Betrachtungen über das Wesen ^— ^ - — ,,- r^__.-L.rn-*- ■■^w *^^-^» der Lebenserscheinungen. *•*+*** ■^■^■n^i—W*^*"^^^'^ Ein Beitrag zum Begriff des Protoplasmas von Professor R. Neumeister Dr. med. et. phil. wr. Verlag von Gustav Fischer in Jena. 1903. VERLAG VON GUSTAV FISCHER IN JENA. neum eistet4, Richar(l' Dr- med- et i>hil- Prof-> Urtjrburi) tirr pljy= fiolorjifdjm Cljrmir mit Berücksichtigung derpathologischen Verhält- nisse. Für Studierende und Aerzte. Zweite vielfach vermehrte und teilweise umgearbeitete Auflage. Mit 1 lithogr. Tafel. 1897. Preis: brosch. 17 Mark, in Halbfranz geb. 19 Mark 50 Pf. Therapeutische Monatshefte 1894, Heb 10: Das vorliegende Lehrbuch kann zum Studium aufs wärmste jedem empfohlen werden, auch solchen, die, ebenso wie der Referent, nicht Chemiker vom Fach, doch von der hohen Wichtigkeit des behandelten Gegenstandes für den Arzt durchdrungen sind. Die Darstellung des behandelten Gegenstandes ist eine so fesselnde , dass der Leser das Buch nicht leicht vor gänzlicher Durcharbeitung seines Inhalts aus der Hand legen wird; andererseits sind trotz der leichten Fasshchkeit und Uebersichtlichkeit auch die feineren Details überall sehr genau berücksichtigt , so dass Referent z. B. über, eine ganze Zahl von Einzelfragen , über welche er Orientierung in anderen Lehrbüchern vergeblich gesucht, hier zugleich mit Quellenangaben Aufschluss erhalten konnte. Referent kann auf Grund eigener, sehr eingehender Lektüre des gend Marine Biological Laboratory g^,^ ?ct. 11 Accession No. Civen By Place, >45 . tudolph Hob er :riiv. Fenrr; trn= 'zesse. Text, i von Preis : fite« Preis : ürr I. Br., ii und neue Versuche. Mit 2 Abbildungen und 8 Kurven. 1902. Preis: 2 Mark 50 Pf. 1)011 TÜrth Dr' 0tt°' Privatdocent an der Universität Strassbmg i. E., (Jtr= glrid)rnbr rijnnifdjf Pliyfiologir ttrr ntrttrrrn Tirrr. isöl Preis: l(j Mark. Zeitschr. f. allgem. Phys., Bd. II, Heft 3/4: Das Buch . welches eine staunenswerte Fülle von Einzelbeobachtungen über den Chemismus der niederen Tiere bringt, will die chemischen Tatsachen, soweit sie sich auf diese beziehen, mit möglichster Vollständigkeit zusammenstellen. Diese Absicht hat der Verfasser mit einer Gründlichkeit verwirklicht, die unsere Bewunde- rung erregen muss. Journal de Physiologie et de pathologie generale. 1903: . . . Tous les physiologistes seront reconnaissant ä l'auteur du travail si considerable et consciencieux qu'il a su mener ä bien. Betrachtungen über das Wesen der Lebenserscheinungen. Ein Beitrag zum Begriff des Protoplasmas ggZIg cO iS= r^ =s=. <-n öS = cO S nj SB CD tn ss s CD ÜB O s= m Ü CD 11 CD von Professor R. Neumeister Dr. med. et. phil. Verlag von Gustav Fischer in Jena. 1903. Alle Rechte vorbehalten. Vorwort. Es ist eine Tatsache, daß der bereits vor anderthalb De- zennien begonnene und seitdem weitverbreitete Widerspruch gegen die mechanistische Anschauungsweise in der Physiologie dennoch bisher keine eigentliche Krisis dieser Richtung herbei- zuführen vermochte. Vielmehr wird die mechanistische Idee gerade neuerdings von einigen ihrer begeisterten Vertreter mit einer früher kaum gekannten Leidenschaft verteidigt. Als Ursache hiervon müssen indessen weniger die feste Position des Mechanismus, als vielmehr die zu allgemein ge- haltenen, unbestimmten und daher wirkungslosen Angriffe seiner Widersacher betrachtet werden. So findet man, abgesehen von den grundlegenden, wenn auch nur angedeuteten und nicht ganz widerspruchsfreien Aeußerungen Bunges, in der Literatur wohl Bemerkungen, daß der mechanistische Gedanke „öde" oder „gescheitert" sei, aber leider keinen brauchbaren Versuch, die gegnerischen Meinungen mit Gründen zu widerlegen oder andere Ideen an deren Stelle zu setzen. Diese Zurückhaltung scheint sich mir vor allem daraus zu erklären , daß die große Zahl derjenigen , welche, von dem mechanistischen Dogma unbefriedigt, dasselbe fallen lassen, dennoch allgemein an einer anderen mit diesem eng verknüpften Behauptung nicht zweifeln, daß nämlich der Vitalismus, wie er immer sich auch äußerte, ein Irrtum, mit dem Stande unserer heutigen Erkenntnis unvereinbar und daher mit Recht „tot und begraben" sei. IV Vorwort. Indessen kann es keinem Zweifel unterliegen, daß man bei einem eingehenden Studium des totgesagten Vitalismus und ebenso seiner frühesten Gegner, wie namentlich Lotze und Du Bois-Reymond, zu einer ganz anderen Anschauung ge- langen muß: daß nämlich die Darstellung der letzteren — so- weit sie sich auf den fortgeschrittenen Vitalismus bezieht unrichtig und daß andererseits die vitalistische Betrachtungs- weise, besonders von Johannes Müller mit dem heutigen Standpunkt der Wissenschaft nicht nur durchaus vereinbar ist, sondern ihm sogar weit mehr entspricht, als der „öde und ge- scheiterte" Mechanismus. Vielleicht sind die folgenden Betrachtungen geeignet, zu weiterer Arbeit nach dieser Richtung anzuregen. Die von mir hierin vertretenen Anschauungen beruhen keineswegs auf neuen Entdeckungen , sondern ergeben sich aus einer anerkannten philosophischen Wahrheit in Verbindung mit der einheitlichen Auffassung aller Lebenserscheinungen und gewissen physio- logischen Tatsachen von selbst. Auffallend ist es nur, daß meine Schlußfolgerungen nicht schon längst von anderer Seite gezogen worden sind. Philosophische Spekulationen sind dabei durchaus vermieden, was um so mehr geboten erscheint, als wir uns vom physiologischen Standpunkt aus zu halten haben „an die An- schauung der Dinge wie sie sind." Im Verlaufe der Untersuchung habe ich einige Fragen von allgemein physiologischer Bedeutung, welche in neuerer Zeit vielfach erörtert wurden und für unseren Gegenstand mehr oder weniger wichtig sind, einer kritischen Besprechung unter- ziehen müssen. Daß meine darin ausgesprochenen Ueberzeug'ungen lediglich die Sache, keinesfalls aber die Personen berühren, be- darf wohl keiner ausdrücklichen Versicherung. Cossebaude bei Dresden, im Mai 1903. In der Einleitung seines im Jahre 1887 erschienenen Lehr- buches der physiologischen Chemie hat G. v. Bunge eine Frage neuerdings aufgerollt, welche seit Dezennien endgültig erledigt schien, nämlich: ob es möglich sei, die Lebenserschei- nungen allein aus mechanistischen, d. h. aus physiko- chemischen Ursachen zu erklären. Bunge bekämpfte damals als erster und in bestimmter Weise die seit 30 Jahren unbestrittene Meinung, daß die Lebens- vorgänge ausschließlich auf dieselben Gesetze sich stützten, welche in der leblosen Natur Gültigkeit haben. Um die Bedeutung dieses Bun gesehen Widerspruchs ge- nügend zu würdigen, muß man sich die biologischen Strömungen bis dahin vergegenwärtigen. Wichtige Entdeckungen hatten im Verlaufe etwa eines halben Jahrhunderts die physiologische Wissenschaft in uner- hörter Weise bereichert, wobei besonders an Namen wie Jo- hannes Müller, und Claude Bernard sowie an diejenigen ihrer zahlreichen Schüler und Nachfolger zu erinnern ist. Dazu kamen die Auffindung des Gesetzes von der Einheit der Energie durch Robert Mayer und Helmholtz im Jahre 1842 nebst dem bedeutungsvollen Nachweis, daß die dynamischen Grund- gesetze auch für die stofflichen Vorgänge im Tierkörper volle Gültigkeit behalten, ferner die gewaltigen Fortschritte in der mikroskopischen, vergleichenden und nicht zum wenigsten in Neumeister, Wesen der Lebenserseheinungen. 4&2VJ IV Vorwort. Indessen kann es keinem Zweifel unterliegen, daß man bei einem eingehenden Studium des totgesagten Vitalismus und ebenso seiner frühesten Gegner, wie namentlich Lotze und Du Bois-Reymond, zu einer ganz anderen Anschauung ge- langen muß: daß nämlich die Darstellung der letzteren so- weit sie sich auf den fortgeschrittenen Vitalismus bezieht — unrichtig und daß andererseits die vitalistische Betrachtungs- weise, besonders von Johannes Müller mit dem heutigen Standpunkt der Wissenschaft nicht nur durchaus vereinbar ist, sondern ihm sogar weit mehr entspricht, als der „öde und ge- scheiterte" Mechanismus. Vielleicht sind die folgenden Betrachtungen geeignet, zu weiterer Arbeit nach dieser Richtung anzuregen. Die von mir hierin vertretenen Anschauungen beruhen keineswegs auf neuen Entdeckungen , sondern ergeben sich aus einer anerkannten philosophischen Wahrheit in Verbindung mit der einheitlichen Auffassung aller Lebenserscheinungen und gewissen physio- logischen Tatsachen von selbst. Auffallend ist es nur, daß meine Schlußfolgerungen nicht schon längst von anderer Seite gezogen worden sind. Philosophische Spekulationen sind dabei durchaus vermieden, was um so mehr geboten erscheint, als wir uns vom physiologischen Standpunkt aus zu halten haben „an die An- schauung der Dinge wie sie sind." Im Verlaufe der Untersuchung habe ich einige Fragen von allgemein physiologischer Bedeutung, welche in neuerer Zeit vielfach erörtert wurden und für unseren Gegenstand mehr oder weniger wichtig sind, einer kritischen Besprechung unter- ziehen müssen. Daß meine darin ausgesprochenen Ueberzeugungen lediglich die Sache, keinesfalls aber die Personen berühren, be- darf wohl keiner ausdrücklichen Versicherung. Cossebaude bei Dresden, im Mai 1903. In der Einleitung seines im Jahre 1887 erschienenen Lehr- buches der physiologischen Chemie hat G. v. Bunge eine Frage neuerdings aufgerollt, welche seit Dezennien endgültig erledigt schien, nämlich: ob es möglich sei, die Lebenserschei- nungen allein aus mechanistischen, d. h. aus- physiko- chemischen Ursachen zu erklären. Bunge bekämpfte damals als erster und in bestimmter Weise die seit 30 Jahren unbestrittene Meinung, daß die Lebens- vorgänge ausschließlich auf dieselben Gesetze sich stützten, welche in der leblosen Natur Gültigkeit haben. Um die Bedeutung dieses Bun gesehen Widerspruchs ge- nügend zu würdigen, muß man sich die biologischen Strömungen bis dahin vergegenwärtigen. Wichtige Entdeckungen hatten im Verlaufe etwa eines halben Jahrhunderts die physiologische Wissenschaft in uner- hörter Weise bereichert, wobei besonders an Namen wie Jo- hannes Müller, und Claude Bernard sowie an diejenigen ihrer zahlreichen Schüler und Nachfolger zu erinnern ist. Dazu kamen die Auffindung des Gesetzes von der Einheit der Energie durch Robert Mayer und Helmholtz im Jahre 1842 nebst dem bedeutungsvollen Nachweis, daß die dynamischen Grund- gesetze auch für die stofflichen Vorgänge im Tierkörper volle Gültigkeit behalten, ferner die gewaltigen Fortschritte in der mikroskopischen, vergleichenden und nicht zum wenigsten in Neunieister, Wesen der Lebeiisersckeinungen. fjjyj 2 — der pathologischen Anatomie, weiter die durch Wöhlers epoche- machende Entdeckung- im Jahre 1828 eingeleitete Begründung, sowie der schnelle Ausbau der organischen Chemie und endlich ganz besonders die Ausbreitung der Lehre Darwins mit ihrer befruchtenden Rückwirkung auf Zoologie und Botanik. Solch mächtige Einflüsse mußten berauschend wirken und lassen es verständlich erscheinen, daß unter den Biologen, neben der Mißachtung- jeder philosophischen Spekulation, sich ein leidenschaftlicher Drang geltend machte, nunmehr alles ver- stehen und erklären zu wollen. Hierbei war natürlich die alte metaphysische Auffassung des Lebensproblems höchst unbequem. Sie passte als „mystisch" und sich jeder Rechnung entziehend schlechterdings nicht in die moderne „mechanistisch-moni- stische Weltanschauung" und besaß überdies nach dem berüchtigten Grundsatz, daß ein Ding nicht sein kann, falls man sich dabei nichts zu denken w^iß1), keinerlei Existenzberechti- gung. Und so verbreitete sich allmählich, namentlich seit Jo- hannes Müllers Tode (1858), ganz allgemein aber seit dem Anfang der 70er Jahre in Verbindung mit Darwins Selektionshypothese2) - diesem Mechanismus der Artentstehung — das Dogma von der schrankenlosen Einheit alles Naturgeschehens „daß nämlich in den lebenden Wesen durchaus keine anderen Faktoren wirksam seien, als einzig und allein die Kräfte und 1) Virchow sagt hierüber: „Schon früher habe ich das Raisonnement zurück- gewiesen, das man so oft hört, daß nämlich ein Ding deshalb nicht sein könne, weil mar, sich dabei nichts zu denken wisse. Je allgemeiner eine Erscheinung ist, je mehr wir dieselbe als Norm und Erklärungsgrund für andere Erscheinungen kennen lernen, je mehr wir demnach genötigt werden, aus ihr ein allgemeines Gesetz abzu- leiten, um so weniger kann man sich dabei denken." Vergl. dessen Arch. 1854, Ed. vir, S. 13. 2) Nachdem in neuester Zeit selbst ein namhafter Zoologe erklärt hat: „Der Darwinismus gehört der Geschichte an wie das andere Kuriosum unseres Jahrhunders: Hegels Philosophie" und eine Reihe anderer Fachleute sich zu ähnlichen An- schauungen bekannt -haben, ist es wohl nunmehr wieder erlaubt, die Lehre Dar- wins — ohne der Ketzerei als dringend verdächtig zu erscheinen — eine „Hypo- these" zu nennen. — 3 — Stoffe der unbelebten Natur."1) Genau so weit wie diese letztere, müsse es auch möglich sein, das Wesen der Lebens- prozesse unserer Erkenntnis zugänglich zu machen, die Tiere und Pflanzen seien durchaus und lediglich physiko-chemische Mechanismen. Um nur einige Aussprüche anzuführen, werden nach Haeckel2) „alle Lebenserscheinungen nicht durch Endzwecke, sondern durch mechanische Ursachen bewirkt und beruhen in letztem Grunde auf physikalisch-chemischen Prozessen, auf un- endlich feinen und verwickelten Bewegungserscheinungen der kleinsten Teilchen, welche den Körper zusammensetzen". Auch für die erste Entstehung des Lebens auf der Erde (Urzeugung) genügen vollkommen „die einfachsten mechanisch wirkenden Ursachen, rein physikalisch-chemisch wirkende Naturvorgänge", infolge deren zwar noch keine Zellen, wohl aber lebendige „voll- kommen homogene, strukturlose, formlose Eiweißklumpen" etwa durch Wechselwirkung der im Urmeere gelösten Substanzen entstanden seien. Und selbst vom Pater Secchi3) findet sich folgendes Bekenntnis: „Die Behauptung, es sei in den lebenden Tieren eine von der gewöhnlichen Molekulartätigkeit unab- hängige Quelle des Lebens oder eine besondere Lebenskraft vorhanden, oder es vollzögen sich in ihnen andere chemische Vorgänge als in den unorganischen Körpern, diese Behauptung ist falsch." Welch bestrickenden Eindruck diese allgemein verbreitete Anschauung auch auf einen so selbständigen Forscher wie Virch'ow4) auszuüben vermochte, zeigt dessen widerspruchsvolle i) G. Bunge, a. a. O. 2) E. Haeckel, Ges. Vorträge 1878 — 79, II, S. 19 u. I, S. 36, u. Generelle Morphologie d. Organismen, Berlin 1866, I. 3) P. A. Secchi, Die Einheit d. physischen Kräfte, Mailand 1869 (nach A. Mos so, Die Ermüdung, S. 59). Freilich sagt er an einer anderen Stelle, daß zur Herstellung irgend eines organischen Wesens „die bewußte Tätigkeit eines ewigen Baumeisters" erforderlich sei. 4) R. Virchow, Alter und neuer Vitalismus. Dess. Arch. 1856, Bd. IX, S. 20 u. 22. 1* — 4 und unklare Stellung in dieser Frage. Mit Haeckel ist er Anhänger der Hypothese von der Urzeugung lebender Wesen aus unbelebter Materie, wenn er sagt: „Wir können uns vor- stellen, daß zu gewissen Zeiten der Entwickelung der Erde un- gewöhnliche Bedingungen eintraten, unter denen die zu neuen Verbindungen zurückkehrenden Elemente im Statu nascente die vitale Bewegung erlangten, wo demnach die gewöhn- lichen mechanischen Bewegungen in vitale umschlugen." Hiernach sollte man glauben, daß Virchow nun auch im übrigen den oben gekennzeichneten Standpunkt Haeckels teile. Dies ist aber nicht der Fall. Denn in derselben Abhandlung heißt es: „Allerdings besteht der lebende Körper, soweit wir wissen, aus Stoffen derart, wie sie sich auch sonst in der „toten" Natur finden und diese Stoffe haben nicht bloß innerhalb der lebenden Körper keine anderen Eigenschaften oder Kräfte, als sie sonst besitzen, sondern sie verlieren auch nichts davon. Wenn also noch in der neueren Zeit manche Vitalisten einen Gegen- satz von Vitalismus und Chemismus setzten, so versteht sich von selbst, daß wir diese mystischen Reste zurückweisen. Aber trotzdem können wir nicht erkennen, daß die Erschei- nungen des Lebens sich einfach als eine Manifestation der den Stoffen inhärierenden Naturkräfte begreifen lassen; vielmehr glaube ich immer noch als den wesentlichen Grund des Lebens eine mitg-eteilte, abgeleitete Kraft von den Molekularkräften unterscheiden zu müssen." Hieraus ergibt sich, mit welch zweifelhaftem Recht Virchow von Rindfleisch1) als der Begründer des Neo -Vitalismus in Anspruch genommen wird. Virchows widerspruchsvolle Ausführungen heben sich tatsächlich auf. Allenfalls könnte man aus dem letzten seiner eben mitgeteilten Sätze entnehmen2), daß Virchow eine be- sondere Energieform, also ein eigentümlich physikalisches, kein i) G. E. Rindfleisch, Aerztliche Philosophie, Rektoratsrede, Würzburg 1888, S. 8. 2) Vgl. O. Bütschli, Mechanismus u. Vitalismus, Leipzig 1901, S. 95. — 5 metaphysisches Prinzip für den Grund der Lebenserscheinung-en hält. Aber ein solches Prinzip müßte doch genau dieselben mannigfaltigen Wirkungen üben, wie die transcendente Lebens- kraft der Vitalisten, welche gerade wegen der ihr notwendiger- weise beizulegenden Vielseitigkeit von Virchow bekämpft wird, indem er — vielleicht unter dem Einfluß von Lotze (s. unten) — hiergegen bemerkt1): „Eine Kraft mit solcher Mannigfaltigkeit der Strebungen, Triebe und Zwecke, die sich nicht bloß die Wege, sondern auch die Mittel zur Erreichung ihrer Ziele auf- sucht, die nicht bloß nach einem prästabilierten Plan, sondern je nach Umständen auch nach freier, aber stets zweckmäßiger Wahl die Stoffe gestaltet, das ist nicht mehr eine Kraft, sondern es ist ein Wesen, ein lebendiger Organismus". Und wenige Jahre später äußert sich Virchow2) ganz unzweideutig: „Ver- geblich bemüht man sich, zwischen Leben und Mechanik einen Gegensatz zu finden." Tatsächlich hat denn auch Virchow als „Begründer des Neo -Vitalismus" im Verlaufe von mehr als drei Dezennien durchaus keine Schule gemacht. Rindfleisch, welcher sich als Nachfolger Virchows in dieser Beziehung be- zeichnet, trat mit diesem Bekenntnis erst im Jahre 1888 hervor. Auch Du Bois-Reymond3) sieht keinen Grund, die erste Entstehung des Lebens für transcendent zu halten. • Nach ihm handelt es sich „beim Zusammentreten unorganischen Stoffes zu lebendigem zunächst nur um Bewegung, um Anordnung von Molekeln in mehr oder minder feste Gleichgewichtslagen und um Einleitung eines Stoffwechsels, teils durch von außen über- kommene Bewegung, teils durch Spannkräfte der mit Molekeln der Außenwelt in Wechselwirkung tretenden Molekeln des Lebe- wesens". „Es ist für den Forscher kein Grund vorhanden, (zwischen den Individuen der toten und denen der lebenden 1) Virchow, a. a. O. S. 9. 2) R. Virchow, Vier Reden über Leben und Kranksein, 1862, S. 12. 3) E. Du Bois-Reymond, Die sieben Welträtsel, 1880, S. 84, und Ueber die Grenzen des Naturerkennens, 1872, S. 29 — 31. Natur) jene absoluten Schranken gelten zu lassen, wie sie der unbefangene Menschensinn freilich allerorten und jederzeit er- blickt hat und erblicken wird, und wie eine erst in unseren Tagen abgelaufene Periode der Wissenschaft sie zum Dogma erhob. Es ist daher ein Mißverständnis, im ersten Erscheinen lebender Wesen auf Erden oder auf einem anderen Weltkörper etwas Supernaturalistisches, etwas anderes zu sehen, als ein überaus schwieriges mechanisches Problem." Da ferner alle Veränderungen in der Körperwelt in unserer Vorstelluug auf Bewegungen zurückkommen, „so wäre, wenn nur unsere Methoden ausreichten, eine analytische Mechanik sämtlicher Lebensvorgänge möglich." r) Die vorhergehenden Physiologengenerationen, etwa seit Ernst Stahl und Albrecht v. Haller bis auf Johannes Müller, also vom Anfang des 18. bis zur Mitte des ig. Jahr- hunderts, betrachteten durchweg ebenfalls die lebenden Organismen als dasResultat physiko-chemischer Kräfte, behaupteten aber, daß letztere durch ein im einzelnen sehr ver- schieden aufgefaßtes und benanntes, im allgemeinen aber für unerforschlich gehaltenes, also transcendentes geistiges Prinzip geleitet würden, welches seit J. Chr. Reil2) — nach der vor- bildlichen „Eorce hypermechanique" der Schule von Montpellier — gewöhnlich als „Lebenskraft" bezeichnet wurde. Während die ältere Richtung dieses Vitalismus allerdings der Forschung nachteilig war, insofern sie das geistige Prinzip auch überall da unbedenklich eintreten ließ, wo gerade eine Erklärung durch die Wirksamkeit der physiko-chemischen Kräfte augenblicklich nicht tunlich oder möglich erschien, trifft dieser Vorwurf durchaus nicht den Standpunkt des Vitalismus, wie ihn die jüngere Richtung und namentlich Johannes Müller ver- trat. Derselbe betonte vielmehr, daß man bei der Betrachtung der i) E. Du Bois-Reymond, Untersuchungen über die tierische Elektrizität, Berlin 1848, I, Vorw. S. 35. 2) Joh. Chr. Reil, Ueber die Lebenskraft, in dessen Arch. f. Physiologie 1796, Bd. I, S. 1. Organismen zunächst nach derselben Methode der Beobachtung und Erfahrung verfahren müsse, wie in der unorganischen Natur. Lebenserscheinungen freilich glaubte er nicht erklären zu können, denn sie waren für ihn als Ausfluß „der Lebenskraft" tran- scendenter Natur. Im besonderen wird von Johannes Müller1) die „Lebens- kraft" etwa in der Weise begriffen, daß sie den ganzen Organis- mus beherrscht und so eine Harmonie der zum Ganzen not- wendigen Glieder bewirkt, ohne von einzelnen Teilen abhängig zu sein. Sie besteht früher, als die harmonischen Glieder des Ganzen vorhanden sind, letztere werden vielmehr bei der Entwicklung des Embryos von der Kraft des Keims erst geschaffen. Diese vernünftige Schöpfungskraft (Organisationskraft) äußert sich in jedem Tiere nach strengem Gesetz, wie es die Natur jedes Tieres erfordert, zweckmäßig, aber nach blinder Not- wendigkeit. Sie erschafft den im organischen Körper zum Leben notwendigen Mechanismus und scheint mit dem sterbenden Körper zugrunde zu gehen, indem sie wieder in ihre allgemeinen natürlichen Ursachen aufgelöst wird. Wie schließlich die Lebens- kraft zuerst zur Materie gekommen ist, wie also die organischen Wesen entstanden sind, liegt außer aller Erfahrung und Wissen. Keine Tatsache berechtigt uns zu Vermutungen über die erste Bildung der Geschöpfe. Entschieden spiritualistischer, an Aristotelische Anschau- ungen und weiterhin an Stahls „Animismus" sich anlehnend, ist die Vorstellungsweise K. E. v. Baers2). Nach ihm läßt sich die Einheit der Lebensprozesse in den verschiedenen Geschöpfen, aus welchen ihre mannigfaltigen Gestalten resultieren, aus den Wirkungen des Stoffes an sich nicht erklären, vielmehr ist in den Lebewesen das Geistige das Primäre, das, um sinnlich wahr- i) Johannes Müller, Handbuch d. Physiologie d. Menschen 1844, I, S. 17, 21 u. 24. 2) K. E. v. Baer, "Welche Auffassung der lebenden Natur ist die richtiger Berlin 1862, S. 44 — 46, 52 u. 55. — 8 nehmbar zu sein, verkörpert wird. Der Lebensprozeß ist also nicht ein Resultat des organischen Baues, sondern der Rhythmus, gleichsam die Melodie (Gedanke der Schöpfung), nach welcher der organische Körper sich aufbaut und umbaut. „Allerdings müssen im Organismus die Mittel sich finden, durch welche die einzelnen Verrichtungen des Lebensprozesses sich äußern können. Aber aus ihnen wird nicht der Lebensprozeß, sonst müßte ihm die Einheit fehlen." „Es ist notwendig, daß man Typus und Rhythmus des Lebens nicht als Ergebnis des Stoffwechsels be- trachte, sondern als dessen Leiter und Lenker." „Als ob es sich nicht von selbst verstände, daß der Stoffwechsel überall nur denselben Gesetzen gehorchen könnte, fängt man an, den Stoff anzubeten, statt des Geistes, durch den er allein Wirksamkeit erlangt." Der Grundgedanke v. Baers er- innert also durchaus an die Lehre des Aristoteles, nach welcher die Seele als belebendes und formgebendes Prinzip sowohl den Körper des Menschen, als auch denjenigen der Tiere und Pflanzen aus sich heraus erzeugt und daß weiterhin psychische Einflüsse im Ausdruck der Gestalt bei Ruhe und Bewegung, beim Wachstum und bei der Ernährung sich unmittelbar geltend machen. Endlich mag hier noch die Auffassung Schopenhauers wegen ihrer besonders klaren, wenn auch etwas drastischen Ausdrucksweise Platz finden. Gegenüber dem „heutzutage Mode werdenden Polemisieren gegen die Annahme einer Lebens- kraft" äußert er sich: „Allerdings wirken im tierischen Organis- mus physikalische und chemische Kräfte: aber was diese zu- sammenhält und lenkt, so daß ein zweckmäßiger Organismus daraus wird und besteht — das ist die Lebenskraft: sie be- herrscht demnach jene Kräfte und modifiziert ihre Wirkung, die also hier nur eine untergeordnete ist. Hingegen zu glauben, daß sie für sich allein einen Organismus zu stände brächten, i) A. Schopenhauer, Zur Philosophie u. Wissenschaft der Natur, 1851 (Parerga u. Paralipomena, herausg. v. H. Hirt, Bd. II, S. 153 — 154). 9 ist nicht bloß falsch, sondern dumm." „Denn wer die Lebens- kraft leugnet, leugnet im Grunde sein eigenes Dasein, kann sich also rühmen, den höchsten Gipfel der Absurdität erreicht zu haben." — „Der Unterschied zwischen der Lebenskraft und anderen Naturkräften beruht darauf, daß die Lebenskraft, nach- dem sie einen Körper verlassen hat, ihn nicht wieder in Besitz nehmen kann. Der Grund hiervon ist jedoch, daß sie nicht, wie die Kräfte der unorganischen Natur an dem bloßen Stoff, sondern zunächst an der Form haftet. Ihre Tätigkeit besteht ja eben in der Hervorbringung und Erhaltung (d. i. fortgesetzten Hervorbringung) dieser Form: daher nun ist, sobald sie von einem Körper weicht, auch schon seine Form, wenigstens in ihren feineren Teilen zerstört. Nun aber hat die Hervorbringung- der Form ihren regelmäßigen und sogar planmäßigen Hergang in bestimmter Succession des Hervorzubringenden, also Anfang, Mittel und Fortschritt. Daher muß die Lebenskraft, wo immer sie von neuem eintritt, auch ihr Gewerbe von vorn anfangen,, also ganz eigentlich ab ovo beginnen." Die Lebenskraft ist nach Schopenhauer nur eine, und zwar ist sie identisch mit dem Willen, also metaphysischer Natur, aber ihre Er- scheinungsformen sind drei, nämlich: Irritabilität, Sensibilität und Reproduktivität. Man beachte wohl, daß der Mechanismus diese vitalistischen Anschauungen von Johannes Müller oder K. E. v. Baers bisher auch nicht in einem einzigen Punkte zu widerlegen vermochte, wenn dies auch seit Jahrzehnten wohl in jedem physiologischen Hörsaal verkündet und in fast allen Lehrbüchern zu Unrecht behauptet wird. In der Regel beruft man sich hier- bei auf die künstliche Synthese sogenannter „organischer Ver- bindungen", eine Leistung, die mit dem Grundgedanken des Vitalismus unmöglich zu vereinbaren sei. Wie wir bereits an- gedeutet haben, ist nichts unberechtigter, als diese Unterstellung, was auch daraus hervorgeht, daß Johannes Müller an seinem IO vitalistischen Standpunkt unerschüttert festhielt, wiewohl er die Entdeckung Wo hl er s genau 30 Jahre überlebte. Ebensowenig vermochten ihn der elf Jahre vor seinem Tode veröffentlichte endgültige Beweis des Gesetzes von der Erhaltung der Kraft oder gar die Ausführungen Lotzes und Du Bois-Reymonds im geringsten wankend zu machen. Der Name „Lebenskraft" für das supponierte metaphysische Lebensprinzip war vielleicht nicht glücklich gewählt, insofern er — bei Verkennung des transcendenten Charakters dieser Vorstellung — zu einem allerdings ungerechtfertigten Vergleich mit den Kräften der Physik verführen konnte. Eine solche, für das Schicksal des Vitalismus sehr verhängnisvolle Parallele zog denn auch bekanntlich Lotze1) in einer ebenso berühmten und selbst bis in die neueste Zeit immer wieder zitierten, wie teil- weise schwer verständlichen und widerspruchsvollen Abhand- lung, in welcher er die Auffassungen der Lebenskraft besonders von Reil, Treviranus, Autenrieth, Henle und Stahl einer strengen Kritik unterzieht. Nach Lotze „sind in der Physik Kräfte gar nichts in den Dingen wirklich Vorhandenes, noch weniger etwas Fertiges, ihnen ein für allemal Inhärierendes, sondern die Physik lehrt, daß die Dinge solche Kräfte zuweilen erlangen, in dem Momente nämlich, wro aus dem Zusammen- kommen ihrer Eigenschaften mit denen anderer in irgend einer Beziehung eine Folge hervorgeht. Die Dinge wirken nicht, weil sie Kräfte haben, sondern sie haben dann scheinbare Kräfte, wenn sie etwas bewirken." „Gegenüber dieser bestimmten und trefflichen Ausbildung des Kraftbegriffes bietet sein Gebrauch in der Physiologie einen trostlosen Anblick dar." „Mit dem offenbarsten Verstoße geg'en den Satz der vielen Ursachen ist überall nur von „der" Lebenskraft gesprochen worden, die für ihr Wirkungsgesetz ebensowohl als für ihre Angriffspunkte selbst sorgen konnte. Man kann die tiefen Irrtümer der Physiologie 1) H. Lotze, Artikel ,, Leben, Lebenskraft" in R. Wagners Handwörter- buch d. Physiologie 1842, Bd. 1. S. 14, 18, 19. 