peter Suchenwirt den reigen der einschlägigen sprachwissen- schaftlichen Sonographien eröffnete. Im jähre 1844 hat Fr. Pfeiffer in der einleitung zu Boners Edelstein s. x von neuem die Wichtigkeit sprachlicher Untersuchungen der schriftlichen denkmäler der in rede stehenden periode betont. Die gegebenen anregungen sind auf fruchtbaren boden gefallen. Aus der

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grossen zahl der bis jetzt erschienenen hierhergehörigen ab- handlimgen sind in meiner darstellung folgende benutzt: über

Abraham a Santa Clara: C. Blanckenburg-, lieber die spräche Abrahams, Halle 1897. F. Laue her t, Ueber die sijrache Abrah., Alem. 17, 77 ff.

Alberus, Erasmus: W. Fundiiiger, Die darstelhiug der spräche des Erasmns Alb., Freiburg 1892.

Dornblüth, Augustin: C. Boucke, Dorublüths Observationes, Frei- burg 1895.

Elisabeth Charlotte von Orleans: A.Urbach, Ueber d. spräche in den deutschen briefen der herzogin Elis. Charl. v. Orl., Greifswald 1899.

Goethe: A.Lehmann, Goethes spräche und ihr geist, Berlin 1852. E. Alb recht. Zum Sprachgebrauch Goethes, Crimmitschau 1877. Erich Schmidt, Anz.fda. 20, 310. Paul Kuauth, Goethes spräche und stil im alter, Leipzig- 1898.

J.Grimm: K. G. Andre sen, Ueber die spräche Grimms, 1869.

Haller: Horak, Die entwicklung der spräche Hallers, Bielitz 1890 f.

Herder: Th. Längin, Die spräche des jungen Herder in ihrem Ver- hältnis zur Schriftsprache, Freiburg 1891.

Heribert von Salurn: Adolf Hu eher, Ueber H, v. Salurn, Inns- bruck 1872.

Kaufringer: K. Eulin g, Ueber spräche und verskuust Kaufriugers. Lingen 1899.

H.V.Kleist: G. Minde-Pouet, H. v. Kleist, seine spräche und sein Stil, Weimar 1892.

Klopstock: "Würfl, Ueber Klopstocks poetische spräche, Herrigs arch. 64, 271-340. 65, 250—320.

Lessing: Fr. Tj-rol, Lessings sprachliche revision seiner jugend- dramen, Berlin 1893.

Luther: K.Franke, Grundzüge der Schriftsprache Luthers, Neues Laiis. mag. 24 (1888). G. Kiessling, Bibelsprache und rahd., 6. Jahresb. d. sem. zu Zschopau 1876. 0. Hertel, Die spräche Luthers im Sermon von den guten werken, Zs. fdph. 29, 433 ff. [Nicht zugänglich war mir W. W. Flor er, Substantivtlexion bei M.Luther (Bibelausg. 1545), Ann Arbor 1899 (diss. der Cornell univ.)].

Thomas Murner: Fr. Lauch er t, Studien zu Thomas Murner, Alem. 18, 139 ff. 283 ff. 19, 1 ff.

Schiller: F. M. E. Kasch, Mundartl. in der spräche Schillers, Greifs- wald 1900.

S u c h e n vv i r t : C. A. K 0 b e r s t e i n , Quaestiones Suchenwirtianae spec. H. Numburgi 1842.

Volksbuch vom Dr. Faust: Edwin Hagfors, Die substantivdecli- nation im Volksb. v. dr. F., Memoires de la societe neo-philologique ä Hel- singfors 2 (1897), 65 ff.

Unter diesen verdienen die arbeiten von Blanckenburg, Andresen, Horak, Würfl, Franke, Hertel, Laiichert,

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Kasch und Hagfors als für unsere abhandlung besonders wertvoll hervorgehoben zu werden.

Untersuchte texte. Selbst untersucht habe ich:

14. Jahrhundert: Ulrich Boner, lier. v. Franz Pfeiffer. Matthias Beheims Evaugelienbnch, her. v. Bechsteiu. Urkunden in Weizsäckers Reichstagsacten ä. r. 1 und bei Janssen, Frankfurts Eeichscorr. 1.

15. Jahrhundert: Urkunden hei Chmel, Urkunden, briefe und zur geschichte Maxim. (Bibl. d. lit. ver. 10) imd im Urkundenbuch der Stadt Arn- stadt (Thür. geschieh tsqu eilen 1). Joh. Purgold t, Eechtbuch (Sammlung der rechtsquellen 2). Chroniken deutscher städte: Augsburg 1. 3. 5, Nürnberg 4. 5, Mainz 1. Stretlinger chronik (um 1450) her. v. Bäch- told (Bibl. älterer schriftw. d. deutschen Schweiz 1). Michael Beheim, Buch V. d. Wienern (1466), her. v. Karajan. Hans Eosenblut, in der Bibl. des lit. ver. bd. 28. 29. no. 5. 16. 39-42. 45. 47—49. 65—104. 116. bd. 30, s. 1083— 1185. Hans Folz, ebda. bd. 28. 29. no. 1. 7. 38. 44. 60. 112. bd.30. s. 1197— 1323. Niklas von Wyle, Translationen, ebda. bd. 57. Buch der beis-piele der alten weisen (1481), ebda, bd.56. Sebastian Brant, Narrenschiff, her. v. Zarncke. Albrecht von Eyb, Ehebüchlein und dramenübertragungen, in den Schriften z. gerra. phil., her. von M. Eoe- diger, h. 4f. Ulrich Füeterers prosaroman von Lanzelot, her. von A. Peter (Bibl. d. lit. ver. bd. 175).

16. Jahrhundert: Chroniken deutscher städte: Augsburg 4, Mainz 2. Die geschichten und taten Wilwolts von Schaumburg (Bibl. d. lit. ver. bd. 50). Sterzin g er spiele (1510—1511), her. von 0. Zingerle (Wiener neudi-ucke 9). Weisskunig, her. von A. Schulz, Wien 1888 (Jahr- buch der kunsthistorischen samml. des allerh. kaiserhauses bd. 6). Joh. Pauli, Schimpf und ernst (Bibl. d. lit. ver. bd. 85). Niklas Manuel, Bibl. alt. Schriften der deutsch. Schweiz 2 (1878). Joh. Turmair gen. Aventinus, Baierische chronik, her. von M. Lexer, 1, 2 (München 1883), s. 581— 903. Justus Jonas, Briefwechsel, ges. von Gustav Kawerau, Halle 1885. ErasmusAlberus, Wider die verkehrte lehre der Carlstadter, 1556. Paul Eebhuhn, Dramen (Bibl. d. lit. ver. bd. 49). Zimme- rische clironikl (Bibl. d. lit. ver. bd. 91). Hans Sachs, Werke bd. 16 (Bibl. d. lit. ver. bd. 179). Burkhard Waldis, Esopus, Deutsche bibliotkek 1,1,1 292. Nicolaus Herman, Die sonntagsevangelien, Bibl. deutscher schriftsteiler a. Böhmen bd. 2 (1895). Joh. Mathesius, Werke, Bibl. deutsch, schriftst. aus Böhmen bd. 4. 9. Heinrich Julius von Braun- schweig, Dramen (Bibl. d. lit. ver. bd. 36). Cyriacus Spangenberg, Von der musica und den meistersängeru (Bibl. d. lit. ver. bd. 62). Jacob Ayrer (Bibl. d. lit. ver. bd. 78— 80). Nicodenms Frischlin, Deutsche dichtungeu (Bibl. d. lit. ver. bd. 41). Georg Eoll enhagen, Froschmeuseler, her. von K. Goedeke (Leipzig 1876), s. 1—150.

17. und 18. Jahrhundert: Joh. Rud. Fischer, Letzte weltsucht imd teufelsbrut, Ulm 1623. Martin Opitz, Buch von der deutscheu poeterei,

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 215

162-1: (Hall, ueuflr. 1). J. M. Moscherosch, Wunderliche i;nd wahrhaf- tige gesichte Philanders von Sittewald, Strassbnrg 1643, 1. 1. Simon Dach, Gedichte, her. von H. Oesterley (Bibl. d. lit. ver. bd. 130), s. 91—290.

Marino Kalloandro, Nürnberg 1656, 2 teile. Andreas Gryphius, Trauerspiele (Bibl. d. lit. ver. bd. 162), s. 1—100. Christian Weise, Die drei ärgsten erzuarreu, 1673 (Hall, neudr. 12— 14). Daniel Casper von Lohenstein, Grossmütiger feldherr Arminius oder Herrmann, Leipzig 1689, s. 1 150. Amandas de Amando, Der verliebte Europäer, Wien 1682.

Dauid Georg Morhof, Unterricht von der teutschen spräche und poesie, Kiel 1682. Christian Reuter, Schelmuftsky. Lustspiele: Die ehrliche frau. Frau Schlampampe (Hall, neudr. 57. 58. 59). Chronik der gesell- schaft der mahler, 1721—1722, Bibl. alt. schriftw. d. deutschen Schweiz 2. Serie, h. 1 (1887). Parnassus boicus oder neu eröffneter musenberg bd. 2. 3, München 1723—1726. (Georg Litzel), Der undeutsche katholik durch Megalissus, und im anhang: Jesuiteupoesie, Jena 1731.

Für die wähl der untersuchten texte sind die von Burdach, Kluge, Schröder, v. Bahder (in der einleitung zu seinen Grund- lagen des nhd. lautsj^stenis) aufgestellten gesichtspunkte mass- gebend gewesen. Vgl. die literaturangaben in Pauls Grundr. 12,674.1)

Aeltere grammatiker. Von älteren grammatikern wurden zu rate gezogen:

J. Ch. Adelung, Lehrgebäude der deutschen spräche, bd. 1, Leipzig 1782. K. Fr. Aic hing er, Versuch einer deutschen Sprachlehre, Frankfurt und Leipzig 1753. Laur. Albertus, Deutsche grammatik, her. von C. MüUer-Fraureuth, Strassbnrg 1895. J.Bödiker, Grundsätze der deutschen spräche, Colin a. d. Spree 1690; vermehrt durch Frisch, Berlin 1729; durch neue zusätze vermehrt von Joh. Jac. Wippel, Berlin 1746. (Braun),

1) Den dort angeführten Schriften seien die folgenden hinzugefügt: R. von Raum er, Ueber die entstehung der nhd. Schriftsprache, in dessen Gesammelten sprachw. Schriften (1863), s. 189 ff. Ders., Das deutsche Avörterbuch der gebrüder Grimm und die entwicklung der nhd. Schrift- sprache, ebda., s. 331ft. W. Scher er, Die deutsche Spracheinheit, vor- trage und aufsätze (1874), s. 45 ff. E. Wülcker, Luthers Stellung zur kursächsischen kanzleisprache , Germ. 28, 191 ff. Eugen Wolf, Ueber Gottscheds Stellung in der geschichte der deutschen spräche, Festschr. für R. Plildebrand (1894), s. 208 ff. Bruno Arndt, Der Übergang vom mittel- hochdeutschen zum neuhochd. in der spräche der Breslauer kanzlei, Breslau 1898 (dazu vgl. die rec. von W. Scheel, Zs. fdph. 31 (1899), s. 514 ff.). J.Luther, Die reformationsbibliographie und die geschichte der deutschen spräche, Berlin 1898. E.Schröder. Rec. von Lindmeyrs diss. über den Wortschatz in Luthers, Emsers und Ecks Übersetzung des Neuen testaments, Gott. gel. auz. iÜ2 (1900), 274 iL

216 MOLZ

Anleitung zwr deutschen sprachkuust, Münclien 1765. Jac. Brücker, Teutsche grammatik, Frankfurt 1G20. J. Clajus, Deutsche grammatik (1578), her. von Fr. Weidling, Strassburg 1894. Nath. Duesius, Cona- pendium grammaticae germ., Amstelodami 1668. Girhert, Grammatik, JMühlhausen i. Th. 1653. J. Chr. Gottsched, Vollständige und neuerläu- terte deutsche Sprachkunst, 6.aufl., Leipzig 1776. Chr.Gueintz, Deutscher Sprachlehre entwurf, Cöthen 1641. Joh. Mich. Heinz e, Anmerkungen über herrn prof. Gottscheds deutsche Sprachlehre, Gott, und Leipzig 1759. Jac. Hemmer, Deutsche Sprachlehre, Mannheim 1775. Chr. Fr. Hempel, Er- leichterte hochdeutsche Sprachlehre, Frankf. und Leipzig 1754. Die teutsche Grammatica von dem Informatore der teutschen spräche bei dem Petersb. gymuasium. Gedr. bei d. akademischen buchdruckerei, Petersb. 1730 (citiert Euss. gramm.). Joh. Hei. Meichsner, Handbüchlein, 1564. Joh. Nast, Der teutsche Sprachforscher, 1. teil, Stuttg. 1777. Alb. Gelinge r, Deutsche grammatik, her. von W. Scheel, Halle 1897. Is. Pölmaun, Neuer hoch- deutscher Donat, zum grund gelegt der neuhochd. grammatik, Berlin 1671.

J. S. Y. Popo witsch, Die notwendigsten aufaugsgründe der teutschen Sprachkunst, Wien 1754. St. Ritter, Grammatica germanica, Marpurg 1616. H. Schoepf, Institutiones in lingiiam germanicam sive alleman- nicam, Mainz 1625. J. G. Schottel, Ausführliche arbeit von der teutschen haubtsprache, Braunschweig 1663. J.C. Stieler (der Spate), Kurze lehr- schrift von der hochteutschen sprachkunst (anhaug zu seinem Wörterbuch).

J. B. Thomasiuus, Nouvelle grammaire allemande, Basle s. 1. Rhin 1692.

J. G. H.Weber, Deutsche sprachkunst, Frankf. a.M. 1759.

Einige ältere werke waren mir nicht zugänglich; andere boten nichts wesentliches.') Wichtig für meine Untersuchung waren dagegen in erster linie die grammatiken des 18. jh.'s, deren entstehung wol meist auf Gottscheds energisches ein- treten für eine geregelte gemeinspraclie zurückzuführen ist. Es sind dies die werke von Aic hinger, Braun, Hemmer, Nast und Popowitsch. Diese lehnen sich in ihren aus- führungen sicher an Gottsched an, dessen Grundlegung einer deutschen sprachkunst bereits im jähre 1724 erschienen war. Aber gerade auf dem gebiete der declination zeigen sich bei ihnen wichtige abweichungen von Gottsched, die mundartlichen einfluss widerspiegeln.

Welch wichtige rolle Adelung bei der regelung der flexi- vischen Verhältnisse des nhd. Substantivs gespielt liat, wird dem äuge des aufmerksamen lesers nicht entgehen. Er war

') Dahin gehören: FabianF rank, Deutscher sprach art und eigenschaft, 1531. Deutsche sprachkunst, Halle 1630. Neue kurze und deutliche Sprachkunst, Regensburg 1687.

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 217

es, bei welchem sich selbst unsere grossen dichter in fällen des zweifeis rats erholten.

Wörterbücher. Neben dem Deutschen Wörterbuch der brüder Grimm, wurden die älteren Wörterbücher von Dasypodius, Maaler Henisch, Stieler, Steinbach und Frisch zur ergänzung

herangezogen. ')

Anlage.

Was die anläge meiner arbeit im ganzen betrifft, so mussten für die einteilung in flexionsklassen zunächst die nhd. Verhält- nisse massgebend sein. Innerhalb dieser klassen bildet dann das mhd. die weitere grundlage. Freilich ist es nicht immer möglich, die mundartlichen besonderheiten der einzelnen denk- mäler von dieser basis aus zu erklären. Wenigstens ist nicht immer mit Sicherheit zu entscheiden, inwieweit seit älterer zeit eine Sonderentwicklung in einzelnen dialekten stattgefunden hat. Doch sind diese fälle selten.

Den mannigfachsten einflüssen waren die flexivischen gruppen unter sich ausgesetzt. Berührungen und Übergänge dieser art werden, sofern sie nur vereinzelt auftauchen und nicht zur ausbildung von besondern klassen führen, bei der darstellung der entwicklung jeder einzelnen klasse mit erwähnt werden: so wird z. b. der pl. armen seine stelle bei der behand- lung der männlichen «-stamme finden, und nicht bei der misch- klasse der masculina; ebenso der pl. arme nicht bei den «-stammen. Durch diese art der behandlung wird es leichter, den umfang der associativen Vorgänge zu verfolgen, denen jede gruppe aus- gesetzt gewesen ist.

I. Uinlautsfäliige a- stamme.

Die zahl der nach dem reinen t3^pus der a- stamme flec- tierenden Wörter ist durch die weite ausdehnung des umlauts stark vermindert worden. Schon im mhd. gab es deren relativ nur wenige. Aber ihre anzahl wurde durch den übertritt einer reihe von i-stämmen, durch den anschluss einer anzahl schw^acher masculina und einer menge von fremden Wörtern vermehrt.

>) Andere benutzte Schriften werden im lanfe der darstellung namhaft gemacht werden.

218 MOLZ

1. Mild, a-stämme, die sich im nlid. behauptet habeu: ann, yurt, lidlm, huncl, krach, laut, pimld, schuh, tag, thron, tod.

Die a-stämme sind bei der entwickhing- des deutschen bis zum nhd. herab mannigfachen Schwankungen unterworfen ge- wesen. Am liäufigsten treten sie zur flexion der «-stamme über, deren numerisches übergewicht die a-stämme zur annähme des Umlauts drängte. Die folgende Übersicht zeigt, wo und wann diese berührung auch in literarischen erzeugnissen eine rolle gespielt hat.

Bairiscli: arme Braun; hälme Braun; Jcirchtägen Oest. weist. 294,39; tag Sterz, sp. 272,274, Weiskunig 6,21. 325,8; landtägen Chmel (1513) ; reichsteig Aventin 663, 2 ; tag Aventin 839, 24 ; tag, tagen Abraham ; tilgen Parn. boic. 2, 104; freitägen Parn. boic. 3,330; tage (und tage) Braun; töd Aventin 787, 28.

Alemannisch: hiind^ und hiind* Manuel; händ(e) in Luzeru (nach Brandstetter) ; schuh Geiler, Murner (Schelm.); an Sonntagen und feier- ff/r/f?j Strassb. pol. -ordn. 1560 : töd, töden SireÜ. ehr.; ^öf7e Geiler; töd Pauli, Tschudi, Oelinger.

Schwäbisch: örmeNast; /(«>/f?f Nast; /i^mrZDorublüth; reichs- tag, reichstägen Augsb. 4, 303, 22. 5, 116, 4. 367, 13 ; tagen Urk. d. schwäb. bundes20: tilg, tagen Zimm. ehr. 4, 11. 36,26. 352,7. 444,27; galatäge, an montägen Schubart; tage, namenstäge, gehurtstilge, rechtstäge, sommertilge Schiller (Briefe).

Süd- und ostfränkisch: jaghünd* Ayrer: schlich H. Sachs 197, 22.23 (schuhe ebda. 495, 10); tilg* H. Sachs 397, 14; fleischtilge, fasttilge Harsdörf . ; tilge Kalloandro 2, 210. 260. 290 ; reichstägen Stieler 1 ; tilge und tage Stieler, Wb. ; töde Eyb, 4. Bib., Kalloandro 1, 118, Stieler, Wb.; thronen* Folz, Sachs.

Westmitteldeutsch bes. rheinfränkisch: «;v»cGrinim; hünd belegt Hemmer für die gegcnd von Mannheim ; reichstilg, fasttilg Albenis ; tilg (und tag) Schöpf; tilg Grimmelsh. ; tilg belegt für Mannheim Hemmer.

Ostmitteldeutsch und niederdeutsch: ör>?(c Hippel, H.v. Kleist; ja/tri«(7e« Joh. Mathesius ; tilg (und »äcWc) Fleming; fä/ye Schupp; Jcirchtäge Spindler; gehurtstäge Immermann; töde Job. Mathesius.

Es sind also im wesentlichen obd. denkmäler, in denen bei den rt-stämmen sporadisch der umlaut auftritt. Es bedarf indes der ausdrücklichen hervorhebung, dass die inundarten niemals so weit gewirkt haben, um die umgelauteten formen zur regel zu machen. Aus der geringen zahl der beispiele erhellt, dass die umlautsformen gegenüber den nicht umgelau- teten formen nur sporadisch auftreten. Dass gerade das obd.

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 219

gebiet dem eintreten des umlauts bei den a-stämmen geringen widerstand entgegengesetzt hat, erklärt sich aus dem bestreben der spräche nach trennung der numeri, die nach dem eintreten der apokope so oder auf andere weise eintreten konnte.

Neben dem umlaut bot sich zum ausdruck der pluralischen function die schwache endung -en. Diese stellte sicli besonders da leicht ein, wo häufiger (dualischer) pluralischer gebrauch einen masc. «-stamm mit dem plural der fem. w-a- stamme in fühlung brachte. Diese berührung war durch die Überein- stimmung des artikels und durch das numerische übergewicht der fem. w-plurale über alle arten der pluralbildung ermög- licht. Der M-bildung kam noch das streben nach deutlicher Scheidung der numeri zu statten.

pl. armen Pauli, Werders Ariost, Fleming, Chr. Weise 78, Haller, Alexis, Musäus. Zur erklärung des plurals armen sei noch auf die pl. angen, oJiren verwiesen. Vereinzelt ist as. armen Füet. 67.

pl. halinen Waldis 216, 5, Schiller, Goethe; weitere belege bei Gertz. 3,2. Aus dem n-pl. giengen auch «-hildinigen des sing, hervor: das. halmen 4. Bib., as. Strohhalmen Wicel.

pl. thronen Aichinger, Schiller, Goethe (neben throne); weitere belege bei Gortz. 3, i.

Der pl. schuhen findet sich Zimra. ehr. 100, 85 in der Verbindung sehen schuhen hoch; es ist wol an eine formenübertragung der massbestimmung eilen zu denken.

punkt stm. In frühnhd. zeit ist fast allein die schwache flexion von inmlit üblich. Zuweilen ist auch ein übertritt in die nrt-klasse bewerkstelligt: ua. 2runJcten Geiler, g&.punktois Fischart. n-bildungen des sing, begegnen: Stretl. Chr., Brant 102, 17, Wyle, B. d. beisp. U5, 38, .Alber, Brücker, Chr. d. gesellsch. der maier 94; w-formen des pl.: Urk. v. 1379 des Gerb. v. Wirzburg bei Weizs. 1, AVyle, Pauli, Strassb. pol.-ordn. v. 1560, Alber, Steinhöwel, Volksb. V. dr. F. 18, 17. 37, Oelinger, Albertinus ; pl. punMe Mainz 1, 132, 9. Die vocalische flexion besteht auch bei Ickelsamer. Zur erklärung der ».-l)il- dungeu kann nur die begriffliche vcrwantschaft mit buchstabe herangezogen werden. So ist bei Alberus die Verbindung punkten und huchstahcn sehr im schwänge.

Vereinzelt steht die Übertragung der neutralen 5 -plural- form bei

pl. hälmer Freidank 77, 12 var. n. Lexer, Stieler, Popowitsch, Gottsched, Grimm. Die begrifflich verwanten pl. hlüiter, gräser, Umher haben die aus- gleichung bewirkt.

2. Im mhd. schwanken zwischen der a- und /-decli- nation: yraä, hag.

220 MOLZ

pl. hiifj Oest. weist. 1, 284, 27. 293, 41 u. ö., häge Pestalozzi, ^&gQ\i. hlüicn- liayc Lenau.

3. Aus alter i-flexion sind im nlid. schliesslich zur a-klasse übergetreten: aal, hau, daclis, druck, fund, grat, -halt, liort, hilf, JcalJc, laclis, luchs, pfuhl, rost, ruf, schlot

aal.

pl. ääle Oeliiiger, Goetlie; : acde Stieler, Steinbach, Gottsched, Adelung; aal swm. bei Schöpf.

bau.

, pl. bau, bauen Ang-sb. 1,287,22. 5, 296, 27, Sachs 414, 18*; kircJihäu Augs- 4, 168, 27 ; : baue Hempel, Adelung.

Der pl. baue ist in der kunstmässigen Schriftsprache fast nur üblich zur bezeichnung* der Wohnungen der biber, dachse und fuchse, während im sinne von 'häuser' die erweiterte form hauten an seine stelle getreten ist.

druck.

pl. drücke findet sich noch im 19. jh. neben drucke. Goethe gebraucht nur drücke. Jetzt existiert die form drucke im sinne von 'das gedruckte'; drücken und drucken verhalten sich wie drücke und drucke. Dass hier die obd. form in die Schrift- sprache aufnähme fand, erklärt sich sachlich leicht. Auch war die durch die doppelformen geschaffene begriffliche diffe- renzierung dem analj^tischen streben der spräche angemessen.

Neuere nhd. composita lehnen sich in ihrer pluralbildung an die ihnen lautlich zunächst stehenden verben an: nachdrucke, neudrucke, aber ausdrücke, eindrücke; vgl. Paul, Prinzip.'' § 177. Behaghel, Germ.23,267ff.

fund.

pl. fünde Manuel, Tschudi, Geiler, Eyb, Wickram, Luther, Fischart, Waldis, Rachel, Moscherosch 34, Gottsched, Braun, Adelung, J. Grimm. Der pl. fimdc ist aus älterer zeit überhaupt nicht zu belegen.

halt, pl. halte: in heimlichen halten Aventin 877, 24.

huf. pl. /(»/(? Augsb. 5, 183, 7, Wyle, 4. Bib., Luther uachDWb.; : hufc Stieler, Adelung; : hxifen Schiller, Uhland, Zschokke, Löhr, Gutzkow, vgl. Gortz. 3, 5.

Zur erklärung der form Imfcn sei noch an den pl. sehen erinnert. Auch sei die fem. sing, form hufc Steinbach erwähnt, die für die häufigkeit des plur. gebrauchs in der form hufen Zeugnis ablegt.

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 221

dachs, lachs, luchs.

pl. dächse Stieler, Gottsched, Miisäiis ; lächse Stieler, Steinbach (ueben lachse); : lachse Brai;n, Adelung; luchse Brockes (nach DWb.), Hoffmanu von Fallerslebeu, Grimm, Gerb. Hauptmann, Schi, und J.; : luchse Steinbach, Adelung-.

Auf obd. boden wurden diese Wörter häufig zu der klasse der schwachen masculina hinübergezogen, in deren rahmen sie durch ihren begrifflichen Inhalt passten. Consonantisch flec- tieren: dachs bei Mich. Beheim, Braun, luclis bei Nast, Braun. Schmeller s. 263 belegt wenigstens für den ostlechischen dialekt die conson. flexion von dachs {fuchs), lachs, luchs. Das auf- geben des umgelauteten plurals ist durch die Seltenheit der an- wendung dieses numerus veranlasst (vgl. unten s. 224).

pfuhl. dp. pfülen Waldis 43,20. 45,80; pl. pfühle Gottsched.

ruf.

pl. ausrufe Duller, Grabbe, Goethe.

Schlot.

pl. Schlote Ayrer, An. Grün.

4. Zwischen neutrum und masculinum schwanken in mhd. zeit docht, mord, ort, pfad. Das neutrale geschlecht dieser Wörter ist (ausser landschaftlich) heute untergegangen.

docht wird in der älteren nhd. epoche fast nur als n. gebraucht: Luther, Olajus, Schöpf (n. f.), Stieler, Steinbach; n. und ni. Gott- sched, Adelung; m. Frisch, Nast.

pl. dachte und düchter Steinbach; dachte und dächte Gottsched, Ade- lung; dächte Nast.

mord.

n. Boner, Manuel, Mich. Beheim, Augsb. 5, 318. 17, Aventin 853, 30, Sachs 285,20, Zimm.chr.189,3; : m. Füet.79, Waldis 14,290, Spangenb. 81, Stieler, Steinbach. pl. mörd{e) Augsb. 5, 96, 5, Aventin, Mathesius, Zincgref, Opitz 22, Kalloandro 2,235; : mord Sachs 237,41.

ort. n. Stretl. Chr., Füet. 74, Aventin 600,28. 641,5 tf., Zimni. ehr. 15,18, Sachs 209,2, Schöpf, Abraham; : n. und m. Matth. v. Beheim, Mich. Beheim, Luther, Pauli, Alber, Frischlin, Oelinger, Ayrer, Ritter, Stieler, Parn. boic. 2, 70. 72. 3,328, Aichinger; : m. Waldis 202, 7, Spaugenberg 28, Steinbach.

Die bildung örter fällt in frühe zeit. Schon der Hallenser Übersetzer der Evangelien gebraucht zu dem neutralen ort (eine münze) den pl. orter e L. 21, 2. Zu dieser bedeutung kommt das

222 MOLz

wort später auch als n. nocli bei Ritter vor. Von dem pl. örter des 11. war die Übertragung der s-form auf den pl. orte des m. leicht möglich.

pl. orte und örter werden promiscue gebraucht in der 4. Bib., in den Urk. z. gesch. Max., örter Chmel 441, von Luther, bei Just. Jonas orte = 'stellen in büchern' brief von 1524 ; örter ^= 'dörfer' brief von 1539, Alber, Sachs örter 232,20, Zimm. ehr. 9, 4. 22,6 u. ö., J. v. Braunschw. u.s.w.

Nur selten ist ort mit den «-stammen in contact getreten: pl. ort, orten Augsb. 2, 294, 10. 314,8. 5,337,22; nap. orte J. v. Braunschw.

pfad.

n. Jeroschin; pl.jj/'äfZer* und j;/'('u?c* Hugo v. Langenstein; u. Schottel; ■pl. pfad Sachs 477, 3 (gen.?); m. pl. jj/'rtfZe Stieler; n. und ni. Steinbach; ni. Frisch.

5, Einige w-stämme sind in die a-declination ein- getreten: aar, hörn, molcli, mond, sahn, staar, strauss (avis), hräutigam, Jeiclinam, unlwld, tvidcliopf. Die Verschiebung ist zu verschiedenen zeiten geschehen, je nach Inhalt und laut- gestalt der Wörter.

aar.

aar findet sich im B. d. beisp. mit der uebeuform är (auch bei Stieler). Die starke pluralform ür B. d. beisp. 110, 2 könnte die Vermutung nahelegen, dass der umlaut aus dem pl. eingedrungen ist (vgl. den Schweiz, sg. frösch); as. aar B. d. beisp. 104, 6 (vereinzelt; sonst herscht im B. d. beisp. die li-flexion vor); aar stm.: pl. uare Steinbach.

born (stswm.)

setzt im nhd. nur die a-flexion fort. M. born der gerechtigkeit Mainz 1; as. born Mainz 1,316,32; pl. borne Purgoldt; : börne Luther, Pölmann, Gottsched. ^ ,

molch.

mhd. moWe swm. ; pl. mo/c/te« J.v.Braimschw.; : mohh stm.; \A.molchc

Steinbach, Aichinger. ^

' ^ mond.

Auf md. gebiet findet sich früh die starke form: pl. mande Matth.

V. Beheim L. 1, 24, aber auch ds. vi anden L. 1, 26, pl. m anden L. 4, 25 ; ds. m onde

1345 Urk. d. st. Arust., gs. monden 1487 ebda., vwxdc^ Mainz 1,54, 1; np. wane

Mainz 1, 44, 4. Luther flectiert das wort scliwach. Vereinzelt ist bei ihm

gs.monds. Just. Jonas gs. moMfZs, dis. mond; Joh. Mathesius gs.hcumonden;

Volksb. V. dr. F. gs. monds 70,11; Opitz ns. monde 38, gs. mondens 9, as.

monden id; Kalloandro 1 gs. mondens 76; Schupp flectiert stark ; Sira. Dach

gp. monden 200, Loheustein gds. monden 15. 9. 10. 67, Weise ds. monden 40,

ii\). monden '62; Iloffm. v. Fallersl. ds. moiuZen; Pölmann, Steinbach ns. auch

mit uiiorg. n: monden, Ilempel, Ciottsched, Heinze schreiben die consonan-

tisclie flexion vor. Frisch, Adelung dagegen die heute geläufige «-flexion.

Auf übd. bodeu finden wir ds. mon B. d. beisp. 106,11 (vereinzelt, gs.

NHD. SÜBSTANTIVFLEXION. 223

monen 5 m.), Wihvolt 193, Aveutiu 894,21 ; gs. des vwnes schein Sachs 499, 12 und 20, 55, 35, des mondes glinster Sachs 20, 59, 7; gp. monden Moscherosch (32. pl. monden Schiihart, Schiller, Uhland; 7noK(^ swm. Nast, wo»(? stm. Braxiu.

salm.

Nur die «-flexiou ist zu belegen: pl. scdvien Augsb. 3, 18, 20, Ayrer, ns. sahnen mit unorgan. n nach dem muster anderer fischnamen wie karpfen: Maaler, Schöpf, salm swm. Popo witsch, Aichiuger, Nast.

staar.

pl.stoflrenFolz, J.Grimm; staar swm. Ayrer, Schöpf, Nast; s/aar sing. st., pl.sw. Hemmer; staar stm. Steinbach, Gottsched, Hempel, Aichinger, Adelung.

strauss.

mhd. strüze stswm. ; gs. struzes Boner, ngp. straiissen 4. Bib., as. strauss Luther, up. s^ransse« Luther, gs. s/rai<s.sen Dietenberger ; s/>Y<i«ss swm. Nast, Aichiuger, stm. Gottsched, Hempel.

Hiernach ist erst im 18. und 19. jli. die schwache flexion der erwähnten «-stamme untergegangen. Besonders haben sich die bezeiclmungen lebender wesen erst spät der a-decli- nation angeschlossen und hier ist Mitteldeutschland für unsere heutigen Verhältnisse massgebend geworden.

Die mehrsilbigen hriutigame, lichame, unholde, ividehopfe giengen nach nhd. betonungsgesetzen des auslautenden e ver- lustig und traten von der a-form des nominativs ganz zu der a-declination über. Die cons. flexion von hräutigam und leichnam erscheint in nhd. zeit nicht mehr.

bräutigam.

stm. Matth. v. Beheim, M. 25, 1. 9, 15, Roseublut^ Augsb. 5, 110,27. Eyh,

E.92, 15. 1 . ,

' leichnam.

stm. Matth. V. Beheim, M.6,22. 10,28, Urk. v. 1376. 1377 Weizs.l, Aiigsb.

1, 305, 17, Rosenblut, Urk. d. st. Arnst. v. 1487; vereinzelt gs. lichnamen Urk.

V. 1376 Weizs. 1. in

unhold.

swm. Jeroschin; jA. nnholdcn A.\entm 662,6; J.Engel, Wieland nach

Gortz. 3, 4.

unJiold büsste durch den Untergang des in mhd. zeit ge- bräuchlichen adjectivs unliolt seinen adjectivcharakter ein und trat mit trunhenhold, raufhold, hohold in eine lautlich-begriff- liche gruppe.

G. Auch fremde Wörter schlössen sich in ihrer flexion den a -stammen an: dolch, dorn, dorsch, schuft, Stoff u. a.

224 MOLZ

dolch. Mit seinem eintritt in unsere spräche folgt äolcli in seiner flexion den ««-stammen.

ns. dolch Dasypod., Fischart, Henisch; dolchen bair. nach Schmeller; gs. dolchens Pauli, ') ds. dolchen J. v. Braunschw., as. dolchen Pauli 2 m., B. der liebe (Frkf. 1587) nach DWb., Ayrer 2m.;: dolch Sachs 90, 4, J. von Braunschw., Heuisch, Opitz nach DWb. ; pl. dolchen Fischart (Gargantua), Kirchhof (Weudunm.) uach DWb. Lessing flectiert nach der «-decliua- tion. Ebenso später die grammatiker Aichinger, Adelung.

dorsch. swm. Nast.

Damit wäre die a-klasse, wie sie unsere spräche heute bietet, im wesentlichen erschöpft. Es bleibt uns noch übrig-, den gründen nachzuforschen, die für das festhalten der mhd, a-flexion oder für den eintritt in die a-klasse bestimmend waren. Bei der grossen anziehungskraft, denen diese stamme von selten anderer gruppen ausgesetzt waren, wird es nicht möglich sein, für alle nhd. a-formen eine sichere erklärung zu finden.

AYenn wir die häufigkeit des pluralgebrauchs betrachten, erkennen wir, dass arme, hiinde, schuhe, tage formen der un- unterbrochenen Überlieferung sind, während auf der anderen Seite die seltenen hörne, krache, molche, moncle und die bildungen hauche (Klopst.), knalle, strande (An. Grün) des umlauts ent- behren, um den pl. zum zwecke der leichteren Verständlichkeit nicht zu stark vom sing, zu differenzieren.

Bei einem wort hat der ?-pl. mit bedeutungswandel singu- lare function angenommen: grot (/r«Ye, wodurch die umgelautete form des alten grat unmöglich wird: felsengrate Bechstein, Fahrt. Aehnlich sind die fälle, wo der umgelautete pl. ein bereits be- stehendes wort ergeben würde: hag, halni, laut, pfiiM. An dieser stelle verdienen die plurale halle des donners (Klopst.), schalle (Lessing) erwähnung.

Die starke einschränkung der gebrauchssphäre hat bei fund den anlass zum eintritt in die a-klasse gegeben. Der pl. fünde in der bedeutnng 'listen, kniffe, sinnreiche einfalle' (so noch bei Rachel und 3Ioscherosch) ist heute untergegangen, und wir reden fast nur noch von altertümlichen funden^) In dieser

') In Paulis Schimpf und ernst dürfte das wort am frühesten belegt sein. 2) Vgl. aber Nietzsche, M.A. 1, 70: Die gute und liebe als die heilsamsien

NHD. SÜBSTANTIVFLEXION. 225

seltenen Verwendung fand der pl. an dem lautlich nahe stehen- den Jiunde eine mächtig-e stütze. Grimm gebraucht noch, offen- bar in bewusster anlehnung an die alte spräche, den pl. filnde: die neuen fände (der naturwissenschaft) Kl. sehr. 1, 53.

Paroxytona.

Bis hierher haben sich meine erörterungen auf die oxytona beschränkt. Von den mehrsilbigen schwachen masculinen, die zu der a-declination verschoben sind, ist bereits die rede ge- wesen. Die Schicksale der starken paroxytona sind hier noch zu behandeln.

herold wird in frühnhd. zeit vielfach consonantisch flectiert:

Wilwolt as. herolden 46, np. hcrolden 16 ; Pauli siug. und pl. herolden ; Aventiu ds. herolden 773,23, np. herolden 789,6; Zimm. ehr. as. erenholden 17, 27 ; aber Augsb. 5, 372, 25 as. herold. H. Sachs decliniert herold stark.

Die w-formen finden in der begrifflichen verwantschaft mit böte, gesante ihre erklärung.

Nach analogie von wochen oder monden bildet Brücker den pl. monaten.

Schiller bildet den \A. stviesp alten in anlehnung an den .pl. des Simplex. Adelung fordert in seinem wb. den starken pl. ztviespalte.

pl. ahörne Braun, pl. amböse Kalloandro 1, 117, Braun; pl. man et Eosenblut 29, 654, 10, menet (mit entrundung) Folz; pl. unfläter Pauli, dp. unflätern Aventiu 810,24. Hier dürfte neutrales genus zu gründe liegen. Trotzdem bleibt die bildung wegen der im tiefton stehenden Stammsilbe bemerkenswert. Es besteht nämlich im nhd. das gesetz, dass der umlaut die letzte silbe nicht ergreift, wenn diese im tief ton steht. >) aliorn, ambos, bräutigam, herold, hobold, leichnam, nionat, un- hold, unflat, Zwiespalt sind deshalb für den umlaut unempfänglich. Auf die ausnahmen des gesetzes (anwälte, bischöfe, hersöge) sei hier nur hingewiesen; später wird des näheren davon die rede sein. Dem gesetze folgend gieng Unterhalt, dessen letzter be-

kräuter und kräfte im verkehr der menschen sind so kostbare fände, dass man wol wünschen müsste, es werde in der Verwendung dieser balsamischen mittel so ökonomisch wie möglich verfahren.

^) Im obd. war dies gesetz nicht in dem umfang giltig wie im md.

Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVll. \q

226 MOLZ

standteil im mhd. ein ?- stamm ist, aber in der nlid. epoclie mit starker einscliränkunj^ der bedeutimg in pluralischer Ver- wendung untergegangen ist, zu den n-stämmen über. Auch der pl. swiespalte bestätigt das gesetz; vgl. pl. spült Dasypod., lat. t. Ri 2.

Es ist ferner in der nhd. flexion durchgehends regel, dass der Umlaut sich nicht über die letzte silbe hinaus erstreckt.

Aber hdbicht, hranich giengen zuweilen ihres nebentonigen i (e) verlustig und nahmen im pl. den umlaut an; ns. hahJc und haheJc, pl. JiebJce Boner. Mit dem antreten des secundären t war Synkope des nebentonigen i erschwert, weil die consonanten- gruppe hellt eines gieitlauts bedurfte:

habicht stm. Waldis 16, Steinbacli. ns. kranch, pl. krünch Pauli, ns. kranch oder kranich Stieler, pl. kränch, kränehen Sachs 204, 27. 28.

Jiranich trat wahrscheinlich nach dem vorbild von storchen zu den w-stämmen über bei B. Waldis 22, 13. 25. 99, 4. 7 und im pl. bei J. V. Braunschw.

Verbal SU bstantiva.

Partikelcomposita mit betonter letzter silbe, denen ein verbum desselben Stammes zur seite steht, nehmen den umlaut nicht an: hesueh, versueh, erfolg, verlast u. a.; aber ergüsse, he- seldüsse wegen der daneben stehenden güsse, sehlüsse, ebenso wie einwürfe, vorwürfe. Der pl. von anlass heisst anlasse und neben dem pl. erlasse steht erlasse, weil die proportion besteht -lass : -lasse = -lasse : -lässt.

Fremdwörter.

Zur richtigen historischen Würdigung einzelner von dem heutigen Sprachgebrauch abweichenden plurale von fremd- wörtern bei unsern grossen dichtem geben wir einige fiülhe belege.

pl. haronen Füet. 16. 95, Rollenh. 112, Reuter; so noch bei Giseke, Kling-er, Goethe, Schiller, Wieland nach Gortz. 3, 6; pl. j^ofroHt-uSpaugen- l)erg: 19 ; so Immerraann nach Gortz. 3, 6 ; ds. paironen Stretl. ehr. 1 m. : patron ebda. 6m.; pl. delphinen Spangenberg 74 ; pl. Spionen Verl. Europäer 68 ; so Scliiller, Aichinger; Adelung fordert pl. spione; pl. Skorpionen Wie- land; atomen Goethe, Wieland; romancn Schubart, Wieland ; ein .''-pl. romäne ist bei Lessing belegt.

NHD. SÜBSTANTIVFLEXION. 227

II. Umlautsuiifähige masciilina.

Stammliaftes a und i mussten in ihrer Wirkung- auf den voraufgehenden vocal oder diplithong- zusammenfallen, wenn die vorhergehende Wurzelsilbe des umlauts unfähig- war. Wol keine gruppe deutscher substantiva war so wenig- analogischen einflüssen ausgesetzt als die der Wörter dieser form. In der ganzen nlid. epoche schwanken nur einzelne Wörter in der älteren zeit zuweilen zu den w-stämmen hinüber.

Berüliruug mit den n- bez. «a-stämmen.

reim, mhd. rim stm. Die consonantische bez. wa-flexion von reim war im 15. und 16. jh. auf dem ganzen Sprachgebiet üblich.

ns. reimen Maaler, Volksb. v. dr. F., Rollenhagen, bair. nach Schmeller, M.B. 264; gs. reimens Opitz 4-1, Schupp; das. reimen Zimm. ehr. 3, 195, 29. 4,280,22, Spangenberg 130, Haller; «-pluralformen: H. v. Trimberg (nach einem citat in Spang. Musica), Brant, N. vorr. 9, Wilwolt 2, Zimm. ehr. 264, 10. 11. 286, 7, Luther, Aveutin 874, 15, Waldis 3, 11, Nie. Herman 5, Spangen- berg 4. 5. 31. 57 u. ö., Weckherlin 2, 7, 19, Mosclierosch, Lohenstein 8, Haller, Litzel, Megalissus 5. 28, Kliuger, Juug-Stilling 1, 86, Hebel 1832. 3, 404. Opitz hat starke und schwache formen im pl. vgl. 44; 9. 17. 19. 41. 42; Simon Dach pl. reime 151 ; Gueintz pl. reime 6, Morhof, Ged. pl. reime und reimen 106. 101, Stieler. Steinbach pl. reime.

Einen stichhaltigen grund für diesen übertritt geltend zu machen, bin ich nicht in der läge. Wenn die späteren belege für den w-pl. einen schluss erlauben, so kann ich mir die be- wegung vom pl. ausgehend denken. Dass das wort schliesslich wider zui' alten flexion zurückkehrte, hängt mit seiner engen begrifflichen verwantschaft mit vers zusammen, das, wie leicht erklärlich, keinen w-plural bilden konnte (vgl. pl. vers[e] C. Spangenberg 58- 60, Opitz 9. 32. 42).

sinn.

Bei sinn bleibt die a-flexion im sing, stets gewahrt, nur der pl. geht zu den w-stämmen über.i)

^) Bei meinen citaten wird der gen. pl. dann ausgeschlossen, wenn bei dem betr. autor auch bei andern masculinen gleichheit der form des gen. und dat. pl. erscheint oder gar dem gen. pl. auf -en starke formen des nom. und acc. gegenüberstehen.

15*

228 MOLZ

iigp. sinnen 2 m. Eoseubhit, nap. s/n/t 3 m. Rosenbliit. ; g]}. sinnen B.ä. beisp. 39, 12; pl. sinnen Eebhuhn, Fleming, Gryphius 24, 14:3. 50, 193, Mosche- roschl76. gp. sinnen S.Dach 91. 144. 151. 200, pl. sinne und sinnen Pöl- mann, Steinbach, Hempel, pl. sinnen Stieler, Russ. gramm., Weber, pl. sinnen neben sinne Haller, Herder, Schiller, Goethe, Wieland, Immerniann. Nur starke formen bei Eyb, Waldis 243, 24, Alber, Spaugenb. 18. 33, Ayrer ; Frisch, Braun.

Ausser dem öfteren pluralisclien gebrauch können die häufig widerkehrenden adverbiellen ausdrücke von, zu, hei sinnen in Verbindung mit verben bei der bildung der w-form von einfluss gewesen sein.i)

Im laufe der entwicklung zeigt sich vorzüglich auf obd. gebiet, besonders bei bezeichnungen lebender wesen, die ten- denz, zu den «-stammen überzutreten. Ich beschränke mich darauf, die liier in betracht kommenden fälle zu eitleren:

ds. dieben Manuel ; as. feinden Urk. v. 1498 und 1508 bei Chmel ; ds. hechten Abraham, hecM swm. bei Braun; np. knechten Haller; gs. krebsens Abraham, krebs swm. bair. Schmeller 264 ; ds. küngen 2 m. Stretl. ehr. gs. des kinigen diener Augsb. 5, 371, 31 ; gs. rnüncJien Volksb. V. dr. F. 26, 16 ; münch stswm. bei Ayrer, münch swm. bair. Schmeller 262 ; gp. der münchen und pfaff'en Alber (eine Verbindung, die den Schlüssel zur erklärung der «-formen bildet), gs. münchen Verl. Europäer 240 ; as. spechten Folz, Sachs 20, 156, 6 ; np. ivinden (= ' Windhunde') Füetererll; gs. Zwergen Ayrer. Vereinzelt steht pl. pfeilen (nach strahlen gebildet) Mor- hof*790, Melissus23, as. strichen Alber, np. f allstricken J.Mathesius.

Die consonantischen stamme freund, feincl schlössen sich in ihrer flexion früh den «-stammen an.

viend, pl. viende Matth. v. Beheim ; np. frunde Urk. d. st. Arnst. 1345 ; ap. fiende ebda. ; pl. frunde Weizs. Urk. v. 1377. 1378. frunde Janssen 1 (Urk. V. 1383), freunde Eyb.

Die pluralformen feind, freund, die bei Luther häufiger als andere worte ohne flexivisches e stehen, wären danach als ein reflex der Volkssprache anzusehen, die wol länger als die spräche der kanzlei die ui'sprünglichen Verhältnisse gewahrt hat.

Der ja -stamm käse hat sich von den alten ja-stämmen im nhd. allein behauptet.

Aber Chr. Weise, Erzn. 105 wie leicht wäre es geschehen, dass deine frau mit butter und käsen zu tun hätte; man erwartet ^•öse ; doch kann die stelle für eine berühi'ung mit der cons. flexion nicht als beweisend be- trachtet werden.

*) Bei der betrachtung der feminina wird sich zeigen, wie von dem d. pl. nuten zuweilen die ausbreituug dieser in stereotypen Wendungen oft gebrauchten form auf den ganzen plural erfolgte.

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 229

Aus dem System der schwachen declination sind herausgetreten blitz, heim, kern, leim, stern; greif, hirscli, l-erl, seh ehrt. Alle sclnvanken im mhd. zwischen a- und w-declination. Ausschliesslich schwach flectierte grise, nlid. greis.

blitz. iis. hh'tzen Eyb, gs. 6//teen 4. Bib., ds. öZtteen Agricola ; Luther flectiert meist stark, np. ?>Z/t^e>t Volksb. v. rtr. F. 51, 20; die starke flexion besteht bei r>asyp., Clajus, Stieler.

heim. In nhd. zeit erscheint nur bei Rosenblut die pl.-form keimen ; daneben steht der ds. heim.

kern.

Schwache bildungen sind fast nur noch auf obd. boden bezeugt : ns. kern Dasyp., Maaler, kernen bair. nach Schmeller, M. B. 264. das. kernen Boner, Geiler, Wyle, Haller. gs. kerens Geiler, as. keren Füeterer 197 (mit zer- dehnung); kern swm. Dasyp., Maaler, ap. Ä-^rn^-H Rollenhagen, Froschm. 47. Stieler flectiert sing, st., pl. sw. ; kern stm. Steinbach.

leim, ns. leimen Murner, ds. leimen Luther, Alber, Dietenb., Schottel 1147. leim stm. Dasyp., Stieler.

Stern.

Die n-flexion findet sich bei Matth. v. Beheim, Wyle, Murner, Pauli, Manuel, Agricola (pl.), Seb. Münster, Dasypodius, Maaler (pl.), Rollenhagen, Froschm. (pl.) 137. 123. 124. Bei Luther überwiegen die starken formen. Schwanken herscht in der 4. Bib. und bei Dietenberger. Die «a-form des gen., sternens, ist bei Seb. Münster belegt, ns. Sternen bair. nach Schmeller 264. Die starke flexion begegnet bei Suchenwirt 41, 465. 510, Rosenblut, Folz, B. d. beisp. 98, 24, Purgoldt, Aventin 652, 2. 628,18, Nie. Herman 39, Job. Mathes. (gs.), Sachs 202, 37, Ayrer, J. v. Braunschw., Weckherlin 2, 242, 103 und 294, Zincgref, Schupp. Im 17. jh. lebt nur die n-form des plurals noch fort, die von Stieler als fehlerhaft gekennzeichnet wird ; pl. Sternen Opitz 9. 43. 50, Fleming, Spee, S. Dach 117. 272, Job. Rist. pl. sterne Mor- hof 677. Bei Klopstock ist die starke flexion allein im gebrauch, die auch von den grammatikern Hempel, Braun gefordert wird, während in der Schweiz noch der pl. Sternen herscht, wie Hallers Schriften zeigen.

Wie bei kern hat auch bei stern die entwicklung einer svarabhakti, die der bildung der n-torm im wege stand, dazu beigetragen, dass die vocalische flexion zur herschaft gekommen ist: steren Sachs 202,37.

Einige der persönlichen begriffe schwanken noch heute zwischen der n- und a-declination. Dem gewählteren bedürfnis der gegenwart dürfte indes die a-flexion mehr entsprechen.

230 MOLZ

greif.

gs. greifen Folz, greif swm. Schöpf, pl. greifen Moscherosch 25, Wie- land, Goethe. greis.

greis swm. Pölmann, Stieler, greis stm. Steinbach, Gottsched, Braun. Der Schwab, grammatiker Nast bewahrt die cons. flexion; ebenso Schiller, Uhland. Weitere belege für die H-decIiuation s. bei Gertz. 2, 421, Branky, Herrigs archiv 64, 379.

hirsch.

Boner iind Matth. v. Beheim flectieren stark. Im 15. jh. schwankt die flexion wie in mhd. zeit; hirsch swm. Stretl. ehr., 4. Bib., hirsch swstm. Füeterer, B. d. beisp. (Füeterer as. hirsch und hirschen 218. 219. 227 ; B. d. beisp. ds. hirschen S2,2S, gs. hirschen 97 , Ib, äs. hirsch 96, 3i). Im 16. jh. mehren sich die starken formen: hirsch swm. Teuerdank; as. hirschen und hirsch, pl. hirschen Pauli; pl. hirschen Aventiu 896, 24 ; hirsch stm. Waldis 55, 10. 69, 1. 77, 1. 81, 14. 21, 13. 78, 33 (vereinzelt ds. hirschen 55, 1), Zimm. ehr. 100, 30. 31. 33. 105,5; ds. hirschen Mathesius; hirsch swm. Sachs 82, 9. 474, 18, Ayrer, Kalloandro 2, 102 ds., pl. hirschen Spangenberg 23. Im 17. jh. und später treten schwache formen nur noch sporadisch auf: as. hirschen Opitz, Hofmansw., dsp. hirschen Abraham, gds. hirschen W. Alexis, gdas. hirschen Immermann. Aber as. hirsch Weckherlin 266, 107. Stieler kennt nur die rt-decUnation. Zitm hirschen ist noch heute als gasthof bezeichnung im Süden weit verbreitet.

kerl.

kerl swm. Wickram, Seb. Münster np., Ziucgref ds.; Irrl stswm. Chr. Weise. Bei Weise fand die cons. flexion an der bewahrung des e im ns. 12. 13 eine stütze: ds. kerlen 4. 33, kerle 26. 30. 32; as. kerlen 24. np. kerlen 20. 40. kerl stm. Wilwolt (np. kerl 186), Christ. Keuter (Schelm.), nap. kerl 48. 56. 57. 83, Stieler.

Schelm.

Schelm stm. 4. Bib. gds., Eyb, D. np. 92, 1, Aventin np. 891, 1. Die schwache flexion ist bis zum 18. jh. vorhersehend. Belege für cons. decli- nation bieten die Schriften von Geiler, Murner, Pauli (ds.), Manuel, Seb. Frank, Alber, Sachs, Frischlin (pl.), Eollenhageu, Froschm. 115 (pl.) ; Ayrer (schwankt im sing.), R. Fischer 57. 58. 72, Zincgref, Moscherosch (as.), Reuter, Weise (np. 42, vgl. ns. schelme 146) und die älteren grammatiken von Ritter und Schoepf. scheint swstm. Waldis as. schelmen 285, 10 : schehn 115, 5, pl. Schelmen 264,7; J. v. Braunschw. ds. schelm 2 m., as. schelmen 6 m. : schehn 3m., ap. schehne Im. Bei letzterem war entschieden ein anfang zur starken flexion gemacht, die später von Stieler, Hempel, Adelung als norm aufgestellt wird. Steinbach, Frisch und die obd. grammatiker Braun, Nast, Popowitsch fordern die n- flexion. Noch häufig sind »«-formen bei Schiller, Wieland, Fr. Müller, Goethe, Spindler, W. Alexis. Erwähnung verdient schliesslich noch der gen. sing, schelm ens Wyle, Murner, der eine mischung von n- und o- flexion darstellt, wie sie auch bei bezeichnungen lebender wesen nicht selten sich einstellte. In der composition hat sich die schwache form erhalten: schelmenstück.

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 231

Alle liier erwähnten «-stamme sind ihres auslautenden e, das im mhd. noch häufig gewahrt wurde, verlustig- gegangen. Bei l-ern, stcrn, sclielm (und hahn, schwan) führte vielleicht die Verschmelzung der flexionsendung mit dem das wort auslauten- den nasal zuerst zur starken flexion und damit zum e- losen nominativ: sternen (das.) > stern'n > stern. Bei sclielm ist auch noch die häufige anwendung als Scheltwort in der anrede in anschlag zu bringen, greis, mhd. grise, Hess das end-e wol unter dem einfluss lautlich nahestehender Wörter schwinden. Welches auch die gründe für den Schwund des e gewesen sein mögen, für das allmähliche durchdringen der «-flexion ab- gesehen von den oben erwähnten fällen war die «-form des nom. sing, bestimmend.

Alle consonantischen stamme, die des plurals ent- behren, werden im nhd. zur annähme der starken flexion gedrängt.

brei.

mhd. hrie, erscheint in nhd. zeit überhaupt nicht mehr in schwacher form. Belege für die starke flexion finden sich bei Boner, Mich. Beheim, Eosenblut. Das auslautende -e niusste nach vocal schwinden, vgl. die mhd. Worte auf -ie wie vogetie.

gemahl.

d. (jemaheln Boner, as. gemahl Mathesius, Frischlin, Ayrer.

groll.

ns. groll Dasyp., Maaler ; ds. grollen Geiler, Spangenberg 163 ; as. grollen Pauli, Aventin, J. v. Braunschw. 2 m., Spee, Abraham : «/ro/? Frischlin, .J. v. Braunschw. 2 m. ; groll stm. Stieler. Der bairische grammatiker Braun kennt nur den nom. sing. r/roZZe«, der mit Schmellers forschungen M.B.26i in einklang steht.

pfühl.

m\v\. phnlice, swm. Es ist mir nur begegnet as.j^fuhlen (= mhä. phulwe swm.) Weckherlin 2, 286, 369.

reif.

mhd. rife ' gefrorner tau ' : ns. reif Dasypod., reifen* Waldis 201, 39 ; gs. reifens Suchenwirt 9, 32 ; ds. rifen Stretl. ehr., B. d. beisp. 19, 3, reifen Eyb, E. 45, 17; re//' stm. Luther, Ayrer (ds.). Stieler, Steinbach.

Die unorganische nom. -form reifen, g. reifens überrascht durch ihr spätes auftreten bei dem grammatiker Hempel.

Die Zeitbestimmungen mUtivoeh; april, märz, mai und len;s haben sich den zunächst stehenden bezeichnungen der a-decli- nation angeschlossen.

232 MOLZ

mittwoch. mild. miUe-ivoclie fem. Der Wechsel des geschleclits und der flexion hat sich unter dem mächtigen einfluss des genus der bezeichnungen der andern Wochentage vollzogen; aber um- gekehrt hat auch das mhd. schwache fem. müte-ivoche vereinzelt die bezeichnung eines andern tages beeinflusst:

an der sechsten samstagen ürk. v. 1382, Angsb. 1, 71, 19, vgl. an der nechsten rnttwochen Augsb. 1, 25, 13. Mag nun mittwoch durch Übertragung zuerst die starke flexion angenommen (äs.initwoch f. Augsb. 1, 90, 11. 2, 23,40, Mich. Beheim 393, 30), oder zuerst den geschlechtswandel durchgemacht haben: das resultat war dasselbe. Der Wechsel des genus lässt sich be- reits in Urkunden des 14. jh.'s nachweisen: des mitwochen 1385 Weizs. 1, as. mitivoch m. 1405 Janssen 1, ds. mitwocJi m. 1430. 1438 Janssen 1, as. mttivoc7im.Ma,mz 1,293, 3b. Im 15. jh. tindet sich witicocli mit weiblichem geschlecht nur noch in Aveuig Schriften: ds. mitwochen f. Stretl. ehr., juit- woch(en) f. Mich. Beheim 393, 30. 405,19. Im 16. jh. ist die alte form (ds. mitwochen) nur noch bei dem Schweizer Manuel anzutreffen, dessen lite- rarische tätigkeit in die zwanziger jähre fällt. Für die herschaft des männlichen geschlechts im 16. jh. hier einige belege: ds. miticoch Zimm. ehr. 285, 22, Nürnberg 4, 15, 3. 19, 7. 9, mitwoch Pauli, as. miticoch Mathesius. Die schwache flexion indes erhält sich neben der starken bis ins 17. jh.: ds. mitwochen Luther, Serm. gs. ynitwochen Just. Jonas (Br. v. 1539) : mit- ivochs 3 m. ebda.; ds. «sc7«er?»?'tt«'oc/iew Volksb. v. dr. F. 91, 3. 4. 123,29, am mitwochen Schupp. Der gen. mit analogischem s (mitwochens) ist ver- einzelt: des nechsten mitwochens Urk. v. 1412 bei Janssen 2, 250. Nach aualogie der adverbialen Zeitbestimmungen tags, nachts (frähjaJirs Goethe) bildet Just. Jonas mitwochens nach michaelis Br. v. 1521.

april.

mhd. ahereJle, aprille swm. : ds. ahereUen Stretl. ehr., Wyle 358, 25, aprilen Abraham, : cqn-il Aventin 587, 17, Agricola, Mathesius; gs. aprilen Frischlin, Ayrer*, aprilens Nürnberg 5, 491, 19, Sleidanus.

märz.

mhd. merze, merz swm. ns. mürz Dasyp., Maaler; ds. märzen Stretl. ehr., Eosenblut, Pauli, Agricola, Sachs, Rollenhagen 138, Opitz 45, Spee, Halle)-, "Wieland, Grillparzer, K.Otto, : mürz Opitz; gs. mürzens Agricola, Sleidanus, Maaler, Hofniansw., märzen Eyb, Aventin 890, 27, Seb. Frank. Stieler und Frisch weisen noch formen der cons. flexion auf. Noch im jähre 1770 verwirft der Liebhaber der Wahrheit in seinen anmerkungen über die v. h. Jac. Hemmer herausg. abhandl. über die deutsche spr. (Mannheim 1770) Hemmers starke bildung den 27. märz, ' weil das wort ohnwiderruflich zur dritten (= cons.) abänderung gehört'. Braun setzt die starke flexion an, während bei Popowitsch und Nast noch die schwache gewahrt wird.

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 283

mal.

mhfl. meie, meige s-wm. Die schwache flexion erhält sich his ins 18. jh.: gs. makn 4. Bib., Sachs, bis Wieland, Immermaun, Gutzkow; ds. maicn Stretl. Chr., Rosenblut, Folz, Füeterer 265, Pauli, Agricola, Waldis251, 67, Joh. Mathesius, Ayrer*, bis Fr. Müller, Herder, : mai Waldis 284, 9, Klop- stock; as. ?«rtiVR Rosenblut, : w?aiKlopstock; gs. ma/ens Agricola, Sleidanus, Opitz; mni swm. Stieler, mai. stm. Frisch. Einen rest älteren sprach- standes bietet maienbaum, maienivand.

lenz.

mhd. lenze swm. gs. lenzen 4. Bib., Purgoldt bis DroUinger, E. Kleist, Wieland, lenzens Opitz, Weckherlin 2, 151, 110; ds. UnzcnV&wW, Seb. Münster, ]\Iathesius, Spangenberg 34, Opitz 23, Fleming, S. Dach 202, Joh. Rist, bis Wieland ; as. lenzen Agricola, lenz Joh. Rist ; lenz swm. Stieler, Nast, Popo- witsch.

In gebundener rede ist noch heute die schwache form von mai und lens erlaubt. Bairische mundarten (vgl. Schmeller 264) haben die cons. flexion von april, märz, Uns, mal bis heute bewahrt und sogar lierhst nach dem muster dieser in die w-decli- nation eintreten lassen.

III. i- stamme.

Die ansieht, dass die umlautsbewegung von Oberdeutsch- land ausgegangen sei, kann heute als überwunden gelten. Ja man hat es wahrscheinlicli gemacht, dass der umlaut sich von norden nach Süden verbreitete und im md. in früherer zeit und in weiterem umfang zur geltung kam als in Oberdeutsch- land;!) vgl. Paul, Mhd. gramm. § 40, anm. 3. Beitr. 4, 542. 549. Rückert, Die nhd. Schriftsprache 2, 58 ff. Pietsch, Luther und die liochd. Schriftsprache s. 40 ff. Michaelis, Beiträge z. geschichte d. deutschen rechtschreibung h. 2, 72 ff. 81 ff. 92. J. Luther, Zs. fdph.24,68. Anz.fda.l5,332ff. O.Hertel, Germ.28,452. Behaghel, Pauls Grundr. l\ 694, § 40.

Bereits im mhd. war die mehrheit der alten «-stamme der

1) Ausgeschlossen von unserer betrachtung bleiben an dieser stelle die md. denkmäler des 14. und 15. jh. 's, weil in Mitteldeutschland der umlaut besonders von o und ti erst im laufe des 16. jh.'s in vollem umfang grapliisch bezeichnet wurde. Noch in Luthers erstlingsschriften, z. b. An den christl. adel t. nation, ist die bezeichnung des umlauts nicht durchgefülirt, während in der bibelausgabe von 1545 die bezeichnung allgemein ist: es handelt sich dabei lediglich um einen orthographischen unterscliied zwischen den früheren und den späteren werken Luthers.

234 MOLz

mischimg mit den /-stammen unterlegen. Das eintreten des Umlauts hieng bei der declination nicht mehr von der Wirkung eines palatalen Clements ab, der umlaut wurde vielmehr als mittel zur kennzeichnung der pluralischen function empfunden. In nhd. zeit begegnen in denkmälern, wo die bezeichnung des Umlauts durchgeführt ist, nur selten umlautslose formen von Wörtern die im nhd. einen ?-pl. bilden.

Nur der j)!. icolfe begegnet noch zuweilen. Die dem stammvocal folgende cousouautenverbiudung l + cons. kann hier für den mangel des unüauts nicht in die wagschale geworfen werden, vgl. iväldc. Der pl. ivolfe begegnet bei Boner, Füeterer 140, Luthers Bibel v. 1545, Sachs 110, 36. Bei Waldis besteht schwanken zwischen umgelautetem und umlautslosem plural, vgl. 201,2. 202,8. Doch war der /-pl. bereits im 14. jh. üblich: tvölf Vrk. V. 1375, Augsb. 1, 143, 11.

Neben den umlautslosen pluraleu schachte, schcdke sind, wie bereits im späteren mhd., schachte, schälke durch den Sprachgebrauch anerkannt.

Jul. von Braunschweig kennt nur den pl. fluche. Der pl. gmde H. V. Kleist, Uhland, Döff. Schi, ist wol auf den eiufluss von rosse zurückzuführen.

Nur bei Boner hat der umlaut auch den sing, eines Wortes ergriffen: nds. fröseh, eine form, die allgemein schweizerisch ist.

Landschaftlich beschränkt ist der übertritt zu den w-(wa)stämmen bei haum, kämm, schwamm, stamm, ström.

bäum.

US. bäum; gs. baumens Sachs 223, 4 (von baumens ästen). 10,60,35, Ayrer ; ds. bäumen Wyle, Pauli (vereinzelt), Sachs 500, 15, Ayrer (6 n- und 4 a-fonnen); apfelbaumen Sterz, spiele 144, 796 ; as. bäumen Wyle, Sachs 20,306,25, Ayrer (3 h- und 5 ft-formen) ; np. bäumen Ayrer (daneben steht bäum); (gp. bäume Eyb, E. 97, 19); dp. bäumen Stretl. ehr. (vereinzelt), Eyb, Füeterer 220. 228. 246, Sachs 511, 21. 10,36,32, Ayrer; dp. bäumen Sachs 20,405,8; ap. bäum Sachs 261, 39, bäume Sachs 332, 8.

Für die mit umlaut gebildete form des pl. bedarf es keiner weiteren belege; sie findet sich in allen anderen von uns durch- gesehenen texten.

darm.

pl. därmen Ritter.

kämm.

ns. kämm Dasyp., Maaler; ds. kämmen Manuel.

schwamm.

ns. schwamm Dasyp., Maaler; ds. schwammen Moscherosch, man kanns mit keinem schwammen mehr abwischen Henisch561; i)\. schwämme D&syj^., schtvammen Moscherosch, Abraham ; dp. schwammen Sachs 16, 23.

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 235

stamm.

ns. stamm Dasyp., Maaler, Zimm. ehr. 44, 29. 131,8; stanwicn Sncheu- ■vvirt 27, 37, Füeterer 27, Seb. Münster, Tschudi, Aj'rer*, Abraham, bair. nach Schmeller, M.B. 264; gs. stammens Wyle, Aventin 893, 21, Dasyp., Maaler, Zinim. ehr. 41, 31. 21, 12. 129, 17, Tschudi, Dietenberger, Fischart, Weckherlin 2,235,78, Zincgref, Moscherosch 69 ; ds. stammenM.Beh.eim (nehen stawwe), Eoseubhit (neben stamme), Stretl. ehr., Wihvolt 139, Manuel, Eebhuhn (: samen), Agricola (neben stamme), Zimm. ehr. 25, 34. 143, 29, Seb. Münster, Sachs (nur in der bindung 4, 22. 5, 24. 131, 9. 100, 19. 20, 67, 22), Dietenberger (neben stamme), Fischart, Maaler, Frischlin, Ayrer*, Heniseh 391, Weckherlin (nach Fischer), Moscherosch 124. 128, Schupp, Jesuitenpoesie 1. 12; as.stainmenZimm. ehr. 519, 15, Sachs 20, 43, 28, Ayrer*, Fr. Spee, Weckherlin (nach Fischer) ; pl. stemmen 4. Bib. 3 m., ap. stammen Weckherlin 2, 156, 30, pl. staminen Abraham (vgl. Schmeller, BWb. 2'', 755). Angesichts so reichen belegmate- rials für die cons. bildung der flexion von stamm erscheint es angebracht, auch die fundstätteu der vocalischeu flexion ai;fzuzeichnen : gs. Stamms Rosen- blut, Luther, Aventin, Waldis91,34, Sachs 104, 29, Fleming, Hofmansw. ; ds. stamm Füeterer 317, Agricola, Aventin 836, 2, Seb. Frank, Sachs 4, 20. 131, 12. 20, 77, 26, R. Fischer 18 ; as. stamm Joh. Arndt, Hofmansv^^ ; pl. stamm Frischlin.

Strom.

as. strömen Volksb. v. dr. F. 68, 38, ström Volksb. v. dr. F. 61, 6. 72, 15; ds. Strom ebda. 60, 38 ; gs. lanclstromens Parn. boic. 1725 s. 244 ; pl. strömen und strömen Volksb. v. dr. F. 22, 5. 47, 29. 51, 25. 65, 29. 52, 32. 54, 39.

Wie erklärt sich dieser process einer formenübertragung von den n-, wa- stammen auf die a- stamme? Nach Behaghel, Pauls Grimdr. 1-, § 100, 4 'ist auslautendes n mit einer be- stimmten einschränkung erlialten im grössten teil des bairischen und dem östlichen teil des ostfi^änkischen. Die ausnähme be- steht darin, dass nach stammschliessendem labialen, dentalen, gutturalen nasal das n abgefallen: z. b. kumnia, finäa, singa\ Zur nördlichen grenze dieser erscheinung vgl. Friedrich s. 13. Schwach Üectierte substantiva mit stammauslautendem nasal, z. b. vane, nmne, same, rame\ daume, yaume\ strieme, rieme haben im obliquus und pl. in jenen landschaften die formen van9, namd, samd, ramo; daimid u. s. f. Wenn nun der pl. von stamm, schwamm, Icamm, hatmi, ström nicht durch den umlaut kenntlich gemacht wurde, so kam ilim das flexi vische e zu, das nach nasal in jenen gegenden mit dem festen e der schwachen endung -cn identificiert wurde. Für die scln-ift- liche fixierung ergaben sich so im pl. die formen stammen, haumen, strömen etc. Von dem pl. aus wäre danach der sing.

236 MOLZ

in die i?-declination eing-etreten. Auch bot ja der dat. sing-., so lange er sein flexiyisclies e gewahrt hatte, zur anknüpfung mit der M-flexion gelegenheit. Freilich setzt diese ganze h3^po- these ein sehr frühes dialektisches verstummen des n nach stammhaftem nasal voraus: es müsste der auslautende nasal bereits gegen ende der mhd. zeit gesch\^^mden sein, zu einer zeit, wo überhaupt in diesen mundarten e als flexi visches zeichen noch existierte. Sonst wäre nicht einzusehen, warum diese a-stämme die pluralbildung mit umlaut vermieden hätten. Dass aber meine annähme einigermassen berechtigung hat, geht hervor aus dem reichen belegmaterial besonders aus Schriften, die dem bairischen und ostfränkischen gebiet ent- stammen. Es darf schliesslich nicht übersehen werden, dass die in rede stehenden Wörter lauter concreta bezeichnen.

träum, das lavitlich derselben analogischen spliäre ausgesetzt war, flectiert bei H.Sachs in vocalischer form: gs. traums 20,550,28, ds. tramn 20, 454, 33, ap. träume 20, 455, 15.

Die plurale stammen, strömen sind Jirt-plurale wie ns. hast pl. kästen, oder ns. grab pl. graben.

Eine pluralform strömen hat einen ideellen nom. sing, strömen zur Voraussetzung.

Der mhd. «-stamm bäum scheint sich im ostfränk. dem einfluss der /-stamme besonders lange entzogen zu haben. Bei H. Sachs stehen um- gelautete und umlautslose formen nebeneinander; bei Ayrer kommt die ^-form des pl. in den von mir geprüften drei bänden überhaupt nicht vor. Es lässt sich also hier die berührung mit den n-stämmen aus dem streben nach Scheidung der mimeri erklären.

Vereinzelt steht gs. gaugens Haller, 1. aufl.

Die plurale topfen Purgoldts Rechtsb., Sterz, spiele 197, 152 und no.pfen Goethe (Faust 4867 W.A.) sind durch association bedeutungsverwanter Wörter können, kanten, schusseln, schalen hervorgerufen. Der pl. schachten bei Joh. Mathesius (n. schachte) und Herder ist durch die iorniGii Stollen, gruben; schlachten zu erklären.

Eine momentane auomalie liegt in den Verbindungen tonen und melo- ilcien Spangenberg 57 (vgl. tön und melodeicn 67), vom wolfen nnd dem rahen Waldis 201, 1.

Sonstige berührung mit den n-stämmeu.

fuchs. Der ^■- stamm fuchs zeigt in der älteren spräche grosse neigung zu den n-stämmen überzutreten.

Wyle 184, 19 pl. fuchse; Sterz, spiele ap. fuchsen 271,259: "Waldis ds. fiichsen 31, 1. 113, 1, as. fuchsen 58, 20 (aber stm. 68, 9. 58, 24. 113, 3), Sachs

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 237

gs. fuchsen 474, 19 (aber stin. 47G, 1 1), Mathesius gs. fuchsen, Ayrer dp. fuchsen, Weckherlin 2 gs. fuchsen 284, 331 (aber pl. fiichs 283, 286), Mosche- rosch as. fuchsen, Abraham gdas. fuchsen (vgl. Scbmeller s. 263). Zuweilen finden sich n-bildungen noch bei Schupp und Frisch.

froscli, gs. froschen vereinzelt B. d. beisp. 121, gp. froschen Wyle 185, 24, pl. froschen Haller. Die consonantische flexion von frosch ist selten.

abt. Eine zwiefache anomalie bietet gs. aptens Dornblütli. Als personenbezeiclinung- konnte sicli aht den «-stammen leicht anschliessen, vgl. mönch, bischof. Ueber das gen. -s wird bei den schwachen masc. die rede sein.

Lehn- und fremdAvörter.

Das fremdwort plan, dessen übertragene heute fast allein übliche bedeutung erst im 18. jh. aufgekommen ist, entbehrt des Umlauts bei Herder, Lessing, Goethe, Schiller, Uhland, Grimm, während Mügge, Mosen, J. Contessa der i-torm den Vor- zug geben. Die grammatiker Hempel, Nast, Adelung fordern die nicht umgelautete pluralform. ^\. plen miä. plctze Purgoldt; pl. plane Stieler.

Von den fremd Wörtern auf -al ist die umgelautete obd. form des plurals von kardinal in die Schriftsprache eingedrungen: pl. cardinäl Urk. v. 141.5, Augsb. 1, 117, 14. 3, 73, 18. Der ge- wählteren prosa dürften die a-pl.- formen der übrigen fremd- wörter auf -al besser anstellen. So wird der dat. pl. heute Xmncipalen lauten und nicht principülen Augsb. 4, 233, 36.

Der pl. von Implan heisst Jmpläne (Augsb. 4, 143, 9, Pauli), aber der pl. von altan lautet altane. Hier bergen die Ver- hältnisse der Schriftsprache ein stück culturgeschichte.

Das lehnwort bischof erscheint mit umgelautetem plural bereis im mhd. (Griesh. pred.). In den Chroniken von Augs- burg, Nürnberg ist die i-form des plurals allgemein:

pl. hischöf{e) Urk. v. 1378, Augsb. 1, 57, 23. 3. 169, 22. 5, 66, 11, Nürn- berg 5, 729, 26, bischof Pauli.

Indes hat die Stellung des umzulautenden vocals in tiefton. silbe noch langes schwanken zwischen a- und «-formen zur folge:

pl. bischof (e) Stretl. ehr., Rosenblut, Murner, Aventin 605, 15. 658, 19, Zinim. Chi-. 29, 23. 76,16.31. 146,6, Waldis 266, 38, Alber (vereinzelt pl. bi- schof e), Mathesius, Spangenberg 12. 116, Abraham.

238 MOLZ

Dass die «-form schliesslicli zm^ herschaft gekommen ist, liegt in der tatsache begründet, dass die namen der geistlichen stände (kaplan, aht, probst, Jcardinal, papst) überhaupt im pl. den Umlaut angenommen haben (zu dem /-pl. von probst und aht vgl. Augsb. 1, 70, 2). Der einwirkung dieser eng verbun- denen gruppe konnte sich bischof auf die dauer nicht entziehen.

Wenn Schmeller, M.B. 262 sagt, dass bischof in bair. dia- lekten der cons. flexion folge, so berührt das wie ein nach- klang der einstigen politischen bedeutung dieses amtes, die den träger dieser würde in die reihen der fürsten, grafen und herren stellte. Vgl.

np. fürsten, bischofen und grafen Eoseublut, gp. hischofen, fürsten, grafen Alber, ds. erzbischofen 1494 Chmel, gas. bischofen Volksb. v. dr. F. 80, 30. 24, 33, das. bischofen Paru. boic. 1723 s. 100 (vereinzelt).

Uebertritt zu den «-stammen. Der cons. stamm fiios flectiert im mhd. nach den «-stam- men und nur der dp. hat häufig die a-gestalt, vgl. die ausführ- liche darstellung von Bojunga s. 33 ff.

Im frülmbd. setzt sich der a-dat.-pl. noch in einigen isolierten Wen- dungen fort: zugen aus zu fassen Augsb. 3, 12, 5, mit beiden fussen Nürn- berg 5, 701,16 (aber mit den füssen Nürnberg 5, 701, 12), d\i. fussen Volksb. V. dr. F. 48, 7.

Ausser diesem vereinzelten cons. stamm traten eine reihe von w- Stämmen zu den «'-stammen über.

hahn.

mhd. han, haue swm. pl. hän Geiler, nap. hän Pauli, das. hanen, dp. hauen ebda. H. Sachs hat starke und schwache biegung nebeneinander. Die ^■-form des pl. begegnet dann bei Hofmauswaldau. Stieler kennt nur die voc. flexion. Das sind gegenüber der menge von «-formen, die im 16. und 17. jh. belegt sind, vereinzelte beispiele. Die »-flexion herscht bei Aventin (as. 814, 15), Luther, Burk. Waldis 15, 1. 100, 1. 2, Rollenhagen (ds.), Ayrer, J. V. Braunschw., Schöpf, Opitz (pl.), Zincgref (as.), Moscherosch (pl. 25. 143), Schottel, Sprichw. 1116, Abraham. Den stand der entwicklung im 18. jh. erläutern die Zeugnisse der grammatikei': Hempel, Aichinger, Nast lassen neben der starken declination noch die schwache in geltung; Steinbach, Gottsched, Braun, Adelung setzen hahn in die reihe der «-stamme.

Mundartlich ist die alte flexion lebendig geblieben, vgl. Schmeller 264. In der Schriftsprache hat sich in Zusammen- setzungen ein rest der cons. flexionsweise erhalten: hahnenfuss, hahnenriif.

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 239

Schwan, mhd. stvan, sivane swstm. Die gleichheit der entwickliing von Schwan und halin ist bei der ähnlichkeit der lautbilder natürlicli.

Im 16. imd 17. jh. ist die w-flexion fast allein im gebrauch: schwan swm. Eyb, Luther, Seb. Münster, Sachs 20, 301, 1, Fischart, Rollenhagen 7. 59, Ayrer, Spaugenberg 24, Weckherlin 2, 352, 224. 244. 315, 109, Schoepf, Opitz, Spee, Abraham, Grimmeishausen, Stieler. Auch im 18. jh. und später be- hauptet sich noch die cons. declination neben der vocalischen: Haller, Herder, Wieland, Goethe in seiner Jugend. Im pl. noch Hauff, Eichendorf. Die mit Umlaut gebildete pluralform taucht zuerst bei den Mitteldeutschen Fleming, Hofmanswaldau auf (pl. schwane Morhof, Ged. s. 114). Später ist der umgelautete pl. bei Brockes, Günther, Ramler, Pestalozzi, Klinger, Platen, Grillparzer belegt. Steinbach, Gottsched, Adelung geben allein die umlauts- form als Schriftdeutsch aus, während Hempel, Aichinger, Nast beide arten der flexion anerkennen. In den mundarten des Südens (Schmeller 264) lebt die cons. flexion fort, vgl. Zum scJitvcmen. In den meisten Zusammen- setzungen, wie schwanenbusen, sdiivancnhals ist die /(-form allein üblich.

Zum ausgang'spunkt für die /-flexion diente hier der sing. : der e-lose nom. sing., der bei lebenden wesen wol am häufigsten gebrauchte casus, trat in die gruppe der a-stämme und je nach dem machtverhältnis zwischen dem nom. und den obliquen casus des sing, musste sich die a- oder w-flexion einstellen. Die entwickliing lehrt, dass oft genug der nom. sing, an macht der summe der obliquen casus überlegen war:

ds. han Boner ; gs. hans Ringwald ; as. han : hauen = 4:3 Rosenblut, han Waldis 117, 14; das. lian Mathesius, as. sc/t?t'art Luther, Alber, Mathesius, Waldis 142, 33, Abraham ; ds. schivan Schupp.

Der pl. konnte erst secundär mit den ?- stammen in be- rührung kommen, zumal die w-form an der gruppe der namen der Vögel (kennen, tauben, enten) eine stütze hatte.

So bildete sich bei Hemmer eine mischdeclination aus : hahu, gs. hahus etc., pl. hahnen. In der Russ. gramm. und in der von Braun lautet die flexion von schwan ebenso.

Nach Friedrich s. 16 ist im obersächsischen und angrenzen- den mundarten, ebenso im niederdeutschen Verschmelzung der endung -en mit dem vorangehenden nasal anzutreffen. Diese angaben stehen mit den meinigen insofern in einklang, als es gerade md. autoren sind, bei denen zuerst vocalische bildungen von hahn und schwan begegnen.

kauz.

mhd. küze, Ms swstm. : pl. käutze Kirchhof (Wendunm.), kautzen Ma- thesius, Grimmeishausen, Abraham, Simrock Volksb. 4, 137 ; as. kautzen Maler

240 MOLZ

Müller, Goethe (Mitsch.), pl. kautze und Mutze Steinbcach, katitze H. v. Kleist: kautz swm. Nast.

storch, mhd. storch, storche stswm. Im 15. jh. ist von der mhd. gruudlage aus noch kein schritt in der Weiterentwicklung geschehen: as. storchen Rosenblut, gs. ein Storches nest Folz, ds. storch Folz, np. storchen B.d. heisp. lOi, 10, storch swm. Geiler, Eyb. Im 16. jh. tritt die z-bildung des pl. auf, neben welchem die schwache flexion sich in weiter ausdehnung erhält : storch sm. Pauli (dsnp.), Aventin (as. 873, 30), Seb. Münster, Waldis (ds. 57, 9. 58, 42, as. 57, 3. 58,15), Fischart (as.), Rollenhageu (ds.) ; storch stm. Luther (gas.), Mathesius (as.), Ayrer (np. storch). Der «-plm-al ist von Kehrein am frühesten bei Aventin belegt. Wie bei Aventin steht bei Waldis der ^■-plural storche 45, 104 mitten unter den n - bildungen (s. oben und dp. storchen 44, 64). Auch bei Eollenhagen steht dem /-plural die n-torm des gen. sing, gegen- über. — Im 17. jh. scheint die ?i- flexion nur noch vereinzelt aufzutreten: as. storchen Ziucgref, siorcken Weckherlin 2, 350, 151, aber pl. storche Schottel, Sprichw. 1124. Im 18. jh. ist dem lexicographen Steiubach und den gram- matikern Hempel, Aichinger, Braun nur die «-flexion des Wortes vertraut. Der Schwabe Nast allein duldet noch die schwache biegung.

tropf ist eine nlid. bildung", die sich in vollständiger differenzierung" von dem mhd. trojjfe losgelöst hat. Für den verlust des end-e war die Verwendung* des wortes als Scheltwort entscheidend, vgl. Behaghel, Germ. 23, 271. Die starke flexion drang von dem e- losen nom. erst allmählich in die obliquen casus: die voll- ständige trennung von tropfen in den obliquen casus erfolgte spät.

ds. tropfen Weise 34; pl. tropfen Frisch, Megalissus 54, /^-o^^/e Hempel, tropfe Braun ; tropf swm. Aichinger ; ds. tropfen Grimm, Märchen 1, 152.

anwalt. mhd. amvalte swm. rätgehe, ividersaclie standen in mhd. zeit als Synonyma amvalte gegenüber. Die beiden ersten traten in eine neue ableitung ein, und amvalte, das des auslautenden e lautgesetzlich verlustig gieng, vertauschte die schwache flexion mit der starken. Das eintreten der {- pluralform war durch ivalcl wälde begünstigt worden.

Belege : pl. anwalde Urk. v. 1-105, Oest. weist. 1, 111, 46, und dp. anwalden ebda. 111, 4, pl. amvült Aventin 631, 24, gs. anwalts li94 Chmel, ds. amvalt Wilwolt 118, as. anwalt Fischart, ds. anwalt Ayrer. Ganz vereinzelt as. an- valten Verl. Europäer 36.

Die a-form des pl., wie sie Adelung und Grimm angeben, besteht noch heute neben der /-bildung, und ist aus der ge- ringen stärke des accents der silbe ivalt zu erklären.

NHD. SUBSTAKTIVFLEXION. 241

herzog.

mild, herzöge swm. Das nebentonige e der endsilbe musste in seiner Stellung nach tiefton fallen. In den Urkunden des 14. jh.'s tritt besonders die apokope bei der verAvendung des Wortes als titel hervor (Weizs. 1). Im 15. jh. ist die abstossung allgemein durchgedrungen. Der a-nom. bildete für die starke flexion einen anknüpfungspunkt. ,

Die schwache declination ist im 15.— 17.jh. vorhersehend:

herzog swm. Stretl. ehr., Mich. Beheim, Folz (np.), Eyb, E. (sg.), Wilwolt 185. 191, Pauli, Manuel (pl.), Luther, Jonas, Augsb. 3, 93, 10. 190, 1, Ziinm. ehr. (np. 18, 14, ds. 71, 10), Joh. Mathesius (dsnp.), Frischliu (pl.), Rolleuhageu (pl. 112), J. V. Braunschw. (gs. Gm.), Schoepf, Weckherliu 2, 451 (ds.). 198 (as.), Moscherosch, Schupp (das.), Abraham.

herzog ist, wo es zur bezeichnung des Standes vor eigen- namen diente, früh aus dem System der cons. flexion aus- geschieden.

Vgl. Urk. V. 1375 bei Weizs. 1 dem obgenanten herzog Huprecht, Wil- wolt 180 zu dem herzog von Güch, Pauli dem herzog von Mailand. Bei Just. Jonas unterbleibt die flexion fast immer vor eigennamen. Vgl. Augsb. 5, 51, 15. 103. 190, 5, gs. herzogs Ottern söhn Augsb. 5, 304, 33.

Hier liegt wol der grund für die Verschiebung. Man könnte zwar daran erinnern, dass graf, fürst in der Stellung vor eigennamen häufig genug vorkommen, ohne ihre cons. flexion eingebüsst zu haben. Darauf wäre aber zu erwidern, dass bei ihnen auch in dieser proklitischen Stellung die flexion nur höchst selten aufgegeben ist. Und wenn man fragt, warum gerade herzog die flexion in diesem falle verloren hat, so kann nur geantwortet werden, dass die grössere lautgestalt des Wortes in der gruppe der ^^-stämme vereinzelt war und die volle w-form der proklise nicht entsprach.

Vgl. dazu mit dem markgraf Casamirus Augsb. 5, 129, 1, ds. landgraf Nürnb. 5, 632, 23. 24, gs. des viarkgrafs weih Gerli. Hauptmann (Schluck und Jan).

Die a-formen tauchen zuerst in Urkunden auf und das ist eine stütze für meine auffassung; denn hier war natürlich die unflectierte form als titel häufig im gebrauch.

np. di jungen herzöge 1410, Janssen 1, 169; ds. herzog 1410, ebda. 171, herzöge 1415 ebda.; gs. herzogs Wyle.

Bei Füeterer begegnen zuweilen a-bildungeu: ds. herzog 217, as. hersog 79. 105. Ebenso bei Aventin : ein bruder herzogs Milo 604, 10, np. herzog

Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVII. \Q

242 MOLZ

597, 33. Der pl. lautet bei Alber herzöge und herzogen, bei Sachs ds. herzog 224, 2. 20, 30i, 4. 27, as. herzog 226, 19, bei Ayrer gds. Aer.^Of/. Bei Hofmaus- waldau uud Lohensteiu scheinen die starken formen durchgeführt. ') Im 18. jh. ist die a-flexion schliesslich ganz durchgedrungen: pl. /icr^-Of/e Stein- bach, Megalissiis 35, Parn. boie. 1725, s. 328.

Vor der mitte des 18. jh.'s ist nacli Gortzitza die {-bildung des pl. niclit belegt. Die «-form lierzoge wird nocli von Ade- lung gefordert. Unseren diclitern Goethe, Schiller, Uhland ist nur die umlautslose pluralform vertraut, während Klinger, W. Alexis, Gutzkow, Tieck, Laube die umgelautete form hersöge bevorzugen, deren schriftsprachliche giltigkeit noch von An- dresen, Sprachgebr. und sprachricht." s. 34 geleugnet wird. Be- sondere gründe für die umlautung des vocals mit nebenaccent kann ich hier nicht beibringen.

In bair. dialekten besteht noch heute die consonantische flexion, die sich natürlich auch in der ortsbezeichnung Hersogen- huscli gehalten hat.

IV. Masculina mit ^»-pliiral.

Eine abweichung von der starken flexion ist die bildung des pl. mit dem suffix r. Diese bildungsweise kommt ursprüng- lich nur neutris zu und ist erst im nhd. auch auf masc. aus- gedehnt worden, nachdem schon vorher die kleine gruppe der neutralen 5-stämme in mhd. und fi'ühnhd. zeit grösseres gebiet gewonnen hatte.

Wenn auch neutrum und masc. in ihrer flexion eine innige berührung zeigen, so genügte das allein doch nicht, eine Über- tragung des >--pl. auf männl. Substantive zu ermöglichen. Es müssen also wenigstens für die ersten bildungen gewichtige associative momente hinzug-ekommen sein, um die Wirkung der analogie zu unterstützen.

Wie die neutrale nebenform eines Wortes zur Vermittlung des plurals auf -er diente, haben wir bereits bei ort gesehen (vgl. s. 221 f.).

*) Nach dem DWb., dessen uneingeschränkte angäbe, dass die decli- nation von herzog bis ins 17. jh. die schwache sei, nach meinen erhebungeu der berichtigung bedarf So ist z. b. bei Sachs keine /<-form den 4 «-formen von bd. 16. 20 gegenüberzustellen.

NHD. SÜBSTANTIVFLEXION. 243

Wir betrachten zuerst die gruppe von Wörtern, die auch unter dem einfluss neutraler nebenformen zur annähme der r-bildung gedrängt wurden:

gott.

mhd. got. a- und «-stamm. Die r-biklung des pl. stellt eine Übertragung aus dem neutralen abgot dar.

ahcjötter Aiigslj. 1, 291,7. 29i, 4, Wilwolt 31. goüer Eyb, E. 51, 17. 27,22, Munier (neben galt), Aveutin 637, 11, Luther, Just. Jonas, Alber.

Die masc. nebenform von ahgot liegt zu gründe bei

pl. uhgött Suclienwirt 39, 56. 60, gp. uhgöüen Stretl. ehr., pl. abgött Folz, Brant 18, 69.

Daraus erklärt es sich, dass im 15. jh. der pl. götter durch- aus noch nicht allgemein durchgeführt ist:

pl. gött Stretl. Chr., Folz (gix götter), B. d. beisp. 44-, 34. 81,16. 142,34. 151,2, und noch später pl. gött, götten Pauli, gött Manuel, Sachs* 159, 30 (vereinzelt).

-tum, -tümer.

irrtum, reichtum. Die voc. declination dieser beiden masc. reicht bis ins 17. jh.

Die 4. Bib., Luther, Aventin 793, 3, Just. Jonas (Briefe v.39. 41), Alberus, Zimm. ehr. 193, 8. 15, Seb. Münster, Dietenberger, Spener, Abraham, Dornblüth decliuieren irrtum in traditioneller weise, irrtümer wird von Schottel ge- fordert, das nach Kehrein zuerst bei Grimmeishausen belegt ist.

Anders gestaltet sich die geschichte der pluralform re/chtimer. Der früheste beleg findet sich bei Folz, B. 30. 1230 ; daneben erscheint die form reichtum. Später erscheint die r-form bei Eyb, E. 37, 18, bei Luther zuweilen, bei Just. Jonas 1539, während die 4. Bib., Seb. Münster, Volksb. v. dr. Faust 74, 29, Eud. Fischer 14, Schupp mir die a-form kennen. Schottel und Stieler reichtümer.

bösewicht. Ob bei der erweiterten pluralform einfluss des mhd. n. w-iht vorliegt (von dem eine r-form z. b. bei Lexer 3, 883 bezeugt ist), lässt sich schwer entscheiden.

Die bildung ööseivichter begegnet bei Luther und seinen anhängern Alberus und Job. Mathesius. Ferner bei Aventin, Sachs, Zesen, Moscherosch. Die pluralform tiuchter wird von Klopstock gebraucht. Ayrer, J. v. Braun- schw., Weckherlin, Goethe haben die form hösewichte, die auch von Braun und Nast ausdrücklich gefordert wird, während Schiller die vollere bildung bevorzugt.

Nicht unter dem einfluss der doppelgeschlechtigkeit stehen die andern r-formen, die heute in der Schriftsprache üblich sind:

16*

244 MOLZ

1. mannJ)

Die flexivisclieii Verhältnisse dieses cons. Stammes in nhd. zeit scheinen keineswegs genügend aufgehellt zu sein. Im mhd. stehen sich die plurale man und manne gegenüber. Mit dem eintritt der apokope kam die form man auf oberdeutschem boden allein zur herschaft, während die md. form manne lautete. Dass der plural man als zum gleichlautenden pronomen gehörig aufgefasst wui'de, ist wegen des grossen Unterschieds der function wenig wahrscheinlich.

Ich betrachte die Schicksale des Wortes in chronologischer folge, und lasse für die gruppierung die heimat der schrift- steiler massgebend sein.

pl. manne Jeroschin, Mainz 1, 396, 19 (1398). Die spräche der kanzlei gibt den formen mit e den vorzug: pl. manne ürk. v. 1382, häufig Weizs. 1, Urk. V. 1429 und li37, Janssen 1, Urk. d. Stadt Arnst., lehenmanne (liOß) ebda., nap. man, manne, dp. mannen Pnrgoldts Rechtsbiich und noch vereinzelt bei Luther, nap. man, dp. mannen Eosenblut, Folz, 4. Bib., Wilwolt 60, 88, pl. manne Eyb, E. 67, 15. nap. man, dp. mannen Mich. v. Beheim, Füeterer 9. 11. iS. 165. 301, 35, B. d. beisp. 69,29. 143, 1. 147, 19, Augsb. 1 alle man 280, 21 (1469). 3, 27, 6 (1480). nap. man, dp. mannen Stretl. ehr., Wyle (manne 346,25. 847, 29), Geiler, Braut (nach Zarncke), Muruer, Sterz, spiele 33. 153. 75. 97, Pauli, Maniiel.

Die cons. flexion fand an der unflectierten form nach zahlen und der begrifflich nahe verwanten gruppe ivij), Mnt eine kräftige stütze (nach Bojunga). Diesen letzteren halt verlor sie aber, als die beiden neutra den r-pl. annahmen. Diese Ver- schiebung war um 1450 auf einem grossen teile des Sprach- gebiets vollzogen. Es ist selbstverständlich, dass die voc. decliuation von iveib und kind auch noch später auftritt, weil die loslösung dieser häufig gebrauchten Wörter aus der klasse der a- Stämme zögernd und nur allmählich geschah. Im ein- zelnen werde ich darüber bei den neutris zu handeln haben. Es liegt die annähme Bojungas nahe, dass die r-bildung männer auf association mit den eng verbundenen tveihcr, Jänder zurück- zuführen sei. Auch ihr Zusammenhang mit dem pl. (jötter wird aus der örtlichen Verteilung beider neuschöpf ungen hervorgehen.

•) Die übrigen umgelauteten r-plurale s. unten unter no. 3. Meine angaben sind durch das DWb. 6, 1553 und Kehrein, Gramm. 1, § 280 ergänzt. Vgl. Bojunga 42 ft".

NHD. SüBSTANTIVFLEXION. 245

Per pl. mönner taucht zuerst in einer Mainzer urk. vom jabrc 1-129 auf, vgl. Mainz 1,375,15. 376,2. Die nächstfolg-enden belege bietet die Mainzer Chronik 1, deren abfassung in die erste hälfte des lö.jh.'s fällt: Mainz 1,59,29. 61, 33. 68, 3. dp. mannen ebda. 83, 26. Vgl. pl. kinder Mainz 1, 5-i, 13. 60, 29. Aus dem DWb. entnehme ich pl. wütiner Hess, weist. 11:49. Schliesslich be- gegnet vereinzelt die r-form bei dem Nürnberger Folz, dessen wiege wol in Mainz gestanden (gp. männer, dp. münnern) und in der 4. Bib., als deren heimat Nürnberg betrachtet wird (pl. männer). Bei dem Ostfranken Eyl) ist der pl. männer fast allein im gebrauch (Ehebüchlein). Vereinzelt ist er auf ferner liegendem gebiet: B. d. beisp. 72, 36 in der anrede, Urk. d. Stadt Arnst. 1487. Bei den Chronisten von Nürnberg dagegen um die wende des 15. jh.'s ist die r-form alleinherschend: Nürnb. 4, 221, 17. 5, 582, 6. 654, 12—14. Die geschichteu und taten "Wilwolts v. Schaumburg (der Verfasser ist Franke, die zeit der abfassung 1507) weisen im uap. stets die ;--bildung auf. Der Alemanne MuDier gebraucht einmal die r-bildung in seiner späteren Schelmen- zunft 1512; ebenso Pauli 1518 in Jaiufmänner, eine form, die den Stempel des Imports zu tragen scheint.

Verfolgen wir jetzt das Schicksal dieser handlichen und lebenskräftigen form im Zeitalter der reformation.

Wenn icli von dem sporadischen auftreten der cons. flexion absehe, ist die paragogische form männer bei Luther, Eebhuhn, Just. Jonas, Job. Mathesius, Spangenberg in voller geltung. Ebenso bei Seb. Frank, "Waklis 230, 49, Alberus, Zimm. ehr., Sachs, Tschudi. Die cons. plurale haben noch das übergewicht bei Aventin (männer 789,27), Seb. Münster (gdp. mannen), Fischart (gp.inan, äi^.manneti). In einer Strassb. pol.-ordn. von 1560 erscheinen nur pl. mann und dp. bei mannen und iceibern.

Im laufe des 16. jh.'s also verbreitet sich die form über das ganze Sprachgebiet, nicht zum geringsten unter dem ein- fluss der von Ostmitteldeutschland ausgehenden protestantischen literatur. Trotzdem die alem. und bair. dialekte dem eindringen der r-form hindernisse entgegenstellten, war die herschaft des erweiterten plurals um 1550 entschieden. Bojunga irrt sicher, wenn er glaubt, der pl. männer sei bereits fünfzig jähre nach seinem ersten auftreten in volle aufnähme gekommen. Wie aus den vorgeführten umfangreichen erhebungen gerade aus dem 15. und 16. jli. zur genüge erhellt, war damals diese form kaum über fränk. gebiet hinausgedrungen. In der zweiten hälfte des 16. jh.'s und später tritt die cons. form des ngap. mehr und mehr zurück; neben der r-form stellt sie sich zu- weilen bei demselben schriftsteiler ein.

So bei Sachs 275, 14. 417, 30 und in der bindung 60, 33. 187, 12. 10, 29, 34, im Volksb. v. dr. F. männer 61, 3, mann 32, 17, bei Ayrer, Logau pl. manne, Spee pl. man (nach dem DWb.). Noch der grammatiker Pölmaun (1671)

246 MOLZ

lässt die beiden plurale manne und männer zu recht bestehen und fügt hinzu: 'ratmanne = senatores ist besser als ratmänner\

Die Schriftsprache kennt noch einen andern pl. von mann, nämlich die w-bildung mannen, die nur mit bestimmtem be- deutungsinhalt, im sinne von 'dienstleute', im gebrauche ist. Diese Schöpfung ist alt und jung. Ganz vereinzelt lässt sie sich in der frühnhd. epoche nachweisen; dann tritt sie am ende des 18. jh.'s anscheinend ganz unvermittelt, mit beschrän- kung ihrer früheren gebrauchssphäre, von neuem auf den plan.

Das früheste auftreten der «-form ist durch Lexeri,2021 aus dem Säckiuger urbar von 1320 belegt.^) Dann finde ich den np. mannen in einer urk. von 1385 bei Weizs. 1 und bei Aventiu 603, 9.

Bojunga hebt hervor, dass die ^^-declination für man einen anknüpfungspunkt bot, insofern diese eine reihe von begriffen in sich schliesst, die alle modiflcationen von man darstellen: hnahe, huhe\ tote, bürge, hirte, pfaff'e, singe] FranJce, Hesse, Sachse, Normanne. Dem lässt sich noch folgendes hinzufügen: die ganze klasse der w- stamme hatte obd. nach dem eintritt der apokope im n. s. die «-form angenommen, und so waren die a- und w-flexion, zumal wenn noch eine begriffliche beziehung stattfand, einem wechselseitigen einfluss ausgesetzt. Wir haben

1) Heyne im DWb. und nach ihm Bojunga betrachten mit unrecht den gp. mannen bei Wyle iO, 22. 357, 2-1 als sicheren beleg für »-flexion. Dieser Irrtum fliesst aus einer verkennung der Schweiz, declinatiousverhältnisse. Bekanntlich hatte hier früh ein ausgleich zwischen d. und gp. nach dem System der fem. a- stamme in allen declinationsklassen stattgefunden. So liegen die tatsachen bei Boner, bei dem Kilchherrn von Sarnen das ist der Verfasser der 8tretl. ehr. und noch bei Haller. So gut also Tschudi den gp. männern bildet, sagt Wyle mannen. Es ist selbstverständlich, dass auch die andern iiexionsklasseu bei ihm diesen ausgleich zeigen. Nicht besser steht es um Bojungas zweites argument. Auch aus Seb. Münster belegt Kehrein den gp. mannen, den B. wider als sichern beleg für die pluralische w-bildung von man überhaupt ausgibt. Münster lebte zur zeit seiner schriftstellerischen production in Basel , d. h. auf hochalem. boden, wo er sich dem sprachlichen einfluss seiner gelehrten collegen nicht ent- ziehen konnte. Diese behauptung lässt sich noch durch Münsters gen.-bil- dungen gutem, schlossern (vgl. Kclireiu 1, § 302) stützen. Auch bei Murner ist der g\). mannen im Wechsel mit der form man belegt: kein beweis für die schwache pluralbildung mannen, wol aber ein zeugnis, wie hoch- alem. einfluss sich in Niederalemannien geltend machte. Es ist also bis dahin nichts mit den belegen der schwachen pluralforni mannen in früh- nhd. zeit.

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 247

üben 8. 225. 228 bereits gesehen, wie herold, manch durch die eng verbundene gruppe böte, gesante pfaffe zu den w-stämmen liinüberschwanken. Der pl. hnechten, der von Haller gebraucht wird, ist ein neues argument für die richtigkeit der deutung Bojungas. Noch grösseres gewicht aber lege ich auf die w-form des d. s., die in der bindung in den Sterz, spielen erscheint (d. s. manncnf' Sterz, sp. 198, 170), und die den sporadischen übertritt von man zu den w-stämmen zur gewisheit macht. Eine momen- tane anomalie konnte sich überdies aus der häufig wider- kehrenden Verbindung man und frauen ergeben. Auf ähnliche fälle ist bereits oben s. 236 hingewiesen (vgl. np. tonen und melodeien Spangenberg). Für den ersten beleg im Sack, urbar kommt noch in betracht, dass durch den hochalem. formen- ausgleich zmschen g. und d. pl. die ursprüngliche Verteilung des sprachlichen gewichts der a- und w-formen im pl. verschoben wurde; oder anders ausgedrückt: auf einem gebiete, wo zu den oben besprochenen factoren noch die gleichheit des g. und d. pl. (mannen) hinzukam, war eine berührung mit den w- stammen erleichtert, insofern innerhalb des pl. selbst die «-formen den häufigeren «-formen gegenüber an macht gewonnen hatten.

Für die erklärung der uns geläufigen form mannen stehen zwei wege offen:

1) Die annähme gelehrter entlelmung. Der g. ])]. mannen, wie er bei Wyle, Murner, Seb. Münster begegnet, konnte von den gelehrten männern des 18. jli.'s als eine zu der schwachen pluralbildung gehörige form aufgefasst werden. Mehr Wahr- scheinlichkeit schliesst in sich die annähme einer directen ent- lelmung aus der bair. chronik Turmairs, die von Goetlie so wert gehalten wurde, und in der Lotte Schiller 'prächtige Sachen' fand.

Vgl. np. mannen Aventiu 603, 9, dienstmannen ebda. 603, 14; ap. lands- hauptmanneii ebda. 663, 30.

2) Die annalime von formenübertragung. Es mag auf den ersten blick gewagt erscheinen, die Wirkung der analogie für die bildung mannen geltend zu machen. Bei genauere]- Prüfung dagegen sprechen gewichtige gründe dafür, dass in der tat eine Übertragung aus der a-form mannen des d. pl. vorliegt.

Betrachten wir zunächst die geltung dieser form bei Schrift- stellern des 15. und IG. jh.'s. Der d. pl. mannen, der den an-

248 MOLZ

forderungen der numeraltrennung in jeder weise entsprach, war mit dem auftreten der neuen r-form männcr durchaus nicht verdräng! worden.

dp. mannen Maiuz 1, 83, 26. Bei Ej'b gestaltet sich das Verhältnis der o- und r-formen durch den ganzen plural so: nap. männcr : manne = 7:1, dp. männern : mannen = 10 : 8. Bei Wilwolt kommt anf den ersten 120 Seiten überhaupt nur der dp. mannen vor und zwar 4 mal, dem im nap. 4 mal die form männer gegenübersteht. In der Zimm. ehr. ist es auch vor- nehmlich der d. pl., der seine alte form gevi^ahrt hat: lehenmannen 121,14. 419,.15, mannen 192,34. 315, 5 und 4, 110, 6 und ganz vereinzelt a. pl. man = 'iehnsleute' 192,31.

Für spätere autoren ergibt sich folgendes') bez. des ge- brauchs des d. pl. mannen.

Sachs 150, 22. 10, 28, 5. 20, 401, 1. 474, 31, B. d. liebe 1587, Ziucgref, Grimmelshausen (her. v. Kurz) 4. 41, Reuter dp. edelmannen 2 m., Würzb. verordu. v. 1765 imsern gesammien vasalkn, mannen und lehenleuten (vgl. Schmeller 1, 1602).

Im gebrauch nach zahlen hat der d. pl. bis zum 17. jli. die flectierte form gewahrt.

Allgemein ist die flectierte form des d. pl. bei der zählformel in den Chroniken von Augsburg und Nürnberg (Augsb. 3, 32, 15. 33, 13. 18). Ferner vgl. Füeterer 34. 48, Wilwolt 79, 34, Alberus, Dial. F. 3, 28, Spangenberg 41 mit den 400 mannen.

Es ist unzweifelhaft, dass die nach zahlen häufige Ver- wendung des d. pl. mannen mit dazu beigetragen hat, dass die dativform mannen auch in selbständiger Stellung vor dem Untergang bewahrt wurde. Die bildung mannen lebte also im d. pl. bis ins 18. jh. in gewissem grade fort. Gegen ende des 18. jh.'s nun, als unsere declination in ihrer heutigen gestalt beinahe ausgebildet war und eine mischklasse nach der decli- nationsweise von hauer, nuclibar, Baier, Untertan, trupp sich festgesetzt hatte, konnte die alte dativform mannen als mit diesen zu einem System gehörig empfunden werden. Wenn wir die bedeutung der nhd. form mannen = 'dienstleute', wie sie von Stolberg, Schillei-,"^) Goethe, Platen diesem pl. beigelegt

^) Ich habe diese belegstellen des rr-pl. an anderer stelle ausgeschlossen, weil die a-form des d. pl. in späterer zeit eine isolierte form darstellt, die von dem System der a-flexion losgelöst weiterlebt.

^) Denn auch der mächtige liurgund, der ländergewaltige, hat seine mamten alle herbeigeführt Jungfrau, prol. 3. a.

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 249

Avurde, ins aiige fassen, kommen wir zu der erkenntnis, dass dieser bedeutungsinhalt sich mit dem in älterer zeit nach zahlen wol am häufigsten üblichen in auffallender weise deckt. Die lectüre von schritten des 16. und 17. jh.'s erzeugte die neu- hildung mannen, für deren hedeutung besonders der gebrauch nach zahlen massgebend wurde.

Es ist interessant zu beobachten, wie es bereits rund hundert jähre vor dem auftreten der schwachen pluralbildung mannen keinem geringern als Schottel passierte, den alten d. pl. mannen als eine form des *^-plurals aufzufassen.

Der Satz, aus dem Schottel seine beobachtnng ableitet, laixtet bei ihm : Nachdem uir vermeinen, recht zu clenseJhen Niederlanden su haben und in unserer eigenen suche nicht lool richter sein mögen . . . , so meinen ivir, dass billig sei, dass die Sachen vor des heil, reichs mannen ausgetragen werde. In Literis Sigismundi 1426. Und Schottel bemerkt am aufang s.297: 'mann macht die mehrere zahl: männer, mannen und man\

Das Zeugnis Schotteis möge als stütze für die richtigkeit meiner auffassung dienen. In dem nhd. mannen ist also nicht sowol eine gelehrte entlehnung, als vielmehr eine gelehrte analogie zu erblicken, und mannen = klienstleute' stellt sich danach als zwillingswort neben den erstarrten pl. mann in der Zählformel.

2. Nicht umlautsfähige r-plurale.

In gewissem grade war der pl. für die r-form empfäng- licher, w^enn der wurzelvocal des betr. wort es des unilauts nicht fähig war.

geist.

Der pl. (jcister tritt schon mhd. vereinzelt auf, vgl. Lexer 1, 798. Die annähme der r-form im pl. wird durch die begriff- liche beziehung zu männer, göiter, gespenster einleuchtend.

Vgl. bedeutende gcister; rollcngeister Augsb. 5, 388, 7. Als zeugnis für eine besondere Seite der verwantschaft mit göiter diene ein citat ans Aventin: ein grosser meister der schtvarzen hunst, tvie man die geistcr und göiter zwingen, pannen ... soZ 777, 29. 30. Es ist dienlich hervorzuheben, dass Aventin später, wo der pl. von geisi nicht in Verbindung mit göiter er- scheint, die a-form schreibt: ngap. f/e/s< 777, 32. 778,4. 30. 779, 2G, ä\i. geisien 807, 23 und selbst mit den göttern und gcisten 783, 27. Die a-form des pl. ist noch intact bei Matth. v. Beheim, in der Stretl. ehr. (gdp. geisten), im B. d. l)eisp. 99, 17, in der 4. Bib., bei Eyb, Wyle, Geiler, Pauli, Manuel.

Die ersten r-bildungcn in nhd. zeit finden sich bei Agricola, Luther (der im anfang auch noch überwiegend die «-form gebraucht), bei dem

250 MOLZ

gelehrten humauisten Aventiii, in der Ziram.chr. (280,26. 3i, gp. ycisf 106,31), bei Alberus, Walclis 192, 42, Job. Matbesins, Nie. Herman 230, wäbrend nocb Sachs 9, 22 und Dietenberger die alte form anwenden. Mit dem ende des 16. jh.'s ist die r-form allein giltig: Volksb. v. dr. F., J. v. Braunscbw., Ayrer, ß. Fischer 8; J.Grimm zuweilen (iiL^/e^sfe); in abgeleiteter bedeutung Goethe: von extrakten tmcl geisten.

leib.i) leib ist synonymum oppositum von geist, mit dem es ausser- dem durch partielle laiitgleichlieit verbunden ist. 2) Das war das entscheidende moment, dass der r-pl. leiher in der Schrift- sprache eingang gefunden hat. In lautlicher hinsieht war der pl. le'iber für die gebundene rede mit iveiber eng verquickt: das einzige subst, reim wort auf iveiher ist leiher: zwei formen, die sich in der bindung leicht zusammenfanden. Auch noch eine begriffliche beziehung von leih könnte man geltend machen: bei pluralischem gebrauch der Verbindung leib und gut konnte eine formenübertragung von guter ausgehen.

Vgl. als . . . Maximilian . . . bewegt worden ist, uns die genad . . . zu ihnen, das icir die Juden aWiie bei uns mit ihren leiben auch rarenden beweglichen guetern aus der stat Ulm thuen mugen Chmel s. 20-1, und Zimm. ehr. 520, 27 mit iren leib und gutem.

In älterer zeit ist die Unterdrückung der flexionsendung bei dem ersten teil einer zweigliedrigen Verbindung häufig. Indes fällt die endung nur dann weg, wenn das casussuffix des ersten gliedes in selbständiger Stellung mit dem des zweiten gliedes übereinstimmt. Theoretisch wäre also die Verbindung mit ihren leih und gutem in der Zimm. chronik der früheste beleg für den r-pl. Idber (vgl, aber d. pl. leihen Zimm. ehr. 59, 8).

1) Bojuuga s. 139 irrt sicher, wenn er glaubt, leib biete in begrifflicher hinsieht keine eutsprechuug mit einem einen ;--pl. bildenden Substantiv. Wenn er ferner eine lautlich functionelle Verbindung von leiber und Jcörjjcr annimmt und die mögiichkeit einer nachbildung durch eine bei Eyb vor- kommende stelle anwülder und redner als bewiesen betrachtet, so zweifle ich sehr, dass bei der genannten verbiudiuig die form anwälder durch redner beeinflusst ist; vielmehr wird eine Übertragung von wülder vor- liegen: eine bildung, die bei Eyb bereits vorkommt. Der reim leiber : iveiber konnte ei"st von secundärer bedeutung sein; wie aus dem ferneren Schicksal von leiber ersichtlich ist, machte die bildung glück, während eine form Ständer (: bänder) bei H.Sachs, die bildung einer lauue, einen mis- erfolg bedeutete.

^) Beachtenswert erscheint das sehwanken von leib zwischen m. und n. geschlecht bei dem Niederdeutscheu J. v. Braunschweig.

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 251

Indes darf man auf solche kleinigkeiten nicht gewicht legen wollen. Der pl. leiher konnte in weiterem umfang erst dann gebildet werden, nachdem der pl. geister geschaffen war. Das entspricht den tatsachen. Wenn auch leiber nicht erst im 17. jh. sich bildet (wie Heyne im DWb. glaubt), so fällt doch die bildung erst in die zweite hälfte des 16. jh.'s.

Die ersten beiypiele der r-form bietet Sachs: leiber : weiber 311,33. 413, 22. 10, 42, 24. 82, 4. Vgl. dagegen leib ap. : tveib as. 382, 34 und im innern des verses ap. leib 417, 30.

Man würde sicher irren, wenn man annähme, der reim sei allein die Veranlassung zur bildung der r-form gewesen. Dagegen spricht das zeugnis des Ostfranken Laur. Albertus s. 84, der im jähre 1573 bereits die /--form leiher zur norm erhebt.

Von Oelinger kann man wol absehen, da dieser wol nur in abhängig- keit von Albertus den pl. leiber fordert. Ein weiterer beleg der r-form im 16. jh. findet sich im Volksb. v. dr. F. (leiber 75, 7). Nie. Frischlin sagt: und kommen dann die beUelweiber mit ihren geraden starJcen leibern Wendelg., 2. auftr., 4. sc. Ayrer wendet noch den pl. die leih in einer bühneuanweisung an. Die grammatiker Ritter 1610, Gueintz 1641 setzen leib unter die mit der r-pluralform gebräuchlichen masc, wälirend Girbert 1653, Pölmann 1671 die formen leibe und leiber beide als giltig betrachten. Schupp hat dp. leibern. Schliesslich sei noch darauf hingewiesen, dass Luther, Alberus, Mathesius nur die «-form des pl. leibe geläufig ist.

3, Umlautsfähige r-plurale. Man kann für wald und tviirm nicht geltend machen, dass die gruppe /, r + cons. dialektisch umlauthindernd gewirkt habe, und so durch den mangel eines deutlichen kennzeichens der pluralischen function dem eindringen der r-form tür und tor geöffnet gewesen wäre. Im mhd. steht noch ivalde neben ivälde (vgl. Unterivalden); in nhd. zeit hingegen war das muster analoger /-plurale bei der grossen ausdehnimg des umlauts mächtig genug, um die a-form des plurals ganz zu verdrängen,')

wald. Die annähme der überti'agung der r-form von den begriff- licli verwanten gräser, kräuter, hläüer, höher ist nicht der

0 Vgl. ngap. xmlde, dp. loälden Oest. weist. 1, 285, 42, Stretl. ehr., Augsb. 1, 43, 10 (1375), Füeterer 172, Augsb. 2, 13, 24. pl. wurme Griesh. predigten, Füeterer lÜO.

252 MOLz

einzige gesiclitspunkt, aus dem der r-pl. uäldcr erklärt werden kann. Auch auf die häufige Verbindung zvald inid fehl, 'deren älmliclien ausklang man auch im pl. nicht vermissen wollte', hat Bojunga bereits hingewiesen. Nun aber ist hoU nicht nur sinnverwant mit tcahl, sondern eine seite seines begriff- lichen Inhalts deckt sich wie im mhd. so noch bis weit in die nhd. zeit hinein mit der bedeutung von tvald vollkommen, vgl. frz. bois und forcf.

Zu dieser becleutniig you holz vgl. Wilvvolt 88, Zimiii. ehr. 487, 1, Saehs -109, '9, "Waldis 20, 7. J. v. Braimscliw. wendet in der mehrzahl der fälle höh im sinne von wald an. Bei ihm lantet das Sprichwort: tvie man ins hals ruft, so ruft man auch tvider heraus. Ayrer schreibt: nu siecht man da nun iceit und breit um die Stadt nichts als fehler und iviesen, weiuberg und schöne hächlein fliessen, viel gärten, hölzer und grüne auen. Und später: die holzer voller weier sein. Stieler schliesslich bemerkt zur bedeutung von holz: '. . . non solum trahes et ligna fissa sive segmina lignea; verum etiam ipsam silvara, saltum et nemus significans'.

