'3l^ * 'r* *• ^ir^ *• ^«- "ps» *1ü* ^^g»" 'im ■■ " - IT- k~ %^ 1«P^

^ ;«-.

|iie^'%e 'iN^ir "^ >^ '^. ^^^ ^ ^" ^ ^' '

üT^^^-r^.iyiii %r^ %— 5«^ v--^ Ir^ **-- i

|r*^ IH- ^— %r-

.k- k: ^ -^ *■■

r- r->

IM. 'pii ,#p ^ ^i» JIM* >- ^1» >pif^^ „te. «iDt pr «r- »- .- .-

i*^n**v*-«rw^ "»iH?R^*rw-w'-'

-*^*^ ..^^*" ■^'ür, ^'^'^ w-«^^. "f^" ^ ^^ '*^

^Sm^ ^I^ ^^HU ^itfhB )teMi a^A 1^^ ""^^^ ^^^

r** *■:

^ p::^ «fei 10» ^a#< w. ''*^j3!I

* ^. ^'^'^ J^^ 'T: m 0m wm 'm m. m. tu ggM\

«:ä

■m^

wr*.

j*'li^»*«

^Ä.

>

ÜBER DAS WESEN DER UNIVERSITÄT

DREI AUFSÄTZE VON

JOH. GOTTL. FICHTE

FRIEDR. SCHLEIERMACHER

HENRIK STEFFENS

AUS DEN JAHREN

1807- 1809

o

MIT EINER EINLEITUNG ÜBER: „STAAT UND UNIVERSITÄT«'

HERAUSGEGEBEN VON

Eduard Spranger

NEUE AUSGABE

DER PHILOSOPHISCHEN BIBLIOTHEK BAND 120

VERLAG VON FELIX MEINER / LEIPZIG 1919

>r^'

Vorwort.

Gelegenheitsschriften sind es, die in diesem Bande zusammengefaßt sind, und eine festhche Gelegenheit hat zu ihrem Neudruck angeregt. Daß aber in ihnen tiefere Fragen von bleibender Bedeutung behandelt werden, möchte die Einleitung begründen und werden sie selbst kundtun. Der Geist, aus dem sie entstanden sind, ist noch heute lebendig wie am ersten Tag. Nicht ohne tiefe Dankbarkeit gegen diesen wissenschaftlichen Geist und die Männer, die ihn wachgehalten haben, bietet der Herausgeber der Jubilarin, die ihm selbst die ganze Bildung gab, diese Schriften von neuem dar.

Charlottenburg, den 15. Juli 1910.

Eduard Spranger.

Inhaltsverzeichnis.

Seite

Vorwort III

Einleitung VII

Abweichungen vom Text der Originalausgaben .... XLII J. G. Fichte, Deducirter Plan einer zu Berlin zu errichtenden

höhern Lehranstalt. 1807 1

Fr. D. E. Schleiermacher, Gelegentliche Gedanken über

Universitäten im deutschen Sinn. 1808 105

H.Steffens, Über die Idee der Universitäten. 1809 ... 205

Sach- und Namenregister 281

Einleitung.

Das hundertjährige Jubiläum der Universität Berhn, das in diesem Jahre begangen wird, veranlaßt in mannig- facher Hinsicht zum Rückblick auf ihre Entstehung und die Faktoren ihrer Entwicklung. Wenn diese Entwicklung auf allen ihren Stufen in der glänzendsten Weise verlief, so verdankt die Universität dies nicht nur ihrer Lage in der Hauptstadt eines Reiches, dessen Macht in den letzten hundert Jahren ungeahnt emporgeblüht ist, nicht nur dem Reichtum ihrer Mittel und der stolzen Schar von Lehrern, die sie an sich zog; sie verdankt dies mit anderen Worten nicht allein ihrer Individualität, sondern vor allem auch dem Prinzip, auf dem sie aufgebaut ist. Dies Prinzip aber ist kein anderes als die Idee der Wissenschaft in derjenigen Organisationsform, die sie sich im Zu- sammenhang des modernen Staatswesens schaffen mußte und konnte. Die Berliner Universität wurde in einer Stunde gegründet, die an großen Umwandlungen reich war. Daß sie damals, im lebendigen Fluß der Dinge, aus durch und durch modernem Geiste geboren wurde, gab ihr die überquellende Lebenskraft und machte sie zum Vor- bild selbst ihrer älteren Schwestern, die die alten Formen erst abstreifen und langsam in die neuen hineinwachsen mußten. Diesen Prozeß kann man in seiner vollen Be- deutung nur verstehen, wenn man in die geistige und literarische Arbeit hineinblickt, die der Entstehung selbst voranging. Es handelte sich damals nicht nur um den einzelnen pohtischen Akt, aus den Mitteln des nieder- geworfenen, verarmten preußischen Staates eine Stätte der geistigen Wiedergeburt zu schaffen, sondern auch um die grundsätzliche Frage, welche Gestalt die Universität unter den neuentstandenen Formen des staatlichen Lebens an- nehmen müßte, wie sich das innere Leben der Wissenschaft dem modernen Staatsleben eingliedern könnte. Ein Hilfs-

VIII Einleitung.

mittel zum Verständnis dieses Problems und zugleich eine historische Quelle sollen die im folgenden zusammen- gefaßten drei Schriften bieten, die wir der Jubilarin gleichsam als eine Erneuerung alter Patengeschenke darbringen. Mag auch jede dieser Abhandlungen zunächst das individuelle Werk eines höchst individuellen Geistes sein und aus der eigenartigen Lage ganz bestimmter örtlicher Verhältnisse hervorgegangen sein, so ist ihnen doch ein gemeinsamer Hintergrund eigen, dem ein bleibendes Interesse zukommt. Auf ihn sei hier einleitend hingewiesen, freihch ohne die Absicht, die historischen Einzelheiten zu erschöpfen.

Das wissenschafthche Leben stellt im Zusammenhang der modernen, stärker differenzierten Kultur ein eigenes Gebiet dar, dessen Gestaltung durch die inneren Zwecke der wissenschafthchen Arbeit bestimmt wird. Wenn sich also diese Seite der Kultur losgelöst von allen anderen Faktoren des Zusammenlebens entwickeln könnte, so würde sie gerade die Formen annehmen, die dem Zweck der wissenschafthchen Forschung und Tradition unmittelbar angemessen wären. Nun aber ist die Wissenschaft ebenso wie jedes andere Kultursystem in den sozialen und poli- tischen Gesamtkörper mit eingelagert. Daher empfängt die wissenschaftliche Gemeinschaft von diesen Faktoren aus Rückwirkungen, die ihre innere Struktur abändern und sie unter ein ihr ursprünglich fremdes Gesetz stellen. Diese Wechselwirkung verläuft in den verschiedensten Formen, die von der jeweiligen Gestaltung einerseits des Wissenschaftsbetriebes, anderseits der politisch-sozialen Ver- hältnisse abhängen. Um also die Stellung der Wissenschaft in einem Kulturganzen zu beurteilen, müssen wir immer von einer doppelten Fragestellung ausgehen, nämlich : 1. Wie wird die Idee der Wissenschaft gefaßt? und 2. Unter welchen politisch-sozialen Bedingungen steht das ihr nachstrebende wissenschaftliche Leben.?

Bei ihrer Entstehung im Mittelalter war die Universität die Lebensgemeinschaft derer, die sich der Wissenschaft widmeten. Aber diese Wissenschaft war nichts im freien Flusse Befindhches, sondern ein fester Bestand, der durch die Tradition der Kirche fixiert und durch ihre Autorität gesichert war. Die allgemeine Vorstufe der höheren Fakul- täten, die facultas artium, v.-ar also keineswegs freie

Einleitung. IX

Forscherin im Sinne der heutigen philosophischen Fakultät, sondern die Bewahrerin des allgemeinen wissenschaftlichen Rahmens : der aristotelisch-scholastischen Philosophie. Und wenn Staat und Kirche der Universität weitgehende Frei- heiten gaben, so waren es Freiheiten der Selbstverwaltung und der äußeren Formen, wie man sie hochangesehenen, aber nur durchaus unverdächtigen Korporationen erteilt.

Wie sehr aber diese Korporationen die Universalität, auf die sie schon damals etwa Anspruch machen konnten, von der Kirche zu Lehen trugen, beweist die Tatsache, daß nach der Reformation die protestantischen Universi- täten sofort dem territorialen Prinzip verfielen : Wie Staat und Kirche jetzt auf die engeren Kreise sich selbständig entfaltender Gebiete eingeschränkt werden, so auch die Universitäten. Konfessionelle und wirtschafthch-politische Gründe führen zum System der Universitätssperre. Damit verschwindet aber auch die wissenschaftliche Kraft der Universitäten. Ihr Erbe treten im 17. Jahrhundert die aus dem Geiste höfischen Lebens geborenen Akademien an. Diese bedeuten jedoch mehr die Vereinigung hervor- ragender wissenschaftlicher Persönlichkeiten, als die Orga- nisation des allgemeinen wissenschaftlichen Lebens, Lehrens und Strebens überhaupt.

Dabei trug die protestantische Universität noch ganz die mittelalterlichen Formen: der Altprotestantismus hatte zunächst die Autorität nur gewechselt, nicht ausgeschaltet. Dem entsprach die Überlieferung eines gegebenen Wissens- stoffes oder doch die Anknüpfung an einen gedruckten Leitfaden, der zum Gegenstande der Auslegung gemacht wurde. Ganz allmählich nur drang die Richtung auf Ver- selbständigung des Individuums und rationale Kritik durch, die doch eigentlich der lebendige Keim der Reformation gewesen war. Immer weiter breitet sich nun das Streben aus, das Leben dem Urteil der Vernunft zu unterwerfen und die vorgefundene Kultur an den Maßstäben wissen- schaftlicher Kritik zu messen. Aus dieser Bewegung ging als Korrelat der mathematischen Naturwissenschaft das natürliche System der Geisteswissenschaften hervor. Beide waren auf unbefangene Forschung gerichtet; beide mußten in konsequenter Verfolgung ihrer rationalen Selbst- gewißheit mit den überlieferten Autoritäten des Staates

X Einleitung.

oder der Kirche in Konflikt kommen. Es fragte sich, wie sich die aufgeklärte Monarchie mit dieser neu in ihrem Schöße aufkommenden Macht auseinandersetzen würde.

Die drei Möglichkeiten, die in dieser Hinsicht be- standen, lassen sich in der Tat sämtlich beobachten. Es kam vielfach zu einem feindseligen Zusammenstoß, wenn nämlich die Resultate der Wissenschaft den monarchischen und kirchhchen Geist bedrohten, in dem der Staat seine Machtgrundlage hatte. Ebenso oft aber gedieh auch ein friedliches Zusammengehen, insofern der Staat selbst von auf- klärerischen Tendenzen durchsetzt war und so in der Wissen- schaft nur sein theoretisches Spiegelbild, ja unter Umständen seine willkommene Rechtfertigung fand. Christian Wolff und Kant haben je nach dem Wechsel des politischen Windes beide Schicksale erfahren. Aber die Eintracht war in Gefahr, in einen faulen Frieden auszuarten, wenn darüber der innere Zweck der Wissenschaft vergessen wurde und sie zu einer Dienerin des Staates herabsank. Aufklärung mit Lehrfreiheit war ein Prinzip des Fortschrittes; Auf- klärung ohne Lehrfreiheit mußte zum Staatsutilitarismus führen. In der Tat mündete die Bewegung in diese Niederung aus. Die alten Universitäten, selbst Halle und Königsberg eingeschlossen, vermochten im Rahmen des despotischen Staates das neue Prinzip der Lehrfreiheit nicht durchzusetzen. Mit Neid sah man auf Göttingen, wo der ursprünglich territoriale Charakter der Universität bald durchbrochen worden war und ein internationaler Geist herrschte, der sich im politischen Liberahsmus und im Aufblühen der zweckentrückten humanen Studien äußerte*). Anfangs schien die Wolffische Philosophie der ungeheuren Entwicklung der philosophischen Fakultäten einen Rahmen bieten zu können. Aber sie war sehr bald zu einem neuen Gegenstand der Tradition herabgesunken; die Fähigkeit, die wissenschaftliche Forschung auf die Dauer zu befruchten, besaß sie nicht. Sie war mehr die enzyklopädische Voll- endung eines erarbeiteten Wissens, als die glückliche, intuitive Vorwegnahme von Resultaten, die erst die Zukunft im einzelnen erhärten sollte.

*) Vgl. A. Heubaum, Geschichte des deutschen Bildungs- wesens I, 244 ff.

Einleitung. XI

Je mehr nach dem kurzen Aufschwung im Anfang des 18. Jahrhunderts das eigentUche Leben der Wissenschaft erschlaffte, um so wilhger ordnete sich das, was übrig bUeb, den Tendenzen des Staates unter.. Von gewissen Kreisen der Aufklärung darf man sagen, daß sie die Wissen- schaft überhaupt als eine Veranstaltung des Staates für den Staat ansahen. Beherrschung des naheliegenden Lebens zum Zweck einer gesunden und praktischen Daseins- gestaltung erschien als das höchste Ziel: wenn sich im Staate das Wissen mit der Macht vereint, so wird er in der auswärtigen Konkurrenz die Oberhand behalten und nach innen hin soziale Wohlfahrt, Reichtum und Glück hervorrufen; derselbe vortreffliche Pragmatismus, den man uns auch heute wieder als ein Universalmittel anbietet. Von hier aus gesehen mußten natürlich die Universitäten mit ihrem Vielerlei von Interessen und Forschungsgebieten als veraltet erscheinen. Die Berufsschule, die sich für den Schulunterricht schon durchgesetzt hatte, begann sich auch auf den Hochschulunterricht auszudehnen. Man gründete Spezialanstalten für Ärzte, Landwirte, Techniker, Künstler usw. Hier brauchte man sich nicht durch einen schwerfälligen Ballast von historischen Notizen und wider- sprechenden Meinungen hindurchzuarbeiten, sondern man lernte, was man unmittelbar brauchen konnte und wie man es unmittelbar brauchen konnte.

Aber nicht nur wegen des Unterrichtsstoffes und seiner Gliederung erschienen die Universitäten nunmehr abgetan, sondern auch aus rein pädagogischen Gründen : der Philan- thropismus, dieses echte Aufklärungskind, wandte sich gegen die auf den Universitäten herrschende Methode. Die Herr- schaft des Kathedervortrags hielt Salzmann für einen Rest aus der Zeit, wo Bücher selten waren. Als Triumph der Unterrichtskunst ließ man jetzt nur das sokratische Ge- spräch gelten.

Diese feindseligen Stimmen haben am Ende des 18. Jahrhunderts durchaus das Übergewicht*). Sie be-

*) Zum folgenden vgl. A.IIcubaum, ,, Die Reformbestrebungen unter dem preußischen Minister J. v. Massow (1798—1807) auf dem Gebiete des höheren Bildungswesens". Mitteilungen der Ge- sellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte, Bd. 14 (1904), S. 187 ff.

XII Einleitung.

weisen mindestens, daß man den tatsächlichen Zustand der Universitäten als unzulänglich empfand, wenn auch das, was man an ihre Stelle setzen wollte, objektiv keine Verbesserung bedeutete. Schon Thomas Abbt hatte in den ,, Literaturbriefen" diesen Kampf eröffnet, und Michaelis hatte ihm mehr ausführlich als erfolgreich geantwortet. Besonders charakteristisch aber sind die Diskussionen der Berliner Mittwochsgesellschaft, die sich 1795 an einen Auf- satz des Predigers Gebhard über Aufhebung der Universi- täten anschlössen. Wenn von den Mitgliedern auch nur Biester dieser radikalen Forderung unbedingt beistimmte, so waren sich doch Teller, Nicolai und Wlömer, Göckingk, Svarez und Gedike darin einig, daß die innere und äußere Einrichtung der Universitäten umfassender Reformen be- dürfe. Was so in den führenden Kreisen der Aufklärung allgemeine Überzeugung war, erhob auch der preußische Minister des geistlichen Departements v. Massow zum Grundsatz seiner Amtsführung. Wiederholt richtete er an den König den Antrag auf Umbildung der Universitäten; ja im Grunde seiner Seele sah er in Spezialanstalten für Ärzte, Juristen und Theologen die eigentlich zweck- entsprechenden Hochschulen.

Wie sich vom Boden der Aufklärung aus eine Uni- versität im modernen Sinne, d. h. eine viele Spezialschulen umfassende allgemeine Lehranstalt ausgenommen hätte, zeigen die kurzen Andeutungen, die der von der Aufklärung hochgeschätzte „Philosoph für die Welt" J.J.Engel 1802 in seinen für Beyme bestimmten Bemerkungen über die Ein- richtung einer „allgemeinen Lehranstalt" in dem „schönen, industriösen, kunstreichen, veränderungsvollen Berlin" machte: der Gesichtspunkt der Technik, d.h. die Ver- einigung einer Fülle von großen praktischen Anstalten in der Hauptstadt steht im Vordergrunde; von einem inneren Mittelpunkte aber ist nicht die Rede*).

*) Es war dies die erste ernstliche Diskussion über die Frage einer Hochschule in Berlin, die also durch Beyme angeregt wurde. Max Lenz hat in einem Berliner Akademievortrag 1907 zuerst nachgewiesen, daß der bei Köpke abgedruckte Engeische Entwurf von 1802 in der Tat der einzige ist, der überhaupt existiert hat. Die Behauptung von Köpke, daß Engel schon früher (1799) einen anderen Entwurf eingereicht habe, beryht auf einem Irrtum. \'gl.

Einleitung. XIII

Besaßen nach alledem die Universitäten überhaupt noch eine Lebenskraft, die es sich zu bewahren lohnte, oder ist die Wiedererweckung der alten Form nur eine Wirkung des aufkommenden historischen Geistes mit seinen roman- tischen Neigungen? Gewiß hat auch dieser geschichtliche Geist mitgewirkt; dies beweisen schon die damals er- scheinenden historischen Schriften von Meiners und Baidinger über das Universitätswesen. Aber im Grunde war es doch etwas Neues, das sich aus den alten Formen entwickelte, und wer für die Universitäten eintrat, meinte mehr diesen werdenden Kern, als die alte Hülle; er fand im besten Falle die hergebrachte Organisation für ge- eignet, den neuen Inhalt zu tragen, wenn er auch überzeugt sein mußte, daß jener äußere Rahmen ursprünglich für einen ganz anderen Inhalt geschaffen worden war.

Jene Keime nun trugen schon am Ende des ablaufenden Jahrhunderts die Universitäten Halle, Jena und Göttingen in sich. Dort regte sich der freie Forschungsgeist, der die Wissenschaft als eine zusammenhängende, nur im forschenden Verein lösbare Aufgabe betrachtete. Und wenn ein Aus- länder für das Wesen und den Wert der deutschen Uni- versitäten eine Lanze brechen konnte, so muß man be- achten, daß es Göttingen war, was ihm als Muster vor- schwebte. Als diese Universität unter französische Re- gierung gekommen war, erfuhr sie infolge der unzuläng- lichen Mittel einen erheblichen Niedergang. In Paris und Kassel dachte man daran, durch Aufhebung mehrerer kleinerer Universitäten die Fonds der großen zu vermehren. In dieser Situation veranlaßte Joh. v. Müller den fran- zösischen Gelehrten Charles de Villers, der ein guter Kenner deutscher Wissenschaft und Literatur war, etwas zur Verteidigung der gefährdeten Anstalten zu schreiben. Aus diesem Anlaß ging die Schrift „Coup-d'oeil sur les universites et le mode d'instruction pubUque de l'Alle- magne protestante; en particulier du royaume de West- phalie" (Kassel 1808) hervor, die die Franzosen mit der Eigenart der deutschen Universitäten erst vertraut machen

Max Lenz, Geschichte der Universität Berlin 1,35. (Ich verdanke der Güte des Herrn Verfassers die Mitteilung des betr. Druck- bogens.) — Köpke, Die Gründung der Kgl. Friedrich -Wilhelms- Universität zu Berlin; das. 1860. S. 147 ff.

XIV Einleitung.

sollte*). In den Fakultäten sah Villers nicht wie die Aufklärer das Mittel eines zunftmäßigen Abschlusses, sondern einer innigen Verbindung der Wissenschaften, und er zog diese Organisation des Hochschulunterrichtes den Spezialschulen weit vor, die in Frankreich durch das Gesetz vom Jahre 10 (1802) zur Herrschaft ge- kommen waren : ,,A la rigueur, des ecoles speciales peuvent suffire, quand on n'a pour but que de former des sujets ■nationaux pour les differentes parties. Mais cette forme d'isolement des diverses sciences ne conviendrait pas ä un etablissement auquel on veut donner un tres grand relief scientifique, que l'on destine ä etre une haute-ecole pour l'Europe entiere, une ecole qui attire ä eile la jeu- nesse de tant de pays divers."

Was Villers hier lobt, ist doch noch das äußerliche Nebeneinander der Wissenschaften und der dadurch ge- gebene Vorteil für den Studierenden. Dieses Neben- einander war in Göttingen vorhanden; aber noch nicht das Ineinandergreifen der Wissenschaften: die organische Einheit. Die absterbende Wolffische Philosophie vermochte das trotz ihres enzyklopädischen Charakters nicht zu leisten. Auch Kants Philosophie war mehr Kritik als System. Erst wo die wesenhafte Einheit alles wissenschaftlichen Forschens ausgesprochen wurde, konnte auch die Form der Universität ihre höchste Rechtfertigung finden. Diese Idee des Wissens aber stellte erst die nachkantische Philosophie auf. Und zwar müssen wir uns klar machen, wie der neue Begriff der W^issenschaft auf zwei Grundsätzen ruhte: auf dem Grundsatz der freien Selbsttätigkeit und dem der organischen Einheit in allem wissenschaftlichen Tun, um dann zu erörtern, wie sich diese Richtung geistigen Lebens mit der neuen politisch-sozialen Organisation auseinander- setzte. —

1. Es ist merkwürdig, daß Kant, dessen Tendenz so energisch auf Wissenschaftlichkeit gerichtet war, doch nicht unmittelbar die Idee des Wissens geschaffen hat, aus der die Wiedergeburt der Universitäten hervorging. Kant blieb zu sehr Analytiker und DuaUst. Demgegenüber ist es nun

*) Vgl. Thimme, Die inneren Zustände des Kurfürstentums Hannover, Bd. II, S. 248 ff.

Einleitung. XV

Ficht es grundlegende Tat, auf einen Urakt des Geistes zurückgegangen zu sein, in dem Wissen und Handeln und entsprechend theoretische und moralische Überzeugung noch ungetrennt sind. Alle Gewißheit haftet an einem höchsten Punkte: dem Bewußtsein des Ich und den in ihm gesetzten grundlegenden geistigen Akten. Fichtes Wissen- schaftslehre ist demnach der Versuch, das Wissen in einem letzten Archimedischen Punkte zu verankern. Jede einzelne Wissenschaft empfängt ihre Garantie nur dadurch, daß sie auf dem Wege der Deduktion von diesem ursprünglichen Wissen und Setzen schlechthin abgeleitet werden kann. Aber Fichte denkt sich die Verzweigungen des Wissens nicht als einen ruhenden Bestand, sondern aJs etwas, das in der freien Explikation des Ich durch freie und doch notwendige Tathandlungen erzeugt wird. Jede Ausbreitung der Wissen- schaft ist also eine Eroberung, ja selbst jedes Lernen ein produktiver Akt, und aller Fortschritt hängt von diesem Fortschritt des handelnden und zugleich selbstbewußten Geistes ab. So konnte er schon 1794 in demselben Jahre, in dem die erste Wissenschaftslehre erschien im Gegen- satz zu Rousseau den Gelehrten als den eigentlichen Träger des Fortschritts hinstellen. Zweierlei also hat der moderne Wissenschaftsbegriff Fichte zu verdanken : die Zurückführung auf eine absolute Einheit und die Zurück- führung auf produktive Akte, d. h. also : auf die von Ewig- keit her im Geiste gesetzte Totalität und auf die ebenso ewige Fortschrittstendenz.

Aber zweierlei fehlte ihm andrerseits doch noch, um diesen Gedanken zu vollenden: einmal die Fähigkeit, auch die Natur dieser wissenschaftlichen Konstruktion zu unterwerfen, und ferner der grundlegende Begriff, der zwischen jener Einheit und jener Spaltung des Wissens nach der Vielheit der Erscheinungen vermittelte. Beides leistete Schelhng: er schuf eine Naturphilosophie, die tatsächlich die Natur aus ursprünghch unbewußten Akten des Geistes deutete, und er erweckte den platonisch- neuplatonischen Begriff der Idee zu neuem Leben, als einer Vermittlung zwischen der ewigen Unendhchkeit des Geistes an sich und ihrer zugleich individuahsierenden und doch typischen Brechung in den einzelnen Erscheinungen der Natur und Geschichte. Die Idee bedeutet das Endlich-

XVI Einleitung.

werden des Unendlichen, das Eintreten des göttlichen Lebens in die Formen der Erfahrungswelt, ein Schaffen und Bilden, das dem künstlerischen vergleichbar ist und das von der Wissenschaft nachgeschaffen wird. Diese Wissenschaft aber ist zugleich getragen von der Ahnungskraft einer begeisterten religiösen und ästhetischen Intuition.

Indem nun Schelling diese Momente mit den von Fichte übernommenen verband, wurde ihm die Wissen- schaft zu einem Organismus im Reiche des Idealen, den er dem realen Organismus der Welt als sein Spiegelbild gegenüberstellte, und die Universität oder Akademie be- deutete ihm das Realwerden dieser idealen Einheit. In seinen , .Vorlesungen über die Methode des akademischen Studium" spann er dieses Spiel mit Analogien so weit aus, wie es sich in seiner zum Architektonischen neigenden Phantasie gestaltete. Ja selbst die historisch gewordenen Fakultäten versuchte er noch als von Ewigkeit her ge- setzte Besonderungen des Wissens zu begreifen. Schon Schleiermacher hat in seiner Rezension über die Buch- ausgabe dieser Vorlesungen hiergegen Protest erhoben. Aber den Grundgedanken der modernen Universität hatte Schelling mit jenen Begriffen so überzeugend umschrieben, daß wohl unsere Schriften alle drei durch ihn be- einflußt sind.

Es ist schwer, ein Bild von der Begeisterung und Größe dieser Schrift zu geben, in der zum erstenmal der Gedanke ausgesprochen wird, daß sich in der Universität die Einheit des wissenschafthchen Strebens darstellt, wo- durch der einzelne schöpferisch das Leben der Ideen in sich erzeugt. Denn durch diese drei Momente ist der Geist bezeichnet, in dem die entscheidende Neugründung durch Humboldt, Schleiermacher und Fichte erfolgte. „Der besonderen Bildung zu einem einzelnen Fach, sagt Schelling, muß die Erkenntnis des organischen Ganzen der Wissen- schaften vorangehen. Derjenige, welcher sich einer be- stimmten ergibt, muß die Stelle, die sie in diesem Ganzen einnimmt, und den besonderen Geist, der sie beseelt, sowie die Art der Ausbildung kennen lernen, wodurch sie dem harmonischen Ganzen sich anschließt, die Art also auch, wie er selbst diese Wissenschaft zu nehmen hat, um sie

Einleitung. XVII

nicht als ein Sklav^e, sondern als ein Freier und im Geiste des Ganzen zu denken." Auf diesen Standpunkt aber gelangt nur, wer in der Vielheit der Dinge die ewige und göttliche Idee zu ahnen weiß. „Nur das schlechthin All- gemeine ist die Quelle der Ideen, und Ideen sind das Lebendige der Wissenschaft. Wer sein besonderes Lehr- fach nur als besonderes kennt und nicht fähig ist, weder das Allgemeine in ihm zu erkennen noch den Ausdruck einer universell-wissenschaftlichen Bildung in ihm nieder- zulegen, ist unwürdig, Lehrer und Bewahrer der Wissen- schaften zu sein." Diese Ideen endlich aber können nicht in passivem Lernen empfangen werden, sondern müssen in jedem selbsttätig neugeschaffen werden: ,,Alle Regeln, die man dem Studierenden vorschreiben könnte, fassen sich in der einen zusammen: Lerne nur, um selbst zu schaffen! Nur durch dieses göttliche Vermögen der Produktion ist man wahrer Mensch, ohne dasselbe nur eine leidlich klug eingerichtete Maschine. Wer nicht mit demselben höheren Antrieb, womit der Künstler aus einer rohen Masse das Bild seiner Seele und der eigenen Erfindung hervorruft, es zur vollkommenen Herausarbeitung des Bildes seiner Wissenschaft in allen Zügen und Teilen bis zur voll- kommenen Einheit mit dem Urbild gebracht hat, hat sie überhaupt nicht durchdrungen."

Man darf also sagen: Seit Schelling ist die Idee des Wissens gleichbedeutend mit dem Wissen von der Idee, d. h. von ihrer Einheit und ihren Verzweigungen. Diese Ideenlehre ergreift die übrigen Denker der Zeit mit so ungeheurer Schnelligkeit, daß sie nur als glückliche Ausdrucksformel für das, was längst in ihnen selbst lag, angesehen werden darf; aber zuerst ausgesprochen hat sie Schelling, und zwar unter der Wirkung Piatos, der Neuplatoniker und Schillers zugleich. Daher ist auch ihre Anwendung auf die Universitäten durch Fichte, Schleier- macher und Steffens nur eine individuelle Ausprägung von Gedanken, die Schelling zuerst angeregt hatte.

Und zwar verläuft nun dieser Gedanke bei allen diesen Denkern in der Form: Die Einheit der Universität ist gerechtfertigt durch die Einheit der Idee. Insofern das Wissen diese Idee abbildet, bildet es auch ihre wurzelhafte Einheit ab. Und sofern alles Wissen Erkenntnis des All-

Universitätsschriften Fichte, Schleiermacher, Steffens. B

XVIII Einleitung.

gemeinen im Besonderen ist, geht auch jede Wissenschaft vom Einzelnen zuletzt auf jene höchste Einheit des All- gemeinen zurück.

Wenn diese Ansicht aufs Konkrete angewandt wird, so folgt daraus die Verwerfung jedes bloß praktischen Fachstudiums und die überragende Stellung der philo- sophischen Fakultät. Auf ihr beruht die Einheit aller Wissenschaft, da sie durch keine Spezialtendenzen künftiger Berufe beeinflußt ist. Auf ihr beruht ebenso die fort- schreitende Spezialisierung des Wissens rein um der Forschung willen, also die produktive Erzeugung neuen Wissens, neuer Durchdringungen des Besonderen mit dem Allgemeinen. Wenn demnach der Plan einer Universität rein aus dem Wesen wissenschaftlicher Forschung entworfen würde, so würde in ihr die philosophische Fakultät an erster Stelle stehen und dem ganzen Betrieb das Gepräge aufdrücken. In der Tat wird man diesen Gedanken bei Fichte, Schleiermacher und Steffens, wenn auch in ver- schiedener Form, ausgesprochen finden. Fichte, der den Plan seiner ,, Kunstschule des wissenschaftlichen Verstandes- gebrauchs" ganz aus der Idee deduziert, weist dem Philosophen eine zentrale Stellung an und läßt auch im übrigen nicht die Inhaber einer ,, seltenen Wisserei", sondern nur die enzyklopädischen Lehrer als eigentliche Ordinarien gelten. Schleiermacher knüpft mehr ans Historische an, aber er läßt doch durchblicken, daß die bisherigen oberen Fakultäten eigentlich mehr Spezial- schulen seien, und daß der philosophische Geist die Uni- versität zusammenhalte. Steffens endUch folgt in kurzen Andeutungen dem Wege Schellings und leitet die vier Fakultäten aus charakteristischen Besonderungen der Idee ab.

Aber wir betonten, daß die neue Idee des Wissens, die wir hier nur in ihren prinzipiellen Umrissen wiedergeben konnten, nicht aus sich allein die ganze Organisationsform des wissenschaftlichen Lebens bestimmt, sondern daß hier- für die Gesamtlage der politischen und sozialen Verhält- nisse maßgebend wird.

2. Auch der Staat und seine Grundlagen in den ge- sellschaftlichen Verhältnissen erfuhr damals eine tiefgehende Umbildung. Bisher war die Staatsmacht durch eine Person

Einleitung. XIX

dargestellt worden, die eben deshalb Despot sein konnte, wenn sie auch aufgeklärter Despot war. Diesem Monarchen gegenüber standen als unterworfene und zum Frieden ge- brachte Mächte die alten Stände, denen, der Fürst im Laufe der Entwicklung eine bestimmte staatliche Leistung angewiesen hatte. Der Einzelne gehörte dem Staat an durch Vermittlung seines Standes, und seine Funktionen beschränkten sich auf das, was er in diesen Grenzen für den von einer obersten Stelle geleiteten Staat sein konnte. Wenn man unter einem ,, Bürger" einen Menschen ver- steht, der in all seinen Lebensverhältnissen unmittelbare Beziehungen zum Staat hat, so hatte es seit dem Altertum keinen Bürger mehr gegeben. Nun aber bereitet sich diese Ausdehnung des staatlichen Lebens auf alle seine Glieder durch die Lehre von der Volkssouveränität und das von Rousseau vollendete Naturrecht vor, und die Re- volution in Frankreich, die Stein-Hardenbergschen Re- formen in Preußen-Deutschland verwirklichen das langsam Gereifte. Dadurch bildet sich zunächst ein Gegensatz zwischen den Begriffen Nation und Staat. Die Nation er- scheint als der Träger alles freien bürgerlichen Lebens, der Staat als ein von außen mechanisch aufgelegter Zwang.

Das volle Leben, die allseitige Verwirklichung der ursprünglichen Menschenkräfte pulsiert nur in der Nation. Hier allein also kann auch jene Idee, die die Wissenschaft ergründen will und die vor aller Wissenschaft schon das Leben durchwirkt, Gestalt empfangen. Der Mechanismus des Staates hat keinen Teil an der Idee. Denn diese wirkt nicht mechanisch, sondern organisch, nicht durch Zwang, sondern durch Selbsttätigkeit, nicht durch Egoismus, sondern durch sittliche Autonomie. Davon waren Kant, Humboldt, Fichte und ihre Zeitgenossen schon überzeugt, ehe sie für ihr Lebensgefühl das Symbol der Idee fanden.

In dieser Übergangsepoche entsteht also eine Kluft zwischen dem ideal-sittlichen und dem real-staatlichen Leben. Erst allmählich dringt man dahin vor, auch den Staat als ein Werk schaffender Ideen, d. h. geistig- moralischer Energien, anzusehen. Gerade in diese Zwischen- zeit aber fällt nun die entscheidende Reflexion über die Stellung der Universität zum Staate. Wir müssen diese Problemlage in ihrer eigentümlichen Verwicklung erfassen.

XX Einleitung.

Solange der Staat nur äußere Macht ist, muß ihm die ideelle Macht der Wissenschaft als fremde Kon- kurrentin gegenüberstehen. Dieser Staat kann der Wissen- schaft nichts geben, man kann höchstens fordern, daß er sie nicht hindere, allenfalls hoffen, daß er Bedingungen für die ungehemmte Entfaltung der Wissenschaft setzen werde. Sobald aber der Staat von denselben sittlichen und idealen Kräften getragen wird, auf denen die Tendenz zur reinen Wahrheitsforschung beruht, sobald er das Werk der freien Selbsttätigkeit seiner Bürger in seine Macht- funktionen mitaufnimmt, kann er auch die Wissenschaft als eine dieser idealen Kräfte in sich aufnehmen.

Zwischen diesen Extremen oszilliert die Stellungnahme !der Verfasser unserer drei Schriften. Sie sind, wie Humboldt, Kinder des alten aufgeklärten Staates, für den die Wissenschaften ein Endliches, Gegebenes und ein Technisch-Nützliches waren, wie er denn seine Akademien mit Vorliebe als technische Deputationen benutzte. Sie wachsen mit den großen sozialen und politischen Um- wälzungen ihrer Zeit hinein in den neuen nationalen Staat, der ihnen selbst noch als etwas Unbestimmtes, W^erdendes vorschwebt. Und so beschäftigt sie die brennende Frage: Wird dieser Staat die Freiheit der Lehre und der Forschung in sich aufnehmen können?

Ohne Zweifel konnte er es in viel höherem Maße als der despotisch regierte Staat. Wenn eine Selbstverwaltung und eine Teilnahme des Bürgers an den Funktionen der politischen Macht möglich war, wenn jetzt eine freie Kon- kurrenz der wirtschaftUchcn Kräfte nach all den Bindungen durch Zölle und Zünfte ungefährlich erschien, weshalb nicht auch eine freie Regung des lebendigen Wahrheitstriebes ? Wenn jene Denker diese Frage nicht froh und zuversichtlich bejahten, so lag dies doch nicht nur an ihrer besonderen zeit- geschichtlichen Bedingtheit, sondern ihr Zögern hatte auch sein Fundament in der Sache: der Staat mag sich noch so tief mit dem freien sitthchen Wollen seiner Bürger der volonte generale durchdringen, so bleibt der Kern seines Wesens doch Macht; und dieses Macht- interesse wird immer wieder mit der unbekümmerten Fort- schrittstendenz der vorurteilslosen Wissenschaft zusammen- stoßen. Die Wissenschaft ist absolut liberal, der Staat

Einleitung. XXI

aber als feste Gestaltung historischer Lebensformen immer konservativ. Diese Antinomie läßt sich nicht verdecken und nicht beseitigen. Sie muß immer wieder zu Zusammen- stößen führen, die das in alten Staatsformen gesicherte Leben gefährden. Es kommt also darauf an, wenn man den Staat nicht ausschalten kann und will, das kom- possible Maximum von Lehr- und Forschungsfreiheit im Rahmen des Staates zu realisieren. Die Form, auf die dieser Lösungsversuch führen mußte, ist die moderne Uni- versität, als eine vom Parteileben und von politischen Machtinteressen so weit als irgend möglich entrückte freie Organisation. Jeder neue Konflikt aber beweist, daß hier nur ein labiles Gleichgewicht erzeugt ist, und daß die Gegenwirkung dieser heterogenen Kräfte selbst nicht auf- gehoben werden kann.

Das Problem also ist keiner restlosen Auflösung fähig; aber daß es zur rechten Zeit aufgeworfen wurde, rettete die Organisation des Lehrens und Lernens davor, den entscheidenden Augenblick zu versäumen. Die Reform der Universitäten, die sich in der energischsten Form, nämlich in der einer völligen Neuschöpfung vollzog, ist ein Stück der Stein-Hardenbergschen Reform. Sie ging von dem umfassenden Plan einer Gliederung des Bildungs- wesens aus, den W. v. Humboldt entworfen hatte und in einer erstaunlich kurzen Amtszeit zu realisieren wußte. Auch er hatte theoretisch ein Mißtrauen gegen den Staat und glaubte, daß es ohne ihn weit besser gehen würde. Aber die tatsächliche Macht der Verhältnisse zwang ihn, aus dem Staat zu machen, was er ihm nie zugetraut hätte, nämlich einen Erzieher zu den höchsten Idealen der Mensch- heit. Daher kam er nun in die ganze eben entwickelte Antinomie hinein: Einerseits schienen ihm Freiheit und Selbsttätigkeit das eigentliche Lebensprinzip der Wissen- schaft zu sein. Sie war für ihn etwas, das frei aus dem Innern stammt, das immer als etwas noch nicht ganz Ge- fundenes und nie ganz Aufzufindendes zu betrachten ist und doch der Idee nach eine organische Einheit bildet. Auf diese selbsttätige Erzeugung des Wissens kann der Staat nicht wirken. Was also ,,das Äußere des Verhält- nisses zum Staat und seine Tätigkeit dabei betrifft, so hat er nur zu sorgen für Reichtum (Stärke und

XXII Einleitung.

Mannigfaltigkeit) an geistiger Kraft durch die Wahl der zu versammelnden Männer und für Freiheit in ihrer Wirksamkeit". Anderseits aber sah er doch wieder das Interesse des Staates an den inneren Verhältnissen der Universität aufs höchste beteiligt. Daher wollte er dem Staat die Ernennung der Professoren vorbehalten, selbst auf die Gefahr hin, in den Fakultäten einen Antagonismus zu erzeugen, den er sogar als Freund individueller Mannig- faltigkeit auch in der Wissenschaft für heilsam hielt. Mochte er aber auch darin dem Staatsinteresse den Vor- rang geben, so sprach er doch die Freiheit der Forschung als höchstes Prinzip aus und erhob so zum ersten Male zum staatlich anerkannten Grundsatz, was lange schon in der inneren Entwicklung der Wissen Schaft bohrte und wühlte.

Wenn so der praktische Staatsmann in sich den Kampf zweier widerstrebender Tendenzen zeigte, so ist es be- greiflich, daß wir dieselbe tastende Unsicherheit in den rein literarischen Erörterungen unserer drei Denker wieder- finden. Aber sie trägt doch zugleich bei jedem dieser drei Männer einen individuellen Zug, der durch die Härte oder Weiche ihrer persönlichen Staatsauffassung hervorgerufen wird und von ihrer Eigentümlichkeit aus verstanden werden muß.

Schleiermacher stellt den Gegensatz am reinsten dar: Die Wissenschaft fällt zwar aus Gründen des Sprachunter- schiedes mit den Grenzen der Nation im allgemeinen zu- sammen, aber nicht mit denen des Staates. Das positive Interesse des Staates und das wahre Interesse der Wissen- schaft gehen vielmehr in der Regel auseinander (vgl. S. 164). Und auch Steffens läßt in seiner zweiten Vorlesung einen Vertreter dieser in seiner Zeit weit verbreiteten Ansicht auftreten und alle Gründe entwickeln, die sich für diesen Standpunkt beibringen lassen. Steffens selbst aber ist zu sehr ScheUingianer, um den Staat so von dem Leben der Ideen loszulösen. Für ihn ist vielmehr die Wissenschaft die höchste Form des staatlichen Selbstbewußtseins, der geistige Inhalt seines äußeren Organismus. Bei Steffens ist also der Standpunkt der politischen Romantik bereits zum Durchbruch gekommen: nur im Staate vollendet sich die Durchdringung der Freiheit (d. h. des Sittlichen) mit

Einleitung. XXIII

der Notwendigkeit (d. h. dem naturhaften Zwang und Kausal- zusammenhange). Ja für ihn fallen auch die religiösen Ideen ganz in die Funktioti des Staates, und der wahre Staat ist zugleich die wahre Kirche.

Ganz anders Fichte. Ihm liegt noch der revolutionäre Liberalismus der 90 er Jahre im Blute. Sein Naturrecht von 1796 ist ein weit radikaleres Buch als Humboldts staatsfeindhche Jugendschrift von 1792. Schon sein ,, Ge- schlossener Handelsstaat" vom Jahre 1800 aber bedeutet für das Gebiet der Wirtschaftsphilosophie ein ebenso radi- kales Umschlagen in den Staatsenthusiasmus. Es war Fichtes Schicksal, zwischen dieser dorischen Härte und jenem germanischen Freiheitsglauben hin- und her- zuschwanken. Schwer genug wurde es ihm, an die höhere sittliche Mission des Staates zu glauben. Aber was er seit 1806 schaudernd miterlebte, machte ihn zu einem An- hänger der strengsten Organisation. Als Redner vor der deutschen Nation forderte er die Staatserziehung. Auch seine höhere Lehranstalt in Berlin soll Staatsinstitut sein, durchaus ein Unternehmen des gemeinsamen Lebens, eine Organisation zugleich der Vernunftwissenschaft und der Vernunftkunst. Aber sie soll doch andrerseits ein Staat im Staate sein, von eigenen, aus dem Wesen der gemeinsamen wissenschaftlichen Aufgabe geborenen Formen, streng und antiindividualistisch bis ins letzte, preußisch bis auf die Uniform herab. Wer nicht einsieht, daß dieser Welt- bürger schließhch in seinem spekulativen Bemühen um den Staat nichts anderes errang, als ein Verständnis für den preußischen Geist, wird ihn immer . nur äußerlich und mechanisch deuten. Was Fichte ins Leben rufen wollte, wäre im Grunde doch eine preußische Universität geworden. Schleiermacher wollte eine deutsche; Steffens eine kirchlich-universale. Humboldt ließ den Baum über all diese Kreise hinauswachsen und schuf eine Kultur- universität überhaupt, soweit sie in den Grenzen einer Nation und eines Staates verwirklicht werden kann.

So entschieden aber diese ganze Literatur über die Uni- versitäten aus allgemeinen Zeitbedingungen und -problemen erwachsen ist, so ist doch in jeder dieser Schriften ein indi- vidueller Geist und zugleich eine besondere äußere Veran- lassung wirksam. Hierüber sei noch einiges hinzugefügt.

XXIV Einleitung.

Fichte war Universitätsreformer von der ersten Stunde seiner Wirksamkeit an; er war nicht nur spekulativer Philosoph, sondern auch Pädagog von Geburt, und das lebenweckende Feuer, das in seiner Brust glühte und in gewaltigen, zündenden Worten herausschlug, mußte von vornherein andere Formen des Lehrens erzeugen, als den alten gemächlichen Kathedervortrag. Fichte wolhe nicht darstellen und darbieten, er wollte überzeugen. Wie sein philosophisches System alles auf Tathandlungen des Geistes zurückführte, so bedeutete ihm auch das Kollegienhören nicht ein bloßes Zuhören, sondern einen Akt des Selbst von moralischer Bedeutung. Die subjektivierende Wen- dung, die Pestalozzi für das Gebiet der elementaren Pädagogik durchgeführt hatte, macht Fichte für das ganze Gebiet der Geistesbildung zum Prinzip: in den lebendigen Geist läßt sich nichts einfach hineinflößen, sondern es muß durch Selbsttätigkeit erzeugt, angeeignet und nach- gebildet werden. Wie unpädagogisch mußte von diesem Gesichtspunkt aus der bestehende Vorlesungsbetrieb er- scheinen! Wenn Fichte die alten Formen beibehielt, so machte er doch etwas Neues aus ihnen: seine Vorlesungen waren ein unablässiges Hineinbohren in den Hörer; nicht eigentlich ein Wechselgespräch, sondern ein Aufregen und Entflammen der geistigen Tätigkeit, bei dem man den Redner vergaß und von dem mächtigen Werden des Ge- dankens mithingerissen wurde. Noch heute fühlt man diese Macht, wenn man Fichtes Vorträge hest: sie verwandeln sich ungewollt in Rede, und die innere Unruhe der geistigen Mitarbeit läßt uns nicht los, bis wir ausruhend und zurück- blickend mit dem Redner das erarbeitete Resultat genießen. Fichtes Vorlesungen sind daher so wenig wie seine Wirk- lichkeit ein Sein: sie sind Leben und Werden, und was sie gewähren, ruht nicht auf der Kraft des kühl-logischen Beweises, sondern darauf, daß hier ein Lebensstandpunkt sich schöpferisch entfaltet und fühlbar danach ringt, seinen Gehalt bis in die letzten dunklen Tiefen auszusprechen, aufzuhellen, mitzuteilen.

Es lassen sich noch andere wirksame Formen des Kathedervortrages denken: diesen Typus aber hat Fichte mit nie erreichter Genialität beherrscht. Wiederholt hat er Gelegenheit gehabt und genommen, das darin liegende

Einleitung. XXV

pädagogisch-didaktische Prinzip in der Absicht einer all- gemeinen Universitätsreform zu entwickeln. Die hier mit- geteilte Schrift ist eigentUch nur die letzte Ausgestaltung von Gedanken, die ihn zeit seines Lebens bewegten. Seine Vorlesungen „Über die Bestimmung des Gelehrten" von 1794 haben wir schon erwähnt; als er dann nach mannig- fachen Kämpfen, die im Grunde alle aus dem tiefen Ernst und der eisernen Unbeugsamkeit seiner Lehrerpersönlich- keit erwuchsen, 1805 in Erlangen eine neue Stätte der Wirksamkeit fand, wollte er gleichsam von Grund aus neu bauen. Das lebhafte Interesse, das Hardenberg und Alten- stein im Zusammenhang ihrer mustergültigen Verwaltungs- maximen auch der fränkischen Universität zuwandten, gab ihm ein Recht zu der Hoffnung, daß man auf seine Ideen eingehen würde. So schrieb er im Winter 1805/0Ö ,, Ideen für die innere Organisation der Universität Erlangen", die er im darauffolgenden Sommer mit einigen Zusätzen und Veränderungen versah und Hardenberg einreichte*). Dieser übergab sie Altenstein zur Beurteilung, der schon von Berhn her zu Fichtes überzeugten Anhängern und Schülern gehörte und nun zu dem Reformplan ein Gutachten schrieb, das mit schwerfälligen und weitschweifigen Worten alles besah und fand, daß es gut war**).

Die grundlegenden pädagogischen Gedanken des Ber- liner Universitätsplanes sind in diesen für Erlangen be- stimmten Niederschriften schon vorgebildet. Sie gipfeln in der Forderung einer dialogischen Lehrmethode; in der Form des sokratischen Gesprächs soll das Wissen über- mittelt und befestigt, in der gleichen Form beim Examen

*) Näheres bei W. Germann, „Altenstein, Fichte und die Universität Erlangen". Erlangen 1889. Max Lenz hat zuerst bemerkt, daß die (nicht eigenhändige) Handschrift der „Ideen" in dem Aktenkonvolut G. St. A. Hardenbergs Nachlaß K. 30 nicht mit dem Druck in Fichtes „Nachgelassenen Werken", Bd. 3, S. 277 ff. übereinstimmt, daß hier also die veränderte Redaktion vorliegt, die Germann S. 42 vermißt, weil er versäumt hat, Druck und Manuskript zu vergleichen.

**) Diese Ideen Fichtes bestimmten denn auch Altensteins Stellung zur Universitätsreform in der wichtigen Denkschrift über die Reorganisation des preußischen Staates vom Sommer 18U7. Vgl. m. Aufsatz: „Altensteins Denkschrift von 1807 und ihre Be- ziehungen zur Philosophie", Forschungen zur brdbg.-preußischen Geschichte, Bd. XVIII.

XXVI Einleitung.

die tatsächliche Erreichung des Lehrziels konstatiert werden. Durch schriftliche Ausarbeitungen soll der Studierende be- weisen, daß das zu Lernende sein wirkliches Eigentum geworden ist. Die gleiche produktive Betätigung aber wird auch von dem Lehrer gefordert, und eine Rechenschaft über diese Leistungen der Universität sollen die Jahr- bücher geben, deren Idee Fichte schon 1805 in seinem ,,Plan zu einem periodischen schriftstellerischen Werke an einer deutschen Universität" entwickelt hatte*). Es war nur die konsequente Krönung für dieses System der Wissensproduktion, wenn Fichte die akademische Freizügig- keit forderte, die 1810 auf Humboldts Antrag und nach dem Vorbilde des Königreichs Westfalen tatsächlich ein- geführt wurde : der Sieg der freien Konkurrenz in der Wissenschaft über den Merkantilismus, und zugleich der Sieg der allgemeinen Wissenschaftsidee über das terri- toriale Universitätsprinzip**).

Gewiß liegt in diesen Ideen viel Richtiges und Be- herzigenswertes. Das Überwiegen der Vorlesung über die selbsttätige Übung, das Überwiegen des passiven Auf- nehmens über den lebendigen wissenschaftlichen Verkehr zwischen Lehrer und Schüler ist und bleibt ein pädago- gischer Mangel des Universitätswesens, der nur dadurch gemildert wird, daß gelegentlich der Kathedervortrag wie Schleiermacher sagt in meisterhafter Form gehand- habt wird und dadurch ein Leben und Schaffen in ihn hineinkommt, das in der bloßen Form des Dozierens an sich nicht liegt. Aber die Formen, in denen Fichte nun den , .wissenschaftlichen Verstandesgebrauch" organisieren will, tragen schon hier den schwerfälligen und unfreien Charakter an sich, der in dem Berliner Universitätsplan noch befremdender wirkt. Dieses Uniformieren und Re- gulieren ist in Wahrheit nicht die Luft, in der der wissen- schaftliche Geist gedeihen kann. Fichtes Glaube, daß alle Individualität schließlich zur Einheit und Gleichförmigkeit zusammenschmelzen müsse, greift hier störend in seine lebendige Auffassung vom Wesen der Wissenschaft ein. Mag auch die Wahrheit nur eine sein: der Weg zu ihr muß

*) W.W. VIII, 207 ff. *') Vgl. \V. V. Humboldt, W.W. X, 237.

Einleitung. XXVII

individuell sein, und man kann der freien Regung der Kräfte keinerlei Fesseln anlegen, wären es auch nur die äußerer Formen und Zeremonien.

Man wird überhaupt diesen Universitätsplänen Fichtes nicht gerecht, wenn man nicht die begeisternde und be- geisterte Voraussetzung hinzudenkt, von der sie getragen sind. Das Wissen, das in so seltsamen Organisationen gewonnen werden soll, ist nichts anderes als ein Stück göttlichen Lebens : die Gottheit gefaßt in ihrer erscheinenden Darstellung. Alles Wissen ist ein Beseligtwerden von der Idee, oder besser: ein Aussprechen dieses höheren Lebens, das die dem Menschen innewohnende göttliche Idee ver- leiht, wenn sie ins Bewußtsein tritt. Nirgends hat Fichte diese tiefste Bestimmtheit des Gelehrten begeisterter und herrlicher ausgesprochen, als in den Vorlesungen ,,Über das Wesen des Gelehrten und seine Erscheinungen im Reiche der Freiheit", die er im Sommer 1805 in Erlangen hielt. Der Gelehrte ist ihm derjenige, ,, welcher durch die gelehrte Bildung des Zeitalters hindurch zur Erkenntnis der Ideen gekommen". Diese Idee aber ist nichts Er- klügeltes und logisch Bewiesenes, sie ist eine Form des Lebens selber, und zwar eine höhere, vom Ewigen und Göttlichen durchströmte Form : „Die ursprüngliche gött- liche Idee von einem bestimmten Standpunkte in der Zeit läßt größtenteils sich nicht eher angeben, als bis der von Gott begeisterte Mensch kommt und sie ausführt. Was der göttliche Mensch tut, das ist göttlich. Im allgemeinen ist die ursprünglich und rein göttliche Idee das, was der unmittelbar von Gott Begeisterte soll und wirklich tut für die Welt der Erscheinung schöpferisch, hervor- bringend das Neue Unerhörte und vorher nie Da- gewesene. Der Trieb des bloßen natürlichen Daseins geht auf das Beharren beim Alten; selbst wo die göttliche Idee sich mit ihm vereinigt auf die Aufrechterhaltung des bisherigen guten Zustandes, und höchstens auf kleine Ver- besserungen desselben. Wo aber die göttliche Idee rein und ohne Beimischung des natürlichen Antriebes ein Leben gewinnt, da baut sie neue Welten auf, auf den Trümmern der alten. Alles Neue, Große und Schöne, was von An- beginn der Welt an in die Welt gekommen und was noch bis an ihr Ende in sie kommen wird, ist in sie gekommen

XXVIII Einleitung.

und wird in sie kommen durch die göttliche Idee, die in einzehien Auserwählten teilweise sich ausdrückt." Noch heute wird, wer an einen tiefen und notwendigen Zusammen- hang zwischen Wissenschaft und Leben glaubt, den Sinn dieses Zusammenhanges und seinen schöpferischen Cha- rakter, der weit über allen amerikanischen Pragmatismus hinausgeht, nicht tiefer aussprechen können, als es hier geschehen ist.

Fichtes Bemühungen um Erlangen fielen in eine Zeit, in der die Verbindung zwischen Preußen und den fränkischen P'ürstentümern schon ernstlich bedroht war. Der Herbst des Jahres vernichtete alle Hoffnungen und wirkte auch auf Fichtes eisernen Sinn mit erschütternder Gewalt. Wie aber damals die Festungen Graudenz und Kolberg stand- hielten, so war es auch nicht die Absicht der Universitäten, sich zu ergeben. Halle fühlte sich im tiefsten Grunde preußisch. F. A. Wolf, Schleiermacher, Schmalz gingen nach Berlin und wahrten dort die alte Tradition. Es ist nicht ohne Bedeutung, daß diese Abzweigung der alten Universität den Grundstock der Neugründung bildete: der nationale Gedanke, freilich in der weitherzigsten Form, wurde ihr somit in die V/iege gelegt. Das war es, was auch der König aufgriff, als Schmalz mit Froriep im Sommer 1807 bei ihm die Verlegung der Universität Halle nach Berlin beantragte: durch die neue Universität sollte der Staat auf geistigem Gebiet wiedergewinnen, was er auf physischem verloren hatte. Der Glaube an die Kraft geistiger Mächte gibt jener Zeit ihre herrliche Größe. Der Kabinettsrat Beyme, der schon 1802 mit Engel den gleichen Gedanken vorberaten hatte, erhielt den Auftrag, ihm nun ernstlich näherzutreten. Er haßte, wie die Mehrzahl seiner Zeit- genossen, jeden akademischen Zunftzwang und nahm sich im stillen die Universität Göttingen zum Vorbild. Bei ihm wurde nun eine Fülle von Denkschriften ein- gereicht: Wolf, Schmalz, Hufeland, Schütz, Reil, Loder, Froriep, Nolte sie alle gaben ihr Urteil ab und schlugen zum Teil Formen vor, die von der alten Universität weit abwichen*). Auch Fichte wurde von Beyme (5. XI. 1807)

*) Den Verlauf dieser Angelegenheit findet man dargestellt bei Köpke; (das Verzeichnis der Denkschriften S. 44). Wesentliche Berichtigungen dazu wird die neue Universitätsgeschichte von

Einleitung. XXIX

zu einem Gutachten aufgefordert. Von der Erlaubnis, sich an die hergebrachten Formen nicht zu binden, hat er reich- Hchen Gebrauch gemacht. Am 29. September und 3. Oktober reichte er seinen ,, Deduzierten «Plan einer zu Berlin zu errichtenden höhern Lehranstalt" ein, das seltsame Werk einer unbeugsamen spekulativen Vernunft, aber doch durchströmt von dem neuen Geiste der Wissenschaft. Es ist das Werk desselben Mannes, der wenige Wochen darauf die ,, Reden an die deutsche Nation" begann, in denen dieselbe Härte sich mit dem gleichen feurigen Idealismus vereint. Er wollte, daß er nie als Verfasser des Universitäts- planes genannt würde; als wenn es möglich gewesen wäre, in einer einzigen Zeile Fichte zu verkennen!*)

Es war doch ein tiefer Gegensatz zwischen Fichte und den Hallensern. Besonders gegen Wolf richtete sich die Abneigung des Philosophen, und wiederholt warnte dieser den Kabinettsrat Beyme, der zu den Anhängern seiner Philosophie gehörte, vor den übermodernen Vorschlägen des Philologen. Im Grunde blieben all diese Schriftstücke ohne tiefere Wirkung. Beyme legte, nachdem der Freiherr v. Stein ihn gestürzt hatte, auch diese Funktionen nieder. Seine Akten gingen später in Humboldts Hand über, und damit auch der ,, Deduzierte Plan", Es ist durchaus wahr- scheinlich, daß Humboldt all diese Gutachten gelesen hat; aber er war zu sehr überzeugt von der selbstverständlichen Kraft des bedeutenden individuellen Geistes, um andere Organisationsformen zu suchen, als solche, in denen dieser sich mit möglichster Freiheit entfalten könnte. So mag denn der ,, Deduzierte Plan" auf den Staatsmann als Aus- druck einer Wissenschaftsauffassung gewirkt haben, deren Größe ihm seit seinem Pariser Aufenthalt einen tiefen Ein- druck gemacht hatte; als organisatorischen Versuch aber hat er ihn ignoriert, wohl schon deshalb, weil er fühlte,

M. Lenz bringen; wer die Einzelheiten der Vorgeschichte kennen lernen -will, wird nur dort gesicherten, auf neuem Quellenstudium ruhenden Aufschluß finden.

*) Einzelheiten hierüber s. außer bei Köpke S. 46ff. in der von Fichtes Sohn verfaßten Biographie: J. H. Fichte, J. G. Fichtes Leben und literarischer Briefwechsel, 2. Aufl. Leipzig 1862. Bd. L S. 406 ff. Daselbst Bd. H , S. 491 ff. Fichtes Briefwechsel mit Beyme. Vgl. A. Riehl, Fichtes Universitätsplan, Berliner Kaiser- geburtstagsrede 1910.

XXX Einleitung.

daß dieser Inhalt diese Form notwendig sprengen müßte: man kann den gottbegeisterten Sinn und das Genie nirgends in Uniformen schnüren, auch nicht in die preußische. Der Anteil, der Fichte an der eigentlichen Universitäts- gründung gewährt wurde, war somit sehr gering*). Um so mehr aber dachte Humboldt ihn an seinem wahren Platze, auf dem Katheder, zur Wirksamkeit gelangen zu lassen. Wir sahen, daß die neue Universität in philosophischem Geiste gegründet wurde: Fichte war es, der diesen Geist an erster Stelle vertrat, wenn auch neben ihm der Theolog Schleier- macher eine andere Richtung der Spekulation pflegte. Fichte war der erste gewählte Rektor, und er bewies in dieser Stellung, daß die alte Jenaer Hartköpfigkeit, in der sich Charakterstärke mit Unduldsamkeit verbanden, noch nicht von ihm gewichen war **). Vielleicht war es mit als eine posthume Rechtfertigung seines Verhaltens gedacht, wenn im Jahre 1817 dennoch der Universitäts- plan veröffentlicht wurde, nunmehr ein historisches Dokument für den Geist einer Zeit, die doch schon im Versinken war.

Schon um die Jahrhundertwende hatte der Gedanke einer Universitätsgründung in Berlin begonnen, auch das Publikum zu beschäftigen, und neben den erwähnten Denk- schriften lief eine umfassende Literatur einher. Die Frage, die dabei hauptsächlich in den Vordergrund trat, war die, ob die Universität lieber an einem kleinen Orte etwa Potsdam als in Berlin errichtet werden sollte***). Wenn

*) Fichtes Sohn berichtet a. a. O. I, S. 415, daß sein Vater in den Tagen vom 9. bis 14. April in Humboldts Hause eine Reihe von Vorträgen über die Errichtung der neuen Universität gehalten habe, welchen auch Nicolovius, Uhden und Schleiermacher beigewohnt hätten. Dies ist unmöglich; denn vom 8. bis 13. April 1809 befand sich Humboldt auf der Reise von Berlin nach Königsberg; es kann sich also höchstens um das Jahr 1810 handeln, in dem die Frage überhaupt erst zur näheren Verhandlung kam. Sachlich nicht unwahrscheinlich ist der weitere Bericht des jüngeren Fichte: „Humboldt lehnte jedes nähere Eingehen ab mit den Worten: »Man beruft eben tüchtige Männer und läßt das Ganze allmählich sich ankandieren«". Vgl. Köpke S. 75.

**) Die Dokumente hierfür im 2. Bande der Biographie S. 102 ff.

***) Ein chronologisches Verzeichnis der allgemeinen Literatur über Universitäten seit 1798 s. bei Köpke a. a. O. S. 139 f. Eine

Einleitung. XXXI

sich eine Fülle von Stimmen für das erstere erhob, so melden sich darin Vorboten der Reaktionszeit. Schon unter Friedrich Wilhelm IL hatte die Beaufsichtigung der Stu- denten in Halle begonnen; seitdem hörten ,sie nicht auf, politisch verdächtig zu sein. Aus diesen Gründen und auch im Interesse der akademischen Moral wollten viele die neue Hochschule an einen weniger bedenklichen Ort als Berlin verlegen, wie man später die Lehrerseminare in Wüsteneien verpflanzte. Daß sich damit der idealistische Grundgedanke einer nationalen Universität, die zugleich den Zwecken politisch-geistiger Machtentfaltung diente und die Kräfte der Ideen dem Staate eingliederte, nicht ver- einen ließ, ist von vornherein klar. Wer also die Sache von diesem höheren Standpunkte ansah, konnte unmöglich für einen anderen Ort als Berlin stimmen, und wenn Altenstein anderer Ansicht war, so kam ihm seine innere Inkonsequenz nur nicht zum Bewußtsein.

In dieser ganzen Literatur können eine bleibende Be- deutung nur Schleiermachers ,, Gelegentliche Gedanken über Universitäten im deutschen Sinn" beanspruchen. Auch Schleiermacher war Pädagog von Neigung*). Schon 1804 hatte er Veranlassung gehabt, in der Jenaer Literatur- zeitung zu Schellings ,, Vorlesungen über die Methode des akademischen Studium" Stellung zu nehmen, und im gleichen Jahre hatte er in der Rezension von Zöllners ,, Ideen über Nationalerziehung" gezeigt, wie sehr er von der Rich- tung der Aufklärungspädagogik abwich. Für ihn war die Nation bereits jene Verbindung von Staatsbürgertum und reinem Menschentum, die wir oben charakterisiert haben, nicht mehr ein Aggregat von Ständen, von denen jeder einzelne seinen besonderen Bildungsweg zur nationalen Leistungsfähigkeit suchen müßte. In dem gleichen Sinne faßte er nun auch in seiner Schrift von 1808 die nationale

Anzahl dieser Schriften, nämlich die von Schleiermacher, Villers, Tittmann, (Wachler), Eggers, wurden in der Jenaischen Allge- meinen Literaturzeitung von 1809, Nr. 115/7 rezensiert. Wir er- wähnen dies, weil Humboldt von dieser Rezension mit Interesse Kenntnis nahm.

*) Vgl. den Artikel ,, Schleiermacher" von A. Heubaum in Reins Enzyklopädischem Handbuch der Pädagogik, Bd. 7, S. 675 ff.

XXXI I Einleitung.

Funktion der Universität auf*). Wenn auch er ursprüng- lich gegen Berhn gewesen war, so mußte er von diesem Gesichtspunkte aus seine Ansicht ändern; dazu kam noch die praktische Erwägung, daß hier bereits zahheiche wissenschafthche Institute und Hilfsmittel vorhanden wären, aus denen die neue Anstalt gleichsam von selbst erwachsen könnte; auch wies er auf die Möglichkeit einer Verbindung mit der Akademie hin, die ja der König in seiner Kabinetts- ordre vom 4. IX. 1807 von vornherein in Aussicht genommen hatte. Im übrigen wußte er den hergebrachten Universitäts- formen, die ihm in Halle, der ,, Krone der deutschen Universitäten", liebgeworden waren, durchgängig einen guten Sinn abzugewinnen; und mit Recht, insofern er ihre Freiheit und Dehnbarkeit überall in den Vordergrund stellte : nur von der freiesten Regsamkeit erhoffte er ein gesundes Gedeihen der wissenschaftlichen und moralischen Kräfte. Die Erinnerung an den eigenen langen Weg der Selbst- befreiung, den er von Herrnhut bis in die Kreise der Ro- mantik zurückgelegt hatte, und der ihn zu dem univer- salen, wahrhaft gebildeten Geiste gemacht hatte, der er war, mag ihn bei diesen Vorschlägen erfüllt haben. Frei- lich konnte er damit kein Auseinanderfallen der Universität in zusammenhangslose Stücke beabsichtigen : ihre Ein- heit sollte organisch sein, d. h. dem freien Wachstum aller Teile Raum lassen, diese aber doch zu einem System von einheitlichem Lebensprinzip zusammenfassen. Mit diesen Gedanken kam Schleiermachcr den eigenen Ideen Hum- boldts am nächsten; dieser wählte ihn im Sommer 1810 in die engere Kommission für die Einrichtung der Uni- versität, und so konnte Schleiermacher auch unmittelbar praktisch für die Verwirklichung der gemäßigten Gedanken tätig sein, die er in seiner Schrift vertreten hatte**). Man darf daher von dieser sagen, daß sie die ideellen Statuten

*) Ende des Jahres 1807 war die Gründung der Universität wieder zweifelhaft geworden; da wandte sich Schleiermacher zuerst brieflich an den Oberschulrat Nolte, dann auch an die Öffentlichkeit, um die höchste Eile gegenüber den „Lockungen der Westfälinger und den Werbungen der Russen" anzuraten.

**) Er gab sein Gutachten über die Einrichtung der theo- logischen Fakultät und über den akademischen Gottesdienst ab; ferner beteiligte er sich an dem Entwurf der Universitätsstatuten.

Einleitung. XXXIII

der Universität Berlin enthalte und den Geist am nächsten ausspreche, aus dem diese hervorgegangen ist.

Ein Jahr später erschien im gleichen Verlage und über ein nahe verwandtes Thema eine Schrift, die^ der Schleier- macherschen durch die Person des Verfassers sehr nahe steht und schon im Vorwort auf die „Gelegentlichen Ge- danken" bezug nimmt. Es ist damit eine Verwandtschaft zwischen beiden Schriften gegeben, die durch die starke individuelle Differenz nicht völlig verwischt werden kann. Steffens redet in seinen Vorlesungen als spekulativer Philo- soph, ja geradezu als Naturphilosoph ; Schleiermacher ver- wahrt sich von vornherein dagegen, als wolle sich seine kleine Gelegenheitsschrift auch nur wissenschaftlich gebärden. Vielleicht aber wären, wenn auch Schleiermacher sein Thema im strengen Stil und in der philosophischen Fachsprache behandelt hätte, beide Schriften einander sehr ähnlich ge- worden. Denn auch er ließ der Spekulation Gerechtigkeit widerfahren, freilich nur, wo sie in gehöriger Verbindung mit dem realen Wissen auftrat. Beide Denker hatten von 1804 1807 als Amtsgenossen an der Universität Halle eine innige geistige Gemeinschaft geführt. Erst hier hatte Schleiermachers aus den unmittelbaren Lebensproblemen geborenes Denken eine spekulativ-systematische Wendung genommen. Auch seine Entwicklung kam nunmehr, wohl unter steter Anregung durch Steffens, tief unter den Ein- fluß von Schelling. Die beiden Seiten, in die das Absolute sich nach dessen Philosophie auseinandersetzte, teilten Steffens und Schleiermacher gleichsam imter sich : Steffens eignete sich die Seite der Natur an; Schleiermachers Heimat war die Welt der Geschichte, d. h. die sittliche Welt. Wie aber diese beiden Erscheinungsformen des Absoluten für den höchsten Standpunkt jener Philosophie zuletzt iden- tisch waren, so schien auch beiden Freunden ihre Arbeit als ein Werk an gleichen Problemen. In der Einleitung' zu seinen ,, Grundzügen der philosophischen Naturwissen- schaft" (Berlin 1806) feierte Steffens den Freund als den einen, dem es gelimgen sei, die Formen des Mensch- lichen in reiner Eigentümlichkeit zu fassen imd an jedem Punkte des geschichtlich-bewußten Daseins die innere Ge- stalt und ihre Einheit mit sich selbst und dem Ganzen rein zu erfassen.

Universitätsschriften Fichte, Schleiermacher, Steffens. C

XXXIV Einleitung.

Die Kriegsereignisse störten dieses Zusammenleben jäh, wenn auch die Gemüter einander nahe blieben. Schleier- macher ging nach Berlin, Steffens blieb in Halle zurück. Aber die Zeit einer größeren Wirksamkeit kehrte unter der westfälischen Regierung für ihn nicht wieder. Fesselnd und farbenreich hat uns Steffens diese Jahre der Unruhe und Not in seiner Selbstbiographie „Was ich erlebte" ge- schildert. Wenn seine Darstellung auch keineswegs als einwandfreie geschichtliche Quelle angesehen werden darf, das eine daran ist doch echt: der große Patriotismus, dessen Glut durch das Pathos einer idealistischen Philo- sophie noch genährt wurde. Nun begann in Berlin der Plan einer neuen, nicht nur preußischen, sondern deutschen Universität sich zu regen. Die alten Hallenser Freunde waren seine ersten Träger; mancher zurückgebliebene Kollege wurde unter denen genannt, die man an die neue Hochschule zu ziehen begehrte, so vor allem der mit Steffens befreundete, von der neuen Naturphilosophie er- füllte hervorragende Mediziner Reil. Auch in Steffens mußten sich Hoffnungen regen: „Daß ich den heißesten Wunsch hatte, nach Berlin versetzt zu werden, versteht sich wohl von selbst; auch glaubte ich auf eine solche Anstellung hoffen zu können. Ich betrachtete mich wie auf einen gefährlichen Vorposten gestellt und glaubte er- warten zu dürfen, daß man mich abrufen würde"*). Schon 1807 bemühte er sich um eine Berufung nach Berlin. Er glaubte jedoch Grund zu dem Verdacht zu haben, daß Fichte diesem Bestreben entgegenwirke, und schrieb ihm einen gereizten Brief, der mit den Worten schloß : „An Preußen habe ich Forderungen, die man respektieren sollte, und man soll sich die Mühe nehmen, mich förmlich abzudanken." Fichte wies den Verdacht zurück, ließ aber seine Antipathie deutlich genug hindurchblicken**). 1809 lebten mit dem

*) Was ich erlebte, V, 144. **) J. H. Fichte, J. G. Fichtes Leben und Briefwechsel,

2. Aufl. II, S. 486 ff. Köpke S. 79f.; daselbst weitere Quellen. In Wirklichkeit stand Steffens damals schon als einer der ersten auf der Liste. F. A. Wolf nimmt in seiner Denkschrift vom

3. VIII. 1807 bei der Verteilung der Vorlesungen auf ihn Rück- sicht (Köpke S. 178), und Schleiermacher fordert bereits in seinem zweiten Schreiben an Nolte vom 3. Januar 1808 seine Beruf uns:.

Eirxieitung. XXXV

Plan der Universitätsgründung auch Steffens' Hoffnungen von neuem auf; auch diesmal vergeblich. Steffens selbst führte diesen Mißerfolg hauptsächlich auf die Angriffe der empirischen Naturforscher zurück, denen sich übrigens auch Goethe damals anschloß. An den entscheidenden, leitenden Stellen war man ihm in der Tat sehr wohlgesinnt : seine Be- rufung hat während der ganzen Zeit ununterbrochen ge- schwebt, wie er selbst zugibt. Er wußte, daß Schleier- macher seinen Einfluß für ihn geltend machte; auch F. A. Wolf scheint für ihn gewirkt zu haben, und selbst Hum- boldt, gegen den Steffens später ein leises Mißtrauen durch- blicken läßt, war anfangs für ihn eingenommen. Denn am 14. Juli 1809 schrieb er an Wolf: ,, Steffens müssen wir, falls Berlin noch Universität wird, auf jeden Fall haben" *). Auf seiner Urlaubsreise im Winter 1809/10 kam Humboldt nach Halle; sein Hauptaugenmerk war wohl auf Reil gerichtet. Aber in dessen Hause traf er auch mit Steffens zusammen und suchte ihn zu sondieren; ja er erklärte geradezu, daß es sein Wunsch wäre, ihn in Berlin zu besitzen. Trotz dieser vielversprechenden Zu- sicherungen, die Humboldt bald darauf in einem Brief an Reil noch verstärkte, kam es zu keinem Resultat. Im März schrieb er, daß bei der Berufung von Steffens ein Hindernis eingetreten sei. Dieser führte den Fehlschlag auf die Anti- pathien des Hofes gegen seinen Schwiegervater Reichardt zurück; ob mit Recht, ist sehr zu bezweifeln. Jeden- falls war der Plan nun definitiv gescheitert, wenn auch Schleiermacher in einem Schreiben an Nicolovius noch einmal dringend für die Berufung seines Freundes eintrat und sich bereit erklärte, nachdem schon Reil und Gräfe mit ähnlichen Anerbieten vorangegangen waren, von Michaelis 1810 bis 1812 im ganzen 1000 Taler von seinem Gehalt an Steffens abzutreten. So blieb denn Steffens auf seinem Vorposten in Halle, bis ihn Schuckmann 1811 an die neue preußische Volluniversität Breslau berief. Erst 1831 wurde sein W^unsch, in Berlin Professor zu werden, erfüllt**).

*) Fleckeisens Neue Jahrbücher für Philologie und Päda- gogik, Bd. 152 (1895), S. 211. 293. (1. IX. 1809.)

**) Aus Schleiermachers Leben in Briefen I\^ 173 ff. Nach der Anstellung in Breslau erklärte Schuckmann ausdrücklich, daß

C*

XXXVI Einleitung.

Bei dem unzweifelhaften Interesse Humboldts für Steffens ist es wohl so gut wie sicher, daß er auch Steffens' eben erschienene Vorlesungen über die „Idee der Universitäten" kennen gelernt hat. Irgend bestimmte Gedanken hat er daraus nicht aufgenommen; die ganze Tonart wird seiner klaren und maßvollen Art wenig ent- sprochen haben. Aber er fand darin die entscheidenden Probleme noch einmal verhandelt, und er fand darin ferner in starker Konzentrierung einen Zweig der herrschenden spekulativen Philosophie ausgesprochen, die ihm interessant war, wenn er auch nicht alle ihre Luftbauten und schnörkel- haften Ornamente billigte. Humboldt hatte zu der mo- dernen Naturphilosophie im strengen Sinne keine Be- ziehungen. Aber die Lehre von der Identität der Lebens- prinzipien in Natur und Geist, von der organischen Struktur alles Lebendigen und dem einheitlichen Typus aller Er- scheinungen teilte doch auch er mit der Romantik. Die Weltanschauung seiner zweiten Periode hat manchen mit Schellings Standpunkt verwandten Zug; die , .Vorlesungen über die Methode des akademischen Studium" hatte er in Rom mit brennendem Interesse gelesen. Immerhin ging seine Spekulation zu sehr von den Tatsachen des Lebens und des Wissens aus, als daß er die kühne Architektonik Schellings und seiner Schüler hätte billigen können.

Steffens hingegen setzt in seinen Ausführungen diesen philosophischen Standpunkt in höherem Grade voraus, als es uns für derartige Einleitungsvorlesungen angebracht scheint. Für ihn ist die Naturphilosophie eine berauschende Entdeckung, von der aus die ganze Welt und das höchste Bestreben des Menschen einen neuen Sinn empfängt. Sein Wissenschaftsbegriff ist durchtränkt von den Prinzipien dieser Spekulation, durch die ihm die höchste Form des Erkennens erst verwirklicht scheint.

Wir versuchen, den Grundgedanken dieser Philosophie kurz zu entwickeln. Die von Kant begründete Transzen- dentalphilosophie nahm in seinen Nachfolgern eine inter- essante neue Wendung. Wenn Kant gezeigt hatte, daß die Form des Bewußtseins für die Gestalt der Gegenstände

er Steffens niemals nach Berlin gerufen haben würde. Hierüber und über die Versuche jüngerer Bewerber, der Naturphilosophie in Berlin einen Lehrstuhl zu verschaffen, vgl. Köpke S.262i.

Einleitung. XXXVII

grundlegend sei, so wird für Fichte das Nicht-Ich ein Zu- sammenhang, dessen Struktur durch und durch von der Struktur des Geistes bedingt ist. Für ihn selbst freihch war die Natur ein minder Reales, neben der geistigen Welt zum bloß erscheinenden Mittel Herabgesetztes. Aber mit um so größerer Andacht vertiefte sich Schelüng in diese naturhafte Welt und leitete ihre Gesetzlichkeit aus Kate- gorien ab, die vorwiegend im Bereich des Geistigen ein- heimisch sind, nach seiner Anschauung aber ursprünglich indifferent über dem Gegensatz von Natur und Geist schwebten und erst bei dem Auseinandertreten dieses Gegen- satzes in der Reflexion sich gespaltet hätten. Für die dichterischen Geister der Romantik, wie Novalis, die Schlegels, Hülsen und Steffens wurde dann die Natur geradezu ein vollständiges Symbol des Gemüts, sein Spiegelbild in einer andersseienden Form, im Grunde aber mit ihm innig verwandt, ja identisch.

Diese Identitätsphilosophie ruht auf erkenntnistheore- tischen Grundsätzen, die mit voller Konsequenz aus dem Standpunkt Fichtes entwickelt waren; die Analyse findet in ihnen eine wundersame Verschmelzung von Kant und Spinoza, die durch die Mystik und ihre coincidentia oppo- sitorum vermittelt ist. Steffens übernimmt diese Methode von Schelling, dem er nachrühmt, einen wissenschaftlichen Kultus eingerichtet zu haben, wie man ihn bisher noch nicht gekannt habe. Ihr beherrschender Satz steht auch an der Spitze von Steffens' ,, Grundzügen der philosophischen Natur- wissenschaft" : ,, Wissenschaft ist Vernichtung eines Gegensatzes, Wiedervereinigung des ursprünglich Vereinigten". Nur für das endliche Erkennen (die sinn- lich bedingte Erfahrung) bleiben die Gegensätze noch außer einander, für das wahre Erkennen heben sie sich auf in der ewigen Einheit. Auf diesem Standpunkt gibt es keine Trennung des Denkens und des Seins, des Subjekts und Objekts, des Besonderen und Allgemeinen, der Wirk- lichkeit und der Möglichkeit, der Natur und Geschichte mehr, sondern all diese Entzweiungen sind identisch in der Unendlichkeit des reinen und ewigen Denkens. Man kann diese Erkenntnistheorie nur verstehen als eine Mystik der Erkenntnis : die Betrachtung des einzelnen, vom ewigen Denken Gesonderten, erscheint als ein niederer Standpunkt.

XXXVIII Einleitung.

Erst wenn alles Räumlich-Zeitliche überwunden ist, ist die letzte Wahrheit erreicht. Und sie selbst ist eigenthch nichts anderes als das innere Sein der Dinge, das sich auf- tut, wenn die Reflexion, die Subjekt und Objekt zerspaltet, überwunden ist und der Geist in der reinen Identität schwebt. Jene Spaltung und Entfremdung der Gegensätze freihch ist nichts Zufälliges, sondern eine notwendige Selbstbewe- gung des Geistes, der in der zunehmenden Differenzierung jedoch immer sich selbst wiederfinden muß. Denn alle diese Besonderungen sind nur Potenzen, die zuletzt auf das Ewige und Eine bezogen werden müssen, wenn sie in ihrem wahren Wesen erkannt werden sollen: in ihrer Vereinzelung und Besonderung sind sie Nichtwirklichkeiten, Negationen. In jener Beziehung auf das ewige Wesen aber ist die Potenz eine Idee, und die Pliilosophie ist nichts anderes als die Wissenschaft der Ideen.

Auch die Natur, für sich genommen, ist nur eine Potenz. Aber in ihrem tiefsten Wesen erkannt, ist sie Darstellung des Geistes, eine ideendurchwirkte Welt, das Gemüt in seiner ahnungsvollen Totalität. Wie Schelling klagt auch Steffens über die Trennung des Menschen von der Natur, durch die die schöne, naive Einheit seines Wesens in einen Zwiespalt auseinandergetreten sei. Weil ihm die Natur nichts anderes ist als der verschlossene und verhüllte ewige Geist, deshalb kann ihm das Studium der Naturphilosophie als ein Sichwiederfinden des Menschen erscheinen, als ein Offenbaren tiefster seelischer Geheimnisse, und darum endlich als der Zugang zu der Welt des wahren, ewigen Wissens überhaupt, von dem aus der Anfänger in das Zen- trum der Ideen und der Weisheit gelange. Denn auch die Geschichte ist nichts als die geradhnige Fortsetzung des Naturlebens. Beide aber sind im Absoluten identisch: „Die Geschichte ist das ewige Vorbild der Natur, die Natur das ewige Abbild und Gleichnis der Geschichte."

Uns ist diese Form des Denkens fremd geworden, und die Fülle begeisterter Worte will uns nur als eine willkür- liche Verstärkung der mystischen Instrumentation er- scheinen. Wie Spielbälle werden die Identitäten durch- einandergemischt, und die schmerzhchen Probleme des Lebens durch eine im leichten Reiche des Gedankens voll-

Einleitung. XXXIX

zogene Harmonie zwischen Freiheit und Notwendigkeit aus- gewischt. Auch im Leben des Staates glaubt man die elek- trische Spannung der Gegensätze durch diese erträumte Harmonie lösen zu können; ein heiliger Bund zwischen allen Kräften soll gestiftet werden, und der Staat erscheint dieser romantischen Andacht zuletzt als ein Verwalter vorwiegend kirchlicher Funktionen. Hat doch noch Hegel in anderer Form, aber im gleichen Geist diese gefährhch quietistische Lehre gepredigt. Für uns ist sie historisch geworden. Aber noch fühlen wir durch den fremdartigen Stil dieses Glaubens die mächtige philosophische Phantasie heraus, die in den Schacht der verborgensten Geheimnisse hineinleuchtet mit dem Lichte, das sich in der Innerlichkeit des geistigen Selbst- erlebens erschließt und von dieser tiefsprudelnden Quelle aus den Zusammenhang der Mächte begreifen will, „die keines Menschen Kunst vertraulich macht". Wenn dieser kühne Flug scheiterte, so hat er doch die Wissenschaften der Natur und der Geschichte gleichmäßig befruchtet. Die Keime, die die Phantasie der spekulativen Philosophen in das Feld der strengen Forschung gesenkt hat, sind auf gegangen in den Werken der Niebuhr, Savigny, Ranke Grimm, der Alexander v. Humboldt, Darwin, Spencer Fechnerusw. Und die Macht der Ideenlehre hat sich gleich mäßig über die Welt der Geschichte und der Natur aus gedehnt. So wurde die Philosophie der Romantik gleichsam der Kelch, aus dem die Blüte exakter Forschung sich entfalten konnte. Einer, der jene großen Tage und die Anfänge der L'niversität Berlin miterlebt hat und der selbst von dem En- thusiasmus der Idee tief durchdrungen war, August Boeckh, hat noch als Greis (1856) bekannt: ,,Ich spreche es mit voller Überzeugung aus: Das jugendliche Streben der Wissenschaft jener Zeit hatte einen höheren Charakter der Idealität als die Wissenschaft der Gegenwart"*).

Wir haben die allgemeinen und individuellen Umstände überblickt, aus denen die im folgenden abgedruckte Uni- versitätsliteratur entstanden ist. Daß sie nicht nur von lite- rarischer Wirkung war, haben wir wiederholt betont. Wie sehr sie die lebendigen Wirklichkeitsprobleme erfaßte, mag

*) Gesammelte kleine Schriften, 2. Band (Reden). Leipzig 1859. S. 136. Daselbst S. 21G seine Ansprache an Steffens.

XL Einleitung. <

zum Schluß ein kurzer Blick auf die Betrachtungen lehren, die der Gründer der Universität Berlin gerade im Zeitpunkt der entscheidenden Erwägungen, im Frühling 1810, aufs Papier warf. Freilich ist Humboldts Aufsatz „Über die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaft- lichen Anstalten" Fragment geblieben; ich habe aber an- anderer Stelle gezeigt, wie sich diese Ideen den allgemeinen pädagogischen Ansichten Humboldts einordnen, und wie sein Gesamtplan der Bildungsorganisation zu denken ist*).

Es ist zunächst durchaus derselbe philosophische Wissenschaftsbegriff, der uns bei Humboldt entgegentritt : die Wissenschaft ist ein organisches Ganzes; wer wahres Wissen erstrebt, darf nicht bloße Fachausbildimg suchen, sondern muß sich mit dem Geist des Ganzen erfüllen. Schon der Schulunterricht ist ja auf Universalität der Kraftent- wicklung gerichtet, freilich nur in Gestalt einer formalen Übung. Die Universität aber ist der Idee nach die Organi- sation der Wissenschaftsuniversalität : jedes Einzelne ist in ihr bedingt durch die Stellung im und den Zusammen- hang mit dem Ganzen. Diese Wissenschaft ist nichts Fertiges, sondern etwas immer Werdendes, nie ganz Auf- gefundenes. Sie wird erzeugt allein durch innere Selbst- tätigkeit, die die volle Freiheit des geistigen Gestaltens voraussetzt: ,,Denn nur die Wissenschaft, die aus dem Innern stammt und ins Innere gepflanzt werden kann, bildet auch den Charakter um." Diesem vielseitigen Leben der Wissenschaft glaubte auch Humboldt nur durch eine orga- nische Verbindung zwischen der Universität, der Akademie und den andern wissenschaftlichen Instituten gerecht werden zu können.

Er ist ferner tief durchdrungen von dem Gedanken, daß die so aufgefaßte Wissenschaft dem Staat belebende Kräfte, Männer von echter Tatkraft und Charakter zuführen werde. Aber gegen das, was der Staat seinerseits für die Wissenschaft leisten kann, ist er noch skeptischer als

*) „Wilhelm von Humboldt und die Reform des Bildungs- wesens" (= Die großen Erzieher, Bd. 4), vgl. besonders S. 199 ff. "i. Die dort gegebene Darstellung setzt die philosophische Entwicklung von Humboldts Bildungsideal voraus, die ich 1909 unter dem Titel: „W. v. Humboldt und die Humanitätsidee" habe erscheinen lassen.

Einleitung. XLI

Schleiermacher. Wir sahen schon, wie unbefangen er sich über diesen Punkt äußerte. Er erwartete alles von der natürlichen Reibung der Kräfte, und das ungebundene wissenschaftliche Zusammenleben in der Universitätsstadt hielt er für wichtiger als das eigentliche Kollegienhören. Wenn er aber auch aus diesem Grunde die freiesten Formen für die segenvollsten hielt, so wollte er doch das Ganze aus einer Idee heraus organisieren und einem Ideal zubilden. Er streift beinahe die spekulative Potenzenlehre, indem er die Einheit dieses lebendigen Organismus zu charakteri- sieren versucht. Feste Einheit bei freiester Beweglichkeit, dieses höchste Problem aller Organisation schwebte ihm als letztes Ziel vor. Er war der rechte Lebenskünstler, der es vermochte, die Idee mit der Individualität der Wirklich- keit zu vermählen. Diese Gabe, die in keiner Analyse und keiner Formel ausgesprochen werden kann, macht das Geheimnis seiner Wirksamkeit*). Und so gelang ihm, was doch von allem das Schwerste war: in einer Zeit, in der alle materiellen Mittel fehlten, mit fast zauberhafter Schnel- ligkeit das fertige Gebilde hinzustellen, ein schöpferisches Werk von der Art, wie Fichte in seinen oben angeführten Worten das Wesen des genialen Schaffens charakterisiert hatte. Nicht nur ein Vorbild zur Nachahmung, sondern eine lebendige Macht von fortzeugender Wirkung wurde die Uni- versität Berlin, und sie hat in einem Jahrhundert reicher Entfaltung gezeigt, welche ungewöhnliche Lebenskraft von der Geburtsstunde an in ihr schlummerte.

*) Die erwähnte Denkschrift ist abgedruckt in Humboldts W.W. X, 250 ff., aber auch in Bd. 123 der „Philosoph. Bibliothek": Wilhelm von Humboldts ausgewählte philosophische Schriften, herausgegeben von Joh. Schubert, S. k:0-4 ff., auf deren Einleitung ich für das Weitere verweise.

Abweichungen vom Text der Originalausgaben.

Der Neudruck beruht auf dem Text der ersten Drucke der drei Schriften. Die Abweichungen des Wiederabdruckes in Fichtes und Schleiermachers Werken sind hier nicht verzeichnet, da ihnen ein auihentischer Wert nicht zukommt. Die Ortho- graphie ist durchgängig durch die reueste amtliche ersetzt. Die Beibehaltung der Originalinterpunktion erwies sich als undurchführbar; doch sind charakteristische Eigentümlichkeiten möglichst bewahrt worden.

I.

Fichtes deduzierter Plan.

6 20 diesem seinem Wesen diesem seinen Wesen

72* eigentümlicher Bestandteil eigentümliches Bestandteil

12 so könnte konnte

15*^ vollkommne vollkommner

16 " er wird einst wird einst

23 Dunkel Dünkel

30^5 besserer allgemeiner Verständigung besserer allgemeinen Verständigung

31 ä nur nicht etwa wir nicht etwa

32 " ein allgemeines Register allgemeines Register

391s worden, an ihrem Teile auch der Heilkunde, und dadurch wurden, und an ihrem Teile der Heilkunde, beiden, und dadurch

39 1'' leuchtet leuchte

41 " von ihr abzusondern von ihm abzusondern

47 nach allem ihrem Vermögen nach allem ihren Vermögen

51 -* das letztere der letztere

52 ® einem Zugewandten einen Zugewandten

61 ' das literarische Institut als literarisches Institut

61 das Korps des Korps

63 ' es möchte möchte

63 1* aufzuspeichern aufzuspeichen

63 *^ zu befriedigen vermag zu befriedigen

64 ^ der Lehrenden des lehrenden

65 2 an ihn an ihm

69 " hätte hätten

69=0 dem, den dem, der

70 -" nahmen nehmen

72 ^^ ersten Stellen erstem Stellen

Abweichungen vom Text der Originalausgaben. XLIII

751" die Stellen die Stollen

78 ^ welcher welchen

85 ^ sondern, daß er durchaus auf sie Rücksicht nehme sondern

daß er sie, wiewohl 85 35 frische falsche 87 1^ Materie Malerei 92 22 müßte müssen

95 ö Lehrer Lehren

96 '3 des Einzelnen der Einzelnen

97 ^^ außerhalb unsers außerhalb unsern, 9810 Leser Lage

98 2* Arten Orten

98'* hinzugekommene hinzugekommen 104 ^ sodann sondern

n.

Schleiermacher, Gelegentliche Gedanken. 138 5 seien sein 197 12 Ahndung Ahnung

in.

Steffens, Idee der Universitäten. 214 S8 allem allen 2151* Id e Ideen

224 1* ihnen ihm

225 2'' eurem euren 233 " es er 24333 hätten hätte

244 15 der durch die durch 253 28 erregen errege 268 '3 ist ihm ist ihnen

268 8 Vorsehung Forschung

269 '0 welchen welcher 275 13 dem Sinn den Sinn

Deducirter Plan

zu Berlin zu errichtenden höhern Lehranstalt.

Geschrieben im Jahre 1807

Johann Gottlieb Fichte.

Stuttgard und Tübingen

in der Cottaischen Buchhandlung.

1817.

Deduzierter Plan

einer

ZU Berlin zu errichtenden höhern Lehranstalt,

die

in gehöriger Verbindung mit einer Akademie der Wissen- schaften stehe.

Erster Abschnitt.

Begriff einer durch die Zeitbedürfnisse geforderten

höhern Lehranstalt überhaupt.

§1.

Als die Universitäten zuerst entstanden, war das wissen- schaftHche Gebäude der neuern Welt großenteils noch erst zu errichten. Bücher gab es überhaupt nicht viel; die wenigen, die es gab, waren selten, und schwer zu er- 5 halten; imd wer etwas Neues mitzuteilen hatte, kam zu- nächst nicht in Versuchimg, es auf dem schwierigem Wege der Schriftstellerei zu tun. So wurde die | mündliche [4] Fortpflanzung das allgemein brauchbarste Mittel zu der Erbauung, der Aufrechterhaltung und der Bereicherung 10 des wissenschaftlichen Gebäudes, und die Universitäten wur- den der Ersatz der nicht vorhandenen, oder seltenen Bücher.

§2.

Auch nachdem durch Erfindung der Buchdruckerkunst 15 die Bücher höchst gemein worden, und die Ausbreitung des Buchhandels jedwedem es sogar weit leichter gemacht

1*

4 Fichte.

hat, durch Schriften sich mitzuteilen, als durch mündliche Lehrvorträge; nachdem es keinen Zweig der Wissenschaft mehr gibt, über welchen nicht sogar ein Überfluß von Büchern vorhanden sei, hält man dennoch noch immer 5 sich für verbunden, durch Universitäten dieses gesamte Buchwesen der Welt noch einmal zu setzen, und eben dasselbe, was schon gedruckt vor jedermanns Augen liegt, auch noch durch Professoren rezitieren zu lassen. Da auf diese Weise dasselbe Eine in zwei verschiedenen

10 Formen vorhanden ist, so ermangelt die Trägheit nicht, sowohl den mündlichen Unterricht zu versäumen, in- dem sie ja dasselbe irgend einmal auch aus dem Buche werde lernen können, als den durch Bücher zu vernach- lässigen, indem sie dasselbige ja auch hören könne, wo-

15 durch es denn dahin gekommen, daß, wenige Ausnahmen abgerechnet, gar nichts mehr gelernt worden, als was durch das Ohngefähr auf einem der beiden Wege an uns hängen geblieben, sonach überhaupt nichts im ganzen, sondern |

[5] nur abgerißne Bruchstücke; zuletzt hat es sich zugetragen,

20 daß die Wissenschaft, als etwas nach Belieben immer- fort auf die leichteste Weise an sich zu Bringendes, bei der Menge der Halbgelehrten, die auf diese Weise ent- standen, in tiefe Verachtung geraten. Nun ist von den genannten zwei Mitteln der Belehrimg das eigene Studieren

25 der Bücher sogar das vorzüglichere, indem das Buch der frei zu richtenden Aufmerksamkeit standhält, und das, wo- bei diese sich zerstreute, noch einmal gelesen, das aber, was man nicht sogleich versteht, bis zum erfolgten Ver- ständnisse hin tmd her überlegt werden, auch die Lektüre

30 nach Belieben fortgesetzt werden kann, so lange man Kraft fühlt, oder abgebrochen werden, wo diese uns verläßt; dagegen in der Regel der Professor seine Stunde lang seinen Spruch fortredet, ohne zu achten, ob irgend jemand ihm folge, ihn abbricht, da wo die Stimde schlägt, und ihn

35 nicht eher wieder anknüpft, als bis abermals seine Stunde geschlagen. Es -wird durch diese Lage des Schülers, in der es ihm unmöglich ist, in den Fluß der Rede seines Lehrers auf irgendeine Weise einzugreifen und ihn nach seinem Bedürfnisse zum Stehen zu bringen, das leidende

40 Hingeben als Regel eingeführt, der Trieb der eigenen Tätigkeit vernichtet, und so dem Jünglinge sogar die Mög-

Deduzierter Plan. 5

lichkeit genommen, des zweiten Mittels der Belehrung, der Bücher, mit freitätiger Aufmerksamkeit sich zu be- dienen. Und so sind wir denn, um von der Kostspielig- keit dieser Einrichtung für das gemeine u^id das Privat- wesen, und von der dadurch | bewirkten Verwilderung der Sitten hier zu schweigen, durch die Beibehaltung des Notmittels, nachdem die Not längst aufgehoben, auch noch für den Gebrauch des wahren und bessern Mit- tels verdorben worden.

§ 3. 10

Um nicht ungerecht, zugleich auch oberflächlich zu sein, müssen wir jedoch hinzusetzen, daß die neuern Uni- versitäten mehr oder weniger außer dieser bloßen Wiederholung des vorhandenen Buchinhalts noch einen anderen edlern Bestandteil gehabt haben, nämlich das 15 Prinzip der Verbesserung dieses Buchinhalts, Es gab selbsttätige Geister, welche in irgendeinem Fache des Wissens durch den ihnen wohlbekannten Bücherinhalt nicht befriedigt wurden, ohne doch das Befriedigende hierin so- gleich bei der Hand zu haben, und es in einem neuen 20 und besseren Buche, als die bisherigen waren, niederlegen zu können. Diese teilten ihr Ringen nach dem Vollkomm- neren vorläufig mündhch mit, um entweder in dieser Wechselwirkung mit anderen in sich selber bis zu dem beabsichtigten Buche klar zu werden, oder, falls auch sie 25 selbst in diesem Streben von geistiger Kraft oder dem Leben verlassen würden, Stellvertreter hinter sich zu lassen, welche das beabsichtigte Buch, oder auch, statt desselben und aus diesen Prämissen, ein noch besseres hinstellten. Aber selbst in Absicht dieses Bestandteils läßt sich nicht 30 leugnen, daß er von jeher der bei weitem kleinere auf | [7] allen Universitäten gewesen, daß keine Verwaltung ein Mittel in den Händen gehabt, auch nur überhaupt den Besitz eines solchen Bestandteils sich zu garantieren, oder auch nur deutlich zu wissen, ob sie ihn habe, oder nicht, und daß selbst dieser kleine Bestandteil, wenn er durch 35 gutes Glück irgendwo vorhanden gewesen, selten mit einiger klaren Erkenntnis seines Strebens und der Regeln, nach denen er zu verfahren hätte, gewirkt und gewaltet.

6 Fichte.

§4.

Eine solche, zunächst überflüssige, sodann in ihren Folgen auch schädliche Wiederholung desselben, was in einer andern Form weit besser da ist, soll nun gar nicht 5 existieren; es müßten daher die Universitäten, wenn sie nichts anderes zu sein vermöchten, sofort abgeschafft, und die Lehrbedürftigen an das Studium der vorhandenen Schriften gewiesen werden. Auch könnte es diesen Insti- tuten zu keinem Schutze gereichen, daß sie den soeben

10 berührten edlem Bestandteil für sich anführten, indem in keinem bestimmten Falle (auf keiner gegebenen Universi- tät) dieser edlere Teil Rechenschaft von sich zu geben, noch sein Dasein zu beweisen, noch die Fortdauer des- selben zu garantieren vermag; vmd sogar, wenn dies nicht

15 so wäre, doch immer der schlechtere Teil, die bloße Wiederholung des Buchwesens, weggeworfen werden müßte. So wie alles, was auf das Recht der Existenz Anspruch

[8] macht, sein imd leisten muß, was [ nichts außer ihm zu sein und zu leisten vermag, zugleich sein Beharren in

20 diesem seinem Wesen und seine unvergängliche Fortdauer verbürgend : so muß dies auch die Universität, oder wie wir vorläufig im antiken Sinne des Wortes sagen wollen, die Akademie, oder sie muß vergehen.

§ 5.

25 Was, im Sinne dieser höhern Anforderung an die

Subsistenz, die Akademie sein könne, und, falls sie sein soll, sein müsse, geht sogleich hervor, wenn man die Be- ziehung der Wissenschaft auf das wirkliche Leben be- trachtet.