1 1 nicht kürzer beisammen finden, als in der oft gebrauchten De- finition, daß die Kraft die unbekannte Ursache der Erschei- nungen sei." Lotze verwirft nämlich jede Theorie vom Leben, welche uns eine Ursache derselben anzugeben verspricht. „Wie man auch ein solches Realprinzip des Lebens bestimme, ob als Lebensmaterie, Lebensgeist, Lebenskraft, Seele, Trieb oder als Lebensprinzip überhaupt: nie wird sich daraus das Geringste folgern lassen, wenn man nicht dem Satz der vielen Ursachen sein Recht gibt und noch die anderen Ursachen hinzusucht, welche jenes überall gleiche Prinzip durch ihre Verschiedenheit zu verschiedenen Wirkungen bringen." Lotze kommt dem- entsprechend früh, nämlich bereits im Jahre 1842 dazu, die An- nahme der Lebenskraft zu verwerfen, „weil weder in der Mischung, noch in der Gestaltbildung des Organischen Facta vorliegen, welche verböten, den Organismus als das Resultat mechanischer Kräfte, die auf eine bestimmte Weise kombiniert sind, aufzufassen". Indessen findet sich natürlich auch in Lotzes gelehrter Arbeit kein brauchbarer Plan, wie sich denn — bei der An- nahme eines rein mechanischen Geschehens in der lebenden Natur — die dann zweifellos vorliegenden ungeheuren .Schwie- rigkeiten vermeiden ließen, oder, um seine Worte zu gebrauchen, in welcher Weise sich „der Rhythmus erforschen ließe, in welchem die allgemeine Natur durch ihre scheinbar regellosen Einflüsse das organische Leben beherrscht". Im Gegenteil ver- fällt Lotze schließlich mehrfach selbst in den angeblichen Fehler „der einen Ursache", wenn er sich z. B. äußert1): (Um die Bedürfnisse der Tiere zu befriedigen) „hat die Natur einen Ausweg in der Mitgabe der tierischen Seele gefunden. Sie ist es, der die Mängel des Mechanismus kund werden und die für ihre Befriedigung sorgt, indem sie einen Teil der mechanischen Kräfte willkürlich zur Befriedigung der Triebe verwendet". 1) Lotze, a. a. O. S. 36. Ueber die Seelentheorie Lotzes vgl. namentlich auch Virchow, Empirie und Transcendenz. Dessen Arch. 1854, Bd. VII, S. 1 7 ff . 12 Hier ist doch von Lotze auch ein unbekanntes, und zwar, wie er ausdrücklich bemerkt, „ein dem Körperlichen völlig fremdes", also seinem Wesen nach unerforschliches, metaphysisches Prinzip als einzige Ursache für sehr verschiedene Lebensäußerungen, wie sie die tierischen Triebe doch vorstellen, angenommen, welches sich von der „Lebenskraft" höchstens dadurch unter- scheidet, daß sie nicht den ganzen Organismus, sondern nur die Triebe desselben beherrscht. Weiter scheint mir auch die Auffassung des Organismus „als das Resultat mechanischer Kräfte", das heißt doch der chemischen Energie, mit „dem Satz der vielen Ursachen" durchaus nicht weniger in Widerspruch zu stehen, als die Annahme einer Lebenskraft. Schließlich ist Lotze der Meinung, daß die Welt, also offenbar auch die Lebe- wesen, das Werk eines Schöpfers seien. Er sagt hierüber1): „Jede Naturwissenschaft, die nicht völlig verkehrt zu der übrigen Bildung des Geistes sich stellen will, muß notwendig den Begriff der Schöpfung voraussetzen. Die Welt ist weder durch Zufall geworden, noch hat ein Chaos vermocht, vor der Ordnung zu existieren, sondern eine nach göttlichen Ideen geordnete Welt ist am Anfang geschaffen worden, und uns bleibt nur übrig, den ununterbrochen gesetzmäßigen Zusammenhang dieses be- stehenden Vernünftigen zu erkennen und zu bewundern." Daß namentlich dieser Gedanke gegen „den Satz der vielen Ursachen" verstößt, ist einleuchtend. Hieraus ergibt sich, daß es mit der Vernichtung „des Gespenstes der Lebenskraft" durch Lotze viel weniger auf sich hat, als gemeinhin darüber zu lesen ist. Sieht man davon ab, daß Lotze eine Vorstellung der Lebens- kraft mit Glück bekämpft, welche allerdings den Anschauungen der Vitalisten durchaus nicht entsprach2), so bleibt kaum etwas i) A. a. O. S. 27. 2) Genau dasselbe bezieht sich auf die Bemerkungen Du Bois-Reymonds in seiner Vorrede zu den „Untersuchungen über tierische Elektrizität" (Berlin 1848) Auch die Darstellung, welche Du Bois-Reymond von Johannes Müllers An- schauungen über die Lebenskraft gab (Ueber Neovitalismus, Berliner Ak. Ber. 1894), hält O. Bütschli (Mechanismus und Vitalismus, Leipzig 1901, S. 56) für „sehr wenig korrekt". — 13 — übrig, wobei man noch die Inkonsequenz, in welche Lotze durch die Fiktion einer übernatürlichen Seele gerät, ganz außer Betracht läßt. Uebrigens gab es schon lange vor Lotze Forscher, welche sich mit der Annahme einer Lebenskraft nicht befreunden konnten und dieselbe verwarfen, wiewohl sich dies, bei dem damaligen verhältnismäßig niedrigen Stande der biologischen Wissenschaften, wo möglich noch weniger begründen ließ, als die neueren Versuche dieser Richtung. Unter diesen ist be- sonders A. v. Humboldt zu nennen, der vordem entschiedener Vitalist1), bereits im Jahre 1797 „durch Nachdenken und fort- gesetzte Studien in dem Gebiete der Physiologie und Chemie" an dem Bestehen eigener sogenannter Lebenskräfte sehr zweifel- haft wurde. Nach ihm „liegt die Schwierigkeit, die Lebens- erscheinungen des Organismus auf physikalische und chemische Gesetze befriedigend zurückzuführen, großenteils in der Kom- plikation der Erscheinungen, in der Vielzahl gleichzeitig wirkender Kräfte, wie der Bedingungen ihrer Tätigkeit". Bekannt ist ferner De La Mettries2) berühmtes Buch „L'homme machine", welches im Jahre 1748, also bereits zu Albr. v. Hallers Zeit erschien. In diesem Werke verwirft De La Mettrie den „Animismus" Stahls, indem er den leben- den Organismus mit einer aus unzähligen Teilen zusammen- gesetzten Uhr vergleicht, welche fortwährend lediglich von dem Speisebrei aufgezogen würde. Menschen- und Tierseele seien nur gradweis verschieden und die willkürlichen Bewegungen, wie sich durch Reizversuche an isolierten Organen nachweisen lasse, reine Mechanismen. Sonach gelte die Lehre des Des- cartes, nach welcher die Tiere reine Maschinen seien, tatsächlich auch für den Menschen. Auch ein Zusammenhang aller Lebe- 1) A. v. Humboldt, Die Lebenskraft oder der rhodische Genius, in Schiller's Hören 1795. 2) Vgl. den Artikel: De La Mettrie bei F. Alb. Lange, Geschichte des Materialismus, Wohlfeile Ausgabe 1887, S. 270. ^(library v» Y? — 14 — wesen sowie eine Entwicklung derselben aus einfachsten Formen wird von De La Mettrie bereits vermutet, die Berechtigung einer teleologischen Naturbetrachtung von ihm entschieden bekämpft. Wegen dieser Lehren wurde De La Mettrie sowohl bei seinen Lebzeiten, als auch nach seinem Tode lange Zeit hin- durch als Gotteslästerer und Verspötter der Sittengesetze vielfach angefeindet. Und doch nach unsern heutigen An- schauungen ohne Grund, so daß Du Bois-Reymond l) von ihm sagt: De La Mettries Anschauungen sind nichts anderes, „als in oft sehr würdige und maßvolle Sprache gekleidet, was heute jeder Philosoph und Naturforscher als eine gleich jeder andern, zweifelhafte, doch von gewissem Standpunkt aus be- rechtigte Weltanschauung gelten lässt, nichts als was man neuerlich, im Gegensatz zur dualistischen Weltansicht, als mo- nistische Lehre oder Monismus schlechthin zu bezeichnen begann". „Nach alledem haben wir uns La Mettries, als eines unsrer Vorgänger, nicht so arg zu schämen." Vergleicht man unbefangen die mitgeteilten Aeußerungen und Behauptungen, in denen der Gedankenkreis des Mechanis- mus sich bewegt, mit der geistreichen Auffassung des Lebens- prinzips, wie sie etwa einem Johannes Müller zu eigen war, so kann man einen Vorteil des Mechanismus gegenüber dem Vitalismus durchaus nicht feststellen. Denn während der letztere die Unerklärbarkeit der Lebenserscheinungen einfach zu- gesteht, erweisen sich auch die mechanistischen Darstellungen in dieser Beziehung als rein negativ. Sie bilden im besten i) Du Bois-Reymond, La Mettrie, Rede, Berlin 1875, S. 18 u. 32. Uebrigens hat Du Bois-Reymond bereits darauf hingewiesen (S. 25 u. 26), daß die Anschauungen De La Mettries viel weniger radikal sind, als diejenigen der modernen Mechanisten. Ja, es finden sich in seinen Schriften sogar Stellen, nach denen allein zu urteilen, man ihn entschieden als Vitalisten bezeichnen müßte. Denn es gibt nach De La Mettrie eine Seele oder ein transcendentes Lebens- prinzip in jedem Organismus, und zwar nicht nur im ganzen, sondern auch in dessen kleinsten Teilen. „Seele und Körper sind zusammen und in demselben Augenblick gebildet worden." — 15 — Falle metaphysische Spekulationen über Dinge, welche gänzlich außerhalb unsrer Erfahrungen liegen, oder sind nur luftige Hypothesen und leere Worte, mit denen sich in keiner Weise Begriffe oder Tatsachen verbinden lassen. Um nur der Be- hauptung zu gedenken, daß die erste Entstehung des Lebens aus dem Leblosen erfolgt sei, „aus den einfachsten mechanisch wirkenden Ursachen" infolge „rein physikalisch-chemisch wir- kender Natur vorg"äng-e" (vergl. S. 3), so erlahmt diesen Vor- stellungen gegenüber jede Kritik. Dies scheint auch Virchow zu fühlen, wenn er bei dieser Hypothese wenigstens »unge- wöhnliche Bedingungen, welche zu gewissen Zeiten der Erd- entwicklung eintraten«, sowie einen in seiner Bedeutung aller- dings völlig dunklen „Status nascens der zu neuen Verbindungen zurückkehrenden Elemente" (vergl. S. 4) zu Hülfe nimmt. Im übrigen ist es sicher, daß in der Natur aus anorganischem Material ohne die Mitwirkung von Lebensprozessen niemals spontan höhere Kohlenstoffverbindungen, wie namentlich Protein- substanzen, entstehen. Es würden sich in der Ewigkeit nicht einmal Nukleinsäuren oder Lecithine bilden, geschweige denn Eiweißstoffe oder gar lebendes Protoplasma. Daß aber in früheren Erdperioden die Verhältnisse für eine derartige „Auto- synthese" wesentlich günstiger gelegen hätten, können wir uns nicht vorstellen. Endlich entstehen auch bei höheren und höchsten Temperaturgraden oder infolge elektrischer Entladungen aus den Elementen oder aus anorganischen Verbindungen nie- mals organische Substanzen von der Art, daß sie sich etwa später unter Temperaturverhältnissen, welche allein die Existenz lebender Organismen ermöglichen, zu Eiweißstoffen oder wo möglich zu Protoplasma umformen könnten l). 1) Auf Grund älterer, gelegentlich einmal von E. Pflüger geäußerter Ver- mutungen, daß aus Cyanverbindungen das „lebendige Eiweiß ' entstanden sein könnte, ist diese Idee selbst neuerdings wieder von allzu enthusiastischen Anhängern des Mechanismus ernstlich aufgenommen und in phantastischer Weise verarbeitet worden. Nach Pflüger sollen nämlich Cyanverbindungen, namentlich die Cyansäure, aus an- organischen Stoffen zu einer Zeit entstanden sein, wo die Erde noch ein glühender — 16 — Die Entstehung der ersten Lebensformen bleibt also, trotz gegenteiliger Behauptungen des Mechanis- mus, ein transcendentes Problem und „wird auf diese Weise so erklärlich und so unerklärlich, wie die Entstehung einer Welt überhaupt": „Den Ursprung des Lebens in das Gebiet der transcendentalen Fragen zu verweisen, ist durchaus nicht unmethodisch, sobald die Naturwissenschaft gute Gründe hat, innerhalb ihres Erkenntnisgebietes eine solche Uebertragungs- theorie für die relativ wahrscheinlichste zu halten1)." Hieran kann auch die Meinung Ha eck eis2) nichts ändern, „dass die Annahme einer Urzeugung eine unabweisbare Forderung der folgerichtig schließenden Vernunft sei". Will man aber nach der, bekanntlich später auch von Helmholtz vertretenen William Thomsonschen Hypothese den Ursprung der Orga- nismen auf andere Weltkörper verlegen, von wo sie zu uns Feuerball war. In den unermeßlich langen Zeiträumen, in denen sich die Abkühlung der Erdoberfläche vollzog, hätten dann das Cyan etc. Zeit und Gelegenheit gehabt, ihrer groben Neigung zur Umsetzung und Bildung von Polymerien zu folgen und unter Mitwirkung des Sauerstoffs und später des Wassers und der Salze in jenes selbstzeisetzliche Eiweiß überzugehen, das lebendige Materie ist. Daß man Cyan, Blausäure und ihre Salze sowie die Cyansäure aus anorganischem Material unter Verwendung der Glühhitze bezw. elektrischer Induktionsschläge künstlich darstellen kann, ist bekannt. Aber abgesehen davon, daß zwischen Cyanverbindungen irgend welcher Art und den Protei'nstoffen ein unermeßlicher, durch nichts überbrück- barer Abgrund gähnt, würden sich die in der Hitze entstandenen Cyanverbindungen bei nachfolgendem Zutritt von Wasser und Sauerstoff bekanntlich sehr bald wieder zersetzen, so daß nach der endlich erfolgten Abkühlung der Erde sie längst wieder in Kohlensäure und Ammoniak zerfallen wären. Ob ferner die Be- dingungen, unter welchen man im Laboratorium Cyan oder Blausäure aus anorganischen Stoffen darstellen kann (nämlich in Sauerstoff freier S tickstof f atmosphäre;, im glühenden Erdchaos vorhanden waren, ist nicht ganz zweifellos; aber zugegeber, daß „nichts klarer sei als die Möglichkeit der Bildung von Cyanverbindungen, als die Erde noch ganz oder partiell in feurigem oder erhitztem Zustand war", so ist doch sicher nichts so unklar, als wie aus diesen Cyanverbindungen Proteinstoffe entstanden sein könnten — von lebendem Protoplasma gar nicht zu reden. i) Vgl. Fr. Alb. Lange, a. a. O. S. 567. 2) E. Haeckel, Ueber die Entstehung des Menschengeschlechts, 1865; i. d. ■Gesamm. Vortr., Bonn 1878 — 79, I, S. 35. Kant dagegen hält „die Erzeugung eines organischen Wesens durch die Mechanik der rohen unorganischen Materie für un- gereimt". Krit. d. Urteilskraft, § 79. — ij — in den Meteorsteinen gekommen seien, so wird die Frage wohl zurückgeschoben, aber bleibt im Prinzip dieselbe. Einer unserer bedeutendsten Anatomen, nämlich Oskar Hertwig1), hat kürzlich den Mechanismus „öde", d. h. also wohl wissenschaftlich unfruchtbar, genannt. Dieses Urteil scheint tatsächlich berechtigt, denn während bei der Betrachtung der vitalistischen Vorstellungsweise von Ernst Stahl bis zu den Anschauungen von Johannes Müller ein steter Fortschritt zu einer höheren Auffassung dieses Problems nicht zu verkennen ist, sucht man andererseits nach dem Auftauchen neuer Ge- danken in der mechanistischen Literatur vergebens. Selbst die modernsten Darstellungen dieser Lehre unterscheiden sich in keinem wesentlichen Punkte von De la Mettries Schriften oder D. v, Holbachs Systeme de la Nature, über welches schon der jugendliche Goethe2) in treffender Weise urteilt: „Eine Materie sollte sein, von Ewigkeit her bewegt, und sollte nun mit dieser Bewegung rechts und links und nach allen Seiten, ohne weiteres die unendlichen Phänomene des Daseins hervorbringen. Dies alles wären wir sogar zufrieden gewesen, wenn der Verfasser wirklich aus seiner bewegten Materie die Welt vor unseren Augen aufgebaut hätte. Aber er mochte von der Natur so wenig wissen wie wir, denn indem er einige all- gemeine Begriffe hingepfahlt, verläßt er sie sogleich, um das- jenige, was höher als die Natur, oder als höhere Natur in der Natur erscheint, zur materiellen, schweren, zwar bewegten, aber doch richtungs- und gestaltlosen Natur zu verwandeln , und glaubt dadurch recht viel gewonnen zu haben." Die endlich so oft gehörte Behauptung, daß gerade die mechanistische Idee wenigstens die physiologische Erkenntnis in besonderer Weise gefördert habe, wird sogleich hinfällig, wenn man daran er- innert, daß Johannes Müller. Karl Ernst v. Baer, Justus i) Vgl. O. Hertwig, Die Entwicklung der Biologie im 19. Jahrhundert, Vortrag a. d. Naturforschervers, zu Aachen, Jena 1900, S. 23. 2) Goethe, Wahrheit und Dichtung, III. Teil, II. Buch. Neumeister, Wesen der Lebenserscheinungen. - — 18 — Liebig und viele andere bahnbrechende Männer einem mehr oder weniger ausgesprochenen Vitalismus huldigten. Der Mecha- nismus an sich hat also mit den Fortschritten der biologischen Wissenschaften nicht das allergeringste zu tun, wohl aber ver- führt er phantastisch veranlagte Naturen in ihrem leidenschaft- lichen Drange, alles erklären zu wollen, leicht zu unberechtigten Hypothesen und arbeitet daher einer Erziehung zur Skepsis und strengen Wahrheitsliebe unwillkürlich entgegen. Daß die eingangs geschilderte naturwissenschaftliche Strö- mung, welche dazu geführt hatte, in den LebewTesen lediglich das Resultat rein materieller, also unserer Erfahrung und Er- kenntnis vollkommen zugänglicher Vorgänge zu erblicken, auch vor den psychischen Funktionen nicht Halt machte, war nur folgerichtig. Tatsächlich entwickelte sich neben dem extremen biologischen Mechanismus ein ihm entsprechender , weitver- breiteter philosophischer Materialismus, eine geistige Verbindung, die um so leichter erfolgte, als die meisten Naturforscher jede Beziehung mit der Philosophie als Wissenschaft verloren hatten, und ihnen somit auch die Kenntnis des von dieser Disziplin wirklich Geleisteten abging 1). Noch ein anderer Umstand übte auf die Ueberhandnahme dieses modernen Materialismus einen befördernden Einfluß, nämlich die seit den 20er Jahren des 1 9. Jahrhunderts durch zahlreiche Versuche und Beobachtungen an Menschen und Tieren allmählich begründete Tatsache, daß die psychischen Tätigkeiten nicht nur von Gehirn Vorgängen ab- hängig, sondern offenbar von diesen bedingt werden, womit auch ganz besonders die neueren, ungemein exakten Versuche Angelo Mossos2) übereinstimmen, wonach der Kreislauf des Blutes, wie in allen arbeitenden Organen, so auch im Gehirn während der Geistestätigkeit, der Gemütsbewegungen und im 1) Vgl. Du Bois-Reymond, Die sieben Welträtsel, 1880, S. 3. 2) A. Mos so, Ueber den Kreislauf des Blutes im menschlichen Gehirn, Leipzig 188 1 und ,,Die Furcht", Leipzig 1889, S. 75 — 77. — IQ — Wachen ausnahmslos verstärkt wird und somit ein unzertrenn- liches Band zwischen den Erscheinungen des Seelenlebens mit den materiellen Funktionen des Organismus festgestellt ist. „Es genügt, die Geschwindigkeit des in das Gehirn dringenden Blutes um eine Wenigkeit herabzusetzen oder zu erhöhen, da- mit sich unser Ich sofort verändere." Nimmt man hierzu die bereits von De la Mettrie stammende Ueberlegung, daß die geistigen Fähigkeiten sich nicht nur von der Geburt an langsam und allmählich entwickeln, um beim Altern des Körpers wieder abzunehmen, sondern auch mit der Ausbildung des Hirns in der Wirbeltierreihe von den Fischen bis zu den anthropoiden Affen gleichen Schritt halten , so muss man notwendigerweise mit Mosso1) schließen, „daß die Seelentätigkeiten die Frucht einer ununterbrochenen Reihe von physischen und chemischen Wir- kungen sei, welche von den einfachsten Reflex erscheinungen stufenweise zur Empfindung, zum Instinkte, zur Vernunft und zum Willen führen". Hiernach war Karl Vogt2) durchaus nicht im Unrecht, als er seiner Zeit den bekannten, früher vielfach angefeindeten und besonders von Lotze3) als „unfiltrierten Einfall", sowie von Rudolf Wagner als „urinösen Gedanken" verspotteten Aus- spruch tat, „daß alle jene Fähigkeiten, die wir unter dem Namen Seelentätigkeiten begreifen, nur Funktionen des Gehirns sind, oder, um es einigermaßen grob auszudrücken, daß die Gedanken etwa in demselben Verhältnis zum Gehirn stehen, wie die Galle zu der Leber oder der Urin zu den Nieren". Auch Du Bois-Reymond nimmt diese Meinung Karl Vogts in seiner bekannten Rede „über die Grenzen der Natur- erkenntnis"4) wenigstens teilweise in Schutz, indem er sagt: „Es ist am Sekretionsgleichnis (nämlich diesem Vergleich der Hirn- 1) Vgl. A. Mosso, a. a. O. 2) Karl Vogt, Physiologische Briefe, Gießen 1847, S. 206. 3) H. Lotze, Medicin. Psychologie oder Physiologie d. Seele, Leipzig 1852. Vgl. auch K. Vogt, Köhlergiaube und Wissenschaft, Gießen 1855, S. 2". 4) Du Bois-Reymond, a. a. O., S. 50. 2* 20 tätigkeit mit der Nierensekretion) schwerlich zu tadeln, daß darin die Seelentätigkeit als Erzeugnis der materiellen Bedingungen im Gehirn hingestellt wird. Fehlerhaft dagegen erscheint, daß es die Vorstellung erweckt, als sei die Seelentätigkeit aus dem Bau des Gehirns ihrer Natur nach so begreiflich, wie bei hin- reichend fortgeschrittener Kenntnis die Absonderung aus dem Bau der Drüse es sein würde1)." Hiermit kennzeichnet Du Bois-Reymond zugleich den Irrtum des Materialismus. — Zwar hatten auf die Unmöglichkeit des Uebergangs äußerer, vielfacher Bewegung in ein einheitliches Inneres, in Empfindung, Vorstellung und Bewußtsein längst schon Locke und Leib- nitz, sowie fast alle späteren Gegner des Materialismus hinge- wiesen 2), aber ohne nennenswerten Erfolg. Erst Du Bois- Reymond war es vorbehalten, dieser Tatsache allgemeine An- erkennung zu verschaffen. Seine Ausführungen gipfeln kurz in folgenden Punkten: Allerdings muß man bei dem Stand unserer Kenntnis unbedingt zugeben, daß die psychischen Vorgänge das Erzeugnis materieller Bedingungen, nämlich der Gehirntätigkeit sind, doch ist ebenso unbedingt festzuhalten, daß sich die psychischen Funktionen, selbst in ihrer elementarsten Form, wie sie die Empfindung von Lust und Unlust oder die Wahr- nehmung einer Qualität bei irgend einem Lebewesen, und sei es der niedrigsten Art, darstellt, aus ihren materiellen Be- dingung'en weder zur Zeit begreifen, noch jemals werden er- forschen lassen. „Das Verhältnis der Bewegung zur Emptindung 1 ) In Wahrheit sind, wie sich im Verlaufe unserer Untersuchung ergeben wird, beide Vorgänge gleich unbegreiflich. 2) Auch Virchow spricht sich gelegentlich in diesem Sinne aus, und zwar bereits im Jahre 1854, indem er ,,es in naturwissenschaftlichem Sinn für unmöglich erachtet, die allerdings unleugbare Tatsache des Bewußtseins zu erklären''. Vgl. Em- pirie und Transcendenz, dessen Archiv 1854, Bd. VII, S. 27. Ferner Virchows Rede vom Jahre 1877 „Ueber die Freiheit der Wissenschaft im modernen Staat und ihren Mißbrauch durch Darwins Gefolgschaft". Als Gegner des Materialismus läßt sich also Virchow anführen, nicht aber als Begründer des Neo-Vitalismus. Vgl. oben S. 4. Ueber die eigenartige Stellung Virchows gegenüber dem Materialis- mus vgl. auch M. J. Schieiden, Ueber den Materialismus der neueren deutschen Naturwissenschaft, Leipzig 1863, S. 50. 2 1 — bleibt unfaßbar und enthält einen um so grelleren Widerspruch, je näher man es beleuchtet1)." Oder, wie es Du Bois-Rey- mond2) noch deutlicher ausdrückt: „Es ist eben durchaus und für immer unbegreiflich, daß es einer Anzahl von Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff- u. s. w. Atomen nicht sollte gleichgültig sein, wie sie lieg'en und sich bewegen, wie sie lagen und sich bewegten, wie sie liegen und sich bewegen werden. Es ist in keiner Weise einzusehen, wie aus ihrem Zusammen- wirken Bewußtsein entstehen könne." Es handelt sich also hier um ein jenseits unserer möglichen Erfahrung liegendes, tran- scendentes Problem. „Denn die neben den materiellen Vorgängen im Gehirn einhergehenden geistigen Vorgänge entbehren für unseren Verstand des zureichenden Grundes. Sie stehen außerhalb des Kausalgesetzes, und schon darum sind sie nicht zu verstehen, so wenig, wie ein Mobile perpetuum es wäre3)." Daß diesen Ausführungen Du Bois-Reymon ds, sowenig sie eine neue Tatsache brachten, sogleich heftige Gegner ent- standen, darf nicht wunder nehmen. Aus dem Munde eines so bedeutenden Naturforschers, der noch dazu 24 Jahre vorher die unbedingte Erklärbarkeit sämtlicher Lebensvorgänge, also auch der psychischen Fähigkeiten4), behauptet hatte, be- deutete die Verkündigung dieser philosophischen Wahrheit nichts weniger als die völlige Vernichtung des Materialismus. Denn es gehört gerade zu den wichtigsten Behauptungen dieser Lehre, daß aus ihr die ganze Welt mit Leichtigkeit zu begreifen sei. Auch „die Unbegreiflichkeit des Geistigen will der Materialismus nicht zugeben, wreil darin gerade eine i) Vgl. F. A. Lange, Gesch. des Materialismus, S. 358. 2) A. a. O. S. 42. 3) Du Bois-Reymon d, a. a. O. S. 41. 4) Dies geht aus der Vorrede zu seinen ,, Untersuchungen über die tierische Elektrizität" vom Jahre 1848 ganz zweifellos hervor. Die Bemerkung in betreff des Problems der Willensfreiheit, „dessen Erledigung Sache der Abstraktionsgabe jedes ein- zelnen bleiben muss", will hiergegen wenig besagen. Uebrigens macht Du Bois- Reymond selbst daraus kein Hehl, daß später für ihn „der Tag von Damas- kus kam". Vgl. „Die sieben Welträtsel" (1880) 1898, S. 110. 22 Hauptleistung desselben gefunden wird, daß auch die Seelentätigkeiten des Menschen und der Tiere aus den Funktionen der Materie vollkommen erklärt werden" 1). Daß Stoff und Kraft in ihrem Wesen nicht erklärbar seien, daran nahm der Materialismus niemals Anstoß, weil diese nebst den Naturgesetzen gar keiner weiteren Erklärung bedürften. Aber plötzlich mitten im Getriebe der unserer Erfahrung zu- gänglichen Natur etwas Unerforschliches, außerhalb des Kausa- litätsgesetzes Stehendes, Transzendentes! Dagegen mußte sich der Materialismus empören. Indessen alle Einwände gegen Du Bois-Reymond's Argumentation waren nichtig und sind denn auch bald völlig verstummt, um einer fast allgemeinen Zustimmung" zu weichen. Ist somit der philosophische Materialismus unhaltbar, so drängt sich uns die Frage auf, inwieweit denn von seiner Niederlage der biologische Mechanismus in Mitleidenschaft ge- zogen wird. Wie wir eingangs sahen, vertritt derselbe den Grundsatz, daß es möglich sei, die Lebenserscheinungen allein aus mechanistischen Ursachen zu erklären, in- dem in den lebenden Wesen durchaus keine anderen Faktoren wirksam seien, als einzig und allein die Kräfte und Stoffe der unbelebten Natur. Hiernach ist der Mechanismus in seinem Wesen untrennbar vom Materialis- mus, er ist tatsächlich mit ihm identisch. Die Widerlegung des philosophischen Materialismus trifft demnach in gleicher Weise auch den biologischen Mechanismus. Denn das mechanistische Grundprinzip ist durchbrochen, sobald in den Lebewesen sich nachweislich Vorgänge abspielen, welche für unseren Verstand außerhalb des Kausalgesetzes stehen. Indessen hat selbst Du Bois-Reymond diese Konsequenz wenigstens ausdrücklich nicht gezogen, was bei seiner oben näher mitgeteilten, von jeher ausgesprochenen Stellungnahme für den i) F. A. Lange, Geschichte des Materialismus, S. 483. 23 — Mechanismus und somit auch für die schrankenlose Einheit der toten und lebenden Natur leicht begreiflich ist. Es ergibt sich also die paradoxe Tatsache, daß Du Bois-Reymond, welcher mit dem Materialismus zugleich auch den Mechanismus im Prinzip wider- legt, trotzdem als hervorragender Vertreter des letzteren gelten muß, ein Widerspruch, der nur verständlich wird, wenn man eben nach seinem Vorgange die psychischen Funktionen von den übrigen Verrichtungen der Lebewesen absondert und sie als außerhalb des Mechanimus stehend betrachtet. Während also nach dieser Anschauung Empfindung und Bewußtsein aus ihren mechanischen Bedingungen nicht erklärbar sind, gilt für alles übrige Geschehen im Organismus das Gegenteil, es ist lediglich „ein schwieriges mechanisches Problem". Daß hierbei der „Mo- nismus" in arge Bedrängnis kommt, ist klar. Trotzdem scheint dieser vermittelnde Standpunkt Du Bois-Reymonds unter den Anhängern des „Mechanismus" ziemlich verbreitet. Man ist weniger radikal geworden und sieht notgedrungen von der Er- klärbarkeit der psychischen Funktionen ab. Kann man auch „das Seelengespenst" nicht bannen, freut man sich doch über die Vernichtung „des Gespenstes der Lebenskraft". So hat neuerdings Bütschli x) die vollkommen berechtigte Aeußerung Bunges1'), daß der Mechanismus (d. h. natürlich der konsequente Mechanismus als wissenschaftliche Rich- tung) nichts anderes sei, als der Materialismus, zurück- gewiesen, indem er sich äußert: „Es handelt sich für den Me- chanismus um die Begreiflichkeit oder Erklärbarkeit des Orga- nismus auf Grund der gesetzmäßigen Geschehensweisen, welche wir auf anorganischem Gebiet erfahren." „Dagegen muß sich die mechanistische Beurteilungsweise verwahren gegen die Ver- wechselung mit einer materialistischen, insofern letztere die An- sicht vertritt, auch die psychischen Erscheinungen als kausale 1) O. Bütschli, Mechanismus und Vitalismus, Leipzig 1901, S. 7 u. 8. 2) G. Bunge, a. a. O. S. 13. Folgen physischer Vorgänge begreifen oder erklären zu können 1)." Dieser offenbare Rückzug des biologischen Mechanismus ist indessen nur die Einleitung' zu seiner völligen Niederlage, welcher er so wenig zu entgehen vermag, wie der philosophische Materialismus. Hierfür sprechen gewichtige Anzeichen. Während noch vor wenigen Dezennien allgemein gelehrt und dementsprechend auch geglaubt wurde, daß die mecha- nistische Auffassung der Organismen mit einer tieferen Er- kenntnis derselben Schritt für Schritt weitere Stützen finden würde2), ist, wie Bunge3) richtig bemerkt, gerade das Umge- kehrte eingetreten. Es hat sich gezeigt, daß, „je eingehender, vielseitiger, gründlicher wir die Lebenserscheinungen zu er- forschen streben, wir desto mehr zur Einsicht kommen, daß Vorgänge, die wir bereits geglaubt hatten, physikalisch und chemisch erklären zu können, weit verwickelter Natur sind und vorläufig jeder mechanischen Erklärung spotten". Jedes Kapitel der Physiologie liefert hierfür lehrreiche Beispiele. Und dem- entsprechend ist, trotz eines schüchternen Widerspruchs4), nichts so sicher als die Tatsache, daß die physiologische Wissenschaft in Bezug auf die Erklärung eigentlicher i) Welche Unklarheit über diesen Punkt selbst unter den ,,Neovitalisten" weit verbreitet ist, zeigt eine Aeußerung von G. E. Rindfleisch, welcher schreibt: ,,Hüten wir uns vor jener unnötigen und verwirrenden Verwechselung von Mechanis- mus und Materialismus. Mechanismus ist die allgemein gültige und ausschließliche Methode alles Geschehens. Der Materialismus aber ist eine wohlfeile Art, an den schwereren Problemen der Philosophie vorbeizukommen" (Aerztliche Philosophie, Würzburg 1888, S. 20). 