Wenn also dem pl. tiälde ein pl. höher mit identischem Inhalt der bedeutung gegenüberstand, ergibt sich mit grosser Wahrscheinlichkeit, dass der pl. höher bei der analogischen bildung der form teciJder den wichtigsten factor ausmachte. So hätte die Übereinstimmung der bedeutung zweier Wörter zum ausgleich ihrer form in der pluralischen function geführt. Unsere spräche hat später aus gründen der Zweckmässigkeit der anwendung jedes der beiden Wörter ein enger begrenztes gebiet zugeAviesen und damit die Ursache ihres formellen aus- gleichs aufgehoben, während die Wirkung der einstigen be- deutungsgleichheit weiterlebt, indem die m. pluralform in ihrer )--gesialt den Stempel des n. trägt.

Die i-form des pl. ist im 15. und 16. jh. fast allein im gebrauch:

ngap. wäld(e), dp. u-dlden Augsb. 2, 13, 22, Folz, Füeterer 172, i. Bib., Wyle, Chmel 1498, Pauli, Aventin 605, 20. 30, Luther, Alberus, Waldis 166, 5, Münster, Zimm. ehr. 10, 7. 302, 17. 303, 15, Augsb. 3, 114, 4. 4, 39, 21, Herman 230, Sachs, Dietenberger, Fischart, Volksb. v. dr. F. 46, 16, Spangenberg 23, Weckherlin 2, 69, 98. 169, 83. 395, 152.

Dieser grossen reihe von citaten des mit /- gebildeten pl. kann ich nur zwei belege der r-form (aus jedem jh, einen) zur Seite stellen:

gp. Wälder Eyb, E. 82, 4 (ap. tvälde Eyb, E. 87, 16), ap. wiHdcr Joh. Mathesius.

NHI). SUBSTANTIVFLEXION. 253

Erst im laufe des 17. jli.'s verdräng-en die r-bildungen die alten formen:

pl. icälder Opitz, Harsdörfer, Spee (neben wälde), Kalloandro 1, IIG. Der g-rammatiker Pöhnann gibt die plurale wähle und wälder als gleich- berechtigt an. Für Stieler ist die r-form die üblichere.

wurm.

Die entsteliung: des r-pl. tvürmer ist wenig- durchsichtig'. Nicht stichhaltig erscheint mir die annähme Bojungas, der in der r-bildung- den einfluss des neutralen wortgeschlechts nd. dialekte erblickt. Die formen ivormer, ivorme bei Agricola tragen wol durch den mangel der unilautsbezeichnung nd. gepräge, während der Übergang des u zu o nicht allein dem nd. eigentümlich ist (vgl. Behaghel, Pauls Grundr. I2, 698, § 49). Die neigung des u zu 0 ist z. b. in hess. dialekten besonders vor Verbindungen mit r-laut weit verbreitet: torm, tvorm, dorst, horscli. Lautliche gründe können beim übertritt des pl. nicht im spiele gewesen sein, vgl. türme, stürme. Ueber die örtliche Verteilung des pl. würmer in den lebenden mundarten vgl. Friedrich s. 48.

Vielleicht könnten die abgeleiteten bedeutungen des Wortes ^ 'armseliger mensch, schurke, kind im zustand schwacher hilflosigkeit' einen anhält für die erklärung der r-form geben. Bei diesen Inhalten konnte der pl. mit männer, weiber, kinder in begriffliche beziehung gebracht werden. Vgl. dazu den gebrauch des pl. tvürnier bei Mathesius (icürmer = ' Schurken', und teufelsivürmer) und annähme die des neutralen geschlechts nach dem muster von länd in der zweiten übertragenen be- deutung bei Freytag, Tieck, Hackländer, Wildenbruch.

Vom 15. 17. jh. herscht der «-pl. im gebrauch vor.

ngap. würm(e), dp. imrmen Füeterer 190, Eyb, Pauli, Manuel, Agricola, Luther, Alberus, Sachs 222, 41, Oelinger, Volksb. v. dr.F. 51, 31. 54,28. 118,37, Ayrer, Helber 28, Weckherlin 2, 97, 31. -141, 11, Arndt, Girbert, Schottel, Mor- hof, üed. 225. pl. icürmcr vereinzelt bei Eyb, Manuel, Agricola, Just. Jonas, Br. V. 1541, Zesen, Morhof 669 (über Mathesius s. 0.), pl. ivürme und würmer Hofmansw., Abraham, Pölraann, Stieler. Wie wenig allgemein noch im 18. jh. die von Gottsched geforderte r-form des pl. war, lehren die Zeug- nisse von Steinbach, Bödikerlll, Ilempel, Aichinger, die wärme und wärmer gelten lassen. Den Oberdeutscheu Dornblüth, Braun, Nast ist überhaupt nur 'Wärme bekannt. Klopstock hat pl. wärme Mess. 2, 541. 18, 139, ebenso Haller. Der r-pl. wird von Adelung als vulgär verworfen und noch bei Wielaud, Goethe, Grimm kommt die form wärme vor.

254 MOLZ

mund. mnnder ist nach mäuler gebildet, maul für tminä war ja noch im 18. jh. sehr üblich. Noch bei Lessing besteht keine strenge Scheidung der beiden begriffe.

pl. mnnder 4. Bib., häufig später bei W. Alexis. Sonst ist in der älteren zeit mir die form münde belegt : Eyb, Wyle, Seb. Frank, Fleming, Hofmansw., Stieler. Steiubacli gibt den nmlaiitslosen pliiral i«?(jif7e an, der der edlen spräche der gegenwart wol am besten ansteht.

Vormund.

Im mhd. existieren ausser dem nhd. rormund noch zwei Substantive mit demselben begrifflichen Inhalt: Vormunde, vormiinde swm., Vormünder stm. Dem reformator ist nur die sch^A'ache bildung rormimde vertraut, die auch in den Urk. d. Stadt Arnst. üblich ist: ugdp. Vormunden 1416 1193, as. Vormunden Purgoldt, np. vormünden Job. Mathesius. Lebenskräftiger war die form vormunder: pl. /"wrjnt^i^^er Dietenberger, gs. vormunders Päni. boic. 1723, s. 128. Der a- stamm vormund hat sich in der Schriftsprache allein festgesetzt. Bei Alberus, Münster findet sich bereits die nhd. r-pl.- form Vormünder, die sich unter einwirkung des o-stammes vormnnder (vgl. Vormünder ns. Zimm. ehr. 178, 13) und durch die begriffliche beziehung auf münner bildete. Auch konnte eine analogische beeinflussung von münder ausgehen (vgl. pl. n-üJder, aiiwülder Eyb), pl. Vormünder Schlipp bis Hempel, Aichiuger, Adelung. Lessiug bildet den pl. vormünde.

rand. ränder ist nach den ähnlich klingenden händer, länder, 11 fänder gebildet; demselben gleichklang verdankt der plural bränder bei Hempel seine entstehuug.

pl. runde Steinbach, Nast, runder Stieler, Adelung.

Strauch Sträuche, sträuclier ist eine nachbildung nach den sinnverwanten hlätter, gräser, dörner, felder, wälder.

pl. Sträuche Stieler, Steinbach, Braun, Nast. Adelung, Goethe, sträuclier Pückler, Steffens nach Gortzitza.

Die gruppe hlätter, gräser u. a. gab zuweilen noch für eine reihe anderer begriffsverwanter Wörter den typus des pl. ab.

Hierher gehören die sporadiscli auftauchenden bildungen

üster Fleming; hüumer Abraham, Antesperg (bair. nach Schmeller, M.B. 234; vgl. Friedrich s. 48); büscher Fleming, Hempel; siräusser Gott- sched, Hempel (neben stränsse), Gutzkow, Heine, Pückler, Spindler (auch

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 255

bair. nach Schmeller 23-1);') stöcJccr (über graben und stöcJcer) Verl. Euro- päer 326; zioeiger Eyb.

rest reste.

Der pl. rester, der bei Laube häufig vorkommt, gehört der kaufmännischen spräche an, welcher der wesenlose collective pl. reste zur bezeichnung der einzeldinge nicht genügte.

Die pl. Mösser Weise 95 (mit erdklössern), Gottsched, Hempel und Idötzer Alberus, Gottsched, Hempel sind wol aus den neutralen nebenformen der beiden worte hervorgegangen.

Die r-forni därmer Luther, Gueintz, Girbert, Steinbach und Hempel (neben därme) muss als dialektische eigentümlich- keit des md. aufgefasst werden. Der pl. steiner, der nach Friedrich s. 48 auf einem grossen teil des Sprachgebiets ver- breitet ist, ist mir nur bei Abraham begegnet.

Vereinzelt stehen: dp. iu ihren särgern (vgl. gröber), pl. blicJcer und blitzer Abraham, dp. tkürmern (vgl. häuser) Morhof, Ged. 236.

Y. Masculina auf -el, -er, -en.

1. Volle endungsformen mit flexivischem e. Im mhd. stossen die abgeleiteten m. auf -el, -er, -en, wenn die Wurzelsilbe lang ist, das e der endsilbe ab, häufig aber auch, w'enn sie kurz ist (Paul, Mhd. gr. § 121). Dieser unter- schied in der behandlung der stamme mit langer und kurzer Wurzelsilbe wurde mit dem eintreten von Behaghels lautgesetz (vgl. Behaghel, Die deutsche spräche s.l59, Pauls Grundr. 1^, 709, § 70) getilgt, so dass in frühnhd. zeit die Verhältnisse nicht mehr von den heutigen abweichen. Im pl. herscht endungs- losigkeit, und nur im dativ steht noch n. Bei den Wörtern auf -n ist auch dieses dativ -»^ fortgefallen. Der einfluss des md., das bei den masc. mit liquidem suffix auf einem grossen teile seines gebietes das e länger als andre dialekte gegen die verstummung schützte, war nicht nachhaltig genug, um spuren in der Schriftsprache zu hinterlassen.

Im md.. wie es aus dem Evangelienbuch des sog. Matth. v. Keheira uns entgegentritt, ist das e der endsilbe ohne rücksicht auf die Quantität

^) Bei der pluralbildung sträusscr fällt nocli die ähnlichkeit des laut- bildes mit hüuser, dänscr ins gewicht.

256 MOLZ

des stainmhafteu vocals erhalten: pl. engele, himmele, vögele; ackere; ds. und pl. priestere, ftngere, hrudere. In der 1. Mainzer chronik machen wir die- selbe beobachtung: pl. ari?Me 134, 13, seMiissele7b,lS, frevele 77, 19, zettele 137, 11. 241, 18, hilrgermeistere 75, 17, rittere 354, 30, ackere 215, 30. Wormser quellen 2: pl. rittere 341, 12, dienere, hilrgermeistere 238. 240. Vereinzelt in Augsb. 3 pl. geprüdere 93, 21. In den Urk. d. Stadt Arnst. ist die erhal- tung dieses flexivischen e häufig: pl. ackere 1418 (ecker 1493), hrudere lil7 (gs. hruderes 1306), hurgere 1332, dienere 1345, ds. und pl. priestere 1443, artikele 1416 (ds. capitele 1416). Aus Purgoldts Rechtsbuch : pl. engele, vögele, ratismeistere. Janssen: pl. ^-ef^ere 1429. Weizsäcker: ]A. dienere 1373, hurgere 1375, ds. und pl. keisere 1376, pl. hilrgermeistere 1376. Augsb. 3 vereinzelt hrüäere 37, 25. Murner dp. richteren, sorgeren.

Luthers Schriften sind fast frei von derartigen bildungen: die formen hühele, engele, jüngere, ketzere, meistere, sündere, hrüdere, dp. engelen sind bei ihm ganz vereinzelt.

In späterer zeit tauchen hin und wider formen mit e auf: np. hrüdere Zimm. ehr. 353, 15, ds. fleischere J. v. Braunschw., pl. nachfolgere, sachwaltere, engele Harsdörfer, rittere Kalloandro 2, 199. 247. 280, liehhabere ebda. 1, 28, schreihere Moscherosch 82, schwägere ebda. 110.

Girbert und Schotte!, die die pl. bürgere, riclifere, engele, himmele als norm aufstellen, blieben hier ohne nachahmer: sie haben sich hier nicht über ihre heimische mundart erhoben.

Im nd. ist die Unterdrückung des e der schwächstbetonten Silbe im dreisilbigen Sprechtakt nicht durchgedrungen (vgl. Behaghel, Pauls Grundr. 12,710, § 70,3. Lübben, Mnd. gramm. § 67. Friedrich s. 41) Auf ein paradigma wie np. die bürgere, gp. derer bürgerer, dp. denen bürgeren, ap. die bürgere Schottel s. 307 näher einzugehen, erspare ich mir die mühe; man sieht, wie hier die allerdings unrichtige Setzung des pronomens das muster für die flexion abgegeben hat. Derartige bildungen (zu denen wir auch, beiläufig bemerkt, die pl. Idägerer u. a. bei Schottel rechnen), sind jeden sinnes bar und haben niemals in der spräche selbst eine rolle gespielt.

Schliesslich ist hier noch auf das zähe festhalten des c im pl. der noni. agentis hinzuweisen, eine erscheinung, die auf die spräche der kanzlei beschränkt ist, sich aber hier bis über die mitte des 18. jh.'s behauptet.

Vgl. Hemmer, Abliandl. üb. d. deutsche spräche, Mannheim 1769, s. 128 und Verteidigung seiner abhandl., Mannli. 1771, s. 262. Hemmer äussert sich so: 'die mit überflüssigem e verlängerten Wörter als hurgere u.dgl. kommen sehr häufig in den Schriften unserer kanzleien und rechtsgelehrten vor'; 'und wie oft findet man nicht die glüuhigere, Jclügere\

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 257

Es lässt sich zur reclitfertig-img- dieses conservativen Ver- haltens des kanzleistils geltend machen, dass die hier in frage stehenden mit e gebildeten plurale der hei actenstücken ge- forderten präcision des ausdrucks vielfach dienlich sein konnten. Der pater Dornblüth, der in obd. weise das auslautende e sonst stets abwirft, kann seine Weisheit nur aus der kanzlei- stube geholt haben, wenn er die pl. hürgere, anhetere, wider- sächere als die allein richtigen betrachtet. Der obd. literatur sind diese formen fremd.

2. Das Suffix -el.

Umlaiitsformeu.

Die ausdehnung des umlauts auf den pl. der mit -el ab- geleiteten Substantive fällt noch in die zeit des mhd. Der Umlaut setzte sich da fest, wo eine strenge Scheidung der numeri zweckmässig erschien. In frühnhd. zeit waren der analogie der i- stamme auch eine reihe von Worten dieser gruppe gefolgt, die in der Schriftsprache den umlaut nicht angenommen haben:

pl. liöbel 1362 Augsb. 1, 257, 42, dp. haspeln Nürnb. 5, 480, 1. pl. üngel Seb. Frank, tädel Aventin, {bückel Braun), vgl. Friedrich s. 43.

In die Schriftsprache sind nur folgende mit umgelautetem plural aufgenommen: a2)fel, hammel, Jiandel, mangel, mantel, nebel, nagel, saitel, schnahel, vogel.

Beim pl. von vogel scheint der umlaut am spätesten durch- gedrungen zu sein. Des umlauts ermangelt der pl. vogel bei Boner und im B. d. beisp. 51, 28. 60, 13 u. ö. In späterer zeit ist die i-bildung des pl. in dieser gruppe nicht mehr fruchtbar

gewesen.

«-Plurale.

Im 16. Jh., als die a- und w-fem. sich zu einer klasse ver- schmolzen, machte sich eine rückwirkung der weibl. Substan- tive mit -eZ- Suffix auf die mit -el abgeleiteten masc. fühlbar Häufig gebrauchte plurale der masc. übernahmen die form des fem. So entstanden die formen angeln Stieler {angel m. ebda), muskeln: bildungen, aus denen sich die weibl. sing.-form migel Steinbach und musM loslöste (Bojunga 122 ff.). Wir bilden zu Pantoffel den pl, pantoff'eln (schon bei Pauli pantoflen) und zu stacliel den pl. stacheln (Waldis 216, 16), und trotz des fast aus-

Tieitrage zur geschichte der deutsclien spräche. XXVIl. YJ

258 MOLZ

schliesslich dualischen und pluralischen gebrauchs dieser Wörter erfolgte der übertritt zum weibl. geschlecht nicht. Der begriff- liche Zusammenhang mit schuh; sporn, dorn war hier für die bewahrung des männlichen geschlechts ausschlaggebend,

pantoffel, Stiefel.

pl. puntoffel Hauff, Oelilenschläger, Spiudler, Nast, panioffeln Pauli, Dasypodius sub baxece {pantoff'len oder söhn), Stieler, Lessiug-, Wieland, Weber, Hempel, Adelung, Hebel, Bürger, Eicheudorif. pl. stiefel Pauli, Zimm. ehr. 406, 33. 34, Job. Matbesius, J. v. Brannscbw., Ayrer, Scbottel, Braun, Nast, Adelung, Goetbe, Hebel, Bürger, Platen, J. Paul, Ubland u. a. ; stiefeln Alberus, Bitter, Scbupp, Stieler, Steinbacb, Hempel, Goetbe, Heine, H. V. Kleist, Immermann, Tieck u. a. (vgl. Gortz. 3, 2).

Es mag auf den ersten blick überraschen, dass in der Schriftsprache heute der pl. pantoffeln giltig ist, während der pl. stiefeln von unserm grammatisch geschulten sprachbewusst- sein verworfen wird. Der grund für diese erscheinung liegt auf der band: die begriffe schuh und stiefel werden von dem Volke überhaupt nicht recht auseinander gehalten; es stehen also die pl. schuhe und stiefel in engster wechselseitiger be- ziehuug, während der begriffliche Zusammenhang zwischen pantoffeln und schuhe mehr locker ist.

Für die annähme des n im pl. w^ar es unwesentlich, ob der vocal der Wurzelsilbe umlautsfähig war oder nicht. Es wider- strebte auch nicht (wie Bojunga meint) dem wesen der Sub- stantive mit natürlichem männlichen geschlecht, einen w-pl. zu bilden (onkeln Töpfer, Lustsp. 4, 365). Dass das nur selten ge- schah, erhellt aus der Seltenheit der Verwendung solcher plurale, die dadurch in dem System der a-flexion gehalten wurden.

Nocb einige beispiele für die flexiviscbe berübrung des pl. mit den fem. n- a-stämmen: np. artikeln Gerb. v. Würzb., Weizs. 1, pl. flügelni. Bib., np. siiiegeln Purgoldt, artilculen Strassb. pol.-ordn. 1560, gp. engelen Job. Matbesius, pl. himmehi Dietenberger, für gott cngeln und menschen ver- hasstes luster Scbupp, gieheln Goethe, Halm, vipfeln Eichendorff, stiimmeln Rehfues (vgl. Gortz. 3, 5), zetteln Braun.

Es ist als eine eigentümlichkeit seiner heimischen mundart zu betrachten, wenn Abraham zuweilen die pl. aposteln, engein, makein gebraucht. Bei Heribert von Salurn begegnet teufein. Nicht ohne grund also wendet sich der bair. grammatiker Braun gegen die bildungen aposteln, teufein, himmeln. Auch durch Schmellers zeugnis (M.B. 237, § 801) wird der mundart-

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 259

liehe Charakter der pl. schimmeln, teufein (stiefeln) bewiesen (vgl. auch Friedrich s. 50).

apostel. Das fremdwort flectiert in der frühnhd. Sprachperiode häufig* schwach.

Beheims Evang-elieubuch bietet folgendes paradigma : ns. apostole Job. 13,16, gds. apostolen S.v. bl.5b, l.v. bl. 2b, ngap. apostolen l.v. bl. 2b, M. 10, 2, L. 6, 13. Dazu Mainz 1 (1397), gs. aposieln 369, 26. Urk. d. st. Arnst. 1481 gs. apostehi. In späterer zeit bat nur der pl. noch seine cons. form gewahrt. Purgoldt np. aposteln, Luther, Serm. np. aposlolen, Manuel np. aposteln, Just. Jonas pl. aposteln (Br. v. 1530—1512), Alberus meist iiu pl. aposteln (auch pl. discipeln), Job. Mathesius noch häufig pl. aposteln.

Die cons. flexion des Wortes im pl. ist zur zeit der refor- mation vorhersehend, und die erklärung dieser erseheinung ist in der engen begrifflichen beziehung auf proplieten, x)atri- archen zu suchen, wie denn in der stehenden Verbindung pro- pheten und aposteln (so noch meist bei Mathesius) die w-form des pl. sich am leichtesten einstellt. Zur abwehr der Ver- mutung, der w-pl. aposteln in frühnhd. zeit sei mit den n-^\. der masc. auf -el in eine linie zu stellen, sei noch bemerkt, dass Manuel, Alber u. a. wol aposteln bilden, aber nur pl. teufel, ariikel, Schlüssel, winkel.

3. Das Suffix -er. Die klasse der suffixalen bildungen auf -er erfuhr im nhd. durch den eintritt der ursprünglichen ja-stämme auf -cere einen mächtigen zmvaehs. Diese bildungen die sog. nomina agentis lauten im sing, bereits um, sofern nicht in nhd. zeit ana- logische einflüsse einen rückumlaut bewirkten (vgl. maier, mhd. müler) oder neue ableitungen vorgenommen wurden (ygl.pr ahler). So wurde durch die im sing, und pl. gleiche lautgestalt der zahlreichen nom. agentis im sprachbewusstsein das gefühl für den mangel eines kriteriums der plur. function der -er-gruppe geweckt, und im laufe der entwicklung erstarkte das gefühl für die formale gleichsetzung von sing, und pl. so sehr, dass eine reihe frühnhd. i-\}\. des umlauts später verlustig giengen.

Vgl. döner 1371 Augsb. 1, 24, 5, üuger Oest. weist. 1, 285, 25. 292, 8, dp. üufjern Augsb. 3, 4, 3 (pl. änger noch Braun), dp. pöhtern Mich. Beheini, Folz, np. seine spen, senile und hüder Murner, Adel t. n. Ich zweifle nicht, dass sich diese belege noch mehren Hessen.

17*

260 MOLZ

Seit niM. zeit haben den umlaut gewahrt vater, hruder; scliivager. Zu diesen, die unter sich eng* verbunden, war bereits im mhd. hammer getreten. Hierzu trat im nhd. noch acJ:er, zu dem schon früh ein i-pl. gebildet wurde:

dp. ackern Augsb. 1, 1377. 51, 10. 222, U, Uik. v. 1438 bei Janssen, Folz U.S.W.

Wenn wir nun die häufigkeit der Verwendung aller um- lautsfälligen bildungen auf -er ins äuge fassen: anlxcr, hamster, kanlicr, kater, Iwclier, hulter, marder, maser, oter, quader, sacher, scliober, sumer, taler, ziüjer, und dazu die oben im i-pl. belegten, so drängt sich uns die Überzeugung auf, dass kein wort in gleicher weise in beiden numeri zugleich anwendung fand als acker. Von den genannten Wörtern auf -er sind einige unter- gegangen, andere bilden überhaupt keinen pl. Die übrigen herschen entweder besonders im sing, oder im pl.: anher, donner; maser, qnader (daher masern, quadern und die quader). Bei taler, sumer, vidier wäre noch an ihre fast ausschliessliche Stellung nach Zahlwörtern zu erinnern. Es entspricht also lediglich dem zweckmässigkeitsaufbau einer kunstsprache, wenn aclier den umlaut im pl. auch später gewahrt hat. Dass auch dem ^'-pl. äclier gegenüber die ganze macht der mit dem sing, gleichen pluralformen sich zuweilen geltung verschaffte, beweist

ap. acker Stretl. ehr., dp. ackern Manuel, nap. acker Zimni. ehr. 130, 11. 199,28, gp. acker Spaugenber 58 : alles beispiele, die nicht nach zahlen stehen, wo die umlauts- lose form leichter verständlich wäre.

vater, bruder; Schwager. Die männlichen Substantive auf -ter: vater, hruoder bleiben in mhd. zeit im sing, meist unflectiert, während der pl. gewöhn- lich mit umlaut {veter, brüeder) gebildet wird.

Die unflectierte form, des sing, tritt in frühuhd. zeit mehr und mehr zurück: Matth. v. Beheim gs. rater und vateres, bruder und hruderes, ds. brudere; Weizs. 1: 1377 gs. raters, 1385 briiders; Urk. d. st. Arnst. gs. l-tl6 vater, 1481. 1487 1490 vaters, 1306 bruderes, 1471 bruder, 1496 bruders; Chmel 1487 gs. vaters, 1B8Ö bruders; Janssen 1: 1411 gs. bruders (yei-einzelt bruder); Mich. Beheim gs. bruder und bruders. Stretl. ehr., Folz, Eyb, Wil- wolt, Pauli, Manuel flectiereu vater und bruder stets nach der weise der '/-Stämme; ebenso Flieterer, der nur ganz vereinzelt die cons. form gs. vater 171, bruder 229 aufweist. Auch im B. d. beisp. begegnet nur selten eine unflectierte form: gs. vaters 58, 29, bruders 77, 19 : bruder 14G, 15. Bei

NHD. SUBSTANTIVFLEXTON. 261

Purgoldt finden sich hin und wider alte genetivformen. Brant nnd Murner allein schAvanken noch sehr zwischen den ererbten und den analogischen formen. Brant gs. ra/er 9, 60. 90,20 : vaters iO,2B. 94,23; Murner gs. vaier : vaters in der Schelmenz. 2 : 3.

Der f-pl. väter, hräder, der sich in mlid. zeit ausbildete, entstand unter dem einfluss der masc. '^-stamme, ') Der tendenz, den pl. durch den unilaut kenntlich zu machen, entsprangen in mhd. zeit noch die pl. hemmere, zeliere und wahrscheinlich andre, die nur wegen der Seltenheit ihres Vorkommens erst aus späterer zeit zu belegen sind (s. oben). Für schwager Avurde die flexion von vater, hruder vorbildlich.

Berührung mit den Jt-stämmen.

vater, bruder. Zur bezeichnung des Schöpfers wird im ahd. der ?icc. fateran (vgl. truhünan) gebraucht, der in seiner flexivischen endung den gebrauch als eigenname widerspiegelt. Im mhd. setzt sich die schwache form vateren, vettern fort, und dringt obd. später auch in den d. und g\ s. ein (vgl. Weinhold, Mhd. gramm. § 464),

1) Bojunga sagt s. 25: 'der plural wurde durch das uumeraldifferen- zierungsgesetz in die analogie der fem. r-stämme gedrängt', und s. 30: 'mnoter, tohter giengen, durch die flexionsgleichheit der masc. rt-stämme verleitet, zu den fem. /-stammen über, nach deren vorbild erst muoter, dann tohter den umlaut annahm, der sich dann auch auf die masc. r-stämme übertrug'. Wie unhaltbar diese hypothese ist, lässt sich auf den ersten blick erkennen: wie sollte di;rch die flexionsgleichheit (sie!) der masculinen rt-stärame und der cons. stamme muoter, tohter eine berührung der beiden ■-/er -Substantive mit den fem. «-stammen zu stände kommen? Welche der beiden klassen, die der masc. oder die der fem. auf -er stand in innigerem contact mit den /-stammen? Ueber die masc. vgl. oben. Die berührung der fem. aiif -er mit den /-stammen war sehr gering; nur die starken -er- bildnngen und so auch muoter, tohter stimmten im sing, mit den /-stammen überein. Dass diese berührungsfläche nicht weit genug war, /-plurale zu erzeugen (wir sehen von ganz vereinzelten fällen ab), lehrt die geschichte der flexion. Dass die vereinzelten cons. stamme muoter, tohter in engerer gruppeugemeinschaft mit den a- und n-stämmen der fem. als mit den masc. o-stämmen standen, beweisen die schon ahd. auftretenden nap. tohtera, tohierun und der in mhd. zeit häufigere übertritt in die flexionsweise der schwachen feminina (s. Weinhold, Mhd. gramm. § 409). Wenn der /-plural schliesslich doch eintrat, kann er allein von den männlichen verwantschafts- namen (mit denen die wcäbliclien stets eine eng geschlossene grujjpe bil- deten) ausgegangen sein. Die a-formen vmotcre, tohtcre lassen den hohen grad der Zusammengehörigkeit mit vatcr, hriioder erkennen,

2(32 MOLZ

Im nlid. sind die cons. bilduiigeii des sing-, von vatcr und hrnäcr durchaus keine Seltenheit. Sie tauchen auf dem ganzen spraclig-ebiet bis ins 17. jh. auf. Dem nmd. ist die schwache form im allgemeinen fremd geblieben. Nur der gen. vaderen findet sich zuweilen (vgl. Lübben, Mnd. gramm. § 73). Für die erklärung der grösseren ausdehnung, die die schwache flexion von vater und briider in der nhd. epoche gefunden hat, können verschiedene gründe beigebracht werden. Zunächst fällt natür- lich der einfluss der w- flexion der eigennamen ins gewicht. Eine einwirkung auf vater gieng ferner von der cons. flexion von gevaUer, vctter aus. Mhd. gevatere, vetere giengen ihres end-e lautgesetzlich verlustig, wodurch die ohnehin bestehende verwantschaft mit vater noch um eine grössere ähnlichkeit der lautgestalt vermehrt wui'de. Schliesslich wäre noch an juncherre, hure zu erinnern, die nhd. in der form junJier, lauer mit vater, bruder in dieselbe ableitung traten, und die bis spät in die nhd. zeit ihre alte cons. flexion fortsetzten. Die äusse- rung dieser analogien war im nhd. niemals mächtig genug, den i-pl. väter, brüder zur w- flexion hinüberzuziehen. >) Die einflüsse, denen die biegung von vater, bruder unterstand, wurden im laufe der entwickluug bis auf den ersten durch änderung der flexionsweise der schwachen masc. auf -er be- seitigt, und so kommen im 18. und 19. jh. nur noch schwache bildungen von vater und bruder vor, bei denen durch den mangel des unmittelbar verbundenen artikels die analogie der eigen- namen deutlich hervortritt, deren stelle sie vertreten:

Lessing des Feleus brudern, W. Alexis ich will mit vatern reden, SpiutUer dem Jicrrcn ratern (vgl. Gortz. 2, 424).

In vertraulicher rede hat sich im nördlichen Deutschland bis auf unsere zeit die «-form in einigen Wendungen erhalten: es vatern sagen DWb., ich hab es vatern gegeben Sachs -Villatte.

Im folgenden gebe ich eine Übersicht der schwachen bil- dungen von vater und bruder in nhd. zeit:

*) Es kommt schliesslich auch bei dein übertreten zur cons. flexion die in nhd. zeit sich vollzieliende gruppenverschiebnng nach dem begriff- lichen Inhalt in betracht. Auch die späteren belege der H-bildung suffixaler masc. auf -er lassen erkennen, dass es vornehmlich bezcichnnugeu von per- sonen sind, die vereinzelt mit den >t-stämmen fühlung genommen.

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 263

vaterJ)

ds. in got vatern 1365 Mainz 1,352,8; gs. ires rutern und vettern Füeterer 6, vatern Äugsb. 2, 123, 16. 17. 156, 18. 5, 190, 18, Chmel 149-t s. 23. 1496 s. 105, Sterz, sp. 41, Aventin, Luther, Job. Mathesius (vatern : vaters = 3:1; auch gs. schwagern), Nie. Herinan 43, Fischart, Spaugenberg 40. 97, J. V. Braunschw., Arndt, Opitz, Fleming, Gryphius 40, 109, S. Dach 105, Hof- niansw., Morhof, Unt. 782, Lohenstein 61, Charl. v. Orleans ; seines frommen und leiblichen vaterns Zimm. ehr. 363, 3, seines lierrn vaterns ebda. 312, 33. 409, 33, seines vaterns ebda. 489, 2 ; 2) ds. vatern Aventin, Frischlin, J. v. Braun- schw., Abraham, H. v. Salurn, seinem, irem herrn vatern Zimm. ehr. 356, 33. 77, 9, Kalloandro 1,52; as. vatern Zimm. ehr. 488,36, Nie. Herman 36, Spangen- berg 47, J. V. Braunschw., Abraham, Charl. v. Orleans.

briider. gs. brudern Augsb. 2, 31,21. 22, Joh. Mathesius (brudern : bruders = 2 : 3), Nie. Herman 124, J. v. Braimschw. (brudern : bruders = 13 : 3), Arndt, Opitz, Fleming, Gryphius 21, 66, Lohenstein, Charl. v. Orleans, Günther; ds. brudern J. v. Braunschw., Gramm. Brücker, Weckherlin, H. v. Salurn, Abra- ham ; as. brudern Aventin, J. v. Braunschw., Kalloandro 1, 55, Charl. v. Or- leans, seinen lierrn brudern Kallonandro 1, 52. Zum auftreten der n-formeu in den lebenden muudarten vgl. Friedrich s. 45. 50.

Sonstige fälle. Seltener ist die berülirung' mit den w- stammen bei den übrigen Wörtern auf -er. Man beachte, dass, abgesehen von einem falle, es nur personenbezeichnimgen sind, die mit den w-stämmen sporadisch in contact getreten sind.

ds. fingern Wyle 38, 8, as. cantzlern Augsb. 3, 222, 12, ds. meistern Reb- huhn, ds. amtsschreibern, rentmeistern Volksb. v. dr. F. 3, 5, ds. liebhabern Gramm. Brücker, as. rittern Kallqaiulro 2, 199. Besonders der Schwabe Weck- herlin (nach Kasch) hat mehrere solcher cons. formen: ds. bürgern, pfarrern, rittern, as. Jcaisern, lesern, maistern. Wieland Schreibern dieses, mich oster- sängern, Immermann as. Schlachtenmalern.^)

Aus häufigem pluralischem gebrauch erklären sich die «-plurale flitteru Laube, Lewald, goldammern Nieritz (vgl. amseln, drosseln), nccjern Wieland, H. v. Kleist, tellern Schütze, splittern Gramm. Braun.

1) Der imterschied der bedeutuug (ob himmlischer, geistlicher oder leiblicher vater) ist gleichgiltig für die form.

2) Vgl. Vetter; sonst rindet sich keine mischung von a- und »t-form schwacher masc. in der Zimm. ehr.

2) Nicht hierher gehören gp. rittern imd knechten Mainz 1,116,6, meistern Eyb, E. 38, 22. 40, 7. Es sind das nur beweise für die in frühnhd. zeit bestehende tcndenz, nach dem muster der fem. a-stämme einen aus- gleich des gen. und dat. pl. in anderen flexiousklassen herbeizuführen.

2(l4 MOLZ

Momentane aiionialieJohJlatliesiiis: «i//f//c^ angern und aucn.

Hemmer, Abliandl. v. 1769 s. 127 weist darauf hin, dass manchmal dem d. sing, in fälschlicher weise ein n angehängt werde. Z. b. von pater S., dieses oder jenes ordens priestern\ von hcrrn E, . . . , erangcl. Inth. prcdigern. Auf titeln alter bücher begegnet man derartigen bildungen oft. Z. b. hei N. N., h'uchdruclern; weitere belege gibt Schmeller, M.B. 263, § 836. Auch hier ist die schwache flexion der eigennamen für die meist als apposition stehende artikellose «-form als ausschlag- gebender factor zu betrachten.

Uebertritt der »-stamme auf -ere, -er zu den a-stämmen.

Hierher gehören adelar, adeler, adler swm., after swm., ampfer swm., i'o^erswm.; hevere, Zerer swstm., gtre, (/m- stswm., schiver, scMvere stswm., habere, liaher svi'Stm., jünger s^\m.,juncherre swm.

Das wichtigste moment, das im nhd. zu dem übertritt ge- führt hat, ist ein rein lautlicher Vorgang. Das auslautende -e des uom. sing, musste nach Behaghels lautgesetz fallen. Einige, wie after, toter, entbehrten es schon mhd. Durch die apokope kam mit dem nom. sing, als medium eine enge berührung mit den suffixalen bildungen auf -er zu stände, deren zahl durch die ja -Stämme in nhd. zeit ausserordentlich vermehrt wurde, wodurch die vocalische flexion dieser gruppe der consonantischen an macht bei weitem überlegen war. Diese superiorität wirkte im nhd. so weit, dass fast alle cons. formen der abgeleiteten subst. auf -er verdrängt wurden.

Im pl. sind in den formen lauern, vettern spärliche reste der «-flexion erhalten (vgl. mischklasse 11).

Je weniger lebendig ein wort in der erinnerung der sprechenden ist, um so leichter wird es seine flexion der klasse unterordnen, mit der die unflectierte form, der begriffsträger, eine gruppe bildet. So traten adler, after, ampfer, Mfer, schiefer recht früh in die starke flexion über.^)

adler. np. orfe?am Matth. V. Belieim, M. 24, 28, L. 17, 37, gs. adlers Angsb.l, 61, 28, Folz, ds. adler Midi. Beheim, Folz, B. d. beisp., Pauli, as. aüler 1375

1) Es war nicht möglich, beispiele für alle diese subst. aus älterer zeit beizubringen. Es wird indes dadurch die richtigkeit meines satzes kaum in frage gestellt.

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 265

Aiigsb. 1, 61, 10, Stretl.chr., Mich. Beheim, ds. adle mW eckherlhi 2, vgl. weiter oben berühniiig mit den w-stämmen iind gs. adlers Weckherlin 2, 288, 425, ds. adler ebda. 2, 149, 44. d 0 1 1 er

ds. dottern Pauli. .

scliieier.

gs. schiefern vereinzelt bei Matliesius (daneben steht ds. und uap. scliicfe^^^ geier.

mild, gire swm. Nach der diplitliongiennig von i, u, ü entwickelte sich im nhd. vor r im auslaut eine svarabhakti. Im inlaiit kam diese nicht zur geltung; so steht /e-wer (mhd. vmr) neben feurig (mhd. vhmc), semer (mhd. siir) neben säure (mhd. sntre). Danach miisste sich nach apokope des aus- lautenden e im nom. sing, für die flexion von gir folgendes paradigma entwickeln: \\s. geier, gdas. und pl. ^e/rejz.

So lautet das paradigma bei Dasypodius (sub vtdtvr ns. ; ds., up.) ; vgl. ferner ds. gyren B. d. beisp. 51,5 (auch ivygen ebda. 17, 5), Seb. Münster, as. (lyren Manuel (gijr Maaler 202), ap. geyren Sachs 20, 164, 2. 7 (aber auch dp. geyem Sachs 20, 164, 22), gp. geyren Weckherlin 2, 288, 422. 2)

Die lautgesetzlichen formen der obliquen casus unterlagen später dem einfluss der Substantive mit -er-suffix, zu denen die nom.-form die brücke bildete.

Am frühesten findet sich die vocalissche flexion bei Waldis (ds. geier 84, 6. 121. 1). Bei Stieler und Steinbach hat geier vocalische flexion.

hafer zeigt nd. lautform und drang seit dem 18. jh. in die Schrift- sprache ein.

Lessing, Fichte, Goethe, Bürger schreiben noch haher. J. Grimm schrieb stets habcr, und in dieser form ist das wort im DWb. angesetzt (0. Jänicke, lieber die nd. demente in unserer Schriftsprache, Wriezen 1869). In unseren texten ist mir die nd. lautgestalt nur in urk. der dem nd. gebiet benachbarten Stadt Arnstadt begegnet: gs. Jiafern 1444. 1493.

Die schwache flexion herscht in frülmhd. zeit vor. Bei diesem conservativen verhalten (vgl. dagegen adler) war die cons. flexion der bedeutungsverwanten rogge, ivelse nicht ohne

') gater m. n. asp. schuügaüern Füetererll2. 192, ap.f/((//erSachs411,4; niasc. genus dürfte zu gründe liegen; Stieler kennt nur der gatter (vgl. Schmeller § 848, ns. gattern masc).

2) Beiläufig sei hier einer interessanten contamination gedacht. Die stelle lautet den fing der ivilden gäns, nachtraben weyren und geyren. Für iveyren erwartet man tveihen. Die form vryren beruht auf niischung mit dem lautlich ähnlichen und begrifflich identischen geyren.

266 MOLZ

aualogisclie eiiiwirkung geblieben. Aus den obliquen casus drang häufig ein n in den nom. sing. Spricht diese tatsache nicht für die wahrung des auslautenden uasals in den mund- arten der älteren zeit? Mit dem nom. sg. Jiahern war ein neuer parallelismus zu der flexion anderer bezeichnungen von getreidearten geschaffen, sofern auch ihre form des nom. rogyen, weken lautete.

ns. /tf<&e>- meist; aber /frt&em Mainz 1, 222. 32, Rosenblut, Pauli, Sterz, sp. 197, 14-5, Ayrer; gs. habern Mainz 1, 207, 21, Augsb. 3, 98, 6, aber habers Hätzlerin; ds. /m&em Waldis 260, 5, Sacbs 431, 33, J. v. Braunschw. (oft) ; as. habern ßoseublut, Mich. Beheim, Geiler, Job. Mathesius, Waldis 52, 62. 170, 30, Fischart, Ayrer, J. v. BraunschAv., Schottel, Abraham.

jünger.

Vgl. Andresen, Zs. fdph. 23, 268.

Die schwache flexion tritt in nhd, zeit nur sehr selten in erscheinung:

pl. Jüngern Dietenberger. Schon bei Matth. v. Beheim dringt zuweilen die starke form durch: ds. jmujere M. 10, 25, J. 19, 27, pl. jmigere M. 17, 6. 'Hier hat der terminus schon die substantivische form mit der substantivischen function angenommen' (Bechstein, einl. seiner ausg. lxxv). Bei Sucheuwirt ist die starke flexion herschend, wie später bei Manuel, Luther, Eebhuhn, Jonas u. a.

Junker.

mhd. jimcherre. Durch den Untergang eines mhd. alt-herre und durch das allmähliche schwinden der unflectierten form des adj. wurde der Zusammenhang der composition junc-herrc im laufe der entwicklung verdunkelt. Die Vorstellung der Zu- sammengehörigkeit mit herr eiblich, erlosch. Dass das erst spät geschah, darauf deutet die Schreibung jungherren, junJc- hcrrn, die sich bis ende des 16. jh.'s erhalten hat. Die schwache flexion ist bis ins 17. jh. vorhersehend.

n\\junJcern Mainz 1, 178, 6, SiS. Junkern Rosenblut, ni). jungherrenEylo, D. 20, 3, das. und np. jimkern Pauli, gs. jitnkherren Zimni. ehr. 310, 24, as. junkeren Manuel, Ans. jimkern Mathesius, äs. junkherrn Sachs 210, 2, ap. Junkern Yolksb. v. dr. F. 103, 10, np. junkherren Spangeuberg 15-1, ds. junJc- herrn Frischlin, gdas. und nap. junkern Ayrer, J. v. Braunschw., ds. Junkern iinä Junker R. Fischer, Vorr., n\}. ju/nJcern Moscherosch 60, äs. junkernWeise 13, as. Junker ebda. 206.

Die starken bildungen tauchen in der Übergangszeit nur vereinzelt auf: gp. jtmAcr Mainz 1, 181, 2, gs. des j unkers knecht 2ni. Pauli, as. Junker ver- einzelt bei Ayrer, gs. des junghers Stiefschwester Ayrer, as. junker Verl. Europäer 111. 113.

NHD. SUBSTANTIVB'LEXION. 267

Vor eigeimanieii unterbleibt die flexiou von Jimkey meist: den j unker Georfjen Mathesiiis, den jmiker Leipolt Ayrer.

Die rt-fonn des gen. kommt, wie es scheint, zuerst in der Stellung des sächsischen genetivs zum ausdruck.

Im 18. jh. ist die schwache bildung (pl. Junkern Wieland nach Gortz. 3, 4) vereinzelt. Aichinger allerdings setzt noch gegen ende des 18. jh.'s die cons. flexion an, während Hempel nur dem cous. pl. geltung zuerkennt. Der Oesterreicher Popowitsch stellt die reine a-flexiou als norm auf.

4. Das Suffix -en.

Weinbold, Mhd.gTamm. § 458. 459. Paul, Mhd.gramm. § 129, anm.2. AVeinliold, Alem.gramm. § 391. § 401. Lübben, Mnd.gramm. § 72, 2. Schmeller, M.B. § 839. Gortzitza 3, 8 ff. Kelirein § 306— 311. Behaghel, Germ. 23, 270 ff. und Pauls Grundr.l^ § 181—183. Bojunga s.64ff. Andresen,Spi'acligebr. und spracliriclitigk.''s.28ff. Friedricli s. 40. 43.

In mild, zeit existierten bereits eine kleine anzalil w«-stämme, die alle dadurcli charakterisiert sind, dass sie unpersönliche begriffe ausdrücken: atem (atcn), lodern (boden), huoscm (buosen), degen, faden, gülden, ^), liafen, morgen, orden, regen, segen, tvagen, descme swm. und besem stm.2)

Wie bei den masc. mit -l, -r-suffix haben auch bei den «a- Stämmen ein teil der umlautsfähigen (boden, faden, hafen;

1) ' Gulden, subst. adjectiv, bewahrte die alte lautgestalt; als gülden und gülden an gold angleichung erfuhr, weil die begriffliche verwautschaft verloren gegangen war. Neben gidden erscheint auch im 16. jh. (und 17.) gülden, das eine neue Substantivierung von gülden ist.' J. N. Zimmermann, Isolierte formen im nhd., 1880. gülden und gülden verhält sich ähnlich wie drucke und drücke. Gidden ist die obd. form, die, wie sich sachlich leicht erklärt, in die Schriftsprache eingang gefunden hat. Auf bair. gebiet begegnet gülden nur bei Abraham. Die Schwaben und Alemannen kennen nur die form gülden (Zimm. ehr. 348; Manuel, Helber). Die form gülden ündet sich neben gidden bei Wilwolt, Nürnberg 4, 271, 13 (1502), Sachs 81, 31. 33, Ayrer; Waldis38,58. 160,12, Alberus; Rebhuhn, ,Ioh. Mathesius, Chr. Weise 50; J. v. Braunschw., Schotte! 1143. Bei J. v. Braunschw. herscht gülden vor.

^) Besen erscheint noch in schwaclier flexion bei Matthias v. Belieim : dp. besemen M. 12, 44, L. 11, 25; vgl. dagegen gs. besems Folz. hesem wurde zu lesen, sei es dass satzphonetische gründe eine assimilation des m heischten, wie sie im gen. sing, besens eintrat, sei es dass die Übermacht der e«-bil- dungen zum ausgleich führte, as. lesen Ayrer. as. lesem Chr. Weise 33. Allein atem hat, durch das verl)um ahnen gestützt, in der Schriftsprache sein auslautendes m gewahrt (Manuel atem und atcn).

2ß8 MOLZ

ordcn, tvagen) zum zwecke logischer differenzierung- den Um- laut angenommen. Die beiden letzten lauten in der älteren spräche nur auf obd. gebiet um, und auch da orden nur zu- weilen. Es ist mir leider nicht möglich, alle in betracht kom- menden Ma-stämme mit umlaut im pl. aus früher zeit zu belegen. Aber nach dem, was man von der ausdehnung des umlauts weiss, kann es keinem zweifei unterliegen, dass auch bei den ««-Stämmen die /-bildung des pl. wenn nicht in die mhd. (vgl. wegene), so doch in die früheste zeit der nhd. epoche fällt.

Bairisch: faden PopoAvitsch, örden Griesb. pred., ivägen Sterz, sp. 268, 162, Weissk. 219, 47, Aventin 758, 2. 838, 7, Brann, Popowitsch.

Alemannisch: häfen Boner, Panli, Manuel, ö<T?(?>i Wyle 173, 1, Manuel, toägen Pauli, Manuel.

Schv/äbisch: /lOra&örfe« Augsb. 2, 159. 12, ööcZf« Friscblin, häfcn Zimm. ehr. 390, 11, öfen ebda. 416, 3, örden Augsb. 3, 62, 12. 225, 12, Ziram. ehr. 133, 19 {orden Zimm. ehr. 156, 9), wägen (1374) Augsb. 1, 60, 24. 237, 15. 258(1362). 2,41,4. 44,6. 4,48,13. 5,308,9. 333,15, Zimm. ehr. 271, 32. 6,24. 200,9.22, Frischlin; Aichinger; Schiller.

Süd- und ostfränkisch: höden'Folz, {faden Stieler), liüfen Nürnb. 5, 552, 4, Sachs 424, 17, Ayrer, örden Nürnb. 4, 335, 14, {orden Stieler), trägen Nürnb. 4, 284. 8, Ejb, E. 70, 9, Wilwolt 38, Sachs 262, 31. 431, 33, tvagen und tcägen Stieler.

Westmitteldeutsch: höden Schö^^f, fussboden Goethe, faden Goethe, faden und fäden Grimm, tcägen Volksb. v. dr. F. 14, 19, Gramm. Schöpf, tcägen Goethe.

Ostmitteldeutsch: häfen, öfen Mathesius.

Niederdeutsch: hoden imd. böden Steinhuch, /«V/e« Gottsched, faden und fäden Herder, tcägen Schupp, wagen Steinbach, tvagen und wägen H. V. Kleist, Gutzkow.

Bei der engen begrifflichen beziehung, welche die ««-stamme mit einer grossen zahl dei' «-stamme verband, kann es nicht wunder nehmen, dass im noni. sing, vereinzelt ein über- springen zu den «-stammen erfolgte:

ns. fad, ns. /*«/' Dasypodius, ns. /«cremte Wyle 69, 5 ; ns. /<«/" Augsb. 3, 231, 23, Zimm. ehr. 408, 24, Frischlin, ns. crdbod und hod E. Fischer 6. 20. 104; ns. rege und regen 4. Bib.; ns. f/wW Waldis 265,10; ns. trag Luther, Sermon; ns. hafe, ofe, tvage Schottel.

Die fälle sind selten. Die formen Schotteis erklären sich daraus, dass nd, dialekte die ältere flexionsweise der unpersön- lichen nhd. ««-Stämme gewahrt haben. Es wären zu den formen Jiafe, ofe, ivage die mhd. «-stamme galg, gart, liopfe,

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 269

hrage, hiot, hioch, mage, lumpe, reche, rase, rogge, rieme, schräge etc. bei Scliottel zu verg-leiclien. Die numerische Übermacht der w- Stämme trieb hier zuweilen die Aveniger zahh-eichen M«-stämme zur annähme der cons. nom.-form.

Auch im gen. erscheint formenübertragung der w-stämme nur ganz vereinzelt:

orden 1385 Weizs.l (neben ordens), l-t96 Chmel 109, Murner (Schehnenz.), des morgen frii Angsb. 1, 107, G, sommenvagen J. Grimm (nach Andresen). Auffallend ist dp. fadenen Lohenstein 38; vgl. Friedrich s. 34 f. Vollständigen Schwund der endung zeigt as. ivag* Waldis 2G-t, 1, und verklingen des aus- lautenden n tritt vielleicht zu tage in dem ap. gidde bei dem Schwaben E. Fischer 67.

Tl. Uebertritt der ^i-stäiiime zu den ^la - stamm eiiJ)

Um die Übersicht der cons. stamme, die bei dieser bewegung im spiele sind, zu erleichtern, zähle ich sie in alphabetischer folge auf: hucJce, halke, halle, harre, hatze, hkze, hoge, hräte, hrocke, hrunne, dünie, ducäte, vetze, vlade, galge, garte, goume, grahe, grosche, hake, hode, hopfe, huoste, Jcarre, haste, Idohe, Jinoche, hnorre, knote, kolhe, kohe, krage, krapfe, kiioche, lade, läppe, leite, lode, lumpe, mage, nache, phoste, xihrieme, piosse, räche, rate, ranze, rame, rase, reche, reie, rieme, rocke, rocke (rogge), schale, scheme, scherhe, schinke, schräge, schupfe, slite, snupfe, swade, sparre, spate, Stade, stapfe, stecke, stolle, strieme, trese, tropfe, ivase, zacke, zapfe, zinke.

Bereits Gortzitza 2 (1855) erkannte, dass die schwache flexion vor allem bei personen- und tiernamen hersche; die weitere erkenntnis, dass die masc. mit unorganischem n alle unpersönliche begriffe sind, blieb ihm verschlossen. Behaghel war der erste, der diese Scheidung der flexionsgruppen nach dem inhalt der begriffe erkannte. Seine erklärung lautet: 'Man sieht, diejenigen substantiva, bei denen das paradigma der obliquen casus auch für den nom. massgebend gewesen, sind durchaus bezeichnungen von concreten dingen; diejenigen, bei denen der nom. stark genug war, um sich gegen die obliquen casus zu behaupten, sind bezeichnungen von lebenden wesen, besonders von personen.' 'Diese verschiedene behand- lungsweise bei lebenden wesen und bei Sachen erklärt sich

') Vgl. die oben s. 2G7 angegebene literatur.

270 MOLZ

wol daraus, dass die ersteren viel häufig-er als subject und demnach im noni. sing, erscheinen, als die letzteren.'

Bojunga hat die klärung* der Verhältnisse dadurch geför- dert, dass er die ?za- stamme als anknüpf ungspunkt für die starke flexion der w-stämme betrachtete (vgl. auch 0. Behaghel, Die deutsche spräche s. 173) und auf die Verbindung der w-stämme mit den Infinitiven der denominativen verba hinwies. Eine beeinflussung konnte hier natürlich nur dann stattfinden, wenn der Infinitiv in der tat häufig subst. Verwendung fand. Da das nachweislich in der älteren spräche nur selten geschah, kann von einer nachhaltigen Wirkung auf die »^- stamme im allgemeinen keine rede sein.

Nur bei hraten, husten, scliaden, schrecken scheint eine nähere beziehung zu den w-stämmen hrate, huste, schade, schrecke zu bestehen. Bei schrecken schrecke lässt sich eine beziehung dadurch nachweisen, dass in späterer zeit eine Vermischung des masc. schrecken mit dem formell gleichen subst. Infinitiv eintrat, wodurch das masc. auch als neutr. gefasst wird (vgl. Klopstock das schrecken, Herder xmnisches schrecken, Frisch schrecken m. und n.). Wichtiger aber erscheint mir die gegen- überstellung der neutra auf -en, die zwar begrifflich kaum eine berührung mit den «-stammen aufweisen, die aber in ihrer flexion im dat. und acc, sing, und im ganzen pl. mit den masc. cons, Stämmen zusammentrafen. Es sind dies im letzten gründe auch subst. Infinitive; aber ihr bedeutungsinhalt hat sie mehr und mehr ihres Zusammenhangs mit dem inf. ent- kleidet. Es gehören hierher worte wie erdhehen (obd. erdhidcm), essen, leiden, wesen, reichen; leben, vertrauen u. a. Indessen ist einer derartigen flexivischen berührung keine allzu grosse bedeutung beizumessen.

Ehe wir in die Untersuchung eintreten, ist hervorzuheben, dass bei der Verschiedenheit der fälle, die durch die formen (jarten gärten, hacken hacken, roggen illustriert werden mag, keine allgemein giltige beantwortung der fi-age erwartet werden darf.

Der historische verlauf selbst weist uns den weg, den wir wandeln müssen, um zu sicheren ergebnissen bezüglich der entwicklungsgeschichte unserer Wörter zu gelangen.

NUD. SUBSTANTIVFLEXION.

271

Es ist eine überrascliende tatsache, dass sich mit dem beginn der nlid. zeit der umlaut zum teil auch auf den pl. der n-stämme erstreckt. Aber wol niemals war .sein eintreten so nach zeit und landschaft verschieden als bei den 72-stämmen. Es kommen hier folgende in betracht: hoge, hrunne, garte, grabe, Icarre, Imstc, Jcrage, mage, schräge, schade.

Die folgende Übersicht soll ein bild von der entwicklung des pl. dieser w-stämme innerhalb der einzelnen dialekte ent- werfen. Zur richtigen beurteilnng der citate ist zu beachten: der pl. hrunnen, lairrcn ist überall da zu treffen, wo nicht eine andere form belegt ist. Es kam mir darauf an, besonders reiche belege aus der frühnhd. epoche zu geben, aus der zeit, in der die Schriftsprachen der einzelnen dialektgebiete sich noch nicht zu einer nhd. bildungssprache verschmolzen hatten. In jüngerer zeit konnte das streben nach einigung die ursprüng- lichen Verhältnisse trüben.

An ab kür zun gen sind in den folgenden tabellen ver- wendet worden:

I. Su. = Suclienwh-t 1390: Gh. = Chmel 1508 St. sp. = Sterziiig-er spiele 1510 Wk. = Weisskmiig- 1515 A. = Aventin 1535 Ab. = Abraham a S. Gl. 1680 H. V. S. = Heribert von Saluni

1695 Gr. P. = Gramm. Popowitsch

1751 Gr. B. = Gramm. Braun 1765 II. Str. cbr. = Stretlinger clironik

1450 W. = Niclas V. Wylc 1470 G. = Geiler von Keisersberg-

1490 Pa. = Job. Pauli 1518 Ma. = Nikiaus Manuel 1525 Stra. p.-o. = Strassburg. polizei-

orduung von 1560 Helb. = Helber 1595 Mo. = Moscherosch 1643 Bo. = Bödme r 1720 H. = Haller = 1732

III. Augsb. = Augsburger cbroniken

1.1470, 11.1450, in.l480,

IV. 1525, V. 1520. Eine zahl vor dem citat be- zeichnet das jabr der datie- rung einer in den cbroniken enthaltenen Urkunde.

Z. ehr. Zimmerische chronik

1550 Mi. Beb. = Michael Bebeim 1406 File. = Füeterer 1480 Gr. Ai. Gramm. Aicbinger

1753 Gr. N. = Gramm. Nast 1777 Schi. = Schiller 1785

IV. Ros. = Rosenblut 1445 Fo. = Folz 1460

Nb. = Nürnberger cbroniken

IV. 1470, V um 1500 4. Bib. = 4. Bibelübersetzung

1475 EybE. = Albrecht von Eybs

Ehebüchlein 1480

272

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annähme, dass der iimlaut erst nach der uniformierung der cons. Stämme mit den wa-stämmen eingetreten sei. AVie aber erklärt sich das eintreten des umlauts im pl. consonautischer Stämme? Wie kommt es, dass nur bezeichnungen concreter dinge den umlaut im pl. angenommen haben?') Der grund liegt darin, dass die persönlichen begriffe ihrer bedeutung ge- mäss häufiger als subject oder in der anrede gebraucht werden. Die form des nom. prägte sich bei ihnen ins gedächtnis. Die dingbezeichnungen dagegen wurden überwiegend im obliquus gebfaucht. Und hier trat noch der gen. dem dat. und acc. gegenüber in der Verwendung weit zurück. Man beachte nur die häufige Verbindung der dingbezeichnungen mit präpositionen und die von diesen regierten casus. Die namen unpersönlicher begriffe hafteten so in ihrer w-gestalt in dem bewusstsein der sprechenden; die w-form war gleichsam träger des begriff es: im Buch der beispiele der alten weisen heisst es 101, 25 ivenn dem Jcüng schaden von seinen feinden hegegnet. Hier hebt sich der nom. durch den mangel des artikels und durch seine Stellung zwischen andern Satzgliedern nicht deutlich ab, und er ist deshalb in die form der häufigst gebrauchten casus, des dat. und acc, gekleidet. Steht aber der nom. in Verbindung mit dem bestimmten artikel oder mit einem adj., so lautet er im Buch der beisp. scliad: der tut unrecht und gedycht im hillich der schad uff sein selbs houht 39, 7, an des tod dem rych merk- licher schad und ahgang ligen tcürd 50, 27.2) Von der «-form des obliquus begann die Scheidung der numeri durch das ein- dringen des umlauts in den pl. nach dem muster wägen, örden, häfen, höden.

Das ist meiner auffassung nach der Schlüssel zu dem rätsei jener grossen loslösung der n-stämme.

Bereits zu beginn der abhandlung wurde bei den «-stammen darauf hingewiesen, dass in Oberdeutschland durch das ein- treten der apokope die rücksicht auf klarheit des sprachlichen ausdrucks ein pluralisches kennzeichen gebieterisch forderte. Wo das vocalische element des Stammes für den umiaut em- pfänglich war, wurde dieser zum kriterium des pl. erhoben.

') Die eine ausnähme pl. schwanen Spee fällt nicht ins gewicht. '; El)euso verhalten sicli schad und schaden in der 5. Augsb. chronik.

NHD. SÜBSTANTIVFLEXION. 279

Im laufe der nlid. zeit g-ewaim die apokope in den mundarten immer mehr räum, und heute ist auch der grösste teil des md. gebietes von ihr beherscht, wie aus Friedrichs angaben s. 7 ff. hervorgeht. Mit dem vordringen der apokope aber musste der Umlaut des pl. der numerusscheidung wegen an ausdehnung zunehmen.

Danach musste die pluralbildung durch umlaut am frühesten in Oberdeutschland über andere arten der flexion des masc. dominieren. Und es wird so begreiflich, dass Oberdeutschland in der umlautung des pl. der hier in rede stehenden w-stämme dem mittleren Deutschland vorausgieng (vgl. die tabellen). Ja es bildeten sich im oberdeutschen i-plurale {karren, häufen)^ die, so weit ich sehe, nicht über sein gebiet hinausdrangen. Die Schriftsprache kennt nur i-pluralbildung bei garten, graben, schaden und duldet sie bei bogen, laden. Wenn man die Schrift- sprache als zum grossen teil aus dem md. herausgewachsen denkt, macht ihre gestaltung den rückschluss möglich, dass das md. nur die genannten i-plurale entwickelt hat.

Wenn nun der umlaut eine wichtige rolle bei der Ver- schiebung gespielt haben soll, so müssen wir erwarten, dass in Oberdeutschland die keime der entwicklung und zum teil die ausbildung unserer nhd. Verhältnisse ruhen. Die nach- Avirkung des umlauts muss in einer änderung des nom. und gen. sing, zu tage treten; denn es gelten die propol'tionen:

icügen : grüben = loagen : graben = tvagens : grabens äcker : gürten = acker : garten = ackers : gartens häfen : kästen = hafen : kästen = hafens : kastens mäntel : kragen = mantel : kragen = mantels : kragens etc.

Die Wirksamkeit dieser analogien liiiiderte die ausbildung eines neuen flexionssystems, das nach dem eintreten des um- lauts im pl. sich so gestalten musste: ns. grabe, obl. graben; pl. graben. 7a\y zeit der Verschiebung finden wir in der tat zuweilen dieses System vor; so können wir aus ein und dem- selben denkmal folgende formen belegen: ns. brunn und brunne, gs. brunnen, pl. brünnen Stretl. ehr.; ns. gart Faustb. 69, 10, gs. garten 60, 27, pl. gürten 58, 16.

Die folgenden tabellen geben das material, auf dem sich meine Schlüsse aufbauen. Es ist natürlich, dass in den bei-

280

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spielen keine volle harmonie liersclit. Männer, die sich mehr der spräche des Volkes anschlössen, werden einen älteren stand sprachlicher entwicklung bekunden als andere, die nach einem über dem volkstümlichen stehenden ausdruck strebten. Aber es wird klar ersichtlich, dass da, wo der umlaut herschte, der anschluss an die «a-stämme zuerst erfolgte.

AVeitere abk I. Teil. = Teuerdank 15t8 Oest. weist. =^ Oesterreichische weistümer von 1550 II. Br. = Sebastian Brant 1494 Das. = DasA-podins 1537 Maa. = Josua Maaler 1561 Gr. Oe. = Gramm. Oelinger 1573 m. Hätzl. = Hätzleriu 1475

B.d.b. = Blich der Beispiele 1481 S. Fr. = Sebastian Frank 1535 Fr. = Nicodemiis Frischlin 1590 He. = Heniscb 1608 Weckh. = Weckherlin H. 1616 (die citate aus Weckberlin sind ergänzt nacb den angaben Fischers in Weckh. 11. 524) Fisch. = Rudolf Fischer 1623 \. Mz. = Mainzer Chroniken 1. 1440. n.l580

urzungen:

Wie. = Wicel 1546. Wa. = Burkhard Waldis 1555 Sl. = Sleidanus 1557 Gr. Brück. = Gramm. Brücker 1620 VI. U. d. st. A. = Urkundenbuch der Stadt Arnstadt (1496 er Ur- kunde) Pu. = Purgoldts Rechtsbuch 1502 Reb. = Paul Rebhuhn 1545 Jon. = Justus Jonas' briefe Spang. = Cyriacus Spangenberg

1585 Fl. = Fleming 1630. Die abkürzungen Ar. = Arndt, Cl. = grammatiker Clajus, Wei. = Christian AVeise kommen erst in den späteren tabellen zur an- Avendung.

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Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVll.

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NHD. SUBSTANTIVPLEXION. 291

(Fortsetzung YII, Niederdeutsch) Genetiv singularis.

17. jh.

18. jh.

I I I I I I I I I

I I I I I I I I I

bogens Scho. (ebenso gartens, grabens u. s. w.) magens J. v. B. Schadens J. v. B.

Fassen wir das resultat der bis dahin geführten Unter- suchung zusammen. Zunächst ist nochmals daran zu erinnern, dass mit dem ausgang der mhd. zeit Behaghels gesetz durch- bricht, nach welchem vor oder nach tief ton Schwund eines unbetonten e eintritt. Das paradigma von ivagen lautet danach;

ivagen wägen (mhd. tvegene)

loagens (mhd. wagenes) loägen (mhd. wegene)

umgen (mhd. ivagene) ivägen (mhd. tvegenen)

ivagen wägen (mhd. wegene).

Dem gesetze gemäss folgte diesem typus die ganze gruppe der wa-stämme. Als nun der umlaut auf einem grossen teile des Sprachgebiets eine anzahl der w-stämme ergriffen hatte es werden wol die in beiden numeri zugleich häufigst gebrauchten sein erwuchs durch ihren übertritt den wa-stämmen eine bedeutende gruppenerweiterung. Die wa-klasse umfasste so auf 'obd. boden um 1500 folgende Wörter: einerseits beseti, hoden, husen, clegen, faden, gülden, hafen, morgen, orden, regen, Segen, wagen, andrerseits bogen, (brunnen), garten, graben, karren, kasteti, kragen, magen, schaden.

In Oberdeutschland war die gruppe der echten wa-stämme am stärksten vermehrt worden, in Mitteldeutschland weniger, in Niederdeutschland kaum. Nach Friedrich s. 49 ist im nieder- deutschen noch heute 'das alte Verhältnis treuer bewahrt'. 'Auch spielt die erscheinung des umlauts bei den «-stammen weiterhin im niederdeutschen nicht diese rolle', sagt Friedrich s. 43. Für das niederdeutsche und teile des mitteldeutschen kommt noch in betracht, dass die Unterdrückung des e vor oder nach tiefton nicht durchgedrungen ist (vgl. Behaghel, Pauls Grundr. 1 2, § 70,2 und oben s.255 f.). Hier lautete um 1500

19*

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der pl. von ivagen noch wegene, der pl. von degen degene n. s. f. Zwei momente hemmten also hier die Verschiebung*: erstens die in der Währung" des flexivischen e nach hochton begründete gering-ere ausdehnung des umlauts überhaupt, und zweitens die aus der eben angedeuteten erhaltung des aus- lautenden e nach tiefton sich ergebende geringere flexivische berührung der n- und wa-stämme unter einander (nur der acc. sing, stimmte überein: tvagen graben).

Der contre-coup, den die grössere oder geringere nume- rische macht der «a-gruppe auf die Verschiebung übte, zeigt sich an dem Schicksal der übrigen w-stämme. Auch bei ihnen beginnt die Verschiebung auf dem boden, wo der umlaut grosse ausdehnung unter den w-stämmen gewonnen hatte: eine erscheinung, die in dem anwachsen der wa-gruppe durch die genannten w-stämme mit «-pl. ihre begründuug findet. Wie anders sollte sich die landschaftlich -zeitliche Verschiedenheit des Übertritts erklären?

Kehren wir zu den Verhältnissen auf obd. gebiet zurück. Die eng geschlossene gruppe der 22 starken masc. auf -en war mächtig genug, um andere dingbezeichnungen, mit denen sich eine weitgehende flexivische berührung bot, zum formellen ausgleich des nom. und gen. zu drängen, gerade wie sich die persönlichen l^egriffe heiden, bristen, raben ihrem Inhalt gemäss früh der w-declination angeschlossen haben, und wie die fem. wa-stämme licien, versen, metten, lügen dem ausgleich mit den anderen femininen nicht widerstehen konnten.

Das Wortmaterial aber fordert, die Verschiebung noch von einem andern gesichtspunkt zu betrachten. Der häufige, ja fast ausschliessliche gebrauch des plurals war für eine reihe von w- stammen bestimmend, sich der «a- gruppe anzu- schliessen. Ein sicherer beweis für die häufigkeit des gebrauchs des pl. ist die existenz einer fem. nebenform, die eine neu- schöpfung aus dem pl. darstellt.

Solcher doppelformen gibt es folgende: hacJcen baclie (f. bereits bei Schottel), hoden hode; possen posse; socken socke, stapfen stapfe, Striemen Strieme, flocken flocke, wacken ivacke, zinken zinke.

Aber noch bei andern überwiegt der pluralische gebrauch: fladen flade (f. Ritter, Nast), kolben kolbe (f. Henisch 177),

NHD. ST7BSTANTIVFLEX10N. 293

h'ax)fcn\ hatzen, ducaten ducat (f. Oelinger), dukcite (f. Schöpf, Nast), groschen.

Bei diesen gieng- also die aiisg-leichimg mit den wa-stämmen vom pl. aus. Bei den münzbezeiclmungen hatze, grosche, dnJcafe wurde die Verschiebung noch erleichtert durch die begriffliche verwantschaft mit gülden ('floren'). Je niedriger der wert der münze, um so häufiger war die Verwendung im pl., und um so grösser war die möglichkeit des ausgleichs mit den masc. auf -en. Bei dem grammatiker Schöpf lautet der nom. hatzen, aber grosch, ducat.

Es ist schliesslich unverkennbar, dass aus dem obliquus, auf dem bei dingbezeichnungen das sprachliche hauptgewicht ruht, schon früh ein nom. auf -en geschaffen wurde:

1371 rogyen Augsb. 1, 24, 9. 1373 loden Augsb. 1, 31, 18.

Gerade die formen roggen und loden, denen man noch braten, Iniclien, Jiopfen an die seite stellen kann, ergeben sich leicht. Bei ihnen spielt noch ein erst im nhd. erfolgter syn- taktischer wandel, der aus einer formalen Veränderung entspringt, eine wichtige rolle (vgl. Behaghel, Deutsche spräche 1886, s. 205). hraten, liopfen, Mchen, loden, roggen wurden im mhd. häufig nach massbestimmungen als partitive genetive ge- braucht: ein stücJie braten, ein stücke hichen, ein schaf roggen (so ausserordentlich häufig in den Augsb. Chroniken), ein scheffel hopfen, drei eilen loden. Als man zu beginn der nhd. epoche den partitiven gen. als nom. auffasste, wurde damit die wa-form im sprachbewusstsein befestigt. In der zeit des Schwankens zwischen ein glas ivassers und ein glas wasser bildete man ein schaf roggens und ein schaf roggen, indem man hier den ursprünglichen gen. roggen nicht mehr als solchen erkannte. So trug auch eine syntaktische Verschiebung dazu bei, die wa-gruppe zu mehren.

Diese nominative mit unechtem -n hatten natürlich und das ist von bedeutung für ihre aufnähme in die Schriftsprache an der durch das eintreten des umlauts erweiterten n«-gruppe einen starken rückhalt. Auch bei den dingbezeichnungen der schwachen fem. hatten sich im 15. und IG. jli. aus den obliquen casus nom.-formen auf -en gebildet. Die unorganischen bil- dungen Idrcheu, brüclien, gassen, rosen, lilien, erden, sonnen gehören in jener zeit nicht zu den Seltenheiten. Im lebendigen

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dialekt hat besonders das bair. die Verallgemeinerung der schwachen endung -en auf den ganzen sing, aufzuweisen. Doch ist, wie Friedrich s. 20 f. angibt, diese erscheinung keines- Avegs auf das bair. beschränkt. In der Schriftsprache ist keine spur davon geblieben.

Die stütze, die ihnen die mhd. wa- stamme liefen, versen, lügen, metten gewährte, genügte nicht, dem antrieb und an- drang nach ausgleich mit der umfangreichen fem. :?^-a-klasse halt zu bieten (vgl. mischklasse der fem.).

Mit den unpersönlichen begriffen hatten eine reihe von fischnamen gleiches Schicksal: die cons. stamme holclie, hause, harpfe, rocJie nahmen im nhd. ein unorganisches n an, sei es dass die häufigkeit des pluralischen gebrauchs zum anlass der entwicklung diente (wie Bojunga s. 74 will), sei es dass diese fischbezeichnungen (die fische im sinne eines unbelebten Ver- kaufsgegenstandes) sich in die gruppe der wa-stämme einfügten (wie V. Bahder, IF. 4, 360, anm. 1 meint).

In den folgenden Übersichten ist das material für den verlauf der Verschiebung niedergelegt. ^) Es werden dabei natürlich auch formen schwacher masc. citiert, die in späterer zeit durch association in andere Massen übergetreten sind.

Bairisch: uom. siug. : aschen Su. 42, 25, galg St. sp. 5, 104, poss St. sp. 13, 309, rfoi^Oest. weist. (1405)293,44, sc7t/w^-e«A.839,ll. 24: gen. sing.: galgen St. sp. 271, 247, magen St. sp. 117, 95.

Alemannisch: nom.siug.: a«Ä;e«Pa.,Ma., regenbogenOe., braienMa,.*, braten Pa., ftresfen Str. ehr., öresi Ma., datimOe., Helb. 30, fann, flamme G., flammen'Pn,., galgen'Ma., garten Oe. gmnen, gebrestG., groschOe., hausen Uelh., husten M&., JcarpfOe., Icolben'Pa., stre/tkolbHelh., A-oZt« (und Äro?) Pa., kosten'M&., JcnchenHelh., pfriemOe., 2nmtenMnYneY, räch, r/emeG., schrccke^Y., schrofen Helb., steck G., schatt G., W., schatten Mo. 25. 196, trehen Pa.,^) tropf G., W., regemoolk G., etszaptfUelh. 27, seinen Dasyp., Maal., Helb. ; gen. sing. : ankensMa,., bratensFa., gebrestensStr.chr., brestenMa,.* hustensVa.,schattenG.

Schwäbisch: nom. sing.: Z^«?/.; Augsb. 5, 191, 3, Seb. Fr., He., kinn- back'M.Beh.i balz (= kniff) Z. ehr. 211,10, batzB-e., toss Weckh., brate \mA braten, brock, daum, ditcat He., fanen Augsb. 5, 308, 1, Z. ehr. 524, 21, flad He., gaum, dat. acc. gaumenHe., gaum, gaums, gaionSchi., galg'Weekh., galgenHe.,

*) Bei formen ohne besonderes eitat gilt das nächstfolgende ausdrück- liche citat mit.

2) Die form beruht offenbar auf Übertragung des umlauts von dem plui'al. Später wurde ja aus dem plural trehen der sing, die thräne gebildet.

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 295

hak Augsb. 5, 302, 8, hnst Weckh.2, 284,236, lisf Fr., goldklumpenR.Fisch.bl, knote Schi., 1373 loden Augsb. 1; 31, 18, puH~en Angsb. 5, 407, 5, mc/i. Weckb., rachenHe., rehen m.Weckh. 2, 179,29,'^ 1371 ro(/</e» Augsb. 1, 24, 9, roggen AiTgsb. 1, 237, 16. 312,10, ?-o^(/en Augsb. 3, 61, 5. 75,9. 5,37,21. 74,21, rogg Augsb. 3, 4, 11, scliait Weckh., schatten ebda. 2, 397, 209, Schlitten Augsb. 5, 70, 3, schrecken Augsb. 5, 214, 5, Z. ehr. 4, 22, E. Fisch. 99, steck Fr., tropfe, tautropfe, hlutstropfe ^ch\., woZä; Weckh., zapf Fr.; gen. sing.: damnens, fladens He., galgen Augsb. 3, 160, 23, kostens Z. ehr. 14, 15. 420, 25, roggens Augsb. 2, 162, 2, ror/^ens Augsb. 3, 77,26. 4,52,5. 65,23, sc;m«enB.d.b.l6,25, Schreckens Z. ehr. 158, 13. 22.

Süd- und ostfränkisch: nom. sing. : batzAj., (bolz Aj.), hrat*Fo., braten i.B., Ay., brock 4:. B.. ducat Ay., ^flw«e»Eyb E. 44, 6, haken Wi. 62, knolli.B., Ay., iTöjjfEos., lebkiichenYo., kuchenLB., possen Ay., ratten 4. B., reihen Ay., riemei.B., schaifFo., schatt nnä schatten i.B., schatt(e) Eyb E. 81, 20. 86, 28, schatteu S. 205, 4, Ay., scherb 4. B., scherben Ay., schotten (getränk) Eos., schnupfen Ay., schrecken S. 238, 2, Ay., schreck Ay., steck Eyb, stecken Ay., tenne i.B., tropf Hos., i.B.; geu. sing.: bratens Ay., daumen Eos., fladens Ay., hopfens Nb. 4, 318, 28, hustens Fe, gaiimens Eyb E. 43, 84, possens Ay, rattens 4. B., schrecken, tropfens Ay.

Westmitteldeutsch bes. rheinfränkisch: nom. sing.: bcdk AI., balkcn Wa. 264, 2, batzen, bolchen Gr. Schö., (bolz Gr. Sehö.), galg AI., Wa. 292, 38, grosch, hirsen, hopfen Gr. Schö., karpf und karpfen Gr. Schö., klump Goe. (1828) B. 5 s. 16, klumpen* ebda., klumpen Goe. F. II (1833), 40, 38, maskenklnmp ebda. 41, 56, knoch AI., knarr Gr. Schö., knot AI., Gr. Schö., kolb AI., Unkosten Mz. 1, 233, 13, 2iOsse AI., rächen Wa. 22, 22, räch Fb. 36, spinnroclcen Brücker, roggen, salmen, Schinken Gr. Schö., schoppe Mz. 1, 46, 19, schrecken Wa. 44, 48, Dietenb., steck und stecken AI., stecken Gr.. Brücker, tropf AI., zapf AI.; gen. sing.: rachensFh.3Q,2b, schattens I>ieten\).

Ostmitteldeutsch: nom. sing.: balkeL., braten Ag., galgen, garten ri., /to^J/'e Pu., Cl., hust Ag., husten, kästen, karren C\., kuche nnd knchenli., läppe, räche, schnhrievieli., riem, rocken C}., schatte xim\ schatt enL., schatte Ar., scheme L., schrecken Mat., Cl., stecke Ag., L., stecken Mat., Cl. : geu. sing. : balkenL., baJkens Nie Hermanl24, schatten Ar., schattensHoimw., traubensL.

Niederdeiatsch: nom. sing.: balk, batz, bissen^ciw., brate J.v.B., brat, damn, dosten, ducat, fetze, fladen, galg, gaum Scho., (grabe Seho.), gropen Scho., hopfen 3. y.B., hopfeSdio., huste J.v.B., /m.s/cM Scho. 1134, knoch, knarr, knot, krage Scho., kuche J. v. B., Scho., kqyp, lad, mage Scho., poss(e) J. V. B., poss, räche, rame, rase, rieme, spinnrocke, rogge, schatte Scho., schem J. V. B., schinke, schräge Sehe, stecke und stecken Scho. 1139, tro2)f, blutstropf Scho. 1113. 1127, zaijfe J.y.B.; gen. sing.: schranken J.y.B., Steckens EoUenh.

Die geDieinF;praclie, wie sie auf md. und nd. gebiet aus- gebildet wurde, bewahrte am längsten die historisch echten formen.

296 MOLZ

Scliottel zeigt zu einer zeit, wo der süden fast durchweg die ver- schiebxang vorgenommen hatte, noch beinahe rein mhd. Verhältnisse. Und noch im 18. jh. schreibt Herder knote (neben knoten), klumpe, läppe, schatte, tropfe (neben tropfen). Die echte nom.-form schade ist in späterer zeit noch häufig. Die unorganische form schaden ist wol nur durch den /-pl. schaden zur herschaft gekommen. Aus jüngster zeit wäre zu erwähnen ns. schade Nietzsche, M. A. 1, 146, schatte F. Dahn, Kampf um Kom.

J. Grimm, der im DWb. den nom. hrunnen als sprachwidrig "bezeiclmet, bestrebte sich, den alten w- stammen die echte flexion zurückzuerobern. *Es ist nicht zu verwundern', sagt Andresen, 'dass von ihm auch die heute allgemein herschenden formen hrunnen, gaumen, magen, rächen, riemen, rücken, schaden u. a. m. gebraucht werden. Es verdient dagegen um so grössere aufmerksamkeit, dass er vorzüglich in späterer zeit und nament- lich im Wörterbuch die alte echte endung vor äugen führt'.

Z. b. balle, balke (gs. balken), böge (gs. bogen), brate, brunne (gs. brimnen), galge, grabe, garte, hop)fe, karre, käste, kiiche, läppe, mage etc.

Die Scheidung zwischen belebtem und unbelebtem war freilich von anfang keine genaue, scharf bestimmte; das lässt sich aus den ziemlich häufigen gen.-formen schwacher masc. von Personenbezeichnungen auf -ens deutlich erkennen.

Den grammatikern Ostrofrank, Oelinger, Ritter ist eine Verschieden- heit der flexion beider gruppen unbekannt. 'Der gen. nimmt in freier weise ein s an' sagt Ritter für beide klassen. Schöpf wahrt die cons. flexion der personenbezeichnungen vollkommen, während die masc. auf -en im gen. zuweilen das s abwerfen: graben iür grabens. Gueintz (1641) s. 44 gibt dagegen die schwache flexion der masc. ganz auf und bildet nur starke genetivformen: balkens; affens. Girbert, Schottel, Pülmann führen im gs. eine scharfe Scheidung zwischen der flexion der na- und der »i-stämme durch.

Bis zur mitte des 17. jh.'s war also das gefühl für die flexivische trennung der na- und w-stämme im sprachbeAVUSst- sein derer, die sich zu meistern der spräche aufwarfen, wenig lebendig. Dass die dichter und schriftsteiler, unter denen hier nur meister Sachs genannt werden soll, mit wenig ausnahmen, ohne sich grammatischen betrachtimgen hinzugeben, eine strenge Scheidung im gen. der n- und «a-stämme durchgeführt haben, wird bei den schwachen masc. zu zeigen sein.

Berührung mit der «-declination. Es begegnet sporadisch, dass die M-stämme mit den «-stam- men fühlung nehmen. Den ausgangspunkt für die vocalische

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 297

flexion der n- stamme wird meist der apokopierte nom. sing, gebildet haben.

das. Icinnhaclc 4. Bib. ; as. hcdh* Nie. Herman 124; as. hatz* R. Fischer 70; gs. hrunncii Luther, ds. brunn Rosenbl., Folz, Füet. 145. 216. 224, Teuerd., Sterz, sp. 143, 749, Waldis 69, 2. 8. 14, Alber, as. ömnn Eosenbl., Folz, Füet. 55, Aventiu 626, 1, Luther, Mathesius, pl. brünne Aventin, Gr. Braun (neben brünnen), brunn, brumies etc., pl. brunnen Pölm. (neben us. bruHuen), as. galy Brant, N. 69, 19 ; gs. ivingartes'Miiinz 1,15,19, Geiler, äs. fiart Mich. Beheim, as. baimuiart Füeterer 199. 209, (vgl. baumgurten Füeterer 244. 256), gp. gärte Opitz 21; as. icassergrab Mich. Beheim ; ap. grosch Sterz, sp. 3, 47; as. rahm Abraham ; gs. rogges Sterz, sp. 273, 293; gs. schacles Mainz 1, 38, 19 (vgl. nutzes Mz. 1,235,24. 371,23), Wyle 289, 8, Dietenberger, ds. schad (von seJiade) Mainz 1,10,23, Brant, N. 45, 34, R.Fischer 60, as. sc/mrZ Füeterer 182, R.Fischer til. 87, schade Chr. Reuter, schad gen schad Augsb. 3, 26, 11, schad gegen schad Zimm. ehr. 47, 28; as. schreck Folz, pl. perlentröpfe Haller.

Uebertritt starker masculina in die wa-klasse.

Bereits im mlid. hatten sich zu der ursprünglich voalischen flexion von hoU, vels, vlec, nac, pJiriem, stapf, rücke, tveize con- sonantische flexionsformen gebildet. Rein vocalisch dagegen flectierten noch nutis, leist, reif.

bolz, bolze stswm. Die starke flexion des wertes ist im 15. und 16. jh. herschend ; Rosen- blut, Folz (dp. bähen), Pauli, Waldis 73, 10, Mathesius (pl. bolze), Ayrer declinieren stark. Henisch ns. bolz, das. bolzen, Stieler ns. bolz, as. bolz, pl. bolzen, Steinbach bolz, pl. bolze und ns. bolzen.

vels, velse stswm. Noch heute ist die flexion schwankend. Grimm gebraucht folgende geuetivformen: felses, felsen, felsens. Die cons. flexion ist in frühnhd. zeit fast allein im gebrauch. Vereinzelt begegnen starke bildungen: gs. felses Rosenblut, das. fels Folz, Eyb, as. fels Sachs 222, 33 (vgl. ds. felsen Sachs 274, 6. 15), das. fels Mathesius, as. fels S. Dach 160, ap. ste/nfelse Chr. Weise 91. Bei Luther besteht schwanken zAvischeu voc. und cons. flexion. Für die schwache declination mögen einige belege genügen: das. felse^i Stretl. ehr., Füeterer 280. 281, B. d. beisp.. Geiler, Pauli, Manuel, Augsb. 5, 137, 34, Zimm. Chr. 14, 10. 19, 34, Alber, Waldis 120, 2 u. ö., Weckherlin das. 351, 188. Der nom. sing, heisst meist fels; so bei Geiler, Manuel, Pauli, Luther, Waldis 238, 75, Zimm. ehr. 20, Henisch, Weckherlin 2, 84, 10. 85, 47. Doch tritt auch bereits in frühnhd. zeit die nom.-bildung felsen vereinzelt auf): ns. felsen Zimm. ehr. 355, 25. 34, Weckherlin 2, 255, 169, später bei dem gram- matiker Pölmann und bei Stieler und Steinbach neben fels.

^) Andresen, Sprachgel), und sprachr.'' 30 hält den nom. sing, felsen irrtümlicherweise für eine erfindung Adelungs.

298 MOLZ

vlec, vlecke stswm, = nhcl. fleck, flecken. Eine wesentliche bedentiiugsverschieden- lieit ist durch die doppelformen im nhd. kaum entstanden. flecken wird indes wol meist im sinne von 'täche' gebraucht; auch heist es stets marktflecken.

Der nora. sing, lautet flecJc bei Eosenbli;t, Folz, 4. Bib., Zimm. ehr. 10,30, Augsb. 5, 179, 23. Der nom. flecJcen (= 'bourg') erscheint Mainz 1, 46, 19 und Wilwolt 111; der gen. flecl-ens Strassb. pol.-ordn. von 1560. Im übrigen ist die flexion denselben Schwankungen wie heute unterworfen.

nac, nacke stswm.

Die starke flexion ist im frühnhd. noch vorhersehend: ns. nack(e)'Fo\z, Luther, Dietenberger, das. nack Kosenblut, Folz, Sterz, sp. 8, 174, Aventin 605, 25, Eugen, Augsb. 5, 30, 11, Rebhuhn neben nacJcen. Die nhd. fonn des nom. {nacken) erscheint zuerst bei Dasypodius und Maaler. Schottel hat die form nack im nom. gewahrt, «-bikhingen des dat. und acc. finden sich bei Füetererl41, Luther, Mathesius, Dietenberger.

phriem, phrieme stswm.

Die starke flexion herscht in der älteren spräche vor. J. v. Braunschw. flectiert stark und schwach: as. pfrievi und pliriemen. Der nom. lautet phriem bei Dasypodius, Stieler. Steinbach hat die doppelformeu plmcm und phriemen.

stapf, stapfe stswm.

Aventin 641, 9 gebraucht den nom. fussstapf. Stieler gibt als nom.- formen an sUtpf und stapfe, fussstapf und fussstapfen.

rücke stswm.

Die voc. flexion dieses jo -starams erhält sich neben der cons. bis ins 16. jh. : rucke SAvm. Jerosch., rucke stm. Matth. v. Beheim ; das. rück Roseublut, ap. ruck Folz (ds. rücken), das. rück Aventin 838, 21. 882, 22, ds. rücke Pur- goldt, das. rücke rücken Sachs, Ayrer, gs. rucks ( : flucks) Rebhuhn, as. rück Rollenhagen. Die belege für die schwache flexion sind sehr zahl- reich. Einige mögen erwähnung finden : ds. rücken Stretl. ehr., as. rugken Wyle 163, 16. 266, 26, as. rüken Eyb D 20, as. rucken Augsb. 3, 41, 6, das. rücken 13 m. Pauli, as. rucken Zimm. ehr. 348, 22, das. rucken Murner, Manuel, as. rucken Waldis 6, 35. 65, 4, as. rücken Rollenliagen, das. rücken J.v. Braun- schw. Meist wird die gestalt des nom. gewalirt: us. ruck{e), rück(e) Vi'yle 27, 23. 217, 32, Alber, Maaler, Volksb. v. dr. F. 42, 35. 54, 29, Schottel 1114. Zum erstenmal begegnet die nhd. form des nom. (rucken) bei Waldis 50, 11. 73, 8 und Maaler, und des gen. (rugkens) bei Wyle 268, 11.

weize stswm.

Die enge berühruug mit rogye, hopfe Hess früh die starke flexion von iveize schwinden.

In nhd. zeit steht der gen. sing, iceizes 4. Bib. ganz vereinzelt da. Cons. flexionsformen finden sich: ds. ice/ee» Folz. das. M-e/«e/i B. d. b. 4, 16. 19,

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 299

(las. iceizen Luther, Friscblin, J. v. Braunschw. Der nom. sing, lautet iveiz(e) bei Rosenblut, B. d. beisp. 53, 26, Sterz, sp. 197, 145, Dasypodius, Schottel, Pöl- mann (1671). Der nom. sing, mit unechtem n erscheint i. Bib., Seb. Münster, Maaler, Frischlin. Der gen. weizens steht neben weizen in der 4. Bib.

nutz stm. Es ist eine bekannte sprachliche erscheinung, dass sich gegensätzliche begriffe, sog. Synonyma opposita, sowol im genus als in der flexion einander beeinflussen. Bei mif2 kann es nur schade gewesen sein, das den übertritt in die «a-klasse ver- ursachte. Dass umgekehrt mds zuweilen für schade das muster der flexion abgegeben hat, haben wir bereits gesehen. Dass nun die spätere entwicklung sich nicht in dieser richtung be- wegte, hat seinen grund darin, dass schade durch den pl. schaden in enger gruppengemeinschaft rnit den «a- stammen gehalten wurde und der Verschiebung von mds überdies noch die eng verbundenen frommen, hosten zu hilfe kam.

Die starke flexion von nutz herscht bis ins 17. Jh.: ns. nutz Wyle, Manuel, Kic. Herman 5, Spangenberg 141, J. v. Braunschw., Hofmanswaldau, HS. nutze Eyb, Aventin; gs. md^es Mainz 1, 235, 24. 37. 371,23, 1472 Urk. d. st. Arnst., Wyle, B. d. beisp. 6, 6, Eyb, Purgoldt, Manuel, Aventin 790, Alber, AValdisS, 34, Spangenberg 26, Arndt; ds. «i<?^ B. d. beisp., Eyb, Purgoldt, Weissk. 218, 12, Pauli, Manuel, Spangenberg 96, Ayrer, Arndt; as. m<f^B. d. beisp., Eyb, Purgoldt, Pauli, Manuel, Aventin 790, 17, Augsb.3,88, 17, 5, 24, 10. 116, 6, Luther, Just. Jonas, Alber, Waldis 52,52, Sachs 234,17, Ayrer, Spangeu- berg 32. 37, Arndt, Opitz, E. Fischer 63, Schupp, S. Dach* 105 ; das. nutze imd notze Mainz 1, 31, 17. 22. 52, 2. 60, 2. 151, 9. Zuweilen tritt auch ein plural niUz(e) hervor; Urk. v. 1381 bei Weizs. 1, Stretl. ehr., Geiler. Cons. bildungen tauchen in frühnhd. zeit nur vereinzelt &vd: gs. nutzen Mainz 1, 55, 4, ds. nutzen 1343, Urk. d. st. Arnst., Aventin; as. nutzen Alber, Sleidanus, Frischlin, Ayrer. Der grammatiker Pölraann (Berlin 1671) gibt drei arten der flexion von nutz an: nutz nutzes etc., nutz nutzen etc., nutzen nutzens etc. Stieler flectiert von dem nom. nutz aus stark und schwach. Thomasini (Basel 1692) fordert noch die starke declination. Steinbach hat die nhd. nom.-form nutzen als kennwort angesetzt. In späterer zeit sind noch bei Lessing, Wieland, Goethe, Eückert einzelne voc. bildungen belegt.

leist stm. = nhd. leist leisten. Man kann vermuten, dass die Wand- lung der flexion von leist durch das mhd. fem. liste =^ nhd. leiste bewirkt wurde, sei es, dass das gleiche lautbild 0 von der leist

') Eine lautgleichheit natürlich nur im sinne der bühnensprache. Denn in den mundarten sind urdeutsches ai und seine späteren Vertreter

300 MOLZ

und die leist{e) eine Übertragung der w-form in den obliquen casus herbeiführte, sei es dass der pl. die leist(e), um im sprach- bewusstsein überhaupt als pluralisch empfunden zu werden, die «-form leisten annahm.

as. leist Matliesius, ns. to"s< Maaler, iis. ?e/s/en Stieler, Steiiiljach, ns. leist, as. leist Frisch.

reif stm. = nhd. reif reifen. Auch hier ist wol die entwicklung- einer nebenform auf die durch die nhd. diphthongierung ent- standene lautgleichheit •) zweier worte zurückzuführen: mhd. reif stm. rife swm., nhd. reif, reifen reif

Der nom. sing, reifen erscheint schon bei Eoseuhlut. Später wider bei Steinbach. Den lexikographen Maaler, Stieler ist die nebenform reifen unbekannt.

Nhd. doppelformen. I) Doppelformen ohne oder mit nicht wesentlichem unter- schied der bedeutung ergeben sich:

1) durch Wahrung der voc. flexion und entwicklung einer Ma-nom.-form aus der «-nebenform: höh hohen, fels felsen, fleck flecken, streif streifen ;

2) durch Währung der voc. flexion und neuschöpfung einer na-torm des nom.: leist leisten, reif reifen]

3) durch neuschöpfung zweier nom. -formen aus ein- und demselben J^-paradigma: hronn hrunnen, schreck schrecken.

II) Doppelformen mit wesentlichem unterschied der bedeu- tung ergeben sich:

1) aus der nach dem begrifflichen Inhalt erfolgten Schei- dung der 7?-stämme in eine na- und eine w-klasse: hatten (pl. haizen und petzen Manuel) x^etz, drachen drache, franken franke, läppen laffe, rappen rappe, rahe, tropfen tropf \ maien (= 'blumenbüschel, maibaum') tnai;"^)

2) durch scharfe begrenzung der gebrauchssphäre zweier Worte von demselben stamm: hall hallen. Die bedeutungs- inhalte von mhd. hall stm. und halle swm. greifen im mhd.

wol nirgends mit dem aus i hervorgegangenen laute zusammengefallen (vgl. Pauls Grundr. V, 703, § 57).

1) S. s. 299, anm. 1.

*) hahnrei gehört nicht hierher. Zur etymologie des wortes vgl. Germ. 29, 50 f.

NHD, SUBSTANTIVFLEXION. 301

vielfach ineinander über, und noch bis spät in die nhd. zeit ist die begriffliche trennung nicht durchgeführt:

ns. hall, as. hall i;ncl hallen (ivenn man den hallen auf den boden oder an die tvand ivirfi) Heniscli 177, ns. hall, pl. hallen, as. den hall sive hallen schlaffen Stieler 87; ds. hallen ('ball') Haller. Bei Steiubach 1,60 {hall halle; hallen ballen) geht die begriffliche trennung mit der formalen hand in hand.

Aus rahd. snebaUc swm. gieng nhd. schneehall, pl. schnee- hallen mit gemischter fiexion hervor. Die form des sing, bildete sich unter dem einfluss von hall, nachdem hall mit starker flexion auf die anwendung im sinne von 'kugelrunder körper' beschränkt war. Die häufigkeit der anwendung schützte den cons. plural vor dem ausgleich. So ergeben sich die doppel- formen ns. ballen {schnee)hall. Doch auch die wa-nom.-form des sing, ist unserer modernen spräche sehr wol angemessen: ns. schneehallen Nietzsche, M.A. 1, s. 412,

Isolierte formen. Der Vollständigkeit halber gebe ich noch eine Übersicht der Isolierungen, die sich im nhd. bei den unpersönlichen w-stämmen ausgebildet haben (vgl. B. Bechstein, Die altertüm- lichkeiten in unserer heutigen Schriftsprache, Rostock 1878. J. N. Zimmermann, Isolierte formen im neuhochdeutschen, München 1880).

I) Die alte form erhielt sich in stehenden Wendungen: su nutz und frommen, sich etwas zu nutze machen, es ist schade; schade dass etc.; zurück, hinterrücJcs.

II) Die alte form wurde gewahrt in der composition: eigen- nutz, schahernack (aber as, schahernacken Schottel), rückgrat, Hundsrück, dreizack] Heilhronn, Stuttgart (as. Stuttgarten Augsb. 3,103,3), hungert (aus haumgart), ivingert (aus wingarte), wUdhret.

Die flexion der letzteren schloss sich von dem a-nom. aus den a-stämmen an, was um so leichter geschehen konnte, als die entstehung der composition durch die Schwächung des a zu e für das Sprachgefühl verdunkelt wurde.

Wenn wir auf die ganze entwicklung zurückschauen und nach dem Zeitpunkt fragen, zu welchem die ausbildung der ulid. ^za-klasse zum abschluss gekommen ist, so müssen wir

302 MOLZ

antworten, dass auf dem ganzen Sprachgebiet eine einigung- erst mit beginn des 18. jh.'s zu stände kam. Natürlich sind auch noch später nachzügler älteren Sprachstandes anzutreffen. Die heutigen Verhältnisse bieten das ergebnis eines processes. mit dem das sprachliche leben Alldeutschlands etwa fünf Jahr- hunderte beschäftigt war.

TU. Mischklassen.

Die ausbildung einer mischdeclination geschah erst in nhd. zeit. Wol kam es in der mhd. spräche vor, dass ein wort bald schwach, bald stark flectierte, aber niemals musste ein und dasselbe paradigma zum teil stark, zum teil schwach flectiert werden. Im nhd. müssen wir zwei verschiedene misch- klassen der masc. unterscheiden. Der typus der ersten misch- klasse sei wüle, die typen der zweiten mögen dorn, schmerz sein.

1) Erste mischklasse.

Typus wille, gs. willens = mhd. iville, gs. willen. Das cha- rakteristicum dieser flexionsart ruht in der form des gen. sing.

Wie iville flectieren huchstahe, friede, fimJce, gedanJce, gefalle, glaube, häufe, name, same, hrosame.

Die organische nom.-form dieser masc. hat sich bis heute behauptet, wenn auch in der ganzen nhd. epoche die vom bessern gebrauch heute verpönten unorganischen wa- formen oft genug hervortreten.

Zum genetiv singularis.

Das endergebnis der entwicklung zeigt, dass die genetivische endung -ens sich unabhängig von der gestalt des nom. aus- gebildet hat. Bei huchstahe, funhe, häufe, same war die engere begriffliche beziehung zu den na -stammen für das eintreten der starken form des gen. bestimmend und nur die häufigere anwendung des nom. schützte bis jetzt vor dem vollen über- tritt zur wa-klasse.

Bei friede, gefalle, glauhe, name, iville dagegen waren andere factoren im spiele, die frühzeitig einen übertritt des gen. zur voc. form bewirkten. Rein historisch betrachtet tritt gerade bei den genannten abstracten zuerst eine mischung der flexion ein: befremdlich auf den ersten blick, denn weder die

NHD, SUBSTANTIVFLEXION. 303

gestalt des iiom., der meist in der echten form erhalten blieb, noch eine besonders günstige, begriffliche beziehimg mit der voc, flexion lassen sich für die änderung des gen. ins feld führen. Die gründe für die annähme der voc. gen.-form sind auf syntaktischem gebiet zu suchen.

Mit dem anheben einer grösseren schriftstellerischen pro- duction auf dem gebiete der prosa werden die abstracta friede, glaube, gefalle, name, wille in die mannigfachsten genetivischen fügungen gebracht. Wenn ich von dem gen., der vom Sub- stantiv abhängig ist, absehe, heischten einige genetivische Verbindungen geradezu ein deutliches kennzeichen der gen. function; bei andern besonders den in Verbindung mit verben stehenden genetiven wurde die starke form begünstigt durch das häufige zusammentreten des gen. mit den flectierten formen der Pronomina und pronominaladjectiva.

Ich gebe zunächst eine Übersicht der gen. fügungen, in denen mir die genannten stamme erschienen sind; ich schliesse auch die gen. Verbindungen von schade hier an, die mit denen der andern abstracta grosse ähnlichkeit aufweisen, für die ent- wicklung der flexion des wortes wegen des in früher zeit ein- getretenen i-pl. aber nur von untergeordneter bedeutung sind.

1) Partitive genetive, abhängig von den adverbien viel, wenig, ivas:

friede: vil fridens Geiler, iv(xs frideiis Geiler, vil Unfriedens Zimm. ehr. 14, 2; gefalle: wenig gre/rtWens Wilwolt 143, trugen nit vil gefallens Zimm. ehr. 320, 20 ; glaube: was glaubens WilwoltQO, des afterglaiibens ?,v7 AventinSOS, 26, vgl. auch vil fastens imd betens ebia.SOd, 29; wille: vil geivalt und mutioillens, des raubens und rcnnens Aventin 834,19; schade: so vil Schadens Augsb. 2, 29, 5. 39,29, doch ietoi si Schadens nit vil Mich. Beheim 878, 12, ivas Schadens Wilwolt 26, 3. 44.

2) Gen. bei adjectiven:

glaube: glaubens, ere und getrauens ivert Wilwolt 146; schade: das jeder heil wurd seines Schadens Füeterer 158.

3) Gen., abhängig von (secundären) präpositionen:

friede: um fridens ro /Wen Zimm. ehr. 33, 12, Waldis270, 15; —glaube: von Unglaubens ivegen Augsb. 2, 87, 14, des glaubens halb ebda. 4, 389, 4, ti'inb des glaubens tvillen Aventin 887, 29, umbs glaubens tvegen ebda. 900, 22. 902,4, aber auch von des glauben wegen ehda.Hii^,2S; fiame: vomvegen des gleichlatiteuden natnens 7Amm. ehr. 139, IS: wille: des nnwillcns Jialb Wilwolt 143; schade: des Schadens halber Zimm. ehr. 116, 9.

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4) Adverbiale ausdrücke, absolute oder freie genetive:

(je falle: seines, irs gefallens Wilwolt 28. 52. 70, ires gefallens Zimin. ehr. 364,22, Augsb. 5, 367, 17, meines gefallens Wuläis U8, 26; unlle: aignes icillens Wyle 43, 15. 161, 7, ires ivillens Wilwolt 134, des willens Zimm. ehr. 47, 7.

5) Gen. bei negatiouen:

name: meines namens mügt ir nicht wissen rüeterer51; wille: wie bald hat er sein brief und sigel nit ivillens gehabt zu halten Wilwolt 46 ;

schade: nicht Schadens B. d. heisp. 38, 13.

6) Gen. in Verbindung* mit verben:

friede: friedens begcren Mich. Beheim {sonst gs. frieden), friedens und rechtens ven^arHien Augsb. 4, 372, 18; glaube: ward des alten glaubens geschtvigen Zimm. ehr. 346, 18, die seines glaubens sind Alber; name: fragt seines namens Füeterer27, ich fragt in seines namens Füeterer61 n.ö. (aber auch fragt in ires namen Füeterer 133. 185), si dankt wtd bat seines namens 'Fneterev20i, dass seines namens auch ivurd gedacht Sachs 198, 23;

wille: nymbt mocht si des willens erwenden Füeterer 161, der zeihet si seines willens Füeterer 23, und tvolt si twingen seines willens Füeterer 120, als si ires ivillens nicht stat fand Füeterer 212, und do der küng nit des willens ist B. d. beisp. 58, 38, sins willens sein ebda. 146, 31 (aber auch ich soll dir dines tvillen ividerfaren ebda. 135, 2), ivillens sein Eyb E. 14, 24 (auch seines willen sein Eyb E. 14, 28), si waren wdlens Wilwolt 80, alles mut- willens geivont Aveutiu 890, 22, sollichs freuntlichs willens und erbietens sagt inen herr Albrecht grossen dank Zimm. ehr. 115, 14, das er nit willens sieh zu verheiraten ebda. 29, 14, der sei willens Augsb. 5, 15, 35, seines ivillens walten Waldis 292, 39; schade: ich achtet dieses Schadens klein Füeterer 94, der mag sich wol Schadens erweren B. d. beisp. 132, 23, und ich kam meines Schadens wider ein Zimm. ehr. 151, 12, si ires erlittenen Schadens sich nicht erholen möchten ebda. 73, 34, meines Schadens will ich mich jetzt erholen Waldis 17, 25.

Bei der starken form der partitiven genetive war die analogie der melirzalil der masc. und aller neutra wirksam. Dasselbe gilt von den gen. fügungen bei präpositionen und negationen. Bei den adverbialen ausdrücken und besonders den gen. in Verbindung mit verben war nach meiner auffassung die genetivisclie form der pronomina oder pronominaladjectiva die attractorisclie kraft, die die folgende «-form zur a-form hinüberzog.

Aus Kehreins und meinen eigenen Sammlungen entnehme ich noch: imsers glaubens 1412 bei Janssen 1, 245, unsers geloubens Wyle 348, 1. 6, ires glaubens Zimm. ehr. 46, 29, dises dines namens Wyle 348, 12, dises namen Füeterer 21, ires willens Augsb. 2, 298, 18, seines willens ebda. 4, 112, 15, dieses Widerwillens ebda. 44, 1, sines willens Wyle, seines willens Geiler, dins willens B. d. beisp. 49, 24, ires ivillens Agrieola.

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 305

Die Verbindung- von tvilJe mit sein in der bedeutung 'die absieht haben' begegnet überhaupt nur in der form iviUens sein. Es ist das ein wichtiges argument für die richtigkeit der an- nähme, dass der gen. in solchen und ähnlichen fügungen, um die gewollte Vorstellung im bewusstsein der leser und hörer hervorzurufen, eines genauen gen. kennzeichens bedurfte; vgl. auch fnedens legeren Mich. Beheim. Schliesslich verdienen noch zur erklärung herangezogen zu werden gen. Verbin- dungen wie

lohten (jott seines guten fürnemens Füeterer 360, seines fürnemens Wil- wolt 28, seines Vermögens ebda., ein lermeister eines unsträflichen ivillens Zimm. ehr. 107, 4, seines herkommens ein graf ebda. 107, 16. 116, 35,

die durch lautlich-functionelle beziehung mit den gen. fügungen der abstracten w-stämme auf die form dieser einfluss übten.

Zum nom. sing.

Es ist zweifelhaft, ob auch bei diesen n- stammen das sprachliche hauptgewicht auf den obliquen casus ruht. Aus der tatsache, dass die Währung der echten nom.-form in der ganzen nhd. zeit fast regel ist, ergibt sich, dass die form des nom. doch stark genug im gedächtnis eingeprägt war, um dem andrang nach ausgleich mit den obliquen casus zu widerstehen. funlie, häufe, same haben sich auch in ihrer unorganischen gestalt funken, häufen, samen in die nhd. bildungssprache eingang verschafft, während die unorganischen frieden, glauben, namen, willen nicht leicht bei modernen dichtem und Schrift- stellern angetroffen werden. Ich glaube, dass die fem. abstracta wie liehe, gute, gnade, treue, ehre, würde, schände (zu häufe wäre menge in beziehung zu setzen) mit zu der Währung der echten nom.-gestalt von friede, glaube, nanie, iville beigetragen haben. Wenn wir ihre begriffliche verwantschaft zurücktreten lassen, brachten doch die von den Substantiven beider kate- gorien abgeleiteten adjectiva eine nicht unwichtige berührung zu stände: glaube : gläubig = gnade : gnädig, friede : friedlich = liebe : lieblich, umville : umvillig = ivürde : ivürdig {schade : schädlich = schände : schändlich) etc.

Es wurde bereits erwähnt, dass der nom. von schade im B. d. beisp. und in der 5. Ausgsb. ehr. je nach seiner Umgebung im Satzgefüge schad oder schaden lautet. Auch von friede, glaube, name, iville findet sich in älteren denkmälern die un-

Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVII. 20

306 MOLZ

organisclie nom.-bilduiig oft in Stellungen, wo die fimction des nom. nicht markant hervortritt. In diesem falle muss die w-f orm dem Übergewicht des obliqiius anzurechnen sein. Bei genauer bezeichnung der nominativischen function durch den bestimmten artikel oder ein zugesetztes adjectiv lässt die berührung mit den fem. abstracten eine unorganische bildung nicht aufkommen. Mit andern worten: wenn der nom. ausser durch den Satz- zusammenhang noch besonders durch den bestimmten artikel oder die flectierte form des adjectivs kenntlich gemacht wird, klingt die gruppe der fem. abstracta leichter im bewusstsein an. Dies die hypothese: nun zu den tatsachen.

Beispiele. 1) (ßonj sei gott und friden den menschen Geiler, darum h ist zu-eien tvidencertigen nicht guts oder friden gegen einander B. d. beisp. 85, 38, und als nit alzeit friden sein mag Wilwolt 3, da ward friden Luther, als si nun lange geratscMagt wie doch ein friden zivischen beiden parteien zu treffen Mainz 2, 71, 20, nach solcher hehaUne victoria loard ain friden zwischen beiden Parteien furgenommen Zimm. ehr. 43, 9.

2) dem wird aller trau tmd glauben entzogen Seb. Frank, religion glauben und redlichheit Moscherosch 10.

3) und des namen süsz (ist) Wyle M-i, 30, des namen tvas Giuiscardus Eyb, E. 53, 20, des namen geivest ist Poleno ebda. 76, 28, des art iind namen stet innen geschriben Füeterer 30, dem dosier ain schönen vergulten kelch gegeben, darauf des fundatoren namen und waxtpen, zum schönesten, als damals der sitt geivesen, geschmelzt Zimm. ehr. 136, 29, indem der erste name auch als eigennamen behayidelt ivird Götzinger, D. spr. 1, 561.^)

4) dass der kais. maj. willen und meinung seie Augsb. 5, 392, 14, das ist gottes willen und wort Sachs 20, 530, 27 (aber so geschech gleich der %cille sein Sachs 16, 76, 26).

Diesen beispielen verdienen folgende gegenübergestellt zu werden:

1) und wart ein jar lang jeriger friden geschlossen Wilwolt 78 luid so ist sonst allenthalben im lernt fride ebda. 190, es tvar zu denen Zeiten aller unfriden unter den grafen von Zollern Zimm. ehr. 257, 13.

2) dass unser glauben gerecht wer Angsb. 5, 98, 9, es ist mehr ein thö- richter abergluuben Loheustein 72.

3) der namen aber solichs geschlechts Zimm. ehr. 68, 3, ich Vemis, ein göttin der lieb Die schönst, der nennen mir stets blieb Sachs 16, 7, 14, Hystrix, so ist der namen sein ebda. 503, 8, auf einer seite . . . auf der andern ehre rühm und redlicher namen Weise 225.

1) Ich entnehme das citat aus Andresen a. a. o. s. 29, der in dem neben- einander beider formen eine unbegreifliche inconsequenz erblickt.

NHD. SÜBSTANTIVFLEXION. 307

Es liat demnach die oben gemaclite annähme in gewissem grade ihre berechtigimg. Es sprechen in älterer zeit mehr Beispiele dafür als dagegen.

Historische entwicklung der flexion der einzelnen stamme.

biiochstap, buochstabe stswm. Die cons. flexion ist in nhd. zeit fast allein üblich:

ns. btichstabe Matth.Y.Belieim, M.5,18, das. Imchstahen Angab. 1, Rchr. 38, Pauli, Manuel, Alber. Luther ns. der huchstabeu tötet, Zinim. ehr. 12, 2t ns. huchstah, Helber gs. huchstab(e)s, das. btichsiaben, Brücker, Klopstock, Gramm. Gespr. ns. buchstabe, gs. buchstabens, das. buchstaben. Der plural lautet stets buchstaben.

hüfe, houfe swm.

In frühnhd. zeit erscheint der pl. zuweilen in der «-form: häufen Wk. 211,28. 218,39. 219,1. 269,14. 361,29, und demgemäss lautet der nom. sing. häufen Wk. 199, 30. 203, 5. 207, 12. 219, 4, ganz vereinzelt haufWk. 245, 30. Vielleicht ist die nom.-form häufen bei dem österr. dichter Suchenwirt auch auf die umgelautete pluralform zurückzuführen (ns. häufen 14, 112. 18, 200. 37, 45). Später begegnet der pl. häufen Zimni. ehr. 196, 32 (neben häufen ebda. 5, 33. 196, 25), und pl. Steinhaufen noch bei Dornblüth.

Die organische form des nom. sing, hat sich meist erhalten: ns. hauf(e) Rosenblut, huffe Wyle 51, 37, Füeterer 159, Geiler, misthufBv&nt, hufi. Bib., hauf(e) Wilwolt 131. 185, Teuerd., /t»/' Manuel, Aventin 627, 21. 652, 6, Zimm. ehr. 5, 17. 321, 20, Luther, Just. Jonas, Waldis 67, 18, Nie. Herman 53, Sachs 61,1, Nie. Frischlin, Ayrer, J. v. Braunschw., Weckherlin 2, 290, 483, Zesen; ns. häufen Suchenwirt, 4. Bib., Wilwolt 114, Aventin 877, 33. 878, 8, Waldis* 37, 5, Mainz 2, 60, 34, Ayrer, J. v. Braunschw., Schupp, Chr. Reuter, Hempel, Popowitsch.

Der gen. ist nur selten gebraucht: gs. häufen Rosenblut, gs. haufens Ayrer. Die starke form hat sich in der Verbindung zu häuf (vgl. Mainz 1,37,16) festgesetzt. Vereinzelt ist die starke acc.-forni /tat*/" Füeterer 356.

vunke swm. na. funk(e) Füeterer 27, 4. Bib., Henisch, Ritter, Hempel; /wnAen Popo- witsch.

säme, säm swm.

ns. som(e) Matth. V. ßeheim , Rosenblut, Folz, 4. Bib., Eyb, Luther, Alter, Nie. Herman 53, Arndt, Herder; sameu Luther, Alber, Mathesius, Schöpf, Gilbert, Schupp, Abraham.

Gen. sing, samens Wyle, Agricola, Alber, Arndt, Schöpf. Die «-form des gen. samen kommt noch bei Eyb, E. 80, 12, Mathesius (neben samens), J.v. Braunschw. vor. Vereinzelt sind starke formen as. sam Suchenwirt 25, 236, Aventin 816, 15.

20*

308 MOLZ

brosam. Im nhd. wurde das nihd. brosem, hrosme stsw^. in beziehung zu hrot und scwie gebracht. In einer sehr von dem gewöhn- lichen gebrauch abweichenden weise verwendet Klopstock hrosam als stm. und bildet den pl, hrosame.

gedanc stm., pl. gedanke und gedenke. Das zahlreiche material, das mir hier zur Verfügung steht, setzt mich in stand, genau den gang der entwdcklung in den einzelnen dialekten zu verfolgen.

1) Alemannisch: Stretl. ehr. us. gedank, ap. gedenk(e); Geiler gs. ge- danks, as. gedank, &t^. gedanken und gedüiikcn; Pauli ns. gedanken, ngclp. ge- denken 5 m. ; Manuel ap. gedank*

2) Schwäbisch: Hätzlerin up. ^/cfZf^/Ä-f ; Füeterer as. (/ef7o«Z:23, dp. ^e- denken 33. 47; B. d.heisp. ds. gedank 125,22, gap. gedenk, 66,6. 130,10, dp. gedenken 125, 18 u. ö. ; Erischlin as. gedank* ; Schiller ns. gedanken.

3) Süd- und ost fränkisch: Rosenblut nap. gedanken; Folz as. ge- dank, h]). gedenk, g^. gedenken, &\). gedanken, gedenken, ?i^. gedanken; 4. Bib. ns. gedank, ap. gedanken; Eyb ns. gedank D. 119, 46, gedanken E. 33, 17, w^. gedanken E. 61, 13, a.^. gedanken lä. 4:7,11, ap. gedünken 'E. 12,2b; Sachs ap. gedanken 40,28; Ayrer ns. gedank, 'pl. gedanken; Stieler ns. gedanke.

4) Ostmitteldeutsch: Matth. v. Beheim np. gedanken M. 15, 19, ap. gedanken M. 9, 4. 12, 25; Luther ns. gedanken; Mathesius ns. gedanken; Klop- stock ns. gedanke; Herder ns. gedanke; Hempel us. gedanke (Popow, bair. gedanken) ; H. v. Kleist ns. gedanke und gedanken.

Der übertritt in die gemischte flexion ist nur vom pl. aus denkbar (vgl. dazu ds. gedank Brant, N. 107, 21). Die *?-plural- form selbst kann nur durch formübertragung der fem. w-stämme entstanden sein. Der nom. sing, nahm dann nach dem vorbikl der masc. »«-stamme die endung e an, die zuweilen durch Über- tragung aus der häufig gebrauchten w- pluralform durch -en ersetzt wurde.

Wie aus den citaten ersichtlich, w^ar im md. das nhd. paradigma am frühesten ausgebildet. Während der münch von Halle bereits hu 14. jh. nur noch den pl. gedanken kennt, schreibt der kilchherre von Sarnen (Stretl. ehr.) um die mitte des 15. jh.'s nur gedenke.

Die pluralform gedenken ist auch auf einwirkung des fem. zurückzuführen. Die häufige anwendung des plurals gedenke, aus dem bei Brant die dativbildung gedank entsprang, brachte eine so enge fühlung mit den fem. fi-a-stämmen zu stände, dass

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 309

der pl. zur w-flexion übertrat, aus der Pauli nach dem muster ivagen : wägen den nom. sing. gedanJcen neu bildete. Aus älterer zeit ist mir nur bei Mathesius der gen. sing, gedanl-en begegnet, der auch von Herder noch ausschliesslich gebraucht wird.

gefal stmn. Das m. n. gefal und der subst. inf. gefallen deckten sich im nhd. begrifflich vollkommen. Es erfolgte so frühzeitig eine gleichmachung der form zu gunsten des inf., während die doppel- geschlechtigkeit weiter bestand.

ns. (las teere dem rade ein gefallen 1438 bei Janssen 1, 424, ivolgefallen Eyl), D. 109, 17, gefallen Ejb, D. 135, 24:, tvolgef allen Lntlier, denn es ist euers Vaters ivolgefallen Alber, das es des andern guter tvill und xcolgefallen teer Zimm. ehr. 138, 9, gefallen Ayrer, Henisch, Weckherlin 2, 202, 2,* Stieler, Hempel, ivolgefallen Weckherlin 2, 374, 86.* Danach bedarf es für die gen.- form gefallens eigentlich keiner belege (vgl. indes Wilwolt 28. 52. 70, Luther, Serm., Augsb. 5, 367, 17. 400, 28, Rebhuhn, Mathesius).