30 Man studiert ja nicht, um lebenslänglich und stets dem

Examen bereit das Erlernte in Worten wieder von sich zu geben, sondern um dasselbe auf die vorkommenden Fälle des Lebens anzuwenden, und so es in Werke zu ver- wandeln; es nicht bloß zu wiederholen, sondern etwas

35 anderes daraus und damit zu machen; es ist demnach auch hier letzter Zweck keinesweges das Wissen, sondern vielmehr die Kunst, das Wissen zu gebrauchen. Nun setzt diese Kunst der Anwendung dqr Wissenschaft im Leben

Deduzierter Plan. 7

noch andere der Akademie fremde Bestandteile, Kenntnis des Lebens nämlich, und Übung der Beurteilungsfähigkeic der Fälle der Anwendung voraus, imd es ist demnach von ihr zunächst nicht die Rede, Wohl aber gehört hierher die Frage, auf welche Weise man denn die Wissenschaft 5 selbst so zum freien und auf unendliche Weise zu gestalten- den [ Eigentume und Werkzeuge erhalte, daß eine fertige [9] Anwendung derselben auf das, freilich auf anderm Wege zu erkennende, Leben möglich werde.

Offenbar geschieht dies nur dadurch, daß man jene 10 Wissenschaft gleich anfangs mit klarem tmd freiem Be- wußtsein erhalte. Man verstehe uns also. Es macht sich vieles von selbst in unserm Geiste, imd legt sich demselben gleichsam an, durch einen blinden imd uns selber ver- borgen bleibenden Mechanismus. Was also entstanden, ist 15 nicht mit klarem und freiem Bewußtsein durchdrungen, es ist auch nicht unser sicheres und stets wieder herbei- zurufendes Eigentum, sondern es kommt wieder oder ver- schwindet nach den Gesetzen desselben verborgenen Me- chanismus, nach welchem es sich erst in tms anlegte. Was 20 wir hingegen mit dem Bewußtsein, daß wir es tätig erlernen, und dem Bewußtsein der Regeln dieser erlernen- den Tätigkeit, auffassen, das wird zufolge dieser eigenen Tätigkeit und dem Bewußtsein ihrer Regeln ein eigentüm- licher Bestandteil unsrer Persönlichkeit und imseres, frei und behebig zu entwickelnden, Lebens.

Die freie Tätigkeit des Auffassens heißt Verstand. Bei dem zuerst erwähnten mechanischen Erlernen wird der Verstand gar nicht angewendet, sondern es waltet allein die blinde Natur. Wenn jene Tätigkeit des Verstandes 3o und die bestimmten Weisen, wie dieselbe verfahrt, um etwas aufzufassen, wiederum zu klarem Bewußtsein erhoben werden, so wird ( dadurch entstehen eine beson- [10] nene Kunst des Verstandesgebrauchs im Erlernen. Eine kunstmäßige Entwicklung jenes Bewußtsems der Weise des Erlernens im Erlernen irgend eines Gegebenen würde somit, unbeschadet des jetzt aufgegebenen Lernens, zunächst nicht auf das Lernen, sondern auf die Bildung des Vermögens zum Lernen ausgehen. Unbeschadet des jetzt aufgegebenen Lernens, habe ich gesagt, vielmehr zu 40 seinem großen Vorteile, denn man weiß gründlich und

8 Fichte.

unvergeßlich nur das, wovon man weiß, wie man dazu gelangt ist. Sodann wird, indem nicht bloß das zuerst Gegebene gelernt, sondern an ihm zugleich die Kunst des Erlernens überhaupt gelernt und geübt wird, die Fertig-

5 keit entwickelt, ins Unendliche fort nach Belieben leicht und sicher alles andere zu lernen; und es entstehen Künst- ler im Lernen. Endlich wird dadurch alles Erlernte oder zu Erlernende ein sicheres Eigentum des Menschen, womit er nach Belieben schalten könne, und es ist somit die erste

10 und ausschließende Bedingung des praktischen Kunstge- brauchs der Wissenschaft im Leben herbeigeführt und er- füllet. Eine Anstalt, in welcher mit Besonnenheit, und nach Regeln, das beschriebene Bewußtsein entwickelt und die dabei beabsichtigte Kunst geübt würde, wäre, was folgende

15 Benennung ausspricht: eine Schule der Kunst des wissenschaftlichen Verstandesgebrauches.

Ohnerachtet auf den bisherigen Universitäten von ohn-

gefähr zuweilen geistreiche Männer aufgetreten, die im ]

[11] Geiste des obigen Begriffs in einem besondern Fache des

20 Wissens Schüler gezogen, so hat doch sehr viel gefehlt, daß die Realisierung dieses Begriffs im allgemeinen mit Sicher- heit, Festigkeit und nach unfehlbaren Gesetzen auch nur deutlich gedacht und vorgeschlagen, geschweige denn, daß sie irgendwo ausgeführt worden. Dadurch aber ist die

25 Erhaltung und Steigerung der wissenschaftlichen Bildung im Menschengeschlechte dem guten Glücke und blinden Zu- falle preisgegeben gewesen, aus dessen Händen sie unter die Aufsicht des klaren Bewußtseins lediglich durch die Darstellung des erwähnten Begriffes gebracht werden

SO könnte. Und so ist es die Ausführung dieses Begriffes, die in Beziehung auf das wissenschaftliche Wesen in der ewigen Zeit dermalen an der Tagesordnung ist, und die sogar in ihrer Existenz angegriffene Akademie würde wohl- tun, diese Ausführung zu übernehmen, da das, was sie bis

35 jetzt gewesen, gar nicht länger das Recht hat dazusein.

Aber sogar dieses Anspruches alleinigen und aus- schließenden Besitz wird etwas anderes der Akademie streitig machen, die niedere Gelehrtenschule nämlich. Diese, 40 vielleicht selbst erst bei dieser Gelegenheit über ihr wahres

Deduzierter Plan. 9

Wesen klar geworden, wird anführen, daß sie, bis auf die Zeiten der neuern verseichtenden Pädagogik, weit besser und vorzüglicher eine solche Kunstschule des wissenschaft- hchen Verstandesgebrauches gewe- 1 sen, denn irgendeine [12] Universität. Somit wird die Akademie zuvörderst mit dieser 5 niedern Gelehrtenschule eine Grenzberichtigung treffen müssen.

Diese Grenzberichtigung wird ohne Zweifel zur Zu- friedenheit beider Teile dahin zustande kommen, daß der niedern Schule die Kunstübung des allgemeinen Instruments 10 aller Verständigung, der Sprache, und von dem wissen- schafthchen Gebäude das allgemeine Gerüst und Geripp des vorhandenen Stoffes, ohne Kritik, anheimfalle; dagegen die höhere Gelehrtenschule die Kunst der Kritik, des Sichtens des Wahren vom Falschen, des Nützlichen vom Unnützen, 15 und das Unterordnen des minder Wichtigen unter das Wichtige, zum ausschUeßenden Eigentum erhalte; somit die erste: Kunstschule des wissenschaftlichen Verstandes- gebrauches, als bloßen Auffassungsvermögens, oder Ge- dächtnisses, die letzte: Kunstschule des Verstandesgebrau- 20 ches, als Beurteilungsvermögens, würde.

§ 7.

Kimstfertigkeit kann nur also gebildet werden, daß der Lehrling nach einem bestimmten Plane des Lehrers unter desselben Augen selber arbeite, und die Kunst, in der er 25 Meister werden soll, auf ihren verschiedenen Stufen von ihren ersten Anfängen an bis zur Meisterschaft, ohne Überspringen regelmäßig fortschreitend, ausübe. Bei unse- rer Aufgabe ist es die Kunst wissenschaftlichen Verstandes- gebrauchs, welche geübt werden soll. Der Lehrer gibt nur 30 den Stoff, und regt an die Tä- [tigkeit; diesen Stoff bearbeite 113] der Lehrimg selbst; der Lehrer muß aber in der Lage bleiben, zusehen zu können, ob und wie der LehrHng diesen Stoff bearbeite, damit er aus dieser Art der Bearbeitung ermesse, auf welcher Stufe der Fertigkeit jener stehe, und 35 auf diese den neuen Stoff, den er geben wird, berechnen könne.

Nicht bloß der Lehrer, sondern auch der Schüler muß fortdauernd sich äußern und mitteilen, so daß ihr gegenseitiges Lehrverhältnis werde eine fortlaufende Unter- -10

10 Fichte.

redung, in welcher jedes Wort des Lehrers sei Beantwortung einer durch das unmittelbar Vorhergegangene aufgeworfenen Frage des Lehrlings, und Vorlegung einer neuen Frage des Lehrers an diesen, die er durch seine nächstfolgende Äuße- 5 rung beantworte ; und so der Lehrer seine Rede nicht richte an ein ihm völlig unbekanntes Subjekt, sondern an ein solches, das sich ihm immerfort bis zur völligen Durch- schauung enthüllt; daß er wahrnehme dessen unmittelbares Bedürfnis, verweilend, und in andern und wieder andern

10 Formen sich aussprechend, wo der Lehrling ihn nicht gefaßt hat, ohne Verzug zum nächsten Gliede schreitend, wenn dieser ihn gefaßt hat; wodurch denn der wissenschaftliche Unterricht aus der Form einfach fortfließender Rede, die er im Buchwesen auch hat, sich verwandelt in die dialogische

15 Form, und eine wahrhafte Akademie, im Sinne der Sokra- tischen Schule, an welche zu erinnern wir gerade dieses Wortes uns bedienen wollten, errichtet werde.

[14J i § 8.

Der Lehrer muß ein ihm immer bekannt bleibendes

20 festes und bestimmtes Subjekt im Auge behalten, sagten wir. Falls nun, wie zu erwarten, dieses Subjekt nicht zu- gleich auch aus Einem Individuum, sondern aus mehreren bestände, so müssen, da das Subjekt des Lehrers Eins, und ein bestimmtes sein muß, diese Individuen selber zu einer

25 geistigen Einheit, und zu einem bestimmten organischen Lehrlingskörper zusammenschmelzen. Sie müssen darum auch unter sich in fortgesetzter Mitteilung und in einem wissenschaftlichen Wechselleben verbleiben, in welchem jeder allen die Wissenschaft von derjenigen Seite zeige,

SO von welcher er, als Individuum, sie erfaßt, der leichtere Kopf dem schwerfälligeren etwas von seiner Schnelligkeit, und der letzte dem ersten etwas von seiner ruhigen Schwer- kraft abtrete.

§ 9- 35 Um unseren Grundbegriff durch weitere Auseinander-

setzung noch anschauhcher zu machen: Der Stoff, welchen der Meister dem Zöglinge seiner Kirnst gibt, sind teils seine eigenen Lehrvorträge, teils gedruckte Bücher, deren geordnetes und kunstmäßiges Studium er ihm auf-

Deduzierter Plan. 11

gibt; indem in Absicht des letzteren es ja ein Hauptteil der wissenschaftlichen Kunst ist, durch den Gebrauch von Büchern sich belehren zu können, und es sonach eine An- führtmg auch zu dieser Kunst geben muß ; sodann aber auf einer solchen Akademie der bei [ weitem größte Teil des ^_, wissenschaftlichen Stoffes aus Büchern wird erlernt werden ' ^^ müssen, wie dies an seinem Orte sich finden wird.

Die Weisen aber, wie der Meister seinem Lehrlinge sich enthüllt, sind folgende :

Examina, nicht jedoch im Geiste des Wissens, son- dern in dem der Kunst. In diesem letztern Geiste ist jede 10 Frage des Examinators, wodurch das Wiedergeben dessen, was der Lehrling gehört oder gelesen hat, als Antwort be- gehrt wird, ungeschickt und zweckwidrig. Vielmehr muß die Frage das Erlernte zur Prämisse machen, und eine An- wendung dieser Prämisse in irgend einer Folgerung als 15 Antwort begehren.

Konversatoria, in denen der Lehrling fragt, und der Meister zurückfragt über die Frage, und so ein expresser Sokratischer Dialog entstehe, innerhalb des unsichtbar immer fortgehenden Dialogs des ganzen akademischen 20 Lebens.

Durch schriftliche Ausarbeitungen zu lösende Aufgaben an den Lehrling, immer im Geiste der Kunst, und also, daß nicht das Gelernte wiedergegeben, sondern etwas anderes damit und daraus gemacht werden solle, 25 also, daß erhelle, ob und in wie weit der Lehrling jenes zu seinem Eigentume und zu seinem Werkzeuge für allerlei Gebrauch bekommen habe. Der natürliche Erfinder solcher Aufgaben ist zwar der Meister; es soll aber auch der geübtere [ Lehrüng aufgefordert werden, dergleichen sich ^"p, auszusinnen, und sie für sich oder für andere in Vorschlag ' zu bringen. Es wird durch diese schriftlichen Ausarbei- tungen zugleich die Kunst des schriftlichen Vortrages eines wissenschaftlichen Stoffes geübt, und es soll darum der Meister in der Beurteilung auch über die Ordnung, die 35 Bestimmtheit und die sinnliche Klarheit der Darstellung sich äußern*).

*) Es dürfte vielleicht nicht überflüssig sein, der Erwähnung solcher Aufgaben noch ausdrücklich die Bemerkung hinzuzufügen, daß nicht bloß in dem apriorischen Teile der Wissenschaft, sondern

12 Fichte.

117] I § 10.

Zuvörderst vom Lehrlinge einer solchen Anstalt.

Die äußern Bedingungen, wodurch derselbe teils zu- stande kommt, teils in seinem Zustande verharrt, sind die 5 folgenden :

1. Gehörige Vorbereitung auf der niederen Gelehrtenschule für die höhere. Welche Leistungen für die Bildung des Kopfs zur Wissenschaft der niederen Schule anzumuten sind, haben wir schon oben 6) er-

10 sehen. Dies muß nun, wenn die höhere Schule mit sichern! Schritte einhergehen soll, von der niedem nicht wie bisher, wie gutes Glück und Ohngefähr es geben, sondern nach einem festen Plane, und so, daß man immer wisse, was gelungen sei und was nicht, geschehen. Die Verbesserung

15 der höheren Lehranstalten setzt sonach die der niedern not- wendig voraus, wiewohl wiederum auch umgekehrt eine gründliche Verbesserung der letzten nur durch die Ver- besserung der ersten, und indem auf ihnen die Lehrer der niedern Schule die ihnen jetzt großenteils abgehende

20 Kunst des Lehrens erlernen, möglich wird; daß daher schon hier erhellet, daß wir nicht mit Einem Schlage das Vollkommne werden hinstellen können, sondern uns dem-

auch in ganz empirischen Scienzen solche, die Selbsttätigkeit des Auffassens erkundende, Aufgaben möglich seien. In der Philologie, der Theologie usw. ist ja wohl bekannt, daß diese Fächer der eignen Kombinationsgabe und Konjekturalkritik ein fast unermeß- liches Feld darbieten, wobei, gesetzt auch die Ausbeute wäre nicht von Bedeutung, dennoch die Selbsttätigkeit des Geistes geübt und dokumentiert wird. Aber auch der Lehrer der Universalgeschichte könnte, meines Erachtens, ein nicht wirklich eingetretenes Ereig- nis fingieren, mit der Aufgabe an sein Auditorium, zu zeigen, was bei diesem oder diesem von ihnen erlernten Zustande der Welt daraus am wahrscheinlichsten erfolgt sein würde; oder der des römischen Rechts irgend einen Fall, mit der Aufgabe an sein Auditorium, das aus dem Ganzen der römischen Gesetzgebung hervorgehende und in dasselbe organisch einpassende Gesetz für diesen Fall anzugeben. Es würde aus dem Versuche der Lösung dieser Aufgaben ohne Zweifel klar hervorgehen, zuvörderst, ob seine Zuhörer die Geschichte oder das römische Recht wirklich wüßten, sodann, ob und in wie weit sie diese Scienzen in ihrem Geiste durchdrungen, oder dieselben nur mechanisch auswendig gelernt hätten.

Deduzierter Plan. 13

selben nur allmählich und in mancherlei Vorschritten werden annähern müssen.

Zur Verbreitung höherer Klarheit über unsern Grund- begriff füge ich hier noch folgendes hinzu. Daß der für ein wissenschaftUches Leben bestimmte Jüngling zuvörderst 5 mit dem allgemeinen Sprachschatze der wis- 1 senschaftlichen [18j Welt, als dem Werkzeuge, vermittelst dessen allein er, so zu verstehen, wie sich verständÜch zu machen vermag, ver- traut werden müsse, ist unmittelbar klar. Diese positive Kenntnis der Sprache aber, so unentbehrlich sie auch ist, 10 erscheint als leichte Zugabe, wenn wir bedenken, daß beson- ders durch Erlernung der Sprachen einer andern W^elt, welche die Merkmale ganz anders zu Wortbegriffen gestaltet, der Jüngling über den Mechanismus, womit die angebome moderne Sprache, gleichsam als ob es nicht anders sein 15 könnte, ihn fesselt, tmvermerkt hinweggehoben und im leichten Spiele zur Freiheit der Begriffebildung angeführt wird; femer, daß beim Interpretieren der Schriftsteller er an dem leichtesten und schon fertig ihm hingelegten Stoffe lernt, seine Betrachtung willkürlich zu bewegen, dahin und 20 dorthin zu richten für einen ihm bekannten Zweck, und nicht eher abzulassen in dieser Arbeit, als bis der Zweck erreicht dastehe. Es wird nun, um dieses Verhältnisses willen der niedern Kunst des wissenschaftlichen Verstandesgebrau- ches zu der höh er n, notwendig sein, daß die Schule in 25 ihrem Sprachunterrichte also verfahre, daß nicht bloß der erste Zweck der historischen Sprachkenntnis, sondern zu- gleich auch der letzte der Verstandesbildung an ihr sicher, allgemein und für klare Dokumentation ausreichend erfüllt werde; daß z.B. der Schüler auf jeder Stufe des Unter- 30 richts verstehen lerne, was er verstehen soll, vollkommen und bis zum Ende, und wissen lerne, ob er also verstehen und den Beweis füh-|ren lerne; keinesweges aber, wie es 19^ bisher so oft geschehen, hierüber vom guten Glücke ab- hänge und im Dunkeln tappe, indem sehr oft sein Lehrer 35 selbst keinen rechten Begriff vom Verstehen überhaupt hat und gar nicht weiß, welche Fragen alle müssen beant- wortet werden können, wenn man sagen will, man habe z. B. eine Stelle eines Autors verstanden.

Betreffend das Grundgerüst des vorhandenen wissen- 40 schaftlichen Stoffes, als das zweite Stück der nötigen Vor-

14 Fichte.

bereitung, die der Schule zukommt, mache ich durch folgende Wendung mich klärer. Man hat wohl, um den Forderungen einer solchen geistigen Kunstbildung, wie sie auch in diesem Aufsatze gemacht werden, auszuweichen, 5 die Anmerkung gemacht : eine solche besonnene Ausbildung der Geistesvermögen sei wohl bei den alten klassischen Völkern möglich gewesen, weil das sehr beschränkte Feld der positiven Kenntnisse, die sie zu erlernen gehabt, ihnen Zeit genug übriggelassen hätte; dagegen die unsrige durch

10 das unermeßliche Gebiet des zu Erlernenden gänzlich auf- gezehrt werde, und für keine anderen Zwecke uns ein Teil derselben übrigbleibe. Als ob nicht vielmehr gerade darum, weil wir mit ihnen weit mehr zu leisten haben, eine kunstmäßige Ausbildung der Vermögen uns um so nötiger

15 würde, imd wir nicht um so mehr auf Fertigkeit und

Gewandtheit im Lernen bedacht sein müßten, da wir eine

so große Aufgabe des Lernens vor uns haben. In der

Tat kommt jenes Erschrecken vor der Unermeßlichkeit 1

[20] unsers wissenschaftlichen Stoffes daher, daß man ihn ohne

20 einen ordnenden Geist und ohne eine mit Besonnenheit geübte Gedächtniskunst, deren Hauptmittel jener ordnende Geist ist, erfasset; vielmehr blind sich hineinstürzt in das Chaos, und ohne Leitfaden in das Labyrinth, so im Herum- irren bei jedem Schritte Zeit verliert, also, daß die wenigen,

25 welche in diesem Ungeheuern Ozeane, vom Versinken ge- rettet, noch oben schwimmen, beim Rückblicke auf ihren Weg erschrecken vor der eigenen Arbeit und dem gehabten Glücke, und, die noch immer vorhandenen Lücken in ihrem Wissen entdeckend, glauben, es habe ihnen nichts

30 weiter gemangelt, denn Zeit, da doch die ordnende Kunst, die sie nicht kennen, indem sie keinen Schritt vergebens tut, die Zeit ins Unendliche vervielfältigt und eine kurze Spanne von Menschenleben ausdehnt zu einer Ewigkeit. Wenn schon die erste Schule für den Anfänger

35 nicht länger das fähige Gedächtnis des einen Knaben für einen glücklichen Zufall, das langsamere eines andern für ein unabwendbares Naturunglück halten, sondern lernen wird, das Gedächtnis sowohl überhaupt, als in seinen be- sonderen, für besondere Zweige passenden, Fertigkeiten

40 kunstmäßig zu entwickeln und zu bilden; wenn sie diesem Gedächtnisse erst ein ganz ins kurze und kleine gezogenes,

Deduzierter Plan. 15

aber lebendiges und klares Bild des Ganzen eines be- stimmten wissenschaftlichen Stoffes (z. B. für die Geschichte ein allgemeines Bild der Umwandlungen im Menschen- geschlechte durch die Hauptbegebenheiten de^ herrschen- den Völker, [ neben einem Bilde von der allgemeinen Ge- r.^^-, stalt der Oberfläche des Erdbodens, als dem Schauplatze "" jener Umwandlungen) hingeben, und unaustilgbar fest in die innere Anschauung einprägen wird; sodann diese Bilder Tag für Tag wieder hervorrufen lassen, und sie allmählich, aber verhältnismäßig nach allen ihren Teilen, nach einer 10 gewissen Regel der notwendigen Folge der Gesichts- punkte, und so, daß kein einzelner zum Schaden der übrigen ungebührlich anwachse, vergrößern wird; so wird jenes Entsetzen vor der Unermeßlichkeit gänzlich verschwin- den, und die also gebildeten Köpfe werden leicht tmd 15 sicher alles, was ihnen vorkommt, auf jene mit ihrer Per- sönlichkeit verwachsenen Grundbilder jedes an seiner Stelle auftragen, nicht auf ein unbekanntes Weltmeer versprengt, sondern in ihrer väterlichen Wohnung die ihnen wohl be- kannten Kammern mit Schätzen ausfüllend, die sie nach 20 jedesmaligem Bedürfnisse \vieder da hinwegnehmen können, wo sie dieselben vorher hingestellt.

Somit fällt die Vorbereitung, welche der Lehrling einer höheren Kunstschule auf der niedem erhalten haben muß, die Rechenschaft, die er vor der Aufnahme von seiner 25 Tüchtigkeit zu geben hat, und die Vollkommenheit, bis zu welcher die niedere Schule verbessert werden muß, zu folgenden zwei Stücken zusammen. Zuvörderst muß der Adspirant eine seinen Fähigkeiten angemessene ihm vor- gelegte Stelle eines Autors in gegebener Zeit gründlich 30 verstehen lernen, und den Be- 1 weis führen können, daß ;22] er sie recht verstehe, indem sie gar nicht anders verstanden werden könne. Sodama muß er zeigen, daß er ein allge- meines Bild des gesamten wissenschaftlichen Stoffes, er- hoben und bereichert bis zu derjenigen Potenz des Gesicht- 35 Ijunktes, an welche die höhere Schule ihren Unterricht anknüpft, in freier Gewalt und zu beliebigem Gebrauche als sein Eigentum besitze.

2. Aufgehen seines gesamten Lebens in seinem Zwecke, darum Absonderung desselben von aller 40 andern Lebensweise, und vollkommne Isolierung.

1 6 Fichte.

Der Sohn eines Bürgers, welcher ein bürgerliches Gewerb treibt, besucht vielleicht auch des Tages mehrere Stunden eine gute Bürgerschule, worin mancherlei gelehrt wird, das die gelehrte Schule gleichfalls vorträgt. Dennoch ist 5 die Schule nicht der Sitz seines wahren, eigentlichen Lebens, und er ist nicht, daselbst zu Hause, sondern sein wahres Leben ist sein Familienleben, und der Beistand, den er seinen Eltern in ihrem Gewerbe leistet; die Schule aber ist Nebensache und bloßes Mittel für den bessern Fortgang

10 des bürgerlichen Gewerbes, als den eigentlichen Zweck. Dem Gelehrten aber muß die Wissenschaft nicht Mittel für irgend einen Zweck, sondern sie muß ihm selbst Zweck 'werden; er wird einst, als vollendeter Gelehrter, in welcher Weise er auch künftig seine wissenschaftliche Bildung im

15 Leben anwende, in jedem Falle allein in der Idee die

[23] Wurzel seines Le | bens haben, und nur von ihr aus die

Wirklichkeit erblicken, und nach ihr sie gestalten und

fügen, keinesweges aber zugeben, daß die Idee nach der

Wirklichkeit sich füge; und er kann nicht zu früh in dieses

'20 sein eigentümliches Element sich hineinleben und das 'vviderwärtige Element abstoßen.

Es ist eine bekannte Bemerkung, daß bisher auf Uni- versitäten, die in einer kleinern Stadt errichtet waren, bei einigem Talente der Lehrer, sehr leicht ein allgemeiner

25 mssenschaftlicher Geist imd Ton unter den Studierenden sich erzeugt habe, was in großem Städten selten oder nie- mals also gelimgen. Sollten wir davon den Grund angeben, so würden wir sagen, daß es deswegen also erfolge, weil in dem ersten Falle die Studierenden auf den Umgang

30 unter sich selber und den Stoff, den dieser zu gewähren vermag, eingeschränkt werden; dagegen sie im zweiten Falle immerfort verfließen in die allgemeine Masse des Bürgertumes, und zerstreut werden über den gesamten Stoff, den dieses liefert, und so das Studieren ihnen niemals

35 zum eigentlichen Leben, außer welchem man ein anderes gar nicht an sich zu bringen vermag, sondern, wo es noch am besten ist, zu einer Berufspflicht wird. Jener bekannte Einwurf gegen große Universitätsstädte, daß in ihnen die Studierenden von einem Hörsaale zum anderen weit zu

40 gehen hätten, möchte sonach nicht der tiefste sein, den man vorbringen könnte, und .er möchte sich eher be- 1

Deduzierter Plan. 17

seitigen lassen, als das höhere Übel der Verfließung des [24] studierenden Teiles des gemeinen Wesens mit der all- gemeinen jMasse des gewerbtreibenden oder dumpfge- nießenden Bürgertumes ; indem, ganz davon abgesehen, daß bei einem solchen nur als Nebensache getriebenen 5 Studieren wenig oder nichts gelernt wird, auf diese Weise die ganze Welt verbürgem, und eine über die Wirklichkeit hinausliegende Ansicht der Wirklichkeit, bei welcher allein die Menschheit Heilung finden kann gegen jedes ihrer Übel, ausgetilgt werden würde in dem Alenschengeschlechte ; 10 imd mehr als jemals würde hierauf Rücksicht zu nehmen sein in einem solchen Zeitalter, welches in dringendem Ver- dachte einer beinahe allgemeinen Verbürgerung steht.

3. Sicherung vor jeder Sorge um das Äußere, vermittelst einer angemessenen Unterhaltung fürs 15 Gegenwärtige, und Garantie einer gehörigen Ver- sorgung in der Zukunft. Daß das Detail der kleinen Sorgfältigkeiten um die täglichen Bedürfnisse des Lebens zum Studieren nicht paßt, daß Nahrungssorgen den Geist niederdrücken, Nebenarbeiten ums Brot die Tätigkeit zer- 20 streuen und die Wissenschaft als einen Broterwerb hin- stellen, Zurücksetzung von Begüterten dürftigkeitshalber, oder die Demut, der man sich unterzieht, um jener Zurück- setzung auszuweichen, den Charakter herabwürdigen : dieses alles ist, wenn auch nicht allenthalben sattsam erwogen, 25 denn doch ziem- 1 lieh allgemein zugestanden. Aber man [25] kann von demselben Gegenstande auch noch eine tiefere Ansicht nehmen. Es wird nämlich ohne dies gar bald sehr klar die Notwendigkeit sich zeigen, daß im Staate, und besonders bei den höhern Dienern desselben recht 30 fest einwurzle die Denkart, nach welcher man nicht der Gesellschaft dienen will, um leben zu können, sondern leben mag, allein um der Gesellschaft dienen zu können, und in welcher man durch kein Erbarmen mit dem eignen, oder irgend eines anderen, Lebensgenüsse bewegt wird, 35 zu tun, zu raten, oder, wo man hindern könnte, zuzulassen, was nicht auch gänzlich ohne diese Rücksicht durch sich selber sich gebührt; aber es kann diese Denkart Wurzel fassen nur in einem durch das Leben in der Wissenschaft veredelten Geiste. Mächtig aber wird dieser Veredlung 40 und dieser Unabhängigkeit von der erwähnten Rücksicht

Universitätsschriften Fichte, Schleiermacher, Steffens. 2

13 Fichte.

vorgearbeitet v/erden, wenn die künftigen Gelehrten, aus deren Mitte ja wohl die Staatsämter werden besetzt werden, von früher Jugend an gewöhnt werden, die Bedürfnisse des Lebens nicht als Beweggrund irgend einer Tätigkeit, 5 sondern als etwas, das für sich selbst seinen eigenen Weg geht, anzusehen, indem es ihnen, sogar ohne Rücksicht auf ihren gegenwärtigen zweckmäßigen Fleiß, der aus der Liebe zur Sache hervorgehen soll, zugesichert ist.

1261 I § 11-

10 Wie muß der Lehrer an einer solchen Anstalt beschaffen sein und ausgestattet?

Zuvörderst, wie sich von selbst versteht, indem keiner lehren kann, was er selbst nicht weiß, muß er sich im Besitze der Wissenschaft befinden, und zwar auf die oben

15 angegebene Weise, als freier Künstler, so daß er sie zu jedem gegebenen Zwecke anzuwenden und in jede mög- liche Gestalt sie hinüberzubilden vermöge. Aber auch diese Kunstfertigkeit muß ihn nicht etwa mechanisch leiten und bloß als natürliches Talent und Gabe ihm beiwohnen, son-

20 dern er muß auch sie wiederum mit klarem Bewußtsein durchdrungen haben, bis zur Erkenntnis im allgemeinen sowohl, als in den besondern individuellen Bestimmungen, die sie bei einzelnen annimmt, indem er ja jeden Schüler dieser Kunst beobachten, beurteilen und leiten können soll.

25 Aber sogar dieses klare Bewußtsein und dieses Auf-

fassen der wissenschaftlichen Kunst, als eines organischen Ganzen, reicht ihm noch nicht hin, denn auch dieses könnte, wie alles bloße Wissen, tot sein, höchstens bis zur historischen Niederlegung in einem Buche ausgebildet.

30 Er bedarf noch überdies, für die wirkliche Ausübung, der Fertigkeit, jeden Augenblick diejenige Regel, die hier An- wendung findet, hervorzurufen, und der Kunst, das Mittel ihrer Anwendung auf der Stelle zu finden. Zu diesem [27] hohen | Grade der Klarheit und Freiheit muß die wissen-

35 schaftliche Kunst sich in ihm gesteigert haben. Sein Wesen ist die Kunst, den wissenschaftlichen Künstler selber zu bilden, welche Kunst eine Wissenschaft der wissenschaft- lichen Kunst auf ihrer ersten Stufe voraussetzt, für deren Möglichkeit wiederum der eigene Besitz dieser Kunst auf

Deduzierter Plan. 19

der ersten Stufe vorausgesetzt wird; in dieser Vereinigung und Folge sonach besteht das Wesen eines Lehrers an einer Kunstschule des wissenschaftlichen Verstandesge- brauchs.

Das Prinzip, durch welches die wissenschaftliche Kunst 5 zu dieser Höhe sich steigert, ist die Liebe zur Kunst.

Dieselbe Liebe ist es auch, die die wirklich entstandene Kunst der Künstlerbildung immerfort von neuem beleben, und in jedem besonderen Falle sie anregen und sie auf das Rechte leiten muß. Sie ist, wie alle Liebe, göttlichen 10 Ursprungs und genialischer Natur, und erzeugt sich frei aus sich selber; für sie ist die übrige wissenschaftliche Kunstbildung ein sicher zu berechnendes Produkt, sie selbst aber, die Kunst dieser Kunstbildung, läßt sich nicht jeder- mann anmuten, noch läßt sie selbst da, wo sie war, sich 15 erhalten, falls ihr freier Geniusflügel sich hinwegwendet.

Diese Liebe jedoch pflanzt auf eine unsichtbare Weise sich fort imd regt unbegreiflich den Umkreis an. Nichts gewährt höheres Vergnügen, als das Gefühl der Freiheit und zweckmäßigen Regsamkeit des Geistes, und [ des j:^^, Wachstums dieser Freiheit, und so entsteht das liebevollste und freudenvollste Leben des Lehrlings in diesen Übungen und in dem Stoffe derselben.

Diese Liebe für die Kunst ist in Beziehung auf andere achtend und richtet, vom Lehrer, als dem eigentlichen 25 Fokus, ausgegangen, mit dieser Achtung aus dem Indixdduum heraus sich auf die andern, welche gemeinschaftlich mit ihm diese Kunst treiben, und zieht jeden hin zu allen übrigen, wodurch die § 8 geforderte wechselseitige Mit- teilung aller und die Verschmelzung der einzelnen zu einem 30 lernenden organischen Ganzen, wie es gerade nur aus diesen lernenden Individuen sich bilden kann, entstehet, deren Möglichkeit noch zu erklären war.

(Ein geistiges Zusammenleben, das zunächst der schnellern, fruchtbarem, und in den Formen sehr viel- 35 seitigen Geistesentwicklung, später im bürgerlichen Leben der Entstehung eines Korps von Geschäftsleuten dient, in welchem nicht, wie bisher, der eigentliche Gelehrte, der dem Geschäftsmanne für einen Quer- und verrückenden Kopf gilt, diesem meist mit Recht den stumpfen Kopf und 40 den empirischen Stümper zurückgibt, sondern, die ein-

2*

20 Fichte.

ander frühzeitig durchaus kennen und achten gelernt haben, und die von einer allen gleichbekannten und unter ihnen gar nicht streitigen Basis in allen ihren Beratungen ausgehen.)

[291 1 « 12.

Diese Kunst der wissenschaftlichen Künstlerbildung, falls sie etwa in irgend einem Zeitalter zum deutlichen Bewußtsein hervorbrechen und zu irgend einem Grade der Ausübung gedeihen sollte, muß, in Absicht ihrer Fort-

10 dauer und ihres Erwachsens zu höherer Vollkommenheit, keinesweges dem blinden Ohngefähr überlassen werden; sondern es muß, und dieses am schicklichsten an der schon bestehenden Kunstschule selbst, eine feste Ein- richtung getroffen werden, dieselbe mit Besonnenheit und

15 nach einer festen Regel zu erhalten und zu höherer Voll- kommenheit zu bilden; wodurch diese Kunstschule, so wie jedes mit wahrhaftem Leben existierende Wesen soll, ihre ewige Fortdauer verbürgen würde.

Sie ist, wie oben gesagt, selbst der höchste Grad der

20 wissenschaftlichen Kunst, erfordernd die höchste Liebe und die höchste Fertigkeit und Geistesgewandtheit. Es ist drum klar, daß sie nicht allen angemutet werden könne, wie man denn auch nur weniger, die sie ausüben, bedarf; aber sie muß allen angeboten, und mit ihnen der Versuch

25 gemacht werden, damit man sicher sei, daß nirgends dieses seltne Talent, aus Mangel an Kunde seiner, un- gebraucht verloren gehe.

Für diesen Zweck wäre demnach der Lehrling, doch ohne Überspringen und nach erlangter hinlänglicher Ge- ^o/^-] wandtheit in den niedern Graden der Kvmst, | zur Ausübung aller der oben erwähnten Geschäfte des Lehrers anzuhalten, unter Aufsicht und mit der Beurteilung des eigentlichen Lehrers, so wie der andern in demselben Grade befindlichen Lehrlinge. So denselben Weg zurücklegend imter der

35 Leitung des schon geübten Lehrers, und vertraut gemacht mit dessen Kunstgriffen, welchen Weg der Lehrer selbst, von keinem geholfen und im Dunkeln tappend, gehen mußte, wird dieser Lehrling es ohne Zweifel noch viel weiter bringen in geübter und klarer Kunst, denn sein

Deduzierter Plan. 21

Lehrer, und einst selber, nach demselben Gesetze, eine noch geübtere und klarere Generation hinterlassen.

(Es geht hieraus hervor, daß eine solche Pflanzschule wissenschaftlicher Künstler überhaupt, nach den verschie- denen Graden dieser Kunst, auf ihrer höchsten Spitze ein 5 Professor-Seminarium sein würde, und also genannt werden könnte. Man hat homelitische Übungen gehabt, um zur Kunst des Vortrages für das Volk, man hat Schullehrer- Seminaria gehabt, um den Vortrag für die niedere Schule zu bilden; an eine besondere Übung oder Prüfung in der 10 Kunst des akademischen Vortrages aber hat unseres Wissens niemand gedacht, gleich als ob es sich von selbst ver- stände, daß man, was man nur wisse, auch werde sagen können; zum schlagenden Beweise, daß man mit deutlichem Bewußtsein, so weit dieses in dieser Region gedrungen, 15 mit der Universität durchaus nichts mehr beabsichtiget, als dem gedruckten Buchwesen noch ein [ zweites redendes [3I] Buchwesen an die Seite zu setzen : wodurch unsere Rede wieder in ihren Ausgangspunkt hineinfällt, zum Beweise, daß sie ihren Kreis durchlaufen hat. 20

§ 13.

Korollarium.

Der bis hierher entwickelte Begriff, selbst angesehen in einem wissenschaftlichen Ganzen, gibt der Kunst der Menschenbildung, oder der Pädagogik, den Gipfel, dessen 25 sie bisher ermangelte. Ein anderer Mann hat in unserm Zeitalter die ebenfalls vorher ermangelnde Wurzel der- selben Pädagogik gefunden. Jener Gipfel macht mögÜch die höchste imd letzte Schule der wissenschaftlichen Kunst; diese Wiu-zel macht möglich die erste und allgemeine 39 Schule des Volks, das letzte Wort nicht für Pöbel ge- nommen, sondern für die Nation. Der mittlere Stamm der Pädagogik ist die niedere Gelehrtenschule.

Aber der Gipfel ruht fest nur auf dem Stamme, und dieser zieht seinen Lebenssaft nur aus der Wurzel; alle 35 insgesamt haben nur an, in und durch einander Leben und versicherte Dauer. Eben so verhält es sich auch mit der hohem und der niedem Gelehrtenschule, und mit der Volks- schule. Wir unseres Orts, die wir die erstere beabsichtigen.

22 Fichte.

gehen, so gut wir es unter diesen Umständen vermögen,

aus unserm besondern und abgeschnittenen Mittelpunkte

aus, unsern Weg fort, nur auf die niedere Gelehrtenschule,

|321 I mit der wir allemächst zusammenhängen, und ohne deren

5 Beihilfe wir nicht füglich auch nur einen Anfang machen können, die nötige Rücksicht nehmend. Eben so geht ihres Orts, und unserer, die wir nur selbst erst unser eigenes Dasein suchen, unserer Hilfe und unseres leitenden Lichtes entbehrend, die allgemeine Pädagogik ihren Weg

10 fort, so gut auch sie es vermag. Aber arbeiten wir nur redlich fort, jeder an seinem Ende; wir werden mit der Zeit zusammenkommen und insgesamt ineinander ein- greifen, denn jedweder Teil, der nur in sich selber etwas Rechtes ist, ist Teil zu einem größeren ewigen Ganzen,

15 das in der Erscheinung nur aus der Zusammenfügung der einzelnen Teile zusammentritt. Da aber, wo wir zusammen- kommen werden, wird der armen, jetzt in ihrer ganzen Hilflosigkeit dastehenden Menschheit Hilfe und Rettung bereit sein; denn diese Rettung hängt lediglich davon ab,

20 daß die Menschenbildung im großen vmd ganzen aus den

Händen des blinden Ohngefähr unter das leuchtende Auge

einer besonnenen Kunst komme*).

[331 I Diese Einsicht und das Bewußtsein, daß uns ein

großer Moment gegeben ist, der, ungenutzt verstrichen,

25 nicht leicht wiederkehrt, bringe heihgen Ernst und An- dacht in unsere Beratungen.

*) Da man oft unerwartet auf Verkennung dieses höchsten Grundsatzes alles unsers Lebens und Treibens stößt, so ist es vielleicht nicht überflüssig, hierüber noch einige Worte hinzu- zufügen.

Ein blindes Geschick hat die menschlichen Angelegenheiten erträglich, und obgleich langsam, dennoch zu einiger Verbesserung

[33] des ganzen Zustandes geleitet, so lange in die Dunkel j heit das gute und böse Prinzip in der Menschheit gemeinschaftlich und mit ein- ander verwachsen eingehüllt war. Diese Lage der Dinge hat sich verändert, durch diese Veränderung ist eben ein durchaus neues Zeitalter, gegen dessen Anerkenntnis man sich noch so häufig sträubt, und es sind durchaus neue Aufgaben an die Zeit entstanden.

[34] Das böse Prinzip hat | nämlich aus jener Mischung sich entbunden zum Lichte; es ist sich selbst vollkommen klar geworden, und schreitet frei und besonnen und ohne alle Scheu und Scham vorwärts. Klarheit siegt allemal über die Dunkelheit; und so wird denn das böse Prinzip ohn.e Zweifel Sieger bleiben so

Deduzierter Plan. 23'

lange, bis auch das gute sich zur Klarheit und besonnenen Kunst erhebt.

In allen menschlichen Verhältnissen, besonders aber in der Menschenbildung, ist das Alte und Hergebrachte das Dunkle; eine Region, die mit dem klaren Begriffe zu durchdringen und mit be- sonnener Kunst zu bearbeiten man Verzicht leistet, und aus welcher herab man den Segen Gottes ohne sein eignes Zutun erwartet. Setzt man in diesem Glaubenssysteme jenem göttlichen Segen etwa noch eine menschliche Direktion und Oberaufsicht an die Seite, so ist das eine bloße Inkonsequenz. Das Alte ist ja jedermänniglich bekannt, diesem soll gefolgt werden, es gibt drum keine Pläne aus- zudenken; der Erfolg kommt von oben herab, und keine mensch- liche Klugheit kann hier etwas ausrichten ; es gibt drum auch nichts zu leiten, und die Oberaufsicht ist ein völlig überflüssiges Glied. Nur in dem Falle, daß Behauptungen, wie die unsrige, von freier und besonnener Kunst sich vernehmen ließen und einen Einfluß begehrten, erhielte sie eine Bestimmung, die, der Neuerung sich kräftig zu widersetzen, und festzuhalten über dem alten herge- brachten Dunkel.

Es ist nicht zu hören, wenn die Sicherheit dieses alten und ausgetretenen Weges gepriesen, dagegen das Unsichere und Ge- wagte aller Neuerungen gefürchtet wird. Bleibt man beim Alten, so wird der Erfolg schlecht sein, darauf kann man sich verlassen; denn es kann, nachdem die Welt einmal | ist, wie sie ist, aus dem [35] Dunkeln nichts anderes mehr hervorgehen, denn Böses. Hofft man etwa dabei das zu gewinnen, daß man sich sagen könne, man habe das Böse wenigstens nicht durch sein tätiges Handeln herbeigeführt, es sei eben von selbst gekommen, und man würde nichts da- gegen gehabt haben, wenn statt dessen das Gute gekommen wäre? Man muß leicht zu trösten sein, wenn man damit sich beruhiget. Und warum sollte es denn ein so großes Wagstück sein, nach einem klaren und festen Begriffe einherzugehen? Wagen wird man allein in den beiden Fällen, wenn man entweder seines Begriffes nicht Meister ist, oder nicht schon im voraus entschlossen, sein Alles an die Ausführung desselben zu setzen. Aber nichts nötigt uns, uns in einem dieser beiden Fälle zu befinden.

Am wenigsten würden wir den Grundbegriff von einer Uni- versität gelten lassen, daß dieselbe sei keinesweges eine Erziehungs- anstalt, deren unfehlbaren Erfolg man soviel möglich sichern müsse, sondern eine im Grunde überflüssige und nur als freie Gabe zu betrachtende Bildungsanstalt, die jeder, der in der Lage sei, mit Freiheit gebrauchen könne, v.ie er eben wolle. Gibt es solche An- stalten, als da etwa wäre das Werkmeistersche Museum u. dergl., so können dieselben nur sein für weise Männer und gemachte Bürger, die in Absicht einer persönlichen Bestimmung und eines festen Berufes mit dem Staate sich schon abgefunden haben, keinesweges für Jünglinge, die einen Beruf noch suchen. Auch hat bisher der Staat, und dies ist auch ein Altes und Wohlher- gebrachtes, bei welchem es ohne Zweifel sein Bewenden wird haben [36] müssen, es hat der Staat allerdings auf die Universitäten gerechnet, als eine notwendige und bisher durch nichts anderes ersetzte Er-

24 Fichte.

Zweiter Abschnitt.

Wie unter den gegebenen Bedingungen der Zeit und des Orts der aufgegebne Begriff realisiert werden könne.

§ 14.

5 Soll unsere Lehranstalt keinesweges etwa eine in sich

selbst abgeschlossene Welt bilden, sondern soll sie ein- greifen in die wirklich vorhandene Welt, und soll sie ins- besondere das gelehrte Erziehungswesen dieser Welt um- bilden, so muß sie sich anschließen an dasselbe, so wie

10 es ist und sie dasselbe vorfindet. Dieses muß ihr erster Standpunkt sein; dies der von ihr anzueignende und durch sie zu organisierende Stoff; sie aber das geistige Ferment

[34] dieses Stoffes. Sie muß [ sich erzeugen und sich fort- bilden innerhalb einer gewöhnlichen Universität, weil wir 15 dies nicht vermeiden können, so lange bis die letztere, in

[3oj die erste aufge- 1 hend, gänzlich verschwinde : keinesweges aber müssen wir von dem Gedanken ausgehen, daß wir eine ganz gewöhnliche Universität und nichts weiter bilden wollen.

20

[36j

I § 15.

Diese notwendige Stetigkeit des Fortgangs in der Zeit sogar abgerechnet, vermögen wir in dieses Vorhabens Aus-

ziehungsanstalt eines Standes, an dem ihm viel gelegen ist; und es wäre zu erwarten, was erfolgen würde, wenn nur drei Jahre hintereinander es der Freiheit aller Studierenden gefiele, die Uni- versität nicht auf die rechte Weise zu benutzen. Oder soll man voraussetzen, daß es mitten in unsern gebildeten Staaten noch einen Haufen von Menschen gebe, deren angeborenes Privilegium dies ist, daß kein Mensch Anspruch auf ihre Kräfte und die Bildung derselben habe, und denen es frei stehen muß, ob sie zu etwas oder zu nichts taugen wollen, weil sie außerdem zu leben haben? Soll für diese vielleicht jene freie und auf gar nichts rechnende Bildungsanstalt angelegt werden, damit sie, wenn sie wollen, hier die Mittel erwerben, ihr einstiges müßiges Leben mit weniger Langeweile hinzubringen? Alles zugegeben, möchten wenigstens diese Klassen selbst für die Befriedigung dieses ihres Bedürfnisses sorgen; aber dem Staate ließen die Kosten einer solchen Anstalt sich keinesweges aufbürden.

Deduzierter Plan. 25

führung um so weniger anders, denn also zu verfahren, da die freie Kunst der besonderen Wissenschaft so- wohl überhaupt, als in ihren einzelnen Fächern dermalen noch gar nicht also vorhanden ist, daß sie sicher und nach einer Regel aufbehalten und fortgepflanzt werden 5 könnte; sondern diese freie Kunst der besondern Wissen- schaft erst selber in der schon vorhandenen Kunstschule zimi deutlichen Bewußtsein und zu geübter | Fertigkeit [37] erhoben werden, und so die Kunstschule einem ihrer wesent- lichen Teile nach sich selber erst erschaffen muß. So 10 nun nicht wenigstens der Ausgangspunkt dieser Kunst in der Wissenschaft überhaupt, und unabhängig von dem Vorhandensein der Schule, irgendwo und irgendwann zu existieren vermöchte, so würde es niemals zu einer solchen Kunstschule, ja sogar nicht zu dem Gedanken und der Auf- 15 gäbe derselben kommen.

§ 16. Mit diesem Ausgangspunkte der wissenschaftlichen Kunst verhält es sich nun also. Ktmst wird 4) dadurch erzeugt, daß man deutlich versteht, was man, und wie 20 man es macht. Die besondere Wissenschaft aber ist in allen ihren einzelnen Fächern ein besonderes Machen und Verfahren mit dem Geistesvermögen; und man hat dies von jeher anerkannt, wenn man z. B. vom historischen Genie, Takt und Sinne, oder von Beobachtungsgabe und dergl. 25 als von besondem, ihren eigentümlichen Charakter tragen- den Talenten gesprochen. Nun ist ein solches Talent allemal Naturgabe, und, da es ein besonderes Talent ist, so ist der Besitzer desselben eine besondere und auf diesen Standpunkt beschränkte Natur, die nicht wiederum über 30 diesen Punkt sich erheben, ilui frei anschauen, ihn mit dem Begriffe durchdringen, und so aus der bloßen Natur- gabe eine freie Kunst machen könnte. Und so würde denn die besondere | Wissenschaft entweder gar nicht getrieben [38] werden können, weil es an Talent fehlte, oder, wo sie ge- 35 trieben würde, könnte es, eben weil dazu Talent, das eben nur Talent sei, gehört, niemals zu einer besonnenen Kunst derselben kommen. So ist es denn auch wirklich. Der Geist jeder besondern Wissenschaft ist ein beschränkter und beschränkender Geist, der zwar in sich selber lebt 40

26 Fichte.

und treibet und köstliche Früchte gewährt, der aber weder sich selbst, noch andere Geister außer ihm zu verstehen vermag. Sollte es nun doch zu einer solchen Kunst in der besondern Wissenschaft kommen, so müßte dieselbe, 5 unabhängig von ihrer Ausübimg, und noch ehe sie ge- trieben würde, verstanden, d. i. die Art und Weise der geistigen Tätigkeit, deren es dazu bedarf, erkannt werden, und so der allgemeine Begriff ihrer Kunst der Ausübung dieser Kunst selbst vorhergehen können. Nun ist das-

10 jenige, was die gesamte geistige Tätigkeit, mithin auch alle besonderen und weiter bestimmten Äußerungen derselben wissenschaftlich erfaßt, die Philosophie : von philosophischer Kunstbildung aus müßte sonach den besondern Wissen- schaften ihre Kunst gegeben, und das, was in ihnen bisher

15 bloße vom guten Glücke abhängende Naturgabe war, zu besonnenem Können und Treiben erhoben werden; der Geist der Philosophie wäre derjenige, welcher zuerst sich selbst, und sodann in sich selber alle andern Geister ver- stände ; der Künstler in einer besondern Wissenschaft müßte

20 vor allen Dingen ein philosophischer Künstler werden, und

39] ( seine besondere Kirnst wäre lediglich eine weitere Be- stimmung und einzelne Anwendung seiner allgemeinen philosophischen Kunst.

(Dies dunkel fühlend hat man, wenigstens bis auf

25 die letzten durch und durch verworrenen und seichten Zeiten, geglaubt, daß alle höhere wissenschaftliche Bildung von der Philosophie ausgehen, und daß auf Universitäten die philosophischen Vorlesungen von allen und zuerst ge- hört werden müßten. Ferner hat man in den besondern

30 Wissenschaften z. B. von philosophischen Juristen oder Geschichtsforschern oder Ärzten gesprochen, und man wird finden, daß von denen, welche sich selber verstanden, immer diejenigen mit dieser Benennung bezeichnet wurden, die mit der größten Fertigkeit und Gewandtheit ihre

35 Wissenschaft vielseitig anzuwenden wußten, sonach die Künstler in der Wissenschaft. Denn diejenigen, welche a priori phantasierten, wo es galt Fakta beizubringen, sind eben so, wie diejenigen, die sich auf die wirkliche Beschaffen- heit der Dinge beriefen, wo das apriorische Ideal dar-

40 gestellt werden sollte, von den Verständigen mit der ge- bührenden Verachtung angesehen worden.)

Deduzierter Plan. 27

§ 17.

Die erste und ausschließende Bedingung der Möglich- keit, eine wissenschaftliche Kunstschule zu errichten, würde demnach diese sein, daß man einen Lehrer fände, der da fähig wäre, das Philosophieren selber als ei- i ne Kunst zu r iQ i treiben, und der es verstände, eine Anzahl seiner Schüler zu einer bedeutenden Fertigkeit in dieser Kunst zu erheben, mit welcher nun einige dieser wiederum den ihnen ander- wärts herzugebenden positiven Stoff der besondern Wissen- schaften durchdrängen, und sich auch in diesen zu Künstlern 10 bildeten; von welchen letztern wiederum diejenigen, die es zu dem Grade der Klarheit dieser Kunst gebracht hätten, daß sie selbst Künstler zu bilden vermöchten, ihre Kunst fortpflanzten. Nachdem dieses letztere über das ganze Ge- biet der Wissenschaften möglich geworden, in einer solchen 15 Ausdehnung, daß man auf die sichere Fortpflanzung der gesamten wissenschaftlichen Kunst bis ans Ende der Tage rechnen könnte, alsdann stände die beabsichtigte wissen- schaftliche Kunstschule da, und wäre errichtet.

§ 18. 20

Dieser philosophische Künstler muß, beim Beginnen der Anstalt, ein einziger sein, außer welchem durchaus kein anderer auf die Entwicklung des Lehrlings zum Philosophieren Einfluß habe. Wer dagegen einwenden wollte, daß es, um die Jünglinge vor Einseitigkeit und 25 blindem Glauben an Einen Lehrer zu verwahren, auf einer höhern Lehranstalt vielmehr eine Mannigfaltigkeit der Ansichten und Systeme, und eben darum der Lehrer geben müsse, würde dadurch verraten, daf3 er weder von der Philosophie überhaupt, noch vom Philosophieren, als einer 30 Kunst, einen Begriff | habe. Denn obwohl, falls es Ge- [41] wißheit gibt, und dieselbe dem Menschen erreichbar ist, (wer über diesen Punkt sich noch in Zweifel befände, der wäre nicht ausgestattet, um mit uns über die Einrichtung eines wissenschaftlichen Instituts zu beratschlagen), der 35 Lehrer, den wir suchen, selber in sich seiner Sache gewiß sein und ein System haben muß, indem im entgegengesetz- ten Falle er mit seinem Philosophieren nicht zu Ende gekommen wäre, mithin die ganze Kunst des Philosophierens

28 Fichte.

nicht einmal selber ausgeübt hätte, und so durchaus un- fähig wäre, dieselbe in ihrem ganzen Umfange mit Bewußt- sein zu durchdringen und sie andern mitzuteilen, und wir uns daher in der Wahl der Personen vergriffen hätten 5 obwohl, sage ich, dies also ist, so wird er dennoch in seinem Bestreben, selbsttätige, die Gewißheit in sich selbst erzeugende und das System selbst erfindende Künstler zu bilden, nicht von seinem Systeme, noch überhaupt von irgend einer positiven Behauptung ausgehen; sondern 10 nur ihr systematisches Denken anregen, freilich in der sehr natürlichen Voraussetzung, daß sie am Ende desselben bei demselben Resultate ankommen werden, bei dem auch er angekommen, und daß, wenn sie bei einem andern ankommen, irgendwo in der Ausübung der Kirnst ein 15 Fehler begangen worden. Wäre irgend ein anderer neben ihm, der ihm widerspräche, so müßte dieser etwas be- haupten; ließe er sich verleiten dem Widerspruche zu widersprechen, so müßte nun auch er behaupten, und es entstände Polemik. Wo aber Polemik ist, da ist Thesis, r .gl I und wo Thesis ist, da wird nicht mehr tätig philosophiert, sondern es wird nur das Resultat des, so Gott will, vorher ausgeübten tätigen Philosophierens historisch erzählt; so- mit hebt die Polemik das Wesen einer philosophischen Kunstschule gänzlich auf, und es ist ihr darum aller Ein- 25 gang in diese abzuschneiden.

(Dieselbe Unbekanntschaft mit dem Wesen der Philo- sophie würde verraten eine andere Bemerkung, die fol- gende: es müsse auf einer solchen Anstalt die Vollständig- keit der sogenannten philosophischen Wissenschaften be- 30 absichtiget werden, und dies, da sie einem einzigen nicht wohl anzumuten sei, werde eine Mehrheit der Lehrer der Philosophie verlangen. Denn wenn nur wirklich der philosophische Geist und die Kunst des Philosophierens entwickelt ist, so vv^ird ganz von selbst diese sich über die 35 gesamte Sphäre des Philosophierens ausbreiten und diese in Besitz nehmen; sollte aber für andere, an welchen das Streben, sie in diese Kunst einzuweihen, mißlingt, die wir aber dennoch, aus Mangel besserer Subjekte, in den bürger- lichen Geschäften anstellen und brauchen müßten, irgend 40 ein historisch zu erlernender philosophischer Kate- chismus, als Rechtslehre, Moral u. dergl. nötig sein, so

Deduzierter Plan. 29

wird ja wohl dieser in gedruckten Büchern irgendwo vor- liegen, an deren eigenes Studium auch hier, so wie in den andern Fächern, dergleichen Subjekte vom Lehrer der Philosophie hingewiesen, und erforderlichen Falles darüber examiniert würden.) 6

I § 19. [43]

Mit diesem also entwickelten philosophischen Geiste, als der reinen Form des Wissens, müßte nun der ge- samte wissenschaftliche Stoff, in seiner orga- nischen Einheit, auf der höheren Lehranstalt aufgefaßt lo imd durchdrungen werden, also, daß man genau wüßte, was zu ihm gehöre oder nicht, und so die strenge Grenze zwischen Wissenschaft und Nichtwissenschaft gezogen würde; daß man ferner das organische Eingreifen der Teile dieses Stoffs ineinander und das gegenseitige Ver- hältnis derselben tmter sich allseitig verstände, damit man daraus ermessen könnte, ob dieser Stoff am Lehrinstitute vollständig bearbeitet werde, oder nicht; in welcher Folge, oder Gleichzeitigkeit am vorteilhaftesten diese einzelnen Teile zu bearbeiten seien; bis zu welcher Potenz die niedere 20 Schule denselben zu erheben, und wo eigentlich die höhere einzugreifen habe; ferner, bis zu welcher Potenz auch auf der letztern alle, die auf den Titel eines wissenschaftlichen Künstlers Anspruch machen wollteu, ihn auszubilden hätten, und wie viel dagegen der besondern Ausbildung für ein 25 bestimmtes praktisches Fach anheimfiele und vor- behalten bleiben müsse. Dies gäbt eine philosophische En- zyklopädie der gesamten Wissen.-ciiaft, als stehendes Re- gulativ für die Bearbeitung aller be-ondern Wissenschaften.

(Wenn auch allenfalls die Philosophie schon jetzt fähig 30 sein sollte, zu einer solchen enzyklopädischen An- 1 sieht [44] der gesamten Wissenschaft in ihrer organischen Eirüaeit einige Auskunft zu geben, so ist doch die übrige wissen- schaftliche Welt viel zu abgeneigt, der Philosophie die Gesetzgebung, die sie dadurch in Anspruch nähme, zuzu- 35 gestehen, oder dieselbe in dergleichen Äußerungen auch nur notdürftig zu begreifen, als daß sich hiervon einiger Erfolg sollte erwarten lassen. Auch müßten, da es hier nicht um theoretische Behauptung einiger Sätze, sondern

30

Fichte.

um Einführung einer Kunst zu tun ist, erst eine beträcht- liche Anzahl von Männern gebildet werden, die da fähig wären, eine solche Enzyklopädie nicht bloß zu verstehen und wahr zu finden, sondern auch nach den Regeln der- 5 selben die besondern Fächer der Wissenschaft wirkhch zu bearbeiten; daß es daher am schickUchsten sein wird, hierüber sich vorläufig gar nicht auszusprechen, sondern jene Enzyklopädie durch das wechselseitige Eingreifen der Philosophie und der philosophisch kunstmäßigen Bearbei- 10 tung der nun eben vorhandenen besondem Fächer der Wissenschaft allmählich von selber erwachsen zu lassen; daß mithin in Absicht dieses ihr sehr wesentlichen Be- standteils die Kunstschule sich selbst innerhalb ihrer selbst erschaffen müßte.)

16 § 20.

Beim Anfange und so lange, bis es dahin gekommen,

müssen wir uns begnügen, die vorliegenden Fächer ohne

organischen Einheitspunkt bloß historisch aufzufassen, nur

[45] dasjenige, wovon wir schon bei dem ge- [ genwärtigen Grade

20 der allgemeinen philosophischen Bildung dartun können, daß es dem wissenschaftlichen Verstandesgebrauche ent- weder geradezu widerspreche, oder nicht zu demselben gehöre, von uns ausscheidend, das übrige aufnehmend, imd es in seiner Würde und an seinem Platze bis zu

25 besserer allgemeiner Verständigung stehen lassend; ferner in diesen Fächern die am meisten philosophischen, d.i. die mit der größten Freiheit, Kunstmäßigkeit und Selb- ständigkeit in denselben verfahrenden unter den Zeitge- nossen, zu Lehrern uns anzueignen; endlich, diese zu der

30 am meisten philosophischen, d. i. zu der, Selbsttätigkeit und Klarheit am sichersten entwickelnden, Mitteilung ihres Faches anzuhalten, und sie darauf zu verpflichten.

Über den ersten Punkt, betreffend die Ausscheidung,

35 werden wir demnächst beim Durchgehen der vorhandenen

wissenschaftlichen Fächer uns erklären. Über den zweiten

merke ich hier im allgemeinen nur das an, daß wir den

Vorteil haben, in einigen der Hauptfächer diejenigen, welche

Deduzierter Plan. 31

als die freisten und selbsttätigsten allgemein anerkannt sind, schon jetzo die unsrigen zu nennen, und daß, falls nur nicht etwa einige für die Herablassung und für das Wechselleben mit ihren Schülern, das dieser^ Plan ihnen anmutet, sich zu vornehm dünken, wir hoffen dürfen, sie 5 für unsern Zweck zu gewinnen, und daß in andern Fächern, I in denen wir nicht mit derselben Zuversichtlichkeit das- [^61 selbe rühmen können, der Unterschied zwischen den Zeit- genossen in Absicht des angegebenen Gesichtspunktes über- haupt nicht sehr groß ist, und wir darum hoffen dürfen, 10 ohne große Schwierigkeit die notwendigen Stellen so gut zu besetzen, als sie unter den gegenwärtigen Umständen überhaupt besetzt werden können; daß es aber ausschlie- ßende Bedingung sei, daß dieselben schon vor ihrer Be- rufung und Anstellung sowohl über unsern Hauptplan, als 15 über den dritten Punkt in Absicht des zu wählenden Vor- trages imterrichtet, und aufrichtig mit uns einverstanden seien. In Absicht dieses dritten Punktes endlich, stellen wir als eine Folge aus allem bisherigen fest, daß, die oben erwähnten Examina, Konversatorien und Aufgaben, 20 als die erste charakteristische Eigenheit unserer Methode, deren Anwendung im besondern Falle am gehörigen Orte näher wird beschrieben werden, noch abgerechnet, alle mündliche Mitteilung über ein besonderes Fach ausgehen müsse von der Enzyklopädie dieses Faches, und daß 25 dieses die allererste Vorlesung jedes bei uns anzustellenden Lehrers sein und von jedem Schüler zu allererst gehört werden müsse. Denn die bis zur höchsten Klarheit ge- steigerten einzelnen Enzyklopädien der besondern Fächer, besonders wenn sie alle zusammen den Lehrern und Zog- CO lingen der Anstalt bekannt sind, sind das zunächst in die von der Philosophie ausgehen sollende allgemeine En- zyklopädie (s. § 19 am Schlüsse) eingreifende Glied, | ar- ;471 beiten derselben mächtig vor, und werden der letztern. wenn sie entstehen wird, die vollkommne Verständlichkeit 3'> fTtcilen müssen, indem auch sie selber umgekehrt von ihr i(^ Festigkeit und Klarheit erhalten werden; sodann ist iheit und Ansicht der Sache aus Einem Gesichtspunkte heraus der Charakter der Philosophie und der freien Kunstmäßigkeit, die wir anstreben ; dagegen unverbundene 40 Mannigfaltigkeit und mit nichts zusammenhängende Einzel-

32 Fichte.

heit der Charakter der Unphilosophie, der Verworrenheit und der Unbehilfhchkeit, welche wir eben aus der ganzen Welt austilgen möchten, und sie drum nicht in uns selbst aufnehmen müssen; endlich wenn auch dieses alles nicht 5 so wäre, können wir aus Mangelhaftigkeit der niedern Schule zu Anfange bei unsern Schülern nicht auf ein solches schon fertiges Gerüst des gesamten wissenschaft- lichen Stoffes, wie es oben 10) beschrieben worden, rechnen, und müssen zu allererst diesen Mangel in unsern

10 besondern Enzyklopädien ersetzen. Die Hauptgesichts- punkte einer solchen auf eine wissenschaftliche Kunstschule berechneten Enzyklopädie sind die folgenden: daß sie zuvörderst die eigentliche charakteristische Unter- scheidung des Verstandesgebrauchs in diesem Fache

15 und die besonderen Kunstgriffe oder Vorsichtsregeln in ihm, mit aller dem Lehrer selbst beiwohnenden Klarheit, angebe, und sie mit Beispielen belege (und so eben z. B. das historische Talent oder die Beobachtungsgabe mit dem Begriffe durchdringe); daß sie die Teile dieser

" Wissenschaft vollständig und um- 1 fassend vorlege, und

^ ^ zeige, auf welche besondere Weise jeder, imd in welcher

Zeitfolge sie studiert werden müssen; endlich, daß sie die

für den Zweck des Lehrlings nötige Literaturkenntnis des

Faches gebe und ihn berate, was, und in welcher

25 Ordnung und etwa mit welchen Vorsichtsmaßregeln er zu lesen habe. Besonders in der letzten Rücksicht ist der Lehrer dem Lehrlinge ein allgemeines Register und Reper- torium des gesamten Buchwesens in diesem Fache, in wieweit dasselbe dem Lehrlinge nötig ist, schuldig;

30 welches nun der Lehrling selber, nach der ihm gegebenen Anleitung, zu lesen, keinesweges aber vom Lehrer zu er- warten hat, daß auch dieser es ihm noch einmal rezitiere. Gehört nun femer, wie wir hoffen, der Lehrer zu dem oben erwähnten edlern Bestandteile der bisherigen Universitäten,

35 daß er mit dem gesamten Buchwesen seines Faches nicht allerdings zufrieden, und fähig sei, dasselbe hier und da zu verbessern, so zeige er in seiner Enzyklopädie diese fehlerhaften Stellen des großen Buches an, und lege dar seinen Plan, wie er in besondern Vorlesungen diese fehler-

40 haften Stellen verbessern wolle, und in welcher Ordnung diese besondern Vorlesungen, die insgesamt auf der festen

Deduzierter Plan. 33

Unterlage seiner Enzyklopädie ruhen und auf ihr geordnet sind, zu hören seien. Ist dessen so viel, daß er es allein nicht bestreiten kann, so wähle er sich einen Unterlehrer, der verbunden ist, in seinem Plane zu arbeiten. Nur sage er nicht, was im Buche auch steht, sondern hur das, was 5 in keinem Buche steht. (Als Beispiel : daß in den Schüler I der niedem Schule sehr früh ein Inbegriff der Universal- [49] geschichte hineingebildet werden müsse, versteht sich tmd ist oben gesagt; wozu aber, außer der Anweistmg, wie man die gesamte Menschengeschichte zu verstehen habe, 10 welche wohl am schicklichsten dem Philosophen anheim fallen dürfte, auf der höhern Schule ein Kursus der Uni- versalgeschichte solle, bekenne ich nicht zn begreifen; da- gegen aber würde ich es für sehr schicklich und alles Dankes wert halten, wenn ein Professor der Geschichte 15 ein Kollegium ankündigte über besondere Data aus der Weltgeschichte, die keiner vor ihm so richtig gewußt habe, wie er, und er mit diesem Versprechen Wort hiehe.)

(Wir setzen der Erwähnung dieser von vielen so sehr 20 angefeindeten Enzyklopädien, zur Vorbauung möglichen Mißverständnisses, noch folgendes hinzu. Mit derselben vollkommnen Überzeugung, mit welcher wir zugeben, daß das Bestreben, bei solchen allgemeinen Übersichten und Resultaten stehen zu bleiben, von Seichtigkeit, Trag- l'5 heit und Sucht nach wohlfeilem Glänze zeuge, und diese Schlechtigkeiten befördere, sehen wir zugleich auch ein, daß das Widerstreben, von ihnen auszugehen, den Lehr- ling ohne Steuerruder und Kompaß in den verworrenen Ozean stürze, daß, obwohl einige sich rühmen, hiebei ohne 30 Ertrinken davon gekommen zu sein, man darum doch nicht das Recht habe, jedermann derselben Gefahr auszusetzen; daß selbst die Geretteten gesunder sein würden, wenn sie I der Gefahr sich nicht ausgesetzt hätten; und daß [50] die Quellen dieses Widerstrebens keinesweges auf einer 35 bessern Einsicht, sondern daß sie größtenteils auf dem persönlichen Unvermögen beruhen, solche enzyklopädische Rechenschaft über das eigene Fach zu geben, indem diese, nur groß im Einzelnen, niemals zur Ansicht eines Ganzen sich erhoben haben. Wer nun eine solche Enzyklopädie lO seines Faches geben nicht könnte, oder rücht wollte, der

Universitätsschriften Fichte, Sclilcierm.icher, Steffens. 3

34 Fichte.

wäre für uns nicht bloß unbrauchbar, sondern sogar ver- derbhch, indem durch seine Wirksamkeit der Geist unseres Instituts sogleich im Beginn getötet würde.)

§ 22.

5 Wir gehen an die historische Auffassung des auf den

bisherigen Universitäten vorliegenden Stoffes und schicken folgende zwei allgemeine Bemerkungen voraus. Eine Schule des wissenschaftlichen Verstandesgebrauchs setzt voraus, daß verstanden und bis in seinen letzten Grund durch-

10 drungen werden könne, was sie sich aufgibt; sonach wäre ein solches, das den Verstandesgebrauch sich verbittet und sich als ein unbegreifliches Geheimnis gleich von vorn herein aufstellt, durch das Wesen derselben von ihr aus- geschlossen. Wollte also etwa die Theologie noch ferner-

15 hin auf einem Gotte bestehen, der etwas wollte ohne allen

Grund; welches Willens Inhalt kein Mensch durch sich

selber begreifen, sondern Gott selbst unmittelbar durch

besondere Abgesandte ihm mitteilen müßte; daß eine solche

[51] Mittel- 1 lung geschehen sei und das Resultat derselben in

20 gewissen heiligen Büchern, die übrigens in einer sehr dunkeln Sprache geschrieben sind, vorliege, von deren richtigem Verständnisse die Seligkeit des Menschen ab- hänge : so könnte wenigstens eine Schule des Verstandes- gebrauchs sich mit ihr nicht befassen. Nur wenn sie diesen

25 Anspruch auf ihr allein bekannte Geheimnisse und Zauber- mittel durch eine unumwundene Erklärung aufgibt, laut bekennend, daß der Wille Gottes ohne alle besondere Offen- barung erkannt werden könne, und daß jene Bücher durch- aus nicht Erkenntnisquelle, sondern nur Vehikulum

30 des Volksunterrichtes seien, welche, ganz unabhängig von dem, was die Verfasser etwa wirklich gesagt haben, beim wirklichen Gebrauche also erklärt werden müssen, wie die Verfasser hätten sagen sollen; welches letztere, wie sie hätten sagen sollen, darum schon vor ihrer Er-

35 klärung anderwärts her bekannt sein müsse: nur unter dieser Bedingung kann der Stoff, den sie bisher besessen hat, von unserer Anstalt aufgenommen und jener Voraus- setzung gemäß bearbeitet v/erden. Ferner haben mehrere bisher auf den Universitäten bearbeitete Fächer, (als die

Deduzierter Plan. 35

soeben erwähnte Theologie, die Jurisprudenz, die Medizin), einen Teil, der nicht zur wissenschaftlichen Kunst, sondern zu der sehr verschiedenen praktischen Kunst der Anwendung' im Leben gehört. Es gereicht sowohl einesteils zum Vor- teile dieser praktischen Kunst, die am besten in unmittel- 5 barer und ernstlich gemeinter Ausübung unter dem Auge des schon geübten | Meisters erlernet wird, als andern- [52] teils zum Vorteile der wissenschaftlichen Kunst selbst, welche zu möghchster Reinheit sich abzusondern und in sich selbst sich zu konzentrieren hat, daß jener Teil von 10 unserer Kunstschule abgesondert und in Beziehung auf ihn andere für sich bestehende Einrichtungen gemacht werden. Was inzwischen auch in dieser Rücksicht von der wissenschaftlichen Kunstschule zu beobachten sei, werden wir bei Erwähnung der einzelnen Fälle beibringen. 1j

§ 23.

Nächst der Philosophie macht die Philologie, als das allgemeine Kunstmittel aller Verständigung, mit Recht den meisten Anspruch auf Universalität. Ob auch wohl überhaupt für das gesamte studierende Publikum 20 auf der höheren Schule es eines philologischen Unter- richts bedürfen, oder vielmehr dieser schon auf der niedern Schule beendigt sein solle, ob insbesondere für diejenigen, die sich zu Schullehrern bestimmen, und für die es allerdings einer weitern Anführung bedarf, die dahin ge- 25 hörigen Anstalten nicht schicklicher mit den niedern Schulen selbst vereinigt werden würden : die Beantwortung dieser Frage können wir für jetzt dem Zeitalter, da die allgemeine Enzyklopädie geltend gemacht sein und die niedere Schule sein wird, was sie soll, anheimgeben, und vorläufig es beim 30 Alten lassen.

§ 24.

Von der Mathematik sollte imseres Erachtens der reine Teil bis zu einer gewissen Potenz schon auf | der [53] niedern Schule vollkommen abgetan sein; und es wäre 35 hierdurch das, was oben über das Pensum dieser Schule gesagt worden, zu ergänzen. Da auch hierauf im An- fange nicht zu rechnen ist, so wäre vorläufig ein auf diesen

3*

36 Fichte.

gegenwärtigen Zustand der niedern Schule berechneter Plan des mathematischen Studiums zu entwerfen.

Auf allen Fall ist mein Vorschlag, daß eine Komitee aus unsern tüchtigsten Mathematikern ernannt, diesen unser 5 Plan im Ganzen vorgelegt, und ihnen aufgegeben würde, die Beziehung ihrer Wissenschaft auf denselben zu ermessen, und dem zufolge durch allgemeine Übereinkunft einen aus ihrer Mitte zu ernennen, oder auch einen Fremden zur Vokation vorzuschlagen, dem die Enzyklopädie, der Plan 10 und die Direktion dieses ganzen Studiums übertragen würde.

§ 25. Die gesamte Geschichte teilt sich in die Geschichte der fließenden Erscheinung und in die der dauernden. Die erste ist die vorzüghch also genannte Geschichte, oder

15 Historie, mit ihren Hilfswissenschaften; die zweite die Naturgeschichte; welche ihren theoretischen Teil hat, die Naturlehre.

In der ersten ist der zu rufende Ober- und enzyklo- pädische Lehrer über unsern Grundplan zu verständigen;

20 worüber er vorläufig mit uns einig sein muß.

Das ausgedehnte Fach der Naturwissenschaft be- [54] treffend, welche durchaus als ein organisches Ganze | be- handelt werden muß, kann ich nur eine Komitee, so wie oben bei der Mathematik, in Vorschlag bringen, die aus

25 ihrer Mitte, oder auch einen Fremden rufend, den Enzyklo- pädisten, Entwerfer des Lehrplans und Direktor des ganzen Studiums erwähle, und falls es so nötig befunden würde, nach desselben Plane den Vortrag desselben auch hier mit der beständigen Rücksicht, daß nicht mündlich mit-

30 geteilt werde, was so gut oder besser sich aus dem Buche lernen läßt, unter sich verteile. Das Haupterfordernis eines solchen Planes ist Vollständigkeit und organische Ganzheit der Enzyklopädie. Zugleich hat sie für ihr Fach sich mit der niedern Schule über die Grenze zu berichtigen,

35 und dieser die Potenz, die sie hervorbringen soll, als ihr künftiges Pensum aufzugeben, welches auch für die oben erwähnten, so wie für alle folgenden Fächer gilt, und hier einmal für immer erinnert wird. Bloß die Philosophie ver- bittet die direkte Vorbereitung der niedern Schule und ist

40 mir nur ausschließend eine Kunst der höhern.

Deduzierter Plan. 37

§ 2G.

Die drei sogenannten höhern Fakultäten würden schon früher wohl getan haben, wenn sie sich, in Absicht ihres wahren Wesens, in dem ganzen Zusammenhange des Wissens deutlich erkannt und sich darum nicht, pochend auf ihre 5 praktische Unentbehrlichkeit und ihre Gültigkeit beim Haufen, als ein abgesondertes und vornehmeres Wesen hingestellt, sondern lieber je- 1 nem Zusammenhange sich [55J untergeordnet und mit schuldiger Demut ihre Abhängigkeit erkannt hätten; indem sie nämlich verachteten, wurden sie 10 verachtet, und die Studierenden anderer Fächer nahmen keine Notiz von dem, was jene ausschließend für sich zu besitzen begehrten, wodurch sowohl ihrem Studium, als der Wissenschaft im Großen und Ganzen sehr geschadet wurde. Wir werden auf Belege dieser Angabe stoßen. Eine 15 wissenschaftliche Kunstschule mutet ihnen sogleich bei ihrem Eintritte in ihren Umkreis diese Bescheidenheit zu.

Der wissenschaftliche Stoff der Jurisprudenz ist ein Kapitel aus der Geschichte; sogar nur ein Fragment dieses Kapitels, wie sie bisher behandelt worden. Sie sollte sein 20 eine Geschichte der Ausbildung und Fortgestal- tung des Rechtsbegriffs unter den Menschen, wel- cher Rechtsbegriff selber, unabhängig von dieser Ge- schichte, und als Herrscher, keinesweges als Diener, schon vorher durch Philosophieren gefunden sein müßte. 25 In ihrer gewöhnlichen ersten, lediglich praktischen Absicht, nur Richter, welches ein untergeordnetes Geschäft ist, zu bilden, wird sie Geschichte jener Ausbildung in dem Lande, in welchem wir leben, und, wenn es hoch geht, unter den Römern, und so Fragment; aber ihr letzter praktischer 30 Zweck ist der, den Gesetzgeber zu bilden; und für diesen Behuf möchte üir wohl das ganze Kapitel ratsam sein; denn obwohl, was überhaupt Gesetz sein solle, schlechthin a priori erkannt wird, so dürfte doch die Kunst, die beson- dere Gestalt dieses Gesetzes ( für jede gegebene Zeit zu ^ finden und es ihr anzuschmiegen, der Erfahrung der ge- ^^^' samten bekannten Zeit in demselben Geschäfte bedürfen. Richteramt sowohl als Gesetzgebung sind praktische An- wendung der Geschichte; und so hat die Jurisprudenz zu ihrer ersten Enzyklopädie die Enzyklopädie der Ge- 40

38 Fichte.

schichte, indem dieses der Boden ist, auf welchem sie und der wissenschaftUche Verstandesgebrauch in ihr ruhet, imd die Ausübung derselben in ihrer höchsten Potenz eigentlich die Kunst ist, eine Geschichte, und zwar eine 5 erfreulichere, als die bisherige, hervorzubringen. Die An- führung aber zur praktischen Anwendung im Leben fällt ganz außer dem Umkreis der Schule, und wären hierin die Schüler an die ausübenden Kollegia zu verweisen, unter deren Augen, aber auf die Verantwortung der Beamten,

10 denen sie anvertraut worden, sie für die künftige Geschäfts- führung sich vorbereiteten. Ich schlage daher für dieses Fach eine Komitee vor, in welcher aber der oben be- schriebene Enzyklopädist der Geschichte Sitz, und für seinen Anteil entscheidende Stimme hätte. Diese hätte einen be-

15 sondern Enzyklopädisten für die Teile und die Literatur des beschriebenen Kapitels anzustellen, den Studienplan vorzuzeichnen und die Anstalten für praktische Bildung" unabhängig von der wissenschaftlichen Kunstschule zu organisieren. Ich hoffe, daß bei entschiedener Durch-

20 führung des Satzes, nicht mündlich zu lehren, was im [57] Buche steht, der Lektionskatalog dieser Fakultät | kürzer werden wird, als er bisher war; wiewohl durch unsere Grundsätze des zu Erlernenden mehr geworden ist.

Die Heilkunde ruht auf dem zweiten Teile des positiv

25 zu Erlernenden, der Naturwissenschaft; jedoch erlaubt ihr gegenwärtiger Zustand den Zweifel, in welchem auch der Schreiber dieses sich zu befinden gern bekennt, ob aus jener unstreitig wissenschaftlichen Basis in der wirk- lichen Heilkunde auch nur ein einziger positiver Schluß

30 zu machen, und somit, ob diese Basis Leiterin sei in der Ausübung, wie in der Jurisprudenz dies offenbar der Fall ist; oder ob nur gewissen allgemeinen Resultaten -jener Basis bloß nicht widersprochen werden dürfe durch die Ausübung; jene daher (die Wissenschaft) für diese

S5 (die Ausübung) nur negatives Regulativ und Korrektiv wäre. Sollte, wie wir befürchten, das letzte der Fall sein, und wie wir gleichfalls befürchten, immerfort bleiben müssen, so gäbe es von der Wissenschaft in irgend einem ihrer Zweige zu der ausübenden Heilkunde gar keinen

40 stetigen positiven Übergang, sondern die letztere hätte ihren eigentümlichen Boden in einer besondern, niemals auf

Deduzierter Plan. 39

positive Prinzipien zurückzuführenden Beobachtung; sie wäre somit von der wissenschaftlichen Schule, welche alle Zweige der Naturwissenschaft bis zu Anatomie, Bo- tanik u. dergl. ohne alle Rücksicht auf Heilkjande, und als jedem wissenschaftlich gebildeten Menschen überhaupt 5 durchaus anzumutende Kenntnisse, sorgfältig triebe, ab- zusondern, und in einem für sich bestehenden Institute, rein | und ohne wissenschaftliche Beimischung, die als in [58J der Schule erlernt vorausgesetzt wird, von der materia medica z. B. an, die ja nichts ist, als die Anwendung 10 der ärztlichen Empirie auf die Botanik und dergl., zu treiben. Welche unermeßlichen Vorteile eine solche Ver- selbständigung der Naturwissenschaft, die bisher häufig nur als Magd der Heilkunde betrachtet und bearbeitet worden, an ihrem Teile auch der Heilkunde, und dadurch 15 dem ganzen wissenschaftlichen Gemeinwesen bringen würde, leuchtet wohl von selbst ein. Es wäre daher aus Sachkundigen eine Komitee zu Beantwortung der oben aufgeworfenen Frage, und zu Organisierung derjenigen An- stalten, welche das Resultat dieser Beantwortung erforderte, 20 zu ernennen. Daß ein solches selbständiges Institut der Heilkunde den ihm anheimgefallenen Stoff nach einem festen, auf seine Enzyklopädie begründeten Plane, nach der Maxime, nicht zu lehren, was im Buche schon steht, behandelte, wäre auch ihm zu wünschen, und es würde 25 sich von selbst verstehen.

Nun aber, welches ja nicht aus der Acht zu lassen, haben auch die wichtigsten Resultate der fortgesetzten ärzt- lichen Beobachtung, deren wirkliche Vollziehung ihnen allein überlassen wird, als ein Teil der gesamten Natur- CO beobachtung, Einfluß auf den Fortgang der ganzen Natur- wissenschaft, und so muß auch die wissenschaftliche Schule sie keinesweges verschmähen, sondern sich in den Stand setzen, fortdauernd von ihr Notiz zu haben und bei ihr zu lernen. Jedoch wird | die Ausbeute davon niemals sofort ^.''gi und auf der Stelle eingreifen in das Ganze und so in den enzyklopädischen Unterricht gehören; es wird drum eine andere, an ihrem Orte anzugebende Maßregel getroffen werden müssen, dieselbe aufzunehmen und sie bis zur Eintragung in die Enzyklopädie aufzubewahren. 40

Daß die Theologie, falls sie nicht den ehemals laut

40 Fichte.

gemachten und auch neuerhch nie förmUch zurückgenom- menen Anspruch auf ein Geheimnis feierhch aufgeben wolle, in eine Schule der Wissenschaft nicht aufgenommen werden könne, ist schon oben gezeigt. Gibt sie ihn auf, so bequemt 5 sie sich dadurch zugleich zu der bisher auch nicht so recht zugegebenen Trennung ihres praktischen Teiles von ihrem wissenschaftlichen.

Um zuvörderst den ersten abzuhandeln : der Volks- lehrer, den sie bisher zu bilden sich vorsetzte, ist in seinem

10 Wesen der Vermittler zwischen dem höhern, dem wissen- schafthch ausgebildeten Stande (denn einen andern hohem Stand gibt es nicht, und was nicht wissenschaftlich aus- gebildet ist, ist Volk) und dem niedern, oder dem Volke. Zunächst zwar, und dies mit vollem Rechte, knüpft er

15 sein Bildungsgeschäft an an die Wurzel und das Allge- meinste aller höhern menschlichen Bildung, die Religion; aber nicht bloß diese, sondern alles, was von der hohem Bildung an das Volk zu bringen und seinem Zustande anzupassen ist, soll er immerfort demselben zuführen.

20 Nichts verhindert, daß er nicht noch neben diesem

Berufe ein die Wissenschaft selbst in ihrer Wurzel selbst-

[60] I tätig bearbeitender und sie weiter bringender Gelehrter

sei, wenn er will und kann; aber es ist ihm für diesen

Beruf nicht notwendig, und drum ihm nicht anzumuten.

25 Es ist für ihn hinlänglich, daß er überhaupt die Kunst besitze, über wissenschaftliche Gegenstände zu verstehen und sich verständlich zu machen, die er ja schon in der niederen Schule, welche er auf alle Fälle durchzumachen hat, gelernt haben wird; ferner von dem gesamten wissen-

30 schaftlichen Umfange die allgemeinsten Resultate, und das Vermögen, erforderlichen Falles durch Nachlesen sich weiter zu belehren, worin ihm die an der wissenschaftlichen Schule eingeführten Enzyklopädien den Unterricht und die nötigen Literaturkenntnisse geben. Die nötige An-

35 führung zum Philosophieren hat er beim Philosophen zu holen. Für sein nächstes Geschäft der religiösen Volks- bildung hat er zu allererst sein Religionssystem in der Schule des Philosophen zu bilden. Für das Anknüpfen seines Unterrichtes an die biblischen Bücher wird es voll-

40 kommen hinreichen, daß ein Buch geschrieben und ihm in die Hände gegeben werde, in welchem aus diesen

Deduzierter Plan. 41

Büchern der Inhalt echter Religion und Moral entwickelt werde, wobei nun weder die Verfasser dieses Buches, noch der dadurch zur Bibclanwendung anzuleitende künftige Volkslehrer sehr bekümmert zu sein brauchen über die Frage, ob die biblischen Schriftsteller es wirkHch also 5 gemeint haben, wie sie dieselben erklären; das Volk aber vor dieser durchaus nicht in seinen Gesichtskreis gehörigen Frage sorgfältig zu bewah- 1 ren ist. Der Volkslehrer hat [61] darum durchaus nicht nötig, die biblischen Schriftsteller nach ihrem wahren, von ihnen beabsichtigten Sinne 10 zu verstehen; wie denn ohne Zweifel auch bisher, ohn- geachtet es beabsichtiget und häufig vorgegeben worden, weder bei ihm, noch auch oft bei seinem Professor in der Exegese dies der Fall gewesen; und wir somit nicht ein- mal eine Neuerung, sondern nur das Geständnis der wahren 15 Beschaffenheit der Sache und das besonnene Aufgeben eines unnötigen imd vergeblichen Strebens begehren. Über Pastoralklugheit, d. i. über seine eigentliche Bestimmung als Volkslehrer im Ganzen eines Menschengeschlechts, imd die Kunstmittel, dieselbe zu erfüllen, wird er ohne Zweifel 20 auch beim Philosophen einige Auskunft finden können. Sein eigentümlich ihm anzumutender Charakter, die Kunst der Popularität, und die Übungen derselben durch kate- chetische, homiletische, auch Umgangsinstitute mit Glie- dern aus dem Volke, sind der wissenschaftlichen Schule, 25 welche den szientifischen Vortrag beabsichtigt, entgegen- gesetzt, drum von ihr abzusondern und am schicklichsten den ausübenden Volkslehrern, wie bei den Juristen, zu übertragen. Das eigentliche Genie für den künftigen \'olks- lehrer ist ein frommes und Menschen-, und besonders das 30 Volk liebendes Herz; hierauf wäre bei der Zulassung zu diesem Berufe hauptsächlich zu sehen, und besonders bei Besetzung der Konsistorien, als etwa der künftigen Schulen solcher Lehrer, würde weit mehr auf diese Eigenschaften, als auf I andere glänzende Talente oder auf ausgebreitete .ggi Kenntnisse Rücksicht genommen werden müssen.

Der wissenschaftliche Nachlaß dieser als einer priester- lichen Vermittlerin zwischen Gott und den Menschen mit Tode abgegangenen Theologie an die wissenschaftliche Schule würde durch eine solche Veränderung seine ganze 40 bisherige Natur ausziehen und eine neue anlegen. Es

42 Fichte.

hat derselbe zwei Teile, ein von der Philologie abgerissenes Stück, und ein Kapitel aus der Geschichte. Die morgen- ländischen Sprachen, zu denen der den Theologen bis jetzt fast ausschließend überlassene hebräische Dialekt einen 5 leichten und schicklichen Eingang darbietet, machen einen sehr wesentlichen Teil der Sprachentwicklung des mensch- lichen Geschlechts aus und sind bei einer einst zu hoffenden organischen Übersicht derselben ja nicht auszulassen; die hellenistische Form nun vollends der griechischen biblischen

10 Schriftsteller gehört zur Kenntnis der griechischen Sprache im ganzen, welche Sprache ja auf unsern Schulen getrieben wird. Beide erhalten gegen den aufgegebenen höchst zwei- deutigen Anspruch, heilige Sprachen zu sein, den weit be- deutendem, daß sie menschliche Sprachen sind, zurück, und

15 fallen der niedern Schule, die sich ja der Trägheit schämen wird, die beschränkte hebräische Sprache nicht allgemein bearbeiten zu können, da sie die sehr reiche griechische Sprache mit Glück bearbeitet, wiederum anheim. Ferner sind die biblischen Schriftsteller ja höchst bedeutende For-

20 men der Entwicklung des menschlichen Geistes, deren

[63J wahrer Wert bloß darum nicht | beachtet worden, weil ein

erdichteter falscher alle Aufmerksamkeit der einen Partei

abzog, und den Haß und die unbedingte Nichtbeachtung

der andern Partei erregte. Von nun an, sine ira et studio

25 in dieser Sache urteilend, werden wir es eben so belehrend und ergötzend finden, den Jesaias zu lesen, als den Aeschy- los, und den Johannes als den Plato, und es wird tms mit dem richtigen Wortverständnisse derselben, welches das gelehrte Studium allerdings anstreben wird,

30 weit besser gelingen, wenn auch die ersten eben sowohl als die zweiten zuweilen auch unrecht haben dürften, als vorher, da sie immer, und für die besondere Ansicht jedes neuen Exegeten, recht haben sollten, welches ohne mancherlei Zwang und ohne nie endenden Streit nicht

35 zu bewerkstelligen war. Diese Exegese wird redlich sein, auch redlich gestehen, was sie nicht versteht, dagegen die vom theologischen Prinzipe ausgehende höchst unredlich war; (das oben Vorgeschlagene aber gleichfalls keine unred- liche Exegese ist, da es überhaupt nicht Exegese ist, noch

40 sich dafür gibt, indem eine solche eine gelehrte Aufgabe ist, die durchaus vor das Volk nicht gehört.)

Deduzierter Plan. 43

Das Kapitel aus der Historie, wovon die bisherige Theologie einen Hauptteil sich fast ausschließend zugeeig- net, ist die Geschichte der Entwicklung der reli- giösen Begriffe unter den Menschen. vEs geht aus dem gebrauchten Ausdrucke hervor, daß die Aufgabe um- 5 fassender ist, als | die Theologie sie genommen, indem [64] auch über die Religionsbegriffe der sogenannten Heiden Auskunft gegeben werden müßte, und daß die wissen- schaftliche Schule sie in dieser Ausdehnung nehmen wird. 10 Mit diesen zu ihr gehörigen und sie erklärenden Bestand- teilen versehen, ferner ohne alles Interesse für irgend ein Resultat imd mit redlicher Wahrheitsliebe bearbeitet, wird auch die eigentliche Kirchengeschichte eine ganz andere Gestalt gewinnen, imd man wird der Lösung meh- 15 rerer Probleme, (z. B. über die wahren Verfasser mancher biblischen Schriften, über die echten oder unechten Teile derselben, die Geschichte des Kanons usw.,) die dem Un- befangenen noch immer nicht gründlich gelöst zu sein scheinen könnten, näher kommen, oder auch genau finden 20 und bekennen, was in dieser Region sich ausmitteln lasse, und was nicht. Es wäre, wie sich versteht, dieser Teil der Geschichte dem Enzyklopädisten der gesamten Geschichte zur Verflechtung in seinen Studienplan anheimzugeben.

Zur Entscheidung über die oben vorgelegte Haupt- 25 frage, und falls die Antwort darauf befriedigend ausfiele, zur Entwerfung eines festen Planes und Errichtung eines besondern Instituts zur Bildung künftiger Volkslehrer wäre eine aus sachverständigen und guten Theologen und Pre- digern bestehende Komitee niederzusetzen. 30

I § 27. [65]

Diesen zu beauftragenden einzelnen Männern und Ko- mitees wäre, außer den schon angeführten Geschäften, auch noch folgendes aufzugeben, daß sie vollständig unter- suchten, was an gelehrtem Apparate für jedes Fach (Bücher, 35 Kirnst- und Naturaliensammlungen, physikalische Instru- mente u. dergl.) vorhanden sei, welche Notwendigkeiten (l.igegen uns abgingen und angeschafft werden müßten; für vollständige Katalogen und Repertorien dieser Schätze ll sorgten und in ihre Studienpläne den zweckmäßigen, folge- 40

44 Fichte.

gemäßen Gebrauch derselben aufnähmen. Falls die beauf- tragten einzelnen Männer neben ihrem ersten Geschäfte zu diesem nicht Zeit fänden, so wären sie zu ersuchen, einen andern tüchtigen Mann für dasselbe zu ernennen. 6 In diesem Geschäfte hätten sie von einer Seite sich

sorgfältig zu hüten, daß sie nicht, etwa um nichts um- kommen zu lassen, oder aus Streben nach äußerem Glänze und Rivalität mit andern gelehrten Anstalten, durch Bei- behaltung überflüssiger Dinge der Reinheit und Einfach-

10 heit unsrer Anstalt Abbruch täten; so wie von der andern Seite nichts zu sparen am wirklich Nötigen. Was den äußern Glanz betrifft, so wird uns dieser, falls v/ir nur das innere Wesen redlich ausbilden, von selbst zufallen; die bedachte Beachtung desselben aber, und die Nachahmung anderer,

15 von denen wir nicht Beispiele annehmen, sondern sie ihnen [66] geben wollen, würde uns wiederum in die Ver- ( worrenheit hineinwerfen, welche ja von uns abzuhalten unser erstes Bestreben sein muß.

§ 28.

20 Durch die allseitige Lösung der aufgestellten Aufgaben

wäre nun fürs erste zustande gebracht das lehrende Subjekt der wissenschaftlichen Kunstschule. Wir könnten mit den enzyklopädischen Vorlesungen eine, fürs erste in ihren übrigen Bestimmungen ganz gewöhnliche, Uni-

25 versität eröffnen. Es wären jedoch diese gesamten Vor- lesungen, in denen, immer nach dem Ermessen des Lehrers, der fortfließende Vortrag mit Examinibus und Konver- satorien, deren Besuchung jedem Studierenden frei stände, keiner aber dazu verbunden wäre, abwechselte, über das

30 erste Unterrichtsjahr also zu verteilen, daß die Studenten, und wenn sie es wollten auch die Lehrer, diese Vorlesimgen alle hören könnten, dennoch aber den erstem zum auf- gegebenen Bücherlesen und zur Ausarbeitung der Auf- sätze, von welchem demnächst, den letztern zu Beurteilung

35 dieser Aufsätze Zeit übrig bliebe. Es möchte in dieser Zeitberechnimg bei beiden Teilen in Gottes Namen auf noch mehr als den übhchen Fleiß und Berufstreue gerechnet werden; indem diese Eigenschaften ohnedies an unserer Schule an die Tagesordnung kommen sollen, und drum

40 nicht zu früh eingeführt werden können.

Deduzierter Plan. 45

29.

Während dieser enzyklopädischen Vorlesungen des ersten Lehrjahres stellen der philosophische ^ Lehrer 1 so- '67] wohl, als die übrigen enzyklopädischen eine Aufgabe an ihr Auditorium; in dem oben sattsam charakterisierten 5 Geiste, so daß das aus dem mündlichen Vortrage oder dem Buche Erlernte nicht bloß wiedergegeben, sondern daß es zur Prämisse gemacht werde, damit sich zeige, ob der Jüngling es zu seinem freien Eigentume erhalten habe und als anhebender Künstler etwas anderes daraus zu gestalten 10 vermöge. Diese Aufgabe bearbeitet jeder Studierende, der da will, in einem Aufsatze, den er zu einem bestimmten Termine vor Beendigung des Lehrjahres, mit einem ver- siegelten Zettel, der den Namen des Verfassers enthalte, bei dem aufgebenden Lehrer einsendet. Der Lehrer prüft 15 diese Aufsätze und hebt die vorzüglichsten heraus.

In dieser Beurteilimg der Aufsätze ist bei rein philo- sophischem Inhalte der Lehrer der Philosophie unbe- schränkt : zur Krönung anderer aber, die einen positiv- wissenschaftlichen Stoff haben, müssen der enzyklopädische 20 Lehrer des Faches tmd der Philosoph (später, wenn wir eine solche haben werden, die philosophische Klasse) sich vereinigen, der erstere entscheidend über die Richtigkeit und die auf dieser Stufe des Unterrichts anzumutende Tiefe und Vollständigkeit der historischen Erkenntnis, der zweite -3 über den philosophischen und Künstlergeist, mit welchem jener Stoff verarbeitet worden. Ein von einem dieser beiden verworfener Aufsatz bleibt verworfen, obschon der andere Teil ihn billigte. Die Notwendigkeit | dieser Mit- '68] Wirkung der philosophischen Klasse liegt im Wesen einer 30 Kunstschule : die Mitwirkung des historischen Wissens aber soll uns dagegen verwahren, daß nicht in empirischen Fächern a priori phantasiert werde, statt gründlicher Gelehrsamkeit.

Am Schlüsse des ersten Lehrjahres wird das Resultat der also vollzognen Beurteilung der eingegebenen Aufsätze 35 und die Namen derer, deren Ausarbeitungen gebilligt sind, bekannt gemacht ; und es treten von ihnen diejenigen, welche wollen, zusammen, als der erste Anfang eines lernenden Subjekts, in höherm und vorzüglicherem Sinne, an unsrer wissenschaftlichen Kunstschule. Welche 43

46 Fichte.

wollen, sagte ich; denn obwohl die Ausfertigung eines Aufsatzes und die Unterwerfung desselben unter die Be- urteilung des lehrenden Korps diesen Willen vorauszusetzen scheint, so können mit dem ersten doch auch mancherlei 5 andere Zwecke beabsichtiget werden, von denen zu seiner Zeit; alle Studierenden an unserer Universität können auch für diese Zwecke berechtigt werden; und es muß darum jedem, der sogar beitreten dürfte, überlassen werden, ob er will. Inzwischen wird die Fortsetzung unsres Entwurfs 10 ohne Zweifel die sichere Vermutung begründen, daß jeder wollen werde, der da dürfe.

§ 30.

Sie treten zusammen zu einer einzigen großen Haus- [69] haltung, zu gemeinschaftlicher Wohnung und [ Kost, unter

15 einer angemessenen liberalen Aufsicht. Ihre Bedürfnisse ohne alle Ausnahme, nicht ausgeschlossen Bücher, Kleider, Schreibmaterialien usf., werden ihnen von der Ökonomie- verwaltung in Natur gereicht, und sie haben, die Verwaltung eines mäßigen Taschengeldes abgerechnet, wofür ein Maxi-

20 mum festgesetzt werden könnte, während ihrer Studien- jahre mit keinem andern ökonomischen Geschäfte zu tun. (Der Grund dieser Einrichtung ist schon oben angegeben worden; und auf die Einwendung, daß junge Leute auf der Universität zugleich das Haushalten mitlernen müßten,

25 ist zu erwidern, daß, falls dieselben bei uns das Ehrgefühl, die Gewissenhaftigkeit und die intellektuelle Bildung er- halten, die wir anstreben, es sich mit dem künftigen Haus- halten von selbst finden werde; erhalten sie aber bei dem Grade der Sorgfalt, den wir anwenden werden, dieselbe

30 nicht, so ist gar kein Schaden dabei, daß sie auch äußer- lich verderben, und mag dies immer je eher je lieber ge- schehen.) Inwiefern aber diese Verpflegung ihnen frei auf Kosten des Staats, oder auf ihre eigenen Kosten gereicht werden solle, davon behalten wir uns vor, tiefer

35 unten zu sprechen ; und wollen wir mit dem Gesagten keines- weges unbedingt das erste gesagt haben.