2) So schreibt Du Bois-Reymond schon im Jahre 1848: ,,Es ist nicht zu verkennen, wie das der Lebenskraft zugeschriebene Gebiet von Erscheinungen mit jedem Tage mehr zusammenschrumpft, wie immer neue Landstriche unter die Bot- mäßigkeit der physikalischen und chemischen Kräfte geraten. Es kann daher nicht fehlen, daß dereinst die Physiologie ganz sich auflöst in organische Physik und Chemie." „Durch meine Untersuchungen wird, wenn ich nicht irre, die Lebenskraft abermals vertrieben aus einer ihrer Verschanzungen, und zwar nicht der am wenigsten hartnäckiger." (Untersuchungen über die tierische Elektrizität, S. 50). 3) Bunge, a. a. O. S. 5. 4) Vergl. O. Bütschli, Mechanismus und Vitalismus, Leipzig iqoi, S. 16. Lebensvorgänge bisher nichts geleistet hat1). Denn „alle Vorgänge im Organismus, die sich (bis jetzt haben) mechanistisch erklären lassen, sind ebensowenig Lebenserscheinungen, wie die Bewegung der Blätter und Zweige am Baume, der vom Sturme gerüttelt wird, oder wie die Bewegung des Blütenstaubes, den der Wind hinüberweht von der männlichen Pappel zur weib- lichen ; denn der Blütenstaub verhält sich bei der Bewegung rein passiv, während in der Aktivität das Rätsel des Lebens steckt".-) Also nur das Resultat, die Aufeinanderfolge und die gegenseitigen Beziehungen gewisser Lebenser- scheinungen haben sich bisher allenfalls feststellen lassen, dagegen fehlt für das Verständnis irgend eines Lebensprozesses selbst, und sei es auch des allerein- fachsten, jeder Angriffspunkt. Einige Beispielesollen diese Behauptung erläutern: Es ist bekannt, daß die Epithelien der Darmschleimhaut wohl die Eiweißstoffe des Blutserums aufsaugen, falls die letzteren in genuinem Zustande genossen wrerden, dagegen nicht das Kasein der Milch und gewisse andere körperfremde Albumin- stoffe, welche die normale Zusammensetzung der Säftemasse stören würden. Letztere wrerden vielmehr so lange von der Resorption ausgeschlossen, bis sie der spaltenden Einwirkung der Verdauungssäfte unterlegen sind. Es handelt sich hier- bei ganz zweifellos um ein aktives, und zwar für den Organismus zweckmäßiges Eingreifen der Darmepi- thelien, in dem sie die Fähigkeit zeigen, verschiedene Eiweiß- stoffe von einander zu unterscheiden, überhaupt eine Empfindung von Qualitäten zu äußern, durch welche dann allerdings mecha- nische Prozesse, nämlich eigentümliche, mit einer Saugwirkung verbundene Protoplasmaverschiebungen eingeleitet werden. Bei i) Vergl. R. Neumeister, Lehrbuch der physiologischen Chemie, Jena 2) G. v. Bunge, a. a. O. S. 8. — 26 — der Aufnahme aller übrigen Nährstoffe finden ähnliche Ver- hältnisse statt, indem in allen Fällen zunächst eine Auswahl und oft ein vorläufiges Zurückweisen der noch nicht hinreichend verdauten Substanzen erfolgen muß. Weiter ist neuerdings von I. Pawlow festgestellt, daß die iVusscheidung der Ver- dauung-ssäfte genau dem Bedürfnis entspricht und daß ver- schiedenartige Nahrungsstoffe immer verschiedenartige und zwar jedesmal die zu ihrer Verdauung notwendigen Ausscheidungen wenigstens aus den Zellen der Bauchspeicheldrüse veranlassen l). Genau das entsprechende Spiel ist bei der Nahrungsauf- nahme aller Tiere, insbesondere auch der frei lebenden ein- zelligen Organismen — von denen viele bekanntlich auch feste Substanzen auffressen — zu beobachten, und bei der Aufsaugung der Nährsalze seitens der Wurzelhaare der Land- und Wasser- pflanzen kann es sich nicht anders verhalten. Ohne das Zuge- ständnis eines quali- und quantitativen Empfindungsvermögens ist in keinem Falle auszukommen. Das chemische Bedürfnis wird vom Protoplasma empfunden und auch der iVusgleich er- folgt durch die Vermittlung psychischer Funktionen. In gleichem Sinne äußert sich auch Wundt2), indem er sagt: „Den Ursprung der Nahrungsauswahl können wir uns unmöglich anders erklären, als durch die Annahme, daß ver- möge der vererbten Organisation bestimmte Sinneseindrücke mit Lustgefühlen verbundene Empfindungen erregen, an welche dann die zur Aufnahme der Nahrung dienenden Bewegungen gebunden sind." Von der rein passiven Wirkung chemischer Affinitäten, wie uns die Mechanisten glauben machen wollen, von einer bloßen Filtration oder Diffussion kann hierbei erwiesenermaßen i) Daß auch die Schimmelpilze und Bakterien die Produktion ihrer Ver- dauungsenzyme, je nach der ihnen zur Verfügung stehenden Nahrung, regulieren, ist schon länger bekannt. Vergl. W. Pfeffer, Ueber die regulatorische Bildung von Diastase. Ber. d. K. S. Ges. d. Wissensch. z. Leipzig (Math.-phys. Kl.) 1896, S. 513. 2) W. Wundt, Vorlesungen über Menschen- und Tierseele, Hamburg und Leipzig 1892, S. 377. 27 keine Rede sein, so wenig man diesen Rätseln mit Worten, wie Chemotaxis oder ähnlichen, näher kommt. In den Leberzellen wird das als Reservestoff in ihnen ab- gelagerte Glykogen genau in dem Maße wieder in Trauben- zucker zurückverwandelt und an den Blutstrom abgegeben, als der Traubenzucker des Blutes infolge des Verbrauchs in den Organen unter die Norm zu sinken droht. Und umgekehrt transformieren und polymerisieren die Leberzellen die ihnen vom Darm aus zuströmenden Zuckerarten zu Glyklogen, sobald die Glyklogendepots in den Muskeln und Drüsen, wenigstens fin- den nächsten Bedarf, genügend gefüllt sind und daher die Blut- zuckermenge bis auf eine den Bedürfnissen des Organismus angemessene gestiegen ist. Den Leberzellen muß also bei dieser regulierenden Tätigkeit die Fähigkeit zugesprochen werden, zu- nächst diese verschiedenen Zuckerverhältnisse des Blutes zu empfinden und dann durch ein aktives Eingreifen den chemi- schen Prozess der Glyklogenbildung, bezw. des Glykogenum- satzes in zweckmäßiger Weise anzuregen. Aehnlich den Leber- zellen wirken bekanntlich die Muskelfibrillen und die Zellen der meisten Organe des gesamten Tierreichs. Auch den Pflanzen- zellen kann eine ganz entsprechende Tätigkeit bei der Auf- speicherung des Traubenzuckers als Stärke und andererseits bei der Wiederverzuckerung der letzteren und der Weiterbeförderung des gebildeten Zuckers durch Vermittlung aller dazwischen- liegenden Zellen oft auf weite Strecken nicht abgesprochen werden. Spaltung, Umformung und Transport nicht nur der Kohle- hydrate und Fette, sondern auch der Eiweißstoffe und der übrigen Nährsubstanzen sind in den Zellen aller Organismen auf den gleichen Prinzipien beruhende Vorgänge. Ohne Em- pfindung des Bedürfnisses und ohne Unterscheidung von Quali- und Quantitäten — psychische Leistungen, welche den mecha- nischen Prozessen jedesmal vorausgehen und welche die letzteren einleiten — ist diese zweckmäßige Arbeit der Zellen gar nicht denkbar. — 2« — Schließlich will ich noch ein von Bunge1) angeführtes Beispiel hier wiedergeben: „Zucker und Harnstoff sind beide in Wasser leicht löslich und leicht diffundierbar, sie zirkulieren beide beständig mit dem Blute durch die Kapillaren der Niere. Der Zucker, ein wertvoller Nahrungsstoff, wird zurückgehalten, der Harnstoff, ein Endprodukt, wird ausgeschieden. Der Zweck ist klar, der Grund ist nicht zu erkennen. U ebersteigt die .Menge des Zuckers die Norm, so wird auch er hinausbefördert." In gleich unerklärbarer Weise verläuft die gesamte Harn- sekretion. Die Nieren überwachen also die normale Zusammen- setzung des Blutes und sorgen für einen bestimmten Alkalescenz- grad desselben , indem sie je nach der Zweckmäßigkeit bestimmte .Stoffe ausscheiden oder zurückhalten. Mechanistisch läßt sich diese Tatsache in keiner Weise erklären, sie wird nur begreiflich bei der Annahme eines Empfindungsvermögens der Nierenepithelien. Und zwar muß das Protoplasma der Nieren- epithelien selbst die empfindende Eigenschaft besitzen, da die Xieren erwiesenermaßen ohne ein Eingreifen des Nervensystems ihre auswählende Tätigkeit vollziehen. Diese empfindende Fähig- keit der lebendigen .Substanz wird um so verbreiteter und all- gemeiner im Organismus, je tiefer man in der Tierreihe hinab- steigt, indem ja mit dem Zurücktreten des Nervensystems auch die Indifferenz und die Selbständigkeit der Zellen in jeder Be- ziehung zunehmen, welche Selbständigkeit dann bei den nerven- losen Tierklassen und besonders bei den Pflanzen ihren Höhe- punkt erreicht, so daß wir hier allen protoplasmatischen Zellen nicht nur die Fähigkeit zur Durchführung der verschiedenen Aufgaben des Stoffwechsels, sondern auch die Eigenschaft der Empfindung in gleichem Maße zugestehen müssen. Im Gegen- satz zu den Nierenepithelien stehen allerdings bei den höheren Tieren die Zellen der meisten Organe infolge einer Differen- zierung und Arbeitsteilung unter dem Einfluß des Nerven- systems, wodurch für gewisse Zwecke eine einheitliche Tätigkeit i) G. v. Bunge, a. a. O. S. 323. — 2g — des Protoplasmas der verschiedenen Zellkomplexe gewährleistet und das Prinzip der Aktivität unter Umständen in die be- treffenden Ganglienzellen verlegt, aber natürlich keineswegs be- seitigt wird. Die angeführten Beispiele dürften genügen, um zu zeigen, daß in allen lebenden Zellen bei der Betrachtung der Nahrungsaufnahme, des Nahrungstransports und des Ausscheidungsvorganges, d. h. also des Stoffwechsels überhaupt — und bei der formativen Tätigkeit1) sowie den Bewegungserscheinungen2) wird es nicht anders sein - die Annahme einer im Protoplasma primär auf- tretenden Empfindung nicht zu umgehen ist. Erst hier- durch werden dann mechanische Prozesse eingeleitet 3), bei denen selbstverständlich die Materie, wie überall, den Gesetzen der Materie folgt4). Dieser Uebergang von Empfindung zur mechanischen Leistung ist, wie erstere selbst, gänzlich unerklärbar, wird aber 1 ) Man überlege sich, ob z. B. die tiefgreifende Veränderung der Organisation, welche offenbar Schimmelpilze erfahren müssen, wenn man sie in eine starke Schwefel- säure- oder Kupfervitriollösung bringt, worin sie allmählich gut gedeihen (vgl. mein Lehrbuch der physiol. Chemie, 1897, S. 183), ohne Empfindung und ohne zweck- mäßige Verarbeitung dieser Empfindung zu stände kommen kann. Dasselbe gilt für die Pigmententwicklung der Schollen auf ihrer Unterseite, wenn man letztere durch eine Spiegelvorrichtung im Aquarium künstlich belichtet. Daß diese und unzählige andere Erscheinungen der formativen Tätigkeit des Protoplasmas mit einem Worte wie „Anpassung" nicht erklärt werden, ist einleuchtend. 2) Wie subtil gerade das pflanzliche Protoplasma die Helligkeit zweier Licht- quellen zu unterscheiden vermag, zeigen die Versuche Figdors an Keimlingen, aus welchen hervorgeht, daß eine Differenz von weniger als 0,0003 Normalkerzen em- pfunden werden und zu phototaktischen Krümmungen Veranlassung geben kann. 3) Schon Justus Liebig macht bei der Betrachtung des Stoffwechsels im Tierkörper einen Unterschied zwischen den auslösenden Ursachen und den mechanischen Vorgängen. Nach ihm „ist die Ursache der Metamorphose der Nahrungsmittel die Lebenskraft, dagegen der Akt derselben ein rein chemischer Prozeß". Die organ. •Chemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur u. Physiologie, Braunschweig 1840, S. 49. 4) „Die vorhandenen physikalischen, mechanischen und chemischen Gesetze gelten natürlich auch vollwertig für die Lebensvorgänge; sie beherrschen nur diese nicht vollständig. Für diese sind außer ihnen noch Naturgesetze höherer Ordnung geltend, die sich aus den in die organischen Bestandteile zerlegten Stoffelementen mit ihren Kraftspannungen nicht ableiten lassen." Vgl. Moriz Benedikt, Das biomechanische (neo-vitalistische) Denken i. d. Medizin u. i. d. Biologie, Jena 1903, S. 2. 3Q — sicher auf einem ähnlichen Prinzip beruhen, wie im Gehirn der Tiere die Muskelbewegungen auf Grund psychischer Vorgänge erregt werden. Uebrigens ist es wahrscheinlich, daß neben den erwähnten , eine Empfindung von vielen Qualitäten voraus- setzenden Leistungen des Zellprotoplasmas auch einfachere, ge- wissermaßen reflektorisch von der lebenden Substanz empfundene und ausgelöste Prozesse, wie z. B. die stets dem funktionellen Bedürfnis entsprechenden Atmungsvorgänge, im Getriebe des Stoffwechsels der Tiere und Pflanzen sich abspielen. Wenn wir nach dem bisher Erörterten jedem Protoplasma eine Empfindung von Qualitäten und Quantitäten zuschreiben, so dürften hiermit die psychischen Funktionen desselben, so schwierig" auch eine weitere Analyse derselben erscheint, doch keineswegs erschöpft sein. Denn nachWundt1) „sind die Em- pfindungen lediglich die nicht weiter in einfachere psychische Be- standteile zerlegbaren Elemente der Vorstellungen", mittelst deren überhaupt erst eine Erkenntnis möglich ist. Damit aber ferner etwas geschieht, muß auch noch „Fühlen" und „Wollen" hinzu- kommen , welche innig zusammenhängen und ihrerseits wieder an die Vorstellungen gebunden sind. Weiter glaubt Ewald Hering2) aus seinen sehr beachtungswerten Untersuchungen schließen zu müssen, daß man jeder lebenden Substanz ohne Ausnahme auch „Gedächtnis" oder „Erinnerungsvermögen" zu- erkennen muß, welches natürlich als unbewußtes betrachtet wird. „In der Tat überzeugt uns jedes tiefere Nachdenken, daß ohne die Annahme eines unbewußten Gedächtnisses der lebenden Materie die wichtigsten Lebensfunktionen überhaupt unerklärbar sind. Das Vermögen der Vorstellung und Begriffsbildung, des Denkens und Bewußtseins, der Uebung und Gewöhnung, der Ernährung und Fortpflanzung beruht auf der Funktion des i) W. Wundt, Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele, Hamburg u. Leipzig 1892, S. 16, 224, 238 u. ff. 2) Ewald Hering, Ueber das Gedächtnis als eine allgemeine Funktion der organisierten Materie. Almanach d. K. K. Akad. d. W. Wien 1870, Bd. XX, S. 253. — 3i — unbewußten Gedächtnisses, dessen Tätigkeit unendlich viel be- deutungsvoller ist, als diejenige des bewußten Gedächtnisses1)." Diese psychischen Eigenschaften der lebendigen Substanz sind allerdings, wie wir vorher gesehen haben, transcendent, denn ihr Grund liegt jenseits aller Erfahrungsmöglichkeit. Will jemand diese Tatsache „mystisch" nennen, so bleibt ihm dies unbenommen, falls er damit ausdrücken will, daß sie übersinnlich oder geheimnisvoll sei; nur hat er dann auch die Verpflichtung, in gleicher Weise das Wesen von Stoff und Kraft als „mystisch" zu bezeichnen. Denn es ist nur ein Ausfluß dieses Wesens, in dem materiellen System des Protoplasmas psychische Funktionen auftreten zu lassen. Würden wir das Wesen von Materie und Kraft begreifen , so dürften wir auch verstehen , „wie die ihnen zu Grunde liegende Substanz unter bestimmten Bedingungen empfindet, begehrt und denkt"2). Hieraus folgt, daß ich mich dagegen verwahre, die psychischen Funktionen des Protoplasmas als etwas „Uebernatürliches" hinstellen zu wollen. Vielmehr sind auch diese Vorgänge ganz zweifellos, wie alles Geschehen, kausal bedingt. Nur ist die Gesetzmäßigkeit dieser Kausalität, wie wohl genügend erörtert wurde, unserem Verständnis für immer verschlossen. Es scheint nunmehr am Platze, der für unsere Unter- suchung wichtigen Tatsache zu gedenken, daß Anhänger der verschiedensten Xaturauffassung zwar den Tieren psychische 1) Vgl. E. Haeckel, Ueber die Wellenzeugung der Lebensteüchen, Jena 1875 u- Gesammelte Vorträge, Bonn 1878 — 79, II, S. 51. Daß Gedächtnis- erscheinungen auch unbewußt verlaufen können, machen die Ueberlegungen Herings durchaus annehmbar. Die Annahme unbewußter psychischer Vorgänge trägt nur einen scheinbaren Widerspruch in sich. 2) Vgl. Du Bois-Reymond, Ueber die Grenzen d. Naturerkenntnis, 1872 (1898), S. 51. Einen sehr ähnlichen Gedanken äußerte schon Johann es Müller (Handbuch d. Physiologie, 1840, II, S. 553): Nach ihm „bleibt es ungewiß, ob nicht selbst auch die Anlage zu geistigen Wirkungen, wie die allgemeinen physischen Kräfte, in aller Materie vorhanden ist, und durch die vorhandenen Strukturen zur Aeußerung in bestimmter Weise kommt". Funktionen zuerkennen, sie dagegen den Pflanzen abstreiten. Betrachtet man allerdings die Natur mit dem gemeinen Menschen- verstand und namentlich mit Ausschluß der mikroskopischen Welt, so ergibt sich eine solche Ansicht von selbst, indem wir gewöhnlich von einem Seelenleben bei den Pflanzen mit unseren Sinnen nichts wahrnehmen. Auf diesen Standpunkt stellt sich im allgemeinen der ältere Vitalismus, was vielleicht damit zu- sammenhängt, daß er meist auch seine „Lebenskraft" als nur im Tiere wirksam sich vorstellt (vergl. vorher). So will u. a. K. E. v. Baer1) die Annahme von Empfindungen sowie eines Willens nur beim Tiere gelten lassen. Und Johannes Müller2) hält die Pflanzen zwar für reizbar, aber nicht für empfindlich, wenigstens ist er der Meinung, „daß ohne Aeuße- rungen des Bewußtseins eine Empfindung in den Pflanzen nicht statuiert werden könne". Einen weiteren Grund zu dieser An- schauung bildet aber besonders seine Meinung, daß die Fähig- keit der Empfindung- an die Existenz eines Nervensystems ge- bunden sei 3), indem er die damals herrschende, aber irrtümliche Lehre Christ. Gottfr. Ehrenbergs für zutreffend hielt, wo- nach sämtliche Tiere, besonders auch die Infusorien tatsächlich ein Nervensystem besäßen. Weniger darf man sich wundern, daß H. Lotze4), „der Ueberwinder des Gespenstes der Lebens- kraft", der in den Tieren und zwar auch in den niedrigsten, als Seele ein nach seiner Ansicht „dem Körperlichen völlig fremdes Prinzip" (vergl. S. 12) anspricht, welch letzteres der eigentliche Zweck des tierischen Lebens sei , den Pflanzen kein •Seelenleben zugesteht. Dieselben haben nach Lotze „ihren l) A. a. O. S. 48. 21 A. a. O. I, S. 40 — 41. 3) Dieselbe Meinung vertritt übrigens auch Schopenhauer. Nach ihm sind die Pflanzen nur empfänglich für Reize, während die Empfänglichkeit für Motive, d. h. ein (in unzähligen Abstufungen vorhandenes) Vorstellungsvermögen an das Nervensystem gebunden ist. Vgl. Zur Ethik (Ueber die Freiheit des Willens) 1840, S. 31. In d. Ausg. v. Brasch, 3. Aufl., II, S. 256. 4) H. Lotze, Leben, Lebenskraft, in R. Wagners Handb. d. Physiologie, Braunschweig 1842, S. L. 33 — Zweck ohnehin nicht so in sich selbst, wie die Tiere, sie er- scheinen uns vielmehr wie dienende Glieder, deren Bestimmung eben in der Ausfuhr der durch sie zubereiteten Stoffe in die allgemeine Natur besteht". Auf denselben Standpunkt wie Johannes Müller, aber nicht durch die Befangenheit in den Ehrenbergschen Lehren gedeckt, stellt sich nun auch Du Bois-Reymond1) in seiner Rede über die Grenzen der Naturerkenntnis, wenn er sich darin äußert: „wo es an den materiellen Bedingungen für geistige Tätigkeit in Gestalt eines Nervensystems gebricht, wie in den Pflanzen, kann der Naturforscher ein Seelenleben nicht zugeben". Dieser wenig „monistische" Ausspruch muß um so mehr auf- fallen, als Du Bois-Reymond in derselben Rede, in offen- barem Widerspruch hierzu , als Bewußtsein auf seiner ersten Stufe bezeichnet: „die erste Regung von Behagen oder Schmerz oder die erste Wahrnehmung von Qualitäten, die im Be- ginn des tierischen Lebens auf Erden ein einfachstes Wesen empfand." Als ob bei einem solchen Wesen die Empfindung durch ein Nervensystem zustande käme! Insofern die obige Behauptung Du Bois-Reymonds seine soeben mitgeteilten Ausführungen über die erste Stufe des Bewußtseins direkt wieder aufhebt, bildet sie geradezu einen schwachen Punkt in der be- rühmten und epochemachenden Rede des geistreichen Mannes. Für die Annahme psychischer Funktionen in den Pflanzen ist in neuerer Zeit bekanntlich kein geringerer als Gust. Theod. Fechner schon im Jahre 1848 eingetreten, was um so mehr Anerkennung verdient, als die damals bekannten Tatsachen eine so erweiterte und einheitliche Naturanschauung noch wenig zu stützen vermochten. Es war geradezu ein unentbehrlicher Teil der Fechnerschen Weltauffassung, daß auch den Pflanzen Empfindung und bis zu einem gewissen Grade auch ein indi- viduelles Bewußtsein zukomme, eine Anschauung, die er in i) Du Bois-Reymond, Ueber die Grenzen des Naturerkennens, 1872, S. 50, 34 u. 39. Neumeister, Wesen der Lebenserscüeimmgcn. •■> — 34 — seiner ebenso orginellen als für die Dauer bedeutungsvollen, wenn auch leider viel zu wenig gelesenen und beachteten Unter- suchung „Nanna" *) scharfsinnig durchführte. Die Fortschritte der biologischen Forschung in dem Zeitraum, der seit dem Er- scheinen von „Nanna" verflossen ist, haben den anfangs ab- sprechend beurteilten, aber trotzdem unwiderlegbaren Ansichten Fechners in jeder Beziehung recht gegeben. Je klarer es wird, daß es in der Mannigfaltigkeit der Lebewesen wohl Stufen der Entwickelung, aber keine unvermittelten Sprünge gibt, um so mehr muß man überzeugt sein, daß dieser physischen Kon- tinuität eine psychische entspricht. Es ist hier nicht möglich, aus der an Gedanken und Gründen unerschöpflichen Arbeit Fechners einen Auszug zu geben. Nur in wie geistreicher Weise derselbe die Ansicht zurückweist, daß die Pflanzen seelenlos seien, weil sie keine Nerven hätten, will ich hier andeuten: „Die Flammen unserer Lampen und Lichter brennen mittels Dochten, aus Fäden zusammengedreht. Unsere Seelen flammen auch. Die Sonne, eine Gasflamme brennt ohne Docht. So wird es wohl auch Seelenflammen geben können, die ohne Dochte aus Fäden brennen. Lichter und Lampen mit Dochten haben freilich ihre Bequemlichkeit: sie lassen sich leicht allwärts hintragen, Gasflammen nicht; aber brennen diese des- halb weniger hell, und haben sie nicht auch ihrerseits Vorteile? So sind die Tiere tragbare, die Pflanzen feststehende Seelen- lampen. Warum soll die Welt bloß mit tragbaren Lampen er- leuchtet sein? Jeder große Saal ist sogar mehr mit festen als mit tragbaren Lampen erleuchtet; die Welt ist aber der größte Saal. Und'infiWahrheit können wir die Seelen recht eigentlich mit Flammen vergleichen, weil ohne sie die Welt ganz dunkel wäre. Wie viele^Mittel gibt es überhaupt, objektives Licht an- zubringen und^zuj unterhalten, und nun wollen wir die Natur in der Freiheit, das subjektive Seelenlicht anzubringen und zu unterhalten, |so ganz auf das enge Mittel der Nervendochte be- ll Gust. Theod. Fechner, Nanna oder Ueber das Seelenleben der Pflanzen, Hamburg u. Leipzig 1848. neu herausgeg. u. mit einer Einleit. v. Kurt Lasswitz, 1899. - 35 — schränken?" „Wir sehen, daß Atmen, Säftelauf, Stoffwechsel, Ernährung in den Tieren nur mit Hülfe von Nerven, den so- genannten Gangliennerven von statten gehen; in den Pflanzen gibt es keine solchen Nerven; doch gehen Atmen, Säftelauf, Stoffwechsel, Ernährung so gut als im Tiere von statten; ja es besteht, wie man meint, das ganze Leben der Pflanze eben nur darin. Kann aber die Pflanze ohne Nerven atmen und sich nähren, warum nicht auch empfinden? Man sieht eben hier auf das deutlichste, ja unwiderleglich, daß in den Pflanzen vieles in andere Mittel gelegt ist, was bei den Tieren in Nerven- wirksamkeit gelegt ist." „Alles in der Pflanze spricht jedenfalls für ein geordnetes Spiel von Kräften, mögen diese Kräfte und ihre Träger heißen wie sie wollen; die Pflanze gibt darin dem Tier nichts nach; auch befolgt jede Pflanze eine andere Ordnung als die andere, wie jedes Tier mit anderen Nervensystem, un- geachtet die Pflanze überhaupt keins hat. Also anstatt von Abwesenheit der Nerven auf Mangel an Ordnung der in der Pflanze waltenden Kräfte, wie sie auch heißen mögen, zu schließen, sollte man umgekehrt von dem Dasein der Ordnung auf ord- nende Bedingungen dieser Kräfte schließen1)." Ferner mögen hier noch einige Gedanken von Wim dt2), welche sich in gleicher Richtung bewegen, ihren Platz finden. i) Nach Pfeffer lassen sich die zwischen den einzelnen Pflanzenzellen be- findlichen Plasmaverbindungen mit den Nerven vergleichen. Es wird dadurch eine Kontinuität hergestellt, die unzweifelhaft für das Zusammenwirken im Zellstaate von der höchsten Bedeutung ist. „Wie weit hierbei neben der Uebertragung materieller Teile noch andere Momente mitspielen, ist zur Zeit nicht bestimmt zu sagen.'1 W. Pfeffer, Einleitende Betrachtungen zu einer Physiologie des Stoffwechsels und Kraftwechsels in der Pflanze, Universitäts-Progr., Leipzig 1895, S. 42. Im übrigen ist nach Pfeffer die Frage, inwieweit psychische Regungen zuerkannt werden sollen, für die Pflanzen und für die niederen Tiere in gleichem Sinne zu beantworten. W. Pfeffer, Die Reizbarkeit der Pflanzen, 1893, S. 30. 2) W. Wundt, Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele, Hamburg und Leipzig 1892, S. 483. Auf einem allerdings von dem unsrigen gänzlich ab- weichenden Wege gelangt auch Schuppe zu dem Resultat, „daß es keinen organi- schen lebendigen Leib geben kann , der nicht centraler Bewußtseinsinhalt wäre". „Wir können uns zwar vielleicht bloßen Stoffwechsel ohne ein Ich denken, welches sich des Ganzen, das da bei dem Wechsel seiner kleinsten Teile stets seine Form 3* - 36 „Daß Vorstufen des seelischen Lebens schon bei der Pflanze, namentlich aber bei den Protozoen vorkommen, deren Lebens- zustand zugleich den frühesten Entwicklungsstufen des pflanz- lichen, sowie des tierischen Lebens gleicht, scheint durch die Bewegungserscheinungen dieser Wesen durchaus gefordert zu sein." „Es ist in der Tat nicht zulässig, das geistige Sein plötz- lich bei einem bestimmten Punkte der Entwicklung des Lebens auftreten zu lassen. Mit besserem Grund läßt sich vielmehr die Vermutung rechtfertigen, daß dieser Punkt eben nur derjenige sei, der im allgemeinen für uns die Schwelle des klarer be- wußten seelischen Lebens bezeichne." Auch Haeckel1) äußert sich in diesem Sinne: „Seelen- tätigkeit im weiteren Sinne ist eine allgemeine Eigenschaft aller organischen Zellen. Wenn das aber der Fall ist, dann können wir auch den Pflanzen ein Seelenleben nicht ganz absprechen. Denn auch die niedersten Pflanzen sind einfache Zellen, und bei allen höheren Pflanzen besteht der Leib, wie bei den höheren Tieren, aus zahllosen einzelnen Zellen. Nur ist bei letzteren die Arbeitsteilung der Zellen und die Zentralisation des Staates viel weiter gediehen, wie bei ersteren. Da alle einzelnen Zellen im Pflanzenkörper viel selbständiger bleiben als im Tierkörper, tritt uns die Einheit der Seele im ersteren viel weniger entgegen als im letzteren. Nur einzelne Pflanzen machen davon eine Ausnahme. Uebrigens wird die notwendige Annahme einer Pflanzenseele auch schon dadurch hinreichend gerechtfertigt, daß wir nicht imstande sind, eine scharfe Grenze zwischen Tier- und Pflanzenreich zu ziehen." ,,Zu den wichtigsten Fortschritten bewahrt, bewußt ist, aber schon nicht mehr das leiseste Gefühl von Lust und Unlust, nicht Nahrungs-, nicht Fortpflanzungsbedürfnis, auch nicht die leiseste Bewegung, welche durch solche Bedürfhisse motiviert erscheint, und erst recht nicht die leiseste Sinnesempfindung, welche solche Bewegungen veranlassen oder „auslösen" könnte, z. B. zum Ergreifen wahrgenommener Xahrungsstoffe dient." Vgl. W. Schuppe, Der Zusammenhang von Leib und Seele, das Grundproblem der Psychologie, Wies- baden 1902 (Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens, XIII), S. 38. 1) E. Haeckel, Zellseelen und Seelenzellen, 1878, in den Gesammelten Vor- trägen 1878—79, 1, S. 179. 