Der nom. gefalle scheint unter einwirkung der mit ge- gebildeten neutralen jo-stämme und der abstracta glaube, iville u. a. geschaffen worden zu sein (ns. gefalle Schiller). In der älteren spräche ist er nicht üblich (vereinzelt steht ns. gefall J. v. Braunschw.), und noch Adelung hebt hervor, dass der nom. gefallen geläufiger als gefalle sei.

geloube, gloube swm. Die starke form des gen. wird mit dem ausgang des 14.jh.'s üblich.

gs. glaubens 1379 Gerh. v. Wirzb. bei Weizs. 1, 202, des Christenglaubens 1397 Leop.v.Ocsterr. bei Janssen 1, Suchenw.5,38 (vereinzelt), nnsers glaubens 1412 bei Janssen 1, 245, 2 m. Stretl. ehr. (neben glauben 2 m.), Rosenblut, Fo\z (glauben*), Wyle 178, 2. 348,1, Augsb. 2, 87, 14. 3,41,17. 58,23, Füeterer 298. 319, Wilwolt 12. 138. 146, Murner, Pauli, Manuel, Luther, Serm., Aveutin 681, 30. 626, 15. 774, 22. 789, 8, Zimm. ehr. 22, 25. 80, 35, Augsb. 4, 289, 7. 380,3. Die »-form des gen. sing, findet sich noch bei Mich. Beheim, Pnr- goldt, Eyb. E. 70, 16, Seb. Frank, Aventin 789, 17. 313, 1. 790, 18, Frischlin.* Mit beginn des 16. jh.'s indes muss die gen. -form glaubens als regel betrachtet werden.

Der nom. hat die alte form meist gewahrt; erst später wird die unorganische form häufiger, offenbar dem von dem voc. gen. ausgehenden drang nach einordnung in das System der wa-klasse nachgebend.

ns. glaub(e) M&iuz 1, 135, 10, Rosenblut, Folz, Stretl. ehr., Füeterer 276, geloube Wyle 347, 36, Eyb, D. 29, 7, B. d. beisp. 49, 19. 61, 1, Augsb. 4, 65, 6, Murner, Pauli, Manuel, Seb. Frank, Luther, Alber, Waldis 130, 24, Zimm. ehr. 20, 8, Sachs 239, 18, Frischlin, Ayrer, J. v. Braunschw., Weckherlin 2, 6, 6,

olO ^ MOLZ

Arndt, Schöpf, Schupp, Hempel ; ns. glauben Suchenwirt 41, 836. 915, Augsb. 5, 98, 9, Pauli, Seb. Frank, R. Fischer* 113, Moscherosch 10 (reJirjion, f/lauhcn und redlichJceit), Lohenstein 72, Chr. Weise 130, Haller, Popowitsch, Schiller.

name, nam swstm. 1) name swm.

Im 15. jh. wird die na-iorm des gen. sing, allgemein, gs. namens Füeterer 51. 61, Geiler, Wyle, Eyb, E. 79, 18, B. d. beisp. 11, 20. 57, 7; Zu- namens 1487 ürk. d. st. Arnst., Wilwolt 8, Murner, Pauli, Seb. Frank, Luther, Zimm. ehr. 12, 31. 13, 12, Aventin 893, 21, Alber, Mathesius, Sachs 198, 23, Ayrer, J. v. Braunschw. ; gs. «amen Mich. Beheim,* Folz, Aiigsb. 1, Rchr. 243, 4. Bib., Eyb, E. 79, 18, Luther, Serm., Sachs 4, 23.*

Der nom. sing, hat meist seine echte form gewahrt: ns. ««m(e) Mainz 1, 316, 8. 374, 4, Stretl. ehr.. Mich. Beheim, Eosenblut, Folz, 4. Bib., Füeterer 30. 268, Eyb, B. d. beisp. 53, 15. 130, 4, Sterz, sp. 37, 8, Weisskunig, Pauli, Manuel, Rebhuhn, Aventin, Luther, Alber, Mathesius, Zimm. ehr. 10, 7. 44, 29, 287,6, Nic.Herman38. 46, Sachs 252, 32, Volksb.v.dr.F. 19, 16. 62, 30, Frischlin, Ritter, Weckherlin 244, 155. 259, 74 u. ö.. Brücker, Schöpf, Schupp, Bödiker, Klopstock, Haller, Hempel, H.v. Kleist; us. noHie« Suchenwirt 41, 1199 u.ö., Wyle 344, 30, Eyb, E.53,20. 76,28, D.141, 1, Zimm. ehr. 68, 3. 136, 29, Luther, Just. Jonas, Mathesius, Nie. Herman 21. 37, Sachs 7, 14. 503,8, Volksb.v.dr.F. 61, 36, Girhert, Weise 225, Popowitsch, Schiller, H. v. Kleist. Bei Ayrer, dem Ostfranken, und J. v. Braunschw., dem Niederdeutschen, ist das Ver- hältnis der organischen zu den unorganischen formen des nom. folgendes: Ayrer nam{e) : namen 9:8, J. v. Braunschw. name : namen 10 : 1.

2) nam stm. Die vocalische flexion setzt sich im nhd. nur wenig fort. Kein denkmal weist eine rein voc. flexion auf. Es sind fast nur obd. Schriften, in denen zuweilen starke bildungen begegnen:

das. nam Suchenwirt 18, 280. 24, 313 u. ö., ds. mit nam häufig im reim bei Mich. Beheim, ds. nam, zunam Füeterer 30. 3, as. nam Füeterer 46, ds. nam Teuerdank, as. nam Mathesius, das. nam Frischlin.

Besonders häufig ist die voc. flexion bei Aventin, der allein auch den plural stark flectiert: ns. nam, gs. nams 789,13. 824,34. 825,18, ds. nam 636, 2, as. nam, zunam 605, 6. 635, 34. 589, 3. 601, 11 (vgl. namen 645, 2. 653, 27. 655, 8), np. 7iäm 641, 9. 646, 25 («« we« 646, 3), dp. nämen 630, 4. 636, 2. 650, 26, ap. näm, zunam 602, 25. 650, 27. 635, 9. In der Verbindung 7nü namen dagegen bleibt bei Aventin die cons. flexion stets bewahrt (vgl. 761, 15. 764, 20 u. ö.).

wille swm.

Schon mit beginn des reformationszeitalters ist die mischform des gen. gang und gäbe. gs. Unwillens Ulmer urk. v. 1385 bei Weizs. 1, 492; tvillens Augsb.2,221,5, Stretl. ehr., Wyle 163, 35, Füet.23. 112, B.d. beisp. 49, 24. 58,38, Eyb, E. 44, 3, D. 127, 17, Urk. v. 1493—95 bei Chmel, Purgoldt, Wilwolt 134; Unwillens Wi\vfoltli3; ividerwillens Augsb. 4, 44, 1 ; tvillens Luther, Serm.,

NHD. SUßSTANTIVFLEXION. 311

Pauli, Manuel, Rebhuhn, Aveutin 834, 19, Alber, Waldis 105, 19, Mathesius, J. V. Braunschw. Bereits im 15. jh. ist der gen. ?n7?ew Rosenblut vereinzelt.

Die echte nom.-gestalt hat sich meist erhalten, ns. imiüille Mainz 1, 70,36. 310,9; ivillie) Stretl. cbr., Rosenblut, B. d.beisp. 188, 7, Wyle 311, 23. 163,35. 164,2, Eyb; nnwin Ang&b. 5, 231, 12, imwill Wilwolt27; ?ci7Z(e) ebda. 57, Purgoldt, Pauli, Manuel, Rebhuhn, Zimm.chr. 137, 19, undericiU ebda. 112, 25. 113, 11, nmvm{c) ebda. 112, 31. 200, 33, Alber, Waldis 108,38, Mathesius, Sachs 76, 26, Volksb. v. dr. F. 18, 14. 110,10, Frischlin, J.v. Braunschw., Weckherlin, Ritter, Arndt, Girbert, Schottel 1122, Schlipp, Haller; ns. ivilleu Suchenwirt 33,88,* HvV?erH77/e« Augsb. 5, 62, 12. 392,14, Nie. Herman 27, ns. w«7feH Sachs 20, 530, 27, Volksb. v. dr. F. 77, 5. 116, 10, rnntwUlen ebda. 99, 29, tcidenvillen ebda. 26, 11; icülen Chr. Weise 5. 41, Schiller.

Die »-losen formen des acc. tciUe Matth. v. Beheim, M. 21, 31, unwüle Mainz 1,71,10 und dat. wüle* Waldis 222, 38 verdanken wol der md. dia- lekten eigentümlichen abstossung des n ihren Ursprung.

Wenn wir von dem acc. toill Manuel abstand nehmen, erscheint sonst nur die composition tnutioille in voc. flexionsform : gs. mutwüls Murner, Schelm., mutwilles Seb. Münster, ds. mutwill Manuel, as. mutwill Mathesius, Wieland, Tieck.

Zur erklärang dieser voc. flexion gibt uns Behagliels laut- gesetz eine handhabe. Das end-e in mutivüle musste fallen. Vom nom. aus begann dann die a- flexion räum zu gewinnen. Es ist das derselbe Vorgang, der sich bei den isolierungen wingert, Stuttgart u. ä. abgespielt hat. Doch war bei mutivüle der Zusammenhang mit tville im sprachbewusstsein stets zu lebendig, als dass die lautgesetzliche form mutivül hätte zum durchbruch gelangen können. Wenn es eines beweises bedürfte, dass der Zusammenhang mit iviUe in mutivüle lockerer ist als in unwüle, so wäre er durch die voc. formen von muttvül und der abwesenheit entsprechender bildungen von univül erbracht. vride, vrit swstm.,

nid. auch vrcde swstm. Abgesehen von der n-form des gen. sing, setzen sich die mhd. flexivischen Verhältnisse dieses «-Stammes bis ins 18. jh. fort. Einige nachzüglerische a- bil- dungen sind selbst noch im 19. jh. anzutreffen. An stelle der w-form des gen. tritt mit dem ausgang des 15. jh.'s die na-form.

gs. fncdens Mich. Beheim, Geiler, Augsb. 4, 381, 3, Agricola, Luther, Zimm. ehr. 33, 12, bunjfricdens Zimm. ehr. 449, 34, Alber, Mathesius, Mainz 2,65,22, Tsclmdi, Rollenhagcn, Opitz; gs. frieden Mich. Beheim, Geiler.

Die rein. voc. flexion ist in frühnhd. zeit mehr gebräuch- lich als die gemischte. Bei vielen Schriftstellern gehen beide flexionsarten nebeneinander her.

312 MOLZ

Aus den zahlreiclien belegen hebe ich einige hervor. Mainz 1 ns. freäc 30, 21, friäe 358, fi, ds. landfrkle 356, 17, friden 357, 27, as. fr/rfe 140, 22, freden 30, 15. 33, 6. 37, 19 u. ö. ; Augsb. 1 gs. unfrides 301, 18, as. landfrid 101,12; Mich. Beheim gdas. friden, gs. frids, as. frid; Augsb. 3 das. frid 6,8. 13,1. 36,1; Füeterer ?iS.frid 3, gs. frids i2; Eyb gs.frides, ias.fride; Wilwolt gs. frids 20, das. frid 27. 20. 47, as. friden 46; Weisskunig as. /"nc? 264; Pauli ds. friden 9 m., as. frid : friden = 11 : 11; Augsb. 5 gs. frids 303,29, as. fmZ 400, 13, friden 162,16; Luther, Aventin flectieren meist stark; Rebhuhn das. frid; Zimm. ehr. as. friden 39,35; Nie. Herman das. frid 5. 35. 39; Waldis as. frid 72, 32. 88, 19, friden 14, 268. 72, 13; Sachs gs. frides 293, b. 339,18, das. frid 18,33 u. ö., ds. friden 24,22; Ayrer ds. frid und friden, as. frid; J. v. Braunschw. ds. friede : frieden = 9:1, as. fride Im.; Rollenhagen gs. frides (nmlfridens); Opitz, Fleming as. fride; Schupp ds. frid; Gryphius ds. fride 36,47; Chr. Reuter as. fride.

Der grammatiker Pölmann (Berlin 1671) lässt die starke und schwache flexion von friede in geltung; daneben auch ns. frieden, gs. friedens. Aus noch späterer zeit eitlere ich nach Andresen a. a. 0. s. 29 Lessing ivie lange haben tvir schon friede, Goethe und segnet fried und friedenszeiten, Schiller fried und Versöhnung bieten, Goethe und G. Freytag friede bringen, Bürger und machten endlich friede.

Es sind das die letzten ausläufer der einstigen voc. flexion. Die alte form hatte sich also zuletzt nur noch in dem mit dem nom. correspondierenden acc. erhalten, und auch hier nur, wenn die casusfunction durch den mangel des artikels oder ergän- zender epitheta nicht deutlich auf die schwelle des bewusst- seins trat.

Für die echte nom.-form bedarf es keiner belege. Sie ist stets allgemein giltig gewesen. Die unorganische form frieden ist selten:

ns. landfriden 1398 bei Janssen 1, 49, B. d. beisp. 85, 38, Wilwolt 378, Manuel, unfriden Zimm. ehr. 257, 13. 43, 19, Mainz 2, 71, 20.

2) Zweite mischklasse.

Typen schmerz, dorn.

Die eigentümlichkeit der flexion dieser klasse besteht in dem Wechsel von vocalischer bildung des sing, und consonan- tischer des pl., ganz den fem. a-w -stammen und den neutralen M- Stämmen aiige, ohr entsprechend. Die stamme, die in diese klasse eingetreten sind, haben verschiedene herkunft: zum teil sind es alte m- stamme: schmerz, zum teil alte «- stamme: dorn (^<?-stämme gau, see).

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 313

Tj'pus schmerz.

1) Die j(-stämme. X}fau,psahn, schmerz, spatz, Untertan, vor fahr, hauer, nachhar, vetter, gevatter, sporn, flautn. Es entstellt die frage, welche kräfte im spiele waren, um den sing, zum aufgeben der w-flexion zu veranlassen. Für die meisten fälle zugleich kommt nur eine negative seite zu gunsten des starken sing, in betracht: bei den meisten war vornehmlich der pl. in gebrauch; der seltener verwendete sing, konnte so aus der gruppengemeinschaft mit dem pl. heraustreten, zumal die a-forni des nom. zur voc. flexion hinüberleitete. Im einzelnen spielen noch andere factoren in die entwicklung hinein: welche, wird sich bei der aufzeichnung des historischen Verlaufs der Verschiebung ergeben.

pfau.

mild, phäive, pfä swm., pfau swm. Boner (gds.). Folz (g's.), Waldis (as. 111, 29), Pölmann, Aichiug-er, Heinze, Braun, Nast, Jean Paul (gs.), Gutzkow (gs.)- Die starke form ist vereinzelt: as. pfau Spee. pfau stm. Hempel, Adelung. Die gem. declination wird von grammatikeru des 19. jli.'s gefordert. Noch heute dürfte die rein cons. biegungsart üblich sein.

spatz, mhd. spaz, spatze stswm. Im nhd. erhielt sich die /«-form des pl. unter dem einfluss der bedeutungsverwanten//;i/jc«;/a/Ä,cji; amseln, drosseln u. a.

psalm. mhd. sahne, salm swstm. Die nhd. flexionsweise bildet sich im 16. jh. aus.

as. fliichsalm Augsb. 1, 118, 26 (14:07), ds. psahneu Luther, Serm., psalm Just. Jonas, ni^. pisalmen Pauli; psalm swm. Manuel, ns. psalm im., psalmen Im. Manuel, np. f?aHÄ;j3.saZm Nie. Herraan 5. 6. Mathesius gs.^jsaZms 2 m.., ds. 2JS«Z«8 4 m., d^^. psalm 5 m., g]). psalm 2 m., &,]).psah)ien4:ia., psalm Im.; Spangenberg iis. psalm ibS, gs. 2)salmcn GO, psahnoislbö; ds. lobpsalmen b2, psalm 40. 61; as. psalmen 43. 44. 48. 50. 51, psalm 4:2. 44. 47. 51; Frischliu Hi]}. psalmen, Morhof pl.jjs«?me 756 (vereinzelt); psalm swm. Hempel, Braun, Nast, psalm m. gem. 11. Frisch, Aichinger, Adelung.

Man kann mit recht die frage aufwerfen, Avarum das wort nicht zu den w6<-stämmen (vgl. Manuel) übergetreten ist. Ob es die ausbildung eines svarabhaktivocals (psalem) war oder die festhaltung der voc. flexion im sing, besonders nach den Ordinalzahlen, die den übertritt zu den na-stämmen liemmten, entzieht sich einer sicheren entscheidung.

314 MOLZ

Zu der letzteren anualime stimmt die flexion bei Alber, "W. d. v. 1. d. C. ds. nach dem psahnen, as. einen ganzen psalmen, aber im 39.psalm, im lOO.psalm, wie im llO.psalm stellet.

schmerz, mild, smerze SAvm. Der w-stamm smer^c diirclilief in nlid. zeit verschiedene phasen der entwicklnng. Znnächst erfolgte im laufe des 15. jh.'s wie bei den w-stämmen glaiibc, iville, name die mischnng des gen. mit der a-flexion:

gs. schmerzens Geiler, Füeterer 289, Wyle, B. d. beisp. 93, 29, Eyb, E. 94, 10 (gs. schmerzen 2 m.).

Zuweilen taucht auch die unorganische nom.-bildung auf:

ns. schmerze Eyb, E. 81, 1, Luther, Kalloaudro 1, 86; schmerz Ayrer, Weckherliii 2, 272, 28. 273, 33, Kalloaudro 2, 278, Stieler, Frisch, Bödiker 3, Gottsched, Hempel, Weber, Heinze, Braun. Hemmer, Adelung, aber us. schmerzen Eyb, E. 8-i, 10, Sachs 202, 18, Dietenberger, Ayrer, Kalloandro 2, 220, Hofmanswaldau, Stieler, Nast, Adelung, Schiller in s. j.

Alle hier erwähnten autoren und grammatiker flectieren ns. schmerz schmerzen, gs. schmerzens, das. schmerzen, aber as. schmerz Gottsched, Heinze. Für das festhalten dieses entwicklungsstandes noch einige belege : as. schmerzen B. d. beisp. 95, 9 u. ö., Füeterer 210. 211, Rebhuhn; ds. schmerzen Zimm. ehr. 70, 29. 185, 19, das. schmerzen Sachs 443, 25. 130, 9, as. schmerzen Spangenberg 20, gs. schmerzens Weckherlin 2, 66, 14 u. ö.. Schupp, Kalloandro 2, 240, ds. schmerzen S. Dach 156,* das. schmerzen Haller. Nur gs. schmerzens Herder, Klinger, Wieland, Schiller, Goethe, Uhland.

Bis tief ins 18. jh. hinein hatte sich also die flexionsweise des 15. jh.'s behauptet, und besonders beharrlich zeigte sich der gen. schmerzens, der an dem reim wort herzens eine mächtige stütze fand.

Die nlid. art der biegung bereitet sich im 16. 17. jh. lang- sam vor.

Vereinzelt steht gs. Schmerzes Geiler. Die a-form des das. begegnet in der älteren zeit vornehmlich in der bindung as. schmerz 2 m.* Folz, as. schmerz* Manuel, as. schmerz Waldis 228, 12, das. schmerz* Sachs 30, 29. 10, 51, 36, as. schmerz* R. Fischer 117, und in präpositionalen Wendungen ohne artikel: w/i sc/w/zcr^ Rebhuhn, «hj sc/twer^ Waldis 153, 30, vor, mit schmerz Ayrer.

Das nd. gebiet war in der ausbihlung der heutigen flexion anderen landschaften vorausgeeilt: J. v. Brannschw. ns. schmerze Im., A^?,. schmerz 2 ra., pl. sehmerzen sehr häufig, Morhof, Ged. as. schmerz 239, Steinbach ns. schmerz, As. schmerze, &s. schmerz, j)l. schmerzen; vgl. Bojunga 59, anm.

Der sieg der gem. flexion bedeutet syntaktisch ein stärkeres hervortreten des plurals. Die formen des sing, wurden von dem

I

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 315

«-iiom. aus unter vorantritt des acc, der in dem acc. herz eine lautlich-functionelle entsprechung fand, mit der a-flexion gleicli- gemacht.

Untertan, mhd. undcrtän stm., undertäne swm. Untergang der rein voc. flexion, Verteilung beider flexionsarten, getragen von dem streben nach numeraltrennung: so könnte man kurz die aus- bildung der gem. flexionsweise charakterisieren.

Bereits Aventiu flectiert in ganz moderner weise : as. «»f er toi 864, 28, ap. Untertanen 865,6; Sachs ds. Untertan 215,40, ap. Hnfe;-f«H* 329, 14. In dem zuletzt erwähnten ap. liegt wol nur eine cons. Verschmelzung vor; vgl. dp. mit allen iren Untertan Augsb. 5, 332, 1, as. tmtertanen Mathesius, ds. Untertan Hofraanswaldau. Lessing, Wieland, Hebel (Gortz. 2, 420) weisen noch cons. sing.-formen auf, die auch heute ihre giltigkeit noch nicht ein- gebüsst haben, unterthan swm. Nast, Schiller in seiner Jugend, gs. unter- thans Schiller, Dreissigj. kr. Die gem. flexion wird vonAichinger, Adehing gefordert.

Vorfahr.

mhd. vorvar swm. gs. vorfars Zimm. ehr. 42, 8 ; vorfahr swm. Nast. Die n-declination gilt noch heute.

bau er. mhd. hure, Mir swstm. Das auslautende e wurde abgestossen. Nach der diphthongierung entwickelte sich dann vor r im aus- laut eine svarabhakti (vgl. geier oben s. 265). Auch setzen die nhd. formen mauer, feier, leier, Steuer die bereits mhd. üblichen apokopierten formen rtiür, fir, (lir), stiur als grundlage voraus (vgl. dagegen Behaghel, Germ. 23, 268).

Die diphthongierung unterblieb bei dem Hochalemannen Manuel : gd. as. buren (s. Pauli w. u.). Die form des nom. lautet in denkmälcrn des 15. 17. jh.'s battr; daneben erscheint die mehr phonetische Schreibweise lauer, ns. buur Alber, Ayrer, Weise 95, buer, bauer Pauli, bauer Uittar, Schöpf, AVeise 96, Stieler. In den obliquen casus hatte die aus dem mhd. huren sich ergebende form bauren bis tief ins 17. jh. die herschaft behalten: gdas. buren, bauren Pauli, gds. bauren Waldis23, Mathesius, das. bauren Frischlin, J. v. Braunschw., Ayrer, Spangenberg (as. 123), Chr. Weise 92. 95, Stieler dp. bauren; Nast noch ns. baiier, gs. bauren. Daneben steht ver- einzelt gdas. bauern Volksb. v. dr. F. 11, 3. 77, 23. 84, 2. Streng durchgeführt sind die nhd. formen bei Steinbach ns. bauer, gdas. bauern, pl. bauern.

Es handelt sich also hier um eine verschiedene lautliche entwicklung des nom. sing, und der obliquen casus. Bei dem nom. haur und bauer herscht nur ein graphischer und kein phonetischer unterschied; anders bei hauren und hauern. Der

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iiom. hauer führte allmählich zu den obliquen formen hauern, und damit war zugleich dem einfluss der starken flexion grösserer räum gegeben; denn jetzt bestand neben der völligen formengieichheit des nom. lauer eine teilweise der obliquen casus mit den masc. auf -er-suffix. Auch wäre an eine rück- wirkung der durch analogisches s in der compositionsfuge ent- standenen starken gen.-form in Zusammensetzungen zu denken.

Ayrer flectiert us. &«?»•, g^.hauren\ aber folgende Zusammensetzungen bildet er mit starker gen.-form: hauersgcstalt, bmiersTcnecM, hcmersMcid, bauersmaid, baucrsmann (banersmann kommt schon bei Eosenblut vor). baucr swm. Gottsched, Heinze; baiier gem. flexion Hempel, Braun, Adelung. Die nhd. starke form des sing, ist in früheren Jahrhunderten nur vereinzelt zu belegen: as. bauer Mich. Beheim -109, 21, Fleming; Herder. Ueber das schwanken der flexion zwischen cons. und voc. formation des sing, in neuerer zeit vgl. Gortzitza 2, 410 ff.

n achbar. mhd. näcli-hüre, näch-hür swstm., frühnhd. nachhaur, nachhar swstm. Die form nachhar, die durch Schwächung der neben- tonigen Stammsilbe entstanden ist, gewinnt auf md. und nd. boden am frühesten allgemeine aufnähme.

Hervorhebung verdient die meist voc. flexion bei Purgoldt : gs. nacke- burs, nacJcbaiors, das. nackebur (ds. nacJcburen vereinzelt), np. seine nachbar, gp. nachbur, nachbar. Die cons. flexion ist in anderen denkmälern, die der frühzeit der nhd. spräche angehören, allgemein: gs. nachbaurn Rosen- blut, as. nachbauern Eyb, das. nachburen Pauli, us. naclibauer und nachbar Alber, gs. nachbauren Waldis 117, 50. 235, das. nachbarn Mathesius, nach- baur swm. Ayrer, ds. nachbauren E. Fischer 21. 210, gs. nachbarn Fleming, dp. nachbauren Schottel 1138, ap. nachbarn Schupp, as. nachbarn Weise 53. Die nhd. flexionsweise ist bei J. v. Braunschw. schon ziemlich ausgeprägt : ds. nachbarti 4 m., nachbar 4 m., as. nachbar Im. Vereinzelt steht Itei Rebhuhn schon ds nachbar Im., ds. nachbarn 2m.; gs. nachbars Haller 1. aufl. Steinbach flectiert rein vocalisch pl. nachbare. Aichinger flectiert rein consouantisch. nachbar gem. flexion Hempel, Weber, Nast, Adelung. Bei den dichtem des sturms und drangs überwiegen im sing, die starken bildungen (vgl. Gortzitza 2, 411 ff.). Heixte dürfte die gemischte flexion regel sein.

Vetter.

mhd. vetere, veter swm. Der übermächtige einfluss der mit -er-suffix gebildeten masc. und lautähnlichkeit mit dem eng verbundenen vater bewirkten im sing, frühzeitig ein sporadisches übertreten zur a-flexion:

as. Vetter Augsb. 1, 312, 4, gs. vetters Augsb. 3, 202, 19, 4. Bib., ds. vetter Urk. d. St. Arnst. 1490, gs. seines vetters und vatcrs Aveutiu 592, as. vetter

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 317

Aventin, gs. vetters Seb. Frank, ds. vetter Ziram. ehr. 144, 2 (mvl sogar ap. Vetter ebda. 145, 13, vgl. ap. reücrn ebda. 146, 29), as. rfZ/ey Weise, Erzn. 96. Die cons. flexion bleibt dessemuigeachtet bis ins 18. jh. herscbend: vetter swm. Füeterer (gds. 69. 70), Urk. d. st. Arnst. 1496 (das.), Paiili (gds.), Seb. Frank (as.), Aventin (gds.), Zimm. ehr. (ds. 135, 34. 361, 33, as. 174, 31), Luther, Just. Jonas, Volksb. v. dr. F. 24, 13. 80, 16, Kalloandro 2, 247 (ds.), Abraham, Aichinger; vetter gem. flexion Hempel, Weber, Adelung. Wenn man Gortzitzas angaben (2,410) als zuverlässig betrachten darf, war die gem. flexion bereits zur zeit der blute unserer literatur allgemein regel. Nur bei Goethe, Wetzel, Spindler ist noch der gen. vettern belegt. Das Schicksal von vetter teilte gevatter.

mM. gevatere, gerater SV/m. geratter swm. Rosenblut (das.), Nürnberg 5 (as. 628, 1), Alber (as.), J. v. Braunschw. (as.), Ayrer (gdas.), Aichinger; ds. gevatter R. Fischer 32, as. gevutier Weise, Erzn. 97; ds. gevattern F.Müller; gevalter m. gem. flexion Hempel, Adelung. Ayrer das. gevatter tod, vgl. nhd. Jierrgott, und durch sein vetter herzog Ludwigen Augsb. 2, 60, 9.

sporn, pl. Sporen (und spornen), mlid. spor, spore swm. Die ent- wickliing ist hier eine ganz analoge wie bei den wa-stämmen, und nur die späteren Schicksale des Wortes, die aus der durch Synkope aus dem engern Zusammenhang mit dem pl. losgelösten form des sing, fliessen, berechtigen an dieser stelle von seiner flexion zu handeln.

a) Der sing. Die unorganische form des nom. ist aus .dem pl. ent- sprungen. Die zu erwartende form Sporen tritt nur zuweilen auf: ns. sporen Wyle 345, 5, Hempel, W. Alexis. Das e der endung wurde nach dem muster von dorn; Jcorn, zorn synkopiert; ns. sporn Dasypodius, Schöpf, Stieler (neben spor), Steinbach, Frisch. Zu dem nom. sing, sporn vgl. noch Weckherlin 2, 347, 45 ff. diser schimpf (so nennet es ir zorn) Verwundend ihre hrust als ein dorn oder sporn Hat sich in aller eyl zu rechen, sie getrieben.

b) Der plural. Der pl. lautet in älterer zeit stets und in jüngerer zeit mit wenig ausnahmen sporen. Die häufigkeit seiner anwendung schützte ihn bis heute vor der erfolgreichen Wirksamkeit analogiseher einflüsse, denen der sing, sich nicht entziehen konnte, pl. sporen Pauli, Maaler, Sehottel 1116. 1131 (dazu und zu dem folgenden vgl. Gortzitza 3, 11 ff.). Selten er- folgte auch im pl. Synkope des e der endung: pl. sporn Pauli vereinzelt, Frisch, Grimm zuweilen.

Die nhd. flexion, wie sie sich im IG. jh. ausbildete, fügte sich in kein System. Diesem übelstand abzuhelfen, schuf man nach dem vorbild von dornen, stacheln von dem unorganischen ns. s^wrn aus einen w- plural: spornen Stieler (neben sporen), Russ. gramm., Immermann, W. Alexis; und nach dörner die form

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spörner Steinbach, und in Übereinstimmung mit der flexion des sing, bildete man einen a-pl. sporne: Hempel (neben sporen), Braun; Klinger, Lenau.

Die ps3'Cliologiscli meistbereclitigte form spornen kann auch heute in der Schriftsprache Verwendung finden.

flaum.

mhd. phlmne swf. Stieler, Steinbach kennen nur pflaumfeder. Bei Friscli ist noch in der form pjlamn das fem. gewahrt. Das streben nach lautlicher differenzierung von pflaume, mhd. plilüme bewirkte die ortho- graphische anlehuung an feder (vgl. Gottsched 121 flaitmfedern, pflaumen [= fruchte] ).

Das masc. der flaum, das eine art collectiv zu dem pl. darstellt, ist aus diesem entsprungen, indem die ähnlich klingen- den bäum, säum, räum, schäum, iraum für die prägung des masc. genus ihre kraft einsetzten, und indem die existenz einer masc. mischklasse einem solchen Übergang förderlich war.

Typus dorn.

2) Die «-Stämme. dorn, forst, gau, lorheer, niast, strolil, sierat, sins, ritz, see, spalt. Während bei den erwähnten n- stammen die seltenere singulare function von dem a-nom. aus zum aufgehen der M- flexion des sing, trieb, war bei den a- stammen die oft ge- brauchte plur. function die treibende kraft, die zur annähme der n-torm des pl. drängte. Der a-pl. dorne, obd. dorn z. b. konnte, nachdem die Verschiebung der w-a-feminina statt- gefunden, durch den mangel eines deutlichen kennzeichens seiner plur. function nicht weiter bestehen: die häufigkeit der an Wendung drängte ihn mit den fem. «-a- stammen in eine gruppe. Bei ritz, spalt, see und vielleicht auch strald war es die w-pluralbildung der fem. nebenform, die für den pl. des masc. Stellvertretung übernahm.

dorn.

mhd. dorn stm. Der plural, der nach einem kriterium seiner function verlangte, konnte auf viererlei arten gebildet werden:

a) wie im mhd. durch antreten eines flexivischeu c : pl. dorne Boner, np. dorn* (dp. dornen) Eoseublut, ap. dorn 4 m. Pauli, np. dorn J. v. Braun- schw. pl. dorn Henisch, pl. dorne Pölmaun;

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 319

b) durch umlautung der Wurzelsilbe : pl. dorne Eyb, iip. dorn, dp. dornen, dornen Manuel, dp. dornen Luther, dp. dornen Aventin 899, 15, pl. dorn Maaler92, dorne Pölmaun;

c) durch das neutrale -er: pl. f/örncr Eosenblut, 4. Bib., Eyb, E. 77, 23, D. 139, 10, (dorner) Purgoldt, Affricola, Aventin 800, 13. 19, Alber, Nie. Her- man 54, Sachs, Dietenberger, Ayrer, Friedr. Spee, Job. Rist, Pölmaun, Stieler, Günther, Jesuitenpoesie 48, Steinbach, Gottsched, Dornblüth, Lessing, Hempel, Aichinger, Braun, Popowitsch, J. Grimm ;

d) durch die annähme der w-gestalt: pl. dornen Geiler, Wjde 81, 19, Eyb, E. 54, 1. 6, Purgoldt, Pauli, Luther, Ayrer, Henisch, Fleming, Hofmans- waldau, Pölmaun, Steinbach, Frisch, Hempel, Adelung, Grimm, ^'ereinzelt steht np. törnen Wyle 81, 38, der einen ns. tarnen voraussetzen würde (vgl. gedanke). Zwischen dem pl. dornen und dörner construieren einen be- deutungsunterschied Gottsched, Deutsche sprachk.^ s. 242, Hempel s. 241.

Nach den belegen hefschte im 15. und 16. jh. ein chaotisches gemisch von allen pluralischen bildungen, die mit den flexivi- sclien mittein, die zu geböte standen, geschaffen werden konnten.

Der «-plural erwies sich am wenigsten, besonders wegen der häufig eintretenden apokope, dem streben nach wirksamer numeralscheidung entsprechend. Der ?-pl. dörn{e) scheint be- sonders in der Schweiz üblich gewesen zu sein; wenigstens herscht bei Manuel und Maaler einheit der formen. Der r-pl. dörner, der durch die eng verbundenen hlätter, gräser, läuber, spreuer \ Immer entstanden zu denken ist, hatte allgemeine Verbreitung, wie das ja seinem rein associativen. Ursprung nach nur zu erwarten steht. An die stelle der «-pluralbildung trat früh der w-plural dornen.

forst. mhd. forst stm. Der pl. lautete früher um: pl. forste Weckherlin, Stieler, Günther, Steinbach, Braun, Nast; ]}\. forste Goethe. Neben dem pl. forste gilt heute forsten, zu dem die pl. auen, loiesen, wcüdungen zu ver- gleichen sind.

gau.

mhd. gön, gou stn. Aventin np. gim 678, 12, ap. gute 642, 11.

Diese formen gehen auf mhd. gäu, ahd. gomvi zurück. Nach langer Vergessenheit wurde gau erst im 18. jh. wider geläufig. Wie ist das nhd. masc. genus möglich? Die Syno- nyma hezirh, district, Ireis, Icanton waren bei der geschlechts- gebung vorbildlich. Auf der andern seile war das n. gestützt durch die landschaftsbezeichnungen Allgäu, Breisgau, liheingau, Nordgau.

gau n. Friscli, gau m. Nast, gau m. u. Adelung.

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Die formale seite bot für das m. einen neuen Stützpunkt. Der pl. gauen, der schon bei Schottel begegnet und später ziemlich allgemein üblich wird, war dem fortbestehen des neutr. genus hinderlich: bei der bedeutenden numerischen Über- macht der träger der masc. mischklasse gegenüber den Ver- tretern der neutralen mischklasse trat gau in die mischklasse der masc. ein.

pl. gaue und gauen Adelung', gerne Nast, Hebel, Uhland, gauen Goethe, W. Alexis, Hebel (vgl. DWb. und Gortzitza 3, 3).

lorbeer. mhd. Urler stnf. Der Wechsel des geschlechts liegt in der Wandlung des begriff s begründet: lorheer = lorheer-haum und lorhcer fig. = preis, rühm. Der pl., begrifflich vom sing, los- gelöst, geht in seiner w-gestalt auf das mhd. fem. zurück (vgl. DWb. und Gortzitza 3, 3).

mast.

mhd. mast stm. pl. mäste Klopstock, Gr. gespr., Aichinger, Adelung, Uhland, An. Grün; pl. mästen Stieler 1286, E.Kleist, Herder, Wieland, Goethe, Schiller, H. v. Kleist (vgl. Gortzitza 3, 3).

strahl, mhd. sträle stswf., sträl stmf. Man könnte von dieser grundlage für die nhd. formen eine einfache mischung von masc. und fem. flexion annehmen. Indes scheint die beinahe ausschliessliche herschaft des männlichen geschlechts in der nhd. epoche diesen schluss zu verbieten.

Vgl. gs. strals, das. stral Stretl. ehr., das. stral B. d. beisp. 91, ap. sträl Zinim. ehr. 288, 1, strahl m. Da.sypodius, Stieler. Das fem. findet sich nur bei Maaler: straal (vgl. Michels, Zum Wechsel des nominalgeschlechts im deutschen, Leipzig 1889, s. 34 f.). Das fem. die strahle Steinbach scheint mir für das fortbestehen des weiblichen genus nicht beweiskräftig. Viel- mehr liegt hier eine neuschüpfung aus dem pl. strahlen vor. Der mit i gebildete plural ist vereinzelt : Zimm. ehr. ap. s/n>7 288, 1, ä}^. strälen 288, G. Ohne i;-plural noch n'p.strale Luther (dp.,s/r«?en Waldis212,102), ap. donner- stral, gp. i:il geschnitter stral Ayrer.

Die nhd. flexionsweise wäre, wenn wir von der möglichkeit des einflusses des fem. absehen, lediglich durch den häufigen pluralgebrauch veranlasst.

pl. straalen Henisch unter blitz s. 421, ap. strahlen Kalloandro 1, 68, pl. .s/ m/f/en Morhof, Ged.18. 1-11; strahl mit gem. flexion Stieler, Russ. gramm., Frisch, Hempel etc. Herder \)].slruhlcn, aber hlitsstrahlc, Steinbach strahlm., pl. strahle, strahle 1"., pl. strahlen.

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 321

Zierat, mhd. sieröt. pl. ziemten Stieler 1475, sierat gem. flexion Weber, Adelung-. Der Niederdeutsche Morhof (Unterr. 547) gebraucht sierut mit fem. genus.

zins. mhd. ziiis stm. Die w-pluralbildung ist in älterer zeit kaum üblich: ap. zinse und rent Rosenblut, pl. zi^ise Urk. d. st. Arnst. 1481, pl. die zins und renten 2m. Pauli, gp. zins Mathesius, ap. zins Frischlin, ap. zinse ß. Fischer 88, pl. «/us<? Steinbach, Frisch; n-plurale: seiner Zinsen und gulten Chmel 428, gp. zinsen Zimm. ehr. 269, 3.

Der nhd. plural Winsen, der, von dem vereinzelten auf- tauchen in älterer zeit abgesehen, zuerst bei Stieler 2651 er- scheint und später von den grammatikern Hempel und Weber als norm aufgestellt wird, ist durch die bedeutungsentwicklung des Wortes vom sing, in gewissem grade losgelöst. Der mzs bedeutet die abgäbe an den grundherrn, miete; daher boden- mns, Jiausmis u. a. Für den pl, zinse dagegen wurde im laufe der entwicklung ausschliesslich die bedeutung von 'entgelt für geliehenes capital' geprägt, und in dieser häufigen Verwendung musste die form zinse durch die Übermacht der fem. w-a-stämme gedrängt die w-gestalt annehmen; vgl. auch abgäben, steuern. Eine aus dem pl. entsprungene nebenform die zinse Stieler, Steinbach machte kein glück.

ritz.

mhd. riz, ritzes stm., nebenform rizze swf. Die bedeutungen des m. und f. greifen schon mhd. ineinander über.

ritz ra. Maaler, ritz m., ritze f., pl. ritze Stieler, ritz m., pl. ritze Stein- bach, ritz m., pl. steinritzen, voller ritze Frisch, ritz m., pl. ritze Gottsched bis Grimm.

Das m. trat also gegenüber dem f. in nhd. zeit, und zwar durch seine eigenschaft als verbalabstractum, mehr in den Vordergrund (vgl. auch spalt, riss). Im pl. ist zwischen m. und f. formenausgleich eingetreten.

see.

mhd. se, seivcs stm., nebenform sc stf. Beide geschlechter des ^<'^■- Stammes se werden im mhd. ohne unterschied der be- deutung gebraucht.

pl. seu'c Wyle, pl. seen Lutlier, Seb. Münster, Stieler, Steinbach, Frisch, Adelung.

Die nhd. Scheidung zwischen die see 'mare' und der see 'lacus' findet sich erst bei Frisch vollständig ausgeprägt.

Beiträge zur gescliichte der deutschen spräche. XXV II. 21

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see m. ' stillwasser ' Maaler; see t Stieler; see f. quibusdam etiam der Steinbach.

Spalt.

mhd. spalt stm., nebenforni spalte stf. Der pl. wurde in frühnhd. zeit, wie es scheint landschaftlich beschränkt, mit umlaut gebildet: ap. sjjeZi Pauli, pl. S2)ält Dasj'podius (unter rivia), spalt m. Dasypodius, Maaler, i^palte f. Stieler, Spalt m., pl. spalte, spülte Steinbach, spalte f. Steinbach, sjxdt m., hei einigen die spalte, gp. voller spalte Frisch. Im pl. wurde im uhd. die fem. neben- fonn spalten herschend (vgl. ritz).

Die bezeichnungen lebender wesen mit cons. flexion (hauer etc.), die in die mischklasse eintraten, gaben nur langsam und noch bis heute nicht vollkommen die cons. flexion des sing, auf; sie hatten an der w-declination, deren träger im nhd. fast nur bezeichnungen lebender wesen sind, einen starken rückhalt. Hinzu kam das stets erneute streben nach ausgleich mit dem w-pl. Den grad der stärke dieses dranges kann man ermessen aus der rück Wirkung, welche die w-plurale starker masc. auf den sing, ausübten. Nur in älterer zeit, als erst all- mählich bei den masc. die ausbildung einer mischklasse platz griff, finden sich spuren der ausgleichung: as. dornen Luther, Strohalmen Alber. Welche momente für gedanc, das einzige starke raasc, das unter denselben bedingungen wie die hier erörterten vom pl. aus noch weiter verschoben wurde, ins ge- wicht fallen, haben wir gesehen.

Der einfluss der w-pluralform und damit das streben nach einordnung in eines der grossen declinationssysteme ist also nicht hoch anzuschlagen: es siegte das bedürfnis nach deut- licher Scheidung der numeri.

Wie lebenskräftig im laufe der entwicklung die misch- klasse wurde, lässt sich an dem eintritt einer reihe von fremd- wörtern in ihr System erkennen: diamant aus frz. diamant, muslcel aus lat. musculus, nerv aus frz. nerf, trujjj) aus it. truppa, Jmmnier aus nl. Immmer, staat aus nl. staat. Die beiden letzten haben bei der herübernahme nur die ihnen in nl. spräche eigen- tümliche flexion gewahrt.

diamant: pl. t^ewanie Steinbach, diamaide Lessing, dia^nanten Henii^el, Adelung. niuskel: muslcel m. Frisch. Aus dem pl. muskeln hat sich die fem. nebenform (^Z/e «««s/cenierausgebildet. nerv: im 16. jh. aus dem franz. als masc. entlehnt, wurde nerv nach den a- stammen tlectiert. Der häufige gebrauch im pl. veranlasste die Jt-form nerven, aus dem ein fem. geschafteu wurde: nerve fem. Frisch, Herder. Eine spätere anlehnuug lUi

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 323

das lat. bewirkte von neuem das masc. genus. trui)p: /r»j:)jjm., ])\.truppen Stieler, Steinbach. Das fem. die truppe ist wol aus dem frz. la troupe her- zuleiten; doch könnte auch eine neuschöpfuug aus dem pl. zu gründe liegen, ygl.posse fem., Behaghel, Germ. 23, 270. hummer: hutnmer m. gem. fiexion Adelung. Staat: staut m. gem. flexion Steinbach, Frisch, Hempel etc.

Uebertritt der masculina auf -el, -er in die mischklasse.

Für eine reihe von masc. auf -el, -er bedeutete die ge- mischte flexion nur ein übergangsstadium zum eintritt in die klasse der feminina: der formalen identität des pl. mit den fem. liess man den ausgleich im genus folgen. Meist bot indes auch die begriffliche seite der Wörter manche berührung mit den femininen. Es traten so zu den fem. über:

angel.

mild, angel stm. angel m. Dasypodius (unter aculeus), Sachs 402, 1, Maaler 20, 2 ; angel m. f. HenischSO, pl. fussangeln Heuisch 1318; angel m., pl. angeln Stieler 764, angel m. f., pl. angel, angeln Steinbach.

Zum Wechsel des geschlechts wäre an angeln der tür, fuss- angeln und nach Bojunga an angelrute, angelleine zu erinnern.

hummel.

mhd. humel stm.; vgl. hieyie, wcspe, fliege. Noch heute ist das masc. nicht ganz erstorben.

fessel.

mhd. vezsel stm. ; vgl. kette, pl. handfesseln, fussfesseln Henisch 1075. fessel m.: tvie zum fessel, da man ihn züchtiget Henisch 1075. fesseln pl. tant. Stieler 438. Dem Niederdeutschen Morhof ist nur das masc. ver- traut, und der pl. lautet fessel: die liebe schleust die weit in ihre fessel ein und tceil auch die fessel selbst nicht härter binden können Morhof, Ged. 124 und 125. fessel m., pl. fessel Steinbach 414, pl. fessel Frisch 261.

Staffel.

mhd. Staffel stswm; vgl. stufe, sprosse, treppe; Staffel m. Wyle46, 29, Staffel f. Stieler 2110.

ammer,

mhd. amer stm. ; vgl. amsel, drossel Das männliche geschlecht besteht noch heute neben dem fem.

maser.

mhd. maser stm. Nur der pl. in der form masern ist heute geläufig.

Bei diesen war es also die häufigkeit des pluralgebrauchs und günstige begriffliche Verbindung, die die weitere Verschie- bung zur folge hatten.

21*

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Wie "wird es mm sein, wenn wol die häufigkeit der plu- ralisclien Verwendung- durch den w-pl. eine formale berülirung mit den fem. im gefolge hat, die begriffliche Verbindung aber dem w^echsel des genus sich hemmend in den weg stellt? In diesem falle behält die begriffsklasse die Oberhand. In dieser phase der entwicklung stehen:

Stachel, mhd. Stachel stm. Die Synonyma dorn, sporn, mit denen auch die flexivische entwicklung von stacliel hand in band gellt, hinderte den übertritt zum fem.:

Stachel m. as. Waldis 290, 22, Maaler 383, sp. 3, Heniscli unter dorn 73-i, Stieler 2156, Steiubach 710. Der pl. stacheln ist seit dein 16. jh. üblich: np. stacheln Waldis 216, 16, Moscheroscli 11, Stieler, Steiubach.

Pantoffel, frülmd. aus it. pantofola (vgl. oben s. 258).

Die Volksbezeichnungen Baiern, Pommern flectieren in jüngerer zeit zuweilen im sing, stark (vgl. Gortzitza 2, 418). Wie bei hauer, veiter war auch hier die gruppenverbindung mit den er-bildungen für die voc. flexion des sing, entscheidend, vgl. Scliiveizer, Holländer u. a.

VIII. Schwache masculiua.

Die w-klasse der masc. des mhd. hat in nhd. zeit grosse einbussen erlitten. Alle «-stamme, die der pluralbildung un- fähig sind, giengen, dem drängen ihrer meist begrifflich ver- bundenen «-verwanten nachgebend, zm^ a- flexion über: mai, lenz, reif u. a. Ferner wurden eine reihe von «-stammen, die des pl. nicht ermangeln, zu der a- bez. i- flexion verschoben: hlits, greis, mond, stern, leiclmam; scJnvan, herzog u. a. Einige «-Stämme haben nur im sing, die /i- flexion aufgegeben, wie schmerz. Die schwachen masc, auf -er (-ere) schlössen sich der in der nhd. epoche stark angewachsenen griippe der -er- bildungen an, wie adler, ampfer, junJcer, und wenigstens teil- weise hauer, vetter, Fommer. Eine grössere anzahl nahm fem. genus an: hlume, ßamtne, loche, schlänge, Schnecke, schölle, tenne, trauhe u. a.

Die wichtigste und einschneidendste Veränderung in der gruppierung der ursprünglichen «-stamme aber wurde durch

NHD. SUBSTANTTVFLEXION. 325

die im nlid. erfolgte Scheidung nach dem begrifflichen Inhalt in eine n- und eine «a-klasse und durch die ausbildung der ersten mischklasse bewirkt. Den gründen dieser Verschiebungen haben wir unter den betr. abschnitten nachgeforscht. Wenn wir von den gen. felsen (n. fels) und hiichstahcn, die nach An- dresen a. a. o. s. 30 den formen felsens, huclistahens vorzuziehen seien, absehen, sind bei der alten r^-flexion nur bezeichnungen lebender wesen verharrt.

Das ist, in knappen werten ausgedrückt, im nhd, das Schicksal der mhd. i^-stämme gewesen.

Aus andern klassen traten zur w-flexion nur wenige über, und zwar nur solche, die durch ihren begrifflichen Inhalt hineinpassten. Freilich müssen ausser der allgemein begriff- lichen berührung noch andere kräfte gewaltet haben, ein wort der a- oder ^^a-flexion dauernd zu entreissen. Dass im 15. und 16. jh. das gefühl für die schwache fiexion der namen von lebewesen sehr ausgeprägt war, zeigen die sporadisch auf- tauchenden M-bildungen von Wörtern wie mönch, herold, fuchs, Specht. Von bestand aber waren diese Übergänge nicht.

Es erhebt sich zunächst die frage, ob die nhd. f^-stämme seit mhd. zeit Wandlungen durchgemacht haben. Wenn wir nur die flexionsweise ins äuge fassen, so ergibt sich, dass der endpunkt mit dem ausgangspunkt zusammenfällt. Nur vorüber- gehende und stets vereinzelte Schwankungen traten in ihrer flexion hervor. Zunächst war es der gen. sing., der sich hin und wider anschickte, an der Verschiebung der ;«-stämme teil- zunehmen, die nicht mo vierte begriffe bezeichnen. Niemals aber trat ein nom. mit unorganischem n in erscheinung, ob- gleich doch die, wenn auch vereinzelten mhd. «a-stämme heiden, Icristcn, rahen eine uaclibildung ermöglichten.') Dann traten auch ganz vereinzelt nhd. j^- stamme mit den a- stammen in unmittelbaren contact.

Ehe wir auf die berührung mit den «rt-stämmen im gen. sing, eingehen, haben wir auf den nom., der zuweilen in unserer Schriftsprache die a-forni angenommen hat, unser augenmerk zu richten.

*) Eine nom.-form Studenten bei Folz und schcrrjen bei H. v. Kleist können ibres absoluten alleinstebcns wegen ausser acbt gelassen werden.

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Die form des nominativs. Die frage nach dem bleiben oder abfall des stammliaften auslautenden e in der nlid. Schriftsprache hat die forschung widerholt beschäftigt; vgl. Behaghel, Germ. 23, 265 ff. Pauls Grundr.l2, § isi. Bojunga s.50ff. Wilmanns, Deutsche gr.l,272ff. V. Bahder, IF. 4, 358 ff. Von bedeutuug für die behandlung des auslautenden e der schwachen masc. können für uns nur ostmd. und nd. denkmäler sein.') Hier bildete sich die form, die im laufe der entwicklung zur norm erhoben wurde. Hierzu zu- nächst einige allgemeine bemerkungen.

Die frage nach dem Schicksal der auslautenden c, d, i. der stammhaften sowol wie der flexivischen, in den nach der heimat ihrer Verfasser mundartlich verschieden gefärbten schritten des 15. 18. jh.'s ist noch nicht endgiltig gelöst. Für die geschichte der theorie über diese frage ist von Wichtigkeit Jellinek, Ein capitel aus der geschichte der deutschen grammatik, in den Abhandl. zur germ. philologie 1898, s. 31 ff. Zur beantwortung der frage nach der restitution der auslautenden e hat K.Burdach, Zur geschichte der nhd. Schriftsprache, in den Forschungen zur germ. philol. 1894, s. 291 ff. in anregender und belehrender weise neue gesichtspunkte erschlossen. Burdach wird in seinem viel- versprechenden werk : Die einigung der nhd. Schriftsprache des näheren auf die ganze frage eingehen. Eine ausführliche Unter- suchung über die abstossung des end-e beim nomen in der nhd. Schriftsprache hat v. Bahder, IF. 4, 352, anm. in aussieht gestellt. Hier sollen nur in kürze einige beobachtungen widergegeben werden. In obd. Schriften des 15. und 16. jh.'s ist die apokope des auslautenden e beim subst. regel. Für die alem. schritten aus dieser zeit gilt das eben bemerkte nicht in vollem umfang. Die fem. ableitungen aus adjectiven wie liehe, gute, veste haben hier ihr e gewahrt (Pauli, Manuel). In Schriften westmd. herkunft ist

1) Auch des Erasmus Albenis buch, W. d. verfl. lehre d. Karlst, Neu- Brandeuburg 1556, "wird iu betracht gezogen. Hier sind die end-e fast durch- weg gewahrt. Inwieweit das mit dem drnckort zusammenhängt, entzieht sich einer sicheren entscheidung. Ausserdem wird der Sprachgebrauch der Urkunden des l-t. und 15. jh.'s ins äuge gefasst, und der der ersten Mainzer Chronik, wo die ausblutenden e nocli nicht wie später vielfach auf rhein- fränk. gebiet geschwunden sind.

NHD. SÜBSTANTIVFLEXION. 327

die apokope nicht in dem masse zum durchbruch gekommen wie in den oberdeutschen. Beweisfundstätten sind die werke von Alber, Waldis. Am treuesten bewahrt wurde das end-c bei den Ostmitteldeutschen. Luther, Jonas, Mathesius, Spangen- berg- haben der apokope meist nicht räum gegeben (vgl. R. Hilde- brand, Ueber den meissnischen dialekt, in den Verhandl. der 22. versamml. deutsch, philologen und Schulmänner in Meissen, 1863. Ueber den schlesischen dialekt vgl. die literatur, die Burdach a. a. o. s. 316, anm. angibt).

Im laufe des 17. jh.'s, als man daran gieng, über die forderungen der dichtkunst und einer nationalen Schriftsprache zu reflectieren, als Opitz sein hiatusgesetz aufstellte, als sprach- gesellschaften ins leben traten, deren vornehmste aufgäbe die Sprachreinigung war, erst da gelang es, die Schriftsprache über unmittelbare dialektische einflüsse emporzuheben, erst da wurde der ostmd. sprachtypus in betreff der Währung der end-e zum muster genommen. Welche ungeheure kluft in hinsieht auf die behandlung des end-e besteht z. b. zwischen der spräche der Nürnberger Sachs und Ayrer einerseits und des Nürnbergers Stieler andererseits. Ja man braucht nur ein halbes Jahrhundert nach der schriftstellerischen tätigkeit Ayrers, der seiner mundart entsprechend die auslautenden e apokopiert, die Übersetzung eines italienischen romans, den Endimiro Kalloandro 1 und 2 (Nürnberg 1656; Berl.staatsbibl), wo fast kein end-e abgestossen ist, zum beweis der fruchtbringenden auf sprachliche restitution zielenden bemühungen, die in erster linie von Opitz und den Sprachgesellschaften ausgiengen, heranzuziehen. Und wenn Moscherosch das end-e meist widerhergestellt hat, so kann er nur, der allgemeinen Strömung nachgebend, sich die werke der schlesischen dichter zum beispiel genommen haben. Schupp wirft das end-e noch sehr häufig ab. Besonders häufig zeigen bei ihm die schwachen masc. Verlust ihres stammhaften e: Jcnah, buh, jung, jud, sclnvab, erb, pfaff-

Dass schliesslich, wenn aucli zuweilen nach langem wider- stände, Alldeutschland zur widerlierstellung des unbetonten e in der kunstmässigen Schriftsprache übergieng, ruht im letzten gründe in der tatsache, 'dass alle schriftliche Überlieferung überall ein unausrottbar eingewurzeltes bedürfnis liat, die sprachformen zu restituieren', wie Burdach a.a.O. s. 320 treffend

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bemerkt. Vgl. auch Nohl, Die spräche des Niclas v. Wyle, Heidelberg- 1887, s. 65 ff. Nach Nohl hält bei AVyle die volle form der apokopierten gegenüber die wagschale. Auch in der Stretlinger chronik und in den Schriften des Albrecht v. Eyb ist die apokope nicht durchgefülirt. Es stehen hier den ver- kürzten die historischen formen wenn auch in der minderheit gegenüber. Der volksmund hatte natürlich längst apokope eintreten lassen. Es mögen diese beispiele Zeugnisse dafür sein, dass auch unabhängig von ostmd. einfluss in der schrift- lichen fixierung der spräche zu allen zelten die tendenz hervor- trat, die vollen formen widerherzustellen. Die mit unrecht gegen das sog. lutherische e geführte campagne hielt in Baiern noch bis in die mitte des 18. jh.'s von dem völligen anschluss an die Schriftsprache zurück. Im Parnassus boicus und in der Jesuitenpoesie begegnen noch häufig apokopen. Die Schweiz. Schriftsprache nimmt in anderer weise zu dem auslautenden e Stellung: die end-e sind alle widerhergestellt; aber in dem ge- folge dieser restitution erscheinen eine menge unorganischer e, die erkennen lassen, wie sehr die apokope, die dem volksmund allein geläufig war, die ursprünglichen Verhältnisse verdunkelt hatte. Als die letzten ausläufer der in diesem sinne hyperhoch- deutsch gestalteten spräche der Schweiz sind wol die Discourse der mahlern von Bodmer und Breitinger zu betrachten.

Die auffassung Schotteis von dem auslautenden stamm- haften e hat zuerst Jellinek a. a. o. s. 55 ff. ins rechte licht gerückt. Schottel war in dem Irrtum befangen, die deutschen Stammwörter seien einsilbig, und da der nom. sing, das wort an sich darstelle, dürfe ein e am ende des wortes nicht vor- kommen. Das end-e hatte für Schottel nur fiexivischen Charakter. Seiner theorie gemäss verwirft er das auslautende c der schwachen masc; aber er fordert das end-e im pl.: tage, hände, mause, v. Bahder hat IF. 4, 352 in der absieht, Bojungas falsche deutung von der Stellung Schotteis zu der e- frage zu berichtigen, darauf hingewiesen, dass eine der Sonderbarkeiten Schotteis in dem häufigen abstossen des e vorliege. Schottel habe als Niederdeutscher die im wesentlichen md. Schriftsprache nicht völlig erfasst. AVie schwankend der Sprachgebrauch Schotteis indes in betreff der bewahrung oder abstossung des stammhaften end-e ist, hat Jellinek s. 57 angedeutet. Die

NHD. SUßSTANTIVFLEXION. 329

formen mit e drängen sich stets bei ihm ein. Es ist nur natürlich, dass unter den gTammatischen kategorien und im Wörterbuch die e-lose form vorherseht. Nur aus dem gegen- satz zwischen seinem irregeleiteten grammatischen bewusstsein und seinem natürlichen sprachlichen empfinden ist meiner auf- fassung nach die grosse mannigfaltigkeit der formen zu er- klären. Zum beweise der richtigkeit dieser annähme möge die spräche der Schauspiele des herzogs Julius von Braunschweig herangezogen werden: hier sind die auslautenden e mit grösster gewissenhaftigkeit gewahrt. Auch der Niederdeutsche Adam Olearlus (s. W. Wackernagel, Deutsch, lesebuch 3, 1, 670 ff.) Avahrt das stammhafte end-e. Lübben, Mnd. gramm. s. 20 macht keine genauen angaben. Indes das häufige vorkommen des epithe- tischen c in nd. dialekten legt die Vermutung nahe, dass das stammhafte e meist erhalten wurde (vgl. Friedrich a. a. o. s. 7).

Man wird Luthers bedeutung für die nhd. bildungssprache nicht gerecht, wenn man annimmt, Luthers werke seien gleich- sam 'sprachliche muster für die folgezeit' geworden. Darauf hat Burdach widerholt hingewiesen, zuletzt a. a. o. s. 293. Einen andern Standpunkt nimmt v. Bahder s. 353 ein, der in der Bibel- übersetzung von 1545 ein werk erblickt, auf das in erster linie die spätere Schriftsprache gegründet sei. Gegen v. Bahder wendet sich Jellinek a. a. o. s. 64, anm. 2. AVenn J. Grimm von dem 'protestantischen dialekt' spricht und die nhd. Schrift- sprache darunter begreift, so hat das nur insofern seine berech- tigung, als confessionelle gegensätze mit sprachlichen in Ober- und Mitteldeutschland zusammentrafen.

Die formale seite einer geistig hochstehenden literatur in Ostmitteldeutschland und Niederdeutschland schloss schon von vornherein die gewähr einer grösseren giltigkeit in sich gegenüber den ausdrucksformen einer minder vollwertigen literatur auf obd. boden. Das ist auch der grund, Avarum die nach ihrer heimatlichen mundart sehr verschiedenen deutschen klassiker Klopstock und Lessing, Herder, Goethe, Wieland und Schiller die einheitliche Schriftsprache, wie sie bei den Ost- mitteldeutschen und Niederdeutschen ausgeprägt war, als not- wendigkeit empfunden und durchgeführt haben.

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Gehen wir nun zum einzelnen über, so sind als gesicherte ergebnisse der bisherigen forschung zu betrachten:

1) Das end-e musste nach dem nhd. auslautsgesetz schwinden in dolmetsch (mhd. tolmetsclie swm.), mimdsdienh, oherst, schult- lieiss, Steinmets, truclisess, dompfaff, distelftiik.

2) Aus der häufigen proklitischen Stellung als titel giengen hervor herr, fürst, graf, prins (auch als fremd wort musste mhd. prinze seines e verlustig gehen). Wol auch schenk neben schcnJie] vgl. schenk von Limturg, schenk von Schwemsherg.

Nach dem anheben der Wirksamkeit von Behaghels laut- gesetz im beginn der nhd. zeit lässt sich auf die frühe giltig- keit der c- losen form der unter 1) genannten Substantive schliessen.

Einige belege stehen nm- zur Verfügung: ns. scJmltheiz 1385 Weizs.l, Purgoldt, Alber, stcinmeiz Alber, aber ns. R-e^HSc/jeHÄc AVeise-M.

herr.

lulul. herre swm. Schon im mhd. ist die gekürzte form her in der anrede und vor titeln üblich. Schon im 15. jh. war die kürzuug, wie zu erwarten, in compositionen üblich : friherr Mainz 1, 306, 9, dumherr Mainz 1, 319, 3, aber gnediger herre Mainz 1, 373, 17, und herre Mainz 1, 191, 1. Im 16. jh. wird die verkürzte form geläufig: herre Urk. d. st. Arust. (1196), I'urguldt, herre und herr (Serni. und Bibel v. 1545) Luther, herr Eebhuhn, zuweilen herre, z. b. ja herre! herre mein; herr, zuweilen herre J.Jonas, herre und herr Clajus, J. v. Braunschw. Im 17. jh. ist die volle form fast untergegangen : herr Pöhuaun, Zesen, Weise 25. Doch noch Reuter, Schel- mufsky 19 ns. herre.

Es sei hier noch auf die Avenn auch nur vereinzelt vorkommende be- %vahrung des end-e von herre in Verbindung mit goft liingewiesen in denk- mälern, wo die apokope die auslautenden e vernichtet hatte: goit der herre Augsb. 5, 12, 15 und Ayrer (auch in der Verbindung der herre mein ist bei Ayrer das e gewahrt).

fürst.

mhd. cürale swm. ns. füräie Urk. d. st. Arnst. 1410, Purgoldt, f'ürste und fürst (Bibel v. 1545) Luther, farst Rebhuhn, fürst vereinzelt fürste J. Jonas, landfürst, fürste Alber, fürst J. v. Braunschw., Arndt, Pölmanu, Stieler, Stein- bach. Vereinzelt sind im 17. jh. ns. /'ürsk Lohenstein 15, Weise 186.

graf. mhd. gräte swm. In Urkunden des 14. jh.'s schwindet das e zuerst vor eigennamen und in compositis. Aus Weizs. 1 eitlere ich graf Ullrich, graf Hans etc., landgraf 1377, pfalzgruf 1375. Die form grafc behauptet sich bis ins 18. Jh., wenn auch bereits im 16.jh. die form r/m/' vorzuherschen scheint: ns. ^ra/'e und ^ra/' Mainz 1, 305, 36. 191,11, landgraf, margrav Urk.

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 331

d. st. Arnst. von 1407 und 1440, greife meist in den Urk. d. st. Arnst. (1496), fjrafe Luther, Clajus, graf, zuweilen [irafe J. Jonas, graf J. v. BraunscliAv., grafe Zesen, Weise 23, graf Pölmaun, Stieler, Frisch, grufe Steinbach.

priiiz. mhd. prinze. ns. prinz Pölmann, Steiubach.

Ausserdem haben noch folgende das c eingebüsst: (jede, narr, tor, mensch, mohr. Zuerst suche ich in beispielen den verlauf der entwicklung anzudeuten:

geck.

mhd. gec, gecl'e stswm., nl. gelc. ns. geck J. v. Brauuschw., Stieler,

Steinbach.

narr.

mhd. narre swra. ns. narre und narr (Serm. und Bibel von 1445) Luther,

narr Alber, narre : narr = 1 : 4 J. v. BraunschAV., narr im voc. 6 m. ebda.,

narre Arndt 533, narr Weise 91. 193 (zu dem gebrauch im voc. vgl. Weise 207),

narr und narre Stieler, narr Pölmann, Steinbach, Frisch, Hempel, narre

Lessing zuweilen. ,

^ tor.

mhd. iöre, tor swm. ns. iorc Purgoldt, thor Luther, Pölmann, Stieler 2280,

Steinbach, Frisch, Hempel.

mensch.

mhd. mensche, mensch SAvstm. ns. «;(>>!sc7t 1410 bei Janssen 1 , mensche 2 m., mensch 1 m. Purgoldt, mensch Luther, Eebhiihn, Jonas, mensche und mensch Alber, mensche Rollenhagen 29, mensche : mensch = 1:3 J. v. Braun- schw., mensch Arndt, Opitz 54, mensche Zesen, Weise 96, Reuter, Schelm. 135, mensch Weise 23. 26. 177. 181. 186, Pölmann, Stieler, Steinbach.

mohr. mhd. mar, murc stswm. mohr Luther, Pölmann, Morhof, ünterr. 786, Stieler, Steiubach, Frisch.

An alten mustern für die abstossung des end-e bei n-stämmen fehlte es nicht. Einerseits unterdrückten bereits im mhd. alle ursprünglich kurzsilbigen stamme auf liquida oder nasal meist das auslautende e Jiol, an{e), ]ian(e), swan(e), van(e), ar, her, spor(e), star, stir(e), stör(c), ver(e) —, andrerseits findet sich von alters her öfter ein nebeneinander von starker und schwacher flexion. So steht bereits mhd. (nach Lexers Mhd. wb.) btir neben Mire, (jer n. (jere, gir n. (jtre, heim n. helme, hirz n. hirse, Iccrn n. licrne, leim n. leime, sahn n. salme, schelm n. schelme, spas n. spatze, spros n. sprosse, stern n. sterne, storch n. storche, strdl n. sträle, striis n. strüse, vlec n. vlecJce. Im nlid. sind diese Wörter entweder zur «-klasse, oder zur zweiten mischklasse verschoben, nachdem alle ihr auslautendes e eingebüsst hatten.

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Nur wenige n- stamme, die schon mlid. eine «-nebenform hatten, verblieben bei der w-flexion: geclc gecl^e, menscJi mensche, mor more, tör töre. Die stütze, die die zahl- reichen n-nmsc. ohne end-e boten denn die weiterverschie- bung hieng wesentlich von der verkürzten nom.-form ab war jedenfalls kräftig genug, die wenigen «-masc. von personen- bezeichnnngen, die schon mhd. das auslautende e häufig ab- warfen, in der verkürzten form in die Schriftsprache hinein- zutragen.

Im nhd. gehören zu den seit mhd. zeit erhaltenen «-stammen noch folgende: huobe, erhe, hiabe, Jude, rinde, Tjürgc, verge, Scherge, zeuge, hase, rise, letce, dazu spätmhd. slave, sMave.

Bei diesen konnte im nhd. die apokope nicht eintreten, weil dem end-e ein stimmhafter geräusclilaut vorausgieng. Aber auch fast alle anderen haben in der nhd, epoche ihr ausl. e bewahrt: leie (leije), hiune, senne, huole, geselle, hempfe, hiappe, hole, gäte, geverte, hate (paie), hracke, valke, vinke, recke, (nhd. schurJce), äffe, läppe, (nhd. laffe), neve, nef, phaff'e, (nhd. schuhe), irache, ochse, götze, schütze (nach Lexer).

Es ergibt sich so für das nhd. die tatsache: alle w-stämme der masc, die bereits im mhd. das unbetonte e der endung häufig abwarfen, oder denen c-lose formen starker flexion zur Seite standen, sind in der verkürzten form in die Schriftsprache gedrungen; alle w- stamme der masc, die im mhd. das end-c stets behalten haben, sind in der vollen form in die Schrift- sprache übergegangen. Eine ausnähme bildet nur

narr, mhd. narre, v. Bahder hält den Schwund des ausl. e in der Stellung nach r für lautgesetzlich. Bei den kurzsilbigen ar, her, spor{e), star, stir{e), stör(e), ver{e) und den langsilbigen hüre hur, gire gir, töre tör, möre mör tritt diese tendenz unverkennbar hervor, v. Bahder geht aber, wie mir scheint, zu weit, wenn er auch für die nhd. form die neigung zu apokope nach r geltend macht. Bojunga hat meiner meinung nach das richtige gesagt, wenn er die apokope aus der Steige- rung des accents der tonsilbe bei dem häufigen gebrauch des Wortes als schimpf Avort im voc. herleitet, i) Auch mögen com-

') Doch beschränke ich Bojuugas theorie auf die erklärung von narr,

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 333

posita wie liofnarr, erznarr, tvciheniarr für die kürzung der nom.-form von einfluss gewesen sein.

Ausser narr hat sich von den hier in rede stehenden masc. kein wort in der durch den gebrauch als Scheltwort zuweilen verkürzten gestalt in die Schriftsprache eingang verschafft. Es gehören hierher affc, laffe (läppe), pfaffe, Jude.

äffe.

äffe Alber, Gneintz, Steiubach, Frisch, Adelung-, äffe vel ajf Pöliuanu, äff Stieler, Heiuze 23.

pfaffe.

pfaffe Alber (aber haalspfaff), Stieler, Steinbach, Adelung, jj/V//^Tur- 8'oldt (2 m.), Pölmann, Frisch, Heiuze 23.

laffe (läppe).

Iap2^e Stieler, Steinbach 1, 976, laff Frisch 1, öGi, läpp Frisch 1, 577. ^)

Jude.

Jude Luther, Spangenberg-, ji'ide Alber, jüde und jtide Mathesius, jüde Pölmann, jud und Jude Stieler 902, Jude Steinbach, jud Frisch 1, 492. i) Im verächtlichen sinne ist jud, jüd noch heute in mündlicher rede gebräuchlich.

Dass bei äffe, pfaffe, laffe die verkürzte form nicht in aufnähme kam, ist darin begründet, dass äffe seltener als Schimpfwort angewendet wurde; äffe selbst bot dann eine stütze für die erhaltung des end-e in den ähnlich klingenden laffe, pfaffe (überdies erst in jüngerer zeit nur verächtlich).

Schwankenden gebrauchs sind

finke fink.

mhd. finke swra. ; vgl. huch-, hlut-, distelfinJc. ns. finJc Luther, fnike Gueintz, fink Pölmann, Stieler 486, Frisch, fmJce Christ. Scriver in Wacker- nagels Leseb. 819, 18, finke Steinbach.

hmp, tropf. V. Bahder bestreitet überhaupt die richtigkeit von Eojungas annähme, dass auslautendes e durch häufigen gebrauch eines Wortes im voc. verloren gegangen sei. Er verweist auf laffe, sehurke. Niemand wird leugnen können, dass laffe, sehurke, von ihrem auftauchen erst in nlul. zeit ganz abgesehen, nicht entfernt so häufig im voc. anwenduug finden wie narr, lump, tropf. Weshalb lump, tropf, die aus concreta entwickelt sind, für V. Bahder nicht beweiskräftig sind, ist nicht einzusehen. Es besteht zwischen lump lumpen, tropf tropfen dasselbe Verhältnis wie zwischen Franke franken, rappe rappen. Die starke flcxion von lump und tro2jf ist bekanntlich recht jungen datums.

^) Bei Frisch haben aber auch knahe, drache, falke u.a. ihr eud-e eiugebüsst.

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schenke schenk.

mild. schenJie swm. ; xg\. mund-, weinschenk und schenk von Limburg.

ns. schenJce Stieler 1761, Steinbach, schenk Frisch.

f arre f arr.

mhd. var, varres stm. iind varre swm. ns. farr Luther, Steinbach (pro taurns), Frisch.

hirte hirt.

mhd. hirte, hirt stswm.; vgl. kiih-, sau-, gänsehirt. hirte Luther, Pülmann, Zesen, Stieler, Steinbach, Herapel, hirt Alber, Frisch.

Schranze schranz.

mhd. schranz stm., schranze swm.; vgl. hofschranz. ns. schranz Stieler 1916.

ochse ochs.

mhd. ochse stvtii. Für das schwinden des e kenne ich keinen triftigen grund. Man könnte an den gebrauch des Wortes als Scheltwort und an composita wie auer-, hüffelochs denken. Oder ist die verküi'zte form süddeutschen Ursprungs?

ns. ochs Luther, Alber, ochse Gueintz, ochs und ochse Pölmann, Stieler 1379, Frisch, ochse Steinbach.

Innerhalb der nhd. epoche büssen in ostmd. und nd. denk- mälern andere schwache masc. ihr auslautendes e nicht ein, von vereinzeltem auftreten apokopierter formen abgesehen:

ns. drach Luther (neben drache), Mathesius 2 m. (Gueintz drnche). ns. geselle : gesell = 3:4 J. v. Brauuschw. Frisch zeigt eine merkwürdige neigung, das e der schwachen masc. zu apokopieren: ns. knab, bub und bidie, drach, falk, ries, götz, schütz u. a., ns. rabe, bürge, zeuge, pate, gatte u. a. Als Schriftdeutsch können die verkürzten formen nicht betrachtet werden.

Pülmann und Steinbach, zwei Niederdeutsche, haben das auslautende e, wo es im mhd. stand, stets gewahrt: so bube, buJüe, bürge, falke, rabe, riese Pölmann, Steinbach gegen bub (bube), buhl (buhle), bürge, fcük, rab, rabe (in den beisp. stets rabe), riese (sub rek s. 1507) Stieler. Man sieht, der Nürnberger Stieler ist noch vielfach von seiner heimatlichen mundart beeinttusst. Pölmann und Steinbach aber geben die formen wider, die im ostmd. und nd. allgemein für die Schriftsprache in geltung waren.

Der gen. singularis. Die cons. form des gen. unterlag zuweilen der mischung mit der voc. der a- stamme. Der grund dieser erscheinung liegt auf der hand: die flexion der abstracten w-masc. glaube, name, schade, iville, friede bot in erster Knie einen anknüpfimgs- punkt für die genetivische wa-form bei bezeichnungen lebender wesen. An zweiter stelle kamen aber auch die zahlreichen

NHD. SUBSTANTIVFLEXION, 335

w-stämme von bezeiclmung-en lebloser dinge in betracht, deren flexionsformen im dat. nnd acc. sing., häufig aber auch noch im nom. sing, und vielfach im ganzen pl. (wenn kein umlaut ein- trat) mit den entsprechenden formen der hier in rede stehen- den w-stämme Übereinstimmung aufzeigten. Man könnte ver- sucht sein, einzuwenden, dass die berührung mit den a-stämmen eine unmittelbare gewesen sei. Darauf ist zu erwidern: die n- Stämme von mo vierten begriffen nehmen erst dann zuweilen die -ens -form, an, nachdem die Verschiebung der erwähnten abstracta abgeschlossen, und die ausbildung der wa-klasse wenig- stens zum guten teil zu ende geführt ist.

Iin 15. jh. sind die genetive auf -ens uur ganz vereinzelt anzutreffen i): Geiler gs. herrens, hirtens, Brant menschens, AugsL. 3 ires herrens 111, 17, Eyb, E. erhens.

Im 16. jh. mehren sich die starken bildungeu, um im 17. jh. noch grössere ausdehnung anzunehmen. Ausser einigen nachzüglern im Süden wird aber auch schon im laufe des 17. jh.'s die mischform des gen. wider aufgegeben.

Herschend blieben stets, von einigen wenigen Schriften abgesehen, die «-formen, und die folgenden belege sind nur als ausnahmefiille zu betrachten : Eyb, D. 67, 4. 6 knabens, Seb. Frank anherrns, bubens (nach Kehrein), Luther knabens, hirtens, Aventin 6il, 26 anherrens, narrens (nach Kehrein), Zimm. ehr. 66, 33 herrens, Job. Mathesius kitrfürstens, Dietenberger knabens (nach Kehrein), Fischart menschens (nach Kehreiu), Volksb. v. dr. F. 102, 11 gesellens, Henisch 1310. 1172 menschens,'^) Weckherlin 2 ^) ßrstens 225,12. 318,166,

*) Eine gegenüberstellung der n- und ««-genetive aus allen von mir geprüften texten des 15. jh.'s ist unmöglich. Nur einige beispiele aus den translationen des Niclas von Wyle, der eine strenge Scheidung beider klasseu durchführt, sollen erwähnt werden : gs. schuldherren 178, 25 u. ö., bulen 102, 1, menschen 189, 21 u.ö., ochsen 190, 21 gegen geloubens 318, 1. 6, namens 318, 12, willens 163, 38; lämdens 16, 8. In den chroniken von Stretlingen, Augsburg, Nürnberg, in den fastnachtsspielen von Rosenblut und Folz, bei Michael Beheim, Albrecht von Eyb und im Buch der beispiele finden sich nur echte formen der nhd. »i-stämme.

^) Wie wenig geläufig auch im Süden die -ens-iorm war, beweist das einzige beispiel menschens bei Henisch; vgl. sonst bei diesem gs. Z<o/en 470, erben 908, fär-sfen 1309, farmi 1008, hanen iOW, herren G98, memchen698, Christen 602. 603.

^) Das sind auch bei Weckherlin vereinzelte fälle. Ausser den geu.- formen knaben H76, \0, menschen 220,13. 56,67. 109,11. 322,376 stehen den oben erwähnten mischformen die «-formen in grosser überzahl gegen- über: /«rs/en 251, 135. 255,161. 2(il, 59, hcldcn 'S32,U. 276,115. 279,211 (und noch 5 m.), herren 48,205. 209. 61,70. 74,267. 75,272 (und noch ca.

336 MOLZ

heldens 248,99. 280,234, /«m-eHS 226, 21, 0\ntzrahcnsJieMens,2}oetens{B.\. (1. d. p. s. 49), Fleming- fi'ostens, heldens, knabens, Harsdörffer herrens, men- schens, soldcdens, Hofmanswaldaii affens, Schützens, ochsens (nach Kelirein), Lohenstein 4G anherrns, feldhernis, Weise 96 heidens, Eeuter, Schelm. 20. 34 grafens, Abraham a S. Cl. zuweilen (in Wiener und Salzburger drucken) hasens, lötvens, menschens, türkens, Heribert v. Salurn recht häufig christens, färstens, herrns, menschens, riesens, Schützens; deines nächstens, Leibnitz in Wackernagels Leseb. 990, 13 fürstens. Bemerkenswert in diesem punkte ist die spräche des Kalloandro 1 und 2 (Nürnberg 1656). Hier sind die misch- formeu sozusagen mit consequeuz durchgeführt: fürstens 1,50. 89. 2,214, grafßns 2, 198. 199, herrens 2, 197. 199, edelknabens 1, 8, prinzens 2, 197 (prinzen 2, 248), zeiigens 2, 16, und geliehtens 1, 114. Aus dem Simplicissimus ist eine mischform von Kehrein nicht beleg-t. In Wackernagels Lesebuch finde ich nur gs. fürsten und gs. frieäens. Noch viel später in einem spe- cifisch oberdeutschen denkmal aas den zwanziger jähren des 18. jh.'s über- wiegt die mischform: Parnassus boicus 1723/24 fürstens 234, grafens 139, rheingrafens 138, ebda. 1725 fürstens 271, grafens 261. 394, burggrafens 325.

Von einer gesunden, d. li. psychologisch begründeten ent- wickhmg kann hier keine rede sein. Die stricte durchfüln-ung der -ens-iorm im Kalloandro ist vielmehr ein beweis, wie gram- matische Vorschriften auch vor Adelung bereits autoritative kraft hatten. Welche grammatik dem Verfasser als vademecum diente, lässt sich schwer entscheiden. Ich denke an Gueintz' Sprachlehre (1641), die sich in jenen tagen grosser beliebtheit erfreute. Zur erklärung der formen im Parnassus boicus vgl. die abhandlung über die deutsche spräche, Parn. boic. 1723/24 s. 395, wo herr, gs. lierrens als muster für die flexion der schwachen masc. aufgestellt wird (s. auch Schmeller, Mundarten Bayerns § 843).

Bei Wilwolt, Pauli, Manuel, Alber, Jonas, Waldis, Sachs, i) Spaugen- berg, Ayrer, Frischlin, J. v. Braiiuschw., E. Fischer, Arndt (in Wackernagels Leseb. s. 507 f. gs. menschen : glaubens, tvillens), Moscherosch, Schupp, Dach,

20 ra.). Dagegen ist die na -form des gen. der im uhd. einer Verschiebung unterliegenden li-stämme bei Weckherlin durchaus herschend: gs. glaubens 121, 73, namens 52, 309. 155, 10, mutwiUens 162, 173, samens 322, 295, gartens 319,218 (ns. ^«ri 319), schmerzens ßß,li. 296,4. 304,2, herzens 89,57.

') Aus band 10 und 20 der werke des Hans Sachs mögen folgende bei- spiele die früh erfolgte Scheidung im gen. sing, der »i- stamme erläutern: gs. hai/den 10, 6, 7, herren 10, 15, 18. 16, 24, knaben 10, 48, 25. 20, 101, 1, menschen 20, 127, 2, narren 20, 498, 1, aber gs. eidens 20, 440, 17 (zu ns. *eklen = mhd. eidem, eiden) und gs. fridens 20, 178, 2, mehr Schadens denn nutzes 20, 291, 28, schniertzens 20, 436, 17, willens 20, 129, 18, vil mutwiUens 10, 28, 4, 20, 460, 32.

NHD, SUBSTANTIVFLEXION. 337

GiypHus, Morhof (gs. menschen Unterr. s. 771 : namens s. 772, fürsten und herren s. 77(\), iu dem Verliebten Europäer, bei Spener (in Wackernagels Leseb. s. 9i5 ff. gs. herren, menschen) Bodiner,i) Breitinger,') Haller sind mir miscbformen im gen. sing, überhaupt nicht begegnet. Ueber spätere ver- einzelte fälle der -e»s-form vgl. Gortzitza 3, 11.

Auf das schwankende urteil der grammatiker über die flexion der gedachten >*- stamme genau einzugehen, wäre die aufgahe einer geschichte der nhd. grammatik. Hier soll nur festgestellt werden, dass die Zeugnisse der grammatiker für sich betrachtet ein falsches bild von der wahren entwicklung abgeben.

Clajus, Helber s. 21, Schöpf, Girbert, Schottel, Duesius, Pölmanu fordern die gen. herrn, hiaben, menschen etc. Albertus, Oelinger, Ritter, Russ. gramm., Bödiker 3 lassen die formen hiahcn und l-nahens, herren und herrens, hären und bärens, riesen und riesens, menschen und menschens etc. als durch den Sprachgebrauch anerkannt in geltung. Die rein cons. flexion wird vollends völlig aufgegeben von Gueintz s. 4-4, Parn. boic. 1723/2'1 s. 395, und Antes- perg (Wien 174!)). Nach Gottsched, der die genetivische mischform als mis- bräuchlich kennzeichnet, fordert vor allen noch Hempel für bestimmte Worte -ens im genetiv.

Berührung mit den a-stämmen.

Wie im gen. sing, zuweilen eine berührung mit der voc. foi'm der zum grossen teil secundär entwickelten masc. auf -cn und der die nhd. mischklasse bildenden w-stämme zu stände kam, erfolgte, wenn auch sehr selten, im sing, eine unmittel- bare flexivische berührung mit den a-stämmen. Nach dem Schicksal von hahn, schwan, staar, hirscli lässt sich erwarten, dass die a-form des nom. die Vermittlung der a-flexion bewirkte. Und in der tat haben nur w- stamme, die das auslautende e entbehren, 2) mit der cf-flexion fühlung genommen. Und ferner lässt sich die beobachtung machen, dass in erster linie der mit dem nom. correspondierende casus, der acc, die a-form an- nimmt.»)

1) Zur feststellung des Sprachgebrauchs von Bodmer und Breitinger habe ich folgende belege aus den Discourseu der mahlern (Bibl. älterer schriftw. d. deutsch. Schweiz 2. Serie, 2. heft 1891) gesammelt: Bodmer gs. herrn C3, mensclmi 42. 99, poeten 37. 41 und fricdens 2G; Breitinger gs. menschen 21. 22, narren 73 und ivillens 82.

2) Sei es in der Schriftsprache oder im dialokt des betr. autors.

») Die citate sind nach Kehrcin luid (i()rt/>itza2, 41G ff. vervollständigt.

Beiträge zur geschichte <ler deutschen spräche. XXVIl. 22

338 MOLZ

bär.

as. tanzhür 2 in., aber as. hären Schupp; gs. &(Vrs Mügge, hnmwibärs Gutzkow ; ds. bär Lessing, W. Alexis, Contessa ; as. hür Herder, Laube, Mügge, hrummhür Platen, Gutzkow; as. 5<Vj- und ftären J. Grimm; pl. c?/e hüre 2 m. Lessiug (vgl. Steiubacli s. 65 här, gs. härs, pl. häre); härswin. Ritter, Stieler s. 79, Frisch 1, 72.

Ausser von här, das besonders in jüngerer zeit zur starken form neigte, sind starke bildungen der «-stamme durchaus vereinzelt:

fürst.

gs. fwrsfs Cr euz, kurfürsts Mügge (aber gs.fürsten); ds. fürsi Sachs,* ') Zachariä, Schiller, Gutzkow, Herwegh, Jciirfürst Canitz; as. fürst Haller, W. Alexis, Canitz, J. Grimm, lurfürst Bechstein.

graf.

gs. vmrkgrafs Uhland, des marl-grafs weih Hauptmann, Schluck und Jan; ds. wrtrÄ'^/ra/Fouque, jj/V/L-r/^v//' Grillparzer, K.Ott; as.p/'o/^-^/ra/* Nach- tigall, graf J. Grimm.

lierr.

gs. desselben pfarrJierrs weih Alber; ds. herr Tieck, landesherr W. Alexis; as. feldherr Nieritz, freiherr Zschokke, kauf herr Grimm. 2)

Es sei noch darauf hingewiesen, dass besonders die com- posita von fürst, graf, herr im sing, zur starken form neigen. Es liegt diese erscheinung in der tatsache begründet, dass fast alle composita, d.h. Wörter mit einem grösseren lautcomplex, der voc. flexion angehören.

Zuweilen büsst auch fürst, graf, herr in der älteren zeit seine flexion vor eigennamen ein. Hier kann von einem über-

1) Bojunga s. 57 verkennt mit berufung auf Kehrein, dessen citate, wie schon längst erkannt, durchaus wirr und wegen mangels an aus- reichender beobachtung unzuverlässig sind, die flexion von fürst bei H. Sachs vollkommen. Bei Bojunga lautet der passus: Sachs ds. färst, ap. fitrsten (jetzt nur 5;-declination). Dass der dativ farst bei Sachs im reim steht, gibt Kehrein an, und das allein musste Bojunga von der eben citierten Zusammenstellung abhalten. Und um zu einer richtigen auft'assung zu gelangen, musste Bo- junga einen band der werke des H. Sachs zur band nehmen. Li bd. 16 kommt jedenfalls keine a-form von fürst vor. Ich habe ausserdem noch bd. 20 durcligesehen, um allgemein übliche «-formen bei Sachs eitleren zu können : gs. /((rsto( 20, 304, 3. 406,3, ds. /«rs/m 20, 142, 1. 3i)0, 33. 266,16.27. 304,29. 305, 29. 405, 25, as. fürsten 20, 449, 5. Auch hier begegnet keine «-form.

'■') Nicht hierher scheint das. pfarrher bei Ayrer zu gehören, das wol nur durch die Schreibung mit herr in beziehung gesetzt ist, aber auf mbd. pharrare = -ühA. pfarrer zurückgeht.

KHD. SUBSTANTIVFLEXIÖN. 339

tritt in das System der a-declination füglich keine rede sein. Die flexion unterbleibt hier, wenn die Standesbezeichnung mit dem folgenden Substantiv als einheit gefasst wird (vgl. nlid. herrgott).

graf. vom markgraf AlhrecJd Augsb. 3, 87, 5, dem grossmütigen lanägraf Phüipsen, dass es pfalzgraf Johann nicht beliebig sei Schupp, und sagt graf Guido hohen dank Sachs 20, 44:9, 14 (aber bei dem grafen Guido ebda. 449, 35). Vereinzelt und iu völliger erstarruug den grave Conraden Zimm. Chr. 194, 19.

herr.

dass ich sein herr rattr fand Sachs 20, 107, 33, ziecht mit dem herr marschalk hinaus ebda. 75, 21, (aber auch meinen lieben herrn Antonium ebda. 228, 6, irem herrn bruder ebda. 211, 12, dem frommen fürsten Felo- pidam ebda. 392, 20), dem neuen herr gevatter Weise 98.

Ferner sind noch einige wenige a-formen zu belegen:

gs. seines buls fegfeuer Pauli (sächsischer gen.!); gs.falkes Dieten- berger, as. falk Fr. Müller, Schiller; ds. fink Lappe, Herwegh, as./twX- Spindler; gs. knabes Dietenberger, nas. knab Dornblüth (gds. knaben); gs. mensches 4. Bib., as. mensch 4. Bib., Augsb. 5, 34, 4, Zimm. ehr. 30, 1, Hofmanswaldau, J. Grimm, 1) as. ^o«men.sc/i Klopstock ; as. wio/tr Lessing, Hebel,') ds. pr/w^ Hofmanswaldau, as.j^mt^ W.Alexis; as. schaff Goethe, ds. sc hui z'Fr.MüWer, W.Alexis, Hebel; as. schütz Hebel, freischütz Laiibe.

Der pl. fürste, den Kehrein aus der 4. Bib. belegt, muss auf einem druckfehler beruhen. Eine derartige form findet sich weder in den Chroniken von Nürnberg, noch in irgend einem andern altd. denkmal. Ebenfalls auf einen Irrtum des Setzers geht der as. mensche Weise 91 (am leisten tage hat er auch den mensche erschaffe) zurück und der pl. herre Weise 92 {hommt her ir herre; vgl. Weise 91 secht ir herren).

Uebertritt in die w-klasse. 1) Einige starke masc. auf -en sind im nhd. zu den «-stammen übergetreten: heiden, Jcristen, rahen, scheffen.

Christ, mhd. Fristen stm. hristen, aus christianus abgeleitet, wurde im nhd. durch die ableitung christ von Christus verdrängt. Der

') mensch, mohr, ior, die mhd. zuweilen stark tiectieren, haben iu nhd. zeit die voc. iiexion völlig aufgegeben, und die erwähnten starken bildungen von moisch \\\\i\. molir sind als neue Schöpfungen von der «-form des nom. aus zu betrachten.

22*

340 M0L2

Vorgang war folgender: Im ahd. und mlid. werden beide ab- leitungen, wie aus Graff 4, 617 f. und ]\Ilid. wb. 1, 383 ersiclitlich, scharf auseinander gehalten. Ihrem Ursprung entsprechend bedeutet C/^m^ 'Christus', christäni ' Christ'. Dieses Verhältnis besteht noch bis zum 16. jh.

Stretl. ehr. nas. endchrist imd gs. chr/stens zu ns. *chr/sten ; Murner ns. entenchrist und ns. Christen.

Dann ^mrde die nom.-form chnst verallgemeinert, unter- stützt von dem lautbild der begrifflich entgegengesetzten heid{e), jud{e).

Die Scheidung in der fiexiou blieb aufrecht erhalten : Manuel ns. anti- christ, gs. entchn'sts, ds. entehr ist, und ns. Christ, as. Christen. Beispiele: ns. Christ Folz, ns. Christen Füeterer 312, Pnrgoldt, Murner, Pauli 9 m. (christ 1 m.), ns. Christ Augsb. 5, 98, 8, ein haid oder ein christ Augsb. 5, 296, 17, ns. Christ Aventiu 762, 3. 15. 807, 7, gs. Christen Aventin 808, 4, ns. christ Luther, Rebhuhn, Jonas, Mathesius, Sachs -178, 2. 6, Frischlin. Bei Alber, W. d. vei-fl. lehre d. Karist., herscht noch schwanken. Die form lautet in der anrede stets christ. Sonst Christen : christ = 5:6.

Einen interessanten fall von momentaner formübertragung bietet eine Urkunde von 1382 bei Weizsäcker 1: er si Icoufmmi, human, pfaff'e oder leige, cristen oder Juden. Ganz allein steht gs. des guten christs bei Herder.

beide.

mhd. heiden stm. heide büsste unter dem einfluss der be- deutungsverwanten jude, türJce seine na-torm ein.

Zur nahen begrifflichen berührung der drei worte vgl. folgende Wen- dungen : jtiden, iüricen und heiden Manuel, türken, jüden und heiden bringen ire kinder nicht zu Christo Alber, Juden, heiden, glaublos Christen Ayrer (Lit. ver. 80, s. 2566, 31). Beispiele: ns. heiden Rosenblut (6 m. und 3 m.,* heid 1 m.). Mich. Beheim, Folz (1 m.*), Füeterer 312, ns. heide Pnrgoldt, ns. heiden Sterz, sp. 100, 123, ns. heid Pauli 6 m., Aventin 62G, 6, ns. heide Luther, Alber, ns. heiden* Waldis 82, 29 (neben heid* ebda. 150, i3), gs. heiden Sachs 10, 6, 7, ns. heide Helber s. 26, Spangenberg 19, ns. heid Ayrer.

rabe. mhd. raben stm., rahe, rab und rappe, rapp swm. In iihd. zeit ist eine nom.-bildung auf -en überhaupt nicht mehr zu belegen. ')

ns. rappe Boner, rab 2 m., ruhe 1 ra.* Mich. Beheim, rab 4 m. B. d. beisp., (gdas. raben ebda.), rab Sterz, sp. 117, 40, rapp Manuel, rabe "Waldis 37, 15, rapp Sachs 181, 32.

^) Eine gen.-form rabens bei J. (xrimm stellt natürlich ebenso wie der gen. hasens bei demselben autor einen lapsus dar und ist nicht mehr, wie Audreseu, Ueber d. spr. J. Grimms, meint, historisch berechtigt.

NHD. SUBSTANTIVFLEXION. 341

Schöffe.

mhd. scheffe, schepfe und scheffene, scliepfenc swm. Dasypodius sub cohaerarms ns. schaffen, und Maaler s. 349 ns. schcffan. Bei Ayrer ist die form schöpf mit cons. flexion zu belegen, ns. schöppe und schöpfe Stieler 1714, schöppe Steiubacli 2, 492.

2) Ausser dem ?z- stamm Idrt, der bereits in mhd. zeit zwischen a- und n- flexion schwankt, sind nur noch Beter, Siväp und lielt von der voc. flexion zu der cons. übergegangen.

hirte.

mhd. hirt, hirte stswm. In nhd. zeit sind voc. flexiousforraen von hirt eine Seltenheit. Boner ds. hirten 3 m., as. hirten 2 m., hirt 2 m., np. hirten 2 m., Augsb. 1,312, 2 zweii hirten, Stretl. ehr. ds. hirt, B. d. beisp. d.s. hirten, Pauli gdas. hirten, Manuel gs. .hirten, Luther, Alber hirte, hirt swm., Sachs hirt swm. (gs. 20, 78, 32, ds. 65, 3. 106, 6, as. 158, 28).

Baier. mhd. Beier stm. Der pl. Beiere musste lautgesetzlich im nhd. Beier ergeben. Diese starke pluralform findet sich noch Maaler s. 316. Doch begegnet in den Chroniken von Augsburg aus dem beginn des 16. jh.'s bereits der pl. Peijren, der den begriff sverwanten Deutschen, Franzosen] Franken, Hessen u. a. seine entstehung verdankt. Vom pl. gieng dann die völlige einordnung in die w-klasse aus (vgl. oben s. 324).

Schwabe, mhd. Su-dj), Siväbes stm., und Stvähe swm. Nach den Stammesbezeichnungen Hessen, Franl'en, Sachsen u. a. bildete man den pl. Schwahcn und daraus den sing. Schwabe. Die voc. flexion dürfte früh untergegangen sein.

Dasypodius und Maaler geben nur den pl. Schwaben = 'Suevi'. Bei Schupp begegnet as. einen Schicabcn.

held. mhd. hcU, hcläes stm. und zuweilen helde swm. Bei der Verschiebung mögen worte wie hiinc, riese und vor allem der gattungsbegriff mensch von einfluss gewesen sein. Diesen treibenden kräften kam noch die tendenz nach wirksamer Scheidung der numeri zu hilfe. Zuerst trat der pl. über, und der sing, konnte sich dem systemzwaug nicht lange entziehen. Häufig gebrauchte r«- stamme wie fürst, graf, herr drängten zum ausgleich auch im sing. Im 15. jh. findet der übertritt zu den fi-stämmen statt. Im 16. jh. tritt die cons. form gegen-

342 MOLZ, NHD. SUBSTANTIVFLEXION.

Über der voc. in den Vordergrund, und in späterer zeit tauchen nur noch sporadisch voc. bildungen des sing, auf, die durch die «-form des nom. stets von neuem gestützt wurden.

Mich. Beheim np. helä 3 m.,* ap. helde 1 m.,* Füeterer ds. held 92. 134, as. liehl 92. 126 u. ö., np. helä 56, lielden 86, ap. hdä 78, helden 133, Manuel ap. helden, Aventin 661, 18 as. helden, Li;ther held (fast ansscliliesslich swm.), Nie. Herman 232 ds. held,* Mathesius as. held, Sachs gs. des helds 20, 466, 25 (vgl. heldes-hraft 20,484,14) : helden 16,86,35, as. held 16,85,24. 95, 19 : helden 16, 95, 6, ap. held 16, 89, 18, Aj'rer gds. helden, nap. helden, Frischlin gs. helden, Henisch 1473 as. held, Weckherlin gs. helden 332, 14. 276, 45, ds. lielden 311, as. helden 244, 163. 295, 601. Die starke form des acc. sing, ist später noch bei Opitz, Fleming, Spee, Günther (nach Steinbach 1, 732) belegt. Ueber spärliche reste der voc. flexion im 18. und 19. jh. vgl. Gertz. 2, 417. Andreseu belegt noch aus J. Grimm den ds. held 3 m. und im acc. sing, schwankt Grimm zwischen held und helden.

GIESSEN. HERMANN MOLZ.

FECHTEN.

Nachdem Kluge in allen früheren auflagen seines Et.wb.'s ein 'got. *ßuhttm »fechten«' vorausgesetzt hatte, das "aus der t(-reihe vom praet. pl. und pari aus in die e- reihe übergetreten' sei, hat er in der letzten, 6. aufl. den weiteren schritt getan, 'das construierte got*fiuJitan^ in 'ags. fcohtan, engl, to figlif tatsächlich reflectiert zu sehen. Dieser sonderansicht von dem lautlichen und morphologischen wesen des ags. verbs verstattete der genannte gelehrte dann auch aufnähme in die vor kurzem erschienene 3. aufl. seines Ags. lesebuchs und suchte sie ganz neuerdings in seiner Zs. f. deutsche wortforsch. 2, 298 f. ein- gehender zu begründen, um die herschende anschauungsweise, dass ags. feohtan, fealit genau = ahd. fehtan, fallt sei, in aller form zu widerlegen. Dieser versuch ist meines erachtens gründlich mislungen.

Wie Kluge meint, 'macht die annähme von brechung für fcohtan lautliche Schwierigkeit, aber die annähme von tt-ablaut für fcohtan nicht'. 'Denn bekanntlich tritt vor ht im westsächs. i für zu erwartendes eo ein: cniht ahd. Icneht, Fihtas älter Fcohtas, riht ahd. reht, die insel Wild älter (lat.) Vecta. . . . Zahllose denkmäler, die stets cniht und riht für eig. hnii'ht und reht haben, sagen regelmässig fcohtan. . . . Ein zu erwartendes fyhtan fihtan 3. pl. fyhtad fhtaÖ ist nicht geläufig.'

Diese argumentation bietet zunächst die eine lücke dar, dass sie ja 'älter Feohtas^ für jüngeres Fihtas Fyhtas selbst ins feld fülirt. Warum aber verschweigt sie gleichzeitig älteres CHcohtas für jüngeres ags. cnihtas? Denn 'cniht hat', wie Cosiju, Altws. gr. 2, § 2, s. 9 lehrt, 'lautgesetzlich eo, wo ein dunkler Vücal folgt, also im plural, aus diesem drang eo in den sg. ein'. Diese regel widerholt in allgemeinerer fassung Cosijn, Kurzgef. altws. gr.- § 47, s. 16. Als altenglischer palatalumlaut vor ht, hs und /(/>' wird dann dieselbe erscheinung ausführlich von Bülbring, Anglia, beibl. 9, 71 ff. 10, 1 ff. und in seinem Alt- engl. elementarb. 1, §§ 209 ff. 305. 311 f. behandelt: nach der darstellung dieses gelehrten sind die genannten consonanten-

344 OSTHOFF

gTuppen im ags. palatal geworden und wirken palataliimlaut eines vorhergehenden vocals unter der bedingung, dass dieser zu afficierende vocal weder selbst ursprünglich ein velarer (#, 0, ä) war, noch ein velarvocal der betreffenden gruppe un- mittelbar folgte. Je nach dem nichteintreten oder eintreten dieses palatalumlauts spaltet sich eo, im westsächs. und kent. der aus westgerm. e vor jenen /i- Verbindungen entwickelte brechungsvocal, in verbleibendes eo auf der einen und in ic, wofür jünger i und y, auf der andern seite. Der lautgesetz- liche zustand aber mit cncoJä-as, -a, -um im pl. und cni{c)ltt, cni{e)ht-es, -c im sing, wird nicht nur in der weise ausgeglichen, dass sich im sing, jünger vocalisiertes cncoJit einfindet, sondern häufiger noch durch neuschöpf ung der pluralformen cniliias, cnihta cnyhta, cnilitum cnyhtum; belege für sing, cneolit (cm'oht) aus dem Hatton-ms. der Cura past. bei Cosijn, Altws. gr. 1, §19, s. 41. 2, § 2, s. 3, aus dem Beda bei Deutschbein, Beitr. 26, 238. Ebenso weicht das ältere lautgesetzliche Fcohtas dem jüngeren nach dem sing. FiJd geformten PiJiras FyTdas.

Mit der Cosiju-Bülbring'schen regel ist auch Sievers (nach brieflicher mitteilung) einverstanden. Hat sie Kluge gar nicht gekannt, was man doch kaum für glaubhaft halten sollte? Oder versagt er ihr seine Zustimmung? In diesem falle hätte es aber wol einer auseinaudersetzung mit ihr bedurft und eines Versuches, ihre Unrichtigkeit zu erweisen. Denn es ist klar, dass bei geltung der regel die formen ags. feoldan inf. und feoJitad 3. pl. praes. ind. als die genauen entsprechungen von ahd. felitan, fehtant ganz in der Ordnung sind und dass anstatt ihrer keineswegs, wie Kluge will, ags. *fihtan '■fyldan, *ßdad '*fyldad zu erwarten sein würden.

In der verbalflexion des präs. von feoldan vollzieht das westsächs. durchweg, abgesehen von einer einzigen ganz be- stimmten einschränkung, die ausgleichung zu gunsten der 6'0-formen: im imp. heisst es fcoht (ä-fcoht belegt Grein, Sprach- sch. 1, 18), im opt. praes. feoJdc, im part. feoldcnäe, wo die laut- gesetzlicheren gebilde '*fi{e)ld, '^fi(e)hie, *fi(e)]den(le sein müssten. Das übergewicht dürfte aber der entwicklungsreihe mit co hauptsächlich der umstand verschafft haben, dass die übrigen starken verba mit der brechung eo im präsensstamme, die sämmtlichen nämlich, deren wurzeln auf r + cons. und auf

FECHTEN. 345

Ic ausgehen und denen mit dem isoliert sich ihnen anschliessen- den feohtan die ablautsreihe eo ea u o gemein ist, also heorgan, Jmcorfan, iceorpcm, u-cordan etc. nehst meolcan und seolcan (vgl. Sievers, Ags. gr.^ § 388, s. 214. Cosijn, Altws. gr. 2, § 87, s. 135 f.), eben in den allermeisten formen das eo auf laut- gesetzlichem wege aufwiesen; man sagte ja iceorp imp., wcorpe opt., ivcoriicnde part. von vornherein in vocalischer Überein- stimmung mit tveorpan, weorpaÖ. Unser feohtan hat nur gerade da einen rest der Wurzelgestaltung mit i{e) beibehalten, wo tveor- pan und genossen zufolge des /-umlauts der 3. und 2. sing. ind. praes. ihre einzigen /(c)-formen kennen, indem entsprechend wie ivierpö uyrpö 'wirft' neben der neubildung tveorpccf, wicrö iiyrÖ 'wird' neben ueoröed sich findet (Sievers a.a.O. § 371, anm. 2, s. 203), SO auch vereinzelt noch das synkopierte ficlit, fiht 'pug- nat' neben häufigerem /eo/ii'c«^ begegnet (Bosworth-Toller, Dict. 277a. 287b. Cosijn a.a.O. s. 135. Bülbring, Ae. elementarb. 1, § 186). Uebrigens lässt auch anderwärts, wo in der präsen- tischen flexion auf ähnliche weise, wie bei feolitan, feohtaö : *fi{e)ht imp., *fi(e)hfc, *fi{e)litcn opt., *fi{c)Mende part., ab- weichender wurzelvocalismus gemäss der velaren oder palatalen beschaffenheit des nächstsilbigen vocals sich zu entwickeln hat, das westsächs. die analogie der velarvocalisch beeinflussten formengruppe massgebend werden, so z. b. wenn das ältere Verhältnis von westsächs. faran, faraÖ : "^fcBr imp., ^fcere, öfteren opt., fahrende part. (dies noch zweimal im Orosius, vgl. Cosijn a.a.O. 2, § 98, s. 141) durch/«;««, faruÖ : far, fare(n), farende ersetzt wird, wie Bülbring, Anglia, beibl. 9, 90 f. zeigt.

Zu feohtan bestehen im ags. als substantiva mit der ablaut- stufe des präsensstammes westsächs. feoht n. und das häufigere se-fcoht n. 'gefecht', feohtc f. 'pugna'. Bei diesen kann man den mangel der /(e) -formen mit Bülbring, Anglia, beibl. 9, 72. 10, 3. Ae. elementarb. 1, § 311, s. 129 zwanglos durch den ein- fluss des verbs erklären, darf jedoch dazu annehmen, dass solcher einfluss verstärkuug von selten der nomina selbst gefunden habe, nämlich durch die casus mit velarem vocal in den endungen, gefeohta, ^cfeohtum im gen. und dat. pl., feohtan im gen., dat. und acc. sing, des schwachen feuiinins feohte. Nebenbei gesagt: ein starkes feminin ags. 'feoht\ das öfters angesetzt wird (Grein, Sprachsch. 1, 289. 0. Schade, Altdeutsch.

346 OSTHOFF

wb.2 s. 174b. Sievers, Ags. gr? § 254, s. 132. van Helten, Alt- ostfries, gl'. § 39 aiim., s. 43. § 165«, s. 135) gibt es wol nicht; was ausser dem allerdings der ä-declination folgenden as. fehta und dem sowol stark wie auch schwach flectierenden ahd. fehta (Graff 3, 445) zum irrtümlichen glauben daran verleitet haben könnte, ist mir nicht ersichtlich.

Von weiteren substantivischen ableitungen sind &g8.fyJitlin^ und die composita fyhtc-horn und ßd-tvüe fylit-ivüe, neben welchem letzteren in den gesetzen die hss. auch fylite-ivitc haben (vgl. R. Schmid, Gesetze der Angelsachsen, gloss. s. v. fyhtwüe), besonders zu beachten. In fyJitlinj mag ja wol der i-umlaut im spiele sein. Aber fyhtc-honi und fylit{e)-wite machen, worauf mich Sievers brieflich hinweist (Leipzig-Gohlis, 24. febr. 1902), den eindruck, als handle es sich bei ihnen um compo- sitionsbilduiigen aus dem 'verbalstamm' von fcohtaii, teils wegen der ganz secundären bedeutung, die, in vergleich mit der von fcoht in dem älteren feolit-ldc, in dem rechtsausdruck fyhi{e)-wilc das Vorderglied hat (vgl. R. Schmid a. a. o.) , teils aus dem formalen gründe, dass sich das -e- in der zusammen- setzungsfuge kaum anders erklärt, da doch ein alter nominaler -iä-stamm schwerlich in betracht kommen kann. Darnach ist in fyhte-honi und -ivite mit hoher Wahrscheinlichkeit die ent- sprechende lautgestaltung wie in cniht cnylit, rylit zu erkennen, wie denn schon Paul, Beitr. 6, -J 7 fyhte-Jiorn ein zeugnis dafür sein lässt, dass trotz feohtan 'das h in der Verbindung ht sein dunkles timbre verliere, palatal werde und vorhergehendes co oder c in i {y) verwandle'.

Die vermeinte lautliche Schwierigkeit' bei der 'annähme von brechung für ags. feoJdcm' zeigt sich auch nicht, wenn man das perf. sing, feaht mit berücksichtigt. Dass es aber im gegenteil bei der Kluge'schen 'annähme von ?(-ablaut für feohtan^ in lautlicher hinsieht hapert, kann die heranziehung des north. gi-fceht lehren, das als perfectform und mithin in genauer ent- sprechung des westsächs. kent. ge- feaht mehrfach überliefert ist. Ich lasse darüber herrn collegen Bülbring hier das Avort, wie überhaupt in betreff der argumente, die vom boden der ausser- westsächs. dialekte aus den von Kluge vorgeschlagenen ansatz eines 'feohtan' = got. *finhtau erschüttern. Er schreibt mir folgendes (Bonn, pflngsten 1902):

FECHTEN. 347

»Nicht nur findet Kluges annähme eines langen eo in ws. feolikm im ags. nicht die geringste stütze, sondern gewisse angl. formen sowol der altenglischen, als der mittel- und neu- englischen zeit sprechen entschieden dagegen, da sie alle auf den westgerm. ablaut e:a weisen:

1. Das angl. praet. sg.^ifceht Dies ist am besten im (north.) Eit. belegt, und zwar zweimal (s. U. Lindelöf, Wb. zur inter- linearglosse des Rit. Eccl. Dunelm., Bonn 1901, 136b), während die anderen reinen angl, texte zufällig keinen beleg haben und eine andere form der 1. und 3. sg. praet. im angl. überhaupt nicht vorkommt. Ausserdem findet sich das angl. praet. sg, {se)faM vereinzelt in mundartlich gemischten texten über- liefert; so in der hs. Ca der Übersetzung von Bedas Kirchen- geschichte (s. M. Deutschbein, Beitr. 26, 236) und in einer von 0. Cockayne herausgegebenen, mir in Bonn nicht zugänglichen 'Passio sanctae Margarethae virginis' (s. Bosworth-Tollers Dict. s. 390 b), Dies also hinlänglich gesicherte praet. (gi-,je-)freM stimmt genau zum alid. faht; es kann nur kurzes a? gehabt haben, denn das von Kluge vorausgesetzte urgerm. ^fmiJd hätte im angl. *fcht ergeben (s. E. Sievers, Ags. gr.^ § 162 und 163). Mit fceJd verträgt sich nur westsächs. fcohtan, feaht, aber nicht das Klugesche feohtan, fcaht.

Man kann sich diesem Schlüsse nicht etwa durcli annähme früher kürzung eines urangl. m (aus westg. au) oder des daraus entstandenen frühaiigl. ce (vgl. Elementarb. § 193 und 200) ent- ziehen; denn die länge von vocalen und diphthongen hat sich vor der gruppe ht nachweislich bis in die spätae. zeit erhalten (s. Anglia, beibl. 10, 8, anm. 3, und jetzt auch H. C. Wj^ld, Engl, stud. 30, 439).

2. Die me. formen des praet. sg. fahf, fagt, fau^t, fauht, faught, faucht u, ä., die in den angl, texten allgemein gelten, Sie stammen aus dem eben erörterten altangl. fcelit (urwestg. "^faht) und können nicht aus einem urwestg. "^fauld erklärt weiden, welches vielmehr im me. in den angl. mundarten über altangl. *fcJd zu *fi(jJd hätte werden müssen, gerade wie alt- angl. le/d 'licht' und leid 'leicht' ja light ergeben. Die me. formen faJd u. s. w. zeigen zur genüge, dass ae. fwht nicht bloss north., sondern auch merc. war. Da wird man doch nicht das

348 OSTHOFF

genau entsprechende westsächs. fcaJit ohne hinreichenden grund vielmehr für fcalit erklären.

3. Die altnorth. form wiäfcehfcndJic ^nexpiignabilis', welche einmal im Eit. vorkommt, während sonst die präsensformen im angl. immer mit e erscheinen: fehta{n) ii.s.w. Dem Einge- sehen feohtan im westsächs. würde im angl. felüan entsprechen (Sievers, Ags. gr.^ § 165). Da aber nach Lindelöf, Die spräche des Rit. von Durham, Helsingfors 1890, s. 42, das aus westg. cu durch ebnung entstandene angl. 6 im Eit. stets durch e wider- gegeben wird, so ist das ce in unäfcehtendlic nicht wol als schlechte Schreibung für c aufzufassen, zumal der Schreiber auch sonst in überaus zahlreichen Wörtern das geschlossene e und das offene ce sehr sorgfältig auseinander gehalten hat, so dass höchstens ein paar wirkliche fehler vorkommen (s. Lindelöf a. a. 0. s. 31 ff.). Dagegen begegnet ce mindestens 14 mal neben dem gewöhnlichen e aus westg. c (s. Lindelöf a. a. o. s. 7, und Lindelöf, Die südnorth. mundart des 10. jh.'s., 1901, s. 13). Aus diesen gründen allein ist also imäfcehtendlic eher mit kurzem ce anzusetzen und daher auch fchta{n) im angl. zu lesen (= wests. feohtan). Und ausserdem empfiehlt sich diese auf- fassung noch, weil bei der annähme eines langen e in angl. fehta{n) das ce in der angeführten form als blosser Schreib- fehler anzusehen wäre und keinerlei berechtigung hätte, kurzes ce aber als berechtigte nebenform erklärt werden kann. Und zwar stehen hierfür zwei wege offen. Entweder ist eine er- kläruiig anzunehmen, die ich Anglia, beibl. 9, 71 f. begründet und in meinem Ae. elementarb. § 207 widerholt habe. Oder die Schreibung ce neben c ist durch die spätae. offene aus- spräche des entweder unmittelbar oder (wie hier) durch die gebrochene form cu hindurch aus westg. e entstandenen, an- fangs geschlossenen ae. e verursacht, die namentlich nach labialem anlaut sich dem et- laute näherte (Elementarb. § 92, anm. 1); was im Eit. namentlich in dem elfmaligen imp. sg. VOSS (vocGs) neben siebenzehnmaligem voes (vcs) 'sei' zu beob- achten ist (s. Lindelöf, a. zuletzt a. o.).

4. Das neuschott. subst. faught 'kämpf, streit', welches in Fergussons und in Barns' gedichten begegnet. Dies ist aus altnorth. "^^Ifceht zu erklären, für dessen wahrscheinlich die- selbe entstehung anzunehmen ist Avie für das ce in dem sehr

FECHTEN, 349

häufig- belegten altiiorth. cnceht 'kneclit, Jüngling' {ce durch ebnung < ceo < eo durch brechung < westg. e; s. Anglia, beibl.

9, 71 f. und 10, 9 fussnote). Denn ähnlich wie sich im westsächs. doppelformen wie cniJä cneoldas einstellten, so scheinen sich in einem teil des north, solche wie cnelit cnceJitas heraus- gebildet zu haben, so dass also das vorausgesetzte north. *si- fcvJit (neben häufigem sißht) genau dem wests. ^efeoJit (statt *S€fiM) entspricht. Demnach setzt das neuschott. faught gerade so gut eine westg. form mit e voraus, wie das altnorth. cncsM eine solche verlangt, und spricht also für wests. sefeoht und feohtan mit kurzem eo.

Hierbei sei bemerkt, dass das subst. ''sif(^eM von mir im Beiblatt zur Anglia 9, 71 f. und Elementarb. § 207 und § 211, anm. irrtümlich als im E,it. belegt angeführt ist. Der fehler beruht auf einem irrtume Lindelöfs in seiner dissertation (Die spräche des Eit. von Durham, 1890, s. 18), wo sifcelit neben dem subst. sife^d unter den beispielen mit westg. e aufgezählt ist. In seinem kürzlich erschienenen glossar zu dem text hat er das versehen berichtigt.

Schliesslich sei noch hinzugefügt, dass die (oben s. 346 er- örterten) formen fyJite-Jwrn und fyht(e)-wüe sehr wahrscheinlich sogar einen unmittelbaren beweis auf grund westsächsischen materials gegen Kluges auffassung liefern. Denn älteres "'"{eolite- horn und *feoht(e)-ivife mit langem eo (aus westg. eii) hätte in ae. zeit weder im wests. noch im kent. palatalumlaut des eo erfahren und hätte also kein *'fijhte-horn u. s.w. ergeben können, ebenso wenig wie wests. Uoht (kent. UoJd) 'licht' und Icoht 'leicht' im ae. zu *lyht u.s. w. werden, da nur kurzes eo vor palatalisiertem ht zu ie, i, y umgelautet wird (Anglia, beibl.

10, 5 f. und 8, anm. 3. Elementarb. § 311. 312 mit anm.).

Wo immer also eine engl, form mit Sicherheit oder Wahr- scheinlichkeit eine entscheidung an die band gibt, weist sie auf den westg. ablaut e : a.«

So weit die dankenswerten darlegungen Bülbrings, auf grund deren sich mir klar zu ergeben scheint, dass in den angl. dialekten zweifellos fchian, fleht galt. Setzt sich also Kluges wests. feohtan, feaht sogar in gegensatz zum north, und merc. und wird es eigentlich schon durch Vi'esisiicAia.fl/hfe-horn und fyhi{<')-ivite, indem diese sehr wahrscheinlich mit ij anzu-

350 OSTHOFF

setzen sind, unmögiicli gemaclit, so kommt nun hinzu, dass die sämmtlichen übrigen westg, dialekte einzig fehtan haben oder hierauf hinweisen.

