K 8 - * eee f * 2 5 R 1. 2 EN ii 0E . 1 1155 1740 3 Ba Sn ae an da ER ET N 2 . e N e i Arzt FE n 7 7 . 2 — 0 FFP ler) Ann N En 8 5 25 u, N 8 n Metrkkgrgeen) Fe riet ) 77 ; 5 . 15 7 Art 107 > 17 rer] U e ' F > 1 11 7 177 7. 4 nn EL u] 85 „ 5 5 ) Er üer 1 5 l nl „ 5 H r H } N R 7 5 e 7 De fi 15 ; 3 ehr „4 2. 712 4 7 1 144 . 1 r a A 7 77 2 7 5 8 % T n Zur r 1 N e e NEN] ee “ 24 . E ee e ö e e e eee eee 5 Ä BE en a a 5 4 een nah —— RT ETE l Re 1 NER © N 2 a 1 i { EHE 1 1 u HR a ] ar e ee erkast BETBEaSe PAS BEE ER an 2 Be { VVV 0 N DIRT RE K ; dein en In | N t e 1 4 12 N JCCCCCCCCTCCFCCCTCCTCTCCCCCTCCT 85 a ei RER e NE er ; N N 1 — 2 e 1 7 1555 1 Nee 27 a 2 N iin x TERN. inn 778 11557 eee 5 1892 0 7 2 \ X — 9 4 ‘ 8 n 3 ee nz 7 Art r AR 105 e } ihrer Are: N! ain AN er NEST te ke 12 nz! 5 x “ ur RR edle VL A ET ee 5 Ar 2785 5 iR RE TE TE LI TE TE D ne ee ee 11 3 ’ dr 3 ö 8 0 { e een eee 5 Nee) ehr 1 \ eee F E r — 4 — — - 22 N Hi 12 7 > = 4 J EN a 1 D air i gige, e 0 457 n ) f 7 r be — — eee eee 5 Aer £ = . nice * N 3 7 A ! z A | ER 2 1881 0 „ PES FEEL RS RESTE 222 ee ed Er, 8 Biere h 195 5 { F a ee - . ? I NN eee, 1 5 3 1 4 55 x EN Hann nn 4 F 7 ee e 1 A n { . 2 22 FRE I BE Be 5 . f N 7 r 2. a ET len? ee Tee Bene e NE RSRIE Hi . „ enn re eee eee 4 la — 7 T > 4 * . N 1 VF e J. e f 9 e 2 e N 1 enen 72 ee ee Dal. aus dem Teiche der Natur Von Balduin Möllbausen 19073 Berlin 1904 Dietrich Reimer (Ernst Vohsen) mit HSO NA N 9 1980 gg , £ De = = 2 2 0 8 8 * 5 o 0 — — m Drud von Otto Elsner, Berlin 8. Inhalt. Einleitung Die Prärie Das Meerleuchten Eichen und Kakteen. .Die Springflut . Die Heimat der mar ehe . Aus dem Schären- und . Ein Käferidyll . Die Terrafjenftadt . 5 Der Eisbruch auf dem nee . Der zimmernde Specht » .Das Hochplateau von Neumexiko . Der Urwald. . . Das Schwarze Canon .Der Präriehund 8 . Ein indianifhes Arkadien. Die kaliforniſche Sandwüſte . Dom Jotungebirge bis zum Näro⸗ 61579 hinab. . Ueber den Iſthmus von Panama 5 Einfluß der Natur auf die 4 . Nächtliche Naturbeleuchtung 8 s — O 00 — DD >» 0 * Einleitung. In dem Lande der Dakotahs, Wo der Nord arm des Nebraska Still umſchleicht die mächt'gen Scottbluffs, Damals noch des zott'gen Biſons Ungezählte ſchwarze Herden Träge ſchritten nach den Tränken, Um im Flußſchlamm ſich zu wälzen, Wo der Siegenmelker Flagend »Whip-poor-Will« rief durch die Klüfte Und der graue Bär ſich nährte Von der ſüßen Frucht der Leder: Dort, im Lande der Dakotahs, In dem Land der Jugendträume, Stand ich hoch auf gelber Ulippe. Unten glänzten Sioux⸗Selte In dem Abendͤſchein der Sonne. Um die Feuer emſig regten Braune Weiber ſich und Kinder. Männer lagerten im Kreife r Und den Kalumet man reichte — Drinnen glimmten Sumachblätter — Feierlich von Hand zu Händen. Abſeits weideten die Pferde, Manche raſteten geſättigt. Friede herrſchte aller Enden, Holder Friede auf der Prärie Unabſehbar grün und duftig; Frieden lächelte der Himmel, Hart geſchmückt mit Abend purpur. Frieden hauchte ſelbſt die Briſe, Die mir fächelte die Schläfen. Und ich atmete mit Wolluſt Jene reine Luft der Berge. Weiter dehnte ſich die Bruſt mir Und das Blut, es wallte heißer Durch die jugendfrifchen Adern, Als ich ſpähte traumverloren Bis zur Grenze, wo die Prärie Mit dem Himmelsdom ſich einte. Was ich aber dachte, fühlte, Was den Pulsſchlag trieb zur Eile: Alles ward zu Jubelgrüßen, Die begeiſtert ich entſandte, Hin ſo weit das Auge reichte. So ward ewig unvergeſſen Jener milde Sauberabend; Unvergeſſen, wie die Bilder Der Vatur, die einſt geſammelt Unermüdlich und bedachtſam, — VII — Su belehren reif're Jugend, Su erfreuen ernſtes Alter. Jahre find ſeitdem entſchwunden, Ueber fünfzig lange Jahre. Was einſt Poeſie der Wiloͤnis: Biſonherden, braune Jäger, Cuſt'ger Ritt auf Tod und Leben, Iſt verwandelt und zerſtoben Vor dem Hauch des Eiſenroſſes, Feuer freſſend, Funken ſchnaubend. Auch die Menſchen jener Seiten, Inſoweit ſie's überlebten, Sind dieſelben nicht geblieben. Schnee mit jedem Jahr ſich ſenkte In den Bart und auf das Haupthaar. Träger wallet in den Adern Jetzt das Blut, das abgekühlte. Ernſte Ruhe trat an Stelle Einſt'gen wilden Vorwärtsſtürmens. Wehmutsvoll die Blicke ſchweifen Ueber längſt vergang’ne Tage. Auch nach vorne, wo verlockend Nach des Lebens Müh' und Arbeit, Eines Lebens lang und köſtlich, Grüßet jene ſüße Ruhe Der „Glückſel'gen Jagdgefilde”. AR Die Prärie. Wenige Tagereiſen durch reich bewaldete, geſegnete Land: ſtriche führen von dem Vereinigungspunkt des Arkanſas⸗ Stromes mit dem Miſſiſſippi an den Rand der großen Prärie. Die Prärie! Ein eigentümlicher, geheimnisvoller Sauber umwebte von jeher dieſe Bezeichnung. Wer deren Reize und Schrecken, ſei es als forſchender Reiſender oder ſein mühſeliges Gewerbe verfolgender Pelzjäger, kennen lernte, in den dort gebotenen abenteuerlichen Genüſſen ſchwelgte, im Kampf gegen Entbehrungen und die auf den unbegrenzten Grasfluren doppelt beoͤrohlich auftretenden Elemente mit genauer Not dem Verderben entrann, der nahm Eindrücke mit fort, die, anſtatt zu verblaſſen, mit den Jahren lebhaftere Farben gewinnen. Es ſind dies Erinnerungen, die ſogar dem auf der äußerſten Grenze ſtehenden Greiſe noch das Blut der Begeiſterung ſchneller durch die Adern jagen, ihn geiſtig zurück— verſetzen in jene Tage, in denen er keinen andern Herrn über ſich anerkannte, als denjenigen, der die Prärie mit allem, was ſie belebt, ſchuf und ſchmückte; Tage, in denen er leichtfertig mit demſelben Trotz dem erſtarrenden Schneeſturm begegnete, wie dem mit Windeseile einherraſenden Flammenmeer, dem liſtigen rothäutigen Feinde, wie dem in die Ebene hinab— geſtiegenen Gebirgsbären. In deren Vergegenwärtigung möchte man ſich hinaufwünſchen bis in die Wolken und 1 I höher, weit höher noch, um die alten vertrauten Jagdgründe vom beeiften Norden bis hinunter zum blauen Golf von Mexiko, von dem träge einherrollenden Miſſiſſippi bis zu der langen Kette der Rocky-Mountains mit einem einzigen Blick zu umfaſſen. Man möchte zurückſcheuchen die unaufhaltſam vordringende Kultur, hinter der ſpurlos verſchwanden der zottige Biſon und der braune Jäger, und mit ihnen die letzte DPoefie des „Fernen Weſtens“. Und wie lange wird es dauern, bis die Prärie, wie die alten Fallenſteller fie kannten, nur noch in Reiſeberichten und Schilderungen vorhanden iſt! Denn was ſie bis dahin be— lebte, war nicht geeignet, zwiſchen eiſernen Maſchen und Gitterwerk zu atmen, wozu die wachſende Sahl der Schienen— wege ſich geſtaltete. Freiheit der Bewegung bedingte deſſen Daſein. Stürzen mußte alles, dem ſolcher Art die Lebensader unterbunden wurde. Soll man nunmehr jubeln über den Triumph, den die Geſittung feierte, indem ſie das, was ſie auf ihrem Wege hinderte, in den Staub trat, oder ſoll man trauern über das Verlorene? Die Vultur beſitzt ihre heiligen unveräußerlichen Rechte. In ihren Spuren ſchwingen Nationen ſich zu Macht und Reichtum empor. Befremden kann dagegen nicht, wenn der Wanderer jener fernen Seiten und Regionen angeſichts der Vernichtung deſſen, was ihn einſt entzückte, berauſchte, wehmütig das Haupt neigt und durch Wort und Bild das, was feinem geiſtigen Auge unentwegt vorſchwebt, vor Der: geſſenheit zu bewahren ſucht. Und gibt man ſich einer ſolchen Aufgabe mit ganzer Seele hin, wie erſcheint die Sprache da jo arm! Warum geftattet fie nicht, vor empfängliche Ge— müter Szenen hinzuzaubern, die ſich wenigſtens der Wirklichkeit nähern? Warum iſt es dem Sterblichen nicht vergönnt, durch das eigene Auge den Mitmenſchen zurück in die Vergangen— 1 heit ſchauen zu laſſen, ihm unverfälſcht zu zeigen, was ſich unauslöſchlich dem Gedächtnis einprägte d Wenige ſind es heut nur noch, ſehr wenige, die ihre Umgebung, ſo weit die Blicke auf den unbegrenzten Ebenen reichten, von weidenden Büffelherden geſchwärzt ſahen, und unter dieſen kaum vereinzelte, die behaupten dürfen, den Biſon da erlegt zu haben, wo heut eine Eiſenbahnſtation ſich erhebt; die Namen aufblühender Städte da verzeichnet finden, wo ſie, ähnlich dem vom ſicheren Hafen auslaufenden See— manne, ſich in das Grasmeer hineinwagten und die letzte Verbindung mit der ziviliſierten Welt abbrachen. Die Hunderte von Meilen, die mit Hilfe des feuerfreſſenden, funken— ſchnaubenden Eiſenroſſes zu durchfliegen jetzt wenige Tage genügen, legten ſie unter verſchiedenen Breiten zurück, allein beinah auf jeder Fahrt ſahen ſie das liebliche Frühlingsgrün ſprießen, den Sommer die Hnofpen der zahlreichen Blumen— familien entfalten, den herbſtlichen Höhenrauch über die ver— ſengten Grasfluren ſchleichen und den Winter das noch im Verborgenen ſich regende organifche Leben erſtarren und unter einer ſchweren Schneeoͤecke begraben. Und wie bald wird auch der letzte verſchollen ſein, der mit den weſtlichen Ein— geborenen verkehrte, als noch ſtolzes Selbſtbewußtſein die kriegeriſch grell gefärbten Phyſiognomien beherrſchte, die noch nicht durch zugetragene Krankheiten und Feuerwaſſer ge— lichteten Stämme den Charakter wirklicher Nationen trugen, eine gewiſſe Romantik darin lag, im Kreife wilder Gefährten und Häuptlinge den umgehenden, mit ſüßlich duftendem Kraut gefüllten Kalumet zu rauchen oder vereinigt mit ihnen dem klugen Biber nachzuſtellen und den Waſchbären aus hohen Bäumen hervorzuräuchern. Alles dahin! Wie in den öſtlichen Staaten die verſtreuten Überbleibfel der unterdrückten Raffe nur noch durch die Haut— 1* — 4 — farbe an ihre Vorfahren erinnern, werden binnen abſehbarer Friſt auch die letzten Indianer der Steppe und über die Rocky⸗ Mountains hinaus bis zum Stillen Ozean ihr elendes Daſein — ſoweit ſie ſich dem Ackerbau nicht zuwenden — von den Abfällen des Überfluſſes der Weißen friſten. Verachtet und verhöhnt, wird man an ihnen rächen, daß ihre Väter, zu ſtolz, um ſich der ihnen entehrend erſcheinenden Feldarbeit zu unterziehen, die an ihnen begangenen Frevel durch Mord, Kaub und Brand vergalten. Auf den Trümmern untergegangener Nationen gelangen neue Völker zur Blüte. So lehrt die Geſchichte ſeit Taufenden von Jahren. Doch wenn in den alten Erdteilen Jahrhunderte dazu gehörten, ſolche Wandlungen zu vollziehen, ſo ſind auf dem nord amerikaniſchen Kontinent in dem angedeuteten Falle kaum ebenſo viele Jahrzehnte erforderlich geweſen. So ſterben dahin die Geſchlechter. Wo deren Geſchichte nur auf mündlichen Übertragungen beruht, Baudenkmäler fie nicht unterſtützen, da wird fie eine kurze bleiben und all: mählich den Charakter des Sagenhaften annehmen, bis end- lich die letzte Hunde verhallt. Doch wenn alles verweht, in Vergeſſenheit verſinkt, alle Spuren ſich verwiſchen, fo entquillt der Erde in ſtreng geregeltem Wechſel immer wieder neues organiſches Leben, entfaltet die Natur raſtlos ihre Unoſpen, unbekümmert darum, ob der Fuß des Sterblichen ſie zertritt, ein menſchliches Auge ſie ſinnend betrachtet oder aus unbe— nennbaren Höhen nur die Sterne geheimnisvoll auf ſie nieder— funkeln. Wie dem Schiffer des Ozeans die reine Seeluft zum Be— dürfnis geworden, fo gedenkt der Präriewanderer mit Wol— luſt der Atmoſphäre, die er auf den endloſen Grasfluren ein— atmete. Damit eint ſich die Neigung, auf dem Saubermantel des Gedankenfluges immer wieder die Schauplätze feiner Bee, jugenoͤfriſchen Tätigkeit zu beſuchen, Gleichdenfende freund- lich einzuladen, an feiner Hand in jene verlockende Wiloͤnis einzudringen, überall da anzukehren, wo einft fein in weiches Wildleder gekleideter Fuß kaum erkennbare Fährten auf der fremden Erde ausprägte. Und die wandernden Herden der Biſons und langge— ſtreckten Harawanen nomadiſierender Rothäute find es ja nicht allein, woran beim Rückblick Auge und Herz ſich weiden, ſondern auch die Natur in ihrem von den Jahreszeiten ab— hängigen Wechſel, nicht minder die Gebilde, zu denen ſie ur— ſprünglich plateauartige, vereinſamt ſtehende Bodenerhebungen in tauſendjährigem Benagen umwandelte. Angeſichts ſolcher Denkmäler, die ſich hier als eine Gruppe wallähnlicher, von ſchwerer Sandſteinſchicht überdachter Hügel erheben, dort als eine Säulenreihe oder in mächtiger Pilzform ragen, empfängt man den Eindruck, daß es die Uberbleibſel umfangreicher Untiefen, die einft auf dem alten Meeresboden lagerten. Und an das Meer wird man auf Schritt und Tritt gemahnt, ab— wechſelnd durch unabſehbare ebene Flächen an ſchlummernde Gewäſſer, dann wieder durch regelmäßige, fortlaufende Hügel— reihen an den wogenden Gzean, dem ein mächtiger Wille plötzlich Stillſtand gebot. Sur nächtlichen Stunde tritt dieſe Ahnlichkeit noch ſchärfer hervor. Es iſt, als ob der Geiſt des Meeres auf den Stätten ſeiner ehemaligen Tätigkeit umgehe. Still liegt die Prärie. Soweit das Licht des Mondes eine Fernſicht ermöglicht, iſt kein Schatten wahrnehmbar. Nachdenklich blickt er auf die matt erhellte Ebene nieder. Wie auf den nimmer raſtenden Fluten, baut er auch hier auf betautem Raſen eine faſt bis zu den Füßen des Beobachters reichende ſilberglitzernde Brücke. Dem Gſten entſteigen glanzvolle Sternbilder und tauchen im Weſten wieder in die weitgeſchweifte Linie des Horizontes 6 ee hinab. Die feuchte Atmoſphäre erquickt und erfrifht. Die den Charakter der Unendlichkeit tragende Umgebung wiegt in Träumereien. Es erwacht die eigentümliche Neigung, an- geſichts erhabener Vaturſzenerien Vergleiche mit andern, nicht minder majeſtätiſchen anzuſtellen. An Bord des Schiffes in die Ferne ſpähend, geoͤenkt man gerne der unbegrenzten Grasfluren; hier vergegenwärtigt man ſich mit Vorliebe den blauen Ozean. Dies iſt das Bild der Prärie vor einem halben Jahr: hundert. Sie auf dem 35° nördlicher Breite weſtlich kreuzend, wird es vervollſtändigt durch Jagdͤtrupps ſcharfſinniger Dela- waren, Huekos, Schawanos und Kaiowäs. Dann wieder durch das umfangreiche Seltdorf der Komantſches, der gewandteſten und hinterliſtigſten Steppenreiter. Je näher der Grenze, um ſo häufiger begegnet man mexikaniſchen Tauſchhändlern, hinter denen oft genug ſchlaue Dferdediebe verborgen. Duftig blaue Plateaus und maleriſche Gebirgsjoche tauchen vor den durch die lange Eintönigkeit ſchließlich ermüdeten Augen auf. Be— fahrene Wege führen zwiſchen barock zerklüfteten Hochlands- reſten hin und durch liebliche Täler, bis man endlich die erſte Ausſicht auf den Rio Grande del Norte und ſein breites, reich bevölkertes Tal gewinnt. Sugleich tritt Albuquerque in den Geſichtskreis. Albuquerque, die Stadt der roten Pfeffer— ſchoten und der Zwiebel, der glutäugigen Señoritas und der wilden Fandangos, der Guitarren, Tambourins und Kaftag- netten, der Sigarrettos und der loſe in breiter Scheide ſtecken— den Meſſer. Sahlreiche Rinder- und Pferdeherden zeugen von dem Wohlſtande der bevorzugteren Bevölkerungsklaſſe. Maisfelder, Obſt⸗ und Weingärten umringen die Ranchos und Grtſchaften, deren Gebäude, aus ungebrannten Siegeln einſtöckig und würfelförmig errichtet und jedes äußeren Anſtriches bar, den ed Nee Charakter des Ruinenhaften tragen. Nur die Pueblos oder Städte der Nachkommen der Tolteken, die wahrſcheinlich heute noch die Sitten und Gebräuche, wenigſtens teilweiſe, ihrer Altvordern veranſchaulichen, zeigen mehrere Geſchoſſe. Sie regen zu Betrachtungen über jene angeblich von Norden her ein— gewanderten altmexikaniſchen Bölkerſchaften an, die ihre Friedensliebe, ihre Neigung zum engeren Familienleben und ausgeprägter Betriebſamkeit gewiſſermaßen über Jahrhunderte hinaus vererbten. Das Meerleuchten. Über die Urſachen des geheimnisvollen Meerleuchtens, dieſes nächtlichen Schmuckes des Ozeans, iſt vielfach und lange geſtritten worden; ſogar auf elektriſche Reibung des Waſſers im Suſammenſtoß mit feſten Gegenſtänden glaubte man es zurückführen zu dürfen, was ſich indeſſen ſehr bald als hinfällig erwies. Als unzweifelhaft kann daher nur die Erklärung gelten, daß es durch Lebeweſen erzeugt wird, nach deren Serfall die zurückgebliebenen Fächerchen und Mem⸗ branen die Leuchtkraft längere Seit weiter ausüben. Zu den lebenden Lichtträgern zählen vorzugsweiſe Meoͤuſen, Mollusken, Polypen, Quallen und zahllofe Infuſorien. Selbſt da, wo bei ſtärkſter Vergrößerung im leuchtenden Waſſer keine Ge— ſchöpfe erkennbar, glüht es in den Schaumkämmen der ſich überftürzenden Wogen wie in Brandungen phosphoriſch auf, was, wie eben angedeutet, den Uberreſten abgeſtorbener In— fuſorien zuzuſchreiben iſt. In allen Breiten, wenn auch nicht in gleichem Maße, wiederholt ſich das wunderbare Phänomen. Wärme und Kälte fcheinen keinen entſcheidenden Einfluß auf dasſelbe auszuüben. Ich beobachtete es nördlich bei mehreren Kältegraden auf den Neufundlandͤbänken, wie bei ſommerlicher Hitze in gleicher Höhe auf dem Stillen Ozean. Leuchtete es in der einen Nacht ſtärker, ſo fehlte es in der darauffolgenden — 9 — zuweilen ganz, wofür eine ſichere Erklärung auf Schwierig— keiten ſtößt. Wie viel anders zwiſchen den Wendekreiſen! Wer dort das Meerleuchten nicht durch eigene Anſchauung kennen lernte, der vermag ſich kein annähernd zutreffendes Bild von dieſer zauberiſchen wechſelvollen Vaturerſcheinung zu entwerfen, wechſelvoll, je nachdem Ungewitter heraufziehen oder die Atmoſphäre dunſtig und ſchwül unter dem ſchwer bewölkten Himmel auf der gleichſam ruhig atmenden unendlichen Waſſer— fläche lagert. Im letzteren Falle könnte man, ohne zu er— müden, ſtundenlang überwachen, wie die Wände des träge ſchwankenden Schiffes im jeweiligen Hinabtauchen phosphoriſch ſchillernde Barben empordrängen; ſtundenlang den feurig ſprudelnden Schaumkragen vor dem furchenden Bug betrachten oder das bläulich ſchimmernde Kielwaffer, das, einer unge— heuren Schlange ähnlich, ſich unter dem Steuer hervorwindet und erſt in beträchtlicher Entfernung wieder vollſtändig ver— blaßt. Wen aber das Glück begünſtigt, der mag zu derſelben Seit ſich ergötzen an den Wirbeln, Fontänen und zerſtäubendem Sprühwaſſer, durch welche eine Herde Delphine in langer Reihe, tummelnd, ſpringend und die Fluten peitſchend, ihren ungebahnten Weg, die nächtlichen Schatten überſtrahlend, weit— hin bezeichnet. Wie anders aber zeigt ſich das Meer, nachdem es wach⸗ gerüttelt worden! Auf einem Segler kreuzte ich den mexi— kaniſchen Golf und die berüchtigten Bahamabänke. Die Nacht war hereingebrochen, eine ſchwarze Nacht. Selten lugten vereinzelte Sterne zwiſchen den einherraſenden Wolkengebilden hindurch. Wütend peitſchte der Orkan den ungeduldig zucken— den Ozean. Um das ſich ringsum entwickelnde erhabene Naturſchauſpiel ausgiebig zu genießen und dem heftigen Stampfen und Schlingern des Schiffes gefahrlos zu begegnen, hatte ich mich auf geeigneter Stelle feſtgeſchnürt. Hin und wieder klatſchte eine Sturzſee über Deck. Im ſchnelleren Ab: fließen durch die unabläſſigen Bewegungen gehemmt, glitt die ſich ſtets erneuernde Waſſerſchicht hierhin und dorthin. Als habe die Reibung auf den glatten Planken ſie belebt, blitzten in allen Richtungen intenſiv leuchtende Funken und Sternchen auf. Von der regſamen Strömung getragen, huſchten und flüchteten ſie wie geängſtigt umher, bis ſie endlich die ab— leitenden Speigaten fanden oder erloſchen, um durch andere erſetzt zu werden. Ein unſcheinbarer Vorgang, und dennoch feſſelnqd und zu Vergleichen anregend zwiſchen den nur mikro— ſkopiſch zu entdeckenden Lichtträgern und der Unzahl, die er: forderlich, ganze Brandungen in phosphoriſches Feuer um— zuwandeln. 5 Von dem Unſcheinbaren zu dem Erhabenſten! Mit er: höhter Teilnahme richtete ich immer wieder die Blicke dahin, von woher die mächtigen unregelmäßigen Wogen, jede einzelne in ihren leuchtenden ſcharfen Umriſſen deutlich zu unterſcheiden, dem Schiff ſchräge von hinten folgten und es überholten. Ein majeſtätiſches Bild in feiner unabſehbaren wechſelvollen, gleichſam beoͤrohlich regſamen Eintönigkeit. Indem die Schaumkämme ſich von den wild aufbäumenden Seen löſten und gleich darauf von der brodelnden Tiefe ver— ſchlungen wurden, andere wieder jählings an deren Stelle traten, erzeugte es den Eindruck, als ob ein unermeßliches Heer kämpfender Leviathane die blöde ſtierenden geſchlitzten Augen erſchöpft, wie im Halbſchlaf geſchloſſen und, auf— ſchreckend, blinzelnd wieder zur kurzen Umſchau geöffnet habe. Und dazu die ſchwarze Nacht, das Brüllen und Toſen der brandenden Seen, das Saufen und Pfeifen des Sturms in der Takelage, das Unarren der Maſten und hin und wieder ein dumpfes Kommando durchs Sprachrohr — wahrlich, eine entfprechende Melodie zu der Szenerie, die würdig zu fchildern dem Sterblichen nur unvollkommen gelingt. Und noch eine andere Art des Meerleuchtens lernte ich kennen, eine Erſcheinung ſo lieblich und die Sinne feſſelnd, daß man ſich in eine Märchenwelt verſetzt wähnen könnte. Von San Francisco herunterkommend, war unſer Dampfer zum Kohleneinnehmen in den Hafen von Acapulco eingelaufen, ein von bewaldeten felſigen Bergabhängen eingeſchloſſenes umfangreiches Becken, deſſen Lage ein auf hervorragender Höhe errichteter Signalmaſt aufs Meer hinaus verkündet. Denn die verhältnismäßig ſchmale, jedoch den ſchwerſten Fahr— zeugen zugängliche Einfahrt erkennt man erſt, wenn man in ſie hineinfährt und nach Beſchreibung eines Bogens zwiſchen ſchroffen Felswänden und ſchäumend überfluteten Klippen hindurch plötzlich den Hafen, wie einen Binnenſee von ent⸗ zückender Schönheit, überblickt, dem die palmenbeſchattete mexikaniſche Stadt Acapulco und das maleriſch gelegene Fort mit den verroſteten Strandgeſchützen erhöhte Reize verleihen. In deſſen gänzlicher Abgeſchloſſenheit gegen Stürme iſt vielleicht eine der Beoͤingungen für das daſelbſt eigentümlich ſtark auf— tretende Leuchten des Waſſers zu ſuchen, welches ſogar das unter dem Aquator in der zeitweiſe nicht minder ſtillen Bai von Panama hinter ſich zurückläßt. Nach Einbruch der Nacht ließ ich mich von einem halbnackten braunen Burſchen auf die ſpiegelglatte Fläche hinausrudern. Leiſe glitt das Boot vor den gemächlichen Ruderſchlägen einher. So oft die Kiemen ſich in die Fluten ſenkten und ſie plätſchernd wieder verließen, erinnerten die Wirbel und kleinen Wellen an flüſſiges Feuer, und zwar in einer Farbe und Form, als ob der hinter den Höhen hinabgetauchte Mond während feines Spiegelns in dem Becken Reſtchen feiner runden Scheibe verloren habe, die nunmehr bei der Bewegung des Waſſers flüchtig zum Dorfchein kamen. Dasſelbe Spielen und Tändeln wiederholte ſich hinter dem Boot, oder wenn ich die Hand eintauchte und das Waſſer zwiſchen den geſpreizten Fingern hindurchrieſelte. Ebenſo leuchtete es phosphoriſch auf, wenn die dreieckigen Kückenfloſſen zweier in mäßiger Entfernung ſtehender Haifiſche auf einen heftigen Ruderfchlag blitzſchnell verſchwanden und die beiden Meereshyänen, nach dem kurz abbrechenden Licht— ſtreifen zu ſchließen, in der Tiefe dahin eilten, wo ſie eine über Bord gefallene Beute vermuteten. Auch hier geſellte ſich zu der wunderbaren Naturerſcheinung eine charakteriſtiſche Begleitung. Von dem geräuſchvoll be— lebten Städtchen, wo man den Beſuch der Paſſagiere feierte, zitterten die Klänge von Guitarre und Tambourin herüber. Dazwiſchen erſchallten fröhliche Ciebeslieder und Jauchzen, und alles in regelmäßiger Folge übertönt durch das Poltern und Raſſeln der in den Kohlenraum hinabgeſendeten Laſten. Eine zauberiſche Nacht war es, eine unvergeßliche Stunde. Wie Träume webte es in der abgekühlten taufeuchten Atmo— ſphäre. Bis zum Grauen des Tages hätte ich mich auf den Feuer bergenden Fluten wiegen mögen, aber die Seit war abgelaufen. Vom Dampfer dröhnte der Schuß herüber, der die Reiſenden an Bord rief. Voch war das ſich vielfach wiederholende Echo zwiſchen den Abhängen und Schluchten nicht verhallt, als mein junger Bootsmann bereits eilfertig immer neue Flammen aus den Fluten peitſchte. Eichen und Kakteen. Wenn man auf dem amerikaniſchen Kontinent die Sahl der Arten beſtimmter Dflanzengattungen als Maßſtab für deren Bedeutung anlegt, ſo ſtehen die Eichen und Kakteen obenan. Erſtere find in etwa anderthalb hundert Spezien ver- treten, während Europa deren nur ſiebzehn aufzuweiſen hat. So bilden fie nicht nur eine außerordentlich große, fondern auch, im Gegenſatz zu den Kakteen, eine durchgängig ſchöne, durch ihren Anblick erfreuende Familie. Dem forfchenden Keiſenden, der ſich liebevoll den Werken einer raſtlos zeugenden Natur zuneigt, bietet ſie daher neben erquickender Augenweide reiche Genüſſe, die er im ſorgſamen Vergleichen der charaf: teriſtiſchen Merkmale der oft zum Verwechſeln ähnlichen Exemplare findet. Eine ſchöne, eine ſtattliche Familie! Da beginnend, wo die voll ausgewachſene Eiche den fie nährenden Boden ſtrauchartig nur um wenige Fuß überragt, endigt die lange Reihe der verwandtſchaftlich geeinten Mitglieder vor der Quercus Hindsii, einem prachtvollen Baume, der vorzugs— weiſe in den kaliforniſchen Küſtengebirgen und der ſchnee— geſchmückten Sierra Nevada Größenverhältniſſe erreicht, die zur Bewunderung hinreißen. Gruppenweiſe geſellt oder zer— ſtreut, überraſchen unter ihnen Stämme von über ſechs Fuß Durchmeſſer und mit Uronen, die zehn bis zwölf Fuß ober— halb der Wurzel die erſten Zweige entſenden und in demfelben Verhältnis emporftreben. Es erhöhen ihre maleriſchen Reize die gewaltigen Aſte, die faſt horizontal ſich in einer Weiſe ausbreiten, daß ſie zuweilen einen Sirkel von beinah hundert Fuß im Durchmeſſer beſchatten. Was ſich zwiſchen dieſen beiden Grenzpunkten, dem winzigen Swerge und dem majeſtätiſchen Rieſen erſtreckt, möchte man als ein Gewirre bezeichnen, das auf Grund un— beſtreitbarer, wenn auch mitunter wenig augenfälliger Ab— weichungen von einander zu trennen, innige Befriedigung gewährt. Kommt bei der Beſtimmung der Arten der Wuchs im allgemeinen nicht in Betracht, wie beiſpielsweiſe bei der Dfofteneiche, die im nördlichen Texas in lichten Waldungen größere Flächen bedeckt und, eine gewiſſe Stärke nicht über⸗ ſchreitend, durch ihre Verzweigung an die europäiſche Erle erinnert, ſo bieten anderſeits Blätter und Früchte eine ſolche Fülle ausgeprägter Unregelmäßigkeiten, daß man beim ober— flächlichen Hinblick oft zweifelt, eine wirkliche Eiche vor ſich zu ſehen. Und wer, wenn nicht durch Erfahrung belehrt, würde eine ſolche ſofort in dem ſtolz ragenden weidenblätterigen Baume erkennen, der einer Silberweide täuſchend ähnlich d Wer in der kaſtanienblätterigen oder der in immergrünes Corbeerlaub gekleideten, wenn die Früchte nicht gleichzeitig die Aufklärung vermittelten? Und dann wieder die ent— ſcheidende Vielfältigkeit der mehr oder minder tief und ſpitz ausgezackten Blätter gegenüber den regelmäßig gelappten der zu Wäldern zuſammengerückten Waſſereiche oder der im Herbſt ſich grellrot färbenden Scharlacheiche d Und wie die Blätter, ſo die Früchte. Auf hundert⸗ jährigem Stamme mit großen Iederähnlichen Blättern tritt die kleine, ihre Näpfchen nur wenig überragende Eichel ins Leben; auf einem andern mit zarter Belaubung die eiförmige — jo Frucht, die ihm in Anſehung des geräumigen Näpfchens den Namen Overcup- oder Gbertaſſeneiche eintrug. Und immer neue ungezählte Abweichungen von der Form machen ſich zwiſchen den Eicheln geltend, die als längere und kürzere ſpitze Bolzen gemeinſchaftlich mit den zierlichen Behältern, Stielen und hier und da der zarten Behaarung auf der unteren Blatt— ſeite beſondere Arten auszeichnen. Dann aber die Genug— tuung, wenn es gelingt, in der Fülle der Derfchiedenheiten Merkmale zu entdecken, die den Gedanken an eine bis dahin unbekannt gebliebene Spezies nahe legen. Ein verführeriſches Studium, doppelt begeiſternd, wenn die dicht belaubten Wipfel einzelner Bäume wie ſchattige Haine und ernſte Waldungen die Sinne feſſeln, wechſelvolles Grün das Auge berauſcht und das den Eichen unentbehrliche fördernde Erdreich hier üppig wucherndem Geſträuch und Kraut, dort Gräſern, Halmen und lachenden Wieſenblumen Nahrung gewährt. Es erſcheint wie ein farbenfroher Gruß der erfinderiſchen Natur, die mit ihren Hunfiwerfen nicht geist, um den Ideengang des an— dächtig Beobachtenden erheiternd zu beeinfluſſen. Anders die Kakteen. Auch fie find Kunftwerfe im vollen Sinne des Wortes, zwar unendlich reich an Formen, dagegen eintönig durch die ſich überall wiederholende, fahle, bläulich grüne Farbe. Sonſt nichts an ihnen, das geeignet wäre, Wohlgefallen zu erwecken. Regungslos, gleichſam feinoͤſelig ſtarren ſie dem Wanderer entgegen. Weder Sturm noch Hagelſchauer vermögen ſie aus ihrer Ruhe aufzuſtören. Vergleicht man aber die verſchiedenartigen bizarren Ge— ſtaltungen unter ſich, dann erzeugt es den Eindruck, als ob fie, auf nahrungsloſem Geſtein zu den widerfinnigften, ſogar krüppelhaften fleiſchigen Gebilden ſich entwickelnd, in den nachbarlich raſtenden vulkaniſchen Eſſen von übermütigen Gnomen mit wilder Phantaſie abwechſelnd breitgehämmert, — zu Walzen gedreht oder aus ſtärkerem und ſchwächerem ſchmiegſamem Draht von der Wurzel aus zu blätterlos ver⸗ äſtetem Strauchwerk emporgeflochten und zum Schluß boshaft mit Stacheln überſät worden ſeien. Doch gerade die an— gedeuteten Eigenſchaften und die außerordentliche Mannig⸗ faltigkeit find es — man zählte über 400 Arten — die un: widerſtehlich die Aufmerkſamkeit feſſeln und zu peinlich ge: nauem Prüfen und Vergleichen anregen. Den heißen Himmelsſtrichen des amerikaniſchen Konti: nentes ausſchließlich angehörend — die im ſüdlichen Europa und nördlichen Afrika verbreiteten Kakteen find erſt ſeit einem bis zwei Jahrhunderten angeſeſſene Einwanderer — haben ſie ſich vereinzelt dennoch nördlich bis über den fünfund— vierzigſten Breitengrad hinaus verloren. Sie ſind ſpärlich zerſtreut und wenig hervorragend. Doch je weiter füölich, um ſo zahlreicher die Arten, um ſo barocker und mächtiger die Formen, bis die weitverzweigte Familie endlich, zwiſchen dem Colorado und dem Gila zur vollen Ausbildung ge— langend, mit gewaltigen Säulen und rieſenhaften, tonnen— ähnlichen Gebilden abſchließt. Und wie die Kakteen, fo das Gelände, das man als eine von ihnen bevorzugte Heimſtätte bezeichnen dürfte. Wogenförmig gegen Süden abfallend, dehnt das Hochplateau von Neumexiko ſich dort nach allen Richtungen hin als ſelten und dann ſpärlich unterbrochene Kieswüfte aus. Eine der unregelmäßigen Bodenanſchwellungen erſcheint wie die andere. Indem atmoſphäriſche Vieder— ſchläge Sand und leichtere Beftandteile fortſpülten, das zurück— bleibende geglättete kleine Geſtein feſter betteten und neben— einanderſchichteten, entſtand eine Art Moſaikboden, auf dem ſogar der beſchlagene Huf des Reittiers keine ſichtbare Fährte hinterläßt. Außerdem erſchweren die Wanderung ſchroff ab— fallende Furchen und Klüfte, die, von ſtürzenden Gewäſſern i gewühlt und vertieft, faſt ebenſo ſchnell wieder trocken liegen, wie der dort ſelten bewölkte Himmel ſich aufklärt. Den Eindruck einer unendlichen Ode und Starrheit erhöht ſchwarzes nacktes Eruptivgeſtein, das hier als zackige Fels⸗ maſſen und Klippen, dort als vulkaniſche Kegel, wie durch unterirdiſche Gewalten emporgetrieben, die diluviale Deck— ſchicht durchbrochen zu haben ſcheint. Und ſo ſucht das Auge vergeblich nach einem Fleckchen landſchaftlicher Schön⸗ heit, auf dem es befriedigt ruhen könnte. Anderſeits bietet entſchädigende Unterhaltung die daſelbſt vorherrſchende menſchen⸗ und tierfeindliche Vegetation. Denn wie um Ge— legenheit zu bieten, die einzelnen Pflanzenarten, wenn auch nur im Vorbeireiten, aufmerkſamer zu prüfen, friſten ſie, ſich gegenſeitig gleichſam mit Bedacht meidend, zerſtreut und getrennt von einander ihr ödes Daſein. Selten, daß ſie zu kleinen Gruppen zuſammenrücken. Und wie oft ſchwingt man ſich aus dem Sattel, um vielleicht einen Echino- kaktus genauer zu betrachten, deſſen ſcharfe Bewaffnung zum Teil aus langen Stacheln beſteht, die wie zum Angriff weit vorragen, während andere wie zum Packen und Halten in einem gekrümmten Hafen endigen. Wenige Schritte weiter ſtößt man auch wohl auf einen Melonenkaktus, der ſeiner Form den Namen verdankt, oder auf eine jener Gpuntien⸗ ſtauden, deren Veräſtung an Tauwerk erinnert, zu dem der berüchtigte Stacheldraht verwendet worden. Reich vertreten ſind die wie Hecken einher wuchernden breitblätterigen Opuntien, doch genügt in den meiſten Fällen ein Blick vom Sattel, die ihre Art beſtimmenden auffälligen Merkmale zu entdecken, wogegen andere Johannisbeerbäumchen verbild- lichen, die wie mit einem zarten weißen Seidengewebe über- ſponnen erſcheinen. Wehe aber demjenigen, der ein Sweig— lein zu brechen oder zu ſchneiden verſucht. Denn bei der Möllhaufen. 