0/ der neueren Zelltheorie gehört die Erkenntnis, daß die wichtigste Substanz der Zelle, das Protoplasma, überall im wesentlichen dieselben Grundeigenschaften besitzt, gleichviel, ob wir das ein- zellige Infusorium, die isolierte Pflanzenzelle oder irgend eine Zelle des Tierkörpers betrachten. Die bedeutungsvollste jener Grundeigenschaften ist eben die Beseelung, die Fähigkeit des Protoplasmas, Reize verschiedener Art zu empfinden und auf diese Reize durch bestimmte Bewegungen zu reagieren. Daß diese Eigenschaft dem Protoplasma aller Zellen ohne Ausnahme zukommt, davon überzeugen wir uns unmittelbar durch die mikroskopische Beobachtung." Freilich wäre es verfehlt, die „Zellseele" ohne weiteres mit dem einheitlichen Bewußtsein des Gesamthirns der höheren Tiere oder g-ar des Menschen in eine Parallele stellen zu wollen, indem dieses ja das assoziierte Ar- beitsresultat vieler Tausender von „Seelenzellen" vorstellt. Wir können jedenfalls mit g'utem Grund behaupten: „Es gibt so wenig eine Lebenserscheinung irgend welcher Art ohne einen ihr entsprechenden psychischen Pro- zeß, wie umgekehrt kein seelischer Prozeß denkbar ist ohne einen ihm entsprechenden physiologischen Vorgang1). Soweit stimmen unsere Anschauungen mit denen Fechners überein. Weiter aber wird bekanntlich von Fechner die Ansicht vertreten: Psychische und materielle Vorgänge sind nur zwei Seiten eines und desselben unbekannten Wesens, also wohl von- einander abhängig-; aber diese beiden verschiedenen Vorgänge i) Wenn philosophische Spekulationen — unter der Annahme einer meta- physischen „Seelensubstanz", eines absolut unräum liehen und immateriellen Wesens — das Gegenteil behaupten, so muß von einer Kritik derselben hier abgesehen werden. Auffallend ist es aber, daß auch in einem Leitfaden der physiologischen Psychologie ernstlich behauptet wird, es gäbe psychische Erscheinungen, „für welche materielle Grundlagen fehlten". Man denke sich geistige Vorgänge, die nicht an ein materielles Substrat gebunden sind — in der Tat eine eigentümliche physiologische Vorstellung ! - 38 - bilden vermöge der Unvergleichbarkeit ihrer Glieder zwei in sich vollkommen geschlossene und niemals direkt ineinander eingreifende Reihen, zwischen denen lediglich eine Koordination, aber niemals eine Kausalbeziehung besteht im Sinne von Ur- sache und Wirkung. Diese Lehre, die ursprünglich der Spin oza- schen Weltanschauung von den zwei verschiedenen Erscheinungs- formen der einen Substanz entnommen ist, wurde dann später durch Wim dt weiter ausgebildet und psycho-physischer Parallelismus genannt. Das Prinzip dieses psycho-physi sehen Parallelismus ver- dankt seine Entstehung dem oben ausführlich erörterten Um- stände, daß die psychischen Vorgänge für unseren Verstand der Kausalität entbehren und daher für uns unbegreifbar sind. Denn „wie eine Bewegung zu einer Empfindung oder zu einem Gefühl werden soll, das vermag keine Mechanik der Welt be- greiflich zu machen1)." Es widerspricht dies eben nach unseren Erfahrungen dem Gesetz von der Erhaltung der Kraft (vergl. S. 21). Wenn aber hieraus bei dem in Rede stehenden Prinzip weiter geschlossen wird, daß nun auch tatsächlich aus einer Bewegung niemals etwas anderes entstehen könne, als ebenfalls wieder eine Bewegung (bezw. eine andere Kraftform) und andererseits aus einem psychischen Vorgang niemals etwas anderes als wieder ein psychischer Vorgang, also niemals eine Bewegung aus einem psychischen Vorgang und umgekehrt, so kann ich diese Notwendigkeit nicht einsehen. Warum soll nicht jenes Ungleichartige auseinander entstehen können ledig- lich deshalb, weil dieser Uebergang für den menschlichen Verstand der Kausalität entbehrt? „Tatsächliche Ursache" und „Entbehrung der Kausalität für den menschlichen Verstand" sind doch zwei grundverschiedene Dinge. Ganz unglaubhaft ist es auch, daß von den beiden Arten von Vorgängen immer die eine neben der andern hergeht, ohne daß doch die eine I) Vgl. W. Wundt, a. a. O. S. ;. — 39 die andere hervorbrächte. Zu welch widersinnigen Konsequenzen diese Parallellehre führen muß, davon soll hier eine Probe mitgeteilt werden, welche z. B. in dem bekannten Lehrbuch von Ziehen1), ohne daß diesem daraus ein Vorwurf erwächst, zu finden ist. Dieser Autor läßt, wie allgemein üblich, sämt- liche Körperfunktionen, mit Einschluß gewisser Hirnprozesse, nämlich der sogenannten „automatischen" Bewegungen, im Sinne des Mechanismus rein physikalisch-chemisch sich abspielen. Nur für die (Willens)handlungen wird nebenbei der psychische Parallelismus angenommen und führt dann zu folgendem Er- gebnis: „Man glaubt gewöhnlich, alle die komplizierten Hand- lungen eines Menschenlebens würden erklärlicher, indem man eine psychische Aktion assistieren läßt. Das Gegenteil ist richtig: alles Handeln, selbst das zweckmässigste und kompli- zierteste, wird uns als eine materielle Leistung des Gehirns verständlich werden. Das Wunder oder vielmehr das Unerklärte liegt vielmehr darin, daß ein gewisser Teil dieser Hirnprozesse, nämlich nur gewisse Hirnrindenprozesse, die sogenannten Hand- lungen, von psychischen Parallel Vorgängen, also einem ganz anderen Etwas, welches nur der Selbstwahrnehmung zugänglich ist, begleitet sind." „Es ist also jede Handlung rein physikalisch- chemisch verständlich, und nur aus unserer Selbsterfahrung wissen wir, daß die Handlungen von psychischen Parallel- vorgängen begleitet werden." Schließlich bliebe also im weiteren Verfolg des Parallelprinzips nichts übrig, als eine Weltanschauung, wie sie C. Stumpf2) in sarkastischer, aber treffender Weise schildert: „Es verläuft jede der beiden Welten genau so, wie wenn die andre nicht existierte. Speziell die psychische Welt ist vollkommen einflußlos, irrelevant für den Ablauf und die Entwicklung der physischen. Die Organismen leben und handeln, die Menschen gründen Staaten, schreiben 1) Vgl. Th. Ziehen, Leitfaden der physiologischen Psychologiejena 1893, S. 16. 2) C. Stumpf, Leib und Seele. Rede zur Eröffnung des internationalen Kongresses für Psychologie, München 1896, IL Auflage, Leipzig 1903, S. 19. 4o Gedichte, halten sogar Psychologenkongresse, getrieben durch physische Kräfte, genau so als ob gar kein Denken, Fühlen und Wollen existierte." Man sieht, daß Methode dem Parallelprinzip nicht abzu- sprechen ist, wenn schon der gesunde Menschenverstand sich dagegen auflehnt. Sonach dürfte es endlich an der Zeit sein, diese Irrlehre vollkommen aufzugeben, welche durch die Auto- rität von Fechner und Wundt schon viel zu lange die Psycho- logie in nachgerade unerträglichen Fesseln gehalten hat. Als ob nicht auch bedeutende Denker einmal irren könnten! Unter diesen Umständen ist es ein besonderes Verdienst von C. Stumpf, daß er in seiner soeben erwähnten Rede die vollkommene Haltlosigkeit des Parallelprinzips aufs gründlichste dargelegt hat und für eine unserem Verstand und Gefühl viel näher liegende allgemeine Wechselwirkung der geistigen und körperlichen Vorgänge eingetreten ist. Zunächst wendet sich Stumpf mit Glück gegen die Meinung, daß das Parallelprinzip wenigstens den anzustrebenden Monismus gewährleiste und einen Dualismus beseitige, indem er ausführt, daß „die einheitliche Sub- stanz, die sich in den beiden Attributen des Physischen und Psychischen ausdrücken soll, nichts weiter ist als ein Wort, das nur das Bedürfnis ausdrückt, dem Dualismus zu entgehen, ohne aber die Kluft für unser Verständnis wirklich zu überbrücken". Und so kann Stumpf „in der Parallelitätslehre überhaupt statt des gepriesenen Monismus nur einen Dualismus finden, wie er krasser noch niemals aufgetreten ist. Die Ungleichartigkeit der Gebiete ist beibehalten, die Wechselwirkung geleugnet, von der einheitlichen Substanz, die ohnedies nur ein Scheinbehelf war, ist nicht mehr die Rede, und so erscheint auch das Parallel- laufen der zwei Welten unfaßlicher als selbst nach der ver- rufenen Lehre der Geulincx und Malebranche." Dem Einwände, daß nach dem Gesetz von der Erhaltung der Energie Bewegungsvorgänge immer nur in Bewegungen oder allenfalls in andere Kraftformen, zu welch letzteren die — 4' — psychischen Vorgänge nicht gehören, umgewandelt werden können, begegnet Stumpf auf zweifache Art, von denen mir folgende am meisten zusagt: „Die psychischen Zustände könnten in der Weise Wirkungen und Ursachen physischer Vorgänge sein, daß keinerlei auch nur vorübergehende Verminderung und Vermehrung physischer Energie mit dieser Wechselwirkung verknüpft wäre." Eine solche Annahme ist nach meiner An- sicht um so weniger von der Hand zu weisen, als das aktive Protoplasma eben eine ganz besondere und eigentüm- liche Stoffkombination darstellt, derart, dass die darin sich abspielenden Prozesse mit den rein physikalisch- chemischen Vorgängen in der leblosen Natur durchaus nicht in jeder Beziehung identifiziert werden können. Es könnte also eine bestimmte Empfindung als notwendige Folge neben der physischen Wirkung aus einem mechanischen Prozeß hervorgehen. „Aber dieser Teil der Folgen absorbiert keine physische Energie und kann in seinem Verhältnis zu den Bedingungen nicht durch mathematische Begriffe und Gesetze ausgedrückt werden." Desgleichen kommt ein bestimmter mechanischer Prozeß stets nur unter der Mitwirkung eines be- stimmten psychischen Vorganges zustande, „ohne daß doch das Quantum physischer Energie durch diesen beeinflußt wird". Endlich rechnet auch die Parallelitätslehre, abgesehen von der oben von mir dargelegten ursächlichen Abhängigkeit des gesamten Stoffwechsels von Empfindungsvorgängen, nicht mit den trivialen Erfahrung-statsachen , daß durch den Willen Muskelbewegungen, wie andererseits durch ungewollte äußere Reize bewußte Empfindungen verursacht werden. Eine direkte Kausalität im Sinne von Ursache und Wirkung wird nun zwar bei diesen Vorgängen vom gesunden Menschenverstand durch- aus gefordert, vom Parallelprinzip dagegen ebenso geleugnet. Es handelt sich, so wird behauptet, in jedem Falle doch nur um kortikale Parallelvorgänge, weil eben das Parallel gesetz einen direkten Uebergang des Psychischen zum Physischen und 42 umgekehrt verbiete. Also eine Petitio principii, wie sie ausge- sprochener nicht zu denken ist. Unter Ablehnung des Parallelprinzips kommen wir also zum Schluß, daß die physiologischen Vorgänge aus- nahmslos direkt durch psychische Prozesse ursächlich bedingt und eingeleitet werden, während wir anderer- seits schon früher feststellen konnten (vergl. S. 19), daß umgekehrt die psychischen Prozesse als das Erzeugnis materieller Vorgänge zu betrachten sind. Hieraus ergibt sich aber weiter, daß in jedem aktiven Protoplasma ps}^chische und materielle Vorgänge fort- während aufeinander einwirken und daß in dieser an- dauernden Wechselwirkung das Wesen des Lebens- prozesses zu suchen ist1). Die Existenz eines Lebewesens ist also an das gleichzeitige Auftreten des Psychischen und eines diesem entsprechenden Mechanismus gebunden. Denn der Lebensprozeß ist Mechanismus und zugleich Psyche. Ueber den Begriff der lebendigen Substanz oder des Protoplasmas haben die Anschauungen in den letzten drei Dezennien mehrfach gewechselt. Während man sich ur- sprünglich darunter ein „lebendes Eiweißmolekül" oder unbe- stimmter „lebendes Eiweiß" vorstellte, vertritt in neuerer Zeit Oskar Hertwig2) die Meinung, daß der Ausdruck „Proto- plasma" keinen chemischen, sondern einen morpho- logischen Begriff umfasse, eine Ansicht, die merkwürdiger- weise auch andere ihm nachgeschrieben haben. Es ist das Protoplasma nach Hertwig „keine chemische Substanz noch so i) In seiner Weise vertritt diese Anschauung schon Johannes Müller, wenn er sagt: „Die geistigen Wirkungen erfolgen an den organischen Körpern, so- lange die Materie verändert wird, und die geistigen Wirkungen verändern hier wieder die Materie. Der Keim nämlich enthält mit der ihm einwohnenden Lebenskraft zu- gleich die latente Kraft zu den geistigen Wirkungen des späteren tierischen Wesens. Vgl. dessen Handb. d. Physiologie 1840, II, S. 553. 2) O. Hertwig, Die Zelle und die Gewebe, Grundzüge der allgem. Ana- omie und Physiologie, Jena 1893, S. 13, 15- — 43 — zusammengesetzter Art, sondern ein eigentümliches Gemenge zahlreicher chemischer Stoffe, die wir uns als kleinste Teilchen zu einem wunderbar komplizierten Bau miteinander vereinigt vorzustellen haben". „Die wesentlichen Eigenschaften, in denen sich sein Leben äußert, beruhen auf einer bestimmten Organi- sation. Ebenso wie die hauptsächlichen Eigenschaften einer Marmorstatue in der Form bestehen, die Künstlerhand dem Marmor gegeben hat, und wie eine Statue aufgehört hat, eine solche zu sein, wenn sie in kleine Marmorsteinchen zerschlagen ist (C. Nägeli, Theorie der Abstammungslehre, 1884), so ist auch ein Protoplasmakörper nach Zerstörung der Organisation, auf welcher sein Leben beruht, kein Protoplasma mehr." Dieser Auffassung Hertwigs möchte ich mich insoweit anschließen , als ich ebenfalls der Meinung bin , daß man das Protoplama auf Grund der neueren Forschungen als „eine chemische Substanz" keinesfalls ansprechen darf und daß ebenso die Vorstellungen „lebendiger, vollkommen strukturloser Ei- weißklumpen" (vergl. S. 3), des „lebendigen Eiweißes" oder gar ,, eines lebendigen Eiweißmoleküls" gänzlich zu verwerfen sind, auch dann, wenn man diese Bezeichnungen zwar für „nicht be- rechtigt und zweckmäßig" hält, dasselbe Ding aber unter dem Namen „Biogen" oder „Biogenmolekül" gelten läßt 1). Dagegen kann ich durchaus nicht zugeben, daß das Wesentliche im Protoplasma das Morphologische, nämlich eine bestimmte Organisation sei. Nach meiner Ansicht ist nicht sowohl die Form, als vielmehr der Stoff für jedes Zellproto- plasma charakteristisch. Denn wir sehen, daß das Protoplasma ein und derselben Zelle unter Umständen im Verlaufe weniger Minuten sehr verschiedene Formen (Kugel-, Spindel-, Stern- gestalt) annehmen kann, während es inbezug auf die Materie im wesentlichen unverändert bleibt. Da wir ferner wissen, daß das Protoplasma der amöboiden Zellen überhaupt keine be- 1) Vgl. Max Verworn, Allgemeine Physiologie, Jena 1897, S. 487, und „Die Biogenhypothese," Jena 1903, S. 25. 44 ständige Gestalt besitzt, sondern dieselbe fortwährend wechselt und ebenso auch die relativ festeren Gebilde im Innern eines Protoplasmakörpers, wie die Kerne, Nebenkerne , Centrosome und gewisse Granula, nicht nur in ihrer Form und Größe sich verändern, sondern sogar zeitweise fast verschwinden können, und weiter auch die wabenhaltigen Gebilde Bütschlis keines- wegs in jedem Protoplasma zu finden sind, so folgt, daß diese verschiedenen Formen nur als das Resultat des spezifischen Lebensprozesses gelten können und somit als sekundäre Er- scheinungen aufgefaßt werden müssen. Eine Form besitzt in seiner Weise auch der Krystall. Dasjenige, was ihn aber vom lebenden Organismus scharf und wesentlich unterscheidet, das ist seine Substanz, die im Gegensatz zum Organismus eines auf chemischen Umsetzungen beruhenden Stoffwechsels entbehrt. Allerdings wird das Leben mit der Zerstörung der Orga- nisation des Protoplasmas vernichtet, aber nur deshalb, weil hierdurch zugleich gewisse chemische Komplexe, welche ver- dichtet sind und dadurch innerhalb der Protoplasmaflüssigkeit eine physikalische Struktur angenommen haben, aus dem che- mischen Verband des Protoplasmas herausgerissen werden und somit auch nicht mehr aufeinander wirken können1). Ein Vergleich des lebenden Protoplasmas mit einer Marmor- statue ist nicht angängig, so wenig wie man einen lebenden i) Dasselbe gilt auch für die der H er twig sehen Anschauung nahe kommende Meinung, welche als letztes Bedingendes der Lebenserscheinungen eine maschi- nelle Struktur des Protoplasmas vermutet. So sagt J. Reinke (Die Welt als Tat, Berlin 1899), daß im zerriebenen Plasmodium doch die chemischen Bestand- teile des Protoplasmas noch sämtlich vorhanden seien, und doch habe er durch Ver- suche die Ueberzeugung gewonnen, daß ein im lebenden Zustand zerriebenes Plas- modium ebensowenig Protoplasma sei, wie eine zu feinem Pulver zerstoßene Taschenuhr noch eine Taschenuhr sein würde. Gegen diesen Versuch Reinkes hat bereits Bütschli richtig bemerkt, ,,daß schon mechanischer Druck genügt, um chemische Zersetzungsprozesse im lebenden Protoplasma zu veranlassen und daß alle Energie, welche diese Maschinenstruktur in Tätigkeit setzt, ja doch von chemischen Prozessen geliefert würde, so daß schließlich mit der Maschinenstruktur nichts weiter erklärt oder verstanden wird". Vgl. O. Bütschli, Mechanismus und Vitalismus, Leipzig 1901, S. 78. 45 — Organismus mit einer Leiche vergleichen kann. Denn während bei letzterer durch eine Zerstückelung nur die Form zerstört wird, vernichtet man beim Organismus durch eine solche Ope- ration mit der Form zugleich auch den Lebensprozeß. Dagegen gelingt es bekanntlich sehr leicht, den Lebensprozeß zu zer- stören, ohne die Form im wesentlichen zu verändern. Auch diese Tatsache spricht dafür, daß die Form oder die Organisation des Protoplasmas ein Resultat des Chemismus ist, also nur etwas Sekundäres zum Ausdruck bringt. Endlich ist das Protoplasma „ein Gemisch von einer kleinen Menge fester Substanzen mit reichlicher Flüssigkeit". Da in Flüssigkeiten wohl von Strömungen und Strudeln, aber von einer Struktur oder Organisation nicht wohl die Rede sein kann, spricht auch dieser, wenn auch mehr äußerliche Umstand nicht zu Gunsten der Hertwigschen Vorstellung. Wir suchen somit das Wesen des Protoplasmas in eigentümlichen Vorgängen, die sich an seiner Materie abspielen. Das Protoplasma ist für uns ein chemischer Begriff, und zwar so ausgesprochen, daß sich die höchsten chemischen Leistungen, welche überhaupt denkbar sind, in ihm verkörpern. Auch die Auffassung Hertwigs, daß die lebende Sub- stanz ein „Gemisch" oder ein „Gemenge" zahlreicher chemischer Stoffe sei, muß ich von meinem Standpunkt aus ablehnen. Denn als Gemische oder Gemenge bezeichnet doch die chemische Ausdrucksweise verschiedenartige Gase oder pulverförmige Substanzen, welche sich gegeneinander völlig' indifferent ver- halten, eine Eigenschaft, die bei den verschiedenen Bestand- teilen des Protoplasmas gewiß nicht vorliegt. Wenn man von der lebenden Substanz oder dem Proto- plasma spricht, so schließt diese allgemeine Bezeichnung natür- lich nicht aus, daß die lebende Materie in jedem besonderen Fall eine ganz spezifische Zusammensetzung besitzt. Denn so- wohl in den Zellen der unendlich verschiedenen tierischen und - 46 - pflanzlichen Gewebe1), als auch in jeder Art eines einzelligen Wesens und selbst in jedem Individuum muß dem betreffenden Protoplasma eine eigentümliche Konstitution zukommen. Dies ergibt sich ohne weiteres aus der Tatsache, daß nur bei der Existenz verschiedener Protoplasmaarten, welche ja das form- gebende Prinzip der Zellen vorstellen, das Bestehen verschieden- artiger Zellen, verschiedenartiger Gewebe, verschiedenartiger Organismen und selbst verschiedenartiger Individuen verständ- lich wird. „Denn da in jedem Organismus der Lebensprozeß sich in einer ihm eigentümlichen Weise abspielt, das Proto- plasma aber der hauptsächlichste Sitz der einzelnen Lebens- prozesse ist, so müssen Verschiedenheiten derselben auch in Verschiedenheiten der stofflichen Grundlage, also des Proto- plasmas, begründet sein2).' Schon diese fast an die Unendlich- keit reichende Variationsfähigkeit der lebendigen Substanz ist ersichtlich nur bei einer ungeheuren Kompliziertheit ihrer Zu- sammensetzung denkbar3). Letztere übersteigt aber jeden Be- griff, wenn man weiter überlegt, daß diese so abänderungsfähige Substanz in dem winzigen Raum, der meist eine Zelle nicht einmal ausfüllt, als Träger sämtlicher und in jedem Fall so verschiedener Lebensvorgänge auftritt, welche sich in allen ihren 1 1 Die Fähigkeit oder Untauglichkeit eines Protoplasmas zur Eiweißsynthese bedingt bekanntlich dessen pflanzlichen oder tierischen Charakter. Nur die lebendige Substanz der letzteren Art bedarf der Eiweißnahrung. „Und somit scheint das Leben eines aus dem Pflanzenreiche ernährten, mit den Gasen der Atmosphäre verkehrenden einfachsten tierischen Organismus unvergleichlich durchsichtiger als das des Mikro- kosmus, den die grüne, Arbeit leistende Zelle darstellt." Vgl. W. Kühne, Zeitschr. f. Bio!., 1898, S. 85. 2) O. Hertwig, a. a. O. S. 23, 267 u. 272. 3) Auch Franz Hofmeister (Die chemische Organisation der Zelle, Braunschweig 1901, S. 23) ist- der Ansicht, daß man für jede Spezies, vielleicht für jedes Individuum eine anders beschaffene Zusammensetzung des Protoplasmas als einen für seine Lebensäußerungen Richtung gebenden Faktor ansprechen darf. Aber nach ihm ist es nicht nötig, darum zu der Annahme zu greifen, daß jede Tier- und Pfianzenspezies etwa ihre eigenen Einweißkörper u. dergl. besäße. „Es genügt viel- leicht eine ungleiche quantitative oder qualitative Beschaffenheit, wie sie schon aus dem ungleichen osmotischen Druck der Flüssigkeilen der einzelnen Spezies zu er- schließen ist.' — Man sieht auch hier wieder, was die „Ionentheorie" nicht alles erklären und leisten soll ! — 47 — psychischen und materiellen Einzelheiten doch an einem ent- sprechend komplizierten Substrat, also an einer Materie abspielen müssen, in welcher fortwährend molekulare Umlagerungen und intramolekulare Atomverschiebungen der Milliarden betragenden Elementarteilchen stattfinden. Letztere lassen sich nach Hert- wig „einmal den Buchstaben des Alphabets vergleichen, die gering an Zahl, doch durch ihre verschiedene Kombination Wörter und durch Kombination von Wörtern wieder Sätze von verschiedenartigstem Sinn bilden. Oder sie sind den Tönen vergleichbar, durch deren zeitliche Aufeinanderfolge und gleich- zeitige Kombination sich unendliche Harmonien erzeugen lassen". Und nun vollends tritt uns der Protoplasmakörper tat- sächlich als kleinstes Universum entgegen, wenn man sich darüber klar zu werden versucht, daß durch die Vereinigung der Ei- und Samenzelle in dem neuen Protoplasma die Grund- lage gebildet wird für die Entwickelung eines Organismus, „welcher im großen und ganzen die Eigenschaften der zeugenden Eltern und oft auch geringfügige, individuelle Züge derselben reproduziert. In der Gesamtheit der Anlagen ist der entwickelte Organismus gewissermaßen vorgebildet oder potentiell enthalten". Wir haben hier, um noch einen Ausspruch von Bunge1) an- zuführen, ,, einen Wunderbau, einen Mikrokosmus, eine Welt für sich. Wenn man bedenkt, daß in einer Samenzelle, von welcher fünfhundert Millionen kaum den Raum einer Kubiklinie aus- füllen, alle körperlichen und geistigen Eigentümlichkeiten vom Vater auf den Sohn sich vererben, ja mit Auslassung des Sohnes wiederum durch eine kleine Zelle auf den Großsohn. Wenn das wirklich ein rein mechanischer Prozeß ist - wie unendlich wunderbar muß der Aufbau der Atome, wie unendlich das Spiel der Kräfte, wie unendlich kompliziert müssen die mannig- fachen Bewegungen in dieser kleinen Zelle sein, welche allen späteren Bewegungen durch Generationen hindurch ihre Rich- I) G. v. Bunge, Lehrbuch der physiologischen Chemie, Leipzig 1894, S. II-. _ 48 - tung vorschreiben ! Und wie wird vollends dieser kleine Bau zum Träger der Seelenerscheinungen"!? Dieser grenzenlos verwickelte Bau des Protoplasmas erfordert aber seinerseits auch ein hochzusammengesetztes und sehr verschiedenartiges Baumaterial. Denn eine iso- lierte Kohlenstoffverbindung, also ein chemisches Molekül, kann sich wohl unter Umständen durch äußere Einwirkung, z. B. schon durch die Aufnahme von Sauerstoff oder durch zutretende Feuchtigkeit zersetzen und in weniger komplizierte und selbst einfachste Stoffe zerfallen. Dagegen dürfte zum Bestehen eines Stoffwechsels, für die Tatsache, daß diese wunderbare Werkstatt zwar fortwährend, wenn auch sehr langsam, ihre Bestandteile nach außen abgibt, um sich im gleichen Maße auf Grund ihrer Aktivität durch Einfügung frischen Baumaterials immer wieder neu zu ergänzen, sowie ferner für die außerordentlich zahlreichen synthetischen Prozesse, welche für nutritive (z. B. Bildung von Enzymen, Glykogen, Harnsäure, Hämoglobin etc.) und formative (z. B. Bildung" von Albumino'iden, Pigmenten und neuem Proto- plasma) Zwecke erforderlich sind, die Annahme eines einzigen, wenn auch gewaltigen Moleküls nicht ausreichen. Vielmehr ist es viel wahrscheinlicher und näherliegend , als Protoplasma mehrere und zwar chemisch verschiedenartige Mole- küle anzusprechen, welche derart in gegenseitiger Wechsel- wirkung' stehen, daß zwischen ihnen ein Austausch von Atom- gruppen sowie eine Umformung' zu neuen Molekularverbänden eintreten kann. Bedenkt man aber, daß die Anzahl der ver- schiedenartigen und in einen Gruppenaustausch tretenden Mole- küle offenbar um so größer sein muß, je mannigfaltigere Leistungen durch das chemische Getriebe erreicht werden sollen, so dürften unendlich viele, wenigstens Tausende von verschieden- artigen Proteinstoffmolekülen an dem Wunderbau der lebendigen Substanz beteiligt sein , welche sämtlich fortwährend in steter Wechselwirkung stehen und dadurch die fundamentale Eigen- schaft des Protoplasmas, den Stoffwechsel, bedingen. 49 — Wenn man bei der chemischen Analyse der lebendigen Substanz bisher nur eine verhältnismäßig- geringe Anzahl von Proteinstoffen eigener Art isolieren konnte, so will dies wenig be- sagen, da bekanntlich die Eiweißchemie noch sehr im argen liegt und ein Körper, den wir heute als einen bestimmten Eiweißstoff, z. B. als Serumalbumin, ansprechen, wahrscheinlich einen Sammelbegriff von sehr verschiedenartigen Substanzen vorstellen dürfte. Man braucht nur daran zu erinnern, daß selbst ein einfachster Ei weißst off, wie ihn das Serumalbumin vorstellt — auch wenn man nur die bisher daraus gewonnenen Zersetzungsprodukte berücksichtigt alle Bedingungen besitzt, um eine gewaltige Anzahl von Isomeriemöglichkeiten zu ge- statten. Solche werden geliefert nicht nur durch die Gegenwart von höchst wahrscheinlich drei verschiedenen Benzolkernen 1), sondern auch durch die Existenz ausgedehnter und augen- scheinlich mehrfacher und differenter Seitenketten der Fettreihe, in welchen vielfache Gelegenheit zur Bildung von Stellungs- isomerien gegeben ist, abgesehen von der Möglichkeit von Stereiosomerien infolge asym metrischer und vielleicht auch doppelt gebundener Kohlenstoffatome. Nimmt man hierzu das Bestehen einer sehr komplizierten harnstoffbildenden Gruppe sowie eines oder mit Rücksicht auf die beim Serumglobulin gefundenen Verhältnisse • vielleicht auch mehrerer differenter Kohlehydrat- komplexe, in welchen je wieder zahlreiche Stellungs- und Stereoi'somerien möglich sind, und überlegt man weiter, daß die Anzahl der möglichen Isomerien in einem Molekül mit der steigenden Anzahl der Kohlenstoffatome in mehr als geome- trischer Progression wächst, so kann man sich vorstellen, welch ungeheure Anzahl von ,, Serumalbuminen'' existieren dürfte, falls dieser Eiweißstoff wirklich, wie behauptet wird, 447 Kohlen- stoffatome besitzt2), auch wenn davon nur etwa die Hälfte auf 1) Vgl. A. Kos sei, Ueber den gegenwärtigen Stand der Eiweißchemie. Ber. d. Deutsch, ehem. Ges., 1901, Bd. XXXIV, S. 3226. 2) Leider ist es durchaus nicht richtig, dal) ein EiweiHstoff deshalb als rein gelten darf, weil er krystallisiert ist. Denn die „Krystallisationsfähigkeit, welche bei Neumeister, Wesen der Lebenserscheinungen. "* — 5o — die an Isomeriemöglichkeiten besonders reichen Seitenketten entfiele. Schließlich ist noch anzuführen, daß die typischen Eiweißkörper wieder Verbindungen mehrerer Komponenten (Albumosen, Peptone) darstellen, welche selbst noch das kom- plizierte Gefüge der Eiweißstoffe enthalten. Auch durch eine verschiedenartige Zusammenfügung dieser Komponenten zu einem Albumin ist Gelegenheit zu unerschöpflichen Isomerien ge- geben. Nun lassen sich aber in jedem Protoplasma keineswegs nur ein „Albumin" nachweisen, sondern wir finden darin regel- mäßig als sogenannte „primäre Zellbestandteile" eine Reihe auch nach unseren Vorstellungen verschiedener Eiweißkörper, nämlich differente Globuline, ferner verschiedene Proteide, namentlich Nukleoalbumine, Nukleoglykoprotei'de, Lecithalbumine und Nukleine, unter letzteren auch eine eisenhaltige Substanz. „Wie groß hier, bei diesen komplizierten Eiweißkörpern, die Anzahl der Atomgruppen ist, ergibt sich, wenn man die aus einem Nukleinstoff zu erhaltenden, verschiedenartigen Spaltungs- produkte aufzählt. Eine richtige Vorstellung aber von der verwickelten Struktur können wir erst erhalten, wenn wir in Betracht ziehen, daß die meisten der kleineren und größeren Gruppen in dem Molekül mehrfach wiederkehren l)." Wenn nun auch die Eiweißkörper als Protoplasmabestand- teile durchaus in den Vordergrund treten, so ist es doch sicher, daß als notwendige Glieder der lebendigen Substanz auch noch andersartige Moleküle in Betracht kommen. Und zwar sind dies zunächst die den Eiweißkörpern noch nahe stehenden und dementsprechend ebenfalls sehr hochzusammengesetzten und untereinander recht differenten Protamine, ferner verschieden- den meisten organischen Verbindungen ein so wichtiges Hülfsmitiel darstellt, ist bei den Eiweißkörpern, deren Krystalle quellbar sind und eigenartige Verhältnisse dar- bieten, nicht in gleichem Maße zur Reinigung zu verwenden". „Es gibt kaum eine krystallisierte Substanz, die in so ausgedehntem Maße einem Schwämme gleich, fremde Substanzen in gelöstem Zustande in sich aufnimmt, wie das Albumin." Vgl. A. Kossei, a. a. O. S. 3229. 