Mit diesem also zustande gebrachten Stamme tritt mm das lehrende Korps in das oben beschriebene innige Wechselleben. Sie werden fortdauernd erforscht und in

Deduzierter Plan. 47

ihrem Geistesgange beobachtet, sie | haben den ersten Zu- [70] tritt zu den Examinibus, Konversatorien, dem Umgange und der Beratung der Lehrer, und stehen, in der Benutzung der vorhandenen hterarischen Hilfsmittel, jedem andern vor; auf ihre nächsten unmittelbaren und wohlbekannten 5 Bedürfnisse rechnet immerfort der gesamte mündliche Vor- trag der Kunstschule. Im Falle der würdigen Benutzung dieser Schule, die durch eine tiefer unten zu beschreibende Prüfung dokumentiert wird, stehen sie bei Besetzung der höchsten Ämter des Staates allen anderen vor (und tragen 10 den von Gottes Gnaden durch ein vorzügliches Talent ihnen geschenkten und durch würdige Ausbildung jenes erstem verdienten Adel).

Immerhin mögen neben ihnen andere Studierende an den vorhandenen Bildungsmitteln der Anstalt, welche recht 15 eigentlich doch nur für jene sind, nach allem ihrem Ver- mögen teilnehmen und in freier Bildung jenen den Rang abzulaufen suchen, welches, falls es ihnen gelänge, auch nicht unanerkannt bleiben soll. Diese wachsen gewisser- maßen wüd, wie im Walde; jene sind eine sorgfältig ge- 20 pflegte Baumschule, welche in alle Wege doch auch sein soll, und aus welcher sogar dem Walde manches edlere Samenkorn zufliegen wird. Jene sind reguläres, und es wird wohl auch eine anständige deutsche Benennung für sie sich finden lassen; diese sind irreguläres, die lat. Observanz, 2.5 bloße Socii und Zugewandte; und dies wären die beiden Hauptklassen, in die unser studierendes Publikum zerfiele.

l § 31. 171]

Es würde auch fernerhin nach jedem abgelaufenen Lehrjahre denen, die bis jetzt noch unter den Zugewandten 30 sich befänden, frei stehen, durch gelungene Ausarbeitungen, (indem gegen das Ende jedes Lehrjahres Aufgaben für dergleichen gegeben werden), ihre Aufnahme unter die I\i';4^ularcn nachzusuchen. Außerdem würden diejenigen d( r jungen Inländer, welche vorzügliches Talent und Pro- 35 gressen von der niedern Schule zu dokumentieren ver- möchten, (über deren Grad und die Art der Beweisführung später etwas Festes bestimmt werden kann), gleich bei ihrem Eintritte auf die Universität ein Recht haben auf einen. Platz unter den Regularen. 40

48 Fichte.

§ 32.

Es wäre zu veranlassen, daß gleich bei der Eröffnung der Universität, da es noch keine Regularen gibt, die- jenigen, welche die Aufnahme unter sie durch Ausarbei- 5 tungen zu suchen gedächten, eben so wie späterhin die Regularen es sollen, zu einem gemeinschaftlichen Haus- halt zusammenträten. Dies, obwohl unter besonderer Auf- sicht des Lehrinstituts stehend, wäre dennoch keine eigent- lich öffentliche, sondern eine Privatanstalt, und die Mit-

10 glieder lebten nicht, wie es mit den Regularen unter ge- wissen Bedingungen wohl der Fall sein kann, auf Kosten des Staates, sondern auf die eigenen, die jedoch, ganz wie bei den Regularen, gemeinschaftlich verwaltet würden. [72] Es ] könnte auch denjenigen unter diesen Vereinigten, wel-

15 che beim Anfange des zweiten Lehrjahres nicht tmter die Regularen aufgenommen und so aus dieser ersten Ver- bindung in eine neue hinübergenommen würden, nicht ver- wehrt werden, in dieser ihrer ersten Verbindung fortzuleben, indem sie zufolge des vorhergehenden § beim Anfange

20 des künftigen Lehrjahres glücklicher sein können, und so Kandidaten der Regel bleiben. Es können zu ihnen hinzutreten, um denselben Anspruch zu bezeichnen, andere, die bisher unter den Zugewandten sich befanden, des- gleichen die von der niederen Schule Kommenden, die

25 nicht schon von daher das Recht, unmittelbar unter die Regularen zu treten, mitbringen. Diese machen nun eine dritte Klasse der bei uns Studierenden, ein Verbindungs- glied zwischen den Regularen und den Zugewandten : Novizen. Sie sind schon durch die Natur der Sache,

30 indem die Lehrer wissen, daß vorzüglich aus ihrer Mitte beim Anfange des neuen Lehrjahres sie das Kollegium der Regularen zu ergänzen haben werden, der besondem Be- achtung derselben empfohlen.

§ 33.

35 Damit nun nicht etwa die Zugewandten, denn von

den Novizen, die ihren Anspruch auf die Regel durch ihr Zusammenleben bekennen, ist dies nicht zu befürchten um der größern Lizenz willen, jemals versucht werden,

Deduzierter Plan. aq

sich für vornehmer zu hal-[ten, denn die Regularen, soD 7? der Vorzug der letztern sogar äußerHch anschaubar ge- macht werden durch eine Uniform, die kein anderer zu tragen berechtigt sei, denn sie und ihre ^ ordentlichen Lehrer. Damit dieser Rock gleich anfangs die rechte 5 Bedeutung erhalte, sollen sogleich von Eröffnung der Uni- versität an die ordenthchen Lehrer diese Uniform gewöhn- lich tragen, also daß im ersten Lehrjahre nur sie. und diejenigen, die in demselben Verhältnisse mit ihnen zur Lniversität stehen, damit bekleidet seien; später, nach Er- 10 nennung des ersten Kollegium von Regularen, sie auf diese fortgehe, und so femer bei allen folgenden Ergänzungen des letztern.

§ 34.

Diese Einrichtung soll zugleich die äußere sittliche 15 Bildung unserer Zöglinge unterstützen und die Achtung derselben bei dem übrigen Publikum befördern und sicher- stellen. Gründliches und geistreiches Treiben der Wissen- schaft veredelt ohne dies ganz von sich selbst; überdies wird für die Entwicklung der Ehrliebe und des Gefühls für 20 das Erhabene, als das eigentliche Vehikulum der sitthchen Bildung des Jünglings, durch Beispiel und Lehre gesorgt werden; die Ordnung aber kommt durch die getroffene Einrichtung von selber in seinen Lebenslauf: und so ist für die innere Bildung gesorgt. 25

Die äußere wird, bei entwickelter Ehrliebe, der Ge- danke unterstützen, daß sein Rock ihn bezeichne, [und 74 daß dieses Kleid nicht im Müßiggange auf den Straßen sich herumtreiben, oder wohl gar an gemeinen Orten und bei Zusammenläufen sichtbar werden, sondern daß es, als so Mitglied der Gesellschaft, nur in Ehrenhäusern erscheinen dürfe. Was aber Ehrenhäuser sind, wird man ihm sagen, und auf alle Weise die Erlaubnis, in solchen Häusern ihn zu empfehlen, zu verdienen suchen. (Z. B.: Mag immerhin beim jetzigen Zustande der Dinge unter gewissen Um- 35 ständen ein ehrliebender JüngUng, der in ein Duell ver- flochten worden, Entschuldigung verdienen, so soll doch unser Zögling durchaus keine finden darüber, daß er sich erst unter Pöbel, von welcher Geburt derselbe auch übri-

Universitätsschriften Fichte, Schleiennacher, Steffens. 4

50 Fichte.

gens sein möge, begeben, wo dergleichen möglich war. Dahin werde der point d'honneur des ganzen Korps ge- richtet. Feige übrigens sollen sie nicht werden.)

Nach außen hin ist gegen die Hauptquelle der Ver- 5 achtung im Leben, Unordnung im Haushalt und Schulden- machen, unser Zögling gesichert. Daß bei Exzessen, deren Urheber unbekannt bleiben sollten, nicht auch unschuldig, wie dies in Universitätsstädten wohl zu geschehen pfleget, dies Korps als der stets vorauszusetzende allgemeine Sünder

10 aufgestellt werde, dagegen werden die Lehrer sich durch die Vorstellung schützen: Habt ihr unsern Ehrenrock bei dem Exzesse gesehen? Habt ihr dies nun nicht, so ver- leumdet nicht unsere Zöglinge, denn diese gehen nie aus, außer in diesem Rocke: und sie (diese Lehrer) werden

15 über- i haupt alles Ernstes auf die Ehre ihrer Zöglinge, [75] und auf alle die Einrichtungen halten, die ihnen möglich machen, dies mit ihrer eignen Ehre zu tun.

§ 35.

Die Zugewandten stehen, da sie weder eigenthche

20 Mitglieder unsrer Anstalt, noch eigentliche angesessene Bürger sind, unter der allgemeinen Polizei, und es muß diese, ohne alle Mitwirkung von Seiten der Anstalt, und ganz auf ihre eigene Verantwortung, die Einrichtungen, wodurch den übrigen Bürgern die gehörige Garantie in

25 Hinsicht dieser Fremden geleistet werde, treffen. Nicht anders würde es sich mit den Novizen verhalten; welche jedoch, da sie eine Einheit bilden und ein sichtbares Band dieser Einheit an ihrer ökonomischen Verwaltimg haben, eine tüchtigere Garantie zu geben, auch dui ch diesen ihren

30 Repräsentanten in Unterhandlung mit der Polizei zu treten vermögen, und so, in Absicht der Individuen, einer hbe- ralern Gesetzgebung unterworfen werden können, als die erstem. Nun aber steht die Lehranstah mit diesen beiden Klassen noch in einem engern Verhältnisse, denn die

35 übrigen Bürger, und es ist der allgemeinen Polizei völlig fremd, dasjenige, was aus diesem engern Verhältnisse her- vorgeht, zu ordnen. Demnach fielen die dahin gehörigen Anordnungen dem Institute, als dem einen und vorzüglich- sten Teilnehmer des abzuschließ.enden Kontraktes anheim.

Deduzierter Plan. 5X

Diese Klassen haben zu allen von der Schule getroffenen I Lehranstalten den Zutritt; da aber ferner die Schule weder [16] um ihre wissenschaftlichen Fortschritte, noch um ihre Auf- führung sich im mindesten bekümmert, so beschränkt sich ihr Recht an diese lediglich auf den Punkt, sich gegen 5 die Verletzungen, welche aus der Erteilung dieses Zutrittes entstehen könnten, (denn gegen andere Ver- letzungen schützt auch sie die allgem^eine Polizei), zu s chützen.

Dergleichen Verletzungen würden sein: Störung der 10 Ruhe und Ordnung in den Lehrübungen, zu denen sie den Zutritt erhalten; Verletzung der Achtung, die das Ver- hältnis des Lernenden zum Lehrer, oder der Zugewandten zu denen, um deren willen die Anstalt eigentlich da ist, erfordert; endlich könnten bei dem bekannten Eigendünkel 15 und der verkehrten Reizbarkeit der gewöhnlichen Studie- renden, aus dem, Dingen der ersten und zweiten Art entgegengesetzten Widerstände der Lehrer andere gröb- lichere Beleidigungen und Angriffe erfolgen, welche, als erfolgt lediglich aus dem verstatteten Zutritte, nicht nach 20 allgemeinen polizeilichen Grundsätzen, sondern nach stren- geren, beurteilt werden müßten.

Es müßte dem zufolge zwischen der Lehranstalt und jedem Individuum der Kontrakt, durch den das letztere das Recht des Zutrittes erhält und sich auf die Bedingungen, 25 unter denen es dasselbe erhält, verpfhchtet, durch einen ausdrücklichen Akt abgemacht werden. Dieser Akt ist die Inskription; die Bedingungen aber sind die Gesetz- gebung für den Zugewandten, | welche, da das übrige Ver- [77] hältnis desselben zu andern Bürgern eine Sache der Polizei 80 ist, durchaus nur sein Verhältnis zur Lehranstalt, als solcher, zu bestimmen hat. Die Novizen können, aus dem schon der Polizei gegenüber angegebenen Grunde, auch in dieser Beziehung unter eine mildere Gesetzgebung ucsetzt werden. 35

Der Akt der Inskription und Verpflichtung auf die Gesetze ist ein juridischer, und wird drum am schicklichsten, so wie die unten zu bezeichnenden Justizgeschäfte, einem besonders zu ernennenden Justitiarius der Lehranstalt anheimfallen. 40

Da die Anstalt in gar kein anderes \'crhältnis mit

4*

52 Fichte.

den Zugewandten eingeht, als auf die Erlaubnis des Zu- trittes, so bleibt ihr auch kein anderes Zwangsmittel übrig, als die Zurücknahme dieser Erlaubnis. Dieses kann ge- schehen im besondern oder im allgemeinen. In Ab- 5 sieht des erstem muß es jedem einzelnen Lehrer auf seine eigene Verantwortung vor seinem Gewissen frei stehen, einem Zugewandten, dessen Unruhe und Zerstreutheit ihn oder sein Auditorium stört, oder der ilm. oder seine mit ihm enger verbundenen Schüler beleidigt hat, den Zutritt zu

10 seinen Lehrübungen für eine gewisse Zeit, oder auch auf immer, zu untersagen; und das ganze lehrende Korps muß ihn hiebei, durch die Verwarnung vor größerem Übel, auf seine bloße Anzeige unterstützen. Das zweite erklärt sich selbst; imd sind die Fälle, unter die der, daß jemand der [78^ Verweisung eines ein- 1 zelnen Lehrers aus seinem Audi- torium nicht Folge geleistet hätte, mit gehört, durch das Gesetz festzustellen. Sollte, bei Verborgenheit der Ur- heber beleidigender Attentate, etwas erst ausgemittelt werden müssen, so fällt diese Untersuchung dem Justitiarius der

20 Universität anheim, vor dessen Gericht sich der Inskribierte, bei Strafe der Relegation in contumaciam, zu steilen hat. Bisherige Universitäten, z. B. die Nutritoren der Jenaischen Universität und derselben Senat, haben angenommen, daß es in solchen Fällen für die Verurteilung keinesweges des

25 strengen juridischen Beweises bedürfe, sondern daß ein dringender Verdacht dazu hinreiche ; indem ja nicht irgend eine Strafe zugefügt, sondern nur eine frei erteilte Er- laubnis wiederum zurückgenommen werde, weil deren Fort- dauer gefährlich scheine; und der Verfasser dieses ist der

30 Meinung, daß diese recht haben, und daß auch wir den- selben Grundsatz aufzunehmen hätten. Der Justitiarius ist in dieser Qualität, als Verwalter des Rechtes des Instituts, sich selbst zu schützen, demselben verantwortlich.

Mit der Zurücknehmung der Inskription ist, teils um

35 die Mitglieder der Universität gegen den fernem Überlauf und die Rache der Entlaßnen zu sichern, teils, weil ein solcher gar keinen Gnmd mehr aufweisen kann, seinen Aufenthalt an diesem Orte fortzusetzen, die Verweisung aus der Universitätsstadt und ihrer nächsten Nachbar-

40 Schaft, oder die Relegation natürlich verknüpft. Die [79] Pflicht, über diese zu | halten, fällt der Polizei, die in dieser

Deduzierter Plan. 53

Rücksicht gar nicht Richter oder Revisor des Urteils, sondern lediglich Exekutor des schon gesprochenen Ur- teils ist, anheim; und müßte gegen diese, falls sie ihre Pflicht lässig betriebe, die Universität als Kläger auftreten.

(Sollte in dieser Ansicht einige Richtigkeit sein, so 5 würde daraus auch erhellen, wie die bisherige Justizver- waltung auf Universitäten, bald in der Voraussetzung, daß die Universität nicht mehr dürfe, als eine Erlaubnis zurück- nehmen, die sie selbst gegeben, bald, indem sie zugleich das ihr fremde Geschäft der Polizei und der Ziviljustiz 10 ausüben sollte, endlich, indem ihr auch ein Gefühl ihrer Vater- und Erzieherpflichten entstand, geschwankt, und bald zu viel, bald zu wenig getan habe. Hier ist, durch die Trennung zwei sehr verschiedener Klassen von Studieren- den der Widerspruch gelöst; und durch die anheimgegebene 15 Freiheit, zu welcher Klasse jemand gehören wolle, das persönliche Recht behauptet.)

§ 36.

In Absicht der Verknüpfung der Relegation mit der Zurücknahme der Inskription, die bei Fremden ganz un- 20 bedenklich ist, dürfte in dem Falle, da die zu Relegierenden ihren elterlichen Wohnplatz in der Universitätsstadt hätten, billig das Bedenken eintreten, ob die Universität, so wie sie ohne Zweifel das Recht hat, diese aus ihren Hörsälen zu verweisen, auch das Recht habe, sie aus ihrem väterlichen 25 Hause zu ver- [ treiben. Da inzwischen, falls man ihr dieses 80] Recht absprechen müßte, sie gegen diese durchaus nicht weniger gefährlichen Jünglinge ohne eine besondere Ein- richtung nicht gesichert werden könnte, so wäre als eine solche besondere Einrichtung vorzuschlagen: 1) daß Söhne 30 aus der Universitätsstadt, falls sie nicht etwa schon als Mitglieder einer niedern Schule das gute Zeugnis dieser ihrer Lehrer für sich hätten, sich einige Zeit vor der Inskription zu derselben anmelden müßten, und von da an beobachtet würden, und daß man ihnen, falls diese 35 Beobachtung Bedenklichkeit gegen sie einflößte, die In- skription verweigern könne; 2) daß ihre Eltern eine namhafte Summe als Kaution für sie stellten, deren erste Hälfte im Falle der Zurücknahme der Inskription, statt

54 Fichte.

der Relegationsstrafe, mit der sie dermalen verschont blie- ben, verfiele; daß aber, falls sie hinfüro von neuem sich einiger Exzesse gegen die Lehranstalt schuldig machten, auch die andere Hälfte verfiele, und sie dennoch relegiert 5 würden. Sollten Eltern diese Kaution stellen nicht können oder wollen, so müssen sie sich es eben gefallen lassen, daß auch ihre Söhne im Falle der Verschuldung relegiert werden; so wie bisher zuweilen sogar Professoren sich haben gefallen lassen müssen, daß ihren unfertigen Söhnen

10 dieses begegnet; indem es gänzlich in dem freien Ver- mögen aller Studenten in der Welt beruhet, diejenigen Handlungen, welche Relegation nach sich ziehen, und deren Katalog bei uns, die wir der Polizei und dem Zivilgerichte [81] überlassen | würden, was ihres Amtes ist, gar nicht groß

15 sein würde, zu unterlassen.

§ 37.

Die Regularen werden vom Staate und seinem Organe, der allgemeinen Polizei, (denn mit der Ziviljustiz könnte wohl die Ökonomieverwaltung derselben, keinesweges aber

20 ein Einzelner von ihnen zu tun bekommen), betrachtet als ein Familienganzes, das als solches für seine Mitglieder einsteht. Wäre von den letztern gesündigt, so ist frei- lich das Ganze zur Verantwortung und Strafe zu ziehen; dagegen bleibt die Bestrafung des einzelnen Mitgliedes

25 der Familie selbst überlassen und wird im Schöße derselben vollzogen, und ist väterlich und brüderlich, und soll dienen als Erziehungs-, keinesweges aber als schreckendes Mittel. Nur wenn ein Individuum vom Körper abgesondert und ausgestoßen werden müßte, könnte es wieder als Einzelner

30 dastehen und dem Forum, für welches es sodann gehörte, anheimfallen.

Es erhellt, daß ohne vorhergegangene Degradation und Ausstoßung keine der bisher aufgestellten gesetzlichen Verfügungen auf die Regularen passen, und daß für sie

35 weder Justitiarius, oder Relegation, oder des etwas statt- finde. Durch die bloße Ausstoßimg könnten sie doch nicht weniger werden, als das, was sie ohne Einverleibung in das Korps der Regularen gewesen sein würden. Zuge- wandte, und erst als solche müßten sie von neuem sich

Deduzierter Plan. 55

vergehen, um der Polizei, | oder dem Justitiarius, welchem [82] sie ja von nun an erst anheimfallen, verantwortlich zu werden. Daß die Fälle, in denen ein Familienganzes seine Mitglieder nicht vertreten kann, z. B. Krirninalfälle, aus- genommen sind, daß aber auch sodann die Degradation 5 der Auslieferung an den Richter vorhergehen müsse, ist unmittelbar klar.

Die Regularen hätten sonach zuvörderst für sich eine Regel zu finden, nach der die Möglichkeit solcher Fälle so gut als aufgehoben und überhaupt alle Vorkehrungen 10 so getroffen würden, daß die Polizei keine Gelegenheit fände, von ihnen Notiz zu nehmen : sodann ein Ephorat und Gericht zu errichten, das über die Ausübung dieser Regel hielte. Ohne dies würde in dem Hause, in welchem sie bei- sammen wohnten, ein alter ehrwürdiger Gelehrter, der 15 selbst einst mit Ruhm und Verdienst Lehrer am Institut gewesen wäre, als der immittelbarste Hausvater der Fa- milie, mit ihnen wohnen imd leben. (Sollte späterhin die Gesellschaft also anwachsen, daß sie in mehrere Häuser verteilt werden müßte, so müßte diese nicht etwa durch 20 die Benennung verschiedener Kollegia getrennt, sondern das Einheitsband müßte durch die Gemeinschaftlichkeit eines Hausvaters und durch andere Mittel auch äußerlich sichtbar bleiben.) Dieser wäre der natürliche Präsident dieses Familiengerichts. Ferner sind natürliche Beisitzer 25 desselben alle ordentlichen Lehrer an der Anstalt, indem ja deren eigne Ehre von der Ehre ihres Zöglings abhängt; und könnten dieselben, zur Sparung ihrer | Zeit, abwech- [83] selnd in demselben sitzen. Endlich wären, damit ein wahrhaftes Familien- und Brudergericht entstände, aus den 30 Regularen selbst, nach einer leicht zu findenden Regel. Beisitzer zu ernennen. Deren richterliche Verwaltung trüge nun den oben angegebenen Grundcharaktcr ; die Verhand- lungen aber und Richtersprüche derselben blieben durch- aus im Schöße dieses Korps; hierüber andern etwas mit- 35 zuteilen, würde betrachtet als eine Ehrlosigkeit, die un- mittelbar die Ausstoßung nach sich ziehen müßte.

Eine ähnliche Einrichtung können die Novizen, falls sie eine Verwaltung finden, deren Garantie die Polizei annehmen will, treffen. Nur haben sie keinen Anspruch 40 auf den Beisitz der ordentlichen Lehrer in ihrem Familien-

56 Fichte.

gerichte; es kann ihnen aber erlaubt werden, außerordent- liche Professoren, von denen zu seiner Zeit, oder auch andere brave Gelehrte, zu diesem Beisitze einzuladen. Überhaupt, so ähnlich auch das Noviziat jetzt oder künftig dem Kolle- 5 gium der Regularen werden möchte, so bleibt doch immer der Hauptunterschied, daß das letztere unter öffentlicher Autorität und Garantie steht, das erste aber ein mit Privat- freiheit zustande gebrachtes Institut ist, dessen Mitglieder von Rechts wegen keinen größeren Anspruch haben, denn 10 die Zugewandten, und die die Begünstigungen, welche Pohzei und Universität ihnen etwa geben, nur anzusehen haben als ein freies Geschenk, das ihnen auch wieder entzogen werden kann.

[84] t § 38.

15 Durch das Bisherige ist nun auch die Entstehung des

lernenden Subjekts in seinen verschiedenen Abstufungen, und wie dasselbe immerfort ergänzt und erneuert werden solle, beschrieben. Wir können nunmehro auch an eine weitere Bestimmung des schon oben im allgemeinen auf-

20 gestellten lehrenden Subjekts gehen.

Auf den bisherigen Universitäten war es Doktoren imd außerordentlichen Professoren erlaubt, sich im Lesen zu versuchen und zu erwarten, ob ein Publikum sich um sie herum versammeln werde. Haben dieselben schon auf

25 einer andern Universität das Recht, Vorlesungen zu halten, gehabt, so können auch wir es ihnen erlauben. Im entgegen- gesetzten Falle mögen sie das anderwärts Gebräuchliche auch bei uns leisten. Die eigentlichen Lehrer für die Regularen und die, so es zu werden streben, sind freilich

30 die enzyklopädischen Lehrer, die ja auch die entscheidenden Aufgaben geben, so wie die von diesen etwa eingesetzten Lehrer des Teils eines Faches, welche, obwohl Unterlehrer, dennoch ordentliche Lehrer sind. Für diese, die wir immer insgesamt außerordentliche Professoren nennen

35 könnten, blieben demnach die Zugewandten übrig, an denen sie sich versuchen könnten. Dennoch sollen auch nicht nur Regularen, und zwar die geübtesten und befestigtsten, von dem enzyklopädischen Lehrer des Faches zur Be- suchung ihrer Vorlesungen ernannt werden, sondern auch roK-i dieser Lehrer selbst und andere Lehrer befugt | sein, den-

Deduzierter Plan. 57

selben insoweit beizuwohnen, bis sie einen bestimmten Be- griff von den Kenntnissen und dem Lehrertalent des Mannes sich erworben.

Die erste Erlaubnis zu lesen geht nur auf ein Lehr- jahr. Nach Verfluß desselben muß abermals um dieselbe 5 eingekommen werden, und es kann diese nach Befinden ist, so müßte bei einem die Erlaubnis zu lesen oder die der zweckmäßig befimdene Lehrer kann als ordentlicher Unterlehrer oder auch als Enzyklopädist, wenn der vor- herige abgehen will, ernannt werden. 10

Die Entscheidung über beide Gegenstände hängt, wie bei Beurteilung der Aufsätze, ab von der Klasse des Faches, so wie von der philosophischen Klasse, wo die erstere über die Gründlichkeit der empirischen Erkenntnis, die zweite über die philosophische Freiheit und Klarheit ent- 15 scheide. Auch hier müssen für ein beiahendes Urteil beide Stimmen sich vereinigen, indem jede Klasse erst unter sich imd für sich einig sein muß, und ihre Stimme hier nur für eine gezählt wird. Da jedoch, so wie das Alter be- schuldigt wird, jeder Neuerung zuweilen sich feindselig 20 zu zeigen, eben so die kräftigere Jugend von Eifersucht gegen fremdes Verdienst nicht immer ganz freizusprechen ist, so müßte bei einem die Erlaubnis zu lesen oder die Anstellung eines Lehrers betreffenden Falle fürs erste jede besondere Klasse (die hier requirierte empirische, so wie 25 die philosophische) zuvörderst in sich selber in zwei Teile geteilt werden, den Rat der Alten und den der aus- übenden Lehrer, und nur wenn diese beiden | Teile '86. nein sagten, hätte die Klasse Nein gesagt, dagegen auch das einseitige Ja des einen Rates zum Ja der Klasse würde. 30 Dadurch würde hervorgebracht, daß weder die Neuerungs- furcht des einen, noch die Eifersucht des andern Teiles den Fortschritt zum Bessern hindern könnte, und diesen beiden Dingen an einander selber ein wirksames Gegen- gewicht gegeben; wo aber beide Teile Nein sagten, da 35 würde wohl ohne Zweifel das Nein die richtige Antwort sein.

(Übrigens wird eine solche Einteilung imsers gelehrten Korps in einem Senat der Alten und der Lehrer zu seiner Zeit aus dem Wesen des Ganzen, ganz ohne Rücksicht auf das soeben erwähnte besondere Bedürfnis, sich sehr 40 natürlich ergeben.)

58 Fichte.

§ 39.

Eine Auswahl der Regularen in jedem Fache wird beim Fortgange der Anstalt, als ein Professorseminarium, ohnedies unter der Aufsicht der ordentlichen Lehrer zu 5 den Geschäften des Lehrers angehalten werden. Diesen könnte, wenn sie aus der Klasse der Studierenden heraus- getreten tmd zu Meistern ernannt worden, das Recht zu lesen auf dieselbe Weise erteilt werden, so wie aus ihnen die Lehrstellen nach derselben Regel sehr leicht besetzt 10 werden. Doch würden uns immerfort auf jeder Stufe unserer Vollendung, zu uns kommende fremde Lehrer, auf die § praeced. erwähnte Weise, willkommen sein, und wir dadurch gegen jede Einseitigkeit des Tones uns zu verwahren suchen.

[87] I § ^°-

Die Verwaltung des Lehramtes, besonders nach unsern. Grundsätzen, erfordert jugendliche Kraft und Gewandtheit. Nun ist wenigen die Fortdauer dieser jugendlichen Frisch- heit bis in ein höheres Alter hinein zugesichert; auch fällt

20 die Neigung der meisten originellen Bearbeiter der Wissen- schaft in reifern Jahren dahin, ihre Bildung in einer festen und vollendeten Gestalt niederzulegen in das Archiv des allgemeinen Buchwesens, und es ist sehr zu wünschen, daß dies geschehe, und ihnen die Zeit und Ruhe dazu zu

25 gönnen. Wir müssen drum nicht anders rechnen, als daß wir die Lehrer an unserer Anstalt nur auf eine bestimmte Zeit beibehalten wollen. Alle diejenigen, mit denen das Institut zuerst beginnt, werden sich bald nach der ehren- voll verdienten Ruhe sehnen und gern den Zeitpunkt

80 ergreifen, da unter ihnen ein jüngeres Talent sich gebildet hat, das ihren Platz würdig besetze. Alle während des Fortganges des Instituts neu angestellten Lehrer sind nur auf einen bestimmten Zeitraum (etwa für die Periode, innerhalb welcher das studierende Publikum sich zu er-

35 neuern pflegt) anzunehmen, nach dessen Ablaufe beide Teile, die Universität und der Lehrer, auf die § 38 be- schriebene Weise, den Kontrakt erneuern, oder auch auf- heben können.

Deduzierter Plan. 59

§ 41.

Um im ökonomischen Teile solcher Verhandlungen dem bisher oft stattgefundenen anstößigen Markten | zwi- [88] sehen Regierungen und Gelehrten, indem die ersteren zu- weilen von der Verlegenheit eines wackern Mannes Vorteil 5 zu ziehen suchten, um seine Kraft und sein Talent wohl- feilen Kaufes an sich zu bringen, die letztern zuweilen auch mit dem Gehörigen sich nicht begnügen mochten und ihre übertriebenen Forderungen durch teils mit List an sich gebrachte auswärtige Vokationen unterstützten, in 10 der Zukunft und für unser Lehrinstitut vorzubauen, mache ich folgenden Vorschlag.

Entweder sind diese Lehrer Einländer und auf unserm Institute, wohl gar als Reguläre, wie zu erwarten, gebildet; so hat das Vaterland ohnedies den ersten Anspruch auf 15 ihre Kräfte, so wie sie Anspruch auf die Fürsorge des- selben, in jedem Falle und ihr ganzes Leben hindurch, haben; oder sie sind Fremde, welche bei uns auch ihre Bildung nicht erhalten haben. Im letzten Falle fordere man von ihnen, daß sie, beim Eingehen irgend eines 20 Verhältnisses mit uns, oder bei der Erneuerung eines solchen, sich erklären, ob sie ihr Fremdenrecht beibehalten, oder ob sie das völlige Bürgerrecht haben (sich nostrifi- zieren lassen) wollen. Im ersten Falle müssen wir uns freilich gefallen lassen, daß, falls sie uns unentbehrlich 25 sind, sie sich ims so teuer verkaufen, als sie irgend können ; jedoch wird diese Verbindung immer nur auf einen Zeit- raum eingegangen; und können wir etwa nach dessen Abfluß sie entbehren, so sollen sie wissen, daß wir uns sodann um sie durchaus nicht weiter kümmern werden, 30 und sie gehen können, wohin es ilmen gefällt. Im zweiten I Falle erhält der Staat an sie, und sie an den Staat [89] alle Ansprüche, die zwischen ihm und den bei uns ge- bildeten Eingebornen stattfinden. Um nun in diesem letztem Verhältnisse zugleich die persönliche Freiheit des 35 Individuum sicherzustellen, zugleich eine rechtliche Gleich- heit des Individuum mit dem Staate, der bisher seinem Diener lebenslänglichen L^nterhalt zusichern, von ihm aber zu jeder Stunde sich den Dienst aufkündigen lassen mußte, hervorzubringen, und besonders, um dem Gelehrtenstande 40

60 Fichte.

zu größerer Moralität und Ehrliebe in Dingen dieser Art zu verhelfen, setze man den Anspruch auf lebenslange Versorgung, verhältnismäßig nach dem Fache, als gleich einem gewissen bestimmten Kapital, das der des 5 vollkommnen Bürgerrechts Teilhaftige dem Staate zurück- zahle, wenn er dessen bisherige Dienste verlassen will. Ist er nun dem auswärtigen Berufer dieser Summe wert, so mag derselbe sie bezahlen, und er ist frei; aber es ist zu hoffen, daß dieser Fall nicht sehr häufig eintreten und 10 auf diese Weise wir mit der Beseitigung so mannigfacher Vokationen verschont bleiben werden.

§ 42.

Es ist, in der Voraussetzung dieser Einrichtung, bei der Frage, wie abgetretene Professoren zu versorgen seien,

15 nur von solchen die Rede, denen das vollkommicne Bürger- recht angeboren, oder von ihnen angenommen ist; indem [90] diejenigen, welche dasselbe abge-[ lehnt, nach ihrem Aus-' tritte nicht nur nicht versorgt werden, sondern es sogar eine feste Maxime unserer Politik sein soll, dieselben so-

20 bald wie möglich entbehrlich zu machen.

Die bei uns erzogenen und beim Austritte aus den Studierenden des Meistertums würdig befundenen Regu- lären haben ohnedies den ersten Anspruch auf die ersten Ämter des Staates, und man könnte auch immerhin den

25 Lehrern, die das Institut beginnen werden, denselben An- spruch erteilen, den man ihren spätem Zöglingen nicht wird versagen können. Dieser Anspruch und die Fähig- keit, dergleichen Ämter zu bekleiden, werden dadurch ohne Zweifel nicht vermindert, daß der Mann durch einige

30 Jahre Lehreramt es zu noch größerer Gewandtheit in dem- jenigen wissenschaftlichen Fache, dessen Anwendung im Leben das erledigte Staatsamt fordert, und nebenbei zu größerer Reife des Alters und der Erfahrung gebracht hat; es wäre vielmehr zu wünschen, daß alle diesen Weg

35 gingen, und das Leben der ersten Bürger in der Regel in die drei Epochen des lernenden, des lehrenden und des ausübenden wissenschaftlichen Künstlers zerfiele. Weit entfernt daher, um die Anstellung ausgetretener Lehrer verlegen zu sein, müßten wir, .wenn wir auch sonst keines

Deduzierter Plan. 61

Korps der Lehrer bedürften, ein solches schon als Pflanz- schule und Repertorium höherer Geschäftsmänner errichten, und bei eintretendem Bedürfnisse aus diesem Behälter zu- weilen sogar den, der lieber darin bliebe, herausheben. I Dieses Bedürfnis austretender Lehrer für den Staat rqi-i und den höhern Geschäftskreis desselben noch abgerechnet, bedarf auch für sich selbst das literarische Institut solcher Männer. Es gibt sehr weit von der Wurzel des wissen- schaftlichen Systems abliegende, in ein sehr genaues Detail eines Faches gehende Kenntnisse, welche in die allge- 10 meine Enzyklopädie und den gewöhnlichen Kreis des Unter- richts an der wissenschaftlichen Schule nicht eingreifen, und ohne deren Kenntnis jemand ein sehr trefflicher Lehrer sein kann. Doch kann das Bedürfnis auch dieser Kenntnis für Lehrer und Lernende eintreten; es muß daher das 15 Mittel vorhanden sein, sie irgendwo zu schöpfen. Dies seien fürs erste die ausgetretenen Lehrer. Vielleicht arbeiten sie ohnedies an einem Werke, in welchem sie ihre individuelle Bildung in das allgemeine Archiv des Buches niederlegen wollen, zu dem ihnen die Muße zu 20 gönnen ist. Nebenbei mögen auch Lehrer und Lernende sich bei ihnen Rats erholen über das, worin sie vorzüglich stark sind; oder auch vorkommenden Falles beide sie um einige Vorlesungen ersuchen, in Gottes Namen über ein orientalisches Wurzelwort, oder die Naturgeschichte eines 25 einzelnen Mooses. Sie sind mit einem Worte Rat und Hilfe der Jüngern bei eintretenden Notfällen im Wissen sowohl als der Kunst.

Indem sie nun doch nicht mehr eigentliche und ordentliche Lehrer an der Universität, und ihre noch fort- 30 dauernden Leistungen nur frei begehrte und frei gewährte Gaben sind, sind sie eine Akademie der Wis-isen- [92] Schaft, im modernen (eigentlich französischen) Sinne dieses Wortes; und für die Universitätsangelegenheiten der oben erwähnte Rat der Alten. Mit ihnen tritt bei der- 35 gleichen Beratschlagungen das Korps der wirklichen Lehrer, als Rat der ausübenden Lehrer, zusammen; daher sind auch die letztem natürliche Mitglieder der Akademie; und die gesamte Akademie ist, in Beziehung auf die Universität, der Senat derselben, nach den erwähnten beiden Haupt- 40 teilen in allen festzusetzenden besondem Klassen.

62 Fichte.

Freie Mitglieder der Akademie bleiben auch die zu andern Staatsämtern beförderten ausgetretenen Lehrer, und sie sind befugt und, inwiefern es ihre anderen Geschäfte erlauben, ersucht, an den Beratschlagungen derselben, als 5 Mitglieder des Rates der Alten, teilzimehmen ; (und sie werden gebeten werden, welche Dekorationen auch sonst ihnen zuteil geworden sein dürften, dennoch zuweilen auch unsre Uniform, welche überhaupt jeder Akademiker trägt, mit ihren Personen zu beehren.)

10 In dieser Akademie Schoß bleibt ihnen auch immer,

welche Schicksale auch sonst auf ihrer politischen Lauf- bahn sie betroffen haben möchten, der ehrenvolle Rückzug, und ist ihnen da ein sorgenfreies, geehrtes Alter bereitet, indem der Charakter eines Akademikers character indele-

15 bilis wird.

§ 43.

Noch wäre, in derselben Rücksicht, um sichern Rat und

[93] Hilfe in jeder literarischen Not zu finden, eine [ andere

Art von Akademikern, die sogar niemals ordentliche Lehrer

20 gewesen, anzustellen; ich meine jene lebendigen Reper- torien der Bücherwek, und die, welche groß und einzig sind in irgend einer seltenen Wisserei, obwohl sie es niemals zu einer enzyklopädischen Einheit der Ansicht ihres Faches, oder zu einer lebendigen Kunst in demselben,

25 gebracht haben, und darum als ordentliche Lehrer für uns nicht taugen. Wir wollen sie nur dazu, daß unser ordentlicher Lehrer diese lebendigen Bücher zuweilen nach- schlage; die Klarheit und Kunstmäßigkeit wird er dem bei ihm geschöpften Stoffe für die Mitteilung an seine

30 Schüler schon selber geben.

(So starb vor mehrern Jahren zu Jena ein gewisser B., der mehrere hunderte von Sprachen zu wissen sich rühmte, imd von dem andere, auch nicht mit Unrecht, sagten, er besitze keine einzige. Dessen ohnerachtet, glaube

35 ich, würde auch der Besitz eines solchen uns wünschens- würdig sein. Denn falls etwa, wie es denn in der Tat dergleichen Leute gibt, jemand glaubte, das gesamte menschliche Sprachvermögen sei im Grunde eins, vmd die mancherlei besondern Sprachen seien nur, nach einem

Deduzierter Plan. 63

gewissen Naturgesetze, ohne einige Einmischung der Will- kür fortschreitende weitere Bestimmungen und Ausbil- dungen jener einen Wurzel, und es lasse sich sowohl diese Wurzel als jenes Naturgesetz finden; und etwa einer unsrer Akademiker an die Lösimg dieser Aufgabe ginge, so würde 5 diesem aus andern Gründen nicht füglich anzumuten sein, daß er alle Sprachen der Welt wisse; | es möchte sie aber [94] neben ihm und für seinen Gebrauch ein solcher B. wissen, der wiederum immer unfähig sein möchte, ein solches Problem zu denken und sein Wissen für die Lösung des- 10 selben zu gebrauchen. So müssen wir denn den ganzen vorhandenen historischen Schatz aller Wissenschaft bei uns aufzuspeichern suchen, nicht um ihn tot liegen zu lassen, sondern um ihn einst mit organisierendem Geiste zu be- arbeiten. Ist dies geschehen, dann wird es Zeit sein, das 15 Caput mortuum wegzuschaffen ; bis dahin wollen wir nichts wegwerfen oder verschmähen.)

So ist, nachdem der Theologie der Alleinbesitz der orientalischen Sprachkunde und der der Kirchengeschichte abgenommen worden, kaum zu erwarten, daß beides, bis 20 auf seinen letzten bekannten Detail, in den gesamten en- zyklopädischen Unterricht der Philologie oder der Ge- schichte an unserer Kunstschule werde aufgenommen werden; daß wir sonach eines ordentlichen Lehrers der orientalischen Sprachen, oder der Kirchengeschichte kaum 25 bedürfen werden. Dennoch müssen immerfort Männer in unsrer Mitte sein, bei welchen jeder, der aus irgend einem Grunde das Bedürfnis hat, über das Enzyklopädische hinaus bis zu dem äußersten Detail dieser Fächer fortzugehen, sein durch das bloße Buch nicht also zu befriedigendes 30 Bedürfnis zu befriedigen vermag.

Übrigens sind diese Anführungen nur als Beispiele zu verstehen. Eine systematische Übersicht der Summe unserer Bedürfnisse in dieser Rücksicht, so wie | die An- [95] gäbe der bestimmten Männer, die wir zu diesem Behuf für 85 den Anfang mit uns zu vereinigen hätten, werden die Beratschlagungen der oben erwähnten einzelnen Männer und Komitees, welche auch über diesen Teil unseres Plans zu instruieren wären, an die Hand geben.

Auch diese Art von Akademikern besitzt alle Rechte 40 eines solchen, und sitzt im Rate der Alten.

64 Fichte.

§ 44.

Betreffend den Übergang aus dem Korps der Lehr- linge in das der Lehrenden oder praktisch Ausübenden : Der Reguläre müsse am Ende seines Studierens doku- 5 mentieren, daß der Zweck desselben bei ihm erreicht worden, sagten wir oben. Da nun der letzte Zweck unsrer Anstalt keinesweges die Mitteilung eines Wissens, sondern die Entwicklung einer Kunst ist, der in einer Kunst Voll- endete aber Meister heißt, so würde jene Dokumentation

10 darin bestehen, daß er sich als Meister bewähre.

Das Meisterstück würde am schicklichsten in einer zu liefernden Probeschrift bestehen, nicht über ein Thema freier Wahl, sondern über ein vom Lehrer seines Faches ihm gegebenes und darauf berechnetes, daß daran sich

15 zeigen müsse, ob der Lehrling die in seiner indi- viduellen Natur liegende größte Schwierigkeit, die dem Lehrer ja wohl bekannt sein muß, durch die kunst- [96] mäßige Bildung seines Selbst | besiegt habe. (Wählt er selbst, so wählt er das, wozu er am meisten Leichtigkeit

20 und Lust hat, daran aber zeigt sich nicht der Triumph der Kunst; der Lehrer soll ihm das aufgeben, was für seine Natur das Schwerste ist ; denn das Schwere mit Leichtigkeit tun, ist Sache des Meisters.) Über diese seine eigene Schrift nun und auf den Grund derselben werde er, bis

25 zur völligen Genüge des Lehrers, öffentlich examiniert.

Es sind zwei Fälle. Entweder wird in einem besondern empirischen Fache das Meistertum begehrt. In diesem Falle gibt der Lehrer dieses Fachs das Thema; die Prüfung aber und das Tentamen zerfällt in zwei Teile, von denen,

30 wie auch bei den früheren Beurteilungen der Aufsätze der Studenten, der Lehrer des Faches nach der Erkenntnis, und beim Kandidaten des Meistertums insbesondre dar- nach forscht, ob er sie in der Vollständigkeit und bis zu demjenigen Detail, bis zu welchem der mündliche und

35 Bücherimterricht an der Kunstschule fortgeht, gefaßt habe; die philosophische Klasse aber über die lebendige Klarheit dieser Erkenntnis ihn nach allen Seiten hinwendet und versucht.

Oder der Kandidat begehrte bloß in der Philosophie

40 das Meistertum; so würde er in Absicht des Thema sowohl,

Deduzierter Plan. 65

als der Prüfung, auf den ersten Anblick lediglich der philo- sophischen Klasse anheimfallen, und die Empirie an ihn keine Ansprüche haben. Da inzwischen die Philosophie gar keinen eigentlichen Stoff hat, sondern nur das allen , Stoff der Wissenschaft und des | Lebens in Klarheit und rq-i Besonnenheit auflösende Mittel ist; und derjenige, der sich für einen großen Philosophen ausgäbe, dabei aber bekennte, daß er weder etwas anderes gelernt, vermittelst dessen, als eines Mittelgliedes, er seinen philosophischen Geist ins Leben einzuführen vermöchte, noch auch seine Philosophie 10 unmittelbar von sich zu geben und sie andern mitzuteilen verstände, ohne Zweifel der Gesellschaft völlig unbrauch- bar und keinesweges ein Künstler, sondern ein totes Stück Gut sein würde; so muß der, der sich auf die Philosophie beschränkt, wenigstens sein Vermögen, sie mitzuteilen und 15 einen kunstmäßigen Lehrer in derselben abzugeben, doku- mentieren. Und so kann keiner als Meister in der Philo- sophie anerkannt werden, der sich nicht auch zugleich als Doktor derselben bewährt hat.

Nun ist es femer gar nicht hinlänglich, daß er in 20 dieser Fertigkeit des Vortrages seiner Klasse genüge; er soll auch Nichtphilosophen, dergleichen ja, wenn er das Lehramt einst im Ernste verwaltet, alle seine Lehrlinge anfangs sein werden, verständlich werden können; und so fällt denn in dieser Rücksicht das Endurteil von seiner 25 eigenen Klasse an die empirischen Klassen insgesamt, die es durch aus ihrer Mitte ernannte Stellvertreter verwalten können. Hier also entscheidet umgekehrt die philosophische Klasse über die Richtigkeit des Inhalts, als Resultat der erlernten Kunst, die Gesetze des Denkens im Philosophieren 30 frei zu befolgen, die empirischen über die Gewandtheit und I Klarheit in dieser Kunst, die er durch den Vortrag dar- [98] legt. Mögen diese immerhin über das Vorgetragene kein Urteil haben; der Vortrag selbst wenigstens muß ihnen als meistermäßig einleuchten. Es werden darum die- 35 jenigen, welche um das Meistertum in der Philosophie nachzusuchen gedenken, sich schon früher in dem Lehrer- seminarium geübt haben, da der philosophische Vortrag ohnedies der vollkommenste und das Vorbild alles andern Vortrages bleiben muß, und darüber an unsrer Kunstschule 40 alles Ernstes zu halten ist.

Universitätsschriften Fichte, Schleiermacher, Steffens. 5

66 Fichte.

Dagegen kann der empirische Gelehrte, der seine Kenntnisse vielleicht nur praktisch anzuwenden gedenkt, Meister sein, ohne gerade Doktor sein zu können. Macht er auch auf das letztere Anspruch und begehrt er an ü unserm Institute zu lehren, so muß er seine Fertigkeit darin noch besonders dartun, und hat er hierüber beiden, sowohl der philosophischen Klasse, als der seines Faches, Genüge zu leisten.

Es läßt sich auch den Zugewandten das Recht, das

10 Meistertum in Anspruch zu nehmen, nicht durchaus ver- sagen. Da jedoch hierbei die, den Lehrern auch von allen schwachen Seiten ihrer individuellen Natur oder Erkennt- nis weit besser bekannten Regularen in Nachteil kommen würden, so wäre von den Zugewandten in diesem Falle,

15 für Herstellung der Gleichheit, zu fordern, daß sie wenig- stens ein Lehrjahr vor ihrer Erhebung zu Meistern ihren Anspruch dem Lehrer des Faches, so wie dem der Philo- sophie, bekannt machten, und dieses Jahr hindurch sich [99] dem allseitigen [ Studium dieser Lehrer bloßstellten. Könn-

20 ten nicht diese beiden Lehrer am Ende des Jahres mit gutem Gewissen erklären, daß ihnen diese jungen Männer für die Absicht hinlänglich erkundet seien, so müßte die Beratung über ihr Gesuch abermals ein Lehrjahr hinaus- gesetzt werden, während dessen sie zu diesen beiden in

25 demselben Verhältnisse blieben, wie im ersten Jahre. Sie möchten auch an diese Lehrer für diese eigentlich nicht im Kreise ihres Berufs liegende Mühe einen Ersatz aus- zahlen, der in jedem Falle, ob sie nun des Meistertum.s würdig befunden wären, oder nicht, verfiele.

30 Erst durch die Erlangung des Meistertums beweist

der Reguläre seine würdige Benutzung des Instituts und tritt ein in sein Recht des ersten Anspruches auf die ersten Würden des Staates. Ganz gleich läßt sich ihm hierin nun einmal nicht setzen der Meister aus den Zugewandten,

35 der tms die nähere Bekanntschaft mit seinem moralischen Charakter und seiner bisherigen sittlichen Aufführung ver- sagt hat. Jedoch auch hierüber das Beste hoffend, und da er denn doch auch der Kunst Meister ist, könnte man ihm den ersten Anspruch da, wo kein Meister aus den

40 Regularen sich gemeldet, zugestehen.

Den Regularen, die etwa in dem Gesuche des Meister-

Deduzierter Plan. QJ

tums durchfielen, so wie Zugewandten, die keinen Anspruch darauf machten, möchte man immerhin den gewöhnlichen Doktorgrad erteilen, und mögen die empirischen Klassen über die dabei nötigen | Leistungen etwas festsetzen. Ein [100] gewöhnlicher und gemeiner Doktor nämlich ist derjenige, 5 der nicht zugleich auch, wie die früher oben angeführten, Meister ist, und es ist in diesem Falle mit den beiden letzten Buchstaben nicht eigentlich Ernst, indem wirklich Doktor zu sein nur derjenige vermag, der Meister ist; sondern es ist jenes Wort nur euphemisch gesetzt, statt doctus, 10 einer der etwas erlernt hat.

Die rechten heißen Meister schlechtweg, und kann man den Doktor weglassen; wiewohl man auch, um den L'nterschied noch schärfer zu bezeichnen, die letzten Titular- doktoren nennen könnte. Die philosophische Klasse hat 15 bei dergleichen Promotionen gar kein Geschäft; denn die ihr selber gibt es nur Meister imd Doktor in Vereinigung; um die andern Klassen aber bekümmert sie sich nur, wenn diese Anspruch auf den Rang des Künstlers machen, dessen diese letzte Art der Doktoren sich 20 bescheidet.

Aus ihnen werden im Staate die subalternen Ämter besetzt, (Man kreierte magistros artium, und in den neuern Zeiten, da der Magistertitel in Verachtung geraten, hat man nur noch den für vornehmer geachteten Doktortitel 25 führen mögen, da es doch offenbar weit mehr bedeutet, ein Meister zu sein, denn ein Lehrer. Wir haben mit jenen magistris artium gar nicht zu tun, da wir keines- weges Künste annehmen und in denselben etwa bis auf Sieben zählen, sondern nur eine, die Kunst schlechtweg, 30 und diese zwar als unendlich, kennen; sondern unser Mci- I ster ist artis magister schlechtweg, der Kunst Meister, [101] und es ist zu erwarten, daß die, die dieses Namens wert sind, sich seiner nicht schämen werden. Und so mögen sie denn immer Meister schlechtweg ohne Beisatz, und 35 ohne das, auch nur verringernde, Herr, angeredet werden, und sich schreiben : der Kunst Meister.

Vor der Neuerung haben wir uns auch nicht zu fürchten, denn auch andere Universitäten machen Neue- rungen, wie die Jenaische, die anfing gar keine magistros 40 artium mehr, sondern nur Doktoren der Philosophie zu

5*

68 Fichte.

kreieren, oder die zu Landshut, die dermalen Doktoren der Ästhetik kreiert.

Nun ist dieser gradus magistri dermalen nirgends vor- handen, und wir können uns denselben nicht erteilen lassen. 5 Ohne Zweifel aber wird das Meisterstück der die Kunst- schule anfangenden Lehrer dann geliefert sein, wenn sie andere Künstler gebildet haben. Indem sie nun mit gutem Gewissen diese für Meister erklären dürfen, erklären sie zugleich sich selbst dafür; sie erhalten den Grad, indem sie 10 ihn erteilen, und können ihn drum von da an auch führen.)

§ 45.

In allen den erwähnten Aufsätzen, so wie in denen über das Meistertimi und den damit zusammenhängenden tentaminibus wird die deutsche Sprache gebraucht, keines-

15 weges etwa die lateinische. Der in diesem oft angeregten [102] Streite dennoch niemals \ deutlich ausgesprochene ent- scheidende Grund ist der: Lebendige Kunst kann ausgeübt und dokumentiert werden lediglich in einer Sprache, die nicht schon durch sich den Kreis einengt, sondern in

20 welcher man neu und schöpferisch sein darf, einer lebendigen, und in welche, als unsere Muttersprache, unser eignes Leben verwebt ist. Als die Scholastiker in der lateinischen Sprache mit freiem und originellem Denken sich regen wollten, mußten sie eben die Grenzen dieser

25 Sprache erweitern, wodurch es nun nicht mehr dieselbe Sprache blieb, und ihr Latein eigentlich nicht Latein, son- dern eine der mehreren im Mittelalter entstehenden neu- lateinischen Sprachen wurde.

Wir haben für diese freie Regung unsere vortreffliche

30 deutsche Sprache: das Latein studieren wir ausdrücklich als das abgeschlossene Resultat der Sprachbildung eines untergegangenen Volkes, und wir müssen es darum in dieser Abgeschlossenheit lassen.

Der Philolog, eben weil er sein Geschäft in diesem

35 fest abgeschlossenen Kreise treibt, kann bei Interpretation der Klassiker sich der römischen, und, wie in Gottes Namen zu wünschen wäre, auch der griechischen Sprache bedienen ; und es wäre den Zöglingen unseres Instituts anzumuten, daß sie schon beim Austritt aus der niedern Schule diese Fertig-

Deduzierter Plan. 69

keit, auch lateinisch zu reden und sich zu unterreden, gelernt hätten. Sollte man in gewissen Fällen, z. B. wo der Anspruch auf ein Schulamt ginge, nötig finden, | daß [103] auch der Kandidat des Meistertums die Fortdauer und noch höhere Ausbildung dieser Fertigkeit zeigte, so könnte 5 er dies tun, aber nur an Gegenständen jenes historisch geschlossenen Kyklus; wo aber ursprünglich schöpferisches Denken gezeigt werden soll, da wird die schon fertige Phrasis bald für uns denken, bald unser Denken hemmen; und darum bleibe bei diesem Geschäfte die tote Sprache 10 ferne von uns.

§ -IG.

Wir gehen über zur Ökonomieverwaltung unsers In- stituts.

Es ist vor allem klar, daß ein zu fester Einheit 15 organisiertes Verwaltungskorps dieser Geschäfte eingesetzt werden müsse, dessen höchste Mitglieder wenigstens aus dem Schöße der Akademie selbst seien, etwa ausgetretene Lehrer, indem nur diesen die gebührende Liebe sich zu- trauen läßt, die übrigen aber diesen und der gesamten 20 Akademie verantwortlich sind.

Um den Folgen aus der Veränderlichkeit des Geld- wertes für ewige Tage vorzubeugen, wären die Einkünfte des Instituts nicht auf Geld, sondern auf Naturalien fest- zusetzen, also daß es z. B. zu einem bestimmten Termine 25 von einem bestimmten Bezahler so und so viel Scheffel Korn zu ziehen hätte, die allerdings nicht in Natur, son- dern in klingender Münze abgeliefert würden; nicht jedoch nach einem | für immer festgesetzten Preise, sondern nach [103] dem, den dieses Korn am Termine der Zahlung auf dem 30 Markte wirklich hätte. Ebenso hätte es nun auch an seine Besoldeten terminlich so und so viel Scheffel Korn zu bezahlen.

§ 47.

Die beiden Hauptquellen von Einkünften, auf die wir 35 fürs erste zu rechnen hätten, wären die Einkünfte des Kalenderstempels von der Akademie, sodann die der ein- gegangenen Universität Halle, inwiefern dieselben uns ver-

70 Fichte.

bleiben, v/ozu noch die Verwaltung der Zahlstellen im Korps der Regularen, und späterhin andere, tiefer unten zu erwähnende, Hilfsquellen kommen würden. Nicht bloß darum, weil die Nation zahlt, sondern aus noch weit tiefern 6 Gründen, soll dieselbe innigst mit dieser Angelegenheit verflochten werden, und unser Institut sehr deutlich als ein Nationalinstitut dastehen.

Wir werden dies auf folgende Weise erreichen. Da den eigentlichen wesentlichen Teil unsrer Anstalt, um dessen

10 willen alles andere da ist, das Korps der Regularen bildet,

so werden die Stellen in diesem Korps verteilt auf die

Kreise und Städte der Monarchie*), nach dem Maßstabe,

wie jeder, gezwomgen oder freiwillig, beiträgt. Stellen,

[105] nicht [ in dem Sinne, daß nur der aus dem Kreise oder

15 der Stadt Gebürtige diese Stelle haben könne, sondern jeder, dem eine solche Stelle zukommt, und sie begehrt, erhält sie ohne Verzug; sondern also, daß zwischen dem Besitzer der Stelle imd dem Kreise oder der Stadt, dem sie zufällt, ein Verhältnis entstehe, wie zwischen Klienten und

20 Patron; daß der erstere glaube, so wie sein eigentlicher Geburtsort ilm zu dem natürlichen Leben, so habe dieser Kreis oder diese Stadt ihn zu dem höhern wissenschaft- lichen Leben geboren, daß die letztere an den Sukzessen dieses ihres Alumnus den Anteil von Ruhm nehme, den sie

25 griechischen Städte an den aus ihnen stammenden Siegern in den olympischen Wettkämpfen nahmen, endlich, daß der erstere, wie hoch er auch jemals emporsteige, dennoch zeitlebens zu dankbarem Gegendienste bei jeder Gelegen- heit bereit sei, und aus dem Klienten ein Patron werde,

30 Mehrere zarte sittliche Verhältnisse, die daher entspringen, abgerechnet, wird sich auch ein Interesse und eine Achtung für Wissenschaft durch die Nation als ein sie ehrenvoll auszeichnender Charakterzug verbreiten, der wiederum die Quelle großer Ereignisse werden kann. Stellen ferner,

35 nicht in dem Sinne, daß die Zahl derselben jemals ge- schlossen sei, vielmehr soll jeder, der es wert ist und es begehrt, aufgenommen werden; sondern daß die vorhan- denen und besetzten nach diesem bestimmten jMaßstabe

*) Wie es z. B. mit den Stellen an den sächsischen Fürsten- schulen die Einrichtung ist; auch mit den weiterhin beschriebenen Modifikationen.

Deduzierter Plan. 7_[

unter die Kreise etc. verteilt werden. Auch dem deut- schen Ausländer (wer von anderer Nation wäre, qualifi- I ziert sich wegen Abgang der Sprache nicht zum Wechsel- [106] leben mit ims) soll, wenn er würdig ist, bessonders wenn er beim Eintritte zugleich der Verpflichtung, die das voll- 5 kommne Bürgerrecht 40) mit sich führt, sich unterwürfe, die Aufnahme unter die Regularen nicht abgeschlagen werden. Doch würde, nach dem Grundsatze, daß mit dem Auslande nur der Repräsentant der Einheit des Staates zu verhandeln hätte, diese Erlaubnis nur der König erteilen 10 können, und wären somit alle an Ausländer gegebenen Plätze königliche, keinesweges aber Landes stellen. Doch wäre der König zu ersuchen, diese Erlaubnis den von dem Lelirer- korps Vorgeschlagenen nicht leicht, und nicht ohne höchst bewegende Gründe zu versagen; indem, anderer Rück- 15 sichten zu schweigen, hierdurch die preußische Nation recht laut ihre Anerkennung des allgemeinen deutschen Bruder- tumes dokumentiert, und auch dies in der Zukunft wichtige Ereignisse nach sich ziehen kann.

§ 48. 20

Nach Maßgabe, wie jeder Teil des Landes beiträgt, sollten auf ihn die Stellen verteilt werden, sagte ich. So möchte, ohne alle Rücksicht, ob dadurch die Verwaltung vereinfacht werde oder nicht, indem weit höhere Dinge (die wirkliche Beschäftigung der Nation mit diesem Gegen- 20 Stande und derselben Folgen) zu beabsichtigen sind, der bisherige Kalendcrpacht ganz aufgehoben werden, dagegen aber die [ Kreise und Städte sich selber taxieren, wie '107] viele Scheffel Korn für diesen Stempel sie zahlen wollten, die sie hernach durch eigene Distribution der Kalender 30 wieder beitrieben; wobei ihnen vorbehalten bleiben müßte, die Stempelgebühr nach Steigen oder Fallen der Kornpreise zu steigern oder zu verringern. Nach dieser ihrer Quote am Beitrage zum Ganzen richtete sich ihr Anteil an der Berechtigung auf Stellen. Falls nicht, was der Schreiber 35 dieses in seiner dermaligen Lage nicht erkunden kann, dadurch eine andere, schon eingeführte Stempcltaxe auf- gehoben würde, so könnte diese Einnahme noch auf fol- gende Weise vermehrt werden, daß durch alle Teile der

72 Fichte.

Monarchie dasselbe eine Maß und Gewicht eingeführt werde, was ohnedies seit langem sehr zu wünschen. Die Bestimmung eines solchen, und des Mittels, es unwandelbar zu erhalten, ist ein natürlich einer Akademie der Wissen- 5 Schäften anheimfallendes Geschäft. Die Übereinstimmung mit diesem Grundmaße und Gewicht wäre nun allen Maßen und Gewichten durch einen Stempel zu attestieren, dessen Ertrag dem Institute zu gut käme, und auf dieselbe Weise beigetrieben v/ürde. 10 Ebenso würde das, woraus der bisherige Fond der

Universität Halle bestanden, auf Naturalien gesetzt, und denen, die es abzutragen schuldig sind, als Quotum ihrer Berechtigung zur Besetzung der Stellen angerechnet.

[1081 1 § 49.

15 Da die bei uns gebildeten Regularen den ersten An-

spruch auf die ersten Stellen des Staates haben sollen, so würden, wenn noch andere Universitäten außer uns in der Monarchie bestehen sollten, dieselben entweder auch sich zur Kunstschule, und zu diesem Behufe ein Korps von

20 Regularen in ihrer Mitte bilden müssen; oder sie würden, als reine Zugewandtheiten, in denen auch nicht einmal ein besserer Kern wirkte, zu betrachten sein, und derselben Zöglinge ebenso am Verdienste wie an Rechte der unsrigen nachstehen. Es ist zu befürchten, daß das erstere ihnen

25 nicht sonderlich gelingen werde, indem wir, die wir ohne- dies im Anfange nicht einmal auf Vollständigkeit für unsern Behuf rechnen können, ihnen ohne Zweifel weder im Inlande noch im Auslande etwas für eine Kunstschule Taugliches übrig lassen werden; daß sie sonach, bei dem

30 besten Bestreben, dennoch in die zweite höchst nachteilige Lage kommen würden. Und so dürfte denn vielleicht das in Anregung Gebrachte zugleich die Veranlassung werden, um über eine tiefere bisher mannigfaltig verkannte Wahrheit die Augen zu öffnen.

35 Das Bestreben, die Schule imd Universität recht nahe

am väterlichen Hause zu haben, und in dem Kreise, in welchem man dumpf und bewußtlos aufwuchs, ebenso dumpf fortzuwachsen und in ihm sein Leben hinzu- bringen, ist unseres Erachtcns zuvörderst entwürdigend für

Deduzierter Plan. 73

den Menschen; denn dieser soll [ einmal herausgehoben [109] werden aus alle den Gängelbändern, mit denen die Fa- milien- und Nachbar- und Landmannsverhältnisse ihn immer- fort tragen imd heben, und in einem Kreise von Fremden, denen er durchaus nichts mehr gilt, als was er persönlich 5 wert ist, ein neues und eignes Leben beginnen, und dieses Recht, das Leben einmal selbständig von vorn anzufangen, soll keinem geschmälert werden; sodann streitet es ins- besondere mit dem Charakter des wissenschaftlichen Man- nes, dem freier, über Zeit und Ort erhabener Überblick 10 zukommt, das Kleben an der Scholle aber, höchstens dem gewerbtreibenden Bürger zu verzeihen, ihn entehrt; end- lich wird dadurch sogar die organische Verwachsung aller zu einem und demselben Bürgertume gehindert, und ledig- lich daher entstehen die Absonderungen einzelner Pro- 15 vinzen und Städte vom großen Ganzen des Staats; daher, daß z. B. der Ostpreuße dem Brandenburger, der Thüringer dem Meißner, als etwas für sich bedeuten wollend, gegen- übertritt, und man sich nicht wundern muß, daß z. B. der Bayer dem Preußen gegenüber sich der gemeinsamen 20 Deutschheit nicht entsinnt, da ja sogar der Ostpreuße zu- weilen des gemeinsamen Preußens vergißt. Aus keinem in solcher Beschränktheit Aufgewachsenen ist jemals ein tüch- tiger Mensch oder ein umfassender Staatsmann geworden. Wäre dieses Bestreben einmal in seiner wahren Natur 25 erkannt, und so eingesehen, daß dasselbe keinesweges ge- schont, sondern ohne Barmherzigkeit weggeworfen | werden [HO] müsse, so wäre auch kein Grund mehr vorhanden, warum mehrere Universitäten in derselben Staatseinheit bestehen sollten; es würde erhellen, daß der Ausdruck ,,Provin- 30 zial-Universität" einen Widerspruch enthielte, indem die Universalität das Besondere aufhebt, und daß ein Staat von Rechts wegen auch nur eine Universität haben sollte. Sollen und müssen einmal diejenigen Bürger des gemein- samen Staats, die nicht bestimmt sind, aus der unbeweg- OJ liehen Scholle den Nahrungsstoff zu ziehen, durcheinander gerüttelt werden zu allseitiger Belebung, so ist dazu die Universität der einzig schickliche Ort, und mögen sie von da an wiederum nach allen Richtungen verbreitet werden, jeder, nicht dahin, wo er geboren ist, sondern wohin er 40 paßt, damit wenigstens an dieser edlern Klasse ein Ge-

74

Fichte.

schlecht entstehe, das nichts weiter ist, denn Bürger, und

das auf der ganzen Oberfläche des Staats zu Hause ist.

Nach diesen Prinzipien müßten die andern in der

preußischen Monarchie vorhandenen Universitäten eingehen,

5 und die Fonds derselben zu unserer Anstak gezogen werden. Die in die neue Anstalt nicht herübergezogenen Lehrer könnten ihre Gehalte fortziehen, oder auch nach Maßgabe ihrer Brauchbarkeit anderw.^vts versorgt werden. (Einen Teil derselben würden wir, als die § 42 beschriebene Art

10 von Mitgliedern des Rats der Alten, sogar notwendig

brauchen.) Diese herübergezogenen Fonds würden auf die

[111] Provinzen der eingegangenen Universitäten, als Quo-lten

ihrer Berechtigung auf Stellen, verteilt, zum Ersätze des

verlorenen Rechtes, im Schöße der Famihe den gelehrten

15 Hausbedarf an sich zu bringen. Über unsern Plan gehörig verständiget, ist sogar zu hoffen, daß sie sich diese Ab- änderung gern werden gefallen lassen.

(Als Einwürfe dagegen erwähne ich zuvörderst einen, den man kaum für möglich hahen würde, wenn er nicht-

20 wirklich gemacht würde, den von der weiten Reise. Gerade die Möglichkeit, junge Menschen vorauszusetzen, welche die Unbequemlichkeit eines Transports scheuen, wie Bäume, oder vor den Gefährhchkeiten einer Reise, z. B. von Königsberg nach Berlin, sich fürchten, beweiset, wie

25 notwendig es sein möge, dem Mute mancher in der Nation hierin ein wenig zu Hilfe zu kommen. Oder ist der Kosten- aufwand für ordinäre Post und Zehrung auf dieser kurzen Reise ihnen so fürchterlich, so könnte man ja den sich berechtigt glaubenden Provinzen aus den Fonds eine Reise-

30 Stipendienkasse zugestehen, aus denen sie für die gar Dürftigen diese kleine Ausgabe bezahlten.

Sodann meint man, es könnte doch etwa einmal auf einer solchen Universität ein besonderer und interessanter Geist und Ton entstehen, den wir durch eine Aufhebung

35 dieser Universität ganz unschuldig viele Jahre vor seiner

Geburt morden würden, und man befürchtet, daß wir der

Entwicklung der herrlichen Originalität innerhalb solcher

[112] kleinen Beschränkungen | Eintrag tun würden. Hierauf

dienet zur Antwort, daß zufolge der Zeit, in welcher die

40 Wissenschaft steht, es m derselben nicht mehr Legionen Geister, die jeder für sich ihr .Wesen treiben, sondern nur

Deduzierter Plan. 75

einen, in seiner Einheit klar zu durchdringenden Geist gibt, für dessen ewige allseitige Anfrischung gerade an anserm Institute, durch die sehr häufige Erneuerung des lehrenden Korps und durch den offen geführten edlen Wettstreit aller miteinander, vorzüglich gesorgt ist; daß 5 aber diese vorgebliche Originalität innerhalb lokaler Be- schränkung nicht Originalität, sondern vielmehr Kari- katur sei, welche, so wie den schlechten Geschmack, der an ihr sich labt, immer mehr verschwinden zu machen, auch ein Zweck unserer Anstalt ist. Es bliebe nach Beseitigung 10 dieser sich aussprechenden Einwürfe kein anderer übrig, als das dunkle Gefühl des Strebens, doch ja nichts um- kommen zu lassen, indem allerhand, uns freiüch nicht be- kanntes Heil durch irgend eine Zauberkraft daraus sich entwickeln könne, mit welchem, als selbst nicht auf deut- 15 liehe Begriffe zu bringen, man in der Region deutlicher Begriffe nicht reden kann.)

§ 50.

Die Stellen der Kanoniker an den Hochstiften waren ursprünglich für den Unterricht eingesetzt; und die Ein- 20 künfte könnten diesem ersten Zwecke füglich zurückgegeben werden. Auf die gleiche Weise ist der Streit gegen die Ungläubigen, wozu die Johanniter-Malteser- 1 Ritter ge- T 113] stiftet worden, nicht mehr an der Tagesordnung, wohl aber der geistige Krieg gegen Unwissenheit, Unverstand und 25 alle die traurigen Folgen derselben; und könnten so auch diese Güter diesem Zwecke gewidmet werden. Sie würden auf dieselbe Weise, wie die früher erwähnten Einkünfte, als Recht auf Stellen unter die Beitragenden verteilt.

Ich sage nicht, daß unser einiges Institut diese ohne 30 Zweifel sehr großen Hilfsquellen verschlingen solle. Dieses Institut muß für sich den Grundsatz der Verwaltung haben, daß ihm alles dasjenige, dessen es für die Erreichung seiner Zwecke bedarf, unfehlbar werde, daß es aber auch durchaus nichts begehre, dessen es nicht bedarf; noch kann 35 es einen andern haben, ohne durch überflüssiges Geschlepp und Gepäck sich selbst zur Last zu werden. Sodann wird zu bedenken sein, daß auch der, demnächst sogleich zu reformierenden niedern Schule ihr Anteil zukomme; ferner,

76 Fichte.

daß, wenn es über kurz oder lang zu einer ernstlichen Reform der Volkserziehung kommen sollte, auch für die Unterstützung dieses Zwecks das Nötige vorhanden sein müsse. Wir wollen nur sagen, daß gerade die gegen- 5 wärtige Zeit der Verlegenheit benutzt werden könne, um jene bisher anders angewendeten Güter für diesen größeren Zweck des gesamten Erziehungswesens in Beschlag zu nehmen, und daß es unter andern auch der Kunstschule frei stehen müßte, von ihnen Gebrauch zu machen, falls

10 einmal ihre andern Quellen nicht ausreichend befunden

[114] würden. Selbst auf den Fall, daß | zunächst, oder irgend

ein andermal, der Staat für eigene Zwecke dieser Einkünfte

bedürfte, worüber tiefer unten; so würde es immer ein

freundlicheres Ansehn haben, wenn er sie zuerst für diesen,

15 als Zweck der Nation unmittelbar einleuchtenden Zweck der Nationalerziehung in Beschlag genommen hätte.

§ 51.

Wie in Absicht der regulären Stellen überhaupt der Grundsatz feststeht, daß jedwedes Individuum, das zu einer

20 solchen sich qualifiziert und sie begehrt, sie haben müsse, so steht in Absicht der Zahlung der Grundsatz fest, daß, wer zahlen könne, zahlen müsse, wer aber nicht zahlen könne, dieselbe, inwiefern er nicht zahlen kann, un- weigerlich frei erhalte. Nicht die Zahlung qualifiziert,

25 sondern die anderweitige Leistung; und so soll auch der doppelt oder dreifach Zahlende dennoch, als Ausländer bei dem Könige, als Inländer bei einem Kreise, eine Stelle als freie Gunst, nachsuchen, damit er wisse, daß es in unserer Anstalt noch etwas gibt, das für Geld nicht zu

30 haben ist, und soll der etwanigen ökonomischen Rücksicht, daß man den Zahlung Anbietenden in Absicht der Proben der Würdigkeit gelinder behandle, durchaus kein Einfluß gestattet werden. Ebenso schließt auch nicht das Un- vermögen zu zahlen aus, sondern das geistige Unvermögen.

35 Die zu leistende Zahlung ist zu berechnen im Durch-

[115] schnitte (am besten auch nach Scheffeln Getreide) | auf

die eben erwähnten dem Zöglinge in Natur zu liefernden

Bedürfnisse, auf Honorar an die Lehrer für Unterricht

und Prüfung bei Erteilung des Meistertums, auf Gebrauch

Deduzierter Plan. 77

der öffentlichen literarischen Schätze usw., und haben die Eltern oder Vormünder des zahlenden Zöglings der Ökono- mieverwaltung Kaution zu leisten auf die Zeit, für welche der Zögling in das Institut aufgenommen wird, indem man ihn, um späterhin ausbleibender Zahlung willen, ja nicht 5 ausstoßen könnte, dennoch aber die Verwaltung auf ihn als Zahler rechnet. Die Form dieser Sicherstcllung wird leicht sich finden lassen. Und zwar werden alle jene in Rechnung kommenden Gegenstände also berechnet, wie sie dem Zöglinge zu stehen kommen würden, wenn er einen 10 Privathaushalt führte, keinesweges aber also, wie sie der alles in Ganzem an sich bringenden Verwaltung zu stehen kommen : wie denn dies, da dieser große Haushalt, ohne Zutritt des Einzelnen, als eine Einrichtung des Staates besteht, ganz billig ist, und schon dadurch, zu Deckung 15 der Freistellen, ein Beträchtliches gewonnen werden kann.

Es ist zu hoffen, daß unsre reichen Häuser, deren Glanz ja sonst bei also getroffenen Einrichtungen in ihrer Nachkommenschaft erlöschen würde, den Zutritt zu unsern .Regularen fleißig nachsuchen, und daß besonders unser 20 Adel diese Gelegenheit mit Freuden ergreifen werde, um zu zeigen, daß es nicht bloß die versagte Konkurrenz war, die ihn bei seinem bisheri- 1 gen Range erhielt, sondern [116] daß er auch bei eröffneter freier Konkurrenz mit dem Bürgerstande denselben zu behaupten vermöge. Es könnte 25 hiebei festgesetzt werden, daß die Grafen doppelte Zahlung leisteten, wie dies in Absicht der KoUegienhonorarien auch bisher also gehalten worden; andere Adelige noch die Hälfte des ganzen Quantum zuschössen.

Freistellen müssen nicht notwendig ganze Freistellen 30 sein, indem eine Familie, die zwar nicht alle diese Kosten zu tragen vermöchte, doch vielleicht einen Teil derselben tragen kann. Es kann also Viertel-, Halbe-, Dreiviertelfrei- stellen geben, nach Maßgabe des Vermögens der Familie.

Doch sollen ganz Unvermögende auch ganz freie Station 35 erhalten; und es soll in Rücksicht dieser sogar eine Ver- anstaltung getroffen werden, wodurch sie beim einstigen Austritte aus dem Kollegium der Regularen, wie dieser auch übrigens ausfallen möge, für die erste Zeit und bis zu einiger Anstellung gedeckt seien. *10

Die Entscheidung über diese teilweisen oder ganzen

78 Fichte.

Befreiungen fällt der ökonomischen Verwaltung des In- stituts zu, welcher zu diesem Behufe die Eltern oder Vor- münder des Zöglings genügende Einsicht in die Ver- mögensumstände desselben zu geben haben. Es muß bei 5 dieser Einsicht Genauigkeit stattfinden, indem hierüber das Ehrgefühl der Nation selbst geschärft werden soll, und so, wie Armut keine Schande, das Sicharmstellen und die Raubgier, welche den Ertrag milder Stiftungen wirk- [117] lieh Unvermögenden wegzuneh- 1 men sucht, zur großen 10 Schande werden sollen. Hinwiederum ist mild und freund- lich dem wirklichen Unvermögen das Gebührende zu er- lassen, und es ist drum klar, daß diese Verwalter für den Fortgang der Wissenschaften redlich interessierte und talentvolle Jünglinge, auch wenn sie arm sind, herzlich 15 liebende Männer, und also selbst Akademiker, wo möglich ausgetretene Lehrer sein müssen.

Welcher nun unter den Zöglingen seine Stelle ganz, oder teilweise frei habe, braucht niemand zu wissen, außer die Eltern oder Vormünder eines solchen und die er- 20 wähnten Verwalter; indem dieses die beiden Teile sind, welche die Abkunft geschlossen, und sind diese allerseits zur Verschwiegenheit zu verpflichten. Denn obwohl Armut fernerhin keine Schande sein soll, so soll doch so lange, bis es allgemein dahin gekommen, dem zahlenden Zög- linge auch die Versuchung erspart werden, sich über den ihm bekannten Nichtzahler neben ihm zu erheben. Alle sollen in solche Gleichheit gesetzt werden, daß dem Reichsten das wenige, anständigkeitshalber vielleicht nötige Taschen- geld von der Verwaltung nicht reichlicher gereicht werde, 30 als dem ganz freien Armen. Nicht einmal der freigehaltene Zögling selbst braucht diesen Umstand zu wissen; denn obwohl wir für das Dasein der Anstalt überhaupt die Dank- barkeit aller, Zahler oder Nichtzahler, in Anspruch nehmen, so wollen wir doch dafür, daß jedes Talent, auch ohne 35 Äquivalent in Gelde, bei uns Entwicklung findet, keinen [118] besondern Dank, indem 1 wir dies für Pflicht, so wie für den eigenen Vorteil des Vaterlandes erkennen. Und so sind denn die an die Kreise zu verteilenden Stellen keines- weges Kost- oder Freistellen, sondern es sind Stellen über- 40 haupt. Jede mögliche Stelle kann auch Freistelle werden; nur weiß der Kreis selber nicht, wie es sich damit verhält,

Deduzierter Plan. 79

sondern nimmt unbefangen Anteil an den wissenschaft- lichen Fortschritten seines Klienten, ohne zu wissen, auf welche besondern ökonomischen Bedingungen er dieses ist.

§ 52.

Indem der Ausfall, der durch diese erteilten Befrei- 5 ungen in der Ökonomie des Regulats entsteht, aus der Gesamtheit der oben verzeichneten Quellen bestritten werden muß, dieser Ausfall aber, je nachdem das vorzüglichere Talent aus den reichen, oder aus den unbegüterten Klassen der Nation hervorgeht, sehr v/andelbar und veränderlich 10 sein dürfte, so ist klar, daß in diesem Hauptteile der Aus- gaben keine Fixierung stattfinde, daß der Verwaltung große Hilfsmittel zur Disposition stehen müssen, daß dieselbe durchaus kein Interesse hat, dieselben ohne Not zu ver- schwenden, daß sie demnach die etwanigen Ersparnisse 15 getreulich zu den Händen der Regierung, welche über die Wahrhaftigkeit des Resultats der geführten Verwaltung durch eine, gleichfalls auf Stillschweigen zu verpflichtende Behörde Einsicht nehmen kann, zurückliefern wird; end- lich, daß dieser ganze Teil der | Verwaltung dem übrigen ]". .q-, Publikum ein dasselbe nicht angehendes und ihm undurch- dringliches Geheimnis bleibe. Das lehrende Korps ist es ! eigentlich, das nach den gelieferten Aufsätzen, oder der i von der niedern Schule gebrachten Tüchtigkeit, ohne alle ! Rücksicht oder Notiz von den Vermögensumständen, das 25

Regulat erteilt; dies ist das Erste und Wesentliche. In ' dieser Erteilung können sie, nach dem aufgestellten Grund- I Satze, daß durchaus kein vorzügliches Talent ausgeschlossen ( werden solle, nicht beschränkt werden. Wie es mit dem i also zum Regularen unwiederbringlich Ernannten in ökono- 30 mischer Rücksicht gehalten werden solle, ist die zweite außerwesentliche Frage, deren Beantwortung der Ökonomie- Verwaltung anheimfällt. Dieser verbietet Gerechtigkeits- gefühl und Rücksicht auf Ehrliebe der Nation, Befreiung ohne Not zu begünstigen; die Natur der ganzen Einrichtung 35 aber, sie der dargelegten Not zu versagen; und so kann auch diese auf keine Weise eingeschränkt werden.

Ebenso wenig findet im zweiten Hauptteile der Aus- gaben, der Besoldung der Lehrer und anderer Akademiker,

80 Fichte.

der Erhaltung oder neuen Anschaffung von Literatur- schätzen und andrer den Fortgang der Wissenschaften befördern sollender Einrichtungen eine Fixierung statt. Denn obwohl sich auch etwa ein Maximum des Gehaltes 5 für einen einzigen festsetzen ließe, so läßt sich doch durch- aus nichts festsetzen über die Anzahl der zu Besoldenden, [120] von so höchst verschie- 1 denen Arten imd Klassen, sondern es richtet sich diese, so wie die andern angegebenen Ver- anlassungen von Ausgaben, nach dem jedesmaligen Zu-

10 Stande der Wissenschaft, und ist wandelbar, wie dieser. Die Mitglieder der Anstalt können in diesen Beurteilungen nur das Heil der Wissenschaft und ihrer Anstalt als höchstes Gesetz anerkennen, und sie sind diejenigen, denen gründ- liche Durchschauung desselben, so wie herzliche Liebe

15 dafür sich am vorzüglichsten zutrauen läßt; auch verbietet die Erwägung dieses Heils selbst ihnen ebenso unnötige Verschwendung in allen den erwähnten Zweigen, als schäd- liche und unwürdige Sucht zu sparen. Und so geht denn auch für diesen Teil dasselbe Resultat hervor, das wir

20 oben für den ersten Teil aufstellten; es gilt dasselbe dem- nach fürs Ganze.

§ 53.

In Absicht des Besoldungssystems möchte festgesetzt werden 1) ein Gehalt, der dem Akademiker, als solchem,

25 gereicht wird, und der dem des vollkommenen Bürgerrechts teilhaftigen unter keiner Bedingung entzogen werden kann. Da nicht so leicht jemand bloß Akademiker sein wird, so ist dieser Gehalt nur als ein Beitrag, keinesweges aber als das, woraus der ganze anständige Unterhalt des Mannes

30 zu bestreiten sei, zu betrachten. 2) Das Mitglied des Rates der Alten hat entweder ein anderweitiges Staatsamt, oder [121] eine von den mannigfaltigen ökonomischen | oder Auf- seherstellen, die aus der Natur imseres Instituts hervor- gehen, wofür er besonders besoldet wird; auch wäre er

35 für die Weisen, wie er durch vorübergehende Vorlesungen oder andere Leistungen uns nützlich wird, durch vorüber- gehende Remimerationen zu entschädigen. Arbeitet er an einem gelehrten Werke, so könnte ihm auch für diesen Behuf die Ökonomieverwaltung Unterstützung oder Vor-

Deduzierter Plan. 81

schlisse leisten. 3) Der ausübende Lehrer wird nach Maß- gabe seiner Arbeit an Vorlesungen und andern Übungen und Prüfungen besonders besoldet. Die Zugewandten zahlen für alle diese Gegenstände, inwiefern sie an denselben An- teil nehmen wollen, ein festzusetzendes Honorar; und zwar 5 voraus. Denn es wird dadurch eines solchen, Zugewandten, der sein vorausbezahltes Geld nun auch wiederum abhören will, Fleiß und Regelmäßigkeit sehr befördert; und mögen wir ihm diese Art der Ermunterung gern gönnen. Der Regulär ist hierin frei, und wird eben der Gehalt des Lehrers 10 als sein von der Verwaltung für ihn bezahlter Beitrag, der ja bei Zahlstellen auch angerechnet wird, betrachtet. Dieses von den Zugewandten zu ziehende Honorar ist jedoch dem Lehrer bei Fixiervmg seines Gehaltes nicht eben in Rechnung zu bringen, sondern derselbe also zu setzen, als ob er, neben 15 seinem Gehalte als Akademiker, von diesem leben müßte; um ihn von dem Beifalle dieser Zugewandten ganz unab- hängig zu erhalten.

I Dasselbe Honorar von den Zugewandten haben auch [122] die außerordentlichen Professoren zu ziehen. -0

Eigentlich ist es die Akademie selbst, welche als im- umschränkte Ökonomieverwaltung 52) sich selbst aus ihrer Mitte besoldet. So wie die andern Stände nicht verlangen sollen, daß diese in Anständigkeit des Auskommens ihnen nachstehen, so wird auch ihnen von ihrer Seite gerade 25 jenes, nicht zu vermeidende Verhältnis die Pflicht auf- legen, vor den Augen der Nation nicht als unersättliche und habsüchtige, sondern als edle und sich bescheidende Männer dazustehen; und ist diese Denkart auf alle Weise in sie hineinzubringen. 30

§ 54.

Für das erste Lehrjahr möchte es zweckmäßig sein, den enzyklopädischen Lehrern, sowie etwa den andern nötig befundenen Unterlehrern, wenn, wie es größtenteils der Fall sein dürfte, sie schon außerdem, als Akademiker 35 oder dergl., einen fixierten lebenslänglichen Gehalt haben, eine besondere Remuneration für die Arbeiten dieses ersten Lehrjahres zuzugestehen, und für die folgenden Lehrjahre sich ein weiteres Bedenken vorzubehalten; unter andern

Universitatsschrifien Fichie, Schleiermacher, Steffens. Q

82 Fichte.

auch, damit man erst sähe, wie sich jedes machte, und ob nicht indessen etwas anderes sich findet, das sich noch besser macht. In Bestimmung dieser Remuneration wäre, inwiefern nicht etwa der Mann schon sonst ausreichend 5 besoldet ist, und man in dieser Rücksicht schon ohne- [123] dies ei- 1 nen Anspruch hat auf seine ganze Kraft, bilhg als Maßstab unterzulegen, was in dieser Zeit durch Schrift- stellerei hätte erworben werden können. Denn obwohl das bisweilen auch übliche Ablesen eines vor langen Jahren

10 angefertigten Heftes etwas höchst Bequemes ist und kaum eine andere Kraft fordert, als die der Lunge, so dürfte doch eine solche Verwaltung des Lehramts, wie wir sie gefordert haben, und die unter andern auch den größten Teil der alten Hefte unbrauchbar macht, alle Kraft und

15 Zeit des Lehrers in Anspruch nehmen; und wer diese Verhältnisse kennt, weiß, daß Kollegienlesen auf die ge- wöhnlichen Bedingungen für einen nicht ungewandten Schriftsteller in ökonomischer Rücksicht ein Opfer ist, das zwar der wackere Mann gern bringt, der auch wackere

20 aber nicht ohne Not fordert.

§ 55.

Für dieses erste Jahr könnte nun der Universität vom Staate ein öffentlicher Hörsaal eingegeben werden. Die Studierenden löseten gegen ihr Honorar, etwa bei dem,

25 um der Inskriptionen willen auch gleich anfangs anzu- stellenden Justitiarius der Universität Belege (Zutritts- karten), nach welchen ihnen, durch einen gleichfalls anzu- stellenden famulus communis, auf eine zu Jena seit 1790 übliche, dem Schreiber dieses wohlbekannte Weise, ihre Plätze

30 im Auditorium angewiesen werden. Da wir im ersten Jahre noch keine Regularen haben, (Novizen können wir haben, [124] I die aber doch immer nur als Zugewandte zu betrachten sind), sonach diese etwa künftigen Regularen, denen viel- leicht auch künftig Freistellen gegeben werden, in der

35 allgemeinen Masse der Zugewandten noch unentdeckt liegen, so soll der Justitiarius, nach einem ihm etwa anzu- gebenden Kanon, diese erwähnten Belege auch frei geben können, worüber er sich hernach mit dem Lehrer, der das Kollegium liest, zu berechnen hat. Ebenso wäre ein Plan

Deduzierter Plan. 83

zu entwerfen, wie man während dieses ersten Jahres un- vermögende Studierende, durch Stipendien, Freitische u. dergl., unterstützen könne. Doch ist die Einführung gewöhnlicher Konviktorien-, Stipendiatenexamens u. dergl., durch welche der Unvermögende herausgehoben und be- 5 zeichnet wird, als mit unserm allerersten Grundsatze über diesen Gegenstand streitend, auch im ersten Jahre zu ver- meiden. Sollte man nicht etwa späterhin über den Grundsatz sich einverständigen, daß bei solchen, die da Regularen werden weder könnten noch wollten, (wo bei Bejahung 10 des letzten Falles die einigermaßen frei zu haltenden wenig- stens Novizen sein müßten, und es im Noviziate über diesen Punkt eben also gehalten werden könnte, wie oben 51) für das Regulat vorgeschlagen worden), und da die zu subalternen Geschäften nötigen Handwerksfertigkeiten 15 weit sicherer und schicklicher außerhalb der Universität erlernt werden, das Studieren ein bloßer Luxus sei, der, wenn er ja statthaben solle, aus eignen | Mit- [125] teln, keinesweges aber auf Kosten des Staates be- stritten werden müsse; sondern sollte man darauf -0 bestehen, die milden Stiftungen der über diese Dinge freilich nicht so scharf sehenden Vorwelt auf die bisherige Weise zu verwenden, so kann man nichts dagegen haben, daß dergleichen Benefiziaten unter den bloßen Zugewandten auf alle Weise bezeichnet werden, und, so Gott will, ihnen -5 sogar eine metallene Nummer an den Ärmel geheftet werde, damit die Liebeswerke doch auch recht in die Augen fallen. Nur soll man den nicht also behandeln, der einmal ein Ehrenjüngling und Reguläre werden könnte.

§ 56. 30

Diese also zu einem organischen Ganzen verwachsene Akademie der Wissenschaften, wissenschaftliche Kunst- schule und Universität muß ein Jahresfest haben, an welchem sie sich dem übrigen Publikum in ihrer Existenz und Gesamtheit darstelle. Der natürlich sich ergebende 33 Akt dieses Festes ist die Ablegung der Rechenschaft über ihre Verhandlungen das ganze Jahr über; und es sollten hiebei zugegen sein Repräsentanten der Nation, gewählt aus den zu den Stellen Berechtigten, und des Königs, beider als der Behörde, der die Rechenschaft abgelegt 40

84 Fichte.

wird. Zu diesem Feste wäre der Geburtstag Friedrich Wilhelm des Dritten, als dessen Stiftung jener Körper exi- [126] stieren | wird, falls er jemals zur Existenz kommt, unab- änderlich und auf ewige Zeiten festzusetzen.

5 § 57.

Korollarium.

Die einzelnen Vorschläge dieses Entwurfs sind keines- weges unerhörte Neuerungen ; sondern sie sind, wie sich bei einem so viele Jahrhunderte hindurch in so vielen

10 Ländern bearbeiteten Gegenstande erwarten läßt, insgesamt einzeln irgendwo wirklich dagewesen, vmd lassen sich bis diesen Augenblick in mehrern Einrichtungen der Uni- versitäten Tübingen, Oxford, Cambridge, der sächsischen Fürstenschulen, in ihrem sehr guten, das Gewöhnliche weit

15 übertreffenden Erfolge, darlegen. Lediglich darin körmte der gegenwärtige Entwurf auf Originalität Anspruch machen, daß er alle diese einzelnen Einrichtungen durch einen klaren Begriff in ihrer eigentlichen Absicht ver- standen, sie aus diesem Begriffe heraus wiederum voll-

20 ständig abgeleitet, vmd sie so zu einem organischen Ganzen verwebt habe; welches, wenn es sich also verhielte, dem- selben keinesweges zum Tadel gereichen würde.

Den Haupteinwurf betreffend, den derselbe zu be- fürchten hat: den der Unausführbarkeit, muß in der Berat-

25 schlagung hierüber nur nicht die im Verlaufe von allen

Seiten hinlänglich charakterisierte, übrigens ehrenwerte und

von uns herzlich geehrte Klasse gefragt werden, welche,

wenn nur sie allein in der Welt vorhanden wäre, mit

[127] ihrer Behauptung der ab 1 soluten Unausführbarkeit Recht

30 behalten würde. Wir selbst geben zu, daß im Anfange die Ausführung am allerunvollkommensten ausfallen werde, glauben aber sicher rechnen zu dürfen, daß, wenn es über- haupt nur zu einigem Anfange kommen könne, der Fort- gang immer besser geraten werde; selbst aber auf den

35 Fall, daß wir befürchten müßten, es werde sogar nicht zu einem rechten Anfange kommen, müßten wir dennoch den Versuch nicht unterlassen, indem im allerschlimmsten Falle wir doch nichts Schlimmeres werden können, denn eine Universität nach hergebrachtem deutschem Schlage.

Deduzierter Plan. 85

Die allgemeinen Merkmale der Gründlichkeit eines Planes, der sich nicht bescheiden mag, ein bloßer schöner Traum zu sein, sondern der auf wirkliche und alsbaldige Ausführung Anspruch macht, sind diese: daß er zuvörderst nicht etwa die wirkliche Welt liegen lasse und für sich 5 seinen Weg fortzugehen begehre, sondern daß er durchaus auf sie Rücksicht nehme, wiewohl allerdings nicht in der Voraussetzung, daß sie bleiben solle, wie sie sei, sondern daß sie anders werden solle, und daß im Fortgange nicht er sich ihr, sondern sie sich ihm bequeme; und daß er, 10 nach Maßgabe der Verwandtschaft, eingreife auch in die übrigen Verhältnisse des Lebens, und wiederum von diesen getragen und gehoben werde; sodann, daß er, einmal in Gang gebracht, nicht der immer fortgesetzten neuen An- stöße seines Meisters bedürfe, sondern für sich selbst fort- 15 gehe, und, so er's braucht, zu höherer Vollkommenheit sich bilde. Nach | diesen Merkmalen sonach ist jeder Entwurf [128] zu prüfen, wenn die Frage über seine Ausführbarkeit ent- schieden werden soll.

Dritter Abschnitt. 20

Von den Mitteln, durch welche unsere wissenschaftliche

Anstalt auf ein wissenschaftliches Universum Einfluß

gewinnen solle.

§ 58. Das in unsrer Kunstschule einmal begonnene wissen- 25 schaftliche Leben soll nicht etwa in jeder künftigen Gene- ration sich, so wie es schon da war, nur wiederholen; viel weniger noch soll es ungewiß herumtappen, und so selbst Rückfällen ins Schlimmere ausgesetzt sein; sondern es soll mit sicherm Beuaißtsein und nach einer Regel zu 30 höherer Vollkommenheit fortschreiten. Damit dies möglich werde, muß diese Schule die, in einem gewissen Zeitpunkte errungene Vollkommenheit irgendwo deutlich und verständ- lich niederlegen ; an welche also niedergelegte Stufe der Vollkommenheit dieses Zeitpunktes das beginnende frische 35 Leben sich selber und seine Entwicklung anknüpfe. Am besten wird diese Aufbewahrung geschehen vermittelst eines Buches.

86 Fichte.

[129] I § 59.

Da aber das wirkliche, in unmittelbarer Ausübung be- findliche Leben der wissenschaftlichen Kunst fortschreitet von jeder errungenen Entwicklung zu einer neuen, jede 5 dieser Entwicklungen aber, als die feste Grundlage der auf sie folgenden neuen, niedergelegt werden soll im Buche; so folgt daraus, daß dieses Buch selbst ein fortschreitendes, ein periodisches Werk sein werde. Es sind Jahrbücher der Fortschritte der wissenschaftlichen Kunst an der Kunst-

10 schule ; welche Jahrbücher, wie ein solcher Fortschritt erfolgt ist, ihn bestimmt bezeichnet niederlegen für die nächste und alle folgende Zeit, und welche, wenn die wissenschaft- liche Kirnst nicht unendlich wäre, einst nach derselben Vollendung begründen würden eine Geschichte dieser

15 sodann vollendeten Kunst.

§ 60.

Die Kunst schreitet fort auf zwiefache Weise : teils überhaupt, wie alles Leben, daß sie eben lebendig bleibe, und niemals erstarre oder versteine; teils daß dieses über-

20 haupt also fortgehende Leben auch fortschreite, zu höherer Kraft imd Entwicklung. Dies letztere geschieht wiederum auf doppelte Weise, nämlich zuerst in ihm selber und intensive, in Absicht des Grades; sodann nach außen hin und extensive, indem es immer mehr des ihm ange-

25 messenen Stoffes in sich aufnimmt, und ihn, mit sich ihn durchdringend, organisiert, also in Absicht der Ausdehnung. [130] I Tot ist ein wissenschaftlicher Stoff, so lange er ein- zeln und ohne sichtbares Band mit einem Ganzen des Wissens dasteht, vmd lediglich dem Gedächtnisse, in Hoff-

30 nung eines künftigen Gebrauches, anheimgegeben wird. Belebt und organisiert wird er, wenn er mit einem andern verknüpft, und so zu einem unentbehrlichen Teile eines entdeckten größern Ganzen wird; und jetzt erst ist er der Kunst anheimgefallen. Wird dieses schon entdeckte

35 und in den Jahrbüchern vorliegende Ganze mit einem klaren Begriffe durchdrungen, (die Klarheit ist aber ein ins Unendliche zu Steigerndes), daß die Teile sich noch enger aneinander anschließen und durcheinander verwach-

Deduzierter Plan. 87

sen, so hat die Kunst intensiv gewonnen; greift der vor- handene Einheitsbegriff weiter und erfaßt ein bis jetzt noch einzeln Dastehendes, so gewinnt sie extensive. Beide Arten des Fortschrittes unterstützen sich wechselseitig und arbeiten einander vor. Die Erweiterung des Begriffes 5 macht seine Verklärung, seine Verklärung seine Er- weiterung leichter.

In Absicht der zuerst erwähnten periodischen An- frischung des wissenschaftlichen Lebens aber, die an sich kein Fortschreiten ist weder intensiv noch extensiv, 10 verhält es sich also : Unabhängig, in Absicht der Materie, von der besonnenen und kunstmäßigen Entwicklung, und gerade um so mehr, in je höherem Grade die letztere vorhanden ist, schreitet das geistige Leben des Menschen- geschlechtes durch sich selber, wie nach einem unbewußten 15 Naturgesetze fort. Die Spra- 1 che konzentriert, die Phan- [131] tasie erhöht sich, die Schnelligkeit des Fassungsvermögens steigt, der Geschmack wird zarter, xmd so ersterben in einem spätem Zeitalter Formen, die der wahrhafte Aus- druck des Lebens eines frühern waren, und so muß oft 20 das, dem in keiner Weise eine höhere innere Vollkommen- heit sich geben ließe, dennoch aus der erstorbenen äußeren Form in die des dermaligen Menschengeschlechts aufge- nommen werden. (Wir machen an folgendem Beispiele unsern Gedanken klärer. Selber die Philosophie, als 25 die reinste, stoffloseste Form, die auch im mündlichen Vor- trage immer also, als reines Entwicklungsmittel der Kunst des Philosophierens, sich behandelt, geht dennoch in Be- ziehung auf stetigen Fortschritt der Wissenschaft auf ein Buch aus, welches die durchgeführte richtige An- 30 Wendung der Denkgesetze, als festes und stehendes Resultat, absetze. Fürs erste nun, was nicht unmittelbar dasjenige ist, was wir sagen wollen, sondern wodurch wir uns vorbereiten : wäre nun ein solches Buch vorhanden, so würde dennoch bis ans Ende der Tage jedwedes In- 35 dividuum, das ein Philosoph sein wollte, vielleicht jenes Buch als Leitfaden brauchend, jene Anwendung der Denk- gesetze selbst und in eigener Person durchführen müssen, und von dieser Arbeit jenes Buch ihn auf keine Weise ent- binden. Dagegen hätte er davon folgenden Vorteil : führte 40 sein Denken ihn auf ein anderes Resultat, als in jenem

88 Fichte.

Buche vorliegt, so müßte er entweder deutlich und bestimmt [132] I nachweisen können, welcher Fehler in Anwendung der Denkgesetze im Buche begangen worden, der dieses von dem seinigen verschiedene Resultat hervorgebracht hätte; 6 oder er wüßte, so lange er dies nicht könnte, sicher, daß er mit seinem eignen Denken noch nicht im klaren sei, er müßte annehmen, daß sein Resultat ebensowohl irrig sein könnte, als das im Buche vorliegende, und hätte kein Recht, seinen Satz, der möglicherweise irrig sein könnte,

10 an die Stelle eines andern, der freilich auch irrig sein kann, in dem allgemeinen Buchwesen zu setzen. Möchte er höchstens diesen seinen Satz, ausdrücklich als nicht sattsam begründet, für die weitere Untersuchung eines künftigen klärern Denkers aufbewahren. Und dies wäre

15 denn, in dem ersten, wie in dem zweiten Falle, der Erfolg des vorhandenen Buches für die Wissenschaft, dort sichere Erweiterung, hier Verwahrung vor blindem Herumtappen und dem Eigendünkel, der da will, daß seine unbewiesenen Behauptungen mehr seien, als anderer, vielleicht bewiesene

20 Behauptungen, indem nur er unfähig ist, den Beweis zu fassen. Hiervon reden wir mm zunächst nicht, sondern davon. Ob nun wohl auch jenes niedergelegte philoso- phische Buch also beschaffen wäre, daß es weder in seinem Inhalte, noch im Grade der Klarheit überhaupt eine Ver-

25 besserung erhalten könnte, so möchte es doch immer einer Erfrischung durch das neue Leben der Zeit bedürfen.)