2 — 8 leiſeſten Berührung erlebt er, daß eine Anzahl der haar- feinen Nadeln die Haut ſchmerzhaft durchdringen und die Spitzen in den Wunden zurücklaſſen. Su dieſen ſeltſam kontraſtierend, erhebt ſich dann wieder nachbarlich als Miß⸗ geburt die Opuntia frutescens, das Bild eines grünrindigen entblätterten Dornſtrauchs, deſſen lange Stacheln nebſt Fruchtkolben allein ſein Geſchlecht verraten. Und ſo geht es weiter Tag für Tag in ſüdweſtlicher Richtung. Immer neue Arten der wenig anmutenden Pflanzengattung tauchen auf, bis endlich der Echinocactus Wisliceni die Aufmerk- ſamkeit feſſelt. Man traut den Augen kaum angeſichts des Gebildes, das bei einer Höhe bis zu vier Fuß, drei und eine halbe Elle im Umfang mißt. Als Ganzes iſt er vegel- mäßig abgerundet, vom oberen Mittelpunkte, dem Sitz der Blüten und Fruchtknollen, aus laufen Rippen und Rillen in mäßiger Windung ſchräge nach unten. Eigentümlich von dem fahlen Grün heben ſich die fingerlangen roſaroten Stacheln ab, die, in Bündeln auf den Erhebungen regel— mäßig verteilt, die Furchen überdachen und ein wunderbares Gewebe herſtellen. Erjtaunt man aber beim Anblick des Pflanzenkoloſſes, jo erhebt ſich wie ein Rätſel die Frage, woher er, wenn nicht aus der Atmoſphäre, auf dem dürren Kiesboden Nahrung fchöpft, die ſich in feinem Innern eimerweiſe als Waſſer verteilt, und woher die Säfte, die geeignet ſind, prachtvolle Blüten zu entfalten. Sugleich mit dieſem „Monſtrum“ — als ſolches möchte man ihn bezeichnen — tritt der Cereus giganteus in den Geſichtskreis. In Abſtänden von einander gewährt er, vermöge ſeines Rieſenwuchſes weithin ſichtbar, einen belehrenden Überblick über alle Stadien ſeines langen Cebens. Als runder Wulſt der harten Wiege ſich entwindend, veranſchaulicht die allmählich erſtarkende, ſtachelbeſetzte Keule bis zu zwölf Fuß Höhe gewiſſermaßen die Jugendzeit. Dort beginnt das kraftvolle Mannesalter. Es verrät ſich in dem Ring von drei bis fünf Wulſten, die aus der fort- geſetzt mächtig emporſtrebenden Säule hervorquellen, mit einer kurzen Biegung nach oben ſchnurgerade dem mütter- lichen Schaft nacheifern und einen Kandelaber von den un— glaublichſten Größenverhältniſſen darſtellen. Damit nicht genug, vervollſtändigen zehn Fuß höher weitere Abzwei— gungen, nach dem Beiſpiel der erſten, einen Doppel- kandelaber, deſſen den Gipfel krönende Blüten über 56 Fuß hoch im köſtlichſten Farbenſpiel hinausleuchten. Hiermit iſt der Glanzpunkt erreicht. Es folgt das Greiſenalter, das ſich über ungezählte Jahre hinaus erſtreckt. Denn ob er die Wurzeln in kieſiges Erdreich oder in Felsſpalten ſenkt: Kein Orkan vermag ſeinen Stand zu lockern oder ihn gar umzu⸗ brechen. Es ſchützt ihn gegen Schwanken das eiſenharte unverwesliche Holz, dem die feſte fleiſchige Maſſe erhöhte Widerſtandsfähigkeit verleiht. So blickt der gigantiſche Cereus ſtolz auf die niedrig geborene Verwandtſchaft hinab, ſtolz auf die dickblätterige Agave, die ſich vergeblich müht, den langen, kronleuchter— artig mit Blütenarmen geſchmückten Samenſchaft vor deſſen Abſterben bis zur gleichen Höhe emporzuſenden. Gering— ſchätzig dann wieder auf die Nucka, deren ſchuppiger Stamm wenige plumpe nackte, in einem Buſch Bajonettblätter endi= gende Aſte trägt, aus denen beſcheidene Blütenſchäfte ſich ſchüchtern hervorwagen. So iſt auch den Kakteen eine kurze Feſtzeit beſchieden. Wie um fie für den im allgemeinen mangelhaften Wuchs und das feindſelige Stachelkleid zu entſchädigen, ſind ihnen Blüten zuerkannt worden, die ſowohl nach der Form wie den glühenden Farben den bevorzugteſten Gewächſen zur 2* e Seite geſtellt zu werden verdienen. Es iſt gewiſſermaßen ein lichter Traum in ihrem öden Daſein, nach deſſen Ser— rinnen ſie um ſo troſtloſer dareinſchauen. Leider glückt es nur felten, den dürftig auf verſchiedene Perioden entfallen- den Blumenflor zu bewundern. Die darauf folgenden Samenkolben aber find am wenigſten geeignet, den Charak— ter des Starren zu mildern, der wie ein Fluch auf der ſchattenloſen Wüſte lagert. Wenn es gelingt, von ſommerlich belaubten Eichen- waldungen ſchildernd ein freundliches Geſamtbild zu ent— werfen, fo ſcheitert es hier an den wenig gefälligen Dege- tationsformen wie an deren weitläufiger Verteilung auf fahlem, undankbarem Erdreich. Wird dort das Auge er— quickt, ſo ermüdet es hier, und je länger in der jedes Reizes entbehrenden Umgebung, um ſo ernſter der Wunſch, ſie baldigſt mit geſegneteren Landſtrichen zu vertauſchen. Und wie könnte es anders ſein. Alles ringsum ſtarr und ſtumm. Nur die beſchlagenen Hufe der Reittiere klappern auf dem Moſaikboden. Wie in einem Totenreich erheben ſich hier und da als Skelette die Holzgerüſte ab- geſtorbener Gewächſe. Das ſie umkleidende Fleiſch zerfiel, aber weiter leben die von ihrer Haft befreiten Stacheln. Von Winden überall hingetragen, bedrohen fie den nicht feſt beſchuhten Fuß auf Schritt und Tritt. Kein Vogel außer den in Wolkenhöhe wandernden unterbricht die traurige Einfamfeit; kein Vierfüßler kreuzt das fo viele, faſt un— ſichtbare Gefahren für ſeine Bewegung bergende Gelände. Nur der vertierte zottige Tonto- und Hualpaiapatche durch⸗ ſchleichen es ſcheu, um Agaven zu entwurzeln und durch Vergraben des der ſcharf bewehrten maſſigen Blätter ent- ledigten Kerns zwiſchen erhitzten Steinen einen mit Faſern durchſetzten honigähnlichen Saft zu gewinnen. In Leder- on. fegen und von den trotzigen Navahoe-Lanzenreitern ein— getauſchte elende Deckenreſte gehüllt, verwenden ſie auf die Fußbekleidung mehr Sorgfalt. Ihre Lederſtrümpfe, die bis halb nach dem Knie hinaufreichen und mit Sohlen aus roher Wildhaut verſehen ſind, die vorn in einen nach oben gebogenen breiten Schnabel auslaufen, gewähren wenigſtens einigermaßen Schutz gegen die tückiſch wirkenden Pflanzenabfälle. Erſt wenn die Dämmerungsſchatten ſich verdichten und die ſcharfen Konturen verzerren, beginnt die ſtumme Wildnis unter Beihilfe der Phantaſie ſich geheimnisvoll zu beleben. Wie Schildwachen erſcheinen nah und fern die Keulen der noch jugendlichen Cereen. Zu Rieſen in kurzen Röcken ge— ſtalten ſich die einfachen Kandelaber, zu Hochgerichten die doppelt verzweigten. Manche, auf dem Rande ſchroffer Felswände thronend, erzeugen die Täuſchung des höheren Emporwachſens. Geſpenſtiſch zeichnen ſie ſich vor dem letzten entſchlummernden Abendrot aus. Nach langem, mühevollem Marſch in dieſen Regionen ſehnt man die Nacht herbei. In einer breiteren Schlucht, wo harte Grasbüſchel und Weidenſchößlinge den erſchöpften Tieren kümmerliches Futter bieten, im günſtigen Falle eine nach kurzem Lauf verſiegende Wafferader zu Tage tritt, richtet man ſich nach beftem Können ein. Es fördern die flackernden Flammen des Küchenfeuers die Neigung zum Gedankenaustauſch. Wie am Tage, herrſcht auch zur nächt- lichen Stunde weit und breit Schweigen. Selten, daß ein wandernder Regenpfeifer ſeinen ſchrillen Ruf hernieder- ſendet. Seltener noch das aus der Ferne herüberdringende Heulen eines marodierenden Wolfes. Die Sterne funkeln. Die zu vertrauten Bildern geeinten Planeten erwecken ein gewiſſes Heimatsgefühl. — — — Ba) Do Es iſt Abend. Beim Rückblick in jene ferne Der- gangenheit ſtürmen neue Erinnerungen unwiderſtehlich auf mich herein. Die mich umwebende Stille und das ruhige Licht der Lampe vermitteln deren Verkörperung. Befreuns- dete Geſtalten tauchen auf; ich höre ihre fröhlichen ſorg— loſen Stimmen. Sie alle haben bereits längſt das letzte große Geheimnis kennen gelernt. Daher Gute Nacht ihnen, die einſt Fährniſſe und Beſchwerden mit mir teilten, begeiſtert den verwegenſten Hoffnungen huldigten, um zum Schluß von der Unbeſtändigkeit alles Irdiſchen überzeugt zu werden. i Die Springflut. Ob in den eisſtarrenden arktiſchen Regionen oder im ſonnendurchglühten feuchten Schatten einer ſinneberauſchen— den tropiſchen Pflanzenwelt; ob auf unbegrenzten Gras- fluren, in den das Geſpenſt der Sandſtürme bergenden nahrungsloſen Wüſten, oder zwiſchen vulkaniſch zuckenden Bergjochen wie auf dem raſtlos wogenden Ozean: Überall begegnet der Menſch Naturereigniſſen und Bildern, deren Wirkung auf empfängliche Gemüter derartig iſt, daß die Erinnerung daran bis zur höchſten Altersſtufe hinauf nichts von ihrer Friſche einbüßt. Wenn aber die Küftenbewohner teilnahmlos, wie über eine naßgeregnete Straße, über den ſich zweimal innerhalb nicht ganz fünfundzwanzig Stunden wiederholenden geheimnisvollen Wechſel von Ebbe und Flut hinwegſchauen, jo ahnen die wenigſten, mit welcher furcht- baren Gewalt da, wo Grtlichkeit und Umſtände es be- günſtigen, die erwachende Springflut ſich einherwälzt. Die mächtigſten Fluten treten ein, wenn Sonne und Mond, den Meridian kreuzend, ſenkrecht über dem Aquator ſtehen und die ſchwächere Anziehungskraft der erſteren den Mond in ſeinem Einfluß auf den Meeresſpiegel unterſtützt. Es find dies die auf manchen Küftenpunften jo gefürchteten Aquinoktial⸗ a Springfluten. Im Bereich ihrer bis ins Grauenhafte ge- ſteigerten Tätigkeit liegt auch der langgeſtreckte Golf von Kalifornien. Der „Große Colorado des Weſtens“ durchſchneidet in ſeiner ganzen Länge faſt ausſchließlich dürre Kieswüften und bis zu neuntauſend Fuß hohe maſſive Felsplateaus, um endlich in den genannten Golf zu münden. Auch dort beſpülen feine gelben Gewäſſer im ewigen Kampf mit Ebbe und Flut Geſtade, die in flacher, trauriger Eintönigkeit ſich bis zu den fernen blauen Gebirgszügen hin erſtrecken. Sweimal in jedem Monat — zur Seit des Neu- und des Dollmandes — find fie den Überſchwemmungen durch die Springflut unterworfen. Was dieſe nach Eintreten der Ebbe hinter ſich zurücklaſſen, find triefende, von Rinnen durch- furchte Lehm- und Sandlager, die, zu Moraſt erweicht, nicht wenig an die Schilderungen der ſich verlaufenden jagenhaften Sintflut erinnern. Ein Bild des Todes im vollen Sinne des Wortes; dann wieder ein Paradies der Pelikane, Hänſe, Enten, Möwen, Strandläufer und Stelz- füßer, die in zahlloſen Herden die menſchenfeindliche Einöde je nach der Jahreszeit charakteriſtiſch beleben. Wohl baut die Fata Morgana in launenhaftem Spiel hin und wieder verlockende trügeriſche Gebilde vor dem ermüdeten Auge auf, um indeſſen hinterher die weitgedehnten gelben Flächen nur noch troſtloſer erſcheinen zu laſſen. Und dennoch haben daſelbſt vereinzelte Menſchen vor— übergehend gehauſt und unter Beſchwerden und Entbehrun— gen ihren Broterwerb geſucht. In den fernen Tagen, auf die ich zurückgreife, erregte gegen zwanzig Meilen unterhalb des Punktes, wo der Colo-⸗ rado ſich zum Golf erweitert, ein ſeltſamer Bau die Aufmerk- ſamkeit des dorthin verſchlagenen Forſchers und Rüſten— 35 pe fahrers. Auf einer etwas höheren Abflachung des rechten Ufers, von tief in das zähe Erdreich geſenkten Treibholz— ſtämmen getragen und aus Planken und Brettern in Form eines länglichen Rechtecks errichtet, glich das Häuschen mit dem ſchrägen Dach einem vielfüßigen Meerungetüm, das auf der mühſeligen Wanderung über die moraſtige Sbene ſtecken geblieben. Vor ihm verlängerte der ringsum vor— ſpringende Fußboden ſich zu einer Plattform, umfangreich genug, dem Bewohner zur Seit der unterhalb ihr hindurch— ſtrömenden Hochflut den Aufenthalt im Freien zu ermög— lichen. Das war das gelegentliche Heim Robinfons, eines Schiffszimmermanns, deſſen Kotfendienfte wir uns ſicherten. Von der Regierung in Waſhington vor die Aufgabe geſtellt, den noch unbekannten Wüſtenſtrom bis zur äußerſten Grenze der Schiffbarkeit zu erforſchen, hatte unſere Ex- pedition ſich in San Francisco geteilt. Der Kommandeur wählte den Waſſerweg um die kaliforniſche Halbinfel herum und begab ſich mit einem Aſſiſtenten, dem Maſchinenmeiſter und den erforderlichen Mannſchaften an Bord eines Re— gierungsſchoners, auf dem ein kleines eiſernes Dampfboot, nachdem es ſtückweiſe über Panama nach San Francisco befördert worden, ſeinen Platz gefunden hatte. Die größere Abteilung wurde beauftragt, mit einer Herde Maultiere und den entſprechenden mexikaniſchen Packknechten durch die kaliforniſchen Gefilde und die verrufene Sandwüſte dem- ſelben Siel zuzuſtreben. Bald nachdem wir in Fort Numa, dem Dereinigungs- punkt, eingetroffen waren, erfuhren wir, daß der Schoner mit der letzten Springflut aufs Trockene geſetzt worden und nachbarlich von ihm der zuſammengefügte Dampfer mit der Ausrüſtung ſoweit gediehen war, daß er vor Eintritt der Vollmondflut reiſefertig ſein konnte. U Da Robinfon zur Übernahme feiner Obliegenheiten ſich in feinem Kielboot an Ort und Stelle zu begeben gedachte, ſchloſſen wir uns zu Dreien ihm an. Obwohl zeitweiſe durch Flutſtrömungen gehemmt, gelangten wir binnen zwei Tagen bis in die Mündung hinunter. Dann aber war es, als hätte die Natur das Außerſte aufbieten wollen, uns das Abſchreckende jenes Geländes eindringlich vor Augen zu führen. Die Sonne hatte ſich den öſtlichen Höhen entwunden und nach kurzer nächtlicher Raſt ſchwangen wir bereits wieder die Ruder, als die gewöhnliche Morgenbriſe ſich plötzlich zum Vordweſtwinde verſchärfte. Stoßweiſe ſchnob er über den ungebärdig aufbrauſenden Golf hin. Die Wüſte fegend, entführte er ihr feinen Sand in Wolken. An Heftigkeit gewinnend, ſchaffte er zunächſt nach Art des Schneetreibens eine gelbgrau ſtäubende Schicht, die eilfertig in der ihr vorgeſchriebenen Richtung einherrieſelte. Höher und höher emporwachſend, verſchleierte ſie die Sonne. Der Strahlen beraubt, rang ſie noch eine Weile, als braun— rote Scheibe die Tagesherrſchaft zu behaupten, allein ver- geblich: Sinem häßlich gefärbten Vorhang ähnlich ſchob es ſich vor den blaulachenden Himmel. Wilder fauchte der Wind und maſſiger ſtieg der wirbelnde trockene Nebel, bis endlich ein falber Hof als Letztes den Stand der dem Senith zuſtrebenden Sonne ver— kündete. Die Atmoſphäre hatte ſich in ein Staubmeer ver— wandelt. Wohin man ſich wendete, überall war die Fern— ſicht völlig abgeſchnitten. Was das Atmen erſchwerte, den Gaumen dörrte, dumpfes Klingen in den Ohren erzeugte, zwiſchen den Sähnen knirſchte und die Augen ſchmerzhaft blendete: Alles Sand, feinkörniger ſcharfer Sand, gegen den es keine Deckung gab. Man wagte kaum den Mund zu Pa oe einer Derftändigung zu öffnen. An der Umſchau gehindert, verloren wir die vorläufig dürftigen Schutz gewährende Uferwand aus den Augen. Es blieb daher nur übrig, uns der Ebbeſtrömung anzuvertrauen. Erſt als die zurück⸗ kehrende Flut den letzten abfließenden Gewäſſern begeg— nete, ſie in kurzem Aufbrauſen überwältigte, näherten wir uns wieder dem Lande, das inzwiſchen bis zu einer Höhe von mindeſtens 20 Fuß aus dem wirbelreichen Waſſerſpiegel aufgetaucht war. Dort, wo wir erträglichen Halt an dem ſchroffen Abhange fanden, legten wir uns feſt und warteten bis wir hoch genug gehoben wurden, um uns nach oben zu ſchwingen. Das durch eine Leine geſicherte Boot dem Spiel der Wellen überlaſſend, verhüllten wir die Häupter und rückten enger zuſammen. Stunden dauerte es, bevor die über uns hinſtreichende Kühlte ermattete. Doch erſt am ſpäten Nachmittage ging ſie zu einer mäßigen Briſe herunter, die indeſſen noch kräftig genug war, das gänzliche Sinken des aufgeregten Sandes zu verzögern. Wie aus einem Sack hervorkriechend, er— hoben wir uns. Mit den Köpfen überragten wir die träge einherfriechende gelbe Schicht. Sie war vollkommen eben, man hätte fie mit einem leichtgekräuſelten Landſee ver— gleichen können. Die Takelage des Schoners und der Schorn⸗ ſtein des Dampfers befanden ſich in unſerm Geſichtskreiſe. Sie erinnerten an geftrandete Schiffe. Purpurn wie eine Rubinkugel glühte die niedrig ſtehende Sonne. Die öſtlichen Bergketten ſchmückte ſie mit rötlichen Lichtern. Wie Grüße erſchienen ſie, von der hinter ihnen ſich ausdehnenden heiteren Vegetation entſendet, wogegen die fernen weſtlichen Abhänge in ihrem tiefen Blau von dem auf ihrer andern Seite ſchwer atmenden Ozean erzählten. Der noch nicht ganz volle Mond neigte ſich. Trübſelig blickte er auf die 2 gänzlich veränderte Candſchaft nieder. Sein ſchiefes Geſicht war krankhaft bleich. Ihn ſchien zu fröſteln. Bald darauf entwickelte der Rumpf des Schoners ſich vollſtändig. Abſeits von Robinſons Abſteigequartier lag er auf dem nach zweiwöchigem Dörren verhärteten Schlammbett. In geringem Abſtande regten ſich alle Hände, die Ausrüſtung des fertigen Dampfers zu beendigen. Und Eile war geboten. Binnen zweimal vierundzwanzig Stunden war die Hochflut fällig. Gelang es nicht, ſie erfolgreich auszunutzen, ſo wurde das Ablaufen unausbleiblich um zwei, wohl gar vier Wochen hinausgeſchoben, für uns ein un⸗ erſetzlicher Seitverluſt. Die Flut, die uns fo lange feſſelte, hatte ihre Höhe erreicht. Ruhig lag der Golf. Die ihn noch bergende Staub— ſchicht erzeugte den Sindruck des Dampfens. Behaglich gurgelte und ſprudelte die beginnende Ebbeitrömung. Wir ſtiegen ins Boot hinab. Naum aber hatten wir die erſten Ruderſchläge getan, als es ringsum lebendig wurde. In Scharen erhoben ſich weit und breit Vögel der verſchiedenſten Gattungen aus dem bisherigen Verſteck, nachdem ſie aus Furcht, in der verdichteten Atmoſphäre ſich zu verlieren, den Tag über geraſtet hatten. Da gab es denn ein Flattern, Kreifchen und Pfeifen, dann wieder ein Tauchen, Slügel- klatſchen und Schnattern, als ob man die Rettung aus großer Bedrängnis gefeiert habe, ein Lärm, der erſt ver— ſtummte, ſobald die nunmehr ebenmäßig fließenden Ge— wäſſer den klaren, ſonnigen Himmel ſpiegelnd zurückwarfen. Als wir vor unſerm Siele eintrafen, war die Sonne im Begriff, zur Rüſte zu gehen. Scheidend überſtrömte ſie den Golf und die ihn begrenzenden Ebenen mit durch Dunſtſchichten gemilderter Glut. Es glitzerte und flammte, indem ihre ſchrägen Strahlen die Schlamminſeln und Sand— og bänke ftreiften, die hier und da aus dem fich ſenkenden Waſſerſpiegel auftauchten. Abendduft verſchleierte den Oſten. Vereinzelte höherragende Pics ſandten eine träume- riſche Mahnung an das zauberiſche Alpenglühen herüber. Sin Hauch tiefer Melancholie ruhte in der regungsloſen Atmoſphäre. Das Wellenſpiel hatte aufgehört. Die Schwimmvögel raſteten auf geglätteter Flut oder durch— furchten ſie gemächlich reihenweiſe. Als häßlicher Mißton drang das Kläffen und Jauchzen eines Rudels raubgieriger Schakals von der Grenze der Ebene herüber. Man hätte ihnen eine inſtinktartige Vorahnung der Überſchwemmung zuſchreiben mögen, nach deren Verlaufen ihnen in den von den Gewäſſern in Rinnen und Pfützen zurückgelaſſenen Kebe- weſen leicht zu erlangende Beute winkte. Nach oben ſteigend, maß ich mit den Blicken den Höhenunterfchied zwiſchen den zeitigen Lagerſtätten der beiden Fahrzeuge und dem Stand der gewöhnlichen Ebbe.“ Er betrug über zwanzig Fuß. Um ſie aber flott zu machen, bedurfte es eines Anwachſens der Flut bis zu mindeſtens dreißig Fuß. Und wer ſagte uns, daß der ſeltſame Stapellauf binnen der verhältnismäßig kurzen Friſt der Entſcheidung ſich glücklich vollziehen, nicht irgend ein unvorhergeſehener Sufall fie noch auf längere Seit an die unwirtliche Um- gebung bannen würde? Für den Schoner, der vierzehn Tage früher bereits die Probe beſtand, war weniger zu fürchten, wogegen der Anblick unſeres offenen eiſernen Kaſtens trotz der ihn belebenden Maſchine ernſte Bedenken erweckte. Bei einer Breite von 15 Fuß maß er in der Länge 52, mit den niedrigen Wänden einen Raum umſchließend, deſſen dritter Teil auf die Maſchine entfiel; ſo war es immerhin ein Wageſtück, mit ihm die vorausſichtlich ſchweren Brandun⸗ gen zu bekämpfen. Im übrigen war ſein ganzer Bau ſinnig darauf berechnet, Stromſchnellen und Untiefen zu über- winden. So betrug ſein Tiefgang nur achtzehn Soll, wozu ſich der Umſtand geſellte, daß er durch ein am Steuer an- gebrachtes Schaufelrad getrieben wurde, was ihm ent- fernte Ahnlichkeit mit einem Schiebkarren verlieh. Der enge Kajütenraum, deſſen Bedachung den Steuerapparat trug, war nicht nennenswert. Am Tage diente die Platt- form den Mitgliedern der Expedition zum Aufenthalt, wo— gegen wir die Nächte auf dem Lande in Selten verbrachten. Swei Tage verſtrichen noch in reger Tätigkeit, ſo daß am Abend des zweiten nichts fehlte, als die erlöſende Spring- flut. Sie ſollte zur frühen Morgenſtunde einſetzen. Die legten Sweifel ſchwanden, als die nächtliche Ebbe in be— ſchleunigter Bewegung innerhalb fünf Stunden eine Tiefe erreichte, die nach Robinſons Seugnis noch mehrere Fuß unterhalb der Neumondebbe lag. Die Maſchine war für alle Fälle ſchon nachmittags aufgeheizt worden. Damit gingen Hand in Hand die gegen den zweifellos ſchweren Waſſerandrang ſchützenden Vorkehrungen. Dann raſteten alle an Bord. An Schlaf dachte keiner. Zu groß war die Spannung, mit der man den kommenden Ereigniſſen ent— gegenſah. Was gefprochen, was gedacht wurde, gipfelte in der Vergegenwärtigung, den Dampfer binnen kurzer Friſt fein feſtes Lager verlaſſen und in gleicher Höhe einen Raum durchmeſſen zu ſehen, der zur Seit, zumal von Schatten bedeckt, als Abgrund emporgähnte. Es war eine liebliche Nacht. Su der milden, jedoch das Sternenheer überſtrahlenden Beleuchtung des vollſtändig abgerundeten Mondes, geſellte ſich das Cicht der zu Bildern geeinten Planeten. Su uns herauf drang das koſende Ge— murmel der das Ufer benagenden, ungewöhnlich lebhaften Strömung. Hin und wieder ertönte der warnende Ruf eines a wachſamen Reihers oder das kurz abgebrochene Schnattern verſchlafener Enten. Sum unheimlichen Chor wuchs das Heulen der Wölfe und Schakale. Wie von einem Kapell- meiſter dirigiert, ſchwand es, um alsbald wieder mit er— höhtem Nachdruck loszubrechen. Stunden verrannen. Das Heraufziehen des Tages be— ſchleunigte ein breiter Orangeſtreifen im Oſten, von dem ſich die Höhenzüge mit ihren ſcharfen Umriſſen wie aus Sinkplatten geſchnitten abhoben. Wir ſtanden faſt unmittel- bar vor der Entſcheidung, von der unſer bedachtſam vor— bereitetes Werk abhängig war. Dies Bewußtſein ſpiegelte ſich in dem nur felten durch kurze Bemerkungen unter- brochenen Schweigen. Von Minute zu Minute wuchs die Spannung. Südlich lauſchten die Ohren. Erwartung feſſelte die Sinne. Endlich erwachte weit abwärts eine leiſe vibrierende Erſchütterung. Es klang, als ob eins der in dortigen Re— gionen nicht ſeltenen Erdbeben ſich angemeldet habe oder das Scho eines abgefeuerten Geſchützes erſterbend ausklinge. Es verſtärkte ſich allmählich zu dem tiefen hohlen Ton einer aufſpringenden Windsbraut. Lauter und deutlicher wurde es, bis man ſich in der Nähe eines Waſſerfalls oder des gegen ſchroffe Felſengeſtade brandenden Ozeans hätte wähnen können. Unruhig kreiſten die Vögel. Geräuſchvoll erhoben ſie ſich familienweiſe. Scheu flüchteten ſie in alle Richtungen. a Unter dem ſtetig zunehmenden Getöſe verſtrich längere Seit, als eine gewaltige Woge, vergleichbar einer auf die Erde verirrten düſteren Wolke, ſich in majeſtätiſcher Ruhe heranwälzte. Von Ufer zu Ufer hinüberreichend wuchs ſie in demſelben Grade empor, in welchem das Bett des Golf- ſich verengerte. . Der Eindruck, den der Anblick erhabener Naturſzenen hinterläßt, wird, wie durch die Eigentümlichfeit der Ge— gend, nicht minder, ſogar ergreifender noch durch die Be— leuchtung beſtimmt. So auch hier. In der noch herrſchenden Dämmerung machte die Wechſelwirkung des flammenden Morgenrots und des Mondes ſich maleriſch geltend. Tiefe Schatten, Blitze und feurige Schlangenlinien huſchten über die Abhänge des beweglichen Waſſerhügels und bezeich- neten deſſen Mächtigkeit. Drohend beſchleunigte er ſeine Eile. In der Entfernung einiger hundert Ellen ſtieß er auf den Widerſtand einer Inſel. Von den ihm nachfol— genden Dünungen bedrängt, rollte er in wildem Aufbäumen über ſie hinweg. Gleich darauf begegnete er der ſich vor ihm ſtauenden Flußſtrömung. Sich zum Teil in Giſcht ver- wandelnd, ſtürzte er wütend auf fie ein. Ein weithin dröhnender Kampf entſpann ſich, bevor er ſie verſchlang, ein Kampf, in dem es kochte, brodelte und ziſchte, wie in einem Höllenſchlunde, und weiter wälzten die bahnbrechenden ungeheuerlichen Wogen ſich der Strommündung zu. Es war ein Schauſpiel, in ſeiner Wirkung auf den Beobachter er— greifend und beängſtigend, zumal bei der ſtillen Atmoſphäre eine erkennbare Urſache für die geheimnisvolle Bewegung fehlte. Es förderte den Scheu erweckenden Gedanken, binnen kürzeſter Friſt das Schwanken des Bodens unter den Füßen zu fühlen, mit unwiderſtehlicher Gewalt fortgeriſſen zu werden und inmitten des chaotiſch durcheinandertoſenden Elementes ſich wiederzufinden, wo menſchliche Kräfte ihr Ende erreichten. Nur Minuten waren ſeit dem Dorüberheulen der erſten Flutwelle verſtrichen, als die in kurzen Pauſen nachfolgenden Wogen im jedesmaligen Höherſteigen ſich endlich über den Uferrand ergoſſen, mit den ſüdlich ausgetretenen und herbei— zn en eilenden Gewäſſern ſich einten und die weitgedehnten Flächen in einen See verwandelten. Damit war für die beiden Fahrzeuge die Seit gekommen, ſich zu bewähren. Es knarrten Taue und Ketten, es krachten die dem heftigen Anprall ausgeſetzten Holzteile, die ihnen als Halt dienten, unter dem furchtbaren Druck. Der Schoner ächzte und ſtöhnte, wogegen unſer Eiſenſchiff, durch langſame Schaufel- ſchläge im Gleichgewicht gehalten, ſich verzweifelt in ſeinem Lager wand, bevor es ſich von ihm löſte. Alsbald entwickelte ſich ein kurzes Ringen zwiſchen den zuſtrömenden Wogen und den ſich ſtauenden vorausgeſendeten, die dieſen das Abfließen wehrten. Die Wirkung war eine faſt augenblick⸗ liche. Suckend und ſchlingernd hob der Schoner ſich auf den unter ihm hindurchſchlagenden Dünungen, dann wiegte er ſich, vollſtändig flott, vor ſeinen Feſſeln, während der Dampfer die Herrfchaft der Maſchine willig anerkannte und nur gelegentlich durch Sprühwaſſer beläſtigt wurde. Nach dem erſten unwiderſtehlichen Angriff hatte die Flut, das Cosmachen des Schoners erleichternd, einen ruhi- geren Verlauf genommen. Die Segel wurden geſetzt. Durch Aufwinden der in den Golf hinausreichenden Kette half man nach, bis er oberhalb des Ankers im freien Waſſer lag. Doch erſt als die Ebbe wieder eintrat, wendete er den Vorderſteven ſüdlich. Der Dampfer hatte um dieſe Seit bereits eine Strecke zurückgelegt. Keuchend ſtrebte er feinem Ziele zu, den laby- rinthiſch verſchlungenen, jeder Beſchreibung ſpottenden furchtbaren Schluchten und Canons des oberen Colorado. Möllhauſen. 3 Die Heimat der Summfzupreſſe. Senkrecht brennt die Sonne auf die Sumpfregionen des unteren Miſſiſſippi nieder. Die bis zur Unerträglichkeit gefteigerte Hitze des Hochfommers verwandelt die Niederung in eine Brutſtätte giftiger Miasmen. Die durchglühte Atmo⸗ ſphäre zittert. Mit ihr regen ſich die anmutigen Formen der zerſtreuten Sypreſſen, die weiter abwärts zu Hainen zuſammenrücken. Geſtrüpp, Kraut, Schilf und umfangreiche Moosflächen wechſeln mit kleineren und größeren Weihern und natürlichen Kanälen ab. Deren Spiegel iſt getrübt durch lichtgrüne Linſen, Algen und die breiten Blätter der Seeroſe. Wo er den ſonnigen Himmel zurückſtrahlt, be— deckt ihn ein metalliſch ſchillernder öliger Überzug, das Erzeugnis ſtagnierender Gewäſſer. Außer den gleichſam architektoniſchen Baumformen weit und breit nichts, das geeignet, mit dem Charakter des eintönigen Geländes aus zuſöhnen. Wie in unlöslichen Sauberſchlaf verſenkt, neigen die wenigen blühenden Pflanzen ihre Knoſpen und Kelche. Den Eindruck des Gden erhöht, wenn man einige Tage zuvor noch im Anſchauen der mit ungewöhnlich großen prachtvollen Blüten überſäten ſtolzen Wipfel der Magnolia⸗ bäume ſchwelgte. Je troſtloſer aber die wie ausgeſtorben liegende Umgebung, um ſo eifriger forſcht man nach Seichen BEN pulſierenden Lebens. Vicht das Unſcheinbarſte wird über- ſehen. Es befriedigt ſchon allein der Anblick eines träge einherſegelnden Falters oder der am gekrümmten Binjen- halm hängenden jtahlblauen Libelle, nicht minder das grämliche Schnarren der im Graſe verſteckten Heufchrede. Von dieſer wie von jenen möchte man glauben, daß ſie unter dem Bewußtſein ſeufzten, mit ihrem frohen Farben- ſpiel und der urſprünglichen Munterkeit nicht dorthin zu gehören. So beeinfluſſen ſie eigentümlich den Ideengang des einſam wandernden Naturfreundes. Wie einſt in der kaliforniſchen dürren Sandwüſte, wo er ein im Schatten eines Felsblockes entdecktes Pflänzchen mit mehreren gelben Sternlein durch ein Bad aus dem ledernen Waſſerbehälter erquickte, ſo möchte er hier, derſelben geheimnisvollen Regung nachgebend, einen duftenden, Honig bietenden Blumenflor erſtehen laſſen. Unheimlich kontraſtieren dann wieder zu dem ſaft— ſtrotzenden Grün der überſättigten niedrigen Vegetation ein— zelne verdorrte Kaubholzbäume, zu denen Winde und Vögel die Saat ausſtreuten. In moorigem Boden wurzelnd oder ihr Mark vergiftendes Erdreich berührend, mußten die ver— waiſten Kinder dankbarerer Landſtriche verfrüht ſterben. Der Rinde entkleidet, recken fie die ſpröden Aſte, wie Hilfe erflehend, gen Himmel; unheimlich in ihrer ſkelettartigen Nacktheit und doch geſucht von einzelnen Geſchöpfen. Häß- liche braune Geier mit unbefiederten Köpfen und Hälfen ſind es, die auf den höchſten Sweigen raſten. Die Schwingen einem Wappentier ähnlich geſpreizt oder wie gebrochen herunterhängend, atmen ſie mit dem geöffneten, ſcharf be— wehrten Schnabel die ſchwüle Luft ein. In ihrer Regungs⸗ loſigkeit erſcheinen ſie wie mit dem fie tragenden Holz verwachſen. 09 2 ao Todesſchweigen und Grabesruhe ringsum. Die Stunde des Erwachens der blutgierigen Moskitos iſt noch nicht gekommen, die Stunde, in der ſie zum abendlichen tollen Reigen ſich ordnen und in zuſammengedrängten Maſſen graue, geiſterhaft ſchwankende Säulen bilden. Statt deren bietet eine Anzahl kleiner ſchwarzer Schwimmkäfer auf hindernisfreier Waſſerfläche ein ähnliches Schauſpiel. Bliß- ſchnell durcheinander ſchießend, ſind fie unermüdlich. Rätfel überall: Woher nehmen die winzigen Geſchöpfe die Kraft, das Waſſer gleichſam im Fluge zu durchfurchen? Woher die Fähigkeit, ihre flinken Bewegungen ſo genau zu be— rechnen, daß ſie nie aufeinander prallen, nie ſich gegen— ſeitig den Weg verlegen? Werden ſie in ihrem Treiben geſtört, ſo flüchten ſie zwar in alle Richtungen, um indeſſen alsbald wieder zur Stelle zu ſein und den Tanz von neuem zu beginnen. Eine kurze Strecke abwärts wallt das Waſſer auf. Blattwerk und Schilf teilen ſich und ins Freie hinaus ſchiebt ſich eine größere ſeltſam geſtaltete Schildkröte. Den eigen— tümlich ſpitzen Kopf erhoben und mit dem länglichen, ſchwach gewölbten, lederähnlichen Panzer die glatte Bahn kaum über— ragend, kreuzt ſie dieſelbe, um hinter einem Moosvorſprung zu verſchwinden. Durch ſie geſtört, gleitet auf derſelben Stelle ein breiter, dreieckiger Kopf hervor. Deſſen regel- mäßiges Wiegen und die ſich anſchließenden kleinen Wirbel verraten die Länge des ſich hinter ihm herwindenden Schlangenleibes. Plötzlich taucht er wie ein von der Sehne geſchnellter Pfeil unter. Ebenſo ſchnell erſcheint er wieder, im Rachen das Bein eines Froſches, der mit aller Macht kämpft, ſich den Fängen des furchtbaren Feindes zu ent⸗ ziehen. Sin Pflanzenfeld, wo fie den Blicken nicht mehr erreichbar, nimmt beide auf. Aber lange noch ertönt das AR ze kurz abgebrochene halb erſtickte Krächzen, dem unglücklichen Opfer ausgepreßt durch die Anſtrengungen des tückiſchen Reptils, indem es dasſelbe durch den dehnbaren Schlund zu würgen trachtet. Und weiter geht es auf einem von Sumpfgetier ge— brochenen Pfade über einen Boden hinweg, wo unter dem ihn belaſtenden Fuß Waſſer aus dem anſcheinend trockenen Raſen hervorquillt. Große Taſchenkrebſe kreuzen denſelben hier und da. Lächerlich unbeholfen ſich ſeitwärts fortbe- wegend, genügt die leiſeſte Berührung, ſie in Scheintod zu verſenken, wobei ſie kampfgerüſtet die ſtarken Scheren zur Verteidigung geöffnet zurückziehen. Über einen Moraſtkeſſel ſchweifen die Blicke hinweg. Sie folgen einer durch das ihn bedeckende grünliche Gewebe gebrochenen Fährte, die vor einem halb verſunkenen ſtarken Baumaſt endigt. Mehrere Libellen ſpielen oberhalb des— ſelben. Sie laſſen ſich zwiſchendurch auf zwei rundliche Aus- wüchſe nieder, unter denen blöde Augen unheimlich hervor— ſtieren, und jetzt erſt entwickelt ſich der Leib eines mittel- großen Alligators. In den heißen Schlamm gebettet, gibt er den Rücken wollüſtig den ſengenden Sonnenſtrahlen preis. In dem lethargiſchen Suſtande entgeht ihm das Nahen eines Menſchen. Erſt die ihm durch den Kopf ge— ſchoſſene Kugel ermuntert ihn. Auf den Knall breiten die Geier ihre Schwingen aus und beginnen ſchwerfällig zu kreiſen. Ein Flug Enten erhebt ſich nachbarlich klatſchend und flatternd und ſucht mit pfeifendem Flügelſchlag das Weite. Der Alligator hat unterdeſſen im wilden Todeskampf einen Schauer umherfliegender Schlammflocken aufgewirbelt, zwiſchen denen hindurch nur der heftig peitſchende Drachen- ſchweif erkennbar, wogegen der zuckende Körper ſich tiefer in den Moraſt einwühlt. Doch immer wieder kommt er zum Dorfchein, bis er ſich endlich auf den Rücken wälzt und mit der heller gefärbten Unterſeite und den häßlich empor⸗ ragenden ungefchlachten Gliedern einen widerwärtigen An- blick bietet. Und wie lange dauert es dann nur noch, bevor, gefördert durch die Bruthitze, der Duft der Verweſung die Geier von nah und fern zu einem Feſtmahl herbeilockt. Derartig ſind die Abwechſelungen, denen man in der Heimat der Sumpfzypreſſe begegnet. Und dennoch entſchädigt der Beſuch dieſer Gegenden für die damit geeinten Mühen und Beſchwerden. Ahnungsvoll ſchweift der Geiſt des Beobach- ters wie in die dunkelſte Vergangenheit, auch in die ferne Sukunft. Iſt es doch ein ewiges Entſtehen und Vergehen, das ihn umringt, ohne daß der landſchaftliche Charakter dadurch eine Wandlung erführe oder der Sumpfboden ſich weiter über die Waſſerhöhe hinaus aufbaute. Was üppig genährt in der Atmoſphäre dem Licht entgegenſtrebt, iſt dazu beſtimmt, in der Tiefe das Wachstum von oben nach unten zu fördern. Generationsweiſe häufen hier Pflanzenteile, Baumabfälle und umgebrochene Stämme Schicht auf Schicht, um in den Werkſtätten der Natur unter der ſtetig zu— nehmenden Preſſung in Torf und demnächſt in noch heiz— kräftigeres Material umgewandelt zu werden. Wo blieben ſonſt die vegetabiliſchen Maſſen bei dem ungehemmten mäch- tigen Nachwuchs d Und doch gab es Seiten, in denen der Wind, anſtatt über Moor und Sumpf hinzuſtreichen, die Spiegel mehr oder minder tiefer Seen kräuſelte. Seiten, in welchen dieſe, mit den kleinſten Anfängen bginnend und unterſtützt durch die von den Ufern aus entſendeten Wurzeln, Schößlinge treibenden Ausläufern und ſonſtigen Pflanzengeweben, ſich mit einer dichten Vegetation überzogen. Eine ſchwimmende a Decklage entſtand, die im Lauf der Jahre ihr Gewicht ver- tauſendfachte, bis ſie endlich, dem Geſetz der Schwere folgend, ſich von den Uferrändern losriß, in die Tiefe hinabſank, der Himmel ſich wieder in dem geklärten See ſpiegelte und das ſeltſame Naturfchaufpiel ſich erneuerte. Fehlen heut die Bedingungen zu ſolchen Vorgängen, jo zählten ſie damals ſicher nicht zu den Unmöglichkeiten, wofür deren fortgeſetzte Wiederholung namentlich in den an Seen reichen Ebenen Südrußlands zeugt. Die ſtolz ragende Bewohnerin dieſer berüchtigten Swamps oder Moorniederungen und zugleich deren einziger Schmuck, zeichnet ſich vor andern Koniferen dadurch aus, daß ſie zum Winter nicht nur die Nadeln, ſondern auch die jüngſten Sproſſen zum größten Teil abwirft. Mit ihrem erfreuenden koniſchen Bau erreicht fie eine Höhe von weit über hundert Fuß bei entſprechendem Stammumfang. Durch Einführung in deutſchen Parks vertreten, bleibt ſie im Wuchs weit hinter der amerikaniſchen Sypreſſe zurück, wie fie auch keimfähigen Samen nicht entwickelt. Und doch war ſie einſt hier heimiſch, wie die in verſchiedenen Braunfohlen- bergwerken bloßgelegten Schichten und Lagen von Sypreſſen— waldungen unwiderleglich beweiſen. Es geſtattet dies den Schluß, daß in Deutſchland einſt ähnliche klimatiſche Der- hältniffe herrſchten, wie zur Seit in dem ſüdlichen Vord— amerika. Während ſeines Verweilens am Hofe in Potsdam ſchickte Alexander v. Humboldt mir eines Tages ein im Garten von Sansſouci gebrochenes Sypreſſenzweiglein. In dem es begleitenden Briefe heißt es: „Dies iſt die ſchöne Sypreſſe, die in der Louiſiana Cypres chauve, in Mexiko (wo in Montezumas alten Gärten bei Chapultepek die _ Stämme 15 Fuß Durchmeſſer halten) Ahuahuete “) genannt wird. Iſt das die Ihre?“ An einer andern Stelle ſagt er: „Auf der mexikani⸗ ſchen Hochebene hat mich das zarte, freundlich-grüne, aber abfallende Laub des Ahuahuete (Cupressus disticha) be- ſonders erfreut. Dort gelangt er bei 120 Fuß Höhe zu der ungeheuren Dicke von 50 bis 57 Fuß Durchmeſſer nahe dem Erdboden gemeſſen. (Emerfon, Report on the forest, S. 49 und 101.) Die Wurzeln bieten dabei die fo auffallende Erſcheinung von holzigen Auswüchſen, welche bald koniſch abgerundet, bald tafelförmig bis zu 5 und 4½½ Fuß über der Erde hervorragen. Reiſende haben die Wurzelaus- wüchſe da, wo ſie ſehr häufig ſind, mit den Grabtafeln eines Judenkirchhofes verglichen.“ Emerſons Angabe des außerordentlichen Umfanges des Stammes an ſeiner Baſis erklärt ſich vielleicht dadurch, daß die ihm nächſten monſtröſen Auswüchſe mitgemeſſen wurden. Auf alle Fälle erreichen dieſe Bäume ein ſehr hohes Alter. Man bezeichnet heut noch eine Sypreſſe als diejenige, unter der Ferdinand Cortez die Noche triste verbracht haben ſoll, jene „traurige Nacht“ vom erſten auf den zweiten Juli 1520, als er, von den Mexikanern nach erbittertem Kampfe geſchlagen und hart bedrängt, ſich mit den Trüm⸗ mern feiner Streitmacht aus der Hauptſtadt zurückzog, um nach ſpäteren blutigen Erfolgen mittels der Folter Gold und immer wieder Gold zu erpreſſen und durch ungerecht— fertigte Hinrichtungen feine Herrfchaft zu befeſtigen. Raſtlos bewegt ſich der durch äußere Eindrücke be— einflußte Gedankenflug. Erinnerungen weit zurüdliegender Tage verkörpern ſich. Mit unverwelklicher Friſche wieder- *) „Ahuahuete“, aztekiſche Bezeichnung. holen ſich ferne Bilder und die mit ihnen geeinten Bemüts- regungen. Geiſtig zwiſchen den ſchönen Sumpfzypreſſen weilend, liegt die Dergegenwärtigung der erwähnten Baum- koloſſe nahe, der Seugen der Eroberung Mexikos und des Niederganges großer, von der Natur bevorzugter Nationen. Traumhaft erſteht die Sypreſſe, unter der Cortez in feinen Nöten raſtete. Schwermütig ſingt und flüſtert die vom Stillen Ozean hereinwehende Briſe zwiſchen den duftenden Nadeln. Es klingt, als ob die Geiſter zahllos Hingeſchlachteter, vorauf der grauſam gemordete König Montezuma, durch die ihnen einſt Schatten ſpendenden Wipfel zögen, wehklagend auf den Stätten umgingen, wo ſie vor Seiten ungeſtört, glücklich und zufrieden ihren angeſtammten Gebräuchen huldigten. Und einen Schritt weiter geht die eigenwillige Phan— taſie: Sollte das heimliche Tauſchen zwiſchen dem Gezweig nicht zu dem auf ſeinem Lager fich ruhelos wälzenden befieg- ten Konquiſtador als verſtändliche, jedoch bald wieder ver— flüchtigte Worte niedergedrungen fein? Worte, wie fie, wenn auch in letzter Stunde erſt, in dem Gewiſſen mancher ſeinem Beiſpiel folgender Machthaber nachhallen, die ebenfalls um gleißenden Goldes willen Männer mordend, Samilien- bande vernichtend und Länder verwüſtend die heiligſten Menſchen- und Dölferrechte triumphierend mit Füßen traten d Worte, wie fie Shakeſpeare dem Geiſte des enthaupteten Buckingham in den Mund legte, als er vor dem von Grauſen geſchüttelten König Richard III. auftauchte: „Stirb im Schrecken über deine Schuld! Träum' weiter, träum' von Tod und von Verderben. Du ſollſt verzweifeln und ver— zweifelnd ſterben.