” SR x 12.9 a, #4 N rue N , ur e a Ei 4 2 SE l u NR er a ET - = Par gg Received .. Accession No. Given by. *,* No book or pamphlet is to be removed from the hab oratory without the permission of the Trustees, u Sn SH h & Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Professor der Botanik Professor der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Professor der Physiologie in Erlangen Achter Band. 1588 —1889. Met AyeNenbrnlademrozen: Erlangen. 1889. Were von. kdu an d‘,B e80 Ed, IV Inhaltsübersicht. —|- —|- Kronfeld, Wurzelanomalien kultivierter Umbelliferen ders., Biologie von Orchis Morio L. . . . ..- Zoptf. Nematoden fangender Schimmelpilz . . - Mieula, Einfluss von Säurelösungen auf Algen . Kronfeld, Samen am Kolben von Typha ders., Geschlechter bei der Rebe . . . .».. Ludwie. Ameisen-Nektarien bei ÜUrena lobata . .» II. Zoologie. Haacke, Ueber die Entstehung der Säugetiere Vosmaer, Neuere Arbeiten über Schwämme Hude von Lendenfeld, Challenger- Report über die Hexactinelliden Salensky, Seitenorgane der Nemertinen . . Kükenthal, Beobachtungen am Regenwurm Haacke, Zoologische Museen . . .. . a Reichenbach, Entwicklung des Rluaskrehiee : Will, Entwicklung der viviparen Aphiden Dewitz, Zoologische Landesmuseen . Ritzema Bos, Tylenchus derastatrix . . . . : Gruber, Beobachtungen an vielkernigen Infunbrien Zacharias, Studium der Süßwasserfauna von Lendenfeld, Australische Polypomedusen . Vosmaer, Neuere Arbeiten über Schwämme (Spieulispongiae und l { Emery, Das Leuchtorgan von Scopelus Benoitı Biehringer, Zur Anatomie der Trematoden Nehring, Gebissentwicklung der Schweine von Lendenfeld, Arbeiten über Madreporarien von Jhering, Brutpflege von Arius Commersonvi Kobert, Giftige Spinnen Russlands . . . .. MaCUSBORGVOE) A von Lendenfeld, Studer’s Alcyonarien - System 5 ders, 6. von Koch, Gorgoniden des Golfes von Neapel . Haacke, Zu Lendenteld’s Besprechung Faussek, (Geschlechtsorgane von Phalangium Zacharias, Verbreitung niederer Wassertiere durch Mik, Haarkleid von Volucella bombylans L. . Handlirsceh, Mimiery zwischen Hymenopteren tosenstadt, Organisation von Asellus aquaticus Verworn, Biologische Protisten-Studien Zacharias, Fauna norddeutscher Seen ders., Landplanarien auf Pilzen . *® ders., Pseudopodien und Geißeln ders., Die Tierwelt der Eifel-Maare ders., Geographische Verbreitung des Genus Dinpiomus F. E. Schulze, Epitheliale Drüsen bei Batrachierlarven Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen " Biehringer, Entwicklungsgeschichte des Leberegels . ’ . . . Schwimmvögel . m Inhaltsübersicht. V Seite Möbius, Infusorienfauna der Kieler Bucht . u a Ra ie re or Marshall, Atlas der Tierverbreitung . . Me En 2. EEE RUNDE Berg -endal, Abdominale Anhänge bei Krebeiwerkehen EA De Das Parietalorgan der Reptilien und Amphibien. . . . . 707 von Lendenfeld, Neuere Arbeiten über Seyphomedusen . . 20 Weber, Rotatorien aus der Umgegend von Genf . . „ . ee Zacharias, Vorkommen von Bythotrephes longimanus . . .... 756% Nehring, Größenunterschiede zwischen zahmen und wilden Grunzochsen 763 III. Anatomie, Anthropologie, Histologie. Entwick- lungsgeschichte. Boveri, Zellenstudien (Richtungskörper bei Ascaris) 7; Schwink, Gastrula bei. Amphibieneiern, in: His BsnErt. N. 10 820 Nansen, Histologische Elemente des Zentralnervensystems . . ....% Weis menns Zahl’der Richtungskörper. nal 1shank neigt: 125 Weismann und Ischikawa, Bildung der Riehtungskörper . . . . 124 Schewiakoff, Karyokinetische Kernteilung der Euglypha alweolata 22 Haacke, Ueber Weismann’s Schrift „Zahl der Riehtungskörper ete.“ 232 ders, Weismann’s Richtungskörpertheorie . . . ERBE Su 23), i Bücker t, Herz und Gefäßstämme bei Selachier- Bayonen 5003 388, A Roux, Axenbestimmung des Embryo im Froschei . . . ...2.......39 Gwobben. Entwicklung von, PhylioxzerasAncnimslasruae re aa rei seite Nusbaum, Keimblätter bei Meloe proscarabaeus . . : 2 2......449 Platner, Entwicklung der-Eier von Ziparis dispar . » .» 2... . 824 Boveri, Zellenstudien (Befruchtung und Teilung des Eies bei Ascaris megelesenNale) TA 2 rer Platner, Bedeutung der Bichtangskorperdlien ar Beet IV. Physiologie. Dex Spontane, Milehgerinnung. 3: ern os er As Wlassak, Physiologie der Leberzelle ar Aa Ale ee Bütschli, Müssen wir ein Wachstum des Plasmas NER Intussuszep- tion annehmen? . NEE : i i rn pr Plateau’s Versuche über das Schr ermögen der My den u. Menden 179 ders., Sehvermögen von Schmetterlingsraupen und von vollkommenen Insekten . . . A i le 1 EEE . . . . . . . . . . Friedländer, Kmiaahen der Besen ürmer HE EN *= Zacharias, Befruchtung bei Ascarzs tl ders., Ueber partielle Befruchtung N. 3: j iu 368 WeismannundIschikawa, nee 2 Daphnden 130 Exner, Optische Bewegungsempfindungen . .. .. 2 2 2 ee... 487 Quincke, Ueber Protoplasmabewegung . . . . 2 2 3 en... 4% Zuntz, Zur Phy siologie der Atmung Pe PP, 1) 5 1) Heißt Den eines in der nächsten Nummer berichtigten Fehlers statt Bythotrephes fälschlich Bythotreptes. v % | Inhaltsübersicht. Seite Steiner, Funktionen des Zentralnervensystems . . 2» 2 2 2... D2A Meissner, Zur Ernährungsphysiologie der Protozoen u : Mc K Endrte k, Die Blutgase . . en Hal, DD Rosenthal, Wärmeproduktion der Piere Er De 657 Plateau, Sehvermögen von Insekten und W HelEeTen SEE Puerz 125 Graber, Empfindlichkeit einiger Meertiere gegen Riechstoffe . . . 745 Kobert, Ueber den Nachweis der Blausäure . . . . 2... 768 V. Verschiedenes. Tarehanoff und Kolessnikoff, Albuminat des Hühnereies für Bakterienzüchtuing . . A Er () Guppy, Zur Bildung von alle RM IRRE MORERNTRATTEN 23 Schiess, Uebertragung erworbener Eigenschaften . . . . .. 26 Eisenberg, Bakteriologische Diagnostik . . . ORZIFER BE EEERENG Peyer, Atlas der Mikroskopie am Krankenbette . ln I: 96 Eimer, Entstehung der Arten . . . EN BERIRTAE 118 er Tietz, Vererbung she Eigenschaften . -. 22.0. 155 Saell;) Abstammung .des Menschen. 1.1027 er za a, ma 158 Moleschott, Zur Feier der Wissenschaft . . . BER TI 7: 160 Zaeharias, Vererbung von Traumatamentr. an) u 204 Dingfelder, Vererbung erworbener Eigenschaften . . 2... 210 Zacharias, nee 'stümmelungen bei Katzen . . . ee Frieke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlkrhseanden al W. Richter, Vererbung erworbener Charaktere . Baal AEHANDEI Rosenthal und Schulz, Alkali- Albuminat als Nährboden bei bak- teriologischen Untersuchungen . . TE ae 307 Ritzema Bos, Nestbau der Vögel in aladkn Fegondan Aue S 320 Schimper, Pflanzen und Ameisen im tropischen Amerika . . 321 Geyl. Wahrnehmungen über Hypertrichose . . . SE 332 Göhlert, Schwankungen der Geburtenzahl nach Monaten 342 BummeasoBintstehung.der Arten .. Ber.) m. we. Dee Lombroso, Der Verbrecher in anthropol., ärztlicher und juristischer Beziehung . 5 s Mahl Ihn v LEEREN 370 Marie Raskin, Züchtung ee ie a a vitzema Bos, Aenderung in der Nahrung von Säugetieren 41 von Dalla Torre, Mageninhalt verschiedener Vögel . . . 213 Brock, Aeltere Autoren über die Vererbung erworbener selten 491 Rosenthal, Die Malaria und die Mittel zu ihrer Bekämpfung . . >67 Schulz, Ueber Huminsubstanzen . . ... ENG 00: 63 Zacharias, Apochromatische Objektive von Zei BNTSN TIERE 604 Brock, Die Stellung Kant’s zur Deszendenztheorie . . . » 641 Frieke, Ueber psychische Zeitmessung . . 5 BB: 675 (rashey, B. von Gudden’s hinterlassene Abtadkiktiheen N 691 Biologisches Üentralblatt Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der ale in Erlangen. 24 Nummern von je D) Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. VII. Band. 1. März 1888. Nr. 1. Inhalt: 0. Löw und Th. Bokorny, Die chemischen Bestandteile des protoplasma- tischen Eiweißes, nach dem gegenwärtigen Stand der Untersuchungen. — Haacke, Ueber die Entstehung der Säugetiere. (Mit 2 Abbildungen.) Boveri, Zellenstudien. I: Die Bildung der Richtungskörper bei Ascaris megalocephala und A. lumbricoides. — Marchanoff und Kolesnikoff, Ueber die Anwendung des Alkali-Albuminats des Hühnereies als durchsichtiges Substrat für Bakterienzüchtung. — Guppy, Zur Bildung von Koralleninseln. — Schiess, Uebertragung erworbener Eigenschaften. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in München. — 60. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Wies- baden. — Haacke, Berichtigung. — Naturwissenschaftliche Preisauf- gabe der Stiftung von Schnyder von Wartensee in Zürich. Die chemische Beschaffenheit des protoplasmatischen Eiweißes, nach dem gegenwärtigen Stand der Untersuchungen von ©. Loew und Th. Bokorny. Da die gesamten von uns bis jetzt angestellten Versuche über den Chemismus des lebenden Protoplasmas durch eine von O. Loew publizierte Hypothese!) über die chemische Beschaffenheit des Eiweißes lebender Zellen veranlasst und mit Rücksicht auf dieselbe gemacht worden sind, mag es wohl am Platze sein, hier zu Beginn dieser zusammenfassenden Uebersicht kurz auf dieselbe hinzuweisen. Durch vergleichende Betrachtung physiologisch-chemischer That- sachen kam O. Loew auf den Gedanken, dass das protoplasma- tische Eiweiß durch Kondensation eines verhältnismäßig einfach konstituierten Körpers (des Asparaginsäurealdehyds) entstehe. Für das Kondensationsprodukt dieses Amidoaldehyds entwickelte O. Loew eine Strukturformel, welche die Atomgruppierung im Eiweißmolekül nach dieser Ansicht zur Anschauung brachte?). In einfacher Weise lässt sich die Loew’sche Vorstellung von 4) Pflüger’s Archiv, Bd. XXII, S. 503. 2) Siehe die Schrift: Die chemische Kraftquelle im lebenden Protoplasma, von OÖ. Loew und Th. Bokorny 8. 26 u. fg. WEIL. 1 2 Loew und Bokorny, Bestandteile des protoplasmatischen Eiweißes. der Konstitution des protoplasmatischen Eiweißes im Gegensatz zum gewöhnlichen durch folgende Formeln zum Ausdruck bringen: — CH—NH, | — CH— NH | | | | =6—-cH — ( — CH(OB) Atomgruppierung im aktiven Atomgruppierung nach der Eiweiß Umlagerung. Loew leitete jenen Gedanken ab aus der Thatsache, dass Asparagin eine sehr wichtige Rolle beim Eiweißumsatz in den Pflanzen, besonders während der Keimung, spielt — und ferner aus der Er- fahrung, dass bei Bildung komplizierter Substanzen aus einfacher konstituierten besonders Aldehydgruppen in betracht kommen. Be- züglich der vollständigen Konstitutionsformel für aktives Albumin ist zu verweisen auf unsere Schrift S. 27. Unter den Atomgruppen, welche das Molekül aktiven Albumins nach Loew aufweist, sind besonders charakteristisch die Aldehydgruppe COH, in welcher 2 Kohlenstoffaffinitäten mit 2 Sauerstoffaffinitäten und eine dritte Kohlenstoffaffinität an Wasserstoff gebunden ist |% | ; ferner die Amidgruppe NH,. Beide gehören zu den wichtigsten Atomgruppen in der organischen Chemie und verleihen ganzen Klassen von Körpern ihren besondern Charakter. Durch die enge Nachbarschaft beider im Eiweißmolekül (siehe die Formel) sollen energische Atomsehwingungen zu stande kommen, stärkere, als sie der Aldehydgruppe als einer sehr labilen Atomgruppe!) an sich schon eigen sind. Nach der Loe w’schen Hypothese musste also das Albumin leben- der Zellen einen wesentlich andern chemischen Charakter als das ge- wöhnliche Eiweiß, wie es im chemischen Laboratorium bekannt ist, besitzen. Es sollte im Gegensatz zu dem verhältnismäßig indifferenten gewöhnlichen Eiweiß, z. B. dem Nahrungseiweiß des Hühnereies, ein sehr veränderlicher Körper sein, dessen Labilität bedingt ist durch die Aldehydgruppen im Eiweißmolekül und vermehrt durch die Benach- barung von Aldehyd- und Amidgruppen?). Dass das Eiweiß des lebenden Protoplasmas ein anderer Körper sein müsse als das des abgestorbenen, hatten vorher Pflüger (1375) y) Tanie en zeichnen sich durch große Reaktionsfähigkeit aus; in der That treten Aldehyde leicht in chemische Reaktion und geben noch in sehr großer Verdünnung Reaktionen mit andern Stoffen. Sie verändern sich sogar durch bloßen Kontakt mit andern Körpern, ohne damit in Reaktion zu treten; z. B. erleidet der Orthoamidobenzaldehyd nach Friedländer Atom- umlagerung bei Kontakt mit einer Spur Salzsäure. Atomumlagerungen durch verhältnismäßig geringfügige Einflüsse hat die neuere Chemie mehrfach kennen gelehrt. 2) Der lebenden Zelle muss also das Vermögen zukommen, aus aufgenom- menem gewöhnlichem „passivem“ Eiweiß durch Rückverwandlung „aktives“ Albumin herzustellen und dasselbe zum Plasmabau zu verwenden. Loew und Bokoıny, Bestandteile des protoplasmatischen Eiweißes. 3 , und Detmer (1880) angenommen, aber keinen direkten Beweis dafür (in Form einer chemischen Reaktion) erbracht. Der experimentelle Beweis für jene von OÖ. Loew rein theoretisch gewonnene Vorstellung wurde von O. Loew und Ref. zu erbringen versucht durch zahlreiche Versuche an lebenden Zellen '). Dass das Eiweiß des lebenden Protoplasmas ein sehr labiler Stoff sei, lehrten schon die ersten Versuche, indem das Protoplasma bei Versuchen, dasselbe chemisch zu behandeln, sofort abstarb. Es ward uns bald klar, dass man über dessen chemische Beschaffenheit nur durch Anwendung äußerst verdünnter Reagentien etwas erfahren könne. Zum Nachweis der Aldehydgruppe verwandten wir alka- lische Silberlösung, welche auf 100 000 Teile Wasser nur 1 TT. Silber- nitrat enthielt. Lebendes Protoplasma?) ergab mit dieser Lösung energische Silberabscheidung, die durch intensive Schwärzung des Protoplasmas sich kund gab; getötetes oder von selbst abgestorbenes schied kein Silber ab. Hiemit war ein eminenter chemischer Unter- schied zwischen lebendem und totem Protoplasma dargethan; das lebende ist mit energischem Reduktionsvermögen .aus- gestattet, das tote nicht. Nun waren aber noch weitere Beweise dafür beizubringen, dass 1) der Eiweißstoff selbst bei der beobachteten Silberabscheidung in Reaktion tritt, und 2) dass die reduzierenden Atomgruppen im Molekül des „aktiven Eiweißes“ wirklich Aldehydgruppen sind. Für den erstern Punkt erbrachten wir sowohl indirekte als direkte 3eweise. Wir imprägnierten die Zellen mit ziemlich leicht reduzieren- den Stoffen (Gerbstoff, Pyrogallol), welche in der angewandten Menge die Zellen zugleich töten mussten, und behandelten dieselben dann mit obigem Silberreagens; es ergab sich lediglich eine leichte Bräu- nung. Dass die Hauptsubstanz der lebenden Zellen, das Eiweiß selbst?), reduziere, ging ferner aus der großen Quantität des abge- schiedenen Silbers hervor, dessen Menge zu 29,7 °/, der Trocken- substanz gefunden wurde®); ferner aus der Analyse des Reaktions- produktes, das mit Ammoniak aus den mit Silberlösung behandelten Algen extrahiert, gereinigt und der Elementaranalyse unterworfen 1) Unsere Schrift, experimenteller Teil, vergl. auch Biol. Centralblatt, Bd L.Ne., 2. 2) Unsere Hauptobjekte bildeten mehrere Algengattungen, besonders Spirogyra. Indess geben auch manche Pilze und tierische Zellen sowie ver- schiedene Teile höherer Pflanzen die Reaktion. Ueber die Reaktion tierischer Organe der Froschniere siehe O0. Loew in Pflüger’s Archiv, Bd. 34, S. 596. 3) Die Eiweißmenge der verwendeten Algen betrug 28--30°/,; der Rest bestand hauptsächlich aus Cellulose und Stärkemehl, geringen Mengen Fett (Leeithin), Gerbstoff, Chlorophyll, Cholesterin, Bernsteinsäure. 4) Unsere oben zitierte Schrift, S. 86. 1* 4 Loew und Bokormy, Bestandteile des protoplasmatischen Eiweißes. wurde. Es ergab sich, dass auf dieselbe Menge Kohlenstoff ein volles Drittel mehr Sauerstoff vorhanden war als im ursprünglichen Algeneiweiß!). Es war also der Eiweißstoff, der dem gelösten Silberoxyd den Sauerstoff entzogen und das Metall abgeschieden hatte. Hiemit fällt auch der Einwand, dass die in den Algen oft vor- kommende geringe Gerbstoffmenge oder der nur selten darin enthal- tene Zucker die Silberabscheidung herbeiführe. Zudem wirken diese Körper auf so stark verdünnte Silberlösung nicht mehr. Auch müssten dieselben in toten Zellen ebenso reagieren wie in lebenden. Reinke vermutete ?), dass die von uns beobachtete Silberreduk- tion vonFormaldehyd verursacht werde, den er damals im Destillat mehrerer grüner Pflanzenteile nachgewiesen zu haben glaubte. Wir konnten diesen Einwand dahin beantworten, dass in den von uns ver- wandten Objekten (Spirogyren) kein Formaldehyd vorhanden war und dass Formaldehyd als wasserlöslicher Stoff die Silberabscheidung an anderer Stelle bewirken müsste, als sie thatsächlich von uns be- obachtet worden war; die Abscheidung hätte im Zellsaft auftreten müssen (infolge von Diffusion aus dem Chlorophylikörper). Hoppe-Seyler sprach die Idee aus, dass die „Lebensreaktion“ — wie sie auch benannt wurde auf Wasserstoffsuperoxyd zurück- zuführen sei, das derselbe in den lebenden Zellen vermutete. Ref. führte hingegen den Nachweis), dass dieser Stoff in Spirogyren nicht vorbanden ist, was bei den empfindlichen Reaktionen, die es auf Wasserstoffsuperoxyd gibt, unschwer zu beweisen ist. Ferner müsste die Menge H,O,, welche zur Verursachung so massenhafter Siberabschei- dung, wie wir sie beobachtet und quantitativ bestimmt haben, nötig ist, jede lebende Zelle in Bälde töten. Endlich spricht auch wiederum die Wasserlöslicheit des Wasserstoffsuperoxyds gegen den Zusammenhang desselben mit der „Lebensreaktion“. Ref. tränkte tote Spirogyren- zellen mit Wasserstoffsuperoxyd und setzte dieselben dann der Ein- wirkung einer weniger verdünnten alkalischen Silberlösung (1: 1000) aus. Die Silberabscheidung erfolgte, wie vorauszusehen, in der ganzen Zelle, auch im Zellsaft und in der Membran, ferner auf der Oberfläche der Zellen, indem das Superoxyd herausdiffundierte ®). Was nun die Frage betrifft, ob die reduzierenden Atomgruppen Aldehydgruppen sind, was von einigen angezweifelt wurde, so haben 1) Pflüger’s Archiv, XXX, S. 358. 2) Ber. d. deutsch. chem. Gesellsch., Bd. 14, S. 2150 u. 2508, und Bd. 15 S. 695 (unsere Erwiderung). 3) Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. XVII, Heft 2. 4) Nach Wurster sollen geringe Mengen H,O, im lebenden Protoplasma erzeugt werden; allein diese Mengen können mit den gewöhnlichen Reagentien nieht mehr aufgefunden werden, sondern nur mit seinem neuen Reagens, dem Tetramethylparaphenylendiamin. Doch möchte die Blaufärbung dieses Körpers wohl noch mit vielen andern Stoffen unter gewissen Bedingungen er- halten werden, Loew und Bokormy, Bestandteile des protoplasmatischen Eiweißes. 5 die weitern Versuche stets wieder gezeigt, dass nach dem heutigen Standpunkt der Wissenschaft lediglich Aldehydgruppen in betracht kommen können. Dafür spricht einmal die Thatsache, dass die so große Empfindlichkeit gegen alkalische Silberlösung bei anders konstituierten in Pflanzen vorkommenden Stoffen nieht wieder ge- funden wird; ferner die wichtige Thatsache, dass diejenigen Stoffe, welche sich dureh die Eigenschaft auszeiehnen, selbst noch bei großer Verdünnung auf Aldehydgruppen einzuwirken, sich auch als intensive allgemeine Gifte für das lebende Protoplasma erweisen. So ver- hält es sich mit Hydroxylamin und Phenylhydrazin. 0. Loew prüfte die Wirkung des Hydroxylamins (NH,ON) auf lebendes Protoplasma der verschiedensten Art!), weil grade dieser Stoff sehr energisch mit Aldehyden reagiert, wie Vietor Meyer ge- zeigt hat. Nachdem V. Meyer und E Schulze schon vorher bei Versuchen an Keimlingen über die Verwendbarkeit des NH,OH als Stickstoffquelle zu dem Resultat gekommen waren, dass dieselben in schwefelsaures Hydroxylamin enthaltenden Nährlösungen sehr rasch absterben, fand ©. Loew, dass das Hydroxylamin ein Gift in des Wortes allgemeinster Bedeutung ist. Keimlinge gehen in sehr ver- ddünnten Lösungen desselben (1:15000) bald zugrunde; gute pepton- haltige Nährlösungen bleiben vollständig klar und frei von Bakterien trotz wiederholter Infektion, wenn sie 0,01 °/, salzsaures Hydroxylamin enthalten; für Sprosshefe ist freies Hydroxylamin ein heftiges Gift; Diatomeen, Infusorien und niedere Wassertiere stellen bald ihre Be- wegungen ein und gehen zugrunde, wenn der Flüssigkeit, in der sie sich befinden, geringe Mengen eines Hydroxylaminsalzes zugesetzt werden. Sogar in einer Verdünnung von 1:100000 übt Hydroxylamin einen schädlichen Einfluss auf Diatomeen aus, während Stryehnin in derselben Verdünnung keine giftige Wirkung mehr hat. Cyanursäure und Pyridin können im Vergleich mit Hydroxylamin kaum Gifte ge- nannt werden. „Man kann wohl sagen, es wird in seinem leßens- feindlichen Charakter von keiner einzigen andern Substanz erreicht, geschweige denn übertroffen“. Dem Hydroxylamin analog wirkt Phenylhydrazin, welches nach E. Fischer auch bei großen Verdünnungen mit allen Aldehyden Reaktionen gibt. Durch die eminente und allgemeine Giftigkeit dieser beiden Stoffe ist ein weiterer Beweis für die Aldehydnatur des protoplasmatischen Eiweißes erbracht. Sie lässt sich am besten erklären, wenn man die Existenz der Aldehydgruppen im Eiweiß anerkennt; indem Hydro- xylamin und Phenylhydrazin in die Aldehydgruppen des aktiven Albumins eingreifen, erfolgt der Tod. 1) Ueber die Giftwirkung des Hydroxylamins, Pflüger’s Archiv, Bd. 35, Seite 517. bh Loew und Bokomy, Bestandteile des protoplasmatischen Eiweißes. Eine weitere für die Aldehydtheorie sprechende Thatsache ist die, dass Basen mit primär gebundenem Stickstoff eeteris paribus schädlieher sind als solehe mit sekundär gebundenem, und diese wie- der schädlicher als solehe mit tertiär gebundenem!). „Amarin ist giftig, das isomere Hydrobenzamid nicht. Piperidin und Pyrrol sind giftiger als Pyridin (Pyridin und Hydrobenzamid haben tertiär, Amarin, Piperidin und Pyrrol sekundär gebundenen Stiekstoff)“. Nach der Aldehydtheorie erklärt sich das insofern, als Basen mit primär ge- bundenem Stickstoff leichter in die Aldehydgruppen des aktiven Albu- mins eingreifen als solehe mit sekundär gebundenem ete. Endlich dürfte noch als Beweis für die aldehydartige Beschaffen- heit des protoplasmatischen Eiweißes angesehen werden die Thatsache, dass sich aus lebendem Protoplasma bei Einwirkung geringster Mengen von basischen Stoffen wie Ammoniak, kohlensaurem Ammoniak, Kali, organischen Basen wie Aethylamin, Diäthylamin, Stryehnin ete. Körnehen von Albumin mit eminentem Silberabscheidungsvermögen ausscheiden). Ist das protoplasmatische Eiweiß ein Stoff von aldehyd- artiger Beschaffenheit, so erklärt sich diese Thatsache einfach dahin, dass dasselbe unter dem Einfluss genannter Stoffe sich polymerisiert (verdichtet) und zugleich aus einem gequollenen in einen wasserärmern Zustand übergeht. Dass Aldehyde durch geringfügige äußere Ursachen solche Veränderungen erleiden, ist ja in der organischen Chemie seit lange bekannt. Wohl zu beachten ist, dass diese Körnehen sich nicht bilden, wenn das Protoplasma zuvor getötet,. das Eiweiß somit umgelagert wird. Die ausgeschiedenen Körnehen sind viel resistenter als das ur- sprüngliche protoplasmatische Eiweiß und bewahren ihr Reduktions- vermögen oft ziemlich lange Zeit. Daraus erklärt sich zugleich die sonst ungereimt erscheinende Thatsache, dass durch Strychnin, ver- dünntes Ammoniak und andere Basen getötete Spirogyren noch Silber- abscheidung bewirken?). Durch den Einfluss dieser Basen scheidet sich das protoplasmatische Eiweiß in Körnchen aus, welche die che- mische Natur des aktiven Albumins längere Zeit bewahren; sie sind die Ursache der nun noch erfolgenden Reduktion ®). 1) °. Loew, Pflüger’s Archiv, Bd. 40, S. 439. 2) Th. Bokorny in Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. XVII, -Heft 2. 3) Durch längere Einwirkung von Ammoniak werden jene Körnchen noch weiter verändert. Siehe OÖ. Loew in Pflüger’s Arch., Bd. 31, S. 117. 4) Auf diese Körnchenbildung ist auch die Erscheinung zurückzuführen, dass die Reaktion mit alkalischer Silberlösung 1 :100000 noch weiter geht, wenn die betreffenden Zellen durch den Einfluss dieser Lösung bereits abgestorben sind. Das Reagens enthält eben Basen (Ammoniak und Kali), welche die erwähnte Körnchenausscheidung bewirken. Eine Zelle kann tot sein infolge bloßer Störung ihrer Strukturverhältnisse (ihres gröbern Aufbaues) und dabei in den Molekülen des protoplasmatischen Eiweißes noch die ursprüngliche Atomlage- rung besitzen. Loew und Bokorny, Bestardteile des protoplasmatischen Eiweißes. % Detmer hat in allerjüngster Zeit die Silberabscheidung durch lebendes Protoplasma unter Anerkennung der Aldehydnatur des redu- zierenden Stoffes in einer von der unseren abweichenden Weise er- klärt!). Er sagt: „meiner Meinung nach kommt die Schwarzfärbung des Protoplasmas solcher Zellen, die in lebensthätigem Zustande mit den Silberlösungen in Kontakt geraten, wesentlich dadurch zu stande, dass die stiekstofffreien aldehydartigen Körper, welche neben Amido- säuren und Säureamiden infolge der Zersetzung der lebendigen Eiweiß- moleküle entstehen, reduzierend auf das Silbersalz einwirken. Tote Eiweißmoleküle sind ohne einen solchen Einfluss auf die Silberlösung, weil sie sich nieht in der Weise wie die lebendigen Eiweißmoleküle zersetzen“. Zu dieser Deutung ist zunächst die Frage zu stellen, welches denn der durch gedachte Zersetzung entstehende aldehyd- artige Körper sei. Ferner ist entgegenzuhalten, dass dieses Zer- setzungsprodukt in gewaltigen Mengen vorhanden sein müsste. In dem von Loew untersachten Falle, wo das abgeschiedene Silber 29,7°/, der Trockensubstanz betrug, müsste das gesamte aktive Albumin in Zersetzung sich befunden haben (unsere Schrift S. 86). Womit haben dann die betreffenden, sehr gesund aussehenden Algen ihre Lebensthätigkeiten ausgeführt ? Endlich wäre noch dem Einwand zu begegnen, dass die be- schriebene Reaktion nicht die gedachte allgemeine Bedeutung habe, weil viele pflanzliche und tierische Objekte die Reaktion nicht geben. Die Erklärung hiefür ergibt sich von selbst, wenn man das Verhalten gewisser höher organisierter Zellen gegen Silberlösung im ersten Moment der Einwirkung beobachtet?). Solche Zellen (wie die der Sphaeroplea annulina) zeigen eine fast augenblickliche Veränderung ihrer sichtbaren Struktur, sterben also in dem Reagens augenblick- lich ab. Auch Körnchenbildung tritt in solehen Objekten nicht ein; es wird also nicht wie bei Spirogyren®?) ein Teil des protoplasmati- schen Eiweißes in Körnehen ausgeschieden, die das Reduktionsver- mögen längere Zeit zu bewahren vermögen. In solchen Fällen erfolgt offenbar die chemische Umlagerung des aktiven Eiweißes zu rasch, als dass Polymerisation möglich wäre. Manche Objekte (Bierhefe) können durch besondere Verhältnisse so resistent werden, dass sie die Silberreaktion geben, die sie sonst nicht zeigen®). So ist denn durch weitere Studien unserseits die Wahrheit unserer ursprünglichen Behauptungen bezüglich des lebenden Proto- plasmas erhärtet und allen bisherigen Einwänden gegenüber aufrecht 4) Das pflanzenphysiologische Praktikum. Jena 1858. S. 75. 2) Siehe unsere Schrift S. 59. 3) Bei Spirogyren unterbleibt die Körmchenausscheidung ebenfalls, wenn sie durch irgend welche Einflüsse (ungünstige Ermährung ete.) sehr sensibel geworden sind. 4) 0. Loew, Pflüger’s Archiv, Bd. 35, S. 515. Ss Haacke, Ueber die Entstehung des Säugetiers. erhalten worden. Das lebende Protoplasma (resp. das Eiweiß des- selben) ist chemisch verschieden von dem toten; die chemische Ver- schiedenheit beruht höchst wahrscheinlich auf dem Vorhandensein von Aldehydgruppen im Molekül des lebenden protoplasmatischen Eiweißes. Ueber die Entstehung des Säugetiers. Von Wilhelm Haacke in Jena. 18 Das allgemeine und weit über die zoologischen Fachkreise hinaus- reichende Aufsehen, welches die am 2. September 1884 in Adelaide und Montreal gemachten Veröffentlichungen über eierlegende Säuge- tiere erregt haben, ist sicherlich dem Umstande zuzuschreiben, dass fast jedermann — bewusst oder unbewusst — durch die Entdeckung der Oviparität von Echidna und Ornithorhynchus ein helles Licht auf die Urgeschiehte des Säugetierstammes geworfen sah. Ebenso weit- reichend wie diese Entdeckung ist aber, wie wir sehen werden, die mit der Entdeekung der Oviparität von Echiana verknüpfte Auffin- dung eines zur Aufnahme der gelegten Eier dienenden Brutbeutels, über welchen vor meinen Veröffentlichungen !) nichts bekannt war. 1) 1. Vortrag und Demonstration in der Sitzung der Royal Society of South Australia am 2. Sept. 1884; vergl. die Berichte darüber in: a) The South Australian Advertiser, Sept. 4, 1884; b) The South Australian Register, Sept. 5, 1884; c) Transactions and Proceedings and Report of the Royal Society of South Australia, Vol. VII (for 1883—84), Adelaide 1885, Sitzungsbericht vom 2. September 1884. 2. Letter to the Editor in: The South Australian Register, Sept. 6, 1884. 3. Vortrag und Demonstration in der Sitzung der Royal Society of South Australia am 7. Oktober 1884. Vergl. den betreffenden Bericht in den unter 1, ce angegebenen Transactions. 4. „Meine Entdeckung des Eier- legens der Echidna hystrix“. Zool Anz., Nr. 182, 1884. 5. „On the Marsupial Ovum, the Mamary Pouch, and the Male Milk Glands of Echidna hystriw“, Proe. of the Royal Society. Nr. 235. London 1885 6. „Ueber den Brutbeutel der Echidna*. Zool. Anz., Nr. 229, 1886. 7 Vortrag und Demonstration in der Zool. Sektion der 59. Versammlung deutscher Aerzte und Naturforscher zu Berlin. Sept. 1886. 8. „Eierlegende Säugetiere“. Mit 2 Abbildungen. „Hum- boldt“, Juni 1887. — In dem letzgenannten Artikel habe ich eine aus einem missverstandenen Berichte einer australischen Zeitung entnommene falsche Angabe über Caldwell gemacht, wonach derselbe beobachtet haben sollte, dass die Jungen von Ornithorkynchus bald nach der Ablegung der Eier den- selben entschlüpfen. Wie Caldwell in seinem kürzlich in den Philosophieal Transactions, Vol. 178, 1887, erschienenen schönen und bedeutenden Artikel über „Ihe Embryology of Monotremata and Marsupialia“ mitteilt, entspricht das ge- legte Ei des Ornithorhynchus vielmehr einem Hühnerei nach 36 stündiger Bebrü- tung. — Uebrigens muss ich gegenüber der mir unbegreiflichen Angabe Cald- well’s (l. e. S. 469), wonach ich nur die Schale eines Echidna -Eies ge- funden hätte, auf meine frühern Publikationen verweisen. Wer dieselben kennt, wird wissen, dass ich im Brutbeutel einer lebenden Echidna ein aller- Haacke, Ueber die Entstehung des Säugetiers. 9) Sie hat mir Anlass gegeben, den Umständen nachzuforschen, welche für die Entstehung des Säugetiers aus einem amphibio-reptilienar- tigen Vorfahren verantwortlich zu machen sind. Eine Umschau auf den Gebieten der Geologie, Paläontologie, Geo- graphie und Oekologie ergibt den Satz, dass zu allen phylogenetischen Umbildungen Veränderungen auf unserem Planeten den Anstoß gegeben haben. Wie Suess sagt, können wir uns leicht davon überzeugen, dass keine Veränderung der Tierwelt eines Landes stattgefunden hat ohne eime Veränderung des Landes selbst, ohne eine stratigraphiseh erkennbare Episode seiner Geschichte. Demgemäß ist die Frage ge- boten, welche Veränderungen auf unserer Erde zur Umbildung nie- derer Wirbeltiere in Säugetiere geführt haben mögen. Wollen wir diese Frage beantworten, so müssen wir uns zunächst zwei Umstände ins Gelächtnis zurückrufen, die beiden Umstände, dass die Säugetiere Warmblüter sind, und dass die ältesten bekannten Ueberreste aus- gestorbener Säuger triadischen Schichten angehören. Warmblüter lieferte die natürliche Zuchtwahl höchst wahr- scheinlich in einem von reptilien- und amphibienartigen Tieren be- wohnten Lande zu einer Zeit, als dessen Klima eine durch kalte Winter und kühle Sommer bedingte erhebliche und schnell zunehmende Abkühlung erfuhr. Wie die gegenwärtige geographische Verbreitung und die Lebensweise der Kriechtiere und Lurche aufs überzeugendste zeigen, können solche Tiere in Ländern mit kühlem Klima nur schlecht gedeihen. Kühlte sieh also vor der Zeit der Säugetiere in einem von dings, wie ich nicht verschwiegen habe, innerlich teilweise zersetztes Ei mit flüssigem Inhalt und pergamentartiger, vollständiger Schale, die erst unter dem Drucke meiner Finger barst, gefunden und aus diesem Befunde, wie ich es ja gar nicht anders komite, die Oviparität von Echidna gefolgert habe. Auch diese meine Folgerung lässt Caldwell ganz unerwähnt, obwohl er die die Fortpflanzung der Monotremen betreffenden vagen Vermutungen früherer Forscher in großer Vollständigkeit wiedergibt. Caldwell gibt in den 2'/, Zeilen, in welchen er mich mit einer Erwähnung beehrt, an, dass die Schale, welche ich gefunden hätte, das Ueberbleibsel eines verfaulten Eies gewesen wäre. Dem gegenüber muss ich mir die Frage ge- statten, wie ich hätte wissen können, dass das Ei verfault war, wenn ich nur eine Eischale gefunden hätte. Meine Angaben über die Beschaffenheit der Ei- schale und die Dimensionen des Eies von Echidna ignoriert Caldwell voll- ständig. Angesichts dessen, was Caldwell über meine Endeekungen von Echidna sagt und verschweigt, und mit Rücksicht auf das Entgegenkommen, das ich Caldwell in meinen frühern Publikationen durch weitläufige Erwäh- nung bewiesen habe, muss ich nunmehr gegen meinen Willen zum ersten mal die Priorität der Entdeekung, dass es eierlegende Säugetiere gibt, nachdrücklichst für mieh in Anspruch nehmen und hiermit konstatieren, dass ich unzweifelhaft der erste ge- wesen bin, der aufgrund unanfeehtbarer Befunde am 2. Sep- tember 1884 ausgesprochen hat, dass Echidna ovipar ist, dass es somit eierlegende Säugetiere gibt. 10 Haacke, Ueber die Entstehung des Säugetiers. niedern Wirbeltieren bewohnten Lande das Klima beträchtlich ab, so mussten sich diese Tiere entweder auf dem Wege der Naturaus- lese zu Warmblttern entwickeln, oder sei es auswandern, falls solches möglich war, sei es untergehen. Denn es ist nicht einzusehen, warum bei sich gleich bleibendem oder wärmer werdendem Klima aus Kalt- blütern Warmblüter entstehen sollten; dagegen ist es leicht begreif- lich, dass bei kälter werdendem Klima eine hohe, von äußern Ein- flüssen ziemlich unabhängige Bluttemperatur sehr wesentliche Vorteile für ihre Besitzer mit sich bringen musste. Nur Tiere mit eigen- warmem Blute sind, wie die heutige geographische Verbreitung und Lebensweise der Säugetiere und Vögel lehrt, befähigt, lang andauern- der Kälte erfolgreich zu trotzen. Zeitweilig bedeutend abgekühlt ist aber das Klima größerer oder kleinerer Länderstreeken zu verschie- denen Malen gewesen und zwar während jener Vergletscherungen, die an verschiedenen Stellen der Erde unzweideutige Spuren hinterlassen haben. Eine vielleicht nur lokale, vielleicht auch große Landmassen beherrschende Eiszeit wahrscheinlich war es, infolge und während welcher sich die Säugetiere entwickelten aus Vorfahren, welche als Zwischenformen zwischen Reptilien und Amphibien zu betrachten sind. Die ersten Säugetiere finden wir in der Trias. Demnach ist die Entstehung der Säuger vielleieht zurückzuführen auf jene Eiszeit, welche der Triaszeit voranging und in das Ende der Primärzeit fiel, und über welehe Wallace in seinem „Island Life“ !) das Wichtigste zusammengestellt hat. Neben einer ärmlichen Flora und Fauna finden wir in der per- mischen Formation unzweideutige Anzeichen einer mehr oder minder ausgedehnten Vergletscherung auf der nördlichen Erdhalbkugel. Die Konglomerate des untern Perm von West-England bergen eine Menge verschiedenartiger großer und schwerer Felsblöcke, die oft kantig und eckig, oft aber auch teilweise abgerundet und mit po- lierten und geritzten, durch Gletschersehliff entstandenen Flächen ver- sehen sind. Diese Felsstücke sind ohne Ordnung gebettet in einen ungeschichteten Mergel, und manche derselben lassen sich auf an- stehendes Gestein in den 20 bis 50 englische Meilen weit entfernten Gebirgen von Wales zurückverfolgen. Auch die permischen Schiehten von Irland und Schottland enthalten Betten von Felstrümmern, deren Existenz, Lagerung und Beschaffenheit nur durch die zuerst von Ramsay als notwendig bezeielnete Annahme einer permischen Eiszeit erklärt werden können, eine Erklärung, welehe durch keinen geringern als Sir Charles Lyell als die einzig mögliche bezeichnet wor- den ist. Da die Schiehten, welche die ältesten bekannten Säugetiere bergen, immerhin sehon eine beträchtliche Weile nach der Zeit des Perm ab- gelagert wurden, die Entstehung von Warmblütern aber in eine Zeit 1) London 1880. S. 193. Haacke, Ueber die Entstehung des Säugetiers. el mit kaltem Klima fallen musste, so ist mit einiger Sicherheit anzu- nehmen, dass. jene permische Eiszeit die Erzeugerin der Säugetiere gewesen ist, wenn es auch nicht ausgeschlossen erscheint, dass die- selben schon infolge einer frühern Eiszeit oder, falls die permische Eiszeit nur eine lokale war, in einer andern Gegend der Erde ent- standen sind. Der erste Schritt zur Entwicklung des Säugetiers aus Vorfahren, die zwischen Amphibien und Reptilien, in anbetracht der Eibeschaffenheit der Monotremen aber wohl näher den Reptilien zu stellen sind, war die Erwerbung eigner Blutwärme seitens dieser Vorfahren. Dieser erste Schritt zwang die ältesten Warm- blüter in der Ahnenreihe des Säugetiers zur Erwerbung eines schlecht wärmeleitenden und deshalb warmhaltenden Haarkleides, dessen Entstehung durch Naturzüchtung wahrscheinlich mit der Erwärmung des Blutes nahezu Hand in Hand ging, wie wir aus der niedrigen Bluttemperatur von Echidna, welche schon ein echtes Haartier ist, schließen dürfen. Eigenwarmes Blut konnte nur dann von erheb- lichem Vorteile für seine Besitzer sein, wenn dieselben gleichfalls ein schützendes Kleid besaßen, das die Wärmeabgabe an die Außenwelt thunlichst einschränkte. Mit dem Haarkleide mussten aber auch Talgdrüsen zur Einfettung der ohne dieselbe den Einflüssen der Feuchtigkeit in zu hohem Grade ausgesetzten Haare, mit der hohen Bluttemperatur und dem warmhaltenden Kleide Schweißdrüsen zur Regulierung der Körperwärme erworben werden, so dass wir den Stammvater der Säugetiere als einen Warmblüter ansprechen müssen, dessen Körperwärme durch ein mit dem Sekret von Talgdrüsen ein- gefettetes und auf diese Weise vor erkältender Nässe geschütztes Haarkleid über eine untere, durch die Verdunstung des Sekrets von Schweißdrüsen unter einer obern Grenztemperatur gehalten wurde. Aus der Oviparität der Monotremen und der Beschaffenheit ihrer großdotterigen mit einer resistenten äußern Schaale versehenen Eier, sowie aus dem Umstande, dass fast alle Reptilien ähnliche Eier legen, müssen wir weiterhin schließen, dass auch dieses Urhaartier solche Eier legte. Aus der Thatsache der äußerst geringen Verbreitung einer Brutpflege bei Kriechtieren und Lurchen ergibt sich ferner mit sroßer Wahrscheinlichkeit, dass auch noch bei den unmittelbaren Vorfahren des Urhaartiers keine Brutpflege zu finden war. Erst dieses letztere dürfte seine Eier bebrütet haben, denn erst bei ihm, nicht aber schon bei seinen Vorfahren wogen die Vorteile einer solchen Bebrütung die damit verknüpften Umständlichkeiten reichlich auf. Wenn, wie wir zu zeigen versucht haben, die Entstehung des Urhaar- tiers in eine Zeit mit kühlem Klima fiel, dieses Tier aber eigenwarmes Blut besaß, so musste eine Bebrütung seiner Eier von beträchtlichem Vorteil für die Erhaltung seines Stammes sein; die natürliche Zucht- 12 Haacke, Ueber die Entstehung des Säugetiers, wahl sorgte deshalb für die Ausbildung dieser Eigenschaft, die somit gleichfalls auf die permische Eiszeit zurückgeführt ist. Fig. 1. Unterseite einer weiblichen Behidna mit Brutbeutel; die Haarbüschel in des Seitenfalten des Brutbeutels bezeichnen die Oeffinungen der Mammardrüsen. Aber das Brutgeschäft blieb immerhin ein umständliches Ding für einen Warmblüter, dessen gegenüber dem seiner kaltblütigen Vor- fahren beschleunigter Stoffwechsel regelmäßige Nahrungsaufnahme, die durch das Brutgeschäft gestört werden musste, erheischte; dieses (Geschäft musste um so umständlicher sein für ein Wesen, das, wie wir aus dem Fehlen von Amphibien - und Reptilien- und der Seltenheit von Säugetierchen schließen können, sich keiner anhaltenden Gatten- Haacke, Ueber die Entstehung des Säugetiers. 15 liebe zu erfreuen, also selbst für seine Nahrung zu sorgen hatte. Es war deshalb von großem Vorteil für dasselbe, eine Einrichtung zu Fig. 2. Rückseite des von starken Hautmuskeln umgebenen Brutbeutels von Echidna, in welchen sich die Mammardrüsen ergießen. erwerben, welche es ihm ermöglichte, die der Bebrütung bedürftigen gelegten Eier stets bei sich zu tragen. Eine solche Einrichtung wurde gegeben durch die Entwicklung einer Hautfalte an seinem Bauche zu einem zur Bergung der Eier tauglichen Brutbeutel, wie wir ihn noch heute in ursprünglichster Form bei Zehidna antreffen. Dieser bis jetzt nur von mir beschriebene und auf Fig. 1 u. 2 abgebil- dete wichtige Brutbeutel der weiblichen Zehidna, der nicht zu ver- 14 Haacke, Ueber die Entstehung des Säugetiers. wechseln ist mit zwei schon vorher von Owen an einem Spiritus- exemplar beschriebenen, von Gegenbaur als Mammartaschen ge- deuteten, halbkreisförmigen kleinen Einfaltungen, in welche sich die Mammardrüsen öffneten, verdient eine nähere Betrachtung, zumal bei gegenwärtiger Gelegenheit. Er ist tief und weit genug, um eine Herrenuhr aufzunehmen; mit seinem Grunde ist er gegen das hintere Körperende des Tiers gerichtet. Nach vorn läuft er allmählieh in zwei seichte Hautfalten aus, in welchen sich je ein Mammardrüsen- feld, gekennzeichnet durch ein Büschel kurzer, diehtstehender Haare, befindet. Der den Brutbeutel bildende Teil der Bauchhaut ist dünner als der übrige Teil derselben, und es fehlen an ihm die starken Mus- keln, welehe zum Zusammenkugeln des Tiers dienen. In diesen Beutel wird das zu bebrütende Ei, welches regelmäßig nur in der Einzahl gelegt zu werden scheint, gebracht, und zur Zeit der Bebrütung des Eies weist der Beutel nach R. v. Lendenfeld’s!) Untersuchungen eine über die allgemeine Körperwärme erhöhte Temperatur auf. Ist das Junge ausgebrütet, so nimmt mit seinerwachsenden Körpergröße auch die Weite des Beutels zu ?); jedoch wird der letztere wieder rückgebildet, sobald das Junge sieh von der Mutter trennt, denn weib- liche Echidnen ohne Eier und Junge besitzen keinen Brutbeutel. Was die Owen-Gegenbaur’schen „Mammartaschen“ anlangt, so sind dieselben meiner Ansicht nach als Reste des an dem Owen’schen Exemplare durch die Einwirkung von Alkohol verstriehenen Brut- beutels zu betrachten. Sichere Aufschlüsse über das Vorhandensein oder Fehlen unabhängig vom Brutbeutel persistierender Mammar- taschen lassen sich nur an einer Reihe von lebenden, ehloroformierten weiblichen Eehidnen gewinnen und sind wohl am ehesten von Cald- well zu erwarten, welchem reichliche Zeit und sehr bedeutende Geld- mittel zur Erwerbung vieler Hunderte von Echidnen zugebote standen. Mit der durch die Befunde über die Oviparität und den Brut- beutel von Echidna sicher begründeten Erkenntnis, dass der Besitz von Brutbeutel und Beutelknochen eine sehr alte Errungenschaft der Urhaartiere ist, ist nunmehr auch das nahezu durchgehende Vorhan- densein eines Brutbeutels in der Säugetierabteilung, die von ihm ihren Namen hat, erklärt. Die Beuteltiere oder Marsupialien haben ihren Brutbeutel von den Urhaartieren ererbt. Es ist kein Beu- teltier bekannt, dessen Brutbeutel nicht von einem solchen, wie wir ihn bei Eehidna antreffen, hergeleitet werden kann. Man mag immer- hin die Gruppe der Beutler als eine vielstämmige ansehen: Der Brutbeutel der Marsupialien stammt in allen Fällen von dem Brut- beutel der Urhaartiere ab und ist nicht erst, wie Paul?) meint, „in 1) Vergl. Zool. Anzeiger, 1386. 2) Vergl. Haacke, „Ueber den Brutbeutel der Echidna*, Zool. Anz. 1886. 3) Hermann Paul, Ueber Hautanpassung der Säugetiere. Inaug.-Diss. Jena 1884. 8. 65. Haacke, Ueber die Entstehung des Säugetiers. 15 jeder natürlichen Gruppe der Didelphien selbständig entstanden.“ Der Beutel der Didelphien lässt sich auch nieht, wie andere wollten, aus der Trockenheit des australischen Klimas erklären. Auch in dem Treibhausklima Neuguineas und den Urwäldern Brasiliens leben Beu- teltiere, und dieselben waren früher über die ganze Erde verbreitet: wir können doch wohl kaum annehmen, dass das Klima der Erde zur Zeit der weitesten Verbreitung der Beutler überall ausnehmend trocken gewesen ist. Außerdem aber findet die Existenz von Säuge- tieren erst ihre Erklärung durch die frühere Existenz von Haartieren mit Brutbeuteln, denn durchaus im dunkeln über die Entstehung säu- gender Tiere würden wir ohne die Entdeckung eines Brutbeutels bei Echidna geblieben sein. Es ist nicht recht einzusehen, wie die als majorenne Tiere der Eischale entschlüpfenden Jungen beutelloser Vorfahren der Säugetiere dazu hätten kommen sollen, längere Zeit bei ihrer Mutter zu ver- harren und am trocknen Bauch derselben herumzulecken. Anders musste es sein, wenn die Vorfahren der Säugetiere einen Brutbeutel zur Zeitigung ihrer Eier besaßen. Wie ein Junges der australischen Stummelechse (Trachydosaurus asper), das unmittelbar nach seiner Geburt seine nassen Embryonalhäute und den Rest seines Dotters verschlang, mich gelehrt hat, können junge Reptilien schon gleich nach der Geburt Hunger und Durst empfinden und zu stillen suchen. Reptilienartig inbezug auf die Nahrungsaufnahme waren aber auch die im Brutbeutel gebornen Jungen der Urhaartiere. Ist es darum, da sie ohnehin schon der Wärme wegen gerne längere Zeit im Brut- beutel geblieben sein werden, zu verwundern, wenn diese Jungen das von ihnen vorgefundene Sekret der Hautdrüsen des Brutbeutels, das hier nicht so schnell verdunsten konnte wie am übrigen Körper und sich besonders in den engen seitlichen Falten des Brutbeutels an- sammeln musste, aufleckten? Thaten sie aber solches, so ist die Entstehung von Mammardrüsen und ihre Lokalisation an bestimmten Körperstellen erklärt. Gegenbaur hat schon die hier gegebene Er- klärung als die allein verständliche bezeichnet: „Die Funktion dieser Drüsen ist aber nur beim Bestehen einer Mammartasche verständlich.“ „Man sollte denken, dass zuerst eine Stelle des Integumentes zur Bergung des Jungen, resp. des gelegten Eies, sich auszubilden hat, bevor der Drüsenapparat an der Brutpflege teilnimmt und eine dem- gemäße Ausbildung in Anpassung an die neue Funktion empfängt“). Für „Mammartasche“ hätte Gegenbaur freilich Brutbeutel sagen sollen, denn nur ein weiter Brutbeutel, nieht eme enge Mammar- tasche konnte das Brutgeschäft besorgen. Die Jungen der Urhaartiere haben besonders Schweiß geleckt, wie aus Gegenbaur’s Befunde an den Mammarorganen der Mono- 153 1) Carl & egen baur, Zur Kenntnis der Mammarorgane der Monotremen, Leipzig 1886. 16 Haacke, Ueber die Entstehung des Säugetiers. tremen hervorgeht. In denselben funktionieren als Mammardrüsen umgebildete Schweißdrüsen, welchen die Hauptaufgabe bei der Ernährung der Jungen zufällt. Da aber die Milehdrüsen der übrigen Säuger Homologa von Talgdrüsen sind, müssen wir annehmen, dass später, vielleicht infolge des Säugens, in den Mammarapparaten des Ursäugers die Talgdrüsen, welche, ähnlich wie heute bei den Monotremen, zwischen den Schweißdrüsen zerstreut lagen, das Ueber- &ewicht über die Schweißdrüsen erlangten. Schon bei Kehidna haben die Talgdrüsen des Mammarorgans eine bedeutende Größe. Bei den heutigen Monotremen haben noch die Schweiß-, bei den iibrigen Säu- gern die zu echten Milchdrüsen umgestalteten Talgdrüsen besondere, beziehungsweise ausschließliche Bedeutung für die Ernährung der Jungen. Dass bei den Ursäugern zunächst Schweißdrüsen an der Ernährung der neugebornen Jungen sich beteiligten, wäre auch ohne Gegenbaur’s Untersuchungen zu vermuten gewesen, denn das Sekret der Schweißdrüsen ist weit flüssiger als das der Talgdrüsen und musste deshalb eher dazu gelangen aufgeleckt zu werden. Gegen- baur verdient deshalb unsern besondern Dank für seine wichtigen Untersuchungen, deren Ergebnis ein höchst willkommenes war. Ich kann jedoch Gegenbaur nicht beistimmen, wenn er meint, dass dureh das letztere die Trennung der Monotremen von den übrigen Säugern schärfer begründbar werde. Grade durch den Bau ihrer Mammarorgane dokumentieren sich die Monotremen als wenig ver- änderte Nachkommen der Ursäuger. Erst dadurch, dass sich die Jungen der letztern daran gewöhnten Schweiß zu lecken, dass sie somit den Anstoß gaben zur Umgestaltung eines Haufens Schweiß- drüsen zu einem Mammarorgan, erlangten auch die zwischen diesen Schweißdrüsen verteilten Talgdrüsen eine Bedeutung für die Ernährung der Jungen; diese Bedeutung wuchs allmählich und wurde im Stamm der Beutel- und Plazentaltiere, die wir als echte Milehtiere zu- sammenfassen können, eine ausschließliche. Wenn somit auch die zur Ernährung der Jungen bei Milchtieren und Monotremen dienenden Drüsen nicht homolog — diphyletischen Ursprungs, wenn man will — sind, so kann sich doch der ganze Mammarapparat der Säugetiere, auch wenn die letztern vielstämmigen Ursprungs sind, sehr wohl überall auf gleiche Weise entwickelt haben. Den Anstoß zur Ent- stehung dieses Apparats und damit der Säugetiere gab aber der Brutbeutel der eierlegenden, warmblütigen Urhaartiere der permischen Eiszeit. Ueber die Entstehung des Brutbeutels selbst und über die Vorstellung, die wir uns von der Körpergestalt seiner ältesten Besitzer zu machen haben, wird eine Reihe demnächst folgender Betrachtungen uns belehren. Boveri, Richtungskörper bei Ascaris megalocephala und A. lumbricoides. 4X Theod. Boveri, Zellen-Studien. Heft 1. Die Bildung der Richtungskörper bei Ascaris megalocephala und Ascaris lumbricoides. Mit 4 lithogr. Tafeln. 1887. Das Ei des Pferdespulwurms, dem schon eine ganze Reihe von Beobachtern ihre speziell Aufmerksamkeit gewidmet haben, scheint immer mehr in Aufnahme zu kommen, so dass sich ein von Prof. E. v. Beneden 1883 ausgesprochenes Wort bestätigt, durch welches dieser Forscher seiner Ueberzeugung von der Trefflichkeit des ge- nannten Objekts Ausdruck gab. Je suis convaineu — so lautet die bezügliche Stelle bei v. Beneden'!) — que les oeufs de ce n@ma- tode deviendront bientöt l’objet celassique pour l’etude et la demon- stration qui se rattachent A la fecondation. Die vorliegende Arbeit Boveri’s bildet den 1. Teil einer Serie von Arbeiten über den Bau und das Leben der tierischen Zelle, zu deren Ausführung der Verfasser durch Prof. Richard Hertwig in München angeregt wurde. Wer mit den großen Schwierigkeiten, welche die schonungsvolle Härtung und Färbung der Ascaris- Eier darbietet, durch eigne Erfahrung vertraut geworden ist, der wird beurteilen können, dass die Boveri’schen Abbildungen von großer Naturtreue und frei von allem Schematismus sind. Nicht minder großes Lob verdient die exakte Beschreibung der einzelnen Stadien im Text und die kritische Beleuchtung dessen, was die bisherigen Untersucher über das nämliche Objekt festgestellt haben. Insbesondere beschäftigt sich Boveri mit den einschlägigen Abhandlungen E. v. Be- neden’s und J. B. Carnoy’s. In einer Nachschrift erfolgt auch noch die kurze Besprechung einer unlängst erschienenen Abhandlung des Referenten, welche über die Befruchtungserscheinungen am As- caris-Ei handelt. Einen unschätzbar großen Dienst hat Boveri allen künftigen Beobachtern des Pferdespulwurm-Eies dadurch erwiesen, dass er das Vorkommen von zweierlei Arten von Eiern bei der in Rede stehenden Nematoden - Species feststellte. Die eine Eisorte, welche kurzweg als „Lypus v. Beneden“ bezeichnet wird, unterscheidet sich von der andern, welche den Carnoy’schen Untersuchungen zu grunde liegt, dadurch: dass sie nur ein einziges chromatisches Element enthält, während die andere (Typus Carnoy) deren zwei besitzt. Hierdurch klären sich viele Differenzen in den Abbildungen und in der Be- schreibung der verschiedenen Autoren auf, so dass hiermit ein sicherer Weg zur gegenseitigen Verständigung aufgefunden ist. In bündigster Beweisführung (und mit beständigem Hinweis auf die entsprechenden Eistadien) wird von Boveri gezeigt, dass die VII, 2 ui IS Boveri, Richtungskörper bei Ascaris megalocephala und A. lumbricoides. , o© I 1 cephala sowohl als auch bei A. Zumbricoides eine echte mitotische Teilung ist und keine Pseudokaryokinese, für welche v. Beneden diesen Vorgang erklärt, weil derselbe — seiner Ansicht zufolge — nicht parallel zur Längsaxe der achromatischen Richtungs- spindel, sondern rechtwinkelig auf dieselbe sieh vollzieht. Ref. kann dieses Ergebnis Boveri’s als vollkommen Jichtig bestätigen und sich nur darüber verwundern, dass einem so geübten und scharfsinnigen Beobachter, wie v. Beneden es anerkanntermaßen ist, der wahre Sachverhalt verborgen bleiben konnte. Am Schlusse seiner Abhandlung (S. 77) fasst Boveri die auf die Riehtungskörperbildung bezüglichen Thatsachen, welche sich an A. megalocephala und A. lumbricoides ergeben haben, kurz wie folgt zusammen: 1) Bei beiden Arten findet eine Wanderung der Tochter- elemente zu den Polen der Richtungsfigur statt; es entstehen echte Tochterplatten. 2) Die Spindel wird zwar vor der Teilung verkleinert, aber sie verschwindet nicht. 3) Die vorhandenen chromatischen Ele- mente werden bei der Bildung eines jeden Richtungskörpers halbiert; die Hälfte eines jeden bleibt im Ei, die andere Hälfte geht in den Richtungskörper. 4) Stets finden sich in jedem der beiden Riehtungs- körper grade so viel Elemente, als im Moment seiner Bildung im Ei vorhanden waren. Denn die Bildung der Richtungskörper ist stets an eine Halbierung der Elemente geknüpft, jede Hälfte ist von nun an ein ganzes Element (Tochter-Element) zu zählen. 5) Von den chromatischen Elementen des Keimbläschens werden nicht drei Viertel ausgestoßen, sondern von einem jeden der Elemente wird die Hälfte im ersten, von den zurückbleibenden abermals die Hälfte im zweiten Riehtungskörper entfernt. Der Eikern enthält also noch ebenso viele Elemente wie das Keimbläschen, nur ist jedes auf ein Viertel seines ursprünglichen Volumens reduziert. 6) Die zwischen den Tochter- platten auftretende Faserung ist nichts von der alten Figur Unab- hängiges; sie ist vielmehr das Nämliche, was wir von jeder Karyo- kinese unter dem Namen der „Verbindungsfasern“ kennen. Durch die beigegebenen Figurentafeln werden diese Thesen in überzeugender Weise fundiert, und es dürfte somit keinem Zweifel mehr unterliegen, dass Prof. v. Beneden im Irrtum ist, wenn er bei der Behauptung verharrt, dass wir es in der Bildung und Ausstoßung der Richtungskörper mit einem pseudomitotischen Vorgange zu thun haben. In einer spätern Arbeit gedenkt Boveri auch den Befruchtungs- akt, wie er sich am Ei von A. megalocephala darstellt, speziell zu behandeln. Man darf auf die Resultate, welche der Verfasser der vorliegenden Zellenstudien seinerzeit vorlegen wird, mit Recht ge- spannt sein, denn bekanntlich handelt es sich gegenwärtig um die endgiltige Entscheidung der sehr wichtigen Frage, ob die innige Versehmelzung der Elemente männlicher und weiblicher Tarchanoff u. Kolesnikoff, Albuminat d. Hühnereies als Substrat für Bakterien. 19 Provenienz zum Wesen des Befruchtungsaktes gehört oder nieht. Prof. v. Beneden behauptet (ef. „Biolog. Centralblatt“ Nr. 21 Bd. VII) das letztere und stellt die Notwendigkeit einer Fusion der Pronuclei bei A. megalocephala vollständig in Abrede. Was sich gegen diese Ansicht vorbringen lässt, hat Referent kürzlich an an- derer Stelle ausführlich erörtert (ef. „Anatom. Anzeiger“, Nr. 26, 1887). Wie man sieht, dreht es sich dabei um die von Oskar Hert- wig aufgestellte Befruchtungstheorie, deren Giltigkeit erschüttert sein würde, wenn es sich (im Gegensatz zu meinen eignen Befunden) wirklich herausstellen sollte, dass der Lütticher Forscher mit seiner Ansicht recht hätte. Dr. Boveri scheint sich, wie aus einer frühern Aeußerung hervorgeht (Sitzungsber. der Gesellschaft f. Morphol. u. Physiologie in München, 1887. 3. Mai) der Meinung v. Beneden’s anzuschließen und die Verschmelzung der Pronuclei für unwesentlich bei der Befruchtung zu halten. Dr. 0. Zacharias (Hirschberg i./Schl.). Ueber die Anwendung des alkalischen Albuminats des Hühner- eies als durchsichtiges Substrat für Bakterienzüchtung. Von Prof. J. Tarchanoff und Dr. Kolessnikoff. Aus dem bakteriologischen Laboratorium des pathologisch - anatomischen Instituts der militär-medizinischen Akademie zu St. Petersburg. Das Eiweiß des Hühnereies hat seit lange her in der Bakterio- logie als nährendes Substrat zur Züchtung verschiedener Formen von Bakterien Anwendung gefunden; so verwandte es z.B. Koch in rohem Zustande zur Züchtuug des Baecillus Anthracis. Bis jetzt jedoch hat man das Eiweiß in flüssigem, rohem, nicht sterilisiertem Zustande angewendet, und nur selten wurde dasselbe in gekochtem, geronnenem Zustande gebraucht, in welchem es einen gewissen Grad von fester Konsistenz und Undurchsichtigkeit annimmt. Ferner ist bekannt, dass bei der Züchtung von Bakterien außer dem chemischen Bestande des Nährsubstrates, d. h. dem Vorhandensein einer genügenden Menge von Salzen und Albuminat, noch zwei wichtige Eigenschaften erfor- derliceh sind, nämlich ein entsprechender Grad von Durchsichtigkeit nach dreimaliger Sterilisierung bei hober Temperatur und der er- wünschte Grad von Diehtigkeit, m Verbindung mit der Fähigkeit, nach dem Kochen flüssige oder feste Konsistenz, unter dem Einflusse von mehr oder weniger bedeutender Verdünnung durch Wasser, anzu- nehmen. Die genannten Eigenschaften besitzt, wie aus den von uns angestellten Versuchen hervorgeht, das von einem von uns entdeckte Alkali- Albuminat des Hühnereies!). Eine Reihe von Versuchen, die wir mit dem glasartigen Alkali- Albuminat des Hühnereies, bei Anwendung desselben zur Züchtung 1) Prof. Tarehanoff, Archiv f. d. ges. Physiologie, Bd. XXXIX. I Er 30) Tarchanoff u. Kolesnikoff, Albuminatd. Hühnereies als Substrat für Bakterien, von pathogenen Bakterien, angestellt haben, führte uns zu folgenden Ergebnissen: Frische Hühnereier wurden mitsamt der Schale einer vorherigen Bearbeitung durch 5—10°/, Kali- oder Natronhydratlösung im Ver- laufe von 2—4 Tagen bis 2 Wochen unterworfen. Nach Entfernung der Eier aus der alkalischen Lösung wurden die Eier im Wasser durchgespült und darauf die Schale entfernt, wobei es sich heraus- stellte, dass das Eiweiß sich nach einer bis 4 Tage dauernden Bear- beitung in flüssigem, gelatinösem, durchsichtigem Zustande mit scharf ausgeprägtem alkalischem Charakter befand; bei einer 5 Tage bis 2 Wochen dauernden Periode der Bearbeitung nahm das Eiweiß schon in rohem Zustande eine festere, gelatinartige Konsistenz und ein durch- sichtig-gelbliches Aussehen an. Das auf diese Weise erhaltene Alkali- Albuminat des Hühnereies wurde im Koch’schen Dampfapparat bei 105° C. sterilisiert und in drei je nach der Festigkeit der Konsistenz verschiedenen Formen zur Züchtung angewandt, und zwar in flüssigem Zustande in der Art von Bouillon, in syrupartigem Zustande in der Art von 3—10°/, Gelatine und schließlich in festem Zustande in der Art von 1°/, Agar-agar. Zur Erhaltung von diesen verschiedenen Konsistenzen des Nähr- substrates wurde das Alkali-Albuminat des Hühnereies folgender Bearbeitung unterworfen. 1) Zur Zubereitung der Bouillon wurde 10prozentige wässrige Alkali- Albuminatlösung (der 4tägigen Periode) in ein Kölbchen ge- gossen und innerhalb 3 Tagen im Koch’schen Apparat sterilisiert. Hierauf wurde die Bouillon in Probierzylinder oder Pasteur’sche Retorten (matras) verteilt und von neuem sterilisiert. 2) Zur Er- haltung der syrupartigen, gelatinösen sterilisierten Masse wurde das Alkali- Albuminat (der 4tägigen Periode) zur Hälfte durch Wasser verdünnt, in Probierzylinder verteilt und dreimal nach der gewöhn- lichen Weise sterilisiert. 3) Endlich gelangte das Alkali- Albuminat im festen Zustande sowohl sterilisiert, als auch nicht sterilisiert bei der Züchtung in Gebrauch. Im erstern Falle wurde fluktuierendes Alkali- Albuminat (der 4tägigen Periode) in Probierzylinder verteilt und bei 105° ©. mehrere Minuten lang bis zu einer Stunde, einmal oder wiederholt im Laufe von 3 Tagen sterilisiert, wobei das einmal gegen 15 Minuten gekochte Albuminat gewöhnlich gerann und weil, opaleszierend und durchsichtig blieb; dagegen nahm es bei wiederholter und anhaltenderer Sterilisation eine festere Konsistenz und gelbliche OÖrangefärbung an. Im andern Falle wurde das durchsichtige Alkali-Albuminat von roher, fester Konsistenz (von der 2wöchent- lichen Periode) mittels eines sterilisierten Messers in Scheiben ge- schnitten, auf Uhrgläser oder Glasplatten verteilt und der Einwirkung einer feuchten Kammer ausgesetzt. Manchmal wurden einzelne Schei- Tarchanoff u. Kolesnikoff, Albuminat d. Hühnereies als Substrat für Bakterien. 2] - ben des Alkali-Albuminats, in zwei Uhrgläser eingeschlossen, gleich- falls im Koch’schen Apparat sterilisiert. Alle drei Abstufungen des Nährsubstrates aus dem alkalischen Albuminate des Hühnereies, von der flüssigen bis zur festen Kon- sistenz, fanden jedesmal bei den Untersuchungen über den Entwick- lungsgang der einzelnen Mikrobenarten Verwendung. Bis jetzt haben wir in dem oben beschriebenen Nährsubstrate folgende Arten von pathogenen Bakterien kultiviert: 1) den Baeillus Anthracis; 2) den Bacillus der Cholera nostras (Finkler Prior); 3) den Kommabaeillus von Koch; 4) den Bacillus tuberculosis; 5) den Ba- cillus mallei von Löffler-Schütz. Von nicht pathogenen: 6) den Ba- cillus subtilis; 7) den Micrococeus prodigiosus; 8) die Sarcina flava; 9) die orange Sarcina; 10) den Micrococcus ruber von Flügge. Aufgrund von oben erwähnten Versuchen, die mit den eben ge- genannten Mikroben angestellt waren, sind wir zu folgenden Schlüssen gelangt. 1) Der Bacillus Anthracis entwickelt sich in der Bouillon, wie gewöhnlich bei T° 37°, ziemlich schnell, so dass am folgenden Tage nach der Anpflanzung eines Tropfen Blutes oder einer sowohl die Fäden als auch die Sporen des Bacillus Anthraeis enthaltenden Kultur, inmitten des halbflüssigen und vollkommen durchsichtigen Albuminates weißliche, ziemlich zarte Flocken, welche an einen in Flüssigkeit ge- tauchten Wattefloeken erinnern, bemerklich waren. Beim Schütteln der Kultur zerfallen die Fäden nicht leicht; sie behalten ziemlich lange das Aussehen eines losen, zarten Floekens inmitten der durch- sichtigen Bouillon. In der syrupartigen gelatinösen Masse des Alkali- Albuminates des Hühnereies entwickelte sich der Bacillus Anthracis ebenso gut wie im ersten Falle, in Form von Flocken, welche sich bei mikroskopischer Untersuchung als aus mit Sporen versehenen Fäden bestehend erwiesen, jedoch mit dem Unterschiede, dass hier das Wachstum ein wenig langsamer — im Laufe von 2—3 Tagen — und ausschließlich im Gebiete des Anpflanzungspunktes, mit schichten- weiser, von oben nach unten stattfindender Verdünnung des Substrates, vor sich ging. Auf festen Scheiben des alkalischen Hühnerei-Albuminats nahm die Entwicklung des Bacillus Anthracis einen noch langsamern Fort- gang, so dass man nach Verlauf von 4 Tagen auf der trocknen Ober- fläche der Anpflanzung eine dünne weißliche, unter dem Mikroskope in Fäden und Sporen zerfallende Haut unterscheiden konnte. In an- dern Fällen verdünnte sich das feste Albuminat allmählich in Form einer kelchartigen Vertiefung, welche sich später so sehr erweiterte, dass die verdünnte durchsichtige Schicht des Substrates durch einen weißlichen flockigen Bodensatz von dem tiefer liegenden festen, durch- sichtigen Albuminate scharf abgegrenzt war. Die zu Kontrolzwecken an Kaninchen und Meerschweinchen angewandte Einimpfung aller 9) Tarehanoff u. Kolesnikoff, Albuminat.d. Hühnereiesals Substrat für Bakterien. Arten der erhaltenen Kulturen des Baeillus Anthracis hat die typische Form des Anthrax hervorgerufen. 2) Der Bacillus der Cholera nostras und der Kommabaeillus von Koch entwickelten sich mit Leichtigkeit im flüssigen Substrate, in der Bouillon, und schon am folgenden Tage war in den Probierzylindern eine gleichmäßige Trübung so weit bemerkbar, dass das Substrat seine Durchsichtigkeit einbüßte. Im syrupartigen und festen Albuminat gaben sowohl die eine als auch die andere Form der Baeillen solche Kul- turen, welche nach den äußern Umrissen und dem Entwicklungsgange nichts Charakteristisches darboten; sie erinnerten nicht an die Form eines Sackes oder eines Trichters, wie das gewöhnlich bei Gelatin- Kulturen der Fall ist; doch machte sich der Unterschied wahrnehm- bar, dass der Baeillus Cholerae asiaticae sich in allen Fällen langsamer als die Finkler’schen Kommata entwickelte, wobei jedesmal die Verdünnung des Albuminats vom Punkte des Nadelstiches aus all- mählich nach außen und in die tiefern Schichten vor sich ging. 3) Hinsichtlich des Daeillus tubereulosis und des Bacillus mallei beschränkten wir uns bei den Untersuchungen einstweilen auf Substrate von fester Konsistenz. So entwickelte sich der Bacillus tuberculosis in mit alkalischem Albuminat, welches durch sein Aussehen und seine Konsistenz an geronnenes Blutserum erinnerte, gefüllten Probierzylin- dern in Form von dünnen, weißlich-grauen Häuten und ein wenig sekrümmten Streifen, während der Bacillus mallei auf dem Anpflan- zungspunkte in Form eines Streifens und kleiner, gelblich - orange gefärbter Inseln aufwuchs. 4) Unter den nicht pathogenen Bakterien erinnerte der Baeillus subtilis durch die Art seiner Entwicklung in der flüssigen und festen Form des Albuminats an das Wachstum des Bacillus Anthracis, je- doch mit dem Unterschiede, dass er sich an der Oberfläche der Bouillon in Form einer häutigen, dünnen, weißlichen Membran, nicht aber in Form von Flocken entwickelte. Im festen Albuminat dagegen ging während des Wachstums des Baecillus subtilis die Vermehrung all- mählich und schichtenweise von oben nach unten vor sich. 5) Endlich entwickelte sich aus der Zahl der nicht pathogenen Bakterien der Micrococcus prodigiosus, Micrococcus ruber von Flügge, Sareina flava und Sarcina orange auf festem Substrate an der Ober- fläche des Alkali- Albuminats des Hühnereies, ohne dasselbe zu ver- dünnen, bei gleicher Entwicklungsweise wie im Agar-agar, indem sie ihre charakteristische Färbung beibehielten, und zwar der Miero- coccus prodigiosus karminrot, der Micrococcus ruber rot, die Sareina Slava gelb, Sarceina orange orangefarben. Der Gang ihrer Entwicklung im flüssigen Albuminat ist noch nicht genügend festgestellt. Hinsichtlich des Wachstums anderer Formen von Mikroben im Alkali-Albuminat des Hühnereies sind unsere Untersuchungen noch nicht zu Ende geführt und werden seinerzeit zur Veröffentlichung gelangen. Guppy, Zur Bildung von Koralleninseln. 25 748) Aufgrund der oben erwähnten Experimente geht hervor, dass die Anwendung des Alkali-Albuminats des Hühnereies in drei verschie- denen Varianten — in flüssiger, gallertartiger und durchsichtiger, fester Form — viel einfacher ist, als die Verwendung der Gelatine, des Agar-agar, ja sogar des Blutserums, welche insgesamt eine sehr mühselige Zubereitung, speziell für diese Zwecke konstruierte Ap- parate und besondere Sorgfalt bei der Sterilisierung erfordern. Hin- gegen wird das alkalische Albumimat des Hühnereies unter gewöhn- lichen Umständen gewonnen, einfach in kochendem Wasser sterilisiert und dient als nicht minder passendes Material bei der Bakterien- züchtung. Guppy, Zur Bildung von Koralleninseln. Ein kürzlich in London erschienenes Buch !) behandelt die Gruppe der Salomon-Inseln von versehiedenen Gesichtspunkten aus. Das- selbe rührt von dem ehemaligen Marine-Arzte Herrn Guppy her. Es liefert unter anderem einen Beitrag zu der Theorie über die Bil- dung von Korallenriffen und Koralleninseln, und zwar — wie die Mehrzahl der neuesten solehen Beobachtungen — in einem Sinne, welcher der von Charles Darwin aufgestellten und seinerzeit an- scheinend so glücklich begründeten Anschauung über die Bildung der Atolle und Barrieren-Riffe unmittelbar entgegengesetzt ist. Darwin war bekanntlich zu dem Ergebnisse gelangt, dass Atolle nur in Gebieten der Senkung sich befänden, dass sie nur entstehen könnten unter lange andauernder Mitwirkung von Senkungen des Meeresgrundes. Guppy dagegen spricht seine feste Ueberzeugung dahin aus, dass alle die von ihm im Gebiete der Salomon - Inseln beobachteten Korallenbildungen, ob nun Atolle, Barrieren - oder Küsten- riffe, in einem Gebiete der Hebung entstanden sind. Im allge- meinen schließt sieh Guppy den Ansichten von Murray über die Bildungsweise der Korallenriffe an; im besondern aber kommt Guppy zu einem Schlusse, welcher die allerälteste Atollen-Theorie wieder in den Vordergrund rückt, so weit diese Theorien überhaupt auf irgend welcher logischen Grundlage beruhen: wir meinen die von Chamisso herrührende Anschauungsweise, dass Atolle vermutlich auf untermeerischen vulkanischen Gipfen und Erhebungen sich bildeten. Ehe wir zu den Ausführungen des Herrn Guppy im ein- zelnen übergehen, sei bemerkt, dass seine Beschreibungen durch klare Einfachheit überzeugend wirken, so dass man sich gegen die von dem Verfasser gezogenen Schlüsse kaum ablehnend verhalten kann. In dem erwähnten Buche ist der geologische Aufbau der Salo- mon-Inseln nur in allgemeinen Zügen entworfen; denn, wie seine Auf- 1) The Solomon Islands: their Geology, General Features, and Suitability for Colonization. By H. B. Guppy, M. B., F. G. 8., late Surgeon R. N. (London: Swan Sonnenschein, Lowrey, and Co., 1887.) 34 Guppy, Zur Bildung von Koralleninseln. De schrift besagt, verfolgt dasselbe außer naturwissenschaftlicher Be- schreibung dieser Inseln auch andere Zwecke, und für die Geologie bleibt darin nur ein verhältnismäßig kleiner Raum. In den Abhand- lungen der „Royal Society of Edinburgh“ findet man eingehendere Arbeiten von Herrn Guppy über die an dieser Stelle für uns wich- tigen Punkte; aber auch an der Hand des genannten Buches allein erfährt man genug über den Aufbau der Inseln, um sich ein klares allgemeines Bild derselben zu machen. Die Inseln, so weit dieselben einer Untersuchung von außen her genügend zugänglich sind, lassen sich in zwei Gruppen zerlegen: in solche aus vulkanischem und solche aus Kalk-Gestein. Die von Herrn Guppy angelegten Sammlungen von Gesteinsproben sind ebenso wie die Tierversteinerungen und sonstigen tierischen Bildungen durch hervorragende englische Fachmänner (Prof. Judd, Mr. T. Da- vies, Mr. John Murray u. a. m.) durchgesehen und untersucht worden. Die vulkanischen Inseln der Salomon-Gruppe zerfallen auch für sich in zwei Abteilungen. Die erste derselben umfasst die Inseln von vergleichsweise neuerer Bildung, welche hauptsächlich aus Augit- Andesiten und Tuffen bestehen; sie lassen noch jetzt von außen die Vulkan-Form erkennen, und mitunter legen sie Zeugnis ab von vul- kanischer Thätigkeit in neuerer Zeit dadurch, dass sie in deutliche Krater auslaufen, in denen noch Fumarolen thätig oder heiße Quellen zu finden sind. Die zweite Abteilung besteht aus Inseln, welche nur zum Teil aus den bei der ersten Abteilung genannten Gesteinen aufgebaut sind; im übrigen sind in ihnen viel ältere krystallinische Massengesteine zu finden, hauptsächlich Dolerite, Quarz -Diorite, Por- phyre, Serpentine. Manche der vulkanischen Inseln zweiter Abteilung zeigen eine außerordentliche Mannigfaltigkeit in ihrem petrographi- schen Charakter, wofür Guppy als interessantes Beispiel die Insel Fauno in genauer Beschreibung mit einer geologischen Karte uns vorführt. Das nördliche Ende dieser Insel wird von einem jäh auf- steigenden Bergstock eingenommen, aufgebaut aus andesitischem Tuff, welcher von einer Höhe von 1900 Fuß steil zu einem Isthmus von 150 Fuß Höhe abfällt. Dieser Isthmus besteht aus Hornblende-Augit- Andesit und führt zu einer sichelförmigen Halbinsel, die ihrerseits aus einer Reihe aufeinander folgender Hügel mit niedrigen Felsstreifen dazwischen zusammengesetzt ist. Die geologischen Bausteine in dieser Landsichel sind abwechselnd nacheinander Dolerite, Quarz - Porphyre, Quarz- Andesite, Hornblende- Andesite und wiederum Dolerite. Diese Gesteinsarten, frei von der Beimischung von Tuffen, nehmen jede für sich die ganze Breite der Halbinsel ein: eine Reihe kleiner Vulkane, in halbmondförmiger Anordnung sich erhebend und jeder für sich eine charakteristische Lava auswerfend, stiegen allmählich immer höher empor und gelangten so miteinander in Verbindung. Schnelle Guppy, Zur Bildung von Koralleninseln. 25 Verwitterung und Abschwemmung, Denudation, die Folge der starken Regenfälle jener Gegend, verwischten die für Vulkane bezeichnenden Umrisse und machten aus einer Kette von Bergspitzen eine Reihe von Landengen in geschlossenem Zusammenhang. Vor allem aber beschäftigen uns in Guppy’s Buch seine Unter- suchungen der Kalkablagerungen in der Salomon-Gruppe. Guppy teilt diese Art von Gesteinen und Ablagerungen folgendermaßen ein: 1) Korallen-Kalksteine im eigentlichen Sinne. 2) Korallen-Kalksteine, bestehend aus Korallenschlamm und Korallensand, an die heutigen in der Nähe befindlichen Korallenriffe erinnernd. Hier sind drei Unterabteilungen auseinanderzuhalten, nämlich a) krystallinischer Kalkstein, in welchem Korallen eine un- tergeordnete Rolle spielen und vielmehr Ueberreste von Kalkalgen und von Mollusken vorherrschen, b) kreidige Kalksteine, e) homogene Kalksteine von gelblichbrauner Farbe, oft krystalliniseh. 3) Mischgesteine, bestehend aus vulkanischem Schlamm und Pteropoden-Kalkstein, nebenbei zahlreich Foraminiferen ent- haltend. Diese Gesteinsgruppe ist einzuteilen in a) teilweise erhärtete vulkanische Schlamme, b) teilweise erhärteter Pteropoden - Schlamm, c) harte Kalksteine. 4) Foraminiferen-Kalksteine, oder festgewordener „Globi- gerinen-Schlamm“. Hier sind zu unterscheiden a) Gesteine, haupt- sächlich gebildet aus Schalen von gleicherweise pelagischen und solehen Foraminiferen, die am Meeresgrunde leben, b) Gesteine mit vorherrschend pelagischen Foraminiferen. 5) Roter Thon: Gesteine, welehe erhärtetem Tiefsee- Thon gleichen. Die beiden letztgenannten Gesteinsgruppen wurden sicherlich in Tiefen von nicht weniger als 2000 Faden abgelagert, und zwar in einem von Kontinenten fern gelegenen Meere; ihr Vorhandensein oberhalb des Meeresniveaus ist hier zum ersten mal nachgewiesen. Aus den oben aufgezählten Thatsachen, festgestellt dureh die Untersuchung der Korallengebilde der Salomon-Gruppe, zieht Guppy folgende Schlüsse, die wir hier in seinen eignen Worten wiederholen: „Erstens einmal ist es klar, dass diese erhobenen Riffmassen — ob nun Atoll, Barrierenriff oder Küstenriff — in einem Hebungs- gebiete gebildet wurden. — — — Es leuchtet ein, dass Dar- win’s Theorie über die Korallenriffe, welche die Entstehung von Atollen und Barrieren-Riffen einer Senkungsbewegung zuschreibt, nieht auf die Gruppe der Salomon-Inseln angewendet werden kann.“ „Der zweite Schluss ist der, dass solche erhobene Riffe von mäßiger Dieke sind, dass ihr vertikaler Durchmesser nicht über die gewöhnliche Grenze der Tiefe der Riffkorallen-Zone hinausgehen kann. — — — Ich fand niemals eines, das eine größere Dicke des Korallen-Kalksteines als 150 Fuß, oder an der Außenseite 200 Fuß zeigte.“ 26 Schieß, Uebertragung erworbener Eigenschaften. „Der dritte Schluss ist, dass diese erhobenen Riffmassen bei der Mehrzahl der [hier in Rede stehenden] Inseln aufruhen auf einer teilweise erhärteten Ablagerung, welche die Eigenschaften der „vul- kanischen Schlamme“ besitzt, die bei der Challenger -Expedition um vulkanische Inseln herum in Bildung begriffen gefunden wurden.“ „Der vierte Schluss endlich ist, dass eine solche Ablagerung ehemals im Meere eingetauchte vulkanische Gipfel einhüllt.“ Guppy fügt hinzu, dass seine Beobachtungen ihn zu einem festen Anhänger der Theorie gemacht haben, welche Murray über die Ent- stehung von Koralleninseln aufstellte. — Zum allerwenigsten hat er klar bewiesen, dass Darwin’s Korallentheorie nieht zutrifft für die Korallenriffe der Salomon-Inseln. Und da die Erfahrungen und Beobachtungen, welche die letzten Jahre überhaupt über Ko- ralleninseln uns gebracht haben, zum bei weitem größten Teile das für die Darwin’schen Ansichten gleich ungünstige Ergebnis hatten, so gelangt man zu der Anschauung, dass dieselben in manchen Fällen vielleicht zutreffend sein können; denn das Gegenteil davon, dass sie nämlich niemals und nirgends zuträfen, ist noch nicht bewiesen. Aber als Theorie im allgemeinen sind diese Ansichten — einst so schön begründet und so klar ausgeführt, dass sie im Sturmschritt die Welt eroberten und die Geologen aller Nationen ihnen zujubelten — in ihren Grundfesten erschüttert. idn. Uebertragung erworbener Eigenschaften. Brief an den Herausgeber. Hochgeehrter Herr! Erlauben Sie in der Diskussion über Mög- lichkeit der Uebertragung erworbener Eigenschaften auch einem Ophthalmologen das Wort. Wenn ein solcher die Behauptung aufstellen hört, dass es unmög- lich sei, erworbene pathologische Veränderungen zu übertragen, so ist ihm ein soleher Satz beinahe unverständlich. Die ganze Lehre von der Myopie beruht auf der Erfahrung, dass kurzsichtige Eltern sehr häufig kurzsichtige Kinder haben und so sehr ist diese Ueberzeugung verbreitet, dass Arlt in seiner kleinen Schrift über die Kurzsichtigkeit es als eine besondere Leistung be- trachtet, dass er den Nachweis liefern kann, dass nicht alle Myopen kurzsichtige Eltern besitzen. Mauthner ging sogar so weit, zu be- haupten, dass überhaupt nur Augen kurzsichtig werden können, die eine angeborne Disposition hiezu haben. Ich habe in letzter Zeit aus meinen Privatjournalen und den Journalen der ophthalmologischen Klinik in Basel 300 Fälle von Myopien der Reihenfolge nach durch einen meiner Schüler'), Herrn I) Hermann Straumann, Ueber ophthalmoskopischen Befund aus Hereditätsverhältnissen bei Myopie. Waldenburg bei J. B. Diehl. 1887. Schieß, Uebertragung erworbener Eigenschaften. 37 Dr. Straumann zusammen stellen lassen und die Fälle auch zum Studium der Hereditäts-Frage benützt. Wir sind dabei zu folgenden Resultaten gelangt. In 144 der 300 Fällen von Myopie war Heredität vorhanden. Herr Straumann stellte in seiner Dissertation S. 34 folgende Tabelle auf: Prozent der Anzahl Prozent aller Heredität. En | hereditär = der Fälle. Bölasioten, | Myopen. Beide Eltern | 15 10.42 5,84 Vater | 50 34,72 19,45 Mutter | 38 26,39 14,76 (eschwister & oder | Verwandte | 41 | 28,47 15,95 | | 444 | 100 %, | 569%, Die Angaben über Heredität stammen von den Patienten selbst, insofern sie solehe zu geben vermochten, sonst von den sie begleiten- den Verwandten oder Bekannten. Der Begriff der Heredität wurde im weitern Sinne angenommen, so dass eben nieht nur kurzsichtige Eltern, sondern auch kurzsichtige Großeltern, Onkeln und Tanten be- rücksiehtigt wurden. Die Tabelle zeigt deutlich, dass 56°/, aller Myopen unter hereditärer Belastung entstanden sind. Man kann des Weiteren nachweisen, dass die Heredität auch auf den Grad der Myopie einen Einfluss Wat; es stellte sich nämlich heraus, dass im allgemeinen die hereditätbelasteten Individuen auch die hochgradig myopischen waren. So zeigten z. B. die mittlern Grade der Myopie von 2-5 Dioptrien eine Differenz von 10 Prozent zu Ungunsten der hereditär Belasteten. Es wird also nicht nur ein hereditär Belasteter leichter myopisch, wenn er der Schädlichkeit der Nahearbeit ausge- setzt ist, sondern er wird auch stärker myopisch als der nicht Belastete. Dass also eine Uebertragung stattfindet in direkter und indirekter Reihe, darüber kann wohl kein Zweifel sein. In welchem Fall der Einfluss der Erbliehkeit größer ist, wenn Vater oder Mutter oder beide Eltern kurzsichtig waren, konnte nicht ermittelt werden. Nun könnte aber der Einwurf erhoben werden, dass die Myopie kein erworbener Zustand sei und also bei der Frage der Uebertrag- barkeit erworbener Zustände nicht erörtert werden dürfe. Wir haben aber in der gleichen Arbeit nachgewiesen, dass auch heute noch die Myopie entsteht, d. h. dass sie bei Leuten erworben wird, bei denen man sich nicht etwa hinter eine „angeborne Dispo- 98 Schieß, Uebertragung erworbener Eigenschaften. sition“ flüchten kann. Wir sind nämlich grade für die Entscheidung dieser Frage hier in Basel in einer besonders günstigen Lage. Ins hiesige Missionshaus kommen im Alter von 17—20 Jahren junge Leute aus ländlichen Familien, Ackerbauer, Weingärtner ete., kurz aus Familien, bei denen keine Myopie bestanden hat und also jeder erbliche Einfluss ausgeschlossen werden kann. Viele von diesen jungen Leuten, die in wenigen Jahren ein sehr großes Wissensmaterial assi- milieren müssen, werden kurzsichtig. Die gleichen Ursachen, die aber heutzutage den Menschen kurz- sichtig machen, haben ihn ja ohne Zweifel auch seit Jahrhunderten die Myopie erwerben lassen; nur sind vor der allgemeinen Schulpflicht und vor der ungeheuren Ausbreitung der Industrie viel weniger Menschen den betreffenden Schädlichkeiten ausgesetzt gewesen, als heute. Man wird also wohl zugeben müssen, dass die Myopie ein er- worbener Zustand ist. Man weiß übrigens ja auch, dass noch heut- zutage unter Nomaden und Fischervölkern sehr wenig Myopie vor- kommt. Ein kurzsichtiges Nomaden- oder Fischervolk lässt sich ja gar nicht denken. Erst durch eine höhere allgemein verbreitete Kultur sind die Menschen kurzsichtig geworden. Diese erworbene Myopie wird nun leider auch auf die Kinder übertragen. Erst wenn die früh- zeitige, unpassende und übertriebene Nahearbeit allgemein und erheb- lich beschränkt wird, können wir auch hoffen, dass die Anzahl der Myopen wieder abnimmt. Ich fasse den Begriff der Erblichkeit in der Weise auf, dass damit nicht immer etwas absolut Zwingendes für die künftigen Ge- schlechter gegeben ist, Bekanntlich kann Heredität entstehen und ver- schwinden. Ich kenne Familien, wo Vater und Mutter hochgradig kurz- sichtig sind und unter den erwachsenden Kindern Myopen, Emmetropen und Hypermetropen sich finden. Wenn sich nichtkurzsichtige Glieder einer solchen Familie mehrere Geschlechter hindurch mit Hypermetropen und Emimetropen verheiraten, so kann aus einer solchen Familie die Kurzsichtigkeit verschwinden. Sie sehen aus meinen Argumenten, dass die ophthalmologische Welt so fest von der Uebertragbarkeit der Myopie überzeugt ist, dass es sogar einige Mühe kostet, sie davon zu überreden, dass diese hereditäre Belastung nicht ein kategorischer Imperativ ist. Sofern statistische Erhebungen im Stande sind, die Vererbung erworbener Krankheiten zu beweisen, ist bezüglich einer Uebertragbarkeit der Myopie wohl kein Zweifel gestattet. Hochachtungsvollst Basel. H. Schiess, Professor. Peter, Ueber die Jugendzustände einiger Süßwasseralgen. 39 Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in München. Sitzung vom 17. Mai 1887. Dr. Peter: Ueber dieJugendzustände einiger Süßwasseralgen. Es ist dem Vortragenden geglückt, über den Zusammenhang einiger Gattungen unserer einheimischen Süßwasser-Florideen unter einander Sicherheit zu erlangen, und zwar dahin, dass die eine Gattung aus Jugendformen anderer Genera ge- bildet wird. Batrachospermum moniliforme entwickelt bei der Keimung der Sporen zuerst einen durch Vertlechtung von verästelten Zellfäden entstehenden tlächenartigen Ueberzug auf der Unterlage, von welchem sich dann konserven- artig-verzweigte Chantransien erheben, die sich durch vegetativ erzeugte Sporalen vermehren, bis endlich. einzelne heteromorphe Aeste derselben zur Quirlbildung schreiten und das endgiltige Batrachospermum darstellen, an welchem die Geschlechtsorgane entwickelt werden. Die beobachteten Chan- transien bilden eine eigentümliche Art von großen, blasenförmigen, endlich durch parallele Wände 5—4 zelligen Organen, welche äußerlich den Tetra- sporangien mancher andern Florideen ähnlich sind, jedoch keine Sporen, sondern sofort durch Sprossung büschelig gestellte Chantransia-Aeste erzeugen. Vor- tragender glaubt darauf hinweisen zu dürfen, dass diese Organe vielleicht vege- tativ gewordene Tetrasporangien bedeuten. — Auch Lemanea fluviatilis geht aus einem Jugendstadium hervor, welches einer Chantransia entspricht. — Dem- nach ist Chantransia aus der Reihe der selbständigen Gattungen zu streichen, und ihre bisherigen Arten sind als unvollkommene Entwiecklungszustände bei den höhern Formen zu behandeln. — Prof. Hertwig fragt den Vortragenden, ob die von ihm geschilderten verschiedenen Jugendzustände unter verschiedenen Existenzbedingungen oder als eine Art Generationswechsel vorkommen. — Dr. Peter erwidert, dass die verschiedenen Formen sowohl nacheinander als gleichzeitig gefunden werden; äußere Existenzbedingungen konnten für dieselben nicht verantwortlich gemacht werden, es scheine viehnehr eine Art Entwicklungs- trieb in der Pflanze selbst vorzuliegen. Sitzung vom 7. Juni 1887. Dr. Schwink: Ueber die Gastrula bei Amphibieneiern. Seit Be- gründung der Gastraea-Theorie dureh Häckel drehten sich alle einschlägigen Arbeiten um die Frage, woher der Entoblast stamme. Götte lässt die Dotter- zellenmasse sich gar nicht beteiligen an der Bildung der Keimblätter; Balfour nimmt sie dafür in Anspruch, doch ist das Hereinwachsen der dorsalen Mesen- teronwandung unzweifelhaft teilweise eine wahre Invagination von Epiblastzellen. Einen ähnlichen Standpunkt vertritt O, Hertwig, der bei Rana als Beweis des Ursprungs des Chorda-Entoblasts aus animalen Zellen ihren Pigmentgehalt angiebt. Bellonci gesteht den Dotterzellen keinen Anteil zu, Gasser sagt, dass nur sie den Entoblast bilden. Untersucht wurden Bufo vulgaris, Rana temporaria und Triton alpestris, von denen Bufo das beste, Rana das ungün- stigste Untersuchungs-Object darstellt. Die Behandlung der Eier geschah nach den von Hertwig mitgeteilten Methoden. Am Schlusse des Blastula-Stadiums findet man bei Bufo vulgaris am vegetativen Pol unter den Dotterzellen ganz große (3—4 mal des Normalen) Zellen mit mehr als 1 Kern. Auch die Dotter- 30 Schwink, Ueber die Gastrula bei Amphibieneiern: zellen führen Pigment und zwar um den Kern gruppiert; am meisten alısge- zeichnet damit ist eine von außen gegen die Keimhöhle vordringende Zellreihe, der entsprechend später die Gastrulation verläuft. Diese Pigmentzellenstraße verhält sich gleich dem Protoplasmazellenlager von Stricker, Romiti und 3ellonei. Die erste Einsenkung bei Beginn der Gastrulation liegt bereits nur im Bereiche der Dotterzellenmasse. Die Zellen strecken sich hier gut um das Doppelte ihrer sonstigen Länge, werden flaschen- bis zylinderförmig, und das entschieden vermehrte Pigment rückt an das nach außen gerichtete Ende, das sich zur Bildung der Entoblastzellen abschnüren wird. Um diese Zeit sind an der spätern Stelle des ventralen Blastoporusrandes nur Dotterzellen und noch weit hinauf ebenfalls, d. h. auch die Bildung animaler Zellen setzt hier später ein als am dorsalen Rande. Vom Boden der Keimhöhle rücken längliche Dotterzellen längs des Daches nach oben und bleiben hier (wie auch Stricker gefunden), um sich nun an Ort und Stelle zu differenzieren. Wenn der dorsale Spalt bis in die Höhe des ehemaligen Bodens der Keimhöhle gelangt ist, wird seine dorsale Wand bereits von kleinern Zellen ausgekleidet, die durch Ver- gleich aufeinanderfolgender Stadien als nur aus Dotterzellen differenziert ange- sprochen werden können; schon difterenzierte animale Zellen wandern also nicht um den Lippenrand nach innen. Während dorsal die Differenzierung immer weiter schreitet und schließlich zu einer vorn ausgeweiteten Urdarmhöhle führt, hat sich der gleiche Prozess seitlich mit abnehmender Energie fortgesetzt, um schließlich ventral ebenfalls in gleicher Weise nur in Dotterzellen abzulaufen, aber hier nur bis in geringe Tiefe vorzudringen. Die Untersuchung von BDufo vulg. ergibt somit sicher, daß die Differenzierung in der Dotterzellenmasse be- ginnt und fortschreitet. Den Anfang macht die dorsale Blastoporuslippe, indem die vegetativen Zellen sich verlängern und ein mit Pigment und Protoplasma reicher ausgestatteter, aber kleinerer Theil davon sich ablöst; diese Zellen bilden den Entoblast. Die Differenzierung setzt sich seitlich fort und tritt ven- tral zuletzt auf. Der ganze, also auch der dorsale, Entoblast entsteht durch Differenzierung aus Dotterzellen. Es ergibt sich dieses aus dem Vergleich der ältern mit den nächst vorhergehenden Stadien: stets sind die schon differen- zierten animalen Zellen der jüngern Stadien kleiner als die der Urmundlippe zunächst liegenden Entoblastzellen der ältern, die letztern können also nicht von erstern abgeleitet werden. Die Gastrula setzt sich zusammen aus der kusconi’schen Nahrungshöhle nnd dem Remak’schen Afterdarm; erstere ist groß und vorn ausgeweitet, letzterer nur ein enger Spalt. Beide stehen direkt um den Dotterpfropf herum in Verbindung mit einander, erscheinen nur auf Schnitten durch letztern getrennt. Die Wand der Urdarmhöhle ist dorsal und seitlich gebildet von kleinen, epithelartig angeordneten Zellen, die nur von vegetativem Material ableitbar sind; ventralwärts liegen noch die großen Dotter- zellen. Rana temporaria ist zur Entscheidung der Frage ein keineswegs gün- stiges Objekt. Nach dem Studium von Bufo lassen sich aber auch die Bilder von Rana nur in obigem Sinn interpretieren. Dass das Pigment allein nicht ausschlaggebend ist, gibt auch Solger an. Viel besser als Rana verhält sich Triton alpestris. Man erkennt, dass der Entoblast nur aus vegetativen Zellen sich herleitet, dass aber keine als solche schon differenzierten animalen Zellen zu seiner Bildung eingestülpt werden. Auch hier liegt in der Gegend des ven- tralen Blastoporusrandes indifferentes Material, das sowohl animalen Zellen als auch Entoblastzellen zum Ursprung dient. Zwischen der Gastrula des Amphiozus und der der Selachier steht die der Amphibien mitten inne. Bei allen ist der dorsale Blastoporusrand der aktivere: hier beginnt die Bildung des Ento- Levy, Ueber spontane Milchgerinnung. 3 blasts am frühesten; die Differenzierung setzt sich seitlich langsam fort. Wenn der Blastoporus noch nicht rund d. h. noch nicht geschlossen ist, ist selbst- verständlich noch nicht von einem vordern Blastoporusrand zu sprechen, son- dern hier liegen noch indifferente Zellen, die beiden Keimblättern zur Quelle dienen können. Zum Unterschied von den Selachiern erhalten wir aber hier doch noch einen vordern Blastoporusrand, der sich direkt vergleichen lässt mit dem vordern des Amphioxus. Am Schlusse der Gastrulation könnte man also aus einer Amphigastrula sich eine Archigastrula dadurch gebildet denken, dass an Stelle der Dotterzellen nur eine einschiehtige Entoblastlage träte. — Die Dis- kussion zwischen den Herren Dr. v. Davidoff und Dr. Schwink behandelt die Möglichkeit einer Beteiligung des Ektoderms an der Darmbildung, die schließlich durch Herın Dr. Rückert endgiltig mit dem Hinweise darauf ver- neint wird, dass der Darm aus vegetativen respektive entodermalen Zellen ge- bildet werde. 60. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Wiesbaden. Sektion für Physiologie. Sitzung vom 20. September. Herr Dr. A. Levy (Hagenau) trägt vor: Ueber spontane Milch- gerinnung und die biologische Bedeutung der Gerinnungs- prozesse. Die spontane Gerinnung der Milch ohne Mitwirkung von Mikro- organismen, von Lister geleugnet, von Meißner wieder nachgewiesen, wurde vom Vortragenden nochmals untersucht und namentlich die Kontrole durch Züchtungsversuche in festen Nährmedien angewendet. Dabei zeigte es sich, dass in der That eine geringe Säuerung in jeder Milch beim stehen stattfinde und sich ebenso ein geringer Bodensatz in derselben bilde. Dieser besteht aber uur zum kleinsten Teil aus geronnenem Kasein, zum größten Teil aus kleinsten Partikelchen, die aus den zerfallenden Kolostrumkörperchen herge- leitet werden. Durch das weitere Absterben dieser halb lebenden Zellen werde auch die Säuerung bewirkt, und durch diese wieder die Kaseinfällung, die in Menschenmilch nicht eintrete, weil Menschenkasein nicht durch Säure fällbar sei. Schließlich gibt Vortragender noch eine Skizzierung seiner Anschauung, nach der alle Lebensthätigkeit auf ein Festwerden aus flüssigem Medium zu- rückzuführen und in der Erscheinung des Krystallwachstums die Brücke von der unorganischen zur organischen Welt zu finden sei. Berichtigung zu meinem Aufsatze über Polyparium. (Biol. Centralbl. Bd. VII S. 685 ff.) Herr Professor Ehlers in Göttingen hat mich in dankenswertester Weise darauf aufmerksam gemacht, dass ich einen Satz Korotneff’s missverstanden habe. Der Satz lautet: „Das Polster hört jedoch in der Mitte eines Septum auf, indem es sich von dem nun dünner werdenden Septum durch eine Ein- schnürung scharf absetzt“. Ich bitte nun die Leser des „Biol. Centralblattes“, die auf S. 688 meines Aufsatzes zwischen den beiden Punkten auf Z. 8 u. 18 von unten stehenden beiden Sätze zu streichen. Damit fällt der von mir leb- haft bedauerte Vorwurf fort, dass Ehlers den angeführten Satz Korotneft’s nicht beachtet habe. In meiner Fig. 6 ist die Lücke in der Querschraffierung zu beseitigen. Meine Deutung des Polyparium, zu welcher mir merkwürdiger- weise mein Missverständnis „den Hauptschlüssel lieferte“, bleibt aber durch die Berichtigung desselben vollständig unerschüttert. Haacke (Jena). 2 Naturwissenschaftliche Preisaufgabe. Naturwissenschaftliche Preisaufgabe, ausgeschrieben von der Stiftung von Schnyder von Wartensee für Wissenschaft und Kunst in Zürich. Die Stiftung von Schnyder von Wartensee in Zürich sieht sich ver- anlasst, gemäß den Absichten ihres Begründers für das Jahr 1890 eine Preis- aufgabe aus dem Gebiet der Naturwissenschaften auszuschreiben, folgenden Gegenstandes: Es werden neue Untersuchungen gewünscht über das Ver- hältnis der Knochenbildung zur Statik und Mechanik des Vertebraten-Skelettes. Die Ergebnisse der allgemeinen Untersuchungen sollen am Skelette einer bestimmten Species als Beispiel im einzelnen nachgewiesen werden. Dabei gelten folgende Bestimmungen: Art. 1. Die einzureichenden Konkurrenz- Arbeiten von Bewerbern um den Preis sind in deutscher, französischer oder englischer Sprache abzufassen und spätestens am 30. September 1890 an die in Art. 6 (unten) bezeichnete Stelle einzusenden. Art. 2. Die Beurteilung derselben wird einem Preisgerichte übertragen, welches aus nachbenannten Herren besteht: Herr Professor Dr. Hermann von Meyer in Zürich, „ Professor Dr. L. Rütimeyer in Basel, „ Professor Dr. H. Strasser in Bern, „ Professor Otto Mohr am Polytechnikum in Dresden und „ Professor Dr. Albert Heim in Zürich, als Mitglied der ausschreibenden Kommission. Art. 3. Dem Preisgerichte steht die Befugnis zu, einen Hauptpreis von 2000 Franken und außerdem Nahepreise zu verleihen, für welche es über einen nach seinem Befinden zu verteilenden Gesamtbetrag von 1000 Franken ver- fügen kann. Art. 4. Eine mit dem Hauptpreise bedachte Arbeit wird Eigentum der Stiftung von Schnyder von Wartensee, die sich mit dem Verfasser über die Veröffentlichung der Preisschrift verständigen wird. Art. 5. Jeder Verfasser einer einzureichenden Arbeit hat dieselbe auf dem Titel mit einem Motto zu versehen und seinen Namen in einem versiegel- ten Zettel beizulegen, welcher auf seiner Außenseite das nämliche Motto trägt. Art. 6. Die Arbeiten sind innerhalb der in Art. 1 bezeichneten Frist, unter folgender Adresse zu Handen des Preisgerichtes an die Stiftung einzu- senden: An das Präsidium des Konventes der Stadtbibliothek in Zürich, (betreffend Preisaufgabe der Stiftung von Schnyder von Wartensee für 1890). Zürich, den 6. Januar 1880. Im Auftrage des Konventes der Stadtbibliothek Zürich. Die Kommission für die Stiftung von Schnyder von Wartensee. | Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. _ Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. vo. Band. Inhalt: Engelmann, Ueber Bakteriopurpurin und seine physiologische Bedeutung. — Ueber Blutfarbstoff als Mittel zur Untersuchung des Gaswechsels chromophyll- haltiger Pflanzen im Licht und Dunkel. — Vosmaer, Neuere Arbeiten über Schwämme. — von Lendenfeld, F. E. Schulze’s Challenger -Report über die Hexactinelliden. — Wlassak, Beiträge zur Physiologie der Leberzelle. Th. W. Engelmann: I. Ueber Bakteriopurpurin und seine physiologische Bedeutung. II. Ueber Blutfarbstoff als Mittel zur Untersuchung des Gaswechsels chromophyllhaltiger Pflanzen im Licht und Dunkel'). I. Ueber Bakteriopurpurin und seine physiologische Bedeutung. In der Sitzung der k. Akademie der Wissensch. zu Amsterdam vom 25. März 1882 habe ich ein rotes, bewegliches Bakterium be- schrieben, das sich durch ein scharfes Unterscheidungsvermögen für Differenzen der Intensität und Wellenlänge des Lichts auszeichnete und deshalb Bact. photometricum genannt ward?). Verschiedene That- sachen wiesen schon damals darauf hin, dass das Licht nur durch Vermittlung des roten Farbstoffs die Bewegungen beeinflusse. Mangel an Material verhinderte jedoch nähere Prüfung dieser Vermutung. Seit vergangenem Sommer verfüge ich nun über große Mengen von Bact. photometricum, auch erhielt ich durch die Güte der Herren E. Warming in Kopenhagen, S. Winogradsky in Straßburg, W. Zopf in Halle Süß- und Seewasserproben mit zahlreichen andern roten lebenden Schizomyceten, wodurch es mir möglich wurde, einige wichtige Lücken meiner frühern Untersuchung auszufüllen. Von den neuen Resultaten wünsche ich hier die wichtigsten mitzuteilen. 4) Auf Wunsch des Herrn Verfassers abgedruckt aus Pflüger’s Archiv, Bd. XLII, S. 183 fg. 2) Ausführliches hierüber siehe Pflüger’s Archiv, Bd. XXX, 1883, S. 95. VII, 3: 34 Engelmann, Ueber Bakteriopurpurin und Blutfarbstoff. Die untersuchten Formen sind größtenteils bekannt und beschrieben als Bacterium photometricum, roseo - persicinum, rubescens, sulfuratum, Olathrocystis roseo- persicina, Monas Okeni, vinosa, Warmingii, Ophi- domonas sanguinea, Rhabdomonas rosea, Spirillum violaceum. Ob sie zu einer oder zu verschiedenen Arten gehören, will ich unentschieden lassen. Alle gehören zu den unlängst durch Winogradsky (botan. Zeitg., 1887, Nr. 31—37) genauer untersuchten „Schwefelbakterien“. Sie füllen sich nach Winogradsky’s, von mir bestätigten Versuchen bei Anwesenheit freien Schwefelwasserstoffs mit Schwefelkörnchen und oxydieren diesen Schwefel zu Schwefelsäure. Alle sind durch einen im Protoplasma diffus verteilten purpurähnlich roten Farbstoff (Baceteriopurpurin, Ray Lankester) gefärbt. Alle nun verhalten sich, wie ich neuerdings fand, gegen Licht in der Hauptsache so, wie früher von mir für Bact. photometrieum be- schrieben ward. Der eigentümliche Einfluss des Lichts ist nicht ge- bunden an die An- oder Abwesenheit von Schwefel oder Schwefel- wasserstoff, sondern an die Gegenwart des Bakteriopurpurins. Ich schlage deshalb vor, diese Formen als „Purpurbakterien“ von den farbstofffreien, auf Licht nicht reagierenden Schwefelbakterien zu unterscheiden. Von letztern verglich ich hauptsächlich Beggiatoa alba und mirabilis. Der Einfluss des Lichts äußert sich auf vielerlei Weise. Am meisten auffällig auf Schnelligkeit, Dauer und Richtung der freien Ortsbewegungen. Alle Formen zeigen z. B. die charakteristische „Schreckvdewegung“ beim Uebergang von Licht in Dunkel, und häufen sich demzufolge bei lokaler Beleuchtung des Tropfens im Lichte an. Diese Anhäufungen können fixiert werden. In der Sitzung der Akad. d. Wiss. vom 24. Dez. 1837 zeigte ich einige solcher „Bakteriogramme“ von der Form eines B, W und Z. Die absolute Empfindlichkeit für Licht hängt von vielerlei Um- ständen ab (Art, Individuum, Sauerstoffspannung, Schwefel- bezw. Schwefelwasserstoffgehalt u. s. w.), worüber Näheres a. a. O. von mir mitgeteilt ward. Im Spektrum von Sonnen-, Gas- oder elektrischem Glühlicht häufen sich alle namentlich im Ultrarot auf, zwischen etwa 4 0,80 und 0,90 «, weiter im Gelb bei 0,59, auch wohl im Grün zwischen 0,52 und 0,55. Aeußerst schwach wirkt das sichtbare Rot, nicht merklich das äußere Ultrarot (etwa jenseits A 1,0 #) und das Ultraviolett. Auch diese Ansammlungen können fixiert werden und zeigen dann das Bild des Absorptionsspektrums von Bakteriopurpurin mit seinen charakteristischen dunklen Bändern. In der Sitzung vom 24. Dez. 1887 zeigte ich ein derartiges mittels Bact. photometricum erhaltenes „Bakterospektro- gramm“. Bei gleicher Energie wirken die Lichtstrahlen desto stärker auf die Bewegungen, je mehr sie vom Bakteriopurpurin absorbiert werden. Engelmann, Ueber Bakteriopurpurin und Blutfarbstoff. 3» Ich habe durch freundliche Vermittlung von Herrn W. H. Julius im physikalischen Institut zu Utrecht die Absorption im ultraroten Teil mittels Langley’s Bolometer untersucht und die früher nur ver- mutete, äußerst starke Absorption der ultraroten Strahlen zwischen etwa 0,80 und 0,90 w Wellenlänge gefunden. Als Beispiel des Ver- laufs der Absorption diene die folgende Tabelle, in welcher die Stärke (i) des Lichts, welches durch eine sehr homogene etwa 0,005 w dicke von unzähligen Individuen von Bact. photometricum gebildete Zoogloea- membran durchgelassen wurde, in Prozenten des auffallenden Lichtes angegeben ist. Die Stellen, wo Absorptionsmaxima liegen, sind durch fette Schrift bezeichnet. Die Absorption im sichtbaren Teil des Spek- trums wurde mittels des Mikrospektralphotometers gemessen. 1 a EP! a au OL AA i 13607094417 7:0,70.- 69,0. 1120,58) 28.0.4) 10,58 22°95 1,40 94,8 0,68 750 17 05785 | 050 30 1,00 783 0,66 80,0 0,56119.28,079711170,487 239,5 0,955) 169,5 Le 1N] 0,64 840 7 1770,55 .% 18,07% 100/46 (013,0 0,90 44,2 0,62.0077.0 054 11,0 | 04 175 0,85 29,1 | 0,60 40,0 0,53. ,9,5°49)1x0,42 | ‚21,5 0,80 300 | 0,59 270 0,5210 Die evidente Proportionalität zwischen Absorption und physio- logischem Effekt wies auf einen der Kohlenstoffassimilation durch Chromophyll analogen chemischen Prozess als primäre Liehtwirkung. Was mir früher mit ungenügendem Material nicht gelang, glückte jetzt: der Nachweis, dassdie Purpurbakterienim Licht Sauer- stoff ausscheiden. Dieser Nachweis wurde auf verschiedenen Wegen geliefert, u. a. durch Benutzung sehr empfindlicher, d. h. auf sehr niedrige Sauerstofispannung abgestimmter Spirillen, Bakterien und Infusorien, und auch der Purpurbakterien selber als Reagentien auf freien Sauerstoff. Die wichtigsten Versuchsanordnungen wurden a. a. O. näher von mir beschrieben. Verschiedene Kontrolversuche bewiesen, dass der im Licht ausgeschiedene Stoff wirklich Sauerstoff war. Dies zu betonen erscheint wichtig mit Rücksicht auf die be- sonders durch Pfeffer näher bekannt gewordene Thatsache, dass Bakterien, Infusorien u. dgl. eventuell auch durch andere Stoffe als Sauerstoff angelockt werden können, ein Umstand der — wie unlängst bekanntlich geschah — zu dem bedenklichen Schlusse verleiten könnte, dass grüne Zellen gelegentlich auch im Dunkeln, sowie dass auch farblose Zellen Sauerstoff ausscheiden vermögen. Ich habe bisher keinen hierher gehörigen Fall kennen gelernt, der eine strengere ex- perimentelle Kritik ausgehalten hätte. Auch farbstofffreie Schwefel- bakterien entwickelten unter keinen Umständen freien Sauerstofi. Es ergab sich ferner bei Kulturversuchen im großen wie im kleinen, dass Entwicklung, Wachstum, Vermehrung der 36) Engelmann, Ueber Bakteriopurpurin und Blutfarbstoff. Purpurschizomyceten auf die Dauer nur im Lichte mög- lich sind, ebenfalls im Gegensatz zu farblosen Schwefelbakterien. Ueberhaupt ist die Sauerstoffausscheidung absolut gebunden an die Gegenwart des Bakteriopurpurin im lebendigen Protoplasma. Sie steht jedoch wie beim Chlorophyll in keinem einfachen Verhältnis zur Sättigung des Plasma mit dem Farbstoff. In jedem einzelnen Falle ist sie aber, soweit sich feststellen lässt, für die verschiedenen Wellenlängen der absorbierten Energie des Lichts proportional. Ultra- rot (Gas- oder Sonnenlicht, durch Jod in Schwefelkohlenstoff aller sichtbaren Strahlen beraubt, oder reines spektrales Ultrarot zwischen etwa 0,80 und 0,90 u Wellenlänge) wirkte nur wenig schwächer wie das vollständige gemischte Licht. Das sichtbare Rot, das äußere Ultrarot, Violett und Ultraviolett gaben, wenigstens im Spektrum von konzentriertem Gaslicht, keinen deutlichen Effekt. Bakteropurpurin ist also ein echtes Chromophyll. Wahrscheinlich im allgemeinen nicht ein einfacher chemischer Körper, sondern ein Gemisch, ebenso wie andere Chromophylle (Chlorophyll, Diatomin, Rhodophyll u. a.) unterscheidet es sich jedoch von letztern allen sehr auffällig durch das Fehlen des grünen Bestandteils (Chloro- phyllin, Reinchlorophyll, Kyanophyll der Autoren), welcher früher als der einzige Träger des Assimilationsvermögens der Pflanzen betrachtet wurde. Es zeigt sich also aufs neue und in höchst schlagender Weise bestätigt, dass Sauerstoffausscheidung im Licht auch durch niehtgrüne Farbstoffe und dureh jede Art von Wellen- längen zu stande gebracht werden kann, und dass sie in jedem Falle für die verschiedenen Wellenlängen der absorbierten Energie des Lichts proportional ist. II. Ueber Blutfarbstoff als Mittel, um den Gaswechsel von Pflanzen im Licht und Dunkel zu unterscheiden. Bei den Versuchen, Ausscheidung freien Sauerstoffs durch die Purpurbakterien direkt nachzuweisen, kam ich auf den Gedanken, hierfür vom Hämoglobin Gebrauch zu machen. Das Prinzip dieser Methode ist nicht neu, wie ich anfangs meinte. Hoppe-Seyler zeigte im Jahre 1879 (Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. II S. 425), dass ein Stück lebender Wasserpest (Elodea canadensis) in verdünntem faulendem Blut in luftdieht verschlossenem Gefäße direktem Sonnenlicht ausgesetzt, die venöse Farbe der Lösung in die arterielle überführt, während im Dunkeln die venöse allmählich zu- rückkehrt. Das Prinzip, welches diesem, wie es scheint den Pflanzen- physiologen ganz unbekannt gebliebenen, schönen Versuche zu grunde liegt, kann eine sehr vielfache und fruchtbare Anwendung finden. Ich habe mich überzeugt, dass schon eine einzige mikroskopisch kleine Zelle unter günstigen Bedingungen zu einer deutlichen Reak- Engelmann, Ueber Bakteriopurpurin und Blutfarbstoff. 37 tion gentigen kann. Doch erreicht die Empfindlichkeit des Verfahrens bei weitem nicht die der Bakterienmethode. Brachte ich einen chlorophyllreichen Faden von Spirogyra von etwa 0,1 mm Dicke und 1 cm Länge unter das Deckglas in einen Tropfen wenig oder nicht verdünnten defibrinierten Rinderblutes, das durch einen Strom Wasserstoff oder Kohlensäure eine deutlich venöse Farbe angenommen hatte, und ließ das Präparat nun in hellem dif- fusem Tageslicht liegen, so färbte sich innerhalb 10—15 Minuten die unmittelbare Umgebung des grünen Fadens bis auf !/,, ja2 mm Ent- fernung hell arteriell rot. Im direkten Sonnenlicht bedurfte es nur eines Bruchteils einer Minute. Die Grenze zwischen der dunklen venösen und der hellen arteriellen Farbe war so scharf, dass sie bis auf weniger als 0,1 mm genau im Mikroskop bestimmt werden konnte. Im Dunkei kehrte die venöse Farbe in etwa derselben Zeit zurück. — Bei lokaler intensiver Erleuchtung nur einer einzelnen Zelle oder (eines nicht zu kleinen) Teils einer Zelle bildete sich nur um die er- leuchtete grüne Stelle ein hellroter Hof. ° Sehr schön können die O-Ausscheidung im Licht und die O-Ab- sorption im Dunkel mittels des Spektralokulars, besser noch des Mikrospektralphotometers, verfolgt werden. Man sieht dann, wie bei Erleuchtung der Zelle (Gaslicht oder elektrisches Glühlicht genügen) an Stelle des dunklen Absorptionsbandes des O-freien Hämoglobins allmählich die beiden dunklen Bänder des O-Hämoglobins auftreten. Die Veränderung beginnt oft schon nach 10—20 Sekunden merklich zu werden. Sie tritt ausnahmslos zuerst unmittelbar an der Ober- fläche der Zelle, an der Außenseite der Zellmembran auf und breitet sich von hier seitlich aus. Wenn es noch eines Beweises bedürfte, dass der Sauerstoff als solcher, und zwar in inaktiver Form, aus der lebenden Zelle austritt, so würde er hier in anschaulichster, zwingendster Art geliefert sein. Im Dunkeln kehrt das Hämoglobinband allmählich zurück. Häufig ist es in unmittelbarer Nähe der Zelle schon wieder deutlich, während in einiger Entfernung noch die beiden Ränder des O-Hämoglobin sichtbar sind: ein gleichfalls höchst anschaulicher Beweis, dass die grünen Zellen im Dunkeln Sauerstoff zehren, und zwar mehr als das Blut selbst. Die Schärfe und das ziemlich lange Sichtbarbleiben der Grenze von arterieller und venöser Färbung auch bei etwas veränderter Be- leuchtung ließen hoffen, dass die Methode sich besonders eignen würde, um den ungleichen Effekt der verschiedenen Strahlen des Spektrums auf die O-Ausscheidung unmittelbar, und schon dem bloßen Auge, anschaulich zu machen. Die Erwartung wurde nicht getäuscht. Ich projizierte auf einen unter dem Deekglas in venösem Blut befindlichen graden Spirogyra-Faden ein Spektrum von etwa 1 cm Länge vom Licht eines Sugg’schen Brenners von 50 Kerzen Stärke. 38 Vosmaer, Neuere Arbeiten über Schwämme. Nach 15 Minuten war ein deutlicher Effekt sichtbar: die Grenze zwischen arterieller und venöser Färbung fing an der Stelle, wo der srüne Faden im äußersten sichtbaren Rot gelegen hatte, an, sich vom Faden wie von einer Abszisse zu erheben, erreichte die größte Ordi- natenhöhe (etwa 1 mm) schon im Rot etwa bei EC und sank von hier ziemlich schnell, so dass sie schon im Anfang des Grün den Faden wieder berührte. Im Spektrum direkten Sonnenlichts konnte ich wegen des anhal- tend trüben Himmels der letzten Monate nur noch wenige Versuche machen. Doch habe ich mit voller Sicherheit schon konstatieren können, dass die stärker brechbaren Strahlen hier relativ weit stärker wirken, als im Gaslichtspektrum. Das Maximum lag bei Benutzung von Spirogyra-Fäden und nicht zu großer Spaltweite ungefähr in der Mitte des sichtbaren Rots, nicht im Orange oder Gelb. Sehr schwach, niemals stärker als im Blaugrün oder Blau, war die Wirkung im Grün zwischen D und E. Zwei mal konnte bereits deutlich ein zweites kleineres Maximum im Blaugrün konstatiert werden. Noch im Violett war ein schwacher Effekt bemerkbar. Ich bezweifle nicht, dass auch Pflanzen mit rotem, gelbem, brau- nem u. s. w. Chromophyll auf diese Weise charakteristische „Hämato- spektrogramme“ der Sauerstoffausscheidung geben werden. Auch das Verfahren der successiven Beobachtung, welches bei Benutzung der Bakterienmethode so wertvolle Dienste leistete, wird angewandt und auch auf diese Weise der Zusammenhang zwischen assimilatorischem Effekt und Wellenlänge bis zu einem gewissen Grade quantitativ fest- gestellt werden können. Nähere Mitteilungen hierüber behalte ich mir vor. Neuere Arbeiten über Schwämme. Von G. C. J. Vosmaer. I. Hyalospongiae. Schulze F.E., Report on the Hexactinellida collected by H.M. S. Challenger during the Years 1873—1876. In: Rep. Sc. Results of the Voyage of H.M. S. Challenger. Zoology. Vol. XXI. 514 pag. 104 Tafeln. ders., Ueber den Bau und das System der Hexactinelliden. In: Abh. der k. preuß. Akad. der Wiss. zu Berlin. 1886. 97 pag. ders., Zur Stammesgeschichte der Hexactinelliden. In: Abh. der k. preuß. Akad. der Wiss. zu Berlin. 1887. 35 pag. 4 Holzschn. Nachdem mit F. Eilhard Schulze die Spongiologie in eine neue Phase eingetreten war, konnte man hoffen, die Schwämme würden endlich von den Zoologen etwas weniger verachtet werden. Indess dem war nicht so. Nach wie vor wurden sie entweder stief- mütterlich oder dilettantisch behandelt. Es war nun einmal nicht Mode, und jeder weiß, was das bedeutet. Es liegen da, so hieß es Vosmaer, Neuere Arbeiten über Schwämme. 39 allgemein, keine Probleme vor. Das ist so die Terminologie. Und doch sollte man die Porifera schon a priori als sehr wichtige, hoff- nungsvolle Objekte ansehen. Sind sie doch die niedrigsten (progressiv oder regressiv, das thut hier nichts zur Sache) Metazoen; ist doch ihre Anatomie, um nicht einmal von dem „feinern Bau“ zu reden, so gut wie unbekannt. Einige wenige Formen sind bekanntlich von Schulze meisterhaft studiert und beschrieben worden, aber ganze Gruppen waren anatomisch völlig unbekannt. Von den Glasschwämmen kannte man nur ihre reizenden Skelette; die Weichteile hat erst Schulze studiert und darüber in den Trans. Royal Soc. Edinburgh. XXIX. 1880 berichtet. Es war dies ein kleiner Einblick, während uns nun durch die eben beendeten zwei Bände der Challenger- Hexactinelliden eine weitere Aussicht eröffnet worden ist. Man kannte schon die Mannigfaltigkeit der Formen und ihrer Skelette. Zittel hatte durch seine Studien an Fossilen schon ein ziemlich befriedigendes System aufgestellt. Erst jetzt hat aber Schulze wiederum den Weg für unsere Kenntnis der Rezenten ge- öffnet. Trotz der Verschiedenheit in der Gestalt, trotz bedeutender Unterschiede im Bau kann man doch die Organisation der Hyalo- spongiae!) auf ein gewisses Schema zurückführen, wie man auch die kompliziertesten Spieula ihres Skelets auf Sechsstrahlen reduzieren kann. Abgesehen vom Skelet stellt der Körper ursprünglich einen einfachen Sack dar, „dessen äußere Oberfläche von einer dünnen porenreichen Haut, der Dermalmembran, gebildet wird“. Unter dieser Haut befindet sieh ein von feinen Trabekeln durchsetzter Raum, der „ubdermale Trabekelraum“. Die innere Wand des Sackes ist ebenfalls mit einer dünnen Haut bekleidet, der „Gastralmem- bran“, und unter dieser breitet sich der „subgastrale Trabekel- raum“ aus. Zwischen den beiden Trabekelräumen liegen die Geißelkammern, deren Ausströmungsöffnungen sämtlich durch eine Membran verbunden sind. Es stellt also die Wand der Geißel- kammern, wegen der netzförmigen Zeichnung „Membrana retieu- laris“ genannt, und die Verbindungsmembran eine kontinuierliche Schicht dar, welehe oft vielfach gefaltet und gewunden ist. Nach diesem Typus sind nun alle bekannten Hexactinelliden gebildet, und alle Komplikationen sind hierauf zurückzuführen. Bathydorus fimbriatus hat noch die einfache Sackform; die Geißelkammer- schicht ist aber gefaltet, und auf den Schnitt läuft also die Membrana retieularis als eine schlangenförmig gebogene Linie zwischen den beiden graden parallelen Linien der Membrana dermalis und gastralis hin. Viel weiter geht dies bei den diekwandigen becherförmigen Arten wie Rossella, Pheronema u. a., wo die Falten tiefer sind und sich wiederholen, also sekundäre Einstülpungen bilden. Das sub- 1) Ich habe in „Bronn“ $. 473 meine Gründe für diesen Namen angegeben. 40 Vosmaer, Neuere Arbeiten über Schwämme. gastrale Trabekel-Netzwerk setzt sich bis kurz unter die Gastral- membran (Bathydorus, Acunthascus) fort oder folgt den tiefen Ein- stülpungen der Membrana retieularis, wie bei Poliopogon, Pheronema, Malacosaccus u. a. Es kleidet indess die Kammerhöhle nie aus. Die Gastralmembran spannt sich entweder als ein Sieb über die sämt- lichen ausführenden Kanäle oder Lacunen oder folgt den tie(sten Ein- stülpungen, welche diese bilden (Hyalonema depressum). Zwischen diesen Extremen steht z. B. Malacosaccus, wo sie nur den seichten Nischen folgt. — Weitere Abweichungen von der einfachen offenen Sackform zeigen Euplectella, Holascus, Hyalonema Sieboldii, wo der Tubus durch eine sogenannte Siebplatte geschlossen ist. Aber auch die Wand des Tubus zeigt bisweilen Löcher, wodurch eine direkte Kommunikation zwischen der Kloakalhöhle!) und der Außenseite ent- steht. Ganz regelmäßig sind diese Löcher („gaps“) bei Euplectella und Taegeria; dagegen bilden sie bei Walteria größere und kleinere unregelmäßige Maschen und übertreffen an Oberfläche sogar die Substanz. — Einige Hyalospongiae bilden eigentümliche Stiele (Caulo- phacus, Crateromorpha), welche, wie bei Sympagella nux, sogar ver- ästelt sein können. Wenn der obere Rand des Körpers sich über- mäßig entwickelt, so entstehen trichterförmige Arten; ist diese Ent- wicklung einseitig, so werden ohrenförmige Schwämme gebildet, wie Euryplegma auricularis, ja es können ganz platte Lamellen entstehen, wie Chonelasma. Bei Aphrocalistes Bocagei ist die Wand mit fingerhut- förmigen Auswüchsen besetzt. Bei Caulophacus ist der äußere Rand nach unten umgebogen und so ein Pilz entstanden. Kloakalhöhle und Oseulum sind auf diese Weise verschwunden Bei vielen Dietyoninen ist der ursprüngliche Sack in die Länge gewachsen und bildet Röhren, welche sich sogar verästeln (Farrea u. a.) und anastomosieren können. Ganz merkwürdige Deckschichten, welche einen ganzen Komplex dieser Röhre bedecken, findet man bei Aulocystis. Wenn man letztere Form betrachtet und die Zwischenformen nicht kennt, so wird man kaum auf den Gedanken kommen, dass alle von einer einfachen Sack- form abzuleiten sind. Unter Skelet versteht Schulze die sämtlichen Hartteile, und er erklärt sich gegen die von Zittel: noch gebrauchte Unterscheidung von „Fleischnadeln“ und „Skeletnadeln“, weil die nicht durchzuführen ist. Bekanntlich bietet das Skelet der Hyalospongiae große Verschiedenheiten, und die Nadeln sind auf allerhand Weisen verbunden. Jedoch, wie verschieden die Gestalt auch sein möge, alle sind sie doch von dem regulären Sechsstrahler abzuleiten, und zwar auf folgende Art. 1) Durch 4) Schulze gebraucht immer den Ausdruck Gastralhöhle, Gastralseite ete. Ich habe in meinem Handbuch vorgeschlagen, Grant’s Terminologie (besser nnd älter) statt Häckel’s zu benutzen, und sehe nicht ein, warum man es nieht thun soll. Ich werde also wie stets der Terminologie von „Bronn“ folgen, wenn sie sich nicht als absolut verkehrt herausstellt. Vosmaer, Neuere Arbeiten über Schwämme. 41 ungleichmäßige Entwicklung der Strahlen, was so weit gehen kann, dass ein oder mehrere Strahlen gänzlich verschwinden. 2) Durch Spaltung der Strahlen in sekundäre, wobei wieder verschiedene Formen angenommen werden können. 3) Durch Auftreten von lokalen Ver- diekungen, Dornen, Stacheln ete. 4) Durch Umbiegen der primären Strahlen. Nach dem Vorhandensein von sechs oder weniger vollständig ausgebildeten Strahlen teilt Schulze die Spieula in Hexacten, Pen- tacten, Tetracten, Triaeten, Diacten und Monacten. Die regulären Hexacten haben sechs gleiche, senkrecht auf einander stehende Radien. Letztere können scharf zugespitzt sein (Oxyhexact) oder enden in einer Kugel (Sphaerohexact), oder in (gezackten) Scheiben [Disco- hexact]!). Wenn die Strahlen sich teilen, also sekundäre Radien bilden, so entstehen die Carter’schen „Rosetten“, wofür man jetzt aus guten Gründen Hexaster sagt. Hier können wiederum die oben genannten Modifikationen vorkommen, und so entstehen dann Oxy- hexaster, Sphaerohexaster und Discohexaster. Graphiohexaster heißen diejenigen Oxyhexaster, deren sekundäre Strahlen in größerer Anzahl büschelartig von und ungefähr parallel zum Hauptstrahl abgehen. Besondere Formen von Discohexastern bilden die bekannten „Florieomes“, wo die Scheibe am Ende der sekundären S-förmig ge- bogenen Strahlen bilateral- symmetrisch gebildet ist, und die „Plumi- comes“, wo auf den primären Radien einige Kränze von S-förmig gebogenen Strahlen sitzen, deren Enden denen der Floricomes gleichen. Einen besondern Namen braucht man übrigens für diese seltenen Arten wohl kaum. — Die irregulären Hexaeten entstehen dadurch, dass die Strahlen ungleich lang sind; so findet man bei den Taegerinae Nadeln, wo ein Strahl die andern fünf an Länge weit übertrifft, so dass ein Degen entsteht. Oftist ein Strahl stark gedornt, während die andern glatt oder beinah glatt sind (Pinuli.. Ganz eigentümliche Unregelmäßigkeiten entstehen weiter dadurch, dass z. B. bei einem Hexaster zwei Strahlen lange Stacheln tragen, während die vier kurzen glatt bleiben. Die triaxile Grundform wird so fast unerkenn- bar (Aphrocallistes beatrix). Wir haben oben gesehen, dass die sechs Strahlen verschieden groß sein können. Das Wichtigste hierbei ist das Zurückbleiben von einem oder mehrern Strahlen im Wachstum, und dies kann bis zum völligen Schwund gehen. Wenn ein Strahl fehlt, so nennt Schulze das Spieculum Pentact. Selbstverständlich können mutatis mutandis die nämlichen Verschiedenheiten wie bei den Hexacten vorkommen. Bemerkenswert ist jedoch, dass vielfach der unpaare Strahl anders geformt ist, als die vier andern. So trägt er bei den (fünfstrahligen) 1) Sehulze braucht diese Namen in der Uebersicht der Terminologie, sowie weiter im Text und in der Tafelerklärung. Es ist S. 30 also wohl ein Lapsus calami: „when a knob or disc-like thickening is formed at the end of each ray the term „„discohexact“* may be conveniently used“. 42 Vosmaer, Neuere Arbeiten über Schwämme. 27 Pinulis lange Stacheln und hat daher Veranlassung zu dem Namen „Tannenbäumchen“ gegeben. Oft sind die vier paaren Radien nach dem unpaaren zu gebogen, was so weit gehen kann, dass förmliche Anker entstehen. Bei den Tetraeten sind nur vier Radien entwickelt. Normal geht eine Axe zugrunde, jedoch scheint es vorzukommen, dass statt der beiden Radien ein und derselben Axe ein Strahl der einen und einer der andern Axe verschwindet. Die Triacten bieten wenig Eigentümliches. Desto mehr die Diacten, bei welchen alle Spur von hexacter Abstammung verloren gehen kamn. Schulze nennt auch diejenigen Spieula, wo vier winzige Stummel als Reste der Strahlen vorhanden sind, Diacten. Von diesen bis zum Schwund selbst des gekreuzten Axenkanals gibt es zahlreiche Uebergänge, welche für die Phylogenie der Schwämme nach meiner Meinung von sehr großer Wichtigkeit sind. Ich habe darauf mehrmals hingedeutet, zuletzt S. 473 im Bronn, vermisse aber bei Schulze jede Zustimmung oder Widerlegung. Als besondere Formen von Diacten fasst Schulze die Amphidisken und die Form auf, welche Carter „Barbula“, Schulze „Uneinata“ nennt. Weiter sieht er die meisten einfachen oder gebogenen Stabnadeln, Bogen, Haken als modifizierte Diacten an. Aber es gibt auch Stabnadeln, welche offenbar nur einen Strahl repräsentieren. Solche nennt Schulze Monacte. Die Carter’schen „Clavulae“ fasst er als wahre Monacte auf, nieht, wie Schmidt, als homolog mit den sekundären Strahlen der Disecohexaecten. Wahrschein- lich ist es nach Schulze auch, dass die Besennadeln von Schmidt („Seopulae“, Scopiform Carter) Monacten darstellen, vielleicht Diacten, aber wohl keine Pentaeten, wie Schmidt zu wollen schien. Für die Lage, welche die Spieula in dem komplizierten Hyalo- spongienskelette haben, führte Schulze eine neue ebenso einfache wie praktische Terminologie ein. Die Spieula, welche mehr oder weniger aus der Oberfläche des Körpers hervorragen, nennt er Pro- stalia. Sie kommen nur bei den Lyssacinen vor und werden eingeteilt in 1) P. basalia, unten am Körper, zur Festheftung im Schlamm; bilden also den vielfach vorkommenden Nadelschopf. 2) P. pleuralia, über die seitlichen Wände verteilt und 3) P. marginalia, rings um das sogenannte Osculum. Die zweite Gruppe bilden die Dermalia, eingeteilt in Auto- und Hypodermalia. Wie die Dermalseite ihre eigentümlichen Spieula hat, so hat auch die „Gastralseite“* solche. Diese werden natürlich Gastralia genannt und gleichfalls als Auto- und Hypogastralia unterschieden. In der Regel sind Dermalia und Gastralia (die ich nach dem Gesagten über die „Gastralhöhle“ lieber Cloacalia nennen möchte) nach dem gleichen Typus gebildet, jedoch etwas modifiziert. Bisweilen sind sie ganz gleich. Wenn in der Wand der größern abführenden Kanäle noch besondere Spieula vor- kommen, so werden sie als Canalaria bezeichnet. Die Spieula end- lich, welehe im Parenchym vorkommen, heißen Parenchymalia. Die Vosmaer, Neuere Arbeiten über Schwämme. 43 Hauptformen heißen wenn frei Prineipalia, verbunden Dietyonalia. An diese schmiegen sich oft zartere, kleine Spienla an, die Comitalia, wäh- rend die dazwischen zerstreuten Nadeln Intermedia genannt werden. Histologische Details sind, wie zu erwarten war, nur sehr spär- lich in dem Buch vorhanden. Es sind viel zu mannigfaltige Prä- parationen notwendig, um die überaus kleinen Schwammzellen in ihren Eigentümlichkeiten unterscheiden zu können. So ist es Schulze denn auch trotz aller Mühe nicht gelungen, die Kragen und Geißeln des Kragenepithels zu sehen. Trotzdem nimmt er nach Analogie ihre Anwesenheit an. Ebenso wenig konnte er die Konturen der Platten- epithelzellen sehen. Er schließt aber mit Sicherheit auf die Anwesen- heit dieses Epithels, weil die eigentümlichen Kerne ganz deutlich hervortraten. Im spärlichen Parenchym fand er zwei Zellarten: 1) die gewöhnlichen Stern- oder Spindelzellen und 2) ziemlich große Zellen mit einem blasenförmigen Kern und stark lichtbrechenden Körnchen; er fasst diese zweite Art als nutritive, nahrungaufspeichernde Zellen auf. Fasern werden nicht besonders erwähnt; doch kommen bei Euplectella kontraktile Fasern vor (8. 64). Eier und Sperma finden sich meistens zusammen. In den Spieula scheint der Axenkanal, falls üherhaupt nachweisbar, offen zu sein; die Höhle schließt sich aber, nachdem das Spiculum fertig ist, wie dies Kölliker für andere Schwämme angegeben hat. Da nun zum ersten mal die Anatomie der rezenten Hyalospongiae studiert ist, und zwar an sehr verschiedenen Formen, kann man auch ein neues System erwarten. Im „Bronn“ folgte ich notgedrungen der Zittel’schen Einteilung und nahm ihre Mängel geduldig mit in den Kauf. Jetzt aber haben wir zum ersten mal eine Klassifikation, die vorläufig brauchbar ist. Ich sage vorläufig, weil von der Embryologie noch kaum etwas bekannt ist, und diese unsere Ansichten vielleicht wieder verändert. Die Ordnung der Hyalospongiae wird in die auch früher ange- nommenen Unterordnungen Lyssacina und Dietyonina zerlegt. Erstere zerfällt in I. Hexasterophora, wo im Parenchym immer Hexaster vorkommen, und die Geißelkammern deutlich von einander geschieden sind. Hierzu gehören die Familien 1) Eupleetellidae. 6 Genera, wovon 4 neu; 16 Sp., wovon 10 neu. Dazu kommen noch 7 Genera, deren Stellung nicht genau bestimmt werden konnte. 2) Asconematidae. 7 Genera, wovon d neu; 8 Sp., wovon 6. neu. 3) Rossellidae. {1 Genera, wovon 8 neu; 22 Sp., wovon 18 neu. Die II Tribus bilden die Amphidiscophora. Die oberflächlichen Membranen tragen immer Amphidisken. Im Parenchym keine Hexaster. Die Geißelkammern sind nicht deutlich von einander geschieden, erscheinen vielmehr als unregelmäßige Ausbuchtungen der Membrana retieularis. Nur eine Familie, die Hyalonematidae. 4 Genera mit 27 Sp., wovon 15 neu. Die zweite Unterordnung, Dietyonina, zerfällt in zwei Tribus. 44 Vosmaer, Neuere Arbeiten über Schwämme. I. Uneinataria, so genannt nach dem Vorhandensein der Uneinaten und zerlegt in Clavularia und Scopularia, deren Namen schon die Umgrenzung angibt. Die Clavularia haben nur eine Familie, die Farreidae. 1 Genus mit 4 Sp., wovon 3 neu. Die Scopularia werden in vier Familien geteilt: 1) Euretidae. 3 Genera mit 9 Sp., wovon 6 neu. 2) Mellitionidae. 1 Genus mit 4 Sp., wovon 2 neu. 3) Coseino- poridae. 1 neues Genus mit 4 neuen Sp. 4) Tretodietyidae. 4 Genera mit 7 Sp., wovon 3 neu. Die zweite Tribus wird gebildet von den Inermia, wo weder Uneinaten noch Scopulae vorkommen. Nur eine Familie: Maeandrospongidae. 5 Genera, wovon 1 neu; 8 Sp., wovon 3 neu. Ausführliche Tabellen sind über die Verbreitung der Hyalo- spongiae aufgestellt. Es haben sich für die Hexaetinelliden manche neue Fundorte gezeigt, und zwar sind mehr Formen von neuen Lokalitäten da, als von den bekannten. Ganz richtig warnt Verf. vor Schlüssen nur aus den Zahlen der gefundenen Schwämme. Man muss dabei die Anzahl Dredgungen in betracht ziehen; so fand er, dass der Atlantische Ozean am ärmsten ist (15,2 Prozent der Dred- gungen enthielten Hexactinelliden). Der Indische Ozean ist am reichsten (34,4 0/,). Zwischen beiden steht der Paeifische Ozean mit 23,5 %/,. Eingeteilt nach Zonen, ist die nördliche gemäßigte Zone am ärmsten (14,4 °/,), die südliche gemäßigte am reichsten (24,7 °/,); dazwischen die Tropen (22,2°/,). Diese Zahlen geben die Prozente der unter- suchten Lokalitäten an. Am reichsten an Species sind die Tropen. Auf der nördlichen Halbkugel sind 35, auf der südlichen dagegen 66 Arten gefunden. Als besonders reiche Stelle hat sich die Ki-Insel (Paeifie) gezeigt, von wo allein 16 Species stammen, welche zu 12 Genera gehören. Wichtig für die Schätzung des Wertes dieser Zahlen sind die Betrachtungen, welche Verf. über das von Dr. Döder- lein in Japan gesammelte Material anstellt, welches in dem Challenger- werke mit verarbeitet ist. Genannter Forscher brachte 16 Formen von der nämlichen Stelle mit, wo der Challenger nur 2 gefunden hat. Es lässt dies mit Sicherheit vermuten, dass noch eine sehr große Zahl Hexactinelliden zu entdecken sind. Wertvolle Tabellen gibt Verf. von der bathymetrischen Ver- breitung der Hexactinelliden im Verein mit der Beschaffenheit des Bodens. Nach den Challenger-Resultaten kommen Hyalospongiae vor zwischen 95 und 2900 Faden, oder in runden Zahlen von 100 — 3000 Faden. (Früher sind ein paar Formen in 83 Faden gefunden, nicht tiefer aber als 2410.) Jedoch wurden in Tiefen zwischen 100 und 1000 Faden die meisten gefunden (prozentisch nach Anzahl Dred- gungen berechnet). Inbetreff der Bodenbeschaffenheit hat es sich herausgestellt, dass die meisten in Diatomeen-Schlamm (75°/, von den Dredgungen enthielten Hyalospongiae) vorkamen. Der sogenannte rote und grüne Schlamm sind am ärmsten. Vosmaer, Neuere Arbeiten über Schwämme. 45 Die Zahl der bekannten Species ist durch die Challenger - Unter- suchen sehr gestiegen, trotzdem manche als verschiedene Arten be- schriebenen Species zusammengezogen sind. Es wurden von dieser Expedition 90 Formen mitgebracht, wovon 59 neue Arten. Im Werke sind aber auch noch anderswo herrührende Species beschrieben, und hierunter sind noch 9 neu. Es ist schade, dass Verf. bei dieser Gelegenheit kein Verzeichnis aller bis jetzt bekannten Arten gegeben hat. Die Liste auf S. 480—484 gibt zu Verwirrung Anlass. Sie hat die Ueberschrift: Verzeichnis der rezenten Hexactinellidenspecies. Es kommen da aber mehrere Species (13?) unter zwei synonymen Namen vor. Und doch sind auch nicht alle Synonyma gegeben. Aber un- gefähr werden jetzt ein paar hundert Species existieren (mehr oder weniger berechtigt), wovon Verf. jetzt ungefähr die Hälfte vorzüglich beschreibt und abbildet. Darunter circa 70 Species neu.— Die von Gray aufgestellte Gattung Labaria wird als synonym mit Pheronema eingezogen. Statt Corbitella Gray gebraucht Verfasser Habrodietyon Wyv. Thoms. Ich kann ihm hierin nicht beistimmen, ebenso wenig wenn er den Namen Psetalia Gray durch den neuen Lophocalyx (vergl. Postseriptum S. 514) ersetzt. Von den zahlreichen von Schmidt u. a. aufgestellten aber nicht bestimmbaren Genera hat Verf. noch ein Dutzend beschreiben können, weil er durch Originalstücke dazu in den Stand gesetzt wurde. Die Hexaectinelliden bilden somit keine völlig unbekannte Gruppe mehr. Die Anatomie vieler Formen ist durch Sch ulze’s prachtvolle Arbeit erörtert, und hierauf ist ein befriedigendes System basiert. Dies sind Resultate, worüber man sich freuen kann und worauf man so lange gewartet hat. Wir verdanken sie der Challenger-Expedition und dem glück- lichen Umstand, dass der erste Spongiologe die Gruppe bearbeitet hat. Kurz wird die Phylogenie der Hexactinelliden behandelt. Nach Verf. stammen alle von einem gemeinschaftlichen Stamm. Von diesem haben sich die Hyalonematiden schon früh abgezweigt. Den andern Ast bilden die Uneinataria (Dietyonina minus Maeandrospongiae), ferner ein Zweig, aus welchem die Euplectelliden, Rosselliden und Asconematiden entspringen, und die Maeandrospongiae. Es fällt aber gleich auf, dass die Abstammungsverhältnisse nicht im Einklang mit dem von S. selber gegebenen System stehen. Dort wurden ja die großen Abteilungen Lyssacinen und Dictyoninen ge- macht. Jetzt hingegen sehen wir, dass dies nur aus Bequemlichkeits- gründen („convenient“) geschehen ist, da die Differenz nur relativ sei. Ich kann mich leider damit nicht einverstanden erklären. Das System soll nach meiner Meinung soviel wie möglich die wirklichen genealogischen Verhältnisse wiedergeben, soll nie versuchen, ein prak- tischer Schlüssel zur Bestimmung zu sein. — Ueber die Verwandt- schaft der Hyalospongiae zu den andern Schwämmen hoffe ich nächstens zu berichten. 46 von Lendenfeld, Schulze’s Challenger-Report iiber die Hexactinelliden. F. E. Schulze’s Challenger- Report über die Hexactinelliden. Von R. v. Lendenfeld. Diese große Monographie, welche sich auf 513 Seiten und 105 Tafeln ausdehnt, ist nicht nur das größte, über Spongien je publi- zierte Werk, sondern muss auch als einer der wichtigsten Beiträge zur neuern zoologischen Literatur angesehen werden. Es liegt unter diesen Umständen auf der Hand, dass eine ein- gehende Kritik derselben uns hier viel zu weit führen würde, so dass ich mich darauf beschränken muss einen sehr oberflächlichen Ueber- blick des Inhalts zu geben. Der Text wurde von F. E. Schulze in deutscher Sprache ge- schrieben und ist für den Challenger -Report ins Englische übersetzt worden. Der wohlbekannte, schöne, häufig gradezu klassische Stil, welcher alle Arbeiten Schulze’s auszeichnet, ist bei dieser UVebertragung nicht nur ganz verloren gegangen, sondern es sind auch viele grobe Fehler von seiten der Uebersetzer, welche mit den technischen Aus- drücken der englischen Sprache wenig vertraut scheinen, begangen worden. Es beeinträchtigt dies den Wert und die Verständlichkeit des Werkes, und es ist deshalb als ein besonderes Glück anzusehen, dass der allgemeine Teil der Monographie großenteils auch im deutschen Urtext veröffentlicht worden ist. |1) Ueber den Bau und das System der Hexactinelliden, Abhandl. kgl. Preuß. Akad. Berlin 1886; 2) zur Stammesgeschichte der Hexactinelliden, Abhandl. kgl. Preuß. Akad. Berlin 1887|. Diese beiden Arbeiten sind in dem gewohnten schönen Schulze’schen Stil geschrieben, und ein Vergleich derselben mit der englischen Uebersetzung wird sofort die Mangelhaftigkeit der letztern demonstrieren. Einige Beispiele mögen dies illustrieren. In „Ueber den Bau... etc.“ heißt es S. 7: „Wie bei allen Spongien, so sind auch bei den Hexactinelliden drei verschiedene Gewebslagen zu un- terscheiden ..... nämlich zwei verschiedenartige Epithellager und die von diesen gedeckte Bindesubstanz mit ihren Einlagerungen.“ Die Uebersetzung im Challenger-Report S. 23 lautet: „.... The Hexactinellida exhibit, like all other sponges three histological layers viz. two distinet layers of epithelium, and an intermediate eonneetive tissue with various substances enelosed within.“ In „Ueber den Bau... etc. S. 9 heißtes: „In der Regel liegen diese Körnchen locker nebeneinander und können auch wohl in zipfelartige Fortsätze der Zelle hineingeraten. Die Uebersetzung im Challenger-Report S. 24 lautet: „As a rule these granules lie loosely beside one another and may be ineluded in lappet-like processes of the cell.“ Ich will mich auf diese Beispiele beschränken, man könnte jedoch eine sehr große Zahl ähnlicher Entstellungen anführen. von Lendenfeld, Schulze’s Challenger-Report über die Hexactinelliden. 47 Es sind deshalb die oben angegebenen deutschen Publikationen — soweit sie gehen — dem englischen Werke entschieden vorzu- ziehen, und ich möchte allen, auch Engländern, welche diese Teile der Monographie zu Rate ziehen wollen, empfehlen sich an die deutschen Originale zu halten. Ein anderer Fehler, welcher von den Uebersetzern begangen wurde, ist der, dass alle in Parenthese angeführten Stellen, welche im deutschen Urtext hätten wiedergegeben werden sollen, übersetzt worden sind. Selbst technische Ausdrücke, die in der frem- den Sprache überhaupt keinen Sinn haben, sind übersetzt worden. Dies erscheint um so auffallender, wenn wir bedenken, dass fran- zösische und lateinische Zitate ähnlicher Art im Urtext erscheinen. Der Uebersetzer wusste offenbar nicht, was zu übersetzen und was stehen zu lassen. Die Tafeln, besonders jene, welche von Werner und Winter ausgeführt wurden, sind tadellos und gereichen ebenso dem Werk zur Zierde, wie dem Autor und dem Lithographen zur Ehre. An einem Werke wie dieses sind ja die Tafeln in mancher Beziehung wichtiger als der Text. Unser Autor gibt keine Listen von Synonymen in seinen Species- beschreibungen und bespricht die betreffenden frühern Speciesbe- schreibungen in den Schilderungen der Gattungen. Es ist dies eine so unwichtige Sache, dass ich nichts davon sagen würde, wenn nicht „E. P. W.“, der Referent der Schulze’schen Monographie in Nature, seiner Unzufriedenheit darüber kräftigen Ausdruck verliehen hätte. Herr „E. P. W.“ übersieht, dass Schulze ganz andere Ziele ver- folgte, als eine gewöhnliche systematische Beschreibung von Spongien zu liefern. Alle, welche die alte lederne Methode der Speciesbe- schreibung verabscheuen, werden aber, wenn sie sich auch — wie Ref. — nieht völlig von derselben emanzipiert haben, diese Neuerung mit Freuden begrüßen. Da sich Sir Wyville Thomson, der wissenschaftliche Leiter der Challenger - Expedition, selbst für Hexaectinelliden besonders in- teressierte, und da diese Spongien Tiefseetiere pare excellence sind, so ist die Challenger-Sammlung von Hexactinelliden eine sehr reiche geworden. Zudem hat F. E. Schulze auch die von frühern eng- lischen Expeditionen zusammengebrachten Exemplare, sowie die reich- haltige Sammlung Dr. Döderlein’s bearbeitet und hat Bruchstücke vieler von frühern Autoren beschriebenen Arten nachuntersucht. Es ist dabei aus dem Bericht über die Challenger-Sammlung jene er- schöpfende Monographie der Hexactinelliden geworden, die uns vorliegt. Ursprünglich sollte Sir Wyville Thomson den systematischen Teil der Arbeit und Schulze den anatomisch - histologischen Teil ausführen. Dieses Arrangement wurde durch die Krankheit und den Tod Sir Wyville’s vereitelt. 48 von Lendenfeld, Schulze’s Challenger-Report über die Hexaetinelliden. Daraufhin wurde Herrn Schulze die gesamte Arbeit übertragen und mit Recht hebt der Herausgeber Mr. John Murray in dem Vorworte hervor, dass es „a singularly fortunate eireumstance“ war, dass Schulze bewogen werden konnte diese Arbeit zu unternehmen. Die Verhältnisse, unter denen er diese Arbeit begann und durchführte, sind in der Einleitung von F. E. Schulze in anziehender Weise geschildert. Das Werk beginnt mit einer geschichtlichen Einleitung. Daraus entnehmen wir, dass der systematische Begriff der Hexactinellida von OÖ. Sehmidt im Jahre 1870 aufgestellt wurde. Eine der ersten Hexactinelliden, welche bekannt geworden sind, wurde im Jahre 1780 in Rozier’s Journal de Physique beschrieben. Es ist dies ein Dactylocalye. Im Jahre 1832 beschrieb Gray den Wurzelschopf einer Hyalonema, ohne seine Bedeutung zu kennen. Die allbekannte Zuplectella aspergillum wurde von Owen im Jahre 1841 beschrieben. Bowerbank, Gray und Owen machten noch wei- tere Arten bekannt. Später haben dann noch viele andere Au- toren Hexactinelliden beschrieben. Die wichtigsten Arbeiten über diese Spongien sind jene von Claus über Euplectella, von Marshall über die Hexaetinelliden im allgemeinen und vorzüglich von Zittel über die fossilen Hexactinelliden. Trotz der Mannigfaltigkeit der Formen ist es nach Schulze leicht, alle auf eine Grundform zurückzuführen. Diese ist sackförmig und wird außen von einer feinen porenreichen Haut bekleidet. Die Poren führen in weite, von einem Netz zarter Trabekeln durchzogene Räume, welche unten von den großen handschuhfingerförmigen und dichtstehenden Geißelkammermembranen begrenzt sind. Die Kammer- wände werden von zahlreichen Poren durchbrochen; ihre Ausströ- mungsöffnungen sind sehr weit. Die Ränder der Kammerwände sind derart durch eine Membran verbunden, dass der äußere Raum nur durch die Poren in den Kammerwänden mit dem innern Raum kom- muniziert. Unter dieser Membran breitet sich ein ebenfalls von einem Netz feiner Fäden durchzogener Raum aus, in den sich die Geißelkammern öffnen. Dieser wird durch eine siebartige porenreiche Haut von der zentralen Gastralhöhle des sackförmigen Schwammes getrennt. Schulze unterscheidet demnach folgende fünf Schichten, aus denen sich der Körper einer jeden Hexactinellide zusammensetzt: 1) Die Dermalmembran, 2) das subdermale Trabekelnetz, 3) die Geißel- kammern, 4) das subgastrale Trabekelnetz und 5) die Gastralmembran. In den einfachern Formen ist die Geißelkammerlage der äußern Ober- fläche annähernd parallel und nur wenig gefaltet. In höher ent- wickelten, speziell in den diekwandigen Becherformen hingegen, faltet sich die Geißelkammerlage ähnlich wie bei andern Spongien. Hier finden wir dann Divertikel, welche von der subdermalen Trabekelzone von Lendenfeld, Schulze’s Challenger-Report über die Hexaetinelliden. 49 nach innen vorspringen und dem entsprechend auch Fortsätze des Subgastralraumes, in die sich die Geißelkammern öffnen. Die Trabekeln in den weiten Subdermal- und Subgastralräumen sind sehr eigentümlich. Sie sind den feinen Fäden homolog und ähnlich, welche ich bei Dendrilla rosea (Zeitschr. f. wiss. Zool. 1883) beschrieben habe. In diesem Schwamme kommen ebenso wie bei den Hexactinelliden nicht bloß weite Subdermal-, sondern auch Sub- gastralräume vor, welche ich seinerzeit (loc. eit.) genau beschrieb. Ich hebe dies hier hervor, weil Schulze es unterlassen hat, auf diese auffallende und wie mir scheint besonders interessante und wichtige Uebereinstimmung zwischen Dendrilla rosea und den Hexactinelliden besonders hinzuweisen. Die Trabekel des Subgastralraumes reichen in die abführenden Kanäle oft weit hinauf. Die Gastralmembran zieht häufig glatt über diese Faltungen der Geißelkammerlage hinweg, in andern Fällen nimmt sie an der Faltung teil. Bei gewissen röhrenförmigen Hexactinelliden, wie z. B. bei Eu- plectella, ist die Mündung der Röhre von einer durch ein besonderes Skelet gestützten Siebplatte bedeckt. Oefters erscheint die Röhren- wand von Löchern durchbrochen, welche die Gastralhöhle mit dem umgebenden Wasser in direkte Verbindung setzen. Diese Löcher sind zuweilen, wie z. B. bei Euplectella von irisartigen Membranen umgeben, welche dieselben wahrscheinlich mehr oder weniger ver- schließen können. Häufig wird ein Stiel beobachtet, welcher als ein basaler Fortsatz der Leibeswand erscheint. Der Stiel ist hohl oder solid. Die Röhrenform kann durch distale Erweiterung in die Trich- terform übergehen und sich noch weiter zu einer flachen Schale ab- platten. Die Höhlung der Schale ist dem Lumen der Röhre homolog, und es finden sich daher die Einströmungsöffnungen stets auf der Außenseite, respektive Unterseite und die Ausströmungsöffnungen auf der Innen- respektive Oberseite. In Eurete und Farrea finden wir verzweigte und anastomosierende, zu Netzen zusammentretende Röhren. Auf jedem freien Röhrenende liegt ein Osculum. Eine spezielle, den Schwamm teilweise verdeckende Platte wird bei Aulocystis angetroffen. Im feinern Bau scheinen die Hexactinelliden mit andern Spongien übereinzustimmen; eine besonders zu erwähnende Abweichung wird nur in den Kragenzellen — der Kragen konnte freilich nieht demon- striert werden — angetroffen. Auf der Oberfläche der Geißelkammern wird nämlich eine regelmäßige Netzstruktur mit quadratischen oder rhombischen Maschen beobachtet, welche Sehulze darauf zurückzu- führen geneigt ist, dass eine jede Kragenzelle vier basale, kreuzweise angeordnete Ausläufer besitzt. Die Ausläufer benachbarter Zellen anastomosieren und bilden auf diese Weise das erwähnte auffende und regelmäßige Netz. Bei andern Spongien wird eine solche Netz- struktur in den Kammern niemals beobachtet. VI, 4 50 von Lendenfeld, Schulze’s Challenger-Report über die Hexactinelliden. Ueber die Embryologie der Hexactinelliden hat Schulze keine besonders interessanten Beobachtungen gemacht, wohl aber über die Vermehrung durch Sprossung, welche besonders bei Polylophus phi- lippinensis verfolgt wurde. Häufig sterben die Schwämme im basalen Teile ab, während sie distal fortwachsen. Nadeln von Hexactinelliden, welche längere Zeit nach dem Tode des Schwammes der Wirkung des Meerwassers ausgesetzt waren, zeigen einen erweiterten Axenkanal. Frühere Systematiker haben auf die Verschiedenheiten in der Weite des Axen- kanals in den Nadeln hin verschiedene Arten unterschieden. Durch diese Entdeckung Schulze’s verlieren solche Unterscheidungen natür- lich ihren Wert. Schulze ist nicht geneigt eine scharfe Unterscheidung zwischen den kleinen, locker in der Grundsubstanz liegenden, sogenannten Fleischnadeln oder Mikrosclera und den größern, das eigentliche Stützskelet bildenden Skeletnadeln oder Megasclera gelten zu lassen, er weicht in dieser Beziehung von den frühern Autoren ab. Schulze bestätigt im allgemeinen die frühern Angaben von Claus über den Bau der Nadeln. Er gibt als Resultat einer von Maly ausgeführten Analyse an, dass die bei 105° getrockneten Nadeln noch 7,16), Wasser in gebundenen Zustand enthalten. Schulze vergleicht die Nadelsubstanz daher mit dem Opal. Alle Nadeln der Hexaectinellida sind triaxon, und es lassen sich stets die drei Axen nachweisen, welche wie die Axen des regulären Krystallsystems auf einander senkrecht stehen. Die Strahlenzahl — ursprünglich sechs — ist häufig reduziert, danach unterscheidet Schulze Hexacte, Pentacte, Tetraete, Triaete, Diaete und Monacte Nadeln. Auch in den letztern sind die drei Axen in Gestalt von Kanalrudimenten noch nachweisbar. Nadeln, welche aus mehr als sechs Strahlen bestehen, sind aus einer der obenerwähnten Formen durch Verzweigung der Strahlen entstanden. Es würde hier zu weit führen auf die Detailbeschreibung der unendlich mannigfaltigen Nadel- formen einzugehen. Schulze widmete diesem Abschnitt 20 Seiten. Das von Schulze aufgestellte System ist folgendes: Order Hexactinellida or Triaxonia. Suborder I. Lyssacina Zittel. Tribe 1. Hexasterophora F. E. S. Fam. 1. Euplectellidae. Fam. 2. Asconematidae. Fam. 3. Rossellidae. Tribe 2. Amphidiscophora F. E. S. Fam. 1. Hyalonematidae. Suborder Il. Dietyonina Zittel. von Lendenfeld, Schulze’s Challenger-Report über die Hexaectinelliden. 54 Pribel. Uncinataria DT. S& I. Olavularia. Fam. 1. Farreidae. II. Scopularia. Fam. 1. Euretidae. Fam. 2. Mellittionidae. Fam. 3. Coseinoporidae. Fam. 4. Tretodictyidae. Tribe 2. Inermia. Fam. 1. Meandrospongidae. Obwohl nicht unwesentliche Abweichungen vorkommen, so findet sich doch eine sehr erfreuliche Uebereinstimmung zwischen Schulze’s System und dem ältern, vorzüglich auf die fossilen Hexactinelliden ge- gründeten System von Zittel. Ein detaillierter Schlüssel zur Bestimmung der rezenten Arten ist dem systematischen Teil beigefügt. Hexactinelliden wurden vom „Challenger“ an 58 Stellen gedredged, meist nur eine oder wenige Arten auf einmal, mit einem Dredgezuge einmal jedoch nicht weniger als 18 verschiedene Arten. Die Hexae- tinelliden sind an keine Lokalität und an keine Zone gebunden; so- weit unsere Erfahrung reieht, können wir sagen, dass sie überall, jedoch nur an wenigen Orten besonders häufig vorkommen. Sie sind aus Tiefen von 95—3000 Faden heraufgebracht worden, in seichterem Wasser fehlen sie wohl ziemlich sicher. In tieferem Wasser als 3000 Faden könnten sie aber wohl vorkommen. Zwischen 95 und 900 Faden sind die Hexaetinelliden am häufigsten, jedoch auch bis zu 2500 Faden hinab in 40—50°/, der Schleppnetzzüge vom Chal- lenger gefunden worden. Von den in Tiefen von 2500 bis 3000 Faden ausgeführten Challenger-Schleppnetz-Zügen enthielten blos 12,4%, Hexactinelliden. Ansehnliche und sehr detaillierte Tabellen begleiten diesen Abschnitt. Von besonderem Interesse ist der Teil über die Phylogenie der Hexactinelliden. Der Referent — der obenerwähnte „E. P. W.* — von Schulze’s Arbeit in Nature ist nicht damit einverstanden, dass man auf eine so mangelhafte Basis (wie diese Monographie sie bietet) phylogenetische Schlüsse aufbauen soll. Da muss ich denn doch be- merken, dass das Material zu einem solehenZweck vollkommen genügend ist, und dass Schulze einen großen Fehler begangen haben würde, wenn er diese Konsequenzen nicht gezogen hätte. Es gibt eben Leute, die kein induktives Talent und daher auch für solche induktive Schlüsse wie Stammbäume und dergleichen kein Verständnis haben. Es ist wohl möglich, dass „E. P. W.“ keinen richtigen Stammbaum aus den beobachteten Thatsachen hätte zusammenstellen können, daraus folgt aber noch lange nicht, dass F. E. Schulze dazu unfähig ist. Für Herrn „E. P. W.“ und seine Gesinnungsgenossen ist eben, um 4* 52 von Lendenfeld, Schulze’s Challenger-Report über die Hexaectinelliden. mit dem Helden in „Kabale und Liebe“ zu reden, „Das Pulver nicht erfunden |“ Der Stammbaum stellt sich folgendermaßen dar: Der erste, tief unten abgehende Ast trägt die Familie Hyalonematidae. Der obere Teil des Stammes teilt sich dann in zwei Aeste. Der eine trägt als frühe Abzweigung die Maeandrospongidae und weiters die Asconema- tidae, Rossellidae und Euplectellidae. Der andere teilt sich abermals dichotom in zwei Zweige. Auf dem ersten finden wir bloß die Farreidae; der zweite hingegen ist fast doldenartig verästelt und läuft in die annähernd gleichalten Familien Euretidae, Melittionidae, Coseino- poridae und Tetrodietyidae aus. Lyssacina und Diectyonina waren schon im Silur getrennt. Was die Verwandtschaftsverhältnisse der Spongien im allgemeinen anbelangt, so bemerkt Schulze folgendes (S. 496 ff.): Die Kalk- schwämme stehen allen andern Spongien gegenüber. Die Horn- schwämme sind von monaxonen Kieselschwämmen dureh Substitution des Spongins für das ursprüngliche Kieselskelet entstanden. Die Plakiniden verbinden die Tetraxonen mit den monaxanen Kiesel- schwämmen. Die erstern sind die phylogenetisch ältern Formen. Die Triaxonier (Hexactinelliden) stehen mit den Monaxoniern in keinem phylogenetischen Zusammenhang. Es erscheint der Stammbaum der Spongien nach Schulze folgendermaßen: Der Spongienstamm teilte sich früh in drei äquivalente Aeste: Calearea, Tetraxonia und Triaxona. Aus den Tetraxoniern ent- wickelten sich die Monaxonier und weiters die Hornschwämme und die skeletlosen Schwämme. Die einzige Gattung Bajalus, welche ich vor einigen Jahren beschrieb, macht Schulze Schwierigkeit, und er spricht die Möglichkeit aus, dass Bajalus eine degenerierte skeletlose Hexactinellide sein könnte. Meine neuern Untersuchungen haben dies bestätigt und es hat dabei noch ein weiteres Bewandtnis, welches in meiner imDruck befindlichen Hornschwammmonographie im Detail aus- geführt ist. Da es jedoch hier zu weit führen würde die zahlreichen Beobachtungen anzuführen, welche meine diesbezüglichen Schlüsse stützen, so will ich auch die letztern lieber nicht „vorläufig“ mitteilen. Was die Gesetze anbelangt, nach welchen die Nadeln angelegt werden, so spricht sich unser Autor sehr entschieden gegen die An- sicht aus, dass wir es dabei mit irgendwelchen Krystall- Bildungs- gesetzen zu thun haben. Er verwirft die Theorie der Biokrystalli- sation vorzüglich aus dem Grunde, weil die Nadeln optisch und che- misch als amorphe — opalähnliche Gebilde — erscheinen. Sehulze nimmt drei Nadelgrundformen an, nämlich 1) drei- strahlige Kalknadeln, 2) vierstrahlige Kieselnadeln und 3) sechs- strahlige Kieselnadeln. Diese haben sich unabhängig von einander gebildet, und aus ihnen sind alle bekannten Nadelformen der Schwämme Wlassak, Beiträge zur Physiologie der Leberzelle. 53 entwickelt worden. Die Hornnadeln von Darwinella wurden von Sehulze nicht in den Kreis seiner Betrachtungen gezogen. Die ursprüngliche Bildung der drei obenerwähnten Nadel-Grund- formen stellt Schulze (S. 501 ff.) folgendermaßen dar: In Schwämmen, welche aus einer dünnen, von zahlreichen, gleich- mäßig verteilten Poren durchsetzten Lamelle bestehen, wie die röhren- förmigen, einfachen Ascones, bildeten sich zwischen den Poren in der Lamelle dreistrahlige Nadeln, deren Strahlen in der Fläche der Lamelle lagen und die Poren umgriffen, in der Weise, dass jede Pore von einem, durch die Strahlen von drei oder sechs Nadeln gebildeten sechseckigen Rahmen umschlossen wurde. In massiven Schwämmen mit diehtstehenden kugligen Geißel- kammern bildeten sieh Vierstrahler, indem zwischen den Kammern vierstrahlige Räume blieben. Wenn man sich einen Kugelhaufen vor- stellt, so sieht man, dass vierstrahlige Nadeln gut zwischen die Kugeln hineinpassen würden, nicht aber anders gestaltete Nadeln. Die Sechs- strahler bildeten sich in ähnlicher Weise wie die Vierstrahler zwischen fingerhutförmigen Geißelkammern, welche einschichtig in einer dünnen Lamelle, nebeneinander stehend, angeordnet sind. Beiträge zur Physiologie der Leberzelle. Separatabdruck aus dem Archiv für Anatomie und Physiologie. Physiologische Abteilung. Supplementband. Die unter obigem Titel als Separatabdruck erschienenen, sämtlich unter Gaule’s Leitung ausgeführten Arbeiten haben es sich zur Auf- gabe gestellt, die morphologischen Aenderungen, die durch Aenderung des Chemismus der Leberzellen entstehen, zu studieren. Den Aus- gangspunkt bildeten die Verfolgung der Gewebsveränderung bei Phos- phorvergiftung. Dabei hatte es sich herausgestellt, dass man, um vergleichbare Bilder zu erhalten, auch diejenigen Faktoren in Rech- nung ziehen müsse, die normalerweise den Chemismus der Leber- zellen beeinflussen: es sind dies die Ernährung und die Jahreszeit, die in letzter Linie für den Frosch, der als Untersuchungsobjekt diente, auch wieder Wechsel der Ernährungsbedingungen ist. Für eine derartige Untersuchungsreihe war es von der größten Wichtigkeit eine Methodik auszubilden, die einen gleichmäßigen Aus- druck für die große Zahl der verschiedenen Variabeln liefert. Es wurde wie folgt verfahren. Die Lebern der Tiere, die den verschie- densten experimentellen Eingriffen unterworfen worden waren, wurden ohne Ausnahme in derselben Erhärtungsflüssigkeit (konzentrierte Sub- limatlösung) bei derselben Temperatur (40° C.) möglichst gleich lange Zeiten behandelt. Das Einbettungsverfahren war immer dasselbe; ebenso wurde die Dicke der Schnitte stets gleich gehalten. Der wich- tigste Punkt war aber die Färbung. Die schon früher von Gaule’s Schülern gemachten Erfahrungen über die von ihm eingeführte vier- 594 Wlassak, Beiträge zur Physiologie der Leberzelle. fache Färbung mit Hämatoxylin, Nigrosin, Eosin und Safranin ließ die elektiven Eigenschaften dieser Tinktionsmittel als genügend für die hier gestellte Aufgabe erscheinen. Um noch die aus längerer oder kürzerer Einwirkung des Färbemittels bei Präparaten, die ver- schiedenen Versuchsreihen angehören, entstehenden Differenzen zu be- seitigen, wurden diese auf demselben Objektträger gefärbt. Dies gestattete dann, die aufgetretenen Differenzen auf die Verschiedenheit des experimentellen Eingriffes zu beziehen. Weiter wurden Messungen und Zählungen angestellt: Messungen über den Durchmesser der Zellen und Kerne. und das relative Areale der Blutgefäße und des Drüsenparenchyms und der Pigmentanhäu- fungen, Zählungen über die absolute Zahl der Kerne, ferner der ver- änderten und unveränderten u. s. w. Beigegeben sind den Abhand- lungen chromolithographische Tafeln, die auch die feinsten Nuancen der Farben der Präparate auf das genaueste wiedergeben. I. Stolnikow, Vorgänge in den Leberzellen, insbesondere bei der Phosphorvergiftung. Der Erörterung der Vorgänge wird die methodische Forderung vorangestellt, dass man als Ursache der beobachteten Veränderungen die Aufnahme des Phosphors in die Zelle selbst ansehe, genauer aus- gedrückt, die Entstehung neuer Körper durch Anfügung des Phosphors in der Zelle selbst. Man beseitigt damit das Dunkle im Begriff des Reizes. Gestützt wird diese Annahme durch zweierlei. Einmal ist es grade die phosphorreichste Substanz der Zelle, das Nuklein bezw. der Kern, der die stärksten Veränderungen zeigt. Dann die Befunde über die Struktur der Leberzellen bei verschiedener Ernährung, die beweisen, dass wir die einzelnen mit der beschriebenen Methodik er- haltenen Bilder als Ausdruck des Chemismus der Zelle ansehen müssen. Die diesbezüglichen Versuche sind folgende: Möglichst gleiche Frösche wurden unter sonst gleichen Bedingungen nur mit Wasser, nur mit Zucker oder nur mit Pepton ernährt. Die Lebern der Tiere zeigten Differenzen in Färbbarkeit und Struktur. Die Zuckerleber ist reich an eosinophiler Substanz, ihre Kerne sind mit Safranin ge- färbt. In der Peptonleber ist das Protoplasma nigrosinophil, der Kern zeigt eine intensive Hämatoxylinfärbung. Die Wasserleber steht zwischen beiden. Ebenso different ist die übrige Struktur. In der Zuckerleber finden sich um den Kern große, helle Räume, umschlossen von nur wenigen feinen Protoplasmafäden. Gegen den innern Rand der Zelle ist das Protoplasma dichter und schließt zahlreiche eosino- phile Körner ein. Die Zellen der Zuckerleber übertreffen an Größe die der beiden andern. In der Peptonleber ist das Protoplasma gleich- mäßiger verteilt, die nigrosinophile Grundmasse umschließt zahlreiche Wlassak, Beiträge zur Physiologie der Leberzelle. 55 ovale Körper, die sich bald mit mehr Nigrosin, bald mit mehr Eosin färben. Die Wasserleber ähnelt im allgemeinen der vorigen, nur die ovalen Körper sind weniger deutlich und regelmäßig. Um Gewissheit darüber zu erlangen, dass diese Unterschiede Differenzen der chemischen Zusammensetzungen sind, wurden die be- treffenden Lebern auf ihren Gehalt an Glykogen, Cholesterin, Leeithin und Neutralfett untersucht. Am glykogenreichsten er- wies sich die Zuckerleber; es liegt daher nahe, die eosinophilen Körper derselben auf das Glykogen zu beziehen, zumal Freriehs und Ehrlich dessen Vorkommen in besondern, Mikrosomen ge- nannten Gebilden schon nachgewiesen hatten. Der Fettgehalt der Zuckerleber bestand fast ausschließlich aus Neutralfett. Die Pepton- leber dagegen zeigte sich reich an Cholesterin und Leeithin. Auf dieses letztere können vielleicht die ovalen, im Protoplasma einge- lagerten Körper bezogen werden. Die chemische Analyse hat also die Berechtigung der obigen Deutung der histologischen Bilder er- wiesen. Diese Befunde sagen noch nichts aus über die eigentlichen Vor- gänge in der Leberzelle. Ihre Bedeutung bezieht sich mehr auf die prinzipielle Auffassung der mit dieser Methode erhaltenen Resultate. Näheres über den Formenzyklus in der Leber bieten die Bilder der Phosphorleber. Zur Vergiftung dienten Pillen von 0,1 oder 0,3 mg Phosphor, in Oel gelöst, mit Gummi verteilt. Zunächst die Veränderungen in frühen Stadien der Vergiftung. Sie charakterisieren sich alle dahin, dass die Chromatinsubstanz des Kernes vermehrt, die Kernmembran durchbrochen wird und der Kern- inhalt sich dem Protoplasma beimengt. Die aus dem Kern austretenden Gebilde sind von zweierlei Art. Erstens zirkumskripte Gebilde, hyaline Bläschen und Körnchen aus Chromatinsubstanz, die nach dem Vor- gange von Ogata Karyosomen genannt werden. Zweitens größere Gebilde, die im Verein mit den hyalinen Bläschen und Karyosomen oft von diesen umgeben aus dem Kerne austreten, und dem ent- sprechen, was Ogata im Pankreas als Plasmosoma beschrieben hat. Mit diesen stimmt es in seiner Farbenreaktion überein. Bezüg- lich der Details der Struktur der aus dem Kerne austretenden Gebilde muss auf die Originalabhandiungen und vor allem auf die Abbildungen verwiesen werden. Zwischen den erwähnten verschiedenen Gebilden besteht ein genetischer Zusammenhang. Man kann den Uebergang von der Chromatinfärbung des Kernes bis zu der Färbung der, das Protoplasma erfüllenden Körperchen verfolgen. Diesen letztern Ele- menten sind wir in der Peptonleber schon begegnet; sie sind nach der Phosphorvergiftung besonders zahlreich. Das plasmosomenähn- liche Gebilde zeigt anfangs eine schalenartige Struktur, genau wie der Nebenkern im Pankreas, von dem es sich aber durch die Fär- bung unterscheidet. Diese schalenartige Struktur geht in der weitern 56 Wlassak, Beiträge zur Physiologie der Leberzelle. Entwicklung jedoch verloren, und in seinem Innern erscheinen die kleinen, später im Protoplasma sich findenden Körperchen. „Es stammen also im Protoplasma sich findende Gebilde aus dem Kern, sie sind in diesem entwickelt. Das Protoplasma ist von den, vom Kern auswandernden Gebilden entstanden“. Kann diese Anschauung eine allgemeinere Giltigkeit beanspruchen ? Man muss sich hier an die von Ogata im Pankreas beobachtete Zellerneuerung bei der Sekretion erinnern. Dort wandert aus dem Kern das Plasmosoma aus, wird zum Nebenkern, und dieser entwickelt seinerseits wieder die Zymogenkörner, die zum Proto- plasma der neuen Zelle werden. Die Analogie ist also eine teilweise. In der Leber und im Pankreas entsteht das Protoplasma aus Bestand- teilen des Kernes, im Pankreas aber führt dieser Vorgang auch zu der Bildung einer neuen Zelle aus dem Nebenkern. Dieser Vorgang fehlt in der Leber. Findet die Zellerneuerung aber vielleicht normalerweise in der Leber statt? Um dies zu eruieren, wurden die Lebern von pilokarpini- sierten Tieren untersucht. Es fanden sich auch in diesen die aus- sewanderten Plasmosomen, nirgends aber Nebenkerne und eine Neu- bildung von Zellen aus diesen. Es erklärt sich dies daraus, dass die Leberzelle sich nicht fortwährend durch die Bildung von Zymogen- körnern erschöpft. Ihre Neubildung muss als eine allmähliche Um- wandlung der aufgenommenen Stoffe angesehen werden. Zunächst werden diese vom Kern aufgenommen, und dieser gibt sie in ent- sprechenden Umformungen wieder an das Protoplasma ab. Die er- haltenen Bilder beweisen aber, dass dies unter sichtbaren Formen- veränderungen der Zelle vor sich geht. Unter Umständen kann dieser Vorgang so stürmisch werden, dass der Kern seine Form nicht mehr zu behaupten im stande ist, dass es zu seinem gänzlichen Zerfall kommt. Derartige Zellen kom- men vor. In diesem Fall findet die Neubildung der Zellen nach einem andern Modus statt. Kleinste Bruchstücke des zerfallenen Kernes, die von Gaule in seinem Straßburger Vortrage!) als Karyozoen beschriebenen Elemente, sind im stande diese Ausbildung anzuregen. Man muss für sie eine Bewegungsfähigkeit annehmen, da man die Spuren ihres Weges in kernlose Zellen hinein verfolgen kann. Dort scheint die Neubildung des Kernes in der Weise stattzufinden, dass die Karyozoen die im Protoplasma vorhandenen Körperchen um- spinnen, und mit diesen neues Chromatin bilden. Zahlreiche Abbil- dungen in den Tafeln geben über diese komplizierten Verhältnisse nähere Auskunft. Dieser Vorgang muss von besonderer Bedeutung sein in den späten Stadien der Vergiftung. Die Zelle ist hierbei fortwährend 1) Die Bedeutung der Cytozoen für die Natur der tierischen Zelle. Biol. Centralblatt. Bd. VI, S. 345 ff. Wlassak, Beiträge zur Physiologie der Leberzelle. 57 bemüht, an die Stelle der alten vergifteten neue unvergiftete zu setzen, was sie nur durch die Aussendung von Keimen aus den Kernen ver- mag. Bei der andauernden Zufuhr des Giftes werden diese Keime aber auch schon vergiftet sein, so dass es zu der Ausbildung von neuen Zellen nicht kommen kann. Es entstehen dann nur Körnchen von Chromatinsubstanz oder nur zwei leicht differenzierte Substanzen. Die weitern Verhältnisse, wie sie sich in den fortgeschrittenen Stadien der Vergiftung ergeben, können nur unter Beihilfe der Tafeln be- schrieben werden. Ich hebe nur folgendes hervor. An einzelnen wenigen Stellen sind Zellen vorhanden, die den normalen Leberzellen gleichen. Dazwischen sind weite, den Blutgefäßen entsprechende Lücken, die zum Teil mit Blutkörperchen, zum Teil mit Pigment er- füllt sind. Dieses letztere ist zu !/;—!/, des Gesamtareals der Leber vermehrt. In der Nähe der Pigmenthaufen findet man größere oder kleinere, mit Safranin tief gefärbte Körper, die mitunter von etwas nigrosinem Protoplasma umgeben sind. Sie werden als Vorstufen der Atrophie der Leberzellen gedeutet. Als eine Variation der Phosphorvergiftung wurde die Exstirpation des Fettkörpers vorgenommen, zunächst um den Transport von Fett in die Leber zu verhindern. Es zeigte sich, dass diese Operation Veränderungen hervorruft, die ein selbständiges Interesse beanspruchen. Die Exstirpation wurde mit Wasser-, Zueker- und Peptonernährung kombiniert. Außer dem für die betreffende Ernährung charakteristi- schen Aussehen zeigten sich in dem Protoplasma große helle Räume, meist in den peripheren Teilen der Zelle. Die Zellen als Ganzes sind vergrößert. Die Kerne zeigen ähnliche Verhältnisse wie bei der Phosphorvergiftung: Oeffnung der Kernmembran, Heraustreten von Plasmosomen und Ablösen länglicher Körper vom Rande des Kernes, die den Karyozoen entsprechen. Besonders interessante Formen bieten die Peptonlebern dieser Versuchsreihe. Der Kern trägt eine Art von Kappe oder Helm, die sich tief mit Safranin färbt. Sie sitzt dem Kern nach der Seite hin auf, an der sich das Protoplasma findet, und geht in dieses allmählich über. Dabei ändert sich die Farbe successive vom Safranin zum Eosin und Nigrosin. Der Kern selbst birgt in diesen Fällen zahlreiche safranophile Elemente. Diese Gebilde werden mit der Peptonernährung in Beziehung gebracht. Auch in den beiden letztbesprochenen Versuchsreihen, der Phosphor- vergiftung und der Fettkörperexstirpation, wurden zur Kontrole der histologischen Befunde die betreffenden Lebern der chemischen Analyse unterworfen. Vor allem ergab sich bei der Phosphorvergiftung eine bedeutende Gewichtszunahme der Leber. Bei ernährten Tieren kann die Leber in 4 Tagen um !/,, bei nieht ernährten um ?/, ihres Ge- wichtes steigen. Noch bedeutender ist diese Zunahme bei Kombina- tion der Vergiftung mit der Fettkörperexstirpation. Die Leber er- reicht dann in 4 Tagen das Doppelte ihres Gewichts. T #3 Wlassak, Beiträge zur Physiologie der Leberzelle. 3 Die Analyse von vergifteten und unvergifteten Lebern ergab für die Phosphorleber eine absolute und relative Vermehrung des Fett- gehalts. Auch diese ist am stärksten bei gleichzeitiger Fettkörper- exstirpation. Wie setzen sich damit die histologischen Bilder in Einklang? Zunächst die Gewichtsvermehrung. Es wurden in diesem Falle keine Messungen vorgenommen. Der allgemeine Eindruck, den die Präpa- rate machen, geht aber dahin, dass in der Phosphorleber sowohl die einzelnen Zellen vergrößert sind, als auch deren Zahl vermehrt ist. (Es wird ausdrücklich hervorgehoben, dass dies nicht durch indirekte Kernteilung stattgefunden, da diese nur einige wenige mal am Rande der Leber und in den Gefäßen gesehen wurde.) Wo findet sich aber das entsprechende histologische Element für die Fettvermehrung? In den Präparaten .war nichts von den größern und kleinern Fetttröpfehen der fettigen Degeneration zu sehen. Erst als man die Zellen der vergifteten Leber auf die gebräuchliche Weise in 0,6 °/, NaCl-Lösung untersuchte bezw. darin absterben ließ, traten die Fetttröpfehen auf. Noch deutlicher wurden sie bei Essig- säurezusatz. Dies führte zu der Vermutung, dass das Fett in den Zellen in einer Verbindung enthalten sei, die durch den Prozess des Absterbens und durch Säure gespalten wird. Ein soleher Körper kann das Leeithin sein, das sich gegen Säure sehr empfindlich er- weist. Die chemische Analyse bestätigte diese Vermutung. Es steigt in der That der Leeithingehalt der Leber bei der Phosphorvergiftung ganz außerordentlich. Ich teile hier die Zahlen mit: Auf 100 & Frosch: Ernährung. Unvergiftet. Phosphorvergiftung. Nichts Lecithin (0,006) 0,006 (0,096) 0,070 Zucker Spur Spur (0,093) 0,094 Pepton (0,056) 0,046 (0,173) 0,103. Ein gleiches Resultat ergibt sich, wenn man den Prozentanteil des Leeithins an dem Gesamtfett ermittelt. Bei der Phosphorvergif- tung fällt mehr als die Hälfte auf das Leeithin. Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass man diesen hohen Leeithingehalt auf die zahlreichen ovalen, im Protoplasma enthaltenen Körperchen beziehen muss. Wir finden sie auch in der Peptonleber, die gleichfalls einen hohen Gehalt an Leeithin zeigt. | Um das Auftreten dieser Elemente zu erklären, kann man die Hypothese machen, dass der Phosphor zunächst in den Kern autf- genommen wird, hier zu einer Vermehrung des Nukleins führt, die ihrerseits wieder die mannigfaltigen, an dem Kern auftretenden Ver- änderungen zur Folge hat, die alle eine Substanzabgabe des Kernes bedeuten. Die aus dem Kern ausgetretenen Elemente verlieren außer- halb desselben ihre Beschaffenheit als Kernbestandteile, der Phosphor ist jetzt nicht mehr in dem Nuklein enthalten, sondern in den proto- Wlassak, Beiträge zur Physiologie der Leberzelle. 59 plasmatischen Elementen, in dem Leeithin. Schließlich muss es dann zur völligen Abspaltuug des Phosphors kommen. Die Analyse der Lebern von Tieren, denen nur der Fettkörper exstirpiert worden war, ergab gleichfalls eine bedeutende Vermehrung des Fettgehaltes; jedoch nur bei den ernährten, bei den hungernden war er eher herabgesetzt. Auch hiermit stimmen die histologischen Bilder gut. Man muss annehmen, dass die Vergrößerung der Zellen, die Gruppierung des Protoplasmas um den Kern, der Zerfall dieses, und das Auftreten von Karyozoen Teilerscheinungen des Prozesses der Fettbildung seien, den der Organismus in der Leber bei Zufuhr von geeignetem Ernährungsmaterial dort ausführt. Bei der Mannigfaltigkeit der erhaltenen Resultate können diese nicht auf eine einfache Formel gebracht werden. Zwei Gesichts- punkte werden aber für diese Ergebnisse in betracht zu ziehen sein. Einmal ist hier ein Beispiel dafür gegeben, wie ein in die Zelle auf- genommenes Gift eine Reihe von typischen Umformungen herbeiführt. Der Weg, den das Gift genommen, ist uns nun ziemlich klar, und er kann uns darüber belehren, welehen Weg überhaupt die in die Zelle eingeführten Stoffe nehmen. Der zweite Gesichtspunkt ist der, dass diese Untersuchungen lehren, dass die Zelle ihren verschiedenen che- mischen Aufgaben nur mit einer diesen spezifisch angepassten Struktur gerecht werden kann, und wir demgemäß aus der letztern auf die erstere zu schließen berechtigt sind. II. Alice Leonard, Der Einfluss der Jahreszeit auf die Leberzellen von BRana temporaria. Der Wechsel in dem Befund in den Lebern der Frösche in den verschiedenen Jahreszeiten koiunte zunächst auf den Gedanken führen, dass es sich nur um eine verschiedene Füllung der Leberzellen, ent- sprechend der Hunger- und Fressperiode des Frosches handle. Man kann aber nachweisen, dass die Verschiedenheit in den Jahreszeiten nicht allein von einer veränderten Struktur der Leberzelle selbst her- rühre, sondern dass auch die andern zelligen Elemente der Leber, das Bindegewebe, die Blutgefäße, Blutkörperchen und Pigmentzellen an der Umformung teilnehmen. Die erhaltenen Bilder lassen keinen Zweifel darüber, dass außer der veränderten Füllung der Leberzellen die gesamte Leber in den verschiedenen Jahreszeiten auch eine ver- änderte Beziehung zu der Blutbildung hat. Sie verhält sich in dieser Beziehung ähnlich der Milz, für die Gaule in seinem Straßburger Vortrage bereits die zyklischen Ver- änderungen bezüglich ihrer blutbildenden Funktion beschrieben hat. Unter diesen Verhältnissen war es von Wichtigkeit, den allge- meinen Bau der Leber von Aana temporaria genau zu kennen. Sie besitzt nieht den einfachen Bau der Schlangenleber, wie ihn Hering beschreibt. Zu manchen Zeiten ist-der Bau deutlich tubulös, zu 60 Wlassak, Beiträge zur Physiologie der Leberzelle. andern Zeiten ist es wieder schwer zu bestimmen, welchem Drüsen- typus sie angehört. Das Bindegewebe folgt dem Verlauf der Pfort- aderäste und den größern Gallengängen. In diesen Bindegewebs- zügen finden sich kleine Gefäße, die sich durch Injektion als Aeste der Leberarterie erwiesen. Besonders charakteristisch sind aber die Pigmentanhäufungen, die in regelmäßigen Abständen sich finden, und in ihrer Anordnung an den acinösen Bau der Säugetierleber erinnern. Stets finden sich in diesen Pigmenthaufen Blutgefäße. Die Unter- schiede der Leberzellen sind zunächst Unterschiede in der Größe. Die Mittelwerte einer großen Anzahl von Messungen ergaben als mittlern längsten Durchmesser: November Dezember April Juni Juli 0,0292 mm 0,0162 mm 0,012 mm 0,0172 mm 0,0274 mm. Der höchste Wert fällt auf November, der geringste auf April. Im Juli ist fast schon wieder der Wert von November erreicht. Außerdem wurde die Zahl der auf einer gegebenen Fläche vorhandenen Kerne gezählt. Die Mittelzahlen sind: November Dezember April Juni Juli 58,68 112,06 290,06 232,06 73,04. Die Kurve läuft hier umgekehrt. Je kleiner die Zelle, desto größer die Anzahl der Kerne auf der Flächeneinheit. Das Maximum liegt im April. Daraus darf man aber nicht schließen, dass die Gesamt- zahl der in der Leber vorhandenen Zellen am größten war, da die Bestimmung für ein gegebenes Volumen gilt und das Gesamtvolumen der Leber im April sein Minimum hat. Die Volumsänderung der Zellen ist hauptsächlich auf das Protoplasma zu beziehen. Man kann gradezu sagen, dass dieses während des Winters schwindet. Im November ist es fast ungefärbt, hat eine netz- und fadenartige Struk- tur, enthält nigrosinophile Körner und dieht an den Gallengängen einige eosinophile. Nach den Befunden von Gaule und Stolnikow können die erstern auf eiweißhaltige, die letztern auf kohlehydrat- reiche Verbindungen bezogen werden. Im Dezember ist die Eosin- färbung allgemeiner geworden und zwar vor allem gegen den Gallen- gang zu. An die Stelle der großen Körper sind feinere gleichmäßig gekörnte Massen getreten. Im April ist das Protoplasma fein gekörnt und auch vorwiegend eosinophil. Im Juni ist die Zellsubstanz grob- körnig und nigrosinophil, an den Rändern der Zelle ist das Proto- plasma klar und, so weit sich erkennen lässt, strukturlos. Im Juli ist das Protoplasma körnig und nimmt bald Nigrosin- bald Eosinfärbung an. Die Kerne zeigen ebenfalls in den verschiedenen Jahreszeiten verschiedene Dimensionen. Das Maximum liegt im April zu einer Zeit, da die Größe der Zellen ein Minimum ist. Es folgt hieraus, dass man es hier nicht mit einem Schwund des Materiales, sondern mit einem Umbildungsprozess zu thun hat. Wlassak, Beiträge zur Physiologie der Leberzelle. 61 Eine auffallende Verschiedenheit findet sich in den Jahreszeiten in der Färbbarkeit der Kerne. Aus den Ausführungen der vorigen Arbeit kann man die Bedeutung dieser Thatsache ersehen. Es wurden die Zahlen der roten (Safranin) und blauen (Hämatoxylin) Kerne er- mittelt. Ich gebe hier nur die Prozente der Gesamtzahl. November Dezember April Juni Juli rote blaue rote blaue rote blaue rote blaue rote blaue 49,4; 50,6 59,4; 40,6 »4:495,697 99,85 40,9 287233: Die Kurve des Verhältnisses der roten und blauen Kerne ist eine sehr komplizierte. Festgehalten muss werden, dass das Maximum der roten Kerne, wenn man die Zahl der Kerne in der Volumseinheit mitberücksichtigt, im Juni besteht. Im April dagegen sind fast alle Kerne blau. Außerdem wechselt der Reichtum der Kerne an Chro- mafinsubstanz. Im November sind die Kerne dunkel, fast homogen. Im Dezember sind die Kerne kleiner und weniger tief gefärbt; im April sind sie am größten, die Zeichnung ist deutlich, da das Kern- plasma fast farblos ist. Die Karyosomen und Plasmosomen sind sehr deutlich. Höchst mannigfaltig sind die Kernbilder im Juni und Juli. Auf diese kann ohne Hilfe der Tafeln nicht eingegangen werden. Hervorragendes Interesse beanspruchte das Pigment. Es kommt in der Leber in zwei Modifikationen vor: als feinkörniges schwarzes und als gelbes grobkörniges krystalloides. Das erstere findet sich hauptsächlich in Pigmentzellen in den besondern Pigmentinseln. Im November lagert es sich längs der Gefäße und in den Endothelzellen. Im Dezember nimmt es auch einen Teil des Tubulus ein. Im April liegt es an den Gefäßen dieht mit Kernen umgeben, die den Leberkernen sehr ähnlich sind. Im Juni trifft man vielfach Kerne im Pigment förmlich eingebacken. Das gelbliche krystalloide Pigment findet sich in den Leberzellen selbst. Im November findet es sich neben den Gallen- gängen, im Dezember in der eosinophilen Substanz und in den Endothel- zellen, im April in der’Nähe der Kerne, als ob es aus diesen heraus- trete, im Juni gleichfalls in der Nähe der Kerne und in diesen, im Juli wieder im Protoplasma. Es wurde außerdem das Areal des Pigments auf einer gegebenen Flächeneinheit mittels des Abbe’schen Zeichenapparats und Millimeterpapiers bestimmt. Dabei ergab sich in Prozenten des Gesamtareals für das Pigment: November Dezember April Juni Juli 0,7 4,13 11,12 2,77 0,68. Es ergibt sich daraus, dass das Pigment während der Hungerperiode des Frosches eine außerordentliche Vermehrung erfährt und sich während der Fressperiode wieder vermindert. Ferner lässt sich ver- folgen die Aufeinanderfolge des Auftretens des gelben Pigmentes um die Kerne, die Ansammlung im Protoplasma, das Auftreten einzelner Pigmentzellen und endlich die Bildung größerer Pigmentzellenhaufen, 52 Wlassak, Beiträge zur Physiologie der Leberzelle. Daraus folgt, dass das Pigment aus einem Umbildungsprodukt der Kerne stammt. In nahen Beziehungen zum Pigment steht der Wechsel der Blutdurehströmung durch die Leber. Es wurde in derselben Weise wie für das Pigment das prozentische Areal der Blutgefäße ermittelt. Es ergaben sich: November Dezember April Juni Juli 17,25%, 10,105], 7,479], 9:82%, 6,58 9]. Die Durehströmung der Leber mit Blut hat also ihr Maximum im November, nimmt dann ab bis April, worauf sie wieder zunimmt, um im Juli wieder abzusinken. Die Blutkörperchen zeigen in ihrer Färb- barkeit ebenfalls Diiferenzen zu verschiedenen Zeiten. Im Herbst färben sie sich mit Eosin, die Kerne dagegen bleiben blass. Im Winter verlieren sie ihre Eosinfärbung und treten in ihrem eignen selben Farbstoff auf. Die Kerne bleiben blass. Diesen Charakter behalten sie bis zum Juni, wo sie dann tiefgelb, die Kerne safra- nophil werden. Im Juli ist die Färbung wechselnd, das Protoplasma nimmt zum Teil die Eosinfärbung, zum Teil bleibt es gelb. Ebenso bleiben die Kerne bald blass, bald gefärbt. Eine Zusammenstellung dieser Resultate für die verschiedenen Monate gestaltet sich nun folgendermaßen: November: Reichliche Durchströmung der Leber mit Blut, große gut ernährte Zellen. Ablagerung von kohlehydrat- und eiweißartigen Substanzen in eignen Körpern. Dezember: Blutzirkulation nachgelassen. Keine Zufuhr neuen Materials. Die Vorräte der Leber werden angegriffen. Auflösung der eingelagerten Körper. Das fetthaltige Stroma der Leberzelle wird angegriffen. Die Kerne werden ärmer an Chromatin. Auftreten von Pigment. April: Die aufgespeicherten Stoffe sind verbraucht. Wenig Proto- plasma um den Kern. Dieser arm an Chromatinsubstanz. Auch diese wird angegriffen, aus ihr aber Pigment gebildet. Aehnliche Verhält- nisse in den Blutkörperchen. Juni: Neue Zufuhr von Stoffen zur Leber, die zunächst in die Kerne gelangen. Safraninfärbung. Verschwinden des Pigments. Auf- treten von neuen jungen Blutkörperchen. Juli: Nachdem der Vorgang der Bluterneuerung vorbei, Ein- lagerung der Substanzen in die Leber selbst. Neubildung von Leber- zellen. Den gesamten in der Leber sich abspielenden Vorgang kann man nun so deuten. Die Leber dient nicht bloß als Aufspeicherungsort der Stoffe für den Winter, es ist dieser Vorgang auch mit der Zell- erneuerung des Blutes verbunden. Der Ausgangspunkt für diese ist der Wechsel in der Nahrungsaufnahme. Im groben kann man für die Leber zwei Perioden unterscheiden, die eine, im Juni beginnend . Wlassak, Beiträge zur Physiologie der Leberzelle. 63 und im November endend: Periode des Wachstums, die andere im Dezember beginnend und im Mai endend: Periode des Verbrauchs. III. Wera Jwanoff, Beiträge zur Kenntnis der physiologischen Wirkung des Antipyrins. Als Versuchstiere dienten ausschließlich Frösche. Dieselben er- hielten Dosen von 0,0025, 0,005 und 0,01 g Antipyrin in den Rücken- Iymphsack eingespritzt. Jede von diesen Dosen ließ man !/,, 2, 6 und 24 Stunden wirken, um auf diese Weise eine Reihe von ver- gleichbaren Bildern zu erhalten, die über die Intensität der Wirkung und ihren Verlauf in der Zeit Auskunft geben. Für die erste Versuchsreihe, die die Vergiftung mit den erwähnten drei Dosen mit halbstündiger Wirkung zum Gegenstand hat, ergaben sich folgende Resultate: Die Kerne sind teilweise von normaler Größe, teilweise aber auch stark vergrößert. Manche zeigen einen Einriss in die Kern- membran, und Austritt des Inhalts in das Protoplasma. Manche der Leberzellen sind vergrößert und reicher an Protoplasma. Der Ver- gleich der verschieden großen Dosen bei !/,;stündiger Wirkung zeigt, dass die Steigerung der Dosis nicht den Vorgang selbst steigert, sondern dass nur die Zahl der veränderten Elemente zunimmt. Bei der zweistündigen Wirkung derselben 3 Dosen zeigen sich die Leber- zellen kleiner, manche Kerne blass, fast durchsichtig. Bei stärkern Dosen eine feine Granulierung. Den Kernen liegen zahlreiche tief mit Hämatoxylin gefärbte Gebilde an. Um für diese Veränderungen einen exaktern Ausdruck zu gewinnen, wurden die veränderten und unveränderten Kerne mit Zuhilfenahme des Okularnetzmikrometers gezählt. Bei den mannigfachen Uebergängen war es notwendig, eine Rubrik „unbestimmte Kerne“ einzuführen. Die Tabellen mit den ab- soluten Zahlen möge man in der Originalabhandlung einsehen. Ich sebe hier nur die Resultate in Prozenten an. Zwei Stunden nach der Vergiftung kommen auf 100 Kerne Dosis Veränderte K. Unveränderte K. Unbestimmte K. 0,0025 25,4 56,8 17,8 0,005 38,4 49,6 12,0 0,01 46,5 42,3 1362; Oder wenn die Dosis steigt wie 1:2:4, so steigt die Zahl der ver- änderten Kerne wie 1: 1,53: 1,83. In der dritten Versuchsreihe sind die Veränderungen nach sechs- stündiger Wirkung zusammengestellt. Die Leberzellen sind mäßig groß, das Protoplasma vorwiegend eosinophil. Die Hauptveränderung spielt sich in den Kernen ab. An die Stelle der blassen Kerne der vorher- gehenden Versuchsreihe sind intensiv safranophile getreten. Die Menge der so veränderten Kerne steigt mit der Dosis des Giftes. 64 Wlassak, Beiträge zur Physiologie der Leberzelle. Das Resultat der Zählungen war 6 Stunden nach der Vergiftung auf 100 Kerne: Dosis Veränderte K. Unveränderte K. Unbestimmte K. 0,0025 34,3 53,8 11,9 0,005 45,5 45,4 9,6 0,01 46,6 44,8 8,6. Die vierte Versuchsreihe umfasst die Veränderungen mit denselben Dosen nach 24 Stunden. In diesem Stadium sind in den Leberzellen selbst nur wenige Veränderungen mehr zu bemerken. Nur wenige blasse und blassrötliche Kerne sind zu sehen. Dagegen zeigen die Blutgefäße auffallende Verhältnisse. In den Blutgefäßen finden sich lebhaft rot gefärbte Gebilde, die bald an Leukocythen, bald an Kerne, resp. deren Teile erinnern. Ihre Bedeutung und Herkunft konnte nicht ermittelt werden. Die Gefäße selbst zeigten sich stark erweitert. Um dies genauer festzustellen wurde das Areal der Gefäße in der normalen und vergifteten Leber mittels des Abbe’schen Zeichen- apparates und Millimeterpapiers festgestellt. Ich gebe wieder nur das . Resultat in Prozenten. Die Gefäße nahmen ein in der normalen Leber 10,9 Prozent dann 2 Stunden nach der Vergiftung 7,4°/, ” 6 n ” ” „ 13,8%), N 24 ” ” ” „ 23,6 %o Nach Einführung des Giftes verengern sich also die Gefäße zunächst, um sich dann weit über die Norm zu erweitern. Die histologischen Veränderungen in der Leber resumieren sich dahin, dass '/, Stunde nach der Vergiftung die Kerne sich vergrößern und zerfallen, nach 2 Stunden nur noch eine kleine Anzahl als blasse Gebilde vorhanden sind, nach 6 Stunden haben sie ihre Färbbarkeit wieder gewonnen, aber mit einem andern Stoffe, dem Safranin. Diese Veränderungen sind nicht als spezifische Wirkungen des Antipyrins aufzufassen, sondern nur als der gesteigerte normale Vorgang. Die Veränderungen selbst müssen als ein Zerfall der Chromatinsubstanz des Kernes und Wiederaufbau derselben aufgefasst werden. Es lässt sich dies in Beziehung bringen zu der anderwärts konstatierten ver- minderten N-Ausscheidung nach Antipyringaben. Die veränderten Zirkulationsverhältnisse sind mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Beeinflussung der Temperatur durch das Antipyrin zu beziehen: Schließlich wird noch darauf hingewiesen, dass aus den Ver- änderungen, die die Einführung eines Stoffes von bekannter Konsti- tution in der Chromatinsubstanz der Leberkerne hervorbringt, auf die Konstitution dieser letztern wird geschlossen werden können, wenn derartige Versuche noch in der allermannigfaltigsten Weise varriiert werden. Rud. Wlassak (Wien). Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Bioloeisches Oentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der ED ICER in Buben 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des. Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. van Band. 1. April 1888. Nr.3. Inhalt: Weismann, Botanische Beweise für eine Vererbung erworbener Eigenschaften. — Salensky, Zur Homologie der Seitenorgane der Nemertinen. — Kükenthal, Beobachtungen am Regenwurm. — Haacke, Ueber zoologische Museen und die Regelung des naturkundlichen Museenwesens. — Reichenbach, Studien zur Entwicklungsgeschichte des Flusskrebses. — Fridtjof Nansen, Die Struktur und wechselseitige Beziehung der histologischen Elemente des Zentralnerven- systems, — Eisenberg, Bakteriologische Diagnostik. — Peyer, Atlas der Mikroskopie am Krankenbette. Botanische Beweise für eine Vererbung erworbener Kigen- schaften. Von August Weismann. Seitdem ich im Jahre 1883 in einer Rede über die Vererbung die Meinung ausgesprochen habe, dass erworbene Eigenschaften nicht vererbt werden können, dass keine Beweise für eine solche Art der Vererbung vorliegen und dass sie auch theoretisch unwahrscheinlich ist, dass wir daher versuchen müssen, die Umwandlung der Arten ohne Zuhilfenahme dieser Hypothese zu erklären, haben sich ver- schiedene Forscher über die Frage geäußert, manche in zustimmen- dem, andere in ablehnendem Sinne. Ich brauche nieht mehr von denen zu reden, die meine Ansicht bekämpften, ehe sie noch begriffen hatten, um was es sich dabei handelt und was mit den „erworbenen“ Eigenschaften eigentlich gemeint sei. Es ist inzwischen wohl ziemlich allgemein zum Verständnis gekommen, dass es sich dabei um ein tiefgreifendes Problem handelt, von dessen Beantwortung unsere Vor- stellung von den Ursachen der Artbildung wesentlich mitbestimmt wird. Denn wenn erworbene Eigenschaften nicht vererbt werden können, so fällt damit der Lamarckismus vollständig zusammen, wir müssen das Erklärungsprinzip, welches für Lamarck das einzige war, welches von Darwin durch sein Selektionsprinzip zwar bedeu- tend in seiner Machtsphäre eingeschränkt, aber doch immer noch in MILE 5 66 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. großem Umfang beibehalten wurde, vollständig fallen lassen. Grade die scheinbar so überaus mächtigen Faktoren der Umbildung: Ge- brauch oder Nichtgebrauch eines Teils, Uebung oder Vernachlässigung desselben können nun keinen direkt umgestaltenden Einfluss mehr auf die Art ausüben und ebenso wenig irgendwelebe andere Einwirkungen, mögen sie auch, wie Nahrung, Licht, Feuchtigkeit und die Kombi- nation verschiedener Einflüsse, welche wir als Klima zusammenfassen, sehr wohl im Stande sein, den Körper (Soma) des einzelnen Indi- viduums zu verändern. Alle Veränderungen des Soma, welche beim einzelnen Individuum durch derartige äußere Einflüsse etwa ver- anlasst werden, können nun für eine Umgestaltung der Art nicht mehr herbeigezogen werden, und zwar deshalb, weil sie sich auf die Keimzellen, aus denen die folgende Generation hervorgeht, nicht über- tragen können. Sobald also die Thatsachen uns zwingen — und wie mir scheint, thun sie dies — die Annahme einer Vererbung erwor- bener Eigenschaften zu verwerfen, so bleibt zur Erklärung der Art- umwandlung nur noch ein Prinzip übrig: die direkte Keimes- abänderung, mag man sich nun dieselbe wie immer zustande gekommen und wie immer zu zweckmäßigen Resultaten geleitet denken. Sicherlich wird nun dadurch unsere Aufgabe, den Hergang dieser Umwandlungen zu begreifen, nicht erleichtert, vielmehr ganz erheblich erschwert, denn gar manche Erscheinungen lassen sich nun nicht mehr ohne weiteres verstehen, und wir sind gezwungen auf andere Erklärungen derselben zu sinnen. Allein schwerlich wird dies jemand für einen Grund gegen die Annahme dieser Ansicht halten wollen, da es uns doch wohl nieht auf größtmögliche Bequemlichkeit, sondern auf Richtigkeit unserer Erklärungen ankommt. Wir suchen die Wahr- heit, und wenn wir erkennen, dass wir bisher auf falschem Wege einherzogen, so müssen wir umkehren und einen andern Weg suchen, mag er auch schwieriger sein. Meine Ansicht beruht einerseits auf gewissen theoretischen Er- wägungen, wie ich sie in frühern Schriften zu entwickeln versuchte !), und wie sie auch hier noch näher erwähnt werden sollen, anderseits aber auf dem Fehlen jedes thatsächlichen Beweises für die Vererbung erworbener Eigenschaften. Eine Widerlegung derselben könnte auf zweierlei Wegen erfolgen. Einmal dadurch, dass diese jetzt noch fehlenden Beweise beigebracht würden, anderseits aber auch dadurch, dass gezeigt würde, wie gewisse Klassen von Erscheinungen durchaus keine Möglichkeit der Erklärung zulassen ohne die Annahme einer Vererbung erworbener Eigenschaften. Man wird indessen zugeben, dass mit Beweisen der letztern Art recht vorsichtig umgegangen wer- den muss, da unsere Unfähigkeit, eine Erscheinung zu erklären, eine 4) Siehe: „Ueber die Vererbung“, Jena 1883. — „Die Kontinuität des Keimplasmas“, Jena 1885. — „Ueber die Zahl der Richtungskörper und über ihre Bedeutung für die Vererbung“, Jena 1887. Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften, 67 nur augenblickliche sein kann, die mit dem Fortschreiten der Er- kenntnis von selbst verschwindet. Wer hätte es vermocht, die Zweck- mäßigkeiten im Bau der Tiere und Pflanzen zu erklären, ehe das Licht des Selektionsgedankens auf diese Erscheinungen gefallen war? Und hätte man aus diesem Grunde nun schon ein Recht gehabt, eine sonst unbekannte und gänzlich unerwiesene Kraft der Organismen anzunehmen, welche sie auf äußere Einflüsse stets mit zweckmäßigen Veränderungen antworten lässt ? Ich will mich übrigens durch diesen Hinweis keineswegs der Verpflichtung entziehen, meiner Ansicht entgegenstehende Erschei- nungen, soweit ich es vermag, auf dieser Basis verständlich zu machen, dem Verständnis näher zu führen; ich habe vielmehr schon in meiner ersten Schrift über Vererbung damit begonnen. Damals suchte ich vor allem zu zeigen, wie sich die Thatsache, dass nicht mehr ge- brauchte Organe rudimentär werden, auch ohne die Annahme einer Vererbung erworbener Eigenschaften sehr wohl erklären lasse, und ebenso die Entstehung der Instinkte, die man nach Darwin’s Vorgang als vererbte Gewohnheiten gedeutet hatte, und die nun un- erklärbar zu werden schienen, sobald die im Einzelleben angenom- menen und eingeübten Gewohnheiten nicht vererbt werden sollten. Ich suchte zu zeigen, dass man die Instinkte durchweg auf Selek- tionsprozesse zu beziehen hat. Noch andere Erscheinungen, die meiner Ansicht Schwierigkeiten zu bereiten schienen, wurden damals schon besprochen und derselben einzuordnen gesucht, und vielleicht ist es mir gelungen zu zeigen, dass auch für sie andere, ebenfalls zureichende und einfache Er- klärungen gegeben werden können. Gewiss aber lassen sich mir noch manche Erscheinungen ent- gegenhalten, für die ebenfalls eine neue Erklärung gefunden werden muss. So hat neuerdings Romanes nach dem Vorgang Herbert Spencer’s die Erscheinungen der Korrelation für die Vererbung erworbener Eigenschaften ins Feld geführt. Ich hoffe aber in nicht allzu ferner Zeit auch auf diese Einwürfe eingehen und zeigen zu können, dass auch diese Stütze der alten Ansicht morsch ist und einer schärfern Kritik nicht Stand hält, dass sie nieht als indirekter Beweis für eine Hypothese gelten darf, für die ein direkter Beweis noch gänzlich aussteht. Ueberhaupt ist bei der ganzen Frage doch nicht zu vergessen, dass nicht auf meiner Seite eine Hypothese zu erweisen ist, sondern auf der der Gegner. Dass auch erworbene Eigenschaften vererbt werden, ist der Satz, den sie verteidigen und den sie zu erweisen hätten, denn dass er bisher als eine selbstver- ständliche Wahrheit von fast allen angenommen und nur von ganz wenigen wie His, du Bois-Reymond und Pflüger in Zweifel gezogen wurde, kann doch den Sachverhalt nieht umkehren und die Hypothese von der Vererbung erworbener Eigenschaften zur That- > © F% «) 68 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. sache erheben. Bis jetzt liegt noch nieht eine einzige Erfahrung vor, welche diese Annahme zu erweisen im stande wäre. Dieser Beweis müsste also erst erbracht, es müssten Erfahrungen aufgezeigt werden, die nur in diesem Sinne verstanden werden können. Wenn z.B. ge- zeigt würde, dass künstliche Verstümmelungen der Eltern sich spontan bei den Nachkommen wieder einstellen, und zwar in genügender Häufigkeit, um den Zufall auszuschließen, so wäre dieser Beweis als erbracht anzusehen. Eine Vererbung von Verstümmelungen ist nun zwar sehr oft behauptet worden, auch wieder in allerjüngster Zeit, aber keine der betreffenden Beobachtungen hält einer wissenschaft- lichen Kritik Stand, und ich glaube mir ein näheres Eingehen darauf um so mehr ersparen zu dürfen, als Döderlein schon in sehr hübscher und zutreffender Weise die auf der letzten deutschen Naturforscher- Versammlung nieht ohne einigen Lärm vorgeführten schwanzlosen Katzen beleuchtet hat !). Ich gelange zum eigentlichen Gegenstand dieses Aufsatzes: zu den botanischen Beweisen für eine Vererbungerworbener Abänderungen. Der Botaniker Detmer hat in jüngster Zeit ge- wisse Erscheinungen aus dem Gebiete der Pflanzen - Physiologie in diesem Sinne geltend gemacht, und wenn ieh auch glaube, dass die- selben nicht mit Recht eine solche Verwertung finden dürfen, so scheint mir doch eine Besprechung derselben nicht ohne Wert, ja ich möchte glauben, dass grade diese und einige andere zu berührende Erscheinungen aus der Pflanzen -Physiologie recht geeignet sind, um die ganze, so vielfach verkannte und missverstandene Frage von einer neuen Seite her zu beleuchten. Ich würde das sicherlich lieber einem Botaniker überlassen haben, da ich aber nicht weiß, ob mir von dieser Seite Unterstützung zu teil werden wird, so muss ich es wohl selbst versuchen, und vielleicht liegt sogar ein Vorteil für die Klarlegung der Verhältnisse darin, dass ein den herkömmlichen botanischen An- schauungen ferner Stehender und auf einem andern Thatsachenkreis Heimischer die von der modernen Botanik gefundenen Thatsachen von allgemeinen Gesichtspunkten aus ins Auge fasst. Denn es han- delt sich natürlich hier nicht um die Richtigkeit der Thatsachen, ja nicht einmal um die Richtigkeit ihrer Deutung, sondern um die Schlüsse, die daraus gezogen werden dürfen. Dazu aber, sollte ich denken, ist es nicht durchaus nötig Fachmann zu sein. Fragen von allgemeiner biologischer Bedeutung wie die von der Vererbung können nicht auf dem zoologischen oder dem botanischen Thatsachen-Gebiete allein gelöst werden; wir müssen gegenseitig übergreifen und zu- schen, ob die Anschauungen, die wir wesentlich auf dem einen Gebiete gewonnen haben, sich auf das andere übertragen lassen, oder ob dort Erscheinungen vorkommen, die mit ihnen in Widerspruch stehen und zur Umkehr oder Abänderung zwingen. 4) Verel. Biol. Centralbl., Bd. VII, Nr. 23. Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 69 Detmer beginnt mit der Vorführung von solchen Thatsachen, welehe ihm zu erweisen scheinen, dass ziemlich bedeutende Verän- derungen des Organismus direkt durch äußere Einflüsse bewirkt wer- den können; er ist der Ansicht, dass ich die Größe dieses Einflusses unterschätze, dass ich mir die Abänderungen, welche am einzelnen Individuum auf diesem Wege entstehen können, zu klein vorstelle. Nun ist es zwar offenbar für die Frage nach der Vererbung erwor- bener Eigenschaften ganz gleichgiltig, ob die durch äußere Einflüsse direkt hervorgerufenen Abänderungen des Soma größer oder kleiner sind, es kommt vielmehr nur darauf an, ob sie vererbt werden können oder nicht. Könnten sie das, dann würden auch die allerkleinsten Abänderungen sich im Laufe der Generationen durch Summation zu bedeutenden Umgestaltungen steigern können. Auf diese Weise hat sich ja Lamarck und auch Darwin die umwandelnde Wirkung äußerer Einflüsse vorgestellt. Interessant ist es nun, zu sehen, was Detmer für direkt bewirkte Abänderung erklärt; man empfindet dabei recht deutlich den Unterschied in den Anschauungen, der durch den verschiedenen Erfahrungskreis des Botanikers und des Zoologen bedingt wird. Um so mehr wird es erwünscht sein, sich darüber klar zu werden. Zunächst wird der dorsoventrale Bau der Sprosse von Thuja occidentalis angeführt, der sich hauptsächlich darin kund- gibt, dass die Oberseite dieser Sprosse pallisadenförmige grüne Zellen aufweist, während die dem Licht abgewandte Unterseite grüne Zellen von kürzerer („isodiametrischer“) Form besitzt. Werden nun „Thuja- Zweige vor ihrem Austreiben durch Festbinden“ derart umgedreht dass oben und unten miteinander vertauscht wird, so kehrt sich auch der anatomische Bau des Sprosses um; die Seite des Sprosses, welche eigentlich zur Unterseite bestimmt war, jetzt aber künstlich zur Ober- seite gemacht wurde, nimmt nun auch den Bau der Oberseite an und entwickelt das charakteristische „Pallisadenparenehym“, und ander- seits bildet sich die Unterseite, welche eigentlich zur Oberseite be- stimmt war, nun zu dem charakteristischen „Schwammparenehym“ der Unterseite aus. Daraus zieht nun Detmer den Schluss, dass die „Dorsoventralität der Thuja-Sprosse Folge einer äußern Kraftwirkung ist“, und zwar dass „nach allem, was wir wissen, das Licht als ur- sächliches Moment angesehen werden muss“. Dieser Schluss beruht nun wohl einfach auf einer Begriffsver- wechslung. Dass das Licht in dem betreffenden Versuch der Anlass zu der Strukturumkehr ist, wird niemand bezweifeln, wohl aber, dass es die Ursache ist, welche dem Thuja-Spross die Fähigkeit verschafft hat, Pallisaden- und Schwammparenchym zu bilden. Wenn eine Erscheinung nur unter gewissen Bedingungen eintritt, so folgt daraus doch nicht, dass die Bedingungen auch die Ursache der Erscheinung sind. Die Brutwärme ist eine Bedingung, ohne welche sich aus dem vo Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. Ei ein Hühnchen nicht entwickeln kann, aber schwerlich wird jemand behaupten wollen, das Hühnerei habe seine Fähigkeit, zum Hühnchen zu werden, durch die Wärme erlangt. Offenbar hat es dieselbe vor allem infolge eines unendlich langen, phyletischen Entwicklungsganges erlangt, der schließlich zu einer solchen chemisch -physikalischen Struktur des Eies und der sie befruchtenden Samenzelle führte, dass bei ihrer Vereinigung ein Hühnchen daraus werden muss und weder eine Gans noch eine Ente — vorausgesetzt die Erfüllung gewisser Bedingungen, die man deshalb Entwicklungsbedingungen nennt und unter welche auch die Wärme gehört. So ist denn also kurz gesagt die physische „Natur“ des Eies die Ursache der Hühnchen - Entwick- lung, und so wird auch die physische „Natur“ des Thuja-Sprosses die Ursache sein, warum derselbe die für seine Art charakteristischen Gewebe entwickelt, nieht aber das Licht. Letzteres spielt bei der Entfaltung des Thuja-Sprosses nur die Rolle, welehe die Wärme bei der Entwicklung des Hühnchen - Eies spielt: es ist eine der Entwick- lungsbedingungen. Nun steht aber die Sache beim Thuja-Spross insofern anders, als hier zwei Entwieklungsmögliehkeiten vorliegen, nicht blos eine; die Oberseite des Sprosses kann die Struktur der Unterseite annehmen, die Unterseite die der Oberseite, und zwar hängt diese Strukturum- kehr von der Art der Belichtung ab. Wenn aber auch die Struktur- umkehr durch das Licht veranlasst wird, was berechtigt uns zu der Annahme, dass auch die Struktur selbst direkte Folge der Liehtwirkung sei? Ich wüsste wahrlich nicht, warum die physische Natur eines Pflanzenteils nicht so beschaffen sein könnte, dass je nach dem Eintritt dieser oder jener Entwicklungsbedingung auch diese oder jene Struktur zu stande käme, bei stärkerer Belichtung die Struktur der Oberseite, bei schwächerer die der Unterseite? Diese spezifische „Natur“ der TAhuja-Knospe aber wird wie die des Hühner- eies auf ihrer phyletischen Entwicklung beruhen, auf ihrer Vorge- schichte, wie dies bei allen Keimen und aller individuellen Entwick- lung angenommen werden muss. Es kann also keine Rede davon sein, dass man den Umkehrversuch des Thuja-Sprosses als einen Fall von Abänderung durch direkten Einfluss äußerer Bedingungen auf- fassen dürfe, es ist vielmehr ein Fallvon doppelter Anpassung, einer jener Fälle, in welchen die spezifische „Natur“ des Organismus oder eines Teils desselben, oder des Keims so eingerichtet ist, dass sie auf verschiedene Einwirkungen verschieden antwortet. Uebrigens lässt sich ein ganz analoger Umkehrversuch an den Klettersprossen des Epheu machen, wie ich aus Sachs „Vorlesungen“ entnehme. Solche Sprosse treiben an der Lichtseite nur Blätter, an der Schattenseite nur Wurzeln, mit denen sie sich beim Klettern be- festigen. Dreht man nun die Pflanze so um, dass die Wurzelseite belichtet, die Blätterseite beschattet wird, so bringt von nun an die Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. TA bisherige Wurzelseite Blätter und die bisherige Blätterseite des Sprosses Wurzeln hervor. Mit andern Worten: der Epheuspross ant- wortet auf Belichtung mit Blattbildung, auf Besehattung mit Wurzelbildung, grade so wie Lakmuspapier mit Säure rot, mit Alkalien aber blau sieh färbt. Die physische Natur des Epheu- sprosses ist gegeben, sie wird ebenso wenig erst durch Belichtung gebildet, als die physische Natur des Lakmuspapiers dureh Säure oder Alkali gebildet wurde, aber sie reagiert anders auf Belichtung, als auf Beschattung. | Was würde man dazu sagen, wenn man den Farbenwechsel des Laubfrosches als Beweis für die Größe der durch äußere Einflüsse direkt bewirkten Abänderungen des Soma anführen wollte? Das Tier ist hellgrün, so lange es auf grünen Blättern sitzt, wird aber braun bis schwarz, wenn es in düstere Umgebung versetzt wird. Hier liegt nun eine offenbare Anpassung vor, denn der Farbenwechsel des Frosches beruht auf einem verwickelten Reflex- Mechanismus. Die Veränderungen der Farbstoffzellen der Haut werden nicht dureh die Bestrahlung der Haut mit verschiedenem Licht hervorgerufen, son- dern durch die verschiedenartige Bestrahlung der Retina geblendete Frösche reagieren nicht mehr auf den Lichtwechsel der Umgebung. Hier kann also niemand auf den Gedanken kommen, die direkte Wirkung des grünen Lichtes der gewöhnlichen Umgebung habe die Haut des Frosches grün gefärbt, man wird vielmehr zugeben müssen, dass hier und in allen ähnlichen Fällen nur eine Erklärung möglich ist, diejenige durch Selektionsprozesse. Hier handelt es sich freilich nicht um verschiedene ontogenetische Entwicklung je nach dem Ein- tritt dieser oder jener äußern Bedingungen, sondern nur um ver- schiedene Reaktion des fertigen Organismus, aber auch Fälle der andern Art scheinen im Tierreich vorzukommen. Die sehr sorg- fältigen und ausgedehnten Untersuchungen Poulton’s über die Farben gewisser Raupen haben mit Bestimmtheit ergeben, dass die betreffen- den Arten eine doppelte Entwieklungsmöglichkeit in sich tragen und dass die Entscheidung darüber, ob die eine oder die andere Mög- lichkeit zur Wirklichkeit wird, von den äußern Umständen gegeben wird. Poulton erzog gewisse Spanner-kaupen inmitten zahlreicher dunkler Zweige ihrer Nährpflanze und sah sie im Laufe ihrer Ent- wieklung dieselbe dunkle Rindenfarbe annehmen. Hielt er dieselbe Art von Raupen dagegen von Jugend auf zwischen hellen Blättern, so wurden die Tiere zwar nicht blattgrün, aber erheblich heller, mehr bräunliehgrün. Auch die Raupen des Abendpfauenauges (Smerinthus ocellatus) enthalten die Möglichkeit, verschiedene Nüancen von Grün anzunehmen und sich dem Grün der Pflanzenwelt, auf welcher sie grade leben, bis zu einem gewissen Grade anzunähern. Es kann nun gar keine Rede davon sein, die phyletische Entwicklung der grünen Farbe dieser und so vieler anderer Raupen etwa vom Sitzen auf grünen 12 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. - Blättern abzuleiten in dem Sinn, dass die Bestrahlung der Haut mit srünem Liebt die grüne Färbung derselben auf direktem Wege hervorgerufen hätte. Dies ist längst erwiesen, zum Teil schon durch Darwin, zum Teil auch durch frühere Untersuchungen von mir selbst. Wir haben auch hier keine andere Erklärung als die durch Selektion; die Farbe der Raupen hat sich im Laufe der Zeiten allmählich immer mehr und mehr der Farbe der Blätter und oft auch der Blattseite angepasst, auf welcher sie zu leben pflegen, nicht durch direkte Wirkung des Lichtes, sondern durch Auswahl der Bestgeschützten. Die oben erwähnten Fälle Poulton’s beweisen nun, dass bei solchen Arten, welche auf verschiedenen und verschieden gefärbten Pflanzen vorkommen, das Anpassungsresultat ein komplizierteres war, indem jedes Individuum die Möglichkeit erlangt hat, eine hellere oder eine dunklere Färbung anzunehmen, so zwar dass die Entscheidung darüber das Licht gibt, welches die einzelne Raupe während ihres Heran- wachsens trifft. Hier haben wir also genau den Fall des Thuwja- Sprosses, dessen Zellen zu Pallisaden- oder zu Schwammparenchym sich ausbilden, je nachdem sie auf die Ober- oder die Unterseite des Sprosses zu liegen kommen. Nach allem, was wir bis jetzt über die Entstehung des Ge- schlechts bei getrennt geschlechtlichen Tieren wissen, dürfen wir uns vorstellen, dass es sich hier um einen ähnlichen Fall handelt, d. h. um eine in jedem Keim vorhandene doppelte Anlage, die eine zur Männlichkeit, die andere zur Weiblichkeit, von welchen aber stets nur eine gleichzeitig zur Entwicklung kommt und wobei wesentlich äußere Umstände die Entscheidung geben, welche der beiden mög- lichen Entwicklungsbahnen thatsächlieh eingeschlagen wird. Aller- dings muss man hier den Begriff der äußern Umstände weit fassen und alles darunter verstehen, was nicht Keimplasma selbst ist. Ueberhaupt liegt dieser Fall noch keineswegs ganz im klaren, und ich erwähne ihn nur als ein Beispiel, welches — seine Richtigkeit einmal vorausgesetzt — meine Meinung über den Fall des Thuja- Sprosses weiterhin zu illustrieren geeignet ist. Ganz ebenso wie mit dem Thuja-Spross verhält es sich mit den beiden andern Thatsachen, welehe Detmer für die umwandelnde Macht äußerer Einflüsse anführt. Die Tropaeolum-Pflanzen, welche in feuchter Luft aufwachsend Blätter von andern anatomischen Eigen- schaften hervorbringen, als solche, die in troekner Luft heranwachsen und die Verschiedenheiten im Bau der Blätter mancher Pflanzen, je nachdem sie in der Sonne oder im Sehatten wachsen. Alle diese Verschiedenheiten beweisen nichts für die direkte Bewirkung struk- tureller Unterschiede durch äußere Einflüsse. Wie wollte man es erklären, dass die Blätter sich in allen diesen Fällen in höchst zweckmäßiger Weise verändern? Oder soll etwa angenommen werden, dass die Organismen von vornherein so eingerichtet sind, Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 763) dass sie veränderte Bedingungen mit zweckmäßigen Abänderungen beantworten müssen? Wer das heute noch behaupten wollte oder überhaupt nur noch daran als eine Möglichkeit dächte, der bewiese damit, dass er die Thatsachen nicht kennte und keinen Anspruch hätte, in Sachen des Transformismus gehört zu werden. Denn die erste Vorbedingung zu wissenschaftlicher Mitarbeit ist, dass man wisse, was über die betreffenden Fragen bereits gedacht und gesagt worden ist. Es ist aber schon oft gezeigt worden, dass ganze Klassen von zweekmäßigen Einrichtungen, Tausende und aber Tausende von Einzelerscheinungen unmöglich von direkter Einwirkung der äußern Einflüsse herrühren können. Wenn Raupen, die bei Tage sich in die Ritzen der Rinde verstecken, rindenfarbig sind, andere, die auf den Blättern sitzen, grün, so kann das nicht auf direkter Wirkung der Rinde oder der Blätter beruhen, und noch weniger alle die Ein- zelheiten der Zeichnung und Färbung, wodurch die betreffenden Tiere ihrer Umgebung noch ähnlieher gemacht sind. Wenn bei Nacht- schmetterlingen die Oberseite grau ist, wie die Mauer, auf der sie bei Tage schlafen, bei Tagsehmetterlingen aber die Unterseite der in der Ruhe aufgeklappten Flügel diese Schutzfärbung zeigt, so kann das auch nieht auf dem direkten Einfluss der Mauer beruhen, sondern muss — wenn es überhaupt auf natürlichem Weg entstanden ist — auf indirektem Wege durch die Mauer hervorgerufen worden sein u. s. w. Man sollte doch nicht gezwungen sein, immer wieder auf dieses ABC unseres Wissens und Denkens über Transmutations- Ursachen zurückzugreifen! Wer sich aber dies gegenwärtig hält und sich bewusst ist, dass eine ungezählte Schar von zweckmäßigen Einrichtungen der Or- ganismen unmöglich auf direkter Wirkung äußerer Einflüsse be- ruhen kann, der wird reeht vorsichtig werden, wenn er etwa in einem einzelnen Fall geneigt sein möchte, eine zweckmäßige Einrichtung als direkte Folge äußerer Einwirkung zu betrachten. Hätte Detmer diese Vorsicht walten lassen, so wäre er davor bewahrt geblieben, als Resume der angeführten pflanzen-physiologischen Experimente den Satz hinzuschreiben: „Es ist, wie wir gesehen haben, in gewissen Fällen möglich, den anatomischen Bau bestimmter Pflanzenorgane auf experimentellem Wege zu modifizieren. Hier tritt dann die Relation zwischen jenem und den äußern Einflüssen unzweifelhaft klar hervor. Diese letztern wirken als Ursache. Die anatomische Gestal- tung der Pflanzenglieder ist Folge dieser Ursache.“ Ein wenig mehr Logik hätte ihn auch davor bewahrt, denn seine Fol- gerung beruht einfach auf der oben schon bezeichneten Verwechslung der wirklichen Ursache einer Erscheinung mit einer der Bedingungen, unter welchen sie allein ins Leben treten kann. Ebenso gut könnte man die von der modernen Pflanzenphysiologie in so glänzender Weise untersuchten und festgestellten Erscheinungen des Geotro- 14 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. pismus, Hydrotropismus und Heliotropismus als direkte Wirkungen der Schwere, des Wassers und des Lichtes betrachten und ich weiß nieht, ob nieht manche Botaniker zu dieser Annahme mehr oder weniger hinneigen. Dennoch ist nichts leichter, als zu zeigen, dass dem nicht so sein kann. Unter Geotropismus versteht man bekanntlich die Eigenschaft der Teile einer Pflanze, in einem bestimmten Winkel zur Richtung der Schwerkraft zu wachsen; die Wurzel wächst z. B. in der Richtung gegen den Mittelpunkt der Erde, sie ist „positiv geotropisch“, der Spross dagegen wächst in entgegen- gesetzter Richtung, er ist „negativ geotropisch“. Nun ist aber die Geotropie keine Ureigenschaft der Pflanze, sie fehlt auch wirklich heute noch denjenigen Pflanzen, welche keine feste und bestimmte Lage einnehmen, wie vielen Algen; sie kann erst aufgetreten sein mit der Befestigung der Pflanze im Boden. Wollte man nun annehmen, die unausgesetzte, durch Generationen andauernde Einwirkung der Schwerkraft habe diese Eigenschaft in geotropischer Richtung zu wachsen bei der Wurzel direkt hervorgerufen, so wüsste ich nieht, wie man es erklären wollte, dass der grüne Spross der Pflanze, der doch unter derselben Einwirkung der Schwere steht, genau die entgegen- sesetzte Eigenschaft erhalten hat, nämlich die, grade in entgegen- gesetzter Richtung zu wachsen. Wurzel und Spross haben sich doch wohl erst mit der Fixierung der Pflanze im Boden von einander differenziert, und erst dabei die spezifischen Eigenschaften der Wurzel und des Sprosses angenommen. Wie hätten sie das vermocht, wenn für beide die Schwerkraft direkte Ursache ihres positiven oder nega- tiven Geotropismus gewesen wäre? Und dazu kommt noch, dass nur die Hauptwurzel sich wirklich genau positiv geotropisch verhält, oder doch verhalten kann, die Nebenwurzeln stehen in bestimmtem Winkel schräg von der Hauptwurzel ab, wachsen also nieht in der Riehtung auf den Erd-Mittelpunkt und ebenso steht es mit den Nebensprossen; auch sie wachsen nicht genau senkrecht nach oben, sondern schräg nach den Seiten hin. Auch ist der Winkel, den die Nebenwurzeln mit der Hauptwurzel machen und die Nebensprossen mit dem Haupt- spross, bei verschiedenen Arten ganz verschieden. Wie sollen nun diese so ganz verschiedenen Reaktionsweisen der verschiedenen Pflanzen- teile auf den Reiz der Schwerkraft auf direkter Wirkung dieser Kraft berufen? Offenbar doch haben wir es hier mit Anpassungen zu thun. Die Hauptwurzel hat nicht deshalb die Eigenschaft erhalten unter dem Reiz der Schwerkraft grade nach abwärts zu wachsen, weil diese Kraft Generation für Generation auf sie einwirkte, son- dern weil diese Richtung der Wurzel die zweekmäßigste war für die Pflanze und weil infolge dessen ein Züchtungsprozess sich einleitete, der damit endete, dass die Wurzel die Eigenschaft erhielt, auf den Reiz der Schwerkraft durch ein in der Richtung dieser Kraft erfol- sendes Wachsen zu antworten. Für den Hauptspross war die umge- Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 75 kehrte Reaktionsweise zweckmäßig, und so wurde diese durch Selek- tion festgestellt, für die Nebenwurzeln und Nebensprosse wieder eine andere u. $. w. Jeder Pflanzenteil hat seine spezifische Reaktionsweise auf den Reiz der Schwerkraft erhalten, weil es so für die ganze Pflanze zweck- mäßig war, weil die Lage ihrer einzelnen Teile zu einander und zum Boden so fixiert und geregelt werden konnte. Schließlich ist diese Reaktionsweise eine verschiedene bei verschiedenen Arten geworden, weil eben verschiedene Lebensbedingungen auch verschiedene Ein- richtungen erfordern. Ganz dasselbe lässt sich vom Heliotropismus zeigen. Die Eigenschaft der grünen Sprossaxen gegen das Licht hin zu wachsen, kann ebenfalls nicht eine Ureigenschaft der Pflanze, sondern muss sekundär entstanden sein. Wäre sie eine primäre, eine unentbehr- liche Ureigenschaft der Pflanze, so könnte sie nieht in ihr Gegenteil verkehrt werden, die Wurzeln sind aber negativ heliotropisch, d. h. sie wachsen vom Lichte weg, ja es kommt auch vor, dass Spross- axen negativ heliotropisch sind, und fragen wir, bei welcher Art von Sprossen dies vorkommt, so lautet die Antwort darauf: bei solchen, bei welchen es zweckmäßig ist. So sind die Klettersprossaxen des Epheus negativ heliotropisch, d. h. sie wachsen vom Licht weg, weil dadurch „die Fähigkeit derselben, sich dieht an eine senkrechte Wand oder an eine horizontale Fläche anzuschmiegen !)* bedingt wird. Aber nur die Sprossaxe selbst ist negativ heliotropisch, die Blätter, welche an ihr hervorwachsen, wenden sich dem Lichte zu und ebenso verhalten sich die nicht kletternden blütentragenden Sprosse. Wir haben es also auch hier mit Anpassungen, nicht mit den Resul- taten direkter Einwirkung zu thun; das Licht ist nur der Reiz, der den Pflanzenteil zu der ihm eigentümlichen Reaktionsweise anregt, die Ursache aber, warum er grade so reagiert und nicht anders, liegt in seiner spezifischen Natur, und diese ist nicht durch das Licht ge- macht worden, sondern wie wir glauben müssen durch Selektions- prozesse — falls wir nicht vorziehen, überhaupt keine Erklärung zweckmäßiger Organisationsverhältnisse zu versuchen. Sachs bezeichnet als Anisotropie die Thatsache, „dass die verschiedenen Organe einer Pflanze unter der Einwirkung derselben Kräfte die mannigfaltigsten Wachstumsriehtungen annehmen“, und an einer andern Stelle nennt er die Anisotropie „eine der allgemeinsten Eigenschaften der pflanzlichen Organisation“ und fährt fort: „es wäre sogar ganz unmöglich, uns irgend eine Vorstellung davon zu machen, wie die Pflanzen aussehen würden und leben könnten, wenn ihre ver- schiedenen Organe nicht anisotrop wären und da ihre Anisotropie überhaupt nichts Anderes ist, als der Ausdruck ihrer verschiedenen heizbarkeit für den Einfluss der Schwere, des Lichts“ u. s. w. „so 1) Vergl. Sachs „Vorlesungen“ BSR. 76 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. leuchtet ein, dass es die verschiedene Reizbarkeit der Organe ist, aus welcher überhaupt die Gestaltung der Pflanzen entspringt“. Diese spezifische „Reizbarkeit“ nun kann — wie gezeigt wurde, nicht durch direkte Wirkung der betreffenden äußern Einflüsse her- vorgerufen worden sein, und für das Zustandekommen dieser „allge- meinsten Eigenschaft der pflanzlichen Organisation“ bleibt nur die Erklärung durch Anpassung, d.h. durch Selektionsprozesse auf Grund- lage der allgemeinen Variabilität übrig. So einfach diese Schlussfolgerungen sind, so sind sie mir doch noch nirgends in den Schriften der Botaniker begegnet, und sie dürf- ten vielleicht etwas dazu beitragen, die unbestimmte Meinung, als müssten die Eigenschaften der Pflanzen wesentlich auf direkte Wir- kungen der äußern Einflüsse bezogen werden, zu erschüttern. Jedenfalls ist diese Meinung, „nach welcher die aktive Gestalt der Pflanzen vielfach durch die allmähliche und beständige Einwirkung von Schwere und Licht hervorgerufeu sei, durch die Erscheinungen der Anisotropie nicht zu erweisen und mit der bloßen Behauptung, es sei „im höchsten Grad wahrscheinlich, dass die äußern Einflüsse zur Entstehung erblicher individueller Merkmale Veranlassung geben“ ist eben nur einer unbegründeten individuellen Meinung Ausdruck ver- liehen. Jedenfalls ist es sonderbar, eine solche Behauptung grade der Besprechung jener Fälle vom umgekehrten Thuja-Spross u. s. w. anzuschließen. Denn angenommen, es sei die dorsoventrale Struktur des Thuja-Sprosses wirklich — wie Detmer meint — eine direkte und primäre Folge der Lichtwirkung, so würde ja eben grade der Umkehrungsversuch zeigen, dass hier Niehts erblich geworden ist. Trotzdem seit Tausenden von Generationen immer wieder die Oberseite des Sprosses durch die Lichtwirkung sich zu Pallisaden- Parenchym ausbildete, wurde diese Struktur dennoch nicht erblich, sondern wird sofort wieder aufgegeben, sobald die Oberseite des wachsenden Sprosses künstlich zur Unterseite gemacht wird. Das scheint mir viel eher eine Widerlegung der Annahme, dass erworbene Eigenschaften erblich werden können, denn ein Beweis dafür zu sem! Ich glaube hinlänglich gezeigt zu haben, dass der Vorwurf, den Detmer mir macht, nämlich „die Größe der Veränderung zu unter- schätzen, welche ein Organismus durch die Einwirkung äußerer Ver- hältnisse erfahren kann, ihm selbst im umgekehrten Sinne mit mehr Recht zurückgegeben werden kann. Wenn man jedes Struktur - Ver- hältnis einer Pflanze, welches nur unter bestimmten äußern Bedingungen eintritt, sonst aber ausbleibt, ohne weiteres als in phyletischem Sinne verursacht durch diese notwendigen Bedingungen seines Eintretens ansehen will, dann hat man freilich leichtes Spiel mit der Erklärung der Art-Umwandlungen, allein man fußt dabei auf losem Sand, denn die Grundlage fehlt: der Nachweis, dass erworbene Eigenschaften auch vererbt werden können! Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 77 Als zweite Instanz gegen meine Ansichten führt Detmer die sogenannten „Korrelations- Erscheinungen“ bei Pflanzen ins Feld. Er glaubt damit anschaulich machen zu können, wie es etwa als mög- lich gedacht werden könne, dass erworbene Abänderungen des Pflanzen- körpers (Soma) auch auf „die Sexualzellen“ einwirken. Wenn man Junge Fichten ihres Gipfels beraubt, so erhebt sich einer der Seiten- sproße des nächsten Quirls und wird zum Gipfeltrieb und nimmt nicht nur den orthotropen Wuchs eines solchen, sondern auch die Form seiner Verzweigung an. Die Erscheinung selbst ist wohl bekannt und auch ich habe sie oft genug in meinem Garten beobachtet, ohne grade botanische Versuche zu machen. Denn die Natur selbst stellt dieses Experiment nicht selten dadurch an, dass der Gipfeltrieb durch In- sektenfraß, z. B. durch COhermes-Gallen zerstört wird. Die Abänderung des Seitensprosses zum Gipfeltrieb tritt also hier infolge des Ver- lustes des eigentlichen Gipfeltriebs ein, steht also in der That in Abhängigkeit von ihr. Es ist nur schwer zu verstehen, was diese und tausend ähnliche Erscheinungen für die Vererbung erworbener Eigenschaften beweisen sollen. Dass Korrelationen unter den Teilen eines Organismus bestehen, dass korrelative Abänderungen nicht nur häufig, sondern beinahe immer irgend eine primäre Abänderung be- gleiten, weiß man seit Darwin ganz wohl, und es ist dies, so viel mir bekannt, noch von niemand bezweifelt worden. Auch eine Be- einflussung der Fortpflanzungs-Organe auf dem Wege der Korrelation wird niemand als unmöglich hinstellen wollen, aber von hier bis zu einer derartigen Veränderung der Keimzellen, wie sie die Vererbung erworbener Eigenschaften mit sich brächte, ist noch ein weiter Weg. Denn dazu gehörte, dass das Keimplasma oder wie man sonst die Substanz nennen will, welche der Träger der Entwicklungstendenzen ist — eine der durch äußere Einflüsse erlittenen korrespondierende Umwandlung erführe, d. h. eine Umwandlung, welche es mit sich brächte, dass der aus der Keimzelle später sich entwiekelnde Orga- nismus dieselbe Abänderung spontan an sich trüge, welche sein Elter durch äußern Einfluss erworben hatte. Da nun das Keimplasma oder die Vererbungssubstanz nach allgemeiner heutiger Vorstellung nicht ein Organismus ist, im Sinne eines mikroskopischen Urbilds, das sich nachher nur zu vergrößern hätte, um als fertiger Organismus dazustehen, da wir sogar bestimmt wissen, dass dem nicht so ist, so müssen also die gesamten Entwicklungstendenzen des Keims in der spezifischen Molekularstruktur, vielleicht auch in chemischen Eigen- tümlichkeiten jenes Keimplasma gegeben sein. Daraus folgt aber, dass die für die Vererbung einer erworbenen Eigenschaft zu fordernde Abänderung der Keimsubstanz, des Keimplasmas von ganz anderer Natur sein müsste, als die Abänderung des Pflanzenkörpers war, durch welche sie auf korrelativem Wege hervorgerufen worden sein müsste. Oder um ein Beispiel zu wählen: Gesetzt, es sei möglich, 7S Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. dass irgend eine Pflanze durch Wechsel des Klimas die Gestalt ihrer bisher eiförmigen Blätter in eine gelappte änderte, so würde sich diese neue Erwerbung in das Keimplasma des Pollens und der Eichen nicht als irgend etwas Blättern oder Blattformen Aehnliehes übertragen können, denn Blätter gibt es im Keimplasma nicht. Es würde viel- mehr eine Veränderung in der Molekularstruktur vor sich gehen müssen, die keinerlei Aehnlichkeit mit den Aenderungen hatte, durch welche die direkte Abänderung der Blattform entstanden war. Wenn man sich diese Schwierigkeit klar macht, so wird man doch etwas Bedenken tragen, aus der Möglichkeit einer korrelativen Be- einflussung der Geschlechtszellen auf die Möglichkeit einer Vererbung erworbener Eigenschaften zu schließen. Warum soll denn nun die direkte Veränderung der Blattform — falls sie überhaupt einen ver- ändernden Einfluss auf das Keimplasma der Keimzellen ausübt — grade die korrespondierende (in obigem Sinne) Abänderung der Molekularstruktur hervorrufen? warum nicht eine ganz andere von den tausenderlei möglichen Veränderungen? Denn da jeder Teil einer Pflanze in irgend einem Grade variabel ist, so müssen auch ebenso viele Veränderungen in der Struktur des Keimplasmas mög- lich sein. Wie also soll es denkbar sein, dass immer grade genau die korrespondierende Veränderung eintritt, die doch vorher noch niemals in der ganzen phyletischen Entwicklung der Organismenwelt dagewesen sein kann, da die in der neuen Weise abgeänderte Pflanze noch niemals vorher da war? Dies wäre etwa ebenso wahrschein- lich, als dass von 100000 aus dem Fenster geworfenen Stecknadeln eine am Boden angekommen auf der Spitze balaneierend stehen bliebe. Eine solche Annahme verdient wohl kaum noch die Bezeich- nung einer wissenschaftlichen Hypothese. Und doch müsste sie von allen jenen gemacht werden, die eine Vererbung erworbener Eigen- schaften annehmen, falls sie nieht zu der mindestens ebenso unwahr- scheinlichen Hypothese der „Pangenesis“ greifen wollen, welche übri- gens Darwin selbst gar nieht als en reales, d. h. wirklich existierendes, sondern nur als ein rein formales Erklärungs-Prinzip aufgestellt hat. ° Detmer irrt auch sehr, wenn er meint, ich verhielte mich des- halb ablehnend der theoretischen Zulässigkeit der Vererbung erwor- bener Eigenschaften gegenüber, weil ich meine „Lehre von der Kon- tinuität des Keimplasmas zu einseitig in den Vordergrund stellte“. Diese Lehre ist entweder richtig, oder sie ist falsch, ein Mittleres gibt es nicht, und insofern stehe ich allerdings auf einem einseitigen Standpunkt. Allein dies scheint mir für die Frage, ob erworbene Eigenschaften dem Keim sich einprägen, also vererbt werden können, gar nicht entscheidend zu sein; denn gesetzt, es bestände keine Kon- tinuität des Keimplasmas von einer Generation zur andern, es müsste dasselbe also von jedem Individuum neu gebildet werden, so wäre > Salensky, Seitenorgane der Nemertinen. 79 damit gewiss noch nicht selbstverständlich, dass dasselbe jede Ab- änderung, welche der betreffende Organismus im Laufe seines Lebens an irgend einem Punkt durch äußere Einwirkungen annimmt potentia in sich aufnehmen und also in sich enthalten müsste! Ich meine, das Problem, ob erworbene Eigenschaften vererbt werden können, bleibt bestehen, mag man die Kontinuität des Keimplasmas annehmen oder verwerfen. (Schluss folgt.) Zur Homologie der Seitenorgane der Nemertinen. Von Prof. W. Salensky in Odessa. In Nr. 265 des Zool. Anzeigers haben die Gebrüder Sarasin bei den Embryonen der Helix Waltonii eigentümliche Organe be- schrieben, die sie als Cerebraltuben bezeichnen. Dieselben treten jederseits von der angelegten Cerebralmasse als zwei Einstülpungen der Sinnesplatten auf, welehe in Form von zwei blinden Röhren aus- wachsen. Indem ihre Hohlräume und Ausführungsgänge später ver- schwinden, trennen sich ihre blinden Enden von dem Mutterboden ab, verlöten sieh mit den Cerebralganglien und bilden zwei Lappen des Gehirns, die von Autoren als „Lobi accessorii“ bezeichnet sind. Gebrüder Sarasin betrachten ganz richtig diese Gebilde als den Geruchsorganen einiger Anneliden (z. B. den Lopodorhynchus) homo- loge Gebilde, und dieser Betrachtungsweise stimme ich vollkommen bei. Durch die Entwicklungsgeschichte beiderlei Gebilde, sowie durch die Beziehungen derselben zu den Cerebralganglien wird diese Homo- logie vollkommen gerechtfertigt. Ob die erwähnten Einstülpungen sowie ihre Derivaten — accessorische Lappen des Gehirns — bei allen Mollusken verkommen, ist wegen der mangelhaften Kenntnisse der Entwicklung und der Anatomie des Molluskengehirns zur Zeit nicht zu entscheiden. Bei Dentalium nach Kowalewsky, sowie auch beim Vermetus nach mir bilden sich die Cerebralmassen selbst in Form von zwei Einstülpungen. Wie diese Beobachtungen mit den- jenigen von Gebrüder Sarasin in Einklang zu bringen sind, sollen weitere Untersuchungen der Embryologie der Mollusken zeigen. Jeden- falls scheint mir, dass die Phylogenie der erwähnten provisorischen Organe noch tiefer durchgeführt werden kann, als es von Gebrüder Sarasin gethan ist, wenn wir bei dem Vergleich dieser Organe zu den Nemertinen und zwar zu den sogenannten Seitenorganen derselben uns wenden. Bekanntlich ist die Morphologie und die Physiologie dieser Organe bis jetzt vollkommen dunkel, und man könnte die Er- klärung dieser dunklern Fragen nur in den Fortschritten der Mor- phologie der angrenzenden Tierklassen erwarten, weil die bereits genug bekannte Anatomie und Entwieklungsgeschichte der Seiten- organe doch keinen festen Boden für die Entscheidung der Fragen so Kükenthal, Beobachtungen am Regenwurm. darbot. In der That treffen wir in den neuern Entdeckungen in der Embryologie der Anneliden und Mollusken manche Anhaltspunkte für die Beurteilung dieser rätselhaften Organe an. Ueber die Entwick- lung der Seitenorgane stimmen alle Beobachter vollkommen überein. Die Seitenorgane treten in Form von zwei Ektodermeinstülpungen an beiden Seiten der Scheitelplatten resp. der Cerebralmassen auf. Indem sie nach innen in Form von zwei blindgeschlossenen Röhren wachsen, geht an ihren blinden Enden eine lebhafte Zellenwucherung vor sich, infolge dessen dieselben sehr stark verdicken und mächtige Zellen- massen darstellen. Die letztern verbinden sich später mit der Cere- bralmasse und bilden den integrierenden Teil derselben, während die Einstülpungsöffnungen als bekannte Seitengruben das ganze Leben hindurch bei den Nemertinen verbleiben. Vergleicht man diese Ent- wieklungsvorgänge mit denen der Cerebraltuben der Mollusken und der Geruchsorgane der Anneliden, so kommt man von selbst zu der Ueberzeugung, dass man kaum zwei Organe treffen könnte, welche dureh ihre Entwicklung mit einander so vollständig übereinstimmen wie die eben angeführten. Deswegen brauche ich kaum darauf näher einzugehen, um die Homologie der Seitenorgane der Nemertinen mit den Cerebraltuben der Mollusken resp. mit den Geruchsorganen der Anneliden zu beweisen. Ist diese Homologie anerkannt, so haben wir in den Seitenorganen der Nemertinen eine ursprüngliche, noch jetzt pbysiologisch thätige Urform der ganzen Reihe der Organe vor uns, welche als Uerebraltuben bei den Mollusken, als Geruchsorgane bei den Anneliden schon teilweise einer regressiven Metamorphose unterliegen und als provisorische Organe erscheinen. Beobachtungen am Regenwurm. Von Willy Kükenthal. Die Versuche, über welche ich hier berichten will, wurden im Sommer vorigen Jahres angestellt, schon früher aber hatte ich an andern Objekten ähnliche Untersuchungen vorgenommen, welche ich später veröffentlichen werde; es war Ophelia radiata, mit welcher ich im Jahre 1884 an der Station zu Neapel erfolgreiche Fütterungs- versuche machte. Vor kurzem ist nun die Eisig’sche Monographie der Capitelliden erschienen, und es findet sich in derselben, neben so vielen andern srundlegenden Beobachtungen, auch eine Anzahl außerordentlich sorg- fältig durehgeführter, mit Erfolg gekrönter Fütterungsversuche dieser Tiere mit Karmin. Da ich mir einen terrikolen Oligochaeten als Ob- jekt gewählt hatte, und zudem zu Resultaten gelangt bin, die von denen Eisig’s in manchen wesentlichen Punkten abweichen, glaube ich zur Veröffentlichung dieser kurzen Notiz berechtigt zu sein. Es sollen hier nur kurz die von mir gemachten Beobachtungen Kükenthal, Beobachtungen am Regenwurm. 81 und erlangten Resultate angeführt werden, eine eingehende Durch- arbeitung dieses Kapitels werde ich auf meine Monographie der Opheliaceen versparen. Wenn man einen Regenwurm sorgfältig abwäscht, auf Filtrier- papier trocknet und auf einem Objektträger herumkriechen lässt, so wird man auf letzterem nach ein paar Minuten ein helles Sekret wahrnehmen. Untersucht man dieses mikroskopisch, so wird man finden, dass es aus einer hellen Flüssigkeit besteht, in welcher ein- zelne Partikel und Zellen herumschwimmen; vor allem fallen zwei Arten von Zellen in die Augen, braungelbe, die wir sofort als Chlo- ragogenzellen erkennen, und helle kleine Zellen. Diese sind lymphoide Zellen; sie besitzen amöboide Bewegungen, und stellt man ein Dauer- präparat her, indem man die Flüssigkeit unter dem Deckglas mit Lang’scher Mischung fixiert, durch Alkohol führt, färbt und aufhellt, so sieht man meist die charakteristische eingeschnürte und gebuchtete Form, welche den Kernen der Iymphoiden Zellen der Anneliden eigen ist. Das Sekret ist also Hämolymphe und deren Kontenta, bei ge- schlechtsreifen Individuen treten außer diesen beiden Zellenarten noch Geschlechtsprodukte in dem Sekrete auf. Reizt man nun den Wurm durch Berührung, so sieht man mit- unter, wie die Sekretabsonderung urplötzlich eine viel stärkere wird. Nimmt man das Tier in diesem Augenblicke langsam vom Objekt- träger weg, so lassen sich die aus allen Körperstellen hervorbrechen- den Sekrete in Fadenform ausspinnen, man kann solche Fäden bis zu ein paar Zentimeter Länge erhalten. Untersucht man dieses Sekret, so findet man neben den Iymphoiden Zellen große plasmatische Körper, eben die zu Fadenform ausziehbaren Massen. Mit starken Vergröße- rungen entdeckt man einen granulierten Inhalt, eine eigentümliche Zeiehnung an der Oberfläche, nämlich eine deutlich sichtbare netz- förmige Struktur, und in der Mitte glaubt man einen Kern zu sehen. Fixierung und Färbung des Präparates zeigen leicht, dass wir hier wirklich einen Kern vor uns haben, der, je länger die Zellen gezogen sind, um so mehr eine spindelförmige Form annimmt. Bei ganz lang gezogenen Zellen sieht man, dass der Kern in der Richtung der Längsaxe in je eine Spitze ausgezogen ist. Sieht man nun unter der Lupe zu wie diese Massen austreten, so wird man finden, dass sie an ‚sämtlichen Stellen der Hautoberfläche, besonders zahlreich aber am vordern Körperende die Haut verlassen. Es sind die Drüsenzellen des Hypoderms, welche wir hier vor uns haben. Es tritt unter Umständen beim unverletzten lebenden Tier also der ge- samte Drüseninhalt, die Zelle selbst aus der Hypodermis als Sekret heraus. Man lässt nun diesen selben Regenwurm wieder fressen, versucht dann dasselbe Experiment von neuem und wird fin- den, dass nach Verlauf von 2 Tagen sich bereits wieder ein neuer Drüsen- inhalt gebildet hat, welcher von neuem herauszutreten im stande ist. VII, 6 82 Kükenthal, Beobachtungen am Regenwurm. Infolge dieser Beobachtung drängte sich mir der Gedanke auf, ob nieht diese Drüsenzellen unter Umständen als Exkretionszellen auf- zufassen seien. Zur Erlangung irgend welcher Resultate konnte aber nur das Experiment verhelfen; ich stellte deshalb Fütterungsversuche an. Als Stoffe wählte ich Karmin und Indigo. Nach vielfachem Mils- lingen entdeckte ich eine Methode, welche fast stets sicher zum Ziele führte. Der Regenwurm wurde zunächst aufs sorgfältigste abge- waschen und in ein hohes Zylinderglas gebracht, welches bis oben hinauf mit feuchten Fließpapierstückehen angefüllt war. Nach Ver- lauf von ein bis zwei Tagen war der Wurm durch das Papier hin- durchgedrungen, seinen Weg bezeichneten die Darmexkremente, welche sich reichlich vorfanden. Der Darm des Tieres selbst war vollständig von Erde etc. befreit. Eine mikroskopische Untersuchung des Darm- inhaltes zeigte überall reichliche Mengen von Papierfasern. Der An- fertigung von tadellosen Schnittserien steht bei diesem Verfahren kein Hindernis mehr entgegen, da der so lästige Darminhalt von Erde, Steinchen u. s. w. vollständig entfernt ist. Nun hatte ich in einem nicht zu kleinen flachen Glase folgende Nahrung für den Wurm be- reitet. Die Erde, in welcher er für gewöhnlich lebte, war stark an- gefeuchtet und mit einer ziemlichen Menge fein geriebenen Karmins oder Indigos zu einem Brei angerührt worden; dann ließ ich die Masse ein paar Tage trocknen, bis sie die richtige Konsistenz wieder erlangt hatte. Der jedenfalls durch das vorhergehende Fasten hungrig gewordene Wurm begann nun gierig die neue Nahrung, in welche er jetzt gesetzt wurde, zu fressen. Nach kürzerer oder längerer Zeit wurde er daraus entfernt, wieder aufs sorgfältigste abgewaschen und nun von neuem ins feuchte Filtrierpapier gebracht. Sobald sein Darm gereinigt war, wurde er mit Sublimat, Flemming’scher Mischung oder schwachem Alkohol fixiert, dann ungefärbt gehärtet und einge- bettet. Durch diese verschiedene Zeit lang so behandelten Würmer wurden dann Serien von dünnen Querschnitten angefertigt und diese untersucht. Dabei fand sich nun folgendes: Das Epithel der Mundhöhle ist bei den mit Karmin gefütterten Tieren in diffuser Weise zart rosa gefärbt und ähnliches zeigt auch das Epithel des Schiundkopfes. Die Färbung findet sich nur an der dem innern Lumen zugekehrten Seite der Zellen und verschwindet allmählich. Zugleich sieht man, wie die im Lumen befindlichen Zellen vielfach von einem hellen Sekret umgeben sind, welches sich eben- falls zartrosa gefärbt hat. Dieses Sekret dürfte wohl aus den Drüsen stammen, welche sich an dieser Gegend des Nahrungskanales be- finden. Im Darme selbst geht nun eine Aufnahme der Körnchen von seiten der Darmzellen vor sich. Es möchte hier am Platze sein zu bemerken, dass es nicht möglich ist, die folgenden Bilder an einer Schnittserie zu erhalten, es gehören dazu eine größere Anzahl in ver- schiedenen Stadien der Fütterung. Zunächst steht es fest, dass sich Kükenthal, Beobachtungen am Regenwurm. 83 Karminkörnchen in Darmzellen befinden. Diese Körnchen zeigen die- selbe eckige Form wie im Darmlumen, sind aber bedeuteud heller geworden. Wie geschieht nun diese Aufnahme? Einzelne Bilder, welche ich erhalten habe, weisen unzweideutig darauf hin, dass Darm- zellen Fortsätze in das Darmlumen auszustrecken vermögen, dass sie sogar aus dem Epithelverbande ausscheiden können um ins Darm- lumen hineinzuwandern, und dass sie dann wieder mit Nahrung, in diesem Falle Karminkörnchen, beladen in Reih und Glied treten. Alle die Bilder, welche ich inbezug auf diesen Gegenstand in meinen Schnittserien erhalten habe, stimmen mit dieser Annahme überein; es zeigen sich solche Darmzellen mit Fortsätzen, es zeigen sich losge- löste Darmzellen im Darmlumen, es zeigen sich ferner Lücken im Epithel von der Breite und Tiefe einer Darmzelle. Uebrigens stehe ich mit dieser Auffassung der Nahrungsaufnahme durchaus nicht ver- einzelt da, aus der Literatur will ich nur Lang’s!) Beobachtungen über denselben Gegenstand bei Polykladen herausgreifen: „Auch im Verhalten der innern, das Lumen der Darmäste umgrenzenden Ober- fläche des Darmepithels herrscht keine Konstanz. Bald ist dieselbe mehr oder weniger glatt, bald sehr uneben. Im erstern Falle ist sie oft mit Cilien besetzt, und im Darmepithel lassen sich dann meist die Zellgrenzen unterscheiden. Im zweiten Falle sind die Darmzellen gewöhnlich mit einander verschmolzen, anstatt der Cilien entspringen dann oft von der Darmwand pseudopodienartige Fortsätze, welche ins Darmlumen hineinragen und dasselbe bisweilen ganz durchsetzen. Präparate, welche das Darmepithel in diesem Zustande zeigen, stammen offenbar von Tieren, bei denen es in amöboider Bewegung zum Be- hufe der intrazellulären Nahrungsaufnahme begriffen war. — Das Darmlumen, das stets sehr eng ist, kann in den Darmästen stellen- weise und zeitweise ganz verschwinden. — Nicht selten sah ich so- wohl beim lebenden als beim konservierten Tiere einzelne, eine kuglige Gestalt annehmende Zellen oder Zellgruppen, von der Darm- wand abgelöst, frei im Lumen der Darmäste liegen. Beim lebenden Tiere sieht man sie häufig durch die peristaltischen Bewegungen der Darmäste wie Blutkörperchen hin und her bewegt werden“. So viel steht also fest; es werden Karminkörnchen von den amöboid werdenden Darmzellen aufgenommen. Wenden wir uns nun der Leibeshöhle zu. An geeigneten Präpa- raten findet man einzelne Lymphzellen mit Karminkörnchen von hell- roter Farbe beladen, diese Körnchen sind ebenfalls eckig, wie im Darmlumen, wie in den Darmzellen; ferner sehe ich aber hier und da auch Chloragogenzellen, welche sich losgelöst haben und Karmin enthalten. Hier zeigt sich nun ein bemerkenswerter Gegensatz, das Karmin ist in den Chloragogenzellen in Tropfenform enthalten; ich 4) Lang, Die Polykladen des Golfes von Neapel, S. 145. 6% 84 Kükenthal, Beobachtungen am Regenwurm. vermute dies deshalb, weil ich stets runde Formen von der charak- teristischen Lichtbrechung eines Tropfens antreffe, niemals habe ich in einer Chloragogenzelle ein eckiges Karminkörnchen gesehen. Diese Karminteilchen sowohl der Lymphzellen, wie der Chloragogenzellen müssen also auf irgend welchem Wege aus den Darmzellen in die betreffenden in der Leibeshöhle schwimmenden Zellen gelangt sein. Für die Karminkörnchen der Lymphzellen ist keine andere Annahme möglich, als dass sie direkt von Darmzellen auf Lympbzellen über- tragen sind; der Darm des Regenwurms ist bekanntlich von einem feinen gitterförmigen Blutgefäßsystem umsponnen, auf welchem die Chloragogenzellen sitzen. Zwischen dieses Gitterwerk direkt zu den Darmzellen vorzudringen ist für die alle Gewebe durchdringenden Lymphzellen keine Schwierigkeit, und nachdem wir erst einmal unsere Aufmerksamkeit diesem Punkte zugewandt haben, fällt es uns nicht schwer, diese Zellen auch wirklich in enger Berührung mit Darmzellen aufzufinden. Für die Aufnahme des Karmins in die Chloragogen- zellen ist der Weg ein ganz anderer. In einer frühern Arbeit!) habe ich nachzuweisen versucht, welche Rolle diese Chloragogenzellen im Körper der Anneliden spielen; meine Untersuchungen führten mich zu dem in neuester Zeit von mehrern Forschern, besonders von Eisig?) bestätigten Resultate, dass den Chloragogenzellen die Auf- gabe zufällt, gewisse Stoffe, welche vom Blute ausgeschieden werden, in Form von rundlichen braunen Konkretionen aufzunehmen; ich zeigte, dass diese Chloragogenzellen niemals dem Darm, sondern stets den Blutgefäßen, welche denselben umgeben, aufsitzen. Findet sich also in diesen Chloragogenzellen Karmin vor, so muss dieses durch Ver- mittlung des Blutes in dieselben hineingelangt sein. Es ist daher das Wahrscheinlichste anzunehmen, dass das Karmin zum Teil gelöst wird, wie wir ja auch an der diffusen schwachen Rosafärbung ein- zelner Darmzellen sehen können, dass dieses gelöste Karmin vom Blate aufgenommen, dann ausgeschieden wird und so in die Chlo- ragogenzellen gelangt. Ob nun die Aufnahme des gelösten Farb- stofles direkt oder erst durch Vermittlung des von Michaelsen’°) bei Enchytraeiden nachgewiesenen Chylusgefäßsystems ins Blut ge- langt, ist für unsere Anschauung gleichgiltig. Gelöste Stoffe werden also vom Blute aufgenommen, ungelöste von den Darmzellen an Lymphzellen abgegeben, und von diesen in die Leibesflüssigkeit trans- portiert. Welches ist nun das weitere Schicksal der Karminteilchen in diesen in der Leibeshöhle befindlichen Zellen? Zunächst kann ich als negatives Ergebnis mitteilen, dassich niemals gesehen habe, 1) Willy Kükenthal, „Ueber die Iymphoiden Zellen der Anneliden“. Jenaische Zeitschrift f. Med. u Naturw., 1884. 2) Eisig, „Die Capitelliden des Golfes von Neapel“. Monographie 1887. 3) Michaelsen, „Ueber Chylusgefäßsysteme bei Enchytraeiden“. Archiv f, mikrosk. Anatomie, Bd. XXVII. Kükenthal, Beobachtungen am Regenwurm. 35 dass die Nephridien des Regenwurms sich an der Heraus- schaffung dieser Stoffe aus der Leibeshöhle beteiligen; obwohl ich diese Art der Exkretion durch meine frühern Untersuchungen wahrscheinlich gemacht habe, und obgleich die Eisig’schen Unter- suchungen bei Capitelliden es außer allen Zweifel gestellt haben, dass die Nephridien dieser Tiere derartige Exkretionen der Hämolymphe heraus- befördern. Beim Regenwurm ist dies nicht der Fall. Wie bei Capitelliden so nimmt auch hier die Haut diese Stoffe auf, aber nichts deutete mir an, dass dies durch Vermittlung der Nephridien geschieht. Ich habe zunächst zu konstatieren, dass ich in der Haut des Regenwurms, und zwar stets in den Drüsenzellen des Hypoderms, resp. deren Hohlräumen, Karminkörnehen ziemlich häufig angetroffen habe; dieselben waren hellrot, von eckigen Konturen. Ein Teil dieser Karminkörnchen lag in den Drüsen- oder Plasmazellen selbst, zum Teil waren aber diese Drüsen herausgetreten, und trotzdem fanden sich in den Hohlräumen derselben Karminkörnchen vor. Diese Karminkörnchen lagen aber nicht frei in den Hohlräumen, sondern ich vermochte fast ausnahmslos zu konstatieren, dass sie sich in Lymphzellen befanden; dass es solche waren, ließ sich durch das Vorhandensein des eigentümlichen Kerns, wie durch die amöboide Form nachweisen. Lymphzellen tragen also die Karminkörnchen in die Hypodermis hinein. Eine nicht ganz gleichförmige Verteilung des Karmins in der Hypodermis scheint nur damit zusammenzuhängen, dass die Lymphzellen an einigen Stellen der Körperwand, da nämlich, wo die Längsmuskulatur auseinander- weicht und Rinnen zwischen sich lässt, leichter einzudringen ver- mögen. Noch möchte ich eine Beobachtung nicht unerwähnt lassen, von der ich zwar nicht weiß, ob sie unter normalen Verhältnissen auch gemacht werden kann, oder ob sie eine pathologische Erschei- nung ist, jedenfalls bietet dieselbe aber ein gewisses Interesse. An manchen Stellen der Haut sehe ich die Cuticula etwas ausgebuchtet und dicht unter ihr liegend eine größere oder geringere Anzahl Karminkörner von der charakteristischen hellroten Farbe, an andern ist die Ausbuchtung weiter fortgeschritten, und es hat sich unter der alten Cuticula der Anfang einer neuen gebildet. Durch weiteres Ab- schnüren und Weiterbildung der neuen Cutieula entsteht ein Karmin- körnchen enthaltender Auswuchs, bis endlich die Abschnürung eine fast vollständige wird, und der von allen Seiten mit Cutieula um- zogene Knollen nur noch mittels einer dünnen Brücke mit der Haut zusammenhängt. Die Abschnürung wird endlich vollständig, denn ich habe auf der Haut lebender Tiere, die anhaltend gefüttert waren, derartige Gebilde gesehen, ohne über deren Natur ins klare zu kom- men, bis Schnittserien mir die Lösung brachten. Wahrscheinlich ist diese Erscheinung eine pathologische, die Möglichkeit einer Erklärung liegt darin, dass die festen Karminkörner zu groß sind, um durch die engen Drüsenöffnungen nach außen befördert zu werden, und 56 Haacke, Zoologische Museen und Regelung des Museenwesens. dass die Entfernung auf diese Weise, durch Abschnürung und Neu- bildung der Cuticula erfolgt. So glaube ich im großen und ganzen den Weg angegeben zu haben, den das vom Regenwurm gefressene Karmin wieder nach außen nimmt; in einer spätern Arbeit werde ich diese Verhältnisse eingehender behandeln und speziell in meiner Monographie der Ophe- liaceen noch einmal darauf zurückkommen. Ueber zoologische Museen und die Regelung des natur- kundlichen Museenwesens. Von Wilhelm Haacke in Jena. Vorschläge zur zweckmäßigen Einrichtung zoologischer Museen sind grade in jüngster Zeit von verschiedenen Seiten gemacht wor- den. Der eine will für alle einzelnen Länder Vertreter ihrer sämt- lichen Tierarten zusammengestellt wissen, ein anderer wünscht die mutmaßlichen Stammbäume aller Gruppen des Tierreiches im Museum zur Anschauung gebracht zu sehen, und ein dritter und vierter möch- ten ein bestimmtes Land oder eine einzelne Tiergruppe besonders berücksichtigt haben. Angesichts dieser Bestrebungen wird es zeit- gemäß sein, einmal die gesamte Frage nach der zweckmäßigsten Ein- richtung zoologischer Museen einer bündigen, aber alle einschlägigen Punkte berührenden!) Erörterung zu unterziehen und dabei die Rolle zu besprechen, welche die tierkundlichen Museen Deutschlands bei der Erforschung der Tierwelt zu übernehmen haben. Gleich hier im Beginne meiner Erörterungen muss ich nach- drücklichst darauf hinweisen, dass ein Museum keine bloße Samm- lung ist, sondern der Gesamtheit und zwar einerseits der wissen- 1) So viel ich weiß, bin ich selbst in neuer Zeit der einzige gewesen, welcher solches, gestützt auf wissenschaftliche und didaktische Erwägungen, in ausgedehnter Weise zu thun versucht hat. Im Sommer 1886 erschien von mir in der Jenaischen Zeitschrift für Naturwissenschaften und in einer Separat- ausgabe unter dem Titel „Biovekographie, Museenpflege und Kolonialtierkunde* eine einschlägige Schrift, welche aus zum Teil von mir selbst verschuldeten Gründen, namentlich wohl auch wegen einiger nicht aufrecht zu haltender Absonderlichkeiten, nicht die Verbreitung und Berücksichtigung erfahren hat, welche ich wegen der Wichtigkeit der behandelten Fragen ihr wünschte. Kürzlich habe ich nun von mehrern andern Vorschlägen betreffend die Ein- richtung tierkundlicher Museen erfahren; da aber bei keinem derselben, obwohl sie die Frage sämtlich nicht in so umfassender Weise behandeln, wie ich, meine Schrift erwähnt worden ist, da ferner ein bekannter Geologe in einem öffent- lichen und jetzt gedruckt vorliegenden Vortrage die Gedanken derselben — zum Teil mit Benutzung meiner eignen Worte — in ausgiebiger Weise, aber ohne Quellenangabe, verwertet hat; und namentlich, weil ich weitgehende An- regung geben möchte, sche ich mich veranlasst, die Hauptgedanken und Vor- schläge meiner Schrift, die mir im einzelnen hier und da auch einer Aenderung bedürftig zu sein scheinen, hier noch einmal in bündiger Weise darzulegen. -Haacke, Zoologische Museen und Regelung des Museenwesens. 87 schaftlichen Forschung und anderseits der Belehrung des Volkes dient. Diesem Doppelzweck muss seine Einrichtung entsprechen, und soll dieselbe das höchstmögliche Maß der Leistungsfähigkeit erreichen, so muss jedes Museum seine Aufgabe ganz genau kennen. Diese Aufgabe ist nun nicht etwa eine willkürlich zu wählende; viel- mehr ist dieselbe dem Museum von vornherein durch seine geogra- phische Lage im allgemeinen und besondern gestellt. Demgemäß wird jeder, der die Einrichtung eines tierkundlichen Museums zu leiten hat, wissen, welche speziellen Forderungen er zu erfüllen hat, welche Arten von Sammlungsgegenständen in dem fraglichen Museum einen Platz finden müssen, und für welche Raum, Zeit und Geld nicht ver- geudet werden dürfen. In jedem Museum für Tierkunde sind, soll es seinen Zweck er- füllen, zwei Hauptabteilungen zu unterscheiden: Die Schausamm- Jung und die Forsehungssammlung. Die erstere dient vorzugs- weise zur Belehrung des Volkes, die letztere der wissenschaftlichen Forschung, und beide erreichen erst dadurch ihren größtmöglichen Wert, dass sie durchweg von einander getrennt bleiben. Jede dieser beiden Hauptabteilungen muss aber wieder in Unterabteilungen ge- sondert werden, deren Anzahl sich nach der Größe des Museums richtet. Die Forschungssammlung eines auf höchster Stufe stehenden Museums für Tierkunde sollte in zwei Abteilungen zerfallen: eine systematische und eine geographische. In beiden sollten mög- lichst viele lebende und ausgestorbene Tierarten in genügend zahl- reichen gut erhaltenen Vertretern anzutreffen sein. Die systematische Sammlung muss nach den besten Mono- graphien geordnet sein und so untergebracht, dass jeder einzelne ihrer Gegenstände jeden Augenblick leicht zugänglich ist, und dass sich die einzelnen Gruppen nächstverwandter Tierarten leicht übersehen lassen. Aufzustellen ist diese Sammlung dagegen nicht, vielmehr ist sie nach dem Vorschlage von Möbius in zweckentsprechender Weise aufzu- speichern. Der Vorschlag, neben der systematischen Forschungssammlung auch noch eine vollständige geographische anzulegen, mag manchen als zu weitgehend erscheinen. Allein eine solche Sammlung ist, wie Wallace nachgewiesen hat, höchst wünschenswert, und wenn man sich dahin entscheiden sollte, überhaupt nur eine einzige Forsehungs- sammlung einzurichten, so dieselbe vielleicht am besten geographisch zu ordnen; denn die Ansichten über das Tiersystem ändern sieh von Jahr zu Jahr, die geographische Verbreitung der einzelnen Tiergruppen bleibt aber dieselbe. Außerdem aber sind schon jetzt trotz der überall durchgeführten rein systematischen Anordnung der zoologischen Samm- lungen Länder bekannt, von deren Tierarten viele, obwohl sie im System oft weit auseinander stehen, durch eine und dieselbe Eigen- ss Haacke, Zoologische Museen und Regelung des Museenwesens. tümlichkeit ausgezeichnet sind. Um die verborgenen Ursachen kennen zu lernen, durch welche solehe Besonderheiten, die wahrscheinlich jedes Land aufzuweisen hat, entstanden sind, ist es nötig, diese Be- sonderheiten überhaupt erst einmal wahrzunehmen; solches aber kann nur geschehen, wenn wir eine möglichst vollständige, geographisch- geordnete Sammlung besitzten. Auch diese Sammlung kann wegen ihrer Größe nur aufgespeichert werden, was freilich in sehr übersiecht- licher Weise bewerkstelligt werden muss. Obwohl der Versuch, alle Tierarten in einem unserer Museen ver- treten zu sehen, kaum jemals in Erfüllung gehen kann, so muss doch an ein das Höchste anstrebende deutsche Museum die Forderung gestellt werden, dass in demselben wenigstens sämtliche Tierarten des deutschen Reiches vertreten sind, und zwar sowohl in der systema- tischen wie in der geographischen Abteilung der Forschungssammlung. Die systematische Abteilung muss die deutschen Tierarten in der Gesell- schaft der nächstverwandten Tierarten der übrigen Länder enthalten, die geographischen aber nicht etwa in einer gesonderten Unterabteilung, sondern zusammen mit den übrigen Tierarten derjenigen natürlichen tiergeographischen Provinz, in welche Deutschland fällt. Allerdings soll unser Museum auch eine besondere Unterabteilung für die Tier- arten des deutschen Reiches aufweisen. Diese aber muss der Schau- sammlung angehören. Die Schausammlung sondert sich zweckmäßigerweise in sieben Abteilungen: Eine systematische, eine geographische und eine erdgeschichtliche, eine, welche Bau, Leben und Entwicklung des tierischen Körpers zur Anschauung bringt, eine das Leben und Treiben der Tierwelt und ihre Beziehungen zur übrigen Natur darstellende Abteilung, eine solche, welche die für den Menschen besonders wichtigen Tiere zeigt, und eine letzte, welche ausschließlich die Tier- arten des deutschen Reichs, diese womöglich sämtlich, dem Beschauer vorführt. Die erste dieser sieben Abteilungen, die systematische Schau- sammlung, soll einen Ueberblick über das System und den Formen- reichtum der Tierwelt geben. In einem zoologischen Museum erster Größe sollten mindestens alle Tier- Familien in dieser Abteilung ver- treten sein, die Gattungs- und Artenreihen durch viele, die kleinen durch eine entsprechend geringere Anzahl Vertreter, damit der Be- schauer einen richtigen Begriff von den gegenwärtigen Größenverhält- nissen der Familien des Tierreiches bekommt. Auf den Etiketten für die größern sowohl wie für die kleinern Gruppen des Systemes wird zweckmäßigerweise auch noch die Anzahl der zunächst untergeordneten Gruppen angegeben. In der geographischen Abteilung müssen die wichtigsten Tier- familien der tiergeographischen Reiche und Provinzen in ähnlicher Weise ihrer Größe gemäß vertreten sein, wie in der systematischen, Haacke, Zoologische Museen und Regelung des Museenwesens. 39 so dass die zoologischen Aehnlichkeiten und Eigentümlichkeiten der Reiche und Provinzen unschwer zu erkennen sind. Aehnliches soll in der erdgeschichtliehen Abteilung für die einzelnen geologischen Formationen gelten. Uebrigens müsste auch die systematische sowohl wie die geographische Abteilung Reiben aus- gestorbener Tierarten in passender Auswahl enthalten, die erste, um das gesamte Tiersystem vollständig zur Anschauung zu bringen, die letzte, um zu zeigen, welchen Wechsel die Fauna jedes Landes im Laufe der Erdgeschichte erlitten hat. Die folgende Abteilung, die wir die organologische nennen wollen, ist der Erkenntnis des Baues, des Lebens und der Entwick- lung des tierischen Körpers gewidmet. An Beispielen aus allen Tier- klassen müsste hier gezeigt werden, wie sich der Tierkörper aus einer Reihe verschiedenartiger Organe zusammensetzt, in welcher Weise diese Organe mit und für einander und für das Ganze arbeiten, wie sich der zusammengesetzte Organismus aus der Eizelle entwickelt, wie ein und dasselbe Organ in dieser Tierklasse diese, in jener jene Verriehtung übernommen hat, wie eine und dieselbe Verrichtung hier oder in diesem Lebensabschnitte an dieses, dort oder in jenem Lebens- abschnitte an jenes Organ gebunden ist; kurzum, die vergleichende Anatomie, Physiologie und Entwiceklungsgeschichte müsste in über- sichtlichen Präparaten und Modellen zur Darstellung gelangen. Eine besonders wichtige Abteilung der Schausammlung soll die ökologische oder biologische sein, in welcher das Leben der Tiere und ihre Beziehung zur übrigen Natur in lehrreichen Zusammenstel- lungen zur Anschauung gebracht wird. Wer sich nur irgendwie mit der Lebens- und Haushaltungskunde der Tierwelt, mit der Erforschung von Lebensgemeinden, mit den Kunstfertigkeiten, mit Liebesleben und Brutgeschäft der Tiere sowie mit ihren Anpassungen an den Wohnort beschäftigt hat, wird eine große Fülle solcher Zusammen- stellungen machen können. An die ökologische schließt sich dann zweckmäßigerweise die Abteilung für die den Menschen besondersinteressierenden Tiere. Hierher würden gehören die nützlichen und schädlichen Tiere, die Hausgenossen und Schmarotzer des Menschen, die jagd- baren Tiere und die nutzbaren Bewohner der Gewässer, die ökono- misch und technisch, die land-, garten- und forstwirtschaftlich wich- tigen Tiere. Ganz besonders interessieren aber den Menschen die Tiere der Heimat. Mindestens in einem Museum unseres Vaterlandes sollten sämtliche Tierarten desselben in natürlichen und ansprechenden Grup- pen aufgestellt und der Beschauung von jedermann zugänglich sem. Diese Tiere nebst den wichtigsten Tieren der Kolonien bilden zu- sammen die letzte Abteilung eines nach jeder Richtung hin vollstän- digen Museums. 