[133] I § 61.

Das bisher Beschriebene gäbe nun das Kunstbuch der Schule. Nun zeigt sich diese Kunst, und ihr Leben

30 schreitet fort, in Organisation eines Stoffes. Inwiefern dieser Stoff wirklich schon organisiert ist, ist er aufgenommen in die Kunst, und in derselben Buch, und es bedarf für ihn keines besondern Buches; inwiefern er aber noch nicht durchdrungen ist, und er also die weitere Aufgabe für

35 die Kunstschule enthält, muß diese Aufgabe irgendwo in fester Gestalt niedergelegt sein, und die Schule bedarf, außer ihrem Kunstbuche, auch eines Stoffbuches. Dies ist mm zum Teil schon vorhanden an dem ganzen vor- liegenden Buchwesen, und muß nur die Schule dieses

Deduzierter Plan. 89

kennen. Die dahin gehörigen Einrichtungen sind schon im vorigen Abschnitte angegeben, und es läßt in dieser Kenntnis ein Fortschritt nur so sich denken, daß diese Kenntnis des vorhandenen Buchwesens vervollständiget, und das allgemeine Repertorium desselben besser geordnet und 5 einer leichtern Übersicht im ganzen zugänglicher gemacht werde, auf welchen Zweck auch unsere Schule in alle Wege anzuweisen ist. Jenes auf diese Weise schon vor- handene große Stoffbuch selber soll nun fortschreiten; zuvörderst, indem es seiner äußern Form nach erfrischt 10 und erneuert wird, sodann, indem in Absicht des Inhalts es teils berichtigt und von den darin vorhandenen Fehlern gereinigt, teils immerfort ergänzt und erweitert wird. Das letzte geschieht durch neue Entdeckungen auf dem Gebiete der Geschichte | und der Naturkunde; welche Entdeckungen non immerhin bei ihrer ersten Erscheinung zur Aufnahme in die Einheit sich nicht qualifizieren mögen, dennoch aber, bis ein mehreres zu ihnen hinzukommt, aufbehalten werden müssen. Durch diese neuen Entdeckungen verlängert sich wiederum das Stoffbuch nach der Peripherie hin, das nach 20 der Seite seines Zentrum immer mehr verkürzt und von dem Kunstbuche aufgenommen wird.

Dieser Fortschritt, des Stoffbuches sowohl wie auch des Kunstbuchs, kann sich nun begeben entweder bei uns, oder bei andern; wo wir im letztern Falle die Ausbeute 25 in unsre Schule und unser Buch aufzunehmen haben, damit das gesamte Buch des Menschengeschlechts und sein wissenschaftlicher Fortschritt Einheit behalte.

Zum Fortschritte dieses gesamten Buches gehören auch diejenigen Bestrebungen, dasselbe zu verbessern, die nur 30 noch Versuche sind, und noch nicht zu der Festigkeit ge- diehen, daß man sie in einem Buche niederlegen könne. Auch diese Versuche, wenn sie bei andern angestellt werden, kennen zu lernen, wenn wir sie anstellen, uns dabei der Beobachtung andrer nicht zu entziehen, müssen wir An- 35 stalt treffen.

§ 62. Um über den Fortschritt der wissenschaftlichen Kunst, die im Kunstbuche dargelegt werden soll, ganz verständlich zu werden, legen wir unsere Gedanken dar an einem Beispiele. 40

90 Fichte.

[135] I Wenn also z. B. mit der Universalgeschichte es dahin zu kommen bestimmt wäre, daß man einsähe, sie sei nicht ein Zufälliges, das auch entbehrt werden könne, sondern sie habe eine bestimmte, dem Menschengeschlechte sich 5 aufdringende Frage, nach bestimmten gleichfalls im mensch- lichen Geiste schon vorliegenden Fragartikeln, zu beant- worten; als etwa, wie unser Geschlecht zu menschlicher Lebensweise, zu Gesetzlichkeit, zu Weisheit, zur Religion, und worin noch etwa sonst die Ausbildung zum wahren

10 Menschen bestehen mag, sich allmählich erhoben habe, hier einseitig, dann zurückfallend, um auch andere bisher vernachlässigte Bildungsweisen in sich aufzunehmen; und man über diese Fragen zu einigen bestimmten und im- veränderlichen Resultaten gekommen wäre : so würde man

15 sodann auch einsehen, daß die bisher abgesteckten Epochen nach Entstehung oder Untergang großer Reiche, nach Schlachten und Friedensschlüssen, die Regententafeln u. dergl. nur provisorische Hilfsmittel, berechnet auf eine Denkart, die nur durch die Erschütterung des äußeren

20 Sinnes berührt wird, gewesen seien, um die Sphäre jener bessern Ausbeute indessen zu erhalten; und man würde nur an jene, inniger an das Interesse der menschlichen Wißbegier sich anschmiegenden Epochen die Geschichte anknüpfen, welche nun allerdings auch jene ersten weniger

25 bedeutenden mit sich fortführen würden, damit das Gemälde

sein vollkommnes Leben bis auf den wirklichen Boden

herab bekäme. Man würde z. B. nicht mehr sagen : unter

[136] der Regierung 1 des und des wurde der Pflug erfunden,

sondern umgekehrt : als der Pflug erfunden wurde, regierte

30 der und der, dessen Leben vielleicht auf die weitern Be- gebenheiten des Pfluges, auf welches letztern Geschichte es hier doch allein ankommt, Einfluß hatte. Die Kunst der Geschichte wäre dadurch ohne Zweifel fortgeschritten, indem man nunmehro erst recht wüßte, wonach man in

35 derselben zu fragen, und worauf in ihr zu sehen habe; sie wäre mit einem klaren Begriffe durchdrungen.

Dadurch wäre auch die ganze Bearbeitung derselben an unsrer Kunstschule verändert. Vorher bestand ihre eigent- liche Aufgabe darin, jenen klaren Begriff und die festen

40 Data, die eine Übersicht der Begebenheiten nach seiner Leitung gibt, zu finden, und in diesem Finden bestand die

Deduzierter Plan. 91

gemeinschaftliche Arbeit unserer Kunstschule. Jetzt ist dies da: es wird abgesetzt im Buche, das unser Zögling selber lesen mag. Vorher mußte er ein nach andern Epochen ein- geteiltes Buch lesen, das ihm jetzt auch in alle Wege nicht ganz erlassen werden kann, das aber ihm, der einen 5 Leitfaden von höherer Potenz hat, weit leichter- haften wird, als seinem frühern Vorgänger. Die unmittelbar zu trei- bende Kunst an unserer Schule erhält in Beziehung auf die Geschichte eine andere Aufgabe; ohne Zweifel die, jene Data weiter auszuarbeiten und zu verbinden, und 10 so mehr des bisher noch nicht durchdrungenen Stoffes der Fakta durch den Grundbegriff zu durchdringen. I So in allen andern Fächern. Die Kunst gräbt fort- [137] gehend sich tiefer in bisher unsichtbare Welten; die in dem nunmehr ausgegrabenen Schachte gewonnene Aus- 15 beute legt sie nieder, als Ausgangspunkt und als Instru- ment ihres weitern Verfahrens.

Und so wäre denn 1) in unsern Jahrbüchern des Fort- schrittes der Kunst an unserer Schule, als Hauptbestand- teile und als Epoche machend, niederzulegen die enzyklo- 20 pädischen Ansichten jedes unserer Lehrer von seinem Fache; kurz, versteht sich, und im Großen und Ganzen. Sollte ihm, wie dies also zu erwarten, diese klare und ewig dauernde Rechenschaft auch nicht während der Aus- übung seines Lehramtes angemutet werden können, so kann 25 sie dennoch nach dem Austritte ihm nicht füglich erlassen werden, und hat er darauf schon während der Ausübung zu rechnen.

2) Da unsere Schüler auch Bücher lesen sollen, und wir ihnen überhaupt nichts zu sagen gedenken, was eben 30 so gut im Buche steht, so gehört zu jener enzyklopädischen Rechenschaft eines Lehrers allerdings auch die An- gabe, welche Lektüre er vorschreibe. Diese Lektüre mag für den Anfang in schon vorhandenen Büchern stehen, und es wird in diesem Falle genug sein, diese zu' 35 zitieren.

Späterhin aber werden wir, teils um die allenfalls ver- altete äußere Form anzufrischen, teils aber und vorzüglich, wegen des durch den Fortschritt der Kunst ganz ver- änderten Ausgangspunktes der von uns wirklich zu treiben- 40 den Kunst, Lesebücher für unsere 1 Zöglinge (ein corpus [138]

92 Fichte.

jedes einzelnen Faches, wie es bisher nur ein corpus iuris gab) eigens drucken lassen müssen. In Absicht des ersten des Erfrischens wird zu beobachten sein, daß dies nicht von dem Ermessen des Einzelnen abhängen könne, 6 sondern mehrere die Tüchtigkeit eines Einzelnen für diesen Behuf anerkennen müssen, indem nicht in jedem der ge- samte lebendige Zeitgeist sich ausspricht, imd mancher ver- sucht wird, seinen individuellen Geist für jenen zu halten. In Absicht des zweiten haben wir, so wie im Lehren den

10 Grundsatz, nicht zu sagen, was schon gedruckt ist, im Schreiben den, nicht zum zweitenmale drucken zu lassen, was einmal gedruckt ist. Wird einmal das Bedürfnis solcher eigenen Lesebücher eintreten, so werden uns die Mittel nicht abgehen, demselben abzuhelfen, und können

15 wir recht füglich von denen, die bei uns Meister und Doktor zu werden verlangen, dergleichen Probestücke be- gehren.

Wir erhielten an jenen enzyklopädischen Rechenschaf- ten, von denen jede künftige die vorhergegangene ent-

20 weder formaliter, durch Klarheit und Leichtigkeit, oder materialiter, durch weitere Umfassung des Stoffes, über- treffen müßte, oder sie könnte nicht aufgenommen werden, und dies wäre ein Beweis, daß die Kunst dermalen bei uns stille stände eine fortgehende und eng zu-

25 sammenhängende Reihe von Fortschritten in der Wissenschaft, welche der Nachwelt, die einen beträcht- lichen Teil derselben übersehen, und vielleicht das Gesetz [139] dieses Fortschrittes entdecken [ könnte, wiederum als Mittel weit höherer Fortschritte dienen könnte. Wir erhielten

30 an dem, mit jener und ihrem Gesetze gemäß fortschreitenden Lesebuche, das nicht gerade in den Kontext jener Jahr- bücher eingewoben sein müßte, sondern selbständig exi- stieren könnte, ein äußerliches Dokument und einen Ex- ponenten der Jahrbücher.

35 Dieses Lesebuch würde, so wie es von einer Seite

durch Steigerung der Gesichtspunkte anwüchse, von der andern durch Auswerfung des sattsam bearbeiteten Stoffes abnehmen. Wir machen dies deutlich an demselben Bei- spiele der Geschichte. Wenn man durch Erfassung etwa

40 des angegebenen Standpunktes für diese die Ge- schichte — , vielleicht auch aufgeben wird den Zweck, in

Deduzierter Plan 93

derselben Psychologie oder Staatswissenschaft zu lernen Zwecke, die man leicht für Vorspiegelungen halten dürfte, um dem Philosophen gegenüber sich aus der Ver- legenheit, deutlich einen Zweck seines Studiums anzugeben, zu ziehen, begreifend, daß man diese Zwecke weit wohl- 5 feilern Kaufes mit der Philosophie erreichen^ könne; daß aber die Regierungskunst, die durchaus etwas anderes sei, denn die durch Philosophieren zu schöpfende Regie- rungswissenschaft, eine leichte und sich von selbst findende Zugabe des rechten Studiums der Geschichte sei: 10 wenn man, sage ich, diese Zwecke aufgeben wird, als- dann wird man einer Menge Untersuchungen, die nur dem psychologischen oder politischen Zwecke unter die Arme greifen sollen, sich gern | überheben. (So lange [140] es, um über die Echtheit eines gewissen Dokuments urteilen 15 zu können, auf die Untersuchung, welchen Zuschnitt der Bart eines gewissen Kaisers gehabt habe, ankommt, muß man in alle Wege diese Untersuchung gründlich treiben. Sollte aber durch einstige Vollendung dieser Untersuchung die Echtheit oder Unechtheit des Dokuments, gemeingültig 20 für alle künftige Zeit, ausgemittelt sein, so mag man nun den Bart immer fahren lassen ; ja dieses um so mehr, wenn sogar an der Echtheit oder Unechtheit des Dokuments selber ims nichts mehr liegen sollte, indem, was dadurch entschieden werden soll, indes anderwärts her entschieden 25 worden. Freilich müßte man zu diesem Behufe auch darüber mit sich einig sein, daß es in allen Fächern Gewiß- heit und eine feste, unwidersprechliche Beweisführung gebe, und nicht etwa gerade in das blinde Herumtappen und in die Wiederholung desselben Kreislaufes durch jegliche 30 Generation die Perfektibilität des Menschengeschlechtes setzen.)

So, wenn nun jemand durchaus kein anderes Mittel hat, um über den Wert einer gewissen Meinung zu ent- scheiden, außer daraus, daß sie die Meinung eines gewissen 35 alten Philosophen gewesen, dabei aber doch noch immer Zweifel hegt, ob dieselbe nicht vielmehr die Folge der Ge- sundheitsbeschaffenheit dieses Philosophen, als seiner Spe- kulation gewesen; so ist diesem die Frage über die Hypo- chondrie oder Nichthypochondrie des Mannes allerdings 40 höchstbedeutend : wer aber auf anderm Wege über den in

94 Fichte.

[141] Frage gestellten [ Wert Bescheid hätte, der könnte jenen Philosophen samt seinem Gesundheitszustande ruhig an seinen Ort gestellt sein lassen.

§ 63. 5 Neben diesem ersten und wesentlichen Teile der Jahr-

bücher, den enzyklopädischen Rechenschaften der Lehrer, gibt es noch einen zweiten, zum ersten notwendig gehören- den Teil, die Ausarbeitungen der Schüler. Denn es soll ja nicht bloß die Kunst der gesamten Schule in Bearbeitung

10 des wissenschaftlichen Stoffes, es soll auch die besondere Kunst der Lehrer gezeigt werden, selber Künstler aus dem ihnen gegebenen Stoffe der Zöglinge zu bilden, und, so Gott will, der Fortgang auch dieser Kunst. Über die Lehrmethode derselben wird schon ihre enzyklopädische

15 Rechenschaft, auch ohne ausdrückliches Vermelden, die nötige Auskunft geben. Über so viele andere, in Worten auch nicht füglich zu beschreibende Kunstmittel mögen sie schweigen, und dieselben eben üben; aber ihr Werk, den Künstler, der aus ihren Händen hervorgeht, mögen sie

20 vorzeigen.

Im Anfange zwar, und in den ersten Jahren werden wir noch nichts dieser Art vorzuweisen haben; einen sichern Anfang aber müssen dennoch auch die Jahrbücher sich setzen, indem es außerdem wohl immer bei dem Ver-

25 sprechen bleiben könnte. Dieser Anfang könnte erscheinen

[142] zu Anfang des zweiten Lehrjahrs, und er | müßte enthalten

1) die enzyklopädischen Ansichten der angestellten Lehrer

jedes Faches, die sie ja ohne Zweifel bei der Vorbereitung

auf dieses ihnen großenteils neue Kollegium schrifthch

30 entworfen und während des mündlichen Vortrages und der mit den Lehrlingen angestellten Übungen verbessert haben würden. 2) Die Probeaufsätze der Studierenden, welche gebilligt, und deren Verfassern die Befugnis, das Regulat nachzusuchen, gegeben worden. Sollte das letztere

35 zu weitläuftig ausfallen, so könnten aus den gelungenen

nur die gelungensten ausgewählt, der andern aber nur

im allgemeinen mit dem gebührenden Lobe gedacht werden.

(Der zweite Punkt wäre zugleich die den Lehrern, die

das Regulat zuerst besetzen, allerdings nicht zu erlassende

40 öffentliche Rechenschaft, daß sie hierbei nach festen

Deduzierter Plan. 95

Grundsätzen und keineswcges willkürlich verfahren; in- gleichen die Weisung an Studierende und deren Eltern, v.as bei künftigem Ansprüche auf dasselbe Regulat von ihnen wenigstens gefordert werden würde. Wenigstens: denn es könnte so kommen, daß das erstemal, um denn 5 doch überhaupt ein an Personal auch nicht gar zu schwaches Regulat einzusetzen, nach ein wenig mildern Grundsätzen verfahren werden müßte, denn späterhin.)

Aus denselben Bestandteilen, Nachträgen der Lehrer zu ihren enzyklopädischen Ansichten, und Probe- [ aufsätzen t-^.pi neuer Kandidaten des Regulats würden die Jahrbücher auch zu Anfange des dritten, vierten usw. Lehrjahres be- stehen, so lange bis wir Aufsätze von solchen, die bei uns das Meistertum erhalten hätten, mitteilen, und so die Auf- sätze der Schüler ungedruckt lassen könnten. Erst mit 15 diesen ginge die eigentliche Rechenschaftsablegung des Lehrers über seine Lehrerkunst an.

Hier auch hebt die eigentliche Rechenschaft der ge- samten Kunstschule über den Fortschritt des Lehrertalents und der Künstlerbildung an ihr an. Werden, noch ab- 20 gerechnet die Steigerung des Begriffes selbst, (wovon § praeced.), in der Form die Aufsätze der künftigen Meister klärer, gewandter, freier, leichter, denn die der frühern, so steigt die Kunst; das Gegenteil davon wäre ein Beweis, daß sie wenigstens in dieser Rücksicht fiele, und die gc- 25 samte Akademie hätte zusammenzutreten und Anstalten zu treffen, ne detrimenti quid capiat respublica.

Schon in den andern mit den Lehrlingen anzustellen- den Übungen, recht eigentlich aber, und auch andern sicht- bar in diesen Jahrbüchern, kann ein Lehrer sehen, ob ein 30 anderes, jugendlicheres und gewandteres Lehrertalent neben ihm aufkomme, und er hat sodann ohne Säumen auszutreten und diesem seinen Lehrstuhl zu überlassen. Der eigentliche Vater dieses Studium, und der fortdauernde Berater und Warner in demselben bleibt er immerfort. 35 I Der hier entworfene Begriff solcher Jahrbücher wäre [Hi] dem ersten anhebenden Teile derselben in einer das große Publikum befriedigenden Deutlichkeit vorn anzusetzen, und hätten wir in dieser Einleitung uns auf alle hier aufgestellten Grundsätze für uns und unsere Nachkommen, vor Welt 40 und Nachwelt, auf ewig zu verpflichten.

96 Fichte.

§ 64.

Betreffend den Fortgang insbesondere des Stoffbuches durch uns geht dieser, wie sich versteht, auch bei uns, so wie in der übrigen Welt, seinen Weg fort. Es wäre 5 hierbei nur folgendes anzumerken. Zuvörderst ist wohl von keinem unserer Akademiker zu erwarten, daß er, ent- weder um das Dasein seiner Person kund zu tun, oder um an den Ehrensold irgend eines schlecht unterrichteten Buchhändlers zu kommen. Geschriebenes schreibe und, kom-

10 piliercnd aus zehn Büchern, ein eilftes mache, und hätte, falls dergleichen doch einem beikäme, die gesamte Aka- demie die gemeinschaftliche Ehre zu retten und die Schmach des Einzelnen von sich abzuwehren. Sodann, dergleichen Vermehrungen des Stoffbuches von selten unsrer Aka-

15 demiker müßten zunächst auf das gegenwärtige Bedürfnis unsrer Kunstschule gehen und bestimmt sein, diesem ab- zuhelfen; und es wäre Arbeiten von dieser Beziehung der Vorzug vor andern zu geben. Im Falle eines solchen Be- dürfnisses könnten wir auch Auswärtige zur Mithilfe durch r-j/tn Aussetzung eines Preises auffordern; der Aka- 1 demiker selbst ist für den Preis zu hoch; dem Bedürfnisse der Familie abzuhelfen, wenn er kann, ist ihm ohnedies Pflicht wie Freude, und sind die vom Rate der Alten recht eigent- lich für dieses Geschäft, auch in Absicht des Buchwesens,

25 eingesetzt.

Einen Teil des fortschreitenden Stoffbuches jedoch müssen wir als ein notwendiges GHed in unsem Plan aufnehmen, und die regelmäßige Fortsetzung desselben organisieren; ich meine die Niedcrlegung der an unserer

30 Akademie gemachten neuen Entdeckungen für Geschichte und Naturwissenschaft, zu welcher letztern auch das in der ärztlichen Praxis Entdeckte, das einen wissenschaft- lichen Aufschluß über die Natur verspricht, gehört, und wir deswegen auch, ohnerachtet wir die ärztliche Praxis

35 ganz von uns auszuschließen gedenken, für diesen letztem Behuf einen, oder etliche Männer imter unsern Akade- mikern haben müssen. Es ist unsere Pflicht sowohl, als unser Vorteil, daß diese, sobald sie zu einer bestimmten schriftlichen Relation haltbar genug geworden, nicht inner-

40 halb unserer Gesellschaft bleiben, sondern auch das aus-

Deduzierter Plan. 97

wärtige Publikum, das uns ja auch diesen neuen Stoff be- arbeiten helfen soll, Kunde davon erhalte. Es müßten drum angelegt werden Jahrbücher der wissenschaftlichen Entdeckungen an unserer Akademie. Ob der Stoff so reich ausfalle, daß er einer selbständigen periodischen 5 Schrift bedürfe, oder ob diese Jahrbücher mit dem tiefer tmten zu erwähnenden Werke, der Biblio- [thek der Akade- [146] mie, vereinigt werden sollten, mag entschieden werden, wenn es an die wirkliche Ausführung geht. So viel ist klar, daß wir kein Bändchen der Fortsetzung solcher Jahr- 10 bücher liefern können, wenn wir innerhalb der Zeit nichts Neues entdeckt haben, daß sie somit keinesweges be- stimmte Termine ihrer Erscheinung halten können.

§ 65.

Noch ein Hauptgegenstand der Beachtung unserer 15 Akademie ist die Benutzung des außerhalb unsers und anderwärts fortschreitenden Stoff-, sowie auch Kunst- buches, und die Nutzbarmachung desselben für diejenigen unserer Mitglieder, die wegen andrer Geschäfte nicht Zeit haben, aufs bloße Geratewohl zu lesen (die ausübenden 20 Lehrer und Studierenden), von denjenigen aus uns, die diese Zeit haben, (dem Rate der Alten).

Es ist dazu erforderlich zuvörderst, daß man diesen Fortschritt, d. h. die neu erschienenen Schriften historisch kenne. Für diesen Behuf erscheint nun zu Leipzig der 25 bekannte Meßkatalog als das Verzeichnis ihrer zu Markte gebrachten Ware, dessen Besorgung, wie sich versteht, eine Sache des Verkäufers der Ware ist. Es mochte gut sein, daß sich fertigere Federn fanden, welche diesen ]\Ieß- katalog paraphrasierten ; doch war und blieb dies immer 30 eine rein merkantilische Sache, zum Dienste des Käufers und Verkäufers; und eine allgemeine Literaturzeitung kann durchaus auf [ keinen höheren Wert Anspruch machen, als [147] auf den eines Journals des Luxus und der Moden. Daß diese subalternen Handarbeiter durch schlecht unterrich- 35 tete Schmeichler sich überreden ließen, sie verwalteten zu- gleich das Geschäft der Kritik, und dieses lasse sich eben mit der durchaus merkantilischen Rücksicht, den ganzen Meßkatalog herunter zu rezensieren, vereinigen; daß,

Universitätsschriften Fichte, Schleiermacher, Steffens. 7

98 Fichte.

nachdem die Meinung einmal entstanden, sogar solche, die da wohl fähig gewesen waren, das Amt der Kritik zu verwalten, sich verleiten ließen, zuweilen ein treffen- deres Wort in jenen unwürdigen Kontext hineinzuwerfen, 5 ist in unsern Tagen eine der ergiebigsten Quellen des lite- rarischen und andern Verderbens geworden, und es ist darüber, auf Handlanger und Unternehmer solcher Para- phrasen des Meßkatalogs, ein größeres Maß von Spott gefallen, als sie Kraft hatten, zu verdienen. Da die Lieb-

10 haberei unserer Leser noch immer nach dergleichen Lite- raturzeitungen sich hinzuwenden scheint, und, so viel dem Schreiber dieses bekannt ist, der eigentliche Grund ihrer Verwerflichkeit selten rein ausgesprochen und ins Auge gefaßt wird, so sagen wir noch bestimmt, daß dieser unser

15 Entwurf anmute, zu begreifen folgendes : daß, wenn auch etwa überhaupt, was wir hier an seinen Ort gestellt sein lassen, die Zeit sich herausnehmen dürfe, die Zeit zu kriti- sieren, diese Kritik wenigstens nicht an der Allheit der erscheinenden Bücher, so wie die einzelnen uns unter

20 die Hände fallen, geübt werden könne, indem ein solcher

[148J Vorsatz [ selbst einen absolut unkritischen, unphilosophischen,

der Einheit unempfänglichen, planlosen Geist voraussetzt,

und nur eine planlose und verworrene Geburt erzeugen

kann; sondern daß sie an ganzen Klassen und Arten

25 von Büchern, die nach Innern Kriterien schon vorher unterschieden worden, geübt werden müsse ; daß jener Vorsatz, alles aus der Presse Hervorgegangene zu rezen- sieren, offenbar die Rücksicht auf gleiche Gerechtigkeit gegen alle Verleger, als WarenHeferanten, dartue, wie es

30 denn auch die Verleger sind, welche auf die Vollständig- keit der Literaturzeitungen am meisten dringen, und über Vergewaltigung laut klagen, wenn einer ihrer Artikel un- angezeigt geblieben ; daß demnach der merkantilische Zweck der wesenthche, den Plan und das Grundgesetz solcher

35 Unternehmungen bestimmende; der kritische aber nur der

hinterher, als Vorwand hinzugekommene ist, und daß man

sogar auch darüber sich niemals ernsthaft beratschlaget, ob

eine Vereinigung dieser beiden Zwecke auch wohl möglich sei.

Möge wenigstens von unserer Akademie eine solche

40 Verwirrung, welche ihr und der Kunstschule Wesen so- gleich im Beginn zerstören würde, fern bleiben!

Deduzierter Plan. 99

Übrigens mag in Gottes Namen, und es wäre dieses sogar höchst ratsam, in der Hauptstadt unserer Monarchie, neben dem Sitze der Akademie, auch eine solche voll- ständige Paraphrase des Meßkatalogs er- [scheinen; wäre [U9J es auch nur darum, um die anderwärts erscheinenden auf- 5 geblasenen Zwitternaturen von unsern weniger unterrich- teten Mitbürgern abzuhalten. Es sei dies ein Privatimter- nehmen eines, etwa des akademischen Buchhändlers. Die Sache ist Handarbeit, welcher der Leipziger unparaphra- sierte Meßkatalog zur Basis diene. Der Referent versichert 10 als Äugenzeuge, daß das Buch wirklich erschienen sei und er es unter den Augen gehabt habe; das sei sein Titel, so viel koste es, und hierauf läßt er die Inhaltsanzeige und irgendeine Stelle aus dem Buche abdrucken. Über die Wahl dieser Stellen, auch etwa über ganz auszulassende 15 Schriften, mag er die Akademie derjenigen Klassen, die ohnedies aus andern Gründen diese Bücher durchzulaufen haben, befragen dürfen, und wäre diesen eine allgemeine Aufsicht und Zensur dieses Meßkatalogus, jedem in seinem Fache, zu übertragen. Halte zu diesem Behuf der Unter- 20 nehmer sich einige Zugewandte, wiewohl auch ganz un- studierte Kaufmannsbursche das Geschäft versehen könnten.

Was dagegen der Akademie als solcher in Beziehung auf die auswärtige Vermehrung des Buchwesens recht eigentlich zukommen würde, wäre folgendes : 25

1) Die Mitglieder des Rates der Alten nehmen, jeder für sein Fach, die durch die letzte ^N'Iesse erfolgte Ver- mehrung des Buches für dieses Fach vollständig in Augen- schein, welches, wenn die Literatur der Deut- [sehen ihren [150] bisherigen Charakter noch lange behält, großenteils mit 30 Durchsicht der Inhaltsanzeigen, der Register, der Vor- reden, und einigem Durchblättern sich wird abtun lassen. Sollte in dieser Durchsicht dem einen etwas vor die Augen kommen, das nicht eigentlich zur Kompetenz seines Faches gehörte und hier sich nur in dasselbe verloren hätte, so macht 35 er den, in dessen Fach es eigentlich gehört, aufmerksam.

2) Was nun in dieser dermaligen Vermehrung des Buches sich findet als Fortschritt, d. i. als Verbesserung oder Erweiterung des Stoffbuches in diesem Fache, oder auch als Erhöhung des Kunstbuches, nach dem oben an- 40 gegebenen Maßstabe einer solchen Erhöhung, wird nieder-

100 Fichte.

gelegt in einem andern periodischen Werke, welches man Jahrbücher der Fortschritte des Buchwesens, oder auch die Bibliothek der Akademie nennen könnte. Was bloße Wiederholung des schon Bekannten ist, wird 5 mit Stillschweigen übergangen. Rückfälle in schon wider- legte Irrtümer mögen, falls nämlich zu befürchten wäre, daß ein Mitglied unserer Akademie dadurch geirrt werden könnte, angezeigt werden. Da eine solche Übersicht aus- geht von der bisherigen Literatur des Faches, die ihre

10 feststehenden Abteilungen schon haben wird, so kann sie

recht füglich an diese, als den Grundleitfaden, sich halten

zeigend, wie jeder dieser Teile bereichert worden sei, und

so das Buch, wo diese Bereicherung sich vorfindet, auf

[151] Veranlassung des Inhalts, keinesweges aber | den Inhalt

15 auf Veranlassung des Buches, wie dies die Paraphrase des Meßkatalogs tut, anführen.

Bücher, in denen gar nichts Neues steht, ohne daß sie doch auch als eine Erfrischung des bisherigen Buch- wesens in diesem Fache gelten könnten, und die daher

20 gar nicht existieren sollten, werden in dieser Bibhothek ganz übergangen. Es würde ganz zweckmäßig sein, daß dergleichen, nach Angabe dieser Referenten in der Biblio- thek, die man darüber zu befragen hätte, auch in dem Meß- katalog übergangen würden, damit, so wie wir selbst auf

25 die bloße Buchmacherei Verzicht tun, wir auch die Unter- stützung der auswärtigen Buchfabriken durch den Ankauf unserer weniger unterrichteten Mitbürger verhindern. Das Publikum wisse, daß es desjenigen, das sogar unser Meß- katalog übergeht, sicherlich nicht bedarf.

30 Diese Bibliothek ist unserer Akademie Bibliothek,

und zunächst für deren Gebrauch geschrieben. Mit dem ersterwähnten Durchwühlen des ganzen, durch die Messe herbeigeführten Schuttes braucht keiner unserer Lehrer oder unserer Schüler sich zu bemühen; selber der alte

35 Akademiker und Mitarbeiter an der Bibliothek braucht es nur mit dem, der auf seinen Teil gefallen ist; die übrigen Teile haben andere für ihn übernommen. Und so hat denn unser Akademiker nur diese Bibliothek zu lesen, und findet in ihr die bestimmte Nachweisung, was |--.(.,^-| er etwa noch außerdem | neu Erschienenes zu lesen habe. Für ihn ist daher diese Bibliothek allerdings Kritik,

Deduzierter Plan. 101

Scheidung des zu Lesenden von dem nicht zu Lesenden, des ganzen neusten Buches.

Will auch das auswärtige Publikum, und unter ihnen die V'erfasser und Verleger dieses gesamten neusten Buches, diese Bibliothek, die durchaus nicht ihnen zu- 5 liebe geschrieben ist, dennoch lesen, so steht ihnen dies ganz frei. Wollen sie ferner dieselbe als allgemein, und so auch für sie geltende Kritik setzen, so tun sie das auf ihre eigene Verantwortung. Wir wenigstens, uns auf die Unsrigen beschränkend, haben niemals einen solchen 10 arroganten Anspruch gemacht, unsem Richterspruch der ganzen Welt aufzudringen; dringt er sich ihnen aber etwa von selbst in ihrem eigenen Bevinißtsein auf, so ist dies ein desto ehrenvolleres Zeugnis für uns. Was daraus ent- stehen möge, so haben wir mit Verfassern oder Verlegern 15 nichts abzutun, indem wir uns diesen niemals für etwas verbunden haben.

(Daß, weil wir nicht blind herumtappen, sondern nach einem festen Plane einhergehen, wir gar bald zu großem Ansehen gelangen werden, und daß dies mächtig zur \^er- 20 besserung des ganzen Literaturwesens wirken werde, läßt sich voraussehen. Jedoch ist sogar diese große Folge nur eine zufällige, die wir nicht beabsichtigen; denn zu beschei- den, das Heil der | ganzen Welt auf unsre Schultern laden [153] zu wollen, denken wir zunächst nur auf unser eignes Heil.) '-'5

§ 66. Noch sind allein übrig die oben erwähnten Anstalten, wodurch wir von den Bemühungen anderer wissenschaft- licher Körper, welche Bemühungen noch nicht Festigkeit genug erhalten haben, um im Buche niedergelegt zu werden, 30 zeitig Notiz erhalten, und diese Körper in die Lage setzen, von den gleichen Bemühungen bei uns Notiz zu nehmen. Es wäre in dieser Rücksicht vorzuschlagen: 1) daß wir an allen bedeutenden Akademien und Universitäten des deutschen Vaterlandes sowohl als des Auslandes uns einen 35 besondern Freund und Repräsentanten erwählten aus den Mitgliedern eines solchen Korps; gegenseitig diesen er- laubend und sie einladend, dasselbe bei uns zu tun. Diese Repräsentanten wären ersucht, alles, was an ihrem Orte von der eben erwähnten Art sich zutrüge, davon sie glaubten, 40

102 Fichte.

daß es die befreundete Akademie interessieren könnte, derselben durch Korrespondenz zu melden. 2) Damit wir jedoch, tiefer denn diese fremden Berichte, die nur die erste Aufmerksamkeit erregen sollen, und selbst dasjenige, 5 was diese etwa mit Stillschweigen übergehen, mit eigenen Augen zu sehen uns in den Stand setzen, sollen, womöglich ununterbrochen, junge Männer aus unserer Mitte zu ihnen gesendet werden und bei ihnen einige Zeit sich aufhalten, l154] die nach erfolgter | Rückkehr uns mündlichen Bericht ab- 10 statten, wie sie alles befunden. Diese sind zu allemächst an unsern Repräsentanten adressiert, der ihnen mit Rat und Tat an die Hand gehe. Es versteht sich, daß wir dasselbe den verbündeten Gesellschaften zugestehen, und die Ihrigen also behandeln, wie wir wollen, daß die Unsrigen 15 von ihnen behandelt werden. So wünschen wir ohne Zweifel, daß die Unsrigen den unbeschränktesten Zutritt zu allen wissenschaftlichen Übungen der Auswärtigen er- halten, und müssen drum diesen denselben Zutritt bei uns geben. Keinesweges aber wünschen wir, daß den 20 Unsern bei diesen Besuchen etwa das Sehwerkzeug des Auslandes untergeschoben werde, sondern daß sie sich ihres eigenen Auges, so wie es bei uns gebildet worden, bedienen; wir sind darum ebensowenig befugt, oder, falls wir unsern Augpunkt für besser zu halten berechtiget 25 sein sollten, verpflichtet, ihn unsern Gästen zu leihen, sondern mögen sie das Vermögen zu sehen eben schon mitgebracht haben. Der hierüber nötigen Politik mögen sich sowohl unsere zu diesen Gesandtschaften gebrauchten Mitbürger, als alle unsere Akademiker befleißen; und 30 es haben z. B. die ersten nicht gerade nötig, dem Ausländer gegenüber laut über ihn zu denken, sondern sie mögen sich berichten lassen; ihres Herzens wahre Gedanken aber, bis zu ihrer Rückkehr in unsere Mitte, für sich behalten. Die zu diesen wissenschaftlichen Gesandtschaften am r<K^1 besten sich qualifizierenden Subjekte wären bei uns | ge- zogene und gelungene Regularen, und könnten sie damit sehr füglich die Zeit zwischen ihrem Austritte aus dem Regulat und ihrem Eintritte in die Akademie ausfüllen. Vorzüglich würden zu diesen Geschäften gebraucht 40 werden, und, falls sie nur geradeso gut wie andere sich dazu qualifizierten, diesen sogar vorgezogen werden müssen

Deduzierter Plan. 103

die Söhne aus der Universitätsstadt, und besonders die unserer Akademiker; es versteht sich, wenn die Haupt- beding'ung, daß sie gelungene Regularc:i wären, von ihnen erfülh wäre. Dieses zwar keinesweges als ein persön- liches Vorrecht, dergleichen bei uns keine Geburt gibt, 5 sondern vielmehr als Gleichstellung niit den übrigen, und Entschädigung dafür, daß sie die Universitätsstadt an ihrem Geburtsorte finden und im Grunde aus dem Umkreise der Ihrigen zu einem völlig selbständigen Leben noch niemals herausgekommen sind, und so die hiermit 10 verknüpften, oben erwähnten Vorteile bisher verloren haben.

§ 67. Korollarium.

Unsere Akademie an und für sich betrachtet, gibt in der von ims angegebenen Ausführung das Bild eines 15 vollkommnen Staats; redliches Ineinandergreifen der ver- schiedensten Kräfte, die zu organischer Einheit tmd Voll- ständigkeit verschmolzen sind, zur Beförderung | eines ge- [156] meinsamen Zweckes. An ihr sieht der wirkliche Staats- künstler immerfort dieselbe Form gegenwärtig und vor- 20 banden, welche er auch seinem Stoffe zu geben strebt, und er gewöhnt an sie sein, von ntm an durch nichts anderes zu befriedigendes Auge.

Dieselbe Akademie stellt in ihrer Verbindung mit den übrigen, außer ihr vorhandenen wissenschaftlichen Körpern 20 dar das Bild des vollendet rechtlichen Staatenverhältnisses. Alle, in sich übrigens allein, geschlossen und selbständig bleibend, kämpfen aus aller ihrer Kraft um denselben Preis, die Beförderung der Wissenschaft und der wissen- schaftlichen Kunst; aber ihr Wettkampf ist notwendig red- 30 lieh, und keiner kann den errungenen Sieg verkennen oder schmälern, ohne sich selbst der, allen gemeinschaftlichen, und bei unendlicher Teilung dennoch immer ganz bleiben- den Ausbeute des Sieges zu berauben. Ihr Wettkampf ist liebend; das beleidigte Selbstgefühl des Überwundenen 35 hebt sogleich sich wieder empor an der Freude über den ge- meinsamen Gewinn, und die augenblickliche Eifersucht geht schnell über in Dank an den Förderer des gemeinen Wesens.

Diese Form einer organischen Vereinigung der aus

104 Fichte.

lauter verschiedenen Individuen bestehenden Menschheit vermag in ihrer Sphäre die Wissenschaft zu allererst, und dem Kreise der übrigen menschlichen Angelegenheiten [157] lange zuvorkommend, zu realisieren. Als ein- ] zelne Republik 5 darum, weil zuvörderst das Interesse, das in dieser Sphäre scheiden, trennen und voneinander halten könnte das zu Einigende, bei weitem nicht so dringend und gebieterisch herrscht, als das der sinnlichen Selbsterhaltung, welches auf des Staates Gebiet entzweiet und sich befeindet; so-

10 dann, weil selber das Element, das die Wissenschaft be- arbeitet, die Denkart veredelt und die Selbstsucht schmäh- lich macht. Als ein Verein von Republiken darum, weil alle genau wissen mid verstehen, was sie eigentlich Avollen; dagegen die politischen Entzweiungen der Völker imd

15 weltverheerende Kriege sich sehr oft auf die verworrensten und finstersten unter allen möglichen Vorstellungen gründen. In dieser frühern Realisierung der für alle menschlichen Verhältnisse eben also angestrebten Form ist sie an dem einen, das sie gestaltete, Weissagung, Bürge und Unter-

20 pfand, daß auch das übrige einst also gestaltet sein werde, der strahlende Bogen des Bundes, der in lichten Höhen über den Häuptern der bangen Völker sich wölbt.

Aber selbst indem sie noch verheißet, erfüllet sie schon, imd ist gedrungen zu erfüllen. Die einzige Quelle aller

25 menschlichen so Schuld wie Übels ist die Verworrenheit derselben über den eigentlichen Gegenstand ihres WoUens; ihr einiges Rettungsmittel daher Klarheit über denselben Gegenstand; eine Klarheit, welche, da sie nicht uns fremd bleibende Dinge erfaßt, sondern die innerste Wurzel unsers [■-.f-oi Lebens, unser Wol-|len ergreift, auch unmittelbar einfließt in das Leben. Diese Klarheit muß nun jeder wissenschaft- liche Körper rund um sich herum, schon um seines eigenen Interesse willen, wollen und aus aller Kraft befördern; er muß daher, so wie er nur in sich selbst einige Konsistenz

35 bekommen, unaufhaltsam fortfließen zu Organisation einer Erziehung der Nation, als seines eigenen Bodens, zu Klar- heit und Geistesfreiheit, und so die Erneuerung aller menschlichen Verhältnisse vorbereiten und möglich machen; durch welche Erwähnung der Nationalerziehung war wieder

40 am Schlüsse unsers ersten Abschnittes niedergesetzt werden, und so den bis ans Ende durchlaufenen Kreis schließen.

Geleofentliche Gedanken

über

Universitäten

deutschem Sinn.

Nebst

einem An hang

über eine neu zu errichtende.

F. Schleiermacher.

Berlin 1808. In der Realschulbuchhandlung.

Vorrede.

Nur ein kleines \'or\vort für die kleine Schrift. Schon durch die Art, wie sie sich bezeichnet, will sie gern die- jenigen abweisen, welche hier etwa aus irgendeinem Miß- verstand eine wissenschaftliche erschöpfende Behandlung 5 des Gegenstandes suchen möchten. Es wäre falsche Be- scheidenheit, wenn, was [ so gemeint ist, sich nur für etwas [IV] Gelegentliches ausgeben wollte; wie es Anmaßimg wäre und leere Prahlerei, wenn, was nur gelegentlich entstanden ist und nur so wirken soll, sich wissenschaftlich gebärden 10 wollte. Die Sache verträgt allerdings eine strenge und gründliche Behandlung; das wissenschaftliche Feld, wohin sie gehört, mag auch dem Verfasser nicht ganz fremd sein, und er hofft, daß die hier vorgetragenen Gedanken selbst größtenteils auch dort eine Stelle würden finden 15 müssen. Nur hier macht er gar nicht Anspruch auf wissen- schaftliche Reife oder strenge Darstellung. Er trägt seine Ansicht ohne diesen Grad der Vollendung vor, gelegent- lich tmd soviel möglich leicht hingewor- 1 fen als ein ver- [V] ständliches Wort, zur Beherzigung für eine Zeit, welche 20 während der Zerstörung so vieles Alten auch so manche neue Keime entA\dckelt.

Wer bei Pflanzung oder Erneuerung wissenschaft- licher Anstalten mitzuwirken hat, kann sich doch nicht genug vorsehn, ob er auch den Gegenstand, über den 25 er zu ratschlagen hat, und seine einzelnen Teile in ihrer

108 Schleiermacher.

wahren Beziehung aufgefaßt habe. Schon seit langer Zeit werden die entgegengesetztesten Ansichten über diese Sache aufgestellt. Jede enthält unstreitig etwas Wahres und ist beherzigungswert; aber wenn es doch nur eine 5 Seite ist, die sie nach Neigung oder nach Umständen [VI] heraushebt, so muß doch die Vor- [ Stellung des Ganzen, die sich bloß hieraus bildet, unsicher, störrig und ver- schroben ausfallen; denn einzelne Beziehungen können nie das Maß der Sache selbst sein, ja auch ihr eignes

10 Maß nicht in sich haben. Und leider, wie schwer ist es nicht zu vermeiden, daß Neigung, daß besondere Ver- hältnisse, daß oft sogar ein fremdartiges Bedürfnis nicht Einfluß erhalte auf die Überlegungen derer, die eben zu handeln haben!

15 Drum soll auch derjenige nicht unwillkommen seine

Stimme vernehmen lassen, der Muße hat, sich vor dem

Gegenstand niederzulassen, und ihn, \ne er sich seit langer

Zeit verschiedenthch unter uns gestaltet hat, von allen Seiten

[VII] zu betrachten. Denn auch, | wo Neues gebaut werden soll,

20 ist es von der größten Wichtigkeit zu wissen, was von dem- Bisherigen wesentlich oder zufällig, und was vielleicht gar in Irrtum und Mißverständnis gegründet gewesen, und also verwerflich ist, wie sich dessen in allen Zweigen des menschlichen Tuns und Wirkens immer finden muß.

25 Eine solche Betrachtung eignet sich am meisten zur

öffentlichsten Mitteilung, weil sie nicht nur für die wenigen angestellt wird, welche auf diesem Gebiet schaffen, um- bilden, regieren sollen, sondern für alle, die einen leb- haften Anteil an der Sache nehmen. Diese alle daher

30 möchte sich der Verfasser einladen, ihm bei seiner Be-

[VIII] schauung zuzuschauen, [ und dadurch aufgeregt zu werden,

den Gegenstand, es sei nun so wie er oder besser als er,

auf jeden Fall aber gründlicher als zuvor zu erkennen.

[1]

Vom Verhältnis des wissenschaftlichen Vereins zum Staate.

Man kann annehmen, daß fast allgemein die Voraus- setzung gemacht wird, es solle unter den Menschen nicht ö nur Kenntnisse aller Art geben, sondern auch eine Wissen- schaft. Die Ahndung von ihr, das Verlangen nach ihr regt sich überall. Selbst die, welche ihr Geschäft am aller- meisten nach hergebrachter Gewohnheit behandeln, be- rufen sich auf die Voreltern; was gar keinen Sinn hat, 10 wenn nicht das dunkle Gefühl darin liegt, diese müßten bei dem gleichen Verfahren nicht bloß das Recht der Gewohnheit für sich gehabt haben, sondern vielmehr einen höheren Grund. Ebenso die, welche in menschhchen Dingen irgend etwas durch die Kraft des bloßen Instinkts 15 vv^eiter fördern, berufen sich darauf, daß andern obliegen müsse, ihr Tun zu erklären und verständig zu rechtfertigen. Dies alles weiset auf die Wissenschaft hin. I Daß aber diese durchaus nicht Sache des einzelnen [2] sein, nicht von einem allein zur Vollendung gebracht und 20 vollständig besessen werden kann, sondern ein gemein- schaftliches Werk sein muß, wozu jeder seinen Beitrag liefert, so daß jeder in Absicht ihrer von allen übrigen abhängig ist, und nur einen herausgerissenen Teil sehr unvollkommen allein besitzen kann, auch das muß gewiß 25 allgemein einleuchten. Wie genau hängt doch alles zu- sammen und greifet ineinander auf dem Gebiete des Wissens, so daß man sagen kann, je mehr etwas für sich allein dargestellt wird, um desto mehr erscheine es im- verständlich und verworren, indem streng genommen jedes 30 einzelne nur in der Verbindung mit allem übrigen ganz kann durchschaut werden, und daher auch die Ausbildung jedes Teiles von der aller übrigen abhängig ist. Diese

110 Schleiermacher

notwendige und innere Einheit aller Wissenschaft wird auch gefühlt überall, wo sich bestimmte Bestrebungen dieser Art zeigen. Alle wissenschaftlichen Bemühungen ziehen einander an und wollen in eines zusammengehen, 5 und schwerlich gibt es auch auf irgendeinem andern Ge- biete des menschlichen Tuns eine so ausgebreitete Gemein- schaft, eine so ununterbrochen fortlaufende Überlieferung

[3] von den [ ersten Anfängen an, als auf dem der Wissen- schaft. Freilich nicht, als ob nicht auch hier die Bemühim-

10 gen der Menschen gesondert und mannigfaltig geteilt, ja hie und da sogar gewaltsam und willkürlich auseinander gerissen wären. Was verschiedene Völker gleicher Zeit wissenschaftlich betreiben, hängt oft äußerlich gar wenig zusammen; und noch mehr erscheinen ganze Zeitmassen

15 voneinander gesondert. Allein wer die Sache etwas im Großen ansieht, dem kann auch hier in dem fortschreitenden Bestreben, alles Getrennte allmählich zusammenzubringen, die vorherrschende Gewalt einer inneren Einheit nicht entgehen.

20 Bei diesem Zusammenhange nun kann es nur ein

leerer Schein sein, als ob irgendein wissenschaftlicher Mensch abgeschlossen für sich in einsamen Arbeiten und Unternehmungen lebe. Vielmehr ist das erste Gesetz jedes auf Erkenntnis gerichteten Bestrebens: Mitteilung; und

25 in der Unmöglichkeit, wissenschaftlich irgend etwas auch nur für sich allein ohne Sprache hervorzubringen, hat die Natur selbst dieses Gesetz ganz deuthch ausgesprochen. Daher müssen sich rein aus dem Triebe nach Erkenntnis, wo er nur wirklich erwacht ist, auch alle zu seiner zweck-

^^ mäßigen Befriedigimg nötigen Verbin- 1 düngen, die ver- schiedensten Arten der Mitteilung imd der Gemeinschaft aller Beschäftigmigen von selbst gestalten; und es wäre irrig zu glauben, daß alle dergleichen Anstalten, wie es jetzt scheint, nur das Werk des Staats sein könnten. Niemand

35 wird angeben können, wie dieser darauf gekommen sein sollte, das Wissen, wenn es ursprünglich ganz zerstreut gewesen wäre, auf solche Weise zu sammeln. Nur da werden alle Unterrichtsanstalten eigentlich vom Staate aus- gehn müssen, wo über ein noch ganz rohes Volk eine kleine

40 Anzahl eines gebildeten bildend herrscht, und den Trieb des Wissens erst in jenem erwecken will. Man sehe nur.

Gelegentliche Gedanken. Hl

wie schon im Schöße der Famihe die Elemente zum Unter- richt und zur Gemeinschaft der Kenntnisse sich selbst bilden; wie zweifelhaft es im allgemeinen bleibt auch von den größeren Vorkehrungen, ob sie von selbst ent- standen, oder vom Staat, oder von der Kirche gegründet 5 sind. Ergibt sich nicht aus allem, daß wir, um der Natur der Sache getreu zu bleiben, alle solche Veranstaltungen als etwas Ursprüngliches, aus freier Neigung, aus innerem Triebe Entstandenes ansehen müssen?

Aber freilich je mehr sie sich ausbilden, um desto 10 mehr erfordern sie Hilfsmittel, Werkzeuge man- 1 eher Art, [5] Befugnis der Verbundenen, auch als solche mit andern auf eine rechtsbeständige Art zu verkehren. Dies alles kann freilich nur durch den Staat erlangt werden, und daher ergeht an ihn die Anmutung, diejenigen, die sich zum 15 Behuf der Wissenschaft miteinander verbimden haben, wie wir uns ausdrücken, als eine morahsche Person anzu- erkennen, zu dulden und zu schützen. Bei deutschen Völker- schaften und Verfassungen kann diese Zumutung am wenigsten befremdlich sein, da wir bei ihnen beständig 20 eine Menge freier Vereinigungen zu allerlei Zwecken be- stehen und entstehen sehen, die der Staat nicht nur duldet, so lange sie sich als unverdächtig ausweisen, so daß man ihnen, um Verfolgung gegen sie zu erregen, immer etwas Unbürgerliches, Staatzerstörendes erweisen muß, sondern 25 denen er auch Vorrechte mancher Art einräimiet, wie sie zusammengesetzten Personen, die ja doch größer sind als einzelne, wohl geziemen mögen.

Wie es aber auch mit andern Vereinigungen vielfältig geschieht, daß, wenn der Staat von ihrer Nützlichkeit über- 30 zeugt ist, er sie sich allmählich so aneignet und sie in sich aufnimmt, daß man hernach nicht mehr imterscheiden kann, ob sie frei für | sich entstanden oder von der ver- [6] waltenden Macht gestiftet worden sind, dasselbige ist auch, wie wir sehen, sogar mit den wissenschaftlichen Verbindun- 35 gen geschehen; wiewohl, wenn die Erfahrung nicht so klar vor Augen stände, jeder zweifeln möchte, ob wirklich, bei dem genauen Zusammenhang aller wissenschaftlichen Bestrebungen derselben gebildeten Zeit, diejenigen, die innerhalb eines gewissen Staates entstanden sind, sich gut- 40 willig von den übrigen trennen, imd dagegen dem Staat,

112 Schleiermacher.

der ihnen eigentlich fremd ist, sich so genau würden an- schheßen wollen. Und freilich fehlt es auch nicht an einer ebenso in die Augen fallenden Widersetzlichkeit des wissen- schaftlichen Vereins gegen diese zu genaue Verbindung. 5 Das Wahre und Natürliche von der Sache scheint aber dieses zu sein.

Alle wissenschaftlichen Tätigkeiten, welche sich in dem Gebiet einer Sprache bilden, haben eine natürliche genaue Verwandtschaft, vermöge deren sie näher unter sich, als

10 mit irgend anderen zusammenhängen, und daher ein eignes gewissermaßen abgeschlossenes Ganzes in dem größeren Ganzen bilden. Denn was in einer Sprache wissenschaftlich erzeugt und dargestellt ist, hat teil an der besonderen Natur

[7] dieser Sprache; wenn es sich | nicht ganz unmittelbar auf

15 Erfahrungen und Verrichtungen bezieht, die überall not- wendig dieselben sein müssen, wie im Gebiete der Mathe- matik und der experimentalen Naturlehre, so läßt es sich nicht genau ebenso in eine andere Sprache übertragen, und bildet daher unter sich vermöge des Zusammenhanges

20 mit der Sprache ein gleichartiges Ganzes. Für die Wissen- den bleibt es allerdings eine notwendige Aufgabe, auch die Trennung zwischen diesen verschiedenen Gebieten wieder aufzuheben, die Schranken der Sprache zu durchbrechen, und, vv-as durch sie geschieden zu sein scheint, vergleichend

25 aufeinander zurückzuführen; eine Aufgabe, in welcher vielleicht die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Sprachen ihr höchstes Ziel findet. Allein diese Aufgabe ist offenbar für die Gemeinschaft des Wissens die höchste, vielleicht nie aufzulösende, und eben dadurch bewährt sich

30 nur desto mehr jene Absonderung als eine unumgängliche. Denken wir uns also auf allen Punkten aus freiem Triebe nach Erkenntnis wissenschaftliche Verbindungen ent- stehend, so werden sich diese zunächst so weit zu ver- einigen streben, als das Gebiet einer und derselben Sprache

35 reicht. Dies wird der engste Bund sein, und jede darüber hinai:sgehende Gemeinschaft nur eine weitere.

[8] I Dem Staat aber leuchtet auch ein, daß Kenntnisse und sogar Wissenschaften etwas Heilsames und Treffliches sind. Wie groß oder klein er auch sei, wie recht oder

40 unrecht er daran tue, ein eigner sein zu wollen : er kann als solcher nur durch eine Masse von Kenntnissen bestehn.

Gelegentliche Gedanken. 113

die sich möglichst der Totahtät nähert, so wenigstens, daß von allen Zweigen des Wissens einige Spur, einiges Bewußt- sein in ihm vorkomme durch lebendigen Sinn, durch Nach- frage, durch williges Aufnehmen, wenn denn auch zu einer eigentümlichen Art der Vollendung nur einiges in ihm 5 gedeiht. Wenigstens ein anständiges und. edles Leben gibt es für den Staat ebensowenig als für den einzelnen, ohne mit der immer beschränkten Fertigkeit auf dem Ge- biete des Wissens doch einen allgemeinen Sinn zu ver- binden. Für alle diese Kenntnisse nun macht der Staat 10 natürlich und notwendig eben die Voraussetzung wie der einzelne, daß sie in der Wissenschaft müssen begründet sein, und nur durch sie recht können fortgepflanzt und vervollkommnet Averden. Er sucht sich daher in einen lebendigen Zusammenhang zu setzen mit allen Bestrebun- 15 gen, die zu dieser Vervollkommnung führen; er nimmt sich der Anstalten an, die er selbst müßte gestiftet haben, wenn er sie j nicht gefunden hätte; und da auch der [9] wissenschaftliche Verein ein Bedürfnis hat, vom Staate geschützt und begünstiget zu werden, so werden beide ein 20 Bestreben haben, sich miteinander zu verständigen und zu einigen. Der Staat aber arbeitet nur für sich, er ist, wie er geschichtlich erscheint, durchaus zunächst selbst- süchtig, und will also auch die Unterstützung, die er der Wissenschaft bietet, nicht über seine Grenzen hinaus wirk- 25 sam sein lassen. Wenn nun der Staat das Gebiet seiner Sprache ganz erfüllt, so strebt auch die wissenschaftliche nähere Vereinigung nicht über seine Grenzen hinaus ; und so geht die Verbindung zwischen beiden ohne allen Zwiespalt vor sich, schneller oder langsamer, je nachdem beide Teile 30 lebendiger überzeugt sind, oder nur mangelhafter einsehen, wie sie einer des andern bedürfen, und was sie einander leisten können. Wenn aber der Staat dieses Gebiet nicht ausfüllt : so haben er und der wissenschaftliche Verein bei ihrer abzuschließenden \'erbindung ein verschiedenes 35 Interesse. Die wissenschaftlichen Männer wollen den Staat und seine Unterstützungen nur gebrauchen, um in dem größeren Gebiet der Sprache recht kräftig wirken zu können zu ihrem Zwecke; die engeren Grenzen des Staates wollen sia nicht | für die ihrigen anerkennen; und müssen sie i.^, ihm für seine Unterstützungen Dienste leisten, so sehen

Universitätsschriften Fichte, Schleiermacher, Steffens. R

114 Schleiermacher.

sie diese nur als etwas Untergeordnetes an. Die Re- gierungen hingegen sind nur um so mehr eifersüchtig auf- einander, als sie einander näher stehen, und fürchten von der weiterstrebenden wissenschaftlichen Verbindung Gleich- 5 gültigkeit für den Staat, oder gar Vorliebe für fremde Einrichtungen, imd andere nachteilige Einflüsse auf den Geist der Untertanen; sie tun daher das Mögliche, um den näheren Verein auch der Gelehrten in den Grenzen des Staates eingeschränkt zu halten. Umgekehrt, wenn

10 ein Staat das Gebiet mehrerer Sprachen umfaßte : so würde er alle Gelehrten in seinem Umfange einladen, sich gleich nahe zu vereinigen und auch als solche ein Ganzes zu bilden. Diese aber würden offenbar zwei Parteien dar- stellen, jede Zunge würde die Begünstigung des Gewalt-

15 habers der anderen abzuringen suchen, und aufrichtige Verbrüderung würde nur unter denen stattfinden, die eine Sprache reden. Daß es unnatürlich ist, wenn ein Staat sich über die Grenzen der Sprache hinaus vergrößern will, hat neuerlich ein großer Herrscher selbst behauptet,

20 so daß man sich nur wundern muß, was doch für eine [11] dringende Notwendigkeit selbst | ein so klares Bewußtsein wie das seinige beherrschen konnte. Ob es ebenso un- natürlich ist, wenn das Gebiet einer und derselben Sprache sich in so viele kleine Staaten zerteilt, als Deutschland

25 erleidet, das sei dahingestellt. Wenigstens scheint es rat- sam, wenn sie in einer genauen Verbindung bleiben, und töricht, wenn jeder von ihnen seine wissenschaftlichen Ein- richtungen abgeschlossen für sich besitzen will. Denn nur äußerlich und erzwungen können diese ein Ganzes

30 bilden, welches, je kleiner der Staat, desto lächerlicher werden wird, wenn es sich vollständig gestalten will; der Natur der Sache nach können sie immer nur Teile des weitergreifenden Vereins sein, und müssen sich, je mehr sie sich absondern wollen, um so mehr des wohltätigen

35 Einflusses der übrigen Teile und damit zugleich ihrer Nahrung und Gesundheit berauben. In der Tat wunder- licher und von dem, was das gemeine Wohl erfordert, ent- fernter kann wohl nichts sein, als wenn ein deutscher Staat sich mit seinen wissenschaftlichen Bildungsanstalten

40 einschließt. Vielmehr inniger sollte sich die Gemeinschaft, in welcher solche Staaten stehen müssen, nirgends aus-

Gelegentliche Gedanken. 115

sprechen als in wissenschaftlichen Dingen; und wenn gar die natürliche Richtung dahin gehen sollte, daß sie ebenso eins [ würden, wie die Sprache immer mehr eine [12] wird, wo gäbe es wohl ein leichteres sichreres und natür- licheres Vorbereitungsmittel hiezu, als wenn auf dem wissen- 5 schaftlichen Gebiet, welches in so genauer Wechselwirkung sowohl mit dem Staate als mit der Sprache steht, die viel- seitigste, treueste, eifersuchtsloseste Gemeinschaft gestiftet würde, durch welche die innere Einheit des äußerlich Getrennten recht klar zutage käme ? Und wodurch soll 10 denn endlich klar und leidenschaftlos entschieden werden, wie lange diese Absonderung dauern, und wie weit sie gehen soll, als durch die möglichst weit verbreitete wissen- schaftliche Bildung, welche die Besonnenheit erhält, von keinem einzelnen Interesse geblendet wird, und die klein- 15 liehen Leidenschaften und Vorurteile allmählich ausrottet? Dennoch haben sich wenige von unsern vaterländischen Regierungen von allen Fehlern in dieser Hinsicht frei gehalten; sondern anstatt daß jede bei sich sollte gepflegt haben, was sie konnte, und überall Regierung und Volk 20 mitgenießend und benutzend froh und stolz gewesen sein über alles, was sich irgendwo im Umfang des deutschen Vaterlandes bildete, haben je länger je mehr zwei ganz entgegengesetzte Maßregeln überhand genommen. Einige 1 Regierungen nämlich wetteiferten miteinander darin, die T^^. ihnen untergebenen Bildungsanstalten zum Mittelpunkt alles wissenschaftlichen Verkehrs für ganz Deutschland zu machen, indem sie darauf bedacht waren, von weit umher alles, was sich wissenschaftlich auszeichnet, an sich zu ziehen, sollten auch andere Staaten dadurch in Dürftigkeit versetzt 30 werden. Wenn hiebei nur ein wahrer Wetteifer zum Grunde gelegen hätte, ja nicht hinter dem zurückbleiben zu wollen was man tun konnte; wenn dabei die gute Meinung gewesen wäre, für die kleinern Staaten, die hierauf nicht zu viel verwenden konnten, mit zu arbeiten, Anstalten für sie mit 35 zu unterhalten, und Talente für sie mit zu belohnen: so wäre nicht viel dagegen zu sagen gewesen. Die Absicht v\'ar aber eigentlich zuerst, daß jeder Staat in Befriedigung seiner wissenschaftlichen Bedürfnisse sich unabhängig machen wollte von jedem andern, da doch die wahre Un- 40 abhängigkcit hierin nur die sein kann, wenn zu des gemein-

116 Schleiermacher.

schaftlichen Gutes Erhahung und Vermehrung jeder nach Verhältnis reichlich beiträgt, jenes aber nur eine hoch- mütige, verderbliche Prahlerei ist. Dann wollte man auch - durch geistiges Übergewicht dem Staate Macht und Ansehn [14] verschaffen über sein eigentliches Gebiet | hinaus. Dies ist freilich die friedlichste und schönste Art der Eroberung; aber der Wissenschaft kann es leicht gefährlich werden, wenn das bloße Geld den Gelehrten zur Lockspeise ge- macht wird. Und werden diese Eroberungen im Miß-

10 Verhältnis mit der natürlichen Wichtigkeit des Staates oder in einem kleinlichen Stile betrieben : so ist das überhaupt lächerlich oder krankhaft. Die andere Maßregel ist die wissenschaftliche Sperre, wenn nämlich die Regierungen das wissenschaftliche Verkehr mit dem Auslande be-

15 schränken oder aufheben, und ihre Bürger hindern, auf jede Art, wie sie es wünschen, an den wissenschaftlichen Bemühungen benachbarter Staaten teilzunehmen. Geschieht dies, wo die Kirche den Staat beherrscht, wie bis neuerhch größtenteils im katholischen Deutschland : so ist das ein

20 bedauernswürdiger Beweis eines finstern Zustandes. Ver- sucht diese Sperre ein mäßiger Staat, der von größeren umgeben ist, und fühlt, daß er sich auf alle Weise an- strengen und alle Mittel zu Hilfe nehmen muß, um seine Selbständigkeit so lange als möghch gegen sie zu be-

25 haupten: so ist zu beklagen, daß man sich so gewaltig verrechnen kann bei so löblicher Absicht, indem doch [15] geistige Beschränktheit, die aus solcher Absonderung | ent- stehen muß, niemals die Selbständigkeit sichern oder ver- mehren kann. Wenn aber gar ein selbst mächtiger Staat,

30 und der auch jenes Erobern mit Erfolg betreibt, wenig zufrieden mit dem, was er in diesem Fache schon geleistet hat, bis er das Fehlende ersetzen kann, auch noch die Sperre verordnet : so ist das offenbar ein Hochmut, eine Illiberalität, eine niedrige und geldsüchtige Ökonomie, die

35 auch auf die Absicht jener Eroberungen ein noch nach- teiligeres Licht wirft, und mehr als irgend etwas eine solche Regierung bei allen Gebildeten der Nation verhaßt machen muß.

Allein in einem noch wesentlicheren Punkte pflegt der

40 Staat, indem er sich der wissenschaftlichen Anstalten an- nimmt, von der Art, wie sie müssen geleitet und geordnet

Gelegentliche Gedanken. 117

v.crden, eine ganz andere Ansicht zu haben, als die Ge- lehrten, welche zum Behuf der Wissenschaft selbst näher unter sich verbunden sind. Beide Teile würden gewiß sehr einig sein, wenn der Staat von den Forderungen eines alten Weisen, wenn auch nicht die erste, daß die Wissenden 5 herrschen sollen, doch die zweite, daß die , Herrschenden wissen sollen, recht wollte gelten lassen in ihrem vollen Sinne. Die Staatsmänner, auch diejenigen, welche das gemeine Wesen am meisten | fortbilden, erscheinen sich [16] und anderen mehr den Künstlern ähnlich, als daß sie 10 wissenschaftlich zu Werke gingen, indem sie den Staat handhaben. Glücklich ahndend, das Rechte herausfühlend, bringen sie unbewußt hervor, und gestalten mit geschickter Hand nach einem ihnen einwohnenden Urbilde, v.'ie jeder Künstler nach dem seinigen. Das ist leicht zu erkennen 15 und aufrichtig zu loben, und so herrschen sie allerdings nicht als Wissende. Aber daß dieser künstlerische Sinn doch bei denen am gebildetsten und richtigsten sein wird, welche entweder selbst die Tatsachen und Erfahrungen wissenschaftlich anzusehn verstehn, oder wenigstens Dar- 20 Stellungen derselben, die' diesen Endzweck haben, zu be- nutzen; daß der Staatsmann, wie jeder, der künstlerisch etwas hervorbringt, aus dem Schatze der Wissenschaft mittelbar oder unmittelbar für seine Kunst schöpfen muß, v,-ie gewiß auch er ihn seinerseits durch seine Werke 25 wiederum bereichert ; daß wahre Verbesserungen in allen Zweigen der Staatsverwaltung nur um so sicherer ein- geleitet werden und gedeihen können, als die Herrschenden und soviel möglich auch die Beherrschten die wahre Idee des Staates überhaupt sowohl, als auch dieses bestimmten 30 richtig aufgefaßt haben, und mit dem 1 Bewußtsein der- [17] selben Beispiele aus dem ganzen Gebiet der Geschichte zu benutzen wissen, und daß also auf jede Weise wahrhaft gewußt werden muß, wenn gut geherrscht werden soll : dies sollte wenigstens um so mehr anerkannt werden, da 35 schon die Erfahrung zeigt, daß, wenn man sich auf irgend einem Gebiet von dieser Einsicht entfernt, in demselben entweder ein tumultuarischer, anarchischer Zustand sich bildet, wie im ehemaligen Polen imd in manchem anderen Reiche, welches bei vielen Kenntnissen nur gar wenig 40 Wissenschaft besitzt, oder auch ein Kastenwesen entsteht.

X1Q Schleiermacher.

eine ärmliche Empirie, die sich streng und ängstlich an die Tradition anschließt, im offenbaren Mißverhältnis mit andern besser geleiteten und daher fortschreitenden Zweigen. Allein eben dies wird doch oft gar nicht anerkannt, sondern

5 vielmehr der Einfluß, den die Wissenschaft auf den Staat zu gewinnen sucht, gehaßt und gefürchtet. Der Staat ist alsdann natürlich nur von dem unmittelbaren Nutzen der Kenntnisse überzeugt und ergriffen. Ausgebreitete Be- kanntschaft mit Tatsachen, Erscheinungen und Erfolgen

10 aller Art sucht er zu begünstigen, und wenn er sich der

wissenschaftlichen Anstalten annimmt, sie vorzüglich hier-

[18] auf zu lenken. Denjenigen hingegen, welche sich | zum

Behuf der Wissenschaft freiwillig vereinigen, kommt es

auf ganz etwas anderes an, als allein auf die Masse der

15 Kenntnisse. Was sie vereiniget, ist das Bewußtsein von der notwendigen Einheit alles Wissens, von den Gesetzen und Bedingungen seines Entstehens, von der Form und dem Gepräge, wodurch eigentlich jede Wahrnehmung, jeder Gedanke, ein eigentliches Wissen ist. Und eben dieses

20 Bev/ußtsein suchen sie vornehmlich zu erwecken und zu verbreiten, durch welches aliein auch in allen Kenntnissen und in jeder Erweiterung derselben die Wahrheit und die Sicherheit kann erhalten werden. Darum arbeiten sie über- all schon bei einer m^äßigen Summe von Kenntnissen darauf

25 hin, ihnen diesen wissenschaftlichen Charakter zu geben. Wo nur erst das Notdürftigste über einen Gegenstand in Erfahrimg gebracht ist, ziehn sie ihn in das Gebiet der Wissenschaft, suchen die Einheit darin auf, aus welcher alles Mannigfaltige begreiflich wird, trachten das Ganze

SO in jedem Einzelnen zu sehen, und wiederum jedes Einzelne nur im Ganzen. So auch jeden Menschen, den sie sich ähnlich bilden wollen, führen sie, auch nur mäßig ausge- rüstet, gleich auf diesen Hauptpunkt wissenschaftlicher Ein- [19] heit und Form, üben ihn in dieser Art zu | sehen, und

35 lassen ihn nur, nachdem er sich so festgesetzt hat, noch tiefer in das Einzelne hineingehn, weil er alles wirklich wissen soll im strengeren Sinn, imd sonst alles Anhäufen einzelner Kenntnisse nur ein unsicheres ümhertappen wäre, was immer nur in bezug auf eine bessere Behandlung einen

40 vorläufigen Wert haben könnte. Der Staat hingegen ver- kennt nur zu leicht den Wert dieses Bestrebens, und je lauter

Gelegentliche Gedanken. 119

sich die Spekulation so wollen wir immer nennen, was sich von wissenschaftlichen Beschäftigungen überwiegend nur auf die Einheit und die gemeinschaftliche Form alles Wissens bezieht je lauter sich diese gebärdet, desto mehr sucht der Staat sie zu beschränken, und allen seinen Ein- 5 fluß, den aufmunternden imd den einengenden, dazu zu gebrauchen, daß die realen Kenntnisse, die Massen des wirklich Ausgemittelten, auch ohne Hinsicht darauf, ob jenes Gepräge der Wissenschaft ihnen aufgedrückt ist oder nicht, allein gefördert werden, und als die einzig echten Früchte ^0 alles auf Erkenntnis gehenden Bestrebens erscheinen. Dieser Richtimg nun muß der wissenschaftliche Verein notwendig entgegenstreben, und die edleren Mitglieder des- selben werden daher immer darnach trachten, sich mög- ^ liehst zur Unabhängigkeit | vom Staat heraufzuarbeiten, roQ-i indem sie teils ihre Vereinigung der Gewalt und Anordnung des Staates zu entziehen, teil,s ihren eigenen Einfluß auf denselben zu erhöhen suchen. Wo möglich flößen sie dem Staate eine würdigere imd wissenschaftlichere Denkungs- art ein; wo aber nicht, so suchen sie wenigstens sich selbst -0 je länger je mehr Glauben und Ansehn zu verschaffen. Je mehr aber die wissenschaftlich Gebildeten so in den Staat verflochten sind, daß das Wissenschaftliche bei ihnen vom Politischen überwogen wird und nicht zum klaren Bewußtsein kommt, desto eher werden sie sich diesen Ein- -5 griffen des Staates fügen; und je genauer sich in diesem Sinn beide Teile verbinden, um desto m^ehr isoliert sich ein solcher Teil des größeren wissenschaftlichen National- vereins von allen übrigen, die ihre eigentümlichen Prin- zipien fester halten, und sinkt zu einer bloßen Veranstaltung 30 für den Gebrauch des Staates herab. Vorzüglich wo der Staat schon das gesamte Gebiet der Sprache zu einem Ganzen verbunden hat, und also sehr mächtig und glänzend ist, schlägt dieser Kampf gewöhnlich zum Nachteil der Wissenschaft aus. Und wenn man dem entgegengesetzten 35 Zustand einige Vorzüge zugestehen will, so ist gewiß dies keiner der i geringsten, daß alsdann der Staat wenigstens [21] in dieser Hinsicht die Wissenschaft freier gewähren läßt, vväre es auch nur um sich mit ihr zu schmücken.

Auf dasjenige, was in dieser Darstellung flüchtig hin- -iO geworfen ist, werden wir öfters zurückweisen müssen; denn

120 Schleiermacher.

ohne die vornehmsten Momente dieser Gegenwirkungen zwischen Staat und Wissenschaft im Auge zu haben, ist es nicht möghch, die äußeren Schicksale der letzteren zu begreifen, oder wenn eine bestimmte Aufgabe gelöset werden 5 soll," einen, dem jedesmaligen Verhältnis zwischen Staat und Wissenschaft angemessenen Gang einzuschlagen. Am v/enigsten aber kann man sonst verstehen, warum der Staat die Universitäten gerade so, wie wir sehen, zu behandeln pflegt, und warum diese so sehr nach der Unabhängigkeit

10 von ihm trachten, und es als die vorteilhafteste Lage an- sehn, wenn sich der Staat in ihre Verwaltung wenigst möglich einmischt. Doch wir müssen zuerst sehen, welchen Platz eigentlich die Universitäten einnehmen in dem wissen- schaftlichen Verein, und welches ihr vorzüglichstes Ge-

1j Schäfte ist.

[22] 1 2.

Von Schulen, Universitäten und Akademien.

Unter Akademien werden hier, was man gelehrte Ge- sellschaften nennt, von aller Art verstanden, und die Ver-

20 bindung, in welcher sie untereinander stehen sollten, und innerlich gewiß auch stehen. Von Schulen aber denken wir hier nur an diejenigen, die man wenigstens ansehn kann, als wären sie unmittelbar aus dem Bedürfnis und Trieb nach Erkenntnis entstanden, also nur die gelehrten,

25 deren Vorsteher notwendig vollkommen wissenschaftlich gebildete Männer sein müssen, und in denen Kenntnisse mitgeteilt werden, die unmittelbar in das Gebiet der Wissen- schaft fallen.

Alsdann sind dieses die drei Hauptformea, in welche

30 sich jetzt alle Vereinigungen zum Betrieb der Wissen- schaften gestalten. Sie kommen zwar überall im neueren Europa vor; aber auch deshalb könnte man wohl Deutsch- land als den Mittelpunkt der Bildung ansehn, weil in anderen Ländern zwar einzelne dieser Formen, Schulen

35 besonders und Akademien, in einem größeren Stil vor- kommen, alle drei nebeneinander aber nirgends so rein heraustreten als bei uns. Auch könnte man wohl sagen,

Gelegentliche Gedanken. 121

I der ganze Typus, der sich darin zeigt, sei ursprünglich [23] deutsch, und schließe sich genau der Bildung anderer auch aus Deutschland hervorgegangener Verhältnisse an. Die Schule als das Zusammensein der Meister mit den Lehr- burschen, die Universität mit den Gesellen, und die Aka- 5 demie als Versammlung der Meister imter siph. Doch für die meisten, die von einer tiefen Verachtung für alles Zunftwesen durchdrungen sind, heißt dies wohl wenigstens das, was erst beschrieben werden soll, durch Dunkleres erläutern, wo nicht gar die wissenschaftlichen Anstalten 10 herabwürdigen durch Gleichsetzung mit diesen verschrienen Formen, denen aber doch auch gar viel Schönes zum Grunde liegt. Betrachten wir also diese drei Verbindungen, Schule, Universität und Akademie, lieber für sich und fragen, was doch jede bedeutet, und wie sie unter sich 15 zusammenhängen. Denn ohne sie alle drei verstanden zu haben, möchte es uns schwerlich gelingen, über das Wesen und die zweckmäßige Einrichtung der einen, auf die es uns ankommt, einig zu werden.

Die Wissenschaft, wie sie in der Gesamtheit der gebil- 20 dcten Völker als ihr gemeinschaftliches Werk und Besitz- tum vorhanden ist, soll den Ein- 1 zelnen zur Erkenntnis [24] hinanbilden, und der Einzelne soll auch wiederum an seinem Teil die Wissenschaft weiter bilden. Dies sind die beiden A'errichtungen, auf welche alles gemeinschaftliche Tun auf 25 diesem Gebiet hinausläuft. Man sieht leicht, wie die erste von ihnen in der Schule ganz die Oberhand hat, und in der Akademie dagegen die andere. Die Schulen sind durch- aus gymnastisch, die Kräfte übend, und besitzen ihren fremden Namen mit Recht. Den Knaben von besserer 30 Natur und hervorstechenden Gaben, welche die Vermutung erregen, er könne für die Wissenschaft empfänglich sein, oder wenigstens eine Masse von Kenntnissen vorteilhaft verarbeiten, diesen übernehmen sie, und versuchen auf alle Weise, ob dem wirklich also sei. Zweierlei aber ist, 35 Moran sich zeigen muß, ob ein Mensch für diese höhere Bildung sich eigne, auf der einen Seite ein bestimmtes Talent, welches ihn an ein einzelnes Feld der Erkenntnis fesselt, auf der andern der allgemeine Sinn für die Einheit und den durchgängigen Zusammenhang alles Wissens, der 40 systematisch philosophische Geist. Zusammentreffen muß

122 Schleiermacher.

beides, wenn der Mensch sich zu etwas Ausgezeichnetena bilden soll. Auch das entschiedenste Talent wird ohne [25] diesen Geist keine Selbständig- 1 keit haben, und nicht weiter gedeihen können, als daß es ein tüchtiges Organ wird für 5 andere, die das wissenschaftliche Prinzip in sich haben. Und der systematische Geist ohne ein bestimmtes Talent wird sich mit seinen Produktionen in einem sehr engen Kreise herumdrehen, und sich in wunderlichen Auswüchsen, Wiederholungen und Umbildungen immer des nämlichen

10 höchst Allgemeinen erschöpfen, weil er eben keines Stoffes recht Meister ist.

Dies hindert aber nicht, daß nicht auch, bei der Ver- einigung beider, bei einigen das Talent hervorherrsche, bei andern der allgemeine wissenschaftliche Geist. Beides

15 aber bedarf, wo es nicht in einem ganz ausgezeichneten Grade vorhanden ist, um erweckt und ans Licht gebracht zu werden, bald mehr bald minder eines absichtlich ange- brachten Reizes, einer kunstm.äßigen Behandlung. Und so muß die Schule auf beides wirken. Sie muß elemen-

20 tarisch auf der einen Seite den gesamten Inhalt des Wis- sens in bedeutenden Umrissen vorführen, so daß jedes schlummernde Talent zu seinem Gegenstande sich kann angelockt fühlen, und muß auf der andern dasjenige be- sonders herausheben und mit vorzüglichem Fleiß behandeln,

25 worin die wissenschaftliche Form der Einheit und des [26] Zusam- 1 menhanges am frühsten kann deutlich angeschaut werden, und was aus demselben Grunde zugleich das all- gemeine Hilfsmittel alles andern Wissens ist. Aus dieser Ursache sind mit Recht Grammatik und Mathematik die

30 Hauptgegenstände auf Schulen, ich möchte sagen: die ein- zigen, die mit einem Anklang von Wissenschaftlichkeit können vorgetragen werden. Zugleich muß aber auch die Schule methodisch alle geistigen Kräfte so üben, daß sie bestimmt auseinander treten und ihre verschiedenen Funk-

35 tionen klar eingesehen werden, und sie so stärken, daß jede sich eines gegebenen Gegenstandes mit Leichtigkeit ganz bemächtigen kann. Dies vereinigt durch die einfachsten und sichersten Operationen zu bewirken, ist das Ziel der Schulen. Gewiß wird keine auch bei der besten Einrichtung

40 und Leitung dies alles in gleicher Vollkommenheit leisten, sondern die eine mehr in diesem, die andere mehr in jenem

Gelegentliche Gedanken. 123

Teile sich Vorzüge erwerben. Aber nur um desto nötiger wird es sein, daß man überall den Gesamtzweck vor Augen behalte, damit jede auf dem Wege zu der ihr angemessenen Virtuosität sich vor verderblicher Einseitigkeit bewahren könne; und desto mehr ist eine höchste allgemeine Leitung •'' zu wünschen, um von jeder solchen Anstalt ganz den Nut- I zen für das wissenschaftliche Gebiet zu ziehen, den sie [27] gewähren kann.

In der Akademie hingegen finden sich die Meister der Wissenschaft vereinigt; und wenn nicht alle auf gleiche 10 Weise Mitglieder derselben sein können, so sollen wenig- stens alle durch sie repräsentiert werden, und zwischen den Mitgliedern und den übrigen des Namens würdigen Ge- lehrten ein solcher lebendiger Zusammenhang stattfinden, daß die Arbeiten der Akademie wirklich als das Gesamt- 15 werk ihrer aller können angesehen werden. Jeder muß darnach streben, dieser Verbindung anzugehören, weil das Talent, was einer in sich ausgebildet hat, ohne die Er- gänzung der übrigen doch nichts wäre für die Wissen- schaft. Darum bilden alle ein Ganzes, weil sie sich Eins 20 fühlen durch den lebendigen Sinn und Eifer für die Sache des Erkennens überhaupt, und durch die Einsicht in den notwendigen Zusammenhang aller Teile des Wissens; eben darum aber sondern sie sich auch wieder in verschiedene Abteilungen, weil jeder Zweig des Wissens einer noch 25 engern Vereinigung bedarf, um gründlich imd zweckmäßig bearbeitet zu werden. Je feiner diese Verzweigung sich vervielfältiget und je lebendiger dabei die Einheit des Ganzen bleibt, | ohne sich in eine leere Form zu verUeren, [28] so daß in jedem Einzelnen die Teilnahme an den Fort- 3) schritten des Ganzen und der Eifer für sein besonderes Fach einander gegenseitig beleben, und also die engste Gemein- schaft zwischen den verschiedenen Teilen der Wissenschaft in dem Schoß der Akademie auf das leichteste unterhalten wird : um desto vollkommner ist die Einrichtung des 35 Ganzen.

Wie viele Akademien nach dieser Idee Deutschland wohl haben sollte ? Eine höchstens oder zwei, eine nördliche und eine südliche, die aber auch in der innigsten Ver- bindung stehn, und überall, teils wo ein natürlicher Zu- 40 sammenfluß von Gelehrten aller Art entstünde, teils wo ein

124 Schleiermacher.

Ort für ein besonderes wissenschaftliches Gebiet sich vor- zügHch eignete, ihre Töchter haben müßten. So lange eine solche Vereinigung, nach welcher der Natur der Sache wegen alles strebt, noch nicht erfolgt ist, können sich 5 also unsere zerstreuten gelehrten Gesellschaften nur als Bruchstücke ansehn, und nur durch das lebhafteste Ver- kehr untereinander sich ihr Dasein bis zu diesem Zeitpunkt, der vielleicht nicht mehr fern ist, erhalten.

Mit dieser Ansicht von Schulen und Akademien stimmt .^J: auch das ganze Verfahren dieser Anstalten | zusammen. Die Schulen geben in den öffentlichen Prüfungen eine Aus- stellung, die ganz gymnastisch ist, und nur zeigen kann, wie weit die intellektuellen Kräfte für das Wissen geübt sind. Literarische Produktionen aber kommen ihnen als

15 solchen gar nicht zu, weil nichts öffentlich erscheinen soll, was nicht die Wissenschaft weiter fördert. Darum sieht man auch immer den Programmen oder Einladungsschriften der Vorsteher das Mißverhältnis an, indem sie entweder gar nicht verdienen aufgestellt zu werden, oder wenn das,

20 sich für das Publikum nicht eignen, welches sie doch zunächst in Anspruch nehmen. Daher in vieler Hinsicht ein vortreffliches Zeichen für eine Schule ist, wenn dergleichen gar nicht von ihr gefertiget werden. Dagegen fordert man von jeder Akademie, daß sie Werke hervorbringt, näm-

25 lieh nicht große, das Ganze umfassende oder gar revolu- tionäre Bücher, sondern Sammlungen von Aufsätzen, welche einzelne noch unerforschte Gegenstände beleuchten, eigene Entdeckungen darlegen, neuerfundene Methoden ans Licht bringen oder prüfen. Denn so durch viele kleine Beiträge

30 die Wissenschaften, welche schon Umfang und Sicherheit in gewissem Maß gewonnen haben, zu fördern, das ist [30] die Sache der Akademie; und je mehr | Gehalt und Zu- sammenstimmung sich in ihren W>rken zeigt, um desto mehr Verdienst wird man ihr zuschreiben. In demselbigen

35 Sinne läßt auch die Akademie Aufgaben zur Auflösung er- gehen, teils um sich für einzelne Fälle, wo der Versuche nicht genug gemacht werden können, oder wo Unter- suchungen erforderlich sind, die sich nicht an jedem Ort anstellen lassen, auch außerhalb ihrer Mitte Hilfe zu ver-

40 schaffen daher mit Recht die eigentlichen Mitglieder ausgeschlossen sind von der Preisbewerbung teils auch

Gelegentliche Gedanken. 125

um auszuspüren, wer, noch nicht zu ihr gehörend, sich mit wissenschaftlichen Gegenständen aus einzelnen Gebieten ernsthaft imd erfolgreich beschäftiget, damit sie sich aus diesen von Zeit zu Zeit würdige Genossen aneignen könne.

Was ist nun aber die Universität zwischen beiden, der 5 Schule und der Akademie ? Man könnte denken, daß diese beiden sich in alle wissenschaftlichen Verrichtungen teilten, und jene ganz überflüssig wäre zwischen ihnen. So urteilen auch gewiß manche unter uns, schwerlich mit echt deutschem Sinn; denn diese Ansicht ist ja die herrschende eines 10 anderen Volkes, welchem, je mehr es sich in sich selbst konsolidierte, um so mehr alles ausgegan- 1 gen ist, was 1.81] einer Universität ähnlich sieht, und nichts übrig geblieben, als Schulen und Akademien in unzähliger Menge und in den mannigfaltigsten Formen. Allein man übersieht hiebei offen- 15 bar einen sehr wesentlichen Punkt. Die Schulen beschäf- tigten sich nur mit Kenntnissen als solchen; die Einsicht in die Nattu" der Erkenntnis überhaupt, den wissenschaft- lichen Geist, das Vermögen der Erfindung und der eigenen Kombination suchen sie nur vorbereitend anzuregen, aus- 20 gebildet aber wird dies alles nicht in ihnen. Die Akademien aber müssen dies alles bei ihren Mitgliedern voraussetzen; nur von einem gemeinschaftlichen Mittelpunkt aus, und durch das Bewußtsein desselben das spricht ihre ganze Organisation aus, wenn sie auch keine Veranlassung finden, 2b es ausdrücklich zu erklären wollen sie die Wissen- schaften fördern; auch kann dies nur so auf eine überein- stimmende Weise geschehen. Wie leer müßten die Werke einer Akademie sein, wenn sie überall bloße Empirie triebe, und an keine Prinzipien in jeder Wissenschaft glaubte ! 80 Wie leer wäre der ganze Gedanke einer gemeinschaft- lichen Beförderung aller Wissenschaften, wenn diese Prin- zipien nicht wiederum zusammenstimmten und ein Ganzes bildeten! Und wie jämmerlich die Ausfüh- [rung, wenn etwa [32] die Mitgheder über alle diese Prinzipien uneins wären! 35 Offenbar also wird vorausgesetzt, jedes Mitglied einer Aka- demie sei über die philosophischen Prinzipien seiner Wissen- schaft mit sich selbst und den übrigen verstanden, jedes be- handle sein Fach mit philosophischem Geist, und eben dieser in allen sich ähnliche Geist in seiner Vermählung mit dem 40 jedem Einzelnen eigentümlichen Talent mache nur jeden

126 Schleiermacher.

zu einem wahren Gliede der Vereinigung. Soll dieser Geist dem Menschen von ohngefähr kommen im Schlaf? Soll nur das wissenschaftliche Leben aus dem Nichts entstehen, nicht wie jedes andere durch Erzeugung? Soll nur dieses in 5 seinen ersten zarten Äußerungen keiner Pflege bedürfen, und keiner Erziehung? Hier also liegt das Wesen der Universität. Diese Erzeugimg und Erziehung liegt ihr ob, und damit bildet sie den Übergangspunkt zv/ischen der Zeit, wo durch eine Grundlage von Kenntnissen, durch eigent-

10 liches Lernen die Jugend erst bearbeitet wird für die Wissen- schaft, und der, wo der Mann in der vollen Kraft und Fülle des wissenschaftlichen Lebens nun selbst forschend das Gebiet der Erkenntnis erweitert oder schöner anbaut. Die Universität hat es also vorzüglich mit der Einleitung roo^ eines Prozesses, mit | der Aufsicht über seine ersten Ent- wicklungen zu tun. Aber nichts Geringeres ist dies als ein ganz neuer geistiger Lebensprozeß. Die Idee der Wissenschaft in den edleren, mit Kenntnissen mancher Art schon ausgerüsteten Jünglingen zu erwecken, ihr zur

20 Herrschaft über sie zu verhelfen auf demjenigen Gebiet der Erkenntnis, dem jeder sich besonders widmen will, so daß es ihnen zur Natur werde, alles aus dem Gesichts- punkt der Wissenschaft zu betrachten, alles Einzelne nicht für sich, sondern in seinen nächsten wissenschaftlichen

25 Verbindungen anzuschauen, und in einen großen Zusam- menhang einzutragen in beständiger Beziehung auf die Einheit und Allheit der Erkenntnis, daß sie lernen, in jedem Denken sich der Grundgesetze der Wissenschaft bewußt zu werden, und eben dadurch das Vermögen selbst zu

SO forschen, zu erfinden und darzustellen, allmählich in sich herausarbeiten, dies ist das Geschäft der Universität. Hier- auf deutet auch dieser ihr eigentlicher Name, weil eben hier nicht nur mehrere, wären es auch andere und höhere, Kenntnisse sollen eingesammelt, sondern die Gesamtheit

35 der Erkenntnis soll dargestellt werden, indem man die Prinzipien und gleichsam den Grundriß alles Wissens auf {34] solche Art zur Anschauung bringt, | daß daraus die Fähig- keit entsteht, sich in jedes Gebiet des Wissens hinein- zuarbeiten. Hieraus erklärt sich die kürzere Zeit, welche

40 jeder auf der Universität zubringt als auf der Schule; nicht als ob nicht um alles zu lernen mehr Zeit erfordert würde,

Gelegentliche Gedanken. 127

sondern weil man das Lernen des Lernens wohl abmachen kann in kürzerer; weil eigentlich, was auf der Universität verlebt wird, nur ein Moment ist, nur ein Akt vollbracht wird, daß nämlich die Idee des Erkennens, das höchste Be-wnjßtsein der Vernunft, als ein leitendes Prinzip in dem 5 Menschen aufwacht. Hierauf weisen alle Eigentümlich- keiten hin, welche die Universität von der Schule auf der einen, von der Akademie auf der andern Seite unter- scheiden. Auf der Schule geht man nach den Gesetzen des leichtesten Fortschrittes von einem Einzelnen zum 10 andern über, und ist wenig bekümmert darum, ob jeder überall etwas Ganzes vollende. Auf der Universität da- gegen ist man hierauf so sehr bedacht, daß man in jedem Gebiet das Enzyklopädische, die allgemeine Übersicht des Umfanges und des Zusammenhanges als das Notwendigste 15 voranschickt, und zur Grundlage des gesamten Unterrichts macht. Und die Hauptwerke der Universität als solcher sind Lehrbücher, Kompendien, deren Endzweck nicht | ist, [35] die Wissenschaft im einzelnen zu erschöpfen oder zu be- reichem, wo auch weder das Leichteste noch das Schwerste 20 noch das Seltenste den Vorzug genießt bei der Auswahl, sondern deren \"erdienst in der höhern Ansicht, in der systematischen Darstellung besteht, und welche dasjenige am m.eisten herausheben, worin sich am faßlichsten die Idee des Ganzen darstellt, und wodurch Umfang und innere 25 Verbindung desselben am anschaulichsten wird. Ferner in den Akademien kommt alles darauf an, daß das Einzelne vollkommen richtig und genau herausgearbeitet werde im Gebiet aller realen Wissenschaften; dagegen die reine Philosophie, die Spekulation, die Beschäftigung mit der 30 Einheit und dem Zusammenhang aller Erkenntnisse und mit der Natur des Erkennens selbst durchaus zurücktritt. Gewiß nicht als etwas für das reale Wissen Geringfügiges, oder gar an sich Verwerfliches und Nichtiges. Denn, wie man sich auch anstelle, alles einzelne Wissen ruht doch 35 immer auf jenem Allgemeinen; es gibt kein wissenschaft- lich hervorbringendes Vermögen ohne spekulativen Geist, und beides hängt so zusammen, daß, wer keine bestimmte philosophische Denkungsart sich gebildet hat, auch nichts Tüchtiges und Merkwürdiges wissenschaftlich selbständig 40 her- 1 vorbringen wird, sondern er wird immer, bewußt oder [36]

128 Schleiermacher.

unbewußt, auch da, wo er durch einen wunderbaren In- stinkt erfindet, von einer spekulativen Richtung der Ver- nunft abhängen, die sich vielleicht nur in andern deutlich offenbart. Auch wird eines jeden philosophische Denkungs- 5 art sich in der Sprache, in der Methode, in der Darstellung, bei jedem wissenschaftlichen Werke aussprechen. Sondern deswegen tritt die Philosophie hier zurück, v/eil, wenn auf akademische Weise die Wissenschaften gemeinschaftlich sollen gefördert werden, alles rein Philosophische schon

10 so muß in Richtigkeit gebracht sein, daß fast nichts mehr darüber zu sagen ist. Diese Voraussetzung scheint freilich bisher nirgends unter uns vollkommen begründet gewesen zu sein, und man würde vielleicht nicht zu viel einräumen, wenn man gestände, eine solche völlige Einigung und

15 Befriedigung in Sachen der Philosophie könne sogar unter einem Volk, wenn es ihm wirklich ernst ist mit der Sache, nie als wirklich vollendet gegeben sein, sondern nur durch eine immer fortschreitende Annäherung und Verständigung, Allein jede Akademie macht dennoch diese Voraussetzung

20 notwendig, wenigstens insofern, daß es ihr natürlich ist, [37] dasjenige, was in dieser Hinsicht schon | geschehen ist, als die Hauptsache anzusehn, und was noch übrig ist, als das Kleinere. Eine spekulative Abteilung kann sie eigent- lich nur in dem Sinne haben, daß sie, voraussetzend, es

25 gebe unter einem Volke nur eine philosophische Den- kungsart, die Einerleiheit dessen, was zu verschiedenen Zeiten verschieden ausgedrückt worden ist, darstellt, die in einer und derselben Zeit gegeneinander tretenden Diffe- renzen beleuchtet, was sich philosophisch gebärdet und doch

30 nur Polemik gegen die Philosophie ist, in seiner Blöße zeigt, kurz durch historische und kritische Behandlung des auf diesem Gebiete Vorhandenen jene Annäherung und Selbst- verständigung der Nation befördert. Selbst hervorzubringen aber und neue Wege einzuschlagen auf dem Gebiete der

36 eigentlichen Philosophie, dies scheint der Akademie weniger zuzukommen. Dagegen ist für die Universität allgemein an- erkannt der philosophische Unterricht die Grundlage von allem, was dort getrieben wird; und weil eben diese höchsten Ansichten vorzüglich mitgeteilt werden sollen, und zwar

40 auf die individuellste Weise, so müssen sie auch in ihrer Differenz von allem, was Gleichartiges neben ihnen besteht,

Gelegentliche Gedanken. 129

dargestellt werden, daher auf und zwischen Universitäten vorzüglich die philosophischen Strei- 1 tigkeiten ihren Platz [38] haben, und auf ihnen vornehmlich die philosophischen Schulen sich bilden.

So ist die Universität in Absicht ihres Hauptzweckes 5 etwas ganz Eigentümliches, von Schule und Akademie gleich wesentlich Verschiedenes; allein äußerlich, das will nicht sagen zufällig, sondern so wie es für jedes Innere notwendig ein Äußeres gibt, äußerlich hat sie ebenso notwendig etwas Ähnliches von beiden; sonst würde es auch wunder- 10 liehe Sprünge geben in dem wissenschaftlichen Leben der einzelnen Menschen. Der wissenschaftliche Geist als das höchste Prinzip, die unmittelbare Einheit aller Erkenntnis kann nicht etwa für sich allein hingestellt und aufgezeigt werden in bloßer Transzendentalphilosophie, gespenster- 15 artig, wie leider manche versucht und Spuk und unheim- , liches Wesen damit getrieben haben. Leerer läßt sich wohl nichts denken, als eine Philosophie, die sich so rein auszieht, und wartet, daß das reale Wissen, als ein niederes, ganz anders woher soll gegeben oder genommen werden; -jo und vergeblicher für die Wissenschaft würde wohl nichts die Jünglinge in den schönsten Jahren vorzüglich beschäf- tigen, als eine Philosophie, die keine bestimmte Leitung für das künftige wissenschaftliche Leben in allen Fächern gäbe, 1 sondern höchstens diente, den Kopf aufzuräumen, ^^ , was man ja schon an der gemeinen Mathematik rühmt. ^ ■' Sondern nur in ihrem lebendigen Einfluß auf alles Wissen läßt sich die Philosophie, nur mit seinem Leibe, dem realen Wissen zugleich läßt dieser Geist sich darstellen und auf- fassen. Daher werden auf der Universität auch Kenntnisse 30 mitgeteilt, höhere zum Teil und andere, die in dem Plan der Schule gar nicht lagen. Insofern entsteht also Zu- lernen, und die Universität ist zugleich Nachschule. Ebenso ist sie auch Vorakademie. Der wissenschaftliche Geist, der durch den philosophischen Unterricht geweckt ist, und 35 durch Wiederanschauung des vorher schon Erlernten aus einem höheren Standpunkt sich befestiget und zur Klarheit kommt, muß seiner Natur nach auch gleich seine Kräfte versuchen und üben, indem er von dem Mittelpunkt aus sich tiefer in das Einzelne hineinbegibt, um zu forschen, 40 zu verbinden, Eignes hervorzubringen und durch dessen

Universitätsschriften Fichte, Schleiermacher, Steffens. 9

130 Schleiermacher.

Richtigkeit die erlangte Einsicht in die Natur und den Zu- sammenhang alles Wissens zu bewähren. Dies ist der Sinn der wissenschaftlichen Seminarien und der praktischen An- ^ stalten auf der Universität, v/elche alle durchaus aka- r.Q, demischer Natur sind. Daher auch beide Benen- 1 nungen wieder in die Universität hineinspielen, und sie oft hohe Schule genannt wird, und dann wäeder Akademie. Daher es Unverstand ist, zu behaupten, Universitäten dürf- ten solche Anstalten nicht haben, weil sie nur für Aka-

10 demien gehörten.

Dies scheint im wesentlichen, wie aus der Betrachtung ihrer Hauptzüge hervorgeht, das Verhältnis jener drei ver- schiedenen Anstalten zu dem gemeinschaftlichen Zwecke zu sein; und in der Tat, wenn sie wohl eingerichtet sind

15 und recht ineinandergreifen, so scheint gar nichts zu fehlen, sondern dieser Zweck vollständig durch sie erreicht werden zu müssen. Um desto verderblicher aber muß es auch sein, wenn sie ihr Gebiet und ihre Grenzen verkennen. Verderblich, wenn die Schulen sich hinauf versteigen wollen

20 und spielen mit philosophischem Unterricht, um vorzu- spiegeln, als sei es nur ein leerer Schein mit dem wesent- lichen Unterschiede zwischen ihnen und den Universitäten. Denn nicht sicherer können die Zöglinge verdorben werden für letztere, und für das wissenschaftliche Leben überhaupt,

25 als wenn man sie anleitet, auch die höchste Wissenschaft,

die nur Geist und Leben sein kann, und sich sehr wenig

äußerlich gestaltet, nur so anzusehen wie eine Summe

[41] einzelner Sätze und | Angaben, die man ebenso erwerben

und besitzen kann wie andere Schulkenntnisse. Verderblich,

30 wenn die Universitäten ihierseits jenes Vorgeben wahr machen und in der Tat nur fortgesetzte Schulen werden, indem sie zwar voreiligerweise Akademien vorstellen und vollendete Gelehrte treibhäuslich bei sich ausbilden wollen durch immer tieferes Hineinführen in das Detail der Wissen-

35 Schäften, dabei aber, was ihnen eigentlich obliegt, näm- lich den allgemeinen wissenschaftlichen Geist zu wecken und ihm eine bestimmte Richtung zu geben, darüber ver- nachlässigen. Verderblich, wenn die Akademien von Partei- geist ergriffen sich in spekulative Streitigkeiten einlassen,

40 oder ebenso verderblich, wenn sie. in ein nicht allzuwohl begründetes reales Wissen eingehüllt, hochmütig herab-

Gelegentliche Gedanken. 131

sehend auf jene Zwistigkeiten, denen etwa die Lebhaftig- keit der mitteilenden Begeisterung den Anschein des Leiden- schaftUchen gibt, sich wenig darum kümmern, ob diejenigen, die sie zur Bereicherung der Wissenschaften unter sich aufnehmen, durch diese spekulativen Untersuchungen hin- 5 durchgegangen sind oder nicht.