1) Vgl. A. Kossei, a. a. O. S. 3245. artige Protagone und Lecithine, dann namentlich im Zellkern mehrere Nukleinsäuren, aus welchen sich neben der Thymin- säure mannigfaltige, mehr oder weniger fest gebundene Derivate des Pyrimidinkerns sowie mehrere durchaus verschiedenartige Kohlehydrate abspalten lassen. Endlich findet sich in jeder lebenden Substanz Kalium-, Calcium- und Magnesiumphosphat. In welcher Weise diese mannigfaltigen und teilweise so äußerst differenten Verbindungen im Protoplasma sich anein- ander gruppieren, und ob die verschiedenen molekularen Gegen- sätze sich öfter oder niemals wiederholen, ist natürlich völlig unbekannt. Nur das scheint, wie schon angedeutet, wahrschein- lich, daß die unzähligen Bestandteile des Protoplasmas keines- wegs ein einziges gewaltiges Molekül bilden. Vielmehr sind die entsprechenden chemischen Verbindungen zu einem kom- plizierten Bau nur innig aneinander gelagert, infolgedessen sie notwendigerweise ihre chemischen Spannkräfte fortwährend zur Geltung bringen und so in gegenseitiger Wechselwirkung — unter Hineinziehung von Nährstoffen in diesen Zersetzungs- prozess — zerfallen müssen. Aber aus diesen Reaktionen gehen keineswegs lediglich kleinere und stabilere Moleküle hervor, wie dies etwa bei den uns bekannten hydrolytischen Spaltungen durch Enzyme oder andere Agentien der Fall ist, sondern es entstehen daneben, wenn auch quantitativ gegenüber den Spal- tungsprozessen zurücktretend, durch gleichzeitige Synthesen — unter Aufnahme und Umformung von Nährstoffen, sowie Ver- wendung gewisser, bei dem vorausgegangenen Zerfall übrig gebliebener Atomkomplexe - - auch Moleküle genau der gleichen Art, wie sie in die Reaktionen eingetreten waren, so daß immer dieselben chemischen Spannungen erhalten bleiben und dieses Spiel — Störung des Gleichgewichtszustandes (Dissimilation) und folgende Wiederherstellung desselben (Assimilation) auf Kosten der Spannkräfte des Nährsubstrates stets wieder von neuem beginnen muß. In dieser Weise dürfte man sich etwa die sinnenfälligste Lebensäußerung des Protoplasmas, den all- — 52 — gemeinen Stoffwechsel, vorzustellen haben. Daß daneben noch ungezählte andersartige chemische Prozesse ablaufen, ist nach dem oben Bemerkten einleuchtend. Damit das chemische Gefüge dieses Wunderbaues gegen mechanische Einflüsse stabiler wird, dazu dient offenbar sein ganz eigentümlicher Aggregatzustand , der weder als flüssig noch als fest zu bezeichnen ist. Es bildet vielmehr das Proto- plasma ein zähflüssiges-schleimiges Material, in welchem mikro- skopisch die bekannten festeren Strukturen und Massen zu er- kennen sind. Soweit letztere nicht lediglich Nahrungs- oder Aus- scheidungsstoffe bedeuten , sondern vielmehr im Getriebe des Stoffwechsels aktiv beteiligt sind, gehören sie offenbar zur lebenden Substanz, wozu wir unbedingt auch den Zell- kern rechnen. Denn ich finde durchaus keinen Grund, gerade diesen, lediglich wegen seines größeren Umfanges, im Gegensatz zu den anderen unentbehrlichen Gebilden , vom Begriff des Protoplasmas auszuschließen. Physiologisch betrachtet gehört er als organisierender und formbildender Anteil mit genau dem- selben Recht zur lebendigen Substanz wie gewisse Granula, mag man ihn immerhin morphologisch als etwas Besonderes beschreiben. Dieser Standpunkt scheint um so mehr berechtigt, als es doch noch mindestens recht fraglich ist, ob nicht manche Granula in ihrer physiologisch-chemischen Bedeutung dem Zell- kern sehr nahe kommen, ja vielleicht in dieser Beziehung" mit ihm identisch sind 1). Will man die Beziehungen der phvsikalisch verschieden- artigen Massen des Protoplasmas veranschaulichen, so könnte man dasselbe — soweit dies zwischen einem chemischen Gefüge und einem mechanischen Kunstwerk überhaupt möglich ist — mit einem Uhrwerk vergleichen, dessen schnell laufende Räder und Teile den relativ flüssigen Bestandteilen der lebenden Sub- 2) So werden bei der Inanition zuerst alle sogenannten Granula verbraucht, endlich aber auch der Zellkern bis auf den Mikronukleus. Vgl. Wallengren, Zeitschr. f. allgem. Physiologie, 1902, Bd. I, S. 67. — 53 — stanz entsprächen, während sich das langsamer bewegende Triebwerk der Uhr den relativ festeren Protoplasmabestand- teilen, also namentlich dem Kern und gewissen Granula, gegen- überstellen läßt. Denn' daß die flüssigeren Teile der lebenden Substanz viel lebhafter und unmittelbarer am Getriebe des Stoff- wechsels beteiligt sind, als die festeren, scheint nicht nur all- gemein-chemischen Prinzipien zu entsprechen , sondern auch, sowreit dies wenigstens den Zellkern betrifft, auf Grund mikro- skopischer Beobachtungen festzustehen. Namentlich mit Bezug auf verschiedene entwicklungs- geschichtliche Hypothesen ist von jeher angenommen worden, daß innerhalb ein und derselben lebendigen Substanz gewisse selbständige ..physiologische Einheiten" oder besondere „Ernäh- rungsbezirke" beständen, die sich entweder durch ihre chemische Zusammensetzung unterschieden oder auch hierin überein- stimmten 1). Ebenso führt ersichtlich die veraltete Vorstellung des „lebendigen Eiweißmoleküls" 2) notgedrungen zur Annahme, die lebende Substanz ein und derselben Zelle aus unzähligen gleichartigen lebenden Teilchen bestehen zu lassen, so daß man dieselben etwa mit den einzelnen Elementen einer äußerst umfangreichen galvanischen Batterie vergleichen könnte. Ein i) Die häufig zu beobachtende Eigentümlichkeit in der Physiologie, daß um so mehr Namen für eine Sache existieren, je weniger man von ihr weiß, trifft auch für diese „biologischen Einheiten" durchaus zu. Man bezeichnet dieselben als Idio- plasten, Plassongruppen , Plassome, Idioplasmateilchen, Micellgruppen, Pangene, Soma- küle u. s. w. 2) Nach Haeckel gehören die Plasson-Moleküle oder Plastidule zu den Eiweißstoffen, und M-as man Leben nennt, ist durch die Struktur des Plasson-Moleküls bedingt. Vgl. dessen Gesamm. Vorträge 1878 — 79, II, S. 46. AI. Verworn hält die Bezeichnung „lebendiges Eiweiß" allerdings für „nicht berechtigt und zweckmäßig" (vgl. S. 43), „denn wir kennen keinen Eiweißkörper mit nur annähernd ähnlichen Eigenschaften. Die Labilität der hypothetischen Ver- bindung unterscheidet sie von allen bekannten Eiweißverbindungen". Verworn schlägt deshalb vor, „diese hypothetische Verbindung wegen ihrer fundamentalen Be- deutung zur Entstehung des Lebensprozesses als „Biogen" zu bezeichnen, also nicht von „lebendigen Eiweißmolekülen", sondern von „Biogenmolekülen" zu sprechen. Vgl. die „Die Biogenhypothese", Jena 1903, S. 25. — 54 — jedes dieser gleichartigen Moleküle würde dann ebenfalls einen eigenen Ernährungsbezirk oder eine biologische Einheit vor- stellen. Das Bestehen derartiger selbständiger und gleichwertiger Einheiten im Protoplasma wäre nun allerdings mit Recht anzu- nehmen, falls es gelingen würde, das Protoplasma einer Zelle beliebig und selbst in unendlich viele Stücke zu teilen, ohne daß hierdurch dem Leben der betreffenden Teilstücke ein Ziel gesetzt würde. Dies scheint aber nicht der Fall zu sein. Vielmehr ist nach mehrfachen Beobachtungen , wenigstens an Algen und Moosen, sowie an Amöben, Rhizopoden und Infu- sorien, ein unveränderter Fortbestand des Lebens nur dann zu beobachten, wenn in dem betreffenden, übrigens wohl stets einen beträchtlichen Bruchteil des ursprünglichen Protoplasmakörpers ausmachenden Teilstück eine gewisse Menge vom Kern ent- halten war. In diesem Falle kann in der Tat die verloren ge- gangene Partie allmählich durch Neubildung ersetzt werden und die betreffende Zelle sich wieder zu einem normalen Individuum, welches wächst und sich vermehrt, regenerieren. „Kernlose Protoplasmastücke dagegen, selbst wenn sie größer als die kern- haltigen sind, können sich weder ergänzen noch wachsen, wohl aber längere Zeit, oft mehr als 14 Tage, bis zu ihrem Zerfall eine Art von Scheindasein führen" l) , namentlich vermögen die kernlosen Stücke noch zu atmen und, falls es sich um pflanz- liches, chlorophyllhaltiges Protoplasma handelt, wenigstens in manchen Fällen auch noch Kohlensäure zu assimilieren und die gebildete Stärke zu verbrauchen. „Es scheint daher nur die formative Tätigkeit der lebendigen Substanz unter dem unmittel- baren Einfluß des Kerns zu stehen'4, während die Bewegungs- fähigkeit, die Reizbarkeit und die Verdauungsprozesse von diesem Protoplasmateil bis zu einem gewissen Grade unabhängig sind. Im Gegensatz zum übrigen Protoplasma derselben Zelle zeigen isolierte Kerne nach den Beobachtungen Verworns 1) O. Hertwig, a. a. O. S. 265, sowie M. Verworn, a. a. O. S. 56 u. ff. — 55 — „niemals mehr Lebenserscheinungen und gehen stets in sehr kurzer Zeit zu Grunde", womit wahrscheinlich die Beobachtung im Zusammenhang steht, nach welcher die Kernsubstanz eine selbständige Atmung nicht besitzt, indem weder Sauerstoff- verbrauch noch Kohlensäureentwickelung darin stattzufinden scheint. Aus diesen Tatsachen geht wenigstens soviel mit Sicher- heit hervor, daß der erstaunlich zweckmäßige Bau der leben- digen Substanz auch noch über schlummernde Kräfte und Ein- richtungen verfügt, welche ihn unter gewissen Bedingungen als in hohem Grade regenerationsfähig erscheinen lassen. In welcher Weise diese Wiederherstellung des normalen Getriebes erfolgt, entzieht sich allerdings jeder Vorstellung. Jedenfalls dürften die entstandenen Lücken durch die in den festeren Teilen des Proto- plasmas vorhandenen Reservestoffe schnell wieder repariert werden. Da nun in besonders großer Menge der Zellkern der- artige Stoffe in sich zu bergen scheint, würde sich hieraus die Beobachtung erklären, daß bei einer künstlichen Teilung, welche neben den flüssigeren Partien der lebendigen Substanz auch den Kern oder ein größeres Stück desselben betrifft, sich wieder ein vollständig normaler Protoplasmakörper regenerieren kann, während ohne Kernsubstanz die Teilstücke zwar noch eine gewisse Zeit weiter leben, indem sie wahrscheinlich das immerhin auch für dieses Scheinleben nötige Reparaturmatcrial gewissen Granula entnehmen, indessen früher oder später doch zu Grunde gehen, weil das neu aufgenommene Reservematerial für eine vollkom- mene Wiederherstellung, namentlich des Getriebes für die forma- tiven Tätigkeiten, nicht zu genügen vermag. Die bedingte Teilbarkeit der lebendigen Substanz bildet also keinen stichhaltigen Grund für die Annahme selbständiger und gleichwertiger Ernährungsbezirke im Protoplasma. Glaubt man aber trotzdem ohne solche nicht auskommen zu können, so ist dies nur angängig bei dem gleichzeitigen Zugeständnis, daß diese „physiologischen Einheiten" doch wieder miteinander korrespondieren und in steter Verbindung bleiben, da ohne eine solche andauernde Wechselwirkung die in jeder lebendigen Substanz doch tatsächlich vorhandene einheitliche Betätigung fehlen müßte. Um nunmehr den Begriff der lebenden Substanz oder des aktiven Protoplasmas kurz zu definieren, so könnte man sagen: dasselbe sei ein eigentümliches chemisches System von gewissen sehr verschiedenartigen Protei'nstoffen nebst bestimmten anderen Verbindungen, deren Moleküle durch eine eigenartige Wechselwirkung psychische und materielle Vorgänge, von letzteren insbesondere einen Stoffwechsel, in der Weise er- zeugen, daß die Prozesse der einen Art stets von den Prozessen der anderen Art ursächlich bedingt und ein- geleitet werden. Hieraus erg'ibt sich, daß die Psyche und der Mechanismus der lebendigen Substanz voneinander untrennbar sind und so- mit auch in demselben Augenblick entstanden sein müssen *), wobei allerdings das Wie, als außerhalb jeder Erfahrung liegend, sich der Erörterung entzieht. Ferner muß bei dieser Sachlage naturgemäß der Mecha- nismus der Lebensvorgänge ebenso unverständlich und ein ewiges Rätsel bleiben, wie die ihn bedingenden psychischen Prozesse, denn beide Arten von Vorgängen bilden ja ein un- trennbares einziges Ganzes. Selbst die völlige Erforschung der chemischen Natur der Eiweißstoffe nebst deren künstliche Synthese, von der manche so viel erhoffen, könnte zur Erklärung der Lebensvorgänge nicht das allergeringste beitragen. Derselben wäre damit so wenig- genützt, wie etwa der Aufschluß über die chemische Konstitution der Zucker dieses A^erständnis gefördert hat. Auch wenn wir imstande wären, jeden einzelnen der verschiedenen i) Diese Anschauung hat, wie bereits erwähnt, gelegentlich schon De La Mettrie ausgesprochen. Vgl. Anmerk. S. T4. ■57 — Eiweißkörper und der anderen Verbindungen im Getriebe der lebenden Substanz mikroskopisch sicher nachzuweisen und mit unseren Augen in seinen Schicksalen genau zu verfolgen, wäre damit nichts gewonnen, geschweige denn, daß wir hierdurch „die Lösung der letzten Lebensrätsel erwarten dürften". Daß hiernach alle Vermutungen über das nähere Ge- schehen innerhalb der lebendigen Substanz völlig müßig sind, ist selbstverständlich. Und wenn in neuerer Zeit „der Mecha- nismus des Lebens" förmlich und eingehend beschrieben wurde1), so vermag ich derartigen Hypothesen, im Gegensatz zu ihrem Erfinder, durchaus keinen heuristischen Wert beizulegen. Denn sie besitzen durchaus mit keinem Gedanken den Wert jener Arbeitshypothesen, durch welche die Chemie ihre großen Er- folge erzielt hat, wohl aber dürften sie geeignet sein, die Be- wertung der Physiologie als exakte Naturwissenschaft entschieden zu beeinträchtigen. Auf welche Irrwege man bei derartigen Spekulationen, welche ein förmliches System der kühnsten Hypo- thesen aneinander reihen, gelangen kann, zeigt unter anderem die Meinung, es läge nahe, daß sich die Oxydationen im Proto- plasma mit Hilfe von Stickoxyd vollzögen. Dasselbe „spaltet, wie bei der Fabrikation der englischen Schwefelsäure, den mole- kularen Sauerstoff, der aus dem Medium in die lebendige Sub- stanz eingetreten ist, und geht in Stickstoffdioxyd über. Das Stickstoffdioxyd aber gibt, wenn seine Sauerstoffatome bei den intramolekularen Wärmebewegungen der Atome in die Nähe der Aldehydgruppe kommen, die am Ende der zur Oxydation dienenden Kohlenstoffseitenkette hängt, ein Sauerstoffatom an diese ab und liefert Kohlensäure, wodurch durch weitergehenden Zerfall der Kohlenstoftkette gleichzeitig die Möglichkeit der Bildung von Wasser, Milchsäure oder anderen einfachen stick- stofffreien Spaltungsprodukten gegeben ist. Der Stickstoff des wieder zu Stickoxyd reduzierten Stickstoffdioxyds bleibt dabei i) Vgl. M. Verworn, Allgemeine Physiologie, Kap. VI, und „Die Biogen- hypothese,'' Jena 1903. - 58 am Benzolring hängen" u. s. w. Unser Erstaunen über diese eingehende Kenntnis der geheimsten Lebensvorgänge, wenn auch nur durch ein Modell veranschaulicht, wird allerdings etwas gedämpft durch das schließliche Zugeständnis, „man könnte als sauerstoffübertragende Seitenkette auch eine kompliziertere stick- stofthaltige Gruppe oder, wenn man es für zutreffender hält, auch einen eisenhaltigen Atomkomplex dem Benzolkern anfügen, da uns für ein möglichst getreues Bild der wirklichen Konstitution des Biogenmoleküls vorläufig die speziellen Unter- lagen noch nicht in genügendem Maße zur Verfügung stehen". Ich muß gestehen, daß mich beim Lesen dieser Zeilen die mög- liche Existenz eines eisenhaltigen Atomkomplexes einigermaßen beruhigt hat, denn wer jemals beim Arbeiten mit Stickoxyd oder Stickstoffdioxyd deren Wirkung am eigenen Leibe ver- spürte, für den dürfte nichts peinlicher sein, als ein Auftreten dieser gefährlichen Gase innerhalb jeder lebendigen Substanz annehmen zu sollen. Die fundamentale Bedeutung der Atmung, also der Sauer- stoffaufnahme und einer dieser entsprechenden Kohlensäure- abgabe, für den Lebensprozeß im allg'emeinen ist anerkannt. Tatsächlich führt vollständiger und andauernder Sauerstoff- mangel, mit alleiniger Ausnahme der Anaerobionten, schließlich den Tod eines jeden Protoplasmas herbei. Wenn aber in manchen Lehrbüchern behauptet wird, daß bei Sauer- stoffabschluß alle Funktionen der lebenden Substanz, namentlich die Reizbarkeit und Bewegungsfähigkeit, in der Regel sehr rasch erlöschen, so ist dies für die warmblütig'en Tiere mit ihren in dieser Beziehung äußerst empfindlichen Nervenzellen aller- dings richtig, während im übrigen eine große Reihe von Bei- spielen bekannt ist, wo dies keineswegs zutrifft. Denn schon ältere Versuche1), die dann später von Johannes Müller und namentlich von E. Pflüger bestätigt i) Vgl. hierüber Johann es Müller, Handbuch dei Physiologie, 1844, I, S. 226 u. 228. — 59 — wurden, konnten feststellen, daß Frösche in einer völlig sauerstoff- freien Wasserstoff- bezw. Stickstoffatmosphäre bisweilen selbst nach 12 Stunden unter reichlicher Kohlensäureproduktion noch deut- liche Lebenserscheinungen zeigen und selbst nach 22—25 Stunden nur scheintot sind. Noch lebenszäher erweisen sich Schildkröten, da sie, unter Oel getaucht, erst nach 24 — 36 Stunden zugrunde gehen. Und hierbei fragt es sich noch, ob nicht vielmehr die Ansammlung der Kohlensäure, als der Mangel an Sauerstoff die Tiere tötete. Denn Goldfische leben in ausgekochtem Wasser etwa 1 x/2 Stunden, während sie in wenigen Minuten sterben, wenn man Kohlensäure in die Flüssigkeit einleitet. Bekannt ist auch die von Theodor Schwann gefundene und bereits in seiner Dissertation vom Jahre 1834 mitgeteilte Tatsache, daß im Brutschrank befindliche Vogeleier sich auch dann normal entwickeln, wenn man sie während der ersten 24 Stunden zugleich in eine sauerstofffreie Wasserstoffatmosphäre einschließt. Dasselbe gilt von Keimpflanzen, welche hierdurch zunächst wenigstens durchaus nicht geschädigt werden. Erst nach dieser Zeit ist in beiden Fällen ein freier Sauerstoff zutritt erforderlich. Ferner vollführt ein sorgfältig entbluteter Froschmuskel unter dem andauernd evakuierten Recipienten einer Luftpumpe oder in einer Wasserstoff- oder Stickstoffatmosphäre auf Reizung seines Nerven eine große Reihe von Zuckungen, arbeitet und entwickelt Kohlensäure. Aehnlich bleibt ein überlebendes Frosch- herz in einer reinen Stickstoffatmosphäre 24 Stunden unter Kohlensäureabgabe am Leben. Auch können Spulwürmer in ausgekochtem Wasser ohne jeden Sauerstoff zutritt 5 Tage leb- hafte Bewegungen ausführen. Viel länger vermag die lebendige Substanz mancher Pflanzen des Sauerstoffes zu entbehren. So dürften, nach den neueren Untersuchungen von Kühne1), die Zellen derCharaceen 1) W. Kühne, Ueber die Bedeutung des Sauerstoffs für die vitale Be- wegung, II. Zeitschr. f. Biologie, 1898, N. F. Bd. XVIII, S. 85. — 6o „eines der hervorragendsten Beispiele unabhängiger Langlebig- keit in so gut wie vollkommener Absperrung von der Außen- welt darbieten. Man kann ihnen den Sauerstoff vorenthalten und gleichzeitig die Kohlensäure, wochenlang selbst das Licht, einige Tage (in Oel) sogar das Wasser. Bevor die Vor- räte des Zellleibes nicht bis zur Neige verbraucht sind, bleibt der Elementarorganismus nicht nur lebensfähig, sondern lebendig in lebhafter am maier Tätigkeit." Bei diesen Versuchen betrug die Lebensdauer von Nitella (flexilis und opaca), welche in eva- kuierten Glasröhren mit gasfreiem Wasser eingeschmolzen waren, ohne Licht weit mehr als einen Monat, und das nicht einmal unter günstigen Temperaturverhältnissen, so daß es fraglich bleibt, ob die Pflanzen unter anderen Umständen nicht noch länger gelebt hätten. Entschieden empfindlicher gegen den Sauerstoffabschluß als die Characeen ist das Protoplasma vieler einzelligen tierischen Organismen. So stellen nach den Versuchen Kühnes1) Amöben infolge von Verdrängung der sie umgebenden Luft durch Wasser- stoff ihre Bewegungen nach etwa 24 Stunden allmählich ein, Myxomyceten dagegen schon nach 3 Stunden. Etwa ebenso verhalten sich gewisse Flimmerzellen und marine Pvhizopoden. Da nun alle die genannten tierischen Objekte nach den angeg-ebenen Zeitpunkten durch erneuten Zutritt der atmo- sphärischen Luft schnell wieder zum Leben gebracht werden, handelt es sich bei dieser Beweg ung'slosigkeit zunächst nur um eine Lähmungserscheinung. Dagegen sterben sie, falls man den Sauerstoffabschluß über eine gewisse Zeit hinaus bestehen läßt. Ebenso sind die Characeen bei ihrem etwa nach 5 Wochen endlich erfolgten Stillstand zunächst nur gelähmt. Kühne'-'} äußert sich hierüber: „Erst wenn die Zelle gewisse innere Vor- räte durch Arbeit fast verzehrt hat, geht die direkt sichtbare 1) W. Kühne, Untersuchungen über das Protoplasma und die Kontraktililät, Leipzig 1864. 2) W. Kühne, Ueber die Bedeutung des Sauerstoffs etc., S. 85. — 61 — Funktion der Arbeitsleistung verloren. Dann bedarf es nur der lebendigen Kraft des Lichts, um sie wieder zu erwecken, und die Bewegung ist durch den neu entstandenen Sauerstoff (aus der vorher ausgebrauchten Kohlensäure) wieder gesichert. End- lich wenn das sichtbare Licht versagt, flackert der Lebensvor- gang durch Erwärmen wieder auf und erst wenn auch dieses die Rotation nicht mehr hervorruft, ist immer noch der voll- kommene und lebensfähige Organismus; wir geben ihm Kohlen- säure und er bereitet sich daraus von neuem Sauerstoff, der der Sarkode wiederum Bewegung erteilt, aber es bedarf dazu des Lichts; dann hält der Bewegungsappanit wieder lange mit dem neugebildeten Sauerstoff aus, und ist auch dieser endlich ver- nutzt und der Assimilationsapparat erlahmt, so genügt der atmosphärische Sauerstoff, alles wiederherzustellen, wie es vorher war; die Pflanze wird zum zweitenmal wieder unabhängig von der Kohlensäure und ebenso vom Licht." Diese Tatsache des fortdauernden Lebens beim Ausschluß der Luft, wobei nicht nur mechanische Arbeit geleistet, sondern auch Wärme produziert wird, ist wohl mit Rücksicht auf die hierbei regelmäßig nachgewiesene Kohlensäureaushauchung von Pflüger als „intramolekulare Atmung" bezeichnet worden. Nichts liegt näher, als diese ohne zutretenden Sauerstoff erfolgende Energieentwicklung, wie dies zuerst Ludimar Her- mann auf Grund seiner Beobachtungen am überlebenden Frosch- muskel im Jahre 1867 ausgesprochen hat, auf Spaltungen hoch- molekularer Verbindungen zurückzuführen, bei denen es, unter Sättigung stärkerer Affinitäten und daher Freiwerden von Energie, neben der Bildung von nicht flüchtigen Produkten, speziell beim Muskel von Milchsäure, auch zur Entstehung von Kohlensäure kommt, die dann nach außen abgeschieden wird. Es scheint ferner alles darauf hinzudeuten , daß diese Spaltungsprozesse keine anderen sind als diejenigen, welche auch unter normalen Verhältnissen , also bei ungehindertem Sauerstoffzutritt, innerhalb der lebendigen Substanz vor sich — 62 — gehen, und die wir früher als Dissimilation (vgl. S. 51) be- zeichnet haben. Die „intramolekulare Atmung" wäre demnach offenbar nichts anderes , als die normalerweise in jedem Proto- plasma verlaufenden substantiellen Wechselwirkungen, nämlich die auf Kosten von Nährmaterial , aber daneben auch gewisser Mengen von Protoplasma erfolgende Dissimilation und die ihr regelmäßig folgende, aber quantitativ zurücktretende Assimi- lation. Daß bei der „intramolekularen Atmung", wie von mancher Seite behauptet wird, ungewöhnliche Umsetzungen stattfinden, dafür liegt gar kein Anhaltspunkt vor, vielmehr spricht die lange Lebensdauer der Characeen ohne Luft für das Gegenteil. Zwar ist es richtig, daß man in den Blättern und Früchten von Pflanzen während der Sauerstoffentziehung Produkte auf- treten sieht, wie namentlich Aethylalkohol, die sonst nicht nach- weisbar sind. Dies erklärt sich aber ungezwungen aus der Annahme, daß zwar genau dieselben Stoffe auch bei freiem Sauerstoffzutritt gebildet werden, aber in demselben Maße, wie sie entstehen, auch zur Verbrennung gelangen. Denn man braucht die Luft nur ein wenig abzusperren , sogleich ist der Alkohol nachweisbar, um dann bei erneutem Luftzutritt eben so schnell wTieder zu verschwinden. Diesem Auftreten von Aethylalkohol in den pflanzlichen Organen läßt sich mit Recht die Vermehrung der Milchsäure in den menschlichen und tierischen Säften und ihr Erscheinen im Harn bei jeder Herabsetzung der Oxydationsenergie des Organismus vergleichen. Es entstehen also bei der Dissimilation des Protoplasmas außer Kohlensäure, auch sauerstoffarme, also leicht oxydable Substanzen (wie z. B. Alkohol in den Pflanzen und Milchsäure im Muskel), welche sich unter normalen Verhältnissen durch ebenso eigenartige wie gänzlich unbekannte Vorgänge mit dem von außen zutretenden Sauerstoff verbinden und hierdurch zu einer weiteren Kohlensäurebildung, aber erst sekundär, Ver- anlassung- geben. Denn die durch die „intramolekulare Atmung" angesammelten nicht flüchtigen Spaltungsprodukte rufen im Protoplasma das Bedürfnis nach Entfernung hervor, bilden also einen Reiz, auf welchen von seiten der lebendigen Substanz durch die Oxydation reagiert wird. „Die intramolekulare Atmung ist also die Ursache der normalen Atmung." Können aber infolge der Sauerstoffentziehung die Spaltungs- produkte der „intramolekularen Atmung" nicht entfernt werden, so müssen sich dieselben im Protoplasma oder wenigstens in der Zelle anhäufen, schließlich zu Störungen führen und damit Lähmung und den Tod bewirken. Ob eine lebende Substanz ohne Sauerstoffzutritt früher oder später zu Grunde geht, scheint besonders davon abzuhängen, ob sie mehr oder weniger leicht durch die während der „intramolekularen Atmung" gebildeten Spaltungsprodukte geschädigt wird, eine Empfindlichkeit, die bei dem Nervenprotoplasma der Warmblüter offenbar eine sehr große, beim pflanzlichen Protoplasma dagegen nicht sehr er- heblich ist. Indessen ist vielleicht auch die Art der gebildeten Stoffwechselprodukte, sowie die Möglichkeit, sie an protoplasma- freien- Stellen innerhalb des Zellraumes absetzen zu können, bei dieser größeren oder geringeren Toleranz von einem gewissen Einfluß. Da ferner die Lebensäußerungen von den Spann- kräften des zur Verfügung stehenden Nährmaterials aufgebracht werden , muß auch die Menge der aufgespeicherten Nährstoffe in Betracht kommen, welche ja in den pflanzlichen gegenüber den tierischen Zellen im allgemeinen viel beträchtlicher ist. Man hat früher nach dem Vorgange von Pfeffer auch die Gärungsprozesse auf eine „intramolekulare Atmung'1 der be- treffenden Mikroorganismen zurückgeführt. . Indessen muß man diese Anschauung nunmehr fallen lassen. Denn es handelt sich bei den Gärungen, wie nunmehr durch E. Buchner festgestellt ist, gar nicht um direkt vom Protoplasma eingeleitete Prozesse, sondern vielmehr um eine besondere Art enzymatischer Vor- gänge. Hierfür sprechen schon allein die qualitativen Verhält- - 64 - nisse, wie man sie z. B. bei der Hefegärung des Trauben- zuckers festgestellt hat. „Wäre nämlich diese Erscheinung identisch mit dem Ernährungsvorgang der Hefe, so würde die- selbe nur i °/0 ihrer Nahrungsaufnahme assimilieren , und dazu noch von einem so günstigen Stoffe wie Zucker", während für nicht gärkräftige Mycelpilze Pfeffer gefunden hat, daß die- selben davon bis zu 43 % zur Aufbauung organischer Substanz verwenden. Hierzu kommt noch die Tatsache des leichten Ver- lustes der Gärkraft durch öfteres Um züchten der Gärungs- erreger in gärungsunfähigen Lösungen, wodurch aber ihr Wachstum in keiner Weise leidet. „Die Gärwirkung hat also mit den Ernährungsvorgängen der Hefe direkt nichts zu tun1)." Vorläufig ist es völlig unverständlich und muß sogar als höchst zweckwidrig erscheinen , daß die Gärungsorganismen die ihnen gebotenen Nährstoffe fast ausschließlich nur zersetzen und zer- stören , so daß sogar ihre eigene Entwicklung sehr bald hier- durch gehemmt wird. Die molekularphysikalische Hypothese Näg-elis über die Gärungen und die Enzymwirkungen überhaupt scheint ja nun- mehr - - wenigstens der äußerlichen Anerkennung- nach — durch die katalvtischen Erklärungsversuche überholt zu sein, zwischen denen man wieder unter einer großen Anzahl sehr verschieden- artiger Hypothesen die Wahl hat-'). Leider sind nur die Gärungs- vorgänge in ihrer physiologischen Bedeutung hierdurch in keiner Weise begreifbarer geworden. Die Wahrnehmung-, daß durch Sauerstoffentziehung die Bewegungserscheinungen bei Amöben und Myxomyceten ver- hältnismäßig schnell zum Stillstand gebracht werden, während dieselben bei dem nachfolgenden Zutritt der Luft sogleich wieder i) Vgl. Eduard Büchner, Fortschritte in der Chemie der Gärung, Antritts- Rede, Tübingen 1897, S. 10. Dieselbe Ansicht hatte bereits früher Justus L i e b i g ausgesprochen. 2) Vgl. G. Bredig und R. Müller v. Berneck, Ueber anorganische Fermente. Zeitschr. f. physikalische Chemie 1899, Bd. XXXI, S. 349. 65 auftreten, hatte schon bei Kühne1) den Glauben entstehen lassen, daß ohne in jedem Moment verfügbaren Sauerstoff über- haupt keinerlei Lebensvorgänge möglich seien. Er nahm an, daß dieselben ohne dieses Gas auch nicht eine Sekunde be- stehen könnten, wie dies ja von dem Nervenprotoplasma der Warmblüter tatsächlich bekannt ist, insbesondere „würde die normale Protoplasmabewegung nicht etwa durch den Sauerstoff nur ermöglicht, sondern vielmehr durch ihn eingeleitet oder an- geregt". Das nach der Sauerstoffentziehung noch fortdauernde Leben beruhe demnach auf einem Vorrat an diesem Gase, welcher in der lebenden Substanz noch vorhanden sei. Besonders schien diese Anschauung gestützt zu werden durch den Nachweis, daß die lebendige Substanz der Amöben, nachdem sie durch Sauerstoffentziehung zum Stillstand ge- kommen war, sich durch elektrische Induktionsschläge noch reizbar zeigte, woraus Kühne vermutete, „daß der Sauerstoff als der normale Reiz (d. h. als die Bewegungsursache) ' des Protoplasmas anzusehen sei", denn die Bewegungsf ähigkeit der Amöben war ja durch die Entziehuung des Sauerstoffs nicht erloschen, sondern nur ihre spontane Bewegung selbst. Diese Vermutung Kühnes wurde nun später von Verworn2) keineswegs als Hypothese aufgefaßt, sondern direkt als ein „Beweis" für die Bedeutung des Sauerstoffs in der leben- den Substanz angesprochen, da sie dessen mikroskopische Be- obachtungen zu stützen geeignet war, nach welchen der Sauer- stoff der Luft oder des Wassers die chemische Ursache für gewisse Ausbreitungserscheinungen der lebendigen Substanz zu sein schien. Indessen lehren gerade die Erfahrungen an den Amöben, daß man die Bewegungserscheinungen der lebendigen Substanz für allgemeine Schlüsse über die Stoffwechsel Vorgänge im Protoplasma nur mit äußerster Vorsicht verwenden darf. i) W. Kühne, Untersuchungen über das Protoplasma, Leipzig 1864, S. 53 und 106, sowie Zeitschr. f. Biol., 1897, N. F. Bd. XVII, S. 67. 2) M. Verworn, Die Bewegung der lebendigen Substanz, Jena 1892, S. 39. Neumeister, Wesen der Lebenseischeinungen. 