90 Haacke, Zoologische Museen und Regelung des Museenwesens. Glücklicherweise soll ein solehes Museum jetzt in Berlin ge- schaffen werden; aber wünschenswert wäre es, dass sich das Museum für Naturkunde in Berlin, das jetzt nur dem preußischen Staate gehört, mit der Zeit zu einem National-, zu einem Reiehsmuseum für Natur- kunde entwickelte, und dass dann weiterhin das gesamte naturkund- liche Museenwesen Deutschlands auf das Reich überginge und von keichs wegen geordnet würde. Die naturkundlichen Museen sollten, ihrer geographischen Lage entsprechend, in Museen verschiedener Ordnung gesondert und unter eine einheitliche Verwaltung gestellt werden. Neben einem Reichs- museum in Berlin sollten wir eine Reihe von Landesmuseen und eine große Anzahl Bezirksmuseen schaffen. In ihrer Einrichtung würden die Landes- und Bezirksmuseen sich an das Reichsmuseum anlehnen, sie würden letzteres in verkleinertem Maßstabe wiedergeben. Unbedingt gefordert müsste werden, dass die Landesmuseen sämtliche Naturalienarten ihres Landes, die Bezirksmuseen sämtliche Naturalien- arten ihres Bezirks sowohl in einer Schau- wie in einer Forschungs- sammlung besitzen. Für das Reichsmuseum könnten dann die Landes- museen, für diese die Bezirksmuseen sammeln. Die Bezirksmuseen würden sich durch ihre Vorstände in Ver- bindung zu setzen haben mit zuverlässigen Sammlern und Beobachtern aller Art. Angeregt durcn den Besuch eines zweckmäßig eingerich- teten öffentlichen Museums für Naturkunde würde sich so ein Heer von Sammlern und Beobachtern werben lassen, mit dessen Hilfe sich dereinst ein großes, vollständiges Werk über die Naturkunde des Deutschen Reiches schaffen lassen würde. Vorerst liegt die hier vorgeschlagene Organisation des naturkund- lichen Museenwesens Deutschlands noch in weiter Ferne. Aber ein Schritt zur Erreichung dieses Ziels wird dadurch gemacht werden können, dass zunächst die preußische Regierung die naturkundlichen Museen Preußens unter ihre Botmäßigkeit bringt. Viele preußische Museen werden schon jetzt mit reichen staatlichen Geldmitteln unter- stützt. Solehe Unterstützungen sollten allen Museen zuteil werden, und als Gegenleistung müsste die Regierung verlangen, dass diese Museen sich eine Aufsicht von Berlin aus gefallen lassen, dass sie für das Berliner Museum für Naturkunde deutsche Naturalien sam- meln und namentlich, dass sie ihr Hauptaugenmerk auf die Naturalien ihres Landes oder Bezirks richten. Gegen Einlieferung naturhistori- scher Gegenstände der Heimat könnten die Museen in den Provinzen dann von dem exotischen Ueberflusse des Zentralmuseums in Berlin gespeist werden. Auch die naturkundliche Erforsehung der deutschen Kolonien lässt sich am besten von Berlin aus leiten. Mit Dank anzuerkennen ist es, dass das Auswärtige Amt auch einen Zoologen und Botaniker nach Kamerun entsandt hat. Gleiche Maßnahmen Reichenbach, Entwicklungsgeschichte des Flusskrebses. 91 sollten aber auch für die übrigen deutschen Kolonien getroffen werden. Vielleicht wird dereinst das Museum für Naturkunde in Berlin eine Reihe von Sammlern und Beobachtern in unsere überseeischen Be- sitzungen entsenden können. Ein Ziel, wie es in den obigen Zeilen gesteckt ist, wird sich mit der Zeit annähernd erreichen lassen, wenn alle diejenigen, welchen deutsches Land, deutsche Landeskunde und deutsche Wissenschaft am Herzen liegt, einmütig und ohne Neid und Eifersucht die Weiter- entwicklung der jetzt bestehenden Verhältnisse auf die zu jenem Ziele führenden Wege zu lenken suchen. H. Reichenbach, Studien zur Entwicklungsgeschichte des Flusskrebses 1886. Sonderabdruck aus den Abhandlungen der Senckenb. Naturf.-Ges. Frankfurt. 138 S. und 19 Tafeln. Verlag von Moritz Diesterweg in Frankfurt a./M. Verfasser hat seine frühern Untersuchungen über die Embryonal- entwicklung des Flusskrebses an reicherem Materiale nachgeprüft und erweitert. In den vorliegenden Studien erstattet er hierüber aus- führlichen Bericht, der dureh wundervolle Tafeln illustriert wird. Die Vorgänge der Eifurehung sind nicht verfolgt. Die Darstellung beginnt in dem Stadium, wo eine einschichtige Blastosphäre gebildet ist. Die Ektodermzellen umschließen den zentral gelegenen Nahrungsdotter, der in „Rathke’sche Dotterpyramiden“ geordnet ist. Bald markiert sich durch die dichtere Stellung der Blastodermzellen die Bauch- platte; auf ihr sind frühzeitig die Anlagen der wichtigern Körper- teile zu erkennen. Gegen ihren vordern Rand liegen zu beiden Seiten der Mittellinie die scheibenförmigen Kopflappen, dahinter die paarige Thorakoabdominalanlage. Am hintern Rande der Bauchplatte steht die Entodermscheibe; diese sinkt allmählieh in die Tiefe, während sie von einer Falte umwallt wird, welche den etwas ovalen Gastrula- mund begrenzt. Die Entodermscheibe selbst entwickelt sich in der Tiefe rasch zu einem geräumigen Urdarm, der als Mitteldarm des ausgebildeten Tieres verwandt wird. Unterdessen haben sich die Thorakoabdominalplatten vereint; zwischen den etwas genäherten Kopflappen und Thorakoabdominal- platten sind als leichte Querwülste die ersten Anlagen der Fühler und Mandibeln aufgetreten. Während nun die Kopflappen sich ver- einen, zwischen ihnen die Lippenanlage erscheint und die Extremi- täten sich massiger über die Bauchscheibe erheben, wächst die Thorako- abdominalanlage durch das lebhafte Zellwachstum einer an ihrer vordern Grenze gelegenen Knospungszone in die Höhe und nach vorn gegen die Kopfanlagen. Der Urmund ist verschlossen; vor ihm hat sich durch ektodermale Einstülpung der in Längsfalten gelegte und deutlich in 7 Segmente gegliederte Hinterdarm und der After gebildet. 99 Reichenbach, Entwicklungsgeschichte des Flusskrebses. Die Knospungszone gliedert von vorn nach hinten die Thorakal- und Abdominalsegmente ab. Das Nervensystem bildet sich aus ektodermalen Zellwülsten, die selbständig in jedem Segmente entstehen und später mit einander in Verbindung treten. Aus der vordersten Ganglienverdiekung wird das Sehganglion des Auges, weshalb dieses als besonderes, erstes Segment des Körpers gezählt wird. Die Ganglienanlagen des zweiten und dritten Segmentes verschmelzen später zum Oberschlundganglion, während das Unterschlundganglion durch das Zusammentreten der Ganglienwülste des vierten bis neunten Segmentes entsteht. Der Mund und Vorderdarm entwickelt sich durch eine ektodermale Einstülpung. Die Leber ist als Divertikel des Urdarmes entstanden. Das Mesoderm wuchert aus dem vordern Rande des Urmundes in Gestalt von großen runden Zellen; diese unterscheidet der Verf. als „primäres Mesoderm“. Unter „sekundärem Mesoderm“ hingegen versteht er kleinere kuglige Zellen, die viele Vakuolen und mehrere sehr stark tingierbare Körperchen (Kerne) enthalten. Sie finden sich in der Mehrzahl häufig in den großen Entodermzellen; dann sollen sie aus diesen heraustreten, um sich mit den primären Mesodermelementen zu mischen; manchmal liegen sie auch zwischen Ektodermzellen. Sie lassen sich immer nur in frühen Entwieklungsstadien nachweisen und verschwinden später ganz. (Es erscheint daher nicht gut begründet den Typus eines „sekundären Mesoderms“ aufzustellen; denn die Not- wendigkeit der Bildung eines nur kurze Zeit bestehenden sekundären mittlern Keimblattes wird durch Beobachtungen nicht erläutert. Da ferner die fraglichen Mesodermzellen beliebig im Zellgefüge aller drei Keimblätter auftreten sollen, so liegt die Vermutung sehr nahe, dass es sich hier nicht um wohleharakterisierte Zellen, sondern vielleicht um degenerierende Kerne handle. Ref.) Ein besonderes Interesse gewinnt die vorliegende Arbeit dadurch, dass im Gegensatze zu der mechanischen Erklärungsweise, welche die gesamte Gestaltung des Embryonalkörpers allein durch wieder- holten Wechsel verschiedenen Druckes und Zuges der Keimblätter verständlich machen will, eine Kenntnis der formgestaltenden Fak- toren durch genaues Studium der Kurven und Trajektorien erstrebt wird, welche sich in der Stellung und Anordnung der Zellkerne so- wohl auf der Bauchplatte als in bestimmten Organanlagen nachweisen lassen. So lassen sich die Anlagen der Extremitäten schon lange vor ihrem definitiven Erscheinen durch die frühzeitige Kurvenstellung der Kerne vorausbestimmen. Das genaue Studium der Zellen in verschiedenen Organanlagen brachte auch hier den sichern Nachweis, dass einzelne Zellbezirke der jüngsten Keimscheiben, die kaum eine Differenzierung aufweisen, für ganz spezifische Bildung prädestiniert und als solche erkennbar seien. Am klarsten lässt sich dies an der Augenanlage zeigen, wo schon Nansen, Struktur der histologischen Elemente des Zentralnervensystems. 95 ’ o° J frühzeitig die Krystallkegelzellen und die Ganglienzellen des Seh- ganglions durch Form und Färbung sich von einander abheben. Zum Schlusse sei erwähnt, dass Reichenbach’s Freund, Herr Winter in Frankfurt, all seine künstlerische Fertigkeit aufbot, um die Tafeln möglichst wahrheitsgetreu dem natürlichen Objekte nach- zubilden und so zu wahren Meisterwerken zu gestalten. A. Fleischmann (Erlangen). Fridtjof Nansen, Die Struktur und wechselseitige Beziehung der histologischen Elemente des Zentralnervensystems. Bergen’s Museums Aarsberetning 1386. Sep.- Abdruck in englischer Sprache. Bergen 1887. 214 Seiten. XI Tafeln. Diese sehr eingehenden Untersuchungen wurden hauptsächlich an höbern Avertebraten angestellt (Homarus, Patella vulgata, Nereis, Lumbrieus agricola u. a.) sowie auch an Amphioxus und Myxine glutinosa. Der Verfasser gelangte dabei zu Resultaten, welche von den gegenwärtig herrschenden Anschauungen über den Bau der nervösen Elementarorgane sehr wesentlich abweichen und knüpft daran physiologische Betrachtungen, die in gleicher Weise als originell bezeichnet werden müssen. Bei der Untersuchung der lebenden, frischen Gewebe erhielt er allerdings Bilder, welche sich im wesent- lichen an die Angaben früherer Autoren (z. B. Freud) anschließen; doch legt er das Hauptgewicht auf Präparate, welche in der Flem- ming’schen Chrom-Osmium-Essigsäure fixiert und dann auf verschie- dene Weise tingiert worden waren. 1) Die Nervenfasern. Bekanntlich besitzen die untersuchten Tiere durchwegs nur marklose Nervenfasern ; diese bestehen aus einer derben Scheide und einem weichen Inhalte, dem Axenzylinder. Die Scheide der Nervenfaser wird von derselben Bindesubstanz (Neu- roglia) gebildet, welche auch das fundamentale Stützgerüste innerhalb des ganzen Nervensystems bildet. An dieser Scheide, und zwar meist an ihrer Außenseite, sitzen längliche granulierte Kerne. — Der Inhalt der Nervenfasern wird durch eine mit der Dicke der Faser wechselnde Anzahl von feinsten Primitivröhrehen gebildet; die- selben sind bis zur gegenseitigen Berührung enge aneinander gelagert und bestehen aus einer feinen Scheide (Spongioplasma) und aus einem viscösen Inhalt (Hyaloplasma). Die Spongioplasmascbeiden scheinen mit der bindegewebigen Neurogliascheide der Gesamtfaser zusammen- zuhängen und unterscheiden sich histologisch von letzterer nur durch den absoluten Mangel an Kernen. — Da der Querschnitt der Primi- tivröhrehen ein mehr oder minder kreisförmiger ist, eine weitere Sub- stanz aber im Innern des Axenzylinders nicht nachgewiesen werden kann, so müssen die Spongioplasmascheiden stellenweise entsprechend verdickt sein; auf diese Weise sollen jene Trugbilder entstehen, welche 94 Nansen, Struktur der histologischen Elemente des Zentralnervensystems. eine fibrilläre Struktur des Axenzylinders vortäuschen; es gibt also keine Primitivfibrillen. In den größten Nervenfasern von Homarus unh Nephrops findet gegen die Axe hin eine Konzentration der Primitivröhren in der Weise statt, dass sie bei geringerem Durchmesser eine diekere Scheide erhalten. Die drei großen Fasern im Bauchstrange des Regenwurms (Cla- par&de’s Riesenfasern), deren nervöse Natur wiederholt angezweifelt wurde, sind wirkliche Nervenfasern. 2) Die Nervenzellen. Die Nervenzellen der höhern Wirbel- losen bestehen aus einem Kerne und aus Protoplasma. Sie sind ein- geschlossen in eine bindegewebige Neurogliakapsel. Das Protoplasma der Zellen wird zunächst durch zahlreiche Primitivröhren (Spongio- plasma und Hyaloplasma) gebildet, welche in verschiedenartiger Weise den Zellkörper durehziehen, aber häufig auch zu Bündeln angeordnet sind. Außerdem muss im Zellkörper noch ein eignes Spongioplasma- netz unterschieden werden, welches von der Zellkapsel auszugehen scheint und mit den Spongioplasmascheiden der Primitivröhren innigst verknüpft ist. Besonders deutlich wird dieses Netz in den Ganglien- zellen von Homarus und Nephrops, in welchen namentlich nahe der Peripherie solche bindegewebige Balken erkannt werden können, die von der Kapsel in das Zellprotoplasma eindringen. Endlich scheint im Zellprotoplasma auch eine eigentümliche, fett- haltige (myeloide) Substanz vorhanden zu sein, welche vielleicht der Träger des in manchen Zellen anzutreffenden Pigmentes ist. Jede Nervenzelle hat einen (und fast niemals mehr) Nervenfortsatz, welcher sich in gleicher Weise wie die Nervenfasern aus Primitiv- röhren zusammensetzt und häufig eine sehr starke, mehrschichtige Neurogliascheide besitzt. Falls sich an einer Zelle mehrere Fortsätze finden, dann sind die andern durchwegs Protoplasmafortsätze, welche mit der Neuroglia verknüpft sind und lediglich eine nutritive Be- deutung haben. 3) Leydig’s Punktsubstanz. Die Grundsubstanz, Zwischen- substanz oder Punktsubstanz besteht fast ausschließlich aus feinen Nervenfasern und Primitivröhren, welche zwar innig mit einander verwebt sind, aber niemals anastomosieren. — Einzelne Neuroglia- kerne finden sich gelegentlich hier zerstreut. 4) Anastomosen zwischen den Nervenzellen kommen nicht vor. 5) Bei den untersuchten Wirbeltieren (Amphioxus und Myxine) schien die feinere Struktur der Elementarorgane des Nervensystems im wesentlichen mit den an Avertebraten gewonnenen Erfahrungen übereinzustimmen, so dass N. meint, die von ihm geschilderten Struk- turverhältnisse auf das ganze Tierreich ausdehnen zu können (mit Ausnahme der niedersten Tiere). Die vordern (ventralen) Wurzelfasern lassen sich hier gelegentlich Nansen, Struktur der histologischen Elemente des Zentralnervensystems. 95 bis zu einer Zelle der grauen Substanz verfolgen; die hintern (dorsalen) Wurzelfasern hingegen teilen sich, sobald sie in das Rückenmark ein- getreten sind, dichotomisch und lösen sich so nach und nach auf, entgegen den (übrigens nach des Ref. Erfahrung unzweifelhaft rich- tigen) Angaben anderer z. B. Freud. 6 und 7) Nansen kommt nun auf Grundlage seiner Unter- suchungen zu folgenden Schlüssen über die wechselseitigen Be- ziehungen und die Funktion der Nervenelemente: Die sensiblen Wurzelfasern entstehen durch die Aneinander- lagerung, suecessive Verbindung von feinsten Nervenröhrchen, während die motorischen Wurzelfasern die direkte Fortsetzung eines Nerven- faserfortsatzes darstellen, welcher von einer Nervenzelle ausgeht und allerdings auch feine Seitenästchen abgibt. Rücksichtlich der Nervenzellen wird die Theorie von Golgi voll- ständig acceptiert, wonach der Nervenfortsatz der motorischen Zelle einzelne Seitenzweigchen absendet, dabei aber seine Individualität nieht einbüßt und direkt zu einer Nervenfaser (Axenzylinder) wird; der Nervenfortsatz der sensiblen Zelle hingegen soll sich durch fort- gesetzte Teilung nach und nach vollständig in feinste Fäserchen auf- lösen. — Der Verfasser konstruiert nun für die einfachste Reflexbewegung folgendes Schema: Die feinen Seitenästehen der motorischen Wurzel- fasern und der von den motorischen Zellen abgehenden Nervenfort- sätze einerseits, sowie anderseits die letzten Endverzweigungen, in welche die sensiblen Wurzelfasern und die Nervenfortsätze der sen- siblen Zellen zerfallen, beteiligen sich an dem Netzwerke in der Grund- substanz (Punktsubstanz). Die auf dem Wege der hintern Wurzeln herantretende zentripetale Erregung erreicht nun gar nicht die sen- sible Zelle, sondern gelangt in der Zwischensubstanz direkt zu der motorischen Faser, durch welche sie weiterhin — ohne erst die mo- torische Zelle zu passieren — in zentrifugaler Richtung das Zentral- nervensystem verlassen kann. — Die Reflexaktion findet also völlig ohne Intervention der Ganglienzellen statt, und die größte Bedeutung bei der zentralen Nerventhätigkeit kommt demnach der Grundsubstanz — dem Gewebe feinster Nervenröhrchen — zu. — Die Bedeutung dieser Grundsubstanz wird noch größer, wenn man bedenkt, dass wahrscheinlich alle Funktionen des Zentralnervensystems sich auf reflektorische Vorgänge zurückführen lassen und also in gleicher Weise ohne Beteiligung der Nervenzellen vor sich gehen. — Diese letztern haben wahrscheinlich nur eine trophische Be- deutung; die Protoplasmafortsätze der Zelle saugen den Nahrungs- stoff auf, führen ihn der Zelle zu, hier wird er, wobei der Kern wahr- scheinlich eine große Rolle spielt, assimiliert und in passender Form den Primitivröhrehen des Nervenfortsatzes zugeführt. 96 Peyer, Atlas der Mikroskopie am Krankenbette. Ob den Ganglienzellen noch eine andere Leistung zukommt, ob sie nicht beispielsweise auch „Sitz des Gedächtnisses“ sind, kann nicht entschieden werden. Obersteiner (Wien) !). James Eisenberg, Bakteriologische Diagnostik. Hiltstabellen zum praktischen Arbeiten. Zweite völlig umgearbeitete und sehr vermehrte Auflage. XVI u. 159 Seiten in klein Folio. Hamburg und Leipzig. Leopold Voss. 1888. 5 Mk. Von diesen praktischen Tabellen, deren erstes Erscheinen wir Bd. V S. 764 angezeigt haben, liegt jetzt eine zweite Auflage vor. Dieselbe ist, unter Beibehaltung der ursprünglichen Anordnung, sehr vermehrt, indem statt der ursprünglichen 76 jetzt 138 Diagnosen gegeben werden von 46 nicht pathogenen, 72 pathogenen Bakterien und 20 der wichtigsten und weitverbrei- tetsten Pilze. Sehr zu loben ist die veränderte typographische Anordnung, welche die Uebersichtlichkeit erhöht und trotz der vermehrten Zahl der Diagnosen und Verkleinerung des Formats nur eine unbedeutende Vermehrung der Seitenzahl erforderlich machte. Es hat nämlich jetzt jede Art eine eigne Tabelle und Seite, mit der laufenden Nummer, dem Speciesnamen, dem Autor und kurzen Literaturangaben als Ueberschrift. Letztere dürften aber noch vollständiger sein. Einige leere Tlabellenformulare sollen zum Eintragen von Ergänzungen dienen. Ein gutes Register erleichtert das Auffinden. — Auf- gefallen ist mir die falsche Schreibung einiger Namen z. B. Schwaiger bei Zitierung des Archivs für Augenheilkunde von Knapp und Schweiger in den Tabellen 59—61, Grasser statt Graser in der Tabelle 28. R. A. Peyer, Atlas der Mikroskopie am Krankenbette. 100 Tafeln enthaltend 137 Abbildungen in Farbendruck. 2. Aufl. Stuttgart. Ferd. Enke. 1887. Die mit großem Luxus hergestellten Tafeln sind mit wenigen Ausnahmen nach eignen Zeichnungen des Verf. hergestellt und sind bestimmt, dem Arzt die Erkennung der wichtigsten, am Kranken häufiger zu beobachtenden Befunde zu erleichtern. Deswegen ist jeder Tafel eine kurze Auseinandersetzung über die wesentlichsten Vorkommnisse beigegeben, welche auf die Tafeln Bezug nimmt, aber sich nicht so eng an die Figuren anschließt, wie es eine eigne Figurenerklärung thun müsste. Eine gründliche Belehrung darf man freilich von diesem Text nicht erwarten; mit dem Bd. VII Nr. 12 angezeigten Buche Bizzozero’s ist das vorliegende in dieser Hinsicht nicht zu vergleichen, jedenfalls vermag es dasselbe nicht zu ersetzen. Die Zeichnungen sind zum Teil sehr schematisch gehalten. Bei einfachern Gebilden, z. B. Harnkrystallen u. dgl. wäre eine geringere Größe der Figuren zweckmäßiger gewesen, da sie ohne Nachteil die Zahl der Tafeln und dadurch den Umfang des Werks zu vermindern gestattet hätte. R. 1) In Nr. 6 des „Anatomischen Anzeiger“ veröffentlichte F. Nansen so- eben die hier kurz referierten Untersuchungsresultate ebenfalls, jedoch in viel gedrängterer Darstellung. Ref. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von J unge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Kuysiolegie, in Erlangen. 4 Nummern von je 3 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. vIL Band. 15. April 1888, FE Inhalt: en Botanische Beweise für eine en erworbener en (Schluss). — Haberlandt ; Korschelt, Ueber die Beziehungen zwischen Funktion und Lage des Zellkerns. — Eimer, Die Entstehung der Arten aufgrund von Vererben erworbener Eigenschaften. — Weismann, Ueber die Zahl der Rich- tungskörper und über ihre Bedeutung für die Vererbung. — Weismann und Ischikawa, Ueber die Bildung der Richtungskörper bei tierischen Eiern. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften : Zoologisch-Botanische Gesellschaft zu Wien. Botanische Beweise für eine Vererbung erworbener EKigen- schaften. Von August Weismann. (Schluss. Ich schreite zur Analyse der letzten Gruppe von Erscheinungen, welche Detmer zu gunsten einer Vererbung erworbener Eigenschaften vorbringt. Er legt mir zur Last, „die Thatsachen, welche über die merkwürdigen Nachwirkungserscheinungen bei Pflanzen bekannt sind, in keiner Weise bei der Untersuchung des Problems der Vererbung verwertet zu haben, obgleich diese Thatsachen von sehr großer Wichtigkeit erscheinen“. Diese „Nachwirkungen“ sind unter andern folgende. Werden kräftige, im Freien gewachsene Exemplare der Sonnen- blume dekapitiert und dann ins Dunkle gestellt, nachdem man die Stümpfe mit einem Steigrohr verbunden hat, so zeigt sich, dass der Saftausfluss, der jetzt aus dem Stammende stattfindet, nicht gleich- mäßig erfolgt, sondern periodische Schwankungen einhält, nachmittags am stärksten, morgens früh am schwächsten ist. Die Ursache nun der täglichen Periodizität dieses Ausflusses liegt in dem periodischen Wechsel der Lichteinwirkung, welchem die Pflanze ausge- setzt war, bevor sie zum Experiment verwendet wurde. Gänzlich im Dunkeln erwachsene Pflanzen zeigen zwar auch einen Saftausfluss, aber keine Periodizität desselben. VIN. u | 98 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. ’ be] oO Ein zweiter Fall! „Es ist eine bekannte Thatsache, dass Dunkel- heit beschleunigend auf das Wachstum der Pflanzen eivwirkt, wäh- rend Beleuchtung dasselbe verlangsamt“. Pflanzen wachsen also im allgemeinen bei Nacht stärker, als bei Tag. Werden nun Pflanzen aus dem Freien „in konstante Finsternis“ gebracht, so verschwindet nicht sofort diese Periodizität des Wachstums, sondern hält „im Gegenteil oft noch lange Zeit hindurch als Nachwirkungserschei- nung“ an. Auch das Oeffnen und Schließen der Blätter von Mimosa pudic« findet unter natürlichen Verhältnissen periodisch statt, und zwar derart, dass sie sich mit Eintreten der Dunkelheit schließen. Diese Periodizität hat ihren Grund in dem Wechsel der Lichteinwirkung. Bringt man nun solche Pflanzen in konstante Finsternis, so dauert das periodische Oeffnen und Schließen der Blätter noch mehrere Tage lang fort. Alles dies ist nun gewiss sehr interessant, und beweist, dass periodisch eintretende Reize, die ein Pflanzen - Individuum treffen, periodisch ablaufende Prozesse in ihm hervorrufen, die nicht sofort wieder zum Stillstand kommen, wenn die Periodizität des Reizes auf- hört, sondern sich erst langsam und allmählich in ein gleichmäßiges Tempo umwandeln. Man wird aber mit Recht fragen, was nun eigent- lich diese Thatsachen mit der Vererbung erworbener Eigenschaften zu thun haben? Alle diese durch äußere Einwirkungen hervorge- rufenen Eigentümlichkeiten sind auf das Individuum beschränkt ge- blieben, in dem sie hervorgerufen wurden, die meisten verschwinden sogar sehr rasch wieder, lange vor dem Tod des Individuums, in keinem einzigen Fall ist die betreffende Eigentümlichkeit zu einer ererbten geworden. Obgleich die Sonnenblumen schon seit Jahr- tausenden in jeder Generation von neuem wieder dem täglichen Wechsel von Licht und Finsternis ausgesetzt waren, ist die Periodizität der Säfteströmung dennoch keine erbliche Eigenschaft der Art ge- worden, sie bleibt aus, wenn die Pflanze im Dunkeln erzogen wird, und bei Mimosa pudica kann man, wie Detmer selbst anführt, die Perioden des Schließens und Oeffnens der Blätter gradezu umkehren, wenn man sie, wie Pfeffer es that, längere Zeit hindurch bei Tage im Finstern hält, bei Nacht aber beleuchtet. Also auch hier liegt ein Beweis dafür vor, dafs Einflüsse, die Tausende von Genera- tionen hindurch eingewirkt haben, keinerlei Eindruck im Keimplasma hinterlassen haben. Detmer selbst gibt das auch zu, indem er sagt: „Freilich spielen sich die Nachwirkungen nur im individuellen Leben eines Organismus ab“, aber nichtsdestoweniger „hegt er seit vielen Jahren die Ueber- zeugung, dass die Vererbungs- und Nachwirkungsphänomene nur graduell, nicht aber dem Wesen nach verschieden sind“. Ja er sagt gradezu, dass trotz der augenfälligen Nichtvererbung dieser Nach- Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 99 wirkungserscheinungen „die Wesensgleichheit der Nachwirkungs- und der Vererbungserscheinungen dem aufmerksamen Beobachter nicht entgehen kann“. Mir will scheinen, dass es sich hier nicht um den Beobachter handelt, denn die Beobachtungen liegen ja vor, sondern um den Denker, und dass es kein riehtiger Gedankengang ist, daraus, dass durch gewisse periodische Einwirkungen auf eine einzelne Pflanze periodische physiologische Prozesse entstehen, die beim Aufhören der veranlassenden Ursachen noch eine Zeit hindurch anhalten, auf eine Wesensgleichheit dieser Nachwirkungen mit der Vererbung zu schließen. Ebenso gut könnte man aus dem allmählichen Abschwingen eines Pendels, der durch den Finger angestoßen wurde, auf eine Wesens- gleichheit dieser Nachwirkungen des Fingeranstoßes mit der Ver- erbung schließen. In der That ist auch allen diesen Erscheinungen eines gemeinsam: eine der Zeit nach zurückliegende, im Augenblicke der Erscheinung nieht mehr direkt erkennbare Ursache. Das ist aber auch die ganze Aehnlichkeit; im übrigen beruht diese geabnte „Wesens- gleichheit“ auf einem recht unklaren, im schlechten Sinn naturphilo- sophischen Traumbild. Ja die Aehnliehkeit ist sogar noch beschränk- ter, indem die Nachwirkungserscheinungen grade wie die Pendel- schwingungen mit dem Aufhören des Anstoßes allmählich ausklingen, während die Vererbungserscheinungen unausgesetzt fortdauern. Die physiologischen Nachwirkungen unterscheiden sich inbezug auf Ver- erbung in nichts von allen andern erworbenen Eigenschaften, die wir kennen und die wir als morphologische Abänderungen wahr- nehmen: sie werden nicht vererbt. Dem gegenüber kann ein so vages Analogien-Spiel nicht in betracht kommen, welches daraus dass es Nachwirkungserscheinungen gibt schließen möchte, dass auch die Vererbung nur eine Nachwirkungs-Erscheinung der in den Aeltern vorgegangenen Prozesse ist; denn das ist offenbar des Pudels Kern. Detmer überträgt zum Schluss seine aus den Nachwirkungs- Erscheinungen gewonnenen Vorstellungen auf bestimmte Erscheinungen im normalen Leben der Pflanzen, indem er einen Hinweis auf den periodischen Laubwechsel unserer Bäume und Sträucher folgen lässt, der nach seiner Meinung durch direkte Wirkung des Klimas hervor- gerufen sein muss. „Werden mit Winterknospen besetzte Zweige im Herbst abgeschnitten, mit ihrer Basis in Wasser gestellt und ins Warmhaus gebracht, so entfalten sich die Knospen nicht alsbald, sondern es vergehen oft Monate, bis sie austreiben. Daraus geht her- vor, dass die Jahresperiode der Gewächse heute keineswegs mehr — in unmittelbarer Abhängigkeit von äußern Verhältnissen steht. Diese letztern indizierten die Jahresperiode freilich einmal, aber allmählich wurde sie durch Nachwirkungen und Vererbung (!) mehr und mehr im Organismus fixiert und ist daher jetzt nicht mehr ohne weiteres zum Verschwinden zu bringen. Dies kann aber ganz all- m [( 100 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. mählich und unter der Einwirkung veränderter klimatischer Verhält- nisse geschehen. Einen Beweis liefert z. B. der Umstand, dass unsere Kirsche auf Ceylon zu einem immergrünen Baum geworden ist“. So weit Detmer. Man wird mit ihm übereinstimmen darin, dass der periodische Laubwechsel durch den periodischen Wechsel von Sommer und Winter, wie er in gemäßigten Klimaten eintritt, hervor- gerufen wurde. Dies ist unzweifelhaft, und ebenso unzweifelhaft ist es, dass hier eine erblich fixierte Eigenschaft vorliegt. Aber wo ist der Beweis, dass diese erbliche Eigenschaft durch direkte Einwir- kung des Klimas, der Kälte im Winter, der Wärme im Sommer her- vorgerufen worden ist? Welches Recht hat man, die erbliche Fixierung dieser Eigenschaft als „Nachwirkung“ des die frühern Generationen direkt beeinflussenden Temperatur-Wechsels zu betrachten? Liegt er etwa darin, dass wie wir gesehen haben keine der als Nachwirkung wirklich konstatierten Erscheinungen erblich geworden ist? Mir scheint, dass grade mit dem periodischen Laubwechsel unserer Bäume Einrichtungen verbunden sind, die bestimmt darauf hinweisen, dass Naturzüchtung mit im Spiele ist. Oder sollte sich Detmer vor- stellen, dass die charakteristischen schützenden Hüllen, die braunen Schuppen der Winterknospen durch direkte Wirkung der Kälte ent- standen sind? Wenn nun aber diese in ihrem anatomischen Bau eigenartigen Knospen auf indirekte und nicht auf direkte Wirkung des Klimas zu beziehen sind, sollte es da so sehr unwahrscheinlich sein, dass auch die physiologische Eigentümlichkeit dieser Knospen, mehrere Monate hindurch latent zu bleiben, sich gleichzeitig mit dem Bau durch Selektionsprozesse herausgebildet habe? Und nun wissen wir zugleich, warum diese Eigentümlichkeit erblich geworden ist; denn Selektion arbeitet mit Keimes-Variationen und diese übertragen sich von einer Generation auf die andere mit dem Keimplasma, dem sie angehören. Aber Detmer sucht auch den umgekehrten Beweis zu führen, den nämlich, dass der erblich gewordene Laubwechsel wieder auf- segeben wird unter längerer „Einwirkung veränderter klimatischer Verhältnisse“. Freilich ist sein ganzer Beweis der oben zitierte Satz von „unserer Kirsche, welche auf Ceylon zu einem immergrünen Baum geworden ist“. Ich weiß nicht, woher diese Angabe stammt. Wenn wirklich unser Kirschbaum, aus Samen gezogen und durch Samen mehrere Generationen hindureh fortgepflanzt „allmählich“, also nicht schon in der ersten Generation, immergrün wurde, d. h. seine Blätter im Herbst behielt und keine latent bleibenden Winterknospen mehr bildete, dann freilich wäre die Vererbung erworbener Eigen- schaften kaum noch zu bezweifeln. Ich bin nun freilich kein Bota- niker, aber soviel ich weiß, geht nur die wilde Kirsche aus Samen hervor, die essbare domestizierte Kirsche wird durch Pfropfreiser fortgepflanzt. Propfreiser aber sind Teile des Soma eines bereits Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 101 vorhandenen Baumes, und bei Vermehrung durch Pfropfreiser hat man es nicht mit Generationen zu thun, die aufeinander folgen, sondern mit einem und demselben successive auf viele Wildstämme verteilten Individuum. Dass aber ein und dasselbe Individuum im Lauf seines Lebens mehr und mehr durch direkte Wirkung äußerer Einwirkungen verändert werden kann, unterliegt keinem Zweifel. Zweifelhaft ist nur, dass solche Veränderungen durch die Keimzellen vererbt werden können. Sollten aber die Engländer in Ceylon, wie ich ver- mute, keine wilden Kirschen, sondern zahme, Kultursorten essen wollen, so haben die dortigen fruchttragenden Kirschbaumäste den Weg durch die Keimzellen und das Keimplasma gar nicht durchgemacht, und nichts steht dem im Wege, dass ihre anatomischen und physiologischen Eigenschaften mit der Zeit durch direkten Einfluss des Klimas sollten verändert werden können. Der so leicht hingeworfene Satz von der Ceylon-Kirsche dürfte deshalb wohl schwerlich als ein Beweis angenommen werden für eine so folgenschwere Annahme, wie die von der Vererbung erworbener Eigenschaften. Während nun sämtliche von Detmer vorgebrachte Thatsachen nicht das beweisen, was sie beweisen sollten, hat ein anderer Bota- viker, der durch seine langjährigen Versuche über Variation wohl- bekannte Professor Hoffmann in Marburg, kürzlich andere Thatsachen aus botanischem Gebiet für eine Vererbung erworbener Eigenschaften geltend gemacht, welche zwar wohl beweisend sind für das, was er „erworben“ nennt, ‘welehe aber dennoch schwerlich etwas ändern werden an dem heutigen Stand der Frage nach der Vererbung er- worbener Eigenschaften. In einer kurzen Notiz vom 1. Januar 1888 teilt der Verfasser in diesem Blatte!) mit, dass es mittels „dürftiger Ernährung“ gelinge, den Blütenbau zu ändern und dass diese Abänderungen nachweisbar mehr oder minder erblich seien. Die ausführliche Darlegung der Versuche findet sich in mehrern Nummern der botanischen Zeitung (1887, S. 775), und dort ist das Endergebnis in folgender Weise formuliert. „Es geht aus diesen Versuchen mit Sicherheit hervor: 1) dass durch ungenügende Ernährung bedeutende morphologische Aenderungen (und zwar qualitative Variationen) erworben werden können, und zwar zunächst im Sexualapparat (der Blüte); 2) dass die vom Individuum „passant“ [Weismann]?) erworbenen Eigenschaften vererbt werden können“. 1) Vergl. Biol. Centralbl., Bd. VII, Nr. 21. 2) Den Ausdruck „passante* Eigenschaften habe ich als gleichbedeutend mit „erworbenen“ gebraucht, um damit auszudrücken, dass sie gewissermaßen nur vorübergehend auftreten und mit dem Individuum wieder verschwinden. Da die Eigenschaften, von welchen Hoffmann hier spricht, vererbt werden, 102 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. Die Erfahrungen, auf welche Hoffmann diese Sätze gründet, sind Versuche, welche mit verschiedenen Pflanzen angestellt wurden, um zu sehen, unter welcher Veränderung der Lebensbedingungen ab- norme Blütenbildung, überhaupt Variationen am häufigsten auftreten, kurz in wie weit Variationen von Aenderung der Bedingungen her- vorgerufen werden. Die Absicht des Verfassers war offenbar nicht von vornherein auf die Frage nach der Vererbung erworbener Eigenschaften gerichtet, seine Versuche sind ja auch viel ältern Datums als diese Frage in ihrer heutigen Fassung und Bedeutung; es sind das vielmehr nach- träglich in seine Untersuchungen hineingetragene Gesichtspunkte, woraus sich denn die nicht immer genügende Schärfe der Beweise, z. B. grade inbezug auf den Punkt der Vererbbarkeit der erzielten Abänderungen verstehen lässt. Grade darauf kommt indess hier wenig an, da ich die Richtigkeit dieser Annahme nicht in Frage zu stellen brauche. Die bezüglichen Versuche selbst nun sind im wesentlichen die folgenden. Verschiedene Pflanzen von normalem Blütenbau wurden eine Reihe von Generationen hindurch stark veränderten Lebensbedingungen aus- gesetzt; sie wurden z. B. als sog. „Dichtsaat“ in kleinen Töpfen auf- gezogen, wobei die Pflanzen sich natürlich gegenseitig in der Nahrung beschränken, also dürftig ernährt werden. Bei dieser Behandlung zeigte sich nun bei einigen Arten im Laufe der Generationen mehr oder weniger häufig eine Anzahl von atypischen, d. h. in diesem Fall gefüllten Blüten; nieht immer zwar, denn bei der Levkoje Matthyola annua und bei Helianthemum polifolium erschienen keine gefüllten Blüten. Bei andern Arten, wie z. B. bei Nigella damascena, Papaver alpinum, Tagetes patula erschienen sie, und häufig so, dass ihre An- zahl im Laufe der Generationen zunahm, wenn auch keineswegs kon- stant. So z. B. ergab Dichtsaat bei einer Reihe von 4 Generationen von Nigella damascena: 1883: keine gefüllte Blüten, 1884: keine gefüllte Blüten, 1885: 23 typische und 6 gefüllte Blüten, also das Verhältnis von 100: 26. 1886: 10 typische und 1 gefüllte Blüte, also wie 100:10. Nicht immer blieb eine gewisse Zahl der gefüllten Blüten dauernd erhalten, in manchen Fällen verschwanden sie vollständig wieder. So bei Papaver albinum, welches Hoffmann schon seit 1862 — soviel ich ersehe — in ununterbrochener Generationsfolge kultiviert und bei welchem sich schon 1882 „eine geringe Variabilität der Blattform, so passt auf sie der Ausdruck nicht; es wird sich aber im Laufe dieser Aus- einandersetzung ergeben, dass sie überhaupt keine „erworbenen* im Sinne der Deszendenztheorie sind. Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 105 eine größere der Blütenfarben* eingestellt hatte. „Die Füllung der Blüten schien durch dürftige Ernährung (Dichtsaat) begünstigt zu werden“. Von 1882—1886 wurden diese Versuche nun weiter fort- gesetzt, und sie bestätigten das schon vorher gewonnene Resultat, ergaben aber folgendes Verhältnis der normalen zu den gefüllten Blüten: Versuch XI: 1881 wie 100:40, 1882 „ 100:4, 18337 7.,,.100:5,3: Versuch XVII: 1884 „ 100:13, 1385, =. 100:0, 1886 „ 100:0. Trotzdem nun in dieser und andern Generationsfolgen die ge- füllten Blüten grade in den spätesten Generationen wieder verschwin- den, so kann es doch wohl keinem Zweifel unterliegen, dass sie infolge der abnormen Ernährungsbedingungen aufgetreten sind. Daran ändert auch die Thatsache nichts, dass gefüllte Blüten auch bei Kul- turen im freien Gartenland auftraten und nicht so sehr viel seltener. Bei Diehtsaat wurden 2879 typische Blüten auf 256 atypische, meist gefüllte gezählt, bei Freilandsaat 867 typische auf 62 atypische; im ersten Falle also das Verhältnis von 100:8,5, im zweiten das von 100:7. Hoffmann will nun allerdings diese Rechnung nicht gelten lassen, da bei den Freilandsaaten „die Samen zum Teil von gefüllten Blüten stammten und starke Vererbung stattfindet“, allein diese Annahme einer starken Vererbung geht aus seinen Versuchen nicht hervor. Sein Versuch XVII mit Papaver alpinum lautet z. B. „Samen von gefüllten Blüten, von Versuch XI, 1883 lieferten bei Topfsaat Pflanzen, welche 1884— 86 nur 53 einfache Blüten brachten, keine gefüllte“! also das Verhältnis von 100:0. Der Gegenversuch XIX „Samen von einfachen Blüten verschie- dener Plantagen lieferten bei Topfsaat Pflanzen, welche 1885 und 86 43 Blüten brachten, die bis auf eine sämtlich typisch“ waren. Die- selben Samen gaben im Freiland 166 einfache und 5 gefüllte Blüten! Allerdings findet man bei Hoffmann auch Versuche, in denen Samen von gefüllten Blüten wieder eine Anzahl gefüllte Blütchen lieferten, so z. B. Versuch XXI mit Paper alpinum. Hier lieferten „Samen aus gefüllten Blumen, ins freie Land gesäet, zahlreiche Pflanzen, welche 1885 u. 1886 284 einfache Blüten brachten und 21 gefüllte, also 100: 7%. Man sieht, die Vererbung ist keineswegs über allen Zweifel er- haben nachgewiesen, denn wer könnte sagen, wie viele dieser im letzten Versuch erzielten gefüllten Blumen auf Vererbung beruhen, wie viele auf der Wirkung der veränderten Bedingungen? Ich selbst zweifle nun allerdings gar nicht daran, dass Vererbung hier mit im 104 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. Spiele ist, ja ich könnte mir ohne diese Annahme die ganzen Er- scheinungen gar nicht zurechtlegen. Damit ist aber keineswegs die Vererbung erworbener Eigenschaften zugegeben, denn die hier ein- getretenen Veränderungen sind keine „erworbenen“ in meinem Sinn und in dem Sinn der Deszendenztheorie überhaupt! Man kann sie ja so nennen, allein es kommt doch hier nicht auf einen schalen Wortstreit an, sondern auf die Entschei- dung einer tiefgreifenden wissenschaftlichen Frage. Es handelt sich darum zu wissen, ob Veränderungen des Körpers (Soma, im Gegen- satz zu den Keimzellen), welche durch direkte Wirkung äußerer Ein- flüsse, inklusive Gebrauch und Nichtgebrauch hervorgerufen worden sind, vererbt werden können; ob sie die Keimzellen derart beeinflussen können, dass diese in der nächsten Generation die betreffende Ab- änderung spontan hervorbringen. Das ist die Frage, die hier zu be- antworten ist und deren Beantwortung — wie oben gezeigt wurde — darüber entscheidet, ob das Lamarck’sche Umwandlungsprinzip bei- behalten werden darf, oder aufgegeben werden muss. Ich habe niemals bezweifelt, dass Abänderungen, welche auf einer Abänderung des Keimplasmas, also der Fortpflanzungszellen berufen, vererbt werden, vielmehr habe ich grade stets betont, dass sie und nur sie vererbt werden müssen. Wer das Gegenteil behauptet, der kennt meine Arbeiten nicht. Wie soll denn auch schließlich die Um- wandlung der Arten zu stande kommen, wenn das Keimplasma nicht verändert werden und diese Veränderungen nicht auf die folgende Generation vererbt werden können? Und was Anderes soll denn das Keimplasma verändern, als äußere Einwirkungen im weitesten Sinne des Wortes? Es sei denn, man nehme mit Nägeli eine Veränderung aus innern Ursachen an, d. h. man stelle sich vor, dass die phyle- tische Entwicklung der Organismen-Welt in der Molekularstruktur des ersten und einfachen Organismus schon derart vorgezeichnet war, dass alle andern Formen im Laufe der Erdgeschichte daraus hervor- gehen mussten, und auch dann daraus hervorgegangen sein würden, wenn keinerlei neue Lebensbedingungen aufgetreten wären. Das ist Nägeli’s Ansicht, die ich seit Jahren bekämpft habe. Wenn man nun Abänderungen des Soma, welche wie spontan auftretende Abnormitäten auf einer vorherigen Abänderung des Keim- plasmas beruhen müssen, ebenfalls „erworbene“ nennt, so hat man es freilich leicht, nachzuweisen, dass erworbene Eigenschaften vererbt werden, aber man bringt damit die Wissenschaft um keinen Schritt vorwärts!) sondern man stiftet nur Verwirrung. Niemand hat meines 1) Vergl. die Schrift von J. Orth „Ueber die Entstehung und Vererbung individueller Eigenschaften“. Leipzig 1887. Der Verfasser erklärt seltsamer- weise meinen Satz von der Nichtvererbung erworbener Eigenschaften für un- richtig, weil er selbst darauf beharrt, auch die aus spontaner Keimesänderung hervorgegangenen Abänderungen als „erworbene“ zu bezeichnen, wenn auch Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 105 Wissens jemals bezweifelt, dass spontan auftretende Abänderungen, wie sechste Finger und Zehen, graue Haarlocken inmitten braunen Haares, Muttermäler u. s. w. vererbt werden können. Allerdings ist es richtig, dass man auf sie in pathologischen Werken ebenfalls zu- weilen den Ausdruck „erworben“ angewandt hat. Aber schon His hat mit vollem Recht gemeint, man solle den Ausdruck in diesem „offenbar uneigentlichen“ Sinn der Klarheit halber lieber vermeiden. Wenn man jede neu auftretende Eigenschaft als „erworbene“ be- zeichnen will, so verliert das Wort einfach seinen wissenschaftlichen Wert, der eben in dem eingeschränkten Gebrauch desselben liegt; es bedeutet dann nichts mehr, als das Wort neu. Neue Eigen- schaften können aber auf verschiedene Weise entstehen, durch künst- liche oder natürliche Züchtung, durch spontane Keimes-Variation, oder aber durch direkte Einwirkung äußerer Einflüsse (inklusive die Funk- tionierung) auf den Körper. Nimmt man die Vererbung der letztern an, so ist dafür „die Annahme verwickelter Beziehungen der Organe zum Keimstoff erforderlich“ (His), während die beiden andern Arten der Veränderung der Theorie keinerlei Schwierigkeiten bereiten. Es besteht also offenbar in Beziehung auf Vererbung eine weite Kluft zwischen diesen beiden Gruppen von Abänderungen, ganz abgesehen davon, ob wir im Recht sind, die wir die Nichtvererbbarkeit erwor- bener Abänderungen vertreten, oder jene, die sie aufrechthalten möchten. In jedem Falle ist es notwendig, bestimmte, nicht miss- zuverstehende Bezeichnungen zu haben. His schlug seiner Zeit vor!), die durch Züchtung entstandenen Abänderungen als „erzüchtete“ zu bezeichnen, die spontan auftretenden als „eingesprengte* und diesen beiden würden dann also die „erworbenen“ in unserem Sinn gegenüberstehen. Die Wissenschaft hat sich von jeher das Recht zugesprochen, aus dem Wortschatz der Sprache einzelne Ausdrücke als „indirekt“ erworbene. Derselbe Autor macht mir den Vorwurf, „die beiden Arten von Erwerbung neuer Eigenschaften des Körpers nicht genügend und scharf genug auseinander gehalten“ zu haben, resp. die letztere Art (d. h. die Abänderungen aus Variation des Keimes) eimfach unberücksichtigt gelassen zu haben. Dabei zitiert er auf derselben Seite meinen Satz: „Jede Verände- rung der Keimsubstanz selbst, mag sie entstanden sein, wie sie wolle, muss — eben durch die Kontinuität des Keimplasmas auf die folgende Generation über- tragen und somit auch die Veränderungen des Soma, welche aus ihr hervor- gehen, auf die folgende Generation vererbt werden“. Aus diesem Satz „folgt“ doch wohl nicht erst, wie Orth sich ausdrückt, „unweigerlich, dass indirekt erworbene Eigenschaften vererbt werden können“, sondern das heißt er, falls man übereinkommt, spontane Abänderungen „indirekt erworbene“ zu nennen! Wie man überhaupt die seit Virchow’s Eingreifen in diese Fragen entstandene Begriffsverwirrung mir in die Schuhe schieben kann, ist mir un- begreiflich von jemand, der die Vorgänge auf der Straßburger Naturforscher- Versammlung vom Jahr 1885 kennt und zitiert. 1) His: „Unsere Körperform*. Leipzig 1874. S. 58. 106 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. herauszunehmen und sie in einem ganz spezifischen Sinn zu ge- brauchen, und ich wüsste nicht, warum sie sich dieses Rechtes bei dem Ausdruck „erworben“ begeben sollte. Uebrigens scheint doch auch auf dem Gebiete der pathologischen Anatomie der Ausdruck nicht immer in dem vagen Sinn gebraucht worden zu sein, wie ihn Virchow und Orth jetzt geltend machen, da hervorragende Forscher auf diesem Gebiete wie Weigert und Ernst Ziegler ihn genau in demselben Sinne anwenden, in dem Darwin, du Bois-Reymond, Prlüger, His und so manche andere, unter ihnen auch ich selbst, ihn angewandt haben. Es kommt darauf an, einen Ausdruck zu haben, der die beiden Hauptkategorien von Abänderungen scharf bezeichnet, nämlieh die primären Abänderungen des Körpers und die sekundären, d.h. diejenigen, die die Folge einer Keimesvariation sind, mag diese ent- standen sein, wie sie wolle. Nur die erstern haben wir bisher „er- worbene“ genannt, man könnte sie aber auch „somatogene“ nennen, weil sie auf der Reaktion des Soma gegen äußere Einwirkungen be- ruhen, und könnte ihnen alle andern als „blastogene“, d.h. aus Keimes-Abänderung hervorgangene Abänderungen des Körpers gegen- überstellen. Auf diese Weise würde jedes Missverstehen ausgeschlossen. Nur von den somatogenen Abänderungen wird behauptet, dass sie nicht vererbt werden können, oder vielmehr wird von denjenigen, welehe ihre Vererbbarkeit behaupten, ein Beweis dafür gefordert. Zu ihnen gehören außer Verstümmelungen noch alle solche Abänderungen, welche direkte Folge einer gesteigerten oder verminderten Funk- tionierung sind, sowie diejenigen, die direkte Folge veränderter Er- nährung oder sonstiger äußerer Einflüsse auf den Körper sind. Zu den blastogenen Abänderungen aber sind nicht nur die durch Selektion auf Grundlage von Keimesabänderungen erfolgten zu rech- nen, sondern alle Abänderungen, die Folge einer Keimplasma-Ab- änderung sein müssen. Fragen wir nun, in welche der beiden Hauptkategorien die be- sprochenen Hoffmann’schen Fälle gehören, so scheint es mir nicht zweifelhaft zu sein, dass es sich bei ihnen allen nieht um solche Ab- änderungen handelt, welche in der Deszendenztheorie bisher als „er- worbene“ bezeichnet wurden, also nicht um „somatogene“, son- dern um „blastogene“ Abänderungen. Nicht der Körper der Pflanze, das Soma, ist in Hoffmann’s Versuchen direkt dureh die äußern Einflüsse verändert worden, sondern das Keimplasma der Keimzellen, und dieses hat dann erstin den folgenden Generationen auch Abänderungen des Soma’s hervorgerufen. Der Beweis dafür ist aus den Hoffmann’schen Versuchen ohne Schwierigkeit herauszulesen. Er liegt vor allem darin, dass in kei- nem der zahlreichen Versuche die Abänderung schon in Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 40T der ersten Generation auftrat. Samen von normal blühenden, wilden Pflanzen verschiedener Arten wurden in Gartenland, oder gar in Töpfen unter Diehtsaat zur Entwicklung gebracht, aber keine von allen aus diesen wilden Samen erzielten Pflanzen trug eine einzige gefüllte Blume! Erst im Laufe mehrerer oft zahlreicher Generationen traten einzelne, oder zahlreichere gefüllte Blüten, zuweilen auch Abänderungen der Blätter oder der Blütenfarbe auf. Diese Thatsache lässt nur die eine Erklärung zu, dass die veränderten Bedingungen zunächst nur unsichtbare Veränderungen im Idioplasma der einzelnen Pflanze hervorriefen, die aber auf die folgende Generation übertragen wurden; dass in dieser letztern dieselben Ab- änderungsursachen noch weiter einwirkten und die unsichtbare Ver- änderung des Idioplasmas steigerten; dass auch diese gesteigerte Veränderung sich auf die folgende Generation übertrug, und dass so von Generation zu Generation sich das Idioplasma stärker veränderte, bis zuletzt die Veränderung groß genug war, um eine sichtbare Ab- änderung des Soma, z. B. eine gefüllte Blüte hervorzurufen. Da nun kein anderes Idioplasma von einer Generation auf die andere übergeht, als die erste ontogenetische Stufe desselben, d. h. das Keimplasma, so muss es also das Keimplasma gewesen sein, welches durch die veränderten Lebensbedingungen verändert wurde und zwar so lange, bis die Veränderung hinreichte, um eine für uns sichtbare Veränderung des Soma, sei es an der Blüte oder dem Blatt hervorzurufen!). Hoffmann führt außer diesen Fällen noch einige Thatsachen etwas verschiedener Art an. Es gelang ihm die wilde „gelbe Rübe“ Daucus Carota durch Kultur im Garten und veränderte Ernährung im Bau ihrer Wurzel bedeutend zu verändern, und auch diese Ver- änderungen erwiesen sich als erblich. Leider fehlt mir augenblieklieh die botanische Literatur, und ich bin außer stande, diese ältern Versuche in extenso nachzulesen, allein auch hier handelt es sich offenbar um eine Abänderung, die erst nach Generationen sichtbar begann, also um eine Abänderung des Keimplasmas. Ganz entsprechende Fälle sind schon lange bekannt. So die Geschichte des Garten-Stiefmütterchens, welches Hoffmann interes- santer Weise von neuem aus der wilden Form, Viola tricolor, erzeugt 1) Vergl. die Darlegungen Nägeli’s in seiner „Iheorie der Abstammungs- lehre“ über diesen Punkt Auch er schließt aus ähnlichen Thatsachen auf eine durch äußere Einwirkungen hervorgerufene, zunächst unsichtbare Ver- änderung des Idioplasmas, die sich erst im Laufe der Generationen so weit steigert, um nun auch Veränderungen sichtbarer Art an der Pflanze hervor- zurufen. Nur die weitere Konsequenz, dass diese Veränderungen das Keim- plasma allein treffen, zieht er nicht, weil er den Gegensatz von somatischem und germinativem Idioplasma nicht kennt. 108 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. hat und zwar im Laufe von 18 Jahren. Darwin sagt schon in seinem Werk über das Variieren im Zustand der Domestikation, dass beim Stiefmütterchen und bei allen andern „veredelten“ Blumen unserer Gärten die wilde, in den Garten verpflanzte Form immer zuerst viele Generationen hindurch unverändert blieb, scheinbar unbeeinflusst von den neuen Lebensbedingungen, dass dann aber einzelne Variationen auftraten, die die Gärtner nun durch Auslese und geschickte Kreu- zungen zu einer besonders gefärbten und sonst ausgezeichneten Rasse heranzogen. Also auch hier ist Veränderung des Keimplasmas das Primäre, und von erworbenen Abänderungen im Sinne der Deszendenztheorie kann keine Rede sein. Die letzte botanische Thhatsache, welche Hoffmann für Ver- erbung erworbener Eigenschaften anführt, ist die, dass Pflanzen von Solidago Virgaurea, welche aus den Walliser Alpen stammten, im botanischen Garten von Gießen eine „Aufblühezeit einhielten, welche um mehrere Wochen verschieden war von jener der daneben ge- pflanzten Exemplare aus der Umgegend von Gießen“. Mit andern Worten: die Aufblühezeit der alpinen Solidago war erblich fixiert, und obgleich die äußern Bedingungen ein gleichzeitiges Aufblühen mit der Gießener Form erlaubt hätte, trat dies doch nicht ein. Was folgt nun aber daraus? Nach Hoffmann natürlich, dass direkt erworbene Eigenschaften vererbt werden. Das setzt aber voraus, dass die Fixierung der Blütezeit eine direkt erworbene Eigen- schaft sei, und in der That scheint Hoffmann dieser Ansicht zu sein, wenn er allerdings etwas unbestimmt — sagt, die Aufblühe- zeit sei „durch Akkomodation — also klimatisch — während einer langen Reihe von Generationen erworben und erblich geworden“. Allein was heißt „Akkomodation“? Vermutlich dasselbe, was man seit Darwin gewöhnlich „Anpassung“ nennt, d. h. eine zweckmäßige, den Verhältnissen angepasste Einrichtung. Das Zustandekommen soleher Anpassungen denkt man sich bekanntlich nach Darwin be- wirkt durch Selektionsprozesse; Hoffmann denkt es sich vielleicht in anderer Weise entstanden, nämlich mit Nägeli durch „direkte Be- wirkung“, d. h. dureh die äußern Einflüsse direkt hervorgerufen. In der That wäre auch die Fixierung der Blütezeit eine Anpas- sung, welche man sich formell ganz gut als auf den direkten Einfluss der äußern Bedingungen beruhend erklären könnte. Es fragt sich nur, ob diese Erklärung die richtige ist. Man würde sich vorstellen, dass die Pflanze durch frühern Eintritt der guten Jahreszeit zu rascherer Entwicklung angetrieben würde, dass sie also in wärmeres Klima versetzt zuerst etwas früher blühen würde, dass sich dann die Ge- wohnheit früher zu blühen auf die folgenden Generationen vererben, und durch stete weitere Einwirkung des warmen Klimas so weit vor- rücken würde, als es der Organisation der Pflanze entsprechend thun- Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 109 lich wäre. Dabei ist eben nur leider, wie bei so vielen andern der- artigen Erklärungen vergessen, dass die Vererbung erworbener Eigenschaften eine gänzlich unerwiesene Hypothese ist, und diese wird bei der Erklärung vorausgesetzt! Dass man aber mit der Deutung einer Erscheinung, die die Vererbung erworbener Eigenschaften voraussetzt, keinen Beweis für die Existenz einer solehen Vererbung führen kann, liegt auf der Hand. Ich habe mir die Fixierung der Blütezeiten und ähnlicher physio- logischer Erscheinungen im Tierreich (das Ausschlüpfen überwinterter Insekten z. B.) durch Selektionsprozesse immer sehr wohl erklären zu können gemeint und ich gestehe, dass mir diese Erklärung auch heute noch die einfachste und natürlichste zu sein scheint. In Frei- burg i./[B., wo der Weinbau bekanntlich eine große Rolle spielt, leidet die Jahresernte häufig dureh Frühjahrsfröste, die die jungen Triebe mit den Blütenknospen töten. Nun werden aber verschiedene heben- sorten gepflanzt, und diese treiben nicht genau zur selben Zeit. Wer nun je gesehen hat, wie durch einen Ende April eintretenden Frost alle Triebe der frühtreibenden Sorten vernichtet werden, während die der nur wenig später treibenden und jetzt noch nicht geöffneten, verschont bleiben, der wird nicht zweifelhaft sein, dass die erstern längst dem Untergang verfallen wären, wenn sie im Naturzustand mit den andern um die Existenz kämpfen müssten. Nun schwankt aber die Blütezeit bei den Individuen jeder Pflanzenart, ist dem- nach faktisch durch Auswahl der Individuen verrückbar; man sieht also nicht ein, wie es kommen sollte, dass die Blütezeit jeder Pflanze für jeden Standort nicht in möglichst günstiger Weise allein dureh Naturzüchtung fixiert worden sein sollte! Hoffmann ist sich offenbar des fundamentalen Unterschiedes zwischen erworbenen Eigenschaften des Soma und sekundären Ab- änderungen infolge Abänderungen des Keimplasmas nicht bewusst Scwesen, sonst würde er nicht nach Geltendmachung der hier be- sprochenen botanischen Thatsachen, welche alle in die zweite Kategorie gehören, zur weitern Bekräftigung seiner Ansicht noch Fälle aus dem Tierreich angeführt haben, die alle in die erste Kategorie gehören, nämlich Vererbung von Verstümmelungen. Ich gehe darauf nicht ein, da die meisten alte Bekannte, alle aber viel zu unsicher und ungenau sind, um wissenschaftliche Beachtung be- anspruchen zu können. Ich glaube gezeigt zu haben, dass auf botanischem Gebiet bisher keine Thatsachen geltend gemacht worden sind, die eine Vererbung erworbener Eigenschaften (in meinem Sinn) zu beweisen, oder auch nur wahrscheinlich zu machen geeignet wären. 410 Haberlandt; Korschelt, Funktion und Lage des Zellkerns. G. Haberlandt, Ueber die Beziehungen zwischen Funktion und Lage des Zellkerns bei den Pflanzen. Jena 1887, nebst eicnen>Mitteslunren. Von Dr. Eugen Korschelt, Privatdozent in Berlin. Auch für zoologische Kreise von allgemeinerem Interesse sind die Ergebnisse, zu denen Haberlandt bei seinen Untersuchungen über die Funktion und Lage des Zellkernes bei den Pflanzen kommt. Ist es doch nach dem jetzigen Stand unserer Kenntnisse zweifellos, dass sich die fundamentalsten Vorgänge in der Zelle bei Pflanzen und Tieren in gleicher Weise vollziehen. Es war dies auch nicht anders zu erwarten. Auf botanischem, wie auf zoologischem Gebiet wurden nun in neuerer Zeit Thatsachen bekannt, welche eine direkte Einfluss- nahme des Kernes auf die Thätigkeit der Zelle erschließen lassen. Ich erwähne hier die von Nussbaum!), Gruber?) und Klebs?) angestellten Versuche, durch welche erwiesen wurde, dass Teilstücke tierischer und pflanzlicher Zellen dann nicht mehr im Stande waren, sich völlig zu regenerieren, wenn ihnen der Kern fehlte. Solche Teil- stücke hingegen, welche einen Kern oder doch Teile desselben ent- hielten, ergänzten sich wieder zu vollständigen Zellen. Dass der Kern auf verschiedene Thätigkeiten der Zelle von Einfluss ist, liegt in den genannten Fällen klar zutage. Ebenso zweifellos dürfte dies in einigen andern Fällen sein, auf die ich selbst bereits bei verschie- denen Gelegenheiten hinwies *). Es handelt sich dabei um verschieden- artige Gewebszellen, bei denen die Gestalt und die Lage des Kernes erkennen ließ, dass sich der Kern an der Thätigkeit der Zelle be- teiligte. Ein gleiches Resultat ergeben die Untersuchungen Haber- landt’s. Dieselben beschäftigen sich größtenteils mit der Lagerungs- weise der Zellkerne während der Histogenese bei den Pflanzen. Bei seinen Untersuchungen wird der Verfasser von folgenden Gedanken geleitet. Das Idioplasma, welches die Thätigkeit der Zelle beherrscht, ist lokalisiert in dem Zellkern. Von ihm aus müssen nun jene Bewegungszustände, durch welche die Einflussnahme des Idio- plasmas auf das Cytoplasma stattfindet, übergeleitet werden zu jenen 4) Nussbaum, Ueber die Teilbarkeit der lebenden Materie. Archiv für mikr. Anatomie, 1886. 2) Gruber, Zur Physiologie und Biologie der Protozoen. Ber. der naturf. Gesellsch. zu Freiburg i./B. 1886. 3) Klebs, Ueber den Einfluss des Kerns in der Zelle. Biol. Centralblatt, 1887, Nr- 6. 4) Zusammengefasst in den Sitz.-Ber. der Gesellsch. Naturf. Freunde zu Berlin, Jahrg. 1887, Nr. 7: „Ueber die Bedeutung des Kernes fürdie tierische Zelle“. Haberlandt; Korschelt, Funktion und Lage des Zellkerns. 41 Orten, wo sich die Thätigkeit der Zelle abspielt. Es erscheint nun als selbstverständlich, dass die Uebertragung der jeweiligen Bewegungs- zustände um so gesicherter und vollständiger vor sich gehen wird, je kleiner die Entfernungen sind, um welche es sich dabei handelt. Von Vorteil müsste es demnach sein, wenn der Kern den Bildungsherden neuer Substanz so nahe als irgend möglich läge. Dem Verfasser ge- lang es nun wirklich, zu zeigen, wie eine solche Lagerung des Kernes bei verschiedenen Wachstumsprozessen von Pflanzen in der That stattfindet. Aus der großen Menge von Thatsachen, welche der Verfasser mitteilt, greife ich nur einige, mir besonders charakteristisch erschei- nende heraus. In den jungen Oberhautzellen der Laub- blätter (von Aloö verrucosa und Agave american z. B.) liegt der Kern meist inmitten der Zelle, Se zur Zeit aber, da eine Verdiekung der Außen- F Bier 1. wand beginnt, also eine größere Thätigkeit der E Zelle nach außen zu stattfindet, rückt er nach i dem Ort der Neubildung hin. Er legt sich an f die sich verdiekende Außenwand an (Fig. 1). Ist die Zeit dieser intensiven Thätigkeit der Zelle vorüber, so kann sich der Kern wieder von der Außenwand zurückziehen; man sieht ihn dementsprechend im ausgewachsenen Blatte häufig nach der Mitte der Zelle zu gelagert. Ganz ähnliche Verhältnisse finden sich in den Fruchtschalen von Carex panicea, nur dass es bei ihnen die Innenwand der Epidermis- zellen ist, welche sich polsterartig verdickt. Die kleinen Zellkerne liegen hier der Innenwand dicht angeschmiegt. Die Figur 2 gibt dieses auffallende Verhalten der Kerne in einer Kopie nach der Zeich- nung des Verfassers wieder. In den Schließzellen der noch in der Entwicklung begriffenen Spaltöffnungen liegen die Kerne dicht an den Bauchwänden, woselbst die Verdiekungsleisten auftreten. Diese Lage verlassen sie aber nicht selten, wenn die Schließzellen ihre Ausbildung erreicht haben. Die 3} Figuren 3 u. 4 stellen in der Entwicklung begriffene und ausgebildete 149 Haberlandt; Korschelt, Funktion und Lage des Zellkerns. Spaltöffnungen von Orchis milibaris dar, in denen sich die geschilder- ten Verhältnisse ohne weiteres erkennen lassen. _ Sehr geeignet für die Beurteilung der Lage des Zellkernes er- scheint auch die Peristombildung der Laubmooskapseln, da bei ihr in sehr ausgesprochener Weise einseitige Membranverdiekungen vor- kommen. Hier liegen die Kerne in ganz besonders regelmäßiger Weise den sich verdickenden Wänden und Wandteilen an. Von besonderen Interesse scheint mir die Bildung .der Wurzel- haare und die Beziehung der Zellkerne zu derselben. An den lang- gestreckten Absorptionszellen der Keimwurzel von Pisum sativum bilden sich die Ausstülpungen, welche die Wurzelhaare entstehen lassen, stets an der Stelle der Außenwand, unter welcher der Zell- kern gelegen ist. Da die Zellen sehr umfangreich sind, dürfte diese Lagerung des Kernes zweifellos für seinen Einfluss auf die Bildung des Haares sprechen. Auch für die weitere Ausbildung des Haares scheint er von Bedeutung zu sein, da er später in dieses hineinrückt. In ganz ähnlicher Weise wie die Bildung der Wurzelhaare ver- läuft diejenige der als Thyllen bezeichneten Membranausstülpungen der Holzparenchymzellen, weshalb sie gleich hier erwähnt werden soll. Die Ausstülpung entsteht nämlich auch in diesem Falle immer an der Stelle, wo der Zellkern liegt. Das Verhalten der Wurzelhaare inbezug auf den Kern bietet weiterhin noch verschiedenes Interessante. Bei verzweigten Wurzel- haaren beobachtete Haberlandt, dass diejenigen Aeste des Haares im Wachstum auffallend bevorzugt werden, in denen der Kern gelegen ist. So lange der Kern im Hauptaste weiterrückt, wächst dieser stärker als die Seitenäste, tritt aber der Kern in einen der letztern ein, so zeigt dieser bald ein bedeutendes Längenwachstum, während dasjenige des Hauptastes eingestellt wird. — Die Haargebilde an Stengeln und Blättern strecken sich größten- teils infolge eines intercalaren, basipetalen Wachstums in die Länge. Das ergaben u. a. auch die von dem Verfasser an einzelligen Haaren von Geranium sanguineum angestellten Messungen. Dementsprechend liegt auch der Zellkern im untersten Teil dieser Haare, da, wo das Längenwachstum des Haares am längsten andauert. Es dürfte daraus hervorgehen, dass der Kern dasselbe bis ans Ende beherrscht. — Bei den 4—Östrahligen, gestielten Sternhaaren von Arabis albida ist der Kern im Stiel des Haares gelegen. Wenn während der Aus- bildung des Haares die Verlängerung der Strahlen stattfindet, wandert er in das obere Ende des Stieles hinauf, um hier im Mittelpunkt der Verzweigung, den einzelnen Wachstumsherden so nahe als möglich zu sein. Ist die Ausbildung des Haares vollendet, so rückt der Kern wieder bis in die Mitte des Stiels hinab. — Versuche, welche der Verfasser über das Verhalten der Kerne bei der Regeneration verletzter Vaucherien-Schläuche anstellte, führten Haberlandt; Korschelt, Funktion und Lage des Zellkerns. 113 zu weniger günstigen Ergebnissen über die Beteiligung des Kernes an der Thätigkeit der Zelle, als wir dieselben in so schöner Weise aus den anatomischen Untersuchungen des Verfassers hervorgehen sahen. Immerhin weisen die von dem Verfasser gefundenen That- sachen auch hier auf eine Anteilnahme des Kerns an den Regenera- tionsvorgängen hin. Dafür spricht, dass sich die Kerne nicht wie die Chlorophylikörner von der Wundstelle des Schlauches zurück- ziehen, sondern vielmehr dort in ziemlicher Anzahl auftreten und wahrscheinlich bei dem Heilungsvorgang, speziell bei der Bildung der Membran eine wichtige Rolle zu spielen haben. — Weiterhin macht es der Verfasser wahrscheinlich, dass von den beim Zer- schneiden des Schlauches ausgetretenen Plasmaballen nur diejenigen am Leben bleiben, welehe mit mindestens einem Kerne versehen sind, ein Verhalten, welches sich an die schon eingangs berührten Ergeb- nisse anderer Forscher auf zoologischem und botanischem Gebiet in gewisser Weise anschließen würde. Allerdings konnten nach jenen Untersuchungen auch kernlose Stücke noch eine zeitlang am Leben bleiben, die wirklich regenerations- und lebensfähigen Teilstücke sind aber doch nur die mit Kernsubstauz versehenen. Als Resultat der hier im Auszug referierten Untersuchungen des Verfassers ergibt sich, dass der Kern der in der Entwicklung begriffenen Pfanzenzellen meistens in größter Nähe der- jenigen Stellen gelagert ist, an denen das Wachstum am lebhaftesten vorschreitet und am längsten andauert. Daraus geht hervor, dass der Kern in gewissen Bezieh- ungen zu den Wachstumsprozessen der Zelle steht, und zwar scheint er zumal auf Dicken- und Flächenwachs- tum der Zellhaut einen bestimmten Einfluss auszuüben. Welcher Art der Einfluss des Kernes auf die Zelle ist, lässt sich vor- läufig nicht sagen. Zum Schluss begegnet der Verfasser noch einem. Einwand, weicher ihm vielleicht gemacht werden könnte, nämlich demjenigen, dass die Lagerung des Kernesin der Nähe der Bildungsherde möglicherweise nicht die Folge einer aktiven Wanderung, sondern vielmehr passiver Natur sein könne, veranlasst durch das Zuströmen des Plasmas nach jenen Punkten. — Wäre der Kern nur auf diese Weise in seine charak- teristische Lage gelangt, so müsste er dieselbe in dem Falle bald wieder ändern, wenn die Plasmaströmung fortdauert. Das thut er aber bei den hier in betracht kommenden Zellen nicht, sondern er verharrt fest in der Lage, welche erkennen lässt, dass er in gewisser Beziehung zu den Bildungsprozessen der Zelle steht. Ein besonders beweiskräftiges Argument zu gunsten der von ihm vertretenen Auffassung findet der Verfasser in dem Verhalten der in den Zellen vorhandenen Chlorophylikörner und Leukoplasten. Befände der Kern sich nur deshalb in der Nähe der Wachstumsstätte, weil VUN 5 114 Haberlandt; Korschelt, Funktion und Lage des Zellkerns. er von den Plasmaströmen rein passiv mitgerissen wurde, so müssten sich die in der Regel viel kleinern und leichter transportfähigen Chlorophylikörner und Leukoplasten gleichfalls in Bälde dort an- sammeln. Dies geschieht aber nicht, sondern dieselben sind ver- schiedentlich in der Zelle verteilt und verharren an Ort und Stelle, während sich der Kern nach der Bildungsstätte hin begibt. Endlich liegt der Kern nicht immer in eimer größern Plasma- anhäufung, sondern ist oft nur von einer dünnen Plasmaschicht um- geben, kurz es ist die Lagerung des Kernes auf so einfachem mecha- nischen Wege wie durch bloße Plasmaströmungen nicht zu erklären. Ich habe diesen Einwand und seine Widerlegung durch den Ver- fasser etwas ausführlicher berührt, weil ich selbst an die Möglichkeit einer solchen Erklärung der Lagerung des Zellkerns dachte. Beson- ders kam mir dieser Gedanke bei Beobachtung des Verhaltens der Zellkerne im Follikelepithel der Insekteneier. Ich teilte schon früher mit!), wie die Kerne zur Zeit der Bildung des Dotters und Chorions der Innenwand der Epithelzellen und damit der Oberfläche des Eis dicht anlagen, später aber, wenn die Eischale ziemlich fertig war, in der Mitte der Zelle zurückwiehen. Diese Erscheinung erinnert nun ganz an diejenigen, welche uns Haberlandt von verschiedenen pflanzlichen Geweben schildert. Ganz ähnlich, wie er, glaubte ich das Verhalten der Kerne so deuten zu dürfen, dass sie sich dem Ort der (sezernierenden) Thätigkeit der Zelle nähern. Daraus schien mir aber hervorzugehen, dass die Kerne einen Einfluss auf die Thätigkeit der Zelle ausüben. Aber, wie gesagt, ich konnte mich auch in diesem Falle des Gedankens nicht entschlagen, es könne möglicherweise in- folge einer Strömung in dem Zellplasma, welche nach dem Ort der Abscheidung hin gerichtet ist, der Kern passiv nach jener Gegend hingeführt worden sein. In meinem Falle lässt sich eine Entscheidung dieser streitigen Frage viel weniger leicht finden als in dem von Haberlandt mitgeteilten. Viel einfacher dagegen gestaltet sich dies in einem andern Fall, welchen Fig. 5 u. 6. ich bei dieser Gelegenheit zur Kenntnisnahme bringen möchte. Er betrifft die Lagerung des Keimbläschens von Insekten- eiern und wird durch die beiden nebenstehenden Figuren illu- striert. Jede derselben stellt ein in Bildung begriffenes Ei des Ohrwurms dar, mit dem umgebenden Follikelepithel (7) und der darüber liegenden Nähr- kammer (N). 1) Die Bildung der Eihüllen ete. Nova Acta Acad. Leop. Carol., Bd. 51, Nr. 3. Haberlandt; Korschelt, Funktion und Lage des Zellkerns. 415 Sehr oft findet man in den Eifollikeln von Forficula das Keim- bläschen (K) so gelagert, wie dies in Fig. 5 der Fall ist. Es zwängt sich gradezu hinein in den Raum zwischen Nährfach und Follikel- epithel, indem es dabei seine gewöhnlich ovale bis kreisförmige Ge- stalt entsprechend verändert. In andern Fällen liegt das Keimbläschen der Nährkammer dicht an, so dass seine Oberseite durch den konvexen Boden der Nähr- kammer eingebuchtet erscheint. Zuweilen zieht es sich ganz in die Breite, wie dies durch die Fig. 6 (K) erläutert wird. Es flacht sich möglichst ab, wie es scheint, nur aus dem Grunde, um eine mög- lichst große Berührungsfläche mit dem Nährfach zu gewinnen. Das letztere gibt an die Eizelle Nährsubstanz ab. Dass sich das Keimbläschen nahe an die Nährkammer oder an das Follikelepithel anlegt, findet man auch bei andern Insekten häufig. Dazu ist es dann oftmals noch von einer Wolke feiner Körnchen umlagert, welche den Nähr- oder Follikelzellen entstammen und zur Bildung des Eidotters verwandt werden. Ein solches Verhalten des Keimbläschens bildete ich gelegentlich meiner Mitteilung über die Bedentung des Kernes für die tierische Zelle ab. Es betrifft die Keimbläschen jüngerer Eianlagen von Nepa, welche man der Innen- wand der Eiröhre dicht anliegend findet. Aus dem geschilderten Verhalten des Keimbläschens geht hervor, dass es sich in den genannten Fällen demjenigen Teile der Eizelle möglichst zu nähern sucht, an welchem eine Aufnahme neuer Sub- stanz und sehr wahrscheinlicher Weise zugleich eine Assimilation derselben von seiten des Eies stattfindet. Eine solche Annäherung an den Bildungsherd in der Zelle lässt sich aber nur dadurch er- klären, dass der Kern einen gewissen Einfluss auf die Thätigkeit der Zelle ansübt. — Der wachsenden Eizelle wird von außen her Substanz zugefügt. Wenn man hier von einer Strömung in dem Protoplasma der Eizelle überhaupt sprechen kann, so würde dieselbe von außen nach innen verlaufen, oder doch zum mindesten in dieser Richtung stärker sein, als in der entgegengesetzten. An eine passive, durch die mechanische Bewegung des Zellplasmas bedingte Lagenveränderung des Kernes dürfte also hier durchaus nicht zu denken sein. — Eine Anlagerung des Keimbläschens an das Follikelepithel findet sich auch in andern Tiergruppen, u. a. bei den Schwämmen. So sieht man es in ganz jungen und mittelgroßen Eiern von Spongelia pallescens dicht an die Peripherie des Eiesgedrängt und dabei zuweilen in ganz ähn- licher Weise breit gezogen, wie das oben durch Fig. 6 von Forficula dargestellt wurde. Es scheint auch hier, als ob das Keimbläschen mit möglichst großer Fläche das umgebende Follikel zu berühren und sich dadurch den Ort der Abscheidung von Nährsubstanz mög- lichst zu nähern suche. — Sr 116 Haberlandt; Korschelt, Funktion und Lage des Zellkerns. Wenn das Keimbläschen so umfangreich ist, dass es einen großen Teil des Eies erfüllt, so dürfte eine periphere Lagerung desselben kaum von Vorteil sein. Rückte es nach der einen Seite hin, so würde es sich damit von der gegenüberliegenden Wand zu weit ent- fernen, während es bei einer zentralen Lage infolge seines bedeuten- den Umfanges von der gesamten Wandung nicht allzuweit entfernt ist und im ganzen Umfang die Thätigkeit der Zelle zu beherrschen vermag. Das gleiche Verhalten bemerken wir dann, wenn das Eifollikel an zwei Seiten von Nähr- fächern (N) begrenzt wird, welche beide diesem Follikel Substanz liefern (Fig. 7), wie es zu- weilen der Fall ist. Auch dann wird das Keim- bläschen am besten zentral gelagert bleiben (Fig. 7). Man sieht, wie die von den Nähr- zellen gelieferten, stark liehtbreehenden Körnchen vom obern und untern Nährfach nach dem Keim- bläschen hinziehen und dieses als eine dunkle Zone umlagern. Oft tritt noch eine besondere Zone soleher Körnehen, ähnlich den Ringen des Fie. 7. Eifollikel und Saturn, in der Umgebung des Keimbläschens auf, Teile der oben und un- go wie dies in der nebenstehenden Figur einge- tenangrenzendenNähr- Se : k : fächer(N) von Dytiscus tragen wurde. Es scheint hier also die An- marginalis. ziehungskraft zumal im Aequator eine besonders starke zu sein. Meistens übernimmt nur eines der beiden anliegenden Nährfächer und zwar vor allem das obere die Lieferung der Substanz. Man erkennt dies daran, dass die Körnchenausscheidung dann nur oberhalb des Keimbläschens vorhanden ist. In diesem Falle trifft man das Keimbläschen oftmals dem obern Nährfach mehr oder weniger genähert, ja man findet es demselben zuweilen ganz nahe anliegend. Bezüglich der das Keimbläschen umgebenden „Körnchen“ konnte ich beobachten, dass dieselben dicht am Umfang des Keimbläschens zuweilen zu größern Kugeln und Ballen zusammenfließen. Dies ge- schieht dadurch, dass die einzelnen Körnchen zu einem größern Körper verschmelzen. Derselbe verrät anfangs seine Entstehungsweise noch, indem er körnig erscheint. Erst allmählich wird er mehr homogen und rundet sich nach außen ab. Die so entstandenen kugligen Ballen sieht man dann in oft ziemlich tiefen Einbuchtungen des Keimbläschens liegen. Der ganze Vorgang steht gewiss mit der Neubildung von Eisubstanz im Zusammenhang. — Man kann sich dem Eindruck nicht entziehen, dass die gebildete Umgestaltung der Körnchen direkt unter dem Einfluss des Kernes vor sich geht. Dafür spricht, dass sie sich immer in nächster Nähe desselben vollzieht. Ob die Ballen schließ- lich in das Innere des Keimbläschens gelangen und damit eine Auf- Haherlandt; Korschelt, Funktion und Lage des Zellkerns. 1417 nahme geformter Substanz von seiten des Keimbläschens stattfindet, wie sie von A. Brass!) beschrieben worden ist, oder ob das Keim- bläschen nur einen, uns vorläufig allerdings wenig verständlichen Ein- fluss auf das Zellplasma und die Assimilation der von der Eizelle auf- genommenen Nährsubstanz ausübt, diese wichtige Frage konnte hier nieht entschieden werden. Zu verkennen ist aber nicht, dass viele Bilder für die erstere Annahme sprechen, während andere wieder mehr auf die zweite hinweisen. Eine direkte Teilnahme des Kernes an der assimilierenden Thätigkeit der Eizelle ergibt sich in kaum zu be- schreibender Weise aus einer Beobach- tung, welche ich ebenfalls an Dytiscus machte. In einer großen Zahl von Fällen sah ich am frischen Objekt und auf Schnitten durch die Eiröhre, wie das Keimbläschen immer nach der Richtung der vom Nährfach aus- gehenden Körnchenenhäufung pseudo- podienartige Fortsätze ausstreckte, während der von der Körnchenanhäu- fung abgewendete Teil des Keim- bläschens ganzrandig, ohne Fortsätze erschien. In Fig. 8 habe ich einen dieser zahlreichen Fälle abgebildet. Es ist kein Zweifel, dass das Keimbläschen nach der Seite hin, wo die Assimilation stattfindet, eine Vergrößerung seiner Oberfläche er- fahren hat, und diese scheint mir wiederum nicht anders als durch eine Anteilnahme des Kerns an der Thätigkeit der Zelle erklärbar. — Von besonderem Interesse ist ein Fall, in welchem eines der Keim- bläschen, so wie in Fig. 8 gezeichnet, seine Fortsätze gegen das obere Nährfach ausstreckte, das nächstfolgende aber sie in entgegen- gesetzter Richtung, nämlich nach unten hin sandte. Dieses außer- gewöhnliche Verhalten war dadurch zu erklären, dass im letztern Falle anstatt des oberhalb vom Ei gelegenen Nährfachs das nach unten zu liegende Fach die Abscheidung der Körnchen übernommen hatte, wie dies zuweilen vorkommt. Die Anhäufung von Körnchen lag infolge dessen unterhalb des Keimbläschens, zwischen ihm und dem nächstfolgenden Nährfach. Dementsprechend sandte das Keim- bläschen nun seine Fortsätze nach unten aus, während sein oberer Umfang ganzrandig erschien. In beiden Fällen waren also auch die Fortsätze nach der Gegend gerichtet, wo die Hauptassimilation statt- findet. — Das Ausstrecken der Fortsätze von seiten des Keimbläs- chens erinnert lebhaft an das Verhalten der Kerne, wie ich es früher Fig. 8. 1) Biologische Studien I. Die Organisation der tierischen Zelle, 1833. 118 Eimer, Vererben erworbener Eigenschaften. für die chitinbildenden Zellen von Nepa und Ranatra schilderte. Es ist dies deshalb besonders bemerkenswert, weil sich der Kern dort an einer abscheidenden Thätigkeit der Zelle beteiligte, während er hier offenbar einer aufnehmenden Thätigkeit vorsteht. Da es für unsere Kenntnis von der Natur des Zellkerns von Wichtigkeit ist, alle Beispiele zu sammeln, welche für eine Anteil- nahme des Kerns an der Thätigkeit der Zelle sprechen und da einige der soeben besprochenen außerdem geeignet sind, die Haberlandt’- schen Funde zu ergänzen, wollte ich die Gelegenheit nicht vorüber- gehen lassen, den schon früher mitgeteilten Thatsachen einige weitere hinzuzufügen. G. H. Theodor Eimer, Die Entstehung der Arten aufgrund von Vererben erworbener Eigenschaften nach den Gesetzen organischen Wachsens. I. Teil, XII u. 461 Seiten, 6 Abbildungen. Jena, Gustav Fischer, 1888. In der Einleitung giebt der Verf. zunächst mit kurzen Worten seine Stellung zur Darwin’schen Selektionstheorie und zur Vererbungs- theorie Weismann’s und damit zugleich den Hauptinhalt seiner eignen Theorie an: „Das Darwin’sche Nützlichkeitsprinzip erklärt nicht die erste Entstehung neuer Eigenschaften. Es erklärt nur, und auch das nur teilweise, die Steigerung und das Herrschend- werden dieser Eigenschaften. Bevor etwas nützlich sein kann, muss es erst da sein. Neue Eigenschaften entstehen nun nach ganz be- stimmten Gesetzen durch das Zusammenwirken der ererbten Konsti- tution des Organismus und der äußern Einflüsse. Weiter müssen wir dann natürlich auch annehmen, dass durch Einwirkungen der Außen- welt bewirkte, also vom Organismus neu erworbene Eigenschaften vererbbar sind und treten somit in entschiedenen Gegensatz zu Weis- mann“. Zu seinen diesbezüglichen Ansichten ist der Verf. besonders durch seine Studien über die Mauereidechse und besonders über die Zeich- nung derselben sowie über die Hautzeichnung der verschiedensten Tiere überhaupt gekommen*). Inbezug auf die Untersuchungsmethode empfiehlt er, sieh mit einem und demselben Tiere anhaltend zu be- schäftigen, dieses würde einem dann bald mehr sagen als viele Tiere bei oberflächlicherer Betrachtung. Mit Recht beklagt sich endlich 4) 1. Zoologische Studien auf Capri. II. Lacerta muralis coerulea. Leipzig 1874. — 2. Untersuchungen über das Variieren der Mauereidechse, ein Beitrag zur Theorie von der Entwicklung aus konstitutionellen Ursachen, sowie zum Darwinismus. Archiv für Naturgeschichte. Berlin 1881. — 3. Ueber die Zeich- nung der Vögel und Säugetiere. Württemberger naturwissenschaftl. Jahres- hefte, 1883. Eimer, Vererben erworbener Eigenschaften. 119 der Verf. über die etwas einseitige Richtung der heutigen biologischen Forschung: „Aber es schienen sich sehr wenige Forscher um die Mauereidechse und um Thatsachen zu kümmern, welche an so ge- wöhnlichem Tiere gewonnen waren. Möglich in der That, dass die Titel meiner Arbeiten nicht sehr einladend gewirkt haben Ich hätte müssen den Darwinismus voranstellen und die Mauereidechse folgen lassen — vielleicht wäre die letztere dann mit zu Ehren gekommen — vielleicht — denn die Richtung der heutigen „wissenschaftlichen“ Zoologie neigt nicht dahin, ganze Tiere zu berücksichtigen. Was nicht mit der Nadel zerfasert und mit dem Mikrotom zerschnitten ist, das findet heutzutage kaum Beachtung, selbst nicht in Fragen der Entwieklungslehre, obschon grade Darwin, der Wiedererwecker dieser Lehre, hauptsächlich die äußern Formen, das Leben und die Verbreitung der Pflanzen und Tiere für seine Theorie benutzt hat“. Im ersten Abschnitt giebt Eimer kurz den Inhalt der beiden bedeutendern neuern Entwicklungstheorien, der Weismann’schen Theorie von der Kontinuität des Keimplasmas und Nägeli’s mecha- nisch-physiologischer Theorie der Abstammungslehre. Da ich die Kenntnis dieser beiden Theorien hier wohl als bekannt voraussetzen kann, will ich mich der Kürze halber auf die Anführung zweier Ein- würfe Eimer’s, die hauptsächlich gegen die Weismann’schen An- sichten gerichtet sind, beschränken: 1) Gegen die Auffassung W eis- mann’s und seiner Vorgänger von der Bedeutung der Keimzellen für die Vererbung und ihre frühzeitige Isolierung spricht das Vor- kommen der Vermehrung durch einfache Teilung resp. Knospung bei höhern Tieren und Pflanzen. — 2) Dass während des individuellen Lebens erworbene Verletzungen nicht vererbt werden, selbst solche, die sich regelmäßig wiederholen, wie z. B. die Durchstoßung des Hymen des Weibes, erklärt sich einfach durch die durch ungemessene Zeiträume gefestigte Vererbung !). Wenn ich nun eine kurze übersichtliche Darstellung der Eimer’- schen Theorie geben will, so hoffe ich dies dadurch zu erreichen, dass ich, statt den Inhalt eines jeden Kapitels getrennt zu besprechen, eine mehr zusammenhängende, abgerundete Darstellung der Theorie 1) Ich gebe diese beiden Einwände Eimer’s wieder, ohne das für und wider derselben zu erörtern, indem ich es jedem selber überlasse, ihren Wert zu prüfen. Nur möchte ich bemerken, dass der erste schon früher von Stras- burger gemachte Einwand von Weismann in seinem Hauptwerk über „die Kontinuität des Keimplasmas* (S. 67—69) bereits des ausführlichen entkräftet worden ist. Er sagt kurz, dass die Beimengung unveränderten Keimplasmas zur Kernsubstanz somatischer Zellen sehr wohl denkbar sei und hebt hervor, es sei sogar wahrscheinlich, dass ein Organismus, dem diese Art der Ver- mehrung von Nutzen sei, dieser in der Weise angepasst sein werde, dass be- stimmten Zellkomplexen oder selbst allen somatischen Zellen eine wenn auch noch so kleine Menge unveränderten Keimplasmas beigegeben wäre und somit die Kontinuität des Keimplasmas als Grundlage der Vererbung gewahrt würde. 120 Eimer, Vererben erworbener Eigenschaften. in ihren Grundzügen möglichst mit den eignen Worten des Verf. zu geben suche. Die Entwicklungslehre des Verfassers besteht kurz in folgendem: Die Veränderung resp. Fortbildung der Organismen geht vor sich nach bestimmten Gesetzen organischen Wachsens, welches bedingt ist einerseits durch die ererbte Konstitution des Organismus, anderseits durch die Einflüsse der Außenwelt. Wenn so entstandene neue Eigenschaften in einer Gruppe von Individuen, indem sie sich stets vererbten, bleibend werden, und wenn diese Gruppe auf irgend welche Weise die Verbindung mit den übrigen Verwandten verloren hat, indem die Zwischenformen verloren gingen, spricht man von Arten. — Was zunächst den aller Veränderung zugrunde liegenden Vorgang des organischen Wachsens betrifft, so versteht der Verf. unter dem- selben jede gesetzmäßige, physiologische, nicht krankhafte und nicht zufällige Aenderung in der Zusammensetzung eines organischen Kör- pers, welche bleibend ist oder nur derart vorübergehend, dass sie eine weitere Stufe der Veränderung vorbereitet. Es ist also unter „Wachsen“ nieht nur Größenzunahme zu verstehen, welche auf Nahrungsaufnahme beruht, sondern jede Formveränderung und fortschreitende Differenzierung, ja selbst Rückbildung der Komplika- tion und Größenabnahme; diese Vorgänge werden nieht nur bedingt durch Nahrungsaufnahme, sondern durch äußere Reize der verschiedensten Art. Dieses „organische Wachsen“ wird bedingt einerseits durch die gegebene Zusammensetzung des Organismus, seine ererbte Konstitution, anderseits durch die Verhältnisse der Außenwelt, welche in Gestalt der verschiedenartigsten Reize (die Nahrungsaufnahme als äußerer Reiz mitgerechnet), sich auf denselben geltend machen. Es entspricht also dieser Begriff des „organischen Wachsens“ im wesentlichen dem, was Häckel bereits in seiner „Generellen Morphologie“ klar formuliert und auseinandergesetzt hatte: Die Veränderung und Differenzierung der Organismen wird bewirkt durch das Zusammenwirken der Vererbung und Anpassung; nur ver- steht Eimer unter seinem „Wachsen“ nicht nur Größenzunahme, sondern jede Formveränderung überhaupt. Wenn der Verf. annimmt, dass die Organismen durch äußere Einflüsse verändert werden, dass Eigenschaften, welche sie während ihrer individuellen Existenz erworben haben, vererbbar sind, so stellt er sich hierdurch in entschiedenen Gegensatz zu Weismann. Diese seine Ansicht sucht er zu stützen, indem er eine sehr vollständige Aufführung aller zu gunsten derselben sprechenden Daten gibt. Von dieser großen Zahl von Beispielen, welche über die Hälfte des Buches einnehmen, können hier natürlich nicht alle namhaft gemacht werden, und es muss genügen, hier nur einige derselben anzuführen, wie: den Einfluss der Ernährung und des Klimas auf die Pflanzen und Tiere, des Salzgehaltes des Wassers auf Branchipus, örtliche Einflüsse Eimer, Vererben erworbener Eigenschaften. 1 auf die Abänderung der Tiere, durch Gebrauch oder Nichtgebrauch erworbene Eigenschaften, Vererbung von Geisteskrankheiten, die in vielen Fällen so hoch entwickelten Instinkte wie Geistesfähigkeiten überhaupt, Eigentümlichkeiten des Sprachaccentes. Am besten, wenn nieht überhaupt stichhaltig, erscheinen mir die Versuche von Brown- Sequard, wie z. B. Durchschneidung des Corpus restiforme des Auges bewirkt krankhafte Augen der Nachkommen, Nachkommen von Meerschweinchen, die durch Schläge auf den Kopf verletzt wurden, wurden epileptisch, Durchschneidung des Ischiadieus erzeugt bei den Nachkommen Lähmung des Fußes oder Verlust einiger Phalangen desselben. — Die auf organischem Wachsen beruhende Formbildung richtet sich nach verschiedenen Gesetzen: 1) Die Entwieklung einer Eigenschaft schreitet nach einer ganz bestimmten Richtung vorwärts. 2. B. zeigt die Entstehung der schönen Augenflecken auf der Haut eines Tieres ganz bestimmte Stufen: a) Längsstreifung, b) schwarze Fleckung, ec) schwarze Ringbildung, d) Entstehung des farbigen Kerns. — 2) Neue Eigenschaften werden in der Regel zuerst von den Männchen erworben und auf die Art übertragen, die Weibchen sind stets in der Entwicklung etwas zurück, stehen auf einer jugend- liehern niedrigern Stufe (Gesetz der männlichen Präponderanz). — 3) Neue Eigenschaften treten an ganz bestimmten Teilen des Körpers, vorzüglich hinten, auf, und rücken während der Entwicklung, mit dem Alter, nach vorn, während von hinten jüngere Eigenschaften nach- rücken. Es zieht demnach während des Lebens, z. B. bei den Eidechsen, eine Reihe von Zeichnungen von hinten nach vorn über den Körper, während neue hinten auftreten (Gesetz der wellenförmigen Entwick- lung oder Undulationsgesetz). — 4) Sämtliche Abarten und Ab- änderungen einer Art sind nichts Anderes als Stufen der Entwick- lungsreihe, welche die Einzelwesen der Arten durchmachen, zu denen sie gehören — sofern sie nicht auf neuen, an Männchen gewöhnlich zuerst aufgetretenen Merkmalen beruhen. — Da der Stammbaum der Formen nicht ein gradliniger ist, sondern ein gablig verzweigter, ist die immer weitere Entfernung der einzelnen Formen von einander und somit die Trennung in Arten gegeben. Besondere Mittel, welche diese Verschiedenheit der Entwick- lungsriechtungen bestimmen und weiter die Trennung in Arten verursachen, sind folgende: 1) Unmittelbare äußere Einwirkungen, verschieden an jeder Oertlichkeit, wirken auf jede Entwicklungsstufe ein und lenken die weitere Entwicklung von der graden Linie ab. — 2) Durch die aktive Thätigkeit der Lebewesen gegenüber der Außen- welt werden schon im Entstehen begriffene Eigenschaften durch Uebung unmittelbar verstärkt (Bedeutung des Gebrauchs und des Nichtgebrauchs). — 3) Der Kampf ums Dasein ist nach Maßgabe der äußern Verhältnisse mittelbar verschieden wirksam. — 4) Dureh 122 Eimer, Vererben erworbener Eigenschaften. Korrelation können plötzlich ganz neue Bildungen entstehen (sprung- weise Entwicklung). — 5) Durch andauerndes Beharren unter den- selben Verhältnissen, unter ununterbrochener Fortdauer derselben Ein- wirkungen, wird ein Organismus nach Generationen, infolge von „konstitutioneller Imprägnation“ (konservativer Anpassung), seiner Zusammensetzung nach anders beschaffen sein und gegenüber der Außenwelt sieh anders verhalten als zuvor. — 6) Geschlechtliche Mischung kann, selbst ohne jeden Einfluss der Anpassung, zur Bildung ganz neuer stofflicher Zusammenfügungen, d. h. zur Bildung neuer Formen führen. Nach des Verf. Ansicht wird die Bedeutung des Kampfes ums Dasein von den meisten Forschern bei weitem überschätzt und spielt vielleicht thatsächlich eine viel nebensächlichere Rolle, als man heute anzunehmen geneigt wäre. Die Formbildung erfolgt nach den Ge- setzen organischen Wachsens, und der Kampf ums Dasein ist bloß eines von den oben angeführten 6 Mitteln, welehe die Tren- nung der Formenreihen in Arten verursachen; er übt keine form- bildende, sondern nur eine korrigierende Wirkung aus. Es können nach den Gesetzen des Wachstums 1) Organisationsverhält- nisse entstehen, gleichsam auskrystallisieren, welche dem Organismus ebenso nützlich sind, als wenn sie durch den Kampf ums Dasein ent- standen wären. In diesem Falle werden die Anforderungen des Nütz- lichkeitsprinzips zufällig von dem Produkte der Entwicklung aus innern Ursachen erfüllt, und die Bedeutung des letztern bleibt daher ungeschmälert. 2) Es können aus innern Ursachen für das Fortkommen des Organismus indifferente und 3) sogar schädliche Eigen- schaften entstehen. Mit schädlichen Eigenschaften . behaftete Organismen können sich aber nur dann erhalten und werden nur dann ihre Eigentümlichkeiten durch Generationen vererben können, wenn jene im Vergleich zu den ihnen eignen nützlichen nicht in betracht kommen, oder sofern sie in Korrelation stehen mit andern, die nütz- licher sind als sie selbst schädlich. Auch die Wirkung der geschlechtlichen Mischung wird nach Eimer, besonders von Weismann, bei weitem überschätzt. Um die Bedeu- tung derselben herabzusetzen, braucht bloß an das sehr häufige Vor- kommen einseitiger Vererbung erinnert zu werden. Was z. B. die Farbe der Körperbedeckung anbetrifft, so mischen sich 2 reine Farben selten so, dass Misehfarben entstehen; Kinder, deren Eltern einerseits schwarze Haare von romanischem, anderseits blonde von germanischem Typus besitzen, werden in den meisten Fällen wieder entweder rein schwarze oder ganz blonde Haare haben; dasselbe ist bei vielen Säugetieren der Fall, deren Eltern eine gleichmäßige, aber einander entgegengesetzte Haarfarbe baben, diese gleichen in den meisten Fällen entweder der Mutter oder dem Vater, selten sind sie ge- scheckt. — Weismann, Zahl der Richtungskörper und ihre Bedeutung für die Vererbung. 125 Wenn wir zum Schlusse die Eimer’sche Theorie noch einmal im ganzen überblicken, so kommen wir zu dem Resultat, dass sie weniger viel Neues und Originelles enthält, als einen entschiedenen Lamarkismus vertritt: Als wesentliehster formbildender Fak- tor werden die Verhältnisse der Außenwelt, der Gebrauch und Nichtgebraueh der Organe hingestellt, während die Bedeutung der Selektion sehr in den Hintergrund tritt. Ref. hält diese Anschau- ung für voll berechtigt, nur macht es einen eigentümlichen Eindruck, wenn auch hier wieder der Theorie Darwin’s der alte, immer wieder- kehrende Vorwurf gemacht wird, sie führe den Zufall in die Gescheh- nisse der Natur ein, indem sie sage „von „„zufälligen““ Abänderungen werden durch Auslese die passendsten gezüchtet“. Ist es doch grade Darwin, wie Huxley schr richtig bemerkt, welcher immer und immer wieder von neuem seine Leser daran erinnert hat, dass, wenn er das Wort „spontan“ gebraucht, er damit nur sagen will, dass er inbetreff dessen, was so genannt ist, unwissend ist. — Sowohl durch das Zurücktretenlassen der Selektion als auch ganz besonders durch die Ansicht von der Vererbbarkeit erworbener Eigen- schaften tritt Eimer in schroffen Gegensatz zu Weismann, und die sehr vollständige Zusammenstellung der zu gunsten der letztern sprechenden Wahrscheinlichkeitsbeweise muss jedenfalls als sehr ver- dienstvoll bezeichnet werden. Die meisten derselben dürften aber schon früher bekannt gewesen sein, und trotzdem ist die Vererbbar- keit erworbener Eigenschaften bis heute noch nicht bewiesen, wenn auch, wie dem Ref. selber, höchst wahrscheinlich. Wenn es sich aber um eine gradezu brennende Frage dieser Art handelt, mit der eine ganze Theorie steht oder fällt, kann man sich unmög- lich mit auch noch so vielen Wahrscheinlichkeitsbeweisen begnügen, sondern muss exakt experimentelle Beweise ver- langen. Hoffen wir, dass diese nicht mehr lange auf sich warten lassen. Im Hinblick hierauf dürfte man jedenfalls mit Spannung dem zweiten Teile des Eimer’schen Werkes entgegensehen, in welchem der Verfasser die durch Abbildungen erklärten Beweise für seine Auf- fassung zu bringen verspricht. Friedr. Dreyer (Jena). August Weismann, Ueber die Zahl der Richtungskörper und über ihre Bedeutung für die Vererbung. Jena, Gustav Fischer, 1887. 8. V u. 75 Seiten. Aus der dem Verfasser dieser kleinen, die Fortsetzung einer Reihe ähnlicher Arbeiten Weismann’s darstellenden und sich am genauesten an die „Kontinuität des Keimplasmas“ anschließenden Schrift als ziemlich ausgemacht geltenden Thatsache, dass bei allen befruchtungs- bedürftigen tierischen Eiern als Vorbereitung zur Ontogenese zwei Richtungskörper ausgestoßen werden, bei allen parthenogenetischen 124 Weismann u. Ischikawa, Bildung der Richtungskörper bei tierischen Eiern. nur einer, schließt der Verfasser, dass der erste Richtungskörper des zu befruchtenden und der einzige des parthenogenetischen Eies zur Entfernung des überflüssig gewordenen „ovogenen Kernplasmas“ dient, der zweite Riehtungskörper des erstern aber die Zahl der Ahnenidioplasmen, welche das Ei zusammensetzen, auf die Hälfte reduziert. Bei parthenogenetischen Eiern findet diese Reduktion, der auch auf eine noch nicht näher anzugebende Weise die tierischen Spermazellen und die Fortpflanzungszellen der geschlechtlich differen- zierten Pflanzen unterworfen sein müssen, nicht statt; bei ihnen ver- harrt die Summe ererbter Ahnen -Keimplasmen auf gegebener Höhe, während diese Summe bei befruchtungsbedürftigen Eizellen und Spermazellen abwechselnd auf die Hälfte reduziert und durch den Akt der Befruchtung wieder auf die ursprüngliche Höhe gebracht wird. Die zur Ermöglichung der geschlechtlichen Fortpflanzung not- wendige „Reduktionsteilung“ der Eizellen, die von einer Halbierung der Zahl der Kernschleifen oder von einer Querteilung der letzteren (falls eine solche vorkommt) begleitet sein muss und der gewöhn- lichen „Aequationsteilung“ der Zellen gegenüber steht, hat nur dann den erforderlichen Erfolg, wenn die Schleifen, welche die Behälter der Alnenplasmen darstellen und bei der Reduktionsteilung zur Hälfte in den Richtungskörper wandern, alle mit verschiedenen Reihen von Ahnenplasmen, also mit verschiedenen Vererbungstendenzen, ausge- stattet sind; da solches aber der Fall sein muss und bald diese, bald jene Kombination von Ahnenplasmen entfernt wird, so sind die be- fruchtungsbedürftigen Eier eines Individuums nach Ausstoßung der kichtungskörper alle verschieden. Der „tiefere Sinn“ des zweiten Richtungskörpers besteht also in der Ermöglichung eines Maximum von Variabilität, und die geschlechtliche Fortpflanzung erscheint somit in dem Lichte einer „Einriehtung“, „durch die ein immer wechselnder Reichtum individueller Gestaltung hervorgerufen wird.“ Haacke (Jena). A. Weismann und C. Ischikawa, Ueber die Bildung der Riehtungskörper bei tierischen Eiern. (Ber. Naturf, Gesellsch. Freiburg i. B. III. B. 1888. S. 1—44 mit Taf. I—IV.) Vorliegende Arbeit steht in engstem Zusammenhang mit einer andern vor kurzem erschienenen Arbeit Weismann’s |Ueber die Zahl der Richtungskörper und über ihre Bedeutung für die Ver- erbung, Jena 1887 — über welche gleichzeitig in dieser Nummer referiert wird. Red. d. Biol. Clbl.]. Die in letzterer Schrift ausge- sprochenen Theorien basieren wesentlich auf der Behauptung, erstens, dass auch bei parthenogenetischen Eiern Richtungs- körper gebildet werden, zweitens aber, dass parthenoge- netische Eier nur einen, befruchtungsbedürftige Eier dagegen allgemein zwei Richtungskörper bilden. Weismann u. Ischikawa, Bildung der Richtungskörper bei tierischen Eiern. 195 In vorliegender Arbeit nun liefern die beiden Verfasser den exakten Beweis der früher gemachten Voraussetzung. 1. Die Richtungskörperbildung bei parthenogenetischen Eiern. Sommereier von Daphniden. Bei Leptodora hyalina konnte nur ein Richtungskörper nachgewiesen werden, welcher bereits sehr früh schwindet. Bei Bythothrephes longimanus wird gleichfalls nur ein am animalen Pol gelegenes großes Richtungskörperchen ge- bildet; dasselbe teilt sich aber während der ersten Furchungsstadien in zwei sekundäre Zellen, von denen die eine sich nochmals teilt. Diese drei sekundären Richtungszellen rücken nun auffallender- weise vom obern Pol mehr und mehr in die Tiefe zwischen die Furehungszellen, indem sie gleichzeitig einer langsamen Auflösung entgegen gehen. Doch noch im Stadium von 32 Furchungszellen konnten Verfasser die letzten Reste der Richtungskörper in dem axialen Hohlraum zwischen den Furehungszellen wahrnehmen. Ganz ähnlich war das Verhalten bei Polyphemus oculus; auch hier trat nur ein kRichtungskörper auf, der jedoch gleichfalls sekundäre Teilungen durchmachte. Bei der Gattung Moina, von der zwei Arten untersucht wurden, tritt die Bildung des einen Rich- tungskörpers gegenüber den bereits geschilderten Arten schon im Ovarium auf; doch konnte nieht nachgewiesen werden, ob vor dem Zerfall desselben noch sekundäre Teilungen durchgemacht werden. Ganz ebenso verhalten sich auch die dotterreichen Eier von Daphnia longispina, Daphnella brachyura und Sida erystallina. Bei allen tritt nur ein Richtungskörper auf, der unmittelbar der Eischale angepresst sich in die Rindenschicht des Eies eindrückt. Während jedoch bei Daphnia eine weitere sekundäre Teilung des Richtungskörpers erfolgt, war bei den beiden andern Formen nichts Aehnliches zu beobachten. Die Ostrakoden, bei denen Parthenogenese erst im Jahre 1880 von Weismann') nachgewiesen wurde, schließen sich bezüglich der Bildung der Richtungskörper durchaus den Daphniden an; auch hier entsteht nur ein Richtungskörper, der erst sehr spät während des 16zelligen Furchungsstadiums eine sekundäre Teilung erleidet. Bei Rotatorien haben die Verfasser ein einziges Richtungs- körperchen am frischen Sommerei von Callidina bidens nachgewiesen, nachdem sie sich grade bei dieser Art genau überzeugen konnten, dass die Sommereier derselben sich in der That parthenogenetisch entwickelten. Dasselbe Resultat ergab eine Untersuchung der reifen Sommereier von Conochilus volvox an Schnitten. 2. Die Richtungskörperbildung bei befruchtungsbedürftigen Eiern nach JSKOr} ; I ug den in der Literatur enthaltenen Beobachtungen. Nachdem also im 1. Teil der Nachweis geliefert wurde, dass bei allen parthenogenetisch sich entwickelnden Eiern nur ein primäres 4) Zool. Anz. 1880, $. 82. 126 Krasser, Zur Kenntnis der Heterophyllie. Richtungskörperchen ausgestoßen wird, ergibt eine Zusammenstellung aller sichern Angaben über die Zahl der Richtungskörper, dass bei befruchtungsbedürftigen Eiern deren zwei beobachtet sind in folgen- den Fällen: 1) Hydromedusen bei 4 Arten 10) Gastropoden bei 14 Arten 2) Siphonophoren EEE: Re 11) Pteropoden a 3) Ctenophoren lie 12) Cephalopoden 2 ee 4) Platyhelminthen „5 „ 13) Tunieaten ee 5) Nemathelminthen „ 7” „ 14) Crustaceen net 6) Gephyreen ee 15) Insekten ne 7) Annulaten ne 16) Fische OR RE 8) Echinodermen PL DEN 17) Amphibien na 9) Lamellibranchiaten „ 3 18) Säuger Ara: a Dem gegenüber stehen nun allerdings noch einige Angaben, nach denen bei Arten mit geschlechtlicher Fortpflanzung nur ein Richtungs- körper gesehen wurde. Hierher gehören die Angaben von Bergh für Gonothyraea Lovenü, von Salensky für Dranchiobdella, von Hatschek für Teredo navalis, von Selenka für Phascolosoma, von P. Sarasin für Dythinia, von Hatschek für Amphioxus, von Hoff- mann für Scorpaena und Julis. Wenn man nun auch die Möglich- keit zugeben kann, dass diese Fälle auf fehlerhafter Beobachtung beruben, so können doch nur erneuerte Beobachtungen darüber ent- scheiden, ob auch hier, wie Referent mit den Verfassern annehmen möchte, zwei primäre Richtungskörper gebildet werden, oder aber, ob «diese Fälle ein Hindernis für die Weismann’sche Lehre abgeben. W. Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. K. k. Zoologisch- Botanische Gesellschaft in Wien. m Sitzung vom 7. Dezember 1837. Herr Dr. Fridolin Krasser machte nachfolgende vorläufige Mitteilung „zur Kenntnis der Heterophyllie“. Vor einigen Jahren hat C. von Ettingshausen gelegentlich seiner phylogenetischen Studien!) den Begriff der „regressiven“ und der „progressiven* Formen aufgestellt. Unter regres- siven Formen lebender Arten sind jene zu verstehen, die sich ihren tertiären Stammarten nähern, unter progressiven solche Formen tertiärer Arten, die sich den analogen, jetzt lebenden Arten auffallend mehr nähern. Diese Begriffe sind namentlich an Blattformen klargelegt worden und lassen sich, wie ich glaube, selbstverständlich ganz im Sinne Ettingshausen’s, überhaupt auf alle Organe übertragen, deren Merkmale im Laufe der Phylogenesis sich ge- setzmäßig verändern. Ebenso lassen sich die Begriffe „progressive Form“ und „regressive Form“ ganz allgemein ausdrücken, so dass unter progressiven Formen eines Organes jene zu verstehen wären, welche die Richtung der kinf- 1) Ettingh ause n, Beiträge zur Erforschung der Phylogenie der Pflanzen- arten (Denkschriften der kais. Akad. der Wissensch. in Wien, math.-naturw. Kl., Bd. XXXVII u. XL). # Krasser, Zur Kenntnis der Heterophyllie. 197 tigen Entwieklung seiner veränderlichen Merkmale — die Formbildung der Zukunft — anzeigen, während man unter den regressiven Formen jene zu verstehen hätte, die bezüglich ihrer Gestaltung auf die im Laufe der Phylo- genesis bereits durchlaufenen Formen mehr oder minder vollkommen zurück- greifen, d. h. die Formbildung der durchlaufenen Entwicklungsreihe wider- spiegeln. — Bekanntlich kann die ungleiche Form der Laubblätter eines Sprosses begründet sein einerseits durch die Lage (Anisophyllie), anderseits in der Organisation (Heterophyllie). Wenn man von Heterophyllie spricht, denkt man hauptsächlich an große Formunterschiede der Laubblätter, wie sie bei Pflanzen mit teilweise submersem Laube (z.B. Ranunculus aquatilis, Sagit- taria sagittaefolia ete.) auftreten, oder wie sie bei Lepidium perfoliatum, Populus Euphratica zum Ausdruck gelangen; doch pflegen auch Broussonetia papyri- fera, Morus alba etc. als Beispiele angeführt zu werden. Wir ersehen daraus, dass unter den Begriff Heterophyllie Blattformen fallen, die durch die beson- dern biologischen Verhältnisse (nämlich dadurch, dass sie in verschiedenen Medien leben) erzeugt werden. Bei andern Formen sind die Beziehungen zu den äußern Ursachen unbekannt. Bei Broussonetia und Morus finden sich alle möglichen Uebergänge zwischen den heterogenen Blattformen. — Es fragt sich nun, unter welche Gruppe des Polymorphismus der Laubblätter wir die regres- siven und die progressiven Formen zu bringen haben. Jedenfalls liegen ihrem Auftreten innere Ursachen (die Organisation) zu grunde, welche allerdings durch äußere Einflüsse ausgelöst werden müssen. Als letztere sind zu be- zeichnen: gewisse Kulturmethoden !), Witterungseinflüsse, wiederholter Insekten- fraß, Schädigungen durch Menschenhand [fortgesetztes Beschneiden etc. ?)|. Für die progressiven Formen ist eine gewisse Konstanz der die Organisations- prozesse auslösenden äußern Einflüsse notwendig, da es sich um die Erwerbung neuer Merkmale handelt. Es kann demnach wohl nicht zweifelhaft sein, dass die durch regressive und progressive Blattformen bedingte Ungleichblättrigkeit von Sprossen unter den Begriff der Heterophyllie falle. Freilich kann eine so zu stande gekommene Ungleichblättrigkeit außerdem noch anisotroper Natur sein, wie man dies namentlich bei regressiven Fagus-Formen beobachten kann. Es erscheint vielleicht nieht unzweekmäßig — namentlich vom praktischen Standpunkte — unter den Begriff „Heterophyllie®* die Gesamtheit aller diffe- renten, im Laufe der Ontogenese und des individuellen Seins auftretenden Blattformen zu subsumieren, da ja, wie die obigen Ausführungen erweisen, das Erklärungsprinzip für das Zustandekommen der nach meinem Vorschlage zu subsumierenden Formen identisch ist mit dem für die gewohnheitsmäßig bereits diesem Begriffe untergeordneten Formen. Das Studium der Heterophyllie in diesem erweiterten Sinne hat auch aktuelles Interesse für den beschreiben- den Paläophytologen, der ja die phylogenetische Forschungsmethode nicht ignorieren kann, und, da er zumeist auf Blattreste angewiesen ist, behufs Sicherung seiner Bestimmungen alles, was mit den Blättern im Zusammen- hange steht, berücksichtigen muss; lässt sich doch kein vernünftiger Grund dagegen anführen, dass schon in den verflossenen Entwicklungsperioden der Pflanzenwelt auch regressive Formen aufgetreten sind. Die theoretische 4) Ich habe regressive Blattformen bei Salisburia adiantifolia namentlich an Exemplaren beobachtet, welche schon seit dem Keimlingsstadium in Knop’- scher Nährlösung gezogen werden. 2) Diese auslösenden Einflüsse wurden bekanntlich schon von Ettings- hausen und Krasan aufgefunden. i»s Krasser, Zur Kenntnis der Heterophyllie. Annahme, dass desto mehr und desto differentere regressive Blattformen einer Species auftreten können, je älter das Genus ist, erscheint wohl ganz wahr- scheinlich. Es drängt sich mir der Gedanke unwillkürlich auf, wenn ich z. B. an die bei Fagus silvatica und Quercus-Arten — günstige Bedingungen voraus- gesetzt -—- so überaus häufigen und, wie Krasan!) für die roburoiden Eichen gezeigt hat, in ganz bestimmter Ordnung auftretenden regressiven Blattformen denke. Ebenso lässt sich denken, dass regressive Blattformen bezüglich ihrer Mannigfaltigkeit um so mehr in den Hintergrund treten, je jünger das Genus ist, oder je mehr man sich der Wurzel des Stammbaumes nähert. Es erübrigt mir zur Illustration dieser theoretischen Ausführungen nur mehr ein Beispiel für das Vorkommen von regressiven Blattformen in einer vergangenen Erdperiode, sowie ein Beispiel von der Existenz progressiver Formen in der Gegenwart zu erbringen. Was das letztere anbelangt, so brauche ich nur auf die „schizophyllen Eichen“ ?) des roburoiden Typus aufmerksam zu machen. Als Beispiel für das Vorkommen von regressiven Blattformen in der Tertiär- zeit möchte ich das Folgende anführen. Von R. Ludwig?) werden in seiner Arbeit über „Fossile Pflanzen aus der mittlern Etage der Wetterau-Rheinischen Tertiärformation“ gewisse Blätter, als Alnus insueta, Quercus Reussana, Fagus horrida beschrieben. Fundort ist der sandige Gelbeisenstein von Kaichen. Bei den als Fagus horrida determinierten Blattresten liegt kein Grund vor, die Zugehörigkeit derselben zum Genus Fagus zu bezweifeln. Bei Alnus insueta war die „Struktur des Blattes sowie die Beschaffenheit des Mittelnervs“ für die systematische Stellung maßgebend, während die ungewöhnliche Form des Blatt- randes — er ist gebuchtet — dieser Bestimmung widerspricht; daher offenbar der Artname insueta. Bezüglich der Form und der Nervationsverhältnisse stimmen damit sehr gut gewisse regressive Blattformen von Fagus silvatica überein. Es sind das die regressiven Blattformen mit ausgebuchtetem Rande, bald herzförmiger, bald keilförmig verlaufender Basis, mit 7—9 wechselständigen Sekundärnerven, welche teils parallel, teils divergierend (namentlich die untern) und bogig gegen die Einschnitte zwischen je zwei Buchten, jedoch hakig umbiegend camptodrom verlaufen. — Mit der Quercus Reussana lassen sich jene regressiven Blattformen von Fagus silvatica vergleichen, welche durch einen stark gezähnten Rand ausgezeichnet sind. Quercus Reussana Ludw. wird von Schimper*) mit Quercus Meyeri Ludw. vereinigt. Der Vergleich der Abbildungen lehrt jedoch zweierlei, nämlich dass Quereus Reussana nicht dem Typus der Quercus Meyeri entspricht, und dass Quercus Meyeri®) thatsäch- lich dem Eichentypus angehört. — Es würde in dieser vorläufigen Mitteilung zu weit führen, meine Ansicht über Quercus Reussana und Alnus horrida näher zu begründen, und ich will nur noch bemerken, dass meine Studien das Resultat ergeben haben, dass die unter den oben angeführten Namen beschriebenen Blätter zusammen mit den als Fagus horrida determinierten einer Buchenart, also dem Genus Fagus, angehören. @uercus Reussana und Almus insueta repräsentieren dann regressive Blattformen. 1) ‚Geschichte der Formentwieklung der roburoiden Eichen (Engler’s Jahrb., 1887). DKasan l..c.S. 494. 3) Paläontogr., Bd. V, 1858. 4) Pal&ontologie vegetale, Bd. II, S. 643. 5) Ludw. (Paläontogr., Bd. VI, S. 103, Taf. XXV, Fig. 1—6). V a vs von Eduard Besold i in Erlangen. — Druc k\ von Junge & Sohn ii in gen Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Byegleeze in Belangen: 24 "Nummern \ von ı je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. van Band. 1. Mai 1888. Mr. 5, Inhalt: rema Bobs Untersuchungen über mens devastatrie Kühn. (Dritte Mitteilung. Erstes Stück.) — Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. 1. Verbreitungsmittel der Pflanzen. — Reess und Fisch, Untersuchungen über Bau und Lebensgeschichte der Hirschtrüffel, Klaphomyces. — Zöpf, Haplo- coccus reticulatus. — Will, Zur Entwicklung der viviparen Aphiden. — Schiller Tietz, Vererbung erworbener Eigenschaften. — Dewitz, Die großen zoologischen Landesmuseen. — Snell, Vorlesungen über die Abstammung des Menschen. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: K. k z00log.-botan. Gesellschaft zu Wien. — Moleschott, Zur Feier der Wissen- schaft, Untersuchungen über Tylenchus devastatrie Kühn, von Dr. Ritzema Bos, Dozent der Zoologie und Tierphysiologie an der landwirtschaftlichen Schule in Wageningen (Niederlande). DEE een een IV. Die von Tylenchus devastatrixc verursachten Pflanzen- krankheiten. In einer frühern Mitteilung (Biol. Centralbl., VII, S. 261) habe ich 34 Pflanzenarten aufgezählt, in welchen Tylenchus devastatrix sich 1) In meiner zweiten Mitteilung, Bd. VII des Biologischen Centralblattes, S. 646, habe ich mich ungenan ausgesprochen, als ich sagte: „Beyerinck’s Untersuchungen haben es sehr wahrscheinlich gemacht, dass die Ur- sache der Gallbildung durch Cynipiden nicht in einem Stoffe liegt, der von der weiblichen Wespe zugleich mit den Eiern in die Pflanze gebracht wird, und ebenso wenig in den Reizen, welche die Cynipiden-Larve mit ihren Mund- teilen... auf das umgebende Gewebe ausübt, sondern in irgend welchem Stoff, den die Larve selbst ausscheidet“. Ich will hier ausdrücklich hervorheben, dass 3eyerinck’s Untersuchungen dies nicht wahrscheinlich gemacht, son- dern bewiesen haben; während derselbe Gelehrte in seiner kürzlich in der Botanischen Zeitung (1888,-Nr. 1) erschienenen Abhandlung „Ueber das Ceci- dium von Nematus Capreae auf Salix amygdalina* zeigt, dass die Entstehung des Ceeidiums von Nematus auf Weidenblättern von der mit dem Eie in das Junge Blatt hineingeführten Substanz aus der Giftblase des Imago abhängig ist. — vıu, 9 130 Ritzema Bos, Untersuchungen über Tylenchus devastatrix Kühn. aufhalten kann; allein ich habe bei jener Aufzählung sogleich die Bemerkung gemacht, dass das Stengelälchen in mehrern der daselbst niedergeschriebenen Pflanzenarten nur zufälligerweise vorkomme, dass es aber in einigen derselben mehr regelmäßig und dauernd als Parasit auftritt. Die von 7. devastatrixe bei Kulturgewächsen verursachten Krankheiten waren teilweise schon seit langer Zeit den Landwirten und Gärtnern bekannt, obgleich die Ursache derselben erst später entdeckt wurde. Ich will hier nur die wichtigsten dieser Krankheiten den Lesern des „Biologischen Centralblattes“ vorführen und dabei alle praktischen Erwägungen fortlassen, insoweit sie keinen wissen- schaftlichen Wert haben. Ausführliche Mitteilungen inbetreff der land- wirtschaftlichen Praxis werden vonmir inden „Landwirtschaftlichen Ver- suchsstationen“ von Prof. Nobbe-Tharand und in meinem demnächst in den „Archives du Musee Teyler“ in französischer Sprache erscheinen- den größern Aufsatze über Tylenchus devastatrix publiziert werden. Die am allgemeinsten bekannte Aelchenkrankheit, zugleich so- wohl die wichtigste als diejenige, über deren wahre Natur man am längsten Aufklärung bekommen hat, ist wohl die Stockkrankheit des Roggens. Literatur. Schwerz, „Anleitung zum praktischen Ackerbau“, 1825, Bd. II S. 414. Kamrodt, in „Zeitschrift des landwirtschaftlichen Vereins in Rhein- Preußen“, 1867, Nr. 6, S. 251 u. 378. Kühn, in „Zeitschrift des landwirtschaftlichen Zentralvereins der Provinz Sachsen“, 1867, 8. 99. Nitschke, in „Landwirtschaftliche Zeitung für Westfalen und Lippe, 1868, Nr. 22. Kühn, „Ueber die Wurmkrankheit des Roggens und über die Ueberein- stimmung der Anguillulen des Roggens mit denen der Weberkarde“, in „Sitzungsberichte für 1868 der Naturforschenden Gesellschaft in Halle“. (Halle. H. W. Schmidt. 1869). Dieser Aufsatz schließt sich an die Untersuchungen Kühn’s über das „Kardenälchen“ an („Ueber das Vorkommen von Anguillulen in erkrankten Blütenköpfen von Dipsacus fullonum L.“) in „Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie“, Bd. IX (1858) S. 129. v. Laer, in „Landwirtschaftliche Zeitung“, 1868, Nr. 16. Kellermann, in „Landwirtschaftliche Zeitung“ („Vereinsschrift des landwirtschaftlichen Provinzialvereins für Westfalen und Lippe“), 1876, Nr. 44. r König, in derselben Zeitung, 1877, Nr. 19. J. H. V., in „het Platteland“ von F. R. Corten (1878, Nr. 4). F. R. Corten gibt in seiner „Landbouwkroniek“, im Anschluss an seine Mitteilung über das Vorkommen der Stockkrankheit in der nieder- ländischen Provinz Limburg, einen Auszug aus den Arbeiten K ühn’s. (1878, Nr. 66, 67, 68). Havenstein, „Die Wurm- oder Stockkrankheit, ihre Verbreitung und Bekämpfung“. Bonn 1880. Ritzema Bos gibt inbetreff des von ihm entdeckten Vorkommens der Stockkrankheit des Roggens in der niederländischen Provinz Ritzema Bos, Untersuchungen über Tylenchus devastatrie Kühn. 191 Overysel einige Mitteilungen über diese Krankheit, in „Nieuwe Land- bouweourant“ von G. Reinders. 1882. Ritzema Bos, „Zur Bekämpfung der Stockkrankheit des Roggens“ in „Landwirtschaftliche Versuchsstationen* von Nobbe, 1837, S. 119. Wie aus der oben aufgezählten Literatur ersichtlich, hat schon Schwerz (1825) der Stockkrankheit des Roggens (sowie des Hafers, des Klees und des Buchweizens) Erwähnung gethan. Er fügt aus- Kies: 1. drücklich hinzu, dass der Weizen sowie der Lein nicht an dem „Stock“ erkrankten. Während die Stockkrankheit des Roggens in Frankreich und England bis jetzt unbekannt scheint, war sie schon in der Mitte der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts in Westfalen und Rheinpreußen, wo nicht nur jetzt die Roggenkultur stark in den Vordergrund tritt, sondern wo schon seit alters die „Kornkammer des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ zu finden war, die gefährlichste Krankheit des Roggens. Aus Gülicherland hat sich die Stockkrankheit wohl schon seit vielen Jahren über holl. Limburg verbreitet, obgleich erst in 1878 9* 132 Ritzema Bos, Untersuchungen über Tylenchus devastatrix Kühn. hier die Aufmerksamkeit darauf gerichtet wurde. Und als ich in 1882 in dem Osten der holl. Provinz Overysel (Delden) zuerst diese Krank- heit entdeckte, erforschte ich bald, dass in diesem roggenbauenden Lande, wo sogar bis in 20 aufeinander folgenden Jahren auf einem und demselben Acker Roggen gesät wird, die Krankheit schon seit mehr als 25 Jahren den Landwirten daselbst, nur nicht in ihrem eigentlichen Wesen, bekannt war. Ich schreite zur Beschreibung der Symptome der Stockkrank- heit des Roggens. Die Keimung des Roggensamens auf einem infi- zierten Acker verläuft ganz normal, und beim Winterroggen sieht man unmittelbar nach dem Winter den jungen Pflänzchen gewöhnlich nichts an; in einigen Fällen sind .die Blättehen mehr oder weniger wellenförmig gebogen. Allein im Anfange des Frühjahres, so bald die Zeit für die Weiterentwicklung gekommen ist, fangen die kranken Pflanzen an sich anormal zu entwickeln. Einige Pflanzen werden sehr bald gelb und sterben, andere scheinen sich jedoch sehr üppig zu entwickeln. Sie haben eine schöne, sogar etwas bläulich grüne Farbe, und scheinen sehr gesund; sie zeigen sogar eine überaus starke Bestockung, so dass eine einzige Pflanze eine sehr große Boden- oberfläche bedeckt. Diese starke Bestockung ist Ursache des Namens „Stockkrankheit“. Bald, oder vielmehr zugleich, schwillt die Stengel- basis in abnormer, oft sogar in ganz kolossaler Weise an, wodurch das Roggenpflänzehen aussieht, als trüge es an seiner Basis eine größtenteils oberirdische Zwiebel. Letztere entsteht, indem die untersten Halmglieder sehr kurz bleiben, jedoch stark sich verdicken, wobei die Blattscheiden, welche die Stengelbasis einhüllen, sich abnorm ver- dieken und verbreitern. Die Ursache dieser Abnormitäten lässt sich leicht aus dem in der zweiten Mitteilung Gesagten begreifen: die Gefäß- bündel des Halms sowie der Blätter wachsen nur wenig mehr in die Länge, während das Parenchym dieser Teile durch Zellstreckung, später auch durch Zellteilung an Dicke sehr zunimmt. Viele der Namen, mit welchen in verschiedenen Teilen Deutsch- lands die Stockkrankheit angedeutet wird, deuten auf die eigentüm- liche Verdiekung der Halmbasis: „Rüb“ (von Rübe), „Knoten“, „Knotenkrankheit“, „Knopf“. — Weiter ist für die jungen an Stockkrankheit leidenden Roggen- pflanzen die schwache Bewurzelung sehr charakteristisch; „es sind nur wenige und dabei verhältnismäßig kleine Wurzeln vorhanden, und dies kommt wohl daher, dass sich an dem eigentlichen Herd der Kronenwurzeln, nämlich dem ersten Knoten, eine große Zahl grüner Blätter entwickelt hat“ (Havenstein). Im allgemeinen lässt sich sagen: je mehr Aelchen in der Pflanze leben, desto stärker ist die Missbildung. Daher zeigen sich die Krankheitssymptome im Herbste nur noch wenig deutlich oder gar nicht: denn es sind dann nur noch relativ wenige Aelchen in die Ritzema Bos, Untersuchungen über Z’ylenchus devastatrixe Kühn. 133 Pflänzehen hineingewandert. kleine Nematoden aus dem Boden in den Pflanzen angelangt sind, zugleich aber diese Würmchen in den Rog- senpflanzen sich zu vermehren anfangen, beginnen sich die Miss- bildungen in größerem Maßstabe zu zeigen. Im allgemeinen bleiben die Blätter der kranken Roggenpflanzen kürzer als die der normalen; oft sind sie viel dicker. Viele Blätter beugen sich mehr oder weniger wellenförmig, und zwar können sich diese Bie- gungen oft in starkem Grade zeigen. Diese wellenförmigen _Bie- gungen entstehen, in- dem an der einen Stelle im Blatte, z. B. an der einen Blattoberfläche, mehr Parasiten da sind als an der andern: wo sich die meisten Würm- chen befinden, da hat man das stärkste Diekenwachstum, und das ungleichmäßige Wachstum eines Or- ganes in seinen ver- schiedenen Teilen ver- ursacht immer Bie- sungen. Während nun aber einige Blätter sich stark biegen, bleiben andere ganz normal; wieder andere werden diek, aber schmal und von mittlerer Länge, Ga Gr ad nat del Aber im Frühjahr, wenn noch mehr und gleichen so sehr den Blättern wild wachsender Gräser, dass erst eine scharfe Beobachtung lehrt, dass man wirklich ein Roggenblatt vor sich hat. 134 Ritzema Bos, Untersuchungen über Tylenchus devastatrix Kühn. Namentlich wenn die Zeit kommt, wo der Halm der Pflanzen bald sichtbar wird, kommen die Resultate der Wirkung der Tylenchus devastatrix deutlich ans Tagelicht. Das äußerst geringe Längen- wachstum, wodurch die kranken Pflanzen charakteristisch sind, kann Ursache werden, dass die Halmglieder sich nicht in derartiger Weise verlängern, dass der Gipfel des Halms mit der Aehre aus den Blatt- scheiden herauskommen kann. Bei andern Roggenpflanzen kommt zwar eine Aehre heraus, aber sie bleibt klein und verkrüppelt so wie der ganze Halm. Wenn sich später Roggenkörner bilden, so haben diese doch immerhin wenig zu bedeuten, weil die verkrüppelten Blätter keine genügende Quantität Nahrungsstoffe gebildet haben, um die Früchte zu bilden. Einige Schösse kommen in mehr normaler Weise zur Entwicklung. In Fig. 1 und 2 habe ich zwei an Stockkrankheit leidende Roggenpflanzen abgebildet, woran mehrere der von mir auf- zezählten Charaktere ersichtlich sind; doch können, wie aus dem oben Gesagten hervorgeht, stockkranke Roggenpflanzen sehr ver- schieden aussehen. Die in starkem Grade angegriffenen Pflanzen sterben bald, einige schon im ersten Anfange des Frühjahres, andere erst später. Viele Pflanzen wachsen, sei es auch in abnormer Weise, so weit weiter, dass die Aehre sich zeigen könnte, und schrumpfen dann allmählich zusammen: die Blätter welken, die Schösse werden braun und sterben in ihrem Innern, während die Blattscheiden vorläufig noch grün bleiben, aber — infolge des Verschwindens des Chlorophylis — weiße Flecken zeigen, und zwar an den Stellen, wo die meisten Aelchen angehäuft sind. Die Parasiten sind die Ursache eines ganz abnormen Wachs- tums des Stengels und der Blätter. Bei der Bildung der Aehre je- doch findet das Entstehen der Körner in ganz normaler Weise statt: zwar bleiben sie immer leicht, doch nehmen sie niemals — wie bei der beim Weizen durch Tylenchus scandens verursachten Radekrank- heit — eine abnorme Form an. Die Aelehen befinden sich in den angegriffenen Roggenpflanzen am meisten in dem untern Teile des Halmes und in den diesen Teil umgebenden Blattscheiden. In den mehr ausgewachsenen Halmen und in der Axe der Aehre können sie auch vorkommen, in den Spelzen und den weitern Teilen der Blumen scheinen sie zu fehlen. — Man kennt die Stoekkrankheit des Roggens nicht nur an den Krankheitssymptomen jeder Pflanze für sich, sondern — wenigstens wenn sie in ziemlich starkem Grade auftritt — auch an ihrer eigen- tümlichen Verbreitung. Namentlich im Frühjahr hat ein Acker, worauf der Roggen an der Aelehenkrankheit leidet, ein eigentümliches Aussehen. Man bemerkt auf einem solchen Acker bestimmte Flecken, die als Verbreitungszentren der Krankheit gelten können. Auf diesen Flecken sind die Roggenpflanzen größtenteils, wo nicht alle, abge- storben. Um diese fast ganz kahlen Stellen herum findet man Pflanzen, Ritzema Bos, Untersuchungen über Zylenchus devastatrixe Kühn. 155 die fast alle in starkem Grade krank sind, und welche die oben be- schriebenen Missbildungen sehr deutlich zeigen. Je weiter man sich von den kahlen Stellen des Ackers entfernt, desto undeutlicher wer- den die Krankheitssymptome. Wenn man auf einem Roggenacker kahle Stellen sieht — namentlich an den Rändern des Ackers — während diese kahlen Stellen von kränkelnden Pflanzen umgeben sind, so muss sogleich der Verdacht aufkommen, dass man die so sehr sefürchtete Stockkrankheit vor sich hat. — Wenn eine an Stock leidende Roggenpflanze abstirbt, so wandern die Aelchen aus der Pflanze in den Boden; nur wenige, und zwar die noch sehr jungen und kleinen Exemplare, bleiben oftmals in der sterbenden Pflanze zurück, wie ich öfter mich zu überzeugen die Gelegenheit hatte. Dass die Tylenchen-Eier, falls solche sich in den Geweben der Roggenpflanze befinden möchten, beim Absterben dieser Pflanze darin zurückbleiben, ist für sich deutlich. Die zurückbleiben- den Eier sowie die zurückbleibenden Aelchen trocknen mit der Pflanze selbst aus; und wenn letztere später, bei einer spätern Bodenbestel- lung, untergepflügt und in den Boden verborgen wird, können die Eichen und die Aelchen wieder aufleben und die gestorbene Pflanze verlassen, um sich in den Boden zu verbreiten. Man kann also als Regel aufstellen, dass die Aelchen in der einen oder andern Weise wieder aus den Roggenpflanzen in den Boden zurückkehren. Denn auch die Pflanzen, welche ziemlich gesund bleiben und ziemlich normal sich entwickeln, sterben im Sommer ab, wenn die Körner zu reifen anfangen; und so bald das Welken anfängt, wan- dern die Aelehen — wenigstens bei weitem der größere Teil von ihnen — wieder in den Boden hinein. Wieder sind es hier auch hauptsächlich die Eier und die jungen Exemplare, welche in den Pflanzen zurückbleiben; allein auch erwachsene Männchen und Weib- chen sowie größere Larven können in dem trocknen Roggenstroh auf- gefunden werden. Es scheint mir, dass dies namentlich der Fall ist, wenn der Roggen in sehr kurzer Zeit reift und also das Stroh sehr schnell austrocknet. Dann werden die Aelchen, die nicht vor der völligen Austrocknung der Pflanzen den Boden erreichen können, innerhalb der sterbenden und schon toten Gewebe zur Austrocknung gezwungen. Die sehr kleinen Aelehen können nicht so schnell fort- kommen als die völlig ausgewachsenen; deshalb werden sie mehr als die letztgenannten vom Absterben der Blätter und des Halmes über- fallen und bleiben öfter in dem letztern zurück und trocknen aus, ihr aktives Leben mit einem latenten verwechselnd. Und so ist es öfter vorgekommen, dass die Stockkrankheit sieh über früher gar nicht infizierte Aecker verbreitete infolge der Anwendung im Dünger von Roggenstroh, das auf infizierten Aeckern gewonnen wurde. Oben wurde von mir hervorgehoben, dass sich die Stockkrankheit gewöhn- lich anfangs an gewissen Stellen auf dem Acker zeigt und sich von 1536 Ritzema Bos, Untersuchungen über Tylenchus devastatrix Kühn. solehen Stellen aus allmählich weiter verbreitet. Diese Verbreitungs- zentren sind in vielen Fällen diejenigen Stellen, wo während längerer Zeit Dünger lag, der infiziertes Roggenstroh enthielt. Im allgemeinen jedoch kann man sagen, dass der Boden der Träger der Parasiten ist. Während die Roggenpflanzen noch sehr Jung sind, wandern die kleinen Nematoden hinein; sie vermehren sich in den Geweben des Halmes, der Blattscheiden und der Blätter, und zwar in mehrern Generationen; zuletzt, wenn die Roggenpflanzen im Sommer gelb zu werden anfangen, wandern bei weitem die meisten Aelehen wieder in den Boden hinein. Wenn nun auf solchem Boden oftmals Roggen angebaut wird, so verursacht das eine starke Ver- mehrung der Aelchen. Darum herrscht die Stockkrankheit immer am schlimmsten in solehen Gegenden und auf solchen Aeckern, wo die Roggenkultur sehr übertrieben wird. Allein indem man während eines Jahres oder sogar während mehrerer Jahre keinen Roggen baut, so werden dadurch die Parasiten noch keineswegs ausgerottet, obgleich schon die einmalige Kultur von Gerste oder Weizen, die gar nicht resp. fast nicht von der Stockkrankheit zu leiden haben, meiner Erfahrung gemäß einige Linderung des Uebels bringt. Aus dem oben Gesagten geht hervor, dass der Boden als der Hauptträger der Aelchen betrachtet werden muss; und so fällt es leicht zu begreifen, wie die Verbreitung der Parasiten von den oben erwähnten Verbreitungszentren aus stattfinden kann. Zunächst muss ich die Fortbewegung der Aelchen er- wähnen. Diese letztern, welche jedes Jahr nach dem Reifen und Ab- sterben der Roggenpflanzen in stets größerer Zahl in den Boden zurück- kehren, brauchen auch jedes Jahr eine größere Zahl Pflanzen, um darin einzuwandern. Man bemerkt dann auch, wie jedes Jahr die Infektion in radiärer Richtung sich weiter verbreitet (vergl. S. 134). Allein zu dieser Ursache, die von äußern Verhältnissen unab- hängig ist und bei welcher die Würmchen aktiv auftreten, kommen noch andere Ursachen, die in den äußern Verhältnissen liegen, und wobei die Aelchen sich gänzlich passiv verhalten; denn auf den infi- zierten Bodenstücken werden, wie immer, die Bodenteile öfter in Be- wegung gebracht. Auf sehr wenig zusammenhängendem Sandboden hat der Wind auf die Verbreitung der Aelchen großen Einfluss, weil dieser mit dem trocknen, beweglichen Sande die darin enthaltenen Aelchen aufnimmt und sie an andern Stellen, oft in großer Entfernung, niederfallen lässt. Auf einem mehr zusammenhängenden Boden kann von einer Verbrei- tung der Krankheit durch den Wind wohl kaum die Rede sein. Auch das Wasser kann sehr oft die Verbreitung der Aelchen besorgen. Der Regen spült die Teile des Bodens ab, und das Wasser nimmt — indem es die tiefsten Bodenstellen aufsucht — nicht nur Bodenteile, sondern auch die Aelehen mit. So haben denn auch die Ritzema Bos, Untersuchungen über Tylenchus devastatrix Kühn. 137 tiefstliegenden Teile eines Ackers gewöhnlich am meisten von der Stoekkrankheit zu leiden. Zuletzt ist der Mensch selbst einer der Hauptfaktoren der Ver- breitung der Krankheit. Bodenteilchen, die von einer infizierten Stelle eines Ackers herrühren, werden oft an den Fußbekleidungen der Arbeiter, an den Pferdehufen und an den auf dem Acker ge- brauchten Maschinen auf Aecker übergebracht, wo der Roggen bisher gesund war. Aus den bisher mitgeteilten Thatsachen, die Verbreitung der Stock- krankheit betreffend, lassen sich direkt einige Vorbeugungsmittel her- leiten, über welche ich hier ebenso wenig als über andere anzuwendende Mittel Mitteilungen machen will, weil diese in eine der Landwirtschaft geweihte Zeitschrift, nicht aber ins „Biologische Centralblatt“ gehören. Die Stockkrankheit des Hafers. Schwerz (1825) kannte sowohl die Stock- krankheit des Hafers als die des Roggens. Im allgemeinen lässt sich von dieser Krankheit sagen, dass sie der des Roggens in allen Hauptsachen ähnelt, und dass sie an den folgenden Erschei- nungen erkannt wird: die Basis des Halmes ist stark, oft zwiebelförmig angeschwollen; die Be- stockung ist sehr stark ; die Stengel bleiben kurz; die Blätter bleiben meist kurz und sind oft wellen- förmig gebogen, in einigen Fällen grasähnlich. In Deutschland kommt die Stockkrankheit des Hafers meistens auf den Bodenarten vor, wo die Roggenkultur stark übertrieben wird, und wo letzt- genanntes Getreide infolge dessen an Stockkrankheit leidet. Auch in der Provinz Limburg (Niederlande) kommt diese Krankheit in dem Hafer vor, jedoch weit weniger und mit weit geringerer Intensität als beim Roggen. Seit einiger Zeit — namentlich im Jahre 1886 — hat sich in England, hauptsächlich aber in Schottland, eine Krankheit sehr aus- gebreitet, die unter dem Namen „Tulip-root“ (= Tulpenzwiebel, wegen der zwiebelförmig angeschwollenen Halmbasis, „Root-ill“, Thick-root“ und „Segging“) in mehrern landwirtschaftlichen Zeitschriften be- schrieben wurde. (Man lese u. a. das überhaupt sehr verdienstliche „Report of observations of injurious inseets during the year 1886; tenth Report, by Miss Eleanor A. Örmerod“; — und einen Artikel „disease of oats“ in „the Gardener’s chroniele“ for August 7, 1886). Die obenerwähnte Miss E. A. Ormerod, „Consulting entomologist of the Royal agrieultural society“, sandte Herrn Dr. de Man in Middelburg und mir wiederholt an „Tulip-root“ leidende Hafer- pflanzen, und wir fanden beide, oft samt andern Anguilluliden, eine 138 Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. Masse Exemplare von Tylenchus devastatrix in ihnen. Alle andern Angwuilluliden und weitere Organismen konnten in den stockkranken Haferpflanzen fehlen; umgekehrt fehlte jedoch niemals die Tylenchus devastatrie in den „tuliprooted“ Haferpflanzen. Ueber weitere von mir gemachte Erfahrungen betreffend die kranken Haferpflanzen will ich später und anderswo berichten; nur sei hier die Thatsache konstatiert, dass „Tulip-rooted oats“ nichts Anderes als stockkranke Haferpflanzen sind. Der Freundlichkeit Fräulein Ormerod’s ver- danke ich die von ihr gezeichnete beigegebene Figur, welche die Verdiekung der Halmbasis, die starke Bestockung und die vielfachen Biegungen mehrerer klein gebliebener Schosse aufs deutlichste zeigt. (Schluss folgt.) Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. Von Prof. Dr. F. Ludwig. 1. Verbreitungsmittel der Pflanzen. Literatur: E. Huth, Die Klettpflanzen mit besonderer Berücksichtigung ihrer Ver- breitung durch Tiere. Uhlworm et Haenlein, Bibliotheca Botanica. Heft 9, 36 Seiten mit 78 Holzschnitten. Ign. Urban, Ueber die Schleudereinrichtung bei Montia minor. Jahr- buch d. kgl. Bot. Gart. und bot. Museums zu Berlin, Bd. IV, S. 256 bis 259 u. Taf. II Fig. 15—22. F. Ludwig, Die Luftschraubenbewegung mancher Früchte. Sitzungsber. der Bot. Vers. f. Gesamtthüringen, Bd. V, Heft 3, Jena 1886, S. 65. — Noch einmal die Schraubenflieger 1. e. Bd. VI, Heft 1 u. 2, 8. 4—5. H. Dingler, Ueber die Bewegung rotierender Flügelfrüchte und Flügel- samen. Ber. d. deutsch. Bot. Ges. Bd. V, Heft 9, 1887, S. 430—434. Seit dem Erscheinen von Friedrich Hildebrand’s bahn- brechendem Werke „Die Verbreitungsmittel der Pflanzen“ (1873) sind in der Fachliteratur viele kleinere oder größere Aufsätze über die Einrichtungen zur Verbreitung der Pflanzen erschienen, dieselben finden sich aber nur sehr zerstreut. Als ein verdienstliches Unter- nehmen müssen wir es daher bezeichnen, dass E. Huth, der grade um dieses Gebiet sich mancherlei Verdienste erworben, ein größeres Kapitel dieses Teiles der Biologie, die Kletteinrichtungen der Pflanzen, in übersichtlicher umfassender Weise bearbeitet hat. Die Arbeit, welche das Vorkommen von Klettvorriehtungen (Widerhaken, rückwärts gerichteten Stacheln, Borsten u. a. Rauhigkeiten) nach den einzelnen Pflanzenfamilien behandelt und durch Holzschnitte erläutert, unterscheidet 1) eigentliche Kletten oder Verschleppungskletten, 2) Kletterkletten, 3) Ankerkletten, 4) Bohrkletten und 5) Sehüttelkletten. Zu den ersten rechnet Huth diejenigen Haftvorriechtungen der Pflanzen, welche nachweislich zur weitern Verbreitung dienen, wie die Wollkletten (Aanthium, Medicago, Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. 139 Harpagophyton ete.). Es werden indess diese Kletten nicht allein durch wollhaarige Tiere, sondern auch durch den Menschen (Galium Aparine, Geum urbanıum, Bidens, Torilis, Agri- monia, Marrubium, Echinospermum, Cynoglossum), durch Pferde, Schweine etc. verbreitet. Vögel besorgen die Verbreitung bei Uneinia jamaicensis, Villarsia ovata, einigen Limnmanthenum-Arten, Aeschinanthus, Leersia, einigen Polygonum- Arten — nach H. Hoff- mann!) — ebenso vermutlich bei Seörpus compressus, Sc. Tabernae- montani, Sparganium, wo, wie auch bei Stellaria glauca, Teucrium Scordium (Wasservogel), Senebiera Coronopus (Ackervögel), die Ver- breitung mit den Wanderstraßen der Vogelzüge häufig zusammen- fällt. — Die der vertikalen Verbreitung und Ausbreitung der Einzel- pflanze nützlichen Kletterkletten finden sich bekanntlich bei Galium Aparine. Wie diese Pflanze so können sich Flibiscus surratensis, Gro- novia scandens nur durch die Widerhaken ihrer Stengel aufrecht halten, indem sie sich an andere Gegenstände anhaften. Bei Sclero- thrix u. a. Loasaceen dienen Klimmhaare der Blätter diesem Zweck. So bekommen die windenden Stengel von Teramnus volubilis und T. uncinatus und die kletternden Stengel von Hedysarım uncinatum einen größern Halt durch die klettenartige Behaarung. Besonders gut sind die Kletterkletten bei einigen Palmen ausgebildet, die im Urwald mit ihren außerordentlich schlanken Stengeln weithin von Baum zu Baum klettern, wie manche Calamus- und Desmoncus-Arten. Bei ihnen ist die Mittelrippe des Blattes zu einem langen mit starken Wider- haken versehenen Klettapparat umgebildet. Fritz Müller hat früher (Kosmos VI S. 321 ff.) eine von Huth nicht erwähnte Dalbergia be- schrieben, einen Strauch, an dem bestimmte Zweige zu rankenähn- lichen, blattlosen Gebilden umgewandelt sind, welche zudem noch mit Kletterhaken ausgerüstet sind. Ankerkletten werden von Huth nur bei Trapa natans und Ceratophyllum demersum erwähnt, die hier den Zweck haben, den Samen (mit der jungen Pflanze) im Schlamme festzuhalten. Von den Pflanzen, welche ihre Samen selbstthätig in die Erde eingraben, besitzen manche einen zugleich mit einer Klettvor- richtung versehenen Bohrapparat, so Aristida, Stipa, Ero- dium u. a. Malvaceen. — Huth unterscheidet zuletzt als Schieuder- oder Schüttelkletten solche Vorrichtungen, die ein momentanes Festhalten der Früchte und bei ihrem Loslassen ein elastisches Weg- schnellen der Samen bewirken. So werden die großen Widerhaken der Martynia-Arten, die hakig gekrümmten Griffel unserer Papilionaceen, Haken und Krummstachel an S/oanea, die Vorrichtungen bei Lappa, hakig gebogene Fruchtstiele, wie sie z. B. bei Uncaria Unona etc. vorkommen, in ähnlichem Sinne gedeutet. Sie sollen die selbstthätigen 1) Hi: Hoffmann, "Nachträge zur Flora des Mittelrheingebiets. Gießen 1887. 8. 289 — 336. 140 Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. Ausschleuderungsmechanismen bei Hura cerepitans, Impatiens, Arten von Cardamine, Oxalis, Viola, Cyelanthera esplodens, Collomia ete. er- setzen. — Von Schleudereinrichtungen der letztern Art beschreibt Urban an dem aufgeführten Orte eine neue bei Montia minor. Die Kapsel dieser Pflanze, welche eine umgekehrt eirund-kuglige Gestalt hat und ein wenig kürzer ist als die persistierenden Kelchblätter, ist aus 3 Fruchtblättern gebildet, von denen das eine vor eins der Kelch- blätter, die beiden andern Iinks und rechts über das andere Sepalum fallen. Die 3 knötig rauhen, runden, konkaven Samen sind an der Basis befestigt und berühren sich, infolge der Kapselgestalt nach aufwärts unter einander etwas divergierend, auf der Innenseite unweit der Kanten. Die Stelle, an welcher die Kapsel lokulieid aufspringt, ist schon vorher durch 3 nahtartige Linien markiert. Die Ränder der Klappen trennen sich von der Spitze zur Basis hin von einander, rollen sich wenige Augenblicke später ganz allmählich immer stärker nach innen hinein und greifen unter die Samen, so dass diese mehr und mehr frei werden und von den eingerollten Rändern immer stärker an einander gepresst werden. Wenn der Druck der Fruchtschalen so bedeutend geworden ist, dass der durch die warzenförmigen Her- vorragungen der Samen erhöhte Reibungswiderstand überwunden werden kann, werden die letztern fortgeschleudert. Nach der Kata- strophe, welche ungefähr 10 Minuten nach dem Aufspringen der Frucht vor sich geht, sind die 3 Schalenteile zusammengedreht oder eingerollt. Verschiedenartige Experimente ergaben, dass das Ausschleudern der Samen der Montia unter einem Neigungswinkel von 80—83° gegen die Horizontale geschieht, wobei die Samen eine mittlere Höhe von ca. 60 em erreichten, dass die Samen von einem auf der Ebene des Tisches gelegenen Rasen in einer Entfernung von 50—80 cm den Tisch wieder erreichten, während einige bis auf 150 und 200 em weit geflogen waren. Während der Nacht wurden etwas weniger Samen ausgeschleudert als bei Tage u.s. w. Bezüglich der Biegungen und Verlängerungen der Blüten und Fruchtstiele gilt für Montia ähn- liches wie für Holosteum umbellatum, Veronica-, Stellaria- Arten etc. (Abwärtskrümmen des Stieles vor Entwicklung der Blütenblätter, Aufriehten vor dem Aufblühen, Abwärtskrümmen und Verlängerung nach dem Blühen, Aufrichten vor Oeffnung der Samenkapseln). — Bekanntlich finden sich Ausschleuderungsmechanismen der Früchte und Samen in viel allgemeinerer Verbreitung bei den Kryptogamen. Wir erinnern nur an die Eintomophthora muscae, deren Sporen die im Herbst an den Fensterscheiben verendeten Fliegen heiligenscheinartig umgeben, an den zierlichen Prlobolus auf frischem unter die Glas- glocke gebrachtem Pferdedünger, weleher mittags zwischen 11 und 12 Uhr seine Hüte samt Sporen weit wegschleudert. Brefeld, Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. 141 Zalewski u. a. haben für die Aeeidiosporen der Rostpilze, für die Entomophthoreen und die Hymenomyeceten (Agaricus, Coprinus, Cantha- rellus, Russula ete.), Zopf für die Ascomyceten die Mechanik der fast allgemein vorkommenden Sporenejakulation näher untersucht. Aber auch Anker- und Klettvorrichtungen gibt es bei den niedersten Pflanzen, welche Huth von seiner Be- arbeitung ausgeschlossen hat. Auf sie denken wir anderwärts zurückzukommen, hier nur einiges wenige andeutend. Einige imHaar- kleid oder an den Federn der Flugtiere parasitierende höhere Pilze besitzen mit Widerhaken besetzte besondere Anhängsel; so die höchst merkwürdige Appendicularia entomophilaPeck anf Fliegen, die Laboulbeniaceen, das ringsum mit Krallenhaken besetzte Dauermycel von Ctenomyces serratus Eid. auf Vogel- federn. Hierher gehören weiter die Telentosporen der Rostpilze Triphragmium echinatum Lev. und T. elavellosum Beck., von denenersteres mit langen hakig gekrümmten Stacheln — sie dienen wohl zur Verankerung in den haarförmig sefiederten Blättern von Meum, ihrer Wirtspflanze — letzteres mit am Ende 1 bis 2 mal dreigabligen Stacheln mit am Ende zurückgekrümmten Endhäkchen besetzt ist, ferner die ähnlichen Anhängsel bei Unecinula adımca, die eigentümlichen Sporen von Helicomyces, z.B. Helicomyces mira- bilis Peck u. 8. w. Von den Verbreitungseinrichtungen der Früchte und Samen dureh den Wind haben in der Neuzeit diejenigen eine besondere Beachtung gefunden, welche auch vom Laien als Flügel- anhängsel bezeichnet werden — wohl eine Folge unserer Zeitströ- mung, in der Flugeinrichtungen aller Art eine gesteigerte Aufmerk- samkeit erfahren, seitdem das Problem des Menschenfluges und der Luftschiffahrt an Aussichtslosigkeit ein gutes Teil eingebüßt hat. Ich habe zunächst auf die Einrichtungen der sehr schweren Früchte des brasilianischen Schizolobium und die Verwandten unsere Ahorn- arten, Coniferensamen, Hainbuchenfrüchte etc. aufmerksam gemacht, die nach dem Prinzip des als Kinderspielzeug bekannten „Sehraubenfliegers“ ausgebildet sind und darauf hingewiesen, dass diese Flugfrüchte vermöge jener Vorkehrungen außerordentlich lang- sam zur Erde fallen, dagegen leicht durch geringe Luftströmungen auf weitere Streeken hin verbreitet werden können. In einem zweiten Aufsatz habe ich über die gleichzeitig von Müllenhoff über die- selben Früchte angestellten Untersuchungen zum Teil nach Briefen dieses um die Erforschung des Flugvermögens der Tiere so verdienten Forschers berichtet. Müllenhoff hatte früher (Pflüger’s Archiv f. d. ges. Physiol., Bd. XXXV, 1884, S. 407—453, Bd. XXXVI, 1885, S. 548 ff., Zeitschr. d. deutsch. Vereins z. Förderung der Luftschitt- fahrt, 1884, Heft IX, S. 286 ff., Tagebl. d. Naturforschervers. Magde- 142 Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen, burg, 1884, S. 173) nachgewiesen, dass für das Flugvermögen der Tiere, bezüglich für ihre Fähigkeit, ohne Flügelschlag in der Luft zu schweben, die sogenannte relative Segelgröße d. h. das Verhältnis 3 VF:VP, worin P das dureh den Luftwiderstand getragene Gewicht, F die dabei in betracht kommende Oberfläche bedeutet — ausschlag- gebend ist und in derselben Weise einen Schluss auf die Bewegung 3 der Flugtiere zulässt, wie der Quotient a= Y’S:YD, nach dem der Schiffbauer die Größe der Segelfläche (S) für ein bestimmtes Deplace- ment (D) berechnet, einen Schluss auf das Segelvermögen der Schiffe 3 zulässt. Nach der Größe von s = Y’S:Y’D oder übersichtlicher von log s und nach der Form der Flügel wurden bei den Flugtieren unterschieden: Wachteltypus (log s = 0,3 bis 0,5), Sperlingstypus (log s = 0,6 Flügel mittelgroß und mittellang), Schwalbentypus (log s — 0,6 Flügel mittelgroß und sehr lang), Fasanentypus (log s — 0,6 Flügel klein und kurz), Geiertypus (logs — 0,7 Flügel mittel- lang), Möwentypus (log s — 0,7 Flügel sehr lang), Tagfaltertypus (log s = 0,8). Auch bei den Schraubenfliegern unter den Pflanzenfrüchten und Samen ergab es sich, dass nach der Größe des Segelareals der Fall der Samen ein sehr verschie- dener ist. Es war für F 1u D Schizolobium (Papilionacae) 21,50 2,200 3,562 25,20 2,256 3,328 25,20 2,156 3,886 26,20 2,236 >31 26,00 2,029 4,028 Pithecoctenium Aublietii 15,00 0,0652 8,776 (Bignoniaceae) 14,05 0,0632 9,455 Oroxylon indicum (Bignon.) 17,00 0,0790 9,609 18,00 0,0720 9,764 Zanonia macrocarpa (Cueurbitaceae) 46,95 0,1590 11,74 46,40 0,1610 12,72 wo F die Größe des Segelareals in gem, P das Gewicht in Grammen, 3 s = VF:YP die Segelgröße bedeutet. Bei Schizolobium fallen die Samen, die sich bei kräftigem Wurf etwa 2—3 m aufwärts, dann abwärts durch die Luft schrauben, am schnellsten, sie haben etwa die Segelgröße der Vögel vom Sperlingstypus. Weit langsamer bewegen sich die Pithecoctenium-Samen und am langsamsten Zanonia. Am angeführten Orte war es als wünschenswert hingestellt, dass diese und die mannigfachen andern Bewegungsformen, die im Pflanzenreich vorkommen, den Gegenstand einer besondern mathe- matisch-botanischen Untersuchung bilden möchten. Dies ist nun auch Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. 143 für die Schraubenflieger neuerdings geschehen durch H. Dingler. Eine ausführlichere Abhandlung desselben über die Bewegung rotierender Flügelfrüchte und Flügelsamen ist noch im Druck begriffen, eine vorläufige Mitteilung über seine Untersuchungen findet sich a. a. ©. Da die Drehung der meisten Früchte zu rasch vor sich geht, um die Rotationslage der den Insektenflügeln zu ver- gleichenden Anhängsel genau erkennen zu können, so stellte sich Dingler größere Modelle von 10— 14 em Länge möglichst genau nach dem Muster der natürlichen Objekte aus Papier und Holz her. Die Versteifung des vordern Flügelrandes wurde mittels gummierten Papiers oder Kartonstreifehen hergestellt. Diese Modelle funktionierten ganz normal. Außerdem wurden durch ausgedehnte Fallversuche mit willkürlich gestalteten Modellen, namentlich solchen von einfacher Gestalt und Belastung, die Einzelbedingungen zum Zustandekommen der Drehbewegung festgestellt. Es lassen sich bei den für die Weiter- verbreitung schwerer Samen so überaus wichtigen Bewegungseinrich- tungen 3 Einzelvorgänge naturgemäß unterscheiden: 1) Die Annahme der zur Rotation geeigneten Lage, 2) die Rotation selbst, 3) die von der lotrechten Riehtung häufig mehr oder weniger abweichende Flug- bahn, welche die Gestalt einer umgekehrt wie die Rotation verlaufen- den Spirale besitzt. Für die anfängliche Annahme der Rota- tionslage des Flügels ist von Bedeutung die im obern breiten Teile (z. B. der Ahornflügel) ausgesprochene Längs- krümmung seiner Fläche. Sie wirkt wie das Steuerruder im Wasser, indem sie das mit der schwereren Nuss vorausfallende Organ zwingt, sich schief zur Fallrichtung zu stellen und nach der Richtung seiner konkaven Fläche von der senkrechten abzuweichen. Gleich- zeitig neigt sich das Organ infolge seines schweren vordern Flügel- randes mit diesem etwas abwärts, so dass eine Stellung zu stande kommt, deren Riehtung stärkster Neigung etwa vom obern Viertel des hintern leichten Flügelrandes zum untern Viertel des vordern schwerern Flügelrandes verläuft, wobei die Längsaxe des Organs einen Winkel von 50—60° zum Horizont macht. Die Krümmung des Flügels zwingt das Organ auch bei ungünstigster Anfangs- stellung zur Annahme der Rotationsstellung, während bei andern günstigen Stellungen schon infolge der äußerst exzentri- schen Lage des Schwerpunktes Drehungen um die beiden in der Fläche gelegenen Axen (Längs- und Queraxe) resultieren, durch deren Kombination bald die zur Einleitung der Rotation um die (zur Fläche des Organs) senkrechte Schwerpunktsaxe geeignete Lage her- beigeführt wird. — In dieser Lage wirkt der Luftwiderstand der Fallrichtung entgegen so ein, dass seine Resultante nicht durch den Schwerpunkt geht, sondern höher oben den Flügel trifft an einem von der Gestalt desselben abhängigen Punkte (bei den gegen das obere Ende verbreiterten Flügeln unterhalb der Längsmitte). Die 144 Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. bei geneigten Flächen allein zur Wirkung kommende senkrecht zur Fläche gerichtete Komponente des Luftwiderstandes zerlegt sich be- kanntlich wieder in eine vertikal nach oben — als drehendes Moment um die durch den Schwerpunkt gehende Queraxe des Flügels — und eine horizontal — als drehendes Moment um eine durch den Schwer- punkt gehende Vertikalaxe — wirkende Komponente. Das erstere Drehmoment wird um so rascher kompensiert, als die Drehung um die Vertikalaxe rasch überwiegt und die es komponierenden Einzel- drehmomente in den verschiedenen Stellungen während einer Um- drehung einander entgegen wirken. Die zur Fläche senkrechte Schwer- punktsaxe ist nämlich eine beharrliche Hauptträgheitsaxe und gleich- zeitig die Axe des größten Trägheitsmomentes des Körpers. Daher sind die bei der Drehung entstehenden Zentrifugalkräfte sehr bedeu- tend und überwinden den beträchtlichen aufwärts gerichteten Luft- widerstand unter der Beihilfe der nach abwärts gerichteten Kompo- nente des gegen die Rotation wirksamen Luftwiderstands. Die hori- zontale Komponente des letztern verbraucht sich in Verzögerung der Drehbewegung. Es strebt so das anfangs in geneigter Lage rotierende Organ immer mehr nach der horizontalen Lage, indem die peripheri- schen Teile sieh immer mehr von der momentanen Rotationsaxe entfernen. Das Organ fällt nunmehr gleichmäßig rotierend mit gleichmäßiger Geschwindigkeit zu Boden infolge des Gleich- sewichts zwischen der durch den Fall gelieferten lebendigen Kraft und der durch die Rotation geleisteten Arbeit. Die Bahn des ganzen rotierenden Organs, welche häufig eine der Rotationsrichtung antidrome Schraubenlinie ist, ergibt sich aus den Gesetzen der Kreiselbewegung. Gibt man einem rotieren- den Kreisel eine geneigte Axenstellung, so erhält sich nach den aus der Physik bekannten Ableitungen die Neigung und wandert um die vertikale Axe herum, aber mit der Rotationsrichtung gleichsinnig. Der Grund für die rotierende Neigung ist hier die einseitig einwirkende Schwerkraft, bei den rotierenden Flügel- organen ist es dagegen der an der vordern Partie der schief gegen den Luftstrom gestellten Flügel erschwerte Luftabfluss, welcher den Körper um eine horizontale Queraxe zu drehen sucht. Die Drehung erfolgt hier umgekehrt, so dass nach dem Kreiselproblem auch die rotierende Axe eine gegensinnige Bewegung erfährt, aus der dann das Zustandekommen der Schraubenbahn sich einfach erklärt. Es handelt sich hier um dasselbe Prinzip des er- schwerten Luftabflusses, nach dem ein viereckiges Papier, das man in geneigter Lage fallen lässt, um seine Längsaxe so rotiert, dass sich zunächst der untere Rand nach oben bewegt, während das Ganze in der Richtung der ursprünglichen Neigung wie auf einer schiefen Fläche abwärts gleitet — eine Erscheinung, die häufig auch bei dem vom Baume fallenden Laube zu beobachten ist. Reess u. Fisch, Bau und Lebensgeschichte der Hirschtrüffel, Hlaphomyces. 145 M. Reess und C. Fisch, Untersuchungen über Bau und Le- bensgeschichte der Hirschtrüffel, Elaphomyces. Mit einer Tafel und einem Holzschnitt. 24 S. Heft7 der Bibliotheca botanica, herausgegeben von Dr. OÖ. Uhlworm und Dr. F. Haenlein. Fischer, Kassel. Je weniger über die Entwicklung und Biologie der Tuberaceen bekannt ist, um so mehr müssen die vorliegenden Untersuchungen die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Zlaphomyces granulatus und E. variegatus finden sich bei Erlangen in den Kiefernwäldern zwischen den Wurzeln älterer Bäume. Dass die Früchte von Elaphomyces von Wurzeln dicht umhüllt gefunden werden, war von Tulasne (1851) beobachtet und in der spätern Publikation Boudier’s (1876) auf einen möglichen Parasitismus des Pilzes hingewiesen worden, ohne dass jedoch die interessante Frage weiter verfolgt worden wäre. heess beobachtete bei seinen Untersuchungen zunächst, dass die Wurzelhülle, welche die Elaphomyces-Frucht umgibt, und aus welcher sich dieselbe leicht herausnehmen lässt, durch abnorme Verzweigung eines einzigen jungen Wurzelzweiges der Kiefer entstanden ist. Die Wurzeln zeigen die Eigentümlichkeit, dass sie sämtlich Gabelungen besitzen, welche nur unter dem Einfluss des Pilzes entstehen. Die Wurzelspitzen sind sämtlich von einer vollständigen Scheide umgeben, welche aus dem fest verflochtenen Mycel des Elaphomyces besteht. Es kommt ein ähnliches Gebilde zu stande, wie es Frank später als Mycorhiza bei Coniferen- und Cupuliferenwurzeln beschrieben hat, dem er jedoch eine ganz besondere biologische Bedeutung beilegte, indem er eine auch den Bäumen vorteilhafte Symbiose von Pilzen mit Bäumen in diesem Vorkommen erblickte. Nach Reess’ Beobachtungen umhüllt das Mycel nicht bloß die Wurzelspitze, sondern sendet Zweige in deren Parenchym intercellular hinein, sendet aber auch Haustorien in die Zell-Lumina, wobei es jedoch häufig vorkommt, dass die Membran nicht durchbohrt, sondern bloß nach innen aufgetrieben wird. Was nun den Entwicklungsgang des Elaphomyces betrifft, so lässt sich das Mycelium im Boden um die Kiefernwurzeln herum auffinden. Das Mycel bildet 4—5 Mik. breite, in größern Abständen septierte, in der Regel farblose Fäden mit vielfacher Verwachsung, aber mit ge- ringer Schnallenbildung. Die jüngsten Fruchtanlagen, welche bis zur Größe von !/;,mm gefunden wurden, liegen ziemlich frei im Mycelium, welches zwischen den Wurzeln vegetiert. Zu allen Jahreszeiten wer- den Früchte in den verschiedensten Entwicklungstadien nebeneinander gefunden. Die Reife scheint langsam zu sein. Die jungen Früchte selbst sind nicht immer schon mit einer Kiefernwurzel in Berührung, sobald aber später eine Wurzel an die Frucht sich anlegt, tritt auch sofort die lebhafte Verzweigung der Wurzelvegetationspunkte hervor, woraus dann endlich die charakteristische Wurzelhülle hervorgeht. Nach beendigter Fruchtreife stirbt die Wurzelhülle und vermodert. VI. 10 146 Reess u. Fisch, Bau und Lebensgeschichte der Hirschtrüffel, Elaphomyces. Trotz der scheinbar fehlenden anatomischen Verbindung der Elapho- myces-Frucht mit der Wurzelhülle ist dieselbe doch nachzuweisen, wenn die ganze Frucht samt Hülle und Erdkruste in Glyzeringallerte einge- bettet wird und dann Schnitte durch das Ganze gemacht werden. Es lässt sich dann eine innige Verbindung zwischen dem Mycel, welches die Wurzelscheide bildet, und der Fruchtrinde der Elaphomyces- Frucht beobachten. Eine andere Deutung lässt diese Verbindung kaum zu, als dass die Wurzel der Kiefer die Frucht ernährt, doch wurde auch noch experimentell festgestellt, dass die von ihrer Wurzelhülle ge- trennten und isoliert in Erde gelegten KElaphomyces-Früchte zugrunde gehen. Die erste Anlage des Fruchtkörpers konnte noch nicht beobachtet werden, die jüngsten aufgefundenen Stadien waren kleine, aus dem Mycel gebildete Knäuel, deren Entstehung auf vegetativem Wege zu stande kommen muss, da Sexualorgane oder Andeutungen derselben nieht aufgefunden werden konnten. Die Verflechtung dieser Knäuelhyphen wird allmählich eine dichtere, die Intercellularräume verschwinden, und die äußern Hyphen bilden bald ein Pseudoparenchym, die Anlage des Cortex. Das zen- trale Hyphengewebe sondert sich sodann in Peridie und den zentralen Kern, während welcher Vorgänge die ganze Frucht durch intercalares Wachstum zunimmt. Bezüglich der Weiterentwicklung der Frucht muss auf die ausführliche Darlegung im Original verwiesen werden. Hervorgehoben sei nur die Feststellung der Thatsache, dass die asco- senen Fäden als Sprossungen der innersten Peridienschicht entstehen. An diesen Hyphen entstehen die Asci entweder am Ende der Fäden oder als seitliche Zweige. Die Asei sind kugelige Anschwellungen, welche sich erst spät durch eine Querwand von ihrem Tragfaden ab- gliedern. Die Anzahl der in den Asei entstehenden Sporen wechselt zwischen 8 und 2. Ihre Ausbildung erfolgt ungleichzeitig. Die Aus- bildung der Sporen bietet ganz eigentümliche Momente dar, indem der Inhalt sich in merkwürdiger Weise differenziert. Eine anfangs die Reaktion von Hyaloplasma zeigende, später cellulose-ähnlich wer- dende Masse nimmt allmäblich zu, während das Körnerplasma zu einem kleinen Rest zusammenschrumpft. Nach der Ausbildung der Sporen lagert sich eine Hülle des Ascusplasma um jede Spore. In dieser Hülle treten nun noch eigentümliche Veränderungen auf, indem die Körnchen des Plasmas allmählich sich zu soliden Stäbchen ge- stalten, welche eine radiale Struktur der Hülle hervorbringen. Mit der Reife der Sporen, die durch Auflösung der Asei frei werden, geht die innere Umbildung des Fruchtkörpers Hand in Hand. Das innere Gewebe schwindet und vertrocknet, so dass schließlich das braune Sporenpulver den Hauptinhalt der reifen Frucht bildet. Die bei den Tuberaceen noch immer unbekannte Keimung der Sporen konnte auch bei K/aphomyces auf keine Weise beobachtet werden. Keine der Zopf, Haplococcus reticulatus. 147 vielfachen äußern Bedingungen, welche die Verfasser in jahrelanger Bemühung herzustellen suchten, führten zum Ziel. Bezüglich der Ein- zelheiten in diesem Punkte sei auf das Original verwiesen. Was nun die biologischen Beziehungen zwischen Elaphomyces und Kiefer anbetrifit, so stellen die vorliegenden Beobachtungen zunächst den Parasitismus des Pilzes auf den Kiefernwurzeln außer Zweifel. Hinsichtlich der Symbiosenfrage aber mag der einschlägige Schluss- satz der Originalabhandlung wörtlich angeführt werden. „Mir steht, lediglich für das Verhältnis der Kiefer zu Elaphomyces und umgekehrt betrachtet, das erforderliche Material von Thatsachen und Versuchen zur Entscheidung der Symbiosenfrage nicht zu gebote. Ob die vorhin erwähnten gesunden glatten Saugwurzeln Nährstofflösungen aus dem Boden aufnehmen können, weiß ich nicht. Auch wird damit, dass man auf wurzelpilzlose jüngere Versuchskiefern, auf die Möglichkeit, junge Kiefern in Wasserkultur zu ziehen, und auf den Umstand verweist, dass man nicht nur an Kiefernkeimpflanzen, sondern, wie ich bestimmt versichern kann, auch an mehrjährigen Kiefern zuweilen typische Wurzelhaarbekleidung antrifft, die Streitfrage noch nicht zu ungunsten Frank’s entschieden. Höchstens folgt daraus, dass der Wurzelpilz der Kiefer zu ihrer Ernährung nicht unerlässlich ist, und diese Folge- rung möchte ich persönlich auch gezogen haben. Aber ebenso wenig kann man sich der Erwägung anschließen, dass mit dem Vorhanden- sein der zunächst vom parasitologischen Gesichtspunkte aus zerglie- derten Organisation der Wurzelpilzscheide die Möglichkeit, sie liefere auch Wasser und wässerige Lösungen aus dem Boden in die Wurzel hinein, ziemlich nahe gelegt ist. Leider weiß man aber überhaupt nicht, was die Wurzelpilzscheide aus dem Boden aufnimmt“. Hansen (Erlangen). Berichtigung zu Haplococcus reticulatus Zopf. Unter diesem Namen hat Zopf (Biol. Centralbl., Bd. III, Nr. 22) ein Gebilde beschrieben, welches, im rohen Schweinefleisch aufgefunden, nach des Autors Vermutung ein im Fleisch schmarotzender Schleim- pilz sein sollte. Ueber diesen Gegenstand veröffentlicht nun Herr Prof. Dr. Josef Moeller in Innsbruck (in Real-Eneyel. d. ges. Pharmacie) folgende Berichtigung: „Der Haplococcus ist nur in dem einen von Zopf beschriebenen Falle und seither nie wieder beobachtet worden. Die Beschreibung und die Abbildung von Zopf (l. ec.) lassen keine Zweifel darüber, dass die sogenannten „tetraädrischen Dauersporen“ nichts anderes sind, als Sporen von Lycopodium. Die sog. Sporangien haben die größte Aehnlichkeit in Form und Größe mit den Pollenkörnern vieler Dikotyledonen, namentlich erinnern die buckelartigen Hervor- 102 1) 148 Will, Zur Entwicklung der viviparen Aphiden. treibungen oder „flache Papillen“, wie Zopf sie nennt, an die für Pollenkörner typischen Austrittsstellen des keimenden Pollenschlauches. Die Beobachtung von Zopf dürfte sich demnach auf eine zufällige Verunreinigung des Schweinefleisches beziehen und es wäre Haplo- coceus reticulatus Zopf aus der Literatur zu streichen. Obwohl 4 Jahre seit der Publikation Zopf’s verstrichen sind, ist eine Berichtigung seiner Mitteilung bisher noch nicht erschienen“. Dazu erklärt Herr Prof. Dr. Zopf: „Vorstehende Bemerkung ist richtig. Ich habe mich seiner Zeit, als ich noch Anfänger im Studium der niedern Organismen war, grob, sehr grob getäuscht, was ich um so offener eingestehe, als ich mittler- weile der Erforschung solcher niedern Organismen, wie bekannt, einen großen Teil meiner wissenschaftlichen Thätigkeit gewidmet und einen reichen Schatz von Erfahrungen auf diesem Gebiete gesammelt habe, der es mir gestattet, jene Jugendsünde mit etwas mildern Augen anzusehen. Bemerken will ich noch, dass ich dem Autor vorstehender Be- merkung auf eine diesbezügliche Anfrage in obigem Sinne geantwortet habe, was derselbe in seiner Publikation hätte anführen sollen. Was die von mir im Schweinefleisch gesehenen Amöben zu bedeuten haben, hoffe ich noch zu ermitteln. Uebrigens sei nicht unerwähnt gelassen, dass Herr Prof. M. Reess schon vor ein paar Jahren mir, wenn ich nicht irre, Andeutungen über jenen Sachverhalt gemacht hat. W. Zopf“. M. Reess (Erlangen). Zur Entwicklungsgeschichte der viviparen Aphiden. Von Ludwig Will (Rostock). I. Gastrulation. So abweichend und kompliziert sich auch die Entwicklung der viviparen Aphiden durch das Vorhandensein eines sekundären Nahrungs- dotters und durch das außerordentlich frühe Eintreten der Embryonal- entwicklung gestaltet, so wichtig ist sie doch für das richtige Ver- ständnis der Insektenentwieklung überhaupt, weil grade die Aphiden gewisse ausschlaggebende Vorfahrencharaktere mit der größten Zähig- keit festgehalten haben, die wir in der Entwicklung der übrigen In- sekten nahezu ganz verwischt finden. In einer Arbeit über die Ei- und Blastodermbildung der Aphiden!) bemerkte ich bereits, -was auch schon von Metschnikoff gesehen wurde, dass das Blastoderm nicht die ganze Eioberfläche überzieht, sondern am untern Eipol eine rundliche Stelle frei lässt. Am Rande dieser untern Oeffnung beginnt alsbald eine lebhafte Zellwucherung; die neugebildeten Zellen lösen sich von demselben ab und wan- 4) Arb. Zool.-Zoot. Instit. Würzb. Bd. VI. 1883. Will, Zur Entwicklung der viviparen Aphiden. 146 dern in den vom Blastoderm umgebenen Dotter ein. Wir haben hier demnach eine echte Gastrula vor uns; das Blastoderm stellt das Ektoderm, die untere Oeffnung den Blastoporus und die an dem Rande desselben entstandenen und in den hellen Dotter eingewan- derten amöboiden Zellen das Entoderm derselben dar. Eine derartig typisch verlaufende Gastrulation ist bisher von den Insekten noch nicht bekannt geworden. Die Aphiden haben demnach in diesem Punkte ihren ursprünglichen Charakter mit größerer Rein- heit bewahrt, als alle andern bisher untersuchten Insekten; sie lehren uns die bisher unverständlichen Modifikationen der Gastrulabildung bei den Insekten mit demselben Vorgange in andern Tiergruppen in Einklang bringen. 2. Anlage der Scheitelplatten, Auftreten der bilateralen Symmetrie. Die erste Veränderung der jungen wachsenden Gastrula besteht in einer Verdiekung des Blastoderms am Scheitelpol, welche zur Scheitelplatte wird, einem Gebilde, welches der Hauptsache nach die Anlagen für das Gehirn abgibt und demnach hinsichtlich seiner Genese wie seines fernern Schicksals vollkommen homolog dem glei- chen Gebilde bei den Würmern ist. Zeigt die junge Gastrula anfangs einen ziemlich vollkommen strahligen Bau, so beginnt nach dem Auf- treten der Scheitelplatte sich bald die spätere bilaterale Symmetrie bemerkbar zu machen. Sie hat ihre nächste Ursache in Wachstums- differenzen und daraus resultierenden Lageverschiebungen innerhalb des äußern Keimblatts. Während die eine Hälfte des Blastoderms sich außerordentlich verjüngt und allmählich zu einer dünnen Haut, der Serosa, wird, verdiekt sich die andere Seite und besonders die Seheitelplatte in ganz auffallender Weise. Je mehr diese Verdiekung zunimmt, um so mehr macht sich gleiehzeitig eine Verkürzung der ge- samten verdiekten Partie des Blastoderms bemerkbar. Infolge dessen rückt die Scheitelplatte immer mehr an der einen Seite der Gastrula herab, bis sie schließlich an den untern Pol des Eies hinanreicht. Es gibt jetzt nur noch eine Ebene, die Medianebene, welche den Embryo in zwei gleiche Hälften teilt; diese sind auch nicht mehr kongruent, sondern nur noch symmetrisch. Die bilaterale Symmetrie kommt dadurch noch mehr zum Aus- druck, dass sich die Scheitelplatte schon sehr früh in zwei jederseits von der Medianebene gelegene Scheitellappen teilt. 3. Anlage des Keimstreifens und des sekundären Dotters. Das Verständnis der Bildung des Keimstreifens ist bei den viviparen Aphiden wesentlich durch den gleichzeitig auftretenden se- kundären Dotter erschwert. Dieser letztere dringt von außen in das Ei ein, kann aber nur dadurch in dasselbe gelangen, dass sich das Ei mit dem noch offenen Blastoporus an das Follikelepithel anlegt 150 Will, Zur Entwicklung der viviparen Aphiden. und mit demselben verwächst. Diese Verbindung kommt nun in ein- zelnen Fällen abnormer Weise nicht zu stande, und da alsdann auch vom Epithel her kein Dotter in das Ei eintreten kann, so können solehe Eier, von dem störenden Faktor befreit, uns das Verständnis der Keimstreifbildung wesentlich erleichtern. Sie zeigen uns direkt, wie die Keimstreifbildung verlaufen würde, wenn die Aphiden des sekundären Dotters überhaupt entbehrten, und gestatten uns daher einen Rückschluss auf die Aphidenvorfahren, die jedenfalls diesen accessorischen Dotter gleichfalls nicht besaßen. Nachdem nämlich die Entodermzellen in das Lumen des Eies eingewandert sind, beginnt der Blastoporus, indem die Zellen seiner Lippen fortfahren sich lebhaft durch Teilung zu vermehren, sich zu schließen. Durch Beobachtungen an andern Bilateralien wissen wir, dass die Ränder des Blastoporus hierbei nicht konzentrisch gegen einander wachsen, sondern dass dieses Wachstum vorzüglich von zwei einander gegenüberliegenden Seiten ausgeht, so dass der Schluss des Gastrulamundes nicht in Form eines rundlichen Nabels, sondern in Gestalt einer Naht (Prostomialnaht) erfolgt, die in der Längs- richtung des Embryo verläuft. Es kann kaum zweifelhaft sein, dass auch bei Aphis der Blastoporus sich in einer solchen Längsnaht schließt, was allerdings nicht nachgewiesen werden konnte. Infolge des stattgehabten Verschlusses ist aber über dem Blastoporus ein kurzer Keimstreif in Gestalt eines niedrigen Hügels (Keimhügel Metschnikoff’s) entstanden. Ein derartig kurzer Keimstreif ist für die Arthropoden überhaupt charakteristisch; selbst bei Formen, in denen er später eine so mächtige Ausdehnung annimmt, ist er dennoch auf eine ursprüngliche Anlage von ganz geringer Ausdehnung zurückzuführen. Leider habe ich von solehen abnormen Eiern keine spätern Sta- dien gefunden. Allein das Beispiel der übrigen Hemipteren, der Li- belluliden und auch der Myriapoden lehrt uns, wie wir uns den weitern Verlauf der Entwicklung zu denken haben. Wie bei den angeführten Formen wird auch in unserem Falle der kurze Keimstreif sein Längen- wachstum dadurch bewerkstelligen, dass er sich handschuhfingerartig in den Dotter einstülpt. Mit dem Auswachsen des Keimstreifens aber würde gleichzeitig die anfangs kurze Prostomialnaht in die Länge gezogen werden und so mit der Mesodermfurche in Verbindung zu bringen sein. Dieser Gang der Entwicklung jedoch, der höchst wahrscheinlich bei den Vorfahren der Aphiden der gewöhnliche war, tritt bei unsern heutigen Blattläusen nur noch in den seltenen Fällen ein, in denen es infolge mangelnder Verbindung mit der Wandung des Eifachs nicht zur Bildung von sekundärem Dotter kommt, in Fällen also, die wir in anbetracht ihrer Seltenheit als abnorm zu bezeichnen haben. Will, Zur Entwicklung der viviparen Aphiden. 151 Bei allen normal sich entwickelnden Eiern dagegen legt sich das Ei während oder gleich nach der Entstehung des Entoderms mit dem Blastoporus dem Follikelepithel dicht an. An der betreffenden Stelle des Epithels aber tritt die Bildung einer körnigen, dotterartigen Sub- stanz ein unter gleichzeitiger teilweiser Atrophie der hier gelegenen Epithelzellen, und die neugebildeten Dotterelemente dringen durch den Blastoporus als sekundärer Nahrungsdotter in das Ei ein. An Längsschnitten durch derartige Stadien kann man sein allmähliches Vordringen Sehritt für Schritt verfolgen. Bezüglich der von Witlaezil gemachten Angaben will ich nur bemerken, dass seine diesbezügliche Schilderung durchaus unrichtig ist. Unrichtig ist ferner, dass der fragliche Dotter eine zellige Beschaffenheit besitze; er ist im Grunde nichts als eine tote Nahrungsmasse, die dem Embryo vom Epithel her durch eine placentenähnliche Bildung zugeführt wird. Dagegen hat Witlaczil recht, wenn er den sekundären Dotter in Beziehung zum Follikelepithel bringt. Da nun gleichzeitig mit dem eben geschilderten Prozess die Bil- dung des Keimstreifens vor sich geht, so kann dieser des Dotters wegen nicht den ganzen Blastoporus zum Verschluss bringen, kann daher auch nicht die Gestalt eines soliden Hügels annehmen, sondern muss sich in Form eines ringförmigen Wulstes anlegen, dessen Durch- bohrung von dem einwandernden Dotter eingenommen wird. Während nun bei andern Hemipteren, deren Keimstreif eine solehe Durch- bohrung nicht zeigt, derselbe sich bei seinem Längenwachstum hand- schuhfingerartig in den Dotter einstülpt, wächst der Ringwulst der viviparen Aphiden zu einem Zylinder aus, der an seiner Spitze die Oefinung für den einströmenden Dotter zeigt, an seinem Grunde aber ebenso wie bei den übrigen Hemipteren allseitig in das Blastoderm übergeht. Diese obere Oeffnung ist nichts Anderes als der durch den auswachsenden Keimzylinder emporgehobene, für den einwandernden Dotter offen gehaltene Rest des Blastoporus. Erst nachdem die Ver- bindung des Embryo mit dem Follikel gelöst ist und damit die Bil- dung des sekundären Dotters ihren Abschluss erreicht hat, kommt auch dieser letzte Rest des Blastoporus zum Verschluss. Damit aber zeigt auch der Keimstreif von Aphis wieder dasselbe Bild, wie es bei andern Insektenembryonen mit invaginiertem Keimstreif gefun- den wird. Somit gilt auch für unsere jetzt lebenden Aphiden der Satz, dass sich der Keimstreif über dem ehemaligen Blastoporus anlegt. Inbetreff des Verhältnisses des sekundären Dotters zu den im Innern des Eies befindlichen Entodermzellen ist hervorzuheben, dass dieselben in keiner Weise von dem letztern beeinflusst werden, indem die Partikel des sekundären Dotters lediglich die Maschenräume des die Entodermzellen verbindenden Plasmanetzes einnehmen, dieselben 152 Will, Zur Entwicklung der viviparen Aphiden. Lückenräume also, die früher von dem primären Dotter eingenommen wurden. Von einem Verdrängen, ja gänzlichem Schwinden des Ento- derms, wie Witlaezil will, ist gar keine Rede. 4. Auftreten der Geschlechtsanlagen und des Mesoderms. Unmittelbar nach dem Auftreten des anfangs zylindrischen Keim- streifens, stets aber noch vor der Anlage des mittlern Keimblatts, nehmen von den noch indifferenten Zellen der der Scheitelplatte an- liegenden verdickten Seite des eingestülpten Keimzylinders einige ganz bedeutend an Größe zu, vermehren sich lebhaft durch Teilung und stellen alsdann einen rundlichen Zellenhaufen, die erste Anlage der Geschlechtsorgane dar, welche stets den obern Rand des Keim- zylinders einnimmt und das beschriebene Aussehen noch lange, etwa bis in die Zeit bewahrt, wo die Bildung des Mitteldarms vor sich seht. Ueber die Zugehörigkeit der Genitalanlage zu einem der drei Keimblätter lässt sich sehr streiten; manches spricht für einen ekto- dermalen Charakter, doch ist sie wohl gleich den Polzellen der Dip- teren als eine indifferente Bildung aufzufassen, die keinem bestimmten Keimblatt zugerechnet werden kann. Unmittelbar an das Auftreten der Geschlechtsanlage schließt sich die Bildung des Mesoderms, welches entgegen der Angabe Witla- cezil’s durch einen Invaginationsprozess innerhalb einer Furche ent- steht, die sich längs der Medianlinie der verdiekten Seite des Keim- zylinders hinzieht, wie Quer- und Längsschnitte durch derartige Sta- dien beweisen. Diese Mesodermfurche ist entweder identisch mit der durch das Auswachsen des Keimzylinders in die Länge gezogenen Prostomialnaht, oder ist wenigstens an derselben Stelle entstanden, wo diese Naht ehemals gelegen war. So entsteht bei Aphis das Me- soderm an derselben Stelle, an welcher der Blastoporus zum Verschluss gekommen ist, es steht daher in nachweisbarer Beziehung zum Gastru- lationsvorgang. Die Bildung von Entoderm und Mesoderm dokumentieren sich demnach bei Aphis als zweiaufeinan- derfolgende Stadien ein und desselben Vorgangs, der Gastrulation. Bei allen andern bisher untersuchten Insekten, vielleicht mit Ausnahme von Teleas (Ayers) sind diese beiden Phasen so sehr auseinander gezogen, dass ihre Zusammengehörigkeit nicht mehr ohne weiteres erkannt werden kann, dass sie als zwei verschiedene Vorgänge erscheinen. 5. Die Entstehung der Embryonalhüllen. Bei den Myriapoden noch sehen wir das gesamte Blastoderm und den ganzen Keimstreifen am Aufbau des Embryo sich direkt beteiligen. Das Blastoderm liefert die Rücken-, der Keimstreif die Bauchseite des Embryo. Der Keimstreif entwickelt daher auch bei den Tausend- füßlern in seiner ganzen Ausdehnung Extremitäten. Will, Zur Entwicklung der viviparen Aphiden, 153 Das trifft jedoch für die Aphiden sowie für alle übrigen Insekten nicht mehr zu, sondern bei ihnen werden ansehnliche Teile des Blasto- derms sowohl wie des Keimstreifens zur Bildung komplizierter Em- bryonalhüllen verwandt. Schon zu der Zeit, wo die Scheitelplatte vom obern Pol nach abwärts wandert, bemerkt man eine auffallende Verjüngung der der Scheitelplatte gegenüberliegenden Blastodermhälfte. Dadurch wird im Laufe der Zeit diese Seite des Blastoderms zu einer dünnen Haut, der Serosa ausgezogen, welche die äußere Embryonalhülle darstellt. In gleicher Weise wird jene ganze Hälfte des Keimstreifens, welche der Serosa zugewandt ist, schon sehr früh zu einer ähnlichen Haut, dem Amnion umgebildet, welches als innere Embryonalhülle fungiert. Amnion und Serosa gehen ebenso ineinander über, wie sie anderseits mit der Scheitelplatte und dem Keimstreifen unmittelbar zusammenhängen. Eine völlige Trennung der beiden Hüllenbildungen im Sinne Witlaczil’s erfolgt zu keiner Zeit. Man hat bisher die Invagination des Keimzylinders bei den In- sekten immer als einen Vorgang angesehen, der lediglich die Bildung der Embryonalhüllen zum Zweck habe und daher vergeblich nach einer entwicklungsgeschichtlichen Erklärung dieser komplizierten Bil- dungen gesucht. Dieselbe ist in der That einfacher, als man vermuten sollte. Ich werde nämlich in meiner bereits im Druck befindlichen definitiven Arbeit zeigen, dass diese Invagination nur durch das Längenwachstum eines anfangs kurzen Keimstreifens bedingt ist und schon bei den Myriapoden und andern Arthropoden in Form einer Bauchkrümmung vorkommt, die sich bei den Myriapoden sogar zu einer ganz ähnlichen Invagination des Keimstreifens steigert. Es ist demnach die Invagination bei den Insekten keine zum Zweck der Embryonalhüllenbildung aufgetretene Neubildung, sondern vielmehr eine altererbte Erscheinung. Mithin sind die Embryonalhüllen der Insekten nur als Umbildungen von Teilen des Blasto- derms und des Keimstreifens anzusehen, die bereits bei den Vorfahren in der Anlage vorhanden waren. 6. Die Segmentierung und die Entstehung der Leibeshöhle. Die Bildung des Mesoderms beschränkt sich nur auf den eigent- lichen Keimstreifen, d. h. auf die Gegend zwischen dem künftigen Munde und dem After, woselbst es sich in Form einer unpaaren me- dianen Platte anordnet. Der vor dem Munde gelegene präorale Ab- schnitt des Kopfes, der nicht mit an der Invagination des Keim- streifens teilnimmt und seine äußerliche Lage stets bewahrt, ist lange Zeit hindurch völlig mesodermlos. Erst kurz vor dem Beginn der Segmentierung wachsen in diesen Abschnitt ein paar Fortsätze der Mesodermplatte sekundär hinein, womit der präorale Kopfteil in scharfen Gegensatz zu dem übrigen Körper tritt. 154 Will, Zur Entwicklung der viviparen Aphiden, Die Segmentierung beginnt damit, dass, von der Fläche ge- sehen, Querfurchen in der Mesodermplatte sichtbar werden, welche der Ausdruck von Verjüngungen des Mesoderms an den künftigen Segmentgrenzen sind. Darauf teilt sich dann die unpaare Mesoderm- platte in zwei laterale Stränge, welche die Medianlinie des Keimstreifens vollständig frei machen und nur in der Gegend des künftigen Mundes zusammenfließen. Hier bleibt das Mesoderm stets unpaar, um dann weiter nach vorn in die beiden erwähnten Kopffortsätze des Meso- derms auszulaufen. Mit dem Auftreten der Extremitätenanlagen rücken sodann die Mesodermstränge des Rumpfes in diese hinein und bilden, indem sie die Faltungen des Ektoderms mitmachen, die erste Anlage der Seg- menthöhlen. Das unpaare Mesoderm der Mundgegend wird infolge des Auftretens der Mundeinstülpung nach vorn geschlagen und rückt in den mit der Mundeinstülpung sich ausbildenden Vorderkopf; ebenso rücken die Kopffortsätze des Mesoderms in die Antennenanlagen. Sämtliche Segmenthöhlen, sowohl die des Rumpfes wie die drei Höhlen des präoralen Abschnitts, entstehen bei Aphis nicht, wie das Kowalevsky für Hydrophilus beschreibt, durch Auftreten eines Spaltes innerhalb eines mehrschichtigen Mesoderms, sondern als eine Faltung einer einschichtigen Mesodermlamelle infolge der Extremi- tätenbildung. Sie sind daher sämtlich gegen die Medianebene des Körpers zu offen. Der vollständige Abschluss der Leibeshöhle wird dadurch hergestellt, dass das Mesoderm allmählich aus den Extremi- täten herauswächst, indem die ventrale Lamelle die Bauchseite, die dorsale die Riückenseite überzieht. Die Mund- und Enddarmeinstül- pungen sind bei ihrem Auftreten völlig mesodermfrei. Das Peritoneal- epithel des Darmes entsteht dadurch, dass erst nachträglich bei dem Heraustreten des Mesoderms aus den Extremitäten der Darm vom Munde und vom After her vom Mesoderm überzogen wird. Die so gebildete Leibeshöhle ist eine sekundäre; ihr voran seht eine primäre Leibeshöhle, die in Form eines Spaltes zwischen dem Blastoderm und dem anliegenden Teil des Keimstreifens auftritt. Auch der reine Charakter der sekundären Leibeshöhle bleibt nicht erhalten, indem das gesamte parietale Mesoderm zur Muskelbildung aufgebraucht wird. Nur das Darmperitoneum bleibt erhalten, das semeinsam mit dem entodermalen Fettkörper, welcher so ziemlich die Stelle des parietalen Peritoneums ersetzt, die definitive Leibeshöhle umschließt. 7. Die Produkte der Keimblätter. Mit dem Auftreten der primären Leibeshöhle im präoralen Ab- sehnitt und in den ersten Rumpfsegmenten wandern große Massen von Entodermzellen aus dem Dotter aus und treten in die im Vorder- körper entstandene Höhle ein. Einzelne derselben legen sich dem Schiller Tietz, Vererbung erworbener Eigenschaften. 155 Gipfel der Mundeinstülpuug an und bilden so die ersten Anfänge des Mitteldarms. Indem sich immer mehr Entodermzellen anschließen, wird der Mitteldarm länger und länger, entbehrt aber anfangs noch des Lumens. Die Bildung desselben wird dadurch eingeleitet, dass sich der Gipfel der Mundeinstülpung nach dem Mitteldarm hin öffnet, worauf dann von vorn nach hinten fortschreitend das Darmlumen sich bemerkbar macht. Eine ähnliche Auswanderung von Entoderm- zellen findet etwas später auch am Hinterende des Embryo statt, indem sich hier die Entodermzellen in ähnlicher Weise der Afterein- stülpung anlegen, um den hintern Abschnitt des Mitteldarms zu bilden. Der letztere nimmt daher von zwei Punkten, vom Munde und vom After her, seine Entstehung, um zuletzt in der Körpermitte fertig zu werden. Alle nicht zum Aufbau des Mitteldarms aufgebrauchten Ento- dermzellen werden, soweit sie nicht in dem persistierenden sekun- dären Dotter zurückbleiben, zur Bildung des Fettkörpers und des Blutes verwandt. Das Mesoderm liefert die Peritonealhülle des Darmes, das Herz, über dessen Bildung ich übrigens nicht ins klare kommen konnte und vor allen Dingen die Muskulatur. Das Ektoderm bildet die Tracheen, das Epithel von Mund- und Enddarm, die Haut mit ihren Sinnesorganen sowie das Nervensystem. Der Gegensatz zwischen Kopf und Rumpf, der sich schon durch das Verhältnis dieser Teile zum Mesoderm ausprägt, tritt noch deutlicher in der Bildung des Nervensystems hervor. Die Scheitelplatte näm- lich, welche die Anlage für das Gehirn abgibt, legt sich im Gegensatz zu andern Insekten bei Aphis außerordentlich früh, bereits zu einer Zeit an, wo vom Keimstreifen und Rumpf noch nichts vorhanden ist. Sie tritt schon an der Gastrula auf und zwar genau wie bei den Würmern am Scheitelpol derselben. Die Bildung des Bauchmarks selbst bietet nichts Besonderes. Vererbung erworbener Eigenschaften. Im Anschluss an die im VII. Bd. dieses Blattes S. 427, 531, 575, 667, 673 u. 720 niedergelegten Fälle und Betrachtungen betreffend Vererbung erworbener Eigenschaften sei es mir gestattet, einige weitere Bemerkungen und Anregungen zu diesbezüglichen Beobacht- ungen zu machen. In der ganzen Umgegend der Hoch-Acht in der Eifel wird den jungen Katzen von ca. '/, Jahr, bevor sie zu mausen anfangen, der Schwanz mit einem Beile etwa handlang abgehauen. Nach dem Aber- glauben der Bewohner findet sich in der Schwanzspitze ein Wurm vor, und so lange die Schwanzspitze nicht entfernt ist, soll die Katze das Mausen auch nicht lernen. Eine Vorliebe für etwas Absonder- 156 Schiller Tietz, Vererbung erworbener Eigenschaften. liches liegt hier bei der geistig unentwickelten stupiden Bevölkerung nieht vor, die Verstümmelung geschieht einzig und allein ohne Aus- nahme bei allen Katzen aus dem alleinigen Interesse, die Katzen zu fleißigerem Mausefangen zu veranlassen. Wir haben hier also einen ganz analogen Fall, wie er durch Döderlein aus einzelnen Gegen- den Japans berichtet wird (Biol. Centralbl., VII, S. 721). Ebenso steht hier fest, dass die Katzen durchweg etwas kurzschwänziger sind, als das sonst allgemein der Fall ist. Diese Erscheinung ist mir schon vor mehrern Jahren aufgefallen; wenn auch die Differenz nicht sehr bedeutend ist und ich seinerzeit keine Messungen angestellt habe, so ist der Unterschied doch ohne weiteres in die Augen springend. Die durchweg arme Bevölkerung treibt Kleinwirtschaft, Ackerbau und Rindviehzucht, und zwar wird eine kleine Mischrasse gehalten. Da das Vieh viel auf die Weide getrieben wird, kommen einseitige Hornverluste sehr häufig vor. Nun ist es hier eine leicht zu konsta- tierende Thatsache, dass das nachwachsende Horn in den weitaus meisten Fällen deformiert ist, d. h. es bleibt kleiner, als das andere, gebliebene Horn, ist fast immer verkümmert und hat höchst selten die Richtung und Windung bezw. Biegung des alten Hornes. Hier habe ich gleichfalls vor Jahren mehrmals Gelegenheit ge- habt zu beobachten, dass Kühe mit derartigen unsymmetrischen Hörnern sehr gern Junge werfen, welche gleichfalls derartige ungleichartige Hörner tragen, d. h. dass das der betreffenden Seite entsprechende Horn des Kalbes ebenfalls deformiert ist in Größe, Bau, Windung und Richtung, während doch in der Regel die beiden Hörner einander sich in allen Stücken gleichbleiben und entsprechen. Da das Rind dort (Kuh wie Ochse) Zugtier ist und im Joche geht, sind derartige ungleicehmäßige Hörner bei dem Kleinbetriebe dem Besitzer des Tieres nicht selten hinderlich. Zweimal habe ich nun beobachtet, wie die Besitzer einer Kuh vor dem Belegen durch den Bullen beide Hörner absägten, damit das Junge gute Hörner bekommen möchte. Mit welchem Erfolg das geschehen ist, habe ich nicht mehr feststellen können. In der Viehzucht eröffnet sich uns hier ein reiches Beobachtungs- feld, und intelligente Viehzüchter und Besitzer großer Viehbestände könnten ohne Kosten, ohne viele Mühe und ohne besondere Umstände bei gewissenhafter Beobachtung und Registrierung ein reiches Material liefern. Vor allen Dingen können aber die wissenschaftlichen Leiter ete. der zoologischen Gärten ein noch weit umfangreicheres wertvolles Material sammeln, einerseits weil sich in diesen Instituten die Be- obachtungen auf weit mehr Arten erstrecken können, und weil andern- teils hier aus andern Gründen Hörner, Hauer, Stoßzähne, Klauen, Krallen, Ohren, Schwanz ete. so vielfach gestutzt bezw. abgesägt, abgeschnitten oder ausgezogen werden. Wenn in den Bestände- Dewitz, Die großen zoologischen Landesmuseen. 457 Büchern dieser Institute auch nach dieser Richtung hin sorgfältige Registrierungen gemacht würden, so müsste sich mit der Zeit daraus ein unschätzbares Material ergeben. Endlich sei noch auf einen Punkt verwiesen: Hühnern und anderem Geflügel werden von praktischen Züchtern und auch in zoologischen Gärten vielfach die Flügel gestutzt, um die Tiere am Fluge zu hin- dern. Auch hier dürften sich leicht in der angeregten Frage Beobacht- ungen machen lassen, ob nicht die Flügel der Jungen nach Genera- tionen eine Verkürzung aufweisen, und zwar sind die Beobachtungen hier viel rascher zu machen, weil die Generationsfolge eine schnelle ist. Schiller Tietz (Berlin). Die großen zoologischen Landesmuseen. Von Dr. H. Dewitz. „Ueber zoologische Museen und die Regelung des naturkundlichen Museenwesens“ lautet der Titel eines von Haacke publizierten Artikels!) Es ist mir unmöglich, an die Zweckmäßigkeit und Ausführbarkeit der in erster Linie in Frage kommenden Vorschläge zu glauben. H. teilt ein großes zoologisches Museum in eine Forschungs- und eine Schausammlung für das große Publikum. Erstere kommt sehr schlecht fort, das Hauptgewicht wird in die Schausammlung gelegt, was natürlich den wissenschaftlichen Wert eines solehen Instituts berabdrückt. Eine Schausammlung kann durch Anregung gewiss nützlich wirken, doch hat sie sich in den gehörigen Schranken zu halten, höchstens ein Zehntel von dem Raume des ganzen Museums einzunehmen. Die Masse erdrückt ja den Unkundigen. Die Forschungssammlung zerfällt nach H. in eine systematische und eine geographische. Bei sehr vielen Arten ist man froh, wenn man dieselben einmal vertreten hat, wo sollte man sie doppelt her- bekommen ? Ueberdies würde der doppelte Raum in Anspruch ge- nommen werden, und jetzt schon leiden die großen Museen fortwährend an Raummangel. Die einheimischen Tiere sollen nach H. außerdem noch in der Schausammlung vollständig aufgestellt sein, so dass sie dreimal wiederkehren würden. Wie stellt sich denn H. die Anordnung innerhalb einer geogra- phischen Region vor? Jedenfalls müsste da doch wieder die syste- matische Anordnung Platz greifen. Bei dem Vorschlage, eine sich über das ganze Land verbreitende Organisation einzurichten, denkt H. nur an das massenhafte Sammeln von zoologischen Gegenständen, nicht an das Ordnen und Bestimmen 1) Biologisches Centralblatt, Bd. VIII, 1888, Nr. 3. 158 Snell, Vorlesungen über die Abstammnng des Menschen. derselben. Eine Person kann an einem Tage mehr sammeln als 10 Gelehrte bestimmen. Unbestimmte Vorräte haben die großen Mu- seen zur Genüge, doch keine Kräfte, diese Vorräte zu ordnen und mit Namen zu versehen. Dass die kleinen Museen von Staatswegen gezwungen werden sollen sich unter das große Museum zu stellen, dürfte schwerlich Beifall finden. Gewiss hat das erste Landesmuseum die Aufgabe zu dominieren, doch hat es sich diesen Platz durch seine Leistungen, natürlich bei richtiger Organisation und hinreichender Beamtenzahl, nicht durch das Machtwort des Staates zu erringen. Dass viele der zoologischen Landesmuseen nicht das leisten, was sie leisten sollten und könnten, ist sehr richtig, doch muss der Hebel ganz wo anders angesetzt werden, als da, wo H. will. Sie müssen selbstverständlich auf eignen Füßen stehen und auf- hören die Bediensteten anderer Institute, seien es Universitäten oder Akademien, zu spielen. Eines langen Kampfes bedurfte es in Leyden, bis es gelang das Reichsmuseum von der Universität zu befreien. Vor allem ist es die nieht entsprechende innere Organisation, welehe ein Emporblühen vieler dieser Institute verhindert. Karl Snell, Vorlesungen über die Abstammung des Menschen. Aus dem handschriftlichen Nachlasse des Verfassers herausgegeben von Rudolf Seydel. Leipzig. Arnoldische Buchh. 1887. Kl. 8. 214 8. Die vorliegende kleine Schrift, deren Verfasser seinem innern Berufe nach Philosoph, seiner äußern Stellung nach Mathematiker und Physiker war, ist das Resultat einer Sichtung, welche der Heraus- geber mit verschiedenen Kollegienheften und andern Manuskripten Snell’s vorgenommen hat. — Das äußerst klar geschriebene Werk- chen enthält manche trefflichen Aussprüche und Bemerkungen, welche Anhängern wie Gegnern der Abstammungslehre und des Darwinismus zu sorgfältiger Beherzigung empfohlen sein mögen; sein Hauptergebnis dürfte aber für die große Mehrzahl der modernen Zoologen sich als unannehmbar erweisen. Um „einen festen Punkt der Orientierung vor Augen zu haben“ stellt der Verfasser die Lehre vom „Grundstamm“ auf, „als der Gesamtvorfahrenschaft des Menschen, und seinen Ab- zweigungen, und die damit zugleich sich ergebende Lehre von der Sonderstellung des Menschen der ganzen Tierwelt gegenüber“. Der Darlegung dieser Lehre, die „bei Allen, welehe die herrschenden Vor- stellungen in sich aufgenommen haben, sehr gegen den Mann geht“, bildet den Hauptzweck der Vorlesungen. Der Gedankengang, der den Verfasser zu dieser Lehre geführt hat, ist in trefflicher Weise auf S. 149 u. f. zusammengefasst: Es ist allgemein zugestanden, dass es unter den Wirbellosen, unter den Wirbeltieren und unter den Säuge- Molisch, Herkunft des Salpeters in der Pflanze. 159 tieren ganze Klassen gibt, deren Organisation ihnen die Entwicklung beziehungsweise zu Wirbeltieren, Säugetieren und Menschen unmög- lich macht. „Folglich muss allen den Reihen von Geschöpfen, in welchen auf einer einmal erreichten Organisationsstufe die Fähigkeit zur Ersteigung der nächst höhern Organisationsstufe erloschen war, eine andere Reihe von Geschöpfen gegenübergestanden haben, in welchen diese Fähigkeit fortwährend erhalten blieb, und in welcher immer die Ersteigung der nächst höhern Organisationsstufe sich voll- zogen hat. Unter denjenigen Geschöpfen, welche eine nächst höhere Stufe der Organisation erstiegen hatten, trat dann ein Unterschied ein zwischen solchen, welche in der erreichten Organisationshöhe, be- friedigt mit den Mitteln dieser Organisation, sich zweckmäßig ein- richteten in der ihnen dargebotenen Außenwelt, und solchen, in wel- chen die immer noch bleibenden Triebkräfte einer höhern Organisation es nicht zu einer solchen zweckmäßigen Einrichtung in der dargebo- tenen beschränkten Außenwelt kommen ließen, und in denen ein mächtiges inneres Gebot sich der vollen Hingabe an eine beschränkte Außenwelt widersetzte. Die Reihe von solchen Geschöpfen, welche auf keiner erreichten Organisationsstufe sich bequem betteten, sondern dem Trieb und Drang zur Ausgebärung einer höhern Organisations- stufe folgten“, nennt der Verf. den „Grundstamm der Schöpfung“. Derselbe „ist durch die auf jeder Stufe erhaltene und neubelebte Fähig- keit des Fortschritts zu einer höhern Stufe kontradiktorisch allem dem entgegengesetzt, was auf irgend einer Stufe halt macht und sich in die von allen Seiten offenstehenden Gefilde des sinnlichen Genusses verbreitet“. Nur so wird die unwiderstrittene Sonderstellung des Menschen begreiflich. Wie aus obigem ersichtlich, hat es sich für Snell darum gehandelt, „die trotz aller Blutsverwandtschaft mit den Tieren vorhandene Sonderstellung des Menschen und seiner ganzen Vorfahrenschaft nachzuweisen und festzustellen“. Haacke (Jena). Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. K. k. zoolog.- botan. Gesellschaft zu Wien. Sitzung vom 17. Februar 1888. Herr Dr. Hans Molisch über die Herkunft des Salpeters in der Pflanze!) Er weist zuerst auf seine bereits früher veröffentlichten Unter- suchungen hin, nach welchen Nitrate mittels Diphenylamin (in SO, H, gelöst) direkt in der Pflanzenzelle nachgewiesen werden können und nach welchen Nitrate im Pflanzenreiche etwas ganz Gewöhnliches sind. Von den niedrigsten Gewächsen aufwärts z. B. Algen (Spirogyra, Fucus, Nitophyllum ete.) und Pilzen, bis zu den höchsten Phanerogamen findet man Salpeter vor, in Holz- 1) Ausführliches darüber findet man in dessen Arbeit: „Ueber einige Be- ziehungen zwischen Stickstoffsalzen und der Pflanze“. Sitzungsber. der kais, Akademie der Wissensch. in Wien, LXXXXV. Bd., 1837. 160 Moleschott, Zur Feier der Wisschenschaft. gewächsen weniger als in krautigen, in gradezu erstaunlichen Mengen bei den Schuttpflanzen (Amarantus, Chenopodium, Atriplex, Helianthus, Capsella ete.). Nitrite konnten selbst unter Zuziehung der feinsten Nitritreaktionen, die die heutige Chemie kennt, in keiner der (etwa 100) geprüften Pflanzen nachgewiesen werden. Dieses Resultat steht auch vollkommen im Einklang mit der durch Molisch konstatierten Thatsache, dass die von der Pflanze aufgenommenen Nitrite hier sofort reduziert werden. Während Nitrate lange Zeit, mitunter wochen-, ja monatelang in der Pflanze verweilen können, werden Nitrite unmittelbar nach ihrer Aufnahme zerstört. Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden genannten Salzen in ihrer Beziehung zur Pflanze macht sich darin geltend, dass Nitrate in ziemlich kon- zentrierter Lösung (0,1°, und darüber) von der Pflanze ganz gut vertragen werden, während sehr verdünnte Nitritlösungen, bei manchen Gewächsen schon 0,01 prozentige giftig wirken. Es war bisher vollkommen unentschieden, woher der mitunter in der Pflanze in so großer Menge angehäufte Salpeter stammt, es war fraglich, ob er von Außen herrührt oder im Innern durch die Lebensthätigkeit der Zellen aus andern Stickstoffverbindungen erzeugt wird. Das letztere wurde von Berthelot und Andre mit großer Bestimmtheit behauptet. Molisch kultivierte, um die eben berührte Frage zu entscheiden, ver- schiedene, darnnter auch sehr salpeterreiche Pflanzen nach der Methode der sogenannten Wasserkulturen, und zwar 1) im destillierten Wasser, 2) in ver- dünnten Nitritlösungen und 3) in einer kompleten Nährstofflösung, in welcher jedoch der Stickstoff nicht in Form eines Nitrats, sondern in Form eines Ammoniaksalzes geboten war. Unter diesen Bedingungen konnte niemals auch nur eine Spur eines Nitrats in irgend einer der Versuchspflanzen aufgefunden werden. Daraus folgt aber, dass der Salpeter, entgegen der Anschauung von Berthelot und Andre, nicht im Innern der Pflanze entsteht, sondern seiner ganzen Menge nach von außen stammt!). Enthält die Pflanze mehr Salpeter als ihr Substrat, auf welchem sie gedeiht, so ist dieses Plus durch Speicherung zu erklären. Die Pflanze ist nämlich mit dem merkwürdigen Vermögen ausgestattet, sich der kleinsten Nitratmengen zu bemächtigen und diese, wofern sie nicht sofort assimiliert werden, zu speichern. Jac. Moleschott, Zur Feier der Wissenschaft. Rede, gehalten bei Wiedereröffnung der Universität zu Rom am 3. Nov. 1887. Gießen, Emil Roth, 1888. Preis 1 Mk. Die Einheit der Wissenschaft, das ist der Gedanke, welcher diese Rede Moleschott’s wie ein roter Faden durchzieht und in altbekannter geist- sprühender und wortgewandter Weise durchgeführt ist. Ein hohes Lied wird der Mathematik gesungen, und die Errungenschaften der Neuzeit, vornehmlich diejenigen, welche auf den Entdeckungen eines Volta und Galvani sich aufgebaut, werden in glänzender und eindringlicher Weise nach ihrer Art, ihrer Bedeutung und nach ihrem Einfluss auf den Menschen beleuchtet. 1) Dieses Ergebnis wurde vor kurzem von E. Schulze und ferner von Bioloeisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der year in Erlangen. 24 "Nummern von je 2 ) Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 46 Mar k. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. va Band. - 15. Mai 1888. Nr. 6. Inhalt: . Bütschli, Müssen wir ein Wachstum des Plasmas durch Intussusception an- nehmen? — Ritzema Bos, Untersuchungen über T’ylenchus devastatrı.c Kühn. (Dritte Mitteilung. — Schluss.) — Gruber, Weitere Beobachtungen an vielkernigen Infusorien. — Tiebe, Plateau’s Versuche über das Seh- vermögen der Myriopoden und Arachniden. — Zacharias, Summarischer Bericht über die Aufnahme meines Vorschlages (Studium der Süßwasser- fauna) seitens der Fachkreise. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellsehaften: K. k. zoolog.-botan. Gesellschaft zu Wien. — Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege. — Wissenschaftliche Ausstellung der 61. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. Müssen wir ein Wachstum des Plasmas durch Intus- susception annehmen? Von ©. Bütschli. Es wird ziemlich allgemein angenommen, dass die lebende Sub- stanz, das sogenannte Plasma, sich von den unorganisierten Körpern durch die besondere Art seiner Wachstumsvorgänge unterscheide; dieselben könnten nicht wie bei den unorganisierten Körpern, speziell den Krystallen, durch Auflagerung (Apposition) erfolgen. Für die Besonderheiten des Plasmawachstums fand man eine Erklärung in der Nägeli’schen Intussusceptionslehre. Obgleich dieselbe an- fänglich nieht für das Plasma, sondern für gewisse Erzeugnisse desselben, wie Stärkekörner und die Zellhaut (welche beide nicht als eigentlich lebend zu betrachten sind) aufgestellt wurde, übertrugen sie sowohl ihr Begründer wie viele andere Biologen bald auch auf das Plasma selbst. Diese Lehre besagt im allgemeinen, dass sowohl die genannten Produkte des Plasmas, wie dieses selbst, nicht durch Auflagerung neuer Moleküle oder Gruppen soleher (sogenannter Micellen Nä- selis, Tagmen Pfeffer’) auf die freie Oberfläche wachsen, son- dern durch Einschiebung derartiger kleinster Teilchen zwischen die schon vorhandenen. Im besondern verknüpft sich damit noch die Vorstellung, dass diese Einschiebung zutretender Teilchen zwischen die resdehen an beliebiger Stelle, namentlich auch tief im Innern VI, iu 162 Bütschli, Müssen wir Wachstum des Plasmas durch Intussusception annehmen ? eines Plasmakörpers geschehen könne. Diese Möglichkeit suchte man durch die Annahme verständlich zu machen, dass die Moleküle oder Micellen des eigentlichen Plasmas, d. h. speziell die der Eiweißsub- stanzen, von Wassermolekülen umhüllt, resp. getrennt seien. Zwischen den Molekülen dieser Wasserhüllen oder auch zwischen den Wasser- hüllen benachbarter Micellen sollten die neu eintretenden Plasmamo- leküle wandern oder auch direkt gebildet werden und sich derart im Innern des Plasmakörpers zwischen die vorhandenen Moleküle ein- fügen können. Bekanntlich wird diese Intussusceptionslehre grade für die Stärke- körner und die Zellhaut, deren Wachstum sie ursprünglich erklären sollte, neuerdings wieder stark bezweifelt. Eine Reihe namhafter 3otaniker halten jetzt das Appositionswachstum dieser Plasma-Erzeug- nisse für wahrscheinlicher oder doch für möglich. Ich weiß nicht, ob dies auch für das Plasma selbst schon von jemand geschehen ist. Da jedoch der Gegenstand wohl einer Erörterung fähig ist, soll die- selbe im Nachfolgenden ganz kurz versucht werden. Die Nötigung zur Annahme der Intussusceptionslehre folgte je- denfalls aus der früher geläufigen Vorstellung, dass ein sogenannter homogener Plasmakörper, d. h. ein soleher, welcher keine gröberen Unterbrechungen und Differenzierungen seiner Masse zeigte, wie eine kontinuierliche Substanz zu denken sei; kontinuierlich etwa wie eine Lösung oder ein Krystall, von beiden jedoch verschieden durch die besondere Micellarstruktur, welcher oben gedacht wurde. Da nun die zum Wachstum dienenden Plasmamoleküle zweifellos im Innern des Plasmakörpers selbst gebildet und nicht von außen auf den Plasmakörper aufgelagert werden, so schien es durchaus not- wendig, dass die neuen Plasmateilchen auch im Innern zwischen die schon bestehenden Moleküle oder Micellen eingeschoben würden; dass demnach die Vergrößerung eines wachsenden Plasmakörpers nur durch die Intussusceptionslehre begreiflich sei. Seit der Entwicklung dieser Ansichten, welche wohl noch ziem- lich verbreitet sind, haben unsere Vorstellungen über die morpholo- gische Beschaffenheit sogenannter homogener Plasmakörper sich be- deutsam geändert. Anfänglich wenig beachtete Erfahrungen, welche allmählich zu recht allgemeiner Anerkennung gelangten, zeigten, dass von einer solchen Kontinuität der Plasmasubstanz keine Rede sein kann. Dieselbe erwies sich vielmehr als eine diskontinuierliche. Ich beabsichtige nicht, die Frage nach der Deutung der Plasmastruktur, welche meist als eine netzige bezeichnet wird, eingehender zu erör- tern, weder den historischen Gang der einschlägigen Beobachtungen, noch den Streit der Meinungen über die Auffassung des Beobachteten. In ersterer Hinsicht drängt sich mir nur die Bemerkung auf, dass die kommende Zeit wohl mancherlei gegen diejenigen wird gut zu machen haben, welehe die Aufmerksamkeit zuerst auf diese Erscheinungen Bütschli, Müssen wir Wachstum des Plasmas durch Intussusception annehmen? 163 spezieller lenkten, namentlich gegen Heitzmann und Frommann!). Hinsichtlich des zweiten Punktes ist von vornherein klar, dass eine Uebereinstimmung der Forscher über solche, die Grenzen der Leistungs- fähigkeit unserer optischen Instrumente erreichende Strukturen lange auf sich warten lassen wird. Ich bespreche daher nur die. Auf- fassung der Plasmastruktur, welehe ich mir bei wiederholter Beschäfti- gung mit dem Gegenstand (speziell bei Protozoen) gebildet habe. Nach meiner Ansicht besitzt das Plasma gewöhnlich die Beschaffen- heit einer sehr feinen Emulsion. Zwei Substanzen, welche sich direkt nicht mischen, durchdringen sich in sehr feiner Verteilung. Die eine derselben ist dichter und zähflüssiger, sie enthält auch jedenfalls allein das geformte Eiweiß. Daher dürfte man diesen Teil wohl als das eigentliche Plasma bezeichnen (Kupffer’s Protoplasma, Strasbur- ger’s Hyaloplasma, Leydig’s Spongioplasma, Flemming’s Filar- masse). Der zweite Stoff ist zweifellos flüssiger, meiner Ansicht nach eine wässerige Lösung (Kupffer’s Paraplasma, Strasburger's Chylema, Leydig’s Hyaloplasma, Flemming’s Interfilarmasse). Ich ziehe den Namen Chylema vor, weil derselbe meiner Vorstellung über die physikalische Beschaffenheit und die Bedeutung der Substanz am meisten entspricht. Beide Substanzen sind so mit einander gemischt wie Luft und Seifenwasser in einem äußerst feinen Seifenschaum. Das Chylema, der leichtflüssige wässerige Bestandteil, spielt die Rolle der Luft im Seifenschaum, das Plasma die Rolle des Seifenwassers. Das Plasma bildet demnach ein äußerst feines wabiges Gerüstwerk, das mit Chylema erfüllt ist. Im optischen Durchschnittsbild muss ein solches Plasma stets eine netzförmige Struktur zeigen. Wie gesagt drängen mich meine Erfahrungen jedoch zu dem Schluss, dass die Struktur nicht netzig, sondern wabig ist. Dass dieser morphologisch ziemlich untergeordnete Unterschied in physikalischer Hinsicht von großer Be- deutung ist, liegt auf der Hand. Wie bemerkt, bin ich überzeugt, dass auch das eigentliche Plasma (das Wabengerüst) im allgemeinen flüssig, wenn auch beträchtlich zähflüssiger ist wie das Chylema. Dem steht aber nicht entgegen, dass einzelne Partien desselben dauernd oder vorübergehend feste Beschaffenheit annehmen, resp. sich dem Zustand fester Körper sehr nähern können. Das folgt sogar zwingend aus der Struktur gewisser Plasmaschichten oder Plasmapartien mit vier- eckigen Waben. Ich verzichte auf die Anführung von Beispielen; wer sich dafür spezieller interessiert, findet solche in dem Abschnitt über die eiliaten Infusorien meines Protozoenwerks. Doch auch die 1) Es ist schwer verständlich, weshalb das Buch von Heitzmann, das jedenfalls eine Fülle beherzigenswerter Beobachtungen enthält, selbst für die meisten Forscher, welche sich mit Plasmastrukturen beschäftigen, so zu sagen nicht existiert. Es scheint dies um so seltsamer, da in unserer Zeit eine Art Kultus mit möglichst nummerreichen Literaturverzeichnissen getrieben wird, 11° 464 Ritzema Bos, Untersuchungen über Tylenchus devastatrix Kühn. Zellen höherer Tiere zeigen genügend Beispiele, speziell die Muskel- zellen und Nervenfasern. Ich kann nicht leugnen, dass auch gelegent- lich kleine Partien homogenen, kontinuierlichen Plasmas auftreten können, oder dass Plasmakörper vorübergehend teilweise oder ganz kontinuierlich werden. Wenn wir diese Deutung der Plasmastruktur anerkennen, so schwindet nach meiner Ansicht die Nötigung, an der frühern Intussus- ceptionslehre festzuhalten. Die zur Ernährung dienenden Substanzen können im gelösten Zustand den Plasmakörper im Chylema durch- wandern, indem sie die plasmatischen Wabenwände osmotisch durch- setzen. Neugebildete Plasmamoleküle können direkt durch Apposition den äußerst feinen Plasmawänden der Waben aufgelagert werden und sich, da letztere gewöhnlich zähflüssiger Natur sind, auf den- selben verteilen, resp. mit ihrer Substanz vermischen. Eine Schich- tung kann demnach nicht eintreten, obgleich das Wachstum ein appo- sitionelles ist. Vermehrt sich die Masse des Plasmas allmählich ansehnlicher, so werden neue Waben entstehen, indem Chylematropfen in den Knotenpunkten der plasmatischen Wabenwände auftreten. Auf diese Weise lässt sich die Vermehrung der Waben verstehen, welcher Faktor natürlich zum Wachstum des Plasmakörpers sowohl nach Fläche wie Dicke sehr wesentlich beitragen wird. Wenn also unsere gegenwärtigen Erfahrungen über den Aufbau des Plasmas die Intussusceptionslehre in der alten Form nicht mehr notwendig erscheinen lassen dürften, so ist doch nicht zu vergessen, dass der Vorgang des Plasmawachstums, wie wir ihn auf grund dieser Ergebnisse uns denken dürfen, in der Hauptsache lebhaft an die frühere Lehre erinnert. Der wichtige Unterschied liegt nur darin, dass wir jetzt in dem sichtbaren Aufbau der Plasmakörper sowohl eine Er- klärung für die Durchtränkung derselben mit Nähr- und andern Stoffen finden, wie auch für die Zufügung neuer Teilchen dureh die ganze Masse eines Plasmakörpers, ohne dass die Art dieser Zu- oder Anfügung der hinzutretenden Teilchen auf andere Weise zu geschehen brauchte, als sie uns von den Wachstumserscheinungen unorganisier- ter Körper bekannt ist, nämlich durch einfache Auflagerung auf die Oberfläche der schon bestehenden Substanz. Untersuchungen über Tylenchus devaslatrie Kühn, von Dr. Ritzema Bos, Dozent der Zoologie und Tierphysiologie an der landwirtschaftlichen Schule in Wageningen (Niederlande). [Dritte Mitteilung. — Schluss.) Die Aelchenkrankheit der Hauszwiebeln. Literatur. Kühn, „Hallesche Zeitung“, 1877 u. 1879. ;eyerinck, „De oorzaak van de kroefziekte der jonge ajuinplanten*, Ritzema Bos, Untersuchungen über Z’ylenchus devastatrixe Kühn. 165 in „Maandblad voor September (Nr. 9) der Hollandsche Maatschappy van Landbouw“. V. (1883). Ritzema Bos, „Ueber Aelchenkrankheiten verschiedener Kulturge- wächse, verursacht von Tylenchus devastatrie Kühn; in „Landwirt- schaftliche Versuchsstationen“, 1885, 8. 105. Die ersten Berichte über die Aelchenkrankheit der Zwiebeln scheinen aus der letzten Hälfte der siebziger Jahre zu datieren. Etwa im Jahre 1878 las man in den Zeitungen, dass man in Russ- land Triehinen in den Zwiebeln entdeckt habe; natürlich muss hier von trichinen-ähnlichen Nematoden die Rede gewesen sein, und es liegt auf der Hand, dass in erster Reihe an ein Aelchen gedacht werden muss, umsomehr als grade in derselben Zeit Kühn zuerst eine Aelehenkrankheit bei Zwiebeln beobachtete und beschrieb. Ich hätte sehr gern die Untersuchungen des berühmten Gelehrten kennen ge- lernt; leider sind sie in einer politischen Zeitung publiziert worden, und jetzt nach 10 Jahren sind die Nummern, worin sich Kühn’s Untersuchungen befinden, fast unzugänglich. Ich bat Herrn Kühn, mir dieselben auf einige Tage leihen zu wollen; allem Prof. Kühn hatte dazu bis jetzt infolge einer fortwährenden Krankheit keine Gelegenheit. Ich muss es also dahingestellt bleiben lassen, ob die von Kühn in den kranken Zwiebelpflanzen aufgefundenen Tylenchen, welehe er mit dem Namen Tylenchus putrefaciens n. sp. andeutete, mit der von Beyerinek beschriebenen Tiylenchus Allii n. sp., die sich meinen Untersuehungen!) zufolge als Tylenchus devastatrix Kühn entpuppte, identisch sei oder nicht. Doch glaube ich, sie ist dieselbe Species. Aus Mitteilungen niederländischer Landwirte scheint mir hervor- zugehen, dass die Aelchenkrankheit der Zwiebeln schon seit etwa 35 Jahren in den Provinzen Südholland und Zeeland vorkomme. Man nannte die kranken Pflanzen: „Zwergpflanzen“. Beyerinck hat diese Krankheit, die man daselbst jetzt allgemein „kroefziekte“ nennt, in ihrem wahren Wesen erkannt und ziemlich ausführlich beschrieben. Ich selbst habe einige weitere Untersuchungen über die Erscheinungen dieser Krankheit gemacht, und dazu über das Verhalten der Aelchen aus den kranken Zwiebeln einige Beobachtungen publiziert, dabei die ersten Abbildungen älchenkranker Zwiebelpflanzen gemacht, welche ich hierbei gebe. Ich will die Krankheit nur kurz beschreiben?). Oben?) wurde von mir hervorgehoben, dass die Tylenchen in die Roggenpflanzen erst eindringen, wenn letztere schon zwei bis drei Blättehen besitzen; allein in die jungen Zwiebelpflanzen wandern die 1) „Biologisches Centralblatt“, VII, S. 238. 2) Ritzema Bos, „Die Aelchenkrankheit der Zwiebeln“, in „Landwirt- OF schaftliche Versuchsstationen“, 1888, 8. 35. 3) Vergl. vorige Nummer dieses Blattes. 166 Ritzema Bos, Untersuchungen über Zylenchus devastatrix Kühn. kleinen Nematoden schon ein, wenn diese noch Keimpflanzen sind und nur erst ein einziges Blatt besitzen, ja sogar gewöhnlich schon bevor das erste Blatt aus dem Boden hervorkommt. Gewöhnlich verläuft dies in der folgenden Weise. Wenn beim Keimen die Samenschale berstet, so wandern die Aelchen sogleich in das erste Blatt hinein, im Momente wo dieses sich fertig macht, aus dem Samen hervorzukommen. Es versteht sich, dass unter solchen Um- ständen das erste Blatt abnorm sich entwickeln muss: es schwillt an einigen Stellen kolossal an und beugt sich hin und her. Bei einer in normaler Weise keimenden Pflanze nimmt das erste Blatt immer auf seiner Spitze die leere Samenschale mit; enthält jedoch der Boden, worin die Samen keimen, lebendige Aelchen, so kommt es öfter vor, dass das erste Blatt sogleich in der Weise anschwillt, dass es die Samenschale abstößt, so dass also die Keimpflanze an die Oberfläche kommt, ohne an der Spitze des ersten Blattes die Samenschale mit- zunehmen. Die kranken Keimpflänzehen sind oft schon sogleich weniger grün, mehr gelblich als die gesun- den; oft tritt dieser Unterschied erst allmählich auf, während in andern Fällen, insbesondere wenn die Keimpflanze nur von einer ge- ringen Zahl von Aelchen bewohnt wird, die normale grüne Farbe sich bald zu zeigen anfängt. Im letz- tern Falle kann die Keimpflanze weiterwachsen, obgleich sie noch ein abnormes Aussehen beibehält; im erstern Falle stirbt sie bald ab und verfault sehr schnell. Das Braunwerden beginnt stets an der Spitze des ersten Blattes. In der beigegebenen Fig. 4 sind eine gesunde (a) und drei kranke Zwiebelpflänzchen (d, c, d) abgebildet, ganz wie sie sich am 25. Mai zeigten. Von den schlanken, gesunden Exemplaren unterscheiden sich die älchenkranken Keimpflanzen durch ihr gedrungenes Aussehen. Statt dass sie schnell in die Länge wachsen, verwenden sie alle ihre Nah- rung für ein ganz abnormes Diekenwachstum, wodurch die Blätter stark und sehr unregelmäßig angeschwollen sind. Die Blattscheiden bleiben sehr kurz, verdieken sich aber stark; an mehrern Stellen findet man auf ihnen warzenförmige Verdiekungen. Oft geschieht es, dass die jungen Blätter infolge des unregelmäßigen Wachstums der ältern Blattscheiden nieht hervorkommen können; ihre Spitzen werden von diesen ältern Blattscheiden festgehalten; und an Stelle eines konischen blättchens sieht man ein unregelmäßiges Pfröpfehen hervorkommen. Ritzema Bos, Untersuchungen über Z’ylenchus devastatriw Kühn. Fig.5 A gibt eine Abbildung einer einen Monat alten gesunden Zwiebelpflanze, wäh- rend Fig. 5 B eine Vor- stellung gibt von einer älchenkranken Pflanze, die zwar vorläufig dem Tode entwachsen ist, jedoch große Missbil- dung zeigt. Durch Ver- sleichung der beiden oben genannten Figuren sieht man aufs deut- lichste, dass die kranke Pflanze die von ihr auf- genommene Nahrung größtenteils für ein ab- normes Dickenwachs- tum verbraucht. Die Blätter sind kolossalan- geschwollen, und meh- rere Schuppen der sich bildenden Zwiebel sind enorm diek. Fig. 6 A gibt einen Durchschnitt über ab (Fig.5 A) der gesunden, Fig.6 5 über ab (Fig.5 B) der kran- ken Pflanze. Beide Fi- guren sind dreimal ver- größert, während Figur 5A u.5 B in natürlicher Größe abgebildet sind. Man sieht, namentlich in Fig.6 Au.6B, dass bei der gesunden Pflanze jede Zwiebelsehuppe etwa dieselbe Dicke hat, während bei der kranken Pflanze die Dickenzunahme nicht in allen Schuppen und in derselben ‘Schuppe nicht an allen Stellen die gleiche ist; im allge- 167 168 Ritzema Bos, Untersuchungen über Tylenchus devastatrie Kühn. adlnal dt Fig. 5 B. _ I, Z———————— I meinen haben in den Fig. 5 Bu. 6 B die innern Schuppen sich mehr als die äußern verdickt. Das natürliche Resultat die- ser letzterwähnten That- sache ist dieses: dass die äußern Schuppen platzen, um den innern die Gelegenheit zu geben, stark anzuwachsen. Wäh- rend bei der gesunden Pflanze jede mehr nach außen gelegene Schuppe die folgende ganz und gar umgibt, erstreckt sich in Fig. 6 B die äußere Schuppe nur von p bis g, die zweite nur von r bis s aus, wäh- rend erst die dritte, die diekste aller Schuppen, einen ununterbrochenen Kreis bildet, obgleich vielleicht bald nachher die vierte Schuppe an der einen Seite, wo sie am dieksten, die dritte Schuppe bei Z wird platzen lassen. Es versteht sich, dass bei den kranken Zwiebel- pflanzen, sowie bei den stockkranken Roggen- und Haferpflanzen die Ursache des abnormen Habitus der Gewächse in der Thatsache liegt, dass das Längen- wachstum der Gefäßbündel durch den von den Aelehen ausgeschie- denen Stoff vermindert, sogar stark vermindert wird, während das Blattparenehym im Umfang stark zunimmt. Junge Keimpflanzen, in denen sogleich eine große Anzahl Aelchen sich ansiedeln, sterben sehr bald ab; war die Zahl der eingedrungenen Aelchen anfangs weniger groß, oder wandern die letztern erst später in die Zwiebelpflanzen ein, so kann es vorkommen, dass diese länger am Leben bleiben, ja sogar noch am Leben sind, wenn die gesunden Ritzema Bos, Untersuchungen über Tylenchus devastatrix Kühn. 16% Fig. 6 4. Fig. 6 B. Ab: 203 ad na£ dab q Zwiebeln schon so weit sind um geerntet zu werden. Inzwischen haben die wenig zahlreichen Aelchen, welche in die noch jungen Pflänzchen hineinwanderten, sich allmählich vermehrt; es versteht sich also, dass später die Zwiebeln, obgleich sie ziemlich groß werden, doch mehr oder weniger abnorm bleiben, und dass sie dadurch ohne Handels- wert sind. Eine solehe Zwiebel zeigt gewöhnlich mehrere Risse, weil oft die innern Schuppen sich mehr verdiekt haben als die äußern. Dazu kommt noch, dass die älchenkranken Zwiebeln, sie mögen übrigens ganz gut ausgewachsen sein, doch im Winter zu faulen an- fangen. Meinen Erfahrungen dieses Jahres zufolge kann es vorkommen, dass die Aelehen in den blühenden Zwiebelpflanzen bis in die Blumen und später bis in die Samen hineinspazieren können. Von den von mir untersuchten, auf infiziertem Boden gewonnenen Zwiebelsamen waren etwa 3°/, von Aelehen bewohnt; in reinen Boden ausgesät, entkeimten die Samen, und es fanden sich 3°/, der Keimpflanzen von der Krankheit angegriffen. Ich konnte die von Aelchen bewohnten Samen von den normalen in keiner Weise unterscheiden. — Ueber Mittel zur Bekämpfung der Aelehenkrankheit der Zwiebeln berichte ich anderswo. Die Ringelkrankheit der Hyazinthen. Literatur. George Voorhelm, „Traite sur la Jacinthe“, Haarlem 1752, S.110— 119. Saint Simon, „Des Jacinthes, de leur anatomie, reproduetion et eulture“. Amsterdam 1768, S. 151, 152. Meyen, „Pflanzenpathologie“, Berlin 1841, S. 295 — 304. Kühn, „Die Krankheiten der Kulturgewächse“, Berlin 1858, S. 19. Hallier, „Phytopathologie“, Leipzig 1868, 5. 227. Paul Sorauer, „Handbuch der Pflanzenkrankheiten“, Berlin 1874, S027 3,7302. ders., „Untersuchungen über die Ringelkrankheit und den Rußthau der Hyazinthen“, Berlin u. Leipzig 1878. 170 Ritzema Bos, Untersuchungen über Tylenchus devastatrix Kühn. J. Berkeley referiert in „Gardener’s Chroniele“, 1878,°8. 815, über Sorauer’s Untersuchungen. J.H.Krelage kritisiert diese Untersuchungen in „Gardener’s Chroniele*, 1879, 8. 43. B. Frank, „Die Krankheiten der Pflanzen“, Breslau 1881, S. 544. Ed. Prillieux, „La maladie vermiculaire des Jacinthes“, in „Journal de la societe nationale d’hortieulture“, 3ieme serie, III, 1881, S. 253—260. F. von Thümen gibt in der „Wiener illustrierten Gartenzeitung“ von 1881, S. 458—460 ein Referat über Sorauer’s und Prillieux Unter- suchungen. E. Otto, „Die Wurmkrankheit der Hyazinthen von E. Prillieux, mit einer Nachschrift über die Ursache und Unterschiede der Wurmkrank- heit von der Ringelkrankheit der Hyazinthen“; in „Hamburger Garten- und Blumenzeitung*, 1882, S. 208— 214. Paul Sorauer, „Zur Klärung der Frage über die Ringelkrankheit der Hyazinthen“ in „Wiener illustrierte Gartenzeitung“, 1882, S. 177—179. Hugo de Vries, „Het ringziek der hyaeinthen“; Haarlem 1882. J. H. Wakker, „Onderzoekingen der ziekten van hyacinthen en andere bol-en knolgewassen“; verslag over het jaar 1883, S. 24—28. Ritzema Bos, „Onderzoekingen aangaande het ringziek der hyacinthen en aangaande daarmee verwante ziekten van andere eultuurgewassen*“. „Nederlandsch Tuinbouwblad“; Groningen 1885, Nr. 4 ders., „Ueber Aelchenkrankheiten verschiedener Kulturgewächse, ver- ursacht von Zylenchus devastatriw Kühn“, in „Landwirtschaftliche Versuchsstationen“, 1885. Die Ringelkrankheit der Hyazinthen (bei der verwandten Galtonia candieans and bei Sci/lla kommt sie auch vor) ist zwar in den letzten Jahren in den vor ihrer Blumenzwiebelkultur bekannten Gegenden Hollands gegen andere Krankheiten etwas in den Hintergrund ge- treten, veranlasst jedoch noch jetzt alljährlich großen Schaden, und war schon in der Mitte des 10. Jahrhunderts den Harlemschen Blumenzüchtern ganz allgemein bekannt. Man nennt sie in Holland nicht nur „ringziek“, sondern auch „oudziek* oder „gewoon ziek“ (d. h. alte Krankheit oder gewöhnliche Krankheit). Der Name „Ringelkrankheit“ ist sehr zutreffend, weil man auf dem Querschnitte an den kranken Zwiebeln dunkle Ringe bemerkt, indem einige Schuppen ihren Inhalt in eine dunkelbraune Masse um- geändert haben. Doch ist dieses Braunwerden nicht das einzige, und auch nicht das erstauftretende Symptom der Krankheit. Die Schuppen werden, sobald sie von einer ziemlich großen Zahl von Aelchen be- wohnt werden, dieker als die andern; die Ursache dieser Missbildung liegt teilweise in der Thatsache, dass die Zellen, woraus die Schuppen bestehen, eine mehr als normale Größe bekommen, teilweise aber in der ansehnlichen Vermehrung ihrer Zahl, dureh Zellteilung. In einigen Fällen sind die Resultate des starken Wachstums einiger Schuppen schon an der Außenseite der Zwiebeln deutlich sichtbar. Denn wenn einige der äußern Zwiebelschuppen nicht, einige der innern Schuppen wohl von Aelehen bewohnt werden, so kann die Größenzunahme der Ritzema Bos, Untersuchungen über Tylenchus devastatrie Kühn. 171 letztgenannten Schuppen in solchem Grade stattfinden, dass die äußern Schuppen platzen. Solche geplatzte Exemplare kommen unter den ringelkranken Hyazinthenschuppen sehr viel vor. Später sterben die über- ne mäßig gestreckten Zellen ab ne und werden braun gefärbt. Doch sieht man erst noch andere wichtige Verände- rungen auftreten. Die ursprünglich ganz un- durchscheinend weißen Zwie- belschuppen werden, sobald sie anzuschwellen anfangen, mehr durchscheinend und zu- letzt sogar glashell. Bei näherer Untersuchung sieht man, dass das Durchschei- nendwerden der Schuppen durch das Verschwinden der Amylumkörner in den sie zu- sammensetzenden Zellen ver- ursacht wird. Die Amylum- körner lösen sich schichten- weise auf. Teilweise wird gewiss die Stärke als Nah- rung für die Tylenchen ge- braucht, vielleicht nachdem sie erst schichtenweise in Glykose umgeändert ist. Teil- weise kann es vielleicht, nach Veränderung in Glykose, einem andern Zwecke dienen: es kann angewandt werden für den Aufbau der Cellulosewände der vergrößerten und neugebildeten Zellen in den von Tylenchen bewohnten Schuppen. Zugleich jedoch mit dem Verschwinden des Amylums finden in den Zellen der kranken Schuppen noch andere Umbildungen statt, die man mit dem Worte „Gummifikation“ andeuten kann. Schnitte durch Schuppen ringelkranker Hyazinthenzwiebeln lehrten mir folgendes. Zunächst verschwindet allmählich das Amylum; und dies geschieht oft, ohne dass anstatt dieses Stoffes etwas Anderes in den Zellen sichtbar wird. In diesem Falle ist wahrscheinlich das Amylum in Glykose übergegangen und nachher verbraucht, es sei denn als Nahrung von den Tylenchen, es sei denn zur Bildung der Cellulosewände der vergrößerten oder neu gebildeten Zellen (vergl. oben). In vielen Zellen jedoch sieht man nicht nur die Amylumkörner 172 Ritzema Bos, Untersuchungen über Tylenchus devastatrix Kühn. kleiner werden und verschwinden, sondern man sieht zugleich einen hellgelben Stoff entstehen, der bei näherer Untersuchung als Gummi sich erweist, sich in Wasser sehr leicht auflöst und also wahrschein- lich Arabin ist. Während die meisten Stärkekörner in der gewöhnlichen Weise kleiner werden, einzelne mal auch mehrere der klein gewordenen Körner sich zu einer traubenähnlichen Masse anhäufen, sieht man andere Amylumkörner ihre Struktur verlieren und allmählich in eine kugelförmige Masse sich umändern, die oft eine gelbliche Farbe hat, und die mir ebenfalls Gummi zu sein scheint. Dann und wann spalten sich die gummifizierenden Stärkekörner in zwei oder mehrere Stücke. Allein die größte Gummimasse deponiert sich an die Zellwand, welche teilweise selbst in Gummi sich umzubilden scheint, und zwar hält diese Ablagerung von Gummi immer gleiehen Schritt mit dem Verschwinden der Stärke in den Zellen. Die Gummifikation kann noch weiter schreiten, und zuletzt ver- schwindet das Protoplasma, welches als eine homogene, anfänglich gelbliche, später bräunliche Masse in dem Gummi sich aufzulösen scheint, wobei jedoch die körnige Struktur noch lange Zeit beibehalten bleibt. Oft häuft in den interzellularen Räumen das Gummi sich an; letzteres aber scheint immer mit der Gummimasse, worin sich die Wand umgeändert hat, im Zusammenhange zu stehen. Prillieux spricht ausschließlich von einer Gummibildung in den interzellularen Räumen; allein es scheint mir, dass immer weit mehr Gummi in den Zellen als in den interzellularen Räumen sich befindet. Wenn zuletzt die Zellen ganz und gar in Gummi umgeändert sind, zerfließen sie und das Gewebe wird gänzlich desorganisiert. In meiner im Laufe dieses Jahres in französischer Sprache erscheinenden Monographie der Tiylenchus devastatrix und der von ihr verursachten Pflanzenkrankheiten werde ich die Gummifikation aus- führlicher behandeln, meine Untersuchungen über diesen Gegenstand durch Abbildungen beleuchten und sie in Zusammenhang mit den von andern Autoren über Gummifikation gemachten Beobachtungen be- sprechen. Die Ursache der Gummifikation muss in diesem Falle wahrschein- lich in der Wirkung irgend eines von den Tylenchen ausgeschie- denen Fermentes gesucht werden. Es ist bekannt, dass es andere, und zwar pflanzliche, Parasiten gibt, die Gummifikation verursachen, z. B. — Beyerinck’s!) Untersuchungen zufolge — der Pilz Coryneum Beye- rinckii Oudemans in den Geweben der Amygdaleen und der Pilz Pleospora gummipara OQudemans in denen der Akazien. Damit soll natürlich nicht gesagt sein, dass immer die Gummifikation von dem 1) Beyerinck, „Onderzoekingen over de besmettelykheid der gomziekte by planten“; uitgegeven door de Koninklyke Academie van Wetenschappen te Amsterdam 1883. Ritzema Bos, Untersuchungen über Tylenchus devastatrix Kühn. 175 Vorhandensein eines parasitischen Organismus herrühren soll. Auch bleibe es dahingestellt, ob die Gummifikation direkt oder indirekt von den Tylenchen verursacht wird. Die braune Farbe der von Tylenchen bewohnten Hyazinthen- schuppen wird wohl zweifellos teilweise durch das Absterben der Zellen verursacht, allein teilweise rührt sie ganz gewiss von der Gummifikation her. Die Krankheit kann sich bei einer Hyazinthenzwiebel in sehr verschiedenem Grade zeigen. Wenn sie nur wenig krank ist, so sieht man auf einem durch die Mitte der Zwiebel geführten Querschnitte gar keine verdiekten, braunen Ringe; aber auf einem solchen Quer- schnitte am Gipfel der Zwiebel, also in der Nähe der Stelle, wo die Blätter festgesessen haben, kann man einen oder mehrere Ringe be- obachten. Immer fängt die Krankheit am Gipfel der Zwiebel an, niemals in der Scheibe. Die Aelchen wandern bei unsern Hyazinthen immer am Gipfel der Zwiebel hinein; dies geschieht immer mit den Zwiebelgewächsen, bei welchen die äußern Schuppen trocken sind; bei denjenigen Zwiebelgewächsen aber, deren äußere Schuppen fleischig, dringen sie aus dem Boden direkt in letztere ein (Sevilla campanulata). In der beigegebenen Fig. 7 habe ich unten den Längsschnitt einer Hyazinthenzwiebel abgebildet; mehrere Schuppen sind daselbst nur in ihren obersten Teilen erkrankt; in andern Schuppen erstreckt sich die Krankbeit bis an die Scheibe. Ist die letztere einmal krank ge- worden, so wird sie bald gänzlich braun, und das Innere der größten- teils verfaulten Scheibe wimmelt von Aelchen. Es kann vorkommen, dass die letztern aus der Scheibe in andere Schuppen derselben Zwiebel hineinwandern, und diese krank machen. Nur in dem Falle, wo die Scheibe krank ist, kann es Schuppen geben, die in ihrem untern Teile krank, in dem obern Teile ganz normal sind; sonst fängt immer die Krankheit der Schuppen in ihrem obern Teile an. Niemals infiziert die eine Schuppe die andere direkt. Hat man ringelkranke Zwiebeln angepflanzt, welche die oben beschriebenen Krankheitssymptome zeigen, so bemerkt man im fol- genden Frühjahre auch an den oberirdischen Teilen Abnormitäten, welche die Folge sind von dem Vorhandensein der Aelchen. Gewöhn- lich sind es nur die Blätter, welche Aelchen enthalten; in einigen Fällen trifft man die Parasiten auch in dem Stengel an. Im Frühjabre kann man die Krankheit zunächst an den charak- teristischen gelben Flecken (Fig. 8) erkennen, welche sich auf den Blättern zeigen: das sind Stellen, wo das Chlorophyll in dem Blatte vermindert oder daraus verschwunden ist. Im Anfange sind diese Flecken länglich, nicht genau begrenzt, gelblich grün gefärbt. Beieinigen kranken Pflanzen bleiben sie immer von dieser Farbe, und man kann sie nur mit großer Mühe sehen. Die gewissenhaften Harlemschen Blumen- 174 Ritzema Bos, Untersuchungen über Tylenchus devastatrix Kühn. Fig. 8. ed nal. dL zwiebelzüchter. welche im Frühjahre fast immer Arbeiter auf ihren Aeckern suchen lassen nach Exemplaren, welche entweder an der Ringel- krankheit oder an einer andern Krankheit leiden, sagen, es sei in solchem Falle höchst lästig, diese so wenig deutlichen Flecken aufzufinden. Bei hellem Sonnenscheine ist dies sogar unmög- lich, und die Arbeiter müssen also abends oder bei trübem, bewölktem Himmel die Aecker in- spizieren, um diejenige Pflanzen aufzufinden, welche in ihren Blättern zwar die Krankheit zeigen, aber doch nicht bei hellem Tage als kranke Exemplare erkannt werden. Gewöhnlich werden die gelblichen Flecken später deutlicher, indem das Blattgrün an jenen Stellen gänzlich aus den Blättern verschwindet; oft stirbt die Mitte eines solchen Fleckes ab und wird braun. In den meisten Fällen beobachtet man an den Blättern der ringelkranken Hyazinthen keine andern Symptome als das Auftreten der gelben Fleeken. Die weitern Missbildungen, von welchen ich jetzt reden werde, zeigen sich gewöhnlich erst später, und werden in Holland nur selten beobachtet, weil die Züchter die gelbfleckigen Pflanzen sobald wie möglich fortsuchen lassen, damit sie keine andern Pflanzen infizieren. Und so bleiben gewöhnlich diese weitern Missbil- dungen aus. Allein lässt man die kranken Hyazinthen- pflanzen einige Zeit auf dem Acker stehen, so krümmen und biegen sich ihre Blätter; ihre Ränder werden auch wohl einmal wellenförmig gebogen, und es können Risse und Spalten in den Blättern sieh zeigen. Also kommen bei den ringelkranken Hyazinthenpflanzen doch schließlich an den oberirdischen Teilen dieselben Missbildungen vor wie an den stockkranken Roggen- pflanzen. Anfangs findet man in den Blättern der ringelkranken Hyazinthenpflanzen die Aelchen hauptsächlich nur an relativ wenigen Stellen angehäuft: das sind die gelben Flecke der Blätter; später verbreiten sie sich mehr über alle Teile der Blätter; dann zeigen sich die Biegungen, Risse u. s. w., welche die Folge sind lokaler Zellvergrößerungen und Zellvermehrungen in dem Blattparenchyme. — Man bemerkt die Ringelkrankheit gewöhnlich zunächst an den Blättern; oft ist die Zwiebel einer Pflanze noch gar nicht krank, Ritzema Bos, Untersuchungen über Tylenchus devastatrix Kühn. 175 während die Blätter schon die gelben Flecken besitzen. Die Unter- suchung zeigt dann, dass die Aelchen in die Pflanze an der Spitze der Zwiebel eingewandert sind, und dass sie dann sogleich aufwärts in die Blätter sich verbreitet haben. Später, wenn die Blätter zu welken anfangen, wandern die Aelchen aus den Blättern in die Zwiebelschuppen. Allein jedes Jahr wandern im Frühjahre wieder eine große Anzahl Aelchen in die Blätter hinein, um später in die Zwiebel zurückzukehren. So lange die Zwiebel besteht, finden diese Wanderungen statt; und die Tylenchen haben gar keine Ursache, die Hyazinthenpflanzen zu verlassen und in den Boden hineinzuwandern. Diejenigen Aelchen aber, welche in Roggenpflanzen oder in andern ein- oder zweijährigen Gewächsen wohnen, sind dazu gezwungen, sobald die Pflanze, welche sie bis zu der Zeit bewohnten, gestorben. Bei der Aelchenkrankheit des Roggens, des Hafers u. s. w., sowie bei derjenigen der Zwiebeln (Allium cepa) kann von einem infizierten Boden die Rede sein; bei der Ringelkrankheit der Hyazinthen, Galtonia und Seilla bleibt der Boden fast immer älchenfrei. Auf Aeckern, worauf im vergangenen Jahre ringelkranke Hyazinthen wuchsen, darf man, ohne sich vor In- fizierung zu fürchten, im folgenden Jahre wieder Hyazinthen kultivieren. Nur in einem einzigen Falle kann man sagen, dass die Aelchen sich in den Boden weiter verbreiten. Dies geschieht, wenn eine Hyazinthenzwiebel in so starkem Grade von den Aelchen angegriffen ist, dass sie gänz- lich zerstört wird und stirbt. Diese Zwiebel geht in Fäulnis über, und die kleinen Würmehen verlieren ihre Wohnung und verbreiten sich im Boden. Allein sie wandern sobald wie möglich in die in der Umgebung wachsenden Hyazinthenpflanzen ein, und zwar immer am Gipfel der Zwiebel. Gewöhnlich verbreitet sich die Ringelkrankheit jedoch aus der alten Zwiebel in die jungen, welche erstere, sei es auf natürlichem, sei es auf künstlichem Wege, hervorbringt. — Ueber die Methoden der Bekämpfung der Ringelkrankheit will ich hier nicht schreiben. Es sei zum Schlusse hier die Bemerkung gemacht, dass Prillieux der erste war, der die Tylenchen als Ur- sache der hier behandelten Krankheit erwähnte, und dass Sorauer trotz der Prillieux’schen Untersuchungen an dem Pilze Penieillium glaucum als Ursache der Ringelkrankheit festhält, was auch nach meinen Untersuchungen entschieden falsch ist. In der Literatur (8.215) habe ich die Schriften aufgeführt, worin die Streitfragen über die Ursache der Ringelkrankheit behandelt werden; allein hier ist nicht der Ort, darüber mehr zu schreiben. Die Stockkrankheit des Klees und der Luzerne. Wie schon früher von mir hervorgehoben wurde, kannte schon Schwerz (1825) den „Stock“ beim Klee in Rheinpreußen. Kühn 476 Ritzema Bos, Untersuchungen über T’ylenchus devastatrix Kühn. stellte fest, dass die Ursache dieser Krankheit sowie diejenige der Stockkrankheit des Roggens, des Hafers und des Buchweizens, in der Tylenchus devastatrix zu suchen sei. Später (1880) sandte Haven- stein dem Professor Kühn kranke Luzernepflanzen und roten Klee; letzterer fand in diesen Pflanzen eine große Anzahl von Aelchen, die er als eine aparte neue Species (unter dem Namen Tylenchus Haven- steinii) beschreiben zu müssen meinte, die aber von der Tylenchus devastatrix Kühn wohl nicht als spezifisch verschieden betrachtet werden darf). Ueber die an dieser Tylenchus erkrankten Pflanzen meldet Kühn folgendes: „Die übersandten Luzern- und Rotkleepflanzen zeigten zahlreiche verkümmerte Triebe. Zuweilen hatte sich die Knospe nur zu einem rundlichen oder eiförmigen, weißlichen, gallenartigen Gebilde ent- wickelt; meist jedoch war es zur Ausbildung von Trieben gekommen, diese aber waren verkürzt, oft verkrümpft und meist ungleich ver- diekt. Kleinere Triebe waren ebenfalls durchaus weißlicher Farbe, bei andern war dies nur am untern Teile der Fall, während der obere Teil mehr oder weniger grüne Färbung hervortreten ließ. Die an solchen Trieben vorhandenen Blättchen waren meist verkümmert und oft nur schuppenförmig entwickelt, die Verdickung der abnormen Triebe kann bei der Luzerne das Vierfache des normalen Durchmessers er- reichen“. In Groß-Britannien war seit vielen Jahren die sogenannte „Clover- sickness“ eine daselbst sehr viel vorkommende Krankheit. Aus vielen Zusendungen, die Miss Ormerod so freundlich war, mir zu machen, ergab sich das Resultat, dass unter „Cloversickness“ nicht immer dasselbe verstanden werde, dass aber unter diesem Namen sehr oft die Stockkrankheit des Klees vorkam. Die Fäule der Kardenköpfe. Die Krankheit der Blütenköpfe der Weberkarde (Dipsacus fullonum) wurde von mir selbst niemals beobachtet. Ich kann also hier nur dasjenige mitteilen, was von Julius Kühn von ihr erzählt wird. Er sagt, dass diese Krankheit als Kernfäule bezeichnet wird, obgleich meist eine eigentliche Fäule dabei nicht eintritt, sondern nur ein all- mähliches Missfarbigwerden und Vertrocknen der Blütenköpfe statt- findet. Die Blütehen welken und sterben frühzeitig ab, das Zell- gewebe im Innern der Blütenköpfe ist gebräunt; durch das Zusammen- trocknen desselben werden die Köpfe endlich hohl. Die Bräunung des Zellgewebes beginnt am Blütenboden und schreitet nach innen vor, bis das ganze Mark davon ergriffen ist. Die Gefäßbündel, welche den Blütenboden netzförmig durchziehen, bleiben länger lebensthätig und sind noch frisch und unverändert, wenn das Markgewebe schon 4) „Biolog. Centralblatt“, VII, $. 239. Ritzema Bos, Untersuchungen über Tylenchus devastatrix Kühn. A477 gebräunt ist. Dadurch ist es ermöglicht, dass noch einige Zeit nach dem Erkranken der Köpfe den Fruchtknoten der an ihren übrigen Teilen schon welkenden Blütehen noch Nahrung zu einer abnormen verkümmerten Ausbildung zuge- führt wird. Die aus ihnen ent- stehenden Körner sind mehr als um die Hälfte kleiner und mehr abgerundet als die gesunden Samen. Die Haarkrone, welche bei den letztern gestielt ist, sitzt den erstern unmittelbar auf, und ist fast doppelt so groß wie ge- wöhnlich. — Während die Stengelälchen — mit alleiniger Ausnahme der Zwie- belsamen, worein die parasitischen Nematoden gelegentlich eindringen (vergl. S. 212) — immer in dem Stengel oder in den Blättern sich aufhalten, wandern diese Parasiten bei der Weberkarde in die Blumen und in die Früchte hmein. Kühn zufolge befindet sich im Innern des kranken Samens noch ein Teil des Kernes; der übrige Teil des Inhalts wird von den in weiß- lichen Häufchen vereinigten Ael- chen angefüllt. Auch befinden sich die letztern im Gewebe der abnorm verdickten Samenhaut, namentlich an der Basis derselben. Auch im Pappus, im Blumenboden und im Marke der verdickten Axe des Blütenstandes findet man die Aelchen. Doch verursachen sie nach Kühn an den beiden letztgenannten Stellen keine Ab- normität, sondern nur ein allmäh- liches Absterben und Braunwerden des Gewebes. — Ueber eventuelle Missbildungen des Stengels, der doch von den Aelchen bewohnt sein muss, bevor letztere in den Blüten- stand gelangen, berichtete Prof. Kühn nichts. VII, Fig. 9. 178 Gruber, Weitere Beobachtungen an vielkernigen Infusorien. Die Stockkrankheit des Buchweizens. Ueber diese Krankheit will ich zunächst die Worte Havenstein’s zitieren: „Ebenso, ja oft noch deutlicher als beim Roggen, lässt sich das Uebel am Buchweizen wahrnehmen. Hier tragen die kranken Pflanzen nicht weit über der Erdoberfläche, wo die erste Verästelung beginnt, eine im Verhältnis zum normalen Stengelumfang unförmlich dieke, knotenartige Anschwellung, in deren Bereich der Stengel sehr mürbe, zerbrechlich und im Innern von mulmiger, staubiger Beschaffen- heit ist. Von dieser Anschwellung aus verlaufen einzelne, jedoch sehr kurze Aeste nach oben, die je nach dem Intensitätsgrade der Krankheit Blüten und auch noch wohl Früchte tragen können. Andere Pflanzen weisen die wunderlichsten, immer mit Anschwellung verbun- denen Krümmungen und Verrenkungen des Stengels auf; alle kranken Pflanzen sind aber sehr viel kleiner als die gesunden. Viele gehen längst vor der Blüte ein, andere während derselben, und ein Teil produziert auch wohl kümmerliche Früchte. Das Vorhandensein der Krankheit ist hier also viel leichter und sicherer zu konstatieren als beim Hafer, auch schon desshalb, weil hier unter Umständen ganz kahle Stellen entstehen können“. — Ich gebe hierbei S. 177 die naturgetreue Abbildung einer von mir künstlich infizierten Buchweizenpflanze. Die geringe Länge und die relativ große Dieke der Glieder sind höchst charakteristisch. Die Stengelglieder sind in der Figur ihrer Reihe nach, mit den Zahlen 1. 2. 3. Z angedeutet. — Doch sehen andere stockkranke Buchweizen- pflanzen ganz anders aus (vergl. das oben abgedruckte Zitat Haven- stein’s). A. Gruber, Weitere Beobachtungen an vielkernigen In- fusorien. 3er. Naturf.- Gesellsch,. Freiburg i. B. III. 1. Heft. S. 58—69 m. Taf. VI, VII. Nach einer Aufzählung und Besprechung derjenigen von ihm und Maupas untersuchten marinen Infusorien, die sich bestimmt als viel- kernig erwiesen haben, gibt der Verf. eine sehr interessante Schil- derung des Teilungsaktes von Holosticha seutellum, eines mehrkerni- gen hypotrichen Infusors aus dem Busen von Genua. Ein normales Exemplar zeigt eine grofse Anzahl kugliger Kerne, die sich nach Pikrokarmin-Färbung gut vom Protoplasma abheben. Schiekt sich das Tier zu der Teilung an, so verschmelzen die sämt- lichen kleinen Kerne zu einem grofsen in der Körpermitte gelegenen Kern. Neben dem grofsen Kern macht sich auf diesem Stadium ein kleiner Nebenkern bemerkbar, was um so auffallender ist, als vorher von Nebenkernen überhaupt nichts wahrzunehmen war. Nichtsdesto- weniger sieht Verf. sich zu der Annahme geführt, dafs dieser Neben- kern aus der Verschmelzung einer grolsen Zahl unendlich kleiner Plateau, Sehvermögen der Myriopoden und Arachniden. 179 Nebenkerne entstanden ist, dafs also auch im vielkernigen Zustand bei Holosticha neben jedem der kleinen Kerne ein kleinerer Neben- kern vorhanden sein muls, der nur wegen seiner winzigen Grölse mit unsern optischen Mitteln nicht nachweisbar ist. Nach der Verschmelzung der Großkerne und der Nebenkerne zu je einer einheitlichen Masse wird der nächste Schritt zur Teilung vom Nebenkern gethan. Derselbe teilt sich, worauf dann erst die Teilung des Großkerns erfolgt. Diese sowie alle ferneren Teilungen des Großkerns erfolgen nach Bildung der bekannten Hantelfigur mit der charakteristischen Längsstreifung. Allmählich tritt auch eine quere Einsehnürung des Infusorienkörpers selbst hervor, die sich stärker und stärker ausprägt. Die beiden Teilprodukte von Großkern und Nebenkern rücken in die beiden Teilhälften des Körpers und er- leiden hier eine große Reihe weiterer Teilungen unter denselben Er- scheinungen. Jedoch ist zu bemerken, dass die Teilungen der Neben- kerne nicht gleichen Schritt mit denen der Großkerne halten. So sah er Individuen, die nur noch durch eine schmale Brücke verbunden waren und bei denen jedes schon mit 16 Kernen versehen war, ja er fand auch solche Tiere, bei denen jeder dieser 16 Kerne wieder im Begriff war sich zu teilen, so dass jede Teilhälfte des Tiers 32 Groß- kerne enthielte. Die Teilung der Großkerne ist auch dann noch nicht erschöpft, nachdem bereits die völlige Trennung der beiden neuen Indi- viduen erfolgt ist. Gegen das Ende des Teilungsaktes ließen sich die Nebenkerne nicht mehr nachweisen, wahrscheinlich weil sie infolge ihrer wiederholten Teilungen eine zu geringe Größe erreicht hatten. Wie viele Großkerne das Infusorium schließlich enthält, dafür lässt sich keine bestimmte Regel aufstellen, da die Zahl offenbar in- dividueilen Unterschieden unterworfen ist. W. Plateau’s Versuche über das Sehvermögen der Myriopoden und Arachniden. Vom Gymnasiallehrer Tiebe in Stettin. Nachdem uns die gründlichen Untersuchungen V. Graber’s!) über die Fähigkeit auch der niedern Tiere, Helligkeitsabstufungen und ebenso Farben von einander zu unterscheiden, hochbedeutsame Aufschlüsse gegeben haben, hat Felix Plateau — Gent in den letzten Jahren die Frage nach dem Sehvermögen der Myriopoden und Arachniden nach einer andern Richtung hin in ausgedehnterem Malse, als dies bisher geschehen war, verfolgt, nämlich untersucht, ob die einfachen Augen dieser Tiere im stande seien, die Gestalt und die Bewegung äußerer Objekte wahrzunehmen ?). 1) Biolog. Centralbl., Bd. VI, S. 489-503 gibt einen Bericht über dieselben. 2) Recherches exp6rimentales sur la vision chez les Arthropodes. Bull. de l’Acad. royale de Belgique, 3€e serie, tome XIV, nes 9—11, 1887, 44 + 528. 12° 180 Plateau, Sehvermögen der Myriopoden und Arachniden. Die auffallende Aehnlichkeit dieser einfachen Augen mit denjenigen der Wirbeltiere hat vielen Autoren die Ansicht als eine durchaus be- rechtigte erscheinen lassen, dass auch sie ein umgekehrtes Bild der Gegenstände erzeugten; nur glaubte man aus der großen Konvexität der Linsen auf eine sehr‘ geringe Weite des deutlichen Sehens, also auf bochgradige Kursichtigkeit schließen zu müssen. Gegen diese Ansicht hat aber schon Dujardin!) hervorgehoben, dass eine ihrer Voraussetzungen nicht erfüllt ist, dass vielmehr Augen, welche wie die in Rede stehenden aus in einander gelegten Schalen von verschie- dener Krümmung und von verschiedenem Breehungsvermögen bestehen, so viel hinter einander folgende Bilder erzeugen, als Zonen in den brechenden Medien vorhanden sind, und dass deshalb für ebenso viel äußere Entfernungen deutliche Bilder auf den empfindenden Enden der Retina entstehen könnten. Grenacher?) hält ebenfalls die ein- fachen Augen nicht für notwendig myopisch, weil bei ihnen der Mangel des Akkomodationsvermögens durch die Länge der Elemente in der Stäbehenschicht ausgeglichen sein könnte. Plateau hat, trotzdem wir jetzt über neuere Untersuchungen von Grenacher, Graber, Ray-Lankester, Patten, Mark u.a. über den anatomischen Bau des Arthropoden- Auges verfügen, auf derartige theoretische Erwägungen, welche doch erst der Bestätigung durch das Experiment und die Beobachtung bedürfen, vorderhand verzichtet und die Frage dureh direkte Versuche zu lösen gesucht. Eine äußerst einfache Vorrichtung hat derselbe ersonnen, um das Wahrnehmungsvermögen zunächst von Myriopoden zu erproben. Auf einen mit erdfarbenem Papier bedeckten Tisch, welcher in dem diffusen Licht eines Fensters steht, stellt er im Kreise ungefähr S cm vom Mittelpunkt entfernt 1 cm hohe Streifen von weißem und schwarzem Karton, Korkplatten und Stücke bemooster Baumrinde so auf, dass zwischen je zweien eine Lücke bleibt. Um diesen innern Kreis werden aus denselben Materialien noch 5 andere gestellt; dabei ist jede Lücke eines Kreises durch ein Stück des nächstfolgenden gedeckt. Wird nun ein Lithobius z. B. in die Mitte dieses „Labyrinths“ gesetzt, so sucht er dem ihm unbehaglichen grellen Tageslicht zu entfliehen. Besitzt er gute Augen, so muss er unter Vermeidung der entgegenstehenden Hindernisse in kürzerer Zeit seinem Gefängnis ent- schlüpfen, im entgegengesetzten Falle aber erst nach mannigfachen Anstößen und vielen Umwegen sein Ziel erreichen. Bei allen untersuchten Myriopoden trat das letztere ein. Lithobius forficatus, der auf jeder Seite 26 einfache Augen besitzt, ging mit 2 Taf. — Weitere Untersuchungen über den Gesichtssinn der Insekten und ihrer Raupen sollen in 5 Abteilungen folgen. 4) Compt. Rend. XXV, p. 711 (1847) und Ann. des sciences nat. (5), VII, p. 107 (1867). 2) Untersuchungen über das Sehorgan der Arthropoden. Göttingen 1879. 8. 144. Plateau, Sehvermögen der Myriopoden und Arachniden. Ist emporgehobenen und fortwährend umherspürenden Fühlern grade auf das im Wege stehende Hindernis los, von welcher Beschaffenheit das- selbe auch war. Erst der Anstoß mit den Antennen belehrte das Tier, dass ihm der Weg versperrt war; unter fortwährendem Betasten des Hindernisses umging es dasselbe und stürzte in genau derselben Weise auf das nächste. Mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 2,5 em gelang es ihm, auf ziemlich gradem Wege aus dem Gewirr der Gänge zu entkommen. Ebenso benahmen sich unter äußerst lebhaftem Spiel der Antennen der blinde Oryptops punctatus, der mit 100 Augen versehene Julus londinensis, die 16 äugige Glomeris marginata u. 8. W. Welche verschwindend geringe Rolle den Augen gegenüber der erforschenden Thätigkeit der Fühler zukommt, geht daraus hervor, dass Lithobien, denen man die Augen mit schwarzer Oelfarbe über- strichen hatte, mit derselben Geschwindigkeit wie vorher dem Labyrinth entrinnen konnten. Schnitt man ihnen dagegen die Fühler ab, so nahmen sie ein entgegenstehendes Hindernis nicht mehr wahr, sondern stießen mit dem Kopf gegen dasselbe. Jede Wahrnehmung indess ist den Augen nicht abzusprechen: Lithobien, denen man die Fühler genommen und die Augen zugeklebt hatte, denen also nur noch ihr dermatoptisches Vermögen und der Tastsinn der Füße geblieben war, kamen mit geringerer Geschwindig- keit vorwärts, an alle Hindernisse stießen sie mit dem Kopf an, es gelang ihnen nieht mehr, auch nur eine einigermaßen grade Richtung einzuhalten, sie drehten sich oft im Kreise herum und nur durch Zu- fall kamen sie aus dem Labyrinth heraus. Genauer stellen dies Wahrnehmungsvermögen der Augen Versuche dar, bei denen Plateau Tausendfüße auf dem Parquet eines Zimmers kriechen ließ. Stellte er ihnen dabei ein Hindernis derselben Art, wie die im Labyrinth gebrauchten, an einem leichten Stock befestigt, in den Weg, so stürzten die Tiere unbedenklich auf dasselbe zu, bis sie mit ihren Fühlern anstießen. Nur, wenn man ihnen weißes oder hell- gelbes Papier mit der beleuchteten Seite entgegenhielt, stutzten sie auf einer Entfernung von 10 bis 15 em und gingen dann mit halb- rechts oder halblinks an dem Hindernis vorbei. Dieselbe Erscheinung zeigte sich auch, obgleich nicht immer und nicht in demselben Grade, bei Anwendung hellgrünen und hellblauen Papiers, dagegen nicht bei kirschroter Farbe. Julus londinensis vermochte solche weißen Hindernisse deutlich wahrzunehmen nur, wenn dieselben eine Größe von 15 gem hatten; bei der halben Größe war die Wahrnehmung schon sehr zweifelhaft. Außer bemerkenswerten Schlüssen über den Farbensinn der Tiere ergeben diese Versuche mit großer Wahrscheinlichkeit das Resultat, dass die Augen der Myriopoden zwar äußerst schlecht sehen, jedoch auf kürzere Entfernungen einen Liehtschimmer, welcher von weiß- 182 Plateau, Sehvermögen der Myriopoden und Arachniden. lichen Hindernissen ausgeht, wahrzunehmen im stande sind. Dass dabei nur an einem Liehteindruek im allgemeinen und nicht von einer Perzeption der Gestalt die Rede sein kann, lehrt ein letzter Versuch: Auf den mit Sand bedeckten Boden einer großen Krystallschale setzte Plateau einen ZLithobius und nach Verlauf von drei Tagen, in denen derselbe unzweifelhaft Hunger bekommen hatte, drei ihrer Flügel beraubte Fliegen. Zu vielen Malen ging die Assel auf 2, ja 1 em Entfernung an der ihr bestimmten Beute vorbei, ohne sie zu sehen; erst ein zufälliges Anstoßen mit den Antennen führte zu einem Er- greifen und Verzehren derselben. Bei allen diesen Versuchen sind die Tiere der Einwirkung hellen Tageslichts ausgesetzt. Da dieselben aber im freien ihren Aufent- halt unter Steinen u. dergl. an dunklen, schattigen und feuchten Orten wählen, so ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass ihre an das Dunkel gewöhnten Augen durch das grelle Licht geblendet werden, und sie deshalb an Hindernisse anstoßen, ebenso wie auch das Seh- vermögen z. B. von Vögeln und Insekten durch zu grelles Licht in auffälliger Weise gestört wird. Sollen also die bis jetzt gewonnenen Resultate einen unzweifelhaften Wert erlangen, so bedürfen sie noch der Bestätigung durch Beobachtungen der Tiere im Dämmerlicht oder im Dunkeln (vielleicht unter Benützung einer Laterne mit roter Glas- scheibe) und in ihrem Leben unter natürlichen Verhältnissen. Diesen Anforderungen genügen die Versuche, welche Plateau mit Skorpionen (fast ausschließlich mit Buthus europaeus) angestellt hat. Am Tage halten sich diese Tiere unter Steinen verborgen; schleunigst suchen sie sich von neuem zu verkriechen, wenn man sie aus ihrem Versteck hervorzieht. Erst gegen Sonnenuntergang werden sie lebendig. Dementsprechend hat Plateau die Skorpione nur am Abend untersucht. Zunächst zeigte sich das Sehvermögen der auf dem Scheitel ge- legenen mittlern Augen von dem der seitlichen verschieden: die erstern nehmen Gegenstände auf 1, die letztern auf 2 bis 2,5 em Entfernung wahr. Unter diesen Umständen müssen wir die landläufige Ansicht, dass der Skorpion auf Jagd gehe, wohl fallen lassen, bei solcher Kurzsichtigkeit ist er auf die Beute angewiesen, welche in die un- mittelbarste Nähe seiner Augen kommt oder gradezu in die Scheeren fällt. Auch in der Handhabung dieser Greiforgane zeigt sich das Tier recht ungeschickt. Plateau musste ihm fast immer Insekten ohne Flügel und Beine in die Scheren drücken, weil es sonst die ganze Nacht umherirren konnte, ohne die geringste Beute zu machen. Entschlüpft em Insekt, so sucht der Skorpion dasselbe wohl wieder zu erlangen, es gelingt ihm dies aber nur, wenn es sich nicht weiter als 2 cm entfernt hat und sich bewegt. Aus diesem Verhalten dürfte wohl mit Sicherheit hervorgehen, dass die Augen des Skorpions nur Plateau.-Sehvermögen der Myriopoden und Arachniden. 183 eine Bewegung, aber nicht mehr die Gestalt eines Gegenstandes selbst auf kurze Entfernungen wahrnehmen. Nach der Ansicht von Bellesme!) und Lankester?) sollen die Augen eine Rolle beim Töten des Insektes spielen; aber auch diese wird durch Plateau’s Versuche hinfällig. Ein Skorpion hatte einen Brummer (Calliphorus) gefangen, der an einem Faden hängend an seine Scheren gebracht war; zwei mal stach er mit dem Gift- stachel nach demselben zu, traf aber beide mal den Faden, trotzdem verzehrte er nunmehr das Insekt ungeachtet seines Brummens und seines Sträubens. Außerdem bringt der Skorpion ein gefangenes Tier, ehe er zusticht, immer vor die Mitte des Kopfes, wohin seine Augen nicht blicken können; er scheint sich also bei Anwendung seines Stachels ganz durch das Gefühl leiten zu lassen. Aueh im Verhalten gegen andere ihrer Art, welche der Skorpion bekanntlich: gewaltig fürchtet, tritt die Mangelhaftigkeit des Seh- vermögens deutlich hervor. Setzt man zwei zusammen in eine Schale, so nehmen sie nicht im geringsten Notiz von einander; erst bei un- mittelbarer Berührung fliehen sie mit allen Zeichen des Entsetzens. Im Labyrinth, auch in einem solchen, dessen Hindernisse 3 cm hoch und 12 em breit waren, benahmen sich die Skorpione wie die Myriopoden; sie benutzten beim Gehen ihre Scheren als spürende Organe und stießen mit denselben an alle Gegenstände an, welche ihnen den Weg versperrten. Die eigentlichen Spinnen hat Plateau unter Vermeidung störender Einflüsse, zu denen vor allem Bewegungen des Beobachters gehören, großenteils im freien unter ihren natürlichen Verhältnissen aufgesucht. Als er Hüpfspinnen (Salticus scenicus) am Ende von an einem dünnen Stock befestigten Insektennadeln lebende Fliegen näherte, wurde ihre Aufmerksamkeit schon bei einer Entfernung von 10 bis 12 cm erregt, so dass sie sich nach rechts und links drehten, je nach- dem man den Stock bewegte. Wurde das Insekt bis auf 5 em ge- nähert, so bewegten sich die Spinnen auf dasselbe zu, folgten ihm, wenn man dasselbe entfernte, bis auf 2 em und stürzten sich dann erst, trotzdem sie viel weiter springen können, auf ihre Beute. Auf den größern Entfernungen fand indess die Erregung der Aufmerksam- keit nur statt, wenn die Insekten sich bewegten; auf 4 em gingen die Spinnen an ruhig sitzenden Fliegen vorbei, ohne dieselben irgendwie zu beachten. Da sie sich außerdem leicht verleiten ließen, einer schwarzen Wachskugel von der Größe einer Fliege zu folgen, und erst bei einem Abstande von 1—2 cm ihren Irrtum gewahr wurden, so ergibt sich deutlich, dass es sich bei den größern Entfernungen 2) Journ. of the Linn. Soc. (Zool.), vol. XVI, p. 455, 1885. 184 Plateau, Sehvermögen der Myriopoden und Arachniden. um eine solche der Gestalt handelt. Thomisius cristatus, Dolomes Simbriatus und Lycosa saccata sprangen sogar auf solche groben Nach- ahmungen unter Einschlagen ihrer Klauen zu, und Weibchen der letz- tern Art, denen man ihren Eiersack genommen hatte, irrten auf einem Kreise von 20 em Durchmesser zu vielen Malen auf 1 em an dem Gegenstand ihres Suchens vorbei und ergriffen statt dessen kleine Brotkügelchen, sowie sie dieselben gestreift hatten; sie verrieten da- durch eine Kurz- und Schwachsichtigkeit, welche um so auffallender ist, als man von diesen Tieren gemeinhin annimmt, dass sie auf Jagd gehen. Man darf unbedenklich der früher von Forel geäußerten Meinung beistimmen, dass die Fliegen, wenn sie nicht so schrecklich stumpfsinnig und unverständig wären, kaum jemals die Beute von Jagdspinnen würden, da diese nur nach einer Stelle springen, an welcher sie eine Bewegung wahrgenommen haben und = unter 50 Sprüngen 49 mal ihr Ziel verfehlen. Weniger befremdet uns ein schwaches Sehvermögen bei den Webespinnen, da dieselben im stande sind, die Gegenwart und Lage eines Insektes aus den Erzitterungen ihres Netzes wahrzunehmen. Auf dieses Mittel verlassen sie sich aber vollständig; man kann sie immer täuschen durch schwarze Wachskügelchen, durch kleine Papier- kügelehen, durch eine kleine Feder, durch ein Bündel feiner Gras- ährchen; Meta segmentata vermochte nicht, eine lebende Fliege und ein Stückchen Feder, welche mit einander durch einen 2 em langen Faden verbunden waren und gleichzeitig auf das Netz geworfen wurden, von einander zu unterscheiden, und Tegenaria domestica, Tegenaria eivilis und Agalena labyrinthica bissen S—20 mal nach einander in ein Stückchen einer grauen Feder, welche an einem Faden in Drehung versetzt wurde. An den Augen von Epeira diadema konnte man irgend welche, auch metallisch glänzende Gegenstände bis auf eine Entfernung von !