“ — 8 Aus dem Schären- und Gletſcherreich. Bläulicher Duft ſchwebt in der ſcheinbar zitternden trockenen Atmoſphäre oberhalb der ſonnendurchglühten Wüſten. Bläulicher feuchter Duft hängt zwiſchen den gigan⸗ tiſchen Felsgebilden der norwegiſchen Küſte. Ein langer Weg aus den vertrauten Sandſteppen des fernen Weſtens bis mitten in die prachtvolle nordiſche Natur hinein. Ein langer Weg und doch nur die Entfernung eines Pulsſchlages für den Gedankenflug. Dann aber wird es ſchwer, bei der unendlichen Fülle ſinneberauſchender Szenerien, ſchil— dernd ſich für dieſe oder jene als eine beſonders koſtbare Perle zu entſcheiden. Der Sognefjord, ſeine labyrinthiſchen Nebenfjorde wie die ihm zuſtrömenden Elvs durchſchneiden ein granitiſches Hochland, das in feiner wildromantiſchen, förmlich beängſti— genden Schönheit kaum ſeinesgleichen findet. Verworrene, ſchroff abfallende, ſogar überhängende Felsmaſſen, nur kärglich in Vegetation gekleidet, ſpiegeln ſich in ſtillen uner— gründlichen Gewäſſern oder werden benagt von ungeſtüm ſprudelnden Bergſtrömen. Bier in ſchweren Säulen oder ſtufenweiſe, dort wie weiße Bänder oder zarte Silberge— ſpinſte, ſuchen ſie in jähem Fall aus ſchwindelnder Höhe ihren Weg niederwärts. Geröllanhäufungen und unförm— ee liche Geſteinsblöcke in den Schluchten und ſchmalen Tälern zeugen von vernichtenden Bergſtürzen, von der Mächtigkeit der Lawinen und den über unberechenbare Seiträume hinaus wirkenden, längſt zurückgetretenen Gletſchern. Über die Ortſchaften in den beengten Lagen gleiten die Blicke beinah achtlos hinweg. Sie verſchwinden den gewaltigen Größenverhältniſſen gegenüber. Schüchtern ſchweift das Auge nach den von Vebelballen umſpielten Abhängen und den ewigen Schneefeldern hinauf, die zwiſchen den uppen, Hörnern und Plateaurändern hervorſchimmern. Es iſt eine eigene Welt dort. Sie entſpricht den kernigen Sagen, denen fie zur Seit der verwegenen Sylfers- konger gewiſſermaßen das Leben gab; ein trotzig ragender Naturſchauplatz, deſſen Einfluß auf die Recken des grauen Altertums am wenigſten ein beſänftigender, ſondern nur ein zu den abenteuerlichen Wikingerzügen anregender ge— weſen ſein konnte. Eine eigene Welt. Still, abgeſchloſſen und durch die Bodengeſtaltung den Verkehr zwiſchen einſam hauſenden Nachbarn erſchwerend, zeitweiſe ſogar ganz unterbrechend, ſpiegelt ſie ſich heut noch bis zu einem gewiſſen Grade in dem ernſten, träumeriſchen Weſen der ſtarrköpfigen, auf ihre angeſtammten Rechte ſtolzen Norgen. Eine eigene Welt. Als ob fogar dem Ozean der Su— tritt zu derſelben hätte verſagt werden ſollen, erheben ſich vor der zerriſſenen Küfte aus tiefſtem Meeresgrund als Schutzwehr, bald zu beträchtlicher Höhe emporfteigend, bald die unruhige Waſſerfläche kaum durchbrechend oder von ihr tückiſch verheimlicht, die Skärgaards oder Schären, jene eigentümlichen nackten Klippen, deren Anblick den fremden Schiffer mit Grauen erfüllt, ſelbſt dem kundigen Lotſen zuweilen den Atem verkürzt. — — Das Meer iſt ruhig. Es raſtet; aber es raſtet wie ein zu Tode gehetztes Wild mit ſchlagenden Seiten und tief röchelnder Bruſt. Regelmäßig wälzt es ſeine Dünungen auf die granitumpanzerte Küfte ein. Brauſend gleiten die beweglichen Hügel an dem triefenden Felſen hinauf; dumpf grollend ſinken ſie zurück. Hin und wieder übergeben fie der Briſe eine Garbe Schaumflocken, um fie höher hinauf- zutragen, bis wohin ſie mit ihrer feuchten leidenſchaftlichen Umarmung nicht reichen. Wo fie über blinde Klippen hin⸗ wegſtreichen, entſtehen lebhaft kreiſende Strudel. In ſchnell zerfließende Schaummäntel hüllen ſie andere, die ans Tages⸗ licht gewöhnt ſind. Den Talſenkungen hinter ihnen entſteigt fchwarzes Geſtein, um alsbald wieder von der nächſten Woge ver— ſchlungen zu werden. Geheimnisvolles Wirken und Weben in allen Richtungen. Die finſter dräuenden Formationen wie das Meer, der bewölkte Himmel wie die eintönige trübe Beleuchtung, das Siſchen und Brauſen der Brandung wie der Schrei der wetterkundigen Möwen und der ohne Flügelſchlag einherſegelende Seeadler: Alles eint ſich, den Eindruck des Melancholiſchen zu erzeugen, die Stimmung des Beobachters ähnlich zu beeinfluſſen. — — — Die friedfertige Briſe wächſt zur ſcharfen Kühlte. Das Gewölk fließt ineinander. Es iſt nicht zu unterſcheiden, ob die in den oberen Luftſchichten hängenden Dunſtmaſſen zum Stillſtand gelangten, oder davongetrieben werden. Regſamer wird der Ozean. Schaumkämme bilden ſich auf dem Rücken der aus ihrer majeſtätiſchen Ruhe aufgeſtörten Dünungen. In ſchräger Richtung jagt der unwirſche Vord— weſter ſie der Küfte zu: Immer eine oder zwei Rieſen— wogen, denen jedesmal mehrere ſchwächere folgen. Wo ſie aber die geborſtenen und gezackten Wälle treffen, da a bäumen fie fich wütend empor. Es verkörpert ſich die Sage von dem grimmen Meergott, der mit ſcharfem Dreizack ſein Reich züchtigt und die den Muſchelwagen ziehenden fiſch— ſchwänzigen Roſſe ſtachelt, daß ſie mit flatternden Mähnen keuchend und ſchnaubend das Waſſer zu blendend weißem Giſcht ſtampfen. Zu Schaumbergen geſtaltet fich die Bran— dung. Wie aus dem Erdinnern dringt hohles Brüllen, Dröhnen und Poltern nach oben. Immer neue Waſſer— maſſen ſtürzen auf die unerſchütterlichen Naturbauwerke ein; unerſchütterlich, und doch iſt es, als ob ſie unter dem ſich ſtets erneuernden furchtbaren Flutandrang zitterten und bebten. Was zuvor, wie von der Tiefe ſich löſend, nur flüchtig hervorlugte, jetzt taucht es, ähnlich auf dem Meresboden hauſenden, von Luftmangel getriebenen Ungeheuern, maſſig aus den brodelnden Trögen und Trich- tern empor, um ebenſo ſchnell wieder überſchüttet und ver— ſenkt zu werden. Eine Woge überholt die andere und wird ſofort handgemein mit ihr. So iſt es ein fortgeſetztes Ringen und Kämpfen der entgegengeſetzten Strömungen zwiſchen den Riffen und Felsdämmen, die in unvordenklicher Urzeit durch Gletſchergeſchiebe glatt geſchliffen und vom Salzwaſſer und Wolkenniederſchlägen gleichſam poliert worden.“ Graublau, lichter und dunkler, überragen landwärts die hintereinander geſchichteten Bergjoche und Plateaus mit eingeſtreuten Schneefeldern das Schärengewirre. Von der dunſterfüllten Atmoſphäre verſchleiert, erſcheinen die fernen Gipfel wie von dem Bewußtſein getragen, durch das Klippennetz gegen die wilden Angriffe des Ozeans ge— ſchützt zu fein. Die Gewäſſer, deren Höhe und Bewegung faſt ausſchließlich von Ebbe und Flut abhängig, umtändeln harmlos ihre in ſchwarzer Tiefe wurzelnden Grundfeſten. Nach den Abhängen hinauf gelangen nur die vom Winde ul entführten Schaumbläschen, reichlich netzend die beſcheidene, aber frifchgrüne Degetation. Trotzdem verſucht das in Aufruhr gepeitichte Meer bis zu ihnen durchzudringen. Doch wo es nicht unbeſieg⸗ barem Widerſtand begegnet, da ſchwächen die Windungen des felsbegrenzten freien Fahrwaſſers ſeine Gewalt ab. Das Außerfte bietet es auf, und immer erfolglos. Es donnert, ſeufzt und ſtöhnt in ohnmächtiger Wut, wenn es die ihm den Weg verlegenden BHinderniſſe zu beſeitigen trachtet. Es ſchluchzt und faucht, ſo oft ausgenagte Höhlen und Sackgaſſen Waſſerberge einſchlürfen und wieder von ſich geben. Unermüdlich vervielfacht es ſeine Anſtrengungen, aber ſeine Macht reicht nicht über eine beſtimmte Grenze hinaus. In erhabener Ruhe liegen unterdeſſen die Spiegel des Sognefjords und ſeiner Abzweigungen; in erhabener Ruhe entſteigen demſelben die gigantiſchen Abhänge mit dem erfreuenden Schmuck ſchwarzgrüner Tannen, weißrindiger kurzſtämmiger Birken und den die Szenerie belebenden ſil— bern glitzernden Sturzbächen. — — Die niedrig ſtehende Sonne hat den ſchweren Wolken— vorhang durchbrochen. Ein wunderbares Farbenſpiel ſchafft ſie zwiſchen dunkelblauen Schatten und purpurnem Licht. Das Waſſer träumt. Es träumt von den Seiten, in denen es den Helden Fritjof auf ſeinem Rücken trug, als er in ſtarker Nordlandsjacht hinauszog, um Agantyrs Schatz zu bergen. Es erzählen die ſchroffen Granitmauern von dem König Bele und feiner lieblichen Tochter Ingebjörg. Sich rötend in Alpenglühen mahnen die Plateauränder an die lodernden Flammen, die den Tempel Baldurs einhüllten, nachdem der ſtreitbare Bondenſohn die Brandfackel in den— jelben ſchleuderte. Es erinnern die zwiſchen bizarren Kuppen Er ZI. und Domen hervorleuchtenden Gletſcher, die ſtellenweiſe faſt bis zum Meeresſpiegel hinabreichen, an die eisftarrende Urzeit, in welcher die Vergletſcherung, jedem Keben wehrend, die ganze nördliche Erdhälfte umſpannte. So ſucht der Geiſt, nicht zufrieden mit dem vor Augen Kiegenden, durch äußere Eindrücke darauf hingeführt, gern in undurchdring= licher Vergangenheit. Wo aber die ſchaffensfrohe Phantaſie vor unlöslich erſcheinenden Rätſeln ſtockt, da treten fchüch- terne Ahnungen an deren Stelle. — — — Einen klaren Tag verheißend iſt die Sonne aufge— gangen. Wo die Richtung der Fjorde es begünſtigt, ſendet ſie einen Blick in dieſelben hinab. Sonſt Schatten überall. Bin und wieder kräuſelt ein abirrender Windſtoß den ſtillen Waſſerſpiegel. Ihn ausnutzend, verfolgt ein ſeltſames Schiffsgebäude ſeinen Kurs aus dem Sognefjord träge in den Sjärlandsfjord hinein. Es iſt eins jener ſchwerfälligen Fahrzeuge, wie ſie vor mehr als tauſend Jahren von den abenteuernden Wikingern zu ihren Raubzügen verwendet wurden und ſeitdem in den Hauptbeſtandteilen kaum eine Wandlung erfuhren. Sein Bug iſt, der Bruſt eines ſchwimmenden Schwanes vergleichbar, auffallend breit ge— baut. Der nach oben verlängerte Kielbalfen überragt mit einer Neigung nach hinten als Bugſpriet deſſen Bord um etwa vier Fuß. Es braucht daher nur mit dem roh ge— ſchnitzten Kopf eines zähnefletſchenden Ungeheuers gekrönt zu werden, um gemeinſchaftlich mit dem vom ſtumpfen Maſt niederfallenden breiten Raaſegel eine altertümliche Nord—⸗ landsjacht zu veranſchaulichen. So ſteht die plumpe Kraft im Einklang mit den ringsum gen Himmel ſtrebenden ſagen— umwobenen Formationen, die erſt da eine Unterbrechung erleiden, wo der Suphellegletſcher in den Geſichtskreis tritt und der Fjord in dem ihm aus einer Schlucht entgegen— Ua ſchäumenden Bergſtrom gewiſſermaßen feine Sortfegung findet. Wie eine neue Welt eröffnet es ſich dort: Draußen das ewig regſame Meer, hier im Gegenſatz ein Bild nicht minder endloſe Seiträume überdauernder Starrheit, zugleich aber von unbeſchreiblicher Pracht. Bei der Annäherung ſcheinen die Sismaſſen und Ge— röllanhäufungen hinter einer ſchroffen Felswand hervorzu— quellen. Mit jedem neuen Schritt wächſt deren Umfang, bis man endlich vor einem Portal ſteht, aus welchem der milchig gefärbte Gletſcherbach zu Tage tritt und, zwiſchen Geröll hindurchſprudelnd, ſich dem nahen Bergſtrom zu— geſellt. Aus bläulich und grün leuchtenden Eisblöcken zu⸗ ſammengefügt, wölbt ſich der Singang; doch nur eine kurze Strecke, und Farben wie Formen verſinken in einem ſchwarz gähnenden Schlund. Empfindliche Kälte und eigentümlich hohles Rauſchen dringen aus demſelben hervor. Geiſterhaft klingt es, als würde es aus unterirdiſchen Labyrinthen an die Oberwelt übermittelt. Darüber hinaus aber erſtreckt ſich zwiſchen den zerriſſenen Sckpfeilern und Wällen eines weitklaffenden Tores hindurch ein ungeheurer Eisabhang bis zur halben Höhe des Plateaus hinauf. Dort endigt er vor einer zerklüfteten Felsmauer, über die hinaus der dort beginnende Gletſcher feine winterliche Überlaft an Schnee talwärts befördert und ſolcher Art den ſommerlichen Derluft des Abhanges regelmäßig erſetzt. Wechſelnde Bilder: Während unten noch Schatten weben, koſen hoch oben die Sonnenſtrahlen zauberhaft mit unzähligen, duftig ſchillernden Gletſchernadeln. Gleichſam heuchleriſch arbeiten ſie in entzückendem Farbenſpiel an deren Vernichtung, ein Siſyphuswerk, indem der Wechſel der Jahreszeiten dieſelben immer wieder ergänzt und erneuert. Die Erfolge ihres ſtillen Nagens offenbaren ſich in brauſen— den Gewäſſern. Als von der Sonne geborene Gießbäche ſuchen fie auf ſchwarzem Geſtein ſchäumend ihren Weg niederwärts. Dann wieder als Strahlen und gewundene Säulen die Eisfchichten durchbohrend, geſellen fie ſich auf nächſtem Wege dem verborgen rieſelnden Strome zu. Ge— waltige Felspyramiden, eigentümlich abgerundet, überragen maleriſch das dichtgedrängte Sacken- und Nadelheer. Düſter kontraſtieren ſie zu der blendenden Farbe des in unberechen— bare Maſſen zuſammengepreßten und durch atmoſphäriſche Einflüffe vereiſten Schnees des wogenförmigen Abhanges. Wie von kämpfenden Titanen geſchleudert erſcheinen die auf demſelben mehr oder minder herausgeſchmolzenen Ge— röllblöcke verſchiedenſten Umfanges. Sie verbildlichen bis zu einem gewiſſen Grade den Anfang der Laufbahn jener übers Meer weit gen Süden fortgetragenen erratiſchen Blöcke, wie ſie vielfach durch Sahl und Größe Staunen erregen. Aber als ob der Gipfel des Plateaus pulſierendes Leben in ſeinem Geäder fühle und unter der Laſt des ihm aufgebürdeten koloſſalen winterlichen Mantels ungeduldig zucke, hüllen einzelne Abſtufungen ſich zuweilen in ſchnell zerſtäubende Wölkchen, je nachdem die unabläſſig minieren- den Bäche morſche Eismaſſen mit hinabreißen und zu Atomen zerſchellen. Über allem dann wieder lieblicher Sonnenſchein, tändelnd mit dem zart leuchtenden Azur- und Smaragdgeſchmeide weit oben im klaren Ather, goldig über— ſtrömend ſchwarzes Geſtein wie blendende Schneeflächen und den üppig grünen Baum- und Strauchwuchs, der nachbarlich vom ewigen Winter ſo weit hinaufwucherte, wie die Wurzeln Gelegenheit fanden, in Ritzen und Spalten ſich feſtzu— klammern. Ohne zu ermüden, könnte man angeſichts der unwider— ſtehlich auf das Gemüt einwirkenden Naturſzenerien die Möllhauſen. 4 pt, Seit verträumen, bis endlich das letzte Abendrot erlifcht und der Sauber der wunderbar gelichteten nordiſchen Nacht beginnt. Wie ein Nachklang des entwichenen heiteren Tages durchwebt es dieſelbe. Schwand das liebliche Farbenſpiel, ſo ſcheinen dafür die Größenverhältniſſe ringsum in der unbeſtimmten gedämpften Beleuchtung bis ins Ungeheuer liche zu wachſen. Schatten bedecken die Sohlen der Schluchten und eng begrenzten Täler. Sie verdichten ſich zur Dunkelheit. Nur da, wo ſtille Gewäſſer den planetariſch erleuchteten Dimmel zurückſtrahlen, zeichnen einzelne Gebilde ſich deut— licher aus. Doch wenn ſich dem Auge entzieht, was im Sonnenlicht begeiſterte, jo bietet fich nunmehr dem Ohr, in merkwürdig geſteigertem Grade wahrnehmbar, eine nicht minder freundlich anregende Unterhaltung. Daß die Fortpflanzung der Schallwellen nach Berein— brechen der Nacht ſich um ſo viel leichter und kräftiger vollzieht, iſt eine zwar rätſelhafte, jedoch immerhin be— kannte Erfcheinung, die vielleicht auf Temperaturverſchieden— heiten, die nach Sonnenuntergang eintreten, zurückzuführen. Sie wiederholt ſich namentlich überall da, wo das Toſen ſtürzender Gewäſſer die nächtliche Ruhe unterbricht. So auch hier. Aus allen Richtungen dringt es herüber. Aus der einen wie durch die Entfernung abgeſchwächtes Branden des Meeres, aus der andern ähnlich dem Raufchen eines auf das Mühlrad gelenkten Baches oder als erſterbendes Scho den Windungen der Fjorde und Schluchten nachfolgend. Wie Grüße aus verſchollenen Jahrhunderten wirkt das flüfternde Geräuſch. Bilder ferner Seiten erſtehen. Es ver- körpern ſich die Schilderungen uralter Geſänge, wie ſolche ſich von Generation auf Generation vererbten: Über Wolken hin durch Schluchten, Über Wieſen, graue Heiden, ee Brauſt einher der Aasgardsreigen, Brauſt ein wildes Heer von Geiſtern, Hoch auf ſchwarzen Geiſterroſſen. Feuer ſprühen ihre Augen, Feuer die geſpreizten Nüſtern. Thor voran auf ſeinem Wagen Trifft den Schild mit ſchwerem Bammer, Daß empor die Flammen lodern, In den Dörfern alles zittert Vor dem grauſen Aasgardsreigen. Ein (täfer⸗A dull. Wenn die zu den niedrigſten Lebeweſen zählenden Korallentiere aus der Tiefe des Meeres im Kaufe un- berechenbarer Seiten Gewächſe emporſendeten, die ſich all- mählich zu Riffen und umfangreichen Inſeln geſtalteten, hinter denen die gewaltigſten Baudenkmäler der Sterblichen wie flüchtige Schatten zerfließen, ſo geſchah und geſchieht es noch heut im bewußtloſen Entſtehen und Vergehen. Er- ſtaunt vergleicht der für Natureindrücke empfängliche Menſch die überſpülten felſenähnlichen Maſſen mit deren winzigen Erzeugern. Bewundernd ſteht er dagegen dem ſichtbaren Wirken von Tieren gegenüber, wie ſolches von einem Scharf— ſinn zeugt, der über die Grenzen des Inſtinktes hinausragt. Trachtet der Biber, ſeicht fließenden Gewäſſern durch Dämme eine ſeinen Swecken entſprechende Höhe zu verleihen, jo könnte man es dahin erklären, daß der Waſſerdruck ihn während der Arbeit über den Vorteil belehrt, die Wehre nach den Regeln der Kunft ſchräg durch die Strömung zu iehen. Anderſeits verrät, je nach dem Wuchs, die Auswahl er auf dem Ufer zu fällenden Bäume eine Intelligenz, die im Widerſpruch mit ſeinem einfältigen Geſichtsausdruck erſcheint. Denn ſelten wird man einen mittels ſcharfen Sahnes niedergelegten Stamm gewahren, der, anſtatt mit der Krone ins Waſſer zu fallen, wo Serkleinerung und Be— yo förderung erleichtert wird, landeinwärts ſtürzte und als un⸗ brauchbar aufgegeben wurde. Dieſelbe Begabung wieder— holt ſich noch ausgeprägter und verfeinerter in dem ſtreng geordneten Volks- und Familienleben der architektoniſch Sellen bauenden Bienen wie der Ameiſen, welche letztere ſich durch Halten von Sklaven und Blattläuſen als Milch⸗ kühen, wie das Anſäen gewiſſer Kräuter auszeichnen. Ahnliche auffällige Eigenfchaften offenbart, wenn auch in anderer Form, ein Käfer, der in den weſtlichen Prärien, namentlich auf gelegentlich von Rinderherden belebten Candſtraßen, ein beſchauliches Stillleben führt. Es iſt dies ein größerer Roßkäfer, auch Rollkäfer genannt, ein tölpel- hafter, ſtark gepanzerter Burſche mit ſtark entwickelten Vorderfüßen, glänzend ſchwarzen Deckflügeln und einem nur wenig aus dem Bruſtharniſch hervorragenden Kopf, dem man eher alles andere zutraut, als den Sitz geradezu verblüffender, an Verſtandesoperation grenzender Tätigkeit. Schwerfällig einherwandernd, fliegt er um ſo ſchneller und meiſt in gerader Richtung dahin, wo der Duft ver— weſender Stoffe ihn lockt. An feinem Siel eingetroffen, ge— wöhnlich ein grasfreier Fahrweg, läßt er ſich auf einer Anhäufung gedörrten Rindermiftes nieder. In den meiſten Fällen geſellt ſich ein zuverläſſiger Kamerad ihm zu. Kurze Seit verbringen ſie mit ſorgfältigem Prüfen des Materials, worauf ſie zu wühlen, zu ſcharren und zu ſchneiden beginnen, und zwar mit einem Eifer, daß ſie abwechſelnd in dem gelockerten Stoff verſchwinden und wieder zum Vorſchein kommen. Kleine Schollen werden losgebrochen und aus dem Wege geräumt. Späne und zu Staub zerkleinerte Teile folgen nach, bis ſchließlich eine Kugel von der Größe einer Kartätfche frei daliegt, die fo genau abgezirkelt und geglättet iſt, als ob ſie eben aus einer Form hervorgegangen wäre. oe Es bedarf daher nur mäßiger Anftrengung, fie aus ihrem Lager zu heben und über den zerklüfteten Abhang hinunter zu ſenden. Faſt gleichzeitig treffen die beiden robuſten Ge— noſſen bei ihr ein und ſpannen ſich, wie auf vorherge— gangene Verabredung, der eine vorn, der andere hinten an das leicht zu regierende Gefährt. Während erſterer im Vorwärtsſchreiten die beiden kralligen Hinterfüße oben in die Kugel hakt und kräftig nach unten zieht, benutzt der andere in der Rückwärtsbewegung unten anpackend, die ſeinigen gewiſſermaßen als Hebel, und munter geht es' von dannen. Wer zum erſten Male auf eine derartige Szene ſtößt, läßt es ſicher nicht bei einem oberflächlichen Blick bewenden. Erzeugt es doch den Eindruck, als ob zwei vierſchrötige Proletarier bei der Beförderung eines belaſteten Hand- wagens ſich gegenſeitig nach beſten Kräften unterſtützten. Solch Bild ſchwebte mir vor, während ich das wunderbare Treiben geſpannt überwachte. Die beiden Tiere hatten ſich für mich gewiſſermaßen in Perſönlichkeiten verwandelt, aus deren Bewegungen ich die jeweiligen, ſie beſtimmenden Regungen herauszuleſen meinte. Bald war es unverfenn- barer Unmut, wenn es ein Hindernis zu beſiegen galt, dann wieder Triumph, ſobald die Kugel auf ebenem Boden dem leiſeſten Druck nachgab. Doch auch der einzelne Bruder Kandftreicher unter⸗ zieht ſich mit augenſcheinlichem Sifer dem mühſeligen Ge— werbe des Formens und Rollens. Es geht allerdings lang⸗ ſamer von ſtatten, weil er, um die Gewalt über ſeine Bürde nicht zu verlieren, einzig und allein auf Schieben angewieſen it. Mit welcher Geduld aber die ungefchlachten Kerle ihren Sweck verfolgen, und welche Energie fie auf Hindernis- reicher Bahn entwickeln, davon mich zu überzeugen, fand ich immer wieder ausgiebige Gelegenheit. Unter der heißen Juliſonne meines Weges über die Prärie ziehend, entdeckte ich neben mir in dem Wagengeleiſe einen dieſer Käfer, der, rückwärts ſchreitend, der Ausſicht beraubt, beim Kreuzen der Landſtraße ſamt ſeiner Kugel in dasſelbe hinabgeſtürzt war. Er hatte offenbar bereits eine größere Strecke zurückgelegt, ohne indeſſen Ermüdung zu verraten. Der glatte Boden mochte ihn ſogar ermutigen; denn wie eine kleine Maſchine arbeiteten die beiden Dinter- füße, während die vier andern nach ficherem Halt nicht zu ſuchen brauchten. Ich ſtieg ab und überwachte ihn auf— - merkſam. Obwohl unbeholfen, vollzogen ſeine ſteifen Be— wegungen ſich doch in einer Weiſe, die von gutem Mut zeugten, gleichſam den Gedanken veranſchaulichten: „Sin—⸗ mal muß der Engpaß immerhin ſein Ende erreichen.“ Am wenigſten hinderte ihn meine Nähe oder das Stampfen des Pferdes. Dies alles reizte mich, ſeine Geduld auf die Probe zu ſtellen. Swei Schritte vorausgehend, vertiefte ich das Geleiſe zu einem Trichter mit mäßig anſteigenden Wänden. Sum Überfluß verſah ich den oberen Rand rings- um mit einer Stufe. Kaum war ich fertig, näherte der unverdroſſene Kärrner ſich auf ſeine Art im Sturmſchritt, und in der nächſten Minute rollte die Kugel über Bord, den armen Kerl köpflings mit in den Abgrund hinunter- reißend. Wie vor Schreck erſtarrt, lag er neben ſeinem Heiligtum auf dem Rücken. Er war indeſſen nur feiner Gewohnheit gefolgt, bei vermeintlichen Angriffen ſich tot— zuſtellen. Sehr bald wurde er wieder rege. Sunächſt betaſtete er die Kugel von allen Seiten, worauf er drei-, viermal, wie nach einem Ausweg ſuchend, auf den glatten Seiten- wänden im Kreife herumkletterte. Die Prüfung mußte ihn befriedigt haben; denn zu der Kugel zurückkehrend, ſtellte er ſich ſofort hinter ſie und langſam glitt ſie vor ſeinen e Anſtrengungen bergan. Endlich fühlte er den Widerſtand der Stufe. Heftiger ſchob und hob er, als die Laſt plötzlich ſeinen Griffen entglitt und gemeinſchaftlich mit ihm hinab⸗ rollte. Doch dadurch konnte ſein Mut nicht gebrochen werden. Dreimal noch ließ ich ihn den Aufſtieg verſuchen, und ſtets mit demſelben Erfolg — eine wahre Siſyphusarbeit; denn kaum glaubte er die Kugel auf dem Gipfel zu drehen, als — „— hurtig mit Donnergepolter entrollte der tückiſche Marmor.“ Dann aber empfand ich ein menſchliches Rühren. Als er zum vierten Male oben eintraf, fand er einen guten Weg gebahnt, und ohne weitere Abenteuer gelang es ihm, in dem nahen Graswuchs zu verſchwinden. Dort erkor er die nächſte wurzelfreie kleine Blöße zum Felde ſeiner Cätigkeit. Dieſe lief darauf hinaus, nach Art der Totengräberkäfer durch Unterwühlen die Kugel tiefer und tiefer in das gelockerte Erdreich zu verſenken und für feine Nachkommenſchaft her- zurichten. So findet der warme Verehrer einer nach beſtimmten Geſetzen belebenden Natur überall ſeine Genüſſe. Wohin er ſich mit offenen Augen wendet, begegnet er Rätſeln, die den Geiſt anregen und feſſeln. Sie gipfeln in der Frage: Woher kommt dieſen unbeholfenen Geſchöpfen die geheim— nispolle Begabung und was ſtählt deren offenkundige Energie? Wenn der Ameiſenlöwe, im kleinen Erdtrichter verborgen, die den Abhang betretende Beute liſtig durch einen Sandſtrahl herunterholt, mit ſcharfer Sange packt und blitzſchnell untertaucht; wenn die Spinne zu ähnlichen Swecken kunſtſinnig ihre zarten Fangnetze webt; eine Art Tarantel, in Höhlen oder Spalten haufend, den Ausgang mittels einer wie in Scharnieren ſpielenden Falltür ſchließt und fie, heim— tückiſch lauernd, durch den Kopf ein wenig lüftet, um wie EZ ein Tiger in ficherem Sprunge auf das arglos vorüber— kommende Opfer zu ſtürzen, fo ſtehen fie unter dem Einfluß ſchlummernder Mordgier, die zugleich ihre Lebensbe— dingung iſt. Bringen dagegen der friedliche Rollkäfer und die mit ihm erwähnten Tiere den ihnen verliehenen Scharf- ſinn über alle Hinderniſſe hinweg unbeirrt zum Ausdruck, dann beherrſcht ſie ausſchließlich der mächtige Trieb zur Fortpflanzung ihres Geſchlechtes. „So ſpricht,“ nach Goethe, „die Natur zu bekannten, verkannten und unbekannten Sinnen; ſo ſpricht ſie mit ſich ſelbſt und zu uns durch tauſend Erſcheinungen: Dem Aufmerkſamen bleibt ſie nirgends tot oder ſtumm.“ Die Cerraſſenſtadt. Don Santa fe aus, der bedeutendften weſtlichen Handelsſtadt Neumexikos, bringen drei oder vier Tage- märſche durch wild zerklüftetes Gebirgsland und düſtere Tannenwaldungen, über Wieſenflächen und mächtige ſchwarze Cavaſtröme hinweg bis zur Scheide der dem Atlanti⸗ ſchen Ozean und der Südjee zueilenden Gewäſſer. Dort, von wo aus die pfadloſe Wildnis ſich bis zu den Küſten⸗ gebirgen und der Sierra Nevada Kaliforniens erſtreckt, ſteht man vor einem neuen, die Sinne feſſelnden Bilde. So weit die Blicke reichen, wechſeln ſommerlich grünende Fluren, das Auge erfreuend, mit größeren und kleineren Tannen⸗- und Sedernwaldungen ab. Sie werden überragt von maleriſchen vulkaniſchen Gebirgsgruppen und gewalti— gen Plateaus, die ſich in der Ferne bläulich abſtufen und kuliſſenartig hintereinander ſchieben. Sin prachtvolles Pano— rama, und doch ruht es auf demſelben wie ein abtötender Bann. Virgends eine Spur von Leben oder Merkmale menſchlicher Betriebſamkeit. Sogar einige lanzenbewehrte Reiter vom Stamm der berüchtigten Navahoe-Indianer, die in mäßiger Entfernung ihres Weges ziehen, üben in den breitgeſtreiften grellfarbigen Decken kaum einen andern Ein- druck aus, als den eines träge einherſegelnden ſchillernden a Salters. Die lautlofe Ode unter dem eintönig verhangenen Himmel wirkt auf den Beobachter um ſo eindringlicher, wenn er ſich vergegenwärtigt, daß ſchon lange vor dem erſten Erſcheinen der Weißen auf dem amerikaniſchen Kontinent das ſich weithin erſtreckende Gebiet dicht bevölkert geweſen. unwillkürlich fragt man: Woher kamen die urſprünglich fremden Anſiedler? Von Vorden her, wie allgemein an— genommen wurde, ſicher nicht. Begreiflicher erſcheint, daß die Einwanderung der Azteken in Anahuak, dem jetzigen Mexiko, wenn von Alien aus im hohen Norden beginnend — wie einzelne hieroglyphiſche Darſtellungen ſich deuten laſſen —, auf den Küftenländern Kaliforniens erfolgte. Da mag denn ein Strom der Toltefen ſich abgezweigt und, ſich nördlich wendend, in dem jetzigen neumexikaniſchen Ge— biet niedergelaſſen haben. Über die Verödung, die vielleicht einer Übervölkerung ſich anſchloß, herrſcht undurchdring⸗ liches Dunkel. Sine Rückwanderung nach dem Süden mag ſtattgefunden haben, wofür, je weiter nach dorthin, um ſo vollkommenere Bauwerke auf der mutmaßlichen Straße ſprechen, ohne auch nur entfernt dem architektoniſchen Schaffen der Azteken ſich zu nähern.“) Was zurückblieb, ſind die jetzigen ſogenannten Pueblo- oder Städtebauenden Indianer, alſo Nachkommen der Tolteken, die bis zu einem gewiſſen Grade die angeſtammten Sitten und Gebräuche hochhielten und von allen andern Indianerſtämmen ſtreng geſchieden ſind. Gleichſam als Illuſtration zu dem eben Geſagten möchte ich bezeichnen, daß wir bei weiterem Vordringen unſerer Expedition ſelten eine bewohnte Terraſſenſtadt be— ) Ausführliches über die Dölferwanderungen in Möllhauſens „Reifen in die Felſengebirge Nordamerikas“, Bd. II, Kap. 27. 6 rührten, wogegen zahlreiche Ruinen, Trümmerfelder, kaum noch erkennbare Fundamente und Maſſen von Scherben wunderlich bemalter Tongefäße Seugnis von einer einſt gedrängten Bevölkerung in den waſſerhaltigen Tälern ab- legten. Doch auch die kühnen ſpaniſchen Konquiftadoren haben dort, tief im Innern des Landes, ſprechende Merk— male hinterlaſſen, daß ſie ſchon vor drei Jahrhunderten auf der Suche nach dem Gold bergenden ſagenhaften König- reich Cébola jene Regionen durchſtreiften. In mäßiger Entfernung von der Waſſerſcheide erhebt ſich auf umfangreicher Ebene ein ſenkrecht aus der Erde emporfteigendes, gegen zweihundert Fuß hohes Plateau, das merkwürdigerweiſe einen zugänglichen natürlichen Hof umſchließt. Sine Quelle entrieſelt dem Erdreich am Fuße des turmartig ragenden maſſiven Geſteins. Inſchriftenfelſen wurde der impofante Naturbau genannt nach den zahlreichen, der glatten Wand aufgetragenen Seichen und Bildniſſen, die zum Teil von Indianerhänden herrühren. Mit alter- tümlich kunſtvoll geſchweiften Schnörkeln verſehen ſind da— gegen die meiſten mit dem Dolch oder Meſſer eingeſchabten jpanifchen Namen. „Joſe Guangoſales A. 1619“ heißt es da, und hart daneben in ſpaniſcher Sprache: „An dieſer Stelle zog vorbei mit Depeſchen am 16. April 1606 — das weitere nebſt Namen war, wie ſo viele andere Inſchriften, bis zur Unkenntlichkeit verwittert. Wie angefichts der aus drei— hundertjähriger Vergangenheit herſtammenden Gedenk— zeichen die Phantaſie zu arbeiten begann! Welche Art von Bildern mögen ſich da vor der Quelle entwickelt, welche Art von Ereigniſſen unter den trotzigen eiſenbekleideten Kriegern abgeſponnen haben! Vielleicht zogen fie nach aus⸗ giebiger Haft desſelben Weges, den wir einzufchlagen ge— dachten; ihnen aber nach folgten unfehlbar die Ver— lo wünſchungen des friedlichen Dölfchens von der ſchwer zu— gänglichen Höhe aus, wo es in zwei geſonderten Städten patriarchaliſch hauſte, bis es ſchließlich aus feiner zuver⸗ ſichtlichen Ruhe grauſam aufgeſcheucht wurde. Noch ſtehen die mit dem Felſenboden vereinigten Grundmauern und Fundamente, die einſt kleine wohnliche Gemächer um— ſchloſſen. Schutthaufen türmen ſich da übereinander, wo glückliche Menſchen keine andern Wünſche kannten, als ſolche nach Erreichbarem. Sie find verſchwunden und ver- ſchollen, es verhallte ſpurlos die Kunde ihrer Geſchichte. Über ihre Gräber hinweg rollten Jahrhunderte. Wie ein ſchwermütiger Nachruf klingt das Singen des Windes zwiſchen den Nadeln der auf dem Hofe ſeitdem mächtig emporſtrebenden Tannen. — — Desſelben Weges, den wir einzufchlagen gedachten! Swiſchen malerifchen Gebirgsjochen führte er hindurch, bis endlich das Sunital ſich vor uns öffnete, eine weit gedehnte Ebene, ringsum begrenzt von den prachtvollſten Selsfor- mationen. Ein gewaltiges Plateau mit ſenkrechten Wänden ſchließt dasſelbe weſtlich ab. Nahe deſſen Baſis erhebt ſich auf einem Hügel die wunderbare Terraſſenſtadt Suni. Einen überraſchenden Anblick gewährt fie mit ihren lehm— farbigen Gebäuden, die, unter ſich zuſammenhängend, im Mittelpunkt bis zu ſechs, ſieben Stockwerk hoch hinaufragen. Leitern führen von Geſchoß zu Geſchoß, von Straße zu Straße, als welche die Bedachungen, die zugleich Dorpläße der Wohnungen, dienen. Namentlich in der Frühe, wenn die regſamen Sunis ihrem Tagewerk nachgehen, das ſie auf Gartenfelder und zu den Schafherden hinausführt, erinnert die Kolonie nicht wenig an einen geſtörten Ameiſenhaufen. Ninauf und hinunter geht es auf den Leitern, hier die Männer mit Schaufel und Hacke, dort die Weiber mit Ton— IND gefäßen auf den Köpfen, um den Tagesbedarf an Waſſer von dem nahen Flüßchen heraufzuholen. Kinder und Er- wachſene tauchen aller Enden auf, um demnächſt an einer andern Stelle zu verſchwinden, und alles vollzieht ſich ohne Geräuſch, dem ganzen Treiben einen gewiſſen Anſtrich des Geheimnisvollen verleihend. Gehoben wird das charafte- riſtiſche Bild durch die farbenreiche Bekleidung, welche die braunen Geſtalten mit dem langen ſchwarzen Haar und dem kurzen, rot umwundenen Sopf am Binterhaupt der Männer umhüllt. Befremdend mutet dann wieder an, daß hier und da ein gezähmter Adler oder Truthühner auf den Sinnen thronen und zutraulich die Liebkoſungen der jungen Welt dulden. Vor einem halben Jahrhundert herrſchte dort Pedro Pino als Gobernador. Ich ſehe ihn noch vor mir, den langen, ſich würdevoll tragenden alten Kazifen, wie er bereitwillig in gebrochenem Spaniſch und Engliſch Auf- ſchlüſſe über dieſes und jenes erteilte. Drei Jahre früher hatte ich ihn ſchon kennen gelernt, aber wir blieben uns fremd, weil in der Stadt die Blattern ausgebrochen waren und ſich ſogar auf mehrere unſerer Ceute übertragen hatten. Um fo herzlicher war dafür das jetzige Wiederſehen, zumal ich der Einzige der Expedition, dem er nicht zum erſten Male begegnete. Nach mexikaniſcher Art umarmte er mich zärtlich, worauf ich ihn in ſeine Wohnung begleitete. Ich war überrafcht von der großen Sauberkeit, die daſelbſt herrſchte. Möbel waren allerdings nicht vorhanden; ſtatt deſſen lief eine gemauerte niedrige Bank an den Wänden hin, die mit Waffen und ſonſtigen Habfeligfeiten behangen waren. Fuvorkommend führte er mich in der Stadt herum von Stockwerk zu Stockwerk, bis wir endlich das höchſte Dach im Mittelpunkt erreichten. Dort wies er mit unverkennbarem Stolz auf das Plateau und namentlich auf einen ſchlanken Pfeiler, der allmählich durch Verwitterung von dem Plateau getrennt worden und beinah bis zu deſſen Höhe hinanreichte. Nach feiner Schilderung wurden die Sunis in grauer Vor- zeit durch eine Waſſerflut nach oben getrieben. Die dort noch vorhandenen Ruinen bekunden, daß ſie in der Tat daſelbſt lange hauſten und auf dürftiger Ackerkrume Feld— früchte bauten. Da die Waſſer ſich nicht verlaufen wollten, traten die weiſen Häupter des Stammes zuſammen und ge— langten nach ernſter Beratung zu der Einſicht, daß ein Menſchenopfer nicht ohne Einfluß auf den Waſſerſtand bleiben würde. Sie nahmen daher den Sohn des Naziken und eine Jungfrau und banden ſie zuſammen. Bier geriet der alte Herr in Extaſe. Seine Augen leuchteten im Feuer der Begeiſterung. Meine Arme zog er um ſeinen Leib, und mit den ſeinigen meine Schultern umſchlingend, fuhr er fort: „So ſtanden ſie, ſo wurden ſie gefeſſelt und in die Fluten hinabgeſtürzt.“ Er trat einen Schritt zurück, und auf den Pfeiler weiſend, ſprach er mit dem Ausdruck heiliger Überzeugung weiter: „Alsbald begann das Waſſer zu ſinken. Die beiden Gpfer aber trieben in aufrechter Stellung bis nahe an den Felſen heran, wo ſie verſteinerten.