0 — 66 — Denn bei späteren Untersuchungen an anderen Objekten ver- mochte Kühne seine oben mitgeteilten Beobachtungen inbetreff der elektrischen Reizbarkeit nach Sauerstoffabschluß keineswegs zu bestätigen , sondern mußte vielmehr für das Tradescantia- protoplasma das Gegenteil feststellen, so daß er sich äußert: „Damit ist die von manchem angenommene, irrtümlich selbst als erwiesen angesehene und mit Unrecht zur Tatsache erhobene Hypothese allerdings nicht wider- legt, aber aus der jetzigen Erfahrung heraus wäre sie schwerlich aufgestellt worden1)." Und weiter meint Kühne2), daß sich dieses Sauerstoff- bedürfnis . des Protoplasmas während des Luftabschlusses doch wohl mit Vorgängen decke, welche bei der Dissimilation, also während der „intramolekularen Atmung" in Frage kommen. Denn die Atomverschiebungen innerhalb des Zuckermoleküls um auf dieses einfachste Beispiel einzugehen welche mit dessen Spaltung in Alkohol und Kohlensäure enden, müssen ja, soweit sie zur Kohlensäurebildung führen, zweifellos als eine Oxydation von Kohlenstoffatomen aufgefaßt werden , während die daneben verlaufende Alkoholbildung vielmehr einen Reduk- tionsprozeß vorstellt, da ja hierbei Wasserstoffatomen Sauerstoff entzogen wird. Somit wäre jede Differenz zwischen Kühnes und meiner Anschauung beseitigt, um so mehr, als bei dieser Auffassung zugleich auch ohne weiters die übrigen Vermutungen Kühnes als berechtigt anerkannt sind, „daß nämlich die Zelle einen be- deutenden Vorrat an Sauerstoff enthält und daß dieser Sauer- stoff weder absorbiert, noch locker, sondern vielmehr fest chemisch gebunden (fixiert) ist, daß es ferner mehrere solcher sauerstoffenthaltender Verbindungen geben kann und daß sie viel- leicht sämtlich nicht einmal durch unsere energischsten Reduk- 1) Vgl. W. Kühne, Ueber die Bedeutung des Sauerstoffs für die vitale Be- wegung, I. Zeitschr. f. Biol., 1897, N. F. Bd. XVII, S. 67. 2) W. Kühne, ebendas. 1898, N. F. Bd. XVIII. S. 92 — 93. - 67 tionsmittel zu lockern sind". Will man sich also mit Kühne einen Teil der während der „intramolekularen Atmung" erfol- genden Dissimilationsvorgänge als Oxydationen vorstellen, so ist hiergegen nichts einzuwenden. Jedenfalls wird hierdurch die Auffassung in keiner Weise berührt, daß als primäre Quelle der lebendigen Kraft im Protoplasma gewisse Spal- tungsvorgänge zu gelten haben, während dann sekun- där die gebildeten Spaltungsprodukte, soweit sie noch oxydierbar sind, durch den hinzutretenden Sauerstoff der Luft zu Kohlensäure verbrannt werden. Weiter hat Kühne1) Versuche mitgeteilt, welche sehr leicht im Sinne unserer Auffassung zu deuten sind, wenn ich auch weit davon entfernt bin, dieselben als einen Beweis hin- stellen zu wollen. Er fand nämlich, daß Nitellen, welche in Glaskammern bei völliger Dunkelheit zusammen mit Ferrohydrat eingeschlossen waren, einem mächtigen Reduktionsmittel, welches aber zugleich genau ebenso gut Kohlensäure absorbiert, bisweilen erst nach 48 Stunden zum Stillstand kamen. Nach dieser Zeit müßte also der supponierte Sau erst offvorrat verbraucht und die ausgehauchte Kohlensäure an das Ferrohydrat gebunden sein. Wurden aber hier- auf die Pflanzen wieder dem Tageslicht ausgesetzt, so kehrte die Protoplasmabewegung trotzdem regelmäßig zurück, zuweilen noch nach langer Ruhe, „wie wenn sie neuen Sauerstoff bildete, ohne das Material dazu empfangen zu haben". Bei der Annahme, daß die lebendige Substanz bei Sauerstoffabschluß auf Kosten von Spaltungsprozessen lebt, bietet sich ersichtlich einer Erklärung dieser Tatsache keine Schwierigkeit, nur müßte man zugeben, daß die Spaltungsprozesse durch die lebendige Kraft des Lichts begünstigt werden, was ja durchaus allgemein-chemischen Prin- zipien entspricht. Dagegen ist es ebenso einleuchtend, daß sich der Behauptung, die Pflanzen lebten auch unter diesen Um- ständen unter dem Einfluß von Oxydationsvorgängen, unge- 1) W. Kühne, a. a. O. S. 57—60, 91, 95 u. ff. — 68 — heure Schwierigkeiten entgegenstellen. „Denn Kohlensäure als solche in den Zellen durchweg absorbiert anzunehmen, verbietet die nachgewiesene giftartig schädliche, den Tod herbeiführende Wirkung solcher Mengen wie der, die sich nach der Tage und Wochen anhaltenden Arbeitsleistung des Protoplasmas ange- häuft haben müssen." Es bliebe also nichts übrig, als die hypo- thetische Einführung- von eigentümlichen Kohlensäuredepots oder ähnlichen problematischen Vorstellungen. Schließlich haben wir aber einen sicheren Punkt, an welchem wir uns in diesem Chaos von Hypothesen halten können, ich meine die Existenz der Anaerobionten. Es ist auffallend, daß auf diese Tatsache in den Erörterung'en über die vor- liegende Erag'e im allgemeinen wenig Rücksicht genommen wurde. Diese Lebewesen werden als „Ausnahmen" oder — da solche zu einer einheitlichen Naturauffassung schlecht passen — als „scheinbare Ausnahmen" hingestellt. Wenn man nun auch von den fakultativen Anaerobien absehen will, von denen es zwar ebenfalls zweifellos feststeht, daß sie auch bei völligem und an- dauerndem Abschluß der Luft gut gedeihen und sich dabei, wie z. B. die Cholerabakterien , rapid vermehren , so wären hier doch noch allenfalls Einwände möglich, weil diese Organismen, an die Luft gebracht, begierig Sauerstoff aufnehmen und dann sicher auch Oxydationen ausführen. Aber sie brauchen die letzteren offenbar nicht und können ebenso gut auf Kosten von Spaltungsprozessen leben. Anders steht es aber mit den obli- g-aten Anaerobien, welche, wie z. B. der Bacillus des ma- lignen Oedems und derjenige des Rauschbrands, zugrunde gehen, wenn man sie mit Luft in Berührung bringt. Bei ihnen ist es ganz sicher, daß ihre spezifische Lebensenergie nur aus Spaltungsprozessen gewonnen werden kann. Ein- wände sind hier ganz ausgeschlossen. Und wenn Verworn1) die Vermutung äußert, daß diese Organismen bei Abschluß von freiem Sauerstoff vielleicht die Fähigkeit haben, „den Salzen I) M. Veiworn, Allgemeine Physiologie, Jena 1897, S. 292. 69 der Alkalien, welche sich in ihrem Medium befinden, Sauer- stoff zu entnehmen", so hätte er wohl auch bemerken können, welche Verbindungen er eigentlich damit gemeint hat. Es könnte sich doch wohl nur um die Alkalisalze der Salpeter- säure oder Phosphorsäure handeln, welche aber in den Kulturen dieser Mikroben gar nicht enthalten zu sein brauchen, und wenn auch einmal zufällig vorhanden — um auf die Annahme Ver- worns einzugehen doch sehr bald reduziert sein würden. Außerdem wäre es höchst sonderbar, daß eine Lebensbedingung erst auf einem so erheblichen Umwege erlangt werden müßte, während dieselbe auf direktem Wege dem Protoplasma sich darbietend, nicht nur unbenutzt bliebe, sondern sogar den Tod herbeiführt. Die Anaerobionten nehmen also unter den Lebewesen nur insofern eine Ausnahmestellung ein, als bei ihnen den primär in jedem Protoplasma stattfindenden Spaltungsvorgängen se- kundäre Oxydationen entweder nicht zu folgen brauchen (fakul- tative Anaerobien) oder sich überhaupt niemals anschließen (obligate Anaerobien). Dementsprechend werden alle übrigen Organismen durch die Ansammlung der während der „intra- molekularen Atmung" gebildeten Spaltungsprodukte allmählich krank und führen daher nach Abschluß der Luft bis zu ihrem früher oder später erfolgenden Tode nur eine Art Scheindasein. Dagegen haben die Anaerobionten den Einfluß dieser Schäd- lichkeit „durch Gewöhnung" überwunden. Wahrscheinlich ver- mag- selbst die vollkommene Sättigung ihres Mediums mit Kohlensäure ihre Lebenstätigkeit nicht zu hemmen. Doch ist mir nicht bekannt, ob hierüber Untersuchungen vorliegen. Wichtig wäre auch der Nachweis, ob die Anaerobionten über- haupt Kohlensäure produzieren, welche dann als Kohlensäure der „intramolekularen Atmung" aus gewissen Spaltungsprozessen abzuleiten wäre. Doch ist es auch möglich, daß bei diesen Mikroben selbst die vorher erwähnte (vgl. S. 66), durch Atom Verschiebungen innerhalb der Moleküle sich abspielende — 7Q — Oxydation der „intramolekularen Atmung" nicht stattfindet und daher anstatt der Kohlensäure ein anderes, nicht flüchtiges Spaltungsprodukt gebildet wird. Denn wie ich früher gelegent- lich bemerkt habe1), ist es für das Wesen der „intramolekularen Atmung" gleichgültig, ob die Kohlensäureentwicklung völlig verschwindet und dafür andere, weniger hoch oxydierte Spaltungs- produkte, wie z. B. etwa Milchsäure, entstehen und zur Aus- scheidung gelangen. Einen von dem unseren abweichenden Standpunkt nimmt Verworn2) dieser Frage gegenüber ein. Nach seiner Meinung sind vielmehr, wie schon angedeutet (vgl. S. 65), Oxydations- prozesse im Protoplasma unter allen Umständen primär auf- tretende Vorgänge. Und wenn in einer sauerstofffreien Atmo- sphäre die lebende Substanz vielfach noch längere Zeit ungestört weiter lebt, ehe sie zu Grunde geht, so glaubt er, „daß jede Zelle ihre Reservedepots an Sauerstoff besitzt, die sie in ge- wissen Grenzen von den Schwankungen der äußeren Sauerstoff- zufuhr unabhängig machen". Von diesen Depots würden dann „die Biogenmoleküle" andauernd mit Sauerstoff versorgt. Hier- nach scheint sich Verworn den deponierten Sauerstoff, wiewohl er sich hierüber nicht bestimmt ausspricht, als eine Art polv- merisiertes und dadurch in den festen Aggregatzustand über- geführtes Ozon vorzustellen, welches möglicherweise „in ge- wissen eisenhaltigen Nukleinen zu suchen ist". „Wo die Re- servedepots von Sauerstoff in der Zelle liegen,- hat sich aller- dings bisher noch nicht ermitteln lassen." „Doch verdient wohl aus mancherlei Gründen die Annahme einer mehr diffusen Ver- breitung der Sauerstoffdepots im Protoplasma, vor der einer speziellen Lokalisation an einer bestimmten Stelle des Zell- körpers den Vorzug". Nun hat zwar Ludimar Hermann bereits vor vielen Jahren gezeigt, daß man durch Auskochen unter der Luftpumpe 1) Vgl. R. Neumeister. Lehrb. d. physiolog. Chemie, Jena 1897, S. 120. 2) M. Verworn, Die Biogenhypothese, Jena 1903, S. 26 ff., sowie S. 60 ff. — 7i — völlig entbluteter Froschmuskeln niemals auch nur die ge- ringsten Mengen von Sauerstoff gewinnen kann, wobei doch die von Verworn supponierten, naturgemäß ungemein labilen Sauerstoffdepots explosionsartig zerfallen und ihren Sauerstoff an das Vakuum hätten abgeben müssen. Indessen hält Ver- worn1) „diesen Schluß für unberechtigt, weil wir aus der Tat- sache, daß sich aus dem Muskel kein freier Sauerstoff aus- pumoen läßt, noch nicht folgern dürfen, daß überhaupt kein für Oxyiationsprozesse verfügbarer Sauerstoff mehr im Muskel vor- handen ist." Weiter aber müßten doch derartige Sauerstoffdepots wenigstens ihren Sauerstoff ungemein leicht an dazu geeignete Subs:anzen abgeben. Hiergegen hat nun Kühne2) gefunden, daß selbst die energischsten und verschiedenartigsten Reduktions- mittel, wie z. B. das indigweißsulfosaure Natrium und Hydro- sulfid, auch wenn sie ganz sicher in die Zelle eindringen, „kaum danach aussehen, als ob Desoxydation des Zellinhalts damit er- reicht werde". „Somit gibt es in der Zelle vielleicht gar nichts zu reduzieren, keine desoxydable Substanz, sondern vermutlich eine solche, die vom Protoplasma nur (für Spaltungsprozesse) aufgearbeitet, verbraucht werden könnte." Dagegen glaubt Verworn seine Anschauungen neuerdings besonders durch Reizversuche an entbluteten und mitStrychnin vergifteten Fröschen stützen zu können, durch deren Ge- fäße andauernd eine verd. Kochsalzlösung getrieben wird, die entweder sauerstofffrei oder aber mit diesem Gas vollkommen gesättigt ist. Ein Eingehen auf diese Experimente sowie auf die weit- gehendsten Schlußfolgerungen, welche Verworn aus ihnen zieht, muß ich mir versagen, um so mehr, als „diese Beweis- i) M. Verworn, Allgemeine Physiologie, Jena 1897, S. 291. 2) W. Kühne, Ueber die Bedeutung des Sauerstoffs für die vitale Be- wegung II. Zeitschr. f. Biol., 1898, N. F. Bd. XVIII, S. 92. 72 führung nur Gültigkeit hat auf dem Boden der Biogenhypo- these". Mein verstorbener Lehrer Adolf Fick pflegte öfter zu äußern: eine Ueberlegung auf Grund guter Beobachtungen am unversehrten Organismus sei unvergleichlich beweisender als hundert Schlußfolgerungen aus vivisektorischen Experimenten oder aus Versuchen an überlebenden Organen, namentlich wenn es sich dabei um die Untersuchung von Stoff Wechsel Vorgängen handelt, in deren normales Getriebe, an und für sich schon un- entwirrbar, infolge unserer Eingriffe sich unzählige Fehlerquellen einschleichen, deren Ausmittelung ganz unmöglich ist. Von diesem Standpunkt, welcher sich auf zahlreiche Er- fahrungen stützt, können die Experimente Verworns, besonders gegenüber den einfachen und übersichtlichen Beobachtungen Kühnes an unverletzten Nitellen, sowie gegenüber den Ueber- legungen in betreff der Anaerobionten und vielen anderen Tatsachen gar nicht in Betracht kommen, ja man muß es aussprechen, daß sie die vorliegende Frage nicht im geringsten zu klären vermögen. Nachdem in neuerer Zeit von Wilhelm Ostwald1) ver- kündet wurde, daß die physikalische Chemie dazu berufen sei, durch die hierdurch ermöglichte „Kenntnis der Werdevorgänge" das Verständnis der Lebensprozesse in hervorragender Weise zu fördern und „daß der Physiologe, der die gegenwärtig vor- handene Erkenntnis der allgemeinen Chemie auf sein Gebiet anwendet, die Physiologie einen Schritt tun lassen wird, die an Bedeutung dem durch Liebig g'etanen nicht nachstehen wird", fand dieser Aufruf namentlich unter den jüng-eren Physiologen einen schnellen und begeisterten Widerhall, um so mehr, als die alten Wege der physiologischen Forschung allmählich aus- getreten sind und nur noch spärlich zu epochemachenden Resultaten führen. i) W. Ostwald, Zeitschr. f. physikal. Chemie, 1897, Bd. XXIII, S. 708. / o — Seitdem sind die physiologischen und klinischen Zeit- schriften mit Arbeiten physikalisch-chemischen Inhalts reichlich versorgt, die allerdings vor der Hand einen mehr fleißigen als bedeutungsvollen Eindruck hinterlassen. Im übrigen war die Anwendung der physikalischen Chemie auf die biologischen Probleme durchaus nichts Neues, da H. J. Hamburger die von Ostwald empfohlenen Methoden seit etwa zwei Dezennien in zahlreichen Untersuchungen eifrig geübt hat, ohne allerdings bis dahin die verdiente Beachtung zu finden. Indessen scheint ein „neuer Liebig" nicht so schnell zu erstehen und auch mit Hülfe der „Ionentheorie" wird man dem Verständnis der Lebensprozesse nicht auf die Spur kommen. Dagegen ist es sicher, daß diese Theorie, für einfache Vor- gänge durchaus leistungsfähig, auf die komplizierten Verhält- nisse der Organismen praktisch angewandt, schon zu sehr erheblichen Widersprüchen sowie argen Trugschlüssen führte1) und in der ersten Hitze der Begeisterung in ihrer Leistungs- fähigkeit für die Biologie und Medizin wohl stark überschätzt worden ist2). Doch liegt es mir fern, die Einführung der physikalisch- chemischen Methoden in die Physiologie in ihrer Bedeutung herabsetzen zu wollen. Innerhalb gewisser Grenzen wird unsere Erkenntnis hierdurch sicherlich, vielleicht sogar hervor- ragend, gefördert werden. Und so ist es ein unbestreitbares Verdienst von Ostwald, nach dieser Richtung hin anregend gewirkt zu haben, wenn er auch der Physiologie fern stehend, i) So soll nach H. Koeppe (Physikalische Chemie, Wien 1900, S. 115) die Salzsäure des Magens nicht aus dem Kochsalz des Blutes stammen, sondern es soll — der Ionentheorie zufolge — zu ihrer Bildung der Mageninhalt teilnehmen. Nun haben aber Heidenhain und später auch Pawlow bewiesen, dal? die nach außen zu einem Blindsack geformte Fundusschleimhaut des Magens unter allen Umständen auf gewisse Reize Salzsäure secerniert. 2) Vgl. z. B. das kritische Referat v. I. Munk i. d. Deutsch, med. Wochenschr. 1902, No. 43, L. B., S. 269. — 74 — die eigenartigen Verhältnisse derselben nicht genügend zu würdigen in der Lage sein dürfte. Diese Verkennung der Schranken des physikochemischen Gebiets von sehen Ostwalds tritt indessen viel deutlicher hervor in seinem im Jahre igoi zu Hamburg gehaltenen Vortrage1), worin er behauptet: „Wir werden in den Enzymen Katalysatoren sehen, welche im Organismus während des Lebens der Zellen entstehen und durch deren Wirkung das Lebewesen den größten Teil seiner Aufgaben erledigt. Nicht nur Verdauung und Assi- milation wird von Anfang bis zu Ende durch Enzyme geregelt, auch die fundamentale Lebensbetätigung der meisten Organismen, die Beschaffung der erforderlichen chemischen Energie durch Verbrennung auf Kosten des Luftsau erstoffs, erfolgt unter ent- scheidender Mitwirkung von Enzymen und wäre ohne diese unmöglich. Denn der freie Sauerstoff ist, wie bekannt, ein sehr träger Stoff bei den Temperaturen der Organismen, und ohne Beschleunigung- seiner Reaktionsgeschwindigkeit wäre die Er- haltung des Lebens unmöglich." So viele Gedanken diese Sätze enthalten , fast so viele Irrtümer, und zwar fundamentalster Art, dokumentieren sich in denselben. Daß wir „in den Enzymen Katalysatoren sehen, welche während des Lebens entstehen, soll vorläufig zugestanden werden — wiewohl es sich hierbei um nichts weniger als eine klare und ausgemachte Sache handelt - und ebenso die Aeuße- rung, welche die bekannte Reaktionslosigkeit der toten Materie gegenüber dem Sauerstoff bei den Temperaturen der Organismen bestätigt. Alles übrige dagegen muß ich entschieden bestreiten. Die vollkommene Unnahbarkeit der Ostwaldschen Aus- führungen würde noch krasser hervortreten, wenn er seine Ge- danken etwas weiter ausgesponnen hätte. Denn zur Ausschei- dung der entsprechenden Verdauungssäfte sowie zur Assimilation der Verdauungsprodukte gehören doch, wie wir früher gesehen i) W. Ostwald, Ueber Katalyse, Vortrag auf der 73. Versamml. deutsch. Naturf. u. Aerzte zu Hamburg 1901, Leipzig 1902, S. 27. — 75 — haben , auch die diesen Mechanismen vorausgehenden Empfin- dungen, welche also nach Ostwald ebenfalls als enzymatische Vorgänge anzusprechen wären. Im übrigen decken sich Ostwalds Vorstellungen durchaus mit den Grundsätzen des konsequenten Mechanismus, welcher ja in den Lebensvorgängen jeder Art nichts als ein physiko- chemisches Problem zu finden vermag. Nur pflegt aus leicht begreiflichen Gründen beim Chemiker die mechanistische Lebens- anschauung meist weniger vorsichtig und schroffer hervorzu- treten, als dies bei den physiologisch Gebildeten in der Regel der Fall ist. Dies liegt daran, daß letztere gewissermaßen stets ein schlechtes Gewissen haben, indem sie infolge ihrer unwill- kürlichen Erfahrungen doch nie so ganz sicher sind, ob der von ihnen eingenommene Standpunkt am Ende nicht doch ein ver- kehrter sei. Besonders wird die Physiologie, bemerkt J. Breuer1), „bei ihrer Arbeit nie den Gedanken der Zweckmäßigkeit los, den sie (soweit sie zum konsequenten Mechanismus schwört) öffentlich verleugnet; denn sie ist im Innersten teleologisch und kann vom Nutzen der Leistung, dem Zweck der Organe, so wenig absehen als der Technologe vom Zweck der Maschine". Daß jedes Organ zweckmäßig und nützlich sei, ist heuristisch die Grundvoraussetzung' der physiologischen Forschung. So entwickelt sich zwischen der Forschung und Teleologie etwa das Verhältnis des Heineschen Verses: „Sie trinken heimlich den Wein und predigen öffentlich Wasser"". Und so trägt selbst Verworn, wiewohl die Hypothesen Ostwalds seinem extrem-mechanistischen Standpunkt denkbar entgegenkommen, doch entschieden Bedenken, sie ohne weiteres zu billigen. Seine Einwendungen hiergegen sind vielmehr so zutreffend und klar, daß ich dieselben nicht besser ausdrücken könnte und daher teilweise wenigstens hier wiedergeben will. i) Josef Breuer, Die Krisis des Darwinismus und die Teleologie, Wissen- schaftl. Beilage zum 15. Jahresber. d. Philosoph. Gesellsch. an der Universität zu Wien, Leipzig 1902, S. 57. J\ ^l 76 Der Auffassung, sagt Verworn1), „daß der ganze Stoffwechsel eine Kette von ineinander greifenden Enzym Wirkungen sei, daß also die Enzymwirkung das Grundprinzip des Stoffwechsels überhaupt verkörpere, steht nach unseren heutigen Kenntnissen schon bei oberflächlicher Betrachtung eine, wie es scheint, un- überwindliche Schwierigkeit im Wege, das ist die Erklärung' der aufbauenden Prozesse, der Assimilation der leben- digen Substanz. Bis jetzt sind mit Sicherheit keine Enzyme bekannt geworden unter der fast erdrückenden Zahl, welche die ältere und neuere Physiologie in der gesamten Organismenwelt gefunden hat, die eine synthesierende Wirkung ausübten, d. h. die aus einfacheren kompliziertere chemische Verbindungen auf- zubauen vermöchten". „Wir kennen bisher mit Sicherheit nur spaltende Enzyme. So liefert uns also die Auffassung des Stoffwechsels als eine Kette von EnzymwTirkungen für die ge- samten Assimilationsprozesse kein Verständnis. Und doch bilden gewisse Assimilationsvorgänge wenigstens in der Pflanze wohl sicher eine längere Reihe als die Vorgänge der Dissimilation. Man denke nur an den ungeheuren Weg von den einfachen Nahrungsstoffen der Pflanze, von der Kohlensäure, dem Wasser und den stickstoffhaltigen Salzen bis zu den Eiweißverbindungen! Alle diese Prozesse und darunter auch die Erscheinungen des Wachstums blieben auf Grund der Enzymhypothese nach allen bisherigen Erfahrungen unerklärlich." Und wenn man nun auch Enzyme annehmen wollte von einer Art und Wirkung, wie wir sie bis heute noch nicht kennen, welche innerhalb der lebendigen Substanz komplizierte Synthesen auszuführen imstande wären und durch Vermehrung wachsen — was übrigens Verworn in Uebereinstimmung mit Ostwald im Prinzip nicht für unmöglich hält so enthalten doch diese Voraussetzungen nichts anderes als die Annahme, „daß bereits das Molekül der Enzyme Substrat eines Stoffwechsels ist". i) M. Verworn, Die Biogenhypothese, Jena 1903, S. 7 — 15. — 77 Um so mehr muß es auffallen, daß ein ebenso ausgezeich- neter Physiologe wie Verworn, nämlich Franz Hofmeister, auf die Ideen Ostwalds nicht nur eingegangen ist, sondern dieselben sogar bis zum äußersten erweitert hat. Hofmeister1) huldigt nämlich ebenfalls der Meinung, „daß die Träger der chemischen Umsetzung in der Zelle Kataly- satoren von kolloidaler Beschaffenheit sind", was ihm besonders dadurch wahrscheinlich wird, daß auch die bekannten Enzyme nichts anderes als derartige kolloidale Katalysatoren vorstellten. Der Lebensprozeß ist demnach für Hofmeister identisch mit einer Kette von Enzym Wirkungen. Die Enzyme sind nach ihm „chemische, im Leben tätige Agentien", mit denen es nach der Zertrümmerung der sie einschließenden Zellen gelingt, „noch einzelne Lebensvorgänge nachzuahmen" und vielfach „ihre Be- deutung für die vitalen Vorgänge klarzustellen". „Ja, man könne fast darauf rechnen, früher oder später für jede vitale chemische Reaktion ein zugehörig-es, spezifisch auf diese abgestimmtes Ferment ausfindig zu machen." Dementsprechend nimmt Hof- meister auch für die kompliziertesten Synthesen, ja selbst für die Oxydationsprozesse, für das Festhalten und Unschädlich- machen von Giften, für die Erhaltung des Zellgewebes be- sondere Enzyme an. Ja selbst die Vorgänge der Vererbung werden von ihm in phantastischer Weise als Enzym Wirkungen gedeutet. Daß die Empfindungen — sowie die psychischen Prozesse überhaupt — lediglich Enzymwirkungen seien, wird zwar nicht ausdrücklich be- merkt, „doch kann man kein einleuchtendes Hindernis finden, warum sich nicht auch für die übrigen noch unaufgeklärten (chemischen) Vorgänge eigene Fermente finden sollten". Hier- bei habe ich mir allerdings erlaubt, das Wort „chemischen" ein- zuklammern, was wohl dem konsequent-mechanistischen Stand- punkt Hofmeisters entsprechen dürfte. Dieser ist wohl ij Franz Hofmeister, Eie chemische Organisation der Zelle. Ein Vortrag, Braunschweig 1 90 1 . - 78 - auch, falls ich mich nicht täusche, der Beweggrund für die Ge- folgschaft Hofmeisters inbetreff der Ostwaldschen Enzym- hypothese. Denn Enzyme sind doch wenigstens nur chemische Substanzen, mit deren Hilfe man vielleicht bald einmal die Lebensvorgänge zu erklären vermag, während die lebendige Substanz als solche, diese ,,chemische, automatisch tätige Maschine von äußerst vollkommener Ausführung" sich der Rechnung ohne bedeutenden Rest vorläufig noch zu entziehen scheint. Die hauptsächlichsten Punkte, durch welche die Ansichten Ostwalds und Hofmeisters widerlegt werden, sind bereits von Verworn aufgeführt worden, so daß mir nur noch wenig zu bemerken übrig bleibt. Die Beurteilung der Ostwald-Hofmeisterschen Enzym- hypothese müßte sich tatsächlich ungemein schwieriger gestalten, falls auch nur ein einziger synthetischer Prozeß, und sei es der einfachsten Art, zweifellos bekannt wäre, welcher unter Beteili- gung eines Enzyms zustande käme, ganz besonders, wenn sich dazu noch erweisen sollte, daß ein derartiger Vorgang sich innerhalb der lebendigen Substanz vollzög-e. Indessen selbst die allereinfachsten Synthesen , welche sich überhaupt im Proto- plasma abspielen, wie die Bildung der Hippursäure aus Benzoe- säure und Glykokoll in der Niere oder die Entstehung des Harnstoffs aus Ammoniumkarbonat in der Leber, sind unbe- dingt an das unversehrte Protoplasma gebunden. Denn obgleich diese Prozesse auch noch in den überlebenden Organen zu stände kommen, so büßen letztere doch sogleich und sicher ihre synthetische Funktion ein, wenn man sie zu einem Brei zer- reibt. Hieraus geht hervor, daß nur die lebende Substanz diese Synthesen bewirkt, nicht etwa chemische Bestandteile derselben. Unter diesen Umständen liegt durchaus kein Grund vor, die synthetische Fähigkeit des Protoplasmas diesem zu nehmen, um dieselbe auf hypothetische Enzyme zu übertragen. — 79 — Aber hiermit nicht genug, widerlegt sich die An- schauung, welche die aufbauenden Prozesse jeder Art in der lebenden Substanz als eine Leistung synthetisch wirkender En- zyme erklärt, von selbst, da sie direkt widersinnig ist. Denn folgerichtig müßten doch auch für die Syn- these der synthetisch wirkenden Enzyme wieder syn- thesierende Enzyme angenommen werden. Wo diese aber herkommen sollen, wenn das Protoplasma sie nicht ohne Enzyme, d. h. selbständig zu bilden vermag, bleibt vollkommen rätselhaft. Hierzu kommt noch, daß es im höchsten Grade unzweck- mäßig wäre und deshalb ganz unwahrscheinlich ist, daß die lebendige Substanz vielleicht Hunderte von verschiedenen En- zymen fortwährend erst schaffen soll, um die verschiedenen Aufgaben der Lebensvorgänge durchzuführen. Wozu dieser un- geheure Umweg, wenn gar nichts im Wege steht, daß die lebendige Substanz diese Arbeit ohne ein Mittel selbst ver- richtet? Und auch eine entsprechende Anzahl von Gegen- enzymen müßte erzeugt werden, um die andauernden Wirkungen der verschiedenen Enzyme wieder aufheben und regulieren zu können. So unzweckmäßig pflegt doch sonst die Natur nicht zu arbeiten, daß sie einen indirekten und viel kompli- zierteren Weg einschlägt, wo der direkte und einfachere zu dem- selben Ziele führt! Hiermit ist wohl hoffentlich diese „mehr kühne als fruchtbare Spekulation" endgültig beseitigt. Aber ich glaube weiter mit gutem Grunde be- haupten zu können, daß weder synthesierende, noch spaltende, ja daß überhaupt keine Enzyme mit dem Geschehen innerhalb der lebendigen Substanz irgend etwas zu tun haben. Hofmeister hat die Enzyme als ,,das wesentliche chemische Handwerkszeug der Zelle" bezeichnet, gibt also wenigstens zu, daß die Zelle, d. h. wohl die lebendige Substanz für das Ge- schehen im Protoplasma nicht so ganz überflüssig' ist. Denn — 80 — wo ein Handwerkszeug- wirken soll, muß doch auch jemand da sein, der es in die Hand nimmt. Außerdem ist es ja sicher, daß die lebendige Substanz schon aus dem Grunde nicht zu entbehren ist, weil sie dieses Handwerkszeug doch erst schaffen muß, allerdings nach der „Pan-Enzym-Hypothese", wie ich sie nennen möchte, nur mit Hilfe gewisser Enzyme rätselhafter Herkunft. Um nun bei dem Bilde des Handwerkszeugs zu bleiben, so braucht man ein solches doch nur, um Arbeiten zu leisten , welche man mit den bloßen Händen schlecht ver- richten und namentlich nicht erreichen kann. Und in diesem letzten Punkt ist meiner Ansicht nach die Bedeutung der Enzyme zu suchen. Die Enzyme sind Moleküle von eigenartiger Struk- tur, durch welche gewisse chemische Spaltungsvor- gänge eingeleitet werden, die für die Zwecke des Lebens, insbesondere für die Aufgabe der Ernährung und als Schutzvorrichtungen von Bedeutung sind und die infolge lokaler Verhältnisse außerhalb des Wir- kungsbereichs der lebendigen Substanz vor sich gehen müssen. Die Enzyme wären demnach als Ausscheidungsprodukte des Protoplasmas zu betrachten und können in diesem Sinne sehr passend auch als das „chemische Handwerkszeug" der Zelle be- zeichnet werden. Zu ihrer Wirkung bedarf es nicht der Em- pfindungen, welche bei den Spaltungsprozessen innerhalb der lebendigen Substanz, stets dem Bedürfnis entsprechend, die . qualitativen und quantitativen Verhältnisse regulieren. Wohl aber kommen diese Empfindungen entschieden bei der Bildung und bei der Ausscheidung der Enzyme seitens des Protoplasmas in Betracht. Dementsprechend finden wir die Enzyme ganz vorwiegend in gewissen Absonderungen der lebendigen Substanz, nament- lich in den Verdauungssekreten der Tierwelt und der insek- tivoren Pflanzen, ferner in den Ausscheidungsflüssigkeiten ge- — Si — wisser Hutpilze und besonders auch der niederen pflanzlichen Lebewesen. Diesen schließen sich die invertierenden Enzyme der Gärungsorganismen an , Lebewesen , deren physiologische Bedeutung nebst der Frage, inwieweit ihr Protoplasma selbst oder aber „intrazelluläre" Enzyme an den Gärungsvorgärigen sich beteiligen (verg'l. S. 64), noch völlig verborgen ist. Ferner gehört zu ihnen das sogen. Fibrinferment, das Blutgerinnungsenzym von äußerst zweckmäßiger Wirkung, welches im Blute bei jeder Verletzung der Blutgefäße an der Läsionsstelle in Tätigkeit tritt. Ebenfalls Schutzwirkungen üben gewisse Enzyme oder enzymartige Substanzen innerhalb des Blutes, welche nur unter gewissen pathologischen Umständen entstehen und die man als „Antitoxine" bezw. „Amboceptoren", „Alexine", „Hämolysine" und „Präcipitine" bezeichnet hat. Sie besitzen die Fähigkeit, eingedrungene „Toxine" auf noch unbekannte Weise unwirksam zu machen, bezw. fremde Blutkörperchen aufzulösen oder körper- fremde Eiweißarten zu fällen. Daß diese unendlich verschieden- artigen Schutzstoffe, nämlich für jedes krankmachende Prinzip sowie für jeden einzelnen der fremden Eiweißkörper ein be- sonderer, sämtlich bereits im Protoplasma vorgebildet seien , ist natürlich ausgeschlossen. Sie werden vielmehr dem einge- drungenen Fremdkörper entsprechend von der lebendigen Sub- stanz erst konstruiert, und zwar so genau, daß hierbei sogar die Eiweißstoffe des Blutplasmas der verschiedenen Warmblüter etwa die verschiedenen Serumalbumine der einzelnen Tier- spezies — scharf und prompt voneinander unterschieden werden und dementsprechend für jeden Fall auch ein „spezifisches Präcipitin" erzeugt wird. Die hierauf beruhende „biologische Methode" ermöglicht es bekanntlich in forensischen Fällen, Menschen- und Tierblut zu unterscheiden, was bisher lediglich mit chemischen Hülfsmitteln unmöglich war. Derartige Ent- deckungen sind ersichtlich der mechanistischen Behauptung, daß wir mit fortschreitender Erkenntnis der Erklärung der Lebens- Neumeister, Wesen der Lebenserscheinungen. 