/, em vorbeiführen, ohne dass die Tiere sich rührten; erst eine Berührung veranlasste sie zur Flucht. Dagegen ist bekannt, dass diese Spinnen durch Bewegungen eines Menschen in der Nähe ihres Netzes leicht erschreckt werden; ihren Augen ist also nur die Wahrnehmung der Bewegung größerer Körper möglich, dagegen diejenige der Bewegung und der Gestalt kleinerer versagt. Die Phalangiden endlich scheinen jeden Sehvermögens bar zu sein: sie nehmen weder größere noch kleinere Gegenstände, welche ihren 2 Augen genähert werden, wahr. Um so empfindlicher sind sie für jeden Luftzug, für jede Erschütterung ihres Sitzes, für jede Be- rührung. Mit gespreizten Beinen sitzend bilden sie einen Kreis mit 8 Radien von je 6 em Länge oder eine Art Netz, in welchem sich Insekten fangen. Das 2. Beinpaar vorzugsweise ist durch seine ge- steigerte Empfindlichkeit ausgezeichnet. Zu ihren Bewegungen in der Freiheit und im Labyrinth bedienen die Weberknechte sich des 1., 3. und 4. Beinpaares, das 2. benutzen sie als Fühler: sie betasten Zacharias, Studium der Süßwasserfauna. 185 mit denselben äußerst schnell jedes in den Weg kommende Hindernis; es ist also auch bei ihnen der Mangel des Sehvermögens durch das Gefühl ersetzt. Summarischer Bericht über die Aufnahme meines Vorschlags (Studium der Süßwasserfauna betr.) seitens der Fachkreise '). Von Dr. Otto Zacharias in Hirschberg 1./Schl. Der von mir in Nr. 269 des „Zoolog. Anzeigers“ veröffentlichte Aufsatz über die Errichtung von zoologischen Stationen behufs Be- obachtung der niedern Tierwelt unserer Binpnenseen und Teiche ist nieht ohne Widerhall geblieben; ja ich muss sagen, dass ich durch die Menge zustimmender Kundgebungen, welche ich empfing, über- rascht worden bin. Zu den Befürwortern des Projekts zählen mehrere Forscher ersten Ranges. Ich bin indess nicht ermächtigt, deren ge- wichtige Autorität unter Namensnennung für meine Sache in die Wag- schale zu legen. Auch würden die glänzendsten Namen nicht im stande sein, ein wissenschaftliches Vorhaben lebensfähig zu machen, das sich durch seine augenscheinliche Ersprießlichkeit nieht selbst empföhle. Und letzteres ist zweifellos der Fall. Nicht eine einzige der mir zu Händen gekommenen Zuschriften stellt in Abrede, dass das Studium der Süßwasserfauna bisher hochgradig vernachlässigt worden sei. Alle stimmen vielmehr darin überein, dass die ernstliche Inangriffnahme ausgedehnter faunistischer Untersuchungen in unsern Binnengewässern Nutzen stiften und vieles Neue an den Tag bringen werde. Meinungsverschiedenheit herrscht nur bezüglich der Art und Weise, wie man es anzustellen habe, um recht rasch zu möglichst reichen Ergebnissen zu gelangen. Die einen glauben, dass man ganz gut ohne Blockhäuser und ohne ein sesshaftes Observatorium auskommen könne, „weil in der Nähe großer Seen stets Dörfer ge- legen seien, in denen man für einige Tage Unterkunft finden könne“. Gegen diese Ansicht erlaube ich mir (nachdem ich im Sommer 1886 fünfundvierzig norddeutsche Seen auf der Streeke von Kiel bis Danzig untersucht habe) die Einsprache: dass es, meiner Erfahrung nach, zu den allergrößten Seltenheiten gehört, in einem Fischerdorfe Wohnung von der Art zu finden, dass man darin ungestört und mit der nötigen Freudigkeit mikroskopische Beobachtungen anstellen könnte. 1) Nachdem wir in Bd. VII Nr. 23 des Biol. Centralbl. den Zacharias’- schen Aufsatz aus Nr. 269 des „Zool. Anzeigers“ reproduziert haben, er- scheint es im sachlichen Interesse geboten, unserem Leserkreise auch die weitern Ausführungen des genannten Autors (Zool. Anz. 277) zu übermitteln, und das umsomehr: als der erste Aufsatz durch den neuerdings publizierten in mehrfacher Hinsicht wesentlich ergänzt wird. — Bei dieser Gelegenheit wollen wir nicht unterlassen anzuführen, dass der Vorschlag von Dr. Zacharias (Süßwasserstationen zu errichten) auch in Italien lebhafte Zustimmung findet, wie aus einem Aufsatze des Prof. Leop. Maggi (Pavia) im Bollettino Scienti- fico (Anno IX, Nr. 4), 1888, hervorgeht. Die Red. 156 Zacharias, Studinm der Süßwasserfauna. Ich habe die schlimmsten Erlebnisse in dieser Hinsicht zu verzeichnen ; unter andern auch dies, dass eine in das provisorische Observatorium eingedrungene Kinderschar mit meiner homogenen Immersion auf der Diele spielte, als ich mich nur auf einige Minuten entfernt hatte. Anders steht natürlich die Sache, wenn man — wie zu Plön oder Gremsmühlen in Ostholstein — komfortable Gasthäuser dieht am See- ufer anzutreffen das Glück hat. An solchen Orten ist es dann aller- dings nicht notwendig „Hütten zu bauen“; hier kann man sich voll- ständig auf längere Zeit häuslich einrichten und solehe Studien, wie ich sie in meinem Aufsatze befürwortet habe, mit Erfolg betreiben. Wenn eine wissenschaftliche Körperschaft den Versuch machen wollte, systematische Seen- Untersuchungen (resp. ökologisch-physio- logische Studien) auf ein oder zwei Jahre zu subventionieren, um zu sehen, was dabei herauskäme, so würde die Stadt Plön mit dem dicht dabei gelegenen großen See eine vorzügliche Gelegenheit dazu bieten. Hier würde man ohne Aufwendung großer Mittel ein sess- haftes Laboratorium errichten und in Betrieb setzen können. Die Nähe der Universität Kiel würde dabei noch als besonderer Vorzug in betracht kommen, insofern von dort instrumentelle und literarische Hilfsmittel, Assistenzkräfte und dergleichen im gegebenen Falle leicht zu beschaffen sein würden. Mit diesem Vorschlage dürften vielleicht auch diejenigen meiner Korrespondenten einverstanden sein, welche in ihren Zuschriften die Besorgnis ausgedrückt haben, dass mein Projekt, so nützlich es zu werden verspreche, an finanziellen Schwierigkeiten zu scheitern drohe. Denn die Errichtung eines besondern Stationsgebäudes mit Aquarien, Instrumenten und hilfeleistenden Beamten sei eine kost- spielige Sache. Der gleichen Befürchtung hat auch die Pariser „Revue seientifique“ in ihrer Nr. 8 vom 25. Februar 1838 Ausdruck gegeben. Das betreffende Heft enthält einen längern Aufsatz von Jules de Guerne, in welchem dieser Zoolog meinen Plan ausführlich erörtert und der allgemeinen Beachtung empfiehlt. In einem Schlusspassus desselben Aufsatzes heißt es, dass höchst wahrscheinlich Amerika dasjenige Land sein dürfte, wo man zuerst ein Laboratoire de Zoologie lacustre begründen werde; denn dort gebe es reiche und opferfreudige Privatleute, die eine Ehre darein setzen, den Fortschritt der Wissen- schaft nicht sowohl mit schönen Worten, als vielmehr durch einen Griff in den Geldbeutel zu fördern. Im Hinblick auf die allerdings nieht abzuleugnenden bedeutenden Kosten, welche die Erbauung eines Spezialgebäudes an einem unserer sroßen Binnenseen (in Nord- oder Mitteldeutschland) verursachen würde, modifiziere ich meinen Verschlag nunmehr dahin, dass man in Plön, wo sich alle Vorbedingungen für Studien über die Süßwasser- fauna und deren Lebensverhältnisse vorfinden, einen ernstlichen Ver- such machen möchte. Dort ließe sich mit ganz bescheidenen Mitteln ein provisorisches Observatorium errichten, und nach Jahr und Tag Zacharias, Studium der Süßwasserfauna. 187 würde man sehen, ob die erhaltenen Resultate der aufgewandten Zeit und Mühe entsprächen. Neben Plön würde auch Waren (am Müritz- See) ein geeigneter Ort zur Realisierung meines Vorschlags sein. Ein süddeutscher Universitätsprofessor plädiert in einem prinzipiell zustimmenden Briefe an mich für den Bodensee als bestgeeigneten Platz für die Einrichtung einer Dauerstation, und verspricht sich von der gründlichen Durchforschung dieses großen Wasserbeckens viel- fach Nutzen für die Oekologie und Physiologie der niedern Flora und Fauna. Seinen speziellern Ausführungen kann ich nur beistimmen, und was die Lage des zu wählenden Sees anlangt, so kommt dieselbe erst in zweiter Linie in betracht. Ja es würde sogar angezeigt sein, um die Vergleichung — auf der ja alle Wissenschaft beruht — zu ermöglichen, die nämlichen Beobachtungen im Süden und Norden eines großen Gebietes vorzunehmen. Die Schweiz, glaube ich, darf den Ruhm für sich in Anspruch nehmen, das klassische Land nieht bloß der Seen, sondern auch der Seendurchforschung zu sein. Die Arbeiten von F. A. Forel in Morges sind in letzterer Beziehung grundlegend gewesen. Man schreitet jetzt auf der eröffneten Bahn rüstig vorwärts, und erst neuerdings hat die schweizerische naturforschende Gesellschaft durch Er- nennung einer „Commission d’etudes limnologiques“ gezeigt, mit wie großem Eifer sie bestrebt ist, die Anregungen, welche Prof. Forel durch seine mühevollen Untersuchungen gegeben hat, nutzbar zu machen. Ein darauf bezügliches Zirkular, welches im Januar zur Versen- dung gelangte, hat in Anknüpfung an meine obigen Darlegungen auch für den Leserkreis des „Biol. Centralblattes“ Interesse. Der Wortlaut des Rundschreibens ist folgender: Geehrtester Herr! Die schweizerische naturforschende Gesellschaft hat, in An- betracht der Wichtigkeit des Studiums der schweizerischen Seen in volkswirtschaftlicher und wissenschaftlicher Beziehung, eine Kommission ernannt mit dem Auftrage, das Arbeitsfeld für er- wähntes Studium zu begrenzen und die diesbezüglichen Arbeiten zu organisieren und durchzuführen. In die Kommission wurden gewählt die Herren Dr. F. A. Forel, Prof. in Morges, J. Coaz, Oberforstinspektor in Bern und Dr. Asper, Prof. in Zürich. Diese Kommission ist gegenwärtig mit der Aufstellung des Arbeitsprogrammes beschäftigt; hierzu muss sich dieselbe in erster Linie einer Anzahl von Mitarbeitern versichern, welche an einem unserer Seen wohnen und das erforderliche Interesse für die ins Werk zu setzenden Studien besitzen. Infolge dessen erlauben wir uns, auch bei Ihnen anzufragen, ob Sie geneigt wären, an unserer Arbeit teilzunehmen. Ihre Aufgabe würde je nach Umständen darin bestehen, uns Rat oder 188 Zacharias, Studium der Süßwasserfauna. Auskunft zu erteilen, oder auch, wenn Sie sich hierzu herbei- lassen wollten, in gewissen Fällen direkte Beobachtungen an- zustellen und Untersuchungen vorzunehmen. Obwohl das vorliegende Studium, zu dem wir Sie als Mit- arbeiter einladen, ein weitgehendes ist und eine Reihe von Jahren in Anspruch nehmen wird, so werden Sie uns dennoch aus Interesse für die Naturforschung Ihre wertvolle Mitwirkung nicht versagen. Empfangen Sie, geehrter Herr, die Versicherung unserer Hochachtung: Morges, AsRuEorel, (Waadt). Präsident. In einem Rapport preliminaire (vom 1. August 1887) hatte Prof. Forel bereits eine These aufgestellt, deren von selbst einleuchtende Wahrheit sich bei uns, wie es scheint, erst allmählich Bahn brechen muss. Diese These lautet: „Au point de vue scientifique les lacs nous offrent une foule de problemes interessant la physique, la chimie, Uhydraulique, la zoologie, la botanique; Y’histoire naturelle des lacs est un des chapitres essentiels de la g&ographie physique“. Diese neuesten Bestrebungen in der Schweiz haben offenbar nicht nur für die Zoologen, sondern auch für die Geologen und Geographen der benachbarten Länder ein hervorragendes Interesse. Wenn wir auch in den Geinitz’schen Untersuchungen über die Entstehung und Konfiguration einer Anzahl unserer norddeutschen Diluvialseen einen vollkommen selbständigen Anfang mit echt wissenschaftlichen Seen- studien gemacht haben, so scheint es doch anderseits wieder, als ob die Schweiz, wie so oft schon in naturwissenschaftlichen Dingen, auch inbezug auf die (systematische) biologische Durchforschung der Seen die Initiative ergreifen und uns erst zeigen müsste, wie fruchtbar und interessant das Gebiet ist, für dessen Bearbeitung auf deutschem Boden nur erst wenige Hände sich rühren. Noch einen Hauptpunkt, den ich in meinem ersten Aufsatze (Biol. Centralbl. VII. Nr. 23) nieht genügend hervorgehoben habe, will ich hier noch kurz erörtern. Das vergleichende Studium der niedern Lebensformen in den verschiedenen Seen eines umfassenden Gebietes wird uns auch einer Lösung des Arten- Entstehungsproblems näher führen. Jeder See ist ein großes Versuchsaquarium für Züchtungs- experimente, welche die Natur selbst anstellt. In jedem Wasserbecken sind die äußern Einflüsse (Nahrung, Temperatur und chemische Zusammensetzung des Wassers, Tiefenverhältnisse, Beleuchtungs- grad ete.) etwas verschieden, und demgemäß dürfen wir hoffen, durch vergleichende Studien über ein und dieselbe Tiergruppe in den ein- zelnen Seen etwas Genaueres über Varietäten- und Speciesbildung festzustellen. So hat meine Entdeckung zahlreicher Zwischenformen in Molisch, Ueber Wurzelausscheidungen, 489 den norddeutschen Wasserbeeken dazu Anlass gegeben, die früher als selbständige Arten aufgeführten Kruster Daphnia apicata Kurz, Daphnia Kahlbergensis Schödl. und Daphnia Cederströmii Schödl. als bloße Varietäten der Hyalodaphnia cucullata Sars aufzufassen. Die Uebergänge waren so handgreiflich zu konstatieren, dass mein Freund und Mitarbeiter, Herr S. A. Poppe, es nicht verantworten zu können glaubte, die genannten Pseudospecies mit ihrem Arten- nimbus bestehen zu lassen !). Es ist klar, dass das Studium anderer Gruppen zu ähnlichen Ergebnissen führen würde. Mit Recht kon- statiert daher A. Lang (Mittel und Wege phylogenet. Erkenntnis, 1887), dass in der Zoologie „leider immer noch ökologisch - physiologische Untersuchungen in bedauerlicher Weise vernachlässigt werden“. Ich schließe diesen Aufsatz mit einem Mahnworte desselben Forschers, welches mehr, als es bisher geschehen ist, beherzigt werden sollte. Lang sagt: „Unschätzbar wichtige Mittel phylogenetischer Erkenntnis liefern die Biologie und Oekologie der Organismen, und in engem Zusammenhang damit die Chorologie oder Lehre von der geographi- sehen Verbreitung und Ausbreitung der Tiere und Pflanzen. Während die morphologischen Wissenschaften schließlich im stande sein werden, uns ein annäherndes Bild der historischen Aufeinanderfolge der Organismen auf unserer Erde vor Augen zu führen, so verschafft auch die Oekologie und Chlorologie im Verein mit der Physiologie in letzter Linie Aufschluss über die Ursachen und das Wesen der Umwandlung, der Anpassung der Organismen. Diese beiden Haupt- richtungen ‚biologischer Forschung schließen sich nicht aus, müssen sich vielmehr gegenseitig ergänzen“. Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. K. k. z20olog.- botan. Gesellschaft zu Wien. Sitzung vom 2. November 1887. Herr Dr. Hanns Molisch sprach „über Wurzelausschei- dungen“ Die bisher über diesen Gegenstand bekannt gewordenen Versuche haben ergeben, dass die Wurzeln saure Substanzen ausscheiden, welche eine Auflösung verschiedener anorganischer Körper veranlassen können. Die auf Marmor-, Dolomit- nnd Osteolithplatten durch Wurzeln hervorgerufenen Korrosionen beruhen auf der Ausscheidung saurer Substanzen. In einer vor kurzem publizierten Abhandlung?) hat der Vortragende den Nachweis er- bracht, dass das Wurzelsekret nicht anorganische, sondern auch organische Körper anzugreifen vermag, und zwar diese in noch viel höherem Grade als jene, da es sich hier nicht bloß um eine bloße Auflösung, sondern um eine faktische chemische Umwandlung derselben handelt. Die Ergebnisse seiner Untersuchungen lassen sich kurz folgendermaßen zusammenfassen: 1) Das Wurzelsekret wirkt reduzierend und oxydierend. 2) Das Wurzelsekret bläut Guajak. Es oxydiert Gerbstoffe und, was von besonderer Wichtigkeit ist, auch 4) Vgl. hierüber: O Zacharias, Faunistische Studien in westpreuß. Seen. Mit 1 Taf. in: Schrift. der naturf. Ges. in Danzig, VI. Bd., 4. Heft, 1887. 2) „Ueber Wurzelausscheidungen und deren Einwirkung auf organische Substanzen“ in Sitzungsber. der kais. Akad. der Wissensch. in Wien, 1887. 490 Räthy, Geschlechtsverhältnisse der Reben. Huminsubstanzen.. Demnach muss die Wurzel im Boden die Verwesung des Humus in hohem Grade begünstigen. 3) Das Wurzelsekret führt Rohrzucker in reduzierenden Zucker über und wirkt schwach diastatisch. 4) Elfenbein- platten werden durch Wurzeln korrodiert. 5) Die Wurzel verhält sich in viel- facher Beziehung wie ein Pilz: so wie dieser die organische Substanz des Bodens durch bestimmte Exkrete verändert, zerstört und zu rascherem Zerfall bringt, so auch die Wurzel. 6) Das Wurzelsekret imprägniert nicht bloß, wie man bisher angenommen, die Membranen der Epidermis, sondern wird über dieselben, oft sogar in Form von Tröpfchen, ausgeschieden. Herr Hugo Zukal berichtet hierauf über eine von ihm auf Glasplatten in der Koch’schen Kammer durchgeführte Kultur der Askenfrüchte des Peni- eillium erustaceum Lk. Dieselbe ergab ein von den diesbezüglichen Angaben Brefeld’s weit abweichendes Resultat. Während Brefeld nämlich die sklerotienartigen Körper des Penicillium infolge eines Befruchtungsprozesses entstehen sah, entwickelten sich in der Kultur Zukal’s dieselben Körper, ganz analog den Sklerotien der Wilhelm’schen Aspargilli, durch innige Verschlin- gung vollkommen gleichartiger Hyphen, also auf einem rein vegetativen Wege. Die so entstandenen Sklerotien machten dann eine Ruheperiode von vier bis fünf Wochen durch. Nach dieser Zeit bemerkte man an den Zellen im Zen- trum der Sklerotien eine Degeneration, welche zu einer vollständigen Ver- schleimung führte. Auf diese Weise entstand im Innern der Sklerotien eine zentrale Höhlung, welche sich rasch vergrößerte. In diese Höhlung wuchsen dann von der innern Wand des Sklerotiums aus zarte Hyphen hinein, welche sich rasch verzweigten, mit plastischen Stoffen füllten und endlich — in der achten oder neunten Woche — die sporenführenden Asci produzierten. An- schließend machte der Vortragende noch einige Mitteilungen über die Methode seiner Kultur und bemerkte, dass er sich die nähern Details über die Entwick- lungsgeschichte der Askenfrucht des Penieillium erustaceum Lk. für eine bereits in Angriff genommene größere Arbeit vorbehalten müsse. Sitzung vom 7. Dezember 1887. Herr Prof. Emerich Räthy hielt einen Vortrag „über die Geschlechts- verhältnisse der Reben und ihre Bedeutung für den Weinbau*: Mehrere, höchst wahrscheinlich alle Vitis- Arten entwickeln dreierlei Blüten, und zwar männliche, weibliche und zwitterige. Bei mehrern, höchst wahrschein- lich bei allen Vitis- Arten lassen sich mit Rücksicht auf die Verteilung der eben beschriebenen dreierlei Blüten viererlei Individuen unterscheiden, nämlich: a) männliche Individuen, welche nur männliche Blüten besitzen, selbst völlig unfruchtbar sind, aber zur Befruchtnng der übrigen Individuen dienen; b) weibliche Individuen mit ausschließlich weiblichen Blüten, welche nur dann fruchtbar sind, wenn auf ihre Narben der Pollenstaub anderer Individuen gelangt; ec) zwitterige Individuen, welche einzig Zwitterblüten bilden und sehr dichte Trauben liefern; d) Individuen, welche sowohl männ- liche als zwitterige Blüten erzeugen. Aus dem Umstande, dass man auf den letztern Individuen oft in einer und derselben Infloreszenz alle mög- lichen Uebergänge von den weiblichen zu den zwitterigen Blüten findet, ergibt sich einmal, dass der Unterschied zwischen diesen beiderlei Blüten kein wesent- licher, sondern nur ein gradweiser sei, und ferner, dass im Grunde genommen zu jeder Vitis-Art nur zweierlei wirklich verschiedene Individuen gehören, von denen die einen stets zeugungsfähige Staubgefäße, die andern dagegen stets zeugungsfähige Stempel entwickeln. Die kultivierten Stöcke der Vitis vinifera sind je nach der Sorte, welcher sie angehören, entweder durchaus weibliche Räthy, Geschlechtsverhältnisse der Reben. 491 oder durchaus zwitterige, aber niemals männliche Individuen. Es erklärt sich dies daraus, dass die Weinbauer selbstverständlich nur fruchtbare, also nur weibliche oder zwitterige Sämlinge, und zwar einzig durch Stecklinge vermehrt haben. Die Befruchtung der weiblichen Individuen mit dem Pollenstaub der männlichen und zwitterigen Individuen erfolgt bei den männlichen Reben, wie überhaupt deren Fremdbefruchtung, durch Vermittlung des Windes. Insekten beobachtet man zu keiner Tageszeit an den Rebenblüten, und die Merkmale dieser sind mit Ausnahme eines einzigen dieselben wie jene der Blüten wind- blütiger Pflanzen. Sie besitzen glatte und trockene Pollenkörner, unansehn- liche Blütenhüllen, von denen überdies die Blumenkrone mit dem Eintritt der Blütezeit abfällt, und keinen Nektar-, aber einen Resedageruch. Davon, dass der Pollenstaub der Rebenblüten in der That durch den Wind verweht wird, überzeugte ich mich durch einen Versuch. Dieser bestand darin, dass ich am 13. September in einiger Entfernung von den Infloreszenzen männlicher Stöcke von Vitis riparia, und zwar unterhalb der Windrichtung, in geeigneter Weise mit Glyzerin bestrichene Objektgläser aufstellte und daselbst während fünf Stunden beließ. Als ich dann die Objektgläser unter dem Mikroskope unter- suchte, ergab sich: 1) dass an die Oberfläche aller Objektgläser Pollenkörner der Vitis riparia angeweht wurden; 2) dass das Anwehen der Pollenkörner einzeln und nicht in Klümpchen erfolgte, und 3) dass im Durchschnitt auf je 16 Quadratmillimeter ein Pollenkorn zu liegen kam. Werden die Blüten der weiblichen Reben nicht befruchtet, so fallen sie bald nach der Blütezeit ab, und es tritt ein Fall jener Erscheinung ein, welche der Weinbauer das „Aus- reißen“, „Abröhren“ oder „Durchfallen“* nennt. Herrscht während der Reben- blüte Regenwetter, so wird der Pollenstaub aus der Luft niedergeschlagen und infolge dessen röhren die weiblichen Blüten sehr allgemein ab. Das eben 3esprochene verdient einerseits die Aufmerksamkeit des Botanikers und ander- seits jene des Weinbauers. Den erstern wird es zu neuen Untersuchungen der verschiedenen polygamischen Pflanzen anregen, dem letztern wird es aber durch die Folgerungen nützlich, welche sich aus ihm ergeben. Diese sind die folgenden: 1) Die sämtlichen Sorten der kultivierten Reben lassen sich mit Rücksicht auf die Beschaffenheit ihrer Blüten in zwei große Gruppen einteilen, nämlich in die Gruppe der weiblichen und in die Gruppe der zwitterigen Sorten, weswegen die Angabe, in welche dieser beiden Gruppen eine jede Sorte ge- hört, eines der schärfsten und zugleich wichtigsten ampelographischen Merk- male bildet. 2) Die weiblichen Sorten sind deshalb, weil sie keinen zur Be- fruchtung brauchbaren männlichen Zeugungsstoff bilden, nicht im reinen Satze, sondern gemischt mit zwitterblütigen, und zwar solchen Reben zu bauen, welche gleichzeitig mit ihnen blühen. Würden in einer Gegend ausschließlich weib- liche Sorten ausgesetzt werden, so müssten diese aus Mangel an zeugungs- fähigen männlichen Organen völlig unfruchtbar sein. Befinden sich in den Weingärten, wie dies hie und da vorkommt, zwischen den Stöcken weiblicher Sorten nicht genügend zahlreiche Stücke männlicher Sorten, oder ist die Blüte- zeit der erstern Sorten eine andere als die der letztern, so tritt ebenfalls ein „Ausreißen“, „Abröhren“ oder „Durchfallen“ ein. Am meisten dürfte es sich zur Sicherung der Befruchtung der weiblichen Sorten bewähren, diese in die graden oder ungraden, die zwitterblütigen Sorten dagegen in die abwechselnden Reihen zu pflanzen. 3) Die Sorten mit weiblichen Blüten sind niemals samen- beständig, weil zur Erzeugung ihrer Samen stets der Pollenstaub einer zwit- terigen Sorte notwendig ist und die aus ihren Samen erwachsenen Keimpflanzen daher ausnahmslos Bastarde sind. Und hieraus ist es vielleicht zu erklären, dass die einen Weinbauer die Sorten der Vitis vinifera als samenbeständig 492 Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege. kennen lernten, während die andern die entgegengesetzte Erfahrung machten. Die erstern säten vermutlich die Samen zwitteriger, die letztern dagegen jene weiblicher Sorten aus. 4) Bastardierungsversuche mit dem Pollenstaube weib- licher Sorten sind stets erfolglos. Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege. Vierzehnte Versammlung zu Frankfurt am Main in den Tagen vom 15. bis 16. September 1888 unmittelbar vor dem am 17. September in Bonn statt- Jindenden Deutschen Aerztetage und der am 18. September beginnenden Versamm- lung Deutscher Naturforscher und Aerzte in Köln. Tagesordnung: Donnerstag, den 13. September. I. Ma/sregeln zur Erreichung gesunden Wohnens. Referenten: Oberbürgermeister Miquel (Frankfurt a.'M.), Oberbaurat Professor Baumeister (Karlsruhe). — II. Oertliche Lage der Fabriken in den Städten. In wie weit hat sich ein Bedürfnis herausgestellt, von der Bestimmung des 8 23 Abs. 3 der Deutschen Gewerbeordnung Gebrauch zu machen? Referenten: Sanitätsrat Dr. Lent (Köln), Stadtrat Hendel (Dresden). Freitag, den 14. September. III. Welche Erfahrungen sind mit den in den letzten Jahren errichteten Klärvorrichtungen städtischer Abwässer gemacht worden ? Referenten: Stadtbaurat Lindley (Frankfurt a.|M.), Gas- und Wasserwerk- direktor Winter (Wiesbaden), Stadtbaumeister Wiebe (Essen a./R.), Stadt- baurat Lohausen (Halle a.|S.). — Am Nachmittag: Besichtigung der Frank- furter Klärbeckenanlage und Grundwasserleitung, sowie der neuen Hafen- und Schleusen- Anlagen. Samstag, den 15. September. IV. Welchen Einfluss hat die heutige Gesund- heitslehre, besonders die neuere Auffassung des Wesens und der Verbreitung der Infektionskrankheiten auf Bau, Einrichtung und Lage der Krankenhäuser ? Referent: Krankenhausdirektor Dr. Curschmann (Hamburg). V. Strafsen- befestigung und Strafsenreinigung. Referenten: Regierungs- und Stadtbaumeister Heuser (Aachen), Dr. R. Blasius (Braunschweig). Am Nachmittag: Besuch von Bad Homburg. Sonntag, den 16. September. Besichtigung der Klärbeckenanlage zu Wies- baden. — Am Nachmittag: Gemeinsamer Besuch des Niederwalddenkmals. Beitrittserklärungen zu dem „Deutschen Verein für öffentliche Gesundheits- pflege“ (Jahresbeitrag 6 M.) nimmt der unterzeichnete ständige Sekretär entgegen. Frankfurt a. M., März 1888. Der ständige Sekretär: Dr. Alexander Spiefs. Wissenschaftliche Ausstellung der 61. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Köln. In Verbindung mit der vom 18. bis 23. September dieses Jahres in Köln tagen- den 61. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte soll gemäfs Beschluss des Gesamtausschusses auf vielseitigen Wunsch der Aussteller und Teilnehmer früherer Versammlungen eine Fachausstellung aus den Gebieten sämtlicher auf der Versammlung vertretenen Disziplinen stattfinden. Die Ausstellung soll alles Neue und Vollendete an Instrumenten, Apparaten, Präparaten, Forschungs- und Lehrmitteln umfassen und ist auf eine Dauer von etwa 14 Tagen berechnet. Folgende Gruppen sind in Aussicht genommen: 1. Präzisionsmechanik (Physi- kalische Apparate). II. Mikrologie und Photographie. III. Chemie, Pharmazıe, Geologie, Mineralogie. IV. Naturwissenschaftlicher Unterricht. V. Geographie, wissenschaftliche Ausrüstung, Ethnologie. VI. Biologie, Entomologie, Anthro- pologie. VII. Laryngoskopie, Rhinologie, Otiatrie, Ophthalmologie. VIII. Innere Medizin, Elektrotherapie. IX. Chirurgie, Gynäkologie, Orthopädie. X. Zahn- heilkunde. XI. Veterinärmedizin. XII. Hygieine. Die Unterzeichneten sind zu weiterer Auskunfterteilung bereit. Anmeldebogen sind vom Schriftführer (Adresse: Unter- Sachsenhausen 9) zu beziehen. Der Vorstand: J. van der Zypen (Deutz), Vorsitzender. Dr. med. B. Auerbach (Köln), stellvertretender Vorsitzender. Dr. phil. F. Eltzbacher (Köln), Schriftführer. Dr. med. Du- mont (Köln). A. Hofmann, Chemiker (Köln). Dr. med. O. Lassar (Berlin). Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess wnd Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. VII. Band. 1. Juni 1888. Nr. 7. tungen etc. — Zacharias, Zur Frage der Vererbung von Traumatismen. — Dingfelder, Beitrag zur Vererbung erworbener Eigenschaften. — von Lenden- feld, Neue Arbeiten über australische Polypomedusen. — Vosmaer, Neue Arbeiten über Schwämme. II. Spiculispongiae und Cornacuspongiae. Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. Von Prof. F. Ludwig. 2. Bestäubungseinrichtungen ete. Literatur: Eug. Warming, Biologiske Optegnelser om Grönlandske Planter. Saertryk of Botanisk Tidsskrift. 16 Bind. 1 Haefte. Kjöbenhavn 1886. 44 S. m. Abb. Ders., Om nogle Arktiske Vaexters biologi. Bihang till k. Svenska Vet. Akad. Handlingar. Bd. 14 Afd. III N:0 2. Meddelanden fran Stockholms Högskola N:0 48. Stockholm 1886. 40 8. Ders., Om Bygningen og den formodede Bestovningsmaade of nogle grönlandske Blomster. Saertryk af Oversigt over d. k. D. Vidensk. Selsk. Forhandl. 1886. Kjöbenhavn 1886. 59 S. C. A. M. Lindman, Bidrag till Kännedomen om Skandinavisca Fjell- växternas Bloming och Befruktning. Med 4 Taflor. Bihang till k. Svenska Vet. Akad. Handlingar. Band 12 Hfd. III N:0 6. Stock- holm 1887. 112 S. — Id. in Botaniska Sektionen af Naturvetens- kapliga Studentsällskapet i. Upsala. Sep.-Abdr. aus Bot. Central- blatt XXX 7 S. Ign. Urban, Ueber den Blütenstand von Dalechampia. Jahrb. d. K. botan. Gart. u. bot. Mus. z. Berlin. Bd. IV S. 252 —256 m. 3 Fig. Ders., Die Bestäubungseinrichtungen bei den Loasaceen. 1. e. S. 364 bis 388 m. Taf. V. G. Arcangeli, Sulla Euryale ferox Sal. Atti della Soc. Toscana di Scienze Nat. Memorie 1887. Vol. VIII p. 281. W. Burck, Notes biologiques. Extr. des Ann. du Jard. Bot. de Buitenzorg. Vol. VI p. 251—266. Leiden (Brill) 1887. Karl Friedr. Jordan, Beiträge z. physiol. Organographie d. Blumen. Ber. d. D. Bot. Ges. Bd. V. Heft 8. 1887. S. 327—334 u. Taf. XVI. VII. 13 194 Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. Welche Wichtigkeit vergleichende biologische Unter- suchungen in verschiedenen Ländern für die Beurteilung der Müller’schen Blumenlehre haben, haben wir früher (Biol. Centralbl. VII Nr. 1 8.5 ff.) hervorgehoben, indem wir neben andern wichtigen Entdeckungen auf dem Gebiete der Blütenbiologie die ersten Veröffentlichungen Warming’s über die Grönländischen Crueiferen und Erieineen besprachen. Heute liegen uns drei weitere umfang- reiche Abhandlungen desselben Verfassers vor, in denen nicht nur die Biologie zahlreicher neuer Familien und Gattungen aus dem hohen Norden (Papaveraceen, Saxifrageen, Gentianeen, Primulaceen, Rosaceen etc.) in eingehendster Weise behandelt und durch zahlreiche treffliche Abbildungen zum Verständnis gebracht wird, sondern auch wichtige vergleichende Untersuchungen nieder- gelegt worden sind, auf die hier näher eingegangen werden soll. Beginnen wir mit den Verschiedenheiten, welche Warming zwischen den Blüteneinrichtungen der Pflanzen des insektenarmen Grönlands und der südlicher gelegenen Länder gefunden hat — die darauf hinaus- zulaufen scheinen, dass die grönländischen Pflanzenarten mehr der Autogamie angepasst sind. Bei Mertensia maritima sind die untersuchten Blüten - Exemplare aus Grönland kleiner als die norwegischen mit kürzerem Pistill, kürzern Staubfäden und nahe am Pistill befindlichen Antheren; bei Azalea procumbens scheinen die Antheren bei den grönländischen Exemplaren mehr nach der Narbe zu gekrümmt als bei denen aus Norwegen, und bei diesen wiederum mehr als bei den von H. Müller in den Alpen beobachteten Exemplaren. Bei dem grönländischen Vaceinium Vitis Idaea var. pumilum sind die Blüten kleiner und die Staubbeutel- poren der Narbe näherstehend als bei den europäischen Exemplaren. Von Bartsia alpina findet sich im nördlichen Norwegen und in Grön- land neben der langgriffeligen eine autogamische kurzgriffelige Form. Müller erwäbnt in den „Alpenblumen“ nur die langgriffelige. Bei Primula stricta haben in Grönland die Antheren die Höhe der Narben, im arktischen Norwegen liegt die Narbe über jenen. Bei Thymus Serpyllum begegnete Warming in Grönland zwar ähnlichen Varie- täten wie in Dänemark, indess schienen Staubfäden und Griffel bei den grönländischen Pflanzen durchweg kürzer als in denen von Däne- mark und Island, so dass die Antheren der Narbe näher stehen. Saxifraga oppositifolia scheint in Norwegen häufiger als in den Alpen, und in Grönland noch häufiger als in Norwegen autogamisch sich fortzupflanzen. Menyanthes trifoliata — in Europa heterostyl dimorph — kommt in Grönland auch isostyl vor. Schließlich sei erwähnt, dass bei Pirola grandiflora, welche der P. rotundifolia nahesteht, trotz der größern Blüten die Entfernung zwischen Antheren und Narben kleiner und die Wahrscheinlichkeit der Selbstbestäubung größer ist als bei der letztern. — Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. 195 Die Zunahme der anemophilen Species nach dem Norden zu, welche Aurivillius 1883 hervorgehoben hat und mit der Abnahme bestäubungsvermittelnder Insekten in Zusammenhang bringt, führt Warming vielmehr darauf zurück, dass gewisse anemophile Familien wie die Gramineen und Cyperaceen in den arktischen Ländern relativ häufiger werden. Die Weiden sind in Grönland vermutlich gleichfalls anemophil. — Die Frage, ob die entomophilen Blüten die gleichen Eigentümlichkeiten haben wie in niedern Breitegraden, ist im allge- meinen zu bejahen. Nektar wird von allen Blumen mit wenig Aus- nahmen (Papaver alpinum, Anemone Richardsoni, Pirola grandiflora) gebildet, ob in gleichem Grade wie in südlichern Ländern ist noch zu untersuchen. Die Zahl der wohlriechenden Blumen ist keine allzu große, und der Geruch schien W. viel schwächer als in dem gemäßigten Klima. Bezüglich der Farbe hat derselbe zwar eingehendere Er- örterungen nicht angestellt; doch machte es ihm den Eindruck, als ob die Färbungen der Blumen in Grönland an Reinheit und Lebhaftig- keit die entsprechenden Arten Dänemarks nicht überträfen. Er fand wenig Blumen mit besonders lebhaften Farben, und im allgemeinen spielten diese keine hervorragende Rolle in der Landschaft, da die in Frage kommenden Pflanzen klein und spärlich vorkommen. Die Größe der Blumen scheint Warming mit der geographischen Breite eher ab- als zuzunehmen. So finden sich bei den Erieineen mehrere Species, deren Blüten in den arktischen Ländern kleiner sind, wäh- rend nur bei der arktischen Pirola grandiflora eine größere Blüte als bei den nächsten Verwandten sich findet. Die Gattung Epilobium ist im allgemeinen in Grönland durch kleinblütige Arten vertreten, nur E. latifolium übertrifft die europäischen Arten an Größe der Blumen. In einer Beziehung überholt jedoch die arktische Flora die der süd- lichern Länder — nämlich inbezug auf die Zahl der Blüten, welche die einzelne Pflanze erzeugt, eine Eigentümlichkeit, die sich aber auch in den Alpen wiederfindet. Dass die arktische Flora durch die Reisenden oft so verherrlicht worden ist wegen ihrer Reichhaltigkeit, ihrer Farbenpracht ete., führt W. auf den Gegensatz zu der öden dürren Umgebung zurück; verglichen mit der Flora des nördlichen und mittlern Europas trete sie zurück. Bei der Armut von blütenbesuchenden Insekten — über die wenige Beobachtungen ge- macht worden sind — sollte man vermuten, dass die eingeschlechtigen Entomophilen sehr selten seien. Dies ist jedoch nicht der Fall. W. nennt von diöcischen Pflanzen Rubus Chamaemorus. Dryas integrifolia und D. octopetala sind androdiöeisch, Silene acaulis, Viscaria alpina polygam — triöeisch. Melandrium involueratum ß affine ist im arktischen Norwegen gynodiöcisch, Helianthus peploides im arktischen Norwegen und Spitzbergen polygam-triöcisch, in Island diöcisch, in Grönland nur noch hermaphrodit. Stellaria humifusa, St. longipes und Cerastium 13* 196 Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. alpinum sind in Grönland gynodiöceisch. Rhodiola rosea ist polygam- triöeisch. Bei Saxifraga haben mehrere Arten eine weibliche Terminal- blüte. Zhymus Serpyllum ist in Grönland und in Island gynodiöecisch. Unter den windblütigen Arten scheint Empetrum nigrum in Grönland häufiger als in Europa hermaphrodit vorzukommen. — Auch in anderer Hinsicht können eine Anzahl grönländischer Blumen den Insekten- besuch nicht entbehren, so die Saxifrageen, welche eine ausgeprägte Dichogamie besitzen (S. cernua, tricuspidata, aizoides, Hirculus, Aizoon), so Chamaenerium angustifolium — während bei der Form leiostyla auto- gamische Befruchtung möglich ist — Archangelica officinalis, Streptopus amplexifolius und Diapensia lapponica. Im allgemeinen scheinen die Blüten der grönländischen Flora und vermutlich der arktischen Flora überhaupt viel leichter und sicherer durch Selbtbestäubung befruchtet zu werden, als die in wärmern und insektenreichern Län- dern. Es geht dies zum Teil schon aus den oben besprochenen Unter- schieden in der Blüteneinrichtung der grönländischen und der europäi- schen Exemplare ein und derselben Art hervor und mag durch das Folgende noch weiter bestätigt werden. Caryophyllaceae. Die Sileneen des nördlichen Europa über- treffen ihre grönländischen Verwandten in der Färbung, im Geruch und in der Blütengröße; Silene acaulis und Viscaria alpina haben noch augenfällige Blüten, bei denen Antheren und Narbe weit aus der Blüte heraustreten, aber die3grönländischen Melandryum-Arten habenkleinere und blassere Blüten, Antheren und Staubgefäße sind viel mehr, zuweilen ganz in der Blüte verborgen, und obwohl sich bei 2 Arten noch Dicho- gamie findet, so ist diese doch sehr wenig ausgeprägt und protero- gynisch, M. apetalum scheint nach den norwegischen Exemplaren homogam zu sein. Nach der Stellung der Organe ist Autogamie bei diesen Arten unvermeidlich. Saxifraga. Unter 12 grönländischen Arten gibt es 5 mehr oder weniger dichogame; 5 Arten sind homogam oder schwach um die Homogamie schwankend, ausgeprägt autogam, und 2 Arten stehen in der Mitte. Die arktische Species von Chrysosplenium (Ch. tetrandrum) unterscheidet sich unter anderem von C. alternifolium durch ausge- prägte Homogamie und Autogamie. Oenotheraceae. Obwohl Epilobium (Chamaenerium) latifolium, die größte und auffälligste Blüte Grönlands, unsere großblütigen Epi- lobien an Auffälligkeit noch übertrifft, so schwankt sie doch um die Homogamie (ist zuweilen schwach proterogyn und schwach proteran- drisch), und Staubbeutel und Narbe des verkürzten Griffels stehen einander näher als bei €. alternifolium. Scrofulariaceae. Bartsia wurde bereits erwähnt. Von den durch H. Müller beschriebenen Pediceularis- Arten ist keine so der Autogamie angepasst wie die grönländischen Arten: P. hirsuta, P. Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. 197 lanata, P. flammea. Schon Aurivillius hat die Ansicht ausgesprochen, dass auf Spitzbergen bei dem gänzlichen Fehlen der Bienen und einem Blütenbau, der andere Insekten als Bestäuber ausschließt, P. hirsuta und P. lanata in einer langen Reihe auf einander folgender Genera- tionen der Selbstbestäubung sich angepasst haben. Von Euphrasia officinalis sah Warming nur die kleinblütige autogamische Form. Utriceulariaceae. Die Pinguicula villosa des arktischen Nor- wegens ist ausgeprägt autogamisch. Rosaceae. Die arktischen Arten haben ebenso wie die der Familien der Crueiferen und Alsineen offene regelmäßige, für eine ge- mischte Insektengesellschaft leicht zugängliche, mehr oder minder homogame Blüten, die leicht Selbstbestäubung erfahren. Rubus articus ist in Norwegen der Autogamie besonders an- gepasst. _ Bei den Ericineen ist den 16 Arten Grönlands — ebenso wie bei Erica Tetralix und Calluna vulgaris — nicht nur Selbstbestäubung möglich, sondern sie findet häufig sofort bei der Entfaltung der Blüte oder gar noch vor derselben statt. Fast bei allen Arten, deren Antheren sich durch Poren öffnen, sind diese schon in der Knospe geöffnet, die Pollenkörner ausgebildet, selbst dieNarbe war schon vor dem Oeffnen der Blüte klebrig. Diese Neigung zur Kleistogamie geht noch einen Schritt weiter bei Campanula uniflora. C. rotundifolia ist in Grönland ebenso proterandrisch wie in Europa. — Warming hat außer diesen geographisch - biologischen Unter- suchungen in den anfangs zitierten Abhandlungen zum ersten mal auf eigentümliche Beziehungen hingewiesen, welche zwischen der vege- tativen Vermehrung einerSpecies und derBiologie ihrer Blüte wie auch der Fähigkeit der Samenbildung besteht. Der ento- mophile diöeische Rubus Chamaemorus vermag bei der großen Armut der grönländischen Insektenfauna nur schwer Früchte anzusetzen, dafür vermehrt es sich in auffälliger Weise durch unterirdische Sto- lonen. Alle andern grönländischen Entomophilen mit getrenntem Ge- schlecht sind entweder androdiöeisch oder gynodiöeisch oder polygam- triöeisch oder gynomonöeisch, haben also alle auch hermaphrodite Blüten. Die Mehrzahl derselben besitzt nur eine dürftige vegetative Vermehrung, dagegen gesicherte Autogamie; nur Po/ygonum viviparum und Helianthus haben eine reiche vegetative Vermehrung. Die folgenden Arten sind ausgeprägt dichogam, ihre Befruchtung ist daher in Grönland sehr unsicher: Epilobium angustifolum, Saxı- fraga cernua, aizoides, tricuspidata, Aizoon, Hirculus. Die Mehrzahl derselben besitzt eine sehr ausgebildete vegetative Vermehrung. Unter den Pedieularis- Arten ist P. /apponica am meisten ento- mophil, zum Ersatz für die dürftige Samenbildung vermehrt es sich rapid durch seine unterirdischen Ausläufer. Die drei übrigen oben 198 Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. genannten autogamischen Arten besitzen so gut wie gar keine vege- tative Vermehrungsfähigkeit. — Cardumine patensis ist entomophil, in Grönland selten fruchtend, vermehrt sich aber durch Blattbulbillen ; €. bel- lidiflora besitzt eine solche vegetative Vermehrung nicht, hat aber sehr kleine autogamische Blüten. Obwohl W. dieser Thatsachen sehr wenige anführt, so machen sie es doch wahrscheinlich, dass in dem an Insekten armen Grönland eine Pflanzenart sich um so mehr einer vegetativen Vermehrung angepasst hat, je ausgeprägter entomophil sie geblieben ist, während die Arten, denen autogamische Fortpflanzung gesichert ist, der vegetativen Fortpflanzung entbehren. Es scheint so, als ob die Sicherung der Fortpflanzung bei dauernd ausbleibendem Insektenbesuch hier auf zwei verschie- denen Wegen vor sich gegangen wäre, einmal .durch Ab- änderung der Blüteinrichtungen, und das andere mal durch Erwerb einer vegetativen Vermehrung. Den biologischen Untersuchungen Warming’s für Grönland schließen sich die gleich wichtigen eingehenden Untersuchungen Lind- man’s über das Blühen und die Bestäubungseinrichtungen im skandinavischen Hochgebirge an, welche derselbe im Sommer während eines mehrmonatlichen Aufenthaltes auf den nor- wegischen Alpen Dovre oder Dovrefjeld, zwischen 62° und 62!/,° n. Br. angestellt hat (Dovrefjeld hat ein Hochplateau von ca. 1000 m Meereshöhe, von dem Hügel bis 1500— 2000 m emporragen). Die umfangreiche Abhandlung enthält eine große Zahl von Einzelbeschrei- bungen mit Abbildungen auf 4 Tafeln und ausführlichen Listen der auf den einzelnen Pflanzen angetroffenen Insekten. Als bisher unbe- schriebene oder ungenügend bekannte Blumenformen und Bestäubungs- einrichtungen werden beschrieben die von Astragalus Oroboides, Cerastium trigynum, Diapensia lapponica, Draba alpina, Galium uliginosum, Pedi- cularis Oederi, P. lapponica, Petasites frigida, Ranunculus hyperboreus, R. nivalis, R. pygmaeus, Saxifraga adscendens, 5. caespitosa, 8. cernua, S. nivalis, 5. rivularis, Sedum annuum, Stellaria borealis, S. Friesiana- alpestris, Wahlbergella apetala, Viscaria alpina. Hier sei nur aus der wichtigen Arbeit hervorgehoben, wie sich die Beobachtungen ihres Verfassers zu den vorstehenden Warming’s auf Grönland und denen Herm. Müller’s in unsern Alpen verhalten. Die Vegetation Dovre- fjelds ist sehr üppig und relativ reich an Arten. Der Birkenwald hört in einer Höhe von etwas über 1000 m auf; dann beginnt das Fjeldplateau mit niedrigen grauen Weidensträuchern und gelblichen Flechtenmatten, die ungeheure Strecken bedecken, auf denen Blüten- pflanzen schon nicht mehr dicht auftreten. Ebenso spärlich kom- men hier in den Weiden- und Flechtenöden die Insekten, wenigstens Hummeln und Schmetterlinge vor; der kurze Sommer, der kalte Wind, die zahlreichen Regentage sind diesen sehr ungünstig, Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. 199 und bei beträchtlicherer Höhe scheinen sie auch bei schönem Wetter, einige Fliegen ausgenommen, wie verschwunden. Es ist daher ein- leuchtend, dass die Insektenbesuche in den Hochgebirgen sehr spär- lich sein, ja ganz ausbleiben müssen. Dem entsprechend hat Verf. übereinstimmend mit Warming gefunden, dass sich in den Bestäu- bungseinrichtungen eine auffallende Unabhängigkeit von den Insekten geltend macht. Bei der unsichern Kreuzung zeigen die meisten Arten die Möglichkeit der Selbstbestäubung. Eine überaus häufige Erscheinung ist die Homogamie. Ob den wenigen Pflanzen, denen Zwitterblüten ganz fehlen, Melandrium silvestre, M. pratense, Rhodiola rosea, Salices, andere Vermehrungsweisen zu- kommen, ist nicht angegeben. Homogamie und konstante Selbst- bestäubung finden sich in den skandinavischen Hochgebirgen auch bei Blüten, die durch Größe, Farbe, Honigreichtum, Geruch sehr zahl- reiche Insekten anderwärts anlocken würden. So fand Verf. völlig autogamisch: Arabis alpina, Astragalus frigidus, Azalea procumbens, Cerastium trigynum, Draba alpina, D. Wahlenbergii, Euphrasia offieinalis-alpina, Galium uliginosum, Koenigia islandica, Mwyosotis silvatica, Oxytropis lapponica, Primula scotica, Ranunculus pygmaeus (u. a.), Sazifraga adscendens, S. caespitosu, Sedum annuum, Stellaria borealis, Wahlen- bergia apetala (Viola arenaria und V. biflora kleistogam). Sehr deut- lich tritt das Streben nach Selbstbefruchtung in mehrern sonst herco- gamen Blüten hervor, die in den Hoclgebirgen derart variieren, dass homokline Bestäubung bewirkt werden muss. So z. B. bei Viola biflora, die im Uebergang zur Kleistogamie eine der V. tricolor ß arvensis analoge Form ausgebildet hat, bei Gentiana nivalis, wo Indi- viduen vorkommen, bei denen die höher gestellten Antheren den Blütenstaub auf die Narbe fallen lassen, bei @. campestris findet sich fast ausschließlich eine solehe Form. Euphrasia kommt über 400 m nur in der bekannten kleinblütigen autophilen Form vor. P. Oederi, im allgemeinen ausgezeichnet entomophil (Hummelblume), zeigte bis- weilen den Griffel so verkürzt, dass die Narbe sich etwa in der- selben Höhe wie die Staubgefäße befand. Bartsia alpina, im allgemeinen wie Pedicularis gebaut, bekommt oftmals eine so unzureichende Blumenkrone, dass der Pollenbehälter in der obern Lippe derselben nicht eingeschlossen ist, sondern frei hervorragt. Da der Blütenstaub hier sehr trocken ist, ist die Pflanze hierdurch fast als windblütig zu betrachten. Primula scotica ist homostyl], in ihrer Gesellschaft aber häufig die heterostyle Pr. strieta. Die Dovre- form dieser Art, die als makrostyl aufzufassen ist, hat die Narbe und Antheren fast einander ebenso weit genähert wie Pr. scotica und nähert sich so der Homostylie. Die Fruchtbarkeit zeigte sich in einer sehr regelmäßigen und lückenlosen Fruchtreife trotz des (1886) kalten und regnerischen Sommers. Von etwa 40 Arten fand Lindman um 900 bis 1200 m Höhe auch bereits Keimpflanzen. — 200 Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. So weit stimmen die Verhältnisse in den skandinavischen Hoch- gebirgen mit den grönländischen überein. Während aber nach Warming die Anlockungsmittel der grönländischen Flora eher abgeschwächt als verstärkt worden sind, haben die des skandinavischen Hochgebirges in Uebereinstimmung mit den von H. Müller für die Alpen geschilderten Ver- hältnissen eine zu der Insektenarmut in Beziehung stehende Steigerung erfahren, was Verf. zum Teil im Gegen- satz zu der Anschauung H. Müller’s dem Einfluss des stärkern Lichtes u. a. physikalischen Verhältnissen zuzuschreiben geneigt ist. Die Farben sind im Hochgebirge stärker und reiner als im Tief- land. So sind in größerer Höhe besonders intensiv im Vergleich zu den Exemplaren der Ebene gefärbt: Achillea Millefolium — Blüte gesättigt karminrot (900 m). Campanula rotundifolia ß arctica — Blüte dunkel, fast schwärz- lich violettblau (1200 m). Carum Carvi — Blüte blassrot (900 m). Geranium silvaticum — Blüte oftmals dunkel purpurviolett. Melandrium silvestre — Blüte prachtvoll dunkel karminrot mit dunkelbraunen Hochblättern. Myrtillus nigra — Blüte sehr klein, kugelförmig, kirschrot stark glänzend (1200 m). Ranunculus repens — Blüte bisweilen orangegelb. Taraxacum officinale — Blütenköpfchen sehr groß, orangegelb. Während im allgemeinen die weißen und gelben Blu- men gegen den Norden hin zunehmen, fand Lindman unter den skandinavischen Alpenpflanzen die roten und blauen Farben sehr stark vertreten. Rot ist dabei überwiegend, weil es sich gewöhnlich auch auf den weißen, gelben und violetten Blumen- kronen als starker Schimmer vorfindet. — Die Größe der Blumen wird eine sehr beträchtliche, wie Verf. meint, in ähnlicher Weise wie die der Laubblätter des Nordens infolge der andauernden und inten- siven Beleuchtung im Sommer. Die daneben vorkommende häufige Verkleinerung der Blumen anderer Arten soll dagegen die Folge des rauhen Klimas sein. Aus zahlreichen Beispielen seien erwähnt: Campanula rotundifolia — Länge der Blumenkrone bis 30 mm. Geranium silvaticum — Blumen von 15—27 mm weit. Melandrium silvestre — 5 „ 14—27 mm weit. Parnassia palustris — = oft nur 11 mm weit. Ranunculus acris — 4 von 15—25 mm weit. a auricomus — A „ 5-22 mm weit. 5 glacialis — " „ 15—25 mm weit. A Ppygmaeus — R „ 4-7 mm weit. Saxifraga adscendens — u »„ 7—13 mm weit. Taraxacum officinale — Blütenköpfehen 20—60 mm weit. Viola biflora — Blumen von 9—18 mm weit. Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. 201 Wie Warming ist es Lindman aufgefallen, dass viele Alpen- pflanzen durch die zahlreichen gleichzeitig entwickelten, zu niedrigen, grellen Matten dicht zusammengedrängten Blumen aus- gezeichnet sind. Alljährlich entstehen nämlich eine Menge kurzer Sprösschen, jedes mit 1 bis mehrern Blüten. So blühen Alsine biflora, hirta, stricta; Andromeda hypnoides, Azalea procumbens, Diapensia lapponica, Sagina saxatilis, Silene acaulis, Saxifraga caespitosa und appositifolia. — Bezüglich des Geruches fand Lindman bei einer beträchtlichen Anzahl (48 Arten von den im Sommer 1886 unter- suchten) einen ausgeprägten, öfters sehr starken und angenehmen Duft, der bisweilen jedoch einen deutlichen Honiggeruch erkennen ließ. Unter den am stärksten wohlriechenden sind zu nennen: Angelica Archangelica und silvestris. Astragalus alpinus — Wohlgeruch wie bei Lathyrus odoratus. Cerastium trigynum — intensiv süßlicher Honiggeruch. Hieracium alpinum u.a. — starker sehr lieblicher Woblgeruch ähn- lich dem der Cichoriaceen. Linnaea borealis — allbekannter Wohlgeruch. Vaccinium uliginosum — starker stechender Pfeffergeruch. Pedicularis lapponica — feinster Rosenduft. en: ea ! _ sehr starker herber Geruch. P. strieta Saussurea alpina — kräftiger angenehmer Vanillengeruch. Sazxifraga adscendens — süßlicher Honigduft. Viscaria alpina — Linnaea-ähnlicher Wohlgeruch. Einige dem Tieflande angehörige Pflanzen haben auf Dovrefjeld einen entschieden verstärkten Geruch z. B.: Galium uliginosum — wie Galium verum; Gymnadenia conopsea — sehr starken Würzgeruch wie bei @. odoratissima; Heracleum sibiricum; Leontodon autumnalis; Lina- ria vulgaris; Valeria offieinalis — betäubend gewürzhaften Geruch; Vicia Cracca — Geruch fast ebenso stark wie bei Astragalus alpinus. Wir wenden uns zu einigen weitern Arbeiten, welche es mit den Blüteneinriehtungen einzelner Pflanzen oder Pflanzengruppen zu thun haben, die bis dahin noch nicht oder nur ungenau in biologischer Hinsicht untersucht worden sind. — Die Bestäubungseinrich- tungen bei den amerikanischen Loasaceen sind von Ign. Urban zum Gegenstand eingehender Untersuchungen gemacht wor- den, deren Hauptresultate die folgenden sind. Von den beiden Unter- familien der Loasaceen, den Mentzelieen und Loaseen, haben die ersten aufrechte offene Blüten mit mehr oder weniger flachen Blumen- blättern, homogamen oder schwach proterogynischen Geschlechtsorganen. Die fruchtbaren Stamina stehen in einer bis mehrern Reihen neben- einander. Die Filamente sind während der Anthese aufrecht. Die Antheren der äußern Kreise, wenn deren mehrere vorhanden sind, 202 Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. verstäuben zuerst, die Honigschuppen fehlen, der Honig lagert auf dem Discus. Bei Gronovia scandens vertritt der Kelch biologisch die unscheinbare Corolle, bei den übrigen untersuchten Arten ist er grün. Euenide bartonioides, E. lobata und Mentzelia Lindleyi haben 5 große gelbe Petala, welche bei Tag entfaltet werden. Bei Euenide bleiben die Blüten während der ganzen Anthese geöffnet. Selbstbestäubung kann durch Insekten oder Erschütterung der Pflanze herbeigeführt werden. Bei Mentzelia Lindleyi sind die Petala nachts zusammen- geneigt, so dass bei ausbleibendem Insektenbesuch Selbstbestäubung eintritt. Mentzelia albescens besitzt 5 Staminodien, welche den Blumen- blättern gleichgestaltet sind. Letztere sind nur einige Stunden vor Sonnenuntergang entfaltet. Selbstbestäubung ist durch wiederholtes Schließen der Blüte gesichert. — Bei den Loaseen sind die Blüten meist hängend, die Blumenblätter kapuzen- oder kahnförmig. Die Geschlechtsorgane sind proterandrisch. Fruchtbare Stamina stehen bündelweise über den Petalen. Die Filamente richten sich während der Anthese aus der horizontalen Stellung nach und nach auf, nach dem Verstäuben sieh oberwärts einkräuselnd. Die Antheren der innern Filamente verstäuben zuerst. Der Honig wird in besondern aus 3 metamorphosierten äußern Staubfäden gebildeten, mit den Petalen abwechselnden Behältern aufbewahrt. Die hierher gehörigen unter- suchten Arten von Loasa, Blumenbachia, Cajophora, Scyphanthus sind in hohem Grade den Insekten angepasst, haben aber gleichfalls die Möglichkeit autogamischer Befruchtung. Zahlreiche Hybridisations- versuche auch bei den nahe verwandten Arten schlugen fehl. Die große Kluft zwischen den Mentzelieen und Loaseen wird durch einige Gattungen des nördlichen Südamerika überbrückt, so durch Scelerothrix fasciculata Prest und Klaprothia mentzeloides, über deren biologisches _ Verhalten näheres indess bisher nicht ermittelt wurde. — In einer zweiten Abhandlung desselben Verfassers findet sich eine auch in biologischer Hinsicht interessante Beschreibung des Blütenstandes von Dalechampia Roezliana Müll. Arg., eines kleinen (!/;,—1 m hohen) wenig verzweigten Strauches aus Mexiko. Die Infloreszenzaxe dieser Pflanze bildet zunächst eine dreiblütige weib- liche Cyma, oberhalb deren sie, sich noch um einige Millimeter ver- längernd, die männliche Infloreszenz von besondern Hochblättern umschlossen trägt: die letztere bildet im vordern Teile 9—14 in lückenloser Reihe stehende Blüten, denen in einer 2. Reihe weitere 2—5 Blüten folgen. Der größere hintere Teil der männlichen Infloreszenz stellt ein gelb gefärbtes Polster dar, welches aus kleinen dichtgedrängten Stäbchen besteht, welche in größerer Zahl flach blattartigen Organen aufsitzen, den Teilen metamorphosierter Cymen und Blüten. [Der ganze männliche Blütenstand stellt eine aus Cymen zusammengesetzte Dolde (Pleochasium) dar, mit Terminalblüte und vierblättrigem Involuerum, welches gewöhnlich je 3 dreiblütige und Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. 203 2 einblütige normal ausgebildete und außerdem mehrere metamorpho- sierte Cymen umgibt.] Der Gesamtblütenstand mit seinen grünlichen weiblichen und weißlichen männlichen Blüten wird von zwei großen dreieckigen Blättern eingeschlossen, die zur Blütezeit sich auseinander spreizend durch ihre rote Färbung im Verein mit den gelbgefärbten Polstern der männlichen Infloreszenz die Augenfälligkeit des Ganzen heben und die Anloekung der Insekten besorgen. Nach dem Ver- blühen, während sieh der Pedunculus nach abwärts neigt, werden dieselben allmählich grün, neigen sich zusammen und schützen die reifende Frucht, deren Samen zuletzt fortgeschleudert werden. — Ueber das Blühen der Euryale ferox, einer Verwandten der Victoria regia, herrschten bisher verschiedene Meinungen; während die einen behaupteten, dass sie bei tieferem Wasser stets unter Wasser blühe, hatte Caspary mitgeteilt, dass die Blüten nur bei bewölktem Himmel aus dem Wasser auftauchten und dann 3 Tage lang von 9 Uhr morgens bis 6 Uhr abends geöffnet blieben. Arcangeli fand an einem selbstgezogenen Exemplar der Pflanze, dass auch bei seich- tem Wasserstande die Blüten unter Wasser blieben und dass in der geschlossenen Blüte eine Befruchtung stattfand — offenbar eine Kleisto- gamie, die die Pflanze im Verlaufe längerer Generationen durch Un- gunst ihrer Wohnungsverhältnisse erreicht hatte. — W. Burck hat bei verschiedenen Pflanzen einen Uebergang von der trimorphen zur dimorphen Heterostylie aufgefunden; so bei Con- narus Bankensis, wo die gegenwärtigen Blütenformen, wie aus dem Vorkommen rudimentärer Organe hervorgeht, der lang- und mittel- griffeligen Form einer ursprünglich trimorphen Art entsprechen. Bei Connarus falcatus, das morphologisch trimorph ist, ist der eine Staub- gefäßkreis in einer Rückbildung begriffen, so dass die Art biologisch nur dimorph ist. Bei Averrhoa fand B. gleichfalls diese Rückbildung, die er daraus erklärt, dass bei einer trimorphen Species infolge der geringern Wahrscheinlichkeit einer legitimen Bestäubung als bei einer dimorphen der schädigende Einfluss der illegitimen Befruchtung auf den Nachwuchs eher zur Geltung komme. Andere dimorphe Pflanzen, wie die Rubiaceen, sind jedoch nicht aus trimorphen Pflanzen hervor- gegangen. — Wir erwähnen zum Schlusse von pflanzenbiologischen Unter- suchungen, die sich auf einzelne Pflanzenarten beziehen, noch die neuern Beiträge von K. F. Jordan „zur physiologischen Organographie der Blumen“ — eine Fortsetzung der im Biol. Centralbl., Bd. VI, S. 298 ff. besprochenen Arbeit desselben Verfassers über die Stellung der Honigbehälter und der Befruchtungswerkzeuge der Blumen. Die Gesetzmäßigkeiten in der Anordnung der bei der Insektenbestäubung in betracht kommenden Blütenteile, die a. a. O. ausführlicher besprochen worden sind, werden in der neuen Arbeit in etwas anderer Fassung so formuliert: 204 Zacharias, Zur Frage der Vererbung von Traumatismen. 1) Die Honigquelle (Honigbehälter oder Honig), welche am Ende des Blumeneinganges der Anflugstelle der Insekten gegenüber liegt, ist in der Nähe dieser Anflugstelle (auf der Seite der Blume, wo sich die Anflugstelle findet) entweder nur vorhanden oder doch stärker entwickelt. 2) Die Staubbeutel stehen entweder am Blumeneingang und wen- den demselben ihre Staubseiten zu — dann erfolgt die Bestäubung des Insekts meist bei seinem Rückgange aus der Blume; oder die Staubbeutel stehen im Blumeneingange so, dass sie von dem vor- dringenden Insekt an der Staubseite berührt werden, letztere ist also entweder der Anflugsstelle zugekehrt, oder die Staubgefäße sind seit- wendig. 3) Die Narben stehen ebenfalls am Blumeneingange und werden meist beim Anflug des Insekts berührt. Die Ausführung dieser Verhältnisse im einzelnen hat der Verf. zur Ergänzung des früher Mitgeteilten an den Blumeneinrichtungen von weitern 30 Pflanzenarten erörtert. Es sind die folgenden: I. Aktinomorphe Honigblumen: Polygonatum latifolium, Seilla cernua, Scilla pratensis, Ornithogalum aureum, O. latifolium, Rubus odoratus, R. Idaeus, Deutzia scabra, Ribes aureum, Prunus Cerasus, Spiraea sorbifolia, Acer platanoides, A. pseudoplatanus, Philadelphus coronarius, Butomus umbellatus, Tithymalus Cyparissias, Veratrum album, Heracleum, Pastinaca, Salix Caprea, Geranium, Berteroa incana. II. Aktinomorphe Staubblumen: Convallaris majalis. III. Zygomorphe Honigblumen: Funkia ovata, Gladiolus segetum, Aesculus Hippocastanum, Reseda odorata, Dietamnus albus, Tropaeolum majus, Pelargonium zonule. Wir müssen bezüglich der höchst anziehenden und lehrreichen Beziehungen, die bei diesen einzelnen Arten nachgewiesen worden sind, auf die oben angeführte Abhandlung selbst verweisen. Zur Frage der Vererbung von Traumatismen !). Von Dr. Otto Zacharias in Hirschberg i./Schl. Die außerordentliche Schwierigkeit, welche dem Versuche be- gegnet, eine plausible Theorie bezüglich der Vererbung erworbener Eigenschaften aufzustellen, hat in neuerer Zeit dazu geführt, die Möglichkeit einer Beeinflussung der Keimzellen von seiten des zuge- hörigen Soma überhaupt in Abrede zu stellen. Es ist bekanntlich Prof. A. Weismann, der diesen völlig negativen Standpunkt ein- nimmt und mit ebenso großem Scharfsinn wie logischer Konsequenz vertritt. Nach Weismann’s Ansicht ist die Uebertragung erwor- bener Eigenschaften auf den Keim bisher weder thatsächlich erwiesen, I) Vergl. Anat. Anz. Bd. III Nr. 13 (Verlag von Gust. Fischer in Jena), woraus auf Wunsch des Herın Verfassers der folgende Aufsatz entnommen ist, Red. d. Biol. Centralbl. Zacharias, Zur Frage der Vererbung von Traumatismen. 205 noch als eine notwendige Annahme unwiderleglich dargethan. Wir kommen, so behauptet der genannte Forscher, zu einer viel befriedi- gendern Erklärung, wenn wir von einer Uebertragung ganz und gar absehen und lediglich eine durch Ernährungseinflüsse !) bedingte Variabilität der Keimesanlage statuieren, welche immer neues Material für die natürliche Auslese herbeischafft. Die Steigerung eines Organs im Laufe der Generationen würde hiernach nicht auf einer Summierung der Uebungsresultate des Einzellebens beruhen, sondern darauf, dass die für das Leben des Individuums bedeutsamen Varia- tionen weiter gezüchtet werden. Die äußern Umstände (das „um- gebende Medium“) kommen dabei nur insofern zur Geltung, als von ihnen der Zwang zum stärkern oder abgeänderten Gebrauche eines Organs ausgeht: denn jedes Individuum wird sich, seinen Kräften entsprechend, mit den gegebenen Existenzbedingungen abzufinden suchen. Aber das Maß der Kräfte ist schon durch die Keimesanlage bestimmt, und sobald Selektion eintritt, findet sie nur scheinbar zwischen den ausgebildeten Individuen, in Wahrheit jedoch zwischen den stärkern und schwächern Keimen statt. Auf diese Weise kommt der Freiburger Forscher, wie man sieht, ganz gut ohne die Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften aus, und seine Theorie ist auch wirklich folgerichtig, wenn man veränderten Ernährungsbedingungen, wie sie allerdings in jedem Organismus auf- treten können, das Zutrauen entgegenbringt, dass sie die Molekül- gruppen des Keimplasmas in ihrer Zusammensetzung und in ihren Lagerungsverhältnissen zu beeinflussen im stande seien. Unter dieser Voraussetzung ließe sich (im allgemeinen wenigstens) die Möglichkeit einsehen, wie successive niedere und höhere Metazoen, ja schließlich Organisationen von der obersten systematischen Rangstufe aus amö- benartigen Urwesen ihre Entstehung nehmen konnten. Nach Weismann’s Theorie führen also Keimzellen und Körper- zellen stets getrennte Konti, und eine Veränderung des zweiten Konto, desjenigen der somatischen Zellen, erfolgt nur dann, wenn ihr eine Zu- oder Abschreibung auf dem Konto der phylogenetischen Zellen vorhergegangen ist?). Bei dieser Auffassung des Vererbungsvorganges unterscheidet sich natürlich die Succession der Arten von der Suec- cession der Individuen nur dadurch, dass bei letztern die Keimes- anlage unverändert in ihrer molekülaren Zusammensetzung beharrt, während sie sich bei Umwandlung der Arten verändert und so auch den Individuen, welche im einzelnen Fall aus ihr hervorwachsen, immer neue und kompliziertere Gestalten verleiht, „vom einfachen Wurzelfüßer bis zum höchsten aller Organismen, dem Menschen, hinauf.“ Das ist Weismann’s Theorie von der Kontinuität des Keim- A A. Weismann, Die Vererbung. Jena 1883. S. 57. 2)ul.er S. u8 206 Zacharias, Zur Frage der Vererbung von Traumatismen. plasmas, welche von ihrem Urheber als ein „notwendiger Durchgangs- punkt unserer Erkenntnis“ bezeichnet wird!). Zur speziellern Er- läuterung derselben mag noch angeführt sein, dass Weismann von der Vorstellung ausgeht, es bleibe bei der ontogenetischen Entwick- lung des Organismus immer ein Minimum von Keimplasma unver- ändert und gehe auf die nächste Generation über, wo es nur an Quantität zunimmt, aber seine Molekülarstruktur unverän- dert beibehält. Das Individuum, in welchem es eingebettet liegt, ist demnach nicht sein Erzeuger, sondern nur der Nährboden, auf dessen Kosten es wächst. Man kann sich daher — wie Weismann vorschlägt — das Keimplasma als eine lang dahinkriechende Wurzel vorstellen, von der sich streckenweise junge Pflänzchen erheben: die Individuen der aufeinander folgenden Generationen. Eine Beeinflussung durch äußere Umstände gibt Weismann für das Keimplasma nur in sehr geringem Umfange zu. In einer neuern Schrift?) legt er das Hauptgewicht auf die sexuelle (amphi- gone) Fortpflanzung; diese sei es, welche immer neue Kombinationen durch Vermischung zweier Idioplasmen hervorbringe und damit das Material an erblichen individuellen Charakteren in reichem Maße herbeischaffe. Alle rezenten Tier- und Pflanzenarten haben wir uns hiernach nur durch das Ueberleben der zu den äußern Umständen am besten passenden Formen zu erklären; eine Rückwirkung äußerer Einflüsse auf den Keim, also das, was Häckel in seiner Generellen Morphologie (Bd. II, S. 201) indirekte oder potentielle Anpassung genannt hat, ist im Lichte der Weismann’schen Theorie nicht mehr möglich. Ebenso sind Eigenschaften, welche während der Dauer des individuellen Lebens erworben wurden, also aktuelle Anpassungen, nunmehr für die nächste Generation irrelevant, da eine Kumulierung derselben, die nur durch Vermittlung des Keimplasmas geschehen könnte, durch jene Theorie gleichfalls ausgeschlossen ist. Ich schicke den nachfolgenden Mitteilungen dieses Resume der Weismann’schen Erörterungen voraus, um in Anknüpfung daran bei möglichst zahlreichen (fachmännischen) Lesern Interesse für die Ent- scheidung der wichtigen Frage zu erwecken, ob es wirklich unz wei- felhafte Fälle von Vererbung erworbener Eigenschaften gibt, oder ob es sich dabei, wie du Bois-Reymond einmal gesagt hat), um „eine lediglich den zu erklärenden Thatsachen entnommene und in sich ganz dunkle Hypothese“ handelt. Zunächst müssen wir die eigentümliche Situation, in der wir uns befinden, klar zu machen suchen. Tritt an einem im vollen Wachstum begriffenen Organismus eine physiologische oder strukturelle Verän- 1) Weismann, Die Kontinuität des Keimplasmas ete. Jena 1885. 8. 12. 2) Weismann, Die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung für die Selek- tionstheorie. Jena 1886. S. 41 u. fg. 3) Rede „Ueber die Uebung“. Berlin 1881. Zacharias, Zur Frage der Vererbung von Traumatismen, 207 derung irgendwelcher Art ein, welche je nach dem Grade ihrer Aus- bildung als Variation oder Monstrosität zu charakterisieren wäre, so ist es in der That schwer zu sagen, ob der Anlass dazu schon ur- sprünglich im Keime gegeben war, oder ob ungeeignete Lebensbe- dingungen die Ursache vom Erscheinen derselben sind. Nach dem Sprachgebrauche der Pathologie müsste man sie in jedem der bei- den Fälle als eine „erworbene“ bezeichnen, und wenn sie sich auf die Nachkommenschaft fortpflanzt, würde man in dieser Thatsache die Vererbung einer erworbenen Eigenschaft zu erblicken haben. Der Patholog hält sich lediglich an das Faktum des erstmaligen Auf- tretens !), welches er sich — seinen Erfahrungen zufolge — nicht ohne die Mitwirkung äußerer Umstände und Ursachen zu erklären vermag. Demgemäß spricht er von einer mutatio acquisita, ohne den ursprünglichen Anteil näher zu untersuchen, den jeder der beiden theoretisch in betracht kommenden Faktoren an der eingetretenen Veränderung haben mag. Die erstmalige Erwerbung eines krank- haften Zustandes oder eines heterotypischen Merkmals setzt allerdings in dem betreffenden Organismus eine dazu disponierende Ver- fassung voraus, aber wer vermöchte bei dem augenblicklichen Stande unserer Kenntnisse zu unterscheiden, ob „Dispositionen“ dieser Art schon mit der ersten Keimesanlage gegeben sind, oder ob sie selbst schon etwas Erworbenes darstellen? Hier fehlt uns jedes Kriterium, und eben deshalb ist es in den spon- tan auftretenden Fällen von Variabilität unmöglich zu sagen, wie viel davon auf Keimesvariation im Weismann’schen Sinne, und wie viel auf der direkten Einwirkung der Lebensbedingungen beruht. Die Rolle der letztern als causae externae bleibt überhaupt so lange problematisch bezüglich der Art ihrer Wirksamkeit, als nicht die Resultate planvoll ins Werk gesetzter Experimente oder solcher Beobachtungen vorliegen, welche in ihrer Beweiskraft dem Experi- mente gleichkommen. Letzteres würde z. B. der Fall sein, wenn sich einige der Wahrnehmungen, welche man schon zu wiederholten malen in betreff der Forterbung traumatisch erzeugter Defekte gemacht haben will, verifizieren ließen. Ob wir es mit unsern Theorien vereinbaren können, dass eine gewaltsam ihres Schwanzes beraubte Katze fortan neben normalschwänzigen Jungen auch solche wirft, welche völlig schwanzlos sind, darauf kommt es zunächst nicht an. Die Haupt- sache besteht vielmehr darin, in diesen und in ähnlichen Fällen den strikten Nachweis zu führen, dass das zufällige Zusammentreffen der beiden Erschemungen, zwischen denen man ein Kausalitätsver- hältnis vermutet, vollkommen ausgeschlossen ist. Ich muss offen be- kennen, dass dieser Nachweis bezüglich der beiden schwanzlosen Kätzchen, welche ich auf der vorjährigen Naturforscherversamm- 1) Vgl. R. Virchow, Deszendenzlehre und Pathologie. Arch. f. pathol. Anatomie, Bd. 103, 1886; Biol. Centralbl. VI. 97 fg. 208 Zacharias, Zur Frage der Vererbung von Traumatismen. lung zu Wiesbaden !) demonstriert habe, nicht ganz befriedigend er- bracht ist, insofern das Vorleben der Mutterkatze nicht hinlänglich klar gestellt werden konnte, und man nicht sicher weiß, ob dieselbe nicht etwa schon vor der Zeit ihres Schwanzverlustes vollständig schwanzlose Junge geboren hat. Dasselbe Bedenken steht dem Be- richte E. Häckel’s über einen Zuchtstier entgegen, dem beim Zu- schlagen eines Stallthores der Schwanz von der Wurzel abgeklemmt wurde und der — wie der genannte Forscher erzählt — von da ab nur noch schwanzlose Kälber erzeugte ?). In diesen beiden Fällen ist die Möglichkeit einer bloßen Koinzidenz nicht ausgeschlossen, und L. Döderlein’s Skeptizismus (Biol. Cbl. VII. 720) erscheint darum gerechtfertigt. Aber es liegen eine Anzahl anderer Thatsachen vor, welche die Vererbung erworbener Defekte im hohen Grade wahr- scheinlich machen. So ist erst kürzlich der Fall zu meiner Kenntnis gekommen, dass ein Mann (Herr L. H., Direktor einer Feuerver- sicherungsgesellschaft zu Petersburg), der infolge einer Verwundung eine haarlose Stelle auf der Kopfhaut besaß, dieses äußere Merkmal vollkommen homotopisch auf seinen ältesten Sohn vererbt hat. Ein ähnliches Vorkommnis wurde mir aus Ludwigshafen gemeldet. Ich erhielt von einem dort wohnenden Herrn vor einigen Wochen nach- stehende briefliche Mitteilung: „Meine Frau hat von Geburt an zwischen Nase und Oberlippe eine narbenähnliche Hautfalte, und zwar befindet sich dieselbe an der gleichen Stelle, an welcher mein verstorbener Schwiegervater eine wirkliche (von einem in früher Kindheit gethanen Sturz herrührende) Narbe besaß. Ort und Größe der Narbe decken sich bei beiden Personen aufs genaueste.“ Der erstgemeldete Fall deckt sich fast vollkommen mit einem von A. Decandolle?) neuerdings berichteten, welcher folgende Thatsache betrifft. Im Jahre 1797 stürzte ein 21jähriges Mädchen aus dem Wagen und trug über dem Ohr und der linken Schläfe eine Narbe von ungefähr 5 em davon, die haarlos blieb. 1799 verheiratete sie sich und gebar 1800 einen Sohn, der an derselben Stelle haarlos war und blieb. Dessen Sohn (1836 geboren) hatte diesen Fehler nicht, wohl aber sein 1866 geborner Enkel, bei dem jedoch diese Eigentümlichkeit im 18. Lebensjahre zu schwinden begonnen hat. Gleichfalls hierher gehörig ist ein Faktum, welches im Juniheft der Zeitschrift „Humboldt“ (1887) von Dr. Meissen aus Falkenberg mitgeteilt wird. Dort heißt es: „Ich hatte als 7—8jähriger Knabe die Wasserpocken (Navicellen) und entsinne mich ganz genau, dass 4) Tageblatt der 60. Vers. deutsch. Naturf. u. Aerzte, 1887, S. 92; Biol. Centralbl. VII. 575. 2) Natürl. Schöpfungsgeschichte, 2. Aufl., 1877, S. 192. 3) Histoire des sciences et des savants depuis deux sieeles et suivie d’autres etudes sur des sujets scientifigques en particulier sur l’heredite et la selection — Geneve, Bäle, 1885. Zacharias, Zur Frage der Vererbung von Traumatismen. 209 ich eine der Pocken an der rechten Schläfe aufkratzte, wovon ich eine kleine weiße Narbe an dieser Stelle behielt. Genau dieselbe Narbe an genau derselben Stelle brachte mein jetzt 15 Monate altes Söhnchen mit zur Welt. Die Uebereinstimmung ist eine so voll- kommene, dass sie jedem sofort auffällt, der die kleine Stelle sieht“. Prof. Th. Eimer (Tübingen) berichtet in einer unlängst erschie- nenen Publikation über die Entstehung der Arten [aufgrund von Ver- erben erworbener Eigenschaften]?!) wörtlich folgendes: „Mein Assistent Dr. Vosseler erzählt, dass seiner Mutter im 18. Lebensjahre der Ringfinger der rechten Hand dadurch, dass sie ihn zwischen die Thürklinke und der Thür einklemmte, zwischen dem äußern und mittlern Gliede gegen die Radialseite derart gezerrt wurde, dass er an der betreffenden Stelle zeitlebens geknickt und steif blieb. Herr Vosseler, der zwei Jahre später geboren wurde, hat von Jugend auf dieselbe Verkrümmung desselben Fingers und ebenso ein Bruder von ihm. Die Verkrümmung war in früher Jugend stärker, als sie es jetzt ist“. Graf K., ein schlesischer Rittergutsbesitzer, machte mir vor einiger Zeit die Mitteilung, dass er eine Stute besitze, welche durch einen äußern Umstand eine Knickung des Ohrknorpels (nahe an der Spitze des Ohrs) davongetragen hat. Dieser Defekt hat sich nun auf ein kürzlich von diesem Pferde gebornes Füllen fortgeerbt, und die Ueber- einstimmung zwischen beiden Kniekungen ist (nach demselben Ge- währsmann) eine fast vollkommene. Im Anschluss an letztern Fall erinnere ich daran, dass Dar win?) gleichfalls sagt: „Beim Pferde scheint es kaum einem Zweifel zu unterliegen, dass Knochenauswüchse an den Beinen, die infolge zu vieler Arbeit auf harten Straßen auftreten, vererbt werden“. Bekanntlich gibt es zahlreiche Physiologen und Anatomen, welche alle Mitteilungen der vorstehenden Art in die Kategorie der „Ammen- märchen“ verweisen. Demgegenüber möchte ich betonen, dass unsere Erfahrungen über die Vererbung von erworbenen Defekten noch nicht hinreichend ausgebreitet erscheinen, um (sei es negativ oder positiv) endgiltig darüber abzuurteilen. Ich halte es deshalb für zweckmäßig, wenn die Aufmerksamkeit der Fachgenossen auf Fälle ähnlicher Art, wie ich sie hier zusammengestellt habe, hingelenkt wird. Die Frage, um die es sich dabei handelt, ist es wert, dass sie genauer als bisher studiert und geprüft werde. Ein einziges vollkommen sicheres und unanfechtbares Beispiel von Vererbung eines trau- matisch herbeigeführten Defekts ist (im positiven Sinne) entscheidend für die Vererbbarkeit erworbener Eigen- schaften und darum von höchster Wichtigkeit für die ge- 1) Jena, Gustav Fischer, 1888, S.191 (Biol. Centralbl. Bd. VIII Nr. 4). 2) Das Variieren der Tiere und Pflanzen ete., II. Band, (deutsch von V. Carus), 1873, S. 27. v1. 14 210 Dingfelder, Beitrag zur Vererbung erworbener Eigenschaften. samte Biologie. Ich bezwecke mit diesem Aufsatze weiter nichts, als zur eifrigen Sammlung einschlägigen Materiales und zur Publika- tion desselben in den Fachzeitschriften anzuregen. Beitrag zur Vererbung erworbener Eigenschaften. Von Joh. Dingfelder, cand. med. in Erlangen. Zweite Mitteilung!). Um für die weitere wissenschaftliche Erörterung dieser Frage möglichst viel Material zu sammeln, habe ich die Ferienzeit benutzt, in meiner Heimat aufs sorgfältigste Nachforschungen anzustellen und möglichst genau alles festzustellen, was zur Entscheidung über den Wert der gesammelten Thatsachen dienen kann. Denn ich bin weit entfernt, auf vereinzelte Beobachtungen hin den Beweis für die Rich- tigkeit der Annahme von Vererbung einer durch Verstümmelung er- worbenen Eigenschaft. schon für geführt zu erachten. Ich werde deshalb von Zeit zu Zeit alles, was zur Aufklärung der Frage bei- tragen kann, veröffentlichen, und hoffe damit auch andere zur Ver- öffentliehung ihrer Beobachtungen anzuregen. Kollmann legt in seiner brieflichen Mitteilung in diesem Blatte ganz besondern Wert darauf, aufs genaueste festzustellen, ob den Vätern jener schwanzlos gebornen Hunde, über welche ich in meiner ersten Mitteilung berichtete, der Schwanz wirklich abgeschlagen wurde, und nicht infolge einer andern Ursache, z. B. einer Entwicklungs- hemmung gefehlt hat. Dass zweien derselben der Schwanz wirklich abgeschnitten wurde, weiß ich ganz bestimmt; denn ich war bei der Operation selbst zu- gegen. Der dritte Vater stammte von einer Hündin, deren Schwanz ebenfalls ganz bestimmt abgehauen wurde, und war schon mit einem Stutzschwanz zur Welt gekommen; die Väter dieser Hunde sind na- türlich nicht mehr mit Sicherheit anzugeben, da schon mehrere Jahre verflossen sind. Wie verhält es sich nun mit den von diesen Vätern gezeugten Jungen, die mit einem Stutzschwanze zur Welt kamen? Einige glichen dem selbst mit einem Stutzschwanze zur Welt gekom- menen Vater, und wenn diese die einzigen Exemplare gewesen wären, könnte man nun wohl den Einwurf machen: das kann ebenso ein Entwicklungsfehler bei dem Vater dieser Tiere gewesen sein, der sich vererbt hat. Aber viele glichen auch den Vätern mit künstlich gestutzten Schwänzen, und dass es überhaupt Tiere verschiedener Väter waren, davon konnte man sich an den ins physiologische In- stitut nach Erlangen geschiekten Tierchen durch den Augenschein überzeugen. Es kann also recht wohl möglich sein, dass bei dem einen Hund die Vererbung schon bei seinen Voreltern aufgetreten war, während sie bei dem andern zum ersten mal zum Vorschein kam, wenn 1) Erste Mitteilung in Biol. Centralbl. Bd. VII Nr. 14. Dingfelder, Beitrag zur Vererbung erworbener Eigenschaften. 211 man nicht als Gegner dieser Auffassung behaupten wollte, die durch zufällige Ursache angeborne Eigenschaft sei hier bei den erst künstlich gestutzten Hunden dennoch nur auf dem Wege latenter Vererbung wieder zum Vorschein gekommen. Im weitern Verlaufe dieser Abhandlung will ich Beweise dafür anführen, dass auch die andere Annahme mindestens ebenso wohl berechtigt ist. Ferner wurde mir ein Hund mit angebornem Stutzschwanze ge- zeigt, dessen Mutter einen langen Schwanz besaß, und ein anderer, ebensolcher, dessen Mutter einen künstlich gestutzten Schwanz be- sessen; ich führe hier bloß die Weibchen an, weil, wenn mehrere Jahre dazwischen liegen, die Väter der Hunde nicht mehr mit Sicher- heit festgestellt werden können und man bei dieser Vererbungsfrage doch wohl auch die Weibehen mit in betracht ziehen muss. Weiter sah ich einen großen Schäferhund mit einem auffallend kurzen Schwanze (ich konnte bei der äußern Untersuchung nur zwei Schwanzwirbel außerhalb des Beckens durchfüblen), der ebenfalls angeboren war. Der Schäfer, ein durchaus zuverlässiger Mann, er- klärte mir auf mein Befragen, diese Rasse stamme aus Württemberg, und solange er dieselbe kenne (seit einigen 20 Jahren), sei dieselbe schwanzlos. Auch in diesem Falle kann man wohl annehmen, dass irgend einmal einer der Voreltern dieses Hundes durch einen un- glücklichen Zufall seines Schwanzes beraubt worden ist, was sich vererbte. (Man vergleiche den von Kollmann mitgeteilten Fall von dem seines Schwanzes beraubten Zuchtbullen Bd. VII Nr. 17 d. Bl.). Indess könnte es auch möglich sein, dass diese Eigentümlichkeit von einem andern großen Hunde (z. B. Jagdhunde) vererbt wurde, bei dem schon mehrere Generationen hindurch die Operation vorgenommen worden (was bei echten Schäferhunden seltner zu geschehen pflegt, wenn sie nämlich ein Schäfer im Gebrauche hat; außerdem kommt es schon häufiger vor). Weiter wurde mir von mehrern mir sehr gut be- kannten Jägern versichert, dass Jagdhunde, bei denen ja die Kürzung sehr häufig vorgenommen wird, zu wiederholten malen mit gekürztem Schwanze geboren wurden !). Ueberhaupt fand ich in jedem Dorfe, das ich besuchte, immer mehrere Hunde mit angebornen Stutzschwänzen, 1) Prof. Eimer schreibt in seinem kürzlich erschienenen Werke „Die Entstehung der Arten aufgrund von Vererben erworbener Eigenschaften nach den Gesetzen organischen Wachsens” S. 191 folgendes: „Ferner erzählt mir mein Kollege Professor Dr. von Säxinger: sein Schwiegervater besaß ein Paar langschwänziger Hühnerhurde, welches schon einmal langschwänzige Junge geworfen hatte; um kurzschwänzige Junge zu erzielen, ließ er beiden Alten die Ruten verkürzen: die Hündin warf von da an wiederholt nur kurzschwänzige Junge. Da die sorgfältigste Aufsicht den Eltern gegenüber geübt worden ist, so lassen sich gegen den Fall, der übrigens bei Hundzüchtern ganz selbstverständlich zu sein scheint, keine Einwände erheben“. 14* 212 Dingfelder, Beitrag zur Vererbung erworbener Eigenschaften. so dass die Voraussetzung in meinem ersten Aufsatze, man müsste bei weiterem Nachforschen noch mehr Beispiele von solchen Ver- erbungen finden, sich bestätigt hat. Noch am vorletzten Tage meiner Abreise begegnete ich einem Manne, dessen Hund ebenfalls, wie ich sofort bemerkte, den angebornen Stutzschwanz besaß. Er erklärte mir auf mein Befragen, dass derselbe von einer mit einem Stutz- schwanz gebornen Mutter stamme und regelmäßig eine größere Anzahl Junge mit Stutzschwänzen zur Welt bringe; die Väter seien, soviel er sich erinnern könne, künstlich gestutzte Hunde. Er erklärte sich auch sofort bereit, das nächste mal während der Begattungszeit den Hund und die betreffenden Männchen sorgfältig zu überwachen. Das ist nun alles ganz recht, wird man einwenden; aber jetzt weiß man doch nicht, ob nicht der erste Fall von angebornem Stutz- schwanze auf eine Entwicklungshemmung zurückzuführen ist. Das ist sicher zu erwägen, aber dabei ist doch zu bedenken, dass diese Eigentümlichkeit sich nicht bloß bei einer einzigen Hunderasse vor- findet, sondern bei Spitzen, Pintschern, Pudeln, Jagd- und Schäfer- hunden, und wiederum grade am häufigsten bei den Pintschern, weil diese Rasse die gewöhnliche auf dem Lande ist und bei ihnen das Abschneiden des Schwanzes und der Ohren am gebräuchlichsten ist. Man müsste denn dagegen wieder einwenden, dass, wenn die ange- . borne Eigentümlichkeit auch in einer kleinern Rasse zum ersten mal aufgetreten sei, durch allmähliches Uebergehen auf eine größere Rasse auch in eine solche vererbt worden sei und umgekehrt. Jedenfalls aber ist es doch beachtenswert, warum grade bei den Pintschern, wo die Operation am häufigsten vorgenommen wird, sich diese Eigen- tümlichkeit des angebornen Stutzschwanzes am häufigsten zeigt. Dass aber bei den künstlich gestutzten Hunden eine Vererbung ein- treten kann, dafür liefern den hauptsächlichsten Beweis Hunde, die nicht bloß mit gestutztem Schwanze, sondern auch mit gestutzten Ohren zur Welt kommen. Ich hatte in meinem ersten Aufsatze be- merkt, dass es mir bis dahin wenigstens noch nicht gelungen sei, solche Hunde ausfindig zu machen. In Nr. 17 dieses Blattes führt nun Kollmann einen solchen Fall an, wo eine am Schwanze und den Ohren gestutzte Hündin 2 ebenfalls auf solche Weise gestutzte Hündehen zur Welt brachte und schon früher auf die Welt gebracht hatte. Und in meiner Ferienzeit gelang es mir selbst, einen solchen Fall ausfindig zu machen, wo diese doppelte Vererbung stattgefunden hatte, und ich glaube ganz bestimmt, dass es mir gelingen wird noch mehrere solche Fälle aufzufinden. Wenn man nun in Fällen angeborner Stutzschwänze behaupten könnte, dass hier eine Entwieklungshemmung vorliegt, so ist es doch wohl nicht möglich, in einem Falle, wo beide Ohren und der Schwanz zugleich gestutzt sind, anzunehmen, dass dies Entwicklungsfehler seien. Es kann zwar vorkommen, dass einmal ein einziges Ohr in € Dingfelder, Beitrag zur Vererbung erworbener Eigenschaften. 213 der Entwicklung gehemmt wird, wie dies schon bei Kaninchen der Fall war, die ja sehr lange Ohren haben und welche deshalb einer fötalen Hemmung umsomehr ausgesetzt sind; anzunehmen aber, dass solche Hemmung bei einem Hundeembryo, wo die Ohren ja noch sehr klein sind, zu gleicher Zeit am Schwanze und an beiden Ohren im fötalen Leben ohne einen erblichen Einfluss durch einen bloßen Zufall eintrete, das ist doch wohl nicht gut möglich. Zudem ist zu be- merken, dass die Ohren etwa nicht aussahen wie abgerissen oder abgequetscht, sondern ganz glatt, wie wenn sie abgeschnitten worden wären. Warum aber die Vererbung von Stutzohren nicht so häufig auftritt wie die Stutzschwänze, das kann einerseits davon herrühren, dass, wie ich schon in meinem ersten Aufsatze bemerkte, die Ohren sehr nützliche Organe sind, und dass der Schmerz, den das Tier bei der Operation erleidet, geringer ist als der Nutzen, den das Tier durch die Ohrlappen hat, andernteils, und dies mag mit der Haupt- grund sein, dass die Ohrlappen weit seltner gestutzt werden, als die Schwänze, wie ich mich durch weiteres Nachforschen überzeugte; ich fand nämlich unter je 10 Hunden ungefähr nur 4, bei denen zu- gleich auch die Ohren mitgestutzt waren. Daher auch die größere Häufigkeit der Stutzschwänze. Dass also in einem solchen Falle von doppelter Vererbung die Ursache hievon eher als Folge der Ver- stümmelung und nicht einer embryonalen Hemmungsbildung anzunehmen ist, das leuchtet ein. Ferner, wenn man annehmen wollte, dass diese Eigentümlichkeit eines Stutzschwanzes zurückzuführen sei auf einen ersten Fall, der aufgetreten sei infolge einer angebornen Eigenschaft, so müsste man doch auch, da sich solche Eigenschaften sehr genau in derselben Weise zu wiederholen pflegen, in den spätern Genera- tionen (ich erinnere nur an solche angeführte Fälle angeborner Eigen- schaften, die durch Pflege des Menschen zu einem Rassencharakter ausgebildet wurden) erwarten, dass so ziemlich alle Hunde mit dem angebornen Stutzschwanze soviel wie möglich übereinstimmen. Aber dem ist nicht so, sondern der eine hat einen längern, der andere einen kürzern Schwanz, je nachdem den Voreltern derselbe vielleicht mehrere Generationen hindurch kürzer oder länger gestutzt wurde. Diese Umstände sprechen dafür, dass hier eher eine durch Ver- stiimmelung erworbene Eigenschaft als eine angeborne vorliegt. Durch weitere Nachforschungen erfuhr ich noch folgendes: Es kommt sehr häufig auf dem Lande vor, dass den jungen Schweinen von Ratten die Schwänze mehr oder weniger abgefressen werden, und da soll es, wie mir ein sehr glaubwürdiger Landmann versicherte, ebenfalls schon öfters vorgekommen sein, dass junge Schweine mit Stutzschwänzen auf die Welt kamen. Ich werde mich selbst davon überzeugen, wie es sich damit verhält. Ueberhaupt wird es von Nutzen sein, überall da, wo gewohnheitsmäßig Verstiümmelungen vor- genommen werden, nachzuforschen, ob hier nicht Fälle wie der an- . 214 Dingfelder, Beitrag zur Vererbung erworbener Eigenschaften. geführte vorkommen oder schon vorgekommen sind. So werden z.B. im Frühjahr in vielen Gegenden den jungen Lämmern die Schwänze gekürzt, und ich werde besonders hier mein Augenmerk darauf richten, ob Fälle von angebornen Stutzschwänzen vorkommen, was mir übri- gens ein Schäfer bereits versicherte. Endlich will ich noch einen Fall anführen, den ich schon früher einmal zu beobachten Gelegenheit hatte. Unser Haushahn, der einen Stutzchwanz besaß, wurde durch eine lange, starre Feder, die nach hinten hervorragte, sehr verunstaltet. Auch sehr viele Junghennen, die von ihm gezeugt waren, hatten diesen Fehler. Ich riss ihm nun diese Feder so lange immer wieder heraus, bis sie nicht mehr nach- wuchs, und von da an blieb dieselbe auch bei den Nachkommen aus. Außerdem habe ich zuhause Vorsorge getroffen, dass von jetzt an die betreffenden Hunde, welche zur Begattung zugelassen werden, genau überwacht werden; das nächste mal werden dann nur solche zugelassen, deren Schwänze künstlich gestutzt wurden, und dann wie- der nur solche, die gar nicht gestutzt sind, um zu sehen, ob die Kraft der Vererbung im Weibchen steckt, dessen Großmutter ebenfalls künstlich gestutzt ist. Die Jungen werden teils zur Nachzucht ver- wendet, um dann auch, was von großer Wichtigkeit ist, die Entwick- lung des Organs im Embryo verfolgen zu können, teils wird zur Ver- gleichung eine Sektion ihrer Schwänze vorgenommen und überhaupt alles gethan werden, was dazu beitragen kann, in diesem Falle die wirkliche Thatsache genau festzustellen. An den in das physiolo- gische Institut nach Erlangen geschickten Hunden sind bereits Unter- suchungen angestellt worden, und es wird über die Resultate des makro- skopischen wie mikroskopischen Befundes später berichtet werden. Nur so viel möge angeführt werden, dass sich bei den betreffenden Tieren weder Spuren einer verzögerten Verknöcherung befanden, noch eine Verkümmerung oder Entwicklungsstörung der Wirbelsäule, wie denn überhaupt die betreffenden Tiere durchaus normales Aussehen hatten und sich in nichts von andern Hunden unterschieden. Um indess auch an sorgfältig überwachten andern Tieren Experimente anstellen zu können, sind im physiologischen Institute zu Erlangen bereits die nötigen Schritte gethan worden, und die schließlichen Resultate werden noch mehr zur Beurteilung der Streitfrage beitragen. Uebrigens, haben wir denn gar keine Fälle, in denen wir mit einiger Wahrscheinlichkeit nachweisen können, dass eine konstante Vererbung vorliegt von Eigenschaften, die erst erworben worden sind und die z. B. auch geistiger Art oder Gewohnheiten sein können? Darwin führt die Thatsache an, dass bei Kindern lange vor ihrer Geburt die Epidermis an der Innenfläche der Hand und an der Fuß- sohle dieker ist als an irgend einer andern Stelle; man könnte ein- wenden, dass hier durch Häufung längerer, angeborner Abweichungen eine Naturauslese stattgefunden hat. Ich glaube aber, dass man keine Dingfelder, Beitrag zur Vererbung erworbener Eigenschaften. 315 Naturauslese braucht, da es wohl ganz sicher ist, dass alle Menschen schon von Anfang an auf den Füßen gingen und mit den Händen arbeiteten, oder vielleicht auch gingen, so dass sich die Dicke der Epidermis herausbildet, ehe noch eine Naturauslese stattfinden könnte. Einen weitern Beleg für eine konstante Vererbung bieten die Jagd- hunde. Es kann ja wohl möglich sein, dass in dem einen oder an- dern Falle sich schon im Embryo ein Vorzug des Hundes heraus- bildet, ohne dass man anzunehmen braucht, dass derselbe vom Vater, dem er erst durch die Dressur beigebracht worden, geerbt worden sei. Aber dass ein junger Jagdhund fast alle Eigenschaften, die man nur von einem ältern, gut dressierten Hunde erwarten kann, schon mit auf die Welt bringen kann, das ist gewiss merkwürdig. Dass dies aber vorkommt, davon überzeugte ich mich während meiner heurigen Ferienzeit selbst am besten. Ein Freund von mir hatte sich von einer bekannten Hundezuchtanstalt einen jungen Jagdhund kommen lassen. Als er ihn das erste mal mit auf die Jagd nahm, war der- selbe kaum viel über ein halbes Jahr alt und war noch nicht in irgend welche Dressur genommen worden. Trotzdem stand er so gut vor wie ein alter Hund, suchte und apportierte ebenso gut, und ebenso später auf der Hasenjagd, bei welcher Gelegenheit er genau so wie nur ein erfahrener alter Jagdhund auch eine unsichere Fährte auf- suchte und verfolgte. Von früher her kannte ich schon eine solche Jagdhundadresse, die schon seit langem dadurch berühmt war, dass man Hunde, welche aus derselben stammen, kaum zu dressieren braucht. Das ist doch sicher nur Folge von Vererbung geistiger Eigenschaften. Das Gleiche können wir bei Gewohnheiten beobachten. So wird von einem Manne berichtet, der die Gewohnheit hatte seine Finger eigentümlich rasch zu bewegen und bei starker Erregung zugleich die Hand neben das Gesicht zu erheben; noch im Mannesalter konnte er dieser Eigenheit nicht widerstehen, bezwang sie aber wegen ihrer Absurdität. Er hatte 8 Kinder, und von diesen bewegte ein Mädchen von 4!/, Jahren die Finger genau so wie sein Vater und brachte bei starker Erregung die Hände neben das Gesicht. Die Handschrift wird durch methodischen Unterricht in bestimmte Formen gezwängt, und dennoch sehen wir nicht selten beim Sohne im spätern Alter die Schriftzüge des Vaters genau wiederkehren. Die Gewohnheit im Herbste nach Süden zu ziehen muss während der Lebensperiode erwachsener Vögel zuerst aufgetreten sein und ist dann zu jenem mächtigen Drange geworden, der unsere Zugvögel bis nach Italien und Afrika treibt. Man hat sich diese merkwürdige Thatsache sehon auf vielerlei Weise zu erklären versucht. Ich habe mir die Ursache davon auf folgende Weise vorgestellt, welche mich wenigstens vollständig befriedigt: Zu einer Zeit, wo in unsern Breiten noch eine viel höhere Temperatur herrschte (wovon ja das Auffinden einer einst vorhandenen tropischen Fauna zeugt), muss natürlich 916 Dingfelder, Beitrag zur Vererbung erworbener Eigenschaften. einmal zu einer bestimmten Zeit vielleicht ganz auffallend eine Tem- peraturerniedrigung eingetreten sein. Die Vögel suchten dem zu ent- gehen, indem sie nach wärmern Gegenden, also nach Süden zogen. Nachdem nun diese Erscheinung sich öfters wiederholt hatte, lernten die Tiere allmählich durch Erfahrung die Zeit genau bestimmen, wann Kälte eintrat, und zogen daher schon einige Zeit früher fort, bevor dieselbe eintrat. Denn die meisten Vögel ziehen fort zu einer Zeit, wo es noch gar oft sehr warm und Futter in reichlicher Menge sich vorfindet, gleichwie der Landmann, trotzdem das schönste Wetter noch vorhanden ist, schon seine Vorkehrungen für den Winter trifft, noch ehe derselbe eintritt, eben weil er aus Erfahrung weiß, dass derselbe ganz bestimmt bald nachfolgen wird. Es ist also durchaus nicht nötig, sich mit der bequemen Erklärung „Instinkt“ zu begnügen. Und wie tief der Wandertrieb in den Vögeln wurzelt, dies kann man an denjenigen beobachten, welche sich in der Gefangenschaft befinden und welche zur Zeit des Wegzuges in die größte Unruhe geraten. Es ist also hier die durch Erfahrung herangebildete Gewohnheit zu einem unwiderstehlichen Triebe bei allen Zugvögeln geworden. Endlich will ich noch eine bekannte Thatsache anführen, die nach meiner Ansicht recht gut als Vererbung erworbener Eigenschaften gedeutet werden kann. Unsere Ohren besitzen noch eine ziemlich gut entwickelte Mus- kulatur sowohl zum Vor- und Rückwärtsbewegen der Ohren wie zum Emporziehen derselben, und es gibt noch manche Individuen, die diese Bewegungen auch noch ziemlich gut ausführen können, während die meisten Menschen dazu nicht im stande sind. Ferner liegen unsere Ohrlappen gewöhnlich so weit nach hinten an den Kopf an, dass sich nicht nachweisen lässt, dass sie zur Verstärkung der Schallwellen dienen könnten, was sie bewirken, wenn wir sie mit den Händen nach vorne drücken, weshalb auch, wie bekannt, Leute mit hängenden Ohren besser zu hören pflegen. Da man nun nicht annehmen kann, dass die Natur ihre Geschöpfe mit unnützen, wertlosen Organen aus- rüstet, so dürfte die Verkümmerung der betreffenden Muskeln auf einen Nichtgebrauch derselben zurückzuführen sein, was Verküm- merung und Unbeweglichkeit der Ohrmuscheln mit sich bringen musste. Denn jemehr der Mensch sich einer höhern Kulturstufe näherte, um so weniger war er auf den Gebrauch eines sehr feinen Gehörs, wie in der Wildnis unter Tieren, angewiesen. Dass aber ein Zurückstehen der Ohrmuscheln nach hinten auch künstlich hervorgebracht werden kann, davon konnte ich mich an Mädchen und Frauen auf dem Lande häufig genug überzengen. Es ist sehr häufig Gebrauch, sowohl durch Darüberlegen von Haarsträngen als auch durch festes Umbinden von Kopftüchern die Ohren stets platt an den Kopf zu drücken; und da dies meist von Jugend auf schon zu geschehen pflegt, so bleiben bei den betreffenden Frauen die Ohren ganz platt am Kopfe auch dann Dingfelder, Beitrag zur Vererbung erworbener Eigenschaften. 247 liegen, wenn dieser künstliche Druck auf sie nicht mehr vorhanden ist. Warum könnte eine solehe durch Gewohnheit erworbene Eigen- schaft durch Vererbung nicht auch zur spätern Stellung der Ohrlappen beigetragen haben? Können ja doch bei andern Völkern irgend einmal ähnliche Verhältnisse vorhanden gewesen sein. Es fragt sich nun, ob das Keimplasma im stande ist, die während des Lebens am Organismus vorgegangenen Veränderungen infolge von Verletzungen u. s. w. aufzunehmen, resp. auf die Nachkommen zu übertragen. Dass während des Lebens erworbene Verletzungen sich selten auf die Nachkommen vererben werden, scheint nicht auffallend, denn die seit ungeheuer langen Zeiträumen eingewurzelte, durch Vererbung immer wieder befestigte Gesamtbildung und Gesamtthätigkeit des Organismus wird solche je nur einmal aufgetretene, nicht wiederholte Verletzungen zumeist an den Nachkommen wieder ausgleichen. Dass aber das Keimplasma unberührt bleiben kann von gewissen Einflüssen, welche während des Lebens auf den Organismus als Ganzes wirken und welche noch Generationen hindurch immer wiederholt werden, das scheint mir unmöglich. Wissen wir ja doch, dass in der unge- heuer kleinen Keimzelle die Eigenschaften des Vaters oder der Mutter bis ins kleinste gleichsam mikroskopisch abphotographiert vorhanden sind, die sich dann im Leben in vielen Fällen aufs genaueste aus- bilden. Sollte es nun nicht möglich sein, dass Eigentümlichkeiten, die von seiten der Eltern während des Lebens erworben wurden, die ferner in einzelnen Fällen oft lange Zeit hindurch immer von neuem wieder, durch dieselben äußern Einwirkungen hervorgerufen, auftreten, dass solche Eigentümlichkeiten auch von der Keimzelle aufgenommen werden, die man ja gewissermaßen als den betreffenden Organismus en miniature betrachten kann? Ein solches Unberührtbleiben erschiene als ein größeres physiologisches Wunder, als dasjenige ist, wenn eine Vererbung von solchen erworbenen Eigenschaften auftritt. Was nun den hier behandelten Fall der angebornen Stutzschwänze betrifft, so bleibt es jedenfalls merkwürdig, dass bei vielen an- dern Tieren, die auch sehr lange Schwänze besitzen, eine Verkürzung des betreffenden Organes noch nicht bemerkt worden ist, in einzelnen Fällen nur bei solchen, wo öfters eine künstliche Verkürzung statt- gefunden hatte, dagegen bei Hunden so häufig, bei denen schon seit langer Zeit mit großer Regelmäßigkeit die Kürzung des Schwanzes vorgenommen wird, und hier wieder am meisten bei Pintschern, bei denen das Stutzen am meisten gebräuchlich ist. 948 von Lendenfeld, Neue Arbeiten über australische Polypomedusen. Neue Arbeiten über australische Polypomedusen. Von R. v. Lendenfeld. W. Haacke!), welcher sich mehrere Jahre in Adelaide an der Südküste von Australien aufgehalten hat, findet, dass die Medusen- fauna des naheliegenden St. Vincentgolfes eine verhältnismäßig recht arme ist. Er beschreibt drei neue Arten, welche er selbst aufgefun- den und untersucht hat, genauer. Charybdea Rastoni weicht unter anderem in der Ausbildung der Sinneskolben von andern Arten dieser Gattung ab. Die paarigen Augen fehlen. Es finden sich drei median gelegene Protuberanzen, deren größte ein Gehörorgan ist. Die beiden andern sind Augen mit tief’ becherförmiger Retina und kugeliger Linse ohne Glaskörper. Die Linse besteht aus einem zelligen Zentralteil, welcher von feinen kon- zentrischen Lagen einer durchsichtigen Substanz umschlossen wird. Haacke fand auch jugendliche Exemplare dieser Meduse, deren kleinste einen vom Magen nach oben abgehenden Kanal besaß, der dicht unter der Exumbrella blind endete. Er lag etwas exzentrisch. Haacke glaubt hieraus schließen zu dürfen, dass sich diese Meduse und die nicht sessilen Tesseronier überhaupt „aus lateralen Knospen der Polypen-Amme, oder aus Stolonen entwickeln“. Nach meiner An- sicht bedarf eine solche Annahme wohl noch stärkerer Beweise. Die jungen Exemplare sind pyramidenförmig und nehmen erst später die würfelförmige Gestalt an. Junge Exemplare besitzen außer den zwei unpaaren Augen der Erwachsenen auch noch zwei Augenpaare. Die Gonaden legen sich als einfache Bänder an. Verglichen mit der me- diterranen, von Claus genau studierten Art, steht Haacke’s Meduse nach seiner Anschauung auf einer höhern Stufe der Entwicklung, indem bei dieser der Glaskörper der Medianaugen verdrängt ist und die paarigen Augen verloren gegangen sind. Haacke beschreibt eine neue Cyanea, ©. Muellerianthe. Ich halte es für wahrscheinlich, dass diese nur eine Farbenvarietät meiner Cyanea Annaskala ist und vielleicht mit meiner Cyanea Annaskala var. marginata ?) übereinstimmen dürfte. Ich möchte an dieser Stelle bemerken, dass Cyanea Annaskala wohl mit der von Huxley) als Phacellophora — ? bezeichneten Meduse übereinstimmen möchte. 1) Wilhelm Haacke, Die Scyphomedusen des St. Vincent Golfes. Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft, Band 20, Neue Folge, Band 13. 2) R. v. Lendenfeld, Local Colorvarieties of Sceyphomedusae. Procee- dings of the Linnean Society of New South Wales, vol. 9, p. 928. 3) T. Huxley, On the Anatomy and the affinities of the family of the Medusae. Transactions of the Royal Society of London for 1849 Part. 1 Plate 38 Fig. 18. von Lendenfeld, Neue Arbeiten über australische Polypomedusen. 219 Die interessanteste von Haacke’s neuen Medusen ist jedenfalls seine Monorhiza Haeckelii, ein Repräsentant meiner Familie Chau- nostomidae. Monorhiza Haeckelii ist eine Rhizostome mit offenem Mund, rinnenförmigen Armen und kontinuierlichem Subgenitalsaal. An einem der Arme hängt ein großer Nesselkolben. Die übrigen sieben Arme tragen keine Kolben. Der einzelne Kolben erreicht Zoll- dicke und eine Länge, welche dem Schirmdurchmesser gleichkommt. Er ist dreiflügelig. In dem Entoderm des Magens und auch der Arme sind große rote Filamente inseriert, welche zum Teil frei ins Wasser herabhängen und, da sie Spermaballen enthalten, von Haacke Sperma- filamente genannt werden. Eigentliche Gastralfilamente kommen bei jungen Exemplaren vor, fehlen aber den ausgewachsenen. Die jüngste von Haacke beobachtete, 6 mm große Larve besaß acht, eine ältere 11 mm große, jedoch nur vier Randkörper, welche in den Interradien lagen. Haacke sagt, dass ihm ein solcher Fall bei andern Medusen unbekannt sei. Da möchte ich bemerken, dass ich !) bei Phyllorhiza punctata, deren Entwicklung ich eingehend zu studieren Gelegenheit hatte, schon vor mehrern Jahren eine Vermin- derung und Vermehrung in der Randkörperzahl während der Meta- morphose der Ephyra beschrieben habe. Haacke’s Monorhiza ist also die zweite Meduse, bei welcher sich die Randkörperzahl während der Entwicklung ändert. Das Schlundrohr der Larve von Monorhiza Haeckelü ist acht- kantig und trägt acht kurze gegabelte Arme. Haacke hält es nicht für unwahrscheinlich, dass Limnorea triedra Per. et Les., welche schon von Agassiz als eine Rhi- zostomee angesehen worden ist, mit seiner Monorhiza übereinstimmt. Was das Verhältnis seiner Meduse zu meiner Pseudorhiza anbelangt, so denke ich, ‘dass sie wohl miteinander in irgend einem Zusammen- hang stehen dürften; ich möchte mich aber vorläufig jeder bestimmten Aeußerung hierüber enthalten. Ich 2) habe für das australische Museum in Sydney systematische Kataloge der Hydro- und Scyphomedusen Australiens zusammenge- stellt. Ich möchte diese hier anhangsweise erwähnen, vorzüglich, um vor den darin enthaltenen Druckfehlern zu warnen. Die betreffenden Arbeiten wurden nach meiner Abreise von Sydney gedruckt, und es wurden weder mir Korrekturbogen derselben zuge- sandt, noch scheint sonst jemand dieselben durchgesehen zu haben: die Arbeit wimmelt von Druckfehlern. 4) R. v. Lendenfeld, Note on the development of the Versuridae. Proceedings of the Linnean Society of New South Wales, vol 9, part. 2 und Zoologischer Anzeiger, Jahrgang 1884. 2) R. v. Lendenfeld, Catalogue of the Medusae of the Australian Seas, Sydney (1887). 220 Vosmaer, Neue Arbeiten über Schwämme. Ich muss die Verantwortlichkeit für diese Fehler ablehnen und speziell auf die A und O aufmerksam machen, welche der Setzer mit großer Konsequenz verwechselt hat. Der mehrmalige Ersatz des Wortes „brachial“ durch „parochial“ (zur Pfarre gehörig) wird gewiss bei meinen Herren Kollegen ein Lächeln hervorrufen, und der Ersatz von „pinnate“ durch „primate“ (Fürstbischof) wird sie in dem Verdacht bestärken, dass der Setzer in irgend einem Zusammenhang mit der Kirche steht, umsomehr da er „nursing arrangements“ durch „amusing arrangements“ ersetzt hat, was deutlich zeigt, dass er kein Familienvater sein kann. Professor Lankester wird erstaunt sein, seinen Namen Lan- easter geschrieben zu sehen, und der arme Lamarck könnte sich im Grabe umdrehen, wenn er sieht, dass er T. deLamarck genannt wird. Jeder wird aber gleichmäßig erstaunt sein zu lesen, dass das Jugendstadium meines COraterolophus eine — Macrocystis ist! Doch ich will nicht länger bei diesem Gegenstand verweilen. Der größere, zweite Teil — die Hydromedusen sind von Fehlern ziemlich frei, was darauf zurückzuführen ist, dass das Scyphome- dusen-Manuskript von mir und das Hydromedusen- Manuskript von meiner Frau geschrieben wurde. Neue Arbeiten über Schwämme. Von Dr. G. C. J. Vosmaer in Neapel. II. Spieulispongiae und Cornacuspongiae. [1] Dendy A., The new System of Chalininae, with Some Brief Observations upon Zoological Nomenclature. In Ann. Mag. N. H. (5) Vol. XX p. 326—337. [2] ders., Report on a Zoological Collection made by the Officers of H. M.S. „Flying-Fish“ at Christmas Island, Indian Ocean. IX Porifera. In: Proc. Zool. Soc. London. p. 524—526. Pl. XLIV. [3] Lendenfeld R. von, Die Chalineen des australischen Gebietes. In: Zool. Jahrb. 2. Bd. p. 723—828. T. XVIU—XXVI. [4] ders, Mr.Dendy on theChalininae. In: Ann. Mag. N.H.(5) Vol. XX p.428 —432. [5] ders., Der gegenwärtige Stand unserer Kenntnis der Spongien. In: Zool. Jahrb. 2. Bd. p. 511-574. [6] ders., On the systematie Position and Classification of Sponges. In: Proc. Zool. Soc. London. p. 558—862. [7] Ridley S. O. and A. Dendy, Report on the Monaxonida Collected by H. M. S. Challenger during the Years 1873—1876. In: Chall. Rep. Vol. XX. 68 und 275 pp. 51 Taf. Fast alle oben genannten Arbeiten handeln nur über Schwämme, welche zu meiner Gruppe der Cornacuspongiae gehören. Ridley und Dendy scheinen mit meiner Einteilung wohl einverstanden, Vosmaer, Neue Arbeiten über Schwämme. 994 bringen aber in ihrer wertvollen Arbeit über die Challenger- Monaxonida die Suberitiden gleichfalls hierher, jedoch offenbar (p. LXI) nur, weil das Challenger-Material nun einmal so verteilt war. Auch v. Lenden- feld scheint diesen Teil meines Systemes zu acceptieren, wie denn überhaupt in „seinem“ Systeme viel ist, was meiner Klassifikation ähnelt. Ueber diese Thatsache kann ich mich nur freuen; die Grund- lage „seines“ Systemes sehe ich, trotz aller Maskierung (Namen- veränderung, kleiner Aenderungen, Hinzufügung neuer Genera etc.) als mein Eigentum an. Ueberzeugt von der Unbrauchbarkeit der bisherigen Nomenklatur, haben Ridley und Dendy [7] für die einaxigen Nadeln eine neue aufgestellt, der sich v. Lendenfeld [5. 6] anschließt. Sie teilen die Spicula zunächst in Megasclera und Mikroselera, welche Namen sich ungefähr mit den bekannten „Skelet- und Fleischnadeln“ decken. Die Megasclera sind zwei- oder einstrahlig, oder auch verästelt („branched‘“). Es sei hier ausdrücklich bemerkt, dass diese Begriffe nicht immer homolog sind, sondern lediglich gebraucht werden, je nachdem die Enden der Spicula gleich oder ungleich sind und also zwei- oder einstrahlig scheinen, oder als solche aufgefasst werden können. Die Zweistrahler, welche als die ältern angesehen werden, zerfallen in oxea (ac?. mit scharfen), tornota (ac?. mit stumpfen Spitzen), „strongyla“ (Zr?.) und „tylota“ (272). Die Einstrahler werden in „styli“ (Zr. ac.) und „tylostyli“ (t}. ac.) eingeteilt. Es gibt zwei Formen von verästelten Spicula, nämlich „eladostrongyla“ und „eladotylota“. Diese seltneren Nadeln der „Monaxonida“ sollen eine Ausnahme von der Regel bilden, dass die Spieula dieser Gruppe nur einaxig sind. Skeletnadeln, welche in der Mitte Anschwellungen zeigen, heißen „eentrotylota“ (mit einer) oder „polytylota“ (mit mehrern). — Die Mikrosclera zerfallen in drei Gruppen: 1) einfache lineare, wozu die winzigen oxea, die Rhaphiden, die „trichodragmata“, die „toxa“ und die „toxodragmata“ gehören. Die bekannten Bündel kleiner Spieula, welche in einer Zelle entstehen, werden „dragmata“ genannt; nach der Form werden dann die beiden oben erwähnten Namen angewandt. 2) Haken („hooked forms“), wozu gehören: „sigmata“ (w), „sigma- dragmata“, „dianeistra“, „isochelae“ (anc.2 und ruf.2), „anisochelae“ (anc. ane und ruft. rut) und „bipocilli“. Besondere Aufmerksamkeit wird den beiden Arten von Chelae gewidmet. Ein scharfer Unterschied zwischen Ankern und Schaufeln wird nicht gemacht, weil sich heraus- gestellt hat, dass diese beiden Formen allmählich in einander über- gehen. Jede „chela“ hat einen Schaft, welcher an beiden Seiten eine variierende Anzahl von Fortsätzen trägt („teeth“ resp. „palms“). Jeder dieser Fortsätze ist mittels einer oft sehr dünnen und trans- parenten Platte („falx“ Cru) mit dem Schaft verbunden. Nach Car- ter’s Vorbild wird dies Ende, auf welchem die Fortsätze ruhen, „tuberele“ genannt. Der Schaft selbst ist oft verbreitert und bildet flügelartige 3939 Vosmaer, Neue Arbeiten über Schwämme. Fortsätze, „fimbriae“. Die Zusammengehörigkeit der sigmata und chelae wird durch die Entwicklung bewiesen, da letztere zunächst als feine Stäbchen entstehen, deren Spitzen sich hakenförmig umbiegen. 3) Sternartige Spieula, welche bei den „Monaxonida“ in drei Formen vorkommen: „spirulae“, „discastra“ und „amphiastra“. In vielen Schwämmen werden die Spieula durch Scheiden („sheaths“) von Bindegewebe zusammengehalten. Verf. vergleichen diese mit den Scheiden, welche bei vielen Ceratina um das Spongin sitzen, und so werden die kernhaltigen Zellen in den Bindegewebsscheiden als Vorläufer der Spongoblasten aufgefasst, diese demgemäß als modifizierte „Meso- derm-Zellen“. Die Spieula können in den Sponginfasern nach drei Typen geordnet sein, nämlich: 1) Renierinisch, wo die einzelnen Skelet- fasern aus einer Axe paralleler Spicula bestehen, welche entweder in eine deutliche Spongin-Schicht eingeschlossen sind oder nicht. 2) Axinel- lidisch, wo alle Spieula nur teilweise in die Fasern eingebettet sind. 3) Ectyoninisch, wo die Stränge aus einer innern zentralen Masse bestehen, welche sich wie die Renierinen verhält, während „echinating“ Spieula darum gelagert sind. Oft kann man ein dermales und ein Hauptskelet unterscheiden. Die Spieula können in beiden gleichartig oder verschieden angeordnet sein. Verf. unterscheiden zwei Typen des Arrangements, nämlich radiäres und netzförmiges. Die Spicula des dermalen Skelets sind oft anders geformt als die des Hauptskelets, oder es sind auch die dermalen Spieula, selten sogar Teile des Haupt- skelets, durch Fremdkörper ersetzt. Die Rolle, welche die Mikro- sclera spielen, ist meistenteils unbekannt; oft sind sie Verteidigungs- mittel. Bei Esperella murrayi n. sp. ragen Haken teilweise in das Lumen der Hauptkanäle hinein, bei Jophon chelifer n. sp. sind es die „bipocilli“. Verf. sehen hierin eine Art Verteidigung gegen eindringende Parasiten, z. B. kleine Crustaceen. Die Bedeutung der Mikrosclera im Parenchym wird mit dem Mischen von Stroh in Kalkmörtel ver- glichen. Auf Vorschlag von Sollas teilen Ridley und Dendy den Schwammkörper in „Eetosome“ und „Choanosome“; das erste ist der peripherische Teil ohne Geißelkammern, das zweite ist das sogenannte Mark, oder der Teil mit Geißelkammern. Das „Ectosome“ ist immer mit Plattenepithel bedeckt. Die Angabe Vosmaer’s, bei Tentorium komme ein Zylinderepithel vor, konnten Verf. nicht bestätigen, leugnen es aber auch nicht. Je nachdem das „Mesoderm“ weniger oder mehr im Eetosome entwickeltist, entsteht eine sehr dünne Membran („Dermal- membran“), oder eine bedeutende Schicht, welche zu einer fibrösen „Cortex“ auswachsen kann. Das Vorkommen eines sehr dünnen Eeto- somes geht in der Regel mit einem netzförmig angeordneten dermalen Skeletsystem Hand in Hand. Die mächtigern Eetosome bieten in ihren Zellen große Verschiedenheiten dar. Verf. unterscheiden sternartige („stellate“), amöboide, faserige, blasige und drüsenartige (?) Zellen. Vosmaer, Neue Arbeiten über Schwämme. 993 Wenn nur sternartige und amöboide Zellen vorkommen ohne oder mit nur spärlichen Fasern, so entsteht ein gallertiges („gelatinous“) Ecto- som, wie bei Esperella murrayi n. sp. Wenn die Fasern stark ver- treten sind, so entsteht ein faseriges Ectosom, wie bei Tentorium. Ist das Ectosom sehr stark und scharf vom Choanosom geschieden, so entsteht eine „Cortex“. Latrunculia apicalis n. sp. hat eine peri- phere Faserschicht, in welcher die eigentümlichen „discastra“ mit ihrer Basis eingebettet liegen. Darunter folgt eine mächtige blasige Schicht und dann ein von Stabnadeln gestütztes Gallertgewebe. Zwischen den Blasenzellen sind stark tingierbare granulöse Zellen mehr oder weniger regelmäßig angeordnet, welchen Verf. eine Drüsenfunktion zuschreiben. Die „Monaxonida“ werden von Verf. in zwei Unterordnungen zer- legt: Halichondrina und Clavulina, welche beiden mit den meinigen übereinstimmen. Erstere werden wiederum in vier Familien gespalten; hier weichen aber Verf. von meiner Einteilung ab. Obwohl ich noch keineswegs glaube, dass die vier Familien natürlich sind, so kann ich doch ebenso wenig behaupten, dass meine eigne Einteilung der Halichondridae mich befriedigt. Nun hat v. Lendenfeld [5. 6] un- gefähr die nämliche Klassifikation adoptiert wie die von Ridley und Dendy, und letzterer Autor [1] reklamiert sicherlich mit vollem Recht den Hauptteil der Vaterschaft. Ich verstand unter Desmaei- donidae alle Formen mit Ankern, Schaufeln, Haken und Bogen. Ridley und Dendy (undLendenfeld folgt ihnen nach) stellen nur Formen mit Ankern oder Schaufeln dahin. Ich gebe zu, dass diejenigen, welche nur Bogen haben, vielleicht besser ausgeschaltet werden; aber nach Ridley’s und Dendy’s eignen Beobachtungen durchlaufen die Anker erst das Hakenstadium, und so scheinen mir die Schwämme mit Haken näher zu den Desmacidonidae als zu denjenigen „Heteror- rhaphidae“ zu kommen, welche nur Rhaphiden oder äbnliche „Mikro- selera“ besitzen. Es ist sehr zu bedauern, dass die feinere Anatomie nur von so wenig Formen studiert wurde, denn obwohl uns die Challenger- Arbeit wieder einen Schritt vorwärts bringt, so ist doch gar manches eben wegen Mangels an genauer Kenntnis der Anatomie noch sehr hypothetisch. Ridley und Dendy teilen die Halichon- dridae zunächst in I. Homorrhaphidae: Megaselera zweistrahlig, oxea oder stron- gyla; keine Mikrosclera. Es gehören hierher die „Renierinae“ und „Chalininae“. Bei erstern sind die Spieula nie ganz in Spongin eingebettet; typische Formen sind Halichondria, Petrosia, Keniera. Von keiner derselben lernen wir aber etwas über den feinern Bau des Kanalsystems. Bei den Chalininae liegen die Spieula typisch ganz in einem gemeinschaftlichen Spongin-Futterale. Beispiele sind Pachy- chalina, Chalina u. a. v. Lendenfeld [3] hat diese Gruppe der Chalininae näher untersucht. Obwohl er, wie gesagt, im wesentlichen 224 Vosmaer, Neue Arbeiten über Schwämme. die Klassifikation von Ridley und Dendy acceptiert, so rechnet er doch verschiedene Schwämme dazu, welche gewiss kein anderer dahin bringen würde. Das Kanalsystem ist nach Verf. „sehr einfach“, ein ziemlich problematischer Ausdruck. „Die Poren führen in mäßig aus- gedehnte Subdermalräume. ... Die von demBoden des Subdermalraumes entspringenden einführenden Kanäle sind ziemlich weit und entbehren jeglicher Klappenvorrichtung. Besonders auffallend ist die sehr be- trächtliche Weite der letzten Verzweigungen derselben, welche in ein- zelnen Fällen fast so weit wie die Stämme selbst sind. Sie über- treffen den Durchmesser der Geißelkammern in vielen Fällen... .. Die ausführenden Kanäle sind ungefähr ebenso weit wie die zufüh- renden undentbehren, wie diese, der Klappenvorrichtungen“. Dendy |1] bemerkt hierzu, dass nach dieser Beschreibung das Kanalsystem nach meinem dritten Typus gebaut scheint, während nach v. Lenden- feld’s Abbildungen eigentümliche Canaliculi vorkommen, welche für den vierten Typus charakteristisch sind. v. Lendenfeld sucht nun [4] Dendy’s Angriffe zu widerlegen. Nach Dendy’s Unter- suchungen an Pachychalina |2| scheinen die Worte v. Lendenfeld’s besser in Einklang mit der Wahrheit zu stehen, als seine Abbildungen. Bei diesem Schwamm ist das Kanalsystem typisch nach meinem 3. Typus angelegt. Von besonderem Interesse ist das Faktum, dass die Einströmungs-Lacunae durch Bindegewebsstränge gestützt sind, während die Auströmungs-Lacunae ihrer entbehren. Grundsubstanz ist kaum vorhanden. Im allgemeinen stimmt das Verhältnis ganz mit Verf. Befunde an Halichondria panicea überein, und er glaubt hierin wieder einen Beweis für die nahe Verwandtschaft der „Renierinae“ und „Chalininae“ zu haben. II. Die „Heterorrhaphidae“ haben Megasclera von verschiedener Form; oft sind Mikroselera vorhanden, aber keine Anker. III. Den Charakter der „Desmacidonidae“ haben wir schon oben erwähnt. Es sei hier nur noch hinzugefügt, dass meine Ectyonidae als Subfamilia hier Platz finden. IV. Die „Axinellidae“ haben typisch ein Skelet, welches nicht netzartig angeordnet ist, sondern es gibt hier aufsteigende Axen von Skeletfasern, von welchen andere nach der Oberfläche ausstrahlen. Megasclera hauptsächlich ir. ac., eventuell auch ac?., resp. {r.2. Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wün- schen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten an- zugeben. Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut‘ zu richten. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Uentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. vIM. Band. 15. Juni 1888. Nrtio Ludwig, Neue Beobachtungen Fritz Müller’s über das absatzweise Blühen von Marica. — Emery, Das Leuchtorgan am Schwanze von sScopelus Benoiti. — Biehringer, Neuere Arbeiten über Anatomie und Entwicklungs- geschichte der Trematoden. I. Arbeiten zur Anatomie. — 0. Zacharias, Das Forterben von Schwanzverstümmelungen bei Katzen. — Nehring, Ueber die Gebissentwicklung der Schweine. — Fricke, Zur Lehre von den psycho- physischen Gefühlszuständen. (Erstes Stück.) Die Blütennektarien des Schneeglöckchens und der Schnee- beere. Der unermüdliche italienische Pflanzenbiologe Delpino, dessen in Deutschland leider noch zu wenig beachtete!) Arbeit über Ameisen- pflanzen wir kürzlich in dieser Zeitschrift besprachen, hat neben den extranuptialen Nektarien, welche den Pflanzen eine Schutzgarde von Ameisen anziehen, auch die der Anlockung der Bestäubungsvermittler angepassten Blütennektarien einer erneuten Untersuchung unterworfen und ist dabei bezüglich des Schneeglöckchens, Galanthus nivalis L.?) und des Symphoricarpus racemosus?) zu abweichenden Resultaten gegen die anderer Biologen gekommen, die zum Teil sicher ihren Grund in der eingehendern Untersuchung dieser Pflanzen haben, zum andern Teil aber möglicherweise doch auf verschiedenen Anpassungen der- selben in den verschiedenen Wohnbezirken beruhen könnten. — Herm. Müller hat beim Schneeglöckchen beobachtet, dass der Honig in den Furchen der Innenseite der innern Blumenblätter, so weit dieselben grün gefärbt sind, beherbergt wird, und gibt an, dass er daselbst auch abgesondert werde. Stadler glaubte im Gegen- 4) Vergl. die laienhafte Arbeit Hallier’s über die Symbiose zwischen Ameisen und Pflanzen in Humboldt, 1887, Heft 12. 2) Federico Delpino, Sul nettario florale del Galanthus nivalis L. Estratto dalla Malpighia Anno I fase. VII p. 4. 3) Federico Delpino, Il nettario florale del Symphoricarpus racemosus. Estratto dalla Malpighia Anno I fasc. X—XI p. 6. VII, 19 226 Ludwig, Beobachtungen Fritz Müller’s über das Blühen von Marica. satz zu Sprengel und den spätern Beobachtungen H. Müller’s gefunden zu haben, dass sich außer den innern Perigonblättern auch der Disceus bei der Sekretion beteiligt, dass aber die Menge des aus- geschiedenen Honigs eine sehr geringe sei und nicht durch ein typi- sches Nektariengewebe stattfinde Delpino konnte in Italien eine Nektarsekretion seitens der Perigonblätter überhaupt nie finden, be- obachtete dagegen, dass in einer kleinen epigynischen Ringfurche am Grund des Griffels regelmäßig und deutlich Nektar sezerniert wurde. — Bei Symphoricarpus verwirft er die Müller’sche Deutung der Haar- reusen in der Blütenglocke als Schutz gegen das Herausfließen des Nektars und gegen den Regen und betrachtet dieselben als Schutz- mittel des Nektariums gegen unberufene Gäste. Als Nektarium war von H. Müller die fleischige Anschwellung der Griffelbasis aufgefasst worden. Delpino fand auch hier im Innern der Blüte das eigent- liche Nektarium an anderer Stelle durch Honig absondernde Trichome gebildet: „... Osservando l’oreiulo corollino, si vede che dal lato esterno & alquanto rigonfiato, merce una sorta di gobba che si distingue pel suo colorito bianco giallastro dal roseo delle altri parti. Questa gobba & precisamente alla metä inferiore o basale del petalo esterno, cio& di quello che & sovrapposto alla brattea ascellante del pedicello fiorifero. Infatti isolando con destrezza questa parte gibbosa del petalo esterno, osservando la correspondenta parte interna, scorgesi una areola triangolare di tessuto notevolmente rilevato, la cui super- ficie & totalmente tappezzata da una quantita di papille o tricomi nettariflui, non pero contigui, cospieuamente emergenti e visibili. Questa area occupa alquanto pisi della quinta parte della superficie interna del orciuolo corollino; secerne una relativamente grande copia di nettare e la secrezione pare assai diuturna“. Die wunderlichen jeglicher Sachkenntnis baren Auffassungen Bonnier’s von den Blüten- einrichtungen der Pflanze werden mit Recht mit scharfen Worten widerlegt. F. Ludwig (Greiz). Neue Beobachtungen Fritz Müller’'s über das absatzweise Blühen von Marica. Mitgeteilt von F. Ludwig. Ueber die Bestäubungseinrichtungen und Bestäubungsvermittler der prächtigen Iridee Cypella, oder, wie sie jetzt in Benth. et Hoo- ker Gen. pl. heißt, Marica, welche auf der brasilianischen Insel St. Ca- tharina und an andern Orten des Itajahygebietes häufig ist, hat Her- mann Müller nach brieflichen Mitteilungen seines Bruders in dem Ber. d. D. Bot. Ges. Bd. 1 S. 165—169 ausführlicher berichtet. Da- selbst wurde auch einer Eigentümlichkeit der Pflanze gedacht, welche dieselbe zwar mit mehrern brasilianischen Eintagsblumen teilt, für Ludwig, Beobachtungen Fritz Müller’s über das Blühen von Marica. 297 die jedoch in der deutschen Flora kein Beispiel bekannt sein dürfte. Die Blüten erscheinen nämlich derart absatzweise, dass an einem Standort an einem Tage Hunderte sich entfalten und dann viele Tage, selbst mehrere Wochen, die Pflanze ganz blütenlos dasteht und höchstens eine oder die andere ver- einzelte Blüte entfaltet. So blühten 1877 im Garten Fritz Müller’s von einer Marica am 24. XI: über 40 Blumen; 25. XI: 1 Blume; ZIERT: 3URTE 145 AIR 55H RI AT PORT: 4 13 über 40; 14. XII: 15; 15. XII: 33; 18. XII: 3; 20. XII: 3; 21.XI: 1; Z2NRIIE 219; 247 XII; 126, RT 15530. XII: 369; 31. X Bei einer baumartigen Cordia waren 1874 die Hauptblühtage am 11., 17. und 21. Januar, während weniger volle Blüte noch am 23., 26., 30. und 31. Januar eintrat. 1882 machte Fritz Müller ganz gleiche Beobachtungen an Marica, wobei die Blütentage eine auf- fällige Unabhängigkeit vom Wetter zeigten, indem sie bald warm und sonnig, bald Regentage, bald so kalt waren, dass die Blumen un- geöffnet verwelkten. Diese Beobachtungen hat Fritz Müller neuerlich wieder aufge- nommen, und aus seinen darauf bezüglichen Mitteilungen dürfte das Folgende von Interesse sein. Außer der zuerst beobachteten Marica- Art wurde zunächst noch eine zweite beobachtet, die in anderer Jahreszeit blüht, so dass die Blütezeit beider nur selten auf eine kurze Dauer zusammenfällt. Geschieht dies aber, so sind die Tage, an denen sie ihre Blumen ent- falten, für beide Arten dieselben. Die beiden Arten lieferten Bastarde und durch Kreuzung derselben mit den reinen Arten auch Enkel der Stammarten. Einige derselben blühen fast das ganze Jahr hindurch, und auch ihre Blütentage fallen mit denen der Stammeltern zusammen. Vor einigen Monaten fand nun Fritz Müller eine dritte Art, die noch im Dezember des vorigen Jahres in seinem Garten blühte; sie ist im Wuchse verschiedener von den beiden andern, als diese unter sich, und erweist sich auch hierdurch als ihnen ferner stehend. Auch die Blütentage dieser dritten Art fallen nach den bisherigen Beobacht- ungen zusammen mit denen der erwähnten Bastarde und der einen ihrer Stammarten, die jetzt blüht. Bei der Unabhängigkeit der Blütentage vom Wetter dürfte es schwer sein, eine Erklärung zu fin- den für dieses in ganz unregelmäßigen Zwischenräumen und dann nieht nur für alle Pflanzen derselben Art, sondern selbst für verschiedene Arten und deren Bastarde gleich- zeitig stattfindende Blühen, obwohl der biologische Vorteil eines solchen schubweisen gleichzeitigen Blühens zahlreicher Exem- plare derselben Art vor einer ununterbrochenen und daher spärlichern Blütenentfaltung auf der Hand liegt. 15* 298 Emery, Das Leuchtorgan am Schwanze von Scopelus Benoiti. Das Leuchtorgan am Schwanze von Scopelus Benoiti. Erwiderung an Herrn Dr. R. von Lendenfeld von ©. Emery, Professor in Bologna. In dieser Zeitschrift (VII. Bd. Nr. 20. 15. Dezember 1887) hat Herr Dr. v. Lendenfeld einen kurzen Abriss seiner im Challenger- Report gedruckten Untersuchungen über die Leuchtorgane der Fische publiziert. Er bespricht darin unter vielen andern mir meist in Natur unbekannten Fischen auch Scopelus Benoiti und namentlich das große Leuchtorgan, welches sich in der Mehrzahl der Exemplare am Rücken hinter der Fettflosse vorfindet. — Herr v. Lendenfeld unterscheidet einen proximalen und einen becherförmigen distalen Teil des Organs und schreibt letzterem folgende Struktur zu: „Nerven und Blut- „gefäße durehbohren hier die Pigmentschicht und den Re- „tflektor und erheben sich in Gestalt vertikaler Fäden bis „gegen die äußere Oberfläche hin. Schlanke garbenförmig „angeordnete Zellen strahlen von diesen vertikalen Fä- „den aus. Diese Zellen sind zweierlei: 1) lange Spindel- „zellen und 2) keulenförmige Zellen, in deren distalen, „verdiekten Enden je ein ovaler stark lichtbreehender „Körper dieht oberhalb des Kernes liegt. In der ober- „flächlichen Schicht, welche die von diesen Zellen zu- „sammengesetzten Säulen bedeckt, findensichgroßerund- „liche und multipolare Zellen.“ — Der Beschreibung folgt die Bemerkung: „Emery hat das Rückenorgan von Scopelus un- „tersucht und ist, obwohl ihm die keulenförmigen Zellen „entgangen sind, zu ziemlich gleichen Resultaten gelangt „wie ich.“ Mit letzterer Bemerkung kann ich mich durchaus nicht einver- standen erklären, denn: 1) sind meine Resultate von denen v. Lendenfeld’s gründlich verschieden; 2) habe ich die keulenförmigen Zellen nicht übersehen, sondern deshalb nicht beschrieben, weil sie bei Scopelus überhaupt nicht existieren. — Diese Abwehr hätte ich sofort nach dem Erscheinen des Aufsatzes v. Lendenfeld’s schreiben können; ich wollte aber warten, bis mir die Originalarbeit im Challenger-Report zu Gesicht gekommen wäre, um mir durch Betrachtung der Figuren einen klaren Begriff der beschriebenen Strukturen zu bilden. Um dann jeden Zweifel über den wirklichen Bau der betreffenden Organe zu lösen, bat ich meinen Freund Professor Zineone in Messina um Anschaf- fung von neuem gut konserviertem Material, und erst nach Empfang desselben und nach Anfertigung und Untersuchung tadelloser Schnitt- präparate greife ich heute zur Feder. Emery, Das Leuchtorgan am Schwanze von Scopelus Benoiti. 229 * Durch diese neuen Untersuchungen kann ich meine frühern Re- sultate nur völlig bestätigen. — Zwischen den Fäden, welche das Pigment und den Reflektor durchbohrend sich gegen die Oberfläche erheben, finden sich nicht schlanke faden- oder spindelförmige, von den Fäden ausstrahlende Zellen, wie sie Herr v. Lendenfeld be- schreibt und abbildet, sondern sehr dünne und breite feinkörnige platte Zellen, welche der äußern Oberfläche des Organs beinahe pa- rallel in vielen Schichten aufeinander gelagert sind !). Die ebenfalls abgeplatteten Kerne erscheinen auf senkrechten Schnitten wie stäb- chenförmig und die quergeschnittenen Zellplatten könnten einem Un- geübten, besonders auf geschrumpften Präparaten, für fadenförmige Elemente imponieren; aber Flächenschnitte heben jeden Zweifel auf. Von garbenförmiger Anordnung sowie von Keulenzellen ist keine Spur zu sehen; ich bin nicht einmal im stande zu vermuten, welche Ele- mente Herr v. Lendenfeld gesehen und als Keulenzellen beschrie- ben haben mag. Zwischen dem Organ und der Oberfläche beschreibt Herr v. Lendenfeld eine Schicht von Zellen, die er als Ganglien- zellen deutet; ich finde zwischen der äußern Grenze der durch die platten Zellen gebildeten Masse und den die Cutis bedeckenden Sehuppen nur eine dünne Lage von mukösem Bindegewebe mit ge- wöhnlichen Bindegewebszellen. — Ein proximaler Abschnitt mit röhri- gem Bau, wie ihn Herr v. Lendenfeld beschreibt (und wie ich ihn in andern Fischen finde), existiert am Schwanzorgan von Scopelus absolut nicht. Herr v. Lendenfeld schreibt mir noch eine Meinung zu, die ich nie ausgesprochen habe, nämlich: dass die Reflektor-Schieht der Leuchtorgane aus eingestülpten Schuppen hervorgegangen sei. Ich habe nur gesagt, dass die Reflektoren der „glasperlenähnlichen Or- gane“ an den Seiten und am Bauch von Scopelus vom tief in die Haut eingesenkten basalen Ende gewisser Schuppen gestützt werden und die tiefe Fläche jener Schuppen wie der Metallbeleg eines Glas- spiegels überziehen; aber zugleich bemerkte ich, dass die Reflektoren anderer Leuchtorgane (Organe am Hyoidbogen, praeorbitale Organe, Schwanzorgan) solche Beziehungen zu Schuppen nicht besitzen. — Aus allem dem gewinne ich die Ueberzeugung, dass Herr v. Len- denfeld meine kleine Schrift (11 Seiten) entweder nicht gelesen, sondern nur flüchtig durchgeblättert oder nicht verstanden hat. Da dieselbe in italienischer Sprache geschrieben ist, will ich auch gerne 1) In der Nähe der Oberfläche finde ich manchmal stellenweise die platten Zellen durch eine feinkörnige Masse ersetzt, worin keine Kerne mehr gefärbt werden können. Oft sind darin noch Spuren der Zellgrenzen sichtbar, wodurch klar wird, dass jene Masse aus zerstörten Zellen hervorgegangen ist. Ob es sich um postmortale Veränderungen handelt oder um solche, welche durch die Funktion des Organs hervorgerufen wurden, bleibe dahingestellt. Leydig’s Abbildung wurde jedenfalls nach einer derart veränderten Stelle gezeichnet. 930 Biehringer, Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Trematoden, zugeben, dass manchen Personen jene Sprache nicht grade geläufig sei; diese Entschuldigung trifft aber nicht zu für mein französisches Resume mit Bildern in Archives Italiennes de Biologie und für mein kurzes Referat im Zoologischen Jahresbericht für 1884. Es ist hier nicht der Ort, die Arbeit v. Lendenfeld’s einer durchgehenden Kritik zu unterwerfen. Ich behalte mir vor es später zu thun bei Gelegenheit der Veröffentlichung neuer Untersuchungen. Nur kann ich mich nicht davon enthalten, Herrn v. Lendenfeld den Vorwurf zu machen, eine vorzügliche Arbeit Leydig’s „Ueber die augenähnlichen Organe von Chauliodus“ unerwähnt gelassen und wohl nieht gekannt zu haben. Bei dem geringen Umfang der Literatur über die Leuchtorgane der Fische wird ein solcher Fehler gradezu unverzeihlich. Neuere Arbeiten über Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Trematoden. Bericht von Dr. Joachim Biehringer in Erlangen. I. Arbeiten zur Anatomie. H. E. Ziegler, Bucephalus und Gasterostomum. Zeitschr. f. wiss. Zool., 39. Bd., S. 537—571, Taf. XXXII u. XXXII. P. M. Fischer, Ueber den Bau von Opisthotrema cochleare nov. gen. nov. spec. Zeitschr. f. wiss. Zool., 40. Bä., S. 1—41, Taf. I. A. Looß, Beiträge zur Kenntnis der Trematoden (Distomum palliatum nov. sp. und Distomum reticulatum nov. sp.) ebendaselbst 41. Bd. S. 390—446, Taf. XXI. Ziegler machte seine Studien an Gasterostomum fimbriatum aus dem Darme des Hechts und an der merkwürdigen Larvenform des- selben, dem Bucephalus polymorphus, dessen fadenförmige Keim- schläuche die Organe unserer beiden Teichmuschelgattungen durchsetzen. Die eine der beiden andern Arbeiten, welche von Schülern Leuckart’s herrühren, bezieht sich auf ein Distomum aus den Gallengängen des gemeinen Delphins (Dist. palliatum Leuck.) und ein noch nicht ge- schlechtsreif gewordenes, 9—11 mm langes Doppelloch, welches ein- gekapselt im Muskelfleische eines mittelamerikanischen Welses gefun- den wurde (Dist. reticulatum Leuck.); die andere Arbeit behandelt eine neue Monostomidenform (Opisthotrema cochleare Leuck.), welche Semper in der Paukenhöhle des Dugongs entdeckt hat. 1. Epidermis. Die untersuchten Tiere werden rings umschlossen von einer homogenen färbbaren Haut- oder Rindenschicht, welche an den Mündungsstellen der Organe nach innen umschlägt und bei den oben genannten Formen samt und sonders in ihrer ganzen Dicke von Stacheln durchsetzt wird. Eine unterliegende Zellenschicht, welche diese Lage abgesondert hätte, konnte weder bei ihnen noch bei an- Biehringer, Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Trematoden. 231 dern daraufhin untersuchten Formen, so beim Leberegel, nachgewiesen werden. Ziegler ist darum geneigt, diese Hautschieht nicht als eine Cutieula, sondern als ein umgewandeltes Epithel d. h. als eine echte Epidermis aufzufassen, zumal er auch in einem einzigen Falle Kerne in derselben nachzuweisen vermochte. Die Richtigkeit dieser Ansicht ist kurz darauf durch die Untersuchung geliefert worden. Sie hat ergeben, dass diese Hautschicht in der That durch Verschmelzung von Zellen entsteht, also eine echte Epidermis ist). 2. Muskulatur. Unter der Epidermis folgt unmittelbar der Haut- muskelschlauch, welcher bei der Mehrzahl der angeführten Formen die allgemein gekannte Anordnung hat; nur die Mächtigkeit der ein- zelnen Lagen wechselt je nach der Tierform und den Körperregionen derselben. Distomum reticulatum weist außerdem noch eine zu äußerst d. h. außerhalb der Ringmuskulatur liegende Längsmuskellage auf. Auch die Parenchymmuskeln sind bei allen beschriebenen Formen, wenn auch in verschieden starker Ausbildung, vorhanden. 3. Saugnäpfe. Opisthotrema besitzt nur einen, die andern Tre- matoden zwei Saugnäpfe. Sie zeigen überall den sattsam bekannten Aufbau aus Muskelfasern, welche nach den 3 Riehtungen des Raumes angeordnet sind. Erwähnt sei, dass Looß den großen verästelten „ganglionären“ Zellen, welche in der Muskulatur der Saugnäpfe wie des Schlundkopfes liegen, auf grund von Färbeversuchen bindege- webigen Charakter zuschreibt, und sie daher für die Reste der Bildungszellen von Saugnapf und Pharynx hält. Während Gasterostomum zwei wohl entwickelte Saugnäpfe besitzt, zeigt der Mundnapf des Bucephalus noch embryonalen Charakter. Er besteht aus Parenchymzellen und einzelligen Drüsen, welche am Vorderende des Organs ausmünden, und erhält erst während des Zu- standes der Enzystierung seine vollständige Ausbildung. Das bindegewebige Körperparenchym besteht aus einem Netzwerk verästelter Zellen, in dessen Maschen rundliche Zellen ein- gelagert sind. Das Nervensystem zeigt wie bei sämtlichen bislang unter- suchten Saugwürmern zwei seitliche Ganglien, welche durch eine über dem Schlunde liegende Querkommissur verbunden sind und den Nervenstämmen ihren Ursprung geben. 3 Darmkanal. Die Mundöffnung liegt bei Opisthotrema und den beiden Distomen an der gewöhnlichen Stelle im Grunde des Mund- saugnapfs. Daran schließt sich nur bei Distomum palliatum ein Schlund- t) Biehringer, Beiträge zur Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Trematoden. Arbeiten aus dem zool.-zoot. Institut Würzburg, 7. Bd., S. 4 fi, Referat von C. B. in dieser Zeitschrift, 4. Bd., 8. 422 fi.; W. Schwarze, Die postembryonale Entwicklung der Trematoden in der Zeitschrift für wissen- schaftliche Zoologie, 43. Bd., 8. 49, 50. 232 PBiehringer, Anatomie und Entwieklungsgeschichte der Trematoden. kopf, bei den beiden andern folgt sofort die Speiseröhre, welche sich weiterhin in 2 Darmschenkel teilt. Letztere zeigen bei Distomum palliatum kurze seitliche Aussackungen, so dass sie eine Art Uebergang zwischen dem einfach gerade verlaufenden Darme der meisten Doppellöcher und dem reich verästelten Verdauungswerk- zeuge des Leberegels darstellen. Die Speiseröhre besitzt eine Cutieula, der Darm ein Epithel, welche beide von einer dünnen Mus- kelhaut umkleidet werden; bloß bei Opisthotrema fehlt letztere am Darm. Die Cutieula ist eine Fortsetzung der Hautschicht; die Zellen des Epithels zeigen Verhältnisse, welche auf eine amöboide Beweg- lichkeit derselben hindeuten. Abweichend vom gewöhnlichen Typus verhalten sich Bucephalus und Gasterostomum. Bei ihnen liegt die Mundöffnung nicht im Grunde des vordern Saugnapfes, sondern bauch- ständig und zwar am Beginne des letzten Körperdrittels. An sie schließen sich Vorhof, Schlundkopf und ein nach vorne verlaufender Oesophagus, welcher in die einfache, nicht gegabelte Darmhöhle übergeht. Exkretionsgefäßsystem. Dasselbe zeigt einen im hintern Teile des Tiers gelegenen Sammelraum, welcher bei Ziegler’s bei- den Formen sehr groß und Sförmig gekrümmt ist. In dasselbe mün- den die beiden Längsgefäße, welche ihrerseits zahlreiche feine unter sich anastomosierende Seitenkanälchen aussenden. Der Sammelraum besitzt einen dünnen Muskelbelag, welcher gelegentliche Entleerungen gestattet !); die Längsstämme haben keinen solchen, weisen jedoch in einzelnen Teilen nach Looß Flimmerung auf, wie dies schon von Siebold und Leuckart vor langer Zeit beobachtet haben. Es sind dies Reihen von Wimperhaaren, welche lebhafte schlängelnde Bewegungen ausführen. Derartige Flimmerstellen fand Looß auch in schwachen Erweiterungen der Kapillaren. Letztere selbst enden in Trichtern, hohlen Anschwellungen, in welchen die flackernden Cilien sitzen. Die Verteilung dieser Trichter ist eine ziemlich regelmäßige und symmetrische. Distomum reticulatum zeichnet sich aus durch eine sehr kleine Endblase und durch ein äußerst reich verzweigtes Kapillargefäßnetz, von welchem es auch seinen Namen erhalten hat. Die Maschen des letztern liegen dicht unter der Oberhaut und senden reichlich kleine Aussackungen gegen dieselbe. Ob dieselben nach außen münden, konnte Looß nicht entscheiden. Geschlechtsorgane. Bei der Betrachtung der Fortpflanzungs- werkzeuge müssen wir die geschlechtsreifen Formen Opisthotrema, Distomum palliatum und Gasterotomum sowie das encystierte, also 1) Bei Bucephalus zieht sich die Endblase rhythmisch zusammen, wobei ihr Inhalt in den Schwanz getrieben wird; bei Gasterostomum wurden keine Kon- traktionen bemerkt. Biehringer, Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Trematoden. 2535 nicht geschlechtsreife Distomum reticulatum, bei dem wenigstens alle Teile derselben, wenn auch erst in der Anlage, vorhanden sind, von der Larve, dem Bucephalus, trennen. Die untersuchten Tiere sind insgesamt Zwitter. Distomum pal- liatum und Gasterostomum besitzen eine Geschlechtskloake, welche bei ersterem vor dem Bauchnapf, bei letzterem ventral im hintern Teile des Körpers liegt. Bei Distomum reticulatum münden beide Ge- schlechtsöffnungen noch in einen geschlossenen Hohlraum. Gegen denselben senkt sich die äußere Haut ein, so dass die Geschlechts- kloake erst nach dem Durchreißen der zwischenliegenden Gewebs- brücke mit der Außenwelt in Verbindung tritt. Bei Opisthotrema treten beide Geschlechtsöffnungen vollkommen getrennt dieht vor dem hintern Körperende zu Tage, was Leuekart veranlasste, das Tier mit dem obigen Namen (örıcY9ev hinten, rojue Loch) zu belegen. Die weiblichen Organe setzen sich auch hier aus drei Teilen, der Eidrüse, den Dotterdrüsen und Schalendrüsen zusammen. Der bald rundliche bald lappige Eierstock ist umgeben von einer dünnen Haut und zeigt eine periphere Lage kleiner Zellen, während im Zentrum und gegen den Ausführgang hin größere Zellen mit pseudo- podienartigen Fortsätzen, die reifen Eizellen, liegen. Die Umhüllungs- haut desselben setzt sich fort in den Keimgang, welcher nach kurzem Verlaufe den unpaaren Dottergang aufnimmt. Letzterer spaltet sich weiterhin in zwei Gänge, welche die Ausführgänge der beiden seitlich gelegenen Dotterstöcke darstellen. Sie sind bei Opisthotrema nur schwach, bei Dist. palliatum und Gasterostomum ungemein stark ent- wickelt und bestehen hier aus einzelnen im Parenchym eingelagerten Gruppen von Zellen. Diese werden unter Vergrößerung ihres Umfangs und Verlust von Plasma und Kern zu Dotterballen. Bei Dist. retieu- latum fehlt noch der Dottergang; die Dotterstöcke sind erst als kleine Zellaggregate vorhanden. An der Vereinigungsstelle von Keimgang und Dottergang zweigt sich der muskulöse Laurer’sche Kanal ab, der an der Rückenfläche ausmündet. Er besitzt eine Cutieula, welche eine Fortsetzung der äußern Haut ist; auf diese folgt eine Ringmuskellage und dann in einzelnen Fällen eine Längsmuskelschicht. Bei Gasterostomum ist derselbe von einem wimpernden Epithel ausgekleidet. Nahe seiner Abzweigungsstelle liegt (außer bei Gasterostomum und Dist. reticu- latum) eine kleine gestielte Blase, ein Receptaculum seminis, welches prall mit Sperma gefüllt zu sein pflegt. Ihr Bau ist der gleiche wie derjenige des Laurer’schen Kanals, von dem sie eine Ausstülpung darstellt. Der Keimgang setzt sich weiter fort in den Eiergang, in welchem wohl die Befruchtung stattfindet. Hier werden auch aus den Ei- zellen und Dotterballen die definitiven Eier gebildet und von der Schale umhüllt, deren Substanz von einem Haufen einzelliger in 234 DBiehringer, Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Trematoden. Maschen des Körperparenchyms eingebetteter Drüsen abgesondert wird. Nun wird die Masse, welche aus fertigen Eiern, freien Eizellen, unverbrauchten Dotterballen und’ Tröpfehen von Schalensubstanz be- steht, in den vielfach verschlungenen Uterus übergeführt. Diese Fort- bewegung mag teils durch Wimperung, wie Ziegler angibt, teils durch die Kontraktionen einer Ringfaserlage bewirkt werden. Der histologische Bau des Uterus wie seine Form wird von unsern Gewährsmännern verschieden angegeben. Er ist gewöhnlich prall mit Eiern gefüllt und springt darum bei der Beobachtung am meisten in die Augen. Seine Mündung nach außen ist bereits besprochen. Die Eier, welche in ihm die Stadien der Furchung durchlaufen, haben die gewöhnliche Form. Nur das Ei von Opisthotrema besitzt an beiden Polen je ein Knöpfchen, das sich allmählich zu einem langen Faden auszieht. Die beiden Hoden liegen gewöhnlich hinter dem Keimstock als zwei rundliche gelappte Körper. Bei Opisthotrema finden sie sich zu beiden Seiten des Cirrusbeutels und bestehen hier aus gekrümmten Schläuchen, die durch faseriges Bindegewebe zu einem Ganzen ver- bunden sind. Sie werden umhüllt von einer homogenen Hülle, welche hie und da einen Ringmuskelbeleg aufweisen kann. Die- selbe setzt sich fort in den Samenleiter, der sich mit demjenigen des andern Hodens zu einem unpaaren Ductus ejaculatorius vereinigt. Letzterer durchbohrt den Uirrusbeutel an seiner obern Spitze, erwei- tert sich oder knäuelt sich auf, eine meist strotzend mit Sperma gefüllte äußere Samenblase bildend und verläuft dann innerhalb des Beutels bis zur männlichen Geschlechtsöffnung. Dieser letztere Teil kann bei der Begattung umgestülpt werden, so dass seine Innenfläche nach außen kommt. Der Cirrusbeutel ist ein langer stark musku- löser Schlauch, weleher mit dem Ductus ejaculatorius durch ein parenchymatisches Gewebe verbunden ist und durch die Zusammen- ziehung seiner Muskulatur erstern umstülpt. Auch der meist vor- handene Muskelbeleg des Duetus ejaeulatorius tritt dabei in Thätigkeit. Bei Dist. palliatum beschreibt Looß außerdem noch eine Muskelmasse, welche von der Körperwand am Bauchnapfe zum Cirrusbeutel zieht und denselben vorziehen kann. Die Begattung findet nach der Ansicht Ziegler’s und Fischer’s im Anschluss an Stieda u. a. durch den Laurer’schen Kanal statt. Der umgestülpte Duetus ejaeulatorius wird auf die Oeffnung des letztern gedrückt und der männliche Zeugungsstoff tritt über. Looß hingegen führt eine Reihe von Gründen gegen diese Befruchtungs- weise und für die Einführung des Samens durch den Eileiter auf. Er konnte auch in der That bei Distomum clavigerum, einem Doppel- loch mit seitlicher Geschlechtsöffnung, eine gegenseitige Begattung beobachten. Beide Individuen lagen neben einander, das eine auf dem Rücken, das andere auf dem Bauche, der Cirrus war bei bei- Zacharias, Schwanzverstümmelungen bei Katzen. 235 den in die weibliche Geschlechtsöffnung eingeführt. Im Uterus der Tiere fanden sich reichliche Eier, im Receptaeulum seminis noch Sa- menfäden, so dass man auf eine mehrmalige Begattung schließen kann. Bei Bucephalus sind nur die Anlagen des Cirrusbeutels sowie der Keimdrüsen in Form intensiv sich färbender Zellhaufen beziehungs- weise eines Zellstrangs vorhanden. Schwanz des Bucephalus. Derselbe ist zweiteilig und be- steht aus einem am Hinterende der Cercarie befindlichen ellipsoi- dischen Ansatzstück, welches durch eine mittlere Einschnürung zwei- teilig erscheint, und den daran sich anheftenden schlanken, sehr kontraktilen Armen oder Hörnern. Die Einschnürung im Ansatz- stück wird teils durch den Körper des Tiers, teils durch Muskelzellen bewirkt, welche von letzterem aus nach der gegenüberliegenden Seite der Blase gehen. Der ganze Schwanz ist umschlossen von einer homo- genen Hautschicht, welche im Ansatzstück rundliche Erhebungen zeigt. Darauf folgt die Muskelschicht, welche im Ansatzstück sehr fein ist und hier meist vom Körper der Cercarie ausstrahlt, in den Armen hin- gegen die gewöhnliche Anordnung von rings- und längsverlaufenden Fi- brillen zeigt. Der Innenraum wird erfüllt von einem netzförmigen Bindegewebe verästelter Zellen, zwischen denen eine dünnschleimige Flüssigkeit sich befindet. Dieser histologische Bau spricht durchaus gegen Pagenstecher’s Ansicht, dass die abgeworfenen Schwänze wiederum zu Keimschläuchen werden können. Beim Schwimmen steht der Körper des Bucephalus abwärts, die Hörner des Schwanzes aufwärts. Die Bewegung geschieht dadurch, dass der Körper durch die Ausdehnung der Hörner nach unten ge- stoßen, durch ihre Zusammenziehung nach oben gezogen wird, ist also eine sehr unvollkommene senkrechte. Ziegler berichtet weiter, dass die Bucephalen nach dem Verlassen der Muschel, in welcher ihre Keimschläuche schmarotzen, sich in Leueiscus erythrophthalmus, der Rotfeder, eneystieren, und zwar in dem Bindegewebe unter der Haut und in den Muskeln aller weichen Stellen der Mund- und Kiemenhöhle Während sie dort einge- kapselt liegen, entwickeln sich in ihnen Mundsaugnapf und Geschlechts- werkzeuge. Die Reifung der Geschlechtsprodukte tritt indessen erst ein, wenn der Parasit auf dem Wege der Nahrung in den Darm des Hechts gelangt. Das Forterben von Schwanzverstümmelungen bei Katzen. Von Dr. Otto Zacharias. In einem kürzlich von mir publizierten Aufsatze zur Frage der Vererbung von Traumatismen!) habe ich zugegeben, dass die 1) Vergl. Biol. Clbl. Bd. VIII Nr. 7 und Anatom. Anzeiger Bd. III Nr. 13. 236 Zacharias, Schwanzverstümmelungen bei Katzen. von einer stummelschwänzigen Mutter gebornen (völlig schwanzlosen) Kätzchen, welche ich im vorigen Herbst auf der Wiesbadener Natur- forscherversammlung vorzeigte, keinen absolut entscheidenden Beweis für die Forterbung gewaltsam erzeugter Verstümmelungen liefern können, weil die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, dass jene Mutterkatze auch schon vor der Zeit ihres Schwanzverlustes Junge zur Welt gebracht hat, welche jene weitgehende Verkürzung des untern Endes der Wirbelsäule zeigten. Es könnte somit ein Fall von bloßer Koinzidenz vorliegen, der als solcher zur Entscheidung der Streitfrage betrefis der Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften na- türlich nichts beitragen würde. Meine Kätzchen sind aber immerhin der äußere Anlass dazu gewesen, dass man neuerdings mehr als bisher darauf geachtet hat, ob sich Verstümmelungen (in irgend einem Grade) bei Tieren und Menschen von einer Generation auf die andere übertragen. Ich selbst habe im „Anatomischen Anzeiger“ eine Reihe von Fällen, von denen mir einige sehr beweiskräftig erscheinen, zusam- mengestellt. In Nr. 5 des „Biolog. Centralblattes“ (vom 1. Mai 1888) hat Schiller Tietz ebenfalls mehrere hier einschlägige Thatsachen mit- geteilt, und insbesondere auch über die „durchweg etwas kurzschwän- zigeren Katzen“ aus der Umgegend der Hochacht (Eifel) berichtet, wo es Sitte ist, jeder Hauskatze im 6. Monat den Schwanz handlang abzuhauen: „damit sie besser Mäuse fange“. Es liegt nahe, die bei den Eifel-Katzen vorherrschende Kurzschwänzigkeit im Sinne der Ansicht von der Forterbung künstlich erzeugter Defekte zu deuten. Aber es liegt auch in diesem Falle kein bündig entscheidender Be- weis vor, wie er von Prof. A. Weismann in dieser wichtigen An- gelegenheit mit Recht gefordert wird. Unter solchen Umständen hat nun aber ein Brief, der von Prof. R. Virchow in der Sitzung der Berliner Gesellschaft für Anthropo- logie, Ethnographie und Urgeschichte (am 17. Dezember 1887) vor- gelesen wurde, ganz hervorragendes Interesse, und ich verfehle nicht, den Inhalt desselben hier zu reproduzieren. Der Absender desselben ist ein in Amerika lebender Deutscher, Herr Otto P. Kauffmann, in Elizabeth N. J. Derselbe schreibt an Geheimrath Virchow mit Bezug auf dessen Vortrag über Transformismus folgendes: „Die von Ihnen auf der diesjährigen Naturforscherversammlung in Wiesbaden gezogene Schlussfolgerung bezüglich der durch Herrn Dr. Otto Zacharias vorgezeigten schwanzlosen Katzen veranlassen mich, Sie von der Thatsache in Kenntnis zu setzen, dass es deutschem Fleiß und deutscher Liebe zur Wissenschaft schon seit Jahren ge- lungen ist, schwanzlose, oder um mich korrekter auszudrücken, stum- melschwänzige Katzen zu züchten, und zwar gebührt das Ver- dienst, der Wissenschaft diesen Dienst geleistet zu haben, unserem Nehring, Ueber die Gebissentwicklung der Schweine. 937 Landsmanne, dem Fabrikdirektor Denzler zu Tremleys Point New Jersey U.S. Die Stammmutter dieses stummelschwän- zigen Geschlechts hatte ihre angeborene Zierde im Kampfe mit einem Raubtiere eingebüßt, und seit jener Zeit warf dieselbe neben normal geschwänzten Katzen auch solche mit etwa 1!/, Zoll langen Stummeln. Mr. Denzler, der auch auf andern Gebieten ganz erstaunliche Resultate in der Rassen - Kreuzung aufzuweisen hat, beschloss festzu- stellen, ob die Veränderung im Organismus nur in der einen Genera- tion statthaben oder sich bleibend auf spätere vererben würde. Zu diesem Behufe tötete er aus den Würfen alle mit Schwänzen ge- bornen Katzen, um mit den ungeschwänzten weitere Zuchtversuche zu machen. Diese Versuche, nunmehr bis zur 4. Generation fortge- setzt, haben ergeben, dass die Veränderung im Organismus der Stamm- mutter sich nieht nur auf die kommenden Geschlechter vererbt, sondern dass es möglich sein würde, bei fortgesetzter strenger Zucht- wahl Rückbildungen gänzlich auszuschließen. Denn während bei den in der 2. Generation von beiderseits schwanzlosen Eltern erzeugten Katzen noch immer die Zahl der mit Schwänzen versehenen etwa die Hälfte betrug, verminderte sich die Anzahl der letztern bei den spä- tern Geschlechtern, und bei einem von mir vor kurzem besichtigten Wurfe von 7 Jungen war nur 1 geschwänztes Exemplar. Bemer- kenswert ist, dass in der ganzen Kolonie die Länge des Stummel- schwanzes nahezu die gleiche ist. Dagegen herrscht in der Haar- färbung die allergrößte Mannigfaltigkeit vor.“ Es ist in dem vorstehenden Briefe des Herrn P. Kauffmann ausdrücklich bemerkt, dass die stummelschwänzigen Kätzchen von der Zeit ab geworfen wurden, wo die Mutterkatze ihrer „angebornen Zierde“ verlustig ging. Demnach scheint in diesem Falle der Ver- dacht einer bloßen Koinzidenz, der bei meinen Kätzchen erhoben werden konnte, ausgeschlossen zu sein. Jedenfalls dient diese Mit- teilung dazu, um uns vorsichtig zu machen. Es ist durchaus nicht angebracht, auf grund von bloß theoretischen Erwägungen über die Möglichkeit der Vererbung von Traumatismen abzusprechen. Die scheinbar bündigste Logik kann es in ihrer Beweiskraft nicht mit einem verstümmelten Katzenschwanze aufnehmen — sofern letzterer thatsächlich vererbbar wäre. A. Nehring, Ueber die Gebissentwicklung der Schweine, insbesondere über Verfrühungen und Verspätungen derselben, nebst Bemerkungen über die Schädelform frühreifer und spätreifer Schweine. Mit 15 Holzschnitten. Berlin, Verlag von Paul Parey, 1883 (Sonderausgabe aus den Landw. Jahrbüchern). Der reiche Schatz der Nathusius’schen und Fürstenberg’- 238 Nehring, Ueber die Gebissentwieklung der Schweine. schen Sammlung der kgl. landw. Hochschule in Berlin bot dem Verf. das Material zu vorliegender Arbeit. Aufgrund seiner Untersuchungen glaubt er behaupten zu können, dass bei den Hausschweinen (deren Gebissentwicklung sich bekanntlich in der verhältnismäßig kurzen Zeit von 1!/, bis 2 Jahren abspielt) verhältnismäßig starke Schwan- kungen in dem Hervorbrechen der einzelnen Zahnpaare auftreten, je nach Rasse, Ernährung, Haltung, Gesundheitszustand und individueller Konstitution; und zwar können sich sowohl Verfrühungen wie auch Verspätungen einstellen, letztere namentlich dann, wenn das Tier längere Zeit krank war. Von den die Gebissentwicklung der Schweine betreffenden, durch Herrn Nehring festgestellten Thatsachen seien hier nur folgende er- wähnt. Der meist mit 6 Monaten erscheinende sog. Wolfszahn (der vor- derste Prämolarzahn) gehört nicht zum Milchgebiss — wie Hensel be- hauptet hat — sondern zum bleibenden Gebiss. Bei der Geburt bringt das Ferkel acht Zähnchen schon entwickelt und gebrauchs- fähig mit, nämlich die äußern Schneidezähne und die Hakenzähne des Milchgebisses. Die obern und untern Milchbackenzähne, welche gleiche Nummern haben, brechen nicht gleichzeitig, sondern im Ober- und Unterkiefer abwechselnd hervor, wie denn überhaupt das ganze Gebiss’ der Schweine sowohl in der gegenseitigen Stellung der fertigen Zähne, wie auch in dem Hervorbrechen der einzelnen Zahnpaare eine gewisse Abwechslung zwischen Oberkiefer und Unter- kiefer beobachten lässt. Im Alter von 8 bis 9 Monaten beginnt der Zahnwechsel, d.h. der Ersatz der Milchzähne durch die stell- vertretenden Zähne des bleibenden Gebisses. Zuerst werden die bei der Geburt mitgebrachten Milchzähne gewechselt. Nach Nehring’s Beobachtungen findet sich zwischen der Gebiss- entwicklung der Wildschweine und derjenigen der ursprünglichen deutschen Hausschweine (die von den Wildschweinen abstammen) kein nennenswerter Unterschied. Es ist höchstens eine geringe Ver- spätung der erstern zu erkennen. Uebrigens vermag Nehring nicht einzusehen, warum das Wildschwein in Gegenden, deren Klima ihm zusagt, sich langsamer entwickeln sollte, als ein unter einfachen wirt- schaftlichen Verhältnissen lebendes Hausschwein. Er macht mit Recht darauf aufmerksam, dass Wildschweine, welche in freier Wildbahn bei guter Mast und unter sonst günstigen Verhältnissen aufwachsen, sich schneller und flotter entwickeln, als kümmerlich genährte und auch sonst vernachlässigte Landschweine. Eine Verfrühung der körper- lichen Entwicklung kann nur dann zustande kommen, wenn der Mensch seinen Hausschweinen — wie übrigens allen Haustieren — günstigere Lebensbedingungen bietet, als die freie Natur sie den Wildschweinen zu bieten vermag. In dieser Beziehung ist es von wesentlichster Be- deutung, ob gleich von der Geburt an eine reichliche und bekömm- liche Nahrung den Ferkeln fortdauernd geboten wird. Eine solche Nehring, Ueber die Gebissentwicklung der Schweine. 339 Ernährung führt zur Frühreife; sie hat auch Einfluss auf die Ge- bissentwicklung und auf die Schädelform. Anlässlich seiner Untersuchung der Gebissentwicklung außer- europäischer Wildschweine äußert sich Nehring auch über die Ab- stammung des für die moderne Schweinezucht Europas so wichtig gewordenen indisch-chinesischen Hausschweines. Er glaubt nicht, dass das letztere — wie von einigen Forschern angenommen wurde — unmittelbar vom japanischen Wildschweine (Sus leucomystax) ab- stamme, sondern er leitet das chinesische Hausschwein vom chine- sischen Wildschwein ab, „welches mit jenem der Art nach identisch sein und nur durch etwas bedeutendere Größe von ihm abweichen soll“). £ Von großem biologischem Wert sind die Untersuchungen und Bemerkungen Nehring’s über die Schädelform frühreifer und spätreifer Schweine. Die bei den Zoologen im allgemeinen herrschende Ansicht, dass die Schädelform einer bestimmten Säugetierart unveränderlich sei, oder doch Jahrtausende hindurch ohne merkliche Veränderung vererbt werde, ist nur bei Tieren zutreffend, die unter annähernd gleichen Lebensverhältnissen aufgewachsen sind. Die Schädelform ändert sich jedoch, sobald die Lebensverhältnisse geändert werden, zumal wenn dies durch „Domestikation“ geschieht. Nach Nehring’s Beobacht- ungen beruht die Schädelform des Einzeltieres durchaus nicht auf der bloßen Vererbung, sondern es wirken andere wichtige Faktoren mit. Nur die Anlage zu einer bestimmten Schädelform wird durch die Vererbung von den Eltern auf die Kinder übertragen; ob aber dieselbe Form bei den heranwachsenden Kindern wirklich zustande kommt, das hängt ganz wesentlich von einigen andern Einflüssen ab, nämlich von den Ernährungsverhältnissen und von der Wirk- samkeit der Kopf- und Halsmuskeln. Nach Nehring (er beweist dies durch zwei abgebildete Ferkel- schädel) kann man gradezu eine Mästungsform und eine Hunger- oder Verkümmerungsform des Schweineschädels unter- scheiden. Jene zeichnet sich durch verhältnismäßig große Breite, diese durch auffallende Schmalheit aus. Man könnte die Mästungs- 4) In einer Anmerkung bestreitet Nehring die von mir in meinem Buche „Grundzüge der Naturgeschichte der Haustiere“ gemachte Bemerkung, dass die wilde Form der indisch-chinesischen Hausschweine gänzlich unbekannt sei. Bei dieser Bemerkung aber habe ich mich (daselbst Seite 102) ausdrücklich auf die Ansicht von Herm. v. Nathusius berufen. In dem oben wörtlich angeführten Satze Nehring’s, der mit „soll“ schließt, ist aber doch wohl nur eine Vermutung ausgedrückt; danach scheint Herr Nehring das chine- sische Wildschwein, welches die Stammform des chinesischen Hausschweines sein soll nicht aus eigner Anschauung zu kennen. Uebrigens will ich diese Abstammung nicht bestreiten. 240 Nehring, Ueber die Gebissentwicklung der Schweine. form brachycephal, die Hungerform dolichocephal nennen. Bei früh- reifen Schweinen ist der Schädel verhältnismäßig breit und hoch, bei spätreifen schmal und niedrig. Muskelzug und Muskeldruck üben je nach Richtung und Stärke eine formgestaltende Wirkung auch auf den Schädel aus, insbesondere bei solchen Tieren, welche ihren Kopf zu vielfacher, energischer Thätig- keit benutzen. Bei allen wühlenden Tieren finden wir eine lang- gestreckte Form des Schädels, und zwar stebt dieselbe unter dem Einflusse der beim Wühlen inbetracht kommenden Kopf- und Nacken- muskeln. Tiere, die nieht zu wühlen pflegen und auch sonst keine Kopfbewegungen ausführen, welche streckend auf die Schädelform einwirken, zeigen durchweg eine rundlichere, weniger gestreckte Schädelform als jene, welche wühlen, oder bei Erlangung der Nahrung ihre Kopf- und Halsmuskeln stark strecken müssen. Alle jene Einflüsse, welche Nehring als formgestaltend hervor- gehoben hat, kann man am Schädel der Wild- und Hausschweine deutlich erkennen. Das völlig wilde, in seiner ursprünglichen Lebens- weise unbehinderte Wildschwein hat einen langgestreckten, niedrigen, schmalen Schädel mit stark nach hinten überragender Hinterhaupts- schuppe, welcher mit starken Muskeln versehen ist. Wird das neu- geborne Wildschwein in einem gepflasterten Raum aufgezogen und somit am Wühlen verhindert, dann gestaltet sich sein Schädel kürzer und breiter als in der Freiheit; die Hinterhauptsschuppe stellt sich senkreeht und das Schädelprofil wird steiler, oft auch etwas einge- bogen. Kommt aber zu dieser Haltung noch eine reichliche Ernährung bei gutem Zustande der Verdauungsorgane hinzu, dann kann man aus Schweinen mit schmalem gestrecktem Schädel binnen wenigen Ge- schlechtsfolgen solche mit breitem, konkav-stirnigem Schädel erzeugen. Die Frage „ob erworbene Eigenschaften vererbt wer- den können“ bejaht Nehring ganz unzweifelhaft; nur muss man unterscheiden zwischen mechanisch zugefügten Verletzungen und solchen Eigenschaften, welche entweder schon während der fötalen Entwicklung erworben sind, oder doch im frühesten Jugendalter sich herausgebildet haben, welche also sozusagen „in succum et sanguinem“ des Organismus übergegangen sind. Auch bei den Hausschweinen beruhen viele Eigenschaften, wie die Schädelform, die Zeitdauer der Gebissentwicklung, die sog. Früh- reife, die Spätreife u. a. zu einem wesentlichen Teile auf der Ver- erbung erworbener Eigenschaften. M. Wilckens (Wien). Frieke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. 241 Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen mit besonderer Bezugnahme auf die Arbeiten von Dr. Eugen Kröner: 1) Das körperliche Gefühl. Breslau 1887. Verlag von Ed. Trewendt. 210 Seiten. 2) Gemeingefühl und sinnliches Gefühl. Vierteljahrsschrift für wissen- schaftliche Philosophie herausgegeben von R. Avenarius. XI. Jahr- gang. 1887. 8. 153—176. Von Dr. Karl Fricke. Während die Untersuchung des menschlichen Verstandes schon mit den ersten Anfängen der griechischen Philosophie begonnen hat, haben sich die Gefühlszustände unseres Bewusstseins und die für dieselben giltigen Gesetze der wissenschaftlichen Erforschung verhältnis- mäßig lange entzogen. Dem Erkenntnistriebe lag ja von vornherein die Prüfung der Denkgesetze näher, außerdem aber ist das Reich der Gefühle aus verschiedenen Gründen einer theoretischen Betrachtung schwerer zugänglich, namentlich schon deshalb, weil die Gefühle unser Bewusstsein gänzlich einnehmen können, ohne einer beobachtenden Denkthätigkeit gleichzeitig Platz zu lassen!). So erklärt es sich, dass nach Cesca?) erst in der Mitte des vorigen Jahrhunderts das Vorhandensein eines Gefühlvermögens überhaupt anerkannt wurde. Die auch gegenwärtig noch herrschende Unklarheit tritt nicht nur darin hervor, dass der gewöhnliche Sprachgebrauch ganz allgemein die Empfindung des Hautsinnes als „Gefühl“ bezeichnet, sondern vor allem auch in dem unsichern Gebrauche der Worte Gefühl und Empfindung und in der oft unberechtigten Verknüpfung der Gefühle mit Vorstellungen und Strebungen, welche auch in wissenschaftlichen Abhandlungen nicht immer vollständig vermieden ist. Die neueste Riehtung der Psychologie, welche sich durch ihre Annäherung an die Methode der Naturwissenschaft und durch ihre Anlehnung an die Er- gebnisse der Biologie auszeichnet, hat sich wiederholt mit diesem Gegenstande beschäftigt, und zwar liegt für ihre Untersuchungen be- sonders ein Gebiet des Gefühlslebens nahe, welches wir als das psychophysische in der Ueberschrift gekennzeichnet haben, weil wir hier die Gefühle in ihrer Abhängigkeit von körperlichen, physio- logischen Zuständen und in Wechselwirkung mit diesen beobachten können. Dasselbe ist unter dem Namen körperliches Gefühl, sinn- liches und Gemeingefühl wiederholt in nicht stets gleicher Bedeutung der 4) Vergl. Horwiez, Psychologische Analysen auf physiologischer Grund- lage. Halle-Magdeburg 1872—78. I. Band. S. 168; Spencer, Prineiples of Psychology, IV. T., VII. C., $ 211. 2) Inbetreff der geschichtlichen Entwicklung dieses Gegenstandes vergl. G. Cescea, Die Lehre von der Natur der Gefühle. Vierteljahrsschr. f. wiss, Phil, X. Jahrg., 1886, S. 137—165. VI, 16 249 Frieke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. genannten Bezeichnungen behandelt und ist u. a. auch von Dr. Eugen Kröner in neuester Zeit zum Gegenstande eingehender Untersuchung gewählt. In seinem unter 1) angeführten Hauptwerke behandelt er die hierher gehörenden Erscheinungen, welche er als körperliches Gefühl zusammenfasst und als Gemeingefühl und sinnliches Gefühl unterscheidet, mit großer Ausführlichkeit nach verschiedenen allge- meinen Gesichtspunkten, während die kleinere Abhandlung 2) der Begründung der letzterwähnten Unterscheidung gewidmet ist. Schon hier müssen wir aber gegen eine Behauptung des Verfassers Einspruch erheben, welche sich im Eingange beider Arbeiten findet, wenn er die Priorität der Trennung von Gemeingefühl und sinnlichem Gefühl für seine Untersuchungen in Anspruch nimmt; dieselbe Unterscheidung findet sich bereits in einer Abhandlung von A. Horwicz aus dem Jahre 1876 „Zur Naturgeschichte der Gefühle“, und zwar werden auf Seite 11 dieser kleinen in der bekannten Sammlung gemeinverständ- licher wissenschaftlicher Vorträge von R. Virchow und Fr. von Holtzendorff erschienenen Schrift die Sinnesgefühle genau durch dasselbe Merkmal von den Gemeingefühlen getrennt, wie bei E. Kröner, nämlich dadurch, dass dieselben deutlich lokalisiert sind, während die letztern sich durch ihre allgemeine Verbreitung zu erkennen geben. Ebenso wenig würde Horwiez zugeben, dass, wie E. Kröner S. 4 seines Hauptwerkes behauptet, ein Gegensatz in der methodischen Behandlung der beiderseitigen Untersuchungen insofern besteht, als Kröner glaubt im Gegensatz zu Horwicz die naturwissen- schaftliche Seite der Behandlung verwertet und die synthetische Methode in Anwendung gebracht zu haben. Auch A. Horwicz be- ansprucht seine psychologischen Analysen auf physiologischer Grundlage ausgeführt zu haben und betont in seiner Polemik gegen die Kritik von W. Wundt wiederholt und entschieden, auf induk- tivem Wege zu seinenResultaten gelangt zu sein?). Es mag hier unerörtert bleiben, ob die Ausführung diesem Be- streben überall entsprochen, oder ob, wie W. Wundt behauptet, allgemeine Gesichtspunkte die Ergebnisse zu stark beeinflusst haben. Aber wir werden auch bei Besprechung der Arbeiten Kröner’s wieder- holt genötigt sein den Wunsch zu äußern, dass der Verfasser das naturwissenschaftlich induktive Verfahren etwas mehr auf kosten des deduktiv-metaphysischen hervorgekehrt hätte. Nachdem die Natur- wissenschaft der spekulativen Philosophie ein so jähes Ende bereitet hat, dass man von einer philosophielosen Zeit sprechen konnte, ist bekanntlich in ihrem eignen Lager eine spekulative Richtung erwachsen, 4) A. Horwiez, Das Verhältnis der Gefühle zu den Vorstellungen und die Frage nach dem psychischen Grundprozesse. Vierteljahrschrift f. wiss. Philos. II. Jahrgang, 1879; ders., Die Priorität des Gefühls. Ebendaselbst IV. Jahrg., 1880. Frieke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. 245 von welcher Prof. J. B. Meyer in seiner Rede beim Antritt des Rektorats der Universität Bonn nicht ohne Grund behaupten konnte, dass von ihr viel häufiger und in viel rascherem Wechsel der Ansicht der bislang wahrgenommene Thatbestand übersprungen und vorschnell gedacht werde als in der sogenannten Denkwissenschaft der Philo- sophie, und dass die Philosophen der neuern Zeit gewissen Problemen gegenüber mehr wissenschaftliche Vorsicht bewiesen haben als manche Vertreter der sogenannten exakten Naturwissenschaft!). Auf einem Forschungsgebiete, wie dem hier besprochenen, welches einer exakten Prüfung außergewöhnliche Schwierigkeiten entgegensetzt, liegt die Gefahr besonders nahe, dass die gewonnenen Resultate weniger ein Niederschlag wirklicher Beobachtung als ein Reflex der allgemeinen philosophischen Anschauungen?) sind und mit deren Anerkennung stehen und fallen. So will es uns schon wenig einleuchten, wie der Verfasser des „körperlichen Gefühls“ von einer allgemeinen Hinneigung zu den Anschauungen von G. Jäger?) geleitet die Bedeutung der Bezeichnungen Seele und Geist von einander scheidet. Eine Seele will Kröner nur auf dem rein physiologischen Gebiete anerkennen, er gebraucht beseelt in derselben Bedeutung wie belebt und schreibt auch „unbedenklich mit dem volkstümlichen Sprachgebrauch“ den Pflanzen eine Seele zu (S. 6), wobei wir bemerken müssen, dass uns weder dieser volkstümliche Sprachgebrauch bekannt ist, noch dass uns die darin begriffenen Folgerungen unbedenklich erscheinen. Auch der Verfasser fühlt das Bedenkliche sehr wohl heraus, indem er fordert, dass der metaphysische Charakter, welcher dem Worte Seele auch im Sprachgebrauche noch anhaftet, eben so gut entfernt werden müsse, wie es bereits mit der Bezeichnung „Lebenskraft“ geschehen ist. Geist ist nach dem Verfasser das Prinzip des Bewusst- seins; doch kann er selbst die Scheidung nicht streng durchführen, indem er z. B. in den Worten Psychologie und Seelenvermögen „aus praktischen Gründen“ die bisherigen Namen beibehält. Schon aus diesem und auch aus andern allgemeinen Gründen schließen wir uns vielmehr der Erklärung an, welche W. Wundt in seiner physiolo- gischen Psychologie*) gibt: „Die Seele ist das Subjekt der innern Erfahrung mit den Bedingungen, welche dieselbe mit ihrer erfahrungs- mäßigen Gebundenheit an ein äußeres Dasein mit sich führt; der Geist ist das nämliche Subjekt ohne Rücksicht auf diese Gebunden- heit“, mit der Beschränkung, die auch Wundt selbst einige Zeilen 4) Die Stellung der Philosophie zur Zeit und zum Universitätsstudium von Jürgen Bona Meyer. Bonn 1886. S. 16. 2) Vergl. W. Wundt, Ueber den gegenwärtigen Zustand der Tierpsycho- logie. Vierteljahrsschr. f. wiss. Philosophie. II. Jahrgang 1878. 8, 137. 3) G. Jäger, Lehrbuch der allgemeinen Zoologie. III. Abt. Psychologie. Entdeckung der Seele. Leipzig 1884. S. 104 u. fg. 4) IH. Aufl. 1887. I. Band. S, 12. 10:3 244 Fricke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen, später hinzufügt: „Diese Definition lässt es vollkommen dahin- gestellt, ob dem Geistigen jene Unabhängigkeit von der Sinnlichkeit wirklich zukommt“. Auch der dem Sprachgebrauch zu grunde lie- genden Anschauung scheint uns diese Erklärung am besten zu ent- sprechen. — Schon in dem ersten einleitenden Kapitel stellt Kröner für eine exakte Behandlung psychologischer Aufgaben die Forderung, dass sich zwei Methoden die Hand reichen, die experimentelle (physio- logische Psychologie oder Psychophysik) und die vergleichend gene- tische (S. 4). Er hat den Versuch gemacht, auf das Gebiet der Gefühle beide Methoden in Anwendung zu bringen, und zwar in seinem größern Werke „das körperliche Gefühl“ die letztere und in der kleinern Ab- handlung die erstere. Da die Untersuchungen des erstern Werkes demnach einen genetisch vergleichenden Charakter tragen, so hat er naturgemäß nicht nur die individuelle Entwicklung des Menschen, son- dern auch die Entwicklung des Gefühlslebens der Tiere vom Stand- punkte der Deszendenzlehre berücksichtigt. Schon in der Einleitung widmet er diesem Gegenstande ein Kapitel: „Die Entwieklungslehre in ihrer Anwendung auf Psychologie“, und zeigt schon in diesem Titel, von welcher Seite er seine Aufgabe betrachtet. Noch deut- licher wird dies, wenn er auf S. 14 keinen Grund einsieht, weshalb die Philosophie sich dieser naturwissenschaftlichen „Entdeckung“ ab- lehnend oder gar feindlich gegenüber stellen sollte, und wenn er dann verlangt, dass die Philosophie die von der Naturwissenschaft über den Darwinismus gefällte „Entscheidung“ ebensogut zu „acceptieren“ habe, wie jede andere wohlbegründete wissenschaftliche Hypothese. Dass es sich bei der Entwicklungslehre nicht etwa einfach um die Entdeckung einer Thatsache handelt, wird vom Verfasser selbst nach- her durch die Bezeichnung „Hypothese“ klargestellt. Eine Hypothese aber geht stets über das Gebiet der Erfahrung hinaus, sie verlässt den Boden der Naturwissenschaft und gehört ihrem abstrakten Cha- rakter gemäß in das Gebiet der Philosophie, wobei es freilich gänz- lich gleichgiltig ist, ob die Frage ihrer Wahrscheinlichkeit von philo- sophisch gebildeten Naturforschern oder von naturwissenschaftlich gebildeten Philosophen behandelt wird. Wird aber der Wissenschaft ein neues Gebiet erschlossen, wie in dem vorliegenden Falle, so kann man wohl den Grundgedanken einer auch auf andern Gebieten ange- nommenen Hypothese als leitenden Gesichtspunkt bei den Unter- suchungen im Auge haben und prüfen, inwieweit die Erfahrung die- selbe auch hier unterstützt, aber von einer zwangsmäßigen „Anwendung“ auf die Erfahrung, von einem bloßen „acceptieren“ einer auf andern Gebieten getroffenen „Entscheidung“ kann niemals die Rede sein. Es ist dies eine Aeußerung der oben gekennzeichneten spekulativ-dogmati- sierenden Richtung in der Naturwissenschaft, gegen welche nicht nur von der Philosophie, sondern auch von namhaften Vertretern der Fricke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. 945 biologischen Forschung wie C. Claus!) und C. Semper?) schon vor einem Jahrzehnt Verwahrung eingelegt ist, und auf welche sich R. Virchow’s®) bis in die neueste Zeit fortgesetzten Warnungen beziehen; es ist derselbe dogmatische Uebereifer, welcher leider der Biologie das ihr gebührende Vertrauen in gewissen maßgebenden Kreisen bereits entzogen hat*). Kröner widerruft zwar S. 16 seine frühere Behauptung, indem er anerkennt, dass der Darwinismus der Bestätigung durch mühevolle Einzelforschung auf dem Gebiete der geistigen Entwicklung noch bedürfe, und dass das sogenannte bioge- netische Grundgesetzt nicht im eigentlichen Sinne als Gesetz auf die Geisteslehre angewandt werden könne, sondern nur den Wert eines heuristischen Prinzips habe. Aber wir würden uns sehr täuschen, wenn wir des weitern eine Bethätigung der mühevollen Einzelforschung etwa nach dem Beispiele der Darwin’schen Werke erwarten wollten. Schon gleich auf der nächsten Seite finden wir wieder die Behaup- tung, es handle sich beim Darwinismus doch nicht um eine philo- sophische, sondern nur um eine naturwissenschaftliche Angelegenheit, derselbe betreffe nur „Thatsächliches“. — Wir übergehen die weiter folgende geschichtliche Einleitung, um uns dem zweiten Abschnitt des Werkes zuzuwenden, welcher das Gemeingefühl behandelt. In Uebereinstimmung mit andern neuern Untersuchungen, z. B. OÖ. Külpe?), betrachtet er in gewiss zutreffen- der Weise den Schmerz nicht als Gemeingefühl, da er stets trotz der dabei häufig auftretenden Irradiation auf bestimmte Organe lokali- siert werden kann; ebenso ist es bei dem Kitzel und Schauder. Dagegen ist bei dem Gefühle des Wohlseins und Unwohl- seins jede Lokalisation ausgeschlossen, es zeigen sich alle Teile des Körpers davon ergriffen, am reinsten bei den Affekten, z. B. Freude, Schwermut. Er bestimmt den Begriff des Gemeingefühls demnach so, dass darunter zu verstehen sind „alle zum Bewusstsein erhobenen physiologischen Vorgänge des Körpers, welche erstens vom Bewusst- sein nicht lokalisiert werden können, weil sie nicht ein abgegrenztes Körpergebiet treffen und zweitens den Charakter des Angenehmen oder Unangenehmen an sich tragen“ (S. 31). Damit ist nicht aus- geschlossen, dass zu lokalisierbaren Gefühlen z. B. Zahnschmerz auch Gemeingefühle, also in diesem Falle das des allgemeinen Unwohl- 1) Die Typenlehre und E. Häckel’s sogenannte Gastraea- Theorie. Wien 1874. 2) Der Häckelismus in der Zoologie. Hamburg 1876. 3) vergl.: Die Freiheit der Wissenschaft im modernen Staat. Berlin 1877, und: Ueber den Transformismus. 1887. Biolog. Centralbl., VII. Band, Nr. 18. 4) Lehrpläne für die höhern Schulen nebst der darauf bezüglichen Zirkular- verfügung des königl. preuß. Ministers der Geistlichen, Unterrichts und Medi- zinalangelegenheiten vom 31. März 1882. 8. 6. 5) Zur Theorie der sinnlichen Gefühle. Vierteljahrsschrift f. wissensch. Philos., XI. Jahrg., 1887, S. 428. 246 Fricke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. befindens hinzutreten, dass also ursprünglich sinnliche Gefühle durch lange Dauer oder große Heftigkeit in Gemeingefühle überführen können; sie müssen aber begrifflich getrennt werden, weil sie auch selbständig, eines ohne das andere, auftreten. Als wichtigste Gemeingefühle werden aufgeführt: Gesundheits- und Krankheitsgefühl, Hunger, Durst, Appetit, Ekel, Abscheu, Er- müdung, Kraftgefühl, Schläfrigkeit, Geschleehtsgefühle sowie die körperlichen Begleiterscheinungen geistiger Vorgänge, insbesondere die Affekte, wobei man mit OÖ. Külpe!) den Eindruck haben kann, als ob der von Kröner angeführte Unterscheidungsgrundsatz von Gemeingefühl und sinnlichem Gefühl nicht überall streng genug durch- geführt sei. Indem er sich jetzt der Untersuchung dieser Zustände zuwendet, beginnt er mit der Prüfung der Quellen, aus weleher überhaupt unsere Kenntnisse geistiger Vorgänge geschöpft werden können, nämlich die Selbstbeobachtung, die Beobachtung anderer Menschen und die Er- forschung der Tierwelt. Die Schwierigkeiten, welche uns hier ent- gegentreten, sind besonders groß bei der Frage, auf welchem Punkte beginnt geistiges Leben. Umfassende und vorsichtige kritische Ueber- legungen führen den Verfasser zu den Ergebnissen: 1) „Geist ist in der Tierwelt überall da, wo sich ein Nerven- system im eigentlichen Sinne, mit Zentralapparat und peri- pherer Ausbreitung, findet. 2) Geistige Funktionen lassen sich weiter abwärts verfolgen, sowohl bis zu Tieren mit Nervenapparaten, welche nicht zu einem System zusammengefasst sind, als auch bis zu nerven- losen Tieren. 3) Eine scharfe Grenze zwischen geistigen und nicht geistigen Lebewesen ist nach unserer Kenntnis und wahrscheinlich auch absolut nicht zu ziehen, sondern die ersten Anfänge von Geist zeigen sich wahrscheinlich schon mit den ersten Anfängen des Lebens. 4) Die Entwicklung des Geistes geht wahrscheinlich Hand in Hand mit der morphologischen Entwicklung eines Nerven- systems“ (S. 41 u. fg.). Naturgemäß kann es sich auf diesem Gebiete, wie auch Külpe hervorhebt ?), nur um Vermutungen handeln, welche auf Analogie- schlüssen von oft zweifelhaftem Werte beruhen. Unter diesem Vor- behalte scheinen uns aber die Bedenken Kröner’s in dem Punkte zu weit zu gehen, wo er glaubt, erst bei den Infusorien ein hin- reichendes Zeugnis für das Vorhandensein bewusster Thätigkeiten in einer Beobachtung Engelmann’s über die Konjugation der Vorti- 1) Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos, XI. Jahrg., 1887, S. 429. 2) Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos., XII. Jahrg., 1888, S. 75. Fricke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. 247 cellen zu finden (S. 38). Wir glauben uns nach eignen Anschau- ungen den Ausführungen von G. H. Schneider anschließen zu können, welcher in seinen Untersuchungen über die „Entwicklung der Willens- äußerungen im Tierreich“ schreibt: „Das tastende Untersuchen, welches ich sehr deutlich schon an Radiolarien beobachtet habe, sowie das Ausstrecken von Pseudopodien, Anheften und die Kontraktion derselben zur Ortsbewegung ist nicht aus physiologischen Ursachen allein zu erklären“ t); und ferner: „Sowohl das Ausstreeken zur Nah- rungssuche als auch das Zusammenziehen zum Schutz seitens der RKhizopoden können wir ohne Bedenken als willkürliche Be- wegungen betrachten, freilich nicht in dem Sinne, dass diese Tiere eine Vorstellung vom Zwecke derselben hätten, wohl aber in der Bedeutung, dass sie einen Trieb zur Ausführung dieser Bewegung fühlen“?). Aehnlich hat sich schon früher Max Schulze geäußert: „Die von mehrern Seiten erhobenen Zweifel gegen die Existenz einer organischen Substanz, welche, ohne deutlich faserig zu sein, ausgezeichnete Kontraktilität besitze, empfinde, und auf die Em- pfindungen reagieren könne, ohne dass besondere, von den Muskel- fasern verschiedene, empfindende Organe in derselben differenziert seien, werden durch die unbefangene Beobachtung des Spieles der Gromia- und anderer Foraminiferenfortsätze gänzlich beseitigt“ 3). Die Abgrenzung solcher schon mit Bewusstsein verknüpfter Be- wegungen von den auch im Pflanzenreich beobachteten Reiz- und Bewegungserscheinungen, die sich den gleichfalls unbewussten Be- wegungen der Samenfäden und weißen Blutkörperchen anschließen, ist natürlich oft mit großen Schwierigkeiten verbunden. Diese und die auffallenden Erscheinungen der Symbiose im Pflanzenreich, welche an Sympathie und Antipathie erinnern, führen den Verfasser zu den beiden allgemeinen Sätzen: 1) dass in den Pflanzen sich gewisse Zustände finden, welche, hier unbewusst, doch die Vorbilder für be- wusste Vorgänge abgeben, welche bei den niedersten Tieren auftreten; 2) dass diese pflanzlichen Vorgänge zumeist hervorgebracht sind durch eine spezifische Aenderung der chemischen Konstitution der Organismen, und zwar genügt eine sehr geringe Aenderung um die bezeichneten Erscheinungen zu bewirken (S. 44). Er lenkt damit die Aufmerksamkeit zugleich auch auf die chemischen Vorgänge im Ge- biete des Tierreichs, welche nach ihm vor allen andern als Ursachen des nicht lokalisierbaren Gemeingefühls anzusehen sind. Obwohl Kröner nach seinen frühern Auseinandersetzungen von der Unmöglichkeit überzeugt schien, auf einer niedern Organisations- stufe als bei Infusorien ein Bewusstsein nachzuweisen, so werden doch im folgenden die Wahrnehmungen der Moneren (im Häckel’- 1) Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos., III. Jahrg., 1879, 8. 182. 2) Ebendaselbst S. 183 u. fg. 3) Ueber den Organismus der Polythalamien. Leipzig 1854. 8. 16 u. fg. 948 Fricke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. schen Sinne) — unter Annahme eines Bewusstseins bei diesen Tieren — erörtert. Mit Recht wird hervorgehoben, dass von einer spezifischen Energie hier noch nicht die Rede sein könne, sondern dass die Be- wegungen, welche durch mechanische wie chemische Reize ausgelöst werden, höchstens auf ein Gemeingefühl schließen lassen, und zwar gibt sich der Zustand der Lust durch Ausbreitung und lebhaftes Spiel der Pseudopodien, der der Unlust durch Einziehung derselben und Kontraktion des ganzen Körpers zu einer Kugel zu erkennen. Diese Auffassung ist jedenfalls durchaus berechtigt und deckt sich vollkommen mit der Ansicht G. H. Schneider’s, welcher in der oben erwähnten Untersuchung!) zwei entgegengesetzte Bewegungsprin- zipien bezw. Triebe unterscheidet, den Expansions- und den Kontrak- tionstrieb, ersterer zum Zweck der Nahrungssuche, letzterer zum Schutz. Indem Kröner noch einmal wieder auf die Frage nach der Sinnesthätigkeit der Moneren zurückkommt, führt er den Mangel spe- zifischer Energien in einer vorläufig noch unverständlichen Weise auf die mangelnde Uebung ?) dieser Tiere und auf die Gleichförmigkeit der äußern Reize zurück. Letzteres ist sicher unzutreffend, denn es ist wirklich nicht einzusehen, weshalb beispielsweise, wie Kröner behauptet, „die mechanischen Erschütterungen des Wassers viel zu einförmig“ sein sollten, „als dass sie Kunde von der Existenz einer Außenwelt geben könnten“, zumal diese Tiere doch auf dieselben reagieren. Außerdem sind ja doch auch für höher organisierte im Wasser lebende Tiere die äußern Reize die gleichen. — Auch den morphologisch weiter differenzierten Infusorien wird mit Sicherheit nur ein Gemeingefühl zuerkannt; er fügt hinzu, wenn aber schon hier an eine Sinnesthätigkeit gedacht werden könne, so müsse dem „chemischen“ Sinne, der sich noch nicht in Geruch und Geschmack differenziert hat, die Priorität zuerkannt werden. Weshalb dieser aber früher auftreten sollte, als etwa ein „mechanischer“ Sinn, obwohl doch die Reaktionen auf mechanische Reize mindestens ebenso früh beobachtet werden, geht aus der Begründung Kröner’s nicht hervor; es lässt sich diese Vermutung wohl nur auf eine mit G. Jäger geteilte Vorliebe für die hervorragende Bedeutung der Geruchswahr- nehmung zurückführen. — Nach dieser Darlegung der Gründe für die Wahrscheinlichkeit, dass das Gemeingefühl die erste Form der Bewusstseinszustände in der Reihe der Organismen darstellt, dass ihm also die phylogenetische Priorität gebührt, wird die Aufmerksamkeit auf die Ontogenese des Menschen, auf die ersten Aeußerungen des menschlichen Geistes ge- lenkt. Aus der Thatsache, dass auch die nicht völlig ausgetragene 4) Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos., III. Jahrg., 1879, S. 180 u. fg. 2) Vergl. die weiter unten folgende Besprechung über Gewöhnung und Uebung. Fricke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. 249 Frucht lebensfähig sein kann, wird mit Recht geschlossen, dass das Bewusstsein nicht etwa infolge einer prästabilierten Harmonie mit der Geburt entsteht; das Vorhandensein der Fötalbewegungen wird, da andere Reize hier ausgeschlossen sind, in der Hauptsache auf chemische Reize zurückgeführt, und da „vor allen Dingen chemische Reize auf das Gemeingefühl Einfluss haben“, so wird deduziert, „wenn der menschliche Fötus schon ein — wenn auch noch so dunkles — Bewusstsein hat, so kann sich dieses bloß im Innewerden von Ge- meingefühlen zeigen“ (S.52). In gleicher Weise schließt Kröner S. 53 von den allgemeinen Bedingungen des Zustandekommens von Sinnesempfindungen auf den einzelnen Fall, er geht von der Aehn- lichkeit des Neugebornen mit „jenen niedersten Organismen“ aus, welche vorher besprochen wurden, und sucht daraus die Unmöglich- keit herzuleiten, dass Sinnesreize schon hier der isolierten Leitung der Nerven folgen, sich vielmehr auf einen größern Bezirk ausbreiten und daher nur mangelhaft lokalisiert werden. Dass solche Deduk- tionen keinen Anspruch auf naturwissenschaftliche Gewissheit sondern nur den Wert einer metaphysischen Spekulation haben, liegt auf der Hand. Trotzdem erscheint das Ergebnis allerdings richtig, dass nämlich die Unterscheidung von Reizen bei Neugebornen zu- nächst nur auf Gemeingefühlen beruht; dasselbe lässt sich im Gegen- satz zu den Behauptungen von O. Külpe!) auch an der Hand der Thatsachen vollkommen aufrecht erhalten. Wenn Külpe in seiner Polemik gegen Horwiez und Kröner zum Beweis der geringen Entwicklung der Gefühle bei Neugebornen sich auf den Versuch Genzmer’s?) beruft, dass Neugeborne auf Nadelstiche durch keinerlei Zeichen des Unbehagens antworten, so ließe sich dies wohl aus der noch mangelhaften Ausbildung der Endapparate oder des Leitungs- vermögens der Nerven erklären. Dass aber der Hautsinn im stande ist, gleich nach der Geburt Schmerzgefühl auszulösen, wird von Preyer’s®) Beobachtungen beglaubigt. Bei zwei Kindern, deren Kopf erst allein geboren war, beobachtete er Schreien, verbunden mit dem Gesichtsausdruck der höchsten Unlust, offenbar veranlasst durch die Kompression des Rumpfes und die unmittelbar vorherge- gangene Kompression des Schädels. Auch Lustgefühle wurden be- obachtet; wenn er nämlich demselben Kinde ein Elfenbeinstiftehen oder den Finger in den Mund steckte, hörte das Schreien auf, es be- gann zu saugen und der bisher unzufriedene Gesichtsausdruck wurde plötzlieh umgewandelt, es schien „auf das angenehmste berührt“ zu sein (8. 71; vergl. auch S. 23). Ebenso verhält es sich mit der 4) Zur Theorie der sinnlichen Gefühle. Zweiter Artikel (Schluss). Viertel- jahrsschrift f. wiss. Philos, XII. Jahrgang, 1888. 2) Untersuchungen über die Sinneswahrnehmungen desneugebornen Menschen. 1882. 8. 10 u. fg. 3) Die Seele des Kindes. II. Aufl. 1884. 8. 70 u. tg. 250 Fricke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. Temperaturempfindlichkeit. Die Abkühlung nach vollendeter Geburt macht sich sofort durch Aeußerung von Unlustgefühl bemerkbar, welches erst mit dem üblichen warmen Bade, in welches das Eben- geborne getaucht wird, einer angenehmen Empfindung behaglicher Wärme Platz macht, deren Ausdruck schon in der frühesten Lebens- zeit erkennbar ist (S. 81 u. fg... Wenn Külpe ferner die Beobach- tung Kussmaul’s für seine Auffassung heranzieht, dass. die Ein- wirkung grellen Lichtes, starker Gerüche, schlechter Geschmäcke und lauter Geräusche !) bei Neugebornen kein Geschrei veranlassen, so darf daraus nicht geschlossen werden, dass die erwähnten Ueberreize nicht auch schon bei Neugebornen Unlustgefühle hervorrufen. Preyer, auf welchen sich Külpe gleichfalls bezieht, stellt grade im Gegen- teil in Uebereinstimmung mit Kussmaul fest, dass reife ebengeborne Kinder die Augen rasch und krampfhaft schließen, wenn helles Licht einfällt; 2—4tägige Säuglinge fahren zusammen, wenn ein Kerzen- licht den Augen zu nahe kommt. Genzmer brachte Säuglinge durch wechselndes blendendes Licht zu allgemeiner Unruhe und zum Schreien, und Preyer sah niemals ein neugebornes Kind blendend helles Licht mit offenen Augen ruhig ertragen (a. a. O. S. 6). Aehnlich beim Geruchssinn; auch hier konstatiert Kussmaul?), dass schlafende Neugeborne bei starken üblen Gerüchen die Augenlider fester zu- sammenkneifen, das Gesicht verziehen, unruhig werden, Kopf und Arme bewegen und erwachen. Genzmer brachte Säuglinge durch übelriechende Stoffe zum Schreien. Preyer, welcher zwar mit der Untersuchungsmethode der genannten Autoren nicht einverstanden ist, bestätigt aber das gefundene Resultat, obwohl er nach seinen Ver- suchen berechtigt ist anzunehmen, dass der Geruchssinn des Neu- gebornen noch wenig entwickelt ist. Die genannten Autoren haben auch festgestellt, dass bei Neugebornen und auch bei 1—2 Monat zu früh gebornen Kindern auf Einwirkung von erwärmten (um den Kälte- reiz auszuschließen) Kochsalz-, Chinin- und Weinsäurelösungen Gri- massen als Ausdruck des Missbehagens, auf Zuckerlösung dagegen Saugbewegungen erfolgten (Preyer a. a. O. S. 85). Külpe will diese Reaktionen dafür ausdeuten, dass schon Neugeborne die „vier Geschmacksqualitäten des Süßen, Bittern, Salzigen und Sauren unterscheiden“. Worauf er diese Behauptung stützt, wird freilich nicht näher ausgeführt, er verweist einfach auf Preyer, der aber überall nur die Unterscheidung des angenehmen von dem unan- genehmen Geschmacke, also das Vorhandensein subjektiver Ge- fühle, nicht aber objektiver Vorstellungen nachweist (a. a. O. 8. 87). Ebenso verhält es sich auch mit der Unterscheidung der Nahrung I) Inbetreff des Gehörs mag gleich vorweg bemerkt werden, dass Neu- geborne wahrscheinlich infolge des Fehlens der Luft in der Paukenhöhle un- mittelbar nach der Geburt taub sind; vergl. Preyer a. a. 0. S. 32. 2) Untersuchungen über das Seelenleben neugeborner Menschen. 1859. Fricke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. 251 durch den Geruch, indem Preyer auf S. 97, auf welche Külpe in seiner angeblichen Beweisführung gegen das Vorhandensein der Gefühle unglücklicher Weise Bezug nimmt, ausdrücklich die durch Geruchsempfindungen bedingten Lust- und Unlustgefühle hervor- hebt, und auch nachher von Neigung und Abneigung der Säug- linge, die doch offenbar nur auf Gefühlen beruht, redet, während eine Geruchs- und Geschmacksempfindung, d. h. das Auftreten von Vorstellungen über die objektive Verschiedenheit der äußern Reize sieh sicherlich erst später entwiekelt. Ueberhaupt thut Külpe keinen glücklichen Griff, das frühe Hervortreten grade dieser auch im spätern Leben noch am meisten gefühlsbetonten und subjek- tiven Sinne dem Vorhandensein von Gefühlen entgegenzusetzen. Der Streit zwischen der Priorität des Gefühls oder der Empfindung, welcher durch die bekannte unerquiekliche Polemik zwischen Wundt und Horwicz heraufbesehworen ist, dann sich aber auch in den hier erwähnten Arbeiten von Cesca und Külpe auf der einen und Kröner auf der andern Seite wiederspiegelt, läuft auf den unklaren Gebrauch des Wortes „Empfindung“ und auf eine unberechtigte Ver- wertung von Abstraktionen hinaus. In seinem Aufsatze: „Ueber das Verhältnis der Gefühle zu den Vorstellungen“!) und ebenso in der Abhandlung „Gefühl und Vorstellung“ ?) betrachtet Wundt beide nicht als verschiedene Vorgänge, sondern als Bestandteile eines und desselben Prozesses, dessen Trennung er nicht als eine wirkliche, sondern als ein Resultat psychologischer Abstraktion?) ansieht und behauptet auffallenderweise als die einzige uns thatsächlich ge- gebene Einheit (!) die durchgängige „Verbindung der Vorstel- lungen und Gefühle“, deren gemeinsame noch undifferenzierte Quelle er als Empfindung‘) bezeichnet. Dabei kann er freilich weder leugnen, dass der Gefühlston einer Vorstellung in jedem Falle doch in einem etwas andern Verhältnis zu derselben steht, als Qualität und Intensität, noch auch das Auftreten von Vorstellungen ohne Gefühlsbetonung und von frei auftretenden Gefühlen in Abrede stellen. In der neuesten Auflage seiner physiologischen Psychologie (1887) erklärt er dann Band I S. 289 die Empfindung für eine aus den Vorstellungen abgeleitete Abstraktion, für einen Begriff, der lediglich aus den Bedürfnissen der psychologischen Analyse her- vorgegangen ist. Auch schon in seiner Logik’) bringt er diese Aut- fassung zum Ausdruck, indem er sagt, dass die einfache Empfindung 2) W. Wundt, Essays. Leipzig 1885. S. 203. 3) Vergl. damit die Entgegnung von Horwiecz: Das Verhältnis der Ge- fühle zu den Vorstellungen. Vierteljahrsschrift für wiss. Philos., IIL. Jahrg., 1879,.:8..329 u. fg. 4) Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. III. S. 137 und Essays S. 204. 5) I. Band, Erkenntnislehre. 18380. 8. 12. 352 Fricke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen, ein Begriff ist, welcher nur aus einer Reflexion über die Beschaffen- heit unseres Bewusstseins sich ergibt. Auch Cesea!) schließt sich dem an, indem er aber trotzdem mit Wundt an der Priorität der Empfindung festhält. Wir hätten somit nach Wundt, Cesca und Külpe, die Priorität einer Abstraktion, d. h. die Behauptung, dass ein nur gedachter, aber niemals und nirgends in der Erfahrung ge- gebener Zustand den ersten Inhalt unseres Bewusstseins ausmacht 2). Dass von einer derartigen Behandlung der Sache niemals eine klare Entscheidung zu erwarten ist, liegt auf der Hand. Man braucht aber weder mit Herbart von der Priorität der Vorstellungen auszugehen noch mit Horwiez alle übrigen geistigen Funktionen aus der Priorität der Gefühle erklären zu wollen, ohne doch notwendig beide gar von einem abstrakten dritten aus der Erfahrung nicht bekannten Zu- stande ableiten zu müssen. Der Vergleich, welchen Wundt mit den chemischen Elementen und ihren Verbindungen zieht?), ist, wie er selbst auch zu fühlen scheint, schon aus dem Grunde durchaus unzu- treffend, weil die chemischen Elemente, wenn sie auch nicht alle frei vorkommen, so doch frei darstellbar sind. — Soll die Psychologie sich auf naturwissenschaftlicher Grundlage erheben, so muss vor allem der Grundsatz gelten, alle Spekulation aus den Fundamenten fern zu halten und zunächst lediglich die Thatsachen der Erfahrung festzustellen. Als solche dürfen aber Vorstellungen und Gefühle als durchaus und stets unterscheidbare Bewusstseinszustände, welche auch getrennt auftreten, ja sich unter Umständen gradezu gegenseitig aus- schließen®), unbestritten gelten. Während bei den sogenannten höhern Sinnen, Gesicht und Gehör, Empfindungen ganz ohne merkbaren Gefühlston, also rein objektive Vorstellungen nicht selten sind, kann das subjektive Schmerzgefühl bei übermäßiger Wärme- oder Druck- Einwirkung die objektive Vorstellung ganz oder teilweise verdecken?). Dass aber das subjektive Gefühl in der geistigen Entwicklung des Menschen früher auftritt als die Vorstellung von den Objekten, dürfte nach dem oben gesagten einleuchten. Auch Wundt selbst steht dieser Auffassung nicht ganz fern, in dem er schon in der ersten Auflage seiner physiologischen Psychologie (1874, S. 463) wie auch noch in der letzten (1887, S. 543) mit Bezugnahme auf Horwiez®) zugibt, dass „das Gefühl auf die Ausbildung des Bewusstseins höchst wahrscheinlich von bestimmenden Einflusse sei“. Ebenso Cesca, 1) Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos., X. Jahrg.. 1886, S. 147. 2) Vergl. auch die Auseinandersetzung bei Kröner. Vierteljahrsschrift f. wiss. Philos., XI. Jahrg., 1887, S. 163. 3) Grundzüge der physiol. Psychologie, III. Aufl., 1887, I. Band, 8. 289. 4) Vergl. Cesca in völliger Uebereinstimmung mit Horwiez in der Viertel- jahrsschrift f. wiss. Philos., X. Jahrg., 1886, S. 138. 5) Vergl. Külpe a. a. 0. XI. Jahrg., 1887, S. 445. 6) Psychologische Analysen auf physiolog. Grundlage, 1872, S. 231 u. fg. Frieke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. 255 welcher in der mehrfach erwähnten Abhandlung über die Natur der Gefühle schreibt: „Wir haben gesehen, dass das Gefühl ein unab- hängiger, elementarer, psychischer Zustand ist, welcher seinen Ursprung in der innern Reaktion des Geistes auf äußere Reize be- sitzt“ (S. 165), obwohl er vorher (S. 151) mit Wundt das Gefühl sich erst aus dem unbestimmten Zustande der Empfindung ent- wickeln lässt. Wir haben an diesem wichtigen Punkte uns bemüht zu zeigen, wie man im Gegensatz zu Kröner nach naturwissenschaftlichen indnktiven Grundsätzen auch in psychologischen Fragen verfahren kann und soll; ist der Weg auch umständlicher und länger, so wird das Ziel doch mit größerer Gewissheit erreicht und der gewonnene Besitz mit größerer Sicherheit behauptet. Die schließliche Ueberein- stimmung der durch die genialen Spekulationen Kröner’s aufge- stellten Behauptungen mit den auf induktivem Wege abgeleiteten Er- gebnisse Preyer’s (a. a. OÖ. S. 103), dass das ganze Verhalten des Kindes wesentlich durch seine Lust- und Unlustgefühle bestimmt wird, ist kein Gegenbeweis; beweisen doch grade im Gegenteil die unberechtigten Angriffe Külpe’s auf Kröner’s Aufstellungen, wie wenig er sich gedeckt hatte. Folgen wir jetzt wieder dem letztern, wie er sich der Beschrei- bung der wichtigsten Gemeingefühle zuwendet. Er teilt dieselben nach ihrer Entstehung in drei Gruppen nämlich 1) Affekte, welche ihren Ursprung geistigen Vorgängen verdanken, aber doch selbst nicht zu den geistigen Gefühlen zu rechnen sind, 2) diejenigen Gemein- gefühle, welche durch Sinnesreize erzeugt werden und 3) die bis jetzt noch dunkelsten, die sogenannten Organgefühle. Unter letztern, mit welchen er beginnt, versteht er diejenigen angenehmen oder unangenehmen Gemeingefühlszustände, in welche unser Körper durch die Veränderungen in seinen Organen versetzt wird (S. 56), wozu er von vornherein bemerkt, dass dieselben in der Regel unangenehmer Natur sind. Auch die Organgefühle werden weiter eingeteilt und zwar in solche des vegetativen und des animalen Systems. Er rechnet zunächst zu erstern das nicht lokalisierbare Gefühl der Bangigkeit, welches bei Hemmung der Atmungsthätig- keit infolge der verminderten Abgabe der Atmungsstoffe und deren Ansammlung im Blut und in den Geweben entsteht, wobei weniger an die Kohlensäure als an einen noch nicht genauer bekannten Stoff, wahrscheinlich ein Alkaloid gedacht ist!), und zwar wird annähernd dasselbe Gefühl hervorgerufen durch Hemmung des Respirations- 1) Die Giftigkeit der Atmungsstoffe haben, wie es scheint, G. Jäger (vergl. den Artikel „Luft“ der Breslauer Eneyklopädie, 1887) und neuerdings auch Brown-S&quard und d’Arsonval (Comptes rendus hebdomaires des seances de l’acad&mie des sciences. Paris, 1888) wirklich nachgewiesen. Ver- mutet wurde sie schon seit langer Zeit, 254 Fricke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. mechanismus wie durch eine Aenderung des Chemismus der Atmung, namentlich durch verdorbene Luft, während umgekehrt beim Ueber- gange von schlechter in gute Luft ein Lustgefühl entsteht. Auf ein gesteigertes Respirationsgefühl versucht er auch den Witterungs- instinkt mancher Tiere, der Schnecken, Spinnen, des Laubfrosches, des Hundes u. a. zurückzuführen. Den Gemeingefühlen der Atmung schließen sich naturgemäß die des Verdauungsapparates an, hier vor allem die Zustände des Sattseins, des Appetits, des Hungers. Auch das Gefühl des Ekels, welches verschieden be- dingt sein kann, wird hier aufgezählt, es tritt auf sowohl nach zu reichlichem Genuss von Speise und Trank oder infolge zu geringer Abwechslung, aber auch als dauernde, angeborne Idiosynkrasie gegen bestimmte Speisen wie auch mit gewissen Perioden (Zahn- wechsel, Pubertät, Schwangerschaft). Die Gemeingefühle ferner, welche zuweilen während der Verdauung auftreten, sind meist unangenehmer Art — Verdauungsangst, Verdauungsfieber. Er erklärt die- selben analog der bei gehemmter Atmung auftretenden Bangigkeit durch Diffusion von Gasen im Körper, welche während der Verdau- ung im Darme frei werden. Auch die pathologischen Erscheinungen der Hypochondrie werden an dieser Stelle besprochen. Es folgen die Gemeingefühle, welche durch Störungen des Blutumlaufs und der Blutverteilung hervorgerufen werden, doch sind dieselben meist pathologischer Natur, es mag hier nur an die durch Hämor- rhoiden hervorgerufenen Störungen erinnert werden. Den Abschluss machen die aus den Fortpflanzungsorganen stammenden Gemeingefühle, die Wollust, und beim weiblichen Geschlecht außerdem die Begleit- erscheinungen der Menstruation und der Schwangerschaft (Hysterie). Auch auf diesem Gebiete handelt es sich nicht allein um lokalisierbare Gefühle; wie schon Horwiez schildert, kann „von den sexuellen Organen her eine gewisse dauernde erotische Stimmung sich geltend machen, dass Alles, was auf die geschlechtliche Differenz bezug hat, ein besonderes Interesse erhält, gleichsam mit einem Ge- fühlsnimbus bekleidet wird“ !). Unter den Organgefühlen des animalen Systems unter- scheidet er den Zustand der Ermüdung von dem der Schläfrig- keit. Beide versucht er physiologisch durch Ansammlung von Er- müdungsstoffen zu erklären und zwar im erstern Falle in den peripheren Organen, weshalb bei der Ermüdung in diesen die Spannkraft erlahmt, während Schläfrigkeit und Schlaf in ähnlichen Vorgängen im Zentral- organ ihren Grund haben. Als Ermüdungsstoffe glaubt er alle Zer- setzungsprodukte, nicht nur die gewöhnlich als solehe namhaft ge- machten, wie freie und in Salzen gebundene Phosphorsäure, Milch- säure und Kohlensäure auffassen zu müssen. Diesen Zuständen ent- AM Zur Lehre von den körperlichen Gemeingefühlen. Vierteljahrsschrift für wissensch. Philos., IV. Jahrg., 1880, S. 306. Fricke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. 255 gegengesetzt ist das Gefühl der Erholung und zwar ist dieser Zustand gefühlserzeugend, so lange er noch im Werden begriffen ist, er kennzeichnet denselben mit dem Homerischen Worte Avsır ra yovvara. Bei der Beschreibung des bei vollendeter Erholung auf- tretenden Kraftgefühls wiederholt der Verfasser im wesentlichen das schon vorher über das Lustgefühl bei der geförderten Atmung in frischer Lust gesagte. Man kann versucht sein bei einigen der hier aufgeführten Zu- stände das Kennzeichen der Gemeingefühle, den Mangel der Lokali- sation mit Wundt und Külpe zu vermissen; indess muss man Kröner zugestehen, dass er an dieser Stelle im ganzen gleichwertige Zustände zusammengestellt hat. Weniger zweckmäßig ist vielleicht die Abgrenzung der Organgefühle von den folgenden, durch Sinnes- reiz veranlassten. Wir werden sehen, dass diese Trennung den Verfasser zu mancherlei Wiederholungen veranlassen, die deshalb un- vermeidlich sind, weil die Sinnesorgane nicht isoliert liegen, sondern mit den vorher in betracht gezogenen Organen in innigem Zusammen- hange stehen. Von Gemeingefühlen des Hautsinnes wird nicht viel berichtet, sie beschränken sich auf Idiosynkrasien z. B. bei Berührung von Plüsch und Sammt, bei Berührung kalter und feuchter Gegenstände, von Amphibien und Fischen, oder bei Berührung von Leichen; doch mag es dahin gestellt bleiben, wie viel davon auf Rechnung geistiger Gefühle, welche sich durch Assoziation mit diesen Berührungen ver- knüpfen, zu setzen ist. In einem andern Falle erscheint es dem Ver- fasser selbst begründet auch diese Möglichkeit in Erwägung zu ziehen. — Der Sehauder, welcher auch nachher beim Gehörssinn wieder er- wähnt wird, scheint dem Verfasser zwischen Gemeingefühl und sinn- lichem Gefühl in der Mitte zu stehen, weil er der Lokalisatien niemals vollständig entbehrt. Bei Aufzählung der von den chemischen Sinnen ausgelösten Gemeingefühlen, ließ es sich, wie vorauszusehen, nicht vermeiden, gewisse Zustände, welche schon bei den Organgefühlen erwähnt wur- den, zu wiederholen, so das Gefühl des Ekels, des Appetits, der Sät- tigung. Eine besondere Hervorhebung findet bei Kröner der Umstand, dass in den frühesten Jugendstadien des Menschen sowie auf den niedersten Stufen des Tierreichs bei diesen Sinnen nicht an eine auf das Objekt bezügliche Vorstellung zu denken ist, sondern an die Auslösung eines Gemeingefühls. Ebenso ist die Bedeutung der von vielen Tieren bei der Brunstzeit abgesonderten Geruchsstoffe — wenn sie auch außerdem das Auffinden des andern Geschlechtes er- leichtert — doch vor allen Dingen die, gefühlserzeugend zu wirken; es kann dies so weit gehen, dass Tiere, welche bis dahin die größte Abneigung gegen einander zeigen, wie Wolf und Hund, zur Paarnngs- zeit einander nachlaufen. Das Sekret der Analdrüsen bei den Viver- 356 Fricke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. riden, dem Moschustier, dem Moschusochsen und selbst bei Kalt- blütern ist diesem Zwecke dienstbar. Aber auch abgesehen von geschlechtlichen Beziehungen gibt es unbezweifelte Belege für die Vermittlung von Sympathie und Antipathie durch den Geruchs- sinnn. Die Erkennung der Mitglieder desselben Stockes bei Bienen, Ameisen und andern Tieren !), und die feindliche Behandlung fremder Tiere beruht wahrscheinlich auf einem durch den Geruchssinn ver- mittelten Gemeingefühl. Auch die eigentümliche Thatsache der Ver- witterung spricht dafür. Ebenso lässt das Verhalten junger noch unerfahrener Tiere bei dem bloßen Geruch von Raubtieren, wofür sich mehrere Beispiele bei Romanes?) angeführt finden, auf die Entstehung von Angstgefühlen durch Vermittlung dieses Sinnes schließen. Bei Besprechung der Gemeingefühle des Gehörssinnes wird zu- nächst das unangenehme an Schauder erinnernde Gefühl erwähnt, welches durch gewisse knirschende Geräusche (Zähneknirschen, Durch- beissen eines unreifen Apfels, harte Bewegung eines Stiftes über eine Schiefertafel) bei manchen Leuten, ja selbst durch die bloße Erinne- rung daran zu entstehen pflegt. Ferner ist der auch beim Gesichts- sinn wiederkehrende Umstand hier bemerkenswert, dass plötzliche und zwar nicht notwendig grade starke Reize das Gefühl des Er- schreckens hervorrufen (unerwartetes Anbellen eines Hündchens u. 8. w.) Erscheinungen, deren genauere Behandlung der Verfasser auf die Besprechung der Affekte verschiebt. Es erwähnt dann ferner den Einfluss, welchen der Gesang vieler Vögel offenbar auf die Er- regung der Geschlechtslust ausübt, obwohl man hier an einer direkten Einwirkung auf das „körperliche“ Gefühl Zweifel hegen könnte. Schon bei den Protozoen lässt sich eine gewisse Vorliebe für Hell und Dunkel, ja bei einigen eine Bevorzugung bestimmter Farben beobachten, woraus in vielen Fällen auf eine Erregung von Gemeingefühlen durch Liehtwirkungen geschlossen werden darf. Ebenso spielt nach Darwin die Farbe bei der geschlechtlichen Zuchtwahl eine große Rolle, wie die Bedeutung anderer Farben, nament- lich der gelben, als Trutzfarbe.. Am bekanntesten ist die Wirkung von Rot, sowohl als Lockfarbe wie auch um bei gewissen Tieren (Stier, Truthahn) Zorn zu erregen, womit auch die nicht nur bei wilden Völkerschaften, sondern auch bei Kulturmenschen durch ge- wisse Farben hervorgerufenen Stimmungen offenbar im Zusammen- hange stehen. 4) Vgl. Sir J. Lubbock, Bart., Ameisen, Bienen und Wespen. Deutsche autorisierte Ausgabe. Leipzig 1883. 2) G. J. Romanes, Die geistige EntwickInng im Tierreich. Leipzig 1885. (Schluss folgt.) Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. VII. Band. 1. Juli 1888. Nr 9, Inhalt: Frieke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen (Schluss). — von Jhering, Ueber Brutpflege und Entwicklung des Bagre (Arzus (om- mersonü Lae.). — Schewiakoff, Ueber die karyokinetische Kernteilung der Euglypha alveolata.. — von Lendenfeld, Einige neuere Arbeiten über Madreporarien. — Tiebe, Plateau’s Versuche über das Schvermögen der einfachen Augen von Schmetterlingsraupen und von vollkommenen Insekten. — Haacke, Das Endergebnis aus Weismann’s Schrift: „Ueber die Zahl der Richtungskörper und über ihre Bedeutung für die Vererbung“. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: Naturforschende Gesellschaft zu Dorpat. Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen Von Dr. Karl Fricke. (Schluss..) Wenn Kröner abweichend von Horwiez u.a. auch die Affekte zu den körperlichen Gefühlen rechnet, so können wir ihm bei der nahen Beziehung derselben zu dem im vorigen bereits mehrfach er- wähnten Trieben!) (z. B. Ernährungs- und Geschlechtstrieb) nur beistimmen. Denn wenn es auch geistige Vorgänge, gewisse Rich- tungen des Vorstellungsverlaufes sind, welche Affekte (Zorn, Bestürzung, Entzücken) hervorzurufen pflegen, so äußert sich in den Folgezuständen doch sehr deutlich der Zusammenhang mit den auch den Trieben zu grunde liegenden psychophysischen Gemeingefühlen. Verkehrt ist es freilich, wie es Kröner beliebt (S. 80), grade die Hemmung des Gedankenlaufes als Beleg für die „körperliche“ Nachwirkung der Affekte anzuführen. Ueberzeugender sind die folgenden Beweise, welche er aus der Veränderung der Herzschlagrhythmus, der plötz- lichen Lähmung an allen Gliedern beim Erschrecken herleitet. Auch die Ausdrucksbewegungen ?), welche sich entweder als gesteigerte 1) Vergl. dazu auch W. Wundt, Grundzüge der physiol. Psychologie, III. Aufl., 1887, Bd. II, 18. Kap., 1. Affekte und Triebe, S. 404. 2 2) Vergl. darüber W. Wundt, Grundz. d. phys. Psychologie, III. Aufl, 1887, Bd. II, S. 406 fg. und S. 504 fg. NEN. 17 58 Fricke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. oder als verminderte Muskelspannung zu erkennen geben, hätten an dieser Stelle als körperliche Rückwirkungen der Affekte angeführt werden können, was Kröner auffallender Weise unterlassen hat. Ebenso wenig erwähnt er hier die Rückwirkungen, welche auch außer der Veränderung des Herzschlages in dem Gefäßsystem als Erröten und Erblassen, ferner in den Atmungs- und Absonderungsorganen auf- treten. Erst in einem spätern Kapitel, welches die Folgezustände der Gemeingefühle allgemein behandelt, werden diese Erscheinungen auf- gezählt. Die Schwierigkeit, welche die Beobachtung und Deutung der Gefühle in sich schließt, gibt sich auch darin zu erkennen, dass W. Wundt auf S. 404 seiner physiologischen Psychologie (III. Aufl., 1887, Bd. Il) bei den Affekten nur eine innere, auf die Vorstellungen beschränkte, bei den Trieben dagegen eine zu äußern Bewegungen führende Veränderung anerkennt, während er auf der folgenden Seite die körperlichen Rückwirkungen der Affekte, Bewegungen verschie- denster Art (sthenische Affekte nach Kant) ausführlich schildert und S. 410 grade die Verwandtschaft von Trieb und Affekt in der Fähigkeit beider, körperliche Bewegungen auszulösen, erkennt. Letzteres hat Kröner, welcher sich gegen die erstgenannte Unter- scheidung wendet, offenbar übersehen. Wie zu den Trieben, so lassen sich auch Beziehungen der Affekte zu den rein geistigen, den intellektuellen, moralischen und ästhetischen Gefühlen nachweisen, wie Kröner an einigen Beispielen zeigt. Nament- lich ist es bekannt, dass die ästhetischen Gefühle des Musikers beim Anhören von Musik leicht in körperlichen Aftekt geraten, der sich von Entzücken zur Verzückung steigern kann. Wie der Affekt einerseits nicht selten in Wahnsinn ausartet, so dass selbst bei Beurteilung von Verbrechen der Affekt als mildernder Umstand betrachtet wird, so kann derselbe unter andern Bedingungen zur bloßen Stimmung ab- klingen. Auf eine Einteilung der Affekte verzichtet der Verfasser mit Rück- sicht auf die Schwierigkeit, welche der fast unmerkliche Uebergang derselben, ja der völlige Umschlag von Lust- in Unlustaffekte mit sich bringt. Namentlich tritt diese sonderbare Erscheinung bei Kin- dern und bei Betrunkenen hervor, so dass von einem intensiven Lust- affekt die Heiterkeit allmählich in Sentimentalität, Zorn, Rauflust, Reue u. s. w., also in entschiedene Unlustzustände übergeht und in der Regel in tiefer Abspannung und trübseliger Stimmung endigt. Auch das Auftreten von gemischten Affekten, nicht nur das Schwanken zwischen Lust und Unlust, sondern auch die gleichzeitige untrennbare Verknüpfung von Lust und Angst, wie sie beispielsweise Verliebten eigen ist, erschwert die Einteilung. Auch die Entstehung bietet keinen sichern Anhaltspunkt, da derselbe Affekt aus ganz verschie- denen Quellen entspringen kann. Frieke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. 259 Den Affektdispositionen widmet Kröner eine eingehende Besprechung, namentlich den Schwankungen, welche dureh den Wechsel der Tages- wie Jahreszeiten, durch das Wetter, namentlich auch durch pathologische Veränderungen und angeborne Anlagen, Temperament, Alter und Geschlechtsunterschiede bedingt werden. Nachdem dann das Allgemeinbefinden als die Summe aller im Organismus in einem Augenblicke gleichzeitig vorhandenen Gemeingefühle besprochen ist, dessen Bedeutung der Verf. in einem später erscheinenden bio- logischen Abschnitte zu behandeln in Aussicht stellt, wendet er sich zu dem wichtigen Kapitel von der Physiologie des Gemein- sefühls, über welche er sich eine eigenartige an G. Jäger er- innernde chemische Theorie zurechtgelegt hat, die in den frühern Absehnitten, schon bei Besprechung der eigentümlichen Reizerschei- nungen im Pflanzenreich, so zu sagen von langer Hand vorbereitet war. Als vollständig erklärt betrachtet Kröner eine geistige Erschei- nung eigentlich erst dann, wenn 1) die Natur des Reizes, 2) die physiologischen Veränderungen im Nervensystem, 3) die Umsetzung des physiologischen Vorgangs in einen geistigen Akt bekannt ist. Aber seine Auseinandersetzungen beginnen mit dem Geständnis, dass uns .der letzte Vorgang völlig unbekannt und die beiden ersten entweder nur teilweise bekannt sind oder sich nur auf dem Wege der Vermutung zugänglich erwiesen haben. Statt nun das erwartete Geständnis offen auszusprechen, dass uns zur Zeit eine physiologische Ausdeutung geistiger Vorgänge un- möglich ist und wir daher nicht über Vermutungen hinaus können, verlangt er einfach die Anwendung eines mildern Maßstabes, wenn es sich darum handelt, das Zustandekommen eines geistigen Vorganges zu „erklären“. Es ist das eine von den leider nicht seltenen Stellen bei Kröner, wo der gewählte Ausdruck es jedenfalls nicht deutlich erkennen lässt, dass es sich nur um hypothetische Anschauungen und nicht etwa um exakte Resultate der von ihm als Grundsatz auf- gestellten „synthetischen und naturwissenschaftlichen“ Untersuchungs- methode handelt. Den besprochenen Schwierigkeiten gemäß beschränkt er die „Erfordernisse für eine sogenannte exakte psychophysische Untersuchung“ auf eine möglichst genaue Untersuchung des Reizes und eine möglichst genaue Beschreibung des Nervenprozesses, bezw. der Symptome desselben und seiner Bahnen. Er kommt auf diesem Wege zunächst zu dem negativen Ergebnisse: „Die Entsteh- ung desGemeingefühls hat mit dem Gesetze derisolierten Nervenleitung nichts zu thun“ (S. 107), und stellt diesem den positiven Hauptsatz gegenüber: „Jedes Gemeingefühlberuht auf einem chemischen Prozesse und entsteht nach den Ge- setzen der Diffusion und Osmose“ (S. 108). Nach dieser kurzen Behauptung könnte man vermuten, dass nach 172 260 Fricke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. seiner Ansicht das Gemeingefühl mit dem Nervensystem überhaupt nichts zu thun hätte. Dem ist jedoch nicht so, sondern auf der fol- genden Seite gibt er die nötige Aufklärung: „Erfordernis zur Er- zeugung eines Gemeingefühls ist bei gelösten Stoffen Uebergang ins Blut und damit Verbreitung durch den ganzen Organismus. Ist dies aber der Fall, so lässt sich nieht einsehen (!), warum nicht auch das Nervensystem in seiner ganzen Ausdehnung gereizt werden soll“, indem er für die Möglichkeit der Reizung eines Nerven in seinem Verlaufe eine bekannte Erfahrung anführt. Außer den ge- lösten Stoffen sind es aber namentlich flüchtige Stoffe, welche nach seiner Anschauung „mit großer Geschwindigkeit den Körper durehdringend, durch Beeinflussung wahrscheinlich des ganzen Nerven- systems“ gewisse Gemeingefühle erregen. Für die letztgenannten Er- scheinungen ist natürlich G. Jäger der oft erwähnte Gewährsmann. Dass in der That chemische Vorgänge gewisse Gemeingefühle zur Folge haben können, ist beispielsweise seit den Untersuchungen Preyer’s und Pflüger’s über die Ursachen der Ermüdung und des Schlafes wahrscheinlich geworden. Will unser Verfasser aber wirk- lich den über diese Frage vorliegenden Untersuchungen die Art und Weise zur Seite stellen, wie G. Jäger an der von ihm (8. 113) angeführten Stelle seiner „Psychologie“ I. Band S. 173 den Angst- stoff seiner Frau durch den Duft ihres Harnes oder seinen eignen Uebermüdungsstoff beim Aufdecken des Bettes wittert? Für Kröner scheinen diese „mikrochemischen“ Untersuchungen, die er den „makro- chemischen“, d. h. chemischen in wahrem Sinne, überall als gleich- weıtig zur Seite stellt, als vollgiltige Beweise betrachtet zu werden, denn er schreibt S. 114: „Es wäre überflüssig näher auf eine Physio- logie der einzelnen Gemeingefühle einzugehen, da sich bei allen ent- weder chemisch oder durch den Geruchssinn die Anwesenheit von Stoffen konstatieren lässt, welche den ganzen Körper durchdringen und so direkt auch das Nervensystem affizieren“. Spricht sich hierin wieder die schon oft erwähnte Neigung zu dogmatischer Spekulation aus, welche allgemeine Regeln auf einzelne Fälle einfach „anwendet“, statt das Allgemeine aus den Einzelerfahrungen zu abstrahieren, so möchten wir doch ganz besonders gegen die Bezeichnung „mikro- chemisch“ Verwahrung einlegen, so lange die bewusste „mikro- chemische“ Methode nur auf Erfahrungen des Geruchsinns, dieses nach Kröner’s eignen Ausführungen subjektivsten aller Sinne, oder gar nur auf Vermutungen beruht, die wir auf das Verhalten von Tieren stützen, welches auf eine Geruchsempfindung schließen lässt. Die ganze jetzt folgende Physiologie der Affekte ist im wesentlichen auf diese „Mikrochemie* G. Jäger’s gebaut, eine Thatsache, die wir im Interesse der sonst von dem Verfasser vertretenen richtigen Grund- gedanken nur aufriehtig bedauern können. Dieselbe Sorglosigkeit in der Kritik gibt sich auch bei den von Fricke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. 261 Kröner selbst angestellten und in der Vierteljahrsschrift für wissen- schaftliche Philosophie (1887, II. Heft) veröffentlichten Versuchen zu erkennen. Er geht dabei von dem leitenden Gedanken aus: „wenn das Gemeingefühl den ganzen Körper ergreift und seine Funktionen ändert, so muss das auch mit den Fähigkeiten von Sinnes- und Be- wegungsnerven der Fall sein, während ein sinnliches Gefühl (im engern Sinne) hierauf keinen Einfluss haben kann“ (S. 164). Derselbe Satz findet sich auch in dem bisher besprochenen Werke in dem der Reihe nach folgenden Kapitel „über die Folgezustände der Gemeingefühle“, so dass wie die Besprechung der Versuche am besten an dieser Stelle einschalten. Seine schon früher ausgesprochene Auffassung, dass alle Gemein- gefühle durch chemische Vorgänge veranlasst werden, scheint er in den vorliegenden Versuchen noch dahin zu erweitern, dass auch jeder chemische Reiz ein Gemeingefühl zur Folge haben müsse. In seinen Versuchen ließ er stark riechende Substanzen inhalieren und zwar wird zunächst nur ein mit verdünnter Schwefelsäure und Salpeter- säure gefülltes Grove’sches Element als Inhalationsquelle genannt. Welcher Art das dadurch verursachte Gemeingefühl war, ist nicht näher gesagt, wir erfahren nur, dass es in den meisten Fällen ein unangenehmes war. Aus persönlicher Erfahrung kennen wir das Nähere dieses Gemeingefühles auch nicht; außer einer unangenehm betonten Geruchsempfindung veranlasste in der Regel schon der sehr bald auftretende Hustenreflex von einer weitern Inhalation abzustehen. Die Resultate seiner drei Versuchsreihen lassen sich so zusammen- fassen, dass durch das (angebliche) Gemeingefühl Gesichts- und Ge- hörsempfindungen, sowie willkürliche Bewegungen verlangsamt wurden, während unter Einwirkung von schmerzlichen oder unange- nehm betonten Sinnesgefühlen (starke elektrische Hautnervenreizung, unangenehmer Gesichts- und Schallreiz) eher eine Beschleunigung der Reaktion beobachtet wurde. Der Verfasser gründet auf diese Versuche die Berechtigung seiner Einteilung der körperlichen Gefühle in sinnliche und Gemeingefühle. Leider gibt er nur von einem ersten Versuche die Einzelzahlen (je 10 Reaktionen), aus welchen zu ersehen ist, dass bei den in der Ruhe ausgeführten Reaktionen die meisten zwischen 92!) und 97, (eine Reaktion gibt das Minimum 87, eine andere das Maximum 109), ferner unter Einwirkung von Schmerz eine Schwankung von 89 bis 100 (die meisten zwischen 91 und 9), bei Inhalation von NO, die meisten Reaktionen auch zwischen 92 und 99, während allerdings vier Reaktionen von 102 bis 200 schwanken. Es zeigt sich also, dass die Mehrzahl der Reaktionen überhaupt keine nennenswerten Abweichungen von einander zeigen, dass die großen 1) Als Einheit ist von Kröner statt des sonst üblichen o = 0,001“ infolge der Einteilung des von ihm benutzten Hipp’schen Chronoskops is gewählt. JUL 262 Frieke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. Mittelwerte im letztern Versuche nur einigen auffallend langen Reaktionen zuzuschreiben sind, die aber bei der Eigenartigkeit der Begleiterscheinungen von NO,-Inhalationen auch wohl eine ander- weitige Erklärung zuließen. Von allen folgenden Versuchen werden uns nur die Mittelwerte bekannt, so dass ihre Bedeutung sich gänz- lich unserer Beurteilung entzieht. Zum Schluss wird uns mitgeteilt, dass auch andere Versuche durch Iuhalation wohlriechender Stoffe oder Genuss belebender Substanzen, wie Wein, Thee u. s. w. ausge- führt sind, aber wir erfahren über die Ergebnisse nur, dass sie „den Erwartungen entsprachen“. Wir bedauern diese kurze Abfertigung sehr, zumal wir grade von den letztern Versuchen einen Einblick in die Folgen näher bekannter Gemeingefühlszustände erwarten durften; außerdem würden wir für diese in den mit ausgezeichneter Sorgfalt und Vorsicht ausgeführten Versuchen von v. Vintschgau, Diet] und Kräpelin mit Morphin, Amylnitrit, Aethyläther, Chloroform und Aethylalkohol schon eher einen vergleichenden Maßstab gefunden haben, als für die Inhalation von NO,, ohne dass diese Verfasser !) sich zu so weit gehenden Folgerungen berechtigt geglaubt haben, wie E. Kröner. Den Gemeingefühlen stellt Kröner die lokalisierbaren sinnlichen Gefühle gegenüber und wir übernehmen diese Einteilung, auch ohne dass wir den eben besprochenen Versuchen den maßgebenden Wert beilegen können wie der Verfasser. Sehr zutreffend ist allerdings das auf S. 139 seines Hauptwerkes gemachte Zugeständnis, dass eine scharfe Scheidung sich nicht immer vornehmen lassen wird. Somit begegnet er von vornherein dem Einwurfe, welchen Wundt S. 515 des ersten Bandes der dritten Auflage seiner physiologischen Psycho- logie gegen Kröner erhebt. In einer Anmerkung schreibt er: „dass die Organ- oder Gemeinempfindungen mangelhaft lokalisiert werden, ist zweifellos und aus naheliegenden Gründen begreiflich. Dass sie aber gar nicht lokalisiert werden, wie Kröner behauptet, der darauf eine Begriffsbestimmung des Gemeingefühls und die Unterscheidung des „körperlichen“ Gefühls von dem sinnlichen Gefühl gründete, kann ich nicht zugeben“. Wir bemerken hierzu, dass Kröner allerdings den Begriff des Gemeingefühls an die Unmöglichkeit der Lokalisier- barkeit knüpft, dass er aber, wie schon oben erwähnt, Uebergänge (z. B. beim Sehauder der Haut) zugibt, eine Auffassung, welche aus seinen weitern Auseinandersetzungen noch deutlicher hervorgeht. Auf 4) Vergl. G. Buccola, Recherches de psychologie experimentale. Arch. ital. de biologie. Tome V. Fasc. II. (Referat im biolog. Centralblatt, Bd. IV); namentlich aber E. Kräpelin, „Ueber die Einwirkung einiger medikamentöser Stoffe auf die Dauer einfacher psychischer Vorgänge“. Philosophische Studien, herausgeg. von W. Wundt, I. Band, 1883. Ders., „Dauer einfacher psychischer Vorgänge“. Biol. Centralbl., Bd. I. Ders., „Ueber psychische Zeitmessungen“. Ebendas. Bd. IIl. Fricke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. 263 einer Verwechslung beruht es aber jedenfalls, wenn Wundt behauptet, dass Kröner das körperliche Gefühl von dem sinnlichen unter- scheidet. Er fasst im Gegenteil, wie schon oben ausgeführt, unter den Begriff „körperliches Gefühl“ die sinnlichen und Gemeingefühle zusammen. Der speziellen Analyse der sinnlichen Gefühle ist eine Betrach- tung über die Entwicklung des Nervensystems und über den Einfluss der Gewöhnung und Uebung vorangestellt. Der Verfasser sucht sich auf dem Wege der Vermutung an der Hand des Gesetzes von der Erhaltung der Kraft eine Vorstellung zu bilden von der ersten Ent- stehung des Nervensystems überhaupt und auch von der Entwicklung der spezifischen Energien. Er geht dabei von dem allgemeinen Satze aus: eine jede physiologische Leistung kommt dadurch zu stande, dass eine gewisse Art von Bewegung in einem Organe gehemmt und in eine andere Bewegung umgesetzt wird. Indem er die relative Unempfindlichkeit der durchsichtigen Protozoen gegen Lichtreize als Ausgangspunkt wählt, führt er seine Ansicht des weitern folgender- maßen aus: „das Protoplasma dieser Tiere (der durchsichtigen Proto- zoen) leitet bloß, der Reiz setzt sich dagegen nicht in andere Bewegung (Wärme, chemische Vorgänge, mechanische Arbeit) um“. Aber mit dem ersten Auftreten von Pigmentflecken, welche der Liehtabsorption dienen, ist auch die erste Bedingung für die Ausbildung eines Nerven- systems gegeben. „Wenn derselbe Reiz immer vorzugsweise einen Punkt irritiert, so wird er sich auch nicht mehr unterschiedslos über die ganze Protoplasmamasse des Geschöpfes verbreiten, sondern in der Nähe des betreffenden Punktes eine stärkere Erregung hervor- bringen, welch letztere aber nicht verfehlen kann (!) auch in dem anatomischen Bau des Protoplasmas eine Veränderung hervorzubringen“. Und nachher: „dieselben Unterschiede werden sich aber auch in einem und demselben Organismus ausbilden — selbstverständlich nur all- mählich, im Laufe der Generationen und nicht ohne veranlassende äußere Reize. Jeder Reiz wird streben, die Widerstände zu über- winden, welche ihm im Wege stehen und infolge dessen (!!) wird sich auch das Protoplasma zunächst den getroffenen Stellen in seiner anatomischen Beschaffenheit ändern, es wird damit (!) leitend, nicht selbst Arbeit verrichtend. Und sobald das leitende Protoplasma auch dureh das Mikroskop erkannt werden kann, heißt es Nervensubstanz“ (S. 142). In der That sehr einfach und überzeugend! Aber woher kennt Kröner den ursächlichen Zusammenhang so genau? — Die Entstehung der Neuromuskelzellen bei den Hydren und Medusen und die weitere Differenzierung bei höhern Tieren in aufnehmende, leitende und arbeitende Nervenelemente nebst den damit zusammenhängenden physiologischen Veränderungen wird auf dem obigen Wege „erklärt“ und wir vermissen nur die eine bündige „Erklärung“, dass es sich bei alledem nur um eine anregende metaphysische Spekulation, 264 Fricke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. aber nicht etwa um naturwissenschaftlich begründete Thatsachen der Erfahrung handelt, wie man aus der apodiktischen Art der Dar- stellung zu schließen versucht sein könnte. Mit Hilfe der geschilderten hypothetischen Vorgänge versucht nun Kröner die Erscheinungen der Gewöhnung und Uebung zu erklären. Von der Art der Gewöh- nung, welche man durch die Bezeichnung „Abstumpfung“ am rich- tigsten charakterisiert, unterscheidet er diejenige, welche der Uebung entspricht, und die sich dadurch kennzeichnet, dass durch dieselbe nieht überhaupt die Erregung verringert wird, sondern dass zu gunsten einer Form der Erregung eine andere zurücktritt. Je objektiver nun eine Sinnesempfindung wird, desto mehr weicht erfahrungsmäßig die Gefühlsbetonung zurück. Die geringste Gefühlsbetonung zeigt beim Menschen das Auge, dagegen ist dies Organ der schärfsten ob- jektiven Auffassung fähig, während der bei uns fast nur subjektive Geruchssinn bei Hunden zu einer uns unfassbaren Objektivität aus- gebildet ist. Demnach gliedert er die verschiedenen Entwicklungs- stadien in vier Stufen, indem der Reiz zuerst infolge der mangelnden Akkommodation als Ueberreiz nur gefühlserzeugend wirkt, aber zu. keiner objektiven Vorstellung führt. Die zweite Stufe zeigt einen hohen Grad von Objektivität der Empfindung ohne Gefühlston; drit- tens wird auch die Empfindung abgestumpft und endlich viertens tritt — bei immer gleichbleibendem Reize — Ermüdung, ja Lähmung der Nerven ein, verbunden mit allgemeiner Unluststimmung. Die Ursachen des sinnlichen Gefühls können nun sowohl in dem äußern Sinnesreize, dem physiologischen Nervenvorgange, wie auch in dem geistigen Bewusstseinsakte liegen. Die Stärke des äußern Reizes ist einer Prüfung am leichtesten zugänglich; soweit der Zustand der Nerven- substanz dabei in Frage kommt, so wird einmal in einem ungeübten Nerven schon eine geringere äußere Erregung ausreichen, um eine Ge- fühlsbetonung zu veranlassen, als in einem geübten; anderseits aber wird der ermüdete Nerv einem Unlustgefühle leichter zugänglich sein als ein frischer. Ebenso ist der jeweilige Zustand des Bewusst- seins, das Allgemeinbefinden, die Verhältnisse der Zerstreu- ung und Aufmerksamkeit für das Zustandekommen und die Art der sinnlichen Gefühle maßgebend. Wenden wir uns nun zur Betrachtung der im Gebiet der einzelnen Sinnesorgane auftretenden Gefühle, so muss uns allerdings auffallen, dass auch Kröner die lokalisierbare Gefühlsbetonung der Sinnes- empfindungen nieht überall von den schon früher abgehandelten Gemeingefühlen der Sinnesorgane scharf abgrenzen konnte. So ist es zunächst bei dem Gefühlston des Haut- und Muskelsinnes, z. B. bei der Entstehung des Schauders bei Berührung kalter und schlüpf- riger Gegenstände. Auch bei Temperaturschwankungen zeigen sich ähnliche Uebergänge von sinnlichem zu Gemeingefühl. Ebenso weiß Kröner bei den Innervationsempfindungen, z. B. bei der fruchtlosen Fricke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. 3655 Bemühung ein gelähmtes Glied zu bewegen, nur von dem Gefühle der Unlust zu reden, ohne zu entscheiden, ob es sich um einen lokali- sierbaren Gefühlston handelt oder nicht; desgleichen scheint uns das unangenehme Gefühl, welches bei längerer absoluter Bewegungslosig- keit wahrgenommen wird, mehr den Charakter eines Gemeingefühls zu tragen, als, wie Kröner glaubt, den einer bloßen Gefühlsbetonung der Kontraktionsempfindung. Eine besonders eingehende Besprechung wird den psychologischen und physiologischen Verhältnissen des Schmerzes gewidmet. Obwohl der Schmerz auf die sensibeln Nerven des Hautsinns beschränkt zu sein scheint, und hier sowohl bei zu starken Tasteindrücken wie bei zu hohen Temperaturgraden sich einzustellen pflegt, so kann er doch auch da auftreten, wo die Nervenendigungen zerstört und daher die betreffenden Teile ihrer Tastempfindungen beraubt sind. Ebenso kennen wir Schmerzen in Organen, welche gewöhnlich keine Tast- empfindungen haben. Die normalen Kontraktionen des Herzmuskels sowie die peristaltischen Bewegungen des Verdauungskanales erfolgen ohne begleitende Bewusstseinserscheinungen, wohl aber können diese Organe, wie auch die serösen Häute der Sitz heftiger Schmerzen sein. Auch bei der Schmerzempfindlichkeit spielen Gewöhnung, Uebung und Abstumpfung eine Rolle. Im allgemeinen gilt hier der auch mit den Verhältnissen der übrigen Sinne übereinstimmende Satz, dass die Temperaturempfindung um so mehr zurücktritt, je stärker das Schmerz- gefühl wird (S. 172) und dass die in der Regel stärkern Temperatur- empfindungen ausgesetzten Stellen der Haut für Schmerz am wenigsten empfindlich sind (S. 173). Dass der Schmerz lokalisierbar ist, berechtigt, ihn zu den sinn- lichen Gefühlen zu rechnen, aber die Lokalisierbarkeit ist auch hier nicht immer eine genaue, sie ist um so ungenauer, je intensiver der Schmerz ist. Die innern Organe zeigen die geringste, das beste Lokalisierungsvermögen dagegen diejenigen Organe, welche auch das beste Tastvermögen besitzen; es zeigt sich darin ein innerer Zusammen- hang zwischen beiden. Ueber die mit der mangelhaften Lokalisation zusammenhängende Irradiation des Schmerzes wird das Gesetz aufgestellt, dass die Irradiation da am größten ist, wo die betreffen- den Organe die geringste Beweglichkeit besitzen (S. 175). Für die Physiologie des Schmerzes, welche in Kap. 26 eingehend be- handelt wird, sind namentlich die Untersuchungen von Schiff beachtens- wert, nach denen der Schmerz nicht durch die Seiten- und Hinterstränge sondern durch die für Leitung ungeübte graue Substanz des Rücken- markes zum Gehirn geleitet wird. Es würde demnach der schmerz- erzeugende Prozess durch das Uebertreten eines Reizes aus seiner eigentlichen Bahn in eine ungewohnte zu stande kommen. Die Erscheinung von Analgesie würde sich dann leicht unter der An- nahme erklären, dass zunächst die graue Substanz von der Wirkung 366 Fricke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. der Anästhetika ergriffen würde, während die Leitung der Tast- empfindungen durch die Seitenstränge fortbesteht. Die Gefühlsbetonung der beiden chemischen Sinne zeigt sich schon darin, dass der Sprachgebrauch das Wort süß für angenehm, bitter für unangenehm verwendet. Beides trifft freilich nur bis zu einem gewissen Grade zu, wie auch sauer und salzig je nach den Umständen und nach dem Grade der Verdünnung Lust oder Unlust erzeugen können. Wenn Kröner die Geruchsempfindungen deshalb für weniger definierbar hält, weil die Sprache in vielen Fällen die Bezeichnung nach den Quellen (veilchen- oder rosenähnlich) gewählt hat, so ist dem entgegenzuhalten, dass dies auch im Gebiete anderer Sinnesempfindungen, und selbst in dem des objektivsten von allen, des Gesichtssinnes, geschehen ist, wie die Farbenbezeichnungen violett, rosa, indigo u. a. beweisen. Offenbar hat sich das Bedürfnis feinere Unterschiede zum Ausdruck zu bringen erst verhältnismäßig spät ent- wickelt. Doch pflichten wir dem Verfasser darin bei, dass jeder Geruch von einer angenehmen oder unangenehmen Betonung begleitet zu sein pflegt, dass Lust oder Unlust auch hier von der Stärke des Reizes abhängt, ebenso wie auch hier die Gewöhnung und das Vorhandensein gewisser Gemeingefühlszustände wie Hunger, Sättigung, Ekel auf die Gefühlsbetonung von Einfluss ist. Bei Besprechung der Gehörsempfindungen wird ihre Bedeutung für die Geschlechtsthätigkeit hervorgehoben; auch dieses Beispiel zeigt uns die Möglichkeit des Ueberganges einer bloßen sinn- lichen Gefühlsbetonung zu Gemeingefühlen, da dasselbe auch S. 75 für die Entstehung eines Gemeingefühles in Anspruch genommen war. Anderseits zeigt die Freude an der Musik bei manchen Tieren und geistig noch unentwickelten Menschen einen Uebergang an zwischem sinnlichem Wohlgefallen oder Gemeingefühl (?) und ästhetischem Gefühl. Deutlich zeigt sich auch auf diesem Gebiete die Abhängigkeit der Art der Betonung von der Stärke des Reizes und von dem Zustande des Nervensystems. Kinder und Wilde be- weisen, dass nicht für jeden der Ton angenehmer ist als das Geräusch. Ebenso verhält es sich mit den Klangfarben, dem Mitklingen von Öbertönen, welche durch veränderten Aufschlag oder Ansatz hervor- gerufen werden können. Auch ihre Gefühlswirkung ist verschieden; der schmetternde Klang der Hörner, Pfeifen und Trommelwirbel, welche auf eine Erregung von Lustgefühlen (wahrscheinlich doch wohl auch hier Gemeingefühlen) bei den Soldaten berechnet sind, wirken auf zartere Naturen als nicht zu ertragendes Geräusch. Auch der beim Kulturmenschen am wenigsten mit Gefühlen rein sinnlicher Art verknüpfte Gesichtssinn zeigt auf niedern Stufen eine deutlichere Gefühlsbetonung. Ist es aber schon schwierig bei den Erscheinungen des eignen Bewusstseins an dem Merkmal der Lokali- sation festzuhalten und bei der Einteilung der beobachteten Zustände Fricke, Zur Lehre von den psychophysischen Gefühlszuständen. 267 streng durchzuführen, so wird dies fast zur Unmöglichkeit, wo es sich um Beobachtungen an Tieren handelt. Es wird daher in vielen Fällen unentschieden bleiben, ob ein Gefühl auf die Betonung der Sinnes- empfindungen beschränkt bleibt oder sich auf die Stimmung des ganzen Körpers überträgt. Das Vorhandensein solcher Gefühle im Gebiete des Licht- und Farbensinnes ist aber nach den Untersuchungen von Grant Allen!) und Lubbock?) sowie den hier nicht erwähnten Arbeiten von H. Müller?) und V. Graber*) unzweifelhaft; es zeigen viele Tiere nicht nur Hell oder Dunkel sondern auch für bestimmte Farben eine unverkennbare Vorliebe. Wenn aber Kröner das Rot als Antipathiefarbe bei manchen Tieren, das Auftreten von Gelb als Unlust- oder Ekelfarbe auch hier erwähnt so ist dies offenbar unrichtig, da es sich in solchen Fällen wohl ohne Zweifel, wie schon oben erwähnt, um Gemeingefühle handelt. Der Uebergang von sinn- lieher Gefühlsbetonung zu ästhetischen Gefühlen ist sowohl bei Kin- dern wie auch bei weniger kultivierten Menschen zu verfolgen; die Vorliebe der Kinder und der Landbevölkerung für grelle Farben und harte Zusammenstellungen zeigt wiederum deutlich den Einfluss der Gewöhnung der Nerven- und Bewusstseinszustände auf die Gefühls- betonung. Im Gebiete aller Sinnesempfindungen zeigte sich also überein- stimmend, dass eine mäßig starke Nervenerregung Lust, eine zu starke Unlust erregt, dass aber dafür nicht allein der äußere Reiz maßgebend ist, sondern ebenso sehr der subjektive Zustand des Nervensystems und des Bewusstseins (S. 189). Zum Schlusse stellt der Verfasser im Gegensatz zu Herbart, welcher die einfache Natur der Gefühle bezweifelte und sie aus den Beziehungen zwischen den Vorstellungen erklären wollte, den gewiss berechtigten Satz auf, dass das Gefühl durch keine andere geistige Funktion zu erklären ist. Wenn er dann aber weiter behauptet, dass das Gefühl den geistigen Verrichtungen zum Ausgangspunkte dient, so kann man zunächst nur an eine zeitliche, nicht auch mit der- selben Gewissheit etwa aber an eine ursächliche Folge denken. Wir werden es dem Verfasser gewiss nicht verübeln, dass er in 4) Grant Allen, Der Farbensinn, sein Ursprung und seine Entwicklung. Deutsche Ausgabe. Leipzig 1880. 2) Sir John Lubbock, Ameisen, Bienen und Wespen. Deutsche Aus- gabe. Leipzig 1883. 3) Eneyklopäd. d. Naturwissensch., I. Abt., 1. Teil, 1. Band, S. 72. 4) 1. Fundamentalversuche über die Helligkeits- und Farbenempfindlichkeit augenloser und geblendeter Tiere. Sitzungsber. d. k. k. Akad. d. Wiss. in Wien. 1883. 2. Grundlinien zur Erforschung des Helligkeits- und Farbensinns der Tiere. Prag, Leipzig 1884. 3 Ueber die Helligkeits- und Farbenempfind- lichkeit einiger Meertiere. Sitzungsber. d. k. k. Akad. d. Wiss. in Wien. 1885; vergl. auch Tiebe, Ueber den Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. Biolog. Centralbl., VI. Bd., S. 489. 968 von Jhering, Brutpflege des Bagre (Artus Commersonii Lae.). anbetracht der Wichtigkeit und Schwierigkeit des Gegenstandes das bisherige Material noch nicht für ausreichend hält, über die biolo- sische Bedeutung des Gefühles, insbesondere über die Frage, wie sich aus dem Gemeingefühl die übrigen geistigen Thätigkeiten ent- wickeln, mit Bestimmtheit zu urteilen. Im Interesse des auch von ihm betonten naturwissenschaftlichen Standpunktes und der synthe- tischen Methode erlauben wir uns zu wünschen, dass in den zu er- wartenden Veröffentlichungen metaphysische Spekulationen von natur- wissenschaftlichen Thatsachen schärfer getrennt erscheinen, als in den hier besprochenen Arbeiten. Die Vorzüge der letztern liegen in der sorgfältigen und umfassenden Beschreibung der hierher gehörenden Bewusstseinszustände, in der geistreichen und anregenden Verknüpfung und Ausdeutung der Thatsachen und vor allem in einem guten Takt- gefühl in der Aufstellung und Durchführung von Einteilungsprinzipien. Wenn wir eingangs mit Rücksicht auf eine ältere Arbeit von Horwiez dem Verfasser des „körperlichen Gefühls“ die Priorität der Trennung von Sinnes- und Gemeingefühlen nieht zuerkennen durften, so ist da- mit natürlich nicht gesagt, dass Kröner diese Unterscheidung nicht selbständig aufgestellt hätte. Im gebührt jedenfalls das Verdienst die genannte Einteilung in umfassender Weise zur Durchführung ge- bracht zu haben. Mögen aber Organ- und Sinnesgefühle in einander übergreifen, mögen die Gemeingefühle sich von dem lokalisierbaren Gefühlston sowie von den höhern geistigen Gefühlen nicht in jedem einzelnen Falle leicht und scharf abgrenzen lassen; im großen und ganzen sind die beobachteten Erscheinungen und Zustände nach diesen Gesichtspunkten zwangslos zu ordnen und zu unterscheiden, so lange man nicht vergisst, dass es sich um menschliche Abstrak- tionen und nicht — um mit Wundt!) zu reden — um ein metaphy- sisches Ding an sich handelt. Wie man in der Zoologie und Botanik die Systematik als solche niebt über den Haufen werfen wird, weil sich Uebergangsformen und andere Schwierigkeiten bei der Unter- scheidung der Arten finden, ebenso wenig kann man auch auf diesem Gebiete einer Einteilung und Anordnung des Stoffes nach all- gemeinen Grundsätzen entbehren. Ueber Brutpflege und Entwicklung des Bagre (Arius Com- mersonü Lac.). Von Dr. H. von Jhering. In Nr. 19 Bd. VII, 1887 dieser Zeitschrift befindet sich ein aus- führlicher Bericht über Prof. Leo Gerlach’s wichtige Arbeiten auf dem Gebiete der experimentellen Embryologie. Gerlach kommt darin wiederholt auch auf die Fische zu sprechen, von denen er sich wegen zu geringer Größe der Eier wenig für die Förderung der in Rede 1) Vierteljahrsschrift f. wissensch. Philos., III. Jahrg., 1879, S. 356. von Jhering, Brutpflege des Bagre (Arius (ommersonüi Lac.). 969 stehenden Fragen verspricht. Es veranlasst mich das, hier auf ein Objekt hinzuweisen, welches in dieser Art als gradezu klassisch be- zeichnet werden muss und in Zukunft sicher bedeutungsvoll werden wird. Es sind das die Eier eines südbrasilianischen Brack- und Süß- wasserfisches, des Bagre, eines großen Welses der Gattung Arvus. Diese Eier von der Größe ungefähr einer Kirsche — sie messen 18 mm im Durchmesser! — sind vielleicht die größten unter allen nicht von Kapseln, Schalen ete. umhüllten Wirbeltiereiern, und da die äußere Hülle des Eies sich auf eine zarte durchsichtige Membran beschränkt, so hat man von dem sich entwickelnden Eie alle Stadien unmittelbar vor Augen. Es müsste daher in diesem Falle ganz außer- ordentlich leicht sein, operative und andere Eingriffe vorzunehmen, auch könnte der kräftig fressende Embryo beliebig gefüttert werden. Ich glaube unter diesen Umständen, dass es einiges Interesse haben dürfte, meine bezüglichen Beobachtungen mitzuteilen. Die Thatsache der Brutpflege bei der Gattung Arius ist bekannt. Günther!) in seinem prächtigen Handbuche der Ichthyologie führt unter andern Fällen von Brutpflege auch Arius auf, deren Männchen die Sorge für ihre Nachkommenschaft übernehmen. Arius erzeugt Eier von 5—10 mm im Durchmesser. Ebenda bildet er auch Fig. 71 ein Ei von Artus boakii von Zeylon ab. Für die hiesige Art bestätigt auch Hensel?) diese Brutpflege, ohne jedoch näheres zu beobachten, da er die Eier nur ein einziges mal an einem zufällig angetroffenen toten Bagre zu sehen bekam. Der Bagre ist der wichtigste Handelsfisch von Rio Grande, da er getrocknet zur Nahrung dient, auch als Exportartikel, da ferner seine Blase als „Hausenblase“ sehr geschätzt ist und sein Fett als billiger Thran in den Gerbereien ete. allgemein gebraucht wird. Näheres hierüber wie über hiesige Fischerei- Verhältnisse überhaupt habe ich in meiner Abhandlung „Die Lagon dos patos“ ?) S. 184 fg. mitgeteilt. So wird denn dem Bagre während seiner Laichzeit, November, De- zember und Januar in Rio Grande sowohl wie an der Lagon dos patos, z. B. in einigen Fischereien an der Mündung des Camaquam- flusses in diesen See, regelmäßig nachgestellt. Die Küstengegenden der Lagon und die Mündung des Flusses sind dann voll von diesen großen Fischen, die in Schwärmen sich umhertummeln und mit großen Netzen in solchen Massen gefangen werden, dass bei gutem Wetter täglich Tausende erbeutet werden. Ich selbst fing viele am Espintell, einem in den Fluss versenkten Striek mit zahlreichen Angelhaken, jedoch nur Weibehen, während die Männchen, deren Maul mit den 4) Alb. Günther, Handbuch der Ichthyologie. Uebersetzt v. Hayek. Wien 1886. S. 108. 2) R. Hensel, Beiträge zur Kenntnis der Wirbeltiere Südbrasiliens. II. Teil. Archiv f. Naturgeschichte Bd. 36 8. 70. 3) H. v. Jhering, Die Lagon dos patos. Deutsche geographische Blätter. Geogr. Ges. in Bremen, Bd. VII, 1885, S. 164—204. 270 von Jhering, Brutpflege des Bagre (Artus Commersonit Lae.). Eiern ausgefüllt ist, nicht an den Köder gehen oder doch nur aus- nahmsweise. Ich glaubte früher, es seien die Weibehen, welche die Eier mit sich tragen (l. e. S. 186), und ich habe in der That schon mehrmals Weibchen mit Eiern im Schlunde getroffen, mich aber jetzt überzeugt, dass dies nur ausnahmsweise geschieht, wogegen die Männchen regelmäßig die Brutpflege übernehmen. Im September 1886 fing ich sowohl 2 wie £ an der Angel- schnur. Ein am 20. September gefangenes 2 hatte beide Ovarien stark entwickelt, im einen 57, im andern 61 fast reife große Eier. Das ist eine Zahl von Eiern, die weit über das hinaus geht, was ein Männchen im Maul aufnehmen kann (3—4 Dutzend), so dass ent- weder die Zahl der Männchen jener der 2 überlegen sein muss oder nicht alle Eier zur Entwicklung gelangen können. An dem zu gleicher Zeit gefangenen Männchen waren die beiden der ventralen Fläche der Niere aufliegenden Hoden als glasig aussehende schmale Stränge entwickelt, die zusammen mit dem Ureter ziemlich weit hinter dem After in einer Grube münden. Reifes Sperma war noch nicht vor- handen, so dass also wohl erst im folgenden Monate die Befruchtung der Eier erfolgen konnte. Im Oktober begannen dann auch die bis dahin nur einzeln erschienenen Bagres massenhaft aufzutreten, ver- mutlich kommen die meisten vom Ozean herein. An der Meeres-Küste traf ich im Winter (Juni-August) öfters tote Bagres, welche nur zeigten, dass dieser eminent euryhaline Fisch ebensowohl Meerwasser als Brack- und Süßwasser verträgt. Während zweier Monate dauert das gesellige Leben der Bagres in gleicher Weise weiter, so dass man also an den massenhaft zu habenden Eiern reichlich Gelegenheit hätte zur Verfolgung aller Ent- wicklungsstadien. Mit Januar begannen die Gesellschaften sich auf- zulösen, so dass am 18. Januar der Fischerei - Betrieb eingestellt wurde. Doch ist um diese Zeit die Entwicklung der Embryonen noch nicht abgeschlossen. Am 8. Februar entnahm ich dem Maul eines cd eine Anzahl Embryonen, an denen der noch auf dem mächtig ent- wiekelten Dottersacke sitzende junge Fisch 60 mm lang und fast völlig ausgebildet war. Die Existenz des mächtigen noch nieht zur Hälfte umwachsenen Dottersackes zwingt mich, diesen schon fast ent- wickelten Fisch noch als Embryo zu bezeichnen. Derselbe bietet übrigens noch einige bemerkenswerte Differenzen von den spätern reifen Stadien dar. So sind zwar die Pektoralstacheln schon wohl entwickelt, steif und spitz, dagegen fehlt noch der Dorsalstachel, welcher durch einen einfachen biegsamen Knorpelstrahl vertreten ist. Ferner ist der Kopf noch nackthäutig, während bekannt- lich der Kopf des reifen Fisches von Knochenschildern bedeckt ist. Unter der Cutis des Kopfes liegen zwei noch nieht ossifizierende Knorpeltafeln, welche aber median noch durch eine weite Lücke ge- trennt sind, die von einem breiten sehnigen resp. bindegewebigen Bande ausgefüllt wird. Der übrige Kopf ist wohl entwickelt, die von Jhering, Brutpflege des Bagre (Artus Commersondi Lac.). 371 Otolithen sind schon sehr groß (3,6 mm). Zwischen Dorsal- und Fett- flosse und zwischen dieser und der Kaudalen existiert noch eine nie- drige durch ihre etwas abweichende Färbung auffallende Hautleiste. Sie ist ein Rest des bei so vielen Fischen embryonal auftretenden allgemeinen unpaaren Flossensaumes, aus dem sich die dorsalen und. analen Flossen hervorbilden. Bei andern Fischembryonen ist dieser Saum nicht höher als hier, wo er funktionell bedeutungslos bleibt. Besonders interessant erscheint mir das späte Auftreten des Dorsal- stachels, der bekanntlich vielen Siluroideen ganz fehlt wie z. B. Silurus, während das frühe Auftreten der Pektoralstacheln ganz der allgemeinen Verbreitung derselben unter den Siluroideen entspricht. Auch das späte Erscheinen der knöchernen Tafeln des Schädels sei jenen zum Nachdenken empfohlen, welche die Panzerwelse als besonders alte Formen ansehen. Man hätte in diesem Falle wohl erwarten dürfen, bei den nicht gepanzerten Welsen embryologisch noch Spuren der alten Bepanzerung zu finden, statt wie hier den entgegengesetzten Fall. Ich besitze schon mancherlei interessantes Material zur Ver- folgung der Entwicklungsvorgänge bei den verschiedenen Gruppen der Siluroideen, und hoffe dasselbe successive zu vervollständigen. Auch inbetreff der imnern Organisation ist der Embryo von 60 mm Länge schon fast voll entwickelt. Darm, Blase, Niere etc. sind typisch entwickelt, nur die Leber ist noch ganz zurück, was vielleicht mit der Resorption des Dottersack-Inhaltes in Zusammenhang steht. Von den Genitalorgan- Anlagen konnte ich nichts bemerken. Am auffal- lendsten erscheint doch der prall gefüllte Magen, während der Darm noch nicht zu funktionieren scheint. Der Mageninhalt bestand in vegetabilischen Massen, sowie kleinen Krustazeen (Cladoceren) und Fliegenlarven. Wahrscheinlich wird das Unverdauliche durch den Mund wieder ausgestoßen. Die Embryonen in Wasser versetzt bleiben ruhig an einer Stelle, lebhaft atmend, im übrigen aber unbeweglich, außer wenn man sie stößt oder sonst behelligt. Ihr Gewicht betrug 4,3 Gramm gegen 2,5 des Eies in der ersten Entwicklungsphase. Der ausgelöste Dottersack eines solchen konservierten 4,3 Gramm schweren Embryo wog 2,7, also noch ebenso viel oder etwas mehr als das be- fruchtete Ei. Die Vermehrung des Gesamtgewichtes muss daher auf Rechnung der Nahrungsaufnahme des Embryo erfolgen, wodurch wie es scheint auch der Dottersack an Masse noch etwas zunimmt. Es ist klar, dass diese Embryonen, in die geeigneten Bedingungen versetzt, ebenso gut im Aquarium wie im Maule des Fisches sich ent- wickeln werden. Die Leichtigkeit, reichliches Material sich zu ver- schaffen, die Größe und bequeme Zugänglichkeit des Embryo machen es wahrscheinlich, dass für embryologische und besonders auch experi- mentell embryologische Studien unter den Fischen kaum ein geeig- neteres Untersuchungsobjekt zu finden sein dürfte. Rio Grande do Sul (Brasilien). 272 Schewiakoff, Kernteilung der Kuglypha alveolata. Schewiakoff, Ueber die karyokinetische Kernteilung der Euglypha alveolata. Morpholog. Jahrb. Bd. XIII S. 193—258 Taf. VI u. VI. Es wird wohl keinen einzelligen Organismus geben, der so ein- gehend in seinem Bau und seinen Lebenserscheinungen studiert worden ist, als der zierliche Wurzelfüßer des süßen Wassers, die Kuglypha alveolata. Die äußere Gestalt, die Zusammensetzung der Schale haben unter andern Hertwig und Lesser!), F.E.Schulze?) und Leidy?) beschrieben und dieselben Forscher machten uns auch schon einiger- maßen mit dem Bau des Kerns und der Struktur des Weichkörpers sowie der Zusammensetzung der Cyste bekannt. Dann glückte es mir, dem Referenten, den merkwürdigen Teilungsvorgang der Euglypha klarzulegen *), worüber auch in diesem Blatte seinerzeit berichtet wor- den ist?), und später beschrieb ich den Prozess der Encystierung®); Blochmann gelang es, einiges über die Kopulation und einen noch unerklärlichen Vorgang von Kernausstoßung zu ermitteln”), und schließ- lich erforschte Schewiakoff in der hier zu referierenden Arbeit abermals den Teilungsvorgang mit besonderer Berücksichtigung der karyokinetischen Vorgänge. Seine Beobachtungen sind so vorzügliche und wertvolle, dass sie wohl an diesem Orte erwähnt zu werden ver- dienen. Ich übergehe den Teil der Arbeit, der eine Bestätigung meiner eignen Angaben ist und berücksichtige nur das, was der Verfasser neu entdeckt hat. Am Plasma konnte Schewiakoff drei, wie er meint, funktionell verschiedene Regionen unterscheiden, welche aber nicht durch scharfe Grenzen von einander geschieden sind: Das vordere Drittteil des Sarkodeleibes besteht aus einem Netzwerk von Cyto-Hyaloplasma, in welchem Cyto-Mikrosomen liegen, während die Maschenräume wahrscheinlich ein wässeriges Cytochylema enthalten. Die zweite Zone, die „Körnerzone“, zeichnet sich durch ein viel eng- maschigeres Netzwerk aus, das zahlreichere und größere Mikrosomen enthält, während die hintere Zone ein äußerst engmaschiges Hyalo- plasma mit ganz kleinen Mikrosomen enthält und daher fast hyalin erscheint. Die erste Zone nennt S. die lokomotive, da aus ihr die 1) Hertwig und Lesser, Ueber Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen in: Arch. f. mikr. Anat. Bd. 10 Suppl. 2) F. E. Schulze, Rhizopodenstudien ın: Arch. f. mikr. Anat. Bd. 11. 3) Leidy, Freshwaterrhizopods of North- America. Rep. of geol. Survey of the territories Vol. 12. 4) Gruber, Der Teilungsvorgang der Euglypha alveolata in: Zeitschr. f. wiss. Zool Bd. 35. 5) Referat: Biolog. Centralbl. 1. Jahrg. Nr. 3. 6) Gruber, Kleinere Mitteilungen über Protozoenstudien in: Ber. der Naturf. Ges. zu Freiburg i./B. Bd. II Heft 3. 7) Blochmann, Zur Kenntnis der Fortpflanzung von Euglypha alveolata in: Morpholog. Jahrb. Bd. XII. Schewiakoff, Kernteilung der Euglypha alweolata. 