Woher aber diese Mißverständnisse so häufig? Gewiß großenteils aus Mangel an inniger Einheit | in allem, was [42] für die Wissenschaft und durch sie unter uns da ist. Wer nur in einer dieser Formen des wissenschaftlichen "V^ereins iij lebt, dem kann es gar leicht begegnen, daß er, durch Vorurteile verleitet, vergessend was ihm die andern früher gewesen sind, sie für nichts hält, und die seinige zu allem machen will. Diese Vorurteile finden sich auch überall. Was ist gewöhnlicher, als daß akademische Gelehrte auf 15 den Schulmann als auf einen Unglücklichen, in hartes Joch Verdammten herabsehn, der, um nur seine Pflicht zu er- füllen, sich unvermeidlich gewöhnen müsse, pedantisch an Kleinigkeiten zu haften, und der in den Vorhof der Wissen- schaften eingezwängt, die höchsten Genüsse derselben für 20 immer entbehre? Was gewöhnlicher, als daß sie den Uni- versitätslehrer als einen sich vornehmer dünkenden Schul- mann betrachten, der gleichsam nur ihr Diener sei, be- stimmt die Wissenschaften, wie sie sie ihm übergeben, fortzupflanzen, und ihrem Gange demütig zu folgen als der Unsterblichen Fußtritte? So verschreit wiederum der Schulmann die Akademiker als Müßiggänger, weil sie wenig täten im Vergleich mit ihm zur Ausbreitung des Reiches der Wissenschaften, und klagt über die Uni- versitätslehrer, als über anmaßende [ Undankbare, die oft ?P,, die bessere Hälfte von dem wieder verdürben, was er '' gebaut hat. Diese wiederum beweisen den Schulmännern Geringschätzung, als solchen, die nur am Buchstaben kleben, und denen der Geist ihrer eignen Wissenschaft größten- teils fremd bleibt, und schildern die Akademien als Ver- S5 sorgungs- oder Mitleidsanstalten für zudringliche, falsch- berühmte oder abgelebte Gelehrte. Wie verkehrt ist dieses alles ! Der tüchtige Vorsteher einer gelehrten Schule muß als Gegengewicht gegen das, was er beständig auszuüben hat, und selbst als Leitung dafür, eine Umsicht des Ganzen 40 besitzen, durch die er in seiner Person die Akademie re-

132 Schleiermacher.

präsentiert; er bedarf derselben wissenschaftlichen Be- sonnenheit, desselben reinen Beobachtungsgeistes, wie einer, der die Wissenschaft weiter fördert, und die Entwicklung der Jugend, die er leitet, ist wohl schwieriger als irgend 5 eine einzelne Untersuchung. Wie der Akademiker in ein- samer Meditation alle vorhandenen Resultate erwägen, alle Andeutungen benutzen, und so neue Entdeckungen fördern, und wie der Universitätslehrer immer in demselben Kreise sich umdrehend mit der erkenntnislustigen Jugend leben 10 und sie auf alle Weise erregen, dies sind freilich zwei

[44] sehr verschiedene Beschäftigungen : | aber von der einen aus über die andere als über etwas weit Geringeres hinweg- sehen, das kann doch nur der, welcher gar nicht beide mit- einander verbindet. Und es ist immöglich, daß dies dem

15 ausgezeichnetem Gelehrten begegne. Denn auch der stillste emsigste Forscher muß eben in seinen glücklichsten Augen- blicken, in denen der Entdeckimg, welche doch allemal auch zu einer neuen lebendigem Ansicht des Ganzen führt, sich zu der belebendsten begeisterten Mitteilung aufgelegt

20 fühlen, und wünschen, sich im Geiste der Jünglinge aus- gießen zu können. Und kein bedeutender Universitätslehrer kann wohl eine Zeitlang seinen Lehrstuhl würdig ausgefüllt haben, ohne auf Untersuchungen und Aufgaben gestoßen zu sein, die ihm den großen Wert einer Vereinigung fühl-

25 bar machen, in der jeder bei allen Unterstützung und Hilfe findet auf seinem wissenschaftlichen Wege. Um aber diese gegründete gegenseitige Wertschätzung bei allen immer zu erhalten, müßte eine genauere Gemeinschaft gestiftet sein zwischen den öffentlichen Bildungsanstalten; die vor-

30 trefflichsten Schulmänner, Universitätslehrer und Akade- miker müßten gemeinschaftlich an der Spitze der wissen- schaftlichen Angelegenheiten stehen, dann würde sich [45] wahrer Gemeinsinn für ihre 1 ganze Sache von ihnen aus unter allen Gelehrten immer weiter verbreiten.

35 Geschieht das nicht ? wird man fragen ; vereinigt nicht

der Staat Gelehrte aus allen diesen verschiedenen Klassen in den Verwaltungsräten, durch welche er die Sache des öffentlichen Unterrichtes leitet? Wohl; aber als Staats- diener vereiniget er sie da mit andern Geschäftsmännern,

40 unter ihm eigentümlichen, ihnen aber fremden Formen, zu einer Aufsicht, die alles immer vorzüglich in Beziehung

Gelegentliche Gedanken. 133

auf den Staat betrachtet. Von hier aus gibt es für die Verhältnisse dieser Anstalten eine ganz andere Ansicht; und jemehr bei so beamteten Gelehrten ihr Verhältnis als Staatsdiener überwiegt, was so natürlich erfolgen muß, um desto leichter tragen sie dann auch diese Ansicht auf 5 ihren eigentlich wissenschaftlichen Wirkungskreis über, alles schätzend und behandelnd nach seinem unmittelbaren Ein- fluß auf den Staat, und, wie auch die Erfahrung lehrt, gewiß nicht zum Vorteil der geistigen Verbesserung. Es ist dem ganzen Gang neueuropäischer Bildung angemessen, 10 daß die Regierungen auch der Wissenschaften sich auf- munternd annehmen und die Anstalten zu ihrer Verbreitung in Gang bringen mußten, wie es mit Künsten und | Fertig- [46] keiten aller Art der Fall zu sein pflegt. Allein hier wie überall kommt eine Zeit, wo diese Vormimdschaft auf- 15 hören muß. Sollte diese nicht für Deutschland allmählich eintreten, und wenigstens in dem protestantischen Teile desselben bald ratsam sein, daß der Staat die Wissen- schaften sich selbst überlasse, alle Innern Einrichtungen gänzlich den Gelehrten als solchen anheimstelle, imd sich 20 nur die ökonomische Verwaltung, die polizeiliche Ober- aufsicht und die Beobachtung des unmittelbaren Einflusses dieser Anstalten auf den Staatsdienst vorbehalte? Die Akademien, denen die Regierungen immer nur einen mittel- baren Einfluß auf ihre Zwecke zutrauten, sind von jeher 25 freier gewesen, und haben sich wohl dabei befunden. Aber Schulen und Universitäten leiden je länger je mehr darunter, daß der Staat sie als Anstalten ansieht, in welchen die Wissenschaften nicht um ihret-, sondern um seinetwillen betrieben werden, daß er das natürliche Bestreben der- 30 selben, sich ganz nach den Gesetzen, welche die Wissen- schaft fodert, zu gestalten, mißversteht und hindert, und sich fürchtet, wenn er sie sich selbst überließe, würde sich bald alles in dem Kreise eines unfruchtbaren, vom Leben und von der Anwendung weit entfernten Lernens und Leh- 35 I rens herumdrehen, vor lauter reiner Wißbegierde würde [47] die Lust zum Handeln vergehn, und niemand würde in die bürgerlichen Geschäfte hinein wollen. Dies scheint seit langer Zeit die Hauptursache zu sein, weshalb der Staat sich zu sehr auf seine Weise dieser Dinge annimmt. Und 40 allerdings kann man nicht leugnen, daß, wenn den Reden

134 Schleiermacher.

zu glauben wäre, die bisweilen einige Philosophen führen, so würden diese alle ihre Schüler, und sie wissen die Jugend sehr zu fesseln, von aller bürgerlichen Tätigkeit zurückhalten. Allein warum sollte man das, und warum

5 dem vorübergehenden Reiz einen so dauernden Einfluß zuschreiben? So ist von jeher gesprochen worden, und von jeher sind die jungen Männer aus den Schulen der Weisen unmittelbar in die Säle der Gerichtshöfe und die Verwaltungkammern geströmt, um die Menschen beherr-

10 sehen zu helfen. Schauen und Tun, wenn sie auch gegen- einander reden, arbeiten einander immer in die Hände; das Verhältnis zwischen denen, welche sich der bloßen Wissenschaft widmen, und den übrigen bestimmt die Natur selbst immer richtig und sehr ebenmäßig. Man vergleiche

15 nur den großen Haufen derer, welche durch die Schulen [48] und Universitäten hindurchgehn, mit der kleinen | Anzahl derer, welche endlich die Akademie eines Volkes bilden, und betrachte, wie viele auch von den letzteren noch zu- gleich angesehene Staatsdiener sind, um sich hierüber für

20 immer zu beruhigen, und zu gestehen, daß der Staat Vor- sprung genug hat durch die vielen Vorteile, die er allein bieten kann, und durch die Gewalt, mit welcher politisches Talent, wo es sich irgend findet, immer durchzubrechen weiß. Nährt aber der Staat durch falsche Besorgnisse

25 und darauf gegründete Anordnungen jene Mißverständnisse der mit der Verbreitung der Wissenschaften beschäftigten Gelehrten unter sich: so werden die Schulen ungründlich; auf den Universitäten wird die Hauptsache unter einer Menge von Nebendingen erstickt; die Akademien werden

30 verächtlich, wenn sie sich je länger je mehr mit lauter unmittelbar nützlichen Dingen beschäftigen, und der Staat beraubt sich selbst auf die Länge der wesentlichsten Vor- teile, welche ihm die Wissenschaften gewähren, indem es ihm je länger je mehr an solchen fehlen muß, die Großes

35 auffassen und durchführen, und mit scharfem Blick die Wurzel und den Zusammenhang aller Irrtümer aufdecken können.

Gelegentliche Gedanken. 135

I 3. [49]

Nähere Betrachtung der Universität im allgemeinen.

Die Vergleichung der Universität mit den Schulen und Akademien hat uns ihren wesenthchen Charakter ge- zeigt, vermöge dessen sie notwendig in die Mitte tritt 5 zwischen beide, daß nämlich durch sie der wissenschaft- liche Geist in den Jünglingen soll geweckt und zu einem klaren Bewußtsein gesteigert werden. Und dies haben wir fast ohne Beweis, wie es denn höchst anschaulich ist für sich, hinzugenommen, daß hiezu die formelle Spekulation 10 allein nicht hinreiche, sondern diese gleich verkörpert werden müsse in dem realen Wissen. Auch genügt hiezu nicht etwan eine beliebige Auswahl von Kenntnissen, wie auf Schulen zur gymnastischen Übung. Denn der wissen- schaftliche Geist ist seiner Natur nach systematisch, und 15 so kann er unmöglich in einem Einzelnen zum klaren Bewußtsein gedeihen, wenn ihm nicht auch das Gesamt- gebiet des Wissens wenigstens in seinen Grundzügen zur Anschauung kommt. Noch weniger können sich in den Einzelnen der allgemeine Sinn und das besondere Talent 20 vereint zu einem eigentümlichen intellektuellen Leben aus- bilden, wenn nicht auf der Universität jeder | dasjenige [50] findet, was sein besonderes Talent anregen kann. Die Universität muß also alles Wissen umfassen, und in der Art, wie sie für jeden einzelnen Zweig sorget, sein natür- 25- liches inneres Verhältnis zu der Gesamtheit des Wissens, seine nähere oder entferntere Beziehung auf den gemein- schaftlichen Mittelpunkt ausdrücken. Nur eine Abweichung hievon, scheint es, kann man gestatten, daß nämlich das- jenige überwiegend hervorgezogen werde, wohin sich über- 30" haupt das Talent der Nation vorzüglich neigt; eine Ab- weichung, die sich auch nur in den der Akademie sich nähernden Veranstaltungen der Universität zeigen dürfte.

So müßte es sein, wenn ohne fremden Einfluß der wissenschaftliche Trieb allein die Universitäten errichtete 35 und ordnete. Sehen wir aber, wie sie sind, so finden wir alles ganz anders. Wissenschaftlich angesehen erscheint das meiste höchst unverhältnismäßig, dem Unbedeutenden ein großer Raum vergönnt, vieles, was an sich gar nicht zusammenzugehören scheint, äußerlich verbunden, Wich- -iO

136 Schleiermacher.

tiges dagegen verkürzt, oder noch ganz neu aussehend, als ob es erst hinzugekommen wäre, vieles auch so be- handelt, als wäre es gar nicht für die bestimmt, in denen [51] wissenschaftlicher Geist sich entwickeln ] will, sondern für ö die, denen er ewig fremd bleiben muß.

Offenbar geht dieser Geist nicht in jedem, auch nicht in allen denen auf, die wohl fähig und geneigt sind eine schöne Masse von Kenntnissen zu sammeln und in ge- wissem Sinne zu verarbeiten. Deshalb soll schon die ge-

10 lehrte Schule nur eine Auswahl junger Naturen in sich fassen, und aus diesen selbst wiederum nur eine Aus- wahl zur Universität senden; allein weil sie nur vor- bereitend ist, und nicht bestimmt, diese Gesinnung selbst schon ans Licht zu bringen, so kann sie auch über den

16 Grad der wissenschaftlichen Fähigkeit nicht zuverlässig und definitiv entscheiden. Sie schließt aus der Lust und Leichtigkeit, mit welcher die von ihr dargebotenen Kennt- nisse aufgefaßt werden, aus der mehr oder minder auf- keimenden Vorliebe für den wissenschaftlichen Gehalt in

20 denselben. Aber das alles ist ziemlich trüglich, und das Sicherste davon grade am wenigsten in eine äußerlich gültige Form zu bringen. Wie oft findet man erstaim- lichen Fleiß und große Lust und Liebe, die sich nur für den Kenner durch etwas gar unbewußtes Tierisches

25 unterscheidet, bei gar wenig Geist und Talent. Ja bei

manchen öffnet sich grade in dieser entscheidenden Zeit

[52] eine | taube Blüte, die nur zu leicht für fruchtbar gehalten

wird. Und wiederum, wenn die Schule sich in ihrem

Urteil die größte Strenge zum Gesetz machen wollte:

30 wie manche, die sich erst später entwickelt hätten, würden dann voreilig der ferneren Pflege beraubt! Kurz, es ist unvermeidUch, daß viele zur Universität kommen, die eigent- lich untauglich sind für die Wissenschaft im höchsten Sinne, ja daß diese den größeren Haufen bilden, weil in

35 der Tat dies weit weniger nachteilig sein kann, als wenn ein einziges großes und entschiedenes Talent die wohl- tätigen Einflüsse dieser Anstalt ganz entbehren müßte. Der Gedanke, schon auf der Schule oder beim Abgehn von derselben eine Trennung festzusetzen zwischen denen,

40 welche der höchsten wissenschaftlichen Bildung fähig, und denen, die für eine untergeordnete Stufe bestimmt sind.

Gelegentliche Gedanken. 137

und für letztere eigene Anstalten zu stiften, wo sie ohne die philosophischen Anleitungen der Universität gleich für ihr bestimmtes Fach der Erkenntnis mehr handwerksmäßig und traditionell weitergebildet würden, dieser Gedanke ist jedem furchtbar und schrecklich, der an der Bildung der 5 Jugend einen lebendigen Anteil nimmt. Nicht in eine Zeit gehört er, wo jede Aristokratie der Natur der Sache nach unter- [gehen muß, sondern in eine solche, wo man [53] sie erst recht pflegen und erweitern will. Oder meint man, angehende Jünglinge, welche sich auf gelehrten Schulen 10 auch nur mit einigem Erfolge gebildet haben, sollten sich selbst zu einer Zeit, wo sie unmöglich schon sich selbst zu erkennen vermögen, das Urteil einer solchen Herab- setzung sprechen, und nicht vielmehr nach aller Herrlich- keit der Wissenschaft ihre Hand ausstrecken wollen? Solche 15 verdienten wirklich, ganz verstoßen und verunehrt zu werden! Nein, man lasse zusammen die trefflicheren und die minderen Köpfe erst die entscheidenden Versuche durchgehen, welche auf der Universität angestellt werden, um ein eignes wissen- schaftliches Leben in den Jünglingen zu erzeugen, und erst, 20 wenn diese alle ihres höchsten Zweckes verfehlt haben, werden sich von selbst die meisten auf die untergeordnete Stufe treuer und tüchtiger Arbeiter stellen. Solcher bedarf der wissenschaftliche Verein gar sehr; denn die wenigen wahrhaft herrschenden und bildenden Geister können gar 25 viele Organe in Tätigkeit setzen. Darum müssen die Uni- versitäten so eingerichtet sein, daß sie zugleich höhere Schulen sind, lun diejenigen weiter zu fördern, deren Ta- lente, wenn sie auch selbst auf die höchste Würde der I Wissenschaft Verzicht leisten, doch sehr gut für dieselbe r^-i gebraucht werden können. Und zwar darf sich dies nicht als eine besondere Veranstaltung äußerlich unterscheiden lassen, weil ja auch beide Klassen von Lernenden nicht äußerlich unterschieden sind, sondern sich erst durch die Tat selbst voneinander trennen sollen. Noch mehr aber 35 bedarf der Staat von diesen Köpfen der zweiten Klasse. Er kann sehr wohl einsehen, daß die obersten Geschäfte in jedem Zweige nur denen mit Vorteil anvertraut werden, welche von wissenschaftlichem Geiste durchdrungen sind, und wird doch danach streben müssen, daß ihm auch 40 der größte Teil von jenen untergeordneten Talenten anheim-

138 Schleiermacher.

falle, welche auch ohne diesen höheren Geist ihm durch wissenschaftliche Bildung und eine Masse von Kenntnissen brauchbar sind. Daher muß er nun aus demselben Grunde dafür sorgen, daß die Universitäten zugleich höhere Spezial- 5 schulen seien für alles dasjenige, was von den in seinem Dienst nutzbaren Kenntnissen zunächst mit der eigentlichen wissenschaftlichen Bildung zusammenhängt; und wenn es auch auf diesem Gebiete nicht ebenso notwendig ist, ist es doch natürlich genug, auch hier die äußere Unter-

10 Scheidung zu vermeiden. [55] I So weit ist also alles gut, und auch dies letztere nicht als ein Mißbrauch, oder als eine Verunreinigung rein wissen- schaftlicher Anstalten anzusehen; sondern vielmehr vor- trefflich, weil auf diese Weise doch auch in der größeren

15 Masse der Gebildeten so viel, als jedem möglich ist, auf- geregt werden kann, wenigstens vom Sinn für wahre Er- kenntnis, weil denen, die eine solche Schule gemacht haben, wenigstens eingeprägt bleiben muß das Gefühl der Ab- hängigkeit der Kenntnisse, die sie dort einsammelten von

20 den höheren wissenschaftlichen Bestrebungen, und weil die Bildungsanstalten für den Dienst des Staates durch ihre Verbindung mit den rein wissenschaftlichen empfäng- licher bleiben müssen für jede Verbesserung, und in sich selbst lebendiger. Und dieses ist unstreitig das Wesen

25 der deutschen Universitäten, wie sie seit langer Zeit wirk- lich sind. Wenn aber hie und da die Regierungen anfangen, den politischen Teil dieser Anstalten für die Hauptsache anzusehen, hinter welcher das eigentlich WissenschaftUche in jedem streitigen Falle zurückstehen müsse: so ist das

30 schon ein sehr verderblicher Mißverstand; und wenn sie gar wünschen, der Form der Universität ganz überhoben [56] zu sein, und an die allgemeinen gelehrten Schulen | gleich die Spezialschulen für die verschiedenen Fächer des Staats- dienstes anknüpfen zu können, so ist dies ein trauriges

35 Zeichen davon, daß man den Wert der höchsten Bildung für den Staat verkennt, und daß man den bloßen Mechanis- . mus dem Leben vorzieht. Ja, wo ein Staat die Universi- täten, den Mittelpunkt, die Pflanzschule aller Erkenntnis zerstörte, und alle dann nur noch gleichsam wissenschaft-

40 liehen Bestrebungen zu vereinzeln und aus ihrem lebendigen Zusammenhang herauszureißen suchte : da darf man nicht

Gelegentliche Gedanken. 139

zweifeln: die Absicht oder wenigstens die unbewußte Wir- kung eines solchen Verfahrens ist Unterdrückung der höch- sten freiesten Bildung und alles wissenschaftlichen Geistes, und die unfehlbare Folge das Überhandnehmen eines hand- werksmäßigen Wesens und einer kläglichen Beschränktheit 5 in allen Fächern. Unüberlegt handeln diejenigen, oder sind von einem undeutschen verderblichen Geiste an- gesteckt, die uns eine Umbildung und Zerstreuung der Universitäten in Spezialschulen vorschlagen; so wie in jedem Lande, wo jene Form von selbst ausstürbe, oder 10 wo, auch wenn die Regierung es nicht hinderte, doch nie eine wahre Universität zustande käme, sondern alles immer schulmäßig bliebe, die Wissenschaft gewiß im | Rückgang [57] und der Geist im Einschlafen begriffen sein müßte.

Wie nun, so lange der Staat die Grenzen des recht- 15 mäßigen Einflusses, den ihm die Wissenschaft gestatten kann, nicht überschreitet, der Unterricht auf der Univer- sität sich gestalten muß, das läßt sich an jeder nur noch mittelmäßig eingerichteten leicht erkennen. Das Allge- meinste nämlich ist allen gemein, und alle beginnen damit, 20 und trennen sich erst späterhin auf dem Gebiete des Be- sondem, nachdem in jedem sein eigentümliches Talent und mit demselben die Liebe zu dem Geschäft erwacht ist, in welchem er es vorzüglich kann geltend machen. Alles also beginnt mit der Philosophie, mit der reinen 25 Spekulation, und was etwa noch propädeutisch als Über- gang von Schule zu Universität dazu gehört. Nur beruht das Leben der ganzen L^niversität, das Gedeihen des ganzen Geschäftes darauf, daß es nicht die leere Form der Speku- lation sei, womit allein die Jünglinge gesättigt werden, 30 sondern daß sich aus der unmittelbaren Anschauung der Vernunft und ihrer Tätigkeit die Einsicht entwickele in die Notwendigkeit und den Umfang alles realen Wissens, damit von Anfang an der vermeinte Gegensatz zwischen Vernunft und Erfahrung, zwi- 1 sehen Spekulation und Em- r-^i pirie vernichtet, und so das wahre Wissen nicht nur möglich gemacht, sondern seinem Wesen nach wenigstens ein- gehüllt gleich mit hervorgebracht werde. Denn ohne hier über den Wert der verschiedenen philosophischen Systeme zu entscheiden, ist doch klar, daß sonst gar kein Band 40 sein würde zwischen dem philosophischen L'Uterricht und

140 Schleiermacher.

dem übrigen, und gar nichts bei demselben herauskommen, als etwa die Kenntnis der logischen Regeln und ein in seiner Bedeutung und Abstammung nicht verstandener Apparat von Begriffen und Formeln. Die Aussicht also 5 muß eröffnet werden schon durch die Philosophie in die beiden großen Gebiete der Natur und der Geschichte, und das Allgemeinste in beiden muß nicht minder allen gemein sein. Von der höhern Philologie, sofern in der Sprache niedergelegt sind alle Schätze des Wissens und auch die

10 Formen desselben sich in ihr ausprägen, von der Sitten- lehre, sofern sie die Natur alles menschlichen Seins und Wirkens darlegt, müssen die Hauptideen jedem einwohnen, wenn er auch seine besondere Ausbildung mehr auf der Seite der Naturwissenschaft sucht; so wie sich kein wissen- ^ 15 schaftliches Leben denken läßt für den, dem jede Idee [59j von der Natur fremd bliebe, die Kenntnis | ihrer allgemein- sten Prozesse und wesentlichsten Formen, der Gegensatz und Zusammenhang in dem Gebiete des Organischen und Unorganischen. Daher das Wesen der Mathematik, der

20 Erdkenntnis, der Naturlehre mid Naturbeschreibung jeder innehaben muß. Je mehr aber ins Besondere hinein, in Geschichtsforschung, Staats- und Menschenbildungskunst, in Geologie und Physiologie, desto mehr auch beschränkt sich jeder auf das Einzelne, wozu er berufen ist; und

25 an diese Beschränkung wendet sich hernach der Staat mit seinen besondern Instituten für die, welche an der politischen und religiösen Fortbildung, sowie an der phy- sischen Erhaltung und Vervollkommnung der Bürger ar- beiten sollen; Institute welche, wenn sie der Universität

30 nicht ganz fremd und verderbliche Auswüchse auf ihr sein sollen, sich selbst abhängig erklären und erhalten müssen von der wissenschaftlichen Behandlung der Natur und der Geschichte, und mithin von der Philosophie.

Weil aber selbst hierin, und ohnerachtet an diesem

35 Unterricht viele teilnehmen, denen der philosophische die wahre Weihe nicht gegeben hat, dennoch der äußere Unter- schied, um auch von dieser Seite die Einheit des Ganzen [60] nicht zu stören, mög- 1 liehst vermieden wird, weil in jedem Unterricht, wenn er noch einigermaßen dem Charakter

40 der Universität treu bleibt, die wissenschaftliche Darstel- lung die Hauptsache ist, und das Detail nur Wert hat

Gelegentliche Gedanken. 141

als Belag, als Handhabe, als roher Stoff für die Versuche in eigner Kombination und Darstellung: so ist auch die Lehrweise mit geringen Abstufungen überall dieselbe.

Wenige verstehen die Bedeutung des Kathedervor- trages; aber zum Wunder hat er sich, ohnerachtet immer 5 von dem größten Teile der Lehrer sehr schlecht durch- geführt, doch immer erhalten, zum deutlichen Beweise, wie sehr er zum W>sen einer Universität gehört, imd wie sehr es der Mühe lohnt, diese Form immer aufzusparen für die wenigen, die sie von Zeit zu Zeit recht zu handhaben 10 wissen. Ja man könnte sagen, der wahre eigentümliche Nutzen, den ein Universitätslehrer stiftet, stehe immer in gradem Verhältnis mit seiner Fertigkeit in dieser Kunst.

Jede Gesinnung, die wissenschaftliche wie die reli- giöse, bildet und vervollkommnet sich nur im Leben, in 15 der Gemeinschaft mehrerer. Durch Ausströmung aus den Gebildetem, Vollkommenem, wird sie zuerst aufgeregt und aus ihrem Schlum- 1 mer erweckt in den Neulingen; durch [61] gegenseitige Mitteilung wächst sie und stärkt sich in denen, die einander gleich sind. Wie nun die ganze Universität 20 ein solches wissenschaftliches Zusammenleben ist, so sind die Vorlesungen insbesondere das Heiligtum desselben. Man sollte meinen, das Gespräch könne am besten das schlummernde Leben wecken und seine ersten Regungen hervorlocken, wie denn die bewamdemswürdige Kunst des 25 Altertums in dieser Gattung noch jetzt dieselben Wirkungen äußert. Es mag auch so sein zwischen zweien, oder wo aus einer ganzen Menge einer als Repräsentant derselben mit Sicherheit kann aufgestellt werden, oder wenn einzelne die niedergeschriebenen trefflichen Werke dieser Art ge- 30 nießen, und gleichsam das Dargestellte an sich wieder- holend durchleben. Allein es muß wohl nicht so sein unter vielen und in der neueren Zeit, weil doch ohnerachtet so mancher erneuerten Versuche das Gespräch nie als allgemeine Lehrform auf dem wissenschaftlichen Gebiet 35 aufgekommen ist, sondern die zusammenhangende Rede sich immer erhalten hat. Es ist auch leicht einzusehen warum. Unsere Bildung ist weit individueller als die alte, das Gespräch wird daher gleich weit persönlicher, so daß kein Einzelner im [ Namen aller als Mitunterredner auf- t-gQ-. gestellt werden kann, und das Gespräch eine viel zu äußer-

142 Schleiermacher.

liehe, nur verwirrende und störende Form sein v,-ürde. Aber der Kathedervortrag der Universität muß allerdings, weil er Ideen zuerst zum Bewußtsein bringen soll, doch in dieser Hinsicht die Natur des alten Dialogs haben, wenn 5 auch nicht seine äußere Form; er muß darnach streben, einerseits das gemeinschaftliche Innere der Zuhörer, ihr Nichthaben sowohl als ihr unbewußtes Haben dessen, was sie erwerben sollen, andererseits das Innere des Lehrers, sein Haben dieser Idee und ihre Tätigkeit in ihm recht

10 klar ans Licht zu bringen. Zwei Elemente sind daher in dieser Art des Vortrages unentbehrlich und bilden sein eigentliches Wesen. Das eine möchte ich das populäre nennen: die Darlegung des mutmaßlichen Zustandes, in welchem sich die Zuhörer befinden, die Kunst, sie auf das

15 Dürftige in demselben hinzuweisen und auf den letzten Grund alles Nichtigen im Nichtwissen. Dies ist die wahre dialektische Kunst, und je strenger dialektisch, desto popu- lärer. Das andere möchte ich das produktive nennen. Der Lehrer muß alles, was er sagt, vor den Zuhörern entstehen

20 lassen; er muß nicht erzählen, was er weiß, sondern sein [63] eignes Erkennen, die | Tat selbst, reproduzieren, damit sie beständig nicht etwa nur Kenntnisse sammeln, sondern die Tätigkeit der Vernunft im Hervorbringen der Erkennt- nis unmittelbar anschauen imd anschauend nachbilden. Der

25 Hauptsitz dieser Kunst des \"ortrags ist freilich die Philo- sophie, das eigentlich Spekulative; aber alles Lehren auf der Universität soll ja auch hievon durchdrungen sein, also ist doch dies überall die eigentliche Kunst des Uni- versitätslehrers. Zwei Tugenden müssen sich in ihr ver-

30 einigen: Lebendigkeit und Begeisterung auf der einen Seite. Sein Reproduzieren muß kein bloßes Spiel sein, sondern Wahrheit; so oft er seine Erkenntnis in ihrem Ursprung, in ihrem Sein und Gewordensein vortragend anschaut, so oft er den Weg vom Mittelpunkt zum Um-

35 kreise der Wissenschaft beschreibt, muß er ihn auch wirk- lich machen. Bei keinem wahren Meister der Wissenschaft wird das auch anders sein; ihm wird keine Wiederholung möglich sein, ohne daß eine neue Kombination ilin belebt, eine neue Entdeckung ihn an sich zieht; er wird lehrend

40 immer lernen, und immer lebendig und wahrhaft hervor- bringend dastehn vor seinen Zuhörern. Ebenso notwendig

Gelegentliche Gedanken. 143

ist ihm aber auch Besonnenheit und Klarheit, um, was die Begeisterung wirkt, | verständlich und gedeihlich zu [64] machen, um das Bewußtsein seines Zusammenseins m.it den Neulingen immer lebendig zu erhalten, daß er nicht etwa nur für sich, sondern wirklich für sie rede, und seine Ideen 5 und Kombinationen ihnen wirklich zum Verständnis bringe und darin befestige, damit nicht etwa nur dunkle Ahndun- gen von der Herrlichkeit des Wissens in ihnen entstehen, statt des Wissens selbst. Kein Universitätslehrer kann wahren Nutzen stiften, weim er von einer dieser Trefflich- 10 keiten ganz entblößt ist; und die rechte gesunde Fülle der Anstalt besteht darin, daß, was etwa einem Lehrer, der von der einen Seite sich vorzüglich auszeichnet, an der andern menschlicherweise abgeht, durch einen andern ersetzt werde. Diese beiden Tugenden des Vortrags sind 15 die wahre Gründlichkeit desselben, nicht eine Anhäufung von Literatur, welche dem Anfänger nichts hilft, und viel- mehr in Schriften muß niedergelegt als mündlich mit- geteilt werden; aus ihnen fheßt die echte Klarheit, nicht besteht sie in unermüdetem Wiederkäuen, in preiswürdiger 20 Dünne und Dürre des Gesagten; aus ihnen die wahre Lebendigkeit, nicht aus dem Reichtum gleichbedeutender Beispiele und, gleichviel ob guter oder schlechter, nebenher- laufender Einfälle und pole- j mischer Ausfälle. Wunder- [65] bar genug ist die Gelehrsamkeit eines Professors zum 25 Sprichwort geworden. Je mehr er besitzt, desto besser freihch; aber auch die größte ist unnütz ohne die Kunst des Vortrages. Übet der Lehrer diese an seinen Schülern gehörig aus, so kann es wenig schaden, wenn sie ihn auch bisweilen darauf ertappen, etwas Einzelnes auf dem Ge- 30 biet seiner Wissenschaft nicht zu wissen; sie werden den- noch wissen, daß er die Wissenschaft als solche voll- kommen besitzt. Ja man kann immer hoffen, daß einem jungen Universitätslehrer die Gelehrsamkeit noch komme: wenn er aber jenes Talent der Mitteilung nicht in den 35 Jahren hat, wo er seinen Zuhörern am nächsten steht, so wird er es späterhin schwerlich erlangen. Was hilft alle Gelehrsamkeit, wenn statt des echten Kathedervortrags nur der falsche Schein, die leere Form davon vorhanden ist ! Nichts Jämmerlicheres zu denken als dieses. Ein Pro- 40 fessor, der eüi ein für allemal geschriebenes Heft immer

144 Schleiermacher.

wieder abliest und abschreiben läßt, mahnt uns sehr un- gelegen an jene Zeit, wo es noch keine Druckerei gab, und es schon viel wert war, wenn ein Gelehrter seine Handschrift vielen auf einmal diktierte, und wo der münd- rggi liehe Vortrag zugleich statt der Bücher | dienen mußte. Jetzt aber kann niemand einsehn, warum der Staat einige Männer lediglich dazu besoldet, damit sie sich des Privi- legiums erfreuen sollen, die Wohltat der Druckerei ignorieren zu dürfen, oder weshalb wohl sonst ein solcher

10 Mann die Leute zu sich bemüht, imd ihnen nicht lieber seine ohnehin mit stehenbleibenden Schriften abgefaßte Weisheit auf dem gewöhnlichen Wege schwarz auf weiß verkauft. Denn bei solchem Werk und Wesen von dem wunderbaren Eindruck der lebendigen Stimme zu reden,

15 möchte wohl lächerlich sein.

Soll aber der Vortrag den geforderten Charakter haben : so dürfen freilich die eigentlichen Vorlesungen nicht das einzige Verkehr des Lehrers mit seinen Schülern sein. Steife Zurückgezogenheit und Unfähigkeit, auch außerhalb

20 des Katheders noch etwas für die studierende Jugend zu sein, hängen auch gewöhnlich mit den schon gerügten . Untugenden des Vortrages zusammen. Wenn der Lehrer mit Nutzen anknüpfen soll an den Erkenntniszustand der Zuhörer; wenn er ihnen helfen soll, die Abweichungen zu

25 vermeiden, zu welchen sie hinneigen; wenn er sich glück- lich hindurcharbeiten soll durch die unter ihnen herrschen- [67] den Unfähigkeiten im Auf- 1 fassen : so müssen noch andere Arten und Stufen des Zusammenlebens mit ihnen ihm zu- statten kommen, um ihn in der nötigen Bekanntschaft mit

30 den immer abwechselnden Generationen zu erhalten. Man sage nicht, daß dies der Zahl wegen unmöglich sei. Es schließt sich an die Vorlesungen eine Kette von Verhält- nissen, an denen, je vertrauter sie werden, schon von selbst desto wenigere teilnehmen, Konversatorien, Wiederholungs-

35 und Prüfungsstunden, solche, in denen eigne Arbeiten mit- geteilt und besprochen werden, bis zum Privatumgang des Lehrers mit seinen Zuhörern, wo das eigenthche Gespräch dann herrscht, und wo er, wenn er sich Vertrauen zu erwerben weiß, durch die Äußerungen der erlesensten und

40 gebildetsten Jünglinge von allem Kenntnis erlangt, was irgend auf eine merkwürdige Weise in die Masse ein-

Gelegentliche Gedanken. 145

dringt und sie bewegt. Nur indem er allmählich diese Verhältnisse knüpft und benutzt, kann der Lehrer die herr- liche Sicherheit der Alten, welche immer den rechten Fleck trafen in ihren Unterredungen, verbinden mit der edeln Bescheidenheit der Neueren, welche eine schon angefangene 5 und selbständig fortgehende individuelle Bildung jedes Einzelnen immer voraussetzen müssen.

I Man sieht, diese Gabe der Mitteilung läßt noch die [68] mannigfaltigsten Verschiedenheiten zu. Dem einen wird besser gelingen, das Scheinwissen zu demütigen und das 10 Bedürfnis wahrer Wissenschaft zu erregen, dem andern, die Grundzüge derselben anschaulich darzustellen; der eine wird mehreren durch Begeisterung die erste Weihe geben, der andere mehr sie durch Besonnenheit befestigen; der eine wird geschickter sein, indem er nur scheint es mit 15 dem Einzelnen und Mannigfaltigen zu tun zu haben, doch immer zu der innersten und höchsten Einheit die Betrach- tung zurückzuführen; ein anderer wird mit seinem Talent mehr dem Einzelnen angehören, und es auch da vorwalten lassen, wo er an das Allgemeinste und Höchste geheftet 20 zu sein scheint. Jeder aber wird ein vortrefflicher Lehrer sein, bei welchem sich, wde auch das eine oder das andere überwiege, doch alles Notwendige lebendig vereint findet; und die Universität muß auch darin Universität sein, daß sie alle diese Verschiedenheiten in sich zu vereinigen 25 strebt, damit jeder Zögling imstande sei, einen solchen Lehrer zu finden, wie ihn unter den gegebenen Um- ständen und bei den gemachten Fortschritten seine Natur begehrt.

I Allein wie lebendig und glücklich auch dieses Be- ?£,, streben sei, ein völliges Gleichgewicht, so daß für jedes Bedürfnis auf gleich vollkommene Art gesorgt sei, wird doch auf einer solchen Anstalt wohl nie erreicht werden. Jede wird sich zu jeder Zeit auf irgend eine Seite hin- neigen. Die eine wird sich auszeichnen durch lebendigere 35 Erregung des wissenschaftlichen Geistes im allgemeinen, aber in den meisten Fächern vielleicht zurückbleiben in gründlicher Ausführung des Einzelnen, die andere um- gekehrt dieses mehr leisten als jenes; die eine wird vor- züglicher sein in rein philosophischer Hinsicht, die andere 40 als Vorakademie oder als Aggregat von Spezialschulen;

Universilatsschriften Fichte, Schleiermacher, Steffens. ]0

146 Schleiermacher.

die eine mehr ihren Zöghngen vorarbeiten, und dagegen die freiere, höhere Kombination ihnen selbst überlassen, die andere sie mehr zu dieser anleiten, aber alles, was irgend Sache des Fleißes ist, ihnen selbst zumuten. Ja

5 ziemlich lange behaupten oft Universitäten denselben Cha- rakter, daß die eine mehr spekulative Köpfe bildet, die riber wohltun werden, die realen Wissenschaften ander- v/ärts zu suchen, und eine andere lange Zeit fast nur Rotüriers erzieht, weil schon ein entschiedenes Talent dazu

10 gehört, um auf ihr einen höheren wissenschaftlichen Geist [70J 2U I entwickeln, welches dann die beiden schon gefähr- lichen Extreme der Einseitigkeit sind, zwischen welchen die übrigen besser schwanken. Dies deutet darauf, daß notwendig auch innerhalb des Gebietes einer und derselben

15 Nationalbildung eine Mehrheit von Universitäten sich finden muß, und daß das möglichst freie Verkehr und der unbeschränkteste Gebrauch von jeder nach eines jeden Bedürfnis nicht zu entbehren ist. Wie natürlich diese Wahrheit ist, geht freilich schon daraus hervor, daß die

20 Universitäten in der Mitte stehen zwischen den gelehrten Schulen und der Akademie. Achtunddreißig davon zu be- sitzen, wie die deutsche Nation bis jetzt geduldet hat, mag freilich ein großes Unglück sein, und die Ursache, warum so wenige zu etwas Tüchtigem gediehen sind : aber

30 wie soll nun das rechte Maß gefunden werden? Man finde nur zuerst das rechte Maß der gelehrten Schulen, man bringe dann mehr Einigungsgeist unter die Deutschen, daß nicht jeder Gau auch hierin etwas Besonderes für sich haben wolle, und dann Lasse man mehr die Sache

35 selbst gewähren, künstle nicht, und wolle nicht Leichen frisch erhalten, so wird sich allmählich das Rechte finden. Doch immer noch besser hier das Maß überschritten, als [71] den Gedanken an [ eine deutsche Zentraluniversität auf- kommen lassen, oder den an eine gänzhche Umschmelzung

40 der alten Form, zwei Extreme, von denen jedes das größte Unglück wäre, welches nach allen bisherigen den Deut- schen noch begegnen könnte.

Gelegentliche Gedanken. I47

4. Von den Fakultäten.

ISIan hat schon oft und viel gesagt, unsere vier Fa- kuhäten, die theologische, juridische, medizinische und philo- sophische, und noch in dieser Ordnung obenein, gäben 5 den Universitäten ein gar groteskes Ansehn. Und das ist auch gewiß unleugbar. Wenn man es aber dennoch als einen großen Vorteil ansieht, den Umschaffungen oder bedeutende Veränderungen solcher Anstalten gewähren können, daß man dabei zugleich dieser Formen sich ent- 10 ledigen und bessere dafür einführen werde : so übereile man sich doch ja nicht, damit man nicht etwas ganz Will- kürliches an die Stelle dessen setze, was sich auf eine natürliche Art gebildet, und eben seiner Natürlichkeit wegen so lange erhalten hat; sondern | suche doch erst r^-y, die Bedeutung dieser bisherigen Formen recht zu ver- stehen.

Durch das bisher Gesagte sollte dies Verständnis schon sehr erleichtert und vollständig eingeleitet sein. Es kann wohl von unserm Gesichtspunkt aus niemanden entgehen, 20 daß diese Formen, wie grotesk sie auch sein mögen, wenig- stens sehr repräsentativ sind, und sich ganz genau auf das Gewordensein und den jetzigen Zustand der Universi- täten beziehen. Offenbar nämlich ist die eigentliche Uni- versität, wie sie der wissenschaftliche Verein bilden würde, 25 lediglich in der philosophischen Fakultät enthalten, und die drei anderen dagegen sind die Spezialschulen, welche der Staat entweder gestiftet, oder wenigstens, weil sie sich unmittelbar auf seine wesentlichen Bedürfnisse beziehen, früher und vorzüglicher in seinen Schutz genommen hat. 30 Die philosophische hingegen ist für ihn ursprünglich ein bloßes Privatunternehmen, wie der wissenschaftliche Verein überhaupt ihm eine Privatperson ist, und nur durch die innere Notwendigkeit und durch den rein wissenschaftlichen Sinn der in jenen Fakultäten Angestellten subsidiarisch 35 herbeigeholt worden, weshalb sie denn die letzte ist von allen. In der ganzen Form also spiegelt sich die Geschichte I der Universitäten in ihren Grundzügen ab. Die positiven [73] Fakultäten sind einzeln entstanden durch das Bedürfnis, 40 eine unentbehrliche Praxis durch Theorie, durch Tradition

148 Schleiermacher.

von Kenntnissen sicher zu fundieren. Die juridische gründet sich unmittelbar in dem staatbildenden Instinkt, in dem Bedürfnis, aus einem anarchischen Zustande anarchisch, weil die Gesetzgebung nicht gleichmäßig fortgeschritten 5 war mit der Kultur einen rechtlichen hervorgehen zu lassen, in dem Gefühl, daß dies nur geschehen könne, indem man zu dem Besitz eines Systems vollständiger, unter sich übereinstimmender Gesetze zu gelangen suchte, und zu höheren Prinzipien, nach welchen in zweideutigen Fällen

10 die Gesetze auszulegen wären. Die theologische hat sich in der Kirche gebildet, um die Weisheit der Väter zu er- halten, um, was schon früher geschehen war, Wahrheit und Irrtum zu sondern, nicht für die Zukunft verloren gehen zu lassen, um der weiteren Fortbildung der Lehre

15 und der Kirche eine geschichtliche Basis, eine sichere, be- stimmte Richtung und einen gemeinsamen Geist zu geben; und wie der Staat sich näher mit der Kirche verband, mußte er auch diese Anstalten sanktionieren und unter

seine Obhut nehmen. Die medizinischen Schulen haben 20 r,j,1 sich seit ] uralten Zeiten gegründet auf das Bedürfnis, teils

den Zustand des Leibes zu erkennen und zu modifizieren, teils auf eine mehr oder minder dunkle, geheimnisvolle Ahndung von den innigen Verhältnissen der gesamten üb- rigen Natur zu dem menschlichen Leibe. Daher waren

25 sie von Anfang an teils überwiegend gymnastisch, teils magisch und mystisch. Durch Vereinigung beider Zweige gewannen diese Bemühungen allmählich ein mehr kunst- mäßiges Ansehn, und in dem Maß, als sie anfingen, durch Beobachtungen und Versuche in die verschiedenen Zweige

30 der Naturwissenschaft sich hineinzuarbeiten, und also großer äußerer Unterstützungen zu bedürfen, mußte der Staat sich ihrer ebenfalls annehmen. So sind diese Anstalten entstanden; der tiefe, richtige Sinn, der sich immer mehr über das Schlechte hervorarbeitet, hat die Neigung zu

35 dem bloß Handwerksmäßigen und Empirischen besiegt, und der wissenschaftliche Geist, wir dürfen sagen vor- züglich der deutschen Nation, das immer klarer werdende Gefühl von dem Innern Zusammenhange alles Wissens, hat sie in einen Körper endlich vereinigt, wobei natürlich,

40 wenn dies nicht als ein bloß zufälliges und äußeres Neben- einandersein erscheinen sollte, auch jener Zusammenhang,

Gelegentliche Gedanken. 149

] jene gemeinschaftliche Begründung sich äußerlich dar- [75] stellen mußte, was denn durch die philosophische Fakultät geschieht. In dieser einen ist daher allein die ganze natür- liche Organisation der Wissenschaft enthalten, die reine transzendentale Philosophie und die ganze naturwissenschaft- 5 liehe und geschichtliche Seite, beide vorzüglix:h mit denen Disziplinen, welche sich am meisten jenem Mittelpunkt der Erkenntnis nähern; aber doch auch die mehr ins Be- sondere gehenden schließen sich so lange an die philo- sophische Fakultät an, als sie nicht zum Behuf eines be- 10 stimmten Zweckes pragmatisch behandelt werden. Jene drei Fakultäten hingegen haben ihre Einheit nicht in der Erkenntnis unmittelbar, sondern in einem äußeren Geschäft, und verbinden, was zu diesem erfordert wird, aus den ver- schiedenen Disziplinen. Diese eine also stellt allein dar, 15 was der wissenschaftliche Verein für sich als Universität würde gestiftet haben, jene drei aber, was durch ander- weitiges Bedürfnis entstanden, und wobei die reinwissen- schaftliche Richtung äußerlich untergeordnet ist. Die Ord- nung, welche sie unter sich beobachten, beweiset offen- 20 bar das dominierende Verhältnis des Staats auch in den öffentlichen wissenschaftlichen Anstalten; und genauer an- gesehen zeigt I sich darin teils das geschichtliche Voran- [yg] treten der Kirche vor den Staat, teils die alte löbliche Weise, die Seele dem Leibe voranzustellen. 25

Was sich unstreitig sehr bald, gewiß sobald als wahrer Nutzen dadurch wird gestiftet werden können, von selbst machen wird, das ist eine Umbildung der juridischen Fa- kultät. Die bloße Kenntnis eines positiven Gesetzbuches als solchen, welches doch immer mit Unrecht ein fest- 30 stehendes imd unveränderliches ist, und von den wissen- schaftlichen Männern soll fortgebildet werden, nicht sie sich unterwerfen, hat zu wenig wissenschaftlichen Charakter. Hier müssen also die Politik, die Staatswirtschaft, die philo- sophische und historische Kenntnis der Gesetzgebung selbst 35 mehr heraustreten. W^as sollen aber andere Veränderungen, wie man sie hie und da entwerfen und ausführen sieht? Was man damit meint, ist Willkür, Spielerei; und was man damit bewirkt, ist wohl etwas Übleres; und es ist zu fürchten, daß man nicht ungestraft Einrichtungen vertilgen 40 kann, die für sich schon geschichtliche Denkmäler sind,

150 Schleiermacher.

und die, wenn gleich von vielen nicht verstanden, den Geist der Nation aussprechen. Entsteht je eine Universi- tät durch eine freie Vereinigung von Gelehrten, dann wird [77] von selbst das, | was jetzt in der philosophischen Fakultät 5 vereiniget ist, die erste Stelle finden, und die Institute, welche Staat und Kirche bitten werden damit zu verknüpfen, werden ihre untergeordneten Stellen einnehmen. Solange dies nicht geschieht, sondert sie sich am besten dadurch von den übrigen ab, daß sie die letzte ist, besser als wenn

10 sie sich zwischen die andern stellt und sich dadurch mit ihnen vermischt, oder wohl gar als wenn sie damit das nicht als eins und also weniger erscheine als die übrigen drei, was doch weit mehr ist als sie sich spalten wollte in mehrere Abteilungen. Gewiß würden dann die

15 einzelnen Disziplinen den wissenschaftlichen Charakter immer mehr verlieren, und sich den pragmatischen Instituten nähern. Und für die reine Philosophie ist in dieser Ver- einigung mit den realen Wissenschaften zu einem äußer- lichen Ganzen so schön ausgesprochen die Freiheit, bald

20 mehr einzeln für sich herauszutreten, bald mehr an den realen Wissenschaften, als außer ihnen, sich darzustellen, eine Freiheit, ohne welche sie nicht gedeihen und sich in ihrem wahren Wesen zeigen kann, und die nicht mehr bestehen könnte, wenn ein äußeres Zeichen der Trennung

25 festgestellt wäre.

[78] I Erhalte sich also nur die philosophische Fakultät dabei,

daß sie alles zusammenfaßt, was sich natürlich und von

selbst als Wissenschaft gestaltet, so mag sie immerhin die

letzte sein. Was ist auch hier an dem Range gelegen?

30 Sie ist doch die erste deshalb, weil jedermann ihre Selb- ständigkeit einsehen und gestehen muß, daß sie nicht wie die übrigen, sobald man von einer bestimmten äußeren Beziehung hinwegsieht, in ein ungleichartiges Mannigfaltiges zerfällt und aufgelöst werden kann. Sie ist auch deshalb

35 die erste und in der Tat Herrin aller übrigen, weil alle Mitglieder der Universität, zu welcher Fakultät sie auch gehören, in ihr müssen eingewurzelt sein. Dies Recht übt sie fast überall aus über die ankommenden Studieren- den; von ihr werden zunächst alle geprüft und aufge- ' 40 nommen, und dies ist eine sehr löbliche und bedeutende Sitte. Nur scheint sie noch erweitert werden zu müssen,

Gelegentliche Gedanken. 151

um ihre Bedeutung ganz zu erfüllen. Es ist gewiß ver- derblich, daß die Studierenden gleich anfänglich sich können irgend einer andern Fakultät einverleiben. Alle müssen zuerst sein und sind auch der Philosophie Beflissene; aber alle sollten eigentlich auch in dem ersten Jahre ihres akade- 5 mischen Aufenthaltes nichts anderes sein dürfen. Das alte I Unwesen, die Knaben in der Wiege für ein gewisses Ge- [79] schäft zu bestimmen, ist immer noch nicht ausgerottet; denn für das wissenschaftliche Leben ist die gelehrte Schule nur die Wiege. Was für Vorstellungen von seinem künf- 10 tigen Beruf, von dem Verhältnis desselben zu dem ganzen großen Gebiet der Wissenschaften und des durch sie un- mittelbar befruchteten Lebens kann der angehende Jüng- ling wohl von dort her mitbringen? Die allgemeinen Über- sichten, theologische, juridische, mit welchen man die Ab- 15 gehenden hie und da zu versenden pflegt, sind nur Hul- digungen, welche man verkehrterweise jener Verkehrtheit der voreiligen Bestimmung darbringt, und ein Raub, der schwerlich ungestraft an den L^niversitäten begangen wird. Gewiß sind die Fälle selten, wo sich eine bestimmte Rieh- 20 tung des Talentes schon auf der Schule offenbart, und mit Recht kann man sagen, daß in jedem solchen Falle nur desto notwendiger sei, den Jüngling, wenn er für die Wissenschaft gedeihen soll, eine Zeitlang im Allgemeinen derselben aufzuhalten, damit sein allgemeiner Sinn nicht 25 ganz unterdrückt werde von der vorherrschenden Gewalt des besonderen Talents. Möchte man doch bald dahin kommen, die Jünglinge nur zum Studieren überhaupt 1 der [80] Universität zuzuschicken. Wenn sie sich ein Jahr nehmen dürfen, um sich in den Prinzipien festzusetzen und sich 30 von allen wahrhaft wissenschaftlichen Disziplinen eine Über- sicht zu verschaffen: so wird diese Zeit nicht verloren sein; während derselben wird am sichersten ihre Gesinnung, ihre Liebe, ihr Talent sich entwickeln; sie werden untrüg- licher ihren rechten Beruf entdecken, und des großen Vor- 35 teils genießen, ihn selbständig gefunden zu haben.

Nicht anders aber sollten auch alle Universitätslehrer in der philosophischen Fakultät eingewurzelt sein. Be- sonders kann man bei der juridischen und theologischen Fakultät nie sicher sein, daß nicht das Studium allmählich 40 immer mehr einer handwerksmäßigen Tradition sich nähere,

152 Schleiermacher.

oder in ganz unwissenschaftlicher Oberflächlichkeit ver- derbe, wenn nicht alle Lehrer zugleich auf dem Felde der reinen Wissenschaft eignen Wert und Namen haben, und eine Stelle als Lehrer verdienen. Man sollte daher 5 nicht nur ausschließend solche wählen, sondern es müßte gesetzmäßig sein, daß jeder Lehrer dieser Fakultäten, wenn auch nicht zugleich Mitglied der philosophischen, doch als außerordentlicher Lehrer bei irgend einem Zweige der- selben verpflichtet wäre, und von Zeit zu Zeit Vorträge m^l aus dem reinen | wissenschaftlichen Gebiete hielte, die in gar keiner unmittelbaren Beziehung auf seine Fakultät ständen. Nur dadurch könnte man auch äußerlich sicher sein, die lebendige Verbindung dieser Doktrinen mit der wahren Wissenschaft, ohne welche jene gar nicht auf die

15 L'niversität gehören könnten, zu erhalten. Und in der Tat verdient ja wohl jeder Lehrer des Rechts oder der Theologie ausgelacht und von der Universität ausge- schlossen zu werden, der nicht Kraft und Lust in sich fühlte, auf dem Gebiet, es sei nun der reinen Philosophie

20 oder der Sittenlehre oder der philosophischen Geschichts- betrachtung oder der Philologie, etwas Eignes mit aus- gezeichnetem Erfolg zu leisten.

Wenn übrigens schon die philosophische Fakultät am besten tut, eine zu bleiben, und wenn sie sich zum Behuf

25 gewisser Geschäfte in Unterabteilungen spalten müßte, dies ja nicht auf eine zu bestimmte und bleibende Art, kurz ja nicht so zu tun, daß die Einheit als das Wesentlichere darüber verloren gehe : so ist ja wohl deutlich, daß auch das allgemeine Streben der Universität darauf gehn muß, sich

30 nicht zu sehr ins Einzelne hinein bestimmt zu teilen, jeden

Lehrer etwa streng in den Grenzen seiner Fakultät zu

[82] halten, oder gar in dieser ihn ganz bestimmt | auf ein

gewisses Fach einzuschränken. Vieles fällt freilich von

selbst weg, wenn jeder Lehrer einer Fakultät zugleich, wenn

3) auch nicht ebenso genau, der philosophischen angehört und in dieser selbst die Sektionen nicht streng geschieden sind. Aber warum sollte auch ein Lehrer gehindert werden, einmal das Gebiet einer andern Fakultät zu betreten? Grenzen doch alle aneinander und berühren sich in mehre-

40 ren Punkten, so daß es an Veranlassungen nicht fehlt, aus einer in die andern hinüberzuschweifen. Ergreift diese

Gelegentliche Gedanken. 153

ein Gelehrter recht, und begnügt er sich nicht damit, nur für sein eignes Studium zu leihen, was er von dort her braucht : so muß er gewiß etwas recht Eigentümliches und Geistreiches hervorgebracht haben auf dem fremden Gebiet, wenn er sich entschließt, es öffentlich vorzutragen. 5 Die Eifersucht der Fakultäten aufeinander -wegen ihres Gebietes ist etwas mit Recht Veraltetes und Lächerliches. Wem einmal öffentlich die Würde eines wissenschaftlichen Lehrers gegeben und sein Talent dazu anerkannt ist, der muß es auch üben können, auf welchem Gebiet er will. Die 10 Zeit, während der einem Gelehrten diese Gabe der Mit- teilung zu Gebote steht, ist zu beschränkt; die Gabe selbst ist zu zart und zu schwer ganz in die 1 Gewalt zu bekommen, [83] als daß man nicht jede gute Stunde und alles, was sie ein- gibt, vollständig genießen und auch benutzen sollte. 15

Eben deshalb ist auch der wahre Geist der Universität der, auch innerhalb jeder Fakultät die größte Freiheit herrschen zu lassen. Ordnungen vorschreiben, wie die Vor- lesungen aufeinander folgen müssen, das ganze Gebiet unter die Einzelnen bestimmt verteilen, das sind Torheiten; nicht 20 einmal ein solches Privatabkommen der Lehrer unter sich wäre wünschenswert. Es wäre immer eine Beförderung der Stagnation, dahingegen neues Leben in einen jeden Zweig der Wissenschaften kommt, wenn er wieder von andern, und verzüglich von solchen, die sich mit andern 25 Zweigen mehr abgegeben haben, aufs neue bearbeitet wird. Darum lasse keiner sein Talent so bestimmt und äußer- lich binden, oder binde es selbst. Männer von Geist und Fleiß, und denen das Geschäft wert und lieb ist, welches sie auf der Universität treiben, können unmöglich in dieser 30 Hinsicht eines äußerlichen Gesetzes bedürfen; sie haben in sich, was sie treibt, so viel zu tun als sie können, und sie müssen sich selbst ihr Gesetz sein. Auch ist dies natürlich viel zu eigentümlich, um von einem andern oder im allgemeinen [ gegeben zu werden, da es so genau von ro<i dem Verhältnis des Lehrers zu seinen Schülern abhängt. Je fester diese ihm anhangen, je mehr sie sich in ihrem wissenschaftlichen Streben allgemein von ihm gefördert fühlen, durch ein desto größeres Gebiet werden sie von ihm wollen geführt sein; je mehr sie dagegen in ihm nur 40 eine besondere Virtuosität bewundern, um desto weniger

154 Schleiermacher.

werden sie wünschen, daß er sich aus deren Gebiet hinaus versteige, sondern so etwas vielmehr mit einer leisen Schadenfreude ansehn.

Daher ist es auch gewiß mehr schulmäßig als im 5 wahren Geiste der Universität, wenn die Nominalprofes- suren zu stark hervortreten. Einem Lehrer vorschreiben, daß er in einem bestimmten Zeiträume dasselbe wieder vortrage, heißt ihm sein Geschäft zuwider machen, und also schuld sein, daß sein Talent nur desto schneller ab-

10 laufe. Auch ist es natürlich, daß, wer noch auf andere Weise als auf dem Katheder für die Wissenschaft arbeitet, sich einrichten muß, damit seine Arbeiten sich nicht all- zusehr hindern, wenn er anders mit Lust und Interesse vortragen soll, und sich also solchen Geboten unmöglich

15 fügen kann. Freilich sagt man, es müsse doch dafür

85] gesorgt werden, daß in einem solchen | Zeitraum, als man für einen gewöhnlichen Aufenthalt auf der Universität rech- nen kann, alles Wesentliche eines jeden Gebietes wirklich vorkomme. Gewiß richtig I aber ist nur eine gehörige

20 Fülle von Lehrern rechter Art vorhanden, so hat es da- mit keine Not. Und sollte es ja: nun wohl, so weise man jedem sein besonderes Fach an, aber nur insofern, daß, wenn innerhalb des bestimmten Zeitraumes keiner sich ge- funden habe, der es in dem gehörigen Umfang vorge-

25 tragen hätte, dieser alsdann dazu verpflichtet sei. Und diese Anweisung sei so wenig rechtlich verklausuliert und so lose als möglich, so daß ohne alle Weitläuftigkeit zwei Lehrer die Gewährleistung, welche sie übernommen haben, gegeneinander vertauschen können. So wird jeder seine

SO Freiheit behalten, und das Ganze dadurch nicht vernach- lässiget werden, sondern nur gewinnen.

Je mehr nun jeder Lehrer auf diese Art seinen Kreis selbst bestimmen und nach Belieben bald erweitern bald verengern kann, tun desto mehr söhnt man sich auch

35 aus mit dem so sehr verschrieenen Honorar. Auch dies muß doch wunderbar genug mit dem Geist und Wesen unserer Universitäten zusammenhängen, weil es sich so 86] beständig, trotz ] mancher spöttischen Ausfälle der neue- sten Verfeinerung, erhalten hat, und man kann wohl sagen,

40 daß das die schlechtesten Universitäten und die schlech- testen Partien jeder Universität sind, wo am meisten das

Gelegentliche Gedanken. 155

Honorar umgangen wird. Zuerst gehört es zu den wenigen Einrichtungen, worin sich die Universität als aus einer ganz freien Privatvereinigung von Gelehrten entstanden darstellt. Weil dies nun ihre natürlichste und schönste Seite ist, so hat auch gewiß das Verhältnis, sich seinen Unter- 5 rieht bezahlen zu lassen, nie einem Lehrer, der es nicht selbst durch niedrige Gesinnung entweihte, in der Achtung der Jünglinge geschadet, noch kann es ihm selbst erniedri- gend erschienen sein, da es zugleich das Gefühl seiner Abhängigkeit vom Staat verringert. Daher soll sich auch 10 der Staat in dies Verhältnis gar nicht mischen; er soll das Betragen gegen die Ärmeren dem guten Ton der Lehrer überlassen. Will er vorschreiben, was oder wie oft jeder auch unentgeltlich vortragen soll : so mahnt dies an die schlechtesten Einrichtungen kleiner Schulen, wo das Ge- 15 meinere öffentlich und das Seltnere und Höhere in Privat- stunden zu lernen ist. Viel besser werden die Lehrer selbst finden, was sich von Zeit zu Zeit dazu | eignet, ein [87] solches Gastmahl für eine auserlesene Anzahl zu sein.

Hierher gehören denn auch die Seminarien, welche mit 20 den meisten Fakultäten, der medizinischen, der theolo- gischen, und der philologischen Sektion der philosophischen verbunden zu sein pflegen, und fast überall als eigene Anstalten erscheinen, welche ganz besonders vom Staate gestiftet und begünstiget sind. Die Lehrer, welche ihnen 25 vorstehen, werden dafür noch besonders besoldet, und größtenteils (nur in den klinischen Anstalten der Mediziner ist es nicht üblich) genießen auch die Jünglinge, welche daran teilnehmen, namhafte Vorteile. Es ist schon oben erwähnt, daß diese Seminarien dasjenige sind, wodurch 30 sich die Universität der Akademie nähert, und daß die eignen darstellenden Versuche, die ins Einzelne gehenden Studien und Untersuchungen der Jünglinge darin sollen geleitet werden. Daher der innerste Kreis der reinen Philosophie auch nichts von dieser Art aufzuzeigen hat, 35 sondern für ihn die Stelle jener Anstalten eigentlich die Disputierübungen vertreten sollten, welche den Zweck haben, sich in den philosophischen Prinzipien und in den allge- meinen Ansichten recht festzusetzen. Die Seminarien aber schließen sich an die Disziplinen an, welche 1 mehr in p^, das Besondere gehen, und sind dasjenige Zusammensein

156 Schleiermacher.

der Lehrer und Schüler, worin die letzteren schon als produzierend auftreten, und die Lehrer nicht sowohl un- mittelbar mitteilen, als nur diese Produktion leiten, unter- stützen und beurteilen. Daß in den Seminarien Höheres, 5 als im gewöhnlichen Laufe der Vorlesungen vorkommet, unmittelbar gelehrt werden soll, ist notwendig eine ganz falsche Ansicht. Denn auf alles unmittelbare Lehren haben auf der Universität alle ein gleiches Recht; die Seminarien sind aber ihrer Natur nach immer nur für einen Ausschuß

10 bestimmt. Zwischen ihnen und den Vorlesungen liegen noch die Konversatorien, in welchen die Reaktion des Jünglings zuerst dem Lehrer sichtbar wird; er unter- scheidet das minder faßlich Vorgetragene, und gibt es dem Lehrer zur Umarbeitung und Erläuterung zurück; er

15 bringt Zweifel und Einwendungen vor, um sie sich lösen zu lassen. Diese fast wesentliche Form fehlt freilich häufig genug, aber die Lücke muß gewiß sehr fühlbar werden, wo sich nicht etwa eine solche freiere Vereinigung mit in den Seminarien versteckt. Schon bei dieser mehr gegen-

20 seitigen Mitteilung erscheinen gewiß nur diejenigen, in welchen der wissenschaftliche Geist sich wirklich regt.- [89] Natürlich ergibt sich hier Gele- 1 genheit genug, den Jüng- lingen Arbeiten anzuweisen, und sie zu L^ntersuchungen aufzufordern, wodurch sie mehr Licht in einzelne Gegenden

25 ihres Wissens bringen, und die Nebel, von denen sie um- fangen sind, zerstreuen, oder die Unbeholfenheit in ihren geistigen Tätigkeiten, welche sie drückt, überwinden können. Nur die ernsteren, hinlänglicher Kräfte sich bewußten, werden den anstrengungsvollen Weg nicht scheuen; und

30 wenn sie das Bedürfnis fühlen, auch auf diesem die Gemein- schaft mit dem Lehrer fortzusetzen, so ist das Seminarium gemacht. Eigentlich also muß jedem Lehrer, welchem es gelingt, eine Anzahl der Jünglinge seines Faches näher an sich zu ziehn, diese Leitung ihrer eignen Arbeiten von

35 ihnen selbst übertragen werden, jeder muß sich sein Semi- narium selbst bilden. Diesem natürlichen Gange tritt der Staat in den Weg, wenn er für jede Fakultät ein Semi- narium stiftet, und dieses mit besonderen Begünstigungen einem Lehrer überträgt. Daran, daß der Staat gewöhnlich

40 auf Lebenszeit verleiht, und daß, auch wenn er eine solche Anstalt zuerst stiftet, doch die in Deutschland so sehr

Gelegentliche Gedanken. 157

herrschende Achtung für das Alter sie dem Ältesten über- tragen wird, der zu einem solchen näheren persönlichen Verkehr mit der Jugend, wenn alles 1 Übrige gleich gesetzt [90] wird, der Regel nach der minder geschickte ist, daran wollen wir nicht einmal denken; das größte und sieht- 5 barste Übel ist, daß, wenn ein Lehrer mit solchen Be- günstigungen versehen ist, der Anteil an den eignen Arbeiten der Jünglinge dadurch ein Monopol wird, und die andern außer Stand gesetzt werden, ihr Verhältnis zu den Jüng- lingen zur Vollendung zu bringen, und so viel zu nutzen, 10 als sie könnten. Ebenso wenn der Staat eine bestimmte Anzahl von Studierenden, oft schon bald nach ihrer An- kunft auf der Universität, als Seminaristen begünstiget: so zieht er nicht nur die Jünglinge auf eine unreine Art zu dem Lehrer ausschließend hin, der diese Begünstigungen 15 zu verteilen hat; sondern er verfällt auch in den so all- gemein dafür anerkannten Fehler, reine Aufmunterungen, die nur selten wirklich aufmuntern, Belohnungen, ehe noch etwas geschehen ist, zu verteilen. Auf diese Art sollte es wohl keine Seminarien geben, sondern der Staat sollte 20 die Unterstützungen, welche er jeder Fakultät zu diesem Behuf bestimmt hat, gemeinsam niederlegen, und jeder Lehrer, welcher einen Kreis von engeren Schülern zu eignen, wahrhaft wissenschaftlichen Arbeiten unter sich vereinigen will und kann, müßte den tüchtigsten unter | ihnen einen rq^-, Teil davon können zufließen lassen. Nur wenn der trau- '" rige Fall eintreten sollte, daß kein Lehrer von selbst, und ohne eine besondere Belohnung, Beruf hierzu fühlte, müßte die gesamte Anstalt oder der Staat zutreten. Vielleicht sind die bestehenden Seminarien zum Teil auf diese Art, 30 zum Teil aus dieser Voraussetzung entstanden; auf jeden Fall aber müßte das Monopol in demselben Augenblick aufgehoben werden, wo sich ein anderer Konkurrent zu diesem Geschäft findet.

Nach ähnlichen Grundsätzen, daß nämlich der Staat 3S nie Aufmunterungen und Wohltaten verteilen soll, son- dern nur Belohnungen und Ehrenzeichen, muß auch das ganze Stipendienwesen beurteilt und auf seinen ursprüng- lichen Zweck zurückgeführt werden, da es nur durch die allmählich eingerissene Weichlichkeit in ein Benefizien- 40 Wesen ist verwandelt worden. Der Student müsse keine

158 Schleiermacher.

anderen Stipendien mitbringen, als die er auf der Schule schon verdient hat, und diese müssen nur so lange dauern, bis er sich auf der Universität neue verdienen kann, damit er nicht, ohne daß es bemerkt und geahndet werde, aus 5 einem trefflichen Schüler ein schlechter Student werde. Alle Unterstützungen müssen nur dem Geprüften, und für [92] ausgezeichnet | Erkannten, erteilt werden, und ein Ehren- zeichen begleite sie, so daß sich der Reiche ebensowohl darum bewerbe als der Arme, und nur den Vorteil davon

10 einem andern gern überlasse. Nur so wird der ursprüng- liche Zweck erreicht, und Demütigungen und Unterschei- dungen vermieden, welche nirgend weniger an ihrer Stelle sind als auf der Universität.

Alles dies setzt freilich voraus, daß die Lehrer der

15 Universität sind, wie sie sein sollen. Allein wie könnte man auch eine andere Voraussetzung als diese bei den wesent- lichsten Einrichtungen zum Grunde legen? Es mag viel- leicht andere Dinge geben, welche gedeihen können, wenn auch diejenigen, die daran arbeiten, nur durch einen äußern

20 Zwang gehalten und getrieben werden ; dieses Werk aber nicht, sondern es kann nur durch Lust und Liebe bestehen, und was ohne diese auch die vortrefflichsten äußeren Ge- bote und Statuten tun können, kann immer nur ein leerer Schein werden. Wer sich die Aufgabe setzt, eine Uni-

25 versität so einzurichten, daß sie gehen und Dienste leisten müßte, wenn auch die Lehrer kaum mittelmäßig wären, und nicht vom besten Willen, der unternimmt ein töricht Ding. Denn was für den Geist sein und ihn kräftigen soll, das muß auch aus der Kraft des Geistes hervorgehen. j-Qon I Darum ist nun freilich die erste Sorge die: wie be- kommt man Lehrer, welche den rechten Sinn haben, und welchen alle die nötigen Kräfte mit großem Geschick zu Gebote stehen.? Wir haben die wesentlichsten Zweige der Universität betrachtet; aber wie erneuern sie sich nun in

35 jedem vorkommenden Fall am besten? Die Erfahrung scheint zu verraten, daß gerade dieser wichtige Punkt noch nicht auf eine der Idee und dem Wesen des Ganzen ange- messene Art ist eingerichtet gewesen. Es finden sich über- all der Mißgriffe zu viele, als daß man dies glauben könnte;

40 und man darf nicht annehmen, daß die Anzahl tauglicher Männer zu diesem Geschäft so gering wäre, als die Anzahl

Gelegentliche Gedanken. 159

trefflicher Lehrer wirkUch ist; ja es lassen sich ganze Perioden unterscheiden, wo eine Universität mit fast lauter ausgezeichneten, und andere, wo sie mit minder als mittel- mäßigen Männern besetzt ist. Dies scheint seinen Grund darin zu haben, daß die Regierung die Sorge für die 5 Besetzung dieser Ämter gewöhnlich einem bedeutenden Staatsmarme überläßt. Hat dieser das rechte Talent und den wahren Eifer für die Sache, so wird es ihm nicht fehlen, vortreffliche Männer zusammenzubringen; folgt ihm ein anderer Übelgewählter, so werden auch dessen schlechte 10 I Wahlen allmählich statt jener trefflichen eine Reihe von [94] unbedeutenden Männern aufstellen. Ja es ist zu besorgen, daß nur in einem kleinen Staate, der unmöglich die Uni- versität als für seine Bedürfnisse daseiend ansehen kann, der Aufsicht führende Staatsmann lediglich auf die wissen- 15 schaftliche Qualität sehen wird; je größer aber der Staat, desto mehr wird er sich verleiten lassen durch die so allge- meine herrschende Ansicht, und den talentvollsten Gelehr- ten, denen es aber um die Wissenschaft selbst zu tun ist, solche Männer vorziehn, welche sich als Freunde und 20 Meister in der Kunst gezeigt haben, die Wißbegierde der Jünglinge nur zum vermeinten Besten des Staats zu be- arbeiten. Sollte man also nicht dieser so schwer zu ver- meidenden falschen Richtung, und jener für das Gedeihen der Universität so üblen Veränderlichkeit derselben zuvor- 25 zukommen suchen, indem man die Besetzung der Lehr- stellen weniger von einer Person abhängig machte? Spricht nicht die Natur der Sache dafür, daß, wenn die Wissen- schaft nicht untergehn soll, an der Wahl ihrer eigentlich- sten Erhalter und Fortpflanzer auch der wissenschaftliche 30 Verein einen bedeutenden Anteil nehmen müsse? I Man sagt freilich, der Kurator der Universitäten sei [95] ja notwendig immer ein wissenschaftlich gebildeter Mann, und nicht minder diejenigen, welche ihm zunächst an die Hand gehen, Mitglieder gewöhnlich des höchsten Kirchen- 35 rats oder Schulrates; allein hier tritt nun die Besorgnis ein, daß diese alle je länger je mehr sich vorzüglich als Staatsdiener betrachten werden, und der Wunsch, daß der Anteil des wissenschaftlichen Vereins an dieser An- gelegenheit bestimmter und abgesonderter von dem des 40 Staates hervortreten möge. Auch darauf kann man frei-

160 Schleiermacher.

lieh erwidern, es stehe jeder Universität frei, diese Wahl dem Wesentlichen nach ganz in ihre eignen Hände zu bringen und sich aus sich selbst zu erneuern. Denn sie könne aus ihren eigenen Zöglingen Privatdozenten bilden, 5 und wenn diese eine Zeitlang mit Erfolg aufgetreten wären und sich Verdienste erworben hätten, würde der Staat sie gewiß nicht übergehen; und wenn er es auch täte, würden sie doch wirksamer sein auf der Universität als die von ihm angestellten Lehrer. Das heißt aber zu wenig aus

10 der Natur der Sache gesprochen. Ein Privatdozent als

solcher wird es nie über einen öffentlich sanktionierten

Lehrer, auch nicht über einen solchen, der ihm wissen-

[96] schaftlich weit | nachsteht, davontragen; bleibt er immer

ausgeschlossen von der Teilnahme an der Innern Leitung

15 des Ganzen, so muß ihm Mut und Lust vergehen, und er wird sich entweder hinwegbegeben, oder sein Talent wird ungenutzt verwelken. Ist also der Staat nicht daran gebunden, solche Männer aufsteigen und einrücken zu lassen, so ist mit dieser Freiheit des Lehrens wenig ge-

20 Wonnen für die Sache der Wissenschaft. Auf der andern Seite aber wäre es wahrlich nicht gut, wenn eine Universität- sich so ganz aus sich selbst erneuerte, wie es auch sonst keine gedeihlichen Früchte gibt, wenn in einem Boden immer nur der Same ausgestreut wird, den er selbst hervor-

25 gebracht hat; oder wie in Familien, die immer nur unter sich verkehren und heiraten, die Manieren sich versteinern und der Geist verschwindet, so würde auch eine solche Universität immer einseitiger werden und trockener. Eine jede muß vielmehr auf jede Weise auch von den andern

30 auf sich einwirken lassen, und es müsse keiner je an Lehrern fehlen, welche in mehreren wissenschaftlichen Ge- meinheiten gelebt haben, um das fremde Gute und die Früchte eines vielseitigen Verkehrs auch den nur daheim Erzogenen mitzuteilen. rgyj I Die Universität selbst muß freihch am besten wissen, was sie bedarf, so oft ihr eine Lücke entsteht, oder sie Gelegenheit bekommt, sich zu erweitern; und da man bei ihren Mitgliedern Bekanntschaft voraussetzen darf mit allem, was sich Merkwürdiges auf dem vaterländischen

40 Gebiete der Wissenschaften regt, so muß sie auch wissen, wo sie ihren Bedarf finden kann. Allein leider möchte wohl

Gelegentliche Gedanken. 161

niemand dafür stimmen, ihr jede Wahl allein zu überlassen; die Universitäten sind im ganzen so berüchtiget wegen eines Geistes kleinlicher Intrigue, daß wohl jeder bei einer solchen Einrichtung von der Parteisucht, von den in lite- rarischen Fehden gereizten Leidenschaften, von den persön- 6 liehen Verbindungen die nachteiligsten Folgen befürchten wird. Der Regierung und ihren Repräsentanten, denen freilich diese Versuchungen ganz fremd sind, fehlt da- gegen als solchen gar vieles, was zur richtigen Beurteilung gehört, und auch wenn sie schon erworbenen Ruhm zum 10 Maßstab nehmen, werden sie sich oft irren.

Am meisten Schwierigkeit scheinen in beider Hin- sicht zu verursachen die Lehrstellen der reinen Philo- sophie. Denn dieses Gebiet liegt dem Staate am ent- ferntesten, und am wunderlichsten müßte es ihm selbst 15 vorkommen, wenn er entscheiden sollte, wer | mm der [98] echteste Philosoph sei, der am meisten begünstiget und hervorgezogen zu werden verdiene. Auch gibt es nichts Verhaßteres auf diesem Gebiete, nichts, was gutes Ver- nehmen und gegenseitiges Vertrauen so sehr schwächen 20 muß, als wenn eine Regierung Partei nimmt in Sachen der Philosophie, indem sie eines oder das andere der streitenden Systeme ausschließt oder zurücksetzt. Auf der andern Seite aber sind die Universitäten selbst immer der Kampf- platz, wo am heftigsten, und bisweilen bis zur Vemich- 25 tung, dieser Streit der Systeme geführt wird, so daß man, wenn ihnen selbst die Entscheidung überlassen wäre, die heftigsten Bewegungen fürchten müßte. Hier scheint kaum eine andere Hilfe zu sein, als eben in jener Freiheit des Lehrens. Wer sich Bahn macht, dem vergönne man Raum ; 30 wem es gelingt, nachdem er sich in der gehörigen Form auf einer Universität niedergelassen, den größten Beifall zu erwerben und zu bewahren, und das Talent zur Speku- lation aufzuregen, den bekleide man mit dem Charakter des öffentlichen Lehrers ohne Rücksicht auf sein System, 35 ja selbst ohne Scheu vor den Streitigkeiten, die unter gewissen Umständen auf diesem Gebiet einmal nicht zu vermeiden sind. Nur hafte kein öffentlicher Fleck auf seinem sittlichen | Ruf, nur sei zugleich von ihm bekannt, [99] daß er auch irgendein Feld des realen Wissens bearbeitet. 40 X'ielleicht ist dies das einzige Gebiet, wo ein Melden,

Uuiversitätsschriften Fichte, Schleiermacher, StelTeni. H

162 Schleiermacher.

ein Ansuchen um die öffentliche Lehrerstelle von Seiten der Konkurrenten stattfinden dürfte, und die Entscheidung zwischen mehreren fast gleich qualifizierten überließe viel- leicht der Kurator am besten derjenigen Klasse der Natio- 5 nalakademie, welche am wenigsten in die Streitigkeiten der Parteien verflochten zu sein und den reinsten Sinn für jedes Talent an sich zu haben pflegt, nämüch der philologischen.

Auf jedem andern Gebiet scheint es weniger schwierig

10 zu sein, wie sich am besten der Staat und der vdssenschaft- liche Verein in das Geschäft der Besetzung zu teilen haben. Für Stellen, an denen das Interesse des Staates als solchen sich unmittelbar ausspricht, möge der Kurator vorschlagen, mit Zuziehung derjenigen Mitglieder des ihm zugeordneten

15 höchsten Studienrates, welche auf diesem Gebiet die höch- sten gelehrten Würden erworben haben denn andere sollten nie eine Stimme haben in Sachen der Universitäten und wählen sollte die Fakultät, in welche der Anzu- stellende eintreten wird, mit Zuziehung derjenigen Sektion [iriöl ^^^ ' Phi'<3sophischen, an welcher ihre Mitglieder teilhaben, oder in welche der Anzustellende auch eintreten will. Für solche Lehrstellen aber, welche den wissenschaftlichen Charakter am strengsten beibehalten, schlage die Univer- sität selbst vor etwa drei, v/ie sie in der Stimmenmehrheit

25 aufeinander gefolgt sind, und unter diesen wähle mit ähn- licher Zuziehung der Kurator. Durch eine Einrichtung dieser Art, wie sie sich auch für jede Universität eigen modifiziere, scheint das Gleichgewicht am besten gesichert, und die meisten Übeln Einflüsse abgehalten zu werden.

^50 Aber wäre es nicht fast ebenso nötig zu fragen: wie

kann man sich am besten zur rechten Zeit der trefflichen Lehrer wieder entledigen ? Wahrlich, niemand spielt eine traurigere Rolle als ein Universitätslehrer, der sich als solcher überlebt hat, der dies fühlt, und doch noch ge-

35 nötigt ist, sein Geschäft fortzutreiben, um nicht in einen dürftigen Zustand zu geraten! Hier sieht man, wie wich- tig es einem Staate ist, nur wenig Universitäten zu haben, weil so am besten ein Lehrer während seiner blühendsten Zeit für die spätere einigermaßen sorgen kann, und vor

40 allem wohlbegabte, so daß die Anstalt jedem Verdienten [101] eine ehrenvolle und bequeme [ Zurückziehung gewähren

Gelegentliche Gedanken. I(j3

könne. Aber ebenso wichtig ist gewiß in dieser Hinsicht ein richtiges und freundliches Verhältnis zwischen den Universitäten und der Akademie. Die Gabe der Mitteilung, wie sie der Universitätslehrer haben muß, ist ein zartes Talent, das nur in dem schönsten Zeitpunkte des Lebens 5 sich findet; und wenn sonst Philosophen den rechten natür- lichen Anfang und das Ende der Zeugungskraft zu be- stimmen sich nicht scheuten, so könnte man auch für dieses Talent wohl festsetzen, daß es in der Regel zwischen dem fünfundzwanzigsten und dreißigsten Jahre anfängt 10 sich zu entwickeln, und rasch seiner schönsten Blüte zueilt, und daß, wer das fünfzigste Jahr zurückgelegt hat, einer schnellen Abnahme desselben entgegensehen kann. Nicht sowohl der aus der Wiederholung entstehende Überdruß, wie man meint, bewirkt diese Abnahme; eine solche Wir- 15 kung hat der wahre geistvolle Lehrer auf einer wohl ein- gerichteten Universität erst sehr spät zu befürchten : son- dern je mehr die Jugend schon einem ganz anderen Zeit- alter angehört als der Lehrer, je weniger er sich ihr in Gedanken assimilieren und eine bestimmte Liebe und 20 Freude mit ihr gemein haben kann, um desto mehr muß sich die Neigung und das Geschick verlieren, J sich mit [102] ihr in nähere Verhältnisse einzulassen, und um desto un- erfreulicher und unfruchtbarer wird das Geschäft. Wird aber jemand sagen, wer dieses Talent nicht mehr besitze, 25 der sei der Wissenschaft abgestorben ? und die Akademie würdige sich herab zu einer Verpflegungsanstalt, wenn sie solche Männer unter sich aufnehme ? Ist nicht auch in demselben Maß erst die in einzelnen schwierigen Unter- suchungen so oft störende und übereilende Lebhaftigkeit 30 der Phantasie verschwunden, und dagegen die Besonnen- heit in ihrer vollen Kraft ? V' ollbringt nicht eben diese in solchen Jahren noch die herrlichsten Werke ? Auch sehnt sich jeder wahrhaft wissenschaftliche Lehrer auf der Universität am meisten in späteren Jahren, je gründ- 35 lieber er seine Wissenschaft gelehrt hat, um desto mehr nach der Muße des Akademikers, um seine Forschungen ruhiger verfolgen und die schönsten Früchte seiner Medi- tation zur Reife bringen zu können. Auch an solchen pflegt es nicht zu fehlen unter den L^niversitätslehrcrn, welche 40 sich zum Geschäftslcben hinneigen, wenn ihre Lehrgabe

11*

164 Schleiermacher.

anfängt zu verblühen. Für beide muß es einen ehren- vollen und verfassungsmäßigen Übergang geben, wenn die [103] Universität nicht in dem Maß erkranken soll, als | mehrere ihrer Mitglieder anfangen schwach zu werden für ihr Ge- 5 schäft. Denn sollen sie gedeihen, so muß der Lehrer wie der Schüler eine, nur langsamer, vorübergehende Er- scheinung sein.

Man sieht leicht, die natürliche Richtung der Uni- versitäten geht dahin, den allmählich vorherrschend ge-

10 wordenen Einfluß des Staates wieder in seine natürlichen Grenzen zurückzuweisen, und dagegen immer mehr den Charakter des wissenschaftlichen Vereins in diesen ihm zunächst angehörigen Anstalten hervortreten zu lassen. Dies muß also auch von ihren öffentlichen Handlungen

15 gelten, und von den Formen, unter welchen die Universität oder ihre wesentlichen Glieder, die Fakultäten, als ein Ganzes auftreten. Es muß sich allmählich immer genauer trennen, was zum innem häuslichen Leben der Anstalt selbst gehört, von allem, wobei sie selbst oder ihre einzelnen

20 Glieder nur als Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft anzusehen sind. In allem, was zu jenem Gebiet sicher gehört, muß die Universität sich frei und unabhängig ihr Hausrecht selbst bilden, und es nach Beschaffenheit der Umstände verändern können; der Staat kann sich dabei

25 keiner Leitung anmaßen, sondern nur Mitwissenschaft fodern und Aufsicht führen, damit dieses Gebiet nicht [104] überschritten werde. | Nur von den Vorteilen vmd Besitz- tümern, welche er verliehen hat, mag er Rechenschaft fordern und verlangen, daß sie durch von ihm dafür an-

30 erkannte Sachverständige, aus deren Zahl aber doch die Universität muß auswählen können, verwaltet werden. Alles übrige ist Vormundschaft, welche nur in der Kind- heit der Wissenschaft an ihrer Stelle sein kann, und gegen welche die natürliche Widersetzlichkeit um. so stärker

35 sein muß, je mehr die Universität ihre Mündigkeit fühlt und zu festen Ansichten und einem gründlichen Stil ihres Lebens gelangt ist. Was aber die Formen betrifft, unter welchen sie öffentlich auftritt und ihre Rechte und Ord- nungen bildet : so ist die wissenschaftliche Gesinnung unserer

40 Zeit ihrer Natur nach durchaus demokratisch, und das Bewußtsein lebendig, daß alle wissenschafthchen Männer

Gelegentliche Gedanken. 165

dem Geiste nach einander gleich sind, und die Geschäfte eines jeden gleich wesentlich dem Ganzen angehören. Je mehr also die Verfassung sich frei gestalten kann, um desto demokratischer wird sie sich bilden. Es sei nun, daß eine persönliche Repräsentation aller eigentlichen ]\Iit- 5 glieder den öffentlichen Körper konstituiere, oder ein engerer Ausschuß : der Geist wird immer derselbe sein, und auch der Form nach wird ein Ausschuß immer nur ) ent- [105] stehen können durch freie Wahl, um diejenigen in vorzüg- liche Tätigkeit zu setzen, welche man für die Geschick- 10 testen hält, den gemeinsamen Willen aller zutage zu fördern und auszusprechen. Wo ein regierender Ausschuß durch bestimmtere Qualifikationen feststehend gebildet wird, da muß sich gewiß auch in andern Dingen die zum Grunde liegende aristokratische Gesinnung mit ihren vielfältigen 15 Nachteilen offenbaren, vorzüglich durch Tyrannei gegen aufkeimende Verdienste, durch Haschen nach äußerem Ansehen, durch einen verschrobenen, imwissenschaftlich vornehmen Ton. Die innere demokratische Gesinnung hin- dert aber nicht, daß die Verfassung äußerlich eine monar- 20 chische Form habe, wie wir sie überall und gewiß zu großem Nutzen der Universitäten finden. Derm diejenigen, welche mit ihr verkehren, wenden sich natürlich zunächst an den, von dem die Ausfertigung ausgeht, sei es nun die münd- liche oder die schriftliche. Ist dies nun nur ein unter- 25 geordneter Beamter, so wird dadurch nur zu sehr eine minder achtungsvolle Behandlung des ganzen Körpers er- leichtert. Daher ist es sehr dienlich, daß einer, der übrigens innerhalb nur der erste ist unter Gleichen, außer- halb mit der Würde des ganzen Körpers bekleidet, diesen 30 gegen die | Staatsbehörden, gegen die Einzelnen, und vor- [106] züglich auch gegen die Jünglinge repräsentiere. Dies ist die wahre Idee eines Rektors der Universität, welcher, um dem demokratischen Charakter des Ganzen nichts zu vergeben, aus dem repräsentierenden Körper und von dem- 35 selben nach bestimmten Formen und auf eine bestimmte Zeit muß wählbar sein. Wo ihn der Staat aber ernennt, vielleicht auf lange Zeit oder lebenslänglich, vielleicht gar auch innerlich ihn mit größern Vorrechten begabt, als nur der erste zu sein unter Gleichen, da ist schon die 40 wahre wissenschaftliche Freiheil gefährdet, und ein ver-

166 Schleiermacher.

derbliches Übergewicht solcher Ansichten zu fürchten, welche die Wissenschaft zum bloßen Dienst des Staates herabwürdigen. Denselben demokratischen Charakter muß auch die Geschäftsführung einer jeden einzelnen Fakultät 5 haben. Wo ein Präsidium ist, ist es wechselnd entweder durch Wahl, oder, was bei einer kleineren Anzahl natür- licher ist, durch Reihenfolge, und hebt innerhalb die Gleich- heit aller nicht im mindesten auf. Wenn man irgend, sei es dem Lebensalter oder dem Geschäftsalter, oder aus 10 sonst einem Grunde einem Einzelnen einen inneren Vor- zug einräumt : so muß das Ganze notwendig den Charakter [107] der Schwäch- [lichkeit bekommen, der dem Alter eigen ist, oder leiden durch die Abhängigkeit von der Beschränktheit eines Einzelnen.

15 5.

Von den Sitten der Universität, und von der Aufsicht.

Dies ist die größte Klage, welche seit langer Zeit geführt wird über die deutschen Universitäten, daß im ganzen rohe und allen Umgebenden lästige Sitten, daß

20 eine höchst unordentliche Lebensweise der den Wissen- schaften obliegenden Jünglinge fast unzertrennlich scheint von ihrer ursprünglichen Gestalt und Verfassung, und daß aus dem in ihr gegründeten Majigel an Aufsicht über eine bis zum Übermut mutige Jugend nicht nur eine Menge

25 kleinen Frevels und Störungen der Ruhe entstehen, sondern auch viele von den vortrefflichsten Einrichtungen dadurch vergeblich gemacht werden, und selbst das Beste auf der Universität ohne Nutzen bleibt : so daß man zweifeln müßte, meinen viele, ob nicht dennoch wegen dieses einen Punktes

30 eine Umarbeitung der ganzen bisherigen Form zu wünschen wäre. [108] I Alles durcheinander, was den Gegenstand dieser Be- schuldigung ausmacht, ist unter dem Namen der akade- mischen Freiheit bekannt und verschrieen, von den meisten

35 gefürchtet, wenn es in ihre Nähe kommen sollte, und der Beschreibung nach gehaßt von denen, die sie nicht kennen, oder die vergeßlich und undankbar sind gegen ihre Jugend,

Gelegentliche Gedanken. 167

vielen aber eine erfreuliche und anmutige Erinnerung an die reichste und kräftigste Zeit des Lebens, und wenigen, welche in den Zusammenhang eingeweiht sind, ein inter- essanter Gegenstand, und die dabei vorkommenden Schwie- rigkeiten zu lösen eine wichtige Aufgabe. 5

Sie hat zwei Seiten, diese Freiheit der Studenten, welche wir abgesondert betrachten wollen. Die eine ist die Frei- heit, welche sie in Vergleich mit der Schule, von der sie herkommen, auf der Universität genießen, in bezug vor- nehmhch auf ihre geistigen Beschäftigungen. Sie sind 10 dabei keiner Art des Zwanges unterworfen ; nirgends werden sie hingetrieben, und nichts ist ihnen verschlossen. Nie- mand befiehlt ihnen, diese oder jene Lehrstunden zu be- suchen; niemand kann ihnen Vorwürfe machen, wenn sie es nachlässig tun oder unterlassen. Über alle ihre Beschäf- 15 tigungen gibt es keine Aufsicht, | als nur so viel sie selbst [109] einem Lehrer freiwillig übertragen. Sie wissen, was von ihnen gefordert wird, wenn sie die Universität verlassen, und was für Prüfungen ihnen dann bevorstehen; aber mit welchem Eifer sie nun diesem Ziel entgegenarbeiten 20 wollen, und wie gleichförmig oder ungleich ihn verteilen, das bleibt ganz ihnen selbst anheimgestellt. Man sorgt dafür, daß es ihnen an Hilfsmitteln nicht fehle, um immer tiefer in ihr Studium einzudringen; wie gut oder schlecht sie sie aber benutzen, darüber zieht sie, wenn es auch bemerkt 25 wird, wenigstens niemand unmittelbar zur Rechenschaft. So haben sie also volle Freiheit, sich der Trägheit zu über- lassen und den nichtswürdigen Zerstreuungen, und können anstatt eines löblichen Fleißes die schönste Zeit ihres Lebens unverantwortlich verschwenden. Und was für ein großer 30 Schade ist es nicht, meint man, wenn auf diese Art viele Jünglinge ohne bedeutenden Nutzen von der Universität zurückkehren, da sie allerdings viel würden gelernt haben, wenn sie in besserer Zucht und Ordnung wären gehalten worden, und einem heilsamen Zwang unterworfen gewesen. 35

Allerdings würden manche mehr lernen auf diese Art ; allein man vergißt, daß das Lernen an ( und für sich, wie [HO] es auch sei, nicht der Zweck der Universität ist, sondern das Erkennen; daß dort nicht das Gedächtnis angefüllt, auch nicht bloß der Verstand soll bereichert werden, son- 40 dern daß ein ganz neues Leben, daß ein höherer, der

168 Schleiermacher.

wahrhaft wissenschafthche Geist soll erregt werden, wenn er anders kann, in den Jünglingen. Dieses aber gelingt nun einmal nicht im Zwang; sondern der Versuch kann nur angestellt werden in der Temperatur einer völligen 5 Freiheit des Geistes, schon an und für sich, vornehmlich aber unter Deutschen und mit Deutschen. So wie nur durch Liebe und Glauben, und dadurch, daß man ihn empfänglich annimmt für beides, der Mensch kann unter das Gesetz der Liebe und des Glaubens gebracht werden,

10 nicht durch irgendeine Gewalt oder durch einen Zwang äußerer Übungen; so auch zur Wissenschaft und zum Erkennen, welches ihn befreit vom Dienst jeder Autorität, kann er nur kommen, indem man lediglich durch die Er- kenntnis und durch kein anderes Mittel auf ihn wirkt.

15 indem man schon die Kraft in ihm voraussetzt, welche ihn entbindet, irgendeiner Autorität zu dienen, als nur in- sofern sie sein eignes Erkennen wird, und also aufhört [111] Autorität zu sein. Und nun wir Deutsche noch | besonders, wir geschworenen Verehrer der Freiheit nicht nur, sondern

20 der Eigentümlichkeit eines jeden, die wir nie etwas ge- halten haben von einer allgemeinen Form und Norm des Wissens wie des Glaubens, noch von einer einzigen unfehl- baren Methode dazu zu gelangen für alle, wie können wir anders als annehmen, daß dieser höhere Geist des

25 Erkennens in jedem auf eine eigene Weise hervorbreche ? Wie können wir anders als annehmen und durch unsre Einrichtungen dartun, daß dieser Prozeß durchaus auf keine mechanische Weise könne gehandhabt werden, son- dern einen ganz entgegengesetzten Charakter, nämhch den

30 der Freiheit, in allen seinen Teilen an sich tragen müsse? Darum können wir alles, was dazu gehört, nicht anders als höchst zart behandeln; darum sind wir überzeugt, es müsse jedem von den Anleitungen, die dazu führen, eine große Mannigfaltigkeit dargeboten werden, und versetzen

35 eben darum alle, denen wir zum Erkennen verhelfen wollen, in eine so große Gemeinschaft der geistigen Anregungen aller Art; darum setzen wir voraus, jeder müsse am besten wissen, wieviel von diesen Anregungen er vertragen und sich aneignen könne; darum wollen wir gern Raum lassen [11*^1 ^^^^"^' "^^^ jedem von innen | kommt, als den ersten Spuren und Andeutungen dessen, was wir zu erreichen streben,

Gelegentliche Gedanken. 169

und wollen keinen darin beschränken, wie er beides mit- einander mische und sich in jedes vertiefe; darum lassen wir jeden, soviel es in einer Gemeinschaft möglich ist, auswählen die schönsten und kräftigsten Stunden, und ihn die anderen nutzen, wie er will und kann. 5

So hängt dieser Teil der studentischen Freiheit innig zusammen mit unserer nationalen Ansicht von der Würde der Wissenschaft, und es müßte uns unmöglich sein, die- jenigen anders zu behandeln, welche wir für bestimmt halten, Wissende zu werden. Guter Rat darf nicht fehlen, 10 und die Einrichtung der Universitäten gibt Veranlassung genug, ihn zu erteilen; aber auch die mindeste Spur von Zwang, jede noch so leise bewußte Einwirkung einer äußeren Autorität ist verderblich. Bei einer mechanischen, schul- mäßigen Einrichtung würde es ein Wunder sein, gesetzt 15 auch die Lehrer wären alle vortrefflich, und alles übrige ebenfalls, wenn diejenigen, die wirklich fähig sind zur Erkenntnis zu kommen, auf der Universität und durch sie dazu gelangten; denn je mehr sich der Geist der Wissenschaft regt, desto mehr wird sich auch der Geist 20 der Freiheit | regen, und sie werden sich nur in Oppo- [113] sition stellen gegen die ihnen zugemutete Dienstbarkeit. Und diejenigen, welche die Natur für die Wissenschaft bestimmt hat, sind doch die würdigsten, die eigentlichsten Glieder der Universität; alles ist um ihretwillen da, alles 25 muß sich auf sie beziehen, und nichts darf gelitten werden, was ihnen schlechthin zuwider sein müßte.