Zu dem ahd. fehtan, faJd und mhd. veliten, vaht gesellen sich zunächst ja die nd. belege, nämlich as. fehtan, das nur in präsensformen (1. pl. ind. vehtad Essener evangeliargl. und inf. fehtan Werdener Prudentiusgl. Wadstein, Kl. as. sprachdenkm. 57b, 7. 99 a, 24) vorkommt, nebst dem nomen as. fehta f. 'kämpf, streit' Hei. 1317, sowie mnd. rechten, vacht und mnl. nnl. vechten.

Und daran schliesst sich ferner das afries. fmchta fiochta an, bei dem man ja freilich auch der Versuchung, den ablaut eu : au erkennen zu wollen, ausgesetzt sein könnte. In Wahr- heit besteht hier natürlich die brechung eines germ. oder westg. e so gut, wie nach unserm dafürhalten bei dem ags. feohtan: im fries. ist das dem ags. wests. co entsprechende brechungs- product eben in mit der dialektischen färbung io, wie ja auch in afries. hinicht 'knecht', rnicht riocltf 'recht' und sliucht 'schlicht'; vgl. van Helfen, Altostfries, gr. § 6, anm.3. § 39. § 270 und Beitr. 14, 277. Siebs, Pauls Grundr. 1^ 1198. Nach van Helfen soll das m io nicht schlechthin an die stelle von e getreten, vielmehr genau genommen die brechung des ver- allgemeinerten i sein, das durch urgerm. ?-umlaut in einigen formen der paradigmata laut gesetzlich entsprungen war, bei ßuchta in der 2. und 3. sing. ind. praes., bei Icnnicht und rnicht in der ursprünglichen form des instr.-loc. sing, ^hiichte, "^richte aus *hiic]itt, *richti. Für fmchta möchte diese erklärung seines vocalismus nach '*fiiicJitst, fincht flocht = ahd. fihtist, filitit wol hingehen, da sie sich auf die erscheinung von afries. hilpa, ivirtha als vermutlich ebenso aufzufassenden jüngeren neben- formen zu helpa, ivertha stützen kann (van Helfen a. a. o. § 270. Siebs a.a.O. 1191. 1313), aber die lautgestalt der nomina hintcht, rmcht in solcher weise auf die analogie des einzigen loc. sing, zurückzuführen, hat doch sein bedenkliches; daher wird man besser mit Siebs das e vor den Verbindungen cht, chs so gut wie auch germ. t in lautgesetzlicher entwicklung zu üi io gebrochen sein lassen (ebenso Bremer nach freundlicher brief- licher mitteilung, Halle a. S., 10. april 1902). Als verbum der cit-reihe = got. *fnihtan wäre ein afries. *fiachta zu erwarten, das in der 3. sing. ind. praes. freilich auch futcht focht bilden

FECHTEN. 351

müsste. Der gedanke, dass nach solcliem fmcJit sich fincJita int, fmclitath pl. ind. praes. etc. hätten analogisch einstellen können, ist ausgeschlossen, da im afries. nirgends bei starken Verben der zweiten ablautsklasse die ausgleichung der voca- lischen Verschiedenheit von hiada, hiadat : hhdst hiotst, hiuiQi) lioi{h), Masa : Idust host u. dgl. (vgl. van Helten a.a.O. § 269. Siebs a.a.O. 1309) zu einem siege der so spärlich vertretenen -formen führt. Das nomen afries. fincJit 'gefecht', nur im dat. sing, fluchie zweimal belegt (von Kichthofen, Altfries. wb. 743b), ist die entsprechung des ags. feoM n. oder, falls afries. fluchte f. anzusetzen sein sollte (van Helten a.a.O. §39, anm., s.43. § 165«, s. 135), des as. ahd. feJita st. f. Beim verbum ist die singularische perfectform * facht dem fries. verloren, dafür in den heutigen lebenden mundarten dieses gebiets wanger. fucJit und saterl. neuwestfries. focht (Siebs a.a.O. 1313 f.), die neubildung mit dem übertragenen vocalismus des pl. und part. praet., wie mnl. nnl. vocht und nhd. focht, mnd. vocM neben älterem vachf.

So scheitert die lehre, dass irgendwo im bereiche des west- germ. Sprachgebiets das Spiegelbild einer hypothetisch con- struierten alten ablautung got. *fnthtan, ""fduht zu erkennen sei, nach allen selten. Gesetzt, es bestünden gegen die ansieht, die in betreff des ags. wests. feohtan, feaht Kluge zur geltung bringen will, nicht auch schon vom intern ae. Standpunkt aus Schwierigkeiten, es sei nur erweislich, dass die ältere und vulgate auffassung, welche darin formen mit co, ea = west- germ. e, a sieht, lautlicherseits nach wie vor möglich bliebe, ohne die ansetzung von co, ca = germ. cu, au geradezu aus- zuschliessen, so würde man sich auf diese andere anschauungs- weise doch nicht einzulassen haben. Denn es ist und bleibt doch wol ein methodischer grundsatz unserer forschung, dass man bei beziehungen zwischen verwantschaftlich einander so nahe stehenden sprachen und mundarten, wie es die der west- germ. gruppe sind, an Identität der sich entsprechenden formen so lange festhält, als nicht zwingende lautliche gründe das gegenteil anraten; was für unsern speciellen fall bedeutet, dass die gleichsetzung von ags. wests. feohtan, feaht und ahd. as. fehtan, ahd. facht, mnd. vacht und die der nomina ags. ,s('-f<'oht n. und ahd. (ji-fehf, mnl. gc-vecht n., ags. feohte f. und ahd.

352 OSTHOFF

felita sw. f. stattzufinden hat, wenn sie anders auf ein ernst- haftes lautgeschichtliches hindernis nicht stösst.

Kluge ist auf grund einer etjnnologischen theorie über fechten, der schon alten zusammenbringung desselben mit lat. pugnus, pugna, piigil, gr. jtvc., jrvyfif'j, jcvxvrjc, zu seiner unhalt- baren auf Stellung, dass das ags. sein ^fcoldan unbeeinflusst und rein bei dem alten ^(-ablaut bewahre', gekommen. Und es ist dann augenscheinlich nur ein cirkelschluss, wenn er meint: 'Meine Vermutung hat natürlich einen starken halt an dem schon lange vermuteten Zusammenhang von ags. feohian mit \dii.pugna »kämpf« und seiner sippe, die einer indog. wz. pug entstammt.' Man kann aber an der besagten etymologie recht wol festhalten, ohne dem ansatz eines praesens urgerm. "^feuyjö = got. *fiuMa eine berechtigung oder notwendigkeit zuzu- gestehen, und das habe ich in ausführlicher begründung in meinem mehrere monate vor erscheinen des Ivlugeschen auf- satzes herausgekommenen buche Etym. parerga 1, 369 ff. getan. Hat Kluge meine dortige beweisführung bei der niederschrift seiner bemerkungen über fechten gekannt? Das merkwürdige zusammentreffen in einer stilistischen Wendung, bei mir a. a. o. s, 371: Hiberdies begeht doch wol Kluge einen fehler, durch die Schreibung ags. yyfeohtan« anzudeuten, dass hier das von ihm vorausgesetzte germ. '^feuytö noch tatsächlich vorliege', bei Kluge aber a.a.O. s. 298: 'man begeht doch wol einen fehler, wenn man glaubt, in feohtan eine correcte entsprechung von ahd. fehtan mit brechungsvocal (Sievers, Ags. gr. § 83) an- zunehmen', lässt fast vermuten, dass hier der später schreibende autor den andern copiert habe. Dann hätte es sich aber doch wol geschickt, dass Kluge sich nicht lediglich darauf be- schränkte, in nichtiger weise gegen Sievers zu polemisieren und Braune zu loben, weil diese beiden grammatiker völlig ein und dasselbe taten, dem verbenpaar ags. feohtan und *fleohtan (part. flöhten- in flohten-föt), ahd. fehtan und flehtan ganz die gleiche beurteilung und Unterbringung im ablaut- system widerfahren Hessen, und ferner in überflüssiger weise gegen Brugmanns Verteidigung der verwerflichen etymolo- gischen combination von fechten und lat. ^jcc^o, gr.jtijcrm, jtixm, \\i.pcssa zu felde zu ziehen. Mehr am platze wäre eine Stellung- nahme zu der von mir entworfenen theorie gewesen, wonach

FECHTEN. 353

auch, wie bei Kluge, die formen des perf. pl. und part. praet. ahd. fuMun, gi-fohtan, ags. fuhton, fohten, afries. fuchten, focJiien fuchfen, mnd. vtichten vochtcn, he-vuclitcn, mnl. part. ge-vochten 'im averbo alt sind' und man doch des praesens urgerm. ^feir/tö nicht bedarf, sondern statt dessen eines germ. ^füyjö mit perf. sing, ^f'auxt, wofür jünger '^füytö, *fayt und ganz zuletzt in gemein - westgerm. Umbildung '^fexto, '^fayt = ahd. fihtu, faM u. s. w. Doch hat vielleicht in der tat Kluge bei der abfassung seines artikels von meiner behandlung desselben gegenständes noch keine kenntnis gehabt, trotz jener verdacht erweckenden stilistischen Übereinstimmung.

Ich kann auch jetzt nur widerholen, was ich a. a. o. s. 371 Über die unbrauchbarkeit der aufstellung eines ablauts urgerni. ^feuito, "^fauyt behufs erklärung der formverhältnisse von fechten bemerkt habe, dass nämlich eine solche regel- mässige abwandlung des verbumiS nach dem normalschema der cu : ««-reihe, wenn sie bestanden hätte, aller Wahrscheinlich- keit nach überhaupt niemals alteriert worden wäre. Hinzu- fügen darf ich wol noch den hinweis darauf, dass man auch in morphologischer hinsieht eine art unicum mit jener auf- stellung schaffen würde: bis jetzt sind starke verba der zweiten ablautsklasse mit doppelconsonanz hinter dem eu im germani- schen nicht nachgewiesen ausser den zweien mit -st- got. hriustan 'knirschen' (dies in dem einzigen belege der 3. sing, ind. praes. h-iiistij) Marc. 9, 18: Braune, Got. gr.-^ § 173, anm. 1. Streitberg, Got. elementarb. § 204), und aisl. liösta 'sclilagen' (Noreen, Altisl. und altnorw. gr.^ § 412). Das Vorhandensein dieser aber berechtigt offenbar noch nicht zu der annähme, dass auch solche des habitus eu + -yt-, wie das Klugesche fabrikat got. *fii(htan, vorkommen mochten, denn den 5- Verbin- dungen st und sJc, s}) hatte ja eben auch in andern be- ziehungen, wie z. b. in der Verwendung für die stabreimende dichtung und hinsichtlich des reduplicationsverfahrens, das formale sprachempfinden der alten Germanen die geltung als äquivalente einfacher consonanz verliehen; \g\. Kluge, Beitr. z. gesch. d. germ. conj. 5G. Verf., Beitr. 8, 563, sowie auch Sievers, Altgerm, metrik 37 and R. M. Meyer, Zs. fdph. 26, 149 f.

HEIDELBERG, den 21. mal 1902. H. OSTHOFF.

lieiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVH. 23

ÜBER EINIGE ABKÖMMLINGE DER ZWEIZAHL IN DEN GERMANISCHEN SPRACHEN.

1.

lieber die bildungsweise einiger ableitungen vom stamme der zweizalil in den germ. sprachen werden in den gangbaren liandbücliern lehren vorgetragen, die, wenn ich nicht irre, teils vom Standpunkt des germ, selbst, teils von dem der verwanten sprachen zu bedenken anlass geben. Ich meine einmal ahd, mhd. 0tvt, zivies n. m. 'zweig, rebschoss, pfropfreis', wozu zivien 'pfropfen', und das damit identische mnl. tivi 'zweifei, zwist', wozu tivlen 'streiten', mnd. tivten 'sich teilen' (Franck, Etym. woordenb. 1044), sodann die durch suffixale h, g, f gekenn- zeichneten bildungen :

got. kveih-nai 'je zwei, doppelte', aisl. tuenn 'doppelt' (nebst 2>renn 'dreifach'), ae. twih, tweonum 'beide, beiden', hetivih, be- tweonum 'zwischen' (Sievers, Ags. gr.2 154) und mit anderer vocalstufe und anders entwickelter bedeutung ahd. ziveho m., as. twelio, ae. hveo 'zweifel';

ahd. stvig, mnd. twich, nl. twijg, mit anderer vocalstufe ae. ne. twig und mit anderer vocalfarbe as. tivögo (westf. twouch), ahd. 2uogo (bair. zuechn) sämmtlich 'zweig' und elsäss. zwagU 'kleiner zweig einer traube';

gottweifls (üveifl?), ahd. zivifal, -änJunfal, nl.tivijfel 'zweifel'; dazu 8i,e. ^e-hvcefan 'trennen, abhalten, hindern' und SiM. zivtfo 'zweifel', wenn in der, wie es scheint, nur einmal belegten Wendung huuzssan einigan zuuiuun Isid. 26, 11 Hencli das -iiu- als -fu- zu verstellen ist, nicht als -ivu-, was nach der im Isidor herschenden schreibgewohnheit ebensogut möglich ist (Hench, QF. 72, 91); in diesem falle würde sich das wort zu dem aisl., übrigens nach Cleasby-Vigfusson ebenfalls nur einmal (Atla-

GERM. ABKÖMMLINGE DER ZWEIZAHL. 355

kviö. 27) beg-eg-nendeii fyja 'zAveifel' stellen, das man um des t«-iimlauts des -ui- willen aus *tmuiön- herzuleiten pflegt.

Sehe ich von der Vermutung Kluges (Et. wb.^ 441) ab, das g von siütg u.s.w. sei aus j innerhalb einer ursprünglichen flexion ztvt, zwtjes entwickelt sie erweist sich als unzuläng- lich schon dadurch, dass sie den nebenformen mit 6, ä in der Stammsilbe keine rechnung trägt , so scheinen die neueren in der meinung übereinzustimmen, alle die genannten bildungen giengen auf eine urform mit -qii- zurück, das in der bekannten mannigfaltigen weise durch h, g, f, tu widergespiegelt werde, nur dass das letztere in der mehrzahl der es ursprünglich enthaltenden Wörter ausser etwa ahd. zivüvo lautgesetzlich verloren gegangen sei (s. Kluge, Beitr. 11, 561. Vorgeschichte - 375. 457. Et. wb.« 441 s.v. siveifel Franck, Et. woord. 1043. Noreen, Abriss 76. 148. 180. Brugmann, Grundr. 2, 242. 12, 612. 615). Wenn Kluge dabei von einer 'vorgermanischen wurzel dueicßi-'' spricht, so stellt sich das als eine unstatthafte abstrac- tion dar; da wir es in allen jenen Wörtern, wie wol von nie- mand bezweifelt wird, mit ableitungen von der zweizahl zu tun haben, so könnte es sich bei diesem diieiqn- doch nur um eine suffixale Weiterbildung des Stammes derselben handeln, und so knüpft Brugmann principiell richtiger an ai. dvi-ha- 'aus zweien bestehend, subst. paar', ved. dva-M- 'je zwei, paar- v/eise verbunden' an, die mit demselben sufflx gebildet sind wie ai. eM-Jcd- 'einzig, alleinig, alleinstehend', tri-M- 'drei- fach, zu drei zusammengehörig, n. dreizahl', dsla-ha- 'achtfach, achtteilig'.

Dieser annähme einer einheitlichen grundform widerstrebt nun schon aus dem germ. selbst heraus ahd. mhd. zivi, mvies. Beruhte es wirklich auf urgerm. *tm-ua^ für *tm-gua^, so sollten wir reste des -u- erwarten in einem nom. *^^^'^o und noch mehr in casus obliqui *2icmes u.s.w. Aber weder die ahd. belege, die Graff 5, 729, noch die mhd., die Müller-Zarncke 3, 956 ver- zeichnen, weisen eine spur davon auf; durchgehends heisst es ^■wi, sivles, in bemerkenswertem gegensatze beispielsweise zu urgerm. *saiua2, dessen hd. ebenbild seo, se wenigstens in den obliquen casus das tv in beträchtlichem umfange bis in mhd. zeit fortführt. Ich meine darum in mvi die Substantivierung des lit. dveji 'je zwei, zwei (bei pluralsubstantiven)' und ai.

23*

356 SOLMSEN

dvayd- 'doppelt' seilen zu sollen, vorausgesetzt dass das a des letzteren dem e des lit. Wortes, nicht dem o des abulg. dvoji 'doppelt' entspricht; zivi aus urgerm. '^tmiaz wie z. b. drt aus *J)riiiz, fri aus ^friiaz. Da das gr. öoioi, öoiöq 'je zwei, doppelt' nicht aus ^dfoioq entstanden sein kann, sondern auf ^öfoi-ioq (oder auch *d\Foi-uog) zurückgehen muss, so kann übrigens für Zivi auch ein vorgerm. ""^diici-ws vorausgesetzt werden (vgl. u.). Zu der substantivischen Verwendung dieses multiplicativ-distri- butivischen adjectivs beachte man ai. dvaydm 'doppelheit, paar, faischheit' (in diesem sinne schon im RY.) und gr. doit] 'zweifel' Ilias.

Aber auch die anderen Wörter, die nach abzug von zivi noch übrig bleiben, unter einen hut zu bringen stellt sich als unmöglich heraus; denn nach allem, was wir über indog. Suffixe wissen, vertritt das h von ai. dvakd-, dviJca- nicht velar mit labialem nachschlage, sondern velar ohne solchen. Dem ai. elm-Jid- entspricht got ainaha, nicht *ainaha, lat. imicus, nicht *üniqnos. Man wird weiter das -Jca- der zahladjectiva nicht von demjenigen trennen können, das zur adjectivierung von adverbien und präpositionen dient: anti-Jcd- 'nahe', dnu-Jca- ' hinter etwas her seiend, begierig', üt-Jia- 'sich nach etwas sehnend', iic-ca- 'in der höhe befindlich, hoch' u.a., und für dieses erlauben uns die grieeh. gegenstücke wie Jitgi^ 'rings- herum', 3iQ6-xa 'sofort, sogleich', ""jiqü-xo- 'hindurchdringend, hinüberführend' in jigtaxco und die lat. wie reci-procus, nicht '-^requi-proquos, eigentlich 'rückwärts und vorwärts gerichtet', zu behaupten, dass sein velar der labialisierung entbehrte. In gleichem sinne zeugen ferner die grieeh. rQixrvg 'dreiheit, drittel', xsTQaxzvg 'vierheit, vierzahl', nicht ^zQiJirvg, ^rerga- jttvg, wenn die bildungen, aus denen sie durch anfügung des abstractsufüxes -zvg gewonnen sind, mit den altind. wie dvil-a-, trikd- identisch waren; doch ist das unsicher, weil sie ebensogut von T()/xa, xkxQttxa aus geformt sein können, wie Brugmann, Gr. gr.'' s. 216 annimmt, und auch bei den adjectivischen öiooög öixxög, xQLOöög xQizxog 'zweifach, dreifach' sich nicht ent- scheiden lässt, ob sie aus '^öix-j^ög, ^xgixiog oder aus '^öix-iog, *xQix-iög entstanden sind.') Ueberhaupt aber ist die existenz

^) Darin stimme ich auf jcdeu fall ScLulze, KZ. 33, 395 uud Brugmauu

GERM. ABKÖMMLINGE DER ZWEIZAHL. 357

eines suffixalen elements -quo- in den indog. sprachen durch keinerlei sichere tatsachen beglaubigt; in lat. anttqiios, eigent- lich Hvas in räum oder zeit oder rang vorausgeht, voransteht', das allein man etwa nennen könnte, sieht Kretschmer, KZ. 31, 389 wol richtig eines jener composita mit dem stamme oqu- 'angesicht' (ursprünglich also 'das angesicht nach vorn richtend') wie SLi.prdüMs 'zugewant, entgegengesetzt', J9ra7!/ia«i 'antlitz' und dmlmm 'angesicht, Vorderseite', über deren laut- gestalt bei auslautendem i, u des ersten bestandteils J. Schmidt, Pluralb. d. neutr. s. 389 ff. gehandelt hat; auch dvihi-, triht- etwa als solche anzusprechen empfiehlt weder die bedeutung noch die kürze des vocals in der compositionsfuge.

Tatsächlich liegt denn auch kein irgendwie zwingender anlass vor, die Vielheit der germ. formen als entfaltung einer alten einheit aufzufassen; die typen der zahladjectiva und -adverbia, die die verwanten sprachen darbieten, lassen es ebenso gerechtfertigt erscheinen, wenn wir in ihnen von anfang

a.a.O. zu, dass att. TQnivq 'dreiheit (als bezeichnung eines aus drei tieren bestehenden opfers), drittel' erst durch secundäre Umbildung von XQixTvq. nach dem muster von xQixxöq zu stände gekommen ist. Dafür spricht schon die Aveite Verbreitung der -;«t- formen in den ausserattischen mund- arteu. Die xexQaxxvg war das Schwursymbol der Pythagoräer, der terminus entstammt also dem achäisch-dorischen culturkreise Unteritaliens, xqixxvc, das Hesych anführt, Avird als dorisch erwiesen durch des Syrakusaners So- phron fragment 3 Kaibel und das in seiner speciellen bildnng freilich auch nach Prellwitz, Bezz. Beitr. 17, 167 noch nicht völlig klare, wie es scheint, adjectivische XQixxevav {%>jvav) der delphischen amphiktioneuinschrift CIAtt. 2, 545 = Cauer, Del.^ 204, 34 zweimal , als ionisch durch die etwa um das jähr 180 v. Chr. zu datierende Übergaburkunde aus Delos Dittenberger, Sylloge inscr. Graec. ' 867 = ^ 588, die in zahlreichen widerholungen (z. b. z. 57. 63. 92) XQiKxvuQyoi und xQixxvc.Qyo'CrxtQ nennt. Die somit allem anscheine nach specifisch attische Umgestaltung des zahlabstractums reicht allerdings in recht alte zeit zurück; schon die Inschriften aus der ersten hälftedes5.jh. 's v.Chr. weisen ausschliesslich XQiXxvq, x(iiixo{i)a auf (Meister- hans, Gramm, d. att. inschr.'' s. 101), letzteres, das das dreifache opfer be- zeichnet, aus *XQixxoFia*xQix-xoF-iu hervorgegangen und als proparoxytonon, nicht wie gewöhnlich geschieht, als paroxytonon zu betonen nach der lelire in den Kanones des Theognost Cramers Anecdota Oxon. 2, 103, 11, die sich als vertrauenswürdig schon dadurch erweist, dass sie dem ausdruck den richtigen diphthong -oi- zuerkennt, während die sonstigen grammatischen und lexicalischen excerpte byzantinischer zeit ihn mit falschem -i'- {xqixxvu) schreibeq,

358 SOLMSEN

an verschiedene bildungen erkennen. Die Wörter mit -h- würden natürlich bei ai. ävaM-, dvila- verbleiben , zu denen sich übrigens, abgesehen von allfälligem gr. *6fix-i6c, noch slavo- lettische formen mit dem gleichen suffix, wenn auch anders gestaltetem stamm davor, gesellen: serb. dvojJca 'fass von zwei eimern', russ. czech. poln. dvößa 'paar, die zwei im kartenspiel' aus urslav. ^dvoßkä und gemeinslav. dvojdlm 'doppelt', lit. dvcjolms 'zweierlei', tiv^g- und tivög- können mit ihrem -g- grammatischen Wechsel dieses -li- darstellen. Sie können aber ebensogut, wie schon J. Schmidt, KZ. 16, 436 ff. in einem erstlingsauf satz annahm, der zwar in wesentlichen stücken veraltet ist, aber immer noch mehr beachtung ver- dient als ihm heute zu teil zu werden scheint, zu den griech. multiplicativen wie d/^«, Ör/Ji ör/ov, ör/üa 'in zwei teile ge- teilt, zwiefach, doppelt', rgiia, TQiyij, rgr/^ov, xQixcog 'drei- geteilt, dreifach' und den litauischen altersadjectiven wie dveigys, treigys, Tidvergis, penkergis 'zwei-, drei-, vier-, fünfjährig' ge- zogen werden; dazu kommen weiter die von Schmidt noch nicht berücksichtigten alban. degs 'ast, zweig, gebüsch' aus *daiga *doigha oder ^'dnoighä (G. Mej^er, Et. wb. s. 62, der schon an ^tveig erinnert hat) und abulg. trüü 'dreijährig' und *dvüü 'zweijährig', das durch die mit hilfe verschiedener substan- tivierender endungen weitergebüdeten serb. dii^c, gen. dvheta 'zweijähriges schaf, dvizalc, dvirnka 'zweijähriger widder', dvljsica, dvisJca 'zweijähriges weibliches schaf vorausgesetzt wird. Die letztgenannten, deren -^- an stelle von ursprüng- lichem -g- unter dem einfluss des vorhergehenden i durch die sogenannte zweite palatalisierung getreten ist (Baudouiu de Courtenay, IF. 4, 46 ff.), zeigen die gleiche einschränkung des Sinnes auf die altersstufe wie die lit. dveigys u. s.w.; dass diese etwas secundäres ist, wird erwiesen durch einen anderen Vertreter der bildungsklasse, grruss. cetvergti, klruss. cetverh 'donnerstag', der allerdings mit lit. Jietvergis nicht laut für laut identisch ist, sondern auf *ceMrgü oder, was minder wahrscheinlich, ^cetvertgü beruhen muss. Er hat seine bedeu- tung 'vierter tag der woche' (neben vtörnUxü 'dienstag' zu vtoröj 'der zweite', pjdtnka 'freitag' zu pjätyj 'der fünfte' und dem in der Umgangssprache seltener gebrauchten cetvertök 'donnerstag' zu cdvcrtyj 'der vierte') in derselben weise aus

GEBM. ABKÖMMLINGE DER ZWEIZAHL. 359

ursprüDglicliem 'vierfach' entwickelt wie ai. dstalcä fem. 'der achte tag- nach dem volhnond' Ath. Yed. (^atap. Brähm. aus dsfaJia- 'achtfach' entsprossen ist, d.h. vermutlich durch die Zwischenstufen 'aus vieren bestehend, vier enthaltend, an vierter stelle stehend, vierter'. Was die Verwendung für die altersjahre anbetrifft, so hat schon Schmidt a. a. o. s. 440 richtig auf die parallelen lat. sexagcnanus, scj^hiagenarnis 'sechzig-, siebzigjährig' neben 'sechzig-, siebzigzöllig', ursprünglich ledig- lich 'sechzig-, siebzigfach, sechzig, siebzig enthaltend' zu sexageni, scptucKjcni 'je sechzig, siebzig' und deutsch sechziger, siehziger verwiesen.

Auch für üceifls hat Schmidt bereits a. a. o. s. 431 eine ein- wandfreie andere anknüpfung gegeben, nämlich an gr. öi-jrX6c, das von 6ix?.üog, diJcXovg seinem Ursprung nach zu scheiden ist, und lat. dü-plus] in demselben sinne hat sich jetzt, ohne von Schmidts vorgange zu wissen, v. Grienberger, Unters, z. got. wortkunde (SB. der Wiener akad., phil.-hist. klasse 1900) s. 211 ausgesprochen. Wie dieses suffixale -xüo- zu stände gekommen ist, darüber kann man verschieden denken. Es ist möglich es, wie V. Grienberger will, an ausdrücke wie czech. oba-pol 'zwei- fach', klruss. oba-poly 'auf beiden selten', Zusammensetzungen mit gemeinslav. iJo?M 'seite, hälfte, geschlecht', auzuschliessen. i) Aber viel wahrscheinlicher dünkt mich doch, dass es sich in ihm um eine Z-erweiterung des multiplicativsuffixes handelt, das uns in lit. dvejöpas, trejöpas, lietveriöpas u.s.w. 'zweier-, dreier-, viererlei' (weitere belege bei Leskien, Bild. d. nom. im lit. s. 589 f.) entgegentritt. Diese bildungen bieten uns, wie ich meine, auch den Schlüssel zum Verständnis von ae. ^e-hccüfan aus urgerm. '*ga-tu-aif-janan und von ahd. zivifo, wenn dies die echte form des Wortes ist. Stellt vielmehr zwiivo das rich- tige dar, so werden wir das und aisl. tyja aus ^'tmuwn- zu- nächst an die multiplicativadverbia ae. tivhva, ttuva 'zweimal', ^rüva 'dreimal', sowie an die nicht von den stammen dtä-, tri-, sondern von den fertigen adverbien indog. ''^dms, *^m aus ge- bildeten ahd. ztviro aus *tuizm- und weiter ahd. ztviron, ziviror, driror, aisl. tuisuar, ])ristiar anzureihen haben. Sie finden

^) Gr. 7ii?.ofA.ui, das v. Grienberger noch in diesem zusammenhange nennt, muss beiseite bleiben, da sein n altes qV fortsetzt (ai. cärämi, lat. colo).

360 SOLMSEN

ausserhalb des germ, ihre nächste beziehimg an dem vedischen dvay-u- nebst dvay-äv-in- 'doppelzüngig-, falsch, unredlich', von dem sie sich nur insofern unterscheiden, als sie allem anscheine nach eine themavocalische bildungsweise voraussetzen, während jenes unthematischer natur ist.

Es bleibt zum schluss noch ein punkt in kürze zu erörtern, die gestaltung des stammhaften vocals vor den verschiedenen Suffixen. Diejenigen formen, die X aufweisen oder erschliessen lassen, ae. twig und ahd. swelio u.s.w., entsprechen damit der Stammform der zweizahl, die im ersten teile von Zusammen- setzungen in den meisten gliedern des germ. wie im altind., griech., lat., balt. herscht. Mehr Schwierigkeiten bereiten die Wörter mit 7, zu denen das altisl. noch die grosse masse der composita beisteuert, die im gegensatz zu den anderen germ. idiomen tivi-, nicht tivi- enthalten (tin-huri 'zwilling', tui-liaf- dadr 'zweihäuptig' u.s.w.). Noreen a.a.O. s. 76 setzt dieses l gleich urgerm; l. Dass das möglich ist, beweist das Verhältnis von lit. dvynü ' Zwillinge'') zu ahd. zwinal, swinilinc. Aber lit. dveigys und die ai. dvcdhä 'zweifach, entzwei', trcdhä 'drei- fach, in drei teile', die schon in vedischer zeit neben gleich- bedeutenden dvidliä, iridlm stehen und die man, trotzdem die erste silbe von trcdhä mehrfach in der metrischen geltung von zweien gebraucht wird, nicht aus indischer zusammenziehung von *dvaya-dhä, *traya-dhä erklären darf (s. Wackernagel, Ai. gr. 1,531), 2) sowie^endlich gv.öoiög s^ua^d/oi-iog (oder *ÖJ'oi-u6g?) und alb. dege mit e aus oi lehren, dass wir in dem i mit nicht minderem rechte vorgerm. diphthong cl erkennen dürfen. Am wenigsten durchsichtig sind die ö-formen and. twögo, ahd. znogo. Wäre nicht das allem anscheine nach damit ablautende eis. zwagle, so läge die annähme nahe, dass sie ihr o dem einflusse sei es des historischen nom. fem. as. twü, alem. zwo, sei es des vorhistorischen, dem ai. dva, gr. Övm u.s.w. entsprechenden nom. masc. "^twö, der wol in ae. tu neutr. fortlebt (Streitberg, Urgerm. gr. § 165), verdanken. So aber fühlt man sich durch

1) Ob lat. hmi altes *(hfinoi oder *dnis-noi (vgl. terni, quaterni) wider- gibt, können wir nicht sagen.

'^) Diesen bilduugen dürften im suffix die gr. di/ßcc, r^n/ß-ü, rtxQuyßä des epos entsprechen, in denen wir wol eine Verschmelzung von d//« und *did-ä zu erblicken haben.

GERM. ABKÖMMLINGE DER ZWEIZAHL. 361

^ivagle an das ai. ävdkds erinnert, das früher als dvikas belegt ist (oben s. 355), und kommt auf die Vermutung, ob nicht neben der durch i charakterisierten Stammform in Zusammensetzung und Stammbildung einmal auch eine andere bestanden habe, die von diesem i frei war. Doch wüsste ich für sie, da wir es in ai. dvddaga, gr. öcoöexa u. s.w. 'zwölf doch mit zusammen- rückung, nicht Zusammensetzung zu tun haben, höchstens noch einen beleg zu nennen, ai. dvä-pdra-, das nach dem Petersb. wb. als name eines würfeis oder einer Würfelseite, die mit zwei äugen bezeichnet ist, im Yajurveda begegnet (neben ckaixird- im Eigveda als bei wort eines würfeis, bei dem ein äuge den ausschlag gibt) und das in grammatischer literatur auch durch ' Zweifel' erklärt wird; ob das aber in dieser gestalt etwas altes fortsetzt und nicht vielmehr unter dem directen einflusse von dvä{u) entstanden ist, steht doch sehr dahin. Sicher jungen Ursprungs werden die kirchenslavischen, im serb. fort- lebenden bildungen wie dvo-guhX 'doppelt', dvo-Jcrovmü 'dop- peltes dach habend', dvo-myslije ' Zweifel' sein; da die balt. sprachen ihnen im einklang mit allen schwestersprachen dvt- gegenüberstellen (lit. dviguhas 'zwiefältig', preuss. dwigubus 'doppelt', dtmgiüjut 'zweifeln'), so wird ihr -o- erst im slav. sonderdasein -i- abgelöst haben in anlehnung an dvojl, das auch den lebenskräftigen sufflxbildungen (dvojmü, ^dvojika in dvojika 'paar' (^vojYcmtt 'doppelt' c^ycyTcr 'zweimal', dvojakü, sämmtlich 'zweifach, doppelt') zu gründe gelegt worden ist; der process ist dann in jüngeren mundarten weiter gegangen, indem dvo- durch dvoj-, dvoje- verdrängt worden ist: czech. divoj-rohaty 'mit zwei hörnern', dwoj-smysl 'doppelsinn'; grruss. dvoje-brdcije 'doppelehe', dvoje-tcsü 'doppelter brettnagel' (neben dvu-h-dtmjj 'zweimalig', dvu-rögij 'zweihörnig', die u an stelle von o haben treten lassen nach dem muster der flexion der zweizahl, in deren obliquen casus dieser vocal herschend geworden ist: dvuchü dvimiu dvumjd.).

2.

Die indog. Ursprache hat ihren töchtern in gewissem nicht näher abzugrenzendem umfange neben der stammgestalt dui- eine stammgestalt di- ohne u hinterlassen. Man hat längst in lat. dis- und ahd. sir- 'entzwei, auseinander' zwillingsformeu

362 SOLMSEN

von lat. chis bis, ai. dvis, mhd. ;sivis 'zweimal^ zweifach', g'ot. twis- 'auseinander' erkannt und gr. öiä, für das das fehlen eines / nach dem 6 durch das durchgängige unterbleiben der längung eines davor stehenden kurzen vocals im epos und durch den überaus frühen wände! in ga auf äol. gebiet bewiesen wird, auf eben diese formen bezogen, indem man die bedeutung 'durch' aus älterem 'zwischendurch, auseinander' abgeleitet hat. Unters, z. griech. laut- und versl. s. 211 ff. habe ich dann weiter gezeigt, dass auch öi-cfQog 'wagenstuhl, sessel', das allein von allen composita mit öi- dank der häufigkeit seines Vor- kommens bei Homer zeugnis abzulegen befähigt ist, ein / ab- lehnt, und damit die lat. glossematisch überlieferten Zusammen- setzungen mit di- neben den literarisch herschenden mit hi-: diennnmi, difariam, dwms (aus dilmmis), divwm, disidcis, des, das Varro als ehemals für hcs 'zweidrittel as' gebräuchlich bezeugt, und umbr. difue 'zwiefältig' combiniert. Ich glaube, dass auch auf germ. boden ein paar nomina derartige des u ermangelnde Stammformen in sich bergen.

Ae. telga, mnl. telg, tclch, mhd. sclge, selch, sämmtlich masc. und 'zweig' bedeutend, werden von J. Schmidt, Voc. 2, 22 und Franck, Et. wb. s. 1007 zu abulg. dlugü, gr. öohx(k, ai. dtrglids 'lang' gestellt, deren entsprechung man sonst in got. hdgiis 'fest, standhaft' und as. hdgo 'sehr' erblickt. Kluge, Et. wb." s. 441 ver- zeichnet die Sippe einfach als synonym mit der von ztvcig, ohne sich über die etymologie zu äussern. Da Tatian, nach Graft 5, 729 f. die einzige ahd. quelle, die das w^ort braucht, suclga 146, 1 und nielgon 73, 2 hat, so wird man nicht umhin können, es wie sivcig mit zwei zu verbinden und Hnelg-, tclg- als doppel- formen in der art der lateinischen mit diu-, hi- und di- aufzufassen. Gemeingerm, ""liielgo^n)-, *telgö{n)- kann sein e durch brechung für i erhalten haben. Dann vergleicht es sich in seinen bildungs- elementen am nächsten mit mnd. üvil, tivele, nl. iwil 'gabel- förmiger zweig' und aisl. hiil n. ' zweifei ', weiter mit lat. duelhim, jünger hellum 'krieg', eigentlich 'zwist', vorausgesetzt dass dies aus *duel-nom, nicht etwa "^diteno-lom o. ä. erwachsen ist.i) Nur ist bei jenem auf das Z-suffix ein </-suffix w^eiter

') Es zeichnet sieb übrigens dadurcb aus, dass es vor dem suffix- complex nicht i, sondern e hat, Avas für das oben anlässlicli Iwögo, zwagle bemerkte nicht ohne bedeutung ist.

GERM. ABKÖMMLINGE DER ZWEIZAHL. 863

aufgepfropft, das man "\vol für identiscli mit dem in sivcig er- scheinenden halten darf.

Ein anderes wort zeigt, so viel ich sehe, auf keinem der gebiete, wo es begegnet, mehr eine spur des u. Es ist got. tains 'rebschoss', aisl. teinn 'schössling, reis', ae. tan 'a twig, sprout, shoot, brauch', alid. ^ein 'arundo, virgultum', pl. 'sar- menta'; dazu das entlehnte finn. taina 'pflanze' und got. tainjo, alid. zeinna ^korb', d.i. das aus reisern, ruten geflochtene. Neuerdings sind Wood, Publ. of the modern lang, assoc. 14, 334 (Avie ich aus Uhlenbecks Et. wb. d. got.^ s. 145 ersehe) und V. Grienberger, Unters, z. got, wortk. s. 207 in dem gedanken zusammengetroffen, es mit gr. öivoq, dir?] 'wirbel, Strudel, das herumdrehen im kreise', dirüi' 'im kreise herumdrehen' und lett. devju, det 'tanzen', lit. dainä 'Volkslied', ursprünglich wol 'tanzlied', zu verbinden. Aber diese gehören zu ai. diyati 'fliegt, enteilt', gr. ötifjai, öto/(at 'eile, flüchte', öimxo) 'ver- folge', öiiQog 'eilend, flüchtig', air. dzan 'schnell', der kern- begriff der Wortfamilie ist also nicht sowol der der gewundenen, kreisförmigen bewegung, von dem aus der sinn der germ. Wörter allenfalls begreiflich wäre, als vielmehr der der schnellen, eiligen bewegung. Nehmen wir dagegen als grundbedeutung 'zweig', was sich angesichts der Verwendung beispielsweise von ahd. mhd. zwi durchaus rechtfertigen lässt, so können wir urgerm. Hainaz mit gemeinslav. dvojinü 'zweifach, doppelt', woher z. b. grruss. f?i-o;«27.-;^ 'zweidrähtiger faden, zweischeitiges holz, doppelgänger', zusammenbringen, nur dass in dem slav, wort das suffix an die Stammform duoi- nicht in der gestalt -no-, sondern -eno- oder in der an ^-stammen abstrahierten ge- stalt -ino- angetreten ist. Der Stammform *f?Mo/- selbst sind wir bereits im ersten abschnitt in ae, sc-tivcefan, gr, öoiöq, alban, dege begegnet; davon lassen die beiden letzteren nicht erkennen, ob sie von duoi- oder von doi- ohne das u aus- gegangen sind (vgl. verf. Unters, s. 134. 212. G. Meyer, Alban. stud. 3, 39),

BONN, den 10. juni 1902, FELIX SOLMSEN,

ETYMOLOGISCHES.

1. Got. us-filma. Got. us-filma 'erschrocken, entsetzt' nebst us-filmci 'schrecken, erstaunen' und aisl. fehntr 'erschrocken', fdlma 'sich schwankend bewegen, tappen, tasten' wird in der regel mit gr. .-reXeid^o) 'in heftige bewegung versetzen, erschüttern, erbeben machen' und jröXefiog 'krieg' verbunden (s. Uhlenbeck, Et. wb. d. got.- s. 160). Auch eine slav. wortgruppe berührt sich in der bedeutung nahe mit den germ. ausdrücken und weicht in der form von ihnen nur im letzten consonanten der ' wurzel' ab: urslav. *2^olchü und mit reduplication ""popolchu 'schrecken, Verwirrung' in abulg. placliü, poplacliii 'terror', grruss. polöclm (jetzt veraltet, aber gebräuchlich in der Zusammensetzung pere-polöchü) 'auf rühr, lärm, tumult, Wirrwarr', also dem gr. jiohfiog nahe kommend, klruss. pölocliü 'scheuche, bestürzung', pöjjoIochU 'schrecken, bestürzung', poln. poploch 'einschüchterung, Schüchternheit, furcht', czech. poplacli 'aufschrecken'; urslav. "^polclm adj. 'schüchtern, scheu' in ?i\n\\g. plachti 'wankend, furchtsam', serb. pläh 'scheu (von tieren), rasch', klruss. polochyj 'scheu', poln. piochy 'scheu, flüchtig', czech. plachtj 'scheu, flüchtig, leicht'; urslav. ^poUiti 'in schrecken versetzen, scheuchen' in abulg. plas'di, iieYh.pjl^isiti, giTi\sa.2)oIositt, khwss. ^jolösi/fy 'beunruhigen, in aufruhr versetzen, schrecken', poln.^^^os^yc 'scheuchen, ver- scheuchen', czech. jylasiti 'wild, scheu machen'. Es handelt sich um verschiedene sei es 'wurzeldeterminative', sei es 'sufflxe'; dabei muss bei der slav. sippe dahingestellt bleiben, ob ihr -ch- altes -s- oder etwa -Ics- vertritt (vgl. Pedersen, IF. 5, 55 f.).

2. hell, hall. Ahd. hei 'laut, tönend', wozu hellan 'ertönen' und mhd. hal 'hall, schall', schliesst man an ahd. halön, holon 'rufen,

ETYMOLOGISCHES. 365

einladen' und damit weiter gr. xaXtiv, lat. caläre 'ausrufen, berufen' an. Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden, es scheint aber noch nicht hervorgehoben zu sein, dass auch der slavolett, sprachzweig zugehörige bildungen besitzt, die der deutschen sogar hinsichtlich der nominalen form und der be- deutung in gewissem sinne näher stehen: gemeinslav. *A•o^/lO^« in abulg. Idaliolü, grruss. JiöloJiolu, klruss. IcoloMt, polab. Idäkül und lit. Jxün-Jcal-as, sämmtlich 'giocke, schelle' bedeutend. Sie zeigen die reduplication, die gerade bei schallnachahmenden Wörtern, nomina wie verba, so beliebt ist, und zwar die slav. den regulären typus, die lit. denjenigen, der nasal für die liquida einsetzt; der letztere ist übrigens bei unserem wort auch dem slav. nicht unbekannt, wird hier aber nur in über- tragenem sinne für die kornrade und den schwindelhafer, das taubkorn gebraucht: abulg. Jmkoli, serb. hiiJwlj, grruss. Mlwli, klruss. ImUli, poln. Iqliol, czech. loukol. Die ähnlichkeit zwischen Vwl-liolü und dem mittellat.-germ.-kelt. Jdok- in lat. clocca (franz. clocJie), aisl. Tiluldm, ae. cliigge, alid. glocJxa, air. che, kymr. doch, dessen geschichte im einzelnen nicht völlig aufgeklärt ist, liegt auf der band; es ist aber eben nur eine ähnlichkeit und an historischen Zusammenhang nicht zu denken; vielmehr haben die gleichen sinnlichen eindrücke sich in an- nähernd gleichen lautlichen retlexen entladen. Kluges frage (Et whß s.Y. hell), ob auch aisl. hjal n. 'geschwätz' und hjala 'schwatzen' zu der behandelten Avortfamilie zu ziehen seien, wird man nicht anstehen zu bejahen, wenn man bedenkt, dass grruss. JcoloJioUtt ausser 'läuten, klingeln' noch 'schwatzen, klatschen' bedeutet.

3. helle halle, helle hölle, das im älteren nlid. den engen räum hinter dem ofen zwischen diesem und der wand bezeichnete und bis heute in manchen gegenden selbst und in hellhanl; höUhanh ' Ofenbank', in Thüringen in hcllchllsche dass. fortlebt, wird von Kluge, Et. wb.« s. 171 zu ae. heul, nie. hal 'winkel, ecke' und air. cuil 'ecke' und weiter zur wurzel hei 'verhüllen, verbergen' gestellt. Was es mit dem ir. worte auf sich hat, vermag ich nicht zu beurteilen; bei Stokes-Fick, Vergl. wb. 2', 83 finde ich nur ein ir. cuüe angeführt, das in den St. Galler glossen

366 SOLMSEN

ZU Priscian mit cella gieichgesetzt wird. Wol aber möchte icli darauf hinweisen, dass moderne slav. mundarten die nächsten zugehörigen zu unserem deutschen worte liefern: bulg. Iddnih 'der räum zwischen dem herde und der wand', serb. Iddnac 'engpass', slov. Iddmc, Mdnjtc 'hohl weg, dorfgasse, rinnsal eines baches, plur. gebirgswege', czech. Idanec (Jiory) 'einsenkung (im gebirge)', die, mit leichter Veränderung des suf fixes im bulg., auf urslav. *JioIiuci zurückweisen (vgl. Tore Torbiörnsson, Die gemeinslav. liquidametathese 1, Upsala univers. ärsskr. 1902, s. 82). Im verein mit lat. calUs 'schmaler fusssteig, bergpfad, Waldweg' aus *calnis, das Lagercrantz bei Torbiörnsson mit ihnen zusammengestellt hat, lassen sie es als sehr möglich erscheinen, dass auch das -U- von helle halle auf -In- beruht.

4. hülst. Auch bei hidst, mhd. htds, ahd. hids, hulis 'Stechpalme, mäusedorn, walddistel' ermöglichen die slav. sprachen über die blosse Verknüpfung mit ae. hole^n, ne. holly und ir. cuilenn, kymr. cclyn, corn. Icelin, bret. quelcnnen, die die gleiche pflanzen- art bezeichnen, hinauszugelangen. Sie bieten einmal die verbal- wurzel, von der diese ausdrücke abgeleitet sind, in abulg. Jiolja, Jdati, serb. l;oljem, Idati, grruss, Jcoljü, Jcolöti, poln. l-olq, hUc, czech. Icoli, Iddti, urslav. Icolja, *koUi 'stechen, schlachten, schnei- den', sodann vielleicht auch die 5-ableitung selbst, die im deutschen vorliegt, in gemeinslav. Vcolsü (abulg. Masii, serb. Jdäs, nis,ü. Mlosü, poln. 7i?ö5, czech. Ä'?a5) 'älire', das laut für laut in alban. Jcat 'älire' aus Vcalsas widerkelirt (G.Meyer, Et. wb. d. alb. s. 168); zu dieser bedeutungsentwicklung des substantivums erinnere man sich unseres ähre, got. ans u. s. w. in seinem Ver- hältnis zur Wurzel afc 'scharf, spitz sein' in lat. äcer, äcidus, gr. äxQog, dx^, axh, axai'oc, uxavi}a 'distel' und des gr. ör^f/iv, aörayivQ 'ähre' in seinem Verhältnis zu got. us-siiggan 'aus- stechen', aisl. stinga, ae. stmjan 'stechen'. Doch ist die Zu- gehörigkeit von '-^kolsü zu Jiolja nicht unbedingt sicher; es wäre möglich, dass es vielmehr bei hülse, ahd. hidsa; got. hu- listr, ae. helostr, heolostr 'hülle, Schlupfwinkel' und lat. cidleus 'sack, schlauch' aus *kolseios, wegen dessen ich mir erlaube auf meine demnächst in KZ. 38 erscheinenden bemerkungen zu ver- weisen, und damit bei der wurzel qel- 'verhüllen, verbergen'

ETYMOLOGISCHES, 367

unterzubringen ist. Ausserhalb des slav. dürfen wir die wurzel q^el 'stechen' mit einiger Sicherheit wol in lat. ciüter 'messer' und vielleicht in ai. hiifhäras aus *hihäras 'axt' erkennen; ob an sie auch lit. Jcaliü, MUi 'schmieden', hdiü, Imlti 'auf etwas sprödes schlagen, dreschen' und damit die ganze masse der Wörter, die auf den grundbegriff des schlagens, zerbrechens zurückführen, wie gr. xXcm, lat. percello, dädcs u.s.w. (vgl. Zupitza, Gutturale s. 107 und die dort angeführte literatur) an- gereiht werden dürfen, möchte ich dahingestellt sein lassen.

5. still, stillen. Kluge, Et. wb.6 s. 380 und Franck, Et. woordenb. s. 9G8 f. leiten ahd. as. st Uli, ae. stille 'still, ruhig, schweigend' und ahd. stillen, as. stilljan 'zur ruhe bringen, stillen' von der 'wurzel' stcl in stellen, stallen u.s.w. ab; jener verweist insbesondere auf ai. sthänü- 'stehend, unbeweglich' aus "^'sthälnu-, dieser (s. 950 unter staaT) auf lat. stölo, stölidus 'unbeweglich, stumpf- sinnig, dumm'. Ich will die richtigkeit dieser deutung keines- wegs bestreiten, sondern nur bemerken, dass das nächste an- recht auf vergieichung widerum slavolettische Wörter besitzen: lit. tijlii, tilaü, tilti 'schweigend werden', tyliii, tyleti 'schweigen', iyliis 'schweigsam', tyla 'schweigen' und gemeinslav. toliti 'be- sänftigen, beschwichtigen' in abulg. {u)toliti, kroat. toliti, grruss. toliti, klruss. tolyty, woneben serb. utoliti 'still werden'. Öie unterscheiden sich von den germanischen durch das minus des 5, ein Wechsel der bei wurzeln mit dem anlaut 6^ + con- sonant ja häufig genug begegnet.

BONN, den 12. jimi 1902. FELIX SOLMSEN.

. ALTE ORTHOGRAPHIE UND MODERNE AUSOABEN.

I.

Bei der frage nach der ortliographischen gestaltung von textausgaben schleicht sich leicht eine Unklarheit der begriffe ein. Wir sind gewohnt, diese frage mit dem namen Lachmanns zu verknüpfen. L.'s grosser fortscliritt liegt im streben, die texte in den sprachformen darzustellen, die der lieimat, der zeit, der metrik, der bildung und dem kunstverstand der Ver- fasser gemäss sind. Er fusste auf der Überzeugung, dass die Überlieferung der mittelalterlichen texte noch sehr viel weniger treu war als die der klassischen. Die normalisierung der Orthographie, die beseitigung der grossen ungleichförmig- keit und weiter der überflüssigen Umständlichkeit der Schrei- bung ist davon zunächst unabhängig. Indem der fortschritt unserer kenntnisse und die Vermehrung des materials dargetan haben, dass L. und seine nachf olger ohne zweifei oft voreilig gewesen waren, hat sich eine gegenbewegung eingestellt, die in Verbindung mit Unsicherheit und bequemlichkeit weit über ein berechtigtes mass hinausgegangen ist. Doch davon soll hier nicht die rede sein; hier handelt es sich nur um den an sich untergeordneten punkt der Orthographie, der allerdings mannigfacli in die andere frage eingreift. Da man sah, dass hinter einer anscheinend ortliographischen eigentümlichkeit auch wol eine solche der sprachform stecken könnte, dehnte man die zweifelsucht und Verzagtheit auch auf die Orthographie aus. Man wittert überall besonderheiten und macht mit wich- tiger miene darauf aufmerksam, wenn von zwei landschaftlich verwanteu handschriften die eine einmal, die andere zweimal

ALTE ORTHOGRAPHIE UND MODERNE AUSGABEN. 369

smemmen ai^ti swemmen schreibt.') So kommt man dazu, den ganzen orthograpliischen wüst früherer zeiten weiterzuschleppen und jedem zu überlassen, sich die feinheiten herauszuklauben. Man vergisst, dass dem wesen der dinge nach eine handschrift nicht nur Schreibfehler enthalten kann, sondern sogar in grösserer anzahl enthalten muss. Es ist ja ferner mit bänden zu greifen, dass die mittelalterlichen copisten fast durch die bank sudeln und in orthographicis, um bei unserem eigentlichen thema zu bleiben, oft genug geradezu absichtlich willkürlich sind. Es kommen da die merkwürdigsten dinge vor, wie die nianier, gleichlautende reimworte grade verschieden zu schreiben, die man wol aus einer Vorliebe für Variation hat erklären wollen. Man überzeuge sich durch einen blick in den König Rother, wie selbst die sprachformen der verschiedenen schichten der Überlieferung in diesem sinne benutzt werden, z. b. leph : niet, guten : otmode, ginc : intfenc, vcngen : gierigen, scubin : zogin, leven : nimen und swebete : liheten, riefen : weifen, Jcamerare : plege, lieb : nicht, Bother : mere.

Für den herausgeber erwächst die pflicht alles zu tun, um, wie einerseits Schreibfehler und berechtigte oder beabsich- . tigte Schreibungen, so andrerseits sprachformen und Ortho- graphie zu scheiden. Den sprachformen gegenüber ist er ge- bunden; der Orthographie gegenüber beanspruche ich für ihn volle freiheit. Schon öfter habe ich mich in diesem sinne aus- gesprochen; so Taal en letteren 8, 471 ff. und, im einvernehmen mjt Verdam, in unserer ausgäbe von Maerlants Stroph. gedichten s. xci. Die wolwollende recension dieser ausgäbe von Muller, Taal en lett. 10 beschäftigt sich auch mit dieser frage (s. 495 f. 500 ff.). Obwol M. unser verfahren billigt, sind wir doch nicht völlig einig. Denn er will eigentlich das recht nur da ein- räumen, wo wir die Orthographie des autors nicht genau kennen. Wo sie aber authentisch vorliegt, da soll sich der herausgeber gebunden fühlen und nicht wollen 'wijzer zijn dan de auteur'. Ich habe ausdrücklich gesagt, dass ich überzeugt sei, Maerlant habe in einzelheiten sein mnl. nicht so geschrieben wie wir in der ausgäbe. Allein seine Orthographie widerzugeben halte ich auch ebensowenig für geboten wie das verlangen, dem

>) S. Taal eil letteren G,324; dazu 8,475.

Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVII. 24

370 FEÄNCK

heutigen leser seine werke auf pergamentblätter mit gänsekiel geschrieben statt im druck in die hand zu geben. Es sollte uns darauf ankommen, möglichst so zuschreiben wie er sprach, und zwar mit den geeignetsten und einfachsten mittein, wäh- rend er selber nicht so geschrieben hat wie er sprach, auch nicht wie er hörte, sondern wie er las. Warum sollen wir so schreiben, wie er zu lesen gewohnt war? Hätte man zu jener zeit für gewöhnlich rote tinte gebraucht, sollten wir dann die texte auch rot drucken? Eine grössere bedeutung messe ich der Sache tatsächlich nicht bei, glaube also mit der ände- rung der Orthographie nicht 'wijzer dan de auteur' zu sein und ändere auch nicht deshalb, weil ich besser zu wissen glaube als der Schreiber einer handschrift, was Maerlants Orthographie war, sondern einfach, weil ich in dieser unter- geordneten angelegenheit mein einfachheit und regelmässig- keit anstrebendes verfahren für besser halte als das seinige. Aus dem gesagten ergibt sich ohne weiteres, dass ich den 'gleichen grundsatz auch auf die ausgäbe jüngerer texte anzuwenden wünsche. Hier dürfte ich nun auf vielseitigen Widerspruch stossen. Wenigstens befinde ich mich mit der anf orderung im gegensatz zum allgemeinen gebrauch, indem man bei solchen texten von einer normalisierung absieht und meistens den ganzen wüst der Orthographie in neuausgaben mit herüber nimmt. So viel ich weiss, hat dies verfahren eine zusammenhängende begründung nicht gefunden. Es be- ruht mehr auf stillschweigender Übereinkunft, deren gründe freilich nicht undurchsichtig sind. Die Vorstellung von einer möglichst einheitlichen und geregelten mhd. literatur- oder dichtersprache tritt für die spätere zeit zurück. Man nimmt an, dass das landschaftliche und mundartliche einen breiteren räum in der literatur einnehme; die feststellung der sprach- form über die Orthographie hinaus wird schwieriger, und es ist schon die Schwierigkeit, die dem versuch gegenüber be- denklicher stimmt. Die sclnvierigkeit ist dadurch noch ge- steigert, dass die Orthographie noch regelloser oder umständ- licher oder beides geworden ist. Dazu kommt nun die grössere fülle des materials, die der Orthographie einen hölieren grad von authenticität verleiht. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Verfasser ähnlich so eeschrieben habe wie die handschriften

ALTE ORTHOGRAPHIE UND MODERNE AUSGABEN. 371

sein werk überliefern, wird immer grösser, ancli die möglich- keit, dass eine ihm nahestehende handschrift oder gar seine eigene vorliegt. Handelt es sich um drucke, so ist ja die regel, dass wir es mit der Orthographie des autors oder doch einer von ihm gebilligten zu tun haben. Das ist ja richtig; allein wird die Orthographie dadurch ein wichtigerer gegen- ständ, etwas weniger antastbares? M. e. durchaus nicht, und ich halte auch hier die änderung der Orthographie für ebenso erlaubt wie die Verwendung von anderem papier und anderen tj^pen, als die drucker unter der billigung ihrer autoren ge- braucht haben. Nur wider die möglichkeit, dass die sprach- form angetastet werden könnte, könnte eine einschränkung begründen. Der einzig richtige schluss wäre aber dann doch, dass eben auch hier zwischen sprachform und Orthographie streng zu scheiden wäre, und dass die grössere Schwierigkeit den herausgeber dieser pflicht nicht überhebt. Milde drückt sich Paul, Grundr. 12, 112 darüber aus: 'Bei der spätmhd. lite- ratur sind wider viel mehr handschriftenabdrücke beliebt. Es zeigt sich darin eine berechtigte Schonung der mundartlichen eigenheiten, aber auch der mangel an kritischer durch- arbeitung,'

Für die Schriften des 15. 17. jh.'s halte ich eine reform der Orthographie für besonders dringend. Auch ein mann wie Hooft, den Muller als beispiel nimmt, oder wie Luther hat ja nur geschrieben, wie er und seine Zeitgenossen zu lesen ge- wohnt waren. Hätte Luther die Orthographie selbst geschaffen, sie sähe wol anders aus, falls er es für der mühe wert ge- halten hätte, in dieser hinsieht an dem, woran seine zeit gewohnt war, etwas zu ändern. Ich für ivar der zeyt nit hab, das ich müge sehen, ivas der drucker für bild, buchstahen, tindten oddcr papyr nympt sagt er einmal selber (s. Franke, Grundzüge der schriftspr. L.'s s. 33). Die orthogi-aphie seiner zeit ist aber von einer Umständlichkeit beherscht, die hier und da andern zwecken, wie z. b. zu unterscheiden, dienen mag, sich jedoch im ganzen nur aus den zeilenfüllenden Interessen der bogenschreiber und einer (iden wichtigtuerei dieser leute erklärt. Der hauptzug der entwicklung ist Jahrhunderte lang unverkennbar die sucht nach Umständlichkeit, die begierig jeden anlass, die zeichen zu häufen, aufgreift. Im gründe ist

24*

372 FRANCIt

es ja schon dasselbe, wenn der Schreiber des Hildebrandsliedes auch für etym. anlaut. r das zeichen hr gebraucht, und ist es widerum nur das gefühl einer grössern Wichtigkeit, wenn noch heute jemand ein wort lieber mit c als mit Ä- schreibt, welches mäntelchen man auch nachträglich der Orthographie umgehängt haben mag. Der graphischen deutlichkeit halber schrieb man öfter ij oder y für i (j); das wird aufgegriffen und womöglich jedes i (J) durch y widergegeben; als reflex des alten uo war die Schreibung ü vorhanden, die dann auf jedes « übertragen wird. Durch sprachliche sjaikopen und in folge 'grammatischer Schreibung' waren manche ck für frühere c (Je), dt oder tt für t, ff tüv f, nn für n u.s. w. eingetreten, und das führte zu der gewohnheit, möglichst überall, selbst wo es gar keinen zweck hatte oder sogar stören musste, die laute Ic, t, f, n u.s.w. zu verdoppeln; der 5^-laut aus germ. t war vielfach mit dem 5-laut zusammengefallen und man übertrug das ss auch auf etymo- logisches S] aus irgend einer Ursache gab es tli in der spräche mit der ausspräche t und gleich geht man dazu über, auch das gewöhnliche t mit th zu bezeichnen; nicht so selten wird sogar ein solches h beliebig jedem consonanten hinzugefügt. Cs oder tz für z haben sinn, so lange z zugleich sz bedeutet, werden aber auch beibehalten, nachdem das nicht mehr der fall ist, und gar noch zu tcz oder czz gesteigert. Durch eine lautliche entwicklung wie vä(li)en oder vä(h)hi zu van waren die Schreibungen ae oder ai für ä ins leben getreten;') darauf fussend schreibt man dann alle langen vocale so. Andrer- seits hatten sich historische ah, eh zu phonetischen n, e ent- wickelt; daher stammt unser h als dehnungszeichen. In däni- schen Schriften fanden nd. Schreiber das zeichen 0 für einen o-laut, das ihnen so behagte, dass sie es auch für ihre ö-laute an Wanten und sogar auch andere vocale mit dem schönen strich aufputzten (Lübben, Mnd. gr. s. 16 f.). So könnte man noch weiter fortfahren. Glaubt jemand im ernst, dass mit dess lanntz ein anderer wortklang beabsichtigt ist als mit des lants, mit seuffczzenn als mit seufzen, mit szo, szohn als mit so, söhn, mit cJcnechi als mit hnecht? Wie selten ist es diesem schwelgen in der Umständlichkeit gegenüber in der

') S. deu excurs am Schlüsse.

ALTE OETHOGRAPllIE UND MODERNE AUSGABEN. 373

geschiclite der Orthographie, dass umgekehrt eine historische ent Wicklung zur Vereinfachung benutzt, dass etwa reken ge- schrieben wird statt reellen, leit statt leiteÜ Wie schwer ward es den ei (aus i) und ai (aus ai), sich in der schrift zu ver- einigen, auch bei denen, die offenbar nicht mehr deutlich hörten, wohin das eine oder andere gehöre! Zu der Umständ- lichkeit kommt dann noch die uferlose Unregelmässigkeit, die \\\Y doch insoweit aufgegeben haben, als dasselbe wort immer gleich geschrieben werden muss. In bezug auf die gleich- massige Schreibung des selben lautes oder der selben laut- gruppe sind allerdings auch wir, auch von den grammatischen rücksichten abgesehen, noch lange nicht zur einfachheit gelangt. Es ist doch merkwürdig, wenn man die Orthographie so ohne weiteres als etwas gegebenes hinnimmt. Sie ist doch gewis historisch entstanden. Und gerade wer der Orthographie eines grossen mannes einen so hohen wert beimessen will, hätte doch die pflicht, sie historisch zu untersuchen. Er würde dann schon sehen, was dahinter steckt. Die geschichte unserer Orthographie ist eine fortlaufende kette von öder wichtigtuerei. Das ist nicht zu verwundern, wenn man sich die leute näher besieht, in deren bänden sie lag.

Luther und seine zeitgenössischen leser waren an die Orthographie, deren er sich bediente, gew^öhnt; dem heutigen leser, selbst dem philologisch geschulten, wirft sie knüppel zwischen die beine. Jenen weckten die Schriftbilder im ohr oder in der seele den klang, den sie in der gesprochenen spräche zu hören gewohnt waren; für uns sind aber die un- veränderten Schriftbilder zu diesem zwecke nicht allein un- zulänglich, sondern in hohem grade hinderlich. Und diese ein- fache feststellung ergibt m. e. nicht nur das recht, sondern sogar die pflicht der herausgeber, hier einzugreifen. AVir wollen, denke ich, doch auch den klang wider zu erwecken suchen und mit der alten spräche so vertraut werden, wie es zu einem wirk- lich innerlichen Verständnis ihrer literatur gehört. Dazu ge- langen wir aber nicht, so lange für uns die kenntnis ihrer spräche bloss auf den viel abstracteren Schriftbildern beruht, und wir ihr nicht durch die kleider hindurch auf den leib gedrungen sind. Freilich werden wir ein dcncken nicht anders lesen als denken; aber schon diese geringe orthographische

374 FRANCK

ungewöhnlichkeit stört uns die unmittelbarkeit des richtigen lesens. Jedesfalls tut das ein grey/fenn statt greifen. Das ey statt ei ist in jedem falle überflüssig. Vielleicht behauptet jemand, dass durch das ff ein /" von schärferem klang, wie es noch heute im süddeutschen gehört wird, und durch das nn eine festere Substanz der unbetonten silbe, wie gleichfalls heute noch im Süden gesprochen wird, zum ausdruck gelangen solle. Ich glaube vorläufig nicht, dass es sich bei Luther so verhält. Wer aber dieser möglichkeit ein recht einräumen will, der müsste die sache untersuchen, dann aber auch, falls er zu einem bejahenden ergebnis zu kommen glaubt, die Schreibung durchführen, also auch die greifen in greiffcnn ver- ändern und seine leser genügend über die bedeutung unter- richten. Noch schlimmer ist es natürlich, wenn uns geradezu falsche lautbilder erweckt werden, wie es besonders auf dem gebiete der quantität und der umlaute der fall ist. Das ist doch alles nicht bedeutungslos. Warum begnügen wir uns fürs gotische nicht mit jeder beliebigen ungefähr richtigen transscription von Wulfilas aiphabet? Warum bemühen wir uns, die transscription zu verbessern und stellen umständliche Untersuchungen über den laut wert einzelner zeichen an? Gewis geschieht das hauptsächlich aus sprachwissenschaft- lichen Interessen, mit denen der zweck von ausgaben, den wir hier vor äugen haben, nichts zu tun hat. Aber ohne zAveifel ist daran doch auch der echt philologische wünsch beteiligt, den klang der spräche, den Wulfila schreibend hörte, vor unserm ohr wider lebendig werden zu lassen. Ich will nicht darauf drücken, dass eine nicht durch die orthographi- schen eigentümlichkeiten durchgedrungene kenntnis der spräche auch sachliche misverständnisse verschulden kann: jeder Philologe wird zugeben, dass wir auch über diese grobe gefahr hinaus für ein möglichstes Verständnis in allen einzel- heiten zu sorgen haben. Die frage nach dem griecli. digamma hat das grösste Interesse für das Verständnis gewisser sprach- ent Wicklungen und metrischer eigentümlichkeiten. Aber darüber hinaus scheint mir die freude des philologen an der erkenntnis wider zu hören wie die Griechen sprachen, sich zu äussern, wenn Solmsen im Zusammenhang eingehender erwägungen, ob die eigentliche natur des lautes die der spirans oder des halb-

ALTE ORTHOGRAPHIE UND MODERNE AUSGABEN. 375

vocals war (Untersuchungen z. griech. laut- und Verslehre s. 67), sagt: *es bestätigt sich die Vorstellung, die Richard Bentley sich von dem wesen des lautes machte, den seine geniale ent- deckung nach Jahrtausende langer Vergessenheit den texten widergab, in deren grösstem teil er einst im munde der Sänger, die sie schufen, erklungen war'. An dem immer noch nicht beseitigten Vorurteil von dem barbarischen Charakter unserer älteren spräche trägt die hauptschuld ja die schulmeisterliche ansieht von der alleinigen richtigkeit unserer 'guten' spräche, die, soweit sie in den alten formen die eignen leicht wider- erkennt, jede abweichung von den letzteren natürlich als ent- artung ansieht. Aber einen nicht geringen teil an dieser ansieht hat auch die Orthographie; und das ist begreiflich genug, denn sie hat wirklich viel barbarisches an sich, und gegen dies urteil vermag sie auch ein grosser name nicht zu decken. Wäre es nicht eine dankbare philologische aufgäbe, dieser Unterschätzung unserer alten spräche und literatur auch auf diesem wege entgegen zu wirken?

Mit der bewertung der Orthographie soll nicht im min- desten gesagt sein, dass orthographische Untersuchungen nicht von Wichtigkeit sein können. Dafür steht aber genügendes material bequem zu geböte, und wir brauchen wahrhaftig nicht den ganzen ballast in jedem text mitzuschleppen. Wie der einzelne verfahren soll, das lässt sich so ohne weiteres nicht sagen. Hat z. b. ein text häufige Schreibungen wie hoth, veth für bot, fett und ergibt eine Untersuchung ihr statistisches übergewicht, so hat der herausgeber wol das recht, sie als regelmässige Schreibung in seinen text durchzuführen und für seine leser zu erklären. Sonst aber genügt allen anforderungen eine kurze Zusammenstellung an irgend einer stelle, die besagt dass in den und den fällen und Wörtern so und so oft th ge- schrieben ist. Ich wäre jedesfalls für eine radicalcur auch bei den gemeinten texten. Wer sie unternimmt müsste selbst- redend gehörig dazu ausgerüstet sein, und sollte es einmal einer versuchen ohne das^ so weise man ihm die fehler nach, statt mit allgemeinen declamationen von willkür und methode so und so gegen methode so und so zu kommen. Man könnte nun aus einer oben gemachten bemerkung schliessen, dass ich unsere jetzige Orthographie für textausgaben empfehlen wolle.

376 FRANCK

Tatsäclilicli würde ich mich jedoch, soweit wir nicht in laut- und flexionsformen wirklich nahe an unsere heutigen Verhältnisse herankommen, für die Lachmannsche Orthographie, die sich durch ihre einfachheit und klarheit auch den nichtgermanisten leicht empfiehlt, entscheiden, mutatis mutandis natürlich, mit Wahrung der eigenheiten, die die Untersuchung für die spräche des einzelnen textes ergibt. Die Vereinfachung allein würde uns schon genügend rechtfertigen. Es kommt hinzu, dass grade erst die für das empfohlene verfahren nötigen ortho- graphischen Untersuchungen ein intimeres Verständnis der spräche in vielen dingen erschliessen. Dass unsere kenntnis der spräche der jüngeren jhh, noch so lückenhaft ist, liegt ganz wesentlich daran, dass wir uns für diese zeiten mit diplomatischen abdrücken begnügen. ') In der letzten zeit hat Leitzmann mit gutem gelingen in seiner ausgäbe der fabeln Gerhards von Minden den versuch einer vernünftigen trans- scription bis auf die quantitätsbezeiclmung gemacht. Ich hoffe, dass wir allgemeiner über die diplomatischen abdrücke hinaus gelangen trotz den leuten, die das gleichge wicht ihrer Seele verlieren, wenn ein dramatiker oder ein regisseur Franz von Sickiugen in der tracht des 17. jh.'s auf die bühne bringt. Ich bin nicht so empfindlich gestimmt und schliesse mich dem an, was Strauch in der vorrede zu Adelh. Langmann (QF. 26) s. 20 über die orthographische frage gesagt hat. Gleich ihm weise ich darauf hin, wie Weizsäcker darüber gedacht hat, ein mann der ja die heute so sorgsam gehegte Orthographie jener zeiten ausgiebig kennen gelernt hatte (s. D. reichstags- acten, bd. 1, vorrede s. lxxi ff.).

II.

An den beiden hervorgehobenen punkten, dem umlaut und der quantität, soll der mangel der diplomatischen texte,

*) Einen besonderen einzahlen punkt erläutere ich durch ein concretes heispiel. ü aus hi und umlaut von u wird in md. und nd. texten bekannt- lich ohne unterschied von ü mit u bezeichnet. Nun wird mundartlich ü in einzelnen fällen lautlich zu ü: vgl. Naucndorf, Naumhurg vor w zu ü)\ Yich, nch, auch für euch in Hessen; vgl. ferner Wredes berichte im Anz. ül)er nichts, (euer, leide, (häuser). Für diese frage scheiden bei der herschenden gei)flogenheit die älteren texte vollständig aus.

ALTE ORTHOGRAPHIE UND MODERNE AUSGABEN. 377

zugleich aber auch unserer bisherigen kenntnisse in einem flüchtigen überblick gezeigt werden, von dem man niclit ver- langen darf, dass er die vielen zweifei so weit, wie das bei gründlichen Untersuchungen sonst möglich wäre, löse. Ich wähle die ausgäbe des Reinke de Vos vom jähre 1498 von Prien in Pauls Altd. textbibliothek, die kurze schrift Luthers aus d. j. 1520 Von der freiheit eines Christenmenschen und Laurem- bergs Scherzgedichte vom j. 1652, die beiden letzteren werke in Braunes neudrucken.

Der seit alters in der spräche vorhandene um laut der 0- und «-laute ist schon im Eke. meistens bezeichnet.^) Aber lange nicht consequent, wodurch eben zweifei entstehen, deren lösung unter umständen auch dadurch erschwert wird, dass wie bei den meisten nd. autoren unumgelautete und umgelautete 0- und «-laute mit einander reimen können. 2) Die geläufige bezeichnung ist übergeschriebenes e.^)

Ich gebe zunächst eine anzahl von bezeichneten umlauten in fällen, wo er nicht so ohne weiteres zu erwarten ist. Anders entstandene ö- und /^'-laute, besonders auch ü aus germ. m, sondere ich nicht ab. Vlökcn 788. 790 (aus *fJökjan in merk- würdigem Wechsel mit flökan; auf ö weisen die formen bei

*) M^as andere umlaute betrifft, so sei auf die im pl. dnde 6405 hervor- tretende spätere grammatikerregel aufmerksam gemacht, den lebendigen Umlaut des a mit ä statt e zu bezeichnen.

^) Diese 'reime fürs äuge', die die engl, kunst merkwürdigerweise ja auch heute noch zulässt, erklären sich aus einer zu aller zeit zu beob- achtenden unberechtigten ehrfurcht vor dem geschriebenen wort: können die Wörter gleich geschrieben werden, so können sie auch mit einander reimen. Im Eke. z. b. ghehönet : gheschonet 45, hören : boren 315, hottet : ghelouet 'gelobt' 852, lurde : euentnrde 499, wahrscheinlich auch bomen : blomen 5, behorä : ivord 427. Vgl. die ausgäbe von K. Schröder s. xviii.

■'') Entstanden ist sie avoI durch nachahmung von ä (aus ae) als um- laut von o-lautcn, eine Schreibung, die dem lat. entnommen werden konnte. Wahrscheinlich ist aber bei der Übertragung auch eine differenzierung mit im spiel. Die vocal länge wurde mit nachgesetztem oder auch über- geschriebenem e bezeichnet, also möt als moet oder möt und ohne be- zeichnung des Umlautes möde als moede oder möde. Es standen also für ö und ö zwei zeichen zur Verfügung, 0 und 6; mit differenzierung wurde 6 für ö gewählt. Auch " als umlautszeicheu ist nur willkürliche anwendung eines diakritischen Zeichens, das eigentlich vocale von conso- nanten, besonders u von n, schied.

378 FRANCK

Woeste,') Holth., Schambach; Berghaus o und ö, Brem, flohen und floJiJien; auf ö Jellinghaus, Nl. volksmaa. § 11, Jellingh. § 253, t.Doornk.-Koolm.,Dähn., Quickb.u.s.w.), mötlien 'begegnen' : gröten 'grüssen' 995, tönen 'aufhalten, warten' 5824 (s. mein Et. wb, toeiicn), öuer 'ufer' 5737 (Brem., t. Doornk.-Koolm., Nerger §176, Pfaff §21d, Schütze, Quickb., nicht westfälisch. Der Umlaut stammt wol eher aus dem pl. als aus einer form *6fir), brödere 'hoden', eig. 'brüder' 5008, Mueryehlll Uuen 'glauben' 623 U.O., Muet 624. 632. 686 u.s.w., tögen 'zeigen' 981, Ueynöde sg. und pl. 4521. 4863 u. ö., töueren s. 216 § 1 (Brem., t. Doornk.- Koolm., Danneil, Mi), Uösteren 4084, nödiget 3682, öghelcr 'äugler' 4359, röuers s. 142 § 6, omJiens 5948 mit dem bekannten nd. Übergang des umlauts in den pl. ind. praet. röken 7, stöiien 1647, vorhöde gij 4684, ferner toge 'zug, streich, art des benehmens' (aus Hugi) 4198, döget 4951. 5808, ebenso jöget, Mue pl. s. 80 § 2. 86 § 4, vöglieler 6237, u-aenhöpeninge s. 89 Überschrift, de öueren hande 5490 (vgl. Nerger s. 190 anm. öhherst), Böclicrt 31 18 ff.; 2) pronominalformen örcti 439, öme 6355, öne 6385 müre, verb. hcmüren 335. 341. 381 (Holth. § 79 a), Wiscner 2817, imUekcn 1359, hiidc 'kräuter' 6, LätJie 15, 3) lüdde 'läutete' s. 62

') Die im folgenden mit kurzer bezeichmiiig citierten werke seien hier in alphabetischer folge angeführt : Berghaus, Sprachschatz d. Sassen; Brem., Versuch eines hremisch-niedersächs. Wörterbuchs; Dähnert, Platt- deutsches Avörterb., nach der alten und neuen pommerschen und rügischen mundavt; Dann eil, Wörterh. der altmärkisch -plattdeutschen mundart; ten Doornkaat-Koolmann, Wörterb. der ostfries. spräche; Jelling- haus, Westfäl. grammatik; Mi, Wörterb. der mecklenburgisch- vorpommer- schen mundart; Nerger, Gr. des mecklenburgischen dialekts älterer und neuerer zeit; Pfaff, Herrn., Die vocale des raittelpommerschen dialekts (Leipz. dissertation), Labes 1898; Quickb orn v. Klaus Groth, mit glossar von K. Mülleuhoff'; Kichey, Idioticon Hamburgense; Schambach, Wörterb. der niederd. mundart der fürstentümcr Göttingen und Grubenhagen; Schütze, Holsteinisches idioticon; Woeste, Wörterb. der westfälischen mundart.

^) S. 6 § 8 Bokcrt geschrieben. Der uamc im alten fläni. original ist Botsaert, vermutlich ein franz. Bochard oder Bouchard. Daraus war aber und zwar wol schon vor der nd. Übersetzung ein BoJcaert, nd. Bökert ge- worden, das entweder zu bök 'buch' oder eher zu nd. böken 'pochen, häm- mern, geschmeidig schlagen' gehört. S. auch Lübben, Tieruamen im Rke. s. 55 f.

3) Nach dem nnd. als Lütke anzusetzen (Lübben, Tiernamen s. 38), ob- wol kürzung vor der doppelconsonanz möglich wäre.

ALTE ORTHOGRAPHIE UND MODERNE AUSGABEN, 379

§ 2 (während das westf. in solchen praet. mit vocalkürzung den rückumlaut wahrt, ist im ostnd. der umlaut in diese formen verschleppt; vgl. Nerger §218,4, dazu s. 137 anm.; also auch z. b. statte, söcht); "nie' 692, euentnr 177; vlüd 'fliesst' 756, hüth 'bietet' 1926 bimde opt. 6032, Mddc 'huld' 2149, tücJitich 4951, Uttph 6568, yüngsten 3213. i)

Bei der unregelmässigen Orthographie könnte nun aber, zumal wenn die in der anm. vermutete erklärung des umlauts- zeichens das richtige trifft, ein 6 vielleicht auch einen nicht- umgelauteten vocal bezeichnen. Ist das für unsern text anzu- nehmen? 72 steht up frantzösz als nachahmung des nl. in fransois. Eine lautveränderung zu ö lässt sich hier schwer- lich rechtfertigen 3776 franszosz 'französisch' ; der Über- setzer oder drucker schrieb vielleicht mit dem gedanken an das aus franszösesch (so s. 4 § 2) zusammengezogene franszösch. 776 praet. sg. Ard/j (gegen kro}) 797. 864. 877) nehme ich nur als beweis dafür, dass schon damals aus dem pl. oder der

2. sg. der umlaut facultativ auch in die 1. 3. sg. dringen konnte (Nerger § 176. 201 f. Auch Marahrens hat die formen wie slög, (jüny, et, söp). Auch der ind. praet. düclite 983 steht im einklang mit der entwicklung eines grossen teiles des nd., die auch in ind. sg. im pl. ist die Übertragung geographisch noch ausgedehnter und part. praet. der verba wie dnnkcn, denken, bringen, söken und der praeteritopr. vgl. auch oben bei lüdde den umlaut häufig einführt (Nerger § 219,3. 218, 3; bei t. Doornk.-Koolm. diichdc u.s.w.). Bei vötspor ergibt nachher eine betrachtung über voet zweifei. Wenn demnach die auf- geworfene frage wirklich mit 'nein' zu beantworten ist, so gibt uns das vb. don ein rätsei auf. Nachdem schon 459 einmal döt : vroet geschrieben war, tritt das wort später häufig oder immer mit ö auf: dön 6293. 6340. 6401. 6414. 6442. 6477. 6550. 6653. 6676. 6747; prosa s. 216 § 1 (inf., 2. und 3. pl). Zur er- klärung eines umgelauteten don wäre vielleicht auf die 2. und

3. sg. ind. zu gi-eifen. Hier hat das heutige nd.^) die umgelau- teten, entweder auf analogie oder auf as. '^döis, döit berulienden formen (aus mnd. dos, dot), soweit nicht die wahrscheinlich

1) Schröder hat in seiner ausgäbe alle diese umlaute bezeichnet. '^) Die nachfolgenden angaben verdanke ich grösstenteils der freund- lichen mitteilung Wredes,

380 FRANCK

erst nach analogie der formen von gdn eingetretenen formen mit ai-laut (mnd. deis, dcit) herschen; das gebiet der ö-formen ist im wesentlichen der Südwesten. Wie weit die mnd. does, doet diese umgelaiiteten oder aber die alten d-formen sind, ist vorläufig nicht ausgemacht. Eine weitere Verschleppung des Umlauts hätte man sich aber jedesfalls ähnlich so wie bei den praeteritopraesentia vorzustellen (vgl. Beitr. 20, 85 anm.). Sie ist in dem material des Sprachatlas fürs nd. nicht bekannt. Die möglichkeit können immerhin die vom linken Nieder- rhein bezeugten formen düt imper. und dünn 3. pl. ind. dartun. Auf einen imper. dö, der bei t. Doornk.-Koolm. unter düg steht, wage ich nicht gewicht zu legen. Der nachweis ist also recht schwach; aber so viel scheint mir sicher, wie auch Schröder s. XIX angenommen hat, dass das ö nicht als blosse bezeichnung von ö genommen werden darf, sondern irgend eine besonder- heit bei dem wort angenommen werden muss, die für die heimatsbestimmuug des bearbeiters Vvichtig sein könnte.')

Noch eine andere Umlautsbezeichnung scheint für unsern text anzuerkennen. Die längebezeichmmg durch nachgesetztes e ist in ihm wesentlich auf geschlossene silbe beschränkt; cede 466. 2504, deepe 624 und Iccede s. 50 § 3 sind die einzigen beispiele, die ich mir darüber hinaus angemerkt habe, und wenn ich vielleicht auch einzelne übersehen habe, so werden sie doch durchaus die ausnähme bleiben, abgesehen von einer grösseren anzahl von oe und ue in Wörtern, wo umlaut meistens sicher ist oder dann doch wenigstens möglich scheint: pl. voete 439. 633. 637. 644. 695. 783. 2266. 2275. 2663, Überschrift vor 605. s. 99 Überschrift : sodcn 699, socthe 1005, soethc : vöte 1432, soeJcen 1095. 2344. 3909. 4249, vndersocl-en s. 72 § 5, soc7ie 3183. 6456. s. 116 Überschrift; prosa s. 224, behoedet Gll'o, vordens.h

') Schröders hiuweis a\if AVeiuliolds Alem. gr. zur recbtfertigimg der unilautsformen ist iiicht berechtigt, denn dort haben wir nur die bekannten optativformen mit lautgesetzlicheni umlaut. Auch ein bestand wie im Euch der beispiele, gedruckt Urach circa 1480 (hg. von Holland, Lit. verein 56), kann die formen des Kke. nicht rechtfertigen. Dort haben wir ausser den Optativen mit ü auch einfache und flectierte infinitive mit ü (neben häutigen mit ü, u). Darin spricht sich nur eine engere association des infiu. mit dem opt. aus, die deshalb für möglich zu halten ist, weil beim st. vb. der infinitivvocal mit sämm fliehen optativformen im gegensatz zum indic. stimmt.

ALTE ORTHOGRAPHIE UND MODERNE AUSGABEN. 381

§5. S.62 §2 hoeme s. 4 § 3 tueghe pl. 'zeugen' 1812. s. 72 § 5 (neben fügen), hetueget s. 63; auch woeste 1137 sei hier aufgeführt. Wenn sich nun niemals groeten oder lioege (wol groet), niemals etwas wie hruepen, hueten, luede (wol Inies) findet, so scheint die Vermutung bestätigt. Indessen sind eine reihe von Schwierigkeiten vorhanden. Sih vormoeden s. 62 § 2 wird sonst nur bei Jellingh. § 253 mit umlaut bezeugt, sonst ist es wie unser vermuten ohne umlaut. Möglich ist Umbildung nach praet. vermoääc aus jünger synkopiertem vermödde; ana- logien dazu bei Holth. § 345 ff. Bedenklicher sind gen. voetes 2637, dat. voete 3750, dat. boeke s. 4 § 2. 5 § 6. 118 § 1. s. 196 vorrede zweimal (neben pl. höhe s. 3 § 2). Ist bloss an eine orthographische Übertragung zu denken oder an lautliche formen, wobei dann wol ganze singulare vöt, hok vorausgesetzt werden müssten? Bekannt sind m. w. solche nicht; möglich wären sie ebenso gut wie ten, tähn 'zahn' (Nerger s. 177 anra., Quickb.), wie hrör 'bruder' t. Doornk.-Koolm., wie dörp im ganzen ostnd. und sonst, z. b. in Köln; vgl. ferner Holth. § 377, Anz. 13, 215 (fuder), Nerger s. 187 anm. {mceg 'magen'), § 164 (jücJc 'joch'), § 233 {beuk 'bank', flce 'floh') und oben över; vgl. ähnliches bei Fischer, Geogr. d. schwäb. ma. § 66. Freilich darf nicht verschwiegen werden, dass sich unter den beispielen nur das einzige boeme mit ursprüngl. mi befindet und z. b. niemals *loeven neben häufigem loven, löven, so dass man an einen unterschied zwischen etym. 6 und an denken könnte, zumal in der tat in den Ciüemannschen bruchstücken des gedruckten Keinaert ein orthographischer unterschied zwischen fällen wie goede und node oder tioode sich einigermassen durchgeführt findet. Aber warum denn die Unterscheidung bei « und warum niemals beispiele wie moeder, kloeke, moedes, boete, roepen?

Sehr häufig bleibt nun aber der umlaut auch unbezeichnet. Dabei treten merkAvürdige Schwankungen zu tage, und es kommt vor, dass der umlaut in einzelnen Wörtern, die ihn sicher haben, niemals ausgedrückt wird. Nicht selten sind doppelformen möglich und nachweisbar. Aber unter den ob- waltenden umständen ist es schwer, in den einzelnen fällen über den stand des einzelnen denkmals reclienschaft zu geben. Ich verzeichne aus einer sehr viel grösseren zahl eine reihe von beispielen, worunter einige in bezug auf den umlaut mehr

382 FRANCK

oder weniger zweifelhafte: grone 3. 325, lone 309. 326. 639, hloyen 324, broder pl. 311, vermode praet. 654 (s. vorher über das vb.), vothe 3767 (bei diesem wort g-anz ausnahmsweise), droiiich 304. 838, ledroiiet 944, ledroneder 798, hlodich 838 (Brem. hlödig und hlöerig, Dähn. hlödig, Schamb. hlauerig und Moierig, t. Doornk.-Koolm. hloderig, Woeste blanerig), homodygen 502, droffenisse SU. 316. 6729, ^/o^/e, s?o(/(?w opt. 771. 869 (auch die indicativformen slogen 721 u. ö. könnten den umlaut schon haben), scholrekens 253, Jcloeksteti 447. Honre 'hühner' 808 hat vielleicht keinen umlaut (so im westf., t. Doornk.-Koolm. honer, Jiönder neben höner)-, mote wy 556; das erste mal er- scheint von dem wort opt. m{)te 2426 mit umlaut, dann möten ind. 2457 und weiter regelmässig-; lautlich möglich sind bei den praeteritopraesentia beide formen (noch heute bei Bergh. mägen und magen). Auffällig ist, dass nomen, wie ich glaube, niemals bezeichnet ist. ') Oucl 252, nwlen 88, flogel : vogel 943 (da ein umgelauteter sing, von vogcl nicht nachweisbar ist, werden wir wol augenreim haben), sonen 'söhne' 398, Jwnen 'können' 65. 96, sproten praet. 6, vorlorre opt. praet. (s. bei Quantität), houescheit 240. Louet 'glaubt' 584, houet 637. 1191. 4274, tröste 800, roghede 183 (aus *raiigjan. Jellingh. räügcn), vrolieh 324. 375, grotsten 109, hören 260. 429 u.s.w.; zum ersten mal 2740 mit 6, weiter z. b. 3069. 3485, aber auch in diesem teil des textes meistens mit o. Wenn auch die formen von 'schön' niemals die bezeichnung haben wie 236. 329, so könnte man an eine umlautslose form denken. Die heutigen maa. gebrauchen aber im sinne von 'pulcher' den umlaut, einige daneben schon im sinne von 'rein'; t. Doornk.-Koolm. hat nur schön, aber eig. auch nur die bedeutung 'klar, rein'. Trwve 199. 235, euentur 203, euenture : hure 772 (der pl. Uire wird wol umlaut haben, obwol eine solche form im und. nicht mehr nachzuweisen scheint), diniel 1213 (1239 m); vrtmde M, sliit 1321. In hulen 642 gilt aber wol umlautslose form (so Jellingh., Brem., t. Doorn.- Koolm., Danneil, Dähn. [neben «], Bergh. u und //; s. mein Et. wb.). Niemals wird der umlaut von kurzem o bezeichnet: hoster 679, hiolcschen 3593, ih Jwrte 428 (allerdings Brem. 6.bd. körten,

>) Klang der laut vor dem nasal etwas abweichend? Oder ist die Orthographie l)eeinflusst von dem umstand, dass das wort verhältnismässig häufig mit unumgelautetem o zu reimen hatte?

I

ALTE ORTHOGEAPHIE UND MODERNE AUSGABEN. 383

ebenso Bergh.), tornich 79 (t. Doornk.-Koolm. törnich, Brem. 6.bä. törnig aus Ditlim.). Es beweist also nichts, wenn ausnahmslos Tconnincli, l'oninginne geschrieben wird; das und. hat stets Um- laut, doch mit einfachem n und dehnung*; die umlautslose form wird in den wbb. nur aus älteren texten angefülirt. Eher könnten für monmß 335 umlautslose formen angeführt werden (s. Brem., Bergh.), doch ist auch hier der umlaut das geläufige. Auch solke 832 neben umgelauteten formen wäre nicht unmög- lich (einfluss des deutsclien?), Nerger s. 193 sonn aus solk en, Schamb. solk, Dähn. solk neben süllc. Letzteres und seltener sölk sind die geläufigen nd. formen.') Besonders gern fehlt auch bei kurzem u die bezeichnung: sus 69 (allgemein nd. süs, süst, sünst), ummc 170, siäve 11, vielleicht auch yummer 228 und niimmer 654 (nur Bergh. gibt u neben ü an) haben sie niemals, obwol gesprochene formen mit u schwerlich nachweisbar sein werden. Weitere beispiele: dunkel 545, ghelucke 950. 964, stucke 162. 222, vrucldet 83. 360, beschulten 233, sunde 289. 859, Yutte : grulte 681 : hülle 730, duchle ind. praet. 1691, ruckede 696 'riss' und das damit etymolog. identische ruckede 'rutschte' 877 (Danneil rucken, ruckein 'rücken'), kundygen 266. 355. 882, liundeken 70, grunÜik 519, sunderlyk 539; sunte 'Sanct' 942. Der form kumpt 882 steht geivis auch umlaut zu, wie fast allgemein im nd. Zweifelhaft bin ich bei swummen 'schwimmen' 768. 773. 780 (neben swommen = stcömmen?).^) In Laurembergs text macht die bezeichnung des umlauts den eindruck der folgerichtigkeit. Es wäre einerseits die be- rechtigung der ö- und ?V-laute in einzelnen fällen zu erweisen, andrerseits die frage zu beantworten, ob auch unbczeichnete 0, u als ö, ü anzusehen seien. Zunächst weise ich auf die ind. und part. praet. sMnken 4, 424, müsle 1, 39 (opt. müste 1, 49, ind. tmistcn 4, 305), wusle 2, 78, mSsle 2, 617, Inkht 3, 315, B(eschluht) 47, dörfflcn 3, 366, gedöfft 1, 442, upgesöcht B. 48,

') Dagegen hat honni/ch 5(il in der reg-el im nd. so wenig- nmlaut wie in nnserer Schriftsprache.

'^) Noch im Bremer wb. ist das kurze ü ganz gewöhnlich mit u be- zeichnet, und wenn ich im Nd. correspondenzbl. d. j. s. 7 lese 'in der Bremer mundart heisst cjlück noch heute gluck, wie dort die umhinte fast nicht vor- handen sind (vgl. W. Koccos Vor veertig jähr)', so muss ich annehmen, dass laut und Schreibung verwechselt werden.

384 PKANCK

liönt i, 70, stött 3, 310. Auch die umgelauteten praesensformen der praeteritopraeseiitia sind regel: Mnen 1, 191. 2, 232. 314. 4,57 U.S.W., scMlen 4,130, mötcn (:) 2,593 (daneben moten 2, G04, im reim 1, 123). Sunt 2, 615, Upen 4, 64, söken 3, 360, lögen 4, 117, jögent 3, 666 (das n vielleiclit unter einfluss der hd. form), Mmpt, Mmt 1, 27. 29, verUfft 3. pers. praes. 4, 450 bedürfen weiter keines wortes mehr. Auch vor Inholt 13 ist allgemein nd. Hon hat hier den pl. Mncr 4, 663. Weiter merke ich an dörp 4, 401. 446 (s. vorher), dörch 1, 139. 4, 453 (Nerger § 163, Mi, Dähn., Danneil, Bergh. (Schambach dorcli, Schütze 'in den städten auch dorch'), meistens neben dör oder dor), dör sehen 3, 466 (allgemein ostnd.), er för selten 3, 465 (das wort kann ich nnd. nicht belegen), pl. uörde 4, 84, ebenso z. b. hörne 2, 592 f. (ebenso im westf., ferner z. b. Nerger § 228 1 1). Be- legen kann ich auch nicht örden 'orden' 4,597 (einige idiotica haben ordentlich, orntlieh)^ aber aus ordinem ist die form wol anzuerkennen. Schwieriger ist Mrt 2, 289. 539, in körtüni und in körten neben kort z. b. 3, 357. 4, 492, sogar kortUck 1, 207. Es findet sich so auch bei t. Doornk.-Koolm., aber neben anderen auffallenden ü für o (kork, körf, körste, sehörf, schörsteen, borg, Börkum, Norden, lös u. ä.), so dass für diese ma. vielleicht irgend ein spontaner Übergang von o zu ö anzunehmen ist. Wenn die form bei L. berechtigt ist, woran wol nicht zu zweifeln fällt, so dürfte folgerung aus comp, superl. anzunehmen sein. 1) Weiter: södder 2, 195 (Nerger § 120, Mi [sörrel Schütze [und säder]), sös und söven 3,460. B. 108 (allgemein ostnd.). spöken 4, 104 (allgemein nd. mit umlaut^)) stöten 2, 386 (fast allgemein nd, bis auf Woeste und Holth. *stötjan) siinst 2, 194, Sündern 2, 540 (t. Doornk., Schamb., Dähn., Quickb.), sünne 'sonne' 3, 33 (ostnd.), dnlcken 'drucken' 4, 128 (s. DWb.), tho nütte 4,112, auch Rke. 5355 (Bergh., t. Doornk.-Koolm., Schütze; s. mein Et. wb.), rüsten 'ruhen' B. 13 (t. Doornk.- Koolm.).

') Oder ist hinter in körten das abstractum zu suchen und in körtum der vocal durch das ü afficiert? Dass auch Lauremb. so viele heispiele vor ^'-Verbindung aufweist ist wol blosser zufall.

^) Während die angaben von Jellingh., Woeste und Schambach auf Umlaut von germ. ö weisen, hat Holth. ausdrücklich eine dem umlaut von an entsprechende form. S. auch Nd. jahrb. 18, 1-12.

ALTE OltTHOGRAPHlE UND MODERNE AUSGABEN. 385

Was die andere frage betrifft, so ist wegen solche Inh. 19. 1,119. 2,35 neben s6lk2,'dlL 525 und dem gewöhnlichen 5tJ/Z; 1,102. 135 n.s.w. auf vorher gesagtes zu verweisen. Dann finden wir opt. praet. lornle, homl 1, 24. 104. 4, 145 u. ö. {künde 1,240, ind. künde 1,321). Wahrscheinlich liegt die sache so, dass L. noch beide praeterita, ohne und mit umlaut, neben- einander gebraucht (scholde z. b. 1,185. 219), dann aber auch beide formen zugleich für den opt., so mu.st opt. 1,194 (:). 427. 450, scJioId{e) 1,417. 429 ff.; eines scholde oder sclmlde erinnere ich mich überhaupt nicht, weder für conj. noch ind. Auch ofjentlih 3,366. 4,650, B. 4 lässt sich, trotz formen wie löfflick B. 44, rechtfertigen, besonders neben dem autochthonen, wol nicht so leicht umlautenden openlik. //o?«; iieu' 4, 662 ist tatsächlich umlautslos (hau Brem., Schütze, Quickb., Danneil neben hei) und hrudgam B. 32 könnte durch hnied es steht daneben oder durch dän. hrudgom beeinflusst sein. Es bleiben einige sulve 1, 247. 2, 420 neben dem gewöhnlichen sähe, sülfst 1,15. 33. 39. 96. 230. 248 u.s.w., die ich lautlich nicht zu rechtfertigen wüsste, und ausserdem habe ich ivurd 1,431 {ivürd 418 ff. 432 u.s.w.) angemerkt. Nach allem scheint die Orthographie u für kurz ü (und o für kurz ö?) zwar noch zuweilen einzuschlüpfen, aber im ganzen doch nicht bezeichnete 0 und u nicht als ö und ä angesehen werden zu dürfen.

In dem Lutherschen text liegt die sache noch recht übel. Die bezeichnung, im ganzen wol überwiegend, fehlt so häufig, dass es ein schwieriges werk sein dürfte, die lautlichen Verhält- nisse und etwaige doppelformen festzulegen. Gehören s.22 neben {(je)hören 22. 25, frolich neben frölich 36, hosen, hos.ze neben ö 30. 32. 33 {bös neben h'Ose wäre möglich; vgl. auch hosiij 'boshaft' Hertel, Thür. sprachsch., 'ärgerlich, zornig' Bergh., Mi; auch hos- heit, erbosen u.s.w. sind in anschlag zu bringen), höchste 19 ivorüin 27, glcychform'uj 29, göttlich 17. 20 benugen 36, genugde 19, vbcn neben vbimg 20, guttern 25 (neben güttern), füret 33. Bei müssen, muszen 17. 19. 25 u. o. neben müssen öfter z. b. 26 wären wider lautliche doppelformen leicht mög- lich. Für für sich allein und in compositis mindestens über- wiegend, z. b. 17. 18, wenn nicht allein herschend, rber neben vber z. b. 19. 20. 21, wobei die alte form ahd. tdjur, mhd. über in anschlag zu bringen wäre, gründlich 18, pl. beschlusz und

Beiträge zur geschichte der deutsclieii spräche. XXVll. 25

386 FliANCK

heschUs^ IS, stnclc 19, ftinfften 19, JmJff 20, smid 20, erfüllet 20, erfidlung 21 {fülle 20), hirtdkh 21, vherflussig 21, hedurffen 21, vntucliiigen 23, pl. fruclit und frücht 32, schmicJcen 38. Bei gläubig 24. 32 könnte man argumentieren, dass bei umlaut die Schreibung eu zu erwarten wäre, wie z.h.m euszerlichiimmer- liin ist die mögliclikeit einer ortliograpliisclien einwirkung des grundworts zu erwägen. Eine form wie vollömlich 35 muss jedesfalls als flngerzeig angesehen werden, dass die umlaute im weitesten masse zu erwarten sind.

Ein umgelauteter pl. orte 19 ist ohne weiteres anzuerkennen (vgl. DWb. unter ort); auch die angleichung ans adj. in höss- lieyt 18. Bei der 3. sing. ind. praet. vorUr 27 wäre an die ent- sprechenden nd. praeterita zu erinnern. Gegenüber dem opt. verlür einige Zeilen vorher wäre ö entweder nd. vocal oder de nach dem 6 des urspr. sg. Aber lässt sich auch ein öhgenannt 19 rechtfertigen mit Verschleppung des umlauts aus den bei L. gebräuchlichen formen öher, öherst (vgl. oben ZcöV^)?')

1) Franckes auffassung, dass L. in g-rösserem masse den umlaut falsch gebrauche 8. 5), bedarf durchaus erneuter prüfung, auch schon mit rücksicht darauf, wie weit es sich dabei um die zeichen « oder " handelt, von denen das letztere durchaus keinen umlaut zu meinen braucht; s. auch AYilmanns, D. gr. 1^, § 202. Die ansieht welche Fr. über den umlaut bei L. überhaupt äussert: 'dass er sich nie recht klar über den umlaut geworden' (natürlich ist es möglich, dass L. im einzelnen fall zwischen einer nicht- umgelauteten form seiner heimat und einer umgelauteten einer andern ma. oder der drucksprache geschwankt hat) und 'die ö und ü in seine drucke aufgenommen habe, da er die umgelauteten formen . . . für gemeindeutsche bestandteile hielt', war damals noch kaum erschüttert, bedarf aber heute keiner Widerlegung mehr, und ich würde sie hier nicht erwähnen, wenn ich es nicht für erspriesslich hielte darauf hinzuweisen, wie durch einen solchen Irrtum etwas, was im grossen ganzen eine blosse orthographiefrage ist, zu einer sprachgeschichtlichen frage gemacht wird. Auch das um- gekehrte kommt vor, dass man sprachliche unterschiede als orthographische ansieht, und grade Franckes Untersuchungen dürften ein beweis dafür sein, indem sich doch wol herausstellen dürfte, dass Luther in grösserem masse als er annimmt, wirklich doppelformen gebrauchte oder seine spräche mit der zeit geändert hat. Eine parallele zu einem praet. verlor nach nd. art findet sich bei Francke nicht erwähnt. Das kann ich vorläufig nicht als ausschlaggebend ansehen ; schon allein die ansieht über den umlaut könnte ihn solche form übersehen haben lassen.

ALTE ORTHOGRAPHIE UND MODERNE AUSGABEN. 387

III.

Die noch grösseren Schwierigkeiten der qnantitätsf ragen entspringen ans dem zusammenwirken von entwickelungen in der orthograpliie und in den spracliformen. Neben der alten sclireibmethode, die lange und gedehnte vocale unbezeichnet lässt, entAvickeln sich verschiedene arten der bezeichnung der länge oder auch der kürze gegen die länge, die allmählich in aufnähme kommend lange zeit neben dem alten hergehen. Andrerseits hat besonders das nd. eine beträchtliche anzahl von quantitätsunterschieden, zumal kürzungen gegenüber den uns geläufigen formen des mhd. und nhd. herausgebildet. Er- schwerend für die frage kommt der gewöhnliche gebrauch quantitativ ungenauer reime bei den dichtem hinzu.')

Die Orthographie des Eeinekedrucks steht noch stark auf dem alten boden, doch geht der Verfasser im verlaufe mehr zum neuen gebi'auch über. Ich zähle die sicheren einsilbigen fälle: stän, betontes dar, Idär, Ut 'liess', hron 'kranich', gröt, gän, (ge)dän, quät, nen, entfdn, vorUs, wtf, hemech, stär(hlint), bot, entför, hir, stän, humpän, frantzösz, er, mer, sin vb., jär, sU vb., betontes min, ivCir, betontes der, adv. her, vört, gehört, icort, def, üt, slöf, not, röf, dät, rät, der, Up, grep, Brün, öm, tvet, mot 'muss', sivär, här, tcän, hiik, hür, het 'heisst'. smer, hegher, värt, ghespärt: sie kommen vor a) mit unzweifelhafter bezeichnung, b)ohne genügende bezeichnung vs.l 100 a) 12 mal b) 36 mal, vs. 500— 600 a) 27 mal, b) 35 mal. 2) Es ergibt sich also, dass nichtbezeichnung in diesem text durchaus nicht als beweis für nichtlänge genommen werden kann, und da weiter die graphische consonantenverdopplung schon herscht, so kann

') Ich halte es für hedauerlich, dass Leitzraann bei seiner textg-estal- tnng liier halt gemacht und aus rücksichten, die ich nicht für ausschlag- gebend ansehen kann (s. xii f.) von einer ausdrücklichen bezeichnung der Quantität abstand genommen hat.

-) ih ist nicht längebezeichnung: neben hoth, tih, heth, vorheeth, vor- reeih, leihen auch veth, eth, belli, praep. 'l)is', (jhcboih, hoth, (jheheth, sath 'satt'. Auch y ist nicht zeichen von langem i; neben tcij/f, lyff, myn u.s.w. auch hlyft, myszilan, wylt, yynclc u.s.w. toysz ist demnach sowol wis 'weise', z. b. 4Ü0, als auch wis 'geAvis', z. b. 1027. 1347; über ivys 1317 kann mau zweifelhaft sein. Die orthographischen typen unseres textes sind also von ungewöhnlichem abgesehen wil, loill, wyl, wyll 'will'; del, dell, äecl, deell 'teil'; lede (selten leede) 'leid'; mende, meende 'meinte'.

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388 FRANCK

auch einfacher vocal -j- mehrfacher oder doppelconsonanz nicht für küi'ze beweisen. Gleich im anfang" machen zwei Wörter Schwierigkeit. Das wort für 'lanb' ist v. 3 und 324 loff ge- schrieben. Das kann natürlich I6f sein wie z. b. doff 98. 101, Inf ( : deeff) 352, Uff : dcff 337, bkfe G90 oder hlecl 287. Aber das nnl. hat wirklich neben luf auch lof. Ich kenne die form im nd. nicht, aber die möglichkeit, dass sie bestanden habe, ist nicht ausgeschlossen. In diesem fall dürfte sich nun ein herausgeber ohne weiteres bedenken für lof entscheiden, täte aber vielleicht gut daran, der anderen möglichkeit an- merkungsweise rechnung zu tragen. Das andere wort ist das unserm los entsprechende in der Verbindung valsch vnde losz 32. Die Schreibung so wie der reim zu dem gieichgeschriebenen vosz ebenso 6253 scheinen zunächst für kürze zu sprechen, und es gibt im nl. nd. und rhein. wirklich ein von laus ver- schiedenes los mit kurzem vocal und, wahrscheinlich ursprüng- lichem, SS. Aber weder die Schreibung beweist vgl. forloss 258, wyss 460 u. ö., husz : Maleiiertuss 479 noch der reim, da zahlreiche längen mit kürzen gebunden sind; vgl. für viele andere vorlees : des 43. Jenes los gilt nur in der bedeutung 'losgelöst, frei, locker', während für 'schlau, boshaft, listig' auch dort, wo los bekannt ist, los gesagt wird (rhein. los und lüs). Ich nehme deshalb zwar in unserem texte 2843 dat Heynke de vosz von deme Iconynge queme losz die kurze form an, aber an der erstgenannten und einigen andern stellen, trotz gleicher Schreibung und trotz dem reim, lös. Eine bestätigung gibt V. 61 de lose valsche kumpan und der hundename WacJcer- losz 71. lieber Bökert s. oben s. 378 mit aum. 2. Eine ganze reihe weiterer fälle sind an sich zweifelhaft.

Da im mnd. die zweisilbigen formen du hevest, hi heret noch bestehen, sind auch die synkopierten formen mit dehnung heefst, heeft vorauszusetzen. Da aber, so weit ich sehe, unser text ausnahmslos hefst, lieft schreibt (z. b. 41. 62. 223. 271. 5097) und die neuern maa. gleichfalls die kürze fest haben, so werden wir sie auch hier beibehalten. Die conj. 'auch' ist regelmässig oh oder och geschrieben; gekürzte formen derselben sind ja fast überall, auch in und. maa., bekannt. Daneben trotz der festen Schreibung langes öh anzunehmen, z. b. für oh : hloh 6042, ist gewis, obwol es nicht unbedingt nötig wäre, unbedenklich.

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Beizubehalten sind grotsten. (oder grötsten) 109 (auch sonst mnd.; Woeste gröttcr, gröttest, entspr. Holth., Jellingh., Dähn. de grötfcstm), moste praet. 190. 251 (moste, muste oder mit umlaut allgemein und.) und mester 250 (kürze bei Woeste, Holth., Jellingh.; t. Doornk.-Koolm. e und e, Schütze e und e«).

Das praet. von menen wird memle geschrieben: 18. 182, 184. 600. 6321, und meende 655. 799. 950. 967. 4670. 4681. 5854 (mende : J^ende 5937, meende : Jcende 5923; unsj^nkopiertes me- neden 1440). Bei der frühen synkope des praet. ist die mög- lichkeit der kürzung zweifellos: mnd. mende (und mende). Es scheint jedoch, dass diese form später nur im westen weiter besteht (Holth., Jellingh. mende, Woeste mende und mende), nicht aber im osten (vgl. Nerger § 217 und die idiotica). Da jedoch auch hier in bestimmten fällen heute noch die kürzung vorhanden ist (Nerger § 218), kann sie im 15. 16. jh. noch in grösserem umfang bestanden haben. Der fall ist mithin vor- läufig wol nicht genügend zu entscheiden. Dagegen wäre in hetalde 501 {J)etalede 1518) die dehnung zu bezeichnen. Das praet. von holden ist lielt geschrieben (z. b. 119. 821, hehelt : vcr- tclt 3821, lielt : gelt 6517) und heelt (z. b. 3462. 6045). Beide

.formen sind möglich (Woeste hei, Holth. helt, Jellingh. häuf, Nerger hell und höll) und der herausgeber hätte dem rechnung zu tragen. Aehnlich liegt an sich die sache beim praet. von vollen. Für kürze in vel 751 spricht stark der pl. vellen 3546.

In formen der 3. sg. ind. starker und einiger schw. verba wie hhjft 68, drecht 281 ist kürze anzunehmen, da diese kürzung auch fürs östliche nd. gilt.

Schwierig ist das wort dröffenisse 314. 316. 899. 6729. Nachdem der ursprünglich dem n unmittelbar vorangehende labial verschärft war, musste nach nd. lautregel der vocal verkürzt werden, was aber durch den einfluss des grundwortes wider aufgehalten werden konnte. Möglich ist also theoretisch sowol dröff'enisse wie dröffenisse. Ich kann das wort und. nicht nachweisen, würde aber als herausgeber nicht wagen, die kürze anzutasten. Etwas sicherer sind wir bei hast, das 635. 696. 794 auf vast reimt. Im nl., woher das wort erst ins nd. und hd. kam, hat es noch a, und auch die westfäl. maa. bewahren die länge teilweise wol neben ä ; doch finde ich im osten (Quickb., Richey, Schütze u. s. w.) hast, hasten,

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SO dass ich mich für kürze entscheiden würde. Dass hrascJieii 'lärmen, heulen' 642 trotz dem reim: hrasclien 'kratzen' als hräscJien aufzufassen ist, wissen wir nur aus den neuern mund- arten. Auch letli/Jv 'hcässlich' 692 werden wir neben Iccfli/Ic 847 die länge geben, obwol auch in diesem wort die kürzung vorkommt (mdartl. lelJi). Dem hd. strafe steht im nl. und nd. ein ablautendes straffe gegenüber. Man wird darum straff : äff 271 (auch wol straff^: gaff (rerh. v. Minden 36,10) als die letztere wortform auffassen, obwol das und. vielleicht unter schrift- deutschem einfluss strafe bevorzugt; t. Doornk.-Koolm. da- neben noch straffe. Auch bei schuffcle 717 brauchen wir nicht in zweifei zu sein, dass wir das im nd. (und nl.) geläufige kurzvocalige scliiiffel vor uns haben.

Mit gedehntem vocal dagegen sind anzusetzen clor 'ich wage' 99, sowie ver 'fern' : seer 706 wegen der im nd. all- gemeinen dehnung vor rr (so auch venvoren u. ä.), gewis auch vrom 'nutzen' (: 6m) 155, aus früher zweisilbiger form. Morscl 'stück' 106. 214. 217 ist nach dem nl. gleichfalls lang, 4067 auch morseel geschrieben. Natürlich ist auch bei reimen wie Musener : seer oder 7neer 279. 379 die form mit echtem langem c anzunehmen; kliisenere : Jiere 349.

Dass das wort 'verräter', 2322 und 6144 : ivedder gereimt, trotzdem es auch als vorreder mit länge erscheint, gekürzten vocal hat, geht aus der Schreibung hervor; denn ein dd als blosser graphischer überfluss zwischen vocalen dürfte doch kaum vorkommen. Aber richtig klar macht man sich so etwas eben nur, wenn man gezwungen ist, sich genaue rechenschaft von den qualitätsverhältnissen zu geben. Lübben, Wb. hat sich offenbar irre führen lassen und stellt das wort in der bedeutung 'Verleumder' mit reden zusammen. Dass aber 'Ver- räter' gemeint ist, wie es auch Schröder auffasst, wird zum überfluss durch das verrader des Originals an beiden stellen bestätigt. AMr haben die nicht unbekannte durch d und r bewirkte Verkürzung vielleicht begünstigt durch die 3. pers. vorret ; sie hat ja genaue parallelen an solchen wie ledder 'leiter', hladdcr, modder oder mudder 'mutter' (Nerger § 193) und ist nicht auffälliger als comparative wie grötter. Auffällig ist mir vorlorre opt. praet. 105 und schwerlich mit parallelen

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bei n wie honninc, lionnich zu rechtfertigen; doch steht auch Dorryngen 2332. Ob orr driickfehler für ocr ist?

AVenii Luther verhältnismässig weniger zu zweifeln anlass gibt, SO liegt das nur an der näheren verwantschaft seiner spräche mit unserer Schriftsprache und nicht an der abscheu- lichen Orthographie, die es wahrhaftig nicht verdiente, in neueren ausgaben verewigt zu werden. Da er sie später selber sehr wesentlich verbessert hat, so weiss ich wirklich nicht, warum wir den ganzen wüst der älteren texte beizu- behalten verpflichtet sein sollten.

Einiges zur Charakteristik: h ist nicht nur gelegentlich dehuungszeichen, sondern, wie es scheint auch darüber hinaus, überflüssiger zierrat: thierren s. 25, nhemen IS, ijhener 29] ent- sprechend, und nicht die alte spirans des verbums, gewis auch in hefolhen 31. y für i und j auch ausser im anlaut: nymmer öfter, syndflut 21, lieylig, preysen 17 u.s.w. Wie in dem ge- nannten thierren überflüssig rr, so ist es mit allen consonanten: maull 37, czuiveyllen 31 (^, wie häufig, durch cs] daneben tzu 17, tziveyfelln, tzeicJien 17), geliolffen 20, greyffen 31, vortnveiffeln 21, hirsclia/ft 26, scliaffs ' Schafes' 34, eyttell 19, streytt 24, tveytter 23, .beschneytten 'beschneiden' 37, laiitter (neben lauter) 32, leutten (neben leuthen) 35, gepurtt 26; dt in noät 34, freudt 'freude' 17, vnterscheydt 27. In den beiden letzten fällen könnte es als grammatische Schreibung gefasst werden, wie auch gJc für /.• in fällen wie seligJc 34, dingJc 34. Ferner ivcrclccn 25, denclcen 36. S. 24 malschatzts, dessen tzts doppeltes z ausdrücken Avill. Ziem- lich verwickelt sind die 5-laute, und wir finden ss und beson- ders sz ganz überflüssiger weise auch da, wo sicher weiche laute vorhanden sind. Auf der einen seite neben reyssend 34, häufigem aiisz : fleust 3b\ auf der andern ysszet 18, luszt 30, wcchszel 24, erivacJisz 28, bosze neben hose 30. 33, iveyszen 17. 33, preyszen 17, preyssen 17. 38, vnszer 35, iveszen 19, leszen 19; gern auch im anlaut szo 17, szon 18. Doppelung auch in ton- losen Silben: versenn2i, greyffenn ?>i, altenn2h\ mit synkope: neben vortzweyjfcln auch vortziveyffelnn 20, sondernn 24. 26, offenharnnM, warrwn 31, andernn kindernn 2h u.say.; eyteU2i, eyttell 19, hymell 39, tractatell 17, apostell 20; eynisz titel, mit sjnikope: hreiidgamsz 24; erhcytten 'arbeiten' 31, ncnnett 37. Das lange i wird durch ie bezeichnet nicht nur in fällen wie

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dienst, lieh, liehen, sondern auch solclien wie gcschrichen 17, fliehenden 20, viel; doch auch mit blossem i oder p, wie in lic/en 24, regelmässig ijder und sogar genis.zen 38. Die gramm. Schreibung ist nicht ganz so streng durchgeführt wie bei uns: stat 17, got 30 neben gewöhnlichem goit, leyp 3G neben gew. leyh, ydernmn z. b. 17.