753 Pseudopodien entstehen, die zweite die nutritive, da sie die Nahrungs- körper, Exkretkörner und die kontraktilen Vacuolen enthält und die dritte die reproduktive, weil sie den Kern umschließt. Von diesen drei Schichten gehen bei der Teilung zunächst nur die beiden erstern in die Tochterschale über, durch die Strömung aber, welche wie be- kannt nach erfolgter Zweiteilung des Kernes das Plasma der beiden Individuen durch einander rührt, wird eine gleichmäßige Verteilung der drei Plasmaarten auf die alte und die neue Schale bewirkt, so dass damit erst die Teilung beendigt ist. Was die Kernteilung betrifft, so stützt sich S. in seinen Angaben teils auf Beobachtungen am lebenden Tier, teils auf Präparate und ist dabei zu ausgezeichneten Resultaten gelangt. Es wäre unnütz, hier eine eingehendere Beschreibung davon zu geben, da hierzu die Abbildungen notwendig sind, deren Studium im Original ich jedermann empfehle; ieh begnüge mich hervorzuheben, dass es S. gelungen ist, an seinem Objekt einen Typus der Karyokinese zu ermitteln, der ganz mit demjenigen übereinstimmt, wie er uns von den Gewebszellen der Metazoen bekannt ist: es differenziert sich, nach S. durch die Ver- mittlung der in den Kern eindringenden Cytoplasmas, das Kerngerüst, aus einzelnen losen Fäden bestehend, an welchen deutlich die Pfitz- ner’schen Chromatinkugeln zu sehen sind, es entstehen nach einander aus diesen die Knäuelform, die Sonnen- und die Sternform, es bilden sich die Polkörperchen, die Attraktionszentren an den Polen, es er- folgt die Spaltung der Schleifen, das Auseinanderrücken nach den Polen, dieDurehschnürung des Kerns und die regressive Metamorphose desselben durch das Stadium des Tochterkerns, Tochterknäuels ete. hindurch zum ruhenden Kern, an dem das netzartige Gerüst kaum mehr nachweisbar ist, dagegen der Nucleolus deutlich hervortritt. Nur wenige Details sind es, in welchen die Kernteilung bei Kuglypha vom gewöhnlichen Typus der Karyokinese abweicht, und wir erhalten hier den schönsten Beleg für die Homologie des Rhizopodenkerns mit demjenigen der Metazoenzelle. Schon einmal wurde für Protozoen dieser Beweis erbracht, und zwar durch Pfitzner bei Opalina ra- narum'‘), wo auch die typische Karyokinese gefunden wurde. Solche Fälle sind ganz dazu angethan uns von der Einheit der belebten Natur unerschütterlich zu überzeugen. Zudem kommen bei der Tei- lung der Euglypha gewisse charakteristische Eigentümlichkeiten vor, welche sich interessanter Weise auch bei den niedersten Metazoen und niedern Pflanzen und bei embryonalen Zellen höherer Organismen finden: das ist die Ansammlung von Cytoplasma um den Kern und die Erhaltung der Kernmembran während der ganzen Teilung; ferner der geringe Chromatingehalt des Kerns und das relativ späte Ver- 1) Pfitzner, Zur Kenntnis der Kernteilung bei den Protozoen in: Morphol. Jahrb., Bd. 11, 1885. VvIl, 18 274 von Lendenfeld, Einige neuere Arbeiten über Madreporarien. schwinden des Nucleolus und endlich die deutliche Ausbildung der Polstrahlen sowie die auffallende Größe der Polkörperchen. Was die Frage betrifft, ob dieser Kernteilungsvorgang sich auch bei andern Protozoen findet, so erwähnte ich’schon die Beobachtungen Pfitzner’s an Opalina ranarum; im übrigen sind unsere Kenntnisse auf diesem Gebiete noch nicht sicher genug, um allgemeinere Schlüsse zu gestatten. S. gibt eine sehr gute Zusammenstellung der genauer beschriebenen Fälle von indirekter Kernteilung bei Protozoen und spricht zuletzt die Vermutung aus, „dass entsprechend der Verschieden- heit in der Organisation, welche wir bei den Protozoen trotz ihrer Einzelligkeit finden, auch ihre Kernteilungsvorgänge eine größere Mannigfaltigkeit, als diejenigen der tierischen und pflanzlichen Gewebe- zellen besitzen müssen“. Prof. A. Gruber (Freiburg i./B.). Einige neuere Arbeiten über Madreporarien. Von R. v. Lendenfeld. G. C. Bourne (The Anatomy of the Madreporarian Coral Fungia, Quarterly Journal of mieroscopical science 1887) hat während seines Aufenthaltes in Diego Garcia, einer Koralleninsel in der Mitte des indischen Ozeans, Fungia dentata genauer untersucht. Es ist ihm nicht gelungen die Semper’sche Strodila aufzufinden, und seine Unter- suchungen beschränken sich auf das ausgebildete Tier. Was den Bau des Skelets anbelangt, bestätigt er die Angaben M. Duncan’s. Dana und andern gegenüber gibt B. an, dass die Tentakeln in konzentrischen Kreisen angeordnet sind, sie ragen von den proximalen Septenenden auf. In Exemplaren von gewöhnlicher Größe (3 engl. Zoll Durchmesser) finden sich sieben Septen- und sechs Tentakel-Cyelen, deren äußerste sehr klein sind. Die Mesenterien sind trotz der Synaptieula in der, für die Hexactinien charakteristischen Weise entwickelt. Die longitudinalen Muskeln sind mehr bündelweise angeordnet als bei den Actinien. Gegen die aborale Seite hin, wo die Mesenterien durch die Synaptieula unterbrochen werden, trennen sich diese Muskelbündel völlig von einander und folgen den ligament- artigen Strängen, die zwischen den Synaptieula hinziehen. In den äußern Partien ist die Theca, hier die basale Kalkscheibe, vielfach durchbrochen, und es treten die Muskelbündel durch die Löcher in der Theca aus und heften sieh an die aborale äußere Seite der- selben .an. Auf den freien Rändern der Mesenterien finden sich überall Filamente. Diese sind größer auf den primären und sekundären als auf. den andern Mesenterien. Das Epithel derselben ist hoch, Drüsen- zellen kommen in demselben vor; Nesselzellen sind wenig zahlreieh. Am untern Ende des freien Randes eines jeden Mesenteriums findet sich ein Knäul von Filamenten: B. betrachtet diese als Acontien, er von Lendenfeld, Einige neuere Arbeiten über Madreporarien. 2375 hat aber nie ein Hervortreten derselben durch die Leibeswand, oder durch den Mund beobachtet. Die einander zunächstliegenden Mesen- terien benachbarter Paare sind einander sehr stark genähert und sollen in alten Individuen sogar mit einander verschmelzen. Die Leibeshöhle ist, infolge der vielen, durch die Septa und Synaptieula verursachten Unterbrechungen in derselben, recht kom- pliziert und es finden sich Teile derselben auch außerhalb der Theca. Diese kommunizieren mit den andern durch die obenerwähnten Durch- brechungen der thecalen Basalplatte. Diese Komplikation kann nach B. nur durch Zuhilfenahme von v. Koch’s bekannter Theorie erklärt werden. Die ganze aborale Fläche der Theca wird vom Weich- körper bekleidet. Das Tier hat die Gewohnheit, den spaltförmigen Mund häufig in der Mitte zu schließen und die Zipfel offen zu lassen. Fungia dentata besitzt nur eine Art von Nesselkapseln, welche vorzüglich an den Tentakeln häufig sind. Der allgemeine Teil von B.’s Arbeit über Mesoderm etc. enthält nichts neues. G. H. Fowler (The Anatomy of the Madreporaria Ill. Quarterly Journal of mieroscopieal seience 1887) untersuchte einige Korallen dieser Gruppe. Bei Turbinaria sind die Polypen bilateral, aber nicht strenge symmetrisch. Die Septen und vielleicht auch die Tentakel sind ento- eölisch. Die Anzahl der Septen ist schwankend und erscheint nicht als ein Multiplum von sechs. Die Leibeswand der Kolonie ruht auf Vorragungen des Cönenchyms. Bei der gewöhnlichen Lophohelia prolifera fehlen in den Polypen die direktiven Mesenterien, eine hRandplatte ist vorhanden. Die Septen und Tentakeln sind ento- und ectocöl, ihre Anzahl schwankend und kein Multiplum von sechs. Von den drei Verkalkungs-Zentren liegt eines in der Theeca selbst. Ser/atopora subulata zeichnet sich unter andern dadurch aus, dass die Tentakeln, an deren Enden mächtige Nesselpolster sitzen, durch Invagination eingezogen werden; wobei die terminale Nesselbatterie stets nach außen sieht, indem die Ein- stülpung an der Tentakelbasis beginnt. Das Skelet von Fl/abellum wächst nach Koch in die Dicke in zentripetaler Richtung von außen nach innen; die Innenplatte fehlt nach diesem Autor. Dem entgegen ist F. geneigt, die Außenplatte Koch’s mit der Theca (Innenplatte) typischer Madreporarier oder mindestens mit einem Teil derselben zu homologisieren. Ueber Flabellum, und speziell über das Wachstum des Skelets, hat neuerlich auch E. v. Marenzeller (Ueber das Wachstum der Gattung Flabellum Lesson. Zoologische Jahrbücher Bd. 3) berichtet. Die außerordentlich beobachtungsreiche und genaue Arbeit lässt sich nicht in wenigen Worten fassen. Im allgemeinen kommt M. zu dem 18* 276 Tiebe, Sehvermögen der einfachen Augen von Insekten. Resultat, dass Koch’s Wachstumsgesetz der Korallen auch bei Fla- bellum Anwendung findet und dass demnach Semper’s diesbezüg- liche Angaben nieht haltbar sind. Eine beträchtliche Unregelmäßig- keit in der Zeit des Auftretens der Sternleisten gleichen Ranges in verschiedenen Kammern wurde nachgewiesen. Plateau’s Versuche über das Sehvermögen der einfachen Augen von Schmetterlingsraupen und von vollkommenen Insekten '). Vom Gymnasiallehrer Tiebe in Stettin. Die einfachen Augen der Raupen, wie solche zuerst von Ma'pighi 1687 bei der Seidenraupe und darnach von Swammer- dam, Lyonet und einer Reihe neuerer Forscher auch bei andern Arten gefunden sind, liegen auf jeder Seite des Kopfes zu je sechs zusammen; jedes besitzt einen Durchmesser von höchstens 0,2 mm und wird gebildet von einer gewölbten Chitinmembran, welche in drei Sektoren verschiedener Konvexität zerfällt, und von drei darunter liegenden linsenartigen brechenden Medien, welche von 3 Zellen (Retinophoren) getragen werden; diese letztern sind mit je einem axialen Nervenfaden versehen und von Pigmentzellen umgeben. In welcher Weise diese Augen gedeutet werden sollen, darüber sind die Meinungen noch geteilt: während man sie früher für eine Art zu- sammengesetzter Augen hielt und ihnen eine vermittelnde Stellung zwischen den Facettenaugen der Insekten und den einfachen Augen der Arachniden und Myriopoden zuwies, neigt man neuerdings der Ansicht zu, dass sie einfache Augen mit einem in mehrere Teile zer- legten Krystallkegel seien (Carriere 1885). In wie weit diese Organe ein Sehen äußerer Objekte ermöglichen, darüber finden wir bei den Forschern nur einzelne unbestimmte Ver- mutungen und bei Graber die Beobachtung, dass Raupen von Pieris crataegi, Vanessa urticae, Vanessa Jo und Papilio xanthomelas Hellig- keits- und Farbenunterschiede deutlich empfinden?). Ob diese Em- pfindung grade den Augen zugeschrieben werden muss, bleibt aller- dings fraglich, da Graber selbst bei mehrern Tierarten ein derma- toptisches Vermögen nachgewiesen hat, und ein solches auch bei den haupen vermutet werden darf. Wirklich entscheidende Versuche hat erst Plateau an 15 Arten?) in den letzten Jahren angestellt. Bei 1) Bull. de !’Acad. roy. de Belg. (3), t. XV, Nr. 1, 1888, 66 pp. Ueber die frühern Versuche Plateau’s berichtet Biol. Gentralbl., VIIL, S. 179—184. 2) Vitus Graber, Grundlinien zur Erforschung des Helligkeits- und Farbensinns der Tiere. 1884. S. 203—208, 211—216. 3) Raupen von Pieris brassicae und napi, Smerinthus tiliae, Euprepia caja, Sericaria chrysorrhoea und salicis, Orgya antiqua, GFastropacha neustria, quercus und rubi, Pygoera bucephala, Geometra (Art unbestimmt), Acronyeta tridens, Hadena persicariue und oleracea. Tiebe, Sehvermögen der einfachen Augen von Insekten. IL sämtlichen hat er fast gleichlautende Resultate erhalten; eine beson- dere Stellung nehmen nur die Raupen des Bärenspinners, Ringel- spinners u. a. ein, weil dieselben in ihren Haarbüscheln den Schnurr- haaren der Katzen vergleichbare Spürorgane besitzen, welche in ihrer sroßen Empfindlichkeit gegen jede Berührung die Thätigkeit der Augen unterstützen und vielfach auch wohl ganz entbehrlich machen. Lässt man eine solehe Raupe in einem aus aufrecht stehenden Karton- streifen verschiedener Farbe, Borkenstücken u. s. w. gebildeten „Laby- rinth“!) kriechen, so bemerkt sie ihr entgegenstehende Hindernisse erst, wenn sie dieselben mit den Enden ihrer Stirnhaare berührt. Die Weite des deutlichen Sehens ihrer Augen ist demnach sicherlich nicht größer, als die Länge der Haare, welche ungefähr 12 bis 13 mm be- trägt, genauer aber n’cht zu bestimmen, so lange man nicht die Haar- büschel entfernt. Da derartige Versuche bisher nicht angestellt sind, so müssen wir uns vorläufig mit der immerhin nieht unwahrschein- lichen Vermutung begnügen, dass das Sehvermögen der Bärenraupen u. 8. w. ein ebenso geringes sei wie dasjenige der nackten Raupen, welche einem Hindernis gegenüber manchmal auf !/, em Abstand eine gewisse Erregung der Aufmerksamkeit zeigen, meistens aber von dem Vorhandensein eines solchen erst dadurch Kenntnis erhalten, dass sie mit dem Kopf an dasselbe anstoßen. Um bei diesen Tieren die Weite des deutlichen Sehens etwas genauer zu bestimmen, setzt Plateau ein dünnes Holzstäbehen mit Hilfe einer Nadel auf den Kork einer Flasche und auf dasselbe eine Raupe. Das Tier benimmt sich genau so wie unter natürlichen Ver- hältnissen auf einem Zweig eines Baumes oder Strauches; es kriecht an das eine Ende des Stäbehens, klammert sich hier mit seinen Bauch- füßen an und bewegt das Vorderende seines Körpers langsam von einer Seite zur andern, um einen neuen Stützpunkt zu suchen. Dies ist der für den Versuch günstige Augenblick. Näbert man nämlich jetzt dem hin und her schwankenden Kopf ein kleines Stäbchen (30 em lang, 5 em diek), so kann man aus dem Benehmen der Raupe leicht erkennen, wann dasselbe wahrgenommen wird: sie strebt ihm dann mit Aufbietung aller Kräfte zu. Sorgt man dafür, dass eine Wahrnehmung durch andere Sinnesorgane, durch die für riechende Stoffe sehr empfindlichen Antennen?) ausgeschlossen ist, so erhält man als die Weite des deutlichen Sehens bei allen Arten ungefähr 1 em; in 2 cm Entfernung ist die Wahrnehmung, auch bei den mit Haaren besetzten Raupen, sehr zweifelhaft und in 3 em Entfernung nicht mehr vorhanden. Ein Julus londinensis sieht unter gleichen Verhältnissen absolut nichts, also sehen die Raupen zwar schlecht, aber immer noch besser als die Myriopoden. 1) Siehe Biol. Centralbl., VIII, $. 180. 2) Eine Raupe richtete ihr Vorderende nach einem frischen Zweig schon auf 3 em, nach einem trockenen von gleicher Größe erst auf 1 cm Entfernung. 278 Tiebe, Sehvermögen der einfachen Augen von Insekten. Man darf indess aus diesem beschränkten Sehvermögen der Raupen gegenüber kleinern Gegenständen noch keinen Schluss für die Gesichts- wahrnehmung überhaupt ziehen. Der Versuch zeigt vielmehr, dass die Tiere, welche ein kleines Stäbchen auf 2 bis 3 em Abstand nicht bemerken, im Labyrinth in derselben Entfernung vor einer 10 cm hohen Schachtel oder einem großen, 3 cm breiten Lineal stutzen, sowie bei der eben geschilderten Versuchsanordnung mit Aufbietung aller Kräfte den das Stäbchen haltenden Arm zu erreichen suchen, trotz- dem derselbe mindestens fünfmal weiter entfernt ist. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass sie in demselben einen Ast als neu zu ge- winnenden Stützpunkt vermuten, dass ihnen also eine Wahrnehmung größerer Massen, aber nicht eine solche der Gestalt im eigentlichen Sinne möglich ist. Ueber die Bedeutung der einfachen Augen, welche sich bei Hymenopteren, Dipteren, Neuropteren, Ortho- pterenund Hemipteren an der Stirn zwischen den Facetten- augen finden, sind schon seit der Mitte des 17. Jahrhunderts Unter- suchungen in der Art angestellt worden, dass die Forscher das Benehmen von Insekten beobachteten, denen die Haupt- oder Neben- augen mit einem undurchsichtigen Ueberzug bedeckt waren. Plateau benutzt dieselbe Methode; wenn auch seine Untersuchungen demnach in dieser Beziehung zunächst nichts Originales bieten, so zeichnen sie sich doch vor den frühern dadurch aus, dass sie sich auf eine Reihe verschiedenartiger Typen erstrecken, an zahlreichen Individuen zu wiederholten Malen und unter den verschiedensten Verhältnissen: in hellen und dunklen Zimmern, in einem kleinen Garten und im großen botanischen Garten zu Gent, auf Wiesen und auf Dünen am Strand des Meeres angestellt sind und somit genügende Grundlagen bieten, auf denen sichere Schlüsse aufgebaut werden können. Plateau geht aber in seinen Beobachtungen noch einen Sehritt weiter als seine Vorgänger: während diese entweder die eine oder die andere Art von Augen außer Funktion setzten, untersucht Pla- teau außerdem das Benehmen von Insekten, denen der Gebrauch beider Arten, der Hauptaugen sowohl als der Nebenaugen, genommen war. Dies vollständige Blenden geschieht am sichersten dadurch, dass mit einer Staarnadel die Sehnervenfäden durchschnitten werden: nur in diesem Falle zeigen die Tiere, wenn man sie in einem hellen Zimmer loslässt, keine Spur von Lichtempfindung; während z. B. Fleischfliegen mit unversehrten Augen immer dem Fenster zufliegen, selangen geblendete Individuen unter vielen Malen nur einmal, und auch dann nur rein zufällig nach demselben. Diese Methode kann indess bei vielen, z. B. bei allen Hyme- nopteren, nicht angewendet werden, da dieselben den schweren Ein- sriff in ihr Nervenleben nicht zu ertragen vermögen und durch den- selben zu Beobachtungen ganz untauglich gemacht werden. Bei allen Tiebe, Sehvermögen der einfachen Augen von Insekten. 279 diesen Insekten und, um unnötige Grausamkeiten zu vermeiden, nach Möglichkeit auch bei den kräftigern Arten wie Eristalis, Calliphora u.s. w. wurde die Blendung, nachdem sich andere Mittel wegen ihres Geruches u. a. a. Gr. nicht anwendbar gezeigt hatten, durch Ueber- pinseln mit einer Mischung von altem Leinöl und Lampenruß- unter Anwendung einer Lupe bewirkt. Versuche im Zimmer zeigten indess, dass dadurch den Augen nicht jede Lichtwahrnehmung genommen war, sondern z. B. Brummer unter 48 Malen 22 mal direkt und 4 mal nach einigem Umherfliegen dem durch das Fenster einströmenden Licht zufliegen konnten; nur im Freien erwies sich diese Art der Blen- dung der andern gleichwertig. Die Versuche ergaben nun das überaus merkwürdige Resultat, dass sich alle völlig geblendeten Tiere !), sowie sie losgelassen wurden, in senkrechter Richtung oder in einer bald steilern bald flachern Sehraubenlinie zu einer solehen Höhe erhoben, dass sie dem sehr weit- sichtigen Auge Plateau’s entschwanden; nimmt man 2 cm als dureh- schnittliehe Länge der Tiere und eine Bogenminute als kleinsten Ge- sichtswinkel an, so muss dieselbe mehr als 100 m betragen; sie überstieg in der That auch die höchsten Pappeln und die Dächer benachbarter Gebäude. Es ist dabei selbstverständlich, dass dieser Erhebung mit der Erschöpfung der Muskelkraft ein Ende gesetzt wird, und dass die Tiere dann zur Erde herabsinken, wenn auch eine direkte Beobachtung im Freien wenigstens nicht möglich ist. Im Zimmer steigen Insekten, denen die Nervenfäden sämtlicher Augen durehschnitten sind, in den meisten Fällen nach der Decke; sie schwirren dort oben längere Zeit in Kreisen umher und lassen sich dann zur Erholung auf den Fussboden oder die Wände nieder. Wenn in einzelnen Fällen das senkrechte Aufsteigen nur 3 bis 12 m betrug, ja einige Individuen auf den Rücken fielen, sowie sie einen Flug- versuch unternehmen wollten, so ist dabei zu beachten, dass dies immer nur bei kleinern Arten und schwächlichern Exemplaren geschah, denen es wohl an Kraft zu einer weitern Erhebung gebrach. Eine Erklärung für die zweite abweichende Erscheinung ist leicht darin zu finden, dass durch das Anbringen des schwarzen Farbstoffs am Kopf der Schwerpunkt des Körpers nach vorn verlegt wird, sicherlich nur sehr wenig, aber doch ausreichend, um ein Umschlagen eines, zumal schwächlichen Insektes zu ermöglichen. Wie wenig stabil Insekten fliegen, haben uns zuerst die Versuche von Jossuet de Bellesme?) gelehrt, welehe nachwiesen, dass Fliegen mit ihrem 4) Beobachtet wurden Individuen von Bombus terrestris und lapidarius, Apis mellifica, Crabro striatus, Eristalis tenax und arbustorum, Helophilus floreus und pendulus, Lucilia caesar, Sarcophaga carnaria, Oalliphora vomitoria. 2) Recherches exp. sur les fonetions du balancier sur les Insectes Dipteres. Paris 1878. 280 Tiebe, Sehvermögen der einfachen Augen von Insekten. ’ Oo o Vorderteil sieh nach vorn neigen und auf den Rücken fallen, wenn man ihnen die Schwingkolben ganz oder teilweise abschneidet. Pla- teau hat dieselbe Erscheinung auch bei kräftigen Insekten ( Erzistalis tenax) beobachtet, als er diesen einen kleinen Papierring um den Hals legte, und bei den kleinern Individuen die Verschiebung des Schwerpunktes wieder aufheben, also ein senkrechtes Aufsteigen in gewissem Grade wieder ermöglichen können, dadurch, dass er kleine Papierstreifen an das Abdomen anklebte, — Beweise genug, um die gegebene Erklärung als eine durchaus richtige erscheinen zu lassen. Dieselbe rätselhafte Erscheinung des senkrechten Aufsteigens zeigte sich in Uebereinstimmung mit den früher von Reaumur 1740, Cu- vier 1799 und Forel 1878 angegebenen Beobachtungen bei allen Versuchen im Freien auch dann, wenn den Insekten nur die Facetten- augen unbrauchbar gemacht waren; im Zimmer hatten die Tiere in diesem Falle fast sämtlich das Vermögen, eine bestimmte Richtung einzuschlagen, verloren, nur einzelne gelangten zum Fenster. Wurden indess nur die einfachen Augen zugedeckt oder vom Nervenzentrum durch Durchschneiden der Sehnerven getrennt, so benahmen sich die Tiere unter allen Verhältnissen ebenso, als wenn sie ganz unverletzt wären: sie flogen im Freien in wagrechter Richtung von dannen und im Zimmer direkt nach der Richtung des einfallenden Lichtes auch dann, wenn die Fenster durch Vorhänge von ungebleichter Leinewand verdunkelt waren oder in ganz undurchsichtigen Laden sich nur eine Oeffnung von 10 cm im Quadrat befand. Es geht daraus unzweifel- haft hervor, dass während des Flugs oder für das Vermögen der Orientierung die Nebenangen durchaus zwecklos sind. Plateau hat ferner gezeigt, dass Eristalis tenax und Calliphora vomitoria, wenn man ihnen den Gebrauch nur dieser Augen lässt, die Bewegung eines Fingers um ihren Kopf herum auch in nächster Nähe nicht wahr- nehmen und sich ergreifen lassen, ohne die Annäherung der Hand zu merken, und die Unrichtigkeit einer von Forel!) geäußerten Ver- mutung erwiesen, nach welcher die einfachen Augen Bienen, Ameisen, Wespen u. s. w. zum Sehen in ihren dunkeln Stöcken und Nestern dienen könnten. Er hat zu dem Zwecke Honig- und Mauerbienen, Hummeln, Wespen und Blattwespen in halbdunkeln Zimmern fliegen lassen, in deren Vorhängen zwei kleine Oeffnungen angebracht waren; die eine derselben, 5 em im Quadrat messend, gestattete den Insekten ein unbehindertes Durchschlüpfen, die andere jedoch nieht, da sie mit einem Netz bedeckt war, welches aus hundert 5 mm im Durchmesser messenden Quadraten gebildet war, also derselben Lichtmenge Einlass gewährte wie jenes. Die genannten Tiere begingen genau dieselben Irrtümer wie Fliegen und Tagschmetterlinge unter denselben Ver- 4) Exp. et rem. crit. sur les sensations des Insectes; 2iöme partie. p. 180. 1887. (Recueil zool, suisse, t. IV, Nr. 2). Tiebe, Sehvermögen der einfachen Augen von Insekten. Ist hältnissen: sie flogen bald der einen bald der andern Oeffnung zu. Ja noch mehr: Bombus und Tenthredo weigerten sich in einem ganz verdunkelten Zimmer, in welches Lieht nur durch eine einzige Oetl- nung von 25 gem Fläche eindrang, entschieden, zu fliegen, und ließen sich lieber zu Boden fallen, flogen aber sofort nach der Lichtquelle, wenn man die Oeffnung bedeutend erweiterte. Die Tiere verrieten also kein besonderes Unterscheidungsvermögen im Dunkel und Halb- dunkel; wenn dieselben sich trotzdem in ihren dunkeln Wohnungen mit Geschick zurechtfinden, so ist das sicherlich ihrem hochentwickelten Gefühls- und Geruchssinn zuzuschreiben. Als Resultat aller von Plateau angestellten Versuche dürfen wir demnach mit Sicherheit hinstellen, dass bei den betrachteten vollkommenen Insekten, welche übrigens sämtlich am Tage fliegen, die einfachen Augen ohne jede Be- deutung und ohne jeden Nutzen sind. Die facettierten Augen allein dienen zur Wahrnehmung und reichen zur Orientierung voll- ständig aus, nach ihrem Verlust sind die Tiere gänzlich erblindet. In diesem Zustande aber zeigen sie ein höchst auffälliges Benehmen: sie steigen, falls sie überhaupt noch stabil zu fliegen vermögen, senk- recht in die Höhe, während sehende Insekten in wagrechter Richtung den sie haltenden Fingern entfliehen. Eine Erklärung dieser merkwürdigen Erscheinung hat zuerst Forel!) versucht. Er argumentiert folgendermaßen: haben die In- sekten einmal eine Flugrichtung eingeschlagen, so werden sie dieselbe im allgemeinen beibehalten, bis sie durch enigegenstehende Gegen- stände gehindert oder durch andere, welche ihnen Nahrung oder die Möglichkeit auszuruhen versprechen, abgelenkt werden. Bei geblen- deten Insekten ist die Wahrnehmung der letztern unmöglich; wirft man sie senkrecht in die Höhe und zwingt man sie dadurch, von Anfang an in dieser Richtung zu fliegen, so können sie auch Hinder- nisse nicht antreffen, folglich bleibt als einziger Grund, welcher sie zu einem Abweichen von der einmal eingeschlagenen Richtung ver- anlassen könnte, nur die Erschöpfung ihrer Muskelkraft; diese kann aber in dem gegebenen Fall nur ein Herabsinken zur Folge haben. So einleuchtend diese Erklärung auch klingt, als ganz zutreffend kann sie doch nieht betrachtet werden, da bei den Versuchen Pla- teau’s eine ihrer wesentlichen Voraussetzungen nicht erfüllt ist, die Tiere nämlich nicht in die Höhe geworfen werden, sondern unmittel- bar den sich öffnenden Fingern entfliehen. Plateau versucht darum eine andere Erklärung. Er stützt sich dabei zunächst auf das vielfach beobachtete dermatoptische Vermögen der Tiere. Da die Chitinhaut der Insekten durchsichtig oder dureh- scheinend ist, so erscheint es ihm als höchst wahrscheinlich, dass 1) Exp. et rem. cerit. liöre partic. Recueil zool. suisse IV, Nr. I, p. 20, 1886. 282 Haacke, Zahl der Richtungskörper und ihre Bedeutung. seblendete Individuen von dem durch die Haut dringenden Lichte in ihren Sehnerven oder in einem Nervenzentrum in ähnlicher Weise er- regt würden, wie die sehenden, welche dem hellen Fenster eines Zimmers zufliegen und dadurch eine Helligkeitsvorliebe beweisen. Plateau nimmt dann weiter an, dass im Freien unter gewöhnlichen Verhältnissen das hellste Licht von oben komme, und folgert nun- mehr, dass die im Freien losgelassenen Insekten, denen durch die Blendung jede Wahrnehmung sie ablenkender Dinge genommen ist, dem Zenith als der Stelle größter Helligkeit zustreben müssten. Gegen diese Argumentation lässt sich zunächst einwenden, dass im Freien das diffuse Tageslicht wohl gleichmäßig von allen Seiten auf die Tiere eindringt; auch kommt an einem klaren Tage die größte Hellig- keit nicht vom Zenith, sondern von dem jeweiligen Standpunkt der Sonne. Plateau selbst stellt übrigens seine Ansicht nicht als eine unzweifelhafte hin, sondern erklärt sie nur für zulässig so lange, als ihre Unrichtigkeit nicht durch das Experiment dargethan sei. Ein solches hat er aber selbst angestellt: im Zimmer steigen geblendete Insekten zur Decke, trotzdem das Licht hier nicht von oben kommt; sie müssten, wäre die Erklärung von Plateau richtig, nach den Fenstern fliegen, weil diese die Stelle der größten Helligkeit sind. „Demnach ist die rätselhafte Erscheinung des senkrechten Auf- steigens geblendeter Insekten bis jetzt noch nicht genügend aufge- klärt; weitere Untersuchungen können erst lehren, ob und inwieweit für dieselbe das unzweifelhaft konstatierte und eine hervorragende Rolle spielende dermatoptische Vermögen der Tiere in Frage kommt“. Das Endergebnis aus Weismann’s Schrift „Ueber die Zahl der Riehtungskörper und über ihre Bedeutung für die Ver- erbung“ (Jena, 1887). Von Wilhelm Haacke in Frankfurt a./M. In mehr als einem Punkte könnten manche Gegner Weismann’- scher Vererbungs- und Umformungstheorien von dem Urheber der- selben lernen. Es ist die außerordentliche Klarheit seiner Schriften, vor allem aber die strenge Logik, welehe an Weismann nach- ahmungswert ist, und mit deren Hilfe er bis jetzt in dem Streite um die Frage nach der Vererbung „erworbener“ Eigenschaften entschie- dener Sieger geblieben ist. Wenn man den Begriff der „erworbenen“ Eigenschaften auf solche Eigenschaften beschränkt, welche durch äußere Einwirkungen an einem bereits entwickelten mehrzelligen Or- ganismus entstanden sind, und unter Vererbung die mehr oder minder portraitähnliche Wiederholung dieser Eigenschaften an den aus Keim- zellen entstandenen Nachkommen eines solehen Organismus versteht, so hat Weismann recht, wenn er behauptet, dass der Beweis der Haacke, Zahl der Richtungskörper und ihre Bedeutung. I85 Vererbbarkeit „erworbener“ Eigenschaften noch nicht erbracht ist. Alles, was Weismann’s Gegner neuerdings für die Vererbbarkeit der „erworbenen“ Eigenschaften gegen ihn vorgebracht haben, hält einer scharfen Kritik nicht stand. Etwas anderes ist es dagegen um die Frage nach der Ursache derjenigen Eigenschaften, welche allmählich oder plötzlich neu auftreten und vererbt werden. Es sind drei Antworten auf diese Frage gegeben worden. Viele Biologen suchen mit Recht jene Ursache in der durch äußere Einflüsse ent- standenen Umbildung des Keimplasmas; Nägeli nimmt auch eine Umbildung des Plasmas aus seiner ureignen Konstitution nach mecha- nischen Gesetzen an; Weismann endlich weist zwar nicht jeglichen von außen kommenden Einfluss als durchaus belanglos für die vererb- bare Umbildung mehrzelliger Organismen von der Hand, lässt aber die individuellen vererbbaren Abänderungen soleher Organismen aus ver- schiedenen Kombinationen der zahlreichen verschiedenen, von den ein- zelligen Vorfahren der getrennt geschlechtlichen Organismen herstam- menden „Ahnenplasmen“, dienach Weismann das „Keimplasma“ der höhern Organismen zusammensetzen, entstehen. Die mit großem Auf- wande von Scharfsinn ersonnene und in äußerst geschiekter Weise durch die verschiedene Zahl der Richtungskörper bei parthenogenetischen und befruchtungsbedürftigen Eiern plausibel gemachte Theorie führt aber, wenn sie mit jener unerbittlichen Logik, wie sie Weismann eigen ist, verfolgt wird, zu dem Resultat, dass das Keimplasma der höhern Tiere und Pflanzen, vielleicht nicht aus mehr als einer einzigen Art von „Ahnenplasmen“ besteht, jedenfalls aber aus ungeheuer viel weniger zahlreichen Vorfahrenplasmen zusammengesetzt ist, als dasjenige der ältesten getrennt geschlechtlichen Vorfahren der heu- tigen Organismen. Machen wir alle Annahmen, von denen Weis- mann in seiner Schrift „Ueber die Zahl der Riehtungskörper und über ihre Bedeutung für die Vererbung“ (Jena, 1887) ausgegangen ist, berücksichtigen wir dabei die nicht fortdiskutierbare Thatsache, dass die Anzahl der Individuen irgend einer Organismenart im großen und ganzen Generation für Generation dieselbe bleibt, und wenden wir auf dieses Material die Elemente der Wahrscheinlichkeitsreehnung an, die ja auch Weismann verschiedentlich für sich ins Feld führt, so finden wir, dass die heutigen höhern Tier- und Pflanzenarten vielleicht nur ein einziges Ahnenplasma, oder höchstens eine äußerst geringe Anzahl Ahnenplasmen in den Keimzellen ihrer sämtlichen Individuen bergen, dass die letzteren demgemäß entweder gar keine oder nur äußerst seltene erbliche Verschiedenheiten aufweisen können, eine Folgerung, die mit den Thatsachen in schreiendem Widerspruch steht. Weismann’s Theorie, soweit sie hier in Betracht kommt, ist kurz die folgende: Die sich auf ungeschlechtlichem Wege durch Teilung fortpflanzenden einzelligen Organismen besitzen ein Idio- 2S4 Haacke, Zahl der Riehtungskörper und ihre Bedeutung. plasma, welches durch äußere Einflüsse dauernd umgebildet werden kann. Als nun bei den Nachkommen dieser Organismen die geschlecht- liche Fortpflanzung eingeführt wurde, entstanden aus Arten, deren Individuen nur je eine Qualität Idioplasma enthielten, zunächst solche, deren Idioplasma in jedem Individuum aus zwei verschiedenen „Ähnen- plasmen“, wie sie nunmehr genannt werden können, zusammengesetzt war. Während (vergl. Weismann, ]. e., S. 30 ff.) das Keimplasma der ersten Generation einer Art, die beginnt, sich geschlechtlich fort- zupflanzen, noch völlig gleichartig ist und aus vielen kleinsten unter einander gleichen Einheiten der Vererbungssubstanz besteht, sind in jeder Keimzelle der ersten geschlechtlich entstandenen Generation zwei Qualitäten von Keimplasmen enthalten, väterliches und mütter- liches, aber jedes nur in halber Menge. In der dritten Generation treten mit der Befruchtung zwei neue Ahnenplasmen zu den zwei schon vorhandenen hinzu, und in den Keimzellen dieser Generation müssen vier verschiedene Ahnenplasmen enthalten sein, von denen aber jedes nur ein Viertel der Gesamtmasse ausmacht. Schon in der zehnten Generation würde jedes einzelne der 1024 Ahnenplasmen nur noch den 1024. Teil der Gesamtmasse des in einer einzelnen Keimzelle enthaltenen Keimplasmas bilden können. Endlich musste ein Zeitpunkt kommen, von dem an eine weitere Halbierung der Ahnenplasmen nicht mehr möglich war, ohne dass deren Natur als Vererbungssubstanz verloren ging. Die Grenze der Halbierungsmög- lichkeit der Ahnenplasmen ist bei allen heute lebenden geschlechtlich differenzierten Organismenarten schon längst erreicht; sie müssen alle schon so viele verschiedene Ahnenkeimplasmen enthalten, als sie überhaupt zu enthalten fähig sind, und die geschlechtliche Fort- pflanzung kann heute nur dadurch ohne in jeder Generation erfol- gende Verdoppelung der Masse des Keimplasmas vor sich gehen, dass sich in jeder Generation eine Reduktion der Zahl der Ahnen- plasmen wiederholt. Dureh den zweiten Riehtungskörper der be- truchtungsbedürftigen tierischen Eizelle wird immer die Hälfte der Ahnenplasmen aus dem Ei entfernt, durch den Eintritt des Sperma- tozoons, das gleichfalls nur die Hälfte des väterlichen Ahnenplasmas enthält, wird die ursprüngliche Zahl der Ahnenplasmen wieder her- gestellt. Aehnliche Reduktionsprozesse gelten für die Pflanzen. Da nun aus den sich zur Kopulation anschiekenden Keimzellen bald diese, bald jene Kombination von Ahnenplasmen entfernt wird, so ist eine möglichst große Variabilität gesichert; die natürliche Zuehtwabl findet stets reiches Material für eine zweckmäßige Auslese und die ge- schlechtliche Fortspflanzung erscheint jetzt in dem Lichte einer Ein- richtung, durch die ein immer wechselnder Reichtum individueller Gestaltung hervorgerufen wird. Soweit Weismann’s anscheinend sehr plausible Theorie. Ihr Autor hat aber nicht in Betracht gezogen, dass die Zahl der Haacke, Zahl der Richtungskörper und ihre Bedeutung. 285 Individuen jeder Tier- und Pflanzenart im Durchschnitt jJahraus jahrein dieselbe bleibt. Jedes Tier-Pärchen hat durchschnittlich nur zwei Kinder, welehe wieder zur Fortpflanzung gelangen. Hätte es etwa deren drei, so müsste schon nach wenigen Generationen die Zahl der Individuen einer Art ins Ungeheuerliche gestiegen sein. Auf jedes Tiermännchen und jedes Tierweibchen kommen indessen durehschnitt- lich zwei wieder zur Fortpflanzung gelangende Kinder, weil bei ge- schlechtlieh differenzierten Tieren jedes Individuum zwei Eltern hat. Dasselbe gilt für dioeeische Pflanzen, während hermaphroditische Tier- und Pflanzenindividuen durchschnittlich nur ein überlebendes Kind haben. Wenden wir nun, nachdem wir uns diese von Weis- mann unberücksichtigte, aber nichtsdestoweniger unumstößliche That- sache ins Gedächtnis zurückgerufen haben, die Weismann’sche Reduk- tions- und Konjugationstheorie der Ahnenplasmen auf die beiden überlebenden Kinder einer Mutter aus irgend einer Tierart an! Wir wollen annehmen, dass die Anzahl der Ahnenplasmen, aus welchen das mütterliche Keimplasma zusammengesetzt ist, n beträgt. Dann ist nach den Gesetzen der Kombinationslehre die Anzahl (a) der möglichen Kombinationen von Ahnenplasmen, die in den von dieser Mutter produzierten und durch die Austoßung der Hälfte ihrer Ahnen- plasmen befruchtungsfähig gemachten Eizellen enthalten sein können n. m —- 1). (n — 2) (a5 +1) Ba RL in EL IE 2 Sr oder n.m—-1).(n — 2) +!) re ee _ u mas tenn win. hahen RT EEE 3 es mit „Kombinationen ohne Wiederholung“ aus n Elementen und zur n k 2 - „ten Klasse zu thun. Unsere Tiermutter erfreut sich aber nur zweier wieder zur Fortpflanzung gelangenden Nachkommen, welche von ihrer Mutter entweder beide dieselben oder verschiedene Kom- binationen von Ahnenplasmen erhalten haben können. Die mögliche Anzahl (b) der Paare mütterlicher Ahnenplasmenhälften in den zur Fortpflanzung gelangenden beiden Kindern ist demnach = a?, denn in diesem Falle haben wir es mit „Variationen mit Wiederholung“ aus a Elementen und zur 2. Klasse zu thun. Es kann aber ferner die Anzahl der Paare von Ahnenplasmen- hälften, in welehen die gesamte Zahl mütterlicher Ahnenplasmen ver- 2 a lust i ua TER treten ist, nur , betragen, da Ja die Halbierungsmöglichkeiten irgend _ einer aus verschiedenen Elementen bestehenden Kombination nur halb so zahlreich sind wie ihre möglichen Hälften. Daraus folgt end- ISb Haacke, Zahl der Richtungskörper und ihre Bedeutung. lich, dass die Wahrscheinliehkeit, sämtliche Ahnenplasmen einer Mutter in ihren beiden überlebenden und wieder zur Fortpflanzung gelangenden Kindern in unverminderter Anzahl erhalten zu sehen, nur a Mey beträgt, denn b ist die Anzahl der möglichen, = die b 2b 2 Anzahl der für die Erhaltung sämtlicher Ahnenplasmen günstigen Fälle. Besteht das mütterliche Keimplasma beispielsweise aus nur 4 Ahnenplasmen, so ist die fragliche Wahrscheinlichkeit, da in diesem 6 1 Falle a— 6 und b — 36 ist, nur — 5356 5° bei 6 Ahnenplas- men beträgt sie nur — —, bei 8 noch bedeutend weniger und bei einer 40 so großen Anzahl von Ahnenplasmen, wie Weismann sie überall anzunehmen scheint, ist die Wahrscheinlichkeit der Erhaltung sämt- licher Ahnenplasmen auch nur eines einzigen sich fortpflanzerden Individuums einer Art ganz minimal. Sie verkleinert sich aber mit noch weit gewaltigeren Riesenschritten, wenn wir bedenken, dass jede Organismenart aus zahlreichen Individuen besteht, und dass demnach, falls wir die Anzahl der Individuen einer Art etwa — m und die Anzahl der Ahnenplasmen in jedem — n setzen, die Wahr- scheinlichkeit, sämtliche Ahnenplasmen einer Generation in der fol- genden Generation wiederzufinden, nur (3) also bei nur 6 Ahnen- plasmen in Jedem Individuum und bei nur 1000 Individuen in einer Art nur noch betragen kann. Noch mehr erscheint die Erhaltung 1 401000 sämtlicher Ahnenplasmen gefährdet, wenn wir uns erinnern, dass auch die natürliche Zuehtwahl eifrig an der Vernichtung ungünstiger Ahnen- plasmenkombinationen und somit, da die Anzahl der gleichzeitig lebenden Individuen einer Art sich durchweg gleich bleibt, der Ahnen- plasmen selbst mitarbeiten würde; ja es würde wahrscheinlich sein, dass die natürliche Zuchtwahl dafür sorgt, dass jedes der beiden überlebenden Kinder eines Elternpaares eine ganz oder nahezu gleiche Kombination von Ahnenplasmen enthält, dass also, falls wir annehmen, dass die Anzahl der Ahnenplasmen in einer Generation einer Organis- menart n beträgt, und dass diese Ahnenplasmen und somit ihre Träger sämtlich unter einander verschieden sind, in der nächsten Generation wahrscheinlich nur noch =; Ahnenplasmen enthalten sind, während ihre Träger, die Individuen dieser Generation, sich paarweise gleichen. Aus diesen Betrachtungen ergibt sich die unabweisbare Fol- gerung, dass, falls die Weismann’sche Lehre, wie sie in der zitier- ten Schrift entwickelt ist, etwa auf die geschlechtlich differenzierten Organismenarten der vorcambrischen Zeit gepasst hat, die heutige Kobert, Ueber die giftigen Spinnen Russlands. 257 Nachkommenschaft jener Organismen vielleicht nur noch eine ein- zige Qualität von Ahnenplasmen für jede ihrer Arten besitzt, dass von einer vererbbaren individuellen Formabänderung demnach heute kaum noch die Rede sein kann, welche Folgerung mit den That- sachen und mit dem von Weismann erläuterten Teile der hier bis zu Ende ausgedachten W eismann’schen Theorie in unlösbarem Wider- spruche steht. Wollte man aber zur Rettung der letzteren annehmen, dass die Anzahl der Ahnenplasmen in den Keimzellen der vorcambri- schen Organismen so ungeheuer groß gewesen ist, dass heute immer noch eine für die Ermöglichung der individuellen Formabänderung genü- sende Anzahl von Ahnenplasmen vorhanden ist, so bleibt immer noch die auf keine Weise mehr hinwegzuräumende Folgerung, dass die Keimzellen der höhern jetzt lebenden Organismen aus ungeheuer viel weniger Arten von Ahnenplasmen zusammengesetzt sind, als diejenigen der Angehörigen längst entschwundener Erdperioden, dass die letzteren demnach unvergleichlich viel mehr erbliche individuelle Abänderungen erlitten haben müssen, als solches bei den ersteren noch der Fall sein kann. Billigerweise bleibt es Weismann überlassen, zu «dieser An- nahme und der aus ihr sich ergebenden Folgerung Stellung zu nehmen. Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Naturforschende Gesellschaft zu Dorpat. Herr Prof. Dr. Kobert sprach „über die giftigen Spinnen Russ- lands“, von denen drei ein besonderes Interesse haben und die während des Vortrags herumgezeigt wurden (die sub Nr. III bezeichnete lebend). I. Die Solpuge, @Galeodes araneoides Pall., wird, da es kein eigentliches russisches Wort dafür gibt, vom Volke Phalang genannt, ein Wort, welches Aristo- teles für giftige Spinnen überhaupt eingeführt hat, und das von Linne dafür acceptiert wurde. Die erste genaue Kunde und zugleich leider auch die letzte stammt von dem Akademiker Pallas (1778). Danach soll sie außerordentlich giftig sein und Menschen und Tieren gefährlich werden. Es ist aber jetzt wieder in Frage gestellt, ob sie giftig ist oder nicht. Experimente wurden über die Giftwirkung wenigstens nie angestellt und von keinem Zoologen die Anwesenheit der Giftdrüse nachgewiesen. Vortragender ersucht alle, die darüber irgend etwas wissen, es ihm mitzuteilen Dass ihr Biss eine starke Verwundung setzt, ist bei der Größe des Tieres natürlich selbstverständlich und soll nicht bestritten werden. — II. Die Tarantel, Trochosa singoriensis Lax., ist mit der italienischen nicht identisch und scheint weniger giftig als diese zu sein. In Berichten des vorigen Jahrhunderts wird zwar oft von der „gif- tigen Tarantel“ gesprochen, es ist jedoch nur selten darunter die Trochosa zu verstehen. Wenn sie überhaupt dem Menschen gefährlich wird, so ist dies im Monat Juli und August der Fall. In andern ist sie so wenig bösartig, dass in manchen Gegenden die Kinder mit ihr spielen können. An der Existenz ihrer Giftdrüsen ist nicht zu zweifeln; pharmakologische Versuche über das Gift liegen aber nicht vor. Hoffentlich findet sich noch Gelegenheit, solche 285 Kobert, Ueber die giftigen Spinnen Russlands. in Dorpat anzustellen. — IM. Die Malmignatte, Lathrodectus tredecimgut- tatus W alk., kommt in Russland in einer bunten und schwarzen Varietät vor. Letztere wird Karakut = schwarzer Wolf, in andern Gegenden auch schwarze Witwe genannt. Mit Unrecht hat Prof. Kessler dieses Tier als ungiftig bezeichnet, dasselbe ist vielmehr, wie beispielsweise Motschulski behauptet hat, enorm giftig und ist dadurch schon den Schriftstellern des Altertums aufgefallen. 1839 wurden von ihr an der untern Wolga 7000 Rinder getötet. Für Pferde und Kamele ist sie aber noch viel gefährlicher, so dass in manchen Gegenden 33 Prozent aller Kar »le daran zu grunde gehen. Auch Berichte über Todesfälle nach ihrem Biss bei Menschen liegen bereits aus Spanien, Italien und Russland (z. B. von Ucke) vor. — Vortragender unter- suchte die Wirkung des Giftes der lebenden und der toten Spinne an Ratten, Vögeln, Katzen, Hunden und Fröschen. Für alle diese Tiere ist dasselbe gleich gefährlich; selbst der Igel kann demselben nicht widerstehen. Ob das Schaf es vermag, ist noch nicht ausgemacht, nach den Berichten der Reisenden aber denkbar. Vortragender verbreitet sich weiter über das Zustandekommen der Wirkung, die das Blut und das Herz sowie wahrscheinlich auch das Zentral- nervensystem betrifft. Das Gift lähmt die genannten Organe noch bei mehr als millionenfacher Verdünnung und ist hinsichtlich der Stärke seiner Wirkung nur mit dem Schlangengift zu vergleichen. Wie dieses, ist es auch bei innerlicher Darreichung ganz unwirksam. Während aber das Sehlangengift sich nur in der Giftdrüse und nicht im übrigen Körper findet, wird das Malmignattengift im ganzen Körper und selbst in den Beinen und in den unentwickelten Eiern angetroffen. Seiner chemischen Zu- sammensetzung nach ist es eine Eiweißsubstanz und zwar ein sogenanntes Ferment. Daher wird es durch Kochen vernichtet, während das Schlangengift selbst bei mehrminütlichem Kochen seine Wirksamkeit behält. An eine Iden- tität beider Gifte kann also gar nicht gedacht werden. — Mitteilungen über Lathrodectus sind dem Vortragenden sehr erwünscht. Eine ausführliche Ver- öffentlichung seiner Versuche gedenkt derselbe noch in diesem Jahre im zweiten Bande der Arbeiten des pharmakologischen Institutes zu Dorpat (Stutt- gart, Ferd. Enke) erscheinen zu lassen. Verlag von Eduard Besold im Erlangen. In allen Buchhandlungen ist vorrätig: Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane von Dr. Gustav Schwalbe, o. Professor der Anatomie an der Universität Straßburg i. E. Mit 199 Holzschnitten. Preis 19 Mark. In eleg. Halbfranz 21 Mark. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Diologisches Öentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. VII. Band. 15. Juli 1888. Nr. 10. Inhalt: W. Richter, Zur Vererbung erworbener Charaktere. — Prazmowski, Ueber Sporenbildung bei den Bakterien. — Rosenthal und Schulz, Ueber Alkali- Albuminat als Nährboden bei bakteriologischen Untersuchungen. — von Lenden- feld, Studer’s Aleyonarien -System. — G. von Koch, Die Gorgoniden des Golfes von Neapel und der angrenzenden Meeresabschnitte. — Kirchner, Flora von Stuttgart. — Ritzema Bos, Aenderungen im Nestbau der Vögel in baum- losen Gegenden. Zur Vererbung erworbener Charaktere. Von Dr. W. Richter. Die am Schlusse meiner Mitteilung über den sog. Erlanger Fall ausgesprochene Absicht, an dieser Stelle auf die von O. Zacharias demonstrierten Kätzchen zurückzukommen, hatte ich aufgegeben, weil bereits L. Döderlein im Zoolog. Anzeiger Nr. 265 diesen Fall be- sprochen und zurückgewiesen hat. Eine anerkennende Zustimmung, welche mir indess für meine in Nr. 22 des Biolog. Centralblattes ge- machte Darlegung von schätzbarster Seite brieflich zuteil wurde, veranlasst mich, noch einmal einige Fälle angeblicher Vererbung durch gröbere Insulte erworbener Charaktere rücksichtlich ihrer Beweiskraft in der schwebenden Frage zu prüfen. In der Sektion für Zoologie und Anatomie demonstrierte OÖ. Zacha- rias auf der letzten Naturforscherversammlung ein vollständig schwanz- loses Katzenpärchen. „Der Mutter dieser Tiere wurde vor etlichen Jahren der Schwanz bis auf ein Rudiment von 2!/, em gewaltsam entfernt, höchst-wahrscheinlich durch Ueberfahren. Der so entstandene Defekt hat sich nun von jener Zeit ab in verstärktem Maße auf die Jungen jedes Wurfes fortgepflanzt. Zacharias ist der Meinung, es liege ein Fall von Vererbung eines erworbenen Charakters vor, welcher verhängnisvoll sei für die Ansicht, eine im individuellen Leben er- worbene Abänderung könne nicht vererbt werden. Nach meinem Da- fürhalten hat der Fall nach dieser Richtung keine Beweiskraft, denn: 1) die ursprüngliche Vollständigkeit des Schwanzes der Mutter ist nicht mit Sicherheit festgestellt. 2) Kein Augenzeuge beweist das VIII: 19 ” 290 Richter, Zur Vererbung erworbener Charaktere. Abhandenkommen des Schwanzes durch ein Trauma. 3) Es ist frag- lich, ob die Mutter vor dem Verlust des Schwanzes normale Junge hatte. 4) Die Katze verlor ihren Schwanz vor etlichen Jahren, und da sich gleichfarbige Katzen sehr ähnlich sehen, so ist auch unter , E 0. loncentionen. Gr. —- Graride Frauen. @. — Gcehurten. 090 Göhlert, Schwankungen der Geburtenzahl nach Monaten. 347 Im Gegensatz zu den für Europa geltenden Thatsachen äußern sich diese Erscheinungen des physischen Lebens auf der entgegen- gesetzten Hemisphäre in Südamerika, von wo uns nur Daten aus Chile und Buenos-Ayres zur Verfügung gestanden haben. Dort und insbesondere in Buenos- Ayres tritt das Maximum der Konzeptionen im September und dann im Dezember, das Minimum derselben im Mai auf. Teilweise schon bemerkbar macht sich dieser Gegensatz in Havanna (Cuba), wo das Maximum im Dezember und das Minimum im Juni erscheint, sowie auch in Kentucky, einem südlichen Staate der nord- amerikanischen Freistaaten, wo das Minimum auf April fällt. Nahezu übereinstimmend mit den europäischen Verhältnissen findet sich in Philadelphia das Maximum im Mai, und in Massachusetts, einem nörd- lichen Staate, im Dezember, während das Minimum beiderseits auf August fällt. Bei Vergleichung der Daten der Zeit nach finden wir, dass die dargelegten Verhältnisse, welche sich auf mehrjährige Beobach- tungen aus der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts beziehen, im Laufe der Zeit nur geringe Aenderungen erlitten haben; in Schweden sind diese Verhältnisse seit 130 Jahren und in Frankreich und Piemont seit 50 Jahren nahezu konstant geblieben. In den österreichischen Ländern, wie Schlesien, Mähren, Niederösterreich (ohne Wien) und Krain mit katholischer Bevölkerung zeigen sich seit 90 Jahren die- selben Erscheinungen nur mit dem Unterschiede, dass im vorigen Jahrhundert die Depression der Zahlenwerte im Monate März viel stärker aufgetreten ist als in der neuesten Zeit, was wohl dem Um- stande zuzuschreiben sein dürfte, dass die Strenggläubigkeit in der Befolgung des dritten Kirchengebots, welches sich in seiner weitesten Ausdehnung bis auf die Beschränkung des Geschlechtsgenusses er- streckte, wie es jetzt noch bei der von religiösem Fanatismus be- fangenen Bevölkerung Russlands vorkommen mag, ihren akuten Cha- rakter verloren hat. Diese Strenggläubigkeit hat sich im vorigen Jahrhundert noch darin geäußert, dass in Ländern mit katholischer Bevölkerung zur Fasten- und Advent-Zeit mit Rücksicht auf das fünfte Kirchengebot nur wenige Eheschließungen vorgekommen sind, während gegenwärtig Eheschließungen in den Monaten März und De- zember häufiger als ehemals stattfinden. Die ältesten Daten über die Geburten (eigentlich Taufen) nach Monaten bieten die Auszüge des P. Lastri aus den Kirchenbüchern von Florenz!), welche bis in das fünfzehnte Jahrhundert zurückreichen. Nach denselben fällt von 1451 bis 1770, in vier Perioden abgeteilt, das Maximum der Konzeptionen auf Mai und das Minimum derselben auf September; in diesem Jahrhundert hat eine Verschiebung von Mai 1) Nach Zuecagni-Orlandini (Ricerche statistiche etec.). 348 Göhlert, Schwankungen der Geburtenzahl nach Monaten. auf Juni und von September auf Oktober stattgefunden. Die Abnahme der Depression der Zahlenwerte im März tritt hier ganz scharf her- vor; während dieselbe im fünfzehnten Jahrlıundert noch bis zur Grenze des Minimums gelangte, ist sie in diesem Jahrhundert nahezu schon ausgeglichen. Bedeutungsvoll erscheint auch die Wahrnehmung, dass die Dif- ferenz zwischen dem Maximum und Minimum (in reduzierten Zahlen ausgedrückt) von 0,43 im 15. Jahrhundert auf 0,36 im 17. Jahrhundert und bis auf 0,18 im 19. Jahrhundert gesunken ist. In den statistischen Werken werden die Geburten in lebende und tote, in männliche und weibliche, in eheliche und uneheliche unter- schieden. In unsern Untersuchungen haben wir bisher die Zahl der Geburten überhaupt, schon der Vergleichung wegen, in betracht ge- zogen und die Resultate dieser Untersuchungen können in der Haupt- sache als maßgebend für eheliche Geburten angesehen werden, da uneheliche Geburten doch nur einen geringen Anteil an der Gesamt- zahl haben. Nichtsdestoweniger kommt der Betrachtung der unehe- lichen Geburten vom wissenschaftlichen Standpunkte eine besondere Bedeutung zu, wiewohl in manchen Staaten in dieser Hinsicht mehr Gewicht auf die Unterscheidung der Geburten im allgemeinen nach dem Geschlechte der Kinder, als auf jene nach dem Zivilstande der Mutter gelegt wird. In der Zahl der unehelichen Geburten nach Monaten spiegeln sich die Aeußerungen des Reproduktionstriebes, wiewohl die günstige Gelegenheit zuweilen hierbei eine große Rolle spielt, viel klarer wieder als im ehelichen Leben, in welchem diesen Aeußerungen keine Schranken gesetzt sind, doch bleiben dieselben in den meisten Fällen latent; die Ursachen hiervon wollen wir hier nicht weiter erörtern. Wir finden daher auch ein viel entschiedenes Maximum der Kon- zeptionen im Mai (in den skandinavischen Ländern innerhalb Juni und August), von da an tritt ein allmählicher Rückgang ein, welcher im November (in Italien im September) an die Grenze des Minimums gelangt und dann wieder in eine allmähliche Steigerung übergeht, welche im Mai ihren Kulminationspunkt erreicht. Auch die Abweichungen von der Mittelzahl treten hier im ver- stärkten Maße auf; während die Differenz zwischen Maximum und Minimum bei den unehelichen Geburten 0,28 erreicht, beträgt sie bei den ehelichen nur 0,16 in reduzierten Zahlen. Was ferner die Totgeburten betrifft, so kann bei Betrachtung derselben nach Monaten nur der Ausdruck der relativen Zahlen, d. i. des Verhältnisses zu den Geburten überhaupt, als maßgebend ange- nommen werden. Die Untersuchungen hierüber beruhen auf einer etwas unsichern Basis, da die Totgeburten nieht in allen Staaten gleichmäßig und auch nicht immer vollständig nachgewiesen werden. Die Maximalgrenze erreichen die Totgeburten in den Monaten Dezember Göhlert, Schwankungen der Geburtenzahl nach Monaten. 349 und Januar, teilweise auch bis in Februar hinein (wie in Preußen und Böhmen) und die Minimalgrenze innerhalb der Monate Juli bis September. Die Ursachen dieser Erscheinung können teils darin ge- sucht werden, dass in der Zahl der Totgeburten auch die vorzeitigen enthalten sind, teils aber auch darin und wohl in vielen Fällen, da das Maximum grade auf die strengen Wintermonate und das Minimum auf die Sommermonate fällt, in ungenügendem Schutz der Hoch- graviden vor Kälte infolge nicht entsprechender Bekleidung, insbe- sondere bei der Landbevölkerung. Wenn die Staatsregierung den gewöhnlichen Arbeitern Schutz und Schirm zusichert, so wäre es wohl auch Aufgabe derselben, gleichfalls den Schwangern, welchen die schwere Last der Menschwerdung aufgebürdet ist, Schutz und Asyl zu gewähren, zumal in den untern Klassen der Bevölkerung nicht selten zwei Menschenleben bedroht sind. Wenn wir hier noch in die Verteilung der Geburten nach Monaten in bezug auf das Geschlecht der Kinder eingehen, so wollen wir hierüber nur bemerken, dass sich in dieser Verteilung keine besonders hervortretenden Erscheinungen bemerkbar machen. Nur so viel geht aus der nähern Betrachtung der Zahlen hervor, dass die Sexualpro- portion nach einzelnen Monaten großen Schwankungen unterliegt, welche jedoch den Schluss gestatten, dass in der Periode des Maxi- mums der Geburten ein geringeres, der Gleichheit der Geschlechter näher stehendes Verhältnis vorwaltet, als in der Periode des Minimums der Geburten. Diese Erscheinung würde auch mit der allgemeinen für die Größe der Sexualportion geltenden Regel übereinstimmen, welche wir bei einer andern Gelegenheit auf grund mehrjähriger und vielfacher Beobachtungen aufgestellt haben. Diese Beobachtungen lassen nämlich erkennen, dass in kinderreichen Ehen die Sexualpro- portion der Kinder kleiner ist als in Ehen mit weniger als fünf Kindern. Wenn wir nunmehr auf die Ursachen, welche den bier erörterten Erscheinungen zugrunde liegen, übergehen, so fällt es schwer, aus dem Komplex der vielfachen Ursachen, welche sich teils im positiven (fördernd), teils im negativen Sinne (hemmend) äußern, jene genau zu bestimmen, welche mit der größten Intensität ihren Einfluss auf diese Lebenserscheinungen ausüben. Schon Dr. Villerme& hat sich bemüht, diesen Ursachen nachzuspüren, und hat dieselben in zwei Arten, physische und soziale, unterschieden, dabei jedoch auch den religiösen Einflüssen eine Rolle zugewiesen. Diese Unterscheidung der Ursachen ist bis auf die neueste Zeit zur Erklärung dieser Erscheinungen in Uebung gewesen, erst Dr. Wappäus hat in seiner Bevölkerungs- statistik auf das Ueberwiegen der einen oder der andern Art der Ursachen in den einzelnen Ländern Europas aufmerksam gemacht. Dr. Moser nimmt in seinen Gesetzen der Lebensdauer einen größern Einfluss der Heiraten an, als dies Villerm& gethan; doch nach 350 Göhlert, Schwankungen der Geburtenzahl nach Monaten. unsern Untersuchungen, welche wir zur Lösung dieser Frage angestellt haben, wird die Annahme Moser’s nicht bestätigt. Wenn wir näm- lich die Eheschließungen mit Rücksicht auf die ehelichen und insbe- sondere auf die Erstgeburten des darauf folgenden und zum Teile desselben Jahres in betracht ziehen, so macht sich dieser Einfluss einigermaßen geltend, verschwindet jedoch völlig, wenn die ganze Zahl der Geburten in die Wagschale fällt. Dr. Sormani endlich versucht in seiner bereits erwähnten Schrift diese Erscheinungen mit dem Gange der Temperatur zu erklären!), wiewohl er andern Ein- flüssen einen, wenn auch geringen Anteil zugesteht. Es lässt sich wohl nicht leugnen, dass sich in einer Bevölkerung mit eigentümlichen, nationalen, sozialen und wirtschaftlichen Verhält- nissen infolge des engen Zusammenhanges zwischen Konzeption, Gravidität und Geburt ein Kreislauf dieser Erscheinungen heraus- bildet, welcher dieser Bevölkerung grade einen besondern Charakter in dieser Beziehung aufdrückt. Wir finden dies durch die besondern Abweichungen bestätigt, welche sich in dieser Hinsicht in einigen Staaten kundgeben, wie z. B. auf den Färöer-Inseln gegenüber Däne- mark, in Rheinpreußen gegenüber der Provinz Schlesien, in der Buko- wina gegenüber Galizien und den andern österreichischen Ländern, in der Lombardie gegenüber den andern italienischen Provinzen; ferner in Norwegen gegenüber Schweden und in Schotland gegenüber England, in welchen beiden Ländern diese Lebensäußerungen von der vorherrschenden Beschäftigungsweise der Bevölkerung abhängig sind und teils vor der Ausfahrt, teils nach der Heimkehr der mit Fisch- fang beschäftigten Schiffer mehr hervortreten. Allerdings darf hierbei nicht übersehen werden, dass das physische Leben des Menschen von außerhalb desselben stehenden Einflüssen beherrscht wird, ohne dass er zum klaren Bewusstsein derselben ge- langt. Zu diesen Einflüssen gehört in erster Linie die wechselnde Stellung der Sonne zur Erde, von welcher das gesamte organische Leben unserer Erde mehr oder weniger abhängig ist, wie sich denn auch in dieser Beziehung bestimmte Perioden einer stärkern Repro- duktionsäußerung in der Tierwelt konstatieren lassen. Hätten wir von Völkern, die in noch einfachem Naturzustande leben, in dieser Hinsicht verlässliche und vollständige Daten, so würden wir auch für das Menschengeschlecht in dieser Richtung genauen Aufschluss er- langen können. Selbst dort, wo die sozialen Einflüsse überwiegen, macht sich dieser Einfluss geltend und gelangt mit mehr oder weniger Entschiedenheit zum thatsächlichen Ausdrucke. Wir finden die Be- stätigung hierfür teils darin, dass auf der entgegengesetzten Hemi- sphäre in dem fast gleichen Zeitraume (1881 — 85) die umgekehrte 1) Sormani fasst seine Erklärung in dem Satze zusammen: „La libertä umana & schiava del termometro*. Göhlert, Schwankungen der Geburtenzahl nach Monaten. 351 Bewegung dieser Erscheinung nach den einzelnen Monaten erfolgt, teils auch darin, dass in den österreichischen Ländern, von welchen Daten aus dem vorigen Jahrhundert vorhanden sind, das Maximum der Konzeptionen im Mai mit größerer Intensität aufgetreten ist als nahezu 100 Jahre später. Auch in Florenz ist das Maximum der Konzeptionen im Mai in den frühern Jahrhunderten viel größer ge- wesen als im gegenwärtigen Jahrhundert. Aus diesen Thatsachen lässt sich auch der Schluss ziehen, dass der Mensch sich immer unab- hängiger von äußern Einflüssen zu machen sucht, wie dies schon Spencer in seiner Biologie hervorhebt. Inwieweit dem Menschen dieses Streben mit dem Fortschreiten der Kultur gelingen werde, lässt sich gegenwärtig nicht ermessen. Würde aber der Mensch aufhören, sich als Produkt unserer Erde zu fühlen, dann müsste auch das all- gemeine Naturgesetz der Erhaltung der Gattung seine Geltung für das Menschengeschlecht verlieren. Neben dem natürlichen Einflusse macht sich auch der nationale und soziale Charakter der Bevölkerung geltend und gewinnt nach und nach mit der fortschreitenden Kulturentwicklung immer mehr die Oberhand. So überwiegen gegenwärtig in Nord- und Mittel-Europa die sozialen Einflüsse, während in Süd- Europa die physischen Ein- flüsse noch den Vorrang vor den sozialen behaupten. In Osteuropa (Russland) halten sich die klimatischen und sozialen Einflüsse in dieser Beziehung die Wagschale, da sich dort der Kampf um das physische Leben, besonders in der Landbevölkerung, viel schwieriger gestaltet. Wir finden auch, dass dort nach der Steigerung im April eine größere Depression der Zahlenwerte in den Sommermonaten Juli und August und nach den anstrengenden Arbeiten während der Ernte- zeit eine Erhöhung im Oktober und dann im Januar eintritt, auf welchen Monat Neujahr und Wasserweihe entfallen, welche beide Feste für die orthodoxen Russen eine besondere Bedeutung haben. Dass religiöse Vorurteile hierbei auch eine Rolle, besonders in Russland, spielen !), lässt sich nicht leugnen; dass jedoch in den west- europäischen Ländern mit katholischer Bevölkerung die Fastenzeit gegenwärtig noch einen merklichen Einfluss auf die Größe der Kon- zeptionen äußere und eine Abschwächung der Reproduktionskraft zur Folge habe, ist zweifelhaft, da grade unter der ärmern Bevöl- kerung, welche mit Nahrungssorgen zu kämpfen hat, wie in Irland, im Erz- und Riesengebirge und in Schlesien, reicher Kindersegen zu finden ist. Der Einfluss des Karnevals (Fasching) tritt nirgends entschieden 1) Bei den strenggläubigen Anhängern der russischen Kirche besteht die Sitte, in der Zeit von der Geburt bis zur Beschneidung Christi (von Weih- nachten bis Neujahr) die neugebornen Kinder nicht taufen zu lassen, was auch in den für Dezember und Januar geltenden Nachweisen über die Geburten zum ziffermäßigen Ausdruck kommt. 352 Göhlert, Schwankungen der Geburtenzahl nach Monaten. hervor, nur in den Niederlanden und in Italien macht er sich einiger- maßen bei den unehelichen Geburten und wahrscheinlich auch bei den Totgeburten in Preußen bemerkbar. Uebrigens beziehen sich alle hier erörterten Einflüsse in erster Linie auf die Aeußerungen der weiblichen Regenerationskraft (Kon- zeptionsfähigkeit), während sich die Aeußerungen des männlichen Reproduktionstriebes nach ihrem Intensitätsgrade nicht so genau be- stimmen lassen. Einigermaßen anders werden sich diese Verhältnisse in Ländern gestalten, wo Polygamie herrscht, wiewohl hier wieder andere Einflüsse perturbierend einwirken. Leider mangeln uns zu einer solchen Vergleichung die erforderlichen Daten. Wenn wir zum Schlusse den Inhalt dieser oft nur angedeuteten Untersuchungen in einem Satze zusammenfassen, so dürfte derselbe vielleicht so lauten: „Der Mensch ist ein Produkt der Erde, ein von „der Natur reich ausgestattetes organisches Wesen der ersten Ord- „nung mit dem seine physische Existenz und seinen geistigen Fort- „schritt bedingenden Akkomodations - Vermögen“. I West-Europa. Rzerd.urz ı em tzesz arhaleern | | Monat Konzep- | Gravide Gebur- —— — Bin En rt 2 a tionen !) Frauen 1), ten !) Konzep- | Gra- ı Gebur- Konzep- Gra- | Gebur- | | | | tionen ‚vide Fr. ten tionen videFr.; ten Januar 20.619 | 197.365 | 21.549 | 0,999 1,01 11,044 | | Februar | 20.398 | 196.319 | 22.675 | 0,99 | 1,00 1.098 | 0,982 | 1,00 51,067 März 19.746 | 193.716| 21.917 | 0,956 | 0,98 1,06 April 21.949717 191.846) 21.126 91 °1,04470,97° 11-02 Mai | 22.675 | 193.432| 20.157 1,098 | 0,98 |0,976 \ 1,067 0,98 0,975 Juni | 24.917 | 195.571| 19.216 | 1,06 | 0,99 (0,93 | Juli 1 24.4261: 197.877. 19.522,02 1,01 0,946 | August 20.157 198.997, 19.904 | 0,976 | 1,015 0,964 \ 0,975 | 1,01 | 0,973 September, 19.216 198.780 | 20.994 0,93 1,014 1,01 S Oktober | 19.521 | 197.155 | 20.619 0,946 | 1,005/0,999 | November|| 19.904 | 196 257| 20.398 | 0,°64 | 1,00 0,99 \| 0,973 | 1,00 '0,982 Dezember); 20.994 | 196.308 | 19.746 | 1,01 1,00 ‚0,956 J Mittelzahl,, 20.641 | 196.135 | 20.641 | 1,000 . 1,000 1,000 1,000 1,00 1,000 I. Ost-Europa (Russland). Dezember | 8.914 81.762 7.251.,..14,0247170:.99510,83 | Januar 9.675 3.805 | 10.476 1,11 1,01 11,20 | 1,045 | 0,-98| 1,03 Februar | 8.714 | 82.524 | 9.262 | 1,00 0,996 1,064 } | März 7.251 | 81.245 | 8.252 | 0,83 | 0,98 |0,95 | April 10.476 81.856 7.564 | 1,20 0,99 |0,87 | 1,05 0,995 0,89 Mai 9.262 184.161 |” 7.525 | 1,064] 15016 0,864] Juni 8.252 | 85,393 8.657 | 0,95 1,03 0,995 } | Juli 7.564 | 84.644 9.364 | 0,87 1.02 |1,075 | 0,89 1,017 1,03 August | 7.525 | 82.824 | 8.954 | 0,864 | 1,00 11,03 | | September!) 8.657 | 81.961 8.914 | 0.995 | 0,99 11,024 | 3 Oktober 9.364..1.82.058 |. 9.675.) 1,075. 410,99 2141.11 \ 1,03 | 0,955 | 1,045 November || 8.954 | 81.542 | 8.714 | 1,08 0,984 1,00 °| Mittelzahl\| 8.705 | 82.814 | 8.705 | 1,000 | 1,000 1,000 | 1,000 | 1,000 1,000 4) Diese Zahlen beziehen sich auf den Mittelwert pro Tag. Graz, im Juni 1888. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu, beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. vu. Band. 15. August 1888. Nr. 12. Inhalt: Eimer, Die Entstehung der Arten aufgrund von Vererben erworbener Eigen- schaften. — Haacke, Zu Herrn von Lendenfeld’s Besprechung meiner Arbeit über die Scyphomedusen des St. Vincent-Golfes. — Faussek, Ueber die embryonale Entwicklung der Geschlechtsorgane bei der Afterspinne. — Friedländer, Ueber das Kriechen der Regenwürmer, — Zacharias, Zum Befruchtungsvorgange bei Ascaris megalocephala. — Zacharias, Ueber partielle Befruchtung. — Zacharias, Ueber die Verbreitung niederer Wasser- tiere durch Schwimmvögel. — Lombroso, Der Verbrecher in anthropologischer, ärztlicher und juristischer Beziehung. Deutsch von E. OÖ. Fränkel. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: K. k. zoolog.-botan, Gesellschaft zu Wien, — Ausstellung bei der 61. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Köln. G. H. Theodor Eimer, Die Entstehung der Arten aufgrund von Vererben erworbener Eigenschaften nach den Gesetzen des organischen Wachsens. Jena. G. Fischer. 1883. In Bd. VIII Nr. 4 des „Biologischen Centralblattes“ (15. April 1883) ist eine Besprechung meines Buches über „die Entstehung der Arten“ erschienen, die mich heute, nachdem in „Nature“ von einem Ano- nymus eine weitere Besprechung gefolgt ist, welche nach jener teil- weise gefertigt zu sein scheint, um weitern Anschlüssen dieser Art vorzubeugen, zu einigen Bemerkungen veranlasst. Der Bericht im „Biologischen Centralblatt“ gibt zwar einen Teil des Inhalts meines Buches richtig wieder, berührt aber sehr wesent- liche andere mit keinem Worte und kommt zu einem Schlussergebnis, welches auf das deutlichste zeigt, dass der Herr Berichterstatter das eigentliche Wesen des Buches nicht entfernt erfasst hat. Es geht dies schon allein aus dem Einwand hervor, welchen derselbe — wie ich höre, ein Jenenser Studierender der Naturwissenschaften — gegen mich erhebt, indem er bemerkt: „nur macht es einen eigentümlichen Ein- (druck, wenn auch hier wieder der Theorie Darwin’s der alte, immer wiederkehrende Vorwurf gemacht wird, sie führe den Zufall in die VIII, 23 4 Eimer, Vererben erworbener Eigenschaften. Geschehnisse der Natur ein, indem sie sage, „von „„zufälligen“*“ Abänderungen werden durch Auslese die passendsten gezüchtet.“ „Ist es doeh“, fährt er fort, „grade Darwin, wie Huxley sehr richtig bemerkt, welcher immer und immer wieder von neuem seine Leser daran erinnert hat, dass, wenn er das Wort „spontan“ gebraucht, er damit nur sagen will, dass er inbetreff dessen, was so genannt ist, unwissend ist.“ Vorher kommt der Herr Berichterstatter zu dem Schluss, dass meine Theorie weniger viel Neues und Originelles enthält, als dass sie einen entschiedenen Lamarkismus vertritt. Das Wesen meiner Theorie von der Entstehung der Arten liegt nun nicht im Lamarkismus, sondern im Nachweis bestimmter, ge- setzmäßiger Entwicklungsriehtungen, welche offenbar auf- grund der physikalischen und chemischen Zusammensetzung der Or- ganismen und allerdings unter äußern Einflüssen vor sich gehen. Diese „wie nach einem bestimmten Plane“ stattfindende gesetzmäßige Umbildung der Formen geschieht nach meiner Darlegung nach den Gesetzen des organischen Wachsens. In den Beweisen hiefür und in der Erklärung der Trennung der so entstandenen Kette von Organismen in einzelne Glieder, in Abarten und Arten, und in dem Nachweis, dass dieselben Gesetze für die Entstehung der Abarten und der Arten wie für das Abändern der Einzeltiere gelten, liegt das Neue und Wesentliche meiner Anschauung. Das Unbegründete des mir gemachten Vorwurfs eines Mißverstehens des darwinischen „Zu- falls“ ergibt sich daraus von selbst. Es fällt mir nicht ein so kindisch über Darwin zu denken, dass ich annehme, er habe, statt gesetz- mäßige Umbildung in der Natur vorauszusetzen, dem Zufall förmlich huldigen wollen. Aber grade in Beziehung auf das in seiner Theorie so wichtige Abändern (Variieren) hat er keine Gesetzmäßigkeit ge- kannt, hat er den Zufall walten lassen müssen, und meine Arbeit ist es eben, diese Gesetzmäßigkeit nachzuweisen, zu zeigen, dass das Abändern überall nach ganz bestimmten, nur wenigen Rich- tungen geschieht, und zwar sind nach meinen Untersuchungen die Abänderungen (Variationen) der Einzeltiere eben dieselben, welche zur Entstehung von Abarten und von Arten führen. Mit andern Worten: indem die Organismenwelt ein Ganzes ist, welches aus ein- zelnen Gliedern besteht und, da die Gliederung hervorgegangen ist aus einem ursprünglich Einfachen, Ungegliederten, so müssen für das Ganze dieselben Gesetze gelten wie für das Einzelne und umgekehrt. Wachsen in dem Sinne jeder gesetzmäßigen, physiologischen, nicht krankhaften und nicht zufälligen Abänderung in der Zusammensetzung eines organischen Körpers, welche bleibend ist oder nur derart vor- übergehend, dass sie eine weitere Stufe der Veränderung vorbereitet, solehes Wachsen findet nicht nur im Leben der Einzeltiere und Einzel- pflanzen und zum Zweck der Erhaltung der Art derselben statt, son- Eimer, Vererben erworbener Eigenschaften. 3DD dern es geschieht während desselben und setzt sich über dasselbe hinaus fort zur Bildung der Sippen oder Arten. Ich würde gerne Darwin gegenüber von Regellosigkeit statt von Zufall reden können, allein ich erlaube mir eben den Ausdruck zu gebrauchen, welchen er selbst angewendet hat: Darwin kommt grade in einem Falle, welcher sich ganz unmittelbar mit meinen Untersuchungen zusammenstellt, deutlich und bestimmt genug auf den Zufall im Abändern der Formen, im besondern bei der Bildung von Zierden heraus — trotzdem er denselben für unwahrscheinlich er- klärt. Er sagt bei Gelegenheit der Behandlung der schönen Augenflecke im Gefieder des Argusfasans: „dass diese Ornamente sich durch eine behufs der Paarung ausgeübte Auswahl vieler auf- einander folgenden Abänderungen gebildet haben sollen, von denen nieht eine einzige ursprünglich bestimmt war, diese Wirkung. .... hervorzubringen, scheint so unwahrscheinlich, als dass sich eine von Raphael’s Madonnen durch die Wahl zufällig von einer Reihe jüngerer Künstler hingekleckster Schmierereien gebildet hätte, von denen nicht eine einzige ursprünglich bestimmt war, die menschliche Form wie- derzugeben.“ Und doch sucht Darwin die Entstehung jener pracht- vollen Augenflecke rein durch geschlechtliche Zuchtwahl zu erklären! Wie aber sollen ihre ersten Anfänge und wie ihre erste Gestaltung zur Schönheit auf diese Weise erklärt werden können? Es gibt nach meinen Untersuchungen keine Schmierereien in der Natur und nichts ist zufällig oder regellos, sondern alles nach bestimmten auf der stofflichen Zusammensetzung der Organismen und äußern Einwir- kungen beruhenden Gesetzen, von vornherein symmetrisch gebildet. So nur erklärt sich auch die Entstehung der Anfänge neuer Eigenschaften, welche doch nicht durch Auslese geschaffen werden können! So wenig wie für diese Anfänge vermag das Nützlichkeitsprinzip eine ausreichende Erklärung für die Trennung der Organismenkette in abgegrenzte Arten zu geben, und ich glaube sagen zu dürfen, dass abgesehen von der von mir vertretenen kaleidoskopischen d. i. sprungweisen Umbildung, die Genepistase, das Stehenbleiben von Formen auf niedern Stufen der Entwicklung als solehe Erklärung für den nach Neuem und Öriginellem bedürftigsten Geist allein Stoff zur Unter- suchung und Vergleichung und zum Nachdenken genug bieten dürfte, abgesehen von den einzelnen ganz neuen Gesetzen, welche ich für die Entwicklung aufstelle. Selbstverständlich bedingt meine Theorie die Vererbung erwor- bener Eigenschaften, und sie setzt als eines der Mittel, welche die Umbildung bedingen, äußere Einflüsse voraus. Darin steht sie aller- dings mit auf dem Boden der Lamark’schen Auffassungen. Wenn aber behauptet wird, dass meine Beispiele von der Wirkung äußerer Einflüsse und von der Vererbung erworbener Eigenschaften nur Be- kanntes enthalten und der Wert meines Buches eben in der guten ID 23 Eimer, Vererben erworbener Eigenschaften. Zusammenstellung dieses Bekannten bestehe, so darf ich mich, ohne unbescheiden zu sein, gegen solehe Zumutung doch auf andere Urteile berufen, welche vollkommen das Gegenteil aussagen, ganz abgesehen davon, dass, wie allerdings auch dem oberflächlichsten Leser sofort klar sein wird, die jener Aeußerung im Biologischen Centralblatt vor- hergehende Zusammenfassung des Inhalts des Buches mit derselben in vollkommenem Widerspruch steht. Ich erlaube mir in dieser Be- ziehung besonders zu verweisen auf einen Bericht über mein Buch von Prof. V. v. Ebner in der Wiener klinischen Wochenschrift vom 31. Mai d. J., in welchem vorzüglich auf meine Behandlung der geistigen Fähigkeiten der Tiere hingewiesen ist, die nahezu ein Viertel des Buches einnehmen und die im Biologischen Centrälblatt mit keinem Worte erwähnt sind. Niemandem, der das Buch wirklich liest, wird es entgehen können, dass ich grade ein Hauptgewicht darauf gelegt habe überall eigne Beispiele, eigne Beobachtungen beizubringen, und es sprechen, wie ich jenem Urteil im Biologischen Centralblatt gegen- über hervorheben muss, der erwähnte und andere Berichte gradezu von einer Fülle solcher Beobachtungen, die darin enthalten seien. Man ver- gleiche in dieser Beziehung auch in Nr. 23 von 1888 der „Gegenwart“ einen Aufsatz, welcher sehr verständnisvoll meine Lehre vom „organi- schen Wachsen der Lebewelt“ behandelt, und welcher mir zugleich die erfreuliche Ueberzeugung gibt, dass selbst der schwierigste Teil des Stoffes in meinem Buche doch derart bearbeitet ist, dass er und dass überhaupt das Wesentliche des Inhalts desselben auch dem Niehtfachmann durchaus verständlich wird — wenn er sich eben die Mühe ernsthaften Studiums nimmt, wie es solcher Stoff verlangt. Der zweite Teil des Buches, in welehem das in verschiedenen Schriften von mir veröffentlichte und noch zu veröffentlichende Be- weismaterial für die wesentlichsten Teile meiner Theorie enthalten soll, wird erst erscheinen, nachdem neues solches Beweismaterial von mir veröffentlicht ist, und ich erlaube mir zunächst hinzuweisen auf eine Abhandlung über die Verwandtschaft der Schmetter- linge, welche als erste Abteilung eines ausgedehnten Werkes dem- nächst erscheinen und die, wie ich zuversichtlich hoffen darf, meine Theorie und die Berechtigung derselben allgemein klarlegen, aber auch überzeugend die Bedeutung der von meinem Jenaer Kri- tiker wohl allzu gering geschätzten Wahrscheinlichkeits- beweise für die vorliegenden Fragen vor Augen führen wird. Man fordert mit Recht Experimente, wo sie möglich sind, aber die Entwicklungslehre können wir nicht wesentlich auf sie stützen, es sind eben zumeist „Wahrscheinlichkeitsbeweise“, auf welchen sie und die Lehre von der Blutsverwandtschaft der Einzelwesen beruht. So gründet sich auch der Darwinismus vorzüglich auf Wahrschein- licehkeitsbeweise — denn selbst die Züchtungsversuche an Haustieren beweisen nicht unbedingt etwas für die Vorkommnisse in der freien Haacke, v. Lendenfeld’s Besprechung meimer Arbeit über Seyphomedusen. 357 Natur. Der endgiltige Beweis der Vererbbarkeit erworbener Eigen- schaften wird allerdings am besten durch das Experiment geführt, allein es dürften schon die Beweise, welche ich insbesondere aus dem Wesen der geistigen Eigenschaften hergeleitet habe, dafür gradezu zwingende sein, die Thatsachen, welche mir die Verwandtschaft der Schmetter- linge an die Hand gibt, nieht minder. Indessen habe ich auch in Beziehung auf die letztern schon in meinem Buche über die Ent- stehung der Arten Experimente ins Feld geführt, welehe mir unwider- leglich zu sein scheinen, nämlich die zuerst von Dorfmeister, dann von Weismann angestellten Versuche mit Wärme- und Kälte- einwirkung auf Vanessa Levana und Prorsa u. a. Meine Schmetter- lingsstudien werden zeigen, dass die offenbare Wirkung des Klimas in der freien Natur meine Deutung jener Wirkung äußerer Einflüsse durchaus bestätigt. Im übrigen erlaube ich mir, die Biologen auf ein sachent- sprechendes Studium meines Buches selbst hinzuweisen und erwähne nur noch, dass, wie ich soeben erst in Erfahrung gebracht habe, auch der von mir berührte Kritiker in „Nature“ ein Student ist — ein Zeichen jedenfalls dafür, dass das Buch weite Kreise anzuregen vermag. Eimer (Tübingen). Zu Herrn R. von Lendenfeld’s Besprechung meiner Arbeit über die Seyphomedusen des St. Vincent Golfes. In Bd. VIII Nr. 7 dieser Zeitschrift hat R. von Lendenfeld in seinem Aufsatze „Neue Arbeiten über australische Polypomedusen“ eine Besprechung meiner Abhandlung über „Die Scyphomedusen des St. Vincent Golfes“ (Jen. Zeitschr. f. Naturw., XX. Bd., S. 588) ge- liefert, zu welcher ich notgedrungen, wenn auch mit großem Wider- streben, einige Bemerkungen zu machen habe. 1) Ich habe aus dem Vorhandensein eines Stielkanals bei dem Jüngst von mir beobachteten Exemplare von Charybdea Rastonii nicht „schließen zu dürfen“ geglaubt, dass sich diese Meduse und die nicht sessilen Tesseronier überhaupt aus lateralen Knospen ihrer Polypen- Ammen oder auch aus Stolonen derselben entwickeln, sondern nur „vermutungsweise“ die Ansicht ausgesprochen, dass solches der Fall ist. von Lendenfeld’s Satz „Nach meiner Ansicht bedarf eine solche Annahme wohl noch stärkerer Beweise“ war deshalb nicht am Platze. 2) Verglichen mit der mediterranen, „von Claus genau studierten Art, steht Haacke’s Meduse nach seiner Anschauung“ nicht „auf einer höhern Stufe der Entwicklung“, sondern es sind nach meinem Befunde nur die Sinneskolben von Ch. Rastonii „weiter entwickelt“ 358 Haacke, v. Lendenfeld’s Besprechung meiner Arbeit über Seyphomedusen. als diejenigen von Ch. marsupialis, denn die unentwickelten Sinnes- kolben von Ch. Rastonii stehen „auf derselben Stufe, wie die von Claus abgebildeten Sinneskolben von Ch. marsupialis“. Von „An- schauungen“ kann deshalb überhaupt nicht die Rede sein. 3) von Lendenfeld hält es für wahrscheinlich, dass meine Oyanea Muellerianthe „nur eine Farbenvarietät“ seiner ©. Annaskala ist. Worauf er seine Ansicht stützt, hat er allerdings nicht gesagt. Geographische Gründe dafür sind kaum vorhanden, wie aus dem faunistischen Teil meiner Arbeit, den mein Rezensent übrigens gar nicht erwähnt, zur genüge hervorgehen dürfte. Wenn des letztern Abbildungen von ©. Annaskala so korrekt oder genau sind wie die meinigen von ©. Muellerianthe, dann sind unsere Medusen spezifisch verschieden. 4) Das in einer frühern Arbeit von mir als Nesselkolben be- zeichnete Anhangsorgan einer der acht Arme von Monorhiza Haeckelii ist morphologisch ein „Terminalknopf“ (Häckel). Dasselbe gilt von den „Nesselkolben“ bei Pseudorhiza aurosa v. Lendenfeld. Der letztere hätte von dieser bessern morphologischen Erkenntnis wohl Notiz nehmen dürfen. 5) Der Terminalknopf von Monorhiza Haeckelii kommt an Länge dem Schirmdurchmesser der Meduse nicht bloß gleich, sondern über- trifft denselben. 6) Der Terminalknopf ist nicht dreiflüglig, sondern dreikantig. Nur nahe seiner Insertionsstelle ist er dreiflüglig. 7) Ich habe nicht behauptet, dass Gastralfilamente den erwach- senen Exemplaren von Monorhiza Haeckelii fehlen, sondern nur gesagt, dass ich sie nirgends habe finden können. 8) Eine 6-Millimeter-Larve von Monorhiza Haeckelii besaß die acht typischen Sinneskolben der Diskomedusen; bei einer 11-Millimeter- Larve fehlten dagegen die vier perradialen; bei einer jungen Meduse von etwa 30 Millimeter Breite waren die letztern, oder wenigstens ihre Nervenzentren schwächer entwickelt als die interradialen; sämt- liche ausgewachsenen Exemplare besaßen dagegen die 8 typischen Sinneskolben der Diskomedusen. Aus diesen Befunden geht hervor, dass sich bei einigen Exemplaren von Monorhiza Haeckelii „die vier perradialen Sinneskolben und Nervenzentren erst lange nach den’ vier interradialen entwickeln“; denn man kann doch wohl nicht an- nehmen, dass bei sämtlichen Exemplaren alle acht Sinneskolben gleichzeitig auftreten, dass dann die vier interradialen gänzlich zurück- gebildet werden, um alsbald wieder von neuem zu erscheinen. „Es ist mir nicht bekannt, dass ein solcher Fall bei andern Diskomedusen beobachtet worden wäre“. Dagegen war es mir sehr wohl bekannt, dass v. Lendenfeld bei seiner Phyllorhiza punctata neben den von Anfang an vorhandenen acht typischen Diskomedusen-Rhopalien ein vorübergehendes Auftreten accessorischer Sinneskolben beobachtet hatte Faussek, Embryon. Entwicklung der Geschlechtsorgane bei der Afterspinne. 359 (Proc. Linn. Soc. New South Wales, Vol. IX, Part 2). Er machte dabei die Bemerkung, dass dieser Befund beweiskräftig sei für „the great fundamental difference between these Seyphomedusae which have more marginal bodies in the young than in the adult state, and Hydromedusae, which often possess fewer sense organs, when young, than when grown up“. Manche Exemplare der Monorhiza Haeckelii stimmen also grade bezüglich des hier in Frage stehenden Punktes mit den Hydromedusen überein, und mit Staunen sah ich deshalb, dass R. von Lendenfeld eine Prioritätsreklamation mir gegenüber erhebt. „Da möchte ich bemerken“, sagt er, „dass ich bei Phyllo- rhiza punctata, deren Entwicklung ich eingehend zu studieren Gelegen- heit hatte, schon vor mehrern Jahren eine Verminderung und Ver- mehrung der Randkörperzahl während der Metamorphose der Ephyra beschrieben habe. Haacke’s Monorhiza ist also die zweite Meduse, bei welcher sich die Randkörperzahl während der Entwicklung ändert“. Allerdings! Wenigstens gilt das für einen Teil ihrer Individuen. Aber ich habe auch nie behauptet, dass Monorhiza Haeckelii in dieser Beziehung die erste Meduse wäre. Sie ist dagegen, so viel mir be- kannt, die erste Diskomeduse, bei der ein zuweilen vorkommendes ver- spätetes Erscheinen der vier perradialen Sinneskolben nachgewiesen ist; dass ich nichts Anderes behauptet habe, geht doch wohl unzweifel- haft aus meiner Abhandlung hervor. Haacke (Frankfurt a./M.) Ueber die embryonale Entwicklung der Geschlechtsorgane bei der Afterspinne (Phalangium). Von Victor Faussek. (Aus dem zootomischen Laboratorium der Universität zu St. Petersburg.) Unsere bisherigen Kenntnisse von der Embryonalentwicklung der Geschlechtsorgane bei den Arachniden sind so mangelhaft, dass die vorliegende kurze Notiz über die Entwicklung derselben bei Phalan- grum (cornutum?) vielleicht nicht ohne Interesse sein dürfte. In jenem Entwicklungsstadium des Embryos, wenn die Segmen- tierung der Bauchplatte beginnt und die ersten Segmentanhänge als kleine Vorragungen auftreten, besteht die Anlage der Geschlechts- organe aus einer Gruppe von spezifischen Zellen, die im Abdominal- ende des Embryos liegen. Diese Zellengruppe (Fig. 1g) ragt etwas in das Ei (in die Furchungshöble) hinein und zeichnet sich sofort durch ihre hellere Färbung aus (bei Färbung mit Borax-Karmin). Sie besteht aus ziemlich großen, polygonalen Zellen, so dicht an 360 Faussek, Embryon. Entwieklung der Geschlechtsorgane bei der Afterspinne. einander gereiht, dass ihre Grenzen meistens nicht zu unterscheiden sind; man sieht nur zahlreiche Bio, f u : dieht gedrängte Kerne. Die & Kerne sind weit größer als die = der Ektoderm- und Mesoderm- Ei Zellen, und sie enthalten je Er 1—2 Nucleoli und Chromatin- FR körnehen. Da die Chromatin- E körnchen ziemlich vereinzelt 3 vorkommen und das Kern- o., S 30880 CR plasma sowie das der Zelle a selbst nicht tingiert wird, so erhält die ganze Gruppe ein lichteres Aussehen, als die kleinen, dicht liegenden Zel- len der Bauchplatte. In einem weitern Stadium, wo nämlich im Embryo die obern Schlundganglien und der Bauchnervenstrang sich entwickeln und die Gliedmaßen schon eine beträchtliche Länge erreicht haben, behält die Anlage der Geschlechtsorgane (Fig. 2g) sowohl ihre ursprüngliche Stellung im Abdominalende der Bauchplatte als auch die allgemeine Gestalt ihrer Zellen; demgemäß sind dieselben an jedem Präparat leicht zu erkennen. Jetzt liegt die Genitalanlage am hintern Ende 7 ° [67 1023 des Nervenstranges, so dass unter ihr noch einige Reihen der Ekto- dermzellen der Anlage des Nervensystems zu liegen kommen; die Genitalanlage selbst aber ist schon im Mesoderm eingeschlossen. Es gehen nämlich die beiden dicht aneinander liegenden Mesoderm- Faussek, Embryon. Entwicklung der Geschlechtsorgane bei der Afterspinne. 361 blätter (Fig. 2, mes.), sobald sie in die Nähe der Genitalanlage ge- rückt sind, auseinander und umfassen dieselbe derart, dass das darunter befindliche parietale Blatt die Anlage vom Ektoderm, das viszerale dieselbe nach oben hin von den Dotterzellen trennen. Also liest die Genitalanlage während dieses Entwicklungsstadiams schon zwischen zwei Mesodermblättern, in der künftigen Leibeshöhle, im Coelom. Die Vorgänge aber, welche dazu führen, dass die Genital- anlage, die früher unmittelbar an die Furchungshöhle grenzte, sich jetzt zwischen den Mesodermblättern befindet, habe ieh noch nicht verfolgen können. Späterhin, wenn der Embryo fast gänzlich ausgebildet ist, die Gliedmaßen vollkommen entwickelt sind und das definitive Nerven- system aus dem Gehirn und einem zusammengesetzten Brustknoten besteht, treten in der Entwicklung der Genitalanlage keine bemerk- baren Veränderungen ein. Sie behält immer ihre Lage im Hinterende des Abdomens zwischen den Mesodermblättern. Da nun zur selben Zeit der Bauchnervenstrang das Abdomen verlässt und sich im Üe- phalothorax konzentriert derart, dass das parietale Blatt im Abdomen unmittelbar an dem Ektoderm anliegt, so liegt auch die Genitalanlage unmittelbar der Bauchwand des Körpers an. Bei den eben oder unlängst ausgeschlüpften Jungen von Pha- langium behält die Anlage der Geschlechtsorgane noch immer den ‚embryonalen Charakter einer unpaarigen Zellenmasse, welche im Abdomen zwischen zwei Mesodermblättern liegt. Dann wird sie durch die Vermehrung ihrer Zellen größer und bei ältern Individuen (1-2 Monate alt) konnte ich verfolgen, wie aus dieser Zellengruppe die weiblichen, mit einer Membrana propria mit deutlichen Kernen umgebenen Genitalorgane nebst jungen Eiern sich entwickelten. Die Entstehung der männlichen Geschlechtsorgane wurde noch nicht ver- folgt. Demnach entsteht die Genitalanlage bei Phalangium 1) in einem sehr frühen Entwicklungsstadium, 2) als ein unpaares und 3) aus besondern, spezialen Zellen gebildetes Organ. Auf meine Bitte hatten die Herren Privatdozenten W. Schimkevitsch und N. Cholod- kovsky die Liebenswürdigkeit gehabt, meine Präparate, welche mir die oben beschriebenen Prozesse zu verfolgen gestatteten, zu durch- mustern und vermochten alle beschriebenen Stadien zu konstatieren. Woher stammen die Keimzellen? Eine ganz genaue Antwort auf diese Frage wage ich noch nicht zu geben, es scheint mir aber folgende Entstehung im hohen Grade wahrscheinlich. Während der Bildung des Blastoderms zerfällt der Inhalt des Eies in Dotterzellen — es geht ein Prozess vor sich, den man als eine verzögerte totale Furehung bezeichnen kann. Es bilden sich runde, viele größere und kleinere Dotterkugeln einschließende Zellen von bedeutender Größe (Fig. 2, Dz). Durch Abtrennung von den 362 Faussek, Embryon. Entwicklung der Geschlechtsorgane bei der Afterspinne, sich bildenden Dotterzellen entstehen die Blastodermzellen, wie es bereits von H. Henking (Zeitschr. f. wiss. Zoologie 45. Bd.) be- schrieben ist. Jede Dotterzelle enthält einen großen, sehr ceharakteristischen Kern mit einer deutlich sichtbaren Kernmembran, 1—3 Nucleoli und manchmal einigen Chromatinkörnchen. Die Größe der Kerne variiert bedeutend, doch sind sie immer größer als die der Blastodermzellen: ebenso ist die Form derselben unbeständig rund, oval, mitunter ziem- lich unregelmäßig. Sie teilen sich ziemlich rasch und, wie es scheint, durch amitotische Kernteilung. Die Form und die Struktur der Dotterzellen erhalten sich nur in seltenen Fällen in den Präparaten. Gewöhnlich leidet ihr zartes Plasma viel bei der Bearbeitung und erscheint fast ganz zerstört. Die Umrisse der einzelnen Zellen verschwinden, und dann erscheint der Inhalt des Eies mit Dotterkugeln erfüllt, mit dazwischen zer- streuten Kernen der Dotterzellen (Fig. 1k). Bei der Behandlung mit Flemming’s Mischung erhält sich die Struktur der Kerne recht gut, wenngleich die Dotterzellen meist doch zerstört werden. Dank der ansehnlichen Größe der Dotterzellenkerne kann man dieselben auf solchen Präparaten bei oberflächlicher Betrachtung für Zellen halten. Mir scheint es höchst wahrscheinlich, dass die Keimzellen un- mittelbar von den Dotterzellen abstammen. Das oben beschriebene erste Stadium in der Entwicklung der Genitalanlage besteht schon , aus einer ziemlich bedeutenden Anzahl der Keimzellen; es ist also schon nicht die allererste Entwicklungsstufe. Auf einem Schnitt- präparate aus dem bedeutend frühern Entwicklungsstadium des Em- bryos, wo nämlich der Keimstreifen kaum entwickelt ist und ebenso wie das Mesoderm sich noch nicht zu segmentieren begann, also noch keine Spur von Anlagen der Anhänge vorhanden ist, konnte ich auf zwei neben einander liegenden Schnitten einer Serie einige (5) dicht gedrängte, unmittelbar an dem Keimstreifen anliegende, große poly- gonale Zellen finden. Die Kerne dieser Zellen waren denen der Dotterzellen sehr ähnlich und, wie die letztern, weit größer als die Kerne der Blastodermzellen. Diese Aehnlichkeit der Kerne und die bedeutende Größe der Zellen selbst im Vergleich mit den viel kleinern Blastodermzellen machen die unmittelbare Abstammung derselben von den Dotterzellen fast unzweifelhaft. Gleichzeitig waren die Zellen selbst sowie auch deren Kerne denjenigen der Genitalanlage auf den spätern Entwicklungsstadien sehr ähnlich und unterschieden sich von denselben nur durch etwas bedeutendere Größe. Es kann kaum daran gezweifelt werden, dass diese fünf Zellen die wirklichen ur- sprünglichen Zellen der Genitalanlage bilden, die sich später durch Teilung vermehren. In diesem Falle dürfte das Auftreten derselben im Ei mit dem Auftreten des Keimstreifens fast gleichzeitig statt- finden; die Keimzellen würden unmittelbar von den Dotterzellen ab- Friedländer, Ueber das Kriechen der Regenwürmer. 365 stammen, ganz unabhängig von den somatischen Zellen des Blasto- derms und des Keimstreifens. Die Entwieklung der Geschlechtsorgane bei Phalangium bildet demgemäß einen neuen Fall einer äußerst frühen Differenzierung der Keimzellen in dem sich entwickelnden Ei. Ueber das Kriechen der Regenwürmer. Von Benedict Friedländer in Berlin. Im Sommer 1888 von mir angestellte, aber noch nicht zum Ab- schluss gelangte Versuche über Regenerationserscheinungen am Regen- wurm gaben die Veranlassung zu einigen physiologischen Beobach- tungen, von denen ich eine im Folgenden vorläufig mitteile, ohne jedoch eine ganz sichere Erklärung für dieselbe geben zu können. Ich schnitt den Würmern nieht nur die vordern oder hintern Segmente ab, sondern bewirkte auch Exzisionen von kleinern Partien des Bauch- marks in der Mitte. Was nun die erstern Experimente betrifft, so ist hervorzuheben, dass die des Vorderteils beraubten Würmer sich ganz anders verhalten wie diejenigen, denen das Schwanzende abgeschnitten war. Letztere benehmen sich, um es kurz zu sagen und wie im voraus erwartet werden konnte, wie normale Tiere; sie bohren sich alsbald in die Erde ein. Nicht so die geköpften Würmer. Unmittel- bar nach der Operation machen sie heftige schlagende und windende Bewegungen, kriechen auch wohl eine Zeit lang herum, kommen aber meist schon nach kurzer Zeit zur Ruhe und können nun auf feuchter Erde, mit feuchtem Fließpapier bedeckt, Tage und Wochen lang ruhig daliegen, ohne, wie es scheint, nach Verheilung der Wunde autonome Bewegungen zu machen. Jeder Reiz lässt sie jedoch alsbald aus ihrer Passivität erwachen; sie machen dann ganz energische Bewe- gungen, kriechen sogar ein Stück weit, nach kurzer Zeit jedoch fallen sie in die anfängliche Lethargie zurück. Weit höheres Interesse jedoch beanspruchen, wie ich glaube, die folgenden Versuche. Es wurde zunächst ein ventral-lateraler Einstich etwa in der Mitte des Tieres gemacht, sodann von diesem aus durch einen neuralen Querschnitt der Hautmuskelschlauch eröffnet und so das Bauchmark freigelegt. Bei einigermaßen großen Würmern gelingt es dann leicht, das Bauchmark mittels einer unter dasselbe geschobenen Nadel in die Höhe zu heben. Entweder kann man nun dasselbe einfach dureh- schneiden, oder erst eine kleine Schlinge hervorzerren und diese ii 2 Punkten a tempo durchtrennen, so dass ein 0,5—1 em langes Stück exzidiert wird. Für den Fall nun, dass nicht etwa der Darm durch die Wunde hervorquillt oder gar zerreißt, was bei einiger Vorsicht leicht vermieden werden kann (namentlich darf die Wunde nicht unnötig groß gemacht werden), tritt nach 1—2 Tagen vollständiges 564 Friedländer, Ueber das Kriechen der Regenwürmer, Zuheilen der Wunde ein, während der Defekt im Bauchmark lange Zeit hindurch bestehen bleibt. Anfangs erwartete ich, dass die hinter und vor der Resektionsstelle gelegenen Partien des Wurmes sich bei der Lokomotion physiologisch wie 2 Individuen verhalten würden, oder auch etwa, dass der hintere Teil einfach nachschleppen würde. Beides ist nun aber durchaus nicht der Fall, sondern die Tiere, denen in der Mitte ein Stück des Zentralnervensystems total fehlt, kriechen ganz so wie normale Tiere bis auf eine kleine später zu besprechende Abweichung. In den vordern Segmenten beginnt eine Kontraktion der Längsmuskeln, welche nach hinten fortschreitet, an die Resektionsstelle gelangt, diese überspringt und hinter derselben sich fortsetzt, so dass also die Bewegungen beider Teile genau in derselben Weise koordiniert sind wie beim normalen Tier. Nach Ablauf mehrerer Wochen waren die Würmer durchaus munter, sie wurden seziert und dabei festge- stellt, dass wirklich ein Stück Bauchmark fehlte. Wie ist nun diese Thatsache zu erklären ? Eine Fortleitung des Reizes im Zentralnervensystem ist offenbar an der defekten Stelle nicht möglich. Wird die Erregung vielleicht von Muskelelement zu Muskelelement direkt (oder durch einen in den Muskeln liegenden Ganglienzellplexus) fortgeleitet? Bei dieser An- nahme wäre es auffällig, dass im normalen Regenwurm zwar die Erregung durch das Bauchmark, im Falle der Resektion derselben jedoch auf andrem Wege fortgeleitet werden und dennoch in beiden Fällen genau der gleiche Effekt, nämlich ein regelmäßiges Fort- schreiten der Kontraktionswelle von vorn nach hinten und damit eine koordinierte Lokomotion erreicht werden sollte; man müsste denn annehmen, dass auch beim normalen Regenwurm das Bauchmark mit dem gewöhnlichen Kriechen direkt nichts zu thun habe. Diese An- nahme ist zwar unwahrscheinlich, muss aber doch als Möglichkeit in betracht gezogen werden. Aber noch aus einem andern Grunde kann ich nieht an eine solche Uebertragung des Reizes von Muskelzelle zu Muskelzelle glauben. In dem Augenblick nämlich, wo beim Kriechen der operierten Tiere die Kontraktionswelle die resezierte Stelle er- reichte, bildete sich eine ringförmige Einschnürung an der- selben, während die äußerlich als eine Diekenzunahme sich darstel- lende Kontraktionswelle, wie gesagt, hinter dieser Stelle sich ungestört fortsetzte. Diese Einschnürung erklärte sich in einfachster Weise durch die Annahme, dass die Längsmuskeln der bauchmark- losen Segmente sich nieht mit kontrahierten. Wenn nun eine direkte Uebertragung des Reizes von Muskel zu Muskel statt- fand, konnte dies nicht der Fall sein. Hiergegen ließe sich nun aller- dings der Einwand erheben, dass ja bei der Operation durch den beschriebenen Querschnitt eine Anzahl von Längsmuskeln einfach durchschnitten und somit außer Funktion gesetzt seien, und das Un- Friedländer, Ueber das Kriechen der Regenwürmer. 365 terbleiben der Kontraktion somit hierdurch erklärt würde und nicht die Folge des Defektes im Bauchmark wäre. Dann könnte freilich dennoch eine direkte Uebertragung des Reizes durch die teilweise intakt gebliebenen Längsmuskeln stattfinden. Um diese Frage zu entscheiden, versuchte ich die gleiche Operation -— Exzision eines Stückes Bauchmark — ohne eine erhebliche Verletzung der Längs- muskeln zu bewirken, d. h. ich schnitt den Hautmuskelschlauch ven- tralmedian in der Längs-Richtung einige Minimeter weit auf und suchte nun ein mögliehst großes Stück Bauchmark zu entfernen. Es kam nun darauf an zu konstatieren, ob die Längsmuskulatur auch der marklosen Segmente beim Kriechen kontrahiert würde oder nicht. Diese Beobachtung ist nieht ganz leicht, wenn man nur ein kurzes Stück Bauchmark exzidiert hat; anderseits ist es einigermaßen schwierig, ein längeres Stück Bauchmark zu entfernen. Ich kann daher nicht mit absoluter Sicherheit behaupten, dass die Kontrak- tion völlig unterbleibt; jedenfalls ist sie erheblich vermindert, und es schien mir an gut operierten Tieren so, als ob dieselbe völlig auf- gehoben sei. Somit bin ich leider nicht in der Lage zu entscheiden, ob die Annahme der Uebertragung des heizes von Muskel zu Muskel ganz auszuschließen ist; doch glaube ich die Unwahrscheinlich- keit derselben dargethan zu haben und mit folgender Erklärung eher das Richtige zu treffen. Bei einem ruhig kriechenden intakten Regenwurm beginnt, wie gesagt, die Kontraktionswelle nahe dem vordern Ende des Tieres, Jedenfalls durch einen Willensakt des Tieres hervorgerufen. Da durch die Stellung der Borsten ein Zurückweichen der vor der sich kon- trahierenden Partie gelegenen Segmente verhindert wird, wird auf die hinter derselben befindlichen Segmente ein Längszug ausgeübt. Wie nun, wenn man annähme, dass eben dieser als Reiz auf die gedehnten Partien des Bauchmarks wirkte und der dadurch ausgelöste Reflex in einer Kontraktion der Längsmuskeln der gedehnten Segmente bestände? Es würde dann zunächst eine solche Kontraktion eintreten; diese würde in gleicher Weise auf die nächstfolgenden Segmente wirken, kurz es müsste dann die Kontraktionswelle allmählich den ganzen Wurm von vorn nach hinten durchlaufen, was wirklich der Fall ist. Denken wir nun an unsern operierten Regenwurm. Die Kontraktion sei bei der des Bauchmarks entbehrenden Stelle angelangt und übe auf diese einen Zug aus. Hier kann keine Reflexkontraktion eintreten, denn das Reflexzentrum, das Bauchmark fehlt. Dies ist, wie oben angeführt, nach meinen Beobachtungen wenigstens sehr wahrscheinlich wirklich der Fall. Aber rein mechanisch wird der Zug durch die wie eine leblose Masse sich passiv verhaltenden bauchmarklosen Seg- mente fortgeleitet und gelangt so schließlich zu den dahinter befind- lichen normalen Segmenten. Unserer Annahme zufolge muss Längs- 366 Friedländer, Ueber das Kriechen der Regenwürmer, kontraktion derselben eintreten und diese bis zum Hinterende sich fortflanzen, was der Fall ist. So würde also obige Annahme, der zufolge eine Längsdehnung eine Längskontraktion als Reflexbewegung auslöst, das Fortschreiten der Kon- traktionswelle und somit die Lokomotion sowohl des normalen wie des operierten Regenwurmsin einheitlicher Weise befriedigend erklären. Es kam mir daher darauf an, diese Annahme auch durch direkte Versuche wahrscheinlich zu machen. Diese sind sehr einfach und gelingen bei einigermaßen leb- haften Regenwürmern, denen die vordern Segmente abgeschnitten wurden, durchaus prompt. Zieht man an den vordersten Segmenten des geköpften Wurms, so tritt Längskonzentration ein, eine Erschei- nung, die nur durch dem Anschein nach autonome Bewegungen des der vordersten Segmente beraubten Tieres (namentlich in den ersten Minuten nach dem Abschneiden der vordersten Segmente, vermutlich wegen des durch die Operation selbst gesetzten nachwirkenden Reizes) etwas verdunkelt werden kann. Ja es gelingt sogar folgender Ver- such oft sehr gut, der die Sache vielleicht am deutlichsten demon- striert: man schneide einen Regenwurm etwa in der Mitte entzwei und nähe nun beide Stücke so zusammen, dass beide durch ein etwa 1 cm langes Fadenstück verbunden sind. Wie anfangs bemerkt, pflegt das hintere Ende nach einiger Zeit zur Ruhe zu kommen, während das vordere normale Kriechbewegungen ausführt. In dem Augenblick nun, wo die Kontraktionswelle des vordern Teils am Hinterende des- selben angelangt ist, entsteht ein Zug, welcher auf den Faden und somit auf das daran befestigte Vorderende des hintern Teils wirkt. Alsbald beginnt dort eine Kontraktion, die sich nun ganz normal bis zum Hinterende fortsetzt. Wenn nun nicht, was allerdings mitunter der Fall ist, auch das Hinterende, wenn es einmal in Bewegung ist, autonom weiter kriecht, hat man das erstaunliche Schauspiel, dass die nur durch einen Faden verbundenen Stücke wie ein physio- logisches Individuum koordinierte, harmonische Lokomotionsbewe- gungen vollführen. Die Erklärung ergibt sich mit Hilfe unserer Hypo- these von selbst. Wenn sich die hier versuchte provisorische Erklärung auch nicht bestätigen sollte, so bleibt doch immerhin die Thatsache, dass ein Regenwurm mit reseziertem Bauchmark koor- dinierte Kriechbewegungen ausführt wie ein normaler, beachtenswert. Man wird bei Anneliden z. B. nicht mehr aus der Beobachtung, dass Vorderteil und Hinterteil koordinierte Bewe- gungen machen, schließen dürfen, dass die Leitungsfähigkeit des Bauchmarks überall imtakt sei; ef. Krukenberg, vergleichend- physiolog. Studien an den Küsten der Adria. Heidelb. 1880. S. 87 tf. Zacharias, Zum Befruchtungsvorgange bei Ascaris megalocephala. 367 Zum Befruchtungsvorgange bei Ascaris megalocephala. Dr. N. Kultscehitzky (Charkow) hat kürzlich in den Sitzungs- berichten der k. preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin die Ergebnisse einer Untersuchung des Befruchtungsvorganges beim Pferdespulwurm publiziert, aus denen — als von allgemeinerem In- teresse — hervorgehoben zu werden verdient: dass auch dieser neueste Untersucher des Ascaris- Eies zu der Ueberzeugung gelangt ist, es gehe die Richtungskörperbildung bei demselben in der typischen Form einer mitotischen Kern- und Zellteilung vor sich. Bekanntlich ist dieselbe Thatsache schon von M. Nussbaum, Th. Boveri und mir gegen die Ansicht E. v. Beneden’s geltend gemacht worden, der in der Bildung der Richtungskörper einen pseudomitotischen Vor- gang erblicken wollte. Kultschitzky stimmt auch darin mit mir überein, dass er zwei neben einander gelagerte Spindelfiguren im Ascaris-Ei konsta- tiert und nicht bloß eine, wie die bisherigen Beobachter. Ueber den feinern Bau der Pronuclei macht der russische Forscher einige Angaben, welche in den Berichten der andern Untersucher nicht enthalten sind. Nach Dr. K. besitzt nämlich jeder Vorkern des Ascaris-Eies einen charakteristischen Nucleolus, bisweilen sogar zwei, selten drei. Sind in einem der beiden Pronuclei zwei Kernkörperchen vorhanden, so besitzt jedes mal auch der andere deren zwei. Hat der eine drei, so hat sie auch der andere, so dass eine pedantische Gleichförmigkeit in diesen Verhältnissen hervortritt. Bestätigt sich diese interessante Wahrnehmung, so kann man mit Dr. K. daraus schließen, dass die Pronuclei thatsächlich ruhende und auch vollkommen ausgebildete Kerne sind. Was nun den Befruchtungsvorgang als solchen anlangt, so stellt sich Dr. K. auf grund seiner Wahrnehmungen auf v. Beneden’s Seite und behauptet: dass in allen Fällen ohne Ausnahme jeder Pronucleus seine karyokinetischen Veränderungen selbständig be- ginne, und dass von einer Verschmelzung beider Kerngebilde im Hertwig’schen Sinne nicht die Rede sein könne. Das Wesen der Befruchtung liegt (nach K.) lediglich in dem Vorgange, durch welchen der dem Ei bisher fremde Spermakern in einen Bestandteil desselben, in einen Pronucleus umgewandelt wird. Dem gegenüber stehen nun bekanntlich die Beobachtungen anderer Forscher, welche auch bei A. megalocephala die Verschmelzung der beiden Vorkerne zweifellos konstatiert haben. Ich selbst habe in zahlreichen Fällen solche Stadien in meinen Präparaten erhalten. Leider hängt es nur vom Zufall ab, die Eier grade in diesem er- wünschten Augenblicke zu fixieren, und nur aus dieser Schwierigkeit erklärt sich die Meinungsverschiedenheit zwischen den einzelnen Beobachtern. Dr. Otto Zacharias (Hirschberg 1./Sch.). 365 Zacharias, Verbreitung niederer Wassertiere durch Schwimmvögel. Ueber partielle Befruchtung '). Wie aus einer Notiz in den Berichten der naturforschenden Ge- sellschaft zu Freiburg i./Br. (Band IV Heft 1) zu entnehmen ist, haben die Herren A. Weismann und C. Ischikawa die höchst interessante Wahrnehmung gemacht, dass bei den Dauereiern von Moina- Arten eine partielle Befruchtung vorkommt, welche darin be- steht, dass nicht die gesamte Eizelle sich mit dem eingedrungenen Spermatozoon vereinigt, sondern nur eine der vier ersten Furchungs- kugeln. Dies geschah zweifellos bei Moina paradozxa. Die Vereinigung der Samenzelle mit Zelle und Kernbestandteilen des Eies findet also hier erst statt, nachdem die Embryonalentwick- lung bis zum 4-Zellenstadium vorgeschritten ist. Das ist ein sehr bemerkenswertes Faktum. Natürlich wäre es nun von größtem In- teresse zu wissen, was aus der allein sich kopulierenden Furchungs- zelle später wird, welche Teile des Embryos aus ihr hervorgehen. Die Vermutung liegt nahe, es möchte hier nur diejenige Partie des Eies befruchtet werden, aus welcher später die Keimzellen des jungen Tieres werden. Diese Vermutung gewinnt an Wahrscheinlichkeit dadurch, dass es eine der beiden am vegetativen Pol gelegenen Furchungs- zellen ist, die sich kopuliert, aus denen ja auch bei den Sommereiern von Moina (nach Grobben) die Keimzellen des Embryos hervorgehen. Die genannten Beobachter hoffen, später genaueres über diesen Punkt mitteilen zu können. Bei Sida erystallina ließ sich ebenfalls partielle Befruchtung feststellen. Nur erfolgte hier die Kopulation schon im 2-Zellenstadium der Furchung. 0.2 Ueber die Verbreitung niederer Wassertiere durch Schwimm- vögel. Die Gleichmäßigkeit, welche weit von einander entfernte Binnen- seen in der Zusammensetzung ihrer Fauna häufig darbieten, kann nicht auf bloßem Zufall beruhen. Es muss eine Ursache vorhanden sein, welche die Verbreitung niederer Tiere über große Gebiete be- wirkt, sonst wäre es unmöglich, dass gewisse Würmer und Krebstiere sich fast in allen Süßwasserbecken der Erde vorfinden, wie die Er- fahrung lehrt. Seitdem nun der schweizerische Naturforscher Alois Humbert am Gefieder von wilden Enten Wintereier von Crustaceen nachgewiesen hat, nimmt man fast allgemein an, dass es die wan- dernden Schwimmvögel sind, welche kleine Wassertiere von einem See zum andern transportieren. Indess hatte sich kein Fachmann bisher eingehend mit dieser wichtigen Frage befasst, um endlich ein- mal festzustellen, welche Organismen es denn seien, deren weite Ver- breitung durch Wasservögel bewirkt werden könne. Erst ganz neuer- I) Mitten im Drucke dieser Nummer geht uns die Mitteilung zu, dass die Herren Weismann und Ischikawa ihre Beobachtungen iiber partielle Be- fruchtung zurückziehen. Red. des Biol. Centralblattes. Zacharias, Verbreitung niederer Wassertiere dureh Schwimmvögel. 569 dings ist von dem französischen Zoologen Jules de Guerne diese Lücke einigermaßen ausgefüllt worden, indem derselbe ganz sorg- fältige Forschungen bezüglich der Möglichkeit einer solchen Ver- pflanzung von Wassertieren angestellt hat !). M. de Guerne schlug dabei folgendes Verfahren ein. Er ver- schaffte sieh möglichst frische Stockenten (Anas boschas) aus den Läden der Pariser Wildprethändler und prüfte den organischen Inhalt der kleinen Schlammpartikelehen, welche dem Gefieder, dem Schnabel und den Füßen dieser Vögel anzuhaften pflegen. Mit besonderer Auf- merksamkeit wurden stets die Schwimmhäute abgewaschen und dann das erhaltene trübe Wasser längere Zeit in Kulturen angesetzt. Eine spätere mikroskopische Inspektion derselben ergab die Anwesenheit von kleinen Nematoden, Rädertieren (Philodiniden) und Rhizopoden (Trinema enchelys). Außerdem zeigten sich Diatomeen, Desmidieen, zahlreiche enzystierte Organismen, vereinzelte Cladoceren-Eier, Bruch- stücke von Bryozoen-Statoblasten (P/umatella) und der Schale eines Ostrakoden (CUytheridea torosa Jones). Dazu kamen noch Teile von Insektenpanzern, Puppenhüllen von Dipterenlarven, welche mit In- fusorienzysten angefüllt waren, und ähnliches. Eine Untersuchung der kleinen Schlammbrocken vom Gefieder lieferte den Nachweis, dass auch in diesen Algenreste, Sporen und Zysten enthalten waren. Nach solchen Befunden, welche freilich noch nicht reichhaltig genug sind, geht mit voller Sicherheit doch so viel hervor, dass es eine ganze Anzahl mikroskopischer Tiere und Pflanzen gibt, welche durch Schwimmvögel von See zu See übertragen werden können. Es würde ein ganz unwahrscheinlicher Zufall sein, wenn eine Wild- ente, die aus einem Gewässer auffliegt, nicht kleine organismenhaltige Schlammklümpehen und Algenfetzen mit sich fortnähme, und mehr bedarf es nicht, um die Theorie der Verbreitung niederer Pflanzen und Tiere durch Schwimmvögel zu stützen. Selbstverständlich wird es interessant sein, die von Jules de Guerne begonnenen speziellen Untersuchungen fortzusetzen. Ich selbst habe schon mehrfach darauf hingewiesen, dass es hauptsächlich auch die Fäces von Wasservögeln sind, welche der Verbreitung vieler mikroskopischer Organismen Vorschub leisten. In einiger Zeit gedenke ich über diejenigen Species, welche auf diese Weise verpflanzt werden können, nähere Mitteilungen zu machen. 1) Vergl. Sur les dissemination des organismes d’eau douce par les Palmi- pedes. Extrait des Comptes rendus hebd. des seances de la Societ& de Bio- logie (Paris), 1888. T. V. $tme Serie, Dr. Otto Zacharias (Hirschberg 1./Schl.). Vvıll. 24 370 Lombroso, Der Verbrecher in anthropol., ärztl. und juristischer Beziehung. Der Verbrecher in anthropologischer, ärztlicher und juristischer Beziehung. Von Cesare Lombroso. In deutscher Bearbeitung von Dr, E. O0. Fränkel. Mit Vorwort von Prof. Dr. jur. v. Kirchheim. (XXXV u. 562 S.), Verlag von J.,F, Richter in Hamburg. Als dieses Buch vor längern Jahren in erster Auflage erschien, vermochte es im wesentlichen nur über die eignen Untersuchungen und Beobachtungen des Verfassers zu berichten. Die Anthropologie des Verbrechers befand sieh damals in ihren ersten Anfängen; und klein war die Zahl derjenigen, die ihr ein lebendiges Interesse ent- gegen brachten. Das Material, über welches der Verf. verfügte, war daher verhältnismäßig spärlich, und seine Schlüsse mochten vielen als gewagt und unzureichend begründet erscheinen. Aber das Buch wirkte bahnbrechend und regte überall zu neuen Forschungen an, so dass der Gegenstand bei fast allen Kulturvölkern Bearbeiter ge- funden hat, und die „Anthropologie des Verbrechers“ inzwischen zu einem eignen Forschungsgebiet herangewachsen ist, dessen Vertreter unlängst bereits zu einem internationalen Kongresse zusammen kamen. Von diesem Stande der Dinge legt das uns jetzt in neuer Bearbei- tung vorliegende Werk Zeugnis ab. Es hat sich nach jeder Richtung hin erweitert und vertieft, und verwertet alles, was im letzten Jahr- zehent in dieser jungen Wissenschaft gearbeitet worden ist. Mit um- fassender Belesenheit hat der Verf. aus den verwandten Gebieten der Völkerkunde und Kulturgeschichte das herbeigezogen, was zu dem vorliegenden Stoffe in Beziehung steht und ihn zu erleuchten im stande ist. Vieles von dem, was Verf. über die Anthropometrie des Verbrechers mitteilt, darf jetzt als gesicherte Thatsache gelten. Da- gegen vermag Ref. den Ausführungen über Biologie und Psychologie des gebornen Verbrechers nicht durchweg allgemeine Giltigkeit zuzu- erkennen. Ueberhaupt scheint Ref. der Begriff des gebornen Ver- brechers durch die Erfahrung nicht festgestellt zu sein. Auf grund des vom Verf. beigebrachten Materials und nach eignen in einer zehnjährigen Thätigkeit au Deutschlands größter Strafanstalt gesammelten Beobachtungen, kann Ref. in den anthropologischen Eigen- tümlichkeiten des Verbrechers nur den Ausdruck dessen erblicken, was die heutige Neuropathologie mit erblicher Belastung bezeichnet. So wenig ein erblich belasteter Mensch dadurch allein mit Notwendig- keit zu geistiger Erkrankung vorausbestimmt ist, so wenig wird jemand zum Verbrecher geboren. Dass aus solcher Anlage heraus sich der Verbrecher entwickelt, daran tragen unseres Erachtens im wesentlichen soziale Verhältnisse im weitesten Sinne des Wortes die Schuld; ebenso gut wie es zur Entwicklung einer Nerven- oder Geisteskrankheit aus der ererbten Anlage noch besonderer Anlässe Lombroso, Der Verbrecher in anthropol., ärztl. und juristischer Beziehung. 571 bedarf. Anderseits gibt es unzweifelhaft eine große Anzahl Verbrecher, an denen sich keine Zeichen erblicher Belastung entdecken lassen, bei denen wir also die Ursache des Verbrechens auf andern Gebieten suchen müssen. Mit der Nichtanerkennung des gebornen Verbrechers entfällt auch die Hoffnungslosigkeit, die Verf. gegenüber den Ver- brechern im allgemeinen hegt; und seine Verurteilung des heutigen Prozessverfahrens sowie unserer Strafanstaltseinrichtungen verliert etwas von ihrer Begründung. Ich wende mich nach diesen Vorbemerkungen zu einem kurzen Berichte über den Inhalt des Werkes. Der erste Teil desselben handelt vom Uranfange des Verbrechens und bespriecht im 1. Kapitel „das Verbrechen und die niedern Organismen“. Verf. hebt hier hervor, dass die Handlungen, welche uns als schwerste Verbrechen gelten, bei Tieren und sogar bei Pflanzen so allgemein verbreitet sind, dass man sie als regelmäßige bezeichnen könnte. Er erinnert an die fleischfressenden Pflanzen, erwähnt bei den Tieren die Tötung zum Zwecke der Ernährung, im Kampfe um das Weibchen; aus Habsucht; die Tötung der Jungen durch die Eltern und umgekehrt. Doch darf man diese Handlungen nicht als Analoga des Verbrechens auffassen, da sie aus Anlage und Lebensbedingungen der betreffenden Organismen entspringen, so dass diese ohne jene Handlungen nicht fortbestehen könnten. Es geht daraus nur das hervor, dass es einen absoluten Gerechtigkeitsbegriff nicht gibt. Mehr den Verbrechen sich nähernden Handlungen begegnet man bei den Haustieren, sowie den wilden Tieren, welche in Vereinigungen, sogenannten Tierstaaten, leben. So beobachtet man bei Pferden an- geborne Bosheit in Verbindung mit Schädel-Anomalien, oder bei ver- schiedenen Haustieren Tobsuchtsanfälle mit rücksichtsloser Zerstörungs- sucht, bei gezähmten Tieren plötzliche Angriffe auf ihre Pfleger. Hierher rechnen könnte man ferner die geschlechtlichen Verirrungen der Hunde und anderer Haustiere in überfüllten Ställen. Auch die Entartung, die bei manchen Tieren durch den Genuss von Alkohol erzeugt wird, erwähnt Verfasser; Referent möchte indess in diesen Erscheinungen des Tierlebens viel eher Analoga geistiger Störungen als von Verbrechen erblieken. Eine Art von Strafe bei den Tieren findet Verf. darin, wenn z.B. gesellig lebende Tiere die ausgestellten Wachen wegen bewiesener Nachlässigkeit töten. Besonders wichtig ist indess der Umstand, dass der Mensch durch Gewöhnung, Belohnung und Strafe das Tier in gewisser Weise zu erziehen und abzurichten vermag, dass es aber nicht gelingt, gewisse Triebe auszurotten. Bemerkenswert ist zugleich, dass eine milde und freundliche Behandlung weiter führt als eine harte und grausame. Das 2. Kapitel beschäftigt sich mit dem Verbrechen und der Prostitution bei Wilden und Urvölkern. Schon aus der Sprach- 2A 372 Lombroso,t Der Verbrecher in anthropol., ärztl. und juristischer Beziehung. vergleichung ergibt sich, dass die Naturvölker den Begriff des Ver- brechens nicht kannten, und dass, was wir Verbrechen nennen, bei ihnen erlaubte und gewöhnliche Handlungen waren. Unsere Aus- drücke für den Begriff Verbrechen führen meist auf Wurzeln zurück, die einfach „That“ oder „Handlung“ bedeuten. Geschlechtliche Ver- brechen gab es und gibt es noch heute bei Naturvölkern nicht, da das Weib vielfach gemeinsames Eigentum des Stammes war. Später entwickelte sich daraus der Frauenraub und -Kauf, dessen Spuren wir noch heute in den Hochzeitsgebräuchen verschiedener Völker be- gegnen. Die Prostitution stand vielfach im Dienste des Kultus. Noch heute ist das Band der Ehe bei vielen Völkern sehr locker und wird mit Leichtigkeit gelöst. Fruchtabtreibung und Kindstötung sind noch in der Gegenwart bei Naturvölkern im Gebrauch; ebenso die Tötung der Greise und Siechen. Mord wird geübt teils infolge augenblieklicher Erregung; teils zum Beweis der Macht, des Mutes und der Tapferkeit; oder einfach aus Laune; oder als religiöser Brauch bei Todesfällen; oder endlich als Opfer zur Versöhnung der Götter. Der Diebstahl gilt nicht für unehrenhaft, sondern als Beweis von Schlauheit und Geschick. So wird es uns von den Spartanern und den alten Germanen berichtet; und noch gegenwärtig ist Diebstahl bei vielen halbzivilisierten Völkern nicht anstößig. Verbrechen erblicken Wilde und Naturvölker fast nur in Ver- stößen gegen Brauch und Herkommen. Es begreift sich daraus, dass es bei dem Fehlen von Verbrechen ursprünglich auch keine Strafen geben konnte; es gab nur eine per- sönliche Rache, die erlaubt und sogar Pflicht war. Die ersten Strafen richten sich gegen Verletzung des Eigentums und zwar zunächst der Häuptlinge. Diese, wozu auch der Ehebruch mit deren Frauen gehört, wird bei wilden Völkern mit dem Tode bestraft, während Mord und Tötung gänzlich straffrei sind. Die erste Form der Strafe bildete der Zweikampf; später kommen dann auch Geldstrafen vor, die den Häuptlingen oder Priestern zufließen. Auch die Menschenfresserei wird als gerichtliche Strafe z. B. bei einigen malaiischen Völkern beobachtet. Es ergibt sich somit die paradoxe Thatsache, dass sich im Grunde betrachtet, die Sittlichkeit und Strafe aus dem Verbrechen selbst ent- wickelt haben. In vielleicht mehr geistreicher als zutreffender Weise führt sodann Verf. eine Anzahl unserer Einrichtungen auf Ueberbleibsel alter bar- barischer Gebräuche zurück. So erblickt er in der Beschneidung der Juden und Muhammedaner die letzte Form der Kinderopfer; im Duell die älteste Form der Strafe; in dem bis vor wenigen Jahrhunderten von der Kirche geleiteten Ablass die Erinnerung an die Bußen für Verbrechen bei barbarischen Völkern, im Geschwornen - Gericht einen Lombroso, Der Verbrecher in anthropol., ärztl. und juristischer Beziehung. 375 Rest der alten Volksrache, dessen Steigerung das amerikanische Lynech- verfahren bilde. Im 3. Kapitel bespricht Verf. „das moralische Irresein und das Verbreehen bei den Kindern“. Er hebt hervor, dass die Keime des moralischen Irreseins und der Verbrechernatur sich nieht ausnahms- weise, sondern als Regel im Kindesalter ausgeprägt finden, gradeso wie der Embryo Formen darbiete, die beim Erwachsenen Missbildungen bedeuten würden. Das Kind entbehre des moralischen Sinnes, es gleiche geistig dem moralisch Irrsinnigen oder gebornen Verbrecher. Als Beweis dafür führt Verf. die Zornmütigkeit und Rachsucht kleiner Kinder an, sowie ihre Neigung zu Eifersucht gegen Geschwister und andere Personen, die sie sich gegenüber für bevorzugt halten, ferner ihren Hang zur Lüge und zu phantastischen Erzählungen. Er weist darauf hin, wie Kindern nur das als gut oder böse erscheint, was ihnen von den Angehörigen als solches hingestellt worden ist und wofür sie Anerkennung erwarten oder Strafe fürchten. Nicht minder fehlt Kindern wahre Zuneigung; sie vergessen rasch und hängen nur so lange an Personen, als sie von ihnen etwas Angenehmes erwarten (Ref. muss dies nach seiner Erfahrung durchaus bestreiten). Grau- samkeit ist ein Kindheitszug auch bei später normalen Menschen; ebenso ziehen alle Kinder Spiel und Müssiggang der Arbeit und An- strengung vor (Ref. kann diese Behauptung für normale Kinder nicht bestätigen). Eitelkeit und Nachahmungstrieb sind hervorstehende Eigenschaften des Kindesalters, wie sie den Grundzug des Größen- wahns und des erblichen Verbrechertums bilden. Was Verf. über das Vorkommen von Trunksucht und lüsternen Begierden ‚bei Kindern erzählt, gehört zweifellos in das Bereich patho- logischer Zustände. Ebenso geht aus den Angaben, die er über eine Anzahl von Kindern macht, welehe wirkliche Verbrechen verübt haben, hervor, dass es sieh in allen Fällen um ausgesprochen krankhaft ver- anlagte Kinder handelt. Dass die wirklich verbrecherischen Kinder sich nicht nur psychisch, sondern auch körperlich von normalen Kindern unterscheiden, weist Verf. dann selbst durch das Ergebnis seiner Untersuchung von 79 Insassen einer Besserungsanstalt für jugendliche Verbrecher nach. Sie setzen sich zusammen aus 40 Dieben, 27 Landstreichern, 7 Mördern und 5 unbekannten Vergehens. Unter ihnen fanden sich nur 7 völlig normal gebildete, von denen einer vielleicht irrtümlich in der Anstalt war. Von den übrigen zeigten 47 mindestens 3 Degenerationszeichen, namentlich abnorme Schädel- und Gesichtsbildung sowie abstehende Ohren. Von 59 inbezug auf die Erbliehkeit untersuchten waren bei 27 Störungen des Nervensystems bei Eltern oder nächsten Verwandten vorhanden. Die jugendlichen Verbrecher bieten somit bereits ein ähn- liches Verhältnis wie die erwachsenen dar. Zum Vergleich untersuchte Verf. 160 Kinder städtischer Schulen 374 Lombroso, Der Verbrecher in anthıropol., ärztl. und juristischer Beziehung. genauer. Es fanden sich darunter 89 sittlich normale und 71 mit sittliehen Mängeln wie Zornmut, Müßiggang, Lügen, üble Gewohn- heiten; 17 davon zeigten ausgesprochen verbrecherische Neigungen als Lüsternheit, Diebstahl, Bosheit u. dergl. Unter den sittlich guten Kindern boten nur 30°/, körperliche Anomalien und zwar nur 4 Kin- der zwei Degenerationszeichen, keins mehrere dar, während 10°], erblieh belastet waren. Unter den sittlich fehlerhaften Kindern da- gegen hatten 60°/, körperliche Degenerationszeichen und waren 46°], erblich belastet. Bei den Onanisten und Dieben unter den Kindern endlich erreichte die erbliche Belastung 63 und 66°/, und die Ver- breitung der Degenerationszeichen 72 und 83°%/,. Doch macht die erbliche Belastung eine normale sittliche Entwicklung keineswegs unmöglich, denn unter 45 erblich belasteten Kindern zeigten 12 (26,6 °/,) keine sittliche Störung. Ebenso kommen körperliche Degenerations- zeichen bei gutem Charakter vor (bei 30°/,), sind aber bei schlechtem häufiger, können indess auch bei letzterem fehlen (in 31°/,). Bei blind Gebornen und Taubstummen fand Verf. Degenerations- zeichen im Verhältnis von 70°/, zugleich mit sittlichen Abnormitäten vergesellschaftet. Man darf aus diesen Untersuchungen schließen, dass die sittlichen Mängel, welche beim Erwachsenen Verbrechen heißen, bei Kindern viel häufiger und zwar auch in Verbindung mit Degenerationszeichen und erblicher Belastung vorkommen, dass es aber einer verständigen Erziehung gelingt, sie in den meisten Fällen zu unterdrücken. Es wäre sonst nicht zu erklären, warum die Zahl der erwachsenen Ver- brecher nicht ungleich größer als m Wirklichkeit ist. Diese Annahme wird durch die Beobachtung bestätigt. Von 29 Volljährigen, deren Lebenslauf Verf. bekannt war, wiesen 18 Degene- rationszeichen auf. Unter diesen waren und blieben 4 ordentlich, 2 wurden, obwohl als Kinder gut, später Verbrecher. 12 waren be- reits als Kinder sittlich abnorm; von ihnen besserten sich 6, die andern blieben schlecht. 11 der erwähnten Personen waren körper- lich normal; 3 von ihnen waren als Kinder schlecht, wurden aber später gut; die andern zeigten sich von Jugend auf ordentlich. Man darf somit behaupten, dass die Erziehung in einer Anzahl von Fällen, aber keineswegs immer, die Entwicklung der bösen Neigungen aufzuhalten und zu unterdrücken vermag. Dabei leistet Strafe weniger als günstige äußere Verhältnisse, wie gute Luft, reich- liches Licht, zweckmäßige Ernährung, gutes Beispiel, sowie Fröbel’- sche Lehrmethode. Die unverbesserlichen Kinder müssten in eignen Asylen aufbewahrt werden, um durch ihr Beispiel nicht anzustecken. Der zweite Teil des Werkes behandelt die pathologische Anatomie und Messungen an Verbrechern; und zwar enthält Kap. 1 die Ergebnisse der Untersuchung von 383 Verbrecherschädeln. Dieselben eignen sich nicht zu einer auszugsweisen Wiedergabe und wir Lombroso, Der Verbrecher in anthropol., ärztl. und juristischer Beziehung. 375 müssen uns auf die Angabe beschränken, dass Verf. den Rauminhalt der Verbrecherschädel, namentlich der Diebe im allgemeinen kleiner fand als den Irrer und Gesunder; dass er in den wittlern und höhern Zahlen den Irren näher steht als Gesunden, dass aber anderseits so geringe Werte vorkommen, wie sie weder bei Irren noch bei Gesunden beobachtet werden. Inbezug auf die übrigen Maße ergeben sich keine auffälligen Unterschiede. Wichtiger sind die Abweichungen in der Form vom normalen Schädel, und zwar ist die häufigste (in mehr als der Hälfte der Fälle) das Vorspringen der Augenbrauenbogen. Dann folgen in absteigender Häufigkeit abnorme Entwicklung der Weisheitszähne, Nahtverwach- sung, fliehende Stirn, Hyperostosen, Plagiokephalie, Worm’sche Knochen, vorstehende Hinterhauptshöcker, mittlere Hinterhauptsgrube, Abplattung des Hinterhauptes, Inkabein, kleine enge Stirn, fehlerhafte Entwicklung der Eekzähne, osteophytische Wucherungen im Schädel, Oxykephalie. Und zwar fanden sich mehrere dieser Abweichungen an demselben Schädel in 43°/,, vereinzelte nur in 21°/,. Im Vergleich mit Schädeln von Soldaten, die bei Solferino ge- fallen waren, treten die Nahtsklerose, das Inkabein, die Asymmetrie des Schädels und Gesichts, die fliehende Stirn, die vorspringenden Augenbrauen, die mittlere Hinterhauptsgrube, Anomalien des Hinter- hauptsloches in zwei- bis dreifacher Häufigkeit bei Verbreehern auf. Bei den Verbrecherinnen finden sich Anomalien seltner, dagegen hat der Schädel häufiger den männlichen Typus. Verf. erblickt in diesen Abweichungen vielfach Anklänge an niedere und prähistorische Rassen. Dass solche Unregelmäßigkeiten im Kopfbau ohne Einfluss auf die Thätigkeit des Gehirns bleiben können, ist nach Verfasser nicht wohl anzunehmen, um so weniger als viele davon der Ausdruck einer Entwicklungsstörung des fötalen Schädels oder die Folge chronischer Krankheitsvorgänge in den Nervenorganen und deren Hüllen sind. Das folgende Kapitel führt die Ueberschrift „abnorme Beschaffen- heit des Gehirns und der Eingeweide bei den Verbrechern“. Die Wägungen des Gehirns haben bisher keine auffälligen Abweichungen für das Verbrechergehirn ergeben. Größere Bedeutung hat man der Untersuchung der Windungen beigemessen; namentlich behauptet Benedikt, dass sich die Verbrechergehirne durch eine abnorme Konfluenz der Furchen auszeichneten. Doch sind auch diese Angaben von andern Beobachtern nicht vollkommen bestätigt worden, wenn auch alle darin übereinstimmen, dass sich bei Verbrechern zahlreichere Unregelmäßigkeiten finden als bei sittlieh normalen Menschen. Dagegen wurden fast in allen bisher genau untersuchten Gehirnen hingerichteter Verbrecher tiefere anatomische und histologische Stö- rungen gefunden, die auf früher stattgefundene entzündliche Vorgänge 9/6 Lombroso, Der Verbrecher in anthropol., ärztl. und juristischer Beziehung. hindeuteten, mehrfach wurden auch Reste früherer Blutergüsse oder Kopfverletzungen entdeckt. | Auch an den übrigen innern Organen fanden sich bei Verbrechern häufig Abweichungen, die wir hier nicht einzeln aufführen können. Im ganzen wurden anatomische Veränderungen und angeborne Ab- weichungen in den Leichen von Verbrechern noch häufiger beobachtet als in denen von Irren. Im 3. Kapitel bespricht Verf. die Maßverhältnisse und den Ge- siehtsausdruck von 3839 Verbrechern, die er im Verein mit einer größern Anzahl von Anthropologen und Gefängnisbeamten untersucht hat. Bezüglich der Körpermaße fanden sich bei Verbrechern keine charakteristischen Merkmale. Nur kam ein verhältnismäßig kleiner Kopfumfang bei Verbrechern etwa doppelt so häufig vor als bei Soldaten derselben Gegend, aber seltener als bei Irren. Um so häu- figer fanden sich die Anomalien in der Kopf- und Gesichtsbildung, die wir schon oben bei den Schädelmessungen erwähnt haben. Diese Ergebnisse werden durch die Beobachtungen auch anderer Länder als Italien bestätigt. Diese sogenannten Degenerationszeichen sind indess bei Verbrechern etwas seltener als bei Irren. Außerdem kom- men bei erstern noch ziemlich häufig Kopfverletzungen vor. Die Physiognomie der Verbrecher hat in nicht seltenen Fällen nichts Auffälliges an sich. Die Mehrzahl derselben bietet jedoch einen eigentümlichen Ausdruck dar, der nach Verf. Meinung für die ver- schiedenen Arten der Verbrechen verschieden ist. Ref. kann diese letztere Beobachtung auf grund seiner Erfahrung nicht bestätigen. Im allgemeinen sind bei Verbrechern von Geburt die Ohren henkel- förmig, das Haupthaar voll, der Bart spärlich, die Stirnhöhlen ge- wölbt, die Kinnladen stark entwickelt, das Kinn viereckig oder vor- ragend, die Backenknochen breit. Bei einem Vergleiche von 219 männlichen Verbrechern mit 200 unbescholtenen Männern fanden sich bei erstern bei 82°, Anomalien, während von letztern nur 39°, solche aufwiesen. Auffällig ist, dass auch bei den normalen Verbrechern der Rassenausdruck, mit Aus- nahme der jüdischen, ganz fehlt. Bei den weiblichen Verbrechern, von denen Verf. nur eine kleinere Zahl zu untersuchen vermochte, kamen dieselben Abweichungen der Kopf- und Gesichtsbildung vor wie bei den männlichen. Besonders auffällig war eine außerordentliche Fülle der Behaarung, auch das Auftreten von Haaren an ungewöhnlichen Stellen, endlich das Ver- schwinden des Rassencharakters, so dass sich die Verbrecherinnen verschiedener Volksstämme ähneln. Diesen Ergebnissen stellt Verf. nun die Befunde des Gesichts- ausdrucks von 818 unbescholtenen Leuten gegenüber. Wenn auch bei einzelnen derselben sich die Eigentümlichkeiten des Verbrechers finden, so kommen die abnormen Gesichter bei letztern doch fünfmal Lombroso, Der Verbrecher in authropol., ärztl. und juristischer Beziehung. 377 so häufig vor. Außerdem treten bei derselben Person niemals so viele Degenerationszeichen gleichzeitig auf wie beim Verbrecher, wo dieser Prozentsatz der gehäuften Missbildungen 23—27 beträgt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das sittliche Verhalten vieler sogenannter Unbescholtener nicht näher bekannt war, so dass es zweifelhaft bleibt, ob sich nicht sittlich entartete Personen darunter befanden. Verf. untersuchte deshalb noch 400 andere Personen, deren Lebens- verhältnisse bekannt waren. Unter diesen befanden sich 187 ohne Degenerationszeichen, von denen 9 ein unsittliches Leben führten. 109 trugen ein Kennzeichen, unter ihnen waren 10 wegen Verbrechen bestraft, 22 lasterhaft. 73 boten 2 Kennzeichen dar, darunter 31 Ver- brecher, 22 sittlich Entartete. 23 hatten 3 Degenerationszeichen, da- von waren 14 Verbrecher, 4 lasterhaft. 8 endlich trugen 4 und mehr Kennzeichen, darunter war nur einer anständig aber exzentrisch, alle übrigen waren Verbrecher oder sittlich entartet. Dagegen entsinnt sich Verf. verschiedener Menschen mit Verbrechertypus, die jahrelang ehrlich erschienen, später aber doch Verbrecher wurden. Verf. führt schließlich eine Anzahl Sprichwörter an, die darthun, wie auch im Volksgefühl die Kenntnis des abnormen Gesichtsaus- drucks der Verbrecher herrscht. Einen Teil dieser Abnormitäten führt Verf. auf atavistische Einflüsse zurück, die Mehrzahl derselben weist auf krankbafte Zustände hin und zeigt, „dass wir es bei dem Verbrecher mit einem Menschen zu thun haben, den entweder Ent- wieklungshemmung oder erworbene Krankheit, besonders der Nerven- zentren, schon vor seiner Geburt in einen anormalen, dem der Irren ähnlichen Zustand versetzt hat — kurz mit einem wirklich chronisch- kranken Menschen“. Der III. Teil des Werkes behandelt die Biologie und Psycho- logie des gebornen Verbrechers und beginnt im 1. Kapitel mit dem Tätowieren der Verbrecher. Verf. erblickt darin ein Ueberbleibsel eines barbarischen Gebrauchs, der bei Naturvölkern und sog. Wilden verbreitet ist und aus dem Urzustande der Völker sich herschreibt. In Italien und Frankreich aus Deutschland liegen keine umfassendern Untersuchungen vor — ist diese Sitte unter den Verbrechern in ungleich höherem Maße verbreitet als in der unbescholtenen Bevölkerung, und zwar nimmt die Häufigkeit mit der Schwere des Verbrechens bedeu- tend zu. Die Symbole selbst beziehen sich vorwiegend auf Liebe, Religion oder Krieg, anderweite kommen seltner vor. Die Gründe für die Häufigkeit des Tätowierens bei Verbrechern erblickt Verf. teils im Herkommen, teils in der Nachahmungssucht, ferner in der langen Weile sowie in der Eitelkeit. Dem gegenüber betont Verf. die Seltenheit des Tätowierens bei Irren. Zu den häufigen Vorkommnissen bei Verbrechern gehörten auch Narben namentlich am Kopfe von frühern Verletzungen herrührend. Dasselbe fand Parent-Duchatelet bei prostituierten Weibern, 978 Lombroso, Der Verbrecher in anthropol., ärztl. und juristischer Beziehung. Im 2. Kapitel beschäftigt sich Verf. mit der Sensibilität der Ver- brecher. Bei 38 von 66 untersuchten Personen fand sich dieselbe abgestumpft und zwar bei 36°/, rechts, bei 24°/, links, bei den übrigen beiderseits. Aehnlich verhielt sich das Tastgefühl; es bestand also im wesentlichen dasselbe Verhalten, wie es Verf. bei Irren und Epi- leptikern beobachtet hat. Farbenblindheit scheint ebenfalls unter Verbreehern ziemlich dop- pelt so häufig vorzukommen als im allgemeinen, was mit dem Um- stande in Einklang steht, dass bei Farbenblinden eine starke nervöse Disposition häufig ist. Linkshändigkeit findet sich gleichfalls häufiger bei Verbrechern als bei Unbescholtenen. Der Patellarreflex zeigte sich bei 23°/, von 284 untersuchten Verbrechern schwächer, bei 16°/, stärker als normal. Die Fähigkeit zu erröten war im allgemeinen namentlich bei Verbrecherinnen vermindert. Die Ergebnisse der angestellten sphygmographischen Unter- suchungen lassen sich auszugsweise nicht wiedergeben. Was Verf. über die Langlebigkeit und die körperliche Wider- standsfähigkeit einzelner Verbrecher erzählt, darf nicht als allgemein giltig betrachtet werden, da die Statistik die außerordentlich große Sterblichkeit selbst in gut eingerichteten Gefängnissen darthut. Das 3. Kapitel behandelt den Gemütszustand der Verbrecher. Man kann im allgemeinen annehmen, dass die Gemütlosigkeit des Verbrechers seiner Unempfindlichkeit für leibliche Schmerzen gleich- kommt. Doch ist die Stimme des Herzens nicht ganz erloschen; die normalen gemütlichen Regungen sind nur abgeschwächt. Der Mut und die Unerschrockenheit mancher Verbrecher bei Verübung von Verbrechen können Erstaunen erregen; die meisten zeigen sich jedoch feige, sobald die Aufregung verflogen ist. Verf. konnte mehrfach sphygmographisch nachweisen, wie tief der Eindruck war, den der Anblick von Mordwaffen auf Verbrecher machte, welche für körper- lieben Schmerz unempfindlich waren. Diese Gemütsabstumpfung ist dem Verbrecher mit dem Irren gemeinsam und charakteristisch für beide. Es können Verbrechen und Wahnsinn neben großer Intelligenz vorkommen, dagegen sind sie mit normalem gemütlichem Verhalten unvereinbar. Das 4. Kapitel bespricht den Selbstmord bei Verbrechern, der ungefähr denselben statistischen Gesetzen unterworfen ist wie im allgemeinen, aber ungleich häufiger vorkommt als bei der freien Be- völkerung (drei- bis zehnmal so häufig). Er erklärt sich aus der Gefühllosigkeit, Unbesonnenheit und Leidenschaftlichkeit der Ver- brecher. Deshalb neigen vor allem die Leidenschaftsverbrecher dazu, und die Statistik ergibt, dass die Häufigkeit von Angriffen auf das Leben und von Selbstmorden bei verschiedenen Völkern nahezu im umgekehrten Verhältnisse zu einander stehen, so dass man sagen könnte, der Selbstmord beugt dem Morde vor. Verf. führt schließlich Lombroso, Der Verbrecher in anthropol., ärztl. und juristischer Beziehung. 579 einige Beispiele von Verbrechern an, die durch Selbstmord endeten, doch dürfte die Mehrzahl derselben als ausgesprochen geisteskrank zu bezeichnen sein. Das 5. Kapitel handelt von den Gefühlen und Leidenschaften der Verbrecher. Es wäre ein großer Irrtum, wollte man ihnen alle Ge- fühle absprechen; viele sind zwar geschwunden, andere aber nur abgestumpft. Die Art der vorhandenen ist bei verschiedenen Ver- brecehern verschieden. Selbst bei Mördern wird bisweilen eine gewisse Herzensgüte beobachtet. Referent entsinnt sich eines solchen, der erkrankte Mitgefangene mit aufopfernder Hingebung pflegte. Die meisten haben aber unbeständige und wechselnde Gefühle. Eine große Rolle spielt bei ihnen die Eitelkeit, aus der sich mitunter Ver- brecher fälschlich selbst beschuldigen oder sogar Verbrechen begehen. Nicht minder stark ist die Rachsucht entwickelt. Weit verbreitet ist die Leidenschaft für Spiel sowie für Ess- und Trinkgelage. Dagegen ist die Leidenschaft für Frauen rein sinnlicher Art, wechselt und erlischt rasch. In vieler Hinsicht sind die Verbrecher hierin den Irren ähnlich. Gemeinsam ist bei ihnen die Heftigkeit und Unbeständigkeit gewisser Leidenschaften, die Gemütlosigkeit, das gesteigerte Selbstgefühl. Ein Unterschied besteht zwischen ihnen darin, dass die Irren weder Lust am Spiel noch an Ausschweifungen haben, und dass sie häufiger als Verbrecher ihre Angehörigen hassen. Während der Verbrecher nicht ohne Genossen leben kann, liebt der Geisteskranke die Einsamkeit: daher sind Komplotte in Strafanstalten häufig, in Irrenanstalten selten. Inbezug auf Gemüt und Leidenschaften steht der Verbrecher den Wilden näher als den Irren, wie schon oben ausgeführt. Das 6. Kapitel handelt vom Rückfall und von der Moral der Verbrecher. Die Rückfälle werden mit zunehmender Kultur eines Landes im allgemeinen häufiger. Verf. hält jede Vervollkommnung der Gefängniseinrichtungen für vergeblich dem gegenüber. Ja der Aufenthalt im Gefängnis, etwaiger Unterricht in demselben kann eher zu Rückfällen führen, indem er die Geschicklichkeit des Verbrechers erhöht und seine Ausbildung vervollkommnet. Auch die Einzelhaft vermag dem Rückfall nicht vorzubeugen. Am häufigsten ist derselbe bei Eigentumsverbrechern. Wichtig ist, dass die Verbrechen, welche am häufigsten Rückfälle aufweisen, bereits von jugendlichen Personen häufig begangen werden. Es beweist dies, dass der chronische Verbrecher eben geborner Ver- brecher ist, und dass den meisten von ihnen jedes sittliche Gefühl abgeht; viele haben nicht einmal ein Verständnis für die Unsittlich- keit des Verbrechens. Es fehlt ihnen daher auch die Fähigkeit der Reue und Besserung. Verf. hat nur einen einzigen Fall von Sinnes- änderung bei einem gebornen Verbrecher beobachtet, der sich nach einer psychischen Erkrankung vollzog. Referent verfügt über eine = 380 Lombroso, Der Verbrecher in anthropol., ärztl. und juristischer Beziehung. ähnliche Beobachtung. Das Bewusstsein der Gerechtigkeit ist dagegen nicht selten bei Verbrechern vorhanden, und unter sich üben sie sogar eine strenge Disziplin. Indess sind sie auch unter einander treulos und unzuverlässig. Der wesentliche Unterschied zwischen Verbrechern und Irren in der Moral besteht darin, dass letztere selten von Jugend auf unmora- lisch und boshaft sind, sondern es erst mit dem Ausbruche der Krank- heit und durch dieselbe werden; auch fühlen sie nach impulsiven Gewaltthaten in der Regel Reue über die That. Dagegen ähnelt das Verhalten der Verbrecher dem der sogenannten Wilden. Das 7. Kapitel spricht über die Religion der Verbrecher, welche für sie teils nur einen Vorwand bildet, teils leere Form ist. Im 8. Kapitel, welches vom Verstand und der Bildung der Ver- brecher handelt, führt Verf. aus, dass schwache Intelligenz bei ihnen nicht selten ist, und dass auch die geistig gebildeten meist auffällige Defekte darbieten. Für die meisten ist nichts thun ein Ideal, sie fühlen sich unfähig zu anhaltender, ernster Thätigkeit. Ein andrer Mangel ist ihr Leiehtsinn und ihr Wankelmut. Aus demselben ent- springt die Unvorsichtigkeit, die ihre Entdeckung meist wesentlich erleichtert. Selbst berüchtigte Verbrecher waren mehr schlau als gescheut und ohne Ausdauer. Die Irren zeigen dem gegenüber eine erhebliche größere Arbeits- lust, auch ist die Logik bei ihnen meist schärfer als bei Verbrechern. Von dem 9. Kapitel über die Sprache der Verbrecher können wir nur erwähnen, dass Verf. dieselbe als atavistisch bezeichnet, insofern sie ähnlich wie die der Wilden Naturlaute nachbilde und abstrakte Dinge personifiziere. Der Ausdruck „zerfahrene Vorstellungen haben“, mit dem man den Geisteszustand eines Irren andeutet, passt sehr oft auf die Ausdrucksweise des Verbrechers. Das 10. Kapitel über die Schrift der Verbrecher lässt sich aus- zugsweise nicht wiedergeben. Ebenso muss bezüglich des 11. Ka- pitels über die Literatur der Verbrecher und des 12. Kapitels über das Bandenwesen auf das Original verwiesen werden. Im 13. Kapitel bespricht Verf. „moralisches Irresein und ange- bornes Verbrechen“. Während Verf. früher beide Zustände als ver- schieden und leicht trennbar betrachtete, haben ihn fortgesetzte Beobachtungen von der Einheitlichkeit derselben überzeugt. Indirekt wird diese Zusammengehörigkeit schon dadurch bewiesen, dass man moralisches Irresein in Irrenanstalten höchst selten, dagegen sehr häufig in Gefängnissen sieht; und zwar begegnet man ihm fast nur in Privatanstalten, weil nur bei reichen Leuten diese Krankheit er- kannt und die Kranken den Irrenanstälten, nicht den Strafanstalten übergeben werden. Sie ist ferner ebenso wie das Verbrechen seltner bei Frauen und äußert sich hier in der Prostitution. Aus diesen Gründen wird diese Krankheitsform noch nicht von allen Irrenärzten, Lombroso, Der Verbrecher in anthropol., ärztl. und juristischer Beziehung. 581 noch weniger von den Gerichtsärzten anerkannt. Bei beiden Zu- ständen sind Missbildungen des Kopfes und Gesichts, Störungen der Innervation, Abweichungen des Geschlechtstriebes, Verkümmerung des Gemüts oft bei erhaltener Intelligenz vorhanden. Grundloser Hass, Eifersucht, Rachsucht, Grausamkeit und Bosheit oder anderseits krank- hafte Weichherzigkeit, ferner lächerliche Eitelkeit und Selbstsucht sind für beide charakteristisch. Bei beiden wird Hang zur Faulheit oft wechselnd mit Drang zu rubeloser Thätigkeit beobachtet. Beiden gemeinsam ist die Neigung zu Simulation; bei beiden tritt oft in der Pubertätszeit eine Verschlimmerung des psychischen Zustandes auf. Den Beziehungen der Epilepsie zum Verbrechen einerseits und zum moralischen Irresein anderseits ist das 14. Kapitel gewidmet. Der Epileptiker weist nach Verf. alle die Züge auf, die dem Ver- breeher und moralisch Irren eignen. Er gleicht ihnen auch in seinem Aeußern und trägt dieselben Degenerationszeichen in mindestens der- selben Häufigkeit wie jene an sich. Die Sinnes- und Empfindungs- organe, sowie der Geisteszustand zeigen ein übereinstimmendes Ver- halten. Außerordentliche Reizbarkeit, Neigung zum Stehlen, Ruhe- losigkeit sind bei Epileptikern überaus häufig; ebenso kommen bei ihnen plötzliche Tobsuchtsanfälle wie bei moralisch Irren und Ver- brechern vor. Auch in der Irrenanstalt besitzen Epileptiker die Nei- sung zum Versehwören, Ausbrechen, Aufhetzen und Simulieren ähn- lich wie Verbrecher und abweichend von andern Irren. Thatsächlich kommen auch Epilepsie und epileptische Zustände bei Verbrechern häufig vor. Nach neuern Untersuchungen sind 5—6°|, der Insassen von Strafanstalten, also ungefähr zehnmal soviel als in der freien Bevölkerung, damit behaftet. Auch zeigt sich in Italien ein auffälliger Parallelismus zwischen der Häufigkeit der Epilepsie und der der Verbrechen. Aufgrund dieser Aehnlichkeiten sowie der erblichen Beziehungen zwischen den genannten drei Zuständen kommt Verf. zu der Annahme, dass sie sämtlich Varianten der Epilepsie bilden. Mit der Widerstandsunfähigkeit der genannten drei Gruppen be- schäftigt sich das 15. Kapitel. Der grundlose Hass, die Gemüts- verkehrtheit, der Mangel an innerem Halt und Selbstbeherrschung, die vielfachen ererbten Neigungen sind bei ihnen allen die Quelle unwiderstehlicher Impulse, die sich bereits in der Kindheit entwickeln und, wenn nicht durch die Erziehung bekämpft, zur bleibenden Ge- wohnheit werden können. Die meisten dieser Individuen werden als Verbrecher bestraft, obwohl sie als Kranke zu betrachten wären. Verf. will nicht behaupten, dass beim normalen Menschen der Wille im Sinne der Metaphysiker frei sei; aber seine Handlungsweise ist durch Beweggründe und Wünsche bedingt, die dem Gemeinwohl nicht zuwiderlaufen. Seine bösen Triebe werden gezügelt durch Ruhmbegier, Furcht vor Strafe und Schande, die Religion und durch 352 Mik, Veränderlichkeit der Färbung des Haarkleides von V’olucella bombylans. die angeborne, durch stete Selbstbeherrschung gekräftigte gute Sitte. Auf den moralisch Irren und den gebornen Verbrecher sind diese Einflüsse wirkungslos, darum vermag keine Strafe sie dauernd zu bessern. Im 16., dem Schlusskapitel, fasst Verf. noch einmal die von ihm ausgeführten Darlegungen zusammen und kommt zu folgendem Schlusse: „Das Verbrechen tritt demnach wie eine Naturerscheinung — die Philosophen würden sagen, wie eine notwendige Erscheinung auf, gleich denen der Geburt, des Todes, der Geisteskrankheit, von welcher es oft eine traurige Abart bildet.“ keferenten würde es zur besondern Freude gereichen, wenn die vorstehenden Mitteilungen aus dem geistvollen und anregenden Werke für recht viele Leser derselben zu einer Veranlassung würden, das Werk selbst zur Hand zu nehmen und eingehend zu studieren. Sie werden dabei vielfache Anregung und Belehrung empfangen und gleich Referent dem deutschen Bearbeiter für die außerordentlich wohlge- lungene Uebertragung ihren Dank und ihre Anerkennung zollen. Knecht (Ueckermünde). Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. K. k. 200log.- botan. Gesellschaft zu Wien. Sitzung vom 6. Juni. Prof. Mik sprach über „die Veränderlichkeit der Färbung des Haarkleides von Volucella bombylans L.“, welche in Hummelnestern schmarotzt. Es wird darauf aufmerksam gemacht, dass die einzelnen Varietäten der genannten Diptere inbezug auf Färbung des Haarkleides bestimmte Hummel- arten imitieren, und dass es nahe liege, in dieser Veränderlichkeit eine Mimiery zu sehen. Nebenbei wird die Frage aufgeworfen, ob beide Geschlechter der genamnten Volucella sich gleichzeitig einer bestimmten Hummelart angepasst haben, da die Vortäuschung eigentlich nur von seiten des Weibchens erheischt wird. Zur Illustration des Gesagten werden drei Formen von Volucella bomby- lans L. mit den korrespondierenden Hummelarten vorgezeigt: es sind dies Volucella bombylans Meig., V. plumata Meig. und die seltene V. wantholeuca Mik, und bezüglich Bombus lapidarius F., B. hortorum Ill. und B. terrestrisL.' ) Portschinsky hat in dem Artikel „Die Bombus-ähnlichen Dipteren“ (in den Arbeiten der Russ. Entom. Gesellsch., 1877) bereits auf die Mimiery von Volu- cella bombylans hingewiesen (man vergleiche Wiener Entom. Ztg., 1882, 8.171). In dieser Schrift heißt es, dass die Hummeln im Kaukasus sich durch das Vor- walten der weißen Behaarung an verschiedenen Körperteilen auszeichnen, und dass die rot- und schwarzgefärbten Hummeln von Zentraleuropa (wie Bombus lapidarius u. a.) den kaukasischen Bergen fehlen. Aber auch die schwarzrote Volucella bombylans findet sich nach Portschinsky im Kaukasus nicht: sie wird durch eine am Thorax und an der Basis des Hinterleibes weißbehaarte I) Die Hummeln wurden zu dieser Demonstration von Herım Custos Rogenhofer bereitwilligst zur Verfügung gestellt. Handlirsch, Mimiery zwischen Hypmenopteren verschiedener Familien. 383 ’ J h) ) Varietät Volucella caucasica Portsch. ersetzt. Prof. Mik glaubt nun, dass, wenn die von Portschinsky gemachten Schlüsse über Mimiery der Volucella bombylans richtig sind, gewiss auch eine oder die andere schwarzrote Bombus- Art im Kaukasus vorkommen müsse, da sich in der Sammlung der Frau Zug- mayer (in Waldegg, Niederösterreich) Volucella alpieola Roud. vom Kaukasus befindet, deren Thoraxrücken an den Seiten gelb-, das Hinterleibsende fuchsrot behaart ist, während das allgemeine Haarkleid eine schwarze Farbe besitzt. Ueberdies sollen nach Portschinsky noch andere hummelähnliche Fliegen im Kaukasus vorkommen, welche sich eben in der Färbung ihres Haarkleides den Hummeln des Kaukasus anpassen, so z. B. Ohilosia oestracea \.., deren Haarkleid alldort sehr auffallend weiß sein soll. Prof. Mik meint, dass sich solche Anpassungen höchstens dahin erklären ließen, dass diesen Dipteren gegenüber, welche gewiss keine Parasiten der Hummelnester sind, die Hummeln nur beim Aufsuchen der Nahrung (Honig und Blütenstaub) feindlich auf- treten möchten, und dass hier eine Mimiery zur Täuschung des Feindes — ge- wissermaßen eine passive Mimiery, wenn überhaupt eine vorhanden — auftritt, während man die Mimiery bei Volucella bombylans eine aktive nennen kann, durch welche die Täuschung des Freundes erzielt wird: Volucella ist gegenüber den Hummeln der Wolf im Schafpelze. Uebrigens besitzt Prof. Mik Exemplare von Chilosia oestracea aus dem Kaukasus, welche inbezug auf das Haarkleid den am meisten rotgefärbten Stücken unserer Gebirgsgegenden vollkommen gleichen. Herr Anton Handlirsch demonstrierte einige Fälle von Mimiery zwischen Hymenopteren verschiedener Familien, und zwar vier Fälle zwischen Arten der Grabwespengattung Gorytes und Vespiden und einen Fall zwischen einer Art der Grabwespengattung Stzus und einer Scolia. 1) Gorytes politus Smith und Polypia chrysothorax Weber, beide von Beske in Brasilien zur selber Zeit und an demselben Orte gesammelt, gleichen sich nicht nur inbezug auf die Form des ganzen Körpers, die Größe und Form der Fühler, Beine und Flügel, sondern auch inbezug auf die Farbe des Körpers und seiner Anhänge in sehr hohem Grade. — 2) Gorytes velutinus Spinola und Gayella eumenoides Spinola, beide von Philippi in Chile zur selben Zeit und am selben Orte gesammelt. Gorytes velutinus hat viel längere Fühler als die Gayella eumenoides; bei letzterer sind die Fühler ganz rot, bei ersterem sind sie so weit rot, als sie bei Gayella eumenoides lang sind, und ihr Ende ist schwarz. Bei Gayella eumenoides trägt das große zweite Segment zwei lichte Binden, bei Gorytes velutinus das viel kürzere zweite Segment die erste und das dritte Segment die zweite Binde, so dass die Abstände der einzelnen Binden bei beiden Arten ganz ähnlich sind. Auch hier stimmen die Farben des Körpers, der Beine und der Flügel bis auf die zartesten Schat- tierungen bei beiden Arten überein. — 3) Gorytes robustus Handlirseh und Odynerus Parredesii Saussure, beide aus Mexico, und 4) Gorytes fuscus Taschenberg und Nectarina Lecheguana Latreille, beide aus Brasilien. Rei diesen Fällen ist die Aehnlichkeit durch die Uebereinstimmung der Größe, der Flügelfärbung und des charakteristischen Tomentes, sowie durch die in Form und Farbenton ganz gleichen Binden der Hinterleibssegmente bedingt. — 5) Stizus tridentatus Fabrieius und Scolka hirta Schrank, beide aus Süd- europa, stimmen außer inbezug auf Farbe, Form und Größe auch inbezug auf die Variabilität der gelben Zeichnungen des Hinterleibes überein; bei beiden x 384 61. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Köln. Arten gibt es Exemplare mit zwei ununterbrochenen Binden, mit einer ganzen und einer unterbrochenen, mit einer Binde und selbst solche ohne Binden. — In allen fünf Fällen ist es offenbar die Grabwespe, die die Vespide oder Scolia imitiert; es spricht dafür der Umstand, dass von den großen Gattungen Gorytes und Stizus nur einzelne Arten der entsprechenden Vespide, resp. der Scolia ähnlich sehen, während bei diesen entweder alle Arten oder doch große Gruppen von solehen Ähnlich aussehen. — Ueber die Ursachen dieser Nachahmung und über den Vorteil, den die Arten daraus ziehen, können wohl nur Beobachtungen an Ort und Stelle Aufschluss geben. Die Grabwespen füt- teın ihre Larven mit verschiedenen Insekten, die fünf oben angeführten Arten höchst wahrscheinlich mit Cieadinen, die von den Scolien und Vespiden gewiss nichts zu fürchten haben. Es wäre also ganz gut denkbar, dass die Grabwespe im Gewande der Scolia oder der Wespe den Cieadinen leichter beikommen kann. Ausstellung bei der 61. Versammlung deutscher Natur- forscher und Aerzte zu Köln. Zur Aufnahme der mit der 61. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte verbundenen wissenschaftlichen Ausstellung in Köln im September d. Js. ist in einer in Mitte der Stadt am KElogiusplatz gelegenen neugebauten Doppel- schule ein sehr passendes Gebäude gefunden worden. Schöne helle Säle, die mit einander verbunden sind, eine prächtige grofse Turnhalle mit Oberlicht ermög- lichen eine bequeme günstige Aufstellung, während die Lage in Mitte der Stadt und in der Nähe der Fest- und Sitzungslokale eine häufige Besichtigung ohne Zeitverlust gestattet. — Um einen regern Verkehr zwischen Ausstellern und Fach- leuten zu beiderseitigem Interesse anzubahnen, sind in demselben Gebäude Räume bereit gestellt, worin Demonstrationen ausgestellter Gegenstände vor einem gröfsern Zuhörerkeis (auch event. Sektionssitzungen) abgehalten werden können. Die Ankündigung derartiger Demonstrationen kann kostenlos durch das während der Versammlung täglich erscheinende Tageblatt erfolgen. — Ein solcher Meinungs- austausch zwischen Technikern und Gelehrten muss zweifellos belehrend und be- Sruchtend wirken, und hierin liegt nicht zum wenigsten die ideale Bedeutung einer solchen Fachausstellung, die nicht wie die grofsen Ausstellungen durch Vorführung des auf vielen Gebieten Geleisteten die Schaulust befriedigen und Handelsinteressen dienen soll, sondern in ihrem engen Rahmen dem Fachmann neue Hilfsmittel für die wissenschaftliche Forschung und die praktische Ver- wertung im Leben zur Beurteilung vorführt und damit selbst wieder die Wissen- schaft fördert und für die Praxis nutzbar macht. Dass die Aussteller auch ihren materiellen Erfolg finden sollen und ihn hier, wo sie ihre Erzeugnisse Tausenden von Konsumenten vorführen, auch finden, ist selbstverständlich, zumal auch neben den zwvorkommendsten Bedingungen seitens des Ausstellungs - Aus- schusses der Verkauf gestattet ist. Anmeldungen sind bereits in grofser Anzahl eingetroffen und treffen täglich ein (für die die Formulare von dem Bureau der Ausstellung, Unter Sachsenhausen 9 Köln, bezogen werden können). Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 1. September 1888. Nr. 13. VII. Band. Inhalt: Rüekert, Ueber die Entstehung der endothelialen Anlagen des Herzens und der ersten Gefäßstämme bei Selachier- Embryonen. (Erstes Stück.) — Roux, Zur Frage der Axenbestimmung des Embryo im Froschei. — Aus den Ver- handlungen gelehrter Gesellschaften: K. k. zoolog.-botan. Gesellschaft zu Wien, — 61. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. — 14. Ver- sammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege. Ueber die Entstehung der endothelialen Anlagen des Herzens und der ersten Gefäßstämme bei Selachier- Embryonen. Von Dr. J. Rückert, Privatdozent an der Universität München. (Aus dem anatomischen Institut in München.) Zitierte Literatur: [1] Balfour, A Monograph on the Development of Elasmobranch Fishes. London 1878. [2] Ders., A Treatise on Comparative Embryology. London 1831. [3] Blaschek, Untersuchung über Herz, Perikard, Entokard und Peri- kardialhöhle. Mitt. aus dem embryol. Inst. Wien 1885. [4] Gasser, Ueber die Entstehung des Herzens bei Vogelembryonen. Arch. f. mikr. Anat. Bd. XIV. [5] Götte, Die Entwicklungsgeschichte der Unke. Leipzig 1875. [6] Hensen, Beobachtungen über Befruchtung und Entwicklung des Kaninchens und Meerschweinchens. Zeitschr. f. Anat. u. Phys. Bd. I. [7] 0. Hertwig, Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen und der Wirbeltiere. 2. Aufl. Jena 1888. [85] His, Ueber die erste Anlage des Wirbeltierleibes. Arch. f. mikr. Anat. Bd. II. 1866. [9] Ders., Die Lehre vom Bindesubstanzkeim. Arch. f. Anat. u. Phys. 1882. [10] ©.K. Hoffmann, Zur Ontogenie der Knochenfische. Amsterdam 1833. [112] Kölliker, Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höhermn Tiere. 2. Aufl. Leipzig 1878. [116] Ders., Grundriss der Entwicklungungsgeschichte des Menschen und der höhern Tiere. 2. Aufl. Leipzig 1878. [12] Kollmann, Der Randwulst und der Ursprung der Stützsubstanz. Arch. f. Anat. u. Entwg. 1884. [13] Kupffer, Die Entwicklung des Härings im Ei. 1877. Vill, 25 386 Rickert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier - Embryonen. [14] Langerhans, Zur Anatomie des Amphioxus lanceolatus. Arch. f. mikr. Anatomie. Bd. C 2. 15] Paul Mayer, Ueber die Entwicklung des Herzens und der großen Gefäßstämme bei den Selachiern. Mitt. der zoolog. Station zu Neapel. Bd VI. [16] J. Müller, Ueber den Bau und die Lebenserscheinungen des Branchio- stoma lubrionum. Berlin 1844. [17] VOellacher, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Knochenfische. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 22. 118] Rabl, Ueber die Bildung des Herzens der Amphibien. Morphol. Jahrb. Bd. X. [19] Rückert, Ueber den Ursprung des Herzendothels., Anat. Anzeiger. 1887 Nrrd2. [20] Ders., Ueber die Entstehung der Exkretionsorgane bei Selachiern. Arch. f. Anat. u. Phys. 1888. [21] Ders., Ueber die Anlage des mittlern Keimblattes und die erste Blutbildung bei Torpedo. Anat. Anzeiger. 1837. Nr. 4. [22] Waldeyer, Archiblast und Parablast. Arch f. mikr. Anat. Bd. 22. [23] Wenckebach, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Knochen- fische. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 28. [24] Wiedersheim, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der Wirbel- tiere. [25] Van Wijhe, Ueber die Mesodermsegmente und die Entwicklung der Nerven des Selachierkopfes. Amsterdam 1882. [26] Ziegler, Die Entstehung des Blutes bei Knochenfischembryonen. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 30. Die meisten Untersuchungen, welche über den Ursprung der Gefäßendothelien vorliegen, beziehen sich auf das Herzendothel. Ohne eine vollständige Uebersicht über die einschlägige Literatur zu geben, will ich doch die wesentlichen Anschauungen, welche sich in dieser Frage, zum Teil schroff, gegenüberstehen, in Kürze anführen. Ein Teil der Forscher, welche die Entwicklung des Herzens in um- fassender und vortrefflicher Weise behandeln, z.B. Hensen, Kölliker und Gasser, gehen auf den Ursprung des Endothelrohrs nicht näher ein, wie sich überhaupt in dieser schwierigen Frage, wie Rabl mit Reeht bemerkt, „eine große Unsicherheit in der Literatur zu erkennen gibt“. Unter den übrigen Embryologen, welche sich mit dem Gegen- stand befasst haben, erklären sich die einen für eine entodermale Ab- stammung des Herzendothels. So berichtet Götte in seiner Entwick- lung der Unke (1875), dass sich „eine lockere Schicht vom Darmblatt“ ablöst, um vielleicht in Verbindung mit einigen „vom Viszeralblatt stammenden Bildungszellen eine zarte - - -Auskleidung der primitiven Herzhöhle zu bilden“. Ferner hat Kupffer beim Häring am leben- den Objekt in Ketten zusammenhängende wandernde Zellen zwischen dem schon teilweise angelegten Endothelrohr und dem Entoderm be- obachtet, denen er „keine andere Bedeutung vindizieren kann, als dass sie sich an die bereits vorhandene Endothelschicht anschließen Riückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier - Embryonen. 387 werden. Diese Zellen nun stehen in einer nahen Beziehung zu den Zellen des Entoderms. Man sieht häufig solche Ketten von einer Zelle des Entoderms ausgehen, an andern Stellen sie einzeln der Dorsalfläche des Darmblattes anhaften“. Später vertrat dann C. K. Hoffmann für die Forelle ebenfalls die endotermale Abstammung des Herzendothels. Endlich hat in neuerer Zeit Rabl bei Salamander- embryonen eine Rinne beschrieben, welche „einige Zeit vor dem Er- scheinen der Herzanlage hinter dem Mandibularbogen an der ventralen Seite der Mundhöhle in sagittaler Richtung nach rückwärts verläuft“. Diese Rinne, welche „nach Lage und Verlauf genau jener Stelle ent- spricht, an der bald darauf das Endothelsäckehen erscheint“, steht mit dem letztern, wie Rabl vermutet, aber mit Sicherheit nicht fest- stellen konnte, in genetischem Zusammenhang. Dieser Ansicht gegenüber stehen die Angaben, nach welcher das Endothel vom Mesoblast abstammt. So erklärt sich Oellacher für die Forelle entschieden gegen die Möglichkeit eines entodermalen Ursprungs des Herzendothels und nimmt als das Wahrscheinlichste eine mesodermale Entstehung (aus den Kopfplatten) an. Auch Bal- four leitet in seiner Monographie über die Selachierentwicklung den Endothelschlauch des Herzens vermutungsweise vom splanchnischen Mesoblast ab und vertritt in seinem Lehrbuch dieselbe Ansicht mit Bestimmtheit unter Beigabe je einer Abbildung vom Hühnchen und von Pristiurus. Ferner hat Wenckebach an lebenden pelagischen Knochenfischeiern beobachtet, dass die Endothelien des Herzens und der Blutgefäße durch wandernde Mesoblastzellen gebildet werden, P.Mayer ist ebenfalls auf grund seiner Untersuchungen an Selachier- embryonen zu der Ansicht von der mesoblastischen Entstehung der Gefäßendothelien einschließlich der des Herzens gelangt, ein Stand- punkt, den auch Ziegler für das Blut und das sämtliche Mesenchym der Knochenfische vertritt. Endlich mag noch bemerkt werden, dass Blaschek nicht nur die Aorten, sondern auch das Herzendothel von den Urwirbeln ableitet. Eine wesentlich andere Stellung als die genannten Forscher nimmt in der Abstammungsfrage der Endothelien wie bekannt His ein, insofern er, gestützt auf eingehende Untersuchungen meroblastischer Wirbeltiereier, das Zellen- Material für die Gefäßanlagen sowie für sämtliche Bindesubstanzen des Körpers aus dem Nahrungsdotter ent- stehen und von da in den Embryo einwandern lässt. Ohne auf die Parablast-Theorie im allgemeinen an dieser Stelle einzugehen, muss ich doch die eben berührte Seite jener umfassenden Lehre in der nachstehenden Arbeit besonders berücksichtigen, weil grade diese es ist, welche auch unter den Gegnern des Parablast vielfach Zustimmung gefunden hat. Ich erwähne nur Waldeyer und Kollmann, die, so wenig sie auch mit den Grundgedanken der Parablast-Lehre einver- standen sind, in der Einwanderungsfrage der Bindesubstanzen doch 2 388 Rückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier- Embryonen. mit His übereinstimmen. Namentlich muss hier auch OÖ. Hertwig genannt werden, der sich erst jüngst wieder, in der neuesten Auflage seines Lehrbuchs, über diesen Punkt im allgemeinen zustimmend, aber doch, wie hervorgehoben werden muss, mit Reserve ausspricht, indem er ausdrücklich bemerkt, dass „die Mesenchymfrage bei den Wirbeltieren noch im Werden begriffen ist“ und weiterhin sagt: „es scheint“, dass die Entwicklung der Bindesubstanzen bei den mero- blastischen Wirbeltieren auf einen Teil des dunklen Fruchthofes be- schränkt ist. Meine eignen vor nunmehr 2 Jahren begonnenen Untersuchungen haben an Embryonen von Pristiurus und Torpedo ergeben, dass das Herzendothel an der Stelle der Herzanlage selbst gebildet wird, und „war ein Teil desselben aus einer bei Pristiwrus knopfartig vorspringen- den Verdickung der ventralen Schlundwand, also aus dem Entoblast. Daneben ließ sich — bei Torpedo mit aller Deutlichkeit — auch ein Austritt von Mesoblastzellen erkennen. Ueber diese Untersuchungen habe ich auf der ersten Versammlung der anatomischen Gesellschaft im Jahre 1887 berichtet. Ich habe dieselben dann an weiterem Ma- terial, das mir von seiten der zoologischen Station zu Neapel im vorigen Frühjahr in freundlicher Weise zugestellt wurde, kontroliert und die Entstehung der endothelialen Anlage auch an den großen Gefäßstämmen des Kopfes und Rumpfes verfolgt. Was die übrigen Bindesubstanzen anlangt, so ist die Entwicklung der das Viszeralrohr umhüllenden Schichten auf das engste mit der Entwicklung des Darmgefäßsystems verküpft und mag daher im Anschluss an dieses kurz berührt werden. Die Entstehung der das Neuralrohr und die Chorda umschließenden Bindesubstanz habe ich in einer soeben erschienenen Publikation [20] kurz beschrieben. Im folgenden sollen der Reihe nach behandelt werden die Entstehung: 1) der beiden!) ventralen Längsstämme (Subintestinalvenen) und des Herzens, 2) der beiden dorsalen Längsstämme (Aorten), 3) der ersten Verbindungsbahnen zwischen den dorsalen und ventralen Längsstämmen. In der Entwicklung der großen Gefäßstämme, hauptsächlich der großen Längsbahnen, können 2 verschiedene Phasen bis zur Vollendung der endothelialen Anlage unterschieden werden. Die erste und: für uns bei weitem wichtigere besteht in dem Auftreten der zukünftigen Endothelzellen an der Stelle des spätern Gefäßes, die zweite in ihrer Vereinigung zu einem geschlossenen Gefäßrohr. Wenn man will, kann man das erste Stadium auch als das der soliden, das zweite als das der hohlen Gefäßanlage bezeichnen, doch ist der Ausdruck solid in strengem Wortsinn höchstens für die größern Zellenansammlungen, wie sie z. B. im Bereich der Herzanlage vorkommen, anwendbar, 1 ) Die Duplizität dieser Anlage wurde zuerst von P. Mayer [15] beschrieben. Rückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier - Embryonen. 389 nicht aber für alle Abschnitte der großen Längsstämme, so nament- lich nicht für die Anlage der Aorten im Hinterrumpf, welche anfäng- lich nur aus sehr vereinzelten Zellen besteht. Die Zellen der Gefäßanlage erscheinen, wie bekannt, in Gestalt von bald platten, bald rundlichen, meist mit Ausläufern versehenen Elementen, welche einzeln oder in Ketten zusammenhängend oder auch in kleinen Haufen zusammengeballt, zur Beobachtung kommen. Ich werde sie im folgenden unter der indifferenten Bezeichnung „Gefäß- zellen“ aufführen, da der Name Endothelzellen für sie doch eigent- lich erst passt, nachdem sie die charakteristische Gestalt der letztern erlangt haben. Auch die Bezeichnung Leukocyten oder Wanderzellen glaube ich vorläufig vielleicht besser nicht anzuwenden, da für einen Teil dieser Zellen grade im Nachstehenden gezeigt werden soll, dass sie wahrscheinlich keine erheblichen Ortsveränderungen eingehen, sondern im allgemeinen an eben der Stelle, an welcher sie später zum Endothelialrohr zusammentreten, auch entstehen, d. h. aus den Keimblättern austreten. Weder ihre eben erwähnte histologische Beschaffenheit (Besitz von Ausläufern) noch der Umstand, dass sie vereinzelt resp. in kleinern Kolonien zusammenhängend die Keim- blätter verlassen, stellt eine spezifische Eigenschaft dieser Zellen dar: denn wie ich an anderer Stelle [21] ausgeführt habe, entsteht bei Torpedo ein Teil des Mesoblast ebenfalls dadurch, dass verästelte Zellen isoliert aus den Entoblast auswandern und erst nachträglich einen epithelialen Verband unter sich eingehen. Die ersten Gefäßzellen innerhalb des Embryo erscheinen bei Torpedo zu der Zeit, wann die erste Visceraltasche angelegt ist. Man findet sie hier (Fig. 1 he) im distalen Abschnitt des Kopfes zwischen dem Entoblast des Vorderdarms und dem visceralen Blatt des in dieser Region schon blasig erweiterten Abschnittes der Leibeshöhle (hier Perikardial- höhle —). Der Hinterkopf des Embryo steht zu jener Zeit noch mit dem Dotter (nd) in Verbindung, aber die Darmhöhle erscheint in dieser Region des Kopfes schon deutlich eingeschnürt an derjenigen Stelle, an welcher später die Abtrennung vom Dotter erfolgt. An dieser Einschnürungs- oder Einbuchtungsstelle, welche ungefähr der Grenze des mittlern und des ventralen Drittels der seitlichen Darmwand ent- spricht, treten nun jederseits die ersten Gefäßzellen auf. Wenn dann bald darauf (Fig. 2) die nach hinten fortschreitende Abschnürung des Vorder- darms auf diese Region übergreift, so kommen die Zellen von beiden Seiten her in der Mittellinie zur Vereinigung, sie liegen dann am ventralen Umfang des frei gewordenen Kopfdarmstückes und stellen hier das erste Material des zukünftigen Herzendothels (he) dar!). 1) Ein kleiner Bruchteil von ihnen bleibt dabei an der Oberfläche des bei der Abschnürung auf dem Dotter zurückgelassenen ventralen Darmstückes dd haften und erzeugt hier gleichfalls späterhin Gefäße, welche mit denen des Dotters in Verbindung treten. 390 Rückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier - Embryonen. Fig. 2. S — ©; Br SE ' d EINS Ss EN SB MÄRTTS ge 8 Nee 2 ix EEE £ NZa\ > OF E 50 N WIR 5; o SEAN N Side 0 E00 FON ED m’ Mh \ \ Az] IE < I VER BESTH..he S) ß AUS % pch O0 NN \ N NR LAN pm N DEN = 75 er v Y my men Se Bias 802.98 Zar se? 8.009 20 223538055 3020900°® & N ae I 2. 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Der Vorderdarm noch nicht vom Dotter abgeschnürt, zu beiden Seiten desselben, zwischen ihm und dem visceralen Blatt der Perikardialhöhle, die ersten Zellen des Herzendothels (he). Fig. 2. (Stadium mit 2 Visceraltaschen.) Der Vorderdarm d vom Dotter nd resp. dem Dotterdarm dd abgeschnürt. Zwischen beiden das Herzendothel von Rückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier - Embryonen. 391 den benachbarten Blättern noch nicht vollständig abgetrennt. m’ eine Zelle im Austritt aus dem Mesoblast begriffen, auf der andern Seite der Figur eine ebensolche Zelle. Fig. 3. (Von einem etwas ältern Embryo als Fig. 2.) Das Herzendothel, fast vollständig ausgeschieden, lockert sich auf in dem zwischen Darm und Dotter- darm entstandenen Raum. Fig. 4. (Stadium mit 3 Visceraltaschen.) Die beiden visceralen Mesoblast- blätter, vom Dotterblastoderm abgetrennt und zum visceralen Perikardialschlauch vereinigt, umschließen die inzwischen hohl gewordene endotheliale Herzanlage. Nach aufwärts bilden sie ein dorsales Mesokardium (ms.c), naclı dessen spä- terer Durchtrennung das Herzrohr freiin die Perikardialhöhle zu liegen kommt. m — der auf dem Dotterdarm zurückgebliebene viscerale Mesoblast, darunter 2 Gefäße g, die aus gemeinsamer Anlage mit dem Herzendothel hervorgegangen und bei der Abschnürung des Kopfes auf dem Dotter zurückgeblieben sind. Aber auf diese Weise entsteht nur kleiner Teil der soliden Anlage des Herzschlauches. Denn schon nachdem die ersten vereinzelten Zellen zu den Seiten des noch nicht abgeschnürten Vorderdarmes er- schienen sind, greift der Prozess in proximaler Richtung auf den Umfang der vom Dotter abgehobenen Kopfdarmhöhle weiter und erzeugt in deren ventraler Wandung einen medianen Längswulst, welcher bei Torpedomehr diffus bleibt, bei Pristiurus aber auf dem Querschnitt (Fig. 5) die Gestalt eines ventral vorspringenden Zellenknopfes annimmt. Diese Anschwel- lung wird hervorgerufen durch einen Wucherungsprozess in dem ent- sprechenden Entoblast-Abschnitt. Darauf weisen die zahlreichen Mitosen und die Menge der runden, jugendlichen Zellen hin, welche dieser Region ein ganz besonderes Gepräge gegenüber der aus einem regelmäßigen Zylinderepithelium zusammengesetzten übrigen Darm- wandung verleihen. Als charakteristisch für diesen Entoblastabsehnitt müssen endlich noch feinere Veränderungen erwähnt werden, welche die Kerne vieler Zellen erleiden und welehe im wesentlichen sich dadurch kundgeben, dass die Verteilung des Chromatins eine unregel- mäßige wird. Solehe Kerne erscheinen vollständig aufgehellt, ihre chromatische Substanz wandständig, oder in kleinere Tropfen zu- sammengeballt. Häufig trifft man auch kleine helle Bläschen, offenbar Teile eines solchen Kernes, mit einem Chromatintropfen als Inhalt. Eine nähere Beschreibung dieser Gebilde kann ich erst in einer aus- führlichern Arbeit an der Hand von Abbildungen geben und ich lasse daher auch vorläufig alle Vermutungen über die etwaige Bedeu- tung derselben (ob es zugrunde gehende Kerne oder Kernabschnitte sind) beiseite. Sicher ist das eine, dass dieselben auch unter den vom Entoblast bereits ausgeschiedenen Endothelzellen des Herzens sich anfänglich vorfinden, und dass sie auch an andern Stellen, an welchen Gefäßendothelien austreten, zu treffen sind, wenn auch in weit geringerer Menge als im Herzwulst des Entoblast, so z. B. zu derselben Zeit in der Splanchnopleura der Herzregion, ferner im dorsalen Umfang des Entoblast zu der Zeit, wann das Zellenmaterial 392 Rückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier- Embryonen. der Subehorda und der Aorten erscheint und endlich auch im Be- reiche des Dotterblastoderms. Der weitere Verlauf der Entwicklung lässt sich besonders bei Pristiurus klar verfolgen (Figg. 6 u. 7). Der stark prominierende Zellen- wulst beginnt, sich in toto oder in einzelnen Partikeln von seinem Mutter- boden abzulösen, wobei sein anfänglich festes Gefüge eine zunehmend lockere Beschaffenheit gewinnt dadurch, dass die Zellen Fortsätze gegen einander ausstrecken. Jetzt erkennt man auch, dass der zurück- bleibende Teil des Entoblast von dem Austritt der relativ beträcht- lichen Zellenmenge nicht unberührt geblieben ist, denn die ventrale Darmwandung erscheint verdünnt gegenüber den Nachbarpartien und bedeutend zellenärmer!?). = = Fig. 5 Fig. 6 Fig. 7 XII E — — a Beleg ve, @S% ya Mes BE? Ass hei, 28,99 DEZ AGENT | \e\ I © ® oo 2 4 SS00 H\S| #97 DIS NEED DIEHZT PIORZAD ASCHE) Y \EE Ro6o90 78 A I, >53 99 SEIT | RN IR ae Ser / ns‘ > ON.29 N, 27 no d- ER \ 5) ° z No * £ 27 er 5 darı | | ) N 0 N RR Pr 1% Ss es HERR y > Ti 9 i © N 14 N o\ 8 L N eV) Ne h | \ Sr I I S N Bi le) \ Den Figuren 5—7. 3 Querschnitte aus dem proximalen Teil der Herzanlage von Pristiurus (2 Visceraltaschen angelegt). Vergr. -—_ Fig. 5 zeigt den Zellenwulst w der ventralen Darmwand. Die Perikardial- höhlen pech, noch getrennt, berühren sich. d Vorderdarm. Fig. 6 von einem etwas ältern Embryo. Der Wulst w hat sich in eine lockere Zellenmasse he (Herzendothel) aufgelöst, deren tiefste Schicht noch nicht von der Darmwand abgetrennt ist. Die Perikardialböhlen sind vereinigt. Fig. 7. Die Zellenmasse des Herzendothels (he), von der Darmwand vollständig abgetrennt, beginnt hohl zu werden. Die ventrale Darmwand ist infolge des Zellenaustritts verdünnt. Die Auflockerung des Zellenhaufens führt frühzeitig zur Ent- stehung von kleinen unregelmäßigen Hohlräumen, deren Anfänge bei Pristiurus sehon auftreten, bevor noch das gesamte Material sich vom Entoblast abgetrennt hat. Indem diese Lücken späterhin konfluieren, entsteht ein einheitlicher Raum, die Herzhöhle. Die sie begrenzenden Zellen erfahren, offenbar unter dem Druck einer im Innern des Gefäß- raumes angesammelten Flüssigkeit, eine zunehmende Abplattung und erhalten so den Charakter der Gefäßendothelien. Die Bildung des Herzlumens geht zuerst an dem ältesten, distalen Teil der Anlage vor sich; sie schreitet aber bei Torpedo von da in proximaler Richtung 4) An diesem rarefizierten Abschnitt treten bei Pristiurus - Embryonen dieses Stadiums infolge unvorsichtiger Behandlung während der Konservierung und Einbettung leicht Zerreißungen auf. Rückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier - Embryonen, 395 nieht völlig regelmäßig weiter, denn man findet bald darauf das proximale Endstück des Herzschlauches (den Arterienstiel) schon weit geöffnet, während der distal folgende Abschnitt (Conus und Teil des Ventrikels) ein verengtes, stellenweise fast undurchgängiges Lumen aufweist. Eine paarige Anlage!) des Herzens habe ich in demjenigen Teil des Kopfes, welcher von dem Dotter abgeschnürt ist, wie aus der obigen Beschreibung hervorgeht, nicht gesehen, weder anfänglich, so lange das Zellenmaterial des Herzendothels solid ist, noch auch später, wenn die Bildung der Herzhöhle vor sich geht. Aber es finden sich auch distal von der jeweiligen Abschnürungsstelle des Vorderdarms (s. oben) einige Gefäßzellen und später auch Gefäß- räume zu beiden Seiten der Darmwandung, also in bilateraler An- ordnung vor. Da nun das hintere Ende des Herzschlauches ent- sprechend der distal fortschreitenden Abschnürung des Darms nach rückwärts weiter wächst, bis es (im Stadium mit 5 Kiementaschen) die Leberausstülpungen des Darms erreicht, so ist die Wahrscheinlich- keit gegeben, dass dieser Zuwachs an Länge durch Vereinigung jener paarigen Anlagen entsteht. Wenn dies auch der Fall ist, so darf man doch darin nicht einen Hinweis auf ein primäres Verhalten er- blieken, sondern der fragliche Abschnitt muss bezüglich seiner Genese vielmehr auf die gleiche Stufe gestellt werden mit der paarigen Herz- anlage der höhern Wirbeltiere, welche als eine sekundäre (Balfour), in letzter Linie durch den Einfluss des Nahrungsdotters (Rab]) be- dingte Bildung aufzufassen ist. Denn distal von der Abschnürungsstelle des Darms können diese Gefäßanlagen aus ganz selbstverständlichen mechanischen Gründen gar nicht anders entstehen als paarig; deshalb kann dieser Abschnitt für die vorliegende Frage überhaupt nicht in betracht kommen, sondern nur der proximale, in welchem allein die Möglichkeit einer unpaaren Anlage gegeben ist. Hier tritt dieselbe denn auch mit aller wünschenswerten Klarheit auf. Was schließlich der Mutterboden für das Herzendothel anlangt, so haben wir als solchen, wie aus der obigen Beschreibung hervor- seht, einmal den Entoblast des ventralen Darmumfangs anzusehen. Aber daneben kommt auch der an die Herzanlage angrenzende Ab- schnitt der Splanchnopleura in betracht. Das letztere Blatt steht hier zu Anfang der Herzbildung mit dem Entoblast in engem Kontakt, und es treten nun zwischen beiden Keimblättern die Zellen auf, die bald mehr von dem einen, bald mehr von dem andern herzukommen scheinen, weshalb hier, ebenso wie bei manchen andern Stellen des Kopfes (z. B. Anlage der Mandibulargefäße) die Entscheidung nicht immer möglich ist. Doch habe ich bei Torpedo eine ganze Anzahl Bilder 1) P. Mayer neigt dazu, eine paarige Anlage als die ursprüngliche Form des Selachierherzens anzunehmen. 394 Rückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier - Embryonen. sefunden, welche in klarster Weise den Austritt von Zellen aus dem visceralen Mesoblast demonstrieren. (Fig.2 vgl. auch Fig. 6 von Pristiur.) Endlich wäre noch die dritte Möglichkeit ins Auge zu fassen, dass Gefäßzellen aus dem Dotterblastoderm in den Embryo einwan- dern, um sich an. dem Aufbau der endothelialen Herzanlage zu be- teiligen. Da Gefäßanlagen schon auf dem Dotter gebildet sind, ehe dieselben im Embryo auftreten, und da ferner der Raum zwischen Entoblast und Mesoblast des Dotterblastoderms, in welchem jene An- lagen erscheinen, sich zwischen die gleichnamigen Blätter des Embryo selbst ununterbrochen fortsetzt, so ist die Möglichkeit einer solchen Einwanderung a priori gewiss nicht von der Hand zu weisen. Freilich liegen in dieser Hinsicht die Verhältnisse in den einzelnen Regionen des Embryo beim Auftreten der Gefäßanlagen nicht völlig gleich. In dem größern distalen Abschnitt des Rumpfes, in welchem zur frag- lichen Zeit die Leibeshöhle im Bereich der Seitenplatten noch nicht als Spaltraum gebildet ist, existiert ein weiter von Fortsätzen der Meso- blastzellen durchsetzter Raum zwischen der Splanchnopleura und der Darmwandung. Derselbe steht in offener Kommunikation mit dem entsprechenden Raum des Dotterblastoderms, welcher schon frühzeitig Gefäßanlagen führt. Treten nun die letztern bald darauf auch im Bereiche des Embryo selbst auf, so wird man die Möglichkeit einer Einwanderung immerhin ins Auge fassen müssen, zumal eine Unter- brechung zwischen den beiderlei Gefäßanlagen alsdann nicht vor- handen ist. Andere Verhältnisse herrschen aber im Kopf und im vordern Rumpfabschnitt. Hier ist bei Torpedo (Fig.1) während des Auftretens der Gefäßzellen das ventrale Cölom schon zu einem Hohlraum erwei- tert, und es liegt der viscerale Mesoblast, aus einer geordneten, scharf abgegrenzten Reihe von Zellen zusammengesetzt, dem Entoblast dicht an. Ebenso grenzen die Urwirbel, wie hier zum voraus gleich be- merkt sein mag, unmittelbar an die dorsale Darmwandung. Bei Pristiurus ist zwar um diese Zeit das ventrale Cölom noch spaltförmig geschlossen, aber es berührt auch hier der Mesoblast den Entoblast grade an den Stellen, wo die ersten Gefäßzellen auftreten, innig, so dass es oft schwer ist zu unterscheiden, ob Gefäßzellen, die zwischen den beiden Blättern liegen, mit dem einen oder mit dem andern der- selben in Zusammenhang stehen. Es existieren in diesem Teil des Embryo also keine präformierten Räume, in welche die Zellen ein- wandern, wie dies von der Einwanderungstheorie gelehrt wird, son- dern die Lücken treten erst nachträglich auf, offenbar infolge der angesammelten Gefäßzellen, welche sich ausstreeken und sich den Raum selbst schaffen. Völlig aussehließen wird sieh die Möglichkeit einer Einwanderung trotzdem auch hier nicht lassen, aber sie ist doch recht unwahrscheinlich: einmal deshalb, weil sich der lokale Ursprung der Endothelien grade bei der Herzanlage deutlich erkennen lässt, Rückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier - Embryonen. 395 und zweitens weil hier, wie überall im Embryo, die Gefäßzellen immer nur an denjenigen Stellen zu finden sind, wo es bald darauf auch zur Bildung der Gefäße kommt. Im Rumpf tritt die Anlage des ventralen Gefäßsystems bei Torpedo ein wenig später auf, als die ersten Zellen des Herz- endothels. Bei Pristiurus scheint dies nicht der Fall zu sein, doch kann ich es nicht entscheiden, da mir ein beweisendes Stadium fehlt. Die Zellen erscheinen hier ebenso wie in der Herzregion zu beiden Seiten des noch mit dem Dotter verbundenen Darmrohrs, und zwar anfänglich (wo sie nur im proximalen Teil des Rumpfes vorhanden sind) überwiegend an dessen ventralem Abschnitt, also an derjenigen Stelle des Embryo, an welcher derselbe in das Dotterblastoderm übergeht, während sie am dorsalen Umfang des Darms, also auch im Bereiche der spätern Aorten, anfänglich in diesem proximalen Abschnitt des Rumpfes fehlen. Dieser Umstand könnte zu der Annahme verleiten, dass die Zellen aus dem Dotterblastoderm an der fraglichen Stelle in den Embryo einwandern. Dem gegenüber ist aber hervorzuheben, dass man an den Serien entsprechend junger Stadien zahlreiche Beweise dafür findet, dass die Zellen an Ort und Stelle aus der Splanchno- pleura entstehen. Sie treten hier namentlich aus dem ventralen Ende der Seitenplatten aus, vielfach zu Kolonien verbunden. Dorsal von diesem Abschnitt sieht man sie in verhältnismäßig geringerer Zahl aus dem Mesoblast sich ablösen. Eine Anzahl Bilder zeigen, dass die Zellen auch von der Darmwandung sich abspalten; oft ist die letztere mit dem Mesoblast durch Anhäufung von Gefäßzellen so innig verbunden, dass man über die Herkunft der letztern kein Urteil ge- winnen kann. Sicher aber ist, dass der Mesoblast bei weitem mehr Gefäßzellen liefert, als die Darmwandung. Die Zellen, welche, wie bemerkt, anfänglich nur im proximalen Abschnitt des Rumpfes vorhanden sind und hier vorwiegend ventral liegen, stellen die erste Anlage der Subintestinalvenen dar; nach vorn gehen sie allmählich in das Material der Herzanlage über, so dass das Herz und die Subintestinalvenen in einem frühern Entwick- lungsstadium, noch bevor die Gefäßlumina erscheinen, eine einheit- liche Anlage bilden. Der beschriebene Entwicklungsprozess des ven- tralen Gefäßsystems rückt dann im Hinterrumpf in distaler Rich- tung allmählich weiter. Ein solcher Entwicklungsmodus erscheint, ganz selbstverständlich, sobald man von der Thatsache ausgeht, dass die Gefäßzellen aus dem embryonalen Mesoblast stammen, da man Ja den letztern auf um so jüngerer Entwicklungsstufe antrifft, je weiter nach rückwärts man im Rumpfe geht. Die Entstehung des ventralen Gefäßsystems geht nun in der ge- samten Ausdehnung des Rumpfes nicht in der gleichen Weise vör sich. Anfänglich, so lange die Gefäßzellen überhaupt nur in spärlicher An- zahl vorhanden sind, ist ein Unterschied wenig auffallend; bald aber 396 Rückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier- Embryonen. bemerkt man, dass die Ansammlung der Zellen in der vordersten Region des Rumpfes ebenso wie in dem angrenzenden Teil des Kopfes beträchtlich im Rückstand bleibt. Das ventrale Gefäßsystem wird alsdann hier nur durch ganz vereinzelte Elemente repräsentiert, und die Verbindung zwischen dem Herzen und den inzwischen mächtig Fig.8. Querschnitt durch den Vorderrumpf von Torpedo (Stadium mit 6 Visceral- taschen, 1te - te eröffnet). d Darm, ! die paarigen Leberausstülpungen, welche ventral an die Subintestinalvenen (sv) angrenzen, ph Peritonealhöhle, ao Aorta. Vergr. - , 1 Fig. 9. Querschnitt durch den Vorderrumpf eines Torpedo-Embryo mit 6 er- öffneten Visceraltaschen. Is linke, Id rechte Leberausstülpung, die sich schon zu verzweigen beginnen und allseitig!) von den erweiterten und gleichfalls verzweigten Subintestinalvenen (sv) umschlossen werden. Nur der mittlere Ab- schnitt der Leberanlage, der zum Ductus choledochus wird, ist von embryonalem Bindegewebe umgeben. d Darm, ao Aorta, vc Cardinalvene, ph Peritoneal- höhle, pp parietales — vp viscerales Peritonealblatt, mt Myotom, sct Sclerotom. Versr. — entwickelten Subintestinalvenen des weiter hinten gelegenen Rumpf- abschnittes erscheint infolge dessen bei Torpedo eine Zeit lang unter- brochen. Auf welche Weise sich nachträglich der Zusammenhang hier herstellt, soll nur ganz kurz angegeben werden: 1) Die Strecke von dem hintern Ende der Herzanlange bis zu den Leberausstülpungen wird, wie oben erwähnt, allmählich durch den nach hinten auswachsenden unpaaren Herzschlauch eingenommen. 4) Bei Balfour ist die Leberanlage der Selachier ringsum von embryo- nalem Bindegewebe eingehüllt, welches nur einzelne Gefäßlumina führt. Rückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier - Embryonen. 397 2) Im Bereich der paarigen Leberanlage selbst treten die Subintestinal- venen paarig auf (Fig. 8). Die Leberdivertikel des Darms stülpen sich in der Weise aus, dass sie anfänglich mit dem dorsalen Umfang der Subintestinalvenen in unmittelbare Berührung kommen (Fig. 8). Wenn sich dieselben dann weiterhin verästeln (Fig. 9), so buchten sich ihre Zweige direkt in das Innere der anliegenden Venen aus, so dass die epitheliale Leberanlage alsdann fast allseitig von dem Blut der stark erweiterten Subintestinalvenen umflossen wird, von ihm nur durch das Gefäßendothel getrennt. 3) Von den Leberausstülpungen an nach rückwärts bis zu einer um mehrere Segmente hinter der Vor- niere gelegenen Stelle, an welcher das ventrale Gefäßsystem in den Dotter eintritt, kommen die beiden ventralen Längsbahnen in asymme- trischer Form zur Ausbildung. Die linke gelangt zu kontinuierlicher Entwicklung und wird zur Vena umbilicalis, während von der rechten nur ein Stück sich ausbildet und durch Verbindung mit der Aorta zur Art. umbil. sich gestaltet, wie dies zuerst von P. Mayer fest- gestellt wurde. Ich kann die eingehende Darstellung des genannten Forschers nur bestätigen mit Ausnahme des einen Punktes, nach welchem die beiden Gefäße ursprünglich in dieser Region gleichfalls kontinuierlich paarig sein sollen. Bei meinen an Torpedo hierüber ange- stellten Untersuchungen habe ich ein solches Stadium bis jetzt nicht gefunden, sondern, wie erwähnt, anfänglich nur vereinzelte Zellen zu beiden Seiten des Darms und später dann sogleich die von M. ge- schilderte asymmetrische Anordnung. Kehren wir zurück zu den jüngern Stadien, in welchen die Zellen der Subintestinalvenen erscheinen, so finden wir hinter der eben be- schriebenen vordern Rumpfregion bald eine weit lebhaftere Entwick- lung von Gefäßzellen. Viele dieser Elemente treten hier auch am seitlichen Umfang des Darmes auf und stellen die Vorläufer der von P. Mayer beschriebenen Quergefäße des Darmes dar, welche die Aorten und Subintestinalvenen verbinden. Die Entstehung dieser Zellen ist hier d. h. in einer Gegend, welche im allgemeinen den mittlern Rumpfsomiten entspricht, ganz besonders klar zu verfolgen: anfänglich ist der ventrale Teil des embryonalen Mesoblast erfüllt von runden dotterreichen Zellen, welche denselben aufblähen und seine peripheren Zellen zum Teil abplatten. Sobald nun die Bildung der Gefäße hier vor sich geht (Fig. 10), treten von jenen Zellen die ven- tral gelagerten!), in Kolonien und Ketten zusammenhängend, aus dem Mesoblast und ergießen sich in den Raum zwischen der Splanchnopleura und der Darmwandung. Sie nehmen in der Regel schon während des Austrittes die charakteristische Gestalt der Gefäßzellen an und bilden Endothelschlingen, welche teils am ventralen Ende des Darms verharren und hier die Subintestinalvenen darstellen, teils sich in 1) Ein dorsaler Anteil der Rundzellen verbleibt im Mesoblast und findet hier eine anderweitige Verwendung. 398 Rückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier- Embryonen. dorsaler Richtung ausziehen als Anlagen der P. Mayer’schen Ring- gefäße. Wenn man die betreffende Region von hinten nach vorn durchmustert, kann man an einer einzigen Querschnittsserie unter Umständen die verschiedenen Stadien dieses Prozesses nebeneinander Fig. 10. Fie.41 fi / EN , ey 2) N) Een SS E eS; 2, 3 > sch_ 35 So er / N REIS u =23 25 6) IN — W \\ >? = 7 \ ee dr — 8 III x, { 5 (SD SD; ao \ ee | =): 8, (SRF) eg SS. ee III N \202 se eu g,'5 SI, ANTIEN NSz SIIT/IIGN a2 | SI WIEN zZ EINIG Dos SIE N N N =2 2 er \Ne> SI © SE m SD SYS S/ E N ei se Sa 8 B DS SE N SEE ea] =] P) = > ©, USER Ss zZ S E7 a \ Der eis A © g Alles ) ES) NZ 7 ne 39 00,5 | I Rd DC \Y> \ RP 30, z od po, sr ); = 7 ) DE 86 9 IA Mr 7 %% 0 My IL IE 00 S Rh 20, WETTE, Ad = 9 Fig. 10. Querschnitt durch den Mittelrumpf eines Pristiurus- Embryo mit 2 Visceraltaschen. Ketten von Gefäßzellen (gz) treten jederseits aus dem ventralen mit dotterhaltigen Rundzellen erfüllten Mesoblast aus. d Darm, uw Urwirbel, 7 eine durch den Austritt der Zellen entstandene Lücke im Mesoblast. Dieselbe, zum Teil von abgeplatteten Zellen umgeben, wird wahr- 165 = scheinlich selbst zu einem Gefäßraum. Vergr. Fig. 11. Querschnitt aus derselben Region wie Fig. 10 von einem Torpedo- Embryo mit 4 (geschlossenen) Visceraltaschen. Zeigt an Stelle der Gefäßzellen der Fig. 10 die hohlen Gefäßanlagen. ao Aorta, sv Subintestinalvenen, zwischen beiden die den Darm seitlich umspinnenden Gefäße; ch Chorda, sch subehor- daler Strang, ph die Leibeshöhle im ventralen Teil des Mesoblast zu einem Lückensystem erweitert. Vergr. — vorfinden: hinten den von Gefäßzellen erfüllten Mesoblast, dann den Austritt der erstern und ganz vorn schon die fertigen Gefäßanlagen einerseits und anderseits die Lücken im zurückbleibenden verdünnten Mesoblast. Diese Bilder bei Pristiurus und Torpedo sind so schlagend, dass sie wohl auch den entschiedendsten Gegner davon überzeugen dürften, dass im Bereich des Embryo selbst Mesenchymkeime vor- handen sind, deren Zellenmenge vollständig ausreicht, um die an Ort und Stelle stattfindende Gefäßbildung zu erklären. Von der beschriebenen Region an nach rückwärts nimmt die Massenentwicklung der Gefäßzellen wieder ab, ganz entsprechend dem Kaliber der fertigen Subintestinalvenen und ihrer Seitenzweige. Wenige Zellen, oft noch innerhalb des Mesoblast sich zu einem Endothelring ordnend, treten alsdann aus dem ventralen Ende der Seitenplatten aus. Im Bereich des Anus rücken die Subintestinalvenen, wie schon Balfour beschrieben hat, zur Seite der Kloake in die Höhe, um Roux, Zur Frage der Axenbestimmung des Embryo im Froschei. 399 dann als Supraintestinalvenen im Schwanze weiter zu verlaufen. Es erscheint mir nun sehr bezeichnend, dass in jener Region der Kloake, in welcher später die fertigen Venen an der Seitenwand des Darmes sich befinden, bei Torpedo schon die ersten, ganz vereinzelten Gefäß- zellen in genau der gleichen seitlichen Lage angetroffen werden. Es ist dies ein weiterer Beleg für die Ansicht einer lokalen Entstehung der Endothelzellen. (Schluss folgt.) Zur Frage der Axenbestimmung des Embryo im Froschei. Von W. Roux. Infolge meiner in dieser Zeitschrift Band VII Nr. 14 erschienenen, meist negativen Beurteilung der ersten Mitteilung Herrn OÖ. Schultze’s in Würzburg über die Axenbestimmung im Froschei!) hat derselbe sich (diese Zeitschrift Bd. VII Nr. 19) ausführlicher über seine bezüg- lichen Ansichten geäußert. Es ist mir dies sehr erfreulich, weil es ein Zeichen von Interesse für dieses wiederholt von mir behandelte, wichtige Thema ist; und als ich wohl hoffen darf, dass die weitere Diskussion der Frage allmählich auch Teilnahme in weitern Kreisen erwecken wird. Ich will nun in den folgenden Zeilen meine Ansichten über die Auffassungen O. Schultze’s darlegen, wobei ich freilich nicht viel zu sagen habe, was nicht schon in meinen Spezialarbeiten über die betreffenden Themata mitgeteilt ist: ein Zeichen, dass O. Schultze durch sorgfältigeres Studium derselben mancher Erörterung hätte vor- beugen und, wie sich zeigen wird, sich manche Berichtigung hätte ersparen können. OÖ. Sehultze’s Ansichten weichen in allen Hauptsachen von den meinigen ab?), ja stellen meist gradezu die Gegensätze der meinigen dar. Um so lohnender ist es daher, die Gründe, welche dieser Autor für seine abweichenden Auffassungen anführt, eingehends zu prüfen. Die ältere Angabe, dass die obere, schwarze Hälfte des Frosch- eies einer bestimmten Seite des Embryo entspricht, wird von niemandem in Zweifel gezogen; es ist sicher, dass die Verbindungs- linie der Mitte der schwarzen oder braunen und der Mitte der untern weißen Hemisphäre des unbefruchteten Eies, die sogenannte Eiaxe, 1) Gratulationsschrift für A. v. Kölliker. Leipzig 1837. 2) Bloß die eine Angabe ausgenommen, dass man schon vor der ersten Furchung die Hauptrichtungen des Embryo am Ei erkennen kann, bezüglich deren O0. Schultze meine an Rana esculenta gewonnenen, und für Rana fusca dureh Ermittelung der Ursache dieser Bestimmung bereits überholten Be- obachtungen für Rana fusca bestätigte, aber aus Versehen unterlassen hatte, dieser ihm bekannten Vorgängerschaft Erwähnung zu thun. 400 Roux, Zur Frage der Axenbestimmung des Embryo im Froschei. einer bestimmten, in der Medianebene gelegenen Richtung, seil. Axe, des Embryo entspricht, dass also am unbefruchteten Eie schon eine Richtung des Embryo gegeben ist. Durch diese Eiaxe lassen sich unendlich viele „Meridianebenen“ legen; und ich habe nun vor Jahren die Frage angeregt und behandelt, ob auch schon vor der Befruchtung einer dieser Meridiane zur Medianebene bestimmt ist. Ich wurde durch Versuche dazu geführt, diese Frage zu verneinen; und fand weiterhin, dass diese Bestimmung erst während der Befruchtung, und zwar durch dieselbe, in gesetzmäßiger Weise getroffen wird’). OÖ. Schultze dagegen ist entgegengesetzter Ansicht und stützt sich dabei auf zwei Beobachtungen. Er fand, dass das Keimbläschen des reifenden Eierstockseies in einer großen Anzahl der Fälle deut- lich exzentrisch in dem dunklen Abschnitt steht, und nimmt an, dass daher auch der Punkt größter Protoplasmaansammlung entsprechend exzentrisch gelegen sei. Durch die Eiaxe und dieses exzentrisch stehende Keimblaschen kann man nun eine Ebene legen, welche, wie die erste Furchungsebene, das Ei symmetrisch teilt. Und da nun ich und danach Pflüger gefunden haben, dass die erste Furchungsebene schon die Medianebene des künftigen Embryo darstellt, so würde, im Falle die erste Furchungsebene mit dieser Symmetrie- ebene des unbefruchteten Eies zusammenfällt, die Median- ebene des Embryo also bereits vollkommen im unbefruchteten Eie bestimmt sein. Einen Beweis dieses Zusammenfallens bringt mın O. Schultze nicht, sondern er begnügt sich, zu sagen: „Ich muss gestehen, dass mir die Wahrscheinlichkeit sehr nahe zu liegen scheint“. Diese Wahrscheinlichkeit lag ihm sogar so nahe, dass er es ihr gegen- über für unnötig hielt, meine auf direkte Versuche mit 80—90°], Treffern gestützten gegenteiligen Angaben auch nur zu zitieren, ob- gleich sie ihm, wie er später zugibt, bekannt waren. In seiner Erwiderung auf meine Kritik führt ©. Schultze nun- mehr auch eine Thatsache für seine Ansicht an, indem er sagt (]. e. S. 578): „Die erste Furche, d. i. die Medianebene, läuft in den meisten Fällen durch die Stelle, an welcher das Keimbläschen verschwunden ist“. Trotz dieses scheinbar guten Argumentes verhält sich ©. Schultze doch jetzt in der That vorsichtig, indem er eine Verschiebung des an die Oberfläche gerückten Keimbläschens resp. der Fovea germina- tiva in der Pigmentrinde für möglich halten will und weiterhin sagt: „Sollte jede Verlagerung der Fovea in der angegebenen Zeit ausge- 1) Beiträge zur Entwicklungsmechanik des Embryo. Nr. 3: Ueber die 3estimmung der Hauptrichtungen des Froschembryo ete. Breslauer ärztliche Zeitschrift, 1885, Nr. 6 u. ff. Nr. 4: Ueber die Bestimmung der Medianebene des Froschembryo durch die Kopulationsrichtung des Eikernes und des Sperma- kernes. Archiv für mikroskop. Anatomie, 1887, Bd. 29. Roux, Zur Frage der Axenbestimmung des Embryo im Frosehei. 401 schlossen werden können, und sollte ferner die exzentrische Lage sich als der Ausdruck der Norm ergeben, so würde neben dem „Rechts“ und „Links“ auch das „Vorn“ und „Hinten“ des Frosches im Eier- stocksei erkennbar sein, indem derjenige Punkt des Pigmentrandes, welcher dem „verschwindenden“ Keimbläschen am nächsten liegt, die Stelle der Anlage des Urmundes bezeichnen würde“. Durch dieses „sollte, sollte“ werden wir indess meiner Meinung nach um nichts gefördert; und es erscheint um so überflüssiger, wenn bereits direkt für das Gegenteil sprechende Thatsachen vorliegen. Zugleich will ich erwähnen, dass auch die am Ende des Citates zur Begründung des Schlusses in Form einer festgestellten Thatsache gemachte Angabe, dass „derjenige Punkt des Pigmentrandes, welcher dem verschwindenden Keimbläschen am nächsten liegt, die Stelle der Anlage des Urmundes bezeichnen würde“, von O. Schultze durch nichts bewiesen ist, sondern nur, gleich vielen andern seiner Angaben über Thatsächliches, bloß einen ihm wahrscheinlichen Gedanken ent- hält; und aus meinen weiter unten zu zitierenden Beobachtungen über die Wirkung der beliebig wählberen Lage der Befruchtungsstelle ist zu erschließen, dass sie unrichtig ist; in einigen Fällen habe ich das Gegenteil direkt beobachtet. Seine diesmalige Vorsicht bei der Verwendung eines für den in der Materie nicht erfahrenen Leser scheinbar sehr triftigen Argumen- tes ist aber eine sehr angebrachte. Ich habe schon vor fünf Jahren dieses Lageverhältnis der ersten Furche zur Fovea germinativa be- achtet und mich dabei bald überzeugt, dass eine ursächliche Beziehung, welche den Meridian der Furchungsebene bestimmt, darinnen nicht besteht. Diese Fovea germinativa stellt bei Rana esculenta einen hellen runden Fleck von ziemlich beträchtlicher Größe, nämlich von ein Fünftel bis ein Drittel der Größe des Radius des ganzen Eies dar, und ist meist der Art gelagert, dass sie mit einem Punkte ihrer Fläche am obern „Pole“ d. h. in der Mitte der braunen Hemisphäre, also am obern Ende der „Eiaxe“ gelagert ist. Da die erste Furche durch die Eiaxe geht, wird sie alsdann natürlich bei jeder Stellung in einem der unendlich vielen, durch diese Linie legbaren Meridiane immer diesen Fleck schneiden; die Lage dieses letztern ist also nieht im stande, einen Meridian zu bestimmen. Dies wäre bloß möglich, wenn die erste Furche durch die Mitte dieses großen Fleckes ginge; man sieht aber ohne Mühe, dass dies nicht der Fall ist, sondern dass die erste Furche diesen Fleck an beliebigen Stellen, selten in der Mitte, durchschneidet. Wenn der Fleck stärker exzentrisch gelagert ist, dann wäre noch bessere Gelegenheit gegeben, durch ihn den ersten Furchungs- meridian zu bestimmen. ©. Sehultze hätte auf diese Fälle sein Augenmerk richten müssen. Er hätte dabei freilich die betrübende Wahrnehmung gemacht, dass nur relativ selten die erste Furche dann vin. 26 402 Roux, Zur Frage der Axenbestimmung des Embryo im Froschei. diesen Fleck durehschneidet und nur sehr selten einmal durch die Mitte desselben geht; und wenn nach Bildung der zweiten Furche (wie es bei Kana esculenta gewöhnlich der Fall ist) der Fleck noch sichtbar ist, so kann man von der Kreuzungsstelle beider Furchen aus leicht den Winkel bestimmen, den der erste Furchungsmeridian mit einem eventuellen Furchungsmeridian, der durch die Mitte der Fovea germinativa ginge, machen würde; derselbe beträgt häufig über 45° und selbst SO- 90° ist nicht selten. Es ist also klar, dass der Meridian der Furchungsebene nicht durch die Lage der Fovea germinativa bestimmt wird. Hätte sich bei diesen schon am Anfang meiner entwicklungsmechanischen Bestrebungen ge- machten Beobachtungen das entgegengesetzte Resultat ergeben, so hätte ich natürlich nicht erst noch nach weitern, später zur Wirkung selangenden Ursachen gesucht. Ich habe die vorstehenden Beobach- tungen in diesem Frühjahr aufs neue mit gleichem Erfolge geprüft, sie seinerzeit aber nicht für mitteilenswert gehalten, da sie so wohl- feil zu machen sind, und da ich nieht vermutete, dass einmal Jemand die deutliche Sprache derselben in ihr Gegenteil verkehren würde. Somit hat also das einzige thatsächliche Moment, welches ©. Schultze für seine Ansicht anführt und bedingungsweise verwertet, bei genauerer Betrachtung grade zu dem entgegengesetzten Schlusse geführt. OÖ. Schultze hat in seiner Erwiderung nun auch Einwendungen gegen meine frühern Versuche erhoben, von denen ich, um nicht zu breit zu werden, nur die gegen mein bestes Argument gerichteten besprechen will. Ich habe die direkte Ursache nachgewiesen, durch welche die Richtung der Medianebene bestimmt wird, wenn normal beschaffene Eier nicht in einer abnormen Lage erhalten werden, indem ich zeigte, dass bei lokalisierter Befruchtung des Eies von einem beliebig von mir gewählten Meridiane aus die erste Furche in diesem „Befruch- tungsmeridian“ lag, und dass diejenige Seite des Eies, auf welcher der Samenkörper eingedrungen war, zur kaudalen Hälfte des Embryo wurde. Dies bestätigte sich bei je S-10 von 12 Eiern einer Versuchs- reihe. Die Einwendungen OÖ. Schultze’s sind nun folgende: Er sagt, die Eiaxe von Rana fusca stelle sich nicht, wie ich und meine Vor- gänger angegeben haben, senkrecht, sondern unter einem Winkel von 45° schief ein; da ich nun die Eier senkrecht aufgesetzt und die ersten 30 Minuten in dieser Lage erhalten habe, so gelte das, was ich in meiner ersten Mitteilung bezüglich der Rana esculenta wegen deren normaler Schiefstellung als Befürchtung geäußert habe, auch für Rana fusca, nämlich dass der Versuch nicht mit Aussicht auf Erfolg ausführbar sei, da der Samenkörper daselbst in die durch (die senkrechte, von der natürlichen abweichende Aufstellung ent- stehenden innern Strömungen gerate und dadurch aus seiner ursprüng- Roux, Zur Frage der Axenbestimmung des Embryo im Froschei. 405 lichen Richtung abgelenkt werden könne. Da es mir nun aber später, wie ich in meiner zweiten, ausführlichen, seiner eignen Angabe nach OÖ. Schultze bekannten Arbeit mitteile!), gelungen ist, selbst bei Rana esculenta die Versuche mit demselben guten Erfolge auszu- führen, so geht doch nicht daraus hervor, dass der Versuch nicht mit Erfolg ausführbar gewesen sei, sondern dass es möglich war, diese vermutete Fehlerquelle (durch reichlichen Zusatz von Wasser 30 Minuten nach der Besamung) noch rechtzeitig zu beseitigen. Das ist auch verständlich, denn um diese Zeit hat der Samenkörper eben erst die Eirinde durchbrochen und legt (NB. bei geeigneter kühler Temperatur) erst in den weitern ®/, Stunden den Hauptteil seiner intraovalen Bahn zurück, also zu einer Zeit, wo das Ei bereits in seiner Hülle sich drehen kann. Dass indess meine obige Befürchtung über die Fehlerquelle an sich nicht ganz ungerechtfertigt war, zeigt sich bei unabsichtlichen Variationen des Versuches. Wenn nämlich, wie es im Anfang des Versuches, ehe das Ei festgeklebt ist, sehr leicht geschehen kann, bei irgend einer Manipulation das Ei erheblich schief gestellt worden ist und nun 30 Minuten in dieser Lage bleibt, um erst danach aus ihr befreit zu werden, so geht die erste Furche nicht durch den 3efruchtungsmeridian. Diese Fälle bilden, wie ich mich bald über- zeugt, da ich die Eier oft von unten besichtigte und ihre jeweilige Stellung abzeichnete, eben die Ausnahmen. An ihnen machte ich aber eine andere wichtige Entdeckung, nämlich, dass bei diesen Eiern nicht, wie es normal der Fall ist, die Stelle der ersten Urmunds- anlage in der Medianebene gelegen ist, worüber ich anderwärts aus- führlicher berichten werde. Ist also ©. Schultze’s sonderbare Einwendung, dass, weil ich früher eine Fehlerquelle vermutete, die ich später mit sehr günstigem Erfolge überwunden habe, meine Versuche nicht mit Erfolg ausführ- bar gewesen seien, ohne jede Bedeutung: so muss ich des weitern auch seine Prämisse, auf welche er diese Einwendung bezüglich Kana Fusca stützt, als durchaus unrichtig bezeichnen. Die Eier von Rana fusca stellen sich nämlich entgegen 0. Schultze’s wiederholt und bestimmtest ausgesprochener Behaup- tung, mit der Eiaxe senkrecht ein. Das haben Born und ich in Uebereinstimmung mit den frühern Autoren an Hunderten von Fröschen und Tausenden von Eiern als Norm beobachtet, kleine Ab- weichungen von 5 bis höchstens 10°, wie sie häufig vorkommen und bei der oft mangelnden Rundung der weißen Hemisphäre und ihrer unscharfen Abgrenzung gegen die braune Hemisphäre nicht genau zu beurteilen sind, nicht gerechnet. ©. Schultze behauptet dagegen 1) Beitrag 4 zur Entwicklungsmechanik des Embryo ete. 26° 404 Roux, Zur Frage der Axenbestimmung des Embryo im Froschei. eine typische Schiefstellung von 45° als Norm!). Unsere Beobachtungen bezogen sich, wie in unsern Arbeiten angegeben ist, auf Eier aus der Schweiz, Heidelberg, Königsberg und Breslau. Ich war daher erstaunt, dass OÖ. Schultze diese Angaben einfach negierte und hätte gern gewusst, aus welchen Weltteilen er sein Material bezogen und mit was für Summen von Fröschen er gearbeitet hat. Da er darüber keine Angaben gemacht hat, so nahm ich an, er habe unter anderem mit dem Materiale seines Aufenthaltsortes gearbeitet. Herr Kollege Stöhr schickte mir auf meine Bitte um 30 Paar brünstiger Ranae Juscae bereitwilligst Material, aber leider bloß 11 Paar, da Würzburg nicht so tümpelreich sei, als Breslau. Eines der Weibchen kam tot an. Von den übrigen 10 Weibehen verwendete ich sämtliche Eier, um die Einstellung derselben im befruchteten und unbefruchteten Zu- stande zu prüfen, und ich erwartete nun, nach O. Schultze’s deter- minierter Angabe wenigstens bei diesen Würzburger Fröschen die Schiefstellung von 45° nach der Befruchtung als Norm zu beobachten. Diese Hoffnung wurde aber durchaus getäuscht; die Einstellung geschah genau, wie bei allen andern von mir beobachteten Eiern von R. fusca, und die anwesenden Kollegen Born, Platner, C. Weigert, Biondi überzeugten sich leicht gleichfalls von dieser Thatsache. Die 3eobachtung dieses Verhaltens ist ja so leicht, dass bei genügendem Wasserzusatz und ebenem Boden des Glases Fehlerquellen überhaupt nicht vorhanden sind. Man hebt die Glasschale wagrecht über den Kopf und besieht sich die Eier von unten; der Bequemlichkeit halber setzte ich sie auch auf eine in geeigneter Höhe wagrecht befestigte Glasplatte, um sie danach von unten zu beobachten. Nachdem ich so die Irrtümlichkeit der Angabe ©. Schultze’s auch für Frösche aus derselben Gegend, aus welcher er voraussicht- lich sein Material entnommen hat, erkannt hatte”), suchte ich nach 1) Zu dieser Angabe macht OÖ. Schultze eine Anmerkung, in welcher er angeblich meine Aussprüche über diesen Punkt zusammenstellt und durch die zweite Angabe „Schiefstellung sehr häufig“ im Gegensatz zu den andern „meist annähernd senkrecht“ u. dergl. den Eindruck hervorbringt, als hätte ich mir selber direkt widersprochen. Dieser Effekt wird dadurch erreicht, dass der Autor unterlassen hat, beizufügen, dass dieser zweite Ausspruch, der übrigens lautet „Abweichungen“ (scil. von der Senkrechten) „sehr häufig“ sich auf die vorausgegangene Bemerkung: Eiaxe nicht immer voll- kommen senkrecht, also auf kleine Abweichungen bezieht. Dies hätte 0. Schultze um so weniger übersehen sollen, als ich unmittelbar darauf er- wähne, dass ich an den Eiern eines Frosches größere Abweichungen von 20—30° beobachtet habe. Da indess O. Schultze meine Aussprüche auch noch mit dem Datum versehen hat, wonach es scheint, als hätte ich mir inner- halb 14 Tagen so grell widersprochen, so wird leider die Vermutung rege, dass O. Schultze diesen Schein zu erwecken beabsichtigt habe. 2) Ebenso unrichtig erwies sich die weitere Angabe O. Schultze’s, dass die unbefruchteten Eier dieselbe angebliche Schiefstellung von 45° dar- böten. Roux, Zur Frage der Axenbestimmung des Embryo im Froschei. 405 einer Erklärung seiner abweichenden Angabe, was eigentlich ihm zugekommen wäre. Ich kann mir nur eine Erklärung davon machen, nämlich die, dass O. Schultze niemals die wirkliche Ein- stellung der weißen Hemisphäre beobachtet hat, sondern dass er die Eier frühestens immer erst kurze Zeit vor der Furehung be- sichtigt hat; so dass er die Eier erst zu Gesichte bekam, nachdem auf der der Befruchtungsseite gegenüberliegenden Seite der schwarzen Hemisphäre die Pigmentwanderung vor sich gegangen war, welche daselbst eine Aufhellung in Form eines halbmondförmigen hellgrauen Saumes hervorbringt. Da dieser helle Saum unmittelbar an die senk- recht nach unten gerichtete, weiße Hemisphäre anstößt, so wird jemand, der die Eier vorher nicht gesehen hat, ihn leicht mit zu dieser rechnen und annehmen, das Ei habe sich entsprechend gedreht, während jedoch die Eiaxe dabei senkrecht stehen geblieben ist, wie man bei genauem Zusehen leicht daran erkennen kann, dass eben die wirk- liche weiße Hemisphäre noch rein nach unten gewendet ist. Wer die Eier vorher gesehen hat, dem würde es auch nicht haben ent- gehen können, dass die weiße Hemisphäre, wenn man diesen ver- änderten Teil der schwarzen mit dazu rechnet, oft auf das Doppelte und darüber hinaus vergrößert worden wäre: und ich muss hinzufügen: so prägnant und scharf begrenzt habe ich dies Phänomen überhaupt noch nie gesehen gehabt, als grade bei den Eiern der Würzburger Frösche. Bei den an Pigment ärmern Eiern von Rana eseulenta sind diese Verhältnisse viel schwerer, sogar sehr schwer zu beurteilen; doch ist es mir in diesem Jahre gegen Ende der Laichperiode, wo das Pigment viel beweglicher wird, indem die Samenflecke sehr groß und deutlich werden und sogar typische konzentrische Liniensysteme nicht selten auftreten, gelungen, an mehrern Eiern auch den erwähnten der Rana fusca entsprechende Pigmentwanderungen sicher zu beobachten. Ich vermag danach jedoch nicht zu sagen, ob die typische hochgradige Schiefstellung der Hemisphären, welche sich, wie ich gezeigt habe, nach der Befruchtung ausbildet und die braune Hemisphäre stets nach der Befruchtungsseite senkt, bloß eine scheinbare ist und durch solche Pigmentwanderung, nicht aber durch Drehung und Schiefstellung der Eiaxe bedingt ist. So ist denn der erwähnte Einwand O. Schultze’s nach jeder Richtung hin als irrtümlich erkannt worden. Ich habe ferner durch die lokalisierte Befruchtung gezeigt, dass „das Ei der Rana fusca und R. esculenta von jedem beliebigen Meridian befruchtet werden kann“. Beitrag 4 S. 163. Ich habe absichtlich nicht mehr gesagt, denn es ist ja möglich, dass jedes Ei vielleicht eine Stelle hat, wo die Eirinde etwas weniger fest und so etwas leichter durchdringlich für den Samenkörper ist, so dass bei gewöhn- licher Befruchtung von allen gleichzeitig an der Eioberfläche ange- 406 Roux, Zur Frage der Axenbestimmung des Embryo im Froschei. kommenen Samenkörpern der an dieser Stelle befindliche zuerst ein- dringt und die Befruchtung bewirkt. Das hierin aber ein typisches Verhalten nieht vorliegt, bekundet sich wohl darin, dass auch bei Eiern, welche mit viel Samenflüssigkeit umgeben sind, auf den Schnitten die Samenkörper in sehr verschiedener Höhe, in sehr verschiedenem Abstande vom Eiäquator eingedrungen sich zeigen. Danach hat schon das Vorhandensein „einer für normale Verhältnisse präformierten Sameneintrittsstelle, die in freier Natur stets ge- wählt werden würde“, wenig Wahrscheinlichkeit für sich; denn dann würde sie wohl eine typische Lagerung haben und auch durch eine typische Gestaltung dieser Stelle wie bei andern Eiern ausgezeichnet sein, wovon indess gleichfalls am Froschei nichts auffindbar ist. Wenn aber auch eine Prädilektionsstelle der Befruchtung vorhanden wäre, so würde das nach meinem Befunde, dass das Ei von jedem Meridian aus zu normaler Entwicklung befruchtet werden kann, nur von ganz untergeordneter Bedeutung sein. Und das Gleiche gilt natürlich von der Bestimmung der Medianebene des Embryo durch die Kopulationsrichtung. Da die Medianebene des Embryo selbst bei von uns frei gewähltem Befruchtungsmeridian durch diesen bestimmt wird, so wird dies um so wahrscheinlicher für die normalen Verhältnisse. Zudem habe ich diese Thatsache auch als für die normalen Verhältnisse giltig bewiesen, indem ich mit viel Samenflüssig- keit befruchtete und mit überschüssigem Wasser versetzte Eier nach dem Auftreten der ersten Furche tötete und parallel derselben schnitt; wonach sich die Sameneintrittsstelle wie der Samenschweif in der Furchungsebene gelegen fand. 1. ce. S. 164. Wir gehen nun zu einem weitern Divergenzpunkte über. O.Schultze sagt: „Je mehr wir nach dem höchsten Punkte des Eies gehen, umsomehr nimmt die Größe der Dotterelemente ab und zwar so, dass bei normaler Einstellung in jeder Horizontal- ebene die Dotterkerne gleich groß sind (man vergleiche den Holzsehnitt)“. Diese Angabe ist, soweit sie etwas neues ent- hält, wieder durchaus unrichtig. Bekannt ist, dass im Allgemeinen die Größe der Dotterkörner von unten nach oben abnimmt, aber dass deshalb in jeder Horizontalebene die Dotterkörner gleich groß wären, das hat sich ©. Schultze wiederum bloß gedacht, denn es liegen Körner verschiedener Größe nebeneinander und größere über kleinern; sanz abgesehen von dem zentralen braunen Dotter, der zwar oft fast nicht pigmentiert, immer aber ziemlich feinkörnig ist, während wagrecht neben ihm ringsum große Dotterkörner gelagert sind. O0. Sehultze hat also, nach seinem Ausspruch und seiner Zeichnung zu schließen, dieses leicht wahrzunehmende, letzthin noch von Born und mir erwähnte und abgebildete typische Strukturverhältnis bei seinem „eindringenden Studium“ nicht gesehen, sondern statt dessen Roux, Zur Frage der Axenbestimmung des Embryo im Froschei. 407 haben sich ihm die Körner auf jeder wagrechten Fläche gleieh groß dargeboten. Diese Präparate sollte er doch einmal dem Anatomen- kongress vorlegen. Der Autor verweist ferner auf seine Abbildung. Dieselbe stellt die Dotterkörner in lauter horizontale Schichten geordnet dar. Nach- dem ich den Autor darauf aufmerksam gemacht habe, dass auch davon in der Natur keine Andeutung vorhanden ist, bemerkt derselbe: „es ist leicht zu erkennen, dass die im Holzschnitte beigegebene Ab- bildung rein schematisch gehalten ist“, und weist die Zurückführung seiner beiden unrichtigen Angaben auf ein Artefakt entrüstet als zu „unwissenschaftlich“ zurück. Ich dachte, er hätte vielleicht beim Schneiden entstandene Brüche für den Ausdruck einer Schichtung genommen; zufällig sah ich aber, dass man ein seiner Abbildung ent- sprechendes Bild von parallelen alternierenden Reihen großer und kleiner Körnchen erhält, wenn das Messer feine Sägezähne hat, wie es ja gelegentlich vorkommt. Die Zähne reißen dann in ihrer Bahn die großen Dotterkörner aus. Ebenso ist es nicht thatsächlich gestützt, dass OÖ. Schultze an der ihm „wahrscheinlichen Thatsache“ festhalten will, dass „der höchste Punkt des Pigmentrandes einer größern Protoplasmamenge entspricht als die in der Horizontalebene gegenüberliegende Stelle des Eies“, woraus er dann eine ganze Reihe von theoretischen Be- trachtungen ableitet. Ebenso hat ihn sein naturwissenschaftlicher Genius, wie meine obigen Mitteilungen ergeben, entschieden irregeführt, indem er ihm die weitere „Vermutung naheliegend“ erscheinen ließ, „dass die be- sprochene Verteilung der Eisubstanzen, wenn dieselbe, wie es allen Anschein hat, wirklich zutrifft, schon im Ei des Eierstockes der Mutter vorhanden sei“. Diese Vermutung führte OÖ. Schultze nun zu der dritten Vermutung, dass das Keimbläschen, welches er, manchmal exzentrisch gelagert gefunden hatte, grade an dieser bestimmten Stelle seine Lagerung habe. Darauf baute er dann die vierte Vermutung, dass dadurch die Lage der ersten Furchungsebene gegeben sei, wovon ihm bereits „die Wahrscheinlichkeit sehr nahe zu liegen scheint“. Und auf dieses Kartenhaus von Vermutungen setzt er dann in der Form eines soliden Schlusssteins die” schlicht als Thatsache ausgesprochene, aber von ihm durch kein Argument gestützte, unrich- tige Angabe, dass „derjenige Punkt des Pigmentrandes, welcher dem“ verschwindenden Keimbläschen am nächsten liegt, die Stelle der An- lage des Urmundes bezeichnen würde“. Ein weiterer Divergenzpunkt betrifft die Lage der Rückenseite des Embryo zur obern Hemisphäre des Eies. OÖ. Scehultze tritt für die ältere Auffassung ein, nach welcher die Rückenfläche des Embryo auf der obern, von vorn herein braunen oder schwarzen Hemisphäre des Eies angelegt wird, während Pflüger 408 Roux, Zur Frage der Axenbestimmung des Embryo im Froschei. und ich der Ansicht sind, dass im Gegensatze dazu das Medullar- rohr auf der untern, ursprünglich weißen Hemisphäre gebildet wird. Pflüger beobachtete dies direkt an zwangslos aufgestellten Eiern von der Feuerkröte (Bombinator igneus) unter der Annahme, dass der Rand der braunen „Hemisphäre bei dieser Gattung während der Gastrulation immer dieselbe, dem Eiäquator entsprechende Lage am Eie habe. 0. Schultze wendet dagegen ein, dass letztere An- nahme nicht richtig und deshalb auch der Schluss Pflüger’s hin- fällig sei, dass vielmehr eine von Pflüger übersehene Drehung des Eies stattgefunden habe. Ich habe nun die Pflüger’sche Angabe schon vor Jahren in mehrern Laichperioden an Froscheiern geprüft, und da bei diesen Tieren bald nach der Urmundsanlage erhebliche Herabwanderung pigmentierten Materiales auf die weiße Hemisphäre stattfindet, und somit eine genaue Wiedererkennung identischer Punkte der Eiober- fläche nach längerer Zeit, von einem halben oder ganzen Tag, un- möglich ist, so änderte ich die Versuchsanordnung in geeigneter Weise ab. Ich setzte die Froscheier (von Rana fusca und R. esculenta) in normaler Weise, d. h. mit der Mitte der weißen Hemisphäre gegen den ebenen Boden der Glasschale auf, befruchtete sie mit so wenig Samenflüssigkeit, dass die Eier durch ungenügende Quellung ihrer Gallerthülle der Möglichkeit beraubt waren, sich innerhalb dieser Hülle zu drehen. Wahrscheinlich nimmt die Gallerthülle bei dem Mangel äußerer Flüssigkeit das während der Befruchtung vom Ei ausgeschiedene Perivitellin auf und presst daher, wie im unbefruch- teten Zustande, die Oberfläche des Eies, so dass es sieh nicht in derselben drehen kann. Die Gallerthülle ist ihrerseits bei diesem Versuche fest mit dem Boden der Glasschale verklebt; und man kann sich nach Ablauf der ersten 5 Furchungen, ohne den Versuch zu stören, durch Umdrehen oder sonstige Stellungsänderung der Schale jederzeit überzeugen, dass das Ei auch im Laufe von einigen Stunden seine Stellung zu dem Boden des Gefäßes nicht zu ver- ändern vermag, dass es also an jeder Drehung innerhalb der Hülle verhindert ist. An diesen Eiern kann man dann, je nach der Temperatur des haumes, nach ein bis zwei Tagen, beobachten, dass der Urmund, wie auch sonst, dicht unterhalb des Eiäquators angelegt wird, indem ein zuerst ganz schmaler, dann breiterer, hyperbolisch gestalteter und weiterhin hufeisenförmiger, schwarzer Saum entsteht; ferner, dass dieser schwarze Saum mehr und mehr nach unten auf die weiße Hemisphäre übergreift, dann durch Vereinigung der seitlichen Enden seiner Schenkel zu einem anfangs weiten schwarzen Ringe sich zu- sammenschließt, welcher mehr auf der der Anlagestelle des Urmundes entgegengesetzten Hälfte der Unterseite des Eies sich befindet und innerhalb dessen der noch nicht bedeckte Rest der weißen Hemisphäre Roux, Zur Frage der Axenbestimmung des Embryo im Froschei. 409 (der Dotterpfropf) sichtbar ist. Dieser Ring verengt sich mehr und mehr von der Seite der ersten Urmundsanlage her, so dass schließ- lich bloß ein kleines Loch übrig bleibt, welches der Stelle der ersten Urmundsanlage fast entgegengesetzt situiert ist. Das von Pflüger gebrauchte und von andern Autoren, auch von OÖ. Schultze zitierte Bild!), dass der Urmund durch die weiße Unterseite des Eies wie ein Schiff durch das Wasser geht, ist daher kein glückliches und hat wohl mit Veranlassung zu einer missverständlichen Auffassung ge- geben. In dieser so gebildeten, an ihrer Außenfläche schwarzen „Dorsal- platte“, welche gegen den Boden des Gefäßes gewendet ist und auf dem Durchschnitt sich zunächst nur als aus einer äußern und einer innern Schicht gebildet erweist, entstehen dann die beiden Medullarwülste in ihrer ganzen Länge und sind stets so orientiert, dass der qaere Gehirnwulst etwa der Stelle der ersten Anlage des Urmundsaumes entspricht, während das hintere Ende der Medullarwülste neben der Stelle des letzten Restes des Urmundes gelegen ist. Ich schloss aus diesem Befund, dass das Material des Medullar- rohres, sowie überhaupt der dorsalen Hälfte des Embryo über die weiße Unterseite des Eies von oben herabgeschoben wird und dass dabei der Urmund (die spaltförmige Oeffnung!) in cephalokaudaler Richtung verlagert und von den beiden Seiten her verengt wird. Bei dieser Versuchsanordnung, verbunden mit sorgfältiger, oft wiederholter, auch nächtlicher Beobachtung ist eine Täuschung nicht möglich; und durch zu starke Quellung der Gallerthülle bedingte Drehungen des ganzen Eies können dem aufmerksamen und mit dem Zyklus der Erscheinungen schon vertrauten Beobachter nicht entgehen. Vielleicht aber kann es der Ueberlegung bedürfen, zu verstehen, warum das Ei in seiner Hülle nicht drehbar ist, gleichwohl aber die geschilderten Materialumlagerungen an seiner Oberfläche vollziehen kann. Die Erklärung ist indess nicht schwer. Bei einer Drehung des Eies müssen alle Punkte der Oberfläche des Eies, mit Ausnahme der beiden Axenpunkte der Drehung, sich zugleich und in der gleichen Richtung gegen die anliegende Innenfläche der Gallerthülle verschieben; und dazu sind eben, wie die Probe zeigt, bei genügender Verhinderung der Quellung die Widerstände zu groß. Bei dem Herab- wachsen des Materials der Dorsalplatte dagegen findet immer bloß an einem Teil der Oberfläche Materialverschiebung statt, indem zu- gleich die im Wege liegenden Dotterzellen (aktiv oder passiv?) den Platz räumen, um nach oben zu treten und die Furchungshöhle ent- sprechend zu verengen. 1) E. Pflüger, Ueber den Einfluss der Schwerkraft auf die Teilung der Zellen und auf die Entwickelung des Embryo. II. Abhandlung. Archiv für Physiologie, 1883, Bd. 32, S. 39. 410 KRoux, Zur Frage der Axenbestimmung des Embryo im Froschei. Hat man aber ein wenig zu viel Wasser zugesetzt, so sieht man während der zweiten Hälfte der Gastrulation das Ei sich mit dem Urmund nach der Seite der ersten Urmundsanlage drehen und so den bereits gebildeten Teil der Dorsalplatte des Embryo sue- cessive nach oben gebracht werden. Es ist also im Eie eine Ten- ' ddenz zu einer Drehung vorhanden, aber nicht der Art, dass es sich mit der Oberseite nach unten dreht, wie OÖ. Sehultze zur Ent- wertung des Pflüger’schen Versuches annimmt, sondern im Gegen- teil zu einer Drehung, welche die unten angelegten Teile nach oben wendet und so die umgekehrte Täuschung hervorbringt: diejenige Täuschuug, auf der die Angaben sämtlicher früheren Autoren beruhen. Diese Drehung hat schon Pflüger bei Dombinator igneus beobachtet; doch scheint sie nach seinen Angaben hier erst nach dem Ende der Gastrulation vor sich zu gehen. Ich habe mich mit dieser Art der Beweisführung nicht begnügt, sondern habe in diesem Jahre noch durch Anstechversuche die Richtigkeit meiner Folgerungen aus dem Versuche mit Zwangslage dargethan. Stach ich die Morula oder Blastula in der Mitte der obern, schwarzen Hemisphäre an, so entstand nicht, entsprechend der Auffassung der ältern Autoren und O. Schultze’s, die Narbe oder der Defekt in der Mitte des Medullarrohrs, sondern an entgegenge- setzter Stelle, auf dem Bauche des Embryo. Verletzungen im jereiche des Eiäquators bestätigten des weitern meine obigen: An- nahmen, wie ich auf dem Anatomenkongress zu Würzburg habe mit- teilen lassen (s. den Bericht im anatomischen Anzeiger). Die oben geschilderte Thatsache, dass der Urmund von seiner Anlagestelle aus über die ganze Unterseite des Eies wandert und die dabei stattfindenden Formänderungen desselben sind nach dem Re- sultate der Anstechversuche so aufzufassen, dass nach der ersten Anlage des Urmundes die beiden Seitenschenkel seines Saumes von dien Seiten her, zunächst neben der Anlagestelle bis zur Berührung und sofortigen Verschmelzung einander entgegen wachsen; und es ist zu schließen, dass dies auch weiterbin in cephalokaudaler Rich- tung vor sich geht; abgesehen von einer spätern selbständigen, aber nicht sehr ausgedehnten Verschmelzung beider Seitenlippen am hin- tern Ende. Wir haben nun noch die Beweisführung, welehe OÖ. Sehultze für die Richtigkeit seiner Auffassung beibringt, zu prüfen. Der- selbe erwähnt schon gelegentlich anderer Punkte im Verlaufe seiner Arbeit wiederholt, er werde weiter unten die Richtigkeit seiner Auf- fassung beweisen. Schließlich sagt er nun auch, nunmehr „komme ich zu dem bei Rana fusca zu erbringenden Nachweis, dass das ge- samte Zentralnervensystem aus der dunklen Hemisphäre hervorgeht“ und gelangt nach demselben zu dem Schluss: „Die Eiaxe entspricht Roux, Zur Frage der Axenbestimmung des Embryo im Froschei. 411 also in ihrer Richtung vom dunklen zum hellen Pol der dorsoven- tralen Axe des Embryos“. Wir dürfen also nicht zweifeln, dass er das, was er dazwischen erwähnt hat, für den „Nachweis“ seiner Auffassung ansieht. S. handelt nur von zwanglos aufgestellten Eiern und sagt: „Die von dem dunklen Eiabschnitt ausgehende, in allen Meridianen nach unten erfolgende Zellverschiebung findet etwas unterhalb der zur Zeit der Entstehung des Urmundes höchst gelegenen Stelle der hellen Hemisphäre, d. i. dicht unter dem Aequator zuerst Widerstand (Born), weshalb sich hier die Wachstumsrichtung in eine anfangs radiär nach innen gerichtete umändert. Von diesem Augenblicke an werden an der dorsalen Innenfläche oberhalb des Urmundes die Dotter- zellen nach aufwärts verschoben und wird hierdurch naturgemäß der Schwerpunkt des Eies nach dem spätern Rücken bin verlagert. Da das Ei in den Hüllen beweglich ist, muss sich demgemäß der Urmund senken, und beginnt nun das Ei seine erste Rotation um eine Hori- zontalaxe, welche senkrecht auf der Medianebene steht. Diese dauert entsprechend der nach aufwärts gerichteten, zunehmenden Verschie- bung der Dotterzellen fort, bis dieselben in dem höchsten Punkt der Eikugel angelangt sind. Nunmehr tritt zugleich mit der Erweiterung des Urdarms ein Abwärtssinken der Dotterzellen, die mittlerweile in der Gegend des spätern Kopfes angelangt sind, an der dem Urmund segenüberliegenden Innenfläche ein, und die natürliche Folge dieser stets symmetrisch zur Medianebene erfolgenden Zellverschiebung ist, dass das Ei nunmehr in demselben Bogen, in welchem es vorher unter Senkung des Urmundes rotierte, um eine gleiche Horizontalaxe in rückläufiger Drehung unter dem Einfluss der Schwere sich bewegt.“ Bei diesem angeblichen „Nachweis“ ist nun zu fragen: Woher weiß O. Schultze, dass die Zellen an der Stelle der ersten Ur- mundsanlage einen derartigen Widerstand finden (denn Born hat diese Ansicht bloß als Vermutung geäußert und einen Beweis nicht erbracht), dass zufolge dessen sich hier die Wachstumsrichtung in eine nach innen gerichtete umändert? Meint er, dass dieses Wachstum nach innen keine Widerstände zu überwinden habe? Woher weiß er, dass der Urmund bloß deshalb sich senkt, weil die Dotterzellen nach oben treten und dass diese Senkung durch eine Drehung des Eies bedingt ist? Woher weiß S., dass nieht ent- sprechend meiner Annahme der Vorgang eher der umgekehrte ist, dass im Gegenteil eme Tendenz zur Aufwärtsdrehung auf dieser Seite vorhanden ist, weil die protoplasmatischen, also spezifisch leichteren Zellen zuerst auf dieser Seite (am ruhend gedachten Ei) herab- wachsen (statt durch Drehung des ganzen Eies nach unten zu kommen), dass aber dieser Drehungstendenz durch die eine Strecke weit in die Höhe wandernden, spezifisch schwereren Dotterzellen an- fangs mehr oder weniger vollkommen das Gleichgewicht gehalten 412 Roux, Zur Frage der Axenbestimmung des Embryo im Froschei. wird? Woher weiß S., dass die spätere direkt nachgewiesene, seiner angeblich vorausgegangenen, aber nicht thatsächlich fest- gestellten, entgegengesetzt gerichtete Drehung durch ein Herab- sinken dieser vordern Dotterzellen, und nicht, wie nach Pflü- gers und meinen Thatsachen zu schließen ist, durch (aktive oder passive?) Aufwärts - Verlagerung der hintern größern Dotterzellmasse bei der Ausweitung der Urdarmhöhle bedingt ist? Woher weiß O. Schultze ferner dasjenige, was die Grundlage seiner Anschauung bildet, dass der untere Saum des Urmundes immer dieselbe Lage zur Hauptmasse des Eies einnimmt, und dass nicht im Gegenteil, wie Pflüger angenommen hat und ich oben dargethan habe, der Urmund sich stetig gegen die Hauptmasse des Eies verschiebt? Alle diese Alternativen müsste O. Schultze durch beweisende Beobachtungen oder durch zwingende Schlüsse aus solchen in seinem Sinn zur Ent- scheidung gebracht haben. Aber er hat dies in keinem Falle auch nur versucht. Was O. Sehultze anführt, ist somit überhaupt kein Beweis- material für seine Auffassung, sondern er äußert bloß diese seine subjektive Auffassung, welche der Gegenstand der Kontroverse ist, einfach m Form von Behauptungen!). Er hätte die drei Beobachtungen: dass beim zwanglos auf- gesetzten Froschei der Urmund sich zunächst um 80° senkt, dann um 90° sich in rückläufiger Bewegung wieder hebt, und dass beim Beginne der Gastrulation eine relativ kleine Gruppe von Dotterzellen auf der Seite der Urmundsanlage sich über das Niveau des Bodens der Furchungshöhle erhebt (Strieker), voranstellen und darnach unbefangen prüfen müssen, zu welcher Auffassung sie zwingen; dabei würde es ihm wohl nicht haben entgehen können, dass seine Deutung nicht die einzig mögliche ist, sondern dass die soeben von mir kurz angedeutete, meist entgegengesetzte Auffassung ebenfalls 1) Nachträgliche Anm. Dieselbe Art der Argumentation verwendet 0. Schultze aufs neue in seiner jüngst erschienenen Habilitationsschrift (Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 47, 8. 11). S. nimmt wieder ohne jeden Beweis den Kernpunkt der Differenz nach seiner Auffassung an und folgert dann daraus die Richtigkeit seiner Auffassung. Er nimmt einfach an, dass die Stelle der ersten Urmundsanlage der künftigen Schwanzgegend (statt, wie ich inzwischen durch Anstechversuche noch direkt gezeigt habe, dem Kopfe) entspreche und deduziert aufgrund dessen aus dem Befunde, dass Zellen, welche ursprünglich an ersterer Stelle lagern später am Kopfabschnitt sich vorfinden, dass sie von der Schwanzgegend dahin gekommen seien, woraus er dann weiterhin ableitet, dass eine Einstülpung stattgefunden habe. Dagegen ist die erwähnte Thatsache, wie auch die weitere, mir bereits bekannt gewesene, dass die Zellen des Chordaentoblast (übrigens nur gelegentlich) gleich den Zellen des Ektoblast Pigment enthalten, nach meiner Auffassung der Sachlage un- mittelbar verständlich, ist also keineswegs gegen meine Auffassung zu ver- werten. (Siehe Beitr, V z. Entwicklungsmechanik. Virchow’s Arch. Bd. 1153.) Grobben, Ueber den Entwicklungseyklus von Phylloxera vastatriw. 415 möglich ist. Letztere hat aber den Vorzug, dass sie alle Thatsachen, auch die von Pflüger und mir angegebenen erklärt, während die seinige diese Thhatsachen negiert. Ich halte durch meine Anstechversuche die Frage überhaupt für erledigt und will daher an dieser Stelle nicht weiter darauf eingehen, umsoweniger, als ich meine Auffassung bei der ausführlichen Darstellung jener Versuche im Zusammenhang werde darzulegen haben. Ich will daher nur noch erwähnen, dass auch die Angabe OÖ. Schultze’s, dass nach der von mir vertretenen Auffassung das Froschei in der Lagerungsbeziehung der dorsiventralen Axe des Em- bryo zum Eie eine Ausnahme von allen teloleeithalen Wirbeltier- eiern mache, eine irrtümliche ist. Im Gegenteil schließt sich durch meine Auffassung das Froschei im dieser Hinsicht nunmehr kon- tinuierlich an die von His und Rauber ermittelten Verhältnisse von Fischen an. ;3reslau, Juni 1888. Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. K. k. zo0olog.-botan. Gesellschaft zu Wien. Herr Prof. Dr. C. Grobben hielt einen kurzen Vortrag „über den Ent- wieklungseyklus von Phylloxwera vastatrix”. Die aus dem befruch- teten Ei (sog. Winterei) hervorgehende junge Reblaus verlässt bereits im Herbste das Ei und überwintert, ohne sich weiter zu entwickeln, unter der Erde bis zum Frühjahr. Sie wächst zu dieser Zeit bis zur Wurzelform aus und pflanzt sich parthenogenetisch fort. Es folgen nun zahlreiche sich in gleicher Weise fortpflanzende Wurzelgenerationen, bis zu Anfang des Herbstes geflügelte Formen entstehen, welche die Wurzeln verlassen und an der Unter- seite der Weinblätter größere und kleinere Eier in nur sehr geringer Anzahl ablegen. Aus den erstern gehen die Weibchen, aus letztern die Männchen der zweigeschlechtlichen Generation hervor, die sich durch Mangel des Darmes und der Mundhöhle auszeichnet und gleich der Wurzelform ungeflügelt ist. Das Weibchen legt ein einziges befruchtetes Ei an der Rinde der oberirdischen Teile des Weinstockes ab. Die Gallen bewohnende und bildende, sich gleich- falls parthenogenetisch fortpflanzende Generation ist kein notwendiges Glied im Cyklus, sondern fällt sogar an den europäischen Reben in der Regel aus, während dieselbe an amerikanischen Reben sich umgekehrt in den meisten Fällen findet, die Wurzelformen dagegen wenigstens in Amerika unbekannt waren. Eine weitere Unregelmäßigkeit im jährlichen Cyklus ist die, dass unter gewissen Bedingungen die geflügelte Keneration und die von dieser abstammen- den Geschlechtstiere ausfallen können; in diesem Falle erfolgt durch mehrere Jahre die Fortpflanzung ausschließlich durch die parthenogenesierende Wurzel- generation. Indess trifft das letztere, wie es scheint, regelmäßig für einen Teil der Wurzelgenerationen auch in Fällen zu, wo aus dem andern Teile der Kolonie geflügelte Formen hervorgehen. Endlich scheint es nicht ausgeschlossen, dass das befruchtete Ei den Winter überdauert und erst im Frühjahr das Junge zum Ausschlüpfen kommt. 414 61. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Köln. 61. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Köln 1888. Das Programm für die Versammlungstage ist wie folgt festgestellt worden: Montag, den 17. September: Abends 8 Uhr: Gegenseitige Begrüfsung der Gäste im Kasino am Augustinerplatze. Dienstag, den 18. September: Vm. 9-12 Uhr: I. Allgemeine Sitzung im grofsen Gürzenich-Saale; 12!|, Uhr: Einführung und Bildung der Abteilungen. Nm. 5—5 Uhr: Sitzungen der Ab- teilungen,;, 5 Uhr: Besuch der Flora- Ausstellung und Fest in der Flora. Mittwoch, den 19. September: Vm. 8-1 Uhr: Sitzungen der Abteilungen. Nm. 2-5 Uhr: Besichtigung der Krankenhäuser, des Hohenstaufenbades, der Wasserwerke, der Kanalisations - Einrichtungen, des Domschatzes und der Dom- kapelle; 6 Uhr: Festessen im Gürzenich. Donnerstag, den 20. Septewber: Vm. 9-1 Uhr: II. Allgemeine Sitzung. Nm. 2—5 Uhr: Sitzungen der Ab- teilungen; 5 Uhr: Besuch des Zoologischen Gartens; 7 Uhr: Festworstellung im Vm. 8—1 Uhr: Nm. 3—5 Uhr: teilungen; 6 Uhr: Fest auf der Marienburg. Samstag, den 22. September: Vm. 8—12 Uhr: III. Allgemeine Sitzung. Nm. 3-6 Uhr: Sitzungen der Ab- teilungen; Nm. 8 Uhr: Festtrunk der Stadt Köln im grofsen Gürzenich - Saale. Sonntag, den 25. September: Vm. 9 Uhr. Ausflug zu Schiff nach dem Siebengebirge, Rückkunft Abends 9 Uhr. Die Besichtigung des Museums Wallraf-Richartz, des Kunstgewerbe- Museums, des historischen Museums wie des Rathauses in Köln ist den Teilnehmern für die ganze Dauer der Versammlung gegen Vorzeigung ihrer Karte unentgeltlich gestattet; desgleichen die Besichtigung des Domes. Das Anmelde- und Auskünftsbüreau wird vom 1. bis 12. September die Mitglieder- und Teilnehmerkarten und, wenn erwünscht, auch die Karten für das Festessen am 19. September, letztere zum Preise von 5 Mark gegen Ein- sendung des Betrages übermitteln. Vorausbestellung der Wohnung ist den Mit- gliedern und Teilnehmern der Versammlung dringend zu empfehlen. Während der Dauer der Versammlung erscheint das Tageblatt, welches die Liste der Mitglieder und Teilnehmer nebst Angabe der Wohnung, die angekün- digten Vorträge etc. sofort veröffentlicht. Dahingegen ist es für zweckmässig erachtet worden, die Referate über die gehaltenen Vorträge erst später, etwa nach 14 Tagen bis 3 Wochen im wissenschaftlichen Teile des Tageblattes nach den Abteilungen geordnet zur Kenntnis der Teilnehmer zu bringen. Mit der Versammlung ist eine Ausstellung verbunden, welche eine erfreuliche Entwicklung nimmt und eine sehr reichhaltige zu werden verspricht. Die Aus- stellungsräume befinden sich in der Volkschule Kronengasse- Elogiusplatz. Die Mitglieder und Teilnehmer haben gegen Vorzeigung der Legitimationskarte un- entgeltlichen Zutritt zu der Ausstellung. Während der Versammlungstage ist von 8 bis 11 Uhr morgens die Ausstellung nur für die Mitglieder und Teilnehmer der Naturforscher- und Aerzte- Versammlung geöffnet; in der übrigen Zeit steht dem Publikum gegen Eintrittsgeld der Besuch offen. Die Ausstellung wird vom 10. bis 24. September geöffnet bleiben. bis heute sind folgende Anmeldungen für die allgemeinen Sitzungen einge- gangen: Professor Dr. Binswanger (Jena): Thema vorbehalten. — Prof. Dr. Weismann (Freiburg), Geheimer Hofrat: Thema vorbehalten. — Prof. Dr. Theater. Freitag, den 21. September: Sitzungen der Ab- 14. Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege. 415 Waldeyer (Berlin): Das Studium der Medizin und die Frauen. — Prof. Dr. Meynert (Wien): Gehirn und Moral. — Prof. Dr. Exner (Wien): Ueber die allgemeinen Denkfehler der Menschen. — Dr. van den Steynen (Düsseldorf), Forschungsreisender: Ueber den Kulturzustand heutiger Steinzeitwölker in Zentral- Brasilien (II. Schingü- Expedition). Die Vorausbestellung von Legitimationskarten kann seitens der auswärtigen Mitglieder gegen Einsendung von 12 Mark für die Mitgliedkarte und 6 Mark für die Damenkarte an den Vorsitzenden des Finanzausschusses, Herrn Banquwier Moritz Seligmann, Kasıinostrafse 12 und 14 erfolgen. Alle Geschäftslokale liegen in unmittelbarer Nähe des Zentralbahnhofes, Bahnhofstrafse 6, Dort be- finden sich die Büreaux des Empfangs-, Wohnungs- und Auskunfts- Ausschusses. Dieselben sind vom 15. September ab von 8 Uhr morgens bis 8 Uhr abends ge- öffnet. In dem Auskunftsbüreau werden die Legitimationskarten nebst den Er- kennungsschleifen für die Mitglieder und deren Damen, die Festschrift sowie das Tageblatt etc. verausgabt; daselbst können auch die Karten für das Fest- Essen, zum Theater und zu der Rheinfahrt in Empfang genommen werden. Geschäftsführer der Versammlung sind die Herren Professor Dr. Bardenhewer und Stadtverordneter Th. Kyll, Chemiker. Dieselben versandten das Programm. Der „Aerztliche Zentralanzeiger* in Hamburg hat es über- nommen, dasselbe an alle Aerzte Deutschlands zu verschicken. Im übrigen wurde dasselbe versandt an alle Vertreter der Naturwissenschaften an den Universitäten, polytechnischen und landwirtschaftlichen Hochschulen. Wenn hierbei einzelne Vertreter bezw. Freunde der Naturwissenschaften übersehen sein sollten, so wer- den sie gebeten, sich behufs Zusendung eines Programms an Prof. Dr. Barden- heuer, Köln, Berlich 20, zu wenden. ls sind 30 Fachabteilungen für die Versammlung gebildet. Vierzehnte Versammlung des Deutschen Vereins für Ööjjentliche Gesundheitspflege zu Frankfurt a.|M. Tagesordnung: Mittwoch, den 12. September. 8 Uhr abends: Gesellige Vereinigung im Frankfurter Hof. Donnerstag, den 15. September. 9 Uhr vormittags: Erste Sitzung im Saale des Dr. Hoch’schen Konservatoriums, Eschersheimer Landstrafse 4. I. Ma/sregeln zur Erreichung gesunden Wohnens. Referenten: Oberbürgermeister Dr. Miquel (Frankfurt a.|M.),;, Oberbaurat Professor Baumeister (Karls- ruhe). — II. Oertliche Lage der Fabriken in den Städten. Inwieweit hat sich ein Bedürfnis herausgestellt, von der Bestimmung des $ 23 Abs. 3 der Deutschen Gewerbeordnung Gebrauch zu machen? Referenten: Sanitätsrat Dr. Lent (Köln), Stadtrat Hendel(Dresden).- 3—6 Uhr nachmittags: Besichtigungen städtischer Einrichtungen. 6 Uhr abends: Festessen mit Damen im Saale des Zoologischen Gartens. Preis des Gedeckes 5 Mk. einschliefslich Eintritt in den Garten. Freitag, den 14. September. 9 Uhr vormittags: Zweite Sitzung im grofsen Saale des Dr. Hoch’schen Konservatoriums. III. Welche Erfahrungen sind mit den in den letzten Jahren errichteten Klärvorrichtungen städtischer Ab- wässer gemacht worden? Referenten: Stadtbaurat Lindley (Frankfurt a.!M.), Gas- und Wasserbaudirektor Winter (Wiesbaden), Stadtbaumeister Wiebe (Essen a.|Rh.), Stadtbaurat Lohausen (Halle a.IS... — 1 Uhr: Mittag- essen im Cafe zur Börse, Börsenplatz. Gedeck 2,50 Mk. Nachmittags: Be- 416 14. Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege. sichtigung der Klärbecken- und Hafen- Anlagen. Abfahrt mit Dampfschiff am Fahrthor 2'|, Uhr pünktlich. 7 Uhr abends: IFestvorstellung im Opernhause, Billette zu ermä/sigten Preisen im Anmeldebureau. 10 Uhr abends: Gesellige Vereinigung in dem Cafe zur börse, im Löwenbräu oder in der Weinstube zum Prinzen von Arkadien. Samstag, den 15. September. 8 Uhr vormittags: Besichtigung des städtischen Schlacht- und Viehhofs. 9 Uhr vormittags: Besichtigung der Franken- steiner- und Willemer- Schule. 10 Uhr vormittags; Dritte Sitzung im grofsen Saale des Dr. Hoch’schen Konservatoriums. IV. Welchen Einflufs hat die heutige Gesundheitslehre, besonders die neuere Auffassung des Wesens und der Verbreitung der Infektionskrankheiten auf Bau, Einrichtung und Lage der Krankenhäuser? Referent: Krankenhausdirektor Professor Dr. Curschmann (Hamburg-Leipzig). V. Strafsenbefestigung und Strafsenreinigung. Referenten: Regierungs- und Stadtbaumeister Heuser (Aachen), Dr. R. Blasius (Braun- schweig). — 1 Uhr: Mittagessen im Frankenbräu. 2!1, Uhr nachmittags: Be- sichtigung der Reiz- und Ventilations- Einrichtungen des Opernhauses. Nach- mittags: Fahrt nach Bad Homburg. Abfahrt: Hauptpersonenbahnhof 429 nach- miltags. Sonntag, den 16. September. Ausflüge nach Wahl: 1) Besichtigung der (Quellenfassung der Frankfurter Wasserleitung im Spessart. 2) Besuch des Nationaldenkmals auf dem Niederwald, Abfahrt: Hauptpersonenbahnhof 112° nach Mainz (linksmainisch). Die Teilnahme an der Versammlung ist nur den Mitgliedern des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege gegen Vorzeigung ihrer betr. Mitglied- karten gestattet. Nach $ 2 der Statuten ist zur Mitgliedschaft jeder berechtigt, der Interesse an öffentlicher Gesundheitspflege hat und den Jahresbeitrag von 6 Mark zahlt. Für Damen der Mitglieder werden Karten unentgeltlich abge- geben, die dieselbe Berechtigung wie die Mitgliederkarten gewähren. Es werden aber die verehrlichen Mitglieder dringend ersucht, alsbald nach ihrer Ankunft in Frankfurt sich auf dem „Anmeldebüreau im Frankfurter Hof, Bethmann- stra/se 17 oder Kaiserplatz 24° zu melden. Das Anmeldebüreau ist geöffnet am Mittwoch den 12 September von 10 Uhr vormittags bis 10 Uhr abends. An den nächsten Tagen befindet sich das Anmeldebüreau im Dr. Hoch’schen Kon- servatorium, Äuschersheimer Landstrafse 4 und ist geöffnet von 8 Uhr an bis nach Schluss der Sitzung. Im Anmeldebüreau werden auch Anmeldungen neuer Mitglieder entgegengenommen. Diejenigen Teilnehmer, welche sich für die Dauer ihrer Anwesenheit in Frankfurt einer Wohnung versichern wollen, werden ersucht, ihre Wünsche zu Händen des ständigen Sekretärs, Dr. Alexander Spiefs, Frankfurt a. M. (neue Mainzerstrafse 24), rechtzeitig bekannt zu geben. Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wün- schen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten an- zugeben. Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die ER URN, EI Institut‘‘ zu richten. V A von Eduard Besoldi in Erlangen. _ Dee von une & Sohn i in 1 Erlangenl Biologisches Gentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. vıı. Band. 15. September 1888. ‚Nr. es Inhalt: Rückert, Ueber die Entstehung der endothelialen Anlagen des Herzens und der ersten Gefäßstämme bei Selachier-Embryonen (Schluss). — Weismann und Isehikawa, Ueber die Befruchtungserscheinungen bei den Dauereiern von Daphniden. — Exner, Ueber optische Bewegungsempfindungen. Ueber die Entstehung der endothelialen Anlagen des Herzens und der ersten Gefäßstämme bei Selachier- Embryonen. Von Dr. J. Rückert, Privatdozent an der Universität München. (Schluss.) Die Zellen der Aortenanlage treten bei Torpedo und Pristiurus später auf als die des ventralen Gefäßsystems, zu einer Zeit, in welcher schon zwei Visceraltaschen vorhanden sind. Bei Torpedo konnte ich an mehrern Embryonen mich davon überzeugen, dass die Aortenzellen zuerst im proximalen Abschnitt des Rumpfes erscheinen und dann erst im Kopf. Bei Pristiurus ließ sich das Gleiche mit Wahrschein- lichkeit annehmen, da bei Embryonen, bei welchen die Zellen im Kopf eben erst im Auftreten begriffen sind, der proximale Abschnitt der Rumpfaorten weiter entwickelt ist und schon kleine Lumina zeigt. Von jener Stelle an breitet sich dann die Anlage ganz allmählich in distaler Richtung über den übrigen Teil des Rumpfes aus, wie dies schon vom ventralen Gefäßsystem beschrieben wurde, und zwar in der Weise, dass das letztere dem erstern immer um ein Stück voraneilt. Was die Abkunft der Aortenzellen anlangt, so könnte man zu- nächst daran denken, dieselben von den früher auftretenden Gefäß- zellen des ventralen Systems abzuleiten, indem man dieselben einfach an der Seitenwand des Darms in die Höhe wandern lässt. In einem srößern distalen Teil des Rumpfes spricht die von Anfang an vor- handene Verteilung der Zellen nicht gegen eine solche Annahme. Man findet hier, wie oben erwähnt, die ersten Gefäßzellen unregel- mäßiger verteilt als im proximalen Teile des Rumpfes an allen Stellen des Darmumfangs vor. Es ist also hier durchaus nicht auszuschließen, VII. 27 418 Rückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier - Embryonen. dass Zellen gegen den dorsalen Darmumfang vorrücken und sich da- selbst zur Aortenanlage sammeln. Manche Schnitte machen in der That den Eindruck, als ob die nach hinten fortwachsenden Endstücke der Aorten im Zusammenhang mit den den Darm umspinnenden Seiten- ästen der Subintestinalvenen in dieser Region entstünden. Da hier die Aorten zudem sehr schwach entwickelt auftreten, oft nur mit einer oder zwei Zellen auf den Querschnitt, so ist es um so schwieriger, sich über ihre Herkunft Klarheit zu verschaffen, denn man hat nur wenig Gelegenheit, die Zellen im Zustand des Austrittes aus den Keimblättern anzutreffen. Ich muss daher für diese Region die Frage offen lassen, aber mit Rücksicht auf gleich zu schildernde Verhältnisse doch darauf hinweisen, dass man auch hier ganz vereinzelt eine Zelle von der dorsalen Darmwand sowohl wie dem angrenzenden Urwirbel- teil in Ablösung begriffen vorfindet. Mehr Klarheit bietet der vordere Rumpfabschnitt, also die Region, in welcher die Aortenzellen überhaupt zuerst auftreten. Hier erscheint, besonders auffallend bei Torpedo, wie oben erwähnt, die Anlage des ventralen Gefäßsystems während längerer Zeit sehr schwach und zellenarm; man zählt daselbst in der Umgebung des ventralen Darm- abschnittes noch in der Zeit, in welcher die Aortenanlagen er- scheinen, auf dem Schnitt im Mittel nur etwa eine einzige Zelle, was in gar keinem Verhältnis steht zu den grade hier am mäch- tigsten auftretenden Aorten-Elementen. Geht man nun vollends von da an der Seitenwand des Darmes in dorsaler Richtung gegen die Aorten- anlagen vor, so findet man diesen Weg, welchen doch die hinauf- wandernden Elemente einschlagen müssten, fast vollständig frei von Zellen. Auch Spalträume zwischen der Darmwand und dem Mesoblast existieren hier, wie schon bei der Herzentwicklung von Torpedo be- merkt wurde, nicht. Da sich nun ferner diese an Gefäßzellen arme tegion bei den in Rede stehenden Torpedo-Embryonen über die Strecke der vorhandenen Aortenanlagen hinaus nach vorn und hinten ver- folgen lässt, so ist es nicht wahrscheinlich, dass von irgend einer Seite aus eine wesentliche Einwanderung des Aortenmaterials in jene Gegend hinein stattfinde. Bei Pristiurus konnte ich das erste Auf- treten der Aortenzellen im Vorderrumpf nicht, wohl aber im Kopf verfolgen. Auch hier liegt für die Annahme eines Heraufwanderns der Zellen aus der ventralen Gefäßanlage des Kopfes kein Anhalts- punkt vor, da am seitlichen Darmumfang die Gefäßzellen anfänglich fehlen. Die Möglichkeit eines Vordringens der Aortenzellen aus dem Vorderrumpf in den Kopf, entlang der Chorda, kann ich dagegen weder bei Torpedo noch Pristiurus ausschließen, da ich die Anlage der Kopfaorten, wenn sie einmal vorhanden ist, stets in kontinuier- licher Verbindung mit derjenigen der Rumpfaorten finde. Dazu konmt nun noch als Hauptargument der Umstand, dass sich eine lokale Entstehung für die Aortenzellen im Kopf und Vorder- rumpf direkt erkennen lässt. Man sieht bei Pristiurus und Torpedo Rückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier - Embryonen. 419 an günstigen Stellen die Zellen seitlich von der Medianebene oder — soweit ein solcher vorhanden ist — des subehordalen Stranges aus dem dorsalen Umfang der Darmwandung im Austritt begriffen. Die Abtrennung der Zellen erscheint je nach der Lokalität unter einem etwas verschiedenen Bild: da, wo der subchordale Strang sich zwischen die Chorda und die Dorsalwand des Darmes eingeschoben hat, ist jederseits von dem erstern, zwischen der Darmwandung und dem angrenzenden Abschnitt der medialen Urwirbeiwand, ein freier Raum entstanden, in welchen die Aortenzellen frei hineinsprossen können (Fig. 12). An solehen Stellen ist der Austritt der Zellen aus der Darmwand am leichtesten zuerkennen. Ist aber dieSubchorda und damit jener Raum noch nicht gebildet, so berühren sich die Darm- und die Urwirbelwandung innig, so dass die neu entstandenen Aortenzellen sich erst Platz schaffen müssen (Fig. 13). Die Zellen scheinen dann in der Weise auszutreten, dass sie in der oberflächlichen Schicht der Darm- wand sich zuerst der Fläche nach ausbreiten und dann in dieser Stellung sich von den Nachbarzellen abtrennen. Fig. 12. Fig. 13. Fig. 14. EI 22 ION Ä AR ”s a SR ÜI/es Ne (DR NE, RR: Ss OA Ken (8Rd) ON MRSH: N TEE TI SS yo ALERT N m II Wa dw 82 Boy RSS 2, SITE I/TAITDO ESSEN RR DD NIS SS &o: =. 23 IY BELTI Yos oral S2lo\8 BROS D| 2 wi, 2 3u 2} Q> use a PERS 3 2) Aa 8 | 8/5] Figuren 12—14. 3 Querschnitte eines Prostiurus-Embryo mit 2 Visceraltaschen, um die Entstehung der Aortenzellen zu demonstrieren. Fig. 12 aus dem Vorderrumpf, Fig. 13 u. 14 aus dem Kopf; ch Chorda, d Darm. Vergr. I Fig. 12. Auf der rechten Seite sprossen mehrere unter sich zusammenhängende Aortenzellen (ao) in den seitlich von der Subchorda (sch) entstandenen freien Raum. Auf derselben Seite eine wahrscheinlich gleichfalls im Austritt be- griffene Mesoblastzelle, die mit ihrem Ausläufer bis zum Entoblast reicht. Fig. 13. Auf der rechten Seite liegen die in Abspaltung vom Entoblast be- griffenen Aortenzellen (ao) flach in der superfiziellen Schicht der Darmwand. Fig. 14. Auf der rechten Seite bilden einige der Darmwand anliegende kleine Zellen mit 2 noch zum Teil innerhalb des Urwirbels gelegenen Mesoblastzellen zusammen die Wandung der schon hohlen Aorta (ao). Dass aber auch ebenso der angrenzende Teil des Urwirbels Zellen- material für die Aorten liefert, kann man als sicher annehmen. Recht beweisend sind hierfür einige Stellen der Querschnittsserien (Fig. 14), an welchen die Aorta bereits ein Lumen besitzt und daher als Gefäß- anlage schon deutlich erkannt wird, während ihre endotheliale Wan- dung noch unvollständig ist und auf der einen Seite durch mehrere, zum Teil im Austritt begriffene, Urwirbelzellen gebildet wird. Da die Aortenzellen in unmittelbarer Nachbarschaft der Subehorda und auffallenderweise auch zur gleichen Zeit wie diese aus dem 208 420 Rückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier- Embryonen. Entoblast entstehen, so kann die Frage aufgeworfen werden, ob die in ihrer Bedeutung immer noch nicht aufgeklärte Subchorda und die Aorten vielleicht in genetischem Zusammenhang stehen, zumal es an manchen Schnitten den Anschein hat, als ob die erstern den letztern Zellenmaterial liefern. Gegen eine solche Zusammengehörigkeit sprechen folgende Thatsachen: erstens entsteht die Subehorda im Rumpf etwas früher als die Aorten, und zweitens geht ihre Bildung nicht von der- selben Stelle des Rumpfes aus wie die der Aorten, sondern von einem etwas weiter distal gelegenen Punkte. Von da aus breitet sie sich drittens weit schneller im Rumpf aus, als die Aortenanlage. Man trifft daher bei Torpedo-Embryonen, bei welchen im vordersten Rumpf- abschnitt die Aortenzellen erscheinen, an derselben Stelle die Sub- chorda erst in Entstehung begriffen, weiter hinten im Rumpf aber, wo die Aortenzellen noch fehlen, auf ausgedehnter Strecke schon eine vom Darm abgetrennteSubchorda. Und endlich viertens entsteht im Kopf die Subehorda bei Pristiurus später als die Aorten. Für Torpedo nimmt Balfour an, dass die Subchorda im Kopf erheblich später auftritt, als im Rumpf, da er dieselbe bei Embryonen kurz vor dem Stadium X noch nicht sah. Ich glaube, dass dieselbe im Kopf bei Torpedo überhaupt nicht zur Entwicklung kommt, denn ich habe eine ziemlich vollständige Serie von Embryonen bis in ein Stadium, in welchem schon die Kiemenfäden vorhanden sind und die Chorda längst durch Mesenchym und die Aorten vom Darm getrennt ist, vergeblich auf ihre Anwesenheit untersucht. Ein Parallelismus zwischen der Ent- stehung der Aorten und des subehordalen Stranges kann nach alledem nicht angenommen werden. Die Kanalisierung der Aortenanlage verläuft im allgemeinen in der- selben Weise wie das Auftreten der Zellen. Die Lichtung erscheint hier später als im ventralen Gefäßsystem und zuerst an der ältesten Stelle der Anlage, am vordern Ende des Rumpfes, von wo sie allmählich in distaler Richtung fortschreitet. Im hintern Abschnitt des Rumpfes ist eine Unterscheidung zwischen einer anfänglichen soliden und spätern hohlen Anlage, wie schon oben erwähnt, nicht durchführbar. Im Kopf entsteht das Lumen kaum merklich später als im Vorderrumpf, ist aber anfänglich unterbrochen und erst bei Embryonen mit drei wohlausgebildeten Visceraltaschen ein vollständiges. Um diese Zeit beginnt schon im Vorderrumpf die Verschmelzung der hier relativ sehr weiten Aortenlumina, welche gleichfalls in distaler Richtung, aber unterbrochen, weiterschreitet. Was die Verbindungsbahnen zwischen den ventralen und dorsalen Längsstämmen anlangt, so entstehen im Mittel- und Hinterrumpf die von P. Mayer beschriebenen, den Darm um- sürtenden Quergefäße wie oben erwähnt wurde in Zusammenhang mit den Subintestinalvenen hauptsächlich aus dem ventralen Teil des Mesoblast (Fig. 10 u. 11). Der Austritt der Gefäßzellen aus dem Mesoblast und Entoblast bleibt in der Region dieser Quergefäße Rückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier - Embryonen. 