6 — 82 — Vorgänge immer näher kommen, höchst unbequem. „Unwill- kürlich werfen wir vielmehr einen schüchternen Blick auf die längst begrabene Lebenskraft und beginnen mit dem modernen Neovitalismus zu liebäugeln 1)." Einen besonderen Anlaß zu Verwirrungen und, wie es scheint, auch zur Aufstellung der Ostwald-Hofmeisterschen Enzymhypothese haben die sogen, „intrazellulär" wirkenden Enzyme gegeben. Es ist nämlich seit langer Zeit bekannt, daß man nicht nur aus dem Blute, der Lymphe und dem Harn, sondern auch aus allen möglichen Organen des Tierkörpers sämtliche Enzyme, welche sich in den Verdauungssekreten finden, also namentlich Pepsin, Trypsin, Ptyalin, Steapsin, ferner die verschiedenen in- vertierenden Enzyme, sowie auch Lab gewinnen kann. Dasselbe gilt auch für die höheren und niederen Pflanzen, in denen man vielfach Diastase und häufig auch pepsinartige, trypsinähn- liche, fettspaltende, invertierende und labartige Enzyme findet. Manche Hutpilze ferner enthalten ein ungemein kräftig ver- dauendes trypsinartiges Enzym. Außerdem sind niedere Pilze reichlich bekannt, welche besondere Enzyme in ihrem Innern auf bestimmte, sehr einfache und dabei leicht lösliche Stoffe, wie Traubenzucker, ameisensauren oder essigsauren Kalk oder Harnstoff hydrolytisch einwirken lassen. Von diesen letzteren, den sogenannten Gärungserregern , wie z. B. den Hefepilzen oder dem Micrococcus ureae, muß hier aus dem oben mitge- teilten Grunde vorläufig abgesehen werden. Ich habe nun früher ausführlich, aber, wie es scheint, erfolglos darauf hingewiesen2), daß man durchaus keinen Grund hat, sich diese „intrazellulären" Enzyme als innerhalb der lebendigen Substanz wirkend vorzu- 1) E. v. Leydcn, Das Denken in der heutigen Medizin, Berlin 1903. 2) Vgl. R. Neumeister, Lehrbuch der physiologischen Chemie, Jena 1897, S. 132 — 137, 200 u. 320. - 83 - stellen. Auch ist eine solche Wirkungsweise noch nie- mals in irgend einem Organismus nachgewiesen. Besonders bei den Tieren liegen die Verhältnisse, dank zahlreicher und gründlicher Untersuchungen, ganz klar. Die vielfach aus ihren Organen isolierten Enzyme sind dort, wo sie gefunden werden, physiologisch bedeutungslos und offenbar auf dem Wege der Ausscheidung aus dem Organismus begriffen. Zu dieser Auffassung gelangt man allein schon durch die Ueber- legung, daß Pepsin in den Organen, welche niemals eine freie Säure enthalten, gar nicht wirken kann und ferner, daß auch Lab im Harn zu finden ist, dessen Bedeutung bei einer Wirkung innerhalb des Protoplasmas, wo es keine Milch zu koagulieren gibt, ganz unverständlich wäre. Es ist vielmehr ganz ein- leuchtend und sogar mehrfach experimentell bewiesen, daß die in den Geweben nachweisbaren Enzyme als Zymogene oder Profermente aus den Verdauungsdrüsen zur Resorption gelangen und nach der Durchsetzung der Organe mit dem Harn zur Ausscheidung kommen, wobei sie dann in den Nieren in die fertigen Enzyme umgewandelt werden. Deshalb findet man in allen möglichen Geweben die Verdauungsenzyme, am sichersten und am reichlichsten aber dort, wo sie ausge- schieden wTerden, nämlich im Harn und ferner auch in den Nieren, deren Ptyalingehalt nach den Untersuchungen von Pick1) 31/2mal bedeutender sein soll, als derjenige der Leber, wenn man schon auf quantitative Enzymbestimmungen nicht viel geben darf2). Und gerade in der Leber soll doch nach der Ansicht derjenigen, welche in dem Geschehen innerhalb des Protoplasmas überall Enzymwirkungen vermuten, das ,, Leber- ferment" bei der Umsetzung des Glykogens in Traubenzucker sein Wesen treiben. Es kann aber gar keinem Zweifel unterliegen, daß diese Ansicht falsch ist. Die Umsetzung des Glykogens in Trauben- 1) Friedel Pick, Ueber das glykogenspaltende Ferment der Leber. Beiträge zur ehem. Physiologie und Pathologie 1902, Bd. III, S. 174. 2) Vgl. hierüber besonders T. Maszewski, Zeitschr. f. physiol. Chemie 1900, Bd. XXXI, S. 63. 6* - 84 - zucker wird durch die lebendige Substanz der Leberzellen selbst ohne Zuhilfenahme von Ptyalin bewirkt. Und wenn auch dieses Enzym sich regelmäßig in der Leber nachweisen läßt, so be- sitzt es dort keine digestive Bedeutung. Es ist ja gar nicht einzusehen, warum das Protoplasma der Leberzellen, dem nach unserem oben gegebenen Beweise, ohne Zuhilfenahme eines Enzyms die Fähigkeit zukommt, die einfachen Zucker jeder Art als Glykogen aufzuspeichern, nicht umgekehrt den viel einfacheren Prozeß der hydrolytischen Spaltung des Glykogens in Traubenzucker selbst zuwege bring'en sollte. Endlich spricht auch die Tatsache, daß die Umsetzung des Glykogens im Proto- plasma der Leberzellen von gewissen nervösen Centren aus ein- heitlich und aufs genaueste reguliert wird, gegen die Tätigkeit eines verhältnismäßig doch stets nur in roher Weise wirkenden Enzyms bei diesem Vorgang. Für die Annahme aber, daß die notwendige Regulierung des Leberferments auf dem Umwege eines ihm entsprechenden Antikörpers geschähe oder einer „reversiblen Diastase" liegt gar kein Anhaltspunkt vor. Auch würde der Vorgang hierdurch nicht verständlicher, wohl aber eine neue und dazu noch völlig überflüssige Hypothese eingeführt werden. Beiläufig möchte ich endlich, gegenüber der Annahme eiweißspaltender Enzyme im Protoplasma noch bemerken, daß wenigstens im Experiment1) die proteolytischen Enzyme auf lebendes Protoplasma niemals einwirken. Erst wenn dasselbe abgestorben ist, wird es verdaut. Doch will ich hierauf kein Gewicht legen, da die behaupteten eiweißspaltenden Enzyme in den Bau der lebenden Substanz so eingefügt und orientiert sein könnten, daß ihre Reaktionsbedingungen ganz andere wären, als wenn Enzymlösungen von außen her an das Protoplasma t i) Vgl. R. Neumeister, Lehrbuch der physiologischen Chemie 1897, S. 181 bis 182, sowie die unter meiner Leitung ausgeführte Arbeit von M. Matthes, Untersuchungen über die Pathogenese des Ulcus rotundum ventriculi , Habilitations- schrift, Jena 1893. 85 - herantreten. Wohl aber müßte ein anderer Punkt dieser Hypo- these Schwierigkeiten bereiten, nämlich das notwendigerweise damit verbundene Auftreten von Albumosen und Peptonen, die unter physiologischen Verhältnissen niemals auch nur in Spuren im Organismus nachweisbar sind und als Zellgifte betrachtet werden müssen. Ist somit das Vorkommen der Verdauungsenzyme in den verschiedenen Organen genügend erklärt, ohne daß hierbei an eine digestive Wirkung derselben innerhalb des Protoplasmas zu denken wäre, so ist doch zu überlegen, ob vielleicht einem Teil derselben noch eine andere Bedeutung zukommt. Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, daß die Zymogene der Pankreas- drüse nicht allein in dieser gebildet werden, sondern daß zu dieser bedeutenden synthetischen Arbeit auch das Protoplasma der Leberzellen herangezogen wird. Ein derartiges Zymogen, in der Leber gefunden, wäre dann nicht auf dem Ausscheidungs- wege nach den Nieren, sondern auf dem Wege nach der Pankreasdrüse begriffen. Denn daß für die Zwecke des Ge- samtorganismus, nicht nur bei den Tieren, sondern auch bei den Pflanzen, die Zellen der verschiedenen Organe sich gegenseitig unterstützen und selbst auf weite Strecken hin einheitlich in ihrem Getriebe geleitet werden, ist zu bekannt, als daß hierüber weitere Erörterungen nötig wären. Endlich könnte man ver- muten, daß die Leber nicht nur eine Bildungsstätte, sondern zugleich auch ein Reservoir für die Zymogene des Pankreas vorstellt, so daß sie dieselben wohl teilweise bildet, aber auch nach ihrer Resorption aus der Pankreasdrüse zeitweilig auf- speichert, sie nötigenfalls wiederholt gegen die Drüse abgibt, um sie schließlich dem Lymph- und Blutstrom und damit den Nieren zu überantworten. In gleicher Weise wie die Leber werden wahrscheinlich alle übrigen Organe als vikariierende Enzymbildner eintreten, während anscheinend die Leukocyten beim Transport der Zymo- gene eine gewisse Rolle spielen. Das in den Lymphkörperchen — 86 — gefundene Trypsin (Autolyse) wird dementsprechend zu be- urteilen sein. Bei den Tieren liegt also eine Mitwirkung von Enzymen irgend welcher Art innerhalb des Getriebes der lebendigen Substanz außer aller Wahrscheinlichkeit. Die in vielen tierischen Organen nachweisbaren Enzyme oder Zymogene haben zweifellos für den Lebensprozeß selbst gar keine Bedeutung. Wie steht es aber bei den Pflanzen mit Einschluß der niederen Pilze? Hier gibt es doch zweifellos „intrazellulär" wirkende Enzyme, wovon die Diastase ein klassisches Beispiel bildet. Ich behaupte, daß auch diese pflanzlichen Enzyme nicht innerhalb der lebendigen Substanz ihre Wirkung entfalten, daß sie zwar innerhalb der Zelle, also wohl „intrazellulär", aber durchaus nicht „intraprotoplasmar" in Tätigkeit treten. Abgesehen davon, daß die Anschauung, welche der Enzym- wirkung innerhalb des Protoplasmas einen Platz anweist, ohne Zuhilfenahme völlig hypothetischer Regulationsvorrichtungen eine viel zu rohe ist, als daß sie für die alle Vorstellungen über- steigende exakte Arbeit der lebenden Substanz ernstlich in Be- tracht kommen könnte, ist es ganz sicher, daß letztere auf die gewaltigen Depots von Reservenährstoffen, welche sich in vielen Pflanzen finden, gar nicht direkt einwirken kann. Denn vielfach wird hier fast die ganze Zelle von fest geformten Stärkemassen, von Fett- oder Oellagern oder von Aleuronen mit Eiweißkrystallen ausgefüllt, während das Protoplasma sich als winziges Residuum in einen Winkel der Zelle zurückgezogen hat. Nur die äußerste Zone dieser festliegenden Depots wird von der lebenden Substanz berührt und nur hier kann dieselbe die betreffenden Nährstoffe für ihre Zwecke verwenden. Dies geschieht aber ganz sicher nicht erst auf einem indirekten Wege mit Hülfe vorher kon- struierter Enzyme, sondern ganz wie beim An- und Abbau des Glykogens in den tierischen Zellen, durch eine direkte Ein- wirkung des Protoplasmas. Dagegen sind die entfernteren Regionen der Nährstoffdepots der lebendigen Substanz unzu- gänglich. Will sie aber trotzdem von den dort aufgespeicherten Substanzen Gebrauch machen, so bedarf sie dazu eines „Hand- werkszeugs" und sondert dementsprechend Enzymlösungen ab, genau wie dies die Tiere gegen ihren Darmkanal oder die Bakterien gegen ihre Nährsubstrate zu üben pflegen. Diese Verdauung der Nährstoffreservoirs kann, wie bei den Tieren, nur allmählich und in verhältnismäßig" roher Weise reguliert werden, um so mehr, als bei den Pflanzen die Wirksamkeit der Enzyme auch mit den wechselnden Temperaturverhältnissen er- heblichen Schwankungen unterliegen muß. Eine Regulierung findet zwar statt, aber wahrscheinlich nur insoweit, als die Pro- duktion und Ausscheidung der Enzyme, wie wir bereits bemerkt haben (vgl. S. 26), genau dem vom Protoplasma empfundenen Bedürfnisse entspricht. Daß ferner die lebendige Substanz aller Organismen in irgend welchen Sekreten Mittel besitzen wird, um eine unnötig und hiermit unzweckmäßig gewordene Wirkung der Enzyme allmählich wieder aufzuheben, ist allerdings mit Sicherheit anzunehmen. Hiermit wird nunmehr auch die Tatsache verständlich, daß — während aus den tierischen Organen, außer dem Fibrinferment, zweifellos immer nur Enzyme isoliert wurden, deren Wirkungen mit denjenigen der längst bekannten Verdauungssäfte überein- stimmen und sich gegenteilige Angaben später regelmäßig als irrtümlich herausgestellt haben — wir in den pflanzlichen Orga- nismen so ungemein zahlreiche und verschiedenartige „intra- zelluläre" Enzyme auffinden. Denn sowohl die höheren Pflanzen, als auch die niederen Pilze speichern bekanntlich ungemein differentes Material in ihren Zellen auf, zu dessen Umwandlung in den löslichen Zustand auch dementsprechend sehr verschieden- artige Enzyme nötig werden. — 88 — Uebrio-ens lassen sich in den Pflanzen immer nur an den Stellen reichliche Mengen von Enzymen nachweisen, wo große Mengen von Reservestoffen mobil gemacht werden müssen, also besonders in den stärkereichen keimenden Samen, Knollen und Zwiebeln, sowie in den Blättern und jungen Trieben. Wenn man nun aber auch an Oertlichkeiten geringe Diastasemengen auffindet, wo diesen zur Zeit keine Gelegenheit geboten ist, Stärke zu lösen, so deutet dies nur darauf hin, daß auch in den Pflanzen die Enzyme in der Form der unwirksamen Zymogene in anderen Organen als dort, wo sie zur Wirkung kommen, gebildet werden, daß sie von ihren Bildungsstätten weiter trans- portiert und vielleicht zeitweise auch an bestimmten Orten deponiert werden können. Bevor wir die „Enzymhypothese" erledigen, wäre noch kurz der sogenannten „Oxydationsfermente" zu gedenken, welche nach den Vorstellungen von Hofmeister bei dem Verbrennungsprozeß in der lebendigen Substanz eine Rolle spielen sollen. Es ist nämlich seit langer Zeit bekannt, daß viele tierische und besonders auch pflanzliche Organe, auch wenn sie durch Zerreiben zu einem feinen Brei völlig abgetötet sind oder im getrockneten Zustand jahrelang aufbewahrt wurden, oder endlich auch in Alkohol gelegen haben, wenn man sie hierauf mit Wasser oder besser mit etwas Sodalösung anfeuchtet, an der Luft Sauerstoff aufnehmen und diesen auf andere sehr leicht oxvdable Stoffe, wie namentlich bestimmte Chromogene, Salicylaldehyd oder auch Traubenzucker übertragen. Sie müssen demnach wie gewisse fein verteilte Metalle, Stickoxyd, Kupfer- oxyd, manche Eisensalze u. s. w., als sogenannte „Sauerstoff- überträger" oder „Katalysatoren" gelten, d. h. als Stoffe, welche den Sauerstoff der Luft binden und zugleich die Eigenschaft besitzen, denselben auf anderes Material zu übertragen, welches direkt den Sauerstoff nur sehr langsam oder auch gar nicht aufnimmt. 89 - Eine Erklärung dieser katalysierenden Wirkung steht noch aus und auf die große Anzahl der hierüber bestehenden Hypo- thesen wurde bereits oben (vergl. S. 64) hingewiesen. Die katalysierende Wirkung" der toten Gewebsstoffe ist durchweg ganz unbedeutend und, wie bei jedem Katalysator, insofern nicht allgemein, als bestimmte Gewebe auch nur auf ganz bestimmte Substanzen Sauerstoff übertragend einwirken. Man hat neuerdings versucht, die betreffenden chemischen Körper aus dem Organbrei zu isolieren und die gewonnenen Produkte mit verschiedenen Namen, wie Tyrosinase (weil sie, mit Tyrosin oder ähnlichen Verbindungen zusammengebracht, diese unter Sauerstoffübertragung dunkel färbt), Lakkase u. s. w. benannt. Es ist nun behauptet worden, daß die Oxydation in der lebendigen Substanz durch diese oder ähnliche „Oxydations- fermente" oder „Oxydasen" zu stände käme. Dies scheint mir denn doch im höchsten Grade unwahr- scheinlich. Vielmehr möchte ich glauben, daß der sauerstoff- übertragenden Wirkung dieser Stoffe überhaupt keine physiologische Bedeutung zukommt und dieselbe nur zufällig durch die chemische Struktur der betreffenden Substanzen bedingt wird, wie ja auch sonst in der orga- nischen Natur genug Stoffe von katalytischer Wirkung gefunden werden, welche, wie z. B. das Pinen des Terpentinöls, ganz sicher mit dem Oxydationsvorgang in der lebendigen Substanz nicht das geringste zu tun haben. Besonders muß die Idee, diese geringfügige katalytische Eigenschaft der „Tyrosinase" und ähnlicher Produkte mit der oxydierenden Fähigkeit des Protoplasmas in Beziehung zu bringen, verfehlt erscheinen, wenn man sich überlegt, daß solch winzige Mittel für die mächtige und ganz eigenartige Ver- brennungswirkung der lebendigen Substanz völlig überflüssig sind. Denn von derselben werden — soweit es den Zwecken des Organismus entspricht — Stoffe, welche, wie die Ei- — 9o — weißkörper, keineswegs leicht verbrennbar sind, ohne jeden Rückstand rasch und so vollkommen zu Kohlensäure und Wasser oxydiert, daß selbst ein weißglühender Ofen diese Leistung nicht gründlicher durchführen könnte. Wenn schon die Detailarbeit als einzig mögliche Quelle aller physiologischen Erkenntnis zu gelten hat, so sollte man doch nicht allzusehr „an schalem Zeuge kleben" und darüber die allgemeinen Gesichtspunkte verlieren. Gegenüber der er- staunlichen Oxydationswirkung des Protoplasmas ist die arm- selige Wirkung der sogenannten „Oxydationsfermente", und wäre sie auch viel erheblicher als sie tatsächlich ist, so be- deutungslos wie etwa ein Regenschauer für die Wassermasse des Weltmeeres. Damit soll nun aber keineswegs gesagt sein, daß die physiologische Verbrennung nicht doch vielleicht im Prinzip 'eine katalytische ist, eine Vermutung, die zuerst Moritz Traube schon im Jahre 1858 ausgesprochen hat. Diese Hypothese ist sogar in Ermangelung einer besseren Vorstellung keineswegs von der Hand zu weisen. Jedenfalls würde dann aber die lebendige Substanz ein, im Gegensatz zu den bekannten Kata- lysatoren, ganz allgemein wirkendes katalytisches Agens vor- stellen, das ferner eine ungemein intensivere Mächtigkeit be- säße, als sämtliche bisher bekannten toten Substanzen dieser Art, welchen die Eigenschaft, Eiweißstoffe, Kohlehydrate oder Fette bis zu Kohlensäure und Wasser zu verbrennen, gänzlich abgeht. Wie es scheint, macht sich neuerdings der Einfluß Ost- walds in der Physiologie auch insofern geltend, als man nicht nur die Oxydationsvorgänge in der lebenden Substanz, sondern auch die Wirkungen der Enzyme den katalytischen Prozessen unterordnet. Diese alte Vorstellung von Berzelius wird keines- wegs mehr als Hypothese, sondern bisweilen direkt als aus- gemachte Tatsache hingestellt. < — gi — Dem gegenüber möchte ich hier auf einige Schwierig- keiten hinweisen, welche meiner Meinung nach einer allgemeinen Anerkennung dieser Lehre vorläufig noch entgegenstehen. Soweit mir die Litteratur hierüber bekannt ist, wird für die Auffassung der enzymatischen Wirkungen als katalytischer Pro- zesse in erster Linie immer wieder die Beobachtung angeführt, daß die spontane Zerlegung einer wässerigen Lösung des Wasserstoffsuperoxyds, welche bei gewöhnlicher Temperatur langsam, bei höherer explosionsartig erfolgt, durch Hinzufügung von Enzymen, aber auch von allen möglichen tierischen oder pflanzlichen Organteilen, ganz erheblich beschleunigt wird. So- dann stützt sich diese Lehre auf die weitere Erfahrung, daß die Beschleunigung dieser Wasserstoffsuperoxydzersetzung in gleicher Weise wie durch Enzyme auch durch eine Reihe von Metallen, wie Platin, Gold, Silber, Iridium, sowie durch einige Superoxyde erreicht werden kann. Diese Tatsachen waren bereits von Berzelius gefunden worden, welcher ihnen eine weittragende Bedeutung beilegte, indem er die Zerlegung des Wasserstoffsuperoxyds durch Me- talle oder Fibrin mit der Hefegärung des Zuckers verglich und schließlich annahm, daß Tausende von Vorgängen in den lebenden Pflanzen und Tieren auf mit jener Spaltung des Wasserstoff- superoxyds im Prinzip gleichkommenden Prozessen beruhten, die er als kataly tische bezeichnete. Und so decken sich seine Vorstellung'en fast genau mit den neuerdings von Ostwald ge- äußerten Ansichten. Die Versuche von Berzelius wurden dann später bekanntlich von Chr. Friedr. Schönbein wieder aufgenommen, welcher ähnliche Schlußfolgerungen wie Ber- zelius aus ihnen zog und besonders die durch das Platin be- wirkte Zerlegung des Wasserstoffsuperoxyds als das „Urbild aller Gärungen" bezeichnete. Dieser Satz war lediglich eine Vermutung, wenn er auch durch gewichtige Tatsachen gestützt wurde. Er mußte aber an Bedeutung ganz erheblich einbüßen, sobald es gelang, wirk- — 92 — same Enzyme ausfindig zu machen, welche sich gegen Wasser- stoffsuperoxyd als indifferent erwiesen. Dies ist nun wirklich der Fall. Bereits im Jahre 1891 hat Jacobson ') gezeigt, daß man Pankreassaft auf 60 ° erhitzen kann, ohne daß hierauf die geringste Abschwächung seiner enzymatischen Kraft, wenigstens gegenüber einer Stärkelösung, zu bemerken wäre. Dagegen ist die Fähigkeit des Saftes, Wasserstoffsuperoxyd zu zersetzen, ihm durch das Erhitzen auf 60 ° völlig verloren gegangen. Auch stärkere Erhitzung der Enzyme im trockenen Zustande, ihre Fällung und Behandlung mittels Alkohol scheint die Wirkung derselben auf Wasserstoffsuperoxyd allmählich zu vernichten. Ebenso wirkt das Aussalzen der Enzyme aus ihren wässerigen Lösungen, wiewohl durch alle die genannten Operationen die spezifische Wirkung derselben auf die Nährstoffe durchaus nicht geschädigt wird. Somit ist jedenfalls erwiesen, daß die Eigen- schaften der Enzyme, organische Stoffe hydrolytisch zu spalten und Wasserstoffsuperoxyd zu zerlegen, voneinander trennbar sind. Diese Befunde haben auffallenderweise viel zu wenig Be- achtung gefunden, und auch Bredig und Müller von Ber- neck2), welchen die Jacobson sehen Entdeckungen wohl be- kannt waren, haben auf dieselben im wesentlichen keine Rück- sicht genommen. Vielmehr beziehen sich ihre ausgezeichneten Untersuchungen, soweit sie für unsere Frage in Betracht kommen, ausschließlich darauf, inwieweit sich bei der Zerlegung des Wasserstoffsuperoxyds einerseits durch Metalle im sogenannten kolloidalen Zustande, welche als „anorganische Fermente" be- zeichnet werden, und andererseits durch Enzyme gewisse äußere Einflüsse übereinstimmend oder abweichend verhalten. Unter diesen Umständen kann die Wasserstoffsuperoxyd- Zerlegung durch Platin wohl nicht mehr als das „Urbild aller 1) John Jacobson, Ueber ungeformte Fermente, Inaug.-Diss., Berlin 1891, sowie Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. XVI, S. 342. Vgl. auch mein Lehrbuch der physiologischen Chemie, Jena 1897, S. 104. 2) G. Bredig und R. Müller v. Berneck, Ueber anorganische Fermente. Zeitschr. f. physikalische Chemie 1899, Bd. XXXI, S. 258. — 93 Gärungen" gelten, und ferner liegt der Verdacht sehr nahe, daß es sich bei der gleichen Wirkung der Enzyme um eine rein zu- fällige und nebensächliche Eigenschaft derselben handelt. Ver- mutlich ist die Wasserstoffsuperoxyd zersetzende Fähigkeit der Enzyme an eine besonders labile und für die spezifische Wir- kung derselben bedeutungslose Atomgruppe gebunden, welche bei den erwähnten physikalischen Maßnahmen zerstört wird. Somit scheint es notwendig, bei der Frage nach dem Wesen der Enzymwirkung von der Wasserstoffsuperoxyd zerlegenden Eigenschaft dieser Substanzen einmal ganz abzusehen und viel- mehr andere Tatsachen hierfür in Betracht zu ziehen. Ganz besonders spricht ja für die katalytische Natur der enzymatischen Leistungen die schon seit dem Jahre 1874 be- kannte und vielfach angeführte Entdeckung, daß ameisensaurer oder essigsaurer Kalk in gleicher Weise wie durch das Enzym gewisser Flußschlammbakterien, so auch durch fein verteiltes Iridium, Rhodium oder Ruthenium unter Wasserstoff- bezw. Sumpfgasentwicklung in Calciumkarbonat und Kohlensäuie zer- fallen. Auffallend ist es dagegen, daß seit dieser Zeit ähnliche durch Metalle eingeleitete Hydrolysen nur ganz vereinzelt ge- funden zu sein scheinen. Lediglich O. Sulc1) hat mitgeteilt, daß auch verdünnte Oxalsäurelösungen durch fein verteiltes Palladium bezw. Iridium in Kohlensäure übergeführt und daß durch dieselben Mittel Rohrzuckerlösungen invertiert werden sollen. Indessen handelt es sieh bei der Oxalsäure ersichtlich nur um eine Oxydationskatalyse und dasselbe vermutet Ostwald auch in Bezug auf die Rohrzuckerinversion. Bemerkenswert ist es übrigens, daß beim Zusammenbringen von Iridium mit ameisen- saurem Kalk letzterer leichter eine Hydrolyse erfährt, als daß er, entsprechend dem Verhalten der Oxalsäure, durch Oxydations- katalyse in Calciumkarbonat und Kohlensäure übergeführt würde, wenn man bedenkt, daß im allgemeinen die Verbrennung der Oxalsäure erheblich schwerer erfolgt, als diejenige der Ameisen- 1) Vgl. hierüber G. Bredig und R. Müller v. Berneck, a. a. O. S. 262. — 94 — säure, welch letztere ja eigentlich nichts anderes als den Aldehyd der Kohlensäure vorstellt. Es verlohnte sich jedenfalls, fest- zustellen, ob nicht die Katalyse der ameisensauren Salze zu- nächst ohne Wasserstoffentwicklung erfolgt, so daß der Hydro- lyse vielleicht auch hier eine Oxydationskatalyse vorausgeht. Endlich scheint mir der Annahme, daß auch die hydro- lytischen Enzymwirkungen auf Katalyse beruhen, in der Ostwaldschen Definition, nach welcher unter „Katalyse die Be- schleunigung eines langsam verlaufenden chemischen Vorganges durch die Gegenwart eines fremden Stoffes" zu verstehen ist, eine gewisse Schwierigkeit zu erwachsen. Denn hiernach wird offenbar vorausgesetzt, daß die der katalytischen Wirkung unter- liegenden Substanzen schon an und für sich in wässeriger Lösung allmählich eine spontane Hydrolyse erfahren. Nun ist aber meines Wissens nicht bekannt, daß sterile und bei gewöhnlicher Temperatur aufbewahrte Lösungen etwa des Serumalbumins oder der primären Albumosen, wenn auch nur spurweise, in Peptone zerfallen oder aber unter denselben Bedingungen Stärke- oder Glykogenlösungen in Zucker übergeführt werden, wenn auch vielleicht eine allmähliche Zerlegung des Harnstoffs in Ammoniumkarbonat zustande kommen mag. Es ist für die mechanistische Naturauffassung ebenso be- deutungsvoll wie charakteristisch, daß sie von jeher die scharfe Grenze zwischen dem Lebendigen und Toten künstlich zu ver- wischen bemüht ist, indem sie lehrt, daß „die Scheidung zwischen der sogenannten organischen und der unorganischen Natur eine ganz willkürliche sei" x). Da nun aber die Tatsachen diesen Be- strebungen diametral entgegenstehen und auch die mecha- nistischen Hypothesen viel zu kühn sind, als daß sie nicht von jedermann als solche erkannt würden, versucht man vielfach wenigstens durch Worte zu erreichen, was auf anderem Wege unmöglich ist. i) Vgl. Du Bois-Reymond, Untersuchungen über die tierische Elektrizität, Berlin 1848, Vorw. S. 44. — 95 — Namentlich an den uralten Panps)^chismus oder Hylo- zoi'smus anknüpfend, der dann später in der phantastisch- monistischen Philosophie Giordano Brunos und seiner unmittel- baren Vorgänger einen besonderen Ausdruck fand, behauptet Haeckel1), daß die psychischen Funktionen, welche ja tatsäch- lich für unsere Sinne nach der Richtung der niedrigsten Ge- schöpfe zu immer unscheinbarer werden, „auf der Grenze zwischen sogenannter lebendiger und toter Natur" keineswegs Halt machen, sondern sich durch einen Salto mortale auch auf letztere erstrecken, so daß die Mineralien, das Wasser und die Gase ebenfalls gewissermaßen „beseelt" wären. Es wird hierbei die chemische Affinität mit den psychischen Funktionen im Prinzip als gleich angenommen und lediglich als ein niederer Grad der Psyche hingestellt. Denn „jedes Atom besitzt eine inhärente Summe von Kraft und ist in diesem Sinne beseelt. Ohne die Annahme einer Atomseele sind die gewöhnlichsten und allgemeinsten Erscheinungen der Chemie unerklärlich. Lust und Unlust, Begierde und Abneigung, Anziehung und Abstoßung müssen allen Massenatomen gemeinsam sein; denn die Be- wegungen der Atome, die bei Bildung und Auflösung einer jeden chemischen Verbindung stattfinden müssen, sind nur er- klärbar, wenn wir ihnen Empfindung und Willen beilegen". Indessen läßt Haeckel den lebenden Wesen- immerhin wenigstens einige Eigentümlichkeiten. Von solchen Eigenschaften, welche die lebende Substanz der toten gegenüber auszeichnen und somit das Wesen des „Lebens" im engeren Sinne bilden , wird von ihm als die wichtigste die Fähigkeit der Reproduktion oder des Gedächtnisses (vgl. S. 30) zugestanden, welche bei jedem Ent- wicklungsvorgang und namentlich bei der Fortpflanzung der Organismen wirksam sei. Letztere ist es somit, „welche vor allen anderen Funktionen die Organismen gegenüber den An- organen charakterisiert". 1) Vgl. besonders E. Haeckel, Ueber die Wellenzeugung der Lebensteilchen, i. d. Gesamm. Vorträgen, Bonn 1878 — 79, II, S. 41, 49, 51 u. 52. 