Wir haben freilich gesehn, daß die größere Anzahl immer aus solchen bestehen wird, welche nicht bestimmt sind, in das Innerste der Wissenschaft einzudringen; aber 30 ebenso auch, daß es in dem Geiste der Universität liegt, keinen äußeren Unterschied m der Behandlung beider festzusetzen, sondern von der Voraussetzung auszugehn, als würden alle sich zu jener Höhe erheben lassen. Darum müssen alle sich dieser Freiheit erfreuen, und hievon ist 35 um so weniger etwas nachzulassen, da ja gar nicht folgt, daß diejenigen, die freilich nicht den rechten Nutzen aus ihr ziehen, sie deshalb mißbrauchen müssen als eine Lockung zur Trägheit und Zerstreuung. Ist doch auf jeder Universität bei weitem die größte die An7ahl der gar 40 nicht genialisciien oder sich eigentümlich unc' auszej-hnend

170 Schleiermacher.

entwickelnden, aber doch treuen und fleißigen Jünglinge. [114] Und das ist | auch ganz natürlich. Denn diejenigen, in welchen sich keine höhere Kraft regt, und oft wild und verworren genug äußert, ehe sie aus der Gärung in die 5 Klarheit des Bewußtseins übergeht, diese sind desto lenk- samer durch alles, was ihnen edel erscheint. Auf sie ist zu wirken durch die Macht der Liebe und der Ehre, in ihnen ist lebendig zu erhalten die Anhänghchkeit an das Haus, an den Staat, an den Beruf, den sie sich vorgesetzt

10 haben, an alles, was Gesetz und Ordnung heißt. Wenn also Eltern und Pfleger Jünglinge zur Universität senden, in denen sie den Genius vermissen, welcher die Freiheit schlechthin fodert; so mögen sie nur dafür sorgen, sie hinzusenden aufs festeste gebunden durch alle diese schönen

15 Bande. Die Universität kommt ihnen ja auf alle Weise zu Hilfe. Sie bietet religiöse Anstalten dar, welche nicht etwa nur um dieser untergeordneten Glieder willen, sondern ebenso sehr auch für die edelsten und trefflichsten, um die Wissenschaft und die innerste Kraft des sittlichen

20 Lebens auf das festeste zu binden, nirgends fehlen sollten; sie vergegenwärtiget in den Entlassungen derer, welche die- öffentlichen Zeugnisse ihrer fortgeschrittenen Bildung aus- stellen, die Zeit, wo jeder anfängt zu ernten, was er gesäet [115] hat; sie besitzt | eben in ihren Seminarien, ihren Preis-

25 aufgaben, ihren dargebotenen Belohnungen und Ehren- zeichen sehr kräftige Ermunterungen zum Fleiß und Er- weckungen der Ehrliebe. Gibt es aber auf der Universität Jünglinge, welche weder durch diese Mittel zu einem regel- mäßigen Studium zu bringen sind, noch kraft jener Frei-

30 heit selbst und der durch sie sich entwickelnden Innern Lust und Liebe zur Wissenschaft unmittelbar, den dar- gebotenen Unterricht nutzen: so sind dies unstreitig solche, welche gar nicht auf eine Universität, und gar nicht, auch nicht als treue Arbeiter in das Gebiet der

35 Wissenschaft gehören, welche entweder ganz abgeneigt sind der Erkenntnis, oder gar auch einer niedrigen Denkungsart hingegeben. Daß sich dies eher zeigt in diesem Reiche der Freiheit und vielleicht schneller die Oberhand gewinnt, das ist weder für sie selbst, für ihre

40 Sittlichkeit und ihren persönlichen Wert, noch auch für die Gesellschaft ein Verlust zu nennen, welche es lieber

Gelegentliche Gedanken. 171

darauf wagen muß, daß solche, die schon einen unrichtigen Weg eingeschlagen hatten, die Zeit verlieren, oder eihger in ihr Verderben gehn, als daß sie denen, auf welchen ihre schönsten Hoffnungen ruhen, das Mittel entziehen sollte, diese wirklich zu erfüllen. Mögen diejenigen zu- 5 sehn, J welche ihre Pflegebefohlenen in diesen reichen und [116] üppigen Boden verpflanzen, wo freilich ganz umkommt, was seiner nicht bedurft hätte, um zu gedeihen! Die Frei- heit aber, mit jedem den Versuch zu machen, wie er ihm zusagt, darf weder der Staat noch der wissenschaftliche 10 Körper beschränken. Wenn der letzte schon auf den ge- lehrten Schulen über der angehenden Jünglinge geistigen Zustand Gutachten ausstellt, welche ihren Pflegern als Rat und Wink dienen können; wenn der erstere die gesetzliche Notwendigkeit, die Universität besucht zu haben, nicht über 1') die Gebühr auch auf solche Geschäfte ausdehnt, die mit der Wissenschaft gar nicht zusammenhängen; wenn er das Vorurteil nicht beschützt, als seien die Universitäten das einzige Mittel, um zu einem gewissen, sehr mäßigen Grade einer ziemlich oberflächhchen geistigen Bildung zu 20 gelangen: so ist alles geschehen, was geschehen konnte, um diejenigen vor der Universität zu bewahren, denen sie verderblich sein muß.

Doch betrachten wir nun auch die andere Seite der studentischen Freiheit. Diese nämhch ist Freiheit in Ver- 25 gleich mit dem Zustande, welcher auf die Universität folgt, wenn jeder in die bürgerlichen und in die gewöhnlichen geselligen Verhältnisse ein- [tritt. Das Wesenthche dieser [117] Freiheit recht zu fassen, ist eigentlich nicht leicht. Der eigene Gerichtsstand ist wohl nur ein sehr weniges oder 30 gar nichts davon. Auch kann man nicht sagen, daß den Studenten etwa Vergehungen gegen die Gesetze nach- gesehen würden, welche in andern Verhältnissen der Strafe nicht entgehen könnten. Vielmehr genießen sie hierunter keiner andern Begünstigungen, als welcher sich die Jugend 35 überhaupt erfreut, ja sie sind noch Strafen ausgesetzt, welche härter sind als alle sonst gewöhnlichen, weil sie, wenigstens der Absicht des Gesetzes nach, einen entscheiden- den Einfluß auf die künftige Lebenszeit haben. Ebenso- wenig ist die Sache in andern bestimmten Vorrechten zu 40 suchen, welche die Studenten als ein eigen privilegierter

172 Schleiermacher.

Stand genössen. Genau genommen möchte das Wesen dieser Freiheit nur darin bestehen, daß die Studenten unter sich von fast alle dem sich frei halten, was sonst in der Gesellschaft Konvenienz ist, daß sie sich an die Sitten nicht 5 binden, denen hernach jeder in dem Stande, welchen er wählet, sich fügen muß, sondern daß sich auf der Univer- sität die verschiedensten Sitten und Lebensweisen auf das freieste entfalten können. Auf der Straße leben und wohnen [118] auf antike Art; sie mit Musik | und Gesang, oft ziemlich

10 rohem, erfüllen, wie die Südländer; schlemmen, wie der Reichste so lange es gehen kann, oder einer Menge von gewohnten Bequemlichkeiten bis zu zynischer Unordnung entsagen, wie der Ärmste, ohne eines von beiden zu sein; die Kleidung aufs sorgloseste vernachlässigen, oder mit

15 zierkünstlerischer Aufmerksamkeit eigentümlich daran Schnörkeln; eigne Sprachbildung, eigene geräuschvolle Arten, Beifall oder Tadel zu äußern, und ein vorzüglich auf diese ungestörte Mannigfaltigkeit sich beziehender, gewissermaßen öffentlich eingestandener und gestatteter

20 Gemeingeist, dies ist unstreitig das Wesen der studentischen Freiheit, und alles, was sich sonst noch daran hängt, nur zufällig.

So die Sache angesehen, möchte man fast zuerst fragen, warum denn diese Freiheit so übel berüchtiget ist, und

25 warum es sie denn nicht geben soll? Die kleinen Unord- nungen und die Verschwendung väterlicher Güter, welche daraus in einzelnen Fällen entstehen, sind Kleinigkeit gegen das, was die Jugend der begüterten Stände, auch ohne alle Universität, in andern Verhältnissen ausübt. Die

30 kleinen Unbequemlichkeiten, welche den Einwohnern eines

Universitätsortes daraus erwachsen, müssen eben als ein

[119] lokales Übel angesehen werden, deren | eines oder das

andere es doch überall gibt, und nachteiligen Folgen

dieser Art vorzubeugen, ist eine Aufgabe teils für die

35 Polizei, teils für den Einfluß, v/elchen sich Lehrer und Vorgesetzte müssen zu erwerben suchen. Wenn doch diese Freiheit sich so von selbst bildet, daß sie von dem innersten Geiste der Universität unzertrennlich zu sein scheint; wenn doch hier die Mannigfaltigkeit und Eigentümlichkeit der

40 Sitten um so stärker heraustritt, als in anderen Ständen dia Gleichförmigkeit und Charakterlosigkeit überhand

Gelegentliche Gedanken. 173

nimmt : so scheint sie ja ein heilsames Gegengewicht, welches man müßte gewähren lassen, wenm nicht die wichtigsten Gründe entgegenstehn. Man nehme hinzu, daß in der Art, wie die meisten Menschen sich eingestanden ungern den lästigen Formen fügen, wie die niedem Stände den höhern 5 schmeicheln und sich schmiegen, diese Jünglinge, welche die Wahrheit und das Wesen der Dinge und 'des Lebens suchen, zunächst nichts anderes sehen können, als Feig- herzigkeit, Trägheit, niedrigen Eigermutz. Soll man ihnen nicht vergörmen hiegegen den Einspruch so stark und so 10 praktisch als möglich auszudrücken?

Doch es ist wahrlich auch sehr leicht einzusehen, warum diese Freiheit stattfinden muß, und daß sie | Beziehungen [120] von der größten Wichtigkeit hat. Im allgemeinen ist die Zeit, wo der Mensch sein besonderes Talent unterscheiden 15 lernt, wo er sich seinen Beruf bildet und aus dem Zustande des persönlichen Unterworfenseins, des Gehorsams, in ein selbständiges Dasein übergeht, zugleich auch die, wo sein Charakter sich festsetzt, w^o sein Gemüt eine bestimmte Richtung nimmt, und ein bleibendes Verhältnis von Neigun- 20 gen sich entwickelt. Daß also hier der Übergang zur Selbständigkeit, daß das Werden des Lebens durch freie Wahl sich auch äußerlich ausprägt, ist natürlich, und es zeigt sich dies auch mehr oder weniger in allen Verhält- nissen. Bei denenjenigen aber, die sich der Erkenntnis 25 ergeben haben, soll ja diese Entwicklimg nicht nur die eigentümlichste sein, weil sie sonst auf einer niedrigeren Stufe zurückbliebe, als ihrem Streben nach Erkenntnis ziemt; sondern sie muß auch, damit nicht das alte Abgedroschene sich bewähre, daß die Gelehrtesten am wenigsten sehen, 30 was vor den Füßen liegt, ebenfalls eine Sache des Er- kennens sein, sie müssen sich selbst, wie sie werden, auf das bestimmteste finden. Darum eben sorgt man sie aus der Famihe zu entfernen, damit nicht das Gemeinsame derselben die persönliche Eigentümhch- 1 keit zu überwältigen ^^.,.. scheine; darum hält man sie noch zurück von der Ver- bindung mit dem Staate, damit sie dieser großen Gewalt nicht eher anheimfallen, bis sie ihr eigentümliches Dasein, so wie es einem Erkennenden geziemt, festgestellt haben. Dies alles aber würde umsonst sein, wenn sie sich nicht 40 eine Zeitlang in einer Lage befänden, wo sie ganz ihrem

174 Schleiermacher.

eigenen sittlichen Gefühl überlassen sind, wo nichts bloß Äxaßeres, wie eine in der Gesellschaft, welcher sie noch nicht angehören, gebildete Schicklichkeit für sie allerdings wäre, ihre Neigungen zurückhält, wo sie jede Weise und 5 Ordnung des Lebens versuchen und sehen können, wie mächtig jede Lust und Liebe in ihnen zu werden vermag. Dadurch allein werden sie fähig, in der Folge ihre Stellung und ihre Lebensweise richtig zu wählen, und keine anderen Verbindungen zu knüpfen, als die ihrer Natur angemessen

10 sind. Die durch diese Freiheit hier zu weit geführt werden, die ihr eignes sittliches Gefühl nicht in solchen Schranken hält, daß sie ihrer Würde nicht verlustig gehen, das sind offenbar auch die, welche gar nicht auf die Universität gehörten, welche diese Würde, deren sie so leicht ver-

15 lustig gehen, nie besessen haben, und deren, wie man

[122] meint hier erst verderbte, Sittlich- 1 keit nichts gewesen ist

als ein erzwungenes Werk äußerer Zucht und Gewöhnung.

Denn wer in der Tat Wahrheit sucht, und andere sollten

doch nicht sein Mitglieder dieser Anstalt, der ist auch

20 in sich selbst sittlich und edel; bei ihm wird auch die Erkenntnis vorzüglich Eingang finden, die ihn das Niedrige als nichtseiend und leer verwerfen lehrt; und wenn ein solcher auch in mancherlei Verirrungen hineingeworfen wird, und so die Gewalt der Natur an sich selbst erfährt,

25 so werden auch diese nicht an ihm verloren, und noch weniger von solcher Art sein, daß man aufhören müßte, ihn zu achten und zu lieben. Die aber keiner andern als einer von außen hervorgebrachten Sittlichkeit fähig sind, werden auch keiner wahren Erkenntnis fähig sein, ja

30 auch nicht der Einsicht und Bildung, welche selbst in den mehr Untergeordneten auf der Universität soll hervor- gebracht werden. Wenn sie also Schaden leiden durch die Art, wie sich diese Unfähigkeit offenbart, so ist er nicht den für ihre wahren Mitglieder notwendigen Einrichtungen

35 dieser Anstalt zuzuschreiben.

Aber es lohnt wohl, daß man nicht nur das Innere,

sondern auch das mehr Äußerliche dieser Freiheit be-

[123] trachte, nicht nur was sie für den Cha- 1 rakter ist, sondern

auch was für die Sitten. Die Sitten sind der Ausdruck

40 der innern Sittlichkeit, und inwiefern sie sich als etwas Gemeinsames bilden, und als eine Norm für mehrere, sind

Gelegentliche Gedanken. 175

sie der Ausdruck ihrer gemeinsamen Sittlichkeit, ein Werk des Bewußtseins, welches jede Gesellschaft und jede Ab- teilung derselben hat von ihren Verhältnissen. Soll nun die Sittlichkeit reiner werden, und das Bewußtsein klarer: so müssen auch die Sitten und das, was für anständig gilt, 5 nicht unveränderlich sein, sondern bildsam, iind müssen auch wirklich gebildet werden. Hier ist nun eben der Vorzug und die Eigentümlichkeit von Deutschland, daß von jeher die Bildung der Sitten nicht ausgegangen ist von den äußerlich höheren Ständen, deren Hoheit ja eben 10 auch nur Sitte ist, und also in Frage steht, sondern von denen, welchen vermöge ihres Geschäftes die ursprünglich büdende Kraft der Erkenntnis einwohnen muß. Diese haben teils in ihrem Kreise unmittelbar den freieren Stil des Lebens eingeführt, der sich von da aus verbreitet 15 hinauf und hinabwärts; teils prüfend entschieden, was von dem Vorhandenen oder anderwärts neu Entstehenden ver- worfen zu werden verdiene oder angenommen. Die also auf der Universität sich zur | Erkennmis bilden, sind zu- [124] gleich die, welche in Zukunft auch die Sitten bilden sollen. 20 Können wir nun von diesen verlangen, daß sie immer nur aus Gehorsam in Gehorsam gehen sollen, aus dem des väterlichen Hauses in den der Konvenienz ihrer künf- tigen Verhältnisse? Sollen sie von Anfang an und immer dem unterworfen sein, was sie bilden sollen ? Vielmehr 25 kann ja der Übergang von dem Gehorsam zu ihren bilden- den Einflüssen nur der sein durch eine Periode, in welcher sie sich frei fühlen von solchem Zwang, in welcher jeder, eine große Mannigfaltigkeit vor sich habend, seine eigenen Sitten sich frei bildet, wie er sie seinen jetzigen Verhält- 30 nissen angemessen findet; nicht damit sie so bleiben, was ja auch nicht geschieht, sondern damit er lerne, auch in künftigen Verhältnissen die Sitte, die er findet, ihnen an- gemessener gestalten. Darum ist die Universität so not- wendig zugleich ein Sammelplatz von Menschen aus den 35 verschiedensten Gegenden; darum arbeitet diese Freiheit, wie sie sich unter uns gestaltet hat, so vorzüglich auf das hin, was uns grade am meisten fehlt, auf den hberalen Ausdruck des Eigentümlichen auch in einer gemeinsamen Form. Wer Gelegenheit gehabt hat zu beobachten, dem 40 wird -auch nicht entgangen sein, | wie sich die studentische [125]

176 Schleiermacher.

Freiheit als ein wirksames Mittel zu diesem Zwecke be- währt, wie sehr sie, zumal wenn auch die Erkenntnis der Jünglinge auf diesen Punkt gerichtet wird, hilft das Wesentliche und Wahre vom Zufälligen und Leeren unter- 5 scheiden, und finden lehrt, was auf der einen Seite not- wendig geschehen muß, und was auf der andern höchstens geschehen kann unter den gegebenen Umständen.

Daß die Jünglinge sich hernach anfänglich scheu zeigen und verlegen, daß ihre ersten Versuche in der Gesell-

10 Schaft oft linkisch ausfallen, ist kein Unglück, und der Fehler würde sich noch eher verlieren, wenn das Ver- hältnis der Studenten zur Gesellschaft auf der Universität selbst richtiger organisiert wäre. Die Studierenden be- dürfen einer großen Abgeschiedenheit von den übrigen;

15 sie dürfen in die Leerheit des gewöhnlichen geselligen Verkehrs nicht hineingezogen werden. Auf der andern Seite aber kann sich nie eine Klasse von Menschen un- gestraft ganz isolieren. Das rechte Maß ist auch hier ein natürliches. Wenn der Umgang der Lehrer mit den

20 Schülern lebendig und auf den rechten Ton gestimmt ist;

wenn die Ausgezeichnetem, die allein daran teilnehmen

[126] können, auch von allen andern | Seiten so qualifiziert sind,

daß ihnen ein bedeutender Einfluß auf ihre Gefährten

nicht entgehen kann; wenn die Älteren die rechte Gewalt

25 ausüben über die Neulinge, alles ohne dem Wesen der studentischen Freiheit zu nahe zu treten : so wird auch hier das Rechte immer mehr erreicht werden, imd das nach jedem vernünftigen Maßstab rohe imd ungeschlachte Wesen sich immer mehr verlieren.

30 Wohll wird auch dies alles zugegeben, so klagt man

noch über zwei große und wesentliche Übel, welche jene Freiheit begleiten, und von welchen unrecht wäre ganz zu schweigen.

Das eine ist, daß die Studenten alles Nichtstudentische

35 in diesen einen großen Gegensatz als Philisterwesen zu- sammenwerfen, und sich jede nur nicht offenbar straf- fällige Verhöhnung dagegen erlauben. Dieser herrschen- den Stimmung liegt aber etwas sehr Wahres zum Grunde, nämlich der Gegensatz zwischen dem höchsten bildenden

40 Prinzip, welches sie in sich zu entwickeln da sind, und der rohen, gemeinen, der Bildung widerstrebenden Masse, der

Gelegentliche Gedanken. 177

sich ihnen desto stärker aufdringt, je weniger sie selbst noch in dem lebendigen bildenden Verhältnis zu dieser Masse stehn. Die Verachtung und Härte gegen die wider- strebende sittliche und geistige Roheit | sollte man ihnen [127] nur recht tief einprägen, und es ihnen zum Ehrenpimkt 5 machen, in dieser Hinsicht immer Studenten 'zu bleiben. Wenn sie aber glauben, das bildende Prinzip nur unter sich, und überall sonst die verächtliche Masse zu finden : so ist das der Ausbruch des Übermutes, der zurückge- drängt werden muß, und die natürliche Folge jener zu 10 starken Isolierung. Aber im ganzen kann man auch der Gesamtheit dieser Jünglinge Gerechtigkeitssinn nicht ab- sprechen; das Achtungswerte, was sich ihnen als solches offenbart, wissen sie zu ehren. Man zeige ihnen nur recht viel Edles in recht freien Formen; man sorge nur dafür, 15 daß sie nicht imter denen, die ihnen die Nächsten sind, unter ihren Lehrern, das Gemeine haufenweise erblicken: so wird auch hier der Mißbrauch leicht beseitiget werden, ohne daß das Gute verloren geht.

Das andere ist der Zweikampf, und dieser ist eine 20 höchst natürliche und unvermeidliche Erscheinung. Die- jenigen, welche die Wissenschaft suchen und in noch nichts anderes verflochten sind, sind dem Staate mehr als sonst irgend ein Einzelner fremd, und können nicht gewohnt sein, einander aus dem Gesichtspunkte des Bürgers zu 2^ betrachten. Auch insofern sie damit beschäftiget sind, ihrer Person die | höchste Würde zu verschaffen und sich inner- [12bj lieh durch Erkenntnis über alle anderen zu erheben, müssen sie. hinzugenommen das Feuer der Jugend, am reizbarsten sein gegen Kränkungen, die ihrer Person widerfahren, und 30. können weniger als andere in Ehrensachen Recht und Genugtuung vom Gesetz nehmen, da dies fast überall Er- örterungen vorschreibt, welche das reizbare Gefühl aufs neue empören oder Abstufungen in der äußern W^ürde, und demgemäß auch Verschiedenheiten in der Zurechnung 35 und Strafe der Beleidigungen annimmt, welche sie sich nicht können gefallen lassen. Dazu kommt, daß, so wie in den Augen der der Wissenschaft Beflissenen ihre Person den höchsten Wert hat, sie auf der andern Seite noch durch keine besondere Verbindung verpflichtet sind, ihrer 4 ) zu schonen, und daß also für das höchste Gut auch der

Universitätsschriften Fichte, Schleiermacher, SlefTens. 12

178 Schleiermacher.

höchste Preis geboten und gewagt wird. Es hegt zutage, daß die Sühne für persönhche Beleidigungen die Auf- gabe ist. welche der Staat noch am wenigsten zu lösen weiß, und in allen Ständen offenbart sich die Neigung, sich 5 selbst zu helfen. Aus dem Gesagten erhellt nun Avohl, daß, so lange es noch irgend einen Stand gibt, bei welchem der Zweikampf die übliche Form dieser Selbsthilfe ist, [129] gewiß auch auf der | Universität keine andere wird ge- bräuchlich sein, und daß in Zukunft wie bisher alle An-

10 stalten, ihn abzuschaffen, vergeblich sein werden, bis etwa auf einem andern Wege die Gesetzgebung und das herr- schende Ehrgefühl einander näher gekommen sind. Tra- gische Ausgänge sind auch so selten, daß man bei weitem weniger Aufheben von der Sache machen würde, wenn

16 nicht unter den bürgerhchen Ständen eine panische Furcht herrschte vor dem Gedanken an das Klirren der Degen. Daß jedoch großer Mißbrauch mit dem Zweikampf ge- trieben wird, läßt sich nicht leugnen, auch wenn man die Sache selbst als unvermeidlich ansieht. Aber eben gegen

20 diese Mißbrauche ließe sich viel tun, wenn man nicht so hartnäckig darauf bestände, alle Mittel, die man in Händen" hat, nur an der vorderhand unmöglichen Abstellung zu verschwenden. Vorzüglich müßten alle gymnastischen Übungen und namentlich das Fechten unter öffentlicher

25 Autorität kunstmäßig bis zur höchsten Vollkommenheit ge- trieben werden. Dadurch würde der Zweikampf nicht nur minder gefährlich werden, sondern auch, indem jeder sich den Ruf der Gewandtheit, der Stärke, des Mutes schon durch die Übungen erwerben könnte, würden die Treff- (-.jon-i liebsten es am leichtesten verschmähen dürfen, für | jede Ivleinigkeit Genugtuung zu fordern, weil doch niemand es auslegen könnte als Feigherzigkeit, und so würde das Ehr- gefühl selbst von innen heraus sich allmählich berichtigen. Ja auch viele Veranlassungen zum Schlagen würden weg- 35 fallen. Denn auch hier zeigt sich, welch eine gefährliche Sache es ist, wie ein alter Weiser sagt, die Seele zu üben ohne den Leib. Weil es auf den Universitäten so viele gibt, die dieses tun, so entsteht eben daraus auch das Entgegengesetzte, daß viele wiederum den Leib üben 40 ohne den Geist, und in diesen bildet sich dann das äußere Ehrgefühl des Standes, welchem sie angehören, auf eine

Gelegentliche Gedanken.

179

desto herbere und leidenschaftlichere Art bis zur u-irk- lichen Schlagesucht. Ist hierin das Gleichgewicht her- gestellt, so werden nur noch wenige Fälle übrig bleiben für unvermeidlichen Zweikampf. Anerkennen kann der Staat, und selbst die Korporation der Universität, insofern sie 5 gerichtüche Funktionen ausübt, freilich auch^ diese nicht aber sie wird dann die Maßregel, die Zweikämpfe so viel möglich zu Ignorieren, wenigstens auf diejenigen nicht mehr anwenden dürfen, welche die gymnastischen Übungen verabsäumt und sich geschlagen haben, ohne ausgelernte lo Fechter zu sein, auch auf diejenigen nicht, welche den bei weitem | zufäHigeren Schuß dem Gefecht vorziehen Da- [1311 durch würde, bei gehöriger Wachsamkeit, ohne dem Ehr- gefühl zu nahe zu treten, dieses gefährhche Spiel bald m die moghchst engen Schranken zurückgewiesen werden 15

6. Von Erteilung der gelehrten Würden.

Dies ist unstreitig die am meisten veraltete Partie unserer Universitäten. Die scholastische Form der Dis- putationen ist zu einem leeren Spielgefecht geworden: und 20 da man es auch mit dem übrigen durchgängig mcht sonder- lich genau genommen hat, so ist der Kredit fast aller auf der Universität erteilten Würden tief unter den Punkt der Satire herabgesunken. Es fehlt nur noch, daß man es als emeii iMaßstab der größten Schnelligkeit angäbe wie 05 eu-i Student sich in einen Doktor der Philosophie ver-

M-ftf :.• ^'" F^^'' ^"'^"^^ ^^^' ^''^' allgemeinen Mißkredits ist, daß häufig der Staat diese Würden nicht einmal für zureichend hält, um den Besitzern ohne weitere l^rufung die Praxis in den Gerichtshöfen oder auch die 30 ärztliche zu verstatten, was in der Tat eine solche Unzu- I triedenheit desselben mit den Universitäten voraussetzt [132} aaß man sich nur wundern muß, wie er sie doch sonst anerkennt und unterstützt. Fast nur in den ehemaligen klemen Reichslandern und Reichsstädten, die selbst keine 35 Universitäten haben, gleichsam als ob dies nur bei minderer i^enntnis der Sache möglich wäre, hat sich noch die Ach-

12*

180 Schleiermacher.

tung für diese Würden erhalten, welche der Idee der- selben angemessen ist. Und doch geschehen diese öffent- lichen Erklärungen großenteils für den Staat und in Be- ziehung auf ihn. So geht es, wenn ein Institut das klare 5 Bewußtsein seines Zweckes sich nicht erhält, und also verfehlt, sich allmählich nach Maßgabe desselben umzu- bilden. Dann ist ihm späterhin nicht anders mehr zu helfen als durch große durchgreifende Reformen; und nur durch diese könnte auch den Graden, welche die Universität

10 erteilt, ihr verlorenes Ansehn wieder verschafft werden.

Die wahre Bestimmung der gelehrten Würden ist leicht einzusehn, wenn man sich an das bisher Gesagte hält. Soll es einen wissenschaftlichen Verein geben als eine äußere Gesellschaft : so muß es auch eine äußere Hand-

16 lung geben, durch welche der Einzelne aus der übrigen

[lo3J Masse abgesondert und in | denselben aufgenommen wird.

Da mm auf der gelehrten Schule diese Sonderung nicht

streng und eigentlich erfolgen kann, sondern auch zur

Universität noch alle diejenigen müssen zugelassen werden,

20 welche sich auf der Schule nur ein vorläufiges Recht er- worben haben, nach dieser Aufnahme zu streben: so kann diese Handlung nur nach zurückgelegter Laufbahn auf der Universität erfolgen. Natürlich aber ist die Aufnahme selbst und die Entscheidung über die Würdigkeit auf das

25 genaueste verbunden, und die letztere kann nur dadurch entstehen, daß durch die Tat selbst ein einstimmiges Urteil des Aufzunehmenden und derer, welche den wissenschaft- lichen Verein dabei repräsentieren, sich bilde. Hieraus er- klärt sich auch die Form dieser Handlungen im allge-

80 meinen. Es muß dadurch dokumentiert werden, daß der Einzelne den Geist der Wissenschaft als Prinzip in sich aufgenommen hat ; dies geschieht durch das Gespräch, durch die Disputation, wodurch er veranlaßt wird, seine Denkungs- art und das Innere seiner Ansichten zu eröffnen, und zu

35 zeigen, welcher Kombinationen er fähig ist. Dabei hegt

der alte Satz zum Grunde, daß die dialektische Konsequenz

bewähren müsse, ob etwas Aufgestelltes in wissenschaft-

[134J lichem Geist hervorge- 1 bracht sei oder nicht. Es soll aber

auch ferner dokumentiert werden die Fähigkeit des Auf-

40 zunehmenden, die Wissenschaft weiter zu bilden. Darum muß er auch bewähren, wie er in einem einzelnen Felde

Gelegentliche Gedanken. 181

des realen Wissens einheimisch, und mit dessen Fort- schritten sowohl als dessen Bedürfnissen bekannt ist; und dies soll eben geschehen durch die abzufassenden Disser- tationen oder durch die eigentlichen mündlichen Prüfungen. So kann es nicht fehlen, daß in dem Aufzunehmenden, 6 wenn nicht eine von beiden Parteien bösen v Willen hat, ganz dasselbe Urteil entsteht wie in seinen Richtern. Denn mit dem Produkt zugleich, welches ihnen die Anschauung von seinem Zustande gibt, muß sich auch sein eigenes Selbstgefühl dem analog entwickeln. Die eigentliche Auf- 10 nähme besteht nur in symbolischen Gebräuchen, welche die Handlung beschließen.

So erscheint die Sache ganz einfach; allein sie wird weit verwickelter, wenn man sie näher betrachtet. Auf die Universität nämlich gehen viele, die sich zwar nicht 15 durch lebendige Vereinigung des wissenschaftlichen Geistes und des Talentes zu wahren Mitgliedern des wissenschaft- lichen Vereins ausbilden, aber doch vermöge ihres Talentes eine [ Menge von Kenntnissen einsammeln und Fertig- [135] keiten erlangen, und so viel Ehrfurcht und Anhänglichkeit 20 gewinnen für das, was auf dem eigentlich wissenschaft- lichen Gebiet vorgeht, daß man erwarten kann, sie werden . sich in der Anwendung ihrer Talente durch die wissen- schaftlichen Geister leiten lassen. Dies sind Arbeiter auf dem Gebiet der Wissenschaft. Ob nun diese als Mitglieder 25 des Vereins sollen angesehen, und also auch, wiewohl in einem andern Sinne und auf andere Weise, darin auf- genommen werden, oder ob er sie nur durch vorteilhafte Zeugnisse seinen Mitgliedern als brauchbare Werkzeuge für bestimmte Fächer empfehlen soll, das hängt schon 30 davon ab, in wie strengem oder weitem Sinne der Begriff dieses Vereins gefaßt wird, und kann recht sein so oder so. Aber auch unter den wahren Mitgliedern zeigt sich ein Unterschied für den wissenschaftlichen Verein. Ihr Talent nämlich kann, wie wir zu sagen pflegen, mehr 3.') praktisch sein oder mehr theoretisch, und dann auch ihre Gesinnung und Lebensweise m.ehr gelehrt oder mehr poli- tisch. Die letzteren werden, wie sehr sie auch vom wissen- schaftlichen Geiste durchdrungen sind, dennoch mehr dar- nach streben, das Erkannte auf eine reale Weise dar- 40 (\ zustellen, | die Wissenschaft mit dem Leben zu einigen, [loü]

182 Schleiermacher.

und ihre Früchte in dasselbe überzutragen, als daß sie an ihr selbst arbeiten und bilden sollten. Nur diejenigen, aber, welche sich das letzte zum Geschäft machen, werden die höchsten sein für den wissenschaftlichen Verein; nur

5 sie werden die Stellen ausfüllen auf der Universität und in der Akademie, und wenn sie an öffentlichen Geschäften teilnehmen, dieses, eben wie jene das Lehren, nur als Nebensache ansehn. Sie allein sind also die eigentlichen Doctores, von denen aber auch in einem höheren Grade

10 muß gefordert werden, daß sie von dem Zustande einer besonderen Wissenschaft genaue Kenntnis, und in der Hand- habung derselben großes Geschick beweisen. Hier sind nun vorzüglich die Proben der Gelehrsamkeit an ihrer Stelle, und müssen eigentlich immer von der Art sein, daß sie

15 etwas Merkwürdiges bleiben für dieses Gebiet. Ein Doktor, welcher nicht gleich bei seinem Eintritt in diese Würde eine Spur von seinem Dasein zeichnet, welche allgemeine Aufmerksamkeit erregt und während der Epoche, in der sich die Wissenschaft eben befindet, nie ganz verschwinden

20 kann, ein solcher ist eigentlich seines Namens unwürdig.

Was der zu Erhebende mit einer solchen Probe noch

[137] weiter ver- 1 binden will, zum Beweise seines Talentes für

das Lehrgeschäft, welches ihm natürlich anheimfällt, das

hängt am besten von ihm selbst ab, ob ein gelehrtes Ge-

25 sprach oder eine kleine Anzahl von Vorlesungen über einen bestimmten Gegenstand. Oder wenn er dennoch die Form der Disputation wählen wollte, die eigentlich hieher arn wenigsten gehört, und nur in den scholastischen Zeiten der Theologie, aus denen sie herübergenommen ist, alles

30 in allem sein konnte : so müßte ihr nur der Zweck unter- gelegt werden, daß er als Schiedsrichter der eigentlich Streitenden die Gabe zeigte, den Gang ihrer Rede so zu leiten, daß der Gegenstand klar werden müßte, und zu verhüten, daß sie sich nicht durch Mißverständnis immer

o5 tiefer verwickelten.

Welches ist nun aber weiter das richtige Verhältnis der Fakultäten m Absicht auf die Erteilung dieser Würden ? Daß jene Zeugnisse, oder wenn es als mehr angesehen werden soll: der niedrigste Grad von jeder Fakultät für

40 sich erteilt wird, versteht sich von selbst, da es hiebei nur auf die innerhalb ihres besonderen Gebietes erworbenen

Gelegentliche Gedanken. 183

Kenntnisse ankommt. Dasselbige gilt von der höchsten Würde der Doktoren, inwiefern diese von dem vorangehen- den mittleren Grade sich sondert und | allemal auf ihn [138] gepfropft wird. Ohnstreitig ist dies das Richtigste, da jeder, sobald er den wissenschaftlichen Geist in sich leben- 5 dig fühlt, auch nach den äußerlichen Zeichen dieses Vor- zuges streben wird, jenes andere aber, ob Neigung und Talent mehr auf das Praktische hingehe oder auf das Theoretische, sich gewöhnlich erst später entscheidet. Dann also hat man es wiederum nur mit dem Gebiet jeder be- 10 sonderen Fakultät bei Erlangung dieser höchsten Würde zu tun, und jede kann also auch unter dieser Voraussetzung für sich verfahren. Ob aber auch jene eigentlich erste Würde, da sie zugleich die Aufnahme in den gesamten wissen- schaftlichen Verein ist, und dabei alles auf den Geist und 15 das Vermögen der Erkenntnis überhaupt ankommt, ob diese zu erteilen auch die Sache der einzelnen, mehr posi- tiven Fakultäten sein kann, die nur durch ihre Verbindung mit der philosophischen den wissenschaftlichen Verein reprä- sentieren können, und sie nicht vielmehr wo nicht aus- 20 schließlich, doch vorzüglich von der philosophischen Fa- kultät ausgehn muß, dies ist gewiß sehr zu überlegen. Am nächsten scheint hier die theologische Fakultät sich an das zu halten, was die Natur der Sache erfordert. Die niedrigste Bewährung pflegt sie nur durch Zeugnisse zu 25 I beurkunden; von zwei verschiedenen Graden zeigen sich [139] fast nur noch da Spuren, wo sie sich mehr als Spezialschule, und nicht auf eine lebendige Weise mit den andern und der philosophischen zu einer Universität vereiniget zeigt. Bei Erteilung ihrer Doktorwürde aber setzt sie in der Regel 30 die philosophische voraus, und läßt letztere allein auch bei sich den niederen Grad vertreten, natürlich in Voraussetzung der von ihr selbst eingeholten Zeugnisse. Offenbar wenig- stens müßte überall bei dieser ursprünglichen Aufnahme die philosophische Fakultät mit zugezogen werden, da keine 35 andere als sie für sich allein die Einheit des wissenschaft- lichen Vereins unmittelbar repräsentiert. Innerhalb dieser Fakultät selbst aber tritt wiederum mit wenigen Abände- rungen dasselbe Verhältnis ein, welches zwischen ihr und den andern Fakultäten stattfindet, weil sie nämlich in sich 40 selbst auch ein Zentrum hat, die Philosophie im engen

184 Schleiermacher.

Sinne, und nach außen mehrere Seiten, die realen Wissen- schaften. Zeugnisse kann sie nur ausstellen über geschicht- liche und naturwissenschaftliche Kenntnisse; denn wer von der höheren Philosophie nur Kenntnisse hat, ohne den 5 wissenschaftlichen Geist, abgerechnet daß nach solchen [MOJ kaum jemand fragen wird, der hat sie auch nur | geschicht- lich. Zwei Grade aber müßten in ihr auch unterschieden werden, indem alle, welche von der Universität aus ent- weder in die Staatsverwaltung oder in die Naturbearbeitung

10 für den Staat in einem großen Sinne eingreifen wollen, billig den wissenschaftlichen Geist in sich müssen aus- gebildet haben, dennoch aber manches entbehren können, was dem, der den Beruf des Lehrers fühlt, nicht fehlen darf. In beiden Graden wird jeder immer einen bestimmten

15 Zweig des realen Wissens angeben können, von dem er vorzüglich ausgehn will; weshalb denn außer den Philo- sophen im engeren Sinne auch diejenigen vorzüglich seine Richter sein mögen, welche diesen Zweig bearbeiten, wie- wohl auch das nicht das Ratsamste sein möchte, da doch

20 ih der Folge kein Gebiet dem Aufgenommenen verschlossen ist; auf jeden Fall aber werde, wer die Würde eines Dok- tors erhält, zum Doktor der Philosophie schlechthin ernannt, ohne einen Beisatz, der auf eine einzelne Disziplin hin- weiset. Denn die Fakultät, vv^elche vorzugsweise die Ein-

25 heit aller Wissenschaften repräsentiert, die ohnedies von allen Seiten her genugsam verdunkelt wird, muß auch in ihren feierlichen Handlungen diese Einheit bestimmt aus- sprechen. Doktoren der Geschichte oder der Ästhetik zu ' [141] ernennen, ist fremd und lächerlich, und | wird gewiß, wenn

3U man es auch willkürlich einführt, nicht bleibend sein und geschichtlich werden.

Was aber nicht wesentlich zu sein scheint bei diesen Handlungen, sondern nur dem früheren Zustande der Roheit und Unwissenschaftlichkeit unserer Sprache angemessen,

35 das ist der durchgängige Gebrauch der lateinischen in allen diesen Geschäften. Gewiß hat diese Einrichtung, weil die größere Menge sich dabei zu mancherlei Ver- fälschungen versucht fühlen mußte, nicht wenig beige- tragen, die gelehrten Würden selbst um ihren guten Ruf

40 zu bringen. Je mehr wir auch Fortschritte machen, um desto mehr muß gewiß jene schon längst abgeschlossene

Gelegentliche Gedanken. |g-

Sprache sich zur wissenschaftlichen Darstellung für uns, außer auf dem philologischen und vielleicht mathematischen Gebiet, unbrauchbar zeigen. Was für Gewinn soll auch cntstehn, wenn, was deutsch vortrefflich gesagt werden konnte, in römischer Sprache mittelmäßig auftritt? Es ist 5 genug, wenn außer jenen Gebieten die römische Sprache rem imd zierlich bei solchen öffentlichen Gelegenheiten erscheint, welche mehr eine populäre und schöne, als eine wissenschaftliche und gründliche Darstellung fordern, und wo sich der Redner nach Belieben in dem Gebiet antiker Gesinnung und Ansicht halten darf.

1 So ohngefähr gestalten sich die gelehrten Würden, rein [142J aus dem Gesichtspunkt des wissenschaftlichen Vereins an- gesehen; was für Rücksichten aber hat wohl der Staat darauf zu nehmen, oder überhaupt gar keine? Er gesellt 15 sich doch zu der wissenschaftlichen Vereinigung und nimmt sich ihrer an, oder untergibt ihr die von ihm selbst ge- stifteten Unterrichtsanstalten, um gewiß für die Geschäfte, wozu es deren bedarf, Männer von Kenntnissen und von höherer Bildung zu finden. Stimmt dies wohl zusammen 20 damit, daß er doch hernach dem Urteil dieses Vereins nicht traut, und sich nicht darnach richtet? Es läßt sich unterscheiden für den Staat ein niederer Dienst und ein höherer. Wie wohl es getan ist, auch diejenigen, welche, eigentlich für den höheren bestimmt sind, sich dennoch 25 zunächst eine lange Zeit im niedern Gebiet herumtreiben zu lassen; oder wie richtig die Meinung sein mag, daß, wer nur lange genug den niedern Dienst verrichtet hat^ auch wohl geschickt sein werde für den höheren: dies gehört nicht hieher zu untersuchen; die Verschiedenheit 30 in der Sache aber ist einleuchtend und bekannt. Im niedern Staatsdienst gibt es ein ansehnhches Gebiet, welches Kennt- nisse wissenschaftHcher Art erfodert. Wenn die Universität im Namen des wissenschaftlichen Vereins einem | Einzel- [U-il nen das Zeugnis ausstellt, daß er diese besitzt: so weiß 35 ich nicht, was für einen Sinn die Prüfung noch haben soll, welche der Staat durch Beamte über ihn verhängt; so wie, wenn er sich auf das Zeugnis der letztern verlassen will, nicht einzusehen ist, warum er den Besuch der Uni- versität zur Pflicht macht. Diese hinzukommende Prüfung 4u sollte zur Qualifikation des Einzelnen gar nicht gehören;

186

Schleiermach ^

sondern nur um zu erfahren, wozu er sich besonders eignet, und wieviel er schon von den kleinen Fertigkeiten und Notizen mitbringt, welche allenfalls auch erst durch die Übung dürfen erworben werden. Für den höheren Dienst

5 bedarf es nicht nur einer Masse wohlerworbener Kennt- nisse, sondern auch Übersicht des Ganzen, richtiges Urteil über' die Verhältnisse der einzelnen Teile, ein vielseitig gebildetes Kombinationsvermögen, einen Reichtum von Ideen und Hilfsmitteln. Soll dies alles zuverlässig sein und

10 geordnet, so muß, wer sich dieser Gaben rühmt, in das Heiligtum der Wissenschaft eingedrungen sein. Darum eröffnet es auch der Staat seinen künftigen Dienern, und will sie nur aus diesem empfangen. Sollten nun nicht eben hierüber auch die Zeugnisse der wissenschaftlichen An-

13 stalten, wenn sie zweckmäßig und streng erteilt werden, [144] das erste sein, worauf der Staat sich ver-lläßt? Das Vor- urteil, als ob es etwa einem adlig Gehörnen, oder überhaupt der Klasse, welche auf die höheren Geschäfte Anspruch macht, kaum anstehe, einen gelehrten Grad anzunehmen,

20 und ein solcher sich dadurch schon selbst von den Ge- schäften ausschließe und zum Schulstaube verdamme, kann wohl kaum gerechtfertigt werden, sondern muß verschwm- den, wenn Staat und Universität sich selbst und gegen- seitig verstehen. Vielmehr sollte der höhere Staatsdienst

25 gerade nur solchen eröffnet sein; diejenigen, welche sich mit dieser Würde ausschließlich in die politische Laufbahn begeben, sollten überall an die Spitze der Geschäfte gestellt zu werden Hoffnung haben, und auch die, welche mit der Würde der Lehrer bekleidet sich vorzüglich den Wissen-

30 Schäften widmen, sollte doch der Staat als Aufseher, als Ratgeber bei allem, was in ihr besonderes Fach einschlägt, zu gebrauchen wissen. Doch diese Änderung in der gegen- wärtigen Praxis müßten die Universitäten selbst vorbe- reiten; sie müssen ihre gotischen Formen beleben, sie

35 müssen mit den Würden, die sie erteilen, nicht länger ein Spiel treiben und sie mißbrauchen lassen zu leeren Namen.

Anhang [145]

über eine neu zu errichtende Universität.

Man sagt, der preußische Staat fühle das Bedürfnis, auch für seinen verminderten Umfang die verlorene ehe- 5 malige Friedrichs-Üniversität durch eine andere, neu zu errichtende zu ersetzen, und man sagt, es sei beschlossen, in Berlin solle sie errichtet werden. Großenteils in dieser Hinsicht sind die vorstehenden Gedanken gerade jetzt niedergeschrieben und bekannt gemacht worden, und sie 10 würden ihren Zweck verfehlen, wenn nicht von einigem wenigstens die Anwendtmg auf den vorliegenden Fall hinzu- gefügt würde.

Das Gefühl, welches diesen Entwurf erzeugt hat, ist gewiß sehr richtig und achtungswert. Es beweiset, daß 15 Preußen den Beruf, den es lange geübt hat, auf die höhere Geistesbildung vorzüglich zu wirken und in dieser seine Macht zu suchen, nicht aufgeben, sondern vielmehr von vorne anfangen | will; es beweiset ferner ganz bestimmt, [146] was wohl ebenso viel wert ist, daß Preußen sich nicht 20 isolieren will; sondern auch in dieser Hinsicht mit dem gesamten natürlichen Deutschland in lebendiger Verbindung zu bleiben wünscht. Zwei Provinzialuniversitäten hat es bereits. Königsberg für die außerdeutschen, oder viel- mehr, da es ja jetzt keine Beziehung mehr gibt, in welcher 25 das eigentliche Preußen weniger deutsch wäre als Branden- burg, für die nördlichen, Frankfurt für die südlichen Pro- vinzen. Aber mehr können auch diese beiden Anstalten ihrer Natur nach nicht werden; auch Frankfurt ist zu abgelegen, um irgend Ausländer an sich zu ziehn, die 30

188 Schleiermacher.

für eine große Universität von der höchsten Wichtigkeit sind, um die Anlage zu einer hart manierierten intellek- tuellen Existenz, wie sie im eigentlichen Preußen so sehr auffällt, und wie man sie auch auf den königlich sächsischen 5 Universitäten findet, in Schranken zu halten. Frankfurt war nur gut zu einer Missionsanstalt für die Polen, um welche sich Preußen hoffentlich jetzt weniger bekümmern wird. Auch müßte diese Universität, um sie bedeutend zu machen, durchaus neu geschaffen werden, und warum sollte

10 der Staat die Kräfte, welche dazu gehören, an einem übel

[147] gelegenen Ort und an | der Umbildung einer durchaus

untergeordneten und in vieler Hinsicht schlechten Anstalt,

was immer eine ebenso undankbare als schwierige Arbeit

ist, verschwenden, da er mit fast gleicher Anstrengung

15 Neues erbauen kann ?

Aber warum gerade in Berlin ? Potsdam freilich kann wohl kaum einem Sachkundigen einfallen, da eine Uni- versität in einer kleinen Stadt mit dem privilegiertesten Militär und dem Hofe dicht zusammen, der alle Kleinig-

20 keiten notwendig erfahren müßte, in der Nähe der Haupt- stadt eigentlich der wunderlichste Gedanke ist, den man haben kann. Allein Brandenburg, Havelberg, mittlere Städte nahe an der Grenze, also gelegen für die Ausländer, und wo man zum Besten der Universität allmählich große

25 Fonds einziehn könnte, dergleichen sollten einem jeden weit eher in den Sinn kommen, als Berlin. Sollte also bei einer so auffallenden Wahl eine Hinsicht auf Vorteile entschieden haben, welche Berlin allein darbietet ? Diese sind freilich leicht zu sehn, insofern es in den preußischen

30 Staaten der reichste Sammelplatz ist von Gelehrsam.keit,

von Talenten, von Kunstübungen aller Art, insofern es

viele Institute in sich faßt, welche die Universität unter-

[148] stützen und wiederum [ durch die Verbmdung mit ihr

neuen Glanz oder einen höhern Charakter bekommen könn-

35 ten, insofern es zugleich die gebildetsten Formen des Lebens darstellt, und die höchsten W^ürden, zu denen sich der anstrebende Jüngling in jedem Fache emporschwingen kann, ihm dicht imter die Augen bringt. Allein dies sind Vor- teile, deren alle Universitäten, welche für die Wissenschaft

40 und den Staat den meisten Nutzen gestiftet haben, immer entbehrten. Dagegen hat Berlin für eine solche Anstalt

Gelegentliche Gedanken. 189

eigne, nicht zu verkennende Nachteile, die aus der Weit- läuftigkeit der Stadt, der Teurung der Bedürfnisse, der Leichtigkeit der Zerstreuungen, der Mannigfaltigkeit an- dringender Versuchungen, der Ofensitzerei vieler Jüng- linge, die hier schon auf Schulen erzogen, hier auch stu- » dieren, und hier gleich in die Verwaltung tr^eten würden, und eigentlich von allen Seiten, könnte man wohl sagen, unausbleiblich entstehen müssen, Nachteile, welche dem großen Publikum am meisten in die Augen leuchten, und welche es der neuen Anstalt, die ohnehin mit mannig- l*^ faltiger Eifersucht zu kämpfen hätte, schwer machen würden, Vertrauen zu gewinnen. Sollte also jetzt wohl der Zeit- punkt sein, um jener mehr glänzenden als wesentlichen A^orteile willen einen | mißlichen Kampf zu wagen mit [149] diesen Nachteilen? Wer einen so bedeutenden Verlust ge- macht hat, der darf nicht leichtsinnig spekulieren, sondern muß mit sichern Unternehmungen von neuem anfangen, um seinen Kredit zu heben.

Schon unter der vorigen Regierung, zu einer Zeit, wo der preußische Staat durchaus kein Bedürfnis hatte, 20 eine neue Universität zu errichten, wurde ein Plan gemacht zu einer großen Lehranstalt in Berlin, Avelche eigentlich keine Universität sein, aber doch die Dienste der Universi- täten leisten sollte, von einem sehr gebildeten Schriftsteller, der Prinzenlehrer gewesen war und zugleich das Schau- 25 spiel dirigierte. An Feinheit und an Pracht, wie an höfischer Vomehmigkeit v/ird es also dem Entwurf nicht gefehlt haben. Zur Ausführung ist er indes nicht gekommen, wenn man nicht eine und die andere, um diese Zeit entstandene Spezialschule ansehn will als Versuche mit solchen einzelnen 30 Teilen dieses Ganzen, denn auf einen Mittelpunkt und dessen lebendige Kraft mag wohl wenig gerechnet worden sein den Anfang zu machen, bei denen man am v/enig- stcn in Grenzstreitigkeiten käme mit den bestehenden Uni- versitäten. Die Hauptabsicht war ohnstreitig, die gotische 35 Form und das | Zunftwesen der alten Universitäten allmäh- [150] lieh zu untergraben, vorzüglich aber den sogenannten Stu- dentengeist zu tilgen, der von Furchtsamen für höchst furchtbar und verderblich gehalten wurde. Mit solchen Bildungsversuchen aus heiler Haut, ohne daß ein bestimmtes 40 Bedürfnis bestimmte Maßregeln natürlich erzeugte, und

190 Schleiermacher.

ohne daß man von dem Umzubildenden eine vollständige Ansicht genommen hätte, um sich zu überzeugen, wie das wesentliche Gute und die dermaligen Mißbräuche sich gegeneinander verhalten und worin beide gegründet sind, 5 ist es immer eine bedenkliche Sache. Wer Zeit und Kraft übrig hat und es nicht scheut, mit wichtigen Dingen auch zu spielen, der mag dergleichen wagen. Soll man aber wohl glauben, daß eine weise Regierung unter den gegen- wärtigen Umständen einen so entstandenen Plan hervor-

10 suchen werde, dessen Erfinder gewiß durch reife Einsicht in das streng wissenschaftliche Gebiet nicht vorzüglich glänzte, sondern vielmehr durch einseitiges Popularisieren für diesen Gegenstand sich mißempfiehlt, und dessen Haupt- absicht war, einen Geist zu untergraben, den man, mit mög-

15 liebster Beseitigung seiner Auswüchse und verkehrten Äuße- rungen, jetzt mehr als je suchen sollte sorgfältig zu be- [151] wahren als Ei- 1 nigungsmittel für den besten Teil des künf tigen Geschlechtes und als Gewahrsam für echt vater ländischen Sinn? Gewiß, das wollen wir nicht denken

20 um so weniger, da auch jene ganze Methode, die realen Wissenschaften aus dem Zusammenhang mit der Philo Sophie herauszureißen, und entweder auf willkürliche Theo rien zu bauen, oder in bloße Empirie verwandeln zu wollen sich unter uns wohl längst überlebt hat.

25 Es scheint also nichts übrig zu bleiben, um eine solche

Wahl für das Lokale einer neuen Universität zu erklären, wenn sie sich doch in Berlin nicht eben wesentlich besser befinden wird als anderswo, als daß irgend eine Not- wendigkeit vorhanden ist, weshalb sie nur in Berlin über-

30 haupt bestehen kann; und diese ist leicht aufzuzeigen. Denn wenn sie sogleich gestiftet und in Tätigkeit gesetzt werden soll, und wenn ihre Lage allerdings eine solche ist, daß sie sich bei einem kränklichen Anfang kein langes Leben versprechen darf: woher soll sie anderswo alle die

35 Hilfsmittel nehmen, welche einer blühenden Universität notwendig sind? Hätte sie auch Geldkräfte in Überfluß, so sind doch Bibliotheken, Sammlungen von alten Denk- mälern, botanische Gärten, anatomische, mineralogische und [152] I zoologische Kabinette unmöglich im Augenblicke herbei-

40 geschafft; und wie könnte in unsern Tagen eine Uni- versität mit Auszeichnung in die Schranken treten wollen,

Gelegentliche Gedanken. 191

der es an diesen wesentlichen Attributen fehlte ? Dies ist gewiß eine so einleuchtende Ursache, daß nach keiner andern weiter gesucht werden darf.

Wenn also nicht um irgend einer besondern Pracht und Herrlichkeit willen, sondern nur damit sie unmittelbar 5 leben und rasch gedeihen könne, die Universität in Berlin wohnen soll : so scheinen die Maßregeln, die zu ergreifen sind, einander so untergeordnet werden zu müssen, daß man zunächst für alles dasjenige sorge, was der Universität zum selbständigen Dasein notwendig ist ; dann darauf denke, 10 wie die besondem Nachteile zu vermeiden sind, mit denen eben Berlin ihr vorzüglich droht, und nur erst nach diesem, und insofern dieses Nötigere nicht darunter leidet, dürfte man in Betrachtung ziehen, wie nun auch wiederum die besondern Vorteile, welche Berlin darbietet, recht zu be- 15 nutzen wären.

Was das erste betrifft : so scheint zunächst schon die Art, wie die gesuchten notwendigen Hilfsmittel in Berlin vorhanden sind, der Unabhängigkeit der Universität nicht günstig zu sein, wenn man | nicht durch Machtsprüche r^^- ^ eingreifen will in die Ordnungen anderer Anstalten, und das würde ihr wiederum Haß zuziehen. Wo die Uni- versität keinen andern Gebrauch zu machen hat, als der dem Qualifizierten Publikum überhaupt verstattet ist, da ist sie in der Tat auch nur als eine Vermehrung desselben an- 25 zusehn, und die Sache hat keine Schwierigkeit. So müßten, was die Bibliothek betrifft, die Studierenden besondere Lesezimmer haben in dem Universitätsgebäude, und die Bücher von der Bibliothek allemal auf den Namen eines Professors oder der Universität überhaupt dorthin geholt 3) werden. Nur müßte man freilich allmählich auf eine eigne Handbibliothek aus solchen Werken denken, nach denen die Nachfrage besonders häufig sein muß, und die doch auf der Königlichen Bibliothek für das übrige Publikum nicht fortdauernd können entbehrt werden. Bei andern 35 Instituten könnte man es für die beste Auskunft halten, die gegenwärtigen Aufseher derselben zu Professoren ihrer Wissenschaft bei der Universität zu ernennen, und was könnte man in der Tat dieser Besseres wünschen, als einen Willdcnow zu besitzen für die Botanik, und einen Karsten 40 für die Mineralogie ? Allein teils ist damit nicht für immer

192 Schleiermacher.

[154] geholfen, wenn neben der | Universität noch die Bergaka- demie bestehen soll, und das medizinisch-chirurgische Kolle- gium; und es wären dadurch entweder der Universität oder diesen beiden Korporationen, die unter ganz anderer 6 Aufsicht stehen und eine ganz andere Bestimmung haben, die Hände gebunden für die Zukunft; teils ist es dem echten Geist einer Universität zuwider, daß nur einer aus- schließend befugt oder instand gesetzt sein soll, eineWissen- schaft zu lehren. Hier entsteht also die freilich schwierige,

10 aber doch auch nicht unauflösliche Aufgabe, solche In- struktionen zu entwerfen und solche Garantien zu geben, daß die Universität nichts aufgeben müsse, was ihre Natur wesentlich erfordert, und doch auch in frühere bestimmte Rechte so wenig als möglich eingegriffen würde. Ähn-

15 liches würde vielleicht geschehen müssen in Absicht des anatomischen Kabinetts und der Tierarzneischule, wiewohl letztere sich wohl am leichtesten und vorteilhaftesten auf gewisse Weise mit der Universität vereinigen ließe.

Doch nicht nur in Beziehung auf die Hilfsmittel, son-

20 dern auch auf die Personen der Lehrer und Schüler, ist es eine Aufgabe, die leicht verfehlt werden kann, der Uni- versität ihre Unabhängigkeit gleich anfangs zu sichern. [155] Wenn man nämlich etwa | das Personal der Lehrer, ich will nicht sagen ausschließend, aber doch größtenteils aus

solchen Gelehrten zusammensetzen weilte, die bereits in andern Verhältnissen in Berlin leben : so würde es, wie vortrefflich auch die IVIänner sein mögen, mit dem freien Dasein der Universität nur schlecht bestellt sein. Es ist bekannt, wie gefangennehmend das Geschäftsleben ist, zu-

.^0 mal ein genau ausgearbeitetes und spitzfindig eingerich- tetes, und Gelehrte, die einmal in dieses eingelebt sind, werden immer ihre Anstellung bei der Universität nur als eine Nebensache ansehn, nicht viel anders als die Vor- lesungen, welche sie schon jetzt zu halten gewohnt sind.

P5 Hiezu kommt, daß sie durch ihre andern Geschäfte mit der Zeit beschränkt sind auf eine Weise, die mit der natürlichen Ordnung der studierenden Jünglinge nicht wohl vereinbar ist. Dasselbe gilt von denen, welche auf höheren oder besonderen Schulen als Lehrer angesetzt sind, und

40 diese müßten sich überdies noch zwei ganz verschiedene Methoden des Lehrens aneignen, was schwerer sein mag.

Gelegentliche Gedanken. 193

als man glaubt. Von solchen Kollisionen darf die Uni- versität nicht abhängen; und überhaupt, wäre sie für die meisten Lehrer nur eine Nebensache, so würde sie es bald auch für die Schüler sein; sie würde trotz alles | Vortreff- [156] liehen, was sie in sich vereinigte, nur wenig Vertrauen 5 finden und auch wxnig verdienen, weil sie bald gewissen administrativen Kollegien gleichen würde, in denen es auch nie an vortrefflichen Männern gefehlt, über die man doch aber immer geklagt hat, eben weil sie für alle diese Männer nur eine Nebensache waren. Gewiß ist es durchaus not- 10 wendig, Lehrer anzusetzen, welche kein anderes als ge- lehrtes Geschäft treiben, und auch nicht nötig haben, sich um ein anderes, am wenigsten administratives, zu bewerben, und welche zugleich schon als Universitätslehrer Übung und Ansehn haben, und zwar in solcher Anzahl, daß das 15 Wesentliche in jeder Fakultät durch sie allein könnte ge- deckt werden; und nur in diesem Fall wird man sagen können, daß die Universität auf festen Füßen steht. End- lich darf die Universität auch nicht, und zwar unter den gegenwärtigen Umständen am wenigsten, abhängen von 20 der Wohlhabenheit der Eltern, welche glauben, ihre Söhne für einen Aufenthalt in Berlin hinreichend versorgen zu können. Auf diesem Wege würde man nur eine kleine Anzahl zierlicher und vornehmer, oder üppigreicher und lockerer Studierenden bekommen, deren größter Teil den 25 Lehrern, welche es mit der Wissenschaft redhch meinten, eben nicht 1 viel Lust und Liebe einflößen würden. Noch [157] keine Universität hat ohne einen Unterstützungsfonds be- standen, und ein solcher müßte vorzüglich für Berlin herbei- geschafft werden. Würde er nach den oben aufgestellten 30 Grundsätzen verwaltet : so würde die Besorgnis wegfallen, daß durch Unterstützungen nur ungeschickte und uner- zogene Arme herbeigelockt würden. Besonders zweckmäßig aber wäre es für Berlin, wenn alle Unterstützungen nicht sowohl in barem Gelde beständen, als in unentgeltlicher 55 und zugleich ehrenvoller Darreichung wesentlicher Bedürf- nisse, Wohnung, Speisung, Pleizung. Dadurch würde auch am leichtesten der Privatreichtiun angelockt werden, zu diesen Unterstützungen beizutragen. Allein nicht nur für das wahre Bedürfnis muß gesorgt werden, sondern auch tO für die großenteils ungegründete Furcht der Auswärtigen

Universitätsschriften Fichte, Schleiermacher, Steffens. 13

194 Schleiermacher.

vor einer unmäßigen Teurung in Berlin muß etwas ge- schehen. Viel tut freilich schon die Hoffnung, daß jeder Fleißigste und nicht nur der Ärmste an den öffentlichen Unterstützungen Anteil nehmen kann. Dann sorge man 5 dafür, daß unter öffentlicher Autorität wenigstens für den Anfang einige Personen die Vermittlung zwischen den Stu- dierenden und den Hausbesitzern und Speisewirten über- [158] nehmen, billige Kon- 1 trakte abschließen, und die verschie- denen Preise, welche sie halten können, gehörig bekannt 10 machen, damit jeder die Sicherheit habe, bald und leicht zu finden, was seinen Vermögensumständen angemessen ist. Auch dieses muß man noch verhüten, daß nicht zu sehr überhandnehme das Unterrichterteilen der Studierenden, um sich Erleichterung- zu verschaffen. Dies ist freilich in 15 Berlin verderblicher als anderswo. Am besten aber ge- schähe dies durch V^orkehrungen, die nicht von der Uni- versität ausgehen müßten, sondern von der Behörde, welcher die Aufsicht über den Unterricht überhaupt obliegt.

Wie dieses schon eine Zerstreuung ist : so möchte man 20 im allgemeinen die mannigfaltigen Gelegenheiten zu Zer- streuungen aller Art obenanstellen unter den Nachteilen, . die in Berlin vorzüglich zu befürchten sind. Auch hiemit möchte es aber so arg nicht sein, als man glauben will. Das Sehenswürdige der Stadt selbst und ihrer Umgebungen, 25 und alles, was man unter dem Namen der Merkwürdigkeiten begreift, ist nur gefährlich durch die Neuheit, also nur für die erste Zeit, und es gibt gewiß keine Universität, wo nicht den meisten über solchen Neuigkeiten ein Teil von dieser verloren ginge. Natürlich wird sich auch die Uni- rio91 ^^^^^^ä^ ^^ einem | Teile, und wahrscheinhch nicht in der glänzendsten Mitte der Stadt zusammendrängen, und der Fleißige leichter, was in den übrigen vorgeht, ignorieren können. Von allen Ergötzungen aber und Lustbarkeiten, welche ebenso viel Aufwand fordern, als sie Zeit kosten, 65 die theatralischen und musikalischen Darstellungen an der Spitze von diesen, ist eben des Aufwandes wegen wenig zu besorgen. Wenn nur der Studierende außer stand gesetzt ist, seine notwendigen Bedürfnisse fortdauernd unbezahlt zu lassen und den größten Teil seiner Zuschüsse an der- 40 gleichen Vergnügungen zu verwenden, so wird er bald auf ein für seine Zeit gar leidliches Maß gebracht sein.

Gelegentliche Gedanken. 195

Und dies ist gewiß zu erreiclien, wenn nur die Gesetze über das Kreditwesen der Minderjährigen wirklich in Anwendung gebracht werden. Dies ist in der Tat in Berhn leichter als anderswo, weil keine Klasse von Bürgern genötigt sein wird, fast ganz von den Studierenden zu leben und also 5 um ihre Gunst zu buhlen. Auch werden schon alle die- jenigen jungen Leute sich mehr vor nicht ganz ehrenvollen Schulden hüten, die nun beim Abgang von der Universität ihren Gläubigern nicht entgehen, sondern in Berlin bleiben, um dort ihre erste Anstellung zu suchen, und dadurch wird JIO I bald eine ernstere Ansicht von dieser Sache herrschend [160] werden. Nur daß man ja nicht auf den unseligen Ge- danken einer Zahlungskommission komme ! Doch man hat ja wohl gesehn, wie wenig Eingang, allen eingezogenen Nachrichten zufolge, sie anderwärts gefunden und wie noch 15 viel weniger sie ausgerichtet hat. Auch ist nichts in der Welt dem Wesen einer Universität mehr zuwider. Soll die Bildung des Charakters mit der des wissenschaftlichen Geistes gleichmäßig fortschreiten; soll der Jüngling sich in dem Maß und Verhältnis seiner Neigungen kennen 20 lernen : so muß er Freiheit haben, auch in seinen Aus- gaben jetzt dieses, jetzt ein ganz entgegengesetztes Ver- hältnis einzuführen; er muß die Bequemlichkeiten sowohl, als die Gefahren der Ordnung wie der Unordnung und was sonst hierher gehört, kennen lernen, damit, wenn er ins 25 tätige Leben tritt, er nicht erfahrungslos erscheine, sondern als ein gemachter Mann, der auch über seine eigene Lebens- weise sicher ist. Diese Freiheit ist notwendig. Mißbrauch im einzelnen wird immer stattfinden; aber den gibt es ja auch in den späteren Perioden des Lebens, und übel wäre 30 uns geraten, und schlecht wäre es um die Regierung jeder Angelegenheit bestellt, wenn uns nichts übrig bliebe, | als [161] um des Mißbrauchs willen dem unentbehrlichsten Gut zu entsagen. Sollte unsre Gesetzgebung und Polizei noch nirgends so weit gediehen sein, daß man ihr die reine 35 Aufgabe vorlegen dürfte, den Mißbrauch möglichst einzu- schränken ohne die Aufopferung wesentlicher Vorteile ?

Dasselbige gilt auch wohl von den Ausschweifungen vorzüglich des Geschlechtstriebes und der Spielsucht, von welchen man unsägliches Unheil fürchtet für eine Uni- 40 versität, die in Berlin wäre. Freilich gefährliche Klippen!

13*

196 Schleiermacher.

allein wohl nicht viel gefährlicher in Berlin als an jedem andern Orte. Es werden immer, solange Berlin eine Hauptstadt bleibt und seinen ehemaligen Charakter nicht ganz verleugnet, viele junge Leute sich dort aufhalten, 5 die reicher sind und mehr üppige Verwöhnungen haben als die Studierenden, und daher werden auch diejenigen Klassen, welche von der Sittenlosigkeit der Jugend leben, ihre Nachstellungen mehr auf jene richten, als auf diese. Dagegen in kleineren Städten die Studenten fast die einzige

10 Jugend sind, welche in Betracht kommt, und alle Künste

der Verführung ausschließend gegen sie gerichtet werden;

[162] ein Umstand, durch welchen jener Unterschied reich- ] lieh

aufgewogen wird; wie denn in einer Residenz freilich alles

Böse glänzender und verführerischer ist als an andern Orten,

15 aber auch zumal, was von dieser Art das Ausgesuchteste ist und das Glänzendste, die Geldkräfte eines Studenten, der seiner Natur nach überall Liberalität übt, gar bald übersteigt. Daher scheint in dieser Hinsicht nur zweierlei notwendig zu sein. Einmal, daß die Wachsamkeit der

20 Polizei gegen alle Anstalten der Verführung geschärft werde, daß sie sich es z. B. zum Gesetz mache, welches gar nicht ausgesprochen werden darf, ihr sonst so oft vernachlässigtes Recht gegen Spielhäuser mit der größten Strenge auszuüben, sobald Studenten darin angetroffen werden; daß ferner

25 bekannt gemacht würde, Klagen in Unzuchtssachen sollten gegen eine gewisse Klasse junger Leute, unter welche sich die Studenten ganz natürlich subsumieren müßten, gar nicht angenommen werden, und was für ähnliche gute Maßregeln sich sonst nehmen ließen. Dann aber auch müßte alles

30 mögliche geschehen, um die Studenten vor niedrigen Arten

des Umganges und der Vergnügungen zu bewahren, und

strenge Ehrbegriffe auch in dieser Hinsicht unter ihnen

[163] aufrecht zu erhalten. | Denn freilich in dem Maß, als sie

sich mit dem Niedrigen auf dem Gebiete des Umganges

35 und der Vergnügungen behelfen müßten, würden sie auch den niedrigsten Arten der Verführung preisgegeben und dann sicher verloren sein.

Beide Vorschläge hängen zusammen mit zwei wich- tigen Fragen, die wir nicht ganz unerörtert lassen können;

40 die eine ist die: unter welcher Obrigkeit sollen die Stu- denten stehen? die andre die: wie sollen sie in der Ge-

Gelegentliche Gedanken. 197

Seilschaft angesehen werden? Was die erste betrifft: so ist wohl jetzt niemand, der nicht die Unzweckmäßigkeit der eigenen Universitätsgerichte einsähe, und man kann sagen, daß sie auf preußischen Universitäten schon seit langer Zeit vorzüglich ist gefühlt worden. Es würde hier 5 zu weit führen, die Sache historisch zu beleuchten, und zu zeigen, wie weit die gegenwärtigen Umstände von denen unterschieden sind, unter welchen diese Einrichtung ur- sprünglich ist getroffen worden. Auf der andern Seite muß es allerdings ein Mittel geben, gefährliche Subjekte 10 zu warnen und sogar zu entfernen, wenn sie auch noch nichts begangen haben, was eine so strenge Ahndung von Seiten gewöhnlicher Gerichtshöfe veranlassen könnte. Daher I scheint man beides verbinden zu müssen. Die Studenten [164] seien in allem, was sich zu einer gerichtlichen Klage quali- 15 fiziert, der gewöhnlichen Obrigkeit unterworfen; aber es gebe zugleich eine disziplinarische Kommission, aus den Vorstehern der Universität zusammengesetzt, welche nicht nur als Polizeimaßregel mancherlei Strafen, nicht ausge- schlossen die Entfernung der Studenten von der Universität, 20 ausschließend verfügen könne, sondern an welche auch die Obrigkeit angewiesen sein muß, Klagesachen gewisser Art, nachdem sie sie gehörig eingeleitet, immer zurück- zuweisen, und dann unter ihrer Autorität die Entscheidung der Kommission zu publizieren und auszuführen. Wer diese 25 Maßregel genauer durchdenkt, wird sehn, wie durch sie eine Menge von Schwierigkeiten bei weitem am leichtesten gehoben werden. Nur solange noch ein mehrfacher Ge- richtsstand besteht, darf die Obrigkeit der Studenten keine andere sein als die der sogenannten Eximierten. Sie ist 30 die Obrigkeit ihrer Lehrer, und größtenteils das Forum des Standes, dem sie entgegengehn. Ja schon deshalb kann es nicht anders sein, vv'cil man doch den Adligen unter ihnen dies Vorrecht nicht streitig machen könnte, und unter 1 den Studenten selbst alle Spuren von Unter- ^i*,., schied des Standes soviel möglich müssen vertilgt werden. Was aber die zweite Frage betrifft über die Gesell- schaftsverhältnisse der Studierenden: so kann freilich weniger die Rede davon sein, was geschehen solle, als was wahrscheinlich geschehen werde, und nach welcher Seite 40 hin man dem gemäß die öffentliche Meinung müsse zu

198 Schleiermacher.

lenken suchen. Viele besorgen, der Student werde sich sehr zurückgesetzt fühlen in Berlin, und als ein armseliges, ganz unbedeutendes Wesen erscheinen, und das wäre aller- dings ein großer Nachteil. Allein wird nicht jeder bessere

5 Lehrer es sich zur Pflicht machen, seine ausgezeichneteren Schüler in seinen gesellschaftlichen Kreis zu ziehen und ihnen auch dadurch seine Achtung und seine nähere Teil- nahme zu beweisen? Werden nicht sehr viele empfohlen sein an Bekannte des väterlichen Hauses ? Für alle diese

10 wäre gesorgt genug in dieser Hinsicht, und vielmehr bei der großen gesellschaftlichen Leichtigkeit Berlins nur zu befürchten, daß sich hieran schon zuviel gesellschaftliche Zerstreuungen anknüpfen möchten, und daß durch zu viel- faches und frühes Schmiegen in die gesellschaftlichen Ver- ,^^J^ hältnisse und die eingeführten | Sitten der Charakter der studentischen Freiheit verschwinden und die wohltätigen Einflüsse derselben verloren gehen möchten. Auf der andern Seite wäre dies gesellschaftliche Verkehr freilich nicht all- gemein ; die so Vorgezogenen würden leicht von ihren

20 Genossen zu weit entfernt, und die Zurückgesetzten eben dadurch genötigt, sich entweder ganz zu isolieren, oder sich Gesellschaften von untergeordneter, niedriger Art auf- zusuchen. Darum wäre es in Berlin ganz notwendig, auch wieder das Untersichsein der Studenten, wo der eigene

25 und freie Stil des Lebens seinen Platz hat, und ihren eigenen Gemeingeist zu befördern, notwendig, sie fühlen zu lassen, daß sie schon als Studenten, als diejenigen, auf denen die wichtigsten Hoffnungen des Vaterlandes ruhen, eines Grades von öffentlicher Achtung und Aufmerksamkeit genießen,

30 deren sie sich nicht unwürdig machen dürfen, und deshalb zweckmäßig, daß man die landschaftlichen Verbindungen, welche sich um so zuverlässiger bilden werden als das Ganze den Charakter der Universität trägt und als die gymnastischen Übungen an der Tagesordnung sind, mit

35 Klugheit dulde und leite, daß man nicht jede Art, sich [167] äußerlich auszuzeichnen, verbiete, 1 und daß man erlaube, daß bei gewissen Gelegenheiten die Studenten als Korpora- tion öffentlich auf eine ehrenvolle Art erscheinen und re- präsentieren dürfen. Auf solche Weise wird man am besten

40 ihr ganzes Verhältnis zur übrigen Gesellschaft in die rechte Temperatur setzen.

Gelegentliche Gedanken. 199

Indem auf diese Weise der eigentümliche Geist der Universität und die notwendige Freiheit der Studierenden beschützt und erhahen werden, verschwinden zugleich zum Teil wenigstens die üblen Folgen davon, daß immer ein ansehnlicher Teil der Jünglinge seinen Aufenthalt nicht 5 verändert und auf der Universität wie auf der Schule dem elterlichen Hause einverleibt bleibt. Denn um an der Achtung, welche die Korporation genießt, teilzunehmen, werden sie sich zu dieser halten müssen, indem der leichte Spott über diejenigen, die sich ausschheßend auch in der 10 Universitätsperiode an die Familie halten wollen, von dem echten Studentensinn, wenn er sich frei entwickeln darf, unzertrennlich ist. Auch die Verwandlung der öffentlichen Unterstützungen in Speisung und Behausung wird einiges beitragen, um Einzelne aus dem beschränkten Familien- 15 leben herauszureißen, und darum sollte 1 man vorzüglich ^168] auch allen für Berliner bestimmten Benefizien diese Ein- richtung geben.

Sind nun im allgemeinen die ursprünglichen Einrich- tungen in dem Sinne festgesetzt, um das unabhängige Be- 20 stehen der Universität zu sichern und die nachteiligen Verhältnisse, die in Berlin für sie eintreten, möglichst zu beschränken: dann erst und wenn sich das WesentUche so bewährt hat, kann man fragen, wie nun auch die be- sondern Vorteile, welche BerHn darbietet, möglichst können '25 benutzt werden.

Zuerst ist unstreitig Berlin der Ort, an welchem sich auch in Zukunft die Universität am vortrefflichsten mit Dozenten versorgen kann, mit Ausnahme des eigentlich spekulativen Faches, für welches man wahrscheinlich immer 30 am besten tun wird, sie von auswärts zu holen. Was aber die übrigen Zweige betrifft, so ist oben auseinandergesetzt worden, wie bei manchem, der seine erste wissenschafdiche Bildung vollendet hat, unentschieden sein kann, ob er mehr Talent vmd Neigung habe, seine Einsicht und Gesinnung 35 in der Verwaltung des Staates geltend zu machen, oder auf dem Lehrstuhl. Anderwärts muß dies oft übereih oder nach bloß äußeren Be- 1 Ziehungen entschieden werden; [169] und ist die Wahl einmal gemacht, so ist sie meistenteils unwiderrufHch. An einem Orte hingegen, welcher beides. 40 das Zentrum der Verwaltung und die Universität, in sich

200 Schleiermacher.

faßt, hat jeder Gelegenheit, sich hinreichend zu prüfen; er kann sich beide Schranken öffnen lassen, und sich so lange in beiden versuchen, bis der innere Zwiespalt ihm selbst überzeugend entschieden ist, und sich das eine Talent 5 bedeutend über das andere herausgehoben hat. Ja auch die kürzesten Blüten der Lehrgabe dürfen an einem solchen Ort nicht verloren gehen; sondern in wem sich, wenn er einmal wissenschaftlich durchdrungen ist, vielleicht mitten in den Geschäften der Verwaltung irgend eine eigentüm-

10 liehe Ansicht so weit entwickelt hat, daß er fühlt, er könne eine klare, durchgreifende, aufregende Darstellung davon geben; oder wer in seinen wissenschaftlichen Nebenstunden irgend einen einzelnen Zweig einer Wissenschaft mit Gründ- lichkeit und mit solchem Erfolg getrieben hat, daß er glaubt

15 durch seine Entdeckungen oder seine eigentümliche Me- thode auf dem Katheder nützlich zu werden, der kann es besteigen. Ebenso haben wir gesehen, wie gar oft, be- [170] sonders bei denen, die als [ Lehrer auf der geschichtlichen Seite der Wissenschaft stehen, wenn das vergängliche Talent

20 des eigentlichen, für die Universität gehörigen Lehrens zu verblühen anfängt, die Neigung zur praktischen und poli- tischen Anwendung der Wissenschaft wieder die Oberhand gewinnt. Nirgends läßt sich nun dieser natürlichen Um- wandlung milder und leichter entgegenkommen durch einen

25 allmählichen Übergang, als in der Hauptstadt, so daß auf der einen Seite auch noch die letzten Äußerungen der Lehr- gabe genutzt werden können, und auf der andern keiner, dessen Lust und Kraft nicht mehr der Universität gehört, ihr, weil er seine rechte Stelle nicht finden kann, eine

30 unnütze Last sei. Aber freilich wird dieser Vorteil nur in dem Maß erreicht werden können, als der Staat das Ver- trauen hat, daß, wer m der Wissenschaft gelebt hat und von Ideen durchdrungen ist, auch die notwendigen empi- rischen Einzelheiten schnell auffassen, sich leicht in die

35 Kenntnis der Sachen versetzen, und durch ein höheres Talent die Länge der Dienstzeit ersetzen kann; nur in dem Maß, als er in der Organisation seiner ganzen Ver- waltung den wesentlichen Unterschied zwischen dem kleinen [171] Dienst und dem großen stärker hervor- 1 treten läßt als bis-

40 her; und nur in dem Maß, als gleich die Erteilung der gelehrten Würden, als der unentbehrlichen Qualifikation

Gelegentliche Gedanken. 201

sowohl für einen angehenden Universitätslehrer, als für einen, der in den großen Staatsdienst treten will, auf einen solchen Fuß gesetzt wird, daß sie wieder allgemeinen Kredit gewinnen, und das Vorurteil keine Nahrung findet, daß, wer sich mit ihnen befasse, dadurch zugleich seine Unfähigkeit 5 imd Unlust zu Geschäften bekunde. Dann -könnte eine Universität in Berlin vor allen andern den Vorzug haben, immer lauter frische, kräftige, lehrlustige und in dem rechten Verhältnis zur studierenden Jugend stehende Lehrer zu besitzen. 10

Nächstdem kann sie sich auch auszeichnen durch einen Reichtum an Lehrern auch für das Besonderste und für die vom Mittelpimkt der Erkenntnis am weitesten ent- fernten technischen Disziplinen. Man denke hiebei zu- nächst an die schon in Berlin bestehenden Spezialschulen, 15 die chirurgische Schule, die Bauschule, die Bergwerks- schule; denn Akademien wünschten wir sie nicht nennen zu müssen, wo Unterricht bis ins kleinste des äußern Appa- rats und der Hilfsfertigkeiten für einzelne Wissenschaften I erteilt wird, Unterricht, welcher eigentlich auch dem r.-i^. Studierenden offen stehn muß, damit er selbst seine äußer- lichsten Talente versuchen und verhältnismäßig ausbilden kann, und auch die äußerliche Seite des wissenschaftlichen Gebietes kennen lernt. Auf eine mehr zufällige und un- sichere Weise könnten diese Anstalten der Universität nütz- 25 lieh werden, wenn nur die bei ihnen angesetzten Lehrer Erlaubnis erhielten, die wesentlichen Disziplinen ihrer An- stv^lt auch bei der Universität vorzutragen. Vielleicht aber könnte noch etwas Größeres ausgerichtet werden, wenn man die Anstalten selbst auf eine gewisse Weise mit der 30 Universität vereinigte. Jetzt haben sie ein gar besonderes Ansehn. Neben dem Fach, welchem sie zunächst gewidmet sind, haben sie noch Lehrer in allgemeinen Wissenschaften, die mit jenem zunächst zusammenhängen, was sich in der Nähe der Universität hernach wunderlich ausnehmen wird. 3") Man sollte sie vielleicht in zwei Teile teilen; der eine wäre die Schule, und bearbeitete diejenigen, welche sich diesem Fach gewidmet haben, ohne nach wissenschaftlicher Bildung zu streben. Der andere, höhere würde mit der Universität vereinigt; die Zöglinge wären Studenten in 40 vollem Sinn, | die Lehrer Professoren, und der Unterricht [173J

202 Schleiermacher.

ganz in den der Universität aufgenommen. Die niedere Klasse könnte ebenso mit den gelehrten Schulen in Ver- bindung gesetzt werden, und diese mit der Universität selbst durch solche Mittelglieder in eine nähere Gemein- 5 Schaft treten, so daß beide, ohne von ihrer Eigentümlichkeit etwas aufzugeben, doch auch wieder als ein Ganzes an- zusehn wären, und die Hauptstadt auch hierin das be- stimmteste sinnliche Bild von dem Einssein aller Teile im Ganzen aufstellte.

10 Dasselbige könnte endlich auf der andern Seite auch

geschehen in Beziehung auf die Akademie der Wissen- schaften. Zwischen dieser und der Universität gibt es, wie wir schon gesehen haben, eine natürliche Gemein-; Schaft; der Universitätslehrer arbeitet sich allmählich in

15 die Akademie hinüber, und ein großer Teil der Akademiker hat immer noch Zeiten, wo es ihn drängt, im Einzelnen die Funktionen eines Universitätslehrers zu versehen. Diese Gemeinschaft könnte hier auf eine höchst wünschenswürdige Weise organisiert werden, ebenfalls ohne daß beide An-

20 stalten äußerlich eins würden und aufhörten, das Eigen-

[174] tümliche ihres Zweckes und We-|sens auf das bestimmteste'

auszusprechen, sondern nur so, daß durch die Einzelnen,

welche mit Recht beiden angehören, für das Leben ein

allmählicher Übergang stattfände und eine freundschaft-

25 liehe Verbindung beider Anstalten, in welcher sich wie- derum die Einheit der ganzen wissenschaftlichen Organisa- tion sinnlich darstellte. Die Einflüsse, welche wir der Aka- demie und den Akademikern auch auf die Universität zugeschrieben haben, und ihre überall unbeschränkt zu

30 erhaltende Freiheit, sich selbst zu erneuern, sichert hin- länglich gegen die wunderliche Ansicht, als würde dann die Akademie nur eine Versorgungsanstalt sein für abgelebte Professoren; vielmehr wird sie durchaus in der wissen- schaftlichen Republik erscheinen als die ehrwürdige Ver-

35 Sammlung der Ältesten. Nur muß auch die Universität, indem sie diese wie die vorige Verbindung sucht, nicht erscheinen, als täte sie es aus einseitigem Bedürfnis, aJs würde sie ohne diese Stützen ärmlich und unscheinbar sein, und als sollten zu ihrem Besten andere Anstalten von

40 ihrer Selbständigkeit aufopfern. Vielmehr muß auch sie unabhängig auftreten und selbständig, und die Verbindung

Gelegentliche Gedanken. 203

muß eine von beiden Teilen gewünschte Annäherung sein. ] Denn was abgerungen wird auf diesem Gebiet, ist sicher [175] als unrechtes Gut nie gedeihlich. Darum, wenn man nicht alles verderben will, denke man doch ja anfänglich auf nichts anders, als nur eine Universität zu stiften, die soviel 5 möglich für sich bestehe. Ja, um recht deutlich zu machen, daß es zunächst nicht die Hinsicht auf diese künftigen Vorteile ist, was die Universität nach Berlin bringt, son- dern der Drang des Augenblickes : so erkläre man doch am liebsten, sie solle nur provisorisch in Berlin sein, und 10 denke darauf, ihr Kräfte zu sammeln, damit sie alles, was ihr notwendig ist, eigen habe. Sieht man dann, daß die eigentümlichen Nachteile von Berlin sich nicht besiegen lassen: so werde man ja nicht geblendet durch die etwai- gen Vorteile, sondern die Universität wandere, so bald 15 sie kann. Es wird ja wohl nicht nötig sein, steht zu hoffen. Aber durch die Kundmachimg dieses Entschlusses und die Anstalten, um ihn nötigenfalls zu realisieren, wird die Universität Vertrauen auf ihre Moralität gewinnen, und nach Maßgabe ihrer Unabhängigkeit wird sich auch die 20 Stimmung bilden, durch welche sie sich in Besitz der letzt erwähnten Vorteile setzen kann. Und dann ist eine I wissenschaftliche Organisation gegründet, die ihres- [176] gleichen nicht hat, und durch ihre innere Kraft sich ein weiteres Gebiet unterwerfen wird, als die jetzigen Grenzen 25 des preußischen Staates bezeichnen, so daß Berlin der Mittelpunkt werden muß für alle wissenschaftlichen Tätig- keiten des nördlichen Deutschlandes, so weit es protestan- tisch ist, und die Bestimmung des preußischen Staates für die Zukunft von dieser Seite einen sichern und festen 30 Grund gewinnet. Bei einer solchen Aussicht müssen ja wohl kleinliche Rücksichten und Besorgnisse verschwinden, und es bleibt nur zu wünschen, daß die Regierung, welche diesen Entwurf gefaßt hat, sich bald imstande fühle, ernst- lich zur Ausführung zu schreiten. 35

Ueber

die Idee der Universitäten,

Vorlesungen

Henrik Steffens,

ordentlichem Professor der philosophischen Naturwissenschaft auf der Friedrichsuniversität zu Halle.

Berlin 1809. In der Realschulbuchhandlung.

Vorrede.

Ich habe diese \'orträge bei der Eröffnung der Vor- lesungen im Wintersemester 1808/9 gehaken. Ich ward durch Geschäfte und Krankheit verhindert, sie früher als jetzt auszuarbeiten, und da mein \'ortrag immer frei ist, 5 wird man nur den Ideengang, keinesweges aber den Vor- trag im einzelnen hier wiederfinden. Über die Art deut- scher Universitäten, wie sie dem Ausländer erscheinen müssen, hat ein achtungswerter Ausländer geredet, | den [IJl] tiefem nationalen Sinn derselben hat einer der trefflichsten 10 Geister der Nation entwickelt; mir schien es nicht über- flüssig, den Studierenden selbst über die akademische Bil- dung Aufschlüsse zu geben. Daß Vorträge der Art nicht bloß belehrend, sondern auch anregend sein müssen, hielt ich für notwendig. 15

[1] I Erste Vorlesung.

Anrede.

Es ist unsere Absicht, durch die gegenwärtigen Vor- träge den höheren Sinn und die Bedeutung akademischer 5 Bildung zu entwickeln, welches eben in Zeiten, wie die jetzigen, wichtiger als sonst sein möchte. Es ziemt sich aber dabei, die Lage der Dinge genau zu erwägen, damit wir erfahren mögen, ob dasjenige, was wir behaupten und fordern, nichts Törichtes sei und mehr den Wahn Einzelner,

10 als die wahrhafte Bedeutung des Ganzen ausspreche. Denn jede Erforschung, die auf allgemeine Verhältnisse des. Lebens und geschichthche Entwicklung sich beziehet, muß auf die Zeit, als eine zukünftige Blüte derselben, hindeuten,

[2] und keinesweges auf eine einseitige | Betrachtung, oder

15 auf ein bloß Allgemeines gerichtet sein. Aus diesem Grunde sei es .uns vergönnt, den Vortrag mit einer kurzen Schilde- rung der Zeit anzufangen.

Es gibt Menschen auch Jünglinge , denen eine überlieferte Welt genügt; bestimmt durch eine frem.de

20 Richtung, geleitet durch einen fremden Willen, äußert sich das Eigene durch kleine, kaum bemerkbare, Schwingungen. Daß Menschen der Art brauchbar werden können, ja selbst gebildet, und für einen bestimmten Kreis tüchtig, leugnen wir keinesweges, auch sei es ferne von uns, sie zu er-

25 niedrigen, oder durch eine törichte Rangordnung der Geister der Eitelkeit zu frönen. Hier rede ich aber nvu: solche an, denen die Welt ein wundersames Rätsel ist, dessen Lösung keinem anderen, sondern nur der eigenen Seele anvertrauet ward, solche nur, die sich ganz hinzugeben,

30 und daher auch die eigene innere Bestimmung nicht ab- zutrennen vermögen, Geister nur, die, ursprünglich frei,

Idee der Universitäten. 209

nur selbsteigene Übereinstimmung suchen. Denn für solche sind [ die Institute, deren Idee wir uns zu entwickeln ent- [3] schlössen haben.

Die Zeit, in der wir geboren oder in deren Grund- sätzen wir erzogen sind, zeichnet sich, wie jetzt allgemeiner, 5 als noch vor kurzem, zugestanden wird, durch ein träges Anhängen an das Herkömmliche, verbunden mit einem eitlen Jagen nach Neuerungen im einzelnen, und durch eine sanftmütige Schlaffheit aus. Daß eine neue Zeit beginnt und hier keimend vorbereitet wird, dort gärend herv^or- 10 bricht, ist man gez-\vungen, ebenso allgemein anzuerkennen.

Suchen wir die Anfänge derjenigen Zeit, deren letzte schlaffe Schwingungen uns die nächste Vergangenheit zeigt, so finden wir sie in jener merkwürdigen Epoche des fünf- zehnten und sechzehnten Jahrhunderts. Denn auch da- 15 mals begann eine neue frische Zeit. Große Geister zer- brachen die Fesseln, welche eine frühere Zeit um sie ge- wunden hatte. Wenn auf mehrem Punkten und in mehrern Richtungen zugleich die freie Forschung, wie durch eine geheime Übereinkunft, | zusammenstimmt, wenn die schein- ^^ bar getrenntesten Beschäftigungen entfernte Geister, durch '■ ■' eine unsichtbare Hand geleitet, nach dem nämlichen Ziel hinführen, dann werden wir es inne, ^vie der Geist der Ge- schichte wach sei. Der stille Fleiß, das äußerlich nicht auffallende geistige Bemühen, in Forschungen verloren, 25 die, einzeln betrachtet, nur wenige Geister anzusprechen scheinen, treten in solchen glücklichen Zeiten mit andern in einen geheimen Bund, und diese unerwartete Verbindung greift, allmählich wachsend, in das ganze Leben ein, er- greift die gesamte Masse desselben, und bestimmt mit 30 hoher, unergründlicher Gewalt den Gang der Geschichte. So behauptet der stillsinnende Geist seine ewigen Rechte. Während der gemeine Mensch wähnt, es sei nur die Ge- walt da, wo sie äußerlich erscheint, birgt sich die wahre, die geistige Leiterin der Geschichte, in stiller Tätigkeit, nur 35 verwandten Geistern vernehmlich.

Die Buchdruckerkunst teilte, wie durch einen Zauber, einen jeden Gedanken der gesam-Iten Masse mit, und ein [5] großes Gespräch wundersamer Art verband die entfern- testen Geister und forderte zur allgemeinen Teilnahme auf. 40 Durch die Entdeckung des kühnen Kolumbus und die

Universitätsschriften Fichte, Schleiermacher, Steffens. J4

210 Steffens.

darauf folgende Umsegelung- der Erde schloß sich unser Planet in sich selbst. Kopernikus zerbrach die Täuschung irdischer Erscheinung in der Bewegung der Himmelskörper. Bisher wurzelte der Mensch mehr an der Erde; indem er 5 geistig die Erde umspann, gewann er das ätherische Leben derselben. Bisher war das Leben in die bloße Erscheinung getaucht; nachdem diese an einer Stelle durchbrochen war, trat es in eine höhere Welt geistiger Gesetze ein. Dem götthchen Kepler ward es vergönnt, jene geistigen Ge-

10 setze der ewigen Natur ahnend zu deuten. So Über- schwengliches, der Zeit vertraut, konnte nicht ohne Frucht bleiben. Da regte sich der Geist in allen Richtungen, bis er den Mittelpunkt aller Forschung, die Religiosität, ergriff. Sie bewegte, wundersam erregt, die ganze Masse. Das Opfer

rg-i der frischen Regung, Johann Huß, und | ihr kühner Held,

Martin Luther, stellen den Gipfel jener herrlichen Zeit dar.

Ein jeder kennt die großen gärenden Bewegungen,

in welche Europa versetzt ward, und die erst mit dem

Dreißigjährigen Kriege endigten. Leider, was so fröhlich

20 begann, sollte in der nächsten Zeit nicht reifen. In der früheren Vergangenheit ward der Mittelpunkt alles Er-, kennens mehr auf der Seite des Leiblichen gefaßt, und, wie alle Himmelskörper sich um die Erde, so bewegte sich alles Göttliche um die Erscheinung desselben. Kämpfend

25 gegen diese falsche Richtung verfiel die Zeit nicht jene großen Geister, die derselben ihre Richtung gaben auf das entgegengesetzte Extrem. Als ein Unendliches ward Gott aus dem Leben verwiesen, so wie die Erde nur in ihrer äußeren Abhängigkeit gegen das Universum erkannt

30 ward. Alle höheren Symbole des Lebens verschwanden, die leeren Einzelheiten desselben blieben bedeutungslos zurück. Immer mehr von diesen ergriffen, entwich das Göttliche immer weiter. Was Nationen gegen Nationen waffnete

[7] I und bewegte, war nicht mehr der Kampf für das Heilige,

35 sondern nur eitle Vorteile frevelnder Politik. Unsere Na- tion, aus deren Mitte das Herrlichste entsproß, versank am tiefsten. Die Innern und heiligsten Töne der Sprache, deren wundersamste Tiefe durch Luther uns ansprach, verstummten. Eine schnöde Politik, Lug und Trug zu

40 einem künstlichen System, dessen Gewalt die Geschichte bis jetzt nicht kannte, gestaltend, drang sich in die Mitte

Idee der Universitäten. 211

des Lebens hinein, erstickte im geselligen Leben, wie im Leben der Staaten, den Keim frischer Eigentümlichkeit, und fesselte uns durch das Netz leerer Konvenienz. Eine benachbarte Nation war es vorzüglich, deren Dasein auf diese falsche Richtung gegründet war. Ihre Sprache, dieser 5 Richtung ganz hingegeben, verdarb die unsere, wie ihr Leben unsere Gesinnung. Der Bürger trennte sich vom Staate, der Gelehrte vom Mittelpunkt alles Wissens, alles von der Religion, und mattherzige Duldung war das mürbe Band, welches diese zerfallene Masse locker zusammenhielt. 10 I Eine jede Zeit, wenn sie reif wird, hat ihre irdische [8] Blüte, gestaltet sich in einer eigenen Kunst. Die heitere Blüte der alten griechischen und römischen Zeit erquickt die ganze Geschichte. Die Blütenzeit des Katholizismus steht in ewig frischen Bildern der Poesie und Kunst vor 15 uns da. Wir kennen die Blüte der neuern Zeit, entsprossen auf einem dürren Boden, mehr durch ihre innere Voll- endung, als durch ihre hohe Bedeutung merkwürdig; die Zeiten Ludwig des Vierzehnten, und die darauf fol- gende Epoche der Enzyklopädisten. 20

Jene Richtung, unserer Nation fremd, ward von ihr aufgenommen und ungeschickt nachgeahmt. Die Sprache zierte sich unnatürlicher Woise mit französischen Wörtern; was glänzend und vornehm sein wollte, in der Wissenschaft, wie im Leben, brauchte die fremde Tracht. In unsern 25 eigenen Augen mußten wir geringer erscheinen, als jene Ausländer; bei diesen aber konnten wir, als ungeschickte Nachahmer, keinesweges auf große Achtung Anspruch machen. So wurden die Stifter | der neuern Zeit in die [9] ungeschickten Knechte derselben verwandelt, und ein großer 30 König der gesunkenen Nation erschien mit der größten Intensität der fremden Ausbildung und der Verachtung gegen die einheimische. Nicht in dieser schauderhaften Zeit, früher schon war Deutschland unterjocht, und die gegenwärtige Katastrophe stellt nur den Gipfel früherer 35 Geistesknechtschaft dar.

Wohl uns, daß jene Richtung nur eine aufgedrungene war; zurückgedrängt war jene ursprüngliche herrliche Natur, keinesweges unterdrückt.

Wir verfolgen die Spuren der fremden Richtung, wie 40 sie im Wissen und Leben sich darstellt.

14*

212 Steffens.

In jener frühern Zeit, die man bekämpfte, ward das Göttliche selbst in die engen Schranken der Erscheinung gefesselt. Das so eingeengte Göttliche erscheint in trüber und finsterer Gestalt, verliert den heitern Glanz ewiger 5 Idee, und artet, bloß auf das Persönliche bezogen, in finstern Aberglauben aus. Dieser bezeichnete das Wissen wie das Leben jener Zeiten. Indem man jenen Aberglauben [10] bekämpfte, verfiel man auf das ent- 1 gegengesetzte, ebenso nichtige, Extrem. Das Göttliche ward au.s dem Leben, wie

10 aus dem Wissen verdrängt, und nur in ein äußeres nich- tiges Verhältnis gegen beide gesetzt. Als ein Werkmeister der Natur erschien die Gottheit außer derselben, sie selbst als ein unendlich leerer Begriff, die Fülle der Dinge von ihr entfremdet. Wo die Idee waltet, lebt alles in sich

15 und im Ganzen, und aus jedem Punkte im Leben, wie in der Natur, strahlt uns das Göttliche entgegen. Die Form, das Einschränkende der Dinge, tritt, lebendig geschaut, nicht als ein Verneinendes, sondern als ein Bejahendes, aus der Innern Fülle des Daseins hervor. Wer sein

20 eigenes Maß erkennt und lebendig faßt, der besitzt das Maß aller Dinge. Dem Unmäßigen, aus der gemessenen- Linie eigener Schönheit Heraustretenden, verwirrt sich die Welt und die Dinge. W^er sich in sich zurückzieht, in Innern Bildungen sich selber erkennt, in schönen Bahnen

25 sich selber bewegt, der führt ein allgemeines und gesonder- tes Leben zugleich. Mit allen Dingen verbindet ihn ein [11] klarer Äther, i dieselbe Sonne erweckt und belebt ihn und alle, die nämliche Schwere trägt ihn und alle; er führt ein planetarisches Leben. Heraustretend aus den Bahnen

30 eigenen Daseins, ruft er das alte Chaos hervor, alle Be- wegungen durchkreuzen sich, einander vernichtend, der vereinigende Äther trübt sich, das schaffende Licht bricht als verzehrendes Feuer hervor, und die erbeutende Schwere verwandelt sich in vernichtenden Stoß und Widerstand.

35 Wo aber konnte jene chaotische Verwirrung stärker

hervortreten, als da, wo dasjenige, was der Mittelpunkt des Daseins ist, nur als ein Äußeres begriffen ward? Wie das Heiligste selbst bloß in dem Zwange der Verhältnisse, so wurde auch das Dasein nicht in sich, sondern nur in

40 einem fremden Dasein geschaut. Als das Band entflohen war, zerfielen die Dinge, und ihr inneres geheimes Ver-

Idee der Universitäten. 213

ständnis untereinander war verschwoinden. Wo die Dinge und das Leben nur in vielfachen Verhältnissen begriffen werden, kann bald eine, bald eine andere Relation will- kürlich ! herausgehoben werden, und so entstand ein müßi- [12] ges Gerede über die Dinge und über das Leben. Die 5 Duldung entgegengesetzter Ansichten war das geheime Ge- ständnis der Nichtigkeit aller. Wie sehr das Band der lebendigen Natur aus allen Forschungen derselben ent- wichen war, liegt in der heutigen Physik am Tage. Auch im Leben trennte sich das Einzelne vom Ganzen; alles löste 10 sich, vom Leben getrennt, in allgemeine Begriffe auf, die, personifiziert, in Stände fixiert wurden. Die Ehre ward an einen privilegierten Stand veräußert, die höchsten Probleme des Lebens dem gelehrten Stande überlassen, die Wohltätigkeit an Armenanstalten verpachtet, die Er- 15 Ziehung den Pädagogien vertraut. So trat, was als all- gemeine Grundlage des Daseins in einem jeden sich durch- dringen sollte, in ein äußeres, zwangvolles und feindseliges Verhältnis.