Unter diesen umständen vermag die Orthographie noch Aveniger lange und kurze silben zu unterscheiden als die unsere, und es bleiben zweifei genug übrig. In gelidcn 36. 38, part. von 'leiden', werden wir allerdings der Schreibung entsprechend, ohne weiteres l annelimen dürfen und umgekehrt in hervff'en 20 trotz der Schreibung {(. Ben mit einem n neben denn 20. 23, dan 25 maclien keine Schwierigkeit. Wenn wir aber nun auch für den artikel neben gewöhnlichem den auch demi finden, 35, so müssen wir doch fragen, ob nicht deti als artikel sowol de7i als din bedeuten könne. Neben viel 18. 30. 31. 3ß, vielen 33 wird auch vil 23 und vill 11 (zweimal) u. o. geschrieben. Alle drei formen könnten schliesslich lautlich dasselbe meinen; aber es ist mir doch Avahrscheinlich. dass L. sowol rll als rll ge- braucht habe. Sind auch mit irol 20. 31 und iroU 20 laut- liche Verschiedenheiten gemeint? Zwei verschiedene lautliche formen sind wahischeinlicli bei irider 'gegen, wider' (38, irider- spensi/g 30, iriderund) 32) und uidder (29. 38, icidderumh 33); dieselben beiden formen finden wir für 'weder' {icider 32. sonst ividder) und entsprechend oder, odder 28. AVährend hefridef 20 auf dehnung weist, könnte ///(/ 19 zweifelhaft sein, ist aber auch wol als fnd zu lesen. In Jn/nivI 19. 39 und i/mer 30 und sonst (neben ymmer, nymnier) ist gedehnter oder langer vocal anzunehmen. Ich muss die von Francke § 123 aufgestellte ansieht, dass wie doppelsclireibung kein beweis für kürze, so auch einfache Schreibung keiner für länge sei, bezweifeln. In dysze, der geAvöhnlichen form des iironomens, brauchte die Schreibung nicht notwendig auf erhaltung der kürze zu weisen, doch werden wir sie angesichts von dissen 38 wol anzu- nehmen haben. Auch in der 1. pers. hefdl 17 halte ich nach der Schreibung, obwol sie nicht zwingend beweist, kürze für wahrscheinlich. In messig 29 ist doch wol länge anzunehmen, obwol sich vermutlich feststellen lässt, dass 6^6^ lieber nach kürzen, x.^ lieber nach längen steht (doch z. b. grösser 20. 38,

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grosse 20, Mssen 38); schon eher, aber wider nicht sicher, könnte in müszsig 29 (neben mdssig 31) die hänfung auf Verkürzung weisen. Da tt nach längen geläufig ist, werden wir der neben g\d 22. 38, gute 14, guten 32, gnts 38, g'titern 24 auftretenden Schreibung mit ^n9. 27, gnftc 22, gtiiten2S, gnitisll, gnttcr2i, gütte 22 u.s.w., trotzdem sie weitaus übermegt, und auffällig bei diesem wort besonders, eine lautliche bedeutung nicht bei- messen. Sie fehlt denn auch nicht in gleichen fällen: neben gedcmMgt, tJiitt, bhd auch hnttcn (und Mtcn) 31, glidtroäi 23, mutticülcn 30, stett 3. pers. 30. 32, nott 30. 32. 35 und weiter ziemlich regelmässig. Dagegen nehme ich, abweichend von Francke § 16, an, dass hinter ursprünglichen kürzen aus der Schreibung abweichung der Quantität von der unsern in ein- zelnen fällen zu schliessen ist: leite, bettet 19, betten 38, gepett 27, vatter 21, theiten 20, sclbtlietter 25, tretten 27, gcbottc 21, gepotten part. 24, wenn auch in andern Schriften nebenformen erwiesen werden, wie gebcct bei Francke a.a.O. Bei Schreibung der unfliectierten form als gebot 21 (neben gcpoft 24), oder des Singulars tJiet 30 könnte wider zweifei wegen der quantität entstehen: thet lautlich thct, wie z.b. stet 27 3. pers. von 'stehn'? Aber es werden auch hat und halt nebeneinander geschrieben, got 30 neben sonstigem gott. Aber nun untcrlasz 26, ahlasz 28? Sprach L. noch a? Der zweifei erstreckt sich dann auch auf das vb. lassen 37, lessit 37. Nach dem was wir vorher über strafe gehört, könnte stre flieh 31 kurz sein; aber es ist auch länge möglich, mit e als umlaut von ä wie in Jderlich, messig U.S.W., und da L., glaub ich, strafe sagt, nicht straffe, ist die Sache wol entschieden. Sun 39 wird der germanist geneigt sein als sün zu lesen. Doch ist mit dehnung sün wahrschein- lich, eine form die sich zu sonstigem sön verhalten würde wie L.'s Mmic zu liönig. Schliesslich die frage: hat L. lob, iveg, tag, häd, gras, mag, gebot (wenn er es ohne Verdoppelung des t gebraucht hat) gesprochen, oder dehnung? Ich glaube nicht, dass diese frage bis jetzt beantwortet ist. Natürlich würde eine Untersuchung des gesammten oder nur eines grösseren Luthermaterials manche dieser fragen wol ohne weiteres lösen. Aber ich wollte ja nur anregen; werden die fragen nicht auf- geworfen, so werden sie auch nicht gehist.

Bei Lauremberg- hat die bezeichnung der länge gegenüber

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dem Eke. fortschritte gemacht. Ausser dem c (z. b. waen, laet, spraeJce, iveer ^väre', Ideedt, weet, breet, ordeel, heelt, veerticJi, hccne, groet, toecli, woer 'wo', moet, hroecke : doecJce, gcblöet, fuel, hitcch, vuest, ßer; hehaegt, maclct, maecMe, ivaegde, gcreedt^ ge- redet', vth dem tveeg, weert a.äj., peerdt, sweerd) dient in weiterem umfang-e auch h dazu, das sich manchmal auch in offener silbe einstellt (z. b. sehr, ehr sahnen, ivehr 'wäre', tüeJit, chrdc, doh ick, dohn, olderdohm, rdhmlick, vermahnde, gahr, tahl, ehl wehrt adj., dohr 'tor', mehnen, gemehnet, lehren, föhren, nahmen, gclialmien.^) Andrerseits fehlt auch die bezeichnung sehr häufig, wofür ich nur eine anzalil ganz sicherer beispiele geben will: quad. Med, quem, tver, hewis, tidt, gelick, krign, gnoch, hoch, schon, lot, ivor, sdr : entföhr, gehört, gelövt, hus, gehruck, gehrficklick, gut : henuth, tiich, dar, verthert : gesmehrt, p6l 'pfähl'. Dabei hersclit die überflüssige consonantenverdopplung noch in dem masse, dass wider eine grosse anzahl zweifelhafter fälle bleibt, in denen es sich um kürzung durch consonanten, durch tonlosigkeit der silbe oder andere momente, wobei auch schriftsprachlicher einfluss in betracht kommt, handeln kann. Ich hebe die wich- tigsten hervor. Verlöf 'erlaubnis' 2, 467 ist wol mit o zu lesen; die länge des aus verlöven stammenden vocals scheint in den meisten mundarten gewahrt zu sein, während t. Doornk.-Koolm. verlöf, wie das nl. verlof hat. Lösst . . . geld ß. 107 ist von lössen abzuleiten. Sind praet. wie kölde und sjJölde 4, 149 f. noch als die alten kurzvocalischen formen anzusehen, wie sie oben charakterisiert worden sind? Ich glaube nicht, dass töffden, pröffden 3, 315 f. von töven, pröven als beweis dafür

') Ob th gleichfalls so gemeint ist, bleibt auch hier noch zweifelhaft, da es zwar meist bei langer silbe steht (rneth 1, 210, tveeth 1, 333, noeth 2, 707, uth luh. 20, överfloih 1, 69, förth : gebörth Inh. 29, arth 4, 52-t, forth und fokrt B. 71, weiih Inh. 15, tcerth : stert 3, 3-19), doch auch in beth praep. 'bis' 1,130. 2,388 und kth 'lässt' 2,ibö. B. 138. Y ist auf das lange i beschränkt, nur in der ableitungssilbe -lijck kann es auch kürze bedeuten. Wyszlich Inh. 33 kann hier also nur 'weislich' sein, imä (dreck und) schmi/t 2, 694 vgl. schmiie : calamiie 2, 380 nur ein langvocaliges wort, nicht identisch mit sm/tte, hd. Schmitz, obwol ich ein solches sonst nicht nach- weisen kann. Als bezeichnung für langes i concurriert ie: nie 'neu' Inh. 11. 1, 43. 207 : brie Inh. 17, krieg 1, 39, frie 1, 84, schiedt = scMt 1, 186. Zu- gleich ist ie = zweisilbigem lä: vertuen : fripperien 1, 184, nies, nie 1, 202. Klie:frie 1,193 aber sind einsilbig; kli Quickb. und dänisch.

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angeselien werden können; vgl. Uff lieh 2,461, wo kürzung kaum walirsclieinlicli ist. Sonst würden auch solche formen wie (jcnomt 1, 6. 4, 41, nömcle : röinde 1, 11, gerömt : nomt 2, 389, vcrdömt 2, 723 in frage kommen {verdumct 2, 729). Sicher kurz ist hesöcht 3, 193, natürlich auch solche verbalformen wie lopt 4,491. Im westftäl. stellen solche verkürzte formen zum teil das e nach analogie wider her; so könnte man drfipiiet 3, 290 erklären wollen, doch ist hier ein schw. vb. drüppen anzu- nelimen (Riclie}', Marahrens). Ein ähnlicher fall ist das abstr. drögdc 2, 182, worin im westfäl. und bei t. Doornk.-Koolm. kürzung bezeugt wird; vgl. grött ^grosse' Nerger § 163. Ferner einige gesteigerte formen wie liöcliste 1,447, die im westfäl. kurz sind, ostnd. allerdings wenigstens heute nicht in dieser form gebräuchlich zu sein scheinen. Sicher sind aber auch L. die formen gvotste (2,284. 472), grötter (3, 291) zuzuschreiben, wenngleich er daneben gröfer 3, 4, gröteste 3, 7. 4, 40 hat. Hier- hin auch herömsten 4, 142? i) Da wir ^in prSffden und stöffken nicht als beweis für kürze nehmen können, so ist auch über twifflen 1, 49 nichts gesagt (das subst. tivifd, z. b. 1, 53. 2, 1). Lautlich möglich wäre die kürze durchaus, doch kenne ich keine tatsächlichen beweise, denn t. Doornk.-Koolm.'s ausdruck Hivifel oder tivifeV besagt wol nichts. Dagegen ist kurzes liöfflicheit 2, 690 nicht unwahrscheinlich. Hast Avird hier durch den reim mit last B. 123 bestätigt, da L. nicht verschiedene quantitäten bindet. 3, 463 ff. ist öfter niester gesclirieben, hörg- mester 2, 686 (aber 640 hörgcmeister). Basier 2, 232 ist zweifel- hafter; t. Doornk.-Koolm. und Pf äff § 15 haben düster, dagegen Dähn., Richey, Schütze düster. Hüspcrn 4, 585 finde ich in den idiotica überhaupt nicht. Selir zweifelhaft ist die Verkürzung für 2Ji-csier 2, 319, B. 27 und sc/iostcr 4, 101, worin auch 4, 412 länge bezeugt wird. Zweifelhaft ist mir vorläufig auch du most 2,196; die form ist zwar westfäl., auch t. Doornk. «r»6'^ neben most, aber Nerger du möst. Anzuerkennen ist dagegen kürze in ehrgitz 1, 204. 3, 403 (Maurmann, Gr. d. ma. von Mülheim a. d. R. § 151 und t. Doornk.-Koolm. gits; vgl. auch Schütze git und giet)^ zweifelhaft jedoch wider crMs 2, 203, wofür ich auf

*) Bei diminutiven sind mir kürzungeu ans dem eigentlich nd. nicht bekannt, auch ist B. lOG höcckschen geschrieben. Also auch in höcJcsJcen B. 127, hüsschen 1, 120, lünken 1, 159, lüasken 1, 183, siöffkcn 2, 790 läug-e.

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nd. boden mir hrütz und h-üs finde. Straff steht 3, 419 ge- schrieben. Paschen 'ostern' 3, 108 ist mir zweifelhaft; zwar schreiben Richey und Schütze auch pasclien, aber Dähn. aus- drücklich PaasJccn, Marahrens Paasch. In Jöchnen 'leugnen' 4, 639 ist die A'on Woeste und t. Doornk.-Ivoolm. bezeugte Ver- kürzung vermutlich auch hier anzuerkennen. Denst 1, 121. 125 würde mit Holth., Woeste, t. Doornk. stimmen, die kürze neben e haben; doch sehe ich im ostnd. nur belege für e oder ei. Sicher kurz und sonst verschiedentlich bezeugt sind husseni 2,98. 105 und hitf er 1,264:. 4,7; sf/my/e/m 2, 780 betrachte ich mit dem früher gesagten als erledigt, obwol Nerger § 177 anm. angibt subst. scliiiffel, verb. aber seh ii fein. Wegen eeJcel 'ekel' 3, 338 genügt es, auf die Wörterbücher zu verweisen. Auch renlik 2, 771 ist fast überall in den nd. maa. bezeugt, und was Menlih 1, 239 betrifft, so stimmt wenigstens t. Doornk. ein mit Menl. neben läenlih 1, 21 ist statlieJc geschrieben, gegen 2, 333 stacdlicJicn. Möglich dass L. zwei formen gebraucht. ') Auch andere composita kämen in frage, wie hrudgam B. 32, wo aber im allgemeinen die länge zu bestehen scheint (nur Jellingh. bezeugt auch hrüggcm) und l^opman 1, 83. 4, 167, wofür die ausspräche des namens Kopenhagen auf das bestehen einer regelrechten lautkürzung weist. Verkürzung von dÖ7n in der composition {ricMom 1, 104) werden wir nicht annehmen, da 1,190. B. 47 -dohm geschrieben wird, und auch sonst das nd. an der länge festzuhalten scheint. Verzieh 1, 126 mit kürze ist wenig wahrscheinlich trotz der entsprechenden Soester form, da L. auch vcertich schreibt 1, 307.

Ursprüngliche kürze könnte in vagt 1, 20. 3, 355 gewahrt sein (Quickb. vagt, Dähn. vagd; a gemeint?); dagegen finde ich gegenüber von magt 4, 177 in den idiotica maagd. Edlen 3, 413. 4,228 ist auf die grundform eddel zu beziehen. Das part. von reden ist 3,302 geredt, aber 1,437 gereedt geschrieben. Dagegen wage ich der Schreibung verwcszde 3,19, von 'ver- wesen', gegenüber nicht recht die dehnung anzunehmen. Im

') Statiik kann autochtlione Verkürzung neben statel/k sein, oder die form, die das aus dem nl.-nd. entlehnte wort in der hd. Schriftsprache an- genommen hat. Das von Goethe noch staatlich geschriebene wort beruht bekanntlich auf stät aus lat. franz. Status, wenngleich bei Kluge immer noch etwas anderes steht.

ALTE ORTHOGRAPHIE UND MODERNE AUSGABEN. 397

ganzen werden wir bei solchen scliw. verba unsere laut- und ortliograpliieverliältnisse anzmielimen haben, also z. b. in formen wie vegt, vegde dehnung, die in hchaegt auch geschrieben ist (dagegen ^Zec/i^ kurz), ebenso in räkne 1,110, rechict 1,117. Etwas auffällig ist, dass rük 'geruch', von einem zweisilbigen röke 2, 457 abgesehen, immer röcJc geschrieben wird 1, 77. 232. 2,353. 366. 473; dazu geröck 2,350. 411. 413. Eine kürzung ist unwahrscheinlich, wenn li. sich nicht etwa durch die Quan- tität des schriftdeutschen gernch, dem gewis sein compositum geröck zu verdanken ist, bestimmen lassen haben sollte. Ich reihe an die Schreibung ivirock 2,474, sowie sclüphröck^,!^^; ob mit Dähn.'s schiphrok ö oder ö gemeint ist, weiss ich nicht. Häufig ist für 'viel' t'e/ geschrieben, z. b. 1,251. 276. 395. 4,229. B. 118 und, trotz dem reim kehl 1,293; aber auch «7ee?, z.b. 1,217. 309. 339. B. 117 : kehl 1,389. Woeste bezeugt auch formen mit kurzem vocal; doch ist eine solche für unsern text weniger wahrscheinlich. Dagegen sind bei den praeposit. dör und vor wol beiderlei formen anzunehmen. Für 'auch' ist auch hier ock durchgehende Schreibung, z. b. 1, 50. 57, was aber nicht hindern darf, auch ök festzustellen, z. b. im reim mit hroeck 1, 405, doeck 2, 182 (geschrieben auch ock). Für 'können' gebraucht L. können, z.b. 2,778 und könen, z.b. 2,783; eine form könt^ z.b. 2,781, ist darum in der quantität nicht ganz sicher. In den apokopierten praeterita sed, z. b. 2, 200. 3, 333 und ded^ z. b. 3, 307, ist immer dehnung anzunehmen {seed, z. b. 3, 319, sede 3, 294). Eine ungewöhnliche dehnung wird durch den reim erwiesen für schmael 4, 444; sie ist sonst im mecklenb. wol in andern Wörtern auf -al, aber nicht bei sjual dui^ch- gedrungen; Nerger § 154; eine ungewöhnliche kürzung durch den reim divas 'töricht' : gras B. 75. Da L. 3,48 ausdrück- lich von einem hoUendischen dwas (im reim zu maz, Umbildung von it. matto) spricht, d. h. das wort als holländisch bezeichnet, so dürfen wir annehmen, dass es für ihn in der muttersprache nicht einheimisch war, und er das fremd wort mit ungewöhn- licher quantität gebrauchte. Doppelformig erscheint das wort für 'zahl', dessen geschlecht auch wechselt: 4,454 als masc. tahl\ 4, 447 und B. 84 als fem. tal, gewis auch täl zu lesen, und 1, 395 als masc. oder neutr. mit dem dat. talle. Auch sonst im nd. spiegeln sich die beiden formen, die wahrscheinlich

398 FRÄNCK

einerseits auf das fem. tala, andrerseits auf das neutr. (jltal, letzteres mit secundär verdoppeltem l, zuriickgelien.

Man darf gegen diese darlegungen den einwand erheben, dass sie Schwierigkeiten auf Schwierigkeiten türmen, und wenn man alle möglichen kürzungen berücksichtigt, zumal solche welche neuere mundarten bieten, so würden sie sich allerdings bei derartigen Untersuchungen noch mehr häufen. Aber Schwierigkeiten entbinden uns nicht von der pflicht der for- schung, und dann bin ich überzeugt, dass sie doch rasch ver- mindert scheinen werden, wenn es einmal jeder herausgeber für seine pflicht ansieht, für sein teil diesen dingen die not- wendige beachtung zu schenken. Ist es eigentlich zu glauben, dass man ruhig so gehäufte zweifei bestehen lässt über sprachen, mit denen wir vorgeben, uns philologisch zu be- schäftigen?

Excurs über nachgesetzte e, i (y) als längezeichen. Die frage, woher diese bezeichnung der länge stamme und was ihr sinn sei, ist schon häufig erörtert worden. Man wird die literatur zusammen haben, wenn man den nachweisen John Meiers, Jolanthe s. xxxiv mit anmerkung und nachtrag s. 127, sowie denen Scheels, Westd. zs. f. geschichte und kunst, ergänzungsheft 8, 46 folgt und dazu nimmt Weinhold, Mhd. gr.^ § 143. Lübben, Mnd. gr. s. 25. 33 ff. Franck, Mnl. gr. s. 6 und Be- liaghel, Grundr. 1'^, 676. Meier lehnt es a.a.O. ab, sich für eine der vorgebrachten erklärungen zu entscheiden, weil eine dis- cussion dieser frage ihm müssig erscheine, ehe nicht genügend material gesammelt und die fixierung phonetisch genau schrei- bender denkmäler festgestellt sei. So wünschenswert eine ge- nauere Untersuchung gewis wäre, so scheint mir die sache doch auch ohne das klar genug zu liegen, um die grundfrage zu entscheiden. Ich bin gänzlich von dem glauben zurück- gekommen, dass hinter diesem e oder i eine besondere feinheit zu suchen sei, entweder ein bei circumflectierender ausspräche der länge nachklingender hoher eigenton (Scherer, Heinzel) oder gar die stimmritzenöffnung bei gestossenem ton (Nürren- berg). Mir ist nichts bekannt, was zu der Voraussetzung be- rechtigte, dass jene Schreiber derartige phonetische feinheiten hätten ausdrücken können oder wollen. Oder wo haben sie

ALTE ORTHOGRAPHIE UND MODERNE AUSGABEN. 399

das je getan? Wie gleicligiltig verlialten sie sicli gegen ganz grobe imterscliiede in den spraclilanten, Jahrhunderte hing z. b. auch gegen die meisten vom umlaut zuwege gebrachten Ver- änderungen! Das e für den umlaut des a und ä griffen sie auf, weil es für ähnliche laute vorhanden war, in Oberdeutsch- land dann das ht, weil es sich in historischer entwicklung für ü eingestellt hatte. Aber für die andern wussten sie sich so wenig rat, dass noch heute die Wissenschaft in der erkenntnis dieser seit 1000 jähren vorhandenen laute nachhinkt. Und da sollten sie feinheiten ausgedrückt haben, für die .sie nirgends ein Vorbild fanden, die überhaupt niemals vorher noch nachlier in irgend einer schritt ausgedrückt worden sind? Ohne zweifei hat Humperdinck recht, wenn er nachdrücklich die e und i als 'zeichen der production' erklärt. Die zeichen werden häufig genug auch gebraucht, wo es sich um die schlichte dehnung alter kürzen handelt, so schreibt der Teuthonista ganz regel- mässig z. b. gelaifte, gelaeven, gayde, cail, haide u. s. w,, und es bleibt gar kein räum für die besonderheiten, wie man sie hinter der Schreibung suchen will. Mit recht betont Humper- dinck, dass wo jetzt noch in Ortsnamen solche Schreibungen bestehen, wie in Troisdorf, Iloisdorf, Orsoy, Soest, Coesfeld man jetzt noch ö (oder mundartlich statt dessen au) spreche, ') und es fehlt jeder beweis, dass man früher dort etwas anderes gesprochen habe. Nirgends ist überhaupt ein laut wie ä' oder ö' wahrscheinlich zu machen, und eo ipso wäre die anwendung von Schreibungen wie ai, oi, wenn sie willkürlich erfunden wären und phonetische, nicht bloss orthographische be- deutung haben sollten, neben den gewöhnlichen diphthongen ai und oi unwahrscheinlich. Die Schreibweise gehört zweifellos auch zu den historisch entwickelten, die der wichtig tuenden zunft vortrefflich in den kram passten. Auch hier hat Behaghel a. a. 0. wider das richtige erkannt und hätte allen vorbehält bei Seite lassen können. Man darf freilich nicht gerade von einem wort wie slahan ausgehen, denn für einen teil des in

') Von den koniisclien versuclien der eisenbalmschaffner oder rich- tiger wol ihrer 'gebildeten' vorgesetzten solchen nauien wirklich diphth- ongisches oi oder öl zu gehen oder der auf Unkenntnis beruhenden entstelluug von faiuilieunamen wie Broicher, Boichorst, Claiasen ist natürlich ab- zusehen.

400 FRANCK

betraclit kommenden gebiets war sla{h)an wol unmittelbar zu slän geworden; vgl. in den Gl. Lips. slan. Aber wol von ent- sprechenden Wörtern mit längen. Vä{h)an wurde zu vdcn und weiter zu van, während die Schreibung vaen noch weiter be- stand, näJio zu näe, nä, nuhisto zu näeste, näste, päJia zu däe, da, nähor zu näer, när (adv. 'nahe, nach'), hoho zu Jiöc, hö, flectierte formen z. b. von flöh zu vlöe, vlö{n). Mau könnte ja die hier vorausgesetzte lautentwicklung bestreiten und an- nehmen wollen, dass die contractionen ohne Zwischenstufen mit schwachem e (i) vor sich gegangen seien. In der tat findet man in mitteldeutschen hss. in der regel entweder vdhen oder van, nähe oder nä, hohe oder hö. Aber die im altnieder- fränk. und and. belegten formen wie hiväist, näist, höi, fdan ') scheinen mir die angenommene lautliche und orthographische ent Wicklung notwendig vorauszusetzen, denn bei den ver- schiedenartigen nebensilbenvocalen hätten doch nicht die gleich- massigen längen entstehen können, wenn niclit vorher auch die ersteren gleichmässig zu d verlaufen gewesen Avären. Um einen noch unmittelbareren beweis zu liefern, gebricht mir das material. Es wird überhaupt für die fraglichen gegenden spärlich genug sein, und ausserdem ist jedes ae, oe u.s.w. zweifelhaft, ob es ä-j, ö-o oder eben ä, 6 meine. Wo das h orthographisch weitergeführt wurde, war natürlich die an- genommene orthographische entwicklung nicht möglich. Diese Orthographie ist aber die regel auch für gegenden, wo ver- stummen des h sicher vorauszusetzen ist; man schreibt die noch zweisilbigen formen immer mit h. So aucli ganz über- wiegend in der hs, des Rother. Immerhin bietet sie seeji 1839, schoen 2073, naote 2375, hati : nain 8995, wo das metruni zwei- silbige ]iä-in, nä-in erweist, hais, gevais 4597. Da höchstens in 8 fällen c oder i als längezeichen steht {schoine 827, holt 3132, virlois 3348, doit 3982, yebuet 3980, tucvel 4323. 4563, huevcn 4329), so lässt sich, in Verbindung mit naote, an dem Charakter der anofeführten formen nicht zweifeln. Auch vuir

') S. Heynes glossar zu ileu kleinereu (lenkinäleni und Gallee, Alts. gr. § 130. Ich führe noch an aus Althof, Gramm, as. eig-ennameu § G2 Fuldua, Wiserua, Huold, Iloico, Hoauaschc, llaoU; aus Heiiizel, Ndfrnk. geschäftssi)rache s. 321 HoonspuU, Hoonvelisnim, Haiiscoesheim, s. 332 Hoinstaden, s. 373 Iloinsceith, Iloensleine, Naacjao.

ALTE ORTHOGRAPHIE UND JIODERNE AUSGABEN. 401

4680 ist eine ähnliche zweisilbige form (vn-ir). wie auch das h(ere des textes zu lesen ist. H ist bedeutungsloses zeichen, daher auch hescolieüs 335, d.h. hescouefis mit Schwund des tv (vgl. z.b. getrne 3538. 3553, bnefe 4827). An den formen der hs. ist also einer beteiligt, der rä-9n, nä-o, scltö-dn sprach und schrieb. Zu den fällen mit verstummtem li kommen nun weiter solche hinzu me l6-d, 16 'lohe', U-ir, lörc, lor 'lohgerber', strö, stro-ds, stros, drö-dn, drön, se-ds, ses, und wenn dann ee als alte bezeichnung für langes e hinzutrat, so waren diese momente gewis genügend, um dem e den wert eines Zeichens für vocallänge zu verschaffen, i) Der beste beweis für die richtigkeit dieser auf- fassung liegt darin, dass die entsprechende Verwendung des / den gegenden angehört, die i statt e für den schwachen vocal verwenden. Auch die zeit des auftretens der Schreibungen ae, ai u. s. w. stimmt ja, da sie erst auftauchen, als die neben- silbenvocale zu a geworden waren und in grösserem umfange verstummten. Wenn dann statt i auch y eingeführt wurde und zwar häufiger als wol y für den schwachen vocal vorkam, so ist das in anbetracht der Vorliebe der Schreiber für y an allen möglichen stellen, wie auch im diphthong ei und für j, nicht weiter auffallend. Für ü oder ü wird sogar iiy das ge- wöhnliche; das ist aber ganz in der Ordnung, da man Schrei- bungen wie ui gern vermied. Wo ui oder uy //-laute be- zeichnen, mag übrigens bei der aufnähme dieser Orthographie auch das gefühl für die geeigentheit des i zur bezeichnung von umlauten mit in betracht kommen (vgl. Braune, Ahd. gr. § 42 anm. 1. § 45 anm. 4. Weinh. § 111). Damit scheint mir die orthographische erscheinung überzeugend erklärt, ob wol ich nicht leugnen möchte, dass gelegentlich aucli noch etwas anderes als blosse länge damit gemeint sein könnte, etwa ein graphischer ersatz für verlorne consonanten (ich denke an fälle wie gelait 'gelegt', nait 'nacht', hielt 'knecht') oder ver- lorne Silben. Zu den von Xörrenberg als den ältesten be- sprochenen fällen füge man noch die von Scherer zGDS.- 59 genannten beispiele, ferner aus dem Annolied inüoich 551.

1) Im nl. konnte ein entsprechendes ue unmittelbar nicht entstehen, weil es kein ü-d, sondern nur üw9 gab. In der tat ist ve verhältnismässig selten neben uu, wobei man von ue als bezeichnung von o- lauten (im flämischen) absehen muss.

Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVII.

402 FRANCK

hoihit 763. 831, hüoihit 764, soigit 983 {fuir 47 gehört wol nicht dazu) ') und aus den Köhier Schreinsurkunden des 12. jh.'s, hg-, von Höniger, aiducht, lain, waitschrodere, loi?; soinia (sue, soe?); s. das 'Verzeichnis der deutschen Wörter'. Die beispiele passen dann gar nicht mehr zu Nörrenbergs auffassung. Wer einmal das material eingehender untersuchen wird, möge sich liüten, die an sich gewis berechtigte forderuug, es möglichst voll- ständig zu berücksichtigen, allzu wörtlich zu nehmen. Vor- sicht und genauere Scheidungen sind unerlässlich. Die an- wendung der Schreibweise auf langes e war wegen der Ver- wechslung mit diphthong ei nicht unbedenklich. Nichtsdesto- weniger ist sie geschehen, aber manchmal mag doch, wo anscheinend parallele ei, cy stehen, diphthong ei oder doch aus e gewordene diphthongische länge, wie das engl, lange e, gemeint sein. Andrerseits sind e und i auch unüautszeichen. So glaube ich auch Zs. fda. 35, 381 nachgewiesen zu haben, dass die ui in der Jolanthe, die Meier s. xxxiv zusammenstellt, den Umlaut bezeichnen.

Die franz. dinge, die Suchier in Gröbers Grundr. 1, 602 behandelt, mit in die Untersuchung zu ziehen, fühle ich mich nicht berufen. Bei der nachbarschaft ist ein Zusammenhang allerdings wahrscheinlich. Aber wenn ein solcher besteht, so braucht man nicht gleich an eine sprachliche gemeinschaft- lichkeit zu denken und sogar keltischen einfluss dahinter zu wittern. Eine articulatorische gemeinschaftlichkeit zwischen

1) Die fälle aus dem Annolied geben noch zu einigen bemerkungen anlass. Zunächst kann ich, offen gestanden, zweifei an der richtigkeit der auffassung nicht ganz unterdrücken, i von den 5 haben um laut; dann niüsste iniloich, es folgt unmittelbar sich, verschrieben sein. So könnten wir dann die oi vergleichen mit dem ei, womit das wort herr 95. 232. 205. 409. 4(59. 487 u. s. w. bis auf 4 fälle ausnahmslos geschrieben ist. Sonst kommt dies ei nur vor in Icirti 131 und eirlich 727. Also scheint es durch i der folgesilbe bedingt und mit dem regelmässigen ei für i-umlaut von ä zu vergleichen zu sein. Die conjectur zu 664 ist also der Schreibung nach nicht berechtigt, wie sie auch für den sinn überflüssig ist. Ist aber oi doch längezeichen, so fällt auf, dass es auf diesen vocal beschränkt ist; auch im llother fanden wir oi neben ue, kein ai. Diese beschräukung be- dürfte dann wul einer besonderen erklärung, und man darf vielleicht an die Ortsnamen mit Höhen- denken, bei ue au solche mit Nüen- (aus Niwwen-), iu denen sich die Orthographie zuerst herausgebildet haben mag.

ALTE ORTHOGRAPHIE UND MODERNE AUSGABEN. 403

Romanen und Germanen ist ja tatsäclilicli sonst erwiesen, aber eine übereinstimmende ortliograpliie ist bei freundnaclibar- lichem verkehr doch nocli eher möglich.

Ich möchte das ganze beschliessen mit der nachdrücklichen betonnng der notwendigkeit orthographischer nntersuchungen, die sich, in der art wie sie Kauf f mann fürs ahd. in die wege geleitet hat, über die ganze zeit unseres Schrifttums zu er- strecken hätten. Alle einzelfragen, die mein artikel angerührt hat, zeigen ja, dass es mit einer gelegentlichen erwägung der Orthographie nicht getan ist, dass sie vielmehr systematische Untersuchungen und schliesslich eine zusammenhängende ge- schichte verlangt. Eine solche würde uns zeigen, dass die Orthographie sich zum teil in innerlichem Zusammenhang mit der spräche entAvickelt, sich zum teil ohne einen innerlichen zwang an sprachliche entwicklungen anschliesst, zum teil aber auch ganz unabhängig von der spräche neuerungen erfahren kann. Es bedarf keines wertes, wie sehr eine solche geschichte, ohne die wir uns allzu häufig im zweifei befinden müssen, ob wir es mit einer lautlichen oder einer orthographischen er- scheinung zu tun haben, den sprachlichen Untersuchungen die arbeit erleichtern und die ergebnisse zuverlässiger gestalten würde. Wenn wir so weit wären, so liätte ich auch weniger Widerspruch zu erwarten bei der forderung von der ich aus- gegangen bin, dass wir die zwecke unserer textausgaben durch die beibelialtung der alten Wüsten Orthographie, besonders aus den letzten jhh. des mittelalters und den ersten der neuern zeit, nicht so beeinträchtigen sollten.

BONN, juli 1902. J. FRANCK.

26*

WEITERES ZU LANGOBARD. GAIRETHINX UND THINX.

(Beitr. 27, 148 ff.).

Auf s. 150 dieses bandes habe ich im anschluss an Pappen- heim ausgeführt, dass der im freilassungsparagraphen des Ed. Eothari stehende ausdnick per gmr{e)tliinx confirmct nicht auf die freilassung als solche bezügliches enthält und nur die vom patronns und den zwei ersten treuhändern vorzunehmende traditio betrifft, die den mit der vollfreilassung zu beglücken- den in bezug auf den patronns zum extrancus (ämund) zu machen bezweckte; dass gair{c)tMnx hier also nicht als 'frei- lassung (durch zuwerfung des gers)', sondern als ' Schenkungs- formalität' zu deuten sei. Zur näheren begründung dieser fassung möchte ich noch auf den umstand hinweisen, dass abwechselnde Verwendung von gair{c)thinx und tliinx nur dann zu beobachten, wenn die nomina für 'rechtsgiltige vermachung' gelten, nicht aber wenn 'freilassung' ausgedrückt w^erden soll; in letzterem fall begegnet nur tliinx (s. Ed. Roth. 173, Liutpr. Legg. 140) gegenüber {gaire)tMnx 'rechtsgiltige vermachung' (s. Ed. Roth. 172. 174. 375 text und varr.; im Ed. Roth. 171. 173, Liutpr. L. G5. 73 findet sich allein thinx, im Ed. Roth. 167, Liutpr. L. 54 allein gaircthinx 'rechtsgiltige vermachung', im Ed. Roth. 224.380 allein gairethinx 'formelle traditio'; wegen der beiden letzteren Paragraphen vgl. oben s. 150 und 149). Mit rücksicht auf diese tatsache dürfte identificierung von gair{e)tliinx des beregten freilassungspai-agraphen mit thinx 'freilassung' sich eben nicht empfehlen. Ln Widerspruch hiermit könnte aller- dings beim ersten blick § 222 des Ed. Roth, erscheinen: Si quis ancillam suam propriam matrimoniare voluerit sibi ad uxorem, Sit ei licentiam; tarnen deheat eam lihera(ni) thingare, sie Ubera{m),

WEITERES ZU LANG OB. OAIRETHINX UND Tiliyx. 405

quoä est uii{%)rdihora (dass sie inhaberin einer angesehenen Stellung- ist, d.h. die Stellung einer vollfreien hat)') et Icgetimam facere i)er gair{e)thmx ; tunc intcllcgatur lihcra et legctima uxor etc.; doch beachte man: erstens dass für die vollfreilassung (zum fulcfree 'gemeinfreien' und ämuncl 'von der Vormundschaft des patronus befreiten') speciell die der freilassung voran- gehende traditio j)cr gair{e)thinx erforderlich war, im gegen- satz zur nicht vollständigen freilassung (zum fulcfree), die keine tradition bedingte (s. oben s. 149 f.); zweitens dass infolge dessen der eigentlich die traditio bezeichnende terminus durch (notale) Übertragung auch als ausdruck für 'vollfreilassung durch tra- ditio' verwant werden konnte; drittens dass ein nur 'freilassung' im allgemeinen sinne bezeichnender ausdruck an der citierten stelle kaum am platze wäre, indem daselbst speciell die voll- freilassung gemeint ist.

In betreff der oben auf s. 151 beanstandeten annähme, dass der festucatio oder werpitio eine gerreichung zu gründe gelegen, sei ferner betont, dass was The venin in der Nouvelle revue historique de droit fran^ais et etranger 4, 84 ff. zur be- gründung solcher entwickelung in der gerichtlichen sj'mbolik angeführt hat, alles andere eher als die richtigkeit der von ihm vertretenen ansieht zu beweisen vermag. Aus der einen der beiden von ihm berufenen stellen (Lex Sal. xlvi), et iwstca requirant (der tliunginus und tres Jiomincs) liominem qui ei (der einen zum erben einsetzen will) non iiertineat et sie fistueam in laisum iactet, et ipse, in ciiius laisum fisticam iaciavit, dicat vcrhum de furtuna siia quantum dare voluerit ist auch beim besten willen kein argument für alte gerreichung als veräusserungssjmbol herauszufinden. Zu der anderen aber (Lex Sal. lviii) et sie iiostea in eamisia discinetus discalcius palo in manu scpe sallire dehet (d.h. der wergeldschuldner, der bei Zahlungsunfähigkeit sich an seinen nächsten verwanten

') In Brückners Sprache der Langobarden § 13 wird durch fassung des ■'.vortes als 'freig-eboren' deinselben eine bedeutung beigegeben, die hier nnd an der anderen belegstelle (Liutpr. L. 106: si qtiis aldiane alienam mit siiam ad uxorcm tollere voluerit, faciat eam uuirdehora, sicut edictus con- tenit de ancillam) sinnwidrig ersclieint. Das mit loirdi- (== ahd. wirdl dignitas) componierte -hora ist offenbar feminiunm zu dem aus ahd. munt- boro etc. bekannten -boro 'inhaber'.

406 VAN HELTEN

gewendet und diesem mit dem recht an sein immobiles eigentum die zahlungspfliclit überträgt) bemerkt besagter forscher: 'il fait publiquement connaitre que lui, possesseiir, delaisse sa terre et mieiix qii'il ne la defend plus' und 'eile (d.h. l'arme = l'epieu) etait alors jetee (d. li. dans le cas l'homme libre declarait publiqnement abandonner un bien); doch wird es jedem unbevorurteilten sofort klar, dass hier nicht von einer stockwerfung, geschweige denn von einer gerwerfung die rede ist und vielmehr Grimm im recht war, als er (Reclitsalt. s. 134) in dem pcüo in manu nicht ein sj'-mbol der weggäbe des grundeigentums, sondern ein zeichen der landesflüchtigkeit erblickte und betonte, dass der betreffende Schuldner den stock nicht reichte oder warf, sondern in der band hielt.

Zur berichtigung von oben s. 148 ff. ausgeführtem sei ferner auf folgendes hingewiesen. Bei der deutung von iMnx 'rechts- giltige freilassung', {gaire)thinx 'formelle vergabung, erbein- setzung', thin'gare 'freilassen' (mit oder ohne liherum, -am, s. Ed. Roth. 156. 222. 224. Liutpr. Legg. 9. 55. 77. 140) und 'rechts- giltig vermachen' (s. Ed. Roth. 156. 157. 168. 170. 171. 172. 173. 360. 367) wurde s. 150 als grundbegriff 'rechtsstreit' bez. 'einen rechtsstreit führen' angenommen. Zur annähme dieser basis führte mich einerseits die für agerm. Jiing neben 'gegenständ, angelegenheit, geschäft, aufgäbe' etc. und 'Versammlung' be- zeugte afries. mnl. bedeutung 'rechtsstreit', andrerseits die bei Sache zu beobachtende semantische entwickelung von 'rechts- sache' zu 'angelegenheit, gegenständ'. Doch wurde dal^ei über- sehen, dass die Seltenheit der bedeutung 'lis' (sie fehlt m. w. in den ags. an. ahd. as. mnd. quellen) nicht eben auf eine solche, dem nomen von haus aus zukommende bedeutung hin- weist; müsste man doch erwarten, derselben in der ags. an. mnd. rechtsliteratur zu begegnen. Mit mehr recht dürfte (huum für ikingare (aus ""pingün) anzuknüpfen sein an die überall als norm anzutreffende bedeutung '(in der Versammlung oder gerichtssitzung) verhandeln', woraus durch specialisierende Verwendung 'freilassen' bez. 'testamentarisch vermachen'. Wegen der durch formelle erklärung zu erfolgenden freilassung bez. erbeinsetzung beachte Ed. Roth. 224: et q^se quartus (d.h. der dritte treuhänder, der den vollfrei zu machenden durch tradition als servus erhalten hat vgl. das oben zu diesem

"WEITERES ZU LANGOB. GAIRETHINX UND THINX. 407

Paragraphen bemerkte) ducat in qiiadruhiwn et thingit in gaida et yisü (vgl. oben s. 151) et sie dieat, de qiiattuor vias uli volneris umhulare, liheram Jiaheas potestatem\ und ibid. 173: si quis res suas alicui thingaverit et dixerit in ipso thinx lidinlaih (d. h. gehe ein in die hinterlassenschaft, vgl. Briickners Sprache der Langob. § 21, note 5),

Für die formelle deutung von thinx lässt sich das mit -iti (vgl. Kluge j Nomiu. stammbild. § 144 gebildete neutr. verbal- abstractum ahd. mälizze intentio, causa (zu mahilen oder zu mahalön, wie fisgissi 'fischfang' zu fiscön) berufen, wonach vorlangob. ntr. '^'Jnngiti 'freilassung' und ^vergabung, ver- machung' anzusetzen wäre. Durch apokope von -i (aus *-/«) hieraus entstandenes "^Jmigit konnte (wie ags. siveofot, dat. -ote, mit -ot aus *-^(^^) in die a-declination übersiedeln; daraus zunächst durch Verschiebung von t zu s{s) (vgl. Brückners Sprache der Langobarden § 88) pingis mit flectierten pingisses etc., die durch synkope des vocals der paenultima Jrinxes etc. ergaben (wegen der möglichkeit vom ausfall des kurzen vocals vor aus t verschobener langer spirans beachte ahd. lenso, runza aus 'Hengim, *(w)runJiaza); hieraus endlich durch anlehnung unflectiertes thinx.

Dem erörterten gemäss dürfte also die beim ersten blick naheliegende identiflcierung des -is- von *J)ingisU (s. oben s. 143) mit dem -s von thinx in abrede zu stellen sein, i)

') Die hier vorgeschlageue formelle deutuug von pinx hat selbstver- ständlich auch für das oben s. 138, fussuote 2 erwähnte x^uns zu gelten.

GRONINGEN. W. VAN HELTEN.

zu BEITR. 26, 1 ff. 319 f.

Zu dem motiv vom 'kämpf des vaters und solines' kann ich einen neuen naclitrag- aus der isländ. literatur geben. Die geschiclite findet sich Laudnama s. 62, 12 ff. = s. 185, 11 ff. (F. Jonssons ausgäbe).

Ein Norweger, namens JEvarr, fährt mit seinen sühnen nach Island, um sich dort anzusiedeln. Nur einer der söhne kommt nicht mit, da er sich auf vikingsfahrten befindet, wird aber in dem neuen land erwartet. Der vater sucht einen wohnplatz für diesen söhn aus und bezeichnet ihn durch eine hohe Stange. Nach einiger zeit kommt der söhn, der ziemlich lange zeit fort gewesen zu sein scheint, nach Island und begibt sich zum vater. Dieser erkennt ihn nicht und sie ringen beide miteinander, so dass alle bänke (oder wände: stoJclar) umgewälzt werden {ganga upp), bevor der söhn sich zu erkennen gibt. Darauf erhält er den ihm zugedachten wohnsitz. Diese er- zählung gehört zu dem von lUisse so genannten 'versöhnlichen t3q)us'. Wir hätten also auf isländ. boden, da die von mir Beitr. 26, 319 f. angeführte geschichte von Bül dem 'tragischen' zuzuweisen ist, beide typen bewahrt.

HEIDELBEEG. B. KAHLE.

LAUTLICH -BEGRIFFLICHE WORT- ASSIMILATIONEN.

Zur lialbhiiiidertjülirigen sjescliiclite des begriffs der Volksetymologie.

Dass es keine leichte saclie ist, mit einer altliergebracliten terminologie zu brechen, vor allem wenn sich der name einer Spracherscheinung, viie es hier mit dem der Volksetymologie der fall ist, eines halbhundertjährigen daseins erfreut, davon zeugt schon die Überschrift dieses aufsatzes. Aber gerade in der Überschrift würde ich vielleicht dieses wort vermieden haben, wenn nicht jetzt eine besondere veranlassung da wäre, ihm einen hervorragenden platz zu geben. Dieser wird ihm aber nicht um seiner selbst willen gegeben, sondern in Ver- ehrung des mannes, der als der erste diejenige sprachverände- rung, durch welche sinfluot zu sündfliit geworden ist und das hebräische jöbel auf das lat. jiihilare und unser modernes Jubiläum eingewii'kt haben. kann, zum gegenständ einer ein- gehenden Untersuchung gemacht hat.

Den hierher gehörigen erscheinungen nicht nur einen namen gegeben, sondern auch für eine geraume zeit die gesichts- punkte ihrer beurteilung festgestellt zu haben, ist das ver- dienst Wilhelm Förstemanns. Es geschah in dem aufsatz, mit dem er vor jetzt fünfzig jähren die Zeitschrift für ver- gleichende Sprachforschung eröffnete. Und so seien auch die folgenden zeilen in aller bescheidenheit gewissermassen ein 'jöbel', indem sie die aufmerksamkeit des lesers auf Förste- manns arbeit und die Weiterbehandlung ihi'es gegenständes während der letzten fünfzig jähre lenken wollen.

Den ersten titel 'lautlich -begriffliche wortassimilationen' entnehme ich dem neuesten werke, das diese ersclieinung be-

Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVII. 27

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handelt, der Yölkerpsj'cliologie von W. Wundt 1, 1, 477. Und es kann nur wünschenswert sein, dass diese oder eine andere unzweideutige benennung- auf kosten der alten eingebürgert werde, denn der alte name 'volksetymolog-ie' hat nicht selten misverständnis verursacht und sicher einem richtigen Verständ- nis der erscheinung hindernd im weg gestanden, eben weil man sich von der Vorstellung von der bewussten worterklärung der etjinologen nicht hat ganz losreissen können.

Die betrachtungeu, durch welche Förstemann zu dem namen ^Volksetymologie' gekommen ist, näher kennen zu lernen, wird darum von einem gewissen Interesse sein. Ihm ist die 'Volks- etymologie ' ihrem wesen nach von der wissenschaftlichen ety- mologie nicht verschieden. Beide beruhen auf einem streben, verwante Wörter mit einander zusammenzustellen. Im volk aber ist dieses streben dunkel und unbewusst. Darin liegt der unterschied zwischen der Volksetymologie und der wissen- schaftlichen erklärung eines Wortes, und auch die Ursache dafür, dass durch jene erstere falsche Zusammenstellungen ent- stehen können. Bei dem scharfen blick für die volkstümlichen Umbildungen, den Förstemann sonst verrät, lässt sich an- nehmen, dass er vielleicht die grundverschiedenheit seiner beiden arten gesehen hätte, wenn nicht eine andere erschei- nung, die zu seiner zeit den Sprachforschern recht viel ärger bereitet hatte, sich als eine natürliche Zwischenstufe dargeboten und ihm die kluft, die zwischen den beiden arten besteht, überbrückt hätte. Ich meine die sogenannte 'gelehrte ety- mologie', die wissenschaftlich sein wollte, die aber mit der Volksetymologie das gemein hatte, dass sie meistens auf Unkenntnis beruhte. Aeusserlich gibt sich nämlich nach Förstemann die etymologie in dreierlei tätigkeit kund: die älteste, die volkstümliche, wodurch das volk selbst 'sich den grund der entstehung seiner Wörter klar zu machen sucht', dann die gelehrte, die oft durch eine ihrer leistungen, das liiciis a non lucendo, einfach charakterisiert wird, und schliesslich die wissenschaftliche etymologie, die sich auf die kenntnis der lautgesetze und der erforschung der sprach- verwantschaft gründet. Innerlich ist nach Förstemann die etymologie überhaupt eine dem menschen innewohnende kraft, die sich in einem streben äussert, verwante Wörter zusammen-

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zuhalten und sie als zusammeng-eliörig zu fühlen und zu be- trachten. Durch diese kraft schliessen sich die formen, die ableitung-en etc. der Wörter in gruppen zusammen, durch sie werden fangen und fteng, stellen und gestell als verwant em- pfunden. Um diese kraft bei verschiedenen Völkern und zu verschiedenen zeiten zu messen, sei uns ein eigentümliches mittel in der Volksetymologie gegeben, indem sie uns zeigt, wie das 'streben nach etymologischer klarheit' auf Irrwege gerät, indem es z. b. ein sinvhiot (ursprünglich 'eine allgemeine Auf) sich in sündflut umwandeln lässt.

So hat denn der name 'Volksetymologie' als bezeichnung dieser Spracherscheinung fast fünfzig jähre lang bestanden, ohne dass ein ernstlicher einspruch dagegen erhoben worden wäre. Hier wie in so vielen anderen fällen hat wol das bedürfnis nach einer benennung es bewirkt, dass man, da keine bessere zu finden war, sich allmählich der herkömmlichen anbequemt und sie behalten hat. Und so ist es geblieben, bis Wundt ihre unZweckmässigkeit mit guten gründen nachwies. Ich gebe seine einschlägigen worte hier wider: 'Mit der reflectierenden Worterklärung des etymologen sind diese Vorgänge in Wahr- heit absolut unvergleichbar. Sie unterscheiden sich von ihr ebenso nach ihren äusseren wie nach ihren inneren merkmalen. Die wirkliche etymologie sucht das wort auf ein verloren ge- gangenes oder wenigstens aus dem bewusstsein verschwundenes Stammwort von irgendwie verwanter bedeutung zurückzuführen; die »Volksetymologie« substituiert umgekehrt ein wort mit be- kannter bedeutung einem anderen, wodurch dieses zugleich mehr oder weniger in seiner bedeutung verändert wird. Vor allem aber ist die sogenannte Volksetymologie, wie die wort- assimilation überhaupt, ein rein associativer, dem psycho- physischen mechanismus der sprachfunctionen zugehöriger Vor- gang, von den rein lautlichen Wortassimilationen eben nur dadurch verschieden, dass mit den lauten zugleich begriffliche elemente associativ gehoben werden und infolge dessen ihrer- seits wider auf die lautassociation zurückwirken können.' Es muss aber gleich hier anerkannt werden, dass die gründe einer änderung des namens vor Wundts behandlung der frage nicht so dringend vorhanden waren, eben weil er es erst ge- wesen ist, der unsere kenntnisse dieser spraclierscheinung

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bedeutend vertieft und erweitert hat. Das werden mr aucli aus dem folgenden seilen, indem es meine aufgäbe sein wird, die wichtigsten anscliauungen über die lautlich - begrifflichen Wortassimilationen vorzuführen, die während der vergangenen fünfzig jähre geäussert worden sind. Ich ziehe den von Wundt als eine kurze definition der Volksetymologie gegebenen ausdruck 'lautlich-begriffliche Wortassimilationen' der von ihm auch gebrauchten benennung 'wortentlehnungen mit begriffs- veränderungen' als charakteristischer vor.

"Damit sich diese anschauungen gut überblicken und mit einander vergleichen lassen und unsere darstelluug dadurch ein stück geschichte der sprachwissenschaftlichen terminologie biete, wie sie Steinthal einmal in seiner vorrede zur 2. aufl. seiner Geschichte der Sprachwissenschaft bei den Griechen und Römern empfohlen hat, lassen wir im folgenden die haupt- f ragen, nämlich die nach den Ursachen der entstehung und nach der gliederung der lautlich-begrifflichen Wortassimilationen, wie sie von den verschiedenen forschern beantwortet worden sind, möglichst in den Vordergrund treten.

Förstemann meinte, es seien vor allem zwei umstände, die für ihre entstehung günstig waren: einerseits ein sich in sprachschöpferischer freiheit bewegender volksgeist und andrer- seits der reichtum der spräche, in dem die vielen möglich- keiten zur assimilation gegeben sind. Sind diese beiden be- dingungen vorhanden, so entspringt dieselbe zunächst aus zwei keimen, aus der entartung der spräche von ihrem ursprüng- lichen zustand und aus der berührung mit anderen Völkern. Eine entartung musste eingetreten sein, damit die Wörter und wortformen aus ihrem richtigen etymologischen Zusammenhang kommen konnten und dadurch für das volk das bedürfnis nach einem neuen derartigen Zusammenhang in bezug auf die ein- heimischen Wörter entstehen konnte. Bei den aus andern sprachen entlehnten Wörtern machte sich ein solches bedürfnis so wie so geltend. Und dieses bedürfnis soll bei den lelin- wörtern ausserdem noch durch eine gewisse in dem Verhältnis der alten Völker zu einander vorhersehende exclusivität ver- stärkt worden sein, die allerdings das eindringen fremder Wörter nicht ganz verhindern, aber wol ihnen eine weniger rücksichtsvolle aufnähme bereiten konnte, derzufolge sie schnell

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ihre fremde traclit verlieren und mit der eigenen spräche ver- schmelzen mussten.

Für Förstemann hatten nnn diese sprachveränderungen in erster linie ein Interesse, weil sich die Stetigkeit nnd beharr- lichkeit des volksgeistes gegenüber dem überlieferten sprach- material sowie dessen verhalten zu fremdem sprachgnt anf sie hin prüfen liess. Es hieng dies mit seiner auffassung von der spräche als einem lebenden Organismus zusammen, dessen ge- sundheit und lebenskraft zu untersuchen sei. Deshalb war es nicht sowol die erscheinung selbst als ein Vorgang in der sprach Wirksamkeit des einzelnen, was ihn interessierte, als vielmehr die frage, welche Wörter dadurch verändert wurden, und wie häufig solche Veränderungen waren. Somit teilt er auch seine Volksetymologien in solche ein, die deutsche Wörter, und solche, die fremde Wörter betreffen. Ausserdem finden wir bei ihm schon viele beobachtungen, die zu später gemachten einteilungen haben anlass geben können. So bemerkt er, dass die Veränderung sich nicht immer in äusserer Umwandlung kundgibt, sondern zuweilen nur innerlich in der Vorstellung wirksam ist, wie wenn man bei freitag an frei und bei meineid etwa an das verb meinen denken kann. Auch hebt Förstemann hervor, dass ebenso wie es Veränderungen gibt, die in der Schrift nicht zum Vorschein kommen, sondern nur durch Ver- setzung des accents, also in der ausspräche existieren (wie wenn z. b. erhlasser sich in der betonung nach crUdssen statt nach erhe lassen richtet), es auch auf der andern seite Verände- rungen gibt, die etwa nur in der schrift ihren ausdruck finden, wie Weissager aus ahd. tvtzago, weil es mit sagen zusammen- gestellt wird. Förstemann unterscheidet auch solche wort- assimilationen, die (wie sündflut) zu herschenden formen der Wörter geworden, von denen, die vorläufig nicht in die Schrift- sprache eingedrungen sind, wie schrittschuh für Schlittschuh, was Andresen später durch die bezeichnungen 'literarische' und 'vulgäre' Volksetymologie unterschied. Ferner ist auch von Umbildungen, die das ganze wort oder nur einen teil desselben treffen, die rede. Dann führt er uns einen teil seiner beispiele nach einem einteilungsgrund vor, welchem wol merkmale zu gründe liegen, die für die Veränderungen selbst von geringem belang sind, wenn er sie in eigennamen und appellativa oder

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tier-, pflanzen- und mineralnamen einteilt. Scliliesslicli berührt er auch die absichtlich gemachten komischen Verdrehungen, wie sie A. W. Schlegel in seiner parodie auf Kotzebues Sibi- rische reise verwendet, wo Tungusen zu Tugcndnsen und TscJmJctschen zu Schmut^Tcen werden, und diesen weiss er nun keinen besseren platz als das grenzgebiet nach den sog. ge- lehrten etymologien hin zu geben.

Nach Förstemann hat zunächst W. Wackernagel die Wortassimilationen mit begriffsänderungen berücksichtigt. In der Schrift: Die umdeutschungen fremder Wörter, Basel 1861, vermeidet er die benennung 'Volksetymologie' und behandelt er die erscheinung unter dem allgemeineren begriff der um- deutschung. Unter umdeutschung versteht er nämlich sowol die lautgesetzlichen Veränderungen, wie z. b. pfund aus pondus, die angleichungen an deutsche betonung, flexion etc., die ver- deutlichenden Zusammensetzungen mit deutschen Wörtern, wie hihelhuch, als auch 'die umdeutschung durch Veränderung der Wörter selbst' im gegensatz zu den Veränderungen 'durch äussere zutat': durch flexion oder Zusammensetzung, also über- haupt alle Veränderungen, die die lehnwörter treffen können.

Die Veränderungen 'der Wörter selbst' hat Wackernagel auch einmal richtig charakterisiert, wenn es (s. 6) heisst, dass die fremden Wörter 'durch bald leisere bald stärkere änderung ihrer gestalt in den anklang an wirklich deutsche wurzeln und in deutsche begriff sanschaulichkeit hereingezogen werden'. In diesen Avorten tritt uns, so viel ich weiss, zum ersten mal die auffassung der Volksetymologie deutlich entgegen, welche später zu der benennung 'lautlich -begriffliche wortassimila- tionen' geführt hat. Wackernagel sagt ferner, dass diese änderungen absichtslos vor sich gehen, 'entsprungen aus nicht- verstehen und misverstehen . . . ziehen sie naiv das fremde, wie wenn es nie ein fremdes gewesen wäre, in die spräche und ebenso in deren Wachstum mit herein', und er stellt sie in bezug auf ihre absichtslosigkeit mit dem lautwandel und den analogiebildungen auf gleiche stufe. Es wird demnach einleuchten, dass Wackernagel unsere Wortassimilationen von dem bewussten etymologisieren streng schied, und dass darin wol auch der grund zu sehen ist, warum er den namen Volks- etymologie vermied, obgleich er Förstemanns arbeit kannte.

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Seine einteilimg macht nun aber Wackernagel nocli mehr als Förstemann nur nach unwesentlichen merkmalen, indem er die beispiele liauptsächlich nach grammatischen kategorien in appellativa und eigennamen einteilt. Unter jenen bespricht er gelegentlich auch einige fälle, wo sich zwar der sinn, aber kein laut des fremden wertes ändert, z. b. tnbuUeren (wenn es im sinne von treiben gebraucht wird), und er erwähnt auch eine gruppe, die durch eine abkürzung, die das fremde wort deutschem laut und sinne nähert, und zugleich durch Zusammen- setzung umgedeutscht worden ist, z. b. Herfogel aus Herodius. Die eigennamen teilt er in personennamen und geographische namen ein.

Etwa gleichzeitig mit AVackernagel äusserte sich Max Müller, Vorlesungen 2, 486 über diese Sprachänderungen. In seiner 12. Vorlesung behandelt er sie hauptsächlich nur, sofern sie zu mythologischen speculationen geführt haben, eine ent- wicklung, die übrigens auch schon Förstemann und Wacker- nagel erwähnt hatten. Ebenso wie Jener sieht auch Max Müller in der Volksetymologie eine entartung der spräche, und er stellt sie mit dem verfall auf dem gebiete der lautlehre zusammen. Die treibende kraft ist ein verlangen des volks nach etymologie, ein bedürfnis, auf geraden oder krummen wegen herauszufinden, warum diese oder jene sache so oder so genannt wird. Das hat zur folge, dass die Wörter ver- ändert werden, um noch einmal begreiflich gemacht zu werden. In den Essays (ins deutsche übertragen von F. Liebrecht, 1872) 254 weist er solche Veränderungen besonders denjenigen sprachen zu, die ihr selbstbewusstsein und ihre lebenskraft verlieren. Der Vorgang ist gewöhnlich der, dass Wörter, deren eigentliche bedeutung nicht mehr verstanden wird, eine leichte abänderung erfahren, gewöhnlich um wider eine begreifliche bedeutung zu erhalten; und obgleich diese bedeutung meistens eine irrtümliche ist, wird sie doch bereitwillig angenommen.

Der Sprachforscher, den wir demnächst zu hören haben, ist H. Steinthal mit seiner Geschichte der Sprachwissenschaft bei den Griechen und Römern, Berlin 1863, ^1890. Er sucht die sprachveränderungen aus der natur der menschenseele näher zu erklären und begnügt sich darum nicht damit, die Volks- etymologie auf einen im wesen des menschen liegenden trieb

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nach etymologischem Zusammenhang zurückzuführen, sondern sucht auch die psychologischen bedingungen nachzuweisen, unter denen sie zu stände kommt. Doch ist er wol allzusehr damit beschäftigt, dieselben für seine erklärung von der ent- stehung der Sprachwissenschaft zu verwerten, um uns zugleich einen recht klaren einblick in die art und weise zu geben, wie er sich den psychologischen Vorgang denkt. Er sagt, der Vorgang sei derselbe wie bei allem sprechen und verstehen. Man kommt in die läge, ein wort hören und es sprechen zu müssen, man fasst es auf und versteht es, wie man kann, und man kann es nicht anders auffassen und verstehen als durch das und gemäss dem, was man schon in sieht hat. Wir haben hier nichts anderes, sagt er, als 'eine unbewusste auffassung durch Wirksamkeit der analogie nach den gesetzen der apper- ception'. Wenn vormimd gehört oder gesprochen wird, so tritt das wort mund vor das bewusstsein. Hier gibt sich das 'un- bewusst etymologisierende Verständnis' kund, ohne das wort umzuwandeln, Soll dagegen Xanttppe gesagt werden, so kann sich das wort zank hervordrängen, weil an ein zankhaftes weib gedacht wird, und auch wenn Xantix^ipe einem richtig vorgesprochen ist, so kann sich doch infolge einer Sinnesillusion das wort zmiktippe ins ohr drängen. Es wird hier sehr richtig bemerkt, dass ein grund der Umbildung darin steckt, dass an die zankhafte fi-au gedacht wird. Die Vorstellung von dem zu nennenden gegenständ kommt also auch nach ihm in der Umbildung zur geltung. Nur kann mit recht gegen Steinthals definition (eine unbewusste auffassung durch die Wirksamkeit der analogie nach den gesetzen der apperception) der einspruch erhoben werden, dass jene für die lautlich -begrifflichen wort- assimilationen wichtige eigenschaft darin nicht genügend hervor- gehoben wird und deshalb diese erscheinungen solchen rein lautlichen Wortassimilationen wie schwed. lyttmmt aus löjtnant 'leutenant' oder mäster 'meister' aus magister gegenüber nicht ihre gehörige abgrenzung finden. Müssen wir uns doch auch die lautgebilde für sich allein als durch analogie appercipiert denken, wenn wir die apperception in dem Herbart-Steinthal- schen sinne auffassen.

Bei Steinthal finden wir Förstemanns dreiteilung der ety- mologie wider. Das hat aber bei ihm, wie schon angedeutet,

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den besonderen grund, dass er die entwicklung- der spracli- wissenscliaft aus den sprachlichen dementen der Substanz des nationalgeistes ableiten will. Er nimmt einen inneren Zu- sammenhang- zwischen den drei stufen 'Volksetymologie', 'ge- lehrte etymologie' und 'wissenschaftliche etymologie' an. Und wenn er auch auf der einen seite betont, dass die Volks- etymologien keine bewussten etymologien sind, dass bei ihnen keine erkenntnis, keine reflexion mitspielt, so redet er doch zugleich von unbewusstem etymologisieren, von bemühungen, die Worte in etymologischen anklang zu bringen, und er kommt schliesslich erst recht in den alten zauber des Wortes Volks- etymologie hinein, wenn er sie als den ersten keim, den ersten anfang der Sprachwissenschaft betrachtet und sie darum seine darstellung der Geschichte der Sprachwissenschaft bei den Griechen und Römern einleiten lässt.

Für die betrachtungsweise, wodurch das volk einiger- massen zu rang und würde von etymologen erhoben wird, be- zeichnend sind auch die worte, in denen L. Malinowsky, Beitr. zur vergl. spracht. 6 (1870), 300 seine ansieht über den gegenständ zusammenfasst: 'Wenn das bewusstsein der ur- sprünglichen inneren bedeutung der würzet eines Wortes beim Volke verloren gegangen ist, oder, wie bei der entlehn ung, gar nicht vorhanden gewesen, so gerät das Sprachgefühl auf Irrwege, stellt das unverständliche wort mit einem anderen zusammen und macht es diesem phonetisch ähnlich'. Und ferner : ' Es können die berührungspunkte für diese anähnlichung in zwei richtungen vorhanden sein: entweder ist das gegebene wort mehr zufällig einem anderen der lautform nach ähnlich, oder man will neben der phonetischen ähnlichkeit auch eine verwantschaft zwischen den functionen fühlen'.

Wir sehen nun, dass die lautlich-begrifflichen wortassimila- tionen nicht so sehr um ihrer selbst willen besprochen worden sind, weil sie als producte der Sprachwirksamkeit eine nähere Untersuchung verdienten wie etwa die lautänderungen, sondern vielmehr um fragen zu beantworten, die von grösserer oder geringerer sprachwissenschaftlicher tragweite sind, wie die fragen über das Wachstum der spräche, den anfang der Sprach- wissenschaft, oder (Max Müller, Essays) ob es Juden in Cornwall gibt. Im gegensatz hierzu schreibt nun Andresen ein ganzes

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buch 'Ueber deutsche Volksetymologie', das einen grossen einfluss auf das Interesse für die hierhergehörigen erscheinungen aus- geübt hat, was auch daraus hervorgeht, dass das buch sechs auflagen erlebt hat, die erste 1876, die dritte schon 1878, und die letzte, 492 selten stark, 1899.

Andresen äussert sich folgendermassen über die Volks- etymologie. Sie ist 'als eine kraft zu bezeichnen, durch welche zwei etymologisch in der regel ganz unverwante Wörter mit einander verknüpft werden.' Durch diese kraft ist das ur- sprüngliche Verhältnis vieler Wörter entstellt und verdunkelt worden. Die Wirksamkeit, durch die sich diese kraft kund gibt, nennt er assimilation. Er gebraucht jedoch, wie auch frühere und spätere forscher, sowol für die Wirksamkeit wie für die dadurch entstandene Wortveränderung, einfach die be- nennung 'Volksetymologie', die, wie wir schon gesehen, nicht selten gemachte Unterscheidungen sozusagen verschlingt. Dem 'mächtigen und geheimnisvollen walten dieser assimilations- kraft' entspringen nun die volkstümlichen deutungen. Den grund ihrer entstehung sieht Andresen im sprachbewusstsein, das zunächst auf zweierlei weise daran beteiligt ist, indem es sich dagegen 'sträubt, dass der name leerer schall sei, viel- mehr einem jeden seine besondere bedeutung und eine zweifel- lose Verständlichkeit zu geben bemüht ist', und indem die assimilationskraft instinctiv und naiv, ohne reflexion im be- wusstsein wirksam ist.

Was nun die arten der Volksetymologie betrifft, so ist vor allem bei Andresen hervorzuheben, dass er von Förstemanns einteilung in solche Veränderungen, die einheimische und solche, die fremde Wörter treffen, abstand nimmt, aus dem gründe, weil das heimische für denjenigen der es nicht verstellt, ein fremdes ist. Statt dessen empfiehlt er zu untersuclien, wie sich die bedeutung und form des neuen wortes zu dem ursprünglichen verhält, und darnach die arten zu unterscheiden. Es kommen dadurch zwei hauptklassen in betracht, erstens solche bildungen wie z. b. hlutiyel (statt -eyel\ wo sich bloss eine formelle assi- milation darbietet, zweitens solche, in denen ausserdem die bedeutung mitgewirkt hat, wie z. b. sündflut. Er macht aber zugleicli die bemerkung, dass es wahrscheinlich oder möglich ist, dass 'die logische beziehung' bei manchen Wörtern der

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ersten klasse nicht unbeteiligt geblieben ist', z. b. bei Immncr- tuch, wo etwa an die Jcammer, wo es aufbewahrt wird, oder über Jicmimcrhcrr, Immmerjunlxcr an einen dem vornehmen hauswesen angehörig-en stoff gedaclit werden kann. Also sind die beiden hauptklassen in manchen fällen nicht scharf von einander zu trennen. Wenn wir dann eine dritte schon von P'örstemann und auch an anderer stelle von Andresen erwähnte gruppe hinzusetzen, nämlich die Wörter, die, ohne entstellt zu werden, lediglich in der bedeutung einer Veränderung unter- liegen, wie das bei frcitag der fall sein kann, so haben wir es bei Andresen zum ersten mal mit dem versuch einer wirk- lichen einteilung zu tun, der die in der sprach Veränderung selber oder vielmehr die in deren resultaten hervortretenden merkmale zu gründe gelegt worden sind. Die beiden ersten klassen gehen bei Andresen oft unter dem namen 'Umbildungen', die dritte unter dem namen 'umdeutungen'.

Mehr als zu einem versuch ist es allerdings auch bei Andresen nicht gekommen, insofern er sein gesammtes material nach ganz andern gesichtspunkten zergliedert. Aber indem ihm andere forscher folgten, ist es zu widerholten versuchen gekommen, die von ihm erwähnte einteilung für immer zahl- reichere fälle zu verwerten. Die Schwierigkeit, diese einteilung durchzuführen, liegt in der natur der betreffenden wort- veränderungen selbst, die sich um so mehr unserer erforschung entziehen, je mehr sie eventuell für die erste hauptklasse oder deren abstufungen zur zweiten in betracht kommen würden, namentlich wenn ihre entstehung uns zeitlich und räumlich fern liegt.

Sein reiches material sucht nun Andresen dadurch über- sichtlicher zu gestalten, dass er es zum teil nach Förstemanns und Wackernagels art einteilt. Es wird somit teils nach Wortklassen vorgeführt, von denen die grösseren gruppen, wie die substantiva, in eigennamen und appellative und diese widerum in persönliche begriffe, begriffe aus dem tierreich, Pflanzenreich u.s.w., zerlegt werden. Auch andere Unter- scheidungen kommen vor, so die schon erwähnte zwischen vulgärer und literarischer, unabsichtlicher und gemachter Volks- etymologie, und dann eine andere, welche die hauptperioden der spräche berücksichtigt, und demnach althochdeutsche, mittel-

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hochdeutsche und neuhochdeutsche bildungen unterscheidet. Ausserdem hat Andresen sein buch für weite kreise dadurch brauchbar gemacht, dass er ihm ein register beigegeben hat, welches etwa 8500 Wörter enthält.

Erst in dem masse wie Andresens arbeit allmählich be- kannt wurde, ist nun das Studium der Wortassimilationen richtig in fluss gekommen. Das material vermehrt sich durch reiche Sammlungen aus der dänischen, englischen und schwe- dischen spräche, und auch beitrage zur Charakteristik der erscheinung werden durch nähere Untersuchungen über ihr wiesen geliefert.

Zuerst sei jedoch ein von O.Weise in der Zs. f. völkerpsych. und sprachw. 12 (1880), 203 ff. veröffentlichter aufsatz 'Zur Charakteristik der Volksetymologie' erwähnt, der meist mit den älteren anschauungen zusammengehört. Weise vermisst eine eingehende Charakteristik dieser Spracherscheinung, und stellt sich die aufgäbe, eine solche zu liefern. Unter den fragen, die er beantworten will, stellt er die nach der Ursache und dem wesen der Volksetymologie voran. Die Ursachen sieht er in der allgemeinen tendenz der spräche, sich stets zu verändern, und in der berührung mit fremden nationalitäten und fi-emden culturverhältnissen; dabei können die fremden laute Schwierig- keiten bereiten, aber die Veränderungen haben viel häufiger ihren grund in der abneigung des volkes gegen alles fremde, das es sich deshalb mundbequem zu machen sucht. Weise verweilt gern bei solchen allgemeinen Ursachen, und redet darum oft von der ganzen gedanken- und anschauungsweise des Volkes, seiner plastischen spräche mit ihren deutlichen, leichtverständlichen, Jedes misverständnis ausschliessenden aus- drücken. Von den mehr directen gründen einer Umbildung scheint ihm die lautähnlichkeit der wichtigste, wenn nicht geradezu der einzige zu sein. Denn auf den sinn des neuen Wortes, meint er, werde wenig rücksicht genommen.

Um so überraschender wirkt es darum, wenn er nachher seiner classificierung die art und weise, auf welche sich das Volk das streben nach deutlichkeit verwirklicht, zu gründe legt und weiter ausführt. Nach diesem einteilungsgrund unter- scheidet er nämlich erstens Zusammensetzungen wie haifisch, tannenhaum, in denen die benennung des genus an die der

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species angefügt worden ist. Hierher gehören auch Wörter wie pfarrlierr für pfarrer, wo ein teil des richtigen Wortes einer verdeutlichenden Umbildung unterlegen ist. Zweitens verwirklicht sich das streben nach deutlichkeit, indem concrete sinnliche ausdrücke statt der unverständlichen fremden laut- complexe in die Umbildung hineingezogen werden. Besonders liält er sich bei der teilnähme der farbenbezeichnungen an der volkstümlichen wortumbildung auf, und gibt eine reihe interessanter beispiele aus verschiedenen sprachen. Drittens soll das deutlichkeitsstreben sich in der Vorliebe zu präposi- tionalcompositis äussern, wie sie die lat. Umgangssprache in condiijnus, condocere statt der einfachen dignus, doccre, und die deutsche in verconsumieren aufweisen kann. In diese gruppe gehören Wörter wie abseite, lat. ahsis, weil sie als mit präposition zusammengesetzte aufgefasst worden sind. Schliesslich werden noch zwei arten von Umbildung genannt, von denen die eine aus einem gewissen hang zur euphemie oder aus einer religiösen gemütsstimmung hervorgeht und sich in solchen Veränderungen wie corhleu aus corps de dien und sündflut aus sinvluot zeigt'; die andere auf einer gewissen neigung zu idealisierender färbung beruht, wie wenn das slavische Lnhoras auf deutsch in Lieherose oder die germanischen völkernamen der Hclisii und Leti von den Eömern in Elysii und Lcbü umgewandelt wurden.

Von den früher vorgeschlagenen oder durchgeführten gliederungen des Stoffes berührt Weise nur die nach vulgärer und literarischer Volksetymologie, und er meint, dass eine der- artige Unterscheidung fallen müsse, weil eine vulgäre Umbil- dung mit der zeit literarisch werden könne, somit dieser unter- schied als ein äusserlicher mit dem wesen der sache nicht vereinbar sei.

Diese letzte bemerkung von Weise möchte ich aber zum teil gegen seine eigene behandlung der vorliegenden frage richten, nämlich dass er nur ganz äusserlich das wesen der erscheinung gestreift hat, deren Charakteristik er geben wollte. Das deutlichkeitsstreben z. b. ist kein specifisches merkmal dieser Sprachveränderungen, es gibt sich auch auf anderen gebieten der Sprachwirksamkeit zu erkennen. Und dass seine gliederung der untersuchten einzelnen fälle somit auf beobacli- tungen ruht, die auf der peripherie dieser Spracherscheinung

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liegen, das zeigt sich auch darin, dass sie ihn über das gebiet seiner aufgäbe führen und ihn veranlassen, die volkstümlichen präpositionscomposita mit in den bereich der Volksetymologie zu ziehen.

In den zwei letzten Jahrzehnten begegnet uns zunächst H. Paul, der uns in seinen 'Prinzipien' auf allen gebieten der Sprachforschung und für alle möglichen erscheinungen psycho- logisch begründete auseinandersetzungen zur belehrung und zur anregung bietet. Er teilt uns hier seine anschauung über die Wortassimilationen mit, und ich führe auch seine darstellung in der 1. aufläge an, teils der Vollständigkeit wegen, teils weil die dort gegebenen definitionen der beiden arten von Volks- etymologie mir mehr zusagen als die in den späteren auflagen, und zwar weil er für die entstehung der Umbildungen die be- deutung als einen der lautähnlichkeit etwa gleichwertigen factor ansetzt.

Paul macht die lautlich - begrifflichen Wortassimilationen von dem 'volksgeist' vorläufig frei, indem er sagt, dass die beziehung zwischen den betreffenden formen in der seele des Individuums geschaffen werden muss, und von einem trieb nach etymologie oder dergleichen ist bei ihm überhaupt nicht die rede. In der 1. aufl. cap. v ('Zerstörung und Verwirrung der gruppen durch laut- und bedeutungswandel') s. 97 f. be- handelt er die umdeutungen, in denen durch lautlichen zu- sammenfall eine bedeutungsangleichung hervorgerufen werden kann und Wörter ganz verschiedenen Ursprungs dadurch für das Sprachgefühl den schein etymologischer verwantschaft erhalten, wie z. b. das schon erwähnte freitag. In cap. vi ('Reaction gegen die Zerstörung und Verwirrung der gruppen') s. 119 f. bespricht er die Umbildungen, welche ausgleichungen sind zwischen formen, die sich nur zufällig in bedeutung und lautform einander genähert haben, wie z. b. sündflut.

Die erste gruppe, die umdeutungen, wo lautlicher zusammen- fall eine Veränderung der bedeutung bewirkt, hat im all- gemeinen zu meinungsverschiedenheiten keinen anlass gegeben. Die zweite gruppe, die der Umbildungen, ist aber verschieden beurteilt worden.

Andresen sagt, dass sie auf volksetymologischem wege eine wesentlich veränderte bedeutung gewonnen haben. In

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Pauls erster auflag'e hiess es aucli, dass der Vorgang- bei dieser gruppe eine annälierung in bedeiitung und lautform sei, und er setzt sogar die bedeutung A'Oran. Es scheint aber, als ob man sich nachher ein wenig gescheut hätte, der bedeutung, den begriffselementen, einen entscheidenden einfluss auf die entstehung der Umbildungen überhaupt beizumessen. Die forscher besonders der zwei letzten Jahrzehnte sind geneigt gewesen, diesen einfluss zu unterschätzen. Diese neigung hängt mit der innerhalb der Sprachwissenschaft damals her- schenden anschauung zusammen, nach der man die laut- veränderungen im allgemeinen in erster linie rein physiologisch aus der Wirkung der lautgesetze zu erklären suchte und erst in zweiter linie den psychischen mechanismus der associationen als erklärungsprincip verwenden wollte. In den betreffenden Umbildungen walteten nun allerdings nicht lautgesetze im ge- wöhnlichen sinne, aber man sah doch die lautliche seite der Umbildung als die wichtigste oder doch interessanteste an und betrachtete darum die begriffliche gestaltung gegenüber der lautlichen als eine mehr zufällige und willkürliche. Deshalb finden wir gewöhnlich in den deflnitionen jener autoren keine den einfluss der begrifflichen seite ausdrücklich berücksich- tigende bestimmung.

Das ist auch der fall bei der definition, die Paul in der 2. und 3. aufläge gibt. Die 'höchste stufe', oder, wie Paul sie nennt, die compliciertere art von Volksetymologie besteht in einer lautlichen Umformung,, wodurch ein wort, welches durch zufällige klangähnlichkeit an ein anderes erinnert, diesem weiter angeglichen wird. Die Ursache ist also nach ihm die klangähnlichkeit. Ob er nun sagen will, dass die dadurch bewirkte weitere angleichung sich bloss auf die lautgestalt bezieht oder dass sie auch eine begriffliche Umbildung in sich schliesst, lässt sich nicht entscheiden. Jedenfalls bleibt die bedeutung ein nur secundär mitwirkender factor, wenn es später heisst, dass die angleichung dadurch unterstützt sein könne, dass sich die bedeutung des umgeformten wortes zu der seines musters in beziehung bringen lasse, dass sie aber solcher Unterstützung nicht notwendig bedürfe.

Gleichwie einmal Wackernagel auf das nichtverstehen und misverstehen und Steinthal auf die Sinnesillusion hin-

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gewiesen haben als auf momente, die bei der erklärung dieser "Wortassimilationen in betraclit kommen können, geht auch Paul etwas näher auf die psychischen eigentümlichkeiten ein, die dieselben erklären und veranlassen können. Er hebt zu- nächst zwei umstände mit recht hervor, nämlich unvollkom- mene auffassung des lautgebildes des gehörten wortes und unvollkommene widergabe desselben, und zwar auch in dem falle, dass man das wort richtig aufgefasst, das gedächtnis es aber nicht exact aufbewahrt hat. In beiden fällen kann sich eiii geläufigeres wort anstatt des richtigen unterschieben.

Paul sieht in der Volksetymologie zwei erscheinungen, die von einander zu sondern sind (3 § 150 und 151), und nennt die eine die 'einfachste', die zweite die 'compliciertere' art der Volksetymologie. Die erste behandelt er hauptsächlich in drei gruppen. Die erste gruppe umfasst solche Wörter wie fre'dag, die umgedeutet sind, ohne dass von vorn herein eine verwant- schaft der bedeutung mitgewirkt hätte. Die zweite gruppe um- fasst diejenigen Wörter, bei denen die möglichkeit vorhanden ist, zwischen den bedeutungen der betreffenden Wörter eine be- ziehung herzustellen, wie wenn die auffassung von Icmäshiccld als lanzhiecht durch den gedanken an die lanze der lands- knechte erleichtert wurde. Die dritte, seltenere gruppe ist dadurch zu stände gekommen, dass ein wort als ableitung von einem anderen gefasst wurde, mit dem es ursprünglich nichts zu schaffen hat, wie wenn das nhd. sucM (schwed. sot in soidöd = natürlicher tod) als zu suchen gehörig aufgefasst wird.

Von der compliciertereu art der Volksetymologie scheidet Paul die absichtlichen Verdrehungen der witzmacher; die absichtlich gemachten Umbildungen können für den Sprach- forscher nur insofern in betracht kommen, als sie von dem naiven sinne der kinder und der ungebildeten nicht als Ver- drehung erkannt, sondern als die eigentliche form aufgenommen und weiterverbreitet werden. Die hier in frage kommenden Umformungen sind absichtslos und unbewusst. Sie treffen fast nur composita oder solche Wörter, die vermöge ihrer volleren lautgestalt den eindruck von composita machen. Ihre weitere gliederung erhält darum diese zweite hauptart dadurch, dass berücksichtigt wird, väe die als teile der Zusammensetzung empfundenen demente an der Umbildung beteiligt sind; sie

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zerfällt darnacli in vier Unterarten. Erstens kann nur das erste element einer Veränderung unterliegen, wie in mauhvurf aus mild, moltiviirf. Zweitens kann nur das zweite element verändert werden, wie in einöde aus mlid. eincete (wo -tete Suffix ist). Drittens werden beide elemente verändert, wie z. b. in liehstöcJicl aus lat. ligusticum. Viertens kann der eine bestandteil umgebildet, der andere nur umgedeutet werden, wie in ahseite aus griecli. atpig.

In der letzten aufläge der Prinzipien scliliesst sich hier 152) die besprechung von solchen bildungen wie ivindlmnd und renntier (schwed. ren) an, in denen die einfachen ivind und ren als isoliert und darum fremdartig durch die Zusammen- setzung mit einem gattungsnamen unterstützt worden sind, um nachher als einfache selbständige Wörter ausser gebrauch zu kommen.

Hier macht Paul noch eine wichtige Unterscheidung, indem er § 277 die Volksetymologie gegen die durch lautsubstitution veränderten lehnwörter wie vogt aus lat. vocatus abgrenzt, aber zugleich hervorhebt, dass Volksetymologie bei ihnen sehr leicht eintreten kann.

Im anfang der achtziger Jahre werden von einem eng- lischen und zwei nordischen Sprachforschern wertvolle beitrage zu den lautlich-begrifflichen Wortassimilationen gegeben.

A. S. Palmer, Folk - etjmology. A Dictionary of verbal corruptions etc., London 1882, hat in der einleitung einige betrachtungen über das wesen dieser erscheinung angestellt, die er wie Förstemann und andere seiner Vorgänger auf ge- wisse etymologisierende triebe zurückführt. Für seine ein- teilung scheint er die von Andresen benutzt zu haben. Er verdient ein gewisses Interesse wegen des im allgemeinen guten Verständnisses, mit dem er an die gegebenen erklärungen anknüpft, und namentlich wegen der lebhaften phantasie, die ihn analoge erscheinungen aus verschiedenen gebieten heran- ziehen lässt. Wenn er z. b., wie mehrere von seinen Vorgängern, die Ursachen auf dem gebiet des gefühls in der Vorliebe für das alte, bekannte und der abneigung gegen neues sucht, so illustriert er den unangenehmen eindruck, den ein unverstan- denes wort macht, indem er ihn mit der leerheitsempfindung

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vergleicht, die eine stumme taste beim klaviervortrag ver- ursacht, und um zu zeigen, wie sehr sich dieses unlustgefühl steigern kann, erzählt er, wie O'Connel, da er die streitsüchtige fischhändlerin nicht mit vernünftigen gründen zum schweigen bringen konnte, sie schliesslich durch das herplappern von einigen Sätzen aus Euklid zum schweigen und weinen ge- bracht habe. In den farbenveränderungen der tiere sieht er analoga zu den Veränderungen der Wörter; wie der fisch als Schutzmittel eine färbe erhält, die den felsen ähnlich ist, unter dehen er lebt, so müsse auch das fremde wort seine färbe verlieren und wie ein englisches wort im englischen und ein französisches wort im französischen aussehen. Oft verfällt jedoch Palmer, wenn er den inneren gründen der wort- veränderungen nachgeht, in den alten Irrtum, den der name Volksetymologie verursacht, dass das volk von falschen Vor- stellungen von der etymologie der Wörter ausgehe und eine verwantschaft derselben annehme, wo keine ist. Er sagt, der mensch sei ein etymologisierendes tier, und die Volksetymologie eine Verschlechterung, welcher die worte entweder durch falsche Vorstellungen ihrer etymologie oder durch falsche analogie mit anderen worten unterliegen.

Was Palmers einteilung betrifft, so schliesst er sich an die von Andresen vorgeschlagene an, in der die form und bedeutung des neuen wortes im Verhältnis zu der des ursprünglichen massgebend sein soll. Er nimmt auch der hauptsache nach die von Andresen nach diesem princip in den früheren auf- lagen seines buches vorgeschlagenen gruppen an. Da eben diese frühere einteilung, die Andresen in der fünften aufläge (vgl. oben s.418f.) zum teil aufgegeben, auch für spätere autoren vorbildlich gewesen ist, so teile ich sie hier kurz mit. Andresen redet von vier arten. Die erste, 'die höchste stufe', enthält die Wörter, in denen formelle Veränderung mit änderung der bedeutung verknüpft ist (ahseite). Die zweite enthält die wöi-ter. in denen formelle Veränderung mit festhalten des ur- sprüngliclien begriffs verknüpft ist (cich/toni). Die dritte enthält die Wörter, in denen formelle Veränderung nicht ohne Widerspruch der bedeutung voi- sich gegangen ist {numlicurf). Die vierte enthält schliesslich die Wörter, 'deren volkstümliche deutung auf einem misgriff zwischen zwei homonymen beruht

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(vormund). Anstatt des ausdrucks 'formelle Veränderung' ver- wendet Andresen selbst die ausdrücke Verdunkelung-, ent- stellung-, 'formen, die sich durch den einfluss eines nahestehenden Wortes gestaltet haben'. Da er aber nicht den grad der Ver- änderung, die die formen erleiden, dadurch andeuten zu wollen scheint, so habe ich der einfachheit wegen 'formelle Verände- rung' eingesetzt. Mit der bedeutung verhält es sich nun in diesen vier arten so, dass sie verändert wird (1 und 4), über- haupt beibehalten wird (2), oder sich gegen die neue form sträubt (3). Dem mangel an deutlichkeit des Unterschieds zwischen diesen vier arten sucht Palmer dadurch abzuhelfen, dass er die sinngemässheit der neuen Wörter mit berücksich- tigt. Er unterscheidet deshalb drei arten mit formellen Ver- änderungen {corniptions) auf die weise, dass in der ersten die neuen Wörter bezeichnend und gewissermassen sinnvoll {cause- tvay), in der zweiten ziemlicli sinnlos sind (cast-me-down aus cassidonia), in der dritten zu misverständnis und falschen er- klärungen anlass geben (hurricane). Seine vierte gruppe um- fasst Wörter, die nicht gerade verdreht sind, jedoch leicht eine falsche etymologie suggerieren.

Auch in der folgezeit ist man in der gliederung des Stoffes meist auf Andresen und Förstemann zurückgegangen, während man sich in den definitionen mehr an Steinthal und Paul zu halten pflegte.

K. Nyrop in seinem populär gehaltenen büchlein Sprogets vilde skud, Kopenhagen 1882, und A. Noreen in auf Sätzen in der Nordisk tidskrift 1882, s. 612 f. 1887, s. 554 f. und in seinen Spridda studier in dem abschnitt 'Svensk folksetymologi' führen dem Studium der lautlich-begrifflichen Wortassimilationen besonders aus den nordischen sprachen (Noreen besonders für das schwedische auch in der Zeitschrift Svenska landsmälen 5 [1888]) ein umfangreiches material zu, und teilen uns auch ihre ansichten über die Ursachen und das wesen dieser sprach- veränderungen mit. Nyrop charakterisiert sie als eine auf lautähnlichkeit und ideenassociation beruhende zum teil un- bewusste Umformung eines fremden oder veralteten wertes. Noreen (1882) schlägt vor, die erscheinung als eine zwischen mit einander unverwanten ausdrücken verlaufende naive association zu definieren, die durch eine gewisse lautähnlichkeit

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der liauptbestandteile dieser ausdrücke hervorgerufen wird. In den späteren populär gehaltenen publicationen über Volks- etymologie heisst es, dass eine volksetj-mologie stattfinde, so- bald Wörtern, die keine etymologische beziehung zu einander haben, vom sprechenden eine solche beziehung beigelegt wird. Die ansichten über den Vorgang dieser Spracherscheinung, die uns in diesen beobachtungen entgegentreten, kommen hier zu- nächst insofern in betracht, als sie sich mit seinen Ursachen beschäftigen. Gleichwie Paul später stellen Nyrop und Noreen beide die lautähnlichkeit als Ursache hin, aber Nyrop fügt ausserdem die ideenassociation als eine zweite Ursache hinzu. Den grund, warum Nyrop und Noreen verschieden über die Ursachen urteilen, ein Avenig näher zu betrachten, bietet sich uns eine günstige gelegenheit, indem Noreen sich in einer recension von Nyrops buch über diesen punkt näher aus- gesprochen hat. Noreen will nämlich die ideenassociation nicht als eine mit der lautähnlichkeit gleichgestellte Ursache ansehen, und zwar aus dem gründe, weil die Volksetymologie ihrem wesen nach nichts anderes ist als die ideenassociation selbst. Ohne gerade hier auf eine kritik der ansieht eingehen zu wollen, die die lautähnlichkeit als die einzige Ursache hervor- hebt, muss ich mir jedoch, um über die in diesen deflnitioneu ausgesprochene auffassung klarheit zu gewinnen, zu erklären versuchen, was darin mit ideenassociation gemeint ist. 'Ideen- association' ist nun allerdings ein so allgemeiner begriff, dass er auch auf die psychische Wirksamkeit passen kann, die bei diesen sprachveränderuugen stattfindet; aber er ist zugleich allzu allgemein, als dass sich dadurch ein für dieselben charakteristisches kennzeichen aussagen Hesse. Das ist nun widerum der grund, warum auf der einen seite gegen Noreens behauptung, die Volksetymologie sei ihrem wesen nach eine ideenassociation, sich nichts einwenden lässt, wenn man die 'ideenassociation' so allgemein auffasst wie er es tut, und auch, warum auf der andern seite ich annehmen möchte, dass Nyrop sie nicht in dieser allgemeinen bedeutung als Ursache der Um- formung aufgeführt hat. Und ich sehe den beweis für die Wahrscheinlichkeit dieser auffassung darin, dass Nyrop laut- ähnlichkeit und ideenassociation als Ursachen einander parallel setzt, und wie gesagt darin, dass ideenassociation in dem all-

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gemeinen sinn, den Noreen dem wort beilegt, an dieser stelle ziemlich sinnlos wäre. Vielmehr soll sich wol deshalb von den in Nyrops definition angeführten Ursachen die lautähnlichkeit auf die Umformung der lautgestalt und die ideenassociation auf die Umformung der ideen, d.h. der begrifflichen elemente der veränderten Wörter beziehen. Ist nun diese meine auf- fassiing richtig, so nähert sich NjTops definition der von Wackernagel, Andresen und der von Paul zuerst gegebenen erklärung, während Noreen, indem er in seiner definition die lautähnlichkeit als die einzige Ursache hervorhebt, der von Paul später gegebenen definition näher kommt.

Was nun die gliederung des Stoffes betrifft, so sagt Nj'rop ausdrücklich, dass die seinige nur auf eine populäre darstellung abgesehen sei, und dass für eine wissenschaftliche behandlung ein ganz anderer massstab angelegt werden müsse. Nachdem Noreen, wie es scheint, seine frühere definition aufgegeben und es vorgezogen hat, mehr im sinne Förstemanns und Andresens die bedinguugen, unter denen eine Volksetymologie zu stände kommt, als in einem volkstümlichen etymologisieren liegend zu betrachten, sagt er von der Ursache, dass sie immer in einer gewissen ähulichkeit der associierten worte bestehe, die sich oft oder am häufigsten sowol auf die laute wie auf die bedeutung erstrecke, aber oft sei die lautähnlichkeit genügend. Sehr selten soll bedeutungsähnlichkeit allein ein hinreichender grund sein, wie wenn schwed. förvägen 'verwegen' nach dem muster von oförfärad, oförskräcJä 'unerschrocken' in o förvägen umgebildet wird.

Die art und weise, wie sich diese Ursache in ihren resul- taten kund gibt, oder wie es Andresen ausgedrückt hat, die unterschiede der bedeutung und form in dem Verhältnis des gewordenen zum ursprünglichen, hat dann Noreen seiner ein- teilung zu gründe gelegt. Indem er besonders eine gewisse abstufung der formellen Veränderungen berücksichtigt, ergeben sich ihm fünf arten von Volksetymologie.

Die erste gruppe umfasst Wörter, die in ton und bedeutung unverändert geblieben und nur in eine neue ideenassociation eingetreten sind (tranqwlin mit trampa 'treten'). Die zweite gruppe umfasst Wörter mit beibehaltener form, aber mit ver- änderter bedeutung {chihan mit sUclca 'schicken'). Die dritte

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gruppe umfasst Wörter, in denen lediglich nach der schrift, nicht nach der ausspräche zu vermerken ist, dass eine neue association (bedeutungsveränderung) stattgefunden hat. Die vierte umfasst Wörter, deren ausspräche verändert worden ist, wenn auch die schriftform unverändert bleiben sollte {ärdhant durch association mit dra 'ziehen' und hcn 'bein', also einer, der die beine hinter sich zieht). Die fünfte gruppe, die haupt- masse der Volksetymologien, umfasst die Wörter, die so bedeu- tend verändert worden sind, dass es auch in der schrift zum Vorschein kommen muss (jämnasteg 'gleichen tritts' aus gym- nastili).

Mit hinsieht auf die begrenzung des gebiets der lautlich- begrifflichen Wortassimilationen ist es ferner von Interesse, zu sehen, dass Noreen wegen der in seiner definition gestellten forderung der unverwantschaft der associierten Wörter solche bildungen wie orgelnist aus Organist und schwed. innevänare für invänare, wo solche verwantschaft vorhanden ist, aus dem gebiet der Volksetymologie ausscheiden muss.

Mit einer Charakteristik, die der von Noreen (1887) ge- gebenen ähnlich ist, aber mit anderer gliederung der lautlich- begrifflichen Wortassimilationen erörtert 0. Behaghel, Die deutsche spräche, 188G, ^ 1902, diese sprach Veränderungen. Er behandelt sie in dem teil von den Wandlungen der äusseren form, in dem die Wirkungen der analogie ihre besprechung ünden. B.'s gedankengang ist etwa dieser. Ebenso wie für das Sprachgefühl stein, steinigen, Versteinerung oder fährt, trägt, schlägt sich in gruppen zusanimenschliessen, so können, wenn das gehörte wort ein isoliert dastehendes ist, das keine ver- w'anten Wörter im bewusstsein aufkommen lässt, sogar un- verwante Wörter für das ohr 'mitsclnvingen'. B. charakterisiert also die Volksetymologie als eine gruppenbildung unverwanter Wörter. Die entstehung Avird dadurch erklärt, dass ein un- deutlich gehörtes wort fälschlich ergänzt wird.

Besonders beachtenswert scheint mir Behaghels Unter- scheidung von zwei arten, von denen die eine solche Wörter enthält, welche trotz der etwas abweichenden Vorstellung, die sie in sich tragen, noch für die gleiche anschauung verwendet werden, für die das ursprüngliche wort in gebrauch war {umgeivendet Naimleon, sündflut, maulwurf), die andere solche

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Wörter, deren neue Vorstellungen mit denen der ursprünglichen Wörter kaum mehr etwas gemein haben (das gelohte land, das Jetzt als das gepriesene und nicht mehr als das versprochene land aufgefasst wird). Die erste dieser beiden arten zergliedert sich dann bei Behaghel in zwei oder drei gruppen: die erste umfasst fälle, die bloss auf 'dem lautlichen zusammenklingen' beruhen, bei denen also 'ein gemeinsamer bedeutungskern' nicht empfunden wird {umgeivenäet Napoleon), die zweite um- fasst fälle, in welchen das in folge der lautähnlichkeit erweckte neue wort merkmale des zu bezeichnenden gegenständes in sich aufnimmt {sündflut). Behagliel hält aber diese fälle für verhältnismässig selten, dagegen die fälle, wo der begriffliche Zusammenhang recht unklar ist, für gewöhnlich. Als eine dritte gruppe können wir bei Behaghel die fälle ansehen, in denen die neuen Wörter den tatsachen geradezu widersprechende merkmale an sich tragen. Bei Behaghel haben wir es also mit einer Unterscheidung der lautlich - begrifflichen wort- assimilationen zu tun, die auf grund der Untersuchung der frage gemacht ist, wie sich das gewordene von dem ursprüng- lichen in bezug auf die bedeutung unterscheidet. Und es ist nicht bloss, wie wir bei Palmer gesehen haben, die sinn- gemässheit der Umbildung, sondern vielmehr und besonders bei der haupteinteilung die allgemeine art der bedeutungs- veränderung, die hier zur geltung kommt.

Ehe ich nun zu Wundts darstellung übergehe (die wie eine abschliessende kritik der früheren anschauungen erscheinen wird, soweit hier von einer kritik die rede sein kann, wenn man bedenkt, dass die verschiedenen anschauungen von verschiedenen psychologischen Standpunkten ausgehen, und die kritik deshalb mehr die ansichten über die ideenassociation überhaupt als die über die hier behandelten Wortassimilationen treffen würde), möchte ich noch über meine eigenen versuche kurzen bericht er- statten, über ein paar uml)ildungen, die mir nahe gelegt wurden. Ins reine zu kommen. Es galt mir, zunächst den Ursachen der entstehung dieser Umbildungen näher auf die spur zu kommen.

Versucht man den elementen nachzugehen, die eine laut- lich-begriffliche Wortassimilation verursachen, so tut man am besten, ganz junge bildungen vorzunehmen, bei denen einem

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der ideenkreis und überhaupt die sprachmittel des bildenden möglichst bekannt sind.

In meinem dialekt (schonisch, Südschweden) ist aus Stipen- dium ein stöpeng geworden. In diesem dialekt ist nun stö' = stöd 'Unterstützung', und pcng ist penning 'pfennig, geld', Stöpeng heisst also so viel als 'unterstützungsgeld'. Schon bei einer äusserlichen betrachtung bieten sich zunächst zwei beobachtungen dar: erstens die lautähnlichkeit der beiden worte stöpeng und stipendnmi, und zweitens die bedeutung des neuen Wortes, welche in diesem fall von der das wort sonst oft be- gleitenden vorstelluug von 'belohnung für fleiss und f ortschritt in der arbeit' nur ein wenig abweicht, indem sie eine mehr utilitarische auffassung zu vertreten scheint.

Als Ursache dieser bildung tritt uns hier, wie von selbst, eine tatsache entgegen, die ganz offenbar und handgreiflich ist, weil sie gerade die hauptbedingung dafür ist, dass wir selbst das verdrehte wort verstehen können, nämlich die laut- ähnlichkeit. Wenn wir nun deshalb diese Ursache ins äuge fassen, um zu sehen, worin sie besteht, so ergibt sich, dass sowol die lautgestalt wie die betonung von Stipendium einer Umbildung in stöpeng günstig waren. Das i in der ersten silbe von Stipendium wird in der ausspräche oft durch einen unbestimmten a-laut widergegeben, der leicht mit dem ö in stö{peng) assimiliert wird. Für den schonischen bauern fällt nd leicht mit ng zusammen, da er von vornherein gewöhnt ist, solche Wörter der gebildeten wie z. b. Liind und Jmnd mit den eigenen Long und Jtong zusammenzustellen. Und die endung -iitm, die schwach betont ist, entgeht als ein ihm nicht ge- läufiger Wortausgang leicht seiner aufmerksamkeit. Ausserdem ist die betonung von stöpeng dieselbe wie die der beiden ersten Silben von Stipendium. Durch die gewohnheit, die lautform der gebildeten mit der eigenen zu assimilieren, waren also hier dispositionen vorhanden, Stipendium als stöpeng zu hören.

Was ferner die bedeutung des Wortes stöpeng betrifft, so werden wir gewis auch hierin etwas für diese bildung charakteristisches finden, und zwar besonders, wenn wir eine gewisse andere art von Verdrehungen der lehnwörter, wie sie im Volke üblich sind, den hier in frage kommenden gegenüber- stellen. Ich meine solche wie lyttnant für löjtnant 'leutnant',

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schersant für sergcant, minwiitiir für niiniatyr. Man kann dann nicht umhin, hier einen deutlichen unterschied zu bemerken. Die hildung stöiimy kommt einem sogleich so zu sagen intelli- genter vor. Sie enthält ein gewisses etwas, das sie gleichsam mehr berechtigt erscheinen lässt, als z. b. hjttnant (da letz- teres ja nicht einen bezeichnen will, der hjtt 'gebrechlich' ist, eher das gegenteil). Dieses etwas, dieser vorzug ist der eigene bedeutungsinhalt von stöpeng gegenüber Jyünant, die bestimmte Sachvorstellung.

Ist nun aber die Vorstellung von der sache selbst, also in dem angenommenen fall die von dem 'unterstützungsgeld', als eine Ursache der Umbildung mit der lautähnlichkeit gleichzu- setzen? Auf diese frage könnte unter umständen die aus- weichende antwort gegeben werden: Svenn das wort lüjtnant sich eventuell etwa zu der bedeutung von »invalide« entwickelt hätte, so hätte auch die bildung hjttnant im schwed. eine eigene bedeutung gehabt', und zwar auch mit einem gewissen recht von jemand, der merkwürdigere bedeutungsentwicklungen als die hier vorausgesetzte vor äugen hat. Eine solche auffassung begnügt sich mit der annähme, das neue wort verdanke seine bedeutung einem glücklichen zufall, der es so gefügt hat, dass es im dialekt zwei worte, stö und peng, gab, die sich zu einem dem Stipendium in lautgestalt so ähnlichen wort zusammenstellen Hessen, welches ausserdem noch dieselbe sachvorstellung so tref- fend ausdrücken konnte. Bei einer solchen auffassung würde darum eine mitAvirkung der sachvorstellungen ausgeschlossen sein, und die lautähnlichkeit würde als die einzige Ursache der Umbildung angenommen werden. Und in der tat ist den Unter- suchungen über die Ursachen der volksetj-mologie eine derartige betrachtungsweise nicht immer fremd geblieben, was seinen grund zum teil darin haben kann, dass man sich darauf be- schränkt hat, das neue wort mit dem ursprüuglichen zu ver- gleichen ohne den näheren umständen reclmung zu tragen, unter denen jenes das erste mal ans licht treten konnte.

Denken wir uns den ganz nahe liegenden fall, der bildende habe das wort Stipendium zum ersten mal in dem Zusammen- hang gehöi't, dass ein mittelloser student hundert mark als Stipendium bekommen liabe. Dann ist es sehr wahrscheinlich, dass die Vorstellungen von 'geld' und von 'Unterstützung' beim

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liürer schon geweckt waren, und zwar schon in dem augenblick, ehe er das ihm unbekannte wort hörte, so dass sie gleichsam bereit waren, es zu empfangen, d.h. sein lautgebilde in ent- sprechender weise eben als stöpemj aufzufassen. Es ist dann klar, dass die bezeichneten sach Vorstellungen zur entstehung des Wortes mitgewirkt haben können. Und wir müssen ihnen einen entscheidenden einfluss zuerkennen, wenn wir uns ver- gegenwärtigen, dass stipendmm ein sinnloses stopenn oder der- gleichen hätte geben können (ebenso wie lojtnant ein an sich sinnloses hjttnant gegeben hat), wären diese Sachvorstellungen nicht dagewesen. Dass sie bei stöpcng neben der lautähnlich- keit sehr wichtige bedingungen für die Umbildung sind, ist also offenbar. Und in anderen hierher gehörigen fällen tritt das deutlich hervor. Manchmal scheinen nämlich die sach- vorstellungen einen gewissen widerstand seitens der laute des fremden wortes zu überwinden zu haben, indem diese nicht, wie es bei Stipendium (stdpengium) stöpeng geschah, eine gewohnheitsmässige neigung zur assimilation mit den lauten des dialekts vor sich da finden, sondern grössere laut- verschiedenheiten überwunden werden müssen, damit sich die sachvorstellungen im neuen wort geltend machen können. So z. b. muss sich der name eines mittels gegen Zahnschmerzen, das englisch odontine lieisst, in englisch in de tene (märkisch für in die sahne) umändern lassen, damit die Vorstellung von der anwendung auch im wort zum Vorschein kommt; hierher gehört unter anderen auch das schwed. rifitii-hiljett 'reiss- entzwei-billet' für refourhiljctt. In diesem wort wirkt nämlich die Vorstellung von den früher gebrauchten rückfahrkarten nach, von denen die eine half te bei der hinfahrt vom Schaffner abgerissen und die andere vom reisenden für die rückfahrt aufbewahrt wurde.

Odontine würde nicht leicht zu indetcne geworden sein, wenn nicht die Vorstellung von der Verwendung des mittels mitgewirkt hätte, und diese Vorstellung würde nicht die sprach- liche form indetene bekommen haben, wenn nicht das klang- bild des Wortes odontine mitgewirkt hätte. Oder anders aus- gedrückt: gleichwie in den einzelnen fällen die Vorstellung von der Verwendung die form odontine verhindert hat zu ontodine, Otto Dlne (vgl. Otto Schahell von ecm de Javellc),

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inotine oder etwas anderem zu werden, so hat auch das klang- bild odontine die Vorstellung von der Verwendung- gehindert, sich etwa den ausdruck fiirddenc oder dergleichen zu nehmen.

Steht es somit fest, dass die klangbilder der Wörter und die daran geknüpften sachvorstellungen, oder wie man es häufiger ausgedrückt hat, die lautähnlichkeit und die bedeutung die eigentlichen Ursachen dieser Umbildungen sind, so tritt uns in erster linie die frage nach dem gegenseitigen verhalten dieser Ursachen in der form entgegen: welche von ihnen ist als die primäre, die zuerst wirkende Ursache anzusehen?

Je grösser die zahl der einzelnen fälle ist, die man für die beantwortung dieser frage untersucht, und je jünger und deshalb einer Untersuchung der vorstellungselemente zugäng- licher die bildungen sind, um so mehr wird man in Opposition zu denjenigen definitionen geraten, die die lautähnlichkeit als die einzige oder hauptsächlichste Ursache der Volksetymologie angeben. Ja, es kann unserer einsieht in die Wirkung dieser Ursachen nur förderlich sein, wenn wir annehmen, es könne ein beurteiler dieser erscheinungen unter gewissen bedingungen zu dem anderen extrem geführt werden, nämlich den einfluss der lautähnlichkeit zu unterschätzen. Man versuche sich den fall zu denken, dass dieser beurteiler ganz andere sprach erschei- nungen als die des lautwandels und der analogiewirkungen vor äugen hätte, dass er z. b. einseitig begrifflichen Verände- rungen seine aufmerksamkeit gewidmet hätte, und also von einer ganz anderen seite als der gewöhnlichen an die beurtei- lung der Volksetymologie heranträte. Ja es gibt eben eine Spracherscheinung, die ganz gewis den Volksetymologien nahe gestellt werden darf, obgleich sie in diesem Zusammenhang bisher ihren platz nicht gefunden hat, und die jene extreme anschauung von den Ursachen vermitteln könnte. Die sprach- erscheinungen, die ich hier meine, sind die zahlreichen Wort- bildungen, durch welche das volk aus verschiedenen gründen seine eigenen Vorstellungen von den dingen zum ausdruck zu bringen pflegt, wie z. b. radcylas 'heranzieheglas' für 'fernrohr', hierreckschale für 'präsentierteller', Imiserpulver, das seiner zeit für 'antipyrin' verlangt wurd(^, /i(insn'asfra(jstn, tumirnix, graue reitersalbe, von anderen bezeichnungen der arzneimittel nicht zu reden. In diesen und anderen derartigen bildungen sind es

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die sachvorstellimgen, die zu dem neuen wort anlass gegeben liaben, und zwar nicht wie in sföpcng unter der mitwirkung der lautähnliclikeit, sondern einzig und allein ohne jede Unter- stützung durch eine äussere ähnlichkeit der Wörter, Wäre nun jemand von einem bei der näheren betrachtung dieser Veränderungen gewonnenen Standpunkt einseitig an die be- urteilung von indetene oder rißtuhiljett herangetreten, so könnte es ihm passieren, dass er den einfluss der laut ähnlichkeit zu gunsten desjenigen der begrifflichen elemente unterschätzte, und zwar ebenso leicht wie das entgegengesetzte wirklich passiert ist. Dass jedoch niemand, so viel ich weiss, in ein solches extrem verfallen ist, das hat seinen guten grund in der hand- grciflichkeit der lautlichen Veränderungen gegenüber den be- grifflichen in diesen lautlich-begrifflichen Wortassimilationen.

Indem ich nun eine abweichende auffassung der Ursachen als denkbar und möglich vorgeführt habe, ist es doch nicht meine absieht gewesen, dem einfluss der bedeutung im all- gemeinen eine grössere Wirkung als dem der lautähnlichkeit beilegen zu wollen. ') Ich wollte nur teils jene als Ursache der Veränderung neben dieser scharf hervorheben, teils das leicht verzeihliche schwanken erklären, in das man geraten kann und in das ich auch geraten bin, sowol wenn ich es unternahm, die gegebenen erklärungen der Volksetymologie auf die einzelnen bildungen hin zu prüfen, als auch wenn ich versuchte, eine allgemein giltige bestimmung in bezug auf die Wichtigkeit und das gegenseitige verhalten der Ursachen aus diesem material abzuleiten.

Den psychischen verlauf bei der entstehung einer lautlich- begrifflichen Wortassimilation kann man sich ja als eine reihe von nach einander in einer gewissen Ordnung eintretenden acten denken, und um die aufgestellte frage zu beantworten, gälte es dann zu entscheiden, von welcher seite der erste

') Im gegeutcil ich gehe noch weiter als die forscher, die iu der regel die hvutälnilichkeit allein als Ursache hinstellen, wenn es in einzelnen fällen gilt, dieselbe ihr recht behalten zu lassen; wenn ich z. b. gegen Noreeu der ansieht bin, dass schwed. oförcägcii statt förrägcn 'verwegen' auch durch die lautforni von Wörtern Avie oförfärad, oförtruten becinHusst worden ist. Vgl. ostfries. icunhumli<i 'unbändig' und t(nuanband/(j 'ganz unbändig' (J. ten Doornkaat-Koolman, ^^'b. der ostfries. spräche, 1884).

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anstoss zu der Umbildung kam. Welches ist der zündende funke gewesen? Entstand er z. b. aus dem lautgebild odon- tine oder aus der Vorstellung von der anwendung der sacke?

Obsclion der ausdruck indctene nicht sehr alt sein kann, ist er doch wahrscheinlich nicht zum ersten mal bei der gelegenheit erklungen, wo ich zufällig von jemand hörte, wie er englisch indetene gegen Zahnschmerzen zu verwenden pflege. Aber sichere auskunft kann ich nicht geben. Es ist auch unmöglich zu entscheiden, ob mein gewährsmann überhaupt einmal das wort odonüne gehört oder es in der von ihm ver- wendeten form von einem anderen gelernt hatte. Von den versuchsobjecten selbst ist bei diesen beobachtungen auf keine auskunft zu rechnen. Und doch müsste man unbedingt nicht nur die erste reproduction des neuen Wortes kennen, sondern auch wissen, in welcher gestalt und in welchem Zusammen- hang es dem bildenden mitgeteilt worden ist, um sich mit nur annähernder gewisheit über den verlauf der entstehung äussern zu können.

Nur ausnahmsweise dürfte sich jedoch eine solche gelegen- heit zu unmittelbarer beobachtung bieten. Und man ist des- halb darauf angewiesen, sich die nähereu umstände zu con- struieren, unter denen die in frage stehenden Umbildungen zu Stande kommen können. Denken wir uns der einfachheit wegen nur zwei verschiedene entstehungsweisen des Wortes indetene: 1) A sagt zu B, der märkisch spricht, er habe Zahn- schmerzen und möchte etwas haben, in die zahne zu stecken; er bittet B dann, in die apotheke zu gehen und für zehn Pfennig englisch odontine zu kaufen. In diesem falle liegen die Vorstellungen von etwas englischem, das in die zahne gesteckt werden soll, fertig da, um B dazu zu veranlassen, schon in dem moment, wo er das vielleicht nicht allzu correct aus- gesprochene odontine hört, es als indetene aufzufassen. 2) A bittet B, in die apotheke zu gehen und ihm für zehn Pfennig englisch odontine zu kaufen, und C, der märkisch spricht, und von den Zahnschmerzen oder der Verwendung des mittels überhaupt nichts weiss, steht nebenan und hört das wort zum ersten mal, ohne weiter daran zu denken. Später sieht nun C, wie A ein Wattepfropf chen in odontine ein- taucht und es in die zahne steckt. Erst jetzt weiss C, wozu

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oäontine gebraucht wird. Und wenn er in dem moment das wort odonfhir, von dem sein gedäclitnis ein dunkles erinnerung-s- bild aufbewahrt liat, aussprechen will, so klärt sich dieses bild durch seine association mit den Vorstellungen von der Ver- wendung plötzlich auf und wird englisch in de tene.

Im fall 1) sind die Sachvorstellungen vor dem lautbild im bewusstsein des bildenden vorhanden, im fall 2) verhält es sich umgekehrt. In den hier construierten beispielen könnte es demnach aussehen, als ob die eigentliche Ursache in beiden fällen eine verschiedene wäre, wenn man nach der zeit der aufnähme der sach- und lautbildvorstellungen urteilt; wenn man aber nach dem inducierenden factor, dem zündenden funken fragt, so wäre dieser auch im fall 2) die Vorstellung von der Verwendung gewesen. Gegen diese folgerungen ist jedoch gleich zu bemerken, dass von einem bilden des neuen Wortes vor dem augenblick, in dem sowol das lautbild als die Sachvorstellungen zugleich im bewusstsein actuell sind, eigent- lich keine rede sein kann. Anders verhält es sich bei razieglas, wo die Sachvorstellungen allein zu dem neuen wort anlass geben, oder beim schonischen lyttnant, das durch rein lautliche anpassung zu stände kommt.

Gehen wir nun von der Voraussetzung aus, dass die ent- stehung einer lautlich -begrifflichen wortassimilation in dem augenblick anfängt, wo das lautbild und die sachvorstellungen im bewusstsein zusammentreffen, so sind wir in unserer dar- stellung der ansichten über die sog. Volksetymologie an dem punkt angelangt, wo A\'undts behandlung der lautlich-begriff- lichen Wortassimilationen die frage nach deren entstehung ihrer lösung näher führt.

Wundts auffassung der associations Vorgänge, zu der er besonders durch seine beobachtungen über die Sinnesillusionen gekommen ist, unterscheidet sich von der in der Sprach- wissenschaft herschenden Herbartischen dadurch, dass die associationen zwischen vorstellungselementen, also teilen der Vorstellungen, und nicht zwischen ganzen Vorstellungen vor sich gehen. ^\'ie wir aus der obigen darstellung gesehen haben, konnte, so lange wir mit den lautbildern des neuen und des ursprünglichen wortes und den sachvorstellungen, die

LAUTLICH-BEGEIFFLICHE WORTASSIMILATIONEN. 439

sich an dieses und an jenes anknüpften, wie mit vier in sich geschlossenen grossen rechneten, keine befriedigende antwort auf die frage nach dem vorrang der beiden Ursachen vor einander gegeben werden, und zwar nicht einmal, wenn es, wie liier, sich bloss um einen bestimmten einzelnen fall han- delte. Nehmen wir aber mit Wundt an, dass die Verbindungen der Vorstellungen durch ihre demente vollzogen werden, so dass sich lautbildelemente (lautvorstellungen) mit lautbild- elementen und sachvorstellungselemente mit sachvorstellungs- elementen und die beiden ungleichartigen elemente sich auch gegenseitig mit einander verbinden, und nehmen wir ferner mit Wundt an, dass diese Verbindungen in der regel gleich- zeitig vor sich gehen, so ist die frage, ob die lautähnlichkeit der Wörter oder die Sachvorstellungen die erste Ursache sind, nicht mehr so acut.

In seinem grossen werke, Völkerpsychologie, bd. 1. Die spräche, hat Wundt die spräche und ihre mancherlei erschei- nungen in eine beleuchtung und in einen Zusammenhang ge- stellt, bei dem in einem genialen, streng wissenschaftlichen System den verschiedenen äusserungen der Sprachwirksamkeit ihre platze angewiesen werden, jeder einzelnen auf grund ihrer eigentümlichen Zusammensetzung aus den in der spräche wirk- samen psychischen und physischen elementen, sofern diese unserer erfahrung zugänglich sind. Mehr als in irgend einer anderen menschlichen function macht sich in der Sprachwirk- samkeit die Wechselwirkung dieser elemente geltend, indem sie jede form von Sprachänderung bestimmt, diejenige, durch welche min zu mein sowol als diejenigen, durch welche siurhcn zu starben und arcuhalista zu armhrust wird. Damit ist aber nicht gesagt, dass das Verhältnis zwischen den physischen und psychischen Ursachen immer dasselbe ist, sondern es sind viel- mehr eben die in diesem Verhältnis nachweisbaren Verschieden- heiten, welche die einzelnen arten der Sprachänderung be- stimmen. Und von diesem gesichtspunkt aus ordnen sie sich nun für ^^'undt zu einer schön zusammenhängenden kette, von den relativ einfachen erscheinungen zu den zusammen- gesetzteren und zugleich von denjenigen, die uns mehr physisch, zu denjenigen, die uns mehr psychisch bestimmt scheinen, während doch in der tat sich sowol die physische wie die

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psychische seite bei allen geltend macht. Zu unterst steht der reguläre lautwandel, dann folgen auf immer höheren stufen mit vielen Übergängen die assimilationen, die analogie Wirkungen und die laut- und begriff sassociationen bei wortentlehnungen; zu diesen letzten gehören die lautlich - begriff liehen wort- assimilationen.

Gleichwie Wackernagel in seiner behandlung der um- deutschungen der lehnwörter die Wörter, in denen 'das wort selbst' verändert wurde, von denen, in welchen es mehr durch 'äussere zutat' von flexionsendungen u.s.w. verändert wurde, unterscheidet, so nehmen auch bei Wundt die im capitel vom lautwandel, abschn. vi behandelten laut- und begriffsassocia- tionen bei wortentlehnungen gegenüber den vorher erörterten associativen fernwirkungen (analogiebildungen) der laute eine besondere stelle ein, weil sie die Wörter in ihren grundelementen verändern, während die associativen fernwirkungen in der regel die beziehungselemente treffen.