96 - Aber selbst auch dieser, von Haeckel wenigstens anerkannte genetische Unterschied wird von Verworn1) geleugnet, weil „die Zellen doch irgendwann einmal aus Stoffgem engen ent- standen sein müßten, die keine Zellen waren" 2). Und weiter be- hauptet Verworn, daß „ebensowenig wie in der Fortptlan/.ung und Abstammung von seinesgleichen in der Entwicklung' des Organismus ein durchgreifender Unterschied gegenüber den anorganischen Körpern bestehe". „Denn es gibt Organismen, die leben, ohne sich zu entwickeln, z. B. die Amöben. Hier sind, nachdem die Amöbe sich in zwei Teilhälften zerschnürt hat, beide Teile schon ohne weiteres wieder vollständige Amöben und unterscheiden sich von dem ursprünglichen Individuum, von dem sie stammen, nur durch ihre Größe." Die von Haeckel supponierten „Atomseelen" sind bekannt- lich von DuBois-Reymond3) endgültig beseitigt worden, wobei er unter anderem die kritische Frage stellte, „wozu Bewußtsein. wo Mechanik reicht? Und wenn Atome empfinden, wozu noch Sinnesorgane?" Auch ist meiner Meinung nach g'ar nicht ein- zusehen , wodurch sich das lebende Protoplasma vom toten unterscheiden sollte, falls auch das letztere tatsächlich beseelt wäre und empfände. Gerade der Mangel an Empfindung be- dingt ja diese Differenz. Die psychischen Funktionen dürften hiernach denn doch wohl etwas Besonderes und dem Leben Eigentümliches sein, welches zugleich mit dem Stoffwechsel beim Tode verschwindet , während die den Atomen eigene Affinität durch das Sterben nicht berührt wird, sondern nach wie vor unverändert bestehen bleibt. Was aber die Meinung Verworns anbelangt, daß die beiden Amöbenteile nach ihrer Abschnürung auch in Bezug auf die Ausbildung ihres Protoplasmas sich nicht wieder zu entwickeln brauchten, um zu einer erneuten Fortpflanzung i) M. Verworn, Allgemeine Physiologie, Jena 1897, S. 124 — 125. 2) Vgl. hiergegen meine Bemerkungen auf S. 15, Anm. 1. 3) Du Bois-Reymond, Die sieben Welträtsel (1880), Leipzig 1898, S. 79. — 97 — tauglich zu werden, so kann ich diese Anschauung durchaus nicht teilen, bis ein Beweis für dieselbe erbracht worden ist. Wie dem auch sei. Die für das Leben charakteristische Kontinuität, d. h. „das Streben, sich zu erhalten im indivi- duellen Dasein und darüber hinaus"1), wird hierdurch nicht berührt. Und so treten uns die Organismen, wie Fechner2) bemerkt, schon rein äußerlich als etwas Besonderes entgegen. Sie heben sich, indem sie sich immer erneuern und wieder- holen, in ihrer Form und Weise ganz bestimmt und individuell heraus aus der Außenwelt, in welcher sonst ringsum die Formen und Weisen gleichgültig fließen und wechseln. „Ganz wie das Tier tritt hierdurch die Pflanze der im Meere zerfließenden Welle dem hin- und hergestoßenen, jeder Form und jedem Ver- hältnis sich fügenden Stein gegenüber". Aber nicht nur sämtliche morphologische, genetische und physikalische Unterschiede zwischen lebender und toter Materie werden von Verworn3) als unwesentlich zurückgewiesen, sondern selbst der Stoffwechsel wird als durchgreifender Unterschied zwischen den Organismen und den anorganischen Körpern nicht anerkannt. „Er ist zwar ein Vorgang, der den lebenden Orga- nismus vom toten unterscheidet, nicht aber von der anorgani- schen Substanz, denn er ist durchaus nicht auf die Organismen beschränkt, sondern kommt auch im Reiche anorganischer Körper vor." Als Beispiel wird das Verhalten der Salpeter- säure bei der Sehwefelsäurefabrikation angeführt. Hier haben wir, nach der Ansicht Verworn s, „einen regelrechten Stoff- wechsel, eine Aufeinanderfolge von Zerfall und Neubildung einer Substanz unter Aufnahme und Abgabe von Stoffen, die im Prinzip bis in die Einzelheiten hinein dem Stoffwechsel der Organismen entspricht". i) Vgl. K. B. Hofmann, Das Rätsel des Lebens, Rektorats-Rede, Graz 1899, S. 5. 2) G. Th. Fechner, Nanna oder über das Seelenleben d. Pflanzen (1848), Hamburg und Leipzig 1899, S. II. 3) M. Verworn, Allgemeine Physiologie, Jena 1897, S. 121 — 129. Neumeister, Wesen der Lebenserseheinungen. ( - 98 - Wenn Verworn die Vorgänge bei der Schwefelsäure- fabrikation einen „Stoffwechsel" nennt, so ist ja hiergegen sprach- lich nichts einzuwenden. Ein fundamentaler Irrtum liegt da- gegen in seiner Meinung, daß dieser Stoffwechsel im Prinzip dem Stoffwechsel der Organismen entspräche. Denn das Stick- oxyd, an welchem sich dieser „Stoffwechsel" bei der Schwefel- säurefabrikation abspielt, verhält sich dabei völlig passiv. Von einer Selbsttätigkeit oder Aktivität, worin doch das Prinzip des Lebens beruht, kann bei ihm gar keine Rede sein. Nur der Intellekt des Technikers ermöglicht diesen „Stoff wechser'. Eigentümlich muß es berühren, daß Verworn diese prinzipielle Differenz gar nicht zu bemerken scheint, trotzdem er schreibt : „So wird aus der Untersalpetersäure immer wieder Salpeter- säure neu gebildet, falls nur für den fortdauernden Zutritt von frischer Luft und Wasser gesorgt wird." Aber um dieses Dafürsorgen handelt es sich ja gerade. Denn der „Stoffwechsel" hört sogleich auf, falls man den Gasstrom nicht so regelt, daß die Untersalpetersäure in einem bestimmten Mengenverhältnis einmal mit Luft und dann wieder mit Schwefeldioxyd und Wasser in Berührung kommt. Da bei der Schwefelsäurefabrikation nur gasförmige Sub- stanzen in Frage kommen, so mag' hier das Fehlen des aktiven Prinzips vielleicht nicht so deutlich zu Tage treten. Aber mit genau demselben Recht könnte man den „Stoffwechsel", welchen fein verteiltes Kupferoxydul in ammoniakalisch gemachtem Natron wasser erfährt, wenn man es zunächst durch Schütteln mit Luft oxydiert, hiernach das gebildete Oxyd durch Eintragen von Traubenzucker in die erwärmte Lösung zu Oxydul reduziert, um letzteres dann wieder wie vorher zu oxydieren, als mit dem Stoffwechsel der Organismen für prinzipiell identisch erklären. Genau wie bei den soeben erwähnten, sind die Vorgänge auch bei allen übrig-en katalytischen Prozessen, man mag wählen, welche man will, rein passiver Natur. Und dasselbe bezieht — 99 — sich auf die Wirkungen der Enzyme, welche von Verworn1) ebenfalls als Stoffwechsel Vorgänge bezeichnet werden , indem „das Enzymmolekül einem Stoffwechsel unterworfen ist und durch diesen chemische Umsetzungen vermittelt". Wie nun Verworn auf der einen Seite der lebendigen Substanz jede Ausnahmestellung gegenüber der toten Natur ab- spricht, so werden von ihm folgerichtig andererseits an chemischen Substanzen, z. B. an den Enzymen, Eigentümlichkeiten wahr- genommen, „welche uns längst von der lebendigen Substanz her bekannt sind, wie z. B. das minutiöse Auswahl vermögen unter den ihrer Wirkung unterliegenden Stoffen, das sich sogar bis auf isomere Verbindungen erstreckt". Es wird also hier dem Protoplasma eine noch erheblich höhere Leistungsfähigkeit zu- getraut, als wir sie annehmen. Denn solche auswählenden, also demnach empfindenden Enzyme müssten doch erst von der lebendigen Substanz für ihre Zwecke konstruiert werden. In- dessen kann bei den Enzymen ein „Auswahl vermögen", also eine psychische Leistung, gar nicht in Betracht kommen. Viel- mehr wirken dieselben infolge bestimmter Affinitäten lediglich auf diejenigen Substanzen, die eine ihrer eigenen Struktur ent- sprechende und zu einer Wechselwirkung geeignete Konstitution besitzen, eine Eigenschaft, welche die Enzyme mit sämtlichen chemischen Verbindungen ausnahmslos teilen. Allerdings muß die Anzahl der Körper, mit denen eine bestimmte chemische Verbindung in Beziehung tritt, um so kleiner werden, je kom- plizierter die Struktur der beiden in Frage kommenden Sub- stanzen sich gestaltet, was ja bei der Enzymwirkung im allge- meinen zutrifft. Und so deutet die Tatsache, daß z. B. die proteo- lytischen Enzyme auf alle Eiweißstoffe, die invertierenden Enzyme dagegen meist nur auf einen ganz bestimmten Doppel- zucker hydrolytisch einwirken, zweifellos darauf hin, daß die Invertine chemisch viel komplizierter gebaut sind, als wir dies vom Pepsin oder vom Trypsin annehmen müssen. Besonders die i) M. Verworn, Die Biogenhypotbese, Jena 1903, S. 113 u. S. 5. — IOO — invertierenden Enzyme verhalten sich gegenüber ihren Doppel- zuckern, nach einem vortrefflichen Bilde von Emil Fischer, wie ein Schlüssel zum Schloß. Daß aber ein Schlüssel mehrere ungleichartige Schlösser öffnen soll, ist nicht zu verlangen. Es liegt somit dem „Auswahlvermögen" der Enzyme kein anderes Prinzip zu Grunde als dasjenige, nach welchem die Salzsäure sich wohl mit dem Natriumhydrat, nicht aber mit der Schwefel- säure verbindet. Weiter wird von Verworn1) auch die Reizbarkeit des Protoplasmas auf die tote Materie übertragen, indem er be- sonders die explosiven Stoffe, wie z. B. das Nitroglycerin, als irritabel oder reizbar bezeichnet, „da sie auf äußere Einwirkungen mit bestimmten Abänderungen antworten, wobei die Größe der Produktion von Energie oder bestimmter Stoffe durchaus nicht immer mit der Gösse des äußeren Anstoßes in einem bestimmten Ver- hältnis steht''. Nach meiner Meinung kommt es aber bei der dem Protoplasma eigentümlichen Reizbarkeit auf die Entwicklung von Energie, welche in ihrer Mächtigkeit zu dem Reiz in keinem Verhält- nis steht, gar nicht an, sondern lediglich darauf, daß eine äußere Einwirkung empfunden und darauf mit Notwendigkeit in zweckmäßiger Weise reagiert wird. — Daß sich diese Reaktion infolge unserer experimentellen Eingriffe für den be- treffenden Organismus auch gelegentlich unzweckmäßig ge- stalten kann2), dürfte hierbei nicht in Frage kommen. — Die Annahme einer Empfindung bei den explosiven Stoffen wird aber selbst unter den ausgesprochenen Mechanisten nur wenig Anhänger finden. Vielmehr fällt hier das äußerst labile che- mische Gefüge direkt, infolge der mechanischen Erschütterung an einem oder mehreren Punkten zusammen, wodurch stärkere Affinitäten gesättigt und die gewaltigen Spannungen innerhalb der Moleküle zum Ausgleich kommen, ein Vorgang, der, ein- i) M. Verworn, Allgemeine Physiologie, Jena 1897, S. 127 u. 360. 2) So beruht das unwiderstehliche Angezogenwerden der Insekten durch eine leuchtende Flamme mit seinen fatalen Folgen offenbar nur darauf, daß die Tiere die künstliche Lichtquelle vom Sonnenschein nicht zu unterscheiden vermögen. IOl — mal eingeleitet, sich blitzschnell durch die ganze Masse verbreiten muß. Mit demselben Recht, wie die Explosivstoffe, müßte man dann auch die schnell gekühlten „Glastränen" oder die sogen. „Bologneser Flaschen", welche bekanntlich durch einen winzigen Riß augenblicklich zu einem feinen Staub zerfallen, oder die Fruchtkapseln von Impatiens, welche bei der Berührung auf- springen, als „reizbar" bezeichnen, während es sich hierbei doch nur um rein mechanische Vorgänge handelt. Bemerkenswert ist ferner, daß neuerdings namentlich Bredig und Müller v. Berneck1), aber auch andere die Be- griffe „Vergiftung, Lähmung und Erholung", welche man bis- her doch nur für gewisse Erscheinungen an lebenden Wesen gebrauchte, auch für die Wirkung der Enzyme sowie der kolloidalen Metalllösungen, der sogen, „anorganischen Fermente", in Anspruch nehmen. So wird die Verhinderung der Wasserstoff- superoxyd zerlegenden Eigenschaft des Platins oder der Enzyme durch die gleichzeitige Gegenwart von Blausäure als eine „Läh- mung", das Wiedereintreten der Reaktion nach der Entfernung des Cyanwasserstoffs als „Erholung" bezeichnet. Daß es sich hier- bei lediglich um einen Mißbrauch von Worten handelt, bedarf kaum der Erwähnung. Denn folgerichtig müßte es dann auch gestattet sein, jede beliebige andere Verhinderung einer che- mischen Reaktion durch eine dritte Substanz, wie z. B. die Wirkungslosigkeit der Pepsin-Salzsäure oder des Mi Hon sehen Reagens bei Gegenwart einer bestimmten Menge Kochsalz, oder die Unfällbarkeit der Kupferlösungen durch Natronlauge bei Gegenwart von Weinsäure, als „Vergiftung oder Lähmung" zu bezeichnen. Wohin derartige Gepflogenheiten schließlich führen, zeigen einige allerdings mehr als Kuriosa anzuführende Bemerkungen Ostwalds2). Derselbe erklärt tatsächlich die Beschleunigung, i) Vgl. G. Bredig und R. Müller v. Bern eck, a. a. O. S. 324 ff. M. Verworn, Die Biogenhypothese, Jena 1903, S. 5. 2) W. Ostwald, Ueber Katalyse, Leipzig 1902, S. 23. 102 — welche die Auflösung der Metalle in Salpetersäure erfährt, so- bald hierbei einmal salpetrige Säure entstanden ist (Autokata- lyse), für eine „typische Fiebererscheinung" und glaubt ferner für die schnellere Lösungswirkung einer Salpetersäure, die bereits ein wenig Metall gelöst enthält, im Vergleich zu der Lösungs- wirkung derselben Säure im reinen Zustande, in der „Gewöh- nung" und dem „Gedächtnis" physiologische Analogien finden zu können. Diese vom Mechanismus beliebte, unklare und gewaltsame Uebertragung der charakteristischen Kennzeichen und Eigen- schaften des Lebens auf die tote Natur bietet übrigens auch vom psychologischen Standpunkt aus keinerlei Vorteil. Denn es ist eine „große Selbsttäuschung der Panpsychisten , als ob das Rätsel des Zusammenhanges von Physischem mit Psychischem durch Ausdehnung auf die ganze Welt geringer würde und als ob die Worte Empfindung und Wille, angewandt auf das an- gebliche Seelenleben der unorganischen Natur, noch irgend einen Sinn besäßen"1). Vielmehr würden bei einer Beseelung der gesamten Natur die Beziehungen des Psychischen zum Physischen noch unbegreiflicher, als sie ohnedem sind, weil man dann die ganz eigentümliche chemisch-physikalische Beschaffenheit der lebendigen Substanz für die Existenz der psychischen Erschei- nungen nicht in Anspruch nehmen könnte. Auf die Berechtigung oder Nichtberechtigung der teleo- logischen Betrachtungsweise der Organismen, welche ja vom konsequenten Mechanismus als „kindlich" und „anthropomorphi- stisch" zurückgewiesen wird2), soll hier nicht näher eingegangen werden, da die Litteratur hierüber bereits Legion ist und — trotz der Selektionshypothese — die Meinung Kants3) nach 1) Vgl. C. Stumpf, Leib und Seele (Rede 1896), Leipzig 1903, S. 20. 2) Vgl. z. B. Du Bois- Reymond in der Vorrede zu den Untersuchungen über die tierische Elektrizität, Berlin 1848, S. 68. 3) Kant, Kritik der Urteilskraft, ij§ 77 »• 78 (Sämtl. Werke v. Harten- stein, VII, S. 294). IO- wie vor noch immer zu Recht besteht, daß es nun einmal in der Natur unseres Erkenntnisvermögens liegt, wenn wir inbetreff der mechanistischen und teleologischen Naturauffassung nicht zur Einheit gelangen können und somit beide Prinzipien nebeneinander gebrauchen müssen. Mag man also alle Produkte und Ereignisse der Natur so weit mechanistisch erklären und ihren Ursachen nachgehen, als dies nur immer möglich ist. Bei der Betrachtung der Organismen wird man dabei bald an eine Grenze gelangen, und diese bilden eben nach meiner Ansicht die Lebensvorg-änge. Denn es ist die mit denselben aufs innigste verknüpfte „Empfindung, bis zu welcher die analytische Mechanik reicht."1) „Wenn aber manche Anhänger Darwins meinen, die teleologische Betrachtungsweise sei müßig, weil die zweckmäßige Beschaffenheit eines Organismus sich als Folge seiner Anpassungsfähigkeit erkläre, so übersehen sie, daß viel- mehr die Anpassungsfähig'keit gerade eine zweckmäßige Eigen- schaft der Org'anismen ist2)." Um noch einige Worte über die gar nicht so seltenen unzweckmäßigen Leistung-en der lebendigen Substanz, wie z. B. die Hervorbringung von Mißgeburten, zu bemerken , so erklären sie sich nach unserer Auffassung aus dem Umstände, daß die den Mechanismus leitenden psychischen Vorgänge nicht etwa ein frei wählendes Prinzip im Sinne des ältesten Vitalismus vorstellen, sondern als Wirkungen des Mechanismus durch dessen zufällige Störungen nicht unbeeinflußt bleiben können und somit auch ihrerseits wieder dem Mechanis- mus eine abnorme Richtung geben müssen. i) Vgl. Du Bois-Reymond, Ueber die Grenzen der Natnrerkenntnis (Rede 1872), Leipzig 1898, S. 44. 2) K. B. Hof mann, Das Rätsel des Lebens, Rektorats-Rede, Graz 1889, S. 28. Sollte übrigens die Darwinsche Selektionshypothese, wie es den Anschein hat, ihre Geltung verlieren, so wäre hiermit auch für die Entstehung der Arten eine mechanistische Betrachtungsweise unmöglich geworden. Denn ein Lamarkismus, der die Selektion ausschließt, ,, enthält keinen Faktor, welcher die aufsteigende Ent- wicklung notwendig erscheinen ließe". Vgl. Josef Breuer, Die Krisis des Darwi- nismus und die Teleologie (Vortrag 1902), Leipzig 1902, S. 48. — 104 — Die Vertreter der mechanistisch -materialistischen Natur- anschauung haben sich seit mehr als 60 Jahren angelegentlichst bemüht, die „Lebenskraft" der Vitalisten jeglicher Richtung als eine „mystische" und sich dem Gesetz von der Erhaltung der Kraft nicht fügende Energieform zu kennzeichnen. Wir teilen diese Meinung nicht, weil wir in den Aeußerungen des fort- geschrittenen Vitalismus, und namentlich von Johannes Müller auch nicht den allergeringsten Anhaltspunkt für eine solche Vor- stellung finden können. Vielmehr versteht der Meister der modernen Physiologie unter seiner „Lebenskraft" ein tran- scendentes und daher selbstverständlich nicht näher gekenn- zeichnetes Prinzip , welches das Gesetz von der Erhaltung der Energie gar nicht berührt. Da auch wir behaupten , daß zwar aus der lebendigen Substanz keine anderen Kräfte wirken, als die sind, welche auch aus der leblosen Materie sich äußern, daß aber andererseits dem aktiven Protoplasma psychische Eigenschaften immanent sind, welche einen transcendenten Charakter tragen, so kommt unsere Auffassung vom Wesen der Lebensvorgänge dem Johannes Müll ersehen Vorstellungskreise ziemlich nahe. Seine „Lebens- kraft" dürfte schließlich nichts anderes sein, als die Gesamtheit der den ganzen Organismus beherrschenden, in jedem aktiven Protoplasma waltenden psychischen Prozesse. Solche werden auch jenem Unbegreiflichen zu Grunde liegen, welches in jedem Organismus „die Harmonie der zum Ganzen notwendigen Glieder bewirkt". Denn die psychischen Vorgänge vermitteln und er- möglichen ja den im organischen Körper „zum Leben not- wendigen Mechanismus", wie dieser andererseits die psychischen Vorgänge erschafft. Beide Arten von Prozessen äußern sich in jedem Organismus, „wie es die Natur desselben erfordert, zweck- mäßig, aber nach blinder Notwendigkeit". Sie sind untrennbar voneinander im aktiven Protoplasma verbunden und gehen mit dem Zerfall desselben „zu Grunde, indem sie wieder in ihre allgemeinen natürlichen Ursachen aufgelöst werden". io5 Erstreckt sich somit der Machtbereich der Physik und Chemie lediglich auf die Oberfläche der Lebensvorgänge, ohne daß er jemals in die Tiefe derselben vorzudringen vermag, so kann doch auch bis zu dieser Grenze, wie die Geschichte der Physiologie deutlich zeigt, unsere Erkenntnis in hervorragender Weise gefördert werden. „Sondern wir also die Aktionen, welche den chemischen Kräften angehören , von denen , die einem anderen Impuls untergeordnet sind, so werden wir er- langen, was einer vernünftigen Naturforschung erreichbar ist1)." Freilich das Geheimnis des Lebens wird weder durch physikalisch- chemische Forschung, noch durch mikroskopische Beobachtungen jemals ergründet werden, weil an dessen letzte Ursache die be- schränkte menschliche Einsicht nicht heranreicht. Und so hat anscheinend Albrecht v. Haller doch recht mit dem von Goethe sicher mit Unrecht so hart verurteilten Worte'2): „Ins Innere der Natur dringt kein erschaffener Geist," es sei denn, daß sich Chemie, Physik und Anatomie zu ganz anders ge- arteten Wissenschaften umgestalten, „als sie uns jetzt nach In- halt und Umfang auf Grund ihrer historischen Entwicklung ent- gegentreten" 3) , so daß sie dann begreiflich machen , warum es den Atomen nicht nur unserer Hirnganglien, sondern eines jeden Protoplasmas durchaus nicht gleichgültig ist, „wie sie liegen und sich bewegen , wie sie lagen und sich bewegten , wie sie liegen und sich bewegen werden". i) Justus Liebig, Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agri- kultur und Physiologie, Braunschweig 1840, S. 55. 2) Vgl. Heinrich Häser, Grundriß der Geschichte der Medizin, Jena 1884, S. 269. 3) Oskar Hertwig, Die Entwicklung der Biologie im 19. Jahrhundert, Jena 1900, S. 24. Namen -Register. Aristoteles 7, 8. Autenrieth 10. Baer, K. E. v. 7, 9, 17, 32. Benedikt, M. 29. Bernard, Claude I. Berzelius 90, 91. Bredig, G. 64, 92, 93, 101. Breuer, Josef, 75, 103. Bruno Giordano 95. Buchner, E. 63, 64. Bunge, G. v. 1, 3, 23 — 25, 28, 47. Bütschli, O. 4, 12, 23, 24, 44. Darwin, Charles 2, 103. De La Mettrie 13, 14, 17, 19, 56. Descartes 13. Du Bois - Reymond, E, 5, 6, 10, 12, 14, 18—24, 31, 33, 94, 96. 102, 103. Ehrenberg, Chr. Gottfr. 32, 33. Fechner, Gust. Theod. 33, 34, 37, 40, 97. Kick, Adolf 72. Figdor 29. Fischer, Emil 100. Geulincx 40. Goethe 17, 105. Haeckel, E. 3, 4, ib, 31, 36, 53, 95, 96. Haller, Albrecht v. 6, 13, 105. Hamburger, H. J. 73. Häser, Heinrich 105. Hegel 2. Heidenhain 73. Helmholtz 1, 16. Henle 10. Hering, Ewald 30, 31. Hermann, Ludimar 61, 70. Hertwig, Oskar 17, 42 — 47, 54, 105. Hofmann, K. B. 97, 103. Hofmeister, Franz 46, 77, 78, 82, 88. Holbach, D. v. 17. Humboldt, A. v. 13. Jacobson, John 92. Kant, 16, 102. Koeppe, H. 73. Kossei, A. 49, 50. Kühne, W. 4,6,59,60,65—67,71,72. Lamark, 103. Lange, Friedr. Alb. 13, 16, 21, 22. Leibnitz 20. Leyden, E. v. 82. Liebig, Justus 18, 29, 64, 72, 73, 105. Locke 20. Lotze, Hermann 5, 10 — 13, 19, 32. Malebranche 40. Maszewski, T. 83. Matthes, M. 84. Mayer, Robert 1. Mosso, Angelo 18, 19. Müller, Johannes I, 2, 6, 7, 9, 12, 14, 1-, 31—33. 42- 5^, io4- Müller v. Berneck, R. 64, 92, 93, 101. Munk, I. 73. Nägeli, C. 43, 64. Neumeister, R. 25, 70, 82, 84. Ostwald, W. 72—78, 82, 90, 93, 94' 101. Pawlow, I. P. 2b, 7 ; io- Pfeffer, W. 26, 35, 63, 64. Pflüger, E, 15, 58, 61. Pick, Friedel 83. Reil, Joh. Chr. 6,10. Reinke, J. 44. Rindfleisch, G. E. 4, 5, 24. Schieiden, M. J. 20. .Schönbein, Chr. Friedr. 91. Schopenhauer, Arth. 8, 9, 32. Schuppe, W. 35, 36. Schwann, Th. 59. Secchi, A. 3. Spinoza 38. Stahl, Ernst 6, 7, 10, 13, 17. Stumpf, C. 39 — 41, 102. Sulc, O. 93. Thomson, William 16. Traube, Moritz 90. Treviranus 1 o. Verworn, M. 43, 53, 54, 57, 65, 68,. 70—72, 75 — 77, 96—99, IOO> I01- Virchow, Rudolf, 2 — 5, 11, 15, 20. Vogt, Karl 19. Wagner, Rudolf 19. Wallengren 52. Wöhler 2, 10. Wundt, W. 26, 30, 35, 38, 40. Ziehen, Th. 39. DRUCK von ANT. KAMPFE in JENA. VERLAG VON GUSTAV FISCHER IN JENA. ■C" jl Dr. Valentin, Professor an der Technischen Hochschule in Stuttgart, DflCRer , Utbn trag Srijidifal tirr rltcriidjrn untt grofjdtrr= xVPrnnntfiiC, Morphologische Beiträge zum Ausbau der Vererbungslehre. Mit 4 Tafeln und 16 Textfiguren. 1902. Preis: 4 Mark. Praxis mit! Tlicorir ftrr Zrlirn= unft Bcfrud)tmigs= Icljrr. Mit 137 Abbildungen im Text. 1899. Preis: brosch. 7 Marie, geb. 8 Mark. Deutsche Litteratnrzeitnng Nr. 1 vom I. Januar 1900: ... Es kann daher sein verdienstliches und mit erklärenden Figuren in trefflicher Weise ausgestattetes Buch allen auf das beste empfohlen werden, welche sich einen Ueber- blick über die kurz besprochenen Errungenschaften der modernen mikroskopischen Forschung zu verschaffen wünschen . . . TA/>t«tmm ^r" Oskai'' Professor der Anatomie und Direktor des 11. Anatomi- l/vlTU/l(l} sehen Instituts an der Universität, in Berlin, X)\t GntU)id?r= limg ftcr Biologie im 19. 7aijrliunttrrt Vortrag gehalten auf der Versammlung deutscher Naturforscher zu Aachen am 17. September 1900. 1900. Preis: 1 Mark. Hi$$], Dl Franz' a- ° p,of- >" Heidelberg, Dir Dcuromnlcljrc unft ihre JInI)ännn\ Ein Beitrag zur Lösung des Problems der Beziehungen zwischen Nervenzelle, Faser und (hau. Mit 2 Tafeln. 1903. Preis: 12 Mark. ScblilZ Dr- Fl'" N-' a- a Prof- an der Universität Jena, PröfatihUlll ÖH* pljVfioIOrtifdjni CljCinir. Ein kurzes Kepetitorium. Mit 3 Abbildungen im Text. 1901. Preis: brosch. 2 Mark, geb. 2 Mark 50 Pf. •t\ Dr. Max. o. ö. Prof. der Physiologie an der Universität Göttingen, vCriDOm, jpas Druron in Unatomir mrö Ptjyfiotogtr^ Vortrag gehalten in der allgemeinen Sitzung der medizinischen Hauptgruppe der 72. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Aachen am 19. September 1900. Mit 22 Abbildungen im Text. 1900. Preis: 1 Mark 50 Pf. In Kürze erscheint die vierte umgearbeitete Auflage von: .HÜrjCmrinr PljVpOlOftif. Ein Grundiis der Lehn vom Leben. Deutsche med. Wochenschrift Nr. 11, 1898 sagt über die 2. Auflage: . . . Der wesentliche Vorzug des Buches Hegt unseres Erachtens einmal in der ein- heitlichen Behandlung eines wichtigen Gegenstandes, die, wir wiederholen es, dem Verf. vortrefflich gelungen is't. Denn er hat es verstanden, geradezu packend zu schreiben, so dass man das Buch nicht leicht beiseite legen wird, wenn man irgend einen Abschnitt aus ihm zu lesen angefangen hat. Man wird ihn mit Spannung zu Ende lesen, mag man mit dem Verf. in allen Punkten übereinstimmen oder nicht. Dir Bnorgung tirr Irbrnftigw Suuftan^ Eine vergleichend- physiologische Untersuchung der Contractionserscheinungen. Mit 1!» Abbil- dungen. 1892. Preis: 3 Mark. Beiträge mv Pijvfiolorne ueo Centraineroenfvftems. Erster Teil. Die sogenannte Hypnose der Tiere. Mit 18 Textabbildungen. 1898. Preis: 2 Mark 50 Pf. VERLAG VON GUSTAV FISCHER IN JENA. 74 Dr.'Max, o. ö. Prof. der Physiologie an der Universität Göttingen, UeriDOm, pfyd)o=pliyfiologifri)g Protiftrnftutiign. Mit6ii&ogr. Tafeln und 27 Abbildungen im Text. 1889. Preis: 10 Mark. Inhalt: Einleitung. — Bisherige Litteraturangaben über das Seelenleben der Protisten. — Methodik. — Das Untersuchungsmaterial. — Die Bewegungen des un- verletzten Protistenkörpers. I. Die spontanen Körperbewegungen. II. Die Reiz- bewegungen. A. Bewegungen auf Lichtreize. B. Bewegungen auf Wärmereize. C. Bewegungen auf mechanische Beize. D. Akustische Reize. E. Bewegungen auf chemische Reize. F. Bewegungen auf galvanische Reize. Wirkungen auf die Schwer- kraft. Vergleichender Rückblick auf die Reizbewegungen. — Die sensiblen Elemente. — Die psychischen Prozesse im Protistenreich verglichen mit denen des Menschen. Ucbersicht der psychischen Griinderscheinungen beim Menschen. Die Reizbewegungen der Protisten als Reflexbewegungen. Die spontanen Bewegungen der Protisten als impulsive und automatische Bewegungen. Schlüsse, welche die Untersuchung der sensiblen Elemente gestattet. — Kompliziertere Lebenstätigkeiten. Nahrungsaufnahme. Gehäusebau. — System der psychischen Grunderscheinungen im Protistenreich. — Die Bewegungen der Teilstücke. I. Die spontanen Bewegungen der Teilstücke. IL Die Reizbewegungen der Teilstücke. — Folgerungen aus den Teil ungs versuchen. Be- stätigung der ersten Ergebnisse. Die Stoffwechselvorgänge im Elementarorganismus. Molekular-Psychülogie. — Entwicklung des psychischen Lebens im Protistenreich. Zusammenfassung der Ergebnisse. Tafelerklärungen. Dif jßiortfnljVnOtijrff.. Eine kritisch-experimentelle Studie über die Vorgänge in der lebendigen Substanz. 1902. Preis: 2 Mark 50 Pf. lUcismann, Prof- Aus«st> öorträgg übrr Pfgrcnftrmtl)gorir, gehalten an der Universität Freiburg i. B. Mit 3 farbigen Tafeln und 131 Text- figuren. 2 Bände. 1902.' Preis: 20 Mark, eleg. geb. 22 Mark 50 Pf. Inhalt: Allgemeine und historische Einleitung. — Das Prinzip der Natur- züchtung. — Die Färbungen der Tiere und ihre Beziehungen auf Selektionsvorgänge. — Eigentliche Minncry. — Schutzvorrichtungen bei Pflanzen. — Fleischfressende Pflanzen. — Die Instinkte der Tiere. — Lebensgemeinschaften oder Symbiosen. — Die Entstehung der Blumen. — Sexuelle Selektion. — Intraselektion oder Histonal- selektion. — Die Fortpflanzung der Einzelligen. — Die Fortpflanzung durch Keim- zellen. — Der Befruchtungs Vorgang bei Pflanzen und Einzelligen. — Die Keim- plasmatheorie. — Regeneration. — Anteil der Eltern am Aufbau des Kindes. — Prüfung der Hypothese einer Vererbung funktioneller Abänderungen. — Einwürfe gegen die Nichtvererbung funktioneller Abänderungen. — Germinalselektion. — Bio- genetisches Gesetz. — Allgemeine Bedeutung der Amphimixis. — Inzucht. Zwittertum, Parthenogenese und asexuelle Fortpflanzung und ihrEinfluss auf das Keimpiasina. — Medium-Einflüsse. — Wirkungen der Isolierung. — Bildung abgegrenzter Arten. — Artenentstehung und Artentod. — Urzeugung und Schluss. «Huffätjr übrr ürrrrüunrr, unti orrmantitr biologifrfjf IL Mit 19 Abbildungen im Text. 1892. Preis: 12 Mark. Fragn Inhalt: Ueber die Dauer des Lebens (1882). — Ueber die Vererbung (1883). — Ueber Leben und Tod (1884). — Die Kontinuität des Keimplasmas als Grund- lage einer Theorie der Vererbung (1885). — Die Bedeutung der sexuellen Fort- pflanzung für die Selektionstheorie (1886). — Ueber die Zahl der Richtungskörper und über ihre Bedeutung für die Vererbung (1887). — Vermeintliche botanische Beweise für eine Vererbung erworbener Eigenschaften (1888). — Ueber die Hypo- these einer Vererbung von Verletzungen (1889). — Ueber den Rückschritt in der Natur (1889). — Gedanken über Musik bei Tieren und beim Menschen (1889). — Bemerkungen zu einigen Tagesproblemen (1890). — Amphimixis oder die Vermischung der Individuen (1891). (Eine Reihe dieser Aufsätze ist auch einzeln erschienen). Ant. Kampfe, Buchdruckerei, Jena.