Die kraftlose Schlaffheit der vereinzelten Teile brachte 20 eine Ruhe hervor, welche sich aller Gemüter bemeisterte. Was auch die Heere gegeneinander waffnete, die Nationen nahmen we- 1 nig oder gar keinen Anteil an dem Streit. [13] Eine narkotische Gleichförmigkeit schläferte die kräftig- sten Geister ein. Das Große, Kühne und Herrliche in der 25 Geschichte schwebte nur in dunkeln Sagen, halb als Fabel, halb als Wahnsinn ergriffen vor uns, oder wurde, in Er- zählungen und Dramen aufgestutzt, gebraucht, die erschlaff- ten Nerven krampfhaft zu erschüttern. Wenige von uns glaubten in ihrem Leben Zeugen großer und erschütternder 30 Taten zu sein.. Fast keiner wünschte es. Selbst die Leiden- schaften verließen die allgemeine Mäßigung nicht, und große Verbrechen waren so selten geworden, als große Tugenden. So verstummten die Wunder der Geschichte, ihre Glorie war erloschen und keiner glaubte an sie. 35

Man werfe mir nicht vor, daß ich ein zu hartes Urteil über die nächste Vergangenheit fälle. Die Zeit hat sie gerichtet, und sie ist in der Fülle eigener Überklugheit zu Grunde gegangen. Man behaupte nicht, daß ich unrecht tue, indem ich jungen Gemütern das meiste zu rauben 40 I suche, was ihnen, von Eltern und Lehrern überliefert, [14]

214 Steffens.

als Stütze ihres Daseins erschien. Erbarmungslos hat die Geschichte eine jede Stütze vernichtet, und was nicht zur bloßen Masse der Zeit gehört an diese aber ist meine Rede nicht gerichtet ist lediglich an sich selbst gewiesen. 5 Denn die Verwickelungen der Irrtümer haben, dem wider- strebenden Geschlechte zum Trotz, der Wahrheit den Weg gebahnt. Was einige Geister ahnend voraussahen, andere vernehmlich aussprachen, ist laut geworden. Die Wunder verklungener Zeiten drängen sich hervor. Die tiefe Be-

10 deutung der Natur eröffnet sich unter den Händen wider- strebender Forscher. Tiefe Geister traten in einen ge- heimen Bund, und die Wahrheit, die klar von einigen geschaut wird, drängt wenigstens bei andern zerstörend in das lockere Gewebe nichtigen Erkennens hinein. Ihr sagt,

15 wir sollen die jungen Gemüter langsam vom Irrtum zur

höhern Wahrheit führen, während alles, von plötzlicher

Gärung ergriffen, keinen festen Standpunkt uns gewinnen

[15] läßt. Alle Teile des Lebens ] sind erschüttert, Staaten, zu

welchen wir gehörten, gestürzt. Formen des Lebens, die

20 unverwüstlich schienen, plötzlich verschwimden, die treue Anhänglichkeit an Fürst und Vaterland schwankt, die plan- vollste Lebensklugheit kennt sich selber in den nächsten Momenten nicht mehr; in allen Teilen des Wissens ringt Irrtum mit Wahrheit, und das Wogen und Brausen des

25 Ganzen läßt uns auf keinem Punkte das Feste und Wahre ergreifen. Von diesem mächtigen Kampfe des Lebens und der Geister sind wir alle ergriffen. Vermögen wir es euch zu verheimlichen, daß dem so sei? In der Naturforschung, in der Arzeneikunde, in der Jurisprudenz, ja in der Religion

30 selbst ringt ein Werdendes mit dem Vergangenen. Das bloß Überlieferte, was ihr wohl sonst mit müßiger Trägheit empfinget und als Zeichen eurer Bildung von der hohen Schule mit euch nahmt, hilft euch nicht mehr. Oder meint ihr, die toten Buchstaben der Gelehrten könnten unver-

35 wüstlich bleiben, während alle Formen des Lebens sich

gewaltsam ändern?

[16] I In einer solchen Zeit, wenn je, war eine Hinweisung

auf jenen Mittelpunkt, der, in allem Wechsel des Lebens

und Erkennens derselbe, über die Zeit erhaben, seine

40 Wahrheit in sich selber trägt, vor allen notwendig. Zwar ist es gewiß, auch dieser Mittelpunkt trägt, dargestellt,

Idee der Universitäten. 215

das Gepräge der Eigentümlichkeit der Nation und des Individuums. Wie ein jeder Mensch, die Wahrheit er- spähend, nur Übereinstimmung mit sich selbst sucht, so auch die Nation. Aber welche unter den lebenden Nationen sollte die Hoffnung, den festen Mittelpunkt des Erkennens 5 zu finden, lebhafter fassen können, als diejenige, die den i-eligiösen Mittelpunkt am meisten in sich behielt, zu ver- schiedenen Zeiten, frisch erwachend, eine neue Zukunft der Geschichte schuf, eine jede schiefe Richtung wohl als ein Fremdes, sich selbst verleugnend, aufnahm; aber 10 nie die innere Eigentümlichkeit verlor?

Meine Absicht ist, abgesehen von dem, was Geister von Geistern trennt, ohne Rücksicht auf die Worte der Schule, zu beweisen, daß die Idee | der Universitäten keine [17] andere sei, als die, jenes feste Zentrum des Erkennens und 15 Lebens heraus zu heben, daß sie Schulen der Weisheit seien. Wohl wissen wir es, daß diese Institute, wie das Leben, schwankten, und oft, auch in unsern Tagen, den Irrtümern der Zeit huldigten. Doch nicht von der Art und Weise, wie sie erscheinen, soll die Rede sein, sondern von 2o dem, was sie der Idee nach sind.

Ihr aber, die ihr hier versammelt seid, Genossen der Weisheit zu werden, prüft euch selber, ob ihr die innere Aufforderung in euch spürt, eigene Probleme selbst zu lösen. Erforscht, ob euch auch die innere Wahrheit alles 25 sei. Erwägt, daß ihr kühn über die Trümmer eigener Irrtümer hinwegschreiten müßt, daß die Masse des Schlech- ten und Falschen noch mächtig sei, daß alles ange- strengter Fleiß, hohe Besonnenheit und jedwede Tugend des Forschers in Anspruch genommen wird; bedenkt, daß 30 die Hoffnung der Nation auf der Entfaltung keimender Geister beruht; laßt euch durch den Glanz irdischer Güter und durch | den Schein des Falschen nicht irre führen, [18] laßt euch durch eine fremde Richtung, und wären die Vorteile, die zu erringen sind, noch so groß, niemals 35 locken! Glaubt ihr etwa, es sei gefährlich, eine eigentüm- liche nationale Richtung kühn und fest zu verfolgen? Ihr habt nur eure eigene Feigheit, nicht die fremde Gewalt zu befürchten. Die Macht, die uns beherrscht, wäre ent- weder eine barbarische, die für die eigentümliche Bildung 40 unserer Nation keinen Sinn hätte, wie die der Goten,

216 Steffens.

indem sie die Herrlichkeit der alten Welt zerstörten, oder sie dünkte sich allein gebildet, und glaubte sich befugt, die eigene Bildung uns aufzudringen, wie die Römer, wenn sie rohe Nationen unterjochten. Keins von beiden ist der 5 Fall. Eine jede gebildete Nation hat notwendig Achtung für die eigentümliche Bildung anderer. So sei das Unglück der Zeiten eine Aufforderung für uns, das, was uns eigen ist, mehr wie sonst zu achten, sorgfältiger zu pflegen, reicher auszustatten. Es ist gewiß, so wie die äußere Ge- r.|Q-| walt, welche die Umwälzung der Zeiten | veranlaßte, einer fremden Nation eigen ist, so gehört uns die innere Gewalt, die still keimend eine bedeutungsvolle Zukunft vorbereitet. In einem edleren Kampfe wartet euer ein schönerer Sieg. Lernet eure Waffen kennen; der Erfolg ist keinesweges 15 ungewiß. Ich rede mit Jünglingen, denen frischer Lebens- mut und heitere Hoffnung zur Seite steht, daher ertöne keine Wehklage über eine Zeit, deren keimende Herrlich- keit wir selbst zu entfalten und zu genießen trachten werden.

Zweite Vorlesuno;-. [20]

Wenn wir die Universitäten Schulen der Weisheit nennen, so wird es nötig sein, dieses, und das, wodurch sich die Universitäten von andern Erziehungsinstituten unterscheiden, genau zu entwickeln. Denn es ist klar, 5 daß, unserer Behauptung gemäß, nicht dasjenige, was hier gelehrt wird, sondern die Art und Weise, wie es gelehrt wird, das Unterscheidende abgeben muß. So daß alle diejenigen Kenntnisse, die auf Universitäten mitgeteilt werden, ja selbst ganze Fächer der Gelehrsamkeit aus- 10 gebildet werden können auf Lehranstalten, die dennoch keinesweges auf die Benennung einer Universität Anspruch machen dürfen. Was nämlich die Universität von allen andern Unterrichtsanstalten unterscheidet, ist dieses, daß alles Bestreben auf das innere Wesen der Wissenschaft, 15 auf die innere | Organisation alles Wissens, also auf das [21] Höchste aller Spekulation gerichtet sei. Von diesem Mittel- punkt des Ganzen breitet sich das Licht erst über die einzelnen Teile aus, und diese werden keinesweges als einzelne, sondern vielmehr als lebendige Teile des einen 20 und unteilbaren Wissens gefaßt.

Bevor wir aber diese Idee der Universitäten genau entwickeln, müssen wir auf die Einwürfe der Gegner not- wendig Rücksicht nehmen, welche eine solche \'cranstaltung für unmöglich, und das Streben nach ihrer Realisierung '25 sogar für schädlich halten. Die Masse, nicht bloß der Menschen überhaupt, sondern auch der Gelehrten, müssen "wir zu diesen Gegnern rechnen, und der laute Widerspruch, der sich gegen die Mitteilung des spekulativen Wissens auf den Universitäten erhebt, scheint mit der Energie der Ent- 30 faltung derselben sich zu steigern. Selbst auf die bessern Jünglinge ist diese allgemeine Stimmung, durch welche

218 Steffens.

die im Innern schon vernichtete Zeit ihr Scheindasein noch [22] zu retten sucht, nicht ohne Fol- Igen, und viele junge Ge- müter werden durch sie irre geführt. Aus diesem Grunde werden wir einen Gegner redend einführen, und zwar nicht 5 einen solchen, der die Weisheit überhaupt schmäht, oder das Bestreben, sie im Wissen zu erringen, ein törichtes nennt, vielmehr einen solchen, der mit der größten Achtung für das höchste spekulative Wissen, eine Veranstaltung zur öffentlichen Mitteilung und Erregung derselben für

10 Jünglinge unmöglich und schädlich nennt.

,,Daß die Weisheit das höchste Gut der Menschen sei," wird ein solcher sagen, „wird keineswegs geleugnet, auch das Bestreben, nur sie in allen Teilen des Wissens wieder zu finden, nennen wir das höchste und edelste

15 des Geschlechts. W^enn ihr aber eine Lehranstalt annehmt, auf welcher auf nichts Untergeordnetes, sondern eben auf dieses höchste Ziel alles menschlichen Wissens Rücksicht genommen wird, ja wo es nicht als ein zu Erringendes, sondern als ein unmittelbar Erkanntes und Gegebenes an-

20 gesehen wird, so behauptet ihr etwas durchaus Törichtes

[23] und Ver- 1 werfliches. Versteht ihr unter der Idee einer

Universität nur das nicht darstellbare Ideal derselben,

welches die Dürftigkeit des Daseins und die Beschränktheit

der Staaten von selbst aufhebt, so werden wir uns hüten,

25 gegen ein solches Hirngespinst zu kämpfen. Meint ihr aber, daß es Pflicht der Staaten sei, eine Veranstaltung zu treffen und aus ihren Mitteln zu unterhalten, welche, aus der Dürftigkeit des Daseins heraus gehend, den Geist zu erziehender Bürger auf die Weisheit richtet, so behauptet ^0 ihr etwas Unmögliches. Denn was ihr Weisheit nennt, ist nicht jenes ethische Gleichgewicht der Seele, welches nur die erhabene imd rücksichtlose Tugend als Gesetz aller Handhmgen erkennt, und welches wohl durch Erziehung, Leben und innere Betrachtung, keinesweges aber durch

35 eine öffentliche Lehranstalt gepflegt werden kann. Eure Behauptung gehet vielmehr dahin, daß nicht einzelne Kennt- nisse, sondern das gemeinschaftliche Zentrum derselben, also dasjenige, was zu allen Zeiten, und fast immer ver- [24] gebens, die größten Geister beschäftigte, und [ von jeher

40 als das höchste Gut weniger angesehen ward, dem werden- den Bürger freigebig mitgeteilt Averden soll. Ein solches

Idee der Universitäten. 219

Institut aber, wenn es der Staat auch törichterweise ge- nehmigen wollte, würde sich selbst notwendig vernichten. Es ist zu bekannt, und man müßte die Geschichte ver- leugnen, wenn man es nicht gestehen wollte, daß selbst die erhabensten Geister über dasjenige, was sie das Höchste 5 nennen, keinesweges einig sind. Ja selbst unsere Tage, durch die Richtung auf die Spekulation so merkwürdig, bieten uns die auffallendsten Beispiele einer solchen Ent- zweiung dar. Das erste Erfordernis einer Einrichtung, wie ihr sie annehmt, wäre eine vollkommne innere Ver- 10 einigung der Lehrer, so daß in einem jeden Vortrage doch nur die Einheit des Wissens gelehrt würde. Oder glaubt ihr, daß aus der Entzweiung der Lehrer das Bild der harmonischen Einheit in der Seele der Schüler ent- stehen könne ? Eben daher ist es notwendig, daß der Lehrer 15 nur solche Dinge vorträgt, über welche man vollkommen einig ist, oder sich verei- 1 nigen kann, wie dieses mit den [25] Erfahrungswissenschaften der Fall ist, wenn auch die Stufe der Vereinigung eine geringere wäre. Oder ist es recht, den heranwachsenden Jüngling, dem die Welt und das 20 Dasein noch fremd ist, in das Labyrinth unreifer Versuche irre zu führen? Haben wir die Folgen dieser Verirrungen nicht in unsern Tagen deutlich genug vernommen? Zwar, es schmeichelt dem Jüngling, sich im Besitz dessen zu wähnen, was die größten Geister vergebens zu erlangen 25 sich bestrebt haben. Der mühsame Fleiß und das ernst- hafte Studium sind zurückgetreten, und haben willkürlichen Träumereien allerlei Art Platz machen müssen. Wer kann ohne Unwillen jenes freche Spiel der Jünglinge ansehen, welche, den mühsamen Erwerb der Vorgänger höhnend, 30 mit Übermut das Ernsthafteste betreiben, und in der höch- sten Überklugheit gefangen die Einfalt preisen? In allen Wissenschaften haben diese irre geführten Jünglinge, zwar das ernsthafte Bestreben wahrer Gelehrten nicht unter- drücken können, aber doch die Stimme des besonnenen 35 Forschens ) oft genug überschrieen. Ist es gewiß, daß das [26] wissenschaftliche Forschen nichts mehr haßt, als die Will- kürlichkeit, nichts Höheres kennt und schätzt, als das Gesetz, und nicht zum Erdichten, sondern zur stillen Be- trachtung da ist; so kann der Wissenschaft nichts schäd- 40 lieber sein, als das freche Spiel unserer Tage. Und was

220 Steffens.

hat diese chaotische Verwirrung hervorgerufen, wenn nicht dieses, daß mehrere Lehrer, unter sich uneinig, die eigene Ansicht als die höchste priesen? Dadurch, vor allem, ist dasjenige, was man sonst im Hintergrunde aller Bestre- 5 bungen als das Höchste mit heiliger Scheu ansah, frevent- lich hervorgezogen, und wie die Lehrer es auf ihre Weise, glaubten es die Schüler auch auf ihre Weise, nicht als das Gemeinsame aller Geister, sondern als das Eigentum einiger privilegierten, ansehen zu können.

10 ,,Doch gesetzt auch, daß jene postulierte Einigkeit und

innere Übereinstimmung der Lehrer stattfinden könnte,

wie kann man glauben, daß es möglich sei, den jungen

Männern jenes Höchste mitzuteilen, welches, wie ihr selbst

[27] bekennt, nur ] ein Selbsterrungenes ist ? Es sei, sagt ihr,

16 das Höchste der Wissenschaft nicht ein Überliefertes. Ein jeder soll, behauptet ihr, nicht Übereinstimmung mit seinem Lehrer, sondern mit sich selbst suchen. So verschieden ihr auch denken möget; daß nur auf diese Weise die höchste Wahrheit zu erringen sei, bekennt ihr einmütig.

20 Aber welche ist denn jene innere Übereinstimmung, deren hohe Würde ihr nicht genug preisen zu können glaubt? Nur diejenige des Erkennens. Diese setzt aber eine eigene Welt mannigfaltiger Anschauung und vielseitigen erprobten Nachdenkens voraus. Ihr aber bemeistert euch der leeren

25 Seele der Jugend, und fesselt sie frühzeitig in das Ge- webe eigener Ansichten, übertäubt die eigentümliche Rich- tung des Geistes, die allmählich durch eigenes Forschen heranreifen würde, und tötet die höhere Freiheit des Geistes, indem ihr sie preiset. Wer kennt nicht die Gewalt der

30 Rede, die mehr fesselt und hinreißt, als daß sie die kühle

Besonnenheit zu unterhalten imstande wäre? Vertraut,

wenn ihr in der Wissenschaft höhere Standpunkte errun-

[28] I gen zu haben glaubt, eure Bemühungen der stillen Schrift,

seht sie als dasjenige an, was sie sind, als Blüten wissen-

35 schaftlicher Nachforschungen, und glaubt nicht, durch un- natürliche Treibhausanstalten dasjenige aus der unreifen Seele hervorlocken zu können, was nur als Lohn eigener, ernsthafter und lange fortgesetzter Bemühungen erschei- nen kann!

40 „Doch gesetzt auch, daß wir jenen falschen Bestre-

bungen irgend einen Erfolg zugestehen wollten, so können

Idee der Universitäten. 221

wir doch keiiiesweges gestehen, daß der Staat verpflichtet sei, eure Unternehmung zu unterstützen. Was der Staat einrichtet, muß er beurteilen, übersehen und richten können. Ihr aber fordert, und zwar von Rechts wegen, die größte Freiheit sowohl für den Einzelnen, als im Ganzen. Was 5 ihr unternehmt, ist ein Unendliches, über die Dürftigkeit des Daseins Hinausgehendes. In dieser aber ist der Staat befangen. Er hat ein Dasein einzurichten, zu organisieren, zu erhalten, nicht ein erträumtes zu realisieren. Was dem Staate nicht untergeordnet ist, ist ihm | fremd, und kann r^q-i Vv'ohl von ihm geduldet und anerkannt, keinesweges aber als sein eigenes Produkt angesehen werden. Die innere Übereinstimmung, die ihr für die Geister postuliert, muß auch dem Staate eigen sein. Was der Staat einrichtet, muß er kontrollieren können. Eine Kontrolle der Geister 15 aber wäre der Tod aller Wissenschaften. Das Höchste des Erkennens stellt, Aveissagend, die Zukunft dar, der Staat aber unterliegt dem Drange der erscheinenden Gegenwart. Aus diesem Grunde hat der Staat recht, wenn er nur die Richtung des Geistes als ihm zugehörig anerkennt, die 20 der Gegenwart untergeordnet ist und ihren Bedürfnissen entspricht. Nie wird er dem Geiste Fesseln anlegen, auch nicht die höchste Richtung geringschätzen; aber sie ent- springt als die schönste Blüte der Gesellschaft, ihrer hohen Würde gemäß, nur durch sich selber gepflegt. Wir leugnen 25 die Gewalt des Geistes nicht, die, in die Masse eindringend, das ganze Leben anders zu gestalten vermag. Dann ist, was für den Staat nur eine Bestrebung war, wirklich ge- worden, stellt die erscheinende Gegen- [ wart dar, und wird, [30] dem Staate innig einverleibt, von ihm gepflegt. Nur was 30 der Staat, als solcher, anerkennt, ist für ihn da. Nicht die höchsten Geister allein, ein jedes Talent hat ein Ziel, welches über die enge Gegenwart hinausreicht. Nicht in der unbestimmten Unendlichkeit seiner Bestrebungen, erst in seiner Entfaltung ist es für den Staat da. Ebenso kann 35 der Gelehrte niemals fordern, daß eine Betrachtung, die nicht auf das erscheinende Leben und dessen Bedürfnisse, sondern auf ein ewiges, in der Erscheinung nicht darstell- bares geht, auf die nämliche Weise von dem Staate an- erkannt werden soll, wie eine nützliche Erfindung, die den 40 Bedürfnissen der Zeit entspricht.

222 Steffens.

„Ein jeder gebildeter Staat erkennt es an, daß die Grenze seiner Gewalt da sei, wo das Geistige angeht. Und wer kennt nicht den Frevel, die Unterdrückung und das mannigfache Unheil, welches daraus entstand, daß der 5 Staat sich ein Urteil über das Geistige anmaßte? Was [31] von der Religion in dieser Rücksicht gilt, gilt not- [wendiger- weise auch für das Höchste der Wissenschaft. Beide können nur auf die Duldung des Staats Anspruch machen, und verkennen die eigene Würde, wenn sie mehr fordern.

10 Ja, wie der Steat zwar alle Religionsparteien, so auch alle höheren Ansichten der Wissenschaften, so verschieden sie auch unter sich sein mögen, und so eifrig sie sich wechsel- seitig zu vernichten 'und aufzuheben trachten, duldet, kann er den Gelehrten ebensowenig erlauben, die noch nicht

15 gebildete Jugend in den Irrgarten einander widersprechen- der Ansichten zu verwickeln, als er den Religionsparteien erlaubt, sich durch Proselyten auszubreiten. Denn ihr gesteht es mir, daß das, was ihr Wissenschaft nennt, keines- weges ein bloßes Abstraktum sei, sondern das ganze Dasein

20 ergreife, und demselben eine bestimmte Richtung gebe. Von Rechts wegen nennen wir diejenigen, die, aus dem Drange des gegenwärtigen Lebens heraustretend, auf die Bedürfnisse desselben von einem eingebildeten höhern Standpunkt verachtend heiabblicken, Schwärmer und un- ro9n nütze Bürger. Denn wir wur-[zeln in dem gegebenen Dasein, und die mannigfaltigen geselligen Verhältnisse mit den Bedürfnissen derselben sind uns unmittelbar mit unserm Dasein gegeben. Schon so, wie wir einzeln da sind, müssen wir tun unser Dasein ringen, durch einen steten besonnenen

30 Kampf wird es allein unterhalten, und ein jeder Moment der Ruhe ist unmittelbar, sowohl im intellektuellen wie im physischen Leben, mit dem Tode verknüpft. Wir sind aber nicht da, einzeln zu existieren, ein jeder ist natürlich Gatte und Vater. Der Kampf mit äußeren Umständen ver-

35 größert sich, und die Besonnenheit, die in Anspruch ge- nommen wird, muß gesteigert werden. Endlich gilt für den ganzen Staat, was für den Einzelnen und für den Familienvater gilt, in noch höherem Grade. Auch er muß um sein Dasein ringen. Die Natur, die Verwickelungen

40 geselliger Verhältnisse, andere Staaten, treten kämpfend gegen ihn auf, und wo nicht ein jeder Bürger mit An-

Idee der Universitäten. 223

Strengung aller seiner Kräfte an dem Kampfe des Ganzen teilnimmt, kann er selber niemals bestehen. Zwar, ihr habt I versucht, das sogenannte Nützliche, welches ' nichts [33] anders ist, als die Richtung der Tätigkeit eines jeden Bürgers zu Unterhaltung des Ganzen, zu schmähen und 5 herabzuwürdigen. So haben viele unter euch gemeint, man müsse den Verstand verlieren, um die Würde 'der höhern Vernunft zu erringen. Ihr habt unrecht. Nicht umsonst genießt ihr die Vorteile der Gesellschaft. Ein jeder muß seinen Platz im Staate bezahlen mit einer nützlichen Tätig- 10 keit, und der Staat, der immer nur sich selbst will, würde im Widerspruch mit sich selbst sein, wenn er ein Mit- glied duldete, welches nicht zugleich Bürger wäre. Ge- wohnt, das Leben selbst über die fälschlich sogenannte Idee desselben zu vergessen, sind euch die Bedingnisse des 15 Lebens verborgen geblieben. Ihr würdet sonst einsehen, daß der Staat das Recht hat, den jungen Bürger ganz für sich zu gewinnen, und daß das höhere Erkennen, wie es erst aus mancherlei errungenen Kenntnissen innerlich her- vorgehet, so auch äußerlich aus einem reifen und tätigen 20 Leben entspringt. Selbst die Religionslehrer, deren ] Tätig- [34] keit durchaus auf ein Unsichtbares gerichtet ist, zahlen ihren Platz als Bürger keinesweges als solche, welches auch schon daraus erhellt, daß die am meisten gebildeten Staaten auf die Verschiedenheit religiöser Ansichten keine Rück- 25 sieht nehmen. Vielmehr ist es ihnen übertragen, dasjenige Maß ethischer Vollkommenheit zu nähren und zu unter- halten, ohne welches die Gesetze ihre Kraft verlieren würden und der Staat nicht bestehen könnte.

„Nicht grundlos ist die Behauptung vieler, daß die 30 ausgebreitete Neigung zur spekulativen Wissenschaft die meisten Menschen untüchtig zur Erfüllung bürgerlicher Pflichten macht. Selten sind diejenigen Geister, die mit gleicher Energie und Klarheit das innere und das äußere Leben zu ergreifen vermögen, und mit Recht hat man uns 35 Deutschen den Vorwurf gemacht, daß wir, mehr mit tiefen Spekulationen und mit dem Höchsten des Wissens, als mit dem wirklich Daseienden beschäftigt, das Naheliegende vergaßen, dasjenige, was eine große Klarheit und innere Sicherheit | erlangen kann, versäumten, um erträumten ro„, Idealen nachzujagen, über deren Wert wir nicht einmal

224 Steffens.

einig sind. So haben wir den Untergang der klaren und verständigen Wissenschaft, sowie die Verwirrung und den Sturz der Staaten vorbereitet. Wenn in dieser trüben Zeit alle diejenigen Kräfte, und das nicht selten bewunderungs- 5 würdige Talent, welches, so oft auf leere Spekulationen gerichtet, nutzlos vergeudet ward, einen gemeinsamen Ver- einigungspunkt im Leben gefunden hätte, wahrlich, wir hätten das Trauerspiel des furchtbaren Untergangs nicht erlebt! Das mag die Regierungen warnen, jenen Lehrern,

10 die, indem sie wähnen, ein Heiligeres darzustellen, bei den jungen Bürgern alle nützliche Tätigkeit lähmen und herab- würdigen, die nötigen Grenzen zu setzen. Ja wir behaupten, es ist Pflicht der Staaten, strenger als bis jetzt, dafür zu sorgen, daß der Bürger ihnen ganz gehöre. Wer, indem er

15 dem Staate zugehört, und in seinem -Sinne tätig ist, zu- gleich eine höhere Richtung annimmt, der ist nicht im [36] Widerspruch mit dem Staate, eine [ heitere Blüte des- selben, und aus dem Verständnis des Lebens und des Er- kennens würde eine klare Ansicht entspringen, den Miß-

20 geburten phantastischer Grillenfänger keinesweges ver- gleichbar. So werde der Jugend das Wahre und Ver- ständige in der Wissenschaft und im Leben mitgeteilt ; nicht aus der unreifen Wurzel suche man die Blüten zu treiben, und der schlanke und gesunde Stamm^ fest in sich, wird

25 sie ohne euer Hinzutun hervorbringen, wo er edlerer Natur ist!"

So haben wir gezeigt, daß das Bemühen, die Jugend mit dem Höhern der Wissenschaften bekannt zu machen, ein sich selbst widersprechendes, dem Staate aber schäd-

30 liches Unternehmen sei, welches eher unterdrückt als be- fördert zu werden verdient. Wir haben, wie ich glaube, keinen bedeutenden Vorwurf verhehlt. Und so erscheint mein eigenes Bestreben als ein törichtes und schädliches, und ich überlasse es fürs erste eurem eigenen Nachdenken,

35 zu erwägen, ob dem so sei.

Dritte Vorlesung. [37]

Es ist euch bekannt, daß durch euren Aufenthalt auf Universitäten euer ganzes zukünftiges Schicksal bestimmt wird. Hier bringt ihr die Jahre zu, in welchen frische Jugend und männliche Besonnenheit miteinander ringen, 5 und bei weitem der größte Teil der akademischen Bürger erlebet während eines Aufenthalts auf Universitäten die merkwürdige Epoche des klarern oder undeutlichem Selbst- erkennens, welche wir als die dritte Stufe der Geburt be- zeichnen könnten; indem wir die leibliche Geburt als die 10 erste, die Selbstgeburt des Kindes, wenn es sich als ein eigenes zu unterscheiden anfängt, als die zweite bezeichnen. In einer jeden dieser Epochen wird der Mensch, immer intensiver, an sich selbst gewiesen, und die dritte Epoche bestimmt unabänderlich das Maß der Eigentümlichkeit für 15 das I ganze Leben. Von euch nun, die ihr hier versammelt [38] seid, behaupten wir, daß ihr das höchste Maß der Eigen- tümlichkeit erringen sollt. Um so mehr ist es notwendig, eure hiesige Laufbahn mit der größten Besonnenheit an- zufangen, vna zur klaren Einsicht desjenigen, welchem ihr 20 nachstrebt, zu gelangen. Aus diesem Grunde darf euch nichts verborgen bleiben. Die triftigsten Einwendungen derer, welche ein solches Bestreben für nichtig erklären, und diejenige Wahrheit, welche die Vorurteile der Zeit und des gegenwärtigen Daseins am meisten bekämpfen, 25 müssen wir euch gleich klar und unumwunden darlegen. Aus eurem Gemüte aber entweiche der kindische Leichtsinn, und zu der unbefangenen Fröhlichkeit der Jugend geselle sich der höchste Ernst des Lebens.

Wir werden bei der nachfolgenden Betrachtung nicht 30 auf eine einzelne Wissenschaft, noch viel weniger auf eine einzelne Ansicht irgend einer Wissenschaft Rücksicht

Universitätsschriftea Fichte, Schleiermacher, Steffens. 15

226 Steffens.

nehmen, vielmehr auf den Sinn aller wissenschaftlichen Bemühung. Dieser aber ist in der Weisheit enthalten. [39] Die Weisheit | nämlich ist nicht das Vorrecht irgend einer Schule, ist nicht in dieser oder jener einzelnen Ansicht 5 ausgesprochen, auch darf keiner behaupten, er sei vor allen im Besitz derselben. Sie ist vielmehr die göttliche Leiterin alles Wissens, der innere klare Grund aller Wahr- heit, und die sichere Richtschnur alles Lebens. Nicht im Erkennen allein kann die Weisheit gesucht werden, denn

10 die innere Übereinstimmung des Erkennens wird durch die Wahrheit bezeichnet. Ebensowenig finden wir sie in der innern Übereinstimmung der Handlungen und des Daseins, denn diese wird als die sittliche Vollkommenheit begriffen. Die Weisheit ist nur da, wo die Wahrheit und

15 die Sittlichkeit, das Erkennen und das Dasein sich in einem höhern Leben durchdringen. Von dieser also, nicht von der Liebe zur Weisheit, oder von der Philosophie, insofern diese in irgend einem Menschen auf eine eigentümliche Weise sich darstellt, sei hier die Rede, und diese preisen

20 wir, mit den trefflichen Alten, als das höchste Gut und

[40] den göttlichsten Besitz der Sterblichen. Sie | allein gewährt

die höchste Klarheit und mit dieser die höchste Seligkeit,

ja sie ist mit der Seligkeit eins. Denn was wir Unglück

nennen, entsteht nur aus dem Mißverhältnis zwischen dem

25 innern Dasein oder dem Erkennen, und dem Äußern. Wo beide sich durchdringen, ist alle Sehnsucht gestillt, sind alle Wünsche befriedigt und aller Widerstreit aufgehoben. Auch ist durch die Anschauung der Weisheit, so wie sie selbst die Sprache bezeichnet, jener unnütze und leere

30 Streit, über die Trennung zwischen dem innern und äußern Leben, als wenn sie sich wechselseitig aufhöben oder aus- schlössen, als völlig nichtig gesetzt.

Was aber von den einzelnen Menschen gilt, gilt auch von dem Staate. Er ist nicht bloß eine äußere Einrichtung,

35 aus welcher sich die Vernunft und die höchste Richtung einzelner aufschlösse; vielmehr stellt er den höchsten Verein und die innigste Durchdringung des innern und äußeren Daseins aller zu einem höheren Leben dar. Man sagt, es sei die Pflicht der Regierung und der Bürger, das r.-j^l Glück des Staats zu beför- 1 dern. Aber hat man denn irgend eine deudiche Anschauung von dem, was man so

Idee der Universitäten. 227

bezeichnet? Wenn man sagt, es sei das höchst niöghche Wohlbefinden aller, so sucht man die Frage mehr zu um- gehen, als sie gründlich zu beantworten. Das Glück der Staaten ist, wie das Glück der einzelnen Menschen, die Durchdringung des Erkennens und des Daseins. So wie 5 der Kreis des Erkennens in einem Staate sich erweitert, ohne daß die äußere Gewalt des Staats die Erweiterung anerkennt, entstehen jene mannigfachen Verirrungen, auf welche viele der angeführten Vorwürfe sich berufen, und die also Produkte der sich selbst mißverstehenden Staats- 10 Verfassung sind. Wenn die Frage entsteht: wo wir jenes Erkennen des Staats zu suchen haben, so erhellt von selbst, daß dieses nur in der Richtung der edelsten Geister des- selben gesucht werden muß. Wer mit einem unbefangenen Blick die Geschichte betrachtet, dem wird es nicht ent- gehen, daß eine jede Nation, abgesondert von den übrigen durch eine eigentümliche Sprache, das einzige, über alle unter- [ geordnete und vorübergehende Gewalt erhabene [42] Sondernde der Nationen zu einer jeden Zeit sich durch ein eigenes Gepräge der geistigen Richtung auszeichnet. 20 Dieses Gemeinsame zu fassen, den tiefen Sinn desselben zu ergreifen, ist Pflicht der Regierung. Kleinlich und nichtig erscheint jene Behauptung, von Höflingen ersonnen und von Sklaven ausgebreitet, als würde durch die Gnade des Herrschers die geistige Richtung des Staats unter- -23 stützt. Wehe demjenigen Fürsten, der sie nicht anerkennt, der nicht einsieht, daß sie die edlere Seele des Staats sei, die als eine gemeinsame Sonne ihn selbst und alle Bürger belebt I Gleich nichtig ist diejenige Ansicht, die behauptet, daß die Weisheit da sei, die niedern Bedürfnisse 30 des Staats und des Lebens zu befriedigen; vielmehr ist er selbst nur da, um das Höchste darzustellen und anzuer- kennen. Wie der einzelne Mensch, überzeugt von der Nichtigkeit seines irdischen Daseins, welches entsteht und vergeht, in jeder seiner Handlungen das Unvergängliche 35 der Sitdichkeit, selbst auf Kosten seines Lebens, dar- 1 zu- [43] stellen sucht, in seinem Erkennen aber nur der ewigen Wahrheit huldigt, so sind auch die Staaten selbst nur das Gemeinsame der ewigen \'ernunft, dieser also nicht widersprechend nur dazu da, damit die Herrlichkeit 40 des Ewigen durch sie kund werde. Die Nation, die dieses

15*

228 Steffens.

nicht erkennt, ist eine barbarische. Diejenige hingegen, die vor allen der Weisheit huldigt, gelangt zu jenem glanz- vollen Dasein, dessen untergegangene Herrlichkeit, in den Trümmern der alten Welt, die Geschichte betrauert. Die 5 verirrten und sich mißverstehenden Töne der Bürger ver- ständigen sich wechselseitig, und verklären sich zu einer Sprache, die das heitere und göttliche Dasein des Ganzen in einer jeden Richtung kund tut. Das Dürftige des Lebens und die nichtigen Gestalten desselben verschwinden

10 in den heiligen Offenbarungen der Kunst, und allenthalben tritt uns ein Großes und Treffliches entgegen, die höhere Würde des Lebens bezeichnend.

Die Natur enthält das Vorbild alles Lebens und das [44] Gleichnis aller gesellschaftlichen Ver- 1 bindungen in sich.

15 Wo sie nur den äußeren Verhältnissen unterworfen ist, wie in der toten Natur, ist sie in sich verschlossen und herbe, und vermag nicht einen Mittelpunkt des Daseins zu finden, welcher nur da geschaut wird, wo wir die ein- zelnen Verhältnisse, als solche, vernichtend, das Ganze

20 umfassen. Die Natur strebt, wie die Geschichte, das Höchste darzustellen. Aber nur, wo dasjenige, was in der toten Natur bedeutungslos auseinandergehalten wird und sich wechselseitig ausschließt, wie das Starre und Flüssige, sich wechselseitig bis zur höchsten Einheit durch-

25 dringet, gelingt es ihr, das Leben zu offenbaren. Der Mittel- punkt des äußeren Daseins ist gefunden, indem auf einem jedweden Punkt nicht das Einzelne, sondern das Ganze, wenn gleich auf eine besondere Weise, gesetzt ist. Aber' diejenigen äußeren Verhältnisse, welche, das Leben tötend,

30 uns in der erstarrten Natur nirgends den Mittelpunkt er- kennen ließen, treten in der gesamten Organisation der Tiere für das innere Leben hervor, und wie die Stoffe [45] und die | mannigfaltigen Dinge dort nicht zum innern Verständnis und zur wechselseitigen Durchdringung ge-

35 langen können, so sehen wir hier das innere Dasein in mannigfaltigen Richtungen zersplittert, die sich bloß äußer- lich beschränken und einengen, sich aber nicht gegenseitig verstehen und ohne gemeinsamen Mittelpunkt sind. In dem Menschen gelingt es der Natur, diejenige Durch-

40 dringung des innern Daseins zu erlangen, welche mit einem jedweden Leben schon für das äußere gegeben ist. Indem

Idee der Universitäten. 229

die Natur, jenem Punkt entgegen eilend, den äußeren Drang wechselseitiger Beschränkungen überwindet und das Wider- sprechendste in hohen Einklang verbindet, wirft sich das innere Licht nach außen, und alles niedere Dasein erhält durch dieses Höchste erst seine Bedeutung und wird durch 5 dasselbe verklärt.

Was uns die Natur hier zeigt, wiederholt sich bei dem geselligen Verein der Menschen auf die nämliche W^eise. Der vereinzelnde Mensch, der nur sich selber sucht, in seiner Selbstheit und in seinen Begierden befangen, stellt 10 nur ein äuße-jres Verhältnis dar, welches für ihn und für [46] das Ganze gleich bedeutungslos und nichtig ist. In dem geselligen Verein sollen alle Richtungen vereinzelnder Menschen und der tötende Widerstreit der Begierden, in eine innige Verbindung tretend, ein höheres Leben dar- 15 stellen. Wird diese Verbindung auf einer niederen Stufe festgehalten, so daß das tiefste und bedeutendste Leben des Menschen ihr fremd bleibt, so ist einer solchen Nation, und wenn auch die innere Übereinstimmung ihres Daseins noch so weit gediehen wäre, wenn die Gesetze und Ein- 20 richtungen des Staats, den Kunsttrieben und Instinkten der Tiere ähnlich, eine große innere Sicherheit und Klarheit erlangt hätten, doch nur eine untergeordnete Rolle zuge- teilt. Nur derjenige Staat ist der natürliche Herrscher aller übrigen, wie der Mensch der Herr der Natur, in 25 welchem das Höchste und Tiefste menschlicher Bestre- bungen heimisch geworden ist. Und zwar auf eine solche Weise, daß das höchste und niedrigste Dasein sich durch- dringen, und dieses durch jenes verklärt wird. Wie die Seele den | Leib durchdringt und mit diesem eins ist, so ?9_, daß wir in der Anschauung des Lebens beide keinesweges als getrennt oder voneinander verschieden zu fassen ver- mögen, so soll der höhere Geist, den Staat belebend, mit ihm eins sein.

Es ist ein törichter Wahn, daß die höhern Bestre- 35 bungen mit den Bedürfnissen des Staats im Widerspruch wären. Dieses findet nur da statt, wo eine tote Abstraktion für ein Erkennen, und ein tierisches Dasein für ein Leben gilt. Wo der Staat die Wissenschaft nicht erkennt, der Gelehrte sich von dem Leben des Staats entfernt hat, 40 sind beide gleich nichtig, und, aus einem unfruchtbaren

230 Steffens.

Boden entsprungen, wird die Wissenschaft wie das Leben keine Früchte bringen.

Die Natur sucht vergebens jenen innern Einklang des Daseins, der nur in der anmutigen Schönheit angeschaut 5 wird, darzustellen. Alles, was in ihr hervortritt, das Höchste wie das Geringste, trägt die Spuren der Vereinzelung und Abweichung. Wir können daher die Geschichte als die [48] Fortsetzung des Naturlebens und als die | vollkommenste Offenbarung desselben ansehen. Wie in der anorganischen

10 Natur die Elemente, im Kampfe miteinander begriffen, das Übergewicht äußerer Verhältnisse darstellen, und die Spuren des wilden Kampfs und der gegenseitigen Vernichtung uns aus den zerstörten Massen ansprechen, so zeigt sich uns das Nämliche allenthalben und zu allen Zeiten in der

16 Geschichte. Denn die Gedanken und Begierden, in einer bloß äußern Spannung gedacht, sich selber wechselseitig einschränkend und ausschließend, stellen ein grauses Ge- misch von Untaten und Zertrümmerung dar, welches, für sich betrachtet, ohne Bedeutung und Sinn zu sein scheint.

20 Aller geselliger Verein geht darauf aus, jene rohen Ele- mente der Geschichte zu bändigen, damit, was im Wider- streit sich vernichtet und aufhebt, durch höhere Einigung verbündet, sich tragen und erhalten soll. Die Momente dieser Vereinigung liegen schon in dem Kampfe der Ele-

25 mente selbst, wie wir die Spuren und Keime des Lebens

bis in die Tiefen der ältesten Gebirge verfolgen können.

[49] Was will nun diese gesellschaftliche Ver- 1 bindung ? Das

Glück aller, antwortet man. Aber was können wir unter

dem Glück aller verstehen? doch nicht wiederum, daß

30 ein jeder das Dasein des Staats unterhält, denn dadurch entstünde nur ein arger Widerspruch. Ein jeder würde sich in den allgemeinen Begriff des Staats verlieren, als wenn dieser allein wäre; wenn wir aber diesen selbst suchen, so stellt er sich uns dar als die Vereinigung aller. Der

35 Staat hebt sich also auf, wenn er die Realität der Bürger aufhebt, so wie der Bürger sich vernichtet, wenn er sich als verschieden vom Staate denkt. Da nun der Staat, als das Allgemeine, ein Unteilbares und Ganzes ist, der Bürger aber, obgleich ein Gesondertes, doch eins ist mit

40 dem Staate, so muß mit dem Staate die Mannigfaltigkeit der Bürger, mit einem jeden Bürger aber das Ganze des

Idee der Universitäten. 231

Staats zu gleicher Zeit und unzertrennbar gegeben sein. So sehen wir in der Natur diejenigen Stoffe und Kräfte, die sich wechselseitig widerstreben und aufheben, bis ins 'Jnendliche verbündet und einig da, wo das Leben hervor- . bricht. Indem aber alle Ele-|mente im Lebendigen sich r^Qj innerlich vereinigen, sondert sich eine jede Gestaltung, als ein eigenes Organ; in einem jeden Organ stellt sich das Ganze dar, und die Harmonie des Lebens ist mit der Ge- samtheit aller Organe auf eine solche Weise eins, daß sie sich keinesweges wechselseitig ausschließen, vielmehr 10 eir jedes Einzelnes, indem es mit sich selbst auch das Ganze setzt, das Ganze aber zugleich und notwendig alle Organe. Welches ist nun jenes heilige Band, durch welches das Ganze des Staats in einem jeden Bürger, ein jeder Bürget aber im Ganzen des Staats auf die nämliche Weise 15 und zumal gesetzt wird ? Es ist klar, daß nichts Geringeres, als dieses Band, den inneren Mittelpunkt und das Wesen des Staats darstellen kann. In nichts Untergeordnetes oder Einzelnes kann dieses gesetzt werden, da es ja eben das Höchste und Gemeinsame aussprechen soll. Auf das tie- 20 rische und sinnliche Wohlbefinden der Bürger kann es nicht gehen, denn dieses enthält vielmehr jene rohen Ele- mente der Geschichte, welche alle Gesellschaft zer- 1 stören, [51] indem sie sich selbst unter sich vernichten. Auch fordert der Staat, und zwar mit vollem Rechte, die völlige Auf- 25 Opferung des äußeren Daseins, ja des Lebens, wenn es zur Erhaltung seines Daseins notwendig ist. Hier also ist der Punkt der Vereinigung keinesweges gefunden; viel- mehr rufen vielfältige Verhältnisse oft einen Widerstreit hervor, in welchem die lebendige Teilnahme an dem Staat so alles physische Wohlergehen und das Leben selbst aus- schließt, die Erhaltung des Lebens aber den wahren Bürger- sinn aufhebt. Etwas aber muß da sein, welches der Staat schlechterdings zu achten hat, so daß er nie und unter keiner Bedingung eine Aufopferung von diesem von irgend 35 einem Bürger fordern darf, ohne sich selbst aufzuheben und sein Wesen zu vernichten. Dieses wird nun dasjenige sein, was in dem Einzelnen, in einer eigentümlichen Rich- tung, doch mit der Allgemeinheit des Ganzen auf eine solche Weise eins ist, daß jenes Besondere ohne das All- 40 gemeine, dieses ohne jenes nicht gedacht werden kann,

232 Steffens.

[52] das eigentlich unvergängliche und | wahrhaft innere Leben des Staats. Es ist die Wahrheit und Sittlichkeit, und deren äußere Erscheinung die heilige und unantastbare Ehre. Ein jeder wird gestehen, daß diese allein im Ganzen 5 des Staats von einem jeden, in einem jeden vom Ganzen des Staats heilig geachtet werden muß. Von dieser heißt es, wie in der Religion von der Gottesfurcht, von welche: sie auch keinesweges verschieden sein dürfte, daß ihr eine jede Verheißung gegeben ist im Himmel und auf der Erds,

10 und daß wir sie erst zu suchen haben, ruhig erwartend, daß uns alles Übrige zugeteilt werde. In einem jeden Staat ist daher keiner eingeengt in dem^ was seine heiligere Natur erheischt. Ein jedes Talent entfaltet sich, ein ;eder Geist stellt sich selber dar nach der ungebundenen Freiheit

15 seiner innern Natur. Nicht ein Futterkraut ist der leben- dige Mensch, gemäht, ehe er blühte, zur Nahrung für das alles verschlingende Ungeheuer, für einen Staat, der, in der Dürftigkeit des niedrigsten Daseins befangen, sein Wesen verkennt und sich selber widerspricht. Der Staat i-KQ-i ist viel- [mehr als ein fruchtbarer Garten anzusehen, in welchem das Herrlichste ohne Zwang die mnere Fülle seines Daseins entfalten kann; ein fruchtbarer Boden, die Keime des Trefflichsten pflegend und nährend. Und wie die Natur nicht ruht, bis es ihr gelingt, das Widerwärtige

25 liebend zu verbinden und die innere Sonne ihres Daseins in dem Menschen zu offenbaren, so ringt auch das Ge- schlecht der Sterblichen, von der inwohnenden Gottheit getrieben, alles Widerstrebende der Irrtümer und Begierden in einem heitern Dasein vernichtend, alle Gemüter durch

30 Liebe zu vereinigen, so daß ein jeder das Schicksal aller,

alle aber das wahre Glück eines jeden fühlen und tragen.

Wenn wir die Natur betrachten, dann zeigt sich uns,

wie ein jedes Einzelne, sich selbst durchdringend, die

höchste Vollkommenheit des Ganzen kund tut. Denn, wo

35 in einem Leibe ein jedes Organ, sich selbst nur suchend

und in aller Tätigkeit nur das Eigentümliche offenbarend,

allen äußeren Zwang vernichtet und wie in einer eige-

[54] I nen Welt lebend sich am reinsten sondert, da ist zugleich

die herrlichste Darstellung des Ganzen; ja diejenige Ge-

40 stalt, welche die Einheit dieser Organe in einem eigentüm- lichen Dasein entfaltet, trägt auch die Wurzel ihres Lebens

Idee der Universitäten. 233

in sich selbst, und abgesondert von den äußern Dingen lebt sie wie in einer eignen innern Welt. Diese Sonderung der Gestalten ist mit der Überwindung roher Elemente eins, die Erde ist in ihnen geselliger geworden, der äußere Streit der Elemente ist im Mittelpunkt der Seele innerlich ge- 5 schlichtet. So ist die Erde mit sich selber einig geworden, die dunkle Finsternis eines vernichtenden Kampfes hat dem heitern Lichtglanz eines liebevolleren und fröhlicheren Lebens weichen müssen. Gebändigten Riesen gleich, müssen die rohen Elemente der herrschenden Liebe dienst- 10 bar sein, und nur wie in einer dunkeln Erinnerung wird die rauhe Zeit des vernichtenden Kampfes noch festge- halten.

So sucht ein jeder nur die Übereinstimmung mit sich, denn indem das jugendliche Gemüt dem tiefen Sinn eigenen 15 Daseins unbefangen und [ fröhlich folgt und, die eigene [55] Natur erkennend, sich selber entfaltet, stellt es eben das Ganze am reinsten und herrlichsten dar. Rücksichtslos folge du also deiner eigenen höhern Natur, nicht äußerlich klügelnd, ob sie dem Staate fremd sei, oder nicht! Wo 20 du das eigene Maß gefunden hast, da hast du das heilige Verhältnis des Ganzen, die innere Übereinkunft mit allem, am tiefsten ergriffen. Wo aber ein innerer Zwiespalt ent- steht, wo du dich selbst in einem äußeren Verhältnis zum Staate, als bloßes Mittel desselben, dich täuschend, an- 25 siehst, oder wo du glaubst, untergeordneter Rücksichten wegen die höhern Anforderungen deines Geistes unter- drücken zu müssen, erscheint der Staat in dir und du im Staate vernichtet. Wäre es möglich, daß dasjenige Prinzip, welches die Organe in der leiblichen Gestalt, die Gestalt 30 in dem Geschlechte, das Geschlecht in der Natur sondernd vereiniget, verschwinden könnte, dann würde die rauhe Zeit zerstörender Elemente mit roher Gewalt wiederum hereinbrechen. So ruhen im Hintergrunde menschlichen ^^ Daseins die vernichtenden | Kräfte der Begierden und Irr- r-ß-i tümer. Was diese im Staate zu bändigen vermag, ist nicht ein Teil desselben, sondern das Ganze, welches die Gottheit dir auf eine eigentümliche Weise zu nähren und zu pflegen anvertraute. Innerlich, nicht äußerlich, wird der Streit des Daseins geschlichtet. Ein jeder unter uns 40 trägt das Schicksal des Staats in seinem Innern, und wo

23-4 Steffens.

die gemeinsame Liebe verschwindet, der Staat die heilige Eigentümlichkeit opfert, du den Staat in den Zauberkreis deiner Begierden zu bannen suchst, da wird der innere Krieg zerstörender Kräfte hervorgerufen und das wilde ö Heer der rohen Begierden erweckt, welche, Unheil brütend, das Verbrechen des Ganzen in einem jeden und eines jeden im Ganzen strafen. Wo 'aber ein jeder, die eigene Selig- keit suchend und mit sich selber einig, seine höhere Natur als die des Ganzen erkennt, der Staat sein inneres Wesen

10 in der eigentümlichen Richtung eines jeden vernimmt, da

verschwindet die trübe Abweichung und der vernichtende

Zwang, und selbst die niedern Bedürfnisse des Lebens

[57] werden | durch die Gewalt des belebenden Geistes von

der Klarheit des Erkennens durchdrungen, dieses aber

15 selbst, das Dasein ordnend, ruft die anmutige Schönheit hervor, in welcher der Widerspruch aller Abweichung gelöst wird, in welcher dasjenige, was in der nicht ganz ent- fesselten Natur noch immer die trüben Spuren des äußern Zwangs tragen muß, aus der innern Fülle eigenen Da-

20 seins entspringt, die höchste gemeinsame Blüte der Natur und Geschichte.

I

Vierte Vorlesunor. [58]

^5•

Nachdem wir gezeigt haben, wie eine jede geistige Richtung und das höchste Bestreben in Wissenschaft und Kunst zum Wesen des Staats gehöre, Hegt es uns ob, dar- zutun, auf welche Weise der Staat das Höchste und Treff- 5 Hchste zu pflegen vermag, und wie die Erweckung und Unterhaltung der Weisheit durch eine Staatseinrichtung befördert werden könne. Um dieses einzusehen, wird es vorzüglich wichtig sein, das Verhältnis des Bürgers zum Staate genauer zu erwägen. 10

Nichts ist den Menschen furchtbarer, als die eiserne Notwendigkeit des äußern Lebens, so daß die meisten dieselbe nur mit einem scheuen und unsichern Blick be- trachten, ja wohl denjenigen, der sie genauer ins Auge zu fassen wagt, als einen Feind ansehen. Wir aber wollen 15 uns in nichts täuschen, wir wollen uns gestehen, daß aus dem ) äußern Leben alle Spuren der Freiheit verschwunden [59], sind. Die Natur geht kalt vor unsern Hoffnungen und Wünschen vorüber, und mit strenger und erbarmungsloser Härte sehen wir sie, ihren Gesetzen folgend, gleich emp- 20 findungslos bei unsern Freuden und Leiden sein. Uns selbst hat sie ergriffen, und ohne unser Zutun uns das Maß der Eigentümlichkeit und die Art und Weise des Daseins unabänderlich bestimmt. Alle unsere Taten werden, äußerlich hingestellt, von der allgemeinen Gewalt ergriffen, 25 und stellen die Harmonie der Geschichte, keinesweges die Freiheit des Einzelnen dar. Anders wird alles, als wir es dachten; was wir wollen, wird vernichtet, was wir ver- nichten möchten, durch unser Widerstreben hervorgerufen. Die Verwicklungen der Umstände werfen uns unwillkür- 30 lieh hin, wo wir keinesweges zu stehen wünschen, lähmen unsere Tätigkeit, wo wir handeln möchten, und zwingen

236 Steffens.

uns zum Handeln, wo wir ruhen möchten. Ja unsere eigenen Handlungen, aus der Innern Freiheit, so scheint es, ent- [60] Sprüngen, nehmen uns | gefangen, scheinen, als Vergangen- heit, fremden Mächten anzugehören, und engen von allen 5 Seiten die eigene freie Zukunft ein. Selbst die Worte, die ihr jetzt vernehmt, gehören, ausgesprochen, dem Reden- den nicht mehr an, und welche Früchte sie tragen werden, ob böse oder gute, oder auf unfruchtbaren Boden hin- gestreuet, gar keine, bestimmt nur der lebendige Gang

10 der Geschichte.

Diese Härte und Strenge der Natur finden wir im Staate wieder. Was ihm widerstrebt, vernichtet er mit großer Härte. Keine Wünsche des Einzelnen können ihm etwas gelten, er sieht in dem Einzelnen nur das Ganze.

15 Du kannst, durch eigene Natur oder durch Geschick, in eine solche Lage versetzt sein, daß dir nur ein geringes Maß irdischen Genusses vergönnt ist. Du kannst mit Leiden und Kummer mannigfacher Art kämpfen, vielleicht in deinem Beruf nur geringen Trost finden, mit eherner

20 Strenge wird dennoch von dir, wie von dem Glücklichsten,

die größeste Aufopferung gefordert. Nichts, was dir äußer-

[61] lieh zugehört, soll imstande sein, dich vom | Staate zu

trennen, und wo es erfordert wird, mußt du freudig deinem

Besitze, dem Leben, ja dem Genüsse der Liebe zu entsagen

25 imstande sein. Alles, was du im Widerspruch mit dem Staate willst, hebt ihn auf. Die Duldung eines Innern Widerspruchs aber ist eine tötende Schwäche des Staats. So ist der Staat eine zweite Natur, unerbittlich wie die erste, und uns bleibt nichts, so scheint es, als ruhig und

30 ergeben, uns selbst und aller eigenen Freude entsagend, unter der Last eines mühevollen und unbegreiflichen Da- seins zu keuchen.

Aber ursprünglich, wie die Notwendigkeit, ist auch die Freiheit. Alle Dinge, die da sind, sind nur für anderes

35 da, wir sind ursprünglich für uns selbst. Die Selbstbestim- mung ist die innere Wurzel unsers Daseins, und wo sie verschwindet, hören wir innerlich auf zu sein. Ist es gewiß, daß die Natur ihre höchste Bedeutung erst in dem Menschen erhält, so daß alle Gesetze derselben erst in ihm ihren

40 gemeinsamen Mittelpunkt gefunden haben, so ist es klar, [62] daß auch die Notwendig- [keit der Natur erst in und mit

Idee der Universitäten. 237

der Freiheit der ?^Ienschen bestehe und da sei. Denn in der äußeren Natur ist alles für ein anderes und durch ein anderes da, begriffen wird es aber nur in dem, was durch sich selbst ist, alle Gesetze also nur in der Vernunft, die, als die reine Selbstbestimmung, das innere 5 heilige Eigentum eines jeden Menschen ist. Die Natur- gesetze stellen, als solche, nichts bloß Äußeres, der Ver- nunft Fremdes, dar. Denn die Vernunft begreift und faßt ewig nur sich selber und ist nichts anderes, als der reine Akt des Selbsterkennens. Die Gesetze der Natur, also auch 10 die Notwendigkeit derselben, stellen demnach die Gesetze der Vernunft selber dar, und da diese, wo sie ist, absolut frei ist, so ist die Notwendigkeit nur in und mit der Freiheit, und ohne diese nichtig. Vom Staate gilt das Nämliche, wie leicht einzusehen ist. Denn der Staat ist 15 nichts anderes, als die gemeinsame Organisation der Ver- nunft aller Bürger. Und da diese niemals aufhören kann, frei zu sein, so ist die Freiheit nicht allein in dem Allge- meinen des 1 Staats, sondern notwendig auch in einem [63] jeden Bürger ganz und uneingeschränkt da. 20

Es entsteht die Frage : wie nun diese Notwendigkeit mit der Freiheit bestehen könne, da sie sich zu wider- sprechen und wechselseitig aufzuheben scheinen? Daß dieses der Fall ist, wo beide in ein äußeres Verhältnis gegeneinander treten, ist in und für sich klar. Wo daher 25 in einem Staate die Notwendigkeit im Ganzen hervortritt, die Freiheit dahingegen als das Eigentum weniger erscheint, da verlieren beide ihre Bedeutung. Die Notwendigkeit erscheint als drückender Zwang, und die Bürger werden in Knechte verwandelt, die Freiheit aber stellt sich als sich 30 selbst aufhebende Willkür dar, und der Regent wird in einen Tyrannen verwandelt. Will nun das Volk seine Rechte wieder gewinnen, indem es die Freiheit, deren verschobenes Bild der Tyrann uns darstellte, als ein Äußeres für sich zu erringen sucht, so entsteht jene schauderhafte Anarchie, 35 welche uns die wilde Verirrung einer benachbarten gesunke- nen Nation als ein warnendes Beispiel dargestellt | hat. [64] Die Freiheit also wird nur in und mit der Notwendigkeit, diese nur in und mit jener sein können. Ja sie müssen als das Eine und Nämliche erkannt werden. 40

Man hat über die Realität der verschiedenen Staats-

238 Steffens.

Verfassungen gestritten, und bald der einen, bald der andern den Vorzug geben wollen. Man hat unrecht. Wie die belebende Natur die hohe Harmonie und Bedeutung des lebendigen Daseins in mehrern Individualitäten darzustellen 5 vermag, so auch die Geschichte. Und der ganze Sinn und das innere Leben des Staats kann in einer jeden Ver- fassung gleich bedeutend hervortreten. Töricht ist der Wahn, als vi^enn je eine Staatsverfassung eine gemachte, etwa durch einen ausgezeichneten Mann ersonnene wäre,

10 vielmehr ist sie immer ein lebendiges Produkt der Ge- schichte, ein wahres Naturleben derselben. Selbst wo ein einzelner Gesetzgeber hervorragt, und als der ordnende Geist des Staats erscheint, wie Zamolxis unter den Scythen, Solen in Athen, Lycurgus in Lacedämon, Moses unter r^^l den 1 Juden, stellen sie keinesweges ein Einzelnes dar, als wenn sie aus allgemeinen Begriffen einer toten und abstra- hierten Staatsverfassung ihre Gesetze abgeleitet hätten, in welche nun die lebendigen Menschen hineinpassen sollten, vielmehr sind sie selbst nur als das klare Bewußtsein des

20 eigentümlichen Volks anzusehen, so daß sich beide wechsel- seitig ergänzen. Man versuche nur, Zamolxis unter die Juden, Moses unter die Scythen zu versetzen, ja in das- selbe Griechenland Solon nach Lacedämon, oder Lycur- gus nach Athen zu verpflanzen, um inne zu werden, wie

25 innig ihr Dasein mit dem eigentümlichen Leben ihres Volks verknüpft war, und wie wenig leere und von dem Leben abstrahierte allgemeine Begri£]Ee das leitende Prinzip ihrer Gesetzgebungen waren.

Indem nun die Staaten, wie die Gattungen der Natur,

30 in verschiedener Richtung, und das nämliche suchend, sich

auf mannigfache Weise formen und gestalten, können wir

doch einen allgemeinen Typus der Gestalten, nach einer

[66] vierfachen Richtung, wahrnehmen. Alle aber suchen | sie

die lebendige Durchdringung des Einen und Vielen. Einige

35 Staaten nämlich überlassen der Natur die Sorge für ihre Verfassung, indem sie die höchste Gewalt einigen aus- erwählten Geschlechtern erblich anvertrauen, andere be- halten sich selbst diese Sorge vor, wie in den Wahlreichen, beide aber stellen die Einheit des Besondern und Allge-

40 meinen bald unter der Gewalt des Einen und Allgemeinen, wie in den Erb- und Wahlmonarchien, bald unter der Ge-

Idee der Universitäten. 239

walt des Besondern und Vielen, wie in den Aristokratien und Demokratien dar. Aus den mannigfaltigen Verbin- dungen dieser Grundformen können vielfältige Abwei- chungen und Modifikationen entspringen, alle aber können die nämliche Idee des Staats auf eine individuelle Weise 5 darstellen.

Wenn nun das Wesen des Staats nicht in einer äuße- ren Form liegt, so daß das wahrhafte und innere Glück desselben durch eine solche weder erzeugt noch erhalten werden kann, indem wir vielmehr gestehen müssen, daß 10 die nämliche Form, die einer Nation und einer gewissen Zeit I angemessen ist, einer anderen vielmehr fremd und [67] widerstrebend sein kann, so entsteht die Frage : worin das eigentliche Heil eines Staats gesucht werden müsse, so daß in ihm die äußerste Strenge der Gesetze mit der ewigen 15 Freiheit aller Bürger zugleich bestehen kann?

Ein jeder Staat, und je lebendiger und frischer er in sich ist, mit desto größerer Strenge, nimmt das ganze Dasein des Bürgers in Anspruch, fordert von ihm, wenn es die Notwendigkeit gebietet, die Aufopferung aller Güter, iO ja selbst des Lebens. Eine Forderung dieser Art würde widernatürlich und im höchsten Grade grausam sein, wenn der Staat dem Bürger bloß als eine äußere und streng gebietende fremde Gewalt erschiene. Nur dadurch also, daß ihm die Gewalt des Staats nicht als eine fremde, 25 sondern als die eigene, selbst bestimmte, hervortrete, würde jene widernatürliche Grausamkeit verschwinden. Es muß daher dem Staate vor allem wichtig sein, daß die Idee desselben in einem jeden Bürger klar da liege, und zwar auf eine sol- 1 che Weise, daß alle Gesetze desselben von ^ng^ ihm innerlich als selbst entworfene eigener Vernunft an- erkannt werden. Denn nur dadurch wird der Bürger frei erklärt, und nur so das Problem, wie sich die Freiheit und Notwendigkeit im Ganzen und in einem jeden Bürger durch- dringe, vollständig gelöst. Nun gehören aber zum Wesen 35 des Staats, und damit sein inneres Leben in seinem ganzen Umfange dargestellt werde, die höchsten Forschungen des menschlichen Geistes, die eben, ausgedrückt durch die Eigentümlichkeit der geistigen Richtung der Nation, das Trefflichste, alle übrigen Verhältnisse Verklärende und 40 Erhöhende enthalten. Derjenige allein aber hat die

240 Steffens.

höchste Weisheit, und mit dieser die höchste Freiheit errungen, der die Tiefen des nationalen Geistes in ihrem ganzen Umfange erspäht hat. Wohl wissen wir es, daß Gemüter da sind, die auf eine bewußtlose Weise 5 mit dem Staate innig verbündet sind, so daß ihr inneres Leben das Ganze mit inniger Liebe umfaßt, und ihr eigenes Wesen in der schönen und stillen Darstellung desselben [69] wieder | erkennt; Gemüter, deren scheinbare Verschlossen- heit in der stillen und anspruchslosen Hingebung, in der

10 Sicherheit einer herrlichen Natur und in der heiligen Treue verschwindet. Solche Gemüter, die im Staate, wie die Pflanzen in der Erde, wurzeln, ist es ihnen gleich versagt, das Höchste des Staats zur klaren Anschauung zu erheben, offenbaren durch die Entfaltung herrlicher Taten auf eine

15 stumme Weise, daß das tiefste Wesen des Staats in ihnen heimisch sei, wie in den Pflanzen alle Elemente sich ver- söhnen, und stellen sich, verklärt durch stille und heilige Einfalt, den größten Geistern gleich.

Aber keinesweges vollendet ist der Staat durch solche

20 Bürger. Er selbst zeigt uns das Gemeinsame der Vernunft, und das klare Selbsterkennen, welches zum Wesen derselben gehört, muß ihn im Ganzen und auf jedem Punkte durch- dringen. Selbst jene verschlossenen Gemüter müssen, ihr stilles Dasein unbefangen umfassend, von der allgemeinen

25 Klarheit, wenn gleich bewußtlos, getragen, in dieser wie

[70] in einer eigenen Welt | leben. Denn wäre im Staate das

Erkannte und Bewußtlose wahrhaft gesondert, so würde

die Gewalt, auf welche Seite sie auch gesetzt würde, als

eine fremde, das Entgegengesetzte vernichtende erscheinen.

30 Wenn nun aber dem Staate ein bestimmtes Maß des Er- kennens zugeschrieben wird, so werden die Bestrebungen der Bürger, insofern sie über dieses endliche Maß hinaus- reichen, wie die Gegner behaupten, dem Staate fremd sein. Nun stellen diese aber selbst die Behauptung auf,

35 daß die höchsten Bemühungen, allmählich die Masse er- greifend, dem Staate eine bedeutungsvollere Zukunft vor- bereiten. Entweder sind nun jene Bemühungen, rein ab- getrennt von dem Gesamtleben, wie in einer eigenen Welt eingeschlossen, dann aber ist es unbegreiflich, wie ein

40 solches Fremde jemals auf die Masse einwirken könne. Oder sie müssen ein äußeres Verhältnis zwischen dem

Idee der Universitäten. 241

Staate und jenem Bemühen festsetzen, dann aber werden diese sich wechselseitig einschränken und ausschheßen. Wird die Gewalt auf die Seite der geistigen Bemühungen gesetzt, so | werden diese störend auf die Einrichtungen [71] des Staats einwirken, wird aber die Gewalt dem Staate 5 zugestanden, so erscheint diese dem geistig Forschenden als eine fremde, und da der Staat das Recht hat, das ganze Dasein des Bürgers in Anspruch zu nehmen, so wird er in einen bloßen Knecht des Staats verwandelt. Dünkt es euch aber billig, daß dasjenige Bemühen, in 10 welchem ihr selbst das Herrlichste des Geschlechts an- erkennt, und welches euch die schönsten Früchte für die Zukunft verspricht, in Knechtsgestalt erscheine, während es dem untergeordneten Dasein vergönnt ist, den ganzen Umfang seines Wesens frei zu entfalten? Ja es wird euch 15 klar sein, daß der tiefe Forscher, entweder, sich von dem Staate absondernd, in erhabener Einsamkeit sich in sich einschließen muß, wie dieses wohl in Zeiten herber Ver- schlossenheit der Fall war, wo dann sein großes Dasein, ohne Früchte vorübergehend, erst in einer schönern Zeit, 20 und in einem Staate, der sein inneres Wesen klar geschaut hat, wieder auferstehen v/ird; oder er erkennt die Gewalt des Staats | an, so wird ihn die Knechtsgestalt, die seinem [72] inneren Wesen widerspricht, notwendig vernichten.

Doch auch das Wohl des Ganzen erfordert, daß ein -'5 jedwedes große und bedeutungsvolle Bemühen sich aus ihm, wie aus seinem eigenen Wesen, entfalte, welches uns eine kurze Betrachtung klar machen wird. Ihr behauptet, daß der Staat, gefangen von dem Drange der Gegenwart, bei allen Veranstaltungen nur auf die Bedürfnisse der- 30 selben zu sehen hat. Aber was ist denn diese Gegenwart? Bestimmt durch die Vergangenheit, aufgelöst durch die Zukunft, läßt sie sich in keinem Momente fassen. Was ihr für die Gegenwart einrichtet, ist vergänglich wie sie. Alle eure Einrichtungen tragen die Spuren der Vernichtung 35 in sich selber. Je vereinzelter sie dargestellt sind, desto schneller verschwinden sie, wie jene niederen Organisa- tionen, die, in dem Übergange vom Leben zum Tode keinem von beiden vollkommen angehörig, in wenigen Augen- blicken erscheinen und vergehen. Je tiefer eure Einrieb- 40 tungen in der Vergangenheit der Geschichte | und in der [73]

Universitiitsschrifteu Fichte, Schleiermacher, Steffens. 1(3

242 Steffens.

Natur der Dinge wurzeln, desto dauernder und in sich lebendiger sind sie. Aber dieses Zurückgehen in der Ge- schichte und in der Natur der Dinge ist nichts von dem stillen und forschenden Zurückkehren des menschlichen 5 Geistes in sich selber Verschiedenes. Von der Reihe wech- selseitiger Bestimmungen ergriffen, kann er da nur ruhen, wo ihm die Selbstbestimmung entgegentritt. Diese ent- hält den lebendigen Anfang und das Ende aller Dinge in sich, und bewahrt, selbst unabhängig von allem Wechsel,

10 den Keim neuer Gestaltungen. Wenn alles nur den klein- lichen Bedürfnissen des erscheinenden Daseins entsprechen soll, so verschwindet mit dem Untergange der Einrichtung auch derjenige Geist, der, selbst in dem Wechsel lebendig, sich ewig neu gestaltet. Wer kennt nicht jene unglück-

15 liehen Knechte, die von einer so törichten, wie grausamen

Gewalt ergriffen, zum Räderwerk plumper Maschinen herab-

gewürdiget wurden, und die, wenn irgend ein Zufall das

kümmerlich zusamm.engefügte Werk zerstörte, ausgetrock-

[74] net, einseitig zugeschnitten und [ gemodelt, ohne lebendige

20 Kraft, als verdorbenes und überflüssiges Werkzeug weg- geworfen wurden? So tötet der Staat das belebende Prin- zip in sich, wenn er der unendlichen Richtung der Talente" und Geister ein nichtiges Maß vorschreibt. Wohl kann ein solcher Staat für einen Augenblick einen bedeutungs-

25 losen Glanz erlangen, aber das Maß seiner Vollendung grenzt auch unmittelbar an den Moment seiner gänzlichen Vernichtung. Wir sehen, wie der Gärtner, mehr für den augenblicklichen Genuß, als für das Wesen der Vegetation Sorge tragend, indem er alles auf einen erscheinenden

30 Moment bezieht, den Trieb der Fortpflanzung einem kurz erscheinenden Glanz der Blüte opfert. Was den ewigen Keim der Fortschreitung in sich enthält, unterwirft sich dem Drang der Umstände und vernichtet die lebendige Zukunft, eine kurze Gegenwart vorübergehend darzustellen.

85 Was die gefüllten Blumen in unserm Garten sind, sind jene

Staaten in der Geschichte. Nur derjenige Staat, der es

einsieht, daß das Entfaltende und Belebende in seiner Er-

[75] scheinung nicht wiede- 1 rum durch diese gemessen werden

kann, daß es vielmehr, den unscheinbaren Keim der Zu-

40 kunft enthaltend, als sein innerstes Heiligtum gepflegt werden muß, kann ohne Sorgen den Trübsalen der Zeit

Idee der Universitäten. 243

und dem unvermeidlichen Untergang bestehender Ein- richtungen entgegensehen, denn was in ihm lebt, gehört nicht einer einzelnen Zeit oder bestimmten Umständen, vielmehr der ewig sich neu gestaltenden Geschichte.

Daher wird der Staat, sich selber erkennend und sein 5 Wesen durchdringend, dafür, vor allem, Sorge tragen, daß einem jeden Bürger die Idee des Staats dargelegt werde, damit ein jeder, keinesweges gebunden durch irgend eine bestimmte Richtung, in innerer Übereinstimmung mit sich selbst, seine Eigentümlichkeit entfalte. 10

Hieraus wird es nun klar, was wir auch schon früher behaupteten, daß ein jeder, der sein eigenes Maß kennt, auch das Maß aller Dinge besitze, und indem er, unbefangen und rücksichtlos, die Übereinstimmung mit sich selbst sucht, , auch mit dem Staate übereinstimmt. Da aber der \ innere r- •] Widerstreit der Begierden und die Gewalt roher Elemente, sowie der physische Druck, der nicht selten den hohen Aufflug des Geistes zu lähmen imstande ist, die freie Selbst- bildung zu unterdrücken und zu vernichten streben, so ist es Pflicht der herrschenden Gewalt, diese dem Heiligsten 20 des Staats drohenden Hindernisse aus allen Kräften zu be- kämpfen. Denn nichts hat der Staat so sehr zu betrauern, als die Unterdrückung eines keimenden Talents. Es ist also eine notwendige Folge aus dem Wesen des Staats, daß derselbe in allem sich bestrebt, die innere Freiheit 25 des Geistes, von welcher die äußere nur als der matte Abglanz anzusehen ist, zu schützen und zu pflegen.

Möge es uns ergötzen, das frische und ewig jugend- liche Bild eines solchen Staats, der, in welcher Form er sich auch darstelle, die einzig-wahre Republik genannt zu 30 werden verdient, genau ins Auge zu fassen! Ihn selbst aber werden wir in seiner ganzen Herrlichkeit in einem jeden Bürger wiederfinden. Wenn auch Geschick, Um- stände, oder [ eigentümliche Natur diesem die geringste [77] Stelle angewiesen hätten, so wird er sich doch dadurch 35 keinesweges erniedrigt finden, überzeugt, daß eine jede Stelle im Staate ihm erlaubt, die innere Herrhchkeit und wahre Vornehmheit desselben in sich darzustellen. Auch wird ihm der angewiesene Kreis, mit allen seinen Beschrän- kungen, als ein notwendiger, also ihm innerlich heiliger. 40 erscheinen; ihm wird der strengste Gehorsam gegen die

IG*

244 Steffens.

Gesetze keinesweges drückend sein, denn die größte Strenge des Staats entspricht der innern Ordnung seines eigenen Wesens. Vielmehr wird er in einer jeden Verletzung der- selben sich selbst angegriffen fühlen. Sollte Leichtsinn 5 oder Leidenschaft ihn dazu gebracht haben, irgend ein Gebot des Staats zu übertreten, so wird er nie, sich selbst herabwürdigend, Gnade erflehen. Denn die vorübergehende Schmach, die ihn trifft, berührt nur sein äußeres, nicht wesentliches Dasein, welches er dem Staate freudig opfert; 10 daß aber das Recht auch an ihm verübt werde, fordert seine höhere, ihm heiligere Natur.

[78] [ Wie ein jeder Bürger sich dem Staat opfert, so erkennt auch dieser in ihm die wahre Stärke und den Abglanz seines ganzen Daseins, und selbst in dem geringsten Bürger, 16 der durch die äußere notwendige Form des Staats zur höchsten Abhängigkeit bestimmt ist, stellt die ewig unan- tastbare Ehre das Höchste dar, worin er und der Ge- waltigste gleich vornehm sind. Der Weise allein ist der wahre König, wie die Alten sich ausdrückten; und damals 20 war Rom vor allen mächtig und in sich gesund, als Cyneas bei einer Versammlung vieler Bürger ebenso viele Könige zu sehen glaubte. Stille aber ist der rechte Bürger und friedfertig, nicht wähnend, es sei ihm erlaubt, über alles zu klügeln; duldend und vergessend, was nur seine Per- 25 sönlichkeit kränkt und sein äußeres Dasein verletzt; gehor- sam, der gebietenden Gewalt huldigend, mit Demut und Ergebenheit, nicht widerstrebend, wo er nicht wahrhaft berufen ist, in schweren Zeiten das Ganze darzustellen. Dann erst, wenn die herrschende Gewalt, sich selbst auf-

^0 hebend, törichterweise fordern wollte, 1 daß irgend ein

L79J Bürger dem klaren Irrtum huldigen oder die Sittlichkeit verletzen sollte, zieht sich die wahre innere Stärke und die höchste gebietende Kraft des Staats in die Seele des Bürgers zurück, so daß der Herrscher ein Verbrechen be- 35 geht, ja aufrührerisch handelt, wenn er die göttliche Ober- herrschaft in ihm, der in solchem großen Augenblick der wahre König genannt werden kann, verkennt oder schmäht. Der gesunde Staat ist ferner unantastbar. Denn auf einem jeden Punkte wird das Ganze angegriffen. Da das

40 Dasein eines jeden Bürgers mit dem Staate auf das innigste verschmolzen ist, so ist der Untergang des Staats sein

Idee der Universitäten. 245

eigener Tod. Und zwar sieht er in dem sinkenden Staate, mit innerlichem Schauder, das Ersterben seiner innern heiligen Natur und seiner Ehre. Diesem zu entgehen, dem einzigen wahren Unglück, welches er zu befürchten hat, opfert er frohen Mutes Besitz, Leben und Liebe. Sein 5 höheres Dasein feiert den Triumph eines schönern Be- sitzes, eines heiligern Lebens, einer tiefern Liebe in dem. Wiederaufblühen [ des geretteten Staats. Ein solcher Staat [80] daher kann nie unterjocht, nur ausgerottet werden. Aus- gerottet, sage ich, als wenn dieses möglich wäre. Aber lo welche irdische Kraft kann gegen das Unsichtbare kämpfen? Wäre der angreifende Staat selbst mit sich übereinstimmend und in sich gesund, wahrlich, nie würden wir ihn zum Kampfe gegen das Heilige hervortreten sehen. Ist er aber von Begierden des Volks oder des Herrschers ent- 15 flammt, wild gegen das Heilige empört, so wird die innere Kraft des Göttlichen im Staate, alle Bürger im Kampfe vereinigend, notwendig die Nichtigkeit seines Bestrebens kundtun.

So nun zeigt sich die in sich frische und wahre Re- 20 publik. Man hat aber die Behauptung aufgestellt, es könne keine Republik ohne Heloten da sein. Eine Behauptung, die wir, das Mangelhafte der Erscheinung erwägend, zu- .ucben müssen. Nur sind diese es nicht, wie in der alten Welt, durch die Natur oder durch das Geschick, vielmehr 25 durch eigene Wahl. Knechte des Staats nämlich nennen wir diejenigen, deren Gesinnung mit der | Gesinnung des [81] Staats im Widerspruche steht, so daß sie irgend etwas anderes, als das allgemeine Wohl suchen und wollen; also ein jeder, der an einer vereinzelten, dem Staate fremden 30 Existenz hängt. Wäre diesem auch im Staate große Ge- walt anvertraut, so ist er doch nur ein Knecht des Staats, indem der geringste Bürger innerlich absolut vornehm und frei ist, und seine Unterwerfung selbst ist nur die eines Heloten. 35

So ruht das Schicksal des Staats in der innern Seele eines jeden Bürgers, und wenn irgend ein Unheil, den Staat zerstörend, hervorbricht, oder euer eigenes bürger- liches Dasein zu vernichten droht, ihr habt es euch ledig- lich selbst beizumessen. Ihr beklagt euch, wenn die Ge- 40 walt des Herrschers, übermütig hervorwachsend, die Frei-

246 Steffens.

heit der Bürger verschlingt, und wenn derselbe, indem er die anvertraute Gev/alt mißbraucht, als ehrsüchtiger Eroberer den Frieden benachbarter Länder zerstört, und die Söhne des Landes zum frevelnden Raube leitet. Euch

5 selbst habt ihr anzuklagen, denn eine solche Mißgestalt [82] schwerer Zeiten entspringt [ nur, wie ein Zauberbild mannig- facher Verbrechen der Bürger, aus dem gärenden Sumpfe eigener Sündhaftigkeit. Ihr beklagt euch über den Druck und frechen Übermut der Großen und Mächtigen, indem

10 ihr euch, getrieben von irgend einer persönlichen Furcht oder Hoffnung, ihnen als Knechte darstellt, und wahrlich nicht mit Unrecht als solche behandelt werdet.

Ihr werdet sagen, ein solcher Staat, wie wir ihn hier geschildert haben, sei niemals da, und eine solche Ver-

15 bindung sündhafter Menschen keinesweges möglich. Aber ihr werdet gestehen müssen, der wahre Staat sei nur da, wo man aufs eifrigste sich bestrebt, die Bürger von den Knechten zu sondern, so daß man in die innigste Ver- einigung jener das höchste Wohl des Staats setzt, indem

20 man den Knechten ihren rechten Platz anweist, und sie durch eine wohlgeordnete Gewalt zu bändigen sucht.

Fünfte Vorlesung. [83]

Wir haben einsehen lernen, wie der Mittelpunkt der äußeren Notwendigkeit des Staats die Freiheit selber sei, so daß die erste ohne die zweite auf keine Weise da sein könne. Es ist aber klar, daß die äußere Notwendigkeit 5 eins sei mit dem Einengenden und Beschränkenden des äußeren Daseins, so aber, daß da, wo die innere Freiheit waltet, jenes Einschränkende nicht mehr als solches, son- dern als die lebendige innere Form der Freiheit selber hervortritt. So wie nun die Notwendigkeit durch das 10 äußere Dasein, so wird die Freiheit durch das Erkennen dargestellt, und da die Einheit der Handlungen Sittlichkeit, die Einheit des Erkennens aber Wahrheit genannt wird, so sehen wir, daß die Freiheit und Notwendigkeit nichts von der Wahrheit und Sittlichkeit Verschiedenes sei, wie vielmehr 15 dasjenige, | welches wir von verschiedenen Standpunkten [6i] der Betrachtung als das eigentliche Wes'en des Staats kennen lernten, in sich übereinstimmt. Da nun aber die Einheit des Erkennens und Daseins, der Wahrheit und Sittlichkeit also, die Weisheit ist, beide sich aber in einem l'O Staate, als Freiheit und Notwendigkeit, durchdringen müssen, so erhellt, daß die Weisheit die Seele des Staats sei. Es wird jetzt von uns gefordert, daß wir zeigen, wie die Weisheit in einem Staate gepflegt werde, und wie die Bürger desselben zur höchsten Freiheit gelangen. 25

Unsere Behauptung ist nun, daß die Universitäten solche Einrichtungen sind, durch welche die Jünglinge des Staats aufgefordert werden, durch Selbstbestimmung das Maß zu erringender Freiheit sich selbst zu erwerben. Und zu keiner Zeit dünkt es uns notwendiger, diese Würde der Universi- öO täten, die dadurch zu den wichtigsten und ersten Ein-

248 Steffens.

richtungen des Staats erhoben werden, zu behaupten. Denn nicht ohne Bedauern bemerken wir, wie die schöne Neigung, [85] die Deutschland [ über alle übrigen Länder Europas erhob und ihm die erste Stelle anwies, diese nämlich, durch eigenes ß inneres Bemühen das Wesen des Daseins und der Dinge auf eine eigene Weise zu ergründen, immer mehr ab- nimmt, so daß solche, die vormals die freie Richtung des Geistes mit fröhlicher und jugendlicher Unbefangenheit befolgten, nun, sei es durch den Druck der Umstände

10 gelähmt, oder durch die gar zu große Sorge für die irdische Zukunft dazu bewogen, nur auf dem kürzesten Wege sich selbst für irgend einen bloß endlichen Zweck zuzubereiten suchen, und so sich selbst, das Ringen nach höherer Frei- heit gewaltsam unterdrückend, zu fortdauernder Knecht-

15 Schaft verdammen. Zwar ziemt es sich nicht, indem wir einen so großen Gegenstand mit einem freien Blicke zu umfassen trachten, die Abnahme unserer Lehranstalt ins- besondere zu erwähnen, denn gar zu leicht schleichen sich in solche Klagen persönliche, den Lehrern der Weisheit

20 keinesweges anständige Rücksichten ein. Aber in ganz

Deutschland hat sich die Menge derer, welche die Uni-

[86] versitäten besuchten, | nur gar zu sehr verringert, und ist

es gleich gewiß, daß auch vormals dasjenige, was wir als

das innere Wesen und die Idee der Universitäten darstellen

2") werden, von den wenigsten gesucht ward, so ist es doch unleugbar, daß diese Anstalten vorzüglich die Pfleger des nationalen Geistes und die Erwecker innerer Freiheit ge- nannt werden müssen; so daß wir, ohne uns zu irren, behaupten können, daß der Verfall der Universitäten mit

30 dem Verfall der Nation selbst gleichen Schritt hält. Und wie können wir es auch vergessen, daß diese Institute, in einer glücklichern und innerlich selbständigem Lage der Nation, die hellen Zentralpunkte des höchsten nationalen Bestrebens bezeichneten, so daß wir die Universitäten zu

35 Prag und Wittenberg als die Geburtsstätten einer Zeit an- sehen müssen, deren gewaltiger Geist auf ganz Europa bestimmend einwirkte. Wie innig aber solche Einrich- tungen mit dem Wesen deutscher Eigentümlichkeit ver- schmolzen sind, erhellt vor allem daraus, daß der eigent-

40 liehe Sinn der Universitäten bei allen andern Nationen [87] früher oder später | erlosch, in Deutschland aber sich, selbst

Idee der Universitäten. 249

unter den ungünstigsten Umständen, erhielt, und auch jetzt ^vohl unterdrückt, aber keinesweges verschwunden ist.

Möchte es mir gehngen, in euch den höhern Geist zu beschwören, so daß ihr euch nicht mit der Dürftigkeit einer kümmerlichen Zeit, vielmehr mit den großen, kühnen und 5 in sich tüchtigen Männern einer herrlichen A'orzeit ver- wandt fühlen möchtet!

Um die Idee der Universitäten vollkommen fassen zu können, ist es nötig, einiges über das Verhältnis derselben zur frühern Bildung auf den Schulen zu sagen. Wie näm- 10 lieh das Kind gleich nach der Geburt, obgleich in einer Rücksicht selbständig und ein eigenes Leben darstellend, doch durch die Art der Ernährung an der Mutter wurzelt, und nur imstande ist, ein schon Assimiliertes zu genießen, so wurzelt auch das Kind geistig in einem fremden Da- 15 sein auf eine solche Weise, daß es das schon aufgenommene Bild der Dinge und des Lebens aufnimmt, dieses jedoch bewußt- 1 los auf eine eigene Weise gestaltend. Alles zwar [88] empfängt das Kind durch Selbsttat, so jedoch, daß die klare Anschauung der eigenen Tätigkeit zurückgedrängt 20 ist, und in der bewußtlosen Unschuld der kindlichen Ent- faltung verschwindet. So gewiß nun, als die Natur in einem jeden Kinde eine eigene Welt eigentümlicher Kräfte und Fähigkeiten verschlossen hat, so gewiß ist nichts törichter und verwerflicher, als wenn man mit rauher Hand 25 den freien Wuchs der Natur verunstaltet, indem man die unbefangene Seele des Kindes einengt. Diese aber ist die heiligste Gabe der Gottheit, welche anzuerkennen, aber nicht nach endlichen Zwecken klügelnd zu beurteilen, Eltern und Staat da sind. Daher ist alle Erziehung nur 30 pflegend, keinesweges bestimmend. Die große unergründ- liche Freiheit der Natur, die, sorgfältig gepflegt, in spätem Jahren als Freiheit des Geistes sich selber ergreift, haben wir auch in dem Kinde zu achten. Wißt ihr, die ihr törichterweise durch eine frühe Bestimmung der freien 35 Seele des Kindes ein endliches Ziel setzen möchtet, | ob [89] nicht das Kind bestimmt ist, was ihr ersonnen habt, mit großer Kraft zu bekämpfen? Daher sei die Erziehung nur auf das Gemeinsame aller Geister gerichtet, als den fruchtbaren Boden, aus welchem alles Individuelle, eigenen 40 Gesetzen folgend, entspringt und sich selber gestaltet.

250 Steffens.

Dieses aber werde mit großer Strenge mitgeteilt, und der notwendige Zusammenhang sei bei dem Unterrichte wich- tiger, als die bloße Mannigfaltigkeit und Masse der Kennt- nisse. Im Sittlichen lerne das Kind strengen Gehorsam, 5 im Wissen aber werde ihm nur das mitgeteilt, wovon ihm der Zusammenhang klar ist. Es sei der Unterricht eine gymnastische Übung, in welcher die junge Seele die eigene Kraft kämpfend erproben kann. Die klaren Gesetze des Denkens, der Sprache, der Zahlen und Figuren sind als

10 eine feste Grundlage des allgemeinen Erkennens anzusehen,

deren strenger Zusammenhang den Kindern nicht früh

genug mitgeteilt werden kann. Fürchtet nicht, daß die

strenge Beschäftigung der Freiheit der Seele schädlich

[90] sei, vielmehr wird das Kind den | gesetzmäßigen Zusammen-

15 hang, und zwar je strenger er dargestellt wird, desto eher, mit innigem Ergötzen verfolgen, denn die frohe Ahndung der innern Freiheit des Geistes begrüßt das Kind aus der unwandelbaren Notwendigkeit, da sie vielmehr durch das lockere Gewebe willkürlicher Verbindungen, welche die

20 eigenen Kräfte des Kindes nicht aufregen, getrübt oder wohl gar vernichtet wird. Auch stellt jene feste Grund-- läge eine sichere Form dar, die, je gesetzmäßiger und in sich geschlossener sie erscheint, desto inniger sich an die Seele des Kindes anschmiegt, und später die Organe einer

25 freiem Weltanschauung aus sich entfaltet. Vor allem aber ist es notwendig, und wir können es mit Recht die höchste Kunst des Erziehers nennen, daß der Unterricht des Kindes mit seiner sittlichen Ausbildung, diese mit seinem ganzen äußern Dasein in der innigsten und genauesten Verknüpfung

30 bleibe, so daß nichts, von dem übrigen abgetrennt, in einem äußeren Verhältnis erscheine, vielmehr eine jede Beschäftigung sich dartue als eine lebendige Funktion des [91] nämlichen ge- 1 sunden Daseins. Die belebende Anschau- ung, die das Kind so innig und genau mit der Natur ver-

35 knüpft, unterhalte und pflege man sorgfältig, daß sie zum' gemeinsamen Bande des strenge Geordneten im kindlichen Erkennen, und zur innigen Liebe, die das ganze Dasein zu einem allgemeinen erweitert, sich allmählich verherrliche. Denn in dem reinen kindlichen Gemüte ruht, wie ein zarter

40 Genius, der schöne Sinn, der liebevoll mehrere zu um- fassen imstande ist; und wo der wahre Bürgersinn in

Idee der Universitäten. 251

einem jeden Familienkreise herrscht, da teilt er sich auf eine lebendige Weise dem Kinde mit. Die Erbsünde ist die Sünde der Bürger selbst, die wie ein verderbliches Gift die keimende Generation ansteckt, und wo die Will- kür im Geistigen und Sittlichen frühe dem Kinde nichts ^ als verunstaltete Zerrbilder, die dem äußeren ^Zwange un- willig nachgeben, darstellt, verschwindet der schöne Gleich- mut und das anmutige Ebenmaß aus der kindlichen Seele, die nun, von Begierden ergriffen, nur die Mißgestalt einer Welt voll Widersprüche, in welcher sie lebte, offenbaren 10 wird. I Frühzeitig aber errege man in dem kindlichen Ge- [02] mute die Neigung zum Übersinnlichen, wodurch die zarte Seele die strenge Notwendigkeit der äußeren Dinge und die Abhängigkeit und Eitelkeit der irdischen in einer höhern Ordnung verklärt erblickt. Nicht etwa in allge- meinen Begriffen, der Seele des Kindes fremde, stelle man ihr das Göttliche dar, sondern in reiner Einfalt, wie sie die christliche Religion uns darlegt, werde ihnen das Heiligste kundgetan, und es ist bekannt genug, wie innig eine einfache Darstellung der göttlichen Liebe das kind- 20 liehe Gemüt zu ergreifen und zur Frömmigkeit zu erwecken imstande sei.

Das so durch den Glauben gestärkte, durch eigene Kraft in sich rüstig gewordene, durch strengen Gehorsam gestählte, und durch innige Liebe mit dem Allgemeinen 25 innigst verbundene, heranwachsende Kind überlasse man ohne Sorge seiner eigenen Natur. Was innerhalb der Sphäre der Eigentümlichkeit hervortritt, kann zwar nach den Regeln der Klugheit beurteilt werden. Denn der ^ Mensch, von den Verhältnissen des Lebens | ergriffen, j^j^.^, lernt frühe seine Handlungen den äußern Umständen ge- mäß einzurichten. Was ihm aber diesen eigentümlichen Kreis selbst bestimmte, den er unbestraft, und ohne daß er mit sich selbst in einen das Heiligste des Gemüts zer- störenden Widerspruch gerät, niemals zu überschreiten 35 wagen darf, ist auf keinerlei Weise durch endliche Rela- tionen zu begreifen. Dieser Kreis erscheint vielmehr als der unmittelbare und geheime Grund seines Daseins, als das innere Licht, welches die Welt, alle Dinge und Ver- hältnisse erhellt und beleuchtet; und nur innerhalb dieses 40 Kreises bewegt er sich vollkommen frei; wo er ihn verläßt.

252 Steffens.

ist er selbst nur ein nichtiges, aus dem wechselseitigen Spiel der Relationen hervorgerufenes, von einer fremden Gewalt ergriffenes, in einzelnen Rücksichten gefangenes, ein innerlich hohles, nur zusammengeronnenes Schein- 5 bild, ohne innere Bedeutung und Bestand. Enger scheinen die Grenzen des eigentümlichen Kreises bei einigen gezogen, die durch eine bestimmte Richtung des Geistes mit be- [94] stimmten Gegenständen oder Ver- 1 hältnissen der Dinge ursprünglich innerlich verwandt scheinen. Der enger ge-

10 schlossene Kreis ist jedoch nicht ohne innere Tiefe und wundersame Bedeutung, und das Herrlichste entspringt aus solchen verschlossenen Gemütern oft auf die über- raschendste Weise, auch verbindet sie die innere Liebe und die rücksichtslose Sittlichkeit, die das Ganze des Ge-

15 schlechts in jedem Gemüte kundtut, unmittelbar mit dem Allgemeinen. Daher erscheine uns der Mensch, dessen Gemüt ihn ursprünglich an geringe Beschäftigung fesselt, nicht geringer oder unwürdiger. Nur strebe keiner, von törichter Eitelkeit geleitet, den Kreis zu überschreiten, den

20 ihm die Natur vorschrieb. Ein nichtiges und nutzloses Beginnen ist dieses. Nichtig, denn nur dasjenige, was aus dem eigenen Gemüte entspringt, hat Bedeutung und Be- stand; nutzlos, ja schädlich, denn wenn er das Beste des Ganzen sucht, so findet er es nur, indem er unbefangen

25 der eigenen Natur folgt. Was ihn also irreleitet, kann nur eine persönliche Rücksicht sein, indem er ein glanzvolleres [95] Schein- 1 dasein für sich selber zu erringen sucht, eine Ver- messenheit, die sich durch innern Widerspruch an ihm selber rächt, an dem Staate aber, wenn er sich durch den

30 Schein irreführen läßt, durch Verwirrungen mancher- lei Art.

Einige Gemüter aber finden in sich das eingeborne Bestreben, das Wesen der Dinge zu erforschen und in einer jeden Beschäftigung nicht die abgetrennte und einseitige

35 Richtung allein, sondern in dieser den Abglanz des Ganzen auszuprägen. Eine geheime Sehnsucht trennt diese schon frühe von dem Einzelnen und Äußeren des Lebens, und was in dem Leben und in der Erscheinung der Dinge sich widerstrebt, Mißverständnisse, äußerer Zwang und jedes

40 nichtige Verhältnis will sich in solchen Gemütern innig vereinigen. Wo die stille Sehnsucht des höhern Erkennens

Idee der Universitäten. 253

in einem jugendlichen Gemüte keimt, da werde sie sorg- fältig gepflegt; wo die rüstige Kraft ein eigentümliches inneres Dasein sich selber zu erringen strebt, da werde sie vor allem geachtet. Denn in solchen Gemütern liegt der . zukünftige | Glanz des Staats, unkenntlich zwar und noch lögi nicht gestaltet, in einem tiefen Grunde sicher verschlossen. Nicht immer zwar ist jenes Bestreben dem Fremden oder der eigenen Seele klar, aber wenn man sich innig überzeugt hat, daß das keimende Bestreben nicht ein bloßes Schein- bild sei, welches ein fremdes und bloß mitgeteiltes nach- 10 äffend wiedergibt, so erkenne man, wie man sich der heiligen unantastbaren Stätte höherer Eigentümlichkeit ge- nähert habe, und sorgfältig entferne man eine jede äußere Gewalt, damit die emporstrebende Seele zum innern Ver- ständnis gelange. Diese Gemüter sind nicht so selten, 15 wie man glaubt, und die herrlichsten Zeiten sind eben die, in welchen sie den innern eingebornen Trieb ungebunden verfolgen können. Was in verschiedenen Richtungen der menschliche Geist erspähet hat, werde ihm in klaren und bestimmten Umrissen mitgeteilt; einfach und strenge sei 20 der Unterricht, besonders aber von aller Fiktion und von dem lockern Gebäude nichtiger Erklärungen und leerer Rä- sonnements entfernt, damit die [ reine Gestalt der verschie- [97j denen Zeiten in der Geschichte und die reinen Tatsachen in der Natur die keimende Seele zu fernerem Forschen 25 erregen. Nicht zu früh werde der Jüngling der äußeren Leitung endedigt; nur dann, wenn der innere Trieb der Selbstforschung aus dem Mittelpunkte des Unterrichts selbst klar und dcudich hervortritt, hat er die höhere Stufe des Erkennens errungen, und ist als ein Freigelassener an- 30 zusehen.

Wo nun kann jene innere Sehnsucht gestillt werden, jene ringende Kraft ihren freien Spielraum erhalten,? Im Staate hat alles eine bestimmte Richtung, eine jede Be- schäftigung ihren eigenen Kreis, alles ist füreinander da, 35 und keine Richtung der Tätigkeit ist in sich selber ge- gründet. Wird der Jüngling, nachdem er der fremden Leitung entging, unmittelbar von der äußern Gewalt des Staats ergriffen, so daß ihm ein bestimmter Kreis der Tätigkeit angewiesen wird, für welchen allein er ferner 40 ausgebildet werden soll, so ist es klar, daß jenes höhere

254 Steffens.

Bestreben unwiederbringlich erdrückt wird, und wenn auch [98] I die Sphäre, die ihm angewiesen wird, seiner innern Natur nicht widerspricht, so wird sie doch als eine vereinzelte, und dadurch seinen Geist lähmende dem erscheinen, der in 5 einer jeden Richtung nicht das Einzelne und Abgesonderte, sondern eben das Bild des Ganzen schauen wollte. Auch liegt in keinem einzelnen Kreise, und in keiner Beschäf- tigung, insofern sie abgetrennt von den übrigen betrachtet wird, das höhere Prinzip, welches alles zusammenhält und

10 belebt, und ein Staat, in welchem selbst die freiem Geister unmittelbar von dem Einzelnen gefesselt würden, müßte als ein kümmerlich Zusammengesetztes, in welchem die Teile nur äußerlich und locker verbunden sind, erscheinen, und ohne innere widerstrebende Kraft, einem jeden Stoß nach-

10 gebend, in sich zerfallen. So würde die Geringschätzung des Geistes sich an dem Staate selbst rächen.

Daher die Universitäten, die also Schulen der Selbst- bildung sind, und sich eben dadurch von den frühern Unterrichtsanstalten unterscheiden. Daß der Staat sie r " j unterhalten muß, erhellt von [ selbst; denn sein ganzes

''" höheres Dasein beruht darauf, daß hier der Geist des freien- Forschens ungehindert walten kann. Wer hier die höhere Selbstbildung zu erlangen trachtet, den treibt keine äußere Gewalt, kein fremder Wille, auch keine äußere

25 oder endliche Rücksicht, sondern lediglich die eigene Be- stimmung und seine innere Natur. Gründlich unterrichtet muß derjenige sein, der hier den höhern Sinn der Wissen- schaft zu ergründen sucht. Alles dasjenige Wissen, welches bloß mitgeteilt wird, muß er schon erlangt haben, und wer

30 in dieser Rücksicht früher vernachlässigt ist, der suche die Kenntnisse, die ihm fehlen, sich selbst freiwillig in einen Schüler verwandelnd, zu erlangen. Wir wollen es keines- weges verhehlen, daß, nach unserer Ansicht manches, was auf den Universitäten erst gelehrt wird, eigentlicher Gegen-

35 stand der Schulen sei. Daraus entspringt ein doppelter

Nachteil; denn erstlich ist bei demjenigen Wissen, welches

bloß mitgeteilt wird, eine genaue Verbindung des Lehrers

[100] mit dem Schüler durchaus notwendig, so | daß dieser auf

einem jeden Punkte des Fortschreitens sorgfältig begleitet

40 wird, da die größere Entfernung des Lehrers auf den Uni- versitäten durch den freiem Vortrag, welcher der Selbst-

Idee der Universitäten. 955

bildung angemessen ist, demjenigen, der hier doch nur als bloßer Schüler ist, notwendig schädlich sein muß. Zweitens aber wird der höhere und eigentliche Universitätsunterricht bei denjenigen, die teils als Schüler, teils als Freie be- trachtet werden, notwendig einen innern Widerspruch ent- 6 halten.