421 übrigens nicht auf die Umgebung des ventralen Darmabschnittes be- schränkt, sondern greift auf die Region des seitlichen und dorsalen Darmumfanges über. Diese Quergefäße, welche erst einige Segmente hinter der Vorniere im Rumpfe erscheinen, sind nicht segmental an- geordnet, sondern bilden einen unregelmäßig gebauten Gefäßplexus, welcher mit den Längsgefäßen zusammen den Darm in der mitt- lern und hintern Rumpfregion umspinnt und vorübergehend eine so mächtige Entfaltung erlangt, dass fast die ganze Darmoberfläche von Blutbahnen eingehüllt wird (Fig. 11). Zur Zeit, wann T'die q Se Fig. 15. Fig. 16. ER — FI SHE 233 { ıy FEN ae Je >23 27ä AR I EEE: I ost IT ELON =) Eb er 2 TER (SRSILI D 22 78 > REEL] > [SI SE Se BZ se meet De. RI II N => Bee BER oe FE N S ER 22 I, Bu Ne 9,0 Fe EREEN = ST PR | DIA Naar warn on DB ECG Sms I ES, DI, N ER DT TER TS > AS QoS,gy NW IE, [> 05 \ DD GREEPDIL a Fr > SS Su a \vo => DER, ds? 2 &- Sa, RN S. > IMZZTR I 8 5 >\ | Sr) au 6. 00, Ss 25 ne PEN Er SI RS DR =) os SI N Se; \ 3 aa. N 8 er 5 > 3 \ Si | SD HERS e a % We 8 S , Mh Fr =] DS UN Zr I] no, us S Sup su ea 27 B a! Kor a Ss ei) 5 SR cr IR ano 2 y 2 I ANA a Ne% 3 DAN > 2 2 % 97 PA 4 © “ & EN 6) % © » PR 0 = &n R, © Ba = I oo ae Fig 15. Querschnitt eines Torpedo-Embryo mit 5 Visceraltaschen (2 davon eröffnet) von derselben Stelle des Rumpfes wie Fig. 11. Die Gefäße am seit- lichen Darmumfang sind schon beträchtlich rückgebildet (in der Figur fehlen sie vollständig), es treten neue Mesenchymzellen (ms) aus der Splanchnopleura £ * 5 ; 165 aus; ph Leibeshöhle, d Darm, ao Aorta, sv Subintestinalvene, Vergr. Zu Fig. 16. Querschnitt eines Torpedo-Embryo mit 6 Visceraltaschen (5 eröffnet) von derselben Stelle des Rumpfes wie Figuren 11 u. 15. Die Mesenchym- zellen (ms), zwischen den beiden visceralen Mesoblastblättern sind in größerer Zahl aufgetreten, ihre innerste Lage differenziert sich zu einer diehtern, den Darm umschließenden Schicht). Der viscerale Mesoblast ist infolge des Zel- lenaustrittes verdünnt, er besteht stellenweise nur noch aus einer einzigen Reihe platter Zellen (Peritonealepithel). Dorsal zeigt er noch die ursprüng- liche Beschaffenheit, seine beiderseitigen Blätter haben sich hier, unterhalb der Aorta (ao), genähert, um das Mesenterium zu bilden; d Darm, ph Peritoneal- höhle, vg Vornierengang, sv die unpaar gewordene Subintestinalvene. 165 Vergr. 5. Visceraltasche auftritt, ist schon die beginnende Rückbildung dieses Plexus bemerkbar; dieselbe geht so vor sich (Fig. 15 u. 16), dass die Quergefäße durch ein das Darmepithel umhüllendes Mesen- chym allmählich verdrängt werden. Das letztere, welches die Grund- lage aller nicht epithelialen Schichten der definitiven Darmwand bildet, entsteht dadurch, dass der Austritt der Zellen aus der Splanchno- pleura, welche anfänglich nur die Gefäße lieferte, fortdauert, mit 4232 Riückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier - Embryonen. dem Unterschied jedoch, dass zusammenhängende Zellenhaufen und Ketten jetzt nicht mehr erscheinen. Die Splanchnopleura wird da- durch zunehmend zellenärmer und dünner und gestaltet sich so in das definitive viscerale Peritonealblatt um. Diese peri-intestinale Mesenchymbildung läuft ganz allmählich ab, so dass man an einer Querschnittsserie in den verschiedenen Regionen des Rumpfes alle Stufen neben einander vorfindet vom einfachen ursprünglichen Gefäß- plexus bis zur beginnenden Differenzierung der Schichten des ausge- schiedenen Mesenchyms. Die im Vorderrumpf vorhandenen intersegmentalen Quergefäße, die, wie ich kürzlich (20) mitgeteilt habe, zur Vorniere in Beziehung stehen, legen sich gleichfalls frühzeitig an, aber nieht von den Sub- intestinalvenen aus, welch letztere in dieser Region verspätet auf- treten, sondern median von der Vornierenanlage, wahrscheinlich von der Aorta aus. Hier konnte ich an einem günstigen Objekt das Eine Fig. 17 ie SS an Fig. 17. Querschnitt durch den Vorder- AI Ku rumpf von Torpedo (Stadium mit 3 Vis- IE IS a8 ceraltaschen). Aus dem visceralen Blatt DER erg des Mesoblast treten 2 Zellen (g2 = a ERS Gefäßzellen) aus, welche durch ihre En = Ausläufer mit der Aorta (ao) zusammen- ven hängen; ch Chorda, sch Subchorda, WR d Darm, uw Urwirbel. Ö X feststellen, dass Zellen aus der visceralen Somitenwand in der Höhe der Vornierenanlage austreten und sich am Aufbau dieser Gefäße beteiligen (Fig. 17). Von den Quergefäßen des Kopfes, den Aortenbogen- oder Kiemen- bogengefäßen, soll hier nur die Entstehungsweise des zuerst auftreten- den vordersten Paares, der Mandibulargefäße, besprochen werden. Zuvor aber mag das Verhalten des Gefäßpaares in einem Stadium kurz geschildert werden, in welchem es in seiner ganzen Länge schon als hohle Anlage vorhanden ist: Die (unpaare) Herzanlage reicht nach vorn bis zum ventralen Umfang der Hyoidtasche und gabelt sich hier, dem vordern Ende des Arterienstiels entsprechend, in zwei Gefäßbogen, welche zunächst ihre ventrale Lage am Kiemendarm nach vorn zu beibehalten, da- selbst in den Mandibularbogen eintreten und im Bereiche desselben zwischen den Mandibularhöhlen des Mesoderms und der Wand des Vorderdarms sich dorsal erheben, um am vordern Umfang des letz- tern in die Aorten überzugehen. Diese Anlagen stellen das vordere ’aar der Sehlundbogengefäße oder die Mandibulargefäße !) dar. 1) An ihrer Abgangsstelle vom Arterienstiel gehen von ihnen die etwas später entstehenden Hyoidbogengefäße aus. Rückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier- Embryonen. 425 Dieselben zeigen nun die Eigentümlichkeit, dass sie bei ihrer Ein- mündung in die Aorten sich zu einem gemeinschaftlichen weiten Gefäß- Fig. 18. Querschnitt durch den Vorder kopf von Torpedo (Stadium mit 4 Vis- ceraltaschen). ks Kopfsimus, Ar Hirn- rohr, m Mesodermsegment des Kopfes (das 2te nach v. Wijhe), ms Mesenchym a 4 des Kopfes. Vergr. 7 Ä raum vereinigen (ks Fig. 18), weleher die vordere Wand des Kiemen- darms von vorn her deckt, indem er sich zwischen ihr und dem proximalen Endstück der Chorda (nebst dem die Hirnbasis umhüllen- den embryonalen Bindegewebe) ausbreitet, seitlich von den medialen Wänden des zweiten Mesodermsegmentpaares des Kopfes (van Wijhe) eingeschlossen. Dieser Gefäßraum nimmt besonders bei Torpedo große Dimensionen an und übertrifft hier im Höhestadium!) seiner Ausbildung (4 Visceraltaschen angelegt) an Querdurchmesser alle übri- gen Gefäße des Körpers, den Sinus venosus als den weitesten Teil der Herzhöhle miteingeschlossen. Ich glaube daher, dass für ihn der Name eines Sinus am Platze ist und werde ihn als Kopf- sinus bezeichnen. Dorsal ist derselbe begrenzt von einer reichlichen Menge eines embryonalen Bindegewebes, welches die Chorda und das Hirnrohr, das letztere anfänglich nur an seiner Basis, umhüllt und die Grundlage für die Bindesubstanzen im Bereich des Hirnschädels dar- stellt. Die Herkunft dieses embryonalen Bindegewebes im Kopf der Selachier hat schon Balfour?) richtig gesehen, wenn er sagt: „During stage H a few cells of undifferentiated connective tissue appear... in the space between the front end of the alimentary tract and the base of the brain in the angle of the eranial flexure. They are probably budded off from the walls of the head-cavities.“ Später hat dann van Wijhe erkannt, dass die das Neuralohr und die Chorda nmhüllende Bindesubstanz im Kopf auf die gleiche Weise entsteht wie im Rumpfe, nämlich aus der visceralen! Wand seiner Kopf- somite. Ich habe die Entstehung dieses Mesenchyms an den übrigen Kopf- somiten nicht verfolgt, sondern beschränke mich auf die oben er- wähnte, von dem zweiten Somitenpaar umschlossene Stelle, weil hier das Mesenchym sehr frühzeitig (Stadium H) auftritt und gleich- 1) Das weitere Schicksal des Sinus’soll bei anderer Gelegenheit be- sprochen werden. 2) pag. 208 1. c. 424 Rückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier - Embryonen. zeitig damit die Gefäßzellen des ersten Aortenbogenpaares. Die letz- tern erscheinen in Ketten zusammenhängend von Anfang ab an der- jenigen Stelle, welche der spätere Sinus einnimmt, d. h. ventral von der Chorda zwischen der Innenwand der zweiten Mesodermsegmente und dem vordern Umfang des Darms. Sie spalten sich hier nicht nur vom visceralen Mesoblast, sondern auch von der anliegenden Wand des Kiemendarms ab. Also auch hier kann man den lokalen Ursprung der Gefäßzellen erkennen, und noch mehr, man kann hier die Möglichkeit einer Einwanderung mit ziemlicher Sicherheit aus- schließen. Bei Torpedo entstehen nämlich hier die ersten Gefäßzellen ebenso wie das dorsal angrenzende embryonale Bindegewebe schon zu einer Zeit, in welcher im übrigen Körper von mesenchymatösen Bestandteilen nur wenige Zellen als erste Anlage der ventralen Gefäß- stämme im Rumpfe und in der Herzgegend vorhanden sind. Diese Elemente stehen aber noch nicht im Zusammenhang mit den Gefäß- und Bindegewebszellen des Vorderkopfes, denn man findet noch keine, auch nicht vereinzelte, Zellen zwischen den beiderlei An- lagen vor, welche man eventuell als wandernde Elemente ansehen könnte. Erst nachträglich stellt sich die Verbindung auf zwei Wegen her, nämlich: durch das Auftreten erstens der Aortenzellen des Kopfes und zweitens derjenigen Zellen, welche den distalen Teil der Mandibulararterien bilden. Sind einmal diese Gefäßzellen- straßen angelegt, dann kann von gegnerischer Seite der Einwand gemacht werden, dass auf ihnen eine Einwanderung von Ele- menten gegen den Vorderkopf stattfinde. Vorher aber ist meines Erachtens ein solcher Einwand ausgeschlossen, denn wären wandernde Zellen vorhanden, so müsste es doch gelingen, wenigstens einige der- selben auf ihrem Wege anzutreffen. Für die selbständige Entstehung der Gefäßanlagen im Vorderkopf spricht auch die weitere Entwicklung derselben, das Auftreten des Lumens. Das letztere erscheint zuerst im proximalen Abschnitt der Mandibulargefäße, am vordern Umfang der Kopfdarmhöhle, da, wo die Gefäße später zum Sinus konfluieren; erst nachträglich entsteht es im übrigen Teil der Mandibulargefäße und in den Kopfaorten. An jener Stelle treten auch die Gefäßzellen in großer Anzahl auf, und es bilden sich alsbald zwei mächtige Gefäße aus, welche den übrigen Teil der Mandibulararterien und die Kopfaorta an Umfang übertreffen und darauf zu dem erwähnten Sinus verschmelzen. Der beschriebene vor dem Kiemendarm gelegene embryonale Kopf-Sinus der Selachier, welcher aus der Vereinigung zweier auf- fallend weiter Abschnitte der ersten Aortenbogen hervorgeht, erinnert an eine Form des Gefäßsystems, die sich bei Amphioxus dauernd erhalten hat. Schon Joh. Müller beschreibt für dieses Tier zwei „herzartige“ pulsierende Aortenbogen, welche als Fortsetzung des ventralen Längsstammes („Mittelherz“ Joh. Müller’s) am vordern Umfang der Kiemenhöhle zu den Aorten verlaufen. Diese Beschrei- Rückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier- Embryonen. 495 bung hat Langerhans dahin ergänzt, dass das ventrale Kiemen- gefäß „vorn unmittelbar vor der ersten Kiemenspalte sich sehr stark erweitert und hier ein großes sinuöses, aber plattes Gefäß oder Herz bildeten. den weitesten Abschnitt des ganzen Gefäßsystems“. Auch dieses Herz kontrahiert sich, wie Langerhans weiter angibt, und setzt sich fort in einen sehr weiten, gleichfalls sinuösen, rechts verlaufenden Aortenbogen. Eigne Beobachtungen über die Gefäß- anordnung bei Amphioxus stehen mir nicht zu gebote, und auf grund der vorliegenden Beschreibungen allein wage ich eine bestimmte Ver- gleichung noch nieht durchzuführen; diese Verhältnisse bedürfen bei Amphioxus, wie Wiedersheim mit Recht bemerkt, „einer weitern, womöglich durch Injektion unterstützten Untersuchung“. Für einen Vergleich wäre es namentlich auch wünschenswert, die Entwicklung dieser Gefäßanlage bei Amphioxus nur einigermaßen zu kennen. Noch möchte ich bemerken, dass in dem Abschnitt des Mesoblast, welcher den spätern Sinus umschließt, der Hohlraum der Leibeshöhle auffallend frühzeitig erscheint, lange bevor die eigentliche Perikardialhöhle auf- tritt. Das ist um so auffallender, als der Mesoblast grade in jenem proxi- malen Teile des Kopfes sich relativ spät vom Entoblast abgetrennt hat. Im Voranstehenden wurde gezeigt, dass die Endothelzellen für die ersten großen Gefäßbahnen im Kopf und Rumpf des Embryo aus zweiverschiedenen Quellenhervorgehen, aus dem Entoblast der Darmwandung und dem den Darm umhüllenden Mesoblast. Im Bereich des Mesoblast hin- wiederum lässt sich ein Austritt von gefäßbildenden Zellen („Gefäß- zellen“) sowohl aus den Somiten als namentlich aus dem un- segmentierten ventralen Mesoblast (Seitenplatten) verfolgen; soweit der letztere durch die Leibeshöhle in 2 Blätter gespalten ist, stellt nur das eine derselben, das viscerale, den Mutterboden jener Gefäßzellen dar. Dieser zweifache Ursprung der Gefäßzellen hat, wie ich schon am Schlusse meines vorjährigen Vortrages bemerkte, im Grunde nichts Befremdliches. Es muss vielmehr als der einfachste und natürlichste Entwieklungsprozess erscheinen, wenn die beiden Blätter, welche die ersten Gefäße umgrenzen, auch das Material für deren Wandung abgeben. Man darf sich dabei freilich nicht vorstellen, dass etwa der Entoblast die eine, ihm anliegende, der Mesoblast die gegenüberstehende Gefäßwand bilden. Eine so regelmäßige Anordnung existiert nicht und wird auch kaum erwartet werden dürfen, wenn man phylo- genetisch die Gefäße von Mesenchymzellen ableitet, welche vereinzelt die umgebenden Blätter verlassen. Wie es kommt, dass an der einen Stelle des Embryonalkörpers (proximaler Abschnitt des Herzens) die Entoblastelemente in den Vordergrund treten, während an andern die mesoblastischen Bestandteile bedeutend überwiegen, darüber ließe sich 426 Rkückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier- Embryonen. vielleicht durch nähere Untersuchungen einiger Aufschluss erhalten. An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass grade in dem Mesoblastabschnitt des Mittelrumpfes, welcher eine so auffallende Menge von Gefäßzellen liefert, die letztern bis zu ihrem Austritt aus dem Keimblatt den Charakter indifferenter Furehungszellen tragen und daher als vom Dotter stammende Entoblastelemente aufgefasst werden können, welche im mittlern Blatt nur eine Zeit lang aufge- speichert sind. Diese Beobachtung könnte zu dem Versuch auffor- dern, sämtliche Gefäßzellen aus einheitlicher Quelle (aus dem Ento- blast) abzuleiten. Eine solche Annahme würde aber vorläufig der realen Basis entbehren, denn an andern Stellen des Mesoblast bin ieh bis jetzt nicht im stande die ausgetretenen Gefäßzellen histologisch von den übrigen Elementen des Mesoblast zu unterscheiden, und ich habe daher keine Veranlassung, sie nicht als echte Bestandteile dieses Blattes aufzufassen. Die Frage, ob das Keimlager für die Gefäße des Em- bryo ausschließlich auf dem Nahrungsdotter zu suchen sei, lässt sich für das Selachier-Ei nach den eben mit- geteilten Untersuchungsresultaten mit Bestimmtheit ver- neinend beantworten. Dieser Thatsache gegenüber ist eine Erörterung darüber, ob neben den im Embryo entstandenen Ge- fäßzellen auch noch eingewanderte Elemente des Dotterblastoderms sich am Aufbau der Gefäße beteiligen, von mehr untergeordnetem Interesse. Für einen Teil der ersten Gefäßanlagen lässt sich eine solehe Annahme, wie wir gesehen haben, zum mindesten sehr un- wahrscheinlich machen, und was die übrigen anlangt, so finden sich an den verschiedensten Stellen derselben immer wieder die gleichen Bilder, welche auf eine lokale Entstehung der Gefäßzellen hinweisen, so dass die Einwanderung vom Dotter aus, wenn sie überhaupt existiert, schwerlich eine sehr wesentliche Rolle spielen dürfte. Die auf dem Nahrungsdotter sich bildenden Gefäßanlagen (deren Ent- stehung ich an früherer Stelle [22] ausführlich beschrieben habe) werden sonach in erster Linie, wenn nicht ausschließlich, in den Dienst der Dotterzirkulation treten. Die Gefäßzellen erscheinen im Embryo, wie wir ge- sehen haben, immer nur da, wo später die Bildung von Endothelröhren stattfindet. Es lässt sich dies an allen Ab- schnitten der ersten Gefäßbahnen im Körper verfolgen, allerdings nicht überall mit der gleichen Sicherheit. Im Mittelrumpf z. B., wo im Zusammenhang mit den mächtigen Subintestinalvenen sich zahlreiche Ringgefäße und im Zusammenhange mit diesen wie- der die Aorten anlegen, treten von Anfang an die Gefäßzellen im gesamten Umfang des Darms in unregelmäßiger Weise auf. Die Verteilung der Gefäßzellen entspricht demnach auch hier im allgemeinen zwar völlig der Anordnung der spätern Gefäßbahnen dieser Region, im einzelnen aber lassen sich die ersten Zellenketten Rückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier - Embryonen. 497 hier nicht mit den Gefäßen der spätern Stadien identifizieren infolge der Massenentwicklung dieser Anlagen. Dies ist dagegen überall da möglich, wo die Ringgefäße fehlen oder wo sie später auftreten, da man hier nur mit den beiden Längsbahnen oder eine Zeit lang sogar nur mit der einen derselben zu rechnen hat. Wenn nun an solchen Orten die Gefäßanlagen überdies anfänglich sehr zellenarm sind (wie z. B. der distale Abschnitt der Mandibulargefäße oder die Subintesti- nalvenen im Bereich der Kloake), dann kann man durch die einzelnen Entwicklungsstadien deutlich verfolgen, dass die Gefäßzellen eben nur da zu finden sind, und zwar immer genau an derselben Stelle, an welcher sie bald darauf zum Endothelrohr sich ordnen. Diese Uebereinstimmung in der Verteilung der gefäßbildenden Zellen mit der Anordnung der fertigen Gefäße weist zu- nächst darauf hin, dass Wanderungen jener Zellen inner- halb des Embryo, soweit sie überhaupt stattfinden, im allgemeinen wahrscheinlich auf jenen vorgezeichneten Bahnen vor sich gehen, welche dem Verlauf der spätern Gefäße entsprechen. Wäre dies nicht der Fall, so müsste man eben überall zwischen der Darmwand und dem Mesoblast wandernde Zellen in unregelmäßiger Verteilung vorfinden. Inwieweit überhaupt solche Wanderungen der Gefäßzellen inner- halb des Embryo vorkommen, darüber lässt sich durch die Sehnitt- methode allein — wie zur Vermeidung von Missverständnissen betont werden mag — ein sicheres Urteil nicht gewinnen. Wenn man aber bei der Anlage der ersten großen Gefäßstämme des Embryo Bilder findet, welche einen Austritt der Zellen aus den benachbarten Blättern an genau demselben Orte zeigen, an welchem bald darauf das fertige Endothelrohr auftritt, und wenn man eine solche Reihenfolge der Er- scheinungen an den verschiedensten Stellen des Embryo verfolgen kann, so wird man mehr zu der Ansicht neigen, dass jene Gefäße lokal entstehen, als dass ihre Zellen erst, nachdem sie weite Wanderungen zurückgelegthaben, sich zum Endothelrohr konstituieren. Um ein Beispiel zu wählen: es lösen sich von der proximalen Wand des Vorderdarms Zellenketten von den umgebenden Geweben ab an der Stelle, wo der proximale Abschnitt der Mandibular- gefäße und später, durch deren Vereinigung, der Kopfsinus entsteht. Wenn man nun bald darauf an eben dieser Stelle die gleich beschaffenen Elemente in Gestalt von hohlen Endothelschlingen antrifft, soll man da annehmen, jene ersten Zellen hätten ihren Platz verlassen und andern Zellen eingeräumt, welche auf dem Weg der Aorten oder des ven- tralen Abschnitts der Mandibulargefäße hereingewandert sind? Und warum wählen alsdann die einwandernden Zellen ausschließlich diese beiden schmalen Wege, da dieselben doch nicht durch präformierte Spalträume vorgezeichnet sind? Kurz man sieht sich dieser Wan- derungstheorie gegenüber vor eine Reihe von Annahmen gestellt, die nach unsern heutigen Kenntnissen mindestens unwahrscheinlich sind. 428 Rückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier - Embryonen. Auch eine Erwägung mehr allgemeiner Natur kommt hier in betracht. Es ist, wieder nach dem Stand unserer jetzigen Kenntnisse, schwieriger zu verstehen, dass die typischen, trotz aller individuellen Variationen sich streng vererbenden, Formen der Gefäße sich aus frei wandern- den, aus weiter Entfernung herkommenden Zellen aufbauen sollen, als dass sie sich wie die andern Systeme durch Differenzierung in loco entwickeln infolge bestimmter, durch die Vererbung vermittelter, Riehtungen der Zellteilungen. Ich will damit nicht etwa den gefäßbildenden Zellen die Eigen- schaft amöboider Bewegung absprechen, die durch die Beobachtungen lebender Objekte festgestellt ist, und auf welche ihre Form, ihre oft sehr langen Ausläufer unzweideutig hinweisen. Grade der Besitz der letztern befähigt aber diese Zellen, sich von dem Ort ihrer Entstehung selbst auf beträchtliche Strecken zu entfernen, ohne zunächst den Zusammenhang mit dem Mutterboden aufzugeben. Treten nun vollends solche Zellen in Ketten aus, welche sich nachträglich noch weiter ausstrecken, so können die Gefäßzellen in ziemliche Ent- fernung (siehe oben die Entstehung der Ringgefäße) von ihrer Ursprungsstätte zu liegen kommen, und doch wird man ihre Entstehung trotz der unzweifelhaften Wanderung im Grunde noch alseine lokale bezeichnen dürfen. Der Punkt, auf den es hier ankommt, ist nur der, ob sich der Ur- sprung einzelner Gefäßabscehnitte auf bestimmte, mehr oder weniger benachbarte Zellterritorien zurückführen lässt oder nicht. Die Beobachtungen am konservierten Material sprechen für die erstere Form der Gefäßbildung, doch müssen die Untersuchungen der lebenden Eier !), wenn möglich mit Kontrole durch Schnittpräparate, den Ausschlag geben. Die mitgeteilten Beobachtungen beschränken sich auf die Entstehung der ersten großen Gefäßbahnen und lassen namentlich die Frage ganz unerörtert, wie die kleinen Seitenzweige sich bilden. In seiner eingangs zitierten Schrift sagt Rabl: „Die Beobachtung, dass bei den Amphibien die ersten Aortenbogen durch Auswachsen des Endothelsäckebens |Des Herzens. Der Verf.] entstehen, legt uns aber noch die Frage nahe, ob nicht vielleicht auch das Endothel aller andern Gefäße in letzter Instanz auf die Zellen des Endothelsäckchens zurückzuführen sei“. Für die ersten großen Gefäßbahnen der Selachier muss man eine solche Entstehung, wie aus der obigen Beschreibung hervorgeht, in Abrede stellen; ob aber sekundäre Seitenzweige durch Auswachsen jener primären Endothelröhren sich bilden, scheint mir allerdings sehr in Erwägung zu ziehen. Die primären Gefäße des Hyoid- und ersten 4) Es muss an dieser Stelle auf die verdienstvolle Arbeit Wencke- bach’s [23] hingewiesen werden. Manche Verhältnisse, die W. bei Knochen- fischen fand, lassen sich aber nicht auf die Selachier übertragen, so z. B. die Herkunft des Herzendothels und ferner die Entstehung der Blutgefäße auf dem Dotter aus Mesodermzellen, welche vom Embryo ausgewandert sind. Rückert, Herz und Gefäßstämme bei Selachier - Embryonen. 429 Branchialbogens z. B. entstehen durch auswachsende Zipfel der Längs- stämme (ob nur von den Aorten oder, wie es scheint, auch von der ventralen Längsbahn aus, lasse ich, da ich den Gegenstand nicht näher untersucht habe, vorläufig unentschieden); da nun die Endothel- zellen der Gefäßschlingen häufig karyokinetische Teilungsbilder zeigen, so ist ein Wachstum auf grund des vorhandenen Materials jedenfalls anzunehmen. Es kommt daneben aber noch die zweite Möglichkeit in betracht (welche die erste natürlich nicht im geringsten ausschließt), dass bei der Bildung der Seitenäste neue Elemente zu den vorhan- denen Anlagen sich zugesellen, seien es eingewanderte oder in loco abgespaltene Zellen. Bei der relativen Zellenarmut solcher Gefäße wird die Entscheidung schwierig sein, ob diese Art des Wachstums wirklich besteht. Deshalb möchte ich zum Schluss eine hieher gehörige Beobachtung mitteilen über die Entstehung der ersten (ventralen) Aortenäste im Bereiche der Vorniere. Ich habe bei Torpedo (Fig. 17) hier mehrfach verfolgen können, dass die Zellen der schon hohlen Aorta ventral mit andern Gefäßzellen resp. Zellenketten ununterbrochen zu- sammenhängen, deren Ausläufer in den Mesoblast führen und sich hier direkt in Zellen des letztern fortsetzen. Die so mit der Gefäß- anlage verbundenen Mesoblastzellen trifft man nun in verschiedenen Stellungen an, entweder noch völlig in Reih und Glied mit den übrigen Mesoblastelementen, oder mehr oder weniger im Austritt begriffen. Solche Bilder lassen sieh nicht wohl anders deuten, als dahin, dass die Gefäßanlage bei ihrem weitern Wachstum fortschreitend neue Elemente aus dem Mesoblast sieh aneignet, gleichsam aus diesem Blatt herauszieht. Es liegt in diesem Falle nahe, anzunehmen, dass der Zusammenhang der Gefäßzellen mit den Mesoblastzellen sich nicht erst nachträglich hergestellt hat, sondern schon vorhanden war, als die erstern selbst noch dem Mesoblast angehörten. Es würde in solchem Falle eine austretende Mesoblastzelle eo ipso eine zweite mit ihr zusammenhängende, (die deshalb nicht die ihr unmittelbar benach- barte zu sein braucht), nach sich ziehen und diese wieder eine dritte. Auf diese Weise ließe sich ein Fortwachsen der Gefäßanlagen sehr wohl denken; ob es aber nur an der beschriebenen Stelle vorkommt, oder allgemeine Verbreitung besitzt, müssen weitere Untersuchungen lehren. Was die übrigen Bindesubstanzen anlangt, so hat das Mesenchym, welches das Visceralrohr umgibt, wie wir gesehen haben, gleich- falls einen lokalen Ursprung: aus dem ventralen unsegmentierten Mesoblast. Das Mesenchym, welches Chorda und Neural- rohr einhüllt, entsteht in ganz entsprechender Weise aus einem weiter dorsal gelegenen Abschnitt des Mesoblast, aus der visceralen Somitenwand, wie übereinstimmend von Balfour, van Wijhe, Rabl [7] und mir angegeben wurde. Das erste Blut des Embryo dagegen wird bei Se- lachiern sicher auf dem Dotter gebildet. Man findet es 430) Weismann u. Ischikawa, Befruchtungserscheinungen bei Daphniden. o° o° innerhalb des Embryo erst längere Zeit, nachdem es im Gefäßhof auf- getreten ist und zwar genau von dem Zeitpunkt ab, in welchem die großen Gefäßstämme hohl und mit den Dottergefäßen in offener Kom- munikation sind. Vereinzelte embryonale Blutkörper sehe ich aller- dings im Kopfsinus unmittelbar bevor der Herzschlauch und die Kopf- aorten in ganzer Länge geöffnet sind, aber diese wenigen Zellen können sich leicht durch die engen Passagen der erwähnten Gefäß- abschnitte durchgezwängt haben und geben vorläufig keine Veran- lassung zu der Annahme, dass sie lokal entstanden sind. Es ist sonach neben dem Mesenchymkeim auf dem Nahrungs- dotter noch ein zweiter Mesenchymkeim im Embryo selbst vorhanden, welcher sich durch den ganzen Körper ausbreitet, soweit der Mesoblast reicht. Doch hat der erstere dem letztern gegenüber die eine spezifische Funk- tion voraus, der alleinige Bildner des ersten embryo- nalen Blutes zu sein. München, 5. Juli 1888. Vor der zweiten Korrektur des Schlussabschnittes erhalte ich den Abdruck von Rabl’s auf der Versammlung der anatomischen Gesell- schaft zu Würzburg gehaltenen Vortrag „Ueber die Bildung des Meso- derms“. Der Raum verbietet mir ein näheres Eingehen auf diese hochwichtigen Ausführungen, die ich persönlich mitanzuhören leider nicht in der Lage war infolge eines Aufenthaltes an der zoologischen Station zu Neapel. Ich begnüge mich daher, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass Rabl die das Visceralrohr umhüllende Binde- substanz nebst der Darmmuskulatur auf die gleiche Quelle zurück- führt wie ich: nämlich auf die Seitenplatten. Die Uebereinstimmung in der Ableitung der Sklerotome wurde von mir in diesem ‚Aufsatz sowohl wie schon an früherer Stelle [20] erwähnt. Neben diesen beiden Gruppen des embryonalen Bindegewebes (die Rabl zweck- mäßig als axiales und viscerales bezeichnet) nimmt Rabl noch eine 3. Abteilung, das dermale Bindegewebe an, welches er aus der parie- talen Lamelle der Urwirbel und der Seitenplatten entstehen lässt. Auf diese 3. Gruppe des embryonalen Bindegewebes habe ich meine Untersuchungen nicht ausgedehnt. München, 6. September 1888. Ueber die Befruchtungserscheinungen bei den Dauereiern von Daphniden. Von A. Weismann und C. Ischikawa. In der vorletzten Nummer (12) dieser Zeitschrift findet sich ein von Herrn Dr. OÖ. Zacharias verfasster Artikel „über partielle Befruchtung“, im welchem über unsere unter diesem Titel veröffent- lichten Beobachtungen!) an Daphniden - Eiern kurz berichtet wird. 1) „Berichte der naturf. Gesellschaft zu Freiburg i. Br.“, Bd. IV; datiert vom 12. Dezember 1887 und vom 21. Mai 1888. Weismann u. Ischikawa, Befruchtungserscheinungen bei Daphniden. 451 Am Fuß der Seite fügt die Redaktion des Blattes hinzu, „mitten im Drucke dieser Nummer geht uns die Mitteilung zu, dass die Herren Weismann und Isechikawa ihre Beobachtungen über partielle Be- fruchtung zurückziehen“. Wir haben dazu zu bemerken, dass dies richtig ist, wenn das „Zurückziehen“ bloß auf die Benennung „partielle Befruchtung“ bezogen wird, dagegen unrichtig sein würde, wenn es auf „Beobach- tungen“ bezogen werden sollte. Wir halten unsere Beobachtungen vollkommen aufrecht, deuten sie aber allerdings jetzt wesentlich anders, als früher, wie wir dies in einer zweiten Mitteilung!) vor kurzem dargelegt haben. Da es noch einige Zeit dauern wird, ehe unsere ausführliche Ab- handlung über diese Erscheinungen zur Veröffentlichung gelangen kann, so wird es vielleicht nicht unerwünscht sein, wenn wir hier eine kurze Darlegung unserer Untersuchungen folgen lassen. In unserer ersten Veröffentlichung teilten wir mit, dass wir in frisch abgelegten Dauereiern mehrerer Daphniden ausnahmslos eine Zelle vorfanden, die wir für die Samenzelle halten mussten, obgleich sie sich der Eizelle gegenüber sehr ungewöhnlich verhielt. Denn während sonst die ins Ei eingedrungene Samenzelle so schnell wie möglich den Eikern zu erreichen sucht, um sich mit diesem zu ver- binden, blieb diese zunächst ruhig im Dotter des Eies liegen, bald näher, bald ferner vom Eikern. Dieser seinerseits, umhüllt von einer Protoplasma-Zone trat nun in den Furchungsprozess ein und vollendete denselben bis zu vier Zellen, ohne dass die „Spermazelle* irgend welchen Anteil daran nahm. Erst nach der Teilung in vier Furchungs- zellen begann auch die „Spermazelle“ kurze Fortsätze auszusenden und sich an eine der Furchungszellen anzuheften, um im folgenden Stadium von acht Furchungszellen ganz mit ihr zu verschmelzen. Wir hatten dies als Befruchtung nur eines Teils der Eisubstanz auf- gefasst und deshalb als partielle Befruchtung bezeichnet. Dass es eine Kopulation zweier Zellen war, darüber konnte kein Zweifel sein. Wir vermochten festzustellen, dass die Verschmelzung der beiden Zellen ganz so vor sich geht, wie die Kopulation von Ei- und Samen- zelle bei einigen Crustaceen anderer Ordnungen, bei welchen wir kürzlich Gelegenheit nahmen, dieselbe zu beobachten?). Zuerst ver- einigen sich die beiden Zellkörper und fließen in einen einzigen zu- sammen, dann aber legen sich die bläschenförmigen, im Knäuelstadium befindlichen Kerne aneinander und verschmelzen ebenfalls an der Berührungsfläche. Diese Kopulation erfolgt auch nicht etwa nur gelegentlich und bleibt in andern Fällen aus. Wir haben sie vielmehr an allen Eiern 1) „Nachtrag zu der Notiz über partielle Befruchtung“ in: „Berichte der naturf. Gesellschaft zu Freiburg in Br.*, Bd. IV, Heft 2; datiert v. 12. Juli 1888. 2) Die betreffenden Beobachtungen werden binnen kurzem in den „Zoologi- schen Jahrbüchern“ erscheinen. 452 Weismann u. Ischikawa, Befruchtungserscheinungen bei Daphniden. ausnahmslos eintreten sehen, von denen wir überhaupt gute Schnitt- serien des betreffenden Stadiums besaßen, und zwar bei 5 Arten, bei Moina paradoxa und rectirostris, bei Daphnia pulex und longispina, bei Polyphemus und bei Sida erystallina. Von Moina paradoxa allein be- sitzen wir Schnittserien von 44 Eiern dieses Stadiums, welche alle irgend ein Stadium der Kopulation aufweisen. Bei dieser Art werden normalerweise jedesmal zwei Eier in den Brutraum entleert; überall nun, wo die Beschaffenheit der Schnitte über beide Eier ein Urteil erlaubte, befanden sich beide in demselben Stadium der Embryogenese, und bei beiden war die Kopulationszelle in Verschmelzung mit der betreffenden Furchungszelle begriffen. Wo möglich noch auffallender trat die Regelmäßigkeit der Er- scheinung an Sida erystallina hervor, weil diese eine ziemlich große Zahl von Dauereiern gleichzeitig im Brutraum trägt. Wir besitzen eine Schnittserie von einem Weibchen von Sida erystallina mit 11 Eiern im Brutraum. Davon lassen 7 die Kopulation der „Samenzelle“ mit einer der beiden Furchungszellen erkennen — die Kopulation erfolgt hier im Zweizellen-Stadium, also früher, als bei den übrigen Arten. ‘ Was hätte nun diese sich kopulierende Zelle anders sein können, als die Samenzelle? Eine Zelle, welche in keinem Ei fehlte), welche nach dein Achtzellen - Stadium stets verschwunden, deren Kopulation mit einer Furchungszelle festgestellt war und welche anderseits ohne Ausnahme sich stets nur in der Einzahl vorfand, so dass jeder Gedanke an einen parasitären Organismus ausgeschlossen war; eine Zelle ferner, neben welcher sich stets noch die beiden Richtungs- zellen vorfanden, so dass auch jede Verwechslung mit diesen unmög- lieh war? Dazu kam noch, dass wir diese „Samenzelle“* schon an den ganz frisch in den Brutraum übergetretenen Eiern nachweisen konnten, dass sie an solehen eine oberflächliche Lage einnahm, grade als ob sie eben erst sich in das Ei eingebohrt hätte, sowie dass un- mittelbar darauf die Bildung der Dotterhaut eintrat. Auch in der Gestalt und Größe erinnerte sie durchaus an die Samenzellen, wie wir sie bei gewissen Daphniden mit gewöhnlicher Befruchtung im Innern des Eies beobachtet hatten, nur dass die strahlenförmigen Ausläufer teilweise (bei Moina) fehlten, die bei jenen in großer Zahl gefunden wurden, so z. B. bei Dythotrephes. Bei dieser Art hatten wir das Eindringen der mächtigen amöboiden Samenzellen ins Ei auf unsern Schnitten gewissermaßen Schritt für Schritt verfolgen und die Uebereinstimmung derselben mit den außerhalb des Eies im Brutraum liegenden überzähligen Samenzellen feststellen können. Wohl hatten wir uns entgegen gehalten, dass die Gestalt und Größe der „Samen- zelle* bei Moina paradoxa z. B. nicht stimme mit derjenigen der 4) Wir haben allein von Moina paradoxa 518 Dauereier der betreffenden Stadien in Schnitte zerlegt und in allen ohne Ausnahme die Kopulationszelle vorgefunden. Weismann u. Ischikawa, Befruchtungserscheinungen bei Daphniden. 433 Spermazellen des Hodens der betreffenden Arten, allein man weiß ja, wie bedeutend die Form- und Größe- Veränderung einer Samenzelle sein kann, nachdem sie ins Ei eingedrungen ist, und wir selbst hatten dafür mehrere auffallende Belege neuerdings gesammelt. So konnten wir denn nicht umhin, die betreffende Zelle trotz ihres so ungewöhn- lichen Verhaltens für die Samenzelle zu nehmen und infolge dessen den im Laufe der Furchung eintretenden Konjugationsprozess für eine „partielle Befruchtung“, im Gegensatz zu der gewöhnlichen totalen Befruchtung des gesamten Eies. Wir hatten in der That zur Zeit jener ersten Veröffentlichung nicht den leisesten Zweifel mehr an der Richtigkeit unserer Auf- fassung, trotzdem wir uns sehr wohl bewusst waren, dass schwere theoretische Konflikte mit unsern eignen Anschauungen über Befruch- tung in dieser „partiellen“ Befruchtung verborgen lagen. Wurden doch zwei primäre Richtungskörper von diesen Eiern ausgestoßen, und trotzdem beginnt nachher die Embryonalentwicklung wie bei parthenogenetischen Eiern, gar nicht zu reden davon, dass der tiefere Sion des Vorgangs ganz unverständlich blieb. Aber den Thatsachen musste man sich fügen! Seither haben wir uns nun überzeugt, dass diese Thatsachen anders liegen, als wir damals glauben mussten, dass die vermeintliche Samenzelle in jenen Eiern keine Samenzelle ist, sondern ein Produkt des Eies selbst, dass sonach auch jene merkwürdige Kopu- lation mit einer der Furchungszellen nicht der Ersatz für die normale Befruchtung ist, sondern etwas zu dieser noch Hinzukommendes. Schwerlich würde unser Irrtum inbetreff der Deutung dieser „Kopulationszelle“, wie wir sie jetzt vorläufig nennen wollen, so bald schon entdeckt worden sein, wären wir nicht auf den Gedanken ge- kommen, die theoretischen Konsequenzen aus unsern Beobachtungen experimentell weiter zu verfolgen. Es war durch frühere Untersuchungen des einen von uns!) fest- gestellt werden, dass unbefruchtete Dauereier der Daphniden keinen ümbryo liefern, dass sie vielmehr ausnahmslos nach einiger Zeit zer- fallen und sich auflösen. Wie stimmte dies mit der von der Samen- zelle unabhängigen Entwicklung der Eier, wie wir sie jetzt beobachtet zu haben glaubten? Diese Eier mussten doch die Fähigkeit zu partheno- genetischer Entwicklung besitzen, wenigstens bis zu dem Stadium, in welchem die Kopulation der vermeintlichen Samenzelle mit einer der Furchungszellen vor sich geht. Der Zerfall des Eies konnte also erst nach diesem Stadium, dem von 8 Furchungszellen (bei den meisten Arten) beginnen. Hätten wir es anders gefunden, wären in 1) Weismann, „Beiträge zur Naturgeschichte der Daphnoiden“, IV: „Ueber den Einfluss der Begattung auf die Erzeugung von Wintereiern“. Zeit- schrift f. wiss. Zool., Bd. XXVIII, 1877, S. 198 u. fg. Vin. 98 454 Weismann u. Ischikawa, Befruchtungserscheinungen bei Daphniden. unbesamten Eiern schon die ersten Teeilungen ausgeblieben, so hätte dies etwa auf einen unsichtbaren Einfluss der im Ei anwesenden, wenn auch noch im Ruhezustand befindlichen „Samenzelle“ gedeutet werden müssen. Eine Entscheidung über diesen Punkt war möglich, denn obgleich die meisten Daphniden ihre Eier gar nieht ablegen, wenn die Begat- tung zur Zeit der Eireife ausbleibt, so war uns doch eine Art be- kannt, bei welcher diese Ablage vor sich geht: Moina paradoxa. Wir isolierten also Weibchen dieser Art, welche reife Eier im Ovarium trugen und ließen sie ihre Eier in den Brutraum ablegen, um sie dann nach Verlauf einer kürzern oder längern Zeit zu töten. Wie groß war aber unser Erstaunen, als wir alle diese Eier bereits in be- ginnendem Zerfall fanden und in jedem derselben die von uns bisher für die Samenzelle gehaltene Zelle!)! Zuerst dachten wir an die Möglichkeit einer schon vor der Isolierung (von den Männchen) stattgefundenen Begattung und Aufbewahrung der unwirksam gewor- denen Samenzellen im Brutraum allein Schnitte, die wir nun durch nahezu reife Ovarialeier legten, zeigten uns, dass auch in diesem die vermeintliche Samenzelle bereits vorhanden sei. Es war somit nachgewiesen, dass diese mit einer der Furchungs- zellen sich kopulierende Zelle — die Kopulationszelle — keine ge- wöhnliche Samenzelle sein kann, dass vielmehr außer ihr noch eine wirkliche, vom Männchen stammende Samenzelle durch die Begattung ins Ei gelangen muss, die uns bisher entgangen war. In der That fand sich diese denn auch nach Durchsuchung zahl- reicher Schnittserien in mehrern Eiern vor als ein kleiner mit undeut- lichem Hof umgebener Kern, der sogar in einem Falle seine Bahn im Dotter vom Punkte seines Eindringens in das Ei bis zu einiger Tiefe deutlich erkennen ließ. In einem andern Falle gelang es auch, seine Verbindung mit dem Eikern zu sehen, das Stadium der Kopulation nämlich, in welchem die beiden Geschlechtskerne, der väterliche und der mütterliche, dieht nebeneinander inmitten der zentralen Protoplasma- masse des Eies liegen. Aber nicht in allen frisch abgelegten Eiern gelang es einen Sperma- kern zu fmden. Abgesehen von solchen Eiern, bei welchen der winzige Spermakern in dem körnigen Dotter nicht mit Sicherheit zu erkennen war, fand sich noch eine ganze Anzahl anderer Eier, bei denen wirk- lich keine Samenzelle eingedrungen war. Es war uns schon früher aufgefallen, dass an manchen der frisch abgelegten Eier die proto- plasmatische Rindenschicht zwar außen ganz glatt war, gegen den Dotter aber in regelmäßiger Wellenlinie bald stärker, bald weniger stark vorsprang. Wir hatten diese Erscheinung auf eine Kontraktion 1) Die Zahl der Schnittserien zerlegten, absichtlich unbesamten Eier von Moina paradoxa war 88. Weismann u. Ischikawa, Befruchtungserscheinungen bei Daphniden. 495 dieser Rindenschiehte gedeutet, die sie auch offenbar ist; ihr wahrer Sinn aber war uns noch verborgen geblieben. Der Vergleich mit ab- sichtlieh unbesamt gebliebenen Eiern zeigte uns jetzt, dass diese Kon- traktionen den Beginn des Zerfalls bedeuten, der sehr bald eintritt, wenn die rechtzeitige Besamung des Eies ausbleibt. Wir hatten also bisher zahlreiche Eier als besamte untersucht, die in Wahrheit unbe- fruchtet geblieben waren. Man sieht daraus, dass — wenigstens in Gefangenschaft — trotz der Anwesenheit von Männchen manche Weibehen nicht begattet werden. Sonach ist die Befruchtung der Dauereier von Moina und anderer Daphniden insofern keine außergewöhnliche, als die normale Vereini- sung der Geschlechtskerne auch hier statthat; es findet aber außer dieser normalen Kopulation von Sperma- und Eikern noch eine zweite Zell- und Kernverschmelzung statt zwischen jener rätselhaften, schon im Ovarialei auftretenden Kopulationszelle und einer der Furehungs- zellen, bei Moina einer der am vegetativen Pol liegenden 8 ersten Furchungszellen. Ueber die Herkunft dieser „Kopulationszelle* glauben wir jetzt ebenfalls im klaren zu sein. Sie stammt — wie wir schon in unserer „Nachschrift“ andeuteten — vom Keimbläschen des Eies ab. In dem noch ziemlich jungen Ei, wenn eben die Dotterabscheidung begonnen hat, tritt ein Teil der färbbaren Kernsubstanz aus dem Keimbläschen aus, entfernt sich von seiner Ursprungsstätte und bildet einen Zellkörper um sich, der dann im Eikörper liegen bleibt, gewissen Veränderungen unterliegt, auch an Masse zunimmt, aber erst wieder aktiv wird, wenn die Zeit zur Kopulation mit einer der Furchungs- zellen gekommen ist. Wir dachten zuerst an die Möglichkeit des Eindringens von Blutzellen in das Ei, denn die Kopulationszelle hat eine gewisse Aehnlichkeit mit einer Blutzelle. So unwahrscheinlich dies auch war wegen des spätern Schicksals der Kopulationszelle, so mussten wir es doch mit in betracht ziehen; eine genaue Vergleichung beider Zellenarten ergab aber konstante Unterschiede, wie denn auch das Fehlen von „Kopulations-Zellen“ in den drei Nährzellen des Eies ein Eindringen von außen vollständig ausschloss. In 132 reifenden Ovarial- eiern, welche wir auf Schnittserien untersuchten, fanden wir die Kopulationszelle immer nur in der Eizelle, niemals in den Nähr- zellen, die ihr doch anfänglich vollständig gleichen und die ja ursprüng- lich auch Keimzellen sind. Das könnte nicht so sein, wenn die Kopu- lationszelle ein von außen in die Eizelle eingedrungenes Gebilde wäre, sei es eine Blutzelle oder eine Zelle von irgend welcher andern Her- kunft. Es gelang uns dann aber auch den positiven Nachweis zu führen für die Entstehung der Kopulationszelle im Innern der Eizelle und aus dem Kernmaterial des Keimbläschens. Wir fanden alle Ueber- 4536 Weismann u. Ischikawa, Befruchtungserscheinungen bei Daphniden, gänge vom Austreten von Chromatin-Körnern (oder wenigstens Körnern von gefärbter Kernsubstanz) aus dem Keimbläschen bis zu deren Zusammenballung zu einem kugligen Kern und dessen Umhüllung mit Zellkörper-Substanz. Die genauere Darlegung dieser Beobach- tungen muss aber unserer mit Abbildungen versehenen Abhandlung vorbehalten bleiben. Wir haben in unserer ersten Mitteilung schon die Vermutung als möglich hingestellt, dass die kopulierende Furchungszelle diejenige sein möchte, aus welcher später die Keimzellen des jungen Tieres werden. Wir möchten diese Vermutung auch jetzt noch aufrecht erhalten, obwohl wir dafür nichts weiter anzuführen haben, als: 1) dass es eine bestimmte Furchungszelle zu sein scheint, welche die Kopulation eingeht, nicht etwa eine beliebige und 2) dass es — soweit wir gesehen haben — stets eine der am vegetativen Pol ge- legenen Furchungszellen ist, aus denen ja auch „bei den Sommer- Eiern von Moina nach Grobben’s schöner Entdeckung die Keim- zellen des Embryo hervorgehen“. Leider waren alle unsere Bemüh- ungen weiter zu kommen inbezug auf diesen Punkt vergeblich, und es steht auch kaum zu hoffen, dass es an dem bisher benutzten Material gelingen werde, die aus der Kopulation hervorgehende Zelle in ihrer weitern Entwicklung zu verfolgen. Man wird günstigeres Material abwarten müssen. Solange wir nun über diesen Punkt keine Sicherheit haben, wird es besser sein, mit Vermutungen über die Bedeutung des ganzen Vor- gangs noch zurückzuhalten. Jedenfalls wird die Bezeichnung einer „partiellen Befruchtung“ aufzugeben sein. Man könnte ja vielleicht „partielle Neben-Befruchtung“ dafür setzen, allein auch dies schließt eine theoretische Deutung ein, und so möchten wir vorschlagen, den betreffenden Vorgang einstweilen als „Neben-Kopulation* zu bezeichnen. | Unsere Untersuchungen sind abgeschlossen, so weit sie sich auf Moina paradoxa beziehen, und auch über die andern genannten Arten können wir kaum hoffen, wesentlich tiefer in den Vorgang einzu- dringen, als wir es bereits erreicht haben. Dagegen soll noch ver- sucht werden, zu bestimmen, in welchem Umfang die Erscheinung vorkommt, und ob etwa bisher noch nicht untersuchte Arten Modifi- kationen des Vorgangs darbieten, welche geeignet wären, einiges Licht auf die Bedeutung desselben zu werfen. Aus diesem Grunde werden wir mit der Veröffentlichung unserer ausführlichen Arbeit noch etwas zurückhalten. Freiburg i. Br., 18. August 1888. Exner, Ueber optische Bewegungsempfindungen. 4537 Ueber optische Bewegungsempfindungen. Von Prof. Sig. Exner, Assistenten am physiologischen Institute in Wien. (Nach einem Vortrage, gehalten in der philosophischen Gesellschaft zu Wien am 29. Mai 1888.) Wenn sich in der berühmten Laokoongruppe des Vatikans zu Rom der Vater plötzlich so weit befreien könnte, um den beiden Schlangen die Köpfe abzuhauen, so würde es ihm und den Söhnen doch niehts nützen, indem der Schlangenleib auch ohne Kopf fort- fahren würde, die Körper zu umschlingen, zu umschnüren, eventuell die Knochen zu zerbrechen. Auch die geköpfte Schlange hat die Eigentümlichkeit, die Tasteindrücke, die sie an einer Stelle des Leibes empfindet, so zu benützen, dass sie sich um den Körper, der sie berührt, herumwindet. Von einem römischen Kaiser wird erzählt, er habe sich damit unterhalten, mit Pfeilen, die vorne statt der Spitze einen geschärften Halbmond trugen, den ‘Straußen in der Arena den Kopf wegzuschießen und zu beobachten, wie sie auch ohne Kopf in possierlicher Gangart weiter liefen; eine Beobachtung, die bei der an vielen Orten gangbaren Art die Gänse zu töten, wohl auch manche Hausfrau von heute gemacht hat. Es ist dabei nicht zu verkennen, dass das Ungestüm, mit welchem ein solches geköpftes Tier das Weite sucht, ein Ausdruck des grässlichen Ereignisses ist, das es eben erlebt hat. Aehnliches ist auch an Säugetieren zu beobachten. Diese Thatsachen zeigen, dass die umschlingenden Bewegungen der Schlange, geregelt durch ihre Tasteindrücke, dass die komplizierten Bewegungen des Laufens und Springens sowie bis zu einem gewissen Grade auch ihr durch äußere Eindrücke bedingter Charakter in einem hohen Grade unabhängig von dem Organe des Bewusstseins, dem Gehirne, sind; sie befinden sich, wie wir uns auszudrücken pflegen, in den subkortikalen Organen vorgebildet und bedingt, so dass das Gehirn diese Bewegungskombinationen daselbst schon fertig vorfindet. Aehnliches lässt sich nun auch in dem Gebiete der sensoriellen Ein- drücke beobachten. Wir haben Ursache zu vermuten, dass auch die Erregungen, die zentripetal geleitet werden, in den subkortikalen Zentren eine gewisse Verarbeitung erfahren, ehe sie zu dem Organe des Bewusstseins, der Gehirnrinde selbst gelangen. Ich will versuchen, an dem Beispiele von den Bewegungsempfindungen zu zeigen, wie man sich eine solche subkortikale Verarbeitung sensorieller Eindrücke vorzustellen hat, eine subkortikale Verarbeitung von Eindrücken, die von der Peripherie kommen und nach dieser Verarbeitung schließlich dem Organe des Bewusstseins zugeführt werden. Man stellte sich früher die Art, wie man zu dem Eindrucke der Bewegung eines Gegenstandes gelangt, folgendermaßen vor. Der 438 Exner, Ueber optische Bewegungsempfindungen, Gegenstand erschien uns im Momente ? an dem Orte a, im Momente #,, an dem Orte a,, in t, ana, u. Ss. w. Indem wir dies erkannten, sagten wir, der Gegenstand bewege sich, oder wie man sich ausdrückte, erschloss man die Bewegung. Diese Auffassung ist in gewissem Sinne richtig. Sie ist richtig für den Eindruck, den gewisse Be- wegungen auf uns machen, aber nicht richtig für andere Bewegungen, von denen wir Eindrücke empfangen, die wir auch als Bewegungs- eindrücke bezeichnen. Sie ist z. B. richtig für den Fall, dass wir den Minutenzeiger einer Uhr beobachten. Wir sehen denselben zu ver- schiedenen Zeiten an verschiedenen Orten und schließen richtig, dass sich der Zeiger bewegt habe. Diese Auffassung wird aber schon fraglich für den Fall, dass wir den Sekundenzeiger ansehen. Es hat J. Czermak!) schon vor vielen Jahren folgende Erfahrung mitgeteilt. Man blickt nach dem Sekundenzeiger einer Uhr, wodurch man den Eindruck seiner Bewegung erhält. (Der Zeiger soll ein schleiehender und nieht ein springender sein.) Blickt man nicht auf den Sekunden- zeiger direkt, sondern auf den Rand der Uhr, so dass man den Sekundenzeiger nur indirekt sieht, so hat man einen ganz andern Eindruck. Czermak schildert diesen andern Eindruck, indem er sagt, der Zeiger scheine sich jetzt langsamer zu bewegen. Man sieht zwar auch in diesem Falle, dass der Zeiger in einer Minute einen Weg von 360° zurücklegt; man sieht ihn aber jetzt nicht in der Weise, wie früher beim direkten Fixieren sich bewegen. Ich würde den Unterschied dieser beiden Arten von Eindrücken etwas anders bezeichnen. Ich würde sagen: im ersten Falle haben wir die Be- wegung empfunden, und im zweiten Falle erschlossen oder wahr- genommen. Im 2. Falle haben wir die Bewegung dadurch erkannt, dass wir den Zeiger zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Stellen fanden. Im 1. Falle haben wir einen unmittelbaren Eindruck von der Bewegung selbst. Ich kann Ihnen den Beweis dafür liefern, dass in der That das, was ich hier Bewegungsempfindung genannt habe, etwas Anderes ist als das, was man im gedachten Sinne Be- wegungswahrnehmung nennen kann. Wenn es nämlich richtig wäre, dass wir nur dann eine Bewegung erkennen, wenn wir denselben Körper zu verschiedenen Zeiten an ver- schiedenen Punkten des Raumes sehen, so müsste folgendes wahr sein: mache ich die Entfernung vom Anfangs- und Endpunkt der Bewegung so klein, dass man diese beiden Punkte nicht unterscheiden kann, oder mache ich die Zeit, während welcher sich der Körper von dem Punkte a nach dem Punkte a, begibt, so kurz, dass man die Zeitmomente, die dem Anfang und dem Ende der Bewegung entsprechen, nicht unter- scheiden kann, so müsste in beiden Fällen ein Bewegungseindruck nicht stattfinden. Ein solcher findet aber statt. Sprechen wir zuerst von dem Zeitintervall. Lasse ich in einem gewissen Momente einen 1) Ideen zu einer Lehre von Zeitsinn. Wiener Akad. d. Wiss. XXIV. Exner, Ueber optische Bewegungsempfindungen. 439 hellen Punkt in a und einen Moment später einen solehen in a, auf- treten, dann kann man diejenige Zeit bestimmen, bei welcher die Zeitdifferenz des Auftretens der beiden Punkte eben noch erkannt wird. Diese Zeitdifferenz ist für gewisse Fälle und unter gewissen Bedingungen, auf die ich nicht näher eingehe, 0,045 Sekunden !). Wenn ich aber jetzt den Punkt « und den Punkt «, zum Anfangs- und Endpunkt einer Bewegung mache, d. h. wenn ich in «a einen hellen Punkt auftreten, diesen nach a, wandern und da verschwinden lasse, dann erkenne ich noch die Richtung der Bewegung und die Bewegung überhaupt, wenn die Zeitdifferenz zwischen Auftreten und Verschwinden nieht geringer ist als 0,014 Sekunden. Es ist das also ein Drittel jener Zeit, welche nötig ist, um die zeitliche Differenz zweier Netz- hauteindrücke als solche zu erkennen. Aber auch die Entfernung kann man so gering machen, dass man die Anfangs- und Endpunkte der Bewegung nicht mehr von einander unterscheiden kann, und doch sieht man die Bewegung noch. Dies lässt sich nicht für einen Gegen- stand, der direkt angeblickt wird, nachweisen, wohl aber für einen Gegenstand, der mit einem seitlichen Teile der Netzhaut angesehen wird. Es ist bekannt, dass man mit dem seitlichen Teile der Netz- haut schlecht lokalisiert. Wenn ich in den seitlichen Teil des Seh- feldes 2 helle Scheibehen von passender Größe und gegenseitiger Entfernung bringe, so kann ich es erreichen, dass sie nicht mehr als zwei, sondern als ein heller Fleck erscheinen. Wenn ich aber jetzt diese Scheibehen bewege, so sehe ich ohne weiteres die Bewegung. Man kann nun leicht ermitteln, dass der Anfangs- und Endpunkt der Bewegung nur eine viel geringere Entfernung von einander haben müssen, als die hellen Punkte unter einander, und doch wird die Be- wegung gesehen. Es hängt dies damit zusammen, dass wir überhaupt an den seitlichen Teilen der Netzhaut ein außerordentlich feines Organ für das Wahrnehmen der Bewegung haben, ja wir sind an en Anteilen der Retina sogar in gewissem Sinne hyperästhetisch für Bewegungen, wie folgender Versuch zeigen kann. An der Linse eines Pendels?) von etwa 1,5 Meter Länge ist eine brennende Kerze ange- bracht. Beobachtet man dieselbe so im indirekten Sehen, dass die Riehtungslinie derselben mit der Gesichtslinie etwa einen Winkel von 45° einschließt, und lässt das Pendel Schwingungen von einigen Zenti- metern Elongation machen, so wird diese Elongation regelmäßig über- schätzt, und zwar wird sie für 2—3 mal so groß gehalten, als sie nekkich ist. (Es kann übrigens Jede Hängelampe zu diesem Versuche benutzt werden.) 1) Vergl. Sigm. Exner, Experimentelle Untersuchungen der einfachsten psychischen Prozesse. Pflüger’s Arch. f. Physiol., Bd. XI, S. 409. 2) Vergl. Sigm. Exner, Ein Versuch über die Netzhautperipherie als Organ zur Wahrnehmung von Bewegungen. Pflüger’s Archiv für die ges. Phys. XXXVIM. Exner, Ueber optische Bewegungsempfindungen. Hin u Gh jun) Diese Ueberempfindlichkeit für Bewegungen, welehe die Netzhaut- peripherie gegenüber dem Zentrum zeigt, ist übrigens nur eine Teil- erscheinung der allgemeinen Eigenschaft der Netzhautperipherie, für Veränderungen überhaupt sehr empfindlich zu sein. Man kann in dieser Beziehung die anscheinend absurde Beobachtung machen, dass z.B. eine Gruppe von hellen Punkten auf dunklem Grunde, hin- länglich weit an die Peripherie des Sehfeldes geschoben, auch nicht mehr annähernd die Anzahl derselben erkennen lässt: sobald aber ein solcher Punkt zu den vorhandenen dazukommt, oder aus der Gruppe verschwindet, macht dieses einen lebhaften Eindruck — man ist geneigt zu sagen, es habe sich „etwas gerührt“ im Sehfeld!). Zu den Bewegungsempfindungen zurückkehrend, müssen wir also annehmen, es gäbe eine spezifische Bewegungsempfindung. Diese Bewegungsempfindung hat so wie andere Empfindungen aus dem Gebiete des Gesichtsorganes eine untere und natürlich auch eine obere Grenze. Es gibt eine untere Grenze, bei der man keine Bewegungs- empfindung mehr hat, bei welcher sich ein Körper so langsam bewegt, dass wir nicht einen unmittelbaren Eindruck der Bewegung, sondern nur eine Bewegungswahrnehmung haben in dem Sinne, wie ich es früher anführte. Es sind schon vor vielen Jahren Versuche von G.Schmidt und Valentin gemacht worden, um diese untere Grenze zu bestimmen. In neuester Zeit sind von Aubert?) diese Bestim- mungen wiederholt worden. Er fand, dass für gewöhnliche Verhält- nisse die untere Grenze 1—2 Winkelgrade in der Sekunde beträgt, d. h. ein Körper, der sich um 1—2 Winkelgrade in der Sekunde be- wegt, löst schon eine Bewegungs-Empfindung aus. Nach der Rech- nung von Aubert legt das Bild desselben den Weg von 6—7 Zapfen auf dem Zentrum der Netzhaut in der Sekunde zurück. Die Bewegungs- Empfindung hat weiter mit den gewöhnlichen optischen Empfin- dungen das gemein, dass man von ihr ein negatives Nachbild erhält. Dreht man eine Scheibe, auf welcher eine Spirale so gemalt ist, dass sie vom Zentrum ausgehend in Bogenabsehnitten von stetig zunehmen- dem Radius das Zentrum mehrmals umkreist, in der einen Richtung um ihre Axe, so erhält man den Eindruck von im Mittelpunkt auf- tauchenden und der Peripherie zuschwellenden Kreisen. Fixiert man eine solche Scheibe eine Reihe von Sekunden und hält sie dann plötz- lich fest, so scheinen die Kreise die entgegengesetzte Bewegung zu machen, sie schrumpfen nach dem Zentrum zusammen. Umgekehrt ist das Bewegungsphänomen, wenn man die Scheibe zuerst nach der andern Seite gedreht hat. Die Täuschung dauert einige Sekunden lang fort. Wenn man, nachdem man sein Auge durch die Bewegungs- 1) Vergl. Sigm. Exner, Ueber die Funktionsweise der Netzhautperipherie und den Sitz der Nachbilder, Gräfe’s Arch. f. Ophthalmologie XXXI. 2) Aubert, Die Bewegungsempfindung. Pflüger’s Arch. f. Phys. Bd. 39 S. 347 und Bd. 40 8. 459. Exner, Ueber optische Bewegungsempfindungen. 441 Empfindung gereizt hat, dasselbe nach einem andern Gegenstande richtet z. B. nach einem Gesichte, so erscheint dieses Gesicht verzerrt, es scheint zu schwellen oder zu schrumpfen. Es ist dabei diese Irritierung der Netzhaut beschränkt auf den Teil derselben, auf dem sich das Bewegungsbild befand, und es widerlegt sich hiedurch die Anschauung, dass diese Bewegungsnachbilder auf unwillkürlich ausgeführten Bewegungen der Augenmuskeln beruhen. Diese negativen Bewegungsnachbilder schließen sich unmittelbar an den Bewegungs- eindruck selbst an, und daher entsteht eine Täuschung, die recht frappant ist. Setzt man eine mit 10—20 deutlich gemalten Radien versehene Scheibe in mäßig schnelle Rotation (eirca 6 Umdrehungen i. d. Min.), fixiert das Zentrum und blinzelt dabei so rasch hinter- einander als man kann (oder betrachtet sie durch eine mit Aus- schnitten versehene rotierende Scheibe), so hat man den Eindruck, dass die Scheibe im Ganzen nicht vorwärts kommt, dass sie zwar das Bestreben hat, sich in der einen (thatsächlich richtigen) Richtung zu drehen, aber bei jedem Lidschlag ruckartig zurückgeworfen wird). Es rührt dies daher, dass das negative Nachbild von entgegengesetzter Bewegung sich sogleich an den Bewegungseindruck selbst anschließt. Es ist übrigens zur Hervorrufung des Bewegungsnachbildes nicht nötig, ein Objekt zu fixieren, an welchem dann die Scheinbewegung eintritt. Es genügt, wenn man die Augen schließt, wenigstens für diejenigen, die den Lichtschimmer des dunklen Gesichtsfeldes zu beobachten gewohnt sind. Sie erkennen dann in diesem Nebel das negative Nachbild der Bewegung in einem entsprechenden Wogen desselben?). Ja es ist auch nicht nötig, dass das Objekt, welches das Nachbild hervorruft, uns bewegt erscheint. Geht man durch längere Zeit mit gesenktem Blicke auf einer Straße, und fixiert dabei z. B. einen in der Hand getragenen Gegenstand, so scheint sich, wenn wir stehen bleiben, der Boden von uns zu entfernen, obwohl uns der Boden doch nicht bewegt im gewöhnlichen Sinne des Wortes erschien?). Diese Erfahrung in einen Versuch umzugestalten, führte ich durch eine passende Vorrichtung ein kleines fixiertes Zeichen immer wieder von links nach rechts an einem liniierten Papier so vorbei, dass eine Linie nach der andern den Fixationspunkt passierte. Bei plötzlichem \ 1) Sigm. Exner, Einige Beobachtungen über Bewegungsnachbilder. Cen- tralblatt f. Physiol., 1887, S. 135. 2) Zehfuss. Wiedem. Ann. IX. 3) Da sich beim Gehen im allgemeinen die Gegenstände unseres Sehfeldes auf der Netzhaut verschieben, wir sie aber doch nicht bewegt sehen, so zeigt das, dass wir in diesem Falle die Bewegungsempfindungen ignorieren. Befindet sich aber ein Gegenstand m einer andern Entfernung, als wir vorausgesetzt haben, so zeigt er, wegen der nicht zutreffenden Winkelgeschwindigkeit, doch eine Scheinbewegung. Daher rührt es, dass wir häufig, besonders in der Däm- merung, eine Bewegung zu sehen glauben, und uns dann überzeugen, dass ein z. B. in den Weg hereinhängender Ast die Veranlassung war. 442 Exner, Ueber optische Bewegungsempfindungen Feststellen des Fixationszeichens sieht man dann ein Bewegungsnach- bild von der Richtung, in welcher jenes bewegt wurde. Es hat frei- lich einen etwas andern Charakter als die gewöhnlichen Bewegungs- nachbilder, indem ich nicht so sehr die Linien bewegt, als vielmehr einen eigentümlichen subjektiven Nebel vor oder hinter den Linien in der genannten Richtung ziehen sehe. Lenkt man seine Aufmerk- samkeit auf die Linien und das ruhende Fixationszeichen, dann ge- wahrt man allerdings eine geringe Verschiebung beider gegeneinander als Ausdruck des Nachbildes; ich muss es aber dahingestellt sein lassen, ob sich dabei die Linien nach rechts, oder das Fixationszeichen nach links verschiebt. Dass das Bewegungsnachbild bloß auf die direkt gereizte ‘Stelle der Netzhaut beschränkt ist, hat Dvorak!), ein Schüler Mach’s, gezeigt. Seine Scheibe trug eine Spirale, deren äußerster und innerster Teil in demselben Sinne gewickelt waren, während der mittlere Teil ein Stück einer Spirale von entgegengesetzter Drehung trug. Wird diese Scheibe in Rotation versetzt, so bekommt man den Eindruck, dass die innerste der 3 Zonen anschwillt, die mittlere schrumpfe und die äußerste gleich der innersten anschwelle. Diesen 3 Zonen ent- sprechend sind die negativen Bewegungsnachbilder geschaffen. Einen sehr hübschen Versuch dieser Art hat v. Fleischl?) ausgeführt: er hat nämlich für eine kleine Stelle der Netzhaut sich ein Bewegungs- nachbild von horizontaler Richtung geschaffen und dann mit dieser Netzhautstelle und ihrer Umgebung einen oder eine Anzahl vertikaler Striche angebliekt. Nun musste ein soleher Strich, so weit er in das Bereich der Bewegungsnachbilder fiel, eine entsprechende Ortsver- änderung zeigen, in seinen übrigen Anteilen aber ruhend erscheinen. Dies thut er auch; man sieht ihn mit dem betreffenden Anteil bewegt, dabei bleibt dieser doch immer die grade Fortsetzung der andern Anteile, welehe vom Bewegungsnachbild nicht betroffen werden. Wie ist das möglich? v. Fleischl sagt, die Gesetze der Logik sind an- wendbar auf die Denkprozesse, nicht aber auf die Empfindungen der Sinnesorgane. Uebrigens hat Budde?) einen analogen Versuch unter- nommen, sagt aber, er sei bei demselben nicht zu einem entschiedenen Resultat gekommen, weil die Gradheit des Striches doch ein zu auf- fallender und sich aufdrängender Umstand sei. Was geschieht nun, wenn man in beiden Augen verschiedene Be- wegungen der Netzhautbilder erzeugt? Es ist bekannt, dass man stereo- skopisch jedem Augeeine Farbe bieten kann. Viele Leute sehen dann die Mischfarben, sie können aus gelb und blau weiß mischen. Ob diese Misch- ung eine vollständige ist oder nicht, lassen wir dahingestellt. Jedenfalls stumpfen sich diese Farben gegenseitig ab, beeinflussen sich also. Wie I) Wiener akad. Sitzungsber., Bd. 61, 1870. 2) v. Fleischl, Physiologisch -optische Notizen. Wiener akad. Sitzber., Bd. 86, 1882, Abt. II. 3) Du Bois-Reymond’s Archiv f. Phys., 1884, 8. 132. Exner, Ueber optische Bewegungsempfindungen. 443 steht diesinbezug auf die Bewegungsempfindungen? Wenn man eine mit Radien versehene rotierende Scheibe mit einem Auge direkt, mit dem andern durch ein Reversionsprisma betrachtet, so sieht man mit dem ersten Auge die Bewegung in natürlicher Art, mit dem Auge, das durch das Prisma bewaffnet ist, sieht man die Scheibe sich in ent- gegengesetzter Richtung drehen. Man bekommt dann binokular einen unruhigen Eindruck, und blickt man nach einigen Sekunden auf ein ruhendes Objekt oder hält die Scheibe fest, und fixiert diese weiter, so bekommt man kein deutliches Bewegungsnachbild. Schließt man das eine Auge, so bekommt man das Nachbild desselben; schließt man das andere, so sieht man dessen Nachbild, also eine Schein- bewegung, die entgegengesetzt ist der ersten. Man kann die ruhende Scheibe durch abwechselndes Schließen und Oeffnen der beiden Augen ihre Richtung scheinbar wechseln lassen. Es entspricht das den Ver- hältnissen, wie sie bei Farbennachbildern sind. Man kann, wenn man im Stereoskop aus zwei Farben z. B. Blau und Gelb Weiß gemischt hat, sich überzeugen, dass man mit dem einen Auge das negative Nachbild des Blau, mit dem andern das negative Nachbild des Gelb sieht. Man kann aber bei den Bewegungsempfindungen etwas be- obachten, das bei den Farbenempfindungen nicht vorkommt. Wenn man nur mit einem Auge die genannte Scheibe beobachtet, dann das ermüdete Auge schließt und mit dem unermüdeten nach einem ruhen- den Objekte blickt, so sieht man an diesem die entgegengesetzte Bewegung. Man kann das Nachbild eines Auges also auf das andere Auge übertragen. Es ist Analoges für Farben behauptet worden, diese Behauptung beruht aber meines Erachtens auf einer Täuschung). Nun kann man den Versuch über Bewegungsnaehbilder auch wesentlich anders gestalten. Man denke sich ein Rad nicht gemalt, sondern mit Speichen aus Draht versehen in Rotation versetzt, und der Beschauer bringe die Ebene des Rades in die Medianebene des Körpers, so dass die Speichen der jeweiligen obern Hälfte desselben sich z. B. gegen seine Nase bewegen, dann bekommt er den Eindruck einer Bewegung in der Tiefendimension. Dieser Eindruck wird her- vorgerufen dadurch, dass auf seiner rechten Netzhaut sich die Bilder der Drähte verschieben, entsprechend der Verschiebung des Gegen- standes von rechts nach links. Auf der linken Netzhaut verschieben sie sich, entsprechend einer Verschiebung des Gegenstandes von links nach rechts. Hält man das Rad plötzlich fest, dann tritt die schein- bare entgegengesetzte Bewegung des Rades ein. Das Rad dreht sich zurück. Das würde dafür sprechen, dass es auch ein Bewegungs- nachbild gibt m der dritten Dimension, der Tiefendimension. Ich habe den Versuch auch in folgender Form angestellt: Ich blicke 1) Sigm. Exner, Ueber den Sitz der Nachbilder im Centralnervensystem. Repertorium der Physik XX. Protokoll d. chem. phys. Gesellschaft in Wien v. 18. März 1884. 444 Exner, Ueber optische Bewegungsempfindungen. auf einen Papierstreifen ohne Ende, welcher mit verschiedenen sich kreuzenden Liniensystemen rastriert ist. Bei passender Stellung der Augen gegen den horizontalen Anteil des Papierbandes bekomme ich einen sehr lebhaften Eindruck der Bewegung zu mir oder der Be- wegung von mir, also den Eindruck der Tiefendimension. Halte ich dieses Papier plötzlich fest, so sehe ich auch eine rückgängige Be- wegung. Trotzdem gibt es, wie mir scheint, ein eigentliches Nachbild für die Tiefendimension nicht, d. h. ein Nachbild, in welchem wir jeden angeblickten Gegenstand sich entfernen sehen, wenn wir vorher einen sich nähernden betrachteten, und umgekehrt, analog den Schein- verschiebungen nach oben und unten, oder nach rechts und links. Die beiden Bewegungen nämlich, die man hier gesehen hat, die scheinbare Nachbilder der Tiefendimension waren, erklären sieh ganz einfach nach demselben Prinzipe, nach dem sich die früher besprochenen Bewegungsnachbilder erklären. Wenn ich über die Netzhaut Linien hinziehen lasse, wenn ich die Netzhaut, so zu sagen, bürste mit Linien, dann bekomme ich eben immer das Nachbild von der entgegengesetzten tiehtung. Nun liegt hier zwar thatsächlich eine Bewegung in der Tiefendimension vor, aber es wurde dabei doch eine Bürstung der Netzhaut hervorgebracht, und wenn man erwägt, welches Nachbild die seitliche Verschiebung der Linien im Netzhautbilde jedes Auges hervorrufen muss, so erkennt man auch, dass die binokulare Kombi- nation dieser beiden Nachbilder notwendig in einer Scheinbewegung in der Tiefendimension von entgegengesetzter Richtung bestehen muss, wenn, wie in unserem Beispiele, dasselbe Objekt weiter fixiert wird, das durch seine Bewegung das Nachbild hervorgerufen hat. Mit andern Worten: die Scheinbewegung in der Tiefendimension erklärt sich in den angeführten Fällen vollkommen aus den für jede Netzhaut isoliert bestehenden Scheinbewegungen in den senkrecht zu den Blieklinien stehenden Richtungen. Dass ich wenigstens ein wirk- liches Nachbild der Tiefendimension nicht habe, geht aus folgendem hervor: Ich kann die genannte auf mich zu rückende Fläche mit ihren Liniensystemen noch so lange anblicken; wenn ich dann plötzlich auf ein gedrucktes Blatt Papier blicke, sehe ich nur eine Verschiebung desselben nach oben, entsprechend der Bürstung meiner Netzhaut, aber niemals eine Entfernung dieses Objektes. Mannigfache Varia- tionen dieses Versuches ergaben immer dasselbe Resultat. Ich muss gestehen, dass ich diese Versuche unternahm im Glauben, Nachbilder für die dritte Dimension finden zu müssen. Das ist aber nicht der Fall gewesen, es gibt nur negative Nachbilder für die Verschiebung der Netzhautbilder, nicht aber für die Bewegung in der dritten Dimen- sion. Der Laie weiß beim Anblicke der heranrückenden Fläche, oder der sich der Nase nähernden Speichen des Rades von nichts Anderem, als von einem Heranrücken; von einer Bewegung der Liniensysteme nach abwärts, der Speichen nach links für ein Auge nach rechts für das andere, weiß der Laie nichts. Und doch sieht er im Nach- Exner, Ueber optische Bewegungsempfindungen. 44) bilde beim Anblicke neutraler Objekte nur seitliche Verschiebungen und keine Spur einer solchen in der Tiefendimension. Die Alteration unseres Nervensystems, die zum Nachbilde führt, betrifft also nicht jene Organe, deren Reaktionen uns die Vorstellung der Tiefendimen- sion erwecken, sondern erstreckt sich nur auf jene physiologischen Beziehungen, durch welche der Eindruck des Nebeneinander auf der Netzhaut gesichert ist. Mit andern Worten: zur Erklärung der be- schriebenen Scheinbewegungen in der Tiefendimension reicht die An- nahme aus, es habe nur jener Mechanismus unseres Nervensystemes durch die vorausgehende Betrachtung der bewegten Objekte eine Modifikation seiner Leistungen erfahren, welcher zunächst der flächen- haften Auffassung unseres Gesichtsfeldes dient; jener Mechanismus aber, dessen Spiel uns eine Bewegung in der Tiefendimension zum Bewusstsein führt (und von dem wohl der erste ein Teil sein dürfte) ist als Ganzes dieser spezifischen Modifikation nicht verfallen. Auch noch auf andere Weise kann man scheinbar ein Bewegungs- nachbild in der dritten Dimension bekommen. Herr Hofrath v. Brücke teilte mir folgende schon vor vielen Jahren von ihm gemachte Be- obachtung mit. Wenn er im letzten Coupee eines Eisenbahnzuges fährt und nach rückwärts blickt, scheinen natürlich die Gegenstände von dem Beschauer zu fliehen; wenn der Zug stehen bleibt, scheinen sie an ihn heranzurücken. Auch das rührt, wie mir scheint, vom Verschieben der Bilder auf der Netzhaut her. Während des Fahrens zogen sich die Netzhautbilder zusammen; es wurden die Gegenstände kleiner, sie schrumpften; dann im Nachbilde kam die entgegengesetzte Bewegung, die Gegenstände schwellen, sie wurden größer. So glau- ben wir, dass wir uns ihnen nun nähern. Also auch in diesem Falle haben wir nur Nachbilder, insofern sich die Netzhautbilder auf der Netzhaut verschoben. Damit, dass die hier in Rede stehenden Erscheinungen auf einer Alteration der Netzhaut, beziehungsweise ihrer zentralen Verbindungen beruhen, hängt es zusammen, dass die Schwelle für eine Bewegungs- empfindung nennenswert hinaufrückt, wenn man keinen oder nur wenig ruhende Gegenstände im Sehfelde hat. Es hat sich Aubert davon folgendermaßen überzeugt. Er hat untersucht, wie rasch eine Be- wegung sein muss, um sie als Bewegung noch unmittelbar zu em- pfinden. Das Resultat war, wie schon hervorgehoben, 1—2 Winkel- grade pro Sekunde. Nun hat er ein Kästchen vor das Auge gesetzt, welches ihm das ganze Sehfeld so vollständig zudeckte, als es mög- lich war, und er nichts sah, als das bewegte Objekt. Allerdings war so nicht zu vermeiden, dass er auch den Rand des Kästehens, wenn auch verschwommen, als ruhendes Objekt im Sehfeld hatte. Unter diesen Verhältnissen bekam er eine untere Schwelle für die Bewe- gungsempfindungen, die 1Omal so groß ist, also ungefähr 10 - 20 Win- kelgrade in der Sekunde. Es hängt damit die Beobachtung zusammen, auf welche Hering bei Besprechung der Bewegungsempfindungen 446 Exner, Ueber optische Bewegungsempfindungen. hinweist, dass man den Mond, wenn er hinter bewegten Wolken steht, den Wolken gegenüber bewegt, gleichsam wändern sehen kann. Man könnte noch hinzufügen, dass diese Täuschung um so leichter auftritt, je mehr Wolken vorhanden sind, d. h. je weniger Sterne als fixe Punkte am Himmel zu sehen sind, und je weiter der Mond von ander- weitigen ruhenden Objekten entfernt ist. Man muss auf dieses Bei- spiel hin die Frage aufwerfen, wie ist es möglich, dass man sich darüber täuscht, dass der Mond ruht und die Wolken ziehen, da man ein so feines Gefühl für die Bewegung der Augenmuskeln haben soll. Wenn man den Mond fixiert, so sind die Augenmuskeln in Ruhe, wenn man aber die ziehenden Wolken fixiert, so dass das Auge den Wolken folgt, sind die Augenmuskeln in Aktion. Wie ist es möglich, dass wir uns über Ruhe und willkürliche Innervation so täuschen können? Es führt dies auf eine, ich möchte sagen dritte Art des Sehens von Bewegungen, die sich mit der ersten Art, die wir als Bewegungswahrnehmung bezeichnet haben, in gewissem Sinne deckt. Wenn man nämlich einen Vogel, der fliegt, mit dem Blicke fixiert, so verschiebt sich sein Bild auf der Netzhaut nicht, sondern wir fol- gen mit dem Blicke dem Vogel und, wie man gewöhnlich annimmt, ziehen wir aus den Innervations- und Muskelgefühlen, die wir bei der Fixierung des Vogels haben und aufwenden, einen Schluss auf die Geschwindigkeit, mit der sich der Vogel bewegt. Es ist klar, dass diese Art, zum Bewusstsein einer Bewegung zu gelangen, grund- verschieden ist von der eben besprochenen. Es ist eben etwas ganz Anderes, ob sich ein Bild auf der Netzhaut verschiebt und die Augen- muskeln dabei in Ruhe sind, oder das Bild ruht und die Muskeln in Aktion stehen. Dabei ist es von vorn herein durchaus nicht selbst- verständlich, dass man auf diese beiden Arten zu demselben Eindrucke der Geschwindigkeit gelangt, wenn die thatsächlicben Geschwindig- keiten dieselben sind. Ja es ist das nicht nur nicht selbstverständ- lich, sondern es ist nicht wahr, dass ein Gegenstand, wenn er fixiert wird, dieselbe Geschwindigkeit zu haben scheint, wie wenn sein Bild über die Netzhaut streift. E. v. Fleischl hat dies durch einen ebenso einfachen wie schlagenden Versuch nachgewiesen. Hat man die Trommel eines Kymographions mit senkrechten Linien versehen (z. B. durch Ueberspannung mit einer Schreibunterlage), lässt die Trommel so hinter einem Schirm rotieren, dass durch einen Ausschnitt desselben immer nur eine Gruppe von 8—16 Linien sichtbar ist, so bekommt man einen wesentlich andern Eindruck von der Geschwin- digkeit der Bewegung, je nachdem man eine Linie bei ihrem Auf- tauchen mit dem Blicke erfasst und bis zu ihrem Verschwinden fest- hält, oder einen gewählten Punkt (z. B. einen in der Mitte des Aus- schnittes angebrachten Stecknadelkopf) fixiert und so die Netzhaut durch die Bilder der Linien bürsten lässt. Nach v. Fleischl und andern, welche eine Schätzung versuchten, verhalten sieh diese beiden Exner, Ueber optische Bewegungsempfindungen. 44T Geschwindigkeiten wie 1:2. Fixiert man den Nadelknopf, so erscheint die Geschwindigkeit zweimal so groß als im andern Falle. Neuere Untersuchungen haben ergeben, dass auch im Falle dieser Bewegungswahrnehmung unter Intervention der Blickbe- wegungen die ruhenden Gegenstände, die sich im Sehfelde be- finden, eine ganz wesentliche Rolle mitspielen. Es scheint, dass wir nicht so sehr eine genaue Kenntnis von den Augenmuskelinner- vationen haben, durch welche wir dem Gegenstande mit dem Blicke folgen, als vielmehr, dass wir unsere Innervationen kontrollieren durch die Geschwindigkeit, mit der sich die Netzhautbilder der als ruhend bekannten Gegenstände infolge der Blickbewegung auf der Netzhaut verschieben. Dass dem so ist, geht aus Versuchen hervor, die ge- macht wurden unter Ausschluss eines jeden als ruhend bekannten Objektes. Zuerst hat Budde!) einen derartigen Versuch gemacht, indem er sich unter einen Zylinder setzte, der 2 Meter im Dureh- messer und 1,5 Meter Höhe maß und auf der Zimmerdecke aufgehängt war. Der Zylinder wurde in Rotation versetzt. Doch kam er, wie er sagt, zu keinem verlässlichen Resultate, da hier jede Sicherheit (der Beurteilung von Ruhe und Bewegung aufhöre und sich ein Schwin- delgefühl einstelle, in dem man unfähig sei verlässliche Beobachtungen zu machen. Seitdem haben Charpentier?) und Aubert?) analoge Versuche in anderer Weise ausgeführt. Sie haben sich hiezu ein dunkles Zimmer gewählt, in dem nichts sichtbar war außer einem hellen Objekte. Aubert benützte einen glühenden Platindraht. Ein Gehilfe im Nebenzimmer konnte von da aus diesen glühenden Platin- draht in Bewegung setzen oder in Ruhe bringen und Aubert stellte sich die Aufgabe zu beurteilen, ob dieser Draht sich bewege oder nicht. Er kam zu dem Resultate, dass unter solehen Umständen die untere Schwelle für die Bewegungsempfindung gegen die früher angeführten Werte noch weiter um bedeutendes steigt, und dass relativ schnelle Bewegungen, die unter gewöhnlichen Verhältnissen eine prägnante Bewegungsempfindung veranlasst hätten, jetzt nur mit der äußersten Unsicherheit erkannt werden; dass man häufig urteilt, das Objekt bewege sich, wenn es sich nicht bewegt und umgekehrt. Woher mag dies rühren? Es dürfte wohl in folgendem seinen Grund haben. Wenn unter gewöhnlichen Verhältnissen ein paar Augenmuskeln nur um weniges ihren Tonus ändern, so gewahren wir das durch die Scheinbewegungen, welche die als ruhend bekannten Gegenstände machen, da ja infolge der eingetretenen Augenbewegung die Netz- hautbilder derselben über die Retina streichen. Ist aber kein als ruhend bekanntes Objekt im Sehfeld, so fällt jede Kontrole dafür fort, ob die wahrgenommene Bewegung des Netzhautbildes auf un- C. Comp. rend. CII p. 1155. m DE 3)r lc: 448 Exner, Ueber optische Bewegungsempfindungen. merklichen und unwillkürlichen Aenderungen in der Spannung der Augenmuskeln oder in der Bewegung des Objektes beruht. Man könnte dagegen einwenden, diese Scheinbewegungen treten auch auf, wenn man das ruhende Objekt kontinuierlich in der Fixation erhält, können also nicht von Augenbewegungen herrühren. In der That hat Charpentier aus diesem Grunde ihren Ursprung anderweitig ge sucht. Ich glaube auch nicht, dass es sich ausschließlich um a Zustand der Augenmuskeln handelt, sondern dass alle Muskelgefühle, Haut- und Gelenksempfindungen, welche uns über die momentane Stellung der Augen des Kopfes und Rumpfes orientieren, dabei in betracht kommen. Es handelt sich bei diesen Scheinbewegungen um eine Desorientierung bezüglich des Verhältnisses irgendwelcher jener Empfindungen gegen die andern. Dabei spielt die Frage, ob wir das Objekt dauernd fixieren oder nicht, gar keine Rolle, denn wenn die Bulbi ohne unsern Willen, also wegen unbewussten Nachlassens des Tonus gewisser Muskeln, nach rechts abzuweichen im Begriffe stehen, so werden wir, bei dem Bestreben zu fixieren, dieselben will- kürlich nach links drehen und den Eindruck haben, als würde sich das Objekt nach links bewegen, da wir eben diese Links-Aktion aus- führen müssen, um die Fixation zu erhalten. Dasselbe gilt von allen andern in betracht kommenden Muskeln. Ich habe mich überzeugt, (lass ein glühender Platindraht und sein Spiegelbild im vollkommen dunklen Raume (sie waren 5—10° von einander entfernt) immer die sleichsinnigen Scheinbewegungen ausführen. Auch Aubert hat solche gleichsinnige Bewegungen beobachtet. Wir haben also zu unterscheiden 1) eine Bewegungswahrnehmung, bei welcher die Bewegung dadurch erkannt wird, dass wir den Gegen- stand zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten im Raume, in verschiedenen lokalen Beziehungen zu den als ruhend bekannten Gegenständen sehen und 2) eine Bewegungsempfindung. Letztere beruht wahrscheinlich ausschließlich auf einem subkortikalen Vorgang innerhalb jener Zentralorgane, welche in ihrer Funktionsweise die Basis zur flächenhaften Anordnung der Netzhauteindrücke abgeben, indem sich in ihnen, d. i. außerhalb des Bewusstseins, Prozesse nach bestimmten Gesetzen abspielen; Prozesse, welche die von den Sinnes- organen kommenden Erregungen zur Aufnahme in das Bewusstsein vorbereiten, und welche in Analogie stehen zu jener Verarbeitung der zentrifugalen motorischen Impulse, welche, wie eingangs hervor- gehoben, in den subkortikalen Zentren gewisse Bewegungskombina- tionen vorgebildet antreffen und so die für die Erhaltung der Art und des Individuums wichtigsten und zweckentsprechendsten Aktionen, wie das Laufen, das Umstricken der Schlange u. s. w. wenigstens in ihren Hauptzügen von der augenblicklichen Disposition des Organs des Bewusstseins unabhängig machen. Verlag von Eduard Besold i in Erlangen. — Druck von n Junge & Sohn i in , Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. VII. Band. 1. Oktober 1888. Nr. 15. Inhalt: Nusbaum, Die Entwicklung der Keimblätter bei Meloe proscarabaeus Marsham. — Rosenstadt, Beiträge zur Kenntnis der Organisation von Asellus aquaticus und verwandter Isopoden. — Marie Raskin, Zur Züch- tung der pathogenen Mikroorganismen auf aus Milch bereiteten festen und durchsichtigen Nährböden. — Ritzema Bos, Aenderungen in der Nahrung bei einigen Säugetieren. — von Dalla Torre, Untersuchungen über den Mageninhalt verschiedener Vögel. Die Entwieklune der Keimblätter bei Meloe proscarabaeus to) Marsham. Von Dr. Jöozef Nusbaum in Warschau. Nachdem ich schon seit drei Jahren mit der Embryologie der Meloiden beschäftigt und inbetreff der EntwickInng dieser Insekten zu positiven Resultaten gekommen bin, erlaube ieh mir hiermit einen kurzen Bericht über die Keimblätter der Meloiden der Oeffentlichkeit zu übergeben, da die Ausführung meiner vollen Arbeit und besonders der zahlreichen Tafeln von Abbildungen noch einige Zeit einneh- men wird. Da die Entstehungsweise der Keimblätter bei den Insekten trotz vieler Beobachtungen in dieser Richtung noch sehr dürftig ist, und da in der letzten Zeit einige Forscher diese Frage speziell erörtert haben (Hertwig, Heider, Kowalewsky, Holodkowsky, Voeltzkow u. a.), hielt ich es für angemessen, einen kurzen Bericht über die Keimblätter bei Me/oe meiner vollständigen nächstens zu erscheinenden Arbeit über die Entwicklung dieser Insekten voraus- zuschicken. Meloe bietet ein ausgezeichnetes Objekt für embryologische Stu- dien, da es sich im Terrarium sehr gut fortpflanzt und hier Haufen von sehr zahlreichen länglichen Eiern legt, die sich alle (von einem und demselben Haufen) gleichmäßig entwickeln, so dass man hiedurch sehr genau Schritt für Schritt den vollständigen Entwicklungsgang beobachten kann. Die Entwieklung dauert 29—30 Tage, und erst am 16. bis 17. Tage, also am Anfange der zweiten Hälfte der Entwick- vin, 29 450 Nusbaum, Keimblätter bei Meloe proscarabaeus. lungsperiode, werden alle drei Keimblätter vollständig differenziert. Die Eier und die Embryonen wurden durch verschiedene Methoden gehärtet und gefärbt, mittels eines Mikrotoms in vollständige Quer- und Längsschnittserien zerlegt und in Canada-Balsam einge- schlossen. Der Segmentationskern samt dem ihn umgebenden Plasma teilt sich zuerst in zwei Zellen, und diese liefern durch weitere Teilung viele vakuolenreiche Zellen, die im Dotter zerstreut sind und feine protoplasmatische, sich verzweigende Ausläufer besitzen; diese letz- tern anastomosieren unter einander, so dass ein Netz von feinen proto- plasmatischen Strängen sich bildet, zwischen denen die Elemente des Dotters liegen. An der Peripherie des Eies dieht unter der Dotter- membran kann man eine dünne Schicht feinkörnigen Plasmas beobachten. Ein Teil der Zellen bleibt im Dotter, um die sogenannten Dotter- zellen zu bilden, ein anderer Teil nähert sich der Oberfläche des Eies und bildet hier eine Schicht Blastodermzellen. An der Bauchseite des Eies kommt schon am dritten Tage die Bauchplatte und die Anlage des Amnions zum Vorschein. Sehr früh- zeitig sieht man eine Segmentierung der Bauchplatte. Außer der An- lage für die Oberlippe, Antennen, Mandibeln, Maxillen, Unterlippen und den 3 Paaren von Thorakalfüßen erscheint auch auf dem ersten Abdominalsegmente ein Paar provisorischer Abdominalfüße und auch seitliche paarige Anhänge auf allen Abdominalsegmenten. Schon am Ende des dritten Entwicklungstages erscheint die Bauchrinne gleich- zeitig mit der Anlage des Amnions. Die Entwicklung der Rinne schreitet vom Hinterende des Embryos nach vorn. Während am 4. Tage der Entwicklung die Rinne im Hinterteile schon verschlossen wird, bleibt sie in der Mitte und im Vorderteile des Embryos noch offen. In der hintern und mittlern Gegend des Embryos läuft dann die Rinne in ein Rohr mit einem sehr engen Lumen aus, in der vordern Gegend bildet sich aus der Wandung der hier etwas seichtern Rinne eine solide Zelleneinstülpung gegen den Dotter. Die Rinne entspricht, wie auch bei andern Insekten, der Gastrula-Einstülpung, die also am mächtigsten am Hinterende des Embryos ausgedrückt ist. Aus der Gastrula-Einstülpung entsteht zuletzt ein solider Zellen- strang — Entomesoderm oder richtiger primäres Entoderm. Am hin- tersten Ende des Embryos sondert sich am 7.— 8. Entwicklungstage ein solider Zellenhaufen von diesem primären Entoderm ab, und seine Zellen zerstreuen sich im Dotter (9., 10. Tag) und vermengen sieh mit den Dotterzellen. Dieser Zellenhaufen ist so mächtig, dass ich anfangs dachte, ich hätte die Anlage des sekundären Entoderms vor meinen Augen; sehr genaue Untersuchung (auf Sehnittserien) überzeugte mich aber, dass die Zellen dieser Anhäufung einer vollen Zerstreuung im Dotter unterliegen und mit der Bildung des Mesenterons nichts zu thun haben. Nusbaum, Keimblätter bei Meloe proscarabaeus. 451 Das primäre Entoderm differenziert sich in zwei mächtigere, paarige, laterale, solide Anlagen und ein kleineres mittleres. In den lateralen Anlagen zeigt sich segmentweise ein enges Lumen, anfangs nur in der Gegend der Außenseite derselben, und dann breitet es sich auch in der Richtung nach innen zu aus. Am 14. Tage der Entwicklung zeigt sich also folgendes Bild auf einem Querschnitte durch den Keim- Ri ele ap ne d- op. te GT SP RERTeT eeen4cldern N u Fig. 1. Querschnitt durch den Keimstreifen von Meloe (am 14. Tage der Ent- wieklung); ek. = Ektoderm; som. = Somatopleura; sp: mt. = die Anlage der Splanchnopleura und des Entoderms; a = zentrale Anlage. D streifen (Fig. 1): unter dem verdickten Ektoderm liegen lateral- wärts die seitlichen Anlagen mit spaltförmigen Lumina, in der Mittel- linie, unter dem Blastoporus ein mittleres solides Zellenhäufchen («). Die äußere Wandung einer jeden lateralen Anlage (som.) entspricht der Somatopleura; es ist aber sehr falsch, die innere Wandung (sp. mt.) als homolog der Splanchnopleura zu bezeichnen; denn sie liefert nicht nur die Muskelschicht des Mitteldarmes, sondern auch die Epithel- schicht desselben. Fig. 2. Fig. 2. Querschnitt durch den Keimstreifen des Moloe (am 17. Tage der Ent- wicklung); ek. = Ektoderm, ent. = Entoderm, @ = zentrale Anlage des Ento- derms, spl. = Splanchnopleura, som. = Somatopleura, n — Nervensystem. 29° 452 Rosenstadt, Organisation von Asellus aquaticus. Am 16. und 17. Entwicklungstage beobachtet man außerordentlich klar, dass diese innere Wandung sich sehr stark von der äußern mehrschichtigen und zum Teil locker gewordenen abhebt. Indem die peripherischen Teile dieser innern Wandung noch im Zusammenhang mit der Somatopleura bleiben, werden die zentralen Ränder ganz frei (Fig. 2). Während in den peripherischen Teilen die innere Wan- dung einschichtig bleibt, wird sie in den mehr zentralen Teilen zwei- schichtig, und auf diese Weise differenziert sich hier eine Anlage der Splanchnopleura; der ganze Rest dieser Wandung wird zum sekun- dären Entoderm und liefert also die Epitelschieht des Mitteldarmes. Wir sehen also, dass die Wandung des Mitteldarmes aus paarigen, lateralen Anlagen gebildet wird; dieselben stoßen in der Mittellinie der Bauchseite mit ihren zentralen Rändern fast zusammen. Die zentrale, unpaarige und unansehnliche Anlage («) dient nur zur Vereinigung der paarigen Entodermanlage des Mitteldarmes. Indem aber fast in der ganzen Länge des Embryos die Mesenteronwand hauptsächlich aus den lateralen Anlagen den Anfang nimmt, bildet am Vorderende des Embryos (dieht hinter dem Stomodaeum) diese zentrale unpaarige Anlage hauptsächlich die epitheliale vorderste Wandung des Mittel- darmes, indem sie sich stärker lateralwärts ausbreitet. In dem Dotter, der einer Art Segmentation unterliegt, findet man noch sehr lange die Dotterzellen, selbst wenn der Dotter schon von allen Seiten durch die Epithel- und Muskelschicht umgeben ist. Diese Dotterzellen unterliegen später einem Zerfalle und einer Absorbierung. Das Genauere über die Keimblätterbildung, die Entwicklung anderer einzelner Organe wie auch die Literaturangaben des betreffenden Gegenstandes nebst theoretischen Betrachtungen werde ich in meiner vollständigen Arbeit mitteilen. Beiträge zur Kenntnis der Organisation von Asellus aqualicus und verwandter Isopoden. Von B. Rosenstadt. Diese Mitteilung enthält einige Resultate meiner Untersuchungen über die Organisation von Asellus aquaticus und anderer Isopoden, die ich im zoologischen Institute der Wiener Universität ausgeführt habe. Ueber Asellus aquaticus teile ich hier nur das Wichtigste davon mit, was von den G. O. Sars’schen !) Angaben abweicht. 1) G. 0. Sars, Histoire naturelle des Crustaces d’eau douce de Norvege. 1° Livraison: Les Malacostraces. Christiania 1867. p. 93—123. Vergl. ferner: J. Ritzema Bos, Bidrage tot de Kennis van de Crustacea Hedyophtalmata van Nederland en zyne Kusten. Groningen 1874. p. 72— 88. Dieser Autor wiederholte über Asellus im wesentlichen das, was G. O0. Sars bereits be- kannt war, Rosenstadt, Organisation von Asellus aquaticus. 45 I. Das Gefäßsystem. 1) Das Herz beginnt an der Grenze zwischen dem vierten und fünften Segmente und ragt bis in die reduzierten Abdominalsegmente hinein. 2) Die venösen Ostien, deren nur zwei Paare vorhanden sind, sind unsymmetrisch gelagert: die Östien auf der rechten Seite im sechsten und siebenten Segmente liegen nicht vis A vis denen auf der linken, sondern mehr nach hinten verschoben. 3) Die Fortsetzung des Herzens bildet die Aorta, welche an ihrem Ursprunge eine Klappenvorrichtung besitzt. In ihrem Verlaufe durch die vordern Thorakalsegmente wird die Aorta allmählich schmäler und, in der Gegend des kardiakalen Abschnittes des Kau- magens angelangt, erweitert sie sich blasenförmig. Sie entsendet dann jederseits eine Arteria ophthalmica, die ihrerseits wieder ein Paar Zweige für die Schalendrüse abgibt. Weiter verlaufend durchbricht die Aorta das Gehirn, um ventralwärts den bereits N. Wagner!) bekannten und neuerdings von Yves Delage?) bei andern Isopoden gefundenen periösophagealen Gefäßring zu bilden. Ferner gibt die Aorta Zweige für die beiden Antennen und Gehirnganglien ab. 4) Aus dem vordern Ende des Herzens entspringen außer der Aorta noch zwei Arteriae laterales. Sie geben für das vierte Segment ein Gefäß ab und setzen sich dann mehr ventralwärts zu den Seiten des Körpers fort, wo sie Zweige für die drei vordern Segmente und die innern Organe entsenden. 5) Es entspringen ferner aus dem Herzen drei Paare Arteriae thorac. und aus dem hintern Ende noch ein viertes Paar, welches das Blut zu den reduzierten Abdominalsegmenten und zu den Uro- poden führt. 6) Der periösophageale Gefäßring, nachdem er für die Mundwerkzeuge Zweige abgegeben hat, setzt sich auf der ventralen Seite in eine Arteria ventralis fort, welehe oberhalb der Bauch- ganglien verläuft und in jedem Segmente ein Paar sich reichlich ver- zweigender Gefäße entsendet; diese Arterie gibt auch Zweige für die Kiemen ab. Die Thorakalgefäße entsenden ventralwärs sieben Paare Zweige, welche. sich mit der Arteria ventralis vereinigen, um das ventrale arterielle Gefäßsystem zu bilden. 7) Gefäße (vaisseaux branchio-pericardiques von Yves Delages), welche das Blut von den Kiemen ins Perikard zurückführen sollen, finden sich hier nicht. Das Blut, von den Kiemen kommend, AN Wagner, Recherches sur le systeme eireulatoire chez le Porcellis dilatatus. Annales des Sciences naturelles. V. Serie. T. IV. 1865. 2) Yves Delage, Contribution a l’etude de l’appareil eirculatoire des Crustaces Marivs. Archiv de Zoologie experim. T. IX. Paris 1881. 454 Rosenstadt, Organisation von Asellus «quaticus. strömt mittels seitlicher enger Lakunen in das sogenannte Perikard hinein }). 8) Bei Jaera marina übersah Sye?), die vordere Aorta ausge- nommen, sämtliche aus dem Herzen entspringende Gefäße. Ich unter- suchte Jaera Nordmanni und überzeugte mich, dass hier fast dieselben Verhältnisse vorliegen, welche für Asellus Geltung haben. Abweichend von Asellus verhält sich Jaera nur in folgendem: Trotz der Verlegung des vordern Endes des Herzens in das zweite Thorakalsegment resp. in die Grenze zwischen 1. und 2. Segment (von vorn gezählt) blieb doch der Ursprung der hier ebenfalls vorhandenen Arteriae la- terales an derselben Stelle, aus welcher sie bei Asellus entspringen, d. h. an der Grenze zwischen 4. und 5. Segment (von vorn gezählt). Der Verlauf und die Zahl der von diesen Arterien sich abzweigenden Gefäße ist so wie bei Asellus; ferner kommt bei Jaera ein neues Ge- fäßpaar hinzu, welches bei Ase/llus nicht vorhanden ist: aus dem vor- dern Ende des Herzens entspringt nämlich ein Gefäßpaar, welches parallel und dicht neben der Aorta verläuft und ihre Wandungen am Anfange des Kopfes gegen die Schalendrüse zu verliert. Im übrigen ist das Blutgefäßsystem von Jaera gleich gebaut wie bei Asellus. 9) Auf der Rückenseite des Herzens der Asellus- Embryonen be- merkte ich zwei zarte in spindelförmigen Zellen anschwellende Stränge. Dieselben Gebilde fand ich auch am Herzen von /dothea und Jaeru. Claus fand ähnliche Nerven bei manchen Urustaceen und will sie als Sympathicus in Anspruch nehmen. I.. Das’ Nervensystem. Ed. Brandt?) in seiner letzten Mitteilung über das Nerven- system der Isopoden teilt das Gehirn derselben in drei folgende Ab- 1) Auch Kowalewsky [Kowalewsky, Anatomie von Idothea entomon. (Russisch.) Horae societatis entomologicae rossicae. T. I. p. 255] spricht von „Kanälchen“, die nach ihm, da er das Perikardium nicht gesehen hat, das Blut von den Kiemen direkt in das Herz führen sollen. Ich möchte mir an dieser Stelle eine Angabe bezüglich der Ostienpaare bei Idothea trieuspidata zu machen erlauben, da weder Kowalewsky noch Yves Delage darüber etwas angeben. Bei ganz jungen Tieren beginnt das Herz an der Grenze zwischen dem 4. und 5 Segmente und erstreckt sich bis zum Ende des dritten Abdominalsegmentes. Die zwei Ostienpaare sind ebenfalls unsymmetrisch ge- lagert, und zwar befindet sich auf der rechten Seite das erste Ostium im siebenten Thorakalsegmente, das zweite im dritten Abdominalsegmente; auf der linken Seite dagegen das erste im 6. Thorakalsegmente, das zweite im zweiten Abdominalsegmente. 2) Ch. Sye, Beiträge zur Anatomie und Histologie von Jaera marina. Kiel 1887. 3) Ed. Brandt, Vergleichend - anatomische Untersuchungen über das Nervensystem der Isopoden. (Russisch.) Horae societatis entomologicae. T. XX, 1886; ferner: Derselbe, Ueber das Nervensystem von Idothea entomon etc. Zoolog. Anzeiger, 1880, Nr. 53. Rosenstadt, Organisation von Asellus aquaticus. 455 schnitte: 1) Die zwei mittlern Ganglienkugeln (Hemisphären) mit den pilzhutförmigen Körpern !) innervieren die innern Antennen, 2) die zwei seitlichen — die äußern Antennen und 3) die zwei hintern oder untern geben Nerven für die Augen ab. Ich untersuchte das Gehirn von Jdothea trieuspidata, Nesaea bidentata, Porcellio scaber, Cymothoe?), Jaera Nordmanni und Asellus aquatieus. Das Gehirn der Wasserassel lässt sich in drei Abschnitte, in ein Vorder-, Mittel- und Hinterhirn einteilen. Das Vorderhirn besteht aus den Lobi und Nervi optieci und den zwischen den Lobi sich befindenden innern Anschwellungen. Nach vorn von diesem Abschnitte liegt das Mittelhirn; dasselbe be- steht aus zwei Ganglienkugeln mit den seitlich gelegenen Anschwel- lungen, Lobi olfaetorii, die die innern Antennen innervieren. Weiter nach vorn geht dieser Abschnitt des Gehirns in das Hinterhirn über, welches die mächtigen Nerven für die äußern Antennen entsendet. Das Gehirn der übrigen untersuchten Isopoden lässt sich ebenfalls in die drei erwähnten Abschnitte einteilen, was mit den Angaben von Bellonei?) über das Gehirn von Sphaeroma serratum und Claus) über das Gehirn von Apseudes Latreilli im Einklange steht. Nur die Lage des Gehirns der oben angeführten Isopoden weicht ein wenig von der des Asellus-Gehirns ab. Bei Asellus bilden das Vorderhirn und die Ganglienkugeln des Mittelhirns mit den Anschwellungen für die innern und äußern Antennen beinahe einen stumpfen Winkel, und zwar so, dass das Vorderhirn mit den Ganglienkugeln des Mittelhirns sich mehr dorsalwärts befinden, während der übrige Teil mehr der ven- tralen Seite genähert ist. Es kommt somit das Vorderhirn ganz nach hinten zu liegen, während das Hinterhirn und die Schlundkommissur sich vorn und mehr ventralwärts befinden. Aehnliche Verhältnisse wurden auch bei den Caprelliden von P. Mayer’) und bei manchen Laemodipoden von G. Haller) ge- schildert: das Vorderhirn dieser Tiere erscheint ebenfalls auf die dor- sale Seite umgeschlagen, während das Mittel- und Hinterhirn sich mehr ventralwärts befinden. Dagegen liegen alle Abschnitte des Ge- hirns von /dothea, Porcellio und Nesaea in einer Ebene, die dem Oeso- 1) Meine Frage, ob nicht vielleicht damit die Lobi olfaetorii gemeint sind, wurde mir von Herrn Prof. Brandt verneint. 2) Ich untersuchte junge gut konservierte Cymothoiden, die ich nicht näher bestimmt habe. 3) G. Bellonei, Sistema nervoso e organi dei sensi dello Sphaeroma serratum. Atti dell’ Accademia dei Lincei. Serie III. Memorie della classe fisiche e naturali. Vol. X. 1881. p. 91. 4) C. Claus, Ueber Apseudes Latreilli und die Tanaiden. Arbeiten aus dem Zool. Institute zu Wien. T. VII. Heft II. p. 15. 5) P. Mayer, Die Caprelliden. Fauna und Flora des Golfs von Neapel. VI. Monographie. Leipzig 1852. cf. Taf. VI. Fig. 4, 5 6) G. Haller, Beiträge zur Kenntnis der Laemidopodes filiformes. Zeit- schrift für wissenschaftliche Zoologie. Bd. 33. Leipzig 1830. 456 Rosenstadt, Organisation von Asellus aquaticus. phagus fast vertikal gestellt ist. Das Gehirn von Cymothoe nimmt wiederum eine mehr horizontale Lage ein. Ueber das Gehirn von Jaera marina gibt Sye!) nur folgendes an: „Das Gehirn ist von allen Ganglien bei weitem das größte und hat seinen Platz im vordern und dorsalen Teil des Kopfes; die größte Ausdehnung besitzt das Gehirn in der Breite und entsendet Nerven für die Augen und An- tennen. Die nach den Augen verlaufenden Stränge enden mit einer Verdiekung, dem Ganglion opticum, dem die Augen aufsitzen.“ Das Gehirn von Jaera Nordmanni stimmt ganz überein mit dem von Asellus. Nun weiß ich aber nicht, von welchen Verdickungen, mit denen die nach den Augen verlaufenden Stränge enden sollen, Sye spricht? Seiner Abbildung (Taf. II Fig. 18) ist nichts derartiges zu entnehmen. Es wäre somit nach Sye das Ganglion opticum vom übrigen Gehirne durch den Nervus optieus getrennt, was aber hier keineswegs zutrifft: das Ganglion opticum befindet sich ebenso wie bei Asellus im Vorderhirne selbst. Ich glaube aber, dass Sye das G. optieum übersehen hat und für dasselbe die Retina hielt. — Die Schlundkommissur aller untersuchten Isopoden entsendet ein Paar Nerven für die Oberlippe, die am Hinderende derselben jederseits eine gangliöse Anschwellung bilden, welche mit einander durch quer verlaufende Nervenfasern in Verbindung stehen. Jede Anschwellung entsendet einen Nerv nach vorn, der die Muskulatur der Oberlippe innerviert. Es ist das der von Zaddach bei Apus gefundene Lip- penring, den neuerdings Claus auch bei Apseudes nachgewiesen hat. In der Mitte des vordern Endes des Gehirnes von Asellus, mehr der untern Seite genähert, bemerkt man eine Gruppe von Ganglien- zellen, aus denen ein Nerv entspringt, welcher unterhalb des Gehirns verläuft und am Anfange des Kaumagens auf der dorsalen Seite eine Anschwellung bildet. Dieses Magenganglion fand ich bei allen untersuchten Isopoden. Am Ganglion infraoesophageum von Asellus lassen sich ebenso, wie A. S. Packard?) bei As. communis nachge- wiesen hat, vier Ganglien, die die Mundwerkzeuge innervieren, nach- weisen. Ed. Brandt (l. e.) gibt zwei Ganglien an. Bei /dothea und Nesaea finde ich in Uebereinstimmung mit Weber?) über G/yp- tonotus und Bellonci über Sphaeroma ebenfalls vier Ganglien. Brandt gibt für Jdothea entomon drei Ganglien an, ebenso für Porcellio, wo sich vier nachweisen lassen. Sye gibt nicht an die Zahl der Ganglien, aus welchen das Ganglion infraoesophageum besteht. Es lassen sich hier ebenfalls vier Ganglien nachweisen. — Die Ganglienzellen- lager in jedem Thorakalganglion haben bei Asellus eine follikuläre NACheSyerl.”e. p.-28. 2) A.S. Packard, On the structure of the brain of the sessile — eyed Crustacea. National Academy of Sciences. 1881. p 8. 3) Max Weber, Die Isopoden, gesammelt während der Fahrten des „Willem Barents“. Bidragen tot. de Dierkunde. Amsterdam 1884. Rosenstadt, Organisation von Asellus aquaticus. 457 Anordnung, und zwar besteht jedes Thorakalganglion einer jungen Assel aus acht Follikeln: in der Mitte kommen neben einander zwei längliche zu liegen, zu den Seiten derselben zwei kleinere und dort, wo die Längskommissuren auszutreten beginnen, finden sich vier Follikel von gleicher Größe. Bei erwachsenen Tieren sind zehn Fol- likel vorhanden: vier am vordern Rande der sogenannten Punktsub- stanz, vier am hintern und zwei in der Mitte. Bei Idothea sind die Ganglienzellen in den Thorakalganglien kappenförmig am vordern und hintern Rande der sogenannten Punkt- substanz angeordnet, aber auch in der Mitte befindet sich eine dünne Schieht von Ganglienzellen. Dasselbe gilt auch für Nesaea und Cymothoe. — Der mediane Nerv zwischen den Längskommissuren ist überall vorhanden. In den Abdominalganglien von Asellus sind die Längskommissuren ausgefallen und die Ganglien sind deshalb ganz aneinander gerückt. Es lassen sich an ihnen sieben deutliche Ganglienzellenlager, aus denen sieben Paare Nerven entspringen, nachweisen. Bei Nesae« finde ich sieben gesonderte mittels Längskommissuren verbundene Abdominalganglien (ef. Bellonci bei Sphaeroma). Bei Idothea und Oymothoe sind fünf vorhanden, von denen das letzte bedeutend größer ist als die vorhergehenden; dasselbe dürfte höchst wahrscheinlich aus dreien verschmolzen sein. Bei jungen Öymothoiden kann man noch sechs Ganglien nachweisen. Mit dem Bau des Nervensystems der Isopoden beschäftigten sich G. Bellonei und A. S. Packard. Bellonei, dessen Angaben ich bestätigen kann, ist doch manches Detail entgangen, was gewiss nicht der Fall wäre, wenn er seine Untersuchungen an Schnitten kontroliert hätte. Der zweite Autor A. S. Packard, der sich aus- schließlich der Schnitte bediente, lässt ganz außer acht die zwei Ganglienkugeln des Mittellirns, die er mit den „Lobes procerebral“ verwechselt !). Der komplizierte Faserverlauf im Gehirn wurde von ihm nicht näher erörtert. Aufden Faserverlauf im Gehirn von Jsellus, der sich im Vergleich zu den andern untersuchten Isopoden kompH- zierter verhält, will ich hier nicht eingehen, und vom Bau des Nerven- systems möchte ich nur folgendes hervorheben: Die Lobi optiei, in denen man überall die charakteristischen Kreuzungen wahrnehmen kann, sind integrierende Bestandteile des Gehims [ef. Berger ?), Bellonei]l. Die Nerven für die innern und äußern Antennen und die Schlundkommissur empfangen ihre Fasern unter mannigfacher Kreuzung von verschiedenen Teilen des Gehirns, und besonders sind es das Vorderhirn resp. die zentralen Anschwellungen, die den größten 1) AS. Packard .l.'e. Taf. IV Eig?5. 2) E. Berger, Untersuchungen über den Bau des Gehirnes und der Retina der Arthropoden. Arbeiten aus dem Zoologischen Institute zu Wien. Bd. 1. Heft II p. 36. 458 Rosenstadt, Organisation von Asellus aquaticus. Teil der Fasern entsenden, und demgemäß betrachte ich diesen Ab- schnitt des Gehirns als den wichtigsten in physiologischer Hinsicht. Ueberall findet man an der Grenze zwischen Vorder- und Mittelhirn ein spindelförmiges Gebilde, welches dem „fächerförmigen Gebilde“ der Insekten entsprechen dürfte. Die zentralen Anschwellungen des Vorderhirns sind miteinander durch quere Faserzüge verbunden, das Mittelhirn weist ebenfalls ein Kommissurensystem auf, und die beiden Hälften des Hinterhirns sind im Gehirn selbst mittels querer Faserzüge miteinander verbunden; außer dieser Kommissur kann noch als solche das quere Faserbündel, welches sich vor dem Mandibularganglion befindet, in betracht ge- zogen werden, da die Fasern desselben aus dem Hinterhirne ent- springen !). — Ich fand nur unipolare Zellen von verschiedener Größe. Die Leydig’sche ?) Ansicht, nach welcher die peripherischen Nerven nur aus der sogenannten Punktsubstanz austreten und die bereits von Claus?) in seiner Schrift über die Phronimiden zurück- gewiesen wurde, ist einseitig. Ich konnte mich mit der größten Sicher- heit überzeugen, dass ein großer Teil der Nervenfortsätze im Gehirn sowie in den Thorakalganglien bei allen untersuchten Isopoden direkt in die peripherischen Nerven übergeht, ohne in irgend einer Beziehung mit der Punktsubstanz zu stehen; dagegen lässt es sich keineswegs leugnen, dass ein Teil der Fasern, welche die peripherischen Nerven bilden, aus der Punktsubstanz selbst austritt, und die Punktsubstanz ist nichts Anderes als ein Geflecht von feinsten Nervenfäserchen, ge- stützt von bindegewebigen Fasern. Dieses doppelte Verhalten im Ursprunge der peripherischen Nerven dürfte vielleicht auf irgend einen physiologischen Unterschied zwischen den Nervenfasern hinweisen. III. Darmkanal und Anhangsdrüsen. 1) Am Hinterende der Oberlippe von Asellus befinden sich zwei Drüsensäckchen von birnförmiger Gestalt. Der Tunica propria des- selben sitzen große Epithelzellen mit grobkörnigem Inhalte auf; der lange Ausführungsgang mündet am vordern Ende der Oberlippe ven- tralwärts. Bei jugendlichen Idothea tricuspidata finde ich in der Ober- lippe, in der Mandibularregion sowie in den Mundwerkzeugen zweierlei Drüsengruppen. Zunächst solche, welehe ganz ähnlich sind denen, die Weber *) bei @/yptonotus beschrieben hat, und ferner solche, die gelappt erscheinen und deren Zellen von einander noch nicht getrennt sind. Bei erwachsenen finde ich die erste Drüsenart in größerer Zahl, so dass ich der Meinung bin, dass die zweite Drüsenart als Jugend- Pack Carus. L..c.. periz: 2) Fr. Leydig, Vom Bau des tierischen Körpers. Tübingen 1864. 3) D. Claus, Der Organismus des Phronimiden. Arbeiten aus dem Zool. Institute zu Wien. II. B. Heft I. pp. 46, 47, 49. 4) Weber; 1. eop.d: Rosenstadt, Organisation von Asellus aquaticus. 459 zustände der erstern aufzufassen ist. Aehnliche Verhältnisse finden sich auch bei Porcellio. Bei CUymothoe erinnern diese Drüsen ganz an die der Phronimiden. Sie befinden sich am Anfange des Kopfes, ferner hinter der Schalendrüse um den Kaumagen herum, vor dem Anfange der Leberschläuche. Als was wir diese Drüsen aufzufassen haben, hat bereits Claus!) eine sehr zutreffende Ansicht ausgesprochen. 2) Die chitinöse Tunica intima des Oesophagus bildet nahe dem Uebergange in den Kaumagen zwei mit Härchen besetzte Vorsprünge, die als Klappen fungieren. Der Kaumagen lässt sich in einen vor- dern kardiakalen und in einen hintern pylorikalen Abschnitt einteilen. Der kardiakale Teil enthält zwei mit zwei kräftigen Hakenreihen bewaffnete Kiefer, welche sich mittels eines hakigen Vorsprunges seitlich einlenken. Ein Muskelpaar bewegt sie in der Richtung nach vorn, während ein zweites eine entgegengesetzte Wirkung ausübt. Zwischen und unterhalb der Kardiakalkiefer befindet sich die von G. O. Sars als V-förmig bezeichnete Platte. Es ist das ein mit Härchen ausgestattetes Züngelchen, welches seiner ganzen Länge nach in das Lumen des Kaumagens ein wenig hineinragt. Das Züngelchen dient einer quer verlaufenden Borstenplatte zur Stütze. Der seitliche Teil jedes Kardiakalkiefers liegt in einer Chitinfalte, die unterhalb desselben beginnt und sich bis zum hintern Ende des Kaumagens erstreckt. Diese Chitinfalten, welche allmählich von der ventralen Seite zu der dorsalen übergehen, teilen den ganzen Kaumagen in zwei nicht scharf von einander abzugrenzende Äbsehnitte: in einen dor- salen, in welchem sich die Kardiakalkiefer befinden, und in einen ventralen, auf welchen der Pylorusabsehnitt beschränkt ist. Der Pylorus besteht aus zwei Chitinwülsten, die die Form eines umge- kehrten V haben; zu den Seiten dieser Wülste befinden sich zwei ventralwärts ausmündende Kanäle. Mit diesen Bildungen im Zusam- menhange steht ein in den eigentlichen Darmkanal hineinragendes Züngelehen, welches als Klappe gegen denselben fungiert. Der ganze Pylorusapparat liegt in einer ringförmigen Verdiekung; am Vorder- ende derselben inserieren sich zwei Muskelpaare, zu denen sich noch transversal verlaufende Muskelbündel gesellen. Die quere Borsten- platte ist der Boden, auf welchem die Nahrung gekaut wird. In dem Momente, wo die Kardiakalkiefer in Bewegung gesetzt werden, bilden die bereits erwähnten Vorsprünge des Oesophagus durch Zusammen- ziehung einen Verschluss gegen den Kaumagen und zugleich wird der ganze Pylorusapparat nach vorn gezogen, wobei das in den Darmkanal hineinragende Züngelchen einen Verschluss gegen denselben bildet. Der Pylorusapparat beteiligt sich keineswegs beim Kauen der Nahrung. Erwähnen muss ich noch, dass ich in den sogenannten Pylorustaschen nie Nahrung gefunden habe. Die Nahrung findet man 1) C. Claus, Der Organismus der Phronimiden. 8. 23. 460 Rosenstadt, Organisation von Asellus aquaticus. immer nur auf den Chitinfalten, und die Pylorustaschen dürften nur das Lebersekret enthalten, welches bei den Bewegungen des Pylorus nach vorn der Nahrung beigemengt wird. Der verhältnismäßig kurze und gedrungene Kaumagen von /do- thea tricuspidata besitzt auf der dorsalen Seite ein in das Lumen des Kaumagens hineinragendes Züngelchen. Zwischen und unterhalb der mächtigen Kardiakalkiefer befindet sich ebenfalls eine Borstenplatte, die von einem züngelförmigen Chitingebilde gestützt wird. Im übrigen stimmt der Kaumagen von Jdothe« mit dem von Asellus überein. Auch hier liegt der Pylorus in einer ringförmigen Verdiekung {nach Kowalewsky l. e. S. 252 ein muskulöser Ring, der den Kaumagen vom eigentlichen Darme abgrenzen soll) Der Kaumagen von /dothea entomon wurde von Kowalewsky mangelhaft geschildert: der Py- lorus soll aus 4 Plättehen bestehen, und der Muskulatur wird keine Erwähnung gethan. Die Kaumägen der übrigen untersuchten Isopoden stimmen im wesentlichen mit den geschilderten überein, es lassen sich aber einige Abweichungen konstatieren. Von Sye wurde der Pylorus und die Muskulatur des Kaumagens von Jaera ganz unberücksichtigt gelassen. 3) Was die Mitteldarmdrüse anbetrifft, so finde ich nur einerlei Epithelzellen von verschiedener Größe. Die größern Zellen [|Weber’s!) Leberzellen] unterscheiden sich von den kleinern [|Weber’s Ferment- zellen] nur dadurch, dass sie Fettbläschen von dunkelgelber Farbe besitzen, sonst zeigen sie fast eine ganz gleiche Beschaffenheit: die größern sowie die kleinern Zellen enthalten Granula (die größern Zellen häufig weniger als die kleinern), und die Anordnung des Proto- plasmas und der Kerne ist ganz dieselbe. Die kleinern Zellen bräunen sich in der That viel rascher durch Ueberosmiumsäure als die größern; der Umstand aber, dass sich auch die größern Zellen nach einer Zeit intensiv bräunen, macht die Annahme wahrscheinlich, dass es viel- leicht die Fettbläschen sind, die die Säure in den Zellkörper ein- zudringen verhindern, oder der Umfang des Zellkörpers selbst erlaubt nicht der Säure ebenso rasch einzudringen wie in die kleinern. Die kleinern Zellen, und ich kann mich nur der Frenzel’schen?) Mei- nung anschließen, sind nichts Anderes als Jugendzustände der erstern. Folgendes mag vielleicht viel zur Richtigkeit dieser Anschauung bei- tragen. Entsprechend dem Wachstum der Leberschläuche ist das hintere Ende derselben immer das jüngste. Wenn man diesen Teil bei jungen sowie bei ausgebildeten Tieren untersucht, so findet man, dass derselbe größtenteils aus den kleinen Zellen besteht, die noch der Sekretbläschen entbehren und die ganz den Weber’schen Ferment- zellen entsprechen. 1) M. Weber, Die Mitteldarmdrüse der Crustaceen. Archiv für mikro- skop. Anatomie. Bd. 17. 2) J. Frenzel, Ueber die Mitteldarmdrüse der Crustaceen. Mitteilungen aus der zool. Station zu Neapel. Bd. V. Rosenstadt, Organisation von Asellus aquaticus. 461 IV. Exkretionsorgane. 1) An der Basis der äußern Antennen findet sich ein kleines Drüsensäckchen. Das dürfte die hier rudimentär gewordene Antennen- drüse repräsentieren. Ein ähnliches Drüsensäckchen bildet Dohrn!) bei Praniza ab, und Claus fand ein solches bei Apseudes. 2) Beim Durchmustern meiner Schnitte von Asellus war ich über- rascht zu den Seiten des Kaumagens gewundene Kanäle, die auf mich den Eindruck einer Schalendrüse machten, anzutreffen. Allein das Vorhandensein der Konkremente, die sich als harnsäurehaltige Ablagerungen (Urate) herausstellten (ich bekam die Murexidprobe), erweckten Zweifel, ob hier wirklich eine Schalendrüse vorliegt, um so mehr noch, da bei den Malakostraken keine Schalendrüse bekannt war. Erst die herauspräparierte Drüse mit dem Ausführungsgang an der Basis der zweiten Maxille ließ mich die volle Ueberzeugung ge- winnen, dass wir es hier mit einer Schalendrüse zu thun haben. Unterdessen erfuhr ich durch die Liebenswürdigkeit des Herrn Hofrat Professor Claus über das Vorhandensein einer Schalendrüse bei Apseudes. Das eiförmige Drüsensäckchen beginnt ungefähr dort, wo der Pylorusapparat anfängt. Der aus dem Drüsensäckchen ent- springende Harnkanal, welcher eine ansehnliche Länge erreicht, ist in vielfachen Windungen angeordnet, und die ganze Drüse besitzt ungefähr die Form eines Dreiecks. Die Epithelzellen des Drüsen- säckchens sind stark gegen das Lumen desselben vorgewölbt, während das in dem Harnkanale nicht der Fall ist. Das Protoplasma der Epithelzellen des Harnkanals ist in Streifen, die senkrecht zur Längs- axe desselben gestellt sind, angeordnet. Ich konstatierte ferner das Vorhandensein dieser Drüse bei Porcellio, Idothea, Nesaea, C'ymothoe und Jaera. Der Bau und Verlauf dieser Drüse bei den einzelnen Gattungen ist ein verschiedener. V. Fortpflanzungsverhältnisse. Die Fortpflanzungszeit beginnt bei Asellus gegen Mitte April und dauert bis Mitte September?). Die äußerst interessanten und wichtigen Angaben von Schöbl°) kann ich bestätigen, obwohl sich im Detail manche Abweichungen wahrnehmen lassen. — In der That nach erfolgter Begattung und darauf folgender Häutung, gehen die weiblichen Ge- schlechtsöffnungen verloren, und im Laufe 1—3 Tage wird der Brut- raum angelegt. Zugleich bemerkt man am basalen Teile der Maxillar- füße zwei Höker, die immer größer werden und schließlich eine An- 1) A. Dohrn, Entwicklung und Organisation von Praniza (Anceno) mazillaris. Zeitschr für wiss. Zoologie. Bd. 20. 2) Dass Asellus Mitte September aufhört sich fortzupflanzen, beobachtete ich in Warschau. 3) J. Schöbl, Die Fortpflanzung isopoder Crustaceen. Archiv f. mikro- skopische Anatomie. Bd. XVII. 462 Raskin, Zur Züchtung der pathogenen Mikroorganismen. zahl langer stark gefiederter Borsten bekommen, und diese Anhänge der Maxillarfüße ragen dann in den Brutraum hinein. Das dürfte wahrscheinlich eine Vorrichtung sein, um die Einfuhr des Wassers in den Brutraum zu regulieren. Nachdem das Weibchen nach einer Begattung zweimal Junge geworfen hat, häutet es sich, und die Ge- schlechtsöffnungen kommen wieder zum Vorschein. Auch bei Jaer«a gehen die Geschlechtsöffnungen nach erfolgter Begattung und Häutung verloren. Auch sah ich hier den Eintritt der Eier in den Brutraum durch eine Spalte, die sich vor dem sechsten Segmente befindet. Ob aber Jaera nach einer Begattung zweimal Junge wirft, weiß ich nicht anzugeben. Mangel an Material verhinderte mich das zu untersuchen. Wiener Zoolog. Institut. Juli 1888. Zur Züchtung der pathogenen Mikroorganismen auf aus Milch bereiteten festen und durchsichtigen Nährböden. Von Marie Raskin'). Aus dem klin. bakteriol. Laboratorium des Herrn Prof. M. Afanassjew an dem klinischen Institut der Großfürstin Helene Pawlowna. Die Fähigkeit der Milch gelegentlich als Zwischenträgerin des Giftes gewisser epidemischer Krankheiten aufzutreten, hat schon längst die Aufmerksamkeit der Aerzte auf sich gelenkt, schon zur Zeit, als das Vorhandensein eines Contagium vivum als krankheit- erregende Ursache noch nicht bekannt war, oder wenigstens auf völlig hypothetischem Grunde fußte. Da es etwas schwierig anzu- nehmen war, dass der Infektionsstoff sich der Milch in der für die Ansteckung genügenden Quantität beimengen könnte, so meinte man, dass die Milch eine besondere Fähigkeit besitze das Gift aus der Luft aufzufangen, dasselbe zu „fesseln“. Diese Vermutung schien keinen thatsächlichen Grund zu haben, weshalb die Mehrzahl der Beobachter dem genannten Weg der Epidemienverbreitung jede Be- deutung absprach oder ihn für nicht genügend bewiesen hielt und dessen Möglichkeit nur auf einzelne wenige Fälle beschränkte. Mit der Zeit aber wurden die Beobachtungen solcher virulenter Eigen- schaften der Milch von vielen Untersuchern bestätigt, und grade in Jüngster Zeit mehren sich derartige Mitteilungen fast von Tag zu Tag. So wurden mehrfach, und sonderbarerweise größtenteils in England, Epidemien von Typhus abdominalis beschrieben, wo man als alleinige Quelle der Ansteckung ungekochte Milch anerkennen musste. Auch in Deutschland berichtete Dr. B. Auerbach?) über eine Reihe von Typhuserkrankungen in Köln, die den Verdacht, dass sie durch den Genuss infizierter Milch hervorgerufen seien, in hohem Grade erregten. Bezüglich des Scharlachs ist die Milch, wie bekannt, 1) Vergl. St. Petersburger Mediz. Wochenschrift, 1887, Nr. 43. 2) Deutsche mediz. Wochenschrift, 1384, Nr. 44. Raskin, Zür Züchtung der pathogenen Mikroorganismen. 463 auch schon vielfach als Infektionsvermittlerin aufgetreten |[Taylor'), Bell?), Ballard?), Buchanan®), Power und in Jüngster Zeit Jamieson®), Klein]. Dass die ungekochte Milch perlsüchtiger Kühe bei der Uebertragung der Tuberkulose eine Rolle spielen kann, ist schon längst als Thatsache anerkannt. Die vielfach besprochenen Beobachtungen, dass Kinder, welche man mit Milch perlsüchtiger Kühe fütterte, häufig an Darmtuberkulose, Skrophulose, Meningitisu. s. w. erkrankten, stimmen völlig mit den in neuester Zeit angestellten Ver- suchen an Tieren überein, wo Impfungen mit solcher Milch Tuber- kulose hervorriefen [Bang°®)|. Ferner hat Dr. Power’) in England eine Diphtherie-Epidemie beschrieben, wo der Genuss infizierter Milch mit einer Klarheit als Ursache der Erkrankungen nachgewiesen wurde, welche nicht anzuzweifeln ist. Noch im Anfange dieses Jahres hat Simpson eine COholeraepidemie in Kalkutta beschrieben, wo man einzig und allein die Milch als krankheiterregende Ursache anzu- erkennen genötigt war. Nicht ohne Interesse in dieser Hinsicht ist die in manchen Malariagegenden sehr verbreitete Meinung, dass der Gebrauch von frischem Käse das Erkranken an Wechselfieber resp. dessen Reeidiven befördern kann. Auf grund aller dieser Thatsachen und Beobachtungen ist mit Gewissheit zu schließen, dass wir in der Milch [und vielleicht auch in deren Produkten, wie es Gaultier®) zuerst erörtert hat] eine nieht unwichtige Quelle der Ansteckung be- sitzen. Nun da gegenwärtig das Vorhandensein parasitärer lebendiger Organismen als erregende Ursache für die Mehrzahl der Infektions- krankheiten bewiesen und für andere mehr oder weniger wahrschein- lich ist, kann die Richtigkeit soleher Annahmen kaum bezweifelt werden, falls nur die Bakterien, wenn sie einmal zufälligerweise in die Milch geraten, daselbst den geeigneten Boden für ihre Entwick- lung und Vermehrung finden, somit auch die zur Infektion hinreichende Menge erreichen). Beweise für eine solche Annahme beizubringen wird wohl nicht schwer sein angesichts der Thatsache, dass die 4) Schmidt’s Jahrbücher, 1875. 2) Schmidt’s Jahrbücher, 1875. 3) Oesterr Jahrb. für Pädiatrie, 1870, S. 157. 4) Schmidt’s Jahrbücher, Bd. 142. 5) Brit. Med. Journ., 1887, June 11, pag. 126°. 6) Deutsche Zeitschr. für Tiermed. und vergl. Pathol. XI. S. 45. 7) Lancet 30. April 1887. 8) Comptes rend. de l’Acad. des sciences. Rep. in La Sem. med. 1887. 9) Was den Weg betrifft, auf welchem der Infektionskeim in die Milch gelangt, so ist es wahrscheinlich und von den meisten Berichterstattern aus- drücklich hervorgehoben, dass dabei die Verunreinigung des Wassers, das zum Spülen der Milchgefäße benutzt wird, am meisten Schuld trägt. In andern Fällen soll die Infektion der Milch durch Wäsche der Kranken, welche mit den Milchgefäßen in Berührung kamen, erfolgt sein, in noch andern standen letztere in unmittelbarer Nähe des Krankenzimmers. nz 464 Raskin, Zur Züchtung der pathogenen Mikroorganismen. Milch auch vielen nicht pathogenen Mikroorganismen vortreftlich zu- sagt. So kommt bekanntlich die spontane Gerinnung der Milch infolge der Einwirkung einer gewissen Bakterienart, nämlich des von Hüppet) beschriebenen Milchsäurebacillus, zu stande. Ebenso wurde von Fuchs und Neelsen der Nachweis erbracht, dass die bisweilen beobachtete Bläuung der Milch durch Einwirken einer besondern Bakterienart (des Dacillus eyanogenes) entsteht, welche sich in der Milch rasch zu vermehren pflegt. Auch andere Bakterien, wie der Buttersäurebaeillus, der Olostridium butyricum u. a. finden in der Milch den geeigneten Boden. Alle diese Erfahrungen legen den Gedanken nahe, dass die Milch auch auf dem Gebiete der Bakteriologie Dienste zu leisten ge- eignet sei. Und wirklich ist sie zu diesem Zwecke schon von vielen Forschern benutzt worden. Da aber der Schwerpunkt der bakterio- logischen Untersuchungen in der Züchtung auf festen und durchsich- tigen Nährböden liegt, so konnte bisher die Verwendung der Milch zu bakteriologischen Zwecken wegen Mangels eben dieser Eigen- schaften eine nur sehr beschränkte sein. Die Mehrzahl der Forscher bediente sich der Milch, um einige biologische Eigenschaften gewisser Bakterien, deren Beziehungen zu den verschiedenen Zersetzungs- und Gärungsprozessen der Milch resp. deren Bestandteilen zu bestimmen, zu welchem Zwecke man die natürliche Lösung gekochter und unge- kochter Milch oder auch sterilisierte Molken gebrauchte. In der uns zugänglichen Literatur wenigstens haben wir keine Andeutungen ge- funden, dass je ein Versuch zur Herstellung fester Nährboden aus Milch gemacht worden wäre. Nur im Handbuche der bakteriologischen Untersuchungsmethoden von Dr. L. Heidenreich haben wir die Bemerkung gefunden, dass es nicht möglich sei, mittels Gelatine aus Milch festen Nährboden herzustellen. Heidenreich ist geneigt, die Ursache hiervon darin zu suchen, dass die Milch (?) ein besonderes Ferment enthalte, welches letztere die Gelatine leicht verflüssige. Er hält es übrigens für möglich, dieses Hindernis durch Vernichten des vermeintlichen Fermentes mittels Erhitzung im Papini’schen Sied- kessel bis zu 120° © zu beseitigen. Diese Behauptung scheint uns eine bloße Vermutung zu sein, oder es muss da irgend ein Miss- verständnis obwalten, da es uns gelungen ist, aus Milch mit Agar wie auch mit Gelatine einen festen und völlig durchsichtigen Nähr- boden herzustellen, wobei wir uns einer sehr leichten Methode be- dienen und nie eine Temperatur über 100° C benutzen. Möglich, dass die von H. bereiteten Nährböden nicht völlig keimfrei oder zu- fälligerweise verunreinigt waren und die Rolle eines die Gelatine verflüssigenden Fermentes ganz einfach von gewissen von außen hinein- geratenen Mikroorganismen gespielt wurde. Wir bereiten aus Milch dreierlei Nährböden: 1) solche, wo das Kasein beibehalten wird, 2) wo es durch Pepton und 3) durch Natron- 4) Deutsche mediz. Wochenschrift, 1884, Nr. 48—50. Raskin, Zur Züchtung der pathogenen Mikroorganismen, 465 Albuminat ersetzt wird, welches aus Eiereiweiß hergestellt worden. Zu letzterem fühlen wir uns umsomehr berechtigt, als bekanntlich die Lösungen der Alkali- Albuminate in ihren Reaktionen mit denen des Milchkaseins so große Uebereinstimmung zeigen, dass beide Stoffe von vielen für völlig identisch gehalten werden. Die von einigen Untersuchern bisher angegebenen unterscheidenden Merkmale, wie das verschiedene Verhalten zu Lab (Milch wird dadurch bei + 40° koaguliert, während Natron-Albuminat sich gegen Lab indifferent ver- halten soll), die Filtrierbarkeit der Alkali- Albuminatlösungen durch Thonzellen, das leichter zu stande kommende Ausfallen der Albuminate durch Zusatz von Säuren u. s. w. sind von seiten einer Reihe von Forschern widerlegt worden [Panum!), Lehmann?), Soxhlet?), M. Sehultze, Schwalbe]. Der einzige bis jetzt noch nicht wider- legte Unterschied besteht darin, dass Kasein reicher an locker ge- bundenem Stickstoff ist, als das Natron -Albuminat |O. Nasse®)]. Die Anfertigung unserer Nährböden geschieht wie folgt: I. Milch-Peptongelatine. 1000 cem frischer Milch werden in einer Porzellanschale bis 60— 70° © erwärmt, dann 60— 1000 & (6°, —10°/,) fester Gelatine hinzugefügt und die Mischung so lange erwärmt, bis die Gelatine vollkommen geschmolzen ist; alsdann wird sie bis zum Aufkochen erhitzt, was eine Gerinnung des Kaseins zur Folge hat. Das Sieden wird dann so lange fortgesetzt, bis das Kasein vollkommen geronnen ist, was aus der immer mehr zunehmenden Klärung der vorher gleichmäßig weißen Flüssigkeit ersichtlich wird. Dann presst man den ganzen Brei durch ein Stück vierfach zusammen- gelegter mäßig dünner Leinwand, um die Flüssigkeit vom Kasein zu trennen. Die so hergestellte Mischung von Molken und Gelatine hat eine schwachsaure Reaktion und enthält eine nicht geringe Menge von Butterfett, welches durch das Filter nicht zurückgehalten wird, weshalb man es vorläufig entfernen muss. Zu diesem Zwecke gießt man die noch heiße Mischung in ein hohes genügend breites Glas und lässt es auf eine kurze Zeit im Thermostate stehen, damit das Fett ungehindert aufsteigen kann. Nach Verlauf von etwa 20—30 Minuten ist die Mischung in zwei Schichten geteilt: in eine untere, mäßig durchsichtige und eine obere, gelblichweiße, trübe, fast gänzlich aus Fettkügelchen bestehende. Wenn man die ganze Masse erkalten lässt, so ist diese Schicht leicht mit Hilfe eines Löffels zu entfernen. Die so vom Fett befreite Mischung wird wiederum bis zum Sieden erhitzt, 1°/, Peptonpulver hinzugefügt und durch Zusatz von Soda neutralisiert. Kochsalz (0,5°/,) kann nach Belieben hinzugefügt wer- den oder nicht. Dass Zusatz von NaCl den Nährwert unserer Nähr- 1) Archiv für pathol. Anat. II. 2) Im Lehrbuch d. phys. Chemie von Gorup-Besanez zitiert. 3) Journal für prakt. Chemie. VI. 1872. 8. 1. 4) Centralblatt. 1872. ViEl, 530 4656 ‚Raskin, Zur Züchtung der pathogenen Mikroorganismen. böden erhöhe, davon haben wir uns nicht überzeugen können. Die Filtrierung wird wie gewöhnlich durch ein Faltenfilter im Heißwasser- trichter vorgenommen. Die erste Portion (etwa 15—20, bisweilen bis 50 eem) ist gewöhnlich trübe und wird weggeschüttet. Die fertige, filtrierte Milchpeptongelatine ist vollkommen klar, durchsichtig wie Wasser, sehr wenig oder gar nicht gefärbt und trübt sich weder beim Aufkochen, noch beim Erkalten. II. Die Bereitungsmethode des Milehpeptonagar ist etwas komplizierter, was eher von den Eigenschaften des Agar als von denen der Milch abhängt. Sie geschieht folgendermaßen: In 1000 eem frischer Milch werden 50 cem (5°/,) Glyzerin (um der spontanen Ge- rinnung derselben vorzubeugen) und 5—7 g in kleine Stücke zer- schnittenen Agars hinzugefügt. Man lässt die Mischung 12—14 Stun- den (im Winter bei Zimmertemperatur) steken und kocht sie dann 1Y/,—1'/, Stunden lang auf der freien Flamme. Um den sonst erheb- lichen Verlust von Wasser zu vermeiden ist es ratsam, sie in einem mit einem Deckel versehenen gußeisernen Topfe oder binnen 3 bis 3'/, Stunden im Dampfapparate zu kochen. Die Gerinnung des Kaseins geht hier nur langsam und allmählich von statten, und das Kochen muss so lange fortgesetzt werden, bis die gleichmäßig trübe weiße Flüssigkeit sich zu klären anfängt. Wie gesagt sind dazu 1!/, bis !/, Stunden beim Kochen auf der freien Flamme und 3 bis 3'/, Stunden im Dampfapparate genügend. Die weitere Prozedur schließt sich völlig an die eben besprochene Behandlung der Milchpeptongelatine an. II. und IV. Milchkaseingelatine und Milchkaseinagar. Zur Herstellung dieser Nährböden wird zuerst eine Mischung von Molken mit Gelatine oder Agar, dann eine Lösung von Kasein be- reitet und beide zusammengegossen. Die größte Schwierigkeit dabei stellt die Anfertigung eines reinen fettfreien und leicht löslichen Kaseins dar. Wir bedienen uns dazu folgender Methode: ein be- stimmtes Volumen frischer oder abgerahmter Milch (letztere ist vor- zuziehen) lässt man 48 Stunden lang bei Zimmertemperatur stehen. Der aufgestiegene hahm wird entfernt und die Sauermilch 20 bis 25 Minuten lang bis auf 70 — 80° C erwärmt, wodurch das Kasein fester wird und sich zusammenschrumpfend von den Molken trennt!). Das so hergestellte gut ausgepresste Kasein wird zu einem feinen Pulver zerrieben, mit 95prozentigem Alkohol gewaschen und in einen Kolben mit Aether eingetragen; nach 20 Minuten, wobei der Kolben alle zwei Minuten tüchtig geschüttelt wird, wird der Aether abgegossen und durch frischen ersetzt, was man 3—4 mal wiederholt. Ein Haupt- erfordernis für das gute Gelingen der Darstellung ist ein sorgfältiges 1) Anstatt das Kasein durch spontane Gerinnung herzustellen, könnte man es freilich auch durch Verdünnung der frischen Milch mit Wasser und Fällung durch Essigsäure bekommen, aber es ist dabei viel mühevoller es in großen Mengen zu gewinnen. Raskin, Zur Züchtung der pathogenen Mikroorganismen. 4657 Zerreiben des Kaseins, da das Aaswaschen mit Aether sonst nicht vollkommen zu bewerkstelligen ist. Es ist daher ratsam, während des heibens des Kaseins, vor dem Bearbeiten mit Alkohol, ein wenig Wasser hinzuzufügen. Die letzte Portion Aether wird zur Hälfte im Kolben gelassen, aufs neue Alkohol aufgegossen und 5 Minuten lang geschüttelt. War in der letzten Portion Aether noch Fett vorhanden, so steigt es im Alkohol tropfenweise in die Höhe, und es ist in diesem Falle das Waschen mit Aether zu erneuern und damit so lange fort- zufahren, bis beim nachher folgenden Schütteln mit Alkohol derselbe frei von Fett erscheint. Das Kasein wird dann auf einem Filter ge- sammelt, getrocknet und 15 — 20 Minuten lang bei 120 — 140° © er- hitzt, wobei es sich in zähe Klumpen verwandelt. Wäscht man letz- tere in einer mäßig konzentrierten Alkalilauge, so werden sie durch- sichtig wie Horn und nach genügendem Austrocknen steinhart. Das so bereitete Kasein löst sich leicht bei gelindem Erwärmen in schwach alkalisch reagierendem Wasser und gibt wasserhelle, nur leicht bläu- lich opalisierende Lösungen, welche alle bekannten Reaktionen der Kaseinlösungen geben. Erscheint die Lösung zu stark opalisierend oder gar trübe, so kann sie durch mehrfaches Filtrieren erhellt werden. Zur Anfertigung von Milchkaseingelatine und Milchkaseinagar werden 150 cem einer Sprozentigen Kaseinlösung mit 350 eem einer filtrierten Mischung von Molken mit 12proz. Gelatine resp. 1,75 proz. Agar zusammengegossen, 15—20 Minuten lang auf 60-— 70°C. erwärmt (aber nicht bis zum Aufkochen, da das Kasein dabei häufig gerinnt) und alsdann in sterilisierte Reagensgläschen eingetragen. Die so her- gestellte Milchkaseingelatine enthält demnach 2,5proz. Kasein und Sproz. Gelatine. V. und VI. Milcheiweißgelatine und Milcheiweißagar. Die Anfertigung dieser Nährböden schließt sich, was die Mischung von Molken und Gelatine, resp. Agar-Agar betrifft, völlig an die ent- sprechende Bereitung der Milchpeptonnährböden an, nur dass anstatt des Peptons eine gesättigte Lösung von Natron-Albuminat hinzugefügt wird. Was die Menge der zugesetzten Albuminatlösung betrifft, so haben wir Versuche mit 2—12°/, angestellt und als das geeignetste einen Zusatz von 10°/, gefunden. Zur Herstellung des Natron-Albumi- nats verfahren wir folgendermaßen: Das Eiweiß von frischen Hühner- eiern wird in einer flachen Schale mit einem Glasstäbehen tüchtig gerührt und, mit dem Umrühren fortfahrend, so lange tropfenweise mit einer konzentrierten Natronlauge versetzt, bis alles zu einer festen durehsichtigen Gallerte erstarrt ist. Dieselbe wird alsdann in kleine Stücke zerschnitten, in einen Kolben mit destilliertem Wasser einge- tragen, nach kurzem Umrühren das Wasser abgegossen, durch frisches ersetzt, und das Waschen so lange fortgesetzt, bis die letzte Portion Wasser nur schwach alkalisch reagiert. Das so gereinigte Natron- 02 465 Raskin, Zur Züchtung der pathogenen Mikroorganismen. Albuminat wird wiederum in einen Kolben mit gleichem Volumen destillierten Wassers eingetragen, der Kolben mit einem Wattepfropfen versehen und !/,—!/, Stunde lang im Dampfapparate erwärmt. Das Albumivat wird dadurch völlig gelöst, die Lösung enthält nur einen spärlichen flockigen Niederschlag und wird deshalb filtriert. Die mit so hergestellten gesättigten Lösungen bereiteten Nährböden sind völlig durchsichtig, nur leicht gelb gefärbt, trüben sich weder beim Auf- kochen, noch beim Erkalten, und geben mit Essigsäure einen reichen Niederschlag, je nach dem Gehalt an Albuminat. Lässt man das frisch bereitete Alkali-Albumimat ohne es auszu- waschen einige Stunden stehen, so verflüssigt es sich von selbst zu einer dicken gelben, stark alkalisch reagierenden Flüssigkeit, welche dieselben Eigenschaften besitzt wie die gesättigten Lösungen, aber wegen zu starker Alkaleszenz für die Bereitung unserer Nährböden nur wenig geeignet ist. Was den Nährwert unserer Nährböden betrifft, so haben die von uns angestellten Züchtungsexperimente sie als höchst schätzenswerte und in hohem Grade brauchbare Substrate erwiesen. Wir haben es vorgezogen am meisten pathogene Mikroorganismen zu züchten und bisher keine gefunden, welche auf andern Nährmitteln gedeihen, unsere Nährböden aber verschmähten. Bisher haben wir folgende 8 Bakterienarten mit besonderem Erfolge gezüchtet: 1) Bacillus mallei, 2) Baeillus typh abdominalis, 3) Kommabacillus cholerae asiaticae, 4) Bacillus tussis convuls., 5) Staphylokokkus pyogenes albus, 6) Staphyl. pyog. aureus, 7) Bacillus anthracis, 8) Pneumokokkus Friedländeri. 1) Der Rotzbacillus gedeiht auf den Milchpeptonnährböden am besten im Brütschranke bei etwa 37—-38° C. Bei Zimmertempe- ratur kommt er nur kümmerlich oder vielmehr gar nicht zur Entwick- lung. Im Brütschranke aber ist sein Wachstum ein überaus rasches und üppiges. Schon am zweiten Tage nach der Aussaat bildet sich auf der freien Oberfläche des Agar ein dichter, mattweißer Ueberzug, der bis an die Ränder des Reagensgläschens reicht, mit der Zeit immer mehr an Mächtigkeit gewinnt und dabei ein höchst eigentüm- liches Gepräge annimmt. Anfangs mattweiß, bekommt die Kultur . nach Verlauf von 3—4 Tagen eine bernsteingelbe, leicht ins Orange spielende Farbe, welche an der Unterfläche immer mehr an Intensität zunimmt und im Anfange der zweiten Woche braunrot erscheint. Die Kultur gewährt dadurch einen so charakteristischen Anblick, dass eine Verwechslung mit einer andern Bakterienart kaum möglich ist: sie erscheint nämlich deutlich in zwei dünne Schichten geteilt: in eine obere orangegelbe und eine untere braunrote. Auf den Milchalbuminat- nährböden mit Zusatz von 10°/, einer gesättigten Albuminatlösung gedeiht der Rotzbacillus auch bei Zimmertemperatur, weshalb wir ihn auch auf Gelatine züchteten. Bekanntlich ist es bisher nicht ge- lungen diesen Bacillus bei Zimmertemperatur zu züchten, weshalb Raskin, Zur Züchtung der pathogenen Mikroorganismen. 469 sein Verhalten zu Gelatine auch nicht bekannt war. Löffler!) züchtete zwar den Rotzbaeillus auf Gelatine bei 22° C., da aber bei dieser Temperatur die Gelatine von selbst sich zu verflüssigen beginnt, so war daraus nichts sicheres zu entnehmen. Aus unsern Erfahrungen hat sich ergeben, dass der Rotzbacillus am zweiten oder dritten Tage nach der Aussaat im Reagensgläschen auf der Gelatine ein neues dünnes Häutchen bildet, welches auf der Oberfläche der verflüssigten Gelatine schwimmt. In den folgenden Tagen wird das Häutchen immer breiter und dieker, und zu gleicher Zeit macht auch die Ver- flüssigung der Gelatine Fortschritte, wobei die Bakterien nur langsam und spärlich zu Boden sinken, der bedeutendere Teil aber auch in ältern Kulturen an der Oberfläche bleibt. Wir wollen darauf aufmerk- sam machen, dass für das Gedeihen des Rotzbaeillus, wenigstens auf unsern Nährböden, deren heaktion von höchster Bedeutung ist. Eine nicht sehr schwache, völlig deutliche Alkaleszenz stellt das Optimum dar. Bei schwach saurer und besonders bei neutraler Reaktion kommt er zwar zur Entwicklung, aber sehr langsam und ohne dabei das oben geschilderte eigentümliche Gepräge aufzuweisen. 2) Der Kommabacillus cholerae asiaticae gedeiht auf allen unsern Nährböden sehr gut und stellt dieselben Wachstumseigentümlichkeiten dar, welche ihn auch sonst kennzeichnen. Was die Reaktion betrifft, so hat sich auch in unsern Züchtungsexperimenten der Kommabaeillus als sehr empfindlich dagegen erwiesen, bei saurer und selbst neu- traler Reaktion ist er gar nicht zum Wachstum zu bringen. 3) Das Wachstum des Staphylokokkus pyog. albus ergibt nichts besonderes. 4) Der Staphylohokkus pyogen. aureus dagegen gedeiht auf allen unsern Nährböden und besonders auf dem Milchkaseinagar vortreff- lieh und gibt eine bei weitem glänzendere, intensivere Färbung als es auf den entsprechenden Fleischpeptonböden der Fall ist. Der Staphyl. aureus verfügt über eine gewisse Breite der Reaktion, er gedeiht nicht nur bei neutraler, sondern auch bei saurer Reaktion: in letzterem Falle aber erscheint die Kultur fast farblos. 5) Der Pneumokokkus Friedländeri entwickelt sich auf den Milch- nährböden vortrefflich gut, auf der Gelatine seine bekannte Nagel- form beibehaltend. 6) Auch das Wachstum des Baeillus typhi abdominalis geht ganz in der für die Kulturen auf Fleischpeptongelatine und Fleisch- peptonagar bekannten Weise vor sich. Das Wachstum findet haupt- sächlich auf der Oberfläche des Nährbodens statt, wo sich ein zarter, perlmutterartig schimmernder feuchter Ueberzug bildet, der nach Ver- lauf von 4-5 Tagen bis an die Ränder des Reagensgläschens hinan- reicht. Auf den Eiweißnährböden wächst er etwas langsam. 1) Arbeiten des kaiserl. Gesundheitsamtes, 1836. 470 Raskin, Zur Züchtung der pathogenen Mikroorganismen. 7) Der Baecillus anthracis zeigt in seinem Wachstum auf unsern Nährböden nichts besonderes. Auf der treien Fläche des Nährbodens bildet sich eine dicke weiße Schicht, welche eine Verflüssigung der Gelatine zur Folge hat, wobei die Kultur allmählich zu Boden sinkt, so dass sie stets in der Tiefe der verflüssigten Gelatine liegt, deren obere Schichten durchaus klar und frei von Bakterien erscheinen. Auf schräg erstarrtem Milchpeptonagar, Milchkaseingar u. s. w. bildet der Milzbrandbacillus einen mattweißen zähen Ueberzug, der sich leicht von der Unterlage abheben lässt. 8) Der von Prof. Afanassjew!) isolierte und eingehender be- schriebene Keuchhustenbacillus bietet in seiner Entwicklungs- weise auf den Milchnährböden einige kleine Eigentümlichkeiten dar. In der Stichkultur auf Fleischpeptongelatine geht sein Wachstum in der ganzen Ausdehnung des Impfstichs, bis an sein äußerstes Ende ziemlich kräftig von statten; auf der freien Fläche des Nährbodens dagegen bildet sich nur ein dünner, sehr zarter, weiß schimmernder Ueberzug, der nie bis an die Ränder des Reagensgläschens hinan- reicht. Auf der Milchpepton- und Milcheiweißgelatine nimmt das Wachstum auf der Oberfläche mit der Zeit an Ueppigkeit zu, und es bildet sich hier ein mäßig dickes flaches, grauweißes Knöpfchen mit gelappten oder runden Rändern, die ebenfalls nie bis an die Wand des heagensgläschens reichen. An das soeben Gesagte möchten wir schließlich noch ein paar kurze Bemerkungen anknüpfen. Es fällt uns nicht ein in unsern Nährböden ein Substrat zu erblicken, von dem etwa ganz besondere bakteriologische Erfolge zu erhoffen wären. Für die Mehrzahl der bereits bekannten Mikroorganismen genügen ja die bisher gebräuch- lichen Züchtungssubstrate vollständig, doch möchten wir auf zwei Punkte aufmerksam machen. Aus den oben angeführten Züchtungs- erfahrungen hat sieh nämlich ergeben, dass auf unsern Nährböden einige Bakterienarten (der Rotzbacillus, Dac. tussus convuls , der Staphyl. aureus) nicht nur in gedeihlicher Weise, sondern auch (und wir legen grade hierauf besonders großen Wert) unter Aeußerung ganz bezeichnender Erscheinungen zur Entwicklung kommen, so dass sie vielleicht eine wesentliche Handhabe bieten könnten um Arten von einander zu unterscheiden, welche in ihren Wachstumseigentüm- lichkeiten auf andern Nährböden verwechselt werden können. Ein anderer wertvoller Vorzug der festen Milehnährböden ist die relativ niedere Erstarrungstemperatur des Agars. Während der Fleisch- peptonagar schon bei 38° C, häufig bei 40° C erstarrt, stellt sich bei dem Milchpepton, Milchkasein und Milcheiweißagar das Festwerden erst bei 35—37° C ein. 1) St. Petersburger mediz. Wochenschr., 1837, Nr. 39 fg. Ritzema Bos, Aenderungen in der Nahrung bei Säugetieren. 471 Aenderungen in der Nahrung bei einigen Säugetieren. Von Dr. J. Ritzema Bos in Wageningen (Niederlande). Es ist aus vielen Erfahrungen allgemein bekannt, dass zwar jede Tierspecies im allgemeinen sich von bestimmten Stoffen nährt, dass jedoch individuelle Verschiedenheiten bei einer und derselben Art sich in der Nahrung zeigen, und zwar werden diese individuellen Eigentümlichkeiten nicht immer vom Zwange der äußern Verhält- nisse ins Leben gerufen. Doch mag dies wohl in den meisten Fällen vorkommen. So sprach die englische Zeitschrift „The field“ (Febr. 1888) von der folgenden Erfahrung Col. Garden Campbell’s in Troup, Aberdeenshire (England). Während der heftigen Schneestürme des nächstvergangenen Win- ters wurden Stücke Fleisch und Fisch und Brocken Ei ausgelegt als Nahrung für die umherschwärmenden Vögel; doch kamen wilde Ka- ninchen aus dem angrenzenden Gestrüppe die Vögel verjagen und die ausgelegte rein tierische Nahrung verzehren. — Ich selbst habe (Biol. Centralbl., VII, S. 321) meine Erfahrungen Silpha opaca und Copro- philus striatulus betreffend mitgeteilt, aus welchen erhellt, dass Aas- und Fleischfresser gelegentlich zu wahren Pflanzenfressern werden können. Doch können solche gelegentlich auftretende Eigentümlich- keiten in der Ernährungsweise der Tiere in bleibende Eigentümlich- keiten entweder eines einzigen Individuums oder aller in einer be- stimmten Gegend lebenden Tiere einer Species übergehen. So habe ich im oben erwähnten Aufsatze im Biologischen Oentralblatte gezeigt, dass auf den Marschböden der niederländischen Provinzen Holland, Friesland und Groningen die Fliege ZLucilia sericata regelmäßig als Parasit im Unterhautbindegewebe und im Fleische lebender Schafe ihr Larvenstadium verbringt, während aus Dr. Karseh’s im näm- lichen Bande des Biologischen Centralblattes gemachten Mitteilung erhellt, dass dieselbe Fliege sich in Berlin im toten Fleische ent- wickelt. — Ein ganz merkwürdiges Beispiel von Abänderung in der Nahrungsweise bei Schafen gibt Snell im „Zoologischen Garten“ (IV, 8. 61) von 1863: „Im Aarthale von Michelbach bis Langensehwalbach und einigen Seitenthälern wächst sehr häufig die stinkende Nießwurz (Helleborus foetidus L.). Die Schafe meines Wohnorts kennen die giftigen Eigenschaften dieser Pflanze sehr wohl und rühren sie niemals an, obgleich sie an den Bergen und Abhängen, wo dieselbe wächst, beständig weiden. Sobald aber fremde Schafe aus einem Orte, wo jene Giftpflanze nieht vorkommt, nach Hohenstein (dem Wohnorte des Herrn Pfarrer Snell) kommen, fressen sie die- selbe ohne Arg und vergiften sich damit. Es sind auf diese Weise hier schon sehr viele von auswärts angekaufte Schafe gefallen. Es ist also kein Instinkt da, der die Schafe vor diesem Gifte warnte; sie fressen sogar die Blüten und Blütenknospen des Helleborus, die 472 Ritzema Dos, Aenderungen in der Nahrung bei Säugetieren. ww ihnen unbedingt tödlich sind, während die Blätter sie in der Regel nur krank machen, grade am begierigsten! Also haben die Schafe in der Gegend von Hohenstein, von der Erfahrung belehrt, sich die Eigentümlichkeit angeeignet, keinen Helleborns zu fressen, dessen Teile ihnen doch sonst so gut schmecken. Ein paar andere Beispiele des Abänderns der Ernährungsgewohn- heiten bei Säugetieren mögen hier noch erwähnt werden. In der Gegend von Limburg an der Lahn wurde seit Jahren der Marder ein furchtbarer Feind des Rotwildes genannt, während im allgemeinen die Jäger davon nichts wissen. (Diezel in Heyer’s „Allgemeine Forst- und Jagdzeitung“, 1855, S. 300). Es fragt sich, warum denn in andern Gebirgsforsten, wo alle äußern Verhältnisse wohl dieselben sind, die Marder die Gewohnheit, das Rotwild anzugreifen, nicht haben? Es scheint, gewöhnlich trauen es diese kleinen Raubtiere sich nicht zu, so große Tiere anzugreifen; in dem oben erwähnten Forste scheinen sie einmal notgezwungen das Wagestück mit gutem Erfolge unternommen zu haben; also wurde dies wiederholt, und der Angrift des Rotwildes wurde daselbst allmählich regelmäßig von den Mardern ausgeübt. Eine weitere Bemerkung betrifft das Schälen des Edelhirsches. Altum („Forstzoologie“, I, 2. Aufl., S. 336) sagt darüber: „Seine primäre Nahrung bilden freilich Kräuter und weiche Gräser. . . . Die Rindennahrung ist jedenfalls sekundär, jedoch nicht einzig bloß ein Ersatz zur Zeit der Not, sondern es scheint für die zuträgliche zeit- weise Aufnahme der Gerbsäure prädisponiert zu sein. Wenn das Elchwild .... ohne gerbstoffhaltige Nahrung nicht existieren, wenn anderseits das Rehwild jede gerbstoffhaltige Nahrung entbehren kann, deshalb niemals schält, so hält das Rotwild in dieser Hinsicht die Mitte. Es kann sie entbehren und gedeihet auch ohne sie; sie sagt ihm anderseits, mäßig genossen, auch zu, dem einen Individuum viel- leicht mehr als einem andern. Man kann sie also, abgesehen von zeitweise auftretendem Mangel an anderweitiger Nahrung, als eine Art von Näscherei betrachten, welche ihm gut bekommt und umsomehr reizt, je mehr und länger es dieselbe genossen hat. Man bezeichnet deshalb diese Untugend des Schälens als eine üble Angewohnheit, und kann es begreiflich finden, dass sich eine erhebliche Gesetzlosigkeit in dieser Hinsicht bei dem Wilde kund gibt“. Nun hat man öfter beobachtet, dass in einem Walde, wo wegen des Vorhandenseins von reichlicher sonstiger Nahrung das Rotwild die üble Gewohnheit des Schälens nicht besitzt, das Einbringen einiger Stücke, die aus Wild- bahnen stammen, wo der Edelhirsch das Schälen versteht, üble Folgen haben kann, insofern daselbst bald alle Hirsche zu schälen anfangen. Es scheint sogar, dass vielleicht das Schälen durch Edelhirsche früher gar nicht vorkam, wenigstens seit 150 Jahren stets mehr allgemein seworden ist. Im Jahre 1753 schrieb Bose („Generale Haushalts- von Dalla Torre, Mageninhalt verschiedener Vögel. 473 Prineipia vom Berg-, Hütten- und Forstwesen vom Harz“, S. 128), dass man an ältern Fichten niemals Schäiwunden finde, und dass das Schälen damals erst seit 20 Jahren von einiger Bedeutung geworden sei. Es ist allgemein bekannt, dass üble Gewohnheiten bei unsern Haustieren (das Eierfressen der Hühner, das Wollefressen der Schafe) anfänglich nur zufälligerweise bei irgend welchem Individiuum sich zeigen, während sie später allgemeiner werden. Das Wollefressen verbreitet sich sogar über ganzen Herden von Schafen. Im Anfange dieses Aufsatzes bemerkte ich, dass gewisse Aende- rungen in der Nahrung zwar gewöhnlich, jedoch nicht immer vom Zwange der äußern Verhältnisse ins Leben gerufen werden. Das Schälen der Hirsche kann zwar durch Mangel an sonstiger zutreffen- der Nahrung hervorgerufen werden, doch tritt es öfter allgemein auf, indem die in einem Forste vorhandenen Hirsche die üble Gewohnheit von einem oder mehrern eingeführten Hirschen übernehmen. Das Wollefressen wird selbstverständlich wohl niemals durch Nahrungs- mangel verursacht. Dasselbe gilt von einer fleischfressenden Ziege, worüber W. Hartwig im „Zoologischen Garten“, 1888, S. 221 be- richtet. Während seines Aufenthaltes in Hammerfest 1883 sah er zwei Ziegen am Strande, welche das noch daran sitzengebliebene Fleisch von den Rückgraten und Köpfen der Dorsche fraßen, welche als Abfall bei der Herrichtung des sogenannten „Klippfisches“ in großen Mengen ans Ufer geworfen werden. Er sah dies am 18. Juli geschehen, also, in einer Zeit, wo den Ziegen die geeignete Pflanzen- nahrung keineswegs fehlen konnte. Doch muss hierbei bemerkt werden, dass im Winter die Pflanzennahrung ihnen gar karg zuge- messen ist, und dass sie dann öfter mit Fischabfällen und mit andern tierischen Speisen genährt werden. Untersuchungen über den Mageninhalt verschiedener Vögel. Von Prof. Dr. K. W. v. Dalla Torre in Innsbruck. Der Umstand, dass in den meisten Handbüchern der Ornithologie der Nahrung der Vögel nur im allgemeinen gedacht wird und die günstige Gelegenheit, von meinem Freunde Baron Ludw. Lazarini fortwährend mit reichem Materiale versehen zu werden, veranlassten mich, meine Untersuchungen über den Mageninhalt auf verschiedene Vogelarten auszudehnen und dadurch systematische Studien dieser Art anzuregen, die natürlich um so wertvollere Resultate liefern, von je verschiedeneren Orten die Exemplare herstammen, namentlich dann, wenn auch auf die betreffende Jahreszeit der Erlegung Rücksicht ge- nommen wird. Als Anfang hiezu mögen diese Zeilen gelten. Zunächst aber kann ich mir nicht versagen, darauf hinzuweisen, dass neuere Beobachtungen über die Nahrung des Tannenhehers meine frühern 474 von Dalla Torre, Mageninhalt verschiedener Vögel, Beobaehtungsresultate und -schlüsse!) vollauf bestätigen und dass auch anderweitig ganz analoge Beobachtungen gemacht und publiziert wurden. So entnehme ich bezüglich der Nahrung von Nucifraga Caryocatactes var. leptorhynchus Bl. dem ornithologischen Jahres- berichte 1885?) folgende Notizen: Böhmen. Nepomuk (Stopka): „.... am 28. Oktober ein Exemplar am Felde geschossen, dessen Schnabel auffallend mit Pferdemist verun- reinigt war“. Voigtbach (Thomas): „... Hatte er einen Kuhfladen gefunden, so konnte man ihm bis auf einige Schritte nahe kommen .... ich bekam manchen Tag bis zu zehn Stücke zum Ausstopfen; alle hatten den Schnabel von Kuhkot besudelt*“. Mähren. Oslawan (Capek): „.... Im Magen befanden sich Käferreste (G@eotrupes, Aphodius, Coceinella)“. Schlesien. Dzingelau (Zelisko): „... wurde an den Hutungen nach Futter suchend fast täglich bis zu 4 Stunden gesehen“. Troppau (Urban): „In der Umgebung wurden ebenfalls einige erlegt. Ein hiesiger Präparator sagte, er habe heuer im ganzen über 40 Tannen- heher ausgestopft, einer hatte in seinem Magen Reste von Beeren und einer eine Maus“. Ungarn. Bellye (v. Mojoisovics): „. .. Der Vogel durchsuchte eben, mitten auf der Straße sitzend, Pferdemist, als sein ungewöhnliches Exterieur die Aufmerksamkeit des glücklichen Schützen auf sich lenkte“. Pressburg (Chemel): „Den 18. Oktober sah ich einen in Modern auf einer Waldwiese, wo er die aus der Erde gewühlten Würmer verzehrte. . .* Dem Manuskripte des orinthologischen Jahresberichtes für 1887 kounte ich folgende Angaben entnehmen: Kärnthen. Mauthen (Keller): „.... Von allen von mir erlegten Exem- plaren trug keines Nüsse im Kropfe, auch jenes aus Böhmen nicht; ebensowenig Eicheln, an denen grade kein Mangel gewesen wäre“. Mähren. Datschitz (Stöger): „... . Die Dünnschnäbeligen haben sich meist in gelockerter Erde auf Wegen zu schaffen gemacht, und waren fast gar nicht scheu, wogegen die Dickschnäbler mehr auf Stauden an- getroffen wurden und gleich wegflogen, wenn sie eines Menschen an- sichtig wurden“. — Oslawan (Capek): „.... Am 8. Oktober erschien plötzlich eine ganze Schaar von etwa 30 Stücken in einer Obstpflanzung bei Oslawan, nahe am Walde. Die Vögel folgten dem ackernden Landmann und hüpften auch auf Pflaumenbäumen herum, so dass sie von den obsthütenden Leuten mit Stöcken verscheucht werden mussten. Tags darauf traf ich an der Stelle noch 3 Stücke an, sah aber nicht, dass sie sich an Obst vergriffen hätten. Auch später wurde der Tannenheher einzeln beob- achtet, zuletzt sah man ein Stück am 31. Oktober, wie es auf einer 1) Biolog. Centralbl., Bd VII, Nr. 22, 15. Januar 1888. 2) Ornis IV p. 110. von Dalla Torre, Mageninhalt verschiedener Vögel. 475 Wiese den Kuhmist durchsuchte und endlich wurde noch ein Stück am 12. November erlegt Die Vögel waren nicht scheu und ließen sich öfters hören. Im Magen hatten sie Insektenreste (Gryllus, Vespa, Crabro, Forficula, Bombus), zwei Individuen auch Weinkerne, Alle Exemplare, die ich gesehen habe, waren Schlankschnäbler*. Schlesien. Troppau (Urban): „. .. Am 26. Dezember wurde ein Stück (ob Leptorhyncha ? DT.), das einige Tage hindurch im Garten und Hof des Rotgerbers R. Freitag in der Ratiborerstraße erschien und dort die Holz- Abfälle durchsuchte, von dem Genannten erlegt. . . .* Tirol. Innsbruck (Bar. Lazarini): „. ... Am 2, Oktober bemerkte ich auf einer Wiese mehrere größere Vögel, welche unter dem dort ausgebrei- teten Dünger Nahrung suchten. ... Am 9. Oktober erhielt ich hier am Markte ein solches Exemplar, dessen Mageninhalt aus Käfern bestand... .* Aehnlieh lauten auch die Berichte von andern Seiten, so z.B. aus: Hannover (Öoester im Zoolog. Garten XXVIII S. 382): „Der Tannenheher kam bereits am 30. September d. Js. (d. i. 1887) in einem in der Nähe von Minden (Hannover) geschossenen Exemplare (N. C. macrorhychus Br.) — leptorhynchus Blas.] in meine Heimat Im Magen fanden sich Carabus- Reste und eine Arvicola arvalis“. Gießen (Eckstein in Zoolog. Garten XXVII S. 127). „Vor einigen Tagen erhielt ich einen Tannenheher zum Geschenk, ein anderer wurde einige Tage später auf dem zoologischen Institut ausgestopft. Bei ersterem fanden sich einige Pllanzenreste im Magen sowie viele Flügeldecken von Käfern; letzterer hatte nur einige Wespen gefressen“ !). Bei dieser Gelegenheit sei es mir gestattet, für meine seiner Zeit vorgebrachte Beobachtung eine Erklärung zu versuchen. Wie kommt es, dass der sibirische Tannenheher .(Nucifraga Caryocatactes var. leptorhynchus) in Europa zum ausschließlichen Insektenfresser wird resp. warum wandert er bei Mangel an Samennahrung aus, da er doch auch in seinem Brutgebiete Insekten fände und sich von diesen ja auch dort ausschließlich ernähren könnte, wie er es ja dann in Mitteleuropa doch zu thun gezwungen ist? Ich glaube, der Grund liegt darin, dass bei mangelnder Samennahrung der Vogel gleich jedem andern „Strichvogel“ sein Aufenthaltsgebiet immer mehr und mehr erweitert resp. absucht, bis er endlich bei seinem Umbher- streifen ganz außerhalb das Gebiet der dünnschaligen Zirbelnüssen (Pinus Cembra var. sibirica) gelangt und nun ob seines zarten Schnabels nieht mehr im stande ist, die gewohnte Zwiebelnahrung zu 1) Im Gegensatze zu solchen gewissenhaften lebensfrischen Beobachtungen ist man doppelt enttäuscht, wenn man unter dem anregenden Titel „über die Nahrung des Nusshehers“ von C. Heyrovsky (Zool. Garten XXVII S. 278) nichts findet, als einen wertlosen Abklatsch aus der „Zeitschrift des böhmischen Forstvereins*, — wo längst Bekanntes und Veraltetes wieder neu aufgewärmt wird. Unsere Bibliographien und Jahresberichte sind in der That noch sehr weit entfernt, wissenschaftlichen Zwecken zu dienen! 476 von Dalla Torre, Mageninhalt verschiedener Vögel. gemessen. Da er aber Haselnüsse von seiner Heimat her nieht kennt!), so macht er von seiner Omnivoren-Natur Gebrauch und geht auf aus- schließliche Tier- resp. Kerfnahrung über, — analog dem Menschen, der ja auch im fernen Westen vom Handwerker zum Goldsucher wird. In einem einzigen Magen eines Stückes dieser Form das aus Troppau stammt (12. Dezember 1887), fand ieh ganz vollständig ab- geriebene Schalen von Zirbelnüsschen und 2 Steinchen und zweifle keinen Augenblick, dass diese Nahrungsreste noch aus der Heimat stammen und das betreffende Individuum sich der neuen Nahrung nicht angepasst hatte. — Zum Zwecke des Vergleiches möge hier die zweite Form folgen: Nucifraga Caryocatactes L. var. pachyrhynchus Bl. Tannenheher. (Dirtschnitz in Mähren, 3. Dezember 1857.) Zahlreiche Haselnussreste und Spuren von Coleopteren-Decken. — (Paschberg bei Innsbruck, 4. Dezember 1887.) Zahlreiche Haselnuss- und Zirbelnussreste; der Vogel war sehr fett. — (Sehmirn im Sillthale, 27. Januar 1888.) In losem mulmartigem Brei einige Chitingebilde von @eotropus spec., Hasel- und Zirbelnussreste in Menge, Samen und Schalen. — (Pascherkofel bei Innsbruck, 15. Mai 1888.) In 2 Mägen übereinstimmend nur Hasel- und Zirbelnussreste, Samen und Schalen. — (Isshütte bei Innsbruck, 26. Mai 1888.) Zahlreiche Reste von Zirbelnuss- und Haselnuss, auch Schalen, Spuren von Käferteilen, doch unbestimmbar. — (Stift Rein in Steiermark, April 1888.) Viele Haselnüsse und einige Elythren von Geotrupes. Hl. O0. Reiser, Custos am Museum in Sarajevo, berichtet in einem Briefe an Hn. V. v. Tschusi-Schmidhoffen: „Die Zapfen der Pinus leuco- dermis Antoine werden (in Bosnien) vom Tannenheher?) außerordent- lich heimgesucht und man kann Hunderte untersuchen, ohne eine zu finden, die vom Vogel nicht zerhackt wäre*. — Nun zur Liste der übrigen beobachteten Vogelarten ?): Erythropus vespertinus L. Rotfußfalke. (Hall bei Innsbruck, 22. Juni 1888.) Maikäfer in allen Stadien der Verdauungszersetzung und Geotrupes spec. Flügeldecken und Beine. Mi'vus ater Gm. Schwarzbrauner Milan. (Terlago im Trentino, 22. April 1888.) Spärliche Reste eines Stückes Prionus coriaceus. Falco peregrinus Tunst. Wanderfalk. (Ambraser Auen bei Innsbruck, 11. März 1888.) Reste eines Sturnus vulgaris (hier nur Zug- nicht Brut- vogel). Astur palumbarius L. Habicht Z. (Ambraser Au bei Innsbruck, 29. Ja- nuar 1888.) Reste eines Eichhörnchens. 1) Ornis Bd. II S. 437 ft. 2) Falls sich diese Beobachtung auf die dünnschnäbelige Form bezieht wären weitere Untersuchungen über das Verhältnis dieser Art zu der bei uns und in Sibirien einheimischen Form von großem Interesse! 3) Geordnet nach V. R. v. Tschusi’s und E F.Homeyer’s Verzeichnis der bisher in Oesterreich-Ungarn beobachteten Vögel in: Ornis II S. 149 ff. von Dalla Torre, Mageninhalt verschiedener Vögel. 477 Aquila chrysaetus L. var. fulva L. Steinadler. (Terlago im Trentino, 30. November 1837.) Reste von Pyrrhocora® alpinus (Alpendohle) in Schlund und Magen. Buteo vulgaris Beehst. Mäusebussard. (Sistrans bei Innsbruck, 24. No- vember 1887.) 98 Stück Feldgrillen (Gryllus campestris), Gewölle von Feldmäusen (Arvicola arvalis) und Noctuiden-Raupen (3 Stück). — (Bozen, 12. April 1883.) 1 Eidechse (Lacerta muralis), 1 Blindschleiche (Angwis fragilis) und 4 unbestimmbarer Vogel. — (Thaur bei Innsbruck, 15. April 1883.) Froschschenkel. Circus einerasceens Mont. Wiesenweihe. (Angeblich Oberhofen im Obern- inthale, 9. Mai 1888.) Zahlreiche Fischschuppen; der Mageninhalt zeigt einen auffallenden Geruch nach ranziger Butter. Brachyotus palustris Forst. Sumpfohreule. (Höttingerau bei Innsbruck, 15. April 1888.) 2 Feldmäuse (Arvicola arvalis) mit unverletzten Schädeln ; Geotrupes -Decken in Menge. Hirundo rupestris Scop. Felsenschwalbe. (Thaurer Arche bei Innsbruck, 149. März 1»88.) Zahlreiche, doch unbestimmbare Insektenreste. — Trient, 16. April 1888.) Reste von Staphyliniden, Cryptophagiden und Aphodien in großer Anzahl, in 5 Mägen ganz übereinstimmend. Oypselus melba L. Alpensegler. (Sillschlucht bei Innsbruck, 20. Juni 1888.) Magen von Insekten im wahren Wortsinne vollgepfropft. Sehr deutlich erhalten waren Formica rufa, zahlreiche Beine, Köpfe von Elythren von Spondylis buprestoides (bei 15 Köpfe), mehrere Diacanthus aeneus, 2 Körper von Naucoris cimicoides, 3 von Pentatoma baccarum; ferner einige un- deutliche Fliegenreste, ein Ichneumon mit deutlich weißringeligen Fühlern» dann ein Stück Anthophora hirsuta @. Die Magenwandung zeigte viele winzig kleine Plättchen und Schüppchen der Elythren von Zytta (Can- tharis) vesicatoria, die zum Teil in der Haut eingedrungen und förmlich verankert waren; einige Spuren sowie ein Kopf waren auch im Nahrungs- brei deutlich erkennbar. Cuculus canorus L. Kukuk. (Terlago im Trentino, 15. April 1888.) 5 Stücke Werren (Gryllotalpa vulgaris), sonst nichts. Pyrrhocorax alpinus L. Alpendohle!). (Heimingen im Oberninnthal, 5. Fe- bruar 1888.) Stück a, viele Beeren von Juniperus nana, einige Früchte von Hippophaö rhamnoides und zahlreiche eckige Steine von „Alpen- kalk“, wie er im Südwestkamme bei Innsbruck ansteht. Der Inhalt war im ganzen durch das Vorherrschen der Wachholderbeere schwarz. — Stück b, viele Früchte von Hippopha@ rhamnoides, einige Beeren von Juniperus nana und Steine wie die vorige; der Mageninhalt war im ganzen durch das Vorherrschen der Sandbeeren scharlachrot. — (Inn- thal, 25. Februar 1888.) Gryllus campestris, 1 Stück; Frucht von Rosa spec., Helix spec, eine Schmetterlingsraupe (unbestimmbar), eine fuß- lose Coleopteren-Larve und viele Carabiden-Reste, Flügel und Beine. — (Schlanders im Vinstgau, 8 April 1888.) Samen von Sorbus Chamae- mespilus in Menge; Reste von Pterostichus spec. Pyrrhocorax graculus L. Alpenkrähe. (Vinstgau in Tirol, Februar 1888.) 1) Vergl. auch Mitteilg. d. ornithol. Ver. Wien. VIII. S. 105. 478 von Dalla Torre, Mageninhalt verschiedener Vögel. Magenlänge 5 em; Höhe ‘2 cm. Inhalt: Hautstücke und Eier von Platy- cleis spec., sonst nichts. Lycos monedula L. Dohle. (Innsbruck, 5. April 1888.) 2 Stücke Helix obvia Zgl. (= candicans Zg1. Pffr.), Deeken und Beine von Carabus nemoralis, und andern Carabiden, dann von Staphyliniden, 2 Spinnen, und Samen von Crataegus. Corvus Corax L. Kolkrabe (Oberhofen im Innthale, 3. Mai 1888.) mit ab- normer Schnabelbildung (Haken am Oberkiefer). Pachyta collaris in einem Exemplare, sonst ganz leer; vermutlich war das Stück, das auch am Körper ganz abgemagert war, dem Hungertote nahe. Nucifraga Caryocatactes L. Tannenheher. Siehe vorn. Gecinus viridis L. Grünspecht J. (Tirol, 26. März 1888.) Im wahren Wortsinne vollgepfropft mit deutlich erkennbaren Leibern von Formica rufa und Lasius niger, letztere spärlicher. (recinus canus «m. Grauspecht. (Imst, 5. März 1888.) Vollgefüllt mit einer dunkel blauschwarzen Dipteren - Art, höchst wahrscheinlich Oynomyia mortuorum L. Der Inhalt war bereits schon stark angegriffen. Lanius collurio L. Rotrückiger Würger. (Höttinger Au bei Innsbruck, 4. Mai 1838.) Necrophorus Vespillo, Silpha obscura, Melolontha vulgaris und Vespa vulgaris, sonst nichts — (ebenda 12. Mai 1838, ein Pärchen.) Melolontha vulgaris in Mehrzahl und Carabus cancellatus, gut erhalten. Poecile borealis Sel. var. alpestris Baill. Alpensumpfmeise. (Isshütte bei Innsbruck, 26. Juni 1288.) In 3 Mägen waren gleichartig unbestimmbare Spuren von Käferresten und Sämereien, alles fein zermahlen. Phyllopneuste trochilus L. Fitislaubvogel. (Sillmündung bei Innsbruck, 31. März 18838.) Unbestimmbare Reste von Käfern. Phyllopneuste rufa Lath. Weidenlaubvogel. (Sillmündung bei Innsbruck. 30. März 1888.) Flügeldecken von Coleopteren — doch in unbestimm- barem Zustande. Sylvia cinerea L. Dorngrasmücke. (Hötting bei Innsbruck, 13. Mai 1888. Y fo) oO Einige Stücke und Reste von Lucilia caesar, sonst nichts. Merula torquata L. var. alpestris Br. Alpen-Ringamsel. (Hötting bei Inns- bruck, 10. April 1888.) Deutliche Reste von Otiorhynchus gemmatus und Athous hirtus; einige Larven und 1 umgefärbte Lepidopteren -Larve. — (Ranggen bei Zirl im Oberinnthale, 11. April 1888.) Aphodius fimetarius, A. prodromus und A. fossor, 2 Spinnen und 3 Larven unbestimmbar; eine Carabiden-Larve. — (Hötting bei Innsbruck, 13. April 1888.) Oychrus angustatus, Feronia spee. und 2 Käferlarven. — (Igels gegen Patscher- kofel bei Innsbruck, 13. Mai 1888.) Eine unbestimmbare Feronia- und Harpalus- Art. Rutieilla tithys L. Hausrotschwänzchen. (Hötting bei Innsbruck, 6. April 1888.) Klein zerriebene Coleopteren-Reste, unter denen nur noch ein Staphyli- nide erkennbar war. Sazicola oenanthe L Grauer Steinschmätzer. (Saggen bei Innsbruck, 31. März 1888.) Unkenntliche Dipterenreste in fein zerriebenem Magen- brei. — (Ebenda 10. April 1888.) Coleopteren- und Dipteren -Reste in unkenntlichem Zustande in einem fein zerriebenem dunkelbraun-schwarzen 3rei; deutlich erkennbar war noch eine Geocoride, Eurygaster hottentota. von Dalla Torre, Mageninhalt verschiedener Vögel. 479 Motacilla alba L. Weiße Bachstelze. (Hötting bei Innsbruck, 3. April 1888.) In dunklem mulmartigem Brei Reste von Bembidium und Feronia er- kennbar. — (Ebenda 10. April 1883) Mehrere Bembidienreste und ein deutlicher Berosus luridus. Motacilla sulphurea Bechst. (ebirgsbachstelze. (Höttinger Au bei Inns- bruck, 22. April 1883.) Unter zahlreichen Coleopteren-Resten ein ganz unversehrter Uryptohypnus riparius. Anthus aquaticus Bechst. Wasserpieper. (Saggen bei Innsbruck, 31 März 1888.) Zahlreiche, doch durchaus unbestimmbare Reste von Käfern in braun- schwärzlichem Mulm. Anthus arboreus Bechst. Baumpieper. (Saggen bei Innsbruck, 10 April1888.) Reste von Ameisen und kleine Steinchen von Hirse- bis Erbsengröße. Montifringilla nivalis L. Schneefink. (Vill bei Innsbruck, 28. Dezbr. 1837.) Kropf und Magen gefüllt mit Samenkörnchen von Setaria viridis. — (Glurns, 25. Februar 1885) In 3 Mägen übereinstimmend Samen von Rumex spec., Pinus Mughus, Haselnuss in Körnchen; ferner viel Sand. Zinaria rufescens Schl. u. Bp. Südlicher Leinfink. (Hötting bei Innsbruck, 2. u. 6. April 1838.) Vollgepfropft mit Samen von Setaria viridis. Columba palumbus L. Ringeltaube. (Vill, 29. April 18828) Einige wenige Steinchen, Grasblätter und Weizensamen. Tetrao Urogallus L. Auerhuhn. (Tirol, 15. Januar 1888.) Fichtennadeln in bis 2—3 em langen Stückchen; Berberis-Früchte und rein weiß, bei IO em. — (Ebenda 2. Mai 1888) ausschließlich frische Lärchentriebe ; (ebenda 4. Mai) gleichfalls frische Lärchentriebe, dann einige Triebe, Zweige und Rlätter von Vaceinium Myrtillus und zahlreiche Steinchen. — (Rum bei Innsbruck, 9. Mai 1885) ausschließlich nur Föhrenzweigstückchen und Steinchen. -—-— (Sand im Pusterthal, Mai 1888) viele weiße Steine, Zweigstücke von Larix europaea; im Kropf Knospen von Pinus montana, ganz frisch. Tetrao tetrix L. Birkhuhn. (Tirol, 13. u. 15. Mai 1838.) 3 Mägen ganz übereinstimmend gefüllt mit Sprossen von Kiefern und Steinchen; diese waren in dem einen braungrau, in den beiden andern reinweißer Quarz. Tetrao medius Meyer. Rackelhulhn. (Sillian im Pusterthal, 17. April 1888 ) Knospen und 1—1,5 cm lange Stückchen von Larix europaea. — (Grinzens bei Innsbruck, 29. April 1888.) Viele weiße Sandkörnchen, Zweige von Larix europaea und Reste von Formica rufa % in Menge; im Kropfe Staubblüten von Larixz europaea. Tetrao bonasia L. Haselhuhn. (Tirol, 13. Dezember 1887.) 4 Mägen ganz übereinstimmend gefüllt mit Grashalmstücken (darunter Holeus erkenn- bar), Zweigen von Vaccinium Myrtillus und Steinchen ; alle ausgezeichnet durch ätherisch harzigen Duft. Lagopus alpinus Nilss. Alpenschneehuhn (Oetz im Oetzthal, 28. Febr. 1838.) Sandkörnchen und Gras. — (Ebenda 2. März 1888.) Knospen von Rhodo- dendron ferrugineum und Vaceinium Myrtillus, in einem Falle ohne Spur von Steinchen und noch ganz frisch; im andern mit zahlreichen Steinchen und stark zerkleinert. — (Tirol, 29. März 1888.) Blätter von Dryas octapetala, Salix herbacea, Vaccinium Myrtillus und V. uliginosum und Ihododendron ferrugineum mit und ohne Steinchen im Mageninhalte, — (Tirol, Ende Januar 1888.) Knospen und Blätter von Rhododendron 480 von Dalla Torre, Mageninhalt verschiedener Vögel. Ferrugineum, Azalea procumbens’und Juniperus communis; von letztern auch Beeren; Blätter von Vaceinium Myrtillus und mehrern Weiden, wovon eine mit weißfilziger Unterseite, Perdix saxatilis M. u. W. Steinhuhn. (Pians bei Landeck im Stanzerthal, 15. November 1837.) In 3 Mägen von ca. 5 cm Länge befand sich massen- haft Gras, einige wenige Steinchen und eine Heuschrecke, Decticus ver- rucıwvorus; in einem weitern neben viel Gras ebensoviel Asplenium ruta muraria. — (Tiril, 20. Dezember 1887.) Gras und gelbe, braune und einige weiße Steinchen. — (Oelz im Oelzthal, 28. Februar 1888.) Nur Sand, keine Spur von vegetabilischer Nahrung. Botaurus stellaris L. Rohrdommel. (Vinstgau, 3. April 1888.) Reste von Dytiseiden, doch nicht mehr bestimmbar, und Elythren von Bembidium. Gallinula chloropus L. Grünfüßiger Teichhuhn. (Tirol, 12. April 1888.) Kleine etwas deformierte Samen von Prunella vulgaris und einige Steinchen. Gallinula porzana L. Getüpfeltes Teichhuhn. (Oberhofen im Innthale, 11. April 1888.) Schuppen von Cottus gobio, einige Stücke von Limnaea ovata Drap. und einige Steinchen. Totanus ochropus L. Waldwasserläufer. (Tirol — Zeit?) Unbestimmbare Fischschuppen. Fuligula eristata Leach. Reiherente. (Gardasee, 29. Februar 1888) Einige ganze und einige zerriebene Schalen von Bythinia tentaculata und Sue- cinea Pfeiffer. — (Ebenda 8. März 1888.) In massenhaftem Sande ein- gebettet ein Dutzend ganz unversehrte Schalen von Neritina fluviatilis S. Mergus merganser L. Großer Säger g'. (Unterinnthal, 11. Februar 1888.) Im Schlunde ein 17 em langer junger Hecht, im Magen ein Flussbarsch, der vom Beginne der Rückenflosse bis zum Schwanzende 12 cm maß. Kopf und Brust waren bereits zersetzt; der Rogen noch deutlich kenntlich. Mergus albellus L. Kleiner Säger f. (Untersteiermark, 15. Januar 1888.) Neben zahlreichen weißen Steinchen viele bereits stark zersetzte chloro- phyllose Stengel und Blätter von Potamogeton spec. Podiceps eristatus L. Haubentaucher. (Umhausen im Oelzthal, 17. April 1888.) Ein Magen enthielt ausschließlich nur Pflanzenreste Potamogeton und Chara; ein zweiter neben Samen von Setaria viridis auch Ameisen und schön freudig grüngefärbte Algenfäden, vor allem aber Sandstaub. — (Eppan, 13. April 1888.) Fischschuppen, höchst wahrscheinlich Gastero- steus aculeatus und Pflanzenstengel. Podiceps rubricollis Gm. Rothalsiger Steißfuß. (Löwenhaus am Inn bei Innsbruck, 5. März 1888.) 1 ziemlich unverletzter Cottus gobio, sowie zahlreiche fein zerfaserte Grätenreste eines zweiten Stückes. Xema ridibundum L. Lachmöve. (Matrei, 6. April 1838.) Grüne abfärbende Algenfäden in großer Menge. Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wün- schen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten an- zugeben. Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut“ zu richten. V erlag von Eduard Besold in Erlangen. _— Druck von Junge & Sohn i in Erlangen, Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. VII. Band. 15. Oktober 1888. "Nr. 16. Inhalt: Ludwig, Ueber weitere pflanzenbiologische Untersuchungen. Schutzmittel der Pflanzen. — Brock, Einige ältere Autoren über die Vererbung erworbener Eigenschaften. — Quincke, Ueber Protoplasmabewegung. — Zuntz, Zur Physiologie der Atmung. Ueber weitere pflanzenbiologische Untersuchungen. Von Prof. Dr. F. Ludwig. Schutzmittel der Pflanzen. Literatur: Ernst Stahl, Pflanzen und Schnecken. Eine biologische Studie über die Schutzmittel der Pflanzen gegen Schneckenfraß. Jenaische Zeit- schrift f. Nat. u. Med. Bd. XXI. N. F. XV. Jena 1888. Sonderabdruck. 126 Seiten. Federico Delpino, Funzione mirmecofila nel regno vegetale. Prodromo d’una monografia delle piante formicarie. Parte seconda. Bologna 1888. Estratto dalla Ser. IV. Tom. VIII delle Memorie della Reale Acca- demia delle Scienze dell Istituto di Bologna e letta nella lessione delli 18 Aprile 1886. p. 602— 650. Unter den pflanzenbiologischen Untersuchungen der neuesten Zeit beanspruchen die Experimentalversuche von Stahl über die Schutzmittel der Pflanzen gegen omnivore niedere Tiere, vor allen gegen die Schnecken, ein ganz hervorragendes Interesse durch ihre merkwürdigen und für die gesamte Schutzmittellehre wich- tigen Ergebnisse, welche der genannte Verf. in einer dem Andenken A. de Bary’s gewidmeten Abhandlung niedergelegt hat. Die zur Abwehr gegen die Angriffe höherer Tiere (Nager, Wiederkäuer ete.) dienenden Schutzwaffen, wie Stacheln, Dornen, Gifte, unangenehm riechende oder schmeckende Stoffe, sind von jeher in ihrer Bedeutung für die Erhaltung der damit versehenen Pflanzen erkannt worden; doch ist man bisher wie es scheint vielfach geneigt gewesen, diese Anpassungen wenigstens bei unserer mitteleuropäischen Flora als Aus- nahmen gegenüber den zahlreichen ungeschützten Pflanzen zu be- vı. 3l 482 Ludwig, Schutzmittel der Pflanzen. trachten. Verf. hat jedoch gefunden, dass von allen Pflanzen auch die scheinbar wehrlosesten Schutzmittel gegen die Angriffe gewisser Tiere haben, vermöge deren unsere ein- heimischen Pflanzen den Ansprüchen der einheimischen Tierwelt derartig gewachsen sind, dass sie die von ihr erlittenen Verluste zu ersetzen vermögen. Wer das nicht konnte oder kann, war und ist dem Untergang geweiht. |Unsere Futter- pflanzen würden in den afrikanischen Steppen der Tierwelt erliegen, wie umgekehrt die Versetzung einer gefährlichen Tierart in eine früher sie nicht beherbergende Gegend einen vernichtenden Einfluss auf die Pflanzenwelt ausüben muss; man denke an den vernichtenden Einfluss der Ziegen (auf St. Helena) und der Kaninchen auf gewissen Eilanden. Gewächse wie die mildsaftige Euphorbia balsamifera, die saftigen rosettentragenden Echium - Arten u. a. eigentümliche Bewohner der kanarischen Inseln hätten sich auf dem benachbarten tierreichen afrikanischen Kontinent nicht entfalten können, selbst wenn sie dort die passenden klimatischen Bedingungen gefunden hätten.]| Die meisten dieser Schutzmittel, welche durch fortgesetzte Auslese und gegenseitige Anpassungen zwischen Tier und Pflanze von letz- terer erworben worden sind, gewähren jedoch keinen absoluten, sondern nur einen relativen Schutz, und es dürfte kaum eine Pflanze geben, welche der Tierwelt nicht ihren Tribut zu zahlen hätte. Selbst die am meisten geschützten Pflanzen (Giftpflanzen etc.) haben ihre Feinde, die sich zum Teil grade den gegen andere Tiere erworbenen Schutzmitteln angepasst, in ihnen eine Lebensbedingung gewonnen haben (Contre - Adaption Errera’s). Stahl nennt solche Tiere passend Spezialisten. Die Spezialisten, gegen welche die Schutzmittel gegen omnivore Tiere wirkungslos bleiben, sind stets auf eine geringe Anzahl von Pflanzen angewiesen. Ihre Verwüstungen führen selten zur Vernich- tung der Nährpflanze. Eine Vernichtung der Nährpflanze würde gleich- zeitig die der Tierspecies zur Folge haben, in solchen Fällen erfolgt stets eine Selbstregulierung. Das Auftreten derselben ist ein spora- disches, massenhaftes, die Zeit ihres Verheerungswerkes ist eine kurze und häufig fällt sie in den Frühling, so dass ein teilweise neuer Er- satz möglich ist. — Stahl hat seine Untersuchungen daher haupt- sächlich auf die Schutzmittel gegen omnivore niedere Tiere und zwar, da er ausschließlich mechanische und chemische Schutz- mittel in betracht gezogen hat, vorwiegend auf die Schnecken erstreckt, die bei der Ausgestaltung der heutigen Pflanzenwelt einen bedeutungs- vollen Faktor gebildet haben. Den meisten Insekten thun meist weder mechanische noch chemische Schutzmittel (nur andere Tiere) Einhalt, und die von ihnen allein in betracht kommenden in größerer Zahl auftretenden omnivoren Arten, z. B. die Heuschrecken, mit denen Stahl gleichfalls experimentierte, schienen eine ähnliche Geschmacks- richtung ete. wie die Schnecken zu haben. Ludwig, Schutzmittel der Pflanzen. 483 Von den vorwiegend verwendeten Schnecken sind Spezialisten, die hauptsächlich von Pilzen (auch Amanita muscaria und A. phal- loides) leben: Limax maximus, L. cereus, L. subfuscus, omnivor: Arion empiricorum, A. hortensis, A. subfuscus, Limax agrestis, Helix pomatia, H hortensis, H. nemoralis, H. arbustorum, H. fruticum. Die zum Versuch verwendeten Schnecken erwiesen sich stets als hungrig, was Stahl daraus erklärt, dass sie — wegen der Sehutzeinrichtungen der Pflanzen — wenig zusagende Nahrung finden. Während alle Schnecken in der Gefangen- schaft mit besonderer Vorliebe frische (der Schutzmittel beraubte) Pflanzenteile fressen, nähren sich Helix hortensis, H fruticum, H. arbustorum im freien hauptsächlich von abgestorbenen Pflanzenteilen, nur hie und da von einem frischen Blättchen. H. pomatia verzehrt fast ausschließlich lebende Pflanzenteile wie Achillea millefolium, Galium Aparine, Urtica dioica, Chaerophyllum temulum, und noch gefährlichere Pflanzenfeinde sind Limax agrestis und Arion empiricorum, die aber gleichfalls im freien nur dürftig zu- sagende Nahrung finden, während sie in der Gefangenschaft bei zu- sagender Nahrung (besonders an süßen Pflanzenteilen) eine außer- ordentliche Gefräßigkeit zeigen. Einleitende Versuche ergaben zunächst, dass in vielen Fällen Pflanzenteile, die verschmäht oder nur ungern gefressen wurden, gierig verzehrt wurden, nachdem sie durch Alkohol ausgelaugt und nach dem Eintrocknen in Wasser wieder aufgequellt wurden. Sie mussten Säfte enthalten, die den Schnecken unangenehm waren. Wurden solche Pflanzen ausgequetscht, so konnten durch den Saft auch sonst beliebte Nahrungsmittel ungenießbar gemacht werden, ja die bloße Berührung des Schneckenkörpers, der gegen Beträufelung mit Wasser unempfind- lich war, verursachte unangenehme Empfindung und trieb die Schnecken in die Flucht. Im Gegensatz zu den Teilen dieser chemisch geschützten Pflanzen wurden andere, wie die der Asperifolien, Gräser, Campanulaceen, Laubmoose im ausgelaugten Zustand ebenso wenig gefressen wie im frischen, oder- frische Teile wurden vorgezogen — solche Pflanzenteile erwiesen sich dann immer als mechanisch geschützt. Der Lieblings- geschmack der Schnecken ist der der Zuckerarten, dem entsprechend sind alle zuckerreichen Pflanzen mit besonders energischen chemischen oder mechanischen Schutzmwitteln ausgestattet. Die Methode der Auslaugung gibt hiernach Aufschluss, ob eine Pflanze chemisch geschützt ist oder nicht. Weitere Untersuchungen ergaben nun mit großer Bestimmtheit, welehe Stoffe — die zum Teil zu anderem Zwecke in der Pflanze gebildet sein können — durch fortgesetzte Auslese zum Schutz gegen Schnecken herangezogen worden sind. Zu ihnen gehört in erster Linie die Gerbsäure. Ohne sie würden zahlreiche Pflanzenarten und ganze Familien nicht existenzfähig sein. Gerbsäure Sul 4S4 Ludwig, Schutzmittel der Pflanzen. wird auch von den meisten pflanzenfressenden Säugetieren verschmäht; nur bei Nahrungsmangel werden gerbsäurehaltige Rinden ete. abge- schält. Gegen geringe Quantitäten von Gerbsäure, wie sie sich bei unsern Futterkräutern, den Papilionaceen, finden, sind jedoch Nagetiere und Wiederkäuer unempfindlich. Dagegen genügen solch relativ kleine Mengen, um die Pflanze gegen Schnecken zu schützen. Bei Bestreichen mit einprozentiger Tanninlösung blieb selbst die Lieblingsspeise Daucus Carota von Limax agrestis von dieser trotz Aushungerung intakt; eine Berührung des Körpers mit 1°/,- Tannin- lösung verjagt die Tiere und !/,°/, beunruhigt sie, während dies reines Wasser nicht thut. Dem entsprechend werden alle Kleearten von den Schnecken nur wenig geschädigt. Die Blätter und Stengel von Trifolium, Medicago sativa, Coronilla, Poterium Sanguisorba, Fra- garia u. a. Rosafloren, Saxifrageen, Sedum, Sempervivum, von den meisten Bäumen und Sträuchern und Farnen wurden frisch wenig oder gar nicht von den ausgehungerten Schnecken angegriffen; erst Aus- laugen machte sie zum Teil genießbar, oft wurden sie erst gern ge- nossen, wenn sie durch Kalibromat ihrer Gerbsäure be- raubt waren. Auch die Wasserschnecken sind gegen Gerbsäure empfindlich und verschmähen die gerbstoffreichen Wasserpflanzen wie Potamogeton, Hippuris, Hydrocharis, Trapa ete. Häufig ist der Gerb- stoff zum Schutz gegen Schnecken in den äußern Zellen oder in be- sondern (Schutz-) Haaren abgelagert. So dürften die eigentümlichen Haargebilde zwischen den Endstacheln der Blattgebilde von Cerato- phyllum (die Referent im „Kosmos“ V 1881 8. 7 ff. beschrieben und abgebildet hat), welche Gerbstoffbehälter sind, ein Schutzorgan sein. Die Frage, ob etwa der rote Farbstoff in gerbstoffführenden Zellen junger Triebe, Blätter, der Antheren windblütiger Pflanzen ete., wie auch die Fleckenzeichnung an Blätter bei Arum, Orchis, Phyteuma, Polygonum, Sempervivum ete. eine Schutzfärbung sei, lässt Stahl unbeantwortet. — Wie Gerbsäure so wirken saure Säfte und Kaliumbioxalat als Schutzmittel gegen Schnecken; Rumex, Oxalis, Begonia werden nicht gefressen. Mohrrübenscheiben, mit verschiedenen Lösungen von Sauerkleesalz bestrichen, werden von den ausgehungerten Schnecken schließlich in der umgekehrten Reihenfolge des Sauerklee- gehaltes verzehrt. Bespritzung mit 1°/,-Lösung treibt die Schnecken eilig zur Flucht. — Ein eigentümliches Schutzmittel bilden Haare mit saurem Exkret. Bei den Onagraceen (Oenothera grandiflora, O. tetraptera ete., Gaura, Epilobium hirsutum, Circaea lutetiana ete.) bei Papilionaceen (Cicer arietinum) geht die Säurenausscheidung von einzelligen, zylindrischen Haarenaus, die amEnde große Tropfen der Flüssigkeit tragen. Durch Wasser abgespült werden diese Tröpfchen bald von neuem gebildet. Ihre Anwesenheit lässt sich schon durch Belecken der Stengel oder Abdrücken auf Lakmuspapier erkennen. Die Versuchs-Schnecken zogen ihre Fühler von diesen Tröpfehen rasch zurück ohne Fressversuche, fraßen Ludwig, Schutzmittel der Pflanzen. 485 aber die Zweige, deren Tröpfehen durch Wasser abgespült waren. — Aetherische Oele mit ihrem penetranten Geruch und scharf brennenden Geschmack bilden ein weiteres verbreitetes Schutzmittel (Ruta, Acorus ete.). Das Sekret der Drüsenhaare von Geranium Robertianum, von Dictamnus Frawinella, Mentha piperita ete. schreckt die Schnecken schon bei Berührung mit den Tentakeln sofort zurück. Ein Strich mit dem drüsigen Stengel auf eine Glasplatte hat die gleiche Wirkung. Bitterstoffe wirken ähnlich. Pflanzen mit solchen, wie Gentiana lutea, Menyanthes, Polygala ete. wurden von ausgehungerten Schnecken frisch nur sehr ungern gefressen, gern dagegen nach Auslaugung mit Alkohol. Dass auch die bittern Exkrete hauptsächlich mit durch Landschnecken gezüchtet worden sind, darauf deutet die außerordentliche Empfindlichkeit der Schnecken gegen sie hin, die sich bei Berührung des Körpers mit den Bitterstoffen äußert. Das Cniein der Drüsenhaare von Carduus benedictus wirkt im Streifen auf der Glasplatte ähnlich wie das Drüsenexkret von Geranium Rober- tianum. Bei den Lebermoosen, deren Immunität gegen Schnecken häufig wahrgenommen worden ist, stellen die nach Pfeffer’s Unter- suchungen nicht weiter verwendbare Exkrete bildenden sogenannten Oelkörper die „Schutzkörper“ dar. Viele Lebermoose besitzen einen brennenden pfefferartigen Geschmack. Nur ausgelaugte Lebermoose werden gern gefressen. Vermutlich enthalten jene „Schutzkörper“ alle den Schnecken widerliche Substanzen; ihr frühzeitiges Auf- treten u. a. spricht dafür. Sie kommen jedenfalls bei der großen Mehrzahl der Lebermoose vor. Stahl hat sie bis jetzt nur bei Blasia pusilla und Anthoceros levis vermisst, welche die viel- besprochenen Nostoc-Kolonien beherbergen. Nostoc wird von den Schneeken ganz vermieden; vielleicht bilden die Nostoc-Kolonien einen Ersatz für die Oelkörper. — Die mechanischen Schutzmittel, deren Wirksamkeit gegen Schneekenfraß Stahl experimentell nachgewiesen hat, können 1) das Ankriechen der Tiere erschweren [in dieser Beziehung sind die ganzen Pflanzen im freien noch mehr geschützt, als die zum Versuch ver- wendeten am Boden liegenden Pflanzenteile], 2) den Angriff durch die Mundteile erschweren oder verhindern und 3) können die ange- fressenen Gewebe auf rein mechanischem Weg Schmerz in den Weich- teilen der Fresswerkzeuge verursachen. Der Borstenschutz hält im freien die Schnecken von vielen Pflanzen ab. Im ausgehungerten Zustand gehen die Schnecken zwar an die borstigen Stengel ete., sie werden aber am Ankriechen durch die abwärts gerichteten Borsten bedeutend gehindert und können sich nur sehr unbeholfen bewegen. Dies bewiesen Versuche mit Symphytum offieinale und Salvinia natans. Wie eine schwimmende Festung ist diese letztere bewehrt, zunächst mit den ziemlich ver- gänglichen gerbstoffhaltigen Haaren, dann an den untergetauchten Teilen mit allseitig ausstrahlenden spitzen Borstenhaaren. 486 Ludwig, Schutzmittel der Pflanzen. Von der Brennessel, welche neben den längern zerstreuten Brenn- haaren (Schutz gegen Säugetiere) in sehr großer Anzahl kurze abwärts gerichtete Borstenhaare hat, wurden zerriebene gequetschte Exemplare von Schnecken in wenigen Stunden verzehrt, intakte nieht einmal voll- ständig in 2—3 Tagen. (Der großen Helix pomatia gelang es allein damit fertig zu werden.) Aehnlich wurden Pulmonaria officinalis, Symphytum ete. im zerquetschten Zustand sehr bald verzehrt, im un- gequetschten Zustand schwer oder (von Helix hortensis) gar nicht an- gegriffen. Von Wundstellen aus gelang der Angriff leichter. — Immer- hin haben die glatten chemisch geschützten Pflanzen weniger zu leiden, als die mechanisch geschützten. So wurden bei den Versuchen mit ausgehungerten Schnecken (von dem Standorte ihres Vorkommens) durch Arion empiricorum ganz aufgefressen, zuerst Cirsium, Hieracium Pilosella, H. silvaticum ; weniger litten Myosotis Jasione, Chaerophyllum und die drüsige Senecio. Ganz verschont wurden die scheinbar wehrlosen Arten von Veronica, COrepis, Rumex, Valeriana, Trientalis. Helix arbustorum var. alpestris verschont die glatten Pflanzen Silene acaulis, Gypsophila repens, Gentiana campestris, Gnaphalium, während die borstigen von ihr schließlich gefressen werden. Limax agrestis verschonte mit Ausnahme von Anthyllis Vulneraria, Senecio doronicoides, Cardamine alpina die glatten Pflanzen des gleichen Standortes: Leontodon taraxacum, Senecio carniolica, Chrysanthemum alpinum, Gnaphalium Leontopodium, Gentiana bavarica, G. campestris, Silene acaulis, Ranunculus glacialis, Chamaeorchis alpina. Auch als die Arten nicht nach dem Standort, sondern nach Familien ausge- wählt wurden, hatten die borstigen mehr zu leiden als die chemisch geschützten. So wurden von Hieracium Pilosella, H. silvaticum die borstigen Blätter gefressen, die glatten von A. Auricula nicht, von Umbelliferen wurden die borstigen Heracleum Sphondylium, Pimpinella Saxifraga, Chaerophyllum temulum von den verschiedensten Schnecken rasch gefressen, während die nicht borstigen Conium maculatum, Bupleurum rotundifolium, Carum Carvi viel weniger zu leiden hatten und erst nach Auslaugung mit Alkohol rasch vertilgt wurden. Pflanzenteile, die den Schnecken wegen der glatten Ober- fläche und weichen Beschaffenheit zugänglich sind, widerstehen diesen Tieren durch die Beschaffenheit ihrer Säfte; umgekehrt sind die Pflanzen, deren Geschmack den Schnecken zusagt, ihnen dureh mechanische Schutzmittel unzugänglich gemacht. (Der Geschmack der Schnecken stimmt mit dem unsern inbezug auf die Zuckerarten überein, ist aber sonst oft ein anderer. So sagt der Geschmack des borstigen Chaerophyllum temulum und Heracleum Sphondylium den Schnecken zu, während diese auf unserer Zunge einen unangenehmen Geschmack verursachen.) Auch beim Weidevieh ist ähnliches zu beobachten. Die Schafe fressen lieber die spärlichen Blättchen der Dornbüsche (Schlehe, Ulex ete.) als die ihrem Geschmack wenig zusagenden mechanisch ungeschütztern Ludwig, Schutzmittel der Pflanzen. 487 Pflanzen. In Algier fand Stahl den stechenden Juniperus Oxycedrus durch Schafe und Ziegen abgeschoren, den durchaus unbewehrten J. phoenicea verschont. Aehnlich wird in Europa J. communis gefressen, J. Sabina verschont. — Manche Pflanzen besitzen jedoch beiderlei Schutzmittel neben- einander. Welche Strukturverhältnisse machen nun die Borstenhaare besonders zum Schutz gegen Tierfraß geeignet? Im vielen Fällen sind es einfach die starren, sich leicht in die Haut einbohrenden Spitzen der Borsten (z. B. der Asperifolien), am vorteilhaftesten sind jedoch die verschieden gestalteten höckerigen Haare, deren Ent- wieklungsgeschichte kürzlich H. Schenk verfolgt hat, die vermöge ihrer rauhen Oberfläche wie eine Feile wirken (Fingernägel ritzen) und ähnlich wie die mit Widerhaken versehenen Angelborsten der Opuntien in den Weichteilen fest sitzen. Stahl betrachtet diese Feilenhaare, die sich innerlich bei Nymphaea und Nuphar , äußer- lich bei Asperifolien, Compositen, Dipsaceen, Campanulaceen, Umbelli- feren, Cruciferen, Deutzia scabra — verkieselt oder unverkieselt — finden, als Schneckenanpassung. Aehnlich den Feilenhaaren wirken rauheOberflächen. Hierher gehören die verkieselten Zellmembran- stücke in der Mitte der Epidermiszellen von Campanula persicifolia ete., welche als vorspringende Pfropfen oder der Epidermis aufgesetzte Zähne erscheinen; Heinricher hatte diese Gebilde als reduzierte Triehome beschrieben. ©. medium hat Feilborsten und wird lieber als ©. persicifolia von Schnecken gefressen. Die Wärzchen der Moos- blätter haben vielleicht ähnliche Bedeutung wie die Heinricher’schen Körper. — Es wird in der Stahl’schen Abhandlung des weitern experimentell erwiesen, dass auch Verkalkung und Verkieselung der Zellhäute zu den wirksamen Mitteln gegen Schneckenfraß ge- hören. Zuweilen finden sich Kalkeinlagerungen bei den Feil- borsten, die daher durch Ausglühen ihre Gestalt und höckerige Ober- fläche nicht verlieren. So bei Cruciferen, die erst durch Essigsäure entkalkt werden. Bei Erysimum cheiranthoides, Pastinaca sativa, Torilis Anthriscus, Chara fragilis ete. nützt Auslaugung mit Alkohol nichts; erst nach Behandlung mit Essigsäure werden die Pflanzenteile für Schnecken genießbar. Vermutlich bildet auch die Verkalkung der Algen Scinaia, Halimus, Acetabularia, Corallinum ete. vorwiegend einen Schutz gegen Schnecken. Die Verkieselung der Zellhäute, die bei vielen Gräsern des tropischen Afrika so stark ist, dass die Blätter für unsere Haustiere ganz ungenießbar werden, ist bei den einheimischen Gräsern ete. mit wenigen Ausnahmen (Phragmites, Nardus) eine geringere und er- streckt sich hauptsächlich auf die von Güntz untersuchten sogenannten Zwergzellen, welche zwischen den relativ schwach verkieselten langen Epidermiszellen gelegen sind. Ohne diese letztern würden viele scheinbar schutzlose Gräser durch Schneckenfraß längst vertilgt worden sein. Die Verkiese- ASS Ludwig, Schutzmittel der Pflanzen. lung ist nach den Versuchen Stahl’s eine Conditio sine qua non für die Existenz der Gräser. Bei andern Pflanzen bilden häufig die schon früh vorhandenen Haare, wenn sie nicht selbst verkieselt sind, die Centra der Verkieselung, welche in Form von Scheiben auftritt, welche entweder isoliert bleiben oder zu einem zusammenhängenden Panzer verschmelzen. Dass hier die Kieselsäure das wirksame Schutzmittel gegen Schnecken abgiebt, bewiesen u. a. die Parallelversuche mit auf dem Weg der Wasserkultur kieselfrei gezogenen Exemplaren der Ver- suchspflanzen; letztere wurden gern und gierig verzehrt. Schleime erwiesen sich als Schutzmittel z. B. bei Tilia ulmifolia, Althaea officinalis, Valerianella olitoria, Symphytum-Wurzeln ete., wo die üb- lichen Methoden weder andere mechanische noch durch Alkohol extra- hierbare Schutzmittel erkennen ließen. Am auffälligsten war dies bei den Cacteen, wo sich Schleime (bei Cereus Hlagelliformis, ©. giganteus, Opun- tia vulgaris) und — bei schleimfreien Arten — wöderwärtig schmeckende Stoffe (bei Echinocereus Williamsii, Mammillaria prolifera ete., welche aber ausgelaugt gefressen werden) als Schutzmittel vertreten. Gallert- bildungen dienen gleichfalls als Schneckenschutz und stellen ver- mutlich häufig Züchtungsprodukte der Schnecken dar, die nicht im stande sind, Nitella syncarpa, Batrachospermum moniliforme, Rivularia, Nostoc commune, Collema granosum ete. zu verzehren, indem die Zähne der Radula von der schlüpfrigen Oberfläche dieser Pflanzen abgleiten. Der Gallertbildung entbehrende Algen haben häufig andere Schutzmittel, so Oedogonium, Bulbochaete ete. Borsten. Auch die Gallerte des Frosch- und Fischlaiches bildet einen wirksamen Schutz gegen Wasserschnecken ete. — Auch bei schleimfreien oder schleimarmen Pflanzen hatte zuweilen die Auslaugung mit Alkohol keinen Erfolg. Fortgesetzte Versuche lieferten hier den Beweis, dass die betr. Pflanzen dann dem Vorkommen der Rhaphiden ihre Immunität verdankten, welche durch ihre mechanische Wirkung (der Schmerz und brennende Geschmack ist streng lokalisiert) auch auf der menschlichen Zunge sich (z. B. bei Arum maculatum) bemerkbar machen. Tabernaemontanus sagt von der ähnlich wie Arum schmecken. den Calla palustris: „Am Anfang wo man sie kaut, scheint sie unge- schmackt zu sein, aber bald darauf zwackt sie die Zungen gleich als steche man sie mit den allerkleinsten Dörnern“. Durch kochen ete. wird der brennende Geschmack nicht beseitigt. Wird der dicke schleimige Saft der zerriebenen Blätter von Arum ohne Wasser wider- holt filtriert bis zur klaren Flüssigkeit, so hat diese einen süßlichen, nicht unangenehmen Geschmack, während der Filterrest Brennen ver- ursacht. Zentrale Teile der Pflanze sind frei von Rhaphiden und einzelnen ähnlich wirkenden Krystallen von Kalkoxalat. Blattfragmente von Arum maculatum wurden in Alkohol gekocht, ein Teil davon mit Essigsäure, ein anderer mit verdünnter Salzsäure gekocht, welche letztere die Kalkoxalatkrystalle auflöst. Die Säuren wurden dann durch kochen- Ludwig, Schutzmittel der Pflanzen 489 den Alkohol entfernt, die Blätter eingetroeknet und nachträglich in Wasser aufgequellt. Arion hortensis und Limax agrestris verzehrten rasch die vonkhaphiden befreiten Stücke, nur allmählich die bloß mit Essigsäure behandelten. Die im Alkohol allein ausgelaugten wurden kaum berührt, selbst wenn sie mit Zucker überzogen waren. Ein An- beißen rhaphidenhaltiger Gewebe erzeugt den Schnecken Würgbe- wegung. Aehnlich wie Arum verhalten sich: Sceilla maritima, Aspara- gus, Narcissus, Galanthus, Leucoium, Orchideen, Onagraceen (Fuchsia, Epilobium, Circaea\, Ampelideen ete. Auch Kaninchen fressen Rhaphiden- pflanzen wie Ornithogalum, Convallaria, Asparagus, Tradescantia, Orchi- deen, Impatiens parviflora, Galium-Arten nur sehr ungern. Der Genuss größerer Quantitäten von Rhaphidenpflanzen (z. B. Typha latifolia) erzeugt bei diesen Darmentzündungen und wirkt tödlich. Von Schnecken werden nur Galium, Typha, Tradescantia beschädigt. (Auch die Heu- schrecken zeigten ein ähnliches Verhalten.) Für gewisse Spezialisten ist der Rhaphidenapparat eine notwendige Ingredienz der Nahrung, so für Sphinx elpenor (Futterpflanzen: Galium, Epilobium, Weinstock, Waldbalsamine), 8. Galii, 8. porcellus und S lineata (auf Galium, Weinstock, Impatiens), 5. vespertilio (Epilobium), S. celerio (Wein und Impatiens), welche 4 in der natürlichen Verwandtschaft weit ausein- anderstehende durch den Rhaphidengehalt ausgezeichnete Nahrungs- pflanzen teilen. Das letzte Kapitel der Stahl’schen Abhandlung enthält zusammen- fassende Bemerkungen über das Vorkommen der Schutzmittel (Häufung von Schutzmitteln, provisorischer Ueberbliek der mit einfachen oder mehrfachen Schutzmitteln ausgerüsteten Pflanzen), über das Vikarieren der Schutzmittel ete. — während manche Schutzmittel für ganze Familien charakteristisch sind, wie die Verkieselung der Gramineen, Öyperaceen, Equisetaceen; Feilhaare bei den Asperifolien, Rhaphiden bei den Amaryllideen, Asparagineen, Orchideen, Onagraceen, Bitter- stoffe bei Geraniaceen, Papilionaceen, Ericaceen; ätherische Oele bei Labiaten, Alkaloide bei Solaneen, vertreten sich häufiger innerhalb derselben Gruppe und Familie verschiedene Schutzmittel, so bei den Moosen, wo die Laubmoose vorwiegend mechanische, die Lebermoose chemische Schutzmittel besitzen, bei den Pteridophyten, wo die Equi- setaceen mechanisch, die Filieineen chemisch geschützt sind. Unter den Liliaceen hat Seil/a Rhaphiden, Alkum Knoblauchöl, Tulipa ein Alkaloid (Tulipin), unter den Aroideen Arum Rhaphiden, Acorus einen scharfen Stoff, Sedum boloniense (sexangulare) Gerbstoft, Sedum acre ein Alkaloid (brennenden scharfen Geschmack) als Schutzmittel gegen Schnecken. — Schutzlos den berücksiehtigten Schneeken preis- gegeben fand Stahl nur Kulturpflanzen, vor allen den Salat, der daher nur unter dem Schutz des Menschen existenzfähig ist (Laetuca Scariola wird nur ausgelaugt gefressen). Die letzten Ab- schnitte handeln von der Verteilung der Schutzmittel auf dem Quer- 490 Ludwig, Schutzmittel der Pflanzen. schnitt der Organe, der frühzeitigen Ausbildung der Schutzmittel und den Sehutzexkreten; sie schließen mit dem Ergebnis, dass die die Pflanzen umgebende Tierwelt nicht bloß auf die Gestal- tung, sondern auch auf den Chemismus der Pflanzenwelt von tief greifendem Einfluss gewesen ist. Wie die Stahl’sche Arbeit neue wichtige Beiträge zur Lehre von den mechanischen und chemischen Schutzmitteln der Pflanze geliefert hat, so sind anderseits über die Schutztiere der Pflanzen und über die ihnen angepassten Ameisenpflanzen wichtige Arbeiten erschienen. Bereits besprochen wurden in dieser Zeitschrift kürzlich die wichtigen Arbeiten von Delpino und von Schimper. Dem erstern Forscher verdanken wir einen weitern umfassenden Bei- trag zu diesem Kapitel, die Fortsetzung der früher besprochenen Arbeit. Delpino erörtert noch die Myrmekophilie der nachbenannten Familien. Bignoniaceae. Die von Caspary beschriebenen blassgrünen Nektarien an der Blattunterseite von Catalpa bignonioides fand D. ebenso wie die an Laubblättern und Kelch von Catalpa Kaemferi (auf einem Laubblatt zeigte die Oberseite 32, die Unterseite 36 Nektarien mit zusammen gegen 2000 honigabsondernden Drüsen) reichlich von Ameisen besucht. So wird der extranuptiale Nektarienapparat und Besuch durch Ameisen, Ichneumoniden ete. geschildert bei Tecoma radicans, T. grandiflora, Amphilophium paniculatum, A. molle, Bignonia grandifolia, B. capreolata, B. Tweediana, BD. Unguis, B. acutissisma, B. tetraquetra, Tecoma stans (T. scorbifolia hat keine Nektarien), T. capensis, T. jasminoides, T. diversifolia, Pithecoctenium buccina- torium, Adenocolymna (19 Spee.), Spathodea (8 Spee.), Pachyptera Foveolata, P. umbelliformis, Arten von Couralia, Delostoma, Diplanthera. Im ganzen finden sich in dieser Familie gegen 66°/, myrmekophile Arten. -- Pedalineae. Von Sesamum orientale und Pedalium Murex erwähnt bereits Linne die extranuptialen Nektarien, welche sich noch bei 11 Arten (unter den ca. 28 Arten der Familie) finden. — Die myrmekophilen Convolvulaceen bilden gegen 30°), der ge- samten Arten. Besonders erörtert werden: Batatas edulis, B. glaberri- mus, Ipomoea muricata, Pharbitis Nil, Calonyction Roxburghü, C.? muricatum, Quamoclit vulgaris, Pharbitis Learit. Die Familie der Verbenaceen zeigt alle Grade der Myrme- kophilie, selbst innerhalb derselben Gattung; so sind Ülerodendron Fragrans und C. Bungei ausgeprägte Ameisenpflanzen, während €. sipho- nanthus kaum noch Ameisen anlockt. Verbena und Vitex etc. haben keine extranuptialen Nektarien. Von Cerodendron sind etwa 33°, von Citharoxylum 66°, der Arten, von Duranta und Callicarpa je 3 Arten myrmekopbhil. — Von Serofularineen sind die Melampyrum- Arten mit extranuptialen Nektarien versehen; die Ameisen scheinen hier zur Verbreitung des Samens herangezogen zu werden. — Bei Brock, Vererbung erworbener Eigenschaften. 491 den Polygoneen haben Po/ygonum cuspidatum, Mühlenbergia adpressa, M. sagittifolia, M. platyclada, vielleicht auch Polyg. Convolvulus und P. dumetorum extranuptiale Nektarien. Unter den Euphorbiaceen sind Ameisennektarien in augenfälliger Menge bei Rieinus communis, Carumbium populneum, Crozophora tinctoria in der Laub- und Blüten- region vorhanden. Dieselben finden sich bei den Crotoneen (56 %/,), Acalypheen und Hippomaneen (je 20°/,), Euphorbieen (2 °/,); sie fehlen den Calitieen, Ricinocarpeen, Ampereen, Phyllantheen, Bridelieen, Dalechampieen. Die Verbreitung derselben bei den Salicineen und ihr Insektenbesuch sind von Trelease (Bot. Gaz., Nov. 1881) eingehend erörtert worden. Delpino schätzt die „potenze della funzione mirme- cofila* auf 87%/,. Von Orchideen werden als myrmekophil Epidendron elongatum, Limodorum Tankervillae, Oncidium, Notilia-Arten geschildert, bei denen die Nektarsekretion entweder an den Blättern oder Brak- teen oder am Kelch und Grund des Blütenstieles vor sich geht. Von Liliaceen werden besonders Lilium croceum, L tigrinum, von Asparagineen Asparagus acutifolius, von Smilaceen etwa 95 Arten, von Diosecoreaceen 3 Arten, von Emodoraceen Wachendorfia thyrsiflora, von lrideen Iris zyphium, I. halophila, I. graminea, von Musaceen ca. 25 Species von Heliconia, 4 von Strelitzia, 2 von Ra- venala, von Palmen Korthalsia debilis, K. lacinosa, K. ferox als myrmekophil aufgeführt. Von Farnkräutern besitzt bekanntlich Pteridium agquilinum, der Adlerfarn, an der Basis der untern Blatt- abschnitte Nektarien, die in Brasilien durch die Ameisengattung Cre- matogaster reichlich besucht werden und so einen wirksamen Schutz gegen die Blattschneiderameisen, Oecodoma, heranziehen. Zum Schluss erwähnt Delpino noch die Honigsekretion der Uredineen, Spermogonien und die Beobachtung von Ameisen an denselben durch Rathay. Ob die Sekretion auch hier dem Pilz zum Schutz dient (wie Delpino meint, indem das pilzbewirtende Blatt vor Tierfraß geschützt wird, oder, wie Referent meint, indem die Ameisen den Verheerungen des Pilzes durch Cecidomyidenlarven ete. direkt entgegenwirken), oder ob sie aus früherer Zeit übrig geblieben ist, wo etwa Insekten die Verbreitung der Spermatien besorgten, ent- zieht sich vorläufig einer sichern Kontrole. Einige ältere Autoren über die Vererbung erworbener Eigen- schaften. Von Dr. Brock. Unter den Um- und Weiterbildungsversuchen der Darwin’schen Lehre steht die für dieselbe wichtige Frage nach der Erbliehkeit er- worbener Eigenschaften augenblicklich im Vordergrunde des Interesses. Von der einen Seite sucht man auf dem Wege der exakten Beobacht- ung und des Experiments ihrer Lösung näher zu treten, von einer andern Seite erachtet man das Problem, bis zu einem gewissen Grade wenigstens — so weit essich um „funktionelle Anpassung“ handelt — 492 Brock, Vererbung erworbener Eigenschaften. für gelöst und glaubt die Bedeutung der Darwin’schen natürlichen Zuchtwahl für die Entstehung neuer Arten zu gunsten dieses zweiten Faktors wenigstens bedeutend einschränken zu müssen. Bei Gelegenheit historischer Studien, die ursprünglich ganz andern Zwecken galten, stieß ich bei einigen ältern Naturforschern und Philo- sophen auf Aussprüche und Meinungsäußerungen über diese augen- blicklich wieder die ganze wissenschaftliche Welt bewegende Frage. So weit mir die einschlägige Literatur bekannt ist !), habe ich nirgends eine Aeußerung gefunden, welche auf Bekanntschaft mit diesen ältern Zeugnissen pro und contra schließen ließe, und eine Mitteilung der- selben dürfte daher ein gewisses 'bescheidenes Interesse für sich in Anspruch nehmen, auch wenn sie sich nicht an so berühmte Namen, wie Aristoteles, Blumenbach und Kant knüpfte. Wenn nichts weiter, wird der Leser doch daraus entnehmen können, dass diese Tagesfrage der Deszendenztheorie nicht nur zu verschiedenen malen seit dem Altertum aufgeworfen, sondern auch in ebenso verschiedenem Sinne, wie in der Gegenwart, zum Teil unter Anführung derselben Gründe beantwortet worden ist. Die bezügliche Aeußerung des Aristoteles findet sich in seinem der Entwicklungsgeschichte gewidmeten Werk, den Büchern de genera- tione animalium. Aristoteles weist hier eine von Hippokrates und Heraklit herrührende Vererbungstheorie?) zurück, welche nach Darwin’s eignem Geständnis viel Aehnlichkeit mit seiner Pangenesis- Theorie hat?). Da zur Stütze dieser Theorie auch Vererbung erworbener Eigen- schaften ins Feld geführt wird, wuss Aristoteles sich auch mit dieser Frage befassen. Wir führen im Nachfolgenden seine eignen Worte über diesen Gegenstand, des schnellern Verständnisses wegen gleich in der Aubert und Wimmer’schen Uebersetzung®) an. Der Urtext ist ja jedem Interessenten leicht zugänglich. Die Stelle findet sich de animal. generat. lib. I $ 35 und lautet: „Die Kinder werden ihren Erzeugern ähnlich nicht allein in an- gcbornen, sondern auch in später erworbenen Merkmalen. Denn der Fall ist vorgekommen, dass wenn die Eltern Narben hatten, ihre 4) Da die Literatur über Vererbung nahezu unabsehbar ist, so ist es sehr leicht möglich, dass die hier mitzuteilenden Aussprüche doch schon irgendwo einmal erwähnt worden sind; allgemeiner bekannt sind sie jedenfalls nicht. Auf die bemerkenswerte Stelle bei Kant wird einmal von Weismann im Vorübergehen ohne genaueres Zitat hingewiesen (Weismann, Biolog. Gen- tralblatt III S. 48), doch glaubt auch Herr Weismann (nach gütiger brief- licher Mitteilung), dass sie noch niemals in extenso veröffentlicht worden ist. 2) Wenigstens nach dem Zeugnis von Haller, Element. physiol. VII S. 150 und Darwin (Das Variieren der Tiere und Pflanzen in Darwin’s ges. Werke, übers. v. J. V. Carus, Bd. IV, S. 407, Anm.). 3) Darwin ibid. 4) Aristoteles fünf Bücher von der Zeugung und, Entwicklung der Tiere, übers. u. erläutert von H. Aubert u. Fr. Wimmer. Leipzig 1860. 8. 73. Brock, Vererbung erworbener Eigenschaften. 493 Kinder an derselben Stelle das Zeichen der Narben hatten, und in Chalcedon zeigte sich bei dem Kinde eines Vaters, welcher auf dem Arme ein Brandzeichen hatte, derselbe Buchstabe, nur verwischt und nieht scharf ausgeprägt“. Obgleich Aristoteles der Vererbungstheorie gegenüber, zu deren Stütze diese angeblichen Beweise für eine Vererbung erworbener Eigenschaften dienen sollen, sich ablehnend verhält, werden diese Beweise von ihm selbst einfach referiert, ohne einen Versuch, zu ihrer Glaubwürdigkeit Stellung zu nehmen, und an einem andern Orte, wo er noch einmal kurz auf dasselbe Thema zurückkommt (de generat. animal. lib. I $ 50), scheint er sogar die Vererbung erworbener Eigen- schaften nicht zu bezweifeln, nur dass er glaubt, sie anders erklären zu müssen. Um so interessanter ist daher eine Stelle der Historia animalium (lib. VII Cap. 6 $ 46), die im wesentlichen die oben aus- führlich mitgeteilte Stelle wiederholt, aber mit einigen redaktionellen Aenderungen, welche einen entschieden veränderten Standpunkt des Verfassers zu der Frage kundgeben. Die Stelle ist wichtig genug, um hier auch wenigstens in Uebersetzung!) mitgeteilt zu werden. Es heißt dort: „Auch körperliche Gebrechen erben sich von Eltern auf Kinder, zum Beispiel zeugen Lahme und Blinde lahme und blinde Kinder, und überhaupt gleichen die Kinder den Eltern häufig in nicht natur- gemäßen Dingen und erben von ihnen gewisse Merkmale, wie Ge- wächse und Narben. Auch bis auf die dritte ?) Generation hat sich dergleichen schon fortgepflanzt: so hatte der Sohn eines Mannes, welcher auf dem Arme ein Brandzeichen hatte, dieses Zeichen nicht, wohl aber sein Enkel, und zwar an derselben Stelle, jedoch nicht deutlich ausgeprägt. Dergleichen Fälle sind selten; meistenteils wer- den von Verstümmelten wohl ausgebildete Kinder gezeugt, und es findet hierin keine feste Regel statt“. Das siebente Buch der Historia animalium ist bekanntlich nach allgemeiner Annahme unecht und von einem unbekannten Verfasser, der seiner Graeeität nach nicht viel später als Aristoteles gelebt haben kann, aus der Generat. animal. mit sparsamen eignen Zusätzen kompiliert ?). Was die angeführte Stelle besonders interessant macht, ist der Umstand, dass der unbekannte Kompilator hier eine von Aristoteles abweichende selbständige Meinung vertritt. Er wagt die angeführten Fälle von Vererbung erworbener Eigenschaften nicht ganz zu bezweifeln, aber er weist ihnen nur die Bedeutung von Aus- nahmen zu, wie das besonders der einen eignen Zusatz des Verfassers bildende Schlusspassus beweist. Bemerkenswert ist, dass hier die Besprechung dieser Frage in einem ganz andern Zusammenhange 1) Aubert u. Wimmer: Aristoteles Tierkunde, Bd. 2, Leipzig 1868, Seite 357. 2) In der entsprechenden Stelle der Genesis animal. war es die zweite. 3) Vergl. darüber Aubert u. Wimmer |. e. Bd. I. Einleitung. 494 Brock, Vererbung erworbener Eigenschaften. erscheint, die Vererbungstheorien mit den sich daran knüpfenden Diskussionen scheinen den Verfasser des 7. Buches der Historia anim. wenig interessiert zu haben!). Wir überspringen einen langen Zeitraum und wenden uns zu Kant, welcher die Frage der Vererbung erworbener Eigenschaften von der Speeies- und Rassenfrage ausgehend behandelt, und zwar nur, um von allgemeinen Gesichtspunkten aus bestimmte Anhalte für das engere Gebiet zu gewinnen, auf welchem er allein den beschreibenden Naturwissenschaften näher getreten ist, der Anthropologie. In einer ziemlich versteckten kleinen Abhandlung „Bestimmung des Begriffs einer Menschenrasse“?) sucht Kant nachzuweisen, dass die vier ver- schiedenen Menschenstämme, welche er allein anerkennt, Weiße, die gelben Indianer (unter welcher Bezeichnung Hindus und Malayen eigentümlicherweise zusammengeworfen werden), die Neger und die Amerikaner (unsere heutigen Indianer), den systematischen Wert von Rassen haben, weil ihre unterscheidenden Charaktere, als welche er irrigerweise nur die Hautfarbe gelten lässt, sehr konstant vererbt werden, obgleieh, wie die fruchtbare Kreuzung der Rassen unterein- ander und andere Wahrscheinlichkeitsgründe beweisen, sie von einer gemeinsamen Urform abstammen. In der konstanten Vererbung der trennenden Eigenschaften bei Abstammung von einer Stammform ist aber eben für Kant der Begriff der Rasse gegeben, und grade deshalb sind die verschiedenfarbigen Menschenstämme keine naturhistorischen Arten, sondern nur Rassen ein und derselben Art. Wie sind nun aber diese Rassen entstanden? Kant entscheidet sich dafür, dass die jetzt vorhandenen Rassenunterschiede im Keim schon in der Stammform angelegt waren und sich nur weiter zu ent- wickeln brauchten. Das Hauptbeweismittel dafür ist ihm die „Unaus- bleiblichkeit ihrer Anartung“ oder die konstante Vererbung ihrer cha- rakteristischen Merkmale, wie wir jetzt sagen würden, welche nieht stattfinden würde, wenn die unterscheidenden Eigentümlichkeiten der verschiedenen Menschenrassen nur nachträglich erworbene Anpassungen an die physischen Verhältnisse ihrer Umgebung wären. Denn — weder solehe Anpassungen, noch erworbene Eigenschaften im weitesten Sinne des Wortes werden überhaupt je vererbt. Ich möchte die Stelle, in welcher sich Kant über diesen Punkt ausspricht, trotz ihrer Länge hier wörtlich wiedergeben, weil niemand 1) Unter den antiken Schriftstellern, welehe die Vererbung erworbener Eigenschaften diskutiert haben, nennt Blumenbach (De generis hum. variet. nativa ed. III p. 106) auch Hippokrates. Vielleicht ist die von Godron (De Vespece et des races dans les &tres organises, T. II, Paris 1859, p. 300) zitierte Stelle gemeint. 3) Berlinische Monatsschrift, herausgeg. von Gedike u. Biester, Bd. VI 1785, 8. 390, später noch öfter gedruckt, z. B. in der Gesamtausgabe von Kant’s Schriften von Rosenkranz u. Sehnbert, Bd. VI, S. 355, zuletzt bei F. Schultze, Kant n. Darwin. Jena 1875. Brock, Vererbung erworbener Eigenschaften. 495 meines Wissens sich auch nur mit annähernd so großer Bestimmtheit, ja Schärfe gegen jede Möglichkeit des Vererbens erworbener Eigen- schaften ausgesprochen hat. Folgendes sind seine Aeußerungen!): „Zuerst: was dazu beitrage, dass überhaupt etwas, das nicht zum Wesen der Gattung gehört, vererben könne? a priori auszumachen, ist ein missliches Unternehmen; und in dieser Dunkelheit der Erkennt- nisquellen ist die Freiheit der Hypothesen so uneingeschränkt, dass es nur schade um alle Mühe und Arbeit ist, sich deshalb mit Wider- legungen zu befassen, indem ein jeder in solchen Fällen seinem Kopfe folgt. Ich meinesteils sehe in solchen Fällen nur auf die besondere Vernunftsmaxime?), wovon ein jeder ausgeht, und nach welehen er gemeiniglich auch Facta aufzutreiben weiß, die jene begünstigen; und suche nachher die meinige auf, die mich gegen alle jene Erklä- rungen ungläubig macht, ehe ich mir noch die Gegengründe deutlich zu machen weiß. Wenn ich nur meine Maxime bewährt, dem Ver- nunftgebrauch in der Naturwissenschaft genau angemessen und zur konsequenten Denkungsart allein tauglich befinde, so folge ich ihr, ohne mich an jene vorgeblichen Facta zu kehren, die ihre Glaub- haftigkeit und Zulänglichkeit zur angenommenen Hypothese fast allein von jener einmal gewählten Maxime entlehnen, denen man überdem ohne Mühe hundert andere Facta entgegensetzen kann. Das Anerben durch die Wirkung der Einbildungskraft schwangerer Frauen, oder auch wohl der Stuten in Marställen; das Ausrupfen des Bartes ganzer Völkerschaften, sowie das Stutzen der Schwänze an englischen Pferden, wodurch die Natur genötigt werde, aus ihren Zeugungen ein Produkt, worauf sie uranfänglich organisiert war, nachgrade weg zu lassen; die geplätschten |plattgedrückten Br.| Nasen, welche anfänglich von Eltern an neugebornen Kindern gekünstelt, in der Folge von der Natur in ihre zeugende Kraft aufgenommen wären: diese und andere Erklärungsgründe würden wohl schwerlich durch die zu ihrem Behuf angeführten Facta, denen man weit besser bewährte entgegensetzen kann, in Kredit kommen, wenn sie nicht von der ganz richtigen Maxime der Vernunft ihre Empfehlung bekamen, nämlich dieser: eher alles im Mutmaßen aus gegebenen Erscheinungen zu wagen, als zu deren Behuf besondere erste Naturkräfte oder anerschaffene Anlagen anzunehmen (nach dem Grundsatze: principia praeter necessitatem non sunt multiplicanda). Allein mir steht eine andere Maxime entgegen, welche jene, von der Ersparung entbehrlicher Prinzipien einschränkt, nämlich: dass in der ganzen organischen Natur bei allen Verände- rungen, einzelner Geschöpfe die Species derselben sich unverändert erhalten [nach der Formel der Schulen: quaelibet natura est conser- vatrix sui] 3). Nun ist es klar, dass, wenn der Zauberkraft der Ein- RL e2p399: 2) Alles hier gesperrt gedruckte ist es auch im Original. 3) Diese Behauptung steht mit der bekannten und jetzt viel zitierten Stelle in der Kritik der Urteilskraft (v. Kirchmann'’sche Ausgabe S. 299) durchaus 496 Brock, Vererbung erworbener Eigenschaften. bildung oder der Künstelei der Menschen an tierischen Körpern ein Vermögen zugestanden würde, die Zeugungskraft selbst abzuändern, das uranfängliche Modell der Natur umzuformen, oder durch Zusätze zu verunstalten, die gleich wohl nachher beharrlich in den folgenden Zeugungen aufbehalten würden, man gar nicht mehr wissen würde, von welchem Originale die Natur ausgegangen sei, oder wie weit es mit den Abänderungen desselben gehen könne, und, da der Menschen Einbildung keine Grenzen erkennt, in welche Fratzengestalt die Gat- tungen und Arten zuletzt noch verwildern dürften. Dieser Erwägung gemäß nehme ich es mir zum Grundsatze, gar keinen in das Zeugungs- geschäft der Natur pfuschenden Einfluss der Einbildungskraft gelten zu lassen, und kein Vermögen der Menschen, durch äußere Künstelei Abänderungen in dem alten Original der Gattungen oder Arten zu bewirken, solche in die Zeugungskraft zu bringen und erblich zu machen. Denn, lasse ich auch nur einen Fall dieser Art zu, so ist es, als ob ich auch nur eine einzige Gespenstergeschichte oder Zauberei einräumte. Die Schranken der Vernunft sind einmal durchbrochen, und der Wahnsinn drängt sich bei Tausenden durch dieselbe Lücke durch. Es ist auch keine Gefahr, dass ich bei diesem Entschlusse mich vorsätzlich gegen wirkliche Erfahrungen blind, oder, welches einerlei ist, verstockt, ungläubig machen würde. Denn alle dergleichen abenteuerliche Ereignisse tragen ohne Unterschied das Kennzeichen an sich, dass sie gar kein Experiment verstatten!), sondern nur durch Aufhaschung zufälliger Wahrnehmungen bewiesen sein wollen. Was aber von der Art ist: dass es, ob es gleich des Experiments gar wohl fähig, dennoch kein einziges aushält, oder ihm mit allerlei Vor- wand beständig ausweicht; das ist nichts als Wahn und Erdichtung. Dies sind meine Gründe, weshalb ich einer Erklärungsart nicht bei- treten kann, die dem schwärmerischen Hange zur magischen Kunst, welcher jede, auch die kleinste Bemäntelung erwünscht kommt, im nicht in Widerspruch. Es ist richtig, dass Kant dort eine Hypothese auf- stellt — „ein gewagtes Abenteuer der Vernunft“ nennt er sie ja bekanntlich —, welche im großen und ganzen als eine Deszendenztheorie bezeichnet werden kann. Wenn er aber auch annimmt, dass, von den einfachsten Lebenswesen angefangen, immer vollkommnere Formen aus den unvollkommenen und zwar auf dem Wege der direkten Deszendenz hervorgegangen sind, so ist er doch keineswegs der Meinung, dass dieser Vervollkommnungsprozess einer unend- lichen Dauer fähig ist, und aus irgend welcher innern oder mechanischen Ursachen mit Notwendigkeit immer neue Lebensformen die alten vom Schau- platz verdrängen müssen. Im Gegenteil erklärt er mit der größtmöglichen Bestimmtheit, dass dieser Prozess in den jetzt lebenden Tieren und Pflanzen sein Ende erreicht hat und neue Arten jetzt nicht mehr gebildet werden. Die gegenwärtige Species ist also für Kant durchaus konstant. 4) Hier geht Kant entschieden zu weit. Es ist nicht einzusehen, warum nicht die Frage nach der Vererbung erworbener Verstümmelungen an Tieren sollte experimentell behandelt werden können, wie das ja auch schon, wenn auch bisher in viel zu beschränktem Maßstabe, wirklich geschehen ist. Brock, Vererbung erworbener Eigenschaften. 497 Grunde Vorschub thut: dass nämlich das Anarten, selbst auch nur das zufällige, welches nicht immer gelingt [inkonstante Vererbung Br.], jemals die Wirkung emer andern Ursache, als der in der Gattung selbst liegenden Keime und Anlagen sein könne !)*. So weit Kant. Ich glaube nicht, dass heute jemand, auch wenn er prinzipiell seinen Standpunkt teilt, ihn doch mit solcher Schroffi- heit zu vertreten willens wäre; denn es wird doch wohl zugegeben werden müssen, dass Vererbung erworbener Eigenschaften mindestens als seltene Ausnahme einmal stattfinden könne. Wer sich übrigens die Mühe geben will, die beiden Aufsätze Kant’s im Original zu ver- gleichen, wird finden, dass Kant die Unmöglichkeit der Vererbung erworbener Charaktere nicht induktiv zu erweisen sucht, sondern deduktiv aus seinem Species-Begriff ableitet, was fiir die Einseitig- keit seines Standpunktes vielleicht eine Erklärung bietet. Blumenbach, der dritte Autor, zu welchem wir uns wenden, ist vorsichtiger. Er will sich für keine der beiden Meinungen ent- scheiden, wenn er sich auch auf die Seite derjenigen neigt, welche die Uebertragbarkeit erworbener Eigenschaften leugnen; doch verlangt er, um sich ihnen rückhaltslos anschließen zu können, von ihnen den Nachweis, dass eine derartige Vererbung nieht nur nicht stattfindet, sondern weshalb sie gar nicht stattfinden kann. Es braucht kaum bemerkt zu werden, dass dieser Forderung damals ebenso wenig ge- nügt werden konnte, als es heute möglich wäre. Blumenbach gelangt nicht nur auch in einer Schrift anthro- pologischen Inhalts zur Besprechung dieser Frage, nämlich in seiner berühmten Abhandlung: De generis humani varietate nativa?), sondern er wird auch durch ganz den gleichen Gedankengang, wie Kant, auf sie geführt. Auch er geht, um den systematischen Wert der ein- zelnen Menschenstämme festzustellen, von der allgemeinen Definition der Species und Varietät aus, um dann alles im Hinblick auf die spätere Anwendung auf die Menschenrassen — die Art und die Ur- sachen der Varietätenbildung oder der „Degeneration“, wie man damals allgemein sagte?), einer genauern Erörterung zu unterziehen. Bei 1) Wie ein kurzer Passus in einer andern anthropologischen Schrift Kant’s (von den verschiedenen Rassen des Menschen, Königsberg 1775, und öfters, Ausgabe von Rosenkranz u. Schubert Bd. VI S. 313) lehrt, vertrat er schon damals, also 10 Jahre früher dieselbe Meinung. Der Satz lautet: „Denn in die Zeugungskraft muss nichts dem Tiere Fremdes hineinkommen können, was vermögend wäre, das Geschöpf nach und nach von seiner ursprüng- lichen und wesentlichen Bestimmung zu entfernen und wahre Ausarten hervor- zubringen, die sich perpetuieren“. 2) Doch finden sich diese allgemeinen Betrachtungen über den Species- begriff, in deren Gefolge dann auch das uns hier interessierende Problem er- scheint, erst von der dritten gegen die beiden ersten stark umgearbeiteten Auflage (Göttingen 1795) ab. 3) Für das, was wir jetzt allgemein eine Varietät oder Spielart nennen, \UNE 39 498 Brock, Vererbung erworbener Eigenschaften. dieser musste auch die Frage berührt werden, ob durch erbliche Fixierung erworbener Eigenschaften neue Varietäten entstehen könnten, und Blumenbach hat in richtiger Erkenntnis ihrer Wichtigkeit derselben ein ganzes Kapitel gewidmet, welches die Ueberschrift trägt: „Quaestio problematica; anne et mutilationes aliave artifieia nativis animalium varietatibus ansam praebere possint ?“ Die nicht allzu ausgedehnte Erörterung dieser Frage ist interessant genug, um hier unverkürzt wiedergegeben zu werden. Da Blumen- bach’s Latein stellenweise dem Verständnis Schwierigkeiten bietet, habe ich es vorgezogen, diesen Passus gleich lieber in freier Ueber- setzung zu bringen. „Man hat die Frage aufgeworfen, ob auch Entstellungen oder Verstümmelungen, mögen sie bei Tieren absichtlich oder durch Zufall erzeugt werden, besonders wenn sie eine lange Reihe von Genera- tionen hindurch sich wiederholt haben, endlich im Laufe der Zeit gleichsam zur andern Natur werden können, so dass, was früher künstlich hervorgebracht war, nun zu einer angestammten Bildung sich entwickelt hat. Diese Frage ist von einigen bejaht, von andern dagegen in negativem Sinne beantwortet worden. Die erstern weisen als Beispiel dafür auf die Fälle hin, wo Junge verschiedener Tierarten, z. B. vom Hund, der Katze ete., nach der Versicherung glaubwürdiger Zeugen mit verstümmeltem Schwanze oder Ohren von Eltern, welche derselben Teile beraubt waren, ge- worfen wurden; ebenso wie auf die Fälle, wo bei Völkern, die die Beschneidung üben, von Zeit zu Zeit Knaben mit von Natur aus rudi- mentärer Vorhaut geboren werden, oder die Fälle, wo die Eltern nach einer Verwundung Narben behielten, deren Spuren dann bei den Kindern als angeborene Merkmale wieder erschienen, wie das ver- gebrauchte Linn& zuerst den Ausdruck „variatio*, den er in seinen spätern Schriften — aus welchem Grunde ist nicht ersichtlich — mit dem Ausdruck „varietas* vertauschte. In den letzten Dezennien des vorigen Jahrhunderts findet sich dieser Ausdruck sehr schnell und allgemein verdrängt von dem Worte „degeneratio“, „Ausartung“*, wie man auch das Variieren eines Tieres oder einer Pflanzenart allgemein als „degenerieren“ oder „ausarten“* bezeichnete. Es darf diese Degeneration. durchaus nicht im Sinne einer physischen Ver- schlechterung aufgefasst werden, wie Darwin, offenbar unbekannt mit dieser Bedeutung von Degeneration, es einmal gethan und dadurch eine Stelle bei Blumenbach gründlich missverstanden hat (vergl. Darwin, Das Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation, Bd. II, J. V. Carus’sche Uebers. S. 225), sondern was degeneriert ist der Typus der Art, der durch die neu auftretenden Merkmale der Varietäten verdunkelt und so gleichsam verschlechtert wird. Ich glaube nicht zu irren, wenn ich das Aufkommen dieser Bezeichnung dem Einflusse Buffon’s zuschreibe, welcher es zuerst konsequent in diesem Sinne gebraucht zu haben scheint. (Ein längerer Aufsatz Buffon’s [hist nat., t. XIV, 1766] über den Einfluss der Außenwelt auf die Variabilität der Species führt bekanntlich den Titel: „De la degeneration des animaux“.) Gegen den Anfang des 19. Jahrhunderts scheint der Ausdruck „Degeneration“ wieder sehr schnell verschwunden zu sein. Quincke, Ueber Protoplasmabewegung. 499 bürgt ist. Ja Buffon ging so weit, einige besonders charakteristische Merkmale mancher Tiere auf eine ähnliche Ursache zurückzuführen, wie die Schwielen auf der Brust und den Unterschenkeln der Kamele, oder die nackte abschilfernde Stirn der Saatkrähe. Die Anhänger der gegenteiligen Ansicht werden diese Auffassung Buffon’s als eine sogenannte petitio prineipii nicht ohne Berech- tigung zurückweisen, die übrigen Beispiele aber, welche wir angeführt haben, eher als ein Spiel des Zufalls erklären wollen. Bis jetzt trete ich keiner von beiden Parteien bei, weder den Anhängern noch den Gegnern dieser Vererbungstheorie, doch würde ich die Sache der letztern gern zu der meinigen machen, wenn sie mir nachweisen könnten, warum solche auffällige Bildungsfehler, die zunächst durch Absicht oder Zufall entstanden sind, in keiner Weise auf die Nachkommen sollten übertragen werden können, während doch andere Rassencharaktere aus andern bisher unbekannten Gründen, wie sie sich besonders im Gesicht ausprägen, wie Nase, Lippen, Augen- brauen etc. bisweilen durch mehr oder weniger Generationen mit größerer oder geringerer Beständigkeit in Familien vererbt werden, ebenso wie organische Krankheiten, Fehler der Sprache und Aus- sprache und was dergleichen Dinge mehr sind, wenn man nicht etwa auch das alles nur dem Zufall zuschreiben will“. Zehn Jahre später unternahm es Lamarcek bekanntlich, die Ver- erbung erworbener Eigenschaften methodisch für die Erklärung der Abstammung der Arten zu verwerten. So spurlos dieser auf so breiter Basis angelegte Versuch an den Zeitgenossen vorüberging, ist trotzdem das Problem, auf welchem er sein System errichtete, nie wieder ganz zur Ruhe gekommen. Freilich erscheint es auch bei allen Autoren des 19. Jahrhunderts immer nur im Zusammenhange mit den Gründen der Rassen- und Varietätenbildung, ganz wie wir es bei Kant und Blumenbach kennen gelernt haben. Zu einer Frage von fundamentaler Wichtigkeit sollte die Vererbbarkeit er- worbener Eigenschaften erst durch die Darwin’sche Theorie erhoben werden. Ueber Protoplasmabewegung. Von G. Quincke. Herr G. Quincke hat im Verlauf seiner Untersuchungen über die Oberflächenspannung der Flüssigkeiten gezeigt, dass ein Tropfen Oel in einer verdünnten Sodalösung durch fortwährende Bildung von Seife, Auflösung der Seife, Ausbreitung der gebildeten Seifenlösung an der Grenze von Oel und wässeriger Flüssigkeit und Wiederholung dieser Vorgänge Formänderungen zeigt, welche mit denen einer Amöbe große Aehnlichkeit haben. Achnlich wie Sodalösung wirken Eiweiß- lösungen, indem bei Berührung von Eiweiß und Oel eine Substanz entsteht, welche ähnlich wie Seife wirkt und welche er der Kürze 32% 500 Quincke, Ueber Protoplasmabewegung. wegen als Eiweißseife bezeichnet. Neuerdings hat Herr Q. periodische Bewegungen beobachtet, welche unter gewissen Umständen infolge der Oberflächenspannung entstehen, und diese haben ihn zu Unter- suchungen über Protoplasmabewegung geführt, welche er in den Sitzungsberichten der k. preuß. Akad. d. Wissensch. v. 12. Juli d. J. mitgeteilt hat: Die Ausbreitung von Eiweißseife an der Berührungsfläche fetter Oele mit Wasser ist die Ursache der Protoplasmabewegung bei Pflanzen und niedern Tieren. Die Zellen der Pflanzen enthalten im allgemeinen in einer festen Hülle, der Zellhaut oder der Zellwand, ein Gemenge verschiedener Eiweißstoffe mit Wasser, festen Körnchen, Stärke, Chlorophyll, Fett- tröpfehen u. s. w. An diesem Zellinhalt lassen sich drei Teile unterscheiden: die äußere glashelle Hautschicht des Protoplasmas, das körnige Proto- plasma und eine wässerige, leicht bewegliche Flüssigkeit im Innern, der Zellsaft. Die glashelle, schleimige Hautschicht enthält Schleimklümpchen, ist nach außen scharf begrenzt durch den Plasmaschlauch und liegt mit diesem an der Zellwand an. Bei den Zellen vieler Pflanzen (Zlodea, Nitella, den Staubfaden- haaren von Tradescantia, den Wurzelhaaren von Trianea bogotensis) sieht man die Hautschicht und die Körnerschicht des Plasmas in einer wälzenden Bewegung. Die schleimigen, klebrigen Plasmamassen wer- den mit bald größerer, bald kleinerer Geschwindigkeit parallel der Wand fortgeschoben und ziehen gleichsam die eingeschlossenen festen Körnehen mit sieh fort. Die in der Nähe des Plasmaschlauches be- wegten Plasmamassen durchlaufen dabei in sich selbst geschlossene ;ahnen. Außer dieser Rotation genannten Bewegung des wandstän- digen Plasmas beobachtet man noch hin- und herlaufende Zirkulations- bewegungen des Plasmas, längs der festen Fäden oder Bänder, welche, frei durch den Saftraum ausgespannt, das wandständige Protoplasma mit dem den Zellkern umhüllenden Protoplasma verbinden. Die Bewegung des Plasmas dauert noch fort, wenn man die Pilanzenzelle in wässerige Lösungen von Kalisalpeter, Kochsalz, Rohr- zucker oder Glyzerin bringt. Der Plasmaschlauch löst sich an ein- zelnen Stellen oder überall von der Zellwand los, indem die Salzlösung dem Zellinhalt Wasser entzieht [Plasmolyse!)]. Sehr hänfig zeigen die losgelösten Stellen des Plasmaschlauches dabei scharf begrenzte kreisförmige oder kugelförmige Ränder, an denen man mit den stärksten Vergrößerungen keine Falten erkennen kann. Die konvexe oder die konkave Seite. dieser kugelförmig begrenz- ten Räume kann dem Innern der Zelle zugewandt sein, je nachdem der Plasmaschlauch sich von der Zellwand loslöst oder daran haften bleibt. 1) Pringsheim, Untersuchungen über den Bau und die Bildung der Pflanzenzelle. Berlin 1854. Quincke, Ueber Protoplasmabewegung. 501 Zeigt die Oberfläche des von der Zellwand losgelösten Plasma- schlauches Falten, so verschwinden diese meist, wenn man die Salz- lösung wieder durch Wasser ersetzt und von neuem Wasser durch den Plasmaschlauch zu dem Innern der Zelle treten lässt. Beim Wiederaufquellen des Plasmaschlauches können dann nach außen konkave kuglige Begrenzungsflächen eben werden und in nach außen konvexe Begrenzungsflächen übergehen. Bei der Plasmolyse können die Plasmamassen in zwei oder mehrere durch Kugelabschnitte oder Kugeln begrenzte Abteilungen (Vakuolen) zerfallen, die sich bei der Quellung wieder nähern und wieder zu einem von einem einzigen Plasmaschblauch umhüllten Raume vereinigen können. Unter Umständen können die beiden Abteilungen beim Aufquellen auch nicht zusammenfließen und durch eine ebene Fläche getrennt bleiben, wie zwei gleich große Seifenblasen, die man mit einander in Berührung bringt. Man muss aus diesen Erscheinungen mit Rücksicht auf die physi- kalischen Eigenschaften fester und flüssiger dünner Lamellen schließen, dass der Plasmaschlauch aus einer sehr dünnen flüssigen Membran besteht, welche den schleimigen und wässerigen Inhalt der Zelle in einer geschlossenen Oberfläche umhüllt, ähnlich wie bei einer Seifen- blase die Luft von einer dünnen Haut aus flüssigem Seifenwasser eingeschlossen ist. Die Substanz dieser Membran muss eine Flüssigkeit sein, welche in Wasser Tropfen bildet. Da von allen bekannten Stoffen der orga- nischen Natur nur Oele diese Eigentümlichkeit zeigen, so muss der Plasmaschlauch aus fettem Oel oder flüssigem Fett bestehen. Die Dicke dieser Oelschicht kann so gering sein, kleiner als Omw0001, dass man sie mikroskopisch nicht mehr wahrnehmen kann. Die Protoplasmabewegung hat ihren Grund in der periodischen Ausbreitung von Eiweißseife an der innern Oberfläche der Oelhaut, die den Plasmaschlauch bildet. Das in der Hautschicht der schleimigen Plasmamassen enthaltene Eiweiß muss unter Einwirkung des absorbierten Sauerstoffs mit dem Oel des Plasmaschlauches in der oben unter 1) geschilderten Weise Eiweißseife bilden, die sich an der gemeinsamen Grenze von Oel und wässeriger Flüssigkeit ausbreitet. Durch die Ausbreitung werden Teilchen aus dem Innern des Oels und der wässerigen Flüssigkeit an die gemeinsame Grenzfläche gezogen. Es kommen frische Massen Oel und Eiweiß in Berührung, aus denen sich wieder nach einiger Zeit Eiweißseife bildet, auflöst und ausbreitet. Die Ausbreitung erfolgt mit größerer Energie nach der Seite der gemeinsamen Grenzfläche, welche die größere Beweglichkeit hat und welche am wenigsten durch Eiweißseife von der vorhergehenden Aus- breitung verunreinigt ist. Die periodische Verschiebung regelt sich also so, dass eine einseitige Verschiebung der schleimigen Plasma- massen an der Grenze von Oel und wässeriger Flüssigkeit auftritt, 302 Quincke, Ueber Protoplasmabewegung. wie ich es auch bei der Ausbreitung von Eiweiß an der Grenze von Oel und Wasser künstlich habe hervorrufen können. Es stellt sich also auf der ganzen geschlossenen Oberfläche eine scheinbar kuntinuierliche, in Wirklichkeit stoßweise auftretende Ver- schiebung der schleimigen Protoplasmamassen her in einer geschlos- senen Babn an der innern Oberfläche des Plasmaschlauches,- die Rotationsbewegung des Plasmas. Wird ein Teil der gebildeten und ausgebreiteten Eiweißseife in der umgebenden Flüssigkeit aufgelöst, so begünstigt dies die perio- dische Ausbreitung. Die Energie der Ausbreitung und die Größe der Verschiebung bei jeder einzelnen Ausbreitung hängt von der Geschwindigkeit ab, mit der die Eiweißseife sich bildet, auflöst und ausbreitet, also auch von der Zähigkeit des Oels und der schleimigen Plasmamassen, die durch die Ausbreitung nach der Grenzfläche oder der festen Zellwand hingezogen werden. Bei zu hoher und zu niedriger Temperatur muss die Plasma- bewegung ausbleiben, wie man es in der That beobachtet hat!). Die Plasmamassen können bald rechts bald links herum an der Oberfläche des Plasmaschlauches verschoben werden, je nachdem zu- fällig die ersten Verschiebungen ausfielen. Die schleimigen Plasmamassen ziehen die festen Körnchen, Stärke, Chlorophyll u. s. w. mechanisch mit sich fort, welche aber hinter den schleimigen Plasmamassen selbst zurückbleiben. Die leicht be- wegliche Flüssigkeit im Innern der Zelle wird unbedeutend oder gar nicht mitgerissen. Dadurch erklärt sich die Anordnung der verschie- denen Schichten, die man in dem wandständigen Protoplasma unter- schieden hat. Die von zwei Flüssigkeiten absorbierte Luft scheidet sich immer an der gemeinsamen Grenze ab, wenn man zwei Flüssigkeiten mit einander in Berührung bringt, wie ich schon früher nachgewiesen habe?). Der in Oel und Eiweiß absorbierte Sauerstoff wird also, wenn durch die Ausbreitung frische Mengen von Oel nnd Eiweiß mit einander in Berührung kommen, sich an der Grenzfläche abscheiden und hier die Bildung der Eiweißseife begünstigen. Fehlt der Sauer- stoff, so hört die Bildung der Eiweißseife und die Ausbreitung auf, die Protoplasmabewegung stockt, wie Herr Kühne?) in der That nachgewiesen hat. Eine Reihe anderer, mehr nebensächlicher Erscheinungen ist mit dieser Theorie der Protoplasmabewegung in voller Uebereinstimmung, wie die plötzlichen Verschiebungen des von der Zellhaut losgelösten Plasmaschlauches nach einem oder dem andern Ende der länglichen }) J. Sachs, Flora 1864. S. 65—68. — W. Kühne, Protoplasma 1864. S. 100—103. 2). Poge) Ann9439 7.82 19..,1870: 3) W. Kühne, Protoplasma 1864. S. 105. (Quincke, Ueber Protoplasmabewegung. 505 Zelle, indem der kapillare Druck der kugelförmigen Endflächen durch Ausbreitung geändert wird; die Bildung neuer kleiner Vakuolen an der Stelle, wo der Plasmaschlauch beim Aufquellen reißt; die Winkel von 120°, unter denen die Grenzflächen zweier benachbarter Vakuolen sich schneiden; die stoßweise Bewegung des körnchenführenden Zell- inhalts nach dem Platzen eines Plasmaschlauches durch periodische Ausbreitung an Stellen des Plasmaschlauches, die noch an der Zell- wand haften; dass der Plasmaschlauch für bestimmte chemische Ver- bindungen wie Säuren leicht durchgängig ist, während er Salpeter, Kochsalz, Zucker nicht durchlässt!); dass Induktionsschläge, welche mit Wasser gefüllte Oelblasen nach meiner Erfahrung zum Platzen bringen, anch die Protoplasmabewegung zerstören ?). Ich habe ferner gefunden, dass von fetten Oelen umgebenes festes Eiweiß Wasser aufnimmt und flüssig wird, wenn das Oel mit Wasser in Berührung gebracht wird; dass dabei Bewegungen wahrzunehmen sind, die von periodischer Ausbreitung herrühren und der Protoplasma- bewegung sehr ähnlich sind; dass endlich mit Salzlösung gefüllte Oelblasen in Salzlösung ihr Volumen verkleinern. Eine wesentliche Rolle bei der Protoplasmabewegung spielt ferner das feste Eiweiß, welches entsteht, sobald eiweißhaltige Flüssigkeit mit Sauerstoff in Berührung kommt. Lässt man -filtriertes Hühnereiweiß in einem hohlen Glasfaden hin und herlaufen, so bilden sich an den Enden „Schwänze“ oder Luftblasen mit spitzen und faltigen, statt mit kugelförmigen Grenz- flächen. Diese Erscheinung beweist das Vorhandensein dünner fester Häutchen, die sich im Wasser oder wässerigen Eiweiß wieder auf- lösen können. Die festen Häutehen können so dünn sein, dass sie mikroskopisch nicht mehr wahrnehmbar sind. Sie bilden sich um so eher unter sonst ähnlichen Bedingungen, je mehr festes Eiweiss die Flüssigkeit enthält, und scheinen in vielen Gebieten der Natur eine bedeutende Rolle zu spielen. Da die absorbierte Luft an der Grenze von Oel und wässeriger Flüssigkeit, also an der innern Oberfläche des Plasmaschlauches, ab- geschieden wird, so entstehen hier aus dem Eiweiß der Hautschicht des Plasmas feste Eiweißfäden, oder feste Eiweißbänder. Diese machen die Oelschicht des Plasmaschlauches unbeweglicher und ver- zögern das Zerreißen der Oelhaut bei der Ausbreitung der Eiweil- seife. Bei der Plasmolyse erscheint daher der von der Zellhaut los- gelöste Plasmaschlauch oft runzlig. Beim Wiederaufquellen löst das zutretende Wasser diese festen Eiweißfäden, die Falten des Plasma- schlauches verschwinden, und die flüssige Membran nimmt glatte Kugelgestalt an, wie die Eigenschaften flüssiger Lamellen verlangen. Ab und zu werden feste mit Oel benetzte Eiweißbänder von dem Plasmaschlauch durch die Ausbreitung losgerissen und setzen sich 2) W. Kühne, Protoplasma 1864. S. 96. 504 Quincke, Ueber Protoplasmabewegung. an andern Eiweißfäden fest. Außerdem hängt der Zellkern durch ölbekleidete feste Eiweißfäden mit dem festen Eiweiß des Plasma- schlauches zusammen. An der Oberfläche der dünnen Oelschicht dieser freiständigen festen Eiweißbänder findet nun auch eine Bildung von Eiweißseife und periodische Ausbreitung statt, wie an der innern Fläche des Plasmaschlauches. Diese periodische Ausbreitung zieht einen Teil der schleimigen Plasmamassen nach dieser Oeloberfläche hin. Dies erklärt die Zirkulationsbewegung des Plasmas. An demselben festen Eiweißband kann die Oeloberfläche durch neugebildete feste Eiweißfäden unterbrochen werden. Man kann an demselben freiständigen Eiweißband gleichzeitig zwei Bewegungen in entgegengesetzter Richtung und von sehr verschiedener Geschwindig- keit beobachten, wie ich auch mit dem Mikroskope an der Grenze von fetten Oelen und Eiweiß zwei solche entgegengesetzte Bewegungen häufig wahrgenommen habe. Diese festen Eiweißfäden können sich nun bilden, wo sich reich- lich Sauerstoff findet, oder lösen, wo sie mit wässerigem Zellsaft in Berührung kommen. Dadurch erklärt sich das wechselnde Bild, welches die freiständigen Plasmafäden mit Zirkulationsbewegung im Innern der Zellen bieten. Manchmal zerreißen mehrere der freiständigen Plasmafäden. Der Oelüberzug der andern Fäden will dann möglichst kleine Oberfläche annehmen, vereinigt sich mit dem Oel des Plasmaschlauches und zieht den Zellkern schnell nach der Zellwand hin. In fetten Oelen sind Substanzen löslich, welche bei Zutritt von Wasser aus dem Oel abgeschieden werden, welche dann Wasser an- ziehen, kugelförmig begrenzte Hohlräume und an der Grenzfläche mit dem Wasser sehr dünne, feste Häute bilden — die letztern wahr- scheinlich unter dem Einfluss des hier abgeschiedenen Sauerstoffs der absorbierten Luft. Ich möchte diese Substanzen auch für Eiweiß halten und will sie vor der Hand auch Eiweiß nennen. Es würden also Eiweiß in fetten Oelen und umgekehrt fette Oele im Eiweiß löslich sein. Dieses im Oel des Plasmaschlauches lösliche Eiweiß muss an der äußern Oberfläche der dünnen Oelhaut des Plasmaschlauches feste Bänder bilden, die mit den oben besprochenen Eiweißbändern der innern Oeloberfläche ein Netzwerk bilden und den Plasmaschlauch an der Zellhaut festhalten. Bei der Plasmolyse werden diese festen Eiweißbänder an einzelnen Stellen gelöst oder zerrissen, an denen sich dann der Plasmaschlauch von der Zellhaut trennen kann. Bei der Plasmolyse bildet die Oberfläche des ganzen Plasmaschlauches oder der aus ihm entstandenen Vakuolen ganz genau Formen, wie sie bei Oelkugeln oder Oelblasen im Wasser wahrzunehmen sind, wenn im Oel kleine feste Teilchen oder feste Membranen verteilt sind. Quincke, Ueber Protoplasmabewegung. 905 Jedenfalls spielen dünne Oellamellen und die Ausbreitungserschei- nungen auch bei der Entstehung, Neubildung und Teilung der Zellen, die immer einen Kern oder eiweißartige Substanz enthalten, eine entscheidende Rolle. In ähnlicher Weise wie an Pflanzenzellen kann man im Innern oder an der Oberfläche von niedern Tieren (Amöben, Infusorien) Bewegungserscheinungen beobachten, die sich durch Ausbreitung von Eiweißseife an der Grenzfläche von fetten Velen mit wässeriger Flüssig- keit erklären lassen. Die Formänderungen und Bewegungen von Amöben unter einem Deckglas oder auf einem Objektträger zeigen die allergrößte Aehn- lichkeit mit den in 1 und 3 besprochenen Formänderungen und Be- wegungen von Oelmassen in der Nähe einer festen Wand. Wahrscheinlich bildet sich in den lebenden Tieren an einzelnen Stellen Eiweißseife, die sich auf der Grenzfläche an flüssigem Fett und Wasser ansammelt. Für den Ueberzug mit Fett spricht die Kugel- form, die viele dieser Tiere annehmen können. Eine mit Oel bekleidete schleimige Masse bewegt sich unter Wasser nach der Stelle hin, wo Soda oder Eiweiß in großer Ver- dünnung in Wasser verteilt die Oeloberfläche trifft. Die ölbekleideten schleimigen Massen legen sich dabei an feste oder schwer bewegliche Wände an, ziehen im Wasser verteilte feste Körnchen in das Oel oder in die vom Oel bedeckten schleimigen Massen hinein. Eiweißhaltige Nahrung muss also in das Innere soleher ölbeklei- deten schleimigen Tiere hineingezogen werden, wie wir es in der That in der Natur wahrnehmen. Dabei können mikroskopisch nicht mehr wahrnehmbare Oelschich- ten diese Erscheinungen hervorrufen. Und Fetttröpfehen findet man in jedem Protoplasma. Die Fädehenströmung oder Körnchenbewegung an Pseudopodien würde sich wie die Zirkulationsströmung an den freiständigen Fäden im Innern von Pflanzenzellen erklären, sobald man die wahrschein- liehe Annahme macht, dass die Pseudopodien mit einer dünnen Oel- haut bedeekt und die Körnchen eiweißhaltig sind. Die stoßweise Bewegung von Diatomeen in Wasser erfolgt in einer Weise, als ob das Tier mit einer unmerklich dünnen Oelschicht bedeckt wäre, auf welcher plötzlich eine Ausbreitung (von Eiweiß- seife) stattfände. Im Innern von Stentor und ähnlichen Tieren zeigen sich kugel- förmige mit körnchenfreier oder körnchenhaltiger Flüssigkeit gefüllte Hohlräume oder Blasen (Vakuolen), deren Grenzflächen dieselben Gesetzmäßigkeiten zeigen wie Seifenwasserlamellen. Aus einem ver- letzten Tiere treten Plasmamassen aus in das umgebende Wasser und bilden neue kugelige Blasen nach ähnlichen Gesetzen, die sich vergrößern, platzen oder zu größern Blasen vereinigen. Die in das Wasser ausgetretenen schleimigen Massen haben das Bestreben Kugel- 506 Zuntz, Zur Physiologie der Atmung. form anzunehmen und zeigen dabei ganz dieselben Erscheinungen wie festes Eiweiß, das an der Grenze von Oel und Wasser Oelblasen bildet, periodische Ausbreitung zeigt und schleimige Fäden bildet, die sich zu kugelförmigen Massen zusammenziehen. Bei Lembadion bullinum habe ich pulsierende Vakuolen, mit körnchenfreier Flüssigkeit gefüllte kugelige Blasen, gesehen, die sich vergrößerten, und nach dem Ausgang eines kleinen Kanals im Tier- leib zusammenzogen. In der Umgebung der großen Vakuole ent- standen eine oder mehrere kleine neue Blasen, die sich vergrößerten, zusammenflossen und wie die erste größere wieder nach dem Ausgang des kleinen Kanals zusammenzogen. Die Vakuolen änderten dabei vor der Vereinigung ihre Lage in der umgebenden Plasmamasse. Lange Zeit bildeten sich kleine Vakuolen, die sich alle 11 Se- kunden entleerten, dazwischen einige Zeit größere Vakuolen, deren Entstehung und Entleerung 17 Sekunden dauerte. Eine faltige Oberfläche, die auf das Vorhandensein einer festen Membran hingedeutet hätte (und die ich bei Vakuolen anderer Tiere wahrgenommen habe), habe ich an diesen Vakuolen niemals sehen können, auch nicht mit den stärksten Vergrößerungen. Es machte die Erscheinung auf mich den Eindruck, als ob mit Oel bekleidete hygroskopische Eiweißmassen durch die Oelhaut hin- durch Wasser aufgenommen und Blasen gebildet hätten, die dann stets zum Platzen gebracht wurden durch Eiweißseife oder eine andere ähnliche Substanz, welche sich im Ausgang des kleinen Kanals gebildet hatte. Abgesehen von der Geschwindigkeit, mit der die Diffusion von statten ging, würde der Vorgang ganz analog denjenigen sein, die man an ölbedecktem Eiweiß in Wasser oder dem Plasmaschlauch der Pflanzenzellen beim Wiederaufquellen nach der Plasmolyse beobachtet. Schließlich möchte ich nicht unterlassen, an dieser Stelle den HH. Askenasy, Blochmann, Bütschli, Kühne, Peitzer und Pringsheim, welehe mir in der liebenswürdigsten Weise die Durch- führung dieser Untersuchungen erleichtert haben, meinen verbind- lichsten Dank auszusprechen. Zur Physiologie der Atmung. Von N. Zuntz. Die Lehre von der Innervation der Atmung ist in diesem Blatte schon mehrfach zusammenfassend behandelt worden (von Rosenthal Bd. I Nr. 3, 4 u. 6, von mir Bd. II Nr. 6, von Knoll Bd. VI Nr. 10). In Bd. VI S. 54 findet sich eine Mitteilung von Geppert und mir, in Bd. VII 8. 444 eine daran anschließende von A. Löwy, welche die hauptsächliehsten Resultate unserer inzwischen in Pflüger’s Archiv Bd. 42 ausführlich publizierten Experimentaluntersuchungen enthalten. Mit diesen Untersuchungen wurden an gleichem Orte einige weitere Zuntz, Zur Physiologie der Atmung. 307 in meinem Laboratorium ausgeführte Versuchsreihen publiziert, über welehe ich hier kurz beriehten möchte. — Geppert und ich hatten dargethan, dass das Blut nicht nur durch seinen Gasgehalt auf das Atemzentrum wirkt, sondern dass diese Wirkung mehr noch durch gewisse im Blute gelöste Stoffe, welche namentlich bei der Muskelthätigkeit demselben in großen Mengen zugeführt werden, bedingt ist. — Es galt nun die Natur dieser Stoffe genauer zu ergründen, eine Aufgabe, welche ©. Leh- mann und A. Löwy von 2 verschiedenen Gesichtspunkten in Angriff genommen haben. Der letztere suchte zu entscheiden, ob die wirk- samen Stofle, welche ja wenige Minuten nach dem Aufhören der Muskelthätigkeit nieht mehr im Blute vorhanden sind, etwa durch die Nieren ausgeschieden werden. Er sammelte den Harn von Ka- ninchen während vollkommner Ruhe und während starker durch elek- trische Reizung erzeugter Muskelthätigkeit. Proportionale Mengen wurden dann andern Kaninchen in eine Vene injiziert, während die Atemgröße an der Gasuhr gemessen wurde. Die Injektion hatte eine kurz dauernde mäßige Steigerung der Atemgröße zur Folge, welche aber bei Ruhe- und Tetanusharn gleich gering war. Mit diesem negativen Resultat stimmt das Ergebnis einer zweiten Versuchsreihe, bei der gleich starker und gleich lang dauernder Te- tanus in seiner Wirkung auf die Atmung vor und nach Zuschnürung der mit einer Fadenschlinge umgebenen Nierengefäße geprüft wurde. Der Effekt war in beiden Fällen von gleicher Stärke und Dauer. — Da sie nicht durch den Harn als solche eliminiert werden, müssen die reizenden Substanzen im Organismus in kurzer Zeit irgendwie unwirksam gemacht werden. Es liegt nahe anzunehmen, dass sie oxydiert werden, um so mehr als Pflüger und Alex. Schmidt die Gegenwart von oxydierbaren Substanzen im Blute, deren Menge nach Muskelthätigkeit vermehrt ist, nachgewiesen haben. Einen etwas genauern Einblick in die Natur dieser Substanzen gibt die Arbeit von Lehmann. Derselbe ging bei seinen Unter- suchungen von der Thatsache aus, dass bei der Muskelarbeit außer Kohlensäure auch feste Säuren gebildet und in solcher Menge ins Blut gebracht werden, dass dessen Alkaleseenz unter Umständen erheblich abnimmt. Er konnte nachweisen, dass Abnahme der Blutalkalescenz die Atembewegungen verstärkt, Zu- nahme sie abschwächt. — Die Einführung der sauren resp. alkalischen Lösungen erfolgte in die Ader einer vorher motorisch und sensibel gelähmten Extremität und bei leichter gleichmäßiger Aethernarkose des Tieres, um jede Möglichkeit der Reizung sensibler Nerven auszuschließen. Ob die Säure die einzige bei der Muskel- thätigkeit gebildete reizende Substanz sei, oder ob auch noch unbe- kannte leieht oxydierbare Stoffwechselprodukte beteiligt sind, muss vorläufig dahingestellt bleiben. — Das schnelle Verschwinden der Atemsteigerung nach Aufhören 508 Zuntz, Zur Physiologie der Atmung. der Muskelthätigkeit ist leicht erklärlich, wenn die Ursache in den gebildeten Säuren gegeben ist. Der Organismus besitzt ja sehr wirk- same Mittel zur Behauptung resp. Wiederherstellung der normalen Alkalescenz seines Blutes. Abgesehen von der Oxydation organischer Säuren spielt hierbei die Abspaltung von Ammoniak eine entschei- dende Rolle. Bekanntlich haben Salkowsky und mehrere Schüler Schmiedeberg’s nachgewiesen, dass eine solche Ammoniakabspal- tung sich beim Fleischfresser in unvergleichlich größerem Maße voll- ziehen kann als beim Pflanzenfresser, und dass dementsprechend Ka- ninchen durch Säuremengen getötet werden, welche gleich schwere Hunde ganz ohne Schaden vertragen. Hiermit steht im Einklang, dass die nach Muskelthätigkeit auftretende Verstärkung der Atmung bei Hunden sehr viel rascher vorübergeht, als bei Kaninchen. Der Umstand, dass die in den thätigen Muskeln gebildeten Säuren beim Hunde sehr rasch, beim Kaninchen erst in langer Zeit nach der Arbeit wieder neutralisiert, resp. eliminiert werden, bedingt einen charakteristischen Unterschied im Verhalten der Blut- und Atemgase beider Tiergruppen. Der Kohlensäuregehalt des Blutes ist nach angestrengter Muskel- thätigkeit bei Hunden nur um wenige Prozente, bei Kaninchen um sehr viel niedriger als in der Ruhe. Kräftiger Tetanus der Hinterextremitäten bewirkte z. B. beim Hunde Abfall der Kohlensäure im arteriellen Blute von 37°], auf 35°), bei Kaninchen vong 53%, auta9 dl, „ 46,5%, „ 16%, » 37%, 319, Entsprechend sind die Unterschiede in der Zusammensetzung der ausgeatmeten Luft. Dieselbe enthält beim arbeitenden Kaninchen außer der gleichzeitig gebildeten die aus dem Blute und den Gewebs- säften durch die Abnahme der Alkalescenz ausgetriebenen Mengen, und deshalb ist das Verhältnis der ausgeschiedenen ÜO, zum aufge- nommenen O,, der respiratorische Quotient, bedeutend erhöht, über- steigt häufig die Einheit, während beim Hunde dieser Quotient bei huhe und Arbeit nahezu konstant bleibt. An den zitierten Stellen Bd. VI und VII dieser Zeitschrift sind die Beweise angeführt, welche darthun, dass die regulatorische Ein- wirkung des Blutes auf die Atmung durch direkte Beeinflussung der Centra in der Med. oblongata (eventuell auch cervicalis, wie durch die Beobachtungen von Langendorff und Wertheimer, Journ. d Yanatomie u. physiologie 1886, sehr wahrscheinlich gemacht wird) zu stande kommt, dass zentripetale Nervenbahnen daran und speziell an der enormen Steigerung der Atmung bei starker Muskelthätigkeit keinen messbaren Anteil haben. In der Ruhe wirken alle sensibeln und psychischen Erregungen steigernd auf die Atmung; es dauert nach einer Beunruhigung der Versuchstiere eine Viertelstunde und länger, ehe die Atmung wieder auf den Ruhewert zurückgekehrt ist. Zuntz, Zur Physiologie der Atmung. 509 Das Plus an Lungenventilation, welches auf diese Weise zu stande konmt und welches im wachen Zustande des Menschen und der Tiere bei dem steten Zuströmen von Sinneseindrücken wohl nie ganz fehlt, können wir, einer Bezeichnung Mo sso’s folgend, Luxusatmung nennen. Immerhin darf dieser Ausdruck nicht zu wörtlich genommen werden. In der Anregung, welche die Atmung durch psychische Affekte und die verschiedensten sensibeln Reize erfährt, können wir eine zweckmäßige Vorbereitung auf die solchen Einwirkungen meist fol- genden Muskelanstrengungen erblicken; es wird schon im voraus das Blut durch reichlichere Sauerstoffsättigung instand gesetzt, den zu erwartenden größern Anforderungen zu genügen. Hat erst eine aus- giebigere Muskelthätigkeit begonnen, so sorgt diese durch die gelie- ferten Stoffwechselprodukte in wirksamster Weise für entsprechende Verstärkung der Atmung. Während psychische Effekte die Atem- größe allenfalls für wenige Minuten verdoppeln, erzeugt schon mäßige Bewegung eine Erhöhung aufs drei- und vierfache, starke Arbeit eine solche aufs acht- bis zehnfache und zwar für die ganze Dauer der Arbeit und abnehmend noch einige Minuten nachher !). Wenn wir hier sehen, dass sensible Erregungen nur nebensäch- lich bei der Regulation der Atmung mitwirken, muss es sehr unwahr- scheinlich erscheinen, dass sie, wie Preyer glaubt bewiesen zu haben, beim Neugebornen das ausschlaggebende Moment für das Zustande- kommen der Atembewegungen seien. In der That konnten Cohn- stein und ich (l. e.) beweisen, dass für das Eintreten des ersten Atemzugs die Beschaffenheit des Blutes ebenso maßgebend ist, wie später für die Stärke der Lungenventilation. Wir hatten Gelegenheit, einen lebensfrischen durch Eröffnen des Uterus freigelegten Schaf- fötus zu beobachten, welcher, so lange der Gasaustausch mit dem mütter- lichen Blute durch die Placenta ungestört blieb, dureh Hautreize zwar zu allen möglichen Reflexen, nicht aber zur Atmung angeregt werden konnte, welcher aber alsbald regelmäßig zu atmen begann, als der 1.1 Die en Atmung bei Muskelarbeit pflegt eine gleichmäßige zu sein. -In der Ruhe dagegen beobachtet man periodische Schwankungen sowohl in der Tiefe der einzelnen Atemzüge als auch in der mittlern Füllung der Lungen. Unsere zahlreichen Beobachtungen am Menschen, wie an Pferden, Hunden und Kaninchen bestätigen in dieser Hinsicht vollkommen die Angaben von Mosso (Arch. italiennes de Biologie, VII, 1 1886), welcher alle Veber- gänge von kleinen Schwankungen der Atemeröße bis "zur vollständig inter- mittierenden Atmung durch seine Kurven demonstrierte. DasCheyne-Stokes’- sche Phänomen ist demgemäß nur der höchste Grad einer physiologisch stets nachweisbaren periodischen Schwankung in den Leistungen des Atemapparates, welche ähnlichen Schwankungen in den Leistungen "anderer automatischer Nervencentra, speziell des Gefäßzentrums parallel geht (vergl. dieses Central- blatt II Nr. 6). — Bei diesen periodischen Schwankungen der Atemthätigkeit konnte Mosso durch gleichzeitige Registrierung der Bew egungen von Thorax, Abdomen und Gesichtsmuskeln die relative Unabhängigkeit der Bewegungen dieser Teile von einander darthun. Weder die relative Stärke der einzelnen Bewegungen noch ihr zeitliches Verhältnis zu einander ist konstant. Mosso verwertet diese Beobachtungen zu gunsten derjenigen Auffassung, welche den Ursprungszentren der motorischen Nerven der einzelnen Atemmuskeln eine relative Unabhängigkeit und selbständige Erregbarkeit zuerkennt. 