“ Ich konnte nicht anders, ich mußte ihm zu verſtehen geben, daß ich ſeine Schilderung als durchaus wahrheitsgetreu anerkenne. So der alte Gobernador. Er und beinahe zwei Gene— rationen haben ſich ſeitdem ſchlafen gelegt. Ob es heute noch ſo iſt, wie damals? Möge das gut geartete, betriebſame Völkchen vor den vergiftenden Einflüjfen des in mäßiger Entfernung vorüberrauſchenden Kulturftromes bewahrt ge— blieben ſein, wie bei mir die freundlichen Srinnerungen an den Verkehr mit demſelben unauslöſchlich fortleben bis ans Ende. — „ So reihen ſich Bilder an Bilder. Kontraftieren fie zu einander, ſo kommt es beiden Teilen mehr oder minder zu ſtatten. Wer nach längerem belehrenden Verkehr mit den arg— loſen Sunis in Fortſetzung der Wanderung deren ſchönes Tal verläßt, der ſendet, bevor niedriges Tannengehölz die Ausſicht verkürzt, ſicher noch einen letzten Blick warmer Teilnahme auf die merkwürdige Terraſſenſtadt zurück, deren ähnliche ſchwerlich noch viele auf dem Erdenrund zu finden. Indem er ſich weſtlich wendet, tritt das berüchtigte Hochland in ſeinen Geſichtskreis. Allmählich anſteigende ſterile Kies- ebenen dehnen ſich vor demſelben aus. Und dennoch findet der dorthin verſchlagene Forſcher manches, das ihn für die Mühſeligkeiten der Reiſe entſchädigt. Bald find es Kakteen in den wunderbarſten Formen, die feine Aufmerkſamkeit er— heiſchen, dann wieder zu Bäumen veräſtete Nuckas mit ihren Bajonettblättern oder die mit Dornen überſäte ſchlank— zweigige Fouquiera, während hier und da Gruppen und Streifen verkrüppelter Tannen und Sedern kränkelnd ihr einſames Daſein friſten und an feuchtem Ort Pappelweiden trübſelig dem Licht und der Wärme entgegenſtreben. Sonſt grüßt kein organiſches Leben das ſuchende Auge. Denn die ſtolzen Tannenwaldungen des Vordens in ihrer merk— würdigen Suſammenſtellung mit exotiſchen baumartigen Farnen, die in Urzeiten dieſe Regionen dicht beſchatteten, ſind zwar noch vorhanden, jedoch durch den Sauberſpruch Jahrhunderttauſender verſchüttet, verkieſelt und ſtrichweiſe durch Wolkenniederſchläge wieder zu Tage gefördert worden. Da liegen ſie denn maſſenweiſe in einem breiten, nur nach ſchweren Regengüſſen Waſſer führenden Fluß- bett frei oder halbverſandet, beim erſten Anblick den Eindruck erzeugend, als ob fie von den Abhängen der Rocky Moun⸗ e tains herbeigeſchwemmt worden wären. Erſt nach wenigen Schritten in dem Flußbett ſelbſt wurde ich durch das metalli- ſche Klingen, mit dem der beſchlagene Huf meines Reittier ein Stück Holz traf, über deſſen Beſchaffenheit belehrt und zu eingehender Prüfung bewogen. Ja, da lagen ſie, die Repräſentanten des älteſten Urwaldes, Koniferen und Abieti- neen bis zu fünf Fuß und darüber im Durchmeſſer bei entſprechender Länge, und durch die eigene Schwere, wie mit der Säge geſchnitten, in unregelmäßige Blöcke zer— brochen. Daneben Fragmente, Spänen ähnlich, und Sweig— reſte; ſogar hohle Bäume, deren angebrannte und verkohlte Teile von derſelben Härte, wie das einſt von den Flammen verſchonte Holz. Dann ſtieß ich wieder auf Bruchſtücke von Farnwedeln, die im Außeren lebhaft an zertrümmerte Hirſch— geweihe erinnerten. Dabei zeichneten alle Hölzer ſich durch die ſchönſten Achat- und Karneolfarben aus, gleichſam ver— anſchaulichend, daß das Verſteinerungsmaterial durchweg Kiefelmafje geweſen. “) Doch von den Toten zu den Lebenden, von den ſaftloſen zu den ſtolzen Tannenwaldungen, die ſich weit nach den Abhängen der erloſchenen San Franzisko Vulkane hinauf- ziehen. Mühſam brachen wir uns Bahn durch Candſchaften von wilder Schönheit, dem abwärts Streifenden gefährlich durch die in Höhlen hauſenden vertierten Tonto-Apatſches und die dort in überraſchender Sahl an den ſüßen nußartigen Früchten der Seder ſich mäſtenden grauen Bären. Nach wenigen Tagemärſchen über unwegſamen zerriſſenen Boden, ) Schon im Jahre 1854 fandte ich von New Bork aus die erſte Beſchreibung des ſpäter mehrfach „neu entdeckten“ foſſilen Urwaldes an die Geographiſche Geſellſchaft in Berlin, die ich nach meiner Heimkehr durch Abbildungen und die prächtigſten Proben der verkieſelten Hölzer vervollſtändigte. Möllhauſen. 5 N befanden wir uns endlich auf dem Hochlande, durch welches der Colorado und deſſen Suflüſſe in unermüdlichem Tagen fih ihren Weg hindurchgearbeitet haben. Neue Szenerien tauchten auf. Verworrene, trotzig zerklüftete Felswälle rings- um. Wo auf maſſiven Geſteinslagen durch Verwitterung ſich dürftiger Humus bildete, wechſelten lichte Haine ver- krüppelter Koniferen und ärmlich mit Grasbüſcheln be— ſetzte Flächen, Schutz und Nahrung bietend den dorthin verirrten Antilopen, ſchwarzſchwänzigen Hirſchen und einer ſpärlichen kleinen Vogelwelt. Geſpenſtiſch, wie auf den Sandwüſten die Fata Mor- gana, wirken hier Wirbelwinde und ſtetigere Cuftſtrömungen. Dicht und zart verzweigte Staudengewächſe, zum leichteſten ſpezifiſchen Gewicht ausgedörrt, werden ſäulenartig empor— gewirbelt, um geiſterhaft über Geröll und Abgründe hinweg— zuſchweben. Andere folgen in langen Sprüngen wie im Wettlauf der ihnen vom Winde vorgeſchriebenen Richtung, um früher oder ſpäter denſelben Weg, Gnomen vergleichbar, wieder zurückzulegen. Vom Tau befeuchtet raſten ſie zur nächtlichen Stunde oder wenn bei gänzlicher Windſtille die Sonne auf ſie niederbrennt. Selten, daß ein Regen ſie an dieſelbe Stelle bannt, ſo ſelten, wie niedrig hängendes Gewölk feinen Überfluß auf die durſtige Felſenwüſte herab— ſendet. Wenn aber die mit Elektrizität überfüllte Atmoſphäre ſich entladet und wolkenbruchartiger Regen ſchäumende Kas- kaden ſchafft, dann bietet ſich auf den Höhen das ſeltſame Schauſpiel von Wetterſchlägen begleiteten Schneegeſtöbers. Der Eishruch auf dem Huron⸗See. Wer je die nordamerikaniſchen großen Süßwaſſerſeen zum erſten Male befuhr, den überraſchte ſicher deren kryſtallklare Durchſichtigkeit. Liegen fie unter der ſtillen Atmoſphäre regungslos, dann könnte man wähnen, auf dem keuchenden Dampfer zwiſchen zwei Himmeln einher- getragen zu werden. Denn wie der obere die von der weit geſchweiften Linie des Horizontes ringsum begrenzte Fläche überwölbt, wiederholt ſein Spiegelbild ſich tief unten bis in die undenkbarſten Fernen, gleichviel ob erglänzend in ſonnigem Azur oder nächtlich zurückſtrahlend das in vollſter Pracht leuchtende und funkelnde Firmament. So ſchlummern die herrlichen Seen nach kurzer Wind⸗ ſtille; aber ſie ſchlummern wie ein eigenſinniges Kind, das, wenn jäh aufgeſtört, ſofort ſeine Ungeduld zum Aus⸗ druck bringt. Der leiſeſte Wind hauch erzeugt gleichſam Stirn— runzeln. Mit der zunehmenden Luftſtrömung erwachen neue Unarten, die ſich allmählich zu Trotz und heftigem Auf— lehnen ſteigern, bis endlich, ſtatt regelmäßiger Meeres- dünungen, kurz abgebrochene Wogen ſich hoch aufbäumen und das ſchwere Schiffsgebäude in einer Weiſe erſchüttern und umherſtoßen, wie Kinderhände ein langweilig geworde— nes Spielzeug. Haben fie aber ausgetobt, dann befänftigen 5* ERS ſie fich ebenfalls nach Art geſtrafter Kinder, die erſt nach längerem Murren und Auffchluchzen wieder umgänglich werden. — Solchem Wechſel ſind jene Seen vom April bis in den Dezember hinein unterworfen, worauf ſie zeitweiſe, wie manche Tiere, dem Winterſchlaf anheimfallen und ſtrenge nordiſche Kälte eine ſtarre Decke über ſie ausbreitet. In langen Atemzügen hauchte der Nordweſtwind über den mit ſtarken Eis- und Schneelagen überbrückten Buron— See. In der glasähnlichen Kruſte der unabſehbaren weißen Sbene ſpiegelte ſich die rötliche Nachmittagsſonne eines klaren Dezembertages. Was die Windſtöße an loſen Dingen erfaſſen konnten: Den fernen Waldungen entführte dürre Blätter und Halme wie ſtäubenden Schnee, das jagten fie auf der glatten Bahn nach der Kanadaſeite hinüber. So auch die kleinen Scherben, die ſich unter den Füßen dreier Männer löſten. Sie begleiteten zwei, je von vier Hunden gezogene Schlitten, die Tiere hin und wieder durch einige Worte oder Peitſchenknall aufmunternd. Die Hundepoſt war es, geführt von einem alten erfahrenen Kanadier, dem zwei Gehilfen ſich angeſchloſſen hatten. Von dem vor fünfzig und einigen Jahren erſt ſpärlich beſiedelten nördlichen Teil des Staates Michigan herüberkommend, hielt ſie die öſtliche Richtung. Ihr Stel war die Halbinſel, die den Huranjee von der Georgienbai trennt. Die Büchſen hatten die Männer auf den mäßig befrachteten Schlitten untergebracht. Es hinderte ſie daher nichts, ſich feſter in ihre als Mäntel dienende Decken einzuhüllen. Von den Geſichtern war kaum mehr zu erkennen als die Augen, Naſen und froſtgeröteten Backenknochen. Das übrige verbargen Pelzmützen und die bereiften Bärte, denen der Atem ſichtbar entſtrömte, als wäre er von üppig glimmenden Tabakspfeifen ausgegangen. NE Um fich vor dem Durchbrechen der ſchwachen Eisfchicht zu bewahren, hatten ſie Schneeſchuhe angelegt, die aus langgeſchweiften, durch Netzwerk ausgefüllten Holzbügeln beſtanden. Leichter gelangten die Hunde und Schlittenbalken über den trügeriſchen Boden hinweg. Senkte er ſich kniſternd, ſo genügte ein Suruf und die darauf folgende ſchnellere Bewegung, das Gleichgewicht wieder herzuftellen. Vor Lichten des Tages die Wanderung antretend, hatten ſie einen langen Marſch hinter ſich gelegt. Nur einmal raſteten fie, um den Hunden einige Stücke gedörrtes Wildfleiſch zu bieten, während ſie für ſich ſelbſt einen warmen Trunk bereiteten, wozu der mitgeführte kleine Holz- vorrat die Mittel bot, und weiter ging es mit erneuerten Kräften, wie um ein gefährdendes Säumnis einzuholen. Die Sonne berührte faſt die weſtlichen Schneefelder, hinter denen fchon um die Mittagszeit die Waldungen der Michigan-Halbinſel verſunken waren. Der bleiche halbe Mond ſtand hoch. Vicht mehr in Stößen fauchte der Wind, ſondern ohne Pauſe und ſich fortgeſetzt verſtärkend. Es verſprach, eine böſe Nacht zu werden, eine Nacht, in der ſogar das Wild ſich aus den Schutz gewährenden Dickichten nicht hervorwagte. Die Männer, bisher guten Mutes, waren ſchweigſam geworden. Sie befanden ſich unter dem Eindruck des Arg— wohns, daß die Eislage noch nicht ſtark genug, einem ſchweren Sturm zu trotzen. Brauchte er doch nur eine offene Stelle von dem Umfange eines Hofraumes zu entdecken, um eine nicht zu unterſchätzende Gefahr herbeizuführen. Flinker, wie in Vorahnung aufſpringenden Unwetters, ſchritten die Hunde einher. Die Erfahrung hatte fie belehrt, daß bei beſchleunigter Eile die Schlittenbalfen keine Seit fanden, die Kruſte, ihre Arbeit erſchwerend, einzudrücken. DINO Eine halbe Stunde verrann, und die Sonne war eben hinabgetaucht, als der Wind ein Geräuſch herübertrug, das dem Derhallen eines in der Ferne abgefeuerten Ge— ſchützes vergleichbar. „Der See bricht auf,“ meinte der Kanadier nach- denklich, „bläſt's viel länger aus demſelben Coch, dann mögen wir zuſehen, wohin wir die Füße ſtellen.“ „Aber es klingt, als würde das Getöſe von der andern Seite der Erde herumgetragen,“ lautete die Erwiderung, „immerhin ein langer Weg, zu lang, um uns verfrüht einzuholen.“ „Die Spalten reiſen ſchneller als der Wind,“ hieß es zurück, „wir um fo viel langſamer,“ und wie den Aus⸗ ſpruch beſtätigend, erneuerte ſich das dumpfe Dröhnen, dem ſekundenlanges Rollen ſich anſchloß. „Eine Borſte geſprungen, die mindeſtens ihre drei engliſche Meilen mißt,“ erläuterte der Alte mißmutig, in- dem er die Hunde ſchärfer antrieb. Damit ſtockte die Unterhaltung. Man hörte nur noch das hohle Brauſen des Sturmes, das Pfeifen und Siſchen der Schlittenbalken, das Kniftern und Schleifen der fliehen— den Scherben. Doch wenige Minuten, und das Getöfe fette abermals in erhöhtem Grade ein. Dröhnend ſchallte es bald aus größerer, bald aus geringerer Entfernung herüber. Weit oben, nachbarlich von dem Felſeneilande Mackinaw, wo eine Straße den Huron= mit dem Michigan-See verbindet, hatte das Waſſer die durch Strömungen gelockerten Feſſeln geſprengt. Der Einwirkung des gewaltigen Luftdrucke⸗ unterworfen, drängte es ſich mit elementarer Wucht unter die Sisdecke. Weit voraus zerlegte er ſie in Felder, um ſie hinterher raſtlos wogend und brandend zu zertrümmern. N Die Hunde, wie durch den Inſtinkt über die mit raſender Eile nahende Gefahr belehrt, waren in eine lebhaftere Gangart verfallen. Die Laſten ſchienen für ſie an Gewicht verloren zu haben. Die Männer vermochten kaum, ihnen zu folgen. Langen Schrittes und zeitweiſe einher- gleitend, trachteten fie, vor allen Dingen in gleicher Höhe mit ihnen zu bleiben. „Eine kleine halbe Stunde tut's, alſo haltet aus,“ ermutigte der Kanadier. Er verſtummte vor dem durchdringenden Dröhnen und Poltern, das ſich anhörte, als ob ein mit ESiſenſtangen beladener Wagen blitzſchnell hinter ihnen vorübergerollt wäre. N Sine längere Pauſe folgte. Mit äußerſter Spannung lauſchte jedes Ohr rückwärts. Das Abendrot war erloſchen. Nur noch vereinzelte roſig angehauchte Wölkchen verließen den Weſten und ſegelten eilfertig am Himmel einher, um, bevor fie die Höhe des Mondes erreichten, wie im Spiel mit den Sternen zu zerfließen. Heftiger tobte der Sturm. Wo es ihm gelang, die Siskruſte zu lüften und ſtreckenweiſe aufzurollen, griff er mit vollen Händen in die ſtäubende Schneemaſſe hinein. Sie ungeſtüm emporwirbelnd, trug er ſie übermütig mit ſich fort. Die Fernſicht, ohnehin durch nächtliches Dunkel be- ſchränkt, wurde dadurch gänzlich verſchleiert. Doch wohin die Augen nicht reichten, da unterrichtete der Wind und der Ortsſinn der klugen Tiere über die einzuhaltende Richtung. Und ſchneller wurde deren Lauf, vernehmlicher ihr kurzer Atem. Nur flüchtig mäßigten ſie die erſchöpfende Gangart, um die heiße Zunge am Schnee zu kühlen und wie gehetzt die Flucht wieder fortzuſetzen. In dem überwältigenden Drange, ſicheren Boden zu gewinnen, hatten die Gefährten für das unabläſſige Berſten und Krachen bis zu einem gewiſſen Grade die Sinne verloren. Erſt als es mit mark⸗ erſchütterndem Getöſe wie eine die Eisſchicht Durchfchnei- dende Pflugſchar hinter dem letzten Schlitten vorüberſauſte, zugleich aber eine breite Waſſergarbe aus der Furche hervor— ſchoß und vom Sturm abwärts getrieben wurde, trat das Verhängnisvolle ihrer Lage ihnen im ganzen Umfange vor die Seele. „Vorwärts! Vorwärts!“ warnte der Kanadier, als die Gefährten ſtutzten, indem er den von paniſchem Schrecken ergriffenen Hunden nacheilte, „nur ein Aderlaß war's! Die Spalte hat ſich geſchloſſen! Vorwärts, bevor Schollen aus- brechen!“ Was er ihnen zurief, hatten ſie ebenſo ſchnell be— griffen. In verzweifeltem Anlauf flüchteten ſie über die Bruchſtelle hinweg, aus der noch immer Waſſer hervorquoll; in verzweifeltem Anlauf durch den treibenden ſcharfen Schneeſtaub und die ſich alsbald auf allen Seiten zerteilen— den Fluten. Nach dieſer ernſten Mahnung kamen die hart Be— drängten nicht mehr zur Ruhe. Denn kaum glaubten fie hoffen zu dürfen, daß nach einer Entladung des zuſammen— gepreßten Sees Stillſtand eintrete, als aus andern Rich— tungen um ſo mächtigere Sprengungen ſich anmeldeten. Nach Hunderten und Tauſenden von Morgen zu be— rechnende Eisfelder barſten wie Sierſchalen, um demnächſt, ähnlich zerſägten Kloben auf einem Holzhofe, zerkleinert zu werden. Bald hier, bald dort ſchoß es fontänenartig empor. Vom Sturm gepeitſcht, verwandelten die Garben ſich in Schauer, die unbarmherzig auf Menſchen und Tiere niederraffelten. Eine eigentliche Bewegung des fie tragenden Bodens fand zwar noch nicht jtatt; Dagegen wiederholte jich die eigentümliche Empfindung, als ob das Berſten ſich bis in ihre Körper hinein fortgepflanzt habe und wie ſchartige Meſſer über die Knochen ſchramme. Sicher waren ſie erprobte, wetterharte Männer, allein dem grauenhaften Aufruhr der erbitterten Elemente gegenüber vermochte keiner ſich von heimlichem Sagen freizuſprechen. Und es ſteigerte ſich noch, als die zitternden Erſchütterungen all— mählich in Beben und Senken der Bahn übergingen und an Stelle des Krachens jenes unheimliche Geräuſch vor— herrſchte, mit dem die noch in ihren Fugen haftenden Schollen ſich aneinander rieben, die Swiſchenräume ver— größerten und ſich darauf vorbereiteten, binnen kurzer Friſt im wilden Chaos durcheinander geſchleudert zu werden. Das letzte, gewiſſermaßen von der ſcheidenden Sonne geborene Gewölk hatte der Sturm vom Himmel fortgefegt. In ſeine volle Wirkung war der Mond getreten. Es unterſtützten ihn die Planeten und größeren Sterne, ſoweit ſein Licht ſie nicht überſtrahlte. Es wäre ſonſt noch ſchwieri— ger geweſen, die zuweilen unmittelbar vor den Bedrängten klaffenden Riſſe und Furchen zu meiden, bevor ſie mit zermalmender Gewalt ſich wieder ſchloſſen. Fühlbarer ſchwankten die Bruchſtücke von Minute zu Minute. Die Schneeſchuhe wurden hinderlich. Sie abzulegen wagte man indeſſen nicht, indem ſie da, wo rieſelnder Schnee die Augen täuſchte, zum Überbrücken dieſer oder jener Offnung dienten. Die Minuten wuchſen zu Swigkeiten. Drohender regten ſich die Schollen und kleiner wurden ſie; manche ſo klein, daß die Caſt eines Mannes ihr Gleichgewicht ſtörte. Vor gänzlichem Umſchlagen bewahrten ſie vorläufig noch die ſie mit den Kanten ſtützenden nachbarlichen Blöcke; aber zu allem Ungemach geſellte ſich, daß die Fluten ſich in reicherem Maße über die Oberfläche ergoſſen und ſchließ— ae za lich bis über die Knöchel hinausreichten. So einte fich alles, den Eindruck zu erzeugen, als ob man ſich in einem brodelnden Abgrunde befinde, wo das Unterſcheidungsver⸗ mögen für oben oder unten verloren gegangen. An Rettung glaubte wenigſtens keiner mehr. Da verkündete das Aufjauchzen eines Hundes, daß er verletzt worden. Anſtatt dadurch aufgehalten zu werden, ſtürmten die entſetzten Tiere blindlings davon. Ob die Schlitten ihnen folgten, ob ſie umſtürzten oder zerſplitterten, konnte ſie nicht beeinfluſſen. Sie befanden ſich auf einem Boden, der erdbebenartig fchwanfte, einen größeren Schrecken gab es für ſie nicht. Und die Not hatte ihren Gipfel immer noch nicht erreicht. Das Poltern und Krachen verminderte ſich zwar, dafür aber erhob ſich ein noch bedroh— licherer Lärm. Der Sturm hatte volle Gewalt über den nunmehr offenen See gewonnen. Ihn aufwühlend, bildete er Wogen und Sturzwellen, die mit den zerſchellenden Eis- trümmern zu ſpielen begannen. Sie öſtlich tragend, türmten ſie alles, was Widerſtand leiſtete, zu Schanzen übereinander, um ſie alsbald wieder einzureißen und in ſtetigem Vor— dringen neue leicht vergängliche Bauwerke aufzufchichten. Jeder erkannte, daß die letzte Entſcheidung unmittelbar bevorſtehe. Obwohl noch außerhalb der Grenzen der Wall— bildungen, fühlte man, wie alles ringsum mit furchtbarer Wucht vorwärts geſchoben und aneinander gepreßt wurde. In jedem Augenblick ſtand zu befürchten, daß unüberſteigliche Dinderniffe vor den zur Ohnmacht Verurteilten empor— wuchſen und ihnen den Weg verlegten. Und fo war es ein verzweifeltes Rennen, Gleiten und Stürzen. Man erwog nicht mehr, wie lange die Glieder, wie lange der Atem fähig, den an ſie geſtellten Anforderungen zu genügen. Aufrecht erhielt nur noch der Selbſterhaltungstrieb. Er gipfelte in der einzigen Regung, dem Sermalmtwerden und dem Grabe auf dem Boden des Sees zu entrinnen. Mochte dann folgen, was da wollte. Mochte das grauenhafte Kämpfen gegen die wütenden Elemente mit dem augen— blicklichen Tode durch Überanftrengung bezahlt werden, wenn man nur Feſtland unter ſich wußte. Grimmiger raſte der Sturm, lauter brüllte der ent- feſſelte See, wilder keuchten und brandeten die Wogen unter der ihnen aufgebürdeten Laſt, näher ertönte das Knirfchen und Raufchen der emporſtrebenden Eisgerölle Ein Wall erhob ſich unter ihren Füßen. Uletternd überwanden fie ihn. Kaum wieder unten, begegneten ſie neuen ähnlichen Bruſtwehren, die fie mit letzten ſchwindenden Kräften mecha— niſch beſiegten. Die Hunde nebſt Poſtſendung gaben fie ver— loren. Bevor die wandernden Eismauern ſie einholten, waren ſie im Schneetreiben verſchwunden. Ebenſo vergeblich ſchauten ſie durch die verdichtete Atmoſphäre nach dem rettenden Geſtade aus. Während betäubendes Brauſen, Poltern und Knirfchen die Ohren erfüllte und immer neue Schauer auf fie niedergingen, ſahen fie nur undeutlich durch⸗ einanderwühlende Schollen und Eisblöde. Plötzlich ſtockte die Bewegung vor ihnen. Erſchrocken kehrten ſie ſich um. Ihre Blicke fielen auf eine unförmliche Maſſe, die ſich lawinenartig träge heranwälzte. Anſtatt aber, wie man nur wähnen konnte, ſie niederzuwerfen und vernichtend über ſie hinwegzurollen, gelangte dieſelbe ſo jäh zum Stillſtand, daß die durch den Stoß von dem Ramm ſich löſenden Trümmer ihnen zwiſchen die Füße polterten. Sie war offenbar geftrandet. Noch einmal erſchütterte der Flutandrang ſie von unten herauf, und feſt lag ſie, wie ver— ankert. Dieſelbe unſichtbar wirkende Gewalt hatte auch die Fliehenden emporgehoben. Bis über Manneshöhe hinaus drängten die mächtigen Preſſungen den entſtehenden Wall. Während ſie aber noch auf dem gleitenden Geröll ums Gleichgewicht rangen, erfolgte ein neuer Stoß, der fie kopf— über nach vorn in eine lockere Schneebank hineinſandte. Wie aus einer Betäubung erwachend, richteten ſie ſich auf. Nach wie vor traf ihre Ohren das grauenhafte Toſen des Sees, über den der Sturm mit orkanartiger Wut hinfegte, allein es ſchreckte fie nicht mehr. Das Bewußt⸗ ſein der Rettung gab ihnen ſchnell die alte Tatkraft zurück. Nach kurzem Umherſpähen entdeckten fie auch die Hunde. Halb begraben im Schnee hatten ſie ſich neben den um— geworfenen Schlitten zuſammengekugelt. Das Ordnen der Cadungen und Entwirren der Geſchirre nahm längere Seit in Anſpruch. Dann arbeiteten ſie ſich mühſam auf dem nachgiebigen Abhange nach oben, wo Waldung ſich vor ihnen erſtreckte. Sin Schutz gewährendes Dickicht war bald gefunden. Nach ausgedörrtem Fallholz brauchten ſie nicht zu ſuchen. Stwas ſpäter kauerten ſie vor einem praſſelnden Scheiterhaufen, ſich erfreuend der ihm entſtrömenden Hitze, die binnen kurzer Friſt die gefrorenen Kleidungsſtücke auf- taute und trocknend ihnen feuchte Dämpfe entlockte. Der zimmernde Specht.“ Schildernd verſuche ich ein Bild zu entwickeln, jo lieb- lich und doch belehrend, daß derjenige, dem es vergönnt geweſen, ſich vertraut damit zu machen und es dem Schatz nie verblaſſender Erinnerungen beizugeſellen, dankbarlich das Geſchick preiſt, das ihn in die weite Welt hinausführte. Im Innern Kaliforniens, im Tejonpaß, wo ich kurze Seit in dem Fort gleichen Namens weilte, lernte ich einen Specht kennen, der ſich von dem europäiſchen Buntſpecht äußerlich vorzugsweiſe dadurch unterſcheidet, daß die ſchar— lachrote Seichnung des Gefieders durch leuchtendes Roſa erſetzt wird. Es war Berbit. Das Caub der auf einer Lichtung zerſtreut ſtehenden uralten Eichen hatte ſich gebräunt. Bin und wieder ließ ſich das Geräuſch vernehmen, mit dem eine Eichel, ihr Näpfchen verlaſſend, zur Erde fiel. Im Schatten lag ich auf dem Rücken, die Blicke dahin gerichtet, wo eine Tierſzene ſich abſpann, die immer wieder zu beobachten ich nicht müde wurde. Swei Spechte waren die Hauptperſonen. Sum Schauplatz ihres Treibens hatten fie einen nur wenige Schritte entfernten Baum gewählt. Die eigentümliche, MNelanerpes formicivorus, von den Mexikanern Carpentero, der Zimmermann, genannt. ſcharf ausgeprägte Neigung verratend, ihre Seit zwifchen Beluſtigung und Arbeit zu teilen, gaben fie ſich mit ergöß- lichem Eifer der erſteren hin, und in beiden ſchienen fie unermüdlich zu ſein. Längere Seit erfreute ich mich daran, wie ſie im vollen Sinne des Wortes Verſtecken und Haſchen ſpielten, wobei es nicht an einem Lärm fehlte, der mit Ausbrüchen des Mutwillens vergleichbar. Sierlich hüpften fie den Stamm hinauf und hinunter, deſſen gebor— ſtene Rinde ihnen ſichere Haltepunfte für die ſtumpfen Schwanzfedern und die ſcharfen Krallen bot. Dann ging es wieder nach der einen oder andern Seite herum. Vor- ſichtig lugten fie um die Ede, verkündeten durch neckiſchen Suruf ihre Anweſenheit und wechſelten faſt gleichzeitig blitzſchnell ihr Verſteck. Sobald fie aber, ſich gegenſeitig meidend, unvermutet einander in die Augen ſchauten, ſchien das ſchnarrende Gelächter kein Ende nehmen zu wollen, und fort huſchten ſie, um das Spiel von neuem zu beginnen oder es zwiſchen das Geäſt bis in die höchſte Spitze des Wipfels hinauf zu verlegen. Eine Pauſe trat erſt ein, als zwei Kameraden ſich ihnen zugeſellten. Nach der erſten Begrüßung folgte Beratfchlagen, anders kann ich es nicht bezeichnen, wobei alle zugleich das Wort führten, bevor man endlich zu einem Entſchluß ge— langte. Wie auf Kommando flogen fie nach einer andern Eiche hinüber, deren korkige Rinde bereits vielfache Spuren ihrer Tätigkeit trug und wo ſie nunmehr ihren Fleiß und ihre Kunſtfertigkeit zu beweiſen gedachten. Jeder ſuchte eine ihm geeignet erſcheinende Stelle, krallte ſich daſelbſt feſt, ſtützte ſich mit vollem Gewicht auf den widerſtandsfähigen Schwanz, worauf er zu hämmern begann, daß die Späne umherflogen. Lange und emfig zimmerten fie. Allmählich entſtanden unter den bildenden Schnäbeln Aushöhlungen, Fo deren Durchmeſſer dem einer Eichel gleichfam. Und immer tiefer wurde gemeißelt und gehackt, jedoch ohne die genaue Rundung zu verlegen. Swiſchendurch flatterten die reizen— den Tiere zueinander hin, prüften mit flüchtigem Blick des Gefährten Werk, um ſich ſchleunigſt wieder an das eigene zu begeben. Endlich waren die Köcher, das eine früher, das andere ſpäter fertig, und einzeln kehrten ſie nach dem zuvor be— lebten Baume zurück. Dort wählte auf dem Raſen jeder eine geſunde, vor allen Dingen trockene Eichel aus, mit der er ſich in ſeiner Werkſtatt wieder auf den alten Platz begab. Mit großer Sachkenntnis ſchob er die harte Frucht, das ſpitze Ende voran, in die Öffnung. Sie glitt zwar ſchwer hinein, doch die faſerige Rinde gab nach, als ſie Schlag auf Schlag mit dem ſtarken Schnabel erhielt, und bald darauf wurde das Werk durch einen kurzen Ausruf, den man mit »all right« hätte überſetzen können, für gelungen erklärt. Die Sichel haftete feſt in ihrem Lager, nur ſo weit hervorragend wie erforderlich, um ſie ſeinerzeit mit aller Bequemlichkeit verſpeiſen zu können. So ſorgen dieſe Vögel bedachtſam für einen Vorrat, der fie gegen Not ſchützt und ihnen über die Seiten hinweghilft, in denen ihre Hauptnahrung unter hohen Schneeſchichten unerreichbar verborgen liegt. Die meiſten Bäume in dem Paß waren ſolcherweiſe mehr oder minder mit Sicheln überſät und auf manchen Stellen fo dicht, daß, die unbrauchbar gewordenen Köcher einbegriffen, fünfzehn bis zwanzig derartige Magazine auf einen Quadratfuß kamen. Die Nähe des Menſchen er- trugen die argloſen Tiere mit einer gewiſſen Sutraulichkeit. Näherte ſich aber ein mutwilliges Eichhörnchen oder eine räuberiſche Krähe, ſo verteidigten ſie ihr Sigentum mit einer Tapferkeit und einem Grimm, wie man es ihnen kaum 800 zugetraut hätte. Vicht ſelten arteten die Feindſeligkeiten zwiſchen Eichhorn und Spechten in Neckereien aus, die ge- eignet waren, ſogar dem verſteckten Beobachter ein Cächeln des Ergötzens zu entlocken. Gern vertiefte ich mich in das Anſchauen des drolligen Treibens, wenn ſie ſich gegenſeitig verfolgten, Scheingefechte lieferten und zwiſchen Sweigen und Aſten wild herumjagten. Der kleine Vierfüßler, auf dem Gipfel ſeiner Ausgelaſſenheit, ſchien gleich den ge— fiederten Spielkameraden zu fliegen und einte ſein kläffen— des Stimmchen mit deren luſtigem Geſchnarre. Hatten dieſe ihn aber zwiſchen vergabelten Aſten eingekreiſt, wo er nach allen Seiten hin die aus dem geöffneten kleinen Rachen hervorlugenden Schneidezähne wies, dann gab es ein Setern, Schmähen und BHohnlachen, bis er ſich endlich ermannte und mit einem mächtigen Sprunge zwiſchen den auseinanderflatternden Spöttern hindurchfuhr. — — — Cicht und Schatten! Unter dem vollen erheiternden Ein- druck des Beobachteten die Richtung nach dem Fort ein— ſchlagend, ſtand ich bald darauf vor einer hundertjährigen Siche. Dieſelbe vertrat die Stelle eines Leichenſteines. Auf einer Stelle, wo die Rinde entfernt worden war, las ich die mit einem Beil eingemeißelten Worte: „Peter le Beck, killed by a bear. 17. October 1837.“ (Peter le Beck, getötet von einem Bären.) Die Rinde war bereits wieder ſo weit über die Buchſtaben hinweggewachſen, daß die Inſchrift kaum noch zu entziffern. Dort alſo in der Urwildnis betteten einſt kühne kanadiſche Trapper ihren verunglückten Kameraden in die fremde Erde und ſchrieben ſeinen Namen mit Eifen auf grünendes Bolz. Swanzig Jahre ſpäter ſtand, einige hundert Schritte weiter abwärts, die Gattin eines Offiziers der Beſatzung vor deſſen offenem Grabe. Ein weißes Gitter ſchützte die Marmorplatte mit der vergoldeten „ Inſchrift. Den Namen vergaß ich, nicht aber die Worte, welche die fcheidende Witwe vor Monaten erſt mit Blei- ſtift auf eine der weißen Latten ſchrieb. Eine Welt des Kummers und des Schmerzes ſprach aus ihnen. Heute, alſo über vierzig Jahre ſpäter, erhebt ſich dort in verlockender Umgebung vielleicht eine aufblühende Stadt. Wer weiß, die marmorne Gedenktafel des Soldaten mag in dem Funda— ment des Hauſes Verwendung gefunden haben, zu dem die Grabeiche des Jägers die Balken hergab. — Licht und Schatten! — Wechſel überall! Wie in der Natur, fo im Leben des Menſchen. Heimſte er während eines langen Erdenwallens reine Freuden und Genüſſe ein, wie ſolche die Natur ihm verſchwenderiſch bot, jo folgt der wehmut— erzeugende Gedanke, daß die geſammelten Erinnerungen mit ihm dahingehen. Doch überdauert ihn deren auch nur eine einzige im engſten Kreiſe, dann hat er nicht umſonſt gelebt. Möllhauſen. 6 Das Hochplateau von Beumeriku, Wer, von Wiſſensdurſt getrieben, zum erſtenmal von Oſten her die Hochebene der Provinz Veumexiko betritt, den drängt es unwiderſtehlich weiter und weiter gegen Weſten und Nordweiten, um wenigſtens einen Blick auf den Großen und den Kleinen Colorado zu erhafchen, die tief unten in der zerriſſenen Erdrinde ſich vereinigen und deren Bett man in dem Gewirre wenig in den Geſichtskreis tretender Uferbänke nur zu ahnen vermag. Weiter gegen Weſten und Vordweſten! Die den Rand der Höhe ſpärlich ſchmückenden immergrünen Raine werden lichter und verſchwinden endlich ganz; es verliert ſich das letzte animaliſche Leben. Laut klappern diebeſchlagenen Hufe auf dem feſten Geſtein, von dem die verwitterten Beſtand— teile durch Regengüſſe und ſchmelzenden Schnee den fernen Schluchten zugetragen wurden. Nur in muldenförmigen Senkungen iſt Erdreich zurückgeblieben, eine dürftige Gras⸗ vegetation begünſtigend. Und weiter in einer der zahlloſen breiten Rinnen, die anfänglich nur mäßig abfallen und allmählich, bedingt durch zerbröckelnden Muſchelkalk, von noch zugänglichen Ab⸗ hängen begrenzt werden. Bald iſt der erſte Abſturz er— reicht, wo die zeitweife niedertoſenden Fluten die oberſten Schichten des Schiefertons und des darauf folgenden Kalf- ſteins durchbrachen und, mit Felsblöcken ſpielend und ſie gleichſam als Mahlſteine benutzend, in ihrem ungeſtümen Sinherſchäumen tiefer und tiefer in die Erdrinde hinein- fraßen. Tiefer und Tiefer! Bindurch durch die faſt horizontal geſchichteten gewaltigen devoniſchen und ſiluriſchen For- mationen; durch die mächtige Strata des Sandſteins hin- durch, tief in den Granit hinein bis zum Colorado hinunter. Ahnungsvoll und ſchüchtern geht es auf dem äußerſten Rande einer Geſteinslage an dem Abſturz vorbei und auf einem Pfade, der im Laufe der Seit von ſtark gehörnten Argalis und ſcheuen, tieriſchen Singeborenen wenig ſichtbar ausgetreten worden. In unveränderter Höhe führt er um ſich aneinander reihende koloſſale Felstürme herum. Auf der einen Seite reichen ſchwer zugängliche Schutt⸗ und Ge⸗ röllabhänge nach dem Plateau hinauf, während auf der andern, hart neben dem vorſichtig ſchreitenden Fuß, das Ufer ſchroff abfällt und die Sohle der ſich erweiternden Schlucht in kurzen Abſätzen ſich um Hunderte von Fußen entfernt. Gleichmütig bewegt das belaſtete Maultier ſich auf dem, ähnlich einer Dachrinne gleichſam freiſchwebenden Wege einher. Sagend und ſorgfältig prüfend ſtellt der Menſch einen Fuß vor den andern. Der Atem ſtockt ihm, wenn unter den Hufen ein Stein ſich knirſchend löſt. Bange lauſcht er, bis endlich dumpfes Krachen und durch viel— faches Scho verſtärktes Brauſen zu ihm heraufdringt, womit der geräuſchlos hinabſtürzende Felsblock in grauſiger Tiefe zerſchellte. Beſorgnisvoll ſendet er einen Blick nach dem jenſeitigen Ufer hinüber, wo ebenfalls ungeheure, wunder— bar regelmäßig geformte Türme ſich einander anſchließen, (je ZU und ebenſo ſchnell ſenkt er ihn wieder. Er beſchattet die Augen, um ſich der Täuſchung zu erwehren, daß jene ge— waltigen Naturbauwerke ſich regen und langſam in krei⸗ ſende Bewegung ſetzen. Es fördert die Anwandlung des Schwindelns das Bewußtſein, ſich auf gänzlich unbekanntem Boden zu befinden, der bei jedem neuen Schritt unter ſeinem Gewicht weichen kann. Die Tiefe wächſt, breiter wird die Schlucht, zu deren Ausfüllung es Gebirge bedürfte. Doch weiter geht es auf dem entſetzlichen Pfade, weiter, bis er endlich in eine Spalte zwiſchen zwei Türmen hinabbiegt, wo auf ſteilen Geröll— abſtufungen ſogar der ſichere Huf des Maultiers keinen Halt mehr findet und der Rückweg eingeſchlagen werden muß. Was dem forſchenden Reiſenden mit Hilfe von Tieren nicht glückt, verſucht er, bevor er von der unlösbar erſchei— nenden Aufgabe abſteht, mit eigenen Kräften zu erreichen. Suſammengeknotete Laſſos und Stricke ermöglichten es, den erſten Abſturz zu überwinden, fortlaufende Schwierigkeiten zu beſiegen und in die gähnende Tiefe hinabzugelangen. Was aber, von oben geſehen, als dunkler gefärbtes Geäder ſich auszeichnete, erwies ſich als neue Rinnen und Spalten, die gewiſſermaßen in ein tieferes Stockwerk hinunterführten. So ging es hinab in den ſchnell an Umfang gewinnen— den labyrinthifch verſchlungenen Gängen, die, den Sonnen- ſtrahlen unzugänglich, erquickende Kühle bargen. Eine un- heimliche Wanderung in der gleichſam unterirdiſchen Welt zwiſchen ſtarrem Geſtein und überwacht von tückiſchen Ein- geborenen, die ſogar hier, und wohl auf Grund der ihnen durch katzenartige Gelenkigkeit zugänglichen fiſchreichen Ge— wäſſer und kleiner angeſchwemmter Bodenflächen, Mittel finden, ihr elendes Daſein kümmerlich zu friſten. KLEE ICON NA Und immer noch tiefer in die gefurchte Erdrinde hinein. Vorwärts zwiſchen mächtigen Felsblöcken über gefährliche Abgründe hinweg. Vorwärts mit fieberhafter Spannung und behutſamem Schritt. Indem die Uferwände zu beiden Seiten emporwuchſen, ſchien der Himmel ſich mehr und mehr von der Erde zu entfernen, die Öffnung nach oben ſich zu verengen, als ob die roten Sandſteinmauern ſich einander zuneigten. Sigentümlich widerhallte der menſchliche Ruf; dumpfes Grollen folgte einem abgefeuerten Schuß. Leiſes Dröhnen, mehr fühlbar als hörbar, zitterte durch die Klüfte. Es erzählte von unendlichen Waſſermaſſen, die donnernd in tiefe Becken hinabſtürzten und in langgedehnter Kastadenreihe hemmendes Geſtein in Schaum und Giſcht einhüllten. Doch was fich dort geheimnisvoll dem Ohr Fund- gibt, dem Auge war es nicht vergönnt, mit Wolluſt darauf zu raſten. Wo einzelne Toröffnungen den Geſichtskreis er⸗ weiterten, begegneten die Blicke immer wieder himmelwärts ſtrebenden Felswänden, bis endlich neue Abgründe jedes weitere Vordringen abſchnitten. Bin und wieder ſahen wir noch eine kleine ſehnige, kaum menſchlich zu nennende zottige Geſtalt mit der Gewandtheit eines Marders über das Geſtein huſchen oder aus ſicherer Entfernung mit herausfordernder Geberde Bogen und Pfeil ſchwingen; auch gewannen wir einen flüchtigen Schimmer des Kleinen Colorado, der auf der kurzen Strecke bis zu ſeinem mächtigeren Bruder die größten Höhenunterſchiede zu überwinden hat; ſonſt aber beſchränkten die Erfolge der unterirdiſchen Wanderung ſich auf die befeſtigte überzeugung, daß in feiner ſüdlichen und nordöſtlichen Verlängerung ein ganzer Volksſtamm den Lolo- rado nie überſchritten haben kann, die Sinwanderung der Azteken von Norden her alſo auf eine andere Weiſe zu erklären iſt. UNSER N Mit Widerſtreben fchieden wir aus dem verſteckten Erdenwinkel, mit Widerſtreben von dem dicht vor uns liegen⸗ den Siel, das uns unerreichbar. Doch erſt folgenden Tages zur ſpäteren Stunde atmeten wir nach mühſeligem Klettern wieder die über das Hochland hinſtreichende erfriſchende Briſe. Die eben geſchilderten Szenerien, wie viel anders zeigen ſie ſich, wenn man hoch oben an irgend einer Stelle den äußerſten Rand eines Vorſprunges betritt und die Blicke hinabſendet. Es eröffnet ſich dort eine Ausſicht, die jede Vorſtellung überſteigt. Über zweitauſend Fuß tief ſenkt ſich der Abgrund. Dort trifft das Auge auf roten Sandſtein, die Sohle des zuvor beſuchten, wie feurig glühenden Höllen- ſchlundes mit ihren zahllofen Irrgängen. Derſelben ent⸗ ſteigen dann wieder bis zur Höhe des Plateaus auf breiter koniſcher Baſis geſonderte Türme mit regelmäßiger Archi- tektur und Bedachung, gebildet durch die horizontalen grell⸗ farbigen Straten verſchiedener Weltepochen und, je nach ihrer Nachgiebigkeit, mehr oder minder ausgemeißelt durch die Sinwirkung der Atmoſphäre ſeit unbenennbaren Seiten. Neben dem Abgrunde einherſchreitend, verwandeln ſich für den Beobachter fortgeſetzt die Bilder, wie in einem Kaleidoſkop. Neue Kefjel öffnen ſich, während andere ſich ſchließen. Erſtaunt überblickt er ein rieſenhaftes Amphi⸗ theater. Bineinragende Wälle find gekrönt mit Sinnen und Mauern, die entfernt an zerfallende Werke von Menſchen— händen erinnern. Es verſchieben ſich die losgeſpülten For- mationen, als ob die leiſeſte Srſchütterung ihren Einſturz