Universitäten nennen wir also solche Veranstaltungen der Staaten, auf welchen es allen Geistern vergönnt ist, der eigenen Richtung ungebunden zu folgen. Der Ruf ergeht an einen jeden Jüngling, aber nur die innere Natur 10 bestimmt, ob ihm gefolgt werden soll. Zwar wird an dieser Stelle keinesweges der äußere strenge Gehorsam aufge- hoben, über die innere Richtung der Tätigkeit aber herrscht hier keine gebietende Gewalt. Der Ort und die innere ungetrübte Freiheit desselben ist dem Staate im höchsten 15 Grade heilig, denn hier werden die wahrhaften | Augurien [101] gesucht, und aus den Nachforschungen der Meister, welche die Natur der Dinge und der Geister zu erspähen suchen, aus dem hervortretenden innern Einverständnis derselben, erwartet der Staat die bedeutende Weissagung seines zu- 20 künftigen Schicksals.

Eine Aufforderung zum Fleiß an die Jünglinge, die hier erscheinen, und die Universität im Geist und in der Wahrheit suchen, wäre so überflüssig wie nutzlos. Denn wer nicht, von seinem innern Geiste getrieben, etwas 25 Eigenes und Tüchtiges zu leisten gesonnen ist, der gehört nicht zu uns. Der Träge ist ein geborner Knecht, für ihn ist der äußere Zwang da, und ihm wäre besser, er wäre der fremden Leitung niemals entledigt. Er ist also hier, unwürdig in die Gesellschaft der Freien zu treten, als 30 wenn er nicht hier wäre. An ihn ist daher die Rede keines- weges gerichtet. Schamlos aber ist die Behauptung träger Knechte, als wenn das rüstige Ringen kräftiger Geister zurückgedrängt werden müsse, damit sie in ihrer trägen Ruhe nicht beschämt werden. 35

I Zu euch also, die ihr hier wahrhaft heimisch seid, die [102] ihr, durch gründlichen Unterricht vorbereitet, den inneren Sinn des Daseins erfassen möchtet, rede ich allein. Vor allen aber ermuntere ich euch das Gemüt zu reinigen, ehe ihr das heilige Geschäft vornehmt. Alle irdischen Rück- *0 sichten müsset ihr aus der Seele bannen, als wenn nichts

256 Steffens.

als der Gott der Wahrheit und der Liebe, und die forschende Seele da wäre. Nicht euch selbst gehört ihr jetzt mehr an. Wer den heiligen Schleier der Wahrheit zu lüften trachtet, und nicht ihr sein ganzes Dasein opfert, in stiller ö Andacht und steter Hingebung, wer die entgegentretende und hervorgerufene Gottheit schmäht, der begeht unnenn- baren Frevel. Keine Furcht vor der Zukunft trübe eure Blicke, denn diese überlaßt ihr, das Selbsterkennen suchend, ruhig dem waltenden Gotte. Armut, äußerer Druck, Schmä- ^0 hung blödsinniger Toren, Geringschätzung des verirrten Volks, und das Geschrei der Masse der Sklaven, die euch das Kettengeklirr als eine fröhliche innere Musik, und [lOöj ihre erzwungene Verbin- 1 düng als eine lebendige und innere aufdringen möchten, müsse euch keinesweges stören. 15 Auch verheimlichen wir es euch nicht, daß ihr das

äußere Glück vielleicht auf eurem Wege nicht zu erringen vermöget, nur lernt ihr es zu entbehren. Die Eitelkeit bleibe ferne von euch, denn mit der Welt des Scheins habt ihr nichts zu teilen, und das innere stille Sinnen, die un- 20 nennbare Größe der Welt, die ihr zu ergründen sucht, ruft die Demut hervor. Sicheren Grund und Boden aber, . fest und unbezwingbar in jedem Andrang, habt ihr ge- funden, indem ihr der eigenen Natur folgtet, denn diese ist die Offenbarung Gottes in euch, das ursprüngliche 25 göttliche Gesetz, welches die sichere Grundlage und der ordnende Geist aller äußeren Gesetzmäßigkeit ist. Spürt ihr in euch einen bestimmten inneren Ruf zur Ergründung bestimmter Verhältnisse, oder überhaupt zu einer bestimm- ten Tätigkeit, so befolgt ihn unbefangen und ohne Klügeln, 30 nicht achtend, was andere, für euer irdisches Wohl mehr als billig besorgt, euch raten mögen, denn der Ruf ist [104] I die Stimme Gottes in euch, und höher als die blinde, sich selbst nicht verstehende, Sorge der Menschen zu schätzen. 35 So von allem Irdischen gereiniget, indem ihr nur mit

euch selbst und mit eurem Gotte zu Rate geht, könnt ihr ohne Sorge die freie Bahn des reinen Forschens beginnen. Zwar wir dürfen es euch nicht verhehlen, daß in dem Reiche der Geister, dem ihr euch zu nahen wagt, großer Zwiespalt 40 zu herrschen scheint. Doch ihr werdet es, ist euer Be- ginnen redlich, erfahren, wie sich der Widerstreit in dem

Idee der Universitäten. 257

Stillforschenden Gemüte in hohe Eintracht auflöst. In den Zahlen, wird einer euch sagen, und in dem strengen Verhältnis der Figuren liege allein die innere Gewißheit, auch sei in der Natur nichts Gewisses, was sich nicht in diese strenge Form füge. Die Erfahrung, wird man be- 5 haupten, sei täuschend und unsicher, und könne bald so, bald anders gedeutet werden, man müsse daher die ent- gegengesetzten Äußerungen nebeneinander dulden, ungewiß, welche die rechte sei. Bei dem allen wird der mühselige Fleiß, der in [ der Ergründung der Natur der Dinge ver- r-iQ^-i sunken ist, niemals aufhören, ihr werdet in die Werk- stätte der Scheidekünstler, der Anatomen, der Physiker geführt werden, und unwillkürlich wird euch das bedeu- tungsvolle Leben der Natur entgegentreten und klar werden. In den Gebirgen, in den Pflanzen und Tieren, werdet ihr 15 einen Geist walten sehen, und dem reinen kindlichen Sinn wird die unwillkürliche Übereinstimmung widerstrebender Forscher keinesweges verborgen bleiben.

Andere werden behaupten, die Natur sei nur ein Untergeordnetes, und nur der menschliche Geist und sein 20 inneres Leben sei ein würdiger Gegenstand ernsthafter Betrachtungen. Ist denn nicht die Natur, werden sie sagen, ein bloßer Spiegel der Zeiten in der Geschichte, so daß sie, je nachdem die Zeiten wechselten, auch im inneren Geiste der Menschen eine andere Gestalt annahm? Diesen 25 Zeiten oder Völkern erschien sie als ein geselliger Verein von Dämonen und Göttern, jenen als ein weissagender Dämon, unseren Tagen als ein ungeheures Wechselspiel toter i Stoffe oder unbegriffener Kräfte. Aber der Geist [luß] der Zeit selbst läßt sich keinesweges ergreifen. Wir selbst 30 finden uns in einer bestimmten Zeit, von der vergangenen bedingt, und wie kann diese das Maß zur Beurteilung der übrigen enthalten? Doch die reinen Tatsachen der Ge- schichte und die Bemühungen der edelsten Geister der verschiedenen Zeiten werden euch kundtun, wie alles 35 nach dem nämlichen Zentrum strebte, und dasjenige nur bleibend war, in welchem Natur und Geist sich innig durch- drang.

Der Widerstreit der Geister erscheint nur demjenigen als solcher, der ihn teilt, der, durch diese oder jene Rück- 40 sieht gefangen, oder durch die Gewalt eines überwiegenden

UniversitiiisschrifteD Fichte, Schleiermacher, SlelTeus. 17

258 Steffens.

Geistes gefesselt, nicht Übereinstimmung mit sich, sondern mit andern sucht.

Indem sich die mannigfahigen Richtungen des For- schens für euch eröffnen, wird euch die Menge der Gegen- 5 stände und die Erwägung, daß eine jede Richtung den angestrengten Fleiß eines ganzen Lebens erfordert, oft [107] abschrecken. Aber | nicht die mühsame Untersuchung, nur die Früchte derselben gehören euch zu, und je tiefer die Erforschung ist, desto einfacher das Resultat, und desto

10 inniger verbindet es sich mit der allgemeinen Organisation des menschlichen Wissens. Es wird euch befremden, wenn euch viele Untersuchungen weit abwärts von dem Leben und seinen Bedürfnissen zu führen scheinen. Auch hier dürft ihr dem Gange der Untersuchung und dem Wink

16 des höhern Geistes, der euch in so entlegene Gegend führte, nicht klügelnd widerstreben. Ja, daß ihr, indem ihr, die selbst entworfenen Probleme verfolgend, eurer eigenen Natur Genüge zu leisten suchet, euch keinesweges vom Wesen des Staats trennt, davon wird euch eine kurze

20 Betrachtung überzeugen können.

Denn daß die innere Freiheit aller Bürger zum Wesen des Staats gehöre, werdet ihr wohl nicht leugnen können; er selbst erscheint aber sowohl als die Bürger als ein bloßer Knecht äußerer Verhältnisse. Denn die Einrich-

25 tungen und die innere Gestalt des Staats sind keinesweges, [108] I äußerlich betrachtet, in sich selber gegründet, vielmehr mit strenger Notwendigkeit bedingt durch die nächste Ver- gangenheit und durch die beschränkende Natur. Wie aber können Einrichtungen, die selbst nur durch ein Äuße-

30 res bedingt sind und keine Spur der wahren Freiheit in sich enthalten, in dieser knechtischen Unterwürfigkeit die Freiheit der Bürger begründen? Wie daher der Bürger nur frei wird, indem die Gesetze des Staats als die selbst- entworfenen seines eigenen Wesens begriffen werden, so

35 wird der Staat selber nur frei, indem der ordnende Geist aller Zeiten und die waltende Gesetzmäßigkeit der Natur in ihm heimisch wird. Dann erst erscheint der äußere Zwang als innere geheiligte Notwendigkeit, und eine jede Einrichtung entspringt aus dem Innern des Staats selbst,

40 der in sich begründet und fest steht. Diese Freiheit aber, die aus dem Mittelpunkte des Staats sich einem jeden

Idee der Universitäten. 259

Bürger mitteilt, erringt er nur durch die Bemühung der erhabensten Geister, die, indem sie ihr eigenes Wesen zu ergründen suchen, durch die Gewalt der | Weisheit auch [109] den Staat erheben, dessen Bürger sie sind.

Ehe ich diese Stunde schließe, finde ich es notwendig, 6 euch vor gefährlichen Abwegen zu warnen.v Erstlich sei es euch also gesagt, daß es nicht allen gegeben ist, alles zu fassen, daß, wenngleich der allgemeine Sinn einen jeden beleben soll, so daß eine jede Beschäftigung durch ihn geheiligt wird, dennoch ein jeder mit strenger Entsagung 10 dasjenige Problem, welches ihm die Natur zu lösen gab, diejenige Tätigkeit, zu welcher er sich vorzüglich berufen fühlt, mit allem Fleiß zu fassen hat, überzeugt, daß eine jede Richtung auf gleiche Weise das Herrlichste zu offen- baren vermag. 15

Zweitens warne ich euch vor jenem falschen Scheine, der, den Hochmut nährend, andere gern überreden möchte, daß man alles begriffen habe. Denn indem man andere täuschend dasjenige, was man keinesweges selbst klar ge- faßt hat, so zu stellen sucht, als wenn es die Wahrheit 20 enthielte, wirft sich der Dünkel, das eigene Wesen zer- störend, nach innen, und | die innere Wahrheit, die ihr [110] ergreifen möchtet, erstirbt in dem erlogenen Scheine. Auch trennt euch der falsche Dünkel mehr als die ernsthafte und sinnige Beschäftigung mit den erhabensten Dingen von 25 dem eigentlichen Leben. Klüger dünkt ihr euch, als die Zeit, in welcher ihr lebt; und auf das Bestreben derselben töricht herabblickend, wollt ihr ihre W^ünsche, ihre Hoff- nungen und ihr Ringen nicht teilen. Die wahre Weisheit aber gewinnt euch für das Leben und trennt euch nicht 30 von demselben. Eine jede Wunde der Zeit soll in euch ihre Heilung, eine jede Verirrung derselben in euch ihre Zurechtweisung erhalten. Wo daher die allgemeine Liebe erloschen, wo die allgemeine Teilnahme und der tätige und hilfreiche Sinn verschwunden ist, da herrscht frevel- 3;") hafter Irrtum im Innern.

Endlich warne ich euch vor dem schädlichen Irrtume, welchem oft redliche, aber krankhafte Gemüter unterliegen, indem sie wähnen, daß sie berufen sind, ein einseitig ent- worfenes Bild ersonnener Vollkommenheit in der Welt zu 40 reali- 1 sieren. Nicht in der Übereinstimmung mit der äuße- [111]

17*

260 Steffens.

ren Welt, sondern in der Übereinstimmung mit euch selbst, die euch keiner rauben kann, liegt die Wahrheit eures Da- seins, und mit dieser die V/eisheit. Zwar tätig werdet ihr sein, was euch recht dünkt, immer lehrend, und was euch 5 richtig scheint, ausübend, den Erfolg aber dem waltenden Geist der Geschichte ruhig überlassen, und nicht in er- schlaffenden wehmütigen Klagen euch verlieren, wenn, was ihr wollt, mißverstanden wird, vielleicht, von Irrtum und Bosheit ergriffen, mißgestaltet erscheint ; denn nicht fremde

10 Bosheit und Irrtum, nur der eigene vermag euch zu be- unruhigen. Zwar bestrebt ihr euch, den Geist der Zeiten als euren eigenen zu fassen, aber in seine unergründliche Tiefe zu schauen, ist dem Sterblichen nicht vergönnt. Dennoch wißt ihr, daß die waltende Gottheit euch inner-

15 lieh befreundet ist. Eure eigenen Taten, einmal getan,

gehören dem ordnenden Geiste zu, dessen Offenbarungen

ihr, getrennt von allem Persönlichen, zu betrachten, keines-

[112] weges nach irdischen Wünschen und Hoffnun-|gen zu

richten habt. Eure eigene innere Natur erkennt ihr in den

20 Ideen Gottes, deren Betrachtungen ihr euch andachtsvoll weihet, nicht in den krankhaften Idealen, die ewig nur Götzen verirrter Gemüter sind. So seid ihr unabhängig von dem äußeren Wechsel, wahrhaft tätig im Sinne des Ganzen, und keine getäuschte Hoffnung, nicht der Unter-

25 gang dessen, was euch das Teuerste zu sein scheint, nicht die Mißverständnisse der Welt, vermögen die innere Ruhe zu stören, die, in stiller Betrachtung versunken, in den Gärungen der Zeit und in den Verwicklungen derselben den allmächtigen Geist erkennt, der sich in eurem Innern

80 kundtut, der die Quelle aller Weisheit, so wie innige Ver- bindung mit ihm die Wurzel aller Freiheit ist.

Sechste Vorlesung. [ii3]

Daß die Idee der Universitäten begriffen wird aus der Art und Weise, wie auf denselben gelehrt wird, aus dem Sinne, den man hier zu erwecken sucht, und nicht aus der Masse der Kenntnisse, die hier erlangt werden, 5 oder aus der äußeren Beschaffenheit derselben, wird euch schon dadurch klar werden, daß die erste Fakultät, die euch zur wissenschaftlichen Selbstbildung einladet, die philo- sophische sei. Denn ein jeder wird gestehen, daß die Weisheit nicht von dem mannigfaltigen Wissen verschieden, 10 vielmehr der ordnende und belebende Geist desselben sei. Hier also vorzüglich soll man euch auf das wissenschaft- liche Bestreben überhaupt, dessen Natur und Bedeutung aufmerksam machen. Hier begegnet euch das mannig- faltige Bemühen der Geister, eine gemeinsame ] Sprache rJ\ .1 zu finden, und die Dinge sowohl als das Leben als klare Ziffern zu ergreifen, deren Deutung man unablässig nach- spürt.

Wer hat nun den menschlichen Geist zu jenem rastlosen Bemühen angeregt, daß er nimmer ruhend den verwandten 20 Geist in allen Verhältnissen des Lebens und des Daseins zu erspähen sucht? Warum reißt er sich von den Bedürf- nissen der Zeit los und verläßt die ebene Bahn des ge- meinen Daseins, einem unendlichen Bestreben und müh- seligen Nachforschungen sich widmend? 25

Dieses ist es, daß er das Unwandelbare und Feste innerlich fassen und ergreifen möchte. Denn alles in dem äußeren Leben ist unsicher und wechselnd. Ein jedes Ding, ein jeder Gedanke, eine jede Seele möchte sich selbst darstellen und fassen. Die \''erhältnisse aber haben zwin- 30 gend alles ergriffen, daß es auf allen Wegen nur als ein

262 Steffens.

Bedingtes erscheint. Wahrlich, gern opferten wir das eigene erscheinende Dasein, uns einem fremden zutrauungsvoll hingebend, wenn wir in diesem das Wandellose entdeckten, [115] aber die näm-| liehe Bedingung und das nämliche Schick- 5 sal tritt uns allenthalben entgegen. So ergreift uns die leere Unendlichkeit, das unmäßige Verlangen, die glühende Sehnsucht, die immer fortstrebend die ewige Fülle in der Leere des Unendlichen erreichen möchte, ein Unförm- liches mit dem Geformten verglichen, immer dürftig nach

10 dem Hinlänglichen schmachtend, immer unbestimmt, nie- mals gänzlich ruhend, alles alle Wege duldend, unersättlich und in äußerster Armut. Die Gegenwart erscheint uns als der helle Punkt, aber er läßt sich nimmer ergreifen; die Vergangenheit zeigt auf die Zukunft, daß sie sich um-

15 armen möchten, doch die Bestimmtheit der ersten erstirbt in der unendlichen Leere der zweiten, die Gegenwart ist ein bedeutungsloser, immer erscheinender, immer wieder verschwindender Punkt, der uns ruhelos ergriffen hat und unbefriedigt hinwälzt zwischen Erinnerung und Ahndung.

-0 Wo ist der feste Mittelpunkt, den alle Geister suchen,

wo die heitere Ruhe und die genügende Form, deren wir

[116] alle bedürfen? Was stillt | das ewige Verlangen, ohne

welches das Leben leer erscheint, mit welchem innere

Sorge furchtbarer Art in atemloser Hitze uns herumzu-

25 treiben scheint ?

Suchen wir in dem erscheinenden Leben, welches doch nur in Verhältnissen da ist, diese festhaltend, uns ein frevel- haftes Dasein zu verschaffen, so gebiert sich der Haß und die wilde feurige Begierde, die alles vernichten möchte,

30 den äußeren Zwang sinnlos bekämpfend. Suchen wir dem erscheinenden Gedanken, der aus Verhältnissen geboren ist, irgend einen erlogenen Wert beizulegen, indem wir die Welt der Vorstellungen ihm törichterweise opfern, so gebiert sich die hohle Lüge, die Nichtigkeit des leeren Be-

35 strebens klar darstellend.

Wenn wir den Grund des Widerspruchs aufsuchen, der dem ganzen Leben und Wissen allen Bestand und alle Bedeutung zu rauben scheint, so entdecken wir leicht, daß er darin liegt, daß das Endliche und Bedingte, als ein Ein-

40 zelnes, im Gegensatz gegen das Unbedingte und Unend- liche, gesetzt wird; denn so gibt uns die erscheinende Welt

Idee der Universitäten. 263

I alles, Gedanken, Dinge und äußeres Dasein. Könnte die [117] menschliche Seele eine Anschauung gewinnen, in welcher das Bedingte und Unbedingte, das Endliche also und Un- endliche sich durchdrängen, so würde ein solches, nicht durch ein anderes, sondern durch sich selber bedingt sein; 5 üenn wäre es durch ein anderes bedingt, dann wäre es nicht, was es der Voraussetzung nach sein sollte, ein Un- bedingtes. Ein solches würde ferner durchaus unvergleich- bar, seiner eigenen Natur ewige Genüge leisten. Ewig in sich geschlossen, würde es keinem Wechsel unterworfen 10 sein, denn alle Veränderungen entspringen nur aus einer fremden Bedingung. Der Begriff der Zeit wäre also für ein solches Wesen aufgehoben, und was bloß im Verhältnisse da ist und durch äußere Ursachen hervorgebracht ward, würde in Rücksicht seiner ein Nichtiges sein. Absolut frei 15 wäre ferner ein solches Wesen; denn frei nennen wir, was sich selbst bestimmt in innerer Übereinstimmung, mit seiner Natur. Endlich gäbe es für dasselbe keine äußere Welt im Gegensatz gegen eine innere, denn | diese Gegensätze [118] würden sich entweder wechselseitig beschränken oder auf- 20 heben. In dem ersten Falle fände eine fremde Bedingung statt, welches der Voraussetzung widerspricht. In dem zweiten Falle wäre der Unterschied verschwunden.

Es ist wichtig, und ohne allen Zweifel von großer Bedeutung für das forschende Gemüt, zu erfahren, ob eine -25 Anschauung dieser Art eine erträumte und unmögliche, oder eine wahrhafte, von der Seele zu erringende, sei. Aber eine solche Anschauung eines Allgemeinen und Un- bedingten, in welchem das besondere und bedingte Wesen nicht zum Teil, sondern ganz gesetzt wird, gewährt uns 30 die unwandelbare Sittlichkeit. Wir wissen es, und werden es durch die Betrachtung unmittelbar inne, daß diese über alle Relationen schlechthin erhaben ist, daß sie in absoluter Rücksichtlosigkeit ewig und unwandelbar sei. In allen Gemütern ist sie durchaus die nämliche, so daß alle Seelen, 35 sittlich angesehen, den nämlichen Grund haben, und das besondere Leben aus der nämlichen Quelle schöpfen. Doch ist sie nicht teil- 1 weise in einem jeden, so daß der eine [119] das sittliche Supplement des andern wäre, sondern ganz. Ein jeder ist also, sittlich angeschen, ein unendliches und 40 schlechthin über alle Verhältnisse erhabenes Wesen. Doch

264 Steffens.

ist dieses Unbedingte mit dem Besondern auf eine solche Weise gesetzt, daß auch er nicht der SittHchkeit nur zum Teil gehört, vielmehr geht die Anforderung, mit ihr eins zu sein, an sein ganzes Wesen. Das Besondere und All- 5 gemeine, das Endliche und Unendliche, sind also eins und unzertrennbar.

Wie nun die Sittlichkeit uns jene selige Einheit im Allgemeinen darstellt, so offenbart uns die Schönheit dieses nämliche im Besondern. Denn dadurch unterscheidet sich

10 das Schöne von dem bloß Nützlichen und Angenehmen, daß dieses nicht in sich selbst, sondern in einem Äußern begründet ist, so daß es sich zu einem Fremden verhält wie ein Mittel zum Zweck, also beständig nur in äußeren Verhältnissen und nach Bedürfnissen geschätzt wird, das

15 Schöne dahingegen nur aus sich selbst begriffen werden

[120] kann. Die Schönheit f lebt, getrennt von allem Äußeren,

in einer eigenen heitern Welt, und das Sondernde der Form

wird nur aus dem Wesen begriffen; sie enthält daher

eine wahrhafte Unendlichkeit in sich, von der Endlichkeit

20 ununterscheidbar. Nicht in einem bloß Äußeren erkennen wir die Schönheit, vielmehr offenbart sich, mit der Form aufs innigste verbunden, ein Geistiges, welches, alle Teile zu einem Ganzen belebend, einen jeden durchdringt. Die Schönheit nun kann weder als ein bloß Unendliches und

25 Inneres, etwa als ein Begriff, gefaßt werden, noch auch als ein Endliches und Äußeres, etwa bloß aus den Ver- hältnissen der Massen zueinander, vielmehr ist das Äußere und Innere nicht bloß verbunden, sondern durchaus eins. Wie wir nun die Einheit des Allgemeinen und Be-

30 sondern in der Sittlichkeit und Schönheit, welche uns eben das Herrlichste des Innern und äußern Daseins offen- barten, wahrnehmen, so auch in allem dem, worin das Trefflichste im Leben und in der Natur uns entgegen- [121] kömmt. | Das ist es eben, was den Forscher mit unwider-

35 stehhcher Gewalt an die stumme Natur knüpft, daß sie in sich lebt, die Fülle aller Schönheit und aller Ideen in sich verschließt, und sich ganz in einem jedweden Dinge kundtut. Ja die äußere Notwendigkeit, die den Fremdling der Natur erschreckt, indem sie vor seinen Wünschen und

40 Hoffnungen kalt vorübergeht, erquickt, vielmehr den For- scher, der in ihr die unwandelbare, ewige Gesetzmäßigkeit

Idee der Universitäten. 055

erblickt, der er das Erscheinende seines Daseins mit allen seinen persönlichen Wünschen und Begierden gern opfert, wenn es ihm vergönnt ist, an dem ewigen Leben des un- wandelbaren Geistes teilzunehmen.

Wie in der Natur stellt sich auch in der Geschichte 5 das Herrlichste und dasjenige, was die Seele innerlich erquickt, nur dar, wo die Einheit des Allgemeinen und Besondern geschauet wird. Äußerlich angesehen, und den Verhältnissen geopfert, scheint dem Leben nur geringe Bedeutung eigen zu sein. Ein sinnloses Gemenge einander 10 widersprechender Taten, unreife Ver- 1 suche des Geistes, [122] die sich selbst vernichten und \\'idersprechen, ein grauses Gemisch von Untaten allerlei Art, hat das Ganze und einen jeden Teil ergriffen und alles chaotisch untereinander geworfen. Doch was sich selber niemals versteht in unserm 15 Leben, was Natur gegen Menschen und Menschen gegen- einander waffnet, die verirrten Töne, die ihre eigene Be- deutung nicht festhalten können, weiß der göttliche Dichter in holder Eintracht zu verbinden. Wohl mag die Seele sich erquicken an dem ewigen jugendlichen Bilde, durch 20 welches der Dichter es versteht, das, was getrennt und vereinzelt in der Welt alle Bedeutung verliert, tief zu er- greifen und demselben einen hohen Sinn einzuhauchen. Auch die Dichtung ist nur vollkommen, wenn sie, in sich geschlossen, einen jeden Teil durch das Ganze verklärt, 25 und dieses wiederum durch das fröhliche und freie Spiel das Besondere zu verherrlichen vermag.

Ganze Zeiten haben sich durch Dichtungen verewigt, ja diese sind es, die, uns alle tragend, als die immer dauernde und ewig frische Wurzel | unsers Daseins hervortreten, rio-i] Ein jeder, der mit festen und klaren Augen es vermag, die großen, herrlichen und selbst in ihren Ruinen so kolossalen Fragmente der bedeutenden Nationen der frühen Vorzeit zu schauen, muß notwendig in ihnen die Reste einer Zeit erblicken, in welcher Wissenschaft, Kunst und Tat in un- 35 zertrennbarer Vereinigung das Göttlichste und Höchste her- vorzubringen vermochten. Diese \'ereinigung rief jene wundersamen Kenntnisse der entferntesten Vorzeit hervor, jene tiefen, durchgreifenden und hohen Ansichten der Natur, deren Fragmente wir bewundern, ohne daß wir, bei der 40 herrschenden Naturwissenschaft und Geschichte, im gering-

266 Steffens.

stell imstande sind, sie zu begreifen; sie riefen jenes kühne, große, und in der Tat kunstreiche Leben hervor, in welchem Taten sich, wundersam mit Taten verknüpften und ein großes und bedeutungsvolles Ganze bildeten, durch sie 5 entstand jene kühne Verwechselung der Wirklichkeit mit der Allegorie, indem das hohe Dasein dieser Heroen nichts [124] anders | war, als eine einzige herrliche Allegorie des Über- sinnlichen, durch sie entstanden endlich die rhythmischen Töne, in welche das herrliche Leben sich, wie aus einer

10 klaren Lichtquelle, ergoß und einen göttlichen Glanz über die ganze Geschichte warf, den die spätem gesunkenen Geschlechter nie ganz zu trüben oder zu zerstören ver- mochten.

Barbarisch und in sich bedeutungslos nennen wir die-

15 jenigen Völker, deren Leben sich nicht in dem hellen Mittelpunkte betrachtender Gemüter abzuspiegeln ver- mochte. Eben daher erquicken uns jene Darstellungen, weil die Zeit selbst in ihnen gebändigt scheint, das Wech- selnde sein Zentrum gefunden hat, in welchem das Ganze

20 und Besondere das gemeinsame Dasein feiert. Die Zer- störung hat sich in ihnen selbst überlebt. Denn jene Na- tionen sind untergegangen, aber die reifen Früchte eines herrlichen Lebens werden in goldenen Schalen uns allen dargereicht, die unsterbliche Nahrung, die unsere innere

25 Verwandtschaft mit dem Göttlichen kundtut.

[125] I Auch die deutsche Nation hat eine solche dichterische

Vorzeit, die noch nicht erloschen ist. Zwar indem wir die

nationale Gottheit verleugneten, fremden Götzen huldigend,

ist sie vielen unter uns, und zwar vor allem denjenigen, die

30 sich die Klügsten dünken, fremd geworden und dient dem Gebildeten zum Gespötte. Aber mit stiller Andacht werden die Gestalten der frühesten Vorzeit in der Erinnerung des Volks festgehalten. Hier unterhalten sie, manchmal ver- zerrt und wunderlich mißgestaltet, niemals aber ganz ge-

35 tötet, das innere Leben der Nation, und gründen die heiter- sten Hoffnungen für die Zukunft. Selbst die größten Geister, die aus allen Gegenden des Wissens und aus dem be- deutungsvollen Leben aller Geister und Nationen die gött- liche Nahrung ziehen, müssen sich zu der heimatlichen

40 Einfalt hinneigen, damit das tiefe Leben der Nation aus ihnen herausbreche. Zwar die Stürme sind gekommen,

Idee der Universitäten. 267

und der Winter ist eingetreten, die Blüten und Blätter sind verwelkt und die Zweige zerknickt, aber das innere und I unbezwingbare Leben, die noch nicht ausgetrockneten [126] Säfte desselben, offenbaren sich in dem blutenden Stamme, den nahen Frühling verkündigend. Indessen sehen wir 5 bei anderen Völkern die Erinnerung erloschen, nur ein Scheinleben spielt noch immer in der nirgends haftenden Krone. Aber das hohle Leben hat keinen Bestand, die Zeit des Welkens ist nahe, selbst der Frühling wird es töten, und die Axt ruht an der verstorbenen Wurzel, den aus- 10 getrockneten Baum zu fällen.

Das ist es, was wir wollen, was die sehnende Seele sucht, was Mühe und Fleiß und Anstrengung jeglicher Art erregt : den Schein vernichtend, das Göttliche schauen, was in allem allein Bestand hat. Da aber tritt es allein 15 hervor, wo in jedwedem Dinge das Ganze sich spiegelt. Daher ergreift die Seele eine innige Freude und unnenn- bares Ergötzen, wo die Einheit des Allgemeinen und Be- sondern sich kundtut. „Die Seele kennt zwar das Unend- liche, kennt alles, aber dunkel. Wenn ihr das Brausen 20 eines Waldes im Sturme vernehmt, so hört ihr das Ge- räusch eines | jeden Blattes, aber vermischt mit dem Ge- [127] rausch aller andern, ohne es zu unterscheiden. So ist das Rauschen und Wogen der Welt in unserer Seele." Aber was die Seele dunkel und auf eine verworrene Weise 25 schauet, das bestrebt sie sich zur klaren Einsicht zu erheben, damit auf jedwedem Punkte ihr das Göttliche entgegen- trete, und sie es in einer jeden eigentümlichen Richtung wahrnehmen könne. Ein jedes wissenschaftliche Bestreben sucht in der Tat nichts anderes, als jene Einheit zu erlangen, 30 denn auch in einer jeden selbst empirischen Wissenschaft ist nicht das Besondere für sich, auch nicht der allgemeine Grundsatz für sich, sondern nur die Einheit beider das Reelle. Indem nun die Seele auf diese Weise bemüht ist, die Natur der Dinge und die Bedeutung des Daseins über- 35 haupt zu ergründen, hat sie den innern gemeinsamen Grund aller Wahrheit und dasjenige gefunden, welches alle Seelen verbindet im Erkennen, wie die Sittlichkeit im Handeln. Denn es ist wohl klar, daß das Unwandelbare nichts sein kann, als der Geist des Alls oder Gott. | Wenn nämlich ^ogl das Unendliche und Unbedingte, welches wir in vollkomm-

268 Steffens.

ner Einheit mit dem Endlichen und Besondern in jedweder Wahrheit zu schauen trachten, nicht das Unendhche schlechthin wäre, so wäre es ja selbst ein Bedingtes, und da eine jede Bedingung- in der höchsten Anschauung 5 nichtig ist, so wäre es ein durchaus Nichtiges. Ist aber dasjenige, welches wir in vollkommener Einheit mit dem Besondern erblicken, das wahrhaft Unendliche, so ist dieses Besondere selbst in diejenige Welt versetzt, in welcher alles für sich selbst und durch sich selbst ist, indem es

10 im Ganzen ist, das Ganze aber zu gleicher Zeit in jedem Teile. Wohl wissen wir es, daß es dem Menschen nicht gegeben ist, die göttliche Herrlichkeit zu schauen. Aber der göttliche Sinn ist ihm gegeben, weshalb es von ihm heißt, er sei nach dem Bilde Gottes geschaffen. Und wie

15 der Mensch, auch ohne über den Erfolg seiner Taten zu

klügeln, nur durch den sittlichen Sinn innerlich mit dem

Geiste der Geschichte übereinstimmt, so daß seine Ge-

[129] sinnung eins ist mit dem Willen der wal- [ tenden Vorsehung,

welches er weiß, so gewiß als er da ist, so ist auch der

20 göttliche Sinn im Forscher das einzige, durch welches wir mit der Wahrheit übereinstimmen, und wie außer der Sittlichkeit alles Verbrechen und sich selbst vernichtende Untat ist, so ist außer dem göttlichen Sinn alles falsch, sich widersprechend und dem Irrtum bloßgegeben.

25 Vergebens aber sucht ihr diesen Sinn auf eine mittel-

bare Weise zu erringen, indem ihr, Sätze mit Sätzen ver- gleichend, ihn allmählich hervorzurufen sucht. Die Ver- nunft, in welcher er wohnt, ja mit welcher er durchaus eins ist, ist nicht eine solche, die derjenigen ähnlich ist,

30 welche unter uns gewöhnlich Vernunft genannt wird, welche man durch Grundsätze zu vollenden pflegt, und die, indem sie Schlüsse sammelt, vervollkommnet wird, die also schließt, indem sie nachsinnet, wie eins aus dem andern folgt, und die Dinge nach dieser Schlußfolge betrachtet, die also

35 vorher nichts besitzt, sondern leer ist und erst durch das

[130] Lernen zur Vernunft wird. Diese | in Relationen geborne

V^ernunft, die diesen Namen nicht verdient, kann von den

Verhältnissen, von welchen sie gefangen ist, niemals sich

losreißen. Glaubt ihr es wohl möglich, daß einem Men-

40 sehen, dem der Sinn für die Schönheit niemals auf- gegangen ist, diese klar werden könnte, wenn man die

Idee der Universitäten. 269

Verhältnisse der schönen Gestah mit großer Genauigkeit entwickelte ?

Wenn ihr daher behauptet, daß der Mann diesen Sinn erringen könne durch anhaltende Beschäftigung mit Wissenschaft, so geratet ihr in einen argen Widerspruch. 5 Denn außer dem Sinn ist alles Irrtum und Wahn, und eine beständige Beschäftigung mit dem Nichtigen würde uns eher von der Wahrheit entfernen, als sie uns näher bringen, wie uns dieses die Zeit und die einseitigen Richtungen, in welchen sie gefangen ist, genugsam beweisen. Auch ist 10 der Sinn für das Göttliche nicht ein künstlicher, vielmehr der ursprüngliche, natürliche, wahrhaft kindliche, nur durch die schiefe Richtung einer sich selbst mißverstehenden Zeit irregeleitet, und | es ist das Höchste und Wichtigste [131] für den Staat, daß er, nicht etwa erkünstelt, sondern in 15 allem gepflegt und erhalten wird.

Daher werdet ihr eingeladen, diesen Sinn in der Er- forschung der Natur, in den Bemühungen der trefflichsten und freiesten Geister aller Zeiten zu erkennen, und in euch selbst zu pflegen. -0

Zwar stellen sich die Universitäten immer selbst wieder her, so daß auch diejenigen, die sich den Wissenschaften durchaus widmen wollen, hier alles finden, dessen sie be- dürftig sind; indessen ist dieses keinesweges das alleinige Streben derselben, die belebende Idee soll vielmehr, von -5 diesem Mittelpunkt ausgehend, alle Richtungen erhellend, eine jede Beschäftigung verklärend, den ganzen Staat durch- strömen, und auch in den unscheinbarsten Regungen des- selben, der Sonne gleich, freies Leben und eigentümliche Gestalt hervorrufen. Wie nun das nämliche allgemeine 30 Wissen, dem Staate einverleibt, sich in verschiedenen Rich- tungen ergießt, wird der Gegenstand einer eignen kurzen Betrachtung sein.

I Die zwei großen Momente des ewigen Seins stellen tl^-^J sich in zwei Formen, als Natur und Geschichte, dar. Das 35 Allgemeine des Geistes, dem Besondern der Gestaltung ein- verleibt, erkennen wir in der Natur, das Besondere der Natur, dem Allgemeinen des Geistes innigst verbündet, entfaltet sich in der Geschichte. Wahrhaft sind sie nur da, wo sie sich vielseitig auf eine solche Weise durch- i^ dringen, daß das Ganze der Natur sich in der Geschichte,

270 Steffens.

das Ganze der Geschichte sich in der Natur abprägt, wovon uns die Blütezeiten der bedeutendsten Nationen, Kunst, Poesie und jedwede Wissenschaft überzeugen können. Von beiden Seiten das Dasein ergreifend, sucht der Staat allem 5 das Gepräge eines eigentümlichen Lebens aufzudringen, so daß der wilde Naturgeist dem Staate dienstbar wird, alle widerstrebenden Kräfte der Natur, in schönem Ebenmaß, ein äußeres Leben und eine heitere Gestalt desselben her- vorrufen, indem der Geist aller Zeit in einer Gegenwart,

10 sich durchdringend, ein frisches inneres Leben, voll hoher [133] Bedeutung, | entfaltet, damit so eine gesunde Seele des Staats in einem schönen und gesunden Leibe sich darstelle.

In einer doppelten Richtung wird die äußere und phy-

15 sische Gesundheit und das organische Ebenmaß des Staats gesucht. Denn man bestrebt sich erstlich es darzustellen, indem man die Kräfte der Natur zwingt, als lebendige Gliedmaßen des Staats im Ganzen und Allgemeinen sich dem Staate einzuverleiben. Dieses geschieht durch

20 die Industrie, durch die Steigerung und organische Voll- endung des nationalen Kampfs mit der Natur, der besonders' in unsern Tagen von großer Bedeutung geworden ist, so daß, wenn nicht mehr der enge Egoismus des Besitzes, sondern der freie Geist des Staats sich in diesen Be-

25 mühungen entfaltet, eine bedeutungsvolle Zukunft durch dieselben vorbereitet wird. Zwar werdet ihr die Lehren nicht vermissen, die auf den Universitäten diese Richtung [134] andeuten. Aber sie verdient durch eine eigene Fakultät dar- gestellt zu wer- 1 den. Der Grund, warum dieses bis jetzt

30 nicht auf den Universitäten stattfindet, ist in der Geschichte derselben gegründet, denn die höhere organische Bildung dieser Bestrebungen und ihre wissenschaftliche Tendenz ist erst mit der bedeutenden Fortbildung der Naturwissen- schaft überhaupt hervorgetreten, und als die Neigung, die

35 ökonomischen Einrichtungen des Staats wissenschaftlich zu begründen, so überhand nahm, daß man es notwendig fand, auch auf den Universitäten Rücksicht darauf zu nehmen, war der Geist derselben der Zeit so fremd ge- worden, daß man den wahren Sinn und die Bedeutung der

40 philosophischen Fakultät nicht mehr faßte. Man sah diese daher als ein Unbestimmtes an, und glaubte dasjenige,

Idee der Universitäten. 271

was man mit andern bestehenden Fakultäten nicht zu ver- einigen wußte, am bequemsten mit dieser verbinden zu können. Es ist aber klar, daß dadurch die Grenzen der philosophischen Fakultät überschritten werden, indem diese den allgemeinen wissenschaftlichen Sinn auszubilden hat, 5 keinesweges aber eine bestimmte Rieh- 1 tung des Staats [135] fixiert. Eine kameralistische oder ökonomische Fakultät ist daher in unsern Tagen auf den Universitäten notwendig, und in dieser wird, wie wir gezeigt haben, die äußere und physische Gesundheit des Staats im Allgemeinen dargestellt. 10 Eine andere Fakultät schützt die Gesundheit des Staats, insofern sie durch einen jeden Bürger dargestellt wird, im Besondern; eine solche ist die medizinische. Diese beiden Fakultäten stellen die Richtung der gesamten Naturwissen- schaft zur Erhaltung des Staats dar, und eine jede Be- 15 schäftigung des Arztes oder des Ökonomen wird um so tiefer in die wahre Idee des Staats eingreifen, je tiefer er den Geist der Natur, also auch seine innige Einheit mit dem Wesen der Geschichte erkannt hat.

Auch das innere Leben des Staats stellt sich in einer 20 doppelten Form dar. Die innere Gesundheit desselben wird im Allgemeinen fixiert durch das Recht, durch die Strenge der Gesetze, welche die störenden Begierden und das Vernichtende abtrünniger Gesinnungen aus dem ^. Ganzen des | Staats ausschließen, und diese geschichtliche rj^ig-i Richtung wird in einer eigenen Fakultät, in der juridischen, dargestellt. Endlich wird das innere geschichtliche Leben und der eigentliche Geist des Staats, insofern er sich in einem jeden Bürger darstellt, im Besondern durch den religiösen Kultus festgehalten, und in einer eigenen Fa- 30 kultät, in der theologischen nämlich, fixiert. Beide Rich- tungen werden desto tiefer in den eigentlichen Sinn des Staats eingreifen, je tiefer sie den eigentlichen Sinn und den Geist der Geschichte ergriffen haben, diesen aber erkennen sie nur, indem sie seine hohe Einheit mit der 35 Natur fassen, und auf diese Weise stellt sich uns, wenngleich in einer bestimmten Richtung festgehalten, auf einem jeden Punkte das Ganze dar.

Nun können wir zwar nicht leugnen, daß diejenigen Beschäftigungen, zu welchen uns die Fakultäten vorbereiten. 40 auch auf eine bewußtlose Weise von solchen ausgeübt

272 Steffens.

werden müssen, denen es nicht vergönnt ist, den höchsten Punkt des Erkennens zu ergründen. Solche, äußerlich ange- [137] I sehen, untergeordneten Gemüter können auf einzelnen In- stituten gebildet werden, die jedoch ihren höhern ordnenden 5 Geist den Universitäten verdanken müssen, so daß das höchste Bestreben der keimenden Weisheit den ganzen Staat belebend umfaßt und in keiner Beschäftigung ver- mißt wird.

Euch aber ist es gegeben, dem Höchsten nachzustreben, 10 und mit der Treue der Verwaltung den hohen Genuß des Erkennens zu verbinden.

Siebente Vorlesung.

[1381

Was wir im Erkennen ergreifen, wird nicht erst durch unser Erkennen; es ist schon da. Alles wahre Erkennen ist mit dem Dasein eins, und die heilige Wahrheit eins mit einer heiligen Welt, in welcher alle Dinge ihr eigenes 5 Sein in dem Ganzen und alle Gemüter ihre ewige Freiheit in der waltenden Notwendigkeit finden. Diese Welt ist uns nicht fremd, sie wurzelt innerlich in der Seele eines jeden, und nur die Träume der Verhältnisse halten sie fern von uns. Wie wir im Traume keinesweges das Wachen 10 gänzlich vergessen, dieses vielmehr, wenngleich bewußtlos, in den Traum mit hineingeht, und verhindert, daß wir nicht ein bleibendes Spiel willkürlicher Phantasien werden, so daß wir, aufgewacht, die Kontinuität des Bewußtseins behalten, wenn uns | gleich der Traum in eine wundersame ;Poqt Welt voller Willkür versetzt, so bleibt in unserer Seele, ist sie gleich von den Verhältnissen ergriffen, das tiefe Gefühl eines höhern Lebens in einer ewigen Welt. Und wie im Traume das Bewußtsein desselben, als eines solchen, nicht selten hineindringt, die Täuschungen aufhebend, so dringt 20 sich das Erkennen des höhern Seins in die gefangene Seele hinein. Und wie, wenn die Idee uns verläßt, wenn die geselligen Verhältnisse und die heitern Gegenstände, in welche wir durch Gewohnheit heimisch geworden sind, sich entfernen, wenn eine wilde, uns fremde und drohende 2:> Natur uns umgibt, die heimliche Angst und das verborgene Grauen uns umfaßt, und, Vernichtung drohend, die zagende Seele umfängt, so auch im Leben, wenn die Gemeinschaft der Geister und die liebevolle Heimat des ewigen Seins uns verläßt. Was ist es, was die Natur in jedem Leben 30 darzustellen versucht, was der Staat mit allem seinen Streben ergreifen will, was wir im Erkennen mit Freude und Froh-

Universitatsschriften Fichte, Schleiermacher, Steffens. Jg

274

Steffens.

[140] locken begrüßen? Es ist die | Welt, in welcher ein jedes Ding sein Dasein feiert im Ewigen, und eine jede lebendige Gestalt frisch und fröhlich die ewig jugendlichen Glieder bewegt in dem unbetrübten Äther des Ganzen, es ist der 5 neue Himmel und die neue Erde, die uns verheißen sind, die Gemeinschaft der Heiligen, deren trüber Abglanz mit froher Hoffnung uns umfängt. Die Geschichte zwar ist ver- worren und getrübt, die Natur zwar dem beständigen Wech- sel hingegeben. Aber faßt nur mit gereinigtem Blicke Natur

10 und Geschichte, und ihr werdet schauen, wie die entfesselte

Natur im Geiste der Heiligen frei und tätig, der Geist des

Ewigen in der Natur in heiliger Notwendigkeit ruhend ist !

Was hat euch in jene heilige Welt versetzt und uns

im Traume das Gefühl des Wachens erhalten? Habt ihr

16 es errungen, daß ihr es euer eigenes nennen könnt, habt ihr das Ewige erkämpft durch endliche Tat? Alle eure Taten sind von Verhältnissen ergriffen, alles, was ihr dar- stellt, ist ein Einzelnes und Vergängliches. Und wenn [141J jemand käme und sagte euch: hier ist die Wahrheit, 1 in

20 diese Worte habe ich sie gebannt, und wenn es ein Engel vom Himmel wäre, glaubt ihm nicht! Himmel und Erde, die Abgründe des Daseins, jegliches Leben und jedwede Zunge zu ahen Zeiten möchten sie dir darstellen, auch liegt sie in den Bemühungen der trefflichsten Geister, und du

26 magst sie wohl erkennen darin, aber nicht als ein Abge- sondertes, durch welches sie vor allem gefesselt und so ausgesprochen wäre. Kann in der Zeit das Zeitlose geboren werden? Nicht an diesen oder jenen habt ihr euch ge- wendet, auch nicht an euch selbst, insofern ihr euch im

30 Bewußtsein ergreifen könnt. Was bringt euch dazu, das Ewige zu ergreifen? Nichts EndUches, denn dieses zeigt nur auf ein anderes, und aus dem eisernen Kreise, der euch umfaßt, könnt ihr niemals heraustreten. Also das Ewige war schon da, ehe ihr es ergriffen habt, und was

35 ihr findet ist eben deshalb ein Ewiges und Gewisses, weil

ihr in diesem den innersten Kern eures Daseins, die ewige

gnadenvolle Gabe erkennt. Daher ist alles Wahre un-

[142] mittelbare Offenbarung, ein schlechthin Geschenk- i tes, die

göttliche Mitgabe einer herrlichen Natur. Alle Weisheit

40 ist, ihrem tiefsten Grunde nach, Überheferung, die Natur häh sie verschlossen, die Vorzeit hat sie in bedeutungsvollen

Idee der Universitäten. 275

Bildern aufbewahrt, und was ihr in eurem Gemüte erkennt, ist euch ein absolut Freies, weil ihr es von nichts Einzelnem, sondern nur von dem Ganzen empfangt, und weil dieses unmittelbare Empfangen mit dem freien Heraustreten aus der eigenen Natur eins ist. Alles, was wir zu erringen 6 streben, das schönste Dasein und das tiefs^te Einverständ- nis der Geister unter sich und mit der Natur, liegt als Vergangenheit vor uns; will die Zukunft etwas anderes, als die Enträtselung der tief verborgensten Vorzeit ? Wo die Zeiten sich fassen und verstehen, da bricht die innere 10 Übereinstimmung und der wahre Friede als Gegenwart hervor. Daher hält Natur und Vergangenheit unser zu- künftiges Schicksal in großen zerstreuten Hieroglyphen gefangen, und emsig spähen wir dem Sinn derselben nach, wohl fühlend, was sie uns sind. Die kindliche Zuversicht 1'' jener herrlichen | Vorzeit, der jugendliche Frohsinn, das [i-iS] feste Vertrauen offenbaren in einem jeden die in sich sichrere und umvandelbarere Natur, die wir in der Er- innerung unserer eigenen Kindheit, wie in der Geschichte wiederfinden. Und wie die Nationen ein leeres Dasein 20 führen, in deren Adern die frischen Säfte der unendlichen Vergangenheit versiegt sind, so ist auch uns nur ein aus- gestorbenes Leben gegeben, wenn die Kindheit und Jugend versiegt und alle Alter in den späteren sich nicht durch- dringen. In dem kindlichen Gemüte aber stellt sich das 26 Heilige klar genug als eine Gabe Gottes dar. Daher ist der feste Grund des Daseins der Glaube, seine Blüte die Liebe, und der lebensschwangere Keim des zukünftigen. Lebens die fröhliche Hoffnung. In diesen umarmen sich Kindheit, Jugend und Alter, Vergangenheit, Gegenwart 30 und Zukunft, und alle Widersprüche, die das Erkennen aufzuheben strebt, sind in einem heiligen Dasein vernichtet. Es wird einem jeden einleuchten, daß dasjenige, was in dem Staate und im innern so- | wohl als äußern Leben [144] einen über den andern erhebt, doch nur ein Schein sein 35 könne und in der Idee des Staats nichtig, da das Ganze in einem jeden auf gleiche Weise abgebildet sein soll. Da- her ist der eigentliche Staat (die Idee desselben) die Ge- meinschaft der Heiligen; diese ist keinesweges von dem Staate verschieden, sondern innerlich und wahrhaft als 40 der eigentliche Geist desselben zu betrachten. Die Ge-

18*

276 Steffens.

meinschaft der Heiligen aber ist die Kirche. Zur Ge- meinschaft der Kirche ist ein jeder berufen, als Bürger derselben ein jeder frei, nicht geringer als die übrigen, und aller Schein und aller äußere Unterschied löst 6 sich in der göttlichen Gleichheit gemeinsamer Gnade auf. Ihr fragt nach dem Verhältnis der Kirche zum Staat? Aber der Staat soll aufblühen in der Kirche, die Kirche das ewige Vorbild des Staats sein, und nur wo heilige Andacht alle Gemüter verbindet, ist der Staat in sich

10 gesund und frisch.

In der Kirche also schauen wir diejenige Welt, in

[145] welcher der edle Geist mit allem seinem | Forschen und

Streben sich selbst zu ergreifen sucht. Wir lösen nicht

die Widersprüche des Daseins, wir erkennen nur, wie sie

15 ursprünglich gelöst sind, und auch hier erscheint die Wissenschaft in ihrer hohen Einheit mit der Kirche und mit dem Staate.

Die Wissenschaft und das Leben werden aber dann erst in ihrer Würde dargestellt, wenn alle Verhältnisse,

20 alle äußeren Rücksichten untergeordnet sind, so daß wir uns, wahrhaft frei, bewegen in der eigentlichen Heimat. Dann mögen wir uns aber wohl ernsthaft fragen: wie wir uns von den Erscheinungen loszureißen vermögen, wie wir uns trennen können von den Verhältnissen, die uns

26 festhalten? Die Welt hat sich an unsere Herzen geschmiegt, die Genüsse derselben locken uns, die untergeordnete Klar- heit täuscht mit dem Scheine tiöherer Wahrheit, die irdische Schönheit möchte uns fesseln, und das gewohnte Dasein hält uns mit süßen Banden fest. Innig wurzelt die Gewalt

30 der Erscheinung in unserm tiefsten Herzen, mit zarten

[146] Fasern hat sie 1 eine jede lebendige Regung umfangen,

und unnennbarer Schmerz durchbebt das Innerste der Seele

bei der Trennung. Habt ihr die Tiefen des Todes ermessen,

kennt ihr die Grauen, die Schmerzen desselben? Nur wer

36 ihn überlebt hat, vermag es, ihn zu fassen.

Aber dann leben wir erst, wenn wir freiwillig den Tod überwinden. Soll die höchste Tat, der Tod, eine

' erzwungene sein? Alles sollen wir besitzen, als diejenigen, die es nicht haben, und in dem Wechsel der Schicksale,

40 sowie in dem Tode, auch in unserm eigenen, nur die Offenbarung des höhern Lebens erkennen. So alles frei-

Idee der Universitäten. <r,-^~

willig opfernd, erringen wir das Sein in Gott, in welchem wir allein wahrhaft leben und sind. Dieses Opfer ist die Versöhnung. Wer mag sagen: er habe sie errungen, wer fühlt sich nicht den Elementen preisgegeben und 'dem vernichtenden Scheine? 5

Daher ist uns ein heiliges Vorbild gegeben, der ein- geborne Sohn Gottes, Jesus Christus, den wir anbeten. Die ganze Natur feiert | die Versöhnung, alle Dinge sind [U7] heihg, wo das versöhnende Leben den Tod überwindet. Wißt ihr es nicht, wie die Erde jauchzte, als der Mensch 10 geboren ward im Bilde Gottes? Hört ihr nicht das fort- dauernde Jubeln der Luft, das Frohlocken des Meeres und die Lobgesänge der Tiefen der Erde, bis in ihre innerste Wurzel hinein? Jährlich feiert sie das ewige Fest heiliger \'ersöhnung in dem rhythmischen Gang ihres Wechsels. 15 Die rauhen Zeiten sind verschwunden, was sich befeindete, durchdringt sich in ewiger Umarmung, der starre Stein belebt sich in den beweglichen Gliedmaßen, das Flüssige selbst findet die ersehnte Gestalt, sich bewegend in den Adern, und die Luft ertönt in melodischen Gesängen. 20 Frohlockend begrüßt sich das Ganze in einem jedweden Leben, und ladet den andachtsvollen Forscher zum ent- zückenden Genuß. Was die menschliche Gestalt für die Natur, das ist der Versöhner für die Geschichte. Ihr schauet in ihm voller Verblendung nur den Schmerz, die 25 Trübsal und das Elend, und erblickt nicht die ewi- 1 ge [148J Herrlichkeit. In ihm leben wir alle, zu ihm drängt sich eine jede lebendige Seele, in ihm verklärt sich das Wider- sprechende der Zeit, wie die Elemente sich versöhnen in der menschlichen Gestalt. Er ist der wahrhafte Mensch 30 unter den Menschen, die ewig bleibende Gestalt, ewig aus dem Vater geboren, ewig in ihm seiend, der wahre Mittel- punkt, in welchem die verirrten Töne sich verstehen, die wilden Begierden sich auflösen, die Sonne der sonst im Finstern irrenden Geschichte. Er ist in uns, wir sind in 35 ihm die eingebornen Söhne des Vaters. Was in ihm sich entfaltete, das stellt sich in uns, nur trüber und unreiner, wieder dar. Der böse Geist, die hohle Lüge des irdischen Lebens lockt uns in die leere Wüste, damit wir, von den Bedürfnissen des Lebens gefangen, der irdischen Nahrung 40 das heilige Wort Gottes opfern sollen, er führt uns auf

278 Steffens.

die Zinnen des Tempels, damit die schwindelnde Seele sich nach dem Abgrund sehne, und er bringt uns die blinde Herrschsucht entgegen, die im Denken, wie im Handeln, [149] das Persönliche, aus Rücksichten | Geborne, zum Götzen 5 aufstellen möchte, auf daß ihm die Völker huldigen. Der aber ist selig zu preisen, der den Lockungen frühe wider- strebt, das Sterbliche frühe in sich vernichtet, nur das Göttliche sucht im Wissen wie im Handeln, denn es stehet geschrieben: du sollst anbeten Gott deinen Herrn und

10 ihm allein dienen. Wer sich so gewidmet hat auch im Leben dem Ewigen, der verbannt den Versucher aus seiner Seele, aber die Engel treten hinzu und dienen ihm.

Wenn ihr dem Erlöser euer Dasein gewidmet habt, ihm einen Tempel gebauet in eurem Innern, dann schließt

15 in heiligen Augenblicken die Seele sich auf, wie die duf- tende Blume in der Nacht, erhebt sich aus dem Gedränge irdischer Trübsale, wie die Blume aus dem Gedränge der Blätter hervorstrebt, die alten Zeiten begrüßen euch, wie Moses und Elias, die freundlichsten Jünger eines frommen

20 Lebens, Glaube, Liebe und Hoffnung, gesellen sich zu

euch, und die befreiete Seele erblickt, voll Entzücken, in

höherer Verklärung die selige Heimat.

[150] Wohl sollt ihr kämpfen den harten Kampf, und der

Kelch wird nicht von euch genommen; möchtet ihr treue

25 Freunde finden und innere Zuversicht, denn wahrlich, wem das Grauen des Todes nicht nahe war, wer den Schmerz des Opfers nicht empfand, dem ist das Geheimnis des wahren Lebens und Geistes fremde geblieben.

Sehnt ihr euch nicht nach der herrlichen kindlichen

30 Zeit, in welcher gemeinsame Andacht alle Seelen ent- flammte, alle Taten verherrlichte, der kommende Früh- ling ein Tempel Gottes war, voll Anbetung und Lob, und alle Blüten ihm Myrrhen brachten und duftende Opfer ? Wünscht ihr nicht, daß die ewig frische und jugendliche

35 Quelle eines heiteren Daseins sich in eurem Innern be- lebend ergieße? Ergreift euch nicht ein innerer Wider- wille vor der leeren, hohlen, marklosen Welt voll Wider- sprüche? Daß ihr den Kern erfassen möchtet, daß ihr euch baden möchtet im Morgentau, und die Worte des

40 Lebens vernehmen! Woran könnt ihr euch halten? Das klügelnde Wissen hebt sich selber auf, einen Ruhepunkt

Idee der Universitäten. 279

findet ihr | nirgend. Das leere Wissen ist mattherzig ge- [151]) worden, und die flachen Worte ersterben in dem eigenen Munde. Habt ihr nicht vernommen, wie die Gedanken und das künstliche Gewebe derselben geopfert werden, und aus ihrer Vernichtung die Ideen entspringen, zarten 5 Kindern gleich, die sich vor dem Erlöser verneigen?

Ja, der Christus wird wiedergeboren unter uns; huldi- gend begrüßen ihn die trefflichsten Geister; die Zeit wird wiederkehren, in welcher ein großes Gefühl, eine gemein- same Andacht uns alle durchdringen wird; allgemeine 10 Gärungen bereiten seine Ankunft vor und erwecken die Träumenden. Schon sind die Sterne in Osten aufgegangen, die den Weisen seine Geburtsstätte zeigen. Die Betglocke höre ich, die alle zusammenruft, das gemeinsame Fest zu begehen. Die einfältigen Töne der alten Zeit drängen sich 15 zu uns und möchten uns wecken, das bedeutungsvolle Gemäuer verlassener Kirchen mahnt uns, das sinnige For- schen ruft den Erlöser herbei, das Unglück der Zeiten ruft uns zusammen, und wir suchen | das heilige Band, das [152] uns alle verbinden soll. Wenn die Morgenröte hervortritt -^^ und die Vögel ihren Gesang anstimmen, dann verschwinden die trüben Geister, die uns gefangen hielten, und wir be- grüßen uns in Liebe und Eintracht.

In Christus durchdringt sich das Geistige und das Irdische, er ist der gemeinsame Mittelpunkt des Geistes 2^ und des Lebens. Daher ist sein herrliches Dasein eins mit der Vernichtung aller Verhältnisse, mit der Innern und äußern Selbsttötung, und die wehende Fahne des Kreuzes ist die Glorie der Geschichte geworden. Vergebens sucht ihr das Heil außer ihm. Ihm muß der Bürger seine Habe, 30 der Weise sein Erkennen, der Staat sein Dasein opfern, damit der Geist des Vaters und des Sohnes lebendig unter uns werde, in Tat und in der Wahrheit. Daher ist Christus der König der Kirche, der innere Herrscher aller Völker, und sein Sinn der wahre Bürgersinn. Nicht teilweise sollen 35 wir dem Ewigen opfern, vermeinend, daß wir mit einigen I Entsagungen die Reste der Persönlichkeit sichern können. [153]^ Ganz sollen wir den Schein in uns töten, der Bürger im Staate, beide in der Kirche, auf daß wir eins seien, so wie sie eins ist, Christus im Staate, wir in ihm, auf daß 40 _; wir vollkommen eins sind in ewiger Liebe.

280 Steffens.

Ihr aber, die ihr der Weisheit nachstrebt^ erkennt in ihm den innern Kern derselben! Nur wer den Tod über- wunden hat, mag sagen, daß er lebe. Wer dem Sterb- lichen zugehört mit seiner innersten Seele, der stirbt alle 5 Tage, dem Unsterblichen aber, und wer Teil hat an dem ewigen Leben, dem bleibt der Tod fremd immerdar. Er steht fest, und das Wanken der Zeit vermag ihn nicht zu erschüttern. Daher nehmet es wahr, wie die Tapferkeit der Streiter Gottes die wahrhaft männliche Tugend sei.

10 Ihr werdet den Lug und Trug bekämpfen, und Mißgestalten

der Irrtümer und Begierden, denen der zürnende Gott die

Gewalt gab, vernichten durch das mächtige Wort und

durch die tapfere Tat. Gehorsam werdet ihr sein dem

[154] I Staate und den Gesetzen, ihn selbst darstellend in einem

15 heiligen Wandel, auch werdet ihr die Herrscher erkennen und ihnen in Demut huldigen, nur schmeicheln werdet ihr nie, denn das Schmeicheln ist der Freien unwürdig und ziemt sich nur für die Knechte; auch ist nur einer gut, und dieser ist Gott, und wenn sie alles getan haben, sind sie

20 doch nur innerlich durch die Liebe frei, äußerlich aber unnütze Knechte. Fest werdet ihr die Gabe halten, die euch Gott schenkte, und wuchern mit dem Schatze, den er euch vertraute, damit seine Herrlichkeit durch euch kund werde. Die Liebe wird in eurer Seele lebendig sein,

25 ein jedes Dasein heiligend, eine jede Tat verklärend.

So schließe ich die Rede. Selbst sündhaft, wagte ich es, euch das Heiligste nicht zu verhehlen; das Innerste des Gemüts wollte ich anregen und die heiligste Quelle der Weisheit und des Daseins euch eröffnen. Die Rede

30 verstummt, die Verhältnisse der Welt winken euch. Nicht

[155] ohne Rührung schließe ich, denn was blühen | und Früchte

tragen wird, weiß nur der Ewige allein, wen aber die Rede

innerlich ansprach, der bewahre sie! Die Zeit braucht

Männer, die Nation Bürger, auf daß sie erstehe und der

35 geweissagte Tempelbau anfange. Aber viele sind berufen und wenige sind auserwählt.

Sach-

und Namenregister.

Adel 47. erhöhte Zahlungen des c^.s 77.

Aeschylus 42.

Akademie: Unterschied v. d. Universität 127, äußere Ähn- lichkeit mit der U. 129 f. Ver- bindung mit der U. 202. Un- terschied V. d. Spezialschulen 201. '^- im antiken Sinne 6. 10. (^. im modernen (frz.) Sinne als '^. der Wissenschaften 61 f. 69. 120f. ur. im Sinne Fichtes 69. 81. 83. (^. als Vereinigung der Meister 123. l/"- als Ver- einigung ehemaliger Universi- tätslehrer 163. höchstens 2 in Deutschland angebracht 123. Verbindung der txen unter- einander 124. Arbeiten der t/; 123 f. Sammlung von Aufsätzen der <y. 124. Preisaufgaben 124. setzt ein Prinzip des Ganzen der Wissenschaften voraus 125. setzt philosophische Einigung voraus 128. hat keine philo- sophischen Aufgaben 128.

Akademiker 6äf. 80f. 96. 131.

All, Geist des <y-s 267.

Allegorie des Übersinnlichen im Sinnlichen (vgl. Hieroglyphen, Ziffern) 266.

Allgemeine, das (vgl. Wissen) 122. Allgemeines u. Besonderes 238, in seiner Durchdringung oder Identität 231. 264 f. 267.

Alten, die 14.

Alumnus 70.

Anatomie 39, anatomisches Ka- binett 192.

Anschauung, intellektuelle 263, belebende o^- der Natur 250.

Anstalten, wissenschaftliche 190 f.

aposteriori 26.

Apparate, wissenschaftliche 43.

apriori 26. 37. 45.

Archiv des Buchwesens s. Lite- ratur.

Aristokratie 137.

Arzt 96.

Auditorium 45, cvasplätze 82.

Aufgaben 11, für die Studieren- den als Aufnahmearbeit 45.

Aufklärung 210ff.

Aufsätze der Lehrer 44.

Ausarbeitungen, schriftliche 11.

Ausland lOlff.

Ausländer76, „deutscher'-cy 71.

Ausschließung der Studieren- den 52.

Ausschuß, regierender lt. der Universität 165.

B.

Begriff, klarer 23. 26. Begriffs- bildung 13. begriffliche Durch- dringung 86.

Bergakademie 192.

Berlin 31. 99. 187 ff. Vorteile einer Universität in iy~. 188. Nachteile 189. i^ als Mittel- punkt für die Wissenschaft des protestantischen Deutschlands 203.

282

Sach- und Namenregister.

Besoldung der Professoren 81. c^ssystem 80.

Bewußtsein, zum klaren ly. erheben 7 f.

Bewußtlose, das 240.

Bibel 40ff. (Xanwendung 41. (.Verklärung 41. Textkritik 42 f.

Bibliothek 43. 77. 8U. cxen 190 f. Universitätsc^. 191. „Bi- bliothek der Akademie" (Publi- kation) 97. 99.

Bildungsanstalten, Vereini- gung aller öffentlichen o^- 132.

Botanik 39 (vgl. Willdenow).

Buchdruckerkunst 3. 144. 209.

Buchhändler, akademischer 99.

Buchwesen (vgl. Literatur) 21. 32. 58. 61. 88 f. 9G. 100.

Bücher 10 f. 43. Bücherlesen der Professoren 44.

Bürger 17. 73f. 224. 243ff. Ver- hältnis zum Staate 235.

Bürgerschule 16.

c.

Cambridge 84. Christus 277ff. Collegium medico-chirurgi-

c u m 1 92. Cyneas 244.

D.

Dasein, höheres, s. Leben ; eigen- tümlicher Kreis des lys 251 f.

Dekan 166.

Demokratischer Charakter der Universität 164 f.

Denkgesetze 87 f.

Detail der Wissenschaft 63.

Deutsch, LT. und undeutsch 139. Deutschheit 73. Vgl. Nation.

Dialektik 142.

Dialog, sokratischer 11.

Dichtung 265. o^ der Vorzeit 266.

Direktor einzelner Studien- fächer 36.

Disputationen 179f. 182. Dis- putierübungen 155.

Dissertationen (vgl. Aufsätze,

Ausarbeitungen, Probeaufsätze)

64. 181. Disziplinarkommission 197. Doktor 56. 92. 182. als niederer

Grad im Unterschied v. Meister

66 f. ^. der Philosophie 65 ff.

184. u^' der Ästhetik 68. 184.

w. der Geschichte 184. Dozenten in Berlin 199. 201. Duell s. Zweikampf. Durchdringung (als Terminus

der Identitätsphilosophie) 226.

228 f. 238.

E.

E h r e als äußere Erscheinung 232.

Eigentum, geistiges 7 f.

Eigentümlichkeit s. Indivi- dualität.

Einheit, organische 103, lt, aller wissenschaftlichen Anstalten 201 f. Vgl. Wissen und orga- nisch.

Einseitigkeit 123.

Elternhaus der Studierenden 73.

Empirie 39. 45. 57. 64ff. 118.

125. 139.

Engel, J. J. (Verfasser des Pla- nes einer allgemeinen Lehr- anstalt zu Berlin 1802) 189 f.

Entdeckung, wissenschaftliche 132.

Enzyklopädie 29—36. 40. 61. 63. enzykl. Ansicht 91 f. En- zyklopädie als Hauptgegen- stand der Universitäten 127. enzyklopädische Lehrer 45. 56 f. 81. ur, Rechenschaften 94 f.

Enzyklopädisten, die fran- zösischen 21 L

Ephorat der Regularen 55.

Erkennen, Erkenntnis, Ein- heit und Allheit der Erkenntnis

126. Einheit der (.A 129, höheres Erkennen 223.'»i(^, als eine Funktion des Staates 240. ix^ ist eins mit dem Dasein 273. Vgl. Wissen.

Sach- und Namenregister.

283

Erfahrungs Wissenschaften 219. Vgl. Empirie und reale Wissenschaften.

Erlöser 277.

Erziehung der Nation 104. l/". nur auf das Gemeinsame aller Geister zu richten 249 f., nur auf das Gesetzmäßige 250. Vgl. Pädagogik.

Ethik 140.

Ewige, das 227.

Examen 6. 11. 31. 44. 47. 64. 83. Vgl. Prüfungen.

Exegese, biblische 41 f. Exeget 42.

Exzesse 50.

Fachgelehrte 62.

Fachschulen s. Spezialschulen.

Fakultäten 34 ff. 37. 147ff.270ff. theologische Fakultätl48. 151 ff. 271. juristische v- 148 f. 151 ff. kameralistische 271. ökono- mische 271. medizinische 148 ff. 271. philosophische v. 261. 271. ihre überragende Bedeu- tung 147, schafft den Zusam- menhang aller übrigen 149. Stellung in der Reihenfolge 150. Immatrikulation zuerst in ihr 151. Vgl. Klasse.

Familie 73 f. als Schoß des Unterrichts 111. '^nleben des Studenten: Nachteile 199.

Famulus communis 82.

Fertigkeit des Erlernens 8.

(Fichte J. G.) 129.

Fleiß der Studierenden, selbst- verständlich 255.

Fonds 74. Vgl. Naturaldotie- rung.

Forschen, freies 254.

Fortschritt 85ff. 89.

Fragemethode 10.

Frankfurt a. O. (Universität) 187 f.

Franzosen 216. französische Kultur 211. (^. Revolution 237.

Freiheit 19. 235. 240. 263 (De- finition). 275. ^x~ als innerste

Wurzel unseres Daseins 236. (X- der inneren Richtung 208. ■^ des Geistes 220. 243. ur. der Forschung s. Lehrfreiheit, akademische Freiheit 166 ff. 2 Seiten: 1) des Lernens 167 ff., 2) der Lebensführung 171 ff. '^. der Bürger 239.

Freiheit und Notwendig- keit 236. 247. 250. 259. ihre Identität a; in der Natur 237, b) im Staate 237.

Freistellen 77f. 82. Geheim- haltung 78.

Freitische 83.

Friedrich der Große 211.

Friedrich Wilhelm III. 84.

G.

Ganzes 22. 118. 267. 275. das Ganze als lebendige Einheit 212 f., seine Darstellung im ein- zelnen 232 f.

Gebühren bei Promotionen 76.

Gedächtniskunst 14f.

Gehalt s. Besoldung.

Geist: der Geist ist nur einer 75. nationaler cxi 240. wissen- schaftlicher >jr. 129 ff. 135 f. 139.

Geistesvermögen 25.

Gelehrte als Staatsdiener 133 f.

Gelehrtenschule f= Gvmna- sium) 8 f. 15. 21 f. 29. 32 f. 35 f. 40f. 47. 68. 75. 120f. 136. 146. 254. CA ihr Vorsteher 131 f. 'y, als Vorbereitung zur Uni- versität 12. äußere .Ähnlichkeit mit der Universität 129 f. Un- terschied 127. ur. gymnastisch die Kräfte übend 121 124. elementarisch 122. wissenschaft- lich 122. f>ibt nur Kenntnisse ohne Einsicht in die Natur des Erkennens 125.

Gemeinschaft der Lernenden 10, wissenschaftliche ••v- 39. o^ der Heiligen s. Kirche. (^ der öffentlichen Bildungsanstalten (etwa im Sinne der Universite imperiale) 132.

284

Sach- und Namenregister.

Gemeinsinn, wissenschaftliclier 132.

Gemüter, forschende 252, ver- schlossene 240.

Genie 19. 25.

Geologie 140.

Gericht der Regularen (Fami- | liengericht) 55. Gerichtsbarkeit der Universität 197. j

Geschäftsleben der Gelehrten { 199 f. !

Geschichte 15. 36. 89 ff. 92 ff. 96. i 117. 140. 284. 265. 275. Geist | der ur. 209. 260. 268. cX als Fortsetzung des Naturlebens 230. tX) = das Besondere der Natur verbunden mit dem All- gemeinen des Geistes 269. ihr | Streben, das Höchste darzu- stellen 228. als Teil der Theo- logie 42. Enzyklopädie der i^- 37 f. Vgl. Universalgeschichte.

Geschichtsphilosophie 22. 85 ff. 90 f. 208 f. 257.

Geschick 22.

GeschlechtlicheAussch wei- fungen 195f.

Geselle (im wissensch. Sinne bei Fichte) 121 usw.

Gesellschaft 221. 223. i^. = G&- selligkeit 176. Gesellschaftsver- hältnisse der Studenten 197.

Gesetz des Staates als Produkt der Freiheit 239. Gesetzgebung 37. für die Zugewandten 51.

Gespräch, Unterrichtsgespräch 141 f. Vgl. Dialog.

Glück, äußeres 256.

Goten 215 f. gotische Formen der Universitäten 186. 189.

Gott 210. 267. L^. = Geist der Wahrheit 256. (^ den Sterb- lichen innewohnend 232. das Göttliche 267. 269. 278 ff. in die Endlichkeit gefesselt oder ganz aus ihr verdrängt 212.

Gottesdienst an der Universi- tät 170.

Grade, akademische 182 ff. vgl. Würden.

Grammatik 122.

Griechisch 42.

Gymnasium s. Gelehrtenschule.

gymnastische Geistesübung 135. Gymnastische Übungen 178.

198.

H.

Halle a. S. (Universität) 69. 72. 186. 248.

Harmonie des Lebens 231.

Haushaltung, gemeinschaft- liche der Regularen 46, der Irregulären 48. Hausvater der Regularen 55.

Hebräisch 42.

Heilkunde s. Medizin.

Heraklit 93.

Hieroglyphen, (vgl. Allegorie, Ziffern) 275.

Historie s. Geschichte, histo- risch 30. historisches Talent 32.

Homiletisches Institut 41.

Honorar 76f. 81. 154ff.

Hus, Joh. 210.

Idee 117. 142. 212. ur. des Er-

kennens 127, des Ganzen der

Wissenschaft 127. Verhältnis

der o^ zur Wirklichkeit 16. vgl.

Staat; Wissen. Individualität 135. 141. 168.

173. 175. 215. 220. 225. 232.

239. 249. 253. iy~- der Nationen

227. Industrie 270. Inländer als Professoren 59. Irreguläre im Sinne Fichtes

47 usw. Inskription 51 ff. Instrumente, physikalische 43. Intellektuelle Anschauung

s. Anschauung. Interpretieren eines Autors

13. 15. Isolierung der Studierenden 15.

J.

Jahrbücher der Kunstschule 86fff. 97. Stoffbuch 88 ff. 96 f. 99. Kunstbuch 8b ff. Jahrbücher

Sach- und Namenregister.

285-

der wissenschaftlichen Ent- deckungen 97. LT. der Fort- schritte des Buchwesens 100.

Jahresfest der Universität 83 f.

Jena (Universität) 52. 62. 67. 82.

J esaias 42.

Jesus Christus 277. Vgl. Chri- stus.

Johannes der Evangelist 42.

Jurisprudenz 35. 37; bei den Römern 37. Enzyklopädie der ur, 37, praktische Vorbildung 38. Jurist 41.

Justitiarius der Universität 51 ff. 55. 82.

K.

Kalendermonopol der Aka- demie der Wissenschaften 69. 71.

Kampf der Elemente und seine Schlichtung 233.

Kandidaten 69, lt. der Regel 48.

Kanoniker 75.

Karsten, Prof. der Mineralogie 191.

Kastenwesen, wissenschaft- liches 118.

Katechetisches Institut 41.

Kathedervortrag 4. 141ff.; populäres und produktives Ele- ment 142.

Katholisches Deutschland 116.

Kenntnisse im Gegensatz zum wissenschaftlichen Geist 109. 117 f. 129. 136. 184. 218. 261.

Kepler 210.

Kind 249.

Kirche 116. 274ff.

Kirchengeschichte 43. 63.

Klasse (vgl. Fakultät) der Lehrer 57; philosophische 45. 57. 64fff. Klassen der Studierenden 53.

Kleinstaaten, deutsche 114.

König, der 71.

Königsberg (Universität) 187.

Kollegienlesen 82. Vgl. Vor- lesungen. '

Kolumbus 209.

Kombinationsgabe 12. i

1 Komitee 36. 38f. 43.

I Kompendien 127. Konj ekturalkritik 12.

I Konsistorien 41.

I Konversatorien 11. 31. 44. 47-

144. 156. Vgl. Dialog. Kopernikus 210.

j Korporation der Studenten 198.

I Korps der Lehrenden 46 f. 64.

I Vgl. Gemeinschaft. .r> der Lehrhnge 64.

i Kredit 195. Kriminal fälle 55.

{ Kritik, wissenschaftliche 9. lOOf.

! Kunst im wissenschaftlichen

I Sinne, bei Fichte als lebendige Anwendung des Wissens und „Kunst des wissenschaftlichen Verstandesgebrauchs" 6fff. 11. 13. 18f. 25 f. 35. 45. 64. 67 f.

I Kunst des Lehrens 12. Kunst-

' bildung 14. Kunst der Men-

[ schenbildung 22. Kunstbuch vgl. Jahrbücher.

I Kunstsammlung 43.

'Kunstschule im wissenschaft- lichen Sinne (vgl. Kunst) 25. 27. 35. 37 f. 65. 76. 85. Künstler im wissensch. Sinne 8. 18. 26. 29. 94 f.; im eigent- lichen Sinne 117. Kurator der Universität 159f-

Landshut (Universität) 68.

Latein als Promotionssprache, Schleiermacher für Abschaf- fung 184 f.

Leben, höheres (wissenschaft- liches) 70. 168. 226. 264. 274 ff.; erscheinendes la. 210. 212. 221. 261; das ewige tx-- 221. t^. als Zweck der Wissenschaft 7.

Lebensbedürfnisse der Stu- dierenden 17 f.

Lehre: Lehrauftrag 164. Lehr- freiheit 161. 241. Lehrgebiet (nicht zu eng zu begrenzen) 152 f. Lehrbücher 127. Lehr burschen 121. Lehrstoff lOf-

286

Sach- und Namenregister.

Lehrer (vgl. Professoren) 18; ausübende 57. 61. i^- a. D. 69. 78. Lehrkörper = lehrendes Subjekt 44. 56. Lehrersemi- narien s.Professorenseminanen.

Lehrlinge s. Studierende.

Lehrlingskörper = lernendes Subjekt 10. 45 ff. 56.

Lehr Verhältnis 9 f.

Leipzig (Universität) 97.

Lektionskatalog 38.

Lektüre 91.

Lernen des Lernens 127.

Lesebücher 91f.

Liebe 19. 259.

Literatur (vgl. Buchwesen) 4 11. 21. 29. 32. 38. 40. 58. 61 88 f. 91. 96. 100. 143. Litera turverzeichnis 32. Literatur wesen 101; literarische Hilfs mittel 47.

Literaturzeitung 97ff.

Ludwig XIV. 211.

Luther 210.

Lykurgus 238.

M.

Magister 182 ff. magister ar- tium 67 f. Vgl. Meister.

materia medica 39.

Mathematik 35 f. 112. 122. 129. 140. 257.

Mechanismus (im geistigen Leben) 7. 12f. 138.

Medizin 35. 38. Verhältnis zur Naturwissenschaft 38. Enzyklo- pädie der (•: 39.

Meister (vgl. Doktor) 11. 58. 60. 64. 92. 95. 12L ^ der Philosophie 65. Unterschied vom Doktor 66 ff. Meisterstück 64. s. Dissertation.

Meßkatalog 9Tff. 100.

Mitteilung, wissenschafthche 110. 132.

Mittelpunkt (philosophischer Terminus bei Steffens) 236. 262. 266. 269. (^. des Erkennens 215. 217 f.; rehgiöser ^. 214f. (^. des Daseins 228.

Moral 41.

Moses 238.

Museum, Werkmeistersches in Berlin 23.

N.

Napoleon (?) 114.

Nation 21. 70f. 76. 78. 83. 104. 227. 267 f. deutsche c^- 71.215. Individualität der cy-. 215 f. Na- tionalbildung 146. Nationaler- ziehung 76. 104. Nationalverein, wissenschaftlicher 119. Uni- versität als Nationalinstitut 70.

Natur, lebendige 2 13 f. la. als Vorbild alles Lebens 228. Ihr Streben, das Höchste darzu- stellen 228. CX-- = Fülle aller Schönheit und aller Ideen 267. iy. = das Allgemeine dem Be- sonderen eingeprägt 269. (y~. ist kalt vor unsern Wünschen und Hoffnungen 235.

Natur und Geist (ihre Durch- dringung, Identität) 257.

Natur und Geschichte 234. 269 f. 274. 277.

Naturaldotierung der Univer- i sität 69. 71 f. 76.

Naturaliensammlung 43. 1 Naturphilosophie 257. I Naturwissenschaft 36. 38f. [ 89. 96. 112. 140. 270. ] Nominalprofessuren 154.

Nostrifikation der Professoren 59.

Notwendigkeit des äußeren Lebens 235, vgl. Freiheit und Notwendigkeit.

Novizen 48. 50. 55. 82f.

Nützlichkeit 223.

o.

Observanz 47. Offenbarung 34. j Ökonomie Verwaltung der 1 Universität 46. 69 ff. 77—81. I Ökonomische Wissenschaft 270. Ordnung des Stoffes 15. Ordnungsverletzungen sei- tens der Studierenden 51.

Sach- und Namenregister.

287

organisch 10. 12. 18f. 29f. 73. organische Natur 140. organi- sches Ganzes 36. 83 f. organi- sierender Geist 63. Organisieren des Stoffes 86. 88.

Originalität der Universitäten 75 f.

Oxford (Universität) 84.

Pädagogik 9. 2If. UO. Pastoralklugheit 41. Perfektibilität 93. Person, Wissenschaft als mora- lische LT. 111.

Pestalozzi, J. H. 21.

Philanthropismus 9.

Philistertum 176.

Philologie 12. 35. 42. (als Teil der Theologie) 140. Philolog 68. philologische Professoren 162. !

Philosophie 26f. 81. 37. 40.1 64ff. 87. 93f. 121. 125ff. 127f. i 140. 150. 183 f. 226. Philosoph 41. 134. Philosophischer Enzy- klopädist 45. Besetzung der Professur für Philosophie 161 f. Philosophischer Geist (u. s. Ver- hältnis zu den realen Wissen- schaften) 121. 125 f. 190. Philo- sophische Systeme 27 f. 129. Philosophie die höchste Wissen- schaft 130. philosophischer Ka- techismus 29. -^ als allgemeines Anfangsstudium 139. Philoso- phische Anleitung als Wesen der Universität 137.

Physik 213.

Physiologie 140.

Plan des Lehrens 9. 12.

Plato 42. 117.

Polemik 28. 128. (Fichte und Schleiermacher gegen die philo- sophische LT. auf den Univer- sitäten.)

Polen 117.

Politik 140.

Polizei 50ff. 54ff. 196.

Popularität, Kunst der ^y. 41.

Potenz 29. 35.

Prämien 170. vgl. Preise.

Prag (Universität) 248.

Praxis 181f.

Prediger 43.

Preise, wissenschaftliche 96. Preisaufgaben 170.

Preußen, 73f. 186f.

Prinzip, gutes und böses 22, bildendes t^. 176 f. belebendes w- des Staates 242. das höhere zusammenhaltende lt. 254.

Privatdozent 160.

Privatumgang zwischen Leh- rern und Schülern 144.

Privilegien 171.

Probeaufsätze 92. 94f. Probe- schrift (vgl. Dissertation) 64.

Produktivität der Gelehrten 5 f. 32. das Produzieren des Wissens 142. keine literarische Produktion auf Schulen 124.

Professoren, ordentliche 55. außerordentliche 56. 81. Indi- vidualität der Professoren 145. Gewinnung s-eeigneter ^^. 158 f. Wahl der ^. 160 f. 162. Anr Stellung auf Zeit 58 f. Besoldung 79 f. Alter der '^. 162 f. Pen- sionierung 59 f. 162. Gefahr des Gesc'iäftslebens der Professoren 192. Professorsemina rium 21. 58. 65. vgl. Lehrer. Meister, Senat, Universitätslehrer.

Programme (Schulschriften) 124.

Protestantisches Deutsch- land 133. 203.

Provinzialuniversität (ein Widerspruch) 73. 186.

Prüfungen, akademische 180 f. v. der Talente 136 f. öffentliche Schulprüfungen 124. vgl. Exa- men.

Psychologie 93.

Publikum, auswärtiges 96 f. 101.

Rat der Alten 57. 61. 63. 96f. 99. vgl. Senat.

Recht, Rechtsbegriff 37. Römi- sches o^ 12.

Reform der Lehranstalten 12.

Reformation 209.

288

Sach- und Namenregister.

Regeln (des Lernens u. Lehrens bei Fichte) 7. 18. 20 f. 25. 30 ff. 55.

Regierung 227. Regierungs- kunst u. -Wissenschaft 93.

Regularen, (im Sinne Fichtes ordentliche Mitglieder der Stu- dentenschaft, das sog. „Regu- lat":) 45 ff. 48fff. 56.66. 70. 72. 77. 79. 81 ff. 94 f. 102.

Reisestipendienkasse 74.

Rektor der Universität 165 f.

Relationen (als Gegenstand untergeordneter Verstandesre- flexion) 268. 273 f. 276. 279 f.

Relegation 52ff.

Religion 40f. 140f. 222. 278. Religionslehrer 223. Religions- unterricht 251. Religionsge- schichte (= Entwicklung der religiösen Begriffe unter den Menschen) 43.

Remuneration 80.

Renaissance 209.

Repetitorien 144.

Repräsentanten, auswärtige der Akademie 101 f. lt der Studenten 199.

Republik 243. 246. wissenschaft- liche (^- 104.

Rezensieren 97 ff.

Richter-Vorbildung 37.

Ritterorden 75.

Ruhestörungen 166. vgl. Ex- zesse.

s.

Schauen und Tun (Verhältnis zueinander n. Schleiermacher) 184.

Schleier m acher 207.

Schlußfolgern 268.

Schönheit 234. 264.

Scholastiker 68.

Schuldenmachen der Studen- ten 50. 194 f.

Schule 120 ff. 249. Schullehrer 35. 131. Schulamtskandidat 69. o^ des wissentl. Verstandes- gebrauchs 34. vgl. Kunstschule.

Sehnsucht des höheren Erken- nens 252 f.

Selbstbildung 254f. 261.

Selbsterkennen als 3. Stufe der Geburt 225.

Selbständigkeit der Studieren- den 173.

Selbsttätigkeit 7. 12. 28. 30 f. 220. 249.

Selbstverwaltung d. Univer- sität 164 f.

Seminare 130. 155ff.

Senat 57. 61. 63. 74 vgl. Rat der Alten. Senator 80.

Sinn, Aufregung des ors für Er- kenntnis 138.

Sittlichkeit 232. 247. 263 (in allen Menschen dieselbe). 264. (immer ein Ganzes.) Verhältnis zum Erkennen 174. Sitten der Universität 166. Verhältnis zur Sittlichkeit 174 f. Individualität der Sitten 175. freie Sitten- bildung 175, Sittenlehre vgl. Ethik.

Sokrates 11.

Solon 238.

Spekulation 119. 135. 139. 142. 217 ff. 223 f.

Sperre, wissenschaftl. l/^ gegen das Ausland 116.

Spezialschulen 138f. 145. 147. 183. 189. 201. 277.

Spiel sucht 195 f.

Sprache 9. 13. 42. 68. 71. 211.

227. Deutsche la bei Promo- tionen 68. lat. (.^-68. griech.(.A.68. orientalische ^ 42. 63. cy. als das die N ationen Sondernde 227. Sprachgebiet als Grundlage der Wissenschaft 112. 113ff. 119. Sprachunterricht 13. Sprach- wissenschaften 112.

Staat 23f. 270. Idee des ijs 117.

228. 269. 275. den Bürgern dar- zulegen 243, sein Schicksal ruht in der inneren Seele jedes Bür- gers 245. sein Einssein mit dem Bürger 230. als die innerste Durchdringung des inneren und äußeren Daseins 226. als

Sach- und Namenregister.

289

Schlichtung des vernichtenden Zwiespalts 233. als Notwendig- keit 236. als zweite Natur 230. sein Zweck 226 f., nicht das Glück aller 230. Grenzen seiner Gewalt 222. sein Einssein mit dem höheren Geist 229. or; als Zahler 77. Verhältnis z. Kirche 275 ff. Verhältnis zu den Uni- versitäten 218ff. 221 ff. die Uni- versität als Einverleibung des allgemeinen Wissens in den (^: 269. Verhältnis zur Wissen- schaft 110 ff. 164. 230. 258. soll die Wissenschaft sich selbst überlassen 132 f. Gegenwirkung zwischen u~. und Wissenschaft 120. als Mittel zu wissen- schaftlichen Zwecken 114. Verh. z. wissenschaftlichen Verein 113. 118 f. Einfluß der Wissenschaft auf den (V- 118. Verh. zum Sprachgebiet ll3f. 119. Verh. zu den akademischen Würden 179 f. 185. Staatsämter 47. 60. 66 f. 72. 80. Staatskosten, Studium auf v- 46. Staats- männer 117. Staatsprüfungen, abzuschaffen 186. Staatsver- fassung als Naturprodukt der Geschichte 238. (Ven, ihre Individualität 238. Staatswirt- schaft 149. . Staatswissenschaft 93. Staatenverhältnis, repräsen- tiert durch das Verhältnis der Akademien 103.

Stand 40. Stände 213. Standes- erziehung 213. Standesunter- schiede der Studenten 197.

Stellen, reguläre 76. Zahlstellen 76. Freistellen 76. (^. der Kreise oder Städte für die Regularen 70. Könighcheix. 71. Landes ly. 71.

Stempeltaxe 71 f.

Stipendien 83. i^wesen 157f.

Stoffbuch, siehe Jahrbücher.

Strafen der Studenten 171.

Streitigkeiten, spekulative cy. 130 f.

Studienplan 43. juristischer 38.

Universitäisschriften Fichte, Schleierm

Studierende 12. Selbständig- keit der cxn 73. zwei Klassen nach den Talenten 137. Um- gang untereinander 16. Ver- hältnis zum Bürgertum 16.

Studium, zwei Arten: Bücher- studium u. Kolleghören 4.

Stufen der wissenschaftlichen Bildung 9.

Symbol 210. (vgl. Allegorie. Ziffern.)

Systematischer Geist 122.

T.

Talent 135f.

Taschengeld der Studierenden 46. 78.

Tentamen 64. 68.

Terminologie 13.

Theologie 12. 34. 39ff. 43. 63. nicht aufzunehmen 40. ihr prak- tischer und wissenschaftlicher Teil 40 f. Theolog, braucht nicht wissenschafthch zu sein 40 ff. 43.

Theorie 181f.

Tierarzneischule 192.

Tod 276. 278. 280.

Transzendentalphilosophie 129. 149.

Tübingen (Universität) 84.

Typus des Bildungswesens 121. Typen der Staatsverfassung 238.

u.

Übereinstimmung mit sich selbst 215. 220. 233. 243. 258. 260. innere oo 226.

Übersinnliches, Neigung dazu 251.

Umgang der Professoren mit den Studenten 176. 198.

Uneinigkeit derLehrenden219.

Unendliches, Streben nach dem (V n 262. Unendliches und End- liches: Gegensatz 262 f. Identi- tät 262 f. 268.

Uniform der Regularen 49. 62.

Universalgeschichte 12. 33. 90 f.

Universalität 35. 73. 259.

acher, StefTens. 19

290

Sach- und Namenregister.

Universität im hergebrachten Sinne 24. 44. 85. als not- wendige Bildungsanstalt 23. Definition (Wesensbestim- mung) 8. (Fichte) 125 ff. 138. (Schleiermacher) 247 ff. 255. (Steffens.) Idee der cy-.en 215. 269. Individualität der ex 145 f. Zweck der tx- 167. (Xen = Schu- len der Weisheit 215. 217. = Schulen der Selbstbildung 254. Grenzbestimmung 9. gegen Schule u. Akademie 129 f. zu- gleich höhere Schule für die wenigerVeranlagtenl37f. Selb- ständigkeit gegenüber den orga- nisch mit ihr verbundenen An- stalten 202. Geschichte der Uni- versitätenS. 147.149.Verfall248. politische Beziehungen 116. 138. an großen oder kleinen Orten 1 6. Selbstergänzung 269. Philoso- phie als ihre Grundlage 128. Er- zeugung des philosophischen Geistes 126. Einleitung eines neuen geistigen Lebensprozesses 126. ein Moment d. geistigen Er- wachens 127. Universitätsleh- rer 131 f. 141 ff. vgl. Professoren.

Untergang (Zusammenbruch v. Jena und Tilsit) 224.

Unterredung s. Dialog 10.

Unterricht, Zusammenhang wichtiger als Masse der Kennt- nisse 250.

Unterstützungsfonds 193f.

Unzucht 196f.

Urbild s. Idee.

Vaterland 214. vaterländischer

Sinn 190. Venia legendi 56 f. zuerst nur

auf 1 Jahr. Verbindungen, wissenschaft-

hche 111. Verein, wissenschaftlicher, im

Sinne der wissenschaftlichen

Gemeinschaft überhaupt 113.

118f. 131. 137. 147. 180f. 183.

185. geselliger ^. 229 f.

Verfassung der Universität 164 ff. demokratisch 164 f. mon- archisch 165.

Verkehr zwischen Lehrer und Schülern 144.

Vermögen, geistiges cx; zum Lernen 7.

Vernunft 127. 139. 142. das Gemeinsame der ewigen Ver- nunft 227. 240. ihr Wesen 268.

Verstand 7. 9.

Verstehen 13.

Verwaltung des Unterrichts 132.

Villers, Charles de ^^ 207.

Virtuosität 123.

Volk, Reform d. Volkserziehung 76. Volksschule 21. Volksunter- richt 34. rehgiöser Volkslehrer 40 f. 43.

Vorlesungen 44. 141ff. Vor- lesungsverzeichnis 38.

Vorsehung 23. 268.

W.

Wahrheit 247. 256. 259. 268. 274. iy-> und Sittlichkeit als das Band zwischen Staat u. Bürger 231 f. Verhältnis zur Weisheit 226.

Weisheit 234. 240. 261. 280. (Xj = Wahrheit und Sittlichkeit 247. t/- die Seele des Staats 247. cx~. als Sinn aller wissenschaft- hchen Bemühungen 226.

Weltverbesserung, Gefahren 259.

Werkmeister, s. Museum 23.

Wetteifer, wissenschaftlicher in den deutschen Staaten 115.

v. W i 1 1 d e n o w , Prof. der Botanik 191.

Wirklichkeit 17. 24. 85. als Allegorie 266.

Wissen, Wissenschaft, Idee der LA. 126. organische Einheit der (X- (Wissenschaft als Ganzes) 18f. 21. 29. 37. ]09f. 118f. 121. 123. l'.^6f. 135. 149. 183f. 216. Organisation des Wissens 217. Wissenschaft als Lebenszweck

Sach- und Namenregister.

291

15. als Selbstzweck 16. (y ge- richtet auf das Unwandelbare 261. ihr allgemeines Gerüst Gegenstand der niederen Ge- lehrtenschule 9. (^ im Gegen- satz zu Kenntnissen 109. als gemeinsames Werk 1U9. ihre Fortbildung 5 f. als Mittel zu Macht u. Ansehen des Staates 116. 120. praktische Anwendung 6. 37 f. allgemeines u. einzelnes Wissen 127. Wissenschaft a- priori 12. empirische ^y- 12. 267. besondere lx (positive) 25. 31. 45. reale tx^ 129f. 135. 139. 150. 184. 190. historische (X". 63.

Wittenberg (Universität) 248.

Wohnungen der Studenten 194.

W^ürden, akademische 179 ff. Mißkredit 179. wahres Wesen 180. Verhältnis der Fakultäten dazu 182 ff. vgl. Grade.

Z.

Zahlungskommission (Schul- denregulierung für die Studie- ! renden) 195. 1 Zamolxis 238.

I Zeit, Ausnutzung der ly^ 14. I bloße (V-. 214. {phänomenal 263. I Zeitverhältnisse (Zeitlage) 8. 24. I 37. 107. 208 f. Zeitgeist 92. Zeit- i aher 22.

I Zentraluniversität, Schleier- macher gegen deutsche ^y. 146. 1 Ziffern (vgl. Allegorie, Symbol) ] 261. Zugewandte 47f. 50ff. 54. 56. 66. (Bewerbung um den Meister- grad) 72. 81 ff. Zunftwesen der Fakultäten 121.

189. Zusammenleben, wissenschaft- liches 20. 81. 141. 144. Zweikampf, vgl. Duell, 49ff.l77ff.

19^

Verlag der Dürr'schen Buchhandlung in Leipzig,

Johannes Schubert

Wilhelm von Humboldts

ausgewählte philosophische Schriften

(Philosophische Bibliothek, Band 123.) Preis: geheftetet 3 M. 40 Pf., gebunden 4 M.

T~\er Name Wilhelm von Humboldts wird zwar stets neben -»-^ dem seines populären Bruders Alexander mit der größten Hochachtung genannt, doch kann man nicht gerade behaupten, daß das Bild des seltnen Mannes im Bewußtsein unserer Ge- bildeten schon festere Konturen gewonnen habe. Dieser Band, der im Jubiläumsjahr von Humboldts großer Schöpfung, der Berliner Universität, erscheint, will dazu beitragen, die Kenntnis seiner Geistesart in weitere Kreise zu tragen. Er zeigt Humboldt in zweckmäßig ausgewählten Schriften und Aufsätzen als Ästhetiker, Pädagogen, Geschichts-, Religions- und Sprach- philosophen. Eine ausführlicher gehaltene Einleitung gibt ein Gesamtbild seines Lebens und vielseitigen Schaffens als Ge- lehrter, Gesandter und liberaler preußischer Staatsmann; sie zeigt ihn in seinem Freundschaftsbund mit Schiller, in seiner schöpferischen Mitarbeit an den großen Zielen und Problemen des deutschen Idealismus. Es ist zu wünschen und zu hofl'en, daß die täglich wachsende Teilnahme unserer Zeit an den Resultaten dieser glänzenden Epoche deutschen Geisteslebens auch einem VV. von Humbold in reicherem Maße, als es bisher geschehen, zu gute kommen möge!

O

iMb/:

University of Toronto Library

DO NOT

REMOVE

THE

CARD

FROM

THIS

POCKET

Acme Library Card Pocket LOWE-MARTIN CO. umited

^ m m^' ^ •« m m, 'mm

-^ m 90i. ffiiir «94.. 930^ «Mi '«<- <

-^ m. m mm. -«. .1«^ m^_m. Äite

.*^?

«::ft

M

m

«*Ä

mtii'

.«-^*

"jÜI^äV"«

^C:.

.^OK

•«r«r«

mzm^m

*-^«^^

??

r* <r- .tr- '«1% ^*» 'JIBB iHif »p^ 4i» «-^ '■^

Ji^ ^ ^*l- rw^ ^9^ mß- w^ .W^ W- w* mm X«! 1r- ^m* %i*t ^^ "^f^ '^ ^r- ^ r- r- r )m v r ^ ^ ^ :^ 1^ r* ^^ ir-^ r: kr- »* *i- f li» %»• '^ .iT", ^»-. vr ^^ *^ r- «r- r^ *- irr IT- «s^ ^ r^ ' Vr: Vt <*^ |Qj:k: fc 1^ "1>*" *^ *"^ »*- r- r-' t MM.» ^ f

^ili^ ^ !#; iMi Im» "^ V^ M

W 1r- #- r* ü-' ^- «r- c-

^.. ^ . iKir m '^' «^ ib4» r^ »- *-* r- ' ^ pe ^^fc ,, - ;«ii^^ .^ V», J»$» 'ÜBT ^^ 'jir- w-» '!r? t Ipr ur #r liT Ä '-^ » ^ 1«^ ^ '«•*» '*^ ^'- ^Ä. « ' 1 -'^ '^^^ m ,*» :^ )üi' !«► ^pl* ^#» #* i^ «3 fl# ^.

w^ M^.S»*^ '^ *"*. *«^ ^. '-'i*^' .r? iw ^ -i

* jß^ ww .JÄ"^ .3Si* 5rtl iÄR 98i* ^ff^ MT 'Ä"i äIEm. #*** !•"> Mfc

♦7^

^iVM^K ^^^^

w%»

.^ 4r*

i^i:w«,.»«-w

Uiaj

«1

*

^^10»

w? #

_/,.Pä. WC •"• ^-i i

1^^ '*«j^ ../Äif ' «^

^®Ä

"^^^^^''^•' ' '-"??

^^*

:ii^«^*|

:1

^6^

^ m