Wundt unterscheidet nun zwei hauptformen von wort- entlehnungen. Die eine begegnet uns z. b. in vogt aus lat. vocatus und besteht in einer Umänderung des lehnwortes, 'ohne dass dabei der begriffswert desselben wesentlich alteriert wird'. Das ist der fall der wortentlehnung mit reiner laut- association.. Die andere hauptform ist die wortentlehnung mit begriff sassociationen oder die Volksetymologie. Bei dieser 'wirkt ein einzelnes wort, seltener eine bestimmte gruppe von Wörtern, vermöge der lautassociationen, in denen sie zu einem gegebenen werte stehen, auf dieses ein, indem sie es in erster linie lautlich, dann aber auch in gewissem grade be- grifflich assimilieren, so dass der ursprüngliche begriff des Wortes dadurch zwar nicht verdrängt wird, aber eine eigen- tümliche färbung gewinnt, die ihm vor dieser einwirkung nicht zukam'.

Die wortentlehnungen mit begriff sassociationen, die ich mit der charakteristischeren, auch von Wundt gegebenen be- zeichnung 'lautlich-begriffliche Wortassimilationen' zu benennen vorgezogen habe, unterscheiden sich trotz der grossen ähnlich- keiten von den wortentlehnungen mit reiner wortassimilation dadurch, dass die bei den letzteren 'ganz im hintergrunde bleibenden begrifflichen demente ... in doppelter weise ent-

LAUTLICH-BEGRIFFLICHE WORT ASSIMILATIONEN. 441

scheidend an dem Vorgang teilnehmen'. Sie sind es, die die auffassung und reproduction des wortes bestimmen. Und sie sind es ferner, die dem begriff der bedeutung des ursprüng- lichen Wortes eine eigentümliche färbung verleihen oder ihn sogar umwandeln können. Genauer bestimmt aber Wundt die Volksetymologie als eine ' Wortassimilation mit begrifflicher Umbildung des wortes durch die assimilierenden elemente' oder eine 'lautlich-begriffliche Wortassimilation'. Unter 'assimilieren- den elementen' haben wir dasselbe zu verstehen, was wir vorher gelegentlich lautbildelemente und sachvorstellungs- elemente genannt haben. Also wenn wir an den fall stöpeng denken, so haben wir von lautbildelementen, die sich assimi- lieren, z. b. std und stö, ntl und mj, und von begrifflichen oder sachvorstellungselementen, z.b. 'arm', 'erhalten', 'fünfzig mark', 'Unterstützung', 'geld'.

Mit rücksicht auf ihr Verhältnis zu den lautlichen wort- assimilationen lassen sich dann die lautlich - begriff liehen in zwei gruppen sondern. Die eine steht jenen näher, weil in der assimilation die lautlichen elemente überwiegen. Die begriff- lichen elemente bewirken nur 'eine nebenhergehende association' mit dem an das ursprüngliche wort gebundenen begriff, wie z. b. wenn bei maulesd an das maul des tieres gedacht werden kann. Die begrifflichen elemente wirken darum gewöhnlich nicht in erheblicher weise auf das lautgebilde ein, und auch wo die lautassociationen zu ziemlich unerwarteten ergebnissen führen, wie in umgetvenäet Napoleon, sollen sie den begriffs- wert (hier den einer salbe) des ursprünglichen wortes ziem- lich ungestört lassen oder ihn nur ein wenig verändern. So in hlutjung für Uidtjung {hlutt dial. = Uoss, also ungefähr so viel wie 'jung wie ein vogel, der noch nicht Mgg^ ist'), wenn hier statt dessen etwa an die roten ^^'angen eines knaben gedacht wird. Diese gruppe nennt Wundt 'wortassimilationen mit begrifflichen nebenwirkungen'. Und weil nun wie in dem letztgenannten beispiel der gedanke an ein jugendliches ge- schöpf überhaupt oft in den Vordergrund treten kann, und somit die hauptvorstellung bewahrt werden, aber auch auf der andern seite einmal mehr an jugendliches Unvermögen den begriffswert des ursprünglichen wortes , ein anderes mal mehr an jugendliche frische den begriffswert des neuen wortes

Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVII. 29

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gedacht werden kann, so bilden solche beispiele in mannig- faltigen abstnfungen gerade den Übergang zu der zweiten gruppe der lautlich - begriff liehen wortassiniilationen. Diese gruppe umfasst die 'wortassiniilationen mit begriff sumwand- luiigen' und wird dadurch charakterisiert, dass der laut- und begriffsinhalt des Wortes zugleich und zum teil durch die ein- wirkung des einen auf den andern verändert wird, und vor allem dadurch, dass die assimilierenden begriffselemente nicht inadäquate nebenvorstellungen sind, die sich nur lose mit der hauptvorstellung associieren, sondern diese wirklich um- gestalten, so dass das neue wort ein ebenso selbständiges laut- nnd begriffsgebilde darstellt, wie einst das ursprüngliche wort. So ist sin-vluot, ursprünglich 'die allgemeine Auf, durch die sich gegenseitig unterstützenden laut- und begriffsassociationen mit Sünde zu dem nach laut wie nach bedeutung veränderten sündflut geworden.

Wundts einteilung scheidet sich von allen früher gemachten dadurch, dass ihr princip aus dem eigenen wesen dieser sprach- veränderungen genommen und durchgeführt worden ist. Dieses princip ist der einfluss, den die in ihnen wirksamen begriff- lichen associationen auf den begriffsinhalt ausüben. Wundt hat ferner den lautlich-begrifflichen wortassiniilationen ihren rechten platz unter den übrigen erscheinungen des lautwandels angewiesen, und er bezeichnet sie insofern als die letzte stufe der angleichungsvorgänge, als bei ihnen 'die Vorgänge selbst, ebenso wie die bedingungen, unter denen sie entstehen, am verwickeltsten sind'.

Indem uns aber Wundt in seiner anregenden behandlung dieser Sprachveränderungen sowie in seinem ganzen werke so viele aufschlüsse und erklärungen bietet, die zu einer rechten Würdigung dieser bedingungen führen, hat er uns die aiileitung zu einer ganz idealen einteilung gegeben, die, wenn unsere kenntnisse einigermassen vollkommen wären, auch eine ideale auf Stellung zulassen würde.

Diese letzte bedingung bleibt uns nun allerdings noch übrig. Es ist aber der weg gewiesen worden, auf dem wir sie erfüllen können. Was wir jetzt brauchen, ist frisches material. Es genügt nicht mehr, second-hand angaben zu sammeln und dann mit müsse seine betrachtungen darüber

LAUTLICH-BEGRIFFLICHE WORTASSIMILATIONEN. 443

anzustellen: die umbildimgen, die unsere kenntnis am besten fördern, sind die ganz neuen: sie mögen auch ganz zufällig und ephemer sein, wenn sie nur einer genauen Untersuchung zugänglich sind. Wie im fluge müssen sie gefangen und aus dem milieu ihrer entstehung heraus beschrieben werden. Die so gesammelten beispiele müssen dann nach den von Wundt gegebenen regeln gesichtet und geordnet, und umgekehrt muss AVundts darstellung auf ein für gründliche psychologische durcharbeitung geeignetes material hin geprüft werden.

Eine erfa,hrung, die wol jeder beobachter von lautlich- begrifflichen Wortassimilationen machen kann, ist die, dass Worte, die er erst als sinnlose Verdrehungen oder rein laut- liche Wortassimilationen aufgezeichnet hat, bei näherer be- trachtung doch den einfluss von begriffselementen als möglich erscheinen lassen, die dem bildenden nahe lagen, die aber dem seinem ideenkreis fremden beobachter entgiengen. So wenn z. b. schonisch trapprd für trottoir sich als die 'treppenreihe' enthüllt. Es ist hieraus leicht zu sehen, dass auch solche bestimmungen, die für den beurteiler nebenbegriffe sind, für den bildenden hauptbestandteile des begriffs sein können. Gewis ist es, um nur ein beispiel zu nennen, für den scho- nischen bauernknecht eine haupteigenschaft des celluloid- kragens, dass er bequem gewaschen werden kann und dass sich allzu auffällige Schmutzflecken im moment abwischen lassen. Und von seinem Standpunkt aus ist dann sälvidkrage (wörtlich 'selbstweisskragen', d.h. ^ein kragen, der wie von selbst wider weiss werden kann') gewis keine 'wortassimila- tion mit begrifflichen nebenwirkungen', sondern eine 'wort- assimilation mit begriffsumwandlung'. Und selbst das für sinnlose Verdrehungen klassisch gewordene beispiel umgewendet Napoleon aus unguenhmi neapolitanum, das von Wundt eben auf die grenze der rein lautlichen Wortassimilationen gestellt wird, ist mir einmal von einem sächsischen landapotheker, der seine künden gut kannte, zum teil sinnvoll erklärt worden, indem er meinte, die bauern dächten an die hemden und kleidungsstücke, die sie zuerst umwenden mussten, ehe sie dieselben mit der salbe bestrichen.

Der gedanke, den ich nach diesen beobachtungen aus- sprechen möchte, ist, dass man bei einer wissenschaftlichen

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gliedenmg, in der es gilt, diese Umbildungen nach der ein- wirkung der begrifflichen elemente zu beurteilen, den Stand- punkt des bildenden streng festhalten niuss, um so gut wie möglich in seine sprach- und gedankenweit einzudringen. Und die fragen, die man sich unter anderen aufstellen und möglichst genau beantworten muss, sind die nach der form, in der das fremde wort dem bildenden zuerst nahe gelegt wurde, die nach den lautlichen bedingungen seines dialekts, die auf die assimilation einwirken, und die nach den Vorstellungen und Vorstellungselementen, die im Zusammenhang mit dem fremden Worte geweckt wurden.

Es ist nun in vielen fällen gewis keine leichte aufgäbe, allen umständen gerecht zu werden, die für eine genaue Unter- suchung herangezogen w^erden müssen, und wenn die lautlich- begrifflichen Wortassimilationen oft ein beliebtes thema ge- wesen sind, so verdanken sie diese aufmerksamkeit nicht so sehr dem rein sprachlichen interesse, das sie in so hohem grade besitzen, als vielmehr der tatsache, dass sie keine geringe portion von liumor in sich schliessen. Denn man kann wol mit recht sagen, dass sie unter den 'wilden sprossen' der spräche gerade die witzigsten sind, ja sogar die witzigsten bildungeu, die überhaupt mit sprachlichen mittein geschaffen w^erden. Und der grund, warum sie die Sprachforscher vor Förstemann wenigstens nicht ernst genommen haben, kann vielleicht auch darin stecken, dass man meinte, sie seien nicht im vollen ernst zu stände gekommen. In der tat scheinen auch sowol Förstemann wie Wackernagel und Andresen es für nötig gehalten zu haben, eine art Verteidigung dafür vor- zubringen, dass sie sich mit der Sache beschäftigten. Das brauchen war lange nicht mehr, eher dafür, dass wir es in der letzten zeit zu wenig tun. Und deshalb möchte ich gern eine mahnung au diejenigen richten, die in der läge sind, dem volke seine trauliche rede abzulauschen, dass sie auch den lautlich- begrifflichen W'Ortassimilationen ihre aufmerksamkeit zuwenden. Denn w'enn diese auch die verwickeltsten aller lautänderungen sind, so sind sie zugleich die in jeder beziehung interessantesten.

Obgleich nun schliesslich eine Untersuchung über die ge- schichte eines begriffs aus der sprachwissenschaftlichen ter- minologie, wie die hier gelieferten beitrage zu der geschichte

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des begriff s der Volksetymologie, uns über noch manches, was sowol das wesen nnd umfang der betreffenden spracherschei- nung, als die entwicklimg unserer Wissenschaft überhaupt angeht, belehren kann, sei doch das gesagte genug. Ich glaube um so mehr auf einen zusammenfassenden überblick verzichten zu dürfen, als die chronologisch gehaltene dar- stellung sowol als die im anfang aufgestellten und bei der besprechung jedes einzelnen autors durchgeführten fragen nach den Ursachen dem wesen und der gliederung der Volksetymo- logie einen solchen überblick der anschauungen überflüssig machen.

Förstemann sprach im jähre 1852 den wünsch aus, dass bald die gelegenheit gegeben werden möge, die kenntnis der deutschen Volksetymologie über den damaligen Standpunkt zu vertiefen, und 25 jähre später äusserte er seine freude und seinen stolz über das durch seinen ersten aufsatz erweckte Interesse, das unter anderem in Andresens buch einen aus- druck gefunden hatte. Es sollte dann, fast nach einem zweiten viertel Jahrhundert, einem sprachpsjxhologen vor- behalten sein, die fiage von dem ^mächtigen und geheimnis- vollen walten der assimilationskraft' näher zu beantworten und zugleich der erscheinung einen neuen und besseren namen zu geben. Und wenn wir nun deshalb mit Wundt dem alten begriff der Volksetymologie eine vollkommenere, ihrem wirk- lichen wesen entsprechendere fassung geben, so müssen wir auch die alte benennung gegen die neue, lautlich -begriffliche Wortassimilation, austauschen. Dadurch gewinnen wir nicht nur einen richtigen namen der saclie, den wir früher nicht hatten, sondern zugleich einen, der die deflnition des zu nennenden begriffs klar und deutlich durchblicken lässt.

LUND, juli 1902. JOHN KJEDERQVIST.

UNTERSUCHUNGEN ZUM REIMGEBRAUCII RUDOLFS VON EMS.

Die vorliegenden untersuchung-en sind auf einen ganz bestimmten zweck hin gearbeitet: sie sollen einem künftigen heransgeber Rndolfischer werke, deren ja leider noch die mehrzahl nngedruckt ist, eine sprachliche grundlage geben, von der aus die textgestaltung in strittigen fällen, insbesondere da wo die Überlieferung ihn im stiche lässt, mit einiger Wahr- scheinlichkeit vorgenommen werden könne.

Dadurch scheinen diese Untersuchungen an sich gerecht- fertigt, zugleich aber auch der leitende gedanke, die reim- bez. Sprachgewohnheiten des dichters möglichst genau kennen zu lernen, und sich hierbei nicht bloss auf einzelheiten, die etwa seinem heimatlichen dialekt zur last fielen, zu beschränken. Daraus ergibt sich schon, dass diese forschungen mehr die form eines grammatischen compendiums zu Rudolfs Sprach- gebrauch annehmen mussten; darum habe ich auch die ein- t eilung nach art unserer grammatiken gewählt. Dies ist zu- gleich der formale unterschied von den in neuester zeit so erfolgreich namentlich von C. Kraus und K. Zwierzina an den höfischen epikern und Yeldeke angestellten reimtecli- nischen beobachtungen, welchen auch die vorliegende Unter- suchung in erster linie ihre anregung verdankt.

Durch diese art der anläge musste die arbeit oft mit material in umfänglicher weise belastet und auch gelegentlich (wie bei dem cap. 'eigennamen') das versinnere herangezogen werden. Wenn trotzdem die grammatische auslese aus dem reichlichen material (g. Gerhart 6928, Bari, und Josaphat 16124, zusammen 23052 verse) nicht immer eine allzu grosse ist, so scheint mir dies die berechtigung derartiger Untersuchungen

ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V. EMS. 447

nicht zu widerlegen, zeigt vielmehr in unserem falle deutlicher als jedes statistische resultat, wie peinlich genau unser dichter reimt, und wie sehr wir also gerade darum berechtigt sind, auch bei einer verhältnismässig geringen zahl von 'beweisenden' reimen einen scliluss auf den sprach- oder doch reimgebrauch des (Lichters zu ziehen.

Was die methode des citierens betrifft, so habe auch ich immer nur die erste zeile eines verspaares verzeichnet: eine ausnähme geschah nur bei den eigennamen, wo das betreffende wort im Innern eines verses vorkommt. Bei zusammengesetzten Wörtern ist in der regel nur der zweite teil, der eben im reim steht, und auf den es allein ankommt, gesetzt, insbesondere sind präfixe meist ganz weggelassen; dass ein compositum ge- meint ist, ist durch einen vorgesetzten bindestrich angedeutet; -(jic bedeutet also z. b. nicht bloss das simplex, sondern auch ergie, zergie, übergie u.s.w. Die belege sind nach dem am meisten vorkommenden reim wort geordnet, unbekümmert ob dieses auch immer an erster stelle im verspaar steht; dieses reimwort steht am beginne der aufzählung und wird dann weiter durch einen gedankenstrich ersetzt ( :).

Vor abfassung dieser arbeit fand ich bei herrn prof. dr. C. Kraus über anläge und Verwertung der reimregister freund- liche Unterstützung; insbesondere aber förderte herr hofrat prof. dr. Eich. Heinz el die arbeit durch wertvolle winke.

Es ist mir ein bedürfnis, den genannten lierren auch an dieser stelle meinen verbindlichsten dank zu sagen.

A) Erscheliuingen aus der lautlelire.

I. Vocalismus.

§ 1. Bindungen verschiedener vocalischer quantität.

Rudolf von Ems meidet aufs ängstlichste, vocale ver- schiedener quantität in den reim zu setzen: a wird mit a, d : ä, e : e, e : e u. s. w. gebunden. Dass die eine ausnähme, die hierin begegnet, az : apläz B. 173, 31, eine scheinbare ist und eine grammatische erklärung fordert, hat schon Zwierzina (Mhd. Studien, Zs. fda. 44, 12 ff., bes. 18) gesehen, und gezeigt, dass neben dem aus dem alid. übernommenen prät. äz schon früh,

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sogar schon in alid. zeit selbst, sich ein praet. mit kürze des vocals, äz, in analog'ie zu sas, vergas, mas n. dgl. gebildet hat. Unser dichter steht hier auf dem Standpunkt des altertüm- licheren äs, das er niemals mit kürzen reimt. Seine bindungen in dieser kategorie sind

saz : vergaz G.i) 443. 2009. 5967. B. 8, 21. 140, 15. 218, 33. : Jaz G. 3683. B. 205, 28. : naz G. 3757. : daz G. 4955. 5767. 6045. B. 53, 29. 170, 21. 230, 27.

daz : haz G. 583. 3173. B. 17, 35. 29, 3. 35, 27. 44, 35. 143, 19. 167, 19. 181, 17. 211, 37. : haz G. 825. 1217. 1377. 2197. 4231. 4561. 5041. 5589. 6503; 6875. B. 37, 29. 64, 3. 87, 27. 114, 31. 137, 17. 142, 11. 145, 5. 170, 9. 210, 15. 216, 5. 222, 31. 251, 35. 284, 33. 293, 27. 296, 9. 297, 21. 367, 7. : laz G. 1081. 4157. B. 185, 33. 242, 13. 292, 17. 299, 17. : waz G. 1713. 3801. 6307. 6481. B. 32, 29. 139, 23. 183, 29. : vergaz B. 14, 27. 88, 9. 190, 29. : vaz B. 78, 3. 98, 9. 325, 15.

haz : haz G. 623. 2797. 3199. B. 18, 29. 19, 37. 112, 17. 246, 21. : xcaz G. 855. : vergaz G. 1047. 1049. : enisaz B. 37, 9. 203, 27. 225, 1. 278, 31.

haz : loaz G. 967. 4255. 6635. B. 80, 11. 371, 13. : maz G. 1263.

: vergaz G. 4565. B. 261, 3. : vaz B. 47, 35. : saz B. 76, 29. 225, 13.

: laz B.. 179, 35. 364,11.

vergaz : naz G. 3207. : gemaz G. 3561. : vaz B. 91, 39. laz : vaz B. 320, 37. 325, 11. Summe 103 biudimgen.

Ebenso strenge reimen nun auch die längen; zwar kommt die lautverbindung -äs : -äs an sich im reime nicht vor (ebenso wie bei Hartmann, vgl. Zwierzina a.a.O. 44, 19), wol aber -äse, -äsen, und zwar in folgenden fällen:

mäze : ivaze B. 48, 23. : sträze B. 56, 33. 136, 1. : läze B. 127, 17. 388, 27.

säzen : gäzen G. 717. : rergäzen G. 5479. mäzen : sträzen G. 2647. : läzen G. 6385. läzen : vergäzen G. 2759. 3669. B. 53, 31. Summe 12 fälle.

Es wird also an der bezeichneten stelle äs : apläs gegen Pfeiffers Schreibung anzusetzen sein. Wenn der dichter das wort nicht öfter als einmal reimt, so ist, wie Zwierzina a. a. o. bemerkt, der mangel eines passenden reimwortes der grund hierzu, denn mit ms, das, has, was konnte er es nach seiner ausspräche nicht binden. Zwierzina hat auch noch eine andere

') G. bedeutet in der vorliegenden Untersuchung den guten Gerbart (ed. Haupt 1840), B. = Barlaam und Josapliat (ed. Pfeiffer 1843). Ändere abkürzungen habe ich nicht gebraucht.

ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V. EMS. 449

bindung-, die die länge dieser präteritalform bezeugt, ans der Weltclironik beigebracht, nämlicli äs : miäerläz (Zs. des Ferdi- nandeums 3, 42, 3). Dies bestätigt das obige resiütat aiicli für die späteren dichtungen Rudolfs.

Der zweite fall einer bindung verschiedener vocalischer quantität ist angeblich hin : sclitn G. 4931. Schon Haupt fand dic:'3n reim dem sonstigen gebrauche Rudolfs widerstrebend und vermutete, dass nach vers 4931 ein reimpaar ausgefallen sei. Auch bei i reimt der dichter, wie zu erwarten, nur kürzen und längen unter einander. Es erscheinen in G. und B. für die kürze sin : in : hin : hin : gcicin : drin (tribus) : Iceiserin : Jdincgin 9 : Icgiii : Scraphin : Cheruhin 186 mal und für die länge stn : schtn : din : min : ptn : h'inegm : Bin : -Im : Jici- serin : haldekin : sidhi : hilgerin : hermtn : ruhtn : güldin : schrin : hülsin : hwrin : durntn : viurin : sivtn : nmUtn : Sängerin : silherm 442 mal gereimt. Ebenso strenge und aus- nahmslos bindet der dichter unter einander 4s, -U u.s.w. Diese Übereinstimmung hat den genannten reim hin : schin G. 4931 verdächtig gemacht und Zwierzina (a.a.O. s. 11, excurs) veranlasst, Rudolf facultativ unreine reime von i : i vor n (auf die von Zw. gleichfalls herbeigezogene bindung o : 6 vor rt komme ich gleich zu sprechen) zuzugestehen; er stützt sich dabei auf seine beobachtung, dass Rudolf fem. auf -innc auch in der form -in liebt, die Verkürzung auf -in aber meidet; von den (auf s. 475 f. näher besprochenen) zwei stellen wird in der tat die eine (G. 5107) nach dem vorschlage Lachmanns zu emendieren sein, die andere (G. 161) bleibt aber als kurzform bestehen, obwol Zwierzina hierin einen (zweiten) unreinen reim sehen will. Dem kann ich nicht zustimmen, denn erstens: ist für Rudolf wirklich (wenn auch nur in seinem erstlingswerk) ungenaue quantität des vocals i im reime zulässig, so ist nicht einzusehen, warum er bei einem so reichen reimt3'pus (vgl. die vorhin genannten Ziffern) nicht öfter kürze mit länge bindet, vielmehr beide so strenge auseinander hält. Und zweitens gebe ich zu bedenken, dass die einzige stelle, auf die man sich bei einer solchen annähme sporadischer Unreinheit stützen

^) Ob diese beiden letzteren mit -\n oder -in anzusetzen, darüber vgl. s. 475 ff.

450 JUNK

könnte, hin : schin G. 4931 (denn h'incgin : in G. 161 nehme ich für die kürze in anspruch), gerade in der schlechten hs. B (aus dem ende des 15. jh.'s) überliefert ist. Drittens darf ich wol auch auf die parallele mit Hartmann (s. s. 476) hinweisen, zu dem unser dichter, wie öfter, auch hier stimmt.

Ich möchte darum noch immer eher mit Haupt eine lücke annehmen und verweise auf die Vorliebe unseres dichters, auf ein reimpaar mit kurzem vocal eines mit demselben aber langen vocal folgen zu lassen. Darin liegt ja bekanntlich eine besondere eigentümlichkeit der Kudolfischen reimkunst. Solche fälle hat Doberentz aus dem von ihm (Zs. fdph. bd. 12 und 13) mitgeteilten und eingehend erörterten geographischen abschnitte der AVeit chronik zusammengestellt'): Geogr. 667 70 gebar : schar, fürivär :jär] 763—66 genant : lant, haut: hcgänt] 1115 18 Jiänt : hegänt, lant : genant. In den hier betrachteten gedichten Eudolfs finde ich dergleichen im G. 14 mal beim vocal a, z. b. ß. 553 56. 1173 76 u. s.w., und 4 mal beim vocal ?■; diese letzteren fälle sind: G. 3271 74 in : sin, min : sin; 4045 48 sin : hin, sin : schtn\ 6285 88 gewin : in, min : sin und umgekehrt G. 3815 18 sin : hilgerin, in : hin. Im B. findet sich dergleichen ebenfalls.

Dadurch wird ein abirren des auges für den Schreiber, da ja die länge und kürze des vocals in den hss. meist nicht bezeichnet ist, leicht begreiflich.

Auch beim vocal o reimt Rudolf nur kürze auf kürze und länge auf länge. In der Verbindung -ort- erscheint jedoch ein ausnahmsfall, nämlich hörten : Worten B. 253, 17 bei überein- stimmender Überlieferung.

Ich gebe wider zur übersieht zuerst die bindungen für -ort, und zwar reimen

ivort : dort G. 251. 2533. 5743. G083. B. 6, 1. 63, 37. 6G, 13. 68, 21. 71,25. 77,5. 81,23. 115,7. 174,11. 186,35. 214,39. 218,35. 229,29. 230,11.

*) Allerdings unter einem unrichtigen gesichtspunkte : es ist kein 'gehäufter reim' in dem sinne, Avie die vielen 'vierreime' bei Rudolf, oder wie die auch durch das akrostichon verbundenen sieben reime auf -ich am sclilusse des Barlaam (405, 11 und ff.) oder die sich unmittelbar daran an- sclilicssendeu sieben reime auf -öt B. 406, (!— 12, ferner die acht letzten verse auf -an des Gerb., die ersten vier auf -aft der Weltchr., vers5— 8 auf -eit daselbst ; sondern es sind zwei aneinander gefügte reimpaare verschiedener quantität: das charakteristische liegt bloss im gleichklaug.

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ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V. EMS. 451

277,31. 328,33. 330,29. 333,5. 340,33. 341,15. 346,35. 364,15. 368,9. 376, 21. 395, 3. : ort G. 281. 287. B. 1, 19. 180, 11. 210, 5. 320, 11. 322, 29. 328, 7. 331, 3. 338, 23. 352, 21. : hört G. 375. 2169. 2333. 6819. B. 3, 17. 25, 17. 38, 29. 40, 7. 41, 23. 73, 13. 78, 23. 80, 21. 104, 23. 125, 25. 135, 3. 157, 11. 297, 3. 376, 27. : bekort G. 2347. B. 137, 5. : durch- bort B. 79, 5.

dort : hoH G. 1645. B. 126, 5. 133, 11. 147, 35. 362, 27.

mort : hört B. 267, 3 und ort : dort B. 315, 33.

Was das ö betrifft, so ist dieses selbst in Verbindung mit r im reime gar niclit vertreten, nur der umlaut desselben er- scheint 2 mal im reime, und zwar hcere : stocre B. 136, 25 und erhceret : serstceret B. 204, 35.

Um so auffälliger ist der eingangs erwähnte reim hörten : icorten B. 253, 17. Für die merkwürdige tatsache, dass ein so peinlich genauer reimer, wie Eudolf einer ist, neben 68 übereinstimmenden fällen für kurz -ort doch einmal auch ver- schiedene quantität bindet, wüsste ich zweierlei erklärung. Entweder müssen wir, nach diesem reime zu urteilen, in der lautverbindung -ort überhaupt eine längung in der ausspräche, etwa dem dialekt des dichters angehörig, annehmen, die nur nicht so stark gewesen sein dürfte, dass sie consequent durch- geführt worden wäre; denn hätte der dichter consequent -ort gesprochen, also auch u-ört, dort, ort u.s.w., so hätte er sich ein so bequemes reimwort wie praet. hörte, hörten wol kaum entgehen lassen, da er es dann mit Worten u.s.w. ohne anstand hätte binden können. Das tut er aber nicht, der typus -orte, -orten ist mit ausnähme des fraglichen falles überhaupt gar nicht vertreten; daraus folgt klärlich, dass die möglichkeit einer uneingeschräukten bindung zwischen kurz und lang -ort nicht absolut angenommen werden kann; es hat vielleicht nur ein ansatz zur dehnung des o in dieser lautverbindung be- standen, dem sich Rudolf an jener stelle nicht entziehen konnte, dem er aber sonst aus dem wege geht, indem er beciueme reimwörter, Avie hörte, dabei opferte. Mit dieser erklärung lässt sich die zweite in eiiiklang bringen, die darin bestünde, mit Edw. Schröder (vgl. 0. Kraus, Veldeke s. 125, anm.) die dehnung nur für die mehrsilbigen formen anzunehmen, wäh- rend für die einsilbigen die kürze gew^ahrt bliebe; denn es fällt ja auf, dass jene oben angefülirten Q^ übereinstimmenden bindungen für die kürze nur einsilbige reimformen zeigen, der

452 JUNK

ausnahmsfall B. 253, 17 aber zwei mehrsilbige worte mit einander bindet. Es wäre demnach jener ansatz zur längung- der lant- verbindung -ort in den mehrsilbigen formen vorausgegangen und so weit gediehen, dass Eudolf es wagen konnte, es sogar einmal in den reim zu setzen; in den einsilbigen formen war die kürze noch ungefährdet geblieben. Dass bei dieser er- klärung die zeitliche distanz zwischen Yeldeke und Eudolf keine beachtung fand, scheint mir kein hindernis, stützt sich ja auch Schröder bei seiner ausführung (vgl. Kraus a. a. o.) auf gegenwärtig gesprochene rheinfränkische mundarten. Es wäre also für den dialekt Rudolfs eine ähnliche neigung, das 0 vor rt in mehrsilbigen Wörtern zu längen, vorhanden ge- wesen;') sie gieng aber nicht so weit, dass der dichter sie ohne anstand hätte in den reim setzen können, und so erklärt sich die vereinzelte bindung hörten : u-orten am ungezwungensten.

§2. Brechungs- und umlauts-e.

Dieses capitel zeigt die peinlichste genauigkeit unseres alemannischen dichters nicht nur in bezug auf die quantität, sondern auch auf die qualität in den c- reimen. Vgl. hierzu Zwierzina, Zs. fda. 44, 292. Rudolf kann hierin geradezu als ein muster der exactheit hingestellt werden.

Um in diesem abschnitte nicht allzu ausführlich zu werden und die Übersichtlichkeit zu verlieren, beschränke ich mich bei der Vorführung des reimmaterials auf das notwendigste und gebe dort, wo viele bindungen eines und desselben Stammes in mehreren formen vorkommen, nur die zahl derselben im con- texte, die fälle selbst in den fussnoten für den nachprüfenden, wenn sie nicht in anderem zusammenhange aufgeführt sind, wo dann darauf verwiesen wird.

Der reimtypus -EB- bietet zahlreiche bindungen für e, und zwar reimt Rudolf

stamm lebe : gebe in verschiedenen formen 236 mal, 2) stamm

1) Ueber ähnliche, meist gleichfalls mehrsilbige Wörter betreifeude bindnugen bei anderen Alemannen vgl. Zwierzina, Zs. fda. ii, 11 (excurs).

2) Die fülle sind: lebe : <ßhe G. 3175. 3195. B. 34,33. 120,23. 147,17. 179,7. 187,1. 281,7. 336,17. 388,33.

Uhen : gehen (und gegeben) G. 271. 383. 405. 1549. 1717. 1851. 2175. 2191. 2489. 2553. 2581. 2747. 2783. 3015. 3031. 3083. 3147. 3159. 3197.

ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V. EMS. 453

Iche : sicehe 9 maV) ausserdem die bindimgen leben : streben G. 2687. B. 134, 33, lebende : ividerstrebende B. 269, 29, lebet : strebet B. 9, 25. 242, 15. 382, 21, lebete : strebete B. 314, 19. Endlich gehört hierher geben : siveben G. 2455. Zusammen 253 sichere fälle e : c.

Dazu kommt ein fall swebel : ncbel B. 313, 17; diese bindung ist qualitativ ganz regulär, denn das fremde e des lat. nebula wird regelmässig (Weinhold, Mhd. gr. § 40. Mhd. wb. 1, 407 und 2, 327) als brechungs-e behandelt.

Der typus -EC- bringt neben u-i'c : vlec B. 70, 5. 377,9 auch einen fall mit umlauts-c, nämlich erscheclet : üfgewecJcet B. 178, 29.

Tj^pus -ECU- bringt die bindungen brechen : stechen B. 113, 15, sprechen : rechen B. 214, 17. 274, 17, sprechest : rechest B. 296, 3.

3481. 3953. 40G3. 4087. 4437. 4451. 4681. 4821. 5111. 5583. 5593. 5773. 5811. C009. 6117. 6341. 6351. 6545. 6557. B. 2, 13. 3, 11. 3, 33. 6, 3. 8, 13. 11,11. 15,29. 21,1. 23,39. 29,15. 31,3. 33,37. 35,17. 45,13. 52,37. 55,19. 63, 5. 65, 13. 70, 27. 76, 37. 78, 37. 82, 31. 83, 35. 84, 11. 86, 3. 87, 37. 90, 1. 94,1. 94,9. 94,25. 97,35. 99,13. 99,31. 101,25. 101,35. 105,1. 108,37. 112,35. 113,23. 113,33. 115,3. 116,19. 119,17. 120,13. 127,5. 133,29. 138,35. 139,11. 141,1. 141,7. 141,33. 142,5. 143,15. 144,33. 148,31. 150,3. 151,3. 151,27. 156,1. 157,29. 158,23. 158,27. 159,3. 159,11. 162,25. 164,7. 166,1. 167,35. 170,25. 170,37. 173,17. 173,33. 174,5. 174,37. 175,21. 177,17. 180,15. 181,23. 183,3. 185,13. 186,13. 193,27. 197,15. 197,39. 198,3. 199,13. 202,27. 203,21. 206,19. 206,37. 209,11. 209,25. 209,37. 210,3. 211,15. 213,33. 214,7. 217,35. 220,7. 220,25. 221,7. 221,21. 222,7. 231,29. 233,3. 234,33. 242,33. 243,7. 244,33. 247,25. 254,19. 256,3. 258,1. 259,29. 260,19. 261,19. 261,31. 262,21. 268,13. 270,3. 270,31. 271,11. 272,29. 274,19. 274,31. 275,9. 275,33. 276, 3. 279, 3. 279, 19. 281, 5. 285, 19. 286, 17. 303, 21. 303, 39. 314, 1. 314,11. 315,31. 318,29. 318,39. 322,11. 323,33. 324,29. 326,27. 326,37. 335,21. 336,23. 341,19. 342,23. 344,9. 345,7. 345,37. 349,1- 354,9. 355,37. 359,3. 360,33. 362,3. 364,9. 370,37. 371,9. 374,39. 377,37. 379,35. 380,21. 380,39. 382,29. 387,21. 389,23. 390,3. 392,23. 394,15. 394,23. 396,29. 399, 21. 102, 3. 402, 39. 404, 27.

lebende : gebende B. 50, 21.

lebent : (ßbent B. 231, 13. 232, 31. 236, 19. 319, 15.

lebest : gebest B. 168,11. 279,31. 366,15. 372,37.

lebet : (jebet B. 321, 3.

^) In folgenden bindungen: lebe : sivebe B. 29,1, leben : siveben B. 137,25, lebent : sivebent B. 141, 9, lebet : sivebet G. 269. 385. B. 1, 29. 234, 17. 238, 7. 247, 17.

454 JUNK

Tj'pus -EG-. Von e erscheinen im reim:

tvege (subst.) : pJdecje Cl. 1897. 2603. 2617. 5207. 6579. B. 30, 13. 36, 9. 146, 17. 195, 1. 252, 29. 264, 15. 286, 25. 343, 1.

tvege (conj.) : jj/i%e B. 27, 25.

wegen (inf. und part. von ich wige) : phlegen {gephlegen) G. 4141. 4661. B. 23,17. 102,37. 120,25. 156,35. 235,7. 237,21. 266,7. 301,17. —■.gelegen B. 217, 17.

gewegen : segen G. 333. : (legen G. 6181.

phlegen (gephlegen) : segen G. 1887. 4419. B. 160, 31. 253, 21. 339, 7. 368, 13. : gelegen G. 2125. 2725. 5635. : diigen G. 5363. B. 181, 27. 220, 21. 246, 27. 261, 7. 337, 25. 343, 15. 356, 7. 363, 21. 368, 19. : siegen B. di, 27.

segen : regen (subst.) B. 160, 7. - : degen B. 19, 33. 317, 15. 375, 37. 384, 11.

segene : degene G. 2531. 3603. B. 282, 35.

phlegent : ivegent B. 245, 33. 271, 15.

Dagegen müssen wir die beiden in dieser kategorie auf- tretenden inf. wegen : regen B. 240, 19 als transitiva zu ich tvigc und ich rige auffassen und also mit umlauts-e ansetzen; ich wege (Mild. wb. 3, 642 b) = ich mache wagen, sowie später B. 307, 33 si wegete sin gemüete, offenbar also hier ich rege = ich mache ragen] das wb. bietet freilich hierfür keine ausreichende er- klärung (wol weil es ich rege 2.1,609 a und ich rage 2,1,548 getrennt behandelt) und keine belege.

Typus -EH-. Ich fasse wider zusammen: stamm sehe : spehe 13 mal,') stamm sehe : (ge)schehe 36 mal, 2) stamm sehe :jehe 34 mal, 3) ferner stamm jehe : S2)ehe 4 mal,^) stamm jehe : geschehe 22 mal,''') ausserdem gehören hierher die einzelnen

•) Die fälle sind : sehe : spehe G. 1929. (ge)sehen : spehcn G. 753. 1251. 1485. 1577. 3893. 3989. 5277. B. 48, 7. 48, 35. 55, 7. 80, 27. 376, 17.

«) sehe : geschehe B. 103, 35. 108, 7. 166, 31. 383, 9- (ge)schen : geschehen G. 1401. 1769. 1975. 2149. 2735. 2955. 2985. 3045. 3115. 3535. 4459. 5667. 5843. 6039. 6519. B. 27, 35. 29,23. 31,31. 38,3. 44,37. 72,35. 84,25. 84,35. 85,5. 92, .3. 98,15. 207,5. 294,1. 301,35. 314,39. 334,11. 381,15.

3) scheijehe B. 152, 37. 177, 1. 217, 19. (ge)sehen :jehen G. 1597. 1711. 2995. 3397. B. 20, 25. 38, 39. 39, 7- 51, 7. 70, 1. 79, 39. 130, 17. 141, 23. 151,39. 152,5. 152,13. 152,29. 182,3. 192,15. 226,21. 261,5. 268,19. 291,21.292,33.326,9. 347,15. sehende : jehende B. 22, 33. sehent : jehent G. 921. 3023. B. 270, 21. 288, 19. versehest ijehest B. 279, 21.

*) jiihe : spehe G. 6871. jehen : spehcn G. 1051. B. 223,5. jehent : sp'ehent G. 31.

'") jehen : geschehen G. 3. 925. 993. 2063. 3389. 3803. 3861. 4125. 5385. B. 31,23. 157,23. 170,31. 188,33. 206,1. 210,37. 212,11. 219,31. 270,39. 295, 19. 295, 31. 325, 19. 335, 33. 404, 37.

ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V. EMS. 455

binduiig-en gescheiten : S2yehen G. 903. 4143. 4299, hrehen : speJien G. 1683, hrehen : {ge)sehen G. 5057. 6365. B. 62,29; und jehen : hrehen G. 5925.

So wie der eben besprochene zeigt auch der folgende typus -EHT- nur e unter einander gereimt; die fälle sind, übersichtlich geordnet, die folgenden:

reht : sieht G. 2857. 3483. 5803. B. 94, 13. 103, 33. 233, 39. 2G7, 21. 343,33. 372,17. : kneht G. 3153. 33G9. 3555. 3929. 5785. B. 101,17. 204, 17. 280, 23. 319, 31. 335, 39. 343, 13. 3G2. 9.

sieht: kneht B. 18, 2 L.

rehte : kneJite G. 3549. B. 36, 35. 114, 37. 159, 21. 343, 23. 360, 9.

Niemals erscheint ein reim des jüngeren umlauts ä auf e, wie dies andere dichter gerade vor ht nicht selten zeigen {geslähte : rehte), vgl. Zwierzina, Zs. fda. 44, 295 ff.

Typus -EL, -ELLE, -ELT gibt belege für beide e. Zu- nächst die e; da reimen

sml : hei G. 513. spei : S)iel B. 11, 25. sniil : hl^^el B. 119, 5. velt : (je- zelt (siibst.) G. 5279. 5869. 5887. 5931. 5997. ivät (subst.) : (jezelt B. 67, 39. icelt (subst.) : gät B. 96, 21. 130, 3. (jezelt (subst.) : (ßlt B. 133, 25. velt : gHt B. 310, 7.

Ferner ein fall mit umlauts-e, nämlich geselle : helle (subst.) B. 308, 23.

Dann aber gehören hierher die nur mit umlauts-e gebun- denen formen von wellen, iveln, und zwar

welle (conj.) : geselle B. 123, 17. - : helle B. 249, 25. 257, 11. ivelt (2. pl.) : gezelt (part.) G. 1393. B. 69, 23.

Durch diese reime eines so genau unterscheidenden dichters wird die qualität des e in den präsensformen von tvellen als die des geschlossenen, umlauts-e, neuerdings unterstützt (Braune, Ahd.gr. § 385 a. 3).

Typus -EM- bringt nur e, und zwar stamm wme : ^re^me in 23 bindungen.')

Typus -ENB- zeigt andrerseits nur umlauts-e, mit einander gereimt, und zwar

') Die fälle sind: neme : gezime G. 2123. 3061. 4233. 6157. 6483. B. 152, 1. 228, 35. 335, 19.

nemen : gezemen G. 1059. 3321. 4401. B. 149, 17. 153, 3. 167, 1. 183,27. 247, 37. 254, 15. 272, 27. 339, 19. 342, 35. 350, 21. 365, 35.

nemest : gez'emest B. 367, 13.

456 jüNK

ende (subst.) : missewcndc (subst.) G. 15. 1893. B. 1, 9. 78, 21. 270, 33. : hende B. 45, 31. 74, 7. 391, 9. : vrstende B. 94, 19. 96, 15. 99, 1. 170, 17. 207, 33. 209, 31. 270, 7. : eilende B. 129, 11. 211, 19. 359, 27. Ferner verende (conj.) : ejesende (couj.) G. 2791. sende (conj.) : eilende G. 6913. eilende : hende G. 3731.

wenden : enden (inf.) G. 1209. 2013. B. 23, 5. olbenden : enden (dat. pl.) G. 1295. enden (dat. pl.) : lendcn (iiif. 'landen') G. 2643. senden : ver- enden B. 4, 7. sioenden : senden B. 133, 35. sehenden : blenden B. 284, 1. sicendet : verendet B. 81, 11. 102, 39.

Typus -JENE enthält nur den reim ^cne -.jene B. 88, 33, wodurch die geschlossene, hohe ausspräche des e im demonstrat. jmcr, die Grimm (DWb. 4, 2, 2304 f.) hier als einen ausnahms- fall von der gewöhnlichen mhd. ausspräche als 'tiefes e' be- trachtet wissen wollte, ebenso bestätigt wird, wie durch die Schreibungen gcmer, i) gJticner, gincr (Weinhold, AI. gr. s. 292. Mhd. gr. § 47 und 488). Braune, Ahd. gr. § 289 a. 1.

Die folgenden typen -ENG-, -ENK-, -ENN-, -ENI- bringen natürlich nur umlauts-e im reime auf einander. Es sind die fälle

lenge : enge B. 10, 31. 136, 3. strenge : lenge B. 386, 29. strenger : lenger B. 396, 25.

senke : gedenke G. 1565. krenken : heswenken G. 2061. krenken : senken G. 3365. schenken : bedenken G. 3689. gedenken : {ent)wenken G. 4367. B. 199, 15. krenken : bedenken B. 262, 27. gedenkest : trcnkest B. 350, 37. {ver)krenket : gedenket G. 2701. 6227. verkrenket : versenket B. 39, 23. ver- krenket : entwenket B. 300, 19.

nenne : erkenne G. 361. nennen : kennen B. 50, 9. 62, 11. 99, 23. 130, 11. 142, 37. 197, 17. enbrennen : erkennen B. 351, 17. nennent : erkennent B. 257, 33. nennest : erkennest G. 2097. nennet : erkennet G. 6607. enbrennet : erkennet B. 348, 21.

versent (part.) : geicent G. 5007. sente (praet.) : icente (praet. von uwnen) G. 4841.

Typus -Eli zeigt bei ungefähr gleich vielen reimen von e : e und e : c die deutlichste trennung. Zu bemerken ist, dass auch Hartmann und Wolfram gerade vor r die beiden e strenge auseinander halten. 2) Zunächst die e.

her (Imc) : ger (subst.) G. 679. 2663. 3309. B. 21,37. : ger (Lsg.) G. 1099. 2139. B. 166, 15. : iver? G. 1361. : der G. 4187. 5645. :cr G. 4193. 4241. B. 27,33. 44,1. 86,37. 180,23. 190,21. 193,13. 216,17.

1) Dieses ei in geiner darf nicbt ((irimm a. a. 0.) als diphthong an- gesehen werden, sondern ist nur ein versuch, den hohen, dem / sich nähern- den klang dieses 'geschlossenen f' graphisch anzudeuten.

2) Vgl. Zwierzina, Beiiugebrauch Hartnianus und \^'olfralus (Festgabe iür Heinzel) 1898, s. 476.

ZUM RELMGEBKAUCH RUDOLFS V. EMS. 457

g?r (subst.) : er G. 1019. 1155. B. 40, 9. 290, 35. : fjewer (3. conj.) G. 1031.

ger (1. sg.) : iver (3. conj.) G. 2363. : er B. 304, 23. ger (3. conj.) : er G. 6845. : enher (3. conj.) B. 398, 5. er : der B. 59. 31.

Lat. eigennamen werden aiicli hier mit e gebunden,') und zwar

Jupiter : genfer (3. conj.) Gr. 2557. : gov'er (subst.) B. 244, 13. : er B. 250, 5. Lucifer : er B. 51, 27. : geiver (subst.) B. 52, 21.

Strenge getrennt von diesen bindungen ersclieinen die um- lauts-e in den reimen

mer (mare) : iver (subst.) G. 1273. 2605. 5173. B. 235, 5. 235, 11. 249, 11. 25G, 29. 262, 15. 264, 23. : her (got. harjis) G. 2457. 2565. 2671. 3305. 3917. 3939. 3947. 5259. 5435. 5441. 5827. 5881. 6583. B. 56, 31. 57, 3. 264, 11. : ber (3. conj.) B. 240, 13.

iver (subst.) : her (subst.) B. 7, 11. 60, 1. 61, 15. 398, 13.

Die reimtypen -EBB-, -ERC, -ERB-, -ERN midi -ERR- bringen nur e in folgenden fällen:

sterbe : verderbe B. 35, 19. : werbe B. 214, 5. 230, 39. 332, 31.

sterben : verderben G. 4067. B. 8, 11. 31, 19. 34, 7. 34, 35. 220, 13. 221, 23. 226, 9. 303, 23. : loerben B. 34, 27. 221, 31. 358, 19. erwerben : verderben B. 133, 21.

iverc : berc B. 91, 23.

erde : iverde (subst. und adj.) G. 373. 4335. B. 26, 11. 27, 29. 42, 19. 51, 21. 66, 27. 81, 27. 83, 37. 95, 3. 209, 13. 233, 9. 233, 37. 238, 21. 275, 25. 328, 11. 328, 39. 339, 13. 400, 21. : tverde (3. conj.) B. 29, 11. 34, 37. 224, 3. 309, 29. 389, 17.

gern (inf.) : enbern G. 681. 6447. B. 298, 9. : gebern B. 65, 31.

: geivern B. 179, 5. 284, 39. {tn)bern : (ent-)wern G. 975. B. 111, 5. : Sehern (inf.) G. 4161.

gerne (adv.) : gelerne B. 43, 13. 111, 29. 145, 7. gernest : 'ernest B. 19, 11. 149, 21. gernt : wernt G. 2745.

herre : verre (adj. und adv.) G. 1365. 1943. 2089. B. 13, 7. 28, 11. 97, 19. 105, 21. 108, 21. 205, 7. 338, 9. 380, 13. : iverre (conj.) G. 3285. B. 19, 5, •144, 13. 189, 23. : verre (3. conj.) G. 5163. herren : icerren G. 1387. 4145. 5831. B. 201, 1. : verren (inf.) G. 1587.

Typus -ERT. Neben vielen e-reimen auch einige e, doch immer streng von einander geschieden.

gm : wert (3. sg.) G. 595. 1033. 1427. B. 16, 23. 89, 9. 275, 37. 315, 23.

: gewert (part.) G. 1723. 6173. 6237. B. 350, 33. 358, 9. 395, 35. : wert (subst. und adj.) G. 1945. 3163. 3165. 6903. B. 48, 1. 115,27. 137,29. 143,13. 143,23. 184,5. 220,23. 234,11. 243,27. 273,11. 291,11. 297,1. 319,9.

0 S. § 16 'eigennamen'.

Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVII. 30

458 JUNK

321, 23. 338, 13. 376, 11. gegert : ivert (adj.) G. 3431. 5911. 6075. B. 64, 7.

: geivirt B. 85, 33. 289, 27. 299, 19. 305, 29. 351, 25. 387, 11. : wert (3. sg.) B. 167, 11. stoert : wert (adj.) G. 3371. 3403. 3591. 3601. B. 168, 23. 361, 19. : geivert G. 4907. 4921. 4945.

Davon strenge getrennt die binduugen mit e:

vert : verzert (3. sg. und part.) G. 45. B. 112, 31. 213, 25. : beschert (part.) B. 136, 9. 221, 33. 239, 7. 240, 11. 314, 3. beschert : verzert G. 4117. icert (3. sg. alid. werju) : hert (3. sg. ahd. harjöm) G. 5151. : beschert (part.) B. 147,39. erwert (part.) : beschert B. 166,35. 203,19.

Sodann die reime:

{gebeerte : gerte G. 489. 1043. 1045. 1475. 4967. B. 62, 1. 187, 19. 277, 11. 308, 5. 318, 27. 336, 7 und loerien : gerten (3. pl.) B. 299, 29.

Aucli liier getrennt die reime mit e:

nerte : herte (subst.) B. 57, 11. tverte (praet. abd. 7cerju) : nerte B. 61, 31. 107, 23. beherte (praet.) : icerte B. 330, 19. gcnerte : herte (adj.) B. 396, 23.

Ty])i\s -EBZ- hat nur die beiden e-hmdnngen herze :snier^e B. 156, 39, herzen : smerzen G. 4825.

Der folgende typus -ES bringt wider die offene aus- spräche des fremden e in lat.eigennamen:i?ercwZe5: f?e5B.251,39. 255, 3; ferner reimen unter einander Ädönides : Änchises B. 259, 37 ; i) dies zugleich die einzigen bindungen dieser reim- kategorie. Dann reimen

lese : ivese B. 5, 17. 403, 17 und wese : genese B. 96, 37. 179, 9 ; endlicb (ge)wesen : genesen (inf. und part.) G. 2957. 3985. 4103. B. 34, 11. 102, 17. 106,9. 111,17. 113,35. 121,7. 128,23. 157,33. 158,29. 164,9. 167,5. 172,35. 178,35. 184,7. 198,23. 203,31. 210,23. 229,23. 230,35. 230,37. 234,27. 245,7. 264,33. 277,1. 311,9. 315,7. 357,5. 365,33. 376,33. 395,37; und

: (ge)lesen G. 6847. B. 5, 23. 24, 39. 32, 19. 115, 31. 172, 17. 180, 1. 185, 7. 266, 37. 267, 27. 340, 15. 380, 11.

Typus -EST- zeigt nur umlauts-e, und zwar:

geste : veste (adj.) G. 5759. B. 114, 9. veste (subst. und adj.) : beste B. 18,31. 81,7. 101,37. 162,35. 244,17. 372,27. besten : gcslen (int) Q. 97. 3421. B. 217, 5. gesten (inf.) : vesten (adj.) G. 659. besten : gcsten (dat. p].) G. 1441. vesten (adj.) : gesten (dat. pl.) G. 4979.

Typus -ET bringt die reime

gebet : tet G. 229. 485. 493. 959. B. 7, 21. 57, 19. 72, 1. 146, 27. 186, 7. 187,15. 187,37. 204,31. 302,3. 316,29. 345,35. 349,21. 356,17. 370,35. 375, 39. 377, 15. 386, 1. 386, 15. 392, 29. 398, 25. feie : (ge)bete G. 1027. B. 169, 3. 336, 13. zertreten : entweten B. 167,27.

') S. § 16 'eigennamen im reim'.

ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V. EMS. 459

Tj^pus -ETZ- bringt 3 fälle mit umlauts-e, nämlich

setzen : lelzen B. 113, 19. ergeizet : gesetzet G. 4051. entsetzet : geletzet B. 316, 19.

Typus -EZZ- endlich enthält nur brechungs-e:

(ge-, he-)sezzen : vergezzen G. 683. 3517. 4535. B. 98, 19. 160, 27. ezzen : vergezzen G. 711. B. 104, 39. 249, 31. : hesezzen B. 29, 19. : gemezzen B, 234, 21.

Aus den hiermit sämmtlich angeführten reimen des vocals e ergibt sich für Rudolf von Ems die ausnahmslose regel, nur e : c und e : e im reime zu binden.

§ 8, Unterbleiben des umlauts von u.

Hier kommen zunächst die conj. praet. der starken verba in betracht, dann die abstracten fem. der i-declination. Was die ersteren anbelangt, so zeigt sich in den meisten fällen trotz der geringen anzahl der vorhandenen reimbindungen ein ganz feststehendes resultat im verhalten des dicht ers in bezug auf umgelautete und unumgelautete formen des conj. praet.

Ich beginne mit dem reimtypus -UND- und führe vorerst zur beurteilung der reimmöglichkeiten die fälle ohne conj. praet. in übersichtlicher Zusammenstellung an und lasse darauf die conj. folgen. Rudolf reimt ohne umlaut:

stunde : munde G. 721. B. 117, 33. 228, 25. : künde (iad. und conj.)i) G. 895. B. 10, 25. 43, 1. : begmide (ind.) G. 1221. B. 12, 13. htnde (ind.) : munde G. 2321. 6185. : gründe G. 6361. hunde : begunde (ind.) B. 265, 11.

funden (part.) : gebunden G. 1,939. : überwunden G. 4027. : u-unden (adj.) B. 13, 27. : stunden B. 37, 5. 80, 17. 109, 39. 134, 23. 204, 39. 219, 33. 224, 25. 313, 31. 369, 15. funden (ind.) : Mnden (ind.) B. 242, 39.

gesunden (adj.) : cnbunden (part.) G. 49, 17. : stunden B. 32, 37.

künden (ind.) : nnderwunden (ind.) G. 5801. : stunden B. 6, 9.

stunden •.gebimdenB.2S,Q9. 136,19. —-.funden (ind.) G. 4469. B. 231, 15. 329, 23. : begmulen (ind.) B. 53, 5. : künden B. 256, 7. : überwunden (part.) B. 261, 29. 291, 25. 309, 1. 331, 27. : nächkunden B. 327, 5.

überwi(ndcu (part.) : künden B. 228, 31. : begunden (ind.) B. 277, 19.

Dem stehen gegenüber die folgenden fälle mit sicherem umlaut:

(ur-,un-) künde (subst.) : nde G. Ibl. B. 69, 25. 101,23. 106,17. 133, 33. 174, 15. - : apgründe G. 367. B. 1, 27. - : ünde G. 1247. 1783. Sünde : apgründe B. 51, 31. 207, 17. : ünde B. 53, 13. : cnzünde (1. sg.) B. 111,23.

0 S. § 11 unter 'praeteritopraesentia' kan.

30*

460 JUNK

Icünäen (inf.) : siinden (subst.) B. 10, 3. 41, 7. 109, 25. 158, 17. 170, 39. 252, 13. 260, 29. 349, 3. 361, 15. 882, 17.

Von conj. erscheinen in dieser griippe im reim:

vunde (conj.) : hegunde (conj.)^) B. 23,33 und vimde (conj.) : Jcunde (conj.) B. 17, 1. 138,15. 152,7. 308,1. Für eleu pliiral: funden(coni.):Jcunden (ind.) G. 5323. B. 195, 9,

wobei zu bemerken ist, dass die bindnngen mit den conj. hmde imd hegunde keineswegs indifferente sind, da diese formen nach § 11 (praeteritopraesentia) für den conj.praet. als iimlautlos ge- sichert sind, also auch beweisen.

Somit ist für diese klasse die umlautlosigkeit des conj. praet. erwiesen. Auch Hartmaun meidet hier den umlaut, vgl. Kraus, Das sogen. 2. büchlein (Festgabe für Heinzel, 1898), s. 113f. Anders verhalten sich Gottfried und Wolfram (Kraus a.a.O. s. 118 und 124).

Dann die gruppe -TJNG-. Es reimen zunächst ohne conj.:

junge : wandelunge G. 5611. zunge : wandelunge B. 78, 27. : he- seichenunge B. 156, 31. : kestegimge B. 309, 23. : orthahunge B. 401, 1. züMegunge : vestenimge B. 379, 39. kestegimge : maminge B. 381, 31. veste- nunge : umndelunge B. 386, 19.

jungen : gedrungen (part.) G. 737. : Sprüngen (ind.) G. 2081. : ge- sungen (part.) G. 3595. : drungen (iud.) G. 3631. B. 400, 35. : gelungen (part.) G. 4237. iivungen (ind.) : zungen B. 248, 19. 329, 27 und betwungen (part.) : zungen B. 300, 1.

Umgelautet -imge- erscheint diese gruppe gar nicht im reim.

Von conj.-formen nun gehört hierher nur tivunge : tvande- lunge B. 251, 9, denn drungen : erMungen (ind.) G. 6035 ist wol ind. Also auch hier der umlautlose conj. praet. Uvunge. Ebenso bei Hartmann, anders bei Gottfried und Wolfram (Kraus a. a. o. s. 117 und 124).

Für den typus -TJNN- sind die umlautlosen reimbindungen:

hrunne (subst.) : sunne B. 350, 9.

entrunnnen (iud.) : getvunnen (ind.) B. 165, 21. begmuten (part.) : sannen B. 233, 7.

Dazu die sicher umgelauteten

känne (subst.) : ivünne G. 4341. B. 36, 27. 52, 31.

Hier findet sich nun kein sicherer conj., denn gewunnen (1. pl.) : simnen G. 1227 ist ind. im verneinten modalsatz ('ohne dass'), sowie das früher citierte hmden : fanden (conj.)

') Hier ist hegunde wol aucb conj.

ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V. EMS. 461

G. 5323. Hartmann gebraucht hier den iimlaiit (Kraus a. a. o. s. 111),') ebenso Gottfried (Kraus s. 119) und Wolfram (Kraus s. 125).

Typus -ÜB zeigt nur umgelautete formen, und zwar:

für : kür (sabst.) G. 187. 197. 3597. 5929. 6013. B. 26, 23. 131, 39. 169,13. 208,31. 315,37. 338,33. —-.türLiAdöd. 5865. 5529. 67-1:7. B. 384, 19. Jcür (subst.) : für G. 3605.

Dazu stellen sich die sicheren conjunctive h'ir : für G. 2067, verlür : tiir B. 45, 7. : vür B. 219, 23, ferner der indifferente fall verkür : verlür G. 1005 und der unsichere kür : verlür (2.sg. ind.) G. 4783, da der verallgem. relativsatz nicht unbedingt den conj. verlangt (Paul § 366, wo allerdings die beispiele nur conj. enthalten). Hier herschen also die umgelauteten formen, wie bei den höfischen epikern (Kraus a.a.O.), obwol die fälle hier weniger zahlreich sind.

Der von Pfeiffer als umlautlos angesetzte typus -VBB- bietet keine absolute Sicherheit, da nur ein fall vorliegt, der an sich indifferent ist, w^eil er zwei conj. bindet; überhaupt

1) Schönbachs einwand (Gott. gel. anz. 1902, heft 6, s. 438) gegen Kraus' beweisführung betreffs der form Hartraanns zerünne scheint mir das rcsnltat von Kraus nicht zu beeinträchtigen. Allerdings findet sich, wie Schönbach hervorhebt, in den sämmtlichen reimen Hartmauns nirgends ein zerünne auf sicheres ü (subst. künne, icünne) gereimt, aber es reimt entrünne auf gewünne (conj.) Greg. 2101, welches seinerseits durch die zweifellose bin- dung mit siibst. lomine Erec 5626 gesichert wird ; durch diese wechselweisen reimbindungen werden die reime ihres auf den ersten blick indifferenten Charakters entkleidet, tvünne (subst.) : gewünne (conj.) : entrünne zeigt ganz deutlich, dass -rünne, also auch zerünne und nicht zerünne Hartmanns form ist.

Dazu kommt ferner, dass die reiramöglichkeiten für u in dieser laut- constellation ^ 20, die für ü aber nur = 8 sind (die belege bei Kraus, a.a.O. s. 116); wenn nun trotzdem Hartraann seine conj. 3 mal auf ü, nie- mals aber auf u reimt, so zeigt dies seine entschiedene bevorzugung der it-formen.

Drittens endlich lässt die analogie der übrigen von Kraus eingehend behandelten conj. -formen mit u oder ü den schluss auf ein consequeutes verhalten Hartmanns bei -unne, -ünnc zu: er entscheidet sich niimlicli hierin überall nur für eine form, entweder die umgelautete oder die umlautlose; doppelformen kennt er da nicht. Da nun die in frage stehende gruppe -UNN- für die darin vorkommenden conjunctive nur umlaut kennt, so darf dies wol auch bei der geringen zahl solcher conjunctive keinen zweifei über Hartmanns entscheidung aufkommen lassen.

462 JUNK

ist in dieser gruppe grosse not an reimwörtern; auch Hart- mann, Gottfried und AVolfram haben nur die indifferenten reime sturhe : verdürbe : erivnrhe (Kraus a.a.O.).

Der in betracht kommende fall ist verchirhe : sturhe B. 226, 11.

Der typus -UBD- enthält keine umlautlosen formen, son- dern nur die eine bindung tvürde (conj.) : hürde B. 362, 37. Also u'iirde wie bei Hartmann, Gottfried und Wolfram (Kraus a. a. 0.),

Endlich die gruppe -UG-. Es fehlen ebenfalls umlaut- lose bindungen, -üge erscheint dagegen verhältnismässig oft, und zwar:

lüge (subst.) : triige (subst.) B. 218, 3. 228, 17. 252, 19. 275, 7. 286, 3. 287, 35. 372, 21. 404, 11. : müge (conj.) B. 238, 31.

müge (conj.) : trüge (subst.) B. 348, 7.

Dazu stellen sich die conj.

trüge : müge G. 927 und züge : trüge (subst.) B. 365, 3. Auch hier ist widerum (wie früher bei hinde und hegunde) die form des conj. des praet.-praes. mnge auch beweisend, da nur dies die von Rudolf im reim gebrauchte form ist.') Hierzu kommen dann, an sich indifferent, jedoch durch die früheren bindungen als sicher anzusprechen, die fälle

trüge (conj.) : lüge (conj.) G. 4123. B. 40, 33.

Es ist somit für diese kategorie der umlaut gesichert. Ebenso verhalten sich Hartmann, Gottfried und Wolfram (Kraus a.a.O.). Bevor ich diesen abschnitt verlasse, möchte ich einem einwand begegnen, der vielleicht gegen die hier gezogenen Schlüsse erhoben werden könnte und eine methodologisch nicht unwichtige Widerlegung fordert. Bei den gruppen -UNG-, -VB-, -UBD- und -UG- sind nämlich nur reime einer art vor- handen, entweder ohne umlaut, wie bei -UNG-, oder mit, wie bei den drei übrigen. Es könnte nun gesagt werden: ein sicherer schluss auf das, was der dichter durch bewusste selbständige entschliessung gebraucht, was er, vor eine ent- sclieidung gestellt, bevorzugt, lässt sich nur dann angeben, wenn wirklich für beide möglichkeiten fälle vorhanden waren; das ist aber nur bei den gruppen -UND- und -UNN- der fall; da habe der dichter so und so viele umlautlose und so und so

') Vgl. § 11 ' praeter! topraesentia'.

ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V. EMS. 463

viele umgelautete reim Wörter zur Verfügung, mit denen er seine conj., seinem spracligebrauche gemäss, binden konnte. Nur diese bindungen seien beweisend, weil sich nur hier eine deutliche und absichtliche entscheidung des dichters für eine form constatieren lasse.

Dieser einwand ist aber hinfällig.

Aus allen punkten der vorliegenden reimuntersuchungen geht hervor, dass Eudolf einer von den dichtem ist, die sich bemühten, das was als specifisch dialektisch galt, d.h. als solches empfunden wurde, wenigstens im reime zu vermeiden und sich so jenem ideal einer mhd. dichtersprache, die über den dia- lekten schwebte, zu nähern. Tatsächlich bietet uns Rudolfs Sprachgebrauch im wesentlichen nichts als rein mhd. formen, er geht allem, was seinem heimatlichen dialekte zugeschrieben werden könnte, sorgfältig aus dem wege; nur wo er vor doppel- formen, die gleiche geltungsberechtigung haben, gestellt wird, und er sich für das eine oder das andere entscheiden muss, kann man von einer Rudolflschen eigenheit sprechen, und solch ein fall ist der vorliegende. Ueber die Verwendung des Um- lauts oder der umlautlosen form im conj. praet. der starken verba gab es keine festen 'regeln', und es war somit sache jedes dichters, sich für das eine oder das andere zu entscheiden. Wäre es Rudolf darauf angekommen, bei keinem leser anstoss zu erregen, so hätte er es vermieden, seine conjunctive mit sicherem u oder ü zu binden, und sie vielmehr bloss unter einander gereimt; das tut er aber nicht: er reimt bei den in betracht kommenden fällen ganz ungescheut die conj. mit mhd. ganz unzweideutigen u oder ü {ivanäelunge, für, hürde, subst. trüge). Wenn bei ihm das geringste schwanken bestanden hätte, ob er z. b. siige oder züge reimen sollte, um correct zu reimen, so wäre dieser conj. gewis nicht mit einem so sicheren ü, wie es das subst. träge enthält, gebunden Avorden; er hätte es bloss mit anderen conj. {lüge) gebunden und dem leser die wähl der ausspräche gelassen, wie es sein Vorgänger und Vor- bild Gottfried tut (Kraus a.a.O. s. 118 f.).

Mir scheint also das resultat durch den eben besprochenen einwurf keineswegs gefährdet.

464 JüNK

Fassen wir die ergebnisse über den conj. praet. der starken verba zusammen, so lauten die von Eudolf im reim gebraucliten formen:

a) umlautlos: vunde (künde), twunge.

b) umgelautet: Mr, verlür, tvüräe, trüge, lüge, mge, (müge).^) Nicht absolut sicher (wenn auch durch analogie und hsl. Über- lieferung wahrscheinlich) : dnmge, während verdürbe, stürbe oder verdürbe, stürbe unentschieden bleiben müssen.

Ein vergleich mit dem reimgebrauch der drei grossen epiker zeigt, dass Eudolf hier mit dem Hartmanns immer (mit Gottfried und "Wolfram oft) übereinstimmt, indem auch er wie Hartmann vunde, twunge, Mir, verlür, ivürde, trüge, zügc, lüge sprach.

Auch die abstracten fem. der «-klasse (sufflx *-^«), mit dem vocal u, zeigen in bezug auf den umlaut desselben ein fest- stehendes resultat.

Ich stelle bei jeder gruppe die nach meiner meinung be- weisenden reime voran.

Typus -TJHT enthält die folgenden casus obliqui:

zuht (dat.) : fluU (uom. acc.) CI. 773. B. 369, 21. : fnilit (nom. acc.) G. 1661. 2173. 4509. 5421. 6345. B. 313, 15. : genuM (nom.) B. 356, 1. genullt (dat.) : fruht (acc.) G. 4385. B. 310, 19. 353, 9. fniht (dat.) : genuU (nom.) B. 41, 39. : zuht (acc.) B. 160, 11. vluM (dat.) : zuht (acc.) B. 116,31.

Es sind somit die flexionslosen, nicht umgelauteten dative ziüd, genullt, fruht, vluJd durch diese reime sichergestellt. An der hand dieses ergebnisses berechtigt uns die bindung fniht (gen.) : genullt (dat.) G. 4645 zur aufstellung desselben grundsatzes für die genetive.

Als unterstützend kommen noch hinzu die an sich neu- tralen fälle

zuht (dat.) : vruht (dat.) B. 145, 25. : vhiM (dat.) B. 183, 23,

während die übrigen reime dieser kategorie gleichgiltig sind:

snht (nom.) : fluht (acc.) G. 4829. : zuht (acc.) B. 249, 5.

fruht (acc.) : genuht (acc.) B. 10, 7. 41, 21.

zuht (nom.) : fruht (acc.) B. 65, 17. 102, 23. 382, 15.

Also unflectierte formen im gen. und dat.; einförmigkeit des ganzen Singulars.

') Aus der reilie der praet.-praes. käme noch hinzu »ül. Vgl. s. 485.

ZUM REIMGEBKAUCH RUDOLFS V. EMS. 465

Typus -UNFT. Beweisend sind

sigemmft (dat.) : Tcimft (acc.) G. 343. B. 331,9. kunft (dat.) : sigemmft (acc.) B. 66, 5, dazu sigemmft (dat.) : Imnft (dat.) G. 6611.

Gleichgiltig sind die übrigen fälle:

sigenunft (nom. acc.) : ktmft (acc.) B. 59,7. 91,35. 99,5. 338,29.

Das resultat ist also dasselbe: überall die umlautentbehren- den formen.

Typus -UNST. Es kommen in betraclit:

kirnst (dat.) : verminst (acc.) G. 403. B. 38, 25- 225, 29. 321, 15. : he- gimst (nom.) B. 187, 7. : gvnst (acc.) B. 262, 17. vernunst (dat.) : gtmst (acc.) G. 6069. gunst (dat.) : kirnst (acc.) B. 3, 13. begunst (dat.) : kunst (acc.) B. 266, 3.

Nach dem resultat bei typus -iiJd dürfen nun wol auch die bindungen:

kirnst (gen.) : gimst (gen.) G. 6849. : vermmst (gen.) B. 64, 39. 230, 3

als sicher in ansprach genommen werden.

Dazu ein fall hinst (dat.) : vernunst (dat.) B. 200, 19. Die übrigen fälle

kunst (nom. acc.) : gimst (acc.) G. 6347. 6349. B. 30, 7. 51, 33. 243, 35. 245, 35. : hegimst (acc.) B. 1, 3. : vernunst (nom. acc.) B. 143, 3. 148, 11. 149, 7. 326, 15. 341, 37.

gimst (nom.) : urbunst (acc.) B. 160, 15

sind gleichgiltig und kommen nicht in betracht.

Ausser den abstr, auf *-t( kommen hier noch die fem. Irust, vlust, älmst in betracht, jedoch mit beschränkung, da hrust denjenigen fem. consonantstämmen angehört, die im got. (typus haürgs) den dativ ohne deutliches suffix bilden (dat. hrust):, hier ist also die bewahrung der umlautlosigkeit und einsilbigkeit des dativs altertümlich. So erscheint auch:

brüst (dat.) : gelust (nom. acc.) G. 5049.') B. 175,31. vlust (dat.) : gelust (nom.) B. 373, 39. äkust (dat.) : gelust (nom.) B. 63, 7.

Auch hier also die umlautentbehrenden, flexionslosen formen.

') brüst ist hier wol dativ:

liep au liebes armen lac

geslozzen nähen an ir brüst, nicht etwa acc. der richtung zu geslozzen; es gehört zusammen nahen an ir brüst, denn geslozzen = 'fest vereinigt', s. Mhd. wb. 2, 2, 408b, 18.

466 JUNK

Gleicligiltig- sind:

brust (acc.) : vertust (acc.) G. 4725.

cihist (nom. acc.) : (jelust (acc.) B. 9, 23. 27-4, 7.

Für den tj'pus -UFT ist keine Sicherheit zu erlangen; denn die hier reimenden worte luft, guß gehören anderen grammatischen kategorien an: gitß ist nicht bloss fem., son- dern auch masc, und das damit stets gebundene hiß ist masc. und geh(3rt ursprünglich auch gar nicht der i-declination an; hier wird denn auch gereimt

, lufie (dat.) : giifte (dat.) B. 233, 11,

neben zwei gleichgiltigen bindungen:

hift (acc.) : fuß (acc.) B. 2, 3. 213, 7.

Endlich gehört hierher die an sich neutrale bindung der zwei datiye vurt : gehurt B. 62, 25. Formen auf -iirtc stehen dem nicht gegenüber.

§ 4. Verkürzung von t.

Zwischen den doppelformen ritcr und ritter, die im vers- innern beide erscheinen, •) zu entscheiden, ist der reim ein zu wenig verlässliches mittel, da die möglichkeiten hierzu sehr gering sind; es wird darum wol kaum von einem absichtlichen vermeiden, um dem leser die wähl zu lassen (Lachmann, anm, zum lAvein s. 42), die rede sein können, es ist für einen sorg- fältig reimenden dichter überhaupt fast keine gelegenheit vor- handen, ritter oder ritcr zu reimen; bei Rudolf erscheint es auch in mehr als 23000 versen nie im reim (Zwierzina, Fest- gabe für Heinzel s. 449, anm.).

Besser steht es um die constatierung der bei anderen dichtem schwankenden vocalischen quantität von iteivUe, ite- wisse (Weinhold, Mhd. gr. § 104). Aus den reimbindungen

iteiviz : pz G. 1653. üewtze (dat.) : vVize G. 505. B. 318, 23. lielle- wize (acc.) : vUze B. 388, 29

ergibt sich iteiviz als Rudolfs form.

Ueber die Verkürzung von i in der weitaus wichtigsten Verbindung 4cti, -iclie, -tcheu vgl. zu diesem capitel Weinhold, Mhd. gr. § 16 und 104 und die daselbst angegebene literatur, besonders Lachmann zu Iw. 5522. 6405; dazu noch Schönbach,

0 Z. b. ritter G. 3295, riter G. 3601 iu beiden hss.

ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V. EMS. 467

Engel und waldbruder, WSB. 143 no. 12, s. 25. Eingehend hat darüber gehandelt Zwierzina, Zs. fda. 45, 84 f. und 92. Da es hierin sehr auf das numerische Verhältnis ankommt, Zwierzina aber manchmal andere zahlen bringt, als ich sie meinem voll- ständigen reimregister entnehme, glaube ich, nichts über- flüssiges zu tun, wenn ich meine Untersuchung, die ich längst und unabhängig von Zw. geführt hatte, im folgenden mitteile. Das ergebnis ist dasselbe, aber wol etwas übersichtlicher als bei Zw. gruppiert, der die adj. und adv. an verschiedenen stellen getrennt behandelt.

Um den gebrauch Eudolfs hierin möglichst klarzustellen, lasse ich zunächst das nötige reimmaterial vorausgehen, indem ich mich dabei auf eine übersichtliche gruppierung bescliränke.

Eudolf reimt an sicheren kürzen ich : midi : dich : sich unter einander G. 64 mal, B. 134 mal. Summe 198 bindungen. ') Dazu kommen noch für die kürze mich : sprich! B. 172, 25, sich : strich B. 21, 33. 326, 17. 406, 3, 2) sich : wüeterich B. 254, 21, sich : este- rieh B. 309, 37.

An diesen grundstock von 204 bindungen mit sicherer kürze

1) Die fälle sind: ich : mich G. 973. lOGl. Ili3. Ii29. 1483. 1578. 1825. 1885. 1985. 2157. 2271. 2585. 3151. 3415. 3821. 3875. 5359. 5567. 6251. 6301. 6499. 6573. 6629. B. 82, 33. 95, 1. 101, 29. 105, 29, 151, 1. 181,25. 190,15. 206,33. 218,27. 227,15. 278,3. 282,17. 294,37. 296,19. 318, 11. 349, 5. 403, 35. 404, 39. 405, 11. ich : dich G. 905. 1067. 2255. 4235. 4269. 4911. 6537. B. 29, 7. 60, 11. 82, 37. 96, 39. 153, 1. 168, 9. 179, 17. 201,15. 227,1. 232,1. 277,7. 277,35. 298,1. 304,11. 304,15. 336,15. 348,9. 367, 33. 389, 11. 392, 7. ich : sich G. 4251. 5253. B. 34, 39. 122, 33. 170, 21. 225, 25. 308, 15. 373, 1. mich : dich G. 449. 865. 915. 1091. 1499. 1763. 2415. 4641. 4679. 4687. 4769. 4771. 5189. 5515. 6475. 6533. B. 4, 3. 9, 15. 9,33. 11,27. 13,9. 13,21. 15,19. 15,27. 26,35. 27,5. 29,33. 42,35. 43,27. 49,33. 82,7. 84,29. 86,35. 93,7. 122,21. 122,27. 124,25. 142,33. 143,7. 146,33. 151,23. 163,39. 166,13. 166,29. 181,7. 189,13. 204,25. 210,19. 211,27. 215,3. 216,19. 216,33. 218,21. 223,17. 231,33. 278,29. 281,15. 288,7. 289,25. 290,15. 296,1. 296,15. 301,39. 303,29. 307,19. 309,27. 320,17. 324,33. 337,9. 347,39. 348,39. 350,35. 360,25. 367,37. 385,25. 391, 13. 393, 21. mich : sich G. 2593. 2633. 3179. 3247. 4919. 5145. 5305. 5369. 6091. 6143. 6145. 6319. 6587. 6725. 6865. B. 17,29. 43,3. 72,37. 79,33. 108,17. 122,5. 180,27. 190,5. 205,37. 215,15. 304,39. 317,39. 332, 3. 370, 15. 373, 23. dich : sich G. 353. B. 45, 39. 83, 33. 97, 31. 141, 25. 144,7. 174,25. 176,31. 177,11. 199,17. 243,17. 319,18. 388,15. 391,29.

-) In der sielieufachen reiinl^indung mich : ich : dich : -lieh : sich : strich : -lieh am Schlüsse des Barlaam (405, 11 406, 5).

468 JUNK

reihen sich nun die folgenden fälle (im Gerh. 29,0 Bari. 69, zusammen 98 bindungen):

-lieh : ich G. 463. B. 138, 19.

: mich G. 1371. 1547. 1703. 1795. 2047. 2311. 3091. 3225. 4127. 4425. 5039. 5381. 6187. 6567. 6859. B. 144,17. 161,25. 168,1. 191,3. 219,27. 280, 33. 305, 3. 363, 23. 389, 7.

-.dicliG.Sm. B. 28,5. 41,1. 41,3. 82,13. 111,39. 153,19. 177,3. 181,15. 247,3. 306,13. 361,23. 361,29. 371,19. 372,35. 388,5. 406,1 (s. um- stehend anm. 2).

: sich G. 9. 227. 747. 809. 2501. 2817. 4491. 4673. 4827. 5243. 6037. 6207... B. 6, 13. 10, 17. 37, 37 65, 19. 73, 11. 97, 15. 107, 33. 113, 7. 115, 19. 127,27. 162,3. 178,5. 192,11. 234,5. 236,39. 240,37. 250,31. 256,1. 267,29. 270,37. 277,29. 287,13. 299,3. 302,39. 309,3. 310,29. 315,39. 324,1. 327,19. 338,39. 341,21. 344,23. 345,23. 352,7. 354,1. 356,5. 378,17. 281, 35. 386, 21. 396, 19. 404, 17. 406, 3 (s. umstehend anm. 2).

: strich B. 241, 29 (und widernm 406, 4 [s. umstehend anm. 2], welches aber schon gezählt ist).

Aus diesen 98 bindungen erscheint mit rücksicht auf die obigen 204 fälle die kürze für die adj. -lieh nach Lachmann und Weinhold (a. a. o.) gesichert.

Sehen wir nun nach der forme! -tcli-, so kommen die folgenden reime mit länge des i vor:

cjelich:rich(i.U^%. 5859. B. 22, 25. 35,1. 39,3. 43,33. 145,11. 292,5; also 8 fälle.

Ferner das grosse contingent der bindungen -liehe : rtche. Diese reimformel erscheint im Gr. 66 mal, im B. 125 mal, im ganzen also 191 fälle. ■^) Dazu kommen ferner

0 Zwierzina zählt nur 28 im Gerh., 63 im Bari., weshalb ich die fälle selbst gebe.

-) Für den überprüfenden teile ich auch diese hier mit. Es sind: G. 111. 121. 195. 517. 645. 669. 677. 691. 789. 839. 869. 1357. 1375. 1411. 1747. 1777. 1913. 2035. 2193. 2385. 2471. 2537. 2669. 2761. 2769. 2793. 2807. 2923. 3025. 3511. 3625. 3911. 4135. 4169. 4533. 5053. 5079. 5093. 5119. 5143. 5177. 5491. 5505. 5541. 5581. 5585. 5697. 5769. 5781. 5791. 5865. 5891. 5987. 6015. 6023. 6053. 6079. 6129. 6175. 6225. 6235. 6417. 6593. 6785. 6829. 6911. B. 7, 17. 9, 11. 15, 5. 16, 5. 20, 31. 22, 1. 22, 19. 23,7. 24,31. 36,5. 37,7. 47,3. 47,37. 49,7. 55,31. 58,9. 61,9. 68,11. 78,17. 80,35. 82,1. 82,39. 83,25. 88,1. 89,15. 93,13. 101,3. 104,31. 107, 17. 109, 7. 113, 3. 123, 37. 127, 23. 129, 9. 130, 5. 134, 19. 135, 11. 138,39. 141,35. 148,25. 152,19. 153,39. 157,7. 162,11. 164,5. 170,33. 183,25. 192,23. 193,11. 194,7. 195,3. 201,3. 203,23. 203,39. 208,15. 211,31. 213,3. 214,37. 216,1. 218,17. 218,39. 224,13. 225,5. 236,25. 243,25. 244,19. 245,29. 246,19. 246,35. 249,35. 250,15. 262,1. 262,25. 266,17. 271,37. 273,9. 275,1. 288,31. 293,13. 298,21. 301,37. 304,3.

ZUM REIMGEBRÄ.UCH RUDOLB'S V. EMS. 469

-liehen (adj. und adv.) : riehen G. 3189. 4013. Endlich (ge)Uchen (inf.) : riehen G. 237. B. 43, 31. 3-10, 29. 372, 15, und geliehen (inf.) : entivkhen B. 51, 29.

-lieher : rtcher G. 6615. B. 135, 17. 152, 31. 2i7, 23. 328, 23.

Also in summe 211 fälle mit -Uch, -Uche{n, r), allgemein 217 fälle für -ich-] denn die indifferenten können strenge genommen nicht mitgezählt werden. i)

Es stehen sich somit, absolut genommen, 303 fälle für die kürze der lautverbindung -ich und 216 fälle für die längen -ich, -ichc, -ichcn, -icher gegenüber; es ergibt sich daraus die notwendigkeit, in der ersten gruppe -Ttch mit kürze, in der zweiten -Uch, -liehe, -liehen, -licher mit unanfechtbarer länge des vocals anzusetzen. Dieses auf den ersten blick der willkür gleichsehende statistische resultat erhält eine wesentliche Unter- stützung und syntaktische erhärtung durch folgende beob- achtung.

Die bindungen der kurzform -licli {: ich, mich, dich ii.say.) enthalten sämmtlich das flexionslose adj.; eine ausnähme machen bloss die folgenden 6 fälle:

jcereclich, jcergelich G. 1371. B. 127, 27. tägclieh B. 338, 39. 341, 21. 344, 23. 386, 21.

Diese beiden temporalen adv. haben also eine besondere Stellung, sie treten als eine besondere kategorie aus der zahl der sonst ausnahmslos für die unflectierten adj. vorbehaltenen kurzformen auf -lieJi heraus.

Merkwürdigerweise nun ergibt sich für die 1902) in be- tracht kommenden langformen -liehe, welche widerum regel- mässig für das adv. vorbehalten sind, eine ganz ähnliche erscheinung. Hier trifft die ausnähme die drei fälle

30G, 19. 308, 21. 317, 25. 324, 31. 335, 17. 337, 19. 337, 37. 338, 21. 341, 31.

343,19. 344,39. 345,3. 347,21. 351,37. 354,11. 355,1. 355,29. 355,39.

356,13. 359,29. 360,19. 360,39. 363,3. 366,35. 371,7. 373,17. 373,33.

374,5. 376,31. 377,39. 384,1. 388,17. 388,35. 389,19. 391,35. 392,17.

395, 11. 397, 37. 399, 13. 399, 29. 400, 23. 402, 1. 405, 9.

1) Der Vollständigkeit halber die übrigen reime dieser kategorie: riehen : enhviehen G. 3223. B. 19, 21. : strichen B. 225, 7. 272, 37. wtehen : sf riehen G. 3641, und die indifferenten fälle: -liehe : -liehe G. 743. 1531. 1979. 4317. 5533. 5723. 5937. 6909. B. 121, 21,

und -liehen : -liehen G. 2209. ger/chet : entwichet G. 3381.

^) Von den früher (s. 468) citierten 191 fällen kommt nämlich geliche

(1. sg. praes.) : rtehe G. 5581 selbstverständlich in abzug.

470 JUNK

etesliche : riche Q. 1777. sumeUche : riclie G. 3911. 5143.

Diese beiden unbestimmten fürwörter, die ja kein adv. haben, bilden ebenfalls gewissermassen eine selbständige gruppe und fallen deshalb aus der reihe der den adv. zugeteilten bindungen auf -Uclie heraus.*)

Was die besonders hervorgehobenen 8 fälle -Itcli : rieh an- belangt, so bieten sie durchweg das adj. gelidi, und zwar in der bedeutung 'gleich' mit dem dat. (G. 1489. 5859. B. 22, 25. 35, 1. 39, 3. 145, 11. 292,3), einmal substantivisch mit dem pron. poss. ('seines gleichen' B. 43, 33). Also auch hier eine der form und bedeutung nach gesonderte kategorie.

Zu den fällen für das adv. kommen dann noch die s. 469, anm. 1 verzeichneten 9 fälle (8 in G., 1 in B.) indifferenter bindung von -liehe auf -liehe. Wenn Zwierzina bemerkt: 'im Bari, fehlen diese rührenden reime', so ist dies also, wie B. 121, 21 ijctvalteeliehe : gcUehe zeigt, nicht richtig. Es kommt dies daher, dass Zwierzina die gelich an anderer stelle, näm- lich unter den adj. (s. 84 f.) abtut, dann aber auf die adv. geliehe nicht mehr zu sprechen kommt, wie denn überhaupt die trennung der beobachtuiigen für adj. und adv. der Über- sichtlichkeit sehr eintrag tut.

Die bindungen mit n {-liehen) ergeben syntaktisch folgendes:

sieherliehen : güeüichen G. 2209, eine an sich neutrale bin- dung, ist wol mit Zwierzina (a.a.O. 45,92) in -liehe : -liehe zu verändern.

Zwingender ist die reimbindung G.3189: (gott schuf niemals)

lip so saelden riehen.

daz ir so miimeclicheu

die bete enphangen haut von mir,

Hier wird wol, trotz des sonst einstimmig bevorzugten -liehe, die adv. form auf -liehen beibehalten werden müssen; denn ob es gestattet ist, mit Zwierzina (a.a.o.) das nachgestellte attri- butive adj. in der Verbindung mit so flexionslos anzusetzen,

^) (joüiche : riche B. 243, 15 ist niclit adj., wie es nach der inter- punction Pfeiffers scheinen könnte, sondern adv. ; das konnua ist zn streiclien. Vgl. E. 262,25. Ebenso ist G. 2'171 tvwrUche adv.; denn das zu mich dühte zu ergänzende liegt in dem folgenden subjectsatze.

ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V. EMS. 471

müsste doch wol erst untersucht werden.') Es bleibt dies aber immerhin der einzige, unter der überzahl von -Viclw gewis verschwindende fall für das adv. auf -liehen. Soll er aber auf jeden fall weggeschafft werden, so würde ich eher wagen, enphähen zu den verben zu zählen, die wie Uwii, luzcn, sehen, erkennen, vinden u. a. ein prädicatives adj. zum objectsacc. bei sich haben können. Dann wäre minneclichen dieses adj. beim acc. hete (Paul, Mlid. gr.^ § 205); doch scheinen dagegen fälle wie G. 1979. 5698. 5891 u.a. zu sprechen, wo mmnecUche deut- liches adv. zu enphähen ist, und immer in -liehe, nie in -liehen endigt. Am besten wie gesagt lassen wir diesen einen fall eines adv. auf -liehen auf sich beruhen, da er ja ohnedies unter den vielen anderen ohne -n belanglos bleibt.

Die zweite bindung -liehen : riehen G. 4013 gibt den acc. des fem. minneclichen, zugleich den einzigen fall eines flec- tierten adj. auf -Uche\ die übrigen reime -Vidier : rieher G. 6615. B. 135,17. 152,31. 247,23. 328,23 enthalten sämmtlich den comparativ des adv.

Das resultat der Untersuchung ist also in diesem punkt das denkbar stricteste: Eudolf verwendet für bestimmten sj'u- taktischen gebrauch ganz bestimmte, durch die vocalische quau- tität strenge geschiedene formen. Fassen wir zur Übersicht zusammen:

a) flexionslose adj. haben die form -lieh mit ausnähme des adj. gelich ('gleich' 2)) und der unbestimmten pron. etesliehe und sumeliche.

*) Ich halte es nämlich für unwahrscheinlich, da Eudolf, wie ich aus den beispielen des g-. Gerhart, die ich mir zu diesem zwecke verzeichnet habe, ersehe, die wenigen fälle, wo vor dem nachgestellten attrib. adj. so oder vil steht, immer mit dem flectierten adj. verwendet. Es sind dies G. 932 discn grozcn namcn, So holten tind so lohcsamen. G. 'J8G an mich vil armen. G. 579 herre got vil (juoter! Bei also steht aber die unflec- tierte form in der (einzigen) bindung G. 6048 mit eren also gros (wenn hier nicht vielleicht das adv. grö,~{e) in der bedeutung des adj., also attri- butiv zum subject des satzes genitz zu verstehen ist, wie es das Mhd. wb. 2, 1, <188a für das adv. riche annimmt. Die lesarteu der hs. groze : genozc scheinen dafür zu sprechen. In diesem falle würde die stelle dann nicht zu unseren beispielen gehören). Hier müsste jedenfalls auch der gebrauch des nachgestellten attrib. adj. mit so im Barlaam herangezogen werden. Ich möchte aber durch die angeführten fälle nur zur vorsieht gemahnt haben.

'^) Dessen adv. jedoch, gleich allen übrigen, geliche lautet. Es kommt

472 JUNK

b) die adv. haben die form -liclie mit ausnähme der beiden temporalen jcEreclkh und tägelich.

Diese strenge Scheidung der formen ist wol daraus zu erklären, dass der volltönende auslaut in den adverbialen bildungen auf -liehe, bei welchen auf diese ableitungssilbe ein zweiter hauptton fällt, der durch die folgende silbe -e, -en, -er geschützt ist (z. b. ivirdecliche, geiüdltecliche), das i von der Verkürzung bewahrt hat, die in den unflectierten adj. platz- gegriffen hat, da hier die silbe -Uch nur einen schwachen nebenaccent behalten konnte {minnecUch u.s.w.). Jene acht reime geltch : rtch, die auf den ersten blick gegen die unbedingte kürzung der lautverbindung -lieh sprechen, zeigen eben nicht ein in der weise componiertes adj. wie die oben citierten 98 fälle -lieh {wirdeclieli, minneelieh, geivalteclich, nemelich u.s.w.), sondern das einfache gelteh, bez. seine Verneinung ungelich. Da in diesen bildungen naturgemäss der accent nicht vorrücken konnte, so blieb hier die silbe -Ueh auch ohne ein -e oder -en, -er der endung lang.

Die übrigen mhd. dichter verhalten sich in dieser hinsieht nicht so consequent; die wenigsten haben einen bestimmten Sprachgebrauch, bei vielen (Hartmann, vgl. C. Kraus, Festgabe f. Heiiizel, s. 161. Zwierzina, ebda. s. 168 ff. und Zs. fda. 15, 81 und 89) verändert sich der gebrauch im verlaufe ihres poeti- schen Schaffens; und seit dem ende des 13. jh.'s breitet sich die kurzform -lieh auch über die adv. aus (Weinhold, Mhd. gr. § 318). Eine so strenge von anfang an feststehende Scheidung, die ausnahmslos die eine oder die andere form für das eine oder das andere syntaktische Verhältnis gelten lässt, hat meines Wissens überhaupt kein andrer ausser Eudolf. Wenigstens ist es bisher nicht nachgewiesen, i)

übrigens nur in der Verbindung- al geliche vor (G. 691. 743. 839. 1979. 2G()9. 3G25. 5079. 5511. 5585. 5781. 5937. 6053. 6079. 6117. B. 20, 31. 22, 1. 21,31. 37,7. 47,37. 61,9. 121,21. 152,19. 194,7. 195,3. 201,3. 225,5. 236, 25. 337, 19. 355, 29. 399, 13. 399, 29) und einmal verneint ungeliche : riche B. 148, 25.

') Es wird eine aufgäbe künftiger Untersuchungen sein, zu sehen, ob Rudolf diesem seinem princij) in den folgenden werken Alexander, Wilhelm von Orleuz und endlich in der Weltchronik treu geblieben ist.

ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V. EMS. 473

§ 5. Sonstige bemerkimgen zu einzelnen vocalen. Der Umlaut des langen ä (Weinliold, Mhd. gr. § 89) wird durch folgendes h gehindert in

versmcVie (3. conj.) : enphähe B. 332, 9.

(ver)smähen (inf.) : nähen G. 2207. B. 97, 39. 206, 23.

: enphähen G. 6169. B. 101, 15. 280, 25. versmähen (3. pl.) : enphähen B. 133, 23. versmähest : enphähest B. 100, 23.

Eegulär steht nur gerade das etymon dieser gruppe smcehe (adj.) : gescehe (3. conj.) B. 30, 15,

Vor r erscheint regelmässig ce: stvcere, gebmre, geivoere, un- ervceret u.s.w.

Was den Wechsel von e und ei im auslaut des sg. praet. von schrien und sphvcn anbelangt, so schwankt auch unser dichter, neigt jedoch, wie es scheint, mehr zum e. Vgl. hierzu die über- sichtliche darstelluiig bei Zwierzina, Zs. fda. 45, 30 ff.

Rudolf reimt

schrei : ensivei B. 118, 7. 204, 13. Dies zugleich die beiden einzigen bindungen des typiis -ei.

schre : (o)ice G. 2087. B. 8G, 33. 125, 11. 317, 9. 331, 25. 357, 15, unter zahlreichen anderen reimen {me : ste : otve u.s.w.):

sjjei : 0

anspe : me B. 72, 25.

Hier scheint die Verwendung der e-formen wol durch die grösseren reimmöglichkeiten bedingt; unter den e«-reimen hatte der dichter nur enzivei zu binden. Dennoch ist wichtig, dass Rudolf beide formen im reime zulässt.

herre oder herre? Im reim erscheint nur herre ( : verre, werre) und Jierren ( : verren, iverren). Die reimbelege s. 457.

Daraus zu schliessen, dass Rudolf nur herre, nicht aber Mrre sprach, geht nicht an, da er für das letztere gar kein bequemes reimwort zur Verfügung hatte. Die reimkategorie crre, merre, die bei Wolfram (vgl. Zwierzina, Festg. f. Heinzel s. 475f. und Zs. fda. 45, 19 ff.) eine rolle spielt, aber im all- gemeinen doch zu den Seltenheiten im reim gehört, ist bei Rudolf gar nicht vertreten; er war also gezwungen, das un- entbehrliche herre in dieser form zu reimen.

Ueber die vocale in nebentonigen silben ist niclit viel zu sagen; -ant ist regelmässig erhalten, ivtgant : zehant Gr. 813. 1343. 4969 u.s.w. in mehreren bindungen. Ebenso sind reime

Beitrage zur geschichte der deutschen spräche. XXVll. 3j^

474 JUNK

wie tvigande : lande G. 1743. 6103. 6467 u.s.w. selbstverständ- lich. Aber rient : schrtent B. 115, 39.

Im übrig-en ist es überhaupt schwer, hier aus dem reim zu schliessen, da es sich um nebentonige silben handelt, im reim aber meist ein hochton gebunden wird. Dies gilt z. b. gleich für das schwanken zwischen volltonigem iemdn und ge- schwächtem iemen. Dass das erstere tatsächlich so betont war und zu einem stumpfen reim verwendet werden kann, bezeugen die reime ieman : geivan G. 4053. 6123. ß. 59, 5. 197, 35; nieman : geivan G. 2031. 3391. Vgl. Mhd. wb. 2, 1, 40. i) Ge- schwächtes iemen, niemen reimt nur einmal, und zwar G. 5313 auf einander, wo es gegen die Überlieferung in beiden hss., aber mit voller berech tigung, angesetzt ist:

daz rihtet leider meinen.

funden die herren iemen, der . . .

Im B. erscheint es überhaupt nicht im reim.

Die betonung des volleren iemdn wird auch metrisch be- stätigt, wo es im versinnern anzutreffen ist:

G. 498. swes ieman gedenken wil. Gr. 4894:. swäz iemän erdenken mäc.

Dagegen 2)

Gr. 6741. da tüsent jär sint ein tac,

die niemen völrecken (besser: volle recken) mäc. B. 185, 33. owe, vater, Aver tuot daz ?

owe, niemäu. ez ist ze läz

al der Hute sin gen dir.

Nur darf man nicht weiter gehen und getrennte Schreibung ie man verlangen; ieman ist ein compositum, dessen einzelne bestandteile ie und man nicht mehr als solche empfunden werden, wie der vers zeigt:

G. 6123. daz groeste nnlieil daz ieman in sinen ziten ie gewan.

^) In dem von Dobereutz (Zs. fdph. 13, 165 ff.) abgedruckten geographi- schen excurs der Weltchronik reimt auch nieman : hau v. 465.

2) Im geograph. abschnitt der Weltchronik v. 164 (nach Doberentz a.a.O.) bei der beschreibung des landes Hevilath (Rudolf: Ejulät): grifen noch träcken nieman länt daz selbe gölt gewinnen da wäre wol auch, gegen die Überlieferung, niemen anzusetzen.

ZUM REIMGEBEAUCH RUDOLFS V. EMS. 475

Hier ist wol auch der ort, über die Verwendung des sufflxes -inne und seiner Vereinfachungen -in, -in zu sprechen. Eudolf reimt hier:

keiserinne : minne G. 163. 233. Jcuneginne : minne G. 4909. 4928. 5019. 6477. : sinne G. 5241. vriunäinne : sinne B. 64, 15. gotinne : minne B. 245, 37. 259, 27. : sinne B. 249, 17. 257, 31. 258, 35.

Diesen fällen aus dem auch sonst zahlreichen typus -inne i) stehen nun gegenüber die folgenden mit der dehnform -m-):

Jceiserin : haldekin G. 3573.

künegtn : stu (esse) G. 3943. 5029. 5625. 6585. B. 64, 27- : stn (suus) G. 1749. 2749. 3923. 4223. 4671. 5885. : min G. 4897. 5671. : Ein G. 5197. 5233. : scJun G. 5699. : vingerlin G. 6501. : (Un G. 6703. B. 63, 39 und Sängerin : sin B. 252, 7.

Von den kurzformen auf -in^) finden sich gereimt:

keiserin : in (eis) G. 161, und künigin : in (eum) G. 5107,

wovon der letztere reim nach Lachmann (Zs. fda. 1, 200. Zwier- zina, ebda. 45, 78) in hünecfm : sin zu verbessern ist.

Was nun die Verteilung der drei formen betrifft, so bringt G. alle drei, besonders -inne und -in, B. kein -in, sondern nur 1 -inne und 2 -in. Wie schon Zwierzina (a. a. o.) angedeutet hat, ist die Seltenheit des Vorkommens der beiden worte küne- ginne und keiserinne im B. gegenüber dem G. für die reim- technik des dichters kein beweis, sondern ergibt sich aus den verschiedenen stoffkreisen der beiden dichtungen. Im G. spielt eine wirkliche küneginne, die von England, und im anfang eine keiserinne, die gemahlin Ottos, eine rolle; unter den an- geführten 27 fällen des G., stehen die worte 25 mal in dieser tatsächlichen bedeutung, nur einmal, G. 3573, keiserin im ver- gleiche gebraucht, und nur einmal, G. 163, keiserinne im über- tragenen sinne: die königin des himmels bezeichnend. Nur von diesen zwei mciglichkeiten können wir erwarten, dass sie in der christlich -asketischen fabel des B. an Wendung finden; und tatsächlich bringen die zwei fälle im B., nämlich 63, 39 und 64,27 (beide male künigin) die 'himmlische königin' Maria, entsprechend den beiden stellen in übertragener be- deutung im G. Eine wirkliche königin tritt im B. (bis auf

1) Die zahl der reiunnöglichkeiten beträgt in dieser kategorie (minne, sinne, inne und drinnc) 31 ohne die oben angeführten fälle.

2) Zahl der reimmöglichkeiten bei Rudolf 421. 2) Unter 186 reimmöglichkeiten.

31*

476 JUNK

die kleine episode mit der sj^risclien königstocliter 302, 33 bis 308, 28) gar nicht auf, es fallen daher die im G. so zahlreichen reime dieser worte weg. Rudolf braucht also seine reimtechnik vom Gr. zum B. nicht geändert zu haben: der stoff gab ihm keine gelegenheit, die beiden worte im B. so oft in den reim zu setzen.

Andrerseits aber sind wir wol nicht berechtigt, die eine auftretende kurzform Jceiserin G. 161 mit Zwierzina (a.a.O.) wegzuschaffen und so einen quantitativ ungenauen reim -in : m .hervorzurufen (vgl. das auf s. 449 gesagte), der wie der früher besprochene hin : sclun G. für Rudolf ein ursprüngliches schwanken in der quantität des i vor n bezeugen soll. Als 'für den Gerh. charakteristisch' würde diese quantitative un- genauigkeit durch unseren reim l-eiserm : m schon gar nicht sein, da Rudolf im Bari, eben verminderte gelegenheit hatte, das wort zu reimen, wir also nicht wissen, wie er es hier gehalten hätte.

Die form auf -in ist also meines erachtens nicht zu be- anstanden. Auch Hartmann von Aue, mit dem unser dichter in manchen eigentümlichkeiten und zwar oft im gegensatze zu andern dichtergruppen zusammensteht, hat ein hünegin mit kurzem i im Erec und 3 im anfange des Iwein, dazu einmal meierm : m A. Heinr. 1437 (Zwierzina a.a.O. s. 80).

Es bleibt somit nach meiner meinung die tatsache bestehen, dass Rudolf im G. alle drei formen auf -inne, -in und -m an- wante, wenn er auch die auf -m trotz zahlreicher reimmöglich- keiten zu vermeiden trachtete (was zugegeben werden muss) und im B. überhaupt nicht mehr gebrauchte, vielleicht weil er wusste, dass sie nicht gleiche geltungsberechtigung hatte wie die beiden volleren formen.

Der mangel an den beiden Worten hmeginne und keiserinnc scheint im B. durch gotinne und das der bedeutung nach mehr gleichgiltige und verblasste vrhmdinne ausgeglichen, die bei Rudolf nur in dieser form vorkommen; zweisilbige bildungen wie friundin, bei denen die beiden accente so dicht zusammen- treten, sind mhd. wol Seltenheiten, ein gotin gibt es wol über- haupt nicht. 1)

1

1) Das Mhd. wb. 1, 558a verzeichnet hloss 1 goitn (Parz. 750, 5), wo es

ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V. EMS. 477

Auch für den plural tritt bei Rudolf -in ein, wie die bin- dung Sängerin (acc. pl.) : sin (esse) B. 252,7 beweist; vgl. DWb. 5, 1702.

§ 6. Contraction von -agest, -aget und -egest, -eget zu -eist, -eit. Zwierzina hat (Zs. fda. 44, 345 ff.) das resultat in bezug auf diese contractionsformen zusammenfassend widergegeben: Eudolf gehört in die gruppe 'meist alemannischer und frän- kischer dichter', die sowol trcit (freist) und leit (leist, leite, geleit), als auch seit (seist, seite, geseit) contrahiert reimen, da- gegen ein meit > maget, geMeit > geldaget u. dgl. m. nicht kennen. Seine bemerkung jedoch (a. a. o. s. 346) 'in mhd. zeit reimen alle alem. dichter . . . neben seit, seist, geseit auch . . . saget, sagest, gesageV bedarf für unseren dichter einer kleinen einschränkung. Eudolf gebraucht den sg. ind. praes. nur con- trahiert: äü seist, er seit,^) daneben kein ind. du sagest, er saget; diese nicht contrahierten formen sind für den conj. da sagest"^) und für den imperativ saget I'^), welch letzterer wol auch für die nicht belegte 2. pl. ir saget mitgelten kann, vorbehalten.

im versinnern steht (Lachmann , Wolfram * s. 353) ; gotin ist aber eine Schreibart Lachmanns, wie ich vermute, um den zweisilbigen auftakt stner zu beseitigen; die hss. haben durchweg -mne. Bartsch (Wolfram [1877] 3, 128) hält sich an die Überlieferung.

Was vriundin betrifft, so ist die scansion erleichtert durch den langen diphthong der ersten silbe, der auch zweisilbig gelesen werden kann; hierher gehört von den belegen des Mhd. wb. 3, 4r2a friwendin MS. (Bodmer) 1,41b. Die übrigen daselbst angeführten fälle: /■m/»f//'>i Walther 63, 31 (auch 20 und 24), Parz. G28, 5 sind ebensogut mit kürze des i zu lesen. Schwerer wiegen reime wie frimidin : sin Tristan 18597 und die bei Zwier- zina (a. a. 0. s. 80) aus dem Erec angeführten , oder im versinnern Wolfr. Lied. 3, 15 (Lachm.) Besonders schwer treten die beiden accente, der haupt- und nebenaccent, aneinander in grcevtii Erec G478. Solche formen sind wol sehr spärlich vertreten.

1) Die belege sind : du seist : loeist B. 84, 27. 182, 7. 322, 27. : rjeist B. 101,21. er seit : -heü und -Jceit G. 43. 153. 803. 6603. 6759. B. 12,23. 22, 37. 71, 15. 73, 1. 131, 11. 193, 19. 207, 31. 256, 21. : bereit G. 6791.

2) sagest : verdac/est G. 1111. : -jagest B. 122, 11. 361, 27 (nach § 365 von Pauls syntax); vgl. die sing.-form er sage : klage (subst.) B. 87, 19. : ich trage B. 347, 7.

3) saget! : verjaget (part.) G. 1359. 5299.

478 JUNK

Nur für das praet. und part. gilt Zwierzinas regel unein- geschränkt, denn hier finden wir beide formen promiscue: 4 mal er scite und 4 mal er sagcte, ') pl. 4 mal selten und 1 mal sageten.-) Part, gescit und composita erscheinen begreiflicher- weise sehr oft gereimt, ich zähle 164 fälle; dem stehen gegen- über 16 reime mit der uncontrahierten form gesaget, ^) wobei zu bedenken ist, dass die reimmöglichkeiten auf -aget natür- lich viel geringer sind als die auf -eit.

, Diese 16 fälle für gesaget, maget, gejaget, vertaget, hetaget, geldaget^) reimen nur unter einander, nie auf altes -eit (z. b. -heit, -Jieit, her eit u. s.w.): ein sicherer beweis, dass sie uncon- trahiert geblieben sind. Rudolf kennt kein meit, geJdeit u.s.w.

Aehnlich, wenn auch durch weniger belege gesichert, liegen die dinge bei tragen und legeti.

Wir finden für den ind. du treist kein tragest,^) der conj. ist nicht belegt. '^) Ebenso die 3. sg. er treit immer contrahiert in 72 bindungen; darunter niemals eine 2. pl. ir seit.

Endlich legen. Im reime erscheinen bloss er leit,. praet. leite, leiten, part. geleit in zahlreichen eindeutigen bindungen.

Eudolfs gebrauch stimmt in dieser hinsieht mit dem Hart- manns überein (Zwierzina, Reimgebrauch Hartmanns und Wolf- rams s. 471), im gegensatz zu Wolfram.

^) er Seite : hreäc (adj.) G. 1265. 6063. : leite (praet. von legen) B. 43, 11. 248, 13. sageie : jageie B. 25, 21. : behagete B. 127, 37. : ge- dagete B. 208,29; sonst hat dieser typus überhaupt mir noch eine bindung, nämlich gedagete : tagete B. 391, 5.

^) Seiten ; leiten (praet. von legen) B. 24, 7. 229, 31. 269, 23. 327, 27. sageten : betageten B. 328, 21.

s) gesaget : maget G. 3551. B. 64, 29. 65, 27. 98, 37. 147, 5. 150, 39.

: verdaget (part.) G. 6675. B. 35, 25. 402, 33. 403, 27. : {ge-, vcr-) jaget (part.) B. 35, 29. 195, 15. 271, 9. 288, 27. : verjaget (3. sg.) B. 142, 19.

: behaget (3. sg.) B. 232, 15.

*) (ver-, be-) jaget (part.) : unverzaget B. 9, 35. 302, 13. : betaget (part.) B. 217, 25. Ferner jaget (3. sg.) : betaget (3. sg.) B. 119, 15. maget . gejaget (part.) B. 146, 23. 170, 1. - : hetaget (part.) B. 271, 33. - : gc- klaget G. 2237.

') treist : volleist (subst.) G. 1941. 2263. : weist G. 4597. B. 358, 15.

igeist B. 176,35.

ö) Ansser für die 3. sg. trage : behage (conj.) G. 2859. 5467. B. 365, 37.

ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V. EMS. 479

§ 7. Contraction von -ihest, -ibet und -igest, -iget zu -ist, -it. Zwierzina hat Zs. fda. 44, 397 ff. Eudolfs verhalten in bezug auf lit untersucht. Es erscheinen im reim:

du (jht : sist G. 4369. B. 157, 25. 320, 25. 333, 15. er (jU ( : zit, strtt, sH [estis] und Davit) 41 mal.

er Vit ( : zit, sit [estis] und strit) 13 mal.

Unter einander er lit : er gU G. 4633. B. 126, 13 und 176, 17.

Eeimmöglichkeiten für ligt fehlen nicht ganz, wie die folgen- den reime zeigen:

2)hlifjt : wigt B. 106, 11. 155, 29. 325, 5. phligt : gesigt B. 111, 3. 235, 29. 241, 7. 246, 17 und gesigt : ivigt G. 6609.

Nur der plur. geligent : gesigent erscheint noch B. 226, 3 im reime.

Ganz fehlen die reimmöglichkeiten nur bei gibt.

IL Consonantismus.

§ 8. Einfache consonanten.

Wie im vocalismus, so zeigt Rudolf auch im consonantismus strenge gesetzmässigkeit und eindeutigkeit der formen, die meist dem lautstande entsprechen, wir wir ihn in der spräche der höfischen epiker gewöhnt sind. Rein dialektisches lässt sich auch hier wie bei den vocalen nicht viel nachweisen.

Von im mhd. schwankenden doppelformen erscheinen bei ihm im i'eim z. b.:

gaden : geladen B. 152, 15.

lieber die doppelformen ruom und ruon vgl. Zwierzina, Mhd. stud., Zs. fda. 45, 72, anm. Es reimen :

ruom : -tuom G. 173. ') 6097. 6195. 6273. 6717. B. 35, 37. 73, 9. 86, 19. 114, 19. 146, 7. 161, 13. 227, 5. 341, 27. 396, 39.

ruome : -tuome G. 667. 5709. B. 196, 5. 340, 9. 400, 39. : hluome B. 22, 31. 213, 21.

ruon : tuen G. 937. 987. 1101. 1115. 4305. 6295. 6901.

Dabei scheint es mir aber nicht ganz gleichgiltig zu sein, dass ein eigentliches schwanken der m- und w-form nur im G. stattfindet: 7 mal ruom{e) und 7 mal ruon; die Verteilung ist gleich; beide formen sind üblich und gleichwertig. Im B. da-

') Dieser reim {ruom : erzchistHoni) fehlt in der aufzählung Zwierzinas.

480 JUNK

gegen finden sich 14 mal die m-formen ruom{e), Omal riion\ also eine entschiedene hegünstigung der m-iorm, wobei ins gewicht fällt, dass B. mehr als doppelt so viel verse hat als G.

Nur darf man nicht von reimen zwischen m und n sprechen (Weinhold, Mhd. gr. §216): dies erweckt eine falsche Vorstellung, denn die hier angeführten beispiele sind durch Schwächung bewirkte doppelformen, die bei Weinhold a. a. o. zum vergleiche angeführten dichter reimen aber ungescheut altes -m auf altes -«; so auch Walther nam : spihnan (63, 3) und lam : man (106, 26). ') Dieses nun findet sich bei unserem dichter niemals, es handelt sich bei ihm nur sozusagen um landläufige doppelformen. Also aus der liste des dichters, die sich m auf n zu reimen gestatten (Weinhold a. a. o.), ist der name Rudolfs von Ems zu streichen.

Nur einförmig (wol unter dem zwange des reims) kennt Rudolf hehl ('heim') und lein (subst.) Die fälle sind bei Zwier- zina a.a.O. angeführt.

r fällt aus in tverlt. Die bei Rudolf im reim (übrigens selten) auftretende form ist weit : geselt B. 67, 39. : gelt B. 96,21. 130,3; wobei zu bemerken ist, dass der erste reim B. 67, 39 den gen. sg. tvelt bringt, also nicht tve(r)lcle, der zweite fall den dat. widerum ivelt, nicht ive{r)lde, der dritte den acc. Es lautet also der ganze sg. einförmig tvelt.-)

Ob der dichter aber hier durch die Unmöglichkeit, das wort in der form tvcrlt, tverlde zu reimen (denn auf -erlt, -erlde gibt es sonst keine mhd. reime) gezwungen war, es in der form weit zu verwenden und nicht anders, oder ob er nur diese form kannte und daher ohne anstoss in den reim setzte, kann bei der geringen anzahl von reimen dieses typus nicht ent- schieden werden; denn ausser den drei besprochenen reimen finden sich hier^) nur noch zwei: gezelt (subst.) : gelt (subst.) B. 133,25 und velt (subst.) : gelt (subst.) B. 310,7.

Unverschobenes germ. t erscheint in gesät, und zwar:

(jesat : stat G. 529. 5281. 5335. 6263. B. 117, 1. 118, 11. 120, 5. 130, 27.

1) Uebrigens lasse ich es dahingestellt, oh hei 106,26 wirklich ein ahsichtlicher hinnenreim vorliegt; die Sprüche desselben metrums 106,17. 106, 31. 107, 3 und 107, 10 hahen an dieser stelle keinen reim.

2) So lieht Endolf auch hei den fem. der /-klasse die ai)okopierten, zugleich umlautenthehrenden formen. Vgl. § 15.

2) Natürlicli kommen nur e : r in hetracht. Vgl. § 2.

ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V, EMS. 481

210, 35. 324, 9. 340, 17. 349, 17. 370, 17. 395. 29. : hat B. 339, 15. versat : stat B. 369, 3.

Hierin nun werden wir allerdings den einfluss des ale- mannisclien dialekts erkennen müssen.

Der dichter konnte ein so bequemes reimwort (unter 30 reimen stat : hat : trat : pliat : mat) nicht missen und ver- wendete es daher ebenso wie Hartmann, Gottfried u. a. (Wein- hold, Mhd. gr. § 194. AI. gr. § 176. Zwierzina, Beobachtungen s. 484 f. und Zs. fda. 45, 45). Daneben erscheint aber zweimal gesetzet : ergetzet^) G. 4051, entsetzet : geletzet B. 316, 19.

z wird als spirant, nicht als affricata gesprochen in

reken (Weiuliold, iAIhd. gr. § 207) : gelicizen B. 116, 9. 291, 31. reizet : heizet G. 601 imd reizent : heizent B. 95, 23. Uebrigens ebenso wie Rudolfs Vorbild, Gottfried im Trist. 1405: heizest : reizest.

G. 1753 reimt unser dichter ivas : vcrgaz, was bei seiner sonstigen genauigkeit unerhört ist;-) Haupt 'weiss den falschen reim nicht zu verbessern. Fehlen zwei zeilen?'. Am ein- fachsten ist für das in den hss. überlieferte (A waz, B wase) nach Lachmanns und Wackernagels Vorschlag (Zs. fda. 1, 199) saz einzusetzen und unter berufung auf v. 1645 {dö sach ich . . . fünfzehen sitzen dort) zu lesen:

G. 1751. die man dich dort lie scbouweu bi vierzeben vrouweu daz si diu fünfzebende saz, an der got Wunsches niht vergaz.

§ 9. Consonantenverbindungen. Hier spielt die erweichung des t nach n im praet. der schw. verba mit rückumlaut eine rolle. Rudolf reimt

erJcande : lande G. 1135. 2801. B. 145, 27. 302, 37.

erJcanden : landen B. 327, 39.

sande : lande G. 2991. 5095. 5817. B. 188,19. 272,35. 293,5. 362,25.

Ferner unter einander:

erkande : nande G. 1379. 6297. B. 54, 23. 248, 25. 356, 35. : sande (praet.) G. 1875.

erkunden : nanden B. 14, 13. 55, 11.^)

1) Bei Zwierzina, Zs. fda. 45, 45 übersehen.

^) Die reime -az : -az sind in § 1, s. 448 citiert; ebenso reimen nur -US : -as 120 mal, dazu ein reim erdewase : grase B. 117, 3. Dasselbe resultat in bezug auf die consonantiscb vollkommen genaue entsprechung zeig'eu die reiratypen -ast-, -äst u. s.w.

3) Sonst reimen in dieser gruppe nur alte d: hotdc : wigandc G. 1743.

482 jüNK

Dem stellt nun ein fall gegenüber B. 281, 1: erlmnte : wanie. An sich nentral, Hesse sich auch dieser reim in das oben ge- fundene ergebnis einstellen (erhinde : tvande), doch ist eben grade das praet. tvande sonst nicht belegt, also vorsieht geboten.

Was die part. praet. betrifft, so reimt bei Rudolf nur:

erkant (: zeJiant G. 995. 1983. : vcoit G. 1235. : laut G. 1253. 1257. 1267. 1309. 1353. 1491. 1737. 1787. 1933. : haut G. 1761 u.s.w., ebenso im B.), genant (:lant G. 181. 603. 1087. 1151. : luuü G. 205.

: vant G. 913. : zehant G. 1125. 1383 u.s.w., ebenso im B.), gewant ( : lant G. 1505. 2027. 2185. 3217. : zehnnt G. 1733 u.s.w., ebenso im B.), gesant ( : haut G. 1107. : lant G. 1741. 1991. 2269. 2465. 4189. 4295.

: gemant G. 2739 u. s. w., ebenso im B.), geschant ( : nnbeJcant B. 194, 27.