bewirken müſſe. Aber wie eine Mahnung an die Swigkeit erſcheinen die Merkmale, daß der fallende Waſſertropfen die Schlünde ſchuf, die dem Wanderer von allen Seiten ent- Zegenſtieren. az Mit bedauernder Entſagung trennt er ſich von ſolchen Szenerien. Iſt es doch ein Scheiden auf Nimmerwieder- ſehen. Enttäuſcht ſpäht er nach einer fernen, ſcheinbar als Mauer das Plateau nur wenig überragenden Uferwand hinüber. Sie bezeichnet das Bett des Großen Colorado, das berüchtigte Schwarze Cafon, von dem Hemmniſſe ihn trennen, die zu bewältigen mehr als Menſchenkräfte er⸗ forderlich. Sinnend betrachtet er den Adler, der, zu ſeinen Füßen den Horſt verlaſſend, über die grauſige Tiefe hinweg— ſegelt. Er beneidet ihn um ſeine Schwingen, folgt ihm im Geiſte und ſchafft ſich mit ahnungsvollem Grauen ein Bild von der Vereinigung des Großen und des Kleinen Colorado, die wohl noch lange ein Geheimnis bleibt. Wie mit Saubergewalt zieht es ihn nach dem majeſtätiſch kreiſen⸗ den Vogel hinüber. Eine rätſelhafte unheimliche Neigung, den furchtbaren Höhenunterſchied im jähen Sturz zu durch⸗ meſſen, beſchleicht ihn. Unwillkürlich läßt er ſich nieder. Mit ſengender Glut treffen die Sonnenſtrahlen das Geſtein, das, ebenfalls erhitzt, Wärme ausſtrömt und die nächſten Luftſchichten in zitternder Bewegung erhält. Die Winde ſchweigen, das Atmen wird ſchwer; aber mit unverminderter Teilnahme haftet das Auge auf den Linien und Farben des wunderbaren Panoramas, das in unbeſchreiblicher Pracht und beängſtigender Gde ſich vor ihm ausdehnt. Keifes einjchläferndes Summen der Fluginſekten erfüllt die Atmo⸗ ſphäre. Regungslos liegen auf dem warmen Geſtein Ei- dechſen, während am Fuße eines Geröllblockes hinter halb- geöffnetem Falltürchen die giftige Tarantel auf Beute lauert. Die Seit verrinnt. Die Sonne iſt über den Senith hinausgeglitten und mahnt zur Heimkehr ins Lager. Die Sidechſen ſtäuben auseinander, das Falltürchen der Tarantel e klappt zu. Aber das Geſchwirre in der Luft hält an und begleitet ihn auf ſeinem hindernisreichen Wege. Den Colorado wirklich zu finden, gelingt auf einem weiten Umwege gen Süden, wo er nach Durchbrechen des Hoclandes einen ſtetigeren Lauf angenommen hat und das Kreuzen ſeiner reißenden Fluten ermöglicht. Es öffnen ſich dort, durch zackige Gebirgsjoche voneinander getrennt, um⸗ fangreiche Täler, die von den ſchönen Stämmen der Mo— haves, Chimehueves und Kutfchans bewohnt werden. Mit den tadellos ſchlank und kräftig gebauten Männern und den mittelgroßen wohlgenährten Frauen bieten ſie den Anblick wirklicher Urwilden. Kleider ſind ihnen ebenſo fremd — bis auf die aus dicken Lagen flatternder Baſtſtreifen be= ſtehenden kurzen Röckchen der Weiber und die langen weißen Schurzſtreifen der Männer — wie Feuerwaffen. Außerdem zeichnen fie ſich durch heiteres, zutrauliches Weſen und fried—⸗ liches Entgegenkommen aus. Wie die Kinder find fie in ihrem ſorgloſen Treiben, namentlich die jüngere Frauenwelt, und eine Freude iſt es, zu beobachten, wenn fie im Über- mut wie junge Pferde durcheinander toben und die nicht unſchönen Geſichter in Wonne über den Beſuch der ihnen fremden Weißen ftrahlen. Einen auffälligen, jedoch wohl- tuenden Gegenſatz bieten ſie, beinah ausſchließlich von Degetabilien und Fiſchen lebend, ſowohl rückſichtlich der Gemütsart wie der körperlichen Ausbildung, zu den in den benachbarten Gebirgen hauſenden Apatſches, kleinen häß- lichen Geſtalten mit ſcheuem tückiſchem Blick. Nur auf Wurzeln, Sederfrüchte, den Kern der Agave und Wildfleiſch als Leckerbiſſen angewieſen, kleiden dieſe ſich dürftig in Ceder, wogegen die Coloradoindianer die mangelnden Stoffe durch die fürchterlichſten Malereien zu erſetzen lieben. u e So war es vor einem halben Jahrhundert. Seit- dem aber dieſe arglofe Bevölkerung durch die ihr Gebiet kreuzende Siſenbahn, namentlich bei deren Bau, in nähere Berührung mit der ſogenannten Siviliſation gekommen, iſt alles anders, viel anders geworden. Was blieb, kann, nach einzelnen Photographien neueſter Seit zu ſchließen, mit den damaligen Bewohnern der Coloradotäler nicht verglichen werden. Wie Karikaturen erſcheinen ſie, zumal in den abgelegten Kleiderfetzen der Weißen, gegenüber den von mir einſt angefertigten bildlichen Darſtellungen. Der Urwald. Ungleichmäßig verteilt die Vegetation ſich über den Erdball; üppiger, mannigfaltiger und heiterer in den Aquatorialbreiten, beſcheidener und ernſter in den Sonen, wo Froſt die ſchwellende Knofpe bedroht. Hier wie dort macht die nach beſtimmten Geſetzen zeugende Natur ſich geltend. Wie auf tropiſch durchglühtem ſchwarzen Erd— reich, ſo auf vulkaniſch emporgetriebenen Inſeln und aus dem Meeresſpiegel herauswachſenden und damit abſterben— den Korallenbänfen, wo rätſelhaft angeſäte Mooſe und Flechten, nur als farbige Flecken erkennbar, dem nackten Ge— ſtein ſich anſchmiegen. Sin weiter Weg von dieſen erſten Degetationsproben bis zur allmählichen Bildung einer Keichenfelde ihrer Vorfahren, über unzählige Generationen hinweg ihre Nahrung ſchöpften, ſterbend ſich zu ihnen betteten, um endlich als Kohle wieder zu Tage gefördert zu werden. Sin weit längerer noch, ein unfaßlich langer Weg von jener Spoche herüber, in der ſtolze Waldungen, zu denen mächtige Abietineen und — ſeltſamerweiſe — baum= artige Farne ſich zuſammendrängten, verſchüttet und ſchließ⸗ lich, im Verlauf von Weltaltern, in den ſchönſten Farben verkieſelt, als wirklicher und älteſter Urwald bloßgeſpült wurden. Im allgemeinen verſteht man unter Urwald mit dichtem Baumwuchs bedeckte Flächen, auf denen der Schlag der Art das Scho noch nicht weckte, von Altersſchwäche nieder- gebrochene Stämme und andere, die der Wetterſtrahl fällte, gemeinſchaftlich mit verworren wucherndem Unterholz das Eindringen zwar erſchweren, jedoch nicht gänzlich ab- ſchneiden. Sie gehören vorzugsweiſe der nördlichen ge— mäßigten Sone an, wo der Menſch ihnen von jeher mühevoll die heimatliche Scholle abrang und noch abringt. Legt man indeſſen den Maßſtab der Unzugänglichkeit an, ſo verdienen die Tropendickichte in erſter Reihe als Urwälder bezeichnet zu werden. Und je näher dem Aquator, um ſo auffälliger die Wirkung ununterbrochener Wärme im Verein mit Feuchtig⸗ keit auf den unerſchöpflich reichen Boden, ihm Binderniſſe entlockend, denen der Bahnbrecher ratlos gegenüberſteht. In Erſtaunen verſenkt weilt dagegen der Fremdling vor den hochaufſtrebenden Vegetationsmauern, wie Sentral-Amerika, auf beiden Seiten den über den Meeren lagernden Luft- ſtrömungen ausgeſetzt, ſie zu bieten hat. Bei dem unge— wohnten Anblick bedarf er der Muße, ſich mit der Wirk- lichkeit vertraut zu machen. Denn nicht allein die Maſſe iſt es, die das Gemüt überwältigend ergreift, ſondern auch, und wohl mehr noch die Mannigfaltigkeit und Größe der Dflanzenformen. Lernte er in den heimatlichen Treibhäufern ängſtlich gepflegte Kinder der heißen Sone kennen und be— wundern, ſo erſcheinen ſie ihm in der Erinnerung als kränkelnde Serrbilder der in ſeinem Geſichtskreiſe befind— lichen, ſaftſtrotzenden gewaltigen Bananenſtauden, gen Himmel ſtrebender Palmen und der anmutig gewölbten 5 — Wedel der baumartigen Farne. Streift fein Blick aber einen hundertjährigen Baumſtamm, deſſen ſtarke Wurzeln ſich als Poſtament über Mannshöhe hinaus ſeltſam durcheinander⸗ winden, dann mögen Märchenbilder vergangener Tage vor ihm auftauchen, in denen ehrwürdige Eichen von der Kanzel herab den in ihrem Schatten Ruhenden die herrlichſten Wunderdinge predigten. So iſt alles geeignet, die Sinne zu berauſchen, das Auge zu entzücken, zu blenden. Was einer ſchöpferiſchen Naturkraft an Formenreichtum und Farbenpracht zu Ge— bote ſteht, hier hat ſie es verſchwenderiſch angehäuft. Im Gewirre der Schlingpflanzen verſchwinden faſt der majeſtä— tiſch gewachſene Mahagonibaum, der breitveräſtete Brafil- holzſtamm und andere Waldhäuptlinge. Dazwiſchen klettert mittels Cuftwurzeln duftendes Vanille- und Saffaparilla- geſträuch dem Licht entgegen. Lianen weben ihre wunder— baren Gerüſte von Baum zu Baum, umſpinnen netzartig Sweige und Alte, ſenken ſich aus ſchwindelnder Höhe zur Erde hinab, von wo aus ſie immer wieder aufwärts ſtreben. In Prachtgewänder kleiden zahlloſe blühende Schmarotzer— pflanzen hochragende Wipfel wie modernde Baumleichen, geſtorben unter der Jahre Laſt, erſtickt in einer Flut eng verſchlungenen Blätterwerks, erwürgt durch gewaltige, eiſen— feſte, den Kreislauf der Säfte hemmende Ranken. Ein Ge— ſchwirre von Blättern in allen nur denkbaren Geſtaltungen und eines Blumenflors, daß es ſchwer wird, zu unter— ſcheiden, welcher Stamm oder Strauch deren Ernährer. Aber jeden Widerſtand beſiegend drängt ſich empor die maleriſche Krone der Palme. Majeſtätiſch überſchaut die Königin der Tropen ihr Sauberreich, während nachbarlich Rohrhalme im Wuchs ihr nacheifern, ſtarkſtämmige Farne Wedel auf Wedel träumeriſch entrollen, die breiten Rieſen⸗ _ do blätter der Piſangſtaude ihren Schützling, die ſchwere Bananentraube, bei der leiſeſten Cuftbewegung ſchmeichelnd umfacheln. Die Sonne fteht im Senith. Sengend lagern ihre Strahlen auf dem Dickicht. Wie der Bewohner heißer Sonen ſich ungern anſtrengender Arbeit unterzieht, raſtet zu ſolcher Stunde auch die Tierwelt. Alles ſtill und ſtumm. Kein Lüft- chen regt ſich. Träge kauert der Affe in einer Sweigver— gabelung, nur durch verſchlafenes Blinzeln Leben verratend. Seinem Beiſpiel folgen der rotſchwänzige graue Papagei und andere farbenfröhlichere ſeines Geſchlechts unter klug gewähltem Kaubdah. Wo Geſtein oder kleine ange— ſchwemmte Sandſchollen der Vegetation wehren, da ſonnt ſich, halb vergraben im warmen Erdreich, das gepanzerte Armadil. Mit dem Ausdruck ſtarren Behagens ſchlürfen Iguanen und ESidechſen die ſchwüle Luft. Ein Bild para- dieſiſchen Friedens. Doch wenn das Auge brennt, geblendet wird durch die unvergleichliche Fülle an Formen und Farben, ſo brütet die alles durchdringende Glut gefährliche Miasmen aus dem ewig beſchatteten Erdreich. Es übermittelt der Atem dem Fremdling die Keime tödlicher Fieber und ſchleichenden Siechtums, gegen die der braune Eingeborene gefeit iſt. Alles ſtill und ſtumm. Stumm die giftbewaffnete Schlange, die den arglos Einherfchreitenden mit ihrem Biß bedroht. Stumm der große Falter, der auf einem Blüten- kelch die mit Juwelenfarben geſchmückten Schwingen gefall- ſüchtig der vollen Wirkung der Sonne preisgibt. Wer aber aufmerkſam lauſcht, der unterſcheidet das leiſe Summen zahl- lojer Fluginſekten, dem ſich hin und wieder das eigen- tümliche Schnurren der zitternden Flügel des unermüdlichen, honiglüfternen funkelnden Kolibris beigeſellt. Erſt wenn die Sonne ſich dem weltlichen Horizont zuneigt und abendliche Kühle von den Meeren hereinweht, belebt der Wald ſich wieder. Vereinzelte Dogelftimmen werden laut. Affen und Papageien, in ihrem Weſen einander ähnlich, ermuntern ſich. Ihr mutwilliges Schnattern und Kreiſchen übertönt alles andere. Luſtig und in fortgeſetztem Scheingefecht benutzen die gewandten Vierhändler unter Bei⸗ hilfe des Wickelſchwanzes die wiegenden Feſtons als Brücken und Schaukeln, wogegen die Papageien, einen dritten Fuß durch den ſtarken Schnabel erſetzend, plaudernd und ſcheltend Kletterübungen anſtellen. Und geräuſchvoller wird es, indem alle Geſchöpfe ihre Verſtecke aufgeben, die Anwandlung von Lethargie abſchütteln und jedes auf ſeine Art Freude am Leben offenbart. So geht es fort bis zum Einbruch der Nacht. Es ſchweigen die Waldesſtimmen. Lieblich durchweben Feuer— linien, die Bahnen unzähliger Leuchtkäfer, die ſchwarzen Schatten, während Glühwürmer ihre phosphoreszierenden Saternchen anzünden und die nächſte Krautumgebung magiſch erhellen. Es iſt, als ob ein Sternenheer ſich auf die Erde niedergelaſſen habe, fröhliche Waldgeiſter bei deren Schein unhörbar ihren Reigen aufführten. Plötzlich dringt aus der Ferne ein dumpfer Ruf durch die ſtille Atmoſphäre herüber. Aufbrüllend rüſtet der Jaguar ſich zur Jagd. Durch die Wipfel läuft eine eigentümliche Bewegung. Angſtlich warnende Kundgebungen der ver— ſchiedenſten Art erheben ſich. Bei jeder Wiederholung des unheimlichen Rufes mehren ſie ſich. Endlich kniſtert und rauſcht es nahe dem Erdboden. Grunzend, ſchnaubend und ſtampfend bricht eine durch den furchtbaren Verfolger ge— ſcheuchte Herde Peckaris durch das Dickicht. Jäh flüchtend erblicken die entſetzten Tiere in jedem hindernden Sweig, 0 in jeder fie ftreifenden Ranke einen Feind. Blindlings mit den ſcharfen Bauern um fich fchlagend, werden fie jedem gefährlich, der bei ihrem planlojen Einherftürmen auf ge= lichteter Bahn von ihnen überrafcht wird. Schnell, wie fie gekommen find, verfchwinden fie. Es verhallt das von ihnen erzeugte Geräuſch. An deſſen Stelle dauern fort das Klagen und Jammern der Affen, das Kreifchen und Flattern der Vögel, die im erſten Schrecken auf ſicherem Alt das Gleich— gewicht verloren und, in der Finſternis einen neuen Halt ſuchend, die Todesangſt immer weiter verbreiten. Cange dauert es, bevor man ſich wieder beruhigt und nur noch die wachſamen Familienhäupter gelegentlich ihre Unzufriedenheit verraten. So bildet der tropiſche Urwald gewiſſermaßen eine abgeſchloſſene Welt für ſich. Wie unter den Menſchen, wechſeln auch hier Friede und Swietracht. Während des Kampfes der unter ſeinem Schutze gedeihenden Geſchöpfe verharrt er in erhabener Ruhe. In gleichem Maße ſpendet er ſeinen Schatten Verfolgern und Verfolgten. Dat der forſchende Wanderer ſich gleichſam geſättigt an den nie veraltenden Bildern des exotiſchen Pflanzen- wuchſes, deſſen Sauber ſeine Sinne fortgeſetzt in reger Spannung erhielt, ſo iſt er in erhöhtem Grade dem Eindruck des Ergreifenden unterworfen, wenn er einen bevorzugten nordiſchen Urwald betritt, wo die Natur ihren Werken eine Mächtigkeit verlieh, der die üppigſte Tropenvegetation nicht gleichkommt. | Ungeheure Tannenwaldungen erſtrecken fich vom nörd— lichen Kalifornien bis nach Oregon hinein. Nahe dem Kas- kadegebirge und auf deſſen wild zerklüfteten Abhängen, wo ſie ausſchließlich aus der berühmten Douglastanne be— ſtehen (nicht zu verwechſeln mit der Sequoia gigantea), , haben ſich im Laufe unberechenbarer Seiten Größenver— hältniſſe entwickelt, die zu Erſtaunen und tiefſter Be— wunderung hinreißen. Wie nach einem Lot gewachſen und wie Halme in einem Rohrfelde entſprechend dicht beieinander ſtehend, erheben die vier Fuß oberhalb der Wurzelver— zweigung bis zu zehn Fuß im Durchmeſſer haltenden Bäume ſich zu einer Höhe von mehr als dreihundert Fuß. Die erſten zweihundert entfallen auf die glatten, faſt zweigloſen Stämme. Dann erſt beginnen die ineinander verwachſenen Wipfel. Sine Art Bedachung bildend, vervollſtändigen ſie Säulen⸗ hallen, denen gegenüber man glaubt, den Augen nicht trauen zu dürfen. In eine derartige lautlos liegende Waldung ein— dringend, durchzittern den für Natureindrücke empfänglichen Sterblichen ähnliche Schauer, wie beim Betreten eines Domes, wo die Majeſtät kühnen künſtleriſchen Schaffens die Sinne wie mit Sauberbanden umſchlingt. Man wandelt gewiſſermaßen zwiſchen Jahrtauſenden. Da mag die Frage nach denjenigen ſich regen, die einſt dieſe Giganten als Schößlinge kennen lernten. Wer waren ſie und woher kamen fie? Oder blieb es dem jungen Walde beſchieden, ungeſtört, von keinem menſchlichen Auge geſehen, zu einem Stolz der Vegetation ſich zu entwickeln? So drängt es den Geiſt, in die weiteſte Vergangenheit zurückzuſchweifen. Vicht zu⸗ frieden mit dem Wahrnehmbaren, trachtet er, das Dunkel entſchwundener Jahrtauſende zu durchdringen, mit ver— wegener Phantaſie Bilder zu fchaffen, die das Unvoll- kommene nicht überſchreiten. Nähert die Sonne fich dem Untergange und verdichten ſich die Dämmerungsſchatten, dann erinnert die Umgebung mehr noch als am Tage an einen von Titanen aufgeführten Bau, deſſen Säulen und Kapitäle hoch oben in der un— beſtimmten Beleuchtung zerfließen. Dazu liegen umge— ug brochene modernde Stämme hier und da wie die Trümmer auf dem Ruinenfelde einer Tempelſtadt. Doch wenn das, was Menſchenhände ſchufen, dahinſinkt, allmählich ver- wittert und zerfällt, ſo erſetzt ſich hier das Geſtorbene immer wieder. Baſtlos kreiſen die Säfte. Es erneuert und ver— vollſtändigt die Natur, was ſie zuvor der Vernichtung preisgab. Jedem Erdſtrich ſind eben beſondere Vorzüge und Reize verliehen. Herrfcht in den Tropen ununterbrochenes Grünen, Blühen und Reifen, fo erfreut den Bewohner kühlerer Sonen der regelmäßige Wechſel der Jahreszeiten. Wie einen aus der Fremde heimkehrenden alten Bekannten begrüßt er alljährlich den erſten Schneeſturm, der wild durch die nackten fröſtelnden Wipfel faucht. In freudiger Er— wartung beobachtet er beim Erwachen des Lenzes die neu⸗ geborenen Gräſer und Kräuter, wie fie, kaum der Erde entſtiegen, erſtaunt und ſchüchtern um ſich lugen. Es ent⸗ zückt ſein Auge und fördert freundliche Hoffnungen der verheißende Sommer, bis endlich der Herbit das Füllhorn ſeiner Gaben vor ihm ausleert, ihm den frohen Genuß be— reitet, hamſterartig für den Winter ſich einzurichten. — Möllhauſen. 7 Das Schwarze Latin. Wenn ich es unternehme, ohne ſie ſelbſt zurückgelegt zu haben, eine Fahrt durch die berüchtigte Schlucht, die der Colorado in nie geſtörtem Benagen durch das Hochland von Neumexiko brach, zu ſchildern, jo geſchieht es an der Hand zahlreicher Seichnungen, angefertigt auf Punkten, wo die Blicke über Serklüftungen und Erdſpalten hinweg— ſchweiften, wie ſolche ſchwerlich oft ihresgleichen auf Erden finden. Bei meiner zweiten Anweſenheit in jenen Regionen ſtellten wir durch barometriſche Meſſungen die Höhe der ſterilen Landſchaft als den Meeresſpiegel um 9000 Fuß überragend feſt. Da aber der des Colorado dort, wo wir noch einmal unter unſäglichen Mühen zu ihm hinabgelangten, kaum höher als 1500-2000 Fuß, fo ent⸗ ſteht das märchenhafte Bild von Naturbauwerken, die ſchroff oder ſtufenweiſe den Strom einengend, über ſechstauſend Fuß hoch emporſtreben. Einem damaligen Mitgliede unſerer Expedition war es vorbehalten, einige Jahre ſpäter das Canon gleichſam zu durchfliegen. Sein Bericht ging mir zu. Er trägt den Stempel der Wahrheit, dafür bürgen meine eigenen Be— obachtungen. Er deckt ſich gewiſſermaßen mit meinen bild— lichen Darſtellungen. Was White unten in eng begrenzter grauſiger Tiefe ſah, das lag, bei der jeweiligen Anderung meines Standpunktes wechſelnd, oben als ein Panorama von erdrückender Majeſtät vor mir. Es wurde mir dadurch ermöglicht, ſeine einfachen Schilderungen ausführlicher zu ergänzen. Von den Tonto-Apatſches, einer zerſtreut lebenden vertierten Horde, hart bedrängt, hatte White mit drei Ge— fährten und zwei beladenen Maultieren Schutz in dem tiefen trockenen Bett eines in den Colorado mündenden Flüßchens geſucht. Sin hindernisreicher Weg war es, und einen Tag und eine Nacht wanderten ſie mit kurzen Unterbrechungen, als in der Frühe ein eigentümliches Summen ſie über die Nähe des Colorado unterrichtete. Erſchöpft ſchleppten ſie ſich weiter. Die Schatten zwiſchen den Felſenmauern flüchteten vor der erwachenden Sonne. Hier und da, wo die Schluchtrichtung es begünſtigte, ſchlichen warme Lichter auf den roten Sandſteinflächen niederwärts, daß ſie leuchteten wie glühendes Eifen. Cauter dröhnte die eintönige Melodie des grollenden Stromes. Es einte ſich mit ihr das Echo, das aus den hinter ihnen liegen- den Windungen des Felſenbettes geiſterhaft zurüdichallte. Plötzlich öffnete ſich vor ihnen ein mächtiges Tor und damit die Ausſicht auf das jenſeitige Coloradoufer, das ſich ſchroff und zerklüftet bis zu einer Höhe von über 2000 Fuß erhob. In noch reicherem Maße als bisher war die Schluchtſohle hier mit gewaltigen Trümmerſtücken angefüllt. Dazwiſchen lagen Treibholzſtämme und verworrenes Geäſt. Von dem Colorado zu Seiten des höchſten Waſſerſtandes auf breitem Rücken aus ſeinem Quellgebiet herbeigeſchleppt, waren ſie von den wütend brandenden Fluten in die Mündung des Nebenfluſſes hineingewirbelt worden und nach Sinken des Waſſerſpiegels zurückgeblieben. Der Rinde beraubt und 7% 100, gebleicht, ſtarrten fie, ähnlich verwitterndem Gebein vor- weltlicher rieſenhafter Ungetüme, die ſich im Tode noch gegen das Eindringen Sterblicher in das unheimliche Reich zur Wehre ſetzten. Als die Wanderer endlich die äußerſte Grenze der Mündung erreichten, wo einige Fuß tiefer der Colorado ſchäumend vorüberrauſchte, waren die Kräfte der Maul- tiere vollſtändig aufgerieben. Während die Gefährten ſie ihrer Laſten entledigten, drohten fie unter deren Händen zuſammenzubrechen. Doch auch ihre Herren befanden ſich in einer Lage, welche die Hoffnung auf Entkommen herab— drückte. Leicht überzeugten ſie ſich, daß ihre Vorausſetzung irrig geweſen. Anſtatt die zeitweiſe einem doppelten Wogen— drange ausgeſetzten Sckpfeiler der Mündung unterſpült, er— ſchüttert und niedergebrochen zu finden, wodurch ihnen das Erklimmen des Plateaus ermöglicht geweſen wäre, türmten die Felsmaſſen ringsum ſich unerſteiglich zu ſchwindelnder Höhe übereinander. Da aber auch die Umkehr ſchon ſeit dem erſten Betreten des Flußbettes durch die hinterliſtigen Feinde abgeſchnitten worden war, blieb ihnen in der Tat nur noch der Strom als einziger Ausweg aus der Bedräng— nis. Dies erwägend, ſchritten ſie unverzagt zur Ausführung eines abenteuerlichen Planes. Um den Tieren, die ohnehin verloren, ein qualvolles Ende unter den Händen der Verfolger zu erſparen, führten ſie dieſe nach dem Ufer hinauf, wo ſie durch einige Schüſſe ſchmerzlos getötet wurden. Bevor man ſie, den nach Fleiſch lechzenden Wilden den Raub verkümmernd, in den Strom hinabſtieß, ſicherten ſie ſich ihre Häute, die, in Riemen geſchnitten, jedes andere Material an Stärke und Sähigkeit weit übertrafen. Dann ſchwangen ſie die Beile, geeignete Treibholzſtämme derartig herrichtend, daß ſie beim Her— ftellen eines Floſſes zur erſten Unterlage verwendet werden konnten. Ahnlich verfuhren fie mit Aſten, die zu der darüber— hin zu deckenden Querſchicht dienen ſollten. Der Nachmittag war zur Hälfte verſtrichen, als man mit dem eigentlichen Bau begann und die Unterlage das Ufer ſo weit überragen ließ, daß deſſen Flottmachen kaum Mühe verurſachte. Wie lange der Tag ihnen noch leuchtete, entnahmen ſie dem tieferen Erglühen der im Bereich der Sonne befindlichen Höhen, jo daß fie hoffen durften, noch vor Sinken der Nacht mit ihrem Werk fertig zu werden. Nur einmal wurden ſie, als ſie ſchon mit dem Befrachten des Floßes beſchäftigt waren, an die verhängnisvolle Wirklich— keit erinnert. Aus ſchwindelnder Höhe fchallte durchdringen— des Setern und Kreifchen zu ihnen herunter, und als fie hinaufſahen, erblickten ſie einen Felsblock, der über den Rand des Plateaus gewälzt worden, auf ſeinem Wege hier und da aufſchlagend und abprallend, in ihrer Nachbarſchaft niederkrachte und im Serſchellen einzelne Trümmerſtücke zu ihnen herüberſandte. Kleinere Steine folgten. Schädigten ſie keinen, ſo zwangen ſie wenigſtens zu erhöhter zeitraubender Wachſamkeit. Unterlag es doch keinem Sweifel, daß wie oben, auch unten hinter dem groben Geröll die ebenſo feigen wie mordgierigen Beſtien in Menſchengeſtalt auf die Gelegenheit lauerten, einen erfolgreichen Überfall aus dem ſicheren Hinterhalt auszuführen. Trotz ähnlicher wiederholter, jedoch harmlos verlaufen— der Störungen arbeiteten die Unglücksgefährten aus Leibes⸗ kräften, und der ſchmal begrenzte Himmel ſpiegelte ſchon die rote Beleuchtung der baldigſt verſinkenden Sonne, die in der Tiefe nur noch traumhaft wirkte, als der Bau voll- endet daſtand und man die letzten Anſtalten traf, ſich dem zürnenden Strome anzuvertrauen. „ Die belaſtenden Steine, die ſo lange dazu gedient hatten, das halb ſchwebende Floß im Gleichgewicht zu er— halten, wurden entfernt. Schwerfällig neigte es ſich dem Waſſer zu, jedoch nicht hinlänglich, um ins Gleiten zu ge- raten. Schnell entſchloſſen griffen die Männer ein und halfen durch Schieben nach, und das war der Seitpunkt, den die Wilden zum Angriff erkoren. Als hätte das Geſtein ſelbſt plötzlich Ceben gewonnen, tauchte eine größere Anzahl ſcheußlicher Geſtalten zwiſchen den Geröllblöcken auf. Unter ohrenzerreißendem Gellen ſendeten ſie eine Ladung ſtein— bewehrter Pfeile zu ihnen herüber, die indeſſen, ohne ihr Siel zu erreichen, niederfielen, und im nächſten Augenblick trieb ein Schuß fie in ihre Verſtecke zurück. Ungeſäumt erneuerten die Gefährten ihre Anſtrengungen, und nach kurzem Wiegen und Schieben ſchoß das ungelenke Fahrzeug hinab. Mit dem Vorderteil ſich in die Fluten einbohrend, hob es ſich alsbald wieder, um ebenſo ſchnell von der Strömung umſchlungen und fortgeriſſen zu werden. Bevor die Wilden nach Überwinden des erſten Schreckens ihren Angriff wiederholten, befand es ſich außerhalb des Be— reiches ihrer Geſchoſſe. Das Wutgeheul aber, in das ſie ausbrachen, als ſie die Bartbedrängten wohlbehalten ent— rinnen ſahen, ließ ahnen, welches Los ihrer geharrt hätte, wäre der Ablauf des Floßes durch irgend einen unglück— lichen Zufall auch nur um wenige Minuten verzögert worden. Die Flüchtlinge atmeten auf. Sie hatten ſich überzeugt, daß die Tragkraft der bis zum geringſten Gewicht aus- gedörrten Holzteile die Belaſtung weit überwog, und jetzt erſt wendeten ſie ihre Aufmerkſamkeit der Umgebung zu. Waren fie einer verzweifelten Cage entronnen, jo erwachten nunmehr kaum geringere Bedenken, auf einem Wege einher— e getragen zu werden, den bisher, außer den darüber hin— ſchwebenden Vögeln nie ein lebendiges Auge ſah, und der Geheimniſſe barg, von denen die verwegenſte Phantaſie kein annäherndes Bild zu entwerfen vermochte. Nachdem die Mündung zurückgeblieben war, gähnte es ihnen wie ein Tor von den unglaublichſten Größen— verhältniſſen entgegen, aus welchem es keine Rückkehr mehr gab. Jeder einzelne war dieſem Eindruck unterworfen. Doch ob trotziger Mannesmut die Gemüter beherrſchte, ob Sagen und Sweifeln: Neben dem natürlichen Drange, den Halt nicht zu verlieren, behauptete überwältigendes Erſtaunen ſein Vorrecht. Obwohl das Floß anfänglich mit mäßiger Schnelligkeit dahinglitt, war an das Benutzen der zum Steuern mit- geführten Stangen nicht zu denken. Wild umhergeſchleudert, bald von Strudeln gedreht und in der Bewegung gehemmt, bald wieder in die gefährliche Nachbarſchaft der Felsmauern gedrängt, die den tückiſchen Strom ſtellenweiſe in ein kaum zweihundert Ellen breites Bett einzwängten, wurden die Reiſenden immer wieder von Schaumgarben überfchüttet, fo daß ſie die äußerſte Kraft aufbieten mußten, um trotz der fie mit dem Holzwerk verſchnürenden Riemen den Halt nicht zu verlieren. Niederdrückend wirkte zu derſelben Seit, wenn ſie, fo lange das auf dem Plateau herrſchende letzte Tages- licht Dämmerung um ſie her ſchuf, die Blicke an den meiſt ſenkrechten Wänden hinaufſandten, die, je weiter nach oben, ſich ſcheinbar einander zuneigten und den Himmel wie ein darüber hin gefpanntes blaues Gewebe trugen. Hier und da waren wohl durch Felsſtürze Erweiterungen entſtanden, Türme und Sinnen durch atmoſphäriſche Einflüſſe ausge⸗ meißelt worden; allein derartige Unregelmäßigkeiten ver- ſchwanden im Gegenſatz zu der Mächtigkeit der übereinander geſchichteten Formationen, die zu einem einzigen maſſiven Bau zuſammengewachſen waren. Führte die Bahn an Stellen vorüber, wo Sturzbäche ſich bis zum Spiegel des Colorado hindurchgefreſſen hatten, dann beſchlich die Abenteurer ein Gefühl, als ob ſie einen Blick in ſchwarz gähnende Kerker geworfen hätten, wo kämpfende Syklopen von übermächtigen Berggeiſtern in Ketten geſchlagen worden. Und dazu das unabläſſige Dröhnen und Brauſen, das, durch vielfaches Echo ver- ſtärkt, die Ohren betäubend erfüllte. Und in demſelben Maße, in welchem das große Plateau ſüdlich zu feiner höchſten Er- hebung anſtieg, ging es tiefer hinab über ziſchende Strom- ſchnellen, fort über Felſen, die unterhalb des Waſſerſpiegels verborgen und im Laufe undenklicher Seiten von den ſand— führenden Fluten geglättet und poliert, kaum durch leiſes Schrammen verrieten, wenn das Floß über ſie hinwegglitt. Wo ein feſt gezimmertes Boot hätte Waſſer ſchöpfen, um— ſchlagen und zerſchellen müſſen, da veränderte das Floß mit der umſichtig verteilten Belaſtung kaum feine Sage. Wohl dehnten die zähen Hautſtreifen ſich vor dem ſchweren Fluten— andrange, allein nicht mehr, als daß durch die Lockerung eine größere Nachgiebigkeit des rohen Holzbaues entſtand. Fand aber, ſo lange man fähig, notdürftig um ſich zu ſehen, der Geiſt angeſichts der alle Begriffe ſo weit überſteigenden gigantiſchen Umgebung eine gewiſſe Ablenkung, ſo trat in demſelben Grade, in dem die Schatten ſich verdichteten und Finſternis alles verſchlang, das Gefühl gänzlicher Ohn— macht und Gottverlaſſenheit an Stelle des bisherigen Boffens und Bangens. Ein ermutigender Gedankenaus⸗ tauſch war unmöglich geworden; denn mit dem Berein- brechen der Nacht hatte — eine ſeltſame Naturerſcheinung — das Toſen und Heulen ſich erheblich verſtärkt. ie Es brauſte hoch oben, als wäre es von den wenigen ſichtbaren Sternen herniedergedrungen. Es dröhnte und polterte unten, wie aus dem feuerflüſſigen Innern der Erde emporgefendet. Es krachte, rauſchte und brüllte rings⸗ um, als hätten die himmelhohen Felsmauern über den ſchäumenden Colorado hinweg verdroſſen ihre Betrachtun— gen ausgetauſcht. Sin unheimliches Getöſe war es und eine Lage, in der das mutigſte Männerherz ſich von heim— lichem Sagen nicht freiſprechen konnte. Das Floß verfolgte inzwiſchen wie in einem Gewölbe unbeirrt ſeine bewegliche Bahn. Man hätte es mit einem Korkſchiffchen vergleichen können, das, in einem waſſer— gefüllten Eimer von Kinderhänden luſtig überſpült, immer wieder auf der Gberfläche erſcheint. Ob gelegentlich um ſich ſelbſt gedreht, ob von wirbelnden Fluten mit raſender Schnelligkeit von Ufer zu Ufer getrieben: die heftige Strö— mung des hindernisfreien Hauptfanals hielt feſt, was fie einmal umſchlang, und trug es ſtets dahin, wo die ſchwerſten Waſſermaſſen ſich ihren Durchgang brachen. Es ſicherte zugleich den Lauf des Floßes die mehr lange als breite Bauart. b So verrann Stunde auf Stunde, deren jede einzelne die letzte der Reiſenden zu werden drohte. Von Sprüh— wellen getroffen und durch unvorhergeſehene Bewegungen des Floßes erſchüttert, behaupteten fie, wie mit dem fie tragenden Holzwerk verwachſen, krampfhaft jeder die ge— wählte, qualvolle Cage. In die Sukunft hinaus zu denken, die ſo ſchwarz, wie der vor ihnen liegende Weg, gewann keiner über ſich. Als Glück pries man, wenn bei der wieder— holten Umfrage die Stimmen wie aus einem Abgrunde antworteten und keine fehlte. 1 Wie lange die grauenvolle Fahrt gedauert hatte, wie weit ſie von der reißenden Strömung entführt, wie oft ſie von einem guten Stern an unabwendbarem Verderben vor— bei oder darüber hinweg geleitet worden, ahnten ſie nicht. Die Sekunden ſchienen zu Minuten, die Minuten in der fürchterlichen Abgeſchiedenheit zu Stunden zu wachſen, das Grauen des Tages in unerreichbare Ferne gerückt zu ſein. Denn außer den wenigen Bimmelskörpern, die hoch oben über die ſchwarzen Uferwände lugten, gab es nichts, was noch an die Gberwalt erinnert hätte. Die zweite Morgenſtunde mochte abgelaufen ſein und ſtetiger trieb das Floß auf ſeinem unſichtbaren Wege ein— her, als es plötzlich nach kurzem Knirfchen mit einer Heftig- keit zum Stillſtand gelangte, daß die Gefährten, ſoweit die ſchützenden Schlingen nachgaben, von ihren Plätzen, zwei ſogar über Bord geſchleudert wurden. Anſtatt aber in den Fluten unterzutauchen, richteten ſie ſich in einem Waſſer auf, das ihnen kaum bis an die Mniee reichte. Weitere Nachforſchungen ergaben, daß das plumpe Fahrzeug, zu ſchwer, um auf der einen oder andern Seite der ſich teilenden Strömung ſofort zu folgen, mit vollſter Gewalt nach einer glatt geſchliffenen Felsabflachung hinaufgeſchoben worden war, die wenige Schritte vor ihnen inſelartig dem ungeduldig zuckenden Stromſpiegel entſtieg. Nachdem alle das Floß verlaſſen und es dadurch er— leichtert hatten, zogen ſie es nach dem Trockenen hinauf, um daſelbſt den Anbruch des Tages zu erwarten. Träge ſchlich dann wieder die Seit dahin, träge und die Spannung ſteigernd, mit der man dem Lichten des Morgens entgegenſah. Sugleich zitterte dumpfes Brüllen, fernem Donner vergleichbar, gleichſam durch Mark und Bein. Von der vor ihnen ſich ausdehnenden Flußſtrecke oe drang es herüber. Unheimlich und doch einſchläfernd wirkte es, daß die Häupter ſich neigten, die vollſtändige Erſchöpfung trotz der erkältenden Näſſe einen Mittelzuſtand zwiſchen Wachen und Träumen erzeugte. Die Frühſonne vergoldete die höchſten Ränder des weſtlichen Uferwalles, als die Unglücksgenoſſen den Schlaf abſchüttelten. Ihre erſte Prüfung galt dem Floß, das ſie ſo eindringlich an die furchtbare nächtliche Fahrt erinnerte. Förmlich ſcheu ſahen fie zu dem fonnigen, lichtblauen Himmel empor. Eingefäumt von ſchroffen, hier und da durch Berg— ſtürze gekerbten Felswänden, die ſich unmittelbar aus den toſenden Gewäſſern zu einer Höhe von drei- bis viertauſend und wohl mehr Fuß erhoben, kontraſtierte er eigentümlich zu den trotzig ſtarrenden gewaltigen Naturbauwerken. Stromaufwärts wie abwärts war die Fernſicht auf eine kurze Strecke beſchränkt. Man hätte ſich in einem brodeln- den, Berge verſchlingenden Rieſenkeſſel wähnen können. So viel bedrohliche Bewegung, und dennoch eine unendliche Ode und Sinſamkeit. Kein Vogel wagte ſich in das unter- irdiſche Reich hinab. Kein Strauch, kein Grasbüſchel, von Winden angeſät, fand auf dem maſſiven Geſtein ein Spält- chen mit etwas Erdreich, um daraus die notdürftigite Nahrung zu ſchöpfen. Und alles ringsum roter Sandſtein bis zu einer beträchtlichen Höhe hinauf, daß die ganze Szenerie an einen feurigen Krater erinnerte, durch welchen hindurch der raſtloſe Strom, umgewandelt in Dampf bis zum Mittelpunkt der Erde hinabzudringen trachtete. Was dagegen der auf die Felsplatte Derfchlagenen noch harrte, das ließ ſich aus dem ununterbrochenen hohlen Grollen ahnen, das warnend zu ihnen herübertönte. Und doch mußten ſie fort, gleichviel welcher Art das Grab, das ein grauſames Geſchick ihnen bereitete. ZEN Nach kärglichem Mahl fäumten fie nur, bis die das Nolzwerk verbindenden Riemen nachgeſchnürt waren, und vorſichtig ſchoben ſie das Floß in das offene Waſſer zurück. Fürſorglicher noch legten ſie die Schlingen um Bruſt und Schultern und langſam glitten ſie um das kleine Eiland herum. Dann aber erfaßte die Strömung ſie mit einer Gewalt, wie um da, wo der Keſſel ſcheinbar feinen Ab- ſchluß fand, ſie vernichtend gegen die Uferwand zu ſchleudern. Nach kurzer Fahrt bogen ſie um einen turmartigen Vorſprung herum. Ein neuer Keffel öffnete ſich vor ihnen. Sugleich begann das Floß ungeſtüm zu ſchwanken. Das Dröhnen und Brüllen trat lauter und durchdringender her— vor. Betäubend trieb es die krankhaft erregte Phantaſie zu den bizarrſten Ausſchreitungen; es beengte die Bruſt bis zur Atemloſigkeit. Voraus überragten mächtige Pfeiler, Klippen und ba— rocke Gebilde den regſamen Waſſerſpiegel. Andere lagen jo tief, daß die Fluten über ſie hinwegſchäumten. Hinter der den Fluß kreuzenden Felſenreihe und den die Swiſchenräume ausfüllenden Brandungen ging das Fahrwaſſer, wie plöß- lich abgeſchnitten, den ängſtlich ſpähenden Blicken verloren. Erſt bei einer neuen Schwenkung des Stromkanals trat es in der Ferne wieder in den Geſichtskreis und ermöglichte eine annähernde Abſchätzung des zu überwindenden Waſſer— falls. An Entkommen dachte jetzt keiner mehr. Noch weniger verſuchte jemand, ſich ein Bild von den Gefahren zu ent— werfen, denen ſie unterhalb der verhängnisvollen Stelle begegnen ſollten. In dem Gefühl gänzlicher Ohnmacht ſchlangen die Arme ſich feſter um die nächſten Aſtſtümpfe. Ahnlich verſchränkten ſich die Beine mit den zu oberſt liegenden Pfählen. Doch was jeden bewegen mochte, es blieb ihm keine Seit, mit unbeſtimmten Vorſtellungen ſich zu beſchäftigen; denn wie von dem Toſen magnetiſch ange— zogen, trieb das Floß nunmehr mit raſender Eile auf die