510 Zuntz, Zur Physiologie der Atmung. Blutstrom in den Nabelgefäßen unterbrochen wurde. — Dieser Beob- achtung gegenüber haben die gegenteiligen Angaben Preyer’s des- halb keine Beweiskraft, weil die von ihm beobachtete Auslösung von Inspirationen durch Hautreize stets durch eine vorgängige Störung der Placentazirkulation vorbereitet war, wovon wir uns bei Wieder- holung der Experimente überzeugen konnten. Preyer führt als Be- weis der normalen Blutbeschaffenheit bei seinen auf Hautreize atmen- den Föten die hellrote Farbe des Blutes in ihrer Nabelvene an. Wir konnten zeigen, dass diese hellrote Farbe grade der Beweis einer unvollkommnen Versorgung des Fötus mit Sauer- stoff ist. Sie kommt nur dann zu stande, wenn das Blut abnorm langsam resp. in abnorm kleiner Menge die Placenta passiert. Nur dann bleibt die Spannung des Sauerstoffs im mütterlichen Blute der Placenta hoch genug, um das fötale Blut derart mit Sauerstoff zu sättigen, dass seine Farbe scharlachrot wird. Bei reichlicherer Zirkulation von fötalem Blute wird die Tension des Sauerstoffs im Gebiete der müt- terlichen Placentargefäße durch den Abfluss ins fötale Blut soweit herabgesetzt, dass sie zur vollen Sättigung des Hämoglobins und damit zur Erzeugung der Scharlachröte in letzterem nicht mehr ausreicht. Dem entsprechend konnten wir bei Föten von Meerschweinchen und Kaninchen die normale, etwa burgunderrote Farbe des Nabel- venenblutes durch partielle Kompression des Nabelstranges in eine scharlachrote verwandeln, während gleichzeitig die Neigung der Föten, auf Hautreize durch Inspiration zu reagieren, zunahm. Wir sehen also beim Fötus den Eintritt der ersten Atembewegung ebenso durch den „Blutreiz“ bedingt, wie später die Fortdauer derselben. — Nur quantitativ zeigt sich ein Unterschied insofern, als die Reize, welche beim Fötus den ersten Atemzug auslösen, viel stärker sind als die, welche später zur Unterhaltung der Atmung genügen. Die gasana- Iytischen Untersuchungen von ©. und mir hatten ergeben, dass in den Arterien des Fötus ein Blut kreist, welches denselben 00, Gehalt wie das mütterliche hat, dabei aber relativ und absolut viel ärmer an Sauerstoff ist (vgl. Referat diese Zeitschrift IV S. 570). Wenn trotzdem der Fötus atemlos bleibt, so muss entweder die Erregbarkeit seines Atemzentrums bedeutend geringer sein, oder es müssen besondere Vorkehrungen bestehen, welche den Eintritt der Inspirationen erschwe- ren. Beides ist nun, wie unsere Versuche lehren, gleichzeitig der Fall. Die geringere Erregbarkeit des Atemzentrums besteht nicht nur intrauterin, sie lässt sich auch noch längere Zeit, allmählich ab- nehmend, beim Neugebornen nachweisen. Man kann die Erregbarkeit des Atemzentrums ermessen aus dem Zuwachs der Lungenventilation, welchen ein Reiz von bestimmter Größe bewirkt. Als solcher meß- barer Reiz wurde Beimengung von CO, zur inspirierten Luft benutzt. Gleiche Mengen CO, wirkten in den ersten Stunden nach der Geburt viel schwächer als nach einigen Tagen, und das Maximum der Erreg- barkeit wurde erst nach mehr als S Tagen erreicht. Zuntz, Zur Physiologie der Atmung. Al Neben dieser geringen Erregbarkeit des Atemzentrums ist für die Atemruhe des Fötus eine Einrichtung bedeutungsvoll, welche bewirkt, dass jede einsetzende Inspiration sofort abgebrochen wird, so lange die Nasenöffnungen sich in Flüssigkeit, also etwa im Fruchtwasser befinden. Diese Einrichtung ist der von Rosenthal und Falk bei erwachsenen Tieren zuerst studierte sogenannte Tauchreflex. Dieser Reflex, bestehend in einer Hemmung der Atembewegungen beim Ein- tritt von Wasser in die Nasenöffnungen, ist beim Fötus und Neuge- bornen viel stärker entwickelt als später. Wir konnten beobachten, dass vor kurzem geborne Tiere beim Untertauchen in blutwarmes Wasser auch dann für viele Minuten die Atmung vollständig unter- brachen, wenn die Trachea durch eine fest eingebundene Kanüle frei mit der Luft kommunizierte. Es sei mir zum Schlusse noch gestattet, auf einige hier bisher nicht referierte Arbeiten der letzten Jahre kurz einzugehen, welche mit den eben besprochenen mehr oder weniger nahe Berührungspunkte haben. Da sei in erster Linie die umfangreiche Studie von Marck- wald über die Atembewegungen und deren Innervation beim Ka- ninchen genannt (Zeitschr. f. Biol. 23 S. 149). M. beschäftigt sich eingehend mit der Frage nach Sitz und Bedeutung des Atemzentrums in der Med. oblongata. Er bestätigt zwar die Angabe von Langen- dorff u. a., dass bei jungen Tieren, besonders wenn sie kleine Gaben Strychnin erhalten haben, Atmungen auch nach Abtrennung des Halsmarks beobachtet werden können, möchte aber doch an der dominierenden Bedeutung der Med oblongata als Sitz des eigentlichen koordinierenden Atemzentrums, von welchem die gleichzeitigen bei der normalen Atmung zusammenwirkenden Innervationen der Atem- muskeln des Gesichts (Mund und Nasenflügel), des Kehlkopfs und der Thoraxmuskulatur ausgelöst werden, festhalten. Ueber die Art, wie die „automatische“ Erregung dieses Zentrums zu stande komme, hat M. eine Anschauung, welche mit den von Geppert, mir und Löwy gefundenen Thatsachen nieht ganz in Einklang zu bringen ist. Aus der gewiss richtigen Beobachtung, dass das Atemzentrum auch bei vollkommner Blutleere noch für einige Zeit Atembewegungen aus- löst, folgert er, dass die normale Erregung des Atemzentrums nicht vom Blutreize abhängig sei, weder vom Sauerstoffmangel noch von dem Kohlensäureüberschuss des Blutes. Er vergisst hierbei, dass Blutleere eben den höchsten Grad von Sauerstoffmangel und An- häufung aller in loco gebildeten Kohlensäure, wie aller übrigen Stoff- wechselprodukte bedeutet, dass also das Atemzentrum unter diesen Umständen ähnlich stark erregt wird, wie wenn es von Erstickungs- blut umspült wäre. Die Analogie der Dyspnoe bei akuter Anämie und bei Sauerstoffmangel tritt sehr evident in den Kurven hervor, welche Holovtschiner (Archiv f. Anat. u. Physiol. 1886 Suppl. S. 232) über die Atmung nach großen Blutentziehungen gegeben hat. So lange der Blutverlust nieht übermäßig wird, besteht die von Gad als 512 Zuntz, Zur Physiologie der Atmung. „pneumatoreetische“ bezeichnete Atemform, die einzelnen Atemzüge sind sehr vertieft, ohne wesentliche Aenderung der Frequenz. Die Lebensgefahr beginnt, wenn diese Atemform in die „hypokinetische“ übergeht, charakterisiert durch frequente aber sehr flache Atemzüge bei andauernder Inspirationsstellung des Zwerchfells. Die Erlahmung des Atemzentrums spricht sich endlich aus in der synkoptischen Atmung, identisch mit der von Högyes als terminale Atmung bei erstickenden Tieren beschriebenen: in langen Pausen folgen einander einzelne anfangs tiefe, dann immer mehr verflachende Inspirationen, zwischen welchen der Thorax in voller Kadaverstellung verharrt. Die sehr merkwürdige Form der Atmung, welche nach Abtrennung beider Vagi und der Verbindungen der Oblongata mit dem Hirn auf- tritt, ist von Marck wald genau studiert worden, seine Deutung dieser Atembewegungen als „Krämpfe* wird von Löwy (]. e.) bekämpft. Derselbe zeigt, dass dieselben meist in regelmäßigem Rhythmus erfol- gen und also prinzipiell nicht von den normalen Atembewegungen verschieden sind, wenn auch die Dauer der einzelnen Phasen enorm verlängert sein kann. Langendorff’s Auffassung, dass die Störung nach Abtrennung der Hirnbahnen nicht, wie Marckwald will, auf Ausfall normaler Innervationen, sondern auf Reizungen von der Schnitt- fläche her zu beziehen sei, hat vieles für sich. Unter den von M. studierten Reflexen auf die Atmung ist die vom Glossopharyngeus vermittelte Hemmung besonders interessant. Während die übrigen Hemmungsnerven (Trigeminus, Laryng. sup.) stets die Atmung in Exspiration still stellen, findet bei Reizung des Glossopharyngeus eine Hemmung in der Stellung statt, welche der Atemapparat zufällig im Moment des Reizes hatte. Dies wird von Knoll bestritten. Die Hemmung ist eine Einrichtung zum Schutz gegen das Eindringen von Fremdkörpern in die Luftwege beim Schluckakt. Sie wurde in einer neuern Arbeit von Marckwald (Zeitschrift f. Biologie 25 S. 1—54) im Zusammenhang mit dem Phänomen der sogenannten Schluckatmung nochmals genau untersucht. Die Schluck- atmung, deren Existenz M. früher geleugnet hatte, ist nach diesen neuesten Untersuchungen eine in den Beginn des Schluckaktes fallende rudimentäre jähe Inspiration, welche etwa 2 bis 3 hundertel Sekun- den nach der Kontraktion des Muse. mylo-hyoideus einsetzt und schon vollendet ist, ehe der Bissen den Aditus laryngis passiert. Sie bedingt daher keine Gefahr des Verschluckens. M. fasst sie in Har- monie mit Steiner als Irradiation der Erregung vom Schluck - auf das Atemzentrum auf. Ihr folgt alsbald die Hemmung der Atmung, welche die wesentlichste und funktionell allein bedeutungsvolle reflek- torisch durch den Glossopharyngeus vermittelte Wirkung des Schluck- aktes auf die Atmung ist. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. vııl. Band. ir November 1888. Nr, 17 Inhalt: Zukal, Hymenoconidium petasatum, ein neuer Pilz als Repräsentant einer neuen Familie. — Migula, Die Verbreitungsweise der Algen. — Kronfeld, Neuere Beiträge zur Biologie der Pflanzen. — Verworn, Biologische Protisten- Studien. — Platner, Die erste Entwicklung befruchteter und parthenogenetischer Eier von Liparis dispar. — Steiner, Die Funktionen des Zentralnervensystems und ihre Phylogenese. 2. Abteilung: Die Fische. — Me Kendrick, Blut- gase. — 0. Zacharias, Zur Fauna einiger norddeutscher Seen. — ®. Zacharias, Zur Fauna des Riesengebirges. — 0. Zacharias, Landplanarien auf Pilzen. — Winogradsky, Ueber Eisenbakterien. — Preisaufgabe über die Natur des Fischgiftes und über die Mittel gegen dasselbe. Hymenoconidium petasatum, ein neuer Pilz als Repräsentant einer neuen Familie. Von Hugo Zukal!). Im jüngst verflossenen Winter entwickelten sich in meiner Woh- nung auf faulenden Blättern und Früchten der Olive unter der Glas- glocke winzige Hutpilze, welche auf den ersten Blick einem Marasmius androsaceus nicht unähnlich waren. Die nähere Untersuchung ergab jedoch, dass die erwähnten Hutpilze von allen bis jetzt bekannten Hymenomyceten weit abweichen. Das Hymenium überzieht die gewölbte obere Seite des Hutes und zwar in der Form einer glatten Schicht. Die dicht neben einander stehenden, oben keulenförmig erweiterten Basidien (?) tragen je eine bräunliche, mit stacheligen Verdiekungen versehene Spore. Letztere entsteht nicht durch Sprossung oder Vermittlung eines Sterigmas, sondern sie wird in der Weise angelegt, dass der oberste, keulen- förmig angeschwollene Teil der Basidie (?) durch eine Querwand von dem untern Teile abgegrenzt wird. Der obere, durch die Querwand zur selbständigen Zelle gewordene Teil der Basidie (?) entwickelt sich dann zur Spore, der untere Teil zum Sporenträger. Die Entwicklungsgeschichte dieses merkwürdigen Hymenomyceten wird, so weit sie mir bekannt ist, an einem andern Orte beschrieben werden. 1) Aus: Verh. d. k. k. zool.-botan. Ges. in Wien. Bd. XXNVII, 3. VI. 33 514 Migula, Verbreitungsweise der Algen. Leider sind alle Versuche, die Sporen zur Keimung zu bringen, bis jetzt ohne Erfolg geblieben. Deshalb kann ich auch die Frage nicht beantworten, ob dem Ent- wieklungsgange des geschilderten Basidiomyceten eine Conidienform angehöre, oder ob er selbst noch eine höher differenzierte Fruchtform besitze ? Doch hat schon das Wenige, was wir gegenwärtig über den Ent- wicklungsgang des Pilzes wissen, in mir die Ueberzeugung gereift, dass ihm eine große Bedeutung innewohnt inbezug auf die theoretische Wertschätzung der Hymenomyceten. Ich speziell hin geneigt, das Hymenoconidium petasatum für einen sehr einfach organisierten Hymenomyceten zu halten, bei welchem der Conidienträger noch nicht zur Basidie spezialisiert worden ist. Sollte das weitere Studium dieses Pilzes meine Auffassung bestätigen, dann würde das Hymenoconidium auch ein ausgezeichnetes Beispiel für die Richtigkeit der Definition abgeben, welche Brefeld von der Basitie segeben hat. In dem siebenten Hefte seiner „Untersuchungen aus dem Gesamtgebiete der Mykologie“ sagt er nämlich: „Die Basidie ist nichts Anderes, als der zur bestimmten Formgestaltung, zur bestimmten Gliederung und zur bestimmten Sporenzahl fortgeschrittene Conidien- träger“. Die Verbreitungsweise der Algen '). Von W. Migula in Karlsruhe. Im September 1887 fand ich bei einer Besteigung der 1050 m hohen Czantory (Beskiden) am Nordabhang derselben ca. 50 m unter 1) Bemerkung zu vorstehendem Aufsatze. Hem W. Migula (erster Assistent der bakteriol. Abteilung an der großherzogl. Lebensmittel- Untersuchungsanstalt zu Karlsruhe) ist durch eigne Untersuchungen darauf geführt worden, sich eine Theorie darüber zu bilden, wie niedere pflanzliche Organismen und auch mikroskopische Vertreter der Tierwelt von Tümpel zu Tümpel oder von See zu See übertragen werden können. In vielen Fällen wird eine solche Uebertragung auf wandernde Sumpfvögel zurückzuführen sein, wie neuerdings (vergl. Biolog. Centralbl., Nr. 12, 1888) durch den französischen Zoologen Jules de Guerne in hohem Grade wahrscheinlich gemacht worden ist, Doch ist es nicht ausgeschlossen, dass auch andere fliegende Organismen (z. B. Wasserkäfer) oft die Ursache davon sind, dass Algen und Protozoen (resp. deren Dauerzustände) von einem Gewässer zum andern gelangen, insofern sich derartige kleine Organismen häufig an den Beinschienen oder an den jauchschildern jener Käfer anzusiedeln pflegen. Gelegentlich lösen sie sich natürlich von ihrem Träger los und verbleiben dann in dem Wasserbecken, in das sie der Zufall verschlagen hat. Herr Migula hat nun ganz speziell eine Anzahl von Wasserkäfern inbezug auf ihre Eigenschaft als Transportmechanis- men für Algen, Protozoen etc. untersucht, und gibt im vorliegenden Aufsatze ein Referat seiner bis jetzt angestellten Beobachtungen, welches im höchsten Mieula, Verbreitungsweise der Algen. 515 dem Gipfel ein kleines, kaum 30 em breites und 40 em tiefes Loch, dessen Wasser aus einer wenig oberhalb befindlichen, tropfenweise aus einer Holzrinne hervorsiekernden Quelle stammte. Das Holzrohr zeigte einen dünnen rotgrauen Belag, in welchem unter dem Mikroskop lebende Wesen nicht nachzuweisen waren; auch in den kleinen Wasser- ansammlungen von der Quelle bis zu dem erwähnten Loch fanden sich keinerlei Organismen. In diesem selbst fielen jedoch sofort einige kleine, lebhaft tauzende Wasserkäfer (Gyrinus natator) auf, deren Vorhandensein in dieser Höhe mich überraschte. Außerdem war aber das Wasser und besonders der Boden reich von Desmidieen bevölkert, welche sich später als Closterium lunula Ehrbg. erwiesen. Dieses Zusammenleben der Wasserkäfer mit den Desmidieen brachte mich auf den Gedanken, dass letztere wohl durch die Käfer in jene Wasseransammlung gebracht worden seien, besonders da wegen der geringen Größe des Loches ein Transport durch Wasservögel auszu- schließen war. Um diese Verhältnisse aufzuklären, habe ich seitdem Wasser- käfer verschiedener Art gefangen und dieselben auf etwa anhaftende Algen untersucht. Fast regelmäßig waren an den Tarsen und be- sonders an der Bauchseite in den Winkeln, welche Leib und Beine bilden, oft auch am Thorax Algen vorhanden, und zwar meist Dia- tomeen, Protococcaceen und Schizophyceen, in seltenern Fällen fanden sich auch Desmidieen und andere Algen. Ich habe die Wasserkäfer meist an Ort und Stelle getötet, um ein mögliches Abstreifen der Algen bei den vermehrten Anstrengungen, dem engen Gefäß zu entfliehen, thunlichst zu vermeiden. Mit einer Lanzettnadel wurden dann die schleimigen Ueberzüge von den ver- schiedenen Körperteilen abgekratzt und einer mikroskopischen Unter- suchung unterworfen. Es fanden sich dabei nicht selten Algen, die ich sonst in demselben Wasser nicht aufgefunden hatte, so besonders Grade interessant ist, und nicht bloß die Aufmerksamkeit des Algenforschers, sondern sicher auch diejenige aller Biologen zu erregen geeignet ist. Herr Migula hat die Freundlichkeit gehabt, die von mir während des verflossenen Sommers in den Eifel-Maaren gesammelten Algen zu bestimmen, und dies war der direkte Anlass dazu, dass der Genannte sich entschloss, seine Gedanken betreffs der Uebertragung von mikroskopischen Organismen zu ver- öffentlichen. Denn die Bewohnerschaft der meistenteils völlig abgeschlossenen Kraterseen der Eifel führt den denkenden Forscher notwendig dazu, sich Rechenschaft darüber zu geben, wie es möglich sei, dass die Fauna und Flora solcher Gewässer eine so merkwürdige Uebereinstimmung in ihrer Zusammen- setzung zeigt. Ich gedenke in nächster Zeit meine zoologischen Beobachtungen über die Eifelmaare zu publizieren, und werde dann nochmals auf die Transport- frage zurückkommen. Dr. Otto Zacharias. I» 9 de) 516 Migula, Verbreitungsweise der Algen. Palmodaetylon varium Näg., Cosmocladium pusillum Hilse, Aphano- chaete repens A. Br. Zahlreiche Dauerzustände oder Entwicklungsformen von Algen, die sich nicht sicher bestimmen ließen, gaben mir Veranlassung, die Algen solcher getöteter Wasserkäfer in vorher ausgekochtem Wasser in zugedeckten Gefäßen zu kultivieren, und so erhielt ich ebenfalls noch häufig Arten, die sich sonst nicht nachweisen ließen. Es sind dies z. B. Eudorina elegans Ehrbg., Pandorina Morum Bory, Sce- nedesmus obtusus Mey, welch letzterer sehr häufig als einzellige spindelförmige oder eiförmige Alge an den Käfern haftete. Welche Algen und wie viele an Wasserkäfern vorkommen, zeigen folgende Beispiele: 1. Hydrophilus piceus aus Sumpfwasser: Anabaena eircinalis Rabh., Characium spec. (acutum?), Oscillaria tenerrima Kg., Scene- desmus obtusus Mey, Navicula eryptocephala Kg. 2. Hydrophilus piceus aus einem Fischteich: Protococeus infusionum Schrank, Cosmocladium pusillum Hilse, Navicula lanceolata Kg., Synedra radians Kg. 3. Ein anderes Exemplar aus demselben Teich: Aphanochaete re- pens A. Br., Chlamydomonas tingens (?) A. Br., Scenedesmus obtusus Mey, Synedra radians Kg., Cocconeis Pedieulus Ehrbg. Eine Palmella. 4. Dytiscus marginatus aus einer klaren Quelle: Draparnaldia plu- mosa Ag. (?, nur ein sehr kleines Fadenstück von wenig Zellen), Closterium Dianae Ehrbg. und sogar die große Pinnularia viridis Sm. 5. Dytiscus marginatus aus dem Wasser eines Torfbruches: Apha- nochaete repens (? sehr wenige), Penium lamellosum Breb. (mehrere Exemplare, auch zahlreich im Wasser), Chroococcus turgidus Näg., Hapalosiphon pumilus Kirch. Gyrinus natator aus einem schnellfließenden Bach: Fragillaria capucina Desm., Encyonema gracile Kabh., Meridion eirceulare Ag., Protococcus infusionum Sehrank. In vielen Fällen sind einzelne Arten sogar ziemlich zahlreich vertreten; der unter 6. erwähnte Gyrinus natator war mit Fragillarien ganz besetzt; sie fanden sich auf der ganzen Unterseite des Körpers. Nur selten kamen Wasserkäfer vor, an denen ich gar keine Algen finden konnte, die meisten zeigten 1—3 Arten. Da die Wasserkäfer besonders des Nachts häufig ihren Aufent- haltsort verlassen und sicher oft ziemlich weit entfernte Gewässer besuchen, so vermitteln sie gewiss in allen den Fällen die Verbreitung der Algen, wo es sich um kleine Wasseransammlungen handelt, die wohl für einen Wasserkäfer, aber nicht für einen Wasservogel von Interesse sind. Das konstante Vorkommen von Algen an Wasser- jez Kronfeld, Beiträge zur Riologie der Pflanzen, at käfern lässt sogar darauf schließen, dass diesen bei dem Transport der Algen eine größere Rolle zukommt, als den Wasservögeln oder der Luft. Es mag sich in Wirklichkeit vielleicht so verhalten, dass die Luft kleinste und der Austrocknung widerstehende Formen ver- breitet, Wasservögel den Transport zwischen weit entfernten Gegenden vermitteln, während die Wasserkäfer in ausgedehnter Weise für die Ausbreitung einer Species innerhalb engerer räumlicher Gren- zen thätig sind. In gewissem Grade muss auch den Fröschen ein Anteil an der Verbreitung der Algen zugeschrieben werden; doch sind die Ergeb- nisse der Untersuchungen, welche ich in dieser Hinsicht angestellt habe, noch nicht hinreichend, um ein klares Bild dieser Verhältnisse zu geben. Erwähnenswert ist es auch, dass sowohl Käfer wie Frösche, und zwar letztere vielleielt in ebenso hohem Grade, in den meisten Fällen Träger der verschiedensten Vertreter aus der mikroskopischen Tierwelt sind; weitaus vorherrschend finden sich Flagellaten, doch kommen auch Protozoen aus andern Gruppen sowie Dauerzustände derselben nicht selten vor. Es muss jedoch einer spätern, ausführ- lichen Arbeit überlassen bleiben, diese verschiedenen Verhältnisse eingehender darzustellen. Neuere Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Besprochen von Dr. M. Kronfeld in Wien. III. Akklimatisation von Hummeln auf Neu-Seeland. Die australische Fauna entratet wie die afrikanische des Genus Dombus. Wie Hoffer in seinen „Hummeln Steiermarks“ mitteilt, wurden die Hummeln vor einigen Jahren nach Australien mit Erfolg eingeführt. Nunmehr berichten die „Transactions of the Entomological Society of London for the year 1886* (Proceedings p. XXXIH—XXXIV) von der gleichfalls geglückten Aussetzung der Hummel auf Neu-See- land; der Klee erhielt so seinen eutropen Besucher, ohne den er, wie es scheint, nicht Samen tragen kann. Herr Nottidge schiffte 282 Hummeln ein, welche im Januar 1885 nach Wellington kamen; von hier wurden sie zu Schiff nach Lyttelton gebracht, und am 8. Januar im Garten der Canterbury Acclimatisation Society aus ihrem Behälter gehoben. 48 waren noch am Leben, 36 flogen sogleich auf den Klee, die übrigen 12 wurden noch eine zeitlang gehegt und mit Honig gefüttert. In der nächsten Sendung von 260 Exemplaren, welche am 5. Februar 1855 ankam, waren noch 49 Hummeln am Leben und wurden sofort in Freiheit gesetzt. Einige Tiere zeigten sich innerhalb der Herbstmonate bei Christehurch und 518 Kronfeld, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. überwinterten daselbst. Im nächsten Frühjahre sah man sie wieder, und im September war ihre Zahl bereits mächtig angewachsen — „their numbers were legion, amusing many with their monotonous burring“. Auch wurden zahlreiche Nester gefunden. Kurz darauf trafen Nachrichten aus verschiedenen Gegenden ein, in welchen die vorher nie gesehenen Tiere beobachtet wurden. So aus Timaru (100 Meilen südlich), West Coast Road (86 M. westlich), Glenmark (55 M. nördlich), und aus verschiedenen Teilen der Banks’schen Halb- insel. Ferner schrieb ein Farmer von der Avonhead-Farm, dass sein roter Klee, der früher nur spärlich Samen trug, nun außerordentlich reich an solchem geworden sei. Ein anderer Beobachter äußert sich: „the humblebees have thriven and multiplied in a most wonderful manner; they already abound all over the country“. — Wie schon Darwin betont hat, besteht also zwischen dem roten Klee und den Hummeln ein direktes Abhängigkeitsverhältnis. Hummeln sind eine conditio sine qua non für das gedeihliche Fortkommen dieser Pflanze. Referent wird nächster Zeit darthun, dass in analoger Weise die Aconitum-Arten auf den Besuch durch Hummeln dringend ange- wiesen sind, und dass sie überhaupt nur dort vorkommen, wo Bombus schwärmt. Die Sache erhält ihre beste Illustration in dem vom Ref. ermittelten Umstande, dass der geographische Verbreitungskreis von Aconitum vollständig in denjenigen des Genus Domdus hineinfällt. IV. Ueber die Bestäubungseinrichtungen der Euphrasieen. In einem am 6. April dieses Jahres vor der Jahresversammlung der k. k. zoologisch-botanischen Gesellschaft zu Wien gehaltenen Vor- trage beleuchtet Prof. von Kerner die merkwürdigen Verhältnisse der Euphrasia- Anthese!). Sämtlich proterogyn sind die Blüten der Euphrasia- Arten im ersten Stadium der Blüte auf Insektenbesuch angewiesen. Aber schließlich werden durch interealares Wachstum der Corolle, Aufbiegung des Griffelendes oder dureh Streckung der Filamente die Antheren der Narbe genähert, und dies vermag zur Autogamie zu führen. Da die zahlreichen Details füglich nicht in ein Referat gedrängt werden können und im Originale zu vergleichen sind, sei an dieser Stelle nur das allgemeine Resultat der Kerner ’- schen Studie hervorgehoben: „Die geschilderten Bestäubungseinrich- tungen zeigen nicht bloß, dass Arten nach denselben unterschieden werden können (wie z.B. Euphrasia Rostkoviana und E. minima), son- dern dieselben bieten auch vortrefiliche Gattungscharaktere. Euphrasia Odontites steht den Bartsien viel näher als den weißblütigen Euphrasien; Euphrasia lutea erinnert lebhaft an Tozzia, welche einen ganz ähn- 1) Siehe Verhandlungen der k. k. zool.-bot. Ges., Jahrg. 1888, NXXVIIL, Il. Quartal, S. 563—566, Taf. XIV. Verworn, Biologische Protisten - Studien, 519 lichen Bau des Nektariums und ganz ähnliche Bestäubungseinriehtungen hat. Auf diese ist bei Begründung der Gattungen jedenfalls ein größeres Gewicht zu legen als auf die Formverhältnisse der Corolle. Von den ältern englischen Botanikern wurde auch Euphrasia Odontites gradezu zu Bartsia gestellt .. . Euphrasia lutea dagegen ist als Re- präsentant einer eignen Gattung aufzufassen, welehe den Namen der Bentham’schen Untergattung Orthanta zu führen hat“. M. Verworn, Biologische Protisten - Studien. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie Bd. 46. H. 4. S. 455—470 mit Taf. 32. Gestützt auf meine Untersuchungen an andern monothalamen khizopoden !) habe ich seinerzeit angenommen, dass diejenigen Wurzel- füßer, deren Schale aus Fremdkörpern besteht, diese in ihrer Um- gebung sammeln, in den Körper aufnehmen und so das Material für das bei der Teilung entstehende zweite Individuum aufspeichern. Dass dem wirklich so ist, hat Verworn durch seine schönen Beobach- tungen an Difflugia urceolata direkt nachgewiesen. Er sah wie die Pseudopodien, wenn sie ein Sandkörnchen berührten, zusammen- schrumpften und höckerig wurden; das Korn blieb kleben und wurde von dem sich zurückziehenden Protoplasmafortsatz ins Innere herein- gezogen ?). V. machte nun den Versuch, gefärbte Glassplitter in die Um- gebung der Difflugien zu bringen und sah später nicht nur einen Haufen derselben im Grund der Schalen aufgespeichert, sondern es gelang ihm auch die Teilung zu beobachten. Es trat ein Klumpen Plasma aus der Mündung aus, wölbte sich immer weiter vor, bis er die Größe und Form des Muttertiers erreicht hatte, dann wurde das Schalenmaterial herausgeschoben und der noch nackte Teilspross damit umkleidet, bis er dieselbe Hülle wie das Muttertier besaß, nur aus Glassplittern statt aus Sandkörnern bestehend 3). Die Splitter lagen anfangs lose neben einander, bis sie durch ein allmählich aus- geschiedenes Bindemittel fest zusammengekittet wurden. Wenn es schon unsere Bewunderung in hohem Grade erregt, dass bei Kuglypha und Verwandten immer grade so viel Schalenplättehen im Muttertier 1) Gruber, Die Teilung der monothalamen Rhizopoden in: Zeitschrift f. wiss. Zool., Bd. 36 u. kl. Mitt. ete. Ber. d. naturf. Ges. Freibg. Bd. II. 2) Auch die bekannten zottenförmigen Anhänge der Amöben, welche eben- falls auf einer Schrumpfung des zurückfließenden Plasmas beruhen, sind kle- briger Natur und schleifen manchmal allerlei Detritus mit sich. 3) Dieser Teilungsvorgang entspricht vollkommen dem bei Euglypha be- schriebenen; vergl. Gruber, Der Teilungsvorgang bei Euglypha alveolata in: Zeitschrift f. wiss. Zool.,, Bd. 35 und Schewiakoff, Ueber die karyokinetische Kernteilung der Kuglypha alveolata in: Morphol. Jahrb. Bd. 13. 520 Verworn, Biologische Protisten - Studien. erzeugt werden, als der Tochterspross zum Aufbau seines zierlichen Gehäuses braucht, so staunen wir noch mehr, schon auf der niedersten Stufe organischen Lebens einen hoch ausgebildeten Instinkt zu finden: Die Difflugia weiß so gut wie die Phryganidenlarve aus den vielen Körpern, die sie auf dem Grunde des Wassers umgeben, diejenigen herauszufinden, die sich für den Schalenbau eignen, ja trotzdem die Sandkörnchen oder die Diatomeenschalen verschiedene Gestalt und Größe haben, weiß sie das Quantum so richtig abzuschätzen, dass daraus eine Schale hergestellt werden kann, die ihrer eignen an- nähernd kongruent ist. Verworn hat auch künstliche Teilungsversuche angestellt und hat gefunden, dass bei Difflugia keine Regeneration stattfindet, weder bei kleinern Defekten noch bei vollkommener Abschälung des Ge- häuses, obgleich diese operierten Difflugien noch wochenlang weiter- lebten. Bei der Foraminifere Polystomella crispa dagegen wurden künstliche Defekte an der Schale wieder ersetzt, aber nur bei den- jenigen Stücken, welche den Kern enthielten; die andern ersetzten das Verlorene nicht, ein neuer Beweis für den Einfluss des Kerns auf das Leben der Zelle, hier speziell auch auf die sekretorische Thätigkeit des Zellplasmas. Zugrunde gingen die kernlosen Stücke auch hier nicht sogleich; V. erhielt sie bis zu 3 Wochen am Leben und sah sie sogar Nahrung mittels der Pseudopodien aufnehmen !). Es mag dies allerdings auf einer rein reflektorischen Thätigkeit der Plasmafortsätze beruhen, aber, worauf V. mit Recht das Interesse lenkt, die Beute, bestehend aus Infusorien ete., wurde nicht nur ge- fangen, sondern auch getötet. Zum Schlusse weist V. noch auf das außerordentliche Regenerationsvermögen, welches nach Carpen- ter’s?) Beschreibung eine andere Foraminifere, Orbitolites tenuissima, besitzt. Hier regenerieren sich oft ganz kleine Trümmer, aber Ordito- lites besitzt eben auch, was V. richtig betont, im Gegensatz zur ein- kernigen Polystomella eine große Menge von Kernen, und wenn es, was bei seiner bedeutenden Größe (bis 0,6 Zoll) und Zierlichkeit leicht geschieht, in Stücke geht, so werden die meisten Stücke Kerne enthalten und daher auch regenerationsfähig sein. 1) Auch bei kernlosen Stücken von Actinophrys Sol habe ich seinerzeit Nah- rungsaufnahme beobachtet. cf. Gruber, Untersuchungen über einige Protozoen. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 38. 2) Carpenter, Report on the speeimens of the genus Orbitolites ete. Bd. VII des Rep. of scientific results of H. M. S. Challenger. Prof. Dr. A. Gruber (Freiburg). Platner, Bier von Liparis dispar, 521 Die erste Entwicklung befruchteter und parthenogenetischer Eier von Liparis dispar. Von Gustav Platner. (Aus dem anatomischen Institut zu Breslau.) Die Untersuchungen Blochmann’s und Weismann’s an den parthenogenetischen Eiern verschiedener Tiere hatten ergeben, dass hier nur ein Richtungskörperchen gebildet wurde, eine Thatsache, welche dann Weismann für die Aufstellung einer Theorie über die Bedeutung der Richtungskörperchen benutzt hat. Indess bedurften diese Resultate noch dringend einer Ergänzung durch Untersuchungen bei Tieren, wo Befruchtung und Parthenogenese neben einander hergehen können, wo letztere also nur fakultativ auftritt. In dieser Hinsicht von mir angestellte Experimente ergaben, dass bei Liparis dispar, wie dies auch schon von anderer Seite angegeben war, ein solches Verhältnis obwaltet. Bei der Untersuchung der parthenogene- tischen Eier fand sich nun, dass hier wie in den befruchteten zwei Richtungskerne gebildet werden, von denen der erste sich nochmals teilt. Der Prozess selbst verläuft in ähnlicher Weise, wie er von Bloehmann für Musca vomitoria beschrieben ist. Die abgelegten Eier von L. dispar sind platt, oval. Die eine breite Seite zeigt in der Mitte eine Abplattung oder Einsenkung, in deren Zentrum der animale Pol fällt. Hier findet sieh auch die Mikropyle. Sinkt auch die andere breite Seite etwas ein, wie es durch die Einwirkung der Reagentien meist zu geschehen pflegt, so gleichen die Eier völlig einem roten Blutkörperchen. Das Ei hat zwei Hüllen, eine sehr resistente äußere und eine zarte innere. Unter der letztern befindet sich eine periphere dünne Schicht homogenen stärker färbbaren Proto- plasmas in diese eingebettet, und unter demselben liegen glänzende, gleichfalls stärker tingierbare Körnchen. Von dem animalen Pol senkt sich zwischen die großen Dotterkugeln eine kegelförmige Anhäufung granulierten Protoplasmas bis ins Eizentrum hinein mit einer hier entstandenen gleichartigen scheibenförmigen Schicht zusammenhängend. Das Ei ist demnach ein monaxiales Gebilde. Dasselbe wird dadurch, dass die Bildungsstätte der Richtungskerne zwar in die Nähe des animalen Poles, nicht aber an diesen selbst fällt, bilateral symmetrisch. Schon in dem reifen Ovarialei des eben der Puppe entschlüpften Weibehens liegt der Kern peripher, nahe dem animalen Pol. Sein Chromatin ist in eine einfache Platte respektive einen Kranz geordnet, der aus kurzen Stäbchen besteht. Im abgelegten Ei beginnt die Teilung der senkrecht zur Oberfläche stehenden ersten Riehtungsspindel, sie wird vollendet durch Auftreten einer schönen Zellplatte. Eine solche findet sich in gleicher Weise bei allen spätern Teilungen, also auch bei denen der Furchungskerne. Die beiden Tochterkernplatten der ersten Sr 22 Platner, Eier von Liparis dispar. Riehtungsspindel gehen direkt in neue Spindeln über, ohne dass also ein Ruhestadium dazwischen eingeschaltet wäre. Diese beiden Spin- deln liegen hintereinander senkrecht auf die Oberfläche orientiert. Die innere stellt die zweite Richtungsspindel dar; ihre Teilung schreitet rascher vor als die der äußern Spindel, so dass sie ihr Ende nahezu erreicht hat, ehe die Metakinese der letztern beginnt. Zwischen beiden Spindeln gewahrt man noch längere Zeit die Körnchen der Zellplatte, die schließlich ebenso wie die angrenzenden Teile der Spindelfasern in das Protoplasma aufgehen. Von den aus der doppelten Teilung entstandenen vier Kernen treten die drei äußern an die Peri- pherie — Richtungskerne —, der vierte innere — weiblicher Pronu- cleus — rückt nach dem Spermakern hin, um mit diesem zu kopulieren, oder in den parthenogenetischen Eiern an die diesem entsprechende Stelle unter dem animalen Pol. Die Wanderung des weiblichen Pronueleus ist also nicht von der Gegenwart des Spermakerns ab- hängig. Das Spermatosom ist in den befruchteten Eiern von Anfang an deutlich erkennbar und leicht in der Protoplasma-Anhäufung unter dem animalen Pol zu finden, wohin ihm durch die Mikropyle der Weg gewiesen wird. Seine Abwesenheit in den parthenogenetischen Eiern würde, auch wenn die Versuchsanordnung nicht eine solche ge- wesen, dass jede Möglichkeit einer Befruchtung ausgeschlossen, eine sichere Kontrole geliefert haben. Sind mehrere Samenfäden einge- drungen, so zeigen die Eier auch stets andere Zeichen pathologischer Veränderungen. Von der Spitze des Spermatozoenkopfes löst sich bei der Bildung des Spermakerns ein kleines, rundes, dunkles Körper- chen ab. Dieser Befund ist deshalb interessant, weil sich in den Spermatiden ein gleiches Element findet, hier tritt es gegen Ende der Spermatogenese an die Spitze des Kopfes (Spitzenknopf). Die an die Peripherie gerückten drei Richtungskerne verschmelzen mit ein- ander, ein Prozess, der übrigens auch uuterbleiben oder nur auf zwei derselben sich erstrecken kann. Sie sind selbst in spätern Furchungs- stadien noch deutlich zu erkennen. In seltenen Fällen konnte ich in parthenogenetischen Eiern konstatieren, dass auch der Eikern ebenso wie die drei Richtungskerne an die Peripherie gerückt war und zwar an den animalen Pol. Ob solche Fälle auf eine andere Beobachtung, wo die zweite Richtungsspindel neben der Spindel des ersten Rich- tungskerns lag anstatt hinter dieser, zurückzuführen sind, vermag ich nicht zu entscheiden. Es spricht indess dieser Umstand wie einige andere sehr für die Gleichwertigkeit der ersten Teilungsprodukte, wie sie auch morphologisch keine Differenzen zeigen. Die erste Furchungsspindel steht in den befruchteten Eiern parallel zur Eiaxe, senkrecht auf die Kopulationsriehtung. Die gleiche Lage hat sie in den parthenogenetischen Eiern, jedoch kommen hier Ab- weichungen häufiger und in beträchtlicherem Maße vor. Auch die Platner, Eier von Liparis dispar. 593 Spindeln des zweiten und dritten Furchungsstadiums zeigen noch eine gewisse Vorliebe für diese Lage, weiterhin lässt sich keine Regel mehr erkennen. Drehungen in den letzten Teilungsstadien sowie bei dem Auseinanderweichen der Tochterkerne machen zudem diese Rich- tung der Spindeln bedeutungslos. Die beiden ersten Furchungskerne liegen meist in einer zur Oberfläche parallelen Linie, die aber auch häufig schief oder nahezu rechtwinklig zu derselben verlaufen kann. Im zweiten Furehungsstadium können schon Differenzen im zeitlichen Verlauf der Teilungen eintreten. Teilt sich von den beiden Furchungs- kernen der eine vor dem andern, so ist ein Stadium von drei Kernen die Folge. Sind von diesen wieder zwei in der Teilung dem dritten voraus, so resultieren fünf Kerne ete. Die in den meisten Fällen sich findenden vier Kerne des zweiten Furchungsstadiums liegen in der Regel an den Ecken eines mehr oder weniger unregelmäßigen, der Oberfläche parallelen Vierecks. Indess kann die Ebene, in der sie sich befinden, auch schief oder selbst rechtwinklig zur Oberfläche verlaufen, endlich können die beiden Linien, welche je zwei zu- sammengehörige Kerne verbinden, sich schief oder rechtwinklig kreuzen. Das etwas stärker färbbare Protoplasma, welches in größerer oder geringerer Menge einen jeden Furchungskern umgibt, zieht sich beim Auseinanderweichen der Tochterkerne zu oft recht langen fadenför- migen Schwänzen aus, die ein Urteil über die Zusammengehörigkeit der Kerne gestatten. Die Unregelmäßigkeiten in der Zeitfolge der Teilungen und in der Lagerung der Kerne nehmen alsbald so zu, dass man den verschiedensten Teilungsstadien und ganz variablen Zahlen begegnet, so dass man von eigentlichen Furchungsstadien nicht mehr reden kann. Auch der Uebertritt der Kerne an die Peripherie zeigt gleiche Unregelmäßigkeiten. Schon bei einer Zahl von 9 Furchungs- kernen fand ich einen peripher nahe dem animalen Pol. Häufiger und in immer größerer Zahl trifft man sie natürlich in spätern Stadien an der Oberfläche des Eies zunächst am animalen Pol oder in dessen Nähe, oft in tangentialer Teilung begriffen. Ich habe mich vergeb- lich bemüht, irgendwelche Regel bei der Anordnung der Kerne auf- zufinden, bin vielmehr durch meine Beobachtungen zu der Ueber- zeugung gelangt, dass an dieselbe Stelle des Blastoderms Kerne von ganz wechselnder Provenienz zu liegen kommen. Ich kann daher denjenigen nicht beistimmen, welche die Differenzierung im werdenden Organismus für eine Funktion der Kerne halten, sondern muss letz- tere zunächst für qualitativ gleichwertig erklären; nur in diesem Falle ist es gleichgiltig, an welche Stelle des Blastoderms sie zu liegen kommen. Meine Resultate wurden gewonnen an den lückenlosen Serien (Paraffin-Schnittbänder von 0,01 mm Dicke) von ungefähr 300 Eiern, eine Zahl, die ich bis zur Veröffentlichung einer ausführlichen Mit- teilung noch erheblich zu vermehren gedenke. Bei dieser Gelegen- 524 Steiner, Funktionen des Zentralnerversystems. heit kann auch die Methode, von welcher das Gelingen derartiger Untersuchungen wesentlich abhängt, ausführlich besprochen werden. Bisher haben bekanntlich die Schwierigkeiten, welche die hartschaligen Eier der Insekten bieten, dieselben zu einem wenig beliebten Unter- suchungsmaterial gemacht. Ich möchte hier noch einige allgemeine Bemerkungen über die Parthenogese bei Liparis dispar anreihen. Ich habe dieses Objekt gewählt, nachdem ich in diesem Frühling aus den Winter- Eiern von fünf unbefruchteten Weibehen zahlreiche Räupchen ge- zogen hatte, die munter weiter gediehen. Auch v. Siebold hat bei Dombyx aus parthenogenetischen Wintereiern Raupen gezogen. Derselbe Autor machte bei Fumea die Erfahrung, dass die Schmetter- lingsweibehen eher starben, als dass sie unbefruchtete Eier legten. Die Weibchen von Liparis zeigen folgendes Verhalten. Dieselben lassen sich schon kurze Zeit nach dem Ausschlüpfen aus der Puppe begatten und beginnen nach mehrern Stunden mit Anfertigung des Eierschwam- mes, den sie nach etwa sieben Tagen vollendet haben. Tritt keine Begattung ein, so warten die Weibehen 6—7—8 bis höchstens 9 Tage, ehe sie einen regulären Schwamm absetzen. Vorher verlieren sie nur in unregelmäßigen Intervallen einzelne Eier. In einigen Fällen be- gannen sie indess schon am vierten Tage nach Verlassen der Puppen- hülle mit einer regelmäßigen Eiablage. In einem Falle geschah dies sogar schon nach 24 Stunden. Nur ganz wenige Weibehen sind mir gestorben, bevor sie Eier abgelegt hatten. Das Geschlecht der aus parthenogenetischen Eiern hervorgehenden Individuen werde ich nächsten Sommer Gelegenheit haben näher zu bestimmen, da leider in diesem Jahre die aus den parthenogenetischen Eiern hervorgegangenen Räupchen mit andern im freien gesammelten durch ein Versehen zusammengethan worden waren. Durch Ausdehnung meiner Untersuchungen auf Hymenopteren sowie auf den bei Breslau häufigen Apus hoffe ich, dass es mir ge- lingen wird, den schönen Versuchen v. Siebold’s eine weitere Stütze durch Feststellung der mikroskopischen Details zu geben, vielleicht auch das Rätsel der Parthenogenese und ihrer Beziehung zur Ge- schleehtsbestimmung etwas der Lösung näher zu führen. Die Funktionen des Zentralnervensystemes und ihre Phylo- genese. Zweite Abteilung: Die Fische. Von Professor Dr. J. Steiner in Heidelberg. Mit 27 eingedruckten Holzschnitten und 1 Lithographie. Braunschweig. Vieweg und Sohn. 1888. Nachdem der Verf. in der ersten Abteilung dieses Werkes, welches sich mit dem Gehirne des Frosches beschäftigt hatte, einen Gesamt- Steiner, Funktionen des Zentralnervensystems. 595 plan für die Thätigkeit des Zentralnervensystems jenes Tieres auf- gestellt hatte, geht er nunmehr zu den gleichen Untersuchungen in der Klasse der Fische über. Indem er sich zugleich an die Errungen- schaften der vergleichenden Anatomie anschließt und dieselben überall zu benutzen gedenkt, konnten nicht allein die Funktionen, sondern auch ihre phylogenetische Entwieklung studiert werden. Welchen Vorteil ein solcher Weg mit sich bringen muss, werden wir an dem Folgenden zu sehen Gelegenheit haben. Das Buch ist in 10 Kapitel geteilt, in denen alle großen Funk- tionen berücksichtigt werden, insoweit sie zu dem zu behandelnden Gegenstande in Beziehung stehen. Um ein Urteil zu gewinnen über die mechanischen Bedingungen der Bewegung und des Gleichgewichtes der Fische, finden wir in dem ersten Kapitel eine Untersuchung über die Funktion der Flossen und über das Gleichgewicht. Die Flossen werden in der Weise außer Funktion gesetzt, dass sie mit warmer Gelatine an den Leib ange- leimt werden. Beobachtung flossenloser Fische, sowie solcher Fische, deren Flossen in der angegebenen Weise funktionsunfähig gemacht worden sind, ergeben, dass die Flossen nicht die Lokomotion der Fische besorgen, sondern dass dieselbe durch pendelartige Schwin- gungen des Schwanzes erzeugt wird (abgesehen von den Fischen, welche sich durch Schlängelung ihres Körpers fortbewegen). Die Flossen haben nicht die Aufgabe, das Gleichgewicht des in rascher 3ewegung begriffenen Fisches zu stützen, sowenig wie jenes Fisches, der fest auf dem Grunde steht. Dagegen sind die paaren Flossen unentbehrlich für das freie Schweben des Fisches in irgend einer Höhe der Wassermasse, und Fische, die keine paarigen Flossen haben, wie z. B. die Neunaugen, sieht man auch niemals frei im Wasser schweben. Ferner dienen diese Flossen als „Steuer“, zur „Arretie- rung“ rascher Bewegungen und endlich zur Rückwärtsbewegung. Das Gleichgewicht der Fische hängt nicht von den Flossen ab, sondern ist eine Funktion des Muskelgefühles, welches von allen Ver- schiebungen in den einzelnen Teilen des Körpers unterrichtet jedes- mal auf reflektorischem Wege für die nötige Korrektur sorgt. Die Theorie ist des genauern schon in dem ersten Teile (Frosch) für alle Wirbeltiere entwickelt worden; in ihrer erweiterten Form gilt sie auch für die Wirbellosen. Das zweite Kapitel enthält die Knochenfische. Die bisherigen Versuche über das Gehirn der Fische leiden alle an dem gleichen Fehler, dass nämlich die einmal eröffnete Schädelkapsel nicht mehr geschlossen werden konnte und das bloßgelegte Gehirn auf diese Weise dem schädlichen Einflusse des umspülenden Wassers preis- gegeben war. Um die Schädelhöhle wieder schließen zu können, bedient sich der Verf. folgender Methode: Die Schädeldecke wird in einiger Aus- 4 526 Steiner, Funktionen des Zentralnervensystems. dehnung vorsichtig abgehoben, aber als „Knochenlappen“ nach hinten hin mit dem Körper des Fisches in Verbindung gelassen. Nachdem die Operation im Gehirn beendet ist, wird der Knochenlappen wieder reponiert, vorn mit einem Faden befestigt, die Wunde mit warmer Gelatine übergossen und diese Gelatinekappe mit konzentrierter Tannin- lösung bepinselt. Auf diese Weise ist die Hirnhöhle vollkommen ge- schlossen, und wenn die Gelatinekappe nach ca. 2 Tagen abfällt, ist der Knochenlappen hinreichend in seinem Lager befestigt. Die ganze Prozedur geschieht bei künstlicher Respiration und der Knochenfisch ist Squalius cephalus (v. Siebold), ein in den mitteleuropäischen Gewässern häufiger Cyprinode. Hat man unter diesen Vorsichtsmaßregeln das Vorderhirn (Groß- hirn) abgetragen, so sieht man, was bisher auch bekannt war, dass die Bewegungen vollkommen normal sind und dass der Fisch sieht, da er Hindernissen ausweicht. Aber, wie sich jetzt herausstellt, sind die Bewegungen durchaus nicht maschinenmäßig und unter einem ge- wissen Zwange stehend, sondern scheinen durchaus willkürlich, da er bald in irgend einer Höhe der Wassermasse schwebt, bald auf dem Grunde steht. Aber völlig neu und unerwartet ist, dass dieser Fisch schon einen Tag nach der Operation einen ihm vorgeworfenen Regenwurm auffängt und regelrecht schluckt. Ein hingeworfener Bindfaden von gleichen Dimensionen mit dem Regenwurm wird von dem Fische nicht genommen. Später nahmen solche Fische auch Brotstückchen oder bBlatta orientalis von der Oberfläche des Wassers. Wirft man ihnen gefärbte Oblaten zu, so werden stets die roten bevorzugt; andere Farben machen keinen besondern Eindruck. Bedingung für das Gelingen dieses Versuches ist endlich ein Bassin mit fließendem Wasser; in einem Bassin mit stehendem Wasser gelang der Versuch nicht. Knochenfische ohne Großhirn, in der angegebenen Weise operiert, können unbeschränkte Zeit leben, wie normale Fische. Diese Versuche sind einige Monate später von Vulpian an Karpfen bestätigt worden. Man kann dieses Resultat nur so verstehen, dass das Großhirn ehemals ein mit Funktionen ausgestattetes Organ gewesen ist, dass es aber im Laufe der Entwicklung seine Funktionen eingebüßt hat, worauf auch der anatomische Befund hinweist, dass dem Großhirn der Knochenfische die Decke, der Mantel fehlt (Rabl-Rückhard). Aber dieser Defekt ist nieht die Ursache der funktionellen Reduktion, sondern, wie weiterhin noch gezeigt werden wird, nur ein Merkmal derselben. Abtragung der Decke des Mittelhirns macht, wie schon bekannt, die Fische blind. Bei der Abtragung des Kleinhirns ist der Verf. über seine Vorgänger insofern hinausgegangen, als er neben dem freien Teile des Kleinhirns auch noch den vordern in der Mittelhirnhöhle gelegenen Anteil desselben (Valvula cerebelli) herausschälen konnte, Steiner, Funktionen des Zentralnervensystems. 597 ohne dass indess Störungen in der Beweglichkeit beobachtet worden waren — wenigstens soweit die gradlinige Bewegung und das Stehen auf dem Grunde inbetracht kommt. Trägt man die Basis des Mittelhirns ab, so fallen die Fische so- gleich auf den Rücken und machen Lokomotionen nur auf mechani- schen Reiz; die Berührung des Wassers kann sie zu Bewegungen nicht mehr anregen. Die Lokomotion hört aber definitiv auf, wenn man die vorderste Abteilung des Nackenmarkes hinter dem Lobus impar abtrennt. Der Lobus impar ist eine den Knochenfischen eigen- tümliche Bildung, die sich aus dem Nackenmark heraushebt und die, wie der Versuch lehrt, das Atmungszentrum einschließt. Wie beim Frosch, so haben wir auch hier im vordersten Teile des Nackenmarkes den Punkt, der die Lokomotion des Tieres besorgt und den wir das allgemeine Bewegungs-, Lokomotions- oder Hirn- Zentrum genannt haben. Und ebenso wie beim Frosch haben wir auch hier in der Mittelhirnbasis die Zentralstation zu suchen für alle die Erregungen, welche von der Haut, den Muskeln und Gelenken kommen und auf das Nackenmarkzentrum übertragen werden, um die Lokomotion anzuregen. Das Verhältnis bei den Fischen veranlasst uns, diesen ganzen Bezirk, also Nackenmarkzentrum und Mittelhirnzentrum zusammen, die auch anatomisch keine Grenze haben, in Zukunft als allgemeines Bewegungszentrum zu bezeichnen. Dieses Zentrum ist kein automatisches, sondern reflektorisches, welches mittelbar auch durch die höhern Sinnesnerven in Erregung versetzt wird. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit dem Amphioxwus, den man in zwei oder drei Teile zerschneiden kann, welche alle ganz ge- ordnete Lokomotionen, äquilibriert und mit dem Kopfende voran, aus- führen. Daraus geht mit Wahrscheinlichkeit hervor, dass der Amphioxus kein allgemeines Bewegungszentrum besitzt, sondern dass sich der- selbe aus lauter gleichwertigen lokombilen d. h. Lokomotion aus- führenden Metameren zusammensetzt. Das vierte Kapitel bringt die Haifische, welche im wesentlichen ausführlich das erste mal im Experimente auftreten. Diese Versuche sind in der zoologischen Station von Neapel im Frühling 1886 u. 1887 an Scyllium catulus und Seyllium canicula ausgeführt worden. Wenn man bei diesen Fischen das Vorderhirn abträgt, so beobachtet man genau wie bei den Knochenfischen, dass ihre Bewegungen keine Stö- rungen erfahren haben. Aber mit der spontanen Nahrungsaufnahme verhält es sich vollkommen anders, denn sie suchen die in das Bassin geworfene Sardine, welche sie sonst außerordentlich lieben, niemals, und sterben nach kürzerer oder längerer Zeit den Hungertod. Aber dasselbe Resultat erhält man bei den Haien, wenn man statt des Vorderhirns nur die Verbindung desselben mit den zentralen Riech- organen, den Bulbi olfactorii, beiderseits durchtrennt, während die einseitige Trennung die Nahrungsaufnahme nicht stört. 598 Steiner, Funktionen des Zentralnervensystems. Die Haie verhalten sich in dieser Beziehung also anders als die Knochenfische, aber auch anders als die Amphibien (Frosch). Wir werden diese Dinge ausführlich im allgemeinen Teile besprechen. Die Abtragung des Zwischenhirns erzeugt keine Bewegungsstörung, aber es scheint, dass der Fisch, wenn er zu Bewegungen angeregt worden ist, früher zu Ruhe kommt, d. h. es scheint ihm an Bewegungsantrieb etwas verloren gegangen zu sein. Das Mittelhirn verhält sich wie bei den Knochenfischen, nur ist die Beweglichkeit des Haifisches nach Abtragung der Basis eine weit ausgiebigere als dort, und es lässt sich hier mit aller Sicherheit kon- statieren, dass die einfache Berührung mit dem umgebenden Wasser keinen Reiz, der zur Bewegung führt, mehr auszulösen im stande ist. Die Abtragung des Kleinhirns erzeugt auch hier keine Störung in Bewegung oder im Gleichgewicht. Macht man einen Sehnitt durch das Nackenmark, der oberhalb des Vagusursprunges fällt, so führt der Haifisch danach keine Lokomotion mehr aus. Durchschneidet man das Rückenmark aber unterhalb des Vagusaustrittes oder noch tiefer, indem man einfach dekapitiert, so macht der Rumpf anscheinend vollkommen normale und durchaus äquilibrierte Bewegungen, die über eine Stunde und unter gewissen Bedingungen auch einen Tag anhalten können. Hier treffen wir neben dem im Mittelhirn gelegenen allgemeinen Bewegungszentrum auch im Rückenmarke Lokomotionszentren, von denen sich aber nachweisen lassen wird, dass diese dem allgemeinen Bewegungszentrum untergeordnet sind, so dass das letztere die Führung über das ganze Tier übernommen hat. Der Vorteil, welcher mit der Entwicklung des allgemeinen Bewegungszentrums eingeführt wird, liegt darin, dass ein solches Tier sich leicht in allen Ebenen zu be- wegen vermag, während Tiere ohne jenes Zentrum, wo die einzelnen Metameren koordiniert thätig sind, die Bewegung in einer Ebene bevorzugen. Bei der zweifellos fundamentalen Bedeutung, welche das Rücken- mark des Haifisches zeigt, wurden bei Rochen (Torpedo oculata), bei Stören und bei Neunaugen Versuche angestellt, welche sich nur mit dem Rückenmarke beschäftigen. Es zeigt sich, dass das Rückenmark von Rochen und Stör sich so verhält, wie jenes des Haifisches; dass aber das Rückenmark der Neunaugen nach Köpfung des Tieres keine Lokomotionen macht, dass man aber diese Lokomotionen wachrufen kann, wenn man dasselbe in ein Bad von Pikrinschwefelsäure von 1—3°/, bringt. Interessant ist auch das Verhalten des Rückenmarkes vom Aal, dessen hinterste Abteilung nach Köpfung ebenfalls Beweg- lichkeit besitzt, wodurch unter geeigneten Umständen Ortsbewegungen auftreten können. Das neunte Kapitel bringt die Zwangsbewegungen, welche genau denselben Gesetzen folgen, wie bei dem Frosch: Kreisbewegung gibt Steiner, Funktionen des Zentralnervensystems. 590 nur die einseitige Verletzung der Mittelhirnbasis und zwar ebenfalls in der Richtung nach der unverwundeten Seite. Ebenso erfolgen Rollbewegungen nach der verletzten Seite nach einseitigem Schnitte in das Rückenmark. Ein besonders interessantes Verhältnis zeigen unter den Knochenfischen die Pleuronectiden, bei denen die Kreis- bewegung in vertikaler Ebene erfolgt, was aus der Art und Weise vorausgesagt werden konäte, wie diese Fische dazu gekommen sind, statt auf dem Bauche auf der einen Seite zu schwimmen. Von wesent- lieher Bedeutung ist die Thatsache, dass die einseitige Verletzung des Rückenmarkes der Haifische, obgleich dasselbe gute Lokomotionen ausführt, doch niemals Zwangsbewegungen zu geben vermag. Trotz- dem gibt es einen Versuch, um auch das hückenmark in die Kreis- bewegung zu zwingen: Hat man einen Haifisch durch einseitige Ab- tragung der Mittelhirnbasis in Kreisbewegung versetzt, lässt ihn darin wenigstens 10 Stunden und köpft ihn nunmehr, so macht der Rumpf Kreisbewegungen in derselben Richtung, in welcher sie das ganze Tier gemacht hatte. Neben. mancherlei interessanten Folgerungen beweist dieser Versuch auf das klarste, dass das allgemeine Be- wegungszentrum im Gehirn die Bewegungszentren im kückenmark beherrscht. Vergleicht man nunmehr die einseitigen Verletzungen im Gehirn mit den doppelseitig ausgeführten, so beobachtet man, dass auf einsei- tige Verletzung nur diejenigen Teile des Zentralnervensystems Zwangs- bewegungen geben, welche in unmittelbarer Beziehung zum Loko- motionszentrum stehen. Daraus folgt: Die Zwangsbewegungen sind eine Funktion des allgemeinen Bewegungszentrums, woraus wieder zu schließen ist, dass, wo Zwangsbewegungen gefunden werden, dort auch ein allgemeines Lokomotionszentrum vorhanden ist und umgekehrt. Zugleich ist zu ersehen, dass die Zwangsbewegungen die einfachste und sicherste Methode zur Darstellung des allgemeinen Lokomotionszentrums bilden. Das zehnte und letzte Kapitel enthält die allgemeinen Schlüsse, die sich aus den mitgeteilten Thatsachen ergeben. Zunächst wird im Verein mit der Morphologie eine Bestimmung der einzelnen Teile des Fischgehirnes gegeben, welche in ihrer Deutung bisber großen Schwierigkeiten unterlegen hatte, worüber indess auf das Original verwiesen werden muss, da sich eine Darstellung ohne Abbildung nicht wohl geben lässt. Hierauf folgt eine Auseinandersetzung über die Anlage des Groß- hirns bei den Fischen. Es ist oben gezeigt worden, dass die Ab- tragung des Vorderhirns und die Abtrennung der zentralen Riech- organe beim Haifisch dasselbe Resultat lieferte. Hieraus aber folgt, dass das Großhirn der Haifische nichts anderes ist, als Rieehzentrum. Thatsächlich nimmt auch der Geruchssinn im Leben der Haifische die Stellung ein, die bei andern Tieren dem VIII, 34 530 Steiner, Funktionen des Zentralnervensystems. Großhirn zukommt, und nachweisbar z. B. ist es nur der Geruchssinn, welcher den Haifisch, wenigstens bei Tage, zu seiner Beute führt und ihn seine Nahrung finden lässt. Da nun das Großhirn aller Wirbel- tiere homolog ist, so folgt daraus weiter, dass das Großhirn der Wirbeltiere sich phylogenetisch aus dem Rieehzentrum entwickelt hat. Wenn aber das eine höhere Sinneszentrum, wie das des Geruches, Großhirnfunktionen übernehmen kann, so müssen wir diese Möglieh- keit auch den andern Zentren, vor allem dem Sehzentrum zusprechen. Und in der That sehen wir diesen Fall bei den Knochenfischen ver- wirklicht, wo das Großlirn degeneriert ist und das Sehzentrum seine Funktionen übernommen hat. Der Verf. hat sich zum Schluss die Aufgabe gestellt, aufgrund physiologischer Daten die Genealogie der Fische festzustellen, was er in folgender Weise zu lösen sucht: Die Morphologie bezeichnet die Selachier unter den jetzt lebenden Fischen als Urfische. Wir haben daher die Funktionen dieser Tiere auch als Urfunktionen anzusehen, von denen sich diejenigen der übrigen Fische und Wirbeltiere ab- leiten. Das Zentralnervensystem der Haifische besteht aus Gehirn und hückenmark, Teile, welche indess durchaus anatomisch aufgefasst sind und wofür die physiologische Definition einzuführen ist. Für das Gehirn fehlt eine solche absolut, aber es lässt sich dureh Ver- gleich über alle Tierklassen und mit Hilfe jenes allgemeinen Satzes über die Zwangsbewegungen folgende Definition ableiten: Das Gehirn ist definiert durch das allgemeine Bewegungszentrumin Verbindung mit den Leistungen wenigstens eines der höhern Sinnesnerven. Wo diese beiden Bedingungen nicht zu- sammentreffen, dort wird auch von einem Hirn nicht die Rede sein. Im Besitze dieser Definition hat man zu untersuchen, ob sich durch Vergleich der Gehirne der Wirbeltiere ihre Verwandtschaft be- stimmen lässt. Das ist aber nicht der Fall, denn keine der Ureigen- schaften des Gehirns ist den spätern Wirbeltieren verloren gegangen. Wir sehen hier nur eine Fortentwicklung schon vorhandener Eigen- schaften, aus denen sich die Beziehungen der Verwandtschaft nicht herauslesen lassen. Wir wenden uns deshalb an das Rückenmark, dessen einzige Funktion eine Lokomotion ist, die sich aus der koordinierten Thätig- keit aller Metameren zusammensetzt und die wir als eine Urfunktion zu betrachten haben. Wenn wir hiermit das Rückenmark der andern Wirbeltiere vergleichen, so finden wir, dass diese Funktion vielfach verloren gegangen ist und danach beurteilt sich die größere oder geringere Entfernung des betreffenden Tieres vom Stamme der Wirbel- tiere, was im Original im einzelnen ausgeführt ist. Von der phylogenetischen Entwicklung des Wirbeltierstammes können wir uns nun folgende Vorstellung machen: Der Stamm der Me Kendrick, Blutgase. 551 Wirbeltiere beginnt mit einem Acranier, einem aus gleichwertigen Metameren zusammengesetzten Wirbeltiere, für das uns als Typus der wohlbekannte Amphioxus lanceolatus dient. Physiologisch kommt dieser primitive Zustand dadurch zum Ausdruck, dass sämtliche Meta- meren die gleiche Lokomobilität besitzen, dureh welche sich das Tier am leichtesten in ein und derselben Ebene bewegt. In einem gewissen Stadium phylogenetischer Zeit fangen die Metameren an ihre Lokomobilität nach vorn abzugeben, wodurch die vorderste Metamere so sehr gestärkt wird, dass dieselbe die Führung über die andern übernimmt. Der objektive Ausdruck dieser Abgabe ist eine Wanderung der Funktion nach dem Vorderende. Der Beweis, dass die vorderste Metamere die Führung übernommen hat, liegt in der Thatsache, dass nur die einseitige Verletzung des Zentralnervensystems dieser Metamere die bisher gradlinige in eine krummlinige Bewegung umzugestalten vermag. Tritt zu dieser führenden Metamere als neue Bildung das Zentrum eines oder mehrer der höhern Sinnesnerven, so ist ein Gehirn oder das hirntragende kraniote Wirbeltier konstruiert, welches sich mit Leichtigkeit in allen Ebenen zu bewegen vermag. In einem Anhang finden wir endlich Versuche über die halb- zirkelförmigen Kanäle der Haifische, welche sich als für den Versuch sehr geeignet erwiesen haben. Entfernt man genau nach den Angaben des Verf. einen Kanal nach dem andern, so kann man alie sechs entfernen, ohne je auch nur die geringste Bewegungs- oder Gleich- gewichtsstörung zu beobachten. Hat man mit einem Kanal aber Kalkkonkremente entfernt, oder eröffnet man den Vorhof und zerrt direkt am Hörnerven, so wird man ebenso ausnahmslos Gleichgewichts- störungen beobachten, welche in der Regel Rollbewegungen nach der verletzten Seite sind. Demnach kann man den Halbzirkelkanälen keine Funktion für die Erhaltung des Gleichgewichts zusprechen. Wenn Störungen ein- treten, so sind es Zwangsbewegungen, welche durch die Zerrung er- zeugt werden, die durch das Ziehen am Hörnerven im Nackenmark gesetzt wird. Die Blutgase. Aus einem Vortrage, gehalten von Dr. John Gray Me Kendrick bei der Jahresversammlung der „British Medical Association* zu Glasgow am 10. Au- gust 1888. Die ältesten Forscher scheinen keine irgendwie klaren Vor- stellungen gehabt zu haben darüber, dass die Atmung eine Not- wendigkeit ist. Hippokrates erkannte dunkel, dass während des Atmens ein „Spiritus“ dem Körper mitgeteilt würde, und viele der ältern Anatomen glaubten im Anschluss an Galen, dass „unmittelbar der Luftstoff durch die Gefäße der Lunge in die linke Herzkammer 2) ade 94“ 539 Me Kendrick, Blutgase. 27 eingehe, nieht allein zur Herabminderung der Wärme, sondern auch um für die Erzeugung der Lebensgeister zu sorgen.“ Diese An- schauung von der Abkühlung des Blutes wurde von Descartes (1596—1650) und seinen Anhängern aufrecht erhalten, und letztere schien ihnen der hauptsächliche, wenn nicht der einzige Zweck der Atmung zu sein. Nebenbei nahmen sie an, dieselbe helfe mit bei der Erzeugung und bei dem Tonfall der Stimme, beim husten und bei der Einziehung von Gerüchen. Der berühmte van Helmont (1577—1664) legt diese Anschauungen in gewinnender Weise dar und legt besondere Wichtigkeit der Notwendigkeit einer Blutabkühlung bei, weil sonst das Blut zu heiß für den Körper werden würde. Um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts begannen klarere Anschauungen zu herrschen, und zwar beruhten dieselben zum Teil auf einer anatomischen, zum Teil auf einer physikalischen Entdeckung. Malpighi (1621—1694) entdeckte, dass die kleinen Bronchialröhren in lufthaltige Bläschen oder (wie er sie nannte) membranöse Höhlungen endeten, auf deren Wandungen er beim Frosche mit seinem ein- fachen Mikroskope das Blut durch Kapillaren strömen sah, und dieses Lungengewebe wurde lange Jahre hindurch „Rete mirabile Malpighii“ genannt. Die physikalischen Beobachtungen wurden durch den be- rühmten Robert Boyle (1627—1691) gemacht, welcher in seiner Abhandlung, betitelt „Neue physiko-mechanische Versuche über die Spannung der Luft“, erschienen 1662, zahlreiche Versuche beschreibt über das Verhalten der Tiere in dem luftleeren Raume der Luftpumpe. Er zeigte, dass der Tod der Tiere „mehr von dem Mangel an Luft herrührte, als dass die Luft durch die Ausdünstung ibrer Körper überlastet wurde.“ Er zeigte ferner, dass auch die Fische der Wohl- thaten der Luft sich erfreuten, denn — so sagte er — „es pflegen viele kleine zerstreute Teilchen von Luft unsichtbar im Wasser zu liegen, von denen es nicht unmöglich scheint, dass die Fische sie verbrauchen, indem sie sie entweder abscheiden, wenn sie das Wasser durch ihre Kiemen gehen lassen, oder auf einem andern Wege.“ Sein Schluss ist, dass „die eingeatmete und ausgeatmete Luft manchmal sehr nützlich sein kann durch Verdichtung und Abkühlung des Blutes“; aber „ich behaupte, dass die Reinigung des Blutes auf diesem Wege nicht nur einer der regelmäßigen, sondern sogar einer der Hauptzwecke der Atmung ist.“ Somit war Boyle mit Hilfe der 1650 von Otto von Gericke erfundenen Luftpumpe im stande, zur physiologischen Wissenschaft einen Beitrag von grundlegender Be- deutung zu machen. Er legte auch zuerst klar die wirkliche Ursache des Einströmens der Luft in die Lungen dar. Die ältern Anatomen, von Galen ab- wärts, behaupteten, dass die Lungen willkürlich sich ausdehnten und so die Luft einsögen, und es gab vielen Streit darüber, ob die Brust mit den Lungen darin einem Blasebalg gliche, der gefüllt würde, Me Kendrick, Blutgase. 555 weil er sich ausdehnte, oder ob die Lungen einer Blase gleichkämen, welche sich ausdehnt, weil sie gefüllt wird. Boyle zeigt klar, dass die Brusthöhlung willkürlich sich erweitert, und dass die Lungen anschwellen, weil die Spannung der Luft dann weniger auf ihre äußere als auf ihre innere Oberfläche einwirkt. Diese einfache Er- klärung wurde nicht allgemein angenommen, weil die Geister von Boyle’s Zeitgenossen unter dem Einflusse einer alten Idee standen, dass nämlich innerhalb der Brusthöhle auch außerhalb der Lungen Luft vorhanden sei. Dies hinderte sie daran, die Einfachheit und Genauigkeit von Boyle’s Erklärung zu erkennen, und veranlasste sie auszuschauen nach irgend einem Mechanismus, durch welchen die Lungen willkürlich sich ausdehnen könnten. Solehe Anschauungen wurden aufrecht erhalten durch Willis, Malpighi und Erasmus Darwin. Die Meinung Darwin’s geht aus folgenden Stellen in der „Zoonomia“ hervor: „Durch den Reiz des Blutes in der rechten Herzkammer werden die Lungen veranlasst sich selbst auszudehnen, und die Brust- und Zwischenrippenmuskeln und das Zwerchfell sind durch ihren Zu- sammenhang mit ihnen gleichzeitig thätig.“ Und wiederum: „jener gesteigerten Thätigkeit der Luftzellen ist diejenige der Zwischen- rippenmuskeln und des Zwerchfells durch gemeinschaftliche Reizung beigesellt.“ Boyle’s Beobachtungen wurden 1660 veröffentlicht, und 1665 sehen wir Borelli (1608—1679) in dem zweiten Teile seines großen Werkes „De Motu Animalium“ sehr klare Ansichten über Atmung ausdrücken. So zeigt er in dem zweiundachtzigsten Satze, dass die Lungen nicht die wirklichen Ursachen der Atmung, sondern nur passiv bei den Bewegungen beteiligt sind; und in dem dreiundacht- zigsten Satze stellt er fest, dass die wahre Ursache der Einatmung die Muskelkraft ist, durch welehe die Brusthöhle vergrößert und den Lungen gestattet wird, durch die elastische Kraft der Luft sich zu füllen. Borelli stellte auch — wie aus dem einundachtzigsten Ab- schnitte seines Werkes hervorgeht — zuerst eine Schätzung der Luft- menge an, welche durch eine einzelne Ausatmung ausgetrieben wird. Zugleich schrieb er tiefe Ausatmung dem elastischen Zurückschnellen der Rippen zu, und er führte aus, dass die tiefste Ausatmung die Lungen nicht ganz ihrer Luft entledigen könnte (Abschnitte 92, 93 und 94). Während aber Borelli in dieser Weise die Luft als etwas für tierisches Leben Notwendiges erkannte, irrte er natürlich mit seiner Erklärung dafür, warum dies so wäre, weil er ja unbekannt war mit der Zusammensetzung der Luft und den sogenannten „rauchigen Dämpfen“ („fuligineous vapours“), nämlich Kohlensäure, Wasserdampf u. s. w., von denen man annalım, dass sie in der aus- geatmeten Luft vorhanden seien. 594 Me Kendrick, Blutgase. Ich finde in einem Werke von Swammerdam (1637—1680), mit der Jahreszahl 1667 und betitelt „Traetatus Physico - Anatomieo- Medieus de Respiratione usuque Pulmonum“, auf Seite 20 und 21 die Beschreibung von einem Versuche, bei welchem er in einen Wasserkessel einen Hund untertauchte, dem er ein langes Rohr in die Luftröhre eingesetzt hatte, und wobei er das Steigen und Fallen der Wasseroberfläche im Verlaufe der Atmung beobachtete. Dies war in der That die von Borelli befolgte Methode; aber ich kann nicht sagen, von wem der Versuch zuerst gemacht wurde. Hier will ich auch eingehen auf die merkwürdigen Versuche von Sanctorius, Professor der Medizin in Padua, welcher von 1561 bis 1636 lebte, da dureh dieselben wahrscheinlich zuerst eine Schätzung der von dem Körper ausgeschiedenen Stoffmenge stattfand. Sanc- torius baute eine Wage, auf welcher er sich selbst wiederholt ab- wog, und wobei er beobachtete, was er durch Essen gewann und was er durch Exkretion verlor. Die Ergebnisse wurden niedergelegt in seinem Werke „Ars de Statica Medieina“, herausgegeben 1614, und er schätzt die von der Lungenausatmung ausgeschiedene Stoff- menge auf etwa ein halbes Pfund während 24 Stunden. Es ist nicht leicht zu sagen, was diese Zahlen bedeuten, und deshalb finden wir diesen Betrag auf die Autorität von Sanetorius hin von den Ge- lehrten während des darauffolgenden Jahrhunderts in verschiedenen Bedeutungen mitgeteilt. Seine Beobachtungen indess sind interessant insofern, als sie einen bestimmten Schritt auf dem Wege physiologischer Forschung ausmachen. Unter den Zeitgenossen von Boyle, Pascal, Spinoza, Barrow, Newton und Leibnitz — sämtlich Männer der obersten Geistes- stufe — war Dr. Robert Hooke einer der gewandtesten und be- fähigsten wissenschaftlichen Denker. Hooke war 1635 geboren und starb 1703. Als eines der Begründer der Royal Society zu London beweisen seine ersten Abhandlungen, dass es kaum irgend einen Teil der Wissenschaft gab, zu welchem er nieht wichtige Beiträge lieferte. Besonders machte er ein bemerkenswertes Experiment der Royal Society im Oktober 1667 vor. Dieses Experiment, wie umständlich erzählt in Lowthorp’s „Abstract of the Philosophieal Transactions“ (Bd. HI Seite 67), legte dar, dass es die frische Luft und nicht irgend eine Aenderung in dem Rauminhalt der Lungen war, welche die Unterhaltung des Herzschlages bedingte. Es ist gesagt worden, dass ein ähnlicher Versuch von Vesal ausgeführt wurde; aber dies geschah mit dem Unterschiede, dass dieser wohl die Thatsache beobachtete, aber dass es ihm nicht gelang, eine vernünftige Er- läuterung derselben zu geben. Er setzte voraus, dass die Bewegungen der Lungen die Bewegungen des Herzens veranlassten; aber er sah nieht, wie Hooke, dass das Herz sich darum bewegte, weil es ver- sorgt wurde mit Blut, das frische Luft mitführte. Hooke’s Versuch Me Kendrick, Blutgase, 555 ist auch insofern von großer praktischer Bedeutung, als er die Grund- lage abgab für die heutige Praxis, künstliche Atmung anzuwenden in Fällen von drohender Erstickungsgefahr. So sehen wir, wie die Notwendigkeit unausgesetzter Zufuhr von frischer Luft als ein wesentliches Lebensbedingnis erkannt wurde. Es wurde ferner vermutet, dass die Luft dem Blute etwas mitteilte und dass sie umgekehrt auch etwas empfing; aber in dieser Richtung wurde kein Schritt vorwärts gemacht bis zu den Untersuchungen von Mayow, ein heute noch im der Geschiehte der Anfänge der Chemie und Physiologie hoch angesehener Name. John Mayow wurde 1645 geboren und starb in dem frühen Alter von vierunddreißig Jahren. Sein Hauptwerk erschien im Jahre 1674 in Oxford. In demselben bewies er an der Hand vieler geistreicher Versuche, dass Verbrennung das Volumen der Luft verringert und ihre Eigenschaften verändert; dass auch die Atmung die Eigenschaft der Luft beeinflusst; dass ein Tier stirbt, wenn es in einem begrenzten lufterfüllten Raume ge- halten wird — eine Thatsache, welehe nach Mayow dadurch zu er- klären ist, dass das Tier den brauchbaren Teil der Luft verbraucht hat und dass der Ueberrest untauglich fürs Leben ist; und endlich zeigte er, dass ein Tier leidet, wenn es in eine Luft versetzt wird, deren Eigenschaften durch Verbrennung geschädigt wurden. Weiter gab er den Namen „nitro-aerial spiritus“ dem „Prinzipe“ in der Luft, welches, wie er sagte, mit Leben, Muskelthätigkeit und Verbrennung zu thun hat, und somit kam er zweifelsohne der Entdeckung des Sauerstoffes nahe, welehe Priestley erst fast ein Jahrhundert später machte. Es würde schwierig sein, den ungemeinen Einfluss abzu- schätzen, weleher durch die Untersuchungen von Boyle, Hooke und Mayow auf die Theorien der Verbrennung und Atmung ausgeübt wurde. Diese Männer bereiteten in der physiologischen Wissenschaft den Weg für den nächsten großen Schritt — nämlich die Erkennung der bei der Atmung in betracht kommenden Gase. Der nächste Schritt in der Physiologie der Atmung war im Jahre 1754 die Entdeckung der Kohlensäure durch Josef Black, damals Professor der Medizin und Chemie an der Universität Oxford. Um diese Zeit gab es in der medizinischen Welt viel Streit über den Gebrauch von Kalkwasser in Fällen von Stein und Gries. Man glaubte, dass das Kalkwasser die Blasensteine auflöste und dadurch zu ihrer Entfernung aus dem Körper beitrüge. Dies führte Black zu seiner berühmten Untersuchung über Magnesia. Er zeigte, dass bei der weißen Magnesia (Magnesiumkarbonat) nach Erhitzung das Verschwin- den des Aufbrausens bei Behandlung mit einer Säure von einem Ge- wiehtsverlust begleitet war. Den Stoff, welcher somit ausgeschieden worden war, nannte er „fixe Luft“, oder, wie wir es jetzt nennen, Kohlensäure. Dies führte zu einer Prüfung der Kalksalze, und im Jahre 1757 machte er zwei wichtige physiologische Entdeckungen, 536 Me Kendrick, Blutgase. nämlich 1) dass die „fixe Luft“ dem tierischen Leben nachteilig sei, und 2) dass die „fixe Luft“ durch die Thätigkeit der Atmung erzeugt werde. Diese wichtigen Beobachtungen werden mit seinen eignen Worten wie folgt beschrieben: „In demselben Jahre jedoch, in welchem mein erster Bericht über diese Versuche veröffentlicht wurde — näm- lich 1757 — hatte ich entdeckt, dass diese besondere Art Luft, an- gezogen durch alkalische Stoffe, tödlich für alle Tiere ist, welche sie durch Mund und Nasenlöcher zugleich einatmen; aber dass sie meiner Meinung nach ruhig eingeatmet werden konnte, wenn die Nasenlöcher geschlossen gehalten wurden. Ich fand z. B., dass Sperlinge, die in ihr im Verlaufe von zehn oder zwölf Sekunden starben, drei bis vier Minuten darin leben konnten, wenn die Nasenlöcher durch geschmol- zenes Talg verschlossen waren, und ich überzeugte mich, dass die Veränderung, welche durch das Atmen mit der guten Luft vorging, hauptsächlich, wenn nicht ausschließlich, in der Umwandlung der- selben in „fixe Luft“ bestand. Denn ich fand, dass der Kalk nieder- geschlagen wurde, wenn ich durch ein Pfeifenrohr in Kalkwasser oder in eine ätzend alkalische Flüssigkeit blies, und dass letztere zu ätzen aufhörte. Teilweise gelangte ich zu diesen Versuchen durch einige Beobachtungen von Dr. Hales, welcher berichtet, dass das Atmen durch in alkalische Lösungen eingetauchte Leinwand- stücke die Luft weit ausgiebiger mache für die Zwecke des Lebens“. Fünfzehn Jahre nachher — nämlich im Jahre 1772 — prüfte Josef Priestley die chemischen Wirkungen, welche durch das Brennen von Kerzen und durch die Atmung von Tieren auf gewöhn- liche Luft ausgeübt würden, und er machte die bedeutungsvolle Ent- deckung, dass Luft, nachdem sie ihre Fähigkeit die Verbrennung zu unterhalten verloren, wie dies eben infolge des Brennens von Kerzen eintritt, diese Eigenschaft durch die Einwirkung von Pflanzen wie- dererlangen kann. In der Weiterverfolgung dieser Versuche fand er, dass Luft, schlecht gemacht dureh die Atmung von Tieren, durch die Thätigkeit von Pflanzen wieder geeignet für die Atmung gemacht werden kann. Bei diesen Experimenten verwendete er Mäuse, um sich darüber zu vergewissern, inwieweit eine Luft unrein oder un- geeignet für die Atmung wäre. Im Jahre 1774 erhielt Priestley Sauerstoff durch Erhitzung von rotem Präzipitat mittels Sonnenstrahlen und Brennglas; dies aber führte ihn wieder zu einer Untersuchung über die Zusammensetzung der Atmosphäre, und es zeigte sich, dass dieselbe kein gleichartiger elementarer Körper, sondern aus zwei Gasen zusammengeretzt sei, und dass ihre Zusammensetzung auf- fallend gleichmäßig war. Priestley bewies, dass die Luft durch Fäulnis, Verbrennung, Rosten der Metalle und durch die Atmung etwas von der Menge eines seiner Bestandteile verlor, nämlich des Sauer- stoffs. Me Kendrick, Blutgase. 97 So ließen die chemischen Untersuchungen von Black und Priestley erkennen, dass bei der Atmung Sauerstoff verbraucht und Kohlensäure erzeugt wurde, obwohl letztere Thatsache, entsprechend seinen theoretischen Ansichten über Phlogiston, nieht voll durch ihn gewürdigt wurde. Innerhalb des nächsten Jahres nach Priestley’s Entdeckung erschien von Lavoisier (1743—1794) eine Abhandlung über Atmung, worin er zeigte, dass Priestley richtig erkannt hatte, dass die Luft bei der Atmung Sauerstoff verliere; Lavoisierindess hob besonders her- vor, dass sie Kohlensäure dafür aufnimmt. Zweifellos war Lavoisier wohl bekannt mit Black’s Untersuchungen, wie dies aus dem Brief- wechsel zwischen diesen beiden ausgezeichneten Männern hervorgeht. Lavoisier jedoch war der erste, der quantitativ die Veränderungen prüfte, welche in der Luft infolge der Atmung vor sich gehen. Im Jahre 1870 führte er einen bemerkenswerten Versuch aus, bei welchem ein Meerschweinchen über Quecksilber in ein Glasgefäß gesperrt wurde, welches 248 Kubikzoll Gas, der Hauptsache nach Sauerstoff, ent- hielt. Nach Verlauf von fünf Viertelstunden atmete das Tier mit viel Beschwerde, und darauf wurde, nachdem dasselbe aus dem Apparat entfernt, der Zustand der Luft geprüft. Sein Rauminhalt war um 8 Kubikzoll verringert, und von den verbleibenden 240 Kubikzoll wurden 40 von Kalilauge absorbiert: letztere bestanden also aus Kohlensäure. Noch später führte er einen genauern Versuch aus, welcher quantitative Aufschlüsse ergab Während der Jahre 1789 und 1790 versuchten Lavoisier und sein Freund Seguin mittels eines besondern Apparates die Veränderungen zu messen, welche durch die Atmung des Menschen in der Luft hervorgebracht wurden; diese Versuche waren indess nicht so sehr von Wert durch ihre Er- gebnisse, als vielmehr durch die dabei angewendete Methode. Darauf baute Lavoisier einen noch durchdaehtern Apparat, mit dem er von neuem Versuche unternahm; diese Untersuchung aber beendete er nimmer, denn er fiel im Jahre 1794 als ein Opfer der blinden Wut Robespierre’s. Es heißt, dass er dringlich einen Aufschub von we- nigen Tagen forderte, der ihm Zeit geben sollte, die Ergebnisse seiner Untersuchung für die Veröffentlichung vorzubereiten. Dies wurde abgeschlagen, und so starb einer der größten Gelehrten Frankreichs. Stephen Hales (1677—1761) unternahm es, die Menge des Wasserdampfes zu messen, welche von den Lungen abgegeben wurde, und zwar durch eine mit Holzasche gefüllte Flasche, in der die Feuchtigkeit zurückgehalten wurde; er schätzte die Menge auf un- gefähr 20 Unzen in 24 Stunden. Achnliche Beobachtungen wurden später durch Menzies und durch den ausgezeichneten Arzt Aber- nethy gemacht. Auch Lavoisier ging dem Problem auf indirektem Wege zuleibe. So bestimmte er die Menge des verbrauchten Sauer- stoffes und der erzeugten Kohlensäure, und unter der Annahme, die 598 Me Kendrick, Blutgase. Menge des Sauerstoffes sei mehr als hinreichend für die Bildung der Kohlensäure, gelangte er zu dem Schlusse, dass der Ueberschuss in den Lungen mit Wasserstoff sich verbände und als Wasser wieder zum Vorschein käme. Wie man sich denken kann, ergab diese Me- thode in weiten Grenzen schwankende Resultate. Manche andere Versuche wurden noch angestellt, um den Umfang der respiratorischen Veränderungen abzuschätzen. Besonders unter- suchte Sir Humphrey Davy im März 1798 die physiologischen Wir- kungen des Stickoxydulgases. Bei dieser Untersuchung, welche 1800 veröffentlicht wurde, begann er mit Beobachtungen an Tieren, und mit großer Genauigkeit wurden aufgezeichnet die Beobachtungen bezüg- lich der Wirkung des Gases auf die Lebensthätigkeit, Muskelreizbar- keit, Thätigkeit des Herzens und Farbe des Blutes. Dann ging er zu Beobachtungen über Einatmung von Wasserstoff über, und das führte ihn zu einer Wiederholung der Experimente von Lavoisier und Goodwin. Hernach unterwarf er sich selbst und Freunde von ihm dem Versuche und verzeichnete eine Anzahl interessanter physio- logischer und psychischer Erscheinungen. Diese Untersuchung ist insofern von bedeutendem geschichtlichem Werte, als sie die erste war, welche zur Entdeckung einer Methode führte, Anästhesie oder Fühllosigkeit für Schmerz zu erzeugen, nämlich durch Einatmung von Dämpfen oder Gasen. Ein anderer hervorragender Mann, welcher erheblich beitrug zur Physiologie der Atmung, war Lazarus Spallanzani, geboren 1729 und gestorben 1799. Er wurde unter der Leitung von Jesuiten erzogen. Im Alter von etwa 16 Jahren ging er nach Bologna und studierte an dieser Universität, speziell unter der Obhut seiner Muhme Laura Bassa, einer Frau, welche wegen ihrer Beredtsamkeit nnd ihrer wissenschaftlichen Kenntnisse eine Berühmtheit ihrer Zeit und damals Professor an genannter Universität war. Sein Biograph Sene- bier sagt von ihm: „— Unter der Leitung dieser erleuchteten Führerin lernte er dem Studium der Natur demjenigen ihrer Er- klärer den Vorzug geben, und deren Wert abschätzen, indem er sie mit den Vorbildern verglich, welche zu beschreiben sie angaben. Der Schüler erfasste sofort die Weisheit dieser Ratschläge und erfuhr schnell ihre glücklichen Wirkungen. Er erwies seiner Lehrerin seine Dankbarkeit in einer lateinischen, im Jahre 1795 erschienenen Disser- tation, welche der Laura Bassa gewidmet war und in der er den Beifall schildert, welchen dieselbe in Modena erntete, als sie in die Halle eintrat, wo ihr Schützling, eben zum Profe:sor ernannt, eine These „De Lapidibus ab Aqua Resilientibus*“ verteidigte, und als sie opponierte mit der Anmut eines liebenswürdigen Weibes und der Weisheit eines tiefen Philosophen.“ Spallanzani wurde im Jahre 1754 Professor für Logik, Mathe- matik und Griechisch in Reggio, und um dieselbe Zeit ließ er Unter- Me Kendrick, Blutgase. 539 suchungen über Infusorien erscheinen. 1760 wurde er Professor an der Universität Modena; 1765 legte er dar, dass viele mikroskopische Lebewesen echte Tiere seien, und 1768 veröffentlichte er seine be- rühmten Untersuchungen über die Wiederergänzung entfernter Körper- teile bei Würmern, Schnecken, Salamandern und Kröten. Besondere Aufmerksamkeit widmete er der großen Frage von der Urzeugung, und zeigte, dass Aufgüsse tierischer und pflanzlicher Stoffe, wenn sie einer hohen Temperatur ausgesetzt und luftdicht abgeschlossen wurden, niemals etwas Lebendiges erzeugten. Auch die Atmung untersuchte er, und zwar vorwiegend bei Wirbellosen. Es bewies, dass viele solehe Tiere ebensowohl durch die Haut als durch beson- dere Respirationsorgane atmeten. Viele Tiere, in erster Reihe ver- schiedene Wurmarten, brachte er in Wasserstoff- und Stiekstoif- Atmosphären und fand, dass selbst unter solchen Umständen Kohlen- säure erzeugt wurde. Auch fand er die Ausscheidung von Kohlen- säure durch tote Körper solcher Tiere, und er schloss daraus, dass die Kohlensäure unmittelbar von den toten Geweben und nicht von der Einwirkung des Sauerstoffes der Luft herrühre. Er verglich die Atmung kaltblütiger Tiere mit derjenigen der Warmblüter und legte die Eigentümlichkeiten der Atmung bei Tieren im Winterschlaf dar. Und keineswegs waren dies oberflächliche Beobachtungen. Gewöhn- lich waren sie quantitativer Natur, indem er mittels des Eudiometers die Luft vor und nach der Atmung analysierte. Wohl der wertvollste Beitrag, welchen Spallanzani zu diesem Gegenstande leistete, lieferte das in folgemdem Paragraphen Enthaltene: „— Ich untersuche hier nieht, warum die Menge des Kohlen- säuregases in Stickstoff und Wasserstoff größer war als in gewöhn- licher Luft. Ich will aus diesen Versuchen allein schließen, dass es klar bewiesen ist, dass das in gewöhnlicher Luft von lebenden und toten Schnecken ausgehende Kohlensäuregas nicht von dem atmo- sphärischen Sauerstoff herrührte, da ja eine gleiche oder sogar größere Menge davon in Stickstoff- und Wasserstoffgas erhalten wurde; daraus folgt, dass nur ein Teil der ausgeatmeten Kohlensäure von jenem Sauerstoff stammt, welchen die Tiere während des Lebens oder nach dem Tode aufnehmen. Spallanzani vermutete, dass die auf diese Weise erzeugte Koblensäure durch die Verdauung im Magen gebildet werde, dann durch die Gewebe hindurchgehe und endlich ausgeatmet werde. So übersprang er eine große Stufe in der Entdeckung —, dass nämlich die Kohlensäure von den Geweben selbst erzeugt wird. Es wurde Jedoch im Jahre 1823 durch W. F. Edwards in seinem Werke „De influence des agens physiques sur la vie“ (Paris 1824) festgestellt, dass die Kohlensäuremenge, die durch Tieratmung gebildet wird, zu groß wäre, als dass sie durch die Sauerstoffmenge in den Lungen beim Beginn des Versuches oder durch die Kohlensäure geliefert werden 540 O. Zacharias, Zur Fauna emiger norddeutscher Seen. könnte, welche man in dem Magen vermutete. Die Wichtigkeit dieser Beobachtung wird klar werden, wenn wir über die Erscheinungen der Gewebe - Atmung sprechen. (Fortsetzung folgt.) Zur Fauna einiger norddeutscher Seen. Von Dr. Otto Zacharias. In meiner vorjährigen Abhandlung, welche „Zur Kenntnis der pelagischen und littoralen Fauna norddeutscher Seen* betitelt und im 45. Bande der „Zeit- schrift f. wiss. Zoologie“, Jahrgang 1887, erschienen ist, habe ich nur Kollektiv- verzeichnisse der Kruster- und Hydrachnidenfauna publiziert, welche einen Ueberblick über die überhaupt vorhandenen Arten geben sollten. Neuerdings bin ich aber von verschiedenen Seiten darauf aufmerksam gemacht worden, dass die Mitteilung von Spezial-Listen für die einzelnen Seen nicht minder wünschenswert sei, und demgemäß veröffentliche ich jetzt an dieser Stelle die Befunde aus einigen größern und bekanntern Wasserbecken, I. Crustaceen. Bordesholmer See (Holstein): Leptodora Kindtii Focke; Polyphemus pediceulus deGeer; Sida eristallina O.F. M.; Ceriodaphnia pulchella G. O0. Sars; Bosmina coregoni Baird; Bos- mina longirostris OÖ. F.M.; Bosmina cornuta Jur.; Uhydorus sphaericus O.F. M.; Eurycercus lamellatus OÖ. F.M.; Acroperus leucocephalus Koch; Alonopsis elon- gata Sars; Pleuroxus truncatus OÖ. F. M.; Diaptomus gracilis Sars; Cyelops viridis Jur.; Oyclops simplex Pogg.; Oyclops macrurus Sars; Argulus folia- ceus Jur. Gr. Plöner See (Holstein): Polyphemus pedieulus de Geer; Daphnia apicata Kurz; Bosmina coregoni Baird; Bosmina cornuta Jur.; Daphnella brachyura Li&vin; Acroperus leuco- cephalus Koch; Alonopsis elongata Sars; Alona testudinaria Fischer; Hetero- cope appendiculata Sars; Temorella lacustris Poppe; Diaptomus gracilisSars; Cyclops simplex Pogg.; Ergasilus sp. Schweriner See (Mecklenburg): Leptodora Kindtii Focke; Daphnella brachyura Lievin; Hyalodaphnia cucullata Sars, var. Kahlbergensis Schdlr.; Hyalodaphnia eueull. Sars, var. Cederströmii Schdlr.; Simocephalus exspinosus Schdlr.; Scapholeberis mucro- nata O©. F. M., var. cornuta; Bosmina coregoni Baird; Bosmina cornuta Jur.; Bosmina bohemica Hellich; Burycercus lamellatus ©. F. M.; Acroperus leuco- cephalus Koch; Alona testudinaria Fisch; Pleuroxus truncatus OÖ. F. M.; Ceriodaphnia pulchella Sars; CUhydorus sphaericus OÖ. F. M.; Diaptomus gra- cilis Sars; Cyelops tenwicornis Claus; ÜOyelops agilis Koch; Cyelops sim- plex Pogg.; Heterocope appendiculata Sars; Ergasilus Sp. O. Zacharias, Zur Fauna einiger norddeutscher Seen. 54 Müritz-See (Mecklenburg): Daphnella brachyura Li&vin; Hyalodaphnia cucullata Sars, var. Kahl- bergensis Schdlr.; Bosmina cornuta Jur.; Bosmina bohemica Hellich; Cerio- daphnia pulchella Sars; Alona quadrangularis OÖ. F.M.; Bythotrephes longi- manus Leydig; Diaptomus gracilis Sars; Üyclops simplex Pogg.; Cyclops viridis Jur.; Temorella lacustris Poppe; Heterocope appendiculata Sars; Canthocamptus trispinosus Brady; Ergasilus sp. II. Hydrachniden. Bordesholmer See: Mideopsis depressa Neum.; Nesaea luteola ©. L. Koch; Nesaea nodata 0. F. M.; Limnesia undulata ©. F.M.; Limnesia maculata O.F.M.; Diplodontus despieiens OÖ. F. M.; Hydrachna globosa de Geer; Eylais extendens O. F. M. G. Plöner See: Nesaea nodata OÖ. F. M.; Nesaea luteola GC. L. Koch; Nesaea rotunda Kramer; Limnesia maculata ©. F. M.; Limnesia undulata OÖ. F M.; Axona versicolor OÖ. F. M. Schweriner See: Limnesia undulata OÖ. F. M.; Limnesia maculata OÖ. F. M.; Diplodontus despieiens O. F. M.; Nesaea nodata O. F. M.; Nesaea luteola 6. L. Koch; Nesaea variabilis C. L. Koch; Acercus latipes ©. L. Koch. Müritz-See: Nesaea coccinea Bruz.; Nesaea luteola GC. L. Koch; Nesaea variabılis C. L. Koch; Nesaea rotunda Kramer; Lebertia tau -insignitus Leb.; Hygro- batus longipalpis Herm.; Hydrachna globosa de Geer; Limnesia maculata O0. F. M.; Limnesia undulata OÖ. F. M.; Diplodontus despiciens D F. M.; Atrac- tides ovalis Könike; Atax crassipes OÖ. F. M.; Hydrochoreutus ungulatus Ö. L. Koch. Die Zeit der Untersuchung fiel in die Monate Juli und August. Herr Ferd. Könike (Bremen) übernahm es, die von mir gesammelten Wassermilben zu bestimmen, und Herr S. A. Poppe (Vegesack) hatte die Freundlichkeit, die Crustaceen (insbesondere die Copepoden) einer gründlichen Musterung zu unterziehen. Die Zusammenstellung der oben mitgeteilten Verzeichnisse ver- danke ich den genannten beiden Spezialforschern. Ich selbst habe mich auf der in Rede stehenden Exkursion der Bearbei- tung der Turbellarien, Rädertiere und Protozoen gewidmet. Spezialverzeichnisse der von mir in den pommerschen und westpreußischen Seen gesammelten Kruster und Hydrachniden sind in einer Abhandlung („Fau- nistische Studien in westpreuß. Seen“) enthalten, welche ich im 6. Bande der Schriften der Naturforschenden Gesellschaft zu Danzig (1887) publiziert habe. 542 Zacharias, Landplanarien auf Pilzen. Zur Fauna des Riesengebirges. Seit 1854, wo ich zum ersten mal eine gründliche Abfischung der beiden Koppenteiche vornahm, widme ich der niedern Fauna dieser interessanten Hoch- seen fortgesetzt meine Aufmerksamkeit. Hin und wieder findet sich doch noch etwas Neues. So konstatierte ich gegen Ende September d. J. die Anwesen- heit von Nais hamata Timm in dem kleinern von beiden Seen (1160 m über Meer), die durch ihre langen säbelförmigen und mit Widerhaken versehenen Rückenborsten leicht kenntlich ist. — Ferner habe ich um dieselbe Zeit in einem Gebirgswalde in der Nähe von Hirschberg einige Landplanarien aufgefunden, die mit Geodesmus terrestris identisch zu sein scheinen. Eine nähere Untersuchung der Tiere behalte ich mir vor. Dr. Otto Zacharias (Hirschberg 1./Schl.). Landplanarien auf Pilzen. Mitteilung von Dr. O. Zacharias in Hirschberg 1.Schl. Gegen Ende des vorigen Monats (September) fand ich zwischen den Lamellen des Blutreizkers (Ayaricus deliciosus) einige schwarze, schnecken- artige Wesen, die sich bei eingehenderer Besichtigung als Landplanarien heraus- stellten. Die von OÖ. Fr. Müller seinerzeit gegebene Diagnose für Fasciola terrestris') war in jedem einzelnen Punkte auf meine Tiere anwendbar, und so unterliegt es keinem Zweifel, dass wir nicht ausschließlich feuchtes Moos und Haide-Erde, sondern auch saftreiche Pilze als eine Fundstätte von Geodesmus (= Fasciola) terrestris anzusehen haben. Das größte Exemplar war 15 mm lang, bei etwas mehr als 1 mm Breite. Beim kriechen tasteten diese Würmer mit dem vordern Körperende be- ständig in der Luft herum. Kamen sie auf den Rand der angefeuchteten Glas- platte, auf welche ich sie — der ungehinderten Besichtigung halber — gesetzt hatte, so ließen sie sich von derselben an einem Schleimfaden auf den Tisch herab und krochen dort weiter. Die Bewegungen der Tiere waren äußerst langsam, so dass sie von einer Schnecke alsbald überholt werden konnten. Berührte man das empfindliche Vorderende leicht mit einer Nadel, so erfolgte eine starke Kontraktion des ganzen Körpers, wobei sich zahlreiche Querrunzeln bildeten. Das hat auch der trefflich beobachtende Müller bereits konstatiert, denn er sagt: Quoties in crassum volumen se contrahit, annuli subtilissimij, sive striae annulares pallidae ope lentis passim conspiciuntur. In einem der Exemplare fand ich reife und sich lebhaft bewegende Sper- matozoen. Dieselben sind fadenförmig und haben einen etwas verdickten Kopfteil, der in eine feine kurze Spitze ausgezogen ist. Die platte Kriechsohle der Tiere hatte eine weißliche Färbung. Bei der Besichtigung unter dem Mikroskop zeigte dieselbe lebhafte Flimmerung. Auf dem Rücken der nämlichen Exemplare vermochte ich keine Cilien zu er- kennen, In den Darmdivertikeln sah man (auf Schnitten) nicht die ge- vingste Spur von Nahrungsresten. Das Gehirn repräsentierte sich mir genau 4) ©. Fr. Müller: Vermium terrestrium et fluviatilium . . . . suceinata Historia. I. Vol. Pars altera, p. 68. Winogradsky, Ueber Eisenbakterien. 545 so mit bindegewebigen Strängen durchwachsen und in der Mittellinie einge- schnürt, wie es v. Kennel in seiner Abhandlung über die in Deutschland ge- fundenen Landplanarien (1579) bereits geschildert hat. Winogradsky S., Ueher Eisenbakterien. Botan. Zeitung XLVI Nr. 17 S. 261—270. Fädige Bakterien, welche rostfarbige aus Eisenoxyd bestehende Scheiden besitzen, sind schon lange bekannt, und es ist die Entstehung dieser Scheiden in verschiedener, aber nicht zutreffender Weise erklärt worden. Verf. zeigt in vorliegender Abhandlung, dass es den kürzlich von ihm untersuchten Schwefelbakterien analoge Eisenbakterien gibt, die dureh außer- ordentlich große oxydierende Thätigkeit eine oxydierbare Substanz — hier FeCO, — in den Zellen aufnehmen und im Plasma oxydieren und dieselbe nach Oxydation bis zur höchsten Oxydationsstufe wieder ausscheiden. Die Untersuchungen des Verf. erstreckten sich zu- nächst auf Leptothrix ochracea Kütz., welche entgegen der Ansicht Zopf’s mit Cladothrix dichotoma in keinem genetischen Zusammenhang steht. Sie ergaben, dass 1) die Braunfärbung der Gallertscheiden nur in eisen- haltigem Wasser durch Oxydation von Eisenoxydul in der Sub- stanz der Fäden selbst zu stande kommen kann, 2) dass die Oxy- dation mit denLebenserscheinungen des Organismus zusammen- hängt und nur im Proteplasma ihren Sitz hat (die Scheiden färben sich dementsprechend nur an den Stellen braun, wo lebende Zellen vorhanden sind). 3) Ohne Zufuhr von Eisenoxydul wachsen die Fäden von Leptothrix nicht. Gibt man ihnen ein- bis zweimal täglich FeCO,-Wasser, so gehen Vermehrung von Zellen, reichliche Scheidenbildung und sonstige Wachstumsvorgänge in schönster Weise vor sich. Lässt man aber dasselbe Wasser vor dem Gebrauch an der Luft stehen, bis es oxydfrei geworden ist, so vermag es dann nicht mehr das Wachstum der Fäden zu unterhalten, seine Tauglichkeit als Nährflüssigkeit geht absolut verloren. Erst bei Zufuhr von FeCO,-haltigem Wasser beginnt das Wachstum von neuem. 4) Der Oxydations- vorgang geht in der Weise vor sich, dass das von den Zellen begierig auf- genommene Eisenoxydulsalz im Protoplasma oxydiert, die so gebildete Eisen- oxydverbindung aus den Zellen sodann ausgeschieden wird. Obwohl letztere löslich, wird sie doch von der Gallerthülle zurückgehalten und angehäuft. Nach dem Ausscheiden aus den Zellen ändert sich die Löslichkeit des Eisen- oxydsalzes allmählich, so dass es schon nach 24 Stunden schwer mit kohlen- säurehaltigem Wasser, nach Monaten aber nicht einmal mehr mit Salzsäure sich auswaschen lässt. Wahrscheinlich wird zunächst ein neutrales Eisensalz irgend einer organischen Säure innerhalb der Zellen gebildet, welches nach dem Ausscheiden basischer wird und endlich in fast reines Eisenhydroxyd übergeht. Letzteres geht bei langem Aufbewahren in Wasser in eine etwas schwerer in Salzsäure lösliche Modifikation über. 5) Mit Leptothrix ochracea stimmen die übrigen Eisenbakterien, welche meist gesellig mit ihr vor- kommen, im wesentlichen überein. — Die kolossalen Ablagerungen von Sumpf-, See-, Wiesenerz, Raseneisenstein etc. sind höchst- wahrscheinlich der Thätigkeit dieser Organismen zuzuschreiben. Ludwig (Greiz). 544 Preisaufgabe. Preisaufgabe über die Natur des Fischgiftes und über die Mittel gegen dasselbe. Infolge der sich alljährlich wiederholenden Fälle von Vergiftung durch Fischgift mit tödlichem Ausgange, nach Genuss von stark (für die Dauer) ge- salzenem Fisch, die besonders unter der an fischreichen Gewässern lebenden Bevölkerung sehr häufig vorkommen, hat das Komitee der Kaspischen Fischereien aus den von den Fischereipächtern einlaufenden Pachtsummen 5000 Rubel in der Astrachanschen Abteilung der Reichsbank deponiert und diese Summe zu einer Prämie bestimmt für eine Untersuchung über die Natur des Fischgiftes, über die Mittel, der Entstehung desselben in den Fischen vorzubeugen, so wie endlich über die Behandlung der durch das Gift infizierten Kranken. Diejenigen, welche sich an die Lösung dieser für das Volkswohl so wichtigen Aufgabe machen wollen, haben speziell folgende Punkte zu berücksichtigen: 1. Es soll durch ge- naue Experimente die physikalische und chemische Natur des Fischgiftes bestimmt werden. 2. Es soll durch Experimente an Tieren aie Wirkung des Fischgiftes auf das Herz, den Blutkreislauf, die Verdauungsorgane und das Nervensystem festgestellt werden. 3. Es soll die Schnelligkeit ermittelt werden, mit welcher das Gift in den Verdauungswegen absorbiert wird. 4. Es sollen die Kennzeichen angegeben werden, vermittels welcher sich schädliche, d. h. giftige, Fische von unschädlichen (gesunden) unterscheiden lassen. 5. Es sollen die Mittel gefunden werden, um die Entwicklung des Giftes in den Fischen zu verhindern. 6. Es sollen Gegengifte ermittelt und ein Verfahren zur Behandlung der durch das Fischgift infizierten Kranken angegeben werden. Als Termin für die Lösung dieser Aufgabe sind fünf Jahre festgesetzt worden, und es ergeht an alle Gelehrten sowohl des In-, als auch des Auslandes die Aufforderung, sich an dieser Preisaufgabe zu beteiligen. Die Konkurs- schriften, die in russischer, lateinischer, französischer, englischer oder deutscher Sprache abgefasst und sowohl handschriftlich, als auch gedruckt sein können, müs- sen am 1. Januar 1893 an das Ministerium der Reichsdomänen (St. Petersburg) eingesandt werden, welches dieselben alsdann einer besondern Kommission zur Durchsicht und Beurteilung übergeben wird. Diese Kommission wird, unter dem Vorsitze des Präsidenten des Medizinalrates beim Ministerium des Innern, aus je 2 Mitgliedern der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, der Melitär- Medizinischen Akademie und der Gesellschaft zur Wahrung der Volksgesundheit zusammengesetzt sein. Ihren Bericht über den Konkurs hat die Kommission nicht später als dm 1. Januar des folgenden (1894) Jahres dem Herrn Minister der Reichsdomänen vorzulegen, welcher seinerseits auf grund der Kommissionsbeschlüsse die Aus- zahlung der Prämie an denjenigen Autor anordnet, dessen Schrift eine befrie- digende Lösung der Aufgabe enthält, wobei übrigens die Nichtbeantwortung der sub Nr. 4 und 5 gestellten Fragen kein Hindernis zur Erlangung der vollen Prämie bilden soll, vorausgesetzt, dass die 4 andern Fragen entsprechend yut beantwortet sind. Sollte sich unter den Preisschriften keine einzige finden, welche die Aufgabe in ihrem wichtigsten und wesentlichsten Teile löst, so ist es der Kommission anheimgestellt, die im Laufe der 5 Jahre angesammelten Zinsen von oben genannter Summe als zweite Prämie derjenigen Schrift zuzuerkennen, in welcher zwar nur ein Teil des Programms mit Erfolg durchgeführt ist, die aber dennoch zur genauern Erforschung der Natur des Fischgiftes das Meiste beigetragen hat. St. Petersburg, September 1888. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. VIII. Band. 1 ee Nr.18. Inhalt: Boveri, Zellenstudien. Heft II: Die Befruchtung und Teilung des Eies von Ascaris megalocephala. — ®. Zacharias, Ueber Pseudopodien und Geißeln. — 0. Zacharias, Zur Ernährungsphysiologie der Protozoen. — Me Kendrick, Die Blutgase. (Zweites Stück.) — 0. Schulz, Ueber Huminsubstanzen. — Rosenthal, Die Malaria und die Mittel zu ihrer Bekämpfung. — 0, Zacharias, Die Tierwelt der Eifel-Maare. — 0%. Zacharias, Ueber die geographische Ver- breitung des Genus Diaptomus. Theod. Boveri, Zellen-Studien. Heft 2: Die Befruchtung und Teilung des Eies von Ascaris megalocephala. Mit 5 lithographierten Tafeln. Verlag von G. Fischer in Jena, 1888. Schon beim Erscheinen des ersten Heftes dieser Zellen - Studien haben wir uns veranlasst gefühlt!), die trefflichen naturgetreuen Ab- bildungen, welche Dr. Boveri seinen Arbeiten beigibt, lobend bervor- zuheben, und ebenso nötigte uns die exakte Beschreibung der karyo- kinetischen Thatsachen zu uneingeschränkter Anerkennung der da- maligen Publikation. Jetzt liegt ein 2. Heft aus der Feder desselben Verfassers vor, welches ein weiteres Zeugnis für die hervorragende Befähigung Dr. Boveri’s ablegt, die Ergebnisse außerordentlich schwieriger Beobachtungen in Wort und Bild lichtvoll darzustellen. Tafel II und IV dieses Heftes möchte ich gradezu als Meisterstücke in der getreuen Wiedergabe mikroskopischer Bilder (soweit sie das Ascaris-Ei betreffen) hinstellen. Der Inhalt der umfangreichen Arbeit (198 S.) verteilt sich auf 8 Kapitel, welche der Reihe nach folgende Themata abhandeln: I. Methode der Untersuchung; II. das Spermatozoon von seinem Ein- dringen ins Ei bis zur Ausstoßung des zweiten Richtungskörpers; Ill. Ei- und Spermakern bis zur Ausbildung der ersten Furchungs- spindel; IV. Veränderungen in der Zellsubstanz während dieser Zeit; V. die Entstehung und Teilung der ersten Furchungsspindel; VI. die 1) Anm.: Vergl. Biol. Centralblatt Bd. VIII Nr. 1. V1ll. 5), 546 3overi, Zellenstudien. Heft II. Kerne der beiden primären Furchungskugeln:; VII. Abnormes und Pathologisches. Betreffs der Untersuchungsmethode verweist Dr. Boveri auf die im 1. Hefte ($: 11) gemachten Angaben; außerdem teilt er aber mit, dass sich eine Mischung von Alkohol und Essigsäure sehr gut bei der Konservierung der ehromatischen Strukturen bewährt habe. Zur Anwendung gelangte Alkohol von verschiedener Konzentration mit 1°], Essigsäure. Im II. Kapitel macht er gegen Ed. v. Beneden geltend, dass er einen besondern „bouchon d’impregnation“ als Fixationspunkt für das vordringende Samenkörperchen nicht habe auffinden können, und er stimmt in dieser Beziehung dem Beobachtungsergebnisse des Unterzeichneten bei (S. 15), indem er sagt: „Von dem Vorhandensein einer spezifischen Empfängnisstelle am Ascariden-Ei habe ich mieh ebenso wenig wie Zacharias überzeugen können ... und halte mich für berechtigt (S. 17), die Mikropyle v. Beneden’s für eine Struktur des Eies zu erklären, die nichts mit der Kopulation der Geschlechts- zellen zu thun hat, wenn sie nieht überhaupt als ein Kunstprodukt (durch Quetschung veranlasst) anzusprechen ist“. Im III. Kapitel (S. 26—59) bespricht Boveri die speziellen Schicksale des Ei- und Spermakerns bis zur Konstituierung der ersten Furehungsspindel, und erörtert bei dieser Gelegenheit (S. 44) auch die Möglichkeit der vom Referenten am Ascaris-Ei beobachteten Doppel- befruchtung!). Er erklärt letztere — falls sie wirklich vorkomme — für einen Ausnahmefall, dem jede prinzipielle Bedeutung abzusprechen sei. Es ist hier nicht der Ort, die von Boveri an meinen Beobach- tungen geübte Kritik zu beantworten. Es kommt auch bei solchen Wortgefechten schwerlich etwas heraus. Ein einziger Blick auf das Präparat entscheidet mehr als alle Polemik. Allerdings bin ieh in letzter Zeit (bei fortwährender Beschäftigung mit dem Ascaris-Ei) nicht wieder in der Lage gewesen, des früher von mir beschriebenen Falles ansichtig zu werden. Dies könnte aber seinen Grund darin haben, dass es mir bislang nieht wieder geglückt ist, Eier in dem betreffenden Stadium zu konservieren, was ja bekanntlich nur vom Zufall abhängen kann. Fürs erste lässt sich also diese Frage noch nicht entscheiden. Sobald ich aber selbst die Ueberzeugung erlangt haben werde, dass wirklich ein Ausnahmefall vorlag, werde ich keinen Augenblick zögern, die Schlussfolgerungen, welche ich aus dem Vor- handensein eines „Keimdualismus“ gezogen habe, aufzugeben. Auf andere Einwände, welche gegen Prof. v. Beneden und den Referenten zu gleicher Zeit gerichtet sind (S. 53 und 54), kann in 1) 0. Zacharias, Neue Untersuchungen über die Kopulation der Ge- schlechtsprodukte und den Befruchtungsvorgang bei Ascaris megalocephala. Arch. f. mikr. Anatomie, 30. Bd, 1887. Boveri, Zellenstudien. Heft 11. 547 dieser Besprechung ebenfalls nicht weiter bezuggenommen werden. Sie betreffen die Existenz eines kontinuierlichen Fadenknäuels in den Furchungskernen. Boveri bestreitet diese Thatsache und meint ge- schen zu haben, dass jeder Kern von Anfang an 2 getrennte Fäden besitzt. Von besonderem Interesse für alle, welche sich mit karyokine- tischen Studien befassen, ist das IV. Kapitel, welches sich mit den Vorgängen in der Zellsubstanz (während der Ausbildung der ersten Spindelfigur) beschäftigt. Das mitgeteilte Detail ist aber so reich und mannigfaltig, dass auf die Abhandlung (S. 59 —77) selbst verwiesen werden muss. Das V. Kapitel, welches die Entstehung der beiden ersten Furchungs- segmente schildert, erstreckt sich von S. 77—132. Im Text wird aber fortlaufend auf die beigegebenen Figuren (Taf. Il und III) bezugge- nommen, so dass es unmöglich ist, an dieser Stelle die Quintessenz dieses Abschnittes mit kurzen Worten zusammenzufassen. Boveri konımt aufgrund seiner sehr sorgfältigen Beobachtungen zu dem Er- gebnis, dass die Bewegung der chromatischen Elemente (nach Auf- lösung der Kernmembranen) einzig und allein die Folge der Kontrak- tion der daran festgehefteten Fibrillen der Spindel sei, und dass die schließliche Anordnung jener Elemente zu der sogenannten „Aequatorial- platte“ für das Resultat der mittels dieser Fädchen ausgeübten gleich- artigen Wirkung der beiden Archoplasma-Kugeln gehalten werden müsse (S. 100). Was Boveri unter „Archoplasma“ verstanden wissen will, ist auf S. 62 u. fg. klar ausgeführt Ist die Aequatorialplatte entstanden, so ist die Karyokinese im Ascaris-Ei fürs erste zu Ende; es ist ein Stadium der Stabilität ein- getreten (S. 110), welches in infinitam bestehen bleiben würde, wenn nieht ein neuer Faktor in Thätigkeit träte und die Bewegung wieder anregte. Dieses neue Moment ist die Längsspaltung der chromatischen Elemente. Boveri nennt diese Erscheinung einen Fortpflanzungsakt der Kernschleifen, und man kann diese Auffassung wohl gelten lassen. Auf S 113—117 ist der Spaltungsvorgang mit allen Details beschrieben. Daran schließt sich eine Schilderung der sich teilenden Zellsubstanz des Eies (S. 129 u. fg.) bis zur Entstehung der ersten beiden Furchungs- segmente. Insbesondere beleuchtet Dr. Boveri bei seiner ausführ- lichen Darlegung dieser Verhältnisse die Rolle, welche die Zentral- körperchen (Uentrosomen) bei der Teilung des Zellkörpers spielen. Das VI. Kapitel ist den Kernen der primären Furchungskugeln gewidmet. Es handelt von der „Kernrekonstruktion“, den Rabl’schen „Polfeldern“, der „Individualität“ der Kern-Elemente, den „Aus- sackungen“ (= Fortsätzen) der Kerne und andern Dingen, welche indess nur an der Hand von Präparaten oder Tafeln erörtert werden können. Boveri nimmt in diesem Kapitel vielfach wieder auf die schon eingangs zitierte Arbeit des Referenten bezug, aber es ist nicht QM a Del 548 Zacharias, Pseudopodien und Geißeln. thunlich, in diesen kurzen Bericht Entgegnungen oder Klarstellungen einzuflechten. Meine in manchen Punkten abweichende Ansicht werde ich bei anderer Gelegenheit darlegen. Der VII. Abschnitt gestattet noch weniger als alle seine Vorgänger eine auszugsweise Wiedergabe. Er handelt von der Teilung der Centrosomen und vom Archoplasma der beiden ersten Furchungs- kugeln. Der VIII. Abschnitt berichtet über pathologische und abnorm sich furchende Ascaris-Eier, deren Beobachtung dem Verfasser Anlass gibt, scharfsinnige Schlussfolgerungen inbezug auf die Funktionen des Kerns und des Cytoplasma bei dem Furchungsvorgange zu ziehen. Mit einer Nachschrift, in welcher Dr. Boveri ausführlich Stellung zu einer jüngst erschienenen Abhandlung von Kultschitzky nimmt (Die Befruchtungsvorgänge bei Ascaris megalocephala. Archiv f. mikr. Anatomie, 31. Bd., 1888.), schließt dieses interessante Heft, auf welches wir jeden Zellenforscher hiermit angelegentlichst hinweisen wollen. Dr. Otto Zacharias (Hirschberg i./Schl.). Ueber Pseudopodien und Geißeln. Von Dr. Otto Zacharias in Hirschberg 1./Schl. Auf 8.10 seiner Abhandlung „Ueber einige Rhizopoden aus dem Genueser Hafen“ (Freiburg i. Br. 1888) thut Herr Prof. A. Gruber anlässlich der Beschreibung von Polymastie Sol (= Multieilia marina Cienk.) den Ausspruch: „von Pseudopodien, die sich wie voll- kommene Geißeln verhalten, ist bis jetzt nichts bekannt geworden“. Dieser Behauptung gegenüber erlaube ich mir daran zu erinnern, dass ich in einem Aufsatze über die amöboiden Bewegungen der Spermatozoen von Polyphemus pedieulus (Zeitschr. f. wiss. Zool., 41. Bd., 1884) auf das merkwürdige Verhalten dieser Gebilde in drei- prozentiger Kochsalzlösung aufmerkam gemacht habe, welches darin besteht, dass die ursprünglich zylindrische Form derselben spindel- förmig wird, und dass an den so veränderten Zoospermien alsbald lange Pseudopodien hervortreten. Die Figuren 5 u. 6, BD, auf Taf. XVI a. a. O. stellen das Aussehen der nunmehrigen „Spermamöben“ sehr naturgetreu dar. Ich sagte damals in meiner Beschreibung von diesen amöboiden Wesen wörtlich: „Sie schwangen die längern Pseudopodien hin und her, streekten neue Fäden hervor und bewegten sich auf diese Weise ziemlich rasch vom Orte“. Hier haben wir also ganz zweifellos Pseudopodien vor uns, welche sich vollkommen so wie langsam schlagende Geißeln verhalten. Dass in diesem Falle die betreffenden Protoplasmafortsätze erst unter der Einwirkung von Salzlösung hervortreten, thut gar nichts zur Sache, da Zacharias, Ernährungsphysiologie der Protozoen. 549 es hier lediglich auf den Nachweis morphologischer Beziehungen an- kommt. Im Hinbliek auf die Organisation von Polymastix Sol ist nun aber ganz speziell das Ergebnis von Interesse, welches ich bei Ein- wirkung einer fünfprozentigen Lösung von phosphorsaurem Natron auf die Polyphemus-Spermatozoen erhielt. In diese Flüssigkeit versetzt, ‚nahmen dieselben nämlich Kugelgestalt an und bedeckten sich auf ihrer ganzen Oberfläche mit kurzen (aber schneller schlagenden) Fort- sätzen, so dass ein Wesen zu stande kam (vergl. a. a. O. Fig. 4, E), welches man, wenn es einem freilebend begegnete, ohne weiteres in die Gattung Polymastix Grub. einstellen würde. Auch hier liegt also ein Beispiel dafür vor, dass es Pseudopodien gibt, welche in physiologischer Hinsieht sich ganz ebenso wie Geißeln verhalten. — Als ich meinen Aufsatz (1884) publizierte, war Polymastix noch nicht entdeckt; es bot sich mir also gar kein Vergleichsobjekt unter den Rhizopoden dar, um das Ergebnis meiner Experimente damit in Bezug zu setzen. Jetzt ist diese Lücke ausgefüllt, und ich halte es demgemäß für angezeigt, auf die Behauptung des Herrn Professor A. Gruber zu reagieren. Meissner, Zur Ernährungsphysiologie der Protozoen. Ueber dieses noch wenig behandelte Thema hat Dr. M. Meißner (Zoolog. Institut in Berlin) im 46. Bande der Zeitschrift f. wissensch. Zoologie (1888) eine Abhandlung publiziert, über welche im Nach- stehenden kurz referiert werden soll. Eingangs erinnert Meißner daran, dass Fütterungsversuche an Protozoen schon im vorigen Jahrhundert vom Grafen Gleichen- Russwurm angestellt wurden. Ehrenberg setzte später diese Ver- suche fort, indem er ebenso wie sein Vorgänger die Aufnahme von Karminkörnchen in die Körpersubstanz der Infusorien beobachtete. Die Nahrung der Protozoen besteht bekanntermaßen aus niedern Algen, Pilzen oder kleinern Vertretern der Protozoenwelt selbst. Die größern Formen nehmen sogar kleinere Würmer (Rädertiere) als will- kommene Beute in sich auf. Um nun darüber Klarheit zu erlangen, welche Bestandteile der aufgenommenen Nahrungsobjekte von seiten der Protozoen assimiliert werden, wurden die Tiere mit den ein- zelnen Stoffen, aus denen sich diese Objekte aufbauen, gefüttert. Amylum, Oel und Eiweiß sind die Hauptbestandteile der Proto- zoennahrung. Meißner hat nun untersucht, welchen Veränderungen diese Stoffe im Plasma der Rhizopoden und Infusorien unterliegen. Zunächst fütterte er Amöben mit Reismehlstärke, indem er ein erbsengroßes Stückchen hiervon in eine kleine Glasdose brachte, 550 Zacharias, Ernährungsphysiologie der Protozoen. welche pflanzlichen Detritus enthielt, in dem die Anwesenheit ver- schiedener Rhizopoden konstatiert worden war. Nach einigen Tagen konnte die Aufnahme von Amylumkörnern bei mehrern der Tiere nachgewiesen werden. Aber die Körner erlitten absolut keine Ver- änderung, obgleich manche derselben sich länger als 8 Tage in den einzelnen Amöben befanden. Es ergab sich demnach das Resultat, dass Stärkekörner von den khizopoden nieht verdaut werden. Meißner experimentierte mit Amoeba princeps, A.radiosa, Pelomyxa palustris und Actinophrys Sol. Zu den Oel-Versuchen wurde mit Alkanna-Tinktur gefärbtes Olivenöl verwendet. Aber es zeigte sich, dass auch dieses völlig unverdaut blieb, nachdem es im Gestalt kleinster Kügelehen von den Tieren aufgenommen worden war. Hiernach bleibt nur die Vermutung übrig, dass das Eiweiß die hauptsächlichste Nahrung der amöbenartigen Organismen sei, und diese Annahme hat sich experimentell bestätigt. Wenn die Amöben anscheinend auch nicht im stande sind, ge- kochtes Eiweiß zu verdauen, so zeigten doch anderseits die Beobacht- ungen über die Schicksale des Eiweißes der gefressenen Protisten deutlich, dass hier eine Auflösung stattfindet. Das Protoplasma der verschluckten Protozoen, Algen und Pilze wird, nachdem es verflüssigt worden ist, von der Sarkode der Rhizo- poden aufgenommen, oder vielmehr aufgesaugt, während die un- verdaulichen Reste ausgeschieden werden. Bezüglich der Infusorien kam Dr. Meißner zu ganz ähnlichen Resultaten. Er machte Fütterungsversuche mit Climacostomum virens, Vorticella nebulifera und Peranema trichophorum. Darans ergab sich, dass die Infusorien, wenn ihnen jede andere Nahrung entzogen wird, die aufgenommene Stärke in eine Substanz verwandeln, die sich, mit Jodlösung behandelt, rot färbt (Dextrin?) und später im Körper ge- löst wird. Oel blieb dagegen unverändert, während pflanzliches und tierisches Eiweiß .zur Assimilation gelangte. Gekochtes Eiweiß aber bleibt, wie im Körper der Rhizopoden, unverändert. Wie schnell die Lösung und Assimilation des Eiweißes in manchen Fällen erfolgt, zeigt die von Meißner beobachtete Verdauung einer Difflugia dureh ein Climacostomum virens, welche nur 25 Minuten in Anspruch nahm. Nach Verlauf dieser Zeit war der Rhizopode voll- ständig verdaut, und die leere Schale desselben lag innerhalb einer Vakuole im Innern des Infusoriums. Dr. Otto Zacharias in Hirschberg 1./Schl. Me Kendrick, Blutgase. 5 Die Blutgase. Aus einem Vortrage, gehalten von Dr. John Gray Mc Kendrick bei der Jahresversammlung der „British Medical Association“ zu Glasgow am 10. August 1888. (Fortsetzung.) Im Jahre 1809 wurde das Gebiet der Atmung im Wasser mit großer Sorgfalt von Provencal und Humboldt erforscht. Dieselben sammelten und analysierten die Gase des Wassers, bevor und nach- dem Fische eine Zeit lang darin gelebt hatten, und zeigten, dass von diesen Tieren Sauerstoff verbraucht und Kohlensäure ausgeschieden wurde. Wir haben nun gesehen, wie nach und nach die Kenntnis der durch die Atmung bewirkten Umsetzungen sich entwickelt hat. Im Anfang dieses Jahrhunderts wusste man, dass die ausgeatmete Luft an Sauerstoff eingebüßt und an Kohlensäure und Wasser- dampf gewonnen hatte und wärmer geworden war, und seitdem sind viele Untersuchungen angestellt worden, um mit Genauigkeit die Mengen dieser Stoffe zu bestimmen. Bei ihnen allen wendete man die Methode an, durch einen Raum, in welehem ein Tier sich befand, einen beständigen Luftstrom streichen zu lassen, dessen Menge und Zusammensetzung bekannt ist. Angenommen z. B., es gehe eine be- stimmte Menge von trockner Luft, die frei von Kohlensäure ist und lediglich aus Sauerstoff und Stickstoff besteht, dureh einen solchen Raum. In letzterem wird nun ein Teil des Sauerstoffs verbraucht und anderseits eine gewisse Menge von Kohlensäure und Wasser- dampf von dem Tiere abgegeben. Die Luft wird sodann geleitet durch Kolben oder Glasröhren, welche Stoffe wie z. B. Barytwasser enthalten, um die Kohlensäure zu binden, und Chlorealeium oder Schwefelsäure, um den Wasserdampf zu binden. Es leuchtet ein, dass das vergrößerte Gewicht dieser Kolben und Röhren, nachdem der Versuch eine Zeit lang fortgesetzt, die Menge der gebildeten Kohlensäure und Wasserdämpfe anzeigen wird. So bestimmten diese Mengen durch Versuche sowohl an Tieren als auch an Menschen Andral und Gavarret in 1843, Vierordt in 1845, Regnault und Reiset in 1849, von Pettenkofer in 1860 und Angus Smith in 1862. Die Ergebnisse sind folgende: erstens, die ausgeatmete Luft ist ihrer Wärme entsprechend mit Wasserdampf gesättigt; zweitens, das Volum der ausgeatmeten Luft ist bis zu einem Vierzehntel desjenigen der eingeatmeten Luft geringer als jenes; drittens, die ausgeatmete Luft enthält etwa 4 Prozent mehr Kohlensäure und 4 —5 Prozent weniger Sauerstoff als die eingeatmete Luft; viertens, die gesamte tägliche Ausscheidung von Kohlensäure durch einen Durchschnittsmenschen beträgt dem Gewiehte nach bis 800 & und dem Umfange nach bis 552 Me Kendrick, Blutgase. 406 Liter. Diese Menge Kohlensäure aber entspricht 218,1 & Kohlen- stoff und 581,9 g Sauerstoff. Nun ist die wirklich verbrauchte Sauer- stoffmenge etwa 700 g, so dass nahezu 120 g des aufgenommenen Sauerstoffes nicht wieder durch die Lungen zurückkommen, sondern in dem Körper verschwinden. Man darf jedoch nicht vergessen, dass etwas Kohlensäure auch durch die Haut und auf andern Wegen ent- weicht. Uebrigens können diese Zahlen nur als durehsehnittliche gelten, während sie je nach den Verhältnissen der Ernährung innerhalb weiter Grenzen schwanken. Das Problem der Atmung hat aber noch eine andere Seite — nämlich die Betrachtung der durch den Prozess bedingten chemischen Veränderungen. Nach Lavoisier wäre Atmung in der That ein langsame Ver- brennung von Kohlenstoff und Wasserstoff. Die Luft lieferte den Sauer- stoff und das Blut die brennbaren Stoffe. Der große französische Chemiker war indess nicht ohne Weiteres der Meinung, dass diese Verbrennung allein in den Lungen sich vollzöge. Er sagt, dass die Kohlensäure zum Teil unmittelbar in der Lunge gebildet werden könne, aber auch in den Blutgefäßen des ganzen Körpers, durch Verbindung des Luftsauerstoffs mit dem Kohlenstoffe des Blutes. Lavoisier’s Anschauungen wurden genau nur von wenigen seiner Zeitgenossen aufgefasst, und es herrschte die Meinung vor, dass nach ihm jene Verbrennung nur innerhalb der Lungen erfolge, und dass die in diesen Organen vor sich gehenden Stoffumsetzungen die Hauptquelle der tierischen Wärme seien. Dieser Meinung wider- sprach aber schon der große Mathematiker Lagrange 1791, wenige Jahre nach Lavoisier’s Publikation über Atmung. Lagrange zeigte, dass die Temperatur der Lungen, wenn die tierische Wärme einzig in ihnen erzeugt würde, hoch genug werden musste, um die- selben zu zerstören; und er nahm deshalb an, dass der Sauerstoff einfach im Blute verteilt und sich erst in dieser Flüssigkeit mit Kohlen- stoff und Sauerstoff verbindend, Kohlensäure und Wasserdampf bilde, welehe alsdann in die Lungen ausgeschieden werden. Man sieht, diese Meinung des Lagrange war der Thatsache nach dieselbe, wie sie Lavoisier im Jahre 1789 aufgestellt hatte. Wenn nun die Erzeugung von Kohlensäure in einer gegebenen Zeit abhinge von der Menge von Sauerstoff, welche in derselben Zeit aufge- nommen wurde, würde die Ansichten von Lavoisier undLagrange genau zutreffen; aber Spallanzani hat gezeigt, dass gewisse Tiere, wenn sie in eine Atmosphäre von Stickstoff oder Wasserstoff eingeschlossen werden, Kohlensäure in einer fast ebenso großen Menge ausatmeten, als wenn sie atmosphärische Luft geatmet hätten. Er musste deshalb sagen, dass Kohlensäure wahrscheinlich im Körper schon vorhanden war, und dass deren Auftreten nicht der Verbindung von Sauerstoff mit dem Kohlenstoff des Blutes zugeschrieben werden Me Kendrick, Blutgase, 559 konnte. Spallanzani glaubte darum, dass in der Lunge einfach eine Ausatmung von Koblensäure und eine Aufnahme von Sauerstoff vorlag, und diese Ansichten wurden unterstützt durch die im Jahre 1824 veröffentlichten Versuche von W. Edwards. Edwards legte dar, dass Tiere in einer Atmosphäre von Wasserstoff eine Menge von Kohlensäure hervorbrachten, wie sie nicht in Verhältnis zu bringen war mit irgend welchem im Körper als vorhanden anzunehmendem Sauerstoff. 1830 führte Collard de Martigny viele ähnliche Ver- suche aus und stellte fest, dass Kohlensäure in den Kapillaren ab- geschieden und durch die Lungen ausgestoßen würde; und diese An- schauung wurde von Johannes Müller unterstützt, welcher die Versuche Spallanzani’s nachmachte. Somit möchte man sagen, dass zwei Theorien über Atmung den Physiologen vorlagen: die eine, dass in den Lungen oder im Venen- blute eine Verbrennung statthabe, welche Kohlensäure und Wasser- dampf liefert, die wiederum von den Lungen ausgestoßen werden; die andere, dass es dort keine solehe Verbrennung gebe, sondern dass Sauerstoff durch die Lungen aufgenommen und den Geweben zuge- führt werde, während in letztern die Ausscheidung von Kohlensäure erfolge, welche vom Blute aufgenommen und zu den Lungen ge- führt und durch diese letztern dann ausgestoßen werde. Mehrere Gelehrte, bald nach Lavoisier, missverstanden, wie ich schon er- wähnt habe, die Anschauungen dieses ausgezeichneten Mannes und lehrten, dass es in den Lungen selbst eine Ausscheidung von Kohlen- stoff gebe, welcher unmittelbar mit dem Sauerstoff zur Bildung von Köhlensäure sich vereinigte. Dies aber war Lavoisier’s Meinung wirklich nieht, und wir haben es deshalb mit zwei Theorien zu thun, welche unterschieden werden können als die Lehre von der Verbren- nung, und die Lehre von der Sekretion in der Lunge. Die von den ältern Physiologen bei der Annahme der Sekretions- Theorie empfundene Schwierigkeit war das Fehlen eines Beweises für das Vorhandensein freien Sauerstoffs und freier Kohlensäure im Blute. Diese Schwierigkeit bestand auch für diejenigen, welche die Anschauung einer in den Lungen sich abwickelnden Verbrennung verwarfen und dafür der Ansicht huldigten, dass diese im ganzen Körper innerhalb des Blutes vor sich gehe, weil freie Gase im Blute gefunden werden müssten, wenn jenes zutreffend wäre. So lange darum die Physiologen keine bestimmte Kenntnis hatten über die Gase im Blute, hielt die Verbrennungstheorie im engsten Sinne Stand. Diese Theorie, wenn auch fruchtbar an manchen Gedanken über Atmung und tierische Wärme, wurde verlassen infolge der Klarheit, welche durch zwei Richtungen in der Forschung gebracht wurde: nämlich einmal Forschungen über die Gase des Blutes, und ferner Forschungen über das Temperaturverhältnis des Blutes in der rechten und linken Herzkammer. 554 Me Kendrick, Blutgase. Lassen Sie mich zuerst Ihre Aufmerksamkeit lenken auf die allmähliehe Entwicklung unserer Kenntnis über die Blutgase. Der merkbare Wechsel in der Farbe des Blutes, wenn dasselbe der Luft ausgesetzt ist oder mit ihr geschüttelt wird, wurde bereits im Jahre 1665 von Fracassati beobachtet und wird auch erwähnt von Lower (1631— 1691), Mayow, Cigna (1773) und Hewson (1774); aber Priestley war der erste, der zeigte, dass die hellere Röte von der Einwirkung des Sauerstoffes der Luft herrührte, und dass das Blut (unkel wurde, wenn es mit Kohlensäure, Wasserstoff und Stick- stoff geschüttelt wird. Die Anwesenheit von Luft im Blute wurde zuerst von Mayow um 1672 beobachtet. In einer Schrift von Leeuwenhook (1632— 1723), betitelt „Des Autors Versuche und Beobachtungen über die Menge von Luft in Wasser und andern Flüssig- keiten“, herausgegeben 1674, finde ich die Beschreibung einer von diesem ausgezeichneten Manne ersonnenen Methode, um das Vorhanden- sein von Luft in gewissen Flüssigkeiten, darunter auch im Blute, fest- zustellen. Sie bestand in einer Art Spritze, mittels deren er ein teil- weises Vakuum hervorbringen konnte. Er sah dabei Gasblasen auf- steigen, und für Mensehenblut schätzte er die darin enthaltene Gas- menge auf !/ooo oder "/yooo von dem Volumen des Blutes. Aufgrund dieser interessanten Beobachtung tritt er gegen eine der herrschenden medizinischen Theorien jener Zeit auf, dass mamnigfache Krankheiten durch Gärung des Blutes verursacht werden sollten. Wie — sagte er — stimmt eine solehe Theorie zusammen mit der Anwesenheit einer so geringen Gasmenge? Infolge der Unvollkommenheit seines Apparates machte er den Missgriff zu behaupten, dass das Blut, wenn es aus den Venen kommt, keine Luft enthalte. Gas aus dem Blute wurde anch erhalten durch Sir Humphrey Davy in 1799, Vogel 1814, Brand 1818, Hoffmann 1833 und Stevons 1835. Anderseits misslang es John Davy, Bergmann, Johannes Müller, Mitscherlich, Gmelin und Tiedemann, irgend ein Gas zu erhalten. Die erste Gruppe der Forscher erzielte kleine Mengen Kohlensäure entweder dureh Erhitzung des Blutes, oder indem sie es im cin Vakuum fließen oder einen Strom Wasser- stoff durch dasselbe hindurehgehen ließen. Sir Humphrey Davy war der erste, welcher eine kleine Menge Sauerstoff aus dem Blute sammelte. John Davy wurde 1828 durch eine verfehlte Art der Untersuchung verleitet zu bestreiten, sowohl dass das Blut Sauerstoff aufnehme, als auch dass es Kohlensäure abgebe. Seines Irrtums über- führt wurde er 1830 durel Christison, welcher eine einfache Methode angab, diese Thatsache vor Augen zu führen. So lange der Beweis für das Vorhandensein von Gasen im Blute so ungewiss war, behauptete die Verbrennungstheorie für die Atmung ihren Platz. Endlich, im Jahre 1836, erschienen die Untersuchungen von Heinrich Gustav Magnus, zuletzt Professor der Physik und \ Mc Kendrick, Blutgase. 2899 Technologie an der Universität zu Berlin. Zuerst versuchte er, Kohlen- säure aus dem Blute durch einen Strom Wasserstoffgas auszutreiben, und er erhielt auf diesem Wege bis 34 cem Kohlensäure von 62,9 cem Blut. Er stellte dann eine Quecksilber - Luftpumpe her, mit welcher man eine Glocke bis zu weit höherem Grade entleeren konnte, als dies mittels der gewöhnlichen Luftpumpe möglich war!). Diese Unter- suchung bezeichnet eine Epoche in physiologiseher Entdeckung, da durch sie ein neues Licht auf die Funktion der Atmung durch den Beweis für das Vorhandensein von Gasen im Blute geworfen wurde. Lassen Sie mich nun, um die Bedeutung dieses Beweises und der angewendeten Methode recht zu würdigen, Ihre Aufmerksam- keit auf die Gesetze lenken, welche die Diffusion der Gase regeln. Da eine Gasmasse keine bestimmte Form wie ein fester Körper hat, noch auch einen bestimmten Raum wie ein Flüssigkeit einnimmt, sondern vielmehr aus einer ungeheuren Zahl von Molekeln besteht, welehe infolge ihrer gegenseitigen Abstoßung immer weiter von einander sich zu entfernen streben, so ist leicht einzusehen, dass zwei in gegenseitige Berührung gebrachte Gasmassen sich miteinander vermischen werden — das heißt, ihre Molekeln werden untereinander eindringen, bis eine Mischung erzielt ist, welche gleichmäßig viel Molekeln von jedem Gase enthält. Die Kraft, mit welcher die Mole- keln einander abstoßen, und mittels deren sie nach allen Richtungen hin einen Druck ausüben, ist als der Druck oder die Spannung der Gase bekannt. Es leuchtet ein, dass je größer die Zahl der Gas- molekeln in einem gegebenen Raume ist, desto größer auch der Gas- druck sein wird; und daraus folgt, dass der Gasdruck in umgekehrtem Verhältnis zum Gasvolumen steht — bekannt als Boyle’sches Gesetz. Nehmen wir nun an, zwei Gase seien durch eine poröse Zwischen- wand von einander geschieden: dieselben werden sich miteinander vermischen, und die Geschwindigkeit, mit der die Diffusion vor sich geht, wird entsprechend dem spezifischen Gewicht der Gase ver- schieden sein. Leichte Gase wie Wasserstoff oder Leuchtgas werden somit schneller diffundieren als atmosphärische Luft, Chlorgas oder Kohlensäure. Wichtig ist es auch die Gesetze zu beachten, nach denen die Ab- sorption von Gasen durch Flüssigkeiten vor sich geht. Wenn wir ein wenig Wasser über Quecksilber mit Ammoniakgas in Berührung treten lassen, so wird das Gas schnell von dem Wasser absorbiert (1 Volumen Wasser nimmt 730 Volumina Ammoniakgas auf); alles Gas über dem Quecksilber verschwindet, und infolgedessen treibt der 1) Anm. Dies ist nicht ganz riehtig. Magnus erhielt viel geringere Gas- mengen aus dem Blut. Seine Gaspumpe war auch sehr unvollkommen. Ihre jetzige Form erhielt sie später durch Hoppe-Seyler, Ludwig, Helm- holtz und Pflüger. Die erstern genauern Blutgasbestimmungen rühren von Ludwig und Setschenow her. J. R. 556 Me Kendrick, Blutgase. / Druck der äußern Luft das Quecksilber in dem Glasrohr in die Höhe. Je höher die Temperatur einer Flüssigkeit ist, desto weniger Gas nimmt sie auf; und bei dem Siedepunkt ist die Absorption — 0, weil bei dieser Temperatur die Flüssigkeit selbst in Gas sich verwandelt. Die Absorptionsfähigkeit verschiedener Flüssigkeiten für dasselbe Gas und diejenige derselben Flüssigkeit für verschiedene Gase schwankt zwischen weit von einander liegenden Grenzen. Bunsen bestimmte den Absorptions-Koeffizienten einer Flüssigkeit für ein Gas auf die Zahl, welche den Gasraum (reduziert auf O° C und 760 mm Baro- meterstand) angibt, der von einem Volumen Flüssigkeit aufgenom- men wird. So ninımt 1 Volumen destilliertes Wasser folgende Gas- volumina auf: Grad Celsius N 10) 00, Atm. Luft ) 0,02 0,041 17797 0,025 5 0,018 0,036 Ihss 0,022 19 0,015 0,03 1,002 0,018 37 0,02 0,569 — 1 Volumen destilliertes Wasser ferner absorbiert bei 0° C 0,00193 Volumen Wasserstoff, während es nicht weniger als 1180 Volumina Ammoniak aufnehmen kann; weiter verschluckt 1 Volumen Wasser bei 0° nur 0,2563 Volumen Kohlenwasserstoffgas, aber 1 Vo- lumen Alkohol nimmt bei derselben Temperatur bis 3,595 Volumina auf. Das Volumen des absorbierten Gases ist von dem Drucke unabhängig, und immer das gleiche Volumen Gas wird aufgenommen, mag der Druck sein wie er will. Nun aber steht nach dem Boyle’- schen Gesetz die Dichte eines Gases, oder mit andern Worten die Zahl der Molekeln in einem gegebenen Raume, im Verhältnis zu dem Druck; und da das Gewicht dem Produkt aus dem Volumen und der Dichtigkeit gleiehkommt, während das absorbierte Gasvolumen immer dasselbe bleibt, so steigt und fällt das Gewicht oder die Menge des absorbierten Gases im Verhältnis zum Drucke (Dalton und Henry’sches Gesetz). Daraus endlich geht hervor, dass ein Gas als physikalisch absorbiert von einer Flüssigkeit zu betrachten ist, wenn es von derselben bei einer Verminderung des Druckes in der letztern entsprechenden Gewichtsmengen, nicht Raummengen entweicht. Wenn zwei oder mehr Gase eine Atmospbäre über einer Flüssig- keit bilden, so findet die Absorption proportional zu dem Drucke statt, den jeder der Bestandteile der Luftmischung ausüben würde, wenn er allein in dem von der Mischung eingenommenen Raum sich be- fände, weil nach dem Dalton’schen Gesetz ein Gas keinen Druck ausübt auf ein anderes, das mit ihm vermischt ist, weil vielmehr ein kaum, der mit einem Gase erfüllt ist, hinsichtlich eines zweiten Gases als ein soleher ohne Gas oder, mit andern Worten, als ein Vakuum betrachtet werden muss. Dieser Druck, welcher die Absorption der Me Kendrick, Blutgase. 557 Bestandteile einer Gasmischung bestimmt, wird nach Bunsen der partielle Gasdruck genannt. Der partielle Druck jedes einzelnen Gases in einer Gasmischung hängt dann von dem Volumen des fraglichen Gases in der Mischung ab. Nehmen wir an, atmosphärische Luft stehe unter einem Quecksilberdruck von 760 mm, so wird, da die Luft zu 21 von 100 Raumteilen aus Sauerstoff und zu 79 von 100 Raumteilen aus Stickstoff besteht, der partielle Druck, unter welchem 160 x ae 159,6 mm Quecksilber 100 sein, während die Absorption von Stickstoff unter einem Drucke von 160 .><),69 Ar an, dass über einer Flüssigkeit, die ein absorbiertes Gas, sagen wir Kohlensäure, enthält, eine aus einem andern Gase, sagen wir atmo- sphärische Luft, bestehende Atmosphäre sich befindet, so ist, da Kohlensäure in der Luft nur spurweise vorkommt, ihre Spannung gleich Null, und Kohlensäure wird aus der Flüssigkeit entweichen, bis der Unterschied der Spannung zwischen der Kohlensäure im Wasser und der Kohlensäure in der Luft darüber ausgeglichen wor- den ist — das bedeutet; bis die Kohlensäure, welche in die Luft ent- wichen ist, eine Spannung erreicht hat, welche derjenigen des noch in der Flüssigkeit enthaltenen Gases gleich ist. Unter dem Ausdruck „Gasdruck in einer Flüssigkeit“ versteht man, in Quecksilber - Milli- metern ausgedrückt, den partiellen Druck, welchen das fragliche Gas in der Atmosphäre auszuüben hat, wenn keine Diffusion zwischen dem Gas in der Flüssigkeit und dem Gas in der Atmosphäre statt- findet. Die von Magnus eingeschlagene Methode wird nun verständlich sein. Dadurch dass er das Blut in die entleerte Glocke der Luft- pumpe fließen hieß, wurden die Gase frei; und letztere wurden er- mittelt als Sauerstoff, Kohlensäure und Stickstoff. Weiter machte er die wichtige Beobachtung, dass sowohl arterielles als venöses Blut die Gase enthielten, wobei ein Unterschied darin bestand, dass im Arterien- blute mehr Sauerstoff und weniger Kohlensäure war als im Venenblute. Magnus schloss daraus, dass die Gase einfach im Blute absorbiert seien, und dass Atmung ein einfacher Diffusionsprozess sei, wobei Kohlensäure entweicht und Sauerstoff aufgenommen wird, entsprechend dem soeben von mir erläuterten Gesetz vom Gasdruck. Wir wollen nun die Magnus’sche Erklärung auf die Vorgänge bei der Lungenatmung anwenden. Venenblut, welches bei Bluttempe- ratur und unter einem gewissen Drucke eine gewisse Menge Kohlen- säure enthält, gelangt zu den Kapillaren, welche auf den Wan- dungen der Luftbläschen der Lungen verteilt sind. In diesen Luft- bläschen haben wir eine Atmosphäre von einer bestimmten Tempe- ratur und einem bestimmten Drucke. Wir lassen die Temperatur Sauerstofigas absorbiert wird, — 600 mm Quecksiber vor sich geht. Nehmen wir ferner 558 Me Kendrick, Blutgase. beiseite, indem wir annehmen, sie sei im Blute und in den Luftzellen gleich, und wenden uns zu der Frage des Druckes. Wäre der Druck der Kohlensäure in dem Blute größer als derjenige der Kohlensäure in den Luftzellen, so würde Kohlensäure so lange entweichen, bis Gleichgewieht hergestellt ist zwischen dem Gasdruck im Blute und dem Gasdruck in den Luftzellen. Ferner, wäre der Druck oder die Spannung des Sauerstoffs in den Luftzellen größer als entsprechend in dem Venenblute, so würde Sauerstoff so lange aufgenommen wer- den, bis die Spannungen gleiche geworden sind. Eine solche Theorie hat zweifelsohne den Vorzug der Einfachheit, aber man wird be- merken, dass sie gänzlich auf der Annahme beruht, dass die Gase einfach in dem Blute absorbiert sind. Von Liebig wurde aufgrund der Versuche von Regnault und Reiset behauptet, dass Tiere dieselbe Sauerstoffmenge verbrauchten, wenn sie eine aus diesem Gase allein bestehende Atmosphäre einatmeten, als wenn sie gewöhn- liche Luft atmeten, und dass die vitalen Prozesse nicht viel beein- flusst werden dureh die Atmung in der Atmosphäre bedeutender Höhen- lagen, wo die Menge des aufgenommenen Sauerstoffes nur etwa zwei Drittel von der an der Meeresoberfläche vorhandenen ausmacht. Viel später wurde auch dureh Ludwig und W. Müller gezeigt, dass Tiere, welche in einem begrenzten Luftraume atmen, allen in diesem Raume enthaltenen Sauerstoff aufbrauchen, und es ist klar, dass dabei der partielle Druck des verbleibenden Sauerstoffes beständig sinken muss, da der Sauerstoff aufgebraucht wird. Liebig stellte die Ansicht auf, dass die Gase nicht einfach in dem Blnte absorbiert seien, son- dern in einem Zustande schwacher chemischer Verbindung sich befänden, welche gelöst werden könnte durch den verminderten Druck im Vakuum, oder durch die Einwirkung von andern Gasen. Er glaubte auch, dass es nötig sei, genau den Absorptions-Koeffizienten des Blutes für die Gase zu bestimmen — das ist die Menge, welche unter einem Drucke von 760 mm Quecksilber von einem Raumteil Blut bei der während der Beobachtung herrschenden Temperatur absorbiert wird. Die nächsten wichtigen Beobachtungen waren diejenigen Fernet’s, welche in den Jahren 1855 und 1857 veröffentlicht wurden. Derselbe trieb den größern Teil des Gases aus Hundeblut dadurch aus, dass er einen Strom Wasserstoffgas durch dasselbe hindurchgehen ließ und es dann der Einwirkung der Luftpumpe unterwarf. Unter einem ge- wissen Drucke führte er dann in den Apparat das Gas ein, dessen Absorptions-Koeffizienten er zu bestimmen hatte. Darauf bestimmte er die Menge des absorbierten Gases unter verschiedenem Drucke und fand für den Sauerstoff, dass die aufgenommene Menge bei all- mählicher Abnahme des angewendeten Druckes größer war, als dies nach der Dalton’schen Lehre vom Druck hätte der Fall sein sollen. Der Sauerstoff wurde demnach nicht einfach im Blute absorbiert. Weiterhin gelangte Fernet zu dem Schlusse, dass der größere Teil Me Kendrick, Blutgase. 559 des Sauerstoffes in einem Zustande der Verbindung sich befand, wäh- rend nur ein kleiner Bruchteil dem Dalton’schen Gesetz entsprechend einfach im Blute aufgelöst war. Es leuchtet ein, dass, wenngleich die Menge des absorbierten Sauerstoffes mit dem Drucke schwankt, dies doch nicht im Einklang mit Dalton’s Gesetz geschieht. Die Sauerstoffmenge sinkt sehr all- mählich mit dem verschiedenen Druck, wenn dieser niedriger ist als der atmosphärische, und wächst sehr rasch mit steigendem höherem Drucke. Wenn im Vakuum der Druck so klein geworden ist, dass er dem Dreizehntel einer Atmosphäre gleichkommt, «so kann man annehmen, dass aller Sauerstoff ausgegeben ist; und das wird etwa der Druck des Wasserdampfes in dem Apparat sein, wenn der Versuch bei Zimmertemperatur gemacht wird. Die Anschauung, dass irgend etwas in dem Blute chemisch mit dem Sauerstoffe verbunden ist, wird durch die Thatsache unterstützt, dass Serum nicht viel mehr Sauer- stoff als Wasser aufnehmen kann, so dass Blut bei einer Temperatur von 30° C nur ungefähr 2 Prozent seines Volumens Sauerstoffgas aufnehmen und letzterer einfach absorbiert im Blute sein würde. Es kann auch gezeigt werden, dass defibriniertes Blut unabhängig vom Drucke Sauerstoff aufnimmt, und dass die Menge des von defibrinier- tem Blute aufgenommenen Sauerstoffes etwa gleich ist derjenigen Menge, welche absorbiert wird von einer reinen Hämoglobinlösung, die davon ebenso viel wie das Blut enthält. Dureh ähnliche, mit Kohlensäure vorgenommene Versuche stellte Fernet fest, dass der größere Teil davon in einem Zustande loser chemischer Verbindung sich befand, während eine kleine Menge, unter- liegend dem Gesetze vom verschiedenen Druck, einfach absorbiert war. Versuche mit Blutserum ließen ähnliche Ergebnisse bezüglich der Kohlensäure erkennen, mit dem Unterschiede, dass der Absorptions- Koeffizient für Sauerstoff viel geringer als mit gewöhnlichem Blute war. Es zog deshalb den Schluss, dass nahezu alle Kohlensäure chemisch in der Blutflüssigkeit gebunden war, während fast aller Sauerstoff in Verbindung mit den roten Blutkörperchen sich befand. Dann ging er dazu über zu erforschen, ob die drei hauptsächliehsten Salze des Blutes (kohlensaures Natrium, phosphorsaures Natrium und Natriumcehlorid) irgendwie den Absorptions-Koeffizienten der Kohlen- säure beeinflussten oder nicht. Er fand 1) dass Beimengung dieser Salze zu destilliertem Wasser, und zwar in dem Verhältnis, in welchem sie im Blutserum vorhanden sind, ein wenig den Absorptions - Koeffi- zienten verkleinert 2): dass Chlornatrium keinen Einfluss auf letztern hat, und 3): dass Kohlensäure mit dem kohlensauern und phosphor- sauern Natrium sich verbindet. In demselben Jahre (1855) veröffentlichte Lothar Meyer die Ergebnisse einer Reihe von Versuchen derselben Natur. Unter der Leitung Bunsen’s wurde das Blut mit dem Zehnfachen seiner Menge 560 Me Kendrick, Blutgase. von Wasser verdünnt, und die Gase wurden gesammelt, indem man die Flüssigkeit im Vakuum bei sehr gelinder Wärme kochte; dadurch wurde eine bestimmte Gasmenge erhalten. Er fand auch, dass Blut eine viel größere Menge Kohlensäure aufnimmt als reines Wasser bei derselben Temperatur, und stellte fest, dass wenn Blut unter ver- schiedenem Drucke Sauerstoff ausgesetzt wurde, die Menge des auf- genommenen Gases als aus zwei Teilen bestehend betrachtet werden konnte, von denen der eine Dalton’s Gesetz gehorchte und der andere von lelzterem unabhängig war. Fernere Untersuchungen derselben Art wurden angestellt durch Setschenow, Ludwig, Alexander Schmidt, Bert, Pflüger und andere, und scharfsinnige Methoden sind angegeben worden, um die Gase zu sammeln und zu analysieren. Besonders Prof. Pflüger und seinen Schülern verdanken wir die vollständigste Reihe von Gas- analysen dieser Art. Das Resultat setzt uns in stand, die ungefähre Zusammensetzung der Blutgase wie folgt zu geben. Von 100 Raum- teilen Hundeblut werden erhalten Sauerstoff Kohlensäure Stickstoff Arterienblut 18,4 bis 22,6; im Mittel 20 30 bis 40 1,8 bis 2 Venenblut im Mittel 11,9 45 bis 48 1,8 bis 2 die Gase gemessen bei 0° C und 760 mm Luftdruck. Das Venenblut vieler Organe kann auch weniger als 11,9 Prozent Kohlensäure ent- halten, und Blut bei Asphyxie sogar nur ein Volumen-Prozent. Aus alledem geht hervor, dass die Blutgase nicht in einem Zustande ein- facher Absorption sich befinden, dass sie vielmehr mit bestimmten Bestandteilen des Blutes locker verbunden sind. Nehmen wir zum Beispiel den Sauerstoff. Berzelius zeigte schon viel früher, dass 100 Volumina Wasser bei bestimmter Temperatur und bestimmtem Drucke 2,9 Volumina Sauerstoff absorbieren, während unter denselben Bedingungen 100 Volumina Blutserum 3,1 Volumina und 100 Volumina Blut 9,6 Volumina aufnehmen. Irgend etwas im Blute muss die Fähig- keit haben, eine große Menge von Sauerstoff aufzunehmen. Der nächste Schritt war die Entdeckung der wichtigen Rolle, welche der Farbstoff der roten Blutkörperchen bei der Atmung spielt. Chemisch bestehen dieselben aus ungefähr 30 oder 40 Prozent fester Substanz. Diese festen Bestandteile enthalten nur etwa 1 Prozent anorganische Salze, vornehmlich solehe von Kalium, während die übrigen fast gänzlich organische sind. Die Analyse hat ergeben, dass 100 Teile von der getrockneten organischen Substanz an Hämoglobin, nämlich eben dem Farbstoff, nicht weniger enthalten als 90,54, Eiweiß- stoffe 8,67, Leeithin 0,54 und Cholesterin 0,25. Das Hämoglobin, der Farbstoff, wurde in krystallinischem Zustande zuerst von Funke im Jahre 1853 und darauf von Lehmann dargestellt. Analysiert ist es worden von Hoppe-Seyler und Karl Schmidt, und zwar mit Me Kendrick, Blutgase. 561 dem Ergebnis, dass es eine ganz konstante Zusammensetzung hat. Hoppe-Seyler’s Analyse erschien zuerst in 1868. Man kennt es jetzt als eine der kompliziertesten organischen Verbindungen, mit folgender, von Preyer (1871) an der Hand der eben von mir er- wähnten Analysen aufgestellten Formel: \ T Y CoooHgsoN1zalleS;0,;79- Im Jahre 1862 beobachtete Hoppe-Seyler das auffallende Absorptions-Spektrum einer stark verdünnten Blutlösung. Unmittelbar darauf beschäftigte sich Prof. Stokes in Cambridge mit dem Gegen- stande und trug darüber in 1864 in der Royal Society vor. Lässt man weißes Licht durch eine sehr dünne Blutschicht fallen, so sieht man zwei gesonderte Absorptions-Bänder. Eines dieser beiden nächst D ist schmaler als das andere, hat schärfere Ränder und ist sicht- lich dunkler. Seine Mitte entspricht der Wellenlänge 579, und es wird passend als Absorptionsstreifen « in dem Oxyhämoglobin-Spek- trum bezeichnet. Das zweite der Absorptionsbänder — zunächst H — welches wir als 8 bezeichnen, ist breiter, hat weniger scharfe Ränder und ist nicht so dunkel wie «. Seine Mitte entspricht annähernd der Wellenlänge 553,8. Verdünnen wir sehr stark mit Wasser, so erscheint das ganze Spektrum sehr schön hell, ausgenommen an der Stelle der zwei Absorptions-Streifen. Wird die Verdünnung hinlänglich fort- gesetzt, so verschwinden selbst diese; bevor sie verschwinden, gleichen sie schwachen Schatten, welche den von ihnen eingeschlossenen Teil des Spektrums verdunkeln. Zuletzt verschwindet Band «. Die beiden Absorptionsbänder sind am deutlichsten zu sehen, wenn eine Schicht von 1em Dicke von einer Lösung angewendet wird, welche auf 1000 Teile 1 Teil Hämoglobin enthält; sie sind aber noch zu sehen, wenn die Lösung nur 1 Teil Hämoglobin auf 10000 Teile Wasser enthält. Angenommen anderseits, wir fangen mit einer Lösung von 1 Raum- teil Blut in 10 Raumteilen Wasser an; wir finden dann, dass eine solche Lösung den brechbarern Teil des Spektrums abschneidet und nichts außer dem Rot übrig lässt, oder diejenigen Strahlen, welche eine Wellenlänge von mehr als etwa 600/1000000 mm haben. Bei weiterer Verdünnung stellen sich die Erscheinungen, wie sie treffend von Prof. Gamgee beschrieben werden, wie folgt dar: — „Wird nun die Blutlösung weiter verdünnt, so dass sie 8 Prozent Hämoglobin ent- hält, so wird das Spektrum bei einer Dieke der Blutschicht von 1 cm deutlich bis zur Fraunhofer’schen Linie D (Wellenlänge 589) — das heißt, Rot, Orange und Gelb sind sichtbar und ein Teil vom Grün zwischen 5 und F. Unmittelbar neben D, und zwischen D und 3 (zwischen den Wellenlängen 595 und 518), ist die Absorption eine starke“. Dies wurde von Hoppe-Seyler beobachtet. Prof. Stokes lieferte zu diesen Beobachtungen den wichtigen Beitrag, dass das Spektrum durch die Einwirkung reduzierender Stoffe verändert wird. MET, 36 562 Me Kendrick, Blutgase. Hoppe-Seyler hatte beobachtet, dass der Farbstoff, insofern das Spektrum inbetracht kommt, durch kohlensaure Alkalien und dureh Aetzammoniak unbeeinflusst blieb, aber dass er fast unmittelbar durch Siuren und allmählich auch durch kaustische feste Alkalien zersetzt wurde, und dass das farbige Produkt der Zersetzung Hämatin ist, von dem man das Spektrum kannte. Prof. Stokes studierte den Gegenstand vom physiologischen Standpunkt aus, wie aus seinen eienen Worten in der klassischen, bereits erwähnten Untersuchung hervorgeht: „Es schien mir indess ein Punkt von besonderem Interesse zu sein zu erforschen, ob wir den Wechsel der Farbe vom arteriellen zum venösen Blute nachmachen könnten, vorausgesetzt, dass derselbe von Reduktion herrührt“. Er fand, dass: „Wenn einer Lösung von einfach schwefelsaurem Eisen genügend Weinsäure zugesetzt wird, um einer Fällung durch Alkalien vorzubeugen, und wenn eine kleine Menge der vorher durch Ammoniak oder kohlensaures Natrium alkalisch gemachten Lösung einer Blutlösung zugesetzt wird, deren Farbe fast augenblicklich viel mehr purpurrot wird, als man es in dünner Schicht sieht, und viel dunkler rot, als in diekerer Schicht. Der Farbenwechsel, welcher an den Unterschied zwischen arteriellem und venösem Blut erinnert, ist schlagend genug; aber viel entschiedener noch ist die Veränderung im Absorptions- Spektrum. Die vorher beobachteten höchst charak- teristischen beiden dunkeln Bänder sind nunmehr ersetzt durch ein dunkles Band, welches ein wenig breiter und weniger scharf begrenzt an seinen Rändern ist als eines der beiden vorherigen, und welches ungefähr die Stelle des hellen Teiles einnimmt, der die dunkeln Bänder in der ersten Lösung von einander trennte. Die Flüssigkeit ist durchlässiger für das Blau und lässt weniger Grün durch als vorher. Nimmt man die Schicht dieker, etwa so, dass das ganze Spektrum, welches brechbarer als das Rot ist, zu verschwinden anfängt, so bleibt zuletzt Grün übrig, nahe der festen Linie 5 in der ursprünglichen Lösung, und Blau in der Nähe von F, wenn die veränderte Flüssig- keit in Frage kommt“. An der Hand dieser Beobachtungen gelangte Prof. Stokes zu dem wichtigen Schlusse, dass: „der Farbstoff des Blutes gleich Indigo in zwei Stufen der Oxydation vorkommen kann, welche durch eine Verschiedenheit der Farbe und eine fundamentale Verschiedenheit in ihrer Einwirkung auf das Spektrum zu unterscheiden sind. Man kann ihn von dem höhern zu dem geringer oxydierten Zustande hinüber- führen durch geeignete reduzierende Stoffe, und er erlangt seinen Sauerstoff wieder durch Absorption aus der atmosphärischen Luft“. Dem Farbstoffe des Blutes gab Prof. Stokes den Namen Cruorin, und er beschrieb ihn in zwei Zuständen der Oxydation als Scharlach- Cruorin und als Purpur-Cruorin. Aber der Name Hämoglobin, den ihm Hoppe-Seyler gab, wird allgemein gebraucht. Ist er mit Me Kendrick, Blutgase. 565 Sauerstoff verbunden, so nennt man ihn Oxyhämoglobin, und befindet er sich in reduziertem Zustande, so nennt man ihn reduziertes Hämo- globin oder einfach Hämoglobin. Der spektroskopische Nachweis ist also vollkommen. Hoppe- Seyler, Hüfner und Preyer haben auch gezeigt, dass reines krystallisiertes Hämoglobin eine Sauerstoffmenge absorbiert und che- misch gebunden festhält, die derjenigen gleichkommt, welche in einem dieselbe Menge Hämoglobin enthaltenden Blutvolumen vorhanden ist. So absorbiert 1 g Hämoglobin 1,56 eem Sauerstoff bei 0° C und 760 mm Luftdruck; und da der durchschnittliche Hämoglobingehalt im Blute ungefähr 14 Prozent beträgt, so folgt, dass 1,56 x 14 = 21,5 cem Sauerstoff durch 100 eem Blut gebunden werden müssten. Dies stimmt genau mit der Thatsache überein, dass ungefähr 20 Vo- lumina Sauerstoff von 100 Raumteilen Blut erhalten werden können. Nach Pflüger ist das Arterienblut bis zu ?/,, mit Sauerstoff gesättigt, während Hüfner diese Zahl auf !*/,,; angibt. Schüttelt man Blut mit atmosphärischer Luft, so kann sein Sauerstoffgehalt um 1 bis 2 Vo- lumprozente gesteigert werden. Diese wichtigen Untersuchungen, deren Ergebnisse in weitem Maße bestätigt worden sind, haben uns Aufschluss gegeben über die kolle der roten Blutkörperchen bei der Atmung. Das Hämoglobin des Venenblutes absorbiert in den Lungenarterien Sauerstoff und wird dadurch zu Oxyhämoglobin. Dies gelangt zu den Geweben, wo der Sauerstoff abgegeben und das Hämoglobin reduziert wird. Auf diese Weise liegt dem roten Farbstoff des Blutes fortgesetzt ob, Sauerstoff von den Lungen den Geweben zuzuführen. Wahrscheinlich sind die Vereinigung des Hämoglobins mit Sauerstoff und auch seine Trennung von ihm Beispiele von Dissociation — das heißt eine chemische Ver- bindung und ebensolche Zersetzung, welche lediglich durch physi- kalische Bedingungen bewirkt werden; aber es fehlen noch Aufschlüsse über diese wichtige Frage. Wenn die Vereinigung von Sauerstoff mit dem Blutfarbstoff ein Fall von Oxydation ist, so muss er von einer Entwicklung von Wärme begleitet sein. Und in der That legte Dr. Gamgee im Jahre 1871 sowohl durch Thermometer als auch auf thermo-elektrischem Wege die wichtige Thatsache klar, dass die Vereinigung des Sauerstoffes mit dem Hämoglobin von einer Ent- wicklung von Wärme wirklich begleitet wird. Er gelangte zu dem Schlusse, „dass die mittlere Temperaturerhöhung während der Ab- sorption des Sauerstoffes 0,0976° C betrug. Die höchste gefundene Wärmesteigerung war 0,1110 C, die niedrigste 0,0830 C. (Fortsetzung folgt.) 564 Schulz, Ueber Huminsubstanzen. Ueber Huminsubstanzen. Pflanzen oder Pflanzenteile, welche bei Gegenwart von Wasser und Luft der freiwilligen Zersetzung anheimfallen, verlieren mehr oder minder rasch die ihnen eigne Färbung und werden gelb, rot, schließlich braun, missfarben grau oder schwarz. So wechselnd das Bild dieser Verfärbungen auch sein mag, so beruhen sie gleichwohl im wesentlichen auf denselben Prozessen. Die herbstliche Zeichnung der Blätter, das Braunwerden des Holzes absterbender Aeste und der Baumrinde, das Auftreten dunkler Flecken auf angeschnittenen Knollen und Früchten, die Schwarzfärbung von Stämmen, welche in feuchter Erde oder in Wasser verweilen, kurz die augenfälligen Veränderungen jeder sich selbst überlassenen toten Pflanzenfaser oder Frucht sind lediglich oder doch hauptsächlich die Folge einer bestimmten chemi- schen Umwandlung der Kohlehydrate, welcher Umwandlung häufig eine von Farbstoffbildung begleitete Spaltung der Gerbsäuren voraus- geht oder sich zugesellt. Dass die erwähnten Erscheinungen, insbesondere das Auftreten lebhafterer Farben, bei gerbstoffhaltigen Pflanzen und Pflanzenteilen zugleich durch Umsetzungen der Gerbsäuren verursacht werden, ist ganz zweifellos; entstehen doch die aus den Rinden und Borken extrahierbaren braunen und roten Farbstoffe allein durch Spaltung dieser Säuren. Die Mitwirkung der letztern kann aber nur da in Frage kommen, wo sie überhaupt vorhanden sind, und wenngleich sehr verbreitet im Pflanzenreich, fehlen sie doch in vielen Gewächsen, ohne dass durch ihre Abwesenheit das Bild der freiwilligen Zersetzung in ihrem ganzen Verlauf geändert würde. Ganz allgemein und in erster Linie sind die Kohlehydrate an den Vorgängen in welkenden Pflanzen und verwesender Pflanzen- substanz beteiligt. Indem der Zucker und die Üellulose, und zwar zunächst in den oberflächlichen Gewebsschichten, einer eigenartigen Spaltung verfallen — unter der Einwirkung noch unbekannter Agen- tien, entstehen aus ihnen neben andern Verbindungen stark gefärbte Substanzen, welche schon in Spuren dem Auge bemerkbar werden. Anfänglich, nach dem Erlöschen des vegetativen Lebens, bilden sich diese braunen bis schwarzen Körper in sehr geringer Menge; mit fortschreitendem Zerfall des Pflanzenleibes wird ihre Quantität be- trächtlicher und da, wo die Verwesung vollendet ist, bleiben sie als schwer zerstörbarer Rückstand übrig. Sie stellen alsdann lockere, erdige oder flockige, hygroskopische Massen dar, in Wasser kaum löslich, sehr widerstandsfähig gegen atmosphärische Einflüsse und indifferent gegen Mikroorganismen. Sie sind die nie fehlenden End- produkte der Verwesung von Vegetabilien — ein Umstand, der die Schlussfolgerung nahe legen musste, dass die Stoffe, aus welchen sie entstehen, in allen Pflanzen vorhanden seien. So konnte a priori nur Schulz, Ueber Huminsubstanzen. 565 von den Kohlehydraten der Ursprung jener Körper hergeleitet werden. Die chemische Untersuchung hat diese Annahme bestätigt; unauf- geklärt ist nur geblieben, auf welche Weise bei dem Verwesungs- prozess die Umwandlung der Cellulose, des Zuckers, der Stärke u. ä. in die stark gefärbten Substanzen zustande kommt. Einen reichen Vorrat an diesen Substanzen enthält der Torf, die Braunkohle, vor allem die Dammerde, und man hat die Gesamtheit der im Mutterboden vorfindlichen, nicht näher definierten organischen Körper, welche die Reste einer untergegangenen Pflanzenwelt dar- stellen, als Huminsubstanzen bezeichnet. Diese Bezeichnung fand indess lange eine unkontrollierte Anwendung auf ganz verschieden- artige braune oder schwarze Massen organischen Ursprungs. Sie galt nicht allein für die charakteristischen Bestandteile des Humus, sondern auch für gewisse Zersetzungsprodukte von Phenolen und organischen Säuren, für die braunen Niederschläge, welche sich spontan in Lösungen von Uyanverbindungen abscheiden, und für eine Reihe anderer bei chemischen Versuchen erhaltener unerquicklicher Massen, welche näher zu erforschen undankbar schien. Die ersten eingehenden Untersuchungen über Huminsubstanzen sind von Mulder!) ausgeführt. Vor ihm hatte Berzelius aus Dammerde zwei nicht näher charakterisierte Huminkörper, Gein und Geinsäure, isoliert, Braconnot aus Ruß durch Extrahieren mit Kali- lauge und aus Sägespänen durch Kalischmelze amorphe, schwarze, in verdünnten Säuren unlösliche Verbindungen gewonnen und Boullay und Malaguti aus Rohrzucker durch Kochen mit verdünnter Schwe- felsäure oder Salpetersäure ähnliche Körper erhalten. Die Zusammen- setzung dieser ihren Reaktionen nach offenbar einander verwandten Produkte entsprach annähernd der Formel C,,H;,0,;- Peligot schrieb dem Braconnot’schen Körper die Zusammensetzung C,-H,,O0, zu, und Stein fand für die Huminsubstanz aus Zucker die Formel C,,H,,O,. Waren die Resultate dieser Arbeiten auch unsicher, so konnte schließ- lich doch so viel als erwiesen gelten, dass die natürlichen Humin- substanzen aus den Kohlehydraten der Pflanzen entstehen und dass künstlich aus den Glycosen, aus Stärke und Cellulose durch chemische Agentien die gleichen oder sehr ähnliche Substanzen dargestellt wer- den können. Von der Erforschung der künstlichen Huminsubstanzen ließen sich daher zugleich Aufschlüsse über die Entstehung der natür- lichen erwarten. Mulder untersuchte zunächst die aus Zucker durch Kochen mit verdünnten Mineralsäuren entstehenden Produkte. Er fand unter diesen neben Ameisensäure, Glucinsäure und Apoglucinsäure zwei braune — Ulmin und Ulminsäure — und zwei schwarze — Humin und Humin- säure — amorphe Körper. Die beiden Säuren lösten sich leicht in 1) Journal f. prakt. Chemie, XXI, 203 u. 321. 566 Schulz, Ueber Huminsubstanzen. Kalilauge und bildeten Metallsalze, Ulmin und Humin nahmen zwar gleichfalls Alkali auf, wurden aber nicht löslich. Bei Anwendung stär- kerer Mineralsäuren sowie nach längerem Kochen bildeten sich vor- wiegend die schwarzen Körper. Damit stimmte überein, dass durch Oxydation Ulmin und Ulminsäure in Humin und Huminsäure über- geführt wurde. Die Mitwirkung des Luftsauerstoffs bei der Zersetzung des Zuckers hielt Mulder für zweifellos, nachdem er gefunden hatte, dass verdünnte Säuren in Vaeuo den Zucker nieht veränderten und dass auch in Stickstoff- und Wasserstoffatmosphäre nur Ameisen- säure, aber nicht Huminstoffe entstanden. Seine Analysen, zu welchen er die Präparate bei 160— 190° trocknete, führten ihn zu folgenden Formeln: = { Ulminsäure C,,H5s0}2 z \ Humin les Huminsäure C,,H3,0,»- Mit diesen, wie es schien, wohl definierten Produkten verglich Mulder die natürlich vorkommenden Huminsubstanzen. Durch Ex- trahieren von Torf, Garten- und Ackererde und Fällen der Extrakte mit Säuren isolierte er mehrere Körper, welche die Eigenschaften der künstlichen Huminsäure besaßen, aber stets Stickstoff, und zwar in der Form von Ammoniak, enthielten. Das Ammoniak war ihnen weder dureh wiederholtes Auflösen und Fällen noch durch Kochen mit Natriumkarbonat zu entziehen; nur durch anhaltendes Erhitzen mit starkem Aetzkali wurde es ausgetrieben. Die Neigung, Ammoniak zu binden und hartnäckig festzuhalten, zeigte übrigens auch die künst- liche Huminsäure. Wegen der Schwierigkeit, die natürlichen Säuren rein darzustellen, analysierte Mulder deren Ammoniumsalze, erhalten durch Uebersättigen der Säurelösung mit Ammoniak und Eindampfen zur Trockne, und fand für huminsaures Ammonium aus Torf a) C,Hss0ıa + NH; + 3H;0 non b) (CoHz0013)) + NH, + H,O aus Dammerde (C,H3,0) + NsH; + 6 H;0. Mit diesen Zahlen fielen die aus den übrigen Analysen berech- neten Werte zusammen; nur. der nie analytisch, sondern allein mit Hilfe einer Formel bestimmte Wassergehalt schwankte. Zwischen ihnen und der Formel der Huminsäure aus Zucker bestand eine so geringe, überdies leicht erklärbare Differenz, dass, da zugleich Reak- tionen und Eigenschaften in demselben Sinne entschieden, die Iden- tität der natürlichen und künstlichen Säure sehr wahrscheinlich wurde; die unerheblichen Abweichungen ließen sich durch die Annahme er- klären, es existierten verschiedene Modifikationen der einfachst zu- sammengesetzten Huminsäure, und diese Modifikationen seien nichts weiter als verschiedene Hydratationsstufen der Grundsubstanz. Rosenthal, Malaria und ihre Bekämpfung. 567 Die in Alkali unlöslichen Anteile der natürlichen Huminstoffe hat Mulder nicht näher untersucht. Dagegen hat er noch von der Säure C,.H,,0,, nachgewiesen, dass sie sich sowohl im Ruß wie im zersetzten Protein vorfände. Das aus Ruß dargestellte huminsaure Ammonium enthielt der Elementaranalyse zufolge 1 Mol. Naphtalin, war also — Q,0H3,075 + NH; + CH; Bemerkenswert ist sein Versuch mit Eiereiweiß!). Wenn er Protein, das durch Essigsäure aus einer alkalischen Eiweißlösung niederge- schlagene Alkali- Albuminat — bekanntlich der Ausgangspunkt der Mulder’schen Theorie der Eiweißkörper — längere Zeit mit stär- kerer Chlorwasserstoffsäure in der Wärme digerierte, so entstand unter völliger Zersetzung des Eiweißes eine schwarze Masse, von welcher sich ein Teil in Kalilauge löste. Aus dieser Lösung wurde durch Säuren eine ammoniakhaltige Huminsäure gefällt, die in ihren Eigenschaften mit der Huminsäure aus Zucker völlig übereinstimmte. Für das Ammoniumsalz ergab sich die Formel 0,,H5,0,5 + NH, + H30. Auch bei der Fäulnis des Proteins beobachtete Mulder die Bil- dung von Huminsubstanzen; infolge der gleichzeitigen reichlichen Ammoniakentwicklung blieben dieselben gelöst. Er glaubte hieraus schließen zu dürfen, dass die Düngung des Ackers mit faulenden stickstoffhaltigen Stoffen deshalb von so großem Einfluss auf die Fruchtbarkeit sei, weil in demselben Maße, als durch die Zersetzung des Düngers der Ammoniakgehalt des Bodens steige, auch die Menge der gelösten Huminsäure und damit die Menge des leicht assimilier- baren Nährmaterials der Pflanzen zunehme. So weit die Untersuchungen von Mulder. Obschon nicht in sich abgeschlossen und in analytischen Einzelheiten offenbar unzuverlässig oder inkorrekt, sind sie gleichwohl in ihren experimentellen Ergeb- nissen mehrere Dezennien hindurch unangefochten geblieben. Oskar Schulz (Erlangen). (Fortsetzung folgt.) Die Malaria und die Mittel zu ihrer Bekämpfung. Lange vor dem sichern Nachweis der parasitären Natur vieler Infektionsstoffe war für die Malaria die Ueberzeugung allgemein ver- breitet, dass sie von der Einwanderung eines Infektionsstoffes tieri- scher oder pflanzlicher Natur bewirkt sein müsse. Dafür sprachen so viele Eigentümlichkeiten in der Art der Ansteckung, der Verbrei- tung und des Verlaufs der Krankheit, dass diese Ueberzeugung bei den Pathologen Geltung gewann, ehe man noch die Mittel besaß, sie einer wissenschaftlichen Prüfung zu unterziehen. Ihr gegenüber stand 1) Journal f. prakt. Chemie, XXI, 344. 568 Rosenthal, Malaria und ihre Bekämpfung. allerdings lange Zeit eine andere Ansicht, wonach der Ansteckungs- stoff, das Gift, durch dessen Eindringen in den menschlichen Körper die Erkrankung zu stande kommt, als ein Produkt chemischer Um- setzungen im Boden, als ein Gas oder leicht flüchtiger Stoff angesehen werden sollte, welcher aus dem Boden aufsteigend und in der Luft schwebend vom Winde bis auf gewisse Entfernungen fortgetragen werden könne. Die Bedingungen zur Entstehung dieses gefährlichen Stoffes glaubte man ganz besonders in sumpfigem Boden suchen zu müssen, welche Ansicht ihren Ausdruck darin fand, dass man die Malaria auch gradezu als Sumpfgift oder Sumpfmiasma bezeichnete. Gegen diese Anschauung ist besonders Tommasi-Crudeli in zahl- reichen Publikationen aufgetreten, in welchen er aufgrund eingehen- der Untersuchungen in den verschiedensten Gegenden Italiens nach- wies, dass nicht allein Sumpf-, sondern auch verhältnismäßig trockner Boden im stande sei, das Malariagift zu erzeugen. Die Malaria ist, ungeachtet der Unterschiede ihrer einzelnen Formen, doch überall, wo sie auftritt, so wesentlich ein und dieseibe Krankheit, dass es durchaus unerklärlich wäre, wie in Bodenarten der verschiedensten geologischen Beschaffenheit und der verschiedensten chemischen Zu- sammensetzung sich stets das gleiche chemische Zersetzungsprodukt von so eigentümlicher Art sollte bilden können. Viel leichter ist es zu verstehen, dass ein Lebewesen irgend welcher Art in solehen unter sich verschiedenen Bodenarten dennoch die gleichen, für seine Ent- wicklung und Vermehrung notwendigen Bedingungen finden könne, um in ihm sich bis zu dem Grade anzuhäufen, welcher das Entstehen von Infektionen der auf dem Boden lebenden Menschen ermöglicht. Dasselbe lässt sich auch aus der unzweifelhaften Thatsache fol- gern, dass die Malaria sich außerordentlich verstärkt in Gegenden, welche früher der Kultur unterworfen und dann verlassen worden sind; eine Thatsache, welche an vielen Stellen der Erdoberfläche, besonders aber in Italien nachgewiesen werden kann. Wo auf Ma- lariaboden Niederlassungen gegründet werden, gelingt es wohl, das Gift durch Assanierungsmaßregeln bis zu einem gewissen Grade zurück- zudrängen, ganz vernichten kann man es aber wohl niemals. Wird dann der Boden wieder verlassen, so wuchern die zurückgebliebenen Keime von neuem und erlangen ihre ehemalige Ausbreitung. Endlich weist Tommasi noch auf den bekannten Umstand hin, dass die Malaria-Infektionen auf unzweifelhaftem Malariaboden nicht gleichmäßig über die Tagesstunden verteilt sind, sondern vorzugsweise kurz nach Sonnenaufgang und kurz nach Sonnenuntergang erfolgen. Handelte es sich um ein im Boden durch chemische Umsetzungen entstehendes Gift, so sollte man wohl erwarten, dass die heißen Mittagsstunden die gefährlichsten wären. Dass die von der Sonne abhängige Boden- wärme nicht ganz ohne Einfluss ist, geht ja auch aus der unzweifel- Rosenthal, Malaria und ihre Bekämpfung. 569 haften Thatsache hervor, dass die Gefahr der Infektion im Sommer größer ist als im Winter. Wenn aber trotzdem nicht die heißesten Tagesstunden die gefährlichsten sind, so erklärt sich dies wohl am ungezwungensten durch die Annahme, dass grade nach Sonnenauf- gang und nach Sonnenuntergang wegen der größern Temperaturunter- schiede zwischen Bodentemperatur und Temperatur der untersten Luft- schichten am leichtesten stärkere aufsteigende Luftströme entstehen können, welche spezifisch schwerere Teilchen, wie die fraglichen Mikroorganismen doch sein müssen, mit in die Luft emporzuheben vermögen. Der erste Nachweis solcher Mikroorganismen im Boden und in der Luft von Mälariagegenden erfolgte durch Klebs und Tommasi- Orudeli im Jahre 1579 (Archiv für exp. Path. XI. 122 und 311). Sie beschrieben ihn unter dem Namen Bacillus malariae und rechneten ihn zu den Schizomyceten, denen ja auch fast ohne Ausnahme alle bisher bekannten parasytischen Infektionserreger angehören. Später haben dagegen Marchiafava und Celli geglaubt, als eigentliche Ursache der Krankheit nicht diesen Pilz, sondern ein von ihnen zu den Myzetozoen gerechnetes Gebilde, das sogenannte Plasmodium malariae, welches innerhalb der Blutkörperehen der Fieberkranken leben und in denselben allerlei Veränderungen hervorbringen sollte, bezeichnen zu müssen. Die Existenz dieses Plasmodiums ist aber durchaus nicht sicher nachgewiesen, und auch die Veränderungen der Blutkörperchen haben eine andere Deutung erfahren, worauf ich noch zurückkommen werde. Die Existenz des Bacillus malariae kann wohl heute keinem Zweifel mehr unterzogen werden, seitdem derselbe von Schiavuzzi in Poli wiederentdeckt und von Ferd. Cohn bestätigt worden ist. Cohn hat Sehiavuzzi’s Arbeit in seinen „Beiträgen zur Biologie der Pflanzen“ (Bd. 5 Hft. 2) veröffentlicht: die Figuren stellen nach Photographien und Zeichnungen den Bacillus und seine Entwicklung dar. Die im Breslauer Laboratorium hergestellten Abbildungen stimmen vollkommen mit den früher von Klebs und Tommasi veröffent- lichten überein; eine der Figuren stellt die Veränderungen vor, welche an den roten Blutkörperchen eines Kaninchens nach Infektion mit Reinkulturen des Malaria-Baecillus beobachtet wurden. Die Formen stimmen so genau mit den Bildern überein, welche Marchiafava und Celli von ihrem sogenannten Plasmodium malariae geben, dass man wohl zu dem Schluss kommen muss, dass dieses Plasmodium als solches nicht anerkannt werden darf, sondern dass die bei Ma- laria- Kranken vorkommenden Veränderungen der roten Blutkörperchen fälschlich für die Erreger der Malaria gehalten worden seien. Außer Marchiafava und Celli, und zum Teil schon vor ihnen, haben Laveran, Richard, später Golgi und zuletzt Metschni- TO Rosenthal, Malaria und ihre Bekämpfung. koff ebendiese Plasmodien unter verschiedenen Namen beschrieben, Der letztgenannte Autor nannte sie Conidium malariae. Aber keiner von ihnen hat diese Gebilde im Boden von Malariagegenden oder in der Luft über demselben auffinden können. Somit fehlt die wichtigste Bedingung dafür, dass man dieselben für die Ursache der Malaria- Erkrankung ansehen dürfte. Dagegen scheint es keinem Zweifel zu unterliegen, dass jene „Plasmodien“ oder „Conidien“ Folgen der Malaria-Infektion sind, veränderte Blutkörperchen, welche durch das Malariagift in eine hyaline, bewegliche Masse verwandelt werden. Aehnliche Umwandlungen der Blutkörperchen sind auch bei der pro- gressiven Anämie, bei Scharlach und in einigen Fällen von Typhus aufgefunden worden, neuerdings auch in einem Fall von chronischer Nierenentzündung mit Blutungen aus dem Nierenbecken bei einem Manne, welcher niemals an Malaria gelitten hatte. Die aus der Harnblase dieses Kranken entleerten Blutkörperchen hatten sämtlich solche „Plasmodien“ in ihrem Innern. Man kann auch künstlich solche Plasmodien erzeugen, wenn man defibriniertes Blut eines Säugetiers in die Bauchhöhle eines Vogels (Huhn, Taube oder andere) oder auch in die vordere Augenkammer eines Säugetiers injiziert. Der einzige Unterschied zwischen diesen künstlich erzeugten Plasmodieu und den bei Malaria vorkommenden ist der, dass bei den letztern fast immer das Hämoglobin in Körnchen schwarzen Pigments umgewandelt ist (Melanämie). Vielfache Erfahrungen sprechen dafür, dass der malariaerregende Körper viele Jahre, selbst Jahrhunderte ausdauern kann, ohne erbeb- liche Wirkungen auszuüben, aber auch ohne an Wirksamkeit einzu- büßen. Damit diese wieder hervortrete, ist es wahrscheinlich not- wendig, dass die im Boden vorhandenen Keime (Dauersporen) sich neu entwickeln und massenhaft vermehren. Alles, was diese Ent- wicklung begünstigt, kann den Ausbruch einer Malaria-Epidemie ver- anlassen, besonders wenn noch Luftströmungen hinzukommen, welche die Bakterien in größerer Menge aus dem Boden in die Luft herauf- befördern. Als notwendige Bedingungen für die reichliche Vermehrung der Bakterien sind zu nennen: eine Temperatur des Bodens von min- destens 20° C., ein gewisser Grad von Feuchtigkeit, der aber durchaus nicht so weit zu gehen braucht, dass der Boden sumpfig genannt werden müsste; endlich Zutritt des atmosphärischen Sauerstoffs. Die Kenntnis dieser Bedingungen gestattet uns die zur Bekämpfung der Malaria dienlichen Mittel in ihrer Wirkungsweise zu verstehen, beziehungsweise die Wirkung vorgeschlagener Methoden zu beur- teilen. So ist leicht die schon erwähnte Abnahme der Malaria -Erkran- kungen im Winter zu verstehen, weil in dieser Zeit die Bodentem- peratur der europäischen Fiebergegenden nur selten auf die ange- Rosenthal, Malaria und ihre Bekämpfung. 71 gebene Höhe gelangt. Ist dies einmal ausnahmsweise der Fall, dann beobachtet man grade in Italien gelegentlich einen plötzlichen Aus- bruch einer Epidemie in Gegenden, welche im Sommer regelmäßig Herde der Krankheit sind, im Winter aber in den meisten Fällen verschont bleiben. Umgekehrt wirkt manchmal auch lang anhaltende große Hitze während des Sommers günstig, weil sie den Boden in seinen obern Schichten vollkommen austrocknet, worauf dann aber nach einem einzigen Regen die Krankheit von neuem ausbrechen kann. Den Einfluss der Tageszeit habe ich schon erwähnt. Endlich ist hierher auch die günstige Wirkung zu rechnen, welche bei ver- lassenen Landstrecken von selbst eintritt, indem eine dichte Grasnarbe den Boden dem Einfluss des Sauerstoffs entzieht, sowie die Bedeckung infizierten Bodens durch reinen Sand bei Ueberschwemmungen oder ähnlichen Ereignissen. Es verdient hervorgehoben zu werden, dass die Entwicklung von Malaria-Erkrankungen (auch im Sommer) aufgehoben werden kann, wenn der Malariaboden von einer Wasserschicht vollkommen bedeckt wird. Dies tritt zuweilen in den allergefährlichsten Sumpfgegenden ein; es geschieht regelmäßig auf den Reisfeldern der Malariagegenden Italiens. So lange dieselben überschwemmt sind, im. Sommer, gibt es keine Malaria; wenn das Wasser abgelassen wird, bei der Ernte, bricht die Krankheit aus und zwar mit großer Heftigkeit. Schon eine sehr dünne Wasserschicht kann diesen Schutz gewähren, wenn sie nur gleichförmig über die ganze Fläche ausgebreitetist. Schiavuzzi hat dies durch seine Beobachtungen bei Pola direkt bewiesen. Künstlich den Boden gesünder zu machen war man von jeher bestrebt, hauptsächlich durch Austrocknung. Entwässerungsanlagen durch ober- oder unterirdische Kanäle sowie durch eigentliche Drä- nierung mittels poröser Röhren wandten schon die alten Latiner und Volsker zu diesem Zwecke an. Bei mehr oberflächlicher Feuchtigkeit kann oft die Abholzung, indem sie die Wasserverdunstung begünstigt, nützlich sein. Der günstigen Erfahrung zum Trotz, welche man häufig mit der Abholzung gemacht hat, wurde freilich von Laeisi den Waldungen ein Nutzen zugeschrieben. Sie sollten angeblieh die Luft durch Filtration von den schädlichen Stoffen reinigen. Dies ist durch nichts bewiesen; ob Wälder ein Schutzmittel gegen die Fort- führung der Ansteekungsstoffe von dem Orte ihrer Entstehung nach andern durch den Wind sein können, wie ebenfalls behauptet worden ist, kann als zweifelhaft gelten. Dass der Wind den Malariakeim selbst auf große Entfernungen horizontal fortführen kann, scheint unzweifelhaft zu sein; aber die Gefahr der Erkrankung nimmt sehr schnell mit der Entfernung von dem Entstehungsorte ab, da die Keime mit der Fortführung auch zugleich so zerstreut und verteilt werden, dass sie nicht mehr schaden 572 Rosenthal, Malaria und ihre Bekämpfung. können. Auch in den eigentlichen Malariagegenden zeigt sich die größte Gefährlichkeit bei Windstille, die kleinste bei bewegter Luft. So lange man glaubte, dass nur Sumpfboden Malaria erzeugen könne, wurden gewiss viele Erkrankungen auf Fortführung der Keime durch die Luft zurückgeführt, bei denen die autochthone Entstehung nicht sicher ausgeschlossen war. Man kann aber auch versuchen, durch Bepflanzung dem Boden Feuchtigkeit zu entziehen. Ob dies in wirksamer Weise durch die Sonnenblume (Helianthus annuus) geschehen könne, wie der Volks- glaube mancher Gegenden annimmt, wollen wir dahingestellt sein lassen. Für wirksamer wird von vielen die Anpflanzung des Euca- /yptus globulus gehalten, welcher wegen seines schnellen Wachstums und seiner tiefer greifenden Wurzeln dazu besonders geeignet sein soll. Die in Italien angestellten Versuche haben aber leider den gehegten Erwartungen nicht entsprochen. Der Baum ist auch für das italienische Klima nicht hart genug, sondern erfriert in einem etwas strengern Winter, wie er dort alle paar Jahre einmal vor- kommt, vollständig. Auch sonst gibt es noch allerlei Gefahren für diese Pflanzen. Die von Trappisten angelegten Eucalyptus- Pflanzungen von Tre Fontane haben überdies nicht verhindert, dass ‚ dort in den Jahren 1880, 1882 und 1885 verheerende Epidemien aus- brachen. Bessere Erfolge sind erzielt worden durch Bedeckung des Bodens mit reinem Erdreich oder mit diehtem Rasen, wodurch die Malaria- keime dem Einfluss des atmosphärischen Sauerstoffs entzogen werden. Auf diese Weise erklärt sich auch, warum die dichte Bebauung mit städtischen Gebäuden, die Anlage gepflasterter oder asphaltierter Straßen, wie sie neuerdings durch die Erweiterung der Stadt Rom erfolgt ist, sehr günstige Wirkungen hat. Weniger sicher ist die Beackerung des Bodens, da sie nicht ohne wiederholte Auflockerung möglich ist, während Wiesenkultur sich oft sehr günstig erweist. Alle diese Maßregeln zerstören aber die Malariakeime nicht, welche, wie es scheint, sehr ausdauernd sind; und deshalb bricht auf solehem Boden die Krankheit wieder aus, sobald die Keime wieder der Luft ausgesetzt werden. Nur eine gründliche Austrocknung durch gute, dauernd wirksame Entwässerung und gleichzeitige intensive Boden- kultur scheinen einen nachhaltigen Erfolg zu versprechen. Eine ober- flächliche Austrocknung des Bodens allein bleibt wirkungslos Es ist durchaus notwendig, den Grundwasserspiegel dauernd und erheblich tiefer zu legen. Geschieht dies nicht, so genügt die durch Kapil- larität aufsteigende Feuchtigkeit für die Entwieklung der Malaria- keime. Dies ist der Grund, weshalb viele Polder in Holland zu den schlimmsten Malariagebieten gehören. Deshalb hat sich auch Tom- masi stets sehr energisch gegen die Anlage von Poldern in den Rosenthal, Malaria und ihre Bekämpfung, 5753 Sumpfgegenden von Ostia erklärt; denn solche Polder sind noch gefährlicher als vollkommen nasse Sümpfe. Da aber diese Kultur die dauernde Anwesenheit von Arbeitern voraussetzt, so ist es von der größten Wichtigkeit nach Mitteln zu suchen, welche diese Arbeiter vor den traurigen Einwirkungen des Krankheitsstoffes schützen. Leider versagt das Chinin, dessen aus- gezeichnete Wirkung gegen den einzelnen Fieberanfall ja unübertroffen ist, wenn es sich um längere Anwesenheit auf Infektionsboden und um die Bekämpfung der sich dann entwickelnden sogenannten Ma- laria-Kachexie handelt. Dagegen hat Tommasi ausgezeichnete Erfolge von dem dauernden Gebrauch des Arseniks gesehen, verbun- den mit guter Ernährung und sonst vernünftiger Lebensweise. Außer- dem aber empfiehlt er dringend ein in einigen Fiebergegenden Italiens bekanntes Volksmittel, welches sich bei vielen, auf seine Empfehlung hin in Krankenhäusern angestellten Versuchen durchaus bewährt hat. Es ist dies die Abkochung einer frischen Zitrone, des Morgens nüchtern getrunken. Die Zitrone wird mit der Schale fein zerkleinert, mit 3 Bechern Wasser gekocht, bis die Flüssigkeit auf ein Drittel ein- gekocht ist, und dann über Nacht zum Abkühlen ins freie gestellt. Es würde wohl der Mühe verlohnen zu untersuchen, ob in der Frucht ein wirksames Alkaloid enthalten ist, oder ob ein anderer Bestandteil derselben isoliert werden kann, welchem die Wirkung zugeschrieben werden könnte, In den Malariagebieten des Kongostaats hat Dr. Leslie während eines Zeitraums von 2!/, Jahren ausgezeichnete Erfolge von dem präventiven Gebrauch des Arseniks gesehen. Er versichert, dass die gute Wirkung niemals ausblieb, wenn das Mittel regelmäßig gebraucht wurde. Dies ist um so wichtiger, weil in den Tropen die Malaria während des ganzen Jahres sich entwickelt, so dass es nötig war, den Arsenik dauernd zu gebrauchen. Obgleich nur alle 6 Wochen eine Pause von 15 Tagen gemacht wurde, zeigte sich niemals eine Störung der Gesundheit durch das Mittel. Wenn auf einem dieser Wege es gelingt, eine Kolonie von fleißigen Arbeitern so lange in leistungsfähigem Zustand zu erhalten, bis die Assanierung des Bodens einen genügenden Grad erreicht hat, dann ist auf dauernde Besserung zu rechnen. Dann erst kann man er- warten, dass die Nachkommen der ersten Ansiedler nach und nach auch eine größere Resistenz gegen das Malariagift entwickeln werden. Bei den jetzigen Zuständen ist dies keineswegs der Fall. Vielmehr zeigt die Erfahrung, dass die Widerstandsfähigkeit der Bewohner von Generation zu Generation immer mehr abnimmt. J. R. H74 Zacharias, Tierwelt der Eifel - Maare. Die Tierwelt der Eifel- Maare. Auf Anregung des Herrn Prof. Fr. Leydig in Würzburg, welcher vor etwa 8 Jahren die Kraterseen der vulkanischen Eifel einer faunistischen Unter- suchung unterzog'!), habe ich im verflossenen Juli gleichfalls eine Exkursion in diese Gegend gemacht, um einige der sogenannten „Maare“ etwas ein- gehender, als es seiner Zeit von Leydig geschehen konnte, zu durchforschen. Ich erfreute mich dabei der thatkräftigen Unterstützung des Herrn Hötelier Hommes jun. in Daun, welcher mir speziell bei Abfischung des Gemündener Maars in dankenswerter Weise behilflich war. Dieser Kratersee liegt 20 Mi- nuten von dem Städtehen Daun entfernt und besitzt, obgleich er nur 8,3 Hektar groß ist, eine pelagische Tierwelt, die sich aus Scharen eines zinnoberroten Diaptomus (D. pygmaeus Vosselern.sp.), zahllosen Individuen von Asplanchna helvetica, Kolonien von Conochilus volwox und vereinzelten Exemplaren von Daphnella brachyura Li&v. zusammensetzt. In der Uferzone leben noch andere Daphnidenspecies, einige Lynceiden und diverse Arten von Protozoen. Da- zwischen finden sich auch noch mehrere Species von Hydrachniden, insbesondere (nach der Bestimmung von F. Könike) Hygrobates longipalpis Herm. zahl- reich vor. Der Laacher See, welcher lediglich ein Maar im großen Maßstabe dar- stellt, enthält ebenfalls eine pelagische Fauna, die sich aber aus andern Species rekrutiert, wie diejenige in dem viel kleinern Gemündener Maar. Als ein Mit- glied derselben figurierte auch Daphnia vitrea Kurz unter zahlreichen Exen- plaren von Polyarthra platyptera Ehrb., Anuraea longispina, Conochilus volvox und der Dinoflagellatenspecies Ceratium hirundinella Bergh. Ich werde binnen kurzem eine ausführliche Abhandlung über das Gesamt- ergebnis meiner Eifel- Exkursion publizieren. An dieser Stelle wollte ich nur zu allgemeinerer Kenntnis bringen, dass auch in so abgeschlossenen Kraterseen, wie es die Maare der Eifel sind, eine pelagische Fauna zur Ansiedelung ge- langt ist. Diese Thatsache liefert den Beweis dafür, dass Transportgelegen- heiten in Gestalt fliegender tierischer Organismen vorhanden sein müssen, welche die Eier niederer Krebstiere und Würmer, oder Dauerzustände von Protozoen ebenso wie regenerationsfähige Fragmente von Algen zu translozieren und von einem See in den andern zu übertragen im stande sind. In manchen Fällen wird auch der Wind encystierte Protozoen aus dem Staube in die Höhe wirbeln und in entfernte Gewässer verpflanzen können. Aber zweifellos spielen auch die Wasserkäfer — wie Migula unlängst so überzeugend dargethan hat?) — eine hervorragende Rolle bei der Ausdehnung des Verbreitungs- bezirkes zahlreicher Vertreter der niedern Fauna und Flora. 4) Vergl. Fr. Leydig, Ueber Verbreitung der Tiere im Rhöngebirge und Mainthal mit Hinblick auf Eifel und Rheinthal. 1881. 2) W. Migula, Die Verbreitung der Algen. Biolog. Centralblatt, Nr. 17, 3d. VIII, 1888. Dr. Otto Zacharias in Hirschberg 1./Schl. Zacharias, Verbreitung des Genus Diaptomus. 375 Ueber die geographische Verbreitung des Genus Diaptomus. Die französischen Zoologen J. de Guerne und J. Richard haben unlängst eine kleine Abhandlung (cf. Comptes rendus de l’Academie des sciences, Paris, Juli 1888) über dieses Thema publiziert, und ich entnehme daraus folgende Angaben von allgemeinerem Interesse. Wenn man eine eingehende Umschau unter der niedern Krusterfauna hält, so zeigt es sich, dass die Vertreter der Gattung Diaptomus in viel zahlreichern Arten vorkommen und auch weit häufiger sind, als man bisher geglaubt hat. Es gibt zur Zeit 15 Arten von Diaptomus in Europa. Unter diesen sind 6 in ihrem Vorkommen auf vereinzelte Lokalitäten im Nord-, Mittel- oder Südeuropa besehränkt, insofern sie ihre Heimat in Lappland, Deutschland, Russland oder Spanien haben. 3 andere Species scheinen ausschließlich gebirgigen Gegenden im mittlern Europa anzugehören Die übrigen, d.h. D. castor Jurine, D. coeruleus OÖ. F. Müller, D. denticornis Wierz., D. gracilis Sars, D. graci- loides Lilljeb. und D, laticeps G.O. Sars sind mehr oder weniger im Norden, Osten und Westen Europas verbreitet. Die letztgenannte Art kommt bekannt- lich auch in schwachem Salzwasser, so z. B. im salzigen See bei Halle a.|S. zahlreich vor'!). Aus Asien kennt man von sehr verschiedenen Fundorten her 6 Species von Diaptomus. Dieselben wurden auf der Behrings-Insel, im Turkestan, bei Schanghai, auf Ceylon nnd in der Nähe von Jerusalem gesammelt. Natürlich wird mit jener Zahl der Speeiesreichtum Asiens an diesen Krustern noch lange nicht erschöpft sein. Aus Afrika kennt man bis jetzt nur 2 Arten, wovon die eine in der Umgegend von Algier (von Letourneux), die andere mehr bei Oran (von R. Blanchard) aufgefunden wurde. Nord-Amerika hat bis jetzt nurd Diaptomus-Arten geliefert; aber bei eifriger Nachforschung würden sich gewiss noch einige neue Formen hinzu- gesellen. Aus Süd-Amerika sind bisher nur 2 Species bekannt geworden, wovon die eine von Ch. Darwin aus Patagonien mitgebracht wurde. Australien hingegen hat bereits 4 Spevies aufzuweisen, und das erweckt ein gutes Vorurteil für die Möglichkeit weiterer Funde. Zum Schluss möge die Mitteilung erfolgen, dass in nicht allzulanger Zeit in den Denkschriften der Zoologischen Gesellschaft von Frankreich eine fleißige Arbeit der Herren J. de Guerne und J. Richard unter dem Titel erscheinen soll: Revision des Calanides d’eau douce, womit die Literatur um ein treftliches Werk zum Gebrauche für zoologische Exkursionen bereichert sein wird. 1) Vergl. ©. Zacharias, Zur Kenntnis der Fauna des süßen und salzigen Sees bei Halle. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, 46. Bd, 1838, S. 219. Dr. Otto Zacharias in Hirschberg 1./Schl. or Anzeigen. 76 Verlag von F. ©. W. VOGEL in Leipzig. Soeben erschien: DIE LEHRE vom res 8 STOFFWECHSEL und von der ERNAHRUNG und die Hygienische Behandlung des Kranken von Germain See, Professor der klin. Medizin zu Paris. Autorisierte deutsche Ausgabe von Dr. Max Salomon in Berlin. ST..8: 1888. Preis! 12 M. Jahresberichte über die Fortschritte der Anatomie «bhysiologie. Herausgegeben von Prof. Dr. L. Hermann und Prof. Dr. &. Schwalbe in Königsberg. in Straßburg. Sechzehnter Band (Literatur 1837). Il. Abteilung (Physiologie). gr. 8. 1888. Preis 12 Mark. ot: L. RANVIERS TECHNISCHES LEHRBUCH der HISTOLOGIE., Uebersetzt von Dr. W. NICATI und Dr. H. v. WYSS in Marseille, in Zürich. Mit 379 Abbildungen. gr.8. 1888. Vollständig = 24M. (Die 7. Schlusslief. (= 5 M.) erschien 1888, 1.—6. Lfg. 1877—1882.) Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. « 24 Nummern von je 2 Bogen bilden eimen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. VIlL Band. 1. Dezämber 1888. Nr. 19. Inhalt: Ludwig, Weitere Untersuchungen über Ameisenpflanzen. — F. E. Schulze, Ueber mehrzellige epitheliale Drüsen bei Batrachierlarven. — Schlosser, Ueber die Beziehungen der ausgestorbenen Säugetierfaunen und ihr Verhältnis zur Säugetierfauna der Gegenwart. (Erstes Stück.) — 0. Schulz, Ueber Humin- substanzen. (Zweites Stück.) — ©. Zacharias, Ueber die neuen (apochroma- tischen) Objektive von Zeiß. Weitere Untersuchungen über Ameisenpflanzen. Literatur: Ernst Huth, Myrmekophile und myrmekophobe Pflanzen. Sammlung naturwissenschaftlicher Vorträge. VII. Berlin 1837. 24 S. u. 2 Taf. L. Kny, Die Ameisen im Dienste des Gartenbaues. Gartenflora XXXVI. K. Schumann, Einige neue Ameisenpflanzen. Pringsheim’s Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. XIX, 1838, S. 357—420. Mit 2 Taf Rich. v. Wettstein, Ueber die Kompositen der österreich-ungarischen Flora mit zuckerabscheidenden Hüllschuppen. Sitzungsberichte d. k. Akademie der Wissensch. in Wien. Math. naturw. Kl., Bd. XCVII, Abt. I, 1888, S. 570—589. Die Arbeit Delpino’s über myrmekophile Pflanzen hat Huth veranlasst, seine frühere Zusammenstellung (Ameisen als Pflanzen- schutz, Verzeichnis der bisher bekannten myrmekophilen Pflanzen. Berlin 1886) zu ergänzen. Derselbe unterscheidet als myrmekophobe Pflanzen von den myrmekophilen solche, welche nach seiner Meinung extranuptiale Nektarien nicht zur Anlockung der Ameisen, sondern zur Abspeisung derselben und Abhaltung derselben von den Blüten haben. Zu ihnen soll nach Kerner’s Beobachtung Impatiens tricornis, nach Huth unter andern Impatiens glandulifera Koyle gehören. Eine weitere Zusammenstellung solcher Ameisenpflanzen, welche den Ameisen eine Wohnung darbieten und zu ihnen in einem wirk- lich symbiontischen Verhältnis stehen, hat Schumann gegeben, der zugleich eine Anzahl neuer Anpassungen von Ameisen und Pflanzen beschreibt. Derselbe unterscheidet: I. Pflanzen mit axilen Wohn- räumen, II. Pflanzen mit Blattschläuchen. Bei Durvia hirsuta Schum., D. petiolaris Hook., Cordia gerascanthus ist der obere, bei Cuwiera Vu. DM 578 Ludwig, Untersuchungen über Ameisenpflanzen. physinodes Schum. ist der untere Teil der Internodien des soliden Stammes schlauchartig aufgetrieben, bei Pleurothyrium macranthum Poepp und vermutlich einigen andern Pflanzen ist die Inflorescenz- axe der Länge nach hohl, während, wie wir früher bei Besprechung der Schimper’schen Beobachtungen sahen, bei den Imbaubas (Cecropia) und Cleroderndron der ganze Stamm aus hohlen Internodien besteht. Wie hier nach Schimper, so werden nach Schumann die Zugänge durch leicht zu durchdringende dünnere Stellen bei Macaranga caladiifolia und Endospermum formicarum erleichtert, während Durvia, Pleurothyrium, Myristica myrmecophila‘) durch spontane Längsspalten den Zugang öffnet. — Acacia comigera ete. hat bekanntlich hohle Dornen. Bei andern erzeugt das Blattspreite besondere Hohlkörper, so bei Arten von Tococa, Maicta, Microphysca, Myrmidom, vermutlich auch bei Acacia fistulans Schweinf. u. a. — Kny hat die bisherigen Ergebnisse der Untersuchungen über Ameisenpflanzen zu Nutz und Frommen der Land- und Gartenwirt- schaft erörtert und macht den Vorschlag, da wo extranuptiale — Kny nennt sie asexuelle — Nektarien ete. fehlen, besonders wertvolle Pflanzen künstlich mit einem Ameisenschutz zu umgeben, die Ameisen dureh Bestreichen der Pflanzenteile mit konzentrierter Zuekerlösung herbeizulocken ete. Einen wichtigen Beitrag zur Lehre von den Ameisenpflanzen hat Riehard von Wettstein in einer neuern Abhandlung geliefert, indem er in gleicher Weise, wie dies Schimper für die brasiliani- schen Ameisenpflanzen gethan hat, experimentell die Wirksamkeit des Ameisenschutzes nachweist. Während bei Kompositen extraflorale Nektarien bisher nur bei Centaurea montana und Helianthus tuberosus bekannt waren, beobach- tete von Wettstein solche an den Anthodialschuppen von Jurinea mollis, Serratula Iycopifolia, S. centauroides, C. alpina ete. Die Aus- scheidung der zuckerhaltigen Flüssigkeit findet durch Spaltöffnungen statt, welche meist unregelmäßig über die Außenseite der Anthodial- schuppen verteilt sind, während sie bei Serratula /ycopifolia sieh vor- zugsweise an einem dunkelgefärbten unter der Spitze gelegenen Punkte befinden, zu dem auch Gefäßzuleitungen führen. Bei Jurinea mollis beginnt die Nektarabsonderung, sobald das Blütenköpfehen etwa ein Viertel seiner definitiven Größe erreicht hat; sobald die erste Blüte sich entfaltet, hört die Nektarabsonderung und der Ameisenbesuch auf. Im Laufe des Tages beginnt die Absonderung unmittelbar nach Sonnenaufgang, steigert sich hierauf bis gegen S Uhr morgens, um dann allmählich bis zum Abend abzunehmen. Schon vor Sonnenaufgang trifft man die Ameisen regungslos auf den Knospen sitzen; sobald die Nektarabsonderung beginnt, sieht man sie eifrigst 1) Nach einer neuern Mitteilung von Bower thut dies auch M. laurifolia Vahl, eine Caesalpiniacee von Ceylon und der Malabarküste. Ludwig, Untersuchungen über Ameisenpflanzen. 579 auf den Hüllschuppen nach einer Austrittsstelle des Nektars suchen und, sobald sie eine solche gefunden, den Nektar saugen. Unter 250 nicht aufgeblüten Köpfchen waren nur zehn (4°/,) ohne Ameisen. Die größte Zahl von Ameisen auf den Jurinea- Köpfchen betrug 12, die Durchschnittszahl 3—4. Als häufigste Ameisenart traf v. W. auf Jurinea Camponotus silvaticus Oliv. var. Aethiops Latz. bei Öfen und Wien, vereinzelt daneben fand er bei Ofen Aphoenogaster structor Latz Da nicht selten Ameisen über die Blüten wegkriechen, schien hier den Nektarien nicht die Aufgabe zuzufallen, Tiere, also hier Ameisen, von den Blüten selbst abzuhalten. Das Experiment bestätigte dies. Von 100 jungen Blütenköpfen eines Standortes wurden 50 von Ameisen gesäubert, und ihr Stengel wurde zum Schutz gegen Ameisen mit Wolle umgeben, die in Kampherlösung und Oel getränkt war, die übrigen 50 blieben unverändert. Nach 4 Tagen wurden von den letztern 47 wieder gefunden: 45 unversehrt und aufgeblüht, 2 waren (von Käfern) an den Anthodialschuppen angefressen worden, einer war vom Winde geknickt, auf einem Kopfe fand sich ein Zygaeus equestris L., auf einem andern ein Odontotarsus grammiceus L. Es hatten sich also 90°), der Blütenköpfe normal entwickelt, 9%), waren von Insekten verletzt worden. Von den den Ameisen unzugänglichen Blütenköpfen wurden 46 wieder aufgefunden. Auf zwei waren auf einem Umweg Ameisen gekommen, 27 Blüten- köpfe waren normal aufgeblüht und unversehrt, 17 waren mehr oder minder durch Tiere beschädigt worden. Es wurden von letztern be- obachtet besonders Oxythyrea funesta Poda, sodann Anobium pani- ceum L., Podanta nigrita Fab., Carpocaris nigricornis Fab., Lygaeus equestris L., Odontotarsus grammicus L., Lygaeus equestris L., Carpo- carıs baccarum L. Hier waren nur 54°, Köpfchen normal ent- wickelt, 34°/, von schädigenden Insekten verletzt. Diese Zahlen beweisen, dass der Ameisenbesuch die Jurinea mollis thatsächlichlich gegen schädliche Insekten schützt. Von Jurinea moschata Guss., J. Transsilvanica Spreng. vermutet W. gleichfalls,’ dass sie ähnliche Schutz- und Anloekungsmittel haben. Jurinea mollis gehört zu den wenigen Kompositen, deren Anthodialschuppen weder stachelige noch trockenhäutige Anhängsel haben, noch klebrige Sub- stanzen abscheiden. In der Möglichkeit, denselben Zweck auf verschiedene Weise zu erreichen, findet v. W. hier eine der Ursachen der Ausbildung der so- genannten vikarierenden Arten. Je nach äußern Verhältnissen, näm- lich nach klimatischen Verhältnissen, die die Nektarabsonderung hem- men oder fördern und nach dem Vorhandensein oder Fehlen von Ameisen haben sich in dem einen Gebiete Arten mit extrafloralen Nektarien, in dem andern nahe verwandte Arten mit trockenhäutigen, borstigen oder dornigen Anthodialanhängseln entwickelt. In gleicher Weise wie bei Jurinea mollis findet bei Serratula Iycopifolia Vill. rm DD 580 F. E. Schulze, Epitheliale Drüsen bei Batrachierlarven. (1789) — S. heterophylla Desf. (1804) ein regelmäßiger Ameisen- besuch statt, der hier auch noch während des Blühens anhält. W. fand hier 4 Arten: Formica exsecta Nyl., F. rufilabris Fabr., Lasius niger L. und Myrmica lobicornis Nyl. Ein gleiches Experiment, wie oben, ergab hier, dass von Köpfchen, zu denen der Zutritt der Ameisen nicht verwehrt wurde, 84°/, intakt blieben, von solchen, die nicht den Ameisen zugänglich waren, dagegen nur 58°/,. Unter den be- schädigten Blütenköpfen waren vier von Oxythera funesta Poda, dem allen Kompositen schädlichsten Käfer angefressen worden, außer- dem waren Anobium paniceum und Limax noch besondere Schädlinge. — Bei Jurinea krümmen sich die Anthodialschuppen während der Anthese zurück und bilden durch ihre trockenen spitzen Enden einen Blüten- schutz, während die Schuppen der Serratula flach anliegend bleiben. Hiermit scheint es zusammenzuhängen, dass bei Serratula die Nektar- sekretion auch nach dem Aufblühen noch fortdauert. — Außer Serra- tula Iycopifolia scheidet auch 8. centauroides Most. im bot. Garten der Wiener Universität Nektar aus und wird durch Lasius alienus Först. besucht. Den Serratula-Arten mit abstehenden Dornen, trocke- nen Anthodialschuppen ete. wie S. tinctoria, 5. nudicaulis fehlt da- gegen der Nektarapparat und Ameisenschutz. Während Delpino bei Centaurea montana Nektarabsonderung und Ameisenbesuch beobachtet hat und dieselbe hiernach in Italien myrme- kophyl ist, hat sie und die ihr verwandte C©. awillaris Willd. und Carniolica Host. von Wettstein in der Österreichisch - ungarischen Flora nieht myrmekophil gefunden, während die Centaurea alpina bei Sessana in Istrien und im Wiener bot. Garten, die auch sonst im anatomischen Bau der Anthodialschuppun von den andern Centaurea- Arten abweicht, dieselben Eigentümlichkeiten zeigte wie Jurinea und Serratula. Auch für Centaurea Ruthenica Lam. und C. crassifolia Bert. hält v. W. ein ähnliches Verhalten für wahrscheinlich, während die anderweitig geschützten Arten Centaurea rupestris und ©. Scabiosa «der Nektarsekretion entbehren. Mit Rücksicht auf den von Schimper betonten Umstand, dass der Ameisenschutz sich insbesondere an Pflanzen der Tropen und der diesen zunächst gelegenen Florengebiete findet, ist es von Interesse, dass die genannten Kompositen, für die Wechselbeziehungen zu Ameisen wirklich nachgewiesen wurden, alle dem pontischen und mediterranen Florengebiet angehören. Es steht dies also im Einklang damit, dass sich der Ameisenschutz an Pflanzen wärmerer Klimate, die zugleich die Heimat der Ameisen sind, ent- wickelt hat. F. Ludwig (Greiz). Fr. E. Schulze, Ueber mehrzellige epitheliale Drüsen bei Batrachierlarven. In einer größern Abhandlung über das Epithel der Lippen, der Mund-, Rachen- und Kiemenhöhle bei erwachsenen Larven von Pelo- F. E. Schulze, Epitheliale Drüsen bei Batrachierlarven, 5s1 bates fuscus!) berichtet Fr. Eilhard Schulze (Berlin) über eine interessante histologische Entdeckung, welche er an der hintern Region des Rachenhöhlendaches jener Larven neuerdings gemacht hat. Die- selbe betrifft die Auffindung eines reich entwickelten Systems mehr- zelliger Drüsen, welche von allen sonst bei Wirbeltieren bekannten mehrzelligen Drüsen dadurch abweichen, dass sie nicht in die bindegewebige Grundlage eingebettet, sondern durchaus auf das Epithel (welches an der betreffenden Stelle vierfach ist) beschränkt sind. Ein solches Verhalten war bisher nur bei Wir- bellosen oder von isoliert stehenden einzelligen Drüsen (Becher- zellen) bekannt. Aus Schulze’s eingehender Beschreibung der be- zügliceben Gebilde sei folgendes zu allgemeinerer Kenntnisnahme gebracht. Jede dieser Drüsen hat die Form eines in der Hauptaxe gestauchten, mehr oder minder breiten, kreisrunden Kürbis und sitzt mit abgeflachter Basalfläche der bindegewebigen Grundlage auf, während die dellenartig vertiefte freie Oberfläche das Niveau der Epitheloberfläche erreicht. Die den Drüsenkörper bildenden Zellen bestehen aus langgestreckten verjüngten Prismen, welche dicht an einander gedrängt sind. Die Breite dieser Zellen schwankt am ba- salen Ende zwischen 3 und 5 u; hin und wieder findet sich dazwischen aber auch eine, welche nur 2 « breit ist. Die so gearteten Drüsen finden sich in verschiedener Größe und Reichlichkeit in dem ganzen vordern Randteile des von Schulze als „halbmondförmiges Hinterfeld“ bezeichneten Abschnittes der Rachen- höhle. Sie bilden hier eine dicht hinter dem Anheftungsgelenke des Ceratohyoid jederseits beginnende (und bis zum Oesophagus-Eingang sich erstreekende) Zone von 2 mm Breite, welche sich durch stärkere Aufwulstung von der davor gelegenen Partie des Rachenhöhlen-Daches absetzt. Während die einzelnen Drüsen in den Grenzbezirken des ganzen Drüsenfeldes noch ziemlich isoliert auftreten, rücken sie im mittlern Hauptteile der ganzen Zone dichter zusammen, so dass sie sich stellenweise mit ihrem Seitenrande berühren. Anderseits werden einige von den geschichteten Zellenmassen des Epithels nach der freien Oberfläche zu, andere nach abwärts gegen die bindegewebige Grundlage gedrängt. Indem nun hierdurch die Drüsenmassen gegen- über dem stark auseinander gedrängten Epithel die Oberhand ge- winnen, erhalten die mit Hämatoxylin oder andern Färbemitteln be- handelten Schnitte dieser Region insofern ein ganz eigentümliches Ansehen, als sich hier zwei ziemlich weit auseinander liegende Kern- zonen markieren, nämlich einerseits die Reihe der stets in dem Ba- salteile der langen Drüsenzellen liegenden großen Kerne, nebst ver- einzelten, ebenfalls gegen die Basalregion gedrängten Kernen ge- 1) Ueber die inneren Kiemen der Batrachierlarven. 41. Mitteil. Aus den Abhandl. der Königl. Preuß. Akademie der Wiss. zu Berlin vom Jahre 1888. S. 46—49. 582 Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. wöhnlicher Epithelzellen, und andernteils die nur von den rundlichen Drüsenöffnungen siebartig unterbrochene Lage jener Kerne, welche solchen Zellen, die an die freie Oberfläche gedrängt worden sind, angehören. Grade diese höchst auffällige Trennung von zwei geson- derten Kernreihen war es, welche die Aufmerksamkeit des Berliner Forschers bei der Betrachtung senkreehter Epitheldurchsehnitte zuerst erregten und ihn zur Entdeckung der merkwürdigen kürbisförmigen Zellgebilde führten. Letztere wird man wohl von jetzt ab am kür- zesten als die „Schulze’schen Drüsen“ der Batrachierlarven be- zeichnen. 0. 2. Ueber die Beziehungen der ausgestorbenen Säugetierfaunen und ihr Verhältnis zur Säugetierfauna der Gegenwart. Von Max Schlosser. Vor nicht allzu langer Zeit noch galt Asien als die eigentliche Heimat der gesamten Tier- und Pflanzenwelt, und zwar nicht bloß bei den gläubigen Anhängern der biblischen Ueberlieferung, sondern auch bei den ernsteren Forschern. Die Studien auf dem Gebiete der ausgestorbenen und rezenten Tierwelt, und zwar namentlich soweit dieselben auf die Säugetiere bezug haben, konnten indess diese Annahme auf die Dauer nicht mehr unterstützen, denn es zeigte sich, dass wenigstens seit Beginn der Tertiärzeit zwei Hauptentwicklungszentren vorhanden waren, nämlich Mitteleuropa einerseits und das westliche Nordamerika anderseits; die Existenz eines dritten — Zentralasien — ist dabei freilich nicht aus- geschlossen, zur Zeit aber noch nicht hinreichend mit Thatsachen belegt. Eine höchst interessante Hypothese über die Herkunft der Tier- und Pflanzenwelt verdanken wir Haacke. Er verlegt das Entsteh- ungszentrum der Organismen an den Nordpol!) und führt zum Beweise hiefür die Thatsache an, dass die Ueberreste. der alten Säuger- und Vogel-Typen, so weit sie sich überhaupt noch bis in die Gegenwart erhalten konnten, auf die Südspitzen der Landmassen, Südamerika, Südafrika, Madagaskar, Australien und Neuseeland sich zurückgezogen haben, so die Lemuren, Beuteltiere, Monotremen und Strauße, während sie früher sowohl in Europa als auch in Nordamerika verbreitet waren. Diese letztern Wohnsitze mussten sie jedoch infolge der von Norden kommenden Einwanderung besser organisierter Formen verlassen. Nur in jenen abgelegenen Erdteilen fanden sie eine letzte Zufluchtsstätte. Es trifft diese Hypothese nicht bloß für die genannten Tiergruppen vollständig zu, und erscheint insofern schon höchst beachtenswert; sie hat vielmehr auch deshalb große Bedeutung, weil sie den Vorzug ver- dient vor der Annahme versunkener Kontinente, die bis jetzt weder 1) Anm. der Redaktion: Vergl. Biolog. Centralbl. Bd. VI 8. 363. Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. 58) geologisch noch paläontologisch bewiesen ist und außerdem auch so gigantische Katastrophen voraussetzt, wie solche wenig Wahrschein- lichkeit für sich haben. Immerhin darf die Haacke’sche Hypothese doch nur für einen bestimmten geologischen Zeitabschnitt gelten, nämlich für die paläo- zoische und mesozoische Periode. Mit Beginn der Tertiärzeit scheint das Entstehungszentrum vom Nordpol wegverlegt worden und die Umgestaltung der Tier- und Pflanzenwelt in mittlern Breiten erfolgt zu sein, nämlich im westlichen Nordamerika und in Mitteleuropa. Die Studien der letzten Jahrzehnte, welche unsere Kenntnisse der aus- gestorbenen Säugetierwelt so unendlich bereichert haben, lassen keinen Zweifel darüber bestehen, dass diese beiden Bezirke wirklich als die eigentliche Heimat der tertiären und gegenwärtigen Gattungen und Arten angesehen werden müssen. Ich werde nun versuchen, im Folgenden eine gedrängte Uebersicht über die Zusammensetzung der einzelnen Faunen und den Charakter der wichtigsten Glieder derselben zu geben. Säugetiere kennt man bereits aus dem Keuper von Württemberg, aus dem Dogger von Stonesfield und aus dem obersten Jura von Eng- land und Nordamerika (Wyoming), und außerdem auch aus — ver- mutlich — triassischen Ablagerungen Südafrikas. Alle diese Formen sind den Beuteltieren zugeteilt worden, stehen jedoch kaum mit irgend einem der noch lebenden Marsupialiertypen in direktem genetischen Verhältnis, ja bei manchen von ihnen ist die Beuteltiernatur höchst problematisch. Erst mit Beginn der Tertiärzeit erscheinen echte Pla- centalier und zwar gleichzeitig in Europa und in Nordamerika. In Europa ist diese älteste Tertiärfauna überaus dürftig und auch lokal sehr beschränkt — Gegend von Reims; mit Ausnahme des Arctocyon, eines Fleischfressers mit bärenartig differenzierten Backzähnen, haben die dortigen Tiere nur sehr geringe Größe. Es sind teils Insekti- voren — Adapisorex ete. — teils Pseudolemuriden — Plesiadapis, früher für Lemuren gehalten, jetzt aber als Ahnen der Paviane etc. erkannt, teils kleine Creodonten. Diese Creodonten stellen eine Gruppe ausgestorbener Fleischfresser dar, welche sich von den echten Karnivoren, ihren Nachkommen, durch den Besitz mehrerer gleich- artig gebauter reißzahnähnlicher Molaren und durch die primitive Organisation der Handwurzel — Anwesenheit eines Centrale Carpi und bleibende Trennung von Scaphoid und Lunatum — unterscheiden. Von den Insektivoren, mit welchen sie ja auch in sehr naher Be- ziehung stehen, weichen sie insoferne ab, als ihre Schneide- und Eck- zähne ganz nach dem Karnivorentypus gebaut sind, und noch nieht jene eigenartigen mannigfachen Differenzierungen erlangt haben, durch welche sich die Insektenfresser auszeichnen. Zu jenen bereits ge- nannten Formen gesellt sich dann noch die eigentümliche Gattung Neoplagiaulax, charakterisiert durch die nagerähnlichen Schneide- H84 Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. zähne und die feilenartig gerieften vordern Backzähne. Dieselbe erscheint als der Ueberrest einer ganz isolierten Gruppe, die bis jetzt den Marsupialiern beigezählt worden ist. Der Anfang dieses Formenkreises muss aller Wahrscheinlichkeit nach bereits in der Trias gesucht werden, wenigstens gibt es daselbst gewisse Gattungen, die noch am ehesten an die Plagiaulaciden angereiht werden dürfen, sich von denselben aber durch den komplizierten Bau ihrer aus zahl- reichen einzelnen Höckern zusammengesetzten Backzähnen unterschei- den. Im Jura erreichen die Plagiaulaciden ihre höchste Blüte, setzen sich jedenfalls die ganze Kreide hindurch fort und erscheinen dann noch einmal in größerer Anzahl im Eocän; diese Endglieder zeichnen sich jedoch gegenüber ihren Vorgängern aus der Jurazeit durch die auffallende Reduktion ihrer Zahnzahl aus. Eine der Fauna von Reims ziemlich ähnliche Tierwelt treffen wir auch im ältesten Tertiär von Nordamerika und zwar inNeumexiko. Der Arctocyon wird hier vertreten durch Möoclaenus, der Neoplagiaulax durch Pfilodus, der Plesiadapis durch Pelycodus. Auch finden sich daselbst verschiedene Creodonten, doch zeigen dieselben bereits eine viel größere Formenmannigfaltigkeit und haben außerdem auch viel ansehnlichere Dimensionen erreicht. Ueberhaupt zeichnet sich die Tierwelt des Puercobeds durch ihren relativen Formenreichtum aus. Abgesehen von den bereits genannten Typen gibt es daselbst auch einen echten Prosimier — Mixodectes, einen den echten Karni- voren sehr nahestehenden Fleischfresser — den Didymietis, und die noch an die Plagiaulaciden anzuschließenden Gattungen Catopsalis und Polymastodon, beide jedoch statt mit Furchenzähnen mit Höcker- zähnen versehen. Dazu kommt nun noch eine für die amerikanische Fauna höchst charakteristische Gruppe, die Condylarthra, die wir mit vollem Recht als die Ahnen aller Huftiere betrachten dürfen. Als Hauptmerkmale der Condylarthra sind zu nennen die Fünfzahl der Finger und Zehen, die Anwesenheit eines Epieondylarforamen am ÖOberarmknochen und das bunodonte, für gemischte Nahrung ein- gerichtete Gebiss, ausgezeichnet durch den einfachen Bau der Prä- molaren, die raubtierähnliche Gestalt der Eck- und Schneidezähne, und das ebenfalls noch etwas an Fleischfresser erinnernde Aus- sehen der Molaren; die obern Molaren bestehen nämlich der Haupt- sache nach noch aus zwei Außen- und einem Innenhöcker, die untern bilden den Uebergang zwischen dem Reißzahn der Karnivoren und dem Mahlzahn der Ungulaten, insofern zwar noch alle Elemente des erstern vorhanden sind, die hintere Partie des Zahnes — der Talon — jedoch schon ebenso groß geworden ist wie die vordere und fast alle Erhabenheiten der Krone ins gleiche Niveau getreten sind. Es stehen diese Condylarthren direkt in der Mitte zwischen den Huftieren und den Fleischfressern und zwar den primitivern derselben, den Creodonten, und es kann keinem Zweifel unterliegen, dass alle Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. 585 Huftiere von Fleischfressern abstammen, wobei eben die Condy- larthren das Zwischenstadium repräsentieren. Bereits im Puercobed sind die drei Hauptgruppen der Huftiere in jenen Condylarthren deutlich erkennbar. Es gibt daselbst schon echte Phenacodontiden, die Ahnen von Pferd, Tapir und Rhinoceros und den ausge- storbenen Paläotherien und Chalicotherien, ferner Peripty- chiden, die Ahnen aller Paarhufer und endlich das Pantolambda, den Stammvater der fünfzehigen, vollständig erloschenen Corypho- dontiden und Dinoceraten. Ein Teil der Condylarthren setzt sich in Nordamerika durch das ganze Eocän fort, einige vielleicht sogar bis ins White Riverbed — Leptochoerus. In Europa wurden erst in allerjüngster Zeit von Rütimeyer Condylarthren-ähnliche Formen beobachtet, und zwar in den Bohnerzen von Oberbuch- sitten in der Schweiz. Der genannte Autor will daselbst Phenacodus- und Protogonia-artige Formen gefunden haben; in Wirklichkeit haben wir es jedoch mit Periptycehiden, wenn nicht gar schon mit — freilich noch sehr primitiven — Artiodaetylen zu thun. Die zweitälteste Säugetierfauna des europäischen Tertiärs findet sich in den Sanden von Soissons, im Londonthon, im Pariser Grobkalk, in den Konglomeraten von Argenton, Issel und Meudon und im Süßwasserkalk von Buchsweiler im Elsaß. Außer- dem enthalten auch die vorhin erwähnten Schweizer Bohnerze gar manche Formen, die noch dieser Periode zugerechnet werden dürfen. Die Fleischfresser sind hier nur durch Arctocyon repräsentiert, wie bereits bemerkt, ein Öreodont mit bärenähnlichem Gebiss; eine Mikrofauna fehlt ganz, auch sind noch keine Paarhufer bekannt. Um so zahlreicher freilich erscheinen die Unpaarhufer. Die Pferde sind bier durch die Hyracotherien vertreten — die Tapire durch Lophiodon, die Paläotherien durch Propalaeotherium. Die Hyra- cotherien erweisen sich im Zahnbau, noch mehr aber in der Form des Schädels und der einzelnen Knochen als unzweifelhafte Vorläufer der Pferde, nur haben die Prämolaren noch einen sehr viel einfachern Bau als die Molaren, ferner liegen die Erhabenheiten der Zahnkrone noch nicht im gleichen Niveau, die Kronen selbst sind noch sehr niedrig und ermangeln des Zements, das beim Pferd alle Vertiefungen des Zahnes ausfüllt, und endlich ist die Zahl der Zehen noch drei, am Vorderfuß sogar vermutlich noch vier. Lophiodon nähert sich im Zahnbau den lebenden Tapiren, doch beträgt die Zahl der Prämo- laren bloß mehr drei, und ebenso besitzt auch der Vorderfuß nur mehr drei Zehen; die Tapire, bei denen in dieser Beziehung die Vierzahl gegeben ist, können mithin nieht direkte Nachkommen von Lophiodon sein, weil die Zahl dieser Organe bei den Nachkommen niemals größer sein kann als bei ihren Vorfahren. Die Zusammensetzung der Lophiodon- Prämolaren ist noch sehr viel einfacher als die der Molaren. Während die Hyraecotherien d. h. die Gattungen Anchilophus, Pachynolophus 586 Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. und Pliolophus durchgehends sehr bescheidene Dimensionen aufweisen, wechselt bei den Lophiodon- Arten die Größe ganz gewaltig. Man kennt solche von der Größe eines Fuchses bis zu solchen von der Größe des stärksten Nashorns. Die genannten Ablagerungen ent- halten zum Teil auch die merkwürdige Gattung Coryphodon, den ein- zigen in Europa vorkommenden Amblypoden. Diese sowie die Hyracotherien führen uns ganz naturgemäß wieder zur Betrach- tung der ausgestorbenen Tierwelt Nordamerikas, wo beide Gruppen eine ganz hervorragende Rolle spielen, und zwar grade in den Schich- ten, welche auf das bereits besprochene Puercobed folgen — näm- lich im Wasatch- und Bridgerbed. Das Wasatchbed enthält Coryphodon-ähnliche Formen, aus- gezeichnet durch die auffallende Kleinheit und Einfachheit des Gehirns, die starken, raubtierartigen Schneide- und Eckzähne und den ein- fachen Bau der Prämolaren. Die nächsthöhern Bridger Schichten ent- halten die Dinoceraten. Bei diesen haben die Prämolaren die Gestalt von Molaren angenommen, während die obern Inzisiven ver- loren gegangen sind. Die obern Kaninen haben eine beträchtliche Länge erreicht, die untern dagegen haben sich wie bei den Wieder- känern in Schneidezähne umgewandelt. Das Gehirn ist hier eher noch weiter zurückgebildet als bei Coryphodon. Der Schädel trägt drei Paare mächtiger knöcherner Zapfen. Die Zehenzahl beträgt bei allen Amblyopoden noch fünf; die Vorderextremität hat im übrigen viel Aehnlichkeit mit der vom Rhinoceros, die Hinterextremität erinnert an jene der Elefanten. Die Backzähne der Ambly- poden bestehen aus je zwei Jochen, die nach der Innenseite des Zahnes konvergieren. Im Wasatchbed findet sich auch noch ein Condylarthre, Meniscotherium, dessen Gebiss und Skelet — mit Ausnahme von Hand und Fuß — auffallende Aehnlichkeit zeigt mit gewissen Perissodaectylen. Während die oben genannten europäischen Ablagerungen eine ziemlich dürftige Fauna enthalten, was wohl darin seinen Grund hat, dass unser Kontinent damals nicht ein zusammenhängendes Festland, sondern vielmehr einen Archipel darstellte, und die betreffenden Ablagerungen selbst — Sande und Konglomerate — ohnehin der Ueberlieferung von Landtierresten, namentlich kleinern Stücken nicht günstig waren, weist Amerika in jener Periode eine erstaunliche Formen- mannigfaltigkeit auf. Wir finden außer den genannten Amblypoden im Wasatehbed mehrere Pseudolemuriden, die Ahnen der Paviane, nämlich die Gattungen Pelycodus, Microsyops, Hyopsodus, von Halb- affen die fremdartige Gattung Cynodontomys, von Insektivoren Ictops, dem gemeinsamen Ausgangspunkt der Erinacäiden und Tu- pajiden nahestehend, ferner Fleischfresser, zum Teil Creodonten, also mit gleiehartigen und gleichgroßen Molaren, so Didelphodus und Oxyaena, zum Teil aber auch Formen, die im Gebiss von den echten Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. 87 Karnivoren kaum zu unterscheiden sind und auch im Skelet ins- besondere an die Zibethkatzen erinnern, während in der Handwurzel ganz wie bei den typischen Creodonten noch keine Verschmelzung von Scaphoid und Lunatum erfolgt ist. Ich meine die Gattungen Miacis und Didymictis. Von Nagern treffen wir in Amerika die eich- hornartigen Plesiarctomys, von Perissodactylen den Eohippus — dem Skelet nach ein Pferd, aber noch mit vier Fingern am Vorderfuß und mit drei Zehen am Hinterfuß versehen — und das Systemodon, einen Verwandten der Tapire, von Artiodactylen den vierzehigen Pantolestes, der sich nach den neuesten Untersuchungen als der Ahne der Kameliden erwiesen hat. Daneben gibt es noch die merk- würdigen Tillodontier, im Skelet an die Fleischfresser namentlich an die Bären erinnernd, jedoch mit ganz ähnlichen Schneide- resp. Eckzähnen versehen wie die Nagetiere. Es stellen dieselben viel- leicht die Vorläufer gewisser Edentaten — Megatherium ete. — dar. Solche Tillodontier gab es jedoch auch bereits im Puercobed — Hemiganus, bei welchem die Zähne sogar bereits prismatischen Zahn- bau erreicht haben, also hohe Krone aber keine Wurzeln besitzen, ein Merkmal, das sonst nur modernen Typen zukommt. Die obere Abteilung des Wasatchbed darf wohl als ein selbständiger Horizont betrachtet werden, wenigstens geht keine Art aus den untern und mittlern Schichten dieser Stufe so hoch herauf. Das nun folgende Bridgerbed ist vor allem charakterisiert durch die höchst merkwürdigen Dinoceraten. Von Perissodaec- tylen treffen wir ein Ayracotherium — Orohippus Marsh —, bei dem Jedoch im Gegensatz zu dem Eohippus bereits der hinterste Prämolar die Gestalt eines Molaren angenommen hat, ferner die Gattungen Limmohyus und Palaeosyops, die Vorläufer der noch näher zu schil- dernden Symborodon — Brontotherium Marsh — die Rhinoceros- ähnlichen Hyrachyus und Colonocoras, von welchen der erstere einen ganz besondern, im White Riverbed endenden, auffallend schlank ge- stalteten Typus darstellt, während der andere, trotzdem er noch keine Hörner trägt, wohl als der Alıne aller Rhinoceroten betrachtet werden darf, und endlich die Tapir-ähnlichen Systemodon — Hela- /etes Marsh. — Die Paarhufer sind nur durch Achenodon ver- treten, einen höckerzähnigen, vierzehigen Omnivoren, der jedenfalls dem Ausgangspunkt der Hippopotamen, zugleich aber auch jenem der europäischen Gattungen Entelodon, Anthracotherium und Hyopo- tamus ziemlich nahe steht. Von Üreodonten sind hier zu nennen Mesonyx, mit der oben genannten Oxyaena verwandt und mit einfach gebauten stumpfen Molaren, und Stypolophus mit Didelphys-ähnlichen Backzähnen versehen, von Halbaffen der Anaptomorphus, der sich in gewisser Beziehung an den lebenden Tarsius anschließt, von Pseudolemuriden das Adapis-ähnliche gänzlich erloschene Tomi- therium und den noch weiter hinaufreichenden Hyopsodus, wohl der 588 Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen, Stammvater der Macacus, Semnopithecus ete. Auch von Miacis und Didymictis finden sich noch Arten in diesem Horizont, ebenso von Plesiarctomys. Auf das Bridgerbed folgt das Uinta- oder Diplacodonbed. Auch seine Fauna darf gradezu als die direkte Fortsetzung der bis- herigen Tierwelt Nordamerikas angesehen werden. Die Amblypoden sind bier freilich bereits gänzlich erloschen, dagegen gewinnt ein Formenkreis, die Chalieotherien oder Brontotheriiden, der bis dahin nur durch mäßig große Typen, Palaeosyops und Limnohyus ver- treten war, die Oberhand. Die hiehergehörige, zuerst erscheinende srößere Gattung Diplacodon besitzt zwar noch nicht die eigenartigen knöchernen Hornzapfen auf den Nasenbeinen, hat aber doch schon ganz Ähnliche Zähne wie die wichtigen Gattungen Menodus, Titano- therium ete. Hinsichtlich der Größe steht sie zwischen diesen und dem Palaeosyops in der Mitte. Diplacodon hat etwa die Dimensionen eines Nashorns. Der Vorderfuß ist vierfingerig, der Hinterfuß dreizehig. Die Reduktion der Schneide- und Eckzähne hat hier zwar auch bereits begonnen, doch hat sich die Zahl der Ineisiven noch unverändert erhalten. Die Rhinoceroten sind repräsentiert durch die Gattung Amynodon, ebenfalls noch ohne Hornzapfen und mit vier Zehen am Vorderfuß und ganz einfach gebauten Prämolaren nebst vollzähligen raubtierähnlichen Eck- und Schneidezähnen. Der schlanke Hyrachyus hat hier einen Ersatz in dem dreizehigen Triplopus; die Pferde sind vertreten durch Epihippus, bei welchen bereits die Kom- plikation der Prämolaren noch weiter fortgeschritten ist und die Zehenzahl auch am Vorderfuß auf drei zurückgegangen ist. Von Paarhufern wären zu nennen Protoreodon, ein Vorläufer der später so häufigen Oreodontiden, von diesen aber verschieden durch die Fünfzahl der Höcker der obern Molaren und das Vorhandensein eines Daumens!), und mehrere hirschähnliche Formen — Oromeryz, Eomeryx ete., die jedoch noch nicht genauer beschrieben sind. Dazu kommen noch Mesonyx- und Oxyaena-ähnliche Creodonten, Miacis Didymictis, Plesiarctomys und Hyopsodus. Das nächsthöhere White Riverbed enthält zwar viele Formen, die sich zweifellos aus solchen des eben besprochenen Uintabed entwickelt haben, daneben aber auch eine Anzahl ganz neuer Typen und außer- dem ziemlich viele Gattungen, die auch in europäischen Ablagerungen vorkommen. Auf diese auch in Europa nachgewiesenen Formen komme ich später zu sprechen. Als Nachkommen der Uintafauna erscheinen vor allem die riesigen Brontotherien, Symborodon, Menodus ete., im 4) Dies ist der einzige Paarhufer, welcher noch einen Daumen, mithin fünf Finger besitzt — Scott hat diese Thatsache beobachtet —; bei allen übrigen fehlt dieser Finger selbst im Embryonalstadium oder ist doch nur — nämlich beim Schwein — als Vorknorpel entwickelt, wie Baur gezeigt hat. Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. 589 Skelet und Habitus an Rhinoceros erinnernd, an Größe jedoch dasselbe noch weit überragend. Von Rhinoceros unterscheiden sie sich durch die Vierzahl der Finger, die Form der Zähne und ins- besondere dadurch, dass die Hornzapfen auf den Nasenbeinen nicht hinter- sondern neben einander stehen. Die Rhinoceroten selbst sind vertreten nicht bloß durch das vierfingrige Aceratherium (gleich den Brontotherien gegenüber den ältern verwandten Formen durch die Reduktion der Ecek- und Schneidezähne ausgezeichnet), sondern auch durch das schlanke, dem äußern Habitus nach pferdeähnliche Hyracodon, das Endglied der Hyrachyus-Reihe. Von Pferden sind hier zu nennen Mesohippus und Miohippus, sowohl im Gebiss als auch im Skeletbau die direkten Nachkommen des oben genannten Epihippus. Die Paarhufer werden im White Riverbed sehr zahlreich, nament- lich entfalten die Oreodontiden einen großen Individuenreichtum. Die Gattung Oreodon hat im Gegensatz zu ihrem Vorläufer, dem Protoreodon, wie alle jüngern Paarhufer bloß mehr vier Höcker auf den obern Molaren, und diese Höcker sind auch als echte aber sehr einfache Monde entwickelt. Die Zahl der Zehen beträgt vier. Die seitlichen Zehen sind noch auffallend kräftig; sie artikulieren mit den direkt über ihnen befindlichen Carpalien und Tarsalien noch mit- tels breiter Gelenkflächen, während sie. bei den modernen Paar- hufern, sofern sie eben daselbst überhaupt noch vorkommen, nur noch lose am Carpus beziehungsweise Tarsus hängen. Verschmelzung der mittlern Metapodien und gewisser Handwurzelknochen — Trapezoid und Magnum — und Tarsalien (Cuboid und Naviculare), die für die modernen Ruminantier so charakteristisch ist, kommt hier nicht vor. Der Schädel zeigt eine auffallende Verkürzung der Gesichtspartie und deshalb auch eine geschlossene Zahnreihe. — Beide Merkmale finden sich stets nur bei Säugerstämmen, die am Ende ihrer Ent- wicklung angelangt sind, wie z. B. auch bei den europäischen Ano- plotheriiden und Caenotheriiden. Der ziemlich ähnliche Agrio- choerus hat kein so ausgesprochen selenodontes Gebiss wie Oreodon. Die Gattung Poebrotherium hat im Gebiss viele Anklänge an Oreodon, besitzt aber nur mehr zwei Zehen. Verschmelzung der Mittelhand- und Mittelfuß-Knochen ist hier gleichfalls noch nicht erfolgt, ebenso- wenig Vereinigung von Navieulare und Cuboid. Poebrotherium ist der Stammvater der Kamele; die Llama sind durch die Gattung Lep- tauchenia vertreten. Auch eine hirschähnliche Form findet sich im White Riverbed, nämlich der kleine Leptomery.x, ausgezeichnet durch die Anwesenheit von vier Fingern, während die Zahl der Zehen am Hinter- fuß bloß mehr zwei beträgt. Von weitern Paarhufern sind endlich noch zu nennen Entelodon und Hyopotamus, beide auch aus europäil- schen Ablagerungen bekannt. Unter den Fleischfressern treffen wir hier zum ersten mal katzenähnliche Formen, Drepanodon, Dinictis, Bunaelurus und Hoplophoneus, doch soll nur das Gebiss und der 590 Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. Schädel mit jenen der Katzen nähere Uebereinstimmung zeigen, das Skelet jedoch viel mehr an jenes von Hunden erinnern. Höchst wahrscheinlich handelt es sich hier um einen völlig erloschenen Formenkreis. Außerdem gibt es in dieser Ablagerung auch Amphieyon- ähnliche Typen, die zwischen Hunden und Bären in der Mitte stehen. Von Creodonten treffen wir nur mehr die Gattung Hyae- nodon, die auch gleich Amphicyöon und jenen alten katzenartigen Formen im europäischen Tertiär vorkommt. Sehr zahlreich ist die Mikrofauna, also Nager, Insektenfresser und Chiropteren. Von Nagern und zwar von Sciuromorphen sind zu nennen Gymnoptychus, Meniscomys und Ischiromys, der letzte wohl der Ahne des rezenten nordamerikanischen Genus Aplodontia, ferner die mäuse- ähnlichen Heliscomys und Eumys und der älteste bekannte Hase, Palaeolagus. Die Insektivoren — Leptietis und Mesodectes — sind mit dem obengenannten /ctops ziemlich nahe verwandt, haben aber offenbar keine Nachkommen hinterlassen. Zu den Insektivoren dürfen vielleicht auch die angeblichen Peratherien gestellt werden, wenigstens sind sie von den europäischen Arten dieser Gattung, die zweifellos den Marsupialiern angehören, wesentlich verschieden. Im White-Riverbed findet sich auch eine Hyopsodus-ähnliche Form, das Menotherium. An das White-kRiberbed schließt sich das John-Daybed sehr innig an. Wir haben hier ebenfalls noch Oreodontiden, darunter auch noch die Gattung Agriochoerus und den durch seine Größe — etwa Edelhirsehgröße — ausgezeichneten Merycochoerus, von Ka- meliden Poebrotherium und das schon etwas modernisierte Gompho- therium, von hirschähnlichen Formen Hypertragulus und Blastomeryx. Die Unpaarhbufer sind zwar noch nicht genauer beschrieben, doch sollen hier die Vorläufer der Pferde Anchitherium und Proto- hippus zusammen vorkommen, die in der alten Welt zeitlich scharf geschieden sind. Das erstere hat noch die niedrige Krone des Hyra- cotherium-Zahns; auch ragen die Kämme und Pfeiler der einzelnen Zähne noch weit über die Vertiefungen der Krone hinaus; bei Hippo- therium und Protohippus dagegen hat die Zahnkrone schon erheblich an Höhe gewonnen, die Wurzelbildung erfolgt sehr spät, die Zähne sind also prismatisch geworden; auch liegen alle Bestandteile der Krone — Kämme und Pfeiler — nahezu im gleichen Niveau. Die Seitenzehen sind bei Anchitherium noch ziemlich kräftig, berühren aber den Boden nicht mehr. Jene von Hippotherium und Protohippus sind schon sehr dünn geworden. Diese drei Gattungen stammen aus der obern Abteilung des John-Daybed, dem Ticholeptusbed. Das- selbe enthält von Huftieren außerdem auch einen Dicotyles und die Gattung Procamelus, die zwar noch mehr Zähne — Schneidezähne und Prämolaren — besitzt als Camelus selbst, von dem Genus Poebro- therium sich jedoeh durch die bereits erfolgte Verwachsung der mitt- Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. 594 lern Metapodien unterscheidet. Das eigentliche John Daybed zeichnet sich durch den Reichtum seiner Mikrofauna aus. Es entnält von Nagern Sciurus, Meniscomys, ferner Castor und Lepus und endlich drei etwas fremdartige Formen, Pacieulus, Entoptychus und Pleurolicus. Die beiden letztern stehen nach Cope den lebenden Saecomyden am nächsten, Pacieulus wird von diesem Autor mit Sigmodon und Neotoma — Muriden — verglichen. Auch an haubtierresten ist diese Ablagerung ziemlich reich. Es finden sich daselbst angebliche Amphi- cyon, der Oynodietis-ähnliche Temnocyon, also mit hundeähnlichem Gebiss und Viverren-ähnlichem Skelet, der mit Cynodon verwandte Galecynus, der in der Stammesgeschichte der Kaniden wohl eine wichtige Rolle spielen dürfte, ferner Enhydrocyon und Oligobunis, gänzlich erloschene Typen, der letztere wohl ein Nachkomme der im europäischen Tertiär so verbreiteten Cephalogalen, sodann die eigentümliche Gattung Hyaenocyon, vermutlich der Stammvater der Hyänen und die katzenähnlichen Gattungen Nimravus, Dinictis, Pogonodon und Hop/lophoneus. Höchst bemerkenswert ist die Fauna des John Daybed insofern, als dieselbe auch die ersten Reste von Mastodon, bekanntlich der Ahne der Elefanten, enthält. Die Fauna des nun folgenden Loup Forkbed zeigt gegenüber der eben besprochenen Ablagerung nur geringe Abweichungen. Die Kameliden sind repräsentiert durch Procamelus und Homocamelus, die Oreodontiden noch durch Merychyus und Meryeochoerus, die Hirsche durch Cervus (?), Cosoryx und einen angeblichen Dierocerus. Die Perissodactylen haben Vertreter in Aphelops — einem Rhinocerotiden und in Protohippus, Hlipparion, Merychippus und Parahippus — Equiden —. Von hkaubtieren sind zu nennen Canis, zum Teil wohl eher noch zu Amphicyon gehörig, und die katzenähn- lichen Pseudaelurus und Aelurodon, von Nagern Castor. Auch Mastodon-Reste sind aus dem Loup Forkbed bekannt. Marsh nennt aus diesem von ihm als Pliohippusbed bezeichnetem Horizonte auch Dos, Tapiravus und Morotherium, indess gehören diese Reste doch sicher einer jüngern Periode an. Die jüngste säugetierführende Abteilung des nordamerikanischen Tertiärs ist das Equusbed mit mehrern lebenden Nagergattungen, mit Auchenia, Bos, Cervus, Dicotyles, Canis latrans und mehrern Eguus- Arten. Von ausgestorbenen Tieren sind zu nennen Mammut, die riesigen Edentaten Mylodon und Megalonyx, das pferdeähnliche Hippidium — mit noch stärkern Griffelbeinen versehen als das Pferd — und der riesige biberartige Castoroides. Es zeigen diese verschiedenen aufeinanderfolgenden Faunen Nord- amerikas unter sich einen sehr innigen Zusammenhang, und die morphologisch an einander schließenden Glieder einer Stammesreihe lassen sich vielfach auch der Zeit nach in eine Reihe zusammenfassen, so z.B. die verschiedenen Pferde, die Rhinocerotiden, Bronto- 599 Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen, theriiden und die Kameliden. Daneben treten freilich in den einzelnen Schichten auch oft ganz neue Typen auf, die auch zum Teil nur ganz kurze Zeit sich forterhalten. Ueber die Herkunft solcher Formen bekommen wir in vielen Fällen Aufschlüsse, wenn wir die Faunen des europäischen Tertiärs betrachten. In Europa stellt sich erst gegen Ende des Eocäns, nach der Ab- lagerung jener marinen Schichten, welche sich durch das massenhafte Vorkommen der Nummuliten auszeichnen, ein größerer Reichtum an Landsäugetieren ein. Reste dieser Faunen liefern vor allem der Gyps von Montmartre bei Paris, die Lignite der Vaucluse, die Bohn- erze von Sigmaringen, von Egerkingen (Solothurn), und Mauremont (Waadt) und endlich das Headonbed von Hordwell und die Schichten von Bembridge (im südlichsten Teile von England). Es setzt sich die Tierwelt zusammen aus Affen — Adapis und Caenopithecus, gänz- lich erloschenen Typen der Pseudolemuriden und Oryptopithecus, der an die Hyopsodus erinnert, mehreren Üreodonten, Hyaenodon und Pferodon, beide etwa von Wolfsgröße — die erstere Gattung zeigt eine auffallende Streckung des letzten Backzahns, der übrigens gleich den vordern ohne Innenzacken ist; die letztere Gattung hat etwas kürzere, diekere aber gleichfalls sehr einfache Backzähne — Uynohyae- nodon und Proviverra mit Didelphys-ähnlichem Gebiss, einigen echten Karnivoren, verschiedenen Nagern und zahlreichen Paar- und Unpaarhufern. Die Nager weisen eine ziemlich ansehnliche Formenzahl auf; wir treffen die Gattung Plesiarctomys, ferner die eigentümlichen zwischen Eichhörnehen und den rezenten südameri- kanischen Stachelratten in der Mitte stehenden Seiuroides und Pseudosciurus sowie die artenreichen Gattungen Tiheridomys und Trecho- mys, beide wohl nahe verwandt mit dem letztgenannten lebenden Formenkreis. Ganz besonderes Interesse gewinnt diese Fauna jedoch wegen der Menge der vorhandenen Huftiere. Von Unpaarhufern finden wir noch Lophiodon, sodann die artenreichen Gattungen Palaeo- therium und Paloplotherium, die erstere mit plumpem kurzem tapir- ähnlichem Skelet, die letztere in dieser Beziehung sehr pferde- ähnlich, aber ebenfalls noch dreizehig und endlich die Anchilophus, Pachynolophus ete. und ein sogenanntes Anchitherium, welche wirklich als Angehörige des eigentlichen Pferdestammes anzusehen sind. Von Unpaarhufern treffen wir mehrere sch weineähnliche Formen, den Choeropotamus, das Acotherulum und den sogenannten Cebochoerus. Der erstere hat etwa die Größe eines Wildschweines. Die obern Backzähne tragen gleich denen der beiden andern Gattungen noch die für alle geologisch ältern Paarhufer so charakteristischen fünften Höcker, sind aber schon mit zahlreichen Nebenhöckern versehen, während die Zähne von Acotherulum und Cebochoerus sonst sehr einfachen Bau aufweisen. Acotherulum zeichnet sich durch die auffallende Verkür- zung des Schädels aus. Während Choeropotamus und Acotherulum Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. 5953 vollständig erloschen sind, spielte Cebochoerus in der Stammesgeschichte der Schweine eine hervorragende Rolle. Eine sehr große Bedeutung haben die Anoplotheriiden — Anoplotherium, Diplobume, Daery- therium — die fremdartigsten Formen, welche überhaupt aus dem europäischen Tertiär bekannt sind. Es vereinigen dieselben echte Paarhufermerkmale mit Fleischfressercharakteren. An die Fleisch- fresser erinnert das Aussehen der einzelnen Knochen, namentlich die Artikulation und Gestalt der Phalangen, mit den Huftieren stimmt jedoch das Gebiss und die Beschaffenheit der Fußwurzel. Auch die Zahl der Zehen, zwei große und eine kleine, seitlich abstehend, lässt sich noch eher mit Huftieren als mit Fleischfressern in Ein- klang bringen. Ganz auffallend ist die Länge und Stärke des Schwanzes und die Anwesenheit von Hämapophysen, die sonst bei Huftieren fehlen. Phylogenetisch wichtig ist die Gattung Dichobune, jeden- falls dem Ausgangspunkt der Hirsche noch sehr nahestehend, aber noch mit fünfhöckerigen Oberkiefermolaren versehen. Die Zehenzahl beträgt vier, doch sind die seitlichen Zehen schon stark reduziert; die für die Wiederkäuer so charakteristische Verschmelzung der beiden mittlern Mittelhand- und Mittelfußknochen und die Vereinigung ge- wisser Carpalien — Magnum und Trapezoid — und Tarsalien — Navi- eulare und Cuboid — hat hier noch nicht begonnen. Dies gilt auch für die gleichzeitig mit Diehobune auftretenden hochbeinigen, schlanken Gattungen Dichodon, Rhagatherium, Xiphodon und Xiphodontherium. Bei diesen ist die Zehenzahl bereits auf zwei zurückgegangen und die Zähne sind schon sehr hirschähnlich geworden. Trotzdem haben diese Formen für die eigentliche Stammesgeschichte der Paarhufer keine besondere Bedeutung. Sie sind vielmehr, ohne Nachkommen zu hinterlassen, völlig ausgestorben. Mit diesen Paarhufern erscheinen auch die Cänotherien, die bis ins Miocän hinaufreichen und sich durch ihren auffallenden Individuenreichtum auszeiehnen. Ihr Gebiss ist im ganzen Hirschähnlich, doch tragen die obern Molaren noch einen fünften Höcker in ihrer Hinterhälfte, und außerdem haben sich auch noch die obern Schneidezähne erhalten. Die Zehenzahl ist vier; die seitlichen Zehen sind sehr viel dünner und kürzer als die beiden mittlern. Verschmelzungen von Carpalien oder Tarsalien kommen ebenso wenig vor wie Vereinigung der mittlern Metapodien. Die Ulna erhält sich ihrer ganzen Länge nach, dagegen ist die Fibula bis auf einen distalen Rest verschwunden. Die größten Cänotherien hatten etwa die Größe einer Katze. Die kleinsten waren nicht größer als Eichhörnchen. Alle diese genannten alten Paarhufer haben weder Hörner noch Geweihe. Unsere Fauna enthält auch bereits echte Karnivoren, nämlich Cynodietis, welcher im Skeletbau an die Viverren erinnert, aber viel plumper ist als diese, im Zahnbau Jedoch mit den Hunden übereinstimmt. Auch Fledermäuse finden sich, nämlich Pseudorhinolophus, welehe Merkmale von Rhinolophus, NEE: 38 594 Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. Emballonura und Phyllorhina in sich vereinigt, ebenso ein Lemure, Necrolemur, der einerseits Beziehungen zu Stenops, anderseits zu Galago aufweist, aber gleichwohl einen vollständig erloschenen Typus dar- stellt. Höchstmerkwürdig ist das Vorkommen der Didelphys-ähnlichen Beuteltier-Gattung Peratherium. Als Nachkomme dieser Form könnte höchstens Phascologale in betracht kommen. Mit Ausnahme der Schweizer Bohnerze, welche, wie bereits er- wähnt, auch Glieder einer ältern Fauna enthalten, repräsentieren diese Ablagerungen offenbar einen ganz bestimmten geologischen Zeit- abschnitt. Anders verhält es sich mit den Phosphoriten des Querey, einer den Bohnerzen ganz ähnlichen Spaltausfüllung im Jurakalk des südlichen Frankreichs. Wir finden hier neben den soeben aufgezählten Formen auch solche, welche sonst nur aus entschieden jüngern Ab- lagerungen bekannt sind, und außerdem auch eine Anzahl Typen, die überhaupt an keiner andern Lokalität zum Vorschein gekommen sind. Die Artenzahl ist eine ganz erstaunliche, und diese Fauna lässt sich hierin weder mit einer andern fossilen Fauna noch mit der gegen- wärtigen Säugetierwelt irgend eines Landes vergleichen; dagegen bietet die Bestimmung der einzelnen Skeletteile ganz besondere Schwierig- keiten, indem hier die Kiefer, Knochen und Schädel der verschiedensten Säuger bunt durcheinander geworfen sind. Uebrigens sind alle diese Reste von einer ganz wunderbaren Erhaltung und unterscheiden sich in dieser Beziehung sehr vorteilhaft von den Reliquien aus dem Pariser Gyps und den Ligniten von Debruge, wo die einzelnen Skeletteile zwar sehr häufig noch ihre natürliche Lage bewahrt haben und in Zusam- menhang geblieben sind, durch Druck aber vielfache Brüche und Quetschungen erlitten haben. Einen großen Vorteil hat die Fauna der Phosphorite für sich gegenüber jener aus dem Pariser Gyps, den Ligniten von Debruge und den Bohnerzen, nämlich den Reichtum an kleinen Säugern, wie Insektivoren, Fledermäusen, Nagern und Beuteltieren. Während solche an den genannten Fundstellen bloß durch wenige Gattungen und auch diese wieder bloß durch ganz wenige Arten vertreten sind, finden wir hier eine große Anzahl Gat- tungen und auch oft von jeder dieser Gattungen wieder ein größere Anzahl Arten. Was zunächst die auf die Phosphorite beschränkten Formen anlangt, so sind hier zu nennen unter den Fledermäusen die Gattung Vesper- tiliavus, bemerkenswert insofern, als die vor dem Eekzahn befindliche Kieferpartie noch nicht jene Verkürzung erfahren hat, welche für die übrigen Fledermäuse charakteristisch ist. Dagegen ist das Extremi- täten-Skelet schon ganz wie bei diesen beschaffen, während bei dem Pseudorhinolophus aus Paris die Ulna noch ihrer ganzen Länge nach erhalten sein soll — die Arten aus dem Quercy stimmen jedoch mit den übrigen Chiropteren überein. — Von Insektivoren finden wir das maulwurfähnliche Amphidozotherium und den Neurogym- Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. 595 nurus, der wohl als Stammvater der Igel aufgefasst werden darf. Die Nager erscheinen hier in einer großen Manmnigfaltigkeit; wir bemerken außerdem auch in den Bohnerzen vorkommenden Seiu- roides auch echte Sciurus und den an den nordamerikanischen Menis- comys erinnernden Sciurodon, mehrere Arten von Thheridomys, Trecho- mys, den Protechimys und den Nesokerodon; der letztere ist wohl der Stammvater der Gattung /ssiodoromys und mithin mit Cavia verwandt, der erstere vermittelt den Uebergang von Theridomys zu Archaeomys, der sich aufs engste ‘an die noch jetzt in Südamerika lebende Chin- chilla anschließt; gleich Archaeomys geht auch Issiodoromys auf Theri- domys zurück. Die Mäuse sind repräsentiert durch den mit noch vier Zähnen versehenen Komys und die Gattung Oricetodon, die dann noch ins Miocän sich fortsetzt und wohl den Stammvater der Gattung Mus dar- stellt. Alle diese Fledermäuse, Inseetivoren und Nager zei- gen ein sehr altertümliches Gepräge, und es unterliegt daher kaum einem Zweifel, dass dieselben wohl zum größten Teil jenem Zeitraum angehören, welcher durch den Pariser Gyps repräsentiert wird. Das Gleiche gilt auch von den zahlreichen Arten der Beutlergattung Pera- therium, obwohl dieselbe sonst noch bis ins Mioeän sich fortsetzt. Sehr artenreich ist hier in Querey auch die Gattung Cynodietis. Neben dieser gibt es Amphieyon- Ähnliche Fleichfresser — Pseudamphieyon — und mehrere Arten von Cephalogale — doch wäre es nicht unmög- lich, dass die eine oder andere von ihnen wirklich schon dem Mioeän angehört, wo diese Gattung neben Amphicyon, dem Stammvater ‚der Bären, eine wichtige Rolle spielt. Die Cynodon der Phosphorite haben wohl ein etwas geringeres Alter als die dortigen Cynodietis und sind vermutlich mit den Arten aus Ronzon identisch. Das Näm- liche gilt auch für einen Teil der zahlreichen Hyaenodon, während ein anderer gleich den Pterodon dem Zeitalter des Pariser Gyps an- gehört. Daneben finden sich mehrere kleinere Creodonten, Thereu- therium und Cynohyaenodon, der letztere sehr nahe verwandt mit dem Stypolophus des nordamerikanischen Eocän und außerdem auch schon Viverren, diese freilieh noch mit sehr einfachen Zähnen versehen. In den Phosphoriten erscheinen auch zum ersten mal katzenartige haubtiere, Aeluroyale, doch tragen dieselben noch sehr altertümliche Merkmale an sich — kurze Mittelhand- und Mittelfußknochen und nicht selten auch hohe Zahnzahl. Daneben gibt es aber auch eine Art von Drepanodon, welche Gattung sich durch auffallende Reduk- tion des Gebisses auszeichnet und sonst nur im Miocän zu finden ist. Zahlreich vertreten sind Musteliden und Viverriden, indess stimmt keine der dortigen Arten mit solehen des Miocän, wo diese Familien bis jetzt zuerst nachgewiesen worden sind; sie zeigen im Gegenteil entschieden altertümliche Charaktere, so die Gattung Plesio- cyon, der Ausgangspunkt der Lutren und Foinen; die Zahnformel ist hier noch nicht so vereinfacht wie bei diesen, es hat sich vielmehr 38 07 596 Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. noch der dritte untere und der zweite obere Molar erhalten; diesen letztern Zahn treffen wir auch noch bei den Gattungen Amphictis und Plesictis, von welchen die eine den Ahnen der Lutren, die andere den Ahnen der Foinen und des amerikanischen Bassaris darstellt. Plesietis unterscheidet sich von Foina dadurch, dass der zweite untere Molar noch nicht so stark reduziert erscheint wie bei dieser, ebenso verhält sich die Gattung Palaeogale zu Putorius, die beide gleichfalls in direkten genetischen Beziehungen zu einander stehen. Plesictis und Palaeogale finden sich sonst auch im Oberoligocän von Ronzon und im Untermiocän, Amphietis nur im Untermiocän. Doch sind die in diesen Horizonten vorkommenden Arten der Gattungen Plesictis und Amphictis verschieden von jenen des Querey; bloß eine Art der Gattung Palaeogale kommt auch in Cournon — oberstes Oligocän — vor. Ganz besonderes Interesse verdienen die merkwürdigen Genera Stenoplesictis, Palaeoprionodon, Haplogale, Proailurus und Stenogale. Sie lassen sich fast ebenso gut als ursprünglichere Glieder der Pu- torius-heihe, wie als eigenartige differenzierte Viverren auffassen, d. h. als Zibethkatzen, deren Gebiss eine mehr oder minder ansehn- liche Reduktion der Molaren erfahren hat. Im Skelet gleichen sie fast ganz den Viverren, nur Stenogale zeigt einige Anklänge an die Marder. Wir haben es hier mit einem Formenkreis zu thun, der in der Gegenwart höchstens noch dureh den indischen Prionodon reprä- sentiert wird. Nach Filhol sollen diese Gattungen den Uebergang zwischen den Oynodictis und den Katzen vermitteln; dies ist jedoch wenig wahrscheinlich, da eine so weitgehende Umgestaltung unmög- lich sehr rasch erfolgen konnte, d. h. innerhalb des Zeitraums, welcher durch die Fauna der Phosphorite begrenzt erscheint; außerdem sprechen auch anatomische Gründe gegen diese Annahme. Bei allen diesen Formen ist nämlich der zweite untere Schneidezahn wie bei der Gattung Cynodictis und den Hunden, Mardern und Zibeth- katzen schon hinter den ersten und dritten gerückt, während die Schneidezähne bei den Katzen mit dem Kronenteil eine Reihe bil- den, ferner erscheint der vordere Teil des Unterkiefers nicht abge- stutzt wie bei den Katzen, sondern läuft spitz nach vorn zu, und außerdem sind auch hier die Schlüsselbeine ganz wie bei allen Hun- den, Mardern und Zibethkatzen verloren gegangen, während die Katzen noch deutliche Rudimente derselben aufzuweisen haben. Da aber die Nachkommen unmöglich in der einen oder andern Be- ziehung dem ursprünglichen Zustand näher stehen können, als ihre Ahnen, so wird die Filhol’sche Ansicht wenig haltbar erscheinen. Von Huftiereun kommen außer den schon bei der Fauna des Pariser Gyps aufgezählten Formen im Quercy noch vor Protapirus, ein Tapir mit noch ganz einfach gebauten Prämolaren, mehrere Arten von Aceratherium oder Rhinoceros, darunter eines nicht erößer als ein Schaf, ein zweites etwas kleiner als die lebenden Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. A ) fo} o° OT Arten, und zwei Species von gewöhnlicher Nashorngröße. Wahr- scheinlich gehören diese Reste schon dem Miocän an; sie sind über- dies auch nicht direkt mit den Ueberresten der in den Phosphoriten begrabenen alten Fauna vermengt, sondern selbst auf andere Lokali- täten beschränkt. Anders verhält es sich mit den Zähnen von Ca- durcotherium, von jenen des Rhinoceros durch die ganz merkwür- dige seitliche Zusammendrückung leicht zu unterscheiden. Die Prä- molaren haben hier noch ganz einfachen Bau, was durchaus für ein relativ hohes geologisches Alter spricht. Die Paarhufer sind außer den schon oben erwähnten Typen durch mehrere Arten der Gattungen Oaenotherium und Plesiomeryx, durch einige Gelocus, die ältesten Hirsche des europäischen Tertiär, ferner durch die gleichfalls hirsch- ähnlichen Gattungen Prodremotherium, Bachitherium, COryptomerys und Lophiomery&, durch echte Suiden — Palaeochoerus — und die eigentümlichen, in gewisser Hinsicht an den lebenden Hippopotamus erinnernden Genera Anthracotherium, Entelodon und Hyopotamus ver- treten, auch scheinen die Oreodontiden, die im Tertiär von Nord- amerika eine so hervorragende Rolle spielen, wenigstens durch eine sehr kleine Form, den Haplomeryx, angedeutet zu sein. Der Plesio- mery& ist dem Caenotherium sehr ähnlich, aber schlanker und hoch- beiniger als dieses, auch zeigt er die eigentümlich porzellanähnliche Knochenkonsistenz, die für die Wiederkäuer so charakteristisch ist. Auf @Gelocus komme ich im Folgenden zu sprechen. Prodremo- therium und Bachitherium erweisen sich sowohl hinsichtlich der weiter fortgeschrittenen Komplikation der Zähne als auch bezüglich der modernen Organisation ihrer Extremitäten als Zwischenglieder zwischen Gelocus und den Hirschen. Die ebenfalls nahestehenden Orypto- meryc und Lophiomery& zeichnen sich dadurch aus, dass der vordere Innenmond ihrer untern Molaren als {einfacher Kegel ent- wickelt erscheint, der auch außerdem sehr weit nach hinten ver- schoben ist. Mit der Fauna der Phosphorite und jener der Lignite der Vau- cluse haben die Reste aus dem „Calcaire de Lamandine“ in Süd- frankreich noch die meisten Beziehungen. Sie verteilen sich auf Hwyaenodon (sehr klein), einen Pterodon-ähnlichen Creodonten, auf zwei sehr altertümliche Schweine — ganz einfacher Bau der Backenzähne fast ohne alle Zwischenwarzen, und Fünfzahl der Höcker der obern Molaren — auf Dacerytherium, Dichodon, Dichobune und auf einen für die Stammesgeschichte der Wiederkäuer höchst wich- tigen, aber ganz kleinen Paarhufer, mit vierhöckerigen Oberkiefer- molaren — den Cebochoerus anceps —. Ferner kommen Hyraco- therium, Paloplotherium, Anchilophus Desmaresti und Palaeotherium dort vor. Die Reste der drei letztgenannten Tiere sind mindestens fünfmal so häufig als jene aller übrigen zusammen. Sie haben often- bar wie alle diese kleinern pferdeähnlichen Formen in Rudeln gelebt. 598 Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen, Zu den genannten Tieren gesellt sich noch ein großer Adapis und ein sehr problematischer Hystrix. Die Ulmer Bohnerze enthalten im Gegensatz zu den beiden eben besprochenen Ablagerungen eine Fauna, die offenbar einem einzigen und zwar einem ganz bestimmten Zeitraum angehört. Wahrscheinlich ist es ein zeitliches Aequivalent mit der gleich nachher zu besprechen- den Ablagerung von Ronzon, wenigstens lässt sich dies schließen aus dem Vorkommen von Cynodon und Amphicynodon und von @elocus. Am häufigsten sind dort die Reste von Diplobune, einem Anoplo- theriiden, jenem Formenkreis, welcher dem Gebiss nach zwar den Paarhufern angehört — aber auch da genau eine Zwischenstellung einnimmt zwischen Schweinen und Herbivoren — in der Form der einzelnen Knochen, namentlich der Phalangen und der Länge und Stärke des Schwanzes jedoch ganz auffallend an die Raubtiere erinnert. Sehr häufig ist auch Pseudosciurus suevicus, ein gänzlich erloschener Typus der Nager, im Skeletbau mit den lebenden Stachel- ratten, im Zahnbau mit den Eichhörnchen etwa noch vergleichbar. Das Nämliche gilt auch von dem ebenfalls in den Ulmer Bohnerzen vorkommenden Sciuroides. Das Oberoligocän von Ronzon (Haute-Loire) zeichnet sich vor allem aus durch das Auftreten der merkwürdigen Hyopotamen und des Entelodon. Die letztere Gattung besitzt noch ungemein einfache aus Höckern gebildete Molaren und einfache Prämolaren, die gleich den riesigen Schneide- und Eckzähnen am ehesten mit jenen der Carnivoren vergleichbar sind. Die Zehenzahl beträgt nur mehr zwei, während sonst alle höckerzähnigen omnivoren Paarhufer mit vier Zehen versehen sind. Entelodon kommt in der Größe dem Hippo- potamus ziemlich nahe und ist auch wohl auf den nämliehen Ur- sprung zurückzuführen wie dieses. Es gilt dies vermutlich auch von Hyopotamus und dem später zu besprechenden Anthracotherium. Hyo- potamus hat ebenfalls fünfhöckerige Oberkiefermolaren, doch haben sich hier die Höcker in eine Art Monde umgewandelt; die Prämolaren stehen weit auseinander und zeigen einen ziemlich einfachen Bau. Die Schädelkapsel ist auffallend klein und niedrig, die Gesichtspartie dagegen sehr langgestreckt. Die Prämolaren, Schneide- und Eck- zähne erinnern einigermaßen an jene der Kamele. Die Zehenzahl beträgt vier, die Seitenzehen sind noch sehr kräftig. Weder im Carpus noch im Tarsus sind Verschmelzungen benachbarter Knochen zu beobachten. Von Unpaarhufern wären zu nennen das rhinoceros- ähnliche, aber hornlose Ronzotherium und ein Paloplotherium, von Fleischfressern eine Art von Hyaenodon, die Gattungen Cynodon, (Amphicynodon) und Proplesictis. Cynmodon erinnert in seinem Gebisse stark an Canis, während seine Skeletteile noch einen primitivern — Viverren-artigen — Habitus zur Schau tragen — kurze Meta- podien, in Fünfzahl vorhanden und Epieondylar- Foramen am Hu- Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. 599 merus. — Proplesictis ist der Ahne der Foinen. Die Insektivoren sind vertreten durch den igelartigen Tetracus, die Nager durch Theri- domys, die Beutelratten durch Peratherium. Das allerwichtigste Glied der Fauna von Ronzon ist jedoch Gelocus, der Stammvater der Hirsche. Die Zähne sind hier schon ganz nach dem Hirschtypus gebaut. Die obern Molaren haben den fünften Höcker verloren, doch sind die aus diesen Höckern entstandenen Monde noch sehr diek. Die Extremi- täten vermitteln gradezu den Uebergang von den vierzehigen Dicho- bunen zu den echten Hirschen, indem die Metapodien der Seiten- zehen bereits dünner geworden sind und auch in der Mitte aufgelöst erscheinen. @elocus stellt demnach nicht bloß den Ahnen der tele- metakarpalen, sondern auch der plesiometakarpalen Hirsche dar). Gelocus zeigt auch bereits die bekannten Verschmelzungen im Carpus — Magnum und Trapezoid — und Tarsus — Cuboid und Navieulare. Die Fauna von Ronzon ist auch teilweise in England -— Hempstead — ermittelt worden. Während die einzelnen Ablagerungen des euro- päischen Tertiärs sonst wenig Anklänge hinsichtlich ihrer Faunen an die verschiedenen Abteilungen des nordamerikanischen Tertiärs er- kennen lassen, hat der Süßwasser-Kalk von Ronzon sogar sehr viele Gattungen mit dem nordamerikanischen White Riverbed gemein, näm- lich Hyaenodon, Entelodon, Hyopotamus und Cynodon. Mit der Fauna von Ronzon haben die Säugetiere aus den Süß- wassermergeln der Auvergne (Cournon) insofern eine gewisse Aehn- lichkeit, als sie ebenfalls noch einen ziemlich altertümlichen Charakter zur Schau tragen. Wir finden hier die letzten europäischen Hyaeno- don und Theridomys, ferner die noch sehr altertümlichen Gattungen Archaeomys und Issiodoromys, die Nachkommen der’ Gattungen Prote- chimys, beziehungsweise Nesokerodon aus den Phosphoriten. An diese letztere Ablagerung erinnert auch das Vorkommen einer noch ziemlich primitiven Musteliden-Art — Palaeogale sectoria — und von Lo- phiomeryx, die beide ausschließlich im Querey und in Cournon anzu- treffen sind. Außerdem kommen in Cournon vor der schweineähn- liche Palaeochoerus und der mausartige Cricetodon; diese letztern sind zwar auch in den Phosphoriten beobachtet, ihre Hauptverbreitung erreichen sie jedoch erst im Miocän. Die langlebigen Gattungen Caenotherium und Peratherium fehlen auch hier nicht. Sehr wichtig ist die Anwesenheit des vielverbreiteten Anthracotherium. Dasselbe fand sich zuerst in der Braunkohle von Cadibona in Piemont, dann aber auch in der Braunkohle der Rheinlande und in den Phosphoriten des Querey, außerdem auch im Elsass. Es steht dem Ausgangspunkte des Hippopotamus, Entelodon und Hyopotamus offenbar ziemlich nahe, wenigstens was das Skelet anlangt. Die Zahl der Zehen beträgt vier, 1) Telemetakarpal sind jene Hirsche, bei welchen auch der untere, distale Teil der Seitenzehen des Vorderfußes erhalten ist, plesiometa- karpal jene, welche nur den obern proximalen Teil dieser Seitenzehen tragen. 500 Schulz, Ueber Huminsubstanzen, die zwei äußern sind kürzer und schwächer als die mittlern; die Sehneide- und Eekzähne erinnern noch stark an jene der Raubtiere. Die Molaren des Oberkiefers bestehen noch aus fünf pyramidenartigen Höckern, die untern vereinigen Merkmale von Schwein und Hirsch. Die größere Art — A. magnum — dürfte die Dimensionen eines Rhi- noceros besessen haben. Dem Habitus nach hatte das Tier gewisse Aehnlichkeit mit einem Schwein. (Schluss folgt.) Ueber Huminsubstanzen. (Fortsetzung. Die von Mulder ausgesprochene Ansicht, das der Zersetzung stick- stoffhaltiger Substanzen entstammende Ammoniak mache die Humin- säure löslich und für die Pflanzen assimilierbar, begegnete in der Folge gewissen in der Pflanzenphysiologie herrschenden Mutmaßungen über die Quelle des von den Vegetabilien aufgenommenen Kohlenstoffs und ging in der umfassendern Hypothese auf, dass alle Alkalien und alka- lischen Erden des Bodens, insbesondere der Kalk, ebenso wirkten wie das Ammoniak. So glaubte man zu einer Erklärung gelangt zu sein, wo es überhaupt nichts zu erklären gab, zu einer Erklärung der Resorption des Kohlenstoffs aus der Ackererde. Die Hauptfrage: Woher entnehmen die Pflanzen ihren Nahrungskohlenstoff? schien keiner nähern Prüfung zu bedürfen; lehrten doch die Erfahrungen und Beobachtungen der Landwirte augenscheinlich, dass die meisten - Kulturgewächse ihren Kohlenstoffbedarf aus dem Kohlenstoffvorrat der Dammerde deckten. Oder wie sollte der unbestreitbare Einfluss des Humus auf die Fruchtbarkeit der Felder anders gedeutet werden? Wenn auf zwei Aeckern von gleichem Gehalt an den hauptsächlichsten mineralischen Nährstoffen die Ernte-Erträge um so mehr differierten, je größer der Unterschied in der Stärke der Mutterbodenschichten war, was lag da näher als die Annahme, dass die kohlenstoffreichen Huminsubstanzen das Gedeihen der Pflanzen bedingten, indem sie ihnen das Material zur Bildung von Cellulose, Stärke, Zucker u. ä. lieferten! Mit dieser Annahme war nur die Frage gestellt worden, auf welche Weise denn die Aufsaugung des Kohlenstoffs aus den schwer angreifbaren, unlöslichen Huminkörpern vor sich gehe. Die chemische Untersuchung klärte diesen Assimilationsprozess auf durch den Nachweis, dass die Huminsäure wasserlösliche Alkali-, Kalk- und Magnesiasalze bilde, und damit gewann die vorgefasste Meinung von der Bedeutung der Huminsubstanzen als Nahrungsmittel der Pflanzen einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit. Die völlige Haltlosigkeit dieser Ansicht ist von Liebig!) in seinen agrikultur-chemischen Arbeiten dargethan worden. Was zu- 4) Vergl. Liebig, Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur und Physiologie. Braunschw. 