: haut B. 232, 3 u. s. w.), daneben kein erJcennet, genennet, geivendet, ge- sendet, geschendet; wol aber einmal enhrennet (part.) : erkennet (3. sg.) B. 348,21, dem unter so zablreichen reimen axif -ant nur ein gchrant ent- gegensteht, nämlich verhrant : erkant B. 339,25.')

Auch U erweicht unser dichter zu 7(7; die in betracht kommenden beweisenden bindungen sind:

solde : goMe G. 1519. B. 69, 3. toolde igolde G. 2917. 6309. B. 211, 1.

Die grösste zahl der diesem reimtvpus angehörigen fälle ist aber neutral, und spricht daher nicht dagegen. Die heraus- geber haben (den hss. folgend) bald U, bald 7f7; ich führe das erwiesene Id überall ein:

solde : uwlde G. 491. 653. 1213. 1473. 2493. 2947. 3925. 4383. 5965. 6515. B. 57, 27. 66, 3. 141, 13. 169, 29. 178, 7. 305. 37. 338, 5. 355, 7.

Salden : wolden G. 4261. 5753. B. 52, 13. 71, 21. 90, 33. 194, 35. 270, 15. 368, 15.

sohlent (2. pl.) : woldent G. 893.

B) Erscheinungen aus der flexionslehre.

I. Conjugation.

§ 10. Die reduplicierten verba.

Ueber die form des inf. rähen, die bei Rudolf niemals

ohne guttural (vän) auftritt, vgl. Zwierzina, Zs. fda. 45, 48 f.,

wo auch die reimbelege verzeichnet sind. 2) Für das compo-

6103. 6467. : gewande B. 166, 25. : brande (dat.) B. 248, 1. schänden (siibst.) : banden (subst.) G. 6379.

') Vgl. eine ähnliche doppelheit bei gezalt und gezelt § 14.

'■') Dabei hat Zwierzina den reim mnbevähen : nahen G. 4071 übersehen.

ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V. EMS. 483

situm mit vcr- nimmt Zw. aber die contraliierte form vervän in anspriicli nnd stützt sich dabei einerseits auf den vereinzelten reim G. 5463 er verrät : rät, andrerseits auf die parallele, die diese Verwendung bei Hartmann findet. Wenn mich ein grund Zwierzinas überzeugen könnte, so wäre es dieser letztere. Aus dem einzigen fall verrät : rät würde ich es nicht wagen, Eudolf die form mit dem guttural abzusprechen; denn erstens gibt Zwierzina (a. a. o. s. 49, anm. 1) selbst zu, dass das wort bei Eudolf selten ist, dass auch sein praet. vervie nur 2 mal über- haupt (unter den 23000 versen, die betrachtet werden) im reim erscheint, andrerseits sind die reimmöglichkeiten für die /(-formen dieses Wortes überhaupt sehr gering im vergleich zu den Ä-losen; man vergleiche die reimmöglichkeiten: Rudolf reimt in den gedruckten gedickten

-ahe 1 mal gegenüber ^) 158 mal -(Vten 24 mal -an 362

-fihest 2 mal -äst 12

-dhet OmaP) -ät 301

-angen (part.) 5 mal -an 362

Dieses argument hat Zwierzina für die formen vähen und enpJiähen (im gegensatze zu vän, enjjhän) geltend gemacht: warum soll es nicht auch auf vcrvähcn angewendet werden können? Uebrigeus erscheinen im Innern des verses formen mit h, z. b. der inf. vervähen B. 216, 5 und o. sg. vervähct B. 94, 7. 182, 9. 335, 14 und wol noch öfter, bei übereinstimmender Über- lieferung (Mhd. wb. 3, 209 a), die doch nicht ganz übersehen werden dürfen.^)

Was das praet. anbelangt, so reimt Rudolf die vollen formen auf -ietic überhaupt nur 2 mal, nämlich hienc : gienc B. 119, 23 und hienc : cnpliicnc B. 357, 39; weitaus überwiegend ist das praet. auf ie: -vie, {en)p}iie. Die belege finden sich bei

') Dies müsste ja die eiidung des couj. praes. sein, wenn die form mit Jt, vervähe, nicht gelten soll.

■■') Eudolf konnte also ein vcrvähet, wenn es seine form wäre, gar nicht untergebracht haben; er musste vervät reimen.

*) Kudolfs verhalten kann hier höchstens dem Hartmanns ähnlich ge- nannt werden, nicht aber 'ein schlagendes analogen', wie Zwierzina (a.a.O. s. iS) sagt, der übrigens zugeben muss, dass Rudolf sich in diesem aus- einanderhalten der beiden formen 'nicht zu reinlicher Scheidung auf- schwingt'.

484 JUNK

Zwierzina. der daran eine überaus feinsinnige aiiseinander- setzung- über die Verteilung der form vienc einerseits und der durch reime auf lie, hie (liic), te, nie, l-nie, sie gesicherten kurz- form -vie knüpft.

Bei häJien fällt besonders ins gewicht, dass sich das so leicht reimbare praet. hie gar nicht findet (Weinhold, Mhd. gr. § 357), sondern nur jene oben citierten zwei fälle auf gienc und enphienc, wodurch diese form hienc als die Rudolfs er- wiesen wird (Zwierzina a.a.O. s. 51).

"Vom verbum läzen reimt Rudolf im praet. wider doppel- formig, und zwar:

liez : hiez G. 307. 1127. 1167. 4545. B. 47, 19. 60, 35. 67, 5. 137, 35. 251, 1. 252, 5. 283, 37. 339, 23 (der typus hat nur noch 10 reime, ist also nicht sehr zahlreich).

-lie : nie G. 275. 1965. 2915. : hie G. 445. 1955. 2653. 3041. 3651. B. 71, 39. 73, 23. 287, 37. 298, 7. 310, 15. : ie B. 178, 13. 309, 15. 363, 39. : Jcnie B. 393, 13, dazu die 8 bindungen mit -vie (bei Zwierzina) und -lie : -gie G. 877. 1469. 5025. 5103. 6041. 6511. B. 32, 9. 117, 17. 135, 25. 146, 13. 164, 31. 165, 11. 188, 9. 277, 25. 284, 13. 330, 17. 375, 25. 376, 29.

Also auch hier die form lie öfter als lies'^) im reim; liez ist dem dichter aber auch ganz geläufig, und wo er gelegen- heit hat {hiez, stiez), setzt er es auch in den reim. Beide formen scheinen gleichwertig.

Endlich gän.

Dem vorcitierten einmaligen gienc : hienc B. 119, 23 stellen sich gegenüber:

-gie : hie (hie) G. 55. 77. 377. 1895. 2299. 3539. 4149. 4197. 4895. 4943. 6011. 6437. B. 16, 37. 40, 3. 61, 5. 70, 7. 76, 7. 88, 37. 90, 27. 113, 25. 139,35. 170,19. 171,3. 171,13. 177,35. 179,27. 180,13. 186,33. 190,23. 199,35. 222,5. 272,7. 273,1. 282,27. 289,15. 292,37. 324,11. 328,5. 337,29. 363, 9. 364, 17. 381, 9. 384, 17. 385, 35. 390, 31. : knie G. 295. 2217. B. 163, 19. 331, 23. 349, 23. : ie G. 105. 983. B. 7, 29. 44, 31. 121, 31. 143, 37. 164, 39. 269, 17. 317, 7. 326, 31. 380, 27. 397, 3. : nie G. 1625. 2943. B. 362, 15. 397, 25. : sie G. 4879. B. 115, 1. 401, 19. : ivie B. 75,15, dazu noch die oben angeführten 18 fälle -gie : -lie und die indifferenten auf -vie G. 719. 1055. 1447. 2325. 4723. 6343. B. 28,25. 114,;27. 123,35. 170,13. 173,3. 205,9. 208,33. 282,3. 282,37. 317,33. 400,13.

Ueberall also, mit ausnähme von hähen, finden wir die verkürzten formen auf -ie bevorzugt; diese boten dem dichter

1) Wolfram z. h. meidet sie, bis auf eine stelle Parz. 392, 3 (vgl. Zwier- zina, Reimgebr. Hartmanns und Wolframs s. 468).

ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V. EMS. 485

Überaus bequeme reime und machen ihm diesen reimtypus zu einem der geläufig'sten; daneben bleiben jedoch die eingangs citierten fcälle für die volleren formen bestehen, denn der dichter entscheidet sich in keinem der betrachteten fälle, liähen ausgenommen, für eine einzige form, er hat nur meist recht wenig gelegenheit, die vollere form zu reimen; wo er diese gelegenheit aber hat, z. b. bei liez, da erscheint sie auch öfter im reim.

Ganz ausser gebrauch konnten diese formen {gicnc, hienc, vknc, lie£) ja übrigens niemals kommen, da der plural immer wider die erinnerung daran weckte und lebendig erhielt.

Im anschlusse daran einiges über die Verteilung der doppel- formen (jän gm u. s. w.

Es erscheinen im reim inf. guti, niemals gm; für inf. gen ist keine reimmöglicbkeit vorhanden ; ferner du gast : hast B. 168, 7, welchem nur indifferente gest : stest B. 100,25. 177,31 entg-egen stehen; dann sie gant : hänt B. 250, 1. ')

Im conj. treten nur die t'-formen auf, und zwar: ge : sie (conj.) G. 194:7. 2595. 3105. : me G. 4101. 4963. B. 30, 39. 71, 29. 79, 17. 106, 31. 155, 35. 181, 19. : e G. 4293. B. 35, 13. 194, 9. : se B. 239, 19.

§ 11. Die praeteritopraesentia. In bezug auf den umlaut im conj. verhalten sich diese verba verschieden.

1. mac.

Eudolf reimt den conj. niüge : Irüge'^) (conj.) G. 927. : lüge (subst.) B. 238, 31. : trüge (subst.) B. 348, 7. Der conj. lautet also umgelautet. Vgl. das ähnliche resultat bei den conj. der ablautenden verba träge, lüge, Züge (s. 462). Plur. ist nicht belegt, daher muss auch der vocal des inf. unentschieden bleiben.

Was das praet. betrifft, so reimt

mohte (ind.) : tohte (ind.) G. 219. B. 47, 15. 54, 35. 140, 9. 263, 23. 370, 1.

möhte (conj.) : tohte (conj.) G. 939. 3545. 5315. 5397. 6687. B. 26, 1. 222, 25. 222, 39. 38(5, 33. Plur. möhtcn : töhten G. 4155.

Für andere als diese bindungen gab es wol keine möglichkeit.

2. sol

Der conj. lautet sül : mül B. 239,17, also wider mit umlaut, da er auf sicheres ü reimt.

lieber das erweichte Id im praet. vgl. § 9, s. 482.

^) Die vielen indifferenten bindungen auf formen von stu)i, sten zähle ich nicht mit.

^) Nach § 3, s. 462 ist dies eine beweisende bindung.

486 JUNK

3. Tian.

Der vocal des conj. praes. ist aus den reimen niclit zu ermitteln, s. s. 460 f.

Vom praet. reimen die ind. Tcimäe : stunde B. 10,25. 43, 1. : munde Cr. 2321. : (jnnule G. 6361. Plur. l-unden : funden (iud.) B. 242, 39.

-.funden (conj.)') G. 5323. B. 195,9. : undencunden (ind.) G. 5801.

: stunden B. 6, 9. Ferner die conj. Jcunde : stunde G. 895 (nach Paul, Syntax § 360). : munde G. 6185. : vunde (conj.)i) B. 17, 1. 138, 15. 152,7. 308,1. Somit ind. und conj. praet. gleicli ohne umlaut: künde, vgl. dazu das ergebnis für die ablautenden verba: vunde s. 459.

4, muoz.

Der conj. praes. lautet müeze : süeze G. 451. 2571. 3101, also wider ganz sicherer umlaut (obwol auch für unumgelautetes -uoze 6 reimmüglich- keiten vorhanden wären, für -üeze allerdings 19).

Das praet. dieses verbs erscheint nicht im reim, wol weil geeignete reimwörter fehlen.

5. IV ei 2.

Von den möglichen formen des praet. ivisse, icesse, wiste, weste findet sich keine im reim, ebensowenig das part. praet., das der dichter aber als geivizzen'^) B. 191,13 im versinnern verwendet.

Zu 6. touc vgl. das bei mohte, mähte erwälinte. Der conj. praes. erscheint nicht im reim, dürfte aber wol mit aller Wahrscheinlichkeit als füge angenommen werden können (s. s. 462).

Das resiiltat ist somit für den conj. praes. von mac, sol und 7nuoz umlaut {müge, säl, mäeze und liöclistwalirscheinlich auch touc : tüge\ unentscliieden bei lan; niemals also beweis g-egen den umlaut. Im conj. praet. liersclit sichere umlaut- losigkeit bei han : hmde. mähte : tältte sind neutral.

§ 12. hörnen. Rudolf stellt in den reim

3. sg. Imnt : vrumt G. 3845. 5393. B. 96, 7. 100, 37. 131, 23. 167, 23. 275,27.291,29. : drumt G. mh. B. 33, 11. 1. pl. komen : henomen B. 131, 37. 8. conj. kume : frume G. 563. 3. pl- conj. komen : henomen B. 89, 19. iuf. komen: (ge)nomen G. 699. 731. 3629. 5141. 5851. B. 17, 17. 20, 35.

1) lieber dessen sicheres u vgl. § B, s. 459 f.

2) Aber nicht adjectivisch (Paul, Mlid. gr.* § 172, 1), sondern als wirk- liches particip: möht ich das e gewizzen hän ^ 'hätte ich das früher gewusst'.

55UM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V, EMS. 487

34, 15. 66, 7. 71, 31. 87, 13. 90. 9. 90, 19. 115, 15. 135, 19. 165, 25. 208, 25. 231,5. 257,25. 268,17. 310,1. 371:, 19. 393,31. Substantiviert komen : be- nomen B. 91, 21. 187, 39.

praet. ind. 1. 3 kam {erkam) : -nam G. 439. 567. 635. 1269. 2041. 2677. 2819. 3231. 3443. 3453. 4011. 4709. 4947. 5283. 6609. 6823. B. 25, 5. 37, 31. 41, 17. 68, 9. 80, 3. 129, 21. 140, 25. 182, 23. 189, 3. 191, 27. 202, 31. 225, 9. 250, 39. 264, 29. 277, 27. 283, 27. 285, 35. 299, 33. 323, 13. 330, 13. 335, 35. 344, 3. 351, 39. 363, 35. 368, 27. 394, 5. : gezam G. 641. B. 90, 35. 292, 35.

: imulam B. 263, 13. : stam B. 253, 11. : lam B. 381, 37.

1. 3. pl. kämen : nämen Q. 3567. 5227. 6787. B. 88, 35. 89, 11. 338, 7. 339, 35. 400, 31.

praet. conj. 1. 3. kmne : nceme G. 1205. 2049. 3327. B. 390, 15. : (je- nceme (adj.) G. 1811. gezceme G. 3807. : iciderzceme B. 30, 17.

3. pl. kcemen : verncemen B. 224, 15.

part. praet. komen : (ge-)nomen G. 95. 705. 899. 1551. 1969. 2661. 3237. 3291. 3329. 3521. 4291. 4377. 4705. 5341. 5401. 5459. 5523. 5935. 6491. B. 21, 27. 32, 1. 80, 7. 88, 21. 112, 29. 119, 39. 121, 37. 134, 25. 143, 5. 180,39. 191,11. 191,19. 197,25. 198,37. 216,21. 247,15. 286,27. 286,39. 303,7. 332,23. 334,13. 336,5. 345,29. 363,13. 393,7. 401,21. : vromen (iuf.) G. 1211. volkomen (adj.) : (ge-)nomcn G. 1693. 4507. B. 128, 31. 174, 29. 206, 5. 307, 37.

Durch diese zahlreichen, widerspruchslosen bindungen ist das erg-ebnis gesichert: sg-. praes. -u-, pl. -o-, inf. und part. -o-, ganz regulär; praet. him, Mtnen, kcenie, nicht wie gewöhnlich mhd, lom, Mmen, hält also fest an der alten, alemannisch nicht aufgegebenen vocalisation (Notker cham, cliämen).

§ 13. tuon, hän und anderes.

1. tuon. Ind. und conj. werden im reim deutlich auseinander gehalten.

ich tuon (ind.) : ruon G. 987. 1115.

ich tuo (conj.) : zuo G. 4217. 5131. B. 201,7. 290,7. 334,19.

Im praet. herscht doppelformigkeit, indem neben 24 fällen tet 3 mal tde erscheint.

Die belege s. s. 458; vgl. auch Zwierzina, Zs. fda. 44, 104. Pluralformeu des praet. stehen nicht im reim. Der couj. praet. lautet tcete und erscheint in folgenden binduugen: {ge)tcete : hcete G. 1807. 2317. 6427. B. 29,27. 214, 27. 336, 35. : hcete G. 1891. : stcde G. 6633. ') B. 129, 3. 334, 37.

: gercete B. 14, 11.

2, hän. Zwierzina hat schon (a. a.o. s. 103 f.) auf die not- wendigkeit verwiesen, bei feststellung der von Kudolf ver- wendeten form für den ind. und conj. praet. auf die zahl der

^) Bei Zwierzina irrtümlich unter den reimen auf hcde verzeichnet.

488 JUNK

vorkommenden fälle im Verhältnis zu den reimmögliclikeiten rücksicht zu nehmen.

Unter 24: biuduugen auf -äte findet sich z. b. ein einziger ind. Jude : rate G. 5139.

Unter 9 bindungen anf -äten findet sich kein einziger pl. häten.

Unter 16 bindungen auf -cete findet sich ein einziger conj. luete : ge- taute G. 1891.

Typus -a-ten ist nicht vorhanden, also auch hier keine formen für den plural (Jueten, Jiäten) möglich, ebensowenig wie t(ften, taten.

Die formen hete, heteii sind ebenfalls nicht vertreten; dieser reimtypus ist überhaupt nicht da; wol aber sind reimmöglichkeiteu für hete (i) und h/ete (4) vorhanden.

Aus diesen Zusammenstellungen ergibt sich, dass Eudolf die formen Mtc, hete, Mete überhaupt meidet, obwol er gelegen- heit dazu gehabt hätte, aber auch die von den mhd. dichtem sonst gewöhnlich nicht beanstandeten formen häte (ind.) und hcete (conj.) nur je einmal in den reim setzt, und zwar beide male im G. Wenn man bedenkt, wie sehr sich einem erzähler auf schritt und tritt das praet. von Jiän aufdrängen musste, darf man hier wol von einem absichtlichen vermeiden im reim reden; der grund hierfür kann ein zwang der notwendigkeit oder bewusste vorsieht sein; das erste wäre der fall, wenn Eudolfs form hete gewesen wäre, hierfür hatte er keine reim- möglichkeit gehabt; dies ist aber nicht wahrscheinlich, denn die obigen fälle häte und hcete sprechen dagegen. Es kann daher nur die zweite möglichkeit eintreten: der dichter mied die praet. aus bewusster vorsieht, er wusste nicht welche der vier formen (die ihm vielleicht alle') geläufig waren) er an- wenden sollte, um seine reime unanfechtbar zu machen. Wäre ind. häte, conj. hcete die einzige form, die er kannte, so wäre nicht einzusehen, warum er sie nicht öfter als je einmal, und zwar nur im G., nicht mehr im B., in den reim setzt 2) bei einer so grossen zahl bequemer reimwörter auf -äte. Zwierzina (a.a.O. s. 103, anm.) hat gezeigt, dass Eudolf diese selbstbeschrän- kung später fallen lässt und in der Weltchronik häte und hcete öfter verwendet.

^) Mit ausnähme der speciell bair. hiete.

^) Vgl. das ähnliche verhalten Hartmanns, der auch häte in seinen früheren werken setzt, später aber vermeidet (Zwierzina a. a. 0. und Beob- achtungen s. 453. 497).

ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V. EMS. 489

Noch ein wort über die starken und schwachen doppel- formen von beginnen (vgl. Zwierzina a. a. o. 45, 30). Es finden sich neben 47 reimen mit began (auf dan, an, man, enbran) 6 fälle für begunde{n), und zwar:

begunde : stunde G. 1221. B. 12, 13. : vimde B. 23, 33. : hunde B. 265, 11.

begunden : stunden B. 53, 5. : übenvunden B. 277, 19.

Das starke überwiegen der form began über begunde, das Zwier- zina für Eudolf mehr als bei allen anderen epikern des 13. jh.'s constatiert, besteht wol nur für den reim, wo es durch das Verhältnis der reimmöglichkeiten erklärlich wird (17 -iinde gegenüber der unzahl auf -anl). Wie Zwierzina a.a.O. diesem gebrauche entsprechend 'began im versinnern genau so häufig wie begunde^ finden kann, ist mir aus seinen citaten nicht recht klar. Alle von ihm angeführten fälle bringen began, kein ein- ziger begunde. •)

Das part, zu zeln, mite lautet bei Rudolf gefeit und gesalt,^) denn es reimt

gezelt : weit (vultis) Q. 1393. B. G9, 23, und

gezalt : gewalt G. 313. 25G3. 4271. B. 2, 7. 67, 37. 99, 21. 125, 27. 147,25. 156,27. 157,19. 174,33. 241,11. 327,3. 345,11. 361,31. : cdt B. 389, 35.

II. Declination.

§ 14. Die substantiva. In der i-declination hängt die endungslosigkeit des dativs mit dem unterbleiben des umlauts enge zusammen; vgl. daher § 3 dieser Untersuchungen, nach welchem die endungs- und umlautslosen formen suht, vruht etc. im gen. und dat. sg. die von Rudolf verwendeten sind; dazu kommen weiterhin:

jugent (gen.) : tugent (acc.) B. 303,1.^)

1) B. 12, 22 hat allerdings durch einen unsinnigen Schreibfehler der hss. DK begonden, ferner B. 331, 18 (nicht 48) hs. B begund, sonst aber immer began (in den citaten Zwierziuas muss es heissen 56, 18. 150, 15. 21. 331, 48 statt 56, 17. 115, 15. 21 und 331, 48).

«) Mhd. wb. 3,844,33 b.

') tugent könnte hier allerdings auch als dat. aufgefasst werden, ist aber wol eher acc. Das Mhd. wb. gibt keinen sicheren aufschluss , doch kann die stelle:

diu (= die schöne königstochter) begunde troesten sich

Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVII. 32

490 JUNK

jugent (dat.) : titgent (uom. acc.) G. 1157. 3187. B. 25, 9. 27, 9. 30. 1. 33, 19. 39, 1.

ii(gent (gen.) : jugent (uom.) Gr. 2509. B. 175, 15.

tugent (dat.) : jugent (nom. acc.) G. 15il. 2895. 3909. 4505. B. 151, 17. Ferner i;utereiuander

jugent (gen.) : tugent (dat.) B. 290,39.

tugent (gen.) : jugent (dat.) G. 4511. Rudolf verwendet also für den ganzen sg. die form jugent, tugent; besonders auffallend aber ist die reimbindung

sihen tugent (acc. pl.) : jugent (acc. sg.) B. 65, 11 (bei übereinstimmender Überlieferung).

Die übrigen 8 fälle, dat. auf dat., oder nom. auf acc. wecbsehveise gereimt, beweisen nichts, i)

Dem acc. pl. tugent steht im versinnern gegenüber vier lugende (uom. pl.) B. 119, 38 bei ebenfalls übereinstimmender Überlieferung, die jedoch gegenüber jenem ergebuisse nicht allzu schwer wiegt.

Auch bei h-aft, -schaß erscheint der ganze sg. gleich- formig in der kurzform, umlautlos; der reimtypus -eft- ist bei Rudolf gar nicht vorhanden. 2) Die reime auf -aß sind selbst- verständlich ausserordentlich zahlreich; ich begnüge mich des- halb, einige bindungen, die für die casus obliqui beweisend sind, zu eitleren:

Jcraft (gen.) : beJiaft Qmrt.) B. 38, 19. 98, 7 u. s. w. : schaß (dat.) B. 56, 37.

kraft (dat.) : -Schaft (uom. acc.) G. 305. 311. 1481. 1707 u. s. w. : haft (acc.) G. 321. : hehaft G. 2649 u.s.w.

■Schaft (gen.) : kraft (dat.) G. 713. 3523. 5969 u.s.w.

-Schaft (dat.) : kraft (acc.) G. 1133. 2267. 2515 u. s. w. : bchctft G. 8009. 3297 u.s.w. : kraft (dat.) G. 211. 319 u.s.w.

Ganz ähnlich ist das resultat bei den subst. auf -Jieit, -Jceit. Hier finden sich zwar bindungen obliquer casus, aber niemals darunter ein flectiertes -heite, -Jceite;'-^) vielmehr ist die form für den ganzen sg. widerum dieselbe unflectierte. Ich führe wider

ir schoene, ir libes uude ir jugent

an des junkherren tugent wol auch bedeuten : 'bei, trotz seiner tugend' (dat.), wol aber eher 'gegen seine t. ' (acc). Vgl. auch die parallele construction sich trcesten tif mit acc.

') Es sind G. 93. 1607. 3877. 5429. B. 145, 19. 296, 37. 303, 33. 332, 1.

2) Vgl. § 2 e und e.

*) Die fälle sind ausser den in § 6 angeführten mit seite und leite (praet.) noch gespreite : gereite G. 4933, verleite : arbeite (acc. pl.) B. 227, 9. bereiten : (er)beiten G. 3451. 5165, leiten (iuf.) : arbeiten (dat. pl.) B. 67, 3. 360, 37. : arbeiten (iuf.) B. 150, 15.

ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V. EMS. 491

nur einige fälle an, da auch dieser typus zu den umfangreichsten des ganzen reimregisters gehört. Es reimen

-hcit (gen.) : er seit G. 153.

-heit (dat.) : er seit G. iS. : bereit (adj.) G. 73. 351. 417. 637. : breit G. 83. : er treit G. 129. 215. 303. : geseit G. 411 u.s.w. in noch zahl- reichen bindnngen.

Mit dieser ausgesprochenen Vorliebe Rudolfs für die un- flectierten formen der casus obliqui darf naht nicht verglichen werden, ebensowenig wie hrust 3, s. 465 f.), da es ui^sprünglich einer consonantischen flexion folgte, die schon ahd. einförmig- keit des ganzen sg. ergeben musste. Es erscheint demnach auch bei Rudolf naJit für alle casus des sg. Die belege sind:

iiaJit (gen.) : beäalit G. 5045. : mäht (nom.) G. 5977.

naht (dat.) : vuht (praet.) G. 4999. B. 188, 3. : maU (dat.) G. 5011.

: maU (2. sg.) B. 18, 3. : bedaht B. 54, 29. 347, 27.

Der pl. lautet naht:

naht (acc. pl.) : muht (nom.) G. 2G19. : bedaht B. 75, 37. : mäht (dat.) G. 1225. B. 170, 25.

Ebenso ist dat. mäht einsilbig, die form mehte kommt nicht vor, der typus -eht- existiert überhaupt nicht mit um- lauts-e. •) Beweisende bindungen sind:

mäht (dat.) : naht (acc. pl.) G. 1225. B. 170, 25. : naht (nom.) G. 3541. B. 32,39. 119,19.2)

Ferner vart\ widerum kein verte, obwol der typus vor- handen ist.i) nur vart, bewiesen durch die reime:

vaH (gen.) : gespart G. 5087. : ivart B. 75, 11. 264, 25. 264, 37.

vart (dat.) : icart G. 4207. 4337. B. 76,21. 187,27. 270,9. 272,17. 320, 1. 344, 15. 360, 31. 369, 11. 392, 15. 393, 37. 401, 3. : bewart B. 90, 37. 286, 23. 309, 19.

Dann stat. Der gen. ist nicht belegt.

stat (dat.) : gesät G. 529. 5335. B. 130, 27. 340, 17. 370, 17. : bat G. 643. 671. 2429. 2805. 4151. 5273. 5867. B. 109,5. 312,23. 338,17. 358,5.

: phat B. 311, 15. 312, 39.

stete widerum nicht gebräuchlich; typus -ete mit umlauts-e überhaupt nicht vorhanden.

Von haut ist kein gen. zu belegen, obwol die reimmöglich- keit in dem typus -ant eine der grössten ist. Wenigstens

') Vgl. § 2.

^) Hier und iui folgenden citiere ich selbstverständlich nur die nach

meiner meinung beweisenden reimbinduugen.

32*

492 JUNK

ist der eine fall hant : erJcant B. 147, 27 nicht sicher, wol eher dat. Für den dat. hant dagegen sprechen zahlreiche bin- dungen wie:

haut (dat.) : genant G. 205. B. 1, 11. 54, 39. : geicant G. 955. : lant G. 1413. 5783. 6249. 6303. 6715. B. 58, 7. : vant G. 2835. : (er-, ge-) mant G. 3977. 4593. : gesaut G. 4343 u.s.w.

in ungemein zahlreichen fällen, wobei adv. zeliant nicht mit- gezählt wurde. In den übrigen reimen erscheint aber immer nom. oder acc. sg. Was den pl. betrifft, so findet sich kein handen und kein henden, obwol beide typen vorhanden sind. Hier ist also keine entscheidung zu erlangen.

Für tat lautet der gen. und dat. einsilbig, tcete ist nicht belegt, obwol genug reime da wären. Die belege sind:

-tat (gen.) : hat B. 267, 5. : stät B. 349, 35. : rät B. 353, 31. 357, 17.

-tat (dat.) : rät G. 413. : hat B. 62, 33. 99, 9. 217, 7. 364, 31. 382, 11.

Aehnliches werden wir von wät anzunehmen haben, das nur die eine, aber wichtige bindung (ausser gleichgiltigen nom. oder acc.) bringt:

tvät (geu.) : hat B. 300, 39.

Für diet sind die gebräuchlichen formen

(liet (gen.) : sehtet B. 4, 13. 371, 17. 401, 35. : riet B. 55, 37. 259, 3 (unsicher, vielleicht dat.). 268, 25.

diet (dat.) : riet G. 6101. B. 170, 29. 340, 21. 366, 19. 403, 5. : schiet G. 6415. B. 75, 7. 125, 17.

Da Rudolf also den dat. in derselben form wie den acc. diet kannte, konnte er sich eine Verbindung erlauben wie G. 41 :

ich kere

mit miner kranken lere

gegen wiser imde an tumbe diet ( : beschiet).

Hier ist aber auch der dat. diete belegt durch die bindungen:

diete (dat.) : miete B. 95, 25. 278, 23.

£:U erscheint im sg. nur einsilbig. Es sind im reime belegt:

zU (gen.) : gtt G. 6821. : strU B. 390, 5.

ztt (dat.) : gtt G. 155. : Ut G. 183. : n/t G. 231. : strit G. 243. : Sit (estis) G. 1385 u. s. w. in zahlreichen bindungen.

zit (acc. pl.) : strit G. 1189.

ziten (dat. pl.) : wUen G. 459. : biten G. 3185. B. 90, 15. : strHen B. 244, 37. 254, 1. : Södömtten B. 252, 15. : apsUen B. 340, 21.

AVeiter kommen hier in betracht: geschiht (gen.) : niht B. 13, 25. 102, 29.

ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V. EMS. 493

geschiht (dat.) : niht B. 393, 3. Kein geschihte, obwol die möglichkeit des reimens besteht.

vrist (dat.) : bist G. 3277. : krist G. 4121. 5633. 6713. : ist G. 4279. B. 14, 1. 22,17. 92,37 u.s.w., niemals vriste; der typus -iste existiert bei Kixdolf nicht. Gen. nicht belegt.

Von arbeit sind belegt:

arbeit (gen.) : bereit G. 4493. B. 84, 5. 388, 9. : leit B. 72, 15. 386,27.

: armekeä (gen.)») B. 96, 1. : gedidtekeit (nom.) B. 102, 27. : bekleit (part.) B. 113, 5.

arbeit (dat.) : leit G. 2117. B. 56,25. 116,5. 129,33. 191,23. 313,1. 382, 9. 384, 31. 388, 31. : geleit G. 2291. 6371. B. 119, 11. 388, 19. : -heit, -keit (nom. acc.) G. 3075. 5101. B. 6, 5. 31, 21. 387, 1. : -heit, -keit (dat.) ') G. 3055. B. 226, 19. : (ge-, ver-) seit B. 13, 3. 89, 13. : bereit B. 101, 9. 313,33; dies die sämmtlichen bindimgen.

Hier tritt nun aber auch arbeite gereimt auf, und zwar in folgenden fällen:

arbeite (dat.) : leite (praet.) G. 2733. arbeite (acc. pl.) : verleite (3. conj.) B. 227, 9. Ausserdem noch

arbeiten (dat. pl.) : leiten (inf.) B. 67, 3. 360, 37. arbeiten (inf.) : leiten B. 150, 15.

Zu jenem dat. arbeite wäre zu bemerken, dass dieser reim mir nicht so beweiskräftig scheint wie die früher citierten arbeit (dat.), da er nur in der schlechten hs. B überliefert ist; ein directer grund, an dem überlieferten zu zweifeln, ist aber damit nicht ausgesprochen.

not erscheint im gen. und dat. nur einsilbig, wie die reime zeigen:

not (gen.) : gebot G. 4429. 6007. - : tot B. 34, 21. 59, 9. : rot B. 96,3 U.S.W.

not (dat.) : gebot G. 107. 2381. : tot G. 438. 2279. : bröt G. 945.

: bot G. 1579 u.s.w. in zahlreichen bindungen; aber kein na;te, der tj'pus -cete ist überhaupt nicht da.

Endlich bringt der typus -uot noch die folgenden fälle:

fluot (dat.) : guot G. 2397. 3965. gluot (dat.) : behuot B. 315, 5.

armuot (dat.) : guot G. 1529. 3829. B. 132, 25. 133, 15. 140, 35. 145, 1. 147, 1. 227, 21. 362, 31. : tuot B. 11, 5. heitnuot (gen.) : tuot B. 374,31. heimuot (dat.) : guot B. 312,29, aber auch heimüete (dat.) : güete B. 109, 17.

1) Nach § 14, s. 491 (oben) auch beweisend.

494 JUNK

blüete (dat.) : güete G. 387. 3701. 5419. B. 12, 29. 20, 5. 234,9. : ge- müete G. 2171. 4647. B. 353,17; daneben kein casus obliquus in der form bluot, nur nom. bluot : guot B. 310, 27.

§ 15. Adj. her, liere. Die von den drei liöfisclien epikern im reime streng ge- miedene jo-forui Mre erscheint bei Rudolf in den bindnngen

{cüles muss zu gründe gchn) ez si wise rieh oder here ( : ere) B. 33, 17

die zweifboten here ( : lere) B. 156, 7.

Doch ist der letztere fall nicht so ganz sicher wie der erste, da er auch das starkflectierte nachgestellte adj. enthalten kann (Weinhold, Mhd. gr. § 524).

Andrerseits gebraucht Rudolf die einsilbige form her in folgenden fällen, die ich zur feststellung des jeweiligen sj'ntak- tischen Verhältnisses gleichfalls in extenso anführe. Es sind dies:

a) nachgestellte attrib. adj.:

diu liimelisdie Imneghi her : ser G. 2253. durch die vrouwen her : ser G. 2481. diu küiieginne her : mer G. 6493. Avenier der liliiic her : herzeser B. 15, 7. durch daz reine zeicJicn her : mer B. 330, 15. Krist, aller künege ein Iceiser her : mer B. 350, 7.

b) adj. in prädicat. Stellung:

daz toazzer si icol cüsö her : mer B. 238, 35.

Da hier überall der sg. des adj. vorliegt, der pl. aber nicht belegt ist, so muss es unentschieden bleiben, ob der oben besprochene pl.:

die ztcelfhoten here : lere B. 156, 7

auch das flexionslose adj. oder aber die starke flexion desselben enthält. Wäre unter den fällen mit her ein pl., so könnte es verführerisch erscheinen, jenes here als sichere jo-form anzu- sehen. Mit andern Worten: wenn es sich erweisen lässt, dass Rudolf das nachgestellte attrib. adj. nur flexionslos gebraucht,^) dann ist jenes here die jo-iovm.

^) Dieser nachweis ist aber für G. und B. nicht zu bringen, denn neben der allerdings überwiegenden anzahl von flexionslosen nachgestellten attrib. adj. fiudoi sich auch einige flectierte, durch den reim gesichert.

ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V. EMS, 495

Wie dem indes auch sei, die form Mr ist durch die an- geführten 7 bindungen gesichert.

Im anschluss daran einiges über die comparativformen mere, mer und me.

In der Verwendung dieser drei formen legt sich Rudolf keinen zwang auf; während z. b. Hartmann von Aue im reim nur max und mc, nicht aber i7ier kennt, auch Gottfried das letztere meidet, Wolfram hingegen mcr und mere, jedoch kein 1)16 reimt (Kraus, 2. Büchlein s. 130 f.), gebraucht unser dichter je nach bedarf, d. h. je nach dem reimzwange, alle drei formen, wenngleich auch bei ihm mer hinter den beiden anderen mangels passender reimwörter der zahl nach zurücksteht. Hierfür sind die belege:

1) mere. Die reimmöglichkeit ist hier eine sehr grosse; Mre : lere : sere : ere : Mre reimen unter einander 81 mal. Dem- entsprechend sind auch die bindungen mit 'mere zahlreich genug. Es reimen:

mere : ere G. 177. 473. 1397. 18G3. 3255. 3343. 3379. 4871. 6571. B. 18, 27. 24, 3. 26, 39. 35, 21. 68, 15. 78, 35. 128, 1. 133, 3. 148, 23. 191, 15. 226, 1. 349, 29. 367, 3. 369, 31. : scre G. 1971. 2093. B. 15, 39. 74, 27. 146, 39. 214, 21. 254, 9. 300, 9. 357, 3. 359, 33. : lere G. 4499. 5573. B. 9, 1. 13, 39. 23, 27. 78, 11. 79, 21. 92, 9. 101, 27. 120, 21. 133, 39. 135, 39. 137,19. 138,7. 143,25. 154,33. 164,13. 185,29. 213,29. 214,9. 261,33. 283,19. 290,5. 301,27. 318,3. 319,21. 325,31. 328,9. 335,15. 342,19. 353,1.

: kere B. 332, 33.

2) mer. Hier finden sich nur wenige fälle ohne mer, und zwar:

Jier : sc'r (siibst.) G. 2253. 2481. B. 15, 7. Dazu nun die fälle mit mer:

mer : ser (subst.) G. 4133. B. 16, 18. 86, 17. 357, 27. 362, 11. 396, 11.

■.her G. 6493. B. 238,35. 330,15. 350,7; wobei zu bemerken ist, dass eigeutlich nur die bindung auf ser strenge beweist, die auf her aber nicht, s. dort.

3) mc. Die grosse zahl der bindungen auf -e macht diesen typus zu einem der gewöhnlichsten. Es reimen hier: -ge : -sie : e : se : {o)ive : schre : Jösüe : Jesse : Moyse : Äntiope : Semele 31 mal.

Dazu nun die zahlreichen reime für me, und zwar:

me : Ninive G. 1199. B. 61, 3. : se G. 1207. : tve (oive) G. 1619. 4079. 4423. 6535. 6551. B. 29,9. 56,21. 87,11. 93,39. 95,21. 131,1. 132,23. 212, 7. 222, 19. 313, 7. 348, 5. 392, 19. : c (subst.) G. 3501. 4245. 4349.

496 JUNK

B. 59, 39. 62, 5. 169, 17. 287, 15. 330, 7. : e (adv.) G. 4031. 4037. 5663. 5853. 6247. 6317. 6563. 6763. B. 19,27. 22,5. 53,23. 179,29. 307,33. 396,3. 401, 13. 404, 29. : -ge (conj.) G. 4101. 4963. B. 30, 39. 71, 29. 79, 17. 106, 31. 155, 35. 181, 19. : aide B. 47, 25. : Nöe B. 53, 9. : -spe (praet.) B. 72, 25. : -sU (conj.) B. 82, 23.

§ 16. Flexion der eigennamen.

Der titel bedarf der ergänzimg, insofern nicht bloss eigen-, d. li. Personen- und Ortsnamen, sondern auch gelegentlich andere nomina und pronomina lateinischer flexion behandelt werden. Um hier ein möglichst vollständiges bild geben zu können, citiere ich auch die fälle, wo das wort im versinnern vorkommt, und setze diese zum unterschied von den im reim erscheinen- den und also beweiskräftigen formen in eckige klammern.

A) Personennamen und sonstige lat. nomina oder pro- nomina. Hier gibt es ein dreifaches verhalten des dichters zu unterscheiden: 1) die gewöhnliche mhd. flexion; 2) eine regel- rechte lat. flexion; 3) unflectierte, besser gesagt unverändert übernommene eigennamen.

1) Mhd. flexion (nach Weinhold, Mhd.gr. §468). Als para- digma kann der name des beiden in B. gelten; alle vier casus sind belegt: nom. Jösapliät, gen. Jösapliätes, dat. Jösaphäte, acc. Jösapliäten. Die belege hiefür sind:

nom. Jösaphät : hat B. 24, 33. 42, 31. 82, 17. 105, 35. 158, 31. 179, 13. 180,25. 191,9. 226,25. 275,5. 276,33. 282,9. 387,9. 395,1. —: gätB. 32,20. : rät B. 79, 27. 80, 37. 101, 11. 133, 5. 135, 29. 138, 17. 166, 7. 179, 31, 185,1. 223,25. 302,15. 315,1. 318,21. 318,33. 336,27. 342,31. 352,19. 366, 33. 368, 1. 370, 31. 385,27. : -stät B. 120, 15. 154, 31. 194, 13. 290, 13. 345, 9. 375, 1. : ivät B. 163, 7. 301, 3. : Kit B. 185, 25. 397, 33. : -tat B. 383, 15. 397, 19. 0 [74 mal im versinuem].

gen. Jusaphates : rätes B. 178, 15.''') [171,20. 194,37. 225,21. 279,34. 291, 86. 294, 27. 299, 10. 338, 3. 402, 3. 402, 26].

dat. Jösaphäie : rate B. 37, 1. 178, 1. 224, 35. 230, 29. 285, 27. 298, 15. 300,5. 302,23. 334,25. : säte B. 352,35.3) [163,31 u.s.w., im ganzen 22 mal].

acc. Jüsaphäten : (ver-) raten B. 197,3. 215,39. 302,31. 346,27. : ke- menäten B. 214,35.'') [314,8. 317,15. 331,23. 394,36. 395,39].

1) Dies einer der umfänglichsten reimtypen (253 bindungen oline Jö- saphät).

2) Der einzige fall des reimtypus -ätes. ^) Sonst noch 15 bindungen dieses typus. "•) Sonst nur noch 4 reime dieses typus.

ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V. EMS. 497

Fast ganz so vollständig ist die flexion des namens Bar- lääni vertreten ;!)

nom. Barlääm : kram B. 37,21. 191,7. 226,37. [37,2. 39,13 n.s.w.; im ganzen 18 fälle im inneru des verses].

gen. fehlt im reim [Barläävies B. 187, 10. 187, 28. 198, 15. 278, 7. 284,28. 384,7.].

dat. Barlääme : krame B. 40, 13. [40, 2. 96, 32. 390, 29].

acc. Barläämen : rämen B. 195, 7. [194, 35. 224, 19. 379, 20].

Hierlier gehören nun verschiedene namen im reim und im versinnern, wie:

nom. Aärön : don B. 57, 6. [57, 25].

[dat. Äaröne B. 65, 16].

[nom. Abraham B. 55, 6. 55, 15. 86, 35. 87, 5]. Ueber die qiiantität der eudsilbe s. später.

[gen. Äbrahämes B. 86, 16. 359, 32].

dat. fehlt [einmal flexionslos von Abraham B. 268, 22].

[acc. Abrahamen B. 86, 34. 87, 16].

[nom. Adam G. 4343. B. 317, 1].

[gen. Adämes B. 51, 39. 59, 6. 63, 27. 324, 17].

[dat. Adame B. 99, 3].

acc. Adamen : sämen B. 84, 39. [B. 302, 28].

[nom. Avenier B. 7, 2. 7, 7. 9, 13. 15, 7. 24, 28. 37, 7. 179, 13. 181, 10. 189,12. 199,40. 200,36. 203,39. 214,37. 216,11. 289,15. 345,16. 347,1. 356, 7. 360, 12].

[gen. ^mt/eres B. 14, 9. 20,23. 37,18. 159,29. 182,18. 345,11. 351,38].

dat. Aveniere : schiere B. 192, 17. 318, 18. 346 4. 352, 14. 363, 31. [198, 30].

acc. nicht belegt.

[nom. Bäluäm B. 62, 27].

[gen. Bälääme$ B. 66, 39. 230, 11], die übrigen casus fehlen.

nom. DävU : ztt B. 58, 33. 68, 3. 69, 9. 344, 31. : git B. 156, 25. 342, 33. [B. 58, 40. 64, 4. 64, 11. 72, 32 und öfter, im ganzen 14 mal].

[gen. Dävides B. 63, 37. 67, 19. 74, 5. 76, 3. 344, 40. 345, 8].

[dat. Davide B. 76, 22. 345, 9].

[acc. Daviden B. 344, 36].

nom. voc. Gcrhart : bewart G. 597. 819. : bart G. 793. : art G. 911. : wart G. 971. 1053. 1117. 6733. : vart G. 2551. [G. 865. 871. 888. 1064. 1098. 1494. 1833. 2838. 2848. 2855. 4188. 4331. 4393. 5511. 6658. 6757].

dat. Gerharte : cnbarte B. 404,32.

[acc. Gerhart G. 1165. 1168, also unflectiert].

[nom. Jacob B. 55, 35. 268, 23].

[dat. Jacobe B. 62, 28].

1) Hier sind die reimmöglichkeiten eben viel geringer als bei Josaphät. ■am und -ume erscheinen sonst überhaupt nicht im reim, -ämoi nur 11 mal.

498 JUNK

[acc. Jacoben B. 55, 28].i)

[dat. Jobe B. 380, 12].

noin. acc. Krisf^) in zahlreichen reimhindnngen [ebenso im versiuuern].

[gen. Krisies B. 23, 29 u. s. w. in 20 fällen].

[dat. Krisle B. 68, 17 u. s. w. in 9 fällen].

nom. Lucifer : gewer B. 52, 21. [51, 27. 67, 27. 372, 77]. I

[gen. Lueifcrs G. 4837]. "

acc. Liicifer : er B. 51,27.

Daher gehört wol auch dann

nom. Jupiter : geiver G. 2557. B. 2-14, 13. : er B. 250, 5. [B. 245, 24. 249, 11. 249, 24].

"■ nom. NacJior : vor B. 225, 17. 277, 39. 284, 6. 333, 29. [B. 193, 29 u. s. w., im ganzen 23 mal].

[gen. Naclwres, Nacliors B. 203, 27. 230, 5].

[dat. Nachore B. 203, 26. 226, 35. 261, 40].

[acc. Nachorn B. 200, 6].

nom. Eeinmunt : gestmt G. 1774. 2703. : Tmnt G. 3886. 5835. : zestunt G. 3921. 5877. 6424. [G. 3898].

[gen. Beinmundes G. 1755].

[dat. flexionslos Eiiodolf G. 6834].

nom. Salomön : Babilön B. 59, 30. : dön B. 64, 13. : Ion B. 343, 10. [B. 59, 2. 73, 2].

[gen. Salomönes B. 376, 21].

dat. Salomöne : kröne B. 59, 3. ")

[nom. Saul B. 58, 28. 345, 1].

[gen. Saides B. 344, 38. 345, 8].

[dat. Smde B. 345, 12].

[acc. Saiden B. 344, 33].

nom. Ti/jMn : Ion B. 263,11. [B. 262, 5. 263,33].

[dat. Typhöne B. 263, 21].

[nom. Willehalm G. 1745. 3867. 4190. 5310. 5433. 5611. 5863].

[dat. Willehalm G. 3146].

nom. Zardän : tvän B. 178, 11. : hon B. 179, 15. 180, 34. : getan B. 179,24. 189,19. 190,1. : t?erWn B. 181, 29. [B. 182,18. 188,7. 189,13].

[gen. Zardänes B. 188, 18].

[dat. Zardäne B. 180, 21].

Neben diesen stark flectierten (und vereinzelten flexions- losen) finden sich auch schwache:

[nom. J£rene G. 5626]. [acc. Erenen G. 3923]. [gen. Karlen G. 103].

^) Vgl. dasselbe wort auch nach der lat. flexion, s. 500. 2) Vgl. auch hier zugleich lat. flexion im acc. Kristum B. 22, 34. ^) Wol zu trennen von fremder flexion, wie im acc. auf -önem, vgl. Nerönem : Fhuräönem B. 382, 39.

ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V. EMS.

499

[nom. 3Iarm B. 65, 4. 65, 27].

[gen. 3Iarien B. 206, 39].

[dat. Marjen B. 170, 1. 271, 33].

Wichtig scheint mir hier zu sein, dass die vocalische Quan- tität nirgends schwankt, wie etwa bei Wolfram und Ulrich von Zatzikhoven (s. Zwierzina, MM. stud., Zs. fda. 44, 10 excurs). Die w^enigen fälle des nominativs, die im reim erscheinen (Bar- lääm, Aärön, Salomön, Typhön, Zardän) beweisen sehr viel, da sie ausnahmslos mit sicheren längen gebunden werden (vgl. die vorcitierten belege), obwol für alle diese genug reimmöglich- keiten mit vocalkürze vorhanden wären. IVIan bedenke die zahl- reichen reime von z. b. l-am, nam u. s.w., von, gewon u.s.w., an, man, dan, lan u. s. w. Hier herscht also bewusste eindeutige auswahl. Ebensowenig schwankt die vocalische quantität bei Josapliät, obwol es auch hier zahlreiche -at im reime gäbe {stat, hat, gesät u.s.w.). Absolute gewisheit fehlt nur bei Davit, da hier die länge des vocals i durch reimzwang in folge des mangels reimbarer -Xt vorwalten könnte.

Dieses capitel bestärkt also Zwierzinas zweifei, dass Singers i) paradigma: Adam Ädämes Adäme Adamen allgemein mhd. geltung habe; für unsern dichter, nb. einen sehr genauen reimer, ist die länge der endsilbe -am auch im nom. erwiesen.

2) Lat. flexion. Ein fast vollständiges paradigma lässt sich hier bei den stammen auf -us, -a, -um aufstellen. Es sind belegt:

m a s c. sg. nom.

-US

f e ni.

sg. nom.

-d

neutr

2) sg. nom.

gen.

-i

gen.

gen.

dat.

dat.

dat.

acc.

-um

acc.

-am

acc.

abl.

abl.

abl.

pl. nom.

-t

pl. nom. gen. dat. acc.

-as

pl. nora. geu. -orum dat. acc.

1) Festgabe für Heinzel s. -110 ff.

2) Das neutrum ist, der natur der sache gemäss, selbstverständlicli l)oi eigennameu nicht vertreten, vielmehr bei sonstigen aus dem lat. hcrüber- geuommeneu Wörtern, wie die belege zeigen.

500 JÜNK

Hierfür sind nun die belege:

masc. sg. nom. Aggms : Elyseus B. 62,17, Antjochns : Apollonms B. 61, 23, Asclepms : 3l€rcurh(s B. 244, 30. [B. 253, 23], [Bachus B. 245, 1. 254, 17], Cuimlus : VuIMnus B. 254, 6, [Demetrius B. 61, 25], Eolm : Fhebus B. 245, 17, [G. 2568. B. 257, 9], [Jäcobus B. 77, 26. 27], ») Jesus Kristus : stis B. 50,12. 68,38.2) 272,20, [Jesus B. 70,40. 72,10. 85,18. 87,39]. JMas MachaUus : sus B. 60,3. [61,28], Lazarus : stis B. 86,2. [87,9], [Liberiis B. 251, 37], Marcus : Matheus B. 78, 32, Matheus : Bartliolomeus B. 77, 27, : alsus B. 92, 16, 3Iercnrius : Neptftnus G. 2561. [B. 253, 12], Neptunus : sus B. 246, 30. 256,28, [Orus B. 262,6. 263, 15. 263,36], Paulus : sus B. 77, 39. 156, 10 und sandus Paulus : sus B. 102, 9. [B. 306, 35], Perseus : Zitiis B. 245, 21. 251, 38, Petrus : sus B. 97, 2. 306, 30. [B. 77, 25. 110, 15], [Phebus B. 256, 37, PMippus B. 77, 27], Saturnus : sus B. 244, 8. 248, 32. [249, 39], Simon Bartliolomeus : Matheus B. 77, 28, [Tatheus B. 77,29], Vulkänus : sus B. 252,28. [244,21]. Ferner stelle ich hierher: hie est filius meus : sus B. 69,33, Davit psahnigraphus : sus B. 328,37, pater, filius et Spiritus sanctus : sus B. 354, 19, der gotes Icathecuminus : sus B. 354, 27.

gen.: keine personennamen, sondern nur in nomine clomini : In B. 4, 21, (in nomine dei patris) et füii et Spiritus sancti : vrt B. 172, 39.

dat. Pontto Pilätö : B. 72, 12 (und für den ahl. die ländernamen in [von] Egyptö : so B. 56, 9. 264, 1. 268, 9, : vrö B. 265, 25).

acc. [Antjoclmvi B. 382, 39], Domicianum : Jiüiänum B. 382, 38, [Jesum B. 68, 18, Kristum B. 22, 34], [La.mrum B. 86, 37], [Pilätum B. 383, 1] (und aus den ländernamen in Byblum insulam B. 263, 13).

pl. nom. Egyptii : bi B. 232, 37, yiitänt B. 254, 31], ferner philosophi : vri B. 266, 5.

fem. sg. nom. Alcmenä : anderswä B. 251, 20, Arthemiä : Helena B. 252, 4, Diana : 3Iedüsä B. 246, 3, : da B. 258, 8, [Europa B. 250, 35], Eva : B. 52, 3, Lula : B. 251, 8, [Maria B. 65, 4. 65, 27], Marjä Magdalena : da B. 110, 26, [3Iinöä B. 252, 3], [Sarpidonä B. 252, 5], [Sibillä B. 74, 34]. Mit Getä B. 251, 24 weiss auch ich nichts anzufangen (vgl. Pfeiffer zur stelle). Ferner gehört hierher der form nach Johannes eivan- gelistä : anderswä B. 112,23 und essentiä^) : secidä B. 275,39.

acc. vertreten durch insulam : kam B. 263, 13.

abl.") mit Eva : da B. 302, 29, [bi Eeä B. 249, 2], uf turri kälannäicä : da B. 320, 3, [von physicä B. 188, 23], zahlreichere belege hei den orts- und ländernamen.

^) Ueber die mhd. flexion dieses namens vgl. s. 497 f.

^) In der construction eines acc: man hiez in Jesus Kristus : sus.

=») Vgl. die Schwächungen -iä zu -ie: psalmodie (acc.) : dervrie B. 392, 25 und im versinnern astronomie (nom.) B. 21, 32, Nigromanzie (nom.) B. 248,8, ze arzenie B. 253, 25.

*) Dass hier wirklich ein abl. vorliegt, nicht die form des nom., zeigt der abl. beim masc; ebenso Theodä von Theodas, Moyse von Moyses, vgl. unten.

ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V. EMS. 501

pl. acc. epistolas : omelias B. 341, 5. neutr. sg. dat. in dem templö : B. 69,27.

pl. nom. acc. dm eivangeljä : da B. 78, 25. 169, 15. BIO, 37, arömatä : da B. 47, 23.

gen. in secula seculorum : drum (terminus) B. 186,29.

Ein anderes Schema geben die masc. auf -as und -es, fast durchweg hebräischer herkunft. Es sind folgende casus ver- treten :

nom.

-as

nom.

-es

gen.

gen.

dat.

dat.

-i

acc.

-am

acc.

•er)

voc.

voc.

abl.

abl.

-e

Hierher gehören nun:

a) auf -as: nom. Abyas : Malachyas B. 62,23, [Achas B. 59, 13], Andreas : Thomas B. 77, 25, Archas : was B. 251, 24, Bdraclüas : loas B. 12, 19. 16, 34. 224, 38. 225, 20. 366, 29. 367, 18. 399, 10. 400, 2. : las B. 402, 16. [B. 368, 20], [EUus B. 62, 18], Esdras : Jonas B. 62, 20, Ezechias : Jösias B. 59, 13, Gorgias : ivas B. 61, 25, Isaias (Isajas) : was B. 73, 34. 75, 14, [B. 62, 15. 64, 30. 66, 14. 94, 38], Jechomas : loas B. 59, 22, Jeremtas (Jeremjas) : was B. 66, 20, [B. 62, 16, 71, 26. 74, 22], Judas : Mathms B.

77, 30, : ivas B. 71, 18, [B. 170, 30], [Judas (Machabeus) B. 60, 4. 61, 28], [Lucas B. 78, 32], [3Ialachias B. 69, 18], Maiathias : icas B. 60, 5, Micheas : Sophonjas B. 62, 31, [B. 67, 5], Theodas : tcas B. 285, 12. 288, 15. 289, 13. 299,31. 302,19. 308,35. 316,33. 317,24. 318,32. 330,39, 333,21. 345,27. : i)alas B. 289, 22. 316, 22. 318, 14, [B. 285, 35. 286, 14], [Zacharias {Zacharjas) B. 62, 24. 74, 28].

dat. -abl. mit BaracMä : Indiä B. 400, 29, in Isaiä : da B. 67, 30, nach, zuo Theodä : sa B. 317, 30. 319, 36, an Tohtä : andersivä B. 380, 26, in Zachartä : da B. 70, 36.

aco. [BäracMam B. 370, 12], Jüdam : nam B. 383, 1, Theodam : nam B. 333, 38.

voc. [BaracMä! B. 366,38], Theodä! : B. 289,24. 326,14.

b) auf -es: nom. Adönides : Anchises B. 259, BT. [B. 245, 25. 256,5], Hercules : des B. 251, 39. 255, 3. [B. 245, 7], Johannes B. 4, 25. 71, 14. 77, 26.

78, 31. 112, 24. 402, 12], [3Ioyses B. 56, 13. 56, 29. 57, 6. 57, 23. 65, 21. 87, 30], [Olofernes B. 61, 7].

dat. [Moi/si B. 57, 17]. abl. mit, von Moyse : e B. 268, 29. 341, 3. acc. [Olofernen B. 382, 40].

Ausserdem verdient beachtung die reimbindung Nerönem : Phäraönem B. 382,39, beide subst. als acc. construiert.

3) Unverändert übernommene eigennamen finden sicli, bes. im B., sehr zahlreich, sowol biblische wie ÄhaJcuc

502 JUNK

(als dat. B. 67, 7), Ähtüt, EUachim, Heli, Nabucliodonosor, als aucli griechische und lateinische wie AmpMtridn, Antiope, SemeU,^) Dänäe, Badamantis, Kastor, Mars, oder andere wie Isis, Osiris, Maclimet, Strammlr u. a. m. im reime sowie im Innern des verses.

B) Orts- und 1 ändern amen. Die fremde flexion wird beibehalten in folgenden fällen:

von Aruhiä : B. 68, 39, [Assynä (nom.) B. 61, 2], in Bahüötüä : da B. 60, 17, in Byblum insulam : kam B. 263, 13, [ze Damascö G. 1199], in, von.Egyptö : so B. 56,9. 264,2. 268,9. [B. 261,39. 268,28, in Egyptmn (acc.) B. 55,40], in dem lande Egyptö : vrö B. 265,25,^) von Indiä : da B. 224, 28, : BaracMä B. 400, 30, [in, ze Indiä B. 6, 19. 7, 4. Für den acc. ersclieinen im versiuuern hin in Ind/am daz lant B. 399, 1 und in Indiä daz lant B. 36, 39^)]. Hierher gehört wol auch in monte Sind : B. 76,20 und in dem heiligen Sinä : da B. 76,24, daneben aber in monte Sinai : hi B. 57, 16, von Syriä : da B. 302, 34.

Daneben zahlreiche unflectierte orts- und ländernamen, auch in den casus obliqui:

[von Aruhie B. 69, 11], üz Bäbilön : dön B. 319, 39, von Basän : Ka- naan B. 57, 37, von Betlehem : Jerusalem B. 67, 2, [von Gähleä B. 288, 19]. Vielleicht gehört hierher auch der vorhin citierte acc. in Indiä daz lant B. 36,39, [Israhel B. 56, 8], in Israhel : Samuel B. 58, 21. [B. 344,37], [Jerüsalan (acc.) B. 59, 25], in Jerusalem : Betlehem B. 67, 1, [von, gen Jerusalem B. 62, 30. 70, 29] , von Jesse : e B. 64, 32, von Kaldeä : B. 238,17. [B. 224, 28], in Kanaan : Basän B. 57, 38, von Kanään : tvän B. 320,9, [von Blarroch G. 1413], Ninive : me B. 61,3, ze Ninive : me G. 1199, [in Oreb B. 57,39], [von Sabä B. 69,12], in Salmanä : B. 57, 39, gen Sarant : vant G. 1198, Sennäär : jär B. 36, 32. [B. 157, 35], in Sennäär (dat.) -.jär B. 389, 37. [B. 195, 20. Hier auch ein acc. in Sennäär B. 399, 39], von Siön : don B. 70, 38, von Tharsis : lois B. 69, 11. [B. 68, 39], \in Zeb, in Zebee B. 57, 39].

Zu den deutschen (und den drei englischen^)) orts- und ländernamen ist nichts zu bemerken.

1) Diese beiden, unter einander gereimt B. 251, 15, bringen die hand- schriften sogar als acc. Antiopen : Scmelen, veranlasst durch eine liüchtige Übersetzung des lat., das hier wirklich zwei acc. hat. Vgl. Pfeiffer in den laa. zur stelle. Zu den anderen beiden acc. Nerönem : Fhäraönem B. 382, 39 vgl. s. 501.

^) Vgl. dazu die Umschreibung des völkernamens die von Egyptenlant B. 261,36.

*) Vgl. aber die hss., von denen nicht alle Indiä haben.

*) von Ebenvige nnd Santävit : strit G. 5337. [für, ze, gen Eunders G. 5265. 5273. 5694. 5867. 6263].

ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS V. EMS. 503

Noch ein wort über die völkernamen.

Ein lat. nom. pl. ist Egyptii : M B. 232, 37; daneben die Umschreibung die von Eyijptenlant B. 261, 36. Ebenso KalcUi B. 232, 37. 233, 3 und die Kaldejen (nom.) B. 247, 25, die Kaldejen (acc.) B. 243, 1, der Kaldejen (gen.) B. 233, 23. 268, 1. Ferner der dat. pl. den Kaldcin B. 77, 11. Hierher ge- hören noch ausser den gewöhnlichen Kriechen, kristen, Juden (die auch um- schrieben werden als diu israhelisclie dict : schiet etc.) der Bahylöne (gen. pl.) B. 320, 5. Auch der sg. ist hier belegt der Babylon : Scdomön B. 59, 29. [B. 59, 18], dat. den Armenjen B. 77, 11, Södömiten (nom. pl.) : ziten B. 252, 16.

Diese eigenheit Rudolfs, fremde, besonders lat. fiectierte nomina in den context der deutschen erzählung aufzunehmen, erinnert schon leise an die allmählich bis zur manier aus- geartete gewohnheit des ausgehenden mittelalters, die deutsche rede durch lateinische gelehrte brocken zu untermischen.

WIEN. VICTOR JUNK.

BRUCHSTUCKE EINER ALTHOCHDEUTSCHEN INTERLINEARVERSION DER CANTICA.

I. Die Handschrift.

Die hs. unseres textes wurde zuerst von Gedeon Huet im 46. bd. der Biblioth. de l'ecole des chartes (1885) veröffentlicht. Ihr eigentlicher entdecker war L. Delisle, von der Bibliotheque nationale, der sie bei der erneuerung- eines beschädigten ein- bandes zu gesicht bekam und Huet zeigte. Die beiden blätter müssen also zur herstellung von einbanddecken verwendet worden sein, woraus sich auch ihr verstümmelter zustand er- klärt. Die hs. besteht, nach den mitteilungen Huets, aus zwei fi^agmenten, nämlich aus zwei pergamentstücken, 183 mm. lang und 125 mm. breit, die den obern teil zweier blätter bildeten, deren unterer teil fehlt. Die schrift ist lesbar und scheint dem 9. oder 10. jh. anzugehören. Die angäbe in Pauls Grundr. 2, 154, dass das denkmal nach Huet der grenzscheide des 9. und 10. jh.'s angehöre, ist irrig. Huet sagt nur: Tecriture est lisible et semble du IXme ou Xme siecle', was nicht 'grenz- scheide des 9. und 10. jh.'s' heisst. Ueber jedes lat. wort hat dieselbe band in kleinerer schrift das entsprechende deutsche wort gesetzt. Die anfange der verse sind durch grosse rote anfangsbuchstaben bezeichnet. Der Schreiber bedient sich zweier interpunctionszeichen, des punktes und des Zeichens ! , das dem Semikolon entspricht. Der anfang eines neuen Stückes wird durch einen grossen roten buchstaben und eine Über- schrift in roten buchstaben (Fsalmus dauid 1, 7. 3, 5) ersichtlich gemacht. Dies ist zweimal der fall. Huet spricht sich nicht deutlich darüber aus, ob diese Überschriften von derselben band wie der text herrühren, doch lassen seine worte: 'les suscriptions sont l'oeuvre d'un rubricateur ignorant ou distrait'

AHD. INTERLINEARVERSION DER CANTICA. 505

die Vermutung" zu, dass dieses nicht so sei. Die Überschriften füllen auch nicht besondere Zeilen, sondern stehen je in dem leer gebliebenen räum der letzten zeile des vorhergehenden Stückes, wo sie später leicht eingefügt werden konnten.

Die bruchstücke haben mit den psalmen nichts zu tun, sondern sie enthalten, wie Huet schon erkannte, folgende teile der cantica:

blattl, Vorderseite: | Canticum Ezechiae: Is. 38, 18-20.

I, Cauticum Auiiae: 1. Keg. 2, 1 2. blattl, rückseite: Canticum Annae: 1. Reg. 2, 5— 10.

blatt2, Vorderseite: { Canticum Habacuc: Hab. 3, 17-19.

\ Canticnm Mosis: Deut. 32, 1—4. blatt 2, rückseite : Cauticum Mosis : Deut. 82, 9 13.

Das Canticum filiorum Israel (Canticum Moysi bei Notker) aus Ex. 15, das immer zwischen dem Cant. Annae und dem Cant. Habacuc steht, fehlt ganz. Es umfasst 19 verse; rechnet man dazu noch die fehlenden 16 verse des Cant. Habacuc, so sind zwischen bl. 1 und 2 gerade 35 verse verloren gegangen. Zwischen dem schluss der Vorderseite und dem anfang der rückseite von bl. 1 fehlen 44 worte des lat. textes, die, da ungefähr T'/o worte auf die zeile kommen, weitere 6 Zeilen gefüllt haben dürften. Man kann daher annehmen, dass die volle seite 17 bis 18 zeilen gezählt hat. Zwischen bl. 1 und 2 fehlen 562 lat. Wörter, die 70 bis 80 Zeilen, d. h. 2 blätter, füllen würden. Es sind also 2 blätter zwischen bl. 1 und 2 verloren gegangen, und nicht nur eines, wie Huet meinte.

Noch im jähre der Veröffentlichung unserer lis. erschien in der Tijdschr. voor nedeii. taal- eu letterk. 5, 274 ff. eine abhandlung von J. H. Gallee darüber unter dem titel: Parijsche fragmenten eener psalmvertaling. Der arbeit Gallees geschieht weder in Pauls Grundr. noch in Kögels Lit.-gesch. erwähnung, und ich bin auch erst durch Heinzel, dessen freundlicher förderung dieses ersten Versuchs selbständiger forschung ich hier dankend gedenken möchte, auf sie aufmerksam gemacht worden. Die vorliegende abhandlung verdankt G. gar nichts, da sie bereits vor einsichtnahme seines artikels fertig vorlag und dessen lectüre zu änderungen keinen anlass bot. Gallees arbeit ist auch mit äusserster vorsieht zu benutzen. G. hat die Orthographie des Originals willkürlich verändert so

Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVII. 33

506 STEPPAT

schreibt er durchgängig* tv statt des überlieferten nu und setzt circumflexe, die die lis. überhaupt nicht hat , wodurch natürlich das sprachbild des denkraals verschoben wird; er schiebt conjecturen ein, ohne sie als solche zu bezeichnen, und bespricht formen, die sein text gar nicht bietet, z. b. s. 278 sedeilda (text sedeüedd)^ lieüigono (hs. heiligeno). geuncreftigot (hs. guncreftigof) u. a. Selbst die tatsächlichen angaben be- dürfen genauer nachprüfung, wie denn s. 287 erwähnt wird, dass in den Altnl. ps. sk zu seh werde, während Cosijn s. 36 und Borgeld § 84 a. 3 gerade sc als die regelmässige Schreibung anführen, wogegen seh nur als ausnähme gelten kann. Es ist hier nicht beabsichtigt, eingehend über Gallee zu referieren, und ich begnüge mich deshalb mit den gemachten andeutungeu. ')

Dem von mir gebotenen text liegt ein photographischer abdruck der hs. zu gründe, der mancherlei abweichungen von Huet und Gallee ergab. Meine lesungeu hat Heinzel nach- geprüft, und sie dürfen daher ansprach auf genauigkeit er- heben. 2) Am rechten rande der rückseite von bl. 2 ist jetzt leider ein beinahe 2 cm. breiter papierstreifen aufgeklebt, der den darunter stehenden text verdeckt: ich bin also hier ganz auf Huet angewiesen gewesen.'^)

Im folgenden gebe ich den handschriftlichen text ohne jede änderung wider (nur mit auflösung der abkürzungen in cursivschrift) und bespreche etwaige conjecturen in den an- merkungen.

[*) Jetzt liegen die bnichstücke in einem sehr verbesserten abdrucke in der 5. aufläge von Braunes Althochdeutschem lesebuch vor. Braunes text stimmt mit dem meinigen ziemlich genau überein ; sichere fehler sind nur erdon 2, 10 statt erdun, aiujun 4, 7 statt ougun, und uuosta für nuesta 4,5: lesarten, die die Photographie ganz deutlich zeigt. 28.7.02.]

['•^) Dui'ch die gute des herrn verf.'s haben die Photographien auch mir vorgelegen, und ich kann danach seine lesungen durchweg bestätigen. lieber einige stellen, wo ich noch etwas mehr lesen zu können glaube, habe ich mir erlaubt einige anmerkungen zuzusetzen. E. S.]

') Ich bezeichne die Schlüsse der unbedeckten zeilenstücke im abdruck durch I .

AHD. INTERLINEARVERSION DER CANTICA. 507

II. Text.

1. Blatt 1. Vorderseite (Jes. 38, 18—20. 1. Reg. 2, 1—2). ni helle begien uuirdit dir noh dot lobot dih

1 inferiius confitebitttr tibi neqtie mors laudabit te

noh nerbeidunt dieder nider uareut in gruobun

2 non expectabimt qui descendunt in laciim

uuarheit dina lebendiger lebendiger selbu begien uuirdit

3 veritatem tuam. Uiuens uiuens ipse confitebitttr

dir also und ih binde uader kindon cunt duot

4 tibi siciit et ego liodie! pater filiis notam faciet

uuarheit din drohtin gehaldan niih duo und selmi

5 veritatem tuaw^, Domiiie saluum me fac! et psalmos

unsere singemis allen dagan libes unseres

6 nostros cautabimus cuiictis dieb«<5 iiit^ nostr^

in demo huse drohtiuis

7 in domo dommi Psalmws dauiä

erurouuit herza minaz in drohtino und uf erhaban ist

8 Exultauit cor meimi in dommo! et exaltatum est

hörn min in gode minemo zespret ist mund min

9 cornu meum in deo meo Dilatatum est os meum

über uiende mine uuanda geurouuet bin in heili dinemo

10 supe>- inimicos meos! c[uia l^tata sum in salutari tuo

nist heileger also ist drohtin noh geuuisse nist ander

11 Non est sanctus ut est dommusl neqtie enim est alius

uone dir extra te und nist stirker als got unser

12 [et non est fortis siciit deus noster ]

2. Blatt 1. Rückseite (1. Eeg. 2, 5— 10).

hata kint guncreftigot uuart drohtin gedothaftigot und ge

1 liabebait filios infinnata est Domimis mortilicat et uiui lifhaftigot geleidit zchelon und uuidarleidit drohtin aremen

2 ficat! deducit ad inferos et rediicit Dominus pauperewi duot und gerichesot hotmudigot und ufhebit ercuuikeude

3 facit et ditat! Immiliat et sublimat. Suscitans

none stuppe elelendun und uone miste ufrihtende armen

4 de puluere egenum! et de stercore erigens pauperewi

33*

508 STEPPAT

daz her sizze mit uurstiu uiul stuol guoliche haba drohtinis

5 Vt sedeat cum principibi^s! et soliimi glori^ teneat. Bommi

geiiuisse sint uuerbon erdon und gesazta über sie riuc

6 enim sunt cardines terr^! et posuit super eos orbem.

uuoze heilegeno sinro beuuareda und ubili iu i;iuisternissi

7 Pedes sawc^orum suorum seruabit! et impii in tenebris

erstummunt uuanda noh in sterchi sinro gesterkit

8 conticescent! quia non in fortitudine sua robora

■. uuirdit man drohtin eruortent uuedarmterdigi sin

9 bitur uir. Dominum formidabunt aduersarii eins!

über sie selbou in himilin erskillit drohtin erdeilit

10 et super ipsos in celis tonabit, Bommus iudicabit

endi erdun

flnes terr^

und gibit geuualt cuninge sinemo und erhoit hörn ....

11 et dabit imperium regi suo! et sublimabit cornu

cristo sin . . .

12 [cliristi sui]

3. Blatt 2. Vorderseite (Hab. 3, 17—19. Deut. 32. 1—4). uihu und neuuisit suueiga in crippon ih abur

1 pecus! et non erit armentum in presepib?«^. Ego autew^

in drohtino ih sal mendon und ih sol urouuen iu gode

2 in äommo gaudebo! et exultabo in deo

haldendemo minemo got drohtin ihe5U meo. Dens äominus sterchi mina und gesezet uuoza mine also hirezo

3 fortitudo mea! et ponet pedes meos quasi ceruoruwi

und über ho min uz leidit mih über cobereri in lobon

4 et super excelsa mea! deducet me uictori in psalmis

s : ngenden

5 canentem. Psalmws dawid

gehöret himile ih der sprechon gehora erda uuort mundes

C Audite c^^li qu^ loquor! audiat terra uerba oris

mines uuascha in regene lera mina ulioza

7 mei. Concrescat in pluuia doctrina mea! fluat

also d . . gesprechi m . . . z also über gras und also

8 ut ros eloquium meum. Quasi imber super lierbam et quasi

AHD. INTERLINEARVERSION DER CANTICA. 509

rlrophon über com nuanda namo drohtinis anaruophon ih 9 still^ supt'r gramina! qiiia nomen domini inuocabo

gebet michillich: gode unseremo godes di;ruhtan sint uuerc

10 Date magnificenciaw dco nosfrol dei perfecta sunt opera

und alle uuege sine urdeila got getruuuir und ane

11 et oiiDics ui^. eins iudicia. Dens fidelis et absqite

dicheina un

Ulla ini

4. Blatt 2. Rückseite (Deut. 32, 9— 13). danne zedeileda hoster diede danne |

1 Quando diuidebat altissimus gentes! quando |

gesundereda kind ada?«- gesazta geinerchi |

2 separabat filios adam. Constituit termin|os

liudo nah zala kindo israel deil | abur

3 populorujn! iuxta numeru^>i filio^uw^ Israel. Pars a|uteni

drohtinis liud diner iacob seildin heribi|s siner

4 dommi populus :uus! iacob funiculu liereditatils eius

inuand inan in erda uuesta in stede egison | und

5 [IJnuenit eum in terra deserta! in loco honoris j et

einodis umbileita inan und lerida | und

6 uaste solitudinis. Circumduxit eum et doeuit | et

behuota also aplmon ougun sin also aro |

7 custodiuit quasi pupillae« oculi sui. Sicut aqu|ila

uoragoumenda zeulione iungen sine und über sie

8 prouocans ad uolandwj^ pullos suos! et super eos

uoliltans

spreidit uetechon sine und zuonimit sie ioh dreg . . . |

9 expandit alas suas et assumpsit eos! atq«e porta|bit

in ahselon sinen drohtin einer herizogo siner uuas und

10 in humeris suis. BominuH solus dux eius fuit et

neuua|s

non I erat

mit imo got uremider gesazta inan über ho |

11 cum eo äeiis alienus. Constituit eum super excels|a

510 STEPPAT

Anmerkungen.

S. 1, z. 3. ni. Die hs. lässt nicht erkennen, ob ni oder ne zu lesen ist.i)

hegten tiiiirdit {confitehitur). So (bei richtiger beleuchtung: völlig sicher) die hs. hier und z. 3, wodurch Kögels conjectur (Lit.-gesch. 1, 2, 532) bestätigt wird. H(uet) hat hegten iniiräit, wofür G(allee) hegten ivirdit einsetzt.

1, 2, nerheidunt (expectabunt). So die hs. gegen H. uerheidunt und G. verheidunt.

1, 5. Die hs. hat tnih, nicht micJt, wie H. und G. lesen. •. 1,8. droht ino liest die hs. gegen das unmögliche drohtin bei H. und G.

und. Ob ^indi oder unde aufzulösen ist, lässt sich nicht entscheiden.

1, 12. Der lat. text dieser zeile ist ganz abgeschnitten, ebenso der grösste teil des übergeschriebeneu deutschen, von dem auf der Photographie nur noch unser mit voller Sicherheit zu lesen ist.

2, 1. liahehaif] n ausradiert.

leint'] das i ist nicht mehr lesbar, die stelle sieht Avie verwischt oder radiert aus. Im folgenden guncreftigot ist das i verblichen, aber auf der Photographie noch sicher lesbar.

2, 2. ad inferos. So die hs. H. liest ad infernos.

2, 3. gerichesot. So die hs. gegen gerichelot H. und gerkhelot G. Sublimat. Suscitans. So Xotker 2, 615. Die Vulgata hat snhlevat. Suscitat.

2. 4. erigens. So Kotker. Vulgata elevat.

2, 7. Jieilegeno . . . tiinisternissi gegen heiligeno . . . idnsternissi H. und viusternissi G.

2. 10. erdun. So die hs. gegen erdon H. und G. Das u ist ein wenig verzogen, aber vollständig sicher und nicht als o zu lesen.

2. 11. erJioit liest die hs., nicht erhoct, wie H., und erhöct, wie G. setzt. [2, 12. Der lat. text von z. 12 fehlt ganz, von dem deutschen ist nur

aristo, ferner s und die köpfe von in erhalten. Das o von cristo scheint deutlich zu sein, obwol es nach rechts durch einen fieck (oder eine correctui*?) zum teil verdeckt ist. Der falsche casus erklärt sich durch anlehuuug an das vorhergehende cum'nge sinemo (regi suo). E. S.]

3, 4. uictori. So Notker 2, 624. Vulgata victor.

3. 5. sengenden H. Das ms. hat eine falte, die den buchstaben hinter dem s verdeckt. Es scheint aber nur platz für ein i gewesen zu sein, so dass ich singenden in den text setzen möchte.

3, 6. ih der sprechen (audite . . . qu^ loquor). Der Übersetzer hat offenbar den acc. pl. n. qn^ für den nom. sg. f. gehalten und es als sub- ject zu S2}recho7i constnnert, als wenn eine frau spräche.

[') Ich vermag vor dem h von helle nur noch undeutliche spuren eines e oder c zu erkennen, die durch einen weiteren schmalen buchstaben von dem h getrennt sind. Uebrigeus ist mir auch der Schlussbuchstabe von helle auf der Photographie keineswegs sicher als e erschienen. E. S.]

AHD. INTERLINEAEVERSION DER CANTICA. 511

3, 7. uuascha (conscrescat). Verschrieben für uuachsa. S. darüber s. 522. sh für hs findet sich anch einmal in den gl. Lijis. 1010, wo die hs. uuasliemo hat, vgl. Borgeld, anra. zu § 92.

■in plmiia. Notker 2, G2'i hat in pluviatn und die Viilgata nt phw/a.

3,8. d.. (jesprechi m . . . z. {ros eloquiiim mcum). Es ist dou ixnd minaz zu lesen, nicht dau, wie G. will.

imber] imh ^ in der hs. von viel späterer band mit andrer tinte nach- getragen. Auch Notker übersetzt dieses wort nicht. Die stelle lautet bei ihm (2,6241): Quasi ymher super Jierham et quasi still^ super gramina. Also tügln siü in iro sinne, so regcntröphen an grase.

Ct. ergänzt regen, aber in den alten text gehört keine ergänzung, da der nachtrag von imh'' später eingetragen ist als die deutsche glosse.

3. 10. michillich: (magnificen-ciam). Die Photographie zeigt noch einen unleserlichen buchstaben hinter dem letzten ch, der nur ^ gewesen sein kann.i) Es ist also sicher michillichi zu lesen.

duruMan. So die hs. H. hat diirnchtan und G. durucJttan.

3.11. ane dicheina un || {ahsquc lüla ini || ): beidemal zeilenschluss. Ich ergänze nach Notker 2, 65 ane dicheina unebeni absqne ulla iniquitate. G. liest unrihti, was mir weniger passend erscheint, und druckt decheina.

4, 2. Das OS von termin\os ist durch den aufgeklebten papierstreifen (s. 506) hindurch noch zu erkennen.

4, 3. a\utem. Das a z. t. mit überklebt, aber nebst dem « noch deutlich erkennbar.

4,4. diner (:uus). Vor uns ist ein buchstabe ausradiert (e oder f?). Auch die schlinge des d von diner ist nicht mehr sichtbar, doch scheint nichts radiert zu sein. Notk. und Vulg. haben eins. H. gibt fälschlich stius und siner, G. stner.

Das s von 7iereditati\s und das e von eins sind noch zii erkennen.

seildin (funiculu). funictdu verschrieben für fnnicidus. Wie der Über- setzer auf den zusatz din zu seil verfallen ist, Aveiss ich nicht.

Tieribis siner {hereditatis eius). So H. Es ist sines zu lesen. Die Photographie zeigt, dass das wort jetzt überklebt ist; vielleicht liat sich H. verlesen.

4, 5. inuand (inuenit). Ein invindan, das die bedeutung invenire haben könnte, gibt es nicht. Das initial- J von inuenit fehlt in der hs. In der zeile stehen noch 3 in: vielleicht geriet dem Schreiber aus diesem gründe inuand in die feder. Jedenfalls ist uand zu lesen.

uuesta (deserta). So deutlich die hs. gegen H. uuosta, G. tvösfa, was freilich allein dem sinne entspriclit (Schreibfehler oder halb ags. form?).

4, 7. also aphuon (quasi pupiüum). Die hs. zeigt ganz deutlich aphuon, ein wort, mit dem ich nichts anzufangen weiss. Man müsste einen

[') Das i ist nicht abgekratzt, wie ^'errier bei üraune angibt, sondern mit durch einen grossen wie abgewischt aussehenden fleck verdeckt, der sich keilförmig über mehrere zeilen hinzieht. Bei scharfer l)oleuchtung ist aber der köpf des i noch ziemlich deutlich zu erkennen. E. S.J

512 STEPPAT

nom. sg. aplmo ansetzen, der sich nicht belegen lässt. G. setzt aplüon in den text, wodiirch die sache nicht besser wird.

ougim. So die hs. gegen atigun bei H. und Gr.

Von aqulüa ist il noch zu erkennen.

4, 10. nem(a\s und \erat] das schluss-s und das anfangs-e sind noch lesbar.

4, 8. iioragoumenda {prouocans). Der Übersetzer hat nach dem sinn construiert, indem er unter aro den weiblichen adler verstand, lyrouocans dürfte er misverstanden haben. Heinzel denkt an uacans. Graft" 4, 205 führt nur an forahigmmijan 'providere' und fora si Tiekaumit 'procuretur (Jielfay Kero 35. Notker setzt h'icchet.

■ze tilione (ad volandum). Kögel, Lit.-gesch. 1, 2, 532 findet die Ver- wechslung von fliehen und fliegen merkwürdig. Er übersieht dabei, dass im späteren ags. die Verwendung von fleon für flcogan ganz gewöhnlich ist (Bosworth-Toller 291 f.).

tiber sie . . . {super eos uolitans). Ich möchte hier idogerzenda ein- setzen, das Notker im Mart. Cap. gebraucht (Graff 3, 763). Unsere stelle lautet bei Notker 2, 626 ohe in flögezet. i)

4, 9. dreg . . (porfabit). Lies dregit.") Notker und die Yulgata haben portavit.

sie (eos). So Notker. Die Vulg. liest eum.

III. Lautlehre.

Vocale.

A) Kurze vocale der Stammsilben.

1) Germ, a

erscheint als a. Zu o ist es geworden in uone 1, 11. 2, 4, ioh

4, 9 und in sol 3, 2, woneben aber auch das besonders dem

fränk. eigentümliche sal 3, 2 steht.

Der Umlaut des a wird durch e bezeichnet: egison horroris 4, 5, elelendun egenum 2. 4, cjuJi fines 2, 10, uremider alienus 4, 11, ufhehit sublimat 2, 3, lielle internus 1, 1, zeJielon ad inferos 2, 2, herihis hereditatis 4, 4, herkogo dux 4, 10, giin- creftigot infirmata 2, 1, sal mendon gaudebo 3, 2, gesezet ponet 3,3, stede loco 4,5. Auch r und l + consonant lassen den Umlaut zu, wie gewöhnlich im fränk.: gemercld terminos 4,2,

[') Bei scharfer und günstiger beleuchtung glaube ich auf der Photo- graphie über dem l von uoliians ziemlich sicher ein o und davor weniger sicher reste eines l zu sehen. E. S.]

[^) Auch hier meine ich die endung it auf der Photographie noch zu erkennen, namentlich deutlich das t. E. S.]

AHD. INTERLINEARVERSION DER CANTICA. 513

sterchi fortitudo 2, 8. 3, 3, imedarmierdigi adversarii 2, 9, gesterkit iiuirdit roborabitur 2,8, sehni psalmos 1,5. Des umlauts entbehren: gedoihaftigot mortificat 2, 1, gelifhaftigot vivificat

2, 2, wol unter dem einfluss der adjectiva tothaft und lihliaft, da ft keine umlauthindernde kraft hat, s. guncreftigot 2, 1. Uebergang" des umlaut-e in / zeigt stirJcer fortis 1,12. Diese ersch einung ist später im md., besonders vor liquiden, sehr häufig, und findet sich auch im as., hier aber meist unter dem einfluss eines folgenden i: Weinhold, Mhd. gr.2 § 29. Holt- hausen, As. elem. § 78. Ein zweites beispiel aus der alid. periode habe ich nicht finden können. Unsern fall fasse ich als zeugnis dafür auf, dass das ausweichen des e in i im md. vereinzelt schon in der ahd. zeit vorgekommen .sein muss.

2) Germ, e und i.

a) ürspr. e ist geblieben in erda 4, 5, erdon 2, 6, erd^m terrae 2, 10, uetecJwn alas 4, 9, gebet date 3, 10, Jier^a 1,8, regene

3, 7, selbu ipse 1,3, selbon 2, 10, sprechon loquor 3, 6, uuege viae 3, 11, uuerc opera 3, 10, uuerbon cardines 2, 6.

b) e weicht aus in o: noh non, neque 1, 1. 2. 11. 2, 8.

c) i aus vorgerm. e steht «) vor n -\- consonant: singemes

1, ß (gegen unsicheres sengenden canentem 3, 5, s. anm. zur stelle oben s. 510), rinc orbem 2, 6, Jcind 2, 1. 4, 2, Jcindo 4, 3, hindon 1, 4; ß) vor folgendem j oder i: in lebendigem Wechsel mit e in si^^se sedeat,2, 5, ufrihtendc eiigens 2,4:, isuonimit assumpsit 4, 9, erslnlUt tonabit 2, 10, uuirdit 1, 1. 3. 2, 9, gibit dabit 2, 11; ferner in uinisternissi 2, 7, crippon praesepibus 3, 1, ]mnüeS,Q, himilin 2, 10, michiUichi 3,10; y) vor w in nihu 3,1, kire^o cervorum 3,3; 6) sonst noch in dir 1,1.4. 11, dih 1, 1, ih 1, 4 u. ö., mih 1, 5. 3, 4, ih der 3, 6, in 1, 2 u. ö., mit

2, 5. 4, 11, dicheina ulla 3, 11; in ableitungssilben (ausser in den schon unter ß gegebenen belegen) noch in egison horroiis 4, 5, ubili impii 2, 7.

d) Urspr. i ist erhalten in ereuuikende suscitans 2, 3, miste stercore 2,4, nideruarent descendunt 1,2, geimisse 1,11. 2,6; in e übergegangen in lebendiger 1, 3; schwanken findet sich bei uuedaruiierdigi adversarii 2, 9 neben uuidarleidit reducit 2, 2.

Ueber i + iv s. unter cu s. 515.

514 STEPPAT

3) Germ, und alid. ii, o.

a) 0 stellt vor a, o in der folgenden silbe, ausser vor nasal- verbindungen: droplwn stillae 3, 9, uoragoumenda provocans 4,8, got 1, 12 U.Ö., godes 3, 10, gode 1, 9. 3, 2. 3, 10, herijsogo dux 4, 10, hörn 1, 9. 2, 11, com 3, 9, lolon psalmis 3, 4, lohot laudabit 1, 1, inwrt verba 3,6. Ausnahme id)er 1,10 u. ö., wie gewöhnlich im ahd.

b) u bleibt vor folgendem i, j, u und nasalverbindungen : duruJdan perfecta 3, 10, uurstin principibus 2, 5, cuninge regi 2,11, cunt notam 1,4, iungen pullos 4,8, mund 1,9, mundes 3, 6, erstummunt conticescent 2, 8, stux)pe pulvere 2, 4, gesun- dereda separabat 4, 2, ubili impii 2, 7, ««ft 1, 4 u. ö., umlüeüa circumduxit 4, 6, wM,5er 1, 12, unseremo 3, 10, unsere 1, 6. « haben auch die präfixe un- (guncreftigot inflrmata 2, 1) und nr- in der nominalcomposition (iirdeila iudicia 3, 11), das in der verbal- composition als er- erscheint. Die nomina führen den vocal des nominativs durch.

B) Lange vocale der Stammsilben,

4) Germ, cv, got. e ergibt ä: ane absque 3, 11, uuarhcit 1, 3, 5, nah iuxta 4, 3. Umlaut des ä zeigt gesprechi eloquium 3, 11, worüber später

mehr. „. ^

5) Germ, i

bleibt: uiende inimicos 1, 10, dinemo 1, 10, dinn 1, 3, diu 1, 5, guoliche gloriae 2, 5, micMUichi magnificenciam 3, 10, lihes vitae 1, 6, gelifhaftigot vivificat 2, 2, gerichesot ditat 2, 3,

6) Germ, d

ist zu no diphthongiert in hochbetonten Stammsilben: diiot faciet, facit 1, 4, 2, 3, duo fac 1, 5, uuo^c 2, 7, uiio£:a pedes 3, 3, guoliche gloriae 2, 5, hehuota custodivit 4, 7, anaruophon invo- cabo 3, 9, stuol soliuni 2, 5, zuonimit 4, 9. Ueber uuesta für uuosta deserta 4,5 s. s. 511.

ü statt ?(o hat hotmudigot humiliat 2,3, wofür Tat. 110, 3 (2) giodmotigot bietet.

6 bleibt in nebensilben: einodis solitudinis 4,0 und also 1,4 u. ö., welches dem as. so entspricht.

AHD. INTERLINEARVERSION DER CANTICA. 515

7) Germ, ü

bleibt: Jmse domo 1,7, w^ZcicZi^ deducet 3, 4; uf in ufhehit Sub- limat 2, 3, uferhaban exaltatum 1, 8, ufrilitende erigens 2, 4. Unter 6 s. über ü für germ. 6, und unter eii über ü für

got. -iggiv-,

C) Diplitlionge.

8) Germ, ai

ist zu e contraliiert vor r in lera doctrina 3, 7, ?enda docuit 4, 6. e erscheint auch in zespret dilatatum 1, 9 gegen sjn-eidit 4, 9. Gegen Braune, Ahd. gr. § 44 a.4 könnte bei zcspret vielleicht gerade in unserm denknial an nd. einfluss gedacht werden, aber ein einziges derartiges beispiel ist zur begründung einer entscheidung nicht genügend.

Sonst wird ai zu ei: nerheichmt expectabunt 1, 2, dcil 4, 3, urdeila 3, 11, erdeilit judicabit 2, 10, zcdeileda dividebat 4, 1, dicht Ina 3, 11, einer solus 4, 10, einodis solitudinis 4, 6, Jwileger 1, 11, heilegeno 2, 7, heili salutari 1, 10, geleidit deducit 2, 2, uzleidit deducet 3, 4, uuidarleidit reducit 2, 2, umhileita circum- duxit 4, G, seil funiculu(s) 4, 4, spreidit expandit 4, 9, suiieiga armeutum 3, 1, uuarheit 1, 3. 5.

9) Germ, au

ist zu 0 zusammengezogen vor h und den dentalen t und r: ho excelsa 3, 4. 4, 11, /<o.s/er altissimus 4, 1, er/«o/^ sublimabit 2, 11, dot mors 1, 1, gedothaftigot mortificat 2, 1, gehör a audiat 3, 6, gehöret audite 3, 6, hotnmdigot humiliat 2, 3. Es wird oti in itoragoumenda provocans 4, 8, ougim 4, 7.

Auch das westgerm. att'?«; geht in ou über: uroimen exul- tabo 3, 2, geurouuet laetata 1, 10, erurouuit exultavit 1, 8.

10) Germ, eii

spaltet sich in 1) io vor folgendem dental + «: iilioza fluat 3,7; vor folgendem guttural -|- a: ulioue uolandum4, 8; ie er- scheint bei dem «-stamm dicde gentes 4, 1. Ob dieses ie bereits die späte form des diphtliongs, oder durch assimilation an das e der folgenden silbe entstanden ist, lässt sich bei dem niangel weiterer belege nicht entscheiden. 2) iu, das vor i der nächsten silbe steht: liud populus 4, 4, liiido populorum 4, 3; nach dem nom. sg. Das urgerm. eu -\- w (got. -iggio-) erscheint als ü in getruuuir fldelis 3, 11. iu zeigt auch hiude hodie 1, 4.

516 STEPPAT

D) Die vocale der endsilben mit ausnähme der flexionseudungen.

1) a ist zu e geworden sowol auslautend wie auch gedeckt: uher 1, 10 u. ü., ander 1, 11, uone 1, 11. 2, 4, anc {e = a oder o) absque 3,11. Auch danne 4,11 hat e, wie schon bei Is., K, Tat., Otfr. (Graft 5, 44). uuanda 1,10. 2,8. 3,9, dessen aus- lautendes a auf got. e zurückgeht, hat das a erhalten.

2) 0 wird zu e in (jeuuisse 1,11. 2, 6.

3) i bleibt in ni (?) 1, 1, das proklitisch e zeigt: neuuisit 3, 1.

4) Gedecktes u bleibt erhalten: cüjur 3,1. 4,3.

E) Vocale der mittelsilben.

1) Schwere mittelsilben bleiben (vgl. Braune, Ahd. gr. § 63): uuarheit 1, 3. 5, cuninge regi 2, 11, einodis solitudinis 4,6. Auf altes nebeneinander der suffixe -lg- und -ag- weisen hin lehendiger 1, 2, uuedaruuerdigi 2, 9 : lieilegeno (gen. pl.) 2, 7, heileger 1, 11; vgl. dazu die verben auf -igön, in anlehnung an die adjectiva auf -lg: hotmudigot 2,3, gdifhaftigot 2,2, (/H^i- creftigot 2, 1, gedothaftigot 2, 1.

2) Kurze mittel vocale: a) a wird durchaus zu e: gcsim- dereda 4, 2, uhercohereri victori 3, 4, uinisternissi 2, 7, neteclion 4, 9; s. auch oben unter 'schwere mittelsilben' und unten s. 517 unter 'secundärvocale'.

b) i bleibt: «) unter dem einfluss eines benachbarten t: ubili2,7, michiUiclii 3,10, Jmnüe 3,6, himilm 2,10, uinisternissi 2,1 \ ß) wo es Umlaut bewirkt hat: Jicri^ogo 4,10, iiremider 4, 11, egison 4, 5. Eine ausnähme bildet clelendun 2, 4.

c) e zeigt gerichesot ditat 2, 3. Also auch bei i hat der Übergang zu e bereits begonnen.

d) u ist abgeschwächt zu e in hire^o cervorum 3,3.

F) Sonstige schwachtonige vocale.

1) Die untrennbar mit dem verb verbundenen zweisilbigen Partikeln bewahren den vocal der endsilbe unter dem schütze der folgenden consonanten durchaus: uuidarleidit 2,2, twragou- menda provocans 4,8, anaruoplion 3,9, umbileita 4,6. Nur nideruarent 1,2 zeigt Schwächung des a zu e.

In der nominalcomposition erscheint einmal uuedar-: uuedar- uuerdigi adversarii 2, 9.

AHD. INTERLINEARVERSION DER CANTICA. 517

2) Secundärvocale: der westgerm. secundärvocal vor l, r, m, n erscheint als a: uuidarleidit 2,2, uuedaruuerdigi 2,9, das in der nominalflexion bereits in e übergegangen ist: regene pluvia 3, 7, ahselon liumeris 4, 10.

Die ahd. vocalentwicklung zwischen r -{- h zeigt duruJitan perfecta 3, 10.

Die speciell obd. und nd. vocalentwicklung zwischen r + labial hat heribis 4, 4 (gegen uuerhon 2, 6), aremen 2, 2 (gegen armen 2, 4).

3) Synkope des mittelvocals liegt vor in sinro 2, 7. 2, 8, Jioster altissimus 4, 1, hata habebat 2, 1.

4) Unterdrückung des auslautenden vocals zeigen nist 1, 11, guncreftigot 2, 1.

5) Vocale der präfixe: a) ^a- ist ge- geworden: geurouuet 1, 10, gehaldan 1, 5, gesczet 3, 3, geuuisse 2, 6, gesundereda 4, 2, gemerdd 4,2, gcsasta 4,2. 11, gericJiesot 2,3, gesterJcit 2,8, ge- dothaftigot, gelifhaftigot 2, 1, geleidit 2, 2, gehöret, geliora 3, 6, gesprechi 3, 8, getruuuir 3, 11. Mit Unterdrückung des vocals guncreftigot 2, 1.

b) ^a- erscheint als ^e-: zedeüeda 4, 1, siespret dilatatum 1, 9.

c) hi- erscheint als he-: heuuareda servabit 2, 7, helmota custodivit 4, 7.

d) ttr- ist in der verbalcomposition zu er- abgeschwächt: erurouuit, iiferhaban 1, 8, ercuuikende 2, 3, crstummunt 2, 8, eruortent 2,9, erskillit, erdeilit 2,10, eWiO^Y 2,11, nerheidunt expectabunt 1, 2.

In der nominalcomposition erhält sich ur-: urdeila 3, 11.

e) un- (privativ): guncreftigot 2, 1.

f) Das adverb suo erscheint in zuonimit 4, 9.

Von anderen einsilbigen partikeln kommen Ü2\m^üfN0Y: uzleidit 3, 4, ufhebit Sublimat 2, 3, uferhahan exaltatum 1, 8, ufrihtende 2, 4.

Ueber das wahrscheinlich fehlerhafte in in inuand invenit 4, 5 s. die anm. s. 511.

518 STEPPÄT

Consonanten.

A) Halbvocale.

1) tv.

Geschrieben wird im für tv. Für ahd. ouw steht ouu (urouuen 3,2), und wm für mv (getrumiir 3,11). V eher iiiiesta für uuosta deserta s. anm. s. 511. ercuuiliende 2, 3 bietet die seltene Schreibung- am statt des gewöhnlichen qu.

. w kommt vor aj im anlaut vor vocalen: geuualt Imperium 2,11, imanda 1,10. 2,8. 3,9, heuuareda 2,7, imarheit 1,3. 5, uuascha 3,7, imedartiuerdiyi 2,9, uuege viae 3,11, uiierc opera 3, 10, uuidarleidit reducit 2, 2, uuirdit 1, 1. 3. 2, 9, uuart 2, 1, geuuisse 1,11. 2,6, uuort verba 3,6, uiiesta deserta 4,5; b) in anlautenden Verbindungen mit tv an zweiter stelle: a) gutturale Verbindung hv: ercuuikende 2,3. In der Verbin- dung Jnv ist das h bereits verloren gegangen: uuerhon cardines 2,6; ß) dental: suueiga armentum 3,1.

Gemeingerm, gemination (=goi.ggw) hat getruuuir 3,11 (s. darüber unter eu s. 515).

AVestgerm. gemination durch ji bieten uroimen 3, 2, geurouuet laetatum 1,10, erurouuit exultauit 1,8 (s. darüber unter au s.515).

2)i. Es wird im anlaut vor o und u durch das zeichen i wider- gegeben: ioh atque 4, 9 und üingen pullos 4, 8. Im inlaut steht g vor i: hegten confitebitur 1, 1. 4.

B) Liquidae.

1) r

ist in allen Stellungen häufig und bietet zu keinen besondern bemerkungen anlass. Geminiertes r kommt nicht vor.

2) l

bleibt unverändert und findet sich häufig. Ich bespreche nur II besonders. Dieses ist a) germ. gemination: alle 3, 11, allen (dat. pl.) 1,6, ersJcillit tonabit 2, 10; b) westgerm. Verdoppe- lung durch ;: helle internus 1, 1, gegen vereinfachte geminata in zehelon ad inferos 2, 2; c) resultat der composition: michülicJn magnificenciam 3, 10 und guoliche gloriae 2, 5

AHD. INTERLINEARVERSION DER CANTICA. 519

(= gnoUiche, zu ur-guol, gcdan: Kögel, Anz. fda. 19, 243) mit einfachem l. Ueber Mmile, himilin s. unter n.

3) m.

Es steht a) anlautend: man 2,9, gemerchi terminos 4,2, micliülichi 3,10, miste 2,4, mit 2,5. 4,11, hotmudigot humiliat

2.3, mund 1,9, miindcs 3,6; b) inlautend: a) vor vocalen: uoragoumenda proA^ocans 4, 8, himüe caeli 3, 6, himüin caelis

2. 10, namo 3, 9, suonhnit 4, 9; |3) in der Verbindung- rm: armeti

2. 4, durch zwischenvocal getrennt in aremen 2, 2 ; 7) vor labialem consonanten: umbileita circumduxit 4, 6; c) als germ. gemi- nation: erstummunt conticescent 2,8.

4) n

bleibt unverändert, findet sich an-, in- und auslautend und oft vor dentalen consonanten. Vor labialen fehlt es vollständig. Als gutturaler nasal erscheint es in ntngen 4, 8, ciminge regi

2.11, rinc orbem 2,6, singemis cantabimus 1,6, singenden ca- nentem 3, 5. Gemination liegt vor in danne quando 4, 1. 1.

Germ, n erscheint als l in Mmile caeli 3,6, himilin caelis 2, 10.

C) Labiale. 1) p.

a) Ist im anlaut nicht belegt. Abgefallen ist es in dem fremd wort sclmi psalmos 1, 5, das Graft 3, 370 mit erhaltenem j), als psdlmo, nur aus Is. belegt.

b) Im inlaut ist das durch westgerm. gemination ent- standene pp zur affricata ph verschoben: aphuon pupillam 4, 7, droplion stillae 3, 9. Da unser denkmal nach Franken hingehört, und das mittelfränkische ausgeschlossen scheint, so würde diese Verschiebung für die Zugehörigkeit zum südfränk, des Otfried oder zum ostfränk. sprechen.

c) Im in- und auslaut nach vocal tritt Verschiebung des einfachen p zum harten Spiranten ein: anarnophon invocabo 3, 9 (wo ph an sich auch affricata sein könnte) zeigt die zwar nicht häufige, aber auch nicht ganz vereinzelte Schreibung ph für den doppelspiranten. Daneben steht uf in der verbalcompo- sition: ufhehit 2,3, uferhahan 1,8, ufrihtende 2,4.

d) Unverschoben bleibt natürlich das p in der Verbindung

520 STEPPAT

sp: gesprechi eloqiimm 3,8, spreidit expandit 4, 9, zespret clila- tatum 1, 9, sprechon loqiior 3, 6.

2) b.

a) Einfaches h bleibt fast durchaus: abur 3,1. 4,3 (so Tat., während Otfr. avur hat); be- (präfix, in beuuareda 2, 7, behuota 4, 7), nerbeidimt 1, 2, bin 1, 10, gibit dabit 2, 11, ^e&e^ date 3, 10, haba teneat 2, 5, ufhebit (mit ausg-leichung des grammatischen wechseis) 2, 3, uferhaban 1, 8, heribis 4, 4, lebendiger 1, 3, Z<ie5 vitae 1, 6, Zo&ow psalmis 3, 4, Zo&o^ 1, 1, seZkt ipse 1, 3, selbon ipsos 2, 10, t(&er 1, 10 u. ö., m&?7? impii 2, 7, umbileita4,ß, uuerbon cardines 2, 6. Nur gelifhafUgot vivificat 2, 2 und ?/6es zeigen den im as. herschenden Wechsel zwischen stimmloser spirans im auslaut und stimmhafter im inlaut. Das mfränk. und nfränk. haben v zwischen vocalen.

b) bb wird zinjp verschoben: crippon praesepibus 3,1, stuppe pulvere 2, 4. Schon Tat. schreibt crippea und Otfr. sogar h-ipplia, während in andern fällen bb im altern oberfränk. unverschoben bleibt. Vereinzelte versuche, die geminata als einen härtern laut zu bezeichnen, finden sich im fränk. allerdings schon früh (Zs. f dph. 7, 420), aber pp herscht doch erst bei Williram (Braune, Ahd. gr. § 135 a. 1). Das pp in stuppe könnte daher sowol auf oberd. einfluss wie auf das junge alter des denkmals hinweisen, jedoch erscheint das wort als stuppe auch in den Nfränk. psalmen (1, 4). Da Wörter mit geminiertem b sonst nicht vorkommen, so lässt sich aus den beiden belegen, in denen es verschoben ist, nichts für die Ortsbestimmung schliessen.

3) /-.

Germ, /"bleibt durchaus: uader 1,4, inuand invenit 4,5, nideruarent 1, 2, uetechon alas 4, 9, uiende 1, 10, uiJm 3, 1, uinisternissi 2, 7, ulione 4, 8, ulioza 3, 7, uone 1, 11. 2, 4, uora- goumenda provocans 4, 8, eruortent formidabunt 2, 9, uremider alienus 4, 11, urouuen 3,2, geurouuet 1, 10, crnrouuitl,^, uuoze 2, 7, uuoza 3, 3, uurstin 2, 5, giincreftigot 2, 1, gelifhaftigot 2, 2, gedothaftigot 1, 1, Grammatischen Wechsel zeigt abur. lieber dieses und ufhebit, gelifhaftigot s. oben 2, a unter b.

Orthographie: geschrieben wird u im anlaut vor vocalen und den liquiden l und r. Im silbenauslaut steht f in gelif- haftigot, und ebenso in der inlautenden Verbindung ft (also

AHD. INTERLINEARVERSION DER CANTICA. 521

vor einem versclilusslaut): gimcreffujot, gelifhaftigot, gedothaf- tigot. Sonst ist der buclistabe im inlaut nicht belegt.

D) Gutturale. 1) h.

a) Anlautend und inlautend in der gemination bleibt Ti unverschoben. Nach r herscht schwanken in der Orthographie.

a) Im anlaut: Mnt filios 2^ 1. 4, 2, Mndon filiis 1, 4, kindo filiorum 4, 3, com gramina 3, 9, gimcreftigot infirmata 2, 1, crippon praesepibus 3, 1, cuninge regi 2, 11, cimt 1,4, ercuuikende suscitans 2, 3, ubercohereri victori 3, 4. ß) In der gemina- tion: ercuuikende 2, 3, mit Vereinfachung der geminata nach kurzem vocal. So regelmässig bei Otfr. und auch oft bei Tat.

/) Nach r: gesterkü 2, 8, st irker 1, 12, uuerc opera 3, 10 mit k, c, dagegen mit ch: gemerchi terminos 4, 2 und sterchi 2,8. 3, 3. Ich halte dieses ch für die bezeichnung der aspirierten tenuis. Bei schwacher aspiration ist das schwanken in der Schreibung leicht erklärlich.

b) Nach vocalen im in- und auslaut wird k zum langen harten Spiranten verschoben: dih 1, 1, uetecJion alas 4, 9, ih 1,4 u. ö., mih 1, 5. 3, 4, guoliclie gloriae 2, 5, michillichi 3, 10, ge- richesot ditat 2, 3, gesprechi eloquium 3, 8, sprechon loquor 3, 6.

c) Unverschoben bleibt die lautverbindung sk: erskilUt tonabit 2, 10. sol, sal 3,2 zeigen den vor dem 11. jh. seltenen ausfall des k, der allerdings sehr vereinzelt schon bei Tat. und häufiger in den Nfrk. psalmen auftritt.

d) Orthographie: c wird geschrieben im anlaut vor o, u, r, HU und im auslaut nach r. Vor i steht k: kint, erskilUt.'^)

ch dient zur bezeichnung der doppelspirans: uetechon, guo- liche, michillichi, gerichesot, gesprechi, sprechon, und der aspi- rierten tenuis nach r: gemerchi, sterchi.

Im auslaut erscheint einige male h für die spirans: dih, ih, mih.

Ueber tmascha 3, 7 s. s. 522, 3, c unter h.

^) Germ. 37, 248 macht Kauffmann darauf aufmerksam, dass iu deu allerältesten aufzeichnungeu c so gut wie niemals für etymologisches k, sondern stets nur im Wechsel mit g verwendet wird.

Beiträge ziir geschichte der deutschen spräche. XXVll. 34

522 STEPPAT

bleibt durchaus: egison horroris 4, 5, ge- (präfix) 1, 10 u. ö., gibit clabit 2, 11, gehet date 3, 10, got 1, 12, godes 8, 10, gode 1, 9. 3, 2. 10, uoragoumenda provocaus 4, 8, gras lierbam 3, 8, guoliche gloriae 2, 5, iungen pullos 4, 8, regene 3, 7, singemis 1, 6, singenden canentem 3,5, suueiga armentum 3, 1, inicge viae 3, 11, cuninge regi 2, 11.

rinc orbem bietet das im auslaut nicht ganz seltene c für g.

Geminiertes g kommt nicht vor.

3) h kommt vor: a) für altes h im anlaut vor vocal: liata habebat 2, 1, haha 2, 5, gehaldan salvum 1, 5, haldendemo ihesu 3, 2, ufhehit 2, 3, uferliahan 1, 8, heileger 1, 11, heüegeno 2, 7, heili salutari 1, 10, helle internus 1, 1, zehelon 2, 2, herhogo dux 4, 10, 7<er^a 1,8, himile 3,Q,.hmiilm 2,10, hirezo 3,3, Ämf/e 1,4, 7iO 3,4. 4,11, hoster 4,1, er/io?Y 2,11, gehora audiat 3,6, gehöret audite 3,6, hörn 1,9. 2,11, hchuota custodivit 4,7, huse 1,7, gelifhaftigot 2, 2, gedothaftigot 2, 1.

Abgefallen ist dagegen das h in den anlautenden Verbin- dungen hr und hw: rinc 2,6, nuanda 1,10. 2,8.

Das pron. pers. zeigt die form her 2, 5 wie bei Tat.

Prothetisches h haben herihis 4,4 und hotnmdigot 2,^.^)

b) Inlautend vor vocal: ^<^7M^ 3, 1.

c) Die inlautenden Verbindungen hs und hf kommen vor in ahselon 4, 10, drohtin 1, 11 u. ö., ufrihtende 2, 4 und in duruhtan perfecta 3, 10 durch composition. Concrescat ist 3, 7 durch uuascha anstatt des zu erwartenden tinahsa widergegeben. Natürlich liegt hier ein Schreibfehler für miachsa vor. An eine Verwechslung mit u-asJcan ist nicht zu denken, denn das von Graff 1, 685 angeführte getvasleniu in den Prud. gl. (wel- ches übrigens concreta und nicht, wie Graff angibt, veterno

') Ob diese h tatsächlich nur orthographische nngenauigkeiten sind, wie Braune, Ahd. gr. § 152 a. 1 meint, lässt sich doch nicht mit bestimmt- heit entscheiden. Ihnen mit (xarke (s. dazu Brückner, Anz. fda. 22, 168) den vollen lautwert des echten /* zuzuerkennen, geht nicht an. Vielleicht deuten sie auf eine in der ausspräche gewöhnliche ganz leichte aspiration hin, deren nicht scharf ins ohr fallender Charakter am ehesten ihr spora- disches auftreten erklären würde.

AHD. INTERLINEAUVERSION DER CANTICA. 523

Übersetzt), das, wenn richtig, einen analogen fall bieten würde, ist durch die lesart geivasinm (für geivahsinm) der Züricher hs. beseitigt (s. Steinmeyer-Sievers, Ahd. gU. 2, 514, 31).

d) Der ausfall des /* in lioster altissimus 4, 1 und in lio ex- celsa 3,4. 4,11 erklärt sich aus den formen, in denen das h inlautend zwischen vocalen zu stehen kam. ho mit Kögel, IF. 3, 295 auf ein mit %a'uha- in grammatischem Wechsel stehen- des "^hangtva- zurückzuführen, geht doch nicht an, da Viaugwa-, hauiva- im as. */iaw und im ahd. "^hou ergeben müssten, nicht aber ho. erhoit sublimabit 2, 11 gehört ebenfalls hierher.

e) Ausfall des h vor t zeigt eruortent formidabunt 2, 9, eine nach Heinzel, Nfrk. geschäftsspr. s. 45 im nfrk. und salfrk. häufige erscheinung. Das spätere md. reimt sogar unbedenklich forht : ort und ähnliches (Weinhold, Mhd. gr.^ s. 241).

f) Auslautendes h haben ioh atque 4,9, nah iß, noh 1,1 u.ö.

g) Secundäre gemination des h zeigt dicheina 3, 11.

h) Orthographie: sowol der hauchlaut wie die spirans werden durch h bezeichnet.

Für das geminierte h steht ch in dicheina 3, 11.

E) Dentale. 1) t

a) Es ist zur affricata verschoben «) im anlaut vor vocal: herizogo dux 4,10, zaia numerum 4,3; ß) inlautend nach r: hersa 1,8; 7) in der gemination: sizze sedeat 2, 5, und mit einfachem z: gesezet ponet 3, 3, gesazta posuit 2, 6.

b) Es ist zum harten Spiranten verschoben: a) inlautend zwischen vocalen : ulioza fluat 3, 7, uuoze pedes 2, 7, uuoza pedes 3,3, hirezo cervorum 3,3; ß) im silbenauslaut nach vocalen: duz ut 2, 5, uzleidit 3, 4.

Die Verschiebung des t in daz schliesst unser denkmal vom mfrk. aus.

c) Unverschoben bleiben die Verbindungen st, ht, ft, tr. st: stede loco 4,5, stcrchi 2,8. 3,3, gesterlit 2,8, stirker 1,12, erstummunt conticescent 2, 8, sttwl 2, 5, stuppe pulvere 2, 4, uinisternissi tenebris 2, 7, uurstin principibus 2, 5, hoster 4, 1, miste stercore 2,4, uuesta deserta 4,5; ht: drohtin und

3i*

524 STEPPAT

seine casus 1, 11 u.s. w., nfrilitende erigens 2,4, und mit ausfall des h: eruortent 2, 9; ft: guncreftigot infirmata 2, 1, gelif- haftigot 2,2, gedothaftigot 2,1; tr: getnmuir 3,11.

d) Orthographie: die affiicata wird durch ^ widergegeben und in der gemination durch z^, das aber auch nach kurzem vocal vor vocal ^vereinfacht erscheint: geseset 3, 3. z bezeichnet auch den Spiranten.

2) (/.

d bleibt un verschoben im an- und inlaut: a) im anlaut: cZe?7 4, 3, urdeila^,\\, e>Y?ey7/^ judicabit 2, 10, ^ecZee'Zcf/a dividebat

4. 1, gedothaftigot 2, 1, dot mors 1, 1, drohtm 1, 11 u. ö., droplion

3, 9, duot faciet 1, 4, facit 2, 3, duo fac 1, 5. Dagegen duruhtan perfecta 3, 10 mit t, wol unter dem einfluss der so häufigen inlautenden Verbindung ht.

b) Im inlaut: nerbeidunt expectabunt 1, 2, diede gentes 4, 1, einodis solitudinis 4, 6, elelendun egenum 2, 4, endi fines 2, 10, uader pater 1, 4, uiende 1, 10, godes 3, 10, gode 1, 9. 3, 2. 10, uoragoumenda provocans 4, 8, gehaldan salvum 1, 5, haldendemo ihesu 3, 2, hiude hodie 1, 4, ercimikende suscitans 2, 3, geleidit 2, 2, uzleidit 3, 4, uuidarleidit 2, 2, ??m(7o 4, 3, Jwtmudigot humi- liat 2, 3, 5a? mendon gaudebo 3, 2, spreidit expandit 4, 9, stede

4, 5, gesiindereda 4, 2, und 1, 4 u. ö., imanda 1, 10, 2, 8, uuedar- uuerdigi 2, 9.

In der conjugation erscheint t für dd in beJmota 4, 7, und für das durch ausfall des zwischenvocals entstandene dt in zespret 1, 9,

c) Auslautendes d wird zu ^: gedothaftigot 2, 1, (/o^ 1, 12.

3. 2. 11. 4, 11 (gegen d in den flectierten casus), mit 2, 5. 4, 11, geuualt 2,11, twior^ 3,6. Eine ausnähme bildet liud 4,4, das sein d nach den casus, in welchen es im inlaut steht {liudo 4, 3), beibehält.

d) Die entsprechungen des d sind die im mfrk. und rhein- frk. üblichen. Da das mfrk. wegen des daz ausgeschlossen ist, so bleibt nur das rheinfrk. für unser denkmal übrig. Von Otfr, wird es durch das inlautende d unterschieden.

3)A a) Es wird an- und inlautend zu d: a) im anlaut: datme quando 4, 11, daz ut 2, 5, dcmo 1, 1, dichcina 3, 11, diede gentes

AHD. INTERLINEARVERSION DER CANTICA. 525

4j 1, dieder qui 1, 2, dinemo 1, 10, dina 1, 3, dm 1, 5, dir 1, 1. 4. r7«/i 1, 1, durulitan perfecta 3, 10. ß) im inlaut: nideruarent descendimt 1, 2, imedaruuerdigi 2, 9, imidarleidit rediicit 2, 2, uremider 4, 11, crf?« 3, 6. 4, 5, er(Zo?^ terrae 2, 6. 10, mundes 3, 6. uuirdit 1, 1, 3. 2, 9.

Das i( in uctecJion alas 4, 9 weist auf die geminata ])p hin, die im alid. über dd zu tt wird.

b) Im auslaut lierscht schwanken, d haben inuand invenit 4, 5 und mund 1, 9, bei welchem wort die flectierten casus {mundes 3, 6) mitgewirkt haben können, cunt 1, 4 hat da- gegen t, ebenso wie uuart 2, 1, wo das d des pl. in den sing, gedrungen ist. Bei Mnt 2, 1. 4, 2 (Jcindo 4, 3, hindon 1, 4) ist weniger an germ. ]i, als an das d des as. Und zu denken. Bei hotmudujot 2, 3 lässt sich ebenfalls das as. heranziehen, wo die Schreibung Im für germ. Inn, das nach Kugel, IF. 3, 295 im as. zu dm werden muss, zu den eigentümlichkeiten der Heliandhs. C gehört (Holthausen, As. elem. § 202). Doch bietet Tat. bereits neben 5 belegen mit t für dieses wort nur 3 mit d (Sievers, Tat.2 s. 400). Ich mochte jedoch dieses schwanken in der widergabe des auslautenden l^ auf rechnung des jungen alters unseres denkmals setzen.