Riffe und Schaumwälle zu. Sein Scheitern erſchien un— vermeidlich. Nur noch eine Minute, und alles war ent- ſchieden. Plötzlich begann es auf derſelben Stelle zu kreiſen. Es hatte den Punkt erreicht, wo zwei von den beiden Ufern herüberſtehende Strömungen miteinander rangen. Doch nur kurze Seit, und von ihnen in die Mitte genommen, ſchoß es auf die dräuende Felſenreihe zu. Indem dieſe aber eine Art Wehr bildete, drängten die geſtauten Fluten ſich mit unermeßlicher Wucht einer durch die beiden Hauptpfeiler begrenzten Öffnung zu, und wie zeitweiſe mit den herbei— getragenen Treibholzſtämmen, verfuhren ſie mit dem Floß ſamt allem, das es beſchwerte. Was die Reifenden in den nächſten Minuten empfan— den, das zu ſchildern, möchte ihnen ſelbſt ſchwer geworden fein. Einen erſterbenden Blick warfen fie noch um fich, dann ſchwanden ihnen die Sinne. Swiſchen den Pfeilern hindurch glitt das Floß auf verhältnismäßig ebener Bahn, die, bedingt durch den furcht- baren Druck der zuſammengepreßten Waſſermaſſen, in weitem Bogen gegen dreißig Fuß tief hinunterreichte und in einem brauſenden Schaumwall endigte. In dieſem ver— ſchwand es, tauchte aber, unwiderſtehlich nach vorn drängend und durch das eigene Gewicht im Kurfe erhalten, auf deſſen anderer Seite wieder hervor. Kurze Seit kämpfte es noch gegen trichterartige Strudel, die indeſſen keine Gewalt über den unförmlichen Bau gewannen, um demnächſt von den ſich beruhigenden Wellen in Empfang genommen zu werden. Anfänglich erzeugte es den Eindrud, als ob die triefen- den Geſtalten unter dem blendenden Giſcht erſtarrt wären, Sweifel an der Wirklichkeit des Entkommens ihre Denk⸗ kraft gelähmt habe; denn der Waſſerfall lag bereits eine Strecke hinter ihnen, als ſie, wie noch immer fürchtend, mit dem ſcheiternden Floß in die Tiefe hinabgeriſſen zu werden, ſich zögernd aufrichteten. Die erſte Umſchau über⸗ zeugte ſie, daß ſie noch vollzählig waren und nur einige ge— lockerte und geſprungene Riemen nachgeſchnürt zu werden brauchten. Wie durch ein Wunder dem Verderben entronnen, ſchöpften ſie neuen Mut. Was noch vor ihnen lag, und ein langer Weg war es: Argerem glaubten fie nicht mehr begegnen zu können. Trotz des ſtarken Gefälles begünſtigte ſie von jetzt ab ſtetigeres Fahrwaſſer. Leichter überwanden ſie mit Hilfe der Stangen die ſich wiederholenden Untiefen und Strom— ſchnellen, und hoffnungsvoller ſpähten ſie ſtromabwärts. So durchflogen ſie mit der Schnelligkeit der Strömung den oberen Teil des Canons, das, obwohl im Charakter eintönig, bei jeder Windung immer neue überraſchende Szenerien vor ihnen entrollte. Vergeblich aber ſuchten ſie nach einer Stätte, wo das Canden vielleicht möglich geweſen wäre. Faſt un- unterbrochen entſtiegen die gigantiſchen Mauern den reißen— den Fluten, ſich meiſt ſenkrecht, wenn auch zerriſſen, bis zur Höhe des Plateaus aufbauend. Wie Dämmerlicht lagerte es in der Tiefe. Empfind- liche Kühle herrſchte trotz der heißen Sommertage da, wo— hin nie ein Sonnenſtrahl drang. Höher hinauf ſchwammen die maſſiven Wände in bläulichem Duft. Wo aber, je nach der Richtung des Strombettes, die glänzende Beleuchtung ri AG Em das Geſtein traf, da zeigte es ein Farbenſpiel, das die Augen blendete. Und weiter und weiter trieb das Floß, ohne daß die Fahrt durch eine ernſtere Störung unterbrochen worden wäre. Kasfaden folgten auf Kaskaden, die Gemüter fortgeſetzt in aufreibender Spannung erhaltend, und wilder, grauenhafter geſtaltete ſich die Umgebung, als ſie der Mün⸗ dung des Kleinen Colorado ſich näherten. Was die beiden Ströme in ihrem feindlichen Suſammenſtoß im Laufe von Ewigkeiten bewirkten, das entwickelte ſich als Bilder, die in ihrer furchtbaren Größe und Erhabenheit die Sinne förmlich verwirrten. Ein Chaos der ungeheuerlichſten Felsmaſſen, losge- ſpült, unternagt, voneinander geriſſen und übereinander getürmt, veranſchaulichte die Ergebniſſe der Dernichtungs- wut der nimmer raſtenden Fluten über Jahrtauſende hin— weg. Man hätte die Szenerie als einen Nampfplatz er- bitterter elementarer Gewalten bezeichnen mögen. Wie in einem Wanderbilde wechſelten in den vorübergleitenden Panoramen ſtolze Faſſaden und erhabene Dome in den er— ſtaunlichſten Größenverhältniſſen und geſchmückt mit der wunderlichen Architektur nie ermüdender Verwitterung. An deren Stelle traten dann wieder Amphitheater, Wälle mit Burgen und Ruinen, überragt von gewaltigen Türmen mit ausgebröckelten Sinnen, und zwar von einem Umfange, als ob fie einft die Heimftätten eines Heeres von Titanen geweſen wären. Durch ſtarkes Gefälle bedingt, ſtürzten die durch ferne Wolkenbrüche angefchwollenen Gewäſſer des Kleinen Colo— rado mit einer Wut auf den mächtigeren Bruder ein, daß ſie deſſen Spiegel durchſchnitten, auf dem weſtlichen Ufer in eine von ihm ſelbſt geſchaffene Aushöhlung eindrangen und im ewigen Kampfe mit Strömung und Gegenſtrömung lagen. Es war das verjüngte Bild der ſagenhaften Charyb⸗ dis, die Waſſerberge einſchlürfte, wieder von ſich ſpie und ſtromabwärts einen Strudel erzeugte, der ſich beinahe über die ganze Breite des Flußbeckens ausdehnte. Anfänglich drohte der Kleine Colorado das Floß in die unheimlich belebte Ausſpülung hineinzutragen. Eine Weile drehte es ſich wie unentſchieden, wohin ſich zu wenden. Dann erſt wurde es ein Spiel des Strudels, um ihm nach kurzem Ringen durch die Bauptſtrömung entwunden zu werden. Wenn auch durch gefährliche Stromſchnellen behindert, trieben die Abenteurer nunmehr in ruhigerer Fahrt bis zum Nachmittage einher. Dann umſchloſſen ſtatt der ſchroffen Mauern zerklüftete ſchwarze Abhänge die ſich ſtets erneuern— den Keſſel, bis endlich auf dem Oſtufer, beim Herumbiegen um einen Vorſprung, ein mit Strauchwerk und einzelnen Bäumen geſchmückter Talwinkel ſie grüßte. Wie von neuem Leben beſeelt, griffen die Schiffer zu den Ruderſtangen. Mit aller Macht kämpften fie, der Strömung ſich zu ent- ziehen, um nicht dennoch an dem verheißend lachenden Stückchen Erde vorbei in das finſter dräuende Tor der Fortſetzung des Canons hineingeriſſen zu werden, wo ähn- liche Fährniſſe, wie die überſtandenen, ihrer geharrt hätten.“) Trotz der Begünſtigung einer die heftige Strömung unterbrechenden ſchaumüberdachten Untiefe, die mir heut ) Solche Eindrücke nahm ich mit fort, als wir einſt nach langer, mühevoller Stromfahrt von Süden herauf in die abgeſchiedene Unterwelt bis dahin eindrangen, wo brandende Stromſchnellen und Riffe zwiſchen nicht minder koloſſalen Formationen das Ende der Schiffbarkeit des Colorado bezeichneten. noch lebhaft vorſchwebt, begannen die Reiſenden den Erfolg ihrer Mühe ſchon zu bezweifeln, als fie eines Weißen an— ſichtig wurden, der auf dem Uferrande ſaß und die aus- geworfene Angelſchnur überwachte. Auf ihr Schreien ſprang er empor. Er erkannte die Gefahr, in der ſie ſchwebten, und ſandte einen Ruf über das Tal hin. Gleich darauf befanden zwei andere Weiße ſich ihm zur Seite, ihre Laſſos zum Wurf ordnend. Näher trieb das Floß. Ihre letzten Kräfte daran ſetzend, arbeiteten die Gefährten, erreichten aber nur, daß ſie in mäßiger Entfernung an dem grünen Ufer hintrieben, bis endlich zwei Fangleinen auf das Floß niederklatſchten, wo ſie ſchleunigſt befeſtigt wurden. Solcher Art in ſeiner Fahrt gehemmt, ſchwang es herum. Die Strömung preßte es ans Ufer, und jetzt erſt durften ſie ſich als gerettet be— trachten. Bald darauf raſteten ſie in einer mittels Sweigen hergeſtellten Laube, wo fie von rauhen Gaſtfreunden, drei Pelzjägern, die am Kleinen Colorado heruntergewandert waren, abermals willkommen geheißen und aufs beſte ver— pflegt wurden. Cänger dauerte es indeſſen, bevor fie teil— nahmvoller um ſich zu ſchauen vermochten. Auf dem jen- ſeitigen Ufer erhob ſich pyramidenartig ein gewaltiger ver— witternder Felsbau. Schroff abfallend veranſchaulichte er in zahlreichen, horizontal laufenden farbigen Bändern ebenſo viele Weltepochen. Wie ein Rieſe ragte er zwiſchen den andern bizarr geformten Gebilden empor. Alles rings- um wild und verworren. Dazwiſchen eingeneſtelt wie ein Diamant das grüne Tälchen, ein Bild idylliſchen Friedens. Und „Diamant-Tal“ hatten wir es getauft, als einſt Forſchungseifer uns von der Höhe zu ihm hinunterführte. Vor dem KRüchenfeuer regten ſich die Jäger. Sehn oder zwölf Pferde graſten in der Nachbarſchaft. Dazu ſang der Möllhauſen. 8 N Er Colorado feine eigentümlich hohle Melodie. Die heute wie vor Tauſenden von Jahren unabänderlich einherſtürzen⸗ den Fluten ſchienen zu erzählen, zu berichten von den Ge= heimniſſen des durch fie geſchaffenen Caßons. Wie war es ringsum ſo ſchön, das Auge ſo ſeltſam feſſelnd! Und dennoch: Wie furchtbar und ſchrecken— erregend dehnte die ſtarre Felſenwüſte ſich aus, die den lachenden Erdenwinkel einengte und von der ganzen übrigen Welt ſchied! Der Präriehund. Unter den Eindrücken, die der Durchforfcher ferner fremder Gebiete empfängt, wirken am eindringlichſten die— jenigen, die von der belebenden Kraft der Natur zeugen. Wie die gewaltigſten Erſcheinungen ſeine Begeiſterung entfeſſeln, wendet er auch gern den kleinſten Geſchöpfen rege Aufmerkſamkeit zu, und um ſo eifriger, je ſchwieriger es iſt, ein umfaſſendes Bild von ihren Eigentümlichkeiten zu gewinnen. f Zu dieſen zählt ein merkwürdiger, im allgemeinen wenig beachteter Dierfüßler, Arctomis Ludovicianus, ein Murmeltier, das die zwiſchen dem Miſſouri und den Rocky Mountains ſich erſtreckenden Sbenen, wie die ſüdlichen, ſtufenweiſe anſteigenden Plateaureſte zu Hunderttaufenden belebte und vielleicht noch belebt. Die erſten kanadiſchen Pelzjäger nannten es petit chien, wozu ſein Kläffen, das dem Bellen eines jungen Hündchens nicht unähnlich, die Deranlaffung gab. Daraus entſtand prairiedog oder Prärie— hund, eine Bezeichnung, die ihm für alle Seiten blieb. Su welchem Umfange die Kolonien diefer geſelligen niedlichen Tiere anwuchſen, veranſchaulicht, wenn man Stunden zwiſchen kleinen Hügeln hindurchreitet, deren jeder die Heimftätte einer Familie bildet; jo war es wenigſtens vor einem halben Jahrhundert. 8* Nachbarlich nebeneinander gelegen, beſtehen fie aus einer feſtgelagerten mäßigen Wagenladung Erde, die hart an deren Baſis durch eine runde Öffnung aus den unter- irdiſchen Gängen ans Tageslicht gefördert wurde. Pfade, in allen Richtungen ſich kreuzend, führen von Baus zu Haus und laſſen einen regen Verkehr unter den lebhaften Höhlenbewohnern vorausſetzen. Nach ihrer körperlichen Beſchaffenheit zu urteilen, bleibt Not ihnen fern. Dabei beſchränkt ihre Nahrung ſich auf Wurzeln und kurzen krauſen Raſen, das ſogenannte Gramma⸗- oder Büffelgras, über das gelegentliche Steppen⸗ brände nur träge, alſo ungefährlich einherfriechen. Außer- dem find fie der Mühe des Anſammelns von Winterporräten überhoben. Denn ſtellen ſich erſt Froſt und Schneeſtürme ein, ſo verſtopfen die Tiere alle Ausgänge und kugeln ſich zuſammen, um ſo lange im traumloſen Schlaf zu ver— harren, bis die erſten warmen Frühlingstage ſie zu neuem fröhlichen Leben wachrufen. Öffnet wirklich der eine oder der andere erfahrene Veteran ſeine Haustür verfrüht, ſo ſteht nach dem Seugnis der Eingeborenen und weißen Jäger ein baldiger Umſchlag des Wetters ſicher zu erwarten. Wunderbarerweiſe iſt eine kleine Sule Mitbewohnerin der unterirdiſchen Anſiedlungen. Um aber die winterliche Abgeſchiedenheit mit den vertrauten Hausgenoſſen nicht zu teilen, was dem Hungertode gleichkäme, wählt fie auf deren Dauer leerſtehende Röhren, von wo aus ſie nach Belieben Jagdausflüge unternehmen kann. Im übrigen lebt ſie mit ihren Gaſtfreunden im beſten Einvernehmen. So kann man ſie beobachten, wenn ſie gegen Abend dieſen oder jenen Bau verläßt und nach kurzem Umherſchweifen in einem andern verſchwindet. Ahnlich hat die drei Fuß und darüber lange Prärie- klapperſchlange ſich bei dem friedlichen Völkchen einge— bürgert, eine geradezu widerſinnige Vereinigung von Vier— füßler, Vogel und giftigem Reptil, alſo von Tieren, die nach den Geſetzen der Natur einander feindlich gegenüberſtehen. Förderte die Beobachtung, ſoweit ſie unter den ſchwierigen Verhältniſſen möglich iſt, den Glauben an ein iduylliſches Gemeinweſen, ſo erſcheint er mindeſtens gewagt. Die Mög— lichkeit iſt zwar nicht ausgeſchloſſen, daß die durch zahlloſe Generationen angeſtammte Gewohnheit ſie zu verträglichen Hausgenoffen ausbildete. Dadurch wird indeſſen der Ver— dacht nicht abgeſchwächt, daß wenn der eigentliche Haus- meiſter den etwaigen Gelüſten der Eule auf feinen jungen Nachwuchs energiſch zu begegnen verſtände, die Schlange in dem Bewußtſein der Überlegenheit dieſes oder jenes Fami⸗ lienmitglied, ſolange es noch nicht zu groß für ihren dehn— baren Hals, bei erwachendem Appetit einfach verſchlingt. Bleibt alſo die Wahrſcheinlichkeit, daß ſie entweder verödete Wohnungen aufſucht, um daſelbſt ihre Winterſtarrheit zu verbringen, oder ſich in ſolchen häuslich einrichtet, aus denen ſie die urſprünglichen Beſitzer durch böſe Tätlichkeiten vertrieb. © Doch wer vermöchte die Geheimniſſe zu enthüllen, die ſich da unten in den finſteren Erdgängen abſpielend Es wird fo fein, wie unter den ewig hadernden Menſchen, nur mit dem Unterſchied, daß die gefährlich bewaffneten Tiere unter dem Banne eines unwiderſtehlichen Naturtriebes ihre verderblichen Angriffe nie gegen ihresgleichen richten. Unzählige Reiſende und Auswanderer haben auf den Wegen zwiſchen den öſtlichen Staaten und dem Eldorado des Weſtens derartige Kolonien gekreuzt. Dieſen wie deren Icheuen Bewohnern, die nur in der Ferne vereinzelt ficht- bar, ſchenkten ſie indeſſen kaum mehr Aufmerkſamkeit, als den von einem plötzlich aufſpringenden Wirbelwinde empor- gedrehten Säulen ausgedörrter Gras- und Pflanzenteile. Sogar der beſtimmte Swecke verfolgende Forſcher gelangte mit ſeinen Erfolgen nicht über eine beſtimmte Grenze hin— aus; es ſei denn, die Neigung hätte ihm innegewohnt, liebe— voll tiefer in das Weſen und Treiben der Tiere einzudringen, ſie gewiſſermaßen als Perſönlichkeiten zu betrachten und aus ihrem Gebaren eine Grenze zwiſchen Inſtinkt und Intelli⸗ genz herauszuleſen. Was er auf ſolche Art mühevoll ein- heimſt, bietet ihm ſelbſt nicht nur reiche Genüſſe, ſondern auch Schätze, die wohl verdienen, erhalten zu werden, und zwar dann noch, wenn der Pflug längſt über die entvölkerten Anſiedlungen hinwegglitt. Einen erfreuenden Anblick gewährt ſolche Kolonie, wenn es glückt, unbemerkt in deren Nähe oder, einer trockenen Waſſerrinne vorſichtig nachfolgend, eine Strecke hineinzugelangen. Überall, ſoweit das Auge reicht, Luſt und Regſamkeit. Bier und da ſitzt auf dem als Warte dienenden Hügel, aufrecht nach Sichhörnchenart, der etwas größere und vierſchrötigere gelbgraue Eigentümer. Das kurze ſteife Schwänzchen iſt in fortwährender Bewegung, ſchlägt gleichſam den Takt zu den kläffenden Ausrufen. So einen ſich zahlreiche Stimmen zu einem wunderlichen Chor, in dem ſich eine unbegrenzte Sorgloſigkeit verrät. Kaum aber rührt der Beobachter ſich merklich, ſo verſtummen fie, und wie durch Sauberſchlag find die niedlichen Ge— ſchöpfe verſchwunden. Nur die Köpfe vereinzelter Kund- ſchafter lugen noch aus den Höhleneingängen hervor und warnen durch heftiges Schmähen vor drohenden Gefahren. Derhält man ſich fernerhin regungslos, dann erfordert es ION m keine zu lange Geduldprobe, bis ein verwegener Wachpoſten ſich wieder ins Freie hinauswagt. Nach kurzer Umſchau beſteigt er ſeine Burg, von wo aus er die zurückgekehrte Sicherheit geräuſchvoll verkündet. Eines nach dem andern erſcheinen die furchtſamen Tiere abermals auf der Ober- welt, wo das muntere Treiben alsbald von neuem beginnt. Sin behäbiges Mitglied der merkwürdigen Genoſſenſchaft ſtattet auch wohl dem Nachbar einen Beſuch ab, der ihn durch verbindliches Schweifwedeln willkommen heißt und ihm höflich ein Plätzchen an ſeiner Seite einräumt. Ab- wechſelnd kläffend, ſcheinen ſie ſich in einen Gedankenaus⸗ tauſch zu vertiefen. Nach kurzer Friſt ſteigen ſie ſchwatzend in die Wohnung hinab, kommen aber nach kurzem Verweilen wieder her— vor, um in drolligem Schritt die Wanderung zu einem ent⸗ fernter lebenden Freunde oder einer Freundin anzutreten, die nach flüchtigem Verſtändnis ſich an dem Spaziergange beteiligen. Im Vorbeigehen begrüßen ſie andere Bekannte, worauf man ſich voneinander trennt und jeder die Richtung nach der eigenen Wohnung einſchlägt, vor deren Tür er von ſeinem mutwilligen Nachwuchs erwartet wird. Stundenlang könnte man, ohne zu ermüden, dem wech— ſelnden Schauſpiel zuſchauen. Es fehlt nur noch, die Sprache der Tiere zu verſtehen, um ſie in ihren heimlichen Unter⸗ haltungen belauſchen zu können. Furchtlos ſuchte der Präriehund damals ſeinen Weg zwiſchen den Hufen der weidenden Biſonherden hindurch. Erſt wenn weiße oder braune berittene Jäger dieſe fcheuch- ten und die Erde unter dem Stampfen der Rieſenleiber dröhnte, verwandelte die freundlich belebte Ebene ſich plöß- lich in eine ſtarre Einöde. Höchftens, daß hier und da ängſtliches Kläffen gedämpft aus der Tiefe heraufklang. — 20) Selten werden die harmloſen Tiere um des fchmad- haften Fleiſches willen erlegt; ſeltener noch, um, der Wiffen- ſchaft dienend, Exemplare für zoologiſche Sammlungen zu erbeuten. Su ſchwierig iſt es, des einen oder des andern habhaft zu werden. Selbſt der von dem verſteckten Schützen auf ſeiner Warte tödlich getroffene Sicherheitspoſten ſtürzt kopfüber in die Höhle hinab, wo er unerreichbar bleibt. Hofft man aber, mit dem Arm hineinlangend, ihn noch zu erhafchen, jo ereignet es ſich zuweilen, daß einem das un⸗ heimliche Raſſeln der Klapperſchlange entgegentönt und fernere Verſuche gründlich verleidet. Erſt ſpätere Aus⸗ grabungen haben es ermöglicht, junge Tierchen einzufangen und an zoologiſche Gärten zu übermitteln. Wie ſo manchen andern Geſchöpfen ſteht auch dieſen allerliebſten Präriebewohnern bei der Sunahme der An— ſiedler und der ſich kreuzenden Heerſtraßen der allmähliche Untergang bevor. Es wird die Seit kommen, in der man, um junge Saaten und Getreidefelder gegen Schädigung zu ſichern, zu allen nur denkbaren Mitteln greift, ſie gänzlich auszurotten. Ein betrübender Gedanke. Doch die Kultur fordert gebieteriſch ihre Rechte. Auf dem von ihr eingeſchlagenen Wege unaufhaltſam vordringend, vernichtet und wirkt ſie ſchöpferiſch zugleich. Dem Verderben fällt anheim, was uns geeignet iſt, ſich ihren Geſetzen anzupaſſen, gleichviel ob das Geſchlecht des Präriehundes oder das ſeines bereits faſt ausgeſtorbenen rieſenhaften Kollegen, des wandernden Biſons, der einſt über Tauſende und Abertauſende Quadrat- meilen unumſchränkt herrſchte und nur einen verhältnis- mäßig kaum nennenswerten Tribut an die auf ſeinen Spuren lebenden Eingeborenen zahlte. Ein indianifches Arkadien. An Arkadien, das von den Dichtern als Hort idylliſchen Friedens gefeierte Hirten und Schäferreich, ein in der Mitte des Peloponnes ſich erhebendes Hochland, wird man lebhaft durch die ſieben Moquiſtädte erinnert, die auf der Weſtſeite der Rocky Mountains von der Terraffenftadt Suni aus in nördlicher Richtung binnen drei bis vier Tages- märſchen erreichbar. Wenn es von den einſtigen Bewohnern Arkadiens heißt, daß ſie, in ſich und gegen außen abgeſchloſſen, durch Einfachheit der Sitten und Gewohnheiten ſich auszeichneten, Freiheitsliebe ſie beſeelte und Gaſtfreundſchaft als erſte Tugend galt, ſo trifft das bei den Moquis im großen und ganzen zu. Die Erklärung dafür iſt zumeiſt darin zu ſuchen, daß ſie vermöge der Lage ihrer Städte inmitten unwirt— licher Kies- und Felſenwüſten auf ſchwer zugänglichen, wild zerklüfteten Plateaus, über ungezählte Generationen hinweg der übrigen Welt gewiſſermaßen entrückt blieben. Damit geht Hand in Hand, daß fie, von fremden Ein= flüſſen wenig oder gar nicht berührt, manche Eigentümlich- keiten der Altvorderen mehr oder minder unverfälſcht bei— behielten. Wie in ihren Neigungen, überhaupt der ganzen Ge⸗ mütsart, unterſcheiden ſie ſich auch im Äußeren weſentlich von allen andern Indianerſtämmen des amerikaniſchen Kontinentes. Im allgemeinen etwas ſchwächer, jedoch regel- mäßig gebaut und mit der helleren Hautfarbe nähern ihre Phyſiognomien ſich im Schnitt denen der kaukaſiſchen Raſſe. Ein milder Ausdruck der Süge iſt vorherrſchend, der indeſſen, je nach irgend welchen Umſtänden, dem einer an Scheu grenzenden Schüchternheit weicht. Dieſe iſt darauf zurück⸗ zuführen, daß ſie, unzweifelhaft Nachkommen der einge⸗ wanderten altmexikaniſchen Völkerſchaften, ſeit Jahr hunderten von räuberiſchen Wüſtennachbarn bedrängt und bedroht, dem Selbſterhaltungstrieb folgend und nichts weniger als kriegeriſch veranlagt, ſich mehr und mehr in die tiefe Abgeſchiedenheit einlebten und ſchließlich ganz in ihr aufgingen. Derartige Eindrücke empfing ich, als ich mit mehreren Kameraden nach mühſeligem Kreuzen der unwegſamen waſſerarmen Wildnis am Fuße des erſten mächtigen Plateaus eintraf, deſſen Abflachung die Stadt Mooshaneh krönte. Sine Anzahl junger Moquis, die uns längſt von oben erſpähten, erwartete uns daſelbſt. Mit den freundlichen Geſichtern wie in der charakteriſtiſchen Bekleidung und den um die Schultern geſchlungenen, weithin leuchtenden breit— geſtreiften Decken gewährten ſie einen überaus gefälligen Anblick, gehoben durch die zutraulich-verlegene Art, in der ſie uns begrüßten. Doch die Seit drängte; weſtlich neigte ſich die Sonne, daher die Reittiere unter der Obhut einiger junger Burſchen zurücklaſſend, ſchlugen wir, geführt von den andern, ungeſäumt den Weg nach oben ein, einen Weg, der mehr für Siegen als für Menſchen geeignet. Schroff anfteigend und von Stufenreihen unterbrochen, wand er a ſich zwiſchen Klippen und rauhen Felsauswüchſen hindurch nach den maſſiven Abhängen hinauf. Wo die Formation es begünſtigte, ſcharf abbiegend, veranſchaulichte er, wie peinlich man unter den unſäglichſten Mühen bei deſſen Nerſtellung darauf bedacht geweſen, feindliche Angriffe ohne großen Kräfteaufwand vereiteln zu können. Denn was dieſen einzigen Sugang zur Stadt in allen Richtungen als ſichere Schutzwehr einengte, beſtand aus nackten Geſteinsflächen und Abſtürzen, auf denen Band und Fuß vergeblich nach einem Halt geſucht hätten. War es doch, als habe die Natur ſelbſt mit weitſichtiger Berechnung zwiſchen den hoch oben angeſeſſenen argloſen Menſchen und den gefährlichen Navahoereitern in den Talniederungen eine Schranke er- richtet, die zu überwinden es anderer Mittel bedürfte, als fie in den dortigen Regionen überhaupt möglich. Erſtaunten wir aber, unten, nahe der Baſis des Plateaus, auf ein als Tränke dienendes, umfangreiches, durch Mauerwerk ver- dichtetes Becken zu ſtoßen, das durch ein hölzernes Rohr mit klarem Waſſer geſpeiſt wurde, wie andere in kleinerem Maßſtabe ſich weiter aufwärts mehrfach wiederholten, ſo überraſchte nicht minder, ähnlich umfriedigte, gleichſam hängende Gärtchen vorzufinden, in denen es fröhlich grünte und blühte. Sieht man in Betracht, daß die zu ſolchen Anlagen auf nacktem Geſtein erforderlichen Erdmaſſen bei dem gänzlichen Mangel an Laſttieren zum großen Teil all- mählich in Decken auf dem Rücken aus der Tiefe herauf befördert worden, dann weiß man nicht, was mehr zu bewundern, ob die dabei bewieſene unerſchöpfliche Geduld, ob die faſt übermenſchlichen Anſtrengungen, die es koſtete, oder die erfinderiſche Art, mit den beſcheidenſten Mitteln eine ſyſtematiſche Bewäſſerung aus Siſternen und hoch- gelegenen Quellen einzuführen. So begegneten wir immer wieder Rätſeln; es wuchs die Spannung, mit der wir dem näheren Verkehr mit der merkwürdigen, gewiſſermaßen eine einzige Familie bildenden Bevölkerung entgegenſahen. Endlich ſchritten wir nach dem Plateau hinauf und vor uns lag die geheimnisvolle Stadt, von der ſchon die alten ſpaniſchen Mönche Wunderdinge berichteten. In länglichem Rechteck aufgeführt, umſchloſſen die zuſammenhängenden gleichförmigen Häufer einen der Größe des Grtes ent— ſprechenden Platz, der zugleich gemeinſamer Hof und Der- ſammlungsſtätte. Dort befanden ſich auch die Eingänge zu den einzelnen Wohnungen, wogegen die aus feftgefüg- tem Geſtein beſtehende, fünfzehn Fuß hohe Ringmauer, die außerdem die fortlaufende Außenwand aller unteren Räume, nicht die kleinſte Öffnung aufzuweiſen hatte. Nach deren flacher Bedachung gelangte man auf nächtlich eingezogenen Leitern hinauf. Dort erhob ſich, ſo weit zurückliegend, daß ein bequemer Vorplatz blieb, ein zweites Stockwerk mit offenen Eingängen, während von hier aus die Vermitte— lung nach unten durch Falltüren und Leitern erfolgte. Nachbarlich an der Bingmauer einherſchreitend, er— freuten wir uns eines überaus feſſelnden Bildes. Wohin die Blicke ſich wendeten, überall belebten groß und klein die Vorhöfe. Dunkeläugige lichtbraune Frauen- und Mädchengeſichter lugten neugierig über die Brüſtungen. Kinder, wenn auch des Mutwillens voll, befleißigten ſich derſelben Surückhaltung wie die Mütter. War der Beſuch Weißer doch für fie ein Ereignis, das ihre Sinne in Feſſeln ſchlug. Wo aber Heiterkeit wirklich zum Durchbruch kam, da geſchah es im vorfichtigen Geberdenſpiel oder geräufch- loſen Cachen, während die Männer in Haltung und Weſen eine gewiſſe ernſte Würde bewahrten und uns zuvorkommend nach der Leiter hinüberwieſen, oberhalb deren der Häupt—⸗ * ea ling oder vielmehr Gobernador uns erwartete. In einem Einfchnitt der Mauerbrüſtung jtand er, eine ſchmächtige ältere Geſtalt, die, eine blau, weiß und ſchwarz geſtreifte Decke togaartig um die Schultern geworfen, in den Sügen unzweideutige Befriedigung verriet. Neben ihm hielt ſich ſeine Tochter, die das jungfräuliche Alter noch nicht lange erreicht haben mochte. Durch beſonders helle Hautfarbe ſich auszeichnend und mit dem lieblich abgerundeten Oval des Antlitzes, der ſanft gebogenen Naſe, den blühenden Lippen und den kindlich neugierigen großen Augen hätte fie un- fehlbar ſogar in den bevorzugten Kreifen einer Großſtadt Aufſehen erregt. Das Fremdartige ihrer Erſcheinung ge— wann noch durch das ſchwarze weiche Haar — eine Eigen- tümlichkeit der Moquis —, das leicht gewellt auf die Schultern niederfiel. Wie faſt alle Stammesgenoſſinnen, war ſie mit einem ſchwarzen wollenen Rock bekleidet, der, oberhalb der Hüften durch einen gelben Gürtel zufammen- geſchnürt, bis zu dem fchlanfen Halfe hinaufreichte, jedoch die runden Schultern und Arme unbekleidet ließ. So er— innerte ſie nicht wenig an jene anmutigen Antiken, wie ſolche aus den Werkſtätten griechiſcher Künſtler hervorgegangen. Nachdem wir die Leiter erſtiegen und den Gobernador freundſchaftlich begrüßt hatten, ſtreckten ſich uns von allen Seiten Hände zum Willkommengruß entgegen; man blieb aber zu unſerer Überraſchung höflich zurück, ſobald wir die Wohnung des Häuptlings betraten. Ein Weilchen ſpäter lag die Stadt, als wäre ſie plötzlich ausgeſtorben geweſen. Wie die Ameiſen beim Herannahen des Abends ihren finſteren Gängen zueilen, hatten hier nach altherkömmlicher Sitte die Menſchen ſich zurückgezogen. Und doch war die Sonne eben erſt im Begriff, in die fernen gezackten Berg- joche hinabzutauchen. Mit zauberiſcher Glut beleuchtete ſie — 20 vom purpurnen Weſten herüber das zum großen Teil ver- einfamte gelbgraue Gemäuer, wie um die verſteckten Be⸗ wohner noch einmal hervorzuloden und ihnen einen letzten Blick auf die durch gähnende Schluchten und finſter dräuende Abhänge von ihnen geſchiedenen Schweſterſtädte zu gönnen, die, wie die eigene, ein Sagenſchleier aus grauer Vorzeit umhüllte. Der Gobernador hatte inzwiſchen zum Niederlaſſen auf Matten und weichgegerbte Wildhäute eingeladen, wo— rauf ſeine Tochter mit natürlicher Anmut und ungekünſtelter Sittigkeit klares Waſſer und ein wohlſchmeckendes Gebäck herumreichte, wie ſolches durch Überſtreichen eines heißen glatten Steines mit dünnem Maisteig flink hintereinander hergeftellt worden. Zu beklagen war nur, daß uns die ſprachlichen Mittel zu einer leichteren Verſtändigung fehlten. Und dennoch, wenn auch den Anſprüchen verwöhnter Euro- päer vielleicht nicht genügend, ſo wirkte die Umgebung trotz ihrer Seltſamkeit überaus anheimelnd. Alles war ſauber und ſtaubfrei, die glatten Mauern wie der feſte Lehmeſtrich. Don großer Grdnungsliebe zeugte dann wieder die Weiſe, in der Bogen, gefüllte Köcher, Birſchgeweihe, ſogar alter— tümliche Waffenſtücke aus den Seiten der fpanifchen Non— quiſtadoren, und rätſelhafte Schmuckgegenſtände ringsum aufgehangen waren, wogegen am Fuß der Wände mit Mais, gedörrten Pfirſichen, Mehl und ſonſtigen Küchenvorräten gefüllte Tongefäße der verſchiedenſten Größe und Form ſymmetriſch ſich aneinander reihten. So atmete alles an— ſpruchsloſen Wohlſtand und eine Behaglichkeit, wie man es in dem weltverlorenen Erdenwinkel am wenigſten vermutet hätte. Nach Beendigung des Mahls füllte der Gobernador eine kleine Tabakspfeife. Sie entzündend, blies er feierlich ud nach jeder Himmelsrichtung ein Rauchwölkchen von fich, worauf er fie kreiſen ließ. Seiner Tochter galt dies als Mahnung, durch eine verhangene ſchmale Seitentür zu ver- ſchwinden. Bevor wir uns zur Ruhe anſchickten, trat ich noch einmal auf den Vorhof hinaus. Tiefe Stille herrſchte rings⸗ um, lautloſes Schweigen in Häufern und Wohnungen, wo man ſich, wie durch ein ſtrenges Geſetz gebunden, dem Schlaf ſorglos hingegeben hatte. Der Mond ſtand hoch. Die Stadt mit ſeinem bleichen Glanz überſtrömend, ſchuf er auf Plattformen und Mauerflächen ſcharf begrenzte Schatten und helle Kichtfelder, ein Bild, das die ſchaffens⸗ frohe Phantaſie in verſchollene Jahrhunderte zurückführte und wie es ſeitdem ſchwerlich eine weſentliche Wandlung erfuhr. Geiſterhaft, wie aus einem Erdſchacht entſendet, drang gedämpfter Trommelſchlag herauf. Er begleitete eine eintönige Melodie. Von einem als bevorzugt verehrten Weiſen ging ſie aus, indem er Montezuma, deſſen Name und verſchwommenes Bild noch immer unter den Pueblo— Indianern fortleben, geräuſchvoll ſeine Huldigung dar— brachte. | So umlagerte es die ſchlummernde Stadt wie Träume aus dem Feenreich. Eine fchattenhafte Geſtalt bewegte fich langſam über die verödeten Dorhöfe und Bedachungen. Don der Sicherheit der weiteren Umgebung fich überzeugend, ließ ſie die Blicke ſpähend in die Ferne ſchweifen. Fühlten die nächtlich raſtenden Bewohner ſich auf ihrem leicht zu verteidigenden Plateau außerhalb des Bereiches aller Fähr⸗ niſſe, fo waren ſie doch nicht dagegen geſchützt, daß gelegent- lich räuberiſche Navahoes oder vertierte Apaches in die unten gepferchten Schafherden einbrachen und mit ihrer ee Beute das Weite ſuchten, bevor fie geftellt werden konnten. Lauſchend blieb der Wächter hin und wieder ſtehen. Nichts Verdächtiges unterſchied er. Höchitens das Kläffen und Jauchzen der Koyotes oder Schakale, den dumpfen Ruf der zur Jagd ſich rüſtenden großen Ohreule oder das herauf- dringende verſchlafene Blöken einzelner Schafe. | Die kurze Seit, die wir in Mooshaneh verbrachten, bevor wir die Wanderung durch die Wüſte mit erneuten Kräften antraten, entſchwand im lebhaften Verkehr mit den träumeriſch ſtillen Bewohnern wie im Fluge. Bot es doch einen belehrenden Genuß, an der Seite des würdigen Häuptlings auf dem umſchloſſenen Platz das häusliche Treiben der friedlichen Naturmenſchen zu beobachten oder bald hier, bald dort in freundlich belebten Räumen durch Gebärden und einige unverſtandene Wort willkommen ge— heißen zu werden. Von Gemach zu Gemach gehend, kamen wir an Frauen und Mädchen vorbei, die vor ſchräge ge— ſtützten Felsplatten knieten und nach Art der alten Germanen mittels Handſteinen grobkörnigen Mais zu feinem Mehl rieben. In einem andern Raume war die Schmiede ein— gerichtet worden. Der Handblaſebalg ruhte, während zwei Männer Feile und Schleifſtein beim Verſchärfen von Gartengeräten handhabten. Weder dieſe noch jene zollten uns ſtörende Aufmerkſamkeit. Nur wenige gedämpfte Worte, unſer Erſcheinen betreffend, liefen von Mund zu Mund, und weiter ſchafften Arme und Hände in ſtiller Emſigkeit. Endlich betraten wir ein größeres Gemach, wo eine ältere Frau vor dem einfach hergeſtellten Webeſtuhl mit peinlicher Sorgfalt das Schiffchen zwiſchen den ſtraff ge— ſpannten Fäden hindurchlenkte. Eine zweite kniete auf dem Eftrich und mühte ſich, eine auf dem Wege des Taufch- handels erworbene Scharlachdecke in ihre Beſtandteile zu zerlegen und dieſe auf die für das Schiffchen beſtimmten Spulen zu wickeln. Eine dritte, und zwar eine Albino mit lang niederfließendem, blendend weißem, ſeidenähnlichem Haar — dort, wie auch in der Stadt Suni, keine Selten- heit —, ſaß etwas erhöht, neben ſich eine Anhäufung auf- gelockerter ſchwarzer Wolle, von der fie mit Hilfe einer Art Spindel Fäden drehte. Dabei herrſchte, offenbar durch unſere Anweſenheit verurſacht, Schweigen, nur unter— brochen durch das Geräuſch, mit dem die Weberin den Sinſchlag in den Aufzug preßte. Um ſo mehr war die ſtille Gruppe geeignet, zumal bei der geheimnisvoll wir— kenden dämmerigen Beleuchtung, zu Vergleichen heraus- zufordern, die, obwohl barock, als zutreffend nicht abzu— wehren. Übte ſie doch den Eindruck dreier Parzen aus, die hier im Verborgenen über Leben und Sterben der Bewohner von Mooshaneh entſchieden. Wie in dem Innern der labprinthiſch geſchichteten Baulichkeiten, bewunderten wir nicht minder außerhalb der— ſelben die ſprechenden Merkmale nie ermüdender Betrieb- ſamkeit und die bei der Dienſtbarmachung der örtlichen Derhältniffe bewieſene ſcharfſinnige Überlegung. Denn wo nur immer die Bodengeſtaltung es ermöglichte, waren kleinere und größere Felder und Gärten entſtanden, in denen Bohnen, Mais und Kürbiſſe üppig gediehen und Pfirfich- bäume in Fülle reichen Ertrag lieferten. Denn ob dörrende Winde oder dauernder Regenmangel die Fruchtbarkeit des mühſam errungenen Erdreichs zu beeinträchtigen drohten: ſtets waren fleißige Hände bereit, in gemeinſamer Arbeit durch die finnig eingeführte Bewäſſerung ſolchen Übelſtänden rechtzeitig vorzubeugen. Und was auch immer dieſe merf- würdig veranlagten Einfiedlerfamilien unternehmen moch- ten, ſowohl bei der Pflege der Gartenerzeugniſſe, wie beim Möllhauſen. 