1865. I. 2, Seite 37 fg. und II. Seite 65 fg. Schulz, Ueber Huminsubstanzen. H01 nächst die Umwandlung der organischen Bestandteile der Dammerde in Elemente des Pflanzenleibes betrifft, so zeigt schon ein einfacher quantitativer Vergleich der in einer Feldfrucht enthaltenen Kohlen- stoffverbindungen mit den Huminsubstanzen des Ackers, auf welchem die Frucht gewachsen ist, dass die Vegetation weitaus mehr Kohlen- stoff produziert hat, als der Acker abgeben konnte. Wenn aus letz- terem überhaupt Kohlenstoff in die Pflanze überging, so kam dessen Quantität gegen die aus einer andern Quelle fließende Hauptmenge gar nicht in betracht. Selbst unter Voraussetzung der denkbar gün- stigsten Verhältnisse, bei humusreichstem Boden, bei gleichzeitigem Ueberschuss an humuslösenden Salzen und an Wasser war auch nicht annähernd eine Bilanz aufzufinden zwischen dem während des Wachstums der Pflanze möglicherweise gelösten Kohlenstoff und dem thatsächlich produzierten. Wurde schon mit diesen zahlenmäßig zu erhärtenden Thatsachen die Mulder’sche Theorie schlagend widerlegt, so sprach noch ein zweites Moment entscheidend gegen dieselbe. Kultivierter Acker wird durch fortlaufende Bestellung — ohne Zufuhr animalischen Düngers — an seinem Humusgehalt nieht allein nicht beraubt, sondern vielmehr angereichert. Bestände ein einfacher Kreislauf vom Kohlenstoff des Humus zum Kohlenstoff der Pflanze und von diesem direkt oder auf geringen Umwegen zu ersterem zurück, wie sollte es da einem ratio- nellen Ackerbau gelingen, ohne Hilfe fremden Kohlenstoffs auf rohem Boden eine Schicht von Dammerde zu schaffen. Schließlich erwies sich die Theorie Mulder’s auch in dem Punkte, welcher sie begreiflich und annehmbar gemacht hatte, in dem Löslich- werden der Huminsäure durch die anorganischen Basen als nicht zu- treffend. Die künstlich dargestellte oder aus Humus extrahierte Humin- säure liefert allerdings leicht lösliche Salze; dieselben verlieren aber, wenn nicht überschüssige Base vorhanden, ihre Löslichkeit, sobald man sie zur Trockne bringt oder sobald die Lösungen gefrieren. Beides geschieht mit den im Acker etwa sich. bildenden Lösungen der Huminsäure häufig genug, im Sommer das Eintrocknen, im Winter das Ausfrieren; die Salze der Säure werden hierdurch, da ein Ueber- schuss an Alkalien oder alkalischen Erden fast nie vorhanden ist, völlig unlöslich, und es kann daher nicht auffallen, wenn das Regenwasser nur Spuren von Huminsubstanzen aus dem Boden auszieht und wenn selbst stark kalkhaltiges Quellwasser, welches Wiesen- und Gartenerde durehtränkt, sich so selten durch gelöste Huminsäure färbt. So stellte sich bei eingehender Prüfung grade das Gegenteil von dem, was Mulder behauptet hatte, als richtig heraus: die Humin- substanzen gehen in der Form, wie sie sich an der Erdoberfläche vor- finden, gar nieht oder nur zu einem minimalen Teile in die Bildung der Pflanze ein, sie werden durch die Vegetation nieht aufgebraucht, vielmehr erfahren sie durch letztere beständig einen Zuwachs, da 602 Schulz, Ueber Huminsubstanzen. immer ein Teil des von der Pflanze assimilierten atmosphärischen Kohlenstoffs in Gestalt irgendwelcher Pflanzenreste im Boden verbleibt. Wenn nach alledem der Einfluss des Humus auf das Gedeihen der Pflanzen nicht in seiner Verwendung als Nährmaterial zu suchen war, so konnten seine Wirkungen nur aus seinen physikalischen Eigen- schaften erklärt werden. Diese letztern gipfeln in der Fähigkeit, in ungewöhnlichem Maße Flüssigkeiten und Gase zu absorbieren und aus Lösungen die gelösten festen Stoffe an sich zu reißen. In dieser Hinsicht gleichen die Huminsubstanzen, wie Liebig hervorgehoben hat, der Knochenkohle, ja sie sind derselben sogar überlegen; sie absorbieren nicht allein Gase (Ammoniak, Kohlensäure), organische Basen (stark riechende Fäulnisprodukte) und Farbstoffe, sie vermögen auch in hohem Grade sich mit anorganischen Salzen (Alkalien, Kalk, Phosphaten, Nitraten) zu beladen. Merkbare chemische Reaktionen vollziehen sich bei diesen Vorgängen niemals, die aufgenommenen Körper erleiden keine Veränderungen, sie werden nur durch die Attraktion der ausgedehnten Oberfläche zurückgehalten, sie werden „physikalisch gebunden“. Schwache chemische Verwandtschaften lösen diese Bin- dung; Wasser und Alkohol dagegen laugen die physikalisch gebun- denen Stoffe nicht aus. Je lockerer und poröser die Huminsubstanzen sind, um so größer ist ihr Absorptionsvermögen, ihre physikalische Bindekraft. Eine gewisse Menge von Alkali, Kalk oder Magnesia wird von der Huminsäure chemisch gebunden und nicht wieder abgegeben. Aber darüber hinaus fixiert die Säure ein größeres Quantum der ge- nannten Basen, welches sie allmählich an die wachsende Pflanze über- trägt, deren chemische Anziehungskräfte stark genug sind, um die physikalischen Bindungen der Huminsäure zu trennen. Es ist indess für die Betrachtung des Einflusses der Huminsubstanzen auf die Vegetation -bedeutungslos, die Huminsäure von den übrigen Bestand- teilen des Humus zu unterscheiden; chemische Differenzen — von denen wir übrigens im vorliegenden Fall sehr wenig wissen — modi- fizieren diesen Einfluss nicht. Als einheitliche Masse angesehen, erscheint der Humus vermöge seiner außerordentlichen Neigung, die Nahrungs- stoffe der Pflanzen in sich aufzuspeichern, als der wichtigste Faktor für den Anbau der Kulturgewächse. Dem Regenwasser entnimmt er Salpetersäure und Ammoniak; von den Produkten der Fäulnis und Verwesung hält er die gasförmigen, Kohlensäure und Ammoniak, zu- rück; aus dem Untergrund empfängt er alle darin enthaltenen Mine- ralien, soweit diese durch Verwitterung aufgeschlossen und durch die Beackerung an die Oberfläche gefördert sind; endlich saugt er die Feuchtigkeiten auf, die dem Acker auf welche Weise immer zufließen: so ist er für die junge Pflanze die selbstthätig sich füllende Vorrats- kammer, welche ihr alles liefert, dessen sie während des Wachstums bedarf. Schulz, Ueber Huminsubstanzen. 603 Zu einem sehr geringen Teile wirken auch Huminstoffe bei der Pflanzenernährung mit, sofern auch sie einer langsamen Verwesung unterliegen und schließlich in Kohlensäure, Ammoniak und Wasser zerfallen d. h. in Produkte, welche die Pflanze aufbraucht; aber die Verwesung des Humus schreitet so träge vor, dass die sich bildende Kohlensäure allein nur hinreichen würde, um den Keimlingen über die ersten Stadien der Entwicklung hinauszuhelfen. Nach den Forschungen Liebig’s bleiben über die Rolle, welche die Huminsubstanzen im Leben der Pflanze spielen, keine Zweifel übrig. Allein unsere chemische Kenntnis jener Stoffe, ihrer Entsteh- ung, Zusammensetzung u. 8. w. ist durch diese Forschungen nicht erweitert worden. Neben den allgemeinen und großen praktischen Zielen, die Liebig in der Agrikulturchemie verfolgte, traten die Einzel- untersuchungen, so wichtig sie für seine Theorien auch sein mochten, zurück. Die von ihm angegebenen Analysen von Huminsubstanzen sind aus Mulder’s Arbeiten entnommen. Nach Liebig hat sich die chemische Forschung mit dem hier besprochenen Gegenstande bis in das letzte Jahrzehnt hinein nicht mehr beschäftigt, was nur wundernehmen kann, wenn man vergisst, wie mühsam und unerfreulich Untersuchungen auf diesem Gebiete sind. Erst als in den siebziger Jahren die Zuckerchemie neue Im- pulse erhielt, begann sich das wissenschaftliche Interesse auch den Huminsubstanzen wieder zuzuwenden. Eine längere Reihe von Versuchen über die Umwandlung des Rohrzuckers in Huminstoffe hat Fausto Sestini!) angestellt und dabei Resultate erhalten, welche von denen Mulder’s nicht unwe- sentlich abweichen. Aus Rohrzucker entstehen beim Kochen mit ver- dünnter Schwefelsäure, so gibt Sestini an, neben Ameisensäure drei Huminkörper, die in kalter Kalilauge lösliche Sacculminsäure, die in heißer Kalilauge lösliche Saceulmigesäure und das in eben jenem Reagens unlösliche Saceulmin ; letzteres direkt aus dem Disaccharat, die Saeeulminsäure erst nach Spaltung des Zuckers aus Dextrose. Warum das Saceulmin als unmittelbares Produkt des Rohrzuckers selten muss, hat Sestini nicht hinlänglich begründet. Soviel wir wissen, wird Rohrzucker durch Säuren zunächst immer invertiert, und es ist nicht einzusehen, weshalb dies bei der Verarbeitung auf Hu- minstoffe nicht gleichermaßen geschehen sollte. Den Analysen zufolge ist das Saceulmin —= (,,H;,0,; und die Saceulminsäure —= C,H ,0:.- Mit Recht zweifelt Sestini die Richtigkeit der Mulder’schen Formeln an, da Mulder die zur Analyse verwendeten Präparate durch zu scharfes Trocknen sicherlich teilweise zersetzt hatte (vgl. S. 566). Unter der Voraussetzung, dass gewisse Bedingungen den glatten 1) Nobbe, Landwirtschaftl. Versuchsstationen Bd. 26, 27 u. 28; vergl. auch Berichte d. deutsch. chem. Gesellsch., XIX, 2344. 604 O. Zacharias, Apochromatische Objektive von Zeiß. Zerfall des Zuckers in Sacculmin, Ameisensäure und Wasser bewir- ken, müsste man diesen Prozess im Sinne der Gleichung 4 C.H350,1 — 4 CH,0, + 21 H,O 2 C,,H3s0,; verlaufend denken. Eine solche Annahme wäre berechtigt, wenn eine Beziehung zwischen der Quantität der Ameisensäure und derjenigen des Saceulmins bestände. Das ist aber, wie Conrad und Guth- zeit!) konstatiert haben, nicht der Fall. Nach den Genannten be- steht jedoch ein innerhalb enger Grenzen schwankendes Gewichts- verhältnis zwischen der Ameisensäure und der — von Tollens unter den Produkten der Zuckerzersetzung aufgefundenen — Levulinsäure (8- Acetopropionsäure — CH,.CO.CH,.CH,.COOH) derart, dass die Spaltung des Glucosemoleküls wahrscheinlich nach der Gleichung C;H,,0, = C;H;0, + CH,0, —+ H;0 erfolgt. Da sich nun irgend ein Zusammenhang dieser Säuren mit den gleichzeitig gebildeten Huminsubstanzen nicht erkennen lassen wollte, so sind Conrad und Guthzeit zu der Auffassung gelangt, dass bei der Zerlegung des Zuckers durch verdünnte Mineralsäuren zwei getrennte Reaktionen neben einander statthaben; ein Teil des Zuckers zerfalle in Wasser und Huminsubstanz, ein anderer in Wasser, Ameisensäure und Levulinsäure. Bei den Disaccharaten bewirke die Säure zunächst Inversion, alsdann die Umwandlung der Komponenten, von denen Levulose mehr Huminsubstanz liefere als Dextrose; kon- zentriertere Säure erhöhe die Ausbeute an Huminstoffen, ebenso sei Salzsäure in dieser Beziehung günstiger als Schwefelsäure. Von ihren zahlreichen Analysen der Huminsubstanzen aus Dex- trose, Levulose, Rohrzucker, Galactose und andern Zuckerarten haben Conrad und Guthzeit eine chemische Formel nicht hergeleitet, auch haben sie eine Trennung der Produkte in säureähnliche und in in- differente Verbindungen nicht durchgeführt. Der Kohlenstoffgehalt der analysierten Körper liegt zwischen 62,3 und 66,5 °/,, der Wasser- stoffgehalt zwischen 3,7 und 4,6 ],. Oskar Schulz (Erlangen). (Fortsetzung folgt.) Ueber die neuen (apochromatischen) Objektive von Zeiß. Von Dr. Otto Zacharias. Wie schon einmal (1878) durch die volle Ausbildung des Systems der homogenen Immersion, so hat die rühmlichst bekannte Firma C. Zeiß in Jena auch neuerdings wieder das optische Instrumentarium 1) Berichte d. deutsch. chem. Gesellsch. XVII. 439 u. 2905; XIX. 2569 u. 2847. O. Zacharias, Apochromatische Objektive von Zeiß. 605 des mikroskopierenden Biologen mit einer Novität bereichert, deren man künftighin bei feinern histologischen Untersuchungen schwerlich mehr wird entraten können. Es sind dies lichtstarke, äußerst sorg- fältig — nach Prof. E. Abbe’s Angaben — konstruierte Objektive, welche ihrer erhöhten Achromasie wegen kurzerhand als „Apo- ehromate“ bezeichnet werden. Die Anfertigung dieser neuen Linsen- systeme ließ sich erst vor einigen Jahren realisieren, nachdem An- läufe dazu schon vor mehr als einem Dezennium in der genannten optischen Werkstatt gemacht worden waren. Die Verzögerung er- klärt sich aus dem Umstande, dass der neue Gedanke nicht ohne Mitwirkung der Glastechnik verwirklicht werden konnte, insofern diese letztere erst ein geeignetes Rohmaterial herstellen musste, welches den theoretisch formulierten Bedingungen vollständig ent- sprach. Endlich gelang es, unter Anwendung von Phosphor- und Borsäure (neben der früher allein benutzten Kieselsäure), solche Glas- flüsse, welche die Bedürfnisse der praktischen Optik erfüllten, fabrik- mäßig zu beschaffen. Zu diesem Behufe ist in Jena selbst von seiten der Firma €. Zeiß ein großes glastechnisches Laboratorium errichtet worden, welches unter Leitung des Herrn Dr. Schott steht. In dieser Anstalt werden alle Arten von Glas, welche in der Optik Verwendung finden können, in vorzüglicher Güte und Gleichmäligkeit produziert. Der Bezug der verschiedenen Sorten ist jedem deutschen oder ausländischen Optiker gestattet, wie denn überhaupt alle Neue- rungen der Firma ©. Zeiß auf dem Boden unbeschränkter Konkurrenz stehen. Ich gedenke im Nachstehenden zunächst das Prinzip, auf welchem die Konstruktion der Apochromate beruht, kurz darzulegen, und dann die Erfahrungen mitzuteilen, welehe ich seit nunmehr sechs Mona- ten in der mikroskopischen Praxis mit den neuen Objektiven ge- macht habe. Inbetreff des ersten Punktes stütze ich mich erklärlicherweise auf die kompetenten Darlegungen Prof. Abbe’s selbst!), und unternehme es nur, die Quintessenz davon einem weitern Kreise zu übermitteln. Bei Abschätzung der Leistungsfähigkeit jener Neuerung hingegen lasse ich lediglich das eigne Urteil sprechen, wie ich es mir beim fast täglichen Arbeiten mit den neuen Systemen allmählich gebildet habe Ich hoffe durch diese Mitteilungen zahlreichen Interessenten, welche bisher keine Gelegenheit zu eigner Prüfung hatten, einen kleinen Dienst zu erweisen. Die Herstellung vollständig achromatischer Objektive scheiterte früher stets an der starken Disproportionalität der Farbenzerstreuung, 1) Vergl. E. Abbe, Ueber Verbesserungen .des Mikroskops mit Hilfe neuer Arten optischen Glases. Sitzungsber. der medizin -naturw. Gesellschaft zu Jena. 1886. 605 O0, Zacharias, Apochromatische Objektive von Zeiß. welche dem gewöhnlichen Crown- und Flintglas eigentümlich ist. Es gelang niemals, das sogenannte „sekundäre Spektrum“ zu beseitigen, dessen Erscheinen ursächlich dadurch bedingt wird, dass unter ge- wöhnlichen Verhältnissen nicht mehr als zwei verschiedene Farben des Spektrums zur Vereinigung gebracht werden können. Ebenso wenig reüssierte man bei dem Bestreben, die sehr störende sphärische Aberration für mehr als eine Farbe aufzuheben, sodass alle Linsen- systeme bisher mit dem Fehler behaftet blieben, eine mehr oder minder starke Ungleichheit der chromatischen Korrektion zwischen der mittlern und der Randzone des Sehfeldes aufzuweisen. Beide Mängel kombi- nierten sich zu dem Uebelstande, dass man bei Objektiven von be- trächtlicher Apertur bloß schwächere Okulare anwenden konnte, weil jene Korrektionsfehler natürlich um so auffälliger hervortreten müssen, je stärker sie mitvergrößert werden. Aus letzterem Grunde war man bisher immer darauf bedacht, die Vergrößerung durch Objektive von sehr kurzer Brennweite zu bewerkstelligen, mit welchen man dann schwache ÖOkulare verband, um eine möglichst befriedigende Bild- schärfe zu erzielen. Durch die neuen Errungenschaften der Glastechnik ist man jedoch nun im stande, Urown- und Flintglas zu erzeugen, bei welchem die Farbenzerstreuung in den verschiedenen Regionen des Spektrums ein annähernd konstantes Verhältnis zeigt, wodurch also das sekundäre Spektrum fast ganz beseitigt wird. Außerdem ist es jetzt möglich, die Reihe der optisch verwendbaren Glasarten in der Art zu erweitern, dass bei gleichem mittlerem Brechungsindex die Farbenzerstreuung, oder bei gleicher Farbenzerstreuung (Dispersion) der Brechungs- index in erheblichem Spielraum verschieden erhalten werden kann. Von hauptsächlicher Wichtigkeit ist aber der Umstand, dass die che- mische Konstitution der neuen Glassorten es gestattet, hohe Werte des Brechungsindex nicht nur in Verbindung mit hoher Dispersion (in Flintglas), sondern auch mit geringern Graden der Dispersion (in Crownglas) zu erhalten. Bei der ausschließlichen Verwendung von Silikaten zur Glasfabrikation war dieses Resultat überhaupt nicht zu gewinnen. Eine zweckmäßige Benützung der neuen Glasflüsse, welche mit Hilfe der Phosphorsäure und Borsäure hergestellt werden, hat es nun ermöglicht, die eingangs hervorgehobenen Mängel der bisherigen Ob- jektive zu annullieren und Linsensysteme zu konstruieren, durch welche das zusammengesetzte Mikroskop in seiner Leistungsfähigkeit hochgradig vervollkommnet wird. Es ist dies ein neues glänzendes Ergebnis des gedeihlichen Zusammenwirkens von Theorie und Praxis, wie es im Geschäftsbetrieb der Firma €. Zeiß von jeher üblich ge- wesen, besonders aber. durch Prof. Abbe’s wertvolle Mitarbeiter- schaft für alle andern optischen Institute vorbildlich geworden ist. Was die neuen Objektive bei der ersten Probe kennzeichnet, das O. Zacharias, Apochromatische Objektive von Zeiß. 607 ist die große Helligkeit und Farbenreinheit des von ihnen erzeugten mikroskopischen Bildes. Bei eingehenderer Prüfung tritt aber an ihnen die weit wichtigere Eigenschaft hervor, dass sie — dank der fast vollständigen Beseitigung jener Fehler, welche in dem dioptrischen Verhalten verschiedenfarbiger Strahlen wurzeln — die Objekte weit getreuer abbilden, als dies bei den alten Konstruktionen möglich war. Die durch ein gutes Apochromat erzielte Bildschärfe — beispielsweise diejenige von karyokinetischen Figuren — ist eine so staunenswert vorzügliche, dass einem das Weiterarbeiten mit einem Systeme, welches diesen Adel der Vollendung nicht besitzt, von Stund’ an schwer an- kommt. Dieses Urteil mag etwas superlativisch klingen, aber es gibt doch lediglich den Sachverhalt wieder, wie er jederzeit an ge- eigneten Testobjekten konstatiert werden kann. Ich habe mich dieser neuen Linsen vorwiegend bei einer Revision meiner Untersuchungen über die Mitose des Eies von Ascaris megalo- cephala bedient, und muss sagen, dass sie für solche und ähnlich penible Arbeiten schwerlich mehr zu entbehren sein werden. Ein nicht hoch genug anzuschlagender Vorteil dieser Objektive ist übrigens auch der, dass sie die Anwendung sehr kräf- tiger Okulare gestatten. Dem zufolge leistet jetzt ein System von 2,5 bis 3 mm Brennweite (unter Zuhilfenahme stärkerer Okular- linsen) dasselbe wie ein Objektiv von viel kürzerer Brennweite, so dass, um beispielsweise eine Gesamtvergrößerung von 1200 zu erreichen, keine stärkere Objektivvergrößerung als SO—100 erforderlich ist. Das übrige leisten die Okulare. Ueber die Preise der neuen Systeme (die allerdings ziemlich hoch sind) gibt der 1887 erschienene Katalog der Zeiß’schen Werkstätte Auskunft. Es werden gegenwärtig 6 Trockensysteme, 1 Wasser- Immersion und 3 homogene Immersionen für wissenschaftliche Zwecke (als Apochromate) hergestellt. Der nachstehende Satz von Objek- tiven, der mir zu meinen Arbeiten verfügbar ist, besteht aus einem Trockensysteme von 16 mm Brennweite (0,50 Apertur), einem zweiten Systeme der gleichen Art von 4 mm Brennweite (0,95 Apertur) und einer homogenen Immersion von 2 mm Brennweite (1,30 Apertur). Der Preis dieser 3 Objektive beträgt 680 Mark. Davon ist das an zweiter Stelle genannte mit Korrektionsfassung versehen, weil bei demselben die volle Leistung nur bei richtig bemessener Deck- glasdicke eintreten kann. Dagegen werden die homogenen Immer- sionen nur in fester Fassung geliefert. Sie entfalten ihre beste Wir- kung bei einer Deckglasdieke von 0,16 mm: doch kann man bei Ab- weichungen von diesem Mittelwerte die erwünschte Bildschärfe leicht durch Verkürzung oder Verlängerung des Tubus erzielen, jenachdem dickere oder dünnere Deckgläser (als 0,16 mm) zur Benutzung ge- langen. Zu den Apochromaten werden nun aber auch besondere Okulare 608 0. Zacharias, Apochromatische Objektive von Zeiß. konstruiert, welche einen weitern Vorteil für die Beobachtung ge- währen. Bei allen Objektiven von beträchtlicher Apertur (bei denen die Frontlinse nicht für sich achromatisch gemacht werden kann) ist bekanntlich stets noch eine merkliche Farbenabweichung außerhalb der Mitte des Sehfeldes vorhanden, so dass am Rande des letztern deutliche Farbensäume auftreten. Dieser Mangel lässt sich auch bei den apochromatischen Systemen nicht ganz beseitigen. Aber da in diesem letztern Falle der Grad der Abweichung für alle Teile der Objektivöffnung annähernd gleich ist, so wird hier eine Korrektion durch die Okulare möglich. Konstruiert man nämlich dieselben so, dass sie in einem bestimmten Grade unachromatisch sind, so kann man selbst für große Aperturen eine Kompensationswirkung herbei- führen, welche im ganzen Umfange des Sehfeldes farbenreine Bilder zu produzieren gestattet!). Die betreffenden Okulare bezeichnet man aus diesem Grunde als Kompensationsokulare. Es ist ausdrück- lich zu bemerken, dass die Anwendung der Camera lucida kein Hindernis bei Anwendung derselben findet. Dass — um dies schließlich noch in Erwähnung zu bringen — auch die Mikrophotographie durch die Apochromate zu bessern Leistungen befähigt wird, liegt auf der Hand, und darüber gibt der mit zahlreichen Probe- Abbildungen versehene Spezial-Katolog?) der Firma Zeiß (1888) überzeugenden Ausweis. Es sind zu photographi- schen Zwecken neuerdings auch sphärisch und chromatisch genau korrigierte Linsensysteme in der Zeiß’schen Werkstätte hergestellt worden, welche unter den Namen von Projektions-Okularen in den Katalogen aufgeführt sind. Betreffs dieser Neuerung stehen mir keine eignen Erfahrungen zugebote. Namhafte Sachverständige auf dem Gebiete der Mikrophotographie haben indess bereits das günstigste Urteil über diese Okulare gefällt. Die auf Tafel V des zitierten Katalogs vorgeführten Photogramme von Pleurosigma angulatum sind in der That — wie jedermann zugeben wird — von vorzüglicher Treue und Schärfe, so dass man hiervon auf die Leistungsfähigkeit 2) Katalog über Apparate für Mikrophotographie. 528. Text u. 15 Tafeln. in fol. 1888. Die Fortsetzung des Auszuges aus dem Vortrage von Dr. Me Kendrick über „Die Blutgase“ befindet sich in nächster Nummer. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je N Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. VII. Band. 15. Dezember 1888. Nr. 20. Inhalt: Schlosser, Ueber die Beziehungen der ausgestorbenen Säugetierfaunen und ihr Verhältnis zur Säugetierfauna der Gegenwart. (Schluss.) — ©. Schulz, Ueber Huminsubstanzen. (Drittes Stück und Schluss.) — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: Kais. Akademie der Wissenschaften zu Wien. — K. k. zoolog.-botan. Gesellschaft zu Wien. Ueber die Beziehungen der ausgestorbenen Säugetierfaunen und ihr Verhältnis zur Säugetierfauna der Gegenwart. Von Max Schlosser. (Schluss.) Das eigentliche Untermiocän beginnt in Europa mit dem In- dusienkalk von St. Gerand-le-Puy (Allier) und dem Landschnecken- kalk von Weißenau bei Mainz und Eckingen und Eselsberg bei Ulm. Die alten Formen, die sich durch das ganze ältere Tertiär hindurch- ziehen, sind hier bis auf ganz wenige Typen, nämlich Caenotherium und Peratherium und einen Theridomys-ähnlichen Nager vollständig verschwunden. Dafür gewinnt die Tierwelt einen sehr modernen Charakter, indem von nun an in Europa fast nur noch solche Formen- kreise vorkommen, die noch jetzt der alten Welt eigentümlich sind oder doch der arktischen Fauna angehören. Es wurzeln dieselben zwar zum überwiegenden Teil in Formen der Fauna der Phosphorite des Querey und zum geringen Teil auch in der Fauna von Ronzon, sie gewinnen aber jetzt eine solche Gestalt, dass an ihrer direkten Verwandtschaft mit unserer lebenden Tierwelt nicht zu zweifeln ist. Freilich bestehen auch mannigfache Anklänge an die Fauna des heu- tigen Nordamerika, doch handelt es sich hier nur um solche Typen, die nicht eigentlich als Bürger der neuen Welt anzusehen sind, son- dern vielmehr um solehe Formen, welche erst während der Diluvial- zeit von Asien aus dorthin gewandert sind. Affen fehlen im Unter- miocän gänzlich. Von Insektivoren sind zu nennen Soriciden, Talpa, mehrere eigenartig differenzierte und daher gänzlich ausge- storbene Igel — Dimylus und Cordylodon, der erstere mit stark redu- zierter Zahnzahl, der letztere mit bohnenförmig gestalteten Molaren; VIII, 9 610 Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfannen. von Nagern finden sich der letzte Theridomys, Cricetodon, Seiurus, Myoxus und die zum ersten mal erscheinenden Biber (Steneofiber) und Haselmäuse — Titanomys —. Die Creodonten sind schon gänz- lich verschwunden. Raubtiere sind sehr zahlreich, doch fehlen die früher in Europa vorhandenen Hunde und Katzen vollständig — die Stellung des Proazilurus halte ich für ganz unsicher —; um so zahlreicher sind bärenartige Fleischfresser — Amphicyon — Marder, Fischotter und Zibethkatzen. Die letztern sind durch Herpestes vertreten, die Marder durch Plesictis, den Vorläufer von Foina und Palaeogale, den Ahnen von Putorius. Beide fossile Formen unterscheiden sich von ihren Nachkommen dadurch, dass der letzte Molar des Unterkiefers die ursprüngliche Zusammensetzung noch viel deutlicher erkennen lässt und auch noch zwei Wurzeln besitzt; Ple- sictis hat sogar noch einen zweiten Molaren im Oberkiefer. Dazu kommt noch Amphietis, der Ahne von Lutra, die übrigens selbst durch eine sehr ähnliche Gattung, Potamotherium, ersetzt wird. Diese Gattung ist jedoch kaum der direkte Stammvater unserer Fischotter, indem das Skelet bereits eine noch größere Spezialisierung erkennen lässt. Der Oberkiefer hatte auch hier noch einen zweiten Molaren. Die Bären besitzen Vertreter in den Amphieyon, welche in dieser Periode einen ziemlichen Artenreiehtum entfalten. Hinsichtlich der Größe stehen sie freilich weit zurück gegen ihre Nachkommen, sie nähern sich vielmehr Hunden von mittlerer Größe. An die Hunde erinnert auch ihr Gebiss und die Länge des Schwanzes, die Extremi- täten und der Schädelbau weisen jedoch mit aller Entschiedenheit auf die Verwandtschaft mit den Bären hin. Uebrigens. zeigte auch das Gebiss bereits den Anfang der für diese Raubtiergruppe so charakteristischen Reduktion der Prämolaren, deren eingespartes Material zur Verstärkung der hintern Backenzähne verwendet wird. Als Vertreter der Unpaarhufer haben wir zu nennen Adceratherium, einen Rhinoeerotiden, und Protapirus, einen Tapiriden. Beide unterscheiden sieh von ihren lebenden Verwandten durch den noch einfachern Bau der Prämolaren, Aceratherium von Rhinoceros außerdem auch durch die Vierzahl der Finger. Hiezu gesellt sich ein kleines Chalicotherium, eine Gattung, die im Zahnbau an die schon genannten Brontotherien des nordamerikanischen Tertiärs erinnert. In Europa erreicht sie ihre Blüte erst im Obermioeän und Pliocän. Pferde fehlen im Untermiocän gänzlich, dagegen entwickeln die Paarhufer, wenigstens die Selenodonten, einen sehr bedeutenden Formenreichtum. Sie sind hier repräsentiert durch die artenreiche Gattung Palaeomeryx, die sowohl im Zahnbau als im Skelet sich als Zwischenglied zwischen @elocus, Bachiterium und Prodremotherium einerseits und den Hirschen und Antilopen anderseits erweist. Die Verschmelzung der Metapodien und die Verbindung gewisser Carpalien und Tarsalien ist hier schon eben so vollständig wie bei Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. 611 allen lebenden Ruminantiern, dagegen ist die Hand- und Fuß- wurzel noch sehr viel höher wie bei diesen. Geweihe fehlen noch vollständig, dafür zeichnen sich die obern Eckzähne durch ihre Stärke und ihre dolchartige Form aus, was auch noch für die geweihlosen Hirsche der Jetztzeit gilt. Die Unterkiefermolaren besitzen einen für diese Gattung überaus charakteristischen Wulst hinter dem ersten Außenhöcker. Die größten Palaeomeryx des Untermioeäns kommen etwa dem Reh gleich. Die kleinsten sind nicht größer als der lebende Kanchil. Die schon in den Phosphoriten und in Cournon beobachteten Palaeochoerus fehlen auch hier nicht; neben ihnen existiert noch eine zweite Suidenform, Hyotherium Meissneri, die den Uebergang zu den echten Schweinen vermittelt. Die Fauna des Obermiocäns erweist sich als direkte Fortsetzung der eben geschilderten Tierwelt. Die Palaeomeryx zeigen noch immer eine beträchtliche Mannigfaltigkeit; nur erreichen sie hier zum Teil viel ansehnlichere Dimensionen. Es gibt solche von der Größe des Edelhirsches und selbst von den Dimensionen des Elentiers — P. eminens —, doch fehlen auch kleine Arten keineswegs. Die kleinste, der Micromeryx flourensianus, ist nicht größer als der lebende Kanchil. Zwei Palaeomeryc haben auch bereits Geweihe erhalten; dasselbe besteht indess nur aus einer von der Mitte an ge- gabelten Stange und wurde bei dem einen, dem P. furcatus, wohl auch niemals abgeworfen. Der zweite, der Dicrocerus elegans, stimmt hierin schon ganz mit den echten Hirschen überein, auch kommt zuweilen schon die Bildung von Nebensprossen zu stande. Außer Palaeomeryxz gab es zu dieser Zeit auch schon Vertreter der Gattung Cervus selbst, nämlich den Cervus lunatus und ©. haplodon; dieselben sind auf sehr wenige Lokalitäten beschränkt. Endlich lebte damals auch schon die Gattung Ayaemoschus, der vierzehige geweihlose Hirsch Westafrikas, und zwar war dieselbe durch zwei Arten ver- treten, von denen die eine eine sehr große Verbreitung besaß. Im Öbermiocän treffen wir auch die erste Antilope, die Gazella recti- cornis. In direktem genetischem Verhältnis stehen wohl die Ayo- therium- Arten des Obermiocäns mit denen des Untermiocäns. Das eine von ihnen, das A. medium, ist von dem H. Meissneri kaum zu unterscheiden, das andere FH. Sömmeringi schließt sich schon fast mehr den echten Schweinen an. Auch ein solches kommt im Ober- miocän vor, der Sus belsiacus. Daneben gibt es auch noch Suiden mit sehr einfach gebauten Zähnen, den Cebochoerus swillus und den Choeromorus simplex. Ein höchst eigentümlicher Zweig des Suiden- stammes ist Listriodon; die Höcker der einzelnen Backzähne suchen hier sich untereinander zu vereinigen, wodurch die Zähne ein ähn- liches Aussehen erhalten wie jene der Tapire. Listriodon besitzt auch riesige Hauer. Solche sind auch bereits bei Hyotherium Söm- meringi? ziemlich gut entwickelt. Die Unpaarhufer sind hier etwas IE 612 Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. formenreicher als im Untermiocän. Wir nennen vor allem das weit verbreitete Anchitherium, einen Vertreter der Pferde. Derselbe schließt sich zwar im Zahnbau noch ganz an die Pferde der ältern Tertiär- zeit an, die Fortschritte bestehen eigentlich nur in der Komplikation der Prämolaren, sein Extremitätenskelet ist jedoch schon sehr pferde- ähnlich geworden, indem die Seitenzehen sich bereits beträchtlich verkürzt und verschmälert haben. Die Chalicotherien und Tapire haben ebenfalls Repräsentanten im Obermiocän. Die Prämolaren dieses Tapirs sind schon ganz molarähnlich geworden. Das Chalico- therium unterscheidet sich von der untermiocänen Art durch seine viel ansehnlichern Dimensionen; es kommt hierin etwa einem Rhi- noceros gleich. Die Rhinocerotiden sind nicht bloß durch Aceratherium, sondern auch bereits durch die Gattung Rhinoceros selbst vertreten. Die Nager schließen sich sehr enge an die Typen des Unter- miocäns an; es wären hievon zu nennen zwei biberartige Formen — Chalicomys —, Sciuriden, Myoxus, Cricetodon; diese bereits mehr Mus-ähnlich als die untermiocänen Arten — und zwei Lago- myiden, Myolagus Meyeri und Lagomys öningensis. Von Inseetivoren finden wir Igel-, Spitzmaus- und Maul- wurfarten und den weitverbreiteten Parasorex socialis, der einerseits zu Oladobates, anderseits zu Rhynchocyon gewisse Beziehungen hat, aber jedenfalls einen vollkommen erloschenen Seitenzweig darstellt. Raubtierreste sind in obermiocänen Ablagerungen ziemlich selten, verteilen sich aber auf fast sämtliche Familien dieser Ordnung. Wir kennen aus dem Obermiocän verschiedene Katzen, einen Herpestes, eine Viverra, einen Hund — Galecynus — eine Lutra und echte Foinen. Daneben haben sich jedoch auch noch Palaeogale und Stenogale ähnliche Marder erhalten und eine sonst nicht beobachtete Form — Pseudietis —, die sich von Palaeogale durch den Besitz eines Innenzackens am untern ersten Molaren auszeichnet. Spezielles In- teresse verdienen die Gattungen Trochictis, Trochotherium und Hyaen- arctos. Die erste vermittelt den Uebergang von den Mardern zu den Dachsen; Trochotherium ist eine ausgestorbene Nebenlinie der Dachse, ausgezeichnet durch die bohnenförmige Gestalt der hintern Backzähne, was offenbar auf omnivore Lebensweise schließen lässt. Hyaenarctos ist das Bindeglied zwischen den echten Bären und der Gattung Amphicyon. Auch diese letztere selbst fehlt keineswegs im Obermioeän; die hier vorkommenden Arten haben durchwegs sehr ansehnliche Größe, eine hat sogar riesige Dimensionen. Hyaenarctos zeigt bereits Verbreiterung und Streckung der Molaren, womit jedoch die Abstumpfung und ein Niedererwerden der Zacken und Höcker und das Auftreten von Sekundärhöckern Hand in Hand geht. Die Obermioeänfauna verdient indess nicht bloß wegen der bisher be- sprochenen Formen besonderes Interesse, sondern vielmehr deshalb, weil jetzt zum ersten mal Proboseidier und Anthropomorphen Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen, 15 8 8 auftreten. Die erstern sind repräsentiert durch Mastodon, die letztern durch Drryopithecus, vielleicht der Stammvater von Orang und Chim- panse, und durch den Hylobates-ähnlichen Pliopithecus. Mastodon stimmt im Skeletbau nahezu vollständig mit Elephas überein, die Schädelkapsel ist jedoch noch nicht so stark gewölbt und die Ge- sichtspartie noch nicht so stark verkürzt wie bei diesem, was als inferiores Merkmal betrachtet werden darf. Die Zähne bestehen aus ganz wenig Jochen, die ihrerseits wieder aus Höckern gebildet er- scheinen und mit einer dieken Schmelzschicht überzogen sind. Aus solchen Zähnen hat sich der Elephantenzahn entwickelt, indem am Hinterrande immer neue Joche hinzukamen, womit zugleich eine Ver- schmälerung und Erhöhung der bereits vorhandenen verbunden war; auch wurde die Wurzelbildung immer weiter hinausgeschoben, bis es zuletzt zur Bildung prismatischer, wurzelloser Zähne kam. Öbermiocänablagerungen sind in Mitteleuropa sehr zahlreich. In Deutschland kennen wir solche von Georgensgmünd, Günzburg in Bayern, Steinheim in Württemberg, Oeningen in Baden; in Oesterreich ist Obermioeän repräsentiert durch den Leithakalk des Wienerbeckens und die steyrischen Braunkohlen. Auch die Braunkohlen der Nord- schweiz — Elgg und Käpfnach — gehören diesem Horizonte an, des- gleichen gewisse Molassensandsteine, die auch noch ins Algäu herüber- reichen, und in der bayrisch-schwäbischen Hochebene wohl durch den Dinotherium-Sand vertreten werden, der freilich nur sehr selten Reste von Landsäugetieren einschließt. In Frankreich zählen zum Ober- miocän vor allem die Sande des Orl&anais, der Süßwasserkalk von Sansan (Dep. Gers) und die Sande von Grive St. Alban bei Lyon !). So groß auch im ganzen der Formenreichtum dieser Fauna ist, so sind doch nur wenige der genannten Ablagerungen durch eine größere Zahl von Säugetierarten ausgezeichnet. Es kommen vielmehr von französischen Lokalitäten nur die beiden letztern in betracht. In Deutschland zählen eigentlich nur Georgensgmünd, Günzburg und Steinheim. Die reichste Fauna findet sich in den steyrischen Braun- kohlen. Selbst an den letztgenannten reichern Fundorten ist der Charakter der Tierwelt keineswegs der nämliche. Es gibt nur wenige Arten, vor allem Mastodon ungustidens, Hyotherium Sömmeringi, An- chitherium aurelianense, Hyaemoschus crassus und Dicrocerus elegans, die so ziemlich an allen diesen Lokalitäten angetroffen werden. Es sind diese lokalen Verschiedenheiten wohl kaum durch zeitliche Dif- ferenzen zu erklären, also dadurch dass die betreffenden Ablagerungen der Zeit nach auf einander folgen und nicht etwa ein und demselben Zeitabsehnitt angehören; wir werden diese örtlichen Schwankungen französischen Schweiz — la Chaux des Fonds — wurden Reste von obermio- cänen Säugetieren gefunden. 614 Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen, Verschiedenheit im Landschaftscharakter zurückzuführen. Wo das pferdeähnliche Anchitherium vorherrscht, dürfen wir mit ziemlicher Berechtigung auf das Vorhandensein von trockenen Steppen schließen, wo hingegen Hirsche und Schweine in größerer Anzahl auftreten, Anchitherium aber ziemlich selten ist, wird wohl zu jener Zeit ein sumpfiger Urwald von tropischem Charakter gestanden haben. Einige der hier beim Obermiocän angeführten Ablagerungen enthalten die Reste des merkwürdigen Dinotherium bavaricum, eines Probo- seidiers, der im Gebiss noch viel ursprünglichere Verhältnisse zeigt, als das oben genannte Mastodon angustidens, insofern die Zahl der Zähne, die neben einander auftreten, der normalen Zahl der Placen- talierzähne noch viel näher kommt und dieselben auch einen viel einfachern Bau aufweisen als jene des Mastodon. Sie bestehen mit Ausnahme des mittlern bloß aus je zwei Jochen, haben eine sehr dicke Schmelzschicht, niedere Krone und lange kräftige Wurzeln. Auf die terrestrischen Obermiocänbildungen folgen in Deutsch- land, Oesterreich und Frankreich, sofern die geologische Schichten- reihe nicht überhaupt unterbrochen ist, Ablagerungen marinen Ur- sprungs. Nur in Italien existiert an der Grenze von Miocän und Pliocän eine Süßwasserbildung, die Lignite des Monte Bamboli. Die- selben enthalten Reste eines großen Affen, des Oreopithecus, der sich vermutlich als der Stammvater des @elada herausstellen wird, we- nigstens verhält er sich im Zahnbau zu diesem ebenso wie Hyotherium zu Sus, d. h. seine Zähne sind noch relativ kürzer, namentlich gilt dies von dem letzten Molaren, und haben erst später eine Streckung erfahren. Außerdem finden sich am Monte Bamboli noch Zutra Cam- pani, am nächsten verwandt mit der lebenden Zutra inunguis und den Lutren des indischen Tertiärs, und ein Hyaenarctos von mittlerer Größe. Ungefähr gleichzeitig sind vermutlich die Säugetierreste aus der Cerdagne in den Pyrenäen. Es werden von dort genannt Sus, Hip- parion, Castor, ein angeblicher Amphicyon und Ietitherium — eine Viverre —. Die nächste Säugetierfauna gehört bereits dem Pliocän an. Sie setzt sich zusammen aus Formen von vorwiegend afrikanischem Charakter. Die Affen sind vertreten durch Mesopithecus, der so- wohl zu Macacus als auch zu I/nuus vielfache Beziehungen aufweist. Eine Mikrofauna fehlt nahezu vollständig, was jedenfalls darin seinen Grund hat, dass diese Ablagerungen aus fließendem Wasser abgesetzt worden sind, wobei freilich die zerbrechliehen Knöchelchen der klei- nern Säugetiere zu grunde gehen mussten. Sehr zahlreich sind hier die Raubtiere, unter welchen wiederum die Katzen und Hyänen vorherrschen. Die letztern treten hier überhaupt zum ersten mal in Europa auf. Eine Gattung, Hyaenictis, verdient deshalb besonderes Interesse, weil sie noch einen Molaren mehr besitzt als das Genus Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. 615 Hyaena, was uns zu dem Schluss berechtigt, dass auch die Hyänen erst allmählich jene auffallende Reduktion der Zahnzahl erlitten haben und ursprünglich gleich den übrigen Raubtieren mit mehrern Molaren versehen waren. Unter den Katzen ist vor allem zu nennen die Gattung Machairodus, ausgezeichnet durch die riesige Entwick- lung des obern Eckzahnes. Die Bären sind durch Hyaenarctos ver- treten. Die Cephalogalen des Untermiocäns haben einen Repräsen- tanuten in Simocyon, der jedoch im Gegensatz zu diesen nur mehr zwei untere Molaren besitzt; auch die Prämolaren haben eine be- deutende Reduktion erlitten, die Gesichtspartie hat sich stark ver- kürzt. Die Viverren fehlen auch hier nicht, doch gibt es von dieser Gruppe hier bloß eine einzige Gattung, das Ietitherium; dieses Tier besitzt nur mehr vier Zehen am Hinterfuß. Eine Art erreicht be- trächtliche Dimensionen; es ist dies das Ictitherium robustum. Von Musteliden sind zu nennen Martes Penteliei, Promephitis Lapteti, ein ausgestorbener Seitenzweig der Mephitis-Reihe und der Meles palae- atticus, dessen Gebiss den Uebergang vermittelt zwischen dem ober- miocänen Trochictis und dem lebenden Dachse. Die Nager sind repräsentiert durch eine Hystrix- Art und einen kleinen Muriden, Acomys. — Einen ungemein großen Individuenreichtum entwickeln die pferde- ähnlichen Hipparion. Das Gebiss unterscheidet sich nur durch geringe Abweichungen von dem des Pferdes, die Seitenzehen tragen jedoch noch Phalangen, während sie beim Pferd bloß mehr durch ziemlich kurze phalangenlose Griffel angedeutet erscheinen. Die Chalico- therien haben hier ihren größten Repräsentanten hinterlassen. Dieser dürfte den amerikanischen Brontotherien, oder doch we- nigstens dem Diplacodon hierin nur wenig nachstehen. Während aber diese letztern vier Prämolaren besitzen, die noch dazu die Gestalt von Molaren angenommen haben, sind hier deren nur drei vorhanden, doch zeigen sie noch einen sehr viel einfachern Bau als die Molaren. Es ist eine auffallende Erscheinung, dass in Europa noch niemals Knochen gefunden worden sind, die auf Chalicotherium bezogen wer- den könnten, während anderseits die Gattungen Macrotherium und Ancylotherium, die immer mit demselben zusammen vorkommen, aus- schließlich durch Extremitätenknochen vertreten sind. Es liegt daher die Vermutung nahe, dass wir es hier wirklich mit dem Skelet des Chalicotherium zu thun haben. Freilich besteht hinwiederum das Bedenken, dass die Zähne des Chalicotherium ganz. entschieden auf eine gewisse Verwandtschaft mit den Brontotherien hinweisen, über deren Perissodactylen-Natur nicht der geringste Zweifel bestehen kann. Die Phalangen des Macrotherium und Ancylotherium dagegen besitzen eine so eigentümliche Gestalt, dass man sie unwillkürlich mit solehen von Edentaten vergleichen muss. Sollte sich die Zu- sammengehörigkeit jener Kiefer und Knochen dennoch zweifellos 616 Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. ergeben, so hätten wir Chalicotherium gleichwohl als einen Perisso- dactylen zu betrachten, dessen Extremitäten freilich eine Differen- zierung im Sinne gewisser Edentaten erlangt haben. Außer Hip- parion und Chalicotherium enthält das Unterpliocän von Unpaarhufern noch zwei oder mehrere Rhinoceroten, von denen einer sich enger an dieindischen, ein anderer mehr dem afrikanischen Nashorn anschließt. Die Paarhufer entfalten auch hier wenigstens lokal einen ge- waltigen Formenreichtum. Die Omnivoren sind freilich der Artenzahl nach sehr spärlich vertreten, um so erstaunlicher ist dafür die Masse der Selenodonten. Die Reihe derselben eröffnen die Antilopen mit den Gattungen Palaeoreas, Palaeoryx, Tragocerus, Gazella, Anti- dorcas, Palaeotragus, Protragelaphus, unter welchen wiederum Tra- gocerus amaltheus und Gazella brevicornis den größten Individuen- reichtum und die weiteste Verbreitung erreichen. Eine Form, das Helladotherium, gehört einem sonst nur aus Indien bekannten gänzlich erloschenen Formenkreis an, der sich durch die riesigen Dimensionen auszeichnet und am ehesten noch mit den Giraffen eine nähere Verwandtschaft aufzuweisen hat. Das europäische Helladotherium hatte keine knöchernen Hornzapfen, während solche bei den indischen Formen angetroffen werden und den Tieren ein abenteuerliches Aus- sehen verleihen. Im Pliocän finden sich auch die einzigen fossilen Giraffen. Hirsche sind ziemlich selten. Die wenigen bekannten Formen lassen sich noch am ehesten mit dem Reh vergleichen. Eiu Schwein, Sus erymanthius, zeichnet sich durch gewaltige Größe aus. Von Proboscidiern sind zu nennen Mastodon longirostris (Pente- liei), dessen Molaren schon ein resp. zwei Joche mehr tragen als jene des zeitlich ältern angustidens, und das Dinotherium giganteum. Plioeänbildungen sind entwickelt in Spanien — Coneud —, im östlichen Frankreich — bei Lyon und in der Vaucluse —, in Deutschland bei Eppelsheim (Worms) und in Schwaben — hier als Bobnerze von Heudorf und Mößkirsch, in Oesterreich — Wiener Becken, in Ungarn — Baltavar, und endlich in Griechenland — Pikermi. Außerhalb Europa hat die persische Lokalität Maragha ganz die gleichen Tier- reste geliefert. Die Häufigkeit der Ueberreste und der Artenreichtum ist bei den einzelnen Lokalitäten sehr schwankend, am schönsten und mannigfaltigsten ist unbedingt die Tierwelt von Pikermi. Eppels- heim und die schwäbischen Bohnerze enthalten außer echten Pikermi- Formen auch Knochen und Zähne von obermiocänen und selbst von noch ältern Formen. Wir werden indess kaum fehlgreifen, wenn wir annehmen, dass diese ältern Reste in bereits fossilisiertem Zustande aus ächten Miocän beziehungsweise noch ältern Schichten ausgewaschen und dann zur Plioeänzeit zusammen mit echt pliocänen Resten wieder abgelagert worden sind. Das Plioeän lieferte außer der eben geschilderten Fauna noch zwei zeitlich und morphologisch jüngere, die sich wohl zum Teil Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen, 617 direkt aus der ersten entwickelt haben. Die ältere der beiden Formen liegt begraben in den Meeressanden von Montpellier und Perpignan und im Crag von Suffolk in England. Sie setzt sich zusammen aus Affen, den lebenden Gattungen Semnopithcus und Macacus an- gehörig, einer Zibethkatze -- Viverra Pepratxi, Macheirodus, einer kleinen Felis, Hyaena, einer Lutra, einem Hyaenarctos, dann Mastodon arvernensis, zwei Tapiren, Rhinoceros leptorhinus, Sus, Pulaeoryx, einer Antilope, Cervus und einem Hipparion mit plumpen Extremitäten. Mehrere dieser Arten kommen auch in den jüngern und an Säugetierresten viel reichern Schichten des Val d’Arno und den Tuffen der Auvergne vor. Es sind dies der Machairodus, die Hyäne, der Hirsch, Ss und der Tapir. Diese jüngere Fauna enthält außerdem einen Affen, der dem Genus Inuus sehr nahe steht, mehrere Katzen und Fischotter. Hier erscheinen auch die ersten echten Bären und Hunde. An Stelle des Aöpparion tritt nunmehr das echte Pferd. Unter den Wiederkäuern bemerken wir neben einer Menge Hirsche teils vom Capreolus — teils vom Elaphus — teils vom Azis- und Polycladus-Typus und ganz wenigen Antilopen auch die ersten Rinder Europas — den Leptobos Strozzi. Ein großer Eber fehlt auch hier nicht, ebenso wenig ein Tapir und ein Rhi- noceros. Das wichtigste Glied dieser Fauna ist jedoch zweifellos der weit verbreitete Mastodon arvernensis. Mit Beginn des Pleistocäns gibt es in Europa fast nur mehr solche Arten, welche noch jetzt unsern Kontinent oder die benach- barten Teile Asiens und Afrikas bewohnen. Es stammen dieselben zweifellos von Gliedern der Pliocänfauna ab; eine Anzahl Formen freilich muss wohl aus Asien in unsern Erdteil gelangt sein. Ein geringer Bruchteil, wie Moschusochse, Grizzlybär, kanadi- scher Hirsch und Rentier ist offenbar amerikanischen Ursprungs. Die ältere oder praeglaciale Fauna weist noch einige Arten auf, die ein wärmeres Klima voraussetzen, als wir gegenwärtig in Europa haben. Solche Formen sind Hippopotamus, Höhlenlöwe, Hyäne, die Affen und Gazellen und wohl auch Elephas antiguus und Rhi- noceros Mercki. Mit Beginn der Vergletscherung haben sich dieselben nach Süden zurückgezogen, dafür erscheinen Mammut, Rhinoceros tichorhinus und Höhlenbär nebst den vorhin erwähnten arktischen Säugern. Nebın ihnen finden wir jedoch so ziemlich alle noch jetzt bei uns einheimischen Arten. Später verschwinden der Höhlenbär nebst Rhinoceros und Mammut; die Fauna weist eine Zusammen- setzung auf, welche auf Vorhandensein trockener Steppengebiete schließen lässt; endlich ziehen sich auch jene Steppenbewohner nach Asien und dem südlichen Russland zurück, um der Waldfauna Platz zu machen, die eigentlich nichts anderes ist als unsere gegenwärtige europische Säugetierwelt. Die wenigen großen Raubtiere — Luchs, Wolf und Bär und jene gewaltigen Wiederkäuer, Eleh und Ur, 618 Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. die wir noch zu unsern jetzigen Arten hinzuzuzählen haben, um ein Bild jener Fauna zu bekommen, sind ausschließlich durch die Thätig- keit des Menschen aus unsern Gebieten vertrieben oder ganz aus- gerottet werden. Ehe ich nun auf einen nähern Vergleich zwischen der Tierwelt Amerikas mit der Tierwelt Europas eingehe, möchte ieh noch kurz einen Blick werfen auf einige außereuropäische Säugetier-Faunen, von denen wenigstens eine für unsere jetzige Tierwelt größere Bedeutung besitzt. Eine sehr reiche Säugetierfauna liegt in den Siwalik-Hügeln, am Südabhang des Himalaya begraben. Dass dieselbe nicht einen einheitlichen Zeitabschnitt repräsentiert, ist wohl sicher, allein eine scharfe Trennung ist bis jetzt nieht möglich. Wir können nur eine ältere Fauna unterscheiden, angedeutet durch Anthracotherium und Merycopotamus, den Nachkommen des Hyopotamus und eine sehr viel zahlreichere jüngere, die wohl noch einmal eine weitere Gliederung hinsiehtlieh ihres Alters erfahren wird. Sie setzt sieh zusammen aus mehrern Affen, darunter ein Troglodytes und ein Orang, nebst Semmopithecus und Oynocephalus, vielen Feliden — unter ihnen auch Machairodus — Hyänen, Viverren, Lutren, Mellivora, Amphyeion, Hyaenurctos, Ursus, Canis, Hystrieiden und Muriniformen, Ithinoceros, Aceratherium, Chalieotherium, Hipparion und Pferd, zahlreichen Elefanten, Mastodon und einem Dinotherium, vielen Antilopen, mehrern Boviden, Hirschen, Giraffen, Schwei- nen, Hippopotamus, Kamel, Helladotherium , Sivatherium, Brahma- therium etc. Diese letztern sind große Ruminantier, die eine eigne Gruppe für sich bilden und Merkmale von Hirschen und Antilopen an sich tragen. Es nähert sich diese Fauna ihrem Charakter nach der Fauna von Pikermi, doch muss es unentschieden bleiben, ob diese letztere der Ausgangspunkt für jene indischen Formen war, oder ob sie sich aus jener entwickelt hat, oder ob beide auf den gleichen Ursprung zurückzuführen sind und sonach einander parallel laufen. Mag nun aber das eine oder das andere der Fall sein, sicher hat diese Jüngere indische Säugetierwelt sowohl für die europäische Pleisto- cänfauna als auch für die jetzige asiatische und afrikanische Fauna eine ganz außerordentliche Bedeutung. Fast alle diese jüngern Tiere lasven sich auf Arten der Siwalikfauna oder auf verwandte Formen des europäischen Pliocäns zurückführen. Aehnliche aber freilich sehr viel dürftigere Reste kennt man auch aus China. Gewissermaßen als Fortsetzung der Siwalikfauna erscheinen die Säugetiere der Karnul- Höhlen in Madras: die Mehrzahl der dortigen Arten lebt freilich noch heutzutage in Indien. Daneben finden sich aber auch einige gänzlich ausgestorbene Typen und, was überaus bemerkenswert erscheint, auch verschiedene Formen, deren nächste Verwandte jetzt in Afrika zu hause sind. Es sind dies Cynocephalus, Hyaena erocuta, Equus asinus und der afrikanische Manıs. Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. 619 In Maragha in Persien wurde in den letzten Jahren eine ziem- lich reiche Säugetierfauna gefunden. Eine Besprechung desselben ist indess gänzlich überflüssig, denn es sind nahezu die gleichen Arten wie jene von Pikermi in Griechenland. Einen ansehnlichen Reichtum an ausgestorbenen Tieren weist Süd- amerika auf. Ihre Reste stammen teils aus vulkanischen Tuffen von Ekuador, teils aus brasilianischen Höhlen, teils aus der Pampas- formation der La Plata-Staaten. In den brasilianischen Höhlen finden sich zumeist nur solche Arten, welche noch heutzutage die dortige Gegend bewohnen. Die Tuffe von Ekuador enthalten Pferd, Protauchenia, zwischen der lebenden Auchenia und der Leptauchenia des nordamerikani- schen Tertiärs in der Mitte stehend, einen Mastodon, Cervus und Machairodus, letzterer identisch mit einer Pampasform. Sehr viel beträchtlicher ist die Zahl der Gattungen und Arten, welche in den La Plata- Staaten begraben liegen. Dass dieselben wenigstens zwei der Zeit nach verschiedenen Ablagerungen angehören, scheint ziemlich sicher zu sein; doch ist ihr Alter in keinem Fall ein sehr hohes, da auch die anscheinend ältere Fauna mit der jüngern sehr große Aehn- lichkeit erkennen lässt, diese letztere aber wenigstens zum Teil noch Zeitgenosse des Menschen war. Eine genaue Beschreibung dieser interessanten Reste ist zur Zeit noch nicht vorhanden, nur einige wenige Gattungen hatten sich bis jetzt einer eingehendern Bearbei- tung zu erfreuen. Von Huftieren sind genauer bekannt das pferde- ähnliche, für die Stammesgeschichte dieser Familie freilich bedeutungs- lose Hippidium, Macrauchenia, ein dreizehiger Perissodaetyl mit zahl- reichen prismatischen Zähnen und ziemlich primitivem Skeletbau, viel- leicht ein Abkömmling der obengenannten Condylarthren-Gattung Meniscotherium, die Genera Toxodon und Typotherium und eine seiner Stellung nach sehr problematische, früher als Anoplotherium be- zeichnete Form, die indess sicher nicht das Geringste mit den echten Anoplotherien zu schaffen hat. Toxodon und Typotherium haben beide primatische, seitlich stark komprimierte Zähne; während aber bei dem letztern die wenigen noch vorhandene Inzisiven eine ganz ähn- liche Ausbildung zeigen wie bei den Nagern, besitzt Toxodon noch die normale Zahl der Eck- und Sehneidezähne, nur gehen sie ganz allmählich ıhrer Form naeh in die Prämolaren und Molaren über. Im Skelet finden wir sowohl Merkmale von Unpaarhufern, als auch solche von Nagern und wohl auch von Condylarthren; der Schädel von Toxodon soll sogar Anklänge an die Sirenen zeigen, der von T'ypotherium lässt sich wohl noch am ehesten mit jenem mancher Nager vergleichen. Zu diesen Tieren kommt noch ein Machairodus, Smilodon und das bärenähnliche Arctotherium, und ferner jene riesigen faultierähnlichen Edentaten, welche zuerst die Aufmerksamkeit der Paläontologen auf jene Ablagerungen gelenkt haben. Ein Teil 620 Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. dieser Tiere, nämlich die ungepanzerten Megatherien, wie Scelido- therium, Coelodon, haben auch Vertreter im Plioeän und Pleistoeän von Nordamerika in den Gattungen Morotherium und Megalonyx, ja die Gattung Mylodon kommt auch wirklich in Nordamerika vor; die gepanzerten Formen, Chlamydotherium, Panochthus, Doedicurus, Hoplo- phorus ete. sind dagegen auf Südamerika beschränkt. Nur die Gat- tung @/yptodon hat noch eiren Repräsentanten in Mexiko. Den Aus- gangspunkt aller dieser Formen haben wir jedoch gleichwohl in Nord- amerika zu suchen, wenigstens kennt man aus dem Mioceän von Kansas Reste eines solchen gepanzerten Edentaten, der jedoch insofern noch ein primitiveres Verhalten zeigt, als die polygonalen, meist sechs- eckigen Panzerplatten hier noch nieht unmittelbar aneinanderstoßen. An eine Verwandtschaft mit den Gürteltieren ist bei allen diesen Formen nicht zu denken; es stellen dieselben vielmehr unzweifelhaft nur gepanzerte Megatherien dar. Außer den genannten Typen, von denen auch zumeist das ganze Skelet bekannt ist, gibt es in der Pampasformation jedoch noch eine Menge zum Teil höchst merkwürdige Säuger. Unter diesen spielen wiederum insbesondere die Nagetiere eine wichtige Rolle, und zwar nicht bloß hinsichtlich ihres Formen- reichtums, sondern vielmehr insofern, als sie zum Teil ganz gewaltige Dimensionen aufweisen. In ihrem Charakter schließen sie sich jedoch offenbar schon sehr innig an die lebenden südamerikanischen Gat- tungen und Arten an. In Mexiko fanden sich zwei Horizonte mit Säugetierresten; der ältere entspricht dem schon genannten Loupforkbed von Nordamerika und enthält Procamelus, Aphelops, Hippotherium (Hipparion), Proto- hippus, Mastodon und Dicotyles; der jüngere Bos, Kameliden — Holo- meniscus und Eschatius — Platygonus, Mastodon, Elephas primigenius, Equus und G/yptodon. Säugetierreste kennt man endlich auch aus Florida und den Antillen. Sie schließen sich der Fauna des Equusbed sehr enge an und verteilen sieh auch schon auf viele rezente Arten, die noch jetzt Nordamerika bewohnen. Besonderes Interesse verdient allenfalls eine ausgestorbene Nagerform von gewaltigen Dimensionen, Amblyrhiza, deren Zähne an die lebenden Chinchilla erinnern. Nachdem ich es nun versucht habe, in Kürze die wichtigsten fossilen Formen zu schildern und ihre geographische Verbreitung anzugeben, komme ich zum zweiten Teile meiner Aufgabe, nämlich der Feststellung der wechselseitigen Beziehungen dieser Faunen und des Anteiles, welchen sie an der heutigen Tierwelt haben, und zwar sowohl in stammesgeschichtlicher, als auch in zoogeographischer Be- ziehung. Wie die obigen Ausführungen zeigen, hat fast jeder der wichtigern Säugetierstiämme bereits in relativ sehr alten Ablagerungen deutliche Repräsentanten aufzuweisen. Auch ist die Ableitung der lebenden Formen von den fossilen in sehr vielen Fällen eine höchst unge- Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. 621 zwungene. Was die Formen des ältern europäischen Tertiärs betrifft, so ist ein Teil derselben, freilich in stark veränderter Gestalt bis in die Gegenwart in Europa oder doch in der alten Welt verblieben, ein anderer Teil ist nach Amerika ausgewandert, ein dritter endlich gänz- lich erloschen und durch neue, vermutlich aus Amerika gekommene Typen ersetzt worden. Zu den gänzlich erloschenen Formen der europäischen Tertiär- zeit rechne ich die Adapiden, fast alle dortigen Creodonten, dieHaplogalen, Palaeoprionodon, Stenogalen etc. und Drepanodon und verschiedene andere Carnivoren, deren Gebiss schon frühzeitig auffallende Reduktion erlitten hat, ohne dass die bleibenden Zähne eine nennenswerte Verstärkung aufzuweiseu hätten, so die Pseudam- phicyon, ferner einige Insektivoren — Dimylus und Cordylodon. Ganz besonders groß ist die Zahl der erloschenen Huftiertypen. Von Paarhufern sind hier zu nennen die Anoplotheriiden, Anthra- eotheriiden und Xiphodontiden und Caenotheriiden, von den Unpaarhufern haben die Palaeotherien, Paloplotherien und Lophiodonten mit Beginn der Mioeänzeit gänzlich aufgehört, während sich die ebengenannten Cänotherien hier noch eine Zeit lang forterhielten und dann zusammen mit dem letzten europäischen Beuteltier, der Gattung Peratherium verschwanden. Als gänzlich aus- gestorbene Nagertypen sind Pseudosciurus und Seiuroides zu betrachten, höchstens könnte die lebende Gattung Anomalurus mit dem letzt- genannten Genus in Beziehung stehen. Was den Formenaustausch mit Amerika anlangt, so hat ein solcher zweifellos mehrmals stattgefunden. Die ersten Einwanderungen amerikanischer Formen fallen bereits in die erste Zeit des Tertiärs. Die damals in Europa auftretenden Affen, Halbaffen, Creodon- ten, Carnivoren, Unpaarhufer und Paarhufer gehen wohl insgesamt auf Formen zurück, die ursprünglich im westlichen Nord- amerika gelebt haben; ob die Nager, Insektivoren und Fleder- mäuse, die in Europa schon ziemlich bald eine nicht unansehnliche volle spielen, ebenfalls von dort gekommen sind, lässt sich zwar nicht genauer ermitteln, da solche Reste im ältern Tertiär von Nord- amerika sehr spärlich sind, ist aber an sich nicht unwahrscheinlich. Der ersten Einwanderung verdankt unser Kontinent die Fauna von Reims, einer zweiten die Unpaarhufer, Ureodonten und Cory- phodon des Londonien, einer dritten die Fauna des Pariser Gyps ete. einer vierten endlich gewisse Formen des Ronzonkalk — Entelodon und Hyopotamus, wenigstens sind diese beiden Gattungen von keinerlei Typen des ältern europäischen Tertiärs abzuleiten. Während aber das Verhältnis der beiden ersten Faunen zu amerikanischen Tertiärfaunen ein sehr inniges ist, indem die nämlichen oder doch sehr nahestehende Gattungen sich in beiden Kontinenten finden, ist die Aehnlichkeit der Fauna des Pariser Gyps mit dem amerikanischen Tertiär eine überaus 22 Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. geringe. Es hat offenbar den Anschein, als ob in den erstern Fällen die Wanderung in sehr kurzer Zeit erfolgt wäre, so dass für wesent- liche morphologische Aenderungen keine Frist gegeben war, während im letztern Fall die Formen, nachdem sie Amerika verlassen hatten, auf ihrem Weg nach Europa so bedeutende Verzögerung erfahren haben, dass auch inzwischen ihre Organisation eine wesentlich andere geworden ist wie die ihrer nordamerikanischen Ahnen. So haben die Paarhufer wohl zweifellos als Periptychiden, mithin im Condy- larthren-Stadium Amerika verlassen, auf ihrem Wege aber sich sehr lange aufgehalten, so dass sie als echte Artiodactylen in Europa eintrafen — nur die von Rütimeyer beschriebenen Formen aus den Schweizer Bohnerzen sind noch in einen etwas primitivern Zustand in Europa angelangt. Man könnte freilich auch allenfails versucht sein, die Heimat sowohl der europäischen als der amerika- nischen Eocän- und Oligocänfauna nach Asien oder etwa gar auf einen versunkenen Kontinent zu verlegen, allein wir sind absolut nicht im stande, für eine solehe Hypothese irgend welche Beweise beizu- bringen; dagegen gewinnt die Annahme, dass Nordamerika und zwar während der Puercoperiode der ursprüngliche Ausgangspunkt aller Plazentalier war, eine überaus große Wahrscheinlichkeit, weil hier die für die Stammes-Geschichte dieser Säugetiere so unendlich wichtigen Creodonten und Condylarthren eine so wichtige Rolle spielen und einen so bedeutenden Formenreichtum aufweisen. Soferne wir daher überhaupt noch Thatsachen gelten lassen wollen, müssen wir also Amerika für die Urheimat der europäischen Säugetierwelt und wohl auch aller Placentalier überhaupt ansehen. Der Aufbruch der auswandernden Formen erfolgte wahrscheinlich gleichzeitig, die An- kunft in Europa aber geschah in ziemlich großen Zwischen- räumen. Mit Beginn der Miocänzeit macht sich abermals ein lebhafter Verkehr zwischen der alten und neuen Welt bemerkbar, diesmal aber in umgekehrter Richtung. Es wandern verschiedene altertümliche Formen von Europa nach Amerika aus, die sich dort entweder un- verändert erhalten und erst ihre eigentliche Blüte erreichen, oder dort zuletzt gänzlich erlöschen oder aber schließlich wieder, freilich in veränderter Gestalt, nach der alten Welt zurückkehren. Für diese Auswanderer erbält Europa jedoch wieder einigen Ersatz durch neue Typen, deren Heimat allerdings noch keineswegs ermittelt ist, die aber ursprünglich wohl auch von nordamerikanischen Formen ihren Ausgang genommen haben. Mit Beginn des Miocän verlassen Europa zahlreiche Nager, nämlich die bis dahin so zahlreichen T7heri- domys, Trechomys, Archaeomys und Issiodoromys sowie Sciurodon und Seiuromys; während aber die beiden letztern in Nordamerika ver- blieben, wo der eine davon als Aplodontia noch heutzutage anzu- treffen ist, haben sich die übrigen nach Südamerika gewandt, wo sie Sehlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. 93 in der Gegenwart als Stachel-Ratten, Chinchilla und Kaviaden fortleben. Die Biber erscheinen im Miocän sowohl in der alten als auch in der neuen Welt; wahrscheinlich haben sie sich aus einer Theridomys-ähnlichen Form entwickelt. Unter den Fleischfressern treffen wir ebenfalls verschiedene Auswanderer. So findet sich vor allem die im ältern Tertiär so artenreiche Gattung Hyaenodon auf einmal in Nordamerika, dort erscheinen gleichzeitig auch die eben- falls in Europa bis dahin so häufigen Cynodon und Cynodictis als so- genannter Galecynus und Temnocyon, während sie in ihrer frühern Heimat ganz verschwinden, das Gleiche ist auch der Fall mit den katzenähnlichen Aelurogalen, die nun mehr in Amerika einen ganz erstaunlichen Formenreichtum entfalten. Auch finden sich im Mioeän von Nordamerika Abkömmlinge von Cephalogale — Oligobunis. — Von Huftieren hat Europa mit dem eben genannten Gebiete nur Hyopotamus, Archaeotherium — Entelodon — und eine Palaeochoerus- ähnliche Form gemein; doch ist es fast wahrscheinlicher, dass die erstern aus einem uns bis jetzt noch unbekannten Territorium nach beiden Richtungen hin ausgewandert sind, da sie überall gänzlich unvermittelt erscheinen, während die Schweine schon frühzeitig in Europa eine höchst wichtige Rolle spielen und daher auch wohl hier beheimatet sein dürften. Erst im Obermiocän erscheinen in Nord- amerika auch Hirsche, im Pliocän oder gar erst Pleistoeän auch Boviden. Die erstern gehören der telemetakarpalen Reihe an, d.h. es haben sich nur distale Reste der seitlichen Metakarpalien erhalten, während die altweltlichen Hirsche proximale Reste dieser Glieder be- sitzen — mit Ausnahme von Reh. Die Trennung in diese beiden veihen datiert wohl schon auf eine Ge/ocus-ähnliche Form, also ins Oberoligocän zurück, die Ankunft der Hirsche in Amerika scheint sich also durch irgend welche uns unbekannte Ursachen auffallend lange verzögert zu haben. Die Boviden gehen jedenfalls auf altwelt- liche Antilopen zurück — die ersten echten Rinder gibt es erst im Plioeän — und haben daher jenen Weg verhältnismäßig rasch zurück- gelegt. Was die Unpaarhufer betrifft, so kommen wir auf dieselben im Folgenden zu sprechen. siner sehr späten Invasion verdankt Amerika die Anwesenheit von Bären und Mardern. Beide Gruppen entfalten während der ganzen Miocänzeit in Europa einen höchst beträchtlichen Formen- reichtum, fehlen aber im amerikanischen Tertiär nahezu vollständig — die dortigen Amphicyon sind wohl phylogenetisch ohne Bedeutung, von Mardern kennt man nur eine Plesiogale- ähnliche Form. Die Procyoniden scheinen von Südamerika aus nach Norden vorge- drungen zu sein. Die Insektivorenfauna des heutigen Nord- amerika wurzelt wohl ganz und gar in Formen des europäischen Mioeän. Höchstens einige Talpiden und Solenodon dürften auf Typen des amerikanischen Tertiär bezug haben. Ziemlich spät sind auch die 624 Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. ersten Mastodontiden nach Amerika gelangt, ob von Europa aus oder von Asien her lässt sich nicht entscheiden. Sehr merkwürdige Verhältnisse finden wir bei den Paarhufern und den Unpaarhufern; dass beide von Condylarthren des nord- amerikanischen Eoeän, d. h. Puercobed ausgegangen sind, unterliegt wohl kaum mehr einem Zweifel. Während aber die ältern Tertiär- schichten in Nordamerika und Europa sehr große Aehnlichkeit hin- sichtlich ihrer Unpaarhufer aufweisen, bleibt der erstere Kontinent bis zum White Riverbed ziemlich arm an Paarhufern, und erst von da an treten dieselben in größerer Anzahl auf, aber lediglich als Öreodontiden und Tylopoden, neben denen freilich in allen Formationen auch dürftige Spuren von Suiden, vermutlich Dicoty- liden herlaufen. Die beiden erstern Familien wurzeln jedenfalls in einer gemeinsamen vierzehigen Stammform, dem Pantolestes des nord- amerikanischen Eocän, trennen sich aber dann bereits vor dem Oligoeän. Die Oreodontiden erlöschen im Pliocän gänzlich, von den Tylo- poden verbleibt der eine Zweig, die Aucheniiden, bis in die Gegen- wart in Amerika, die Kameliden sterben daselbst ganz aus, nach- dem die lebensfähigere Hauptlinie nach der alten Welt ausgewandert war, wo ihre ersten Vertreter im Pliocän und zwar in Indien er- scheinen. Die wenigen außer Pantolestes im ältern amerikanischen Tertiär gefundenen Paarhufer haben kaum nähere genetische Bezieh- ungen zu Paarhufern der alten Welt; Achaenodon steht zwar dem gemeinsamen Ausgangspunkt der Gattungen Anthraeotherium, Hyopo- tamus, Choeropotamus und Entelodon ziemlich nahe, ist aber doch zu spezialisiert — Verlust von Prämolaren —, als dass es deren direkter Ahne sein könnte. Ebenso haben auch die allerdings höchst interessanten hirschähnlichen Typen des Diplacodonbeds keine eigent- liche Bedeutung für die Stammesgeschichte der Wiederkäuer. Diese sind samt und sonders echte Bürger der alten Welt, gleich den gänz- lich erloschenen Xiphodontiden und Caenotheriiden der ältern Tertiärzeit, die damals. gradezu die Rolle der jetzigen Wiederkäuer gespielt haben. Auch die höchst eigenartigen Anoplotheriiden haben niemals einen Vertreter in der neuen Welt besessen, doch stammen ihre Ahnen jedenfalls von dort. Dieselben dürften zugleich mit den ältesten Oreodontiden in einem gewissen verwandtschaft- lichen Verhältnis gestanden sein. Die Schweine sind der Haupt- sache nach ebenfalls ein entschieden altweltlicher Stamm. Anders ist es nun mit den Perissodactylen. Die Hauptmasse derselben verbleibt bis zum Plioeän und zum Teil selbst bis zum Diluvium in Nordamerika, entsendet aber von Zeit zu Zeit Vertreter in die alte Welt, von denen sich verschiedene Typen auch daselbst zu einer oft nicht unbeträchtlichen Formenmannigfaltigkeit entwickeln. Wir treffen in Amerika die ältesten Tapiriden, Rhinocerotiden, Chalicotheriiden und Equiden. Was zunächst die letztgenannte Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. 625 Familie anlangt, so leben ihre Ahnen, die Hyracotherien, im ältern Tertiär sowohl in Amerika als auch in Europa, doch stammen sie zweifellos von einer amerikanischen Grundform ab. In unserem Kon- tinente erlöschen sie noch vor Beginn des Miocän wieder vollständig, nachdem daselbst ein ausschließlich altweltlicher Seitenzweig, die Paläotherien, einen beträchtlichen Artenreichtum entfaltet hatte. Im Obermiocän erreichte dann bei uns Anchitherium eine ansehnliche Verbreitung, um aber dann auch wieder vollkommen auszusterben. Im Plioeän erscheint das schon sehr pferdeähnliche Hipparion in Europa und Asien, stirbt aber auch wieder vollkommen aus. Erst die im Oberpliocän auftretenden Pferde, Zguus Stenonis und sivalensis, können allenfalls als Stammeltern der spätern und der noch lebenden altwelt- lichen Pferde in betracht kommen. In Nordamerika hingegen ist die Pferdereihe vom Eocän bis ins Pleistocän vollständig geschlossen durch alle Formationsstufen hindurch, und zwar lassen sich hiebei auch alle die allmählichen morphologischen Umänderungen verfolgen, welche das Hyracotherium durchlaufen musste, um zum echten Kguus zu werden. Auch die im Eocän mit Palaeosyops beginnenden Chali- cotheriiden haben in allen Schichten bis zum White Riverbed Repräsentanten hinterlassen, wo dieser Stamm mit den riesigen Brontotherien ausstirbt. In der alten Welt lebte nur die einzige Gattung Chalieotherium. Sie erreichte allerdings ein sehr beträcht- liches Alter, denn sie nimmt ihren Anfang im Untermiocän und setzt sich dann bis ins Plioeän fort, in Asien — China — vielleicht sogar bis zum Beginn des Diluviums. Rhinocerotiden gibt es in Nordamerika vom Eoeän an bis ins Obermiocän oder Pliocän, doch beginnt die Rhinoceros-hReihe selbst erst im Diplacodonbed mit Amynodon, wenigstens kennen wir bis jetzt noch keine Form, welche als direkter Stammvater dieser obengenannten Gattung gelten dürfte. Der schon früher — im Wasatchbed auftretende Ayrachyus ist der Ahne der schlankgebauten Hyracodon-Reihe, die im White Riverbed endet und niemals Vertreter in die alte Welt entsandt hat. Von Amynodon stammen alle neu- und altweltlichen plumpgebauten Formen, doch scheint ziemlich bald eine Spaltung erfolgt zu sein, denn zwischen den spätern amerikanischen und europäischen Formen besteht kaum mehr ein näherer Zusammenhang. Die altweltlichen Rhinocerotiden gehen möglicherweise alle auf irgend ein Aceratherium zurück; das echte Rhinoceros findet sich in der alten Welt vom Obermiocän an in zahlreichen Arten. Schwieriger ist die Frage hinsichtlich der Stammesgeschichte der Tapiriden zu beantworten. Die Lophio- donten, die im ältesten europäischen Tertiär eine so bedeutende Rolle spielen, können als Stammeltern der spätern Tapire auf gar keinen Fall in betracht kommen aus den oben angegebenen Gründen. Sie selbst sind jedenfalls ursprünglich aus der neuen Welt einge- wandert, doch ist ihr direkter Stammvater noch nicht näher bekannt. VELL 40 626 Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. Der Tapir-Stamm selbst beginnt im Eocän von Nordamerika mit Systemodon (Helaletes). Die ersten Tapire erscheinen in Europa im Oligoeän — Protapirus — und von diesem lassen sich dann alle spä- tern und noch lebenden altweltlichen Glieder dieser Gruppe unge- zwungen ableiten. Wahrscheinlich ist auch der gegenwärtig in Amerika lebende Tapir der Nachkomme einer altweltlichen Form und vermut- lich auch erst sehr spät wieder in seine eigentliche Urheimat zurück- gekehrt. Diese Verhältnisse berechtigen uns, alle Paar- hufer mit Ausnahme der Tylopoden als Bürger der alten, alle Unpaarhufer, höchstens mit Ausnahme der Tapire als Bürger der neuen Welt anzusehen. Wie unsere obigen Ausführungen ergeben, sind die Fleisch- fresser ursprünglich insgesamt in Nordamerika zuhause, insoferne sie eben von den Ureodonten abstammen; während aber diese letztern im ganzen ziemlich wenige Typen in die alte Welt entsendet haben, erlangen hier die Carnivoren eine sehr viel größere Bedeutung als in der neuen Welt. Wir treffen in Amerika abgesehen von den eocänen Miacis und Didymictis erst im jüngern Tertiär einen größern Formenreichtum, und zwar sind es zumeist Typen, die bis dahin Europa bewohnt haben. Bären und Marder kamen erst sehr spät, die Zibeth-Katzen gar nie nach Amerika. Dagegen stammen von dort wohl alle jüngern Katzen und sicher alle Hyänen. Auch die Hunde, die zur Miocänzeit noch mit sehr primitiver Organisation nach jenem Kontinente ausgewandert waren, kommen von dort in späterer Zeit in wesentlich veränderter Form, als echter Canis, wieder in die alte Welt zurück. Ein Teil bleibt freilich in Amerika, ja ge- wisse südamerikanische Formen gehen wohl auf Typen des nord- amerikanischen Eocän zurück. Manche Musteliden, wie die Pulaeopri- nodon, Stenogale, sind schon während des Mioeäns vollständig erloschen, desgleichen auch die einst so häufigen Cephalogalen; im Pliocän endet auch deren Nachkomme Simoeyon. Von den Nagern erscheinen die Seiuriden schon frühzeitig in beiden Hemisphären und behaupten sich daselbst auch noch in der Gegenwart. Die im ältern Tertiär in Europa so häufigen Theri- domyiden haben sich anscheinend als Chinehilliden, Echy- miiden und Caviaden nach Südamerika verzogen, die gleichfalls auf Theridomyiden zurückgehenden Biber erscheinen im Mioeän sowohl in Europa als auch in Nordamerika und behalten diese Wohn- sitze auch bis zum heutigen Tage, soweit sie eben nicht vom Menschen ausgerottet worden sind. Die Myomorphen sind ein ursprünglich altweltlicher Stamm, der jedoch schon im Mioeän Vertreter nach Amerika entsendet, aus denen sich wohl die für diesen Erdteil so charakteristischen Sigmodonten entwickeln; die echten Muriden und Arvicoliden gehen jedenfalls auf altweltliche Formen wie (C'ricetodon zurück. Die Myoxus finden sich schon im ältern europäi- Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen, 627 schen Tertiär und haben auch niemals die alte Welt verlassen, die Saecomyiden dagegen sind durchgehends Bürger der neuen Welt. Als Kosmopoliten erweisen sich die Hystrieiden. Schon im Miocän gibt es solehe in beiden Hemisphären. Die Lagomorphen treten ungefähr zur nämlichen Zeit in Europa auf wie in Nordamerika, doch finden sich bei uns während des ganzen Jüngern Tertiärs nur Lago- myiden, in Amerika nur Leporiden. Ihre Herkunft ist in voll- ständiges Dunkel gehüllt; ebenso wenig wissen wir von den Ahnen der Georhychiden und der Dipodiden, dagegen haben die Geo- myiden bereits Vertreter im nordamerikanischen Mioeän. Die In- sektivoren des europäischen Tertiärs stehen — abgesehen von einigen ganz erloschenen Typen, Dimylus und Cordylodon — höchst wahrscheinlich in sehr naher Beziehung zu den noch jetzt lebenden Formen der alten Welt; schon vom Oligocän an finden wir Igel und Maulwurf-ähnliche Tiere, denen sich dann vom Mioecän auch Spitzmäuse zugesellen. Der obermiocäne Parasorex scheint dem gemeinsamen Ausgangspunkt der Tupajiden und Macrosceliec- tiden nahezustehen und erweist sich somit auch als entschieden alt- weltlicher Typus. Die wenigen bekannten Insektivoren des nord- amerikanischen Tertiärs haben kaum Beziehungen zu irgend einer lebenden Familie, höchstens ist eine gewisse Aehnlichkeit im Zahnbau zwischen den Centetiden und Solenodon einerseits und der eocänen Gattung Diacodon anderseits zu beobachten. Die Ietopsiden sind wohl ein gänzlich erloschener Stamm, der allerdings von derselben Grundform abgezweigt haben mag, wie alle Igel, Gymnura und Cladobetes, aber zeitlebens auf Amerika beschränkt geblieben ist. Die heutige Insektivorenfauna Nordamerikas hat wohl von europäischen Miocänformen ihren Ausgang genommen. Sie hat einen entschieden altweltlichen Charakter. Fossile Subursen, also Procyon, Nasua, Aelurus, Cercoleptes und Arctietis, sind so gut wie vollständig unbekannt. Heutzutage be- wohnen diese Tiere die tropischen und subtropischen Gebiete beider Hemisphären. Ihre örtliche Trennung muss wohl schon geraume Zeit dauern. Bezüglich ihrer Abstammung ist nur so viel sicher, dass sie auf Creodonten zurückgehen, und da diese letztern im ältern Tertiär von Nordamerika eine so wichtige Rolle spielen, werden wir wohl auch mit großer Berechtigung die ursprüngliche Heimat der Subursen in Nordamerika zu suchen haben. Von hier aus haben auch die Prosimier ihren Ausgang ge- nommen und zwar sowohl jene, welche wir im ältern europäischen Tertiär antreffen, als auch jene Formen, welche heutzutage das tro- pische Afrika, Madagaskar und die südasiatischen Inseln bewohnen. Für die Herkunft der Probosecidier, Affen und Edentaten haben wir bis jetzt noch wenig sichere Anhaltspunkte. Wir wissen nur, dass die ersten Mastodon und Dinotherium in Europa und Asien 40 * 628 Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. auftreten, und die erstere Gattung bald darauf auch in Amerika er- scheint, wo sie sich alsdann über den ganzen Kontinent ausbreitete und eine viel längere Daueraufweist als in der alten Welt. Die letzten Mastodon lebten dort noch zusammen mit dem Mammut. Bei dem großen Formenreichtum, welchen die Proboseidier in Europa und Asien entwickeln und dem offenkundigen Uebergang von Mastodon zu Elephas, den wir hier beobachten können, dürfen wir doch wohl die alte Welt als die Heimat dieses Säugetiertypus betrachten. Die Affen gehen zweifellos auf Formen des Puercobed zurück. Allein nur für die Öynopitheeinen konnte bisher einigermaßen die Umwandlung theoretiseh ermittelt werden, die sie von dem Hyopsodus- Stadium bis zu ihrer gegenwärtigen Gestaltung durchlaufen mussten. Die erstere Form ist der neuen Welt eigentümlich, wenn auch einige Vertreter derselben Europa erreicht haben. Allein die Zwischenglieder zwischen diesen und den eigentlichen Cynopithecinen fehlen uns zur Zeit noch vollständig. Erst im Obermiocän und Pliocän erscheinen fossile Repräsentanten dieser Gruppe; sie schließen sich aber schon sehr innig an lebende Typen an. Von den Anthropomorphen ist nur so viel sicher, dass sie auf sogenannte Platyrhinen, wie sie heutzutage Südamerika bewohnen, hinauslaufen, wobei wir aber nicht vergessen dürfen, dass die Trennung beider Stämme schon sehr früh- zeitig, vermutlich schon im Oligocän erfolgt sein muss, die Organi- sation der Platyrhinen mithin auch inzwischen Aenderungen er- fahren hat und nicht mehr dieselbe ist wie bei ihren Ahnen, welche zugleich den Ausgangspunkt der Anthropomorphen bildeten. Die Edentaten schließen so mannigfaltige Formen in sich, dass die An- sicht der Engländer, welche sie als — Paratheria den Placentaliern — Eutheria — und Marsupialiern — Metatheriu — gradezu als dritte Gruppe gegenüberstellen, sehr viele Berechtigung erhält. Die Abstammung der Maniden und Dasypodiden ist noch in voll- ständiges Dunkel gehüllt, nur für die Bradipodiden, die Mega- theriiden, Glyptodontiden und allenfalls auch für Orycteropus können wir ungefähre Beziehungen zu ältern ausgestorbenen Säuge- tiertypen mutmaßen. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass sie von jenen eigenartigen Formen, wie Zillotherium, Esthony& etc. ab- stammen, welche sich im Eocän von Nordamerika gefunden haben. Was die Beziehungen der gegenwärtigen afrikanischen Säuge- tierwelt zu den geschilderten Faunen des europäischen und nord- amerikanischen Tertiärs anlangt, so sind wir freilich bis jetzt nur auf Vermutungen angewiesen, da wir aus jenem Kontinente noch keine nennenswerten fossilen Ueberreste kennen. Immerhin spricht ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit dafür, dass hier eine mindestens zweimalige Einwanderung stattgefunden hat. Als Rest der ersten Invasion erweisen sich allenfalls die Chrysochloriden des süd- lichen Afrika, die Potamogalen und der Galago der Westküste, Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. 629 und der Zupleres, die Lemuren und Insektivoren — Üentetes — Madagaskars. Sie zeigen sämtlich noch so viele altertümliche Ver- hältnisse in ihrer Organisation, namentlich im Gebiss, im Bau des Schädels, der Extremitäten und des Gehirns, dass wir sie füglich gradezu als rezente Eoeäntypen bezeichnen können. Ihre Ahnen stammen zweifellos von Formen des nordamerikanischen Eocän und sind wohl von dort mit den zahlreichen westwärts vorgedrungenen Formen ausgewandert, ohne jedoch auf ihrem Zuge Europa zu be- rühren. Ihre Verwandten, die sich im europäischen Tertiär finden, sind wohl nur als bloße Ausläufer zu betrachten, die in gar keiner direkten Beziehung zu ihnen stehen. Auch der südafrikanische, im Gebiss so primitive Ofocyon gehört wohl zu den Nachkommen der während der Eocänzeit in Afrika eingewanderten Säugern, möglicher- weise auch der Orycteropus und dieMaeroscelididen undRhyncho- eyoniden. Die zweite Invasion erfolgte erst sehr spät, nämlich zur Plioeänzeit. In dieser Periode bevölkerte sich Afrika mit den echten Quadrumanen, — den Anthropomorphen und Cynopithe- einen — den Katzen, Hyänen, Pferden, Antilopen, zahl- reichen Nagern und Igeln. Auch der Elefant, Hippopotamus, Rhinoceros und Phacochoerus sind erst zu jener Zeit in Afrika ein- sewandert, und ebenso auch der merkwürdige vierzehige Hirsch der Westküste — Hyaemoschus aguaticus —. Alle diese Formen haben ihre nächsten Verwandten teils im Obermioeän und Pliocän von Europa, teils in Indien, in der fossilen Fauna der Siwalik-Hügel. Nachzügler dieses Trupps trafen in dem genannten Kontinent vielleicht auch erst während des Diluviums ein, ohne dass jedoch der Charakter der afrikanischen Säugetierfauna hierdurch irgend eine wesentliche Aende- rung erlitten hätte. Es lässt sich daher die afrikanische Säugetier- welt zum Teil als Fortsetzung der nordamerikanischen Eocänfauna, zum Teil als Fortsetzung der altweltlichen Miocän- und Pliocänfauna bezeichnen. Die jetzige südamerikanisch’e Säugetierwelt ist zum großen Teil wohl schon lange in diesem Kontinent einheimisch. Sie hat sich vermutlich der Hauptsache nach aus Formen entwickelt, die schon frühzeitig von Nordamerika her eingewandert sind. Als Nachkommen von dortigen Eocäntypen betrachte ich die Typotheriiden, die Megatherien, Glyptodonten, Toxodon und Macrauchenia. Die- selben haben sich eben in Südamerika bei dem Mangel an ähnlichen Konkurrenten — wie großen Huftieren — ungestört in eigenartiger Weise fortbilden können. Während der Mioeänzeit erfolgte die Einwanderung zahlreicher bis dahin in Europa lebender Nager-Formen. Im Pliocän hat zum letzten mal ein solches Eindringen neuer Formen stattgefunden. Dieser letzten Einwanderung hat Südamerika die Anwesenheit von Hirschen, von Auchenia, Dicotyles, Pferd, Mastodon, Feliden, Ursiden, vielen Caniden und von Mephitis zu verdanken. Die 630 Schlosser, Ausgestorbene Säugetierfaunen. Nasua, Procyon und die so merkwürdigen Canis azarae ete. sind wohl schon sehr viel länger in Südamerika einheimisch, wenigstens haben wir bis jetzt noch nirgends direkte Verwandte derselben fossil vor- gefunden. Das Gleiche gilt auch von den Platyrhinen, die aller Wahrscheinlichkeit nach aus Lemuren-ähnlichen, ehemals in Nord- amerika beheimateten Formen hervorgegangen sind und außerdem auch vermutlich von den in Südamerika lebenden Edentaten und Beuteltieren — Didelphys —. Aber auch diese sind wohl nur die Nachkommen von Formen des nordamerikanischen Puercobed. Die Tierwelt des nördlichen Asien zeigt heutzutage große Ab- weichungen gegenüber der Fauna des südlichen Asien. Sie schließt sich aufs engste an die jetzt lebende und zum Teil auch an die diluviale europäische Säugetierfauna an und bedarf daher keiner nähern Besprechung. Gleich jener des nördlichen Amerika ist sie als arktische zu bezeichnen. Ein direkter Zusammenhang mit euro- päischen oder asiatischen Tertiärformen ist bis jetzt zur in wenigen Fällen sicher nachgewiesen. Doch ist ein solcher auf jeden Fall vor- handen, wenn schon die Zahl der bis jetzt bekannten Zwischen- glieder noch immer eine sehr geringe ist. Anders verhält es sich mit der gegenwärtigen Säugetierwelt des südlichen Asien. Dieselbe erscheint gradezu als Fortsetzung der europäischen Obermioeänfauna, freilich mit vielfachen Beimischungen von Siwaliktypen. Ganz be- sonders auffallend ist die Aehnlichkeit der dortigen Affen, Insek- tivoren, Hirsche, Schweine, Tapire, Rhinocerotiden und Feliden mit solchen des europäischen Obermiocän, und zwar gilt dies insbesondere von den Formen Hinterindiens und der Sunda-Inseln. Dagegen sind die frugivoren Fledermäuse, sowie der Galeopithecus, die Nyeticebus, Stenops und Tarsius jedenfalls Reste einer schon wäh- rend der ältern Tertiärzeit eingewanderten Fauna. Ihre Ahnen dürfen wir wohl in Nordamerika, und zwar im dortigen Puercobed suchen. Von dort und zwar jedenfalls von Creodonten stammen wohl auch die heutzutage in Asien lebenden Subursen — Üercoleptes, Arctictis und Aelurus. Die Säugetierfauna von Australien und Neuseeland zeichnet sich durch die außerordentliche Mannigfaltigkeit der Marsupialier und die Anwesenheit der Monotremen aus, während auf den übrigen Kontinenten dieMonotremen längst erloschen sind und die Marsu- pialier auch nur mehr einen einzigen Formenkreis und auch dies nur in Amerika aufzuweisen haben. Jedenfalls hat sich die Marsu- pialierfauna Australiens und Neuseelands ganz unabhängig von den Faunen des europäischen und amerikanischen Tertiärs entwickelt, doch ist es nicht unmöglich, dass ein großer Teil derselben ursprüng- lich auf Didelphys-ähnliche Formen zurückgeht, wie sie noch jetzt Amerika bewohnen und bis ins Untermiocän auch in Europa anzu- treffen waren. Die wenigen in Neuholland vorkommenden Nager Schulz, Ueber Huminsubstanzen. 631 — Hydromys —, sowie der Canis Dingo sind sicher erst zu Ende der Tertiärzeit in diesem Kontinent eingewandert und zwar von Asien her. Ich kann nicht schließen, ohne auf die unendlichen Verdienste E. D. Cope’s hinzuweisen, der das von Leidy begonnene Werk, die Untersuchung und ausführliche Beschreibung der zahllosen Wirbel- tierreste des nordamerikanischen Tertiär mit so unendlichem Fleiße und so staunenswertem Geschick fortgeführt hat. Seine Entdeckung der in vorliegender Abhandlung so oft genannten Condylarthra und Creodonta hat uns ganz neue, ungemein wertvolle Hilfsmittel an die Hand gegeben für die Erkenntnis der verwandtschaftliehen Bezieh- ungen zwischen den verschiedenen Ordnungen der Säugetiere. Möge es dem unermüdlichen Forscher in Bälde vergönnt sein, seine Fach- genossen und alle Freunde der Wissenschaft mit der Fortsetzung seines großen Werkes — Tertiary Vertebrata — zu erfreuen. Möge es ihm ge- lingen den von allen Seiten Widerwärtigkeiten ihn umgebenden Hinder- nissen zu trotzen und sein Werk zum ersehnten Abschluss zu bringen. Ueber Huminsubstanzen. (Fortsetzung und Schluss.) Die von Conrad und Guthzeit gefundene Zusammensetzung der Huminkörper aus Rohrzucker ist von Hoppe-Seyler bestätigt worden. In seiner kürzlich publizierten sehr eingehenden Untersuchung über Huminsubstanzen!), welche im wesentlichen alles umfasst, was wir gegenwärtig von dem chemischen Verhalten dieser Stoffe wissen, hat Hoppe-Seyler folgende Werte angegeben: Humin aus Rohrzucker . . . . 63,88%, C 4,64°/, H Huminsäure aus Rohrzucker .' . 64,39, „493, Hümmsäure aus“Braunkohle".".%°63 310,9, 453 4 50,68%) N Die Zersetzung des Zuckers geschah durch 22,5 prozentige Salz- säure. 1 kg Rohrzucker, mit 4 Liter dieser Säure 24 Stunden auf dem Wasserbade erhitzt, lieferte 63,3 g Huminsäure und 170 g Humin, außerdem Fettsäuren (Ameisensäure), Furfurol und eine beträchtliche Menge Levulinsäure. In Uebereinstimmung mit Mulder und mit Sestini hat Hoppe- Seyler gefunden, dass aus Kohlehydraten bei Einwirkung von Mineral- säuren stets zwei Huminkörper oder zwei Körpergruppen entstehen, die in Alkalien lösliche Huminsäure und das unlösliche, in Alkali schlüpfrig aufquellende Humin; bei verschiedenem Ausgangsmaterial und bei wechselnden Versuchsbedingungen wird man auch in den einzelnen Gruppen noch gewisse Differenzen beobachten können, doch ı) Zeitschr. f. physiol. Chemie, XII, 8. 66 fg. 652 Schulz, Ueber Huminsubstanzen. ist kein Grund vorhanden, an diesen unbestimmten und als Merkmale wertlosen Unterschieden festzuhalten. Die Reaktion der Mineralsäuren ist unabhängig vom Luftsauerstoff; Alkalien dagegen bewirken nur bei Gegenwart von Sauerstoff die gleiche oder eine ähnliche Spaltung der Kohlehydrate. Von den Huminsubstanzen aus den verschiedenen Zuckerarten weichen die braunen bis schwarzen Zersetzungsprodukte der Phenole, der Glykuronsäure und der Cyankörper in ihrer Zusammensetzung mehr oder minder ab. Glykuronsäure —= 0,H,,0;, jene in physio- logischer Beziehung so interessante Verbindung, welche nach Eingabe gewisser Stoffe in Form gepaarter Säuren — Camphoglykuronsäure u. a. — im Harn auftritt, geht, wie Thierfelder!) zuerst experi- mentell feststellte, leicht in huminähnliche Materie über: neben letz- terer liefert sie bei anhaltendem Kochen mit 7prozentiger Salzsäure eine der Levulinsäure nahestehende Säure von der Formel C,H,O, und Ameisensäure. Nach Hoppe-Seyler führt auch diese Umwand- lung, welche dem Zerfall der Dextrose an die Seite zu stellen ist, zu zwei durch Alkali trennbaren Körpern. Dieselben zeigen gegen Lösungs- mittel kein eigenartiges Verhalten, geben jedoch bei der Elementar- analyse Zahlen, welche sich von den oben erwähnten nicht unbeträcht- lich entfernen: Humin aus Glykuronsäure . . . 60,64°/, C 4,10°/, H Huminsäure aus Glykuronsäure . 60,64 „ „ 413 „ „ Hydroxylverbindungen und Amine der aromatischen Reihe unter- liegen bekanntlich an der Luft einer teilweisen Oxydation, ihre frisch bereiteten wasserklaren Lösungen bräunen sich spontan und scheiden allmählich dunkel gefärbte Materien aus. Bisher sind diese amorphen Niederschläge nicht näher untersucht worden. Um größere Quantitäten derselben zu gewinnen, überließ Hoppe-Seyler stark ammoniaka- lische Lösungen von Protocatechusäure und Pyrogallol monatelang in lose bedeckten Gefäßen der Einwirkung des atmosphärischen Sauer- stoffs. Aus 20 & Protocatechusäure erhielt er auf diese Weise nach Verlauf von sieben Monaten neben 6,3 g einer krystallisierenden Ver- bindung 4 & huminähnliche Substanz, welche in Alkohol nur wenig löslich war, von Natronlauge leicht aufgenommen und durch Salz- säure gefällt wurde. Mit besserer Ausbeute und rascher verlief die Zersetzung des Pyrogallols. 50 & dieses Phenols, in konzentriertem Ammoniak gelöst, gaben nach einem Monat 4,5 & alkohollösliche und 15 g alkoholunlös- liche Huminsäure. Gleich andern Huminkörpern hielten diese Produkte hartnäckig Ammoniak zurück, sie wurden deshalb nicht analysiert, da zuverlässige Zahlen für den Kohblenstoff- und Wasserstoffgehalt 4) Zeitschr. f. physiol. Chemie, XI, S. 406. Schulz, Ueber Huminsubstanzen. 635 nicht erwartet werden konnten. Dass sie in der That als Humin- substanzen zu betrachten sind, geht, abgesehen von ihrem Verhalten gegen Reagentien, daraus hervor, dass sie beim Schmelzen mit Kali in derselben Weise umgewandelt werden wie die Huminstoffe aus Kohlehydraten. In der Kalischmelze hat Hoppe-Seyler ein Mittel kennen gelehrt, welches sich vortrefflich zur Prüfung der Huminsub- stanzen eignet und anscheinend auch zu deren Reindarstellung ver- wertet werden kann. Besonderes Interesse verdient diese Operation im vorliegenden Falle ferner um deswillen, weil sie die ungewöhn- liche Resistenz der Huminkörper aufs dentlichste illustriert, indem sie dieselben, bei einer Temperatur von 240— 250°, nur zum kleinsten Teil völlig zerstört, zum größten sie einerseits intakt lässt, anderseits nur in nahe verwandte Stoffe von gleicher oder ähnlicher elementarer Zusammensetzung überführt. Sie ergibt fast immer im wesentlichen das gleiche Resultat: sowohl aus den Huminen wie aus den Humin- säuren entstehen wechselnde, im ganzen aber stets geringe Quanti- täten von Ameisensäure, Essigsäure, Oxalsäure, Protocatechusäure und häufig Brenzeatechin und als Hauptprodukt — 40 bis 80°), vom angewandten Material — ein huminartiger amorpher alkalilöslicher Körper, der sich von den meisten Huminsäuren durch seine verhältnis- mäßig große Löslichkeit in verdünntem Alkohol unterscheidet. Solche Körper hat Hoppe-Seyler aus allen von ihm dargestellten Humin- substanzen mittels Kalischmeize gewonnen, und er hat die Gruppe dieser, wenn wir so sagen können, ersten Derivate der Huminsub- stanzen unter den Namen Hymatomelansäuren zusammengefasst. Der Unterschied, welchen diese Bezeichnung konstatiert, kann vorläufig weniger in differenten Löslichkeitsverhältnissen als darin gefunden werden, dass die Bildungsweisen der Hymatomelansäuren und der Huminsubstanzen verschiedene sind. Die fortgesetzte Untersuchung wird lehren, ob nicht dessen ungeachtet beide Reihen von Produkten zu einer großen Körperklasse zu vereinigen sind. Der Gehalt der Hymatomelansäuren an Kohlenstoff und Wasser- stoff nähert sich bei den einen demjenigen der Huminsäuren, weicht dagegen bei andern beträchtlich davon ab, wie sich aus folgenden Beispielen ersehen lässt: Hymatomelansäure aus Rohrzucker -Humin 7. 2". °.70.0,0765,55%/ ,7C 4,708], H „ kRohrzucker- Huminsäure‘. 7 29, 165,371, 91, 422 5, 9Glykuronsäure-Humım I. ertlar 161,577 3A, „ Giykuronsäure-Huminsäure . . . 58,80 5, „ 3645 „ Protocatechusäure - Huminsubstanzen 57,20 „ „ 3,16 , Die niedrigen Zahlen bei der Hymatomelansäure aus Protocatechu- säure, mit welchen auch die Zahlen bei dem Pyrogallolderivat über- 634 Schulz, Ueber Huminsubstanzen. einstimmen, sind jedenfalls darauf zurückzuführen, dass die Humin- bildung in Lösungen aromatischer Verbindungen ein ganz anderer chemischer Vorgang ist als die durch Säuren bewirkte Zersetzung der Kohlehydrate. Bei ersterer ist Sauerstoff das wirksame Agens, bei letzterer hat der’elbe auf die Reaktion der Mineralsäure keinen Einfluss. Wenn aber die Huminsubstanzen aus aromatischen Ver- bindungen ihre Entstehung einem Oxydationsprozess verdanken, so können wir annehmen, dass sie im Vergleich mit den Huminsubstanzen aus Kohlehydraten nur höhere Oxydationsstufen gleichartiger Atom- komplexe darstellen, welche mit größerem Sauerstoffgehalt geringern prozenti: chen Kohlenstoffgehalt zeigen, und dass demgemäß auch in den von ihnen abstammenden Hymatomelan äuren die entsprechend höher oxydierten Glieder ein und derselben Körpergruppe vorliegen. Ist diese Auffassung richtig, so wird es vielleicht gelingen, durch oxydierende Agentien die Huminsäuren und Hymatomelansäuren aus Kohlehydraten u. ä. in Körper überzuführen, welche identisch sind mit den gleichnamigen Säuren aromatischen Ursprungs. Mit Hilfe der Kalischmelze lässt sich leicht der Nachweis er- bringen, dass die braunen Ausscheidungen in Lösungen von Cyan- körpern keineswegs als Huminsubstanzen in dem üblichen Sinne dieser Bezeichnung anzusehen sind. Frisch bereitete Azulmsäure (durch Einleiten von Cyangas in konzentriertes Ammoniak) löst sich nur teilweise in Natronlauge. Mit Kali geschmolzen entwickelt der lös- liche wie auch der unlösliche Anteil reichlich Ammoniak ; die Schmelze enthält beträchtliche Mengen Cyankalium, dagegen keine Protocatechu- säure und kein Brenzcatechin, und das der Hymatomelansäure ent- sprechende Produkt ist in Alkohol unlöslieh. Aus den natürlichen Huminsubstanzen resultieren bei der Kali- schmelze Hymatomelansäuren von denselben Eigenschaften, wie sie die Säure aus Rohrzucker aufweist. Die Schmelze gibt gute Aus- beuten. 51 g Braunkohle-Huminsäure, in kleinen Portionen (6—7 g) mit Kali bis 245° erhitzt, lieferten 41,3 g Hymatomelansäure; von diesen 41,5 g blieben 34 g unverändert übrig, als die Säure von neuem mit Kali geschmolzen wurde. Unter den Nebenprodukten fanden sich geringe Mengen der nie fehlenden Fettsäuren und Proto- eatechusäure. Wie bereits Mulder festgestellt hat, enthalten die natürlichen Huminsubstanzen stets Ammoniak, und zwar so fest gebunden, dass es noch nicht gelungen ist, die aus ihnen extrahierten Huminsäuren von Stickstoff völlig zu befreien. Bei der Kalischmelze entweicht jedoch das Ammoniak vollständig, die Hymatomelansäuren sind daher, gleichviel aus welchem Material sie gewonnen wurden, stets stick- stofffrei. Werden die Alkali-Extrakte toter Pflanzenteile (Hoppe-Seyler: Nadeln von Pinus Strobus excelsa, Wedel von Corypha australis, Blätter Schulz, Ueber Huminsubstanzen. 635 von Ficus elastica) mit Salzsäure versetzt, so bilden sich Nieder- schläge, die durch schmelzendes Kali ebenfalls in Hymatomelansäuren übergeführt werden können. Nun bestehen diese Niederschläge nur zum Teil aus Huminsubstanzen, bisweilen nur zu einem minimalen Teil, während rote oder rotbraune Materien überwiegen. Für das Er- gebnis der Kalischmelze sind diese wechselnden Verhältnisse gleich- giltig: auch die heller und intensiver gefärbten Körper, die sogenannten Gerbstoffrote, werden zu Hymatomelansäuren umgewandelt. Dadurch bestätigt sich, was schon aufgrund früherer Forschungen nicht mehr zweifelhaft war, dass die Huminsubstanzen in naher Beziehung stehen zu den in absterbenden Pflanzenteilen sich bildenden Gerbsäurederivaten. Bei umfassender Betrachtung der Vorgänge, welche das Erlöschen des Lebens und die Verwesung pflanzlicher Gebilde begleiten, beansprucht die Umwandlung der Gerbsäure und das Verhalten der Gerbstoffrote kaum geringeres Interesse als die Zersetzung der Kohlehydrate. An dieser Stelle näher darauf einzugehen würde zu weit führen; es mag genügen, auf die Ueberführung der Gerbstoffrote in Hymatomelan- säuren hingewiesen zu haben. Ueberblicken wir, von den Mulder’schen Untersuchungen an- fangend, das Ziel und die Ergebnisse aller bisher besprochenen Einzel- forschungen, so zeigt sich, dass sämtliche Versuche immer nur darauf ausgingen, die Eigenschaften und Umsetzungen der Huminsubstanzen nach verschiedenen Richtungen hin aufzuklären und diese Stoffe künst- lich durch kontrollierbare, womöglich rasch verlaufende Reaktionen darzustellen. So haben wir eine Reihe wertvoller Aufschlüsse über die chemische Natur der Huminsubstanzen gewonnen. Wie dagegen deren Bildung in den Pflanzen zustande kommt, wie die freiwillige Zersetzung der Kohlehydrate sich einleitet, von welchen Bedingungen sie abhängt, darüber wissen wir nichts. Hoppe-Seyler ist diesen Fragen näher getreten, indem er an Cellulose den Prozess der Humi- fizierung dadurch hervorzurufen versuchte, dass er dieselbe längere Zeit in Flussschlammwasser verweilen ließ. Bei Anwendung energi- scher Agentien bietet die Umwandlung der Cellulose in Huminsubstanz keine Schwierigkeit; sie erfolgt z. B. beim Kochen mit Säuren, beim Erhitzen mit Wasser auf 1850—200° im geschlossenen Rohr, sowie beim Schmelzen mit Kali ohne Luftabschluss — unter gleichzeitiger Bildung von Ameisensäure, Essigsäure, Oxalsäure (und Protocatechu- säure). Anderseits ist bemerkenswert, dass reines Filtrierpapier durch konzentrierte Kalilauge bei Zimmertemperatur nach tagelanger Ein- wirkung nicht gebräunt wird und dass es sich darin bei 220-240, wenn nur Sauerstoffzutritt abgeschnitten ist, ohne Verfärbung löst. Die Versuche, an Cellulose in Flussschlammwasser eine Humifizie- rung einzuleiten, fielen negativ aus. Filtrierpapierschnitzel, die in einem lose bedeckten Gefäß mit Schlammwasser übergossen 3 Monate stehen blieben, enthielten noch keine Huminsubstanz. Auch als zur Erhöhung 636 Kronfeld, Ueber die biologischen Verhältnisse der Aconitum-Blüte. der Sauerstoffwirkung das Gefäß mit dem Papier täglich mehrere Stunden geschüttelt wurde, blieb das Resultat sich gleich. Aus diesen negativen Resultaten kann vorerst für die Frage nach der Entstehung der Huminsubstanzen nichts gefolgert werden. Doch ist klar, dass ihre Lösung auf dem betretenen Wege zu ver- suchen ist: die Bedingungen, unter welchen sich die Umwandlung der Kohlehydrate u. a. in Huminsubstanzen vollziehen soll, sind den in der Natur gegebenen nachzuahmen. Hierin liegt allerdings eine nicht geringe Schwierigkeit, da wir weit entfernt sind, die Gesamtheit der in einer absterbenden Pflanze geltend werdenden Einflüsse zu kennen. Was die rein chemischen Vorgänge betrifft, so kann die Anschau- ung, dass dieselben durch direkte oder indirekte Einwirkung des Sauerstoffs und des Wassers hervorgerufen werden, nicht deshalb un- haltbar scheinen, weil wir in wässerigen Lösungen oder Aufschwem- mungen von Kohlehydraten bei gewöhnlicher Temperatur keine Ver- änderungen eintreten sehen. Denn erstens enthalten die Pflanzen das Grundmaterial der Huminsubstanzen in Modifikationen, die von unsern Präparaten mehr oder minder verschieden sind, und außerdem kommt in ihnen nicht allein die Wirkung des Luftwasserstoffs zur Geltung, sondern im Verein damit die sekundären Wirkungen aller chemischer Prozesse, welche der Zerfall der in den Pflanzensäften enthaltenen unbeständigen organischen Substanzen auslöst. Oskar Schulz (Erlangen). Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien. Math.-naturw. Klasse. Sitzung vom 25. Oktober 1838. Herr Dr. M. Kronfeld in Wien überreicht eine Abhandlung: „Ueber die biologischen Verhältnisse der Aconitum-Blüte*. Ausgehend von den morphologischen Verhältnissen der Aconitum-Blüte wird in dieser Arbeit.bewiesen, dass Aconitum in analoger Weise von der Gattung Bombus abhängig ist, wie dies Darwin für den roten Klee feststellte. Diese That- sache erhält ihre beste Illustration in dem Umstande, dass der Verbreitungs- kreis von Aconitum vollständig in denjenigen von Bombus hineinfällt, nirgends also Eisenhut blüht, wo nicht Hummeln schwärmen. — Nebst einer Karten- skizze (geographische Verbreitung von Aconitum und Bombus) ist der Arbeit eine Tafel beigegeben, welche die wichtigsten anatomischen und morphologi- schen Details der Aconitum - Blüte zur Darstellung bringt. K. k. zoolog.-botan. Gesellschaft zu Wien. Sitzung vom 2. Mai 1838. Herr Dr. €. Fritsch hielt einen Vortrag: „Zur Phylogenie der Gattung Saliw“. Die Ordnung der Salicaceen zeigt zu keiner andern nähere Fritsch, Zur Phylogenie der Gattung Salx. 637 Beziehungen !); sie steht trotz der habituellen Aehnlichkeit ihrer Inflorescenzen mit denen der Cupuliferen isoliert da und ist daher als eine sehr alte Ordnung anzusehen, deren Verbindungsglieder mit den zunächst verwandten Pflanzen längst ausgestorben sind. Die Salicaceen gliedern sich scharf in zwei Gat- tungen, welche auch habituell gut unterscheidbar sind: Populus und Salix. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Gattung Populus älter ist als die Gattung Salix; man kann hierauf schließen aus der größern Variabilität der letztern Gattung, sowie namentlich aus der weitergehenden Reduktion der Blütenteile bei Salix. Selbstverständlich ist dies nicht so zu verstehen, als ob die Gat- tung Salix von Populus abzuleiten wäre, sondern wir müssen als wahrschein- lich annehmen, dass beide Gattungen sich von einem Urtypus der Salicaceen abzweigten, dass aber die Gattung Populus diesem Urtypus ähnlicher geblieben ist als die Gattung Salix. Sehr interessant ist es nun, dass wir in der Gat- tung Vertreter finden, die in gewisser Beziehung sich der Gattung Populus, beziehungsweise dem hypothetischen Urtypus der Ordnung nähern. Eine dieser Weidenarten ist bei uns einheimisch; es ist die arktisch - alpine Salix reticu- lata L. Nicht ohne gewichtige Gründe hat Kerner, der scharfsinnige Kenner unserer heimischen Weidenflora, diese Pflanze als ein Mittelglied zwischen Salix und Populus hingestellt und unter dem Namen Chamitea als Gattung ab- getrennt?). Nur die Rücksicht auf die Gruppe der Humboldtianae, welche gleichfalls einen becherartigen Diskus zeigen und doch unserer Lorbeerweide und deren Verwandten entschieden nahe stehen, sowie anderseits die habituelle Aehnlichkeit der Salix reticulata mit andern Alpenweiden war maßgebend, diese Kerner’sche Gattung nicht aufrecht zu erhalten. Die erwähnte Gruppe der Humboldtianae zeigt noch in einer andern Beziehung eine Annäherung an Populus, nämlich darin, dass die Zahl der Staubblätter stets eine größere ist nnd selbst bis 20 steigen kann). Mit diesen Arten eng verwandt sind die meisten im Tertiär gefundenen Weidenreste, wenigstens diejenigen, welche eine genauere Bestimmung gestatten *). Wir dürfen also die pleiandrischen Weiden als die ältesten auffassen. Das andere Endglied der Weidenreihe bildet gewissermaßen die Gruppe der Purpurweiden, bei denen die beiden Staubblätter verwachsen sind und auch zugleich (was allerdings auch bei vielen andern Arten vorkommt) der Diskus auf einen einzigen Zahn reduziert ist. Dazwischen steht die Mehrzahl der Weiden mit zwei getrennten Staubblättern und 1—2 Diskuszähnen in der männlichen Blüte. Niemand wird zweifeln, dass Salix purpurea L. von solchen Formen ab- stammt, welche zwei getrennte Staubblätter besaßen. Es darf uns daher auch nicht wundern, wenn wir bei dieser Art regressive Formen) antreffen, bei denen die normal verwachsenen Staubblätter sich wieder ganz oder teilweise von einander trennen. Diese Formen sind von den verschiedenen Systematikern verschieden aufgefasst worden. Koch namnte sie Sakx purpurea var. mona- 1) Ueber die Frage der Verwandtschaft der Salicaceen vgl. insbesondere: Eichler, Blütendiagramme, II, S. 48. 2) Kerner, Niederösterreichische Weiden. Verhandlungen d. k. k. zool.- bot. Ges., 1860, Seite 275. 3) Pax in Engler und Prantl, Natürl. Pflanzenfamilien, III, 1, S. 32. A Bazlren SD. 31. 5) Ueber den Begriff „regressiver“ Formen vergl. Krasser, in Verhand- lungen d. k. k. zool.-bot. Ges., 1887, Sitzungsber., S. 76. 638 Fritsch, Zur Phylogenie der Gattung Salix. delpha. Kerner scheint diese Anomalie nicht beobachtet zu haben, da er das Vorkommen gespaltener Filamente nur für die androgynischen Kätzchen und für Bastarde der Salz purpurea zugibt'!). Infolge dessen hält dann Neilreich?) Koch’s var. monadelpha für eine Rückschlagsform des Bastardes Salix purpurea x viminalis. Es ist aber ganz zweifellos, dass bei sonst ganz typischer Salixw purpurea diese monadelphische Form vorkommt; ich selbst beobachtete sie z. B. in den Salzachauen bei Salzburg, so weit und breit keine Salix viminalis L. vorkommt. Ferner sah ich diese monadelphische Form (im Herbar) von Kalksburg bei Wien (Wiesbaur). In den „Nachträgen“ von Haläcsy und Braun?) wird sie von verschiedenen Punkten in Niederöster- reich angegeben; namentlich soll sie im Thale der Liesing stellenweise die typische Form fast verdrängen. Obwohl die Autoren sich nicht auf Neil- reich’s Bemerkung in den „Nachträgen* (1866) beziehen und man daher nicht weiß, ob sie eine androgynische Form meinen oder nicht, scheint doch dies unwahrscheinlich, da androgynische Formen wohl kaum in so großer Menge vorkommen dürften. So wie wir bei Salvx purpurea L regressive Formen finden, die sich durch zwei ganz oder teilweise getrennte Staubblätter auszeichnen, so dürfen wir auch bei den diandrischen Weiden — wenigstens bei denjenigen Arten der- selben, die den pleiandrischen zunächst stehen — regressive Formen erwarten, die mehr als zwei Staubblätter besitzen. Solche Formen finden sich thatsäch- lich bei Salix fragilis L. Bekanntlich finden sich zwischen dieser Art und Salix pentandra L. verschiedene Mittelformen, die zum Teil sicher hybriden Ursprungs sind (Salixz cuspidata Scehltz.), zum Teil aber nur sehr gezwungen als Bastarde aufgefasst werden können, wie namentlich Salix Pokornyi Kern. Der Autor selbst, welcher sie zuerst!) für eine Salx subpentranda - fragilis hielt, kam von dieser Ansicht später ab und gab sie im Herbar österreichischer Weiden als pleiandrische Varietät der Salix fragilis aus. Neilreich nannte diese Form zuerst’) Salix fragilis var. polyandra, später®) Salix fragilis var. subpentandra. Da sich diese Pflanze von der typischen Salix fragilis L. eigent- lieh nur dadurch unterscheidet, dass ein Teil der Blüten 3—5 statt 2 Staub- blätter entwickelt, so ist die Auffassung derselben als regressive Form der Salix fragilis entschieden die einfachste. Anderseits könnte man jene Formen der Salix pentandra L., welche nur 4—5 Staubblätter entwickeln, als pro- gressive Formen deuten, d. h. als Formen, die sich vom Urtypus der Gattung mehr entfernen als die typische Salz pentandra. Es ist sehr wahrscheinlich, dass in polymorphen Gattungen, deren Arten häufig durch Mittelformen verbunden sind, eine große Anzahl solcher regressiver und progressiver Formen vorkommt, welche dann bald als Bastarde, bald als Varietäten — von Dilettanten auch als Arten — aufgefasst werden. Da die Entstehung solcher Formen in vielen Fällen durch äußere Einflüsse — z. B. durch besonders günstige oder besonders ungünstige Ernährungsverhältnisse — 1) Niederösterr. Weiden, S. 272 und 274. 2) Nachträge zur Flora von Niederösterreieh, 1866, S. 27. 3) Nachträge zur Flora von Niederösterreich, 1882, S. 68. 4) Niederösterr. Weiden, S. 181—183. 5) Flora von Niederösterreich, S. 253. 6) Nachträge (1886) S. 23. Kronfeld, Ueber Wurzelanomalien kultivierter Umbelliferen. 639 veranlasst sein kann !), wenn wir auch nicht immer diese äußern Einflüsse zu erkennen im stande sind, so ist gegen die Bezeichnung derselben als „Varie- täten“ im Sinne Linn&’s nichts einzuwenden. Nur wird es sich in den meisten Fällen so verhalten, dass die regressiven Blütenformen (oder auch Blatt- formen etc.) vermischt mit den normalen auf derselben Pflanze vorkommen. Dies ist auch bei den oben besprochenen Beispielen, Salix purpurea monadelpha und Salix fragilis polyandra, der Fall. Meiner Ansicht nach ist das Studium regressiver Formen und namentlich die Ermittlung jener Bedingungen, unter denen dieselben entstehen, eines der wichtigsten Hilfsmittel für die phylogenetische Forschung. Selbstverständlich darf man auch hier nicht jede etwas abweichende Form als regressiv oder progressiv auffassen und darauf kühne Hypothesen inbezug auf die Phylogenie aufbauen. Sicher aber kann das Vorkommen regressiver Formen zur Bestätigung von Annahmen beitragen, zu denen man durch andere, namentlich auch paläontologische Studien gelangt ist. Sitzung vom 5. Oktober 1887. Herr Dr. Moritz Kronfeld hielt einen Vortrag über Wurzelanoma- lien kultivierter Umbelliferen. An der Hand einschlägiger Objekte aus seiner Sammlung besprach der Vortragende die Bildungsanomalien kultivierter Umbelliferenwurzeln und insbesondere die korkzieherartigen Umschlingungen derselben. Buchenau (Botan. Zeitung, 1832, S. 305) beobachtete, dass zwei benachbarte Wurzeln von Daucus carota auf beinahe zwei volle Windungen um einander geschlungen waren, ohne verwachsen zu sein, und in einem andern Falle sahh er an den zwei Armen einer abnormerweise dichotomen Möhre 2) dasselbe Phänomen. Zwei vom Vortragenden untersuchte Teratologica der Möhre reihen sich unmittelbar an die Objekte Buchenau’s. a) Eine kurze und dieke Möhre wird zu drei Vierteilen ihres Umfanges von einer schmäch- tigern Wurzel umschlungen, die untern Wurzelenden streben hierauf gleich- sinnig parallel nach abwärts; nirgends sind die Wurzelkörper verwachsen. Fall 5b) glich ganz dem zweiten Beispiele Buchenau’s. Ferner demonstrierte der Vortragende zwei Wurzeln der Pastinaca sativa, die mittenwärts förmlich in einander gehenkelt waren und im übrigen nebeneinander gradlinig verliefen. Auch diese Wurzeln waren nur umschlungen und konnten, wie die beiden Branchen gewisser chirurgischer Instrumente, auseinander gehenkelt werden. Unter dem pompösen Titel: „Ein Ringkampf zweier Wurzeln“ schilderte Römer im vorigen Jahre eine in mehrern Touren erfolgt einnige Umschlingung 1) Man unterscheide wohl zwischen änßerem Anlass und innerer Ursache! Vgl. hierüber Weismann, Botanische Beweise für eine Vererbung erworbener üigenschaften. Biolog. Centralbl., Bd. VIII, Nr. 3, 1888. 2) Ein instruktives Beispiel einer Möhre, deren Sekundärwurzeln nach Unter- drückung der Hauptwurzel parenchymatös anschwollen, erwähnt Reichardt (Verhandl. der zool.-botan. Gesellsch., 1557, S. 329); es ahmte hier eine Um- bellifere gleichsam das Wurzelsystem eines (irsium pannonicum, einer Spiraea Jilipendula nach, während es sich oben um eine wirkliche Teilung der Haupt- wurzel handelt. 640 Kronfeld, Ueber Wurzelanomalien kultivierter Umbelliferen. zweier Pastinakwurzeln (Oesterr. bot. Zeitschrift, 1886, S. 48). — Ohne Frage hätte Göthe Bildungen dieser Art für offenbare Aeußerungen der „Spiral- tendenz“ angesprochen. Darwin hatte in ihnen nicht minder Bethätigungen der den Wurzeln innewohnenden Zirkumnutation erkannt. Allein wie die „Spiraltendenz*, so kann — nach Wiesner’s exakter Widerlegung — auch Darwin’s Urbewegung für rein spekulativ erklärt werden, und es fragt sich, wie die Umschlingungen der Umbelliferenwurzeln thatsächlich zu deuten sind. Der Vortragende ist geneigt, sie unter Annahme des Zugwachstums (Wiesner, Bewegungsvermögen der Pflanzen, Wien, 1881, S. 135 fg.) zu erklären. Von zwei dieht neben einander im Boden steckenden Wurzeln wird öfters die eine ausgiebiger befestigt sein als die andere, das heißt vermöge reichlicherer Neben- wurzeln stärkern Halt finden als ihr Nachbar'). Die labilere Nachbarwurzel kann nun durch irgend einen Zufall gegen die stärkere angedrückt werden, und vorausgesetzt, dass sie lebhaft wächst, so wird man an ihr alsbald eine innere gedrückte und eine äußere gespannte Seite zu unterscheiden haben. Diese erscheint im Wachstum gefördert, jene zu gleicher Zeit beeinträchtigt, und demgemäß wird sich die vorerst positiv-geotropische Wurzel bogenförmig um den kräftigern Wurzelkörper legen. Hiedurch kommen aber weitere Teile derselben mit dem Widerhalt in Berührung; aus der einfachen Krümmung wird so eine volle Umschlingung werden, ihr eine zweite nachfolgen u. s. f., wofern nicht früher oder später das Zugwachstum von dem positiven Geotropismus gänzlich überwunden wird. Aus der Kombination von Zugwachstum und Geo- tropismus ergibt sich also die dem Winden oberirdischer Caulome um feste Stützen vergleichbare Umschlingung einer Umbelliferenwurzel durch die andere. Nach Darwin (Kletternde Pflanzen, übers. v. Carus, Stuttgart, 1876, S. 144) ist das Winden um aufrechte Stützen auch an Luftwurzeln, und zwar von Philodendron sp., sowie Vanilla aromatica, festgestellt worden. Speziell bei Vanilla nimmt Darwin als ursächliches Moment die ungleichseitige Beleuch- tung des Wurzelstranges an. 1) Gewöhnlich wird sie auch den mächtigern Wurzelkörper besitzen, doch sind Fälle denkbar, in denen eine schmächtige Wurzel fester im Boden steckt als eine dicke. Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wün- schen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten an- zugeben. Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut‘‘ zu richten. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Eriangen. g g Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der ee in Beeues 24 Nummern ' von je: 3 _ Bogen bilden. einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Fostanstalten, VII, Band. 1. Januar 1889, Nr. 21. Inhalt: Brock, Die Stellung Kant’s zur Deszendenztheorie. — Biehringer, Neuere Arbeiten über Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Trematoden. II. Arbeiten zur Entwicklungsgeschichte des Leberegels.. — Möbius, Bruchstücke einer Infusorienfauna der Kieler Bucht. — Rosenthal, Die Wärmeproduktion der Tiere. — Me Kendrick, Die Blutgase. (Drittes Stück.) — Marshall, Atlas der Tierverbreitung. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften K. k. zoolog.-botan. Gesellschaft zu Wien. Die Stellung Kant’s zur Deszendenztheorie Von J. Brock. Der große Königsberger Philosoph gilt jetzt allgemein als ein Anhänger der Deszendenztheorie, seitdem Häckel!) jene berühmte und seitdem viel zitierte Stelle in der Kritik der Urteilskraft wieder ans Licht gezogen hat, in welcher die Idee einer Deszendenztheorie in wenigen kräftigen Zügen ausgeführt wird?). Um die Berechtigung zu gewinnen, Kant unter den Vorläufern Darwin’s mit aufzuführen, hat man sieh aber mit Unrecht meist auf diese eine Stelle beschränkt, und daher kommt es, dass von der Kant’schen Auffassung der De- szendenzlehre noch immer in manchen Punkten direkt irrtümliche, jedenfalls aber vielfach unvollständige Vorstellungen verbreitet sind. Denn wenn jener allgemein bekannte Passus auch die einzige Stelle bleibt, an welcher sich Kant in ausführlicherer Weise über die De- szendenztheorie ausgesprochen hat, so hat er diese Frage noch zu ver- schiedenen malen zum Teil in einem ganz andern Zusammenhange gestreift, und alle diese wenn auch ganz gelegentlichen Aeußerungen wollen wohl erwogen und mit einander verglichen sein, um ein rich- tiges Bild von Kant’s Stellung in dieser wichtigen Angelegenheit zu gewinnen. Für Kant sind die Organismen vor allen übrigen Naturerzeug- nissen durch zwei Eigenschaften ausgezeichnet, ihre unbedingt zweck- mäßige Org ganisation und durch das, was wir heute natürliche Ver- 1) In seiner natürlichen Schöpfungsgeschichte. 2) Kant’s Werke. Gesamtausgabe von Hartenstein (nach welcher auch alle folgenden Zitate) Bd. V S. 432. VIII, 41 642 Brock, Die Stellung Kant’s zur Deszendenztheorie. wandtschaft nennen, also die Uebereinstimmung größerer Gruppen in einem allgemeinen Grundplane des Baues, dessen mannigfaltige und bis auf das feinste abgestufte Abänderungen im einzelnen wieder die unendliche Verschiedenheit organischer Wesen ausmachen. Wie auch die genaueste Kenntnis und Darstellung dieser Verwandt- schaftsverhältnisse die sich damit beschäftigenden Wissenschaften niemals von bloßer Naturbeschreibung zu Naturwissenschaft erheben kann, so hat doch anderseits jeder Versuch, auch die organische Natur nach rein mechanischen Prinzipien verstehen zu lernen — was nach Kant das Endziel jeder Naturwissenschaft sein muss — wieder von den Thatsachen der natürlichen Verwandtschaft auszugehen. Denn gelänge es, diese natürliche Verwandtschaft als wahre Bluts- verwandtschaft zu erweisen, so stünde der Zurückführung der ganzen Tier- und Pflanzenwelt auf wenige einfachste Formen, deren Bildung aus anorganischer Materie nach rein mechanischen Gesetzen („gleich denen, wonach sie |sc. die Natur] in Krystallerzeugungen wirkt“) !) wenigstens nicht undenkbar ist, nichts entgegen. „Hier steht es nun dem Archäologen der Natur frei“, fährt er dann fort, „aus den übrig gebliebenen Spuren ihrer ältesten Revolu- tionen ... jene große Familie von Geschöpfen . . . entspringen zu lassen“ und entrollt vor uns nun jenes Bild einer Deszendenzhypo- these, wie sie in seinem Kopfe entstanden ist?). Und trotzdem hat Kant diesen ebenso kühnen wie scharfsinnigen Ideen nie den Rang einer wissenschaftlich diskutierbaren Hypothese zuerkennen wollen. In seiner Rezension des ersten Bandes von Herder’s Ideen zur Philosophie einer Geschichte der Menschheit erklärt Kant die De- szendenztheorie für eine Idee, die so ungeheuer ist, „dass die Vernunft vor ihr zurückbebt“ ?), weil, wie er in der Gegenrezension einer Kritik seiner eignen Rezension, in welcher er noch einmal auf seine Aeußerung zurückkommt, bemerkt, man zurückbebt, „wo man auf eine Idee stößt, bei der sich gar nichts denken lässt“ ®). Damit stimmt auch überein, was er in der Anmerkung sagt, mit der er die bekannte Stelle in der Kritik der Urteilskraft begleitet. „Eine Hy- pothese von solcher Art“, heißt es dort bekanntlich, „kann man ein gewagtes Abenteuer der Vernunft nennen, und es mögen wenige, selbst von den scharfsinnigsten 5) Naturforschern sein, denen es nicht bisweilen durch den Kopf gegangen wäre.“ Warum kann sich aber nun Kant bei einer Deszendenztheorie nichts denken? Delzeas2 4132 2) Die Stelle ist neuerdings so oft zitiert worden, dass wir von einer aus- führlichen Wiedergabe hier absehen dürfen. 3) Bd. IV S. 180. 4) Bd. IV S. 183. 5) „Scharfsinnig“ natürlich inbezug auf die Würdigung der entgegenstehen- den Schwierigkeiten. Brock, Die Stellung Kant’s zur Deszendenztheorie, 6453 Die Deszendenztheorie erfüllt für Kant noch nicht die Bedingungen, die an eine Hypothese gestellt werden müssen. „Zur Befugnis selbst der gewagtesten Hypothese“, so sagt er an einer andern Stelle sehr wahr, „muss wenigstens die Möglichkeit dessen, was man als Grund annimmt, gewiss sein und man muss dem Begriffe desselben seine objektive Realität sichern können.“ Für die Deszendenzhypo- these ist aber die „Möglichkeit dessen, was man als Grund annimmt“, die Transmutation der Species, und eben diese scheint Kant nach den vorliegenden Thatsachen absolut nicht erwiesen. Hören wir, wie er sich des Nähern darüber ausspricht. Es gibt für die Transmutation der Arten zwei Möglichkeiten, wie man sich dieselbe vorstellen kann. Entweder sie ist eine sprung- weise, d. h. die Umwandlung geht so vor sich, dass unmittelbar von einander abstammende Organismen, z. B. Kinder und Eltern um einen größern Betrag, sagen wir mindestens den eines Genus-Unterschiedes von einander abweichen. Oder die Transmutation ist eine allmäh- liche, unmerkliche, dann überschreiten die Abweichungen zwischen den nächsten Verwandten nicht die Grenzen der individuellen Varia- tionsbreite und die Bildung größerer Unterschiede, wie sie für die allmähliche Entstehung neuer Arten notwendig ist, muss dureh suc- cessive Summation dieser kleinen Abweichungen mit Zuhilfenahme genügend langer Zeiträume erklärt werden. Beide Möglichkeiten hat nun Kant schon wohl erwogen. Eine Deszendenzhypothese, sagt er in der schon oben zitierten Anmerkung, wäre wenigstens nicht ungereimt, wie die generatio aequivoca. „Sie wäre immer noch generatio univoca in der allgemeinsten Bedeutung des Worts, sofern nur etwas Organisches aus einem andern Organi- schen, obzwar unter dieser Art Wesen spezifisch von ihm unterschie- denen, erzeugt würde; z. B. wenn gewisse Wassertiere sich nach und nach zu Sumpftieren und aus diesen nach einigen Zeugungen zu Landtieren ausbildeten. A priori, im Urteil der bloßen Vernunft, widerstreitet sich das nicht. Allein die Erfahrung zeigt davon kein Beispiel; nach der vielmehr alle Zeugung, die wir kennen, generatio homonyma ist, nicht bloß univoca im Gegensatz mit der Zeugung aus unorganisiertem Stoffe, sondern auch ein in der Organisation selbst mit dem Erzeugenden gleichartiges Produkt hervorbringt, und die generatio heteronyma, soweit unsere Erfahrungskenntnis der Natur reicht, nirgends angetroffen wird.“ Diesen klaren Worten brauche ich nichts hinzuzufügen. Kant leugnet also die sprungweise Entwicklung oder generatio heteronyma, wie er sie nennt, weil jede Möglichkeit ihrer empirischen Begrün- dung fehlt '). 1) Er zeigt sich also de Maillet und andern ältern Deszendenztheoretikern an Einsicht weit überlegen, denen die Umwandlung der Amphibien- und Insekten- 41* 644 Brock, Die Stellung Kant’s zur Deszendenztheorie. Viel eigentümlicher ist Kant’s Stellung zu der jetzt allgemein angenommenen Transmutation der Species durch Summierung indi- vidueller Variationen. Ueber das Verhältnis dieser zweiten Möglich- keit zur empirischen Erfahrung schweigt er ganz und gar, woraus man den Schluss ziehen könnte, dass aus ihr weder Gründe für noch gegen zu entnehmen sind; da Kant aber sich sonst als Anhänger des Konstanzdogmas bekennt und in richtiger Konsequenz dieser Anschauung auch von einer noch fortdauernden Erzeugung neuer Arten in der Gegenwart nichts wissen will), so ist anzunehmen, dass die Hypothese einer unmerklichen Transmutation der Species für ihn ebenso der empirischen Begründung entbehrte, als die einer sprungweisen; nur hat er nicht nötig, den Mangel empirischer Be- gründung noch besonders hervorzuheben, da die Unzulässigkeit der Hypothese einer allmählichen Transmutation sich schon als logische Konsequenz seines theoretischen Speziesbegriffes ergab. Kant stellt sich nämlich ?2) die zweckmäßige Organisation der Larven in das geschlechtsreife Tier als vollgiltige Beweise für Wahrschein- lichkeit einer Transmutation galten. 1) „Bis diese Gebärmutter selbst erstarrt, sich verknöchert, ihre Geburten auf bestimmte, fernerhin nicht ausartende [abändernde] Species eingeschränkt hätte, und die Mannigfaltigkeit so bliebe, wie sie am Ende der Operation jener fruchtbaren Bildungskraft ausgefallen war“. 2) Das Beweismaterial für die nachfolgende Auseinandersetzung findet sich in den zwei kleinen anthropologischen Schriften Kant’s: Von den verschiedenen Rassen des Menschen, Königsberg 1775, und Bestimmung des Begriffs einer Menschenrasse, 1785, hauptsächlich aber in einem Passus, welcher sich an die schon zitierte Stelle in der Kritik der Urteilskraft direkt anschließt und den wir seiner Wichtigkeit wegen hier vollständig wiedergeben wollen. „Selbst was die Ver- änderung betrifft, welcher gewisse Individuen der organisierten Gattungen [Arten bei Kant] zufälligerweise unterworfen werden, wenn man findet, dass ihr so ab- geänderter Charakter erblich und in die Zeugungskraft aufgenommen wird [also erb- liche Abänderungen, die den Betrag einerindividuellen Variation nicht übersteigen], so kann sie nicht füglich anders als gelegentliche Entwicklung einer, in der Species ursprünglich vorhandenen zweekmäßigen Anlage zur Selbsterhaltung der Art [und nicht als ein Mittel der Natur zur Hervorbringung neuer Arten] beurteilt werden; weil das Zeugen seines Gleichen, bei der durchgängigen innern Zweckmäßig- keit eines organisierten Wesens, mit der Bedingung, nichts in die Zeugungs- kraft aufzunehmen, was nicht auch in einem solchen System von Zwecken zu einer der unentwickelten ursprünglichen Anlagen gehört, so nahe verbunden ist. Denn wenn man von diesem Prinzip abgeht, so kann man mit Sicherheit nicht wissen, ob nicht mehrere Stücke der jetzt an einer Species anzutreffen- den Form [erbliche Speciescharaktere] ebenso zufälligen zwecklosen Ursprungs [als die individuellen Variationen nach der von Kant bekämpften Auffassung] sein mögen, und das Prinzip der Teleologie, in einein organischen Wesen nichts von dem, was sich in der Fortpflanzung desselben erhält, als unzweck- mäßig zu beurteilen [also jeden erblichen Speciescharakter zugleich als An- Brock, Die Stellung Kant’s zur Deszendenztheorie. 645 Tiere und Pflanzen als eine absolute vor, er sieht in ihnen Natur- erzeugnisse, in denen jeder Teil, jede Eigenschaft, jede Funktion mit Rücksicht auf andere da ist und erfolgt und wieder durch andere bedingt ist. Daraus folgt aber, dass an diesen absolut vollendeten Mechanismen eine Aenderung nur als Verschlechterung denkbar ist, also als dem Zweckbegriff der Natur zuwider nicht statthaben kann. Kant polemisiert darum an einer andern Stelle so heftig gegen die Vererbung erworbener Eigenschaften !), weil, wenn er diese auch nur der Möglichkeit nach zuließe, sein ganzer Speciesbegriff damit zer- stört werden würde. Denn wenn ein Organismus beliebig neue Eigen- schaften erwerben könnte, ohne damit die innere Harmonie seiner altererbten zu stören, könnte er eben nicht in dem Maße zweckmäßig organisiert sein, als es alle Lebewesen in der That sind. Darum sind auch die spontanen individuellen Variationen, welche Kant schon mit Rücksicht auf die Kulturrassen unmöglich leugnen konnte, niemals wirklich neu hinzutretende Eigenschaften, sondern schon der Anlage nach vorhanden und nur durch die Aenderung der äußern Lebens- bedingungen oder sonstige verborgene Einflüsse jetzt erst zur Ent- wicklung gelangt. Jede Eigenschaft, welche je an einem Tier oder Pflanze als Variation auftreten kann, muss schon potentia vorher gewesen sein. Eine Quelle für Bildung neuer Arten können indivi- duelle Variationen aber nie werden, da sie dann, sei es sofort, sei es im Laufe der Zeit, eine Bedeutung erlangen müssten, welche vom Standpunkt der Zweckmäßigkeit, wie sie Kant auffasst, nie zuge- standen werden kann. Die Unmöglichkeit, für die Transmutation der Arten, sei es em- pirische Beweise zu geben, sei es sie wenigstens durch theoretische Erwägungen annehmbar zu machen, ist also für Kant das erste große Hindernis für die Annahme der Deszendenzhypothese. Ein zweites noch schwereres findet er aber in dem Umstande, dass eine Theorie, welche es unternimmt, die organische Welt in ihrer einstigen und heutigen Erscheinungsform nach einfachen mechanischen Prin- zipien zu erklären, zugleich auch ihre zweckmäßige Organisation als notwendige Folge aus diesen Prinzipien ableiten muss, um vollständig und wohlbegründet zu sein. Denn da alle Eigenschaften, welche wir in ihrer Gesamtheit als natürliche Verwandtschaft bezeichnen, zugleich in jedem Geschöpf wieder ein äußerst (nach Kant sogar absolut) zweckmäßiges Ganze bilden und das eine nicht ohne das andere gedacht werden kann, so ist a priori klar, dass dieselbe verborgene Ursache beiden Erscheinungen zu grunde liegt, dass eine passung aufzufassen], müsste dadurch in der Anwendung sehr unzuverlässig werden, und lediglich für den Urstamm (den wir aber nicht mehr kennen) giltig sein“, 4): Ges. W. Bd. IV S. 222. 646 Brock, Die Stellung Kant’s zur Deszendenztheorie. gut begründete Deszendenzhypothese daher zugleich auch die Zweck- mäßigkeit der organischen Natur erklären muss !). Das aber scheint Kant eine Sache der Unmöglichkeit. Daher sagt er, nachdem er in der verlockenden Vorstellung der Deszendenz- theorie gleichsam geschwelgt hat, zum Schluss resigniert: „Allein er muss gleichwohl zu dem Ende dieser allgemeinen Mutter eine auf diese Geschöpfe zweckmäßig gestellte Organisation beilegen, widrigen- falls die Zweckform der Produkte des Tier- und Pflanzenreichs ihrer Möglichkeit nach gar nicht zu denken ist. Alsdann aber hat er den Erklärungsgrund nur weiter aufgeschoben und kann sich nur anmaßen, die Erzeugung jener zwei Reiche von der Bedingung der Endursachen unabhängig gemacht zu haben“. Also die zweckmäßige Organisation aller Lebewesen muss noch durch eine besondere Hypothese erklärt werden, da die Deszendenzhypothese allein das nicht zu leisten vermag. Wir wissen, dass der Darwinismus grade diese Schwierigkeit, welche für Kant ein unüberwindliches Hindernis für die Annahme der Deszendenztheorie bildet, auf glänzende Weise gelöst hat. Denn grade die strenge Konsequenz, mit welcher aus denselben Prinzipien, welche der Bildung neuer Arten zugrunde liegen, nebenbei auch die Zweckmäßigkeit aller Organismen als einfache Folgerung abgeleitet werden kann, ist ja in den Augen jedes denkenden Menschen einer der stärksten Beweise für die Richtigkeit der Dar win’schen Theorie ?). Was aber Kant’s Zweifel an der Transmutation der Arten be- trifft, so teilt die große Mehrzahl der jetzigen Naturforscher seine Bedenken gegen die Annahme einer sprungweisen Entwicklung voll- ständig. Weder spricht irgendwelche Erfahrung dafür, noch lassen theoretische Erwägungen ihre Annahme trotzdem empfehlenswert er- scheinen. Anders dagegen mit seinem Widerstande gegen allmähliche 4) „Nun müssen ... das Prinzip des Mechanismus der Natur [also in unserem Falle Erklärung der natürlichen Verwandtschaft durch die Deszendenztheorie] und das der Kausalität derselben [Erklärung der zweckmäßigen Organisation], an einem und demselben Naturprodukte !der naturhistorischen Art] in einem einzigen obern Prinzip [als welches Darwin die natürliche Zuchtwahl er- kannte] zusammenhängen und daraus gemeinschaftlich zusammenfließen, weil sie sonst in der Naturbetrachtung nicht nebeneinander bestehen könnten“. Kritik der Urteilskraft $ 78. Die Bemerkungen in Klammern enthalten natür- lich die Anwendung des allgemein gehaltenen Axioms auf unsern beson- dern Fall. 2) Schwerlich hat Kant die Deszendenztheorien Erasmus Darwin’s und Lamarck’s, deren Veröffentlichung in seine letzten Lebensjahre fiel, noch kennen gelernt. Bei beiden ergibt sich Transmutation der Arten und zweckmäßige Organisation derselben bekanntlich ja auch als einfache Konse- quenz ein und desselben Prinzips, nämlich der Einwirkung der äußern Um- gebung auf Pflanzen und Tiere; es ist aber kein Zweifel, dass Kant von seinem Standpunkt aus eine Deszendenztheorie, deren Angelpunkt die Ver- erbung erworbener Eigenschaften ist, kurzweg zurückgewiesen haben würde. Brock, Die Stellung Kant’s zur Deszendenztheorie. 647 Transmutation, die heute fast allgemein angenommene Hypothese. Hier sind Kant’s Gegengründe leicht als irrig zu erweisen, weil seine Schlussfolgerungen von einer falschen Prämisse ausgehen. Die Annahme einer die Grenzen der Art erweiternden Variabilität würde nur dann zu einer logischen Unmöglichkeit, nämlich einer fortschrei- tenden Verschlechterung der zweckmäßigen Organisation als Konsequenz führen, wenn diese Zweckmäßigkeit selbst eine absolute wäre, denn nur in diesem Falle wären nur Variationen in pejus möglich. Wir wissen aber im Gegenteil, dass auch die vollkommenste Zweckmäßig- keit in der Natur an und für sich nur eine relative ist, die von der möglichen Vollkommenheit doch immer noch weit entfernt bleibt und dann vor allem eine bedingte, d. h. bestimmter Lebensbedingungen angepasste, mit deren Aenderung sie sich nicht nur bedeutend ver- schlechtern, sondern sogar zu direkter Unzweckmäßigkeit werden kann. Man kann daher keineswegs, wie das Kant thut, behaupten, dass in irgend einem Organismus nicht noch Raum für Verbesserungen war, und sollte es wirklich nicht sein, so doch jedenfalls von dem Augen- blieke an, wo sich jene Lebensbedingungen ändern, so dass also auch dieses Bedenken des großen Philosophen gegen die Annahme der Deszendenztheorie nicht mehr zu Recht bestände. So ist es der modernen Naturwissenschaft gelungen, die Hindernisse, welche Kant an der Möglichkeit der rationellen Begründung der Deszendenztheorie verzweifeln ließen, aus dem Weg zu räumen; ihm selbst, wenn er auch bei seiner von seinen Standpunkt, wie wir sehen, vollkommen berechtigten Zurückhaltung der Deszendenztheorie gegenüber nicht, wie Lamarck und Erasmus Darwin, zu ihren Begründern ge- rechnet werden darf, kann doch niemand den Ruhm streitig machen, lange bevor die Naturwissenschaft sich an eine wirklich wissen- schaftlich begründete Deszendenzhypothese zu machen wagte, die Bedingungen, welche eine solche zu erfüllen hätte, mit bewundernswür- diger Schärfe und Klarheit für alle Zeiten endgiltig festgestellt zu haben. Von hervorragender Seite!) ist behauptet worden, dass Kant mit dem Zusatz, in welchem er leugnet, dass die Deszendenz- theorie auch die zweckmäßige Organisation erklären könne, diesem „bewunderungswürdigen Satze“ selbst die Spitze abgebrochen habe. „Offenbar“, so sagt der Verfasser, „hebt dieser Zusatz den wichtigsten Grundgedanken des vorhergehenden Satzes, dass durch die Deszendenz- theorie eine rein mechanische Erklärung der organischen Natur mög- lich werde, vollständig wieder auf“. Ich glaube nicht, dass man nach meinen obigen Auseinandersetzungen diesen Vorwurf noch wird auf- recht erhalten können. Nicht die Möglichkeit einer rein mechanischen Erklärung der organischen Natur durch die Deszendenztheorie ist der Grundgedanke des Satzes, sondern die Möglichkeit einer mechanischen 4) Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte, 4. Aufl., Berlin 1873, S. 93. 648 Biehringer, Arbeiten zur Entwicklungsgeschichte des Leberegels. Erklärung der natürlichen Verwandtschaft. Um die gesamte organische Natur mechanisch erklären zu können, müsste auch die Zweckmäßig- keit organischer Körper aus der Deszendenztheorie erklärt werden können, und daran eben verzweifelt Kant. Weil für die Erklärung der Zweckmäßigkeit doch wieder eine besondere Hypothese aufgestellt werden müsste — das ist der wahre Sinn dieses Zusatzes — verliert auch die Möglichkeit der Erklärung der natürlichen Verwandtschaft durch die Deszendenztheorie viel von ihrem Werte. Es ist schwer verständlich, wie Haeckel, der wenige Seiten vorher!) Kant’s Lehre vom Verhältnis der mechanischen zur teleo- logischen Naturerklärung vollkommen richtig auseinandersetzt, be- haupten kann, dass Kant an dieser und ähnlichen Stellen das Prinzip des Mechanismus der teleologischen Erklärungsweise schlechthin unter- ordnet. Wir verweisen in dieser Beziehung nur auf den lehrreichen $ 78 [„Von der Vereinigung des Prinzips des allgemeinen Mechanis- mus der Materie mit dem teleologischen in der Technik der Natur“]?), wo Kant klar und deutlich auseinandersetzt, dass die teleologische Naturerklärung immer nur den Wert „eines heuristischen Prinzips“ haben wird, auf das wir freilich bei den Grenzen unseres Erkenntnis- vermögens in den meisten Fällen beschränkt bleiben werden — also ganz genau, wie die teleologische Erklärungsweise auch von der modernen Naturforschung in weitestem Umfange angewendet wird. Ueberhaupt "können wir nur sagen, dass die Kritik der Methoden der naturwissen- schaftlichen Forschung, welche Kant in seiner Kritik der teleologi- schen Urteilskraft gibt, noch heute in weitestem Umfange zu Recht be- steht, und uns unter diesen Umständen nur dem Wunsch F. Schultze’s?) anschließen, dass die Naturforscher dieser bewunderungswürdigen Schrift größere Beachtung schenken möchten, als bisher geschehen ist. der Trematoden'). Bericht von Dr. Joachim Biehringer in Erlangen. Il. Arbeiten zur Entwicklungsgeschichte des Leberegels. R. Leuckart, Zur Entwicklungsgeschichte des Leberegels (Distomum hepaticum). Archiv für Naturgeschichte, 48. Jahrgang, 1. Bd., S. 80 bis 119, Taf. III, 1882. — Zool. Anzeiger, 4. Jahrg., 1881, S. 641 bis 646 und 5. Jahrg., 1882, S. 524 bis 528. A. B. Thomas, the Life-History of the Liver-fluke (Fasciola hepatica). Quarterly Journal of Microscopical Seience, Vol. XXIII, S. 99—133, an, IE EI A Die Entwicklungsgeschichte des Leberegels ist trotz mannigfacher 1). 1.c. 8.90. 2) Ges. Werk. Bd. V. S. 423. 3) F. Schultze, Kant und Darwin. Jena 1875. S. 208. 4) Vergl. Biol. Centralbl., Bd. VIII, Nr. 9. Biehringer, Arbeiten zur Entwicklungsgeschichte des Leberegels. 649 Versuche bis zum Anfange der 70er Jahre eine ungelöste Frage ge- blieben. Zwar hatte schon Creplin die aus den abgelegten Eiern des Wurms ausschlüpfenden Wimperlarven gesehen; allein die weitern Schicksale desselben waren in Dunkel gehüllt. Man konnte bloß aus der Lebensgeschichte seiner nächsten Verwandten den Schluss ziehen, dass auch die seinige eine ähnliche sei, d. h. dass sie erst in einer Reibe von Geschlechtern zum Abschluss kommen werde, welche ihren Wohnsitz in verschiedenen Tieren suchen. Diese Meinung hat durch die oben angeführten Arbeiten von Thomas und Leucekart ihre volle Bestätigung erhalten. Der große Leberegel (Distomum hepaticum) bewohnt bekannter- maßen die Gallenblase sowie die Gallengänge, seltener auch die venösen Blutgefäße der Leber unseres Schafes und Rindes, manchmal in so ungeheurer Menge, dass diese Tiere herdenweise durch die von ihm verursachte Seuche, die Leberfäule, zu grunde gehen. Ueber die Ursache dieser Krankheit wusste man mit Bestimmtheit nur zu sagen, dass saure Weidewiesen und nasse Jahre die Verbreitung der- selben ungemein begünstigen; ja man machte von ersterer Thatsache schon lange in den englischen Schafzüchtereien praktischen Gebrauch, indem man die zum Verkaufe bestimmten Tiere vorher auf solchen Wiesen „verhütete“, um einer Verwendung derselben für Zuchtzwecke vorzubeugen. Den Beweis für diese Erfahrungssätze hat uns die Erforschung der Entwicklung des Wurms gegeben. Die Eier des Leberegels sind winzig klein, weswegen sie auch in riesigen Massen erzeugt werden können; sie gelangen mit der Galle aus der Leber in den Darmkanal der erkrankten Schafe und mit den Kotballen derselben nach außen. Ihre Anwesenheit in letztern ist ein sicheres Zeichen, dass das Tier an Leberfäule leidet; die dies- bezügliche Untersuchung, welche ja für den Züchter von höchster Bedeutung ist, kann von jedem Fleischbeschauer vorgenommen werden. Die Eier machen die Furchung noch im Eileiter des mütterlichen Tieres dureh; ihre weitere Entwicklung geht jedoch nur außerhalb des von der Seuche befallenen Tieres in den Pfützen und Tümpeln der Weideplätze vor sich; sie hängt in ihrer Dauer natürlich sehr von der herrschenden Wärme ab und dauert abgesehen von indivi- duellen Schwankungen bei einer Temperatur von 16° zwei bis drei Monate, bei einer solehen von 23—26° ebenso viele Wochen. Im Winter steht sie ganz still. Infolge dessen werden wir reife Em- bryonen kaum vor dem Monat Juni antreffen. Die Eier enthalten außer der Eizelle noch eine größere Zahl von Dotterkugeln, deren körnige Beschaffenheit die Beobachtung der Em- bryonalentwicklung außerordentlich erschwert. Das reif gewordene Tierchen bewegt sich bereits sehr lebhaft in der Eischale, sprengt endlich durch einige kräftige Bewegungen den schon vorher durch 650 Biehringer, Arbeiten zur Entwicklungsgeschichte des Leberegels. eine Naht bezeichneten Deckel derselben ab, zwängt sich durch die entstandene Oefinung und schwimmt, einem Infusorium ähnlich, davon. Gestalt und Bau der hübschen Wimperlarve des Leberegels ist schon oft beschrieben worden, so dass wir uns hierin kurz fassen können. Der Leib hat die Form eines nach hinten gerichteten schlanken Kegels von 0,13—0,15 mm Länge, dessen Kopfabsehnitt kragenförmig gegen den Rumpf abgesetzt ist und an seinem Vorderende ein vor- streckbares Tastwärzchen trägt. Mit Ausnahme dieses ist der ganze Körper von langen flimmernden Haaren besetzt, welche auf großen sechseckigen Plattenzellen stehen. Unter diesen liegt eine eutieula- artige Grenzschicht, sodann folgt eine Muskellage und endlich die Leibeshöhlenwandung, deren zellige Natur nur in günstigen Fällen zu erkennen ist. Am Hinterende des Kopfabschnittes liegen 2 halb- mondförmige, mit ihren gewölbten Rändern in Form eines x verbun- dene Augen. Mund und Darm fehlen; letzterer wird durch eine im Vorderteile der Leibeshöhle lagernde scharf umrissene Körnermasse vorgestellt. Den hintern Leibesraum erfüllen große runde Zellen, die „Keimzellen“ der nächsten Generation. Auch ein Exkretionsgefäß- system mit 2 seitlichen Längsstämmen und flackernden Flimmer- trichtern ist beschrieben worden; ein Nervensystem ist noch zu ent- decken. Leuckart vergleicht diese Wimperlarven mit den Orthonektiden und ist geneigt, diese samt den ihnen verwandten Dieyemiden zu den Trematoden zu stellen und zwar als eine Gruppe derselben, die auf dem Standpunkt der Wimperlarve stehen geblieben ist und durch geschlechtliche Sonderung der Keimzellen männliche und weibliche Individuen erzeugte. Die aus ihrer Eischale befreite Wimperlarve schwimmt rastlos und fortwährend sieh um ihre Axe drehend im Wasser umher, wobei sie alle Gegenstände, die ihr in den Weg kommen, mit ihrem Tast- wärzchen untersucht. Nach einigen Stunden beginnen ihre Bewe- gungen schwächer und schwächer zu werden, bis sie endlich abstirbt und zerfließt. Dies war alles, was man bis in den Anfang der siebziger Jahre hinein von der Lebensgeschichte des Egelwurms wusste. Da machte 1873 v. Willemoes-Suhm darauf aufmerksam, dass auf den Far-Oer, wo der Leberegel recht häufig ist, bloß 8 Arten von Schnecken in größerer Anzahl vorkämen. Da nun die Wimperlarven sämtlicher Ver- wandten desselben zunächst in ein Weichtier einwandern, so war der Schluss gerechtfertigt, dass das auch hier der Fall sei und dass eine dieser 8 Arten der gesuchte Zwischenwirt sein müsse. R. v. Wille- moes-Suhm hielt eine Wegschnecke, den Limax agrestis, dafür; aber Leuekart erkannte 1579 eine andere Art des Verzeichnisses, eine sonst sehr wenig von Inwohnern heimgesuchte kleine Schlammschnecke, den überall verbreiteten Limnaeus truncatulus Müll. (L. minutus Drap.) Biehringer, Arbeiten zur Entwicklungsgeschichte des Leberegels. 651 als das gesuchte wahre und einzige Wohntier des gefährlichen Schma- rotzers. Versuche mit andern Schnecken, zumal mit Limnaeus pereger, führten nicht zum Ziele. Trifft die Wimperlarve auf ihrem Zuge durch die Pfütze eine solche Schlammschnecke, so hält sie sofort inne, setzt ihre verlängerte Tastpapille an die weiche Haut derselben an und beginnt nun sich äußerst rasch um ihre Axe zu drehen, dabei heftig mit den Wimpern zu schlagen und sich lebhaft auszudehnen und zusammenzuziehen, so dass sie allmählich wie ein Bohrer ins weiche schleimige Gewebe ihres Opfers eindringt. An einem ihr zusagenden Teile desselben, meist der Lunge, seltner der Leibeshöhle, angelangt, sprengt sie zu- nächst durch einige kräftige Bewegungen die Wimperhülle, die rasch abfällt, und stellt nun einen kurzen eiförmigen Schlauch dar, welcher sehr rasch wächst, so dass er schon nach wenig Tagen eine Länge von 0,6—0,8 mm erreicht. Allerdings geht auch eine große Zahl der eingewanderten Würmcehen in den ersten Tagen nach der Infektion zu grunde, während hingegen andere, zumal die rasch wachsenden Exemplare sich durch Querteilung verdoppeln. So entsteht aus der frei lebenden Wimperlarve die erste para- sitische Ammenform, eine Sporozyste. Anfänglich verrät dieselbe noch durch das Tastwärzchen, die beiden Augen und die flackernden Flimmertrichter ihre Herkunft; doch verschwinden und verstreichen alle diese Anzeichen einer höhern Organisation sehr bald. Mund und Darm fehlen auch ihr; die Ernährung geschieht durch Diffusion aus den Säften des Wirts. Die Bewegungen beschränken sich auf Aus- dehnungen und Zusammenziehungen. Der Bau der Leibeswandung ist der gleiche wie beim Embryo: unter der Cuticula liegt eine Mus- kelschicht und unter dieser ein Epithel großkerniger Zellen, die an einzelnen Stellen, namentlich bei jüngern Tieren in mehrfacher Schicht über einander lagern können. Die Leibeshöhle der Sporozyste enthält die Keimzellen des nächsten Geschlechts. Ueber die Entstehung dieser gehen die Ansichten wenigstens teilweise auseinander. Leuekart nimmt einzig und allein die Keimzellen der Wimperlarve dafür in Anspruch, ihm ist die Amme ein bloßer Brutsack, welcher die Aufgabe hat, den Keimzellen einen geeigneten Raum für ihre ungestörte Entwicklung zu gewähren. Thomas dagegen beschreibt neben dem noch eine zweite Entstehungs- art der Keimkörper aus den Zellen der Wandschicht der Sporocyste, die bei ihm also auch als Erzeugerin, nicht allein als Pflegerin ihrer Nachkommenschaft auftritt. Damit stimmen die Beobachtungen von G. R. Wagener und mir überein. Aus diesen Keimen geht nun merkwürdigerweise abermals eine in den Entwicklungskreis des Leberegels eingeschobene Ammen- generation hervor, ein Geschlecht von Redien, welche wir in der Mutter stets in mäßiger Zahl, aber auf allen Stufen der Entwicklung 652 Biehringer, Arbeiten zur Entwicklungsgeschichte des Leberegels. vom einfachen, nur aus wenig Zellen bestehenden Keimkörper bis zum ausgebildeten Tochtertiere treffen, eine Thatsache, die nicht sehr zu gunsten einer gleichzeitigen Entstehung derselben spricht. Die einzelnen Phasen dieser Entwicklung sind von unsern Gewährsmännern, denen es hauptsächlich nur um Feststellung der allgemeinen Lebens- geschichte des Wurms zu thun war, nicht genauer verfolgt worden. Hervorgehoben sei daraus nur, dass Leuckart die Keimzellen der Amme als deren Mesoderm in Anspruch nimmt, als „Embryonalzellen, die nicht zur Vergrößerung ihres Trägers dienen, sondern demselben immer mehr sich entfremdend den Ausgangspunkt einer neuen De- szendenz abgeben.“ Er vergleicht die Entwicklung der Distomen mit der von Wagener beobachteten Entwicklung des Gyrodactylus elegans. Die ausgebildeten Redien, welche bereits lebhaft in ihrer Amme umherkriechen, zeichnen sich vor dieser durch ihre weit höhere Or- ganisation aus. Ihr Körper ist zwar auch walzig gleich dem der Sporozysten, aber er lässt eine Gliederung in Kopf-, Rumpf- und Schwanzstück erkennen. Zwischen beiden erstern liegt ein vor- springender Randwulst, die Ansatzfläche für die Rückziehmuskeln des Kopfstücks und Schlundkopfes; an der Grenze zwischen Rumpf und Schwanzstück stehen 2 bauchständige, kurze nach hinten und außen gerichtete Fußstummel. Außerdem aber besitzen die Redien einen Darmkanal. Eine am Vorderende des Körpers gelegene und von einem Lippenwulst umgebene Mundöffnung führt in einen. muskulösen Schlundkopf, an den sich der einfache Darmsack anschließt. Der- selbe besteht aus einer einzigen auf einer Basalmembran ruhenden Zellenlage. Ein After fehlt. Mit den saugnapfartig vorstülpbaren Lippen heftet sich der Schmarotzer an die Organe seines Wirtes an und pumpt mit Hilfe seines Schlundkopfes Gewebefetzen u. a. in seinen Darm ein. Die Leibeswandung zeigt den gleichen Bau wie in der vorigen Generation, besitzt aber eine stärker entwickelte Muskel- schicht. Auch ein reich verästeltes Exkretionsgefäßsystem mit Flim- mertriehtern und 2 feinen Längskanälen, doch ohne Ausmündungs- stelle, ist gefunden worden. Ein Nervenzentrum, ein dem Darme hinter dem Schlundkopfe aufliegendes zweilappiges Ganglion, ist ebenfalls bekannt. Der hintere Teil der Leibeshöhle enthält wie- derum die Keimzellen. Die Redien sind äußerst beweglich; sie dehnen sich dureh das Spiel ihrer kräftigern Muskulatur lebhaft aus und ziehen sich wieder zusammen; sie vermögen sogar eine verhältnismäßig sehr rasche Orts- bewegung zu vollführen, indem sie sich mit ihren Fußstummeln an- stemmen, den vordern Teil ihres Leibes ausdehnen, sich mit ihren Lippen ansaugen, den Körper nachziehen, sich wiederum mit den Stummeln anstemmen u. s. f. Etwa 14 Tage nach der Einwanderung der Wimperlarve verlassen die ersten reifen Redien ihre Mutter, indem sie an einer beliebigen Biehringer, Arbeiten zur Entwicklungsgeschichte des Leberegels. 655 Stelle die Wandung derselben durchbrechen, und ziehen nun selb- ständig durch die Gewebe der Schnecke, um einen ihnen zusagenden Ort, gewöhnlich die Leber aufzusuchen. Dort nehmen sie noch sehr an Größe zu; nur der Darmkanal behält sein ursprüngliches Maß bei. Dann erzeugen sie etwa in der 5. Woche nach der Infektion, wie es scheint je nach der Jahreszeit, abermals Redien oder aber ein anders geartetes Geschlecht, welches sich in seinem Aussehen dem ausgebildeten Leberegel sehr nähert und sich in diesen durch Metamorphose umwandelt. Häufig findet man auch beide Formen in einer Mutterredie vereint. Je mehr sich die Brut entwickelt, was innerhalb von vierzehn Tagen geschieht, um so träger werden die Be- wegungen der Redie, bis auch sie zu einemleblosen Sacke herabsinkt. Das neue aus der Redie hervorgehende Geschlecht unterscheidet sich vom Geschlechtstiere hauptsächlich durch die geringe Ausbil- dung der Geschlechtswerkzeuge und durch den Besitz besonderer im weitern Verlaufe verloren gehender Organe. Es ist also eine echte Larvenform. Das vorstechendste Larvenmerkmal, ein Schwanz, hat diesen Tieren auch den Namen gegeben, sowohl den wissen- schaftlichen vom griechischen xsozos abgeleiteten Namen Cercaria OÖ. F. Müller wie Oken’s deutsche Bezeichnung „Schweifling“. Das Tierchen, das einer bedeutenden Ausdehnung und Zusammen- ziehung fähig ist, erreicht eine Länge von 0,26 mm und eine Breite von 0,23 mm, der Schwanzanhang eine Länge von 0,5 mm. Es be- sitzt einen Mundsaugnapf und einen ebenso großen Bauchsaugnapf; im Grunde des erstern liegt die Mundöffnung, welche in einen Schlund- kopf, dann in eine Speiseröhre führt, an die sich der einfache in zwei seitliche Aeste geteilte und blind endende Darm anschließt. Das Exkretionsgefäßsystem zeigt zwei seitliche Gefäßstämme, die in eine kontraktile Endblase ausmünden. Ein Nervensystem wird wohl vorhanden sein, wenn es auch von beiden Forschern nicht erwähnt wird. Die Oberfläche des Leibes ist im vordern Teile von außer- ordentlich kleinen Stacheln besetzt. Die Geschlechtswerkzeuge sind in ihren ersten Anlagen vorhanden. Neben dem Schwanze besitzt die Cercarie noch ein zweites Larvenorgan, eine lappige aus vielen Bläschen bestehende Drüse, welche hauptsächlich sich in beiden Seitenteilen des Körpers ausdehnt und von kleinen stark lichtbrechen- den Körnchen erfüllt ist. Man bezeichnet sie aus gleich zu erör- ternden Gründen als kapselbildende oder zystogene Drüse. Dazu kommen endlich noch auf der Rückenfläche gelegene Zellen, die zahl- reiche kleine bakterienähnliche Stäbehen oft in Reihen geordnet ent- halten. Ihre Bedeutung ist noch unbekannt. Vergleichen wir den Schweifling des Leberegels mit dem aus- gebildeten Tiere, so stoßen wir auf solche gewaltige Verschieden- heiten, dass Leuckart, der den erstern schon früher in einem aus Ochsenfurt stammenden Limnaeus truncatulus gefunden hatte, gar 654 Biehringer, Arbeiten zur Entwicklungsgeschichte des Leberegels. nicht an einen Zusammenhang beider dachte. Von dem verästelten Darmkanal, der den Leberegel so auszeichnet, dass man darauf eine besondere Gattung Fusciola gründete, ist nicht die Spur vorhanden; das bei ihm als einfacher medianer Kanal verlaufende Hauptexkre- tionsgefäß ist hier noch doppelt; dagegen verschwinden die kapsel- bildenden Drüsen später bis auf den letzten Rest. Die Larve verläßt die Redie durch eine hinter dem Kopfkragen derselben gelegene Geburtsöffnung, durchwandert die Gewebe der Schnecke, gelangt schließlich nach außen und schwimmt nun in dem Wassertümpel, in dem ihr Wohntier haust, frei umher. Die Kapsel- drüsen geben ihr bei auffallendem Lichte ein silberweißes Aussehen, so dass sie trotz ihrer Kleinheit dem bloßen Auge sichtbar ist. Doch dauert dies freie Leben nicht lange. Kommt das Tierchen mit den Blättern einer Wasserpflanze in Berührung, so schleudert es den Schwanz, der seinen Zweck als Fortbewegungsorgan erfüllt hat, durch einige kräftige Bewegungen weg, rollt sich zusammen und scheidet mittels der Kapseldrüsen, deren Inhalt nach außen gepresst wird, in wenigen Minuten eine feste weiße Kapsel um sich aus. Nimmt man den Schweifling vorsichtig aus dieser heraus, so erscheint er nun vollkommen durchsichtig; von den Kapseldrüsen ist nichts mehr zu sehen. Soweit kennt man die Lebensschicksale des Egelwurms mit voll- kommener Sicherheit; die Beobachtung seiner fernern Entwicklung wollte bislang nicht glücken, da es ungemein schwer hält die Zucht- schnecken Wochen und Monate lang in den Aquarien am Leben zu erhalten. Die Versuche haben nur das eine ergeben, dass die In- fektion des Weideviehs auf einem andern Wege geschehen müsse, als durch bloßes Hinabschlucken der mit reifen Cercarien besetzten Schlammschneeken. Es war das schon deswegen unwahrscheinlich, weil die in den Magen aufgenommenen Schmarotzer dort sofort der verdauenden Kraft des Magensaftes erliegen müssten. Dies zu ver- meiden haben sie ja eben die Fähigkeit, eine Kapsel um sich auszu- schwitzen, erhalten. Sie könnten diese nun dadurch bethätigen, dass sie wie ihre Verwandten in Kerbtiere u. a. einwandern, sich dort verpuppen und warten, bis ihr neuer Wirt von einem andern gefressen wird. Durch ihre Kapsel vor der Verdauung geschützt würden sie dann im Darme den ihnen zusagenden Ort für ihre endliche Aus- bildung finden. Thomas vertritt dagegen in Rücksicht auf die Le- bensgewohnheiten des Zimnaeus und die Fähigkeit der Cercarie sich so rasch einzukapseln, eine andere schon mehrfach von andern For- schern geäußerte Ansicht. Es ist bekannt, dass diese Schnecke sehr gern und häufig das Wasser verlässt und ziemlich weit ins Land hineinwandert. Kriecht nun ein solches reife Schweiflinge enthal- tendes Tier an den von Regen oder Tau benetzten Grashalmen ete. umher, so werden die ausbrechenden Schmarotzer vielfache Gelegen- Möbius, Bruchstücke einer Infusorienfauna der Kieler Bucht. 655 heit finden, in den da und dort hängenden Wassertropfen, an denen die Schnecke vorbeigleitet, umherzuschwimmen und sieh rasch ein- zukapseln, ehe dieselben verdunsten. In diesem Zustande verharren sie dann, bis der Halm oder das Blatt, an dem sie sitzen, von einem weidenden Tiere gefressen wird. Ob diese Annahme richtig ist, muss der Versuch beweisen. Einstweilen spricht für sie allerdings der Umstand, dass der Wurm bloß bei pflanzenfressenden Säugern auf- tritt und dass die Morgenstunden die gefährlichsten für das Weide- vieh sind. Ja der Volksglaube bezeichnet in einzelnen Gegenden bestimmte Pflanzen gradezu als die Ursache der Krankheit. Die kleinsten bis jetzt bei Säugetieren beobachteten Leberegel waren 1,1—2,5 mm lang (Schäfer, Joseph, Thomas). Sie be- saßen noch zwei gleich große Saugnäpfe, einen nur wenig verästelten Darmkanal urd die Anlagen der Geschleehtswerkzeuge. Bald aber beginnen sie mächtig zu wachsen. Der Darm sprosst, der Geschlechts- apparat differenziert und vergrößert sich, mit ihm zugleich der Hinter- leib des Tieres, der ja vornehmlich für seine Aufnahme bestimmt ist, während der vordere Abschnitt nur wenig wächst und den „Kopf- zapfen“ des ausgebildeten Tieres vorstellt. Auch der Bauchsaugnapf nimmt an der allgemeinen Vergrößerung Teil, während der Mund- saugnapf zurückbleibt. Tiere von 18 mm Länge enthalten die ersten reifen Eier. Auf die kleinen Limnäen haben wir also unser Hauptaugenmerk zu richten, wenn wir unser Weidevieh vor den Verheerungen der Egelseuche bewahren wollen, sei es, dass man die Wiesen, auf denen sie auftreten, nicht abweiden lässt, sei es, dass man die Schnecken auf solchen aufsammelt und vernichtet. K. Möbius, Bruchstücke einer Infusorienfauna der Kieler Bucht. Berlin 1838. Mit 7 Tafeln. Im „Archiv für Naturgeschichte“ hat Prof. Möbius soeben eine interessante Abhandlung über Ostsee-Infusorien publiziert. Die Studien, deren Ergebnisse hier niedergelegt sind, betrieb der Verfasser seit dem Jahre 1882, und er verwendete darauf alle Zeit, welche amtliche Verpflichtungen ihm übrig ließen. Im Frühjahr 1887, wo Möbius bekanntlich nach Berlin berufen wurde, um das Direktorat des königl. Museums für Naturkunde zu übernehmen, wurden diese Infusorien- Studien abgebrochen. Dieselben sind also leider nicht zum Abschluss gekommen; trotzdem aber sind sie geeignet, andern Zoologen die Bearbeitung einer vollständigen Protozoenfauna der Ostsee zu er- leichtern. Die für die Kieler Bucht konstatierten Arten sind folgende: Hypotricha: Euplotes harpa Stein; Styloplotes appendiculatus Ehrb.; Aspidisca Iyncaster Ö. Fr. M.; Oxytricha rubra Ehrb.; Sticho- 656 Möbius, Bruchstücke einer Infusorienfauna der Kieler Bucht. tricha gracilis n. sp.; Stichotricha saginata n. sp.; Stichotricha horrida n. sp.; Epielintes auricularis Clap. Lachm.; Dysteria lanceolata Clap. Lachm. Heterotricha: Chilodon crebricostatus n. sp.; Porpostoma nota- tum n. g. et n. sp.; Condylostoma patens Ö. Fr. M.; Stentor auricula Kent; Folliceulina ampulla OÖ. Fr. M.; Chaetospira maritima Str. Wright; Codonella campanula Ehrb.; Codonellu orthoceras Haeck.; Tintinnus subulatus Ehrb.; Tintinnus ingwilinus OÖ. Fr. M.; Tintinnus fistularis Möb.; Tintinnus acuminatus Clap. Lachm.; Tintinnus denti- eulatus Ehrb.; Tintinnus serratus Möb. Peritricha: Strombidium sulcatum Clap. Lachm.; Rhabdostyla commensalis n. sp.; Vorticella marina Greff; Vorticella striata Duj.; Zoothamnium Cienkowskii Wrzk.; Cothurnia maritima Ehrb. Hypotricha: Euplotes harpa Stein; Cothurnia maritima Ehrb. Holotricha: Prorodon marinus Clap. Lachm.; Coleps fusus Clap. Lachm.; Metacystis truncata F. Cohn; Trachelocerca phoeni- copterus F. Cohn; Laerymaria lagenula Clap. Lachm.; Pleuronema marinum Duj.; Pleuronema eitrullus F. Cohn; Uronema marinum Duj).; Hoplitophrya fastigata n. Sp. /ilioflagellata: Trichonema gracile n. Sp. Choanoflagellata: Salpingoeca procera n. sp.; Desmarella mo- niliformis Kent; Codosiga pyriformis Kent; Monosiga sinuosa Kent. Flagellata: Oxyrrhis marina Du).; Urceolus ovatus n. sp.; Ani- sonema multicostatum n. sp.; Diplomastix dahlü n. sp. Suctoria: Podophrya limbata Maupas; Acineta tuberosa Ehrb.; Acineta crenata Fraip.; Acineta contorta Gourr. et Roes. Cystoflagellata: Noctiluca miliaris Suriray. Dinoflagellata: Ceratium tripos OÖ. Fr. M.; Ceratium tripos O. Fr. M.; Ceratium fusus Ehrb.; Ceratium furca Ehrb.; Protoceratium aceros R. L. Bergh; Dinophysis laevis Clap. Lachm.; Dinophysis acuta Ehrb.; Protoperidinium pellueidum R. L. Bergh; Prorocentrum micans Ehrb.; Peridinium divergens Ehrb.; Goniodoma acuminatum Ehrb.; Polykrikos Schwartzii Bütscehli. Darunter sind 12 neue Species, von denen Möbius in seiner Schrift ausführliche Charakteristiken gibt. Besonders eingehend ist das Harfentierchen (Bupl. harpa) behandelt. Von diesem Infusorium schildert der Verfasser auch die dureh Querteilung vor sich gehende Fortpflanzung, bei welcher bemerkenswerte karyokinetische Erschei- nungen zu beobachten sind. Letztere wurden von Möbius aufmerk- sam verfolgt und in ihrer Reihenfolge auf Taf. II der vorliegenden Arbeit dargestellt. Bei der nämlichen Species kommt übrigens noch eine Vermehrung durch Knospensprösslinge vor, deren einzelne Sta- dien gleichfalls von Möbius (Tafel I) veranschaulicht werden. 0. 2. Rosenthal, Die Wärmeproduktion der Tiere. 657 Die Wärmeproduktion der Tiere. Von J. Rosenthal. Seitdem Lavoisier im Jahre 1870 die Wärmeproduktion eines warmblütigen Tieres mit Hilfe seines Eiskalorimeters zu bestimmen versucht hat, ist zwar die von ihm aufgestellte Theorie, nach welcher diese Wärmeproduktion das Resultat der im Tierkörper vor sich gehenden Oxydationen ist, von allen Physiologen anerkannt worden, mit dem genauen Nachweis des numerischen Zusammenhangs beider Vorgänge ist es aber schlecht bestellt. Weder Lavoisier’s eigne Messungen und Berechnungen, noch die später auf Veranlassung der französischen Akademie angestellten Versuche von Dulong und von Despretz haben eine auch nur annähernde Uebereinstimmung er- geben. Eine solche war aber auch gar nicht zu erwarten, da weder die kalorimetrischen Methoden, welche jene Forscher anwandten, noch die Daten, welche sie ihren Berechnungen zu grunde legten, für die Lösung der Aufgabe geeignet sind. Die kalorimetrische Messung der von einem lebenden Tier produ- zierten Wärme hat mit besondern Schwierigkeiten zu kämpfen. Da die Wärmeproduktion eine fortdauernde ist, die in der physikalischen Technik gebräuchlichen Methoden aber nur für Messung begrenzter Wärmemengen berechnet sind, so sieht man sich genötigt, die Tiere nur kurze Zeit in den Apparaten verweilen zu lassen. Das hat aber zwei große Uebelstände zur folge. Erstens ist durchaus nicht anzu- nehmen, dass die von einem Tier produzierte Wärme in der Zeit so gleichmäßig sei, dass man aus einem kurzen Versuch bindende Schlüsse ziehen dürfe. Zweitens aber sind jene Versuche alle noch mit einem andern Fehler behaftet, welcher ihren Wert ganz problematisch macht. Das warmblütige Tier (und um solehe handelt es sich in den bis- herigen Versuchen immer) hat meistens eine viel höhere Temperatur als die Kalorimetermasse, ja der Unterschied ist sogar in der Mehrzahl der Versuche ein sehr erheblicher. Die Temperaturzunahme des Kalorimeters setzt sich also aus zwei Summanden zusammen: aus derjenigen Wärmemenge, welche das Tier aus seinem Wärmevorrat abgibt, und derjenigen, welche es während der Versuchsdauer pro- duziert und an das Kalorimeter abgegeben hat. Nur die letztere soll gemessen werden; der erstgenannte Anteil muss aber verhältnismäßig um so größer sein, je kürzere Zeit der Versuch gedauert hat. Will man aber, um jenen Fehler möglichst zu verkleinern, die Versuchs- dauer sehr verlängern, so versagt das in der Regel angewandte Wasserkaloriweter seinen Dienst. In der Absicht, diesen Schwierigkeiten zu begegnen und andere kalorimetrische Methoden anzuwenden, welche den eigentümlichen physiologischen Aufgaben besser gerecht werden, habe ich zuerst im Jahre 1878 ein „Verdampfungskalorimeter“ konstruiert und mit dem- VIll, 42 658 Rosenthal, Die Wärmeproduktion der Tiere. selben auch eine Reihe von Versuchen ausgeführt, über welche ich Jedoch in dieser Mitteilung nicht weiter sprechen will, da sie nicht mit dem eigentlichen Gegenstande derselben zusammenhängen. Außer- dem habe ich aber eine andere kalorimetrische Methode aufgenommen, welche schon im Jahre 1849 von Scharling angegeben worden, dann von Vogel, später von Hirn und neuerdings auch von d’Arsonval und von Richet benutzt worden ist. Ich habe mich in meiner Kritik dieser Methode in dem von Hermann herausgegebenen Handbuch der Physiologie (IV. 2. 367) sehr ungünstig über dieselbe ausge- sprochen. Und in der That sind namentlich die von Hirn mit ihr gewonnenen Ergebnisse durchaus unzuverlässig. Weitere Beschäf- tigung mit derselben hat mich aber gelehrt, dass man ihre Fehler beseitigen, und dass sie zu brauchbaren Ergebnissen führen kann. Ich habe die Theorie dieses „Luftkalorimeters“ und die Beschreibung des von mir benutzten Apparats im Archiv für Anatomie und Physio- logie, physiol. Abt., 1888, Ergänzungsband S.1 fg. gegeben und will deshalb hier nur ganz kurz das Prinzip andeuten. Bringt man ein Tier in emen Raum, welcher von einen doppelten Mantel umschlossen ist, so wird die zwischen diesen Mänteln eingeschlossene Luft von dem Tier Wärme aufnehmen und an ihrer äußern Fläche an die kältere Umgebung abgeben. Nach Verlauf einer gewissen Zeit stellt sich ein Gleichgewichtszustand her, bei welchem Wärmeaufnahme und Wärmeabgabe einander gleich sind; aus der dann erreichten Tempe- ratur der Luft kann man die Wärmeproduktion des eingeschlossenen Tiers berechnen. Ich habe nach dieser Methode eine große Zahl von längern Ver- suchsreihen angestellt. Ihr großer Vorzug ist es eben, dass man das Tier viele Stunden, ja Tage lang in dem Apparat belassen kann, da es sich innerhalb desselben in durchaus normalen Verhältnissen be- findet, wenn man nur für genügende Ventilation Sorge trägt. Man kann auch die Fütterung innerhalb des Apparats vornehmen, ohne den Versuch zu unterbrechen. Man kann die Versuche bei verschie- denen Temperaturen der Umgebung anstellen, kurz man kann alle "aktoren, welche auf die Wärmeproduktion von Einfluss sein können, der Reihe nach durch den Versuch prüfen. Von den Ergebnissen dieser Untersuchung, welche ich erst zum kleinsten Teile schon in der oben angeführten Abhandlung mitgeteilt habe, will ich hier nur einige erörtern. Ich habe festgestellt, dass bei regelmäßiger Ernährung die Wärmeproduktion längere Zeit so weit konstant sem kann, dass sie innerhalb gewisser enger Grenzen schwankt. Eıfolgt die Fütterung in regelmäßigen Zwischenräumen, z. B. alle 24 Stunden, so steigt die Wärmeproduktion in der 2. bis 3. Stunde nach der Fütterung an, erreicht in der 5. bis 7. Stunde ein Maximum und sinkt dann wieder. Das Maximum der Verdau- ungssteigerung beträgt ungefähr 25°/, des Wertes, weleher unmittelbar Rosenthal, Die Wärmeproduktion der Tiere. 659 vor der Fütterung vorhanden war. Doch ist dieser Wert durchaus nicht immer das Minimum der 24stündigen Periode; vielmehr tritt dieses in der Regel etwas früher ein, etwa in der 16. bis 20. oder 21. Stunde. Lässt man ein Tier hungern, so nimmt die Wärmeproduktion ab; diese Abnahme tritt jedoch bei einem gut genährten Tier erst nach einigen Tagen ein, nach reichlicher Fütterung erst am 6. oder 7. Tage. Gibt man dann wieder das frühere Futter, so sinkt die Wärme- produktion in den folgenden Tagen noch weiter und erhebt sich erst am 4. oder 5. Tage, um dann ziemlich schnell wieder den normalen Stand zu erreichen. War das Tier aber vor der Nahrungsentziehung nur grade so weit genährt worden, dass es dabei eben bestehen konnte, so tritt unmittelbar nach der Nahrungsentziehung sofort ein erheb- liches Sinken der Wärmeproduktion auf. Dauert die Nahrungsent- ziehung nur kurze Zeit, so macht die Abnahme der Wärmeproduktion sofort wieder einer Steigerung platz, sobald wieder Nahrung aufge- nommen wird. Der große Einfluss, welchen die Verdauung auf die Wärmeproduk- tion hat, macht es ganz unmöglich, aus einem kurz dauernden Ver- such, etwa während einer Stunde, durch Multiplikation mit 24 einen brauchbaren Wert für die gesamte Wärmeproduktion innerhalb eines Tages abzuleiten. Der berechnete Wert würde eben, je nachdem der Versuch in die Zeit des Minimums oder des Maximums gefallen wäre, viel zu kleine oder viel zu große Werte ergeben. Es ist auch nicht möglich, eine Zeit anzugeben, in welcher die Wärmeproduktion dem Mittelwerte der 24stündigen Periode gleich ist. So regelmäßig ver- laufen leider die Prozesse, von denen die Wärmebildung in dem Körper eines Säugetiers abhängen, nicht; vielmehr tritt ebensowohl das Maximum wie das Minimum, wie auch der dem Gesamtmittel am nächsten kommende Wert bald etwas früher, bald etwas später ein. Dieser Umstand erschwert natürlich die Vergleichung von Werten, welche an demselben Tier an verschiedenen Tagen oder gar an ver- schiedenen Tieren gewonnen worden sind, ungemein. Wir sind viel- mehr gezwungen, da, wo wir solche Vergleichungen anstellen müssen, um den Einfluss verschiedener Umstände auf die Wärmeproduktion zu studieren, immer längere Perioden der Vergleichung zu grunde zu legen. Doch brauchen solche Perioden nicht grade immer 24stündige zu sein. Es empfiehlt sich vielmehr wegen der sehr unregelmäßigen Wärmeproduktion innerhalb der Verdauungszeit, diese wenn möglich zu vermeiden und zu solchen vergleichenden Beobachtungen die letzten 10—12 Stunden vor der Fütterung zu benutzen, da innerhalb dieser Zeit die Wärmebildung, wenn alle Bedingungen so gleich erhalten werden, als es in der Macht des Experimentators steht, hinreichend gleichmäßig ausfallen. Da zu kurze Versuchsperioden den im Eingang bereits erwähnten 660 Rosenthal, Die Wärmeproduktion der Tiere. Fehler haben, dass sie gar nicht die wirkliche Wärmeproduktion während der Versuchszeit messen, so versteht es sich ganz von selbst, dass alle Folgerungen, welche man aus solchen gezogen hat, wertlos sind und einer erneuten Prüfung unterzogen werden müssen. Dies gilt vor allen Dingen auch von der wichtigen von Lavoisier, Du- long und Despretz behandelten Frage nach den Quellen der tieri- schen Wärme. Angenommen es bestehe, wie diese Forscher als Vor- aussetzung ihrer Versuche und Berechnungen angenommen haben, ein genaues Verhältnis zwischen Wärmeproduktion und den respiratori- schen Ausscheidungen, so würde ein solches doch immer nur in längern Zeiträumen experimentell nachweisbar sein können. Damit es auch in kürzern Versuchen sich stets und ausnahmslos zeige, müssten noch eine ganze Reihe anderer Bedingungen gleichzeitig erfüllt sein. Erst- lich, die in jedem Zeitteilchen irgendwo im Tierkörper produzierte Wärme müsste sogleich als freie Wärme auftreten und sofort nach außen abströmen und sich dem Kalorimeter mitteilen; zweitens, die an irgend einer Stelle des Tierkörpers eintretenden chemischen Pro- zesse, durch welche Wärme frei wird, müssten sofort zur Bildung von Endprodukten (CO, und H,O) führen, welche in den respiratorischen Ausscheidungen auftreten; drittens endlich, diese Endprodukte der im Körper vor sich gehenden Oxydationen müssten in dem Maße, wie sie entstehen, sofort in genau gleichem Betrage in den Ausscheidungen nachweisbar sein. Es bedarf wahrlich nur dieser Aufzählung der Be- dingungen, um erkennen zu lassen, dass sie nicht zutreffen. Wir werden uns also nicht im geringsten wundern dürfen, dass die Versuche jener Forscher das von ihnen erwartete Resultat nicht ergeben haben, um so mehr als die Messung der Wärmeproduktion aus den schon ange- führten Gründen in ibren Versuchen einen zu großen Wert ergeben musste, so dass ein Defizit des berechneten Wertes gegen den ge- messenen, wie sie es gefunden haben, eigentlich auch dann hätte ein- treten müssen, wenn ihre Voraussetzungen richtig und ihre Berech- nungen genauer gewesen wären, als sie nach der Art ihrer Versuche und ihrer Berechnung sein konnten. Wenn wir nun jetzt aufgrund unserer fortgeschrittenen Kenntnis von den Vorgängen im Tierkörper die von jenen Forschern aufge- worfenen Fragen wieder aufnehmen wollen, so müssen wir vor allem versuchen, die Fragen so scharf zu formulieren, dass eine bestimmte Antwort zu erwarten ist. Ich will versuchen, dies zu thun und zu- nächst die Frage behandeln, ob überhaupt ein konstantes Verhältnis zwischen Wärmeproduktion und irgend einem der Ausscheidungs- produkte oder ihrer Gesamtheit vorhanden sein kann. Ich beginne mit der Kohlensäure. Da CO, im Tierkörper nieht aus reinem Kohlenstoff, sondern aus verschiedenen organischen Stoffen von wechselnder Zusammen- setzung entsteht, so kann das Verhältnis sicher kein absolut konstantes Rosenthal, Die Wärmeproduktion der Tiere. 661 sein. Es müssen einer gewissen Menge im Körper entstandener CO, verschiedene Wärmemengen entsprechen, je nachdem die CO, aus Eiweiß oder aus Fett entstanden ist. Da wir dies der ausgeatmeten CO, aber niebt ansehen können, so können wir ein einigermaßen konstantes Verhältnis nur erwarten, wenn die Bedingungen des Stoff- umsatzes einigermaßen konstante sind. Dies wird am ehesten im Hunger- zustande der Fall sein. Aus diesem Grunde habe ich eine Reihe von Bestimmungen der CO,- Ausscheidung an hungernden Hunden vorge- nommen, bei welchen gleichzeitig die Wärmeproduktion gemessen wurde. v. Liebermeister hat ein konstantes Verhältnis zwischen ausgeatmeter CO, und Wärmeproduktion angenommen und berechnet, dass 1g CO, 3, 2 Ca entsprechen. Um die Vergleichung mit diesem Liebermeister’schen „Kohlensäurefaktor“ zu erleichtern, will ich die von mir in einem meiner Versuche gefundenen Werte der Wärme- produktion in Stundenkalorien ausdrücken und die in der gleichen Zeit ausgeamte CO, daneben setzen. Ich fand im Hunger: 3,16 CO, 14,4 Ca 3,79 CO, 16,1 Ca 1,99 CO, 8,64 Ca. Daraus berechnet sich als CO,-Faktor, d. h. als der auf 1g CO, ent- fallende Betrag an produzierter Wärme: 4,557 4,248 4,342 im Mittel 4,382. Die Uebereinstimmung dieser Zahlen ist so groß, wie man sie bei derartigen Versuchen überhaupt nur erwarten konnte. Aber selbst dieser Grad von Uebereinstimmung wird vermisst, wenn es sich um fressende Tiere handelt, auch dann, wenn die Ernährung eine voll- kommen gleichmäßige ist. Als Beleg für diese Behauptung mögen folgende Zahlen dienen. Bei einem gut und gleichmäßig ernährten Tier war an 3 auf einander folgenden Tagen der Wärmefaktor der CO;: in der 4. Fütterungsstunde: 7,0 4,86 6,7 in der 20. Fütterungsstunde: 6,0 5,8 8,68. Schwankungen innerhalb so weiter Grenzen machen offenbar jede Berechnung der Wärmeproduktion aus der CO,-Abgabe ganz unzu- lässig. Sicher würde die Uebereinstimmung eine bessere werden, wenn man längere Beobachtungsperioden wählen würde. Denn die in einer Stunde ausgeatmete CO, ist eben nicht identisch mit der in dieser Zeit produzierten. Je länger die Beobachtungszeit ist, desto mehr gleichen sich die zufälligen Schwankungen aus. Ist aber die Beobacht- ung noch kürzer, so wird die Vergleichung natürlich noeh unsicherer. Ich muss deshalb jetzt noch mehr, als ich das schon früher gethan habe, alle Schlussfolgerungen aus der CO,-Produktion auf die Wärme- produktion für unzulässig erklären und das um so mehr, wenn die 662 Rosenthal, Die Wärmeproduktion der Tiere. Beobachtungen sich auf Zeiträume von nur 10 Minuten erstrecken, wie dies bei manchen Versuchen der Fall ist, welche von ihren Urhebern zu weitgehenden Folgerungen verwertet worden sind. Aber selbst bei Perioden von 24 Stunden etwa wird man eine wirklich genaue Uebereinstimmung durchaus nicht voraussetzen dürfen nach dem, was oben über die Mannigfaltigkeit der im Körper zur Ver- brennung gelangenden Stoffe gesagt worden ist. Statt eines Kohlen- säurefaktors würde man vielmehr deren mehrere für die verschiedenen Ernährungsweisen aufstellen müssen. Was ich hier von der ausgeatmeten CO, gesagt habe, gilt sicher noch in viel höherem Grade von der Wasserabgabe; es muss zu den srößten Täuschungen führen, wenn man die in einer begrenzten Zeit abgegebene Wassermenge als in dieser Zeit gebildet ansehen wollte, wie dies Dulong und Despretz gethan haben. Davon kann an- gesichts des schnellen und zuweilen sehr großen Wechsels in der Wasserabgabe gewiss nicht die Rede sein. Aber in einer andern Hinsicht ist die Bestimmung der Wasserabgabe von großer Bedeutung. Wir messen mit dem Kalorimeter immer nur einen Teil der wirklich in der Versuchszeit gebildeten Wärme; ein anderer Teil wird durch die gleichzeitig erfolgende Abgabe von Wasser in Dampfform ge- bunden. Wollen wir also Berechnungen über die wahre Wärme- produktion anstellen, so müssen wir diesen letztern Anteil gesondert bestimmen und ihn zu dem kalorimetrisch bestimmten hinzuaddieren. Diese Rechnung würde sich für die Versuche der genannten franzö- sischen Forscher ausführen lassen, doch würde das keinen Wert haben, weil einmal ihre kalorimetrischen Messungen zu ungenau sind, zweitens aber ihre theoretischen Berechnungen der Wärmebildung aufgrund der Annahme, dass der verbrannte Kohlenstoff und Wasser- stoff gleiche Wärmemengen geliefert habe, als ob diese Elemente im freien Zustande verbrannt wären, ja sicher unrichtig ist. Es hat deshalb auch keine Bedeutung, dass durch eine solche Korrektion der Werte in jenen Versuchen die Differenz zwischen den gefundenen und berechneten Werten noch größer ausfallen würde. Wir müssen uns vielmehr nach einer ganz neuen Grundlage für die Berechnung umsehen, wenn wir in diesem schwierigen Gebiete weiter kommen wollen. Auch die Bestimmung des aufgenommenen Sauerstoffs kann die gesuchte Grundlage nicht bilden. Wir sind ebenso wenig berechtigt zu erwarten, dass jedes Molekül Sauerstoff, welches in den Körper eintritt, sofort zur Verwendung gelange, um eine gleichzeitig kalori- metrisch nachweisbare Wärmemenge zu bilden, als wir das Analoge für die Kohlensäure- und Wasserbildung für unzulässig erkannt haben. Und ebenso wenig würde die Annahme, dass jedes Molekül Sauer- stoff, wenn es sich mit einem Bestandteil des Körpers verbindet, immer und unter allen Umständen einen gleichen Betrag von Wärme Rosenthal, Die Wärmeproduktion der Tiere. 663 freimache, auf Berechtigung Anspruch haben. Es kann sicher keinen festen und unveränderlichen O-Faktor geben, wie es keinen festen und unveränderlichen CO,-Faktor gibt. Ich brauche das nicht weiter auszuführen, da alles bei der CO, gesagte in gleicher Weise für den aufgenommenen O gilt; auch für diesen wird eine Kongruenz nur in sehr beschränktem Maße gelten können, wenn die Berechnung für sehr lange Zeiträume vorgenommen, und wenn in dieser Zeit der Zustand des Tierkörpers möglichst gleichmäßig geblieben wäre. Aus dem Gesagten geht jedenfalls zweierlei hervor: erstens, die Versuche von Dulong und Despretz beweisen nicht, dass es außer den im Tierkörper vor sich gehenden Oxydationsprozessen noch andere Wärmequellen gebe; denn weder ihre Wärmemessungen noch ihre Berechnungen sind genau genug, um einen solchen Schluss irgendwie zu gestatten. Zweitens, aus der Messung der Respirationsprodukte allein darf kein Schluss auf die Wärmeproduktion gezogen werden, und Schlüsse dieser Art sind um so unzuverlässiger, je kürzer die Zeit der Beobachtung ist. Messungen von einer Stunde Dauer geben annähernd zuverlässige Werte auch nur unter ganz besonders günstigen Umständen z. B. bei längerem Hungern. Es gibt aber schließlich noch eine andere Art, die Wärmeproduk- tion zu berechnen, nämlich aus den Nahrungsmitteln. Wenn wir es für richtig halten, dass die Quelle der tierischen Wärme nur in den chemischen Umsetzungen gegeben sei, dann muss die produzierte Wärme gleich der Summe der Verbrennungswärmen aller verbrauchten Nahrungsstoffe sein. Die Verbrennung derselben geht im Tierkörper nicht vollkommen vor sich, insbesondere liefern die Eiweißkörper nur einen Teil der in ihnen enthaltenen Energie, weil das Endprodukt ihrer Umsetzung, der Harnstoff, selbst noch brennbar ist; aber die physiologische Verbrennungswärme jedes einzelnen Nahrungsstoffs, wie wir es kurz bezeichnen können, lässt sieh doch bis zu einem gewissen Grade bestimmen. Frankland, Danilewsky und in neuester Zeit Rubner haben solche Bestimmungen gemacht. Zwar bleibt auch bei den Berechnungen auf dieser Grundlage immer die Schwierig- keit bestehen, dass die aufgenommene Nahrung nicht ohne weiteres der umgesetzten gleich zu sein braucht, aber wir wissen doch aus den zahlreichen und höchst sorgfältigen Untersuchungen Voit’s und seiner Schüler in diesem Gebiete viel genauer Bescheid und können für den Fall langanhaltender gleichmäßiger Fütterung m der That auf eine genügende Gleichmäßigkeit der Umsetzungen rechnen. Rubner hat denn nun auch geglaubt, die Lücke der mangelnden kalorimetri- schen Messungen durch Berechnung auf grund seiner für die Ver- brennungswärmen gefundenen Zahlen ergänzen zu können. So ein- fach liegt indess die Sache doch nicht. Selbst wenn alle Voraus- setzungen derartiger Berechnungen über allen Zweifel erhaben wären, so würde es doch immer noch eine wichtige Aufgabe bleiben, die 664 Me Kendrick, Blutgase. gemachten Voraussetzungen durch den Versuch zu prüfen; erst wenn die berechneten Werte mit den experimentell gemessenen überein- stimmend gefunden wären, dürften wir unsere Anfgabe für vollkommen gelöst ansehen. Davon sind wir aber noch sehr weit entfernt. Denn meine Versuche lehren, dass auch bei vollkommen gleichmäßiger, längere Zeit andauernder Fütterung die kalorimetrisch gemessene Wärmeproduktion dennoch große Unterschiede aufweisen kann. Ich will hierfür nur ein Beispiel aus einer längern Versuchsreihe anführen. Ein Hund, welcher schon seit langer Zeit ganz gleichmäßig gefüttert wurde (täglich 200 g Fleisch, 25 g Speck und 75 g Wasser) und dessen Gewicht nur wenig um den Mittelwert von 4300 g schwankte, der sich also im Nahrungsgleichgewicht befand, produzierte an auf einander folgenden Tagen ganz verschiedene Wärmemengen, welche zwischen 2,0 und 5,0 Sekundenkalorien lagen. Die vorausgesetzte Kongruenz zwischen Ernährung und Wärmebildung besteht also jeden- falls nicht in so unbedingter Art, dass man ohne weiteres von der einen auf die andere schließen könnte, ohne Rücksicht auf andere, noch erst zu erörternde Nebenumstände Diese Erfahrung steht in Widerspruch zu dem oben ausgesprochenen Satz, dass bei regelmäßiger Ernährung die Wärmeproduktion nur innerhalb enger Grenzen schwanke. Aber neben der Ernährung haben eben noch andere Umstände auf die Wärmeproduktion Einfluss. Welcher Art diese Einflüsse sind, das will ich in einem zweiten Aufsatz weiter erörtern. Erlangen im November 1888. Die Blutgase. Aus einem Vortrage, eehalten von Dr. John Gray Me Kendrick bei der se, 8 \ Jahresversammlung der „British Medieal Association“ zu Glasgow fo) , Oo am 10. August 1888. (Fortsetzung aus Nr. 17.) Unsere Kenntnisse von der Kohlensäure im Blute sind nicht so zuverlässig wie diejenigen vom Sauerstoff. Zunächst steht fest, dass fast die ganze zu erhaltende Kohlensäure im Plasma enthalten ist. Defibriniertes Blut gibt nur wenig mehr Kohlensäure ab als die- selbe Menge Serum von demselben Blut. Blutserum gibt an Kohlensäure im Vakuum etwa 30 Raumteile auf hundert ab; davon einen kleinen Teil — nach Pflüger etwa6 — erst dann, wenn man eine organische oder mineralische Säure zusetzt. Dieser kleinere Teil ist also chemisch gebunden, gradeso wie Kohlensäure in kohlensauren Salzen, aus denen sie nur durch eine stärkere organische oder anorganische Säure ausgetrieben werden kann. Asche von Serum liefert etwa ein Siebentel ihres Gewichtes an Natrium; dieses ist der Hauptsache nach mit Kohlensäure zu Karbonaten verbunden, und ein Teil der Kohlensäure des Blutes besteht aus solchen Salzen. Jedoch hat man gefunden, Me Kendrick, Blutgase. 669 dass defibriniertes Blut oder auch Serum, das eine große Zahl Blut- körperchen enthält, eine große Menge Kohlensäure auch ohne Zusatz einer Säure liefern kann. So liefert defibriniertes Blut an Kohlen- säure 40 Raumteile vom Hundert — d. h. 34 Raumteile, welche auch von dem Serum desselben Blutes obne Säure abgegeben werden würden, und 6 Raumteile, welche nach Zusatz einer Säure frei würden. In dem defibrinierten Blute ist also etwas vorhanden, das gleich einer Säure in dem Sinne wirkt, 6 Volumina Kohlensäure frei zu machen. Möglicherweise verursacht das Vakuum eine teilweise Zersetzung von einem Teile des Hämoglobins und bildet so — wie Hoppe-Seyler vermutet — saure Körper. Aber was ist die Bedingung für das Festgehaltenwerden von 30 Volumprozenten Kohlensäure, die man allein mittels des Vakuums herausbekommen kann? Ein Teil davon ist wahrscheinlich einfach vom Serum absorbiert; dieser Teil entweicht im Verhältnis zur Ab- nahme des Druckes, und er kann als physikalisch absorbiert be- trachtet werden. Ein anderer Teil dieser Kohlensäure muss in che- mischer Verbindung vorhanden sein, wie hervorgeht aus der Thatsache, dass Blutserum viel mehr Kohlensäure aufnimmt, als von reinem Wasser absorbiert wird. Anderseits kann diese chemische Verbindung nur eine lockere sein, da sie leicht durch das Vakuum gelöst wird. Es unterliegt keinem Zweifel, dass ein Teil dieser Kohlensäure locker mit dem kohlensauren Natrium im Serum Na,CO, verbunden ist, wahrscheinlich zu saurem kohlensaurem Natrium, NaHCO,. Diese Verbindung besteht nur bei bestimmtem Drucke. Sinkt der Druck, so zerfällt sie in Natriumkarbonat und Kohlensäure, und die letztere wird frei. Ein dritter Teil der Kohlensäure befindet sich wahrschein- lich in lockerer Verbindung mit einem Natriumphosphat Na,HPO,, einem Salz, welches nur im Blutserum vorkommt. Fernet hat gezeigt, dass 6s zwei Moleküle Kohlensäure auf ein Molekül Phosphorsäure bindet. In beträchtlicher Menge findet man dieses Salz nur im Blute karnivorer und omnivorer Tiere, während in dem Blute von Pflanzenfressern, wie Rind und Kalb, nur Spuren vorhanden sind. Für letztere Fälle kann nicht angenommen werden, dass dieses Salz viel Kohlensäure in che- mischer Verbindung hält; da muss es vielmehr andere ehemische Stoffe geben, welche Kohlensäure im Blute binden, und man hat die Vermutung aufgestellt, dass ein Teil mit dem Plasma- Albumin verbunden sei. Nach Zuntz halten die Blutkörperchen selbst einen Teil der Kohlensäure fest, weil das ganze Blut weit mehr Kohlensäure aus einer daran reichen Gasmischung oder aus einer reinen Kohlensäure- Atmosphäre aufnehmen kann, als das Serum von der gleichen Blut- menge zu absorbieren vermag. Es ist jedoch keine Verbindung der Kohlensäure mit den Blutkörperchen bekannt. Der Stiekstoff, welcher im Blute bis zur Höhe von 1,8 bis 665 Me Kendrick, Blutgase. 2 Volumprozenten enthalten ist, wird vermutlich einfach absorbiert, denn auch reines Wasser kann bis 2 Volumprozente von diesem Gase absorbieren. Wenn wir demnach dasBlut als ein respiratorisches Medium ansehen, welches Gase in Lösung enthält, so haben wir zunächst zu betrachten, was von der Atmung der Gewebe selbst bekannt ist. Spallanzani war unzweifelhaft der erste, welcher beobachtete, dass Tiere von ver- gleichsweise einfachem Bau Sauerstoff verbrauchten und Kohlensäure abgaben. Aber er ging weiter und zeigte, dass verschiedene Gewebe und Flüssigkeiten der Tiere — wie das Blut, die Haut und Teile von andern Organen — in Ähnlicher Weise thätig wären. Diese Beobacht- ungen wurden vor Anfang dieses Jahrhunderts gemacht, aber es scheint, als hätten sie wenig oder keine Aufmerksamkeit erregt bis zu den Untersuchungen von Georg Liebig über die Atmung des Muskels, veröffentlicht in 1850. Dieser legte dar, dass frisches Muskel- gewebe Sauerstoff verbrauchte und Kohlensäure abgab. In 1856 be- wirkte Matteuci einen wichtigen Fortschritt durch seine Beobacht- ung, dass Muskelkontraktion von gesteigertem Sauerstoff - Verbrauch und gesteigerter Kohlensäure- Abgabe begleitet wäre, und seitdem haben Claude Bernard und Paul Bert, besonders der letztere, viele Beobachtungen über diesen Gegenstand gemacht. Paul Bert fand, dass Muskelgewebe die größte Absorptionskraft hat. Somit gelangen wir zu dem wichtigen Schlusse, dass der lebende Körper eine Zusammensetzung lebender Partikel ist, von denen jedes in dem von dem Blute ausgehenden respiratorischen Medium atmet. Während das Blut, welches mit seinem Farbstoffe (Hämoglobin) verbundenen Sauerstoff enthält, langsam durch die Kapillaren strömt, durchdringt Flüssigkeit die Wände der Gefäße und benetzt die um- liegenden Gewebe. Der Druck oder die Spannung des Sauerstoffs in dieser Flüssigkeit ist größer als die Spannung des Sauerstoffs in den Geweben selbst, weil der Sauerstoff ein Teil der lebenden proto- plasmatischen Substanz wird, und somit wird Sauerstoff von dem Hämoglobin frei und von den lebenden Geweben selbst angeeignet, nun zu einem Bestandteil von deren Protoplasma werdend. So lange es am Leben ist, oder immer, wenn es thätig seine Funktionen ver- richtet, so bei der Kontraktion eines Muskels oder bei jenen Um- setzungen, welche wir Sekretion in einer Zelle nennen, unterliegt das lebende Protoplasma schnellen Zersetzungen, welche zu der Bildung von verhältnismäßig einfachen Stoffen führen. Zu diesen gehört die Kohlensäure. Da es feststeht, dass die Spannung der Kohlensäure in der Lymphe geringer als ihre Spannung im Venenblute ist, so ist es für den ersten Anschein schwierig, die Absorption der Kohlensäure durch das Venenblut zu erklären; aber ihre Spannung ist höher als die der Kohlensäure im Arterienblute, und man darf nicht vergessen, dass die Lymphe Gelegenheit gehabt hat, sowohl in dem Binde- Me Kendrick, Blutgase. 667 gewebe als auch in den Lymphgefäßen ihre Spannung durch engen Kontakt mit dem Arterienblute zu ändern. Strassburg gibt den Druck der Kohlensäure in den Geweben auf 45 mm Quecksilber an, während er im Venenblute nur 41 mm beträgt. Wir können annehmen, dass, in dem Maße wie die Kohlensäure frei wird, sie auch von dem Blute absorbiert wird, indem sie mit den Karbonaten und Phosphaten desselben eine lockere Verbindung eingeht und es dadurch aus der arteriellen in die venöse Beschaffenheit versetzt. Hierin besteht die Atmung der Gewebe. Anknüpfend an die Gewebe-Atmung, wie diese durch die Analyse der Blutgase und Atmungsgase bestimmt wird, entsteht die interessante Frage nach dem Verhältnis zwischen der Menge des absorbierten Gases und der Menge der ausgegebenen Kohlensäure, und da sind nun bei den Tieren sehr auffallende Verschiedenheiten ermittelt wor- den, So beträgt bei den Herbivoren das Verhältnis des aufgenom- menen Sauerstoffes zu der ausgeatmeten Kohlensäure, oder — wie Pflüger es nennt — der Atmungs-Quotient, nn von 0,9 bis 1,0, während er bei den Karnivoren 0,75 bis 0,80 beträgt. Bei den Ömnivoren, für welche der Mensch als Beispiel gelten mag, stellt sich a — 0,87. Der Quotient wird größer im Verhältnis zu der Menge der in der Nahrung aufgenommenen Kohlehydrate, ob nun die Tiere karnivor, omnivor oder herbivor sind. Der Atmungs- Quotient wird derselbe, etwa 0,75, bei hungernden Tieren, ein Beweis dafür, dass die Oxydationen unterhalten werden auf kosten des Körpers selbst, oder — mit andern Worten — das hungernde Tier ist karnivor. Die Intensität der Atmung bei verschiedenen Tieren ist gut ersichtlich aus der folgenden Tabelle, in welcher die Menge des verbrauchten Sauerstoffes für eine Stunde und für ein Kilogramm des Körpergewichtes angegeben ist [aus Dr. Immanuel Munk, Physiologie des Menschen und der Säugetiere, 1888, S. 82]: Atmungs-Quotient Miier OÖ in Grammen CO, 18) Katzen WEN 095007 0,77 Hundtzauire Aber were 1183 0,75 Kaninchen‘ 2 same -1.:0:918 0,92 Holin,. ir Ale Jeanette 51.300 0,93 Kleine Singvögel . . . . 11,360 0,78 Eiroschu.N:- zulassen 0A 0,63 Maskäfenz. ren Bee 1019 0,81 Mensehhnalfts diese elT 0,78 Bienderkr 2.10: N use: 1.0.5693 0,97 Rudy Snake. een 0,50 0,98 Shen? N 0,98 665 Me Kendrick, Blutgase. Kleinere Tiere haben somit in der Regel eine größere Atmungs- Intensität als größere. Bei kleinen Singvögeln ist die Intensität eine sehr beträchtliche, und man ersieht, dass dieselben zehnmal mehr Sauerstoff brauchen als ein Huhn. Anderseits ist die Intensität niedrig bei kaltblütigen Tieren; so bedarf ein Frosch 135 mal weniger Sauer- stoff als ein kleiner Singvogel. Der Sauerstoff- Bedarf ist demnach sehr verschieden bei verschiedenen Tieren. So stirbt ein Meer- schweinchen in einem wenig Sauerstoff enthaltenden Raume bald unter Krämpfen, während ein Frosch viele Stunden in einem haume mit ebenso wenig Sauerstoff leben kann. Es ist bekannt, dass Fische und Wassertiere im allgemeinen einer nur geringen Menge Sauerstoff bedürfen, und dies steht in Einklang mit der Thatsache, dass das Meerwasser nur geringe Mengen dieser Luftart enthält. So schreibt Prof. Dittmar in seinen fleißigen Untersuchungen über die Gase des Seewassers, wie er es aus vielen Teilen der großen Ozeane und aus mannigfachen Tiefen von der Challenger -Expedition heimbrachte: „— Das Meer kann nirgends mehr enthalten als 15,6 cem Stickstoff oder mehr als 8,18 cem Sauerstoff im Liter; und der Stickstoff wird niemals unter 8,55 ecem fallen. Aehnliches können wir aber nicht vom Sauerstoff sagen, weil sein theoretisches Minimum von 4,30 cem auf das Liter noch weiterer Verminderung ausgesetzt ist durch Pro- zesse des Lebens und der Fäulnis und Oxydations-Prozesse.“ |Ditt- mar, Proceedings of Phil. Soc. of Glasgow, vol. XVI p. 61]. So gab thatsächlich eine Wasserprobe aus einer Tiefe von 2875 Faden nur 0,6 eem Sauerstoff im Liter Wasser, während eine andere aus einer Tiefe von 1500 Faden 2,04 cem Sauerstoff im Liter Wasser enthielt. 15° C als Durchschnitts- Temperatur genommen würde ein Liter See- wasser nur 5,31 cem aufgelösten Sauerstoff enthalten — das ist also etwa 0,5 cem in 100 eem. Stellen wir das dem Arterienblut gegen- über, welehes 20 eem Sauerstoff in 100 eem Blut enthält, so erhalten wir also vierzigmal so viel Sauerstoff im Arterienblut als im See- wasser. In großen Tiefen aber ist die Menge des Sauerstoffs noch viel geringer, und doch bestehen in diesen großen Tiefen viele Lebe- wesen. Fische sind aus einer Tiefe von 2750 Faden hervorgeholt worden, wo die Menge des Sauerstoffs wahrscheinlich nicht einmal 0,06 auf 100 eem Wasser, oder dreihundertmal weniger betrug als im Arterienblut. Ziehen wir auch in betracht, dass die im Fisch- blute enthaltene Sauerstoffmenge kleiner ist als die Menge des Sauer- stoffs im Blute der Säugetiere, so leuchtet doch ein, dass das Blut der Fische viel mehr Sauerstoff enthalten muss, als das gleiche Vo- lumen Meerwasser. Nun müssen wir ja ohne Zweifel berücksieh- tigen, dass das Wasser beständig erneuert wird, und dass der Sauer- stoff‘ darin im Zustande der Absorption sich !befindet, oder —- mit andern Worten — in einem flüssigen Zustande. Aber es bleibt die Frage übrig: woher erhalten jene Tiefsee - Geschöpfe ihren Sauerstoff? Marshall, Atlas der Tierverbreitung. 6649 Wahrscheinlich durch eine Art von Aufspeicherungs- Methode. Biot hat in der Schwimmblase solcher Fische 70 Volumprozente reinen Sauerstoff gefunden, ein Gas, in dem ein glühender Holzspan wieder entflammt wird. Dieser Sauerstoff versorgt wahrscheinlich dann das Blut, wenn der Fisch in die dunkeln und fast luftlosen Tiefen des Ozeans hinabtaucht. Wasseratmer jedoch, wenn sie in einem Medium mit wenig Sauer- stoff leben, haben den Vorteil, dass sie nicht von freier Kohlensäure belästigt werden. Eine der auffallendsten, von den Challenger- Che- mikern entdeckten Thatsachen ist, dass Seewasser keine freie Koh- lensäure enthält, ausgenommen an einigen Stellen, wo das Gas infolge vulkanischer Thätigkeit aus der Erdrinde hervorströmt, wo letztere den Meeresgrund bildet. Gewöhnlich findet sich im Meerwasser keine freie Kohlensäure, weil jegliche gebildete Kohlensäure sofort von dem vorhandenen Ueberschuss an alkalischer Base verschluckt wird. So atmet der Fisch nach dem Grundsatze von Fleuss’s Tauch- apparat, in dem die erzeugte Kohlensäure durch eine alkalische Flüssigkeit absorbiert wird. Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Der Fisch erhält den Sauerstoff von dem Meerwasser zweifellos durch die chemische Verwandtschaft des Hämoglobins, welches jedes Sauer- stoffmolekül, dem es begegnet, auffängt, während es die Kohlensäure leicht loswird, da ja nicht allein im Meerwasser keine Kohlensäure- Spannung vorhanden ist, um dies zu verhindern, sondern auch genug Base da ist, um in dem Augenblick, wo Kohlensäure gebildet wird, von derselben Besitz zu nehmen. Könnten wir ebenso leicht die Kohlensäure aus der ausgeatmeten Luft loswerden, so könnten wir in einer Atmosphäre leben, welche einen viel kleinern Prozentsatz von Sauerstoff enthält. (Schluss folgt.) W. Marshall, Atlas der 'Tierverbreitung. 9 kolorierte Karten in Kupferstich mit 45 Darstellungen. J. Perthes, Gotha. Mit besonderer Freude muss man diese Arbeit Marshall’s begrüßen, in welcher er den Versuch machte, die bisher bekannt gewordenen Thatsachen über die geographische Verbreitung der Tiere zu sammeln und mit der graphi- schen Methode eine Uebersicht über dieselben zu geben. Die tiergeographische Einteilung der Erde schließt sich an die bahnbrechenden Arbeiten von Wal- lace an, dessen Anschauungen dem Verfasser vor andern Versuchen auch Jetzt noch den Vorzug zu verdienen scheinen, weil sie einer möglichst großen Zahl von Thatsachen Genüge leisten. Man muss diese Anschauung als eine berechtigte gelten lassen und sich freuen, dass durch diese graphische Ueber- setzung von Wallace’s großen Arbeiten dessen Ideen so anschaulich zutage liegen und hoffentlich den Anstoß zu regerer Beschäftigung mit tiergeographi- schen Fragen geben. In 45 kleinern Karten ist die Verbreitung der land- bewohnenden Wirbeltiere, Weichtiere, Großschmetterlinge und der ausgezeich- 670 Kronfeld, Zur Biologie von Orchis Morio. netern Familien der Käfer illustriert. Die umfassendern Abteilungen des Tierreiches sind nicht auf größern Karten zusammengefasst, sondern unter Teilung in kleinere Gruppen auf kleinen Karten zur Darstellung gebracht. Der Betrachter wird also nieht verwirrt durch die Menge der in einer Karte vereinten Tierfamilien, und die schwere Aufgabe, die Uebersichtlichkeit bei einer Darstellung zu bewahren, welche mit möglichst zahlreichen Formen zu operieren hatte, ist hier auf das beste gelöst. Da die kleinen Karten auf größern Tafeln vereint sind, so wird auch ein Vergleich der einzelnen Karten nicht erschwert. Besonders muss auch die knappe Fassung des begleitenden Textes hervorgehoben werden, der in gleich ausgezeichneter Weise über die in so vielen Spezialabhandlungen zerstreuten tiergeographischen Arbeiten ein Resümee gibt und von dem weit umfassenden Blicke des Verfassers beredtes Zeugnis ablegt. In allen Karten wurde das zoologische Interesse über das geographische gestellt und nur Umrisszeichnungen der Kontinente nebst der hauptsächlichen Ströme gegeben. Die Einzeichnung der größern Gebirgszüge hätte aber die Ursachen so mancher eigentümlicher Verbreitungsverhältnisse noch klarer vor- geführt. Auf idealen Profilen wurde die Fähigkeit der Tiere, sich nach der Höhe oder Tiefe auszubreiten, in sehr instruktiver Weise zur Darstellung gebracht. Auch der erste Versuch, die Verbreitung der Haussäugetiere und der mensch- lichen Binnenwürmer graphisch zu veranschaulichen, wird in anthropologischen Kreisen verdiente Anerkennung finden. Man kann darum mit vollem Rechte diesen Atlas zum Studium empfehlen, und jeder, der etliche Zeit sich in die eimzelnen Karten vertieft hat, wird dem Autor herzlichen Dank wissen für dessen mühevolle Arbeit, die ungemein reiche Anregung bietet. Fl. Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. K. k. 200log.- botan. Gesellschaft zu Wien. Sitzung vom 1. Juni 1887. Herr Dr. Moriz Kronfeld hielt einen Vortrag „Zur Biologie von Orchis Morio L.“* Im Stadium der Fruchtbildung bietet Orchis Morio L. eine Reihe interessanter Veränderungen dar. Innerhalb einer Woche schwellen die Fruchtknoten der erfolgreich belegten Exemplare in Länge und Dicke um das Zwei- bis Dreifache ihres frühern Maßes an. Hiebei strecken sich die vorerst in der Längsrichtung eingedrehten Ovare gradeaus in die Länge und nehmen eine dunkelgrüne Färbung an. Während ferner die Blüten der unbe- legt gebliebenen Exemplare und die Stengel derselben verdorren, erhebt sich der Fruchtstand durch interkalares Wachstum der Internodien in sehr auf- fälliger Weise über den Boden. Dieses nach längerer Pause zu beobachtende rasche Fortwachsen der Internodien zur Zeit der Fruktifikation ist geeignet, der Vorstellung zu begegnen, dass die Vegetationskraft krautiger Sprosse mit der Anthese völlig erschöpft sei. Die erwähnten Veränderungen betrafen Exemplare der Orchis Morio, die der Vortragende mit dem Rasen zugleich im Wiener Prater ausgehoben und in einem geschlossenen Raume weiter gepflegt hatte. Nachfolgend finden sich Kronfeld, Zur Biologie von Orchis Morio. 67 die Längen dreier unbelegt gebliebener mit drei erfolgreich belegten Exem- plaren verglichen '). Vom Boden an gerechnet betrug die Länge der drei erstern: 12 g 13 em und bezüglich der erfolgreich belegten Individuen: 20 20 16 cm. Hauptsächlich bewirken die im Bereiche der Infloreszenzspindel befind- lichen Stengelglieder, nebst dem obersten unter dem Blütenstande befindlichen Internodium, diese Erhebung der ganzen Pflanze. Es ergibt sich dies aus den folgenden Zahlen. Es hatte die Infloreszenzspindel bei den oben angeführten unbelegten Exemplaren eine Länge von: 2:0 1:0 35 cm und wiederum bezüglich bei den belegten, von: 70 30 6°0 cm. Weiters maß das subflorale Internodium bei den erstern: 4-2 3.0 30 cm hingegen bei den letztern: 9:5 4-5 45 em. Die reife Frucht von Orchis stellt einen sphäroiden, von drei meridionalen Segmenten (den drei Karpiden) und drei schmälern streifenförmigen Zwischen- stücken nach außen begrenzten Behälter dar. Diese sechs Stücke sind bloß an der morphologischen Basis und an der Spitze der Frucht zusammengehalten, im übrigen aber getrennt, so dass die Fruchtkapsel mit sechs längsgerichteten Spalten versehen erscheint. Durch diese Spalten finden die locker aufgestapel- ten, im Aussehen an feines Sägemehl erinnernden Samen den Ausweg. Sie sind durch den flügelartigen Anhang und die relative Leichtigkeit der Ver- breitung durch Luftströmungen trefflich angepasst. Indem sich nun der Frucht- zustand in so auffälliger Weise über jene Höhe erhebt, in welcher der Blüten- stand sich befunden hat, wird er dem Winde möglichst exponiert, und es wird auf diese Weise die Vertragung der Samen gefördert. Der Wert dieser bio- logischen Einrichtung wird noch klarer, wenn man bedenkt, dass die in der Umgebung von Orchis Morio befindlichen Kräuter und Halmgewächse die un- belegt gebliebenen Individuen, keineswegs aber die nachträglich herangewach- senen Fruc ehlesemplare? im Laufe der Zeit allseits überragen. 1) Die Unterschiede ergaben sich binnen einer dreiwöchentlichen Vege- tationsdauer. Verlag von August Hirschwald in Berlin. Soeben erschien: Een PHYSIOLOGIE von Prof. Dr. L. Hermann. Neunte vielfach nn Auflage. 1889. gr. 8. Mit 145 Holzschn. 14 M. 572 Anzeigen. Verlag von Friedrich Vieweg & Sohn in Braunschweig. (Zu beziehen durch jede Buchhandlung ) Soeben erschien: 3). EHenle’s Grundriss der Anatomie des Menschen. Herausgegeben von Dr. Fr. Merkel, Professor der Anatomie in Göttingen. Dritte umgearbeitete Auflage. Mit Holzstichen und einem Atlas, zum Teil in Farbendruck. Royal-8. geh. Preis mit Atlas 20 Mark. Verlag von Breitkopf & Härtel in Leipzig. Soeben erschien: | Verhandlungen der deutschen Gesellschaft für Gynäkologie. Zweiter Kongress abgehalten zu Halle vom 24.—26. Mai 1888. Im Auftrage des Kongresses herausgegeben von Dr. R. Kaltenbach und Dr. E. Schwarz, Geh. Medizinal-Rath, o. ö. Professor der Geburtshilfe u. Gynäkologie an der Universität Halle a.|S. Mit 3 lithogr. Tafeln und 17 Holzschnitten. XVI, 328 S. Lex.-8. geh. M. 7. — Professor extraord. für Gynäkologie Zur Kenntnis der Gesundheitsverhältnisse des Marschlandes. IV. Missgriffe in der heutigen Typhusbehandlung. Von Dr. med. et chir. A. B. J. Dose, früherem Assistenten an der chirurgischen, der Augen- und Ohrenklinik in Kiel, jetzt prakt. Arzte in Marne (Holstein). Or as Bias, 11 — Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. VII. Band. 15. Januar 1889. Nr. 22. Inhalt: Frieke, Ueber psychische Zeitmessung. — Bernhard von Gudden’s ge- sammelte und hinterlassene Abhandlungen, herausgegeben von Grashey. — Bergendal, Abdominalanhänge der Krebsweibchen. Ueber psychische Zeitmessung. Von Dr. Karl Fricke. In unsern Tagen, in denen von sehr verschiedenen Standpunkten und mit ebenso ungleicher Berechtigung der Einfluss der Naturforschung und insbesondere auch der Biologie auf die gesamte Wissenschaft und ihren Charakter erörtert wird, hat es ein hervorragendes Interesse im Einzelnen diesem Einflusse an wichtigen oder gradezu entscheiden- den Punkten nachzuspüren und seine grundlegende Bedeutung für den gegenwärtigen Stand unserer Weltanschauung hervorzuheben. Eine tiefgreifende Umgestaltung sowohl im Gange der philosophischen Unter- suchungen wie auch in der Richtung und dem Inhalte des philosophi- schen Denkens nachzuweisen, würde keineswegs schwer werden; schwieriger dürfte es uns schon vorkommen — und zwar namentlich allen denen, welche auf dem Gebiete der Naturforschung ihre Lebens- aufgabe gefunden haben — uns in eine Anschauung zurückzuversetzen, welche Fr. Paulsen!) mit den Worten Fichte’s aus dessen „Grund- riss des Eigentümlichen der Wissenschaftslehre“ kennzeichnet, „welche schlechterdings nicht nach der Erfahrung fragt und auf sie schlechter- dings keine Rücksicht nimmt. Sie müsste wahr sein, wenn es auch gar keine Erfahrung geben könnte“; oder wenn er die maßlose Ver- blendung eines Schelling durch einige Sätze aus dessen „Ideen zu einer Philosophie der Natur“ veranschaulicht: „Mit der Naturphilo- sophie beginnt nach der blinden und ideenlosen Art der Naturforschung, die seit dem Verderben der Philosophie seit Bacon, der Physik durch Boyle und Newton allgemein sich festgesetzt hat, eine höhere Er- 1) F. Paulsen, Ueber das Verhältnis der Philosophie zur Wissenschaft. Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos., I. Band, S. 33 u. fg. F VII, 45 674 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. kenntnis der Natur; es bildet sich ein neues Organ der Anschauung und des Begreifens“. Es erscheint uns fast sagenhaft, dass solche Ideen jemals den Ueberzeugungen ernsthafter Denker angehört haben. Der Philosoph ist, wie Paulsen weiter anführt, gegenwärtig eben nicht mehr der überlebte Metaphysiker, der hinter der Natur mit Entitäten und Kräften sich zu schaffen macht, sein Gebiet ist dieselbe Erfahrungswelt wie die des Historikers und Zoologen, nur insofern ihm die Schlachttage, die Geburts- und Todesjahre nicht den wesent- lichen Inhalt der Wissenschaft bilden und ihm die Wissenschaft nicht mit Abzählen von Zähnen und Wirbeln abschließt; er ist zurückge- kehrt zu dem Platonischen Begriff: 6 ovvonzıxoc diakextıxoc, er stützt sich auf dieselben Thatsachen der Erfahrungswissenschaften, indem er gewisse allgemeine Probleme zu seiner Aufgabe macht. Dieser Entwicklungsgang hat nun auf die Stellung einer Wissen- schaft einen besonders wichtigen Einfluss ausgeübt. Eben weil wir die Erfahrung als die einzig feste Grundlage für alles Wissen aner- kennen, so ist die Kritik dieser Erfahrung für die Sicherheit unseres Erkennens unentbehrlich geworden, „die eigne Natur des mensch- lichen Geistes und ihre Gesetzlichkeit ist es, von welcher auch die Auffassung und Erkenntnis der Natur sich immer mehr als abhängig erweist“. Mit diesen Worten findet sich das Schlusswort einer kleinen kürzlich erschienenen Schrift von Götz Martius!) zu- sammen mit den Ausführungen von R. Avenarius in einer Unter- suchung über die Stellung der Psychologie zur Philosophie?). In dieser Abhandlung, welche neben andern Artikeln zur Einführung und Rechtfertigung des bis dahin meist unbekannten, ja noch heute in gewissen Kreisen bestrittenen Begriffes einer „wissenschaftlichen Philosophie“ bestimmt ist, kommt der genannte Herausgeber zu dem Ergebnis, dass die Psychologie nach einer langen Bewegung inner- halb des philosophischen Denkens ihre Stellung völlig verändert habe. Während sie im Beginn der Entwicklung an der Peripherie stand und das fertige philosophische System im Zentrum, so hat die- selbe gegenwärtig ihren letzten Schritt gethan und ihre Stellung inner- halb unseres idealen Wissenschaftskreises in dessen Zentrum selbst errungen. Sie ist es, um weiter mit Avenarius zu reden, welche uns auf den subjektiven Faktor hinweist, der in unserer Erfahrung verborgen liegt, und uns an eine Schranke unseres Erkennens erinnert, über welche wir — mögen wir es noch so sehr bedauern — ebenso- wenig hinauszutreten vermögen, wie es uns je gelingen möchte über den eignen Schatten zu springen. Nicht einmal die Wahrnehmung, welche nach der gewöhnlichen Meinung unser sicherstes Erkenntnis- mittel bildet, gibt uns das Objekt so, wie es an sich ist, sie über- 1) Ueber die Ziele und Ergebnisse der experimentellen Psychologie. Bonn 1888. 8. 23 ' 2) Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos., I. Bd., 1877. Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 675 mittelt uns weder alles, was das Objekt enthält, noch ist alles, was sie scheinbar erkennen lässt, im Objekt selbst wirklich enthalten. Ist daher die Kenntnis dieser Eigenart unseres psychischen Getriebes für den Naturforscher mindestens ebenso unentbehrlich, wie die Kenntnis der Eigenheiten seiner Instrumente und sonstigen Hilfsmittel, so hat der Biologe noch ein ganz besonderes Interesse an der jüngsten Ent- wicklung der Psychologie, welche sowohl durch den Gang ihrer Forschungsweise unter Benutzung des planvoll angelegten Versuches wie auch durch ihre inhaltliche Verknüpfung mit den Ergebnissen der Nerven- und Gehirnphysiologie sich unter der Bezeichnung einer experimentellen und physiologischen Psychologie als eine echte Tochter der allgemeinen Wissenschaft vom Leben zu erkennen gibt. Mit Recht sieht Götz Martius in seiner oben erwähnten Schrift in dieser Ent- wicklung alte kantische Grundgedanken, welche in neuer Form sich Anerkennung zu verschaffen suchen. Er erkennt dabei sehr richtig als bezeiehnendes Merkmal dieser Bewegung nicht den über- wältigenden Einfluss der Naturwissenschaft überhaupt, sondern eines bestimmten Zweiges derselben. Nieht mehr die mathematisch-mecha- nischen Einsichten sind es, wie im 17. uad 18. Jahrhundert, welche die Anschauungen beherrschen, sondern vor allem die biologischen Wahrheiten und Entdeekungen, welche für unsere Auffassung bestim- mend zu werden versprechen. — Schon vor zehn Jahren konnte B. Erdmann schreiben!), dass es in der That kein allgemeineres psychologisches Problem gibt, das gegenwärtig noch die Hilfe der biologischen Disziplinen entbehren könnte, ohne seine Lösung zu ge- fäbrden. Unter den Aufgaben, welche die experimentelle Psychologie sich gestellt hat, lässt keine ihren naturwissenschaftlich-biologischen Cha- rakter so augenfällig hervortreten, als die Messung psychischer Zeiten. Verdanken wir doch die ersten Untersuchungen auf diesem Felde den Astronomen, Physikern und Physiologen, welehe zunächst gar nicht an eigentlich psychologische Ziele dachten, und ist es doch auch Jetzt noch unausführbar, psychische Zeitverhältnisse an sich ohne jede physiologische Zuthat zu messen; erst auf einem Umwege kann man durch Schlussfolgerungen aus den durch Beobachtung gefundenen Zahlen eigentlich psychische Akte absondern und mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit entscheiden, inwieweit die zeitliche Nichtkongruenz unserer Bewusstseinsvorgänge mit dem trotzdem als gleichzeitig vorgestellten äußern Geschehen auf Rechnung der physio- logischen Leitung oder unserer geistigen Auffassung zu schreiben ist. Hat nun eine solche Erkenntnis über den Ablauf dieser psychophy- 4) Zur zeitgenössischen Psychologie in Deutschland, mit besonderer Rück- sicht auf Th. Ribot, La psychologie allemande eontemporaine. Paris 1879. Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos., III. Bd., S. 388. 43° 676 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung, sischen Thätigkeit einmal den Wert einer Thatsache, die ja doch unter allen Umständen das höchste ist, was wir erreichen können!), so haben die zeitmessenden Versuche sich auch in einer andern rein psychologischen Beziehung als fruchtbar erwiesen, welche W. Wundt in seinen grundlegenden Abhandlungen mit sicherem Blick erfasst und mit bekannter Klarheit dargelegt hat. Schon in dem einleitenden Aufsatze zu seinen „Philosophischen Studien“, welcher die psycho- logischen Methoden behandelt, hebt er als die Aufgabe der experi- mentellen Psychologie hervor, dass sie den Inhalt unseres Be- wusstseins in seine Elemente zerlegt, diese Elemente nach ihren qualitativen und quantitativen Eigenschaften ken- nen lehrt und die Verhältnisse der Koexistenz und der Aufeinanderfolge derselben in exakter Weise ermittelt“; und gleich darauf: „Die exakte Beschreibung der Thatsachen des Bewusstseins ist darum das einzige Ziel der experi- mentellen Psychologie, jedenfalls das einzige, was sich direkt durch experimentelle Methoden erreichen lässt“?2). Später hat er dann in einer Auseinandersetzung mit Joh. Volkelt über Selbstbeobachtung und innere Wahrnehmung?) einer missver- ständlichen Auffassung gegenüber dargelegt, dass das Experiment uns keineswegs der Selbstbeobachtung überhebe, sondern an jeden, dessen Bewusstseinsvorgänge unter die Bedingungen des Experiments ge- stellt werden, die unerlässliche Anforderung richte, „mit aller denkbaren Schärfe sein Inneres zu beobachten“. Wenn er auch vorher zugestanden hat, dass im Allgemeinen eine Beobachtung ohne Experiment denkbar ist, und dass die Absicht zu beobachten nicht immer dem Ereignis vorangehen muss, so erleidet jedoch dies Zugeständnis für die psychische Forschung die Beschrän- kung, dass „niemals ein Gegenstand beobachtet werden kann, welcher im Augenblick der Beobachtung selbst nicht mehr vorhanden ist“, und dass daher bei vergänglichen Erscheinungen eine vorbereitende Spannung der Aufmerksamkeit unerlässlich ist. Da es aber einer ge- wissen Zeit, und zwar im Verhältnis zu vielen andern Naturerschei- nungen einer durchaus nicht verschwindenden Zeit bedarf, die Auf- merksamkeit auf einen Gegenstand zu richten, so ist man gar nicht im stande das eigene psychische Geschehen noch zu erreichen; unsere Aufmerksamkeit begleitet nicht etwa die psychischen Vorgänge selbst, sondern nur die Reproduktionen derselben. Das innere Erlebnis wird in dem Augenblick unterbrochen, wo der Gedanke entsteht: dies 1) Vergl. ©. Göring, Zur philosophischen Methode. Vierteljahrsschrift für wissensch. Philos., III. Bd., 8. 7. 2) Philosoph. Studien, I. Band, S. 2 u. 3. 3) Philosoph. Studien, IV. Band, 8. 292 u. fg., veranlasst durch einen Auf- satz von J. Volkelt über „Selbstbeobachtung und psychologische Analyse“ in der Zeitschrift für Philosophie und philos. Kritik, Bd. 90, S. 1 u. fg. _ Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 677 willst du festhalten; die dann eintretenden Erinnerungsbilder sind aber dem Objekte keineswegs gleichwertig, sondern können das Wahr- genommene immer nur einigermaßen treu und genau wiedergeben. Diese nachträgliche Betrachtung der Erinnerungsbilder stellt er als innere Wahrnehmung der planmäßig ausgeführten Selbst- beobaehtung gegenüber und führt dann weiter aus, dass der einzige Weg, die innern Vorgänge selbst willkürlich wieder zu erneuern in dem psychologischen Experiment besteht. Zwar lässt sich nicht verkennen, dass, so lange physio- logische Fragen bei der Anstellung dieser Versuche im Vordergrunde standen, dieselben ohne Rücksicht auf psychologische Vertiefung an- gestellt wurden; jedoch hat es der Psychologe in seiner Hand diesen Fehler in Zukunft zu vermeiden und darf sich nicht etwa aus der- artigen Missgriffen ein Vorurteil bilden, durch welches ihm diese einzige Möglichkeit einer Selbstbeobachtung verschlossen wird. Wundt fügt zu diesen die Aufgabe des Experiments scharf und klar be- stimmenden Ausführungen noch hinzu, dass er abgesehen von der mit den Versuchen verbundenen Selbstbeobachtung in der Anwendung der experimentellen Methode auch das beste Uebungsmittel zur Schärfung der Aufmerksamkeit gegenüber den Objekten der innern Erfahrung erkennt, und hofft trotz aller noch immer entgegenstehenden Vorurteile und Schwierigkeiten auf eine endliche allgemeine Einrichtung psycho- logischer Laboratorien. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die geschilderte Selbstbeobacht- ung namentlich bei solehen Versuchen eine Rolle spielt, wo es sich um Schätzungen handelt, sei es im Bereiche des Weber’schen bezw. Fechner’schen Gesetzes, oder des Zeitsinnes und des Gedächt- nisses, worüber in neuerer Zeit sorgsame und feinsinnige Unter- suchungen ausgeführt wurden. Indess auch die Messung der Dauer psychischer Vorgänge bietet außer der Feststellung an sich wertvoller Thatsachen auch eine nieht zu unterschätzende Gelegenheit zu psycho- logischen Analysen, die beobachteten Bewusstseinszustände zu be- schreiben und in ihre Elemente zu zerlegen. Es liegt nicht in der Absicht dieser Abhandlung einen vollstän- digen Ueberbliek über die Entwieklung der Psychometrie zu geben, sie will vielmehr an die frühern umfassenden und durch eigne reiche Erfahrung im psychologischen Experimentieren ausgezeichneten Be- richte von E. Kräpelin!) im I. und III. Bande dieser Zeitschrift anknüpfen. Außer diesen bieten auch die Aufsätze von W. Wundt über die Aufgaben der experimentellen Psychologie?) und über die Messung psychischer Vorgänge?) namentlich aber auch das XVI. Ka- 4) Ueber die Dauer einfacher psychischer Vorgänge. Biolog. Centralbl., I. Bd.. S. 654, 721 u. 751; ferner: Die neueste Literatur auf dem Gebiete der psychischen Zeitmessungen. Ebend. III. Bd. S. 53. 2) Essays, 1885, S. 127. 3) Ebend. S. 154. 678 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. pitel seine Gründzüge der physiologischen Psychologie!) zusammen- fassende Darstellungen über unsern Gegenstand, und zwar haben die letztern deshalb einen so einzigen von andern nicht erreichbaren Wert, weil niemand so wie ihr Verfasser im Mittelpunkte der ge- schilderten Entwieklung steht, und diese grade der „rastlosen Thätig- keit seiner Schule“ ihre namhaftesten und zahlreichsten Errungen- schaften verdankt. Auch möchte ieh nicht verfehlen auf das 7. und 8. Kapitel aus Ribot’s Werke über die „Deutsche Psychologie“ 2) hinzuweisen, welche ausschließlich von den Arbeiten Wundt’s und über die psychometrischen Untersuchungen insbesondere handeln, und auf das zusammenfassende Werk des leider so früh verstorbenen Gabriele Buceola°); ebenso verdient die bereits in den einleiten- den Werken erwähnte geistvolle Schrift von Götz Martius über die Ziele und Ergebnisse der experimentellen Psychologie®) hier ge- nannt zu werden. Dass in dem Folgenden vorwiegend den aus dem psychologi- schen Laboratorium von W. Wundt in Leipzig hervorgegangenen Untersuchungen Beachtung geschenkt ist, wird gewiss nicht als eine Herabminderung der Verdienste anderer namentlich einiger physio- logischer Institute und deren Leiter angesehen werden. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass das Leipziger Laboratorium sowohl in der Vollkommenheit der Versuchstechnik als auch in der wissen- schaftlich-psychologischen Ausnutzung der so außerordentlich sorgsam ermittelten Ergebnisse gegenwärtig den ersten Rang einnimmt. Es erschien mir daher unerlässlich für eine sachgemäße Beurteilung der einschlägigen Fragen durch eigene Anschauung den Betrieb der dort im Gange befindlichen wissenschaftlichen Arbeit kennen zu lernen, und ich benutze mit Freuden diese Gelegenheit Herrn Prof. Wundt für die gütige Erlaubnis, und ebenso ihm wie auch seinem Assistenten Herrn Dr. Külpe für das liebenswürdige Entgegenkommen und die reiche Belehrung, mit welcher sie mich während meines mehrwöchent- lichen Aufenthaltes in Leipzig während des Sommers 1888 unter- stützt haben, verbindlichst zu danken. In gleicher Weise ist es mir eine angenehme Pflicht allen dort beschäftigten Herrn für die freund- liche Bereitwilligkeit, mir die Teilnahme an ihren im Gange befind- 1) III. Aufl., Leipzig 1887; II. Bd., 16. Kap.: Apperzeption und Verlauf der Vorstellungen. 2) La psychologie allemande contemporaine. Paris 1879. Autorisierte deutsche Ausgabe: Die experimentelle Psychologie der Gegenwart in Deutsch- land. Braunschweig 1881; vergl. auch die schon erwähnte Besprechung des Buches in der Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos., III. Bd., S. 377 von B. Erd- mann. 3) La legge del tempo nei fenomeni del pensiero. Milano 1833. 4) Bonn 1888; die Ergebnisse der Psychometrie finden sich S. 14—21 zu- sammengestellt. Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 679 lichen psychometrischen wie psychophysischen Untersuchungen zu ge- statten, meinen Dank abzustatten. Zunächst erscheint es mir von Wichtigkeit auch einige bemerkens- werte für die Genauigkeit der ermittelten Zahlen bedeutsame Vervoll- kommnungen der psychometrischen Versuchsanordnung und Technik einzugehen, welche seit den letzten Berichten E. Kräpelin’s in dieser Zeitschrift in Anwendung gekommen sind. Während noch M. Friedrich in einer kleinen kritischen Arbeit im II. Bande der „philosophischen Studien“!) den Einwärfen von Tigerstedt und Bergqvist gegenüber erklärt, dass das Geräusch der Apparate von dem Reagierenden nicht als Störung empfunden sei, so hat es sich doch als dauernde Einrichtung auch im Leipziger Laboratorium ein- gebürgert, beide Personen, den Reagierenden von dem die Zeiten am Chronoskop Ablesenden zu trennen und in verschiedenen weit von einander entfernt liegenden Zimmern unterzubringen. Der Verkehr zwischen beiden wird nur durch verabredete elek- trische Signale vermittelt, um eine Beeinflussung des Reagierenden durch störende Sinnesreize auf ein möglichst geringes Maß zu be- schränken. Aus demselben Grunde wird auch auf ein möglichst ge- räuschloses Arbeiten aller im heagentenzimmer befindlichen Apparate ein großer Wert gelegt, wie die neuesten Arbeiten in den „Philoso- phischen Studien“ erkennen lassen, und in noch höherem Grade von den bevorstehenden Veröffentlichungen der gegenwärtig im Gange befindlichen Arbeiten betont werden wird. Eine weitere Verbesserung der Methode ist darin zu finden, dass man zu Ermittlung der Reaktionszeit, d.h. der kürzesten Dauer der Vorgänge von der Einwirkung des Sinnesreizes bis zur Auslösung einer Willenshandlung, demjenigen Eindruck, auf welchen die Reaktion erfolgen soll, einen schwächern und zwar in der Regel einen dem Sinnesorgan adäquaten Reiz als Signal vorangehen lässt. Diese Ab- änderung der Versuchsanordnung, welche gleichfalls erst seit der jüngsten Zeit allgemein anerkannt ist, beruht auf der Erfahrung, dass unerwartete Eindrücke die Reaktionszeit nicht unerheblich verlängern. Wundt berichtet darüber in seinen Gründzügen der physiologischen Psychologie ?), und führt folgende von ihm beobachtete Unterschiede der Reaktionszeiten an: Reaktionszeit Schall I (Fallhöhe 5 em) ohnd Siena ih een uuh -+266 mitt STEmalaRT AIR ET 1) Zur Methodik der Apperzeptionsversuche. Philos. Stud., II. Bd., 1885, S. 70. 2) I. Band S.288; als Einheit ist hier wie überall im Folgenden o = 0,001 Sekunde angenommen. Vergl auch G.Martius a. a.0. und die frühern Unter- suchungen von Hirsch in Neufchätel bei Rosenthal, Allgem. Physiologie der Muskeln und Nerven. Leipzig 1877. S. 284; s. f. Lazarus, Das Leben der Seele, 3. Aufl., 1885, H. Bd., -S. 51. 680 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. Von dieser beträchtlichen Verlängerung abgesehen hat sich aber auch gezeigt, dass Reaktionszeiten auf unerwartete Eindrücke bedeu- tend größern Schwankungen ausgesetzt sind, wodurch ihre Ver- gleichbarkeit mit andern wesentlich beeinträchtigt werden muss. Ihren wissenschaftlichen Abschluss haben diese Erfahrungen namentlich durch die Untersuchungen von Nikolai Lange!) über die periodi- schen Schwankungen der Aufmerksamkeit gefunden, welche in dem Satze gipfeln: „Die Schwankungen der aktiven Apperzeption sind durch die allgemeine Relativität der psychischen Erscheinungen be- dingt und bilden ihrerseits die Ursache aller andern Periodizität im Bewusstsein, wie dieselbe in den Schwankungen der sinnlichen Auf- merksamkeit beim Zeitsinne und in den periodischen Erscheinungen des Gedächtnisses ausgedrückt ist“ ?). Dem von ihm gefundenen Ge- setze entsprechend, lässt man das Signal dem Haupteindruck in einem Zwischenraum von 1—33) Sekunden vorangehen, weil erfahrungsmäßig innerhalb dieser Zeit die Spannung der Aufmerksamkeit ihren Höhe- punkt erreicht. Ja es lässt sich leicht beobachten, dass die vorbe- reitende Aufmerksamkeit selbst dann ihren Dienst bis zu einem ge- wissen Grade versagt, wenn innerhalb der genannten Grenzen der Haupteindruck schneller auf das Signal folgt, als er erwartet wurde; auch in diesem Falle ist die Reaktionszeit einer Verlängerung und namentlich auch größern Schwankungen ausgesetzt. Aus ähnlichen Gründen hat man, um gewisse Unregelmäßigkeiten wie vorzeitige Reaktionen zu beseitigen, namentlich aber um dem Reagierenden Zeit zu lassen sich über den vorangegangenen Versuch Rechenschaft zu geben?) und für die folgende Beobachtung zu sam- meln, den Zwischenraum zwischen je zwei aufeinander folgenden Versuchen derselben Reihe, die sogenannte Versuchsperiode, auf die Dauer von 30 Sekunden ausgedehnt. Von nicht geringerer Wichtigkeit ist ferner die Beseitigung einer andern mehr elektrotechnischen Schwierigkeit, auf welche das Augen- merk der Forscher schon seit langer Zeit gerichtet war. Es liegt auf der Hand, dass Ungleichmäßigkeiten des galvanischen Stromes auf den Gang des zur Zeitmessung gewöhnlich benutzten Hipp’schen Chronoskops nicht ohne Einfluss bleiben können, da das Uhrwerk desselben durch einen oder in der neuern Konstruktion durch zwei Elektromagnete angehalten oder losgelassen wird). Bei zu schwachem 1) Beiträge zur Theorie der sinnlichen Aufmerksamkeit und der aktiven Apperzeption. Philos. Stud., IV. Bd., S. 390 u. fg. 2) a. a. 0. 8. 422; vergl. W. Wundt, Phys. Psychol., 3. Aufl., II. Bd., Seite 288. 3) s. LudwigLange, Neue Experimente über den Vorgang der einfachen Reaktion auf Sinneseindrücke. Philos. Studien, IV. Bd., S. 492. 4) s. L. Lange a. a. O0. S. 486. 5) Eine vollständige Beschreibung dieses zuerst von Hirsch zu seinen Messungen benutzten Instrumentes würde hier zu weit führen; eine solche findet Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 681 Strome wird der Elektromagnet entweder gar nicht oder erst nach einiger Zeit im stande sein, die Kraft der Feder zu überwinden, welche den Anker in der entgegengesetzten Lage festhält; ist dagegen der Strom zu kräftig, so wird wieder einige Zeit verfließen, bis auch nach Unterbreehung desselben der zurückgebliebene remanente Magne- tismus von der Federkraft des Ankers überwunden wird!). So erwies sich die von E. Kräpelin bei seinen Untersuchungen über die Ein- wirkung medikamentöser Stoffe auf die Dauer psychischer Vorgänge zuerst benutzte Stöhrer’sche Zinkkohlebatterie, welche von Hipp selbst seinem Apparate beigegeben war, nichts weniger als beständig; nach mehrwöchentlicher Benutzung gaben sich derartige Unregel- keiten zu erkennen, dass man keine fünf Minuten ohne Kontrole fort- arbeiten konnte?). Gegenwärtig sind nun im Wundt’sehen Labora- torium für diesen Zweck ausschließlich Elemente nach dem Mei- dinger’schen System?) in Gebrauch, welche nach längerer Prüfung sich am besten bewährt haben und in der Regel das ganze Semester hindurch in Betrieb bleiben. Freilich ist eine absolute Gleichmäßig- keit auch von dieser wie wohl überhaupt von keiner Konstruktion zu erwarten und man musste daher auf Kontrolapparate bedacht sein, mit deren Hilfe es gelingen konnte die vom Strome verschuldeten Schwankungen von denen der Reaktion selbst zu unterscheiden und in Abzug zu bringen. Während noch Kräpelin zu diesem Zwecke den Hipp’schen Fallapparat und später Cattell ein nach seinen Angaben gebautes Fallehronometer verwandte, haben diese Instrumente gegenwärtig einer andern Einrichtung weichen müssen, welche sich durch größere Gleichmäßigkeit des Falles auszeichnet und mit einigen Abweichungen bereits von @. O. Berger bei seinen Untersuchungen über den Einfluss der Reizstärke auf die Dauer einfacher psychischer Vorgänge angewandt wurde*). Ein von einem Elektromagneten in erhobener Stellung gehaltener Fallhammer muss nach Unterbrechung des hierzu gehörigen Stromes zunächst den Uhrstrom schließen und nach einer unveränderlichen Zeit beim Aufschlagen wieder öffnen. Durch eine einfache Abänderung wurde die ursprüngliche zu große Fallgeschwindigkeit dieses Kontrolapparates so geregelt’), dass die sich in Wundt’s physiol. Psychologie. 3. Aufl., H.Bd, 8. 274; über die ältere aber noch immer verbreitete Form vergl. Hirsch in Moleschott’s Unter- suchungen IX, S. 188, eine ausführliche Beschreibung der neuen Form ist in Wiedemann’s Annalen, Bd. II, 1875, S. 618 gegeben. 1) Vergl. S.M. Cattell, Psychometrische Untersuchungen I. Philos. Stud., IT2SBI052S: 306. u; fg. 2) s. Philos. Stud., I. Bd., S. 425. 3) Vergl. W. Wundt, Physiol. Psych, 3. Aufl. I. Bd., S. 276 nnd die Abhandlung von L. Lange in den Philos Stud., IV. Bd. S. 481. 4) Philos. Stud,; III. Bd., S. 45. 5) Vergl. Ludw. Lange, Neue Experimente über den Vorgang der ein- fachen Reaktion auf Sinneseindrücke; ebend. IV. Bd., 8. 483. 682 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. Zeit zwischen Schließung und Oeffnung des Stromes etwa dem Mittel der zu messenden Reaktionszeiten nahe kommt. Die Kontrolzeit wird entweder mit Hilfe emer am Fallhammer selbst angebrachten schrei- benden Stimmgabel von bekannter Schwingungszahl oder des von W. Wundt köonstruierten Chronographen ermittelt!). Dieser Ap- parat bezeichnet überhaupt einen wesentliehen Fortschritt in der psychometrischen Technik. Er gestattet z. B. auch die negativen Zahlen vorzeitiger Reaktionen zu messen, was bei der eigenartigen Konstruktion des Hipp’schen Chronoskops unausführbar ist; ebenso konnten die Untersuchungen von O. Külpe inbezug auf gewisse simultane Koordinationen, über welche W. Wundt in der III. Aufl. seiner physiol. Psychologie, II. Bd., S. 325 eine vorläufige Mitteilung macht, nur mit Hilfe dieses Chronographen ausgeführt werden. Wäh- rend man früher für derartige Zwecke auf das den psychometrischen Bedürfnissen nicht unmittelbar angepasste Ludwig’sche Kymogra- phion angewiesen war, spricht diese Vorrichtung allen Anforderungen in sehr vollkommener Weise. Seine Verwendung beruht darauf, dass zwei oder drei mit Elektromagneten verbundene Schreibspitzen auf einer großen mit berußtem Papier überzogenen Walze ihren Weg durch je eine Linie verzeichnen, welche jede durch eine Ankerbewegung übertragene Reaktion als eine deutliche Ausweichung nach rechts zu erkennen gibt. Durch die Schreibborste einer feinarmigen Stimm- gabel von 560 Doppelschwingungen in der Sekunde werden direkt daneben die Zeitteilchen in tausendstel Sekunden aufgezeichnet. Die durch ungleiche Abreißungszeit der Anker etwa entstehenden geringen Zeitfehbler können durch einen von L. Lange konstruierten und am angeführten Ort beschriebenen und abgebildeten Kontrolapparat gleich- falls genau bestimmt werden. Somit lässt sich behaupten, dass die im Wundt’schen Laboratorium ausgeführten Zeitmessungen als so gut wie vollständig frei von den störenden Einflüssen der Stromschwan- kungen betrachtet werden können und in dieser Beziehung an Zu- verlässigkeit der Ergebnisse von keinem andern gegenwärtig erreicht oder gar übertroffen werden. Es verdient dies namentlich aus dem Grunde hervorgehoben zu werden, weil noch immer Untersuchungen an die Oeffentlichkeit gelangen, welche auf diese sehr beträchtlichen Schwierigkeiten keine Rücksieht nehmen oder dies wenigstens in der Darstellung der Versuchsanordnung auf keine Weise zu erkennen geben. Selbstverständlich kann es sich an diesem Orte nur um die Her- vorhebung einiger besonders wiehtiger Fortschritte in der Versuchs- technik handeln; eine genaue Beschreibung der Apparate bietet außer 1) Eine vollständige Beschreibung und Abbildung des Chronographen mit allen Nebenapparaten gibt W. Wundt selbst in der 3. Aufl. seiner physiol. Psychologie, II. Bd., S. 278 u. fg, und ebenso Ludw. Lange in den philos. Stud, alV. BIRSIAHT U Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 683 den Originalarbeiten auch das sechszehnte Kapitel!) von Wundt’s physiologischer Psychologie. I. Die einfache Reaktionszeit. Unter den gemessenen psychophysischen Zeiten ist die einfachste die wichtigste aber auch die am schwierigsten zu analysierende. Es handelt sich bei der sogenannten einfachen Reaktionszeit um diejenige Zeit, welche verfließt, bis man auf einen erwarteten und hinsichtlich seiner Beschaffenheit und Stärke vorher bekannten Sinnes- reiz mit einer einfachen gleichfalls vorher verabredeten Bewegung antwortet. Zweifellos können wir in derselben mit Kräpelin im ersten Bande dieser Zeitschrift im wesentlichen drei Akte unter- scheiden: 1) Die Dauer der zentripetalen Leitung von den peripheren Endapparaten den Sinnesnerven bis zum Zentralorgan. 2) Die Dauer der psychophysischen Vorgänge von der Entstehung einer Empfindung bis zur Auslösung einer moto- rischen Erregung. 3) Die Dauer der zentrifugalen Leitung vom Zentralorgan bis zum Zustandekommen einer Bewegung. Von psychologischem Standpunkte würde naturgemäß die Aus- scheidung der rein physiologischen Vorgängen 1) und 3) von großem Interesse sein, indess müssen wir noch immer wie Kräpelin in seinem frühern Berichte in dieser Zeitschrift zugestehen, dass es sich bei dem Versuch, die Dauer der Leitung in den motorischen und sensibeln Nerven, sowie die Dauer der Latenz in den Sinnesorganen und Muskeln einfach in Abzug zu bringen um eine sehr unsichere und willkürliche Rechnung handeln würde?). Dagegen hat die psychologische Analyse der unter 2) erwähnten Vorgänge in neuerer Zeit einen sehr erfreu- lichen Fortschritt zu verzeichnen, durch welehen vor allem der Wert der Selbstbeobachtung bei der Anstellung psychometrischer Versuche in ein klares Licht gestellt, und bewiesen wird, dass zur Erzielung brauchbarer und vergleichbarer Resultate keineswegs eine bloß äußere Anordnung der Versuchsbedingungen ausreicht. Durch die Versuche von Ludw. Lange und Nikolai Lange im Leipziger Laboratorium wurde nämlich die Möglichkeit festgestellt, die sogenannte einfache Reaktion willkürlich auf zwei ganz verschiedene Weisen auszu- führen. Unter den oben erwähnten günstigen Versuchsbedingungen, welehe namentlich infolge der langen Versuchsperiode gestatten, sich über den Bewusstseinsinhalt des vorangegangenen Versuches Rechen- schaft abzulegen, kamen die genannten Beobachter zu der Vermutung, es werde auf die Reaktionszeit einen Einfluss haben, ob man die Auf- 2), 32 Aut Tl: (Bd... 18 27Aıa. Fer 2) Vergl. Biolog. Centralblatt, I. Bd., S. 661; ferner W. Wundt, Physiol, Psychol., 3. Aufl., II. Bd., S. 264. 684 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. merksamkeit mehr auf den erwarteten Sinneseindruck oder auf die beabsichtigte Bewegung richtet. Dies fand sich durch die Erfahrung vollkommen bestätigt, so dass man seitdem zwei sowohl durch ihre psychologische Bedeutung wie auch durch ihre Dauer vollständig von einander verschiedene Arten der Reaktion unterscheidet, welche nach Wundt als sensorielle und muskuläre einander entgegengestellt werden. Ludwig Lange beschreibt die innern Bedingungen der- selben etwa folgendermaßen'!): Bei der sensoriellen Reaktion ver- meidet man grundsätzlich jede vorbereitende Bewegungsinner- vation und wendet die ganze vorbereitende Spannung dem zu erwar- tenden Sinneseindrucke zu, wobei man sich aber gleichzeitig vornimmt, unmittelbar nach Auffassung des Eindruckes den Willensimpuls zur Bewegung folgen zu lassen; bei muskulärer Reaktionsweise denkt man gar nicht an den bevorstehenden Sinneseindruck, sondern be- reitet so lebhaft als möglich die Innervation der auszuführenden Reaktionsbewegung vor. An einer spätern Stelle seiner Abhandlung?) analysiert derselbe Verf. den Bewusstseinsinhalt bei sensorieller Reaktion in der Weise, dass zunächst deutlich ein Bewusstwerden des Eindrucks und dann der bewusste Wille zu reagieren sich einstellt; dagegen fehlt bei der muskulären Reaktion sowohl die Apperzeption des Reizes als auch jede Beteiligung des Willens bei Auslösung der Bewegung. Mit Recht bezeichnet er daher die letztere Reaktionsweise als einen Hirnreflex, als einen Vorgang, der sich von andern Reflexen nur dadurch unterscheidet, dass der Wille vorher eine vorbereitende Innervation der auszuführen- den Bewegung veranlasst. Infolge dessen müssen auch vorzeitige Reaktionen und Reaktionen auf andere Eindrücke als den erwarteten bei muskulärer Reaktionsweise und zwar nur bei dieser eintreten, indem die durch den Willen an das Reflexzentrum übertragene Energie durch jede hier eintreffende Sinneserregung ja auch durch die von einer bloßen Vorstellung einer solehen ausgehende Erregung in die motorischen Bahnen geleitet wird. Dagegen ist bei der Bezeichnung „muskulär“ nicht etwa an eine besonders starke Spannung der An- tagonisten zu denken, wenn schon geringe Muskelspannungen und ihnen entsprechende Muskelempfindungen sekundärer Weise vor- handen sind und das gänzliche Fehlen der letztern als ein zuver- lässiges Kennzeichen sensorieller Reaktion angesehen werden muss. Bei muskulärer Bethätigung macht sich daher auch nach der Ver- 1) Philos. Stud., IV. Bd., S. 487; desgl. W. Wundt, Physiol. Psychologie, 3. Aufl., I. Bd, S. 265 und 273. Vergl. auch die von H. Leitzmann in den philos. Stud., V. Bd, S. 62 mitgeteilte Bemerkung von Le Verrier über die darauf bezügliche Erfahrung der Astronomen in Annales de l’observatoire de Paris (memoires). Tome VIII S.7. 2) A122 088: 500 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 685 suchsreihe eine gewisse Muskelermüdung geltend, die bei der sen- soriellen Form nicht beobachtet wird. Auf diese Weise erklärt es sich, dass die Reaktionszeiten für dasselbe Sinnesgebiet um etwa 100 o von einander abweichen können, und zwar wurde dieser sehr erhebliche Unterschied zuerst durch die Versuche von Ludwig Lange und Nikolai Lange für Schall- und Tastreaktionen und später von L. Lange und Götz Martius auch für Liehtempfindungen nachgewiesen. Wir geben hier dieselben typischen Zahlen, welche der letztgenannte in seiner oben erwähnten kleinen Schrift aus Wundt’s physiologischer Psychologie als be- zeichnend ausgewählt hat: sensor. R. muskul. R. elektrischer Hautreiz: 213 105 Schall: 216 127 Lieht: 291 182. Diese Unterscheidung ist vor allem als ein wichtiger Fortschritt der naturwissenschaftlich induktiven Forschungsweise auf dem Gebiete der Psychologie zu begrüßen. Während man sich bisher von einer gewissen Neigung zu theoretisch-deduktiver Aus- deutung der zentralen Vorgänge leiten ließ, so ist mit diesem Vor- gehen der Grundsatz befolgt auf empirischem Wege die That- sachen des Bewusstseins festzustellen; auch hier ist es ohne Zweifel das Verdienst der Wundt’schen Schule durch vorurteilsfreie Unter- suchung den induktiven Weg erfolgreich angebahnt zu haben. Es liegt auf der Hand, dass es für die Beurteilung aller bisherigen Zeitmessungen von der größten Wichtigkeit ist, zu entscheiden, ob der Beobachter muskulär oder sensoriell reagierte, und es war mir daher bei meinem Aufenthalte in Leipzig vor allem auch darum zu thun, mir über die innern Bedingungen der beiden Reaktionsweisen, nament- lieh über die Grenzen der Möglichkeit willkürlich die Reaktions- dauer zu verlängern oder zu verkürzen, ein selbständiges Urteil zu bilden. Gleich in den ersten Tagen hatte ich nun Gelegenheit mich an den von Herrn Dr. Leitzmann geleiteten Versuchen zu beteiligen, bei den es sich zunächst im wesentlichen um die Feststellung der für den Astronomen wichtigen Zeit handelt, welche man gebraucht, um den Durchgang eines bewegten Punktes hinter dem Faden eines Fern- rohres zu registrieren. Es lag im Interesse der Versuchszwecke hierbei sensoriellzu reagieren, und ich konnte mich dabei von den Schwierig- keiten, welche diese Reaktionsweise dem ungeübten Reagierenden bietet, auf das gründlichste überzeugen. Namentlich bei der vorliegenden Versuchsanordnung, bei welcher man den Punkt sich allmählich dem Faden nähern sieht, und die Spannung, den richtigen Zeitpunkt für die Reaktionsbewegung zu wählen, auf das Höchste gesteigert wird, erschien es mir (wie übrigens auch andern schon länger mit diesen 686 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. Versuchen beschäftigten Herren) außerordentlich schwer, einerseits vor- zeitige Reaktionen zu vermeiden, d. h. abzuwarten, bis sich Punkt und Faden wirklich decken und nicht etwa schon auf die Erwar- tung dieses Zeitpunktes bin den Willensimpuls für die registrierende Bewegung eintreten zu lassen, oder zu vermeiden, dass infolge der durch die Spannung unwillkürlich erfolgten Innervation nach erfolgter Deckung von Punkt nnd Faden ohne jedesmaligen bewussten Willensimpuls die Reaktion erfolgte, anderseits aber, wenn die Bedingungen der sensoriellen Reaktion wirklich erfüllt waren, auch die kürzeste Zeit von der Erkennung des Durchganges bis zur Aus- lösung der Bewegung inne zu halten. Die mittlern Schwankungen bei der erwähnten Versuchsanordnung waren namentlich zu Anfang außerordentlich große, und sie sind jedenfalls der sicherste Maßstab für den Grad der Sicherheit in dieser Art des Experimentierens. Erst nach mehrern Tagen, an denen in der Regel mindestens zwei Ver- suchsreihen mit etwa je 30 Einzelversuchen ausgeführt waren, gelang es mir einigermaßen brauchbare, d. h. gleichmäßige Reaktionszeiten zu erzielen. Etwa eine Woche später durfte ich auch an den von Herrn Schönbach gleichfalls daselbst ausgeführten Reaktionsver- suchen teilnehmen, bei denen es sich um die Ermittlung der Reak- tionszeit auf einen vor einem Spalt erscheinenden Lichtreiz handelte, dessen Eintritt etwa 2—3“ vorher durch ein schwaches Lichtsignal angekündigt wurde. Bei dieser veränderten Versuchsanordnung be- durfte es selbstverständlich wieder einer gewissen Gewöhnung, bis größere Schwankungen überwunden wurden. Namentlich hatte die Zwischenzeit zwischen dem Signal und Haupteindruck einen großen Einfluss auf die Dauer der Reaktionszeit, indem die letztere dann zu lang ausfiel, wenn der Haupteindruck schneller auf das Signal folgte, als es erwartet wurde, und demnach die Aufmerksamkeit noch nicht hinreichend gespannt war. Allein schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit, etwa nach den ersten zehn Einzelversuchen wurden hier die Er- gebnisse bedeutend gleichmäßiger und kamen den auch sonst für sensorielle Reaktionen auf Licht beobachteten Zahlen von 250-270 o sehr nahe, überstiegen in einigen Fällen 300 o, hielten sich aber doch meist in den Grenzen einer mittlern Schwankung von etwa 15—17 e!). Auf diese eine Reihe sensorieller Reaktionen folgte dann sofort eine Reihe muskulärer, und es war mir dabei von dem größtem Interesse festgestellt zu sehen, dass es ohne jede Uebung in dieser Reak- tionsweise, einzig durch die veränderte Willensriehtung gelang von den vorigen sehr weit abweichende Zeiten zu erhalten. Das Chronoskop ergab Zahlen von 140—-170 höchstens 190 o, so dass sich auch hier zwischen sensorieller und muskulärer Reaktionsweise I) Genauere Angaben werden die zu erwartenden Veröffentlichungen des Herrn Schönbach bringen. Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 687 ungefähr der gleiche Unterschied von 100 o zu erkennen gibt, wie er auch von andern beobachtet wurde. Dass infolge häufiger Wiederholung der Versuche die Reaktions- zeit sich bis zu einem gewissen Grade stetig verkürzt, und die mittlern Schwankungen immer weiter ausgeglichen werden, so dass die Reak- tionszeit schließlich eine fast konstante Größe genannt werden kann, war bereits lange bekannt und hatte dazu geführt das Wesen der Uebung namentlich in der Verkürzung der Reaktionsdauer zu er- kennen; den hierbei in betracht kommenden psychischen Thatsachen war dabei aber nicht in erster Linie Beachtung geschenkt. Nun ist es allerdings eine bekannte Folge aller Wiederholung, dass ursprüng- lich von bewussten psychischen Akten begleitete und von diesen geleitete Bewegungen allmählich mechanisiert werden, d. h. ohne Mitwirkung des Bewusstseins mehr reflexartig zu »tande kommen. Das allmähliche Erlernen aller unserer Bewegungen bietet dafür hin- längliche Beispiele. Die Bewusstseinsvorgänge, welche die ersten Versuche zu gehen, oder zu lesen und zu schreiben begleitet haben, sind freilich dem Erwachsenen aus dem Gedächtnis entschwunden; dagegen dürften die Vorgänge bei Erlernung des Schlittschuhlaufens oder Tanzens, des Reitens, Fechtens u. dergl., ferner des Klavier- oder Violinspielens, der Anwendung des griechischen oder hebräischen Alphabets sich der Erinnerung noch leichter zugänglich erweisen. In allen Fällen handelt es sich anfangs um Bewusstseinsakte, um gewisse Wahrnehmungen oder Auffassungen von äußern Vorgängen oder Verhältnissen, auf welehe dann ein bewusster Willensimpuls folgt, um die als zutreffend erkannte Bewegung auszulösen. Dem virtuosen Künstler dagegen kommt der Name der gesehenen Note und ein besonderer Willensimpuls für den richtigen Grift gar nicht zum Bewusstsein, er kann zu derselben Zeit mit ganz andern Ueberlegungen beschäftigt sein, wie man ja auch bekamntlich beim Lesen eines Buches mit seinen Gedanken bei ganz andern Dingen verweilen kann; der geübte Fechter gibt sich über die Natur der wahrgenommenen Blöße des Gegners und über die Absicht, den unter diesen Bedingungen geeigneten Hieb auszuführen, in der Hitze des Kampfes keine Rechenschaft, die vorgängige Innervation genügt bier, um unmittelbar nach dem perzipierten Sinneseindrucke die zutreffende Bewegurg auszuführen. Wir haben hier somit überall einen Uebergang von sensorieller, ja sogar zusammengesetzter Reaktion in einfache und muskuläre, aber ohne dass durch das Wort „Uebung“ an sich eine ausreichende Erklärung gegeben wäre. Im Gegenteil bedarf es zur Ausführung gleichmäßiger sen- sorieller Reaktionen der Uebung in bedeutend höhberm Grade als für muskuläre, es gilt hierbei namentlich gewisse durch die Wieder- holung der Versuche sich gleichsam von selbst aufdrängende Er- leichterungen und Abkürzungen zu unterdrücken und den Ablauf der 688 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. psychischen Vorgänge in einer vorher beabsichtigten Weise zu regeln. Auch Ludwig Lange weist auf die größern Schwierigkeiten bei Erlernung sensorieller Reaktionen hin !) und verweist an einer andern Stelle ?) mit Recht auf die stets beträchtlichen mittlern Schwankungen derselben, welche diese Verhältnisse kennzeichnen. Aber auch dem gewöhnlichen Bewusstsein gilt es als erheblich leichter, unter gewissen sich wiederholenden äußern Bedingungen einfach in gewohnter Weise zu verfahren, als erst nach bewusster Auffassung der Sachlage und mit bewusster Absicht aber trotzdem möglichst schnell zu handeln’). Wenn wir nun von diesem Gesichtspunkte aus die Bedeutung der einfachen Reaktionszeit der frühern Beobachter prüfen, so werden wir finden, dass es sich bei ihnen niemals um rein sensorielle, da- gegen häufig um ausgesprochen muskuläre Reaktionen handelt, na- mentlich bei Personen von großer Versuchsübung. Von Interesse ist es dabei in einigen Fällen zu sehen, wie nahe die Beobachter einer richtigen Deutung waren, so z. B. M. Friedrich im ersten Bande der philosophischen Studien ?), wo er freilich es nur als einen be- sonders hohen Grad der Aufmerksamkeit im allgemeinen bezeichnet, wenn infolge dessen eine Spannung der Muskeln des Armes und der Hand eintrat und die Reaktionszeit sich ungewöhnlich verkürzte. Aber auch die bei ihm unter normaler Spannung der Aufmerk- samkeit gefundenen Zahlen entsprechen keineswegs der sensoriellen Dauer, und ebenso wenig können die in einer Zusammenstellung von W. Wundt angeführten Zahlen älterer Beobachter als solche be- trachtet werden. Sie bestätigen nur die von Ludwig Lange ge- machte Beobachtung, dass es auch einen Mittelweg gibt, den er so zu deuten versucht, dass man seine Spannung so zu sagen zwischen Hand und Sinnesorgan teilt; ‚doch kann nach seiner Meinung diese Reaktionsweise wegen der schwierigern psychologischen Analyse nur ein geringeres Interesse beanspruchen ?). Dem entgegen möchte ich nun allerdings behaupten, dass grade diese Art der Reaktion wegen ihres häufigen Vorkommens bei zahlreichen Beobachtern unsere Auf- merksamkeit verdient und bei zukünftigen Untersuchungen zu sorg- fältiger Selbstbeobachtung herausfordert. Nach meiner allerdings sich nur auf einige Wochen erstreckenden Versuchserfahrung habe ich die Ueberzeugung gewonnen, dass der Unterschied dieser mittlern Verkürzung nur durch den Ausfall des Willensaktes bewirkt zu 4) Philos. Stud., IV. Bd., S. 489. 2) a.2. 0. 8.,492. 3) Vergl. Radestock, Die Gewöhnung und ihre Wichtigkeit für die Er- ziehung. Eine psychologisch - pädagogische Untersuchung. Berlin 1884. 8. 36 und 37. 4) S. 49 ebenso spricht sich Wundt aus: Phys. Psych., 3. Aufl, II. Bd. S. 269. 5) a. a. 0, IV. Bd, $. 490. Fricke, Ueber psychische Zeitmessung 689 werden pflegt, während die Erkennung des Sinnesreizes als Be- wusstseinsakt bestehen bleibt. Ich hatte sowohl in sensoriellen Ver- suchsreihen, bei denen einzelne Versuche zu kurz, etwa 220 o, aus- fielen, sehr deutlich das Gefühl, den Sinneseindruck vor der Reak- tionsbewegung in das Bewusstsein aufgenommen zu haben, während allerdings meinem Bewusstseinsinhalte mehrfach der besondere die heaktionsbewegung veranlassende Willensimpuls fehlte. Eine Bestä- tigung dieser Auffassung wurde mir durch die eigentümlichen Schwierig- keiten gegeben, die ich nach dreiwöchentlicher Uebung in der sen- soriellen Reaktionsweise darin fand, jetzt absichtlich muskulär zu reagieren. Während es mir, wie bereits oben erwähnt, kurz nach Beginn meiner Reaktionsübungen ohne große Schwierigkeiten ge- lang, brauchbare muskuläre Reaktionen zu erzielen, wurde es mir Jetzt, nachdem ich mit dieser einen Ausnahme täglich an mehrere Reihen ausschließlich sensorieller Versuche gewöhnt war, schwer, in einer ersten Versuchsreihe Zahlen unter 200--220 zu erzielen. Wie die wiederholte Selbstbeobachtung mir sagte, hatte ein besonderer Willensakt nicht stattgefunden, aber es war mir fast unmöglich ge- worden früher zu reagieren, bis ich deutlich den Sinneseindruck auf- genommen hatte. Erst bei einer dritten Versuchsreihe, welche mit etwas stärkerem weißem Licht angestellt wurde, erhielt ich Zahlen, welche mit den etwa zwei Wochen vorher gewonnenen Ergebnissen einigermaßen übereinstimmten. Selbstverständlich bedürfen diese Er- fahrungen noch der Bestätigung durch methodische auf diesen Unter- schied gerichtete Beobachtungen. Indessen findet diese Auffassung doch bereits eine gewisse Stütze in gelegentlichen Aeußerungen früherer Beobachter. So konstatiert E. Tischer!), dass der Willensim- puls sich bei den einfachen Reaktionen mehr einem reflektorischen Vorgange nähern, d. h. also als Bewusstseinsakt ausfallen könne. Ferner spricht E. Kräpelin?) bei Gelegenheit der Alkoholwirkung von einem leichtern Uebergang der zentralen Erregungszustände auf das motorische Gebiet in der Weise, dass schon die Antizipation des Reizes in der Vorstellung hierbei häufig genügt, um die Reaktions- bewegung hervorzurufen, also — wie ich diese Stelle verstehe — ohne Mitwirkung eines besondern bewussten Willensaktes. In dem- selben Sinne erinnert Kräpelin im Folgenden an die Thatsache, dass das Volksbewusstsein wie das Gesetz eine mildere Beurteilung von Verbrechen kennt, welche im Rausche begangen sind, eben wegen dieses Ausfalles der bewussten Willensthätigkeit. Dass auch bei völlig normalen Menschen eine Neigung zu Assoziationen von Vor- 4) Ueber die Unterscheidung von Schallstärken. Philos. Stud., I. Band, S. 538. 2) Ueber die Einwirkung einiger medikamentöser Stoffe auf die Dauer einfacher psychischer Vorgänge. Ebend. $. 598. VI, 44 690 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung, stellung und Bewegung besteht, zeigen aufs deutlichste die vor einigen Jahren Aufsehen erregenden Versuche des bekannten Gedankenlesers Cumberland, die man doch im wesentlichen dahin ausdeuten muss, dass sich Bewegungsimpulse mit einer Vorstellung ohne Mitbeteiligung des bewussten Willens verknüpfen können, indem der Gefühlswert der Vorstellung direkt eine Innervation auf das motorische Gebiet hinüberleitet. Vor allem aber findet die erwähnte Anschauung auch Unterstützung durch die Ausführungen von W. Wundt an der Stelle seiner physiologischen Psychologie, wo er die Umwandlung von will- kürlichen Handlungen in Triebbewegungen schildert '). „Man erkennt deutlich“ — so schreibt er hier — „dass einzelne ursprünglich will- kürliche Bewegungsakte allmählich mechanisch werden, indem sie zuerst in Triebbewegungen sich umwandeln, die auf eine be- wusste Empfindung mit mechanischer Sicherheit eintreten, worauf sie dann, dadurch dass auch die Empfindung aus dem Bewusst- sein verschwindet, völlig den Charakter von Reflexen annehmen können.“ Es ist dies die Schilderung des Uebergangs von sensoriellen in muskuläre Reaktionen, und zwar ist auch hier als erste Zwischen- stufe der Ausfall des Willens aus dem Bewusstsein anerkannt. Wenn es gestattet ist aus der Länge der Reaktionszeit einen Rück- schluss auf die innere Natur derselben zu ziehen, so werden wir zu- nächst in bezug auf die ältern in dieser Zeitschrift schon angeführten Ergebnisse ?) die Reaktionszeit von Exner (150 0 für Lichtreiz) als die am meisten ausgesprochen muskuläre anerkennen müssen, denen sich die von Donders (188), Wittich (186), v. Kries (19), Auerbach (191), Buceola (168 — 151 — 172) anschließen. Da- gegen könnte man in den Reaktionszeiten von Hirsch (200) und Hankel (205), namentlich aber von Wundt (222) sensorielle BRle- mente vermuten, und diese Vermutung wird durch die Erklärung des letztern in der angeführten Stelle seiner physiologischen Psychologie zur Gewissheit. Aber von den „extrem sensoriellen“ im Sinne Lud- wig Lange’s ist auch die Reaktionszeit des letztern noch ebenso- weit entfernt wie von den „extrem muskulären“. 1) 3. Aufl., II. Bd., S. 501. — Vergl. überhaupt das XX. Kap.: Der Wille, und das XXI. Kap.: Einfluss des Willens auf die Körperbewegungen. Desgl.: Ueber die Entwicklung des Willens. Essays 8. 286 und: Zur Lehre vom Willen. Phil. Stud., I. Bd., S. 337. 3) Biolog. Centralblatt, I. Bd., S. 665; vergl. auch W. Wundt, Physiol. Psychol., 3. Aufl., II. Bd., S. 268. Grashey, Gudden’s gesammelte Abhandlungen. 691 Bernhard von Gudden’s gesammelte und hinterlassene Abhandlungen. Herausgegeben von Dr. H. Grashey, o. ö. Professor der Universität und Direktor der oberbayer. Kreisirrenanstalt zu München. Mit 41 in Kupfer radierten Tafeln und von Gudden’s Portrait. 