IV. Formenlehre.

A) Declination der substantiva.

1) a-declination.

a) Reine o - s in m e. a) Masculinum: sg. nom. dot mors 1,1, drolitin 1,11. 2,1. 2. 10. 3,2. 4,10, domine 1,5, got 1, 12. 3,2. 11. 4, 11, mund OS 1, 9 und die eigennam iacob 4, 4, israel 4, 3. acc. drolitin dominum 2, 9, rinc orbem 2, G, stiiol solium 2, 5; ycimalt Imperium 2,11 könnte auch fem. der i-decl. sein (Graf f 1, 808). gen. godes 3, 10, mundes oris 3, 6, libes vitae 1, 6, drohtinis 1, 7. 8. 2,5. 3,9. 4,4. dat. sg. gode deo 3,10, cuninge regi 2,11, miste stercore 2, 4, rcgene 3,7. instr. sg. drohtino (in droh- tino ih sal mendon in domino gaudebo) 3,2. 1,8. pl. nom. uuege yme 3,11. acc. uiendc inimicos 1,10 (das aber auch als i-pl. gefasst werden könnte, da die i- formen bei Notker [Graff 3, 382J nicht selten sind), lieber uuoza s. unter i-decl.

526

STEPPAT

gen. hirezo cervorum 3, 3. dat. dagan {allen cunctis diebiis) 1, 6.

ß) Neutrum: sg. nom. Jiorn cornu 1, 9, seil fimiculu[s] 4,4, deü pars 4,3 (das aucli, aber seltener, als m. belegt ist, Graff 5, 405). acc. gras herbam 3,8, hörn cornu 2,11. dat. kuse domo 1,7. pl. nom. tiuerc opera 3,10. acc. Mnt filios 2, 1. 4, 2, com gramina 3, 9, luiort verba 3, 6. gen. Mndo flliorum 4, 3. dat. Mndon filiis 1, 4, lohon psalmis abl. 3,4.

Masculinuni.

sg. nom.

15 pl. nom.

acc.

3 (1) acc.

gen.

-es 3, -is 5 gen.

dat.

-e 4 dat.

instr.

-0 2

-e

1

-e

1

-0

1

an

1

Neut

rum.

sg. nom.

3

pl.

nom. 1

acc.

2

acc. 3

dat.

-e 1

gen. -0 1 dat. -on 2

b) Ja-stämme.

a) Masculinum: sg. dat. tihercohereri victori 3, 4, pl. dat. uurstin principibus 2, 5. Dieser dativ findet sich schon bei Notker, und aus dem 12. jh. belegt Graft 3, 626 den nom. sg. uursti aus Bib. 5 (= Ahd.gll. 1, 746, 41). Vielleicht in unserm denkmal besser der ?-declination zuzuweisen.

ß) Neutrum: sg. nom. gr.-iprechi eloquium 3,8. gen. herihis hereditatis 4,4, einodis solitudinis 4,6. dat. siuppe pulvere 2,4; heüi {in dinemo in salutari tuo) 1, 10 ist wegen des dinemo wol ebenfalls hierherzuziehen und ein nom. heüi n. anzusetzen. Einen nom. heil möchte ich nicht annehmen, weil die sicher belegten dative bei den reinen «-stammen alle -e zeigen. Ein dat. auf -i ist bei einem abstractum heili n. durch Verwechslung mit den i-stämmen leicht erklärlich, uinisternissi tenebris abl. 2, 7 spricht ebenfalls für den dat. auf -/. pl. acc. endi fines 2, 10, gemerchi terminos 4, 2.

Masculinum. sg. dat. -i 1 pl. dat. -in 1

Neutrum, sg. nom. -i 1 pl. acc. -i 2

gen. -is 2 dat. -e 1, -i 2

2) o-declination. Sg. nom. erda terra 3, 6, lera doctrina 3, 7, suueiga ar- mentum 3,1. dat. zala {nah iuxta numerum) 4,3, das

AHD. INTERLINEARVERSION DER CANTICA. 527

das seltene eindringen der genitivendung in den dativ zeigt.

acc. erda 4, 5 (inuanä man in erda uuesta invenit eum in terra deserta: des folgenden uiiesta wegen muss erda als acc. gefasst werden, trotzdem nach uindan in sonst mir der dat. stellt). Ueber erdon 2, 6 und erdtm terrae s. unter den w-stämmen.

pl. nom. iirdeila judicia 3, 11 (den sg. urtaüa belegt Graff 5, 414 zweimal aus obd. glossen [=Alid.gll. 1,751,8. 2, 450, 52]).

dat. aliselon liumeris abl. 4, 10.

Sg.

PI.

nom. -a 3

nom. -a 1

dat. -a 1

acc. -a 1

dat. -an 1.

jö-stämme. Sg. nom. Jielle internus 1, 1. Natürlich ist das auslautende e nicht die alte, sondern eine ganz junge endung (denselben nom. belegt Graff 4, 860 aus dem Wien. Notker). pl. dat. sehelon ad inferos 2, 2, crippon {in er. in praesepibus) 3, 1.

3) Feminina abstracta auf -t. Sg. nom. sterchi fortitudo 3, 3. acc. michillicJii magni- ficenciam 3, 10. gen. giwUche gloriae 2, 5 (dem bei Otfr. 3, 15, 28 schon ein dat. gualliche entspricht). dat. sterchi

fortitudine 2, 8.

Sg. nom. -i 1 acc. -i 1 gen. -e 1 dat. -i 1.

4) i-declination.

Masculinum: sg. nom. liiid ( 5mer populus suus) 4,4. pl. nom. diede gentes 4, 1 stelle ich lieber hierher als unter die a-declination. Den pl. diete braucht Notker regelmässig, und das wort gilt bei ihm als m. nach der /-decl. liimile caeli 3, G ziehe ich wegen des dat. himilin 2, 10 hierher. Der ?-pl. dieses Wortes ist besonders dem Wien. Notk. eigentümlich (Graff 4, 939). acc. selmi psalmos 1, 5. Diese form findet sich als nom. noch bei Otfr., jedoch lassen der bei Tat. 130, 2 belegte gen. selmo und der dat. selmin 231, 3 denselben nom. voraussetzen. Neben uuoze pedes 3, 7 findet sich uuoza pedes

528

STEPPAT

3,3 nach der a-decl. Merkwürdig ist es, dass gerade dieses wort, zu dem ein a-pl. sonst gar nicht zu belegen ist, als ein- ziges in unserm denkmal die noch unversehrte endung der a-decl. zeigt. gen. Imclo populorum 4, 3. dat. Jimilin {in h. in caelis) 2, 10.

Femininum: sg. dat. siede loco abl. 4,5. acc. uuarheit veritatem 1, 3. 5.

Mascnlinum. sg. norn. 1 pl. nom. -e 2

acc. -i 1, -e 1, gen. -0 1 dat. -in 1

-«1

Femininum, sg. acc. 1 dat. -e 1.

5) it-declination. Neutrum: sg. nom. uiJm pecus 3,1.

6) Schwache declination. Mascnlinum: sg. nom. aro aquila 4, 7, herisogo dux 4, 10, namo nomen 3, 9. gen. egison horroris 4, 5 (ähnlich hat Otfr. 2, 9, 68 einen gen. sg. hrunnon, s. Kelle 2, 241, und Tat. hat die dative ilieismon 89,4 und namon 134,3. 142,2). pl. nom. dro2)Jion stillae 3,9, vuerbon cardines 2,6. acc. uetechon alas 4, 9. Ein schwaches suost. uetecho führt Graff 3, 449 nicht an. Dagegen bringt Lexer veteche swm. und Schade 1, 173 ein md. vedeche.

Femininum: sg. gen. erdon terrae 2, 6, erdtm terrae 2, 10. Daneben der acc. erda 4, 5 (s. unter o-decl.). Offenbar herscht in unserm denkmal eine ähnliche Vermischung der ö- und n-te- minina, wie in den Anl. ps., wo beim gen. sg. fast nur «-formen begegnen (A. Borgeld, De oudoostnederl. psalmen § 123). sg. acc. gniohun {in in lacum) 1, 2. Graff belegt 4, 307 nur noch einmal, aus obd. quelle, die schwache form dieses Wortes: dat. sg. gruopun Prud. 1 (= Ahd. gll. 2, 445, 28).

Neutrum: sg. nom. licrza cor 1,8. gen. oitguni,! (wie ögun gl. Lips. 826).

Mascnlinum. sg. nom. -0 3 pl. nom. -an 2 gen. -on 1 acc. -on 1

Femininum. so-, acc. -lüi, 1

gen. -un i, -tin 1

Neutrum. sg. nom. -a 1 gen. -tiu 1.

AHD. INTERLINEARVERSION DER CANTICA. 529

7) Verwant Schaftsnamen. Masc. sg. nom. uader pater 1,4,

8) n^-stämme. lieber den acc. pl. uiende 1, 10 s, s. 525 unter a-declination.

9) Vereinzelte consonantisclie stamme. Masc. sg. nom. man vir 2, 9.

B) Declination der adjectiva.

1) Flexionslose formen.

Masculinum: sg. nom. ander alius 1, 11, ercuuikende sus- citans 2, 3, min {mund os meum) 1, 9, unser {got deus noster) 1, 12, gesterhit ( uuirdit man roborabitur vir) 2, 8, sespret ( ist mund min dilatatum est os meum) 1,9. acc. gehaldan ( mih diio salvum me fac) 1, 5.

Femininum: sg. nom. geurouuet ( hin laetata sum) 1, 10, gimcreftigot ( uuart infirmata est) 2, 1. acc. cunt ( duot uuarheit din notam faciet veritatem tuam) 1, 4.

Neutrum: sg. nom. din {seil f uniculu[s] ) 4, 4, uferJiahan ( ist Jiorn min exaltatum est cornu meum) 1, 8, min (hörn )

1.9. pl. nom. durulitan ( sint uuerc perfecta sunt opera)

3.10, acc. ho min excelsa mea 3,4.

2) Starke flexion. Masculinum: sg. nom. einer (drohtin dominus solus)

4. 10, nremider (got deus alienus) 4, 11, lieilcger sanctus 1, 11, lebendiger vivens 1, 3. 3, diner (lind populus :uus) 4, 4, stirJicr fortis 1, 12, getrmmir {got deus fldelis) 3, 21. Das auftreten der endung -ir statt -er beweist die bereits erfolgte Verkürzung des -er zu -er. hoster altissimus 4, 1 zeigt die im älteren alid. höchst seltene starke flexion des Superlativs (Braune, Ahd. gr. § 264 a. 1). gen. mines {nmndcs oris mei) 3, 7, unseres {lihcs unseres \itsie nostrae) 1,6. dat. mi- nemo {in gode in deo meo) 1, 9, sinemo {cuninge sinemo regi suo) 2, 11, unseremo {gode deo nostro) 3, 10, haldendemo mi- nemo iliesu meo 3, 2. acc. armen pauperem 2, 4, aremen 2, 2, singenden canentem 3, 5. pl. nom. alle { imege omnes viae)

3. 11, sine {alle uuege omnes viae eins) 3, 11, uhili impii 2, 7,

530

STEPPAT

tmedanmerdigi adversarii 2, 9, acc. mine (uiende inimicos meos) 1, 10, sine ( iungen pullos suos) 4, 8. {netechon alas suas) 4, 9, unsere {selmi psalmos nostros) 1, 6. gen. sinro {heilegeno sanctorum siiorum) 2,7. dat. allen {— dagan cimctis diebus) 1, 6.

Neutrum: sg. nom. minaz (erurouuit lierm exultavit cor meum) 1,8. gen. sines {herihis hereditatis eins) 4,4, wie wol statt des im texte stehenden siner zu lesen ist. dat. dinemo {in heili in salutari tuo) 1, 10.

Femininum: sg. acc. dicheina (ane un[edeni] absque Ulla ini[quitate]) 3,11, dina (uiiarheit veritatem tuam) 1,3, uuesta {in erda in terra deserta) 4,5. dat. sinro {in stercJii in fortitudine sua) 2,8. pl. dat. sinen {in ahselon

in humeris suis) 4, 10.

3) Schwache flexion.

Masculinuni: sg. nom. selbit ipse 1,3. acc. elelcndim egenum 2,4. pl. acc. selbon {uher sie super ipsos) 2,10, iungen {— sine pullos suos) 4, 8. gen. heilegeno { sinro sanctorum suorum) 2, 7.

Femininum: sg. nom. uoragoimienda {aro aquila pro- vocans) 4, 8 (s. darüber in den anmerkungen s. 512), mina {lera

doctrina mea) 3, 7. {stercJii fortitudo mea) 3, 3 (s. darüber unten s. 535).

Starke flexion.

nom. acc. gen. dat.

s

masc.

fem.

neutr.

-er 7, -ir 1

-azl

-en 3, -a 3

-a3

-es 2

■es (1)

-emo 5

-ro 1

-emo 1

PI.

masc. -e 2, -i 2 -e i -ro 1 -en 1

fem.

-en 1

Schwache flexion.

masc. nom. -u 1 acc. -un 1

fem. -a3

PI. masc. acc. -on 1, -eni gen. -eno 1

4) Steigerung der adjectiva. hoster altissimus 4, 1.

AHD. INTERLINEAEVERSION DER CANTICA. 531

C) Pronomina. 1) Personalpronomina.

1. person: sg. nom. ih ego 1,4. 3.1 {ih sal mendon gau- debo)3,2. {ih sol urouuen exultabo) 3,2. (anaruophon invocabo)

3, 9. In Verbindung mit der relativpartikel der: ihdcr (quae acc. pl. n.) 3, 6 (s. darüber in den anmerkungen s. 510). acc. mih me 1, 5. 3, 4.

2. person: gen. dm (uuarheit din veritatem tuam) 1, 5. sg. dat. dir tibi 1, 1. 4 {uone extra te) 1, 11. acc. dili te 1, 1.

3. person: sg. nom. lier ( sisse sedeat) 2, 5. gen. sin {uuedanmerdigi adversarii eins) 2, 9. {ougun oculi sui)

4, 7. dat. imo {mit cnm eo) 4, 11. acc. inan eum 4, 5. 6,11. pl. acc. sie (uher super eos) 2,6. 4,8. (uher seihon super ipsos) 2, 10. {ziwnimit assumpsit eos) 4, 9.

2) Possessiva. Es sind min, din, sin, unser belegt. Die einzelnen formen habe ich bei der flexion der adjectiva angeführt.

3) Demonstrativum.

der: neutr. sg. dat. demo {in huse) 1,7. masc. pl. nom. die in Verbindung mit der relativpartikel (dieder qui) 1, 2.

selb: masc. sg. nom. selbu ipse 1,3. pl. acc. selbon {über sie super ipsos) 2, 10.

4) Kelativum. Die enklitisch angehängte relativpartikel der kommt vor 1) in Verbindung mit dem Personalpronomen: ihder quae 3, 6, 2) mit dem demonstrativum die: dieder qui 1, 2.

5) Indefinitum. Fem. sg. acc. dicheina {ans dieheina im[ebeni] absque ulla ini[quitate]) 3, 11.

D) Conjugation.

1) Starke verba. a) Ablautende verba: «) 2. klasse: 3. conj. praes. ulio^a fluat 3,7, dat. des gerund, ^c idione ad uolandum

532 STEPPAT

4,8 (s. auch die aniner klingen s. 512). ß) 3. klasse: praes. ind. 3. sg. uiu'rdit 1,1.8. 2,9, ersMlü tonabit 2,10. 1. pl. singemis cantabimus 1,6. part. singenden canentem 3,5. praet. ind. 3. sg. inuand invenit 4,5, uuart {guncreftigot infii-mata est) 2, 1. /) 4. klasse: praes. ind. 3. sg. mionimit assumpsit 4,9. ö) 5. klasse: praes. ind, 3. sg. gihit dabit 2,11, neuuisit non erit 3,1. conj. 3. sg. si^^e sedeat 2,5. imp. gehet date 3, 10. praet. ind. 3. sg. uuas, neuuas 4, 10. part. hegien ( imirdit confitebitnr) 1, 1. 3. f) 6. klasse: praes. ind. 3. sg. iifhehü Sublimat 2,3. 3. pl. nideruarent descendunt 1, 2. conj. 3. sg. uuachsa concrescat

3, 7 (statt des im texte stehenden uuaschd). praet. part. uferJiahan ( ist exaltatum est) 1, 8.

b) Reduplicierende verba: praes. part. haldendemo {— meo ihesu meo) 3,2. praet. part. gehaldan salvum 1,5.

2) Schwache verba.

a) 1. klasse: praes. ind. 3. sg. erdeüit judicabit 2, 10, erurouuit exultavit 1, 8, gcleidit deducit 2, 2, uzleidit deducet 3,4, uuidarleidit reducit 2,2, sprcidtt expandit4, 9, gesezet ponet 3, 3, erlioit sublimabit 2, 11. 3. pl. eruortent formida- bunt 2,9. conj. 3. sg. geliora audiat 3,6. imp. gehöret audite 3,6. inf. urouuen ( sol exultabo) 3,2. part. crctiiiiJcende suscitans 2,3, ufrihtende erigens 2,4. praet. ind. 3. sg.: i-praeterita haben zwei langsilbige verba, die auf einfache liquida ausgehen: zedeüeda dividebat 4,1, lerida docuit

4, 6. Zwei langsilbige, auf germ. d ausgehende, bilden das praet. ohne zwischenvocal: &e/moto custodivit 4, 7, umbileita circumduxit 4, 6. Ohne i ist auch das auf germ. t ausgehende kurzsilbige gcsastu posuit 2,6, constituit 4,2. 11 gebildet. part. geurouuet ( bin laetata sum) 1, 10, zespret ( ist dila- tatum est) 1, 9, gesterldt ( uuirdit roborabitur) 2, 8.

b) 2. klasse: praes. ind. 1. sg. anaruophon ( ih invo- cabo) 3, 9, spreclion loquor 3, 6. 3. sg. gedothaftigot morti- ficat2, 1, gelifhaftigot\iYific^t2,2, ^ö^oHaudabit 1,1, gericliesot ditat 2, 3. 3. pl. nerbcidunt expectabunt 1, 2, erstimmmnt conticescent 2,8. inf. mendon (sal gaudebo) 3,2. praet. part. guncreftigot ( uuart infirmata est) 2, 1.

c) 3. klasse: praes. conj. 3.sg. AaSa teneat 2, 5. praet.

AHD. INTERLINEARVERSION DER CANTICA.

533

ind. o. 8g. gesmiderccla separabat 4,2, heimareda servabit 2,7 (die allerdings auch beide zur 1. klasse gehören könnten), haia habebat 2, 1.

3) Praeteritopraesentia, Praes. ind. Lsg. sol ( urouuen exultabo) 3, 2, sal ( men- don gaudebo) 3,2.

4) Das verbum substantivum. Praes. ind, Lsg. hin sum 1, 10. 3.sg. ist est 1, 8. 9. 11, nist non est 1,11. IL 12. 3. pl. sint sunt 2,6. 3, 10. Die formen von unesan sind unter den starken verbis kl. 5 auf- geführt.

5) Flexionsendungen der verba.

schw. III

-al

-eda 2, -ta 1

starke verba

schwache I

schw. II

praes

iud. sg. 1

-on2

3 -ÜQ

-ii 6,

-etl,

-tl

-oti

pl. 1 -emis 1

3 -ent 1

-eilt 1

-unt 2

conj. sg. 3 -u 2, -e 1

-al

imp. pl. 2 -et 1

-etl

inf. -ne (dat.) 1

-eil 1

-on 1

part. -cnd- 2

-end{e) 2

praet.

ind. sg. 3 4

-ida 1

-eda 1, -ta 3

part. -an 2

1,

■etl,

-tl

-otl

V. Die spräche.

Die Verschiebung des in- und auslautenden ji, 7c und t nach vocalen zum harten doppelspiranten, und des t im anlaut, nach r und in der gemination verweist unser denkmal auf hochdeutsches gebiet. Das unverschobene h und g, die beibelialtung des Je im anlaut, in der gemination und nach r (doch beachte getnerchi 4, 2, sterclii 2, 8. 3, 3) scheiden innerhalb des hochdeutschen das fränkische vom oberdeutschen. Das bewahren des d im an- und iniaut spricht für den rheinfrk. oder mfrk. dialekt. Der letztere ist auszuscheiden wegen des daz 2, 5, welches im mfrk. stets als tliat erscheint. Die Verschiebung von pp zur affricata ph in aplmon 4, 7 und drophon 3, 9, die dem übrigen rheinfrk. fremd ist und sich nur bei Otfr. findet, sclieint unserm denkmal seinen platz im süden Rheinfrankens anzuweisen, wo obd. ein- flüsse sich noch geltend machten. Ganz identisch mit der

534 STEPPAT

spraclie Otfr.'s ist aber die der bruclistücke nicht. So bleibt das germ. d im inlaut, während Otfr. t dafür setzt. In den übrigen südrheinfrk. denkmälern herscht aber hierin schwanken, und die Weissenburger Urkunden bieten überwiegend d im inlaut (Braune, Ahd. gr. § 163 a. 2). Das Otfridische ua ist be- reits durch tio ersetzt. Otfr. bewalirt hb, ausgenommen in hrippha, bei welchem wort auch Tat. Verschiebung zu pp ein- treten lässt (crippa). Unser denkmal hat p)P- crippon 3, 1, stu]}pe 2, 4. Aber auch dieses letztere wort nimmt eine Sonder- stellung ein, denn shq)2n findet sich in der Otfr.-hs. F und in den Nfrk. ps. Da sich andere belege für hh nicht finden, so ist das pp der beiden angeführten zur nähern localisierung des denkmals nicht zu verwenden. Ich führe hier sogleich einige eigentümlichkeiten aus dem Wortschatz an, in denen sich unser denkmal mit Otfr. berührt. Das suffix -nissi (umi- sternissi 2, 7) ist ihm mit Otfr, gemein, gegen -ncssi bei Tat. Das fremdwort ubercobereri victori 3, 4 belegt Graff 4, 358 nur einmal aus den Prud.-gloss. (Ahd. gll. 2, 419, 24) als uparcho- parari, daneben erscheinen aber bei Otfr. Zusammensetzungen des verbs Icobaron. Ob heilegeno 2, 7 das suffix -ig mit Otfr. oder -ag Qieilag) mit Tat. zeigt, ist nicht zu entscheiden.

Niederdeutsche spuren. Mit Sicherheit möchte ich nm- folgendes hierherziehen, gesprechi eloquium 3, 8 zeigt e vor folgendem i statt des zu erwartenden ä. Im as, bieten solche e-formen die Heliandhss. MC, und C hat godspreki. Die deutung dieses e, das man zunächst für den umlaut von ä zu halten versucht ist, scheint nicht ganz sicher (s. Holthausen, As. elem. § 91). e erscheint auch in den Nfrk. ps., wo es den umlaut von ä bezeichnet. Dem eigentlich nl. ist dieser umlaut fremd, und Kögel schreibt ihn daher (Lit.-gesch. 1, 2, 532) dem mfrk. zu. Am Niederrhein tritt der umlaut von ä zu c früher auf als im obern Deutschland (s. Braune, Zs. fdph. 4, 269). So weist auch das gesprechi unseres denkmals wol nach Mittelfranken.

Dem dat. pl. dagan diebus 1, 6 lässt sich das in der Heliand- lis. C und in kleinern as. denkmälern im dat. pl. der a-stämme vorkommende -an an die seite stellen (Holthausen, As. elem. § 265, 8. Dieter, Agerm. dial. s. 697). Später sind die aw-formen im dat. pl. sehr häufig in der Leidener Williramhs., die dem mfrk. augehört (van Helten, Beitr. 22, 437), z. b. bergan, thornan,

AHD. INTEKLINEARVERSION DER CANTICA. 535

uiandan. Ein Beispiel bietet auch das oberdeutsche tverthunJcam gl.K. (dignitatibus) 199,21 (s. Kögel s. 156). Borgeld 112, anm.) sollte daher das harman gl. Lips. 831 nicht in liarmon ändern wollen.

Der schwache nom. sg. fem. mina (lera mina 3, 7, stercJii mina 3, 3) findet seine entsprechung in den Anfrk. ps., die mina, thina bieten (Kögel, Lit.-gesch. 1, 2, 530). Dieses a ist der Vorläufer des spätem ninl. e, das in der Leidener Will.-hs. schon mit a wechselt: nom. sg. f. mina, usera neben alle, eine (Thomas, diss., Zürich 1897, s. 67).

Auch die beiden letzten fälle verbinden unser denkmal mit Mittelfranken.

Mit Kögel (Lit.-gesch. 1, 2, 532) erblicke ich niederdeutsche spuren noch in ze ulionc statt des zu erwartenden fliogenne und in yelifhaftigot 2, 2 (s. auch s. 512 die anm. zu 4, 8). Auch uuedanmerdigi 2, 9 und sengenden 3, 5 (wenn hier nicht singen- den zu lesen ist) betrachtet Kögel als niederrheinisch wegen des e in der Stammsilbe. Der Wechsel von i und e verrät in der tat abweichung nach dem nfrk. (Tümpel, Beitr. 7, 96). uuedar- ist an sich nicht auffallend, da das folgende a mit eingewirkt haben kann, dagegen wäre e statt i vor nasal + cons. in älterer zeit unerhört.

Der gen. sg. egison 4, 5 bietet (gegen Kögel, Lit.-gesch. 1, 2, 532) nichts auffälliges. Die Otfr.-hs. F hat ähnliche gene- tive, so hrimnon 2, 9, 68.

hegien 1, 1 braucht nicht auf eine besondere beziehung zu den Nfrk. ps. hinzuweisen, da hegien auch später eine in Ri- puarien häufige form ist (Weinhold, Mhd. gr.- § 53).

mendon 3, 2 herscht in den Nfrk. ps. neben mendian. Graff führt mendon noch nicht an; das wort kann aber sehr wol auch im hd. existiert haben.

Bei heilegeno sanctorum 2, 7 verweist Kögel, Lit.-gesch. 1, 2, 533 auf das vorkommen desselben plurals bei Is. und das heligeno im Psalmencommentar. Anz. fda. 19, 229 bemerkt Kc'igel zu der stelle bei Is., eine abschwächung des Innern u zu e sei für das ende des 8. jh.'s ganz undenkbar, und er betrachtet daher die form als nd. Für unser denkmal, das so viel jünger ist als der Is., ist dieses argument aber nicht mehr stichhaltig,

536 STEPPAT

und formen wie imteno Wien. N. 126, 4 beweisen das vorkommen des gen. pl. auf -eno im spätem hd.

Für die 3. sg. conj. praes. auf -a könnte ebensogut nd. wie obd. einfluss geltend gemacht werden. Im as. ist die endung -a für die 1. und3. sg. conj. praes. gewöhnlich, aber auch im spätem bairischen tritt sie häufig auf (Braune, Ahd. gr. § 311 a. 1) und der Schreiber / des Tat. wendet sie nicht ganz selten an (Sievers, Tat.2 § 107).

, Aehnlich verhält es sich mit den svarabhaktivocalen in herihis 4, 4 und aremen 2, 2. Die entwicklung von secundär- vocalen zwischen r -t- labial teilt das obd. (Braune, Ahd. gr. § 69 b) mit dem as., welches erebi und aram kennt (Holthausen, As. elem. § 144). Graff belegt 1, 406 ein feterhcribum.

Wie Tat. kennt unser denkmal die form her 2, 5, die sich auch in den And. ps. neben dem gewöhnlichem Jie und hie findet. Gegen die Psalmen haben unsere bruchstücke in den obliquen casus nur formen ohne h.

sal und sol 3, 2 linden sich auch bei Tat. und in den Psalmen, während Otfr. nur die formen mit sc- kennt.

Zu den kleinern rheinfrk. denkmälern lassen sich die bruch- stücke nicht in näheres Verhältnis bringen.

Aus dem gesagten ergibt sich folgendes. Eine genaue localisierung des denkmals ist nicht möglich. Die consonanten weisen es dem rheinfrk. zu, und zwar nach Süden, wo sich obd. einflüsse geltend machten. Es ganz an die obd. grenze zu verlegen, verbieten das d im inlaut und die form crippa gegen Otfr.'s krippha. Entscheidend ist dieses argument aber auch nicht, denn gerade bei der widergabe des inl. d und germ. zeigen die rheinfrk. denkmäler grosses schwanken, und bei ihrer geringen anzahl ist gerade für unsere periode (zweite hälfte des 10. jh.'s) eine ermittelung der genauen Ver- hältnisse in den einzelnen teilen des gebietes ausgeschlossen. Sonst machen sich nd. oder md. spuren in geringem grade bemerkbar. Wahrscheinlich hat der Schreiber sie in die hs. gebracht. Immerhin ist auch die annähme zulässig, dass sie dem dialekt des entstehungsortes des denkmals eigentümlich waren, und dieser müsste dann nach osten in die nähe der md.

1

AHD. INTEKLINEARVERSION DER CANTICA.

537

grenze verschoben werden. Doch mit gewisheit lässt sich nur auf das südliche Eheinf ranken und die nähe der obd. grenze schliessen.

Verhältnis zu den Altniederländischen psalmen.

Huet glaubte, dass die bruchstücke zu den Anl. ps. ge- hörten. Da die cantica, welche sich an die ps. anschlössen, nicht überliefert sind, so ist eine directe vergleichung unmög- lich, jedoch scheinen die folgenden parallelstellen, bei denen ich auch die Glossae Lipsianae herangezogen habe, Huets an- nähme nicht zu stützen.

Unsere bruchstücke. salvum me fac gehaldan mih duo 1, 5

exultavit erurouuü 1, 8

in salutari in heili 1, 10

humiliat hotmitdigot 2, 3 impii zibili 2, 7

de stercore uone miste 2, 4 tenebris uinisternissi 2, 7 in psalmis in lohon 3, 4 eloquium gespredU 3, 8 judicia urdeila 3, 11

terminos gemercki 4, 2 in terra deserta in erda imesta 4, 5 piipillani oculi aphuon ougun 7, 4 victori ubercobereri 3, 4 (aus dem

Cant. Ab.) honoris egison 4, 5 (Deut. 32, 10) solitudinis einodis 4, 6 (Deut. 32, 10) armentum suueiga 3, 1 (Ab. 3, 17)

Ps. und Gl. Lips. hehaldan ww'rfwoGS, 2; behaldon mi

deda 54, 9 mendon, mendioyi öfter, eruroiitien

kommt überhaupt nicht vor salutare salda 61, 1. 8; in deo salu-

tare meum an gode sälda mm

61,8; salutaris neriando 61,3 genetheron sal 54,6; genitheron sal

71,4 impiorum ungenethero 1, 1; ungene-

thig 1,4. 5; nie uuil in dieser be-

deutung stercus hero Gl. Lips. 580 thuisternissi 54, 6 psalmum dicam lof quethan 56, 8 spräka 18, 15 judicia dei duomä druften 18, 10 u. ö. ;

in urdeile in judicio 1, 3 gemerJce ertJion 2, 8 u. ö. an ertlion iiuöstera 62, 2 pupillam oculi sion ogiui Gl. Lips. 526 sigimari victor C. Ab. Gl. Lips. 828

egesin Deut. [32, 10]. Gl. Lips. 227 einodis Deut. [32, 10]. Gl. Lips. 240 sueiga C. Ab. Gl. Lips. 866.

Schon das einzige victori ubercohereri 3, 4, wofür, nach Lipsius, an derselben stelle in den Anl. ps. sigimari gestanden hat, beweist, dass die beiden denkmäler verschieden von einander

Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVIL 35

538 STEPPAT

sind. Auch die Übersetzungen von exultavit, humiliat, impii, stercus, tenehris, hidicia, pupilla sprechen gegen die annähme Huets. Sonderbar ist es, dass sowol die Gl. Lips. wie unser denkuial zu Abacuc 3, 17 das wort suiieiga für armcnium bieten. Dieses wort gehört speciell dem alem. und bair. an, wo es heute noch als die scliwaig erhalten ist. Notker hat (50, 21) rinder föne dero sueigo (Graff 6, 862), und die gl. Prud. haben einen acc. pl. sueiga.

Vergleich mit Notker. Interessant ist ein vergleich mit der spätem arbeit Notkers, die einen ganz andern Charakter zeigt als unsere Übersetzung. Letztere hält sich sclavisch an den lat. text, oft mit geringem Verständnis desselben, und die gröbsten grammatikalischen Schnitzer laufen dabei unter. Notker springt mit dem lat ein ganz frei um, die Übersetzung ist ihm nebensache; er paraphra- siert den alttestamentlichen text mehr im sinne der dogmen der katholischen kirche. Ganz abgesehen von dem hinzu- gefügten commentar, wie charakteristisch ist doch die folgende stelle: Jes. 38, 20 Domine salvum me fac et psalmos nostros cantalimus ciinctis diehus vit^ nostr^ in domo domini. Notker setzt dafür: l'ehdlt mih tnüiten. imde unsili alle an diJi lelou- hente unde so singen uuir dir. in dinemo templo alle taga unseres lihes. Aus der gesperrt gesetzten stelle klingt deut- lich das christliche glaubensbekenntnis heraus. 1. Reg. 5, 9 (bei Piper 2,616) übersetzt er imjm einfach durch iiidei; die bruchstücke haben uhili. Für das fremde bild setzt er ein anderes, wenn er glaubt, dass das original dem deutschen leser unverständlich sei; so ist 1. Eeg. 2, 1 cxaltatum est cormi meum umschrieben durch min geuualt ist höh irhuret. Für 1. Eeg. 2, 1 dilatatum est os metwi hat Notker jxin münt ist uiitto indän, was gewis deutlicher und anschaulicher ist als das zesprct ist 1,9 der bruchstücke. Notker bemüht sich eben, in den geist des lat. textes einzudringen, während der Übersetzer der frag- mente am buchstaben kleben bleibt. Auch der wertschätz der beiden arbeiten ist ein ganz verschiedener, wie eine analyse der stellen der zweiten seite unseres denkmals zeigt, die Notker wirklich übersetzt hat.

AHD. INTERLINEARVEKSION DER CANTICA.

539

de stercore cum principibus cai'dines solium glorie posi;it orbem servabit conticescent formidabuut adversarii eins tonabit imperium sublimabit cornu

Fragment uone viiste 2, -i mit imrstin 2, 5 uuerhon 2, 6 stuol gnoliche 2, 5 gesazta rinc 2, 6 hemiareda 2, 7 erstummunt 2, 8 eruortent 2, 9 xiuedaruuerdigi sin 2, 9 ersMlit 2, 10 geuualt 2, 11 erhoit hörn 2, 11

Notker föne miste mit tien heristen sJcederstefta den himeliscen stuol stälta er disa uuerlt observabit behaltet er uuerdent kesueiget furhtent

sine uuidersachen er donerot cheiserfuom irhöhet sinen geuualt.

Das Trierer capitulare. Der unterschied vom eigentlichen mittelfränkischen wird durch den vergleich der bruchstücke mit dem Trierer cap. deutlich. Tr. C. hat v für inl. h; c für die affricata ts] himo für unser imo. Einige anhaltspunkte bietet auch der Wortschatz. Unser fragment kennt die präposition mit, das Tr. c, nur hit, welches sich, neben häufigerm mid, auch 3 m. in den Anl. ps. findet, heredltatem übersetz^ Tr. c. durch ervetha. Die Ps. haben ervi, das fragment 4, 4 herihis. pro saliite gibt Tr. c. durch thuruch sälichedi wider; vgl. damit das sälda der Ps. gegen lieüi 1, 10 unseres fragments. Die Ps. stehen, dem Wort- schatz nach, in viel näherer beziehung zu dem Trierer cap, als unsere bruchstücke, die eine vollkommen isolierte Stellung einnehmen.

Bemerkungen zu einzelnen Wörtern.

Aus dem vocabularium führe ich noch folgendes an. Ein- zelnes andere wird bei der datierung besprochen werden.

Die composita uuidarleidit reducit 2,2 und imibileüa circum- duxit 4, 6 sind bei Graff nicht belegt. 6, 53 führt Graff nur gasuntaron an; während für f/tsunc/erecZa separabat 4, 2 ein inf. gesunderen nach dem paradigma haben anzusetzen ist. Die bedeutung cnlm für geuuisse 1, 11. 2, 6 ist zwar nicht die ge- wöhnliche, doch ist sie auch nicht selten. Die Anl. ps. bieten sie ebenso wie Tat., Kero, Is. uuerhon cardines 2, 6 ist in dieser bedeutung sonst nicht belegt. Notker sagt dafür sJcerdir- stefte, und Is. cap. 2, § 2 umhihringd.

35*

540 STEPPAT

Datierung.

Für die datierimg kommen die folgenden momente in be- traclit:

1) Das a in den endsilben. ob auslautend oder gedeckt, ist zu e abgeschwächt. Auslautendes o erscheint als e in geimisse, ebenso i in neuuisit. Gedecktes n bleibt (ahur).

2) Die präfixe zeigen durchweg junge gestalt: ge-, ze-, tier-, he-,, er-.

3) stirJier hat i für das umlaut-e, eine dem spätem md. eigentümliche erscheinung, die sich besonders vor liquiden findet.

4) getrmmir zeigt -ir statt -er als starke flexionsendung für den nom. sg. masc. der adjectiva. Frühere belege als im Wien. Notk. {scolentir, gitruoptir, manigir, nilieinir: Heinzel, WSB. 81, 277) habe ich dafür nicht finden können. Die kürzung des e der endung muss bereits eingetreten gewesen sein. Dazu kommen noch die nom. pl. masc. uuedanmerdigi und iibüi. Dieses i der flexion statt e erscheint oft im spätem md. und breitet sich von hier aus dann auch nach osten über das nd. Sprachgebiet aus.

5) im pl. der masc. a-stämme und das -i der i-declina- tion wechseln bereits mit -e. Die schwache declination hat den acc. pl. sine iungen pullos suos 4, 8 und den gen. pl. heüe- geno sanctorum 2, 7.

6) Das a im part. praes. {-ant-) erscheint durchaus als e. In der 3. sg. ind. praes. und im part. praet. wechselt -it

mit -et, und im praet. der 1. sw. conj. steht -eda neben -ida. Die übrigen flexionsendungen sind noch gut erhalten.

7) Der Sprachschatz weist bildungen auf, die im ahd. ent- weder erst sehr spät oder gar nicht zu belegen sind, crhcidimf 1, 2 ist bei Graft nicht belegt, gedothaftigot und gelifhaftigot 2, 12 sind ebenfalls nicht nachzuweisen. Das ahd. kennt nur die bildungen tothaft und lihhaft, während tothaftic und lip- haftic erst im mhd. erscheinen. Nach Graft 1, 557 gibt es im ahd. erst ein verb auf -haftigon, nämlich girchthaftigon bei Notker. Auch gimcreftigot findet sich nach Graft 4, 607 erst bei Notker.

AHD. INTEELINEARVERSION DER CANTICA. 541

Aus dem gesagten ergibt sich, dass unser denkmal in die spätahd. Periode gehört. Ich möchte seine entstehungszeit in die zweite hälfte des 10. jh.'s verlegen. Der verfall der endungen hat bereits begonnen, wenn er auch bei weitem nicht so weit vorgeschritten ist wie bei Notker, Eine ge- nauere datierung erscheint unzulässig, da dieser verfall in den verschiedenen gegenden Deutschlands nicht mit derselben Schnelligkeit vor sich gegangen sein wird.

WIEN, Juli 1902. I. J. STEPP AT.

!

ROSENHEIMER NIBELUNGENFRAGMENTE.

57i II man. la

^ -' man sah die | Nibelvnge. schon | mit Seifriden gan. |

572 Der kuuch was | gesezzen. Brün|hilt dev mait. ^ '' nv I sah si kriemhilden. | da ward ir nie so | lait.

bei Seifriden ] sitzen. wainen si be|gan.

ir vielen haizze | trehere. vb^ lihte wa|nge dan.

573 Do sprach der wirt | des landes. waz ist ev j frowe mei. ^ '' daz ir so | lat trvben. lihter au|gen schein.

ir mügt I euch wol frewe. wän | ev ist vnd'tan.

mein | lant vn mei pürge. | vii manc werltleich | man.

574 Ich mag wol sere | wainen. sprach dev | schon mait. vmbe I dei swester. ist mir || von h^zen lait. Ib die I sihe ich sitzen nahe. | dem aigen holden dei. | des muz ich immer | wainen. scbol si al|so v-swachet sei.

575 Do sprach d^ künch | Gvnther. ir mügt i wol stille dagen. ich I wil ev zandern zei|ten. dise mere sage. | war vmbe ich mei | swester. Seifride ban | gegeben. ia mag si | mit dem recken. ira|mer froleiche leben.

576 Si sprach mich ia|mert imml ir schon | vnd ir zvht. vn west I ich war ich mohte. | ich nem gerne flvht. | daz ich ev nimmer | wolde. geligen nahe | bei. ir sagt mir wa | von Kriembilt. dev | ivnge Seifrides sei.

577 Do sprach d^ kvnch || edele. ich tnns ev | wol bekant. Ic er hat | als hob pürge ds | ich. vn da bei wei|tev lant. wizzet sic|herleicben. er ist ain | kvnch reich. da von | gab ich dem degne. | die schönen maget | lobleich.

578 Swaz ir d^ künch | gesagt. si het ot trv|ben mvt. do gabt I von dem tische. ma|uig degen gut. der I bvhvrt ward so | veste. daz alle dev | purch erdoz. den>;:- j wirt bei seinen ge|sten. hart sere ver [droz.

(620)

(621)

(622)

(623)

(624)

ROSENHEIMER NIBELUNGENFRAGMENTE. 543

579 In davht | er lege sanfter. d'' scho|nen frowen bei. ^ ^ do I was er des gedingen. | niht in h^zen frei.

im 1 scholde von ir leibe. | liebes vil geschehen. || Id

er begonde frevntlic|hen. an frowe Brvn|hilden sehen.

580 Die ritterschaft der | geste. bat man abe lan. | d^ künch mit seiner | bravt. ze pette wolte | gan. vor des sales stie|ge. gesamten si sich 1 seit. kriemhilt vnd | Brvnhilt. noch waz | ez an ir beder neit.

58t Do chom daz inge|sinde. si sovmten sich | des niht.

die reichen | kamerere. brahten in | dev lieht.

sich tail*ent^) | do die recken. d^ zwai|er kunge man.

do I sah man vil d^ degne. | alda mit Seifriden [gan. 582 T^iß h^ren | chomen bede. | alda si scholden lige. |

(626)

(627)

(628)

(639)

do daht ietwedere. | d"" seinen an gesigen. den w^tleichen frowe. 11

589a I! biz d' liebte morgen. | durch dev venster | schain. IIa

ob er ie kraft | gewnnne. dev was | an seinem leibe klai.

590 Nv saget mir her | Gvnther. vnd ist ev | daz iht lait. ^ '' ob euch I gepvnden vindent. | sprach dev schon mai^')

ewr kamerere. von | ainer frowen haut. |

do sprach d' kunch e|dele. daz wer ev vbe|le gewant.

591 Ouch het ichs lutz|el ere. sprach d'' kvne | man. ^ ^ durch ewer | selbes fugende. lat | mich zu ev gan.

seit I ev mel minne. sint so | reht lait.

ich schol mit | meinen banden. uim|mer rvren ewre kl[ait.

592 Do loste si | in balde. vn als si in | v'lie

'■■"'' hin wider an daz || pette. er zv d^ frowe | gie. IIb

er leit sich so v^re. | daz er ir schone wa' | i) dar nach vil lützel | rvrte. des wolt auch | si do haben rat.

593 Do chom auch ir | gesinde. vnd braht | ire klait. ' ■' des was an i dem morgen. harte | vil berait.

swie man | da gebarte. trovric | was genvc.

d^ wirt I al des landes. swi er | kvnges kröne trvc.

594 Nach siten d'' si pfla|gen. vnd die man | durch reht l)egie, | ' •' Gvnther vn Brvn|hilt. niht langer daz | enlie,

sie giengen zv | dem mvnster. da man | messe sanch.

') t klein mit blasserer schrift übergeschrieben (wie meist die «, vgl. s.551).

544 BRAUNE

dar kom | auch her Seifrit. sich | hvb da grozleich ge [drauc.

595 Nach | kvnchleichen eren. || was in dar berait. | II c ^ ^ swaz si habe scholde. | ir krön ir klait. |

da wurden si gewei|het. also daz wart | getan.

da sah mans | alle viere. herleiche | vnder kröne gan.

596 Fvnfhvndert swert|degne. vnd dennoch | baz.

*- '' den künge wur|den zeeren. ii* schult | wol wizzen daz. sich I hvb vil michel frevlde. in Bvrgunde lät. | man hört da schefte | hellen. A^on d^ swert|degen hant.

597 Do sazzen in den ye|nstern. dev schonen | megedein. ^ -' der Schilde | liebte blicke. den au|gen gaben schein. |

do het sich geschaide. \ d- künch tu sei man. |

swaz ieman freuden | pflege. man sah in || travrende gan. 11 d

598 Im vnd Seifriden. | vngeleich stuut der | mut. wol west er | daz er were. d- edel | ritter gut. do gie er | zu dem kunge. frage | er began. wie ist ev | heint gelvngeu. daz | schult ir mich Avizze [lan.

599 Der wirt | d'' sprach zem gaste. | ich hau laster vn sch|aden. ich hau den l|beln tevfel. zehavse | mir geladen, do ich I si wonte minnen. | vil sere si mich pant. | si trvg mich zeinem | nagle. vnd hie mich | hob an die waut.

600 Do hieug ich iem^|leichen. vntz an den ] liebten tak. si was I frevdenreich. wanne | si vil sanfte lac. daz I schol dir vil haimlich. 11

(648)

(649)

(650)

640_a II geben. IVa

' ^ da si schol trajgen kröne. vii schol | ich daz gelebeu.

si I mvz w^der (!) reicher. | denne iem d^ lebenjdig sei.

swaz ir svst j gepietet. des pin ich | ev dienstleichen bei.

641 Da sprach di frow^ ^) j kriemhilt. habt ir | d'' erbe rat. vmb der | Bvrgvnde degne. ez | niht so leiht stat. si I mvg ain kvnch mit | eren. füren in sein | lant. die schülle mit | mir tailen. meiu^ liejber brvder hant.

642 Do sprach d^ herre | Gernot. nv nim dir | swen dv wil. di gerjne mit dir reiten. | d'' vinclest dv hie vil. \\ ^)

(696)

(697)

^) « klein oben rechts neben w.

-) Der untere teil dieser zeile abgeschnitten.

ROSENHEIMER NIBELUNGENFRAGMENTE. 545

II kriemhilt do senden | began. IVb

643 Nach hagenn von j Tronic. vnd auch | nach Ortwein. ' "^^ ob si I vnd auch ir mage. | ir aigeu Avollen sein. |

da von gewan do hag|ne. ein zornigez lebe. |

ia enmag vns krim|hilt. ze aigen niemat j gegeben.

644 Ander ewr gesinde. j lat ev volgeu mit. j CoyJ) wanne ir wol beke|net. ä^ Tronier sit. |

wir muzzen bei dem | kvnge. ze hof hie be|stan.

wir schüUen in j lenger dienen, denne j wir biz her gedienet [han.

645 T^'*^ liezj^'ew si beleihen. \\ ^) (700)

(702)

648 (703)

(704)

(705)

D^

II vii wol fvnf hvndert | man. IV c

ekkewart der | grave. volgte Seifrijden dan.

646 Urlovp si namen. | ritter vnde kneht. |

' -^ maiden vnd frowe. | daz ^) vil michel reht. | geschaiden mit küsse. | wixrden si zehant. | si rovmten froleiche. | des kuuch Gvnthelres laut.

647 Do belaiten si ir j mage. verre auf den | wegen, man hiez al|lenthalben. ir naht|selde in legen, wa siz 1 nemen wolden. al | durch d"* kvnge lant. | da wurden poten pal|de. Sygemuude für | gesant ')

II chint. IVd

kriemhilt dev | schone. von wurmz | vb* Rein, do kvnden | in dev mere. nimm'' | lieb^ gesein.

649 So wol mich sprach | Sigmvnt. daz ich ge|lebet han. daz kriem|hilt dev schone. schol | hie gekronet gan. | Seifrit d'' edele. schol I selbe hie kvnch sein. | des muzzen sein ge|tevret. mei levt vS | auch die erben mei.

650 Do gab die frowe | Sigelint. mangen sa|mit rot. silb\ golt. I vii klaider. daz si den | poten pot. si frewet | sich d- lieben mere. | dev si alda v^nam. j sich Tdait ir gesinde'^) \\

651 . .

(706) II 8)

*) Der untere teil dieser zeile abgeschnitten.

2) was ist ausgelassen.

^) Hier etwa ursprünglicher anfang von Ula.

546 BEAUNE

II gene. alle Sigmvdes | man. TTTa

652 Ist ieman baz en|pfangen. daz ist mir | vnbekant. '■ '' denne di j beide mere. in Syge|mvnde (!) lant.

Sigeliut I dev reicbe. gen kriejmbilden rait.

vii ma|mc scbone frowe. den j volgten ritter gema[it.

653 In ainer | tagwaide. do man si | chomen sacb. ^ -' di frejden vnd di kvnden. j die beten vngemacb. |

vntz daz si cbomen. j zv ainer purge wejit.

dev was gebaizze | santen. da si kröne j trvgen seit.

654 Mit lacbende müde jj Illb

(709)

II ir lait benome.

al|lez ir gesinde. was | in groz willecbome.

655 Man biez di geste j bringen. für des kvn|ges sal. ^ -' do cbomen | iunchfroweu. di hvb | man zetal.

uider | den moren. da was j vil manic man.

da I man den scbonen | frowen. mit fleizze | dienen began. 655 a Swie groz ir hobjzeit. bei Reine was | erkant.

^ ■' gab man | beiden. vil bezzer | gewant.

denne si | e. getrvgen. uocb | bei allen im tagen, j

man mobt micbel | wunder. von ir reicH .... IIIc

656 (712)

. . . II Tu edel gestaine. verjwieret was dar ein. | sust pflag ir fleizzi|cleicb. Siglint dev ejdel künigei.

657 Do spracb vor seine j frevnden. d'' b'^re Sig|mvnt. ^ ^ den Seifrides j magen. tvn icb alle | cbunt.

er scbol vor j disen recken. albie j mei kröne tragen, j dev mere borten gerjne. die von niderläde j sagen.

658 Er enpfalh im krö. j geribt vnde lant.

'■ '' er I ward ir aller maist^ j swa er streiten vat. | vnd da er rihten sol|de. daz ward alsam j getan, bei Ayie sere || Illd

659 .

^ '' ...... II krön. vntz an daz | zebende iar.

vntz daz | frowe kricmbilt. aijnen scbSnen svn ge|wan. daz was des j künges magen. nab | ir willen getan.

660 Den eylte mau do | tovften. gab im j ainen namen.

■' Gvnjther nacb seine öhajim. des dorft er sieb j nibt schämen,

I

ROSENHEIMER NII5ELUNGENFRAGMENTE. 547

ge|riet er nach den ma|g-en. daz wer im | wol ergan.

man zoh | in wol mit fleizze. | daz was von schvl|den getan.

661 In den selben zei|ten. do starb frowe | Sigelint.

*■ '* do het den || gewalt mit alle. d^ | edeln Vten kint. Va

d^ I so reichen frowen. | ob landen wol ge|zam. si clagten doch | genvge. daz si der | tot von in nara.

662 Nv höret (I) dort bei | Reine. so wir hören | sagen. ^ ^ bei Gvnther | dem kvnen. ainen | svn getragen.

Brvn|hilt dev schone. in | Bvrgvnden lant. | dvrch des beides lie|be. ward er Seifrit | genant. 662 a Wie reht fleizzicle| : : : en. man sei hvte | : : : : ^) ^'^^^^ Gvnther d' edele. \\^)

663 . . ; .• : : . \\ zelten. d' wart vügelsait. Vb ^ '' wie reht lobleic|hen. die beide vil ge|mait.

lebten zallen | stvnden. in Sigemvn|des lant.

also tet auch | Gvnther. mit seinen | magen wol bekant.

664 Daz lant Nibelvn|gen. Seifriden diente | hie. *- ^ seiner mage reic|her. wart ie kainer | nie.

Schilbvnges rec|ken. auch ir bed' | gut. des trvg der de|gen kvne. dester hoh|sten mvt.

665 Hort den aller mai|sten. den ie man gt\wan

^ ^ an die sein .e. \\ ^)

666 Er het den wünsch | d'' eren. vn wer des | niht geschehen. Vc ^ "" ^ so I mvst man de recken. | dennoch wirde iehen. |

daz er wer d^ peste. d'' | ie orsse vVschrait.

I vorht sein sterke. des | kvnen recken gemait.

667 Nv daht auch zalle 1 zelten. daz Gvntherles weip. ^ " ^ wa vo treit | so so (!) hob. knenihilt | den leip.

nv ist doch | vnser aigen. Seifrit | ir man.

er hat vns | nv vil lange. vil Ivt|zel dienst getan.

668 Daz trvg si in dem I li^'zcn. vn icart doch IM) . . . (725)

^) An beiden Zeilenanfängen einige buchstaben abgeschnitten. ^) Der untere teil dieser zeile abgeschnitten.

548 BRAUNE

II bechant. Vd

669 Si v'svcht an dem | kVnge. ob daz moht | geschehen. ^ ^ daz si kri|emhilden. moht noch | gesehen.

si warb ez | fleizzicleichen. des si | da hete mvt. do davht | Gvntheren. dev rede 1 frevntleich vn gut.

670 Wie moht wir si br|inffen. sprach d^ kvnc | reich. ('727) _ I o 1 I

^ ^ her ZV disen la|den. die frevnde tuget|leich.

si sint vns ze | verre. wir turrens | niht gepiten. de ant|wurt Brvnhilt. in | ainen listigen sit •.:^)\

671 Sivie hohreich :: ^ || (728)

728 (785)

. . . IL taten si (Via)

729 II man. Ille

*• -' alle seine recke. | d^ wirt zv im gewan. |

do rait dev künegiue. | vil herleichen dan. |

da wart michel gruz|zen. durch liebe geste | getan.

730 Ahie mit weihen e|ren. man do die beide | enpfie.

*- ^ si davhte daz | frowe kriemhilt. fro|wen Brvnhilde nie. | so reht wol enpfieng. | in Bvrgvnden laut. | di si vor nie gesahe. | den wart vil hoher | mvt bekant.

731 Nv was auch chom|en Seifrit. er vii sine | man. ^ ^ man sah di hel|de wenden. baide her | vnd dan.

des veldes || (VIb)

732 II des. Seifriden sach. Ulf

'■ '' vii I auch Sigemvnde. wie | minecleich er sprach. |

seit mir groz willech|omen. alle den fr|evnden mei. der ewrn | hofraise. schulle wir | in hohen frevde sein.

733 Nv Ion ev got sp^^ch j Sigmvnt. d^ eren gerjende man. ^ , '' seit euch j mel svn Seifrit. zefre|vnde gewan.

do riet | mir alle mei wille. | ich wolt euch gerne | sehen, do sprach der | kunch Gvnther. nv | ist mir liebe geschehe.

') An beiden Zeilenschlüssen buchstaben abgeschnitten.

ROSENHEIMER NIBELUNGENFRAGMENTE. 549

734 Seifiit wart enpfä|gen. als im daz wol | gezam. ^ ^ mit kunchle|iclien eren. im was || C^Ic)

Ilntleich erbot. lüg

735 Do nahten zv ain|ander. d'' zwaier kvn|ge weip. '- -' da wart vil | setel lere. manc sch6|ner frowen leip.

war' I von beides banden. er|baben auf daz gras. | die frowen gern dien|ten. waz d^ vnmvzzic | da was.

736 Do giengen zv ain|ander. dev mTnecleic|ben weip. '■ '' des was | in grozzen frevden. | manges ritters leip. |

daz ir beder grüzze. | so scbon wart getan. |

do sab man vi! der | recken. bei den ivnc|frowen stan.

737 Daz berlicb gesinde. || (VId)

(794)

vn küssen minnecleicben. von |1 frowen wol getan. | Illb

da (!) was lieb zesebe|ne. Gvntberes vnd | Seifrides man.

738 Si piten da nibt | langer. si riten zv | d'' stat. d- wirt seine | gesten. daz wol er|zaigen pat. daz man | si gerne sebe. in Bvr|gvnden lant. vil mä|gen pvnaiz reicben. | man vor den frowen | vant.

e

739 Da von tronie bag|ne. aucb Ortwei. | daz si gewaltig we|ren. daz taten si wol | scbein. swaz si gepie|ten wolden. des torst | man nibt enlau. I in wart micbel die 11

(795)

(796)

Die vorstehend abgedruckten fragmente einer perganientlis. der Nibelungen befinden sich im Stadtarchiv zu Rosenheim in Baiern und sind abgelöst vom deckelumschlag eines rapulars der Rosenheimer marktkammerrechnung vom jalire lö49. Der band wurde kürzlich im nachlass des stadtpfarrers, geistlichen rates Mayer in Rosenheim von herrn stadtpfarrvicar AVeindl vorgefunden, welcher auch die Zugehörigkeit des umschhxgs zu einer Nibelungenhs. erkannte. Herr stadtarchivar Ludwig Eid brachte den band in besitz des Stadtarchivs, löste die pergament- blätter ab und übersante sie zur prüfung und wissenschaft- lichen Verwertung an Hermann Paul in München, welcher mir von dem funde mitteilung machte und die Veröffentlichung desselben mir freundlichst überliess. Die blätter wurden mir darauf hierher zur benutzung gesant. Hierfür, sowie für

550 BRAUNE

weitere freundliche mitteilmigen ') spreclie ich herrn stadt- archivar Eid hiermit gebührenden dank aus.

Die in Eoseuheim gefundenen bruchstücke gehören dem 14. jh. an. Sie bestehen aus zwei vollständigen einzelblättern, einem oben verschnittenen doppelblatt und drei stücken von einzelblättern. Wie die beiden vollständigen blätter zeigen, ist die hs. 27 zeilig (in 2 spalten) beschrieben. Die Strophen sind abgesetzt, aber innerhalb der Strophe fortlaufend ge- schrieben. Die Strophe nimmt meist 9 oder 10 zeilen ein, nur sehr selten mehr. Unter den vollständigen oder durch berech- nung zu ergänzenden Strophen der Eosenheimer bruchstücke finden sich 22 zu 9, 34 zu 10, 3 zu 11 und nur eine zu 12 zeilen. Wenn von der Strophe nur noch das letzte wort übrig war, ist für dasselbe meist keine eigne zeile verbraucht, sondern es wurde mit einer klammer an den schluss der ersten zeile der nächsten Strophe gesetzt. In unserem abdruck ist dies durch [ vor dem betr. werte (z. b. str. 578. 5812)) bezeichnet, während die sonstigen Zeilenanfänge durch | angegeben sind. Jede Strophe beginnt mit einem roten initial, der nicht grösser ist als die höhe einer zeile. Nur str. 582 und 645 haben etwas grössere initialen, welche die höhe zweier Zeilen einnehmen. Der aventiurenanfang bei 667 ist da- gegen nicht abgesetzt, ohne Überschrift und ohne grösseren

1) Danach ist dieser Jahrgang 1G49 der marktkamnierrapulare der einzig vorhandene. Von den städtischen archivalien, die erst in neuerer zeit zu einem Stadtarchiv vereinigt sind, ist früher vieles als üherflüssig beseitigt worden. In den sonst vorhandenen städtischen rechuungsbänden des 17. jh.'s haben sich keine weiteren reste unserer hs. gefunden. Diese rechnungen sind in den Jahrgängen 1C02 1683 alle auf gleiche weise wie das rapular 1649 gebunden. Die einbände scheinen in den 1680er jähren gemacht zu sein. Der buchbiuder Avird dabei die Kibelungenhs. zerschnitten haben, deren weitere stücke wol zu den verschwundenen bänden der rapulare der marktkammerrechnungen verwendet sein dürften. Ueber die zeit der be- seitigung der bände und über den weg, auf welchem der einzig erhaltene band ins pfarrhaus kam (woselbst sich ausserdem ein band städtische .spital- rechnung 1673 vorfand), lassen sich nur Vermutungen hegen.

'^) Die Strophenzahlen stets nach Lachmann (L.); nur wo es für die berechnung des umfangs der blätter und lagen bequemer war, habe ich die dann jedesmal durch vorgesetztes B gekennzeichnete Zählung von Bartsch benutzt, welche ich auch im abdruck der fragmente stets in klammern der Zählung Lachraauns beigefügt habe.

ROSENHEIMEK NIBELUNGENFRAGMENTE. 551

initial. ') Die schrift ist in den fragmenten von einer hand. Abkürzungen, die in unserm abdruck beibehalten sind, kommen oft vor. Docli sind häufig nur rn für t(ncl{e), der nasalstridi und ^ für er. Nur ausnahmsweise steht bei knappem räum am Zeilenende sp^^ch für sprach 733,1. Die umlauts-e über o, u (i'), welche sich zahlreich in der hs. finden, sind durchweg von anderer hand nachgetragen, mit blasser tinte, so dass sie oft nur mit mühe erkennbar sind. Meist stehen die e nicht genau über dem zugehörigen vocal, sehr oft links davon über dem vorhergehenden buchstaben.

Im folgenden beschreibe ich die fragmente unter den nummein, mit welchen sie im Rosenheimer Stadtarchiv be- zeichnet sind, obwol diese der natürlichen reihenfolge nicht durchaus entsprechen.

I. Vollständiges blatt (21, 2 cm. x 16 cm.), nettolänge des beschriebenen textes 15,6 cm., nettobreite 12 cm. Inhalt str. L. 571, 3 b (letztes wort) 582, 3 a = B. 617—628. Das blatt enthält sonach 11 Strophen weniger einige worte.

II. Vollständiges blatt (abmessungen genau wie bei I). Inhalt L. 589a, 3a 600, 3a = B. 639—650. Das blatt ent- hält also 11 Strophen + 1 halbzeile.

Zwischen I und II fehlt L. 582,3b 589a, 2b = B. 628 639, also ein blatt, welches 11 Strophen 1 halbzeile enthielt.

III. Zusammenhängendes doppelblatt, von welchem oben 5 Zeilen weggeschnitten sind, so dass alle 8 columnen nur die Zeilen 6 27 enthalten (16, 2 cm. x 16 cm).

Das erste blatt (III a d) enthält L. 651, 4a (letztes wort) 661, 2 a (halb) = B. 706 717 mit 3 kleinen lücken im imiern (anfange der columnen b d). Das blatt umfasst also 10 Strophen + drei ganze und zwei halbe halbzeilen, also 107-2 Strophen. Die 5 am aufang fehlenden zeilen werden 4 halbzeilen, eher noch einige worte mehr, enthalten haben, so dass der eigent-

') In dem fehlen der Überschrift teilt also iinsere hs. die Beitr. 25, 187 ff. dargelegte tendenz der gruppe J*, die Überschriften wegzulassen. Dass hier auch der grosse initial bei aventiurenanfang fehlt, Avird zufall sein. Wenig- stens darf man aus dem einen belegten fall noch nicht schliessen, dass in unserer hs. alle aventiurenanfänge verwischt gewesen seien. Vgl. das a.a.O. s. 185 bemerkte und die Verhältnisse von k ebenda s. 189 mit aum. 1.

552 BRAUNE

liehe anfaiig von III bei L. 651,2 a (= B. 706,2) gelegen hat. Das vollständige blatt enthielt also 11 Strophen und einige worte.

Das zweite blatt (III e—h) enthält L. 729,1b (letztes wort) —739,4 a (ohne die letzte silbe) = B. 786—796 mit drei kleinen lücken im Innern. Diese wurden aber, ebenso wie die lücke von 5 zeilen am anfang durch den streifen VI ausgefüllt, dessen anfangswort taten si L. 728,4 a (= B. 785, 4 a) uns sonach den wirklichen anfang des vollständigen blattes bietet. Das blatt umfasste also im ganzen 10 volle Strophen, sieben volle und zwei halbzeilen, denen je eine silbe fehlte, also 11 Strophen + 1 halbzeile + einige worte.

Zwischen den schluss des ersten blattes (B. 717, 2 a halb) und den anfang des zweiten blattes von III (B. 785, 4 a) fallen also die vollen Strophen B. 718 784 = 67 Strophen, + 51/2 halb- zeilen von B. 717 4- 6 halbzeilen von B. 785. Das wären 68 Strophen + S'/a halbzeilen. Es sind dies 6 blätter, jedes zu 11 Strophen und etwas über 3 halbzeilen. ') Unser doppelblatt ist also das äusserste eines quaternio, blatt 1 und 8 einer läge von 8 blättern. Blatt 2 der läge wird durch unsere no. V ge- boten. Diese läge ist am Schlüsse auf der rückseite des letzten blattes durch eine ganz unten von alter band geschriebene IX als die neunte läge der hs. gekennzeichnet. Die ganze läge enthielt die Strophen B. 706, 2a (L. 651) bis B. 796, 4a (L. 739), also 90 Strophen + 5 halbzeilen. 2)

IV. Einfaches blatt, welches unten durch wegschneiden von 41/2 Zeilen verstümmelt ist (15, 2 cm. x 16 cm.). Es fehlen also die zeilen 24 27, der schnitt geht mitten durch zeile 23, doch so, dass diese noch lesbar bleibt. Inhalt: L. 640a, Ib (letztes wort) —650,4 a = B. 695—705, mit drei lücken von 3 4 halbzeilen im Innern und einer solchen am schluss, so dass das volle blatt bis 651,1b = B. 706,1b incl. gegangen sein wird. Das vollständige blatt enthielt also 10 volle Strophen + 6 + 2 halbzeilen + 1 wort = 11 Strophen + 1 wort.

^) Da sonst ein blatt durcbsclniittlich nur 11 Strophen und hüchstens 1—2 halbzeilen enthält, so sollte man für die G blätter nur 67 Strophen + 3V2 halbzeilen erwarten. Das würde dem durchschnitt entsprechend auf das blatt 11 str. + 1 bis 2 halbzeilen ergeben. Es ist also wahrscheinlich, dass die hs. in dieser partie eine strophe ihrer vorläge hat ausfallen lassen.

-) Nach vor. anm. also ev. nur 89 str. + 5 halbzeilen.

ROSENHEIMEK NIBELUNGENFRAGMENTE. 553

Unmittelbar an scliliesst sich Illa mit 651,4a, bez. seinem eigentlichen anfang 651,2 a. IV ist demnach das schlussblatt der vorhergehenden läge VIII, ') deren erstes blatt durch I, deren drittes durch II geliefert wird. Es fehlen also zwischen II und IV die vier blätter 4. 5. 6. 7 der achten läge. Die lücke zwischen II und IV umfasst B. 650,3a B. 695, Ib (letztes wort), also 44 volle Strophen + 3 halbzeilen + 2 halbzeilen (weniger ein wort). Es entfallen auf jedes der fehlenden blätter 11 Strophen + ein wenig über 1 halbzeile, also die normale zahl. Die ganze läge VIII der zerschnittenen hs. umfasste also B. 617, 3b (letztes wort) B. 706, Ib = 88 volle Strophen + 4 halbzeilen + 1 wort.

Y. Einfaches blatt, verstümmelt durch wegschneiden von 7V2 Zeilen unten (13, 2 cm. x 16 cm.). Es fehlen also die Zeilen 21- 27, der schnitt geht mitten durch zeile 20, doch so, dass diese noch sicher lesbar bleibt. Inhalt: L. 661, 2a (halb) 671,1a (weniger ein wort) = B. 717 728 mit drei lücken im Innern von je 5 '',2 6 halbzeilen. Ebenso viele fehlen am schluss, so dass das blatt bis L. 671,3b incl. (=B. 728, 3b) gegangen ist, also 10 volle Strophen + 5'/2 halbzeilen + 6 halb- . Zeilen enthalten hat, sonach mit 11 Strophen + 3V2 halbzeilen etwas über das normale geht, was sich daraus erklärt, dass auf diesem blatte besonders viele (7) Strophen nur den räum von 9 Zeilen einnehmen (vgl. oben s. 550). Das blatt schliesst sich an III a d an und bildete, wie schon oben (s. 552) bemerkt, das zweite blatt der läge IX der hs.

YI. Ein streifen, auf jeder seite je 2 x 5 Zeilen enthaltend. Dieser streifen ist in München leider verloren gegangen. Ich habe ihn selbst nicht gesehen. Aber in dem begleitschreiben vom Stadtarchiv Rosenheim, in welchem die einzelnen fragmente nach anfangs- und schlusswort bezeichnet sind, ist für den streifen als beginn tuten si, als schluss rn liissen minncdicJien. von angegeben. Danach konnte ich leicht für Via als anfang L. 728, 4a (= B. 785), als schluss von VId L. 737, 3 (=: B. 794) bestimmen, woraus sich ergab, dass der streifen von Ille h abgeschnitten war und sonach dieses blatt completierte.

1) Die lageiizalil VIII miiss (eutsprecliend der IX iu fragm. III) auf dem weggeschintteneu unteren teile des blattes gestanden haben.

Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVU. 36

554 BRAUNE

Die Eosenlieimer bruchstücke einer Nibelungenlis. bieten also nach obigen feststellnngen teile von den zwei lagen YIII und IX, deren genauen umfang wir durcli die erhaltenen anfangs- und Schlussblätter erkennen können.

Dass diese mit den schon bekannten Grieshaberschen, jetzt in Freiburg i. B. befindlichen fragmenten Q zusammengehören könnten, war eine Vermutung, die mir schon H. Paul bei Über- sendung der stücke äusserte. Dem schien zunächst entgegen zu ..stehen, dass man Q bisher als 28 zeilig aufführte, während durch unsere vollständigen blätter die Zeilenzahl 27 geboten wurde, zu welcher zahl auch die Verhältnisse der zerschnittenen blätter bestens stimmten. Aber die Zeilenzahl 28 war von Franz Pfeiffer in seiner ausgäbe von Q (Germ. 1, 207 ff.) nur erschlossen, da von dem ersten der beiden doppelblätter unten, von dem zweiten oben mehrere Zeilen weggeschnitten waren.

Nähere Untersuchung fand nun alsbald die Vermutung Pauls bestätigt, sowol aus äusseren als Innern gründen. Was zunächst die äussere prüfung der Freiburger fragmente anlangt, so er- möglichte es mir die liberalität der direction der F'reiburger Universitätsbibliothek, die beiden doppelblätter hier den Eosen- heimer fragmenten gegenüberzustellen. Der augenschein ergab zur evidenz, dass es sich um teile ein und derselben handschrift handle. Einrichtung der hs., nettobreite der beschriebenen zwei spalten (12 cm.), die art der angewendeten abkürzungen ') und die band des Schreibers sind so vollkommen gleich, dass ein zweifei nicht stattfinden konnte. Insbesondere sind auch in den Freiburger blättern die umlauts-e von zweiter band mit blasser tinte nachgetragen, in gleicher weise oft über dem vorhergehenden buchstaben stehend (vgl. oben s. 551); die ganz blassen e sind von Pfeiffer übersehen in Mnch 925,4 b, schönen

1) Die abkürzungen sind in Pfeiffers abdruck aufgelöst. Die abkürzung am zeilenschluss in sprach (s. oben s. 551) findet sich hier 915,1b und 982,4 b: aixch für durch ist einmal (994, 2 a) am zeilenende (V^ rch geschrieben. Hinzu kommt noch, dass die abkürzung für er in tr/we und zubehör (welche werte in den Rosenheimer blättern nicht vorkommen) auch für ri angewant ist: es steht Twe 912, 4a. 932,3a, r»y« 988,4a, riigetive 92\),i]). Das viermal begegnende zeichen ü, v hat Pfeiffer durch t<o gegeben in 977,3a n-üffes, 992,3b fte, 995, 2a wii's^, 996, Ib/uV;; im übrigen wird mhd. uo in unserer hs. stets durch einfaches u, v bezeichnet.

ROSENHEIMER NIBELUNGENFRAGMENTE. 555

928, 4b und l'vne 932,41).') Schon hiernach wäre der schlnss geboten, dass Pfeiffer sich mit der annähme von 28 zeilen geirrt haben muss. Es lässt sich das aber auch direct be- weisen. Das erste, unten beschnittene doppelblatt hat 24 zeilen: es müssen also nach Pfeiffers annähme 4, in Wirklichkeit nur 3 Zeilen weggeschnitten sein. Nur zu letzterer zahl passen die lücken im Innern der blätter, deren umfang wir genau bestimmen können. Es fehlen auf dem ersten blatte in str. 913: 2'/2 halbverse, str. 915. 16: 2'/3 halbverse, str. 918: 2 halbverse -f 1 wort; auf dem zweiten blatte str. 989. 90: 2'/.2 halbverse, str.993. 93: 2 halbverse + 1 wort, str. 995: 2'/.2 lialbverse. Nun sind für 27-2 halbverse in unserer hs., welche zu 8 halbversen 9 oder 10 zeilen gebraucht, 3 zeilen das normale mass; 4 zeilen der hs. enthalten stets mindestens 3 volle halbverse, meist noch etwas mehr.-) Es können also nur 3 zeilen weggeschnitten sein. Aehnlich verhält es sich auch mit dem oben beschnittenen zweiten doppelblatte, welches 20 '/o 20 zeilen enthält, so dass hier die zeilen 1 6 ganz weggeschnitten sind, von der zeile 7 ist auf dem' ersten blatte noch die untere hälfte vorhanden, während auf dem zweiten blatte von zeile 7 nur in zwei spalten noch geringe reste zu erkennen sind. Eine nähere ausführung ist hier nicht mehr nötig.

Die sprachformen der Eosenheimer und Freiburger frag-

') Pfeiffer gibt inconsequeuterweise die 6, ü meist durch ö, ü wider. Im übrigen hat meine collation in Pfeiffers abdruck als tatsächlichen fehler mir ergeben, dass 982, 3 a wir ausgefallen ist. Die zeile der hs. lautet | laides sein, tvir müz \ . Danach also auch in Bartsch Varianten 1041,3 zu be- richtigen! Unwesentlicher ist, dass 921,2a Hagne, 929,1b und 997,4b Kriemlülde, 983, da. 984,1b und 990, 2a Kriemhilt in der hs. mit kleinen anfangsbuchstaben stehen. Dagegen kann ich Pfeiffers lesungeu noch insofern ergänzen, als ich in den obersten durchschnittenen zeilen des zweiten doppelblattcs aus dem gebliebenen unteren teile der buchstaben noch etwas mehr feststellen konnte. Blatt IIb ist die oberste zeile (92"), 2b) vollständig wan cüiies schiltea. II c ist in der obersten zeile nach den spuren der hs. sicher dev statt der (928,2 b) zu ergänzen (auch hier Bartsch Varianten 987 zu berichtigen!). III a kann ich das erste wort der obersten weggeschnittenen zeile (976,3b) als meinen {liehen man.) noch erkennen; III d sind in der ersten zeile (985, Ib) unmittelbar vor (fe kleine reste von es noch sichtbar.

2) Das ist auch rechnungsmässig zu erweisen nach dem Verhältnis 9 : K = 3 : 2Vs oder 10 : 8 = 3 : 2-'/5, während das Verhältnis 9 (10) : 8 = ■! : x ergeben würde 3'/» bis 3'/:, halbverse.

36*

556 BRAUNE

mente tragen ebenfalls das gleiche gepräge. Sie zeigen die dentlichen merkmale bairisclier herkimft der hs. Da Grieshaber die jetzt Freiburger bruclistücke nach Pfeiffers angäbe 'kürz- lich', d.h. also 1855, vom antiquar Busch in Augsburg erworben hatte, so ist die Vermutung wol statthaft, dass sie dorthin aus Rosenheim von einem verschwundenen bände der marktkammer- reclmungsrapulare (s. oben s. 550')) gelangt seien.

Wenn wir uns nun zur betrachtung der Innern Verhältnisse des textes der Rosenheinier bruclistücke wenden, so wird da- durch das bild, welches ich Beitr. 25, 139 ff. von der Stellung des fragments Q gezeichnet habe, vollständig bestätigt: die neuen fragmente bringen lediglich neues belegmaterial für die dort aufgestellten kategorien:

1) Q teilt alle weseutlichen änclerungeu und Umformungen von J, d. li. der gruudhs. J3*. Die fälle der Übereinstimmung- von JQ gegen alle hss. sind so zahlreich und fast in jeder Strophe mehrfach zu linden, dass ich hier nur einige markante beispiele gebe: b96,l. 2 Fünfhundert sivertdegne. und dannoch ha.:. Den Jcänegen ivurden ze cren JQ = Vil junger su-ert da nänien. sehs hundert oder haz. Den Jdinegeu zen eren B*.^) COO, 2 Sl 2vas freudenriche. ivanne si vil sanfte lac JQ = £" daz s/ mich emhnnde. wie sanfte si lac B*. 658, 2 Er vas ir aller meister. sivä er ze fehlen {streiten Q) vant JQ = Sit was er ir aller meister. die er ze rehte vant B*. 666, 2 So müest man dem recken, dannoch ivirde jehen JQ = So müese man von schulden, dem edelen recken jehen B*. 733, 3 riet mir al min iville. ich solt {ivold Q) iuch gerne sehen JQ = rieten rnrne sinne, daz ich iuch sohle sehen B*. Weiteres z.b. 577, 4 a. 579, 3 a. 593, 4b. 597, 4 a. 600,1b. 643,2 b. 643,4 a. 647,3 a. 652,3.4 a. 655,2 a. 658,4 a. 730,1a. 732,4b etc.

In kleinigkeiten, die nur einzelne worte angehen, treffen JQ bisAveilen mit andern ändernden hss. zusammen. So mit A (auslassung einzelner wörtchen) : vil 578, 2 b. 578, 4 b. 647, 1 b (auch D). 650, 1 b. 736, 2 b ; die 590, 3 a ; doch 644,2a; ez 699,1a; mit b: 576,1b. 581, 2b (auch B); mitD: 580,3a. 665,1b. 732,3a; mit Db: 580,1a. 735,3a; mit a: 590,4b. 655,2b. 659,4b (auch B). Am häufigsten aber treffen JQ mit C* zusammen, worin man wol meist lesarten der urform J* sehen darf, die C* zu gründe lag: 582, Ib.

*) Die redüction der zu grossen zahl 600 auf 500, welche in C* noch weiter auf 400 ermässigt ist, gehört wol sicher der urform von J* an, die im übrigen, wie C* beweist, noch den Wortlaut von B* gehabt haben muss. Das Verhältnis von 500 : 400 zwischen Jd* und C* kehrt noch einmal wider in der plusstrophe 1511a (= 1513 a C*), die von C* stark überarbeitet ist unter rcduction der 500 auf 400.

ROSENHEIMER NIBELÜNGENFRAGMENTE. 557

591, la. 591, 11). 593, 3b. 593, ia. 658, 3a. 660, 4a (Man zoh in ivol JQ + C* = Do zöh man in B*). 661,1b. 667,2b. 668,1b. 669,2b. 670,2a. 670,3a {sint JQ + C* = sitzeni B*).

2) üeber J hinaus nimmt Q noch selbstänclige änderungeu vor, nicht bloss, wie jede hs., in einzelnen worten, sondern auch stärkere iimformungen. Nur von letzteren gebe ich die belege: 64-1, 4b denne tvir hizher rjcdienet Q, == den ivir alher (hizher J) gevolget B* (J). 649, 3 und 4 sind in Q ver- tauscht, 3b ist dabei zur länge eines letzten halbverses gedehnt: mein letit und auch die erben mein. 650, 2 Silber golt und Ideider. daz si den poten pot Q = Silber und golt duz mcere. daz ivas ir botenbröt B* (J). 653,1b man si cJiomen Q, = da man die gesie B*. 666,3 b. 4b mit reimänderung: 3b der ie örsse überscJireit Q = der ie üf ors (erd J) gesaz B''\ 4b der Mienen rechen gemeit Q = unt tet vil biUichen daz B*. 670,2b die freunde tugcntleich Q = daz wcere unmügelich B*. Von den sehr zahl- reichen weniger einschneidenden änderungen von Q eitlere ich noch einige : 574,1a. 574,4b. 576,4b. 598,2a. 640a, 3b. 643,4b. 650,3a. 655a, 2a. 659,3b. 662,1a. 664,4a. 669,4a. Die speciellere lesart von J liegt dabei öfter den änderungen von Q zu gründe. Vgl. z. b. 593,1b. 595,4 b. 649,4 a. 659,3 a.

Wie die änderungen von JQ. so treffen auch die von Q, allein in kleinigkeiten mit andern ändernden hss. zusammen. So mit A (auslassungen) : 591,2b. 591.3a. 644,1b. 645,4b. 729,4a; in 590,2a vindent AQ = funden B*JC* scheint schon ADb* das praes. eingesetzt zu haben (vinden Dd, vindct b); mit Db stimmt Q: 578,2a. 595,3b (auch d). 643,3b. 644,3a. 733,4b; mit a: 738,4b; mit C*: 576,2a. 663,2b. In allen diesen fällen beweist die Übereinstimmung von J mit der hauptlesart B* die Zufälligkeit des Zusammentreffens.

3) Dass unsere hs. J nicht directe vorläge von Q ist, beweisen fälle, in denen J ändert, während Q zum original stimmt. Die beraerkens- Averteste stelle ist 547,2, in welcher J3* eine von Q in echter gestalt ge- botene Umformung hat: Der schilde liehte blicke, den ougen gäben schin J/' = Si sähen vor in liuMen. vil maniges Schildes schin B* (C^O- ^^ J ist statt schin (schein Q) eingesetzt 2>'«- Weiteres s. 576,2b. 577,2a. 591,4b. 647,2b.>) 659,2 b. 663,2 b.

Die zuletzt angeführten selbständigen änderungen der hs. J sind nicht zahlreich und betreffen nur einzelne worte, wälirend Q weit mehr und weit einschneidendere änderungen vornimmt. Es stellt sich also auch nach den neuen fragmenten Q als eine stärker ändernde hs. dar, während unsere hs. J sich viel ge- nauer der gemeinsamen vorläge J;»* anschliesst, welche ihrer- seits stärker geändert hat. Für den haupttext des JSibelungen-

1) J ist hier zufällig mit d in der änderung- nahtsedel aus nahtselde QB*0* zusammengetroffen.

558 BRAUNE

liedes ist der ertrag der neuen frag'mente, was die lesarten anbetrifft; gleich null, da wir die bessere lis. J überall daneben haben; nur für die feststellung des nebentextes J* können sie förderlich sein. Auch für die beurteilung des Strophenbestandes scheinen sie zu versagen. Denn eine zusatzstrophe Jd* fällt leider nicht in den umfang der fragraente: wären sie nur noch 20 Strophen weiter erhalten, so würde durch die Jd*-strophen 756 a. b ohne weiteres die entscheidung über eine neuerdings aufgestellte hypothese gegeben werden.

K. Zwierzina hat in seinen an belehrung so reichen mhd. Studien auch das Nibelungenlied an verschiedenen stellen förder- lich behandelt. Mit rücksicht auf meine unmittelbar vorher erschienenen Untersuchungen hat er in nachtragen Zs. fda. 45, 393 ff. auf dieselben bezug genommen. Indem ich die erörte- rung anderer punkte einer späteren gelegenheit vorbehalte, muss ich in unserem zusammenhange wenigstens auf seine be- urteilung der Stellung der gruppe Jd* eingehen, da die hs. Q hierbei eine rolle spielt.

Zwierzina hat unter bekämpfung meiner auffassung wider auf die mischungshj^pothese von Bartsch zurückgegriffen, mit der modification, dass er dieselbe nur für die Strophen gelten lassen will, nicht aber für die lesarten, deren Verhältnisse er ähnlich beurteilt wie ich. Die grundlage für seine mischungs- liypothese bietet ihm die tatsache, dass das bisher bekannte fragment Q an der einzigen in betracht kommenden stelle (910a) die Jd*-plusstrophe nicht hat, eine tatsache, welche ich (Beitr. 25, 141) unter erwägung der engen verwantschaft von Q mit J durch annähme einer versehentlichen auslassung der doch auch sonst viele abweichungen zeigenden hs. Q glaubte erklären zu dürfen. Zwierzina dagegen behauptet, dass die hs. Q die Jd*-strophen gar nicht besessen habe und dehnt diese annähme auch auf die beiden andern der engeren gruppe J* angehörigen fragmente K und 1 aus, welche zufällig nur in Partien ohne Jd*-strophen erhalten sind. Nach Zwierzina sollen die Jd"-strophen eigentlich nur der engern gruppe d* augehören und von deren mutterhs. am rande >) aus C* entlehnt sein, die

^) Wenn Zwierzina mit der annähme rechnet, dass die Strophen in der nrhs. von d* 'am rande' nachgetragen seien, so empfiehlt sich das des-

ROSENHEIMER NIBELUNGENFRAGMENTE. 559

engere gruppe J"^ dagegen habe diese plusstrophen gar nicht gehabt, sondern nur unsere hs. J (oder ihre nächste vorläge) liabe diese phisstrophen aus einer hs, der d*- gruppe ab- geschrieben. Zwierzina muss da den 'zufall' annehmen, 'dass gerade eine hs. derjenigen engeren B-cIasse (d"^), die mit der von C* benutzten hs. verwantschaftliche bezieliungen hat, aus C* später ihren Strophenbestand ergänzt, und dass es vviderum eine mit dieser d*-klasse einerseits und mit der von C* be- nutzten hs. anderseits nächst verwante einzelhs. (vorläge von J) ') ist, die die von d* recipierten C*-strophen aus einer d*-hs. über- nimmt.' Dieser doch recht complicierte zufall erscheint aber Zwierzina weniger unwahrscheinlich, als der von mir angenom- mene zufall, dass in Q grade die Jd'^-strophe 910a durch ver- sehen ausgefallen sei. 2)

Ich muss zugeben, dass die ab wägung dieser beiden arten von zufall dem subjectiven ermessen Spielraum lässt. Dagegen würde ich geschlagen sein, wenn unsere neuen fragmente von Q 20 Strophen weiter reichten und in ihnen die Jd*-strophen 756a. b fehlten. Dann wäre auch das fehlen von 910a in Q sicher kein zufall, sondern man würde mit Zw. sagen müssen: Q hat die Jd*-strophen in seiner vorläge J3* nicht gefunden, sie standen dann natürlich auch nicht in J.2* (K), Jj* (1) und J*, der quelle von C*, sondern sie sind nur in unserer hs. J, oder deren directer vorläge aus einer d*-hs. entlehnt. Anderseits würde aber der argumentation Zwierzinas der boden entzogen sein, w^enn die übrigen Jd*-strophen in Q stünden. Dann müssten sich diese Strophen auch in J3*, der gemeinsamen quelle von J und Q befunden haben und meine erklärung des

wegen, weil vor eiutragung der Strophen doch ans ur-d* die hs. iir-J* ge- flossen sein müsste. Al)er dahei ist die Schwierigkeit, dass die hss. wol mir liöchst selten mit so opulenten rändern angelegt wurden, um auf denselben nicht nur einzelne worte oder zeilen, sondern ganze Nibeluugenstrophen, und sogar mehrere derselben hinter einander, eintragen zu können. Von den mir durch autopsie bekannten Nibelungenhss. wenigstens bietet keine den räum dazu.

') Zwierzina setzt zwischen unserm J und J-.^^ (quelle von J und Q) noch eine vorläge von J ein, weil er wol auch hier ein 'nachtragen am rande' glaubt annehmen zu müssen.

-') Auch oben s. 552') hatten wir grund, für Q die auslassung einer Strophe zu erschliesseu.

560 BRAUNE

felilens von 910a in Q durch zufällige auslassung wäre be- wiesen.

Auf die unmittelbare entsclieidung* dieser frage müssen wir nun leider verzichten. Aber wir sind trotzdem in der läge, indirect nachzuweisen, dass Q die Jd-strophen besass. Und zwar durch fortsetzung der berechnung des Inhalts der blätter und lagen, die wir oben s. 551 ff. für die läge VIII und IX be- gonnen haben. Anfang und schluss von läge YIII und IX war uns durch die Überlieferung selbst dargeboten. Lage VIII beginnt mit B. 617,3 b (letztes wort). Die ersten sieben lagen kommen für unseren zweck nicht in betracht, da die specifischen plusstrophen von Jd* erst mit B. 813 a. b (L. 756a. b) beginnen. Denn die in J nicht stehenden dk-strophen 329 a. b. c bleiben für unsere hs. ausser frage. Auch ist eine genaue berechnung dadurch erschwert, dass wir nicht wissen, ob auf der ersten läge das erste blatt bez. die erste seite unbeschrieben geblieben war oder nicht. Wollten wir die Strophenzahlen der ausgäbe von Bartsch zu gründe legen, so würden auf die 7 ersten lagen 616 Va Strophen entfallen. Und da 7 x 88 = 616 ist, so scheint das die normale strophenzahl einer läge, welche als 88 89 von uns schon erkannt ist, ganz genau zu ergeben in der weise, dass in der ersten läge das erste blatt ganz beschrieben gewesen wäre. Freilich sind die Strophenzahlen von Bartsch diejenigen der hs. B, vermehrt um die in B fehlenden Strophen 1 und 3. Legen wir die strophenzalilen der Q nächstverwanten hs. J zu gründe, so hat diese statt B 1 20 nur 11 Strophen, ferner fehlen in J die von B allein aus C* entlehnten Strophen B. 102. 103 (L. 102 a. b), so dass also in J gerade 11 Strophen, die zahl eines blattes, weniger stehen, im ganzen 6051/2 Strophen. Nehmen wir nun an, dass in Q das erste blatt der ersten läge leer gelassen war, so erhalten wir wider ganz correcte zahlen, nämlich 77 str. für die erste läge + 6 x 88 = 528 str. für läge 2—7, was also genau 605 Strophen wie in J ergäbe. Natürlich können diese Schlüsse nicht volle Sicherheit be- anspruchen, aber sie zeigen doch, dass sehr wol in der partie vor unseren fragmenten die strophenzahl von Q mit der von J identisch gewesen sein kann. Sie zeigen aber zur evidenz, dass die auf dem Rosenheimer fragm. III gegebene lagenzahl IX den tatsachen entspricht: es können unserem fragment I, dem

ROSENHEIMER NIBET.UNGENFRÄGMENTE. 561

eisten blatte einer lag-e (VIII) nicht mehr und nicht weniger als 7 lagen vorausgegangen sein.

Sichere ergehnisse erhalten wir dagegen für die den Eosen- heimer fragmenten folgenden partien. Wir betrachten zunächst die beiden Freiburger doppelblätter. Schon Pfeiffer a. a. o. hat richtig festgestellt, dass sie die beiden äusseren doppelblätter einer läge sind, die war nun als läge XII bezeichnen dürfen. Davon haben wir also die blätter 1. 2. 7. 8 mit kleinen defecten. XII, 1 beginnt mit B. 969, 4a w^eniger 1 wort, blatt XII, 2 schliesst mit B. 992, 3 a weniger l'/o wort {= L. 910—933). Da blatt 1 unten, blatt 2 oben beschnitten ist, so haben wir genaue Überlieferung. Die beiden blätter enthalten sonach 22 volle Strophen -\- 5 volle -\- 2 unvollständige halbverse, also 22 Strophen -f 6'/-2 halbvers, oder pro blatt 11 Strophen + 8'/4 halbvers. Blatt XII, 7 ist oben beschnitten: es beginnt B. 1035, 3b (L. 976) mit meinen (im anfang der grösstenteils weggeschnittenen zeile 7, vgl. oben s. 551 1)), es fehlen davor 6 zeilen, Avelche 5 5'/2 halb- verse enthalten können. Den anfang des blattes wird also genau der beginn von B. 1035 gebildet haben. Blatt XII, 8 ist unten weggeschnitten (damit also auch die zu erw^artende lagenzahl XII): es schliesst mit B. 1057, 2a (L. 998) erstes w^ort pfctffen, w^eggeschnitten sind drei zeilen, die 2'/2 halbverse er- geben. Der eig x. liehe schluss des blattes lag also in B. 1057, 3a (vielleicht vo^ gesinde). Die beiden letzten blätter der läge enthalten al^o 22 Strophen -|- 4'/-2 halbzeilen, oder blatt 7, welches genau bis B. 1040, 2a (halb) geht, 11 Strophen + 2'/2 halbzeilen, blatt 8 genau 11 Strophen -\- 2 halbzeilen.

Die vier Innern blätter 3 6 der läge XII enthielten also B. 992, 3a (davon nur lV-2 wort) bis B. 1034, 4b incl. Es würden danach diese 4 blätter nach dem texte von Bartsch enthalten haben 42 Strophen + 3'/2 halbverse. Das ist aber zu wenig. Dem durchschnitt nach sollten 4 blätter wenigstens 44 Strophen haben. Nun ist es ja w^ahrscheinlich, dass auf diesen 4 blättern der procentsatz der zehnzeiligen Strophen (vgl. oben s. 550) etAvas stärker war, während auf den überlieferten blättern 1. 2. 7. 8 die neunzeiligen Strophen zahl- reicher vertreten sind,') so dass dei-en strophenzahl mit ins-

*) Von den aul' diesen blättern enthaltenen 44 stioplien lässt sich l'ür

562 BRAUNE

gesammt 44 str. + ö'/^ + 4V2 lialbversen = 45 str. + 3 halb- versen den diirclischiiitt von 44 etwas überschreitet. Aber selbst -wenii die verlorenen blätter was ganz nnwahrscliein- licli lauter zelinzeilige und keine einzige neunzeilige stroplie geliabt hätten, so wären zur füllung dieser 4 blättert) ''■'"-/lo str., also 431/5 Strophe erforderlich gewesen. Es sind also 42 str, + 3'/2 halbzeilen auf jeden fall zu wenig- und der schluss ist gar nicht zu umgehen, dass die 4 blätter ausser den Strophen des B*-textes von Bartsch mindestens noch eine Strophe mehr enthalten haben müssen. Dafür bietet sich nun aber die Jd*- strophe B. 998 a (L. 939 a, die Otenheimstrophe), welche sonach auf dem verlorenen dritten blatte der läge XII gestanden haben niuss. Damit kommen die 4 blätter mit 43 str. + 3'/2 halb- versen dem durchschnitt von 44 Strophen sehr nahe. Die fehlenden 41/2 halbverse würden durch ein mehr von 5 zehn- zeiligen Strophen eingebracht. Die ganze läge XII umfasste sonach (von B. 969, 4a B. 1057, 3 a) unter hinzurechnung der einen Jd*-strophe insgesammt 88 Strophen + G'/, halbverse.

Nun könnte aber immer noch jemand einwenden Avollen. dass zwar die läge XII eine plusstrophe gehabt haben müsse, dass aber diese nicht gerade die Otenheimstrophe von Jd* ge- wesen sein brauche, sondern von dem Schreiber der hs. Q neu hinzugedichtet sein könne. Das wäre freilich eine sehr un- wahrscheinliche annähme. Denn es ist doch schon etwas anderes, wenn Q wie ich für die Strophe 910a (B. 969a) annehme eine Jd*-strophe versehentlich auslässt, als wenn Q statt einer angeblich nicht vorhanden gewesenen Jd*-strophe (939a) nun grade eine neue zudichtete, wo wir sonst für Q keine solche dichterische betätigung nachweisen können. Dieser Zufall wäre doch weit wunderbarer. Aber ein fall bietet immer- hin nie einen beweis: er kann theoretisch betrachtet zufall

43 die Zeilenzahl feststellen : es sind 21 Strophen zu 9, 22 zu 10 zeilen, und keine mit grösserer Zeilenzahl, also eine verhältnismässig grössere auzahl der 9 zeiligen gegenüber den Eosenheimer blättern. Aber auch in diesen fanden wir ähnliches auf dem zweiten blatte der läge IX (fragm. V, oben s. 553). Doch werden solche abweichungen durch stärkeres hervortreten der zehnzeiler auf andern blättern Avider ausgeglichen, so dass die gesammt- st)oiihenzahl der lagen sich nicht über 88—89 erhebt.

') Jedes blatt hat 4 x 27 -= 108 zeilen, also i blätter -132 zeilen.

ROSENHEIMER NIBELUNGENFRAGMENTE. 563

sein. AVenn nun aber es sich noch in weiteren fällen so ver- hält; dass bei Jd*-strophen die lagen von Q ohne diese zu geringe strophenzahl haben würden, so ist dann der zufall ausgeschlossen und der beweis zwingend. Dieser beweis Avird nun geliefert durch die zwischen IX und XII fehlenden zwei lagen X und XL Lage IX schliesst mit B. 796,4a, läge XII beginnt mit B, 969,4 a. Es würden sonach die zwei fehlenden lagen nach der B-strophenzahl von Bartsch enthalten haben 172 volle Strophen + 7 halbverse, also jede läge 86 strophen + 3V2 halbverse. Das sind für jede läge grade 2 Strophen zu Avenig. Und siehe da, es fallen in diese partie genau 4 Jd*- strophen, nämlich B. 813a. b (L. 756a. b), B. 905a (L. 848a) und B. 915 a (L. 858 a). Es kommen also auf läge X und XI je die normale zahl von 88 strophen + 3'/^ halbzeilen.

Hierdurch muss für die hs. Q die auslassung von strophe 910a (B. 969 a) als beAviesen gelten und als genügenden anlass dazu Avird man jetzt den gleichen anfang von 910 und 910a mit anerkennen, Avie ich dies Beitr. 25, 141 angenommen hatte. Der annähme von ZAvierzina, dass nur die hs. J die Jd*-strophen aus der d*-gruppe entlehnt habe, ist also ihre stütze entzogen, und Avir Averden mit der tatsache rechnen dürfen, dass die ganze engere gruppe J", ebenso Avie d* von anfang an die Jd*-strophen besessen hat. Damit Avird denn meine auffassung der Stellung von Jd* auch hinsichtlich der plusstrophen als die Avahrscheinlichste festgehalten Averden dürfen. Denn ein zAveiter grund, den ZAvierzina noch für die Strophenmischungshypothese anführt, dass nur dadurch die unrichtige Stellung mehrerer plusstrophen in Jd" erklärlich Averde, ist unhaltbar. Es betrifft dies die strophen 910a. 939a. 1511a, 1523 a. b. c, welche in C* an anderer stelle stehen. Sollte dies für Zwierzinas auffassung, wonach die strophen am rande beigeschrieben und dann unrichtig eingeordnet wären, etwas beAveisen, so müsste man erAvarten, dass die Strophen in Jd* Avenigstens teihveise an sinuAvidrigen stellen ständen. Aber das ist durchaus nicht der fall. Die strophen lassen sich auch in ihrer Stellung Jd''' sehr avoI verstehen und es verträgt sich völlig mit meiner auffassung, dass der Ver- fasser von C* einige solcher strophen, die er früher hinzu- componiert hatte, in seiner deftnitiven bearbeitung an eine

564 BRAUNE, EOSENHEIMER NIBELUNGENFRAGMENTE.

ihm dann passender sclieinende stelle rückte. Und wenn die übrigen drei fälle in C* wol als Verbesserungen gelten könnten, so ist an einer stelle (910 a) sogar in C* durch die Umstellung entschieden eine Verschlechterung eingetreten, weshalb denn auch Bartsch die stropbe B. 969 a in seiner ausgäbe 1, 156 an der stelle von Jd* seinem C*-texte einfügt, während er in den drei übrigen fällen die reihenfolge von C* gibt.

Ich gebe zu, dass die mischungshj^pothese hinsichtlich der Strophen von Jd* etwas ansprechendes haben mag für den- jenigen, dem die annähme zu compliciert erscheint, dass die urhs. d*, urhs. J* und die Umarbeitung C* denselben mann zum Urheber gehabt haben. Aber w^as wissen wir überhaupt von den persönlichkeiten des dichters unseres liedes und der- jenigen, die sich in der ersten zeit seiner existenz mit ihm beschäftigten, um die möglichkeit einer solchen intensiven und länger geübten pflege des gedichts durch ein und dieselbe person zu leugnen? Auch Zwierzina gibt zu, dass den les- arten zufolge C'* über J* aus d* geflossen sei. Da ist es doch das nächstliegende, dass die Strophen den gleichen weg ge- nommen haben, zumal dafür das so gewichtige argument exi- stiert, dass die Jd*-strophen von ('* im Verhältnis genau so umgeformt w^orden sind, wie der originale bestand von B*. Ich habe dieses argument, auf das Zwierzina nicht eingeht, nach Pauls vorgange hervorgehoben und möchte Verteidiger der mischungstheorie nochmals nachdrücklich darauf hinweisen. In diesem zusammenhange sei auf die bemerkung oben s. 556, anm. 1 verwiesen, wonach C* in der am stärksten von ihm umgedichteten Jd*-strophe 1511a die gleiche reduction der 500 auf 400 vorgenommen hat, wie in der J*-lesart 596, 1, zum beweise, dass J*-lesarten und J*-strophen gleicherweise der abfassung von C* zu gründe lagen.

HEIDELBERG. AMLHELM BRAUNE.

zu WOLFRAM VON ESCHENBACH.

1. Ungenande.

Zweimal wird bei Parzivals erstem besuch auf der g-rals- burg-, wo Anfortas als wirt erscheint, der für wirt bei A^'olfram stehende reim vcrhirt durch die formel gebildet: den tmgenäde niht verhirt 240, 8, ungenäde in nilit verhirt 251, 20. Also An- fortas, welchen das unheil nicht loslässt', ein gewis der Situation durchaus entsprechender ausdruck. ') An der ersten stelle hat allein die hs. D den Schreibfehler ungenande für iingenade aller übrigen hss. Nichtsdestoweniger setzt Lachmann hier ungenande in seinen text, während er zu 251, 20 nur in der anmerkung fragweise ungenande für das dort in allen hss. stehende ungenäde vermutet. Da die folgenden herausgeber Bartsch, Martin und noch jüngst Leitzmann hierin Lachmann folgen und sogar 251,20 Lachmanns conjectur in den text setzen, so ist eine erörterung des falles geboten.

Daz ungenante und der ungenante sind zwei in der volks- tümlichen medicin seit dem 13. jh. reichlich belegte ausdrücke. Viele beispiele aus dem bairischen gebiet bringt Schmeller- Frommann 1, 1747 (dazu noch der segen für daz ungenant aus einer Münchner hs. des 14. jh.'s M.S. Denkm. 2', 275); aber auch aus dem Schweizeralemannischen finden sich im Schweizer, idiot. 4, 748 viele bis in die neuzeit reichende belege (so noch aus Gotthelf : U'eil der Jenecht das ung'nante an der Jiand hätte). Beispiele aus dem Elsass (1611) und aus der Pfalz (Heidel- berger hs. des 16. jh.'s) finden sich Alemannia 27, 70. 96. Man

') Ganz dem Sprachgebrauch Wolframs gemäss, der gern ein abstractum als subject mit verhirt verbindet: P. 119. 25 Unlriwe in niht verhirt, 148,7 daran ein kunst mich verhirt, l-i'J, 18 oh werdekeit mich niht verhirt, 371, 11 daz iwer eilen niht verhirt, 386, 2 sin mayiUch eilen niht verhirt, 458, 24 oh nnfuoye iwer ntht verhirt.

566 BRAUNE

darf behaupten, dass der ausdruck in der Volkssprache des südlichen Deutschlands ganz allgemein bekannt gewesen ist.

Sprachlich betrachtet sind daz imgenante und der ungenante scliwache formen des part. praet., zu welchen substantiva zu ergänzen sind. Und zwar zum neutrum ühel (= lat. maliim infandum, von Höfler aus Zwingers Vocabularium teutonicum 1482 angeführt). Während aber bei da.z iingenantc das subst. iibel regelmässig ausgelassen wird, so steht neben der iingenantc auch sehr oft vollständig der ungenante ivtmn. Sachlich ist der gehalt des wertes schwerer zu fassen, da verschiedene krankheitsformen damit bezeichnet werden. Ich verweise hier- über auf M. Höfler, Deutsches krankheitsnamenbuch (München 1899) s.v. nennen s. 440. 911, unter wurm s. 834. Meist sind es bösartige geschwüre an den bänden, die einem dämoni- stisch aufgefassten wurme zugeschrieben wurden. Aber auch die durch biss eines tollen hundes hervorgerufene wut- krankheit, welche im mittelalter ebenfalls als dämon, als toll- wurm, betrachtet wurde (s. Höfler unter tviit s. 837b, iviirm s. 833b f.) wird mit das ungenante bezeichnet.') Als pferde- krankheit heisst der sogenannte üswerfende ivurm (rotz oder milzbrand?) auch der ungenante.''') Mit der dämonistischen auffassung dieser krankheiten hängt es sicher zusammen, dass man sich scheute, einen bestimmten namen zu nennen und sie als anonym behandelte.-*)

Aber allgemein feststehend ist in dem ganzen reichen belegmaterial der gebrauch des Wortes ungcnant als adjec- tivum, welches stets den artikel bei sich hat: der ungenante oder daj^ ungenante. Und ganz zu diesem feststehenden ge- brauche stimmt auch das älteste literarisch belegbare beispiel des Wortes in Wolframs Willehalm 154, 20 ff.: Ahjs diu smlden- hcere, man mölit üf eine ivunden ir Musclie luhi gchunden, da

') Hierher einer der ältesten belege, aus Pfeiffers Bair. arzneibuch (mitte des 13.jh.'s), Wiener Sitzungsberichte 18G3, bd. 42, s. 155: Swen der tcninunde hinit gehizet, ezet er der feisehes (sc. geierfleisch), is geswillet in nimer unde heilet cds palde, das das tingenant nimmer da zuo chiimt.

'^) So z. b. der segen für den ausirerffenden icurm aus der Mosbacher gegend in der Heidelberger hs. (Alem. 27, 06): Du ungenanter, ich verpiett dir des ross fleisch etc.

=*) Vgl. auch CTrimiii. 1>. niyth. 2*. 9(58.

zu WOLFRAM VON ESCHENBACH. 567

daz ungenante iccere hl: . helihe diu nilit vor schaden rn, si müez enJcelten Wunders. Also die kiusche Alyzens als lieilmittel gegen daz wigcnante.^) Hieraus erhellt, wie sprachlicli un- möglich der versuch Lachmanns ist, Parz. 240, 8. 251, 20 un- genande statt des überlieferten tmgenäde einzuführen. Dieses wigenande müsste als fem. gefasst werden (Bartsch z. st., Lexer 2, 1852), wälirend sonst nur neutr. oder masc. vorkommt. Es müsste ferner als reines substantivum, als appellativer krank- heitsname erscheinen, während sonst der adjectivcharakter des Wortes überall klar zu tage tritt. Eine solche entwicklung zu einem reinen Substantiv wäre wol als endglied einer langen reihe theoretisch als möglich zu betrachten. Aber tatsächlich ist sie nicht erfolgt, und Wolframs eigener gebrauch im Wh. spricht laut dagegen.

Aber auch in sachlicher hinsieht ist es undenkbar, dass Wolfram an diesen beiden stellen so beiläufig des Anfortas leiden als daz ungcnante definiert haben sollte, womit sich doch in der volksmedicin ein bestimmtes krankheitsbild ver- band, bez. mehrere bestimmte krankheitsbilder, die aber alle sich darin vereinigten, dass ein wurmdämon als erreger be- trachtet wurde. Das leiden des Anfortas hat ja Wolfram anderwärts genau beschrieben und mitgeteilt, dass es eine durch vergifteten Speer hervorgerufene wunde am gemächt sei: für ihn war also daz ungenante hier vollständig aus- geschlossen.

AVie Lachmann zu seinem fehlgriff kommen konnte, ist leicht zu verstehen. Für ihn war zu einer zeit, wo man haupt- sächlich das höfische mhd. betrieb, das in der ganzen liöfischen dichtung nur einmal im Wh. begegnende daz ungcnante ein überaus seltenes wort. Und als er P. 240, 8 in D den Schreib- fehler ungenande fand, so konnte er leicht meinen, einen zweiten beleg dieses seltenen Wortes zu haben, welches die es nicht verstehenden Schreiber in ungcnüde geändert hätten. Aber dieser schluss ist falsch. Denn wir wissen jetzt aus der spätmhd. prosa und der Volksüberlieferung, dass die krank- heitsbezeichnung daz ungenante, oder der ungcnante ivurni so

') So, nicht miyenande, wie Lacliraann dem ungenäcle des Parz. zu liebe in den text setzt, haben die hss. des Wh.

568 BRAUNE

allgemein üblich war, dass den ausdruck alle Schreiber von Parzivalhss. gekannt haben müssen, also zu änderungen eines überlieferten ungenante keine Veranlassung gehabt hätten, wie ja denn auch in der Willehalmstelle kein einziger Schreiber da^ ungenante in ungenaue geändert hat. Ja es könnte sogar jemand die sache umkehi-en wollen und sagen, der Schreiber D habe an der stelle 240, 8 in anbet rächt dessen, dass es sich bei Anfortas um eine bösartige wunde handelte, das ihm ge- läufige wort einschieben wollen. Aber er würde dann doch wol nicht auf das sprachlich unmögliche fem. subst. ungenande verfallen sein, und so werden wir bei der erklärung bleiben müssen, dass das überschiessende n in D ein fehler sei, wie solche für diese hs. ja auch sonst genugsam angenommen Averden müssen.')

2) huore.

Anlässlich des sonderbaren misverständnisses von Wille- lialm 153, 1 ff., dem Behaghel in der Zs. f. deutsche Wortforschung 3, 218 f. verfallen ist, möchte ich darauf aufmerksam machen, dass das Schimpfwort, welches Willehalm auf seine Schwester, die 'römische königin' (vgl. z. b. Wh. 95, 23) widerholt (dicke) anwendet, nur huore gewesen sein kann. Es ist meines wissens noch nicht hervorgehoben auch das DWb. 4, 2, 1958 ver- schweigt die tatsache , dass das fem. Jmore meretrix der literatur des 13. jh.'s vollständig zu fehlen scheint. Der einzige beleg des Mhd. wb. 1, 730 ist erst aus Mones Schauspielen. Und auch Lexer 1, 1392 bringt nur belege des 14. und 15. jh.'s. Da nun in den ahd. glossen, auch bei 0. und T.. huorra, liuora (meretrix, scortum, lupa, prostituta) reichlich belegt ist (vgl. Graft 4, 1011), so ergibt sich die immerhin bemerkenswerte

1) Nachtrag. E. Sievers glaubt aus einer bemerkung Zaruckes im Parzivalcolleg sich zu erinnern, dass die unter Wackernagels namen gehende (vgl. Mhd. wb. 2, 1, 379b) falsche etymologie von ungenande {zu. yenenden) diesem von Lachmann zugekommen sei. Das hat viel innere Wahrschein- lichkeit. Denn die aus dieser etymologie gefolgerte bedeutung 'mutlosig- keit, Verzweiflung' würde an der Parzivalstelle viel besser passen und ein dem echten ungendde analoges abstractum bieten. Es würde diese etymo- logie auch Lachmanns Umänderung der in allen hss. stehenden Schreibung iingenante in der Willehalmstelle erklären.

zu WOLFRAM VON ESCHENBACH. 569

tatsaclie, dass das in der, spräche des gewöhuliclien lebens natürlich viel gebrauchte wort für die höfische dichtersprache als so gemein und unmöglich galt, dass selbst der in seiner Wortwahl sonst nicht heikle Wolfram das seinen lesern wol- bekannte Schimpfwort nur durch die gewundene Umschreibung anzudeuten wagt. Die seit dem 14. jh. sich neu bildende literatursprache war dem worte gegenüber weniger feinfühlig, wie dies Ja Luthers bibelsprache genugsam bekundet. Und während unsere klassischen dichter des 18. jh.'s Jmre noch un- bedenklich anwenden, so ist erst im laufe des 19. jh.'s das wort aus der spräche der liöheren literatur und aus der rede der gebildeten verschwunden. Man darf in öffentlicher rede und Schrift wol dirne, prostituierte, freuäenmädchen und sonstige euphemismen gebrauchen, aber nicht wol das wort hure, wel- ches trotzdem in den unterliterarischen schichten noch kräftig weiterlebt. Wir sind also darin jetzt erst wider auf dem Stand- punkte des 13. jh.'s angelangt. ')

3. ünderreit. Das nur Wh. 5, 12 belegte wort ünderreit wird vom Mhd. wb. 2 ', 673b zunächst fragend zum stamme unseres nhd. bereit gestellt, dann aber 698a unter riden (drehen) erklärt: 'was zwischengedreht, eingeschoben wird', wonach Lexer 2, 1794 ohne weiteres ^ünderreit stn. einschub' ansetzt. Beides trifft aber nicht das richtige. Sondern das von Wolfram hier sicher nur ad hoc neugebildete wort gehört zu underriten, nach dem muster des vorhergehenden undersivanc, ausgelöst durch das vorhergehende reimwort wärheit. Während Wolframs neu- bildung ünderreit in der Wortsippe riten isoliert steht und kein sonstiges m. reit, weder als simplex noch als compositum, neben sich hat, so schliesst sich das musterwort undersivanc an das Simplex sivanc m., zu welchem noch eine menge anderer com- posita belegt sind (Mhd. wb. 2 2, 806). Aber auch underswanc, welches das Mhd. wb. noch aus Rudolfs Bari, und aus Konrad von Würzburg in ähnlicher anwendung belegt {dne valsches underswanc, äne murmeis underswanc 'ohne einmischung von . . .')

[') Zu dem vorstehenden vgl. auch den unten s. 570 folgenden, fast gleichzeitig eingegangeneu aufsatz von Leitzinann. E. S.]

Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVII. 37

570 BRAUNE, ZU WOLFRAM VON ESCHENBACH. LEITZMÄNN

ist doch nicht mit den Wörterbüchern unter anlehnung* an die allgemeine bedeutung von swingen, swanc farblos zu erklären mit 'das daz wischenschwingen, was man zwischen etw. schwingt', sondern wir haben auszugehen vom sivanc als schwerthieb. Wie AValther 32, 35 in bildlicher weise sagt : ich sivinge im also swinden ivider sivanc 'gegenhieb', so ist für undersivanc bei Wolfram und in den beiden andern stellen von der bedeu- tung 'zwischenhieb' auszugehen. Wenn Wolfram an unserer stelle sagt undersivanc noch underreit gevalschte dise rede nie, so bleibt er dabei durchaus in seiner ritterlichen gedankenweit: 'weder dazwischenhieb noch daz wischenritt hat je diese erzäh- lung verfälscht'. Und wie die neubildung underreit ihm in diesem zusammenhange nahe liegen musste, zeigt seine ganz gleiche bildliche anwendung des verbums P. 427, 10 daz ninder was underriten ir pris mit valschen ivorten.

HEIDELBEEG. WILHELM BRAUNE.

HETZE BEI WOLFRAM VON ESCHENBACH?')

Im letzten heft der Zs. f. deutsche wortf. (3, 218) bespricht Behaghel eine stelle aus Wolframs Willehalm, die seiner an- sieht nach einen beleg für metzc im sinne von mcretrix, 'frei- lich nicht in besondern schriftzeichen niedergelegt, aber doch deutlich genug erkennbar', enthalten soll. Es handelt sich um die stelle im dritten buche, wo Willehalm seine Schwester, die königin, wegen ihres verbrecherischen Verhältnisses zu Tybalt mit harten Worten ausschilt. Während die quelle (2890 Jonck- bloet; ähnlich 2643 Guessard; vgl. auch San Marte, Ueb. Wolfr. Wilh. V. Or. s. 09) den directen ausdruck la pute meretris nicht scheut, bemerkt der höfische Wolfi'am (153, 1):

Die miune veile hänt, diu wip, roemescher küneginne lip

[') Vgl. auch oben s. 568 ueb.st fussnote zu s. 569. E. ti.\

HETZE BEI WOLFRAM VON ESCHENliACIl? 571

wart dicke nach in benennet.

die namen hete ich bekennet,

ob ich die Avolde vor iu sagen:

muoz ich si durch zuht verdagen.

•Das Scheltwort', erklärt Behag-liel, 'das der markgraf ge- braucht hat, ist also ein solches, das zugieich den namen römischer königiunen gebildet hat: das kann nichts andres als »metze« sein, das ja bekanntlich koseform für Mathilde ist.' Es entgeht ihm nicht, dass das dicke nun einer erklärung be- darf, und er weist daher neben den beiden historischen Ma- thilden, die Wolfram kennen konnte, den gemahlinnen Hein- richs I. und V., auf die gleichnamige gattin des Faustinianus in der Kaiserchronik hin.

Diese erklärung der obigen worte Wolframs ist sicher unrichtig und ihr sinn liegt viel näher. So gut könig Ludwig im Willehalm der rcemesclie hünec heisst (95, 23. 143, 7. 146,24. 150, 9. 180, 7. 197, 2(3. 224, 22. 230, 21. 245, 23. 263, 25. 287, 3. 302,4), so gut heisst seine gemahlin, Willehalms Schwester, die rcemesclie lüineg'mne (ausser unsrer stelle noch 143, 21. 162, 8. 165, 17. 323, 1). Wolframs worte umschreiben nur den einfachen gedanken: 'des markgrafen Schwester, die römische königin, wurde häufig mit dem namen meretrix benannt, den ich vor höfischen obren nicht aussprechen darf. Eine beziehung auf eine oder mehrere historische Mathilden liegt nicht in der stelle und welches wort Wolfi^am für meretrix im sinne lag, bleibt eine offene frage.

JENA, 1. october 1902. ALBEKÜ^ LEITZMANN.

LUCKENBUSSER.

In den Bonner beitragen ziu' angiistik 2 (1899), 127 lässt sich Trautmann zu Beow. 33a folg-enclermassen vernehmen: '■Isig »eisig« ist ein gänzlich unpassendes beiwort für das schiff, -.und die Übersetzung »glänzend wie eis« ist ein notbehelf. Stehn das überlieferte isig und icge in ond icge gold 1108 in beziehung zu einander? Gab es ein adjectiv icig (ttig, ifig) »glänzend«?' Die schlussf ragen wird wol niemand bejahen wollen, aber auch an dem vorausgehenden ist nur die ablehnung der deutung 'glänzend wie eis' beifallswürdig. Wie sollte auch ein solches Isis sich mit dem folgenden idfüs zu einer pass- lichen formel binden? Man häuft doch wenigstens in guter dichtung nicht ad libitum in solchen formein dinge zu- sammen die einander nichts angehn. Es ergibt sich aber sofort eine schöne und sinnvolle formel, wenn man bei dem wört- lichen sinn von isig stehn bleibt, und der ist 'beeist', wie schon Thorpe im giossar und Bugge, Tidskr. 8, G9 angemerkt und mit parallelen belegt haben. Die Situation ist einfach diese. Es ist Winterszeit, und darum liegt das schiff 'beeist' (und untätig, vgl. 1125 ff.) im hafen, aber zugleich 'harrend (der günstigeren Jahreszeit und) neuer ausfahrt', sc. mit dem lieben herren, den es so oft über die wogen getragen hat. Zur personification und anteilnahme des schiffes vgl. speciell v. 296 298.

LEIPZIG-GOHLIS, 1. aug. 1902. E. SIEVERS.

DnicU von Kbrhardt Karr;is, Halle a. S.

PF Beiträge zur Geschichte der

3003 deutschen Sprache und

B5 Literatur Bd. 27

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