9 , ee Ausbeſſern ſchadhafter Schutzdämme und in häuslichen Ver⸗ richtungen: überall war liebevoller Eifer unverkennbar. Kannten fie, außer dem patriarchaliſchen Verkehr unter ſich, von jeher keinen andern dauernden, als den unmittel- baren mit der ihnen reichlich ſpendenden Natur, jo ent- wickelte ſich folgerichtig allmählich und zwar unbewußt eine von inſtinktartiger Dankbarkeit getragene Liebe zu ihr, die im Laufe der Seiten nicht ohne wohltätigen Einfluß auf ihr Gemütsleben bleiben konnte. Unſere Seit war abgelaufen. Mit einer gewiſſen Ent- ſagung ſchweiften die Blicke zum letzten Mal nordweſtlich nach den hochgelegenen, mehr oder minder durch bläulichen Duft verhangenen Schweſterſtädten hinüber, deren jede, ähn- lich Mooshaneh, eine kleine Republik, und daher wohl eines Beſuches wert geweſen wäre. Das Bild Arkadiens vervollſtändigend, weideten in der Tiefe auf ſchmalen Wieſenſtreifen oder zwiſchen grobem Geröll und aufſtreben— den Kieshügeln größere und kleinere Herden ſchwarzer Schafe, unter denen vereinzelte weiße faſt verſchwanden. Gen Süden und Weſten eröffnete ſich dagegen die Ausſicht auf ein Gelände, dem, obwohl alle Übelſtände einer pfad— loſen Wildnis in ſich bergend, eine gewiſſe Erhabenheit nicht abgeſprochen werden konnte. Von oben geſehen, dehnte es ſich wie eine von wütenden Elementen tief gefurchte Sbene aus, der geſonderte Felsgebilde, maſſive koniſche Hügel und Plateaureſte entſtiegen, als wären ſie von unter- irdiſchen Gewalten, die Erdrinde durchbrechend, emporge— trieben worden. Über ſie hinweg verloren die Blicke ſich in der Ferne, um ſüdlich auf einer maleriſchen Gruppe in düſtere Tannenwaldung gekleideter erloſchener Vulkane länger zu raſten, oder in weitem Bogen nach Norden herum die verworrenen Uferlinien der Coloradoſchluchten in ihrer hauchähnlichen Farbenabſtufung zu entziffern. Ein wunderbarer Kontraſt: Auf Tagereiſen im Um— kreiſe ſtarre menſchenfeindliche Wüſte, und hier, dem Himmel jo viel näher, ein Reich idylliſcher glücklicher Eintracht, Su- friedenheit und enger Suſammengehörigkeit. Über allem aber, fern von Staub und Verweſung, die reine Luft der Berge, wo die wollüſtig atmende Bruſt ſich erweiterte und der Geiſt, um ſo empfänglicher für äußere Eindrücke, die ihm verliehene Spannkraft auf den willig gehorchenden Körper übertrug. — 9% Die Kalifarnifche Wüſte. Starr wie das Bild des Todes dehnt es ſich nach Überſchreiten des Colorado von Oſten nach Weſten vor dem Reiſenden aus; ſtarr und öde in einer Länge von Hunderten engliſcher Meilen von Norden nach Süden, und in einer Breite manchen Tagesmarſches. Was die Natur zu erzeugen vermag, den Sterblichen abzuſchrecken, das hat ſie hier mit Fleiß zuſammengetragen. Mit farbigem, wie poliert glänzen— dem kleinen Geſtein gepflaſterte ſchiefe Sbenen, die kaum den Eindruck eines beſchlagenen Hufes annehmen, wechſeln mit Sandſteppen ab. Wie von vulkaniſchen Herden durch die geborſtene Erdrinde hindurch entſendet, taucht hier und da eine nackte Felsgruppe auf. Als Inſeln erheben ſich bizarre Steingebilde auf den im Sonnenſchein blendenden weißen und gelben Sandflächen. Weiß, wo nach Derduniten angeſammelter atmoſphäriſcher Viederſchläge, Salzkryſtalle eine Kruſte bilden, gelb, wo der leiſeſte Cufthauch mit be— weglichem Flugſand ſpielt. Überall, nach jeder Richtung hin ein troſtloſer Anblick, überall unheimliches Todes ſchweigen. Wo organiſches Leben zu Tage tritt, geſchieht es in menſchenfeindlicher Form. Spärliche, ftachel- und dornenbeſäte niedrige Vegetation friſtet zwiſchen nahrungs- loſem Geſtein ihr rätſelhaftes Daſein. Mit dolchähnlichen Spitzen drohen die fleiſchblätterige Agave und die ſtark— N a äftige Vucka. Häßlicher Duft entſtrömt den Artemifia- und Talgholzſtauden. Lange gewundene Reihen kleiner gelber, hartgetrockneter Kürbiffe bezeichnen die Bahn, auf der die ſpurlos verwitterten Ranken über das dürre Erdreich hin- krochen. Selten durchſchleicht ein Wolf oder Fuchs die trau⸗ rige Einöde, ſelten wie die hinterliſtigen Singeborenen, die familienweiſe im Gebirge an ſchwachen Waſſeradern hauſen und zwiſchen vergrabenen erhitzten Steinen den ſaftigen Agavkern röſten. Sie find menſchenfeindlich wie das fie umringende Geſtein; menſchenfeindlich wie das fie um⸗ ſchleichende Getier. Ihre Sprache ſcheinen ſie von dieſem gelernt, deſſen Verſchlagenheit ſich angeeignet zu haben. Befinden ſie ſich in der Nachbarſchaft der Reiſenden, ſo gleiten deren Blicke achtlos über ſie hinweg. Nur kleine Sandaufwürfe entdeckt man bei ſchärferem Spähen da, wo fie ſich beim Herannahen der Fremden heimtückiſch in das lockere Erdreich eingeſcharrt haben und auf Gelegenheit zu Raub und Mord lauern. So iſt alles ſtill und ſtumm, der ermüdete Reiter wie fein geräufchlos durch den Sand waten⸗ des Tier. Stumm eilt der wehrloſe, obwohl gepanzerte Laufkäfer auf feinem ſonnendurchglühten Wege einher, ſtumm in bedächtigem Schritt die merkwürdig geſtaltete Horneidechje. Selten ſendet ein Wandervogel aus der Höhe ſeinen ſchrillen Ruf hernieder. Durch die Umgebung in ſeiner Stimmung beeinflußt, ſchüttelt der Wüſtenwanderer beim Grauen des Morgens den Sand aus der Decke und ſattelt das notleidende Tier. Ein letzter Trunk aus dem Waſſerſchlauch, und weiter geht es nach Vorſchrift der Magnetnadel. Die junge Morgen— ſonne, in geſegneteren Landſtrichen friſchen Lebensmut ent⸗ fachend, hier bietet ſie das ihrige auf, den Menſchen zu martern. Wo die Linie des Horizontes vom Himmel und der Sandebene gebildet wird, zaubert fie die neckiſche Fata Morgana vor ihn hin. Im Suſammenſtoß ungleich er— wärmter Luftſchichten ſpiegeln ſich die unterhalb der Linie des Horizontes befindlichen Erhebungen in umgekehrter Geſtalt und veränderter Form in der oberhalb derſelben lagernden Atmoſphäre. Verlockend erſtehen nebelhafte phantaſtiſche Schlöſſer, Städte, Pyramiden und Gbelisken. Su duftigen Hainen wandeln ſich um verſtecktes Geſtrüpp, Geröll und Klippen. Traumhaft, wie alles ſich bildet, ver— ſchwindet es wieder beim Höherſteigen der Sonne. Statt deſſen dehnt ein blauer wellenſchlagender Waſſerſpiegel, die Kimmung, ſich vor dem ermüdeten Auge aus. Vom Inſtinkt belehrt, verfolgt das Maultier unbeirrt ſeinen Weg auf den vor ihm zurückweichenden See zu. Wo eben noch die beweglichen Fluten wie vor einem über ſie hinhauchenden Windſtoß ſpielten und ſich kräuſelten, da watet der feſte Huf abwechſelnd in trockenem heißen Sande oder durch— bricht er die an eine kühlende Schneeſchicht erinnernde weiße Sodakruſte. Was das Tier gleichgültig läßt, dem über- legenden Menſchen bereitet es Tantalusqualen. Er ge— denkt kryſtallklar ſprudelnder Quellen und erquickender Bäder, und abſchreckender erſcheint die Umgebung. Teil- nahmlos betrachtet er eine Krähe, die ſich auf dem zitternden Seeſpiegel in einen unförmlichen Schwan verwandelt. Dann wieder einen Wolf, der im gemeſſenen Hundetrab allmählich zu einer langgliederigen Giraffe emporwächſt, bis dieſe end— lich in der Mitte zerreißt und plötzlich zwei ſchattenhafte Wölfe Fuß gegen Fuß mit gleichmäßigen Bewegungen ein— hertrotten. Das iſt das Geſpenſt der Wüſte. Es ſchreckt den wilden Singeborenen. Der weiße Wanderer dagegen, vom Durſt gepeinigt und voll Mitleid für das ihn tragende geduldige oe Tier, ſehnt die Nacht herbei, den Anblick ſeit früheſter Jugend befreundeter Sternbilder, die die troſtloſe Gegen— wart mit holden Erinnerungen durchwirken. Denn die Nacht iſt der Wüſten einziger Schmuck. Wohltätig verſchleiert ſie, was am Tage das Auge peinlich berührt, und geſtattet der Phantaſie, mit den Formen und Farben reicherer Sonen ſich zu umgeben. Wem es beſchieden, zur heißen dörrenden Sommer— zeit die ſüdliche kaliforniſche Sandſteppe, die ſogenannte Deſert, zu kreuzen, der mag von Glück ſagen, wenn die ſchwüle Atmoſphäre regungslos auf derſelben lagert. Wie nach einer Überanſtrengung raſtend, liegt der in Bänke zuſammengewehte Flugſand. Die Richtung der letzten hefti— geren Luftſtrömung bezeichnend, ſcheinen dieſelben darauf zu warten, wieder aufgeſcheucht zu werden. Die hier und da verſandete Bahn wird häßlich gekennzeichnet durch Schädel und Gebeine von Schafen und Rindern, die für Kalifornien beſtimmt geweſen und nunmehr, abwechſelnd vergraben und wieder bloßgelegt, das Bild eines Toten- feldes vervollſtändigen. Bewegliche Hügel und ebene Flächen, deren Vegetation ſich auf blattloſes Geſtrüpp und ſkelettartig verwitterte Baumreſte beſchränkt, wechſeln mit Mulden ab, wo zuweilen einige grüne Weidenſchößlinge nur noch mit den Spitzen, wie Hilfe erflehend, den er— ſtickenden Sand überragen. Wo aber ein Buſch harten Graſes mit Erfolg der Verſchüttung ſich erwehrte und längere Halme mit den Ahren oder gekrümmten Blättern vor der ſanften Briſe den in ihrem Bereich befindlichen Boden fegen, da iſt es, als ob der Wind ſie dazu benutzt habe, ſeinen Beſuch zu regiſtrieren, ſo regelmäßig und kunſt— voll findet man Schnörkel und Kreiſe in dem nachgiebigen Material ausgeprägt. a Wer jemals die öde, waſſerloſe, übel berufene Defert durchwanderte, der nimmt ſicher kein freundliches Bild von ihr mit fort. Um fo unvergeßlicher iſt dafür der Eindruck, wenn er ſchließlich durch einen der Päſſe der ſüdlichen Aus⸗ läufer der Sierra Nevada gewiſſermaßen mit einem einzigen Schritt aus der Wüſte auf die fruchtbaren Ebenen Kalifor⸗ niens hinaustritt. Wohl mag er da wähnen, plötzlich in ein Paradies verſetzt zu fein. Jauchzenden Herzens begrüßt er die grünen Wieſenflächen, reich belebt von Herden jeder Art und gewandten Arrieros und Daqueros, die fie um- ſchwärmen. In allen Richtungen ſchieben Haciendas, die Wohnſitze begüterter Altkalifornier, ſich in feinen Geſichts⸗ kreis. Bier und da auch eine größere Grtſchaft, eingeneſtelt in OGbſt- und Weingärten, oder eine jener von einem Kirch- turm überragten Miſſionen, von welchen aus die klugen Jeſuitenpatres ein ſtrenges Regiment über die bekehrten Eingeborenen führten. Sugleich verfügten fie frei über Hunderttaufende von Rindern, Pferden und Schafen. Sogar Schiffe nannten fie ihr eigen, mittels deren fie Häute und Talg, faſt den einzigen Nutzen, den ſie aus ihren Herden zogen, auf den Markt brachten. Seit der Säkulariſierung der Kirchengüter find die Miſſionäre bis auf wenige Seelenhirten verſchwunden. Die Miſſionsgebäude zerfielen mehr oder minder, weil ſie den nachfolgenden Privatbeſitzern der Erhaltung nicht wert er— ſchienen. Su Sandftreichern ſanken herab die braunen Familien, die einſt zu brauchbaren Mitgliedern der menſch— lichen Geſellſchaft erzogen wurden und ihren ſcharfſinnigen Gebietern mit einer gewiſſen Anhänglichkeit ergeben waren. So wechſeln die Geſchicke der Sterblichen, gleichviel auf welcher Stufe der Kultur. Mit ihnen find ihre Werke aa der Vergänglichkeit unterworfen. Nichts hat ewigen Be- ſtand. Gebirge verwittern und ſchwinden im Laufe der Jahrtauſende, es zerſtäubt, was Kunftfinn ſchuf. Nur der Ozean gewinnt. Nach wie vor rauſcht, brüllt und donnert er unentwegt den ihm zuſtrömenden Opfern fein hehres Grablied. Vom Juotungebirge bis zum Märöfjordhmab. Wer, Norwegen durchquerend, auf der Rückkehr von dem hochragenden moosgrünen Bittihorn die Bodenerhe- bung erſteigt, die als Landzunge den Tyin-See von dem Bygdin trennt, der erfreut ſich, gen Mitternacht ſchauend, an einem Bilde, deſſen großartige Pracht die Sinne förmlich berauſcht. Über die davor lagernden, durch einſtige Gletſcher— geſchiebe wogenförmig abgerundeten Felſenhügel, Moränen und Geröllanhäufungen hinweg iſt das Jotunfjeld, das nordiſche Bieſengebirge, in ſeinen Geſichtskreis getreten. Sin Rieſengebirge im vollen Sinne des Wortes. Von Weſten erſtreckt es ſich weithin nach Oſten, jedoch nicht in Form von Jochen, vielmehr als ein Panorama, in dem, durch Swiſchen— räume geſondert, gewaltige Hörner, bizarr gekerbte Kuppen, mehrtürmige Dome und zuckerhutförmige Kegel ſich aneinan— der reihen, lauter Gebilde, deren jedes einzelne den Vergleich mit einem Giganten herausfordert. Obwohl innerhalb der Grenzen des ewigen Schnees, überwiegen doch, ſie eigen— tümlich charakteriſierend, nackte Geſteinsflächen. Bis zu den höchſten ſpitz auslaufenden Gipfeln hinanreichend, kenn— zeichnen ſie die geglätteten, oft ſenkrechten Formationen, die winterliche Wolkenniederſchläge nicht auf ſich dulden. Nur da, wo ſattelähnliche Sinſenkungen und Klüfte die Ver— bindung zwiſchen den Felskoloſſen herſtellen, aus der Tiefe emporgewachſene Siswälle und unerſchütterliche Böfchungen es ermöglichen, häufen die Schneemaſſen ſich zu Abhängen und kriechen Gletſcherfelder bis in die engen verworrenen Täler hinab; eine wahre Felſenwüſte, in die, außer dem Rentierjäger ſelten Sterbliche tiefer eindringen. So bieten die Jotunfjeldene in ihrer Geſamtheit ge— wiſſermaßen ein wunderbares Moſaik, in dem blendendes Weiß, die zarte Bläue des Himmels und duftiges Meergrün geheimnisvoll zu dem, je nach der Entfernung mehr oder minder abgetönten ſchwarz ſtarrenden Geſtein kontraſtieren. Und wiederum erinnern die phantaſtiſch aufgefchich- teten Granittürme und Pyramiden an eine Geſellſchaft der Märchenwelt entſtammender Rieſen, die hier ein dauerndes Heim fanden. Denn da hucken und kauern fie anſcheinend verſchlafen und fröſtelnd unter den zu kurz geratenen weißen Decken. Vergeblich mühen fie ſich, das knappe Flockenmäntel— chen enger um die Schultern zu ſchlagen oder den maſſiven Fußſack höher heraufzuziehen, wogegen andere, vollſtändig nackend, wie fie aus der ſchöpferiſchen Hand der Natur hervorgegangen, trotzig daſtehen und mit ihrer abgehärteten Mannhaftigkeit ſich brüſten. Wie ein müßig erſonnenes Märchen klingt es in der Tat, aber ein Märchen, entſtanden unter den an Ort und Stelle gewonnenen Eindrüden. Was angeſichts lieblich be— lebter Szenerien oder erhabener Naturbauwerke gewijfen- haft gebucht oder unmittelbar nachher niedergeſchrieben worden, beſitzt unfehlbar mehr Lebensfriſche, als der Mach- klang ſpäterer Srinnerungen. Wo dieſe aber durch bedacht— ſam angefertigte bildliche Darſtellungen unterſtützt werden, da gleichen die von der fernen Wirklichkeit trennenden Seit— räume ſich aus. Oft genügt ſchon eine flüchtige Skizze, den Sauber der lebhaften Vergegenwärtigung zu vollenden. Mit ganzer Seele in deren Betrachten verſunken und die vielleicht ſchon halb verwiſchten Linien mehr mit dem Herzen, als mit den Augen verfolgend, ergänzen ſich allmählich Farben und Formen, ſogar die mehr oder minder ent— ſcheidend wirkende Beleuchtung. Und mehr noch: Es wieder⸗ holt ſich das Geräuſch, das einſt die Ohren erfüllte, gleich⸗ viel ob das Sirpen einer Sikade, das Brauſen ſtürzender Gewäſſer, das Berſten überbrückender Eisflächen oder — in weiteſte Fernen ſchweifend — das hohle Brüllen kämpfen⸗ der Biſonſtiere. | So gewinnt der dafür Empfängliche die Mittel, über- all und immer wieder den Einflüſſen einer unverfälſchten Natur ſich hinzugeben, aus ihr zu ſchöpfen die Kraft zu neuem Streben, zum Ringen um Freiheit und Unabhängig— keit des Denkens und Schaffens. Ein anderes, nicht minder feſſelndes Bild entwickelt ſich, wenn nach Hereinbrechen der Nacht, namentlich zur Seit der Aquinoktien, das rätſelhafte Sodiakallicht ſeinen milden Glanz bis zum Senith hinaufſendet. Sind die Sarben- kontraſte erloſchen, ſo treten nunmehr die Umriſſe der finſter ſtierenden Giganten vor dem magiſch erhellten Hintergrunde um ſo ſchärfer hervor. Durch die eigentümlich wechſelnde Cichtſtärke gefördert, erzeugt es die Täuſchung, als ob ſie, nach Art nachtliebender Tiere, den Schlaf abſchüttelten, ſich reckten, dehnten und, von Trägheit übermannt, unwirſch ſeufzten und murrten. Derartig könnte man es deuten, wenn plötzlich dumpfes Rauſchen durch die nächtlich ſtille Atmo— ſphäre herüberdringt und, kaum laut geworden, wieder träumeriſch verhallt. Vom Stürzen ſommerlich gelockerter unendlicher Sismaſſen zeugt es, die auf ſteiler Felswand den Halt verloren, ſich knirſchend in Bewegung ſetzten, auf glatter Bahn talwärts Felſen ſpalteten, Geröll mit — MM — fortſchleppten und ſchließlich ſelbſt in Trümmer und Scherben zer fielen. So iſt es geweſen vor Tauſenden und Abertauſenden von Jahren und wird es bleiben bis der greiſe Erdkörper dermaleinſt ausgedient hat und ein Ende findet, wie es auch nur entfernt zu ahnen der verwegenſten Phantaſie verſagt bleibt. Bis dahin aber halten die erhabenen Denk— mäler der Urzeit, ewigen Geſetzen gehorchend, den gewohn— ten Verkehr mit der Außenwelt aufrecht. Was ſie auf dem Wege der Derdunftung und Kryſtalliſation aus allen Nimmelsrichtungen empfangen, zahlen fie plätſchernd und ſprudelnd gewiſſenhaft, ſogar mit Sinſen zurück. Denn nach Tauſenden zählen die Rinnſale, von den ſchwächſten Ader— chen bis zum ſchäumenden Sturzbach, durch die ſie die aus winterlicher Erſtarrung geweckten unruhigen Gewäſſer den Fjorden und demnächſt dem Ozean zu neuem Kreislauf zutragen. i Mit einem Gefälle von über viertauſend Fuß auf die letzten fünf Meilen bis zur Höhe des Meeresſpiegels hinab durchbricht der Hauptbeförderer, der Lärdalselv, ein Gelände, wo man, ihn begleitend, nach jeder Krümmung des gewundenen Felſenbettes ſich niederlaſſen möchte, um ſich mit Muße der Bewunderung der neuen, wechſelvollen Szenerie hinzugeben. Und welche Bilder reihen ſich da aneinander! Ahnlich ihren Feſſeln entſprungenen Roſſen mit flatternden weißen Mähnen raſt der unbändige Strom niederwärts. In demſelben Maße wachſen, das Maleriſche mit dem Gewaltigen zauberiſch einend, auf beiden Seiten die ſchroffen, oft überhängenden Granitmauern zu ſchwin⸗ delnder Höhe empor. Wo nur immer Wurzeln Gelegenheit finden, in Spalten und Spältchen einzudringen, da erfreut das Auge der liebliche Schmuck fchlanfer Tannen und be— jcheiden grünender Birken. Dem Abgrunde zugeneigt, ſcheinen ſie dem Brauſen, Sprudeln und Toſen zu lauſchen, das wie ein endloſer tiefer Orgelton die aufrühreriſch be— lebte Schlucht durcheilt. Denn ob der trotzige Elv in bran— denden Kaskaden eine Talerweiterung durchſchneidet, wut— ſchäumend von unerſchütterlichen Hemmniſſen abprallt oder in Geſtalt Dunſtſchleier erzeugender Garben Abhänge über- ſpringt und dröhnend in brodelnde Keſſel hinabſtürzt: feine Macht kann durch nichts gebrochen oder abgeſchwächt werden. Was nicht weichen will, das überſchüttet er mit milchweißem Giſcht, indem er ſeinen Weg darüber hinweg weiter verfolgt. So die ihm von den Lawinen zugeführten Geröllblöcke, die er zur Seit ſeines reichſten Waſſervorrates handhabt, wie ſpielende Kinder ihre Tonkugeln. Und ſo brauſt, ſprudelt und toſt es überall; unten zwiſchen den mit der Erdrinde verwachſenen Fundamenten, hoch oben zwiſchen den ausgezackten Plateaurändern, wo Gießbäche in jähem Sturz die Tiefe ſuchen. Als Silberfäden beginnend, kommen ſie wie luſtige Buben tummelnd und ſpringend herunter, um als mannhafte Geſellen im tödlichen Kampfe mit dem mächtigeren Gegner überwunden, verſchlungen und mit fortgeriſſen zu werden. Und hinab, tiefer hinab ſchnauben und keuchen die weißmähnigen Roſſe. Vorbei geht es an Gehöften in eng begrenzten Talwinkeln, vorbei an ſchwalbenneſtartig an die Felſen geklebten Blockhütten, vereinzelten kleinen Ortſchaften nebſt zierlichem Kirchlein, und überall dasſelbe Brauſen und Toſen. Su dieſem geſellt ſich hin und wieder Knirfchen und Kreifchen, wo ſcharfgezahnte Sägen, durch den dienſt— willigen Elo belebt, ſchwache Tannenſtämme in Bretter verwandeln. Schwache Stämme! Denn die braunrindigen Rieſen, aus denen die alten Fylkerſkonger und ihre ſchwartigen Banden vor Seiten, unfügſames Geſtein verſchmähend, ihre Hallen errichteten, jene Bergrieſen, deren ſchweres Gebälk, Jahrhunderte überdauernd, vielleicht heute noch rauchge— ſchwärzt die niedrigen Räume vereinzelter greiſenhafter Wohnſitze überdacht, ſie find längſt zum Opfer gefallen den Spekulationsgelüſten wenig berechnender Anſiedler. Nur an ſich und ihre Seit, nicht an kommende Geſchlechter denkend, berufen ſie ſich ſtolz auf das Recht, mit ihrem Eigentum nach Willkür ſchalten zu dürfen. Und fo ereignet es ſich, daß der raſtloſe Elv wie ſchadenfroh an einer jener Sägemühlen vorbei ſprudelt und gurgelt, die endgültig zum Stillſtand gelangten. Jahre ſind verſtrichen, ſeitdem der letzte zu Brettern verwendbare Stamm, über den Rand des nachbarlichen Plateaus hinaus- gewälzt, auf vielbenutzter abſchüſſiger Bahn in die Tiefe hinabglitt und damit zugleich das Todesurteil über das einſt blühende Anweſen beſiegelte. Die Baulichkeiten ſtehen zwar noch, allein durch die geöffneten Fugen zwiſchen den Balkenlagen ſtreicht der Wind. Ausdruckslos ſtieren die leeren Tür- und Fenſteröffnungen. Auf ſtarken Pfählen errichtet und mit der graublauen Farbe, durch Verwitterung erzeugt, erinnern die windſchiefen, gräm— lich dareinſchauenden Ställe und Schuppen an plumpe Dick— häuter, die im Halbſchlaf auf ihren Säulenbeinen raſten. Wie die ſchadhaften Dächer, überwuchert Gras den Hofraum und die modernden Anhäufungen von Sägeſpänen und Holz- ſplittern. Die trogartige Rinne, die ſo manches Jahr der Mühle die dem Elv entlehnte treibende Kraft zuführte, trieft in ihrer ganzen Länge. Nur ein ſchwacher Strahl ſickert noch ohne Aufhören auf das mit Algenſchleim überzogene Rad, das, aus ſeiner Cage gewichen, trübſelig an den waſſergeſättigten Trageſchwellen lehnt. RE Gänzlich verödet iſt die verlaſſene Heimſtätte indeſſen nicht. Forſchend erfährt man, daß eine Greiſin daſelbſt haufe, als ruhelofer Geiſt umgehe und zuweilen zu dem Klange der nordiſchen Sither ſeltſame Lieder mit alters- heiſerem Organ über den Elv hinſinge. Ausführlicheres vermöchte dieſer allerdings über ſie berichten; denn er kannte fie ſchon, als fie noch die kleinen Kinderfüße jo gern in ſeinen Fluten kühlte. Er weiß auch, was ſie an die vereinſamte Scholle feſſelt, iſt vertraut mit den jubelnden Freuden und dem tiefen Leid ihres Lebens, mit ihrem Spiel und dem geheimnisvollen Inhalt der Lieder, aber er iſt verſchloſſen wie das Grab. Er würde ſonſt in Worte kleiden, was der Fremde vielleicht aus der klagend zitternden Stimme herausahnt: Alſo ſprach die arme Mutter: „Wenn des Kufufs Ruf ertönet, Wird das Herz mir hart beweget, Tränen treten in die Augen, Waſſer rollet auf die Wangen, Tropfen, wie die Erbſenkörner, Breiter als die dickſten Bohnen. Alter wird mein Ellenbogen, Schwächer mir die Handgelenke. Ja, der ganze Körper zittert, Wenn des Kufufs Ruf ich höre.“ *) Und höher, gewaltiger ſtreben die gigantiſchen Forma— tionen aus dem zerriſſenen Felſenbett empor; unwilliger ertönt das durchs Scho und neue Suflüſſe verſtärkte Rauſchen und Toſen. Es klingt, als hege der launiſche Elv die Zu- ) Aus „Kalevale”, dem finniſchen Nationalepos und der vierten Rune, in der die Mutter den Tod ihrer im Bade ertrunkenen Tochter beweint. verſicht, über alle Wechſel der Dinge in feinem Bereich er- haben zu fein. Wo Merkmale grauen Altertums und die der Neuzeit ſich nachbarlich geſellen und die Aufmerkſamkeit des Wanderers feſſeln, da zerwühlt er geringſchätzig ſeine Oberfläche, um nicht gezwungen zu ſein, ſpiegelnd die Umgebung zurückzuſtrahlen. Und was kümmert ihn über- haupt der berüchtigte Weg hoch oben, auf dem ſchon die Wikinger, die grauſigſten Binderniſſe überwindend, gegen Schwindel kämpften? Was die mit unſäglicher Mühe her- geſtellte ſchöne Kunſtſtraße, die ihm überall hin zur Seite bleibt und es zu ſeinem Arger dem mit kleinem ſicherem Dferde beſpannten Kariol ermöglicht, auf der Fahrt ab— wärts gleichen Schritt mit ihm zu halten d Graues Altertum und Neuzeit! Bier im freundlichen Tälchen die Stabkirche von Borgund, und im Gegenſatz nicht weit davon, die ausgediente erſetzend, das zierliche Gotteshaus mit ſchlankem Turm. Dieſes gewiſſermaßen die Neuzeit verbildlichend, jene die Zeugin achthundertjähriger Vergangenheit. Aus unverweslichem, von der Seit geſchwär— tem Holz errichtet, erſcheint der wunderliche Bau mit den vielen kleinen Giebeldächern und den ſie krönenden, roh geſchnitzten Drachenköpfen wie eine Pagode, in der man heidniſchen Gebräuchen huldigte. Auch von ihm könnte der ewig wachſame Elo erzählen, von den Stürmen, die über ihn hinbrauſten, ohne ihn in Trümmer zu legen.“) Der- möchte man aber ſein Murmeln und Grollen zu überſetzen, dann würde es vielleicht heißen: „Was ſind achthundert Jahre für mich? Von der Sonne zwiſchen Eis und Schnee ausgebrütet und unabläſſig gepflegt und genährt, zählt mein Alter nach Hunderttauſenden. Ahnliche Zeiträume liegen *) Die Gründung der Kirche ſoll ins zwölfte Jahrhundert fallen. Möllhauſen. 10 noch vor mir, und alle und alles überlebe ich ſpielend. Stein iſt härter als Waſſer, Waſſer um ſo geduldiger und kampfes⸗ luſtiger. Die mächtigſten Felſen bohre ich an und unternage allmählich ihre Grundfeſten, bis ſie endlich das Gleichgewicht verlieren und übereinander jtürzen. Was dann auch folgen mag: Waſſer behält die Oberhand über alle Wechſel hinaus,“ und weiter poltert und brandet der unermüdliche Strom, das nahe, unverrückbare Siel im Auge, ein Siel, würdig des ganzen Weges, den er mit ungebrochener Kraft zurücklegte. An ſeiner Mündung in dem himmelhoch begrenzten Felſenneſt liegt förmlich eingeſchachtelt Cärdalsören, ein Städtchen, dem während des Winterhalbjahrs nur die über⸗ glänzten Plateauränder ſtellenweiſe das Vorhandenſein der Sonne und deren Stand verraten. Über dasſelbe hinweg gewinnt man die erſte Ausſicht in den Näröfjord, eine Ab— zweigung des Sognefjords, hinein. Düſter, wie der ſagen— hafte Orkus, und von den ungeheuerlichſten Größenver— hältniſſen gähnt es dem Wanderer entgegen. Bis ſiebenzehn⸗ hundert Meter hoch entſteigen die ſchroffen, zum Teil ſenk— rechten nackten Felſenmauern den ſtillen Gewäſſern. Über- wältigend wirken die in ihrer finſteren Todesſtarrheit noch großartiger erſcheinenden Formationen, überwältigend die von dem gleichmäßigen Brauſen der Waſſerfälle nah und fern durchwebte erhabene Ruhe. Von Erſtaunen beſeelt, vermißt man nicht die fehlende Pflanzenſchöpfung und deren erheiternden Einfluß auf das Gemüt, obwohl da, wo Umriſſe der Gebirge, überhaupt landſchaftliche Formen im Verein mit Bimmelsbläue und Wolkengebilden den Total- eindruck bewirken, derſelbe durch den Schmuck einer un⸗ gehemmt wuchernden Vegetation vertieft wird. Uher den Aſthmus von Panama. Indem die Regierung der Vereinigten Staaten der bisher zur ſüdamerikaniſchen Föderativrepublik Columbia zählenden Provinz Panama mittelbar zur Unabhängigkeit verhalf, ſicherte ſie ſich für alle Seiten die Herrſchaft über den Iſthmus. Der Grund dazu lag für fie in der Notwendig—⸗ keit, den Panamakanal in die Hand zu bekommen, der jetzt, nach Abſchluß des Vertrages, mit allen Kräften in Angriff genommen und bis zum Jahre 1908 vollendet werden ſoll. Durch eine ſolche, den ſchwerſten Schiffen zugängliche Verbindung der beiden Ozeane gewinnt Panama eine für den Weltverkehr unberechenbare Bedeutung. Daher dürfte es wohl gerechtfertigt erſcheinen, zu Vergleichen anregend, die Blicke über eine fünfzigjährige Vergangenheit hinweg— zuſenden, alſo bis zu jenen Tagen, in denen, angelockt durch die kaliforniſchen Goldgefilde, der gewaltige Strom der Auswanderung, ſofern er nicht den beſchwerlichen Über— landweg oder die langwierige Seefahrt um das berüchtigte Kap Horn wählte, ſich durch Vermittlung zahlreicher Dampf— ſchiffe über den Iſthmus wälzte. Fünfzig Jahre! Sine lange Seit für den Sterblichen, wenn ſie noch vor ihm liegt; und dennoch: wie kurz erſcheint ſie beim Rückblick. Geiſtig vor unvergeßlichen NWaturbildern weilend, ſchildere ich an der Hand alter Tagebücher, alſo nach den 10* an Ort und Stelle empfangenen Eindrücken. Ich beziehe mich auf meine vorletzte Weltreiſe. Nachdem unſere Er- pedition, von der Vereinigten Staatenregierung entſendet, um auf dem 35. Grad nördlicher Breite eine Fährte für die erſte Siſenbahn vom Miſſiſſippi bis an den Stillen Ozean auszukundſchaften und zu vermeſſen, ihre mühſelige Arbeit vollbracht hatte und in Pueblo de los Angeles auf- gelöſt worden war, trat ich von San Francisco aus die Rückkehr nach Waſhington auf dem Seewege an. Am 15. April 1854 zur früheſten Morgenſtunde, ließ der Dampfer in der Entfernung zweier Kilometer vor der Stadt Panama — eine Strecke, die nur für Schiffe geringen Tiefganges befahrbar, den Anker fallen. Stets darauf be— dacht, wenn in eine fremde Umgebung verſetzt, meinen Beobachtungen ungeſtört nachhängen zu können, mietete ich aus der großen Sahl der zur Ausſchiffung von Paſſagieren und Gütern herbeieilenden Boote die zuerſt eintreffende leichte Jolle für mich allein. Gleich darauf glitt ſie vor den kräftigen Ruderſchlägen zweier faſt nackten braunen Hünen auf der ſtillen Waſſerfläche einher. Es war noch dunkel, jo daß die Stadt mit der hinter ihr mäßig an— ſteigenden Verbindungskette zwiſchen den Kordilleren und den Rocky Mountains in eine ſchwarze Silhouette zuſammen— fiel und das wunderbar leuchtende Feuer mich noch er— freute, das die beiden Ruderer mit jedem Schlage er— neuerten. Doch nur kurze Seit, und mit der den Aquatorial—⸗ breiten eigentümlichen Schnelligkeit begann der Tag ſich zu lichten. Sobald aber die flammende Morgenröte hinter den öſtlichen Höhen hervor ihren Schein bis über den Zenith hinausſandte, änderte das Bild ſich faſt unmittelbar un— gemein lieblich. Bläulich rofiger Duft hing in der Atmo- mg ſphäre. Geheimnisvoll verfchleierte er die zwischen üppigem exotiſchem Pflanzenwuchs maleriſch gelegene altertümliche Stadt, daß ſie nicht wenig an die trügeriſchen Gebilde der Fata Morgana erinnerte. Der Eindruck war um fo wirkungs⸗ voller, nachdem ich beinah ein volles Jahr auf unabfeh- baren Grasfluren, in ſtarren Gebirgswildniſſen und ſchließ— lich in der kaliforniſchen ſtäubenden Sandwüſte verbrachte. Wenn zum erſten Male ein Gebiet betretend, deſſen Vorgeſchichte nur ſpärlich zuverläſſige Anhaltepunkte bietet, jo trachtet der Geiſt unwillkürlich, das Dunkel der Der- gangenheit zu durchdringen, ſagenhaft Klingendes ſich zu vergegenwärtigen und gleichſam ahnend zu ergänzen. Suchend verfolgte ich mit den Blicken die Linien der den Hintergrund bildenden Bergkämme, fragend, von welcher hervorragenden Höhe aus der kühne ſpaniſche Nonquiſtador Vasco Nufez de Balboa am 15. September 1515 die erſte Ausſicht auf die Südſee gewann; fragend, von welchem Punkte des zu einem Golf geſchweiften Geſtades aus er mit gezogenem Schwert bis über die Knie ins Meer hinein- watete und im Namen des Königs von Spanien Beſitz von den in ſeinem Geſichtskreiſe befindlichen Küſtenländern ergriff; aber auch, ob die nachbarlich entdeckten Überreſte uralter Gräber und Bauwerke mit hieroglyphifchen In— ſchriften, die heute noch von einer hohen indianiſchen Kultur zeugen, die wahrſcheinlich unter dem Einfluß altmexikani— ſcher Völkerſchaften ſich entwickelte, damals noch belebt waren oder bereits in Trümmer lagen. Undank iſt der Welt Lohn; das erfuhr Balboa. Vom ſpaniſchen Hofe zum König der Südſee ernannt, brachten von Haß und Eiferſucht geborene Ränke es dahin, daß er fälſch— lich der Rebellion angeklagt und ohne jedes Vorverfahren enthauptet wurde. — 150 zer So begann die Geſchichte des zur Seit umſtrittenen Iſthmus gleichſam prophetiſch mit einer Bluttat. In der Folge wurde die ISIS gegründete Stadt Panama von dem grauſamen Flibuſtier und Freibeuter Morgan 1670 nieder- gebrannt, um indeſſen eine kurze Strecke abwärts neu zu erſtehen. Gelangte ſie unter ſpaniſcher Herrfchaft zu An⸗ ſehen und Reichtum, ſo erloſch mit deren Niedergang auch ihre Glanzperiode. Unter ſolchen Betrachtungen, zu denen die regel- mäßigen Ruderſchläge eine ausdrucksloſe Melodie auf- ſpielten, hatten wir uns, an den Perleninſeln vorbei, all- mählich dem maſſiven Wall genähert, deſſen Grundmauern das Meer zur Seit der Flut beſpült und von wo aus noch mehrere halbverſandete Geſchützrohre ſchwerſten Kali- bers auf den Golf hinausgähnten. Wann mochten ſie zum letzten Male das Scho zwiſchen den Hügeln geweckt haben und zu welchem Sweck d Während ich landete und den Weg in die Stadt hinein einſchlug, wechſelte das Bild abermals. Wäre das Ge— tümmel der überall in den engen, unſauberen Straßen ſich anſammelnden Meſtizen, Neger und Mulatten mit ihren ungezählten Maultieren nicht geweſen, nicht das unruhige ängſtliche Treiben des ſchon vorigen Tages von der andern Seite des Iſthmus her eingetroffenen Stromes der Aus- wanderer, ſo hätte man ſich hier und da in jenes Märchen verſetzt wähnen können, in dem ſogar die Baulichkeiten unter dem Banne eines Sauberſpruches die Seiten über ſich hinwegrauſchen laſſen. Wohl ragten die alten, im ge— ſchmackvollen Stil aufgeführten Kirchen, Klöſter und andere öffentliche Gebäude über die niedrigen häßlichen Häuſer und Baracken hinaus, erzählend von der Wichtigkeit, die einſt dem Ort beigemeſſen wurde, jedoch keines andern Dorzuges fich erfreuend, als des der Deranjchaulichung eines das Gemüt immerhin ergreifenden Kontraftes. ESxotiſch wuchernde Gewächſe ſchmückten die zer- fallenden Dächer und verbargen zum Teil das verwitterte und geborſtene Mauerwerk. Blühendes Geſträuch hatte in den Bitzen und Spalten zwiſchen dem morſchen Geſtein Wurzel geſchlagen und ſandte feine Ranken niederwärts über leere Fenſteröffnungen und gewölbte Portale hinweg. Vereinzelte Palmen ſtrebten auf den Höfen mit ihren an— mutigen Kronen dem Licht entgegen, während im feuchten Schatten Belifonien und baumartige Bananenſtauden ihre gewaltigen, heiter grünen Blätter entfalteten und, unab- hängig von den Jahreszeiten, immer neue rieſenhafte Frucht⸗ trauben entwickelten und reiften. Seitdem wird ſchwerlich eine weſentliche Anderung eingetreten ſein. Erweckt es aber Erſtaunen, daß einſt unter der Leitung der klugen und energiſchen Jeſuitenpatres in jenem abgeſchiedenen Weltwinkel trotz faſt unbeſiegbarer Dinderniffe und Schwierigkeiten, Achtung gebietende archi— tektoniſche Werke entſtanden, fo kann anderſeits deren Der- fall nicht befremden. Denn ebenſo wenig wie das zer— bröckelnde Mauerwerk die zügelloſe, faſt ausſchließlich farbige Bevölkerung kümmerte, beſaßen die dorthin ver— ſchlagenen Weißen auch nur die leiſeſte Spur von Pietät für die ſprechenden Denkmäler untergegangener Größe. Läßt ſich aber heut noch jemand dort nieder, ſo geſchieht es in den weitaus meiſten Fällen auf Zeit und dem unwider- ſtehlichen Geſchäftstriebe folgend, um im beſtändigen Kampf mit dem gefährlichen Klima zu unterliegen oder mit dem erbeuteten Gewinn ſchleunigſt wieder das Weite zu ſuchen. ae Nachdem die geräufchvolle Hauptmaffe der Reiſenden die Stadt verlaſſen hatte, beſtieg ich um die Mittagszeit das bereit gehaltene Maultier. Einige Nachzügler ſchloſſen ſich mir an, und ungeſäumt brachen wir auf. Sine uralte Straße lag vor uns, dieſelbe Straße, die einſt von den ſpaniſchen Kriegsknechten und den gefürchteten Bukanieren gebrochen und belebt wurde. Durch ungehemmt wuchernde Vegetation ſo ſchmal begrenzt, daß einander begegnende Maultiere, wenn belaftet, kaum auszuweichen vermochten, war fie ſtreckenweiſe roh gepflaſtert, ſogar, wenn ſtärker anſteigend, mit unregelmäßigen, gänzlich vernachläſſigten Stufen verſehen. Ein halsbrecheriſcher Weg, der indeſſen Jahrhunderte hindurch dem Verkehr zwiſchen den beiden Weltmeeren genügte. Halsbrecheriſch und doch die reichſten Genüſſe bietend. Selten unterbrochen wie in einem grünen Gewölbe hin— führend, wechſelten bei jeder neuen Biegung überraſchend die ſaftſtrotzenden Vegetationsgruppen, zu denen der im prächtigſten Urſchmuck prangende Wald ſich geſtaltete. Dflanzenformen der verſchiedenſten Art und Größe täuſchten in dem erborgten bunten Blätterkleide gewiſſermaßen über den eigentlichen, im ſchwarzen Erdreich wurzelnden Träger. Indem aber durch die kleinen Öffnungen in dem Laub- dach Sonnenlichterchen den Weg zu ihnen hereinfanden, flimmerte und glitzerte es vor den Augen, ſo oft ſie Formen und Farben voneinander zu trennen ſuchten. Ob die Sonne ſenkrecht auf den Scheitel niederbrannte oder im Schatten drückende feuchte Schwüle brütete, ob die geduldigen Tiere ſicheren Schrittes ungezählte Hinderniffe überwanden, gleich— mütig prüfend einen Blick in die hart neben ihnen gähnenden Abgründe warfen oder über geloderte Stufen glitten und ſtolperten: man wurde nicht müde, zu bewundern und ſich aan zu erfreuen. Der Gedanke, daß hinter all dieſen Herrlich- keiten das Geſpenſt des ſchrecklichen Panamafiebers lauere, der Tod, heimtückiſch einherſchleichend, ſeinen Spuren folge, fand keinen Raum. Nur dann wurde die Aufmerkſamkeit von den Naturwundern abgelenkt, wenn hoch oben über Gezweig und mit Blüten überſäte Hängebrücken hinweg eine Affengeſellſchaft, nach Gaſſenjungenart ſchmälend und balgend, ihren Weg wie im Fluge verfolgte und einige Papageien, durch fie in ihrem Plauderſtündchen geſtört, ihr kreiſchend nachſchimpften. Doch auch die begegnenden Eingeborenen aller Schattierungen feſſelten vorübergehend die Blicke. Durch— gängig Geſtalten, die auf Grund des tadelloſen kräftigen Körperbaues als Modelle hätten dienen können, beſtand ihre Bekleidung meiſt ſehr einfach aus einem Lendentuch nebſt breitrandigem Strohhut, dem ein langes Waldmeſſer, die ſogenannte Machete, ſich beigeſellte, das ſcheidelos an einer Schnur von der Schulter über die Hüfte niederhing. Vertrauenerweckend ſahen ſie nicht aus, und doch führten ſie in ihrer Trägheit ein gewiſſes beſchauliches Daſein. Sine mit Palmwedeln gedeckte, ringsum offene Hütte, einige unabläſſig ſpendende Bananenſtauden und Kofospalmen ge= nügten ihnen und ihren Familien als eiſerner Vorrat, und was darüber hinausreichte, lieferten die den Iſthmus kreuzenden Reiſenden für Benutzung der Maultiere und Gepäckbeförderung. Wie ein mit den herrlichſten Naturbildern durchwebter Traum entſchwanden die Stunden während des bedacht— ſamen Einherreitens. Der kurzen Dämmerung folgte, be— ſchleunigt und verdichtet durch die Schatten des maſſigen Laubdaches, Finſternis. Verſtohlen lugte hier und da ein Stern zwiſchen dem Gezweig hindurch. Swiſchen Moos und Kraut nahe dem Erdboden ſchienen