227 Seiten. Wiesbaden. Verlag von J. F. Bergmann 1889. Aus dem Vorwort des Herausgebers erfahren wir, dass in den letzten Jahren seines Lebens Obermedizinalrat von Gudden!) darauf bedacht war, seine in verschiedenen Zeitschriften zerstreuten Abhand- lungen zu sammeln und zu ergänzen, gleichzeitig aber auch die Er- gebnisse zu veröffentlichen, zu denen seine Forschungen auf hirn- anatomischem Gebiete in den letzten Jahren geführt hatten. That- sächlich fanden sich in von Gudden’s Nachlass 3 neue druckfertige Untersuchungen: „Ueber Augenbewegungsnerven“, „Ueber das Gehirn und den Schädel eines neugebornen Idioten“ und „Ueber ein viertes Bündel der Fornixsäule“. Außerdem fanden sich 30 Kupfertafeln, von Gudden’s Sohn Rudolf radiert, welche nahezu alle seinen früher veröffentlichten hirnanatomischen Arbeiten beigegebenen Ab- bildungen und überdies eine stattliche Anzahl neuer Zeichnungen zu neuen Abhandlungen enthielten; den Text zu den letztern hatte von Gudden nicht mehr ausgearbeitet, glücklicherweise aber die haupt- sächlichsten Resultate der betreffenden Untersuchungen auf den letzt- jährigen Versammlungen der deutschen Irrenärzte und der deutschen Naturforscher publiziert und die betreffenden Referate für die Tage- blätter der Naturforscher- Versammlungen und für die psychiatrischen Zeitschriften selbst verfasst. Der Herausgeber hat all diese Referate unter die gesammelten Abhandlungen aufgenommen und den Text derselben durch die Abbildungen so erläutert, wie von Gudden’s Vorträge auf den Versammlungen durch Demonstration von Präparaten und Zeiehnungen von ihm selbst erläutert worden waren. Wie der Text, so fehlte zu der letzten Gruppe von Abbildungen auch jede 1) Bernhard v. Gudden wurde geboren zu Cleve a./Rh. am 7. Juni 1824. Nach vollendeten Studien wurde er unter Jakobi Assistenzarzt an der Irrenanstalt zu Siegburg, später unter Roller an der zu Illenau in Baden. Im Jahre 1855 übernahm er die Leitung der unterfränkischen Kreisirrenanstalt zu Werneck, im Jahre 1869 wurde er als Professor der Psychiatrie an die Universität Zürich berufen, von wo er im Jahre 1872 als Direktor der Kreis- irrenanstalt für Oberbayern und Professor der Psychiatrie nach München über- siedelte. Am 12. Juni 1886 fand v. Gudden mit dem unglücklichen König Ludwig II. von Bayern sein tragisches Ende in den Wellen des Starnberger- Sees. Vergl. dieses Centralblatt, VI. Band, S. 289. 44* 692 Grashey, Gudden’s gesammelte Abhandlungen. w Erklärung und es schien auf den ersten Blick kaum möglich, eine solche in zuverlässiger Weise nachträglich zu geben. Gleichwohl ist dem Herausgeber dies gelungen durch Aufsuchen und Auffinden der betreffenden Präparate in der großen von Gudden hinterlassenen Sammlung, welche mindestens 50000 hirnanatomische gut etikettierte Schnitte und zahlreiche normale, pathologische und durch experimentell operative Eingriffe vorbereitete Gehirne enthält. Zu den ältern Ab- handlungen, welche sich nieht mit Hirnanatomie beschäftigen, waren die Abbildungen noch zu kopieren. So wuchs die Zahl der Tafeln auf 41. Alle verdanken wir der kunstgeübten Hand von Gudden’s Sohn Rudolf, der auch das der Sammlung beigegebene Portrait seines Vaters nach einem von ihm im Jahre 1885 gemalten Oelbild radierte. Zur leichtern Orientierung ist jeder Tafel eine besondere Erklärung beigegeben. Der Text beginnt mit einem Abdruck des von Grashey im Archiv für Psychiatrie, Band 17 u. 18, veröffentlichten Nekrologs auf von Gudden mit einem auf amtliches Material sich stützenden Nachtrag. Darauf folgen in ehronologischer Ordnung von Gudden’s ge- sammelte und hinterlassene Abhandlungen (I bis XXXII), von denen Nr. XXXI bereits in Band VI dieses Centralblatts veröffentlicht wurde. Die älteste Abhandlung (I des Inhaltsverzeichnisses) enthält entoptische Beobachtungen über die sogenannte Gefäßschattenfigur Purkyne’s, die von Gudden 1849 als Jakobi’s Assistent in Siegburg angestellt hatte und die er in dem Satze zusammenfasste, dass die „Aderfigur“ dann zum Vorschein komme, „wenn die Zentral- gefäße und die Netzhaut ein Verhältnis zu einander eingehen, das als ein ungewöhnliches bei der Fremdartigkeit des gesetzten Nerven- zustandes durch Erregung der Aufmerksamkeit die Empfidung aus- lost“ 2). In die Jahre 1851 — 1855 und 1861 fallen seine „Beiträge zur Lehre von den durch Parasiten bedingten Hautkrankheiten“, II, III (vergl. auch die von Gudden in Werneck gemachte Beobachtung über eine Invasion von Leptus autumnalis V), von denen insbesondere der dritte Teil von II „Scabies“ eine Reihe der exaktesten anatomi- schen und biologischen Beobachtungen enthält, durch welche Gudden u. a. die Annahme Bourguignon’s widerlegte, als ob der Acarus scabiei ein spezifisches Agens in den Körper hineinbringe und den Gesamtorganismus in einen Intoxikationszustand versetze, der erst aus sich heraus die Papeln und die Bläschen treibe. Nach Gudden sind die Krätzepapeln und Bläschen vielmehr als die unmittelbare Folge 1) Vergl. Helmholtz, Handbuch der physiol. Optik, S. 165. Grashey, Gudden’s gesammelte Abhandlungen. 693 eines durch den Milbenbiss, resp. einer von der Milbe beim Beißen in die Epidermis entleerten reizenden Substanz aufzufassen. „Die Krätze ist eine Parasiten-Krankheit. Milben, die nach all- gemeiner Annahme den Menschen eigentümlich sind, Sarcoptes hominis sind es, denen sie Entstehung und Fortdauer verdankt“. In der kleinen Schrift „Zur relativ verbundenen Irrenheil- und Pflegeanstalt“ (IV) behandelt von Gudden, der inzwischen zum Direktor der unterfränkischen Kreisirrenanstalt zu Werneck ernannt worden war, die damals in Deutschland viel ventilierte Frage der absoluten oder relativen Trennung der Heilanstalt von der Pflege- anstalt und erklärte sich gegen beide Modifikationen, indem er die absolute Verbindung der Heil- und Pflegeanstalt zu einer Anstalt ver- langte, welche nach dem Geschlecht, den Verpflegungsklassen und dem Grade der Fähigkeit der Kranken, ein menschlich geselliges Leben zu führen, in Haupt- und Unterabteilungen zu zerlegen sei. Von dieser gemischten Anstalt, die den Heilzweck als ihr höchstes Ziel hinstellen und behaupten müsse, seien sämtliche Kranke, die den Heilzweck des großen Ganzen wesentlich gefährden, irre Verbrecher, gewisse Epilep- tische ete., ohne weiteres auszuscheiden und für sich zu behandeln. Neben einer angestrengten organisatorischen und praktisch psyehia- trischen Thätigkeit beschäftigte von Gudden während seines ganzen 14 Jahre dauernden Wernecker Aufenthaltes die Lösung ernster wissen- schaftlicher Fragen, hauptsächlich aber Arbeiten über das Schädel-!) und Hirnwachstum, denen er mit eisernem Fleiß und peinlicher Ge- 1) Die Arbeiten über das Schädelwachstum erschienen 1874 in München unter dem Titel „Experimental- Untersuchungen über das Schädelwachstum“. „Man wird wenig Schriften finden, welche in so engem Rahmen eine solche Fülle neuer Thatsachen und wissenschaftlicher Funde aufweisen. Was Gudden bietet, ist alles fertig, rund, klar und abgelagert, sein Styl so knapp und präzis, dass es wohl schwer fallen dürfte, ohne Kürzung des Inhalts auch nur ein paar Worte zu streichen. Neue wissenschaftliche Thatsachen in solcher Kon- zentration, ohne alles Beiwerk von Hypothesen und Nutzanwendungen haben für das große medizinische Publikum etwas Aetzendes, Unverdauliches, Be- täubendes; und solche Arbeiten werden gewöhnlich erst dann Gemeingut, wenn andere anfangen, über dieselben Bücher zu schreiben“. (Grashey, Nekrolog). Hieher gehört auch Abhandlung XI „Anomalien des menschlichen Schädels“, Beschreibung eines in der Züricher patholog.-anatomischen Sammlung befind- lichen Schädels eines 2—3 Monate alten Kindes, „wahres Kabinetsstück“, welcher bei sonst normaler Entwicklung eine nicht unbeträchtliche Hemmung in der Ausbildung der linken Gesichtshälfte, sowie der ganzen Hirnkapsel in der Richtung des linken schrägen Durchmessers erfahren hat, welche Hemmung Gudden auf Wachstumsbeschränkung und Verschiebung durch Druck während der Schwangerschaft zurückführt. Vergl. endlich XXXIII „Ueber das Gehim und den Schädel eines neugebornen Idioten“, bereits in den Experimental- untersuchungen über das Schädelwachstum S. 39 erwähnt. 694 Grashey, Gudden’s gesammelte Abhandlungen. wissenhaftigkeit oblag, Hekatomben von Tieren und buchstäblich alle seine Musestunden opferte (Grashey, Nekrolog). Gewissermaßen als Nebenprodukte seiner Hauptarbeiten entstanden seine Abhandlungen über die Ohrblutgeschwulst (Othämatom VI—IX) und über die Rippenbrüche der Geisteskranken |X]!), für welche er die rein traumatische Genese nachwies. Derselben Anschauung hul- digte er auch bezüglich des Decubitus der Geisteskranken. Weiterhin verfolgte er an neugebornen Tieren die Wirkungen der Fortnahme einzelner Sinnesorgane auf das Gehirn und seine Teile, exstirpierte z.B. das linke Auge eines Kaninchens und sah, wie jedes mal der gekreuzte d. i. der rechte obere Vierhügel in seinem Wachs- tum zurückblieb, ferner wie der später von ihm beschriebene Tractus peduneularis transversus gleichfalls auf der rechten Seite zugrunde ging. Wie uns sein damaliger Mitarbeiter Professor Grashey be- richtet, begnügte sich von Gudden anfangs mit der makroskopischen Betrachtung der betreffenden Gehirne, wandte sich aber dann, um den Traect. ped. transv. genauer verfolgen zu können, zur Anfertigung von Schnittreihen, und indem er ein Präparat benutzte, in welchem der Traetus auf einer Seite erhalten, auf der andern aber atrophiert war, hatte er seine später nach ihm benannte Methode der Untersuchung der Hirnfaserung gefunden. Sehr zustatten kam ihm hiebei sein unter der technischen Beihilfe des Instrumentenmachers Katsch in München konstruiertes Mikrotom (XVI), das die Herstellung außerordentlich feiner Hirnschnitte bis zu den größten Dimensionen ermöglicht; so besitzt u. a. die Sammlung der Münchner Irrenanstalt je eine frontale, sagittale und horizontale Schnittreihe eines ganzen menschlichen Gehirns. Mittels seiner Methode sind von Gudden die wichtigsten hirn- anatomischen Befunde festgestellt worden: I. Motorische Nerven. Während man seit Waller’s?) Ent- deekung glaubte, dass bei einer durchschnittenen peripheren motori- schen Nervenfaser stets nur der periphere Stumpf degeneriere, hat von Gudden zuerst am Ischiadieus und Faeialis (XIX) nachge- wiesen, dass wenn man beim neugebornen Kaninchen diese Nerven an derjenigen Stelle (durch Ausreißen) durchtrennt, wo sie vom Zen- 1) Hieher gehört auch die Abhandlung über den Einfluss der Trigeminus- Durchschneidung auf die Kornea, in welcher v. Gudden zeigte, dass die Ver- wüstungen, welche diese Operation in der Hornhaut nach sich zieht, nicht als die unmittelbare Wirkung der Durchschneidung, der Neuroparalyse, sondern als die Folge der äußern Schädlichkeiten aufzufassen sind, denen die ihrer Empfindung d. h. ihres Schutzes beraubte Kornea fast auf Schritt und Tritt begegnet (XXIX, „Ueber die neuroparalytische Entzündung“). 2) Waller, Philos. Transactions. 1850. II. 8. 423; Arch. f. Anat. und Physiolog., 1852, S. 392. Grashey, Gudden’s gesammelte Abhandlungen. 695 tralnervensystem abgehen, nicht nur der periphere Stumpf, sondern auch die zentrale Wurzel mit den Ursprungszellen in den sogenannten primären Zentren zu grunde geht. Anfangs glaubte offenbar von Gudden, es sei dieser Unterschied von den Waller’schen Degene- rationen dem Eingriff beim Neugebornen zuzuschreiben. Zu anderer Zeit aber hat er sich wohl mehr der Ansicht zugeneigt, dass hier nicht das Alter, sondern der Ort der Durchtrennung maßgebend sei. In der That scheint auch beim neugebornen Tier, nach einfacher Durchtrennung eines motorischen Nerven in seinem peripheren Ver- lauf, auch dann, wenn man das periphere Ende dislociert, keine voll- ständige Atrophie des zentralen Stumpfes und der zentralen Zellen einzutreten. Wie Forel!) jüngst gezeigt hat, kann auch beim er- wachsenen Tier, entgegen der Ansicht Waller’s und der allgemeinen Annahme, eine zentripetale Atrophie des motorischen Nerven und seiner Ursprungszellen, und zwar schon nach relativ kurzer Zeit statt- finden. Es genügt dafür ihn, ähnlich dem von Gudden’schen Ver- fahren beim Neugebornen, an seinem Austritt aus dem Zentralnerven- system zu trennen. Der einzige Unterschied von dem Erfolg beim Neugebornen ist der viel langsamere Zerfall und vor allem die viel langsamere Resorption der Zerfallselemente. Beim Neugebornen sind, wie von &udden nachgewiesen hat, nach wenigen Wochen (schon nach 3 Wochen beim Kaninchen) keine Spur mehr von den Nerven- fasern und nur wenige kleine Spinnenzellen an Stelle der Ganglien- zellen zu finden. Bezüglich des erwachsenen Tieres fand Forel, dass bei einem Meerschweinchen, welchem der Facialis an der Hirnbasis abgerissen worden war, 141 Tage nach der Operation eine totale Atrophie der Nervenfasern und Ursprungszellen eintrat, während bei einem gleichfalls erwachsenen Meerschweinchen, welchem Forel den Facialis am Foramen stylo-mastoideum bloß durchschnitten hatte, 262 Tage nach der Operation, also nach fast doppelt so viel Zeit eine nur partielle, wenn auch bedeutende Atrophie des Nerven und seiner Zellen erfolgte. Durch das oben erwähnte Experiment hat sich nun bezüg- lich des Faeialis herausgestellt, dass es nur einen in 3 Gruppen ge- teilten Facialiskern (unterer Facialiskern Meynert) gibt, ferner dass sämtliche Fasern des Nervus facialis in die Zellen des Kernes der- selben Seite übergehen. Bei den Augenbewegungsnerven ergibt sich folgender Befund: die Oculomotorii kreuzen sich partiell, die Trochleares total, die Ab- ducentes gar nicht (XXI). Jeder Oculomotorius hat 3 Kerne, 2 ventrale (einen vordern und hintern ventralen Kern) auf seiner Seite und einen dorsalen auf der 4) Forel, „Einige hirnanatomische Betrachtungen und Ergebnisse“. Arch. f. Psychiatrie und Nervenkrankheiten, Bd. XVIII, S. 175 sqq. 696 Grashey, Gudden’s gesammelte Abhandlungen. entgegengesetzten. Der ventrale Doppelkern liegt mehr frontalwärts, der dorsale mehr kaudalwärts. Die Trochleareskerne liegen dorsal vom hintern Längsbündel hinter den Oculomotoriuskernen, von diesen getrennt durch eine zellenfreie Zwischenlage. Dieselben sind einfach, der rechtsseitige Kern gehört zum linksseitigen Nerven und umgekehrt, die Kreuzung ist eine vollständige und geht im Velum medullare superius vor sich. Die Wurzeln der Abducentes kreuzen sich, wie bemerkt, gar nicht, deren Kerne liegen in den Facialisknieen, sie erscheinen als einfache und sind ausschließlich Abducenskerne, haben zu den Fa- ciales keinerlei Angehörigkeit, was daraus hervorgeht, dass dieselben bei Fortnahme der Faciales intakt bleiben. Fortnahme der Augenbewegungsnerven der einen Seite bleibt ohne allen und jeden erkennbaren Einfluss auf die Entwicklung oder Erhaltung der hintern Längsbündel. Dass letztere zu ersteren in keiner Beziehung stehen, beweist nach Gudden auch das Gehirn vom Maulwurf, dessen hintere Längsbündel, obwohl man bei diesem Tier keine Spur von Wurzeln noch Kernen der Augenbewegungsnerven findet, sich ganz analog denen der Kaninchen verhalten (XXXI). Aehnlich wie im Facialiskern war von Gudden auch im Hypo- glossuskern im stande, 3 Gruppen abzugrenzen !). Weitere Angaben über den Hypoglossusverlauf fehlen. II. Sensible Nerven. Bei Exstirpation derselben atrophieren die Fasern ganz ebenso wie die motorischen, dagegen atrophieren in den Kernen (primären) die Ganglienzellen nicht oder nur unvoll- ständig ?). Optieus. Exstirpiert man einem Kaninchen den rechten Aug- apfel, so atrophieren der rechte Nervus optieus, der gekreuzte also linke Tractus optieus?), desgleichen der linke Tracetus peduneularis transversus®) und die Rinde des linken vordern Vierhügels — von der Atrophie verschont bleiben das Corpus genieulatum internum, ferner 2 mit den Tr. opt. anatomisch verschmolzene, von Gudden durch dieses Experiment zum erstenmal isolierte und als Commissura 1) Bezüglich des Accessoriuskerns nnd des Vorderhornkerns des N. ischia- dieus vergl. die unter Gudden’s Leitung angestellten Untersuchungen von P. Mayser, „Experimenteller Beitrag zur Kenntnis des Kaninchen -Rücken- marks“. Arch. f. Psychiatrie Bd. 7 und von C. OÖ. Dees, „Ueber den Ursprung und den zentralen Verlauf des Nervus accessorius Willisii“. Zeitschrift für Psychiatrie Bd. 43. 2) Nach Gudden’s letzter Veröffentlichung scheinen Ausnahmen von der Regel vorzukommen. Vergl. das Verhalten des äußern Kniehöckers bei Atrophie des zugehörigen Traetus optieus. Anmerkung 6. 3) Diese Angabe beruht noch auf der Voraussetzung einer vollständigen Sehnervenkreuzuug beim Kaninchen. Vergl. S. 698. 4) Vergl. XII, XIV, XXXI. Grashey, Gudden’s gesammelte Abhandlungen. 697 inferior und als Hemisphärenbündel !) bezeichnete Faserzüge (XV). Rechnet man dazu noch die dem hintern Chiasmawinkel angelagerte sog. Meynert’sche Kommissur, so setzt sich jeder Tr. opt. aus 4 Komponenten zusammen, aus den eigentlichen Sehnervenfasern, aus dem Hemisphärenbündel, aus der Gudden’schen und Meynert’schen Kommissur, von welchen die drei letzten zum Sehnerven in keiner nähern physiologischen Beziehung stehen (XIX). Als primäre Zentren der Nn. opt. vindiziert Gudden aufgrund des erwähnten Atrophiebefundes die vordern Vierhügel und stützt diese Aufstellung dureh den vergleichend-anatomischen Hinweis, dass bei Tieren, die einen mangelhaften oder gar keinen Gesichtssinn be- sitzen, die vordern Vierhügel nur dürftig entwickelt sind (Blindmaus, Maulwurf, Igel), während umgekehrt das mit sehr großen Nn. opt. versehene Eichhörnchen auch über verhältnismäßig sehr mächtige vordere Vierhügel verfügt. In Abh. XVII ergänzt er seine Angaben über die primären Zentren der Sehnerven dahin, dass als solche nieht nur die vordern Vier- hügel?), sondern auch die Corpora genieulata externa [äußere Knie- höcker]?) und „noch näher zu umgrenzende Teile der Thalami“ anzu- sehen sind. Ferner zeigt Gudden in derselben Abhandlung durch Fortnahme eines Auges beim Hund, dass dessen Sehnerven sieh nicht vollständig kreuzen d. h. jeder Nervus und Tractus opticus besteht aus einem gekreuzten und einem ungekreuzten Bündel; das ungekreuzte Bündel, das kleiner als das gekreuzte ist, liegt im Tractus am lateralen, im Nervus optieus am medialen Rand. An einem horizontal gesehnit- tenen Chiasma desselben Tieres konnte Gudden mit voller Sicherheit das ungekreuzte Bündel in seinem Verlauf vom Traetus zum N. opt. verfolgen. Dasselbe kommt vom „obern“ Rand des Tractus, kreuzt das gekreuzte Bündel vom entgegengesetzten Tractus und tritt an die 1) Das Hemisphärenbündel und die Commissura inferior lassen sich, ein jedes Bündel für sich, isolieren, das Hemisphärenbündel durch Wegnahme des ganzen Chiasma + Commissura inferior, die Commissura inferior durch Ent- fernung beider Retinae und einer ganzen Großhirnhemisphäre (XXIV). 2) Bei Atrophie eines N. opt. resp. Tr. opt atrophiert die oberste Schichte der grauen Kappe des vordern Vierhügels (XXXI), ebenso verkleinern sich nach Forel (Arch. f. Psych., Bd XVIII, 8.194) die in die Rinde des vordern Vierhügels eingeschichteten großen schlanken Ganglienzellen und nehmen an Zahl bedeutend ab. 3) Nach Wegnahme des Tr. opt. atrophieren alle Nervenzellen des ven- tralen Ganglions im Corp. genie. extemum (XXXI) Forel bestreitet die Richtigkeit dieser Angabe mit dem Beifügen, dass die Weigert’sche Tinktion Gudden eine Atrophie der Zellen vorgetäuscht zu haben scheine, da wo nur, die Nervenfasern atrophisch waren. Vergl. v..Monakow, Archiv f. Psych. Bd. XIV. 698 Grashey, Gudden’s gesammelte Abhandlungen. mediale Seite des gleichseitigen Nerven (vergl. die schematische Zeich- nung in Fig. 9 Taf. XV]). Wie sich nun die Atrophie eines N. opt. beim Hund auf die beiden Traetus verteilt, so verteilt sie sich in ihrer Wirkung auch auf die Zentren beider Seiten und zwar atrophieren die Zentren derjenigen Seite am meisten, zu der sonst der größere Fase. cerueiatus ge- gangen wäre. Nachdem Gudden die Semidekussation im Chiasma des Hundes nachgewiesen hatte, gelang ihm dieser Nachweis nachträglich auch beim Kaninchen und schließlich beim Menschen. So fest aber war er von der totalen Kreuzung beim Kaninchen überzeugt, dass ihn die Entdeckung der partiellen bei demselben im höchsten Grad über- raschte!). Um das ungekreuzte Bündel beim Kaninchen z. B. im rechten Sehnerven zu isolieren, genügt es, den linken Traetus optieus intra- kraniell zu durchtrennen. Nach einem solchen Eingriff war der linke Tractus bis auf einen kaum wahrnehmbaren Hauch von Bindegewebe total geschwunden und im entgegengesetzten Nerven zeigte sich ein ungekreuztes Bündel als weißer Faden in der fast durchsichtigen Bindegewebshülle (Fig. 4 Taf. XVI). Das beim Kaninchen übrigens sehr kleine ungekreuzte Bündel verläuft also lateral im Sehnerven zur Netzhaut, in deren lateraler Faserschichte dasselbe sich verliert, während das gekreuzte Bündel seine Fasern zur lateralen, medialen, obern und untern Faserschicht der Retina schiekt (XIX). Beim Menschen?) verläuft das ungekreuzte Bündel, wie Gudden bei der Untersuchung des Gehirns einer 73 jährigen Greisin mit totaler Atrophie des rechten Sehnerven konstatieren konnte, ähnlieh wie beim Hund (und der Katze XXX) vom lateralen Rand des Tr. opt. zum medialen Rand des gleichseitigen Nerven, im vorliegenden Fall also vom lateralen Rand des linken Tr. opt. zum medialen Rand des linken N. opt. (XX, Fig. 4 Taf. XVII). Gudden hatte übrigens schon früher aufgrund genauer Messungen an den Querschnitten von N. opt. und Tr. opt. zweier menschlicher Präparate mit Atrophie Je eines N. opt. nieht nur die partielle Kreuzung®), sondern auch die 1) Vögel (Tauben) besitzen kein ungekreuztes Bündel, ihre Sehnerven kreuzen sich also vollständig (XXX). 3) Vergl. Michel, Abhandlung über die Sehnervenkreuzung, v. Graefe’s Archiv für Ophthalmologie, Bd. XXV, welcher Forscher die von ihm behauptete vollständige Kreuzung der Sehnerven beim Menschen auch in seimer neuesten Monographie „Ueber Sehnerven-Degeneration und Sehnerven-Kreuzung (Berg- mann, Wiesbaden 1887) aufrecht erhält. 3) Die partielle Kreuzung beim Menschen beweisen auch die von Henle zitierten Fälle eines gesonderten Verlaufs eines jeden N. opt. zu seinem Bulbus, ferner der Fall Rudolphi’s, in welchem bei fehlendem rechten Auge Grashey, Gudden’s gesammelte Abhandlungen. 699 Thatsache festgestellt, dass das gekreuzte Bündel größer ist als das ungekreuzte, dass aber das ungekreuzte beim Menschen verhältnis- mäßig größer ist, als das beim Hund (und bei der Katze). Beim Kaninchen ist das ungekreuzte Bündel verhältnismäßig am kleinsten. Olfaetorius. Das Zentrum des Olfactorius ist die Glomeruli- schicht, alle andern Teile des Bulbus olfactorius sind Bestandteile der Großhirnhemisphären (XXX). Es genügt, beim neugebornen Kaninchen ein Nasenloch zu exzidieren und die Wundränder durch einige Nähte zur Verwachsung zu bringen, um eine allerdings sehr mäßige Atrophie der Glomerulischieht und des Traectus olfactorius zuwege zu bringen. Vollständiger wird das Ergebnis, wenn man bei etwas ältern (5 bis 6 Wochen alten) Tieren nach Entfernung eines Nasenbeins mit einem scharfen Löffel (selbstverständlich in der Narkose) den Geruchsnerv zugleich mit der Schleimhaut abkratzt (XV, XXXT). Acusticus. Die Angaben über den Acustieus- (und Trigeminus-) Ursprung sind summarisch gehalten. Es gelang Gudden bei neuge- bornen Kaninchen den N. acust. mit Einschluss des Facialis an seinem Austritt aus der Medulla oblongata zu durchtrennen. Die Operation ist eine ungemein delikate (wegen der Nähe der Medulla); Gudden war trotz zahlreicher Uebung derselben nur im Besitz eines einzigen nach Wunsch ausgefallenen Präparates. „Bekanntlich besteht auch der Acusticus mindestens aus zwei übrigens auf den ersten Blick wohl von einander zu unterscheidenden Fasersystemen. Eigentliches Gehör- zentrum wird das Tubereulum acusticum sein!). Ueber das gefundene zweite Zentrum werde ich anderswo (ist nicht mehr geschehen) be- richten, will aber schon hier die Beobachtung bestätigen, wonach der sroßzellige, sogenannte Deiters’sche Kern zu dem Acustieus in gar keiner direkten Beziehung steht (XXXTI)*. Trigeminus. Nach Durchschneidung der aufsteigenden schon von Magendie als sensibel erkannten Wurzel atrophiert das in der Substantia gelatinosa gelegene Zentrum; Gudden glaubte auch die Bahn aufgefunden zu haben, die von diesem Zentrum zur Hirnrinde geht, sich mit der der andern Seite kreuzt, sich noch eine Strecke weit durch die Haube verfolgen lässt, dann aber dem Auge verloren geht [XXX1]?). Bei Atrophie der aufsteigenden Trigeminuswurzel fand ein verkleinerter linker Sehnerv vorhanden war, der, da der rechte Tr. opt. nicht zur Entwicklung kam, nur das ungekreuzte Bündel sein kann — endlich das Verhalten der Sehnerven bei den als Janiceps bezeichneten Missbildungen, indem hier die gekreuzten Bündel zu Grund gegangen sind und nur die unge- kreuzten sich haben ausbilden können (XIX). 4) Ueber den gegenwärtigen Stand der Acustieusfrage vergl. Forell. ce. Seite 188. 2) Seguin (Gudden’s Atrophy method: Archives of Medieine, Vol. X, Nr. 3, p. 11 u. 12, 1883) erwähnt mit spezieller Erlaubnis Gudden’s Original- befunde des letztern über den Trigeminus. 4. Eine intrakranielle Exstirpation 700 Grashey, Gudden’s gesammelte Abhandlungen. übrigens Forel nur die Wurzelfasern und deren zentrale Endigung, das sogenannte Fasernetz, atrophisch, nicht aber die Ganglienzellen der Substantia gelatinosa. Auch die in letzterer verlaufenden feinen Längsfasern (Gudden’s Großhirnbahn des Trigeminus?) erschienen Forel (l.e. S. 194) nieht oder nur unwesentlich atrophiseh !). II. Zentrale Teile. Als Einleitung diene diesem Abschnitt der von Gudden zuerst in XVII aufgestellte Satz, dass Leiter immer atrophieren, es mag das eine oder das andere der beiden Zentren, die sie verbinden, zerstört werden, dass dagegen von den beiden Zentral- organen, wenn das eine zerstört wird, nur dann das andere atro- phiert, wenn es nicht das erregende, sondern das erregte ist. Nach Fortnahme einer Kleinhirnhälfte geht 1. der gleichseitige Bindearm und mit diesem der hintere Teil des roten Kerns der Haube auf der entgegengesetzten Seite zu Grunde, während der vordere Teil des roten Kerns nur partiell atrophiert; es atrophieren 2. der gleich- seitige Striekkörper und mit ihm 3 Kerne derselben Seite der Oblongata, ein dorsaler, ein lateraler und ein ventraler (letzterer schon von Deiters gekannt), ferner die untere Olive der entgegengesetzten Seite. Schwieriger liegen die Verhältnisse 3. beim Brückenarm; derselbe zeigt sich zusammengesetzt a) aus einer Kommissur (zumeist kaudal gelegen), b) aus einem Faserzuge, der offen daliegend die Raphe über- schreitet, €) aus einem solehen, der anscheinend auf derselben Seite bleibt. Dieser geht wahrscheinlich ganz oder zum Teil in oder durch die Haube; jede tiefer greifende Abtragung des vordern Vierhügels führt nämlich konstant eine sehr deutlich erkennbare Atrophie des- selben herbei. Beziehungen des Kleinhirns und seiner Arme zum Großhirn konnten von Gudden nicht ermittelt werden (XXV). Ebenso wenig als Gudden beim Kaninchen durch Exstirpation beider Bulbi eine Rückwirkung auf die Entwieklung des Großhirns erzielte (XV), vermochte er durch Fortnahme einer Großhirnhemisphäre oder des ganzen Hinterhaupt-Scheitelhirns eine Atrophie der Tractus der aufsteigenden Wurzel mit Atrophie derselben und ihres Kernes (vergl. .oben). 2. Schnitte durch die Oblongata eines Kalbes (XXXIII), das eine Agenesie der aufsteigenden, der motorischen und des größten Teils der ab- steigenden Quintuswurzel und Kerne zeigt. v. Gudden anerkenne nur diese 3 Wurzeln, von welchen er zwei (?) für sensibel halte. Zitat nach Forel. 1) Die sensiblen Rückenmarkswurzeln verhalten sich wie die sensiblen Trigeminusfasern d. h. sie lösen sich in dem Fasernetz des Hinterhorns auf, ohne in bestimmte Zellen überzugehen. Vergl. Forel l,c. und Mayser in der unter Gudden’s Leitung entstandenen Dissertation „Experimenteller Bei- trag zur Kenntnis des Baues des Kaninchen - Rückenmarks*. Die Fasern der Zellen der Spinalganglien stehen in keinem Abhängig- keitsverhältnis von den sensiblen Rückenmarkswurzeln. Vergl. Vejas, „Ein Beitrag znr Anatomie und Physiologie der Spinalganglien“, München 1883, (Unter Gudden’s Leitung geschriebene Dissertation.) Grashey, Gudden’s gesammelte Abhandlungen. 701 und Nervi optici herbeizuführen (auch die oberste graue Schichte im vordern Vierhügel blieb von der Atrophie verschont). Die in der letzterwähnten Weise operierten Tiere sehen, hören, fühlen und be- wegen sich, wie nicht operierte. Ein gradeso operierter Hund und 6 Katzen zeigten dagegen eine nicht unbeträchtliche Atrophie des gleichseitigen Tr. opt. Diesen 7 Fällen mit positivem Erfolg steht ein solcher mit negativem gegenüber, den Gudden für entscheidend in seinem Sinne hält und daraus schließt, dass es sich bei der Atrophie des Tractus in den positiven Fällen nicht um eine sekundäre Atrophie, sondern um eine Druckatrophie von den Ventrikeln aus handelt (XVII). Der Fall betrifft das Gehirn eines Kätzchens, dem 4 Wochen nach der Geburt das linke Scheitel- und Hinterhauptshirn (inel. Sehsphäre) bis auf einen schmalen Saum fortgenommen war. Trotzdem war das Tier nieht hemiopisch gewesen und fanden sich auch beide vordere Vierhügel und Tr. opt. gleichmäßig entwieckelt!). Gudden betont, dass die linksseitigen primären Sehzentren (vordere Vierhügel, äußerer Kniehöcker) nicht wie in den 7 positiven Fällen abnormen Druckver- hältnissen ausgesetzt waren, was auch schon daraus hervorgehe, dass die rechte Großhirnhemisphäre in die linke Schädelhälfte sich ver- schoben habe (XXX). Als eine seiner letzten Entdeckungen im Gebiete des Gesichts- sinns sei noch der Nacnweis von zweierlei im Kaliber verschiedenen Fasern in den Nervi und Traetus optiei erwähnt, von groben und feinen Fasern, von welchen die letztern Sehfasern, die erstern Pupillar- fasern vorstellen. Das Zentrum der Sehfasern liegt im kontra-lateralen vordern Vierhügel, das Zentrum der Pupillarfasern im äußern Knie- höcker. Fortnahme des erstern bewirkt bei dem operierten Tiere Blindheit auf dem entgegengesetzten Auge, Fortnahme des letztern eine ungemein starke Erweiternng der Pupille gleichfalls auf dem ent- gegengesetzten Auge, die nur im Sonnenlicht etwas nachlässt (XXVn. Bei Fortnahme der Nn. olfact. atrophieren die Lobi olfactorii nicht (XV), ebenso wenig bei Abtrennung der Bulbi olfactorii. In dem vom Lobus olf. abgetrennten Bulbus olf. bleibt die Glomerul- schicht desselben erhalten, vom Tractus sind nur die kleinsten Reste vorhanden, die zum eingeschlossenen Teil des Lobus gehören, die Kommissurenfasern dieses Teiles sind aber zugrunde gegangen. Der Tr. olf. ist im Sinne Meynert’s Projektionsbündel, der sogenannte Olfaktoriusanteil der vordern Kommissur ausschließlich Kommissur der Lobi olfactorii (XXXJI). Was oben vom Sehzentrum im vordern Hügel nach Exstirpation einer ganzen Großhirnhemisphäre gesagt wurde, gilt von den Zentren 1) Forel bestreitet die Beweiskraft des Experiments, mit Rücksicht auf den Umstand, dass ein medialer Teil des Oceipitallappens erhalten geblieben war (vergl. 1. e. 8. 172). 702 Grashey, Gudden’s gesammelte Abhandlungen. ) 8 8 - aller Empfindungsnerven. Allen müssen die Bahnen zu der fortge- nommenen Hemisphäre fehlen, aber sie selbst sind sonst intakt. Intakt sind auch die Kerne der Bewegungsnerven, und was für Kaninchen gilt, gilt auch für Hunde und Katzen. Aufgrund dieser Beobachtungen kommt Gudden zu dem Schluss, dass in der Großhirnrindenfläche scharf umgrenzte Regionen, die aus- schließlich und unter allen Verhältnissen eine bestimmte Funktion ausüben, nicht vorhanden sind. Ist nun auch Gudden kein An- hänger der Lehre, welche die Großhirnrinde gebietweise unter die verschiedenen Sinne und Muskelgruppen verteilt, so ist er doch auch nichts weniger als ein Gegner jeglicher Lokalisation. Sein Stand- punkt gründet sich auf folgende anatomische Verhältnisse: 1) In der sanzen Säugerreihe findet sich eine bestimmte Beziehung zwischen der Größenentwicklung des Lobus und der des Bulbus und Nervus olfactorius. Nun erleiden aber, wie oben erwähnt, bei Abtrennung der Bulbi olf. die Lobi olf. keine Atrophie, was ja doch geschehen müsste, wenn letztere ausschließlich vom Geruchssinn aus erregt würden. Man wird also schließen dürfen, dass die Lobi olf. noch von anderer Seite her erregt werden. Hierin aber liegt, wie Gudden hervorhebt, ein Fingerzeig für eine nicht unwesentlich modifizierte Lokalisationshypothese. 2) Fortnahme des Stirnhirns, und nur diese führt zur vollständigen Atrophie der Pyramidenbahn !), was zuerst von Gudden nachgewiesen wurde. Fortnahme des Scheitel- und Hin- terhauptshirns verursacht keine Atrophie der Pyramidenbahn. 3) Die Abhängigkeit der Schleife (Rindenschleife v. Monakow) von der Großhirnrinde wurde gleichfalls von Gudden zuerst nachgewiesen und zwar ist ihr Ursprung im Scheitel- Hinterhauptshirn gelegen, nach dessen Entfernung außer der Schleife die bez. Fibrae arcuatae und die Kerne des Funiculus euneatus und gracilis großenteils zu grunde gehen. 4) Die große Mehrzahl der Thalamuskerne, mit ihr auch das Corpus genieulatum internum, ist gleichfalls vom Seheitel- Hinterhauptshirn abhängig (die durch die Commissura inferior Gudden mit einander verbundenen Thalamuskerne sind von der Großhirnrinde unabhängig). 5) Endlich ist auch das mediale hintere Ganglion des Corpus mammillare vom Scheitel-Hinterhauptshirn abhängig und bleibt erhalten nach Abtrennung des Stirnhirns. Das Corpus mammillare besteht aus einem lateralen großzelligen und einem medialen klein- zelligen Ganglion, letzteres zerfällt wieder in zwei Abteilungen, eine ventrale hintere und eine dorsale vordere Abteilung. Das laterale Ganglion ist abhängig vom gleichseitigen Peduneulus corporis mam- millaris — die ventrale hintere Abteilung des medialen Ganglion vom gleichseitigen Vieq d’Azyr’schen Bündel, die dorsale vordere 1) Die Pyramidenbahn ist die einzige direkte Verbindung, welche bis jetzt zwischen Großhirn und Rückenmark nachgewiesen ist, Grashey, Gudden’s gesammelte Abhandlungen. 103 vom sogenannten Haubenbündel (XXIII). Das Vieq d’Azyr'sche Bündel, das mit dem absteigenden Fornixschenkel der Anatomen identisch ist, wurde zuerst von Gudden isoliert und als funktionell unabhängig vom sogenannten aufsteigenden Fornixschenkel erkannt. Letzterer, die Columna fornieis, setzt sich aus vier Bündeln zusammen, einem obern (vordern) gekreuzten, einem obern ungekreuzten, einem untern (hintern) gekreuzten und einem seitlichen ungekreuzten Bündel (XVII, XXVIl). Das Großhirneentrum des Vieq d’Azyr’schen Bündels ist, wie erwähnt, das Scheitel-Hinterhauptshirn, das der Fornixsäule das Ammonshorn (XXI). Hier mag auch noch das so- genannte Meynert’sche Bündel Erwähnung finden, welches das Gang- lion habenulae mit dem von Gudden entdeckten Ganglion interpe- duneulare verbindet. Dass das Meynert’sche Bündel aus Nerven- fasern und nicht aus „gelatinösen“ (bindegewebigen) Zügen, wie Fritsch!) glaubt, besteht, beweist die Fortnahme des Ganglion ha- benulae, nach welcher das gleichseitige Meynert’sche Bündel und seine im Ganglion interpedunculare sich kreuzenden Wurzeln (d. i. deren eine Hälfte), nicht aber die zugehörigen Zellen ?) zu grunde gehen (XXI). 6) Nach Fortnahme einer ganzen Hemisphäre mit Ein- schluss des Corpus striatum atrophiert der ganze gleichseitige Groß- birnschenkel, dessen medialer Teil, wie sich weiterhin experimentell feststellen lässt, zum Stirnhirn, dessen lateraler zum Scheitel- Hinter- hauptsbirn wenigstens vorzugsweise in Beziehung steht. Nach allen diesen anatomisch nachgewiesenen Abhängigkeiten von wenigstens 2 Hauptregionen der Großhirnrinde glaubt Gudden sich mit einer gewissen Entschlossenheit zu der Ansicht bekennen zu müssen, dass bei normaler Entwicklung und Einübung der Großhirn- rinde sich auch deren Funktionen wenigstens in zwei Hauptregionen lokalisieren, der für die Bewegungs- und der für die Empfindungs- vorstellungen?). „Das eine aber dürfte klar sein, dass es noch mancher und großer Arbeit bedarf, um über die Funktionen und die Lokali- sation der Funktionen der Großhirnrinde ins reine zu kommen, und dass man mit der Befolgung der Heine’schen Doktrin des Trommel- schlagens nur den, der nicht selbst untersucht hat, mit sich fort- reißen kann. Zuerst also Anatomie und dann Physiologie; wenn aber zuerst Physiologie, dann nicht ohne Anatomie“. 1) Fritsch, Untersuchungen über den feinern Bau des Fischgehirns ete. Berlin 1878. 2) Gudden erachtet desshalb auch das Gangl. interped. inbezug auf das (Ganglion haben. nicht als ein erregtes, sondern erregendes Zentrum. 3) Gudden’s Stellung zur Lokalisationslehre ist inzwischen mehrfach an- gefochten worden. Vergl. u. a. dieses Centralblatt, Bd. VI; Hitzig, „Ueber Funktionen des Großhirns“. 704 Bergendal, Abdominale Anhänge bei einigen Krebsweibchen. So viel über den Inhalt von Gudden’s klassischen hirnanatomi- schen Abhandlungen, von denen man dasselbe sagen kann, was sein Biograph von den Experimental- Untersuchungen über das Schädel- wachstum (vergl. S.3) gesagt hat, dass man nämlich wenig Schriften finden wird, welche in so engem Rahmen eine solche Fülle neuer Thatsachen und wissenschaftlicher Funde aufweisen. Besonderer Dank seitens der Anatomen und psychiatrischen Fach- genossen gebührt dem Herausgeber Professor Grashey, der als ältester und zugleich intimster Mitarbeiter Gudden’s wie keiner be- fähigt war, dessen wissenschaftlichen Nachlass zu ordnen und die Drucklegung des Ganzen in der Intention des verblichenen Meisters vorzubereiten. Die Ausstattung des Werkes, Druck und Tafeln müssen als vor- züglich bezeichnet werden. Bm. Bergendal, Ueber abnorme Formen der ersten abdominalen Anhänge bei einigen Krebsweibchen. Mit 1 Tafel. Vor kurzem hat Dr. Bergendal (Lund) in den Bihang till svenska Vet.- Akad. Handlingar (Band 14, Afd. IV, Nr. 3) interessante Beiträge zur Ver- erbungsfrage geliefert, insofern er sein spezielles Augenmerk auf die Anhänge des ersten Abdominalsomits bei weiblichen Flusskrebsen gerichtet und kon- statiert hat, dass dieselben ziemlich häufig einen männlichen Charakter tragen. Im übrigen geht aber damit keineswegs eine Unterdrückung weib- licher Geschlechtscharaktere Hand in Hand. Bergendal hat auf grund eines sehr reichen Materials gezeigt, dass jene Anhänge (wie alle rudimentären Organe) eine starke Hinneigung zur Variation dokumentieren. Sie kommen in allen möglichen Stadien der Ausbildung vor. Die Hauptursache ihres Erschei- nens erblickt Dr. Bergendal darin, dass die männliche Natur des Vaters mit der weiblichen Natur der Mutter einen Kampf bei dem Vererbungsprozesse zu bestehen habe, wobei die erstere auch manchmal in denjenigen Fällen die Oberhand behalte, wo das Endresultat in der Entwicklung weiblicher Nach- kommen gipfelt Solche Erklärungsweisen haben stets einen naturphilosophischen Bei- geschmack und hören sich aus dem Munde eines modernen Naturforschers be- fremdlich an. Sie erinnern an die Zeiten Oken’s, die weit hinter uns liegen. Indess sind die Thatsachen, welche Dr. Bergendal mitteilt, von vielem Interesse, und zeugen von der feinen Beobachtungsgabe des schwedischen Forschers, die uns bereits aus andern Arbeiten desselben vorteilhaft bekannt ist. Mit einer kausalen Erklärung der fraglichen Vererbungsanomalien werden wir aber wohl fürs erste noch zurückhalten müssen. 0. 2. Der Schluss des Auszuges aus Dr. Mc Kendrick’s Vortrag „Die Blutgase“ befindet sich in nächster Nummer. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. VII. Band. a Februar 1889. Nr. 23, Inhalt: Zopf, Ueber einen Nematoden fangenden Schimmelpilz. — Leydig, Das Parietalorgan der Reptilien und Amphibien kein Sinneswerkzeug. — Platner, Ueber die Bedeutung der Richtungskörperchen. — von Lendenfeld, Neuere Arbeiten über Sceyphomedusen. — Tiebe, Die vergleichenden Versuche Plateau’s über das Sehvermögen von Insekten und Wirbeltieren. — 6. F. Weber, Rotatorien aus der Umgegend von Genf. — Zacharias, Ueber das Vorkommen von Bythotreptes longimanus bei Berlin. — Kongress für innere Medizin. Zopf, Ueber einen Nematoden fangenden Schimmelpilz. Arthrobotrys oligospora — ein zuerst von Fresenius charakteri- sierter Schimmelpilz — welcher auf feuchter Erde, nassem Holze, faulenden Früchten u. dergl. angetroffen wird, besitzt einer neuern Untersuchung von Professor W. Zopf (Halle) zufolge die Fähigkeit, lebende Anguilluliden anzugreifen und abzutöten. Es geschieht dies mittels jener eigentümlichen Kurzzweige, welche entstehen, sobald die Arthrobotrys in reinem Wasser kultiviert wird. Die Zweige bekunden nämlich die Tendenz, nicht grade auszuwachsen, sondern sich auf- fällig bogenartig zu krümmen und mit ihrem eignen Mycelaste oder einem benachbarten zu anastomosieren, wodurch es zu einer Schlingen-, resp. Desenbildung kommt. An den primären Bogenästen sprossen meist wieder sekundäre, die mit erstern oder mit dem Mycelfaden Anastomosen eingehen, so dass auf diese Weise ganze Systeme von Oesen zur Entstehung gelangen. Die Veffnungen der einzelnen Schlingen sind von verschiedener Weite und haben eine kreis- oder halbkreis- förmige Gestalt. Auf experimentellem Wege stellte nun Prof. Zopf fest, dass die ODesen der Arthrobotrys als eine Fangvorrichtung für kleine Nema- toden betrachtet werden können, insofern es sich zeigte, dass Exem- plare des Weizenälchens (Ty/enchus scandens), welche den Kulturen des in Rede stehenden Pilzes zugesetzt wurden, binnen wenigen Mi- nuten in jene Oesen hineingerieten und dort festgehalten wurden. Veranlassung zur Anstellung solcher Versuche gab der Umstand, dass Zopf schon bei frühern Gelegenheiten abgestorbene Mist- und Schlamm- NEUE: 45 706 Zopf, Nematoden fangender Schimmelpilz. Anguillulen, die von Arthrobotrys-Mycelien angefüllt waren, in den Oesenbildungen angetroffen hatte. Es kam ihm damals so vor, als ob die Tierchen eingeklemmt wären, und nun sollten darüber, ob dies thatsächlich der Fall sei, direkte Versuche entscheiden. Aus diesen teilen wir nun nachstehend das, was von allgemein biologischem Interesse ist, auszugsweise mit. Das erste gefangene Weizenälchen, welches Zopf fast unausge- setzt beobachtete, starb innerhalb der ODese nach Verlauf von 2'/, Stun- den. Es war durch die fruchtlosen Anstrengungen, sich zu befreien, zuletzt ganz ermattet. Ein zweites Exemplar, welches sich mit dem Kopfende gefangen hatte, gab schon nach 2 Stunden kein Lebens- zeichen mehr von sich. Eine größere Anzahl von Nematoden wurden in ihrem Verhalten zu den Pilzschlingen fortgesetzt beobachtet, und es ergab sich, dass, wenn die spontane Arthrobotrys- Vegetation auf Anguillula-reichem Pferdemist längere Zeit andauert, man nur noch mit Mühe leere Oesen auffinden kann. In allen hängen vielmehr tote oder dem Verenden nahe Würmchen. Zu dem leichten Gefangenwerden der verschiedensten Nematoden wirken mehrere Faktoren zusammen: einmal die lebhaften Bewegungen der Tiere, besonders die stoßweise erfolgenden; sodann die große Anzahl der Schlingen und die verschiedene Weite derselben, und end- lich die sich verschmälernden Körperenden der Würmer, welche das Eindringen in die Oesenöffnung erleichtern. Sehr oft wird ein und derselbe Wurm von mehrern Oesen festgehalten; es tritt dies haupt- sächliceh dann ein, wenn er beim Vorwärts- oder Rückwärtskriechen in ein ganzes Oesensystem hineingerät. Das wirklich todbringende Moment für die Würmchen liegt indess keineswegs in der Gefangennahme selbst (insofern ihnen etwa da- durch die Ernährung abgeschnitten würde), sondern in der Infek- tion mit den Arthrobotrys-Hyphen. Von irgend einem Teile der Oese sprosst nämlich alsbald der infizierende Schlauch hervor und dringt in den Körper des gefangenen Wurmes ein, den er nach und nach in seiner ganzen Länge durchsetzt. Die Infektion macht außer- ordentlich schnelle Fortschritte. Zopf sah in einem speziellen Falle, dass sich der eingedrungene Faden im Laufe einer Stunde von 90 auf 136 mikr. (also um 46 mikr.) verlängerte. Die vollständige An- füllung eines Weizenälchens mit Hyphen nimmt etwa 10 Stunden in Anspruch. Was den Effekt der Arthrobotrys-Wucherung anbelangt, so werden die innern Organe der Würmchen vollständig zerstört und aufgelöst. Nicht bloß die Muskeln, sondern auch der Darmkanal, das Gewebe in der Leibeshöhle und die Geschlechtsorgane fallen diesem Schicksal anheim. Ja sogar die schwach chitinisierten Teile des Darmes werden angegriffen, und nur die Spieula des Männchens und die widerstands- fähige Körperhaut bleiben verschont. Man muss die von dem Pilze Leydig, Parietalorgan der Reptilien und Amphibien. ir bewirkten Veränderungen in den Organen als eine fettige Degene- ration auffassen. Es bilden sich immer mehr Fetttröpfehen, die in dem Raum zwischen Wurmhaut und Pilzfäden zu größern Massen zu- sammenfließen. Man darf hieraus schließen, dass von seiten des ein- gedrungenen Pilzes besondere Stoffe abgeschieden werden, welche die Umwandlung der Gewebe in Fett verursachen. Physiologisch ist es von entschiedenem Interesse, durch direkte Beobachtung den Beweis geliefert zu erhalten, dass eine Verfettung tierischer Gewebe als un- mittelbare Folge von Pilzinvasion auftreten kann. Das Fett dient der Arthrobotrys zur Nahrung und wird durch letztere innerhalb eines Zeitraums von wenigen Monaten vollkommen aufgezehrt, so dass nach Ablauf dieser Frist kein einziger Wurm auch nur eine Spur von Fett mehr enthält. Infolge der reichen Er- nährung wird das ganze den Wurm ausfüllende Mycel strotzend von Plasma, und der üppige Vegetationstrieb macht sich in fortgesetzter Hyphenbildung geltend, so dass schließlich die Myceläste die Wurm- haut nach außen durchbrechen und hier wiederum Oesensysteme pro- duzieren. Auf diese Weise werden also neue Nematodenfallen auf- gestellt, und die Vorgänge, die im obigen geschildert worden sind, wiederholen sich. Es werden übrigens von Arthrobotrys die verschiedensten Mist- und Schlamm-Nematoden gefangen, keineswegs etwa nur eine be- schränkte Anzahl von Arten. Der maßgebende Punkt ist dabei nur, dass die Größe der betreffenden Würmer ein gewisses Maximum nicht überschreiten, damit sie eben noch von den Oesen umklammert wer- den können. Prof. Zopf hat die vorstehend berichteten Thatsachen in einer kürzlich erschienenen Abhandlung „Zur Kenntnis der Infektions- Krankheiten niederer Tiere und Pflanzen“ [mit 7 Tafeln] !) publiziert, in weleber mit Recht darauf hingewiesen wird, dass das Studium der Krankheiten niederer Organismen mindestens einen ebenso großen (wenn nicht größern) Wert besitzt, wie die Forschungen über die Krankheiten der höhern, weil im erstern Falle das biologische Verhalten der Parasiten wegen der Einfachheit in der Organisation der Wirte, zumal der einzelligen, meist direkt beobachtet und darum auch mit größerer Sicherheit beurteilt werden kann. 0. 2. Das Parietalorgan der Reptilien und Amphibien kein Sinnes- werkzeug. Von F. Leydig. Seit Längerem habe ich die Untersuchung des überschriftlich ge- nannten Gebildes wieder aufgenommen und, obschon noch mitten in der Arbeit stehend, glaube ich doch bereits einige Ermittelungen 4) Nova Acta der Kaiserl. Leopold.-Carol. Akademie, Bd. LI, Nr. 7, 1888. AD TS Leydig, Parietalorgan der Reptilien und Amphibien. veröffentlichen zu sollen, weil daraus hervorgeht, dass die von mir geäußerte Meinung, es möge das Parietalorgan zu den Hautsinnes- organen gehören, eine irrige war. Es hat sich aber auch gezeigt, dass die Behauptung anderer, das Organ stelle ein drittes Auge der Wirbeltiere vor, ebenso wenig richtig sein kann. Die erneuten Studien beschränken sich bisher auf Anguis, La- certa, Vararus, Rana und Bombinator; doch hoffe ich Gelegenheit zu finden, sie weiter auszudehnen. Bis dahin verspare ich es auch, die Literatur des nähern zu berücksichtigen. I. Zirbel. Die Zirbel besteht aus einem vordern sehr gefäßreichen Stück, welches sich wie ein rötliches, vor dem Mittelbirn lie- gendes, Körperchen ausnimmt, und zweitens aus einem hintern grauen, mehr fadig-walzigen Teil. Der hintere Abschnitt ist Zirbel im engern Sinne, während das vordere Stück von Andern Plexus choroideus des dritten Ventrikels genannt wird. Hoffmann hat das Verdienst zuerst nachgewiesen zu haben, dass im Embryonalzustand die beiden Teile ursprünglich eine einzige Ausbuchtung des Gehirns sind, die sich dann durch Sonderung zum Plexus choroideus und in die eigentliche Zirbel umgestalten. Ich selber hatte in meinen Mit- teillungen über die Zirbel der Blindschleiche und Eidechse aus dem Jahre 1853 damals nur das rötliche vordere Stück gekannt; im Jahre 1872 bildete ich dazu zwar auch Teile der eigentlichen Zirbel ab, sah aber in der Sache immer noch nicht ganz klar. Erst durch den Genannten wurden die Bruchstücke meiner Wahrnehmungen in Ver- bindung gebracht und erklärt. Der Ausdruck „Gefäßplexus“ für den vordern Abschnitt der Zirbel ist kaum passend, denn der Teil stellt auch am fertigen Tier keines- wegs ein reines Gefäßgeflecht dar, sondern vielmehr einen vom Zwischenhirn ausgehenden Hohlkörper, zerlegt in eine Anzahl schlauch- artiger Aussackungen, die außen übersponnen sind von zahlreichen Blutgefäßen. Das Innere wird von einer flimmernden Zellenlage über- zogen, während die Liehtungen selbst von einem hellen Fluidum — Üerebrospinalflüssigkeit — erfüllt werden. Die Gefäße, von der Fläche gesehen, zerfallen in größere Bogen, zwischen denen ein Netz feinerer Gefäße sich verbreitet. Der hintere Abschnitt oder die Zirbel im engern Sinne lässt sich in Stiel und Endknopf zerlegen, welch letzterer in einen Endzipfel sich verjüngt. Auch dieser Teil der Zirbel bleibt zeitlebens, so gut wie der vordere Abschnitt, ein Hohlgebilde und hängt die Lichtung des Stiels an der Wurzel mit dem Hohlraum des „Plexus choroideus“ und dadurch mit dem dritten Ventrikel zusammen; die Lichtung ist in gleicher Weise mit heller Flüssigkeit erfüllt. Histologisch besteht ferner die eigentliche Zirbel abermals aus Leydig, Parietalorgan der Reptilien und Amphibien. 709 bindegewebiger, Gefäße tragender Außenschicht und zelligem innerem Beleg, der auch hier flimmert. Es unterscheidet sich aber die zellige oder epitheliale Auskleidung der eigentlichen Zirbel von jener des vordern Absehnittes (Plexus) dadurch, dass sie sich zu Wülsten ver- diekt, die im Stiel einfach nach der Länge verlaufen, dann innerhalb des Endknopfes mannigfach gekrümmt sind, um zuletzt im Endzipfel sich wieder als einfache Längsleisten von geringer Höhe zu verlieren. Und damit ändern sich auch gewisse Verhältnisse des Epithels. Im „Plexus“ nämlich setzt es sich aus einer einzigen Lage kubischer Zellen zusammen; in der eigentlichen Zirbel werden die das Lumen begrenzenden Zellen hochzylindrisch und hinter ihnen befindet sich noch eine mehrfache Lage von Kernen, gebettet in zusammenhängende körnige Zellsubstanz. Dazu kommt ferner, dass die zylindrischen Zellen, vom Endknopf an, Körnchen dunklen Pigmentes enthalten, was sich in das Epithel des Endzipfels fortsetzt. Diese Beschaffenheit habe ich schon 1872 besprochen und in der Abbildung festgehalten, erkannte aber dazu- mal nicht, dass ich in diesem, innen dunkel gesäumten, Hohlkegel den Endzipfel der Zirbel vor mir hatte und gebrauchte zur Bezeich- nung den Ausdruck „schwarzer Strich“, als welcher er sich für die Besichtigung mit der Lupe darstellte. Auch an diesem Teil der Zirbel ist die Menge der Blutgefäße eine bemerkenswerte. Man sieht größere den Stiel begleitende Venen; dann von der Gegend des Endknopfes her stärkere Venen, in welche sich unter anderm auch die zahlreichen Gefäße der harten Hirnhaut der Umgebung sammeln, um sich dann rückwärts in einen großen Blutbehälter zu begeben, der über den Vierhügeln hinziehend jenseits des Kleinhirns wieder den Durchmesser einer gewöhnlichen Vene annimmt. Der große Blutbehälter war von mir bereits seiner Zeit an Anguis gesehen und erwähnt worden. Il. Verbindungsstrang. Die rundliche oder längliche Endanschwellung — Knopf — der eigentlichen Zirbel erscheint an der harten Hirnhaut angeheftet, und von ihr nimmt ein kegeliger Ausläufer oder die Endspitze die Rich- tung schräg zum Parietalorgan hin. Es ist von besonderem Belang festzustellen, wie sich in geweb- licher Beziehung die Spitze des Endzipfels und der davon sich weg- erstreckende, das Parietalorgan erreichende Teil verhält. | Bei Anguis, nachdem Zellen und Lichtung innerhalb der Zu- spitzung der Zirbel aufhören, geht ein bindegewebiger, Gefäße tra- gender kurzer Strang, dunkel pigmentiert, zur ebenso pigmentierten Umhüllung des Parietalorgans. Der ganze schwärzliche Zug erscheint als Fortsetzung der harten Hirnhaut. e An Lacerta agilis und Tacerta muralis (blaue Varietät der Insel 110 Leydig, Parietalorgan der Reptilien und Amphibien. Capri) ist die fragliche Partie wegen des vielen umhüllenden Pigmentes nicht leicht zu untersuchen; doch ist es mir gelungen mit Sicherheit zu sehen, dass der Ausläufer der Zirbel keineswegs in einen „Nerven“ sich umsetzt. An der bindegewebigen Wand des Endzipfels unter- scheidet man eine innere, abgrenzende, etwas festere Lage und eine äußere, lockere, Blutgefäße einschließende Schicht. Der zellige Innen- beleg, sowie die dadurch begrenzte Liehtung, welche sich vom Zirbel- knopf in den Endzipfel hereinziehen, hören zunächst keineswegs auf, sondern gehen noch eine Strecke weiter im Strang fort: das epithel- artige Aneinanderschließen der Zellen und selbst ihre Anordnung in Längsreihen lässt sich erkennen. Zuletzt aber verliert sich Lichtung samt Zellenbeleg, es bleibt bloß die bindegewebige Wand übrig, welche strangförmig zum Parietalorgan herantritt und in dessen Hülle übergeht. Bei Lacerta ocellata, allwo nach Spencer der von dem Zirbel- ende zum Parietalorgan ziehende „Nerv“ besonders deutlich sein soll, sind im wesentlichen die Dinge nicht anders. Der zwischen Zirbel- ende und dem Parietalorgan liegende Strang ist zweifellos kein Nerv, sondern von rein bindegewebiger Natur. In seinen Längszügen heben sich lange, spindelförmige, fast fadig auslaufende Kerne recht charak- teristisch ab. Interessant in gegenwärtiger Frage war mir auch ein Exemplar von Varanus, das ich für V. elegans halte. Ueber die Endspitze der Zirbel, hier unpigmentiert, lässt sich abermals aussagen, dass sie kein Nerv, sondern eine Verlängerung des Zirbelendteils ist, mit einer gewissen Abänderung des zelligen Inhaltes. Die kleinen, dicht ge- drängten Zellen nämlich sind von trübem und dabei hartlinigem Wesen, wie in Rückbildung begriffen, und diese Beschaffenheit der Inhaltszellen verleiht der Endspitze im Ganzen und bei auffallendem Licht eine weißliche Farbe. Am Punkt des Ueberganges zum Parietal- organ ist der Strang rein bindegewebig, wobei das Bindegewebe in Form schmaler Bandstreifen in kurzen, einzelnen Bögen zum Organ tritt, ganz ähnlich wie es der genannte englische Beobachter von Anolis zeichnet und die Streifen für Nervenfasern erklärt. Also: der von Spencer beschriebene Nerv ist kein Nerv, son- dern das strangartig ausgehende Ende der Zirbel; zuerst noch mit Spur von Lichtung und dem Zellenbeleg des Zirbelschlauches, zuletzt von rein bindegewebiger Beschaffenheit. Und was hier gleich angeschlossen sein mag: auch der von Strahl und Beraneck dargestellte Nerv ist nach dem histologischen Verhalten kein Nerv, sondern ein Gefäß und zwar, wie die Inhalts- körperchen vermuten lassen, ein Lymphgefäß. Ich meine sogar, dessen Uebergang in einen nachher zu erwähnenden ringförmigen Lymph- raum des Organs wahrnehmen zu können. Leydig, Parietalorgan der Reptilien und Amphibien. 741 Dem Verbindungsstrang zwischen Zirbel und Parietalorgan der genannten Saurier entspricht der fadige Strang, welcher bei Aana und Bombinator vom Schädeldach zum Stirnorgan geht. Auch er ist bindegewebiger Natur, aber indem er außerhalb des Schädels liegt und umgeben von der Ausbreitung der Hautnerven, so kann in ihm eine Nervenfaser, oder auch mehrere verlaufen und bis in die Gegend des Stirnorgans gelangen, ohne aber in dasselbe einzutreten. Und hier ist die Reihe an mir, eine frühere Angabe als irrig zurückzunehmen. Ich habe nämlich seiner Zeit eine Abbildung des Stirnorgans gegeben, an welcher das Organ von rechts und links her eine Nervenfaser aufnimmt. Dieses damals gezeichnete Bild bekomme ich auch jetzt noch unschwer zu Gesicht; und die bei Rana und Bombinator wiederholt angestellten Untersuchungen ließen ferner fin- den, dass auch mehr als zwei Nervenfasern, drei und vier zum Rand des Organs gelangen können. Es ist eben die Zahl eine individuell verschiedene. Was ich aber weiter mit Bestimmtheit jetzt daran sehe, ist, dass keine dieser Nervenfasern in das Innere des Organs tritt, wie ich solches vor 20 Jahren, mit Syst. 7 Hartnack, zu er- blieken meinte; vielmehr bleiben alle Nervenfasern in der bindege- webigen Umgebung. Sind bloß zwei Nervenfasern da, so können sie sich unter- und außerhalb des Organs schlingenförmig verbinden; bei drei und mehrern kann eine netzförmige Anordnung zu stande kommen. Kurz: auch das Stirnorgan der Batrachier besitzt keine Nerven; die in seiner Nähe dahinziehenden nervösen Elemente sind Teile des Nervennetzes, welches die Hautdecke versorgt. III. Stirn- und Scheitelorgan. An den Leibesfrüchten einer seit Jahren in Weingeist aufbewahrten Anguis fragilis, deren Haut noch äußerst dünn ist, farblos und ohne alle Spur von Sonderung in Täfelchen und Schüppehen, liegt das sehr entwickelte Parietalorgan ganz oberflächlich, unmittelbar an der dünnen Hautlamelle und bleibt beim Abziehen der letztern an ihr haften. Bei ältern Embryonen ist mit Ausbildung und Dickerwerden des Integuments das Organ tiefer gelagert: es geht über dasselbe außer der Epidermis eine Schicht Corium weg von derselben Dicke, wie sie sonst am Kopf zugegen ist. Weiterhin beim Auftreten der Knochen- tafeln im Integument kommt das Organ in das Scheitelbein zu liegen, welches zu dessen Aufnahme ein Loch (Foramen parietale) herstellt. Bei Rana und Bombinator findet sich das Stirnorgan bleibend unter der Haut des Schädels, welche sich zu seiner Aufnahme von innen her ausgehöhlt zeigt. Von außen erscheint die Stelle, allwo das Organ seine Lage hat, in verschiedener Weise als Stirn- oder Scheitelfleck ausgezeichnet. Bei den eben genannten Batrachiern wird die Haut dort liehter durch 199 Leydig, Parietalorgan der Reptilien und Amphibien. Zurückbleiben der Drüsen und der Pigmentzellen, nur ein bischen braunes Pigment in Netzform oder auch in Klümpchen erhält sich in der Epidermis. An großen Exemplaren von Jana esculenta setzt sich der Stirnfleek wenig ab und wird erst deutlicher an der abgezogenen Haut, besonders bei der Ansicht von innen. Bei Anguwis fragilis und Lacerta agilis ist der Scheitelfleck von eirundem Umriss und lichtgrauer Färbung, inmitten dunkler Um- gsebung. An zwei Stücken von Lacerta muralis, var. L. coerulea, war besagte Hautstelle, in Uebereinstimmung mit der gestrecktern Kopf- form, entschieden von länglichem Umriss und was ferner erwähnens- wert: bei dem einen Exemplar ließen die schwarzen Pigmentaus- breitungen der Schädeloberfläche den Parietalfleck keineswegs ganz frei, sondern griffen von mehrern Seiten her weit in das Grau des- selben herein. Die Fläche des Scheitelfleekes erscheint bald eben, bald grübchenartig eingetieft, und da sich nicht selten daraus eine leichte Wölbung erhebt, so kann der Rest des Grübchens zu einem Ringgraben umgebildet sein. Von besonderem Belang dürfte die Wahrnehmung sein, dass die Stelle des spätern Scheitelfleekes eine Oeffnung aufzeigen kann. Ich sehe einen solehen Porus in jenem Stadium der Entwicklung, ın welchem die erwähnten Embryen von Anguis standen: die zentral gelegene Oeffnung der Haut führt in einen Raum, welcher den Zellen- körper des Organs vorne umgibt. Eine derartige Verbindung nach außen, also in das umgebende Fruchtwasser, scheint nur kurze Zeit zu bestehen und zwar nur so lange, als die über dem Organ her- ziehende Hautlamelle sehr dünn ist; wenigstens habe ich an den bis- herigen Schnitten in einem dieker gewordenen Corium nichts von der Anwesenheit eines Durchgangs bemerken können. In der Epidermis des Scheitelfleekes aber erhalten sich, vielleicht individuell durchs ganze Leben, wirkliche Spuren des Porus. So ist an neugeborenen Tieren von Angwis und Lacerta ein nicht mehr ganz zentral liegender Porus erkennbar, der schräg einwärts führt, aber in der Tiefe nicht über den Bereich der Epidermis hinaus- geht, sondern als blinde Einsackung oder Grübehen über der Leder- haut aufhört. Auch an einigen erwachsenen Exemplaren konnte noch ähnliches gefunden werden, ja selbst an einem alten, stattlichen Tier von Lacerta ocellata wurde bei passender Behandlung des Schei- telfleckes der Porus und seine schräg emwärts in die Tiefe der Epi- dermis ziehende Fortsetzung aufzeigbar. Verbreitung und Fehlen des dunkeln Pigmentes innerhalb der Begrenzung des Scheitelfleckes hängt mit dem Dasein des Porus zu- sammen. Von der dunkeln Umsäumung des Scheitelgrübchens zieht sich etwas braunes Pigment in kleinern und größern Körnchen- häufchen in das Grau herein, aber es mangelt das Pigment entschie- den an dem Punkte, wo der etwa noch vorhandene Porus sich aufthut. Leydig, Parietalorgan der Reptilien und Amphibien. 13 Vielleieht ist bei Varanus auch etwas hieher zu bringen. Dort tritt außen die Stelle des Parietalorgans dadurch sehr hervor, weil die schuppenartige Platte der Hautdecke, unter welcher in Rede stehendes Gebilde liegt, durch Größe von denen der Umgebung ins Auge fällt. Die Mitte der Platte wird durch Spärliehwerden des Pigments zu einem hellen Fleck. An letzterem macht sich, und zwar hier an der Lederhaut, von außen eine ziemlich in der Mitte gelegene markierte Stelle bemerklich, grade an dem Punkte, wo die letzten Pigmentfleeken hereinragen und wo man nach dem, was bei Angus sichtbar ist, den Porus zu suchen hätte. Doch ist mir bis jetzt wahr- scheinlieher, dass man es in diesem Falle weniger mit der Narbe einer früher bestandenen Oeffnung, als vielleicht eher mit einem durchtretenden Gefäß zu thun habe. Das Stirn- und Scheitelorgan stellt nach seinem Bau im allge- meinen ein Säckehen dar, dessen Form bald rundlich ist (Kane), bald die Gestalt einer sehr niedergedrückten Blase hat (Angwis im fertigen Zustand), ein andermal der Birnform sich nähert (Varanus). Bei Bombinator springt noch eine knopf- oder höckerartige Aus- buchtung nach unten vor, was ich schon vor Jahren angezeigt habe. Histologisch besteht die Wand des Organs einwärts aus epi- thelialer Lage und auswärts aus bindegewebiger Abgrenzung. Als Hohlgebilde hat es einen Binnenraum, der von hellem flüssigem Stoff eingenommen wird. Selbst das Stirnorgan der Amphibien, welches ich, und Andere nach mir, für einen durch und dureh zelligen Körper nahmen, zeigt mir jetzt bei Rana und Bombinator einen Binnenraum von verschiedener Ausdehnung; bei dem letztgenannten Batrachier setzt er sich in den knopfförmigen Nebenteil fort. Die den Innenraum begrenzende zellige Lage erhebt sieh nicht ringsum zu gleicher Stärke: bei Angwis, Lacerta, Varanus wird sie am Boden des Säckehens, dann wieder gegenüber an der Decke massiger als in der Seitengegend. Auch bei Rana und Bombinator ist eine solche Verdiekung der obern Partie zugegen, welche, indem sie weit nach unten vorspringt, dem Binnenraum hier einen hufeisen- förmigen Umriss verleiht; mehr oder weniger breit halbmondförmig zeigt er sich bei den vorgenannten Reptilien Die Zellen, welche die epitheliale Lage zusammensetzen, haben bei Batrachiern niehts auszeichnendes: von rundlicher Form sind sie da und dort bald mit etwas körnigem Pigment erfüllt, bald besitzen sie auch Fetttröpfehen, und wenn letztere sehr klein und zahlreich sind, so sieht die Zelle wie bestäubt aus. Manches deutet auf eine rückgängige Veränderung ihres Wesens hin, so unter Anderm ein ge- wisser spiegelnder Habitus des Kerns. Im Organ von Angwis und Lacerta ist die Aehnlichkeit im Ver- halten der zelligen Elemente mit jenen, welche den Zirbelschlauch auskleiden und insbesondere dessen Wülste bilden, unverkennbar. 14 Leydig, Parietalorgan der Reptilien und Amphibien. Wie dort sind die Zellen in der Tiefe hüllenlos und unter einander verschmolzen, so dass man lieber von zahlreichen Kernen, eingebettet in körniges Plasma, reden möchte. Nach dem Binnenraum zu werden sie bestimmter in ihrer Form, verlängern sich und geben dadurch dem Epithel eine streifige, bei Betrachtung des ganzen Organs von der Fläche eine strahlige Zeiehnung. Die Substanz der zylindrischen Zellen des Bodens lässt bei genauem Zusehen eine zarte Querstreifung erkennen, schon im frischen Zustande, besser nach Härtung. Die Elemente des Deckenteiles haben schon in ziemlich früher Zeit eine etwas andere Natur angenommen: sie sind ebenfalls, na- mentlich gegen die Mitte der Decke zu, verlängert und dabei derb- linig geworden, sowie sehr schmal. Die erwähnte Querstreifung ist auch an ihnen wahrzunehmen und erscheint infolge des ganzen Här- tungs-, man könnte sagen Verhornungsprozesses, dem die Zellen unterliegen, scharf ausgeprägt. Die Kerne, wenn in ziemlich gleicher Höhe gelegen, können im Durchsehnittsbild eine zusammenhängende Zone geben. Hervorzuheben ist jetzt das Vorhandensein eines Hohlraumsystems innerhalb der epithelialen Lage, wodurch eine Zerlegung der Schicht im Grunde des Säckehens, dann auch eine Abgrenzung der Decke von der Seitenwandung stattfindet. Es geht nämlich innerhalb der Zellschicht, hinten und seitwärts, kreisförmig ein heller wohl abge- setzter Raum herum, erfüllt von klarer, flüssiger Substanz; er steht, was sich am unverletzten embryonalen Organ von Angwis sehen ließ, durch einen Gang mit dem großen Binnenraum in Verbindung. Indem ferner der letztere am vordern Ende zu einem die Zellenmasse durch- schneidenden Spaltraum sich verengt, wird die Deekenschicht ab- getrennt und dadurch wie selbständig gegenüber der Seitenwand. Auf dem Durchschnittsbild des Organs kann sich die Lichtung des Spaltraumes einfach als Abgrenzungslinie zwischen der Decke und der Seitenwand darsteller.. Am gleichen embryonalen Organ, indem es die hintere Fläche dem Beschauer zuwendet, kommt auch noch eine zentrale, rundliche Oeffnung zur Ansicht, welche abermals in den Binnenraum führt und als eine weitere Verbindungspforte zu gelten hat. Dieses ganze Hohlraumsystem kann kaum eine andere Bedeutung haben, als die von Lymphräumen; denn durch den die Deekenschicht rings absetzenden Spaltraum steht die Binnenhöhlung des Säckehens mit einem größern, vor dem Organ sich ausbreitenden, subkutanen Lyniphraum in Verbindung, dessen Zusammenhang seitwärts mit be- nachbarten kleinen Lymphräumen des Unterhautbindegewebes zwei- fellos zu verfolgen ist. Ueber die freie Fläche des Epithels kommen Bildungen vor, welche mir noch nicht völlig klar geworden sind, die aber auf einen Leydig, Parietalorgan der Reptilien und Amphibien. 115 umgebildeten kutikularisierten Flimmerbesatz zu beziehen schon jetzt seine Berechtigung haben dürfte. An der Vorderfläche der Decken- schicht begegnet uns nämlich manchmal eine Strichelung, welche Strahl zuerst sah und dabei bemerkt, dass es ihm den Eindruck mache, als ob „es sich um einen Wimpersaum handle“. Im Boden des Säckchens erblickt man eine andere helle, dieht gestrichelte Lage, welche ich auf der Zeichnung von Graaf wieder zu erkennen glaube, und mich erinnert an Kutikularsäume, welehe sich in Stäbchen oder Plättchen auflösen wollen. Endlich trifft man auch noch, rings um die Seite des Binnenraumes her, längere zugespitzt endende fadige Gebilde, welche kutikularisierten Wimperbüscheln ähneln. Schon in früher Zeit des Embryonallebens lagert sich in den vordern Teil der zylindrisch verlängerten Zellen braunes Pigment ab, wodurch bei Betrachtung des Organs von oben ein dunkler, irisartiger Gürtel erzeugt wird. Der Kopf der Zellen kann, während er seitlich vom Pigment umfasst und vorne davon frei ist, einigermaßen ein Ansehen geben, als ob ein kurzer heller Körper aus dem Pigment hervorrage. Darauf beruht wohl die Aufstellung einer besondern Schieht in der von Graaf gegebenen schematischen Zeichnung. Im fertigen Tier (Angwis) hat die Menge des immer von braunem Farbenton bleibenden Pigmentes zugenommen. Außer dem dunkeln Ring und seinen radiär streifigen Fortsetzungen treten noch mitten in der Zelllage Pigmentmassen auf in Form von Ballen, Klumpen, Körnerhaufen, oder auch in Gestalt dieker, ästiger Züge, ein ander- mal als feine netzige Ausbreitungen. Namentlich im Mittelpunkt des zelligen Bodens kann die stärkste Anhäufung des Pigmentes zugegen sein, ja selbst unmittelbar gegenüber in der Deckenschicht kann Pig- ment abgelagert sein. Bemerkenswert ist auch, dass die Menge des Pigmentes indi- viduell derart wechselt, dass kaum zwei Tiere einander hierin ganz gleich stehen. Bei manchen Exemplaren erhält das Organ durch das viele abgesetzte Pigment gradezu das Aussehen eines schwarzen runden Körpers, umgeben von grauer Zone, in welche sich ebenfalls Pigmentstreifen verlieren. Bei Varanus weichen die Verhältnisse des Pigmentes sehr ab von denen bei Anguis und Lacerta, wie seiner Zeit näher zu berichten sein wird. Einstweilen mag nur erwähnt sein, dass hier kein iris- artiger Gürtel zugegen ist, sondern aus dem Innern des Organs heben sich bloß mehrere unregelmäßige klumpig-bogige Züge einer braun- rötlichen Substanz ab, die an ausgetretenes Blut, welches im Begriffe steht sich m Pigment umzuwandeln, erinnern könnte. Die bindegewebige Kapsel- oder Follikelhaut erscheint bei Ba- trachiern streifig mit Kernen; dem näher Untersuchenden kommen 716 ‘ Leydig, Parietalorgan der Reptilien nnd Amphibien. «1b yas I als zusammensetzende Elemente Häutchenzellen zu Gesicht. Diese Kapselschieht ist gleichzusetzen der bindegewebigen Hülle der Zirbel. Haben wir das Organ von Anguis im unverletzten Zustande vor uns, so ziehen die Kapselzellen in ziemlich regelmäßigen Bogenlinien und ihre Kerne rufen, indem wir der Wölbung des Organs folgen, eine Art von grober Querstrichelung hervor, namentlich nach An- wendung von Weingeist. Was man sieht, ist selbstverständlich ganz verschieden von der obigen feinen Querstreifung in der Zellsubstanz der Epithellage. Hier bei den Reptilien haben die Kapselzellen auch noch das Auszeichnende, dass der Kern hartrandig ist und die Zell- membran stark kutikular verdickt. Es ist mir wahrscheinlich, dass diese Zellen von Andern für nervöse Elemente genommen wurden. Bei Anguis und Lacerta gebt vorne die Kapsel nicht über den epithelialen Deckenteil der Wand herüber, sondern verliert sich in die Begrenzung des subkutanen Lymphraumes. Jenseits der Follikelhaut besteht noch eine lockere, dunkle, binde- gewebige Schicht, die von der pigmentierten Dura herkommt und besonders bei Lacerta durch ihre verästigten, pigmenterfüllten Zellen eine tief schwarze äußere Hülle zu stande kommen lässt. An den mehrfach erwähnten Embryonen von Anguis fällt der Bliek auch noch auf ein Gebilde, das kaum etwas anderes als ein Nebenscheitelorgan sein kann. Der Teil findet sich bei Besichtigung der Kopfoberfläche in dem Winkel zwischen dem Parietalorgan und dem Zirbelende, ist viel kleiner als das eigentliche Seheitelorgan, scheint aber, soviel bis jetzt zu ermitteln war, manches vom Bau des großen zu haben. Es ist ein rundlicher Körper, dessen um eine Lichtung gelagerten und zy- lindrisch verlängerten Zellen nach einwärts dasselbe braune Pigment besitzen, wodurch ebenfalls ein dunkler Ring bei der Flächenansicht entsteht. Von dem Organ weg zieht ein zarter Streifen zum Rand des Zirbelendes. Dieses anscheinend zweite Scheitelorgan mag wohl bald völligem Schwund anheimfallen, wenigstens besaß es schon bei einigen der Embryen nicht mehr die strahlige Zeichnung, sondern nahm sich aus wie ein Zellenhäufchen mit Pigmentklümpchen. IV. Deutung. Als ich vor 12 Jahren bei den Studien über die einheimischen Saurier die uns hier beschäftigende Bildung zuerst gewahrte, kam mir anfänglich die Vermutung, dass die Stirnaugen der Arthropoden diejenigen Organe seien, welche zum Vergleich heran- gezogen werden könnten. Wer von meinen Jahre zuvor gegebenen Darlegungen über Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Arthropoden und Wirbeltieren, besonders auch rücksichtlich des Nervensystems, Leydig, Parietalorgan der Reptilien und Amphibien. TAG Kenntnis genommen hat, wird begreiflich finden, wie sich eine solche Betrachtungsweise regen konnte. Doch ließ ich diese Vorstellung auf sich beruhen, zumal da außer andern Gründen der Teil, welchen ich damals als „schwarzen Strich“ bezeichnete, einer solchen Deutung nicht geringe Schwierigkeiten bereitete. Denn — man wolle hierzu meine Abbildungen ansehen — im Falle ich das runde Organ mit seinem Pigmentring für ein Auge erklärte, musste ich den „schwarzen Strich“, der doch denselben Bau hatte, notwendig auch für ein augen- ähnliches Organ nehmen. Auf den Zusammenhang beider Gebilde in Zellenstruktur, Pigment und Lichtung hatte ich ausdrücklich hinzu- weisen. Daher beschränkte ich mich zu sagen, dass ich das Homologon des Organs bei Anguis und Lacerta in der „Stirndrüse“ der Batrachier erblicke, eine Zusammenstellung, deren Richtigkeit sich vollkommen bestätigt hat. Und zwar zog ich diese Vergleichungslinie drei Jahre zuvor, ehe Götte dargethan hatte, dass die „Stirndrüse* ein abge- schnürter Endteil der Zirbel sei. Die „Stirndrüse“ aber glaubte ich zufolge meiner frühern Unter- suchungen zu den Hautsinnesorganen stellen zu dürfen, und indem ich von dem Foramen parietale der einheimischen Saurier weg auf eine gleiche Oeffnung im Schädeldach alter fossiler Saurier hinwies, sprach ich zuerst die Ansicht aus, dass bei gewissen Sauriern der Vorwelt ebenfalls ein solches „Sinnesorgan“ am Scheitel bestanden haben möge. In einem kleinen Aufsatze habe ich noch voriges Jahr zu begründen gesucht, warum ich die Meinung, dass es sich um ein Hautsinnesorgan handle, immer noch nicht preisgeben könne. Von Andern war nämlich unterdessen die Behauptung ausgegangen, dass in dem Parietalorgan ein drittes Auge der Wirbeltiere vorliege. Die lichtere Stelle der Hautdecke über dem Organ galt als „Horn- haut“; der wulstige Deckenteil der zelligen Auskleidung sollte eine „Linse“ sein; die Flüssigkeit dahinter wäre „Glaskörper“; der epi- theliale Boden wurde zur „Retina“ gestempelt und die von Pigment umfassten zylindrischen Zellen waren „Retinastäbchen“; man wollte die letzteren auch mit einem von der Zirbel kommenden Sehnerven in Verbindung gesehen haben. Dass diese ganze Weise der Vergleichung auf falscher Bahn sich bewegt, folgt aus den obigen Mitteilungen, welche sowohl meine Meinung, dass das Parietalorgan ein Hautsinnesorgan sei, als auch die Annahme, dass man ein drittes Auge vor sich habe, hinfällig machen. Zum Auffinden der Richtung, wo die Bedeutung des fraglichen Gebildes zu suchen sei, haben sich einige Fingerzeige ergeben: 1) Es ist für sicher zu halten, dass das Stirn- und Scheitelorgan ’ io) ein abgeschnürtes Endstück der Zirbel ist, und man kann aussprechen, 18 Platner, Bedeutung der Richtungskörperchen. dass in seinem Bau nichts wesentlich Neues hinzukommt, was nicht schon in der Zirbel vorhanden war. 2) Im frühern Embryonalleben hat das Parietalorgan im Ver- hältnis zur Größe des Gehirns und des Tieres überhaupt einen be- trächtlichern Umfang, als später der Fall ist. Danach zu urteilen liegt die Zeit seiner vollen Thätigkeit weiter zurück; es verkümmert und verödet im Laufe der Ausbildung des Tieres und schwindet bei vielen Arten völlig. 3) Die Unterschiede, welche im histologischen Verhalten zwischen Zirbel und Parietalorgan zutage treten, lassen sich ohne Zwang als Erscheinungen der Rückbildung auffassen. Dahin gehört die stetige Zunahme des Pigmentes und der individuelle Wechsel desselben in Menge und Lagerung; auch die Anhäufung an Stellen, allwo, wäre das Organ ein Auge, der Sehakt einfach unmöglich würde. Zweitens ist hieher zu rechnen der Vorgang zunehmender Härtung, ja der Kutikularisierung gewisser Zellenpartien, so des Deckenteiles; und endlich die Kutikularisierung der frühern Cilienbekleidung. . 4) In bestimmter, vielleicht nur kurzer Zeit des Embryonallebens, bei noch sehr dünner Haut und oberflächlicher, unmittelbarer Lage des Organs an der Haut, ist ein nach außen führender Porus zugegen. Die Oeffnung schließt sich mit dem Diekerwerden der Haut und dem in die Tiefe Sinken des Organs. Es bleibt aber da und dort, über und hinter dem Organ, eine Einsackung der Epidermis fortbestehen. 5) Wenn wir in Erwägung ziehen, dass die Lichtung der Zirbel mit der Höhlung des Gehirns zusammenhängt; ferner dass der Inhalt der Hirnhöhlen — das Üerebralfluidum — und damit zugleich auch jenes der Zirbel als Lymphflüssigkeit aufzufassen ist; endlich dass der „Plexus choroideus“ des dritten Ventrikels nach seiner Ent- wicklung einen gefäßreichen Abschnitt der Zirbel vorstellt, so drängt sich der Schluss auf, dass das Parietalorgan, dessen Inneres ebenfalls von Lymphhöhlungen durchzogen erscheint, Bezug haben möge nicht bloß zum Gehirn überhaupt, sondern näher noch zu dessen Blut- und Lymphräumen. Und so lautet für mich das Endergebnis: Das besprochene Organ unter der Hautdecke der Stirn bei Amphibien, oder im Scheitelloch bei Reptilien ist weder ein Auge, noch ein sonstiges Sinneswerkzeug; es bedeutet vielmehr einen in Rückbildung und Verödung begriffenen Hirnteil, der, insolange er noch wirkt, dem Lymphgefäßsystem dient. Vielleicht ist er auch, wohin unwillkürlich die Gedanken sich wenden, morphologisch und weiter zufück, mit dem „Neuroporus“ zu verknüpfen. Würzburg, Ende Dezember 1888. Ueber die Bedeutung der Richtungskörperchen. Von Gustav Platner. Die Frage nach der Bedeutung der Richtungskörperchen ist in der letzten Zeit vielfach ventiliert worden, und ich halte es für an- Platner, Bedeutung der Richtungskörperchen. 19 gebracht, hier auf einige Thatsachen aufmerksam zu machen, die wohl geeignet sind, wichtige Anhaltspunkte zu geben für eine end- liche Lösung dieses Problems. Das allgemeine Schema für die Zell- teilung verlangt, dass der Kern nach der Teilung wieder in das Ruhe- stadium zurückkehrt, das heißt sich aus dem Aster der Knäuel und aus diesem das Kerngerüst wieder rekonstruiert, und so findet man es auch überall. Nur in zwei Fällen findet hiervon eine Ausnahme statt. Der erste betrifft die Bildung des zweiten Richtungskör- perchens und ist genügend bekannt. Es wird hier das Ruhestadium übersprungen. Aus der innern Tochterkernplatte der ersten Rich- tungsspindel bildet sich sofort die zweite Richtungsspindel, und auch die in das erste Richtungskörperchen übergegangene Kernhälfte zeigt häufig das gleiche Verhalten, das heißt sie bildet sich gleichfalls sofort wieder zu einer neuen Spindel in entsprechender Weise um. Die Teilung der zweiten Richtungsspindel wird dadurch zu einer Reduktionsteilung in bezug auf die Quantität des Kernmaterials. Der zweite Fall dürfte weniger bekannt sein, er betrifft die letzte Teilung der samenbildenden Zellen. Auch hier wird das Ruhestadium über- sprungen. Die letzte Teilung schließt sich direkt an die vorhergehende an, indem sich aus der Tochterkernplatte sofort die neue Spindel bildet. Also auch hier findet eine Reduktionsteilung der Masse nach statt. Ich habe dieses eigentümliche Faktum zuerst an den Hoden- zellen der Schmetterlinge festgestellt und beschrieben. Neuere Un- tersuchungen an den Zwitterdrüsen der Pulmonaten, die demnächst im Archiv für mikroskopische Anatomie erscheinen, haben es mir bei einer genauen Verfolgung der Teilungen auch hier wieder erkennen lassen. Dasselbe Phänomen bei so ganz verschiedenen Tieren sich findend dürfte wohl kaum noch Zufall genannt werden. Ich glaube, dass hier ein Gesetz vorliegt, das bei genauerer Forschung sich auch anderweitig bestätigen lassen wird. Ich wage es daher jetzt schon, diese beiden Teilungen einander gleichzustellen. Durch die Teilung der zweiten Richtungsspindel wird der weibliche Pronueleus geliefert, durch die letzte Teilung der samenbildenden Zellen das Spermatosom. Beide Produkte teilen sich unter gewöhnlichen Umständen für sich nicht weiter, sondern nur gemeinschaftlich mit einander. Ihr Chro- matin ist zu sehr reduziert, als dass es zur Teilung so ohne weiteres disponiert wäre. Die Analogie geht aber noch weiter. Die Zellgeneration der samenbildenden Zellen, welche dem Ei vor Ausstoßung der Richtungs- körperchen entspricht, also vor der vorletzten Teilung zeichnet sich gegen die frühern durch charakteristische Unterschiede aus. Am auffallendsten findet sich dieses wieder in dem Hoden der Schmetter- linge ausgeprägt. Der Hoden enthält zu Anfang nur kleine Zellen. Dieselben sind in reger Teilung begriffen, die in regulärer Weise verläuft unter Knäuelbildung ete. Dann tritt plötzlich ein außer- 720 von Lendenfeld, Neuere Arbeiten über Scyphomedusen. ordentliches Wachstum der einzelnen Zellen auf, das im Centrum des Organs beginnt. Diese großen Zellen, welche dadurch entstehen, möchte ich den Eiern vergleichen. Sie teilen sich zweimal ebenso wie die Eier zwei Richtungskörper bilden. Die letzte Teilung ist eine Reduktionsteilung ebenso wie bei den Eiern. Die erste Teilung zeigt nichts von einer Knäuelfigur, die sich früher stets findet, ebenso wie bei den genauer bekannten Eiern, so z. B. bei Ascaris der ersten Richtungsspindel kein Knäuelstadium voraufgeht. Auch bei Au/asto- mum fehlt es in diesem Falle, worüber ich noch genauer berichten werde. Die Uebereinstimmung ist, wie man sieht, eine weitgehende. Man hat die Stammsamenzellen, die Spermatogonien von la Valette St. George den Eiern homolog setzen wollen. Ich glaube, dass an diesen durch die vielen Teilungen, welche sie eingehen, nichts geän- dert wird, sobald die Zellen nach jeder Teilung wieder auf ihr ur- sprüngliches Maß gebracht werden. Auch die Ureier teilen sich. Es kann auf keinen Fall der Ablauf einer bestimmten Anzahl von Teilungen hier maßgebend sein. Es müssen andere charakteristischere Merkmale auftreten, um einen solchen Vergleich zu rechtfertigen, und von solchen findet sich nichts. Ich glaube, dass die von mir angeführten Uebereinstimmungen denn doch gewichtigerer Art sind als die unsichern Beziehungen, welche zwischen Spermatogonien und den ausgebildeten Eiern bestehen. Erkennt man die Beweiskraft der erstern an, so folgt daraus, dass ebenso, wie die Produkte der Tei- lung der samenbildenden Zellen einander gleich sind, so auch die aus der Teilung der Richtungsspindel hervorgehenden Kerne gleichwer- tiges Material enthalten. Wenn das Protoplasma sich dabei in un- gleicher Weise teilt, so ist die exzentrische Lage der Richtungsspindel und die Beschaffenheit des Eies von Einfluss dabei. Ich habe nicht die Absicht mich hier in eine Diskussion über die verschiedenen Theorien, welche über die Bedeutung der Richtungskörperchen auf- gestellt sind, näher einzulassen; es kam mir nur darauf an, das Ma- terial, welches mir meine Studien über Spermatogenese und Befruch- tung zugeführt haben, den streitenden Parteien in geeigneter Weise zur Verfügung zu stellen. Die gewonnenen Erfahrungen können für weiteres Forschen die nötigen Anhaltspunkte liefern. Neuere Arbeiten über Scypho-Medusen. Von R. v. Lendenfeld. E. Vanhöffen, Untersuchungen über semaeostome und chizo- stome Medusen. Bibliotheca zoologica, Heft 3, Kassel 1888. V. hat die vom „Vettor Pisani“ gesammelten und auch einige andere Medusen untersucht und eine Anzahl neuer Formen beschrieben. Gleichzeitig kritisiert er solche Gattungen, von denen ihm beträcht- licheres Material zugebote stand. Zunächst wird Pelagia besprochen. von Lendenfeld, Neuere Arbeiten über Scyphomedusen. 121 V. ist der Ansicht, dass in erster Linie die Größe der Nesselwarzen der Pelagien bei der Artunterscheidung derselben benützt werden soll. Auch Chrysaora, Aurelia und Desmonema — von letzterer gibt V. eine neue Gattungsdiagnose — werden besprochen. Von Rhizostomeen befanden sich in der Sammlung Vertreter von acht Gattungen — 2 neue Gattungen und 6 neue Arten. Gestützt auf seine Untersuchungen kritisiert V. das Claus’sche Rhizostomeen- System und stellt hierauf selber ein System derselben auf, welches zum Teil eine Variation des Claus’schen ist. Die von Häckel be- schriebenen Arten sind in demselben untergebracht und einige andere. Gewisse Gattungen, die V. nicht recht unterbringen kann, sind aus- gelassen. In dem Abschnitt über die geographische Verbreitung der Seypho- medusen bemerkt V., dass im roten Meer viele Rhizostomae und fast keine Semaeostomae, an der pacifischen Küste Nordamerikas aber vorzüglich Semaeostomae und fast keine Rhizostomae vorkommen. Im allgemeinen sollen die Rhizostomeen in warmem Wasser, die Semae- ostomen aber in kaltem Wasser vorwiegen. Die erstern gehen nicht über 50° N und 50°S hinaus, die letztern sind bis 75° N und 60° 8 beobachtet worden. Eigentlich sollen die Rhizostomeen nur bis zu 40° N und 40° S reichen und über diese Grenzen nur dort hinaus- gehen, wo warme Strömungen vorkommen. Die Semaeostomeen sind keineswegs auf die kältern Meere beschränkt und besonders Pelagia an Arten und Gattungen in den Tropen sehr reich. W. Tewkes (A New Rhizostomous Medusa from New England; American Journal of science, vol. 33) beschreibt eine neue Rhizo- stomee: Nectopilema N. 9 aus dem kalten Wasser von New Haven. Auch Orambessa mosaica kommt in kaltem Wasser, in der Polar- strömung vor, die in nordöstlicher Richtung fließend auf die Südküste von Australien trifft. Dies sind einige von mehreren Beispielen von Rhizostomeen aus kalten Strömungen, welche zeigen, dass diese Me- dusen keineswegs auf warmes Wasser beschränkt sind, wie V. an- nehmen möchte. R. v. Lendenfeld, Ueber Cölenteraten der Südsee. VII. Die australischen rhizostomen Medusen. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. 47 S. 201—324; Taf. 18—27. Nach kurzer geschichtlicher Einleitung und Besprechung der physikalischen Verhältnisse der australischen Meere wendet sich L. dem System der Rhizostomeen zu. Er aeceptiert das Claus’sche System mit unbedeutenden Aenderungen in den Diagnosen und fügt zu den Claus’schen noch seine Familie Chaunostomidae hinzu. Bei Besprechung der Verbreitung der einzelnen Arten innerhalb des australischen Gebietes wird hervorgehoben, dass die Rhizosto- meen, und speziell Crambessa, weit hinaufgehen in die Aestuarien der Flüsse, um zu laichen. Die drei vomL. selbst untersuchten Arten vn, 46 122 von Lendenfeld, Neuere Arbeiten über Scyphomedusen. werden genau beschrieben, doch kann hier darauf nicht eingegangen werden. Wichtiger sind die vergleichend-anatomischen und histologischen Angaben, welche sich nicht auf die australischen Arten beschränken. Der Schirm der Rhizostomeen ist in der Regel von härterer Kon- sistenz als jener der Semostomeen und besteht aus einer dieken zen- tralen Scheibe und einem viel dünnern, häufig scharf abgesetzten Randsaum. Die Oberseite des Schirms wird von einem hohen, mehr- schichtigen Epithel bekleidet. Plattenepithel findet sieh nicht. Das äußere Epithel besteht aus Stützzellen, Sinneszellen, Becherzellen und Nesselzellen; das Subepithel aus jungen Nesselzellen, Ganglienzellen und (?) indifferenten Zellen; ausnahmsweise auch Muskelzellen. Das Epithel ist farblos, aber der Glanz der Nesselkapseln bewirkt es, dass jene Stellen, welche reich an Nesselkapseln sind, weiß und opak erscheinen. Die weißen Flecken und Streifen auf dem Schirmrücken vieler Rhizostomeen sind nichts Anderes als Nesselkapselgruppen. Die Schirmgallerte zwischen dem Exumbrella-Epithel einer- und der Entodermlamelle und dem Gastrovaskularsystem anderseits ist solid und besteht aus einer leimartigen, mit S0—90°/, Wasser ver- setzten, strukturlosen Grundsubstanz, in welcher Fasern und Zellen mannigfacher Art angetroffen werden. Diese gallertige Grundmasse ist hinreichend resistent, um es zu verhindern, dass der Schirm zer- rinnt, wenn die Meduse aus dem Wasser genommen wird. Besonders zeichnet sich die Schirmgallerte von Crambessa durch ihre Härte aus. Die Fasern sind zweierlei Art: glatte, im allgemeinen senkrecht ver- laufende unverzweigte, als Bindegewebefibrillen aufzufassende Fäden, die stets zahlreich sind, und seltenere granulöse, diekere unregel- mäßig verlaufende Stränge, welche gewisse Zellen in der Gallerte mit einander verbinden. Unter den Zellen der Gallerte sind kleine rundliche Elemente die zahlreichsten. Diese scheinen bei allen Arten vorzukommen. Diese Zellen fasst L. als die Bildner der Gallerte auf und nimmt an, dass sie vom Entoderm der dorsalen Gastrovaskularwand keimen (Claus) und von hier in dorsaler Richtung durch die von ihnen selbst und den nachkommenden Zellen gebildete Gallerte emporgeschoben werden. Außerdem vermehren sich diese Zellen durch Teilung. Unregelmäßiger verteilt kommen in der Gallerte auch multi- polare körnige Zellen von schwankender Gestalt vor. Diese von L. Sternzellen genannten Elemente sind mit einander durch die er- wähnten granulösen Stränge, welche die Gallerte in verschiedenen Richtungen durchsetzen, verbunden. L. vergleicht diese Zellen mit den ähnlichen Elementen der Spongien und des gallertigen Binde- gsewebes anderer Tiere. Außer diesen beiden Zellenarten kommen auch amöboide Wanderzellen, in einzelnen Formen große unregel- mäßige tröpfehenreiche Drüsenzellen (Giftzellen? bei Phyllorhiza punc- von Lendenfeld, Neuere Arbeiten über Scyphomedusen. (25 tata); bei Crambessa ober dem Randkörper Nesselzellen, unter dem Fundus der Sinnesgrube überall multipolare (? Ganglien) Zellen und häufig Pigmentzellen vor. Von letztern (sie sind nicht morpho- logisch, sondern nur physiologisch Pigmentzellen) können drei Arten unterschieden werden. 1) Die braune bis olivengrüne Farbe wird durch Gruppen rundlicher „gelber“ Zellen (Algen) hervorgerufen, welche vorzüglich in den oberflächlichen Partien des Schirms liegen. 2) Die gelben, roten, blauen und violetten Pigmente erscheinen in Gestalt feiner Körnchen, welche gewissen Gruppen von Sternzellen eingelagert sind. 3) Die weiße Farbe wird in der Regel durch die Nesselzellen des Epithels, ausnahmsweise aber auch durch Gruppen weißer Pigmentzellen in der Gallerte bewirkt. Diese sind große rund- lich lappige Elemente und produzieren bei Phyllorhiza punctata Je einen kleinen Krystall. L. nennt sie daher Krystalloblasten. Die meisten Rhizostomeen haben 8 Randkörper, nur Cassiopea hat 16 und Polyclonia frondosa 12 !). Bei den letztgenannten schwankt die Randkörperanzahl beträchtlich, während sie bei den gewöhnlichen oktorhopolaren Formen recht konstant ist. Bemerkenswert ist es, dass bei Phyllorhiza punctata die Rand- körperzahl sich während der Entwicklung verändert. Die jüngsten Ephyren dieser Meduse haben 8, spätere Stadien 24, noch spätere 16, und das ausgebildete Tier hat wieder 8 Randkörper. Auf den feinern Bau und die Entwicklung der Randkörper geht L. im Detail ein. Ehe sich noch die Ephyra losgelöst hat, dehnt sich in den Per- und Interradien die Gastrovaskularhöhle gegen den Scheibenrand aus. Dieser wölbt sich an den entsprechenden Stellen vor und bildet acht sackförmige Ausstülpungen: die Randkörper. Die Gallerte in der Umgebung derselben wuchert lebhaft und schließt sie schließlich in eine tiefe, nur nach außen und unten offene Nische ein. Der fertige Randkörper ist etwa 1 mm lang und steht aufrecht — der Axe der Meduse parallel. Im Bau gleichen die Rhizostomeen - Randkörper jenen der Semostomen. Selten findet sich ein Pigmentfleck auf der Dorsalseite. Dieser kann nicht als optisches Werkzeug angesehen werden, weil er der Schirmgallerte zugekehrt ist und nicht nach außen sieht. In einigen Fällen sind zahlreiche longitudinale Nerven- fasern auf der Dorsalseite des Randkörpers entwickelt. Der ganze handkörper, außer der distale otolithentragende Teil desselben, ist mit hohem Sinnesepithel bekleidet. Zu den Seiten des handkörpers findet sich an den Nischenwänden öfters ein Paar von Sinnesepithel tragenden Wülsten. 1) W. Tewkes schreibt mir auf seine Arbeit über Florida - Medusen hinweisend — dass „most of the specimens of our Cassiopea (Polyelonia) have sixteen sensebodies“. 46* 124 von Lendenfeld, Neuere Arbeiten über Scyphomedusen. Die starke Gallertplatte, welche oben die Randkörpernische be- deckt (eine Neubildung, in der Ephyra keine Spur davon) ist auf der Dorsalseite — grade über und hinter dem Randkörper ausgehöhlt. Es findet sich hier nämlich eine tiefe Grube, die Sinnesgrube (Riech- grube Claus), welche ebenfalls mit hohem Sinnesepithel ausgekleidet ist. Zuweilen, wie bei Pseudorhiza, ist ihre Oberfläche glatt; meist aber, besonders bei Crambessa, gefurcht. Der Fundus der Sinnesgrube liegt der Insertionsstelle des Randkörpers in allen Fällen sehr nahe und die Gallertwand, welche die Sinnesgrube von der Randkörper- nische trennt, ist an dieser Stelle sehr dünn und erfüllt mit großen multipolaren Zellen, welche möglicherweise Ganglienzellen sein könnten. Besonders hoch entwickelt ist bei den Rhizostomeen die Subder- malmuskulatur. Nicht nur finden wir, wie bei den Semostomen, hohe, freie, vorragende, von der Muskellage überkleidete Gallertleisten, sondern die Muskelplatte selbst ist gefaltet, ähnlich wie an den Ak- tinien-Tentakeln. Diese kleinen Falten der Muskelplatte sind von Gallerte ausgefüllt, und das äußere Epithel zieht glatt über dieselben hinweg. Bei der Entwicklung treten diese kleinen Falten der Muskel- platte zuerst auf, und dann erst die großen, frei bleibenden Falten. Was das Gastrovascularsystem anbelangt, so wären unter andern vielleicht folgende Beobachtungen hervorzuheben: In den Flügeln der Crambessa-Arme findet sich je ein Longitudi- nalkanal, der durch zahlreiche Querkanäle leiterartig mit dem zen- tralen Hauptkanal verbunden ist. In der Mundscheibe von Phyllorhiza wird ein kompliziertes Ka- nalsystem angetroffen, dessen Endzweige die sehr kleinen und dieht stehenden Filamente versorgt, die von der Neutralseite der Mund- scheibe herabhängen. An diesen Filamenten setzen sich die Schwärm- larven fest und werden hier zu Seyphystomen — vielleicht von den Säften der Mutter ernährt. Später fallen sie ab und entwickeln sich am Meeresgrunde zu Strobilen. Ueber die Genitalorgane werden ebenfalls eine Reihe von Beob- achtungen angegeben, doch können wir hier darauf nicht eingehen. Eine faunistisch - biologische Thatsache verdient noch unsere Auf- merksamkeit. Zwischen 1809 und 1848 wurden Crambessa mosaica- ‘xemplare in Port Jackson bei Sydney mehrfach beobachtet. Sie werden von allen Autoren als blau beschrieben. Seit 1848 hat sich niemand darum gekümmert bis 1882, als ich in Port Phillip bei Melbourne meine Arbeiten begann. Ich fand dort viele Tausende von Crambessa mosaica-Exemplaren, welche die bekannte blaue Färbung hatten. 1884 kam ich nach Port Jackson und fand auch dort Tausende von Orambessa mosaica-Exemplaren, doch diese waren, ohne eine einzige Ausnahme braun, ganz durchsetzt von „gelben Zellen“ (Algen). Es ist also offenbar, dass zwischen 1848 und 1884 die ursprünglich blauen Crambessen in Port Jackson entweder sich Tiebe, Sehvermögen von Insekten und Wirbeltieren. 23 zu einer Symbiose mit den gelben Zellen entschlossen haben und braun geworden, oder aber von der gelben Varietät verdrängt worden sind. Auffallend ist es dabei, dass ich in Port Phillip nieht ein ein- ziges braunes Exemplar fand. Die vergleichenden Versuche Plateau’s über das Seh- vermögen von Insekten und Wirbeltieren'). Von Gymnasiallehrer Tiebe in Stettin. Man ist gewöhnt, die Facetten-Augen der Insekten als aus vielen einfachen Augen zusammengesetzte Organe zu betrachten, nämlich jede Facette als eine besondere Cornea, jeden darunter liegenden Krystallkegel als ein zweites breehendes Medium und jeden einzelnen Nervenfaden als eine äußerst kleine Netzhaut zu deuten. Gegenüber dieser landläufigen Ansicht haben indess schon um die Mitte unseres Jahrhunderts Brants und Leydig die Meinung geäußert, dass das Facettenauge eine physiologische Einheit sei. Nach- dem die Arbeiten der beiden Forscher lange Jahre hindurch unbeachtet geblieben waren, haben neuere anatomische Untersuchungen von Ray- Lankester und Bourne [1883], sowie von Patten [1886] ?) ergeben, dass sich in der That in den einfachen Augen dieselben wesentlichen Elemente wie in den sogenannten zusammengesetzten finden, und dass sich die letztern von den erstern nur durch eine deutlicher hervor- tretende Differenzierung und eine dementsprechende Teilung der ober- flächliehen Cutieularschicht unterscheiden, oder, nach Patten’s Aus- ‘druck, dass es nur einer geringfügigen Modifikation bedürfe, um das Auge einer Spinne in dasjenige eines Krebses zu verwandeln. Dies Resultat wird unterstützt dureh entwicklungsgeschichtliche Studien von Reichenbach am Flusskrebs [1886], von Kingsley an der Garnele |1886 und 1887] und von Patten an der Wespe [1886]; die- selben lehren sämtlich auf unzweifelhafte Weise, dass das zusammen- gesetzte Auge ebenso wie das einfache durch eine einzige Ein- stülpung der Hypodermis entsteht, also unmöglich eine Zusammen- stellung aus vielen einfachen Organen sein kann. Auch in einem zweiten Punkt verlangen die neuern Forschungen eine Korrektur der bisherigen Ansicht. Wir dürfen den Krystallkegel nicht mehr als einen breehenden Stoff .betrachten, derselbe ist viel- mehr als ein erweitertes Ende der Nervenfaser aufzufassen. Strauß- Dürkheim hat diese Ansicht schon vor 60 Jahren ausgesprochen, aber gegen die gewaltige Autorität des berühmten Physiologen Johannes Müller nicht zur Geltung zu bringen vermocht. Erst 1) Recherches exp6rimentales sur la vision chez les arthropodes. 4itme partie. M&m,. del’Acad. roy. de Belg. tome 43. 1888. Ueber die vorangehenden Teile siehe Biol. Centralbl., VIII, S. 179—184 und 8. 276—282. 2) Eyes of Mollusks and Arthropods; Mitt. d. Zoolog. Station zu Neapel, VI. Bd,, 1886. 26 Tiebe, Sehvermögen von Insekten und Wirbeltieren. 1886 hat Patten, nachdem der Gedanke vorher durch Leydig, tüte und Chatin wieder aufgenommen war, den exakten Nachweis erbracht, dass der sogenannte Krystallkegel wirklich in der innigsten Beziehung zu dem Nervenfaden steht. Der letztere, welcher axial in die Höhe steigt, löst sich in einer bestimmten Entfernung von der Cornea in ein feines Netzwerk auf, welches ohne Zweifel als das eigentliche lichtaufnehmende Element betrachtet werden muss und von stäbehenförmigen Körpern umgeben ist; der Krystallkegel der Facettenaugen zeigt hierin eine völlige Analogie mit den Stäbchen oder Retinophoren der einfachen Augen. Aufgrund dieser anatomischen Ergebnisse gelangen wir zu einer neuen Theorie des Sehens für das Auge der Insekten. Wir wissen bereits aus einer langen Reihe von Untersuchungen, wie sie zuerst Leeuwenhoek (1695) anstellte, dass die Facetten, indem jede als Linse wirkt, von äußern Objekten ebensoviel Bilder entstehen lassen, als solcher Linsen vorhanden sind. Wir erkennen nunmehr zunächst, dass die Insekten eines besondern Akkommodations- vermögens nicht bedürfen, da das durch eine Cornea entworfene Bild, mag es nun einem nahen oder einem fernen Gegenstand entsprechen, in dem verhältnismäßig tiefen Netzwerk von Nerven, wie ein solches der Krystallkegel darbietet, auf jeden Fall liehtempfindende Fasern trifft. Es ergibt sich aber auch weiter, dass in diesem Netzwerk nicht nur eine bestimmte Stelle von Lichtstrahlen getroffen wird, son- dern auch die vor und hinter derselben gelegenen Teile erleuchtet, also erregt werden. Eine scharfe Wahrnehmung ist demnach einem: Insektenauge, wie es uns Patten kennen gelehrt hat, absolut un- möglich; es sieht alle Gegenstände in ähnlicher Weise undeutlich, wie ein menschliches Auge ein Objekt, dessen Bild vor oder hinter der Stäbchen- und Zapfenschicht seiner Netzhaut liegt. Dieser theoretischen Erwägung würde indess nur ein geringer Wert beizumessen sein, wenn sie nicht durch zahlreiche direkte, unter den verschiedenen Bedingungen angestellte Versuche bestätigt würde. Glücklicherweise besitzen wir solche aus neuester Zeit von Professor Felix Plateau in Gent. Dieser rühmlichst bekannte Forscher hat 1885 zuerst eine vor- läufige Mitteilung über diesen Gegenstand erscheinen lassen und in derselben die Methode angegeben, nach welcher er damals seine Unter- suchungen angestellt hatte. Die beiden Fenster seines Experimentierzimmers verfinsterte er durch Laden von völlig undurchsichtigem Stoff und brachte in dem einen der letztern eine quadratische Lichtöffnung von 3600 qmm, in dem andern ein Gitter mit 400 kleinen, durch dunkle 5 mm dicke Stäbe getrennten Maschen von je 3 mm Seitenlänge an. Die beiden Liehtöffnungen gewährten demnach, wie auch die Untersuchung mit einem Photometer bestätigte, einer gleichen Lichtmenge Einlass. Tiebe, Sehvermögen von Insekten und Wirbeltieren. 127 In ein so vorbereitetes Zimmer stellte Plateau in einem Glas gefangen gehaltene einzelne Insekten auf einen Tisch. Wurde das Glas vorsichtig geöffnet, so krochen die Tiere heraus, spazierten eine Zeit lang auf dem Tisch umher und flogen dann den Lichtöffnungen zu, hinter denen ihnen das goldene Licht der Freiheit winkte. Pla- teau vermutete, dass die Tiere, falls sie mit einem guten Auge aus- gerüstet wären, sich ausnahmslos nach der nicht vergitterten Oeffnung begeben würden, und schloss aus dem Umstande, dass diese Ver- mutung nicht bestätigt wurde, sondern die Insekten im Gegenteil die mannigfachsten Irrtümer begingen, auf ein äußerst mangelhaftes Seh- vermögen derselben. Es konnte nicht ausbleiben, dass gegen diese Art der Unter- suchung mehrfache Einwände erhoben wurden. Plateau hat dieselben im Geiste echter Wissenschaftlichkeit erledigt. Statt sich in eine unfruchtbare Polemik mit Worten einzulassen, hat er in den letzt- vergangenen drei Sommern eine Fülle neuer Versuche unter Auf- wendung der unermüdlichsten Sorgfalt angestellt und dadurch ge- prüft, inwieweit die vorgebrachten Bedenken berechtigt waren, zugleich aber seinen nunmehrigen Schlüssen sichere Grundlagen verliehen. Zunächst konnte nicht geleugnet werden, dass die Verhältnisse, unter denen die Insekten bisher untersucht wurden, durchaus unnatür- liche waren; wie leicht kann Tieren, welche sich mit Vorliebe in hellem Licht zu bewegen pflegen, das Orientierungsvermögen in tiefer Dunkel- heit getrübt werden oder verloren gehen! Plateau verfinsterte des- wegen bei seinen neuen Experimenten die Fenster nur mit einem etwas durchscheinenden Stoffe, so dass er in dem Halbdunkel des Zimmers mit Bequemlichkeit lesen oder schreiben und selbst subtile Arbeiten vornehmen konnte. Jetzt bekundeten die Insekten!) auf das deutlichste ein Vermögen sich zurechtzufinden, konnten aber trotzdem die beiden verschiedenartigen Lichtöffnungen nicht unterscheiden. Drang durch beide eine gleiche Liehtmenge ins Zimmer, so flogen sie im allgemeinen ebenso viel mal nach der vollständig freien als nach der vergitterten Oeffnung. Wurde ein Teil der erstern zugedeckt, so ließen sich die Tiere durch den größern Lichtschein der letztern irre- führen, bekundeten also jedenfalls auch unter den veränderten, den natürlichen Verhältnissen nahe kommenden Bedingungen der neuen Versuche ein mangelhaftes Wahrnehmungsvermögen. Es war ferner (von Forel) hervorgehoben worden, dass die Versuche Plateau’s überhaupt nichts über das Sehvermögen ‚der Insekten bewiesen, da sie denselben ein Urteil zumuteten, welches die Kräfte ihres Gehirns überstiege, ein Urteil nämlich aus verhältnis- mäßig weiter Entfernung darüber, ob sie durch das betreffende Loch hindurchkommen könnten; auch höhere Tiere, selbst der Mensch, sagte 1) Apis mellifica, Bombus hortorum, Megachile centuncularis, Pieris napi, Pieris brassicae, Eristalis tenax, Calliphora vomitoria. 128 Tiebe, Sehvermögen von Insekten und Wirbeltieren. man, würden unter ähnlichen Verhältnissen genau dieselben Irrtümer begehen, wie die Insekten. Diese von anderer Seite ausgesprochene Vermutung hat Plateau dureh Versuche mit kleinern Wirbeltieren mit einer Ausnahme be- stätigt gefunden. Er brachte zunächst Eidechsen, Blindschleichen, Ringelnattern, Schildkröten, Frösche und Kröten in das hintere Ende eines nach vorn (d. h. nach der Lichtseite zu) sich trapezförmig erweiternden langen Kastens, in dessen Vorderwand zwei verschiedenartige Oeff- nungen eingelassen waren. Die Tiere blieben oft sehr lange Zeit an dem Platz, an welchen sie gesetzt worden waren, ruhig sitzen, schauten sich dann um und begannen gemächlich sich vorwärts zu bewegen!). Auch sie strebten dabei der vergitterten Oeffnung ebensoviel mal zu wie der unvergitterten und ließen sich irreführen, wenn letztere ver- kleinert wurde; sie vermochten also auf 1 Meter Abstand den Unter- schied zwischen den beiden Lichtlöchern nieht wahrzunehmen, wäh- rend ein menschliches Auge auf die zehnfache Entfernung deutlich die sich kreuzenden Gitter vor der einen erblickte. Dasselbe Unvermögen zeigten auch Finken und Stieglitze, als dieselben ihrem Käfig in einem Zimmer entschlüpfen durften, in dessen Laden durch zwei verschiedenartige Löcher von je 400 qem freier Fläche Licht eindrang. Nur zwei Tauben verfehlten in keinem Fall die Oeffnung, welche ihnen ein ungehindertes Entkommen verhieß, und unterließen schließlich jeden Fluchtversuch, nachdem ihnen ein Entweichen mehrmals nicht geglückt war. Diese Thatsache verliert jedoch das den andern Beobachtungen Widersprechende, wenn man beachtet, dass die Tauben gewöhnt sind, aus dem dunklen Raum ihres Schlages durch eine kleine Oeffnung herauszutreten, also auch die untersuchten Exemplare durch Uebung und Vererbung eine be- sondere Ausbildung ihres Auges erlangt hatten. Da nun Eidechsen, Frösche oder Vögel nach vielfachen Erfah- rungen schon des gemeinen Lebens unzweifelhaft ein Sehvermögen besitzen, so ergibt sich, dass die früher angewendete Methode in der That eine falsche ist, da sie eben zu falschen Schlüssen führt. Sie ist außerdem auch insofern eine unzureichende, als bei ihr die Tiere nur veranlasst werden, zwischen zwei Liehtöffnungen zu wählen, wäh- rend es sich um die Untersuchung der Frage handelt, ob die Insekten die Gestalt und die Begrenzung von Gegenständen wahrzunehmen vermögen. „Die neuere Methode Plateau’s ist frei von den vorgetragenen Bedenken und Einwürfen. In dem vollen Licht eines Zimmers?) wurde das zu untersuchende 1) Bei einem jungen Hund, einer jungen Katze und einem Meerschweinchen verliefen die Versuche ohne Resultat, da sich diese Tiere überhaupt nicht von ihrem Platze regten. 2) Ringelnatter und Schildkröte mussten in direktem Sonnenlicht, die Kröte in der Nacht beobachtet werden. Tiebe, Sehvermögen von Insekten und Wirbeltieren. 129 Tier in die Mitte eines „Labyrinths“ gesetzt, welches durch aufrecht stehende, an einem Holzklotz befestigte Kartonblätter von weißer, brauner und schwarzer Farbe gebildet war!). Sie waren dabei in eine kleinere oder größere Schachtel eingeschlossen, welche sich leicht öffnen oder von der sieh nach Lösung einiger kleiner Haken der Deckel mit den Seitenwänden wie eine Glocke abheben ließ; auf jeden Fall gelangten auf diese Weise die Tiere in das Labyrinth, ohne irgendwie beunrnhigt zu sein. Zunächst blieben deswegen die unter- suchten kleinen Wirbeltiere (Kaninchen, Katze, Meerschweinchen, Huhn, Ente, Eidechse, Blindschleiche, Schildkröte, Frosch und Kröte) Minuten lang ruhig sitzen, gleichsam erstaunt über den ungewohnten Anblick, welcher sich ihnen darbot. Dann aber schauten sie sich rechts und 4) Die Blätter hatten bei Untersuchung von Insekten eine Höhe von 3, eine Breite von 12, bei derjenigen von kleinen Wirbeltieren eine Höhe von 21, eine Breite von 28 Centimetern. Ueber die Anwendung vergleiche die Figur, 30 Tiebe, Sehvermögen von Insekten und Wirbeltieren. links um, wagten einige Schritte und gingen schließlich, kühner ge- worden, auf die nächstgelegene Lücke zu. Mit großer Geschicklich- keit umgingen sie alle Hindernisse und kamen auf einer wellenförmig gebogenen Linie (a der Figur) aus dem Gefängnis heraus. Selbst, wenn sie durch Zusammenschlagen der Hände erschreckt oder sonst zu schnellerer Bewegung angetrieben wurden, stießen sie nirgends an. Sie unterschieden also mit großer Sicherheit die Grenzen der ihnen entgegenstehenden Objekte und bekundeten durch ihr geschicktes Be- nehmen ein gutes Sehvermögen. Im diametralen Gegensatz hierzu stehen zunächst die von Plateau untersuchten Käfer und Gradflügler!). Ohne Ausnahme stießen alle Exemplare, mochten sie nun als lichtscheu oder als lichtliebend von den Fenstern weg oder nach ihnen zu streben, an alle Hindernisse des Labyrinths an, welche ihnen im Wege standen, und zwar mit soleher Gewalt, dass man das Anschlagen des Kopfes selbst aus größerer Entfernung deutlich hören konnte?). Selbst die Sandlauf- käfer, die sich bekanntlich nur äußerst schwer fangen lassen und denen man deswegen ein ausgezeichnetes Sehvermögen zuzuschreiben pflegt, vermochten in keinem Falle das Vorhandensein eines ihren Weg kreu- zenden Gegenstandes wahrzunehmen; nur mit Hilfe ihrer Fühler ge- lang ihnen und ebenso den übrigen Insektenarten eine solehe Wahr- nehmung. Die Farbe des entgegenstehenden Hindernisses war bei allen diesen Versuchen ohne jede Bedeutung. Die Schabe allein machte eine Ausnahme, als man sie auf dem Boden eines hellerleuchteten Zimmers kriechen ließ und ihr dabei eine weiße Karte an einem Stock befestigt in den Weg stellte. Auf 5 bis 10 Zentimeter Abstand stutzte sie vor derselben, aber nur, wenn sie von weißer Farbe und ziemlicher Größe war; ja sie nahm auch, wenn sie bei ihrem Aus- weichen an einer Eeke der Karte vorbeistreifte, den Schattenraum hinter derselben wahr und flüchtete sich in denselben. Den Hymenopteren®), welche im Labyrinth untersucht werden sollten, mussten, um sie am Wegfliegen zu hindern und zum Gehen zu zwingen, die Flügel abgeschnitten werden. Glücklicherweise zeigten sich die Tiere, wenn das Abschneiden geschehen war, ohne dass sie sonst berührt worden, in jeder Beziehung vollständig frisch; sie be- 1) Untersucht wurden Carabus nemoralis, Carabus auratus, Omaseus nigrita, Harpalus aeneus, Amara tivialis, Cicindela campestris, Necrophorus vespillo, Telephorus lividus, Geotrupes silwatieus; ferner Gryllotalpa vulgaris, Periplaneta orientalis, Forficula auricularia, Locusta viridissima. 9) Die Balm, auf welcher ein Insekt dem Labyrinth entkam, ist in der Figur durch b angedeutet. 3) Apis mellifica, Bombus terrestris, hortorum et lapidarius, Osmia bicornis, Megachile centuncularis, Anthidium manicatum, Anthophora quadrimaculata, Andrena fulwierus; Odynerus parietum, Vespa germanica et rufa, Chrysis ignita ; Ichneumon comitator. Tiebe, Sehvermögen von Insekten und Wirbeltieren. 134 gannen z. B., als ihnen Blumen vorgesetzt wurden, Blütenstaub und Honig in derselben Weise aufzunehmen wie sonst. Außerdem zeigten auch einige geflügelte Exemplare, welche sich zum Kriechen bequemten, genau dasselbe Benehmen im Labyrinth wie die ihrer Flügel be- raubten. Dies Benehmen war aber nach den bei Orthopteren und Coleopteren gewonnenen Resultaten auffällig genug: Die Tiere bewegten sich näm- lich sämtlich mit erstaunlicher Sicherheit zwischen den Hindernissen hin- durch; ausnahmslos gelangten sie nach den lichteinlassenden Fenstern, ohne irgendwo anzustoßen. Man würde aber aus dieser Erscheinung mit Unrecht auf ein gutes Sehvermögen der Tiere schließen; die Beobachtung langsamer sich bewegender Arten zeigte vielmehr in deutlichster Weise, dass es sich hier um eine eigentümliche Fähig- keit, den Schatten der Gegenstände wahrzunehmen, handelt. Da die untersuchten Hymenopteren lichtliebende Tiere sind und deswegen der Lichtquelle zustreben, so treten sie stets zunächst in den Schatten ein, welchen die ihnen entgegenstehenden Hindernisse werfen. Sowie dies aber geschehen ist, stutzen die Tiere einen Augenblick, machen dann rechts- oder linksum und bewegen sich genau auf der Schatten- grenze weiter, so dass sie nunmehr an der Ecke des Gegenstandes vorbeikommen. Mit besonderer Schnelligkeit gelingt diese Wahr- nehmung des Schattens den Vespa- Arten. Dieselben brauchen nur mit dem Kopf in die Region des Schattens, ja selbst des Halbschattens gelangt zu sein, um augenblicklich zu wenden und, durch die Schatten- grenze geführt, das Hindernis zu umgehen. Grade diese große Ge- schwindigkeit der Wahrnehmung ruft aber in dem nicht geübten Beobachter leicht die Illusion wach, dass die Tiere die Gegenstände selbst wahrnehmen. Die Irrigkeit dieser Ansicht vermochte man bei einzelnen Exemplaren direkt zu erkennen, weil dieselben sich aus- nahmsweise von den Fenstern weg und demnach der belichteten Seite der Hindernisse zu bewegten; jedesmal stießen dieselben mit ihren Fühlern an. Ferner zeigte sich auch die Wahrnehmung eines Objektes durch die Länge seines Schattens bedingt. Ein solches gibt im Hin- tergrund eines Zimmers einen wesentlich längern Schatten als im Vordergrund; dem entsprechend nahmen auf dem Boden eines Zimmers kriechende Bienen, Hummeln und Wespen eine ihnen in den Weg ge- stellte Karte im erstern Fall schon auf 5, im letztern erst auf 2 cm Abstand wahr. Dieselbe eigentümliche Fähigkeit, den Schatten von Gegenständen zu empfinden, zeigten auch die untersuchten Zweiflügler, jedoch nur, wenn das Labyrinth von der Sonne direkt beleuchtet wurde. In diesem Fall traten sie bald aus dem dunklen Schatten heraus, sei es, weil ihnen derselbe das Vorhandensein eines den Weg sperrenden Objektes verriet, sei es, weil sie den Aufenthalt in dem wärmenden Sonnenlieht vorzogen. In allen übrigen Fällen erwiesen sie sich ebenso 132 Tiebe, Sehvermögen von Insekten und Wirbeltieren. unvermögend, die Gegenstände selbst wahrzunehmen, wie Käfer und Gradflügler. Um dem Einwand zu begegnen, dass die bei diesen Versuchen im Labyrinth angewendete einseitige Beleuchtung zu falschen Resul- taten führen könnte, hat Plateau gleichartige Versuche (mit neuen Exemplaren) in seinem Garten angestellt, der, durch eine niedrige Mauer eingefriedigt und von weiten Wiesenflächen umgeben, dem Licht ungehindert Zutritt gewährte. Die Tiere benahmen sich genau ebenso wie im Zimmer, nur zeigten die Hymenopteren und Dipteren die eigen- tümliche Erscheinung, dass sie die Hindernisse, an welche sie an- stießen, nicht mehr umgingen, sondern überkletterten, ja, dass sie an einem 2 Meter hohen Stab, den man ihnen in den Weg stellte, in die Höhe stiegen, während sie ihm mit leichter Mühe hätten ausweichen können. Dies rätselhafte Streben nach oben hatte Plateau schon früher in viel auffälligerer Form bei gänzlich geblendeten Insekten beobachtet, ohne indess eine ausreichende Erklärung geben zu können ?). Eine solche ist auch für unsern Gegenstand gleichgiltig; die oben- erwähnte Erscheinung vermag nichts an dem allgemeinen Ergebnis zu ändern, welches wir nunmehr aussprechen dürfen. Die sämtlichen untersuchten Arten (32 an der Zahl), mochten sie lichtliebend oder liehtscheu sein, zeigten sowohl im Zimmer als im Freien die Fähigkeit, die Helligkeit des Tages und die Dunkelheit des Zimmerhintergrundes (in besondern Fällen auch der von Objekten geworfenen Schatten) von einander zu unterscheiden, dagegen die absolute Unfähigkeit, die Grenzen eines Körpers, also auch dessen Gestalt zu erkennen. Es muss aber besonders hervorgehoben werden, dass es sich bei den bisher angegebenen Versuchen immer um ruhende Objekte handelt. Wesentlich anders gestalten sich die Verhältnisse, wenn den Insekten bewegte Gegenstände zur Wahrnehmung dargeboten werden. So wird eine auf einer Mauer sitzende Fliege augenblick- lich aufgescheucht, wenn nur der Schatten eines Stockes oder Armes auf sie fällt. Eine Lidelle erhebt sich sofort von ihrem Platz, wenn man sich ihr mit einem Fangnetz nähert, und entkommt regelmäßig, wenn man sie verfolgt; sie ist dagegen sehr leicht zu fangen, wenn man das Netz an derselben Stelle ruhig hält, an welcher sie zuerst gesessen hat: sie kommt nämlich bald zurück und setzt sich dann auf dasselbe Netz, vor dem sie vorher geflohen ist. Es zeigen derartige Beobachtungen, welche Vorsichtsmaßregeln man ergreifen muss, wenn man feststellen will, in welcher Weise Insekten unter natürlichen Verhältnissen die Wahrnehmung von Ob- jekten gelingt. 1) Calliphora vomitoria, Lueilia caesar, Sarcophaga carnaria, Syrphus pyrastri, Eristalis tenax. 2) Biol. Centralblatt, VIII, S. 279. Weber, Rotatorien aus der Umgegend von Genf. ao) Eine andere Schwierigkeit zeigt sich darin, dass die Insekten bekanntlich einen ganz ausgezeichneten Geruchssinn in ihren Fühlern besitzen. Es kann keinen Zweifel unterliegen, dass derselbe ihnen bei ihrem Leben im Freien sehr wesentliche Dienste zur Auffindung von Objekten leistet (man denke nur an die Totengräber!) und dass deswegen Versuche, bei denen ihnen Steine, Pflanzen u. dergl. zur Wahrnehmung vorgelegt werden, über die Thätigkeit der Augen sichere Schlüsse nicht gestatten können. Es ist darum als ein be- sonderer Vorzug der von Plateau angestellten Experimente zu be- zeichnen, dass bei den im Labyrinth verwendeten Objekten jede andere Wahrnehmung als diejenige der Gestalt oder Farbe ausge- schlossen ist. Unter Berücksichtigung der angegebenen Schwierigkeiten hat Plateau nunmehr auch Insekten unter natürlichen Verhältnissen beobachtet und dabei seine eignen Schlüsse ebenso wie frühere Be- obachtungen von Fabre (1879 und 1882), Lubbock (1882), Forel (1886) u. a. über das Leben der Insekten im Freien bestätigt ge- füunden, welche sämtlich auf ein mangelhaftes Sehvermögen dieser Tiere hinweisen. So fliegen Bienen und Hummeln vielfältig nach nieht aufgeblühten Blumenkronen, selbst nach ganzen Gruppen der- selben; Fliegen und Wespen vermögen nicht in ein Zimmer zu ge- langen, wenn vor den Fenstern desselben Fäden im Abstande von 25 Millimeter kreuzweise ausgespannt werden, während aufgescheuchte Sperlinge mit großer Sicherheit dureh ein Drahtgitter hindurchfliegen können, dessen Maschen 10 em in der Länge und 7 cm in der Breite messen, also verhältnismäßig sehr eng sind; Schmetterlinge lassen sich durch die weißen Blütenhüllen der Calla und durch künstliche, in hellen Farben leuchtende Blumen, Bienen durch Pelargonien-Beete anlocken, trotzdem dieselben ihnen keine Nahrung bieten, und der- gleichen mehr. In einem fünften und letzten Teile wird Plateau demnächst seine Beobachtungen über die Fähigkeit der Insekten bewegte Gegen- stände wahrzunehmen, veröffentlichen. E. F. Weber, Notes sur quelques Rotateurs des Environs de Geneve. Extrait des Archives de Biologie. Liege 1888. Mit 11 lithogr. Tafeln. Der Verfasser erstattet in dieser Abhandlung Bericht über Beob- achtungen, welche er in den Sommermonaten 1886 und 1887 an Rotatorien - Material aus der Umgebung von Genf gemacht hat. Es sind im ganzen 12 Species, welche zu eingehenderer Untersuchung gelangten. Hier ist die Liste derselben; 4 davon sind neu: Floseularia campanulata Dobie, Limnias annulatus Bailey, L. granulosusn. sp., Oecistes socialisn.sp., Microcodon elavus Ehrb., Rotifer trisecatus n.Sp., R. elongatus n. sp., Hydatina senta Ehrb., Diglena catellina Ehrb,., 734 Weber, Rotatorien aus der Umgegend von Genf. Brachionus urceolaris Ehrb., BD. amphiceros Ehrb. var., Anuraea brevi- spina Ehrb. var. Die Beschreibung der einzelnen Arten erstreckt sich bis S. 60 und wird durch vorzügliche Abbildungen unterstützt, welche mit Hilfe der Camera lucida bei ansehnlicher Vergrößerung hergestellt sind. An guten Zeichnungen von Rädertieren herrscht bekanntlich kein Ueber- fluss, und es mag daher ausdrücklich erwähnt werden, dass sich die Weber’schen Tafeln den treffliehen Abbildungen, welche Eckstein und Plate ihren bekannten Arbeiten beigegeben haben, ebenbürtig anschließen. In den Lehrbüchern sind erst neuerdings die völlig un- zulänglichen Holzschnitte von Rotatorien ausgemerzt worden. Bis vor kurzem war es nicht möglich, auch nur in einem einzigen Werke über allgemeine Zoologie andere bildliche Darstellungen von Rädertieren zu finden, als sie noch jetzt in dem Heß’schen Leitfaden zur Anlage von Süßwasser- Aquarien (1886) anzutreffen sind!). Diese Kalamität ist durch die guten Beobachtungen neuerer Untersucher endlich be- seitigt worden. In einem generellen Teile (S. 61—73) bespricht Dr. E.F. Weber seine zum Teil völlig neuen Ergebnisse hinsichtlich der Beschaffenheit des Wimperorgans der Rädertiere, seine Wahrnehmungen über den Bau der „flammes vibratiles“ an den Exkretionsgefäßen, ferner das Nervensystem und die Sinnesorgane, den „Fuß“ der Rotatorien und schließlich die Organisation der Männchen. Auch über die Fundorte werden einige beachtenswerte Winke mitgeteilt. Ich kann aus eigner Erfahrung nur beistimmen, wenn Weber solche Teiche, welche eine reiche Algenvegetation besitzen, als besonders günstige Fundstätten bezeichnet. Ebenso kann ich bestätigen, dass der Frühling die besten Chaneen zum Auffinden neuer Arten darbietet. Während der heißen Sommermonate nimmt die Artenzahl in den meisten Gewässern allmählich ab, so dass im Herbst nur noch die allergewöhnlichsten Species zu finden sind, die auch den Winter über ausdauern. Die Umgebung von Genf scheint ziemlich reich an Rotatorien zu sein, denn während einer einzigen Saison konnten dort 150 Arten konsta- tiert werden. 40 Speeies sammelte Dr. Weber in den Bassins des Genfer botanischen Gartens. Was die vertikale Verbreitung der Rotatorien anlangt, so berichtet der Verfasser, dass er einzelne Arten noch in 2700 Meter Höhe auf seinen Alpentouren angetroffen habe. Darüber hinaus aber seien keine Rädertiere mehr von ihm aufgefunden worden. Ob Dr. Weber hinsichtlich dieses letztern Punktes recht hat, wage ich zu bezweifeln, da sieh ans Imhof’s Untersuchungen eine fast unbegrenzte vertikale Verbreitung der Rädertiere zu ergeben scheint. Inbezug auf die Wimperfackeln (flammes vibratiles) der Ex- kretionsgefäße ist Weber zu dem Resultat gekommen, dass dieselben 1) Vergl. S. 238 dieser Publikation mit den Holzschnitten von Floseularia und Kotifer. Weber, Rotatorien aus der Umgegend von Genf. 135 bei allen von ihm untersuchten Rotatorien die gleiche Gestalt besitzen. Sie nehmen sich aber, je nachdem sie dem Beobachter ihre breite oder schmale Seite zukehren, erheblich verschieden aus. Von der Fläche gesehen, stellt jedes derselben einen abgeplatteten Trichter dar; von der Seite betrachtet hingegen, haben sie eine schlanke zylindrische Form. Oben ist der Trichter vollständig offen und zeigt einen engen Spalt, welcher mit einem eilientragenden Wulst umsäumt ist. An jedem Ende des Spaltes befindet sich eine kleme Erhöhung, die eine lange in den Trichter herabragende Cilie trägt, so dass also die Wimperbewegung durch zwei derartige Gebilde hervorgebracht wird, deren Bewegungsriehtung nach innen geht. Dies stimmt mit Leydig’s frühern Wahrnehmungen überein, während ich selbst bei Rotifer vulgaris eine nach außen schlagende Cilie zu sehen glaubte. Bei Brachionus hingegen salı ich deutlich, dass die Wimper nach innen schlug. Unter Anwendung der neuen Zeiß’schen Linsensysteme (Apochromate) dürfte sich die Frage, ob wirklich die sogenannten „Zitterorgane“ bei allen Rotatoriengattungen gleich gebaut sind, un- schwer beantworten lassen. Aus dem 6. Kapitel, welches über die Rädertiermännchen handelt, greife ich die Bemerkung Dr. Weber’s heraus, dass bei diesen die kontraktile Blase fehlen und die Exkretionsgefäße eine reduzierte Entwicklung zeigen sollen. Ich kann diese Ansicht nicht teilen (wenigstens in dieser allgemeinen Fassung nicht), weil das Männchen von Asplanchna helvetica — welches mir in vielen Exem- plaren vorgelegen hat — nicht nur eine funktionsfähige Blase, sondern auch ein Exkretionsorgan besitzt, welches nicht minder entwickelt ist, als bei den weiblichen Formen derselben Species. Ich verweise in diesem Bezug auf die Abbildung des £ von A. helvetica Imhof, welche ich einer 1837 erschienenen Abhandlung beigegeben habe, deren Titel lautet: „Faunistische Studien in Westpreußischen Seen“ }). Ob sich die Männchen anderer Asplanchnäen ähnlich verhalten, ver- mag ich nicht zu sagen. Ich kenne aus eigner Anschauung bloß das- jenige von A. helvetica, welches ich an Ort und Stelle (bei Espen- krug i. W.) eingehend beobachtet und gezeichnet habe. Es war dies um so angezeigter, als das Männchen der genannten Species bisher nicht bloß unbeschrieben, sondern auch unbekannt war. Ich entdeckte es Ende Juli 1886. Am Schlusse seiner Arbeit (welche dem Prof. Carl Vogt ge- widmet ist) gibt Dr. Weber einige Mittel an, mit denen man allzu lebhafte Rotatorienformen beruhigen und auf diese Weise zur Beob- achtung geschickter machen könne. Am besten von allen Anästhetieis bewährte sich salzsaures Cocain (chlorhydrate de cocaine), welches in wässeriger Lösung (1:50) zur Verwendung gelangte. Strychnin und Kurare wirken zu heftig und kontrahieren die Rotatorien allzu 756 Zacharias, Bythotreptes longimanus bei Berlin. sehr. Um die Kauzangen zu studieren, hellte Weber die betreffen- den Exemplare mit verdünnter Essigsäure auf und erreichte so seinen Zweck aufs vollkommenste. Eine schwache Lösung von Aetzkali erwies sich für die Präparation des Pharynx als das geeignetste Reagens. Dr. Otto Zacharias in Hirschberg 1./Schl. Ueber das Vorkommen von Dbythotreptes longimanus bei Berlin. Nach einer Mitteilung, welche Dr. W. Weltner unlängst in der „Gesellschaft naturforschender Freunde“ (Berlin) gemacht hat, kommt die genannte interessante Cladocere im Werbellin-See (Kr. Oberbarnim) vor, und dient dort den kleinen Maränen zur Nahrung. Weltner fand den Magen dieser Fische mit BDytho- treptes-Individuen vollgestopft. — Im demselben Wasserbecken (3500 Morgen groß) konstatierte Weltner in einer Tiefe von 30 Fuß auch die Anwesenheit von Dendrocoelum punctatum Pallas, von dem man neuerdings weiß, dass es sogar in der Spree (oberhalb Berlins) lebt. Dr. Arth. Krause fand es dort in einer schwarzen Abart. 0.Z Der achte Kongress für innere Medizin findet vom 15. bis 18. April 1889 zu Wiesbaden statt. Das Präsidium des- selben übernimmt Herr v. Liebermeister(Tübingen). — Herr Schultze (Bonn) wird eine Gedächtnisrede auf Prof. Kühle halten. Folgende Themata sollen zur Verhandlung kommen. Montag den 15. April: Der Ileus und seine Behand- lung. Referenten: Herr Curschmann und Herr Leichtenstern. — Mittwoch den 17. April: Die Natur und Behandlung der Gicht. Referenten: Herr Eb- stein und Herr Emil Pfeiffer. Folgende Vorträge sind angemeldet: Herr Immermann (Basel): Ueber die Funktionen des Magens bei Phthisis tubereu- losa. — Herr Petersen (Kopenhagen): Ueber die Hippokratische Heilmethode. — Herr Fürbringer (Berlin): Ueber Impotentia virilis. -— Herr L. Lewin (Berlin): Ueber Arzneibereitung und Arzneiwirkung. Manchester Museum. Owen's College. The Trustees of the Museum are prepared to appoint a Keeper of the Museum at a stipend of £ 250 per annum. He will have charge under the control of a Committee of the collections of Natural History, ineluding the colleetions of Zoology, Botany, Geology and Mineralogy. A full statement of the details of the duties of the Office may be obtained on applieation to the Registrar. Applications with testimonials must be forwarded under cover to the Registrar on or before February, 28", Henry Wm. Holder, M. D. Registrar. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. VIIL. Band. 15. Februar 1889. Nr. 24. Inhalt: Migula, Ueber den Einfluss stark verdünnter Säurelösungen auf Algenzellen, — Kronfeld, Neuere Beiträge zur Biologie der Pflanzen. — Ludwig, Ueber ein abweichendes Verhalten einer in Europa gezogenen Urena lobata bezüglich der Ausbildung der Ameisen-Nektarien. — Graber, Ueber die Empfindlichkeit einiger Meertiere gegen Riechstoffe. — M. Kendrick, Die Blutgase. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Gesellschaft naturforschen- der Freunde zu Berlin. — Dorpater Naturforscher - Gesellschaft. Dr. W. Migula, Ueber den Einfluss stark verdünnter Säure- lösungen auf Algenzellen. Breslau 1838. Mit 2 kolorierten Tafeln. Algen, die im Zimmer kultiviert werden, zeigen nach wenigen Wochen ein verändertes Aussehen, obgleich sie sonst gesund und lebensfähig bleiben. Diese Veränderungen sind die Wirkungen sich abweichend gestaltender Lebensbedingungen und bestehen vorzugs- weise in einer Beeinflussung der wachsenden Zellen hinsichtlich der Größe, Färbungsintensität und Menge gewisser Inhaltsstoffe. Die Ursache dieser Aenderungen liegt in der Mitbewerbung anderer Or- ganismen um die vorhandenen Nährstoffe, in der Beleuchtung und der mehr gleichbleibenden Temperatur, die im freien einem schroffern Wechsel unterworfen ist. Hierdurch werden bei jeder Algenkultur gewisse, wenn auch nur geringe Veränderungen an den Zellen herbei- geführt, welche nicht in der Absicht des Beobachters liegen. 3ei den Versuchen, über welche Migula in obiger Schrift (Doktordissertation der Universität Breslau) referiert, handelt es sich nun im Gegenteil um die Kontrole beabsichtigter Veränderungen, welche durch Säurezusätze zum Wasser herbeigeführt wurden, und es ist von großem Interesse, sich von dem Ergebnis solcher Experimente zu unterrichten, weil uns dieselben ein Urteil darüber gestatten, in welcher Weise eventuell diese oder jene Konservierungs- methode verändernd auf den Algenorganismus einwirkt. Migula arbeitete über sein Thema ein Jahr lang im pflanzenphysiologischen VII, 47 38 Migula, Einfluss verdünnter Säurelösungen auf Algenzellen. Institute der Universität Breslau. Das Material, an welchem die Ver- suche ausgeführt wurden, war hauptsächlich Spirogyra orbieularis Kg. Diese Alge eignet sich darum am besten für den vorliegenden Zweck, weil sie stets in größerer Menge zu beschaffen ist und eine große Dicke (70—100 u) besitzt. Von Säuren kam in erster Linie Phos- phorsäure zur Verwendung, weil sich gleich zu Beginn der Unter- suchung herausgestellt hatte, dass bei ihrer Einwirkung die Empfind- lichkeit der Zellen gegen die verschiedenen Konzentrationsgrade am deutlichsten zu erkennen war. Zu allen Versuchen wurde Breslauer Leitungswasser benützt. Auch wurden stets Kontrol-Kulturen ohne Säurezusatz gemacht, um zu erfahren, welche Veränderungen auf bloßen Beleuchtungswechsel und auf verminderte Temperaturschwan- kungen zurückzuführen seien. Aus den Ergebnissen sei folgendes hervorgehoben. Alle Säuren erwiesen sich als Gifte, besonders rasch wirkten aber Mineralsäuren. Je nach der Menge des Zusatzes werden die verschiedenen Funktionen der Zellen eingestellt. Die Empfindlichkeit der verschiedenen Algen- species ist aber eine sehr verschiedene. Vo/vox globator wird schon nach einigen Stunden durch eine 0,002prozentige Lösung von Phos- phorsäure getötet, während Spirogyra orbicularis sich viele Wochen darin erhalten lässt. Dieser Unterschied mag daher rühren, dass im Zellsaft mancher Algenspecies verschieden große Mengen von Salzen gelöst sind, welche die Säure binden und so ihre giftige Wirkung neutralisieren. Von ganz besonderem Interesse ist die Einwirkung der Säuren auf den Prozess der Zellteilung und des Zellwachstums. Aus einer von Migula (S. 16) mitgeteilten Tabelle, welche Versuche umfasst, die sich vom 19. bis zum 26. August 1888 erstrecken, geht die be- merkenswerte Thatsache hervor: dass Zellteilung und Zell- wachstum bis zu einem gewissen Grade unabhängig von einander sind. Das Wachstum der Zelle dauert noch fort, wenn die Zellteilung durch die Wirkung der Säure bereits gehemmt ist, hört aber ebenfalls auf, wenn die Zellen eine 3—4fache Größe als im nor- malen Zustande erreicht haben. Es ergab sich in der Folge sogar, dass der Säuregehalt der Kulturflüssigkeit einen fördernden Einfluss auf das Wachstum der Zelle ausübt, aber es geschieht dies in der Weise, dass nur das Längenwachstum (nicht auch das des Umfangs) gefördert wird. Die Zellteilung wird durch Säurebeimischung entschieden gehemmt; doch wird sie in den ersten Tagen der Kultur nicht völlig unterdrückt. Die Versuche, welche zur Feststellung dieser Ver- hältnisse angestellt wurden, ergaben keine übereinstimmenden Re- sultate. Am 1. und 2. Tage zeigen die Zellen noch zuweilen in relativ starken Säurelösungen Teilung, an den folgenden aber immer seltner. Werden die Algenfäden jedoch aus der Lösung wieder in Kronfeld, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. 139 frisches Wasser versetzt, so erfolgt sehr bald lebhafte Zellteilung, welehe so lange anhält, bis die Zellen wieder ihre normale Größe erhalten haben, worauf die Teilungen in gewöhnlicher Weise erfolgen. Im III. Kapitel erörtert Dr. Migula die Einwirkung der Säuren auf Chlorophyll und Assimilation. Im allgemeinen lässt sich nach den vorgenommenen Versuchen behaupten, dass jede Säure- lösung hemmend auf die Assimilation einwirkt, so dass letztere bei genügender Konzentration ganz aufhört. Die Chlorophylikörper der Algen verblassen bei Säurezusatz, die spiraligen Bänder von Spiro- gyren nehmen eine unregelmäßige Gestalt an und strecken sich schließ- lich sogar so, dass sie der Längsaxe des Fadens parallel werden. Auch die Stärke schwindet bei Säurezusatz allmählich und es bleiben nur geringe Reste zurück. Waren bei Säurezusatz Caleiumsalze vor- handen, so gehen die Algen viel eher zu grunde als in Wasser ohne Kalksalze oder in Säurelösungen mit Kalksalzen. Während die or- ganischen Säuren in fast allen Fällen dieselben Erscheinungen an den Pflanzenzellen hervorrufen wie die Mineralsäuren, zeigen sie doch in einem Punkte ein völlig abweichendes Verhalten. Die Mineral- säuren bewirken nämlich weder eine Vermehrung noch eine Vermin- derung des Kalkoxalats, die organischen Säuren — mit Ausnahme der Karbol- und Essigsäure — rufen dagegen in der Zelle meist eine sehr beträchtliche Anhäufung von Kalkoxalat hervor. 0. 2. Neuere Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Besprochen von Dr. M. Kronfeld in Wien. V. Ueber die Anzahl der Samen am Kolben von Typha. Sieht man zu, wie die weibliche Infloreszeuz von Zypha angusti- folia oder T. latifolia zum Fruchtstande anschwillt und dieser in Tausende von kleinen betiederten Früchtehen zerfällt, so wird man sich gewiss auch die Frage stellen: welches ist die Zahl der von einem Typha-Kolben produzierten Früchtchen, beziehungsweise Samen ? Diese Frage versuchte schon Schnizlein!) zu beantworten. Er findet, dass ein Blütenkolben der Typha angustifolia von 4 Zoll Länge annähernd 100000 Blüten hervorbringe. Hievon bringt er selbst die Hälfte in Abreehnung, weil dieselbe sich aus unfruchtbaren Blüten zusammensetzt. Demnach würde der Typha-Kolben 50 000 Früchtchen den Winden preisgeben. Allein selbst von dieser Zahl müssen wir noch 2— 3000 in Abrechnung bringen, weil im Blütenstande neben den schon von Schnizlein erkannten urfruchtbaren Blüten von be- sonderer Form noch Blüten vorkommen, die äußerlich den frucht- baren Blüten gleichen, dennoch aber keinen Samen erzeugen. 4) Typhaceen. 1845. 8.9. 47* 740 Kronfeld, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Unabhängig von Schnizlein sucht neuestens Morong!) die Anzahl der von einem 5 Zoll langen Kolben der Typha angustifolia erzeugten Früchtehen zu bestimmen. Er berechnet dieselbe auf 60600. Nach meinen Erfahrungen ist das Keimprozent von Typha ein hohes und macht volle 100°, aus. Von den Millionen Früchtchen, welche ein mit Rohrkolben bestandener Weiher erzeugt, vermag jedes zu einer Typha-Pflanze zu werden. Dabei ist das Früchtehen — wie ich nächstens ausführlich zeigen werde — zur Verbreitung durch be- wegtes Wasser oder Luftströmungen gleich trefflich eingerichtet. Dieser Umstand macht die Typha-Arten zu Ubiquisten. IV. Ueber die Verteilung der Geschlechter bei der Rebe. Als Gmelin erkannt hatte, dass die wilde Rebe des Rheinthales neben zwitterblütigen Individuen eingeschlechtige und zwar männliche aufweise, war Vitis aus Linne’s 5. Klasse zu entfernen und unter die Polygamia zu stellen. Mit fortschreitender Erkenntnis zeigte es sich, dass die biologischen Verhältnisse dieser Klasse oft recht ver- wickelte sind. Ich erinnere nur an jene Resultate, welche Wittrock?) beim Studium der Gattung Acer gewann. Einen fernern wichtigen Beitrag zur Biologie der polygamen Ge- wächse hat E. Räthay in seinem, letzten Sommer erschienenen Buche: Die Geschlechtsverhältnisse der Reben und ihre Bedeutung für den Weinbau?), geliefert. Nach Räthay kommen bei den Vitis-Arten dreierlei Blüten, näm- lich männliche (5), weibliche (2) und zwitterige (3) vor. Die %-Blüten bestehen aus fünf langen, graden Pollenblättern mit befruchtungsfähigen Pollen und einem unfruchtbaren Gynaeceum. Die Pollenkörner dieser Blüten sind im trocknen Zustande tonnen- förmig. In Wasser werden sie kugelförmig und lassen an der Ober- fläche drei leistenförmige Zellhautverdiekungen wahrnehmen. Nach 6—9 Minuten treiben die Pollenkörner in Wasser oder Rohrzucker- lösung Pollenschläuche. Die 2-Blüten setzen sich aus einem wohlentwickelten Gynaeceum und fünf kurzen nach abwärts gekrümmten Pollenblättern zusammen. Der Pollen zeigt unter dem Mikroskope keinerlei Skulptur. Er ent- ratet des Vermögens Pollenschläuche zu treiben. Die %-Blüten weisen die Pollenblätter der £ und die Gynaeceen der 2-Blüten auf. 1) Studies in the Typhaceae. Bullet. of the Torrey Botan. Club. 1888. p. 4. 2) Ueber die Geschlechtsverteilung bei Acer platanoides ete. Botanisches Centralblatt, 1886, Nr. 2. 3) Mit 2 lithographischen Tafeln und 18 Holzschnitten. Wien 1888. Kronfeld, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. T4l Gemäß dem Vorkommen der drei Blütenformen lassen sich viererlei Individuen von Vitis unterscheiden ; 1. männliche, 2. weibliche, 3. zwit- terige, 4. polygamische, d. s. d und 2 Blüten tragende Individuen. Nebenstehendes Schema mag die- selben vergegenwärtigen. Die kulti- 1 9 3 vierten Rebsorten sind je nach der Sorte entweder durchaus weibliche oder zwitterige. Unbewusst hat der Weinbauer das Richtige getroffen, indem er nur fruchtbare Säm- linge durch Stecklinge vermehrt. Die weiblichen Individuen von Vitis sind selbstredend auf Xeno- gamie angewiesen. Und zwar ist nach Räthay Vitis ein anemophiles Genus. Dies folgert aus der unansehnlichen Blütenhülle, dem stäuben- den trockenen Pollen und dem Mangel eines Nektariums. Wenigstens beobachtete Räthay an dem Discus der Vitis-Blüte niemals Nektar- Sekretion. Eigens angestellte Experimente bewiesen die Windblütig- keit der Rebe. Am 13. September wurden in einiger Entfernung von den Blütenständen männlicher Individuen von Vitis riparia!) mit Glyzerin bestrichene Objektgläser, unterhalb der Windriehtung in geeigneter Weise angebracht. Nach 5 Stunden waren an die Gläser thatsächlich Pollenkörner von Vitis riparia angeweht; auf je 16 mm kam im Durchschnitt ein Pollenkorn. Wenn die Belegung der 2 -Blüten nicht erfolgt, sei es, dass Regen die günstige Verstäubung unmöglich macht, sei es, dass zwitterige (oder bei den wilden und amerikanischen Reben männliche) Stöcke in der Nähe fehlen, so tritt die vom Weinbauer seit lange gefürchtete Erscheinung des „Abröhrens“ oder „Ausreißens“ ein. Die Frucht- knoten trocknen ein und fallen ab, ohne Beeren zu erzeugen. Ferner zeigt Räthay, dass die vom Weinbauer für „empfindlich in der Blüte“ oder „ausreißend“ erklärten Sorten weiblich, dagegen die zwitterigen (autogamischen) Sorten „beständig“ oder „dauerhaft“ sind. Er empfiehlt mit Recht die Angabe, ob die Blüten % oder 2 sind, als wichtigsten Einteilungsgrund für ein neues ampelographisches System. Um die weiblichen Sorten vor dem „Ausreißen“ zu schützen, müssen dieselben abwechselnd mit Reihen zwitteriger Stöcke gepflanzt werden, so der „Sarfeher“ mit „Juhfarke“ oder „Lämmerschwanz“ Neue heben gehen aus den Samen weiblicher Stöcke hervor, weil dieselben mit dem Pollen anderer Sorten belegt werden müssen: es entstehen notwendig Sortenbastarde. Allein auch die Knospen- variation ist für die Entstehung neuer Reben von Belang. So trägt 4) Eine nordamerikanische Rebe. 142 Ludwig, Ameisen-Nektarien bei Urena lobata. im Klosterneuburger Versuchsgarten ein „Ruländer“ an gewissen Lot- ten „Ruländer“, an andern wieder weiße Burgundertrauben. Räthay’s Ausführungen gestatten, die zahllosen nunmehr vor- handenen Rebsorten auf einige ursprüngliche Arten zurückzuführen. Die Arbeit, von der wir nur einige Hauptpunkte herausgreifen konnten, ist gleich interessant für den Theoretiker wie für den Praktiker. Ueber ein abweichendes Verhalten einer in Europa gezogenen Urena lobata bezüglich der Ausbildung der Ameisen-Nektarien. Von Prof. Dr. F. Ludwig. Im Dezember 1887 sandte mir Fritz Müller frische Samen der Urena lobata aus Blumenau in Brasilien, die ich sofort nach ihrer Ankunft im Gewächshaus zur Aussaat brachte. Fritz Müller hatte mir von 7nervigen Blättern geschrieben, deren stärkstes an der Basis ein Ameisen-Nektarium trüge; ein Exemplar, welches allein von mir zur weitern Entwicklung gebracht wurde und noch gegenwärtig in meinem Besitz ist, erzeugte erst im Gewächshaus, dann in den wär- mern Tagen des Juli und August im freien zahlreiche Blätter, die aber fast ausnahmslos 9nervig waren und auf der Rückseite mit großer Regelmäßigkeit 3 Nektarien erzeugten, auf dem Mittelnerv (an der Basis) ein größeres und auf den beiden stärksten Seiten- nerven etwas kleinere, welche stets üppig den klaren Honigsaft aus- schieden. (In meinem Zimmer wurde derselbe emsig von der Stuben- fliege, im freien von Ameisen aufgesucht). Delpino bezeichnet die chinesische Urena lobata (Funzione mirmecofila nel regno vegetale I. p. 18) nach De Candolle „foliis 7nerviis uniglandulosis“. Auf meine Veranlassung hin durehsuchte Fritz Müller nochmals die Exemplare seines Gartens, aus dem die Samen stammen. Er schreibt darüber folgendes. „Ich habe eben mit meinem Enkel die Pflanzen meines Gartens durchsucht und wir haben überall nur eine Drüse und 7 Nerven finden können. Bei einem strauchigen gelbblühenden Hibiscus unserer Küste wechselt die Zahl der Drüsen, die dieselbe Lage haben wie bei Urena, zwischen 1 und 3. — Vor Jahren habe ich mir einmal auf der Insel Saö Franeisco eine Anzahl Sträucher darauf angesehen. Nicht selten fanden sich beide Zahlen an dem- selben Strauch; in andern Fällen waren auf weite Strecken nur Sträucher mit l1drüsigen, auf andern nur solche mit 3drüsigen Blättern zu finden. An der Urena, die wir eben untersuchten, war auch nicht eine Drüse, mit Ausnahme einiger ganz alten Blätter, ohne Oremo- gaster. — Die Zahl der Drüsen ist übrigens auch an den Blättern vieler anderer Pflanzen (Citharexylon, Xanthoxylum, Alchornea Iri- cura ete, sehr veränderlich).“ — Von den 21 Urena-Arten, welche Graber, Empfindlichkeit einiger Meertiere gegen Riechstoffe. 145 Delpino nach De Gandolle (Prodr. syst. nat. I. p. 441) aufführt, sind nur die 4 Arten U. scabriuscula und U. repanda (Indien), U. Lap- pago (Amboina) und U. multifida (Maskarenen) mit 1—3 Nektarien versehen, 8 Arten besitzen je 1 Nektarium, eine Art U. sinuata (In- dien) 3 Nektarien und den übrigen Arten fehlen die Nektarien. Wir begnügen uns hier damit, auf das merkwürdige Verhalten des Gewächshausexemplares aufmerksam gemacht zu haben, ohne die Frage zu entscheiden, ob die günstigen Ernährungsverhältnisse die Vermehrung der Nektarien (mit der der Nerven) herbeigeführt haben (die dann später freilich in der gleichen Zahl unter denkbar ungünstigsten Verhältnissen ausgebildet wurden), oder ob die in ungewohnte Ver- hältnisse versetzte Urena, durch diese Abänderung des Wohnortes zur Variation veranlasst, die zur Erhaltung der Art in der Heimat unentbehrlichen Scehutzmittel in gesteigertem Maße zur Ausbildung brachte. — Ueber eine eigentümliche, anscheinend durch Migration bedingte Abänderung in der Zahl der Blütenteile einer sonst in dieser Beziehung sehr konstanten Pflanze, der HAypoxis decumbens, habe ich an anderem Orte berichtet. Ueber die Empfindlichkeit einiger Meertiere gegen Riech- stoffe. Von Prof. Veit Graber in Üzernowitz. Obwohl ich seit längerer Zeit ausschließlich mit embryologischen Untersuchungen beschäftigt bin, so konnte ich es gleichwohl anlässlich meines Anfenthaltes an der zoologischen Station in Neapel nieht unterlassen, meine frühern in diesem Blatt niedergelegten ver- gleichenden Studien über die Wirkung gewisser Riechstoffe auf ver- schiedene Tiere') einigermaßen zu ergänzen. Freilich wird man ein- wenden, dass man mittels der von mir befolgten einfachen Methode d. i. dureh Annäherung des an einem zugespitzten Glasstäbchen be- findlichen Riechstoffes an verschiedene Teile des zu prüfenden Tieres kaum dazu gelangen wird — und dies am wenigsten an Wasser- tieren — die Frage zu beantworten, ob die untersuchten Wesen ein besonderes Riechorgan besitzen respektive ob die vorgehaltenen Stoffe wirkliche Riechempfindungen verursachen; es scheint mir aber, wie bereits in der zitierten Arbeit betont wurde, auch das eine sehr wesent- liche Forderung biologischer Forschung zu sein, festzustellen (l.e. V. Bd. S.385), „auf welche Reize sich die Perzeptions- und Reaktionsfähigkeit überhaupt erstreckt, und .. an welchen Stellen ein bestimmter Reiz den Tierkörper zu influenzieren vermag“. Uebrigens können derartige Studien ja doch wohl auch dem Morphologen zugute kommen; denn der durch das Experiment ge- 1» V-Band, Nr. 13 u. 15, 1885 und ‘VII. Ba.,, Nr, 1, 1887. 744 Graber, Empfindlichkeit einiger Meertiere gegen Riechstoffe, lieferte Nachweis, dass zwischen den einzelnen Tieren und ihren ver- schiedenen Hautbezirken hinsichtlich der Reizbarkeit oft unerwartet große Unterschiede bestehen, müsste ja doch den Mikroskopiker an- regen, dem anatomischen Grund dieser Differenzen nachzuspüren, und er könnte so zur Entdeckung neuer oder zur bessern Deutung der bereits bekannten perzeptorischen Nervenenden leichter und sicherer den Weg finden. Anderseits muss ich aber gleich von vornherein bemerken, dass ineine Untersuchungen diesmal sehr einseitiger Natur waren. Abge- sehen nämlich von einem der applizierten Riechstoffe, der Asa foetida, der vielleieht auf manche von faulenden Substanzen sich nährende Seetiere anziehend wirken könnte, experimentierte ich fast ausschließ- lich nur mit Oleum Rosae (der feinsten Gattung, die in Neapel zu finden war) und Ol. Rorismarini, also mit Reagentien, die, wie der Leser aus den frühern Mitteilungen weiß, bei allen bisher untersuchten Süßwassertieren eine mehr oder weniger abstoßende Wirkung bezieh- ungsweise Schmerzempfindungen verursachen. Diese Einseitigkeit meiner Experimente ist aber bedingt einerseits durch die Kürze der Zeit, welche mir zu diesen Studien zur Verfügung stand, und ander- seits durch die große Zahl verschiedener Formen, die mir durch den liebenswürdigen Konservator der Station S. Lo Bianco Tag für Tag in reiehlicher Menge zugewiesen wurden, und über die ich mich, da es sich vielfach um anderwärts schwer zu erlangende Objekte han- delte, wenigstens einigermaßen orientieren wollte. Ueber das Untersuchungsverfahren ist nur wenig zu sagen. Die srößern Tiere gab ich in eine ganz flache Glasschale mit ebenem Boden, die kleinern in einen ausgeschliffenen Objektträger und zwar mit so viel Wasser, dass sie eben damit bedeckt waren. Die Riech- stoffe brachte ich dann in der schon früher angegebenen Weise d. i. an mäßig zugespitzten Glasstäbchen an sie beziehungsweise an das sie bedeckende Wasser heran, und zwar im allgemeinen bis auf 2 bis 5 mm. Wenn einer der angewandten Riechstoffe überhaupt eine sichtbare Reaktion (Zusammenziehung des gereizten Teiles oder des ganzen Leibes — beziehungsweise eine Fluchtbewegung) hervorbringt, so erfolgt diese in der Regel schon wenigstens nach 30 Sekunden; länger als eine Minute ließ ich den Riechstoff im allgemeinen schon deshalb nicht einwirken, weil inzwischen Bewegungserscheinungen des Tieres sich zeigen können, die nicht als Reaktion auf den ge- setzten Reiz zu betrachten sind. Urtiere. Von diesen untersuchte ich bloß die meist erbsengroßen mehr oder weniger kugelförmigen Kolonien von Collosphaera Husxleyi J. Müll. und Collozoum inerme E. H., welche sehr häufig im Auf- trieb vorkommen und vielfach zum Wasserspiegel emporsteigen. Graber, Empfindlichkeit einiger Meertiere gegen Riechstofte. 745 Die erwähnten Stoffe (Rosen und Rosmarinöl sowie Asa foetida) bringen auch nach minutenlanger Einwirkung keine Reaktion hervor, und dasselbe gilt auch von Ammoniak, das sonst als ein sehr energi- sches Repulsivmittel bekannt ist. — Selbstverständlich darf man aber daraus nicht ohne weiteres schließen, dass alle Urtiere so unempfind- lich sind, sondern ich möchte vielmehr die Herren Fachgenossen zu weitern Untersuchungen aufmuntern. Leicht ausführbar und interessant wäre u. a. die Prüfung des ausgespannten Pseudopodiennetzes einer größern Foraminifere und der oft umfangreichen Koionien gewisser Glockentierchen. Cölenteraten. Saumquallen. Unter den freibeweglichen Cölenteraten scheinen die Saumquallen hinsichtlich der Empfindlichkeit gegen die ange- wandten Riechstoffe die niederste Stufe einzunehmen. Es gilt dies speziell von den ganz kleinen Formen, wie z. B. von Obelia genicu- lata L., die nicht einmal gegen Ammoniak deutlich reagiert. Etwas empfindlicher ist u. a. die schöne Olindias Müllerii E. H., von der ich wiederholt Exemplare mit einem Schirmdurchmesser von 4—7 em prüfte. Rosenöl verursacht zwar auch bei ihnen keinerlei Kontraktion, ja nicht einmal, wenn es unmittelbar mit ihrer Haut in Berührung kommt, man bemerkt aber zuweilen eine schwache Zusammenziehung des Schirmes nach längerer Einwirkung von Rosmarinöl. Stärkere Reaktionen zeigte eine junge Carmarina hastata E. H., deren glocken- klöppelartig herabhängender Magenstiel selbst gegen Rosenöl etwas empfindlich scheint, während die Tentakeln erst nach Einwirkung von Rosmarin sich kontrahieren. Röhrenquallen. Von diesen merkwürdigen Seebewohnern unterzog ich vor allem junge, etwa 6—8 cm lange Exemplare der im Auftrieb sehr häufigen Agalma Sarsii Leuk. einer genauern Prüfung und hatte die Genugthuung Bewegungserscheinungen kennen zu lernen, die gewiss jeden Naturfreund, der sie wieder hervorruft, überraschen und entzücken werden. An diesem Wesen unterscheidet man bekannt- lich zu oberst einen kleinen birnförmigen Luftsack, der i. A. zum größten Teil aus dem Wasser hervorragt, dann zweitens die sogenannte Schwimmsäule und drittens ein langes Gehänge von Fangfäden und andern Organen, die, gleich den Schwimmglocken, von einem dünnen außerordentlich kontraktilen hohlen Stamme entspringen. Stamm und Anhänge erkennt man aber bei oberflächlicher Betrachtung nur an den zahlreichen gelbbraunen Pigmentflecken, mit denen sie geschmückt sind. In einem entsprechend hohen bis nahe an den Rand mit Wasser gefüllten Glasbecher, wo ich das Tier zuerst beobachtete, nimmt der Stamm meist eine vollständig vertikale Stellung ein und ist auch das Luftsäckchen, das bei den untersuchten Individuen etwa die Dicke eines Mohnkörnchens hatte, grade nach oben gerichtet. — Nähert man 46 Graber, Empfindlichkeit einiger Meertiere gegen Riechstoffe. nun dem aus dem Wasser hervorragenden Luftsäckehen ein in Rosenöl getauchtes Stäbchen, so zeigt sich niemals auch nur die geringste Bewegung. Hingegen reagiert das Tier in außerordentlich konstanter und in sehr eigentümlicher Weise gegen Rosmarinöl und einige andere Reizstoffe. Bringt man die Reizquelle etwa auf 2 cm nahe, so neigt sich das Luftsäckchen in der Regel und zwar meist schon nach kurzer Zeit — mitunter freilich erst nach 40 bis 60 Sekunden — zur Seite. Bei noch weiterer Annäherung — etwa bis auf 10 bis 5 mm — und wenn man die Stäbchenspitze langsam über dem Tier hin- und her- bewegt, hat man zuweilen das merkwürdige Schauspiel, dass sich der Pneumatophor abwechselnd nach rechts und links neigt, dass er also pendelt. In den meisten Fällen und fast immer, wenn der Reizstoff noch näher gebracht wird, zieht sich aber der Stamm selbst zusammen, und das Luftsäckchen kommt unter Wasser. Der Grad dieser Stamm- kontraktion beziehungsweise die dadurch bewirkte Entfernung des Pneumatophors von der Reizquelle ist aber ungemein verschieden. Bald kontrahiert sich nur der obere die Schwimmglocken tragende Teil, wobei das Säckchen oft nur um ein paar Millimeter unter Wasser kommt und die Schwimmsäule mit dem übrigen Stammteil eine S-förmige Biegung macht, bald aber zieht sich das ganze Rohr nebst seinen Anhängen zusammen, und infolge dieser starken Verkürzung wird das obere Ende mehrere Zentimeter unter den Wasserspiegel gezogen. Viel schwächer als der genannte Reizstoff, aber doch stärker als Oleum Rosae wirkt Nelkenöl, indem in der Regel erst nach mehrern Minuten ein schwaches Untertauchen zu stande kommt. Dagegen ist Agalma auffallend empfindlich gegen Asa foet. Nach 5 bis 10 Sekunden sinkt die Kolonie in die Tiefe und verharrt in ihrem Kontraktionszustand verhältnismäßig viel länger — mitunter selbst 10 und mehr Sekunden — als nach der Einwirkung der früher erwähnten Repulsivstoffe. Noch raschere und stärkere Fluchtbewegungen bringt, wie leicht zu ver- muten war, u. a. Ammoniak hervor. Da aber unsere Röhrenquallen sich viel rascher wieder erholen d. h. schneller wieder in die ursprüng- liche Ruhestellung zurückkehren als nach Einwirkung von Asa foetida, so muss man wohl annehmen, dass der Einfluss der letztern viel nach- haltiger ist. Bringt man das Tier in eine flache Glasschüssel mit wenig Wasser, so nimmt es eine vorherrschend wagrechte Stellung an und erinnert mit seinem über das Wasser emporstrebenden köpfchenartigen Pneumatophor an eine Schlange, indem es sich bald, wenn es weiter schwimmt, grade ausstreckt, bald aber wieder den untern Stammteil mehr oder weniger schraubenartig zusammenzieht. Bewegt man das in Rosmarinöl getauchte Stäbchen die ganze Kolonie entlang, so stellt sich heraus, dass die stärkste Reaktion bei der Annäherung an das Luft- säckchen eintritt, dass also das Tier an dieser Stelle am empfindlichsten ist. Durch geeignete Annäherung der Reizquelle an den Pneumatophor (Graber, Empfindlichkeit einiger Meertiere gegen Riechstofte. 147 kann man es auch mitunter dahin bringen, dass sich das Tier in der entgegengesetzten Richtung weiter bewegt. Zuweilen erfolgt dieses Ausweichen so regelmäßig, als ob Reizquelle und Tier entgegenge- setzt polarisierte Magnete wären. — Zu achten hat man speziell bei unsern Tieren darauf, dass der Reizstoff nicht unmittelbar mit dem Wasser in Berührung kommt, denn in diesem Falle erfolgen so heftige Kontraktionen, dass die ganze Kolonie zerrissen wird. Um zu ermitteln, ob Agalma auch gegen andere Reize sehr em- pfindlich sei, näherte ich dem Luftsäckehen die rotglühend gemachte Spitze des Glasstäbehens. Es erfolgte jedoch keine Reaktion, und unser Tier verhält sich somit in dieser Hinsicht u. a. ähnlich, wie der Schwanz des Triton, der, wie ich seinerzeit (l. e. V.Bd. 8.458) nach- wies, stärkern Wärmereizen nieht ausweicht. Es fragt sich hiebei aber, ob diese Tiere wirklich gegen größere lokale Temperatur- unterschiede des Körpers wenig empfindlich sind, oder ob vielleicht höhere Wärmegrade zum Teil eher anziehend als abstoßend wirken. Beim Triton dürfte indess jedenfalls ersteres der Fall sein, da er ja bekamntlich auch gegen abgekühlte Metallstäbchen nicht zu reagieren pflegt. Von andern Siphonophoren prüfte ich noch die Segelqualle Velella spirans Esch. Rosenöl bleibt auch hier völlig wirkungslos, mag man es nun oben an das Segel oder, am früher umgewendeten Tier, unten an die Scheibe applizieren. Dagegen brachte Oleum Rorismarini an einem Exemplar schon nach 7-8 Sekunden wiederholt eine ziemlich heftige Zusammenziehung des ganzen Körpers hervor. Bei andern Individuen beobachtete ich aber nur eine mäßige Kontraktion des Segelrandes. Asa foetida wirkt ähnlich, indem nach ea. 5 Sekunden Segel- und nach S Sekunden Scheibenkontraktion eintrat. Mit Agalma (und vielen andern Tieren) teilt Velella auch die Eigenschaft, dass relativ starke Wärmereize nicht abstoßend wirken. Kammquallen. Ich prüfte ganz junge (1—2 cm große) Exem- plare von Deroe ovata D. Ch. Sie erwiesen sich etwas empfindlicher als die Saumquallen, reagierten aber (durch schwache Zusammen- ziehung des ganzen Körpers) weniger regelmäßig und kräftig als die untersuchten Siphonophoren, insbesondere scheint auch auf sie Rosenöl fast wirkungslos zu bleiben. Stachelhäuter. Die im Vergleich zu den Oölenteraten sehr hohe Entwieklung des Nervensystems und der sensitiven Hautorgane findet, wie wir sehen werden, im Verhalten dieser Tiere gegen die angewandten Reize einen unzweideutigen Ausdruck. Es zeigt sich dies besonders in der kräf- tigen Reaktion gegen das Rosenöl. 7148 Graber, Empfindlichkeit einiger Meertiere gegen Riechstoffe. Haarsterne. Als Vertreter dienten ausgewachsene Exemplare von Antedon rosacea Norm., die, gleich den meisten übrigen Tieren, zunächst im ganz frischen Zustand geprüft wurden. Ich gab zu den Versuchsobjekten nur so viel Wasser, dass bloß die Enden der Arme bedeckt waren, während die Mundseite des Kelches mit den meist nach oben gekrümmten basalen Teilen der Arme frei lag. Die Annäherung von Rosenöl an den Mund hatte sehon nach 3—5 Sekunden und mitunter fast momentan außerordent- lich starke Reaktionen zur Folge. Das Tier legt sich auf die Seite, wie um: dem Reiz auszuweichen, zieht die Arme teilweise an sich und bewegt sich in dieser schiefen Lage 1 bis 3 em weit vorwärts. Dies geschah anfangs drei. mal hintereinander, während später keine Lokomotion mehr zu stande kam. Lässt man das Rosenöl auf die außerhalb des Wassers befindlichen Armteile einwirken, so machen letztere nach wenigen Sekunden konvulsivische Bewegungen. Der Umstand, dass hiebei die blättchenartigen Anhänge, die sog. Pinnulae, meist knapp an die Hauptaxe herangezogen werden, erlaubt vielleicht den Schluss, dass diese Teile ganz besonders reizbar sind. Befinden sich die Arme längere Zeit außerhalb des Wassers, so werden sie fast unempfindlich, erlangen aber die frühere Irritabilität, wenn sie wieder benetzt werden. Unter den geprüften frischen Exemplaren fand ich auch mehrere, die wohl auf Arm-, nicht aber auf Kelchreizung reagierten. Desgleichen sind nicht alle Arme eines und desselben Individuums gleich empfindlich, manche reagieren nämlich fast augen- blieklich, andere erst nach längerer Zeit und einzelne fast gar nicht. Als auffallend unempfindlich erweisen sich die sogenannten Ranken des Kelehknopfes, die nicht einmal auf Ammoniak reagieren. Asa foetida wirkt bier etwas stärker abstoßend als Rosenöl aber minder energisch wie das Oleum Rorismarini. Bemerken will ich noch, dass unsere Tiere außerhalb des Meeres, auch wenn sie in einem gut ven- tilierten Aquarium gehalten werden, sehr rasch von ihrer ursprüng- lichen Reizbarkeit verlieren. So reagierte z. B. ein Exemplar, das nur einen Tag im Aquarium war, auf Rosmarinöl kaum mehr so stark als anfangs auf Rosenöl und schien auch gegen Asa foetida gleichgiltig. Seesterne!). Ich untersuchte zunächst Echinaster sepositus Müll. u. Tr., und zwar vorerst bezüglich der Empfindlichkeit der kRückenhaut seiner Scheibe. Letztere zeigt auf orangegelbem Grunde zahlreiche in unregelmäßigen Gruppen beisammen stehende kleine kirschrote Kiemenbläschen, welche je nach dem Stadium ihrer Ent- faltung bald größer bald kleiner erscheinen. Nähert man nun dem von Wasser entblößten Rücken das Stäbehen mit Rosenöl, so werden die in der Nähe der Reizquelle befindlichen roten Flecken bald merklich kleiner oder verschwinden zum Teil auch ganz, indem sich die Kiemen- 4) Vergl. Preye r W., Ueber die Bewegungen der Seesterne. Mitteilungen der zool Station in Neapel, 7. Bd., 1886/87. Graber, Empfindlichkeit einiger Meertiere gegen: Riechstoffe. 149 bläschen durch die Oeffnungen der Porenfelder zurückziehen. Noch empfindlicher sind die Füßchen. Diese werden nämlich bei der An- näherung des Rosenöles oft sofort eingezogen und mitunter selbst dann, wenn der Riechstoff 1—2 cm entfernt ist. Es werden aber auch, wenn man den Reiz auf die Armenden längere Zeit einwirken lässt, letztere in toto bewegt, und zwar je nach der Stellung der Reiz- quelle nach oben oder unten, nach rechts oder links. Aus der Gruppe der Schlangensterne prüfte ich Ophioderma longi- cauda Müll. u. Tr., die für unsere Versuche auch deshalb sehr ge- eignet ist, weil sie oft freiwillig aus ihrem Element herauskriecht oder wenigstens die Armenden über das Wasser hebt. Nähert man letztern das Rosenölstäbehen, so machen sie fast augenblicklich starke Krümmungen und ziehen sich in das Wasser zurück. Aehnlich wie bei den Haarsternen bringt die Annäherung von Rosenöl an die Scheibe, wenn man ein frisches Tier ins Trockne bringt, in der Regel eine fortschreitende Fluchtbewegung hervor. Angesichts dieser großen Empfindlielkeit gegen Rosenöl war es mir höchst auffallend, dass das gleiche Exemplar zehn Minuten später weder auf den genannten tiechstoff noch auf Rosmarinöl und Asa foetida reagierte. Es muss dla offenbar eine rasche Abstumpfung eintreten. Außerordentlich heftig rar indess noch der Einfluss von Ammoniak. Das Tier zog hastig alle Arme an sich und bewegte sich fast mit einem Ruck auf der Tischplatte 20 em weit vorwärts. Seeigel. Ich gab mehrere frisch aus dem Meer kommende Exemplare von Echinus microtubereulatus Blv. in eine flache Schüssel mit so viel Wasser, dass ungefähr die Hälfte des Körpers unbedeckt blieb. Bei der Annäherung von Rosenöl bemerkt man dann zunächst eine lebhaftere Bewegung der außer Wasser befindlichen Stacheln. Es drehen sich viele Stacheln, die früher in Ruhe waren und bei jenen, die sich schon früher bewegt hatten, findet eine Zunahme in der Schnelligkeit ihrer Drehung und zum Teil auch eine Vergrößerung ihres Ausschlagwinkels ein. Bei längerer Einwirkung bewegen sich ferner nicht bloß die der Reizstelle zunächst liegenden Stacheln, son- dern es pflanzt sich die Unruhe auch auf die entferntern fort, und zeitweilig kommt eine schwache Drehung der ganzen Kugel zu stande. Um die Empfindlichkeit der sich bekanntlich oft sehr weit ausstrecken- den Füßchen zu prüfen, näherte ich das Rosenölstäbchen solchen Stellen des Wasserspiegels, wo die Enden der ausgestreckten Füßchen nur 1—2 mm von der Wasseroberfläche entfernt waren. Die Füßchen bogen sich nach wenigen Sekunden von der Reizstelle weg oder zogen sich ganz oder teilweise zusammen. hRosmarinöl wirkt ähnlich, nur beträchtlich energischer, und dasselbe gilt von Asa foet. Um so auf- fallender war es mir, dass Ammoniak an mehrern Individuen gar keine Stachelbewegung hervorrief. Dagegen scheint gegen diesen Stoff die Mundregion äußerst empfindlich zu sein. Es wird zunächst 50 Graber, Empfindlichkeit einiger Meertiere gegen Riechstoffe, das Gebiss derart nach innen gezogen, dass die Zähnchen gar nicht mehr sichtbar sind. Dann folgt eine sonst selten zu beobachtende starke Erweiterung des Schlundeinganges, wobei auch die Zähnchen auseinandergespreizt werden. | Seewalzen. Ich prüfte zunächst eine Holothuria tubulosa Iml. Dieses Tier hat bekanntlich eine braunschwarze Haut, während die scheibenförmig verbreiterten Enden der Füßschen weiß sind. Nähert man nun letztern, während das Tier in ganz seichtem Wasser liegt, Rosenöl, so verschwinden sie nach wenigen Sekunden, und bei An- wendung von Rosmarinöl werden sie noch stärker eingezogen, was sich daraus ergibt, dass an den betreffenden Hautstellen kleine Grübchen entstehen. Asa foetida dagegen scheint bier schwächer als Rosenöl zu wirken. Auffallend empfindlich erwiesen sich dagegen ganz junge, näm- lich nur 3 em lange Exemplare von Synapta digitata J. Müll., deren ausgestreckte Tentakeln weder auf Rosenöl noch auf Asa foetida reagierten. hosmarinöl dagegen bewirkt wohl anfangs eine heftige Tentakel- und Körperkontraktion, bleibt aber später fast ohne Effekt. Würmer. Die Empfindlichkeit der Würmer gegen die mehrgenannten Reiz- stoffe ist im allgemeinen beträchtlich geringer als jene der Stachel- häuter, im übrigen zeigen aber die einzelnen Versuchsobjekte zum Teil große Verschiedenheiten. Plattwürmer. Das zierliche Thysanozoon Brocchii Grube ist gegen hosenöl vorne, wo bekanntlich u. a. auch die Fühler stehen, entschieden reizbarer als hinten; im ganzen ist aber die durch eine Zusammenziehung des Körpers sich äußernde Gegenwirkung eine äußerst schwache, und manche Exemplare reagieren auf hRosenöl gar nicht. Bei einer zweiten Form, Cerebratulus marginatus Ren., schnürte sich leider infolge einer zufälligen Berührung das Kopfende in einer Ausdehnung von 3 cm vom übrigen intakten Teile ab, und so konnte ich nur das Verhalten der Bruchstücke prüfen. Auffallenderweise blieb nicht nur Rosen- sondern auch Rosmarinöl völlig wirkungslos. Dagegen gibt Asa foetida eine sehr charakteristische lokale Reaktion, wenn man es dem Seitenrand des bekanntlich fast bandartig abge- flachten Leibes nahe bringt. An der gereizten Stelle entsteht nämlich infolge einer starken in querer Richtung vor sich gehenden Kontrak- tion des Hautmuskelschlauches eine 2-4 mm tiefe, mitunter fast spaltartige Einbuchtung, ein Verhalten, das sich u. a. auch bei ge- wissen Ringelwürmern z. B. bei Rhynchobolus siphonostoma Ulp., sowie auch bei gewissen Weich- und Wirbeltieren wiederholt. Ueber den ganzen Körper laufende Kontraktionswellen bringt Ammoniak hervor. Graber, Empfindlichkeit einiger Meertiere gegen Riechstoffe. 51 Ringelwürmer. Außerordentlich unempfindlich ist u. a. Ster- naspis thalassemoides Otto. Es reagiert nämlich u. a. auf Rosenöl und Asa foet. gar nicht und auf Rosmarinöl nur schwach durch Einziehung des Vorderendes. Aehnlich verhalten sich mehrere Arten von Eunice und Nereis, bei denen Rosenöl und Asa foet. nur ausnahmsweise schwache Kontraktionen der Parapodien hervorbringen. Auch manche relativ dünnhäutige Kopfkiemer z. B. Leprea lapidaria L. reagieren auf Rosen- und Rosmarinöl gar nicht, während Asa foet. wenigstens zuweilen eine schwache Bewegung der langen Fühler und Kiemen hervorruft. Bei einem andern Kopfkiemer, Amphitrite rubra Risso, bleibt Rosen- und Nelkenöl sowie Asa foet. wirkungslos, dagegen kann man mit Rosmarinöl eine Einziehung der ausgestreckten Fühler und mitunter auch des ganzen außerhalb der Schutzröhre befindlichen Leibesabschnittes zu stande bringen. Pfeilwürmer (Sagitta). Diese zierlichen Würmchen, die bezüg- lich ihrer glasartigen Durchsichtigkeit an die Corethra-Larven unserer Süßwässer erinnern, reagieren auf die angewandten Reizstoffe stärker als alle übrigen untersuchten Würmer, und da ferner, wie ich mich wiederholt überzeugte, die kleinern Exemplare viel empfindlicher als die ausgewachsenen sind, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass ihre große Reizbarkeit nicht bloß durch die eigentümlichen Hautnerven- enden sondern zum Teil wenigstens auch dadurch bedingt ist, dass die Reizstoffe wegen der geringen Dicke des Körpers sehr rasch das gesamte Nervensystem beeinflussen. In dieser Auffassung bestärkt mich u. a. auch das Verhalten der bekamntlich gleichfalls sehr kleinen geschwänzten Seescheiden (z. B. Appendicularia flagellum Cham), die hinsichtlich der Erregbarkeit gegen Riechstoffe auffallend mit Sagitta übereinstimmen. Was nun zunächst die Wirkung von Rosenöl betrifft, so erzeugt dasselbe in wenigen Sekunden eine sonst nirgends beobachtete Be- wegung des Vorderkörpers. Dieser beginnt nämlich zu vibrieren, und zwar ungefähr so wie ein elastischer Stab, der an einem Ende fest- geklemmt ist und dessen freies Ende aus der Ruhelage gebracht wird. Bei der Annäherung von Rosmarinöl werden i. A. die Ausschläge des vibrierenden Kopfteiles beträchtlich stärker und folgen auch rascher aufeinander. Vielfach zeigen sich aber auch energischere Reaktionen. So krümmt sich z. B. das Würmehen nicht selten zu einem fast oder ganz geschlossenen Ring zusammen, oder es schnellt sich auch wie eine gekrümmte und dann losgelassene Stahlfeder eine Strecke weit fort. Nähert man die Spitze des Geruchträgers dem Kopfende genau in der Richtung der Längsaxe des Wurmes, so weicht letzterer mit- unter auch dem Reizstoffe in grader Riehtung aus, d. h. er schießt wie ein umgekehrter Pfeil nach rückwärts, und wenn man mit dem Riechstoffe folgt, kann man das Versuchstier zuweilen mehrere Minuten lang in der flachen Glasdose herumtreiben. Es gilt dies insbesondere 759 Graber, Empfindlichkeit einiger Meertiere gegen Riechstoffe, von ganz kleinen Exemplaren, die bei rascher Annäherung des Reiz- stoffes wie vom Blitz getroffen davonschwimmen. Krebse. Während die geprüften Flohkrebse (z. B. Orchestia und Thyropus) selbst auf das meist schwach wirkende Rosenöl kräftig reagieren — sie bewegen die Fühler oder machen auch Sprünge — ergab die Unter- suchung einiger höherer Formen meist negative Resultate. Dies gilt u. a. von der Seespinne (Maja squinado) und der Languste (Palinurus vulgaris Latr.), bei denen die oftgenannten Reizstoffe an keiner Haut- stelle — insbesondere auch nieht an den Fühlern — irgend eine Be- wegung verursachen. Etwas anders verhielt sich ein ausgewachsener Einsiedlerkrebs, Pagurus callidus Risso, dessen Körper für das von ihm bewohnte und von drei Aktinien (Adamsia) besetzte Schnecken- haus viel zu groß war. Rosen- und Rosmarinöl schien zwar auch ihn ebenso wenig zu belästigen wie seine Mitbewohner, die Adamsien, er reagierte aber doch in unverkennbarer Weise auf Asa foet. Brachte ich nämlich die Spitze des Geruchträgers grade vor die Stirne, so wurde in Intervallen von etwa 2—4 Minuten einer der langen Augen- stiele etwas gesenkt und zugleich, als wollte der Krebs denselben reinigen, ein seitlicher befranzter Anhang der Mundteile darüber ge- führt. Zuweilen senkten sich beide Augenstiele auch gleichzeitig und wurden auch gleichzeitig mit dem erwähnten Putzorgan berührt. An den Fühlern dagegen, das sei ausdrücklich erwähnt, konnte ich niemals eine unzweifelhafte Abwehrbewegung beobachten. Etwas empfindlich sind dagegen noch die dünnen Hautaussackungen über den Kiemen, während merkwürdigerweise der stets im Schneckenhaus verborgene zarthäutige Schwanzteil weder von Rosmarinöl noch von Asa foetida affiziert zu werden scheint. Weichtiere. Bauchfüßer. Von diesen untersuchte ich zunächst einige Nackt- kiemer und darunter am eingehendsten Chromodoris elegans Cantr. Bei der Annäherung von Rosenöl an die Kopfregion zeigt sich vor allem, dass die großen keulenförmigen Hintertentakel, die vielfach als „Riechfühler“ bezeichnet werden, stärker und rascher eingezogen werden als die Vordertentakel, dass erstere also gegen manche Riech- stoffe in der That empfindlicher als die letztern sind. Gleichwohl vergeht bis zu ihrer Kontraktion eine Zeit von mindestens 5—10 Sekunden, während unsere Weinbergschnecke bekanntlich (l. e. 5. Bd. S.456) meist fast momentan oder wenigstens nach einer Sekunde reagiert. Uebrigens sind die sogenannten Riechfühler keineswegs die empfindlichsten Haut- teile. Als solche erweisen sich vielmehr die gelbgefärbten stark vor- &ewölbten Bezirke unmittelbar hinter dem Kiemenkranz. Dieser Rücken- teil wird nämlich auffallend rasch und in der Regel so stark nach Graber, Empfindlichkeit einiger Meertiere gegen Riechstofte. „ii - ws innen gezogen, dass in der dadurch gebildeten Hauteinsenkung auch die Kiemen verschwinden. Verhältnismäßig rasch tritt bei diesem Tier eine Abstumpfung gegen die in Rede stehenden Reize ein. Nach Verlauf von zwei Tagen reagierte es nämlich, obwohl es sonst ganz lebensfrisch war, weder auf Rosen- noch auf Rosmarinöl. Dagegen zeigte es noch eine große Empfindlichkeit gegen Asa foetida, das aber gleichfalls auf die genannte postbranchiale Stelle viel stärker abstoßend wirkt als auf die sogenannten Riechfühler, welche u. a. nicht stärker reagierten als die meisten übrigen Hautteile und insbesondere als die Seitenränder der Sohle und des Schwanzteiles. Gegen alle Erwartung unempfindlich erwiesen sich drei andere Nacktschnecken Gastropteron Meckelii Kosse, Phyllirrhoö bucepha- lum Per. und Aplysia leporina L. Erstere zwei reagierten nämlich nur ganz wenig (durch Bewegung der Fühler) auf Rosmarinöl und Asa foet., und letztere blieb völlig indifferent gegenüber allen ange- wandten Reizstoffen. Die in Untersuchung gezogenen beschalten Schnecken Murex brandaris L., M. trunculus L., Natica Josephinia hisso und Fusus syracusanus L. erwiesen sich u. a. empfindlicher als die geprüften unbeschalten Formen, zeigten aber sonst beträchtliche Unterschiede. Auf Rosenöl reagierten bloß die Murex-Arten und Natica. M. bran- daris bog die Fühler zur Seite, schien aber ganz unempfindlich am Fußteil. Bei M. trunculus dagegen kam es nicht bloß zu einer Kon- traktion der Tentakeln, sondern auch zu einer Einstülpung des ganzen Kopfteils. Rkosmarinöl bewirkte bei allen Formen auch eine partielle (Murex brandaris) oder totale Einziehung des Fußes, und in noch höherem Grade gilt dies von Asa foetida. Besonders empfindlich gegen den letztern Reizstoff scheint Fusus zu sein, bei dem die Kontraktion des Körpers (einschließlich des Atmungssipho) unter reichlicher Absonde- rung eines wasserhellen Schleimes erfolgt. Kielfüßer. Von den geprüften Formen (Carinaria mediterranea Lam. u. Pterotrachea mutica Les.) scheint erstere i. A. reizbarer zu sein. Sie reagiert nämlich, wenn auch nicht regelmäßig, durch Krümmung des Körpers und Bewegung des Fußes auf Rosenöl, während Ptero- trachea diesem Reagens gegenüber ganz indifferent bleibt. Dagegen erregt letztere Form in anderer Hinsicht unser Interesse. Sie trägt bekanntlich einen langen fadendünnen Schwanzanhang, der aber wegen seiner glasartig hellen Beschaffenheit zumal auf weißem Grunde nur durch die schwarzbraunen Pigmentflecke sichtbar wird, die sich an ihm wie eine Kette aneinanderreihen. Abgesehen vom Rüssel reagiert nun dieser Schwanzfaden in höchst auffallenderweise gegen Rosmarinöl und Asa foetida. Bewegt man nämlich den Geruchträger über ihm langsam hin und her, so weichen die dunkeln Flecke demselben so VII: 48 754 Graber, Empfindlichkeit einiger Meertiere gegen Riechstofte. regelmäßig aus, als ob sie von einem Magnet abgestoßen würden. Besonders augenfällig werden diese Zwangsstellungen, wenn man zwei Geruchträger nimmt und diese hintereinander, nämlich einen vorne an der Schwanzwurzel und einen hinten am Schwanzende, in ent- gegengesetzter Richtung quer über den Anhang hin und herbewegt. Manteltiere. Von der großen Empfindlichkeit der Appendicularien war schon früher die Rede. Sonst untersuchte ich noch verschiedene kleine Salpen z. B. Salpa mucronata Forsk. und 8. bicauelata Q. G. und zwar sowohl solitäre als Kettenformen, jedoch mit durchaus negativem Erfolge. Sie scheinen kaum empfindlicher zu sein als die kleinen Saumquallen. Fische. Meine Experimente beschränkten sich hier auf drei Formen, auf den Lanzettfisch, auf Fierasfer acus Brünn, und dann auf einen jungen ca. 20 em langen Hai (Mustelus laevis M. H.). Unter diesen scheint nur Amphioxus auf Rosenöl deutlich zu reagieren. Bei der Annäherung dieses Reizstoffes an das aus dem Bodensehlamm heraus- ragende Vorderende eines solchen beobachtet man nämlich, wenigstens bei einigen Exemplaren, nach kurzer Zeit eine schlängelnde Bewegung des ganzen Körpers. Die Reizung des Hinterendes blieb dagegen stets ohne reaktiven Erfolg. Von den zwei andern Reizstoffen wirkt Rosmarinöl entschieden viel energischer als Asa foetida. Ersteres erzeugt nämlich auch bei der Annäherung von hinten eine starke oft mit Ortsbewegung verbundene Schlängelung, während Asa foetida kaum stärker als Rosenöl wirkt. Bei Fierasfer ist dagegen das Ver- halten grade umgekehrt. Hier bringt Asa foetida und zwar sowohl vorne als hinten starke Peitschbewegungen und zuweilen auch Loko- motion hervor, während Rosmarinöl vorne in der Regel nur ein Ab- wenden des Kopfes und hinten eine allmähliche Biegung des langen Schwanzes verursacht. Im Gegensatz zu allen bisher besprochenen Tieren, die bei unserer Untersuchung in ihrem Elemente belassen wurden — manche Stachel- häuter und Schaltiere verließen dasselbe freiwillig — musste ich bei der Prüfüng der Haifische die Objekte aus dem Wasser nehmen und mit der linken Hand in der Mitte des Körpers festhalten, während ich mit der rechten die Riechstoffe näherte. Das Ergebnis war ein ziemlich negatives. Rosenöl affizierte weder die Nase noch die Augen, welche letztere bekanntlich u. a. beim Triton sehr empfindlich sind, und wirkte auch nicht auf die Schleimhaut des geöffneten Rachens. Desgleichen blieben Rosmarinöl und Asa foetida bei der Annäherung an die Nase wirkungslos, brachten aber doch zuweilen einen Ver- schluss der Augen hervor. Bemerkt sei außerdem noch, dass auch Ammoniak bei der Einwirkung auf die Nase keine Reaktion ergab. Me Kendrick, Blutgase. 1%) Die Blutgase. Aus einem Vortrage, gehalten von Dr. John Gray Me Kendrick bei der Jahresversammlung der „British Medical Assoeiation* zu Glasgow am 10. August 1888. (Schluss. Ich führte Ihnen!) die allgemein angenommenen Lehren vor über die chemischen und physikalischen Fragen der Atmung. Aber noch manche Schwierigkeiten sind bis zu einer befriedigenden Erklärung dieser Funktion zu überwinden. Zum Beispiel: ist die Vereinigung des Hämoglobins mit Sauerstoff ein chemischer oder ein physikalischer Vorgang? Wenn Oxyhämoglobin ein chemischer Körper ist, wie kann der Sauerstoff so leicht mittels der Luftpumpe von ihm entfernt wer- den? Anderseits, ist er eine physikalische Verbindung, warum wird der Sauerstoff nicht nach dem Gesetze vom Drucke absorbiert? Als bemerkenswerte Thatsache ist hervorzuheben, dass Hämoglobin eine für gewöhnliche Temperatur fast konstante Menge Sauerstoff absorbiert, wie groß auch immer die Sauerstoffmenge sein mag in der Gas- mischung, welcher es ausgesetzt ist. Dies trifft so lange zu, als die Sauerstoffmenge nicht unter ein gewisses Minimum herabsinkt, und weist klar darauf hin, dass die Verbindung des Hämoglobins mit dem Sauerstoff eine chemische Verbindung ist. Gesetzt den Fall, wir ver- ıingern die Menge des Sauerstoffes in der eingeatmeten Luft, so wird natürlich auch der Partialdruck des Gases ein geringerer; aber es leuchtet ein, dass es genau dieselbe Wirkung haben muss, wenn wir den ganzen Druck vermindern, anstatt die Menge des Sauerstoffes zu verkleinern. Darum können wir die Schwierigkeiten der Atmung in einer sauerstoffarmen Luft beseitigen, wenn wir den Druck vermehren, unter welchem diese Luft eingeatmet wird; und um anderseits die Gefahren einer unter niederem Drucke stehenden Luft zu heben, sollte man der Theorie nach ihren Gehalt an Sauerstoff erhöhen. Bekannt- lich enthält die Luft bei einem Drucke von 760 mm 21 Prozent Sauer- stoff; sie müsste danach, wenn der absolute Gehalt an Sauerstoff ungeändert bleiben sollte, bei einem Drucke von 380 mm 42 und bei einem Drucke von 250 mm sogar 63 Prozent enthalten. Entsprechend brauchte bei einem Druck von 5 Atmosphären die Luft nur etwa 4 Prozent Sauerstoff zu enthalten. Mit der Steigerung des Druckes steigern wir auch die in einem gegebenen Raume vorhandene Gewichts- menge Sanerstoff. Man erkennt nach dem früher Gesagten, dass in allen diesen Fällen der Partialdruck des Sauerstoffes annähernd der gleiche ist — das heißt, nahezu 157 mm Quecksilber; dass allen diesen Fällen Gemeinsame wäre, 1) Vergl. Nr. 17, 18 und 21 dieses Blattes. 48* 2b Me Kendrick, Blutgase. dass für alle Umstände der Atmung der Druck des Sauerstoffes dem Drucke des Sauerstoffes in der atmosphärischen Luft nahezu gleich bliebe. Da aber die Absorption des Sauerstoffes durch das Hämo- globin unmittelbar nichts zu thun hat mit dem Drucke, ist es nicht notwendig, dass jede Atmosphäre eine hinreichende Gewichtsmenge Sauerstoff für das Hämoglobin im Blute enthält, wenn der Partial- druck des Sauerstoffes annähernd 157 mm beträgt. Denn das Leben kann unterhalten werden bei beträchtlichen Abweichungen von diesem Normaldruck. So kann nach und nach der Druck vermindert werden bis zu dem Punkte, wo die Zerlegung des Oxyhämoglobins eintritt — das heißt bis herab zu !/;, Atmosphäre; dagegen vermögen Tiere auch eine Luft zu atmen, welche das Doppelte oder Dreifache der normalen Sauerstoffmenge enthält, und zwar anscheinend ohne davon beeinflusst zu werden. Dies wurde zuerst beobachtet von Regnault und Reiset, und die Beobachtung wurde bedeutend erweitert von Paul Bert. Dieser hervorragende Physiologe fand, dass selbst eine Steigerung bis zu 8 oder 10 Atmosphären keine merkliche Einwirkung verursacht; erst wenn der Druck bis auf 20 Atmosphären gesteigert wird, tritt der Tod ein unter heftigen tetanischen Erscheinungen. Er zeigte auch, dass unter dem Einflusse von Drucksteigerungen die ent- sprechende Zunahme des absorbierten Sauerstoffes nur sehr klein war. So betrug die Menge des vom Blute absorbierten Sauerstoftfes bei dem Drucke von 1 Atmosphäre etwa 20 Volumprozente, ein Druck von 2 Atmosphären bewirkte eine Zunahme von nur 0,9 Prozent, von 3 Atmosphären eine weitere Steigerung um 0,7 Prozent, 4 Atmosphären um 0,6 Prozent, 5 Atmosphären 0,5 Prozent, 6 Atmosphären 0,2 Pro- zent, 8 Atmosphären 0,1 Prozent, 9 Atmosphären 0,1 Prozent und 10 Atmosphären ebenfalls 0,1 Prozent. Also von 1 Atmosphäre bis zu 10 Atmosphären erreichte die gesamte Zunahme nur 3,4 Prozent, so dass das Blut statt 20 nun 23,4 Volumprozente Sauerstoff enthielt. Diese Thatsachen lassen erkennen, dass innerhalb gewisser Grenzen das Hämoglobin, wenn es ganz mit Sauerstoff gesättigt ist, indifferent wird gegen weitern Sauerstoff, der durch Druck in das Blut hinein- sezwängt wird, und dass somit das Blut von Tieren, welche eine die gewöhnliche atmosphärische Luft an Sauerstoffreichtum überragende Luft atmen, nicht höher mit Sauerstoff beladen ist als normales Blut. Auch folgt daraus das praktische Ergebnis, dass es bei der Behand- lung von Krankheiten zwecklos ist, die Patienten eine Luft atmen zu lassen, die reicher an Sauerstofl' ist als gewöhnliche Luft, weil bei gewöhnlichem atmosphärischem Drucke auf diese Weise nieht mehr Sauerstoff in das Blut eingeht; dass aber, wenn es wünschenswert wäre, das Blut an Sauerstoff überreiech zu machen, dies nur geschehen könnte durch Atmung von Sauerstoff unter einem Drucke von 3 oder 4 Atmosphären, in einem Raume, in welchem der Körper des Patienten demselben Drucke unterworfen ist. Me Kendrick, Blutgase. 77 Hierbei ist es wichtig, die ungemein große Absorptionsfläche zu beachten, welche dem Sauerstoffe durch die roten Blutkörperchen des Menschen dargeboten wird. In jedem Kubikmillimeter sind enthalten ungefähr 5 000600 rote Blutkörperchen. Jedes Blutkörperchen hat eine Oberfläche von 0,000 128 Quadratmillimeter. Die im menschlichen Körper vorhandene Blutmenge durchschnittlich zu 4,5 Litern oder 4500 000 Kubikmillimeter angenommen, beträgt die Anzahl der Blut- körperchen ungefähr 22 500 000 000 000, und dies wiederum würde eine Oberfläche von 2880 000 000 Quadratmillimetern oder 2880 Qua- dratmetern ergeben. Das Hämoglobin in einem roten Blutkörperchen macht etwa 12/13 von dessen Gewicht aus. Das Blut eines Menschen von mittlerer Größe kann auf 4536 Gramm geschätzt werden. Dieses Blut enthält ungefähr 13,083 Prozent Hämoglobin; 4536 Gramm werden also etwa 593 Gramm Hämoglobin enthalten. Einen vermutlich wesent- lichen Bestandteil des Hämoglobins macht das Eisen aus, und 100 Gramm Blut enthalten davon 0,0546 Gramm. Die gesamte Blutmenge enthält folglich in 4536 Blut etwa 2,48 Gramm Eisen. 150 Tropfen Tinetura ferri chlorati enthalten etwa 0,25 Gramm reines Eisen, und somit leuchtet ein, dass nicht viele Dosen erforderlich sind, um in den Körper eine ebenso große Eisenmenge einzuführen, wie in dem ge- samten Blute vorhanden ist. Die Absorption von Sauerstoff geht demnach wahrscheinlich in folgender Weise vor sich: die eingeatmete Luft ist in den Lungen- alveolen durch zarte epitheliale Zellen und durch die endotheliale Wandung der Lungenkapillaren von dem Blute getrennt, welches in letztern zirkuliert. Die Auswechselung der Gase findet durch diese dünnen porösen Häute hindurch statt, so zwar, dass die Schnelligkeit des Ueberganges eine so zu sagen augenblickliche ist. Da der Sauer- stoff locker an das Hämoglobin der Blutkörperchen gebunden ist, können die Gesetze der Diffusion nur einen untergeordneten Einfluss auf seinen Durchgang haben, nämlich nur insofern, als er in das Plasma übergehen muss, um die Blutkörperchen zu erreichen. Das Plasma absorbiert bei 35° C etwa 2 Volumprozente, wenn wir den Absorptions-Koeffizienten des Plasmas demjenigen destillierten Wassers gleich annehmen. Viele der Körperchen des Lungenblutes enthalten bei ihrer Rückkehr aus den Geweben ihr Hämoglobin in reduziertem Zustande; letzteres reißt sofort Sauerstoff von dem Plasma an sich. Im nächsten Augenblicke gelt Sauerstoff von der Luft in der Lunge in das Plasma über, von welehem wiederum der Sauerstoff schnell durch das Hämoglobin der Körperehen entnommen wird, und so fort. Wenn der Sauerstoff sich nicht in lockerer chemischer Verbindung befände, so würde er nur absorbiert werden, und die absorbierte Menge würde von dem augenblicklichen barometrischen Drucke abhängen, indem sein Partialdruck in demselben Verhältnis wie der Gesamtdruck zu- und abnehmen würde. Eine solche Einrichtung müsste unfehlbar 158 Me Kendrick, Blutgase. die Gesundheit beeinflussen. Sänke der Druck bei der Besteigung eines hohen Berges von etwa 400 bis 600 Meter Höhe über dem Meeresspiegel auf annähernd die Hälfte, so müsste dann das Blut nur noch die Hällfte von der normalen Sauerstoffmenge enthalten, und Störungen in den Funktionen des Organismus wären unvermeid- lieh. Hochfliegende Vögel, in Luftschichten schwebend, wo der Drucke unter die Hälfte eines Atmosphärendruckes herabsinkt, würden unter dem Mangel an Sauerstoff zu leiden haben; aber tief in den Berg- werken und hoch oben auf großen Höhen befinden sich Mensch und Tiere wohl, und der schnell atmende Vogel verfügt über eine genügende Menge Sauerstoff für seine wunderbare Entfaltung von Energie, weil die Menge des im Blute enthaltenen Sauerstoffes nicht vom Druck abhängt. Kempner hat auch dargethan, dass so bald als der Sauer- stoffgehalt in der Atmungsluft nur einige wenige Prozente unter das Normale sinkt, der Verbrauch von Sauerstoff durch die Gewebe und die Bildung von Kohlensäure ebenfalls sinken, weil die Oxydations- Prozesse im Körper weniger lebhaft werden. Es ist eine merkwürdige Thatsache, dass unter gewissen Umständen Gewebe und sogar Organe ihre Funktionen fortsetzen können mit nur wenig Sauerstoff oder ohne denselben. So schreibt Max Marck- wald in seinem Werke über die „Innervation der Atmung beim Ka- ninchen“: „Kroneeker und Mac Guire fanden, dass das Herz des Frosches gradeso kräftig schlägt mit Blut, das seiner Gase beraubt ist, wie mit solehem, welches Sauerstoff enthält, während das Asphyxie- Blut, oder Blut mit reduziertem Hämoglobin, bald seine Thätigkeit hemmt“. Ferner hat Kronliecker gefunden, dass Hunde die Ersetzung ihres Blutes durch zwei Drittel bis sogar vier Fünftel seiner Menge von einer Q0,6prozentigen Kochsalzlösung ertragen, und von Ott ent- zog einem Hunde 14/15 seines Blutes und ersetzte dieselben durch Serum vom Pferde, welches frei von Blutkörperchen war. Ein bis zwei Tage nach der Transfusion hatte der Hund nur den fünfund- fünfzigsten Teil der normalen Zahl roter Blutkörperchen, so dass er auch nur 1/55 der normalen Sauerstoffmenge besaß. Aber dieser Hund zeigte keine besondern Erscheinungen ausgenommen Schwäche und Schlafsucht; er litt auch nicht an Atemnot, eine merkwürdige Thatsache, wenn wir bedenken, dass das Blut eines erstickten Hundes noch 3 Prozente Sauerstoff enthält, und dass große Atemnot eintreten kann, wenn noch ein Sechstel von der normalen Sauerstoffmenge im Blute vorhanden ist. Die Bedingungen, welche die Ausscheidung von Kohlensäure regeln, sind ganz verschiedenartig. Wir haben gesehen, dass Kohlensäure fast ausschließlich im Blutplasma enthalten ist, der kleinere Teil davon einfach absorbiert, der größere chemisch gebunden — ein Teil in einer ziemlich festen Verbindung als Natriumkarbonat, ein zweiter Teil Me Kendrick, Blutgase. 759 locker und leicht zersetzbar als saures kohlensaures Natrium, und ein dritter in Verbindung mit Natriumphosphat. In der atmosphärischen Luft ist Kohlensäure nur in Spuren vorhanden, und ihre Spannung in der Luft ist fast gleich Null. Die in den Lungen enthaltene Luft wird nicht bei jedem Atemzuge gänzlich ausgetrieben, sondern es bleibt immer ein Teil der Exspirationsluft, reich an Kohlensäure, in der Lunge zurück. Es versteht sich alsdann, dass durch Vermischung der eingeatmeten Luft mit derjenigen, welche in den Alveolen ent- halten ist, letztere reicher an Sauerstoff und ärmer an Kohlensäure werden wird; jedoch wird die Luft in den Alveolen stets mehr Kohlen- säure enthalten als die atmosphärische Luft. Pflüger und Wolff- berg haben ermittelt, dass die Menge der Kohlensäure in der Alveolen- luft rund 3,5 Volumprozente beträgt, sonach wird ihre Spannung be: tragen ne = 27 mm Quecksilber. Die Spannung der Kohlensäure in dem Blute der rechten Herzkammer (das als Beispiel gelten soll für venöses Lungenblut) beträgt nach Strassburg bis zu 5,4 Prozent — 41 mm Quecksilber und ist um 14 mm höher als die- jenige in der Alveolenluft. Kohlensäure wird deshalb mittels Diffusion aus dem Blute so lange in die Alveolenluft übergehen, bis die Span- nung der Kohlensäure in dieser und im Blute gleich geworden ist. Ehe das Gleichgewicht erreicht ist, beginnt die Ausatmung und ent- fernt einen Teil der Luft aus den Alveolen, so dass die Spannung der Kohlensäure wieder geringer als im Blute wird. Während der Exspiration und der darauffolgenden Pause nimmt die Ausstoßung von Kohlensäure ihren Fortgang. Diese physiologische Einrichtung bietet einen Vorteil für die Diffusion; würde durch die Ausatmung alle Luft aus den Lungen ausgestoßen, so dass die Lungen von Luft entleert würden, so würde die Diffusion während der Exspiration und der darauffolgenden Pause ganz und gar aufhören, und sie wäre nur möglich während der Inspiration. Damit würde eine weniger vollkommene Trennung der Kohlensäure von dem Lungenblute ver- bunden sein. Da aber Luft in den Lungen verbleibt, vollzieht sich die Diffusion zwischen Lungenblut und Lungenluft ununterbrochen, und Schwankungen treten nur in der Schnelligkeit ein (Munk). Jede Betrachtung der gasigen Bestandteile des Blutes würde un- vollständig sein ohne einen Hinweis auf die geistreiche, neuerdings aufgestellte Theorie von Professor Ernst Fleischl von Marxow in Wien, dargelegt und veranschaulicht in seinem Werke „Die Be- deutung des Herzschlages für die Atmung; eine neue Theorie der Respiration“ — ein ausgezeichnetes Werk gleichermaßen durch den Nachdruck, mit welchem eine gründliche Kenntnis der Physik auf physiologische Probleme angewendet ist, wie durch eine scharfsinnige und feine Dialektik. Der Verfasser beginnt mit den einander wider- sprechenden Behauptungen: von allen tierischen Stoffen ist Hämo- 160 Me Kendrick, Blutgase. slobin derjenige, welcher die größte Anziehungskraft auf Sauer- stoff ausübt — oder es gibt Stoffe in dem Tierkörper, welche, wenigstens gelegentlich, eine stärkere chemische Hinneigung zum Sauerstoff haben als Hämoglobin. Wenn die Gewebe eine größere Anziehungskraft auf Sauerstoff ausüben als Hämoglobin, woher kommt es, dass in dem Blute von erstickien Tieren noch eine beträchtliche Menge Sauerstoff, in einigen Fällen bis 5 auf 100 Raumteile, sich vorfindet? Es ist wohlbekannt, dass das Blut solcher Tiere ohne Unterschied das Spektrum des Oxyhämoglobins giebt. Die Gewebe verbrauchen somit nicht allen Sauerstoff des Oxyhämoglobins, und sie können also nicht eine größere Anziehungskraft auf den Sauerstoff ausüben als Hämoglobin. Da aber die Gewebe zweifellos Besitz von dem Sauerstoff ergreifen und dasselbe dem Hämoglobin desselben ent- ziehen, so möchte es anderseits doch so scheinen, als übten sie wirk- lich eine stärkere Anziehungskraft auf ihn aus. Nach Fleischl von Marxow besteht somit hier ein Widerspruch, und daraus folgt, dass unsere Theorien über die letzten chemischen Veränderungen bei der Atmung nicht ausreichend begründet sind. Es könnte bezüglich dieses Punktes entgegnet werden, dass der Tod eines Tieres infolge von Erstickung, wobei Sauerstoff noch im Blute zurückbleibt, kein Beweis ist dafür, dass die Gewebe ihre Fähig- keit verloren haben, Sauerstoff vom Hämoglobin zu entnehmen. Dies zeigt nur an, dass gewisse Gewebe, wahrscheinlich diejenigen der nervösen Zentren, mehr Sauerstoff bedürfen als ihnen zugeführt wird; deshalb bleibt dieser Teil des körperlichen Mechanismus stillstehen, was den Tod des ganzen Körpers zur Folge hat. Andere Gewebe leben noch und verbrauchen Sauerstoff so lange, als ihre Lebensfähig- keit dauert. Allerdings muss ich zugeben, dass es ein auffälliger Umstand ist, wenn die Nervengewebe aufhören thätig zu sein, ehe sie das letzte Atom Sauerstoff aus dem Blut an sich gerissen haben. Haben aber, wie alle annehmen, die Gewebe eine Verwandtschaft zum Sauerstoff, und räumen wir zum Zwecke der Beweisführung ferner ein, dass diese Verwandtschaft nicht stark genug ist, um den Sauer- stoff von dem Oxyhämoglobin vollkommen zu trennen, können wir dann irgend eine physikalische Thätigkeit bemerken, welche iu erster Stelle das Werk der Trennung vollbringen und damit den Geweben den Sauerstoff in einer Form darbieten würde, in welcher sie den- selben schnell aufnehmen könnten? Fleisch] behauptet, dass er eine solche Wirkung oder Thätigkeit in dem Schlage des Herzens entdeckt habe. Er gründet diese Lehre auf einige bemerkenswerte Versuche, welche leicht mit einer fest schließenden Spritze nach- gemacht werden können. 1) Man tauche die Spritze ganz in Wasser ein, drücke einen Finger auf die Mündung, ziehe den Stöpsel auf un- gefähr die Hälfte der Länge in der Spritze empor und entferne dann plötzlich den Finger von der Mündung. Das Wasser wird hinein- Me Kendrick, Blutgase. 761 schießen, gleichzeitig aber wird Gas in beträchtlicher Menge abgegeben werden, so dass das Wasser für kurze Zeit ganz schaumig ist. Das konnte man voraussehen. 2) Man entleere sorgsam die Spritze von Luft und ziehe sie allmählich halb voll Wasser. Hernach lege man den Finger auf die Mündung und ziehe den Stöpsel ein wenig an, so dass ein Vakuum über der Flüssigkeit bleibt. Unter solchen Be- dingungen werden einige große Gasblasen aus dem Wasser entweichen, aber das Wasser wird nicht schaumig werden. 3) Man entleere die Spritze, fülle sie halb voll Wasser, hebe sie schräg empor, so dass der Stöpselgriff oberhalb des Wassers ist, schlage auf den Griff kräftig mit einem Stücke Holz, letzteres wie einen Hammer gebrauchend; dann ziehe man den Stöpsel ein wenig in die Höhe, so dass ein Vakuum oberhalb der Flüssigkeit entsteht. Man wird jetzt beobachten, wie eine so bedeutende Gasmenge abgegeben wird, dass sie die Flüssigkeit schäumen macht. Bei diesem Versuche hat ersichtlich der Schlag auf den Stöpselgriff die Art und Weise verändert, in der das Gas entweicht, wenn ein Vakuum über der Flüssigkeit hergestellt wird. Diese Versuche können auch mit einer langen Barometer-Röhre angestellt werden, welehe mit einem Hahn an dem einen Ende ver- sehen ist und am andern dureh einen Kautschukschlaueh mit einem beweglichen Quecksilberbehälter in Verbindung steht. Bewegt man den letztern nach unten, so kann ein Toricelli’sches Vakuum her- gestellt und Wasser kann eingelassen werden, ebenso wie bei der Spritze. Ueber die Wirkungen des Schlages kann unter diesen Um- ständen kein Zweifel bestehen; die Versuche sind äußerst interessant vom physikalischen Standpunkte aus. Fleischl behauptet, dass, wenn Gase in Flüssigkeiten absorbiert sind, ähnliche Bedingungen herrschen wie bei der Auflösung krystallinischer Körper. Schüttelt man eine gashaltige Flüssigkeit, zumal durch einen plötzlichen scharfen Ruck, so wird die zwischen den Molekeln der Flüssigkeit und denen des Gases bestehende lockere Verbindung getrennt, und die Gas- molekeln liegen außerhalb der Flüssigkeitsmolekeln und zwischen diesen. Ein Stoß also verwandelt eine wirkliche Lösung in eine solche, in weleher Flüssigkeits- und Gasmolekeln neben einander sich befinden; und wenn bald nach dem Stoße ein Vakuum gebildet wird, so treten kleine Gasblasen leichter auf, als wenn ein solcher Stoß nicht angewendet worden war. Er wendet alsdann diese Theorie auf die Erscheinungen der Zirkulation und Respiration an. Von der Frage ausgehend, warum der Schlag des Herzens so plötzlich und so heftig sein sollte, wenn eine viel sanftere und in die Länge gezogene rhythmische Bewegung sSenügend wäre, um in dem Arteriensystem diejenige Spanuung zu erhalten, von weleher die Bewegung der Flüssigkeit abhängt, stellt er kühn die Meinung auf, dass jener Schlag zur Absonderung der Gase diene. Das Blut wird in Bewegung erhalten durch aufeinander 162 Me Kendrick, Blutgase. folgende schnelle plötzliche Stöße, weil für die Entnahme des Sauer- stoffes durch die Gewebe und die Absonderung der Kohlensäure durch die Lungen es nicht genügt, dass das Blut in gleichmäßiger Bewegung seinen Kreislauf zurücklegt; und deshalb wird ihm ein kurzer barter Stoß gegeben, unmittelbar ehe es in die Lungen ein- tritt, und unmittelbar nachdem es die Lungen verlassen hat. Diese Stöße machen die Gase aus dem Zustande der echten Absorption frei, sie werden nun in der Flüssigkeit vielmehr in einem Zustande feiner Verteilung vorhanden sein. Dieses Verhältnis ist günstig für die Abgabe der Kohlensäure in den Lungen und für den Verbrauch des Sauerstoffes durch die Gewebe. Fleischl behauptet dann weiter, dass auch lockere chemische Verbindungen durch Stöße gelöst werden können, indem das Gas in den Zustand feiner molekularer Verteilung übergeht, und dass eine schnelle Wiederholung der Stöße eine Wiedervereinigung verhindert. Als Beispiele für solche lockere Verbindungen führt er Oxyhämo- globin an und die Verbindungen der Kohlensäure mit den Salzen des Plasmas. Hier aber krankt nach meiner Ansicht die Theorie an dem Mangel experimentellen Beweises. Kein Beweis liegt vor dafür, dass Stöße, wie diejenigen der Zusammenziehung des rechten und linken Herzventrikels es sind, Gase aus solchen lockern chemischen Ver- bindungen frei machen können; der Vergleich mit der plötzlichen, explosiven Zerlegung chemischer Verbindungen durch Stoß oder schwingende Bewegungen scheint mir doch zu gewagt. Einige der Anwendungen der Theorie sind sehr überraschend. So vermutet beispielsweise Fleischl, dass Asphyxie eintritt, ehe der Sauerstoff aus dem Blute verschwunden ist, weil letzterer von dem Hämoglobin so fest gehalten werde, dass die Gewebe sich nicht seiner bemächtigen können. Nehmen wir an, es würde durch die Atmung gar kein Sauerstoff eingeführt. Man weiß, dass alles Blut im Körper durch Herz und Lungen in der Zeit einer vollkommenen Zirkulation hindurchgeht — das ist in etwa zwanzig Sekunden. Wir wissen durch Pflüger, dass innerhalb dieser Zeit etwa ein Drittel des Sauerstoffes von den Geweben aufgebraucht wird. Nach der Perkussions- Theorie macht der Stoß des linken Ventrikels das Blut arteriell, das heißt macht den Sauerstoff des Hämoglobins frei, und dieses arterielle Blut geht nun zu den Geweben. Das Hämoglobin jedoch bekäme nicht Zeit genug, um wieder mit Sauerstoff sich zu verbinden, und zwar wegen der aufeinander folgenden Stöße des Herzens und der in den Arterienverzweigungen anhaltenden vibrieren- den Bewegung. Der freie Sauerstoff wird bei dem Kreislauf durch die Kapillaren bis zu einem Drittel von den Geweben aufgebraucht. Nach dem Verlassen der Kapillaren verbinden sich die zwei Drittel wieder mit dem Hämoglobin und kehren in diesem Zustande zu dem Herzen zurück, zugleieh mit einem Drittel des Hämoglobins, welches Nehring, Größenunterschiede zwischen zahmen und wilden Grunzochsen. 765 seinen Sauerstoff verloren hat. Unter gewöhnlichen Bedingungen würde dieses eine Drittel wieder Sauerstoff aus den Lungenalveolen erhalten; aber wenn dort aller Sauerstoff aufgebraucht worden ist, kann es natürlich gar keinen Sauerstoff aufnehmen. Das Blut fließt von den Lungen zum linken Ventrikel, wo es wieder arteriell ge- macht und wieder durch die Arterien hinausgesendet wird; aber da nun in der kapillaren Zirkulation eine große Menge freien Hämo- slobins vorhanden ist, so wird dieses von einem Teile des Sauer- stoffes Besitz ergreifen, und die Gewebe werden weniger davon ab- bekommen als ihr gewöhnlicher Bedarf ausmacht. Mit jedem weitern Kreislaufe wird die für die Gewebe verwertbare Sauerstoffmenge kleiner und kleiner werden, bis zuletzt die Gewebe keinen erhalten, weil aller durch den Schlag des linken Herzventrikels freigemachte Sauerstoff bei der Zirkulation durch die Kapillaren von dem redu- zierten Hämoglobin mit Beschlag belegt wird. Die Gewebe sterben am Mangel an Sauerstoff, weil zu viel reduziertes Hämoglobin an- wesend ist, ein Stoff, der eine größere Anziehungskraft auf den Sauer- stoff ausübt, als es die Gewebe vermögen; und dieses Ergebnis würde, wie es beim ersticken der Fall ist, wahrscheinlich innerhalb der Dauer von sechs bis acht ganzen Kreisläufen — das heißt nach drei bis vier Minuten eintreten. Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin. Sitzung vom 16. Oktober 1888. Herr Nehring sprach über den Einfluss der Domestikation auf die Größe der Tiere, namentlich über Größenunterschiede zwischen wilden und zahmen Grunzochsen (Poöphagus grunniens). Es ist eine alte Kontroverse, ob die wilden Tierarten durch Domestikation größer oder kleiner werden; manche Autoren haben die erstere, manche die letztere Ansicht vertreten. Nach meinem Urteil lässt sich eine allgemein giltige Antwort auf jene Frage überhaupt nicht geben; es kommt auf die Umstände an. Dennoch scheint es die Regel zu sein, dass die Domestikation '), nament- lich in ihren ersten Stadien und insbesondere bei den langsam wachsenden Säugetieren, eine deutliche Verkleinerung der Statur und eine ansehnliche Verminderung der Körpermasse herbeiführt. — Im allgemeinen ist die freie Natur die beste Tierzüchterin, d. h. sie bietet den Tieren, sofern das Klima und die sonstigen Verhältnisse des betr. Landes überhaupt für die in betracht kommenden Arten passen, die günstigsten Bedingungen für ein dauerndes Gedeihen dar. Dagegen pflegt die Domestizierung von seiten des Menschen zunächst durchweg eine Verschlechterung der Existenzbedingungen für die be- troffenen Tiere mit sich zu führen, und da fast alle erfolgreichen Domisti- 1) Ich verstehe hier die Ausdrücke „Domestikation“ und weiterhin „domestiziert* in dem allgemeinern Sinne, in welchem Darwin sie gebraucht, nicht in dem engern Sinne, den Settegast (Die Tierzucht, 5. Aufl., I, S. 56) damit verbindet. (64 Nehring, Größenunterschiede zwischen zahmen und wilden Grunzochsen. zierungen an jungen, noch bildsamen Individuen gemacht werden und ge- macht worden sind, so übt die angedeutete Verschlechterung der Existenz- bedingungen regelmäßig einen verkleinernden Einfluss auf das Skelet und die ganze Statur der heranwachsenden Tiere aus. — Dieser verkleinernde Einfluss steigert sich meistens bei den nächsten, im Zustande der Domestika- tion erzeugten und aufwachsenden Generationen, so dass bald zwischen den wildlebenden Individuen und den durch primitive Tierzucht von seiten des Menschen produzierten Exemplaren einer bestimmten Tierart sehr deutliche Größenunterschiede sich herausstellen. Letzteres ist namentlich dann der Fall, wenn die Fortpflanzung der gezähmten Tiere durch sog. Inzucht (Verwandt- schaftszucht) geschieht (was in den Anfangsstadien der Domestikation offenbar häufig vorkommen wird), und wenn die ganze Haltung und Pflege derselben der Sorgfalt und Liebe entbehrt. Doch pflegen schon die bloße Einschränkung der Freiheit, die einförmigere Nahrung, die vorzeitige Gelegenheit zur Fort- pflanzung schwächend einzuwirken!), selbst wenn andere Uebelstände ver- mieden werden. — Nur, wenn der Mensch in der Tierzucht so weit vorge- schritten ist, dass er die freie Natur inbezug auf Darbietung günstiger Fort- pflanzungs-, Entwicklungs- und Nahrungsverhältnisse noch übertrifft, können die domestizierten Tiere ihre wilden Artgenossen an Größe und Körpermasse übertreffen, wie wir dieses bei manchen modernen Rassen von Haussäugetieren und namentlich von Hausgeflügel beobachten. Doch sind erst wenige Jahrzehnte vergangen, seitdem die Tierzucht in Deutschland (im Anschluss an die eng- lische Tierzucht) solche Erfolge aufzuweisen hat?). In frühern Zeiten waren unsere Haustiere meist klein und unansehnlich®); ja, sie sind es noch heute n solchen Distrikten, in welchen die Tierzucht auf einer niedrigen Stufe der Ausbildung zurückgeblieben ist. — Während bei vielen Haustieren Zweifel über die Abstammung erhoben werden, kann es wohl kaum als zweifelhaft erscheinen, dass die zahmen Grunzochsen (oder Yaks) von den wilden abstammen. Es steht nun schon durch ältere Beobachtungen fest, dass die letztern wesentlich größer und stärker sind, als die ersten). Dennoch dürften bestimmte Mes- sungen und Vergleichungen von Schädeln wilder und zahmer Individuen für gewisse Studien, namentlich für die richtige Beurteilung des Verhältnisses zwischen Bos primigenius und Bos taurus, von wissenschaftlichem Interesse sein. — Wie es scheint, gehören bis jetzt Schädel von wilden Yaks in den europäischen Museen zu den größten Seltenheiten. Um so interessanter ist ein Exemplar, welches Przewalski von seiner letzten zentralasiatischen Reise nach Petersburg mitgebracht hat. Herr Eugen Büchner, Konservator am zoologischen Museum der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg, welcher jetzt mit der Bearbeitung der von Przewalski gesam- melten Säugetiere beschäftigt ist, war so freundlich, mir eine Anzahl von Messungen inbezug auf jenen Schädel eines wilden Yak mitzuteilen, so dass ich in der angenehmen Lage bin, dieselben hier vergleichungsweise anführen 1) Vergl. meine Bemerkungen in den Verh. der Berliner anthrop. Gesell- schaft, 1888, S. 182 fg., Landwirtsch. Jahrbücher, 1838, S. 29. Sitzungsberichte d2G2 nat aR,21888, 8262. 2) Vergl. Settegast, Die Tierzucht, I, S. 68 fg. 3) Landois, Westfalens Tierleben, I, S. 100 fg. Tacitus Germania, ce. 5. 4) Nach Campbell (Journ. Asiat. Soc. Beng 1855) beträgt das Gewicht eines „Dong“ (d. h. eines wilden Yak) meistens das Vierfache eines gezähmten Yak; vergl. auch Brehm’s Illustriertes Tierleben, 2. Aufl., III, S. 380 fg. Nehring, Größenunterschiede zwischen zahmen und wilden Grunzochsen. 765 zu können. — Während dieses Exemplar offenbar von einem erwachsenen Stiere herrührt, besitzt die mir unterstellte Sammlung einen aus der Reise- Ausbeute der Gebrüder Schlagintweit stammenden tibetanischen Yak- Schädel, welcher sehr wahrscheinlich von einer wilden Yak-Kuh herrührt !). Leider sind die Hörner samt den Hornkernen abgehackt, auch ist das Hinter- haupt an einer Seite gewaltsam verletzt; aber grade der Umstand, dass die Gebrüder Schlagintweit diesen Schädel trotz der genannten Verletzungen des Transports für wert gehalten haben, während ihnen unverletzte Schädel zahmer Yaks ohne Zweifel zur Disposition standen, scheint zu beweisen, dass jener von einem (schwer zu erbeutenden) wilden Yak herrührt. Auch die Größe des Schädels nnd die glatte, feste Textur der Knochen sprechen dafür. — Mit diesen beiden Schädeln stelle ich diejenigen von drei zahmen Yaks zu- sammen, welche der mir unterstellten Sammlung angehören. Zwei davon stammen aus Indien (vermutlich aus dem Himalaya-Gebiete), einer aus dem hiesigen zoologischen Garten. Letzterer ist hornlos, wie die Mehrzahl der hier gezüchteten Exemplare, wenngleich von gehörnten Individuen abstammend. [Aus einer vom Redner mitgeteilten Tabelle ergibt sich, dass der Schädel des wilden männlichen Yak im seinen Dimensionen an die kleinerın Schädel des bos primigenius heranreicht.] — Die Schädel der domestizierten Yaks scheinen durchweg um ein bedeutendes hinter denen der wilden Exemplare zurückzu- bleiben ?2), gleiches Alter und Geschlecht vorausgesetzt. Doch kommen bei ihnen sehr verschiedene Abstufungen in der Größe vor, wie auch die lebenden Individuen des Berliner zoologischen Gartens beweisen. Sogar in den Propor- tionen der Schädel erkennt man mancherlei Variationen. — Die einzige Dimen- sion des Schädels, welche relativ konstant sich darstellt, ist die Länge der Backenzahnreihe; doch erscheint sie im Vergleich mit den wilden Yaks ver- hältnismäßig groß. Setzt man die Basilarlänge des Schädels = 100, so be- trägt die Länge der obern Backenzahnreihe bei den beiden wilden Exemplaren 25 resp. 26°/,, bei den 3 domestizierten 29!/,, 32!/, und 34°),. Wir finden ganz analoge Verhältnisse bei vielen andern Säugetier- Arten, wenn wir wilde und domestizierte Exemplare mit einander vergleichen. Die Backenzähne pflegen bei den im Zustande primitiver Domestikation gezüchteten und infolge dessen an Größe zurückgebliebenen Individuen nicht in demselben Maßstabe abzu- nehmen, wie der ganze Schädel; sie erscheinen daher relativ groß. — Aehn- liche Größendifferenzen, wie ich sie zwischen den Schädeln der wilden und zahmen Yaks nachgewiesen habe, scheinen auch zwischen den übrigen Skelet- teilen zu existieren. Die mir unterstellte Sammlung enthält das zerlegte Skelet eines etwa 21/,jährigen, männlichen ?), wahrscheinlich wilden Yak aus Tibet, dem leider der Schädel fehlt. (Dasselbe stammt ebenso, wie der oben be- 1) In dem Nathusius’schen Kataloge fehlt bei diesem Schädel, sowie bei dem unter derselben Nummer inventarisierten Skelet eines jüngern tibeta- nischen Yak, welches weiter unten noch besprochen werden soll, der Zusatz: „domestiziert“, während bei den andern Yaks dieser Zusatz ausdrücklich ge- macht ist. Dieses lässt vermuten, dass auch Nathusius jenen Schädel einem wilden Yak zuschrieb, 2) Vergl. Rütimeyer, Natürliche Geschichte des Rindes, 2. Abt., S. 110 u. 124. Der dort von Rütimeyer beschriebene Schädel eines domestizierten weiblichen Yak hat nach der Abbildung eine größte Länge von nur ea. 410 mm. 3) Das männliche Geschlecht ergibt sich mit Sicherheit aus der Form der Schambeine, 66 Kobert, Ueber die giftigen Spinnen Russlands. sprochene Schädel, aus der Schlagintweit’schen Sammlung). — Ich will zum Schluss noch darauf aufmerksam machen, dass bei den Yaks grade so, wie bei andern Boviden, sowie auch bei Oviden, Cerviden und Equiden, die Form des Beekens, namentlich inbezug auf die Bildung der Schambein-Symphyse, die deutlichsten Unterschiede zwischen weiblichen und unkastrierten männlichen Individuen erkennen lässt!, Hermann v. Nathusius hat den schon von Franck betonten Unterschied in der Bildung des vordern Teils der Schambeim - Symphyse für die Hausschafe allerdings in Abrede ge- stellt ?2); ich finde denselben aber an dem reichen Materiale unserer Sammlung in der deutlichsten Weise ausgeprägt. — Bei den unkastrierten Männchen ist die vordere Partie des Symphysenteils relativ dick und in Form einer Beule gebildet, bei den weiblichen Individuen dagegen relativ dünn und mehr abge- plattet. Man erkennt diesen Unterschied auch sehr gut an vereinzelten Becken- hälften, während die Unterschiede, welche in der größern oder geringern Weite des Becken-Eingangs und -Ausgangs bestehen, nur an vollständig erhaltenen, in ihrer Gestalt unveränderten Becken sicher zu beobachten sind. — Ich habe sämtliche Boviden, Oviden, Cerviden und Equiden unserer Sammlung in dieser Hinsicht untersucht und stets die deutlichsten Geschlechtsunterschiede in der bezeichneten Richtung wahrgenommen. Ich mache jedoch darauf aufmerksam, dass kastrierte Männchen in der Bildung der Schambein -Symphyse eine An- näherung an die Weibchen zeigen, während bei sehr alten, vermutlich unfrucht- bar gewordenen Weibchen zuweilen eine Annäherung an den männlichen Typus vorkommt. — Bei normal entwickelten Männchen und Weibehen wittlern Alters habe ich niemals eine wesentliche Abweichung von der dem resp. Geschlecht zukommenden typischen Bildung beobachtet. Natürlich muss man immer nur Individuen gleicher Rasse und möglichst gleichen Alters mit einander ver- gleichen; ebenso müssen dickknochige, plumpgebaute Weibchen mit ent- sprechenden Männchen, wild aufgewachsene Exemplare möglichst nur mit wilden verglichen werden. — Da es bei der Beurteilung fossiler Skeletteile (z. B. solcher von Bos primigenius) oder bei der Bestimmung von rezenten Skeleten, welche ohne Geschlechtsbezeichnung in eine Sammlung gekommen sind, sowie auch in gewissen Fällen der Jagdpolizei nicht unwichtig ist, das Geschlecht eines bestimmten Individuums auch unabhängig von der Schädel- bildung feststellen zu können, so mache ich auf obige Unterschiede hier auf- merksam. Dorpater Naturforscher - Gesellschaft. Prof. Dr. Kobert sprach über die giftigen Spinnen Russlands und vervollständigte seine darauf bezüglichen frühern Mitteilungen ®). I. Galeodes araneoides, die Solpuge, auch Phalang genannt, wurde von E.Häckel’s Assistenten Dr. Walter bei Gelegenheit einer russischen Studien- reise an Ort und Stelle beobachtet und dann in Jena weiter untersucht. Das Resultat dieser Forschungen ist, dass das Tier keine Giftdrüsen besitzt und dass ihr Biss ungefährlich ist. Einer der Anwesenden, Herr von Bock, der 4) Für die betreffenden Haussäugetiere vergleiche man L. Franck, Hand- buch der Anatomie der Haustiere, I, S. 217. 2) Hermann v Nathusius, Vorträge über Schafzucht, S. 122 tg. 3) Vergl. Biolog. Centralbl., Bd. VIII, Nr. 9. Kobert, Ueber die giftigen Spinnen Russlands. 7167 das Tier aus eigner Erfahrung von Asien her kennt, bezweifelt jedoch die Ungiftigkeit aufgrund seiner Beobachtungen. II. Trochosa singoriensis, die russische Tarantel wurde durch Herrn stud, Falz-Fein in zahlreichen Exemplaren lebend nach Dorpat geschickt, von denen einige der Versammlung lebend vorgezeigt werden. Sie lassen sich im Wärmeschrank ganz gut aufheben und sind sehr gefräßig. Bei der Verarbei- tung derselben zu Extrakt und Injektion desselben ins Blut, in derselben Weise wie früher die Lathrodectes- Exemplare untersucht wurden, ergab sich ihre völlige Ungiftigkeit für warmblütige Tiere. Damit soll aber keines- wegs bestritten werden, dass das Sekret der gut entwickelten Giftdrüsen dieser Spinne nicht doch Wirkungen habe; diese scheinen sich aber nur auf niedere Tiere zu beziehen. III. Lathrodectes tredecimguttatus, die Karakurte, welche ebenfalls in großen Exemplaren lebend gezeigt wird, wurde vom Vortragenden in den letzten acht Monaten noch weiter untersucht und alle seine frühern Angaben darüber be- stätigt. Sie enthält in allen Körperteilen und nicht etwa nur in den Gift- drüsen ein zur Gruppe der ungeformten Fermente gehöriges protoplasmatisches Gift, welches an Wirksamkeit bei Einführung ins Blut Blausäure und Stryehnin weit übertrifft. Einem alten russischen Volksglauben zufolge soll das Schaf dagegen immun sein. Bei daraufhin angestellten Versuchen ergab sich jedoch, dass diese Tierspecies grade ebenso dieser Giftwirkung unterliegt, wie Tauben, Hähne, Katzen, Hunde, Füchse, Ratten und Kaninchen. Der alte russische Volksglaube ist also unrichtig. Richtig ist er jedoch insofern, als diese Spinnen vor Schaffellen einen Widerwillen haben und den darauf ruhenden Menschen nicht angreifen. Nach Walter beruht dies auf der wolligen Beschaffenheit des Schaffelles, in welchem die Spinnen sich leicht verwickeln. Man könnte jedoch wohl auch den unangenehinen Geruch derselben dafür zur Erklärung herbeiziehen. Auch die Ziege, welche gegen Gifte wie Nikotin und Cytisin enorm empfindlich ist, unterliegt der Vergiftung durch das Lathrodectes - Gift grade so wie andere waymblütige Tiere. Vom Igel hat der Vortragende das- selbe schon früher festgestellt. IV. Von den in Dorpat einheimischen Spinnen wurden verschiedene Species, zu den Gattungen Tegenaria, Drassus, Euglena, Eucharia, Argyroneta und Epeira gehörig, untersucht und mit Ausuahme der letzteın, also der Kreuz- spinne, ganz unwirksam gefunden. Zpeira diadema ist dagegen entschieden giftig und zwar qualitativ grade so wie Lathrodectes, quantitativ Jedoch viel schwächer, so dass es beispielsweise bei Injektion unter die Haut überhaupt nicht gelang bei Katzen und Ratten damit Vergiftungen zu erzielen, sondern nur bei Injektion ins Blut. Auch bei dieser Spinnenart ist das Gift bereits in den Eiern und den eben ausgeschlüpften Tieren enthalten. Für den Menschen hat der Biss der Epeira keine Bedeutung. Zum Schluss spricht der Vortragende die Hoffnung aus, dass er später noch ein drittes mal über die Giftspinnen Russlands werde berichten können, da auf seine Veranlassung Herr Dr. Ucke in Petersburg durch den Medizinalrat statistische Erhebungen über die dadurch im russischen Reiche verursachten Erkrankungs- und Todesfälle von Tieren und Menschen grade jetzt machen lasse und versprochen habe, das dabei gewonnene statistische Material zum Zweck wissenschaftlicher Verwertung dem Vortragenden zur Verfügung zu stellen. 68 Kobert, Ueber den Nachweis der Blausäure. In der darauffolgenden Sitzung (22. Okt. 18%8) sprach Prof. Dr. Kobert über den Nachweis der Blausäure. Bekanntlich geht der Cyanwasser- stoff weder mit Hämoglobin noch mit Oxyhämoglobin eine charakteristisch ge- färbte Verbindung ein, sondern das in Krystallen darstellbare Cyanwasser- stoffoxyhämoglobin hat genau die optischen Eigenschaften des gewöhnlichen Oxyhämoglobins, und ein Cyanwasserstoffhämoglobin existiert, wie es scheint, überhaupt nicht. Die eigentümlich hellrote Verfärbung des Blutes in den Leichenflecken und den Magenwandungen von Menschen, welche an CNH oder UNK gestorben sind, bedarf daher einer andern Erklärung. Der Vortragende legt ausführlich dar, dass diese Verfärbung auf der Bildung von Uyanwasserstoffmethaemoglobin beruht!). Dieses unterscheidet sich vom gewöhnlichen Methaemoglobin, welches gelbbraun aussieht, durch eine auffallend schön hellrote Färbung, die sehr beständig ist. Es unterscheidet sich ferner auch noch spektroskopisch, indem dem gewöhnlichen Met-Hb ein charakteristischer Absorptionsstreifen im Rot zwischen C und D eigen ist, während dieser dem UNH-Met-Hb fehlt. Die meiste Aehn- lichkeit hat das Spektrum des CNH-Met-Hb mit dem des (reduzierten) Hb; während jedoch letztgenannter Körper beim Schütteln mit Luft sofort O, auf- nimmt und dann den doppelten Streifen des O,-Hb zeigt, kann man das CNH-Met-Hb durch Schütteln mit Luft gar nicht oder nur sehr schwer in O,-Hb umwandeln. Die Blausäure scheint im CNH-Met-Hb sehr fest gebunden zu sein, so dass sie selbst bei vielstündigem Durchleiten von Luft oder Leuchtgas nicht ausgetrieben wird. Eine so behandelte wässerige CNH-Met-Hb-Lösung riecht nicht mehr nach Blausäure, obwohl sie noch merkliche Mengen derselben enthält, die man durch Destillieren in saurer Lösung wiedergewinnen kann, Wahrscheinlich erklärt sich daraus die den gerichtlichen Chemikern längst bekannte Thatsache, dass aus ganz geruchlosen Leichenteilen sich zuweilen Blausäure abdestillieren lässt. Lässt man Blut auf Papier oder Kleidern eintrocknen, so bildet sich unter Uebergang der roten Farbe in eine sepiabraune Met-Hb; lässt man Blut, welches reichlich CNH enthält, in derselben Weise eintrockmen, so erhält man einen roten Fleck von UNH-Met-Hb. Zur Unterscheidung des Met-Hb vom Hämatin sowie zum Nachweis der CNH ist das CNH-Met-Hb verwendbar. In 30 ce einer 1prozentigen Blutlösung, die man durch Spuren von Ferrideyankalium in Met-Hb übergeführt hat, rufen noch 0,1 mg CNH, wie der Versammlung ad oculos demonstriert wurde, augen- blicklich eine selbst bei Lampenlicht erkennbare deutliche Rotfärbung hervor, die noch in kleinen Volumina wie 1 ce merkbar ist, so dass damit also noch 0,000003 g Blausäure nachgewiesen werden können. Vortragender zeigt dann weiter, dass CONH die Bläuung der Jodstärke durch Ozon noch in einer Verdünnung von 1:300000 hindert resp. aufhebt, was zum Nachweis derselben sehr „brauchbar ist. _In gleicher Weise wird auch die Bildung von Isatin aus Indigblau durch Ozon von ihr verhindert. Berichtigung: Auf der letzten Seite der vorigen Nummer muss es Zeile 6 und 11 von oben heißen Bythotrephes statt Bythotreptes. 4) Kohlenoxyd bildet mit dem Methaemoglobin keine charakteristische Verbindung, obwohl man dies behauptet hat. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Alphabetisches Namen -Reegister. Die mit * bezeichneten Namen sind die Namen der Verfasser von Original- mitteilungen, die mit 7 bezeichneten diejenigen der Verfasser von Essays, zusammenfassenden Uebersichten, Kritiken, Referaten u. s. w. Abbe E. 605 fg. Abernethy 537. Afanassjew 470. Agassiz 219. Allen Grant 267. Altum 320. Andral 551. Andr& 160. Andrian 337. Arcangeli G. 193. Aristoteles 287, 492 fg. Arlt 26. d’Arsonval 253, 658. Askenasy 506 Asper 187. Aubert 440, 445 fg. Aublet 329. Auerbach B. 462. Aurivillius 195 fg. Avenarius R. 241, 674. Bacon 673. Balfour 335 fg. Ballard 463 Bang 463. Barrow 534. Bartels 335. de Bary 301, 481. Bassa Laura 538 Bates 322. Baur 588. Beccari 326 fg. VIII. Bell 463 Bellesme Jossuet de 183, 279 Bellonei 29, 455. Belt 328. Beneden E. van 367, 546 fg. Benedikt 375. Beraneck 710, 715. Bergendal 704. Berger G. 457 fg. Berger E. O. 681. Bergh 126. Bergmann 554. Berggvist 679. Berkeley 170. Bernard Claude 666. Bert 560, 666, 756. Berthelot 160. Berzelius 560, 569. Beske 383, Beyerinck 129 fg, 164 fg., 172 fg. + Biehringer Joach. 230, 648. Biot 669. Bishop 294. Bizzozero 96. Black Josef 535. Blanchard R. 575. Blaschek 385 fg. Blochmann 272, 506, 521. Blumenbach 492, 497 fg. in tg,, du Bois-Reymond 67, 106 fg., 206. * Bokorny Th. 1. Bonnier 329. Borelli 533. Born 403. Bose 472. Boudier 145. Boullay 565. Bourguignon 692. Bourne G. C. 274, 725. Boveri Theod. 17 fg., 367, 545 fg. Bowerbank 48. Boyle Robert 532 fg., 673. Braconnot 565. Brand 554. Brandt Ed. 454. Brants 725. Brass A. 1417. Braun 638. Brefeld 140, 190, 514. * Brock 641. + Brock 491, Brown - Sequard 121, 253. Brücke von 445. Buccola Gabriele 678. Buchanan 463. Buchenau 639. Büchner Eugen 764. Budde 442. Buffon 498. Bunsen 556 fg. 49 T7O Burck W. 193, 203 fg. * Bütschli O. 161. Bütsehli 506. Caldwell 8. armoy J. B. 17. Carriere 276. Carter 41. Caspary 490. Cattell 681. Celli 569. Cesca 241 fg. Chamisso 23. Charpentier 447. Chatin 726. Cholodkovsky 361. Christison 554. Cigna 554. Claparede 94. Claus 48 fg., 455 fg., 721. Coaz J. 187. Cohn Ferd. 303, 569. CGohnstein 509. Conrad 631. Cope E. D. 631. Copes M. 293. Corten F. R. 130. Creplin 649. Cuvier 280. Uzermak J. 438 fg. 245, 357, * Dalla Torre K. W. von 473. Dalton 556. Dana 274. Danilewsky 663. Darwin Charles 23 fg., 65 fg., 106 fg., 118 fg, 209, 245, 256, 2% fg, 297 fg., 353 fg., 491 fg, 518, 640, 641 fg., 763. Darwin Erasmus 533, 646 fg. Davidoff von 31. Davies T. 23. Davy John 554. Davy Sir Humphrey 538, 554. Decandolle A. 208, 742. Delage Yves 453. Delpino 225, 326 fg., 481g , DEAD: Dendy 220 fg. Denzler 237. Descartes 532. Despretz 657 fg. Detmer 3, 68 fg, 97 fg. * Dewitz H. 157. Dietl 262. Diezel 472. *® Dingfelder Joh. 210. Dingler H. 138 fg. Dittmar 668. Dohrn A. 461. Döderlein L 47, 68, 156, 208, 289, 357. * Dreyer Fr. 123. Droste-Hülshoff 320. Dujardin 180. Dulong 657 fg. Dunean M. 274 Dvorak 442 fg. Eble 337. Ebner V. von 318, 356. Ecker 336. Eckstein 734. Edwards W. F. 539, 553. Ehlers 31. Ehrenberg 549. Ehrlich 55. + Eimer G. H. Th. 353. Eimer 118 fg., 209. Eisenberg James 46. Eisig 80, 84. * Emery C. 228. * Engelmann 33. Engelmann 246. Erdmann B. 675. Errera 482. Eschricht 337. Ettinghausen C. von 126. * Exner Sigm. 437. Exner 690. Fabre 733. Falk 514. Alphabetisches Namenregister. * Faussek Victor 359. Feder 337. Fernet 558 fg., 666. Fewkes!) 721. Fichte 673. Fierks 342. Fisch C. 145. Fischer E. 5. Fischer P. M. 230. Finkler 21 fg. Fleischl von 442 fg , 759 tg. + Fleischmann A. 9. Flemming 82, 93, 163. Flesch 337. Flügge 21 fg., 311. Forel F. A. 187. Forel 184, 280 fg, 695 fg., 733. Fowler E H. 275 Fracassati 554. Frank 145. 170. Fränkel E. O0. 370 Frankland 663. Frenzel J. 460. Frerichs 55. Fresenius 705. Freud 93 fg. * Fricke Karl 673. + Fricke Karl 241. * Friedländer Benediect 369. Friedländer 2. Friedrieh M. 679. Fritsch C. 636. Fritsch 703. Frommann 163. Funke 560. Fürstenberg 237. Gad 511. Galen 531. Gamgee 561. Gasser 29. 385 fg. Gaule 53 fg. Gaultier 465- Gavaret 551. Gegenbaur 14 fg. Geppert 506 fg. 1) Heißt an der betr. Stelle fälschlich Tewkes. Alphabetisches Namenregister. Gericke Otto von 532. Gerlach Leo 268. * Geyl 332. Tg. Gleichen-Russwurm Graf 549. Gmelin 554, 740. * Göhlert Vine. 342. Golgi 95, 569. Goodwin 538. Göring C. 676. Göthe 640. Götte 29, 385 fg., 717. Götz Martius 674 fg. Graaf 715. * Graber V. 743. Graber V. 179, 276. Grashey H. 691. Gray 45, 48. Grenacher 180. Grobben C. 368, 413. + Gruber A. 520. Gruber A. 110, 178, 519, 549. Gudden B. von 691 fg. (uerne Jules de 186, 369, 514, 575. Günther 269. Guppy 23 fg. Guthzeit 631. * liaacke W. 8, 31, 86, 282, 332, 359. 7 Haacke W. 124, 159 Haacke W. 157, 218, 582. Haberlandt G. 110 fg. Häckel E. 29, 120, 206 fg., 245, 290, 641. fg., 721. Haläcsy 638. Hales Stephen 536 fg. Haller G. 455, 492. Hallier 169. Handlirsch Anton 383 Hankel 690. + Hansen 147. Hartwig W. 473. Hatschek 126. Havenstein 130 fg. Heidenreich 464. Heider 449. Heinricher 487. Heitzmann 163. Helmont van 532. Henking H. 362. Henle 698. Hensel 238, 269. Hensen 385 fg. Heraklit 492 fg. Herbart 252, 267. Herder 642. Hering 59, 445. Hermann 658. Hertwig 0. 29, 385 fg. Hertwig Rich 17 Hertwig 272, 449. Hewson 554. Hildebrand Fr. 138. Hipp 681. Hippokrates 492, 531. Hirn 658. Hirsch 679, 6%. His 67, 105, 385 fg. Hoffer 517. Hoffmann €. K. 385 fg. Hoftmann H. 139. Hoffmann 101 fg., 126, 554, 708. Högyes 512. Holodkowsky 449. Holovtschiner 511. Hooke Robert 534. Hoppe-Seyler 4, 36, 560 fg, 631 fg., 666. Horwiez 241 fg. Hüfner 563. Humbert Alois 368. Humboldt 551. Hüppe 302, 464. Huth ER. 138 fg., 977 fg. Huxley 123, 218, 354. * Ihering H. von 268. Imhof 734. * Ischikawa C. 430 Ischikawa C. 124 fg, 363. Iwanoff Wera 63, Jacksch von 303. Jäger G. 243 fg. Jakobi 692. Jamieson 463. a Johow 329. Jordan Karl Fr. 193, 203 fg. Joseph 655. Judd 23. Julius W. H. 35. Kamrodt 130. Kant 258, 492 fg., 641. Kauffmann Otto 236 Kellermann 130. Kempner 758 Kerner von 518, 577, 637. Kingsley 725. Kirchheim von 370. Kirehner O©. 319 Klebs 110, 569. Klein 463 + Knecht 382. Knoll 506. Kny L. 577 fg. Kobert 287, 766. Koch G. von 314 fg. Koch 19, 276, 637. * Kolesnikoff 19. Kölliker A. von 385 fg., 399. Kollmann 210 fg., 385 fg. Könike F. 574. Korotneff 31. + Korschelt Eugen 110. Kowalevsky 79, 154, 449, 454, 460. Kräpelin E. 262, 677 fg. Krasan 127 fg. Krasser Fridolin 126. Krause Arth. 736. Krelage 170. Kries von 690. Kronecker 758. Kröner Eugen 241 fg. + Kronfeld M. 517. Kronfeld M. 636 fg., 670, 739. Kühn J. 130, 165 fg. Kühne W. 502 fg. * Kükenthal W. 80. Külpe O0. 245 fg., 678. Kultschitzky 367. Kupffer 163, 385 fg. Kussmaul 250. 49% 772 Alphabetisches Namenregister. Laeisi 571. y Ludwig F. 138, 193, Miklucho-Maclay 336 fg. Laer von 130. 226 fg., 319, 330, 481, Mitscherlich 554. Lagrange 552. 543, 580, 742. Möbius RK. 87, 655 tg. Lamarck 65 fg., 104 fg., Ludwig R. 128, 558 fg. Moleschott Jac. 160. 499, 646 fg. Lubbock Sir John 733. Molisch Hanns 159, 189. Lang A. 81 fg., 189. Lyell Sir Charles 10. Möller Jos. 147. Lange Ludwig 680 fg. Lyonet 276. Morong 740. Lange Nikolai 680 fg. Moser 349 fg. Langendorff 508, 511 fe. Mosso 509. Langerhans 386 fg. Mach 442. Mulder 565, 600 fg., 631 fg. Langley 35. Mae Cook 322, Müllenhoff 141. Lastri P. 347. Mae Guire 758. Müller Fritz 139 fg., 226 fg., Laveran 569. Mae Kendrick John Gray 325 fg., 742. Lavoisier 537, 552, 657 fg. 531, 551, 664, 755. Müller Herm. 194 fg,,225 fg. Lazarini Baron Ludw. 473. Maggi Leop 185. Müller J. 386 fg., 553, 725. Leeuwenhook 554, 726. Magnus Heinr. Gust. 554fg. Müller O. F. 653. Lehmann C. 465, 507, 560. Malaguti 565. Müller W. 558. Leibnitz 534. Malpighi 276, 532. Munk Imm. 667, 759. Leidy 272, 631. Maly 50. Murray John 23 fg., 48. Leitzmann 685. Man de 137. 7 Lendenfeld R. von 46, Maphom 337. 218, 274, 312, 314, 720. Marchiafava 569. Nägeli 104, 119, 161 fg.. Lendenfeld R. von 14, Marckwald Max 511 fg, 283 fg. 220 fg., 228, 357 fg. 758. Nansen Fridtjof 93. Leonard Alice 59. Marenzeller E. von 275. Nasse 0. 469. Leslie 573. Mark 180. Nathusius Herm. von 237, Lesser 272. Marshall W. 48, 669. 766. Letourneux 575. Martigny Collard de 553. Neelsen 464. Leube 303. Martin 295 fg. Nehring A. 237 fg., 763. Leuckart R. 230 fg., 648 fg. Martius 329. Neilreich 638. Levy A. 31. Matteuci 666. Newton 534, 673. * Leydig F. 707. Maupas 178 Nitschke 130 Leydig 94, 163, 229 fg, Mauthner 26. Nobbe 130. 574, 725, 735. Mayer Paul 386 fg., 455, Nottidge 517. Lieberkühn 307. 696. * Nusbaum Jözet 449. Liebermeister von 661. Mayow 535, 554. Nussbaum 110. Liebig J. von 558, 600 fg. Meissen 208. Nussbaum M. 367. Liebig Georg 666. Meißner 31, 549. Lindman C. A. M. 193, Menzies 537. 199 fg. Metschnikoff 148, 569. 7 Obersteiner H. 96. Linne 287, 498, 639. Meyen 169 Vellacher 386 tg. Lister 31. Meyer J. B. 243. Oesterlen 337. Lo Bianco 744. Meyer Lothar 559. Ogata 55. Löffler 469. Meyer Viktor 5. Oken 653, 704. Lombroso Cesare 370. Meynert 695 Ormerod Eleanor A. 137, Looß A. 230 fg. Michaelsen 84. 176. * Löw 0.1. Michel 698. Ornstein 334 fg. Lowthorp 534. Michelson 336. Orth J. 104 tg. Löwy A. 506 fg. * Migula W. 514. Ott von 758. Lubbock Sir John 256, Migula 574, 737. Otto E. 170. 267, 733. Mik 382. Owen 14, 48. Packard A. S. 456. Pagenstecher 235. Pallas 287. Panum 465. Parent-Duchatelet 377 Parreydt 336 fg. Pascal 534. Pasteur 303. Patten 180, 725. Paul 14. Paulsen F. 673 fg. Peitzer 506. Peligot 565. Peter 29. Pettenkofer von 551. Peyer A. 96. Pfeffer 98, 161, 503. Pfitzner 273 fg. Pflüger 2, 67, 106 fg., 260, 408 fg., 507, 560, 665, 667.2759, 162: Philippi 383. Plate 734. Plateau F. 179 fg., 276 fg., 125 fg. * Platner Gust. 521, 718. Platner 404. Poppe S. A. 189. Portschinsky 382. Poulton 71 fg. Power 463. *= Prazmowski Adam 301. Prazmowski 307. Preyer 249 fg., 509, 561, 563. Priestley 535 fg. Prillieux 170. Pringsheim 500, 506. Provencal 551. Przewalski 764. (uetelet 342. + Quincke G. 499. Rabl-Rückhard 386 526. Radestock 688. ® Raskin Marie 462. Tg., Räthay Em. 190), 491, 740. Ratzeburg 322. Ray - Lankester 180 fg., 725. Reaumur 280. Recklinghausen 295 fg. + Reess M, 145. Reess M. 145. Regnault 551, 558, 756. Reichardt 639. Reichenbach H. Reinke 4. Reiset 551, 558, Remak 30. Ribot Th. 675. Richardt J. 569, Richet 658. * Richter W, 289. Ridley S. O0. 220 tg. Ritsema 320. * Ritzema Bos 129, 320, 471. Ritzema Bos 452. Romanes G. J. 67, 256. Römer 639. Romiti 30. * Rosenstadt B. 452. = Rosenthal J. 307. + Rosenthal J. 657. Rosenthal 506, 511, 679. * Roux W. 399. Rubner 663. + Rückert J. 385, 417. Rückert 31. Rusconi 30. rüte 726. Rütimeyer 585, 765. 91, 123. 756. >75. 164, Sachs 75. Saint Simon 169. * Salensky W. 79. Salensky 126. Salkowsky 508. Sanctorius 534. Sarasin 79. Sars G. 0. 452, 458. 1) Heißt an der betr. Stelle fälschlich Rathy. Alphabetisches Namenregister. 179 Säxinger von 211. Scott 588. Schäfer 655. Scharling 658. Schelling 673. Schewiakoff 272 fg., 519. Schiavuzzi 569 fg. * Schiess H, 28. Schiff 265. * Schiller Tietz 157. Schiller Tietz 236. Schimkewitsch W. 361. Schimper A. F. W. 321 fg. Schimper 128, 578. Schlagintweit 765, + Schlosser Max 582, 609. Schmidt Alex. 507, 560. Schmidt G. 440. Schmidt Karl 560. Schmidt 0. 42, 48. Schmiedeberg 508. Schneider G. H. 247 fg. Schnizlein 739. Schöbl J. 461. Schott 605. Schumann K. 577 tg. Schultze O0. 399 fg. * Schulz 0. 307, 567, 604, 636. Schulze E. 5. Sehulze F. E.38 fg , 46 fg.., 272, 580 fg. Schulze Max 247, 465. Schwalbe 465. Schwarze W. 231. Schwerz 130 fg. Schwink 29. Selenka 126. Semper C. 245, 276. Sestini Fausto 603, 631. Setschenow 560. Settegast 763. Seydel Rud. 159. Siebold von 232, 524. Smith Angus 551. Snell Karl 159, 471. Solger 30. Sollas 222. Sorauer Paul 169. Sormani G. 342 fg. Soxhlet 465. [ge Spallanzani 538 fg., 5952, 666. Spencer Herbert 67, 351. Spinoza 534. Sprengel 226. Stahl Ernst 481 fg. Stein 565. + Steiner J. 524. Stevon 554. Stieda 234. Stokes 561 fg. Stolnikow 54, 60. Strahl 710, 715. Strasburger 119, 163. Strassburg 667, 759. Straumann 27. Strauß-Dürkheim 725. Stricker 30. Studer 312. Swammerdam 276, 534. Sye 454 fg. * Tarchanoff J. 19, 307 fg. Taylor 463. Thierfelder 632. Thomas A. B. 648 fg. Thomson Sir Wywille 47. Thümen E. von 170. + Tiebe 179, 276, 725. Tiebe 267. Tiedemann 554. van Tieghem 303. Tigerstedt 679. Tiseher E. 689. Tommasi-Orudeli 568. Tourneux 295 fg. Tulasne 145. Urban Ign. 201 fg. Ucke 768. 138 fg., 193, Valentin 440. Vanhöffen E. 720. Verworn M. 519 fg. Vesal 534. Vieq d’Azyr 702 fg. Vierordt 551. Villerme 342 fg. Vintschgau von 262. Virchow R. 105 fg., 207, 236, 245, 298. Voeltzkow 449. Vogel 554, 658. Vogt Karl 755. Voigt 337. Voit 663. Volkelt J. 676. Voorhelm 169. + Vosmaer G. C.J. 38, 220. Vosseler 209. Vries Hugo de 170. Vulpian 526. Wagener G. R. 651. Wagner N. 459. Wakker 170. Waldeyer 386 fg. Wallace A.R. 10, 87, 669. Waller 694 fg. Walter 766. Wappäus 349. Warming E. 33, 193 fg. Weigert C. 106, 404. Weber C. F. 733. Weber Max 456. * Weismann A. 65, 97, 430. Weismann A. 118 fg., 123 er, 202 IE, 298 fg., 320 fg., 357, 368, 521, 639. Weltner W. 736. Alphabetisches Namenregister. Wenckebach 386 fg. Wertheimer 508. Wettstein R. von 577 tg. Wiedersheim 386 fg. Wiesner 640. Wijhe van 386 fg. + Wilckens M. 240. Wilhelm 190. * Will L. 148. Willemoes-Suhm von 650. Willis 533. Wilson 315. Winogradsky 8.33 fg., 543. Witlaezil 151 fg. Wittich 690. Wittrock 740. + Wlassak Rud. 64. Woliffberg 759. Wright Pareival 312. Wundt W. 242 fg., 677 fg. Wurster 4. * Zacharias O. 185, 204, 235, 540, 542, 548, 574, 575, 604. + Zacharias O0. 19, 367, 368, 548, 550, 736. Zacharias 0. 289, 515. Zaddach 456. Zalewski 141. Zeiß C. 605 fg. Ziegler E. 106, 230 fg., 386 fg. Zincone 228. Zittel 40 fg., 48 Zopf 33, 141, 147, 709. * Zukal Hugo 513. Zukal Hugo 190. + Zuntz N. 506. Zuntz 666. Alphabetisches Sachregister. A. Abröhren der Reben 741. Abstammung des Menschen 158. Acacia 328, 578. Acanthascus A0. Aconitum-Blüte 636. Actinophrys 550. Adapiden 621. Aelchenkrankheit der 164. Aetherische Oele als Schutz für Pflanzen 485. Aftekte infolge geistiger Vorgänge 253. Affekts-Dispositionen 259. Afterdarm, Remak’scher 30. Afterspinne, Entwicklung der schlechtsorgane 359. Agalena 184. Agalma 745. Agaricus deliciosus 542. Agave americana 111. Akklimatisation von Hummeln 517. Albumin, aktives 1 fg. Albuminat des Hühnereies für Bak- terienzüchtung 19, 307. Alchornea 329. Aleyonarien-System Studer’s 312. Aleyonium 312, 315. Aldehydgruppe im aktiven Albumin 2. Algen, Verbreitungsweise 514. Algenzellen unter der Einwirkung von Säuren 737. Alnus insueta 123. Aloe verrucosa 111. Hauszwiebeln Ge- Amblypoden 586. Ameisen -Nektarien bei Urena lobata 742; bei Serofularineen, Polygoneen, Euphorbiaceen, Salicineen, Orchideen 490 fg. Ameisenpflanzen 321 fg., 577. Amoeba 550. Amphioxus 30, 93. Analgesie 265. Anas boschas 369. Anchitherium 59. Anguis 708. Anisotropie 75. Anoplotheriiden 593. Anpassung, potentielle (Häckel) 206. Antedon rosacea 748. Anthelia 312, 315. Anthropomorphen, erste im Obermiocän 612. Antilopen, erste 611. Antipyrin, physiologische Wirkung 63. Anuraea 574. Aphanochaete 516. Aphiden, vivipare: Gastrulation 145, Scheitelplatte 146, Keimstreifen 146, Geschlechtsanlage und Mesoderm 152, Embryonalhüllen 152, Segmentierung 153, Produkte der Keimblätter 154. Aphrocalistes 40. Apochromatische Objektive 604. Appendicularia entomophila 141. Apus 525. Arabis albida 112. Arachniden 179. Archoplasma-Kugeln 547. 776 Ardea einerea 320. Argyroneta T67. Arius (ommersonü 268. Arretierung rascher Bewegungen 525. Arthrobotrys oligospora 705. Artiodactylen 587. Asa foetida, Einwirkung auf Tiere 745 fg. Ascaris, Richtungskörper 17. —, Befruchtung und Teilung des Eies 367, 545. Asellus aquaticus 452 fg. Asparaginsäure-Aldehyd 1. Atmung 506, 531, 551, 664, 755; im Wasser 551. Atmungs-Quotient 667. Atolle 23 fg. Atropa 323. Atta 322. Augenbewegungsnerven 691. Aulocystis 40, 49. Aurelia 721. Ausreißen der Reben 741. Axenbestimmung des Froschei 399. Azalea procumbens 194. Embryo im B. Bacillus Anthracis 49, 305, 468; B. eyanogenes 464; B. Cholerae asiati- cae 22; B. malariae 569; B. Meya- therium 305; B. mallei 21, 468; B. subtilis 21; B. tubereulosis 21; B. tussis convul. 468; B. typh. abdomi- nalis 468; Komma-Bacillus 21. Bacterium photometricum 33, 34. — Zopfi 301.» Bagre, Brutpflege und Entwicklung 268. Bakterien (Sporenbildung) 301. Bakterienzüchtung auf Hühnereiweiß 13,5307. Bakteriologische Diagnostik 96. Bakteriopurpurin 33. Bangigkeit, infolge von Atmungshem- mung 253. Barrieren-Riffe 23. Bartsia alpina 194. Bathydorus jimbriatus 39. Batrachierlarven, Epitheliale Drüsen 580. Batrachospermum 29. Sachregister. Bauchmark des Regenwurms 364. Befruchtung beim Ascaris-Ei 19, 367, 545; bei den Dauereiern der Daph- niden 430; partielle 368. Beygiatoa 34, 301. Beroe ovata 74T. Beuteltiere 8 fg. 3ewegungs-Empfindung und B.-Wahr- nehmung 438. Bewusstsein, Inhalt unseres B. 676. Bignoniaceae, Besuch von Ameisen 490. blatta orientalis 526. Blutalkaleszenz und Atembewegung 507. Blutfarbstoff 33. Blutgase 531, 551, 664, 755. Blutkörperchen 665. —, Menge der Bl. 757. Bluttemperatur, niedrige, von Kehrdna 14. Bombinator 708. Bombus 382, 517, 636. — (Sehvermögen) 231. Bombyx 525. Brachionus 734. Branchipus 120. Braune Hemisphäre(Froschembryo) 405. Brontotherien 588, 610. Broussonetia. papyrifera 127. Brutbeutel von Kchidna 8. Bucephalus 230 fg. Bufo 29. Buthus europaeus 182. ‚Bythrotrephes longimanus 125, 432, 756. C. Callidina bidens 125. Calliphora 279 fg. Calliphorus 183. Calophyscia 329. Campanula uniflora 197. Cänotherien 593. Carex panicea 111. Carmarina 745. Caryophyllaceae 196. Cassia 329. Catalpa 330. Caulophacus 40. Cecropia 323, 327 18. Ceratium 574. Cercaria 653. Sachregister. Cerebratulus 750. Chalicotherien 588. Challenger-Report über die Hexaecti- nelliden 38 fg., 46 fg. Ohamitea 637. Chantransia 29. Charybdea 357 fg. — Rastoni 218. Chauliodus 230. Ohaunostomidae 721. Chermes-Gallen 77. Chilosia 383. Chlathroeystis 34. Cholesterin in der Leber 55. Chonelasma 40. Chorda-Entoblast 29. Chromodoris 752. Ohrysaora 721. Chylema (Bütschli) 163. Clavularia 312, 315. Clerodendron 328, 578. Ulimacostomum 550. Clostridium butyrieum 464. Olosterium lunula 515. Collosphaera 744. Collozoum 744. Colobopsis 328. Columba palumbus 320. Condylarthra 584. Connarus 203. Conochilus 574. — volwox A125. Contre-Adaption (Errera) 482. Coprophilus striatulus 471. Corallium 313. Corbitella 45. Cordia 329. Cordylodon 621. Cornacuspongiae 220. Cornularia 312, 315. Corypha australis 634. Coryphodontiden 585. Cosmocladium 516. Crambessa 723. Craterolophus 220. Crateromorpha 40. Cremogaster 323. Orenothrix 301. Greodonten 583, 621. Cryptops punctatus 181. Ütenomyces serratus 141. Ta Uyanea 358. — Annaskala 218. Uypella 226. Uytheridea 369. D. Daetyocalyx 48. Dalechampia Roezliana 202. Daphnella 574. — brachyura 125. Daphnia 432. — longespina 125. Daphniden, Dauereier der D, 450. Daucus Carota 107, 639. Dendrilla 49. Dentalium 79. Dermalmembran der 39. Desmonema 721. Deszendenztheorie, zur D. 641. Diaptomus 574, 575 Dichobune 593. Difflugia 550. — urceolata 519. Diglena 733. Dimylus 621. Dinoceraten 586. Direkte Keimesabänderung Weismann) 66. Distomum 230 fg. — hepaticum, Entwicklung 649. Dolichodeirus 324. Domestikation und Größe der Tiere 769. Dotomes 184. Dotterpyramiden, Rathke’sche 9. Drassus "67. Durvia 577. Dytiscus marginalis 116. Hyalospongien Stellung Kants (nach E. lichidna 8. Eehinaster sepositus 748 Echinus 749. Eeiton 323. Edelhirsch, Schälen des E. 472. Edentaten, Herkunft 627° Eifel-Maare 574. Eisenbakterien 543. Eiszeit, als Erzeugerin der Säugetiere10. 118 Eiweiß, protoplasmatisches 1 fg. Elaphomyces, Bau und Lebensge- schichte 145. Elodea canadensis 36, 500. Elymus arenarius 320. Entstehung der Arten 118. Epeira 184, 767. Eriemeen (Selbstbestäubung) 197. Eristalis 279 fg. Ernährung der Protozoen 549, Erworbene Eigenschaften, Uebertra- gung und Vererbung 26, 65, 97, 118, 155, 204, 210, 235, 282, 291, 353, 491. Eucalyptus globulus 571. Eucharia 767. Eudorina 516. Euglena 767. Euglypha 519. — alveolata 272. Euphrasia 518. Euphrasieen , gen 518. Euplectella 40, 43, 48. Eurete 49. Euryale ferox 203. Euryplegma 40. Bestäubungseinrichtun- F h) . Facetten-Augen der Insekten 725. Fagus 128. — horrida 128. Farrea 40, 49. Fasciola terrestris 542. Fäule der Kardenköpte 176. Fauno, Insel der Salomon-Gruppe 24. Fieus 325; — elastica 635. Filarmasse (Flemming) 163. Fische, Gleichgewicht 525. Flabellum 275. Flora von Stuttgart 319. Floricomes 41. Floscularia 733. Flügelfrüchte und Flügelsamen 143. Flusskrebs, Entwicklung 91. Formen, regressive und progressive 1:26, Fornixsäule, viertes Bündel 691. Fötus, Atemruhe des F. 511. Froschei, Axenbestimmung des Embryo 299, Fumea 525. Fungia dentata 274. Sachregister. 4. Galanthus nivalis 225. Galeodes aranoides 287, 766. Gallertbildungen als Schutz für Pflanzen 488. Gasterostomum 230 tg. (astraea-Theorie Haeckel’s 29. Gastralmembran der Hyalospongien 39. Gastropteron 753. Gastrula bei Amphibieneiern 29. Gaswechsel chromophyllhaltiger Pflan- ZenE03 30: Gayella 383. Geburtenzahl, Schwankungen nach Mo- naten 342. Gefäßschattenfigur Purkyne’s 692. Gefühlszustände, psychophysische 241. Geodesmus 542. Geist 246. Geißeln (Infusorien) 548. Geotropismus 73, 74. Gemeingefühle, erzeugt durch Sinnes- reize 253. Geranium sanguineum 112. Gerbsäure als Schutz für gegen Tiere 483. Gesetzmäßige Entwicklungsrichtungen (Eimer) 354. Glomeris marginata 181. Glykogen der Leber 55. Glykuronsäure 632. Gorgonella 316 fg. GForgonia 317 fg. Gorgoniden des Golfs von Neapel 314. Gorytes 383. Grönländische Flora, Blüten der grönl. 7122196} Grunzochsen, zahme und wilde 763. Guava 329. Gyrinus natator 515. (Gyrodactylus elegans 692. Pflanzen H. Habrodietyon 45. Haimeidae 312. Halichondridae 223. Haltica 323. Hämoglobin 666, 752. — im Mikrospektrum 37. Haplococeus reticulatus LZopf 147. Sachregister. Haplogalen 621. Harninjektion und Atmung 507. Helianthemum polifolium 102. Helianthus annuus 571. Heliopora 313. Heliotropismus 74 Helix 483. — Saltoni 79. Helleborus foetidus 471. Herz-Endothel bei Selachier-Embryo- nen 385, 417. Heterophyllie 126. Hexactinellida 38 fg., 46 tg. Hibiscus 142. Hipparion 615. Hippopotamen 587. Hirschtrüffel 145. Höhlenbär 617. Holascus 40. Holosticha seutellumn 178. Holothuria 750. Homarus 93. Hühnerei, Verwendung für Bakterien- züchtung 19, 307. Huminsubstanzen 564, 600, 631. Hunde mit Stutzschwänzen 210. Hyalonema 48. Hyaloplasma (Strasburger) 163. Hyalospongiae 38 fg., ihre Systematik 43, 50, ihre Verbreitung 44. Hyänen 591. Hydatina 33. Hydrotropismus 74. Hydroxylamin, Wirkung auf lebendes Protoplasma 5. Hygrobates 574. Hymatomelansäure 639. Hymenoconidium petasatum 513. Hyotherium 611. Hypertrichose 332. Hypochondrie 254. Hypoxis decumbens 743. Hyracotherien 585. Idioplasma 107. Idiosynkrasie 254. Idioten, Hirn und Schädel 691. Imbauba 325 fg. Impatiens 577. 779 Infektions-Krankheiten niederer Tiere und Pflanzen 707. Infusorien, Beobachtungen kernigen I. 178. — der Kieler Bucht 655. Insekten (Sehvermögen) 276, 725. Insektivoren der Tertiärzeit 583, Ober- mioeän 612. Instinkte, Entstehung der 1. 67. Intussuszeption, Wachstum des Plas- mas durch I. 161. Irradiation des Schmerzes 269. Isis; 311 ie. Isopoden, Organisation: Gefäßsystem 453, Nervensystem 454, Darmkanal 458, Exkretionsorgane 461, Fort- pflanzungsverhältnisse 461. Juhfarke (der Rebe) 741. Julus londinensis A181, 277. ‚Jurinea 578. an viel- K. Kaliumbioxalat als Schutz für Pflanzen segen Tiere 484. Kanchil 611. Karyokinese im Ascaris-Ei 547. Karyosomen der Leberzelle 55. Katzen mit Stutzschwänzen 155, 235, 289. Keimblätter bei Meloe proscarabaeus 449. Keimdualismus 546. Kernteilung, karyokinetische, bei Eu- glypha 272. Keuchhustenbaeillus 470. Kieler Bucht, Infusorienfauna 655. Kleistogamie 197. Klettereinrichtungen der Pflanzen 138. Klima und Tierentwicklung 8 tg. Kohlehydrate beim Welken der Pflan- zen 564. Kohlensäure im Blute 664. Kohlenstoff der Dammerde als Nahrung der Pflanzen 600. Kompensations-Okulare 608. Kompositen (Nektarien) 578. Kontinuität des Keimplasmas 119, 123. Koralleninseln, Bildung von K. im Salomon-Archipel 23. Kraftquelle, chemische, plasma 1. im Proto- 780 Krebsweibchen, abdominale Anhänge 704. Kulturpflanzen schutzlos gegen Tiere 489. Kurzsichtigkeit, Vererbung der K. 26. L. Labaria 45. Lacerta 708. — muralis 118. Lämmerschwanz (der Rebe) 741. Landesmuseen, große zoologische 157. Landplanarien auf Pilzen 542. Lathrodectes tredecimguttatus 767. Lathrodectus 288. Lebensreaktion 4. Leberfäule 649. Leberzelle, Physiologie der L. 53, 59. Leeithin der Leber 55. Lembadion bullinum 506. Lepidium perfoliatum 127. Leptodora hyalina 125. Leptothrix 543. Leuchtorgan am Schwanze von Fischen 228. Leuconostoe 301. Limax agrestis 650. Limnaeus truncatulus 650. Limnias 733. Limnorea 219. Liparis dispar 521. Listriodon 611 Lithobius 180. Loasaceen , bung) 201. Lobi accessorii (Sarasin) 79. Lophocalyx 45. Lophohelia 275. Lopodorhynchus 79. Lueilia sericata 471. Luftkalorimeter 658. Lumbricus 93. Lycosa 184. amerikanische (Bestäu- M. Maare der Eifel 574. Macaranga 578. Madreporarien, Arbeiten über 274. Mageninhalt verschiedener Vögel 473. Maja 752. Majeta 329. Sachregister. Malacosaccus 40. Malaria und ihre Bekämpfung 567. Mammartaschen (Owen-Gegenbaur) 14. Mammut 617. Männliche Präponderanz 121. Marasmius androsaceus 513. Marica, absatzweises Blühen 226, Matthyola annua 102. Meertiere, Empfindlichkeit gegen Riech- stoffe 743. Meloe proscarabaeus 449 fg. Meridianebenen beim Froschei 400. Merista ureae 303 fg. Mertensia maritima 194. Micellen (Nägeli) 161. Micrococeus 301. — prodigiosus, M. ruber 21. Mierocodon 733. Microphysceia 329. Mikroorganismen der Malaria 569. Mikroorganismen, pathogene, Züchtung auf Nährböden aus Milch 462; auf Hühnereiweiß 19, 307. Mikropyle (van Beneden) 546. Mikroskopie am Krankenbette 9. Mikrosomen in der Zuckerleber 55. Milch als Verbreiter ansteckender Krankheit 462. Milch -Eiweißgelatine und Milch -Ei- weißagar 467. Milchgerinnung, spontane 31. Milch - Kaseingelatine und M.-Kasein- agar Abb. Milch- Peptonagar 467 und M,-Pepton- gelatine 465. Mimiery zwischen Hymenopteren 383. Mimosa pudica 98. Mitotische Teilung beim Ascaris-Ei 18. Moina 432; — paradoxa 368. Monas 34. Monaxonida 223. Monorhiza 219, 358. Monotremen 8 fg. Mopsea 315. Multieilia 598. Muricea 316. Muriceidae 313. Musca vomitaria 521. Museen und Museenwesen 86, 157. Myopie, Vererbung und Erwerbung 26. Sachregister. Myriopoden 179. Myrmedone 329. Myrmekophile Pflanzen 490. Myzxine 93. N. Nebenkern im Pankreas 55. Neben-Kopulation (Weismann und Iehikawa) 436. Nektar der Blumen 195. Nektarien, extraflorale 578. — der Blüten bei Schneeglöckchen und Schneebeere 225. Nemertinen, Homologie der Seiten- organe 79. Neoplagiaulax 583. Nepa, Ei- Anlagen 115. Nephrops 94. Nereis 93. Nestbau der Vögel in baumlosen Ge- genden 320. Neutralfett der Leber 55. Nigella damascena 40°. Nitella 500. Norddeutsche Seen, Fauna 540. Nordpol als Herkunft unserer Tier- und Pflanzenwelt 582. Nuklein der Leberzelle 54. Nützlichkeits- Prinzip Darwin’s 118. ®. Öbermioeän 611. Odontotarsus 579. Odynerus 383. Oenotheraceae 196. Olindias 745. Opalina ranarum 273. Ophek:: radiata 80. Ophioderma 749. Opisthotrema 230 fg. Optische Bewegungsempfindungen 437. Orangegefühle 253 fg. Orbitolites tenwissima 520. Orchis milibaris 112. Orchis morio 670. Öreodontiden 590. Ornithorhynchus 8. Orthanta 519. Oxyhämoglobin 755. s1 P. Paarhufer und Unpaarhufer, Heimat 626. Pagurus 752. Palaeomeryx 611. Paläotherien 585. Palinurus 752. Pallisadenparenchym des Thuja-Spros- ses 69. Palmodactylon 516. Pandorina 516. Pankreas, Plasmodium im 55. Papaver alpinum 102. Papilio 276. Parietalorgan der Reptilien und Am- phibien 707. Parthenogenetische Eier 125. — — von Liparis 521. Partielle Befruchtung 368, 430. Pastinaca 639. Patella 93. Pelobates fuscus 581. Pelomyza 550. Penieillium erustaceum A490. Peranema 550. Peratherien 590. Periptychiden 585. Perissodaktylen 587. permische Formation, Eiszeit, Ursprung der Säugetiere 10. Pferdespulwurm, Ei i7. Pflanzen, Verbreitungsmittel 138; Be- stäubungseinrichtungen 193, 518. — und Ameisen 321 fg. — , Sehutzmittel 481 tg. Phalangiden 184. Phalangium, Entwicklung der schlechtsorgane 359. Phenacodontiden 585. Phenylhydrazin und lebendes Proto- plasma 5. Pheronema 39. Phosphorvergiftung, Wirkung auf das Lebergewebe 53 fg. Phyllorhiza 358, 722. Phylloxera 324. — vastatrix (Entwicklung) 413. Pieris 276. Pinus Strobus 634. Pirola grandiflora 194. (e- 82 Pisum sativum 112. Plagiaulaciden 584. Plasmodium malariae 569. Pleistocän 617. Pleurothyrium 578. Pliocän 614. Plumatella 369. Plumicomes 41. Pneumococeus Friedländeri 468. Poephagus grunniens 765. Polfelder (Rabl) 547. Poliopogon 40. Polyarthra 574. Polyelonia 723. Polylophus 50. Polymastix 548. Polyparium 31. Polyphemus 125, 432, 548. Polypia 383. Polypomedusen, australische 218. Polystomella erispa D20. Populus 637; — Euphratica 127. Primula strieta 194. Pristiurus 387 fg., 417 fg. Proboseidier 612; —, Herkunft 628. Prosimier, Ausgang 627. Protisten-Studien, Biologische 519. Protocatechusäure 633. Protohippus 590. Protoplasma (Kupffer) 163; lebendes 1 fg.; - Bewegung 499. Protozoen, Ernährung 549. Prunus 390. Psetalia 45. Pseudogorgia 315. Pseudolemuriden der Tertiärzeit 583. Pseudopodien 548. Pseudorhiza 358, 724. Psidium 329. psychische Zeitmessung 673. Purpurbakterien 34. R. (QJmercus Reussana 128. R. Rana 29, 59, 399 fg., 708. Ranunculus aquatilis 127. Reaktionszeit bei Sinnesreizen einfache R. 683. 679, Sachregister. Reben, Geschlechtsverhältnisse der R. 190, 740. Reduktionsvermögen des Protoplasmas 3. Regenwurm, Fütterung mit Karmin 80, 82, Sekret beim Kriechen 81 ; Drüsen- zellen des Hypoderms 81, dieselben als Exkretionszellen 82; Nephridien des R. 85; Kriechen des R. 363. Rhabdomonas 34. Rhaphiden als Schutz für Pflanzen 488. Rhinoceroten 588, 610. Rhizoxenia 315. Riehtungskörper, Bedeutung 718; Bil- dung 124; Zahl 123, 124, 282, 330, H2a. Richtungsspindel, achromatische, beim Ascaris-Ei 18. Ringelkrankheit der Hyazinthen 169. Rohrzucker, Umwandlung in Humin. stoffe 603. Rosaceae 197. Rosenöl, Einwirkung 745 fg. Rosetten, Carter’sche, der Hyalo- spongien 4l. Rosmarinöl, Einwirkung 745 fg. Rossella 39. Rostpilze, Verbreitungsweise 141. Rotatorien aus Genf 733. Rotifer 733. Rotzbacillus 468. Rubus articus, Chamaemorus 197. S. Sagittaria sagittaefolia 127. Salix, Phylogenie 636. Saltieus scenicus 183. Salomon-Inseln 23. Salpeter in der Pflanze 159. Sarcina flava 21. Sarfeher (der Rebe) 741. Sauerstoff bei der Atmung 537. Säugetiere, Aenderungen in der Nah- rung 471; —, Entstehung derS$. 8 fg. Säugetierfaunen, ausgestorbene und lebende 582, 609. Saugnäpfe von Trematoden 231. Säuren, Einwirkung auf Algen 737. Sarifraga oppositifolia 194; — 196. lebenden auf Meertiere auf Tiere Sachregister. Schädel-Anomalien 371 fg. Scheitelorgan (Reptilien) 711. Schimmelpilz, Nematoden fangender 705. Schizolobium 141. Schizophylle Eichen 128. Schleudereinrichtungen bei Pflanzen- samen 139. Schmerz, psyeh. u. physiol. Verh. 265. Schnecken als Feinde derPflanzen 481 fg. Schraubenflieger (Pflanzenfrüchte) 142. Schreekbewegung bei Bakterien 34. Schutzvorrichtungen der Pflanzen 481 fg. Schwammparenchym des Thuja-Spros- ses 69. Schwämme 38 fg., 220. Schwefelbakterien 34. Schweine, Gebissentwicklung 237. Scenedesmus 516. Scleraxonia 313. Scopelus Benoiti 228. Scrofulariaceae 196. Scyllium 527. Scyphomedusen 357, 720. Scolia 383. Seele und Geist (Jäger) 243. Sehvermögen von Insekten und Wirbel- tieren 725; der Myriopoden und Arachniden 179; bei Schmetterlings- raupen und vollkommenen Insekten 276. Sekretions-Theorie (Atmung) 553. Selachier, Entstehung des Herzens und der Gefäßstämme 385, 417. Selbstbestäubung bei Blüten 196. Seriatophora 75. Sida erystallina 125, 368, 432. Silberreduktion (Löw-Bokorny’- sche) des Protoplasmas 3 fg. Silpha opaca 471. Stlurus 271. Siphonogorgia 315. Skelet der Hyalospongien 40. Smerinthus ocellatus 71. Solenocaulon 312. Solidago Virgaurea 108. Sonnenblume, Saftausfluss der dekapi- tierten 97. Spezialisten (Tiere als Pflanzen) 482. Feinde von 185 Spiceulispongiae 220. Spina bifida 294. Spinnen, giftige S. 287, 766. Spiraltendenz bei Wurzeln 640. Spirillum 34. Spirogyra 37, 738. Spongelia pallescens 115. Spongioplasma (Leydig) 163. Sporenbildung bei Bakterien 301. Sporozyste bei der Entwicklung von Distomum 651. Squalius cephalus 526. Staphylococcus pyogenes albus, St. p. aureus 468. Stenogalen 621. Stentor 505. Sternaspis 751. Stickoxydulgas 538. Stirndrüse 717. Stizus 383. Stockkrankheit des Roggens 130, des Hafers 137, des Klees und der Lu- zerne 175, des Buchweizens 178. Strobila (Semper’sche) 274. Strophogorgia 313. Subursen 627. Sumpfgift 568. Sus 239. Süßwasseralgen, Jugendzustände 29. Süßwasserfauna, Anlage einer Station 185. Sympagella 40. Symphoricarpus racemosus 225. Synapta 750. M. Tachia guianensis 329. Taegeria 40. Tagetes patula 102. Tagmen (Pfeffer) 161. Tapire 585, 610. Tauchreflex 511. Tegenaria 184, 767. Telentosporen der Rostpilze 141. Telesto 315. Tenthredo (Sehvermögen) 231. Thomisius 184. Thuja oceidentalis, Sprosse 69 tg. Thyssanozoon 50. Tiere, Wärmeproduktion 657. Tierverbreitung, Atlas der T. 669. 184 Sachregister. Tillandsia 324. Tillodontier 587. Tococa 329. Torpedo 388 fg., 417 fg., 528 Trabekelraum der Hyalospongien 39. Trachydosaurus asper 15. Tradescantia 500. Traumatismen, Vererbung 204, 235. Trematoden, Anatomie 230. —, Entwieklungsgeschichte 648. Triaena bogotensis 500. Trinema enchelys 369. Triphragmium 141. Triplaris 324. Triton 29, TAT. Trochosa singoriensis 287. 7167. Tropaeolum 72. Tubipora 315. Turbinaria 275. Tylenchus devastratix 129—138, 164— 178. — scandens 705. Typha, Anzahl der Samen 759. Typhus abdominalis 462. U. Umbelliferen, Wurzelanomalien 659. Undulations-Gesetz 121. Untermiocän 609. Urena lobata 742. Urhaartier 11. Urtriculariaceae 197. Urvölker, Verbrechen und Prostitution 371. Vv. Vakuolen (Infusorien) 509. Vanessa 276; Levana 357. Vanilla 640. Varanus 708. Verbenaceen, Myrmekophilie 490. Verbrecher in anthropol., ärztl. und jurist. Beziehung 370. Verbreitung niederer Wassertiere 368. Verdampfungskalorimeter 657. Verdauung, Einfluss auf Wärmeproduk- tion 659. Verdauungsfieber 254. Vererbung erworbener Eigenschaften 26; 65, 97, 118, 155, 204,210, 235; 282, 291, 353, 491. Verkieselung der Pflanzenzellhäute 487. Vermetus 79. Viola tricolor 107. Vitis 190, 194, 740. Vögel, Mageninhalt 473. Volucella bombylans 382. Volvox 738. Vorticella 550. W. Warmblüter, entstanden aus der Zucht- wahl 9. Wärmeproduktion der Tiere 657. Weiße Hemisphäre (Frosehembryo) 405. Wimperfackeln der Rädertiere 734. Wirbeltiere, Sehvermögen 725. Witterungsinstinkt bei Tieren 254. Wurzelanomalien der Umbelliferen 639. Wurzelausscheidungen 189, 2. Zanthoxylum 330. Zeitmessung, psychische 673. Zelle, Bau und Leben der tierischen Z. 17; Zellen-Studien (Boveri) 17, 545. Zellkern, Funktion und Lage bei Pflanzen 110. Zentralnervensystem, Funktionen und ihre Phylogenese 524. —, die histologischen Elemente 93. — beim Regenwurm 364. Zirbel 708. Zoologische SüßwasserStation 185. „Zufall“ in der Entwicklung 354. Zwergzellen der Pflanzen 487. a a 1. 55 RT Tat “> a & Ya 3% KiSz: Ge Br E BEN? Dr MB L/wBoL 1] UH_ 188 7.3 F . PEN Pi VW, BE x