Glühwürmchen ihnen nacheifern zu wollen, während höher hinauf im Dickicht Leuchtkäfer, nach Art der Meteore, in fchnellem Einherſchießen, Verſchwinden und Wiedererſcheinen ihre un— berechenbaren Feuerlinien zogen. Die Hufe klapperten auf dem feſten Geſtein. Die ermüdeten Tiere ſchnaubten. Sonſt kein Geräuſch weit und breit. Selten ertönte der Schrei eines Nachtvogels oder der Warnungsruf eines aus dem Schlaf geſchreckten Affen. Schwerer Tau ſenkte ſich auf Baum und Strauch. Wie heimliches Tauſchen klang es, indem die Tropfen ihren Weg von Blatt zu Blatt nieder- wärts ſuchten. Die Waſſerſcheide des Höhenzuges war endlich über- ſchritten, und hinab führte die Straße auf einem ſich mäßig ſenkenden Abhange. Dumpfes Getöſe drang herauf. Licht⸗ ſchein verriet die Lage des Sieles, und bald darauf hatten wir die damalige Eifenbahnftation vor uns. Folgenden Tages erreichte ich auf der Bahn, deren letzte Strecke über gifthauchende Sümpfe führte, in zwei— ſtündiger Fahrt den mexikaniſchen Golf und damit die auf einer ebenfalls ſumpfigen Inſel, die den ominöſen Namen Isla de Manzanilla nach dem dort heimiſchen Giftbaum Hippomane mancinella trägt, gelegene Stadt Colon oder Aſpinwall. Gegenüber ſolchen bedrohlichen Sugaben eilte ich ſchleunigſt an Bord des dort harrenden Dampfers. Als ich folgenden Morgens meine Voje verließ, atmete ich mit Wolluſt die erquickende Seeluft, während die Blicke rings- um über das ſtill wogende Meer hinſchweiften. Drei Jahre ſpäter kreuzte ich den Iſthmus abermals von Oſten nach Weſten auf der nunmehr fertig geſtellten Siſenbahn. Vier Stunden dauerte die Fahrt durch die majeſtätiſchen Urwaldungen. Die Genüſſe, die mich früher oa in jo hohem Grade begeifterten, gingen indeſſen bei der ſchnellen Bewegung verloren. Nur auf den Halteſtellen fand ich Gelegenheit, an der hehren Naturumgebung mich zu erfreuen. Das Klima habe fich bereits gebeſſert, hieß es auf meine Frage. Ich glaubte nicht daran. In zu großem Wider- ſpruch ſtand damit die ſich anſchließende, charakteriſtiſch über⸗ triebene Behauptung, daß die Gebeine der beim Bau der furchtbaren Seuche erlegenen Arbeiter hinreichten, den Bahn⸗ damm von Aſpinwall nach Panama hinüber zu pflaſtern. Auch die Heritellung des Kanals wird bis zu feiner Vollendung noch Hefatomben von Menſchenleben fordern. Eine weſentliche klimatiſche Wandlung, die dem Iſthmus auch nach einer andern Richtung erhöhten Wert verleiht, wird vorausſicht— lich erſt dann eintreten, wenn die beiden Ozeane auf dem Wege der Strömungen, gleichviel ob durch Schleuſen oder Ebbe und Flut bedingt, ihre Gewäſſer austauſchen, An⸗ ſiedler, begünſtigt durch eine unerſchöpfliche Seugungskraft des Bodens, das von dem Kanal durchſchnittene Gebiet unter Kultur bringen und damit zugleich ein wohltätig vermitteln⸗ des Element in die farbige Bevölkerung hineintragen. Einfluſz der Natur auf die Sagenbildung. Wie die Sündflut ſchon in den älteſten Büchern der Chineſen erwähnt iſt und in den hebräiſchen Volkslegenden als vernichtendes Gottesurteil auftritt, findet man dieſe Sage, und zwar in ſeltſamer Übereinſtimmung, auch bei zahlreichen Völkerſchaften, die mehr oder minder von der Kultur unberührt geblieben ſind. So unter den nordamerika— niſchen Singeborenen. Bei dieſen iſt der Urſprung darauf zurückzuführen, daß ſie auf manchen Bergen Muſcheln und andere dem Meere entſtammende Petrefakten vorfanden, für ſie der untrügliche Beweis der einſtigen Überflutung. Auffälliges und Unbegreifliches im Reiche der Natur nach ihren eigenen Anſchauungen deutend, ſchufen ſie neue Sagen, die in ihrer Vererbung über ungezählte Geſchlechter hinweg ſich dadurch vor jener, Tod und Verderben zum Ausdruck bringenden Legende auszeichnen, daß im allgemeinen freund— lichere Bilder vorherrſchen. Solche find namentlich unter den ſtark gelichteten Stämmen am oberen Miffiffippi und Miſ— ſouri wie an den großen Süßwaſſerſeen, wenn auch meiſt nur als Bruchſtücke, erhalten geblieben. Als eine dankbare Aufgabe erſcheint es daher, das, was man an Ort und Stelle erkundete, aufzuſpeichern und der Vergeſſenheit zu entreißen. Der Träger ſolcher Überlieferungen, die ſich in la diefer oder jener Familie fortpflanzten, gibt es nur noch ſehr wenige, die auf Grund deſſen als hochbevorzugt gelten. Mühe koſtet es daher, noch dieſes oder jenes zu retten. Cauſcht man aber ſolchen Erzählungen, fo vertieft ſich der Eindruck nicht nur durch die charakteriſtiſche Erſcheinung des Erzählers oder der Erzählerin und deren eigentümliches Weſen, ſondern auch, und nicht zum wenigſten, durch die jeweilige Umgebung. Nach mühſeliger Wanderung mit einem Trupp Ötoe- Indianer durch Schnee und Eis, war ich am oberen Miſſouri geſtrandet. Gleichſam zauberhaft beleben ſich die Rück— erinnerungen, indem ich ſchildernd daſelbſt ankehre. Bilder reihen ſich an Bilder. Ich höre das Sprudeln des unge— berdigen Stromes, indem er die ihn einengenden Ufer be— nagt. Ich ſehe ihn unermeßliche Eislaften oder Treibhölzer auf ſeinem ungeduldig zuckenden Rücken tragen; dann wieder arglos erglänzen im Frühlingsſonnenſchein oder düſter zurückſtrahlend gewitterſchwere Wolkengebirge. Ich ſehe in ihrer wilden Urſprünglichkeit die Council-Bluffs, eine das Stromtal begrenzende Hügelkette, zu der die Ab- hänge der höher gelegenen Ebene ſich im Laufe der Seiten geſtalteten. Bilder reihen ſich an Bilder: Auf dem Ufer, in Schutz gewährender Schluchtmündung erhebt ſich die Pelztauſcher— ſtation mit ihren Balkenhäuſern und feſten Einfriedigungen, wo ich gaſtliche Aufnahme fand. Su Fuß und zu Pferde kommen die Otoes, Omahas, Ponkas und Pawnees, um für koſtbare Bälge und Wildhäute Schiegbedarf, Farben, Decken, Porzellanperlen, Mehl und grellfarbige Stoffe mit fortzunehmen. Als Dolmetſcher vermittelnd gehen die ſchlanken Halbindianer von einem zum andern. Schwarz- äugige Frauen und Mädchen betrachten lüſtern die vor se ihnen ausgebreiteten Schätze, lüftern, wie die verwitterten Fallenſteller dieſe oder jene anmutigere Tochter der Wildnis. Wie die Bilder wechſeln! In den Ohren lebt auf das Sirpen der Heimchen, die die Fugen der Blockwände und die nahen Abhänge bevölkern. Es erwacht der melancholifche Ruf des Siegenmelkers, der zur nächtlichen Stunde mit geräuſchloſem Flügelſchlag zwiſchen den benachbarten Klüften und den Baulichkeiten der Station vermittelt. „Whip — poor — Will!“ tönt es herüber; „Owa — iſſa!“ mit unbeſchreiblich ſchwermütigem Ausdruck. Der Ruf verhallte; verraufcht find die überſchwänglichen Jugend- träume. Das Auge trübt ſich in Vergegenwärtigung fern liegender Tage. Wie im Fluge entſchwanden mir die Wochen inmitten des lebhaften farbenreichen Treibens auf der Station. Die Abende verbrachte ich gewöhnlich in der Familie eines Regierungsagenten, wo ich von Alt und Jung ſtets herzlich willkommen geheißen wurde. In einem etwas abwärts ge= legenen unförmlichen Bau hauſte er, der ſich äußerlich kaum von einem aus Holzwerk, Raſenſtücken und Erdanhäufungen zuſammengetragenen Hügel unterſchied. Und dennoch, wie heimelte das Innere freundlich an, wenn nach des Tages Arbeit alle ſich vor dem breiten Kamin zu ſorgloſem Verkehr aneinander reihten, während draußen in faſt unmittelbarer Nachbarſchaft der Miſſouri unter feiner ſchweren Eisdecke ſeufzte, auch wohl mit ſcharfem Krachen vergeblich die un— bequemen Feſſeln zu ſprengen und abzuſchütteln verſuchte. So waren es glückliche Stunden im vollen Sinne des Wortes, wenn die übereinander geſchichteten Scheite und Blöcke vor der ſie verzehrenden Glut kniſterten und knackten, die beweglichen Flammen dumpfmurmelnd den mit Funken untermiſchten Rauch in den Schlot hineinjagten. Formloſe Schatten wanden ſich vor der unruhigen Beleuchtung auf den rauhen LCehmwänden. Tiefer ſchien die geſchwärzte Balkenlage der Simmerdecke ſich zu ſenken. Heftiger rüttelte der Schneeſturm an den beiden kleinen Fenſtern. Über den Schornſtein hinwegſchnaubend, erzeugte er hin und wieder einen tiefen, geiſterhaften Orgelton. Unwillkürlich rückten alle dichter zuſammen. Kofende Kinderſtimmen einten ſich mit dem Singen des in die Glut geſchobenen Teekeſſels, bis endlich der vierfache Ruf wiederholt durch das Gemach ſchallte: „Kabibonocka iſt wütend geworden! Gwa⸗iſſa, er- zähle von ihm!“ und ſüße Bitten von kleinen Rofenmäul- chen ſchloſſen ſich an. Owa⸗iſſa warf einen fragenden Blick auf die Eltern. Dieſe nickten liebevoll. Gwa⸗iſſa, eine junge Halbindianerin, neigte das Haupt, wie um nachzudenken. Während die Blicke der Kleinen erwartungsvoll an ihren Lippen hingen, überwachte ich fie aufmerkſam. Wie ein freundliches Natur⸗ rätſel erſchien ſie mit den ſie reizvoll kleidenden Merkmalen zweier Raſſen. Früh verwaiſt, hatte fie auf der nahen Miſſion mit ſo viel Erfolg eine Erziehung genoſſen, daß der nach dorthin verſetzte Agent und deſſen Gattin ſich bewogen fühlten, ſie als Mitglied in ihre Familie aufzu⸗ nehmen. Obwohl den chriſtlichen Belehrungen ihrer Be— ſchützer ſtets ein offenes Ohr leihend und nach beſtem Können der höheren Geſittung ſich anpaſſend, blieben der ange— ſtammte Wunderglaube und die damit geeinte, beinah ſcheue Vorliebe für alles Geheimnisvolle unzertrennlich von ihr. Doch das gereichte ihr nicht zur Unzierde. Im Gegenteil, man konnte nichts Lieblicheres erſinnen, als wenn ſie mit dem Ausdruck heiliger Überzeugung die Anſchauungen ihrer Vorfahren bis zu einer gewiſſen Grenze vertrat und die ihr von der Mutter frühzeitig eingeprägten, Jahrhunderte = 1000 überdauernden Sagen und Saubermärchen immer wieder jo begeijtert wiederholte, als ob fie felbft eine Rolle in denſelben geſpielt habe. Als fie wieder aufſah und lauter geſpannten Blicken begegnete, hob ſie in fließendem Engliſch an, ihren Schilderungen dadurch noch einen beſonderen Reiz verleihend, daß ſie hin und wieder ungeſucht ihr angeerbte indianiſche Vergleiche und Redewendungen einflocht. „Vor undenkbar langer Seit verließ Kabibonoda, der mächtigſte aller Winde, ſein Wigwam weit oben zwiſchen Eisbergen und Schneefeldern, der Heimat des weißen Fuchſes und des weißen Haſen. Südlich ſtreifend, färbte er das Laub der Bäume und Sträucher braun, die Gräſer gelb. Weit voraus ſandte er Flocken. Vor ſeinem Atem erſtarrten Seen und Flüſſe. Wie ein Strom wogte ſein ſchneegefülltes Haar ihm nach, als er ſchnaubend einher— ſtürmte und alle Vögel, denen Waſſer unentbehrlich, vor ſich her ſcheuchte. So gelangte er vor ein Schilf- und Binſenfeld, wo der Taucher einſam zurückgeblieben war, als ſein Stamm dem Wandertrieb folgte. Wer wagt es, mir zu trotzen? rief Kabibonocka ingrimmig aus, wer, meine Herrſchaft zu verachten, während Schwäne, Beiher, Kormoran und Kranich gen Mittag flüchteten? Aber meine Macht ſoll er empfinden. Strafen will ich ſeine Frechheit, ſein Blut in Eis verwandeln. Doch erſt nach Hereinbrechen der Nacht entfeſſelte er ſeinen Sorn. Wild aufheulend fegte er um das Selt des Tauchers die Schneewolken in Bänke zuſammen. Drohend ſchnob er in den Rauchfang, um das Feuer auszulöſchen, heftig rüttelte er an den Seltſtützen. Das den Eingang ſchließende Vorhangleder ſchwang er, daß es polterte und krachte. Das aber kümmerte den Taucher wenig. Vor ihm glimmten vier ſtarke Holzblöce, deren je einer auf einen Wintermonat berechnet. Und ſo ſaß er warm —_, lol und wohlgemut, aß Fiſche und fang dazu ſpöttiſch: Prahle nicht, Kabibonoda, denn du biſt doch nur ein fterblich Weſen. Aufgebracht fuhr dieſer nunmehr ins Selt. Obwohl der Taucher ſeine Anweſenheit in der plötzlichen Kälte erriet, blieb er unbeirrt ſitzen und ließ ſich im Singen nicht ſtören. Nur die Blöcke drehte er ein wenig, daß die Flammen höher aufſchlugen und die Wärme in dem engen Raume zur Hitze ſteigerten. Die Wirkung folgte unmittelbar. Große Schweißtropfen bildeten ſich auf Kabibonockas Stirn und blendeten ſeine Augen. Wie Bäche triefte der Schneeſchmuck aus feinem Haar. Der Atem ſtockte ihm. Sein Ende er— ſchien unvermeidlich. Köpflings ſtürzte er aus dem Selt. Raſerei bemächtigte fich feiner und abermals wühlte er erſtickende Schneemaſſen auf. Den vorhandenen trotzig feſt— ſtampfend, forderte er den Taucher auf, im Freien un bekleidet mit ihm zu kämpfen. Dieſer folgte dem Ruf un— verzüglich und ebenſo ſchnell gerieten ſie aneinander. Die ganze Nacht hindurch rangen ſie, bis endlich gegen Morgen Kabibonockas Griff erlahmte, er nur noch matt keuchte und ſchließlich in jäher Flucht fein Heil ſuchte.“ So die phantaſtiſche Erklärung, wie die erſten warmen Frühlingstage den mit letzter ſchwindender Kraft auftretenden Winter beſiegen, ein Gleichnis, das Schlüſſe auf das Gemütsleben der Erfinder und Verbreiter der Sage geſtattet. Wenn aber der ihr geſpendete Beifall Owa⸗iſſa beglückte, ſo wurde ſie nicht müde, an dieſem Abend und manchem darauf folgenden immer neue Schilderungen aus ihrem reichen Sagenſchatz hervorzuſuchen. So fragte ſie einſt unvermittelt die Kleinen: „Wißt Ihr, wer den Regenbogen malte und die prächtigen Farben aneinander reihte? Blumen ſind es aller Arten, wie ſie in den Wäldern und auf der Prärie wachſen. Wenn ſie Möllhauſen. ! 11 — 02 — hier unten welken, fterben und vergehen, werden fie oben im Himmel gejammelt und von unfichtbaren Händen zu Kränzen gewunden, die ewig blühen und leuchten. Regen⸗ bogen nennt man fie, weil fie bei eintretendem Regen auf- gehangen werden, damit die Tropfen ſie erfriſchen und ihre Farben heller glänzen.“ Dieſer Sage reihte eine andere, nicht minder liebliche ſich an, die, ebenfalls auf Naturerſcheinungen begründet, von einem eigentümlichen Hauch der Melancholie durch- weht iſt: „Bevor die Sonne in das große Waſſer hinter den Bergen hinabſinkt, entledigt ſie ſich des Strahlenkranzes, daß man ohne Harm in ihr müdes Antlitz ſchauen darf. Dafür hat der Abendſtern ſich ermuntert. Flimmernd lugt er durch das roſige Swielicht. Doch kein Stern iſt's, der da funkelt, ſondern eine Wampumperle auf dem Kleide des großen Geiſtes, der geheimnisvoll durch den mit der Farbe des Blutes überzogenen Abendhimmel wandelt. Dieſer mild glühende Purpur iſt indeſſen kein Werk der ermatteten Sonne. Er rührt vielmehr von dem Blut eines roten Schwanes her, der durch einen Pfeil verwundet worden. Indem er die Schwingen ausbreitet und ſingend der Sonne zuſtrebt, färbt er mit dem Glanz des Prachtgefieders weit hinaus den Himmel, jede Wolke, Seen, Wälder und Prärien.“ Weniger friedlich klingen die Urſachen, denen der Mond nach indianiſchen Begriffen die Flecken verdankt: „Sinſt geriet ein großer brauner Krieger, ſtärker als viele andere Männer zuſammengenommen, der die mächtigſten Bäume wie Halme im Röhricht knickte und mit ungeſchützter Fauſt Felſen zermalmte, in Streit mit der Mutter ſeines Vaters. Dieſe, von Gift geſchwollen wie die Klapper— joa, ſchlange, beſchimpfte und reizte ihn unaufhörlich. Sie be- ſtahl ihn nicht nur, ſondern brach auch die Steinſpitzen von ſeinen Pfeilſchäften. Sum Schluß zerſchnitt ſie ſogar die Bogenſehne, daß er hilflos wurde wie ein Kind. Da aber verlor er die Geduld. Wütend packte er die böſe Feindin an den Schultern, ſchwang fie dreimal ums Haupt und ſchleuderte ſie nach dem Monde hinauf, der damals noch klar wie ein Landſee, wo ſie haften blieb und ihn auf ewig verunzierte.“ Rührend mutet dann wieder der Sauber an, den Mädchen und Frauen anwenden, um die ausgeſtreute Mais⸗ ſaat gegen ſchädliche Einflüffe zu ſchützen, doppelt rührend aus dem Munde einer Erzählerin, wie Owa⸗iſſa, die aus übervollem Herzen ſprach: „Sind die harten gelben Körner in der Erde geborgen und ſie beginnen zu keimen, dann iſt es an der Seit, ſie vor Angriffen des Getiers zu bewahren, vor gefräßigen Käfern, Beuſchrecken und Raupen, vor dem Wühlwurm und dem Mehltau. Wenn die Nacht alles befchattet, ver⸗ läßt die mit dem Sauber Beauftragte ihr Lager. Iſt ſie eines Mannes Weib, ſo überredet ſie ihn, feſter zu ſchlafen. Dringend wehrt ſie ihm, zu lauſchen oder gar ihr nach— zufpähen. Draußen legt ſie die Kleider ab. Nur das Haar darf den Buſen verhüllen, nur die Finſternis des Körpers Schönheit. So ſchreitet ſie, ein Stück ihres Anzuges neben ſich ſchleifend, um das Feld herum, eine Fährte hinterlaſſend, die, obwohl unfichtbar, kein ſchädliches Weſen zu über- ſchreiten vermag. Iſt der Sauberring geſchloſſen, dann begibt ſie ſich auf ihr Lager zurück und träumt von einer reichen Ernte.“ Aus andern Quellen ſchöpfte ich Sagen tragiſchen Inhalts, zu denen Geſteinsformationen gewiſſermaßen den 115 rl Grundſtein legten. So am oberen Miiſſiſſippi, wo ein majeſtätiſch ragender Abhang die Aufmerkſamkeit des Vor- überfahrenden feſſelt. Es iſt der Venonafelſen, in Urzeit ſo benannt nach einer jungen Indianerin, die, vor dem ſie verfolgenden abgewieſenen Freier flüchtend, ſich von dem höchſten Rande des Plateaus in die grauſige Tiefe hinab- ſtürzte und zerſchellte. Ahnlich wird das linke Miſſouriufer ſüdlich von der Kanſasmündung auf eine kurze Strecke durch eine ſteil auf- ſtrebende Felswand gebildet. Sie erſcheint als eine mächtige Geſteinsſchicht, die aus der Erdrinde gewaltſam empor— getrieben worden. Unter den Weißen wie unter den Rot— häuten iſt ſie als Manitoufelſen bekannt. Erſtere, auf Dampfbooten dort vorüberfahrend, er— freuen ſich an der prachtvollen Szenerie. Indianer dagegen, die im ſchwanken Kanoe hart an dem ſchroffen Bau hin⸗ gleiten, halten wohl mit Rudern inne. Die Blicke ſcheu nach oben ſendend, gedenken ſie längſt verſchollener Seiten und erzählen ihren Söhnen, was ſie einſt vom eigenen Vater erfuhren: „In den Seiten, als noch keine ſteinernen Wigwams die Gräber der Rothäute beſchwerten, lebte in der Nach— barſchaft ein Omaha-Krieger mit ſeiner jungen Frau. Gaſt⸗ frei nahm er jeden Fremden bei ſich auf. So auch eines Tages einen Pawnee, der hungrig und erſchöpft bei ihm vorſprach. Dieſer lohnte ihn dadurch, daß er während ſeiner Abweſenheit deſſen Frau für verſchmähte Liebe durch einen ins Auge geſendeten Pfeil tötete und flüchtete. Nur noch die Aufgabe der Rache kennend, folgte der Omaha ſeiner Fährte nach. Drei Tage war er gewandert, als er ihn endlich auf dem Ufer des Miſſouri entdeckte, wo er eben im Begriff war, den Strom zu kreuzen. Vollen Laufes uno ſtürmte er hinüber; doch bevor er in die Fluten hinab- ſetzte, hatte jener bereits einen Dorfprung gewonnen. Den Todfeind im Auge, durchſchnitt er die Strömung mit mächtigen Stößen, ohne ihm näher zu kommen. Da flehte er inbrünſtig zu dem großen guten Geiſt, daß er ſein Rache— werk gelingen laſſen möge. Und Manitou erhörte ihn; denn in demſelben Augenblick, in dem der Flüchtling die Hand nach einem Halt ausſtreckte und ſich bereits als ge— rettet betrachtete, verſank das Ufer vor ihm, und mit Donner— getöſe wuchs die unerſteigliche Felswand an deſſen Stelle aus den ſchäumenden Fluten empor, den Mörder in die Gewalt ſeines Derfolgers liefernd.“ Von größerer Bedeutung, ſogar einen Anflug des Er— habenen nicht entbehrend, iſt die Sage, die den roten Stein- bruch im Quellgebiet des Miſſiſſippi umwebt. Es iſt die letzte, deren Kenntnis ich Gwa⸗iſſa verdanke und die fie mit einer gewiſſen träumeriſchen Feierlichkeit vortrug. „Auf dem Gipfel des Berges, der in ſeinem Schoß das bei allen Stämmen hochgeſchätzte rote Geſtein birgt, ſtand einſt Manitou, der Herr des Lebens. Um feine braunen Kinder herbeizurufen, brach er ein Stück von dem Felſen und formte daraus einen Pfeifenkopf. Am Waſſerrande ſchnitt er ein Rohr und fügte beide Teile zuſammen. Be- dachtſam füllte er den Kopf mit Summachblättern und der Rinde der roten Weide. In den nahen Wald hauchend, ließ er die Sweige heftig aneinanderreiben, bis ſie ſich erhitzten und endlich Flammen ſprühten, an denen er den Kalumet entzündete. Alsbald entſtieg demſelben eine Rauch- ſäule. Steil wuchs fie bis zum Himmel empor, wo fie . ſich zu einer gewaltigen Wolke ballte, die weithin über alle Jagdgründe hinweg ſichtbar. „ (06. — „Auf dies Seichen eilten die Krieger aller Nationen, Freund und Feind, nach dem Steinbruch. Von nah und fern kamen ſie im vollen Waffenſchmuck und kriegeriſch bemalt. Als alle verſammelt waren, redete Manitou ſie mit den Worten an: Wildreiche Wälder und Prärien gab ich Euch, Seen und Flüſſe voller Fiſche, und dennoch ſeid Ihr nicht zufrieden. Eures Haders und Eurer Mordluſt iſt es jetzt genug. Beherzigt daher meinen Rat. Bereinigt ſeid Ihr ſtark, verfeindet droht Such Verderben. Ihr ſeht den roten Felſen hier; den ſchenke ich Euch. Brecht Stücke von ihm los und geſtaltet ſie zu Pfeifenköpfen. Dazu ſchneidet Rohre dort am Waſſer. Waſcht das Blut von Euren Händen, die Kriegsfarben von den Geſichtern. Dergrabt den Tomahawk, raucht die Friedenspfeife und lebt hinfort als Freunde und Brüder.“ „Schweigend vernahmen die Krieger dieſe Worte. Dann taten ſie, wie ihnen geheißen war. Unter ihren Händen entſtanden Pfeifenköpfe. Die geſchnittenen Rohre ſchmückten ſie mit den weißen Schnäbeln des ſchwarzen Spechtes und dem grünen Schopf der Enten. Bevor fie darauf auseinan— der gingen, rauchten ſie gemeinſchaftlich in vollen Sügen. Unterdeſſen erhob ſich Manitou vor ihren Augen. Auf- wärts ſchwebte er, höher und immer höher, bis er endlich am Himmel in den ihn umwogenden Rauchwolken der Friedenspfeifen entſchwand,“ ſchloß die Erzählerin ſchwer— mütig, wie in Vorahnung eines frühen Todes. Und bei dem ihr ganzes Sinnen und Denken beherrſchenden inneren Swieſpalt konnte ihr kaum ein langes Ceben beſchieden ſein. Als ich ſieben Jahre ſpäter nach ſcharfem Ritt vom Rio Grande her den Miſſouri wieder einmal erreichte, wo ich zur Reife nach St. Couis auf einem Dampfer mich einzu⸗ e, ſchiffen gedachte, vernahm ich die betrübende Kunde ihres traurigen Endes. Owa⸗iſſa! Holdes Naturrätſel! Vergeſſen und ver— ſchollen, das war dein unverdientes Los. Vier und ein halbes Dezennium haben den kleinen Hügel auf dem Rande der Prärie geebnet und mit einer Grasnarbe überwuchert, der deine ſterbliche Hülle deckte. Durch nichts mehr zeichnet die Stätte ſich aus, auf der man dich unter lauten Klagen in die Erde bettete. Denn da, wo das geheimnisvolle Gurgeln des raſtlos die nachgiebigen Ufer unterſpülenden Stromes dein ſtilles Sachen begleitete, wo die noch ſelbſtbewußten Omahas ihre wilden Tänze aufführten, Trommelſchlag und gellendes Heulen das Echo zwiſchen den zerklüfteten Ab— hängen weckten, kreiſcht zur Seit mißtönend die Dampf— pfeife zu dem durchdringenden Schnarren der Säge; wo vor dem verſchwenderiſch genährten Feuer die abenteuer— lichſten Erzählungen ergrauter Fährtenſucher und Fallen⸗ ſteller umliefen, da ſteht heut vielleicht ein Bethaus nach⸗ barlich mit einer Branntweinſchänke oder der Office eines gauneriſchen Advokaten und Landſpekulanten. Alles dahin! Nur nicht die Erinnerung. Sie lebt immer wieder auf, ſo oft beim Durchblättern meiner Reiſeſkizzen das Porträt der anmutigen Halbindianerin mir in die Hände fällt. ächtliche Daturbelenchtung. Der Charakter der Naturumgebung und deren Ein- druck auf den Beobachter werden faſt mehr noch durch die Beleuchtung, als durch die landſchaftlichen Formen und Gruppierungen beſtimmt. Umfängt die Sonne vom un— bewölkten Himmel herab alles in ihren Bereich Tretende wohltätig mit einer belebenden Lichtflut, fo duldet fie doch nicht, ihr ſtraflos ins Antlitz zu ſchauen; es ſei denn un⸗ mittelbar nach ihrem Aufgange oder kurz vor beendigtem Tagewerk, wenn ſie der Strahlen entkleidet. Und auch dann noch verfehlt ſie nicht, hinterher olivenfarbige Bälle vor dem geblendeten Auge auf- und niederſchweben zu laſſen. Da iſt der Mond, dieſer Liebling der Nacht, ein weniger ſtrenger Geſelle. Ob mit der runden Phyſiognomie eines ſchwelgeriſchen Falſtaff oder dem ſchmächtigen Bau eines verkümmerten Schneiderleins: Nach Herzensluft kann man ihn betrachten, ſich erfreuen an den nimmer veraltenden regelmäßigen Wandlungen in feinem Außeren. Wer feſt an der heimatlichen Scholle klebte, nie über die Marken des engeren Vaterlandes hinausgelangte, der ahnt nicht, welche Bedeutung der Mond für den nach fernen Erdteilen verſchlagenen Wanderer gewinnt. Wenn hinter ihm die Geſtade verſinken, ſtatt deren Himmel und Waſſer in ihrer Begegnung den Horizont begrenzen, unendliche Gde und Einfamfeit ihn umringen und das Auge vergeblich nach einem Ruhepunkt ſucht, dann mag er der ſtolzen Be- herrſcherin des Tages, deren Anblick ihm ſeit früheſter Kind- heit ähnlich zur Gewohnheit geworden, wie das Anzünden der abendlichen Campe, vielleicht etwas mehr Teilnahme zuwenden. Als getreuer Freund erſcheint ihm dagegen der Mond. Ihn überallhin begleitend, bildet er gewiſſermaßen ein Glied in der Kette farbenreicher Bilder entſchwundener Seiten, zugleich neue verheißend, die, durch fein mildes Licht verklärt, dem Gedächtnis ſich unauslöſchlich einprägen. Nacht ruht auf dem träge atmenden Ozean. Wie nie zuvor feſſelt die Aufmerkſamkeit das in ſeinem köſtlichſten Geſchmeide prangende Himmelsgewölbe. Nach Herein— brechen der Dunkelheit ſcheint es an Größe und Erhaben— heit noch zugenommen zu haben; enger umſäumt zeichnet dagegen die Waſſerfläche ſich aus. Bleich leuchtend ent⸗ ſteigt die Milchſtraße dem Meere, um, zwiſchen den ſie überſtrahlenden Planeten ſich gleichſam hindurchwindend, in entgegengeſetzter Richtung wieder hinabzulaufen. Wie ihr verloren gegangene Reſtchen ſchimmern hier und da Sternhaufen und Vebelflecke als träumeriſche Mahnungen an die Unendlichkeit. Dertritt jeder einzelne doch ein Welt— ſyſtem, deſſen Entfernung von der Erde nach Lichtjahren zu berechnen, ein Exempel, deſſen Grundwurzel 42 000 Meilen, die der Lichtſtrahl in einer Sekunde zurücklegt. Dies alles trägt in ſeiner Gemeinſamkeit dazu bei, mondloſe Nächte mit einer geheimnisvollen Beleuchtung zu durch- weben, deren Sauber um ſo eindringlicher, wenn das Sodiakal⸗ oder Tierkreislicht erwacht und, dem nördlichen Horizont entquellend, feinen geiſterhaften Schein in zarter Abtönung bis zum Senith emporſendet. Es zählt zu jenen a lieblichen Naturereigniſſen, die in ihrer vielfachen Wieder- holung immer neu und demjenigen unvergeßlich bleiben, dem es beſchieden geweſen, ſie in ihrem Entſtehen bis zum Entſchlummern überwachen zu dürfen. In ſeiner Wir⸗ kung ähnelt es dem verblaſſenden Licht, wie es die unter- gegangene Sonne allmählich nach ſich zieht, oder demjenigen, das dem Aufgange des Mondes voraufſchleicht. Im letzteren Falle verdrängt indeſſen die Sunahme der rötlichen Färbung ſehr bald den Vergleich. In demſelben Grade erhellen ſich die oberen Luftſchichten. Schärfer tritt die Linie des Hori- zontes hervor. Sin Funke blitzt auf, um ebenſo ſchnell wieder zu erlöſchen. Sweimal, ſogar dreimal wiederholt ſich das Spiel, je nachdem mächtigere Dünungen dem Monde den Weg zu verlegen ſuchen. Aus dem Funken ent- ſteht alsbald ein Streifchen. Schnell geſtaltet es ſich zu einem Hügel, demnächſt zu einer Glocke, deren unteren Rand, dem Auge erkennbar, ſchwere Wogen ſcheinbar beſpülen. Endlich trennt die runde Scheibe ſich von den Gewäſſern, und wie nach langem feſten Schlaf erhitzt und durch die davor lagernden Dunſtſchichten gerötet, verfolgt ſie ihren Weg aufwärts. Mit der zunehmenden Helligkeit entwickelt ſich ein neues Bild. Die Mehrzahl der Sterne erblindet. In matterem Glanz funkeln die Planeten. Die Bewegungen der Fluten ſind in weiterem Umkreiſe zu unterſcheiden, und wo Schaumkämme ſich tändelnd bilden, da glitzern ſie bläulich weiß, wie das ſich unter dem Steuer hervorſchlängelnde Kielwafjer. Der Mond aber hat inzwiſchen von ſich aus eine leuchtende Bahn bis nach dem Schiff hinüber gebaut und mit Gold und Silber gepflaſtert. Wer nach ſolchen Erfahrungen die faſt unermeßlichen Grasſteppen zwiſchen dem Miſſouri und der langen Kette der Rocky Mountains betritt und ſie unter verſchiedenen Breitengraden kreuzt, den überraſcht zur nächtlichen Stunde immer wieder die Ahnlichkeit mit dem uferloſen Meer. Wie hier, durchbricht der Mond auch dort die weitgeſchweifte Grenzlinie. In den die Gräſer und Kräuter beſchwerenden Tautropfen ſich ſpiegelnd, veranſchaulicht er ſogar eine magiſch ſchillernde Brücke, der nur die lebhafte Wellen— bewegung fehlt. Von der dunkleren Umgebung ſich anmutig abhebend, erinnert das zarte Geſpinſt an die ſagenhaften Kunſtwerke freundlicher Märchengeſtalten. Und weitere ſprechende Merkmale legen den Vergleich mit den erdum— gürtenden Gewäſſern nahe. Es vervollſtändigt bis zu einem gewiſſen Grade die Täuſchung, wenn man beobachtet, wie im Oſten die leuchtenden Weltkörper hinter dem Saume der Ebene hervor in den Geſichtskreis treten, andere im Weſten zur Rüſte gehen, oder auch, von den nahe dem Erdboden lagernden Dunſtſchichten zurückgeſtrahlt, ſich verdoppeln. Es iſt dann, als ob das Trugbild des Ozeans als Geſpenſt der einſt über dem gewaltigen Becken majeſtätiſch wogenden Fluten umgehe, den Sterblichen anregend, ſich in Ahnungen über die undurchdringlich verſchleierte Vorzeit zu verſenken. Wen das Glück begünſtigt, dem wird auch wohl Ge— legenheit geboten, das Nord- oder Polarlicht (Aurora borea- lis), eine der glanzvollſten Naturerſcheinungen zu begrüßen. Auf feiner eigentlichen Heimſtätte, dem höchſten Norden, in ſeiner vollkommenſten Pracht die Lichtſtärke des Vollmondes entwickelnd, hilft es dem für Natureindrücke unempfindlichen Bewohner der arktiſchen Regionen gewiſſermaßen über die lange traurige Polarnacht hinweg. Es leuchtet ihm auf ungebahnten Wegen über endlofe Sis- und Schneefelder, wo es nichts gibt, das vielleicht ſeine Teilnahme fände. Im engen Schlitten eingepfercht, betrachtet er ſtumpf ſeinen und des lang ausſchreitenden Rentiers verzerrte Schatten, e die fortgeſetzt ſich verändern, unförmlich ausſtrecken und wieder einſchrumpfen, je nachdem die unruhig zuckenden elektriſchen Strahlen, Lanzen und Schwerter des magnetiſch flammenden Bogens hoch emporflackern oder, wie im Kampfe unterliegend, kniſternd zurückſinken. Sin gewaltiges, ein ergreifendes Schaufpiel; was aber von ihm füdlich bis über die gemäßigten Sonen hinausflüchtet, der letzte, weit in den Ather hinauf entſendete Widerſchein, das könnte man berechtigt als einen Traum des eisſtarrenden Nordens bezeichnen. 8 So wirkt die nächtliche Beleuchtung, wenn auch ver—⸗ ſchiedenartig, von Pol zu Pol und in allen Breiten. Aus dem Vollen überſtrömt ſie Berg und Tal, Seen und Flüſſe. Sie zittert durch die Wipfel turmhoher Abietineen und Tannen, lagert auf den ineinander greifenden Kronen der Caubholzwaldungen. Sauberiſch ſchmückt ſie die glatten Rieſenblätter der Bananenſtauden mit glänzenden Reflexen, ſäumt mit Silberfäden die Wedel der Palmen und hoch- ſtämmiger Farne und koſt mit den betauten Cianen, die, von Baum zu Baum Verbindungen herſtellend, in ihren Bereich hineinwuchern. Wo aber ſchwarze Schatten ihr wehren, da vertreten kleine Geſchöpfe fie nach beſtem Können. Im feuchten Mooſe glimmt es langſam einherkriechend phos- phorifh. Wie nachäffend den in die Erdatmoſphäre ab— irrenden, bis zur Weißglut erhitzten Meteoren, huſchen zwiſchen dem Gezweig leichtbeſchwingte Sternlein umher. Überall Cicht. Wohin die Blicke ſich wenden: Licht; gleich⸗ viel, ob nächtlich den Weltraum erfüllend, ob verſtohlen ausgehend von unſichtbaren Laternenträgern, oder dämoniſch auftretend, wenn das mit Elektrizität überfüllte Gewölk mit furchtbarer Heftigkeit ſich entladet. Und wie in den Tropen beim Beginn der Regenzeit, ſo in den ſüdlicheren a Strichen der weit gedehnten Grasfluren. Nur wer Zeuge eines derartigen Schauſpiels geweſen, erhält einen vollen Begriff von dem grauenhaften Kampfe, den die gereizten Elemente zuweilen unter einander ausfechten. Erläuternd greife ich in meine Reiſetagebücher zurück.“) | Auf dem Wege von Neumexiko nach dem Miſſouri hatten wir unſer Lager in dem grasreichen Winkel zwiſchen dem Arkanſas und einem ſeiner Vebenflüßchen aufge— ſchlagen. Nicht ohne Beſorgnis überwachten wir den nord— weſtlichen Horizont, wo die ſcheidende Sonne ſich hinter eiſengrau aufquellenden Dunſtſchichten verbarg. Der übrige Himmel war unbedeckt. In der Atmoſphäre hing ein häß— licher, ſtaubfarbiger Hauch und verunzierte das lachende Blau. Mit raſender Schnelligkeit wuchſen die maſſigen Wolken empor. Beim Hereinbrechen der Nacht ſank es ringsum wie ein ſchwarzer feuerſprühender Vorhang nieder. Dumpf, ohne Pauſe rollte der Donner auf allen Seiten. Eiliger folgten die Blitze aufeinander. Sie ſchufen eine unheimliche Helligkeit. Nur auf Augenblicke herrſchte un⸗ durchdringliche Finſternis. Die erſten ſchweren Regentropfen raſſelten auf die ftraff geſpannten Seltwände. Das gleich- mäßig anſchwellende Getöſe ſtörte die Unterhaltung. Mit einem eigentümlichen Gefühl des Behagens warfen wir uns auf die Decken. Erſt um Mitternacht, als der Regen ſich in einen Wolkenbruch verwandelte, die Erde unter dem betäubenden Krachen förmlich bebte und das Waſſer zwiſchen unſere Decken rieſelte, fuhren wir auf. Sunächſt entdeckten wir, daß in dem aufgeweichten Erdreich die Seltpflöcke ſich gelockert hatten. Um dem drohenden Einſturz des von *) Möllhauſens Reifen in die Felſengebirge Nordamerikas, Bd. II, S. 361. heftigen Windſtößen gerüttelten kläglichen Schutzdaches vor⸗ zubeugen, verſuchten wir, den Halt der flatternden waſſer— ſchweren Leinwand zu verſtärken. Es gelang notdürftig. Wurde dadurch der Flut von oben her einigermaßen ge— wehrt, ſo nahm deren Steigen auf dem Erdboden ſeinen bedenklichen Fortgang, bis wir ſchließlich gezwungen waren, mit emporgezogenen Knien auf Feldſtühlen und zuſammen⸗ gerollten Decken zu kauern. Das Unwetter hatte feinen Höhepunkt immer noch nicht erreicht. Andere Gewitter zogen ſich mit den bereits vorhandenen um die Vereinigung der beiden Flüſſe zu— ſammen und rangen mit ihnen um die Vorherrſchaft. Donnerkeile ſchleudernd, ſtürmten ſie aufeinander ein. Wo eins zurückwich, da geſchah es, wie um neue Kraft zu ſchöpfen und mit verdoppelter Wut den Kampf wieder aufzunehmen. Die Dunkelheit war gänzlich verdrängt. In bläulichem Schein leuchtete die durch Regenwände ver— dichtete Atmoſphäre. Weiße Sickzacklinien durchſchnitten un= unterbrochen die niederſtrömenden Waſſermaſſen. Ge— wundene Feuerſäulen verbanden ſekundenlang das tief— hängende Gewölk mit dem zitternden Erdboden. Dazu rollte ohne Unterlaß der wuchtige Donner, nur dann in ſeiner bedrohlichen Eintönigkeit durch heftige Schläge und ſcharfes Knattern geſtört, wenn nachbarlich der Wetterſtrahl ſich ins Waſſer ſenkte, den Baum auf dem Ufer des Flüßchens ſpaltete oder im Erdreich erſtickte. Angſtlich, wie Schutz ſuchend, drängten die Maultiere ſich in unſere Nähe. Doch welchen Schutz konnten wir gewähren, die wir ſelbſt auf dem ſumpfig gewordenen Wieſengrunde unſeres Bleibens nicht wußten. Erſt nach Anbruch des Tages ſchienen die elementaren Gewalten ihre Kräfte erſchöpft zu haben. Eine Stunde ſpäter beleuchtete die ae Sonne mitleidig eine Geſellſchaft triefender Jammer— geſtalten. Und dennoch: Wie gern erträgt man Wider— wärtigkeiten, wenn es dafür vergönnt iſt, die Erfahrungen im Reiche der Natur zu erweitern. Iſt es doch, als ob ſie in ſolchen Stunden den geheimſten Teil ihres Buches vor dem Sterblichen aufſchlage, um ihn eine neue Seite darin leſen zu laſſen. Denn wie im friedlichen Walten, verkündet fie auch im wildeſten Aufruhr ihre weiſen Geſetze. Über— wältigend führt ſie ihre Freunde zur Andacht und innigen Verehrung, während fie Tieren und krankhaften Gemütern Schrecken einflößt. Was aber den blendenden Wetterſtrahl entſendet und den kleinſten Lebeweſen geheimnisvolle Leucht- kraft verleiht, was unterirdiſches, Durchbruch begehrendes Feuer ſchürt, Berge erſchüttert, den Ozean Inſeln gebärend und Feſtland verſchlingend donnernd aufwühlt und den ſtillen Lauf der Geſtirne regelt: es iſt der Ausfluß einer einzigen unerſchöpflichen, alles umfaſſenden und ordnenden Kraft. N 75 #3 ee = 04 QH 45 M69 SOA Mollhausen, Balduin, 1825-1905. Bilder aus dem Reiche der Natur. 505 1 18 5 ART SMITHSONIAN INSTITUTION LIBRARIES 1 423 7088 00357269 U A f 0 8 MEI 5 1 RENNEN ri 7 > 3 N 1 . 1 2 8 Werd N ne u, > “ ; 1. 0 I x - N 5 8 5 